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THF EISENHOWER LIBRARY
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Jahrbuch ,
DES
Deutschen
Archäologischen Instituts
3^ 4«^
Band xxxviii/ix
1923/24
MIT DEM BEIBLATT ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER
. BERLIN UND LEIPZIG 1925
WALTER DE GRUYTER & CO.
vormals G. J. Göfchen'sche Verla; shandlunir — }• Guttentap, Verla; sbuchhandlun; — Georg Reimer
Karl J. Trübner — Veit & Comp.
l' ,
Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W. lo
Inhalt
Seile
Bieber M., Die Söhne des Praxiteles. Mit Tafel 6 u. 7 und
15 Abbildungen 242
Bissing Fr. W. Frhr. v., Untersuchungen überdie»phoinikischen« Metall-
schalen. Mit 15 Abbildungen .... 180
Buschor E. , Das Schirmfest. Mit 1 Abbildung .... 128
Hörmann H., Die römische Bühnenfront zu Ephesos. Mit
3 Beilagen und 8 Abbildungen .... 275
Kredel F., Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein. Mit
Tafel 4 u. 5, I Beilage und 3 Abbildungen 169
Krischen F., Das hellenistische Gymnasien von Priene. Mit
3 Beilagen und 9 Abbildungen .... 133
Lehmann -Hartleben K. , Libon und Phidias. Mit 5 Abbildungen . . 37
Lippold G. , Zur griechischen Künstlergeschichte . . . . 150
Matz F., Das Motiv des Gefallenen. Mit l Abbildung i
Studniczka F., Imagines lUustrium. Mit Tafel 2 u. 3 und
21 Abbildungen 57
Wachtsmuth F., Die Baugeschichte von Sendschirli (Samal).
Mit 2 Abbildungen 158
"Waldhauer O., Zur Lakonischen Keramik. Mit Tafel i und
3 Abbildungen ■ . . . 28
Winter F., Der Meister der Niobegruppe. Mit l Beilage
und I Abbildung 49
rv
Inhalt
ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER
^ Spalte Spalte
Bericht des Archäologischen Instituts Die neueste archäologische Tätig-
über die Rechnungsjahre 1922 keit in Spanien (P. Bosch - Gimpera).
und 1923 1 Mit 44 Abbildungen 172
Andrae W., Neue Funde aus Susa. Erwerbungsberichte:
Mit % Abbildungen.. 95 Leipziger Antiken 1 (A.Rumpf). Mit 23
Bissing Fr. W.Frhr.».. Zur Geschichte Abbildungen 44
j »-1 T>u • Sammlungen:
der antikenRhyta. *
»«•• Awuij c DJc Antiken im Park zu Wörlitz
Mit 2 Abbildungen.. 106
(K. Schulze-Wollgast). Mit 6 Abbildungen 24
Borchardt L. und Viedebantt O.,
Ein spätrömisches '' Archäologische G es ellschaft zu Berlin
Meßgefäß. Mit i 1923:
Abbildung 153 Januar-Sitzung (Wiegand, Rodenwaldt) ... 1 10
Degering H., ModerneFälschungen. Februar-SiUung (Deißmann-Neugebauer).. 110
Mit 2 Abbildungen.. 13 März-Sitzung(Wiegand,Brueckner, Aßmann) 113
Jacobsthal P., ZurDelphischenRin- April-Sitzung (Schröder, Curtius) 118
derraubmetope. Mai-Sitzung (Noack, Rubensohn, Wiegand) 118
Mit I Abbildung 164 Juni-Sitzung (Noack, Schäfer) 121
— — , Scheuklappen. Mit Juli-Sitzung (Rodenwaldt, Noack, Schmidt) 122
4 Abbildungen 263 Oktober-Sitzung (Paribeni) 125
Johansen P. , Die Parthenongiebel 141 November-Sitzung (Wiegand, Lietzmann) . 125
„ Dezember-Sitzung (Noack, Krüger, Krencker) i2q
Kraiker W., Fragment des Her- ^^ '
maios in Heidel- Archäologische Gesellschaft zu Berlin
berg. Mit 4 Abbil- 1924:
düngen 166 Januar-Sitzung (Lehmann-Hartleben, Kostet) 276
Mayer M., Er widerung au f De- Februar-Sitzung (Rubensohn, Matz) 278
gering, Moderne März-Sitzung (Neugebauer, Rubensohn)... 300
Fälschungen 22 April-Sitzung (Wiegand) 342
Rodenwaldt G., Eine Ansicht d esSep- Mai-Sitzung (v. Gerkan) 342
t i z o n i u m s. Mit i Juni-Sitzung (H. Schmidt, Kostet) 348
Abbildung 39 Juli-Sitzung (K. Müller) 356
- -, Rekonstruktionen November-Sitzung (Rodenwaldt, v. Lecoq) 358
der Stuckreliefs Dezember-Sitzung (Rodenwaldt) 364
aus Pseira. Mit 3 AbgU sse der Wörlitzer Relief e ,39
Abbildungen 268 Kretisch -m y kenische Glyptik ,39
Schulten A., Forschungen nach Lichtbildzentrale 140
Tartessos. Mit i Neue Photographien spätantiker Denk-
Karteu. 2 Abbildungen i mäler (Delbrück) 372
Viedebantt O. , und Borchardt L., Antiken der evangelischen Schule
Ein spätrömisches in Smyrna (Lippold) 373
Meßgefäß. Mit i
.Abbildung 153 Ar chäologische Dissertationen (Elisa-
beth Franck) x-jx
Wrede W. , Zur Caeretaner Bu- ' •*'•'
sirisvase 11 Register 377
BERICHT
DES
ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS ÜBER DIE RECHNUNGSJAHRE
1922 UND 1923.
Die Verwaltung und Geschäftsführung des Instituts hatte in der Berichtszeit unter
den Schwierigkeiten der allgemeinen Lage zu leiden. Wenn das Institut am Ende
dieser Zeit trotz schwerer Einschränkungen gegenüber dem Friedenszustande in der
Lage ist, seinen wesentlichen Aufgaben gerecht zu werden und seine wichtigsten Unter-
suchungen weiterzuführen, so verdankt es dies in erster Linie dem Entgegenkommen
der Reichsregierung. Insbesondere ist das Institut Herrn Ministerialdirektor Heilbron
und dessen zeitweiligem Vertreter, Herrn Wirklichen Legationsrat Dr. Soehring, für die
tatkräftige und erfolgreiche Wahrnehmung der Interessen des Instituts zu aufrichtigem
Dank verpflichtet.
Am I.April 1922 trat Herr Rodenwaldt sein Amt als Generalsekretär an. Gleich-
zeitig begann Herr Regierungsobersekretär Eich bäum seine Tätigkeit als Bürovorsteher
bei der Dienststelle der Zentraldirektion. Für die redaktionellen Arbeiten konnte erst
seit I. Juni 1922 eine Hilfskraft in Fräulein L. Hamburg gewonnen werden. An ihre
Stelle trat am i. Januar 1924 Herr W. Schadewaldt. Für die Fortführung und den
Abschluß der Bibliographie für die Jahre 1920 bis 1922 sind wir Herrn Brandis zu
besonderem Dank verpflichtet.
Zum Vertreter Hessens in der Zentraldirektion wurde Herr Delbrueck ernannt.
Am Ende der Berichtszeit schied Herr Lietzmann infolge seiner Übersiedlung nach
Berlin aus der Zentraldirektion aus.
Aus der Reihe seiner Mitglieder verlor das Institut durch den Tod die Herren :
E. Anthes (O. M.), A. Brinkmann (K. M.), E. Marques de Cerralbo (K. M.), H. Diels
(O. M.), R. Förster (O. M.), G. F. Gammurini (E. M.), A. E. J. Holwerda (O. M.), L. Jelic
(K. M.), W. Klein (O. M.), F. v. Luschan (K. M.), A. Riese (O. M.), A. N. Skias (O. M.),
V. Stais (O. M.), D. Stavropullos (K. M.), J. N. Svoronos (O. M.) A. Weckerling (K. M.),
E. Ziller (K. M.).
Neu ernannt wurde zum Ehrenmitglied im Jahre 1922 Herr B. Croce. Im Jahre
1922 wurden gewählt zu ordentlichen Mitgliedern die Herren: W. Andrae, M. von Bahr-
feldt, P. Bosch-Gimpera, F. Drexel, E. Fiechter, B. Filow, A. von Gerkan, A. Gold-
schmidt, F. Heilbron, R. Herzog, S. Heuberger, G. Kazarow, O. Kern, J. Kirchner, L.
Kjellberg, H. Koch, K. Kramer, D. Krencker, F. Krischen, G. Lippold, J. Loeb, K. Müller
(Göttingen), A. Oxe, E. Preuner, K. Regling, O. Reuther, H. Schäfer, H. Schmidt (Berlin),
Br. Schröder, W. Schubart, Fr. Sprater, J. Sundwall und C. Wulzinger, zu korrespondie-
renden Mitgliedern die Herren: F. Behn, W. Bremer, M. Bühlmann, A. Deißmann, F.. G.
Doublis, F. Eichler, H. (iropengießer, F. Gündel, S. Guyer, K. Helmke, Fr. Hertlein,
H. Hofmann, U. Hölscher, A. Ippel, A. Koch (Berlin), G. von Lücken, E. von
Mercklin, V. K. Müller (Berlin), W. Müller (Dresden), H. Nachod, C. A. Neugebauer, P.
Revellio, E. Samter, E. Schmidt (München), E. Unger, O. Waser, C. Weickert, E. Weigand,
O. Weinreich und F. G. Welter. Im Jahre 1923 wurden zu ordentlichen Mitgliedern ge-
— II —
wählt die Herren: Chr. Blinkenberg, C. G. Brandis, Fr. Gramer, H. Gropengießer, A. Hekler,
F. Hertlein. C. W. Lunsingh-Scheurleer, E. Nowotny, F. Philippi, J. Rott und (). Soehring,
zu korrespondierenden Mitgliedern die Herren: G. Bersu, H. Bingemer, H. Birkner, G.
Blecher, K. A. Boethius, K. Frickhinger, A. Günther, K. F. Johansen, P. Th. Kessler, Fd.
Kutsch, O. Paret, A. Persson, F. Wagner und E. Wähle.
nie CJesamtsitzung des Jahres 1922 fiel aus. Die Gesamtsitzung des Jahres 1923
liind am 20. u. 21 April statt. In beiden Jahren konnten je drei, gegenüber den Friedens-
sätüen allerdings wesendich beschränkte Stipendien verliehen werden, im Jahre 1922 an
die Herren G. Krahmer, K. Lehmann-Hartleben und A. Rumpf, im Jahre 1923 an die
Herren H. Diepolder, E. Langlotz und W. v. Massow.
Der Generalsekretär nahm im Jahre 1922 an dem Tage für Denkmalpflege und
Heimatschutz in Stuttgart und im Jahre 1923 an der Tagung deutscher Philologen und
Schulmänner in Münster i. W. teil. In Angelegenheiten der römischen Zweiganstalt reiste
er im März 1923 und im März 1924 nach Rom. Kleinere Dienstreisen führten ihn nach
Halle a./S., München und Frankfurt a./M.
Vom Jahrbuch und Anzeiger erschienen Band XXXVI 1921 und XXXVII 1922, 1-2,
von den Athenischen Mitteilungen, deren Redaktion Herr Karo freundlichst fortführte,
Bd. XLVI 192 1, von den Römischen Mitteilungen Band XXXV I920, 3 — 4 und
Band XXXVI/XXXVII 1921/22.
Die Arbeiten am Corpus der Sarkophagreliefs wurden durch Herrn Rodenwaldt und
Fräulein Hamburg gefördert. Herr Rodenwaldt bereiste zu diesem Zweck im März 1924
die oberitalienischen Museen. Von der Publikation der Akropolisvasen wurde durch
Herrn I.anglotz der Druck von Heft 4 fast vollendet und die Vorarbeiten für Heft 5
begonnen. Die Vorarbeiten für die Veröffentlichung der clialkidischen Vasen konnte
Herr Rumpf dem Abschluß nahebringen.
Die Fortführung der Untersuchungen in der Casa del Fauno in Pompeji, die von
Herrn Winter und Herrn v. Schöfer vorgenommen wurden, konnte vom Institut unter-
stützt werden, ebenso Untersuchungen von Herrn Delbrueck über die Ikonographie der
frühchristlichen Kaiser. Mit Unterstützung des Instituts konnte im Winter 1922/23
Herr Bulle und im Winter 1923/24 Herr Wolters zwecks wissenschaftlicher Arbeiten
nach Griechenland reisen.
In Athen standen Herrn Buschor als Assistenten im Sommer 1923 Herr Lehmann-
Hartleben, im Winter 1923/24 Herr Weickert zur Seite. Herrn G. Welter ist das Institut
für seine ständige Mitarbeit zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Die Arbeitskraft der
Beamten wurde durch wissenschaftliche Auskunftstätigkeit stark in Anspruch genommen.
Die schwersten Lücken der Bibliothek konnten ausgefüllt und die Photographiensamni-
lung ausgebaut werden. Dank der Unterstützung von ausländischen Freunden konnten
kleinere Untersuchungen und Grabungen vorgenommen werden am Heraion in Olympia,
am Olympieion und am Nikepyrgos in Athen, am Kastell von Phyle und in Naxos.
Mit ihrer Hilfe konnte auch am F.nde der Berichtsperiode der Abschluß der seinerzeit
von Furtwängler begonnenen Grabung am Aphroditetempel in Aegina in Verbindung mit
der bayrischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Herrn Wolters in Angriff
genommen werden.
Von dem in Verbindung mit dem Marburger Kunsthistorischen Seminar heraus-
gegebenen Werk über die Skulpturen von Olympia ist der Tafelband erschienen, der
Text von Herrn Buschor folgt demnächst.
In Rom wurde Herr Amelung im Sommer 1923 von Herrn Diepolder, im folgen-
den Winter durch Herrn Rumpf als Assistenten unterstützt.
Die Nodage der Wissenschaft in Deutschland hatte zur Folge, daß das Institut
eine weit über den F'riedensumfang hinausgehende Auskunfts- und Vermittlungstätigkeit
ausüben mußte. Daneben konnte eine Reihe von wissenschaftlichen Unternehmungen des
Instituts und einzelner Gelehrter gefördert und die Sammlung photographischer Negative
ausgebaut werden. In der zweiten Hälfte des Winters I923/24 gelang es endlich, dem
Institut ein provisorisches Unterkommen in den Räumen des Deutschen Gemeindehauses
- III —
Rom 25, Via Sardegna 79, zu schaffen. Mit der Einrichtung und Wiederaufstellung der
Bibliothek konnte begonnen werden. Wenn die römische Zweiganstalt wieder fruchtbar
arbeiten und in absehbarer Zeit die Pforten ihrer Bibliothek zu öffnen vermag, so
verdanken wir dies zu einem wesentlichen Teil der hochherzigen Unterstützung durch
amerikanische Freunde des Instituts.
In Frankfurt a. M. wurde während der beiden hier zusammengefaßten Berichts-
jahre der 6. und 7. Jahrgang der Germania abgeschlossen und der 13. und 14. der
Berichte veröffentlicht. Von dem Katalog der Sammlung in Hanau wurde ein erster
Teil zum Druck gebracht; von dem zweiten sind die Zinkstöcke der Abbildungen her-
gestellt. Von dem Germanenwerk ist eine erste Lieferung erschienen, die den Denk-
mälern des Vangionengebiets gewidmet ist. Das Werk über das Grabmal von Igel stand
am Schluß des zweiten Berichtsjahres vor dem letzten Imprimatur, und die Arbeit an
den Denkmälern von Neumagen ist während dieses Jahres durch die Hilfsarbeit von
Herrn v. Massow so gefördert worden, daß sie durch Herrn Krüger nunmehr dem Ende
zugeführt werden kann.
Von dem Bilderatlas Germania Romana, dessen Auflage schnell vergritifen worden
war, wurde eine 2. Auflage vorbereitet, die in Lieferungen mit ausführlichen Erläute-
rungen erscheinen soll. Die erste Lieferung war am Schluß des ersten Berichtsjahres
in Druck.
Als ein erfreulicher, zu Wiederholungen auffordernder Erfolg darf die im Sommer
I922 im Verein mit dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht veranstaltete
»Römische Woche« angesehen werden.
Die Reisen der Beamten der Römisch-Germanischen Kommission mußten leider
während der beiden Jahre stark beschränkt werden. Gegen Ende des zweiten Berichts-
jahres konnte Herrn Drexel ein kurzer Aufenthalt in Basel und Brugg zum Studium der
dortigen neueren Ausgrabungen ermöglicht werden.
Im Jahre 1922 nahm der Direktor an der Verbandstagung in Braunschweig, Herr
Drexel an der in Speier teil, wie auch an der Tagung der Berufsprähistoriker in Weimar
und der des Gesamtvereins in Aachen. Im folgenden Jahre besuchte Herr Drexel die
Prähistorikertagung in Tübingen, Herr Koepp die Tagung Deutscher Philologen und
Schulmänner in Münster i. W. Auf einer Tagung für Deutschtumspflege in Witzenhausen
war der letztere mit einem Vortrage über die Bevölkerung der Rheinlande im Altertum
beteiligt.
Mit Dank muß erwähnt werden, daß die Stadt Frankfurt in ihren Haushaltsplan
für 1924 wieder den alten Zuschuß zu den Kosten der Unterbringung der Römisch-
Germanischen Kommission eingestellt hat.
DAS MOTIV DES GEFALLENEN.
I. DIE ÄGYPTISCHE KUNST.
Wenn hier vom Motiv des Gefallenen und von seiner Geschichte in der antiken
Kunst die Rede sein soll, so ist der Begriff dabei in seinem weitesten Umfang gemeint.
Im eigentlichen Sinne ist ein Gefallener eine Figur, die im Kampfe besiegt wurde
und am Boden liegt. Dieses Liegen kann aber unter Umständen mit sehr lebhafter
Bewegung einzelner Glieder verbunden sein. Infolgedessen ist die Grenze zwischen
den Motiven des Fallens und des Gefallenseins flüssig, so daß auch die ersteren in
weitem Umfange hier heranzuziehen sind. Anderseits kann ein Gefallener auch
so ruhig daliegen, daß sich sein Bild in keiner Weise von dem eines Gelagerten oder
Schlafenden unterscheidet. Daraus ergibt sich, daß auch die Motive des Liegens
überhaupt in den Kreis dieser Untersuchung fallen.
Die ägyptische Kunst der vordynastischen Zeit gehört ganz und gar, die der
sogenannten Frühzeit im wesentlichen in den Bereich der primitiven Kunstübung,
d. h. sie steht entwicklungsgeschichtlich auf derselben Stufe wie die Kunst der Kinder
und Naturvölker. Ihre Bilder werden also einerseits durch das Fehlen jedes archi-
tektonisch-dekorativen Prinzips ') und anderseits durch die Anwendung des so-
genannten ideoplastischen oder Aufbauverfahrens bei der Zeichnung gekennzeichnet.
Vorstellungs-, Wirklichkeits- oder Gegenstandsbild sind andere Namen für dieselbe
Sache.
Es folgt hieraus, daß es für den primitiven Zeichner da, wo das Thema des
Bildes einen liegenden Menschen verlangte, ein eigentliches Problem überhaupt nicht
gab oder höchstens in demselben Sinne wie bei der Darstellung aufrechter Figuren.
Kopf und Rumpf, Arme und Beine, und was man sonst noch als integrierenden Teil
des Körpers auffassen mochte, sind ja hier wie dort vorhanden und müssen also auch
im Bilde sichtbar sein. Daß sie sich teilweise verdecken, überschneiden und ver-
kürzen, wird ja selbst bei der aufrechten Gestalt, für die man doch über einen viel
größeren Schatz von Erfahrungen und Beobachtungen verfügte, nicht berücksichtigt.
Für den Liegenden kam es natürlich noch viel weniger in Betracht. Die Art und Weise,
') L. Curtius, Antike Kunst 19.
Jahrbuch de» archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1933/24. I
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Wie diece Kunst ihre liegenden Gestalten von den aufrechten unterscheidet, kann
II so nu in einer Veränderung in der Richtung der Körperachse bestehen.
Das Einfachste .äre die Drehung um 90 Grad, und aus ^^-^J-;"^-;;" ^f ^."^^
Völkern und Kindern ist sie wohlbekannt •). Es überrascht daher, daß be^ den
frühesten ägyptischen Darstellungen von Gefallenen, d.e uns vorhegen m den Wand-
bto eines Grabes bei Kom el-ahmar ^) sowie in einer der älteren Gruppe ange-
hörigen und zur einen Hälfte im Louvre, zur anderen im British Museum aufbewahrten
Schrnkpalettes) der Körper um volle 180 Grad gedreht ist, so daß für uns
Empfinden die F gur auf dem Kopfe steht. Man muß aber berücksichtigen, daß es
slTin beiden Fällen um eine Gruppe handelt, und daß bei der Komposition emer
olchen der primitive Künstler natürlich ganz entsprechend verfahrt wie beim Aufbau
der einzelnen Figur aus ihren Teilen. Wo er ein örtliches E ement angeben muß,
undTas ist ja bei jeder Gruppe mehr oder weniger der Fall, da gibt er es »emzeln,
Ton seLm örtlichen Zusamm'e'nhang getrennt an dem durch den Aufbau des geistigen
und nicht des physischen Bildes vorgeschriebenen Platz« 4). V.ir wissen ja w e
beliebt es ist, z B. Flüsse, Teiche, Wege, Hügel u. ä. in unverkürzter Aufsicht er-
scheinen zu lassen, so daß im Bedarfsfalle die Bildfläche auch die dritte Dimension
repräsentieren konnte. Die Drehung der Körperachse um 180 Grad in den beiden
angeführten Fällen soll also veranschaulichen, daß der Gefallene dem Sieger bzw.
dem Löwen etwa quer vor den Füßen liegt. Im Grunde ebenso machte es cm zehn-
jähriger Junge, der die Gruppe eines mit einem Hunde spielenden Knaben zeichnen
wollte und dabei die Achsen der beiden Körper parallel anlegte 5), nur daß hie die
Köpfe beider Figuren oben sitzen. Der Hund war schon durch die anormale Lage
seines Rumpfes und durch die Art, wie die Beine angebracht sind, deutlich genug
als liegend gekennzeichnet. j r j
Daß die horizontale Lage beim Gefallenen in Ägypten erst gegen das Ende
der primitiven Periode auf zwei fragmentierten Schiefertafeln auftritt 6), ist natürlich
ein durch die Spärlichkeit unseres Materials bedingter Zufall. In Wirklichkeit muß
auch dieser Typus von alters her bekannt gewesen sein.
Angesichts des Fragments mit der Darstellung eines Schlachtfeldes ist man
geneigt zu meinen, die fünf liegenden Figuren seien als solche, abgesehen von der
.) z. B. Palauinseln : Woeimann, Gesch. d. Kunst II Capart, D6buts Taf. 1 ; Hoernes, Urgesch., 2. Aufl.,
2. Aufl., Taf. 3. Buschmannzeichnungen: ebenda 93i '•
n, 8. Brasilien: Koch-Grünberg, Die Anfänge <) Loewy, Naturwiedergabe 8.
der Kunst im Urwald 21. Kinderzeichnungen: 5) Lewinstein, a.a.O. 9,26.
Lewinstein, Kinderzeichnungen 1905, Taf. 18, ') a) Brit. Mus. Darstellung eines Schlachtfeldes:
42 b; 40, 81a oben links; 64, I47 a, b. Mon. Piot X 1903, Nr. 5 a; Capart, Dftuts
>) Quibell-Green, Hierakonpolis II 75; danach z. B. 240, 179; Journ. of Aeg. Arch. II 1915 Taf. 14'-;
Capart, Debüts 146; Maspiro, Gesch. d. Kunst Kunstgesch. in Bildern 14, 4; Spnnger-Michaelis,
in Ägypten 1:, 17; Kunstgesch. in Bildern 14, i; 9- Aufl., 12, 33! L- Curtius, Ant. Kunst 24, 21;
Spiegelberg, Äg. Kunstgesch. Fig. 7; L- Curtiu:, Schäfer, Äg. Kunst 4, 2. b) Louvre. Der
Antike Kunst 22 f., 19; Schäfer. Äg. Kunst 2, i. König als Stier: Mon. Piot X 1903, Nr. 4; BCH
3) B^nWite, Mon. Piot X 1903, Nr. 3 a-c. Fig. 5; XVI1892, i;Capart, D^buts234f-, i65f.; Kunst-
gesch. in Bildern 14, 3; Schäfer, Äg. Kunst 4, i.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
horizontalen Lage, auch noch durch die Lockerung ihrer Gelenke in Knien und Füßen
von den Aufrechten unterschieden. Aber eine von diesen, nämlich die 1. vom Löwen
sichtbare, teilt diese Eigentümlichkeit mit ihnen, und sie kann man auf dieser Ent-
wicklungsstufe unmittelbar vor dem Einsetzen der Streifenkomposition unmöglich
noch als liegend ansprechen. Es muß ein Fliehender sein; denn das Motiv, nur wenig
verändert und im Gegensinne angeordnet, erscheint wieder unten auf der Vorderseite
der Tafel des Königs Narmer ') bei zwei Feinden, die mit lebhaften Zeichen des
Entsetzens dem Schicksal ihres im Hauptbilde darüber vom König niedergeschlagenen
Gefährten zu entfliehen versuchen. Wäre die Keule bereits auf sie niedergesaust,
d. h. wären es Gefallene, so könnten sie ihre Furcht nicht mehr so lebhaft äußern ^).
Jene Bewegung in den Gelenken hat bei den anderen also keinen weiteren Zweck,
als die Zuckungen der im Todeskampf liegenden und von den Raubvögeln zerfleischten
Gefallenen zu veranschaulichen. Ein wesentlicher Unterschied von den aufrechten
Gestalten ist im Erfassen des Motivs aber auch hier nicht festzustellen.
Das Fragment mit der Darstellung des Königs als Stier ist deswegen bemerkens-
wert, weil es zum ersten Male deutlich nicht einen Gefallenen, sondern einen Fallenden
vorführt. Die ausgebreiteten Arme und die verschiedene Bewegung der Beine ist
anders nicht zu verstehen. Im Grunde ist es auch hier das Schema des aufrechten
Menschen, aber man hat doch den Eindruck, daß man, um dieses Bild zu verstehen,
den eigenen Sehgewohnheiten viel weniger Zwang antun muß als in allen bisherigen
Fällen. Wir stehen aber hier auch unmittelbar an der Schwelle der eigentlichen
ägyptischen Kunst, die unter den ersten beiden Dynastien mit der sogenannten
Frühzeit einsetzt.
Aus deren Bereich kommt zunächst in Frage das Bild auf der Rückseite der
Schminktafel des Königs Narmer'). Von den Körpern der in zwei Reihen senk-
recht übereinander angeordneten Erschlagenen, denen man den abgehauenen Kopf
zwischen die Beine gelegt hat, unterscheiden sich die der beiden untersten des
1. Gliedes in keiner Weise von den 1. heranschreitenden Gestalten. Wie man aber
bereits beobachtet hat 3), ist das bei der Arbeit dem Künstler selbst aufgefallen,
und so hat er dann bei allen übrigen die Fußspitzen gegeneinandergekehrt. Irgend-
welche Wirkung auf die spätere Ausbildung der Liegemotive hat das nicht gehabt.
Für die Arbeitsweise dieser Zeit ist es aber charakteristisch: die Korrektur des Vor-
stellungsbildes mit Hilfe des Gedächtnisbildes beginnt.
Noch weniger kann von bloßer Achsendrehung aufrechter Figuren die Rede
sein bei den eine Anzahl von Gefallenen darstellenden Graffiti auf den Basen zweier
') Quibell-Green, Hierakonpolis I 29; Mon. Piot =) Demgegenüber scheint mir die Bemerkung von
X 1903, Nr. I, Fig. if.; AJ XIX 1904, 38,14; E. Schmidt, Knielauf 3645., nicht stichhaltig.
BB 2; Capart, Debüts 167 f.; Masp^ro, Gesch. Vgl. v. Bissing, BB zu laf. 2 und 3 a. Anm. 6.
23, 38 f.; Woermann, Gesch. d. Kunst I, 2. Aufl., Daß keiner der Füße mit der Sohle fest auf-
65, 54; L. Curtius, Ant. Kunst 25, 22; Schäfer, gesetzt und der Leib so weit nach vom geneigt
Äg. Kunst 6, I f.; Hunger-Lamer, Altorient. ist, soll eben das eilige und zugleich unsichere
Kultur im Bilde 13, 23. Laufen veranschaulichen.
3) L. Curtius, Ant. Kunst 23.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Sitzstatuetten des Königs Chasechem (2. Dyn.) '). Die Bilder erinnern stark an die
vordynastischen Schiefertafeln, nur ist jeder Parallelismus in den Extremitäten der
einzelnen Figuren peinlich gemieden, und die Bewegungen von Rumpf und Gliedern
sind viel lebhafter, so lebhaft, daß wieder — wie bei der Stiertafel — von Liegenden
nicht geredet werden kann, auch kaum von Gefallenen. Genau genommen sind es
samt und sonders Fallende, die mit ihren gewaltsam und krampfhaft auseinander-
gerissenen Gliedern der Vorstellung von hilflosem Stürzen und damit vom Triumph
und von der elementaren Gewalt der königlichen Majestät prachtvollen Ausdruck
verleihen. Die intensivere Naturbeobachtung zeigt sich in dem Reichtum ausdrucks-
voller Motive. Trotzdem bedarf es keines Worts, daß wir es im wesentlichen noch
mit richtigen Vorstellungsbildern zu tun haben.
II.
Die Kunstgeschichte trennt die ersten beiden Dynastien als die Frühzeit von der
Periode des AR im eigentlichen Sinne. Unter den Dynastien 3, 4 und 5 hat der
spezifisch ägyptische Stil seine feste und für die ganze lange Zeit seines Bestehens
bestimmend gewordene Prägung erhalten. Damals hat man »die Formen gesichtet
und die Typen aufgestellt« 2). So tritt auch die menschliche Gestalt schon unter
der 3. Dyn. in ihrer kanonischen Form auf, wofür das Holzrelief des Hesire in Kairo das
klassische Muster ist 3). Weil dieser Typus auch für die Darstellung des hier behandelten
Motivs maßgebend gewesen ist, so ist es geboten, bevor dieses selbst näher ins Auge
gefaßt wird, zu dem Problem Stellung zu nehmen, das er der Deutung aufgibt.
Nach dem Vorgange Ermans 4) pflegte man bisher in ihm ein kompliziertes
Gebilde zu erblicken, das aus verschiedenen Ansichten zusammengesetzt sei, und zwar
so, daß Kopf, Arme und Beine im reinen Profil, Auge und Schultern in der Vorder-
ansicht und Brust und Unterleib im allgemeinen im Dreiviertelprofil gegeben seien. Die
sehr merkwürdige Darstellungsweise der beiden letztgenannten Teile ist nach dieser
Ansicht dadurch zustande gekommen, daß man sich vor die Notwendigkeit gestellt
sah, zwischen den von verschiedenen Blickpunkten aus gesehenen Schultern und
Beinen zu vermitteln 5). Einspruch dagegen erhoben hat schon Della Seta ^), der,
■) a) Kairo, Schiefer: Quibell-Green, Hierakonpolis 4) Erman, Ägypten und äg. Leben im Altertum
l40f.; danach BB 3 a; Masp^ro, Gesch. 77, 135; 1885, Kap. 16, S. 532 ff.
Kunstgesch. in Bildern 23. 'O und 7; L. Curtius, -) Wesentlich auf demselben Standpunkt stehen:
Ant. Kunst 58 f. 63, 63 a. b) Oxford, Kalk- v. Bissing, BB Taf. 34; Einführung in die
stein: Hierakonpolis I 39 f; Capart, Debüts 258, äg. Kunst 11. Masp^ro, Gesch. 71. E.
184 f.; Breasted-Ranke, Gesch. Äg. 20 f . Meyer, Gesch. d. Altert. I 2, 3. Aufl., 216.
") Schäfer, Äg. Zeitschr. LII 1914, 18. Äg. Kunst 9. Steindorff, Bädeker, 7. Aufl., 1913, CLXXV f.
3) Quibell, Saqqara, Taf. 29; BB zu Taf. 102; Spiegelberg, Gesch. d. äg. Kunst 3«. Perrot,
Borchardt, Kunstw. aus d. äg. Mus. zu Kairo 20; Perrot-Chipiez I 743 f. Woerraann, Gesch.
Perrot-Chipiez I 641, 429; Bulle, Der schöne d. Kunst I, 2. Aufl., 59. Bulle, Der schöne
Mensch 19; Masp^ro, Gesch. 60, loi f.; Kunst- Mensch 26. L. Curtius, Ant. Kunst 124 ff.
gesch. in Bildern 15, 4; L. Curtius, Ant. Kunst Nur wollen v. Bissing und Masp^ro auch in der
118, 103; Schäfer, Äg. Kunst Taf. i und 10. Darstellung der Brust eine Frontansicht sehen.
') Della Seta, Genesi dello scorcio, Atti della R.
Accad. dei Lincei 1906 XII 5, S. 171.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
ausgehend von der Überzeugung, daß die Verkürzung als künstlerisches Darstellungs-
mittel erst eine Errungenschaft der klassischen griechischen Kunst sei, in allen den
Kunstkreisen, die deren Einfluß noch nicht erfahren konnten, nur reine Profil- und
Frontansichten für möglich hält und dementsprechend auch die Brust und den Unter-
leib der ägyptischen Figur als von der Seite gesehen verstehen will. Es hat sich aber
gezeigt, daß auch ohne so rigorose Interpretation im einzelnen, wie sie Della Seta
vornimmt, der Obersatz seine Richtigkeit behält. Im NR sind Ansichten im Drei-
viertelprofi] etwas sehr Gewöhnliches ') und gelegentliche Versuche perspektivischer
Verkürzungen lassen sich bereits im AR aufzeigen »). Wunderbar ist das auch gar
nicht, weil ja die griechische Kunst des 6. Jahrhunderts, in der diese Versuche sich
zu mehren beginnen, entwicklungsgeschichtlich auf derselben Stufe der Naturwieder-
gabe steht wie die ägyptische. Die konsequente und bewußte Ausbildung der Per-
spektive zum System gehört darum doch den Griechen ganz allein, und eben in dieser
Konsequenz liegt deren Überlegenheit.
Neuerdings hat Heinrich Schäfer die alte von Erman inaugurierte Auffassung
aufs entschiedenste verworfen und einer im wesentlichen der von Della Seta ent-
sprechenden das Wort geredet 3). Das kanonische Menschenbild des AR ist nach
Schäfers Erklärung auf Grund der Vorstellung aus seinen einzelnen Teilen aufgebaut.
Unvermittelte Übergänge zwischen diesen Teilen sind daher nur natürlich, und zwar
liegt für unser Gefühl der schärfste Bruch zwischen Brust und Schultern. Denn die
letzteren sind im allgemeinen von vorn dargestellt, Brust und Unterleib aber wie
die Beine im Profil. Die Behandlung des Nabels, in der man bisher den aus-
schlaggebenden Grund dafür erblickt hatte, daß ein Dreiviertelprofil beabsichtigt
sei, findet für Schäfer ebenfalls in den Prinzipien des Vorstellungsbildes ihre
Begründung 4).
Diese Erklärung beruht auf der von Schäfer vertretenen Grundanschauung
vom Wesen der ägyptischen Kunst, die sich durch das ganze Buch hindurchzieht.
Er hält, um es hier auf ein ganz kurzes Kennwort zurückzuführen, diese Kunst für
wesentlich vorstellig oder ideoplastisch. Die relative Geltung dieser These soll hier
durchaus nicht in Frage gestellt werden, aber die Gefahr liegt nahe, daß der Verlauf
der Entwicklung innerhalb der ägyptischen Kunstgeschichte durch sie verdunkelt
wird. In der Tat kommt auch die ganz scharfe Grenze zwischen der primitiven und
der eigentlich ägyptischen Kunst bei Schäfer nicht zur Geltung. An anderer Stelle
habe ich den Nachweis versucht, daß sich die Bilder des AR nicht nur durch ein
strengeres rhythmisches Empfinden, sondern auch durch eine fortgeschrittenere
Auffassung des Raumes von den früheren sondern. Schon gegen Ende der ersten
Periode war zu beobachten, wie das Formengedächtnis allmählich in Bewegung
gesetzt wird. Für die mit dem AR beginnende Stufe ist das Zusammenarbeiten von
Vorstellungs- und Gedächtnisbild geradezu als charakteristisch anzusehen. Wenn
') Schäfer, Äg. Kunst 103; 188 f. 1) Schäfer, Äg. Kunst 172.
') L. Klebs, Äg. Zeitschr. LII 1914, 31 £f. Schäfer, 3) Schäfer, Äg. Kunst Kap. 6, 159«.
Äg. Kunst 143; 171.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
sich aber zeigen läßt, daß die Einführung der Streifendekoration in diesen Verhält-
nissen ihren Grund hat, so ist damit natürlich dem alten ideoplastischen Aufbau-
verfahren auch für die Zeichnung der einzelnen Figuren und Raumelemente die Spitze
abgebrochen').
Besonders sinnfällig wird das, wenn man einmal die Darstellung des vierrädrigen
Wagens bei den Ägyptern und bei den Primitiven vergleicht. Hier ein Parallelogramm
für den Wagenkörper mit den vier Rädern an den Ecken und der Deichsel an der
einen Schmalseite ^), dort das, was Schäfer als die »vorstellig reine Seitenansicht«
bezeichnet: zwei Räder, darüber das Brett, von der Seite gesehen, und ebenso vorn
die Deichsel 3). Zwar macht er mit Recht darauf aufmerksam, daß wir auf der Stufe
des Vorstellungsbildes von vornherein nie eine bestimmte Form erwarten können.
Aber wenn der Ägypter die erstere Gestalt des Wagens verwirft, und wenn er auch
bei den Zugtieren in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die »unvollständige seit-
liche Staffelung« und nicht die bei den Primitiven so beliebte vollständige senkrechte
benutzt 4), so kann das eben nur daran liegen, daß er seine Bilder nicht mehr allein
oder doch wesentlich aus der Vorstellung heraus aufbaut. Man stelle sich nur einmal
das alte Bild des Wagens zusammen mit der Grundlinie vor, um sofort zu sehen, daß
dabei einfach ein Unding herauskommen würde. Wer den Wagen so zeichnet, für
den hat eine Grundlinie keinen Sinn, und wer von dieser ausgeht, würde den Eindruck
haben, daß der Wagen auseinanderfällt.
In der Einführung der Grundlinie durch die Streifenkomposition ist also das
wichtigste Motiv für den Umschwung von der ideoplastischen zur physioplastischen
Darstellungsweise zu erkennen. Daß aber dieser Umschwung kein plötzlicher oder
gar vollständiger war, liegt nicht so sehr an dem konservativen Charakter der ägypti-
schen Kunst wie an der Natur der Sache. Es versteht sich, daß die Reste der alten
Darstellungsformen um so stärker in die Erscheinung treten, je älter die Entwicklungs-
stufe ist.
Ein richtiges Vorstellungsbild, das nach dem Aufbauverfahren zusammen-
gesetzt wäre, darf also in der aufrechten Menschengestalt des AR nicht mehr erkannt
werden. Zur Beibehaltung der längst üblichen Profilansicht der Beine nötigte die
Grundlinie, aber auch die Vorderansicht beider Schultern will man nicht missen,
weil man, ohne zu gewagten Verkürzungen greifen zu müssen, auf diese Weise die
Aktion der Figur und ihre Beziehung zu den anderen Gestalten desselben Streifens
am klarsten ausdrücken kann. Der Charakter der überwiegenden Mehrzahl dieser
Bilder, die man als nach dem Prinzip der Reihung angelegte Erzählungsbilder
treffend definiert hat ■;), forderte die Profilstellung auch beim Kopfe. Da nun
aber die dem Auge durch die Grundlinie gegebene räumliche Anregung nicht
ignoriert werden konnte, so ergab sich für den Rumpf die Notwendigkeit, den
■) Schraarsow, Grundbegriffe273,vgl.284f., 291,1. S. 25, Fig. 25, I f . Woermann, Gesch. d. Kunst
^) Schäfer, Äg. Kunst u6, 69. Verwom, Zur I' Taf. 70 h. IP 46, 39.
Psychologie der primitiven Kunst, SA aus d. 3) Schäfer, Äg. Kunst Taf. 44, 2.
naturwiss. Wochenschr., N. F. VI (22) 44, 1907, ^) Für die letztere führt Schäfer nur ein Beispiel
an: S. 120. 5) L. Curtius, Ant. Kunst 123 f.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen,
Zusammenhang zwischen den sich im rechten Winkel kreuzenden horizontalen
Frontachsen der Beine und der Schultern dem Auge, so gut es ging, plausibel zu
machen. Die alte, aus der Vorstellung gewonnene Darstellungsform dieses Körperteils,
die als Raumwert völlig neutral gewesen war, wird nun also in diesem Sinne um-
gedeutet, so daß in der unteren, mit den von der Seite gesehenen Beinen eng zusammen-
hängenden Partie ein Dreiviertelprofil herauskam, während die nahe den in Vorder-
ansicht gegebenen Schultern liegende Brust sich ungefähr von vorn präsentierte.
Daß im AR und MR niemals die innere Brustwarze angegeben wird, kann als Grund
dagegen nicht geltend gemacht werden. Zwar erblicke ich mit Schäfer ') darin,
daß man diese ganze Zeit hindurch die fraglichen Partien bis auf die Umgebung des
Nabels stets ohne Modellierung gelassen hat, das Nachklingen des alten Vorstellungs-
bildes; nur daß ich nicht glaube, es liege »ein dem Sinneseindruck zwar genähertes,
aber immer noch stark vorstelliges Schaffen zugrunde«, sondern vielmehr der Meinung
bin, daß dieses Schaffen zwar die primitive Art in manchen Resten durchblicken
läßt, im wesentlichen aber schon im Banne des einheitlich erfaßten und mit dem
Gedächtnis festgehaltenen Gesichtsbildes steht und nach dessen Maßgabe dem alten
Formenschatz eine ganz neue Prägung gibt.
Übrigens gibt es eine in ihrer Wichtigkeit für diese Frage noch kaum genügend
beachtete schlagende Analogie für das hier geschilderte Verfahren der ägyptischen
Künstler bei der Zeichnung der aufrechten menschlichen Gestalt, das ist die Dar-
stellung des Segels im AR -). Wie der von der Seite gesehene Mensch, so ist auch das
Schiff mit seinem Segel in räumlichem Sinne ein ziemlich kompliziertes Gebilde.
Der Schiffskörper verlangte die Darstellung in reiner Seitenansicht. Das Segel mit
der Raa stand genau genommen in der normalen Lage mit seiner Horizontalachse
senkrecht dazu; jedenfalls verlief die letztere unter keinen Umständen parallel mit
dem Rumpf. Das gewöhnliche Verfahren des vorwiegend mit der Vorstellung arbeiten-
den Zeichners ist es nun, ohne Rücksicht auf den räumlichen Zusammenhang das
Segel in seiner vollen Ausdehnung in der Fläche auszubreiten. So sehen wir es noch
die Künstler des MR und NR in der Regel machen 3). Im AR ist eine Form beliebt,
bei der man die Raa zwar genau von vorn abbildet wie beim Menschen die Schultern,
die geschwungenen Konturen der Segelflächen aber nach unten zu einander nähert,
so daß der Kontrast zwischen Segel und Schiffskörper dem Auge kaum fühlbar wird 4).
Vom Vorstellungsbild ist hier wirklich nicht mehr viel zu spüren.
') Schäfer, Äg. Kunst 1735. Äg. 645. Kunstgesch. in Bildern 18, i. Neues
2) Borchardt, Das Grabdenkmal des Königs Sahurc Reich: z. B. Steindorff, Blütezeit des Pharaonen-
II 1913, 160. reiches 63, 54. M^moires V i, 44- Borchardt,
3) Altes Reich: z. B. Davies, Deir el Gebrawi, Sahure II 135, 13.
II 7. De Morgan, Fouilles k Dahchour II 19. 1) z. B. Steindorff, Mastaba des Ti 77— 8i- Petrie,
Mittleres Reich: z.B. Newberry, Benihassan I Deshashe Bl. 6. LD II 22 d, 28, 43 a, 45 b (= Er-
14; 29; LD III 10 a; II 127 = Erman, Äg. 644. man, Äg. 640), 64 bis. Aßmann bei Borchardt,
Wilkinson, Manners and Customs II 224 = Sahure II 159, 20. Davies, Deir el Gebrawi II 19.
Tylor, The Tomb of Paheri Taf. 2. Erman L. Klebs, Die Reliefs des AR, Abh. d. Heidel-
berger Akad. III 191 5, 106.
g Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Die neue Grundform des menschlichen Körpers zusammen mit der Einführung
der Grundlinie brachte es mit sich, daß der Künstler des AR bei der Darstellung des
Gefallenen sich jetzt ganz neuen Bedingungen gegenüber sah. Hatte das Auge einmal
eine so entschiedene Anregung zu räumlichem Erfassen des Dargestellten bekommen,
so konnte das Mittel der Achsenänderung nicht mehr genügen. Es wird sich zeigen,
daß es unter besonderen Umständen trotzdem angewandt wurde, aber gerade solchen
Fällen gegenüber sieht man recht deutlich, daß es im Rahmen dieses Stils eigentlich
keine Daseinsberechtigung mehr hatte. Der Körper macht den Eindruck, als ob er
auf der einen Schmalseite balanciere; denn die hintere Schulter und das hintere Bein
kommen auf diese Weise mit dem durch die Linie repräsentierten Grund gar nicht in
Berührung, während naturgemäß bei einigermaßen stabiler Lage wenigstens das eine
von beiden der Fall sein muß. Auf der anderen Seite zwang das Stilgesetz, mit dem
vorhandenen Schema auszukommen, und verbot, neue Verkürzungen einzuführen.
Trotzdem ist der Ägypter weit davon entfernt, vor diesem Problem zurückzuschrecken.
Vielmehr hat er mit der frischen und unermüdlichen Beweglichkeit seiner künstlerischen
Phantasie, die alle seine Schöpfungen kennzeichnet, innerhalb der festen Grenzen
seines Stils auf die verschiedenste Weise und meist mit dem größten Geschick versucht,
eine Lösung zu finden. Eine Durchmusterung der in Frage kommenden Erscheinungen
ergibt, daß es sich dabei im großen und ganzen um vier Typen handelt.
Im Totentempel des Königs Sahure (5. Dyn.) findet sich zum ersten Male das
Bild des Pharao, der als Greif seine Feinde zerschmettert '). Von diesen ist der eine,
ein Libyer, auf dessen Haupt gerade die mächtige Vordertatze niedersaust, ins Knie
gesunken und gehört also nicht hierher. Die beiden anderen 1. von ihm unter dem
Leibe des Königsgreifen sichtbaren sind aber richtige Gefallene.
Der r. von ihnen, ein Asiat, ist nach 1. hintenübergestürzt. Alle seine Glieder
sind in lebhafter Bewegung. Die beiden Arme und das 1. Bein hat er wie abwehrend
erhoben, und vom r. Bein berührt nur die Ferse den Boden. Aber auch dieses Glied
wirkt wegen seiner Beugung im Kniegelenk wie federnd.
Auch der Puntmann 1. von dieser Gestalt ist hintenübergefallen, aber nach r.
hin. Sein 1. Oberarm ruht auf der Grundlinie, während der im r. Winkel dazu gebeugte
Unterarm vor dem Leib liegt. Die Hand hält das Bild des Herzens: der Mann befindet
sich also im Zustande äußersten Entsetzens. Noch deutlicher als der 1. ist aber der
r. Arm entspannt. Er hängt schlaff hintenüber. Nur an den Beinen sind die Gelenke
noch gestrafft; das 1. Knie ist hochgezogen, wie wenn es kurz vorher noch den Versuch
gemacht hätte, den Körper aufzurichten, und das r., im Kniegelenk etwa rechtwinklig
gebeugte Bein stößt nach oben ins Leere; gemeint ist jedenfalls auch hier ein krampf-
hafter hoffnungsloser Abwehrversuch.
Von wirklichen Liegemotiven kann also bei keiner dieser Figuren die Rede sein,
schon deshalb nicht, weil sie ja dann auf ihrer Schmalseite balancieren würden. Es
ist vielmehr das plötzliche und gewaltsame Fallen in drei verschiedenen Stadien
veranschaulicht, und zwar so, daß der von r. nach 1. wandernde Blick mit jeder neuen
•) Berlin 21 832. MDOG XXXIV Bl. 5. Fechheimer, Äg. Plastik Taf. iii. Borchardt, Sahurell BL 8.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Figur auch eine zeitlich fortgeschrittene Stufe desselben Vorgangs erfaßt '). Der
Libyer bricht eben zusammen, sein Oberkörper ist aber noch aufgerichtet. Der Asiat
befindet sich noch im Fallen, berührt aber bereits mit der Schulter und dem Glutäus
seiner einen Seite den Boden und versucht sich mit Händen und Füßen noch zu
wehren. Der Puntmann schließlich windet sich in den letzten Zuckungen der Agonie,
sein Oberkörper macht schon einen fast leblosen Eindruck.
Bei den beiden im engeren Sinne als Gefallene anzusprechenden Figuren liegt
der Zusammenhang mit den aus den älteren Perioden angeführten Beispielen auf der
Hand. Das Balancieren auf der einen Körperseite war auch dort zu beobachten.
Allein jetzt wird es umgedeutet und ist also nur noch scheinbar vorhanden. Der
Fortschritt liegt aber nicht nur darin, daß durch den Zwang der Grundlinie der Künstler
veranlaßt wurde, den Körper durch den vorderen Arm überschneiden zu lassen. Die
Hauptsache ist dies: neben der Basis des Chasechem wirken die Bewegungen hier viel
gehaltener, aber auch viel prägnanter. Die Kunst ist eben inzwischen durch ein starkes
Stilgefühl gebändigt worden, und was sie etwa an unmittelbarer leidenschaftlicher
Ausdruckskraft eingebüßt hat, das hat sie an Formgefühl mehr als gewonnen.
Außerdem sind die Bewegungen jetzt im Zusammenhang der Komposition viel
überzeugender motiviert. Die Schminktafel mit dem vom Königsstier nieder-
gestoßenen Feind war hier schon vorangegangen. Aber es war ein Versuch mit unzu-
länglichen Mitteln. Jetzt sind nicht nur in prachtvoll in sich geschlossenen Motiven
die Reflexbewegungen der von einer elementaren Kraft niedergeschmetterten und
tödlich getroffenen Feinde veranschaulicht, sondern diese Unglücklichen sind mit
ihrem Verderber hier auch zu einer festgefügten Gruppe zusammenkomponiert.
Der Künstler hat also gewissermaßen Momentbilder aus einer lebhaft bewegten
Szene aufgefangen und kunstvoll zusammengesetzt. Man sieht in diesem'ersten
Beispiel aus dem AR, mit wie frischer Unbedenklichkeit der Ägypter aus der Not
eine Tugend machte. Die Gesetze seines Stils schnitten ihm von vornherein die
Möglichkeit ab, ein erträgliches Bild des am Boden liegenden Menschen zu geben.
Er weiß sich aber zu helfen, indem er aus einer sehr heftigen und komplizierten Be-
wegung einen prägnanten Moment herausgreift, worin die Glieder des Körpers zu-
einander in eine Lage gebracht sind, die dem kanonischen Menschenbild entspricht.
Nur wenige Jahrzehnte jünger als das zuletzt besprochene Monument ist der
gleichfalls noch der 5. Dyn. angehörige Totentempel des Königs Neweserre. Hier
haben sich Reste von mindestens sieben Gruppen dieser Art gefunden, die im unteren
Teil des Aufgangs r. und 1. die Wände schmückten ').
Bei dem am besten erhaltenen von den hintenübergestürzten Gefallenen (Bl. 9
E — F) ist der hintere r. Arm fast genau so im rechten Winkel kraftlos um den Kopf
gelegt wie bei dem nach r. gestürzten aus dem Sahuretempel. Wie dort ist auch hier
das r. Bein erhoben, nur daß der Unterschenkel viel weiter nach unten gebeugt ist.
Auch der Arm preßt sich ja viel enger an den Kopf: auf beide saust gerade die Pranke
') Schäfer, Äg. Kunst 152 f. Vgl. unten S. 25, 5. ') Borchardt, Das Grabdenkmal des Königs Newe-
serre BI. 8 — 12.
10 Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
des Greifen nieder. Die 1. Schulter berührt auch hier den Boden, der 1. Arm ist aber in
einem nach unten offenen Winkel geknickt, nicht wie dort in organischer Weise nach
oben. Daß es sich dabei nicht um einen ungeschickten Versuch handelt, den 1. Fuß
in seiner ungewöhnlichen Lage klar zu zeigen, lehrt ein Blick auf ein anderes Fragment
(Bl. 8 A — B), wo der Arm ebenso geknickt ist, nur mit nach oben gekehrtem Hand-
rücken, während hier doch das 1. Bein zurückgestreckt war. Seine Erklärung findet
das, wenn man annimmt, daß der Arm bereits durch einen Hieb der mächtigen Pranke
oder durch die Wucht des plötzlichen Sturzes zerschmettert und nun in seinen Ge-
lenken gebrochen ist. Das gleiche gilt für das 1. Bein unserer Figur. Auch die Drehung
des Unterschenkels, der dem Oberschenkel fast parallel läuft, und die Lage des Fußes,
dessen unterer Kontur den des Schienbeins in gerader Linie fortsetzt, werden erst
unter dieser Voraussetzung ganz verständlich. Dasselbe gilt für die ganz entsprechend
gezeichnete rechte Körperseite des Asiaten aus einer anderen Gruppe (Bl. 9 D — E).
Der einer dritten Gruppe angehörige Puntmann (Bl. 10 H — I) beugt sein allein
erhaltenes 1. Bein genau so wie sein Landsmann im Sahuretempel. Sein rückwärts
gewandter Kopf und der scharf geknickte Arm sind wieder durch die noch sicht-
bare Tatze motiviert.
Diese Künstler haben also denselben Weg beschritten, um die im Stil gegebenen
Schwierigkeiten bei der Darstellung des Gefallenen zu umgehen, wie die im Sahure-
tempel. Nur noch kompakter haben sie die Leiber in sich zusammengeballt und
dadurch einen noch festeren Zusammenschluß der Gruppen erreicht.
Auf einer Wand des ebenfalls noch unter der 5. Dyn. entstandenen Grabes '
des Anti zu Deshashe findet sich als einziges aus dem AR erhaltenes Schlachtbild die
Darstellung der Einnahme einer syrischen Festung durch ägyptische Truppen ')
(Abb. i). Von den Gefallenen und Fallenden dieses Bildes gehören mindestens
vier (b, c, e, f) zu dem hier besprochenen Typus. Wegen des ungünstigen Erhaltungs-
zustandes läßt sich die Analyse bei den meisten von ihnen aber nicht mit der er-
wünschten Genauigkeit durchführen.
Figur c zeigt wieder den von oben um den Kopf gelegten hinteren Arm. Sonst
läßt sich über das Motiv nur noch sagen, daß das hintere Bein an den Leib gezogen
war wie bei dem Puntmann aus dem Sahuretempel das vordere.
Den Figuren b und e ist es gemeinsam, daß der Kopf und mindestens auch noch
der eine sichtbare Arm schlaff nach hinten herunterhängen, wofern der letztere bei e
nicht etwa als aufgestützt zu verstehen ist. Es handelt sich also um eine Weiter-
bildung der Form, die wir auf einer früheren Stufe in dem von demLöwen zerfleischten
Libyer auf der Schminktafel mit der Schlachtfelddarstellung bereits kennen ge-
lernt haben.
Figur f ist deswegen interessant, weil sie in der Ausbreitung der Arme und
Beine über den Grund und in der starken Krümmung aller Gelenke deutlich ihre
■) Petrie, Deshashe (Eg. Explor. Fund XV 1898) auch E. Meyer, G. d. A. I 2, 3. Aufl., 253;
Taf. 4. Danach v. Bissing, Einführung in d. äg. v. Bissing, Recueil de Travaux etc., XXXII 46;
Kunst Taf. 2. Masp^ro, Gesch. 108, 196. Vgl. ders. zu HB 95 Anm. 4.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
II
Herkunft von den aus den Chasechembasen bekannten Typen zu erkennen gibt. Die
für die fortgeschrittene Stilstufe charakteristische straffere Zusammenfassung zeigt
sich aber auch hier, und zwar vor allem darin, daß der rechte Arm und das rechte
Bein gerade bis an die Grundlinie reichen. Gemeint ist hier ein früheres Moment
des Fallens als bei den anderen Figuren. Da ließ sich das Beibehalten des alten Motivs
am ehesten rechtfertigen.
Nicht im eigentlichen Sinne zu den Gefallenen, wohl aber zu den liegenden
Gestalten gehört eine Anzahl von den das Vogelnetz zusammenziehenden Sklaven
in den Gräbern des AR. Von den stehenden und mit aufgerichtetem Oberkörper
auf der Erde sitzenden kann hier abgesehen werden. Aber außer den lang am Boden
Abb. I. Aus dem Grabe des Anti zu Deshashe. 5. Dyn. Nach Petrie, Deshashe Taf. 4.
ausgestreckten •) weisen auch die mit halberhobenem Oberkörper J) eine interessante
Verwandtschaft mit dem hier besprochenen ersten Typus auf.
Die seitliche Ansicht der in den Knien leicht angezogenen am Boden liegenden
Beine ist durch den parallelen Verlauf ihres oberen Konturs sehr einfach und klar
zum Ausdruck gebracht. Eine solche Staffelung ist hier, wo sie im allgemeinen in der Ho-
rizontalen liegt, natürlich ebensowenig ein Verstoß gegen die durch die Grundlinie be-
•) Griffith, The Tomb of Ptah-Hotep (Egyptian
Research Account 1896) Taf. 32 = Davies,
Ptah-Hotep I 21. L. Curtius, Ant. Kunst 115, lOi.
Kunstgesch. in Bildern 15, 6. Schäfer, Äg. Kunst
121, 77. LD II 46. Erman, Äg. 324. E. Meyer,
Äg. zur Zeit der Pyramidenerbauer 27, 9. Fech-
heimer, Äg. Plastik 132.
2) Capart, Une Rue de Tombeaux 36 f. 39. Fech-
heimer, Äg. Plastik 132. BB 18 a. — Capart,
a.a.O. 85 ff. L. Curtius, Ant. Kunst joo, 91.
Steindorff, Mastaba des Ti 116.
12 Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
dingten Gesetze der Streifenkomposition wie in den zahlreichen Fällen, wo sie auf die-
sen Bildern in vertikaler Richtung als sogenannte »unvollständige seitliche Staffelung«
bei Figuren angewandt wird, die im gleichen Motiv hintereinander im Räume stehen ').
Wenn sich dagegen der Oberkörper auch hier in der kanonischen Dreivierteldrehung
darbietet, so ist diese Drehung durch das Seil, an dem sich der Mann mehr oder weniger
aufrichtet, um in die Bewegung des Ziehens größere Wucht zu legen, in völlig aus-
reichender Weise motiviert. Daß die äußere Schulter auf einigen Bildern von vorn
gesehen, auf anderen nach innen »umgeklappt« ist 2), bedeutet für das Motiv der
ganzen Figur keinen wesentlichen Unterschied. Es ist also wie bei dem Gefallenen
die notwendige Dreiviertelansicht des Rumpfes durch die Art der Bewegung motiviert.
Der zweite im AR vorkommende Typus des Gefallenen stellt den vornüber-
gestürzten Menschen dar. Er läßt sich in drei Gruppen des Neweserretempels (Bl. 8,
O— A und B — C, Bl. 10 H — I) und in Deshashe nachweisen (Figur d).
Charakteristisch für diesen Typus ist, abgesehen davon, daß der Kopf den
Boden berührt, die Stellung der Beine, von denen das eine im Gesäß und Knie stark
gebeugt ist und mit dem letzteren sowie mit den gleichfalls stark gekrümmten Zehen
auf den Boden drückt, während das andere, das seine Zehen auch auf die Grundlinie
preßt, um die Länge des Unterschenkels nach hinten ausgestreckt ist. Der wichtigste
Unterschied des Gefallenen von Deshashe von den drei anderen besteht darin, daß
sein zurückgestrecktes Bein nicht so stark geknickt ist. Der Glutäus hat eine höhere
Lage bekommen, und so kann das Knie frei über dem Boden schweben, während
das entsprechende auf den anderen Reliefs ihn berührt. Die Silhouette hat so in
Deshashe mehr Luft, die Glieder sind weiter auseinander gezogen; offenbar ist in beiden
Fällen das Motiv in etwas verschiedener Abwandlung vorgetragen. In Deshashe
ist es auch hier nicht eigentlich ein Liegender, sondern gemeint ist ein Bewegungs-
moment, der unmittelbar auf den von Figur f folgt. Mit Armen und Beinen macht
der Gestürzte noch den Versuch, sich aufzurichten, und dabei ist es ihm gelungen,
seine Schulter schon etwas zu heben, wodurch denn die Dreivierteldrehung des
Rumpfes gut begründet wird. Die Figuren der anderen Reliefs kann man schon
eher als Liegende ansprechen, nur daß das eine Mal (Bl. 10 H — ^I) wieder ein ganz un-
gewöhnlicher Fall gemeint ist. Die unorganische Drehung des Rumpfes hat eben
auch hier den Zweck, die zerschmetternde Wirkung der Löwenpranke zu veran-
schaulichen. Sein Schicksal hat den Unglücklichen in dem Augenblick ereilt, wo
er sich durch das Anziehen der Beine und die Drehung des Oberkörpers gerade vom
Falle zu erheben suchte.
Der Delinquent in einer Bastonnadeszene aus Deir el Grebrawi 3) ist diesen
auf dem Bauche liegenden Figuren anzuschließen. Die Drehung seines Oberkörpers
mit dem erhobenen 1. Arm erklärt sich zwanglos als ein Versuch, sich den Händen
der Schergen zu entwinden, wie ihn der körperliche Schmerz unwillkürlich auslöst.
>) Konsequent ausgebaut ist dies Verfahren aller- ») Madsen, Äg. Zeitschr. LH 191 5, 65 £E. Schäfer,
dings erst von den Künstlern des MR: Schäfer, Äg. Kunst 184 f.
Äg. Kunst 130 f. 3) Davies, Deir el Gebrawi I 8.
Friedlich Matz, Das Motiv des Gefallenen. I 7
Für den dritten im AR vorkommenden Typus bietet das Relief in Deshashe
das merkwürdigste Beispiel (Figur a). Der Erhaltungszustand ist hier besonders
schlecht, aber aus der von der deutschen Fremdvölkerexpedition aufgenommenen
Photographie (Nr. 2,7) läßt sich das Motiv sehr wohl erkennen. Es ergibt sich dabei,
daß die Zeichnung in der Veröffentlichung Petries ungenau und irreführend ist.
Zu tun haben wir es mit einem Verwundeten oder Sterbenden, der, von mehreren
Pfeilen getroffen, rückwärts nach 1. gestürzt ist. Um die Last des Körpers abzufangen,
hat er seine Arme nach 1. zurückgeworfen, so daß der 1. die Brust überschneidet,
und stemmt sich nun mit ihnen gegen den Boden. So wußte sich der Künstler wieder
die Möglichkeit zu verschaffen, den Rumpf in der erforderlichen Dreiviertelansicht
zu zeigen. Dazu hätte allerdings ein Aufstützen durch den r. Arm allein genügt, und
so ist es auch der Fall bei der Figur der Chasechembasis in Kairo, in der man eine
ältere Form dieses Typus zu erblicken hat (1. Schmalseite zweite Figur von 1.). Aber
das sonst im allgemeinen vermiedene, wenn auch keineswegs ganz singulare Über-
schneiden der ganzen Brust durch den hinteren Arm ließ sich hier deswegen kaum um-
gehen, weil sonst das Motiv leicht unklar geworden wäre. Aus den vorhandenen Spuren
nämlich kann geschlossen werden, daß hinter den Beinen dieses Gefallenen ein nach 1.
gebeugter Ägypter stand, der jenen mit der einen Hand beim Schöpfe packte, wäh-
rend er mit der andern, vermutlich mit der erhobenen r., ihm den Todesstoß zu ver-
setzen im Begriff stand, ähnlich wie es eine Frau auf dem obersten Streifen innerhalb der
Festung tut. So erklärt sich auch, weshalb der Gefallene das Haupt nach unten
kehrt : der Sieger preßt es ihm nieder. Und die Bewegung des 1. Fußes versteht man
jetzt auch: es ist wieder ein verzweifelter Abwehrversuch. Ein ziemlich kompliziertes
Motiv liegt also hier vor. Aber abgesehen von dem wohl etwas zu lang geratenen
1. Arm scheint es gut gelungen. Im Vergleich mit der Chasechembasis kann man den
großen Fortschritt sehr gut ermessen. Vor allem in der stärkeren Prägnanz des er-
faßten Moments kommt er zum Ausdruck. Und wieder kann es nicht anders sein,
als daß die Gruppenkomposition zu dieser Weiterbildung den entscheidenden Anstoß
gegeben hat.
Faßt man als die charakteristischen Merkmale dieses Typus die durch den
aufgestützten vorderen Arm motivierte Dreivierteldrehung des halb aufgerichteten
Oberkörpers und das Aufsetzen mindestens des einen im Knie hochgezogenen Beines
mit ganzer Sohle auf den Boden auf, so sieht man, daß es im AR auch in Bildern
friedlichen Inhalts mehrfach vorkommt.
Das gilt z. B. von den Reliefs einer Mastaba bei Sakkara mit den Darstellungen
des plötzlichen Todes '). Dem Thema entsprechend besteht die Modifizierung hier
in einer Abschwächung der in Deshashe doch sehr krampfhaften Bewegungen. Ein
festes Aufstützen des r. Arms war ja deswegen nicht nötig, weil der Sterbende von
seinem Genossen unter der r. Achsel gestützt wird; den 1. Arm läßt er auf dem einen
Knie ruhen, und der zweite Gefährte hat ihn mit beiden Händen ergriffen, um seine
schmerzlichen und teilnehmenden Gefühle auszudrücken, was der andere durch die
») Capart, Une Rue de Tombeaux 71. BB 18 b. Fechheimer, Äg. Plastik 133.
1^ Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Gebärde seiner 1. Hand tut. Die beiden Beine des Sterbenden sind mit ganzer Sohle
aufgesetzt und völlig parallel gebeugt.
Verwendung dieses Typus ist schliei31icn noch festzustellen auf dem Werftbilde
in der Mastaba des Ti bei den Arbeitern, die unter den aufwärts geschwungenen
Enden der Boote hocken und die Bordwand mit dem Dächsei glätten '). Den auf-
gestützten vorderen Arm hat allerdings nur noch der eine von ihnen, die anderen
fassen mit beiden Händen ihr Werkzeug. Die Motive der Beine sind bei allen dreien
verschieden gewählt und auch beim einzelnen Manne unter sich differenziert; eines
ist aber jedesmal mit seiner ganzen Sohle aufgestellt. Man sieht also deutlich die
Verwandtschaft dieser Figuren mit dem dritten Typus des Gefallenen, ebenso deutlich
aber auch dessen Übergehen in einen Typus für den hockenden und kauernden
Menschen. Das liegt in der Natur der Sache, Zwischen dem Zustande des Liegens
und Hockens gibt es keine objektiv feste Grenze. Ein Vergleich der hierher gehörigen
Netzezieher mit ihren sitzenden Gefährten zeigt dasselbe Verhältnis.
Insofern als Typus 3 auch den rückwärts gestürzten Menschen vorführt, kann
man ihn als Modifikation von Typus l auffassen. Der halb aufgerichtete Oberkörper
ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Etwas Entsprechendes gibt es auch
für den zweiten Typus. Auf den Grabwänden sieht man öfter die Gutsverwalter,
wie sie sich auf den Knien rutschend voll Ehrfurcht ihrem Herrn nahen »). Bei dieser
Haltung, für die das vorgeschobene hintere Knie charakteristisch ist, war ein Auf-
stützen des Rumpfes durch den einen Arm zwar möglich, aber nicht unbedingt ge-
boten. Nur wo dieses Motiv vorkommt, kann man von liegenden Figuren sprechen,
die anderen 3) sind, genau genommen, Kniende. Es ist wie bei Typus 3, wo ja auch
die Grenze zwischen dem Liegen und Hocken flüssig ist. Jedenfalls ist die Schulter-
partie von der Grundlinie gelöst, so daß von vornherein ihre kanonische Form mit
dieser gar nicht in Berührung kam.
III.
Was sich aus dem MR an Bildern erhalten hat, ist im Vergleich mit dem aus
dem AR und NR Stammenden so wenig, daß man sich nicht zu wundern braucht,
wenn sich von den vier Typen nur die ersten beiden in einer Reihe von Beispielen
belegen lassen. Gegeben hat es jedenfalls auch die anderen; denn im NR treten sie
in großer Menge wieder auf. Als ungünstiger Umstand kommt hinzu, daß man für
die Gräber von Benihassan, die für unser Motiv fast allein in Betracht kommen, noch
immer auf die älteren Publikationen und auf die sehr summarischen Tafeln in dem
Werke von Newberry 4) angewiesen ist, sodaß man auf eine zuverlässige Beobachtung
■) Steindorfl, Mastaba des Ti 119 f. L. Curtius, 21, 37. Grabtempel des Sahure: Borchardt,
Ant. Kunst 106, 95. Breasted-Ranke, Gesch. Sahure II Bl. 50, S. 59.
Ägyptens 91, 4. 3) Capart, Une Rue de Tombeaux 44. Aus dem NR:
=) Grab bei Sakkara: LD II 63. Masp^ro, Hist. I Naville, Deir el Bahari III 76.
290. Perrot-Chipiez I 30, 18. Mastaba des Ti: 4) Newberry, Benihassan (Arch. Survey of Egypt.)
Steindorfl 129. Erman, Äg. 148. Hunger-Lamer Bd. i und 2, London 1893!.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen. [C
der Einzelheiten von vornherein fast ganz verzichten muß. Immerhin läßt sich eine
wichtige Weiterbildung feststellen.
Einen Fallenden im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es in der Belagerungs-
szene von Grab 15 (Newberry II 5). In der Gewaltsamkeit der Bewegung und in der
Art, wie die Glieder auf der Fläche ausgebreitet sind, erinnert er noch lebhaft an die
Graffiti der Chasechembasen und an die Figur f des Bildes von Deshashe. Dadurch
aber, daß der Kopf, beide Hände und die Zehen des 1. Fußes die Grundlinie berühren,
macht das Motiv hier einen noch energischer zusammengefaßten, für unser Gefühl
wahrscheinlicheren Eindruck. Nur das r. Bein schwebt noch in der Luft und bringt
so das Momentane der Bewegung zum Ausdruck. — Von einer Figur in Grab 2 (New-
berry I 14) gilt ganz das Entsprechende.
Wirkliche Gefallene dagegen sehen wir in den Leichenhaufen der Kampfbilder
von Grab 14, 15 und 17. Bei der Schar der auf dem Boden ausgestreckten Toten
handelt es sich wieder um ein Objekt von beträchtlicher Tiefenausdehnung, und hier
hat sich der Künstler nicht anders zu helfen gewußt als dadurch, daß er die Figuren
in der Bildebene übereinander legte, ohne sie von den aufrechten durch etwas anderes
zu unterscheiden als durch die Drehung ihrer Längsachse um 90 Grad (Newberry
I 47, II 5, 15). Es ist wieder das alte, ganz primitive Verfahren.
Ganz anders behandelt sind die unmittelbar auf der Grundlinie Liegenden,
weil bei ihnen die Vorderansicht beider Schultern aus den oben besprochenen Gründen
vermieden werden mußte. Von den auf dem Rücken Ausgestreckten sind augen-
scheinlich drei noch am Leben (II 5, 15); denn sie bewegen einen oder beide
Arme mehr oder weniger lebhaft. Das ist natürlich im Grunde nichts anderes als die
aus dem AR wohlbekannte »Zusammenfaltung« des Oberkörpers •). Die Annäherung
an das perspektivische Bild ist also schon eine größere. Die Schultern treten nicht
mehr so stark hervor, oder es ist nur eine von ihnen zu sehen. Zwei andere der auf
dem Rücken liegenden Gefallenen zeigen ganz richtig nur den vorderen Arm und die
vordere Schulter (II 5, 15). Die nun also deutlich als Profilbild gedachte Brust
ist in dem einen Falle (II 15) übermäßig vorgewölbt und verrät damit noch ihre
Herkunft von der kanonischen Form. Bedenkt man, daß bereits in der Frühzeit
und dann im AR sehr oft Gefangene mit auf dem Rücken zusammengebundenen
Händen ganz ähnlich dargestellt werden *), so wird es klar, daß es von da zur Er-
findung dieser Bilder nur ein kleiner Schritt war. Noch besser ausgebaut zur Dar-
stellung des Gefallenen sehen wir das Motiv in der Gestalt des 14. Grabes, die beide
Arme hinter dem Kopf auf der Grundlinie ausgestreckt zeigt (I 47). In diesem Zu-
sammenhang verdient es Beachtung, daß in Grab 17 die Ringer, die verletzt von
ihren Gefährten vom Kampfplatz getragen werden, in demselben Schema dargestellt
sind i).
■) Schäfer, Äg. Kunst 184 f., Taf. 11, i. Tombs i XII 12, 13; 17, 30. AR: Borchardt,
>) Frühzeit: z.B. Capart,Dftuts96,63; 133, loo; Neweserre 88, 66. Ders., Sahure Bl. 6.
230, 161; 241, 171; 245, 174. Petrie, Royal 3) Benihassan II 16. Vgl. Erman, Äg. 335. Wilkin-
son, Manners and Customs I 394, II 71.
l6 Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Von den auf der Grundlinie ausgestreckten Gefallenen des 15. Grabes liegt
einer auf dem Bauche (II 5). Er hat den einen Arm über dem Kopfe erhoben und
ist also als noch nicht ganz tot zu denken. Wo der andere Arm bleibt, ist unklar,
aber das Bestreben, ein perspektivisch richtiges Bild zu geben, zeigt sich hier wieder
deutlich ebenso wie in demselben Grabe bei der Figur des Sklaven, der seine Prügel
erhält '), wo für uns zum erstenmal augenscheinlich etwas wie eine Dreiviertelansicht
des Rückens versucht ist. Wir befinden uns eben in einer Epoche, die energischer
als die früheren daran arbeitet, die überlieferten Schemata durch Naturbeobachtung
zu korrigieren und perspektivische Versuche auf Schritt und Tritt macht. Stammt
doch auch aus den Gräbern von Benihassan einer der merkwürdigsten Fälle dieser
Art in Gestalt des fast in richtiger Schrägansicht gezeichneten gewölbten Schildes*).
So fügen sich auch die Gefallenen von dem einen der schönen Pektoralien
Sesostris III. aus Dahshur 3) der Entwicklungsreihe ein. Der Typus der Komposition
ist kein anderer als der, den wir bereits aus den Totentempeln der 5. Dyn. kennen:
der Königsgreif vernichtet die Feinde. Das Motiv des vorderen von diesen ist dasselbe
wie dort; der Mann sinkt gerade in die Knie. Der andere aber, der ein richtiger Ge-
fallener ist, hat nicht mehr die Frontansicht beider Schultern, sondern zeigt allein
die vordere, und zwar von der Seite. Er liegt also richtig auf dem Rücken. Um ein
Momentbild des Fallens handelt es sich also hier nicht mehr, wenn auch die Motive
der einzelnen Glieder im wesentlichen die alten geblieben sind. Durch den Fortschritt
zur reinen Profilansicht ist eine leichte Umbiegung des Motivs zustande gekommen.
Die alte leidenschaftliche Ausdruckskraft hat man aufgeopfert um den Preis größerer
Klarheit und Einfachheit im einzelnen, wodurch denn die Komposition als Ganzes
an Einheitlichkeit und Konzentration außerordentlich gewonnen hat.
IV.
Dem konservativen Wesen der ägyptischen Kunst entspricht es, daß die im
AR geschaffenen Typen, von denen einige auch auf Bildern des MR zu beobachten
waren, noch im NR fortleben. Natürlich sind sie weitergebildet worden, und mehr
oder weniger wesentliche Veränderungen lassen sich in großer Zahl bei ihnen auf-
zeigen. Es sind aber auch ganz neue Bildungen damals geschaffen, die kaum noch
ihre Abkunft von den älteren erkennen lassen. Allein diese sind deshalb noch lange
nicht überhaupt verschwunden, sondern führen in bestimmten Zusammenhängen
ein zähes Leben. Denn darin liegt ein entscheidendes Moment für das Verständnis
dieser durch das Nebeneinander von Alt und Neu gekennzeichneten Entwicklung,
daß der Stil dieser Bilder kein einheitlich sich verändernder ist, sondern durch Ort
und Thema der Darstellung bestimmt wird und dementsprechend nur unter Um-
') Benihassan II 7. Vgl. ChampolUon, Mon. 350. 3) De Morgan, Fouilles ä Dahchour 21. Borchardt,
Rosellini Mon. Civ. 123 b. Masp^ro, Hist. I 333. Kunstw. aus d. äg. Mus. zu Kairo, 41. Petrie,
Perrot-Chipiez I 6,5. Aits and Grafts 88. Capart, L'Art £g. 50. Masp^ro,
*) Grab 3, Benihassan I 29. Vgl. Rosellini, Mon. Hist. I 518. Gesch. 121, 226. Woermann, Gesch.
Civ. 93. Champollion, Mon. 356. Schäfer, Äg. d. Kunst I, 2. Aufl., 87, 85.
Kunst 103, 61. Hunger-Lamer, 39, 80.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen. j n
Ständen den vorwärtsstrebenden Kräften sich auszuwirken erlaubte, dies dann aber
auch nur in sehr beschränktem Maße. Um die Geschichte unseres Motivs im NR
richtig würdigen zu können, empfiehlt es sich daher jetzt nicht, wie im AR die Typen
einfach durchzuverfolgen, sondern sie sind gleichzeitig nach den Zusammenhängen
zu gruppieren, in denen sie auftreten.
Ein Gebiet für sich bilden die Darstellungen von triumphalemlnhalt,
womit die Bilder bezeichnet sein sollen, die den Sieg des Pharao in der Weise ver-
herrlichen, daß sie ihn zeigen, wie er eine Gruppe von Feinden oder auch einen einzelnen
Feind zerschmettert. Auch in den Fällen, wo hier der König nicht als Gott, Sphinx,
Greif oder 'Stier auftritt, sondern in seiner Menschengestalt, unterscheiden sich diese
Darstellungen von den gleichzeitigen Schlachtbildern sehr deutlich dadurch, daß
sie den Sieg gewissermaßen in symbolisch konzentrierter Form veranschaulichen,
während dort das historische Ereignis sich in seiner ganzen Breite vor unseren Augen
abspielt.
Nicht eigentlich in den Kreis dieser Untersuchung gehört die Masse der Bilder,
die den König zeigen, wie er weit ausschreitend einen in die Knie gesunkenen Ver-
treter des feindlichen Volkes oder eine Gruppe von solchen mit der Keule zu Boden
schlägt. Hier sind es in der Regel nur die Beine, in denen die Bewegung des Fallens
sich ausdrückt; es handelt sich um Kniende oder Fallende, nicht eigentlich um Ge-
fallene •). Nur in einem Falle liegt außerdem noch zu Füßen des Pharao ein gefallener
Feind in einem Typus, der einem anderen Zusammenhange entstammt und noch zu
besprechen sein wird >). Bemerkenswert ist auch, daß auf zwei ptolemäischen Reliefs
dieser Art in Philae 3) die Männer, die unter dem Bündel der vom Pharao beim Schöpfe
gepackten Feinde liegen, in allem wesentlichen den Gefallenen aus dem Sahuretempel
gleichen, nur daß die Einzelformen viel flauer behandelt und zum Teil im Sinne der
richtigen Profilansicht ausgedeutet sind.
Etwas verändert sieht man diese Gruppe auf den gemalten Bildern von einem
Barkenmodell aus dem Grabe Amenophis IL, wo der Sieger allerdings ein Gott und
nicht der König ist 4). Der Feind ist hier ein richtiger Gefallener, und zwar ist es
nichts anderes als der aus dem AR her bekannte dritte Typus.
Eine andere Abwandlung des.«elben Themas ist es, wenn der König auf einer
Gruppe von zwei oder mehreren am Boden ausgestreckten Feinden steht, die ungefähr
symmetrisch so angeordnet ist, daß jede Hälfte unter einem seiner Füße liegt. So ist
es auf einem Bilde im Hemispeos des Haremheb zu Gebel-Silsile der Fall 5). Der
1. liegende Mann, ein Libyer, ist wieder in Typus 3 gegeben; der Nubier r. von ihm
liegt auf dem Bauch, und seine Arme sind ihm auf dem Rücken zusammengebunden.
Aber auch das ist ein Zug, der nicht etwa zur Lösung des Problems der liegenden
') z. B. LD III 69. 81 g, h. 141 h. 195 b, c. 5) Rosellini, Mon. Stör. I 44 quater. ChampoUion,
^) Felsstele zwischen Assuan und Philae LD III 81 g. Mon. II 1 10. LD III 120. Photogr. der dtsch.
3) I. LDIV74. 2. ChampoUion, Mon. I 94. Rosel- Fremdvölkerexped. 156. Vgl. auch das Relief
lini, Mon. Stör. I 165, 3. Ramses II. zu Bet el Wali. ChampoUion, Mon.
<) Daressy, Fouilles ä la Vall^e des Rois, Cairo I 66. Rosellini, Mon. Stör. I 69.
Cat. Gdn. 4944, Taf. 49, S. 239.
Jahrbuch des archäolosfischen Instituts XXXVlll/lX 1923/24. 2
I g Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Figur neu erfunden wurde. Bei aufrechten und knienden Vertretern der Fremdvölker
kommt er seit der Frühzeit häufig vor'). Hier ist es zufällig der erste Fall für uns,
wo wir ihn beim liegenden Manne angewandt finden. Dafür mußte er allerdings
besonders geeignet erscheinen, weil er die beiden Schultern auf der einen Seite ver-
einigt und so ein ruhiges Liegen ermöglicht, ohne daß von dem kanonischen Menschen-
bilde allzuviel geopfert werden mußte. Seine Herkunft von jenem zeigt dieser Typus
noch unverkennbar in der Führung des Brustkonturs, der ganz unorganisch in den
des Halses überleitet. Seine Beliebtheit für die Darstellung des Gefallenen in Bildern
triumphalen Inhalts aus dem NR mögen noch folgende Beispiele belegen:
1. Relief mit der Seeschlacht Ramses HI. in Medinet Habu. Champollion,
Mon. 222. Rosellini, Mon. Stör. H 131. Erman, Ägypten 712. Hunger-Lamer, Alt-
orientalische Kultur im Bilde 19, 34. BB, Text zu Tafel 94. Breasted-Ranke, Gesch.
Ägyptens Abb. 173. L. Curtius, Antike Kunst 175, 133.
2. Tafelaufsatz mit Prunkstücken aus der nubischen Beute auf dem Wandbilde
eines thebanischen Privatgrabes der 18. Dyn. LD HI 117 f. Erman, Ägypten
663. Masp^ro, Hist. H 235. Steindorff, Blütezeit des Pharaonenreiches 61, 52.
3. Dekoration auf gemalten Schemeln aus den Königsgräbern zu Biban el Moluk.
Description H 89, 6. Champollion 258. Rosellini, Mon. Civ. H 9.
4. Dekoration auf Sandalen. Champollion 155, 3. — Berlin, Ausf. VerL. S. 347,
Nr. 6983.
5. Dekoration eines Amuletts. Berlin, Ausf. Verz. S. 363.
6. Relief von einer fragmentierten Basis im Tempel zu Gebel Barkai (Napata)
in Nubien. LD V 15 d.
7. Relief von einer Pyramide zu Begerawije (Meroc) in Nubien. LD V 29 b.
Vor allen Dingen gehört zu den Triumphaldarstellungen die Gruppe, die den
König in Gestalt eines Tieres oder Fabeltieres seine Feinde zertretend zeigt. Ihre
frühesten erhaltenen Beispiele haben wir oben in den Schminktafeln und in den
Grabtempcln der 5. Dyn. kennengelernt, das Pektorale Sesostris III. konnte ihr
Weiterleben im MR bezeugen, und jetzt im NR erfreut sie sich der größten Beliebtheit.
Als Bild für sich kommt sie in der Regel nicht vor, um so häufiger aber in dekorativer
Verwendung zum Schmucke eines Gerätes oder Möbels, was ihrem symbolischen
Inhalt vorzüglich angemessen war. Der folgenden Zusammenstellung liegt die Absicht
absoluter Vollständigkeit fern. Sie soll nur dazu dienen, für die Beurteilung der in
diesem Zeitraum für unser Motiv charakteristischen Züge eine möglichst sichere
Grundlage zu schaffen:
1. Relief der Hatschepsut aus dem Tempel zu Der el-bahri. Naville, The Temple
of Deir el Bahari VI 159.
2. Zierat von einer Thronlehne auf einem Relief aus demselben Tempel, jetzt
in Berlin. Ausf. Verz. S. 1 14, Nr. 1636. Naville, a. a. O. V 122. LD III 17. Borchardt,
Sahure II 22, 3.
■) Vgl. oben S. 15 Anm. 2.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen. XO
3. 4. Bugzieraten von Nilbarken auf ebendort noch in situ befindlichen Reliefs.
Naville, a. a. O. V 124, VI 153.
5. Holzplatten vom Modell einer Barke aus dem Grabe Amenophis IL, Kairo,
Daressy, Fouilles ä la Vall^e des Rois, Cairo Catal. G6ner. XXVII 1902. a) Tafel 21,
Nr. 24 136 f. 24140. 24142. b) Tafel 49, Nr. 4944.
6. Seitenlehnen des Thrones aus dem Grabe Thutmosis IV., Kairo, Newberry
und Carter, The Tomb of Thutmosis IV., Cairo, Cat. G^n. XIV, 1904, Tafel VI u. f.
7. Leinwandstuck von der Innenseite des Streitwagens aus demselben Grabe,
a. a. 0. Taf. 12, S. 31, Fig. 7 f. Kunstgesch. in Bildern 20, 4. E. Meyer, Äg. zur Zeit
der Pyramidenerbauer 36, 15.
8. Dekoration auf der Seitenlehne am Thron Amenophis III. auf dem Relief eines
thebanischen Privatgrabes. LD III 76. Prisse, Mon. ^gypt. Taf. 39. Ders., Hist. de
l'art^g. II 18. 35. Maspöro, Hist. II 297. Perrot-Chipiez 843, 583.
9. Eine ähnliche Darstellung von einem anderen Relief desselben Grabes. LD
III ']']. Maspdro, Hist. I 271.
10. Dasselbe aus einem anderen thebanischen Privatgrab (48). Photographien
der deutschen Fremdvölkerexpedition 791—798.
11. Bugzierat einer gemalten Nilbarke aus dem Grabe Ramses IV. zu Bibaa
el Moluk. Champollion III 256, 2. Rosellini, Mon. Civ. 108.
12. Dasselbe aus einem anderen Grabe zu Biban el Moluk. Prisse, Histoire
de l'art eg. II 89. Perrot-Chipiez III 770, 545.
13. Kalksteinstele in Theben. Lanzone, Dizionario Taf. 13, S. 39.
14. Reliefs in Wadi E Sofra in Nubien. LD V 74 a, b. 75 b, c.
Die beiden typischen Formen, in denen wir auf den Reliefs des AR dieser Art
den Gefallenen beobachteten, kommen auch hier vor. Für die erste von ihnen ist das
besonders deutlich, z. B. bei dem einen Mann von Nr. 6 unter der Vordertatze der
Sphinx, dessen Bild in dem Moment erfaßt ist, wo er in den Zuckungen der Agonie
den Boden nur mit der vorderen Schulter und dem vorderen Bein berührt. Nament-
lich das Bewegungsmotiv seiner Beine ist fast identisch mit dem des Puntmannes
aus dem Sahuretempel (S. 8, Anm. i) und des einen Mannes auf dem Pektorale
SesostrisIII. (S. 16, Anm. 3). Häufiger sind aber die Fälle, wo dieser Typus im Sinne
der optisch richtigen Seitenansicht verändert bzw. ausgedeutet ist, wenn auch meist nur
annäherungsweise. Man machte in der Regel die vordere Schulter etwas kürzer (Nr. 2,
8, IG, 1 1), ließ sie gelegentlich auch wohl unter dem Gewand ganz verschwinden (8, 9)
und erweckte so den Anschein, als ob sie in ihrer Seitenansicht gezeichnet sei. Auch die
andere Schulter verschwindet bisweilen ganz hinter der Brust (2, 8, 9). Außerdem
wird es beliebt — doch wohl durch Anregung von Typus 3 — , beide Füße auf die
Grundlinie zu setzen, meist in der Art, daß der vordere im Knie etwas stärker an-
gezogen wird (2, 8— 11).
Etwas Ähnliches ist bei dem zweiten der schon im AR in diesem Zusammen-
hang festgestellten Typen zu beobachten, der den Gefallenen vornübergestürzt gibt
(i, 4, 7, 8, 10, 14). Solche Gewaltsamkeiten wie bei der einen hierher gehörigen Figur
des Neweserretempels gibt es jetzt nicht mehr. Vor allem kommt die Vorderansicht
20 Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
beider Schultern überhaupt nicht mehr vor. Vielmehr pflegt die äußere in der Weise
»umgeklappt «zu sein, wie es beim aufrechten Menschen schon die Künstler des AR gern
gemacht haben (S. 15, Anm. i). Der im Ellenbogen gebeugte Arm stützt sich dabei auf
den Boden (4, 7, 8, lO). Wo die andere Schulter nicht samt dem dazugehörigen Arm
hinter dem auf den Boden gepreßten Kopf oder hinter den Gliedern anderer Gefallener
völlig verschwindet (7, 8, 10), ist der Arm nach vorn zu aufgestützt und motiviert,
so die Dreivierteldrehung des Oberkörpers in ganz entsprechender Weise wie beim
hintenübergestürzten Menschen der aufgestützte vordere Arm in Typus 3 (4, 7). Das
Motiv der Beine ist in dem einen der beiden Fälle, wo sie überhaupt sichtbar sind,
noch genau dasselbe wie im Neweserretempel (i). In dem anderen Beispiel (7) decken
sich beide Oberschenkel und Knie, und nur die Unterschenkel sind differenziert, auch
dies wieder ein Zug, der deutlich die Richtung auf die einheitlich erfaßte Seiten-
ansicht zu erkennen gibt.
Auch der dritte und vierte Typus des AR, die nur damals im Zusammenhang
dieser Komposition nicht zu beobachten waren, kommen jetzt in diesen Bildern vor
(Typus 3: 4, 5 b, 14. — Typus 4: 10, 13). Nur wird Typus 3 öfter in der Weise modi-
fiziert, daß der vordere stützende Arm im Schulter- und Ellenbogengelenk scharf
gebeugt ist, so daß die Schulter den auf der Grundlinie liegenden Unterarm unmittel-
bar berührt. So bekommt die ganze Figur etwas mehr Zusammengeballtes und
konnte die Wirkung der von oben auf ihr lastenden Löwentatzen besser veranschau-
lichen (5 a, 10). In zwei Fällen berührt nur der Kopf den Boden, während der übrige
Körper noch in der Luft schwebt (i, 6). Auch das ist vor dem NR in dieser Kom-
position nicht zu belegen. Der Gefallene aus Deshashe, der wieder seine Vorgänger
auf den Chasechembasen hat, zeigt aber, daß es sich auch hier nur um eine Weiter-
bildung alter Motive handelt.
Charakteristische neue Formen sind also auch in diesem Zusammenhang von
den Künstlern des NR nicht geschaffen. Was sie an Eigenem hinzutun, beschränkt
sich einerseits auf die Ausgestaltung der alten Typen in naturalistischem Sinne und
anderseits auf den festeren Zusammenschluß der Komposition, dem zuliebe starke
Überschneidungen jetzt geradezu gesucht werden. Auf die Gewaltsamkeiten der
alten Formen konnte man aber nur dann verzichten, wenn man gleichzeitig auch
ihre starke Ausdruckskraft und leidenschaftliche Gebärdensprache preisgab. So
ist es gekommen, daß diese Gefallenen in der Regel nicht mehr den Eindruck von
in wilder Agonie zuckenden Menschen machen, sondern meist ruhig, oft beinahe
teilnahmlos daliegen. Aus dem Fallenden und Gefallenen ist meistens ein Liegender
geworden.
Wenden wir uns jetzt den Bildern aus dem Bereich des ägyptischen Mythos
zu, so gibt der erste von den beiden in Frage kommenden Typen, der den Osiris auf
dem Lager zeigt, Veranlassung zu ganz entsprechenden Feststellungen. Aus dem
AR und MR wüßte ich ihn zwar nicht zu belegen, er tritt aber in der Regel in unver-
kennbar hochaltertümlichen Formen auf, und man sieht nun auch hier, wie diese
im NR als Profilbilder ausgedeutet werden. Daneben haben sich ganz primitive
Bilder zähe gehalten.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
21
Die älteste Ausgestaltung dieses Typus wird es sein, wenn der Gott auf dem
Bauche ') oder auf dem Rücken ^) liegt in der Weise, daß der ganze Körper von den
Schultern abwärts mit Binden fest umwickelt ist. Die walzenförmige Gestalt des
Vorbildes ergab bei der Übertragung auf die Fläche ganz von selbst die richtige Profil-
ansicht genau so wie bei den aufrechten Kultbildern des Osiris, Min und Ptah. Auch
wo die Arme nicht mit umwickelt sind 3), wird einfach das aufrechte Kultbild um
90 Grad gedreht, und wenn der erwachende Osiris gemeint ist 4), so ist auch nicht die
Spur davon zu bemerken, daß der Künstler dieses Motiv als ein zeichnerisches Problem
empfunden hat. Einfach wie ein Stück Gummi wird der Rumpf leicht nach oben
zurückgebogen. Dagegen lag es außerordentlich nahe, bei der richtigen Seitenansicht
den vorderen Arm hinzuzufügen 5), und zur Differenzierung beider Beine war es dann
nur ein kleiner Schritt *). Es kann kein Zufall sein, daß im ganzen Verlauf der Unter-
suchung hier zum erstenmal eine richtige Profilansicht begegnet, die keine Spur mehr
von der kanonischen Form aufweist. Die ägyptische Kunst ist also aus sich heraus
zu dieser ganz vereinzelten Bildung gelangt, wie deren Vorkommen in Biban el Moluk
zeigt. Bei ihrer Verwendung auf späten Sarkophagen und in Denderah wird aber
gewiß der Einfluß der griechischen Kunst mitspielen.
Wie sich im hieratischen Zusammenhang die altertümlichsten, noch über das
AR hinausweisenden Typen daneben erhalten, zeigen diejenigen Bilder des liegenden
Osiris, auf denen der Gott unbekleidet in der kanonischen Körperform gebildet ist,
und zwar in der Art, daß sein Liegen einfach durch die Drehung der Körperachse
um 90 Grad ausgedrückt ist. Vom NR abwärts bis in die ptolemäischen Zeiten sind
sie in beträchtlicher Zahl zu beobachten 7).
Der andere in mythologischem Zusammenhang vorkommende Typus einer
liegenden Gestalt ist der des Erdgottes Keb. Auf Sarkophagen und Papyri der späten
Zeit ist die Gruppe der drei kosmischen Götter für Luft, Himmel und Erde sehr
häufig zu sehen in der Form, daß Nut, die Himmelsgöttin, an deren Leib die Sonnen-
barke sich entlang bewegt, in gebeugter Stellung mit den Füßen und Händen den
Boden berührend, von dem Luftgotte Schu gestützt wird, während Keb, der Erdgott,
unter ihr liegt ^).
') z. B. Reliefs aus den Königsgräbern, Descr. II
84, I und 3; aus Denderah, Mariette, Denderah
IV 65. 88; Sarkophagbilder, Moret, Cairo, Cat.
Gin. XXXII 15, Taf. 5, Nr. 41 00:. Lanzone,
Dizionario 268. 284. 294, 2.
2) z. B. Denderah IV 66. 70. 89 f.
3) Denderah IV 68. 73. Lanzone, Dizionario 269 f.
•t) Denderah IV 72.90. Lanzone, Dizionario 282. 291
5) Denderah IV 69. 88. Lanzone, Dizionario 272, 1.
285.
') Königsgräber, ChampoUion Mon. III 270.
7) Grab Ramses IX. M^moires XV Taf. 56. 90 f.
Bubastis: Naville, Bubastis Taf. 48. Denderah:
IV 68. 70. 72. 90. Philae: Rosellini, Mon. del
Quito 23. ChampoUion, Mon. I 90. M6moires
XIII I, Taf. 60. Karnak: ChampoUion, Mon.
III 64. LDIV 29. Privatgrab ptolemäischer
Zeit: Petrie, Athribis 41. Sarkophage: Maspöro,
Sarcophages des ^poques persanes et ptole-
maiques, Cairo, Cat. Gin. Taf. 8. Lanzone,
Dizionario 261. 271, i und 2. 277, i. 278. 281,
290.
*) Sarkophage: Kairo 41 003, 22./26. Dyn. Moret,
Cat. Gin. I 63, 20, Taf. 11. Berlin, Nr. 8, Erman,
Äg. Religion, 2, Aufl., 35, 42. Paris, Lanzone,
Dizionario io8 = Breasted-Ranke, Gesch.
Ägyptens, Abb. 30. Turin, Lanzone, Dizionario
,51, 3 = Masp6ro, Hist. I 129 = Jeremias, AT
22
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Es handelt sich hier wieder um den zuerst in Deshashe beobachteten dritten
Typus des AR, für den der durch den vorderen Arm aufgestützte, halb aufgerichtete
Oberkörper charakteristisch ist. Aufgestützt ist in der Regel nur der Oberarm; der
Unterarm liegt auf der Grundlinie, falls er nicht nach oben gebeugt ist, während die
andere Hand auf dem hochgezogenen hinteren Knie ruht; das vordere Bein ist ge-
streckt oder nur leicht im Knie gebogen. Das Motiv ist für diese Gestalt sehr glücklich
gewählt. Von den Gliedern ist keines frei bewegt wie bei den Gefallenen in der Regel,
keines auch kräftig angespannt wie bei der in diesem Typus gegebenen Figur in
Deshashe der linke Arm. Die lässig bequeme Art, wie sie meist gestreckt sind und
sich gegenseitig stützen oder selber auf dem Boden liegen, läßt auf den ersten Blick —
wenigstens bei den sorgfältig ausgeführten Exemplaren — keinen Zweifel, daß es sich
um eine ruhende Gestalt handelt. Daß diese aber nicht apathisch im Schlafe liegt,
sondern an den dargestellten kosmischen Vorgängen lebhaften geistigen Anteil nimmt,
drückt der halb aufgerichtete Oberkörper sehr zweckentsprechend aus. Zugleich
ist für den Gott die enge Verbindung mit seinem Element sehr angebracht; und
überdies hatten die Künstler so den Vorteil, eine liegende Gestalt in der kanonischen
Form zeichnen zu können, ohne dabei mit den räumlichen Prinzipien ihres Stils in
Konflikt zu kommen.
Von einer wesentlich neuen Lösung des Problems kann man also auch hier nicht
reden. Ja, es darf angenommen werden, daß schon im AR der Erdgott so dargestellt
wurde. Wenn sich ein positiver Beleg dafür nicht anführen läßt, so wird das an der
Überlieferung liegen, die bekanntlich für die mythologischen Darstellungen des AR
sehr spärlich ist. Dafür zu zeugen scheint auch die Art, wie Keb in den Pyramiden-
texten erwähnt wird, in denen es heißt, er strecke den einen Arm gen Himmel und
stütze sich mit dem anderen auf die Erde ').
Auf den Wänden der Grabkammern kommen im NR und später Kampf-
bilder nicht mehr vor. Sie würden in diesem Zusammenhang also ausscheiden, wenn
nicht einige Liegemotive auf ihnen beliebt wären, die nicht übergangen werden dürfen.
In Frage kommt zunächst dasjenige, das den Vasallen vor seinem König, den
Sklaven vor seinem Herrn und den Gefangenen vor dem Sieger im Akte der Proskynese
zeigt 2). Der betreffende mußte dabei auf die Knie fallen, mit dem Gesichte sich der
im Lichte des alten Orients 6i, 29. Lanzone,
Dizionario 151, i. 2. 4; 156, i. Papyri: Louvre,
I.anzone, Dizionario 155, I. Brit. Mus., Lanzone,
Dizionario 159. 163. Vgl. auch Prinz, Altorient.
Symbolik 1 5 ff.
') Brugsch, Äg. Religion 577. Fechheimer, Äg.
Plastik 12.
') Einige Beispiele seien hier zusammengestellt:
I. Thebanische Gräber: Photographien der
dtsch. Fremdvölkerexped. 594 — 596. 763. 783.
LD III 94, 105, 117, 116 (= Steindorff, Blütezeit
66, 57). Erman, Ägypten 586 f., 588 f. (= Stein-
dorff, Blütezeit 125,106; 124, 105 = Kunstgesch.
in Bildern 19, i). LD III 76 (= BB 81 b =
Perrot-Chipiez I 26, 15 = Kunstgesch. in Bildern
19, 7). Perrot-Chipiez 770, 513. Davies, The
Rock Tombs of el Amarna I 13, II 11, 33, 38,
IV 18, 30. Wreszynski, Atlas zur äg. Kultur-
gesch. 4, 31, 50, 56, 94 u. ö. M6moires V i, 9,
II — 13, 15, 30, 39. Vgl. Hunger-Lamer 40, 82.
2. Grab bei Sakkara: Berlin, Nr. 12 411.
Äg. und Vorderasiat. Altertümer aus den kgl.
Museen zu Berlin lio. Fechheimer, Äg. Plastik
155. Kunstgesch. in Bildern 20, 7. Hunger-
Lamer 41, 83. Äg. Zeitschr. XXXIII Taf. i.
L. Curtius, Antike Kunst 41, 46. Capart, L'art
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
23
Erde nähern und mit beiden Handflächen etwa in der Schultergegend den Boden
berühren. So ergibt sich ein Motiv, dessen Herkunft von dem zweiten Typus des AR
außer Frage steht. In etwas anderer Abwandlung war es ja auch auf den Triumphal-
bildern aufgetreten. Die allein sichtbare vordere Schulter ist auch hier ausnahmslos
»umgeklappt«. Aber die Drehung des Oberkörpers und das dadurch bedingte Vor-
schieben des hinteren Armes verbot das Zeremoniell. So haben wir hier fast richtige
Profilbilder. Aber es ist charakteristisch, daß in einem Falle, wo die Sorgfalt der
Ausführung bis ins einzelne geht und das vordere Knie nicht gar zu weit vorgeschoben
ist, trotzdem der Nabel angegeben wird, obwohl er natürlich eigentlich nicht zu sehen
sein dürfte '). Es ist das eben wie die niemals aufgegebene Vorderansicht des Auges
ein Rest der starren Konvention, die der Ägypter trotz seiner im übrigen jetzt nahezu
vollkommenen Herrschaft über die zeichnerischen Darstellungsmittel für die mensch-
liche Figur nie ganz hat überwinden können. Man kann behaupten, daß es, abgesehen
von den Fällen, wo sich der Einfluß einer fremden Kunst bemerkbar macht, eine
absolut richtig gezeichnete ägyptische Figur in reiner Profilansicht überhaupt nicht
gibt. Denn auch bei den Statuen, an denen auf Mastabareliefs des AR die Bildhauer
arbeiten, ist der Nabel, der auch dort, genau genommen, nicht zu sehen sein dürfte,
angegeben. Ihr oberer Brustkontur ist außerdem von dem an die kanonische Form
gewöhnten Zeichner viel zu weit vorgewölbt 2).
Und damit sind wir hier in der 18. Dyn. bereits an dem Punkte angelangt, wo
für die weltgeschichtliche Betrachtungsweise die Grenzen dieser Kunst liegen. In
Vorderasien anderseits hat man die reine Profilansicht schon sehr früh, von den
in Ägypten von alters her zum Stil gehörigen Dreivierteldrehungen aber niemals eine
angewandt. Erst die Griechen haben beide Mittel zugleich beherrscht und so der
graphischen Naturwiedergabe im klassischen Stil eine viel größere Bewegungsfreiheit
ermöglicht.
Ganz anders ist das Motiv eines solchen seine unterwürfige Verehrung vor einem
ägyptischen Großen bekundenden Gefangenen gewählt auf einem der Reliefs, die
aus dem Grabe des Horemheb stammen und jetzt in Leyden aufbewahrt werden ?).
Die weit vorwärts gestreckten Arme, der gewaltsam zurückgeworfene und nach oben
gewandte Kopf und die wie vom Falle noch federnden Beine erwecken auf den ersten
Blick nicht bloß den Eindruck lebendigster Bewegung, sondern geben dem Motiv
auch eine ganz hervorragende, geradezu leidenschaftliche Ausdruckskraft. Um seine
^gyptien 174. Hier ist zwar nicht die Proskynese
gemeint, sondern eine Gebärde der Trauer; aber
nur das Motiv der Hände ist ein anderes. 3. Kalk-
steinscherbe aus der 18./19. Dyn.: Naville-
Hall, The iith Dynasty Temple at Deir el Bahari
22, I. 4. Papyrus Anhai: Budge, The Book
of the Death, Taf. 1.
■) Berlin 12 411. Vgl. vorige Anm. Nr. 2.
') Schäfer, Äg. Kunst 186 f., 113. L. Curtius,
Antike Kunst 108, 96. Steindorff, Mastaba des
Ti 134. Klebs, Die Reliefs des AR 81, 65. Eine
ähnliche Darstellung aus dem NR: Berlin,
Nr. 2089, Ausf. Verz. Abb. 33.
3) Leemans, Äg. Monumenten van het Nederl. Mus.
van Oudheden te Leyden I 34. Böser-Holwerda,
Beschreibung der äg. Altertümer des niederl.
Reichsmuseuras zu Leyden. Die Denkmäler des
NR I 24, 3 d. Breasted-Ranke, Gesch. Äg.
Abb. 147. L. Curtius, Antike Kunst 166, 125 c.
Steindorff, Blütezeit 161, 134. Hunger-Lamer
21, 36.
24
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
Unterwürfigkeit so eindrucksvoll wie nur möglich kundzutun, hat sich der Mann,
getrieben von dem für seine Rasse so charakteristischen Drange zu stark pathetischer
Ausdrucksweise, vor dem vornehmen Ägypter platt auf den Bauch geworfen und
fleht ihn um Gnade an, wie es ganz entsprechend sein Nachbar nur in noch gewalt-
samerer Weise tut, indem er sich auf den Rücken fallen läßt, um womöglich noch
hilfloser zu erscheinen. Und so überzeugend wirkt auf den ersten Blick dieses Bild,
daß seine zeichnerischen Mängel zunächst kaum auffallen. Zwar wenn die Arme,
die Beine und der Hals gar zu kurz geraten scheinen, so mag darin Absicht liegen.
Der Rassentypus des fetten alten Mannes ist jedenfalls auf diese Weise vorzüglich
charakterisiert. Aber die Art, wie der Kopf die 1. Schulter und den 1. Oberarm über-
schneidet, ist ganz unmöglich, und der Gürtelknoten, der nach Ausweis der übrigen
Syrer auf diesen Reliefs in der Nabelgegend zu sitzen hat, ist in Anbetracht der Lage
des Mannes viel zu weit auf die 1. Körperseite herübergerutscht.
Bilder wie die aus dem Grabe des Horemheb stehen zugleich am Ende und auf
dem Gipfel der ägyptischen Zeichenkunst, wofern deren Entwicklung dann richtig
erfaßt ist, wenn man annimmt, daß sie von dem nach dem Aufbauverfahren wesent-
lich mit Hilfe der Vorstellung zusammengesetzten Bilde ausgeht und dieses allmählich
immer mehr dem einheitlich erfaßten Gesichtseindruck annähert. Wir stehen hier
vor dem »äußersten, was die ägyptische Zeichenkunst an Körper- und Raumdarstellung
gewagt hat« '). Aber nicht einmal hier haben wir eine absolut richtig erfaßte ein-
heitliche Profilansicht. Der wichtige und für diese Epoche charakteristische Fort-
schritt besteht aber wie beim Motiv der Proskynese hier wieder erstens darin, daß
das Motiv als solches das Profilbild fordert, also nicht mehr mit der kanonischen
Form rechnet, und zweitens, daß seine Ausführung den Eindruck eines solchen ohne
weiteres überzeugend wiedergibt trotz der darin enthaltenen Reste früherer
Entwicklungsstufen, die bloß als zeichnerische Fehler zu kennzeichnen ein Irrtum
wäre.
Die Angabe des Nabels oder dessen, was gelegentlich an seine Stelle trat, ist
also für das Ganze einer solchen Figur etwas durchaus Nebensächliches. In der Monu-
mentalkunst durfte sie augenscheinlich unter keinen Umständen fehlen; sehr nahe
lag es aber, sie bei skizzenhafter Ausführung einfach zu unterlassen, und damit wäre
denn auch für unser Motiv das im optischen Sinne einwandfreie Profilbild in der
ägyptischen Kunst gewonnen. So liegt es vor auf einer in die Amarnazeit zu datieren-
den Holzbüchse aus Kahun mit Jagddarstellungen ^) bei dem unter dem Wildstier
liegenden Manne. Man darf aber nicht vergessen, daß eine solche Erscheinung der
Masse der vorschriftsmäßig mit angegebenem Nabel gezeichneten Profilbilder ver-
einzelt gegenübersteht und über das Wesen der ägyptischen Zeichenkunst auf dieser
Stufe nichts aussagt. Außerdem ist diese Büchse ja zu einer Zeit gefertigt, in der
die ägyptische Kunst im lebhaftesten Austausch mit der mykenischen steht. Die
einzigen ähnlichen Figuren, die ich anführen kann, sind die auf dem Bauch liegend
■) Schäfer, Äg. Kunst ii. -) AM XXIII 1898 Taf. 7. v. Bissing, Einführung
XII 2. Rev. Arch. XXXIII 1898, 5, 2.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen. 25
ihre Verehrung bezeigenden Vertreter der Fremdvölker auf den Bildern aus der
Festhalle König Osorkons IL (22. Dyn.) in Bubastis '). Auch in diesem Zusammen-
hang ist das reine Profil etwas Singuläres. Nicht in Betracht kommen hier die gleich-
falls auf dem Bauche liegenden gefangenen Nubier in einem thebanischen Privatgrab
der 18. Dyn. ^). Bei ihnen ist der Körper fest mit Binden umwickelt wie bei den
Mumien, sodaß von einem Problem bei der Darstellung des von der Seite gesehenen
Körpers für den Künstler ebensowenig die Rede sein konnte wie bei den entsprechen-
den Bildern des Osiris (oben S. 21).
Vergleicht man die zuletzt behandelten Beispiele, das Bild des Horemhebgrabes,
die Büchse ausKahun und die Reliefs aus Bubastis, mit den überlieferten vier Typen
des AR, so ist festzustellen, daß der Abstand ein viel größerer ist als bei den übrigen
hier besprochenen Gefallenen und Liegenden aus dem NR und der Spätzeit. Hier
zuerst kann man wieder von einem neuen Typus sprechen. Alles Bisherige war nur
entweder getreue Herübernahme oder Modifizierung altererbten Besitzes.
Gleichfalls solch einen neuen Typus bietet ein seinem Stil nach auch in die
18. Dyn. gehöriges Reliefbruchstück in Berlin, auf dem man einen Mann in seinem
Bette schlafen sieht 3). Der Eindruck einer Seitenansicht ist hier allerdings gar nicht
erstrebt. Die kanonischen Regeln sind in allem Wesentlichen beobachtet. Trotzdem
konnte auch das verfeinerte Raumgefühl dieser Epoche an der Figur keinen Anstoß
nehmen. Erreicht ist das dadurch, daß der auf einer Stütze ruhende Kopf
in die Höhe gelegt wurde und so die Vorderansicht der r. Schulter motivierte. Wie
man es beim Schlafenden oft beobachtet, hat der Mann den Oberkörper auf die Seite
gelegt. Es ist also im Grunde dasselbe Verfahren wie bei den Typen 3 und 4 des
AR, wo die notwendige Dreivierteldrehung des Oberkörpers nur durch die aufge-
stützten Arme gerechtfertigt wurde. Die Art, wie die Bettdecke, bzw. das Insekten-
netz 4) (?) angegeben ist, braucht dieser Beurteilung gegenüber nicht stutzig zumachen.
Falls es nicht etwa nur der obere Kontur ist und im übrigen der Stoff über dem Körper
durch Bemalung deutlich gemacht war, haben wir es eben hier wieder mit dem für
diese Kunst so charakteristischen unvermittelten Nebeneinander von alten und neuen
Elementen zu tun.
Es ist bemerkenswert, daß mit diesen Fällen die Neuschöpfungen von Typen
im Bereich unseres Motivs während der Zeit des NR erledigt sind. Aber es braucht
wohl kaum noch ausdrücklich hervorgehoben zu werden, wie eng sie trotz aller Unter-
schiede doch mit den übrigen Typen noch zusammenhängen. Diese Ausnahmen
lehren es also deutlich: für die Entwicklung des Motivs gehen die schöpferischen
Antriebe vom AR aus 5). Was die Künstler des NR hinzutun, besteht, soweit wir
1) Naville, Festival Hall of Osorkon II""*, Taf. 2, The Rock Tombs of el Amarna II Taf. 37 f.,
II, 14, 15. S. 40). Hier sieht man zweimal den Typus i des
2) Davies, Five Theban Tombs, Taf. 8, 3, S. 16. AR, aber es sind nicht die am Boden liegenden
3) Berlin Nr. 20 488. Schäfer, Äg. Kunst 79, 35 A. Überwundenen, sondern es ist hier ein und das-
4) Herod. II 95. selbe Akrobatenstück von r. nach l.in vier zeitlich
5) Sehr bezeichnend für die ungebrochene Lebens- aufeinander folgenden Stadien vorgeführt. Es
kraft der alten Typen ist auch eine Ringergruppe besteht darin, den Gegner, wenn man ihn um
im Grabe des Meryre zu el Amarna (Davies, den Rumpf gepackt hat, emporzuheben und
26 Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen.
bisher gesehen haben, in der Verfeinerung der Darstellungsmittel. Das andere, worin
diese Zeit in vielleicht noch eindrucksvollerer Weise sich als schöpferisch erwiesen
hat, ist die Komposition. Wenden wir uns jetzt dem letzten noch übrig bleibenden
Kreise von Darstellungen zu, in denen Gefallene vorkommen, nämlich den großen
Schlachtbildern des NR, so sehen wir dieses Moment besonders stark in die Erscheinung
treten.
Trotzdem die Gefallenen hier in Masse erscheinen, gibt es weder Versuche von
richtigen Profilansichten noch irgendwelche Fälle, in denen die Verkürzungen über
die einfachsten Errungenschaften des AR hinausgehen. Sind auch die Bewegungs-
motive in der Regel sehr lebhafte, so herrscht doch das kanonische Körperschema
durchaus und in viel strengerer Weise als auf den meisten der bisher behandelten
Monumente des NR. Man kann in dieser Hinsicht geradezu einen Rückschritt von
der l8. zur 19. Dyn. feststellen.
Die oben beobachteten Typen, die bereits im AR ausgebildet waren, lassen
sich alle auch hier nachweisen. Für jeden von ihnen seien nur einige Beispiele an-
geführt :
Typus I (oben S. 8ff.): Kar nak, BB 86 b, unter den Füßen des Königs. Med inet
Habu, BB 93, in der zweiten Reihe von unten unter dem dritten und vierten Wagen
von 1. Abu Simbel, BB Text zu Tafel 86 f.
Typus 2 (oben S. 12): Bet el Wali, Champollion, Mon. 71 f. Rosellini, Mon.
Stör. I 54 f. Arundcl-Bonomi-Birch, Gallery of Antiquities 38. Maspero, Hist. II 387.
Hunger- Lamer, Altorient. Kultur im Bilde 17, 31.
Typus 3 (oben S. 13): Wagen Thutmosis IV., oben S. 19, Nr. 7. Karnak,
BB 86 a, b, unter den Rädern und Pferden des Wagens. LD III 166 = Erman,
Ägypten 116, 702 = Rosellini, Mon. Stör. I 108 unter dem Rade des vom König
verfolgten Wagens. Medinet Habu, Champollion, Mon. 227, unter dem 1. Fuß
des Königs.
Typus 4 (oben S. 14): Siegesstele Araenophis III., BB 79. Karnak,
BB 86 a, r. unter dem Rade. Ramesseum, LD III, in der 1. von den beiden vorderen
Kampfgruppen. Medinet Habu, Champollion, Mon. 227.
Auch die Form des mit hinter dem Rücken gebogenen Armen auf dem Bauche
liegenden Mannes, die für das AR bereits zu postulieren war (oben S. 17), kommt
vor: Medinet Habu, BB 93 r. in der zweiten Reihe von unten unter den Pferden.
Noch viel häufiger sind aber die Fälle, wo die lebhaft bewegten Glieder der
Gefallenen radial über die Fläche ausgebreitet sind, und auf Schritt und Tritt wird
man hier an die ganz frühen Werke wie die Schminktafel mit der Darstellung des
Schlachtfeldes (S. 2, Anm.6a) und die Chasechembasen (S.4, Anm. i) erinnert. Das
ist natürlich ebensowenig ein Zufall wie bewußtes Archaisieren. Die Geschichte der
Komposition hat inzwischen eine Art Kreislauf vollendet und ist in gewissem Sinne
nun wieder bei einer jenen alten Bildern entsprechenden Form angelangt '). Nichts
so über den Rücken zu schleudern. Der r. von rade durch die Luft geworfen, der 1. berührt
den beiden scheinbar Gefallenen wird also ge- im Falle eben den Boden.
') Schäfer, Äg. Kunst 135 f.
Friedrich Matz, Das Motiv des Gefallenen. 27
wäre verkehrter als zu meinen, daß dieser ganze lange Weg umsonst gewesen sei.
Die Raumauffassung, die in der alten Zeit noch ganz ungeklärt war, ist zwar von
einer Einheitlichkeit im modernen Sinne noch weit entfernt, aber ihr doch schon
um ein beträchtliches angenähert, und außerdem wird die Verteilung der Figuren jetzt
von einem ganz bestimmten dekorativen Gefühl geleitet, das mit dem Stichwort
Konzentration am besten bezeichnet wird. Die gemeinsame Bedingung für die
Zeichnung der einzelnen Gestalten bestand darin, daß sie sich hier wie dort über
die ganze Bildfläche ausbreiten und nicht wie in der Zwischenzeit an eine Masse von
einzelnen Grundlinien gebunden sind. So wird man auch das erwähnte Vorkommen
der im AR ausgebildeten Typen in den meisten Fällen nur unten im Bilde auf der
einzigen hier noch erhaltenen Grundlinie beobachten.
Vergleicht man im einzelnen diese Gefallenen mit denen der alten Zeit, so fällt
nicht nur die sehr flaue Formbehandlung auf, man muß auch sagen, daß der Ausdruck
an überzeugender Kraft trotz der scheinbar sehr lebhaften Bewegungen entschieden
eingebüßt hat. Der Mangel ist aber nur ein relativer und findet gerade in dem, worin
die Größe dieser Werke besteht, seine Rechtfertigung. Der Künstler der alten Zeit
haftet am einzelnen, er setzt seine Bilder aus einer Menge gleichwertiger, koordinierter
Elemente zusammen. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung dagegen, wo die psycho-
logischen Bedingungen viel komplizierterer Natur sind, reizt die Künstler in immer
stärkerem Maße das Problem, aus der im Leben gegebenen Vielheit eine Einheit in
der Kunst zu gestalten. Konzentration und Subordination sind damit zu leitenden
Prinzipien ihres Schaffens geworden.
Berlin. Friedrich Matz.
Nachtrag zu S. 3 f.
Der elfenbeinerne Messergriff aus Gebel el Arak im Louvre (Mon. Piot. XXII
1916 Taf. I. Journ. of Aeg. Arch. V 1918 Taf. 32. Ancient Egypt 1917, 26; vgl.
Schäfer, Äg. Kunst 2. Aufl. 1 36 a. Weber, Altoriental. Siegelbilder 65) zusammen
mit dem zur Schlachtfeldpalette gehörenden Fragment in Oxford (Schäfer, Äg.
Kunst Taf 5, l. Journ. ofAeg. Arch. II 191 5, Taf 14 f Capart, Debüts 230, 161) zeigt
jetzt, daß die radiale Ausbreitung der Glieder schon in eine frühere Periode der
Vorzeit gehört. Während aber hier die Gefallenen über den Grund »gestreut«
sind, hat das Motiv auf der Stierpalette durch die Beziehung zum Stier, auf den
Chasechembasen durch die zur Grundlinie einen prägnanteren Sinn bekommen.
2S Oskar Waldhauer, Zur lakojiischen Keramik,
ZUR LAKONISCHEN KERAMIK.
Mit Tafel I.
Die lange Reihe von Vasen »lakonischer« Arbeit gibt ein relativ vollständiges
Bild der Entwicklung einer in jeder Beziehung interessanten Klasse') ; um so wichtiger
ist jede weitere Vermehrung des Materials, die vorhandene Lücken ausfüllen könnte.
Von diesem Gesichtspunkt aus sind zwei Exemplare der Gattung von Interesse;
das eine eine Neuerwerbung der Ermitage, das andere ein schon längst bekanntes,
aber in so schlechter Zeichnung publiziertes Stück, daß eine neue Publikation gerecht-
fertigt erscheint.
Das ältere Stück*) stammt aus einer Privatsammlung; Fundort unbekannt
(Abb. i). Seiner Form nach gehört es zu dem von Droop Lakaina genannten Typus ?),
eine Bezeichnung, die konventionell wohl benutzt werden darf. Der Körper der Vase
mit vorspringenden horizontalen Henkeln bildet den kleinsten Teil derselben; den
größten bildet der hoch ansteigende Aufsatz von zylindrischer Form mit leicht aus-
gebogeneni Rand; der Fuß in Gestalt eines niedrigen breiten Ringes. Der Ton schein-
bar hellgrau, am Boden nur geglättet, die Innenseite schwarz gefirnißt; die Farbe
hat einen matten Ton; auch der größte Teil der Außenseite ist schwarz; am oberen
Teil dieses schwarzen Streifens ein dünner roter Strich. Der Rand ist mit einem
weißen Überzug von leicht gelblichem Ton versehen, auf welchen zwischen zwei
schwarzen Strichen eine Reihe von schwarzen quadratischen Punkten gemalt ist;
darüber und darunter je eine schwarze Punktreihe. Der eigentliche Körper der Vase
unten ist gleichfalls weiß überzogen; an seinem oberen und unteren Rande je ein
schwarzer Strich; von unten steigen Strahlen auf; über dem Fuß ein roter Streif mit
schwarzem Strich darüber. Im Fuß ein breiter rot ausgefüllter Kreis, von zwei kon-
zentrischen schwarzen Linien umrahmt; der Fußrihg schwarz gefirnißt. Der Er-
haltungszustand ist gut, nur der Rand z. T. aus Stücken geklebt. Die Henkel waren
angesetzt; der eine auf der Abb. links ist nicht zugehörig, der rechts zugehörig; beide
wieder angeklebt.
Der Typus der Vase kommt schon unter den Fragmenten geometrischen Stils
in Sparta vor, doch sind hier die Henkel unter spitzem Winkel nach oben geführt
und der Rumpf nicht vom oberen Aufsatz abgeteilt 4). In entwickelter Form tritt
er jedoch in der von Droop Lac. I genannten Gruppe auf 5). Die Wandungen haben
aber in dieser Gruppe gradlinige Form; die Henkel waren mehr horizontal gestellt,
so auch z. B. auf den Skyphoi derselben Periode^). Profil und Einzelheiten der Form
') Das Material bei Dugas und Laurant, Rev. arch. wurden, für wahrscheinlich halte; Kyrene,
IQ07 I 377 ff., vgl. Dugas ebenda 1912 I 88 ff. Kreta würden zunächst in Betracht kommen,
Droop BSA. XIV 30 ff. JHS. XXX 1910, i ff. Zu- vgl. Pfuhl a. a. O. 226.
sammenfassend jetzt Pfuhl, Malerei und Zeich- *) Inv. Nr. 187 13, Höhe 0,17, Durchmesser der
nung der Griechen I 224 ff. In der Frage über Mündung 0,13 m.
den Fabrikationsort schließe ich mich Dugas an, 3) BSA XIV 31 Anm. 3.
indem ich Sparta wohl als Hauptzentrum an- 4) BSA XIII 122 Abb. 2 Typus d.
nehme, jedoch die Möglichkeit, daß Vasen des- 5) BSA XV 23 Abb. i a, b.
selben Stils auch an anderen Orten verfertigt ') BSA XIV 31 Abb. i.
Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
29
ähnlich dem Exemplar der Ermitage begegnen uns in den Gruppen Lac. II und III ').
Jedoch ist es mit Sicherheit Lac. II zuzuteilen, da die charakteristische Ornamen-
tierung des Randes später in dieser Form nicht mehr auftritt ^). Derselben Zeit
■weist Droop das gut erhaltene Stück im Konservatorenpalast zu 3). An diesem ist
die Mitte zum Unterschied vom Exemplar der Ermitage weiß mit großem schwarzen
Zickzack darüber. Im übrigen bildet dieses Exemplar die nächste Analogie zu dem
hier publizierten, das demgemäß, nach der Chronologie Droops, an das Ende des
VII. Jahrhunderts gehört 4). Der Typus der »Lakaina« verdient besondere Be-
achtung, da er offenbar als Urform des spätem Kraters a calice angesehen werden
Abb.
Lak.iina in der Ermitage.
muß. Die Form des niedrigen Rumpfes, die horizontalen Henkel, die nach außen
gebogenen hohen Ränder stimmen überein; nur der Fuß ist am Krater reicher aus-
gestaltet, doch ist dieser Teil offenbar als ursprünglich selbständig anzusehen. Jeden-
falls ist die Lakaina dem späteren Kalyxkrater ähnlicher als die bekannten Vor-
läufer aus Rhodos und Naukratis, an denen die Wandungen geradlinig sind 5). Daß
BSA XV 31 Abb. 7-
Als Ausnahme muß
Nr. 381, Sieveking-
') JHS XXX 1910, 4 Abb. 1
>) Droop JHS XXX 1910, 7.
notiert werden München
Hackl T. 13.
3) JHS XXX 1910 Abb. 3.
4) Diese Datierung glaube ich als genügend ge-
sichert annehmen zu dürfen. Vgl. Droop a. a. 0. i
und BSA XIV, 46 f.
5) Daß Walters, History of ancient pott, I 170 irrt,
wenn er die Entstehung des Kratertypus dem
Anfang des V. Jahrh. zuweist, hat Furtwängler
gezeigt (Griech. Vasenm. II Text 172 f.). Ein
■ schönes spätsfg. Exemplar in der Ermitage
Stephani Vasens. Nr. 49. Zu den Naukratitischen
Bechern: Enman, Bull, de la Com. Imp. archeol.
191 1 (Band 40) 142 ff. (Exemplar aus Bere-
san); zu dem hier zusammengestellten Material
ist hinzuzufügen JHS XXIX 1909 T. XXV. Zur
Selbständigkeit des Fußes Daremberg-Saglio
I, 2, 1553 s. V. Crater.
30
Oskar Waldbauer, Zur lakonischen Keramik.
die Idee als solche sehr als ist, beweist der Typus des Kantharos, der der Lakaina sehr
verwandt ist; das Verhältnis von Aufsatz zu Vasenkörper ist das gleiche, nur die
Form der Vertikalhenkel von den horizontalen der Lakaina verschieden. Dieses Ver-
hältnis findet sich bekanntlich in kunstvoll ausgebildeter Form schon im Kamares«
Stil '), ohne Fuß oder mit niedrigem Ringfuß in der alttrojanischen und der sogenannten
minyschen Keramik ^]. Die Verbindung dieses Urtypus mit einem Fuß in archaischer
Zeit ist analog der weiteren Entwicklung der Lakaina zum Kalyxkrater.
Wie gesagt, zeigt die Lakaina schon in geometrischer Zeit geschwungene Linien
des Aufsatzes, die an die Form der hier veröffentlichten Vase erinnert. Doch ist diese
Ähnlichkeit nur äußerlich. Wir finden einen ähnlichen krummlinigen oberen Ab-
schluß auf einer Reihe von Vasen geometrischer Zeit, die im allgemeinen geradlinige
Formen anstrebt. So ist die Ausbuchtung auf den älteren theräischen Vasen fast
unmerklich 5), an anderen erscheint sie stärker infolge des Vortretens des Mündungs-
randes 4), ausgeprägt an den Exemplaren mit schlankerem Hals 5). Ein Unterschied
zwischen dieser Art von der durch unsere Vase vertretenen Form ist evident; be-
sonders deutlich zu konstatieren ist es jedoch an den großen attischen Kannen und
den kleineren Gefäßen, die dem Lakaina-Typus durch das Verhältnis von Körper zu
Aufsatz analog sind.^j. Die geschwungene Linie auf diesen geometrischen Gefäßen
hat, sozusagen, keinen tektonischen Charakter. Die Tendenz zu Geradlinigkeit ist
außerordentlich stark und strebt nach Unterdrückung der Ausbuchtung. Es ist
interessant, daß dieses Streben in fast extremer Form an der Lakaina von Lac. I
zum Ausdruck kommt, d. h. in der Gruppe, wo die geometrische Stilform sich auslebt
(B.SA XV 23). Der Kontur unserer Lakaina hat dieses Durchgangsstadium zur
Voraussetzung. Die geradlinig aufsteigenden Linien des Zylinders liegen ihm zu-
grunde, jedoch tritt deutlich hervor eine Ausbuchtung in seiner Mitte, der eine Ein-
ziehung oben folgt; aus dieser Einziehung heraus erwächst der sich nach außen aus-
breitende Rand. Wir haben es mit einer Erscheinung zu tun, die der Entasis der Säule
analog ist, und die tektonisch genannt werden darf. Diese Schwellung bringt leben-
digen Schwung in die abstrakte Linie, denn auf diese Weise erreicht der Kontur
seinen Eindruck von Elastizität, und die obere Ausbuchtung erscheint als natürlicher
Abschluß, als Ausklingen der hinaufführenden Bewegung. Diese Anschauung ist
dem geometrischen Stil fremd und, wenn sie in ihrer weiteren Ausgestaltung auch
rein griechisch ist, müssen wir ihren lebendigen Ursprung in einem anderen Kunst-
kreis suchen. Eine ähnliche Linienführung finden wir an »samischen« Lekythoi,
die z. T. in sehr frühe Zeit hinaufreichen "). Diese bestehen aus einem reich ge-
schwungenen Hauptteil, auf den Schulter und Mündung einfach aufgesetzt sind;
•) Boyd-Hawes Gourni u. T. C. (S. Wide); Dragendorff. Thera II 135 Abb. 312,
») Dörpfeld, Troja und Ilion Abb. 28:, Hubert 314.
Schmidt, Schliemanns Samml. Nr. 1675 ff., vgl. 4) Thera II 145 Abb. 345 f.
Forsdyke, JHS XXXIV 1914, 146, dazu Gordon 5) Ebenda 144 Abb. 344.
Childe, ebenda 1915, 159 ff. <■) Z. B. J. d. I. XIV 1899, 205 ff.
3) Z. B. J. d. I. XIV 1899, 29 Abb. I, 2 7) Böhlau, Nekropolen T.VII 4.3.6,8. A. M.
XXVIII 1903 Beilage XXII (S. 161) i, 4 (Pfuhl).
Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
31
dieser Hauptteil ist jedoch direkt ägyptischen Vorbildern entlehnt, nämlich dem
bekannten Typus des Bechers in Form eines Lotoskelches '). Wir müssen also an-
nehmen, daß in der Zeit von Lac. II der Einfluß samischer Kunst, vielleicht auch
direkt ägyptischer Vorbilder erstarkte. Dieser Schluß wird wahrscheinlich gemacht
auch durch dem Umstand, daß Scherben von Lac. I und II sowohl auf Samos, wie
auch in Naukratis zum Vorschein gekommen sind 2). Auf dieselbe Quelle weist auch
das Auftreten der Strahlen, die auf unserer Vase den Körper umgeben wie die Lotos-
blätter jenen ägyptischen Gefäßtypus.
Das zweite lakonische Stück in der Ermitage (Abb. 2 u.Taf. I) istvonMicalipubli-
Abb 2. Lakonische Schale in der Ermitage.
ziert worden; doch hatesDroop nicht in sein systematisches Verzeichnis der erhaltenen
Stücke aufgenommen, wohl weil die ungenügende Publikation ihm nicht die Mög-
lichkeit bot, es stilistisch einzuordnen. In den früheren Listen ist die Vase mitgenannt^).
Der Erhaltungszustand ist gut; wohl ist das Exemplar aus Stücken zusammen-
') Z. B. Budge, Egyptian cer. art. T. XII, vgl.
V. Bissing, Steingefäße (Cat. gfe. du Mus^e de
Cairo) T. VI Nr. 1843 ff.
^) Lac. I Dugas Nr. 61, 81, Lac. II Dugas 71—73,
Böhlau, Nekrop. T. IV 4, X 6, 9.
3) Höhe 0,125, Durchm. 0,20 m. Stephani, Vasens.
Nr. 183 aus S. Pizza'.; Micali, Storia degli ant.
pop. ital. T. 87, 3, Text III 150: »trovata a. S.
P rotte presso di Camino.« Petersen, Arch.
Ztg. 1879, 7, Loeschke. Altspart. Basis Dorp. Progr.
1879, 13 Nr. 5. Puchstein, Arch. Ztg. i88i, 217
Nr. 5, Dumont-Chaplain, Les c^ram. de la Grece
propre I 298 Nr. 6, Walters, History of ancient
pottery I 344 Anm. i, Dugas Nr. 7.
-22 Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
gesetzt, doch es fehlen nur Kleinigkeiten. Der Fuß mit einem Stück der Wandung
war ausgebrochen, wodurch das Innenbild gelitten hat. Rötlicher Ton. Form gewöhn-
lich mit abgesetztem Rand. Schwarz gefirnißt sind Henkel und Fuß, wobei arn letzteren
die Farbe durch den Brand einen schmutzig- roten Ton erhalten hat; dasselbe ist an
der Innenseite des Fußes der Fall. Tongrundig ist der untere Fußrand mit einem
schwarzen Strich darauf. Die Wandungen der Schale sind mit Streifen geschmückt,
deren Ornamente ich in der Reihenfolge von unten nach oben beschreibe: i. Ton-
grundig mit Granatapfelornament. 2. Mit weißem Überzug, von i durch vier um-
laufende Streifen getrennt: drei aus verdünntem Firnis, einer rot, der Fries zerfällt
in zwei Hälften; auf dem schmäleren unteren drei umlaufende Linien, Punktreihe,
drei umlaufende Linien und breiter Purpurstreif; auf dem oberen: vier umlaufende
schwarze Linien, spitze Blattreihe, vier umlaufende Linien, breiter Purpurstreif,
drei umlaufende Linien. 3. Zwischen den Henkeln tongrundig; von den Henkeln
ausgehend liegende Palmetten auf eliptischen, mit Purpur bedeckten Kern. 4. Auf
dem abgesetzten Rand weißer Überzug, oben durch Blattkranz abgeschlossen,
zwischen je zwei umlaufenden schwarzen Linien. Innenseite ganz mit weißem
Überzug versehen; am Rande zwei Friese, mit umlaufenden Streifen eingefaßt:
oben Lotosblüten und Knospen auf bogenförmigen Stengeln; zwischen ihnen Punkte;
die Blüten geschlossen und oben mit drei spitzen Blättchen versehen; unten — drei-
eckige, spitz zulaufende Blätter. Das Innenbild von drei konzentrischen Kreisen
umgeben; ein schwarzer Strich trennt das untere Kreissegment ab. Im Segment
eine Schlange nach r. Hauptbild: Reiter nach r. ; Umriß stellenweise geritzt, doch
greift die Farbe vielfach über die Ritzlinie herüber. Geritzt: Gesichts- und Brust-
profil, Umriß der Arme und Beine, der unteren Rückenhälfte, am Pferde Umriß des
Kopfes, Bauches und der Beine, ebenso die Zügel. Der Reiter trägt den Chiton, dessen
Ärmel und oberer Saum am Hals durch Ritzung angegeben sind; beides rot um-
rändert. Das lange Haar im Nacken durch ein purpurnes Band zusammengehalten;
zwei lange Locken von oben herunter durch Ritzung angegeben; Beinmuskeln geritzt.
An der r. Hand, die wie eine 1. gezeichnet, sind die Finger geritzt. Der Reiter hält
in den Händen Zügel und Speer. Am Pferd sind rot aufgesetzt: einige Locken der
Mähne, ein Teil der Mähne auf der Stirn, Ohren, Streifen zwischen den geritzten
Muskellinien, Hufe, Nüstern, Zügel. Ein breiter Riemen mit geritztem Ornament
auf der Brust. Von 1. fliegt ein geflügelter Dämon auf den Reiter zu. Er trägt zwei in
Umrißzeichnung gegebene Schalen ') in den Händen, kurzer unten gefranster Chiton,
am Körper geritzte Schuppen in Kreisform, langes Haar. Rote Streifen an Chiton
und Flügeln. Geritzt Umrisse des Gesichts, Hände (teilweis) Rückseiten der Ober-
schenkel. Zwischen den Vorderbeinen des Pferdes ein sitzender Vogel mit erhobener
1. Klaue; zwei rote Flügelstreifen. Von r. ein fliegender Vogel; rot: zwei Flügel-
') So schon Petersen a. a. 0. mit Anm. 25. Die stützt, die übrigen Finger unten anliegen, vgl.
Zeichnung bei Micali ist falsch. Die Deutung auf die Koraasten der Altenburger Amphora, Böhlau,
Kränze (Loeschke a.a.O. 13 u.a.) ist nicht Nekropolen 56 Abb. 28, die lakonische Schale BCH
annehmbar, da der Daumen den oberen Rand iSgj, 238 Abb. 6. Auf der Londoner Vase B. 3
(Arch. Ztg. 1881, T. 13, i) ist die Schale rot.
Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
33
streifen, Schwanzstreif. Darunter kleine Schlange. An vielen Stellen Reste der Vor-
zeichnung.
Durch das teilweise Fehlen des weißen Überzuges wird das Stück der Gruppe
Lac. IV zugewiesen; also der zweiten Hälfte des VI. Jahrh. Auch andere Eigentüm-
lichkeiten verbinden unsere Schale mit den Vasen dieser Serie: die nachlässige Zeich-
nung und der sehr dünne Überzug. Derselben Periode gehören auch zwei Schalen
mit analogen Darstellungen an, in Paris und in London von Droop um 530 datiert ■).
Die Entwicklung des vorliegenden Schalentypus ist fast lückenlos zu verfolgen
und gibt einige interessante Tatsachen. Am Anfang der Reihe steht die breite Form
auf niedrigem Fuß Lac. I ^). Der Fuß ist geschweift, die Wandungen über den Henkeln
stark eingezogen, die Lippe scharf abgesetzt und nach außen gezogen. Die Ornamentik
scheint überall die gleiche zu sein: unten Strahlen, schwarzer Streif zwischen den
Henkeln, am Rand die charakteristischen Quadrate zwischen Punktreihen, wie an der
Lakaina der Ermitage. In Lac. II verändert sich die Form, wie es scheint nicht 3).
Aus der Reihe Lac. III können verglichen werden die Schale in Wien und für die
Ornamentierung das Fragment in London 4). Die erstere hat die tiefe Form der vor-
hergehenden Epoche erhalten, jedoch ist das Gefäß auf einen hohen Fuß gesetzt,
dessen untere Ränder kantig sind. Der Eindruck ist plump infolge der Dicke des
Fußes, dessen Form fast zylindrisch ist, und infolge der Tiefe des Gefäßes im Ver-
hältnis zur Höhe des Fußes und der ausgebauchten Lippe. Auf diesem Exemplar
treten schon die liegenden Palmetten an den Henkeln auf. Aus der Zeitenphase von
Lac. III können verglichen werden: die Arkesilasschale 5), eine Schale des Louvre ^),
Fragmente aus Samos in Kassel 7) und eine Schale aus Sparta ^). Charakteristisch
ist das Schwanken in den Proportionen. Die Höhe der Lippe im Verhältnis zu den
Wandungen bleibt sich gleich, doch die Tiefe ist verschieden. Die Arkesilasschale
und das Exemplar aus Sparta schließen sich in der zylindrischen Fußform an die Wiener
Schale an, nur ist der Übergang zum unteren vorspringenden Teil weicher. Bezeich-
nend ist das Schwanken in der Form der Lippe: an den Schalen Kassel und Louvre
ausgebaucht, an der Arkesilasschale fast gerade, an der spartanischen unten aus-
gebogen, oben fast geradlinig verlaufend. Die Henkel der Arkesilasschale laufen
horizontal, wie an den Skyphoi Lac. I, an der Schale im Louvre ein wenig nach oben
gebogen, an der spartanischen nach unten und darauf elastisch hinauf. In Lac. IV
finden sich Anklänge an älteres, so an den Exemplaren Berlin 9) und Athen'") in der
Form des Fußes und der Tiefe der Schale, doch nähern sie sich in der elastischen
') Dugas 9, 8, vgl. Droop, BSA ... 40, 47. JHS 4) Masner Nr. 140, Dugas 21. Brit. Mus. B. 6.
XXX 1910, 14, 16. Dugas 10.
2) Sparta BSA XIV 32, Abb. 2, h. Ephesos Beschr. 5) Dugas 12, Perrot-Chipiez IX T. XX u. Vignette
vonDroop, JHS XXX 1910, 6, München, Droop 5, S. 568.
Sieveking-Hack 1 32, Nr. 360 Abb. 47, Florenz, ^) Dugas 35. Der Fuß nicht zugehörig, Droop 9.
beschr. von Droop a. a. 0. ') Dugas 22, 74, Böhlau, Nekrop. T. XI, X 3.
3) Droop weist dieser Serie zu Louvre E. 674, *) BSA XIV T. III, IV.
Berlin 1647. 9) Dugas 3, J. d. I. XVI 1901 T. III S. 190.
■o) JHS XXX 1910, 13 f. Abb. 5, 6.
Jahrbuch des archäoloj^ischen Instituts. XXXVIII/IX 1923/24. 3
34
Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
Henkelform dem Exemplar der Ermitage. In der Fom der Lippe findet sich sowohl
das ausgebauchte, wie das eingebogene Profil. Das Exemplar im Vatikan ') steht dem
der Ermitage besonders nahe: der Fuß verengert sich nach oben, doch ist ein Echinus
zwischen ihn und die Schale geschoben, die geringe Tiefe wie an unserem Exemplar.
Bezeichnend ist, daß der Streifen zwischen den Henkeln an den Exemplaren Berlin
und Vatikan unverziert bleibt, wie an der Schale der Ermitage. Von den 32 Vasen
der zweiten Gruppe Lac. IV hat die Münchner Schale *) in der ausgebauchten Form
der Lippe und in der Dicke der einzelnen Teile archaische Züge bewahrt, andere sind
dem Exemplar der Ermitage vollkommen gleich nicht nur in der Form, sondern
auch in der Anlage der Ornamente 3).
Die Entwickelung der notierten Einzelformen weist auf eine bewußte Kunst-
richtung, die wenn auch von außen her beeinflußt, ihre eigenen Wege geht. Be-
trachten wir als Anfangspunkt den Schalentypus von Lac. I, die Reitervase der
Ermitage als Endpunkt der Entwicklung. Der erstere strebt nach scharfer Trennung
der einzelnen Teile voneinander. Die Mitte ist als Hauptteil bezeichnet durch das
energisch modellierte Profil; der untere Teil des Körpers senkt sich nach dem Fuß
zu und ist mit diesem durch den Strahlenkranz verbunden. Die streng horizontal
geführten Henkel setzen die Seitenbewegung des Mittelstücks fort und betonen seine
größere Breite. Der Rand, der sich stark über dem Körper vorwölbt, wiederholt
das gleiche Profil, ohne sich jedoch oben zu verengern. Er öffnet sich voll nach außen,
da er die Flüssigkeit aufnimmt und ausleert, während der Körper sie hält. Bezeichnend
ist, daß die Mitte als Kernpunkt der Vase unornamentiert bleibt: die glatte Fläche
erweckt den Eindruck größerer Massivität und Festigkeit. Am Ende der Entwicklung
ist die Art der Teilung des Gefäßes geblieben, doch das Verhältnis der Stücke zu-
einander verändert. Der Rand ist weniger scharf getrennt, das Profil des Körpers
ist flacher und fällt in seinem Umriß mit dem der Lippe zusammen, indem beide fast
eine Linie bilden. Auf diese Weise erhalten wir eine bogenförmige Linie als einheit-
lichen Kontur der Vase, statt einer Summe von selbständigen P'ormen, als welche sich
die Schale Lac. I darstellt. Die Henkel, am Ansatz herabgeführt, betonen die selb-
ständige Bedeutung des Körpers, doch sich darauf nach oben. wendend verschmelzen
sie mit dem allgemeinen Umriß der Vase. Den zentralen Teil als Hauptstück loslösend,
dienen sie andrerseits doch dem Streben nach Einheit des Konturs. Das Ganze ist
auf einen hohen Fuß gestellt, der, indem er sich verengt, in die Wandungen einschneidet.
Analoge Erscheinungen finden sich in der Ornamentierung: Die glatte Fläche
des zentralen Teils ist gewahrt, der untere Teil ist jedoch nicht mit einem Ornament-
streif bedeckt, der sich als Ganzes charakterisiert, sondern in einzelne parallele Streifen
zerlegt, die den allmählichen Übergang zum Fuß bilden. Auf diese Weise wird der
Kontrast zwischen mittlerem und unterem Teil, der im ersten lakonischen Stil so stark
ist, bedeutend gemildert. Die Vase erscheint sonst auf der späteren Entwicklungs-
') Dugas II, Gerhard, A. V. II T. 86. 3) Wüizburg Dugas 33, Louvre E. 664, Dugas 34,
^) Sieveking-Hackl Nr. 382 Abb. 48 S. 34. E. 869, Dugas 4. E. 672, Dugas 18, Bibl. nat.
' Dugas 5, de Ridder Nr. 190.
Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik. -je
stufe nicht als Summe einer Reihe von Einzelformen, aber als ein rhythmisch geglie-
dertes Ganzes, dessen Streben nach Leichtigkeit durch das Schweben auf dem hohen,
sich nach oben verengenden Fuß betont wird. Der Entwicklungsprozeß führt von
jener älteren Stufe logisch zur jüngeren, doch nicht stetig, sondern mit Unterbre-
chungen. Nachdem die Stilgruppen Lac. I und II das Problem in ihrer Weise gelöst,
wird mit Lac. III ein neues Element hinzugefügt, der hohe Fuß, der aus der ostjonischen
Keramik stammt '), ein Beweis für die Verstärkung des östlichen Einflußstromes;
gleichzeitig erscheint ein neues Motiv, das das ganze tektonische System zu zerstören
droht, die Ausdehnung des Ornaments auf den Streif zwischen den Henkeln; durch
die Auflösung dieser Fläche wird sie ihrer selbständigen Bedeutung beraubt. Die
reichere Ornamentierung des unteren Teiles der Vase steht hiermit im Zusammen-
hang und deutet auf das Eindringen einer neuen Kunstanschauung, des teppich-
artigen, dekorativen Elements im Gegensatz zum formal-konstruktiven. Es ist be-
zeichnend, daß sporadisch die Fußform der Caeretaner Hydria vorkommt und der
Rand der Lippe häufiger nach außen gebogen wird; dieses letztere besonders an
samische Keramik erinnernd. Als charakte-
ristisches Beispiel gebe ich das Profil einer Tasse,
die dieser Gruppe angehört und wahrschein-
lich aus Südrußland stammt (Abb. 3).
Das Überwiegen des dekorativen Ele-
ments ist besonders deutlich auf den Schalen Abb. 3. Lakonische Schale,
aus Samos in Kassel (Böhlau T. XI) und im
Louvre (BCH XVII 1893, 238 f.), auf denen Tierfriese in das ornamentale System
eingeschlossen sind.
Der Verzicht auf streng konstruktive Dreiteilung hatte auch eine Veränderung
der Henkelform zur Folge. Am Anfang der Entwicklung betont die ausgesprochene
horizontale Stellung die selbständige Bedeutung des mittleren Teiles der Vase; jedoch
schon an der Wiener Schale vom Anfang des VI. Jahrh. wird der Henkel nach oben
gebogen, so daß er sich eng an den Gefäßkontur anschließt. Mit dem allgemeinen
Umriß verfließend, verliert er seine Bedeutung als teilendes Element. Ein neuer
Henkeltypus tritt auf mit der neuen Vorstellung vom Charakter der Oberfläche der
Vase, wobei auch die Vereinigung mit dem hohen Fuß eine Rolle spielt. Die Aus-
biegung nach oben wird beibehalten, jedoch tritt sie erst in einigem Abstand vom
Gefäßkörper ein, indein die Linien zunächst fast senkrecht zu den Wandungen direkt
nach unten geführt werden. Diese Linienführung ist in jeder Beziehung bedeutsam,
besonders wenn man im Auge behält, daß gleichzeitig in Lac. III (London, Dugas 25)
der Streifen zwischen den Henkeln ohne Ornament bleibt und nur der Henkelansatz
durch Palmetten verstärkt wird. Ohne den allgemeinen Umriß der Vase zu stören,
verleiht die anfangs abwärts gerichtete Bewegung dem Mittelstreifen besondere Be-
deutung und gibt ihm auch eine hervorragende Rolle bei der Baianzierung des Ge-
fäßes auf dem Fuß. Diese in Lac. III gestellten Aufgaben finden in Lac. IV ihre
>) Z. B. Samos, Böhlau, Nekropolen T. VIII 20.
3'
■3^ Oskar Waldhauer, Zur lakonischen Keramik.
Lösungen, indem auf größere Leichtigkeit im Aufbau und harmonischeren Ausgleich
zwischen rein dekorativen und rein konstruktiven Anforderungen das Hauptgewicht
gelegt wird. Die starke Verjüngung des Fußes nach oben scheint auf erneuten, viel-
leicht direkten Einfluß ägyptischer Formen hinzuweisen ').
Die lakonischen Vasen vervollständigen in vielen Einzelheiten unsere Vor-
stellung von der Entwicklung archaischer Kunst, von dem Verhältnis des Westens
zum Osten und beider zu Ägypten. Die Fundstatistik beweist, wie rege der Verkehr
zwischen Lakonien, Samos, Naukratis und Daphnä war und ein lebendiger Formen-
austausch ist vorauszusetzen. Die samischen Vasen, wie die zitierte Lekythos, oder
die hier abgebildete Schale zeigen, daß die jonischen Meister gern die geschwungenen
Umrisse ägyptischer Vasen übernahmen, da sie in manchem mit den Konturen der
ererbten spätmykenischen Formen übereinstimmten. Der Westen hat die Periode
des geometrischen Stils durchlebt, seine Formen in strenge Rahmen gepreßt und ein
wohl abgewogenes System der Verhältnisse anzuwenden gelernt, wobei die dekorativen
Elemente den konstruktiven untergeordnet wurden. In Sparta sehen wir die beiden
Welten aufeinanderstoßen, der geometrische Zylinder verwandelt sich in ein elastisches
Organ dank der Entasis, ein reiches Ornament überzieht die Gefäßwände, ja, zeitweise
hat es den Anschein, als würde das ornamentale Element die Oberhand gewinnen
und das konstruktive aus dem Felde schlagen. Wenn der konstruktiv so wichtige
Streifen zwischen den Henkeln, der als stützendes Übergangsglied in massiver Glätte
und Einfachheit gehalten werden sollte, mit einem Ornament versehen wird, ist hierin
nicht eine analoge Erscheinung zu erblicken wie an der Architrawerzierung des
Tempels von Assos ? Ja, spiegelt sich in diesen lakonischen Schalen nicht der Kampf
wieder, der in der Monumentalarchitektur um das Verhältnissystem geführt wurde ?
Die eminente Bedeutung der lakonischen Vasen liegt darin, daß wir hier den Prozeß
der Entwicklung lebendiger Formen beobachten können, der allmählichen Ver-
einigung des geometrischen Gliederungsprinzips mit der lebendigen Formenbehand-
lung des an kretischen Traditionen und neuen orientalischen dekorativen Elementen
so reichen Ostens.
Noch einige Worte über die Zeichnung. Schon Puchstein hat auf naturalistische
Züge auf »kyrenäischen« Vasen hingewiesen ^). Die Schale der Ermitage bestätigt
die Beobachtung. Bei aller Steifheit und Strenge der Stilisierung sind die Beine des
Pferdes naturgetreu wiedergegeben, besonders aber fällt eine Eigentümlichkeit auf:
an dem Vogel ist das Gefieder am Rücken und Flügeln mit einer unregelmäßigen
Strichelung wiedergegeben, die nur als Versuch einer malerischen Charakterisierung
der Masse aufgefaßt werden kann. In der Tat finden sich ähnliche Erscheinungen
auf streng durchgeführten Zeichnungen aller Perioden der lakonischen Vasen, am
deutlichsten auf dem Dinos im Louvrc 3). Hier ist das Fell der Kentauren ähnlich
charakterisiert. Jedoch auf derselben Vase findet sich Strichelung am rechten Arm
') Z. B. Maspero, Gesch. der Kunst in Ägypten 277, lakonischen Vasen vorkommt, mit v. Bissing,
Abb. 526 und Tafel zu S. 288, vgl. den Echinos Steingefäße 18218 T. VII.
zwischen Fuß und Wandung, der auf einigen =) Vgl. auch Studniczka, Kyrene 18 zu Abb. 13.
3) Dugas 17, Arch. Ztg. 1881 T. 11, 12.
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias. 37
des gestürzten Kentauren, am Körper und an den Armen der Komasten. In diesen
Fällen liegt offenbar ein Versuch vor, die Schattenwirkung wiederzugeben. Diese
Vase ist überhaupt reich an naturalistischen Details: das müde Pferd des Troilos,
besonders aber die kühne Verkürzung des gestürzten Kentauren, der offenbar, wie die
Richtung der Haare beweist, in Rückenansicht gezeichnet ist. Naturalistische Details
finden sich ferner an dem Vogel der Vatikanischen Schale, am Hasen der Schale im
Louvre E 669 u. a. m. Wir müssen in diesen Zügen die Anfänge eines malerischen
Stils sehen. Ähnliche Schattierungsversuche sehen wir auf samischen Vasen •) .
Es fragt sich nun, ob dieser Stil eine selbständige Erfindung jonischer Kunst ist.
Ich glaube auch hier auf Ägypten hinweisen zu müssen. Auf ägyptischen Miniaturen
findet sich eine ähnliche Angabe der Federn der Falken»), reiches Helldunkel an den
durchscheinenden Gewändern der Frauen 3). Diese Kunst hat auch stark auf Samos
gewirkt. Besonders bezeichnend ist die von Böhlau gefundene Schale *), zu der sich
eine genaue Parallele im Papyrus Ani findet 5). Haben nun samische Künstler direkt
in Ägypten ihre Studien gemacht, und ihre Zeichnungen lakonischen Meistern als
Vorbilder gedient, oder sind ägyptische Handschriften im Gebiet des Mittelmeeres
verbreitet gewesen, jedenfalls haben wir auch in den Zeichnungen sowohl samischer
als auch lakonischer Vasen deutliche Spuren unmittelbaren ägyptischen Einflusses
zu erblicken. Es ist demnach nicht nur ägyptischer Schematismus, sondern auch
ägyptischer Realismus von griechischen Meistern übernommen und verarbeitet
worden.
St. Petersburg. Oskar Waidhauer.
LIBON UND PHIDIAS.
Die Einteilung des Innern der Cella des olympischen Zeustempels hat seit der
Freilegung des Gebäudes durch die deutschen Ausgrabungen mit Recht besondere
Beachtung gefunden. Ist sie doch das einzige, unmittelbar auf uns Nachgeborene
wirkende Zeugnis vom Eindruck des vielgepriesenen Goldelfenbeinbildes des Phidias.
Mit Rücksicht auf dies hat denn auch Wilhelm Dörpfeld in der großen Publikation
der Ausgrabungsergebnisse das Erhaltene gedeutet^), und es ist ihm gelungen, den
Zustand nach der Aufstellung des Kultbildes sicher zu rekonstruieren. Auf der Grund-
lage, die er uns gegeben hat, weiterzubauen, noch vorhandene Schwierigkeiten auf-
zuklären, ist eineVerpfiichtung, die sich aus der Dankbarkeit ergibt, welche unlängst
•) Vgl. meine Bemerkungen zum Komasten auf 5) Papyrus Ani T. 16. Über ägyptische Elemente
dem Askos Chanenko. vgl. Puchstein und Studniczka a. a. 0. ; zu be-
') Brit. Mus. The Book of the dead. Papyrus Ani merken ist auch, daß die sitzende bärtige Gestalt
T. 7. Vgl. T. 31. der Schale offenbar auf einen Osiristypus zurück-
3) Ebenda auf verschiedenen Tafeln. geht, vgl. Papyrus Ani T. 4.
4) Nekropolen T. XI. 6) Olympia, Ergebnisse II 11 ff- und Plan Tafel X..
38
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
die gelehrte Welt dem Altmeister unserer Architekturforschung an der Schwelle seines
achten Dezenniums zum Ausdruck bringen konnte.
Der Hauptteil des Mittelschiffes war als Raum für das Kultbild abgeteilt.
Ihn umgaben Scherwände '), die in der Längsrichtung in den Interkolumnien der
Innensäulen eingefügt waren und von denen sich hier noch Reste erhalten haben.
Sie beginnen hinter der zweiten Innensäule von Osten und bestehen hier aus Mauer-
werk. Von den gleichen Säulen aus ging eine Querteilung durch das Mittelschiff,
von der sich nur schwache Spuren im Bodenbelag erhalten haben, dessen Oberfläche
zudem stark verwittert ist. Sie bestand hier offenbar aus Holz, das dafür zu wählen
schon die doppelflüglige Tür in der Mitte dieses dreigeteilten Zuges nahelegte. Durch
letztere betrat man aus dem der Tür zunächst gelegenen Ostteil derCella, in welchem
noch das Kultbild den Blicken entzogen war, den Kultbildraum. Ein beschränkter,
nur etwa ein Interkolumnium der Innensäulen tiefer Raumabschnitt diente hier dem
Anschauen des Kultbildes. Wie im Osten, Norden und Süden durch die erwähnten
Scherwände, so war er auch im Westen, hier durch eine niedrigere Brüstung, von
deren Spuren unten die Rede sein wird, begrenzt. Dahinter lag, rings von einer
rahmenden Stufe aus pentelischen Marmor eingefaßt, ein quadratischer Platz von
6,53 ni Seitenlänge, der mit dem berühmten Plattenpflaster aus schwärzlichem eleu-
sinischen Marmor belegt war, dessen ästhetische Bedeutung für die Wirkung des Gold-
elfenbeinbildes durch den Farbenkontrast und die Ausschaltung des vom Boden
reflektierenden Lichtes E. Löwy ^) dargetan hat.
Dies eleusinische Pflaster nun ruhte auf einem höchst seltsamen Unterbau.
In die obere Lage eines durchgeschichteten, doppelschichtigen Fundamentes aus
29 cm dicken Porosplatten des gleichen Materials wie der übrige Bodenbelag des
Tempels, sind acht Reihen von 19,5 cm dicken Schienen aus hartem weißlichen Kalk-
stein in der Längsrichtung und in verschiedenen Abständen (27 — 55 cm) so verlegt,
daß die beiden äußeren Reihen hart an den Stylobat der Innensäulen stoßen 3). Die
') Richtiger als, wie es gewöhnlich heißt, Schranken.
Daß sie zumindest ungefähr mannshoch waren,
geht schon aus dem Breitenmaß hervor. Dies
beträgt in den einzelnen Abschnitten zwischen
den Säulen i,8o m. Da auf den Gemälden
des Panainos nur zwei Figuren nebeneinander
dargestellt waren, die den Raum füllten,
müssen diese demnach annähernd lebensgroß
gewesen sein.
') Strena Helbigiana, Leipzig 1900, 180 ff.
3) S. den Plan Olympia I Taf. VIII, Querschnitt
ebenda Taf. XI und Längsschnitt ebenda Taf.
XII sowie unten Abb. 4. Der hier in Abb. 2
wiedergegebene Detailplan, der in Einzelheiten
von Dörpfelds Aufnahme abweicht, ist von mir
nach einer im September 1923 erfolgten Auf-
nahme hergestellt. Die ersten Beobach-
tungen, die zu der hier vorgelegten Untersuchung
Anlaß gaben, wurden von E. Buschor, G. Krah-
mer und mir auf einer Institutsreise im Januar
1923 gemacht. Buschor hatte dann die Güte,
im Frühsommer des Jahres die Anlage für mich
von der das Bild sehr störenden Vegetation
reinigen zu lassen, wobei Krahmer sich der Mühe
der Aufsicht unterzog. Vieles von dem hier
Vorgelegten ist in gemeinsamer Beobachtung
festgestellt worden, ohne daß es hinterher mög-
lich wäre den Anteil des einzelnen festzulegen.
Für vielfache Beobachtungen und Anregungen
möchte ich aber auch beiden Herren von dieser
Stelle herzlichsten Dank sagen. Für die Schluß-
folgerungen trage ich allein die Verantwortung.
Die schöne Photographie Abb. i wird Herrn
Prof. R. Hamann verdankt, der auch gütigst
die Publikation gestattete.
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
39
Oberfläche dieser Schienen Hegt im gleichen Niveau wie die der Porosplatten, in die
sie eingelassen sind. Die Breite ist durchweg gleich (41 cm, die südliche Reihe 43 cm)
und nur in den beiden äußeren Reihen finden sich am Ostende schmälere Steine,
eine Abweichung, die mit den hier befindlichen Löchern im Stylobat der Innensäulen ')
zusammenhängt. Auch die Längenmaße der einzelnen Steine, aus denen die Schienen
zusammengesetzt sind, schwanken im allgemeinen nur geringfügig (94 — 100 cm).
Nur die letzten Steine am Westende sind durchgehend erheblich kürzer. Man darf
daraus wohl den Schluß ziehen, daß die Arbeit von Osten nach Westen fortgeschritten
Abb. I. Ansicht des Fundamentes in der Mitte des Zeustempels in Olympia von SW her.
ist und daß man am Ende mit dem durchweg zugrunde gelegten Maß nicht auskam.
Im Osten ist der Abschluß, wie der Plan (Abb. 2) zeigt, etwas unregelmäßiger. Nicht
alle im Plan angegebenen Kalksteinblöcke sind in situ gefunden ^). Einzelne bei der
Sie bleiben nach wie vor unerklärt. Denn, daß
sie für Rostbalken gedient hätten, wie Dörpfeld
a. a. 0. 13 meinte, wird dadurch ausgeschlossen,
daß die Kalksteinschienenanlage deutlich mit
den nur vor ihnen vorhandenen schmäleren
Steinen, was bei Dörpfeld a. a. O. Abb. 4 nicht
richtig gezeichnet ist, auf sie Rücksicht nimmt.
Der Porosblock, in den Stein 2 eingebettet ist,
beweist, daß dies von Anbeginn an der Fall war,
daß also diese Löcher der libonischen Anlage
irgendwie dienten und nicht nur durch sie über-
baut wurden.
>) Vgl. den Plan Olympia Taf. VIII.
40
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Pbidias.
Ausgrabung nicht an ihrem Platz befindhche sind später mehr oder weniger will-
kürHch in die vorhandenen Leeren hineingelegt worden. Von diesen ist nur der Platz
von I und 2 durch ihre etwas größere Breite (s. o.) absolut gesichert. Weitere Bruch-
stücke liegen auf dem Fundament des Zeusbildes herum. Sie sind versuchsweise
in unsern Plan eingetragen, so wie sie ursprünglich verteilt gewesen sein können.
Obwohl für die Einzelheiten dieser Anordnung so keine Gewähr übernommen werden
kann, zeigt diese doch mit Sicherheit, daß von fast allen fehlenden Blöcken der West-
partie zumindest Bruchstücke vorhanden sind. Stein 4 ist völlig erhalten und gehört
0(vmnn>
>^kMAo^Ki«&
Abb. 2, Grundriß des Fundamentes in der Mitte des Zeustempels von Olympia.
seiner geringen Länge nach sicher an das Westende einer Reihe. Der Platz von Stein 3
wird sowohl durch seine Länge wie durch die Entsprechung der Löcher auf ihm,
zu denen auf den in situ gefundenen Blöcken der nördlich benachbarten Schiene
empfohlen (s. u.). Im übrigen sind Abweichungen von der hier versuchten Anord-
nung denkbar.
Was ist der Zweck dieser eigenartigen, auf den ersten Blick ganz singulären
Anlage und wann ist sie entstanden.? Dörpfeld brachte sie mit dem Pflaster aus
eleusinischem Stein in Verbindung, das sie überdeckte, und meinte aus der Einbettung
der Kalksteinschienen in das schon verlegte Plattenfundament ein weiteres Argument
für die spätere Datierung des vielumstrittenen phidiasischen Kultbildes entnehmen
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias. ^I
ZU dürfen •). In der Tat findet sich auf der Oberfläche der Kalksteinschienen und nur
auf dieser eine größere Zahl von längs und quer gerichteten Stemmlöchern, die ein
einheitliches System ergeben und nur mit der Verlegung des Pflasters aus eleusinischem
Stein zusammenhängen können, dessen Plattengröße und -Verteilung eben daraus
erschUeßbar ist, da uns von den Platten selbst nur Fragmente erhalten sind. Allein
ehe wir uns auf anderer Grundlage über den sinnvollen und zeitlichen Zusammen-
hang der seltsamen Anlage mit dem phidiasischen Pflaster Gewißheit verschafft haben,
kann diese Tatsache nicht als entscheidend berücksichtigt werden. Denn wenn
man einmal annimmt, daß dies ganze Fundament mit den Kalksteinschienen schon
vorher zu anderem Zwecke angelegt war und von Phidias vorgefunden wurde, so
ergab sich bei dem gegebenen Abstand der Kalksteinschienen und der geforderten
Regelmäßigkeit der Pflasterplatten ganz natürlich, daß deren Fugen auf jenen zu
liegen kamen. Gegen den Zusammenhang mit dem phidiasischen Pflaster spricht
aber schon entscheidend eine andere Tatsache. Die Ausdehnung der Kalkstein-
schienen-Anlage fällt durchaus nicht mit der des letzteren zusammen, sondern sie
reichte nach Osten nicht unerheblich weiter als es und umfaßte ein Rechteck, wäh-
rend jenes nur ein Quadrat über dessen kürzerer Seite (Mittelschiffbreite) einnahm ^).
Und was hatte diese Anlage als Fundament für jenes Plattenpflaster überhaupt für
einen Sinn.? Diese Aufgabe hätte das durchgeschichtete Porosfundament vollauf
erfüllt, ohne daß die mühevolle Einfügung der Kalksteinschienen erforderlich ge-
wesen wäre. Mit den rostartigen Fundamenten griechischer Tempelfußböden, die
wir jetzt in großer Zahl kennen (z. B. ApoUontempel in Delphi und mehrere Bauten
in der Marmaria dort, über Epidaurus s. u.) hat sie nichts gemein. Bei diesen besteht
der maßgebende Gesichtspunkt gerade in der Ersparung des hier ja vorhandenen
durchgehenden Fundamentes, indem nur schmälere Steinblöcke mit Erdzwischen-
füllung kreuzweise oder parallel verlegt werden, um den Plattenrändern als Unter-
stützung zu dienen. Auch die von Dörpfeld gelegenthch mündlich gegebene Er-
klärung, daß durch die Einfügung der Schienen das Aufeinandertreffen von Fugen
des Plattenbelags mit solchen des Porosfundamentes vermieden werden sollte, ist
unzulänglich. In der Längsrichtung hätte man sich in diesem Falle ohne die vier
äußeren Reihen begnügen können und in der Querrichtung fallen sogar jetzt noch
z. T. die Fugen der Kalksteinschwellen mit denen der Porosplatten zusammen.
Zudem war die Wahl eines härteren Materials für die Schienen als des auch für das
Fundament des Kultbildes von Phidias verwendeten Porös ganz überflüssig.
So fällt die Schienenanlage weder dem Umfange nach mit der des eleusinischen
Pflasters zusammen, noch kann sie seinetwegen geschaffen sein. Unrichtig ist auch
die Auffassung, daß die technische Prozedur, die Einbettung der Schienen in das
bereits durchgeschichtete Fundament, jene als Zutat von diesem der Bedeutung
und Zeit nach sondere. Vielmehr läßt sich erweisen, daß Porosfundament und Kalk-
steinschienen, wenn auch vielleicht nicht ganz einheitlichem Plan entsprungen (s. u.),
doch die gleiche Aufgabe zu erfüllen hatten. Während nämlich sonst überall der
') a. a. 0. 12. 2) Beson4ers deutlich im Schnitt Olympia Taf. XII.
42
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
Tempelfußboden nur von einem Rostfundament der oben erwähnten Art getragen
wird, findet sich allein hier, in der Partie, wo die Kalksteinschienen eingebettet sind,
ein dyrchgeschichtetes Fundament, noch dazu' von zwei Schichten Tiefe. Danach
gehören beide Dinge unlösbar zusammen.
Daß diese Anlage sich weder in der Ausdehnung mit dem phidiasischen Pflaster
deckt, noch für seine Unterstützung geschaffen ist, wurde gezeigt. Daß sie älter ist
und mit andern Aufgaben in Verbindung steht, läßt sich erweisen. Es finden sich
nämlich auf den Kalksteinschienen eine Reihe von Löchern, Einlaßspuren, Auf-
schnürungen und Erhöhungen, die soweit sie noch unzweifelhaft kenntlich sind.
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Abb. 3. Mittelteil der Cella des Zeustempels in Olympia mit der
Weihgescbenkanlage des ursprünglichen Baues.
in unserm Plan verzeichnet sind. Schon Dörpfeld ') hat richtig erkannt, daß hier
einst eine Reihe von Weihgeschenken gestanden hat. Sie entsprechen sich zum
Teil auf mehreren nebeneinanderliegenden Schienen, über die also dann die hier
aufgestellten Monumente hinweggriffen. Das Ganze ergibt ein deutliches System
von in der Richtung des Raumes orientierten Anathemen, das in der Zeichnung
(Abb. 3) unter Weglassung des verwirrenden Bildes der Fundamentanlage wieder-
gegeben ist. Man sieht deutlich wie die Monumente in dem zur Verfügung stehenden
Raum verteilt sind und dabei dem Bedürfnis zwischen ihnen zu passieren Rechnung
getragen wurde. An sich wäre ja mit der Möglichkeit zu rechnen, daß diese Weih-
geschenke erst nach der Errichtung des Goldelfenbeinbildes im Räume vor diesem
') a. a. 0. 12.
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias. Ai
aufgestellt worden wären. Es wäre dann aber gar nicht einzusehen, warum man sie
nicht auf das Pflaster aus eleusinischem Stein setzte und man müßte annehmen,
daß dies durchhackt worden sei, ohne daß dazu irgend ein Grund vorläge. Zudem
erwähnt Pausanias nichts von Anathemen bei der Beschreibung dieses Raumab-
schnittes. Nur zwei Weihgeschenke nennt er im Anschluß an diese, also nachdem
er den von Scherwänden umgebenen Raum wieder verlassen hat, darunter eins mit
der ausdrücklichen Bemerkung, es stehe im Pronaos (V 12, 5). Das andere wird
man sich im Ostteil der Cella in der Nähe der Tür denken dürfen. Der an anderer
Stelle (14, 4) genannte Altar kann ebensogut wie hier, in der Ringhalle, im Pronaos
oder Opisthodom gedacht werden. Aber diese ganze Überlegung ist eigentlich müßig,
da es sich bei den Standspuren nicht nur um Löcher, sondern auch um erhöhte Auf-
schnürungen (im Plan punktiert) und stärkere Erhöhungen handelt, von denen eine
in der zweiten Reihe von Süden mit zwei Löchern für Stelen, sogar eine Höhe von
7 cm über das übrige Niveau erreicht (Abb. i vorne und Abb. 4). So etwas konnte
Abb. 4. Querschnitt durch das Fundament in der Cella des Zeustempels zu Olympia.
natürlich nicht nachträglich in die Fundamentfläche hineingefügt werden, sondern
muß von Anfang an vorhanden gewesen sein. Es bleibt dann nur die Alternative,
daß entweder das Fundament mit den Kalksteinschienen und Anathemen vorphi-
diasisch ist oder von Phidias selbst stammt. Wird letzteres schon wenig durch das
oben erwähnte Verhältnis zu dem Pflaster aus eleusinischem Stein empfohlen, so
schließt es eine einfache Überlegung geradezu aus. Phidias hätte dann in seinem
Pflaster nämlich den Raum für diese Weihgeschenke ausgespart, wobei von ihm
nicht allzu viel übrig geblieben wäre. Und er hätte auf diese Weise selbst die ganze
künstlerisch wohlberechnete Wirkung dieses quadratischen Raumes mit dem eleu-
sinischen Stein aufgehoben, und die Betrachtung des Kultbildes selbst in einer ganz
ungeheuerlichen Weise beeinträchtigt. Ja, er hätte so das gerade Gegenteil von alle-
dem erreicht, was er mit seinem ganzen Einbau anstrebte.
Warum die phidiasischen Bauhandwerker die Erhöhungen nicht abarbeiteten,
als sie das eleusinische Pflaster verlegten, sondern es offenbar vorzogen, an der Unter-
seite der Pflasterplatten Höhlungen, die grob auf jene Erhöhungen Rücksicht nehmen
konnten, zuzurichten, läßt sich nicht entscheiden. Sicher aber ist nach dem ausge-
führten Tatbestand, daß vor Phidias hier eine Anzahl von Weihgeschenken stand,
AA Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
die er anderswohin versetzen mußte, um vor seinem Kultbild den quadratischen
Platz mit dem schwarzen Pflaster zu beleg'\n. Da der ältere Weihgeschenkraum
ein etwas langgestrecktes Rechteck bildete, reichte das quadratische eleusinische
Pflaster nicht ganz aus, ihn zu überdecken, und im Osten war ein weiterer Ausgleich
nötig. In der Tat ist dieser hier noch deutlich. In der Südostecke liegt noch jetzt
eine große Porosplatte (im Plan Abb. 2 schraffiert, Abb. i r. o.), die ein Stück der
alten Schienenanlage überdeckt. Sie liegt jetzt nicht ganz in ihrer ursprünglichen
Lage, sondern hat sich, wohl bei einem Erdbeben, etwas nach Westen verschoben,
so daß zwischen ihrem Ostrand und dem ostwärts anstoßenden Porospflaster des
östlichen Mittelschiffteiles ein Spalt entstand; dieser ist dann bei einer Wiederher-
stellung mit ein paar kleinen Füllsteinen ausgefüllt worden. In der ursprünglichen
Lage aber fiel der Westrand dieser Platte, deren Oberfläche im gleichen Niveau mit
der des Pflasters im Ostteil der Cella liegt, genau mit dem Ostrand des Pflasters
aus eleusinischem Stein zusammen. Der Stein zeigt zudem deutlich, daß auch hier
im Osten die Stufe aus pentelischem Marmor in gleicher Breite umlief wie im Norden
und Süden. Sein Westrand liegt nämlich genau in der Fluchtlinie des Westrandes
dieser Stufe, wenn diese dieselbe Breite wie längs der Innensäulen hatte, eine Breite
von 79 cm. Und gerade im Abstand von 79 cm vom Westrand des Steins verläuft
nordsüdlich über seine Oberfläche eine 8 cm breite flache Rille, offenbar die Stand-
spur einer hier hinter der pentelischen Stufe hochgehenden Brüstung, welche den
der Betrachtung des Kultbildes dienenden Raumabschnitt östlich des eleusinischen
Pflasters im Westen begrenzte (s. o.). An die Nordostecke dieser Platte stößt der
Rest einer schmalen Porosstufe von der sich zwei weitere Bruchstücke zunächst
dem Stylobat der nördlichen Innensäulen erhalten haben. Sie erreicht mit ihrer
Oberfläche ebenfalls das Niveau des Porospflasters im Osten, liegt aber auf einem
etwas über die Oberflächen des Porosfundamentes mit dem Kalksteinschienen erho-
benen Auflager. An diesem ist der ehemalige Verlauf der schmalen Stufe längs dessen
ganzem Ostrande erkennbar. Sie weist sich sowohl durch ihr Breitenmaß von 41 cm,
das genau mit dem durchweg bei den Kalksteinschienen verwendeten übereinstimmt,
als auch durch ihren Verlauf gerade an der Stelle, wo das einheitliche Porosfundament
aufhört, in das diese eingelassen sind, als dessen ursprüngliche Begrenzung aus. An
ihrem Rand enden die mittleren Kalksteinschienen mit ihren Standspuren. Das etwas
höhere Auflager dieser Begrenzungsstufe erklärt sich wohl daraus, daß es der Höhe
des natürlich vorauszusetzenden Estrichbelags des vorphidiasischen Weihgeschenk-
raumes mit seinem ungleichmäßigen Aussehen entspricht. Man wird danach an-
nehmen dürfen, daß die Oberfläche dieses Estrichs um die Höhe der genannten Be-
grenzungsstufe niedriger lag, als das übrige Plattenpflaster der Cella. Als Phidias
die Weihgeschenke beseitigte und an der Stelle dieses dünnen sie umgebenden
Estrichs sein schwarzes Plattenpflaster legte, überdeckte er im Osten einen Teil der
alten rechteckigen Anlage. Er verfuhr dabei so, daß er im nördlichen Abschnitt die
alte Begrenzungsstufe nach Ausweis der noch jetzt in situ erhaltenen Bruchstücke
liegen ließ und an sie westwärts ergänzende Steine, die jetzt verloren sind, anschob.
Im Südteil nahm er die alte schmale Stufe weg und verlegte hier einheitlich zwei
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
45
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große Porosplattcn, von denen die eine, genannte, mit der Spur des einst hinter der
pentelischen Stufe umlaufenden Geländers noch an ihrem Platze liegt.
Alis der somit von verschiedenen Seiten immer wieder festgestellten Tatsache,
daß das Porosfundament mit den Kalksteinschienen einer älteren Bauperiode als
die Errichtung des phidiasischen Goldelfenbeinbildes angehört, ergibt sich nun, daß
keineswegs, wie es im Schnitt des Olympiawerkes ^) angenommen ist, das Poros-
fundament in dem Unterbau des Kultbildes einbinden kann. Um auch diese Un-
klarheit noch aufzuhellen, war es wünschens-
wert den Anschluß beider aneinander zu prü- /, ? f~'""^| «,-.,*._
fen. Das erlaubten die stärker, als es in ] » j.^
Dörpfelds Plan scheint, zerstörten Partien des
Porosfundamentes in der Mitte seines West-
randes. Ich habe deshalb hier an zwei Stellen
die Steinbrocken, ' die die Löcher füllten, aus-
räumen lassen (bei A und A' im Plan) und es er-
gab sich dabei das Bild, wie es in den beiden ne-
benstehenden Schnitten (Abb. 5) erscheint. Das
Porosfundament besteht aus zwei gleich hohen
Schichten, deren untere über die obere nach
Westen etwas vorspringt (5 bzw. 10 cm). An es
ist das Fundament der Zeusstatue nicht ganz
regelmäßig angeschoben. Bei A' klafft in der
oberen Schicht sogar ein Spalt von 10 cm
Breite zwischen beiden. Für Gleichzeitigkeit
beider Anlagen spricht somit nichts. A. von
Gerkan hat mich zwar belehrt, daß auch bei
solcher ein Einbinden gar nicht erwartet werden
dürfte, weil man unbelastete Fundamente nicht
mit so stark belasteten wie dem des Zeusko-
losses verankert. Und die tiefere Fundierung Ab^- 5- Längsschnitte im Fundament der
des letzteren erklärt sich ebenfalls aus der grö-
ßeren Schwere des Kultbildes. Aber man würde
bei einheitlicher Anlage doch deren Bewerk-
stelligung durch weitere Schichten der gleichen Einheitsdicke erwarten, während
im vorliegenden Fall, die untere Schicht des Zeusfundamentes erheblich stärker
ist. Zudem bestätigt auch die Nachlässigkeit des Aneinanderstoßes die schon ge-
wonnene Sicherheit, daß hier zwei getrennte Bauperioden vorliegen.
Es erhebt sich nunmehr die Frage, warum man dies komplizierte Verfahren
der Einbettung der Kalksteinschienen in das durchgeschichtete Fundament, das die
Weihgeschenke tragen sollte, gewählt hat. Daß die Schienen in der Tat dazu dienen
sollten, einen festeren Standplatz für die Anatheme abzugeben, wird daraus deut-
Cella des Zeustempels in Olympia vor dem
phidiasischen Kultbild.
■) Taf. XU.
aQ Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias,
lieh, daß sich fast nur auf ihnen die Vertiefungen, Löcher und Erhöhungen, auf
denen jene standen, finden. Und es hieiJe den Tatbestand unnötig komplizieren,
wenn man annehmen wollte, daß auf diese Weise nur eine eigentlich für andere, uns
unvorstellbare Aufgaben geschaffene Anlage ausgenutzt worden wäre. Andererseits
ist es ganz natürlich, daß man es vorzog die Ränder, Dübel etc. auf dem härteren
Kalkstein aufruhen zu lassen, anstatt auf dem bröckligen Porös. Aber der Grundsatz
des sparsamen Umgehens mit dem härteren Material kann hier wohl kaum für die
seltsame Prozedur maßgebend sein. Denn die Materialersparnis war verhältnismäßig
gering und stand in keinem Verhältnis zu der mühevollen Arbeit, in der man erst
das durchgehende Porosfundament verlegte, dann in dies die schmalen Kalkstein-
reihen einfügte. Wenn man dem Porös nicht traute, war es viel einfacher, anstelle
von dessen oberer Schicht eine durchgeführte einheitliche Kalksteinschicht als Stand-
fläche für die Monumente zu legen. Ist hier etwa eine Änderung des Programms
während des Baues eingetreten, weil man, erst nachdem das anfangs als Standplatz
bestimmte Porosfundament schon verlegt war, dies nicht mehr für genügend er-
achtete und sich dann entschloß die Standfestigkeit der Monumente durch Ein-
ziehung von Kalksteinschienen zu verbessern.? Aber wäre es denn nicht auch dann
einfacher gewesen die obere Schicht der Porosplatten wieder wegzunehmen und an
ihrer Stelle ein durchgehendes Kalksteinpaviment zu legen.? Einen Hinweis in anderer
Richtung gibt jedoch der Rest einer andern Anlage, die bis zu einem gewissen Grade
der des Zeustempels analog ist.
Es handelt sich um seltsame Reste im Asklepiostempel zu Epidauros, die zwar
im Plan des großen Ausgrabungswerkes von Kabbadias ') verzeichnet, aber, soweit
ich sehe, bisher ebenfalls unerklärt sind. Die Fundamente dieses Tempels bestehen
durchweg aus einem sehr weichen, bröckligen Porös. In der östlichen Ringhalle
liegt ein Rost aus hartem, rötlichen Kalksteinblöcken, die an der Oberfläche kleine
rechteckige Löcher zur Verdübelung der einst auf ihnen ruhenden Fußbodenplatten
haben. Die gleichen Befestigungslöcher finden sich auch auf den Steinen, die in zwei
Reihen noch erhalten und quer gelegt im Pronaos einst ebenfalls als Rost den Fuß-
boden hier trugen 2). Diese Steine aber liegen hier nicht in ihrer ursprünglichen Ver-
wendung. Sie bestehen aus einem ziemlich harten grauen Kalkstein und sind zu-
sammengesetzt aus Bruchstücken drei verschieden breiter Reihen (86, 49, 32 cm).
Dort wo die breitesten mit den schmälsten jetzt in einer Reihe aneinanderstoßen,
ist durch die auf den Anstoß gleich breiter Steine berechnete Anathyrose der ersteren
die zweite Verwendung deutlich. Von der ursprünglichen zeugen auch die Löcher
verschiedener Größe, ganz der Art, wie sie an den Standplätzen der Anatheme des
Zeustempels vorkommen. Diese Löcher zeigen entsprechend der jetzt verschobenen
Lage nun keine Entsprechungen mehr. Sie können auch deshalb nicht an ihrer jetzigen
Stelle entstanden sein, weil dann z. B. durch das, was auf diesen Steinen aufstand,
der Zugang zum Pronaos verbarrikadiert worden wäre. Es handelt sich hier also
um einen Rest eines älteren Bauwerkes. Daß in diesem die Steine rostartig verlegt
') Fouilles d'Epidaure, Athen 1891 pl. VI. ») Im Plan nicht angegeben.
Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias. An
waren, lehrt ihre charakteristische Zurichtung: Glättung der Oberfläche, sorgfältige
Anathyrose an den schmalen Stoßseiten, aber nur grobe Zuspitzung an den langen
Nebenseiten. Es ist das ganz dieselbe Art der Herrichtung, die wir von den zahl-
reichen Rostfundamenten für Tempelfußböden kennen, und eben die gleiche zeigen
auch die Kalksteinschienen in Olympia, die ebenfalls nur an den schmalen Stoßseiten,
wo sie aneinandertreffen, Anathyrose haben. In Epidauros zeugen die Einlassungs-
spuren auf der Oberseite dieser Rostbalken davon, daß sie ursprünglich Monumente
trugen. Es ist also hier ganz einfach das Prinzip der Rostfundamentierung der Tempel-
fußböden für die Schaffung von festen Standplätzen für Monumente verwendet
worden ^). War auch hier wie bei jenen zwischen den Steinreihen, auf denen einzelne
Weihgeschenke standen oder über mehrere hinweggreifend mit ihren Rändern auf-
ruhten, nur eine Erdfüllung angebracht, so ist dies Verfahren in der Tat praktisch
und erlaubt eine erhebliche Materialersparnis gegenüber einem durchgeschichteten
Steinfundament.
Angesichts dieser Analogie ist es wahrscheinlich, daß die Kalksteinschienen
in Olympia ebenfalls ursprünglich zu einer solchen richtigen Rostanlage mit Erd-
füllung zwischen den Steinreihen gehörten, daß sie also dem Baumeister des Zeus-
tempels bereits gegeben waren. Diesen älteren Weihgeschenkrost also hat er ver-
wendet und, um der ganzen Anlage größere Festigkeit zu geben, in ein durchgehendes
Porosfundament eingebettet. So erklärt sich das merkwürdig komplizierte System.
Damit nun ist gesagt, daß die hauptsächliche Anordnung der Weihgeschenke bereits
einer älteren Bauanlage entstammen muß, aus der diese mit dem Rost übernommen
wurden. Daß die Anatheme selbst bereits bei der Erbauung des großen Zeustempels
vorhanden waren, beweist ja schon die Anlage eines solchen Weihgeschenkraumes
an sich. Ich stehe nicht an als ihren Vorgänger einen richtigen Rost aus den hier
verwendeten Kalksteinschienen anzusprechen, der in dem aus allgemeinen Gründen
vorauszusetzenden vorlibonischen Zeustempel, dessen Reste sich in der Tiefe unter
dem erhaltenen Bau befinden mögen, bereits die gleiche Aufgabe zu erfüllen hatte.
Schon dort also waren in einem einheitlichen Raumabschnitt Weihgeschenke zu-
sammengestellt. War dieser vorlibonische Tempel der erste, so mögen das Dinge
gewesen sein, die vor seiner Erbauung an seiner Stelle im Bezirk aufgestellt waren.
War er nicht der erste, so konnte das hier einheitlich Angeordnete in einem Vorgänger
frei verteilt und sukzessive gestiftet sein.
Daß es sich bei solchen Gedankengängen nicht um müßige Spekulationen
handelt, zeigt die ganz auffallende Analogie zu der einheitlichen Aufstellung von
Weih<;,eschenken in einem Raumabschnitt des Tempelinnern, die sich im Heräon
von Olympia erhalten hat. Von diesem Bau wissen wir jetzt, daß er bereits zwei
ältere Vorgänger gehabt hat. In dem erhaltenen Tempel nun findet sich ein im Prin-
zip ganz gleicher Weihgeschenkraum wie im libonischen Zeustempel. Ganz wie dort
ist im Mittelschiff der Cella, deren Boden im übrigen nur einen Estrichbelag hatte,
ein besonderer rechteckiger Platz in ganzer Mittelschiffsbreite und etwas größerer
■) Die Anlage ' dürfte auch hier einem auch sonst vorauszusetzenden älteren Asklepiostempel entstammen.
Aß Karl Lehmann-Hartleben, Libon und Phidias.
Länge ebenfalls ung^efähr in der Mitte zur Aufnahme einer Reihe von Weihgeschenken
einheitlich durch ein Plattenpflaster h^gerichtet worden '). Es ist genau die gleiche
Grundidee: Hier wie dort wird eine Anzahl bereits vorhandener Weihgaben plan-
mäßig im Zentrum des Baus versammelt. Nach dem was wir vom Heräon wissen,
kann es nicht zweifelhaft sein, daß diese Dinge hier bereits aus dem älteren Bau
übernommen wurden, in dem sie freilich noch frei verteilt gewesen sein können,
wie sie jeweils gestiftet waren. So ergibt sich hier naturgemäß die gleiche geschicht-
liche Begründung, die wir aus der technischen Herrichtung für das System des Zeus-
tempels erschlossen. Es handelt sich also um einen alten Brauch: Angesammelte
Weihgeschenke werden inmitten eines neuen Hauses auf eigens zugerichtetem Platz
angeordnet. In dieser zentralen Stellung eines Haufens von Anathemen im Gebäude
liegt ein starker Gegensatz zu der beherrschenden Rolle des Kultbildes, zur Ein-
stellung der ganzen Bauidee auf dieses, wie sie uns die auch im Rauminnern herr-
schende Harmonie der bau- und bildkünstlerischen Ideen im Parthenon zeigt. An
sich läßt die hier wieder aufgezeigte Verschiedenheit der libonischen und phidia-
sischen Bauepoche des Zeustempels keine sicheren chronologischen Schlüsse über
den Abstand beider, über die immer noch umstrittene Datierung des Zeusbildes
zu. Aber wie die Verwendung des in Athen erst an den Propyläen auftretenden
lokaleleusinischen Steines, in der noch dazu ein doch wohl durch die Erfahrung
geschaffenes Hinausgehen über die Berechnungen bei der Parthenos liegt, für das
spätere Datum spricht, so tut es auch dieser innere Gegensatz der Auffassung vom
Verhältnis des Kultbildes zum Raum. Was im Parthenon neu, großzügig und ein-
heitlich erprobt wird, wird hier, soweit es das Vorhandene erlaubt, angestrebt. Dort
verrät sich ein einheitHches System, in dem sogleich bei der Anlage des Baues die
Rücksicht auf das Kultbild sich durchsetzt. Gleich, wenn man die Cella betritt,
steht man ihm gegenüber und der Raum, in dem der Gläubige der Göttin naht, ist
nicht nur durch die seitlichen Säulenreihen, sondern auch durch die Herumführung
derselben hinter der Statue als Einheit im ganzen konzipiert. Hier aber wird es
nötig das dort Erreichte mühsam zu schaffen. Die alten Weihgeschenke, die den
zentralen Raum im Hause des Gottes füllten^ müssen herausgeschafft werden, damit
der Gott selbst zur Herrschaft im Räume gelangt. In der langen Cella war ein zu
großer Vorraum übrig, der in langsamer Annäherung die bestimmte Größenwirkung
des Bildes beeinträchtigt hätte. Deshalb ist dies nicht gleich von der Tür aus sicht-
bar, sondern erst, wenn man eine zweite durchschritten hat, die in das ins Haus
des Gottes eingebaute Haus des Bildes führt. So trägt Phidias hier neue Raum- und
Bildideen von der Akropolis in den alten dorischen Bau von Olympia in derselben
Zeit, in der sein großer Mitarbeiter Iktinos die großen raumschöpferischen Ideen,
die das perikleische Athen am Parthenon und den Propyläen verwirklicht hatte,
ins Herz des Peloponnes nach Bassai trug, wo sie sich auch mit uralten Traditionen
siegreich auseinandersetzten.
Berlin. Karl Lehmann-Hartleben.
«) Dörpfeld a. a. 0. 34 und Taf. XVIII.
Jahrbuch des Instituts XXXVIII/IX 192;
1. Vom Asklepiostempel in Epidauros.
2. Statue der Leda.
^ l.
Ü^
F. Winter, Der Meister der Niobegruppe. ^g
DER MEISTER DER NIOBEGRUPPE.
Mit Beilage I.
Die Geschichte von der Bestrafung der Niobe hat die griechische Kunst von
früh an beschäftigt. Der älteren Kunst bot sie willkommenen Stoff zur Darstellung
einer bewegten Handlung. Der Akt der Vollstreckung des Strafgerichtes ist ge-
schildert. Die das Gericht vollziehen, Apollon und Artemis, und die ihm zum Opfer
fallen, die Kinder der Niobe, sind dargestellt. Auf einem archaischen schwarz-
figurigen Vasenbilde ') erscheint auch Niobe selbst, aber sie figuriert nur ganz äußer-
lich in der Rolle der Mutter der Kinder als Gegenstück zu Leto, der Mutter der beiden
Götter. In den Darstellungen des 5. Jahrhunderts finden wir sie ganz fortgelassen,
weder das Bild auf der Rückseite des Argonautenkraters ^) zeigt sie, noch die in
dem Petersburger Friese und den übrigen von der gleichen Vorlage abhängigen Re-
liefs enthaltene Komposition, die Sieveking und Buschor auf die Darstellung des
Phidias am Thron des olympischen Zeusbildes zurückgeführt haben 3). In dieser
hat Niobe jedenfalls gefehlt, nach dem Wortlaut der Beschreibung bei Pausanias
V II, 2 Niößr^; Tou? TraiS«? 'AtoXXcuv xaTatoJsuouai xoti 'Aptsiitj, die etwa als nur
summarisch und daher für diese Einzelheit nicht beweisend zu nehmen, die Genau-
igkeit, mit der der gesamte Thronschmuck in allen seinen Teilen beschrieben
ist, ausschließt. Hiernach wird das gleiche auch für die aus etwa derselben Zeit stam-
mende Gruppe, zu der die Niobide desMuseo nazionale in Rom 4) und, wie man meint,
zwei weitere als Niobiden gedeutete Figuren gehört haben 5), anzunehmen sein, um
so wahrscheinlicher, wenn die Stücke richtig als Reste einer Giebelgruppe erklärt
worden sind ^). Denn für solche würde eine Darstellung, in der die beiden Gottheiten,
wie Athena und Poseidon im Parthenonwestgiebel, nur in umgekehrter Richtung
nach außen gewendet, die Mitte einnelimen und die hinsinkenden Niobiden die Flügel
ausfüllen, eine der Fläche aufs beste sich einfügende Komposition ergeben, in der
aber Niobe selbst keine Stelle fände ^).
Mit der Schilderung der zwei Parteien der Vernichter und der Unterliegenden
halten sich diese Bilder der Behandlung der Aufgabe nach im Charakter der Kampf-
darstellung. Werke wie der Athena-Nikefries oder der Theseionfries lassen sich am
nächsten vergleichen. Wie bei diesen handelte es sich den Künstlern auch hier vor
allem um ein reichstes Entfalten mannigfaltiger Bewegungsmotive.
Ganz anders ist das Thema in der großen Gruppe gefaßt, von der wir in den
Florentiner Statuen eine fast vollständige Kopie besitzen. Nur die Unterliegenden
■) Ant. Denkm. I Tat. 22. Loeschcke, J. d. I. II *■) Furtwängler, Sitzgsber. d. bayer. Ak. 1899,
1887 275. 279; 1902, 443. Sauer, Zeitschr. f. bild. Kunst
>) Mon. deir inst. XI Taf 40. XXII 135.
3) Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 1912, ') Auch die Niobidendarstellung in der Höhle
138 ff. oberhalb des athenischen Dionysostheaters scheint
4) Bulle, Der schöne Mensch, Taf. 149. Kunst- nach der Beschreibung bei Pausanias I 21, 17
geseh. i. B. 250, 3. ' Anokluiw hk h aüxm zat "Afj-e|ii; roü; zaioa? cbiv
5) Bulle, Taf. 172. ävatpoüvTE; to~j; Niößr,? in diese Reihe zu gehören.
Jahrbuch des archäologischen Instituts. XXXVI[I/IX 1923/24- 4
cQ F. Winter, Der Meister der Niobegruppe.
sind dargestellt, wie sie den Geschossen der unsichtbar in der Höhe waltenden Rächer
zum Opfer fallen. In ihrer MitL> aber steht die Mutter. Zu ihr streben die Kinder
hin, um sich bei ihr zu bergen. Damit ist der mythische Vorgang in das rein Mensch-
liche hinübergeführt, der Untergang eines reichsten Familienglückes zum eigentlichen
Gegenstand der Darstellung geworden. Finden die früheren Darstellungen in den
Kampfbildern ihre nächsten Analogieen, so berührt sich diese am meisten mit den
Familienbildern der attischen Grabreliefs des vierten Jahrhunderts. Was von Leid
frühen Hinsterbens, von Schmerz einsam Zurückbleibender auf bedeutendsten
Bildern dieser Grabmäler in ergreifend wirkender Einzeldarstellung zum Ausdruck
gebracht ist, erscheint in ihr vervielfältigt und ins Höchste gesteigert. In dem Maße,
in dem der Künstler des Vorbildes der Gruppe die Wirkung überwiegend in die Stärke
des seelischen Ausdrucks gelegt hat, ist sein Werk hinter den älteren Niobidendar-
stellungen in der Kraft und Mannigfaltigkeit der Bewegungswiedergabe zurückge-
blieben. Gegenüber der Fülle der verschiedenartigen Bewegungsmotive in den Fi-
guren des Petersburger Reliefs gibt sein Bild im wesentlichen nur Variationen ein
und desselben Motives und erreicht in keiner der zahlreichen Figuren die Lebendig-
keit, mit der in der Niobide des Museo nazionale das momentane Zusammen-
brechen des plötzlich von dem tötlichen Geschosse getroffenen Körpers wiedergegeben
ist. Die ganz auf das Innerliche gerichtete Darstellung der Florentiner Gruppe gipfelt
in der Leidensgestalt der Mutter. Mit ihr gab der Künstler dem vielbehandelten
Thema einen neuen Inhalt, sie bildet den großen Mittelpunkt des Ganzen. So können
wir erwarten, in dieser Figur die für die individuelle Kunstart des Meisters besonders
charakteristischen Züge am stärksten und vollständigsten ausgeprägt zu finden.
Von ihr wird daher für einen Versuch der Ermittelung des Künstlers auszugehen
sein, und wenn sich ein anderes der Zeit und dem Künstler nach genauer bestimmbares
Werk von gleichem oder nahe verwandtem inneren Gehalt und äußerer Gestaltung
finden läßt, so werden wir mit dessen Hilfe auch am sichersten der Lösung der viel
und sehr verschieden behandelten Frage nach der kunstgeschichtlichen Stellung
der Niobegruppe näherzukommen hoffen dürfen.
Ein solches Werk liegt uns in dem nach dem Zeugnis der zahlreichen erhal-
tenen Kopien im Altertum hochgeschätzten statuarischen Bilde der Leda mit dem
Schwan vor (Eeil. I 2), das die Verwandtschaft mit den Epidaurosskulpturen (Beil. I l),
als Werk des Timotheos hat erkennen lassen'). Verfolgt von dem Adler, der un-
sichtbar in der Höhe gedacht ist, wie die göttlichen Verfolger in der Niobegruppe,
flüchtet sich der Schwan in den Schooß der Leda. Sie drückt ihn an sich und zieht
den Mantel von der Schulter empor, um ihn schützend über das Tier zu breiten. In
der Entblößung der rechten Körperseite erscheint ein sinnlich erotischer Zug leise
angedeutet, aber er wird kaum vernehmbar, übertönt von dem Motiv mütterlichen
') Winter, A. M XIX 1894, 157 fi. Amelung, Basis seums. Heibig, Führer 1 Nr. 467. — Die
des Praxiteles 69. Furtwängler, Münchener Klischees für die der Kunstgeschichte in
Sitzungsberichte 1903, 439. Die beste Kopie Bildern Heft 10 entnommenen .\bbildungen i,
ist die Statuette des kapitolinischen Mu- 2, 4, 6, 7, 8 der Beilage hat der Verlag Alfr.
Kröner gütigst zur Verfügung gestellt.
F. Winter, Der Meister der Niobegruppe. c j
Behütens, auf dem die Darstellung aufgebaut ist, demselben Motiv, das wir in der
Gestalt der Niobe ins Tragische gesteigert sehen (Beil. I 4). Niobe hat das jüngste der
Kinder, die alle auf sie hineilen, um bei ihr Schutz zu suchen, an sich gerissen und
sucht es in ihrem Schooße zu bergen. Der dramatischeren Situation entspricht der
erregtere Ausdruck der Gesichtszüge, die bewegtere Haltung des Körpers. Die so
viel mächtigere matronale Gestalt der Niobe beugt sich ausschreitend weiter vor
und die Glieder greifen leidenschaftlicher aus, aber die Bewegung, durch dieselbe
Handlung der Abwehr gegen die von oben kommende Gefahr bedingt, ist beide Male
die gleiche. In demselben Verhältnis wie durch den inneren Gehalt stehen die beiden
Figuren in der äußeren formalen Ausführung zusammen. Das zeigt am deutlichsten
die Gewandbehandlung in der Art, wie das Gewand die Glieder umschheßt und zu-
gleich in breiten Massen vom Körper sich ablöst und neben ihm niederfällt. Nur sind
die Faltenzüge an der Niobe gedrängter und in der Linienführung weniger schmieg-
sam.
Die Vergleichung wird dadurch beeinträchtigt, daß die in den Florentiner
Statuen erhaltene Kopie der Niobegruppe eine recht geringe Arbeit ist. Wie weit
sie hinter dem ihr zugrunde liegenden Original an Reichtum, Feinheit und Leben-
digkeit der Formengestaltung zurückbleibt, wie frei sich abet der Kopist andrerseits
auch von jeder eigenen Zutat, von jedem Hineintragen fremder Züge gehalten hat,
dafür bieten griechische Originalwerke den sicheren Maßstab. Für den Kopf der
Niobe macht es der von Wolters und anderen') als nahe verwandt verglichene weib-
liche Kopf vom Südabhang der Akropolis (Beil. I 3) bis ins einzelne erkennbar, für
die Gewandbehandlung läßt es das Grabmal des Aristonautes (Beil. T 6) ähnlich be-
stimmt feststellen, denn dessen Figur steht mit der Niobegruppe in nicht weniger
engem, auf gleichen Ursprung führenden Zusammenhang als jener weibliche Kopf.
Pathetisch aufwärtsblickend, in der gleichen in steiler Schräge gehaltenen Bewegung
über ansteigenden Felsenboden hinschreitend sieht die Figur aus, als wäre einer der
Niobiden aus der Gruppe herausgenommen und zum Krieger ausstaffiert in die Grab-
ädikula hineingestellt. Das Gewand des Aristonautes, wie es über den Körper
gespannt und daneben in den Körperkontur begleitenden Faltenzügen hingebreitet
ist, führt unmittelbar auf die Gewandstilisierung der Epidaurosskulpturen zurück,
zeigt diesen gegenüber nur eine straffere, mehr ins große gehende, man möchte sagen,
eine festere Hand verratende Führung der Linien. Ebenso verhält sich das Gewand
der Niobe zu dem der Ledastatue. Wir sehen an Werken, die auf das engste mit-
einander verbunden sind, ein Fortschreiten des formal künstlerischen Gestaltens,
das dem an denselben Werken auffälliger und eindringlicher sich bekundenden Fort-
schreiten von gehaltener zu stark pathetischer Darstellung entspricht. Die Epi-
daurosskulpturen und die Ledastatue zeigen ein künstlerisches Schaffen auf früher
Stufe, das in der Niobe und dem Aristonautes zu der vollen Reife, zu der Höhe seiner
Entwicklung gelangt erscheint.
Nun hat der Meister der Epidaurosskulpturen, Timotheos, in späteren Jahren
'1 Springer-Michaelis, Handbuch" 32S.
4'
£2 F. Winter, Der Meister der Niobegruppc.
am Mausoleum von Halikarnaß mitgearbeitet. Ihm sind schon von Brunn ') und
neuerdings auf Grund einer Vergleichung mit den Epidaurosskulpturen von Wolters
und Sieveking2) die Friesplatten 1007, 1008, lOii, 1012 (J. d. I. XXIV 1909,
Beil. I, Kunstgeschichte in Bildern 304, 305 obere Reihe) zuerkannt worden.
Die Zuteilung gründet sich auf den übereinstimmenden Pferdetypus und findet ihre
festeste Stütze in der Gewandbehandlung, die deutlich auf die der Epidaurosskulp-
turen zurückweist, diese fortgebildet zeigt. Worin sie sich aber von ihr unterscheidet,
in der strafferen Zeichnung der Falten, durch die das Gewand lockerer aufliegend,
nicht mehr in dem Maße wie dort dem Körper wie naß angeschmiegt erscheint,
stimmt sie mit der Niobe und der Figur des Aristonautes- Grabmales überein. Für
den daraus sich ergebenden Zusammenhang zwischen diesen und den Mausoleums-
platten liefert eine direkte Vergleichung genauere Erkennungsmerkmale und die
bestimmtere Begründung. Die den Pfeil abschießende Amazone 40 auf Platte 1007
(Beil. I 5) hat mit den beiden nach rechts hin eilenden älteren Niobetöchtern nicht
nur das Bewegungsmotiv gemein. Hier ist die Übereinstimmung der Gewanddar-
stellung besonders auffällig. Es ist derselbe Zug, dieselbe Gruppierung der Falten.
Denkt man sich das kurze Gewand der Amazone bis zum Boden verlängert, so erhält
man ein den beiden Niobidenfiguren völlig entsprechendes Bild, dem in dem schal-
artig übergeworfenen und nach hinten zurückwehenden Mantel auch das besondere
Motiv der horizontalen Überschneidung der vertikal über den Körper hingeführten
Faltenlinien nicht fehlt. Daß das in unnatürlich hoher Wölbung aufgebauschte
Gewand der ins Knie gesunkenen Amazone 48 (Platte 1012) an dem Akroterien-
fragment vom epidaurischen Ostgiebel Nr. 167 (Cavvadias, Fouilles d' £pidaure
Taf. XI 19) seine nächste Analogie findet, haben Wolters und Sieveking mit Recht
für die Zuweisung der Friesstücke an Timotheos geltend gemacht. Das Motiv kehrt in
dem Florentiner Exemplar der einen älteren Niobide 3), hier an dem unteren Gewandende
über dem vorgesetzten linken Fuß, entsprechend und auf eine Umbiegung des Saumes
reduziert an dem rechten Fuße derselben Figur ganz ähnlich wie an den beiden schwe-
benden Figuren von Epidauros, Cavvadias Taf. IX 15 (K. i. B. 298, 3) und 17 wieder.
Von allen Friesplatten des Mausoleums zeigen diese dem Timotheos zugeschrie-
benen am wenigsten Abwechslung in der Bewegung. Auch das teilen sie mit der Niobe-
gruppc, deren Meister gerade hierin eine ebenso auffallend geringe erfinderische
Kraft verrät. Und es ist hier wie dort dasselbe Motiv des wie in Ausfallstellung schräg-
linigen Hinschreitens, das mit leichten Variationen nur in der Lebhaftigkeit der
Bewegung gleichförmig wiederholt, in dem Friesbilde nur durch die sehr bezeich-
nenderweise im Aufbau wenig gelungene 4) Gruppe der Figuren 47 — 49 auf Platte
1012 unterbrochen ist. In dem gleichen Motiv ist auch die Figur des Aristonautes
gehalten. Sie verhält sich, nach der Bewegungsdarstellung beurteilt, grade so zu
dem Friese wie die Niobegruppe. Für sie aber ergibt eine der Figuren des Frieses,
') Brunn, Kleine Schriften II 357. loio, 1016, 1017 an Timotheos sehe ich ab.
^) J. d. I. XXIV 1909, 186. Von der mir zweifelhaft 3) Sieveking-Buschor, Münch. Jahrb. d.bild. Kunst
bleibenden Zuteilung auch der Platten 1006 1912, 127 Fig. 11.
*) Wolters- Sieveking a. a. O.
F. Winter, Der Meister der Niobegruppe. cj
die des Kriegers 38 am linken Ende der Platte 1007 (Beil. I 5), die genauere Bestimmung
dieses Verhältnisses: wie am Aristonautes greift der rechte Arm mit starker Biegung
der Schulter über die Brust herüber und ist der linke den Schild haltende Arm eng
an den Körper angelegt und von dem über die Schulter hängenden Mantelstück
bedeckt, das bis zum unteren Schildrand hingeführt einen den Körperkontur in glei-
cher Schwingungslinie begleitenden Streifen bildet. Die Übereinstimmung geht bis
in die einzelnen Linienzüge hinein.
Die Vergleichungen, die wir anstellen konnten, führen von verschiedenen
Seiten her zu demselben Ergebnis. Die Niobe zeigt die Kunst des Meisters, der die
Ledastatue geschaffen hat, in reicherer und reiferer Entfaltung. Bezeugte Werke
aus der Frühzeit dieses Meisters besitzen wir in den Epidaurosskulpturen, solche
aus seinem späteren Schaffen sind unter den Mausoleumsfriesen enthalten, mit Hilfe
der Epidaurosskulpturen genauer nachweisbar. Sie zeigen diesen gegenüber eine
fortgeschrittene Behandlung derselben Art, wie sie die Niobe der Ledastatue gegen-
über aufweist, und sichern damit die aus der Vergleichung mit der Leda sich dar-
bietende Bestimmung der Niobegruppe als Schöpfung des Timotheos.
In der literarischen Überlieferung ist Timotheos nur wenig und nicht unter
den Meistern ersten Ranges genannt. Aber daß er zu seinen Lebzeiten in Ansehen
gestanden hat, beweist seine Berufung zur Mitarbeit am Mausoleum. In den vier Bild-
hauern, die an diesem größten Monumentalwerk dekorativer Skulptur, das im vierten
Jahrhundert geschaffen ist, gemeinsam tätig gewesen sind, waren zwei Künstler-
generationen, in Timotheos und Skopas eine ältere, in Leochares und Bryaxis eine
jüngere vertreten. Vermutlich werden die letzteren als Schüler der beiden älteren
mitgezogen sein '). Mag nun deren Auswahl wie immer erfolgt sein, die Vereinigung
der beiden führt darauf, daß sie sich in der Art und Richtung ihres künstlerischen
Schaffens nahegestanden haben. Und davon geben ja die erhaltenen Friese des
Mausoleums deutlichstes Zeugnis. Erst genauer eindringender Betrachtung sind die
Verschiedenheiten der im großen Ganzen wie eine Einheit erscheinenden Bilder
gewahr geworden. Die dem Skopas zugehörigen Platten (daraus Beil. ' 7) sind den
übrigen und namentlich den auf Timotheos zurückführbaren an Kraft und Lebendig-
keit der Schilderung, an Schärfe der Charakterisierung überlegen. Die Darstellung
auf den Timotheosplatten hält sich mehr im Typischen und erreicht ihre Haupt-
wirkung durch eine gleichmäßig durch das Ganze hinschwingende rythmische Glie-
derung. Wo ein anderer Ton angeschlagen ist, wie in der Gruppe 47 — 49 (Platte 1012),
mit der etwas wie von der stürmischen Heftigkeit der Skopasischen Schilderung
in das Bild übertragen scheint, wirkt diese Durchbrechung wie eine Dissonanz. Beide
Darstellungen sind pathetisch. Aber dem starken innerlichen Pathos der Skopasischen
Gestalten, das nur in den Gesichtszügen heraustritt, nicht dagegen auch in der Körper-
bewegung, die bei jeder einzelnen Figur vielmehr rein aus der jedesmaligen Hand-
lung heraus entwickelt ist, steht in den Figuren des Timotheos ein mehr äußerliches,
auch in den Bewegungen, in deren schwingendem Rythmus ausgedrücktes Pathos
') A. M. XIX 1894, 162,
CA F, Winter, Der Meister der Niobegruppe.
gegenüber (vgl. namentlich Fig. 35, 36 auf PI. 1015 mit Fig. 50, 51 auf PI. 1012).
Dieses äußerliche, über das Ganze der Darstellung ausgebreitete, verallgemeinernde
Pathos kommt in der Niobegruppe zu gesteigertem Ausdruck. Von ihm ist ebenso
die Gestalt des Aristonautesgrabmals bewegt. Ein Blick von dieser hin zu dem Jüng-
ling auf dem Grabmal vom Ilissos (Beil. I 8), der ohne alle Pose in der Haltung, mit
dem starken Ausdruck der von tief innerlichem Drang bewegten Gesichtszüge für
die Skopasische Art der Wiedergabe des TjÖo; xrfi '\"r/%? ') ein besonders charak-
teristisches und bedeutendes Beispiel bietet, kann die Verschiedenheit der beiden
Arten pathetischer Darstellung deutlicher machen.
Auf der Nichtbeachtung dieser Verschiedenheit beruht es, wenn gerade in dem
Aristonautes ein Werk des Skopas hat gesucht werden können *). Das hat seine
genaue Parallele in dem antiken Bestimmungsversuch der Niobegruppe, von dem
wir aus Plinius XXXVI 28 hören, wo die Gruppe als Beispiel dafür angeführt ist,
daß von manchen nach Rom überführten griechischen Werken die Kenntnis der
Künstler abhanden gekommen sei. Den einen, heißt es da, gelte die Gruppe als praxi-
telisch, andere schrieben sie dem Skopas zu. Offenbar war hier einer populären Be-
zeichnung, und als diese gibt sich ohne weiteres die Taufe des Werkes auf den Namen
des allen bekannten und berühmtesten Meisters Praxiteles zu erkennen, ein Kenner-
urteil gegenübergetreten. Die Rückführung auf Skopas war die besser begründete,
sie traf, grade so wie die moderne Rückführung des Aristonautes auf denselben Künst-
ler, die Richtung, trug aber dem innerhalb der Richtung verschiedenartig zur Ent-
wicklung Gelangten nicht Rechnung und traf so mit der Bestimmung des Meisters
nicht ins Ziel.
Die im Vorstehenden dargelegten Zusammenhänge der Niobegruppe mit der
Kunst der Mausoleumskulpturen, auf die schon Friederichs 3) als ein »Werk ganz ver-
wandter Art« hingewiesen hat, sind mit der neuerdings in Aufnahme gekommenen
Datierung der Gruppe in hellenistische Zeit unvereinbar. Auf diese einzugehen,
erübrigt sich nach der gründlichen Widerlegung, die sie durch Rodenwaldt
R. M. XXXIV 1919, 53 ff. erfahren hat. Nur einer der gegen die Ansetzung des
Werkes ins vierte Jahrhundert erhobenen Einwände, »daß die Erfindung einer Gruppe,
die jedenfalls die malerische Anordnung auf felsigem Boden voraussetzte, keines-
falls vor die hellenistische Zeit gesetzt werden dürfte« (Wolters bei Springer-Michaelis I"
328), gibt uns, da er die vielerörterte Frage der Komposition der Gruppe betrifft,
zu einigen weiteren Bemerkungen Anlaß.
Die Gruppe hat ihren Mittelpunkt in der auch an Größe die übrigen überragen-
den Figur der Mutter, auf die die Kinder, soweit sie nicht schon den Geschossen
der Götter erlegen oder unter ihnen zusammenbrechend dargestellt sind, von beiden
Seiten zueilen. Diese Bewegung von zwei Seiten auf eine Mitte hin und (wie Sieve-
king und Buschor mit Recht hervorheben) die durchaus auf Eine Ansicht berech-
') Xcnophon, Memorab. III 10, i. 280. Bulle, in Brunn-Bruckmann, Denkmäler
') Wolters.A.M. XVIII 1893, 6 und bei Springer-Mi- zu Taf. 649, Text 16.
chaelis" 330. Klein, Griech. Kunstgesch. II 3) Bausteine 245.
F. Winter, Der Meister der Niobegruppe. ce
nete, flächenhaft gehaltene Ausführung ergibt eine reliefmäßig vor einem geschlos-
senen Hintergrund hingeführte Anordnung. Die frühere Annahme einer Giebel-
komposition ist nach ihrer Ablehnung durch Friederichs allgemein aufgegeben.
Aus der Zurichtung der Bodenflächen als felsiges Terrain und aus der Bewegung
mehrerer Figuren, die mit starkem Schritt hinaufschreitend dargestellt sind, hat
Friederichs ') die Folgerung einer Anordnung auf nicht horizontal fortlaufender,
sondern auf- und absteigender Fläche gezogen: »Die Figuren schreiten mit starkem
Schritt hinauf, von unten nach oben, und dies Hinaufschreiten kann doch nicht
durch einige ihnen in den Weg geworfene Steine erklärt werden, vielmehr müssen
wir eine ansteigende und auf der anderen Seite abfallende Fläche voraussetzen, auf
deren höchstem Punkte die Mutter steht«. Nach diesen Worten könnte es scheinen,
als habe Friederichs eine ähnliche Anordnung im Sinne gehabt, wie sie kürzlich von
Sieveking und Buschor vorgeschlagen und in einer Rekonstruktionsskizze verdeut-
licht ist 2), wonach die Figuren auf einer in Form eines flachen Dreiecks gestalteten
Felsenbasis von beiden Seiten nach der Mitte zu aufgereiht anzunehmen wären.
An eine derartige Reihengliederung aber hat Friederichs doch wohl nicht gedacht.
Das geht aus den weiter folgenden Sätzen hervor: »Wir erhalten dadurch eine mehr
malerische Komposition nach Art des Farnesischen Stiers, einer Gruppe, die freilich
noch weiter nach dieser Richtung geht. ... Es ist uns aus dem Altertum von zwei
Darstellungen der Niobiden Kunde erhalten, von denen eine und vielleicht auch die
andere in ähnlicher Weise aufgestellt waren, wie wir es für die Florentiner Gruppe
annehmen. An den Türen des palatinischen Apollotempels, den Augustus zu Ehren
des Sieges bei Aktium stiftete, waren auf dem einen Flügel die vom Scheitel des
Parnaß herabgestürzten Gallier, auf dem andern der Tod der Niobiden dargestellt.
Die Symmetrie verlangt, daß wir uns die Szene des Niobidenuntergangs in ähnlicher
Weise vorstellen, wie die angeführten Worte für das Seitenstück, die Vernichtung
der Gallier bei ihrem Angriff auf Delphi, vorschreiben, d. h. die einzelnen Figuren
waren malerisch einen Berg hinan aufgestellt«.
Für die Bilder an den Türen des Palatinischen Tempels ist eine in die Länge
gezogene Reihengliederung durch die gegebene Fläche ausgeschlossen. Daß für sie
vielmehr eine mehr oder weniger von unten nach oben gegliederte Anordnung an-
zunehmen ist, hat Wolters in der Neubearbeitung der »Bausteine« durch den den
Friederichsschen Sätzen zugefügten Hinweis auf die Niobidendarstellung der Marmor-
scheibe des Britischen Museums angedeutet.
Über die mit der polygnotischen Malerei einsetzende Ausbildung der
staffeiförmigen Anordnung der Figuren auf und vor bewegtem felsigen Terrain liegt
uns in den Vasenbildern des 5. und 4. Jahrhunderts das reichste Material vor. Wir
verfolgen ihre Entwicklung von anfangs lockerer zu gedrängterer und von anfangs
friesartig gereihter zu geschlossener auf die Mitte gegliederter Komposition. Die
Gigantenvase aus Melos 3) (Abb. 1) bietet ein der Niobegruppe zeitlich und mit
■) Bausteine 242 f. 3) Vorlegebl. VIII 7. Furtwängler-Reichhold Taf.
2) Münch. Jahrb. d. bild. Kunst 1912, 117; 1914, 200. 96, 97-
56
F. Winter, Der Meister der Niobegruppe.
der Darstellung der von der Höhe des Olymp die Giganten niederwerfenden Götter
gegenständlich besonders nahestehendes Beispiel. Hier finden wir unter den Giganten,
die den Abhang erklimmen und der von oben kommenden Geschosse der Götter sich
erwehren, die genauen Parallelen zu den aufwärtsbewegten Niobiden der Gruppe
und damit bietet sich für deren ursprüngliche Anbringung ohne weiteres die Er-
klärung. Sie sind wie die Giganten auf dem Vasenbild in einer unteren Reihe, das
Ganze der Gruppe in einer dem Vasenbilde ähnlichen Anordnung zu denken, die
die Figuren nicht in einer langen Flucht nebeneinander, sondern auf einer in Höhen-
abstufungen gegliederten Basis staffeiförmig geschichtet zeigte. So rücken die Fi-
guren in der Längs- und Höhenrichtung zusammen und es wird ein bildmäßig ge-
Abb. I. Gigantomachie auf einer Amphora aus Melos.
schlossener Aufbau erreicht, wie er für ein nicht, wie der Giebelschmuck, einer be-
stimmten architektonischen Gliederung eingefügtes und damit in seiner Ausdehnung
von vornherein fest umgrenztes, sondern als Freigruppe geschaffenes Bildwerk passend
erscheint. Vor einer Wand aufgestellt, die die. flächenhafte Ausführung der Figuren
als durchlaufenden Hintergrund fordert, mag das Werk in einer vorn offenen, hallen-
artigen Exedra gestanden haben, wie solche für große statuarische Gruppen als Ge-
häuse errichtete Exedren in Delphi in dem Weihgeschenk des Lysander und in dem
Bau, der die von Krateros geweihte Löwenjagd Alexanders einschloß, erhalten sind.
Läßt sich der Nachweis für die Anwendung dieser Art in der Fläche sich aus-
breitender Komposition mit gestaffelt in der Vertikale von unten nach oben über
ein ansteigendes Felsenterrain angeordneten Figuren in der Freiskulptur aus erhal-
tenen Werken nicht erbringen, so macht der Einfluß, mit dem die Malerei als die seit
dem ausgehenden 5. Jahrhundert führende Kunst auf die Skulptur nachweislich
gewirkt hat, ihre Übernahme in diese ohne Weiteres erklärlich. Entwirklungs-
Franz Studniczka, Imagines iUustrium. cy
geschichtlich aber wird sie geradezu gefordert als Vorstufe für die Komposition
der Gruppe des Farnesischen Stiers. Deren Aufbau auf dem emporsteigenden Felsen
mit den in verschiedenen Höhenabstufungen davor und darüberhin in Vertikal-
gliederung verteilten Figuren bewahrt alle die charakteristischen Elemente dieser
Art Anordnung, gibt im Grunde nichts anderes als ihre Übertragung aus der Fläche
in die Tiefendimension, die Umbildung einer ursprünghch reliefartigen Gruppen-
anordnung in die Rundgruppe. Steht an sich der feste Entwicklungsgang der grie-
chischen Kunst der Annahme entgegen, die Komposition der Stiergruppe könne
unvorbereitet als freie künstlerische Erfindung entstanden sein, so ist sie in der Be-
sonderheit ihres Aufbaues ohne Vorstufe vollends undenkbar. Diese ist aus dem
Gebiete der Malerei in dem Bilde der Gigantomachievase vorhanden, in der Form
vorhanden, in der sie durch die Stiergruppe für die Skulptur gefordert wird. Das
Vasenbild aber liefert in den mit den aufsteigenden Niobiden übereinstimmenden
Giganten für die Bewegungsmotive dieser isoliert erhaltenen Figuren der Niobegruppe
die Erklärung. So treffen von zwei Seiten her die Wege zusammen, die zu der Rück-
gewinnung von deren Komposition hinführen. Und da das Vasenbild die Anwen-
dung dieser Komposition in der Malerei und damit auch die Möglichkeit ihrer Über-
tragung in die Skulptur für das vierte Jahrhundert bezeugt, so entfallen alle Be-
denken, die auf Grund der »malerischen Anordnung auf felsigem Boden« gegen die
Entstehung der Gruppe in dieser Zeit erhoben worden sind.
Bonn. F. Winter.
IMAGINES ILLUSTRIUM.
Mit Tafel II u. III.
Was für ein Buch ich unter diesem auf die Anfänge der neueren Bildnisforschung
zurückweisenden Titel herauszugeben gedachte und was daraus an einzelnen Bei-
trägen bis 1918, mehr oder weniger vorläufig, bereits veröffenthcht war, habe ich
damals zu Beginn des Schriftchens »Das Bildnis Menanders« in Kürze dargelegt ').
Es sieht auch heute nicht so aus, als sollte es mir noch möglich werden, jenen Plan
durchzuführen. Darum beginne ich hier mit einer Reihe weiterer Einzelbeiträge
in freier Folge. An die Spitze treten diejenigen, die zuletzt Gestalt gewonnen haben.
Vorangehen sollte ihnen eigentlich eine Verteidigung des Ausgangspunktes all
') Es erschien als Sonderabdruck aus Ilbergs N. widern. — Einen Beitrag aus der Werdezeit der
Jahrbüchern 1918 XXI i ff. Der dort gegebenen ikonographischen Forschung im Quattrocento,
Übersiclit meiner ikonographischen Beiträge ist der in der Deutung des sogen. Niccolö da Uzzano
hinzuzufügen: The Sophocles Statues im Journ. auf Cicero gipfelt, bringt demnächst die Fest-
of hellen, stud. 1923 XLIII 57 ff. Auf die ver- schritt für H. Wölfflin, in ausführlicher Neubear-
blendete und unredliche Entgegnung Th. Rei- bcitung des Leipziger Winckclmannblattcs von
nachs ebenda 149 ff. werde ich bald daselbst er- 19" [Inzwischen erschienen.]
eg Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
meiner einschlägigen Arbeit, eben des Menanderkopfes. Denn diesen nach meiner
Überzeugung festgelegten, meist auch anerkannten Eckstein der Kunstgeschichte
hat neuerdings ein Kenner des ikonographischen Stoffes wie Lippold kurzerhand
beiseite zu schieben versucht. Lieber setzt er das vom Geiste des frühen Helle-
nismus sprühende Dichterbildnis, an dem doch unter anderen Julius Lange, bevor
er meine Deutung wußte, den von Lysipp ausgehenden Stil erkannt hatte, auf
Grund mittelmäßiger Kopien in die früheste Kaiserzeit und erkennt in dem vor-
nehm schönen, eleganten Griechenkopfe vielmehr die facies rusticana Vergils ').
Aber diese steht an der beinahe lebensgroßen Mosaikgestalt, deren Kopf ich bald
ausreichend bekanntzumachen hoffe, doch sehr verschieden gebildet vor uns ^).
Die Deutung Lippolds taugt meines Erachtens nicht mehr, als die mit ihr vorge-
tragene des einst Seneca genannten struppigen, angriffslustigen Dichtergreises (am
ehesten doch Philemon), von dessen fast ebenso zahlreichen Wiederholungen eine
mit Menander die Doppelherme Albani bildet, auf den wenig beachteten, nicht
alt gewordenen, melancholischen Dichterphilosophen Lucrez. Beides hat denn
auch Poulsen unlängst in seinen «Ikonographischen Miscellen« widerlegt 3). Leider
tat er das mit irriger Einschätzung der für Menander grundlegenden Zeugnisse
und ohne hinlängliches Bewußtsein davon, wie unwahrscheinlich nach der gesamten
Überlieferung eine Reihe von bald vierzig Wiederholungen 4), davon mindestens
vier aus griechischen Städten, für Vergil ist. Trotzdem muß ich mich vorerst be-
gnügen, auf die Widerlegung Poulsens hinzuweisen. Denn bevor ich dazu selbst
ausführlicher das Wort nehme, will ich noch einmal versuchen, ob sich der kopf-
lose Hermenschaft mit der Inschrift MsvavSpoj aus Nemi nicht doch noch wieder-
finden und in seine Halsbettung die am gleichen Orte gefundene Wiederholung
des Menanderkopfes, die mir seinerzeit Amelung in Castel Gandolfo nachwies,
einpassen läßt; die Hoffnung ist freilich nur gering 5). Heute möchte ich dem herr-
lichen Kopfe des Meisters der neuen Komödie die ganze Gestalt eines etwas jüngeren
Sternes der frühhellenistischen Dichtung nachfolgen lassen, dies freilich nur in
kleinen, späten Nachbildungen.
I. DER DICHTER THEOKRITOS.
Die Quelle für dieses Bildnis liegt auf einem sehr ausgedehnten Gebiet, das
aber seiner Natur nach nur selten ohne weiteres verwertbaren Stoff liefern kann:
in der mittelalterlichen Buchmalerei der Handschriften antiker Schriftsteller.
So gewiß nämlich diese Überlieferung aus dem Altertum herrührt, so sehr ist sie
') Lippold in den R. M. 1918 XXXIII i ff; auch schaft der Wissensch. 1921 IV 1, 25 ff.
D. Literaturzeitung 192 1, 204 f. und Kopien 4) Zwei neue teilte mir Waldhauer aus seinen erfolg-
gr. Statuen 92. reichen Nachforschungen in Petersburgs Um-
') Die Farbtafel Gaucklers Monum. Piot IV Taf. 20 gebung mit. Das eine, aus Gatschina, bringt sein
genügt nicht ganz. Den Kopf wiederholt nach Buch Rimskaja portretnaja skulptura v Jermi-
ihr Heibig, Führer ' I zu Nr. 536. taze 1923, 98 Abb. 40.
3) Histor.-filolog. Meddelelser der dänischen Gesell- 5) Bildnis Men. 5.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
59
oft verkommen oder wenigstens durch den Stil späterer Kunstepochen verfärbt ').
Dennoch sollte auch sie für unsere Zwecke umfassender durchforscht werden.
Abb. 1. Theokrit weiht dem Pan die Syrinx. Aus der gr. Handschr. 2832 der Pariser Nationalbibliothek.
Nach Monum. Piot 1905 XII Taf. 12.
Denn daß ihr unter günstigen Umständen Wertvolles abzugewinnen ist, lehrt der
■) Einige Beispiele bei BernouUi, Gr. Ik. II I2i.
146. 214 fl. Die von Bernoulli dem 146 be-
sprochenen Arat gegebenen Marmorköpfe sind
jetzt als Chrysipp erwiesen, dank besonders
V. Prott (A. M. 1902 XXVII 297 ff.). Zuletzt
Poulsen, Ikon. Mise. 7 ff.
60
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
in Rede stehende Fall, von dem etwas kürzer schon auf der Festgabe zur Winckel-
mannsfeier des Archäologischen Seminars in Leipzig 1922 gehandelt wurde.
Mit den Scholien zu Theokrit nach den Einleitungen überliefert und von
dort in die Anthologie aufgenommen ist das Epigramm ') :
'AXXo; 6 Xiof £Yu) 8e Osoxpito; 8; täS' e^paij^a
SIC dm Ttöv TioXXuiv Et'[j,t Supr,xoat'u)v usw.
Es war mir sehr bestechend, wenn Bethe diese Verse, als Zutat eines Spätem, von
dem in einem Titelbilde persönlich gegenwärtigen Dichter gesprochen dachte ^).
Doch scheint mir nach den Ausführungen Immischs ernstlich in Frage zu kommen,
daß sich damit Theokrit selbst dem Leser vorstellte, als verschieden von dem
Namensvetter aus Chios, dem isokrateischen Geschichtschreiber und Makedonen-
feinde 3). Wie dem auch sein mag, den Nachklang eines echten alten Theokrit-
Abb. 2. Hellenistische Lagynos aus Kertsch. Aus Archäol. Anz. 1907, 137 fr., Abb. 8—9 (Pharmakowskij).
bildnisses bewahrt noch die griechische Handschrift 2832 der Pariser National-
bibliothek, ein Mischband, dessen Theokrit nach Omont nicht älter als die zweite Hälfte
des 14. Jahrh. sein kann. Daraus veröffentlichte der Genannte 1905 die hier in
Abb. I auf etwas mehr als die Hälfte verkleinerte Miniatur, die den mit Beischrift
gekennzeichneten Verfasser dem Hirtengotte Pan sein Gedicht aupq? mit einer
Verneigung darreichend zeigt 4). Der die Verse zusammenhaltende Umriß hat hier
nicht mehr die zuerst gerade in frühhellenistischer Zeit auftauchende Form der
aus einer Reihe von Pfeifen abnehmender Länge zusammengesetzten Hirtenflöte
(Abb. 2), der die ebenso ungleichen Verse sichtHch entsprachen, wie andere solche
technopaegnia anderen Gegenständen 5). Die Syrinx der Handschrift" ist viel-
') Bucol. gr. ed. U. v. Wilaraowitz, Oxon. p. xvi
Scholia in Theoer. reo. C. Wendel 6.
'; Bethe, De Thecr. editionib. antiquiss. Rostocker
Univ.-Progr. Sommer 1896, 3 f. Rhein. Mus. 1916
LXXI 415 ff.
3) Sokrates 1918 VI 337 ff. Immisch; mir von Bethe
nachgewiesen. Die ganz abweichende Auffassung
von Wilaraowitz ist besonders in seiner Textgesch.
d. gr. Bukoliker 125 dargelegt.
4) Monum. Piot 1905 XII 155 ff., Taf. 12 Omont.
5) Dazu vgl. Taf. 1 1 bei Omont a. 0. und besonders
von Wilamowitz in diesem Jahrbuch 1899 XIV
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
6i
mehr irrig als eine ganz kurze, von unten nach oben sich verbreiternde Flöte ge-
bildet. Etwa,s besser gewahrt blieb das alte Vorbild in der Gestalt des Fan und
in dem Bildnis des Dichters. Vom linken Arme hängt ihm ein Mäntelchen, den
Oberkörper umschließt locker ein im Urbilde sicher gegürteter »purpurner« Chiton,
der die rechte Schulter frei läßt, allerdings auch sie bekleidet mit dem Halbärmel
vHöf
Abb. 3. Wandbild im lli. FclsL-ngrab von Marissa.
Nach P. Peters und H. Thiersch, Painted tombs of Marissa 33, Taf. 16.
eines Hauen Unterhemdes mit Schulterstreif. Von dieser kaum antiken Zutat
abgesehen, trägt also Theokrit eine Exomis, wie sie unter anderen Arbeitsleuten
auch Hirten tragen, zuletzt noch die des Vergil im Codex Romanus, den Traube
in das 6. Jahrh., Ehrle noch in das 5. setzte '). Wie diese Hirten, so trägt der Pariser
Theokrit auch Stiefel, nur etwas anders umschnürt. Das sind die äpßuXt'öe?, womit
51 ff. Dort 57A. 21 wußte v. W. die Hirten-
pfeife mit abnehmenden Röhren nicht früher als
auf der Plinthe des Farnesischen Stieres nachzu-
weisen. Deren Ausschmückung habe ich jedoch
inzwischen als Kopistenzutat der Kaiserzeit er-
wiesen. Zum Ersatz dient hier Abb. 2.
') Picturae cod. Vatic. 3867 qui cod. Vergilii Rom.
audit. 1902. Eine Probe bei (Hartel und) Wick-
hoff, Wiener Genesis Taf. D zu S. 95. Traube
in der Strena Heibig. 307 ff.
52 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
in der fröhlichen Schilderung des 7. Idylls 26 Simichidas eilig zu dem Thalysienfest
seiner Freunde durch die steinige Insel Kos stampft. Daß dieser bukolische Dichter
den Theokrit selbst bedeutet, verrät uns ausdrücklich gerade die Syrinx 12 ') .
Diesem doch gewiß irgendwie mit oi[i.oc zusammenhängenden Spitznamen ent-
spricht das unverkennbar stumpfnasige Gesicht der Bildnisgestalt. Es macht,
wie nach den zwei sichern Beispielen Menandros und Poseidippos zu erwarten war,
die vornehme Zeittracht der Bartlosigkeit mit. Auf dem Hinterkopfe scheint sich
der Buchmaler etwas wie eine anliegende Kappe gedacht zu haben. Aber die im
Nacken" flatternden zwei Bänder und die vorn aufsteigenden »Federn« mit den
Blättchen über der Stirn gehen auf einen Kranz des Urbildes zurück. Beides findet
sich überraschend ähnlich an dem Flötenspieler (Abb. 3) links von der Tür eines der
Felsgräber von Marissa-Sandahanna in Idumaea, die von ptolemäisch beeinflußten
Sidoniern noch des 3. Jahrh. v. Chr. angelegt sind ^).
Einen dem Theokrit der Handschrift gleichartigen Hirten zeigt das flache
Relief des spätantiken Silbertellers aus Südrußland, den hier Abb. 4 aus einem
der inhaltreichen Anzeigerberichte Pharmakowskijs wiederholt 3). Der Mann sitzt auf
einem plattengedeckten Erdsitz in einer Landschaft, vor sich zwei Ziegen, deren
eine ihm zugekehrte auf so ebener Felsterrasse steht, wie die Tiere vor dem Hirten
einiger Endymionsarkophage 4), während die andere in kühner Wendung daliegend
den Rücken zeigt und nach dem Mann umblickt. Zu seinen Füßen sitzt das Hünd-
chen und kläfft Beachtung heischend zum Herrn hinauf. Denn er ist, frei von
Attributen, ganz in seine Gedanken versunken, mit gefalteten Händen, deren
Daumen erhoben sind, vermutlich um zu skandieren. An alledem hat unlängst
Max Mayer treffend einen Dichter erkannt. Dabei bleibt es auch dann, wenn man
ihm nicht einräumt, daß die seltsam geschlängelte Falte der Exomis hinten am
Sitz im Urbild eine Buchrolle gewesen ist. Ganz ähnlich läuft ja auf einem Grab-
stein des 4. Jahrh. v. Chr. im Athener Nationalmuseum der Mantel der Erato,
Frau des Epicharides, hinten gegen die Stuhlecke aus 5), und nicht viel anders endet
der kurze Chiton klassischer Reiter, z. B. Fig. 8 im Westfriese des Parthenons.
Die Rolle würde ja auch nicht zu der eifrig gespielten Ländlichkeit des Hirten-
dichters passen. Denn einen solchen in Gestalt eines Salonhirten und nicht mit
Mayer den kunstreichen Lyriker Caesius Bassus auf seinem kampanischen Land-
gute haben wir auf dem Silberteller zu erkennen. Da nun Vergil schon der Ge-
sichtsbildung nach außer Betracht bleibt (S. 58) und irgendein Dichter geringeren
Ranges ausdrücklich bezeichnet sein müßte, kommt nur der berühmte Archeget
der Gattung in Frage, den wir aus der mittelalterlichen Handschrift in hinreichend
') Vgl. von Wilamowitz, Bucol. gr. 157. Vasen nennt Beazley ojjiiXoS, Americ. Journ. of
') Außer der unter Abb. 3 genannten Veröffenl- arch. 1921 XXV 334.
lichung s. noch den kurzen Bericht von H.Thiersch 3) Zu der unter Abb. 4 genannten Urausgabe vgl.
im Archäol. Anz. 1908, 407 ff. und immerhin S. Reinach, Rupert, rel. III 507, 2, weil da der
auch mein Symposion Ptolem. II., 61. Eine ahn- Dargestellte richtig als Hirt bezeichnet ist.
lieh rankende Kranzpflanze auf streng rotfig. 4) Z. B. Robert, Sarkoph. III i Taf. 14.
5) Conze, Att. Grabrel. I Taf. lOl, 429.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
63
ähnlicher Gestalt kennen. Dem Ganzen könnte wohl ein Titelbild der Idyllen
Theokrits zugrunde liegen, wie es sich Bethe dachte (S. 60). Diese haben gerade
die Dichter der späteren Kaiserzeit eifrig gelesen und benützt '). Der Teller dürfte
Abb. 4. Silberteller aus dem Gouvernement Perm.
Wiederholt aus Archäol. Anz. 1908, 155 (Pharmakowskij).
nämlich, gleich der mitgefundenen sassanidischen Silberschale, aus dem 4. Jahrh.
herrühren ^). Stilistisch am nächsten kommen ihm, z. B. in der ornamentalen
Gestaltung des Baumes, die weit ins Mittelalter vorausweist — bis auf die Manesse-
sche Handschrift u. a. — und in der Bildung des aufblickenden Hundes mit dem
») Pauly, Wissowa, Realencyklop. III loio, 1012 Knaack.
2) Pharmakowskij a.a.O. 158 Abb. 6.
54 Franz Studniczka, Imag^nes Illustrium.
offenen Maule, die rechteckige Silberplatte aus Corbridge-on-Tyne mit der Vor-
bereitung zum Parisurteil und ein anderer Rundteller aus dem Gouvernement Perm
mit heroischer Jagdgesellschaft '). Nicht allzufern steht auch der schöne Berliner
Silberteller mit Artemis auf dem Hirsch, zu dem den unsern schon Zahn gestellt
hat ^). Diese um möglichst treue Nachahmung alter Vorbilder bemühte Kunst
verbürgt auch unserm Theokritbildnis ein gewisses Maß von Zuverlässigkeit, die
sich nur nicht auch auf den vorauszusetzenden Geist der ursprünglichen Bildnis-
schöpfung erstrecken kann.
Davon abgesehen ist der Kopf in der Tat persönlich genug gestaltet. Die
kurze Haartracht paßt in frühhellenistische Zeit. Die schwache Furche über dem
Stirnhaar könnte auf die aus dem Handschriftbild erschlossene Bekränzung zu-
rückgehen. Die eher schräge Stirn ist ungemein hoch, gut doppelt das Maß der
etwas knolligen Nase. Von ihrer Wurzel steigt die Braue rasch an und schwingt
sich bald wieder hinab. Das kleine Auge liegt ziemüch tief dahinter. Vom äußern
Winkel läuft eine Längsfurche über die Wange, ein Zeichen, daß der Mann kein
Jüngling mehr ist. Die Oberlippe springt entschieden über die untere vor; in dem
Buchbild sieht sie gar wie ein Schnauzbart aus. Vor dem derben Kinn der Mini-
atur wird das kleine rundliche des Silbertellers auch den Vorzug verdienen. Das
alles sollte genügen, um den Dichter in erhaltenen Rundwerken wiederzufinden.
Doch ist es mir bisher nicht gelungen; mögen andere glücklicher sein. Gedacht
habe ich, und nicht ich allein, an den Marmorkopf in Madrid, den Arndt Porträts
507/8 gut abbildet und von dem auch der Abguß vor mir steht. Sein an Bockspane
anklingender Gesichtsausdruck würde zu dem Bukoliker nicht übel passen. Aber
der Bau des Gesichts ist doch gar zu verschieden: die Stirne niedrig, die Unterlippe
dick, ein ganz kurzer Bart vorhanden u. a. m. So bleiben bessere antike Theokrit-
bildnisse als das, wie ich hoffe, hier nachgewiesene späte noch zu suchen. Häufig
können sie nicht sein. Dazu mag die Unschönheit des Dichters beigetragen haben,
die nicht so charaktervoll ist wie die ganz anders geartete des »Seneca«.
Von größerer Tragweite sind, wenn sie sich bewähren, die dem kleinen Vor-
gericht nachfolgenden Beiträge zur frühhellenistischen Ikonographie.
A. FRÜHHELLENISTISCHE BILDNISGRUPPEN IN DEN WAND-
BILDERN DES HAUPTSAALS' VON BOSCOREALE.
Schon Pamphilos malte eine cognatio, Timomachos eine cognatio nobilium,
wozu Brunn, freilich ohne dabei zu bleiben, frequentiam quam vocavere syngenicon
stellte, ein Werk Athenions (eines Schülers des mit Nikias verglichenen Glaukion
von Korinth), sowie das mit demselben griechischen Kunstwort genannte Bild
eines Dinias 3). Zur notdürftigen Veranschaulichung solcher Bilder mag man
') Beides zuletzt im Jahrbuch 1915 XXX 192 3) Plinius n. h. 35, 76; 136; 134; 142. Brunn, Gesch.
Abb. I und 205 Abb. 5 bei Drexel. d. gr. Künstler II 133. Pfuhl, Malerei u. Zeichn.
») Amtliche Berichte 1916 — 17, 299 A. i. d. Gr. II S. 729; 775. Zu Athenion vgl.
R. M. 1921/22 XXXVI/VII iff. Six
Franz Studniczka, Imagines lUustrium. gr
sich der Familiengruppen auf Grab- und Weihreliefen erinnern. In dieselbe Gat-
tung von Malerei gehörten wohl die an einer Wand des Erechtheions angebrachten
Ypaipal Tou •yevöuf z&v BoutaSöJv '). Damit sind wir in der hellenistischen Zeit an-
gelangt, wo die Fürstenhäuser neuen Anlaß zur Pflege solcher Familienstücke
gegeben haben werden. Zwar von Apelles kennen wir Alexander nur als neuen
Zeus mit dem Blitz, als Genossen der Dioskuren und anderer alter Götter (mit
Pan malte ihn Protogenes), dann als Triumphator zu Wagen oder als Krieger mit
dem Rosse, wozu sich das in Mosaiknachbildung erhaltene Schlachtgemälde, fast
sicher ein Werk des Philoxenos, stellt. Mit dem Rosse malte der Ephesier auch
den Kleitos, einen Neoptolemos und den einäugigen Antigonos, dessen Sohn aber,
den auch Theoros darstellte, erschien in Athen beim Feste der Demetria am Pro-
skenion gemalt im. -zffi Ofxoujxsvrj? ö)(ou(i.£vo? *), vielleicht so, wie später vergöt-
terte römische Kaiser von Genien, und zwar nicht nur geflügelten, durch die Luft
getragen werden. Wenn der zum Genre neigende Antiphilos Alexandrum ac
Philippum cum Minerva malte 3.), so war das auch noch kein Familienbild. Aber
Aetion zeigte den jungen Weltherrscher, wie er in Begleitung des Herzensfreundes
an das Brautbett seiner baktrischen Königin Roxane herantrat. Als Verfratzung
der zarten Intimität eines Bildes dieser Art nimmt es sich aus, wenn die syrische
Königin Stratonike von einem Maler, der nach den Pliniushandschriften eher
Kiesides als Ktesikles hieß 4), zur Rache für ihm bezeigte Geringschätzung in den
Armen eines von ihr angeblich geliebten Fischers abgebildet wurde. Das Werk
blieb, nach eiliger Flucht des Künstlers über Meer, im Hafen von Ephesos aus-
gestellt, was zu verbieten die kluge Fürstin in Bewunderung der sprechenden Ähn-
lichkeit der zwei Bildnisse ablehnte. Etwas von genrehafter Belebung wird man
auch den ernsthaften Familiengruppen des Hellenismus zutrauen dürfen, und zwar
den Gemälden noch mehr als den Bildhauerarbeiten. Wenigstens klingt es eher
nach einer Statuenreihe der alten Art, z. B. der des Leochares im Philippeion zu
Olympia, wenn nach Kallixeinos auf dem Nilschiff Ptolemaios IV. in der Felsgrotte,
die sich an einer Langseite des bakchischen Oekus auftat, tSpuro t9)? t&v
ßasdscuv cruffEVsfe? diäX\MTa efxovixot Xtöou Xo)(vs(o?5). Indes darf nicht vergessen
werden, wieviel gegenseitige Beziehungen den Kundigen noch die Standspuren
der schon zur Zeit des Epameinondas in Delphi errichteten Ahnenreihe der
Arkader verraten haben *).
Nachbildungen frühhellenistischer Familiengemälde aus einem Fürstenhause
glaube ich an Wänden II. Stiles erkannt zu haben. In der vornehmen Villa bei
■) Pausan. I, 26, 5 mit Blümners Anmerkung. 3) Plinius 35, 114.
') Athen. 12, 536 A. Für all die genannten Meister- 4) Plinius 35, 140. Vgl. Fick und Bechtel, Griech.
werke genügt es auf die Verzeichnisse von Brunn, Personennamen* 170.
Künstlergeschichte II hinzuweisen. Die des 5) Athen. 5, 205 F. Caspari im Jahrbuch 1916 XXXI
großen Werkes von Pfuhl, für das wir ihm sonst 60.
so warm zu danken haben, smd leider seinen Mit- ') Pomtow und besonders Bulle in den A. M. 1906
arbeitern nicht ebenso zureichend und Übersicht- XXXI 461—492. Vgl. Pausan. von Hitzig und
lieh geraten. Blümner III 2 S. 66i ff.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 5
56 Franz Studniczka, Imagines lllustrium.
Boscoreale, die leider nur recht ungenügend in den Sonderschriften von Barnabei
und Sambon bekanntgemacht worden ist '), öffnete der auch in seiner vier Tri-
klinien fassenden Weite (nämHch etwa 7,40 m Breite und gegen 8 m Tiefe, nach
Barnabei 48) gut vitruvische oecus quadratus die Südseite auf das Peristyl, mit
einer 1,90 m breiten Tür und zwei kaum schmäleren Fenstern. Das ist der allge-
meinsten Anlage nach in Sälen delischer Häuser I. Stiles und schon im 3. Jahrh.
in solche Oeken nachahmenden Grabkammern von Alexandria vorgebildet 2). Eine
entsprechende Dreiteilung der drei übrigen Wände bewirkten in ihrer gemalten Bau-
anlage je zwei vom Boden bis zur Decke frei aufragende Säulen (Abb. 5). An
den so gesonderten je drei Feldern der mit dorischem Gebälk abgeschlossenen Scher-
wände, über denen sich Durchblicke in Säulenhöfe öffnen, erscheinen Jebensgroße
Gestalten, zumeist wie wirklich auf das Podium unter den Scherwänden gesetzt.
An der schlecht erhaltenen, bald nach der Ausgrabung zugrunde gegangenen Rück-
wand mit hellblauer Wandtünche (wieder Abb. 5), war es vor dem durch staffierte
Bauwerke belebten Mittelfeld Aphrodite mit dem kleinen Eros im Arm 3), links
Dionysos mit Ariadne, rechts, wie man zu sehen glaubte, die drei Chariten. An
den zwei erhalten gebliebenen Seitenwänden sitzt vor dem hellen Zinnobergrund
je in der Mitte ein Menschenpaar. In den an die Eingangswand des Saales stoßenden
Feldern, die durch unmittelbar an den Ecken angebrachte Pforten, rechts eine
wirkliche, links ihr Abbild, verkürzt sind, blickt je nur eine aufrechte Gestalt nach
dem Paar des Mittelfeldes. Von den dritten Feldern der Seitenwände, welche an die
Rückwand des Gemaches grenzten, war das der Westseite bei einer baulichen Ver-
änderung überstuckt, das der östlichen mit einer sitzenden Frau samt kleiner Dienerin
gefüllt.
In der Deutung dieser Personen ließ sich die liebenswürdig lebhafte und
sorgfältige, nur etwas dilettantische und weitschweifige Beschreibung Barnabeis
durch die Götter der himmelblauen Rückseite auf mythologische Irrwege verlocken,
auf denen ihm andere gefolgt sind 4). Erst Pfuhl in seinem mit gewaltigem Fleiße
zusammenfassenden und doch auch die Untersuchung oft fördernden Handbuch
(II 879) hat öffentlich ausgesprochen, daß es sich vielmehr um Bildnisse handelt 5).
') Die Hauptarbeit ist immer noch der von Bar- ') Vitruv 6, 10, 3. Delische Oeken Bull. corr. hell,
nabei (statt von den Porapejikennern de Petra 1895X1X463:495; 5oo;507;Taf.5;Couve).Breccia,
oder Sogliano) abgefaßte Bericht der den Wert La Necrop. di Sciatbi xxxiii Taf. 2 u. 8.
des Fundes zu ermessen beauftragten Abordnung: 3) Abb. 5 nach einer Skizze von Sogliano bei Bar-
La Villa Pompeiana di P. Fannio Sinistoie sco- nabei S. 53, danach N. Antolog. a. a. O. 381
perta presso Boscoreale, s. bes. S. 47 ff. Weitere und R. M. 1902 XVII 186 (Mau). Vgl. eben-
Bemerkungen dazu verzeichnet Pfuhl a.a.O. da 1903 XVIII 1 44 £f. (Petersen). Von Dionysos
IIS. 882 f. (879 Beschreibung). IS. IX. Unerwähnt und Ariadne sagt uns Pfuhl a.a.O. 879, daß
bleibt dort die sehr eilfertig hergestellte farbige sie »im Typus der Gruppe in Villa Item gemalt
Ausgabe der später nach New York gelangten waren«; vgl. seine Abb. 715.
Teile von A. Sambon, Les fresques de Bos- *) In aller Kürze R. Engelmann in der Zeitschr. f.
coreale (Verkaufskatalog von Canessa). Einige bild. Kunst 1908 XIX 315; S. Reinach, Rupert.
Photographien brachte die Nuova Antologia 1901 peint. 33, i ; 191, 7. Vorsichtiger Sambon a. a. O.
XCII 378 ff. zum Aufsatz von B, Odescalchi. 5) Nachträglich weist stud. phil. Scheewe darauf
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
67
Nur hätte er sie nicht auf Zeitgenossen des pompeianischen Malers beziehen sollen.
Es kann hier nicht eine Übersicht der sonstigen gemalten Bildnisse kampanischer
Wände versucht werden, wovon ja so wenig veröffentlicht ist. Aber jedermann
weiß, wie selten und unbedeutend unter diesen Bildnissen die Gestalten in römischer
Tracht, also besonders in der Toga sind ■). Dem stehen doch viel zahlreichere und
erheblichere Griechenbildnisse gegenüber, unter denen wenigstens das schöne
Abb. 5. Mittelfeld der RUckwand im großen Speisesaal von Boscoreale.
Nach Bamabei, Villa pomp. Fig. 11, wiederholt aus R. M. 1902 XVII 186.
herkulanische eines tragischen Schauspielers in Erinnerung gebracht sei ^). Von
dem plastischen Bildnisschmuck der pompeianischen Häuser ist wohl manches
hin, daß die Bildnisse in Kürze schon Grüneisen
erkannte, in dem Aufsatz über das illusionistische
Bildnis, Sophia (russische Zeitschrift) 1914 April
S.53.
') Der einschlägige XI. Afbschnitt bei Heibig, Wand-
gem. Campan. Nr. 1523 bis 1526 b enthält nicht
einen Togatus, der bei Sogliano, Pitture mur.
camp, nur Nr. 682 und 683, die vielleicht auch
nicht als zweifelfrei gelten können. Sichere
Togati sind einige Genii der Larenheiligtümer,
wohl als typische Kaiserbildnisse gemeint: Mau,
Pomp. ' 278 Abb. 143, Herrmann, Denkm. Taf. 48.
^) Pfuhl a. a. 0. Abb. 653. Zu Pfuhl Abb. 658 vgl.
unten S. 116.
5*
58 Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
nicht an Ort und Stelle geblieben, das wenige gefundene allerdings meistens zeit-
genössisch; höchstens als sehr verfärbter Menander kommt ein Hermenbüstchen
in Frage '). Aber die reiche Sammlung der großen herkulanischen Villa setzt sich
ganz überwiegend aus Griechen zusammen, nicht allein aus Philosophen und anderen
Geistesgrößen, auch aus Fürsten und Kriegern, unter denen sich überraschend
viele frühhellenistische bestimmen ließen, ganz sicher Seleukos I. und Philetairos,
höchstwahrscheinlich auch Pyrrhos ^). Hieran schließen sich die Gemälde von
Boscoreale, wie sie gedeutet werden müssen.
I. DIE LINKE OEKUSWAND.
Einen festen Ausgangspunkt, der schon im Leipziger Winckelmannsblatt für
1923 kurz dargelegt ist, bietet die im Neapeler Museum aufbewahrte Westwand 3).
Sie ist auf Taf. II neu abgebildet, dank P. Herrmann und der Vcrlagsanstalt
Bruckmann nach einer für die »Denkmäler der Malerei« gemachten, großen Auf-
nahme, aus der unser Bruckmannscher Lichtdruck soviel wie möglich
herausgeholt hat. Da ich das Urbild leider selbst nicht untersuchen konnte, benutze
ich dankbar Auskünfte von Prof. Amelung, Fräulein Dr. E. Frank, Dr. W. v. Massow
und Dr. E. Langlotz, namentlich über die Farben.
2. EIN JUNGER MAKEDONENKÖNIG.
Im Mittelfeld, auf Taf. II rechts, sitzt etwas nach hinten geschoben ein junger
Mann und blickt nach der mächtigen Frauengestalt, die rechts vor ihm vorgebeugt
tiefer unten sitzt und lebhaft aufblickt. Unter beiden ist gewachsener Boden,
der nur in diesem Bildnisgemälde des Saales vorkommt. Den erhöhten Sitz des
Jünglings bezeichnet Barnabei58 als scoglio verde, in der Hauptsache wohl richtig,
besonders nach Massows Einzelbeschreibung. Danach ist die Sitzfläche mit dem
gezackten Rande (in Höhe der Schildmitte) weißgrün, der Abhang darunter gras-
grün; unter dem Schild ein klar hellblaues Dreieck, aber kaum Wasser (woran
E. Frank dachte), da sich ähnliche, bläuliche Flecken weiter nach links ziehen.
Zu Unterst eine vortretende Bodenstufe, links mehr gelb mit grünlichen Tönen
(Gras.?), die dunkle Stelle vor und über den Füßen der Frau blauviolett mit grünen
Grashalmen. Gleiche Farben hat die etwas höhere Fortsetzung dieser Unterstufe,
auf der die Frau sitzt. Auch Barnabeis Urteil über das Geschlecht der Person
links bewährt sich gegen abweichende, wie es scheint naheliegende Meinungen 4).
') Mau, Pomp. ' 463 ff. Weiteres, nach einer zu nennen. Die wichtigsten hellenistischen bei
Durchsicht der Notizie, die stud. phil. Emil Kunze Hekler, Bildniskunst Taf. 68 bis 74 und 119.
freundlich vornahm, ergab nur 1907, 582 Abb. 31 3) Guida Ruesch Nr. 906. Barnabei a. a. O. Taf. 7, 8.
den mutmaßlichen Menander und 592 Abb. 41 4) Sambon a.a.O. 13 nennt unsem Jüngling vor-
einen Römer, beide aus Casa dcgii Amorini dorati, sichtig une divinit^. A. J. Reinach im Bull.
^) Nach der Gesamtausgabe von Comparetli und de corr. hell. 1910 XXXIV 445 A. 4 spricht von zwei
Petra, La vüla Ercolancse, gibt eine Über- bekleideten Frauen. Auch Amelung und Fräulein
sieht der Funde Mau, Pomp. ' 547 ff., freilich Dr. E. Frank schrieben mir, daß sie vor dem
ohne alle Bildnisse bei ihrem richtigen Namen Gemälde selbst auf denselben Gedanken kamen.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. gg
Entscheidend dünkt mich schon das Gesicht mit der breiten und recht hohen,
knochigen Stirn und der dazu passenden starken Nase bei deutlicher Jugend.
Weiblich anmuten kann zunächst allerdings das in der Mitte gescheitelte Haar
(nach Barnabei 59 von schwarzer Farbe). Es findet sich jedoch, wenn auch nicht'
ganz so glatt gestrichen, an der erwähnten herkulanischen Marmorherme mit
Diadem unter dem eichenzweigbekränzten Helme — mit dem die erst durch Winters
farbige Ausgaben so recht bekannt gewordenen lorbeerbekränzten im Alexander-
mosaik unmittelbar hinter dem König und in der großen Schlacht des Sarkophags
von Sidon auf dem Haupte des alten Feldherrn (Parmenion) zu vergleichen sind —
und dem wilden, brutalen Gesicht, in der Jan Six mit hoher WahrscheinHchkeit
den tapfersten Soldatenkönig der frühhellenistischen Zeit, Pyrrhos den Molosser,
erkannt hat '). Diese beiden Träger der an Männern seltenen Haartracht werden
sich uns als genaue Altersgenossen erweisen. Daß auch der gemalte ein Mann
und ein Krieger ist, bestätigt jeder weitere Zug seiner Erscheinung und Ausrüstung.
Zwar die Hautfarbe ist nicht dunkler als die der Frau neben ihm; aber das wieder-
holt sich in etwas braunerem Ton an dem Paar der Wand gegenüber (Taf. III, Abb. 13,
S. 96) und im großen Saale der Villa Item ^).
Männlich genug sind die Hände, besonders ihre Gelenke, die in derselben
Breitansicht an den zwei sitzenden Frauen der rechten Wand, sogar an der sehr
kräftigen Verhüllten im Mittelfelde, entschieden zarter gebildet erscheinen. Mann-
haft fassen sie beide den Speer. Denn was sonst soll dieser gerade Stab bedeuten 3),
der nach oben sich verjüngend vom Epistyl der Scherwand als Bildrahmen
noch vor dem Ansatz der Lanzenspitze abgeschnitten wird, wie so mancher Speer
durch den obern Rand von Vasenbildern, Gemälden, Reliefen usf. Dabei war es
kaum zu vermeiden, daß es aussieht, als ob der Stab mit abgeschnittenem Ende
gegen die verkürzte Unterfläche des Epistyls anstieße, das aber doch nur zur Wand-
gliederung und nicht zu den Bildern selbst gehört. Gegen einen Speer würde
es auch nicht sprechen, wenn die an verschiedenen Stellen, dort wo die Oberschicht
nicht abgeblättert ist (Langlotz), deutliche, schräge Strichelung — von der Bar-
nabeis Taf. 8 etwas mehr zeigt als unsere II — eine schraubenförmige Riefelung aus-
drücken sollte. Wenigstens ähnlich gekerbt sind ja im Alexandermosaik, am deut-
lichsten wieder in Winters farbiger Nachbildung, die vorn auf seiner Bühne ver-
streuten Spieße, namentlich der gebrochene ganz rechts. Doch kommt die Striche-
lung ähnlich an vielen anderen Gegenständen dieser Wandbilder vor, wo sie nie
und nimmer als Verzierung gelten kann, z. B. an der Mütze unseres Mannes, an
den Lehnstühlen der Wand gegenüber, wo sie Holzmaserung und Schattengebung
') R. M. 1891 VI 279 Taf. 8. Arndt, Portr. Königsbinde, während die Abbildung m. E. eher
337/8. Hekler, Bildniskunst 71, b. Guida Ruesch einen Priesterkranz erkennen läßt.
1144 Fig. 69. Mau, Pomp. ^ Abb. 303. — Unserm ') Pfuhl a. a. O. Abb. 711—713.
König noch etwas ähnlicher gescheitelt trägt das 3) Doch nicht, handgrifflos wie er ist, einen bastone
Haar der Marmorkopf aus Smyrna im Louvre di viaggio, wie schließlich Barnabei 59 annahm?
Nr. 3294, Catal. somm. des marbres ant. von Als Lanze bezeichnet ihn richtig A. J. Reinach
1922 p. 164 Tah 62, nach dem Texte mit der a.a.O. 68 Anm. 4.
pjQ Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
zugleich bedeutet, ja selbst an Gliedmaßen und Gesichtern (Taf. III). Nur Speere finde
ich ferner ähnlich mit beiden Händen angefaßt: mit beiden höher oben auf der Fico-
ronischen Ciste von dem bärtigen Argofahrer, der sitzend der Fesselung des Amykos
zuschaut; die Hände noch weiter als in unserem Fall auseinandergreifend nach
dem Zeugnis der Natterschen Gemme bei der Amazone Mattei und dem ihr ver-
gleichbaren vulneratus deficiens von Bavai, dessen Entstehungszeit mir freilich,
mangels eigener Anschauung der Bronze, dunkel bleibt; endHch beide Hände ähnlich
wie in unserm Fall nahe beisammen, nur im Stehen höher vor der Brust, auf dem
Berliner Orpheuskrater bei dem ergriffen an sich haltenden Zuhörer mit geschlossenen
Augen i). So wie unser ruhig dasitzender Jüngling seine Waffe fest gepackt vor
sich aufstützt, wirkt es wie unauffällige, aber zuverlässige Kampfbereitschaft; er
sitzt auf seinem Erdbuckel wie eine Person gewordene Besatzung.
Dazu dient auch der Schild, der angelehnt die Unterschenkel des Kriegers
deckt und so ganz unzweideutig ihm zugeeignet ist, nicht der Frau (wie Barnabei
wollte), die er freilich fürs Auge mi' dem Jüngling verknüpfen hilft. Dieser Silber-
schild aber verät die Volkszugehörigkeit seines Herrn. Er hat nämlich, was
zuerst Lippold aussprach *), die ganz eigenartigen geometrischen Verzierungen,
die in allen soweit verständlichen Darstellungen für die eigentlichen Makedonen
bezeichnend sind. So gerade auch dort, wo diese Schutzwaffe außerhalb ihres
Ursprungslandes abgebildet ist. Zu dritt zusammengelegt, im Mittelrund eine
Lanzenspitze als Schildzeichen, erscheinen sie auf den Kupfermünzen Abb. 7 a,
die Kassanders Strateg Eupolemus 314/13 v. Chr. in Karien schlagen ließ3). Im
gleichen Metall prägt einen Schild, mit dem Anker, dem Siegelbilde Seleukos L,
ein Antiochos, wohl sicher dessen Sohn, zum Ausdruck des von dem greisen Vater
übernommenen Anspruchs auf den erledigten Thron der alten Heimat 4). Denn
dasselbe Gepräge, nur mit den Monogrammen der Könige im Schildkreis, zeigen
die Kupfermünzen des Pyrrhos (Abb. 7 b) aus den Jahren 287 bis 284 und 274
bis 272, als er Makedonien ganz oder teilweise beherrschte, und seines zuletzt sieg-
haften Mitbewerbers um dieses Land, Antigonos Gonatas (Abb. 70)5). Der
Schild auf den Kupfermünzen des letztern kommt dem des Gemäldes am nächsten
schon durch die auch hier kaum fragliche Siebenzahl der Halbkreise — bei Pyrrhos
und wohl auch bei Eupolemos sind ihrer nur sechs — , die der schmale Schildrand
abschneidet. Aus späterer Zeit sind besonders ähnlich die zwei bisher genauer
') Ficor. Ciste Pfuhl a. a. O. Abb. 628; Springer, 3) Catal. gr. coins Br. Mus.Caria 128 Taf. 21, 1 1 — 12.
Handb. " I Abb. 597. Nattersche Gemme daselbst Ansön, Numism. gr. I2 Taf. 22, 1055. Head,
Abb. 497 und J. d. I. 1918 XXXIII 73. Bronze Hist. num. » 622. Vgl. Diodor 19, 68; 77.
von Bavai Springer " Abb. 549. Orpheuskrater 4) In demselben Catal., Scleuc. S. xxiii, 1 1 Taf. 4,
Pfuhl Abb. 554. 7. Anson a. a. O. Taf. 16, 860 fg. Zum Anker
') Archäol. Studien für A. Furtwängler 505 A 7. — Appian, Syr. 56, vgl. auch Tarn, Antig. Gonat.
A. J. Reinach (oben S. 68 Anm. 4) hält den Schild 160 mit A. 80.
fUr goldverziert, weil er den Text dazu mit dem 5) Anson a. a. O. Taf. 15, 823. Vgl. Head, Hist.
zu der schildhaltenden Frau an der Wand gegen- num.' 230 f. Ich kenne diese selten abgebildeten
über verwechselt (Barnabei S. 58 u. 59). Unten Münzen vollständiger aus der Berliner Sammlung.
S. 103, Taf. III. Daher auch unsere Abb. 7 b uijd c.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. 7I
bekanntgemachten Schilde in den Reliefen vom Denkmal des Aemilius Paulus
zu Delphi, nur daß ihren Rand eine breite Doppelborte umgibt '). Auf den weiter-
hin noch zu besprechenden Silbermünzen Philipps V. und seiner Vorgänger mit
Namen Antigonos (Abb. 7 d bis f, h, k) erscheinen die sieben Halbkreise platt-
gedrückt mit einwärts gebogenen Enden. Von einer Bereicherung des Zierats
auf diesen Münzen erst unten (S. 75).
Zum makedonischen Krieger passen in unserm Gemälde die bis ans Hand-
gelenk reichenden Chitonärmel, wie sie schon Alexander auf dem Mosaik, er und
seine Genossen auf dem sidonischen Marmorsarkophage tragen. Die Farbe dieses
Hemdes, die Barnabei 59 gleich der des Obergewandes color violaceo nennt, be-
zeichnen mir E. Frank und W. v. Massow als ein ganz helles Grau mit bläulichen
und gelblichen Tönen, das wohl nur Weiß bedeutet. Dunkler, nach Massow röt-
lichviolett, ist der kleine Mantel, der von der linken Schulter bis zum Arm hängt,
anderseits quer über den Schoß etwa vom rechten Mittelfinger ein wenig
schräg bis nahe an den obern Schildrand ansteigt, durch die Farbe von den be-
zeichnenden Kolposfalten des Chitons klarer abgesetzt als in den Lichtdrucken,
wo sogar ein bißchen Retusche im Spiel sein dürfte. Die große etwa ovale Saum-
schlinge unweit der Hand gehört jedoch offenbar zum Mantel. Dieser kann, da
tiefer unten vor dem Erdsitz nicht mehr ein Fältchen sichtbar wird, nur als die dem
Kriegsmann gebührende Chlamys gelten. Zwar ist sie nicht um den Hals auf
der rechten Schulter zusammengeheftet, wie — gemäß dem theokritischen Aus-
druck XöJTtos axpovTOpoväaöai für »unter die Soldaten gehn«^) — bei andern Kriegern
und darum auch bei den einschlägigen Bildnissen hellenistischer Fürsten 3). Aber
daß dieses Gewand, wie sonst nackten Epheben und den ihnen nachgebildeten
Hermesgestalten, auch einmal einem richtigen Soldaten mit Ärmelchiton und
Speer nur lose auf der linken Schulter aufhegen kann, lehrt der miles gloriosus
des bekannten pompeianischen Wandbildes, das alsbald noch für die Kopfbedeckung
heranzuziehen sein wird 4). Das war wohl eine Art »Interimstracht«, wie sie unserm
ruhig dasitzenden Makedonen ansteht. Das Violett zeigen auch die Chlamyden
des sidonischen Sarkophags nach Winters Aufnahme. Es ist das aXoup^s?, die Pur-
purfarbe, die ja nach schriftlicher Überlieferung schon Alexander recht vielen hohen
Offizieren einräumte 5).
Daß jedoch unserm äp^upaam? der allerhöchste Rang zukommt, lehrt seine
Mütze, die Barnabei 58 f. ganz richtig beschrieben, nur nicht ebenso benannt hat.
Selbst noch gelehrteren Kennern des Hellenismus war es entgangen, was doch
Wolters, allerdings nur in einer Anmerkung, schon 1890 kurz, aber genau darlegte,
0 Am besten m. W. bisher bei A. J. Reinach a. a. O. 3) Z. B. Alexander in Mosaik, Sarkophagrelief und
(oben S. 68 Anm. 4) 437 u. 444 f. abgeb. Letzterer Neapeler Reiterfigur, aber auch die Büsten Hekler,
Schild zur Not auch bei S. Reinach, Rupert, rel. Bildniskunst 70, 71 a, 72 b, u. a. m.
I 118. 4) Baumeister, Denkm. II 825; Bieber, Denkm. des
») Theokrit Id. 14,66. Zu XüJjio; vgl. meine Bei- Theaterwesens 160; 19S A. 134, Abb. 136.
träge zur altgr. Tracht 74. 5) Blümner, Techno!.' 1 234 A. 2; 242. Athen. 12, 539F.
72
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
daß diese etwa unsern Matrosenmützen ähnliche Kopfbedeckung die xauoia ist ').
Diese besonders in Makedonien heimische Kopfbedeckung zeigt uns am deutlichsten,
von unten gesehen, ein pergamenisches Waffenrelief ^), aufgesetzt aber der Make-
done des bekannten Grabreliefs aus seiner Heimat3), ferner der dem bedrohten Alexander
zu Hilfe sprengende Krateros in der Löwenjagd der messenischen Rundbasis 4),
und selbst in den erhaltenen Zeichnungen jenes verlorenen
Wandgemäldes der Bramarbas einer Komödie. Nicht un-
erwähnt bleibe hier, daß die hellenistische Kunst die be-
liebte Militärmütze auch Sagengestalten gibt, z. B. einem
Jagdgenossen des Meleager und der Atalante auf einem
bekannten Wandgemäldes), in Übereinstimmung mit der
Aitoha der Bundesmünzen dieses Landes ^). Doch ist
solche Deutung unseres Jünglings ausgeschlossen, nicht
nur durch seinen zweifelfreien Bildniskopf, auch durch die
Eigenart seiner Kausia selbst. Es ist nämlich die erst seit
Alexander übliche Königsmütze, die xauaia s)(ouaa xh oidbrnia.
To ßaaiXixov oder kurzweg xouaia Siaor^ixaio^popo?"). Dargestellt
ist sie im wesentlichen ebenso, wieder mit der Chlamys verbunden, in dem Münzbild-
nis des Baktrerkönigs Antimachos I. Theos (Abb. 6), der fern im Osten das besondere
Bedürfnis empfand, die makedonische Herkunft seiner Macht zu veranschaulichen**).
Abb. 6.
Antimachos I. von Baktrien.
Krönerscher Druckstock.
') Wolters in den A. M. 1890 XV 196 Anm.
Die verdienstliche ausführlichere Darstellung
von Wuescher - Becchi im Bull, comun. 1904
XXXII 93 ff. hat wieder einiges Unzuge-
hörige eingemischt und dieses ist auch in dem
Art. xauaia bei Pauly, Wissowa, Kroll, Real-
encyklop. XI 89 ff., den Ada von Netoliczka
verfaßt hat, nicht wieder ausgemerzt. Wolters
scheint auch von ihr wieder übersehen zu sein.
Vgl. Anm. 8 dieser Seite.
-) Altert, von Pergam. II Taf. 45, I. Baumeister,
Denkm. II 1284. S. Reinach, Rupert, rel. I 214, I.
3) Heuzey, Mission de MacM. Taf. 22 ; der Kopf bei
Daremberg, Saglio, Pottier, Dict. I 2, 975 Abb.
1259. Photogr. Alinari 22 592.
t) J. d. I. 1888 III 190 Taf. 7 G. Löschcke; 1909
XXIV 190 Wolters, Sieveking; Journ. hell. stud.
1899 XIX 273 Perdrizet.
5) Heibig Nr. 1165. Winter, Kunstg. in Bild. I 97, 6.
Rodenwaldt, Kompos. 61 Abb. 8. Vgl. den »Of-
fiziersburschen« des mit Aphrodite kosenden Ares
Herrmann Taf. 1 09 f. Jahreshefte 1902 V 97
Abb. 15 u. a, m.
*) Head, Hist. num. ' 334.
7) Athen. 12, 537 E; Plutarch, Anton. 54; vgl. auch
Arrian 7, 22, 2. Zu Plutarchs kleinem Ptolemäer-
prinzlein der Kleopatra vgl. Winter, Typen fig.
Terrak. II 239, i — 6, soldatenspielende Jungen.
*) Abb. 6, nach Berliner Abguß, entlehnt aus Sprin-
gers Handbuch " Abb. 779. Catal. gr. coins.
Kings of Baktria Taf. 5, i. Imhoof- Blumer, Portr.
Taf. 6, 30. Katal. J. Hirsch XXXIII Taf. 23,
943. — Wenigstens hier erwähne ich den von
Six auf Euthydemos I. von Baktrien gedeuteten
Marmorkopf des Museo Torlonia, der wahrschein-
lich auch die xausfa oia57)[jiaTO(p({pot trug. Doch ist
sie durch Ergänzung und Überarbeitung arg ent-
stellt. Übrigens auch das Gesicht. Das Stück ge-
hört somit nicht in Auswahlen des Besten wie R.
Delbrück, Ant. Porträts 29 oder gar Waldmann,
Gr. Originale 185. Beide verwechseln auch noch
die Kausia mit dem hutähnlichen Helm des
Alexandersarkophages, wie selbst noch Winter
in seiner Ausgabe des letzteren S. 13,
trotz meiner auf Wolters (hier Anm. l) gegrün-
deten Warnung schon Verhandl. 42. Philologen-
versamml. 1892, 87 A. iii, die Th. Reinach,
Necrop. royale de Sidon 288 A. i wiederholt.
Mit ähnlich wie in dem Marmor durchgedrücktem
Oberkopf scheint die Kausia dargestellt auf den
Münzen des Illyrierkönigs Genthios, wo das
Fehlen des Diadems auffällt; ob es nur auf
schlechter Erhaltung beruht ? Imhoof, Portr.
Taf. 2, 18.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. j'i
Nur hängen dort, in der Seitenansicht, die Bandenden im Nacken, wie durchaus die
des ums bloße Haupt geschlungenen Diadems und an dem der Kausia umgelegten
auch in der Schilderung des Demetrios Pohorketes von Duris '). Dagegen mußte der
Maler unserer Dreiviertelansicht die Bandenden (das zweite kommt eben noch
hinter dem Speer zum Vorschein, wie mir Massow bestätigt), um sie sichtbar zu
machen, irgendwie vorverschieben. Dies mag im Urbilde — das jetzt niemand
mehr auf einer pompeianischen Wand suchen wird — sachlich begründet gewesen
sein 2). Daß es sich dennoch um die richtige Königsbinde handelt, bestätigt hier
ihre mehrfach bezeugte weiße Farbe 3), die Barnabei ohne Zögern angibt, obgleich
sie nach Massow durch verschiedene, grünlich-hellblaue bis violette Töne gedämpft
ist, doch wohl um die Beschattung durch die ausladende Mütze auszudrücken. Das
Weiß soll die Prachtliebe des Belagerers nach jenem Berichte des Duris mit Gold-
stickerei überzogen haben (ypuaö:ro((5To?). Doch ist damit vielleicht nur Gold
als Stoff des auf vielen Münzen erkennbaren Fransenbesatzes gemeint. Der ent-
sprechende Abschlußstreifen unseres Bildes, nach Massow nicht gefranst, ist dunkel-
violett. Ebenso die Kausia selbst, also wieder c(Xoup7r]f, wie nach dem samischen
Peripatetiker die des ersten Demetrios und gewiß nicht nur die seinige war.
Somit ein makedonischer König. Denkbar wäre ja auch der eines der helle-
nistischen Reiche, wo Geschlechter dieser Abkunft herrschten, wie die Ptolemäer
oder Seleukiden. Aber weitaus näher liegt, nach der gegebenen Übersicht des
Vorkommens makedonischer Schilde (S. 70 f.), ein Herrscher des Stammlandes. Und
zwar ein für unsere Augen neuer. Denn der noch jugendliche Kopf liefert nicht
allein in der besprochenen Haartracht (S. 69), auch in der breiten Stirn und der
langen, starken Hakennase über der kurzen, etwas gepreßt wirkenden Oberlippe,
in dem ebenfalls kurzen, aber kräftig vortretenden Kinn und den straffen Wangen
Charakterzüge genug, um sagen zu können, daß er uns auf Münzen und sonst noch
unbekannt ist. So sah, um von Alexander zu schweigen, weder Poliorketes, noch
einer von seinen Todfeinden und Nachfolgern in der Herrschaft über Makedonien,
Pyrrhos und Lysimachos 4), weder Philipp V. noch dessen Sohn Perseus aus. An
die jung und ruhmlos dahingesunkenen Nachfolger Alexanders, den Sohn und
Halbbruder, wird niemand denken, ebensowenig an die Söhne Kassanders, der
selbst in allzu reifem Alter Makedonenkönig wurde, um hier in Erwägung zu
kommen. In Frage stehen also nur die drei Antigoniden zwischen Demetrios I.
und Philipp V.: Antigonos II. Gonatas (277 bis 239), dessen Sohn und Nachfolger
Demetrios II. (239 bis 229) und dessen Nachfolger, des Gonatas Neffe Antigonos III.
Doson (229 bis 220), der Vormund und Platzhalter des unmündigen Sohnes Deme-
trios II. Philipp V. Von dem mittlem unter diesen drei für das gemalte Bildnis
ernstlich in Betracht kommenden Herrschern gibt es bisher keine Münzbilder,
wohl aber von einem der beiden Antigonoi. Von welchem, das gilt es zu ermitteln.
') Fr. h. gr. II 477, 31, aus Athen. 12, 535 F. 3) Die Stellen bei Pauly, Wissowa, Realencykl. V
') Beide Zipfel der allein getragenen Königsbinde 303 (Mau).
ziehen nach vorne die Vorderansichten von Arsa- ■») Auch zu dessen Bildnis vgl. Six in den R.
kidenköpfen bei Imhoof-Blumer, Portr. Taf. 7, M. 1894 IX 103 ff. Hekler, Bildniskunst 69.
13; 20 u. a. m.
74
Franz Studxiiczka, Imagines Illustriuni.
a Eupolenios
c Antigfonos II.
b Pvrrhos
d e Antigonos III.
g- Amyntas If. oder III. i Antigonos II.
f h k Antigonos IL oder III.
Abb. 6. Makedonische Münzen in Abdrücken von Berliner Stücken ;
nur f bei Dr. Walter Giesecke in Leipzig.
3. DAS KÖNIGSBILDNIS DER ANTIGONOSMÜNZEN.
Seltene Vierdrachmenstücke mit einem feinen diademgeschmückten Kopfe
bezog Imhoof, mit Bompois, auf Doson, weil das Bildnis sehr von ferne und nicht
in den besten Stücken an dessen Großvater den Belagerer erinnert und die einzige
Beischrift dieses Gepräges Aa auf den Sieger von Sellasia hindeuten zu können
schien '). Es wird aber jetzt zumeist dem im chremonideischen Kriege gefallenen
Lakonenkönig Arcus gegeben, zu dessen bekannten zeitgemäßen Ansprüchen die
hellenistische Königsbinde an Stelle des schlichten schnurförmigen Strophions der
Archidamosbüste ^) gut passen würde. Dagegen von einem König Antigonos
gezeichnet sind, zu beiden Seiten der archaisierenden Athena Alkidemos der Rück-
seiten, zahlreiche Vierdrachmenstücke, die vorne den makedonischen Schild mit
■) Imhoof, Porträtk. 15 Taf. 2, 9; Katal. J.Hirsch
XIII 2641 Taf. 29 (wohl das beste Stück) und
2642 Taf. 30. Head, Hist. num.» 434 Fig. 238.
Vgl. Pauly, Wissowa, Realencykl. II 683 (Niese);
Beloch, Gr. Gesch. III i, 314.
^) Hierüber Journ. hell. stud. 1923 XLIII 66.
1
Franz Studniczka, Imagines lUustrium. yc
dem bartlosen Panskopf im Kreise tragen, der schließlich allerdings in das Bildnis
des Königs umgestaltet wurde. Die mit diesen Worten vorausgesetzte Zeitfolge,
wie sie Abb. 7 zunächst in den drei Stücken f, h, k veranschauHcht, ergibt sich
mir im Gröbsten schon aus einer Weiterbildung des Schildzierats. Den sieben
Bügeln der Umrahmung, die jetzt erst flachgedrückt und eingebogen sind, werden
auch noch Sternchen eingefügt. Diese hat man offenbar nur zu Beginn der neuen
Prägung (Abb. jf) mit in der Regel vier einander durchkreuzenden Strichen so
lässig gezeichnet, wie wir sie mit der Feder »schreiben«. Nach einer Übergangsform,
wo der noch ebenso »kursive« Stern doch schon einen Mittelpunkt erhält, folgt
die an sich alte Zierform, die grundsätzlich mit dem Schildzeichen unseres Gemäldes
(Taf. II) übereinstimmt: acht um einen gesonderten Mittelpunkt angeordnete
Strahlen, dick ansetzend und rasch sich zuspitzend (h, k, auch d, e). Bleibt doch
im wesentlichen die letztere Sternform im Gebrauche auf den Münzen Philipps V.,
wo der Panskopf mit Wurfholz dem des Perseus mit Tarnhelm und Harpe ge-
wichen ist, ja noch auf denen, wo der Kopf der »freien« Makedonia an die Stelle
tritt '). Schon dieser enge Zusammenhang nach unten legt den Gedanken nahe,
daß die Antigonosmünzen dem Doson oder wenigstens auch noch ihm gehören.
In der kleinen Anfangsgruppe mit den »kursiven« Sternchen ist nun der
Panskopf, wie Abb. 7f ihn zeigt, zwar durch kurze Hörner bezeichnet, sonst aber
einem jugendlichen, noch ziemlich edlen Satyr ähnlich '). Erst neben jener Über-
gangsform des Sterns mit nicht abgesondertem Mittelpunkt wird das Gesicht derber
und männlicher, etwa dem der Barberinischen Satyrstatue in München vergleich-
bar 3). In dem endgültigen Sternkranze dagegen klingt es nur noch selten an
den jugendhchen Typus an t), macht vielmehr zumeist den Eindruck von Bild-
nissen aus gereiftem Lebensalter (Abb. 7, h, k) 5). Hierher gehören schließlich
auch unsere Berliner Münzen d ^) und e 7). Beide zeigen so ziemlich dasselbe
männlich reife Gesicht mit starken Wangen, kleinem Mund und hochgezogener
Braue, das nur die kurze Senknase entstellt, bei dem aber ohne die Spitzohren
und Hörnlein, das deutlich gezeichnete Fell um den Halsansatz und das Wurfholz,
kaum noch jemand an Pan denken würde. Letzteres Attribut zeigt sich nicht
mehr in seiner ganzen Ausdehnung dem Kreisrahmen angeschmiegt, sondern ge-
•) Proben von beiden bei Head, Hist. num.» 233; 4) So z.B. J. Hirsch, Katal. XXXIII Taf. 15, 668.
238 f. Anson, Num. gr. I 2 Taf. 11, 575; 20, 5) Unserm Berliner h ähnlich J. Hirsch, Katal. XXX
1015; 10, 564— 566. [J. Hirsch.] VI. Catal.de Taf. 15, 474, wohl dasselbe Stück wie XXV Taf.7,
monn. gr. Collect. Bement I vente 1924 Taf. 28. 546. Vgl. auch Head, Hist. num.» 203 Fig. 146,
') Unserm Gieseckeschen Stück gleich oder ähnlich : ausnahmsweise mit gerader Nase, aber schräg
J. Ward (G. F. Hill), Gr. coins and their parent auswärts hochgezogenen Brauen. Noch etwas
cities 62 Taf. 10, 403. J. Hirsch, Katal. XXXIII anders Coli. Bement a. a. 0. (Anm. i) 785.
Taf. 15, 669, wohl gleich Katal. XIII Taf. 16, ^) Ähnlich der im Haag, abg. Imhoof-Blumer, Monn.
n8o (die bessere Abb.). S. auch Coli. Bement gr. 130 Nr. 70 Taf. D, 13. Gipse verdanke ich dem
a. a. O. 784. — Zur Geschichte des Typus vgl. Direktor Herrn Dr. A. 0. van Kerkwyk.
Furtwängler, Kl. Schriften I 211. ^) Tarn, Antig. Gon. 174 A. 20 und Titelblatt. Vgl.
3) Am frühesten wohl J. Hirsch, Katal. XIII Taf. 16, Imhoof.Monn. gr. 130 oben, wo die ältere Lite-
II 78. ratur.
76 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
schultert nur mit dem dicken Ende hinten herausragend, und gibt so Raum für
die flatternden Bandenden des Diadems, das sich in die herkömmliche Furche
über dem Nackenschopf gelegt hat. Da dieses nicht allzu augenfällige Kennzeichen
von d noch nicht zu genügen schien, wiederholte man auf e in dem schmalen
Zwischenraum des Doppelkreises in winzigen Buchstaben die Aufschrift der Rück-
seite ßotdiXeo)? 'AvTi^övou. Ihr zu Ehren sind beide Seiten neu und sorgfältig durch-
gearbeitet, z. B. die Bügel des Schildrahmens ganz eigenartig dreifach gezogen
und darum mit kleinern, gedrungenen Punktsternchen gefüllt, auch die Athena
Alkidemos nach rechts gewandt, was indes schon früher vorkommt. So wird
gewissermaßen die Rückkehr zur ausdrücklichen Bildnisprägung gefeiert.
Aber welcher von den zwei in Frage kommenden Königen ist gemeint.^ Gewiß
derselbe Antigonos, den bei einer von ihm geleiteten Belagerung Verteidiger von
der Stadtmauer wegen seiner Häßlichkeit verspotteten, was er zwar scherzend
beantwortete (»und ich glaubte, mein Gesicht sei schön«), aber nach Einnahme
der Stadt doch durch Verkauf der Leute in die Sklaverei hart bestrafte; nur sagt
uns leider auch Plutarch nicht, ob das Gonatas oder Doson war '). Für ersteren
nimmt, wie schon angemerkt, unsere Münzen nach Imhoof und anderen Tarn in
Anspruch und setzt e als Titelbild vor sein treffliches Buch über den philosophischen
König. Hat doch für diesen sein stoischer Glaubensgenosse, Freund und Hof-
dichter Aratos einen Hymnos auf Fan verfaßt 2), und diesem Schutzgott feierte
Gonatas noch als Greis sogar auf der Apolloninsel Delos Faneia (Tarn 380 f.).
Ja, zahlreiche Kupfermünzen (wie Abb. yi) mit demselben Monogramm, das
die offenbar im Wettbewerb mit Pyrrhos und Antiochos geprägten Makedonen-
schilde des Königs tragen (Abb. 7 c), zeigen den satyrähnlichen Gott ein Tropaion
schmückend, an dem bereits ein gewaltiger Schild mit großem Buckel hängt, das
also doch wohl nur dem wichtigen Galliersieg des Gonatas bei Lysimacheia (277)
gelten kann 3). Indes darf nicht vergessen werden, daß sich der Panskopf in
einer dem Anfangstypus der Vierdrachmenstücke nicht allzufernen Idealform
(Abb. 7g) schon auf dem Kupfer Amyntas II. oder III. und noch nach dem Fall
des Königtums auf dem der Botteaten findet 4), so daß er nicht auf die Münzen
Antigonos' II. beschränkt gedacht werden muß. Immerhin werden unsere Silber-
stücke mit diesem König anheben. Aber die schließliche Umdeutung ihres Pan-
kopfes zum Königsbildnis, also eine Art Verherrlichung der eigenen Häßlichkeit,
wie auch jene Rache für deren Verspottung von der Stadtmauer herab, paßt doch
entschieden schlechter zu dem stoischen Verächter des Diadems und der Ver-
gottung 5), als zu dem mit Alexander verglichenen, kurzlebigen Sieger von Sellasia
der sich Antigoneia feiern ließ und sonst gern alle Ehren mitnahm *). Diese ver-
') Plutarch, de cohib. ira 458 F, Bernard. III 193. 4) Catal. gr. coins Brit. Mus. Maced. 13. 168; Head,
') Maaß, Aratea 229. Mehr Literatur bei Tarn Hist. num.' 222. 243. Ich habe auch davon
a. a. 0. 226 A. 5. mehr Stücke in Berlin gesehen als das in Abb. 7 g.
3) Die kurzen Nachrichten bei Laert. Diog. 2, 17, 5) Stobaeus, Flor. 7, 20. Plutarch, de Isid. et Osjr.
140 und lustin 25, 2. Vgl. Usener im Rhein. Mus. 360 C D, Bernard. II 494. Vgl. Tarn a. a. 0. 435.
1874 XXIX 43. Head, Hist. num.^ 232. «) Polyb. 2, 70; 9, 36, 4; 5, 9, 8. Plutarch, Kleom.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
n
schämte Rückkehr zu der seit Demetrios I., offenbar infolge der langen Herrschaft
seines philosophischen Sohnes, ruhenden Bildnisprägung durch Doson bildet den
richtigen Übergang zu deren rückhaltloser Wiederaufnahme unter seinem Nach-
folger Philipp, dessen Münzen mit dem Bildnis als Perseus, wie gesagt, unmittelbar
an die mit Pan-Antigonos anknüpfen (S. 75).
4. DIE FRAU NEBEN DEM MAKEDONENKÖNIG.
So bleiben für den Träger der xauata StaSr^fiaxocpopoc, zu dem wir nach dem
notgedrungenen Umweg zurückkehren, nur Antigonos II. und sein Sohn Demetrios II.
zur Wahl, und diese neigt sich von vornherein zu dem berühmteren Vater.
Auf seinen Münzen fanden wir den Makedonenschild am ähnlichsten verziert wie
in dem Gemälde, bei seinem Altersgenossen
Pyrrhos die ähnlichste Haartracht (S. 69).
Als das abgeschnittene Haupt dieses Fein-
des dem Gonatas gebracht wurde, deckte
er seine Kausia darüber, die er nach Make-
donensitte ebenso zu tragen gewöhnt war'),
wie sein Vater Demetrios (S. 73). Weitere
Bestätigung bringt der Zusammenhang, worin
ihn das Bild zeigt. Der junge König blickt,
mit stark verschobenen Augensternen, in ern-
ster Aufmerksamkeit fast andächtig auf die
mächtige Frauengestalt, die sich neben ihm
auf die tiefere Bodenstufe rechts vorne nieder-
gelassen hat. Vorgebeugt legt sie den linken
Unterarm schräg über das tiefer herab-
gelassene Knie und stützt, Xs/pi? dpeiorafisvrj^),
aufs gehobene rechte den rechten Ellbogen,
die Hand am Kinn des lebhaft aufschauenden
Gesichts. So schließt die Gestalt sich Zug um Zug an das Urbild der auf dem Om-
phalos sitzenden Themis (Abb. 8) — oder wer es sonst ist — , die auf der Kertscher
Vase in Petersburg dem Auszug des Triptolemos beiwohnt. Hier jedoch muß es ein
sterbliches Weib sein. Ihr Aufbhcken kann sich nur auf den könighchen Jünghng
beziehen, obgleich die Richtung der scharfen Seitenansicht des Gesichts streng ge-
nommen an dem etwas in den Hintergrund Geschobenen vorbeigeht. So erklärt es
mir Amelung vor dem Urbild sehr entschieden gesehen zu haben, weshalb ihm die
Frau vielmehr ins Leere oder nach dem unzweifelhaft herüberschauenden Alten
Abb. 8. Themis von einer Kertscher Vase.
Nach F R. II Taf. 70. Druckstock von
B. G. Teubner.
30, Arat 45; Athen. 6, 251 D. Mehr bei Tarn sea, qua velatum caput suum morc Macedonum
a.a.O. 435 und 250; A. 106 sind ihm die Pan- habebat, texit.
münzen für Gonatas unbequem. ") So sagt Apollon. Rhod. Argon. 3, 1160 von
') Valer. Max. 5, i, 4: humo caput sublatum cau- Medea, die in sehr ähnlicher Haltung die Folgen
des eben geschlossenen Liebesbundes vorausahnt.
nß Franz Studniczka, Imagines lllustrium.
jenseits der gemalten Säule zu blicken schien. Aber Barnabei und Massow bezogen
angesichts des Wandgemäldes doch ihren Augenaufschlag auf den Sitzenden. Nur
ging der Herausgeber sicher in die Irre, wenn er gieriges Liebesverlangen der giovine
donna herauslas, die bei Pfuhl S. 87 gar ein Mädchen heißt. Solche Bezeichnungen
passen jedoch gar nicht auf diese Frau, deren edles Gesicht auf einem bis in das
Doppelkinn und die mehr als vollen Wangen hinauf geradezu schweren, fett-
leibigen Körper sitzt. Man umspanne nur mit dem Auge den hochumgelegten Gürtel
und die Hüfte darunter. Am nächsten kommt ihr darin die Mutter Niobe, noch
näher als die Statue der Uffizien die des pompeianischen Marmorgemäldes (Pfuhl
Abb. 652). Der so unzweideutig mütterlichen Gestalt entsprechend muß das
Aufleuchten der Miene, mit dem feurigen, dunkeln Auge und den geöffneten Lippen,
zwischen denen die obere Zahnreihe sichtbar wird — nicht unähnlich dem hier
191 9, 137 auf die Dionysosbraut Ariadne gedeuteten Kopfe vom Südabhang —
vielmehr stolze Mutterliebe bedeuten. Also die Mutter des jungen makedonischen
Herrschers, nicht ganz ohne Bildniszüge auch im Gesicht, dessen Nase fein gebogen
ist. Ihre Volkszugehörigkeit mag dem Kundigen die Tracht näher bestimmt haben.
Das um die Beine von weißem Mantel umhüllte Hauptgewand — nach v. Massow
entschieden grau-violett, nach Langlotz stellenweise mit Graugelbbraun über-
strichen, der einzige Anhalt für Barnabeis Angabe S. 59, der aber auch sonst den
Purpur grün sah — zeigt echt dorisch die prachtvollen Arme der XsuxwXevo; und
ihren Ansatz bis unter die Achselhöhlen. Beinah etwas Ländliches hat das zur
Haube zusammengefaltete rotbraune Kopftuch mit im Nacken verknoteten und
hinabhängenden Zipfeln '). Nur vorn, von der niedrigen Stirn bis zum Ohr, kommt
ein schmaler, lockiger Haarstreifen zum Vorschein. Im Ohrläppchen ein kleiner
einfacher Goldring. Dagegen Barnabeis larga armilla di oro sul braccio sinistro
hat weder E. Frank noch v. Massow bestätigt, nur Langlotz, und er doch zögernd.
Das alles, besonders die schwere Körperfülle, paßt weit besser, als zu einer Göttin,
etwa der Verkörperung einer Landschaft, zur Königin Mutter, die freilich auf-
gerichtet den jungen König gewaltig überragen würde. Doch ist auch Mutter
Niobe in der Marmorgruppe bedeutend größer gewachsen, als selbst die größte
von ihren erwachsenen Töchtern in dem die elende Florentiner Kopie fast um
Haupteslänge überragenden Urbild aus dem Besitz des Chiaramontipapstes.
Wurde vorhin in dem jungen König richtig Antigonos Gonatas vermutet,
dann ist seine liebevolle Mutter die edle Phila, die staatskluge Lieblingstochter
des Reichsverwesers Antipatros. Sie wurde schon 322 mit Krateros vermählt,
aber nach dessen frühem Tode im Kampfe gegen Eumenes wohl schon 321/0 wieder
verheiratet mit dem erheblich Jüngern, eben erst erwachsenen Demetrios, der nur
ungern diesen Wunsch seines Vaters, des einäugigen Antigonos, erfüllte^). 318
') A. J. Reinachs Auffassung der Haube als einer sie aus, in Übereinstimmung mit einer von Fräul.
»phrygischen Mütze« (oben S. 68A. 4) ging auch E. Frank vor dem Urbild hergestellten Skizze,
mir durch den Kopf, als ich nur auf Barnabeis die frühere Angaben Amelungs bestätigt, von
Taf. 8 angewiesen war. Unsere Taf. II schließt spätem Massows ergänzt wird.
^) Plutarch, Demetr. 14 und 27. Diodor 19, 59, 3 — 5.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. yg
gebar sie dessen gleichnamigen Enkel und bald darauf Stratonike (S. 65). Noch um
die Zeit, als der Belagerungsmeister Rhodos bedrängte, wurde ihm eine nützliche
Sendung dieser Frau weggekapert. Sie lebte damals vermutlich in der Nähe,
etwa in Lykien, da ein Sohn dieses Landes, Demarchos, ihre Leibwache befehligte').
Aber das eheliche Verhältnis muß sich immer mehr gelockert haben, da ihr junger,
genußsüchtiger und ehrgeiziger Gemahl nicht nur in schamlos betriebenen Lieb-
schaften, sondern auch in weiteren Heiraten selbst dem Mindestmaß von schul-
diger Rücksicht Hohn sprach. Nach der schweren Niederlage bei Ipsos (301)
jedoch finden wir trotz allem Phila in Rossos um die Aussöhnung des Demetrios
mit dem bejahrten Schwiegersohn Seleukos, weiterhin als Abgesandte des Gatten
um die mit ihrem Bruder Kassandros bemüht, und nach dessen Tode, dem der
Fall seines Hauses rasch folgte (294), verdankte es Demetrios zum guten Teil dem
Ansehn der Antipatrostochter, einer wahren mater castrorum, wenn das Königtum
der alten Heimat ihm zufiel. Erst als der Leichtsinnige sogar diese heiß begehrte
Stellung nicht festzuhalten vermochte und vor den zu Pyrrhos oder Lysimachos
übergehenden Makedonen fliehen mußte (287), gab ihn selbst Phila auf, jedoch
nur, indem sie sich das Leben nahm*).
Den Sohn erzog die königliche Frau zu derselben Treue gegen den Vater,
die letzterer dem seinigen bewiesen hatte. Als Demetrios noch nicht lange Make-
donenkönig war (293), da half ihm der 25jährige Antigonos das abgefallene Böotien
zurückgewinnen. Als jener endgültig in des Seleukos Gefangenschaft fiel (285),
legte der Sohn Trauer an und bot sich selbst als Geisel für die Freilassung des immer
noch Gefürchteten dar. In tiefem Schmerz brachte er schließlich die goldene
Aschenurne des Vaters auf dem größten Admiralschiif nach Griechenland heim 3).
Solch ein Sohn dürfte einer solchen Fürstin besonders nahe verbunden gewesen
sein, auch wenn sie von seinem Vater getrennt lebte. Dies wäre der Sinn unseres
Bildes: Antigonos, wie gesagt wurde (S. 70), als die Person gewordene Besatzung
der ihm anvertrauten Länder, ermutigt durch die liebevolle Bewunderung der
Mutter. Freilich hat es Phila unseres Wissens nicht erlebt, daß ihrem Sohn die
Königsmütze zukam. Aber dieses Wissen kann hier in mancher Richtung unvoll-
ständig sein. Vielleicht hat Demetrios, gleich Seleukos I.,den treuen Kronprinzen
und Statthalter schon vor dem Tode der Königin zum Mitherrscher angenommen,
was ihm, der so lange das Diadem mit dem eigenen Vater geteilt hatte, besonders
nahe liegen konnte 4). Vielleicht auch gebührte die mit der Königsbinde ge-
schmückte Makedonenmütze schon dem anerkannten Thronfolger und unterschied
sich gar von der des wirklichen Herrschers gerade dadurch, daß an ihr die Band-
enden seitlich nicht hinten herabhingen (S. 73). Am unbedenkhchsten aber
scheint mir die Annahme, unser au^-cevtxov (S. 64), das Mutter und Sohn in ideal
") Plutarch, Demetr. 22. Sylloge inscr. gr. 3 I 333 3) Plutarch, Demetr. 39. 40. 51.
mit Anm. Hillers von Gärtringen. 4) Ob dafür etwas aus dem Schwanken der Angaben
') Plutarch, Demetr. 32. 37. 45. Diodor. 19, 59, 4. über die Regierungsdauer des Gonatas zu ge-
Beloch, Gr. Gesch. III i 237 f. winnen ist, vermag ich noch nicht zu beurteilen.
Vgl. Tarn a. a. 0. 112 A. 3; 434 A. 6.
80
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
unbestimmter Landschaftsandeutung zusammensetzt, habe sich nicht in allen
Einzelheiten ängstlich an einen scharf bestimmten Zeitpunkt gehalten. Stellt
doch auch das Alexandermosaik einen Vorgang dar, der sich nie und nirgends hat
begeben. So vertraueich, daß diese kleine »Unstimmigkeit« die vorgetragene Deutung
nicht ernstlich gefährden kann. Bewährt sie sich, dann lernen wir daraus für
Philas selbst nach unserer dürftigen Überlieferung verehrungswürdige Persönlichkeit,
daß die Wirkung ihres edlen und feurigen Angesichts durch schwere Überfülle
des Körpers beeinträchtigt wurde. So wäre die Abneigung des schönheitsdurstigen
jungen Helden gegen die ihm aufgezwungene ältere Frau noch verständlicher.
5. DER ALTE LEHRER DES KÖNIGS.
Das erhaltene linke Nebenfeld bot, durch die erwähnte Scheintür verkürzt,
nur Raum für eine Gestalt, zumal da sie von dem Paar im Mittelbilde durch be-
trächtlichen Abstand getrennt bleiben sollte (Taf. 11). Wen sie darstellt, ist
wenigstens in der Hauptsache klar '). Barnabei 58 dachte sich, auf dem Irrweg
seiner Deutungsversuche aus der Heldensage, den in ernster Teilnahme auf das
Menschenpaar blickenden Alten als Pädagogen des Jünglings. Er verglich den
von Petersen erkannten in einem Stuckrelief des Farnesinahauses, der in ganz
ähnlicher Haltung am linken Ende dem Gespräch von Phaeton und Helios bei-
wohnt '). Der städtischen Tracht und sonstigen Erscheinung nach hätte er noch
besser hellenistische Tonfiguren vergleichen können 3). Solche leiten uns hin-
über zu der nicht allzu weit abliegenden Deutung, die nur der gar nichts Knechtisches
aufweisenden, selbstsichern Würde dieses alten Mannes noch besser entspricht
und sich allein in den hier gewonnenen Zusammenhang fügt: ich meine die im
wesentlichen schon von Pfuhl 879 vorweggenommene auf einen Philosophen. Nur
gerade zu Epikur oder einem seiner Anhänger, die nach den erhaltenen Köpfen von
ihm selbst, Metrodoros und Hermarchos Haar und Bart doch ganz anders gepflegt,
namentlich den letztern runder zusammengehalten trugen, will die ganze Erschei-
nung nicht passen. Schlecht taugt für solch feine Herren besonders auch dieser
zackige Stecken, wie ihn unter dem Namen ßoxTr^pta xa|j.TruXi) ein Aristophanes-
bruchstück dem a^peixo; 4), als ßoxTTjpt'a täv oxoXiüiv der 5. Charakter Theo-
phrasts mit anderen Mittelchen um aufzufallen dem äpeaxo? gibt 5). Einen von
den mit besonders schweren Knütteln prunkenden Kynikern zu erkennen ver-
bietet jedoch der Goldring mit rotem Stein an der linken Hand, das gute, riemen-
') Freilich nicht für S. Reinach, Rupert, peint. 33,
I : Askl^pios ou plutöt un devin, unter Hinweis
auf Le Mus6e III i66.
=) Monum dell' Inst. Suppl. Taf. 33. R. M.
1895 X 67 mit Textbild. Heibig, Führer 3 II
Nr. 1332.
3) Winter, Typen üg. Terrak. II 402, besonders 6
(besser abgeb. Monum. Piot II 169 Taf. 20, 3,
vgl. auch Pottier, Diphilos 79 Nr. 292 Taf. 17).
Das feine Stück kam mir bei wiederholtem Be-
trachten, allerdings nur durchs Glas des Schrankes
im Louvre, nicht verdächtig vor, wie Winter.
4) Aristoph. Br. 128 Kock aus PoUux 10, 173.
Daher wollte Goligher in der Class. Review 1899
XVIII 98 f. statt ßoxT*)p(o geradezu xa(ijt6Xi)
schreiben bei Demosth. 37 gegen Pantain § 52.
5) Vgl. die Anmerkung in der Leipziger Ausgabe
von 1897, 45 f.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. gl
reiche Schuhwerk (nach Massow rotbraun mit gelbgrauen Riemen) und der nicht
eben tribonartig knapp bemessene pesante mantello violaceo, dessen Farbe (nach
dem eben genannten Gewährsmann) geradezu mit der der Königschlamys im Mittel-
felde übereinstimmt. Die ganze Erscheinung des würdigen Alten taugt am ehesten
zu einem Stoiker, und mit solchen war wohl kein hellenistischer König näher be-
freundet als Antigonos Gonatas. Am liebsten würde man Zenon selbst erkennen,
anschaulich dargestellt als den maßgebendsten Beobachter und Beurteiler seines
hohen Schülers, der den Tod des alten Lehrers mit den Worten beklagte: ok-v
tiri iHizpov di:oXu)XExtu? '). Der Kopf unseres gemalten Philosophen könnte
vielleicht zur Not als verschönerte, die »jüdischen« Züge verwischende Wiedergabe
der plastischen Zenonbildnisse gelten, die doch wohl den Stoiker aus Kition und
nicht den Epikureer aus Sidon darstellen ^). Aber von den sonst überlieferten
Eigenschaften des schwächlichen, magern, dunkelfarbigen <I)oivixi5iov 3) wäre
höchstens eine Andeutung in der, mit dem jungen König verglichen, gebräunten
Hautfarbe, nichts in der stämmigen Gestalt mit den kräftigen Armen und Händen
wiederzufinden. Eher könnte man sich so den von Zenon dem Antigonos zuge-
wiesenen Schüler und Landsmann Persaios denken; der aber kann nicht so viel
älter gewesen sein als sein König und wurde in dessen Diensten ein Staats-, Hof-
und Lebemann 4). Bleiben wir bei dem unzweideutigen Eindruck, der Alte müsse
ein philosophischer Lehrer des fürstlichen Jünglings sein, dann kommt wohl nur
noch, obwohl kein Stoiker, sondern am ehesten Megariker, Menedemos von Eretria
in Betracht. Er war in der Tat der erste Mentor des makedonischen Prinzen, kein
Schriftsteller, sondern ein praktischer Philosoph, im Staatsdienste der Heimat
geübt und bewährt, ein weltgewandter und doch schlichter, bis ins Alter handfester
und lebensfroher, eigenwilliger und stolz freimütiger Mann 5). Mit einer solchen
Persönlichkeit läßt sich, so scheint mir, der kräftige Graukopf, der mit überge-
schlagenen Beinen so frei und sicher dasteht, seinen derben Stock so fest gepackt
hält, so zuversichtlich auf die Gruppe von Mutter und Sohn bhckt, gut vereinigen.
Wie immer er nun auch geheißen haben mag: daß solch ein unverkennbarer Philo-
soph hier als dem jugendlichen König, wenn auch in einigem Abstand, zunächst-
stehender Mann erscheint, ist eine weitere Bestätigung für den gefundenen Namen
des letzteren.
Im rechten Seitenfelde dieser Wand war das Gemälde leider von einer Aus-
besserung in weißem Stuck verschlungen (Barnabei 6o). Aber nach der anfangs
dargelegten genauen Entsprechung der zwei einander gegenüberliegenden Wände
muß das verlorene Bild in der Gesamtanlage der sitzenden Kitharspielerin mit
ihrer kleinen Magd von der Wand rechts entsprochen haben (Taf. lUJ. Tat es
') Laert. Diog. 7, i, 16. Vgl. Usener, Epicurea 163 Miscellen 15 ff. Seitenansicht außer bei Bernoulli
fr. 208, worauf ich durch Tarn a. a. 0. 236 A. 47 d bei Arndt, Portr. 236.
aufmerksam werde. Das ganze Verhältnis des 3) Laert. Diog. 7, i, 2 — 3.
Königs zu Zenon bespricht Tarn 34 f. 230 f. 4) Susemihl, Gr. Liter, der Alexandrinerzeit I 68 ff.
') Bernoulli, Gr. Ikon. II 136 ff. Taf. 18, Hekler Tarn, Antig. Gon. 232. 496.
a.a.O. Taf. 104 und zuletzt Poulsen, Ikonogr. 5) Laert. Diog. 2, 18, 9. Tarn a.a.O. 22f. 25 ff. 494.
Jahrbuch des archäologrischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 6
g2 Kranz Ötudniczka, Imagines Illustrium.
dies auch im Gegenstande, dann könnte es die Jugendgeliebte des erst spät ver-
heirateten Antigenes dargestellt haben, die Hetäre Demo. Sie war die Mutter
seines Bastards Halkyoneus, der schon 273/2 bei Einschließung und Tod des Pyrrhos
in Arges eine ansehnliche Rolle spielte, aber bald darauf noch jung den Schlachttod
fand I).
II. DIE RECHTE OEKUSWAND.
Die Bilder der Ostwand gehören, von den schon besprochenen der westlichen
leider getrennt, dem Mctropolitan-Muscum zu New York. Sic sind alle drei erhalten,
nur nicht im ununterbrochenen Zusammenhang mit den nachgebildeten Bau-
formen. Doch gibt wenigstens die Umrahmung des Mittelfeldes das hier auf S. 97
wiederholte Textbild des zu Beginn angeführten Verkaufskataloges von A. Sambon,
dessen Tafeln i bis 3 jedes einzelne Gemälde in Farben nachbilden, diese selbst
nach dem Urteile der Hüterin der New Yorker Antikenschätze, Fräulein Gisela
Richter, »ungefähr richtig«, in der Zeichnung jedoch meist wenig genau. Dies
lehrt der Vergleich mit den phetographischen Aufnahmen. Zu den auf Barnabeis
wohl ein wenig nachgebesserten Tafeln 5, 6 und im Textbilde 12 wiedergegebenen
kamen dank der genannten Fachgenossin sowie Paul Herrmann und der Verlags-
anstalt Bruckmann diejenigen Photographien, die letztere zu unserer Lichtdruck-
tafel in verarbeitet hat. Fräulein G. Richter ist noch für die unerschöpfliche
Geduld zu danken, womit sie immer wieder neu auftauchende Einzelfragen über
den Tatbestand beantwortet hat.
6. DIE KITHARSPIELERIN.
Begonnen sei hier nicht mit dem mittleren Gruppenbilde, sondern mit dem
des linken Seitenfeldes, weil es sich meines Erachtens wenigstens nach dem Stande
der Dargestellten einigermaßen sicher deuten läßt. Die Wirkung des Ganzen
vermittelt das Textbild 9 vielleicht noch kräftiger als die ihm zu grundeliegende
Tafel 5 bei Barnabei oder ihre Quelle, während unsere Taf. III dieselbe Bruckmannschc
Vorlage wiedergibt wie Pfuhls Abb. 716. Sambons Farbentafel ist in der Zeichnung
besonders ungenau.
Eine schöne Frau mit großem Saitenspiel sitzt auf stattlichem Lehnstuhl,
hinter dem ihre kleine Dienerin bereitsteht. Die Sichtbarkeit der letzteren fördert
das gitterartige Gleichlaufen aller wagerechten Hölzer, einerlei welcher Seite des
Gerätes sie angehören. Doch kommt derselbe Verzicht auf Verkürzung und Ver-
schiebung auch in anderen Wandgemälden vor, wo keine Gestalt durch das tekto-
nische Gliederwerk hindurchzusehen ist ^). In unserem Fall ist er deshalb auf-
') Demo bei Athen. 13, 578 A, aus Ptolemaios von ') Der beste Beleg ist wohl der Thron der Aphrodite,
Megalopolis. Halkyoneus bei Valer. Max. 5, i, 4; der Ares von hinten an den Busen greift, Herr-
Plutarch, Pyrrh. 34; cons. ad Apoll. J19 C, Moral. mann, Denkm. Taf. 2. Vgl. Heibig Nr. 1168, Mus.
Bernard. I 291 f. Vgl. Tarn 247 f. 273 f. 301. Borb. X Taf. 44, S. Reinach, Ri'pert.peint. 179, 5.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
83
fällig, weilim Bilde daneben wenigstens die Seitenansicht des sehr ähnlichen Lehn-
stuhls leidlich verkürzt erscheint. Es ist beide Male das, was in der griechischen
Schriftsprache" von Homer an Thronos lieißt, während die Lateiner dafür wohl
aus einer hellenischen Nachbarmundart die allgemeinere Bezeichnung cathedra
übernommen haben. Das Gerät der Frau ist nur etwas leichter geformt und zier-
Abb. 9. Linkes Feld der Ostwand aus dem großen Speisesaal von Boscoreale in New York.
Wiederholt aus Altert, v. Pergam. VII 2, 74.
lieber ausgeschmückt. Die gedrehten Beine folgen einer bis auf die Lager alt-
korinthischer Vasenbilder zurückreichenden Grundform: die obere Hälfte an-
nähernd walzenförmig, die untere kegelstutzförmig ')• Doch sind' hier beide Teile
schon entschiedener geschweift, die Abschlüsse und Absätze reicher gegliedert
als in den klassischen Zeiten. Die nochmals stark ausladende Rundplatte dicht
') Ältere Belege bei Caroline Ranson, Couches and
beds Fig. 2, 5, 7, 8, 10, 38, 41. Erhaltene Holz-
beine der Art in Berlin bei derselben im J. d. I.
1902 XVII 126, 130. Mehr S. 82 A. 2; S. 84 A. i.
6*
gl Kranz Studniczka, Imagines Illustrium.
überm Fußende finde ich zuerst, noch in bescheidener Andeutung, auf Kertscher
Vasen '). Die Rückenlehne hat den kantigen Eckstoiien kräftig nach außen ge-
schweift und stößt in spitzem Winkel an die obere Querlatte, der noch zwei weitere
von abnehmender Breite gleichlaufen. Bei der Seltenheit ähnlicher Hausgeräte
in der hellenistischen Kunst ist es kein Wunder, daß ich diese Lehnenform nirgends
genau wiederfinde. Immerhin ähnlich ausgeschweift ist die Lehne des im Quer-
schnitt durchaus kreisförmigen Marmorsessels Corsini, der jedoch auch hierin, wie
sonst, mit altetruskischen Erz- und Tonstühlen zusammenhängt ^). Auch bezeugen
den Gebrauch ähnlich gebogener kantiger Hölzer die Beine des ins 6. Jahrh. hinauf
und in die Kaiserzeit hinabreichenden leichten Lehnsessels vom Typus der Hegeso-
stele vor dem Dipylon und der beiden Komikerstatuen im Vatikanmuseum. Ebenso
dauerhaft war das Bedürfnis nach Erbreiterung der Rückenlehne über die Sitz-
breite hinaus; nur wurde es meist durch Vorsprünge des oberen Querbretts be-
friedigt. Unsere barock wirkende Form kann also wohl gut hellenistisch sein.
Statt des rotbraunen, schräg gemaserten Holzes der übrigen Teile zeigt die Rücken-
lehne der Kitharistria, nach Sambon§ Tafel, ein kräftiges Rot, ungefähr krapp-
farbig. Davon setzt sich in dünnen gelben Strichen eine zierliche, wenngleich nicht
allzu sorgsam ausgeführte Musterung ab. Die drei Querlatten der Rücklehne
faßt jederseits die schlichteste mäanderähnliche Linie ein, die an das in hellenisti-
scher Zeit beliebte Mauerzinnenmuster oder uup-/tuTÖv erinnern kann 3). Dazwischen
jedesmal eine Reihe einfacher Kreise, die zuunterst ohne rechte Raumnot am
kleinsten sind; zwischen ihnen stehen nur am obersten Querholz lotrechte Striche,
an beiden Enden mit offenen, zwickelfüllenden Winkeln oder Schnörkeln endigend.
Den freibleibenden, breiten Streifen nehmen nur sechs große konzentrische Doppel-
ellipsen ein, deren Zwickel vom mittleren Quersteg aufwärts kleine Ringlein aus
füllen. Die spitze Ecke oben bleibt unbefriedigend leer. Zu diesem schlicht-
geometrischen Ornamentsystem weiß ich aus hellenistischer Kunst nur entfernt
Ähnliches, das beizubringen sich nicht lohnt. Die schmale Seitenfläche des Stollens
nimmt ein ionisches Kymation ein, nach die Farbentafel berichtigender Angabe
von G. Richter «nicht als Relief, sondern nur gelb auf rot gemalt«, mit scharf ab-
gegrenzten Schattenstreifen, wie sie auch an größeren Eierstäben des frühern
Hellenismus wiederkehren 4).
Die Armlehne bildet ein von der Außenkante der Rückenlehne ausgehender
') Vorbereitung zum Parisurteil F. R. II Taf. 69 Annali 1879, 312 Brunn. Etruskische Stühle auch
(danach Pfuhl Abb. 597). Paris vor Helena bei Koeppen und Breuer, Gesch. d. Möbels 154 ff.
ebenda 79, i. Dann unteritalisch, z.B. Leichen- Abb. 215; 223.
feier für Patroklos F. R. II Taf. 89. Dionysos 3) Symposion Ptolemaios II. (Abhandl. sächs. Ges
und Frau auf Maultier 120, 2. — Von Wand- d. Wiss. 1914 XXX 11) 52 — 54; 112; 173.
bildern vgl. Herrmann, Denkm. Taf. 2 Ares und 4) Am ähnlichsten wohl an dem plastisch gebildeten
Aphrodite, nur daß die hier sonst klassisch ein- Giebeldreieck aus dem Serapeion bei Watzinger,
fachen Stuhlbeine unten die schwere Quaste alt- Gr. Holzsarkophage 33 Abb. 57, Weicker, Seelen-
orientalischer Herkunft haben. vogel 180 Abb. 90. In reiner Malerei ähnlich an
») Monum. d.Lincei 1916 XXIV 401 ff. Abb. I Taf. I dem delischen Stück Wandputz Monum. Piot
erläutert von Ducati. Monum. d. Inst. XI Taf. 9, XIV 1908 Taf. 8. U. a. m.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. gc
Rundstab mit entsprechender Stirnscheibe, deren Verzierung auch G. Richter
unklar bleibt; vielleicht war" es eine Maske. Die tektonische Grundform begegnet
schon an den im übrigen anders gebauten Thronen der Heratonfiguren aus Tiryns,
dann an diesen ähnlichen auf apulischen Prachtamphoren, und schließlich, zu-
sammen mit Stuhlbeinen wie die unseres Bildes, in anderen Wandgemälden ').
Wie in den meisten dieser Jüngern Beispiele und an sonstigen Thronen archaischer
und klassischer Kunst wird im Mittelfelde die entsprechende Armlehne von einem
vierfüßigen Fabelwesen getragen (S. 97). Bei der Kitharspielerin dagegen stützt
sie ein bärtiger Mann, der sich aufs linke Knie niedergelassen hat, die ent-
sprechende Hand am Oberschenkel, den rechten Arm auch gesenkt hält; sogar
das nackte Schamglied meine ich zu sehen. So zögere ich nicht den Typus der
knieenden Silene wiederzuerkennen, die im Dionysostheater bei einem späten
Umbau als Träger des Proskenions eingefügt wurden, aber schon weit früher zu
ähnlichem Dienste geschaffen sind ^). DenverwandtenTypus der auf beiden Knien ru-
hend ihre Last tragenden Atlanten im kleinen Theater zuPompeii3)zeigt, wohl wieder
in Silensgestalt, als Armlehnenstütze verwendet der (sonst andersgeartete) Sessel
des siegreichen Schauspielers in dem feinen Dresdner Relief aus früher Kaiserzeit4).
Bewährt sich diese Auffassung der Stützfigur, dann gehört die Besitzerin des Lehn-
stuhls schon deshalb auch zum Gesinde des Dionysos und nicht unmittelbar in die
vornehme Welt, wohin uns das Mittelbild der Westwand geführt hat. Daß sie dennoch
in allem Behagen lebt, zeigt uns nochmals das unter der Armlehne vorschwellende
Kissen mit hellblauem (nicht, wie Barnabei angab, myrtengrünem), von goldgelben
Streifen durchzogenem Überzug. Nur durch die Grundfarbe angedeutet wird es
auch neben dem rechten Knie der Sitzenden sichtbar. Unter ihren Oberschenkeln
ist allerdings nicht recht Platz für das Polster.
Auf so reicher und weiter Grundlage förmlich ausgebreitet sitzt die schöne
Kitharspielerin. Die Farben ihrer Kleider sind wesentlich dieselben wie die der
mutmaßlichen Königin-Mutter von der Wand gegenüber (S. 78): grauviolettcr
Chiton und weißer Mantel, den die Kithar weit nach rechts schiebt. Durch seinen
feinen- Stoff scheint, nach der Farbtafel bei Sambon, etwas von der sehr hellen —
ebendort nach G. Richter allzu hell wiedergegebenen — Haut hindurchzu-
schimmern. Die samt Knöchel sichtbare schöne Frauenhand an den Saiten trägt
") Tiryns I 61 Tat. 2 Frickenhaus. Eine ähnliche *) Die größte Abb. immer noch Monum. d. Inst. IX
Terrakotte aus Korinth in Berlin bei Koeppen Taf. 16, S. Reinach, Rupert, stat. II 57, 5. Doch
und Breuer a.a.O. 34 Abb. 184. — Münchener genügt die Photographie des Proskenions bei M.
Unterweltsvase und Dareiosvase bei F. R. I Taf. 10, Bieber, Denkm. zum Thtaterwescn Taf. 7.
II Taf. 88, Baumeister, Denkm. I Taf. 6, III 3) H. v. Rohden, Pomp. Terrak. Taf. 26, i. Mau,
Taf. 87. — Klassizistische Aphrodite aus dem Pomp.^ 162 f. Abb. 77; 79.
Farnesinahause Pfuhl, Malerei Abb. 720, Monum. 4) M. Bieber a. a. 0. iio Nr. 45 Taf. 55, i ; dieselbe,
d. Inst. XII Taf. 21. Aphrodite mit Ares oben Dresdner Schauspieleirelief 74, wo die oben be-
S. 82 A 2 ; Achill mit Briseis Herrmann, Denkm. nützten Vergleichsstücke beigebracht sind. Zur
Taf. 10, Pfuhl Abb. 655. Wohl auch beim jungen Zeitbestimmung: Sieveking im Text zu Brunn,
Zeus desVettierhausesHerrraannTaf. 46, dem von Arndt, Denkm. 628 b.
Nike gekränzten daselbst 121 u. a. m.
86
Franz Studniczka, Imagines Ulustrium.
einen Ring mit gelbem Stein. Der rechte ganz blol3e Arm ist leider durch Ver-
sinterung entstellt. An seinem Armband eher als an dem andern erkannte Barnabei,
daß es sich mit Tierköpfen, wie er meinte von Schlangen, öffnet. Die ziemlich
breit auseinanderstehenden Füße sind etwas zur Seite gesetzt, der rechte weiter
vor, so daß sich sein gelbbrauner Schuh zeigt. Das Fehlen der in der Regel zu
einem Thronos gehörigen Fußbank, die wir doch vor dem unscheinbaren und darum
unsichtbaren Sitze der Nachbarin finden werden (S. 98), betont die Höhe der
Unterschenkel, die schlanken Hochwuchs verraten. Demgemäß ist der Oberleib
Abb. 10. Pompejanisches Wandbild, stimmende Kitharspielerin.
Wiederholt aus Winter, Kunstg. in Bild. ' 1 95, 7. Druckstock von A Kröner, Leipzig dargeliehen.
eher kurz. Durch den dunklen Chiton macht sich hier am deutlichsten die Run-
dung des Busens geltend, obgleich der (bei unserer Phila hochsitzende) Gürtel nicht
sichtbar wird.
Den aufrechten Oberkörper überschneidet schräg ansteigend das sehr lange
Saitenspiel, so daß seine ausgreifenden. Armenden dem spitzen Winkel der Rücken-
lehne entsprechen, deren obere Wagerechte annähernd der Saitensteg fortsetzte.
Die etwa goldgelbe Holzfarbc setzt sich unten gegen das Weiß des Mantels klarer
ab als in den Photographien, noch deutlicher gegen den dunklen Chiton die inneren
Zacken der r.r,-/zi<; und die weißen Saiten. Ihre geringe Zahl, fünf, nur für eine
Vereinfachung des Wandmalers zu halten, widerrät schon ihre im einzelnen sorg-
fältige Darstellung auch auf dem pompeianischen Wandbilde Abb. 10, wo so eine
Künstlerin, von drei Genossinnen umgeben, dieses ihr Spielgerät nach einem neben
Franz Studniczka, Imagines lUustriura. 3-^
ihr auf dem Ruhebett liegenden zweiten stimmt ■). Auch kennen wir aus dem
Dithyrambendichter Telestes von Sclinus eine fünfsaitige Spielart der lydischen
Magadis, und zu einer solchen würde nach Aristoxenos die Abwesenheit des Plek-
trons in unserem Bilde stimmen, wonach überdies das Tun der Dame als '^likX&iv
und nicht xii)aptCeiv zu bezeichnen wäre ^). Dennoch gebührt ihrem Instrument
der doch wohl allgemeinere Name Kithara, denn in wesentlich derselben lang-
gestreckten Form geben es nicht selten die zwischen 168 v. Chr. und 43 n. Chr.
geprägten Silbermünzen des lykischen Bundes mit Apollonkopf anderseits, für
die inschriftlich der Name xtOapr,«6poi feststeht 3). Doch findet sich dieselbe
Form schon früh im 3. Jahrb., z. B. auf Münzen von Chalkedon 4). Auch m den
kleinen Münzreliefchen zeigt der Schallkasten der Länge nach oft die stumpf-
winkelige Mittelkante wie im Gemälde, samt einer ähnlichen Gliederung der Arme.
Diese reichen hier mit wenig abnehmender Breite, die zuoberst nochmals geschweift
ausladet, bis an das nicht ganz deutlich erhaltene 'u-pv mit den Wirbeln der Saiten,
das nach vorn herausragend mit einer Rundscheibe endet. Sie trägt als Zierat
eine weiße Spirale, gleich dem Endknopf der Armlehne am Thron des Mittelbildes
(S. 97). Wie an der Kithar diese Rundscheibe mit dem Saitensteg zusammenhängt,
lassen mich die zwei voneinander hier stark abweichenden Aufnahmen — die Farb-
tafel versagt dafür ganz — nicht sicher erkennen. Deutlich sind erst wieder die
schlanken obersten Fortsätze der iti^x^'»' "^^^ ^'^^ aufwärts, nach dem treffenden
Ausdruck Barnabeis, trompetenförmig erbreitern. Doch behalten sie den recht-
eckigen Querschnitt der Arme bei, den die Schatten links und das, wie im Mittel-
bilde, von rechts kommende Licht klar anzeigen. Gemäß der unsichern Perspektive
ist der hintere Fortsatz erheblich länger. Auf sein breites Kopfende legt die Frau
die Spitze ihres rechten Zeigefingers. Es wird ein Pflock sein, der niedergedrückt
den Saitensteg beim Stimmen in der erforderlichen Lage festzuhalten hat. Zu
solch bloß vorbereitender Handlung mag auch der lässige Griff der linken Hand
an die Saiten passen.
Aber selbst die Kitharstimmerin in Abb. 10 ist, wie schon die der köstHchen
weißgrundigen Schale polygnotischer Zeit im Louvre, die ihr zweites tonangebendes
Instrument vor sich auf dem Schöße liegen hat 5), mit gesenktem Kopfe ganz ver-
tieft in ihre Beschäftigung, und sogar die entsprechende Muse des Jüngern Praxiteles
senkt ihr hübsches, gewiß nicht allzu tiefsinniges Köpfchen beim Stimmen ihrer
Mandoline ^). Unsere Musikerin dagegen ist wirklich nichts weniger als tutta
') Heibig Nr. 1442; Mau, Pomp.' 497 Abb. 288. 4) Anson a.a.O. Taf. 11, 299, Catal. Brit. Mus. usw.
=) Telestes bei Athen. 14, 637 A; Aristoxenos daselbst Pontus Taf. 27, 15. Vgl. immerhin auch die nicht
635 B. S. noch Piaton, Lysis 209 B und Sylloge späte Weinkanne im Louvre, abgeb. bei Leroux,
inscr. Gr.3 II Nr. 578, 15 mit Anmerkung. Vgl. Lagynos 38 Nr. 66 und unsere Abb. 2 S. 60.
Abert in der Realencyklop. 2. Reihe I 1764 f. 5) Monum. Piot II 1895 Taf. 5. S. 40 hält Pottier
3) Realencyklop. XI 528 f. Regling. Viele abgc- das Saitenspiel auf dem Schöße für ein Diptychon.
bildet bei Anson, Numism. gr. I 6 Taf. 6 — 8, <>) Svoronos, Athen. Nationalmuseum Taf. 30, oben.
391— 460, auch Catal. Brit. Mus. Lycia Taf. 9— 15; Winter, Kunstgesch. in Bildern = I 296, i. Vgl.
17; 42; 43. Katal. J. Hirsch XIII Taf. 50, be- unten S. ij8.
sonders 4220.
gg Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
assorta a sentire quel accordo; sie hält zwar ihr AntHtz in der Dreiviertelansicht
der Gestalt, aber ganz aufrecht, und die braunen Augensterne wenden sich nach
der andern Seite, wie wenn hier jemand nahte, der ihre Aufmerksamkeit auf sich
lenkt. Das kann bei einer so schönen jungen Frau kaum einen andern als erotischen
Sinn haben, obgleich der Gesichtsausdruck mir nichts von der liebevollen Wärme
verrät, die Barnabei, im Sinne seiner von der Aphrodite der Rückwand (S. 66)
ausgehenden Gesamtauffassung all unserer Figuren, hineinsieht; geschweige denn
von stärkern Seelenregungen, wie sie die übrigen Frauen dieser Wandbilder zeigen.
Es scheint mir vielmehr nur der gewohnheitsmäßige, höchstens etwas gespannte
Anspruch auf bewundernde Zuneigung, was aus diesen Augen und dem eher herben
Munde spricht. Die, vielleicht vom Schwung des Nasenumrisses abgesehen, wenig
persönlichen Gesichtsformen weisen bis auf Idealtypen des 5. Jahrh. zurück, von
denen ich die Hertzsche Kopie der (oder einer) Faioniosnike ') und den der Alka-
menesaphrodite nicht allzufern stehenden großen Frauenkopf in Berlin herausgreife*).
Etwas näher kommt schon das schlanke Oval des Hygieiakopfes, dessen schönste
Marmorwiederholung im Thermenmuseum steht 3). Manches erinnert sogar an
die Knidierin, wenigstens in ihren härteren Repliken, so auch der Hals mit seinen
zarten Venusringen. In die Nähe der Liebesgöttin führt dann namentlich die
Haartracht, deren kräftige Zeichnung die Vorlage zu Taf. III am deutlichsten er-
kennen läßt, besonders der Aufbau über dem goldumsäumten Bande mit der runden
Schließe, dessen Hauptbestandteil zwei große Schnecken sind, wie auch bei Apoll
und bei Frauen der Sage von anderen pompeianischen Wänden 4). Doch findet
er sich ähnlich schon an der attischen Tonfigur des 4. Jahrh., der freien Wiedergabe
einer halblebensgroßen Marmorgestalt, die ich mit der Sosandra des Jüngern Kaia-
mis zusammenbrachte 5). Weiterhin schließen sich reichere Formen der Haar-
schleife an wie die des Urbildes der kapitolinischen Aphrodite *). Von Sterblichen
trug sich so Phryne nach dem traurigen Bruchstück ihres Kopfes in der Doppel-
herme von Compiegne, die Poulsen sehr wahrscheinlich auf diese berühmte Hetäre
und ihren Verteidiger Hypereides deutet 7). Auf attischen Grabrehefen, d. h. vor
den Luxusgesetzen des Phalereers Demetrios, kommt diese Haartracht noch sehr
selten vor *>). Bescheiden tritt sie auch noch bei den Musen des Jüngern Praxiteles
auf, am ähnlichsten bei der mit der Doppelflöte. Daß die Kitharspielerin von Bos-
") Olympia, die Ergebnisse III S. 189. Kunstgesch. Ein besseres Exemplar der Tonfigur besitze ich.
in Bildern ^ I 266, 6. «) Dem der Kopf in München, Glypt. Nr. 257 a
') Furtwängler, Meisterwerke 118 Taf. 5. wohl am nächsten kommt. Münchener Jahrbuch
3) Heibig, Amelung, Führer^ II Nr. 1341. J. d. I. 1908 I i fiF. Sieveking.
1904XX Taf. 2 L.Curtius. Bulle, Schöner Mensch^ 7) Monum. Piot XXI 1913, 47 f[. Taf. 3, besonders
Taf. 125. Textbild 2 und 4. Espirandieu, Recucil V 144
4) Apoll in dem Bild aus Casa del poeta tragico Nr. 3892. Vgl. noch Poulsen, Ikonogr. Miscellen
Winter, Kunstg. in Bild. '98, 5, Herrmann Taf. 13; 4 ff. (oben S. 58 A. 3).
auch 18 und 133 b. 8) Das einzige mir erinnerliche Beispiel ist die Stele
5) Kaiamis (Abhandl. sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1907 der Hedeia und Phanylla Ny Carlsberg Glypo-
XXV 4) 31 ; 36 Taf. i, b; vgl. Taf. 2, a und 3, a. thek Nr. 219, Jacobsen, Billedtavler Taf. 16.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. 3q
coreale dem fortgeschrittenen Hellenismus entstammt, verraten die losen Löck-
chen vor den Ohrläppchen (die wieder mit Goldringen a navicella geschmückt
sind). Das Ganze wirkt viel anspruchsvoller als die Haaranordnungen der drei
größeren Damen des Saales.
Ein Meisterstreich ist es, wie die Wirkung dieses schönen, wenn auch nicht
gerade seelenvollen Frauenbildes durch das Nebeneinander mit der kleinen Sklavin
gehoben und erläutert wird. Die nicht allzu hohe Stuhllehne knapp mit dem
Kopf überragend, kann sie höchstens 13 Jahre alt sein. Als dienstbereite Magd
trägt sie nur den Chiton, der den linken Arm bloß läßt, und wohl ungegürtet wie
bei so mancher Dienerin auf Grabsteinen, nur faltenreicher an den Boden stößt.
Aber er hat dieselbe vornehme grauviolette Farbe wie der der Herrin, was G. Richter
der Tafel Sambons gegen das Grünsehn Barnabeis bestätigt. Auch sonst zeigt sich
die Kleine beflissen, es der Gnädigen gleichzutun. Sie ist sehr ähnlich, nur etwas
dürftiger »frisiert« und geschmückt, mit Haarband, Ohrringen und wahrhaftig auch
schon mit einem Ring an der Linken, nach der Farbtafel sogar mit ähnlichem gelben
Stein. Die beiden großen, langfingerigen Hände legt sie ähnlich auf zwei Leisten
der Lehne wie jene an ihre Kithar. Ganz gleich stehn und blicken die beiden Ge-
sichter. Nur ist das der Sklavin viel breiter, gröber, unedler, die Nase derber
und schon stärker gebogen, die Augen weiter aufgerissen unter viel weniger klassischen
Brauen, die Mundwinkel etwas gekräuselt. Den Gesamtausdruck finde ich nicht
espiögle, wie Sambon 13, sondern eher dumm neugierig und sonst gierig. Man
möchte ihr, wie Kynno ihrer Kydilla im 4. Mimiambos des Herodas 44, zurufen:
£OTr,x£ 8' d( [x' öpsüaa xop-xivou fi£C''V. So macht die junge Dienerin nicht den
Eindruck, als ob die Herrin auch innerlich veredelnd auf sie wirkte.
Fassen wir zusammen. Da sitzt auf reich geschmücktem Lehnstuhl, dessen
Armlehne allem Anscheine nach ein kniender Silen stützt, eine schöne junge, vor-
nehm gekleidete und geschmückte Frau, aber in keiner bessern Gesellschaft als
in der der kleinen, trotz dem bischen Luxus an ihrer Person doch niedrig genug
aussehenden Sklavin. Diese allein genügt, um den Gedanken an eine Muse aus-
zuschließen. Eine Dichterin zu vermuten, widerrät das Fehlen von etwas Ge-
schriebenem, wie die Buchrollen der Sappho und Korinna"), und erst recht der
Mangel an Versunkenheit der Einsamen in ihre Geistesarbeit, wie sie vorhin noch
an dem Bukoliker des Silbertellers beobachtet worden ist (S. 62). Hier richtet
vielmehr die Herrin und mit ihr die Dienerin ihre Blicke, die nichts von den starken
Gemütsbewegungen der Frauen in den übrigen Bildern verraten, nur mehr oder
weniger begierig nach außen, am ehesten wie in Erwartung eines Verehrers der Dame.
7. ANDERE KITHARSPIELERINNEN.
Das alles paßt zu dem Berufe, den das vom Künstler als etwas sehr Wesent-
liches behandelte, große Saitenspiel deutlich macht, dem der xiUapicsTpia oder,
') Sapphoauf der Middletonschen Vase des 4. Jahrh. sächs. Ges. VIII 712 ff. Taf. i, i. Vgl. BernouUi,
bei O. Jahn, Dichter auf Vasenbildem, Abhandl. Gr. Ik. I 66 f. Ebenda 88 f. Abb. 14 Korinna.
gO Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
wenn hier das Fehlen des Plektrons wirklich entscheidet (S. 87), der "j/äXTpia. Wir
kennen ihn von alters her aus schriftlichen und bildlichen Zeugnissen. Schon
die attischen Vasen kleisthenischer und themistokleischer Zeit zeigen solche Musi-
kantinnen, wenn auch kaum so oft wie die Flötenspielerinnen, neben denen jene zum
Symposion aufspielen und dann noch andere Dienste leisten. Mit am drastischesten
und doch ohne grobe Schamlosigkeit zeigt dies das Innenbild der Londoner Eurys-
theusschale aus der Werkstatt des Euphronios, wo die «j/aXtpia die Leier beiseite
gestellt hat, um ihre Gürtelschnur zu lösen, was dem auf einem Hocker ungeduldig
harrenden Lebemann nicht rasch genug vonstatten geht '). Die Schriftsteller der
klassischen Zeiten lassen meist nur erraten, daß es damals nicht wesentlich anders
stand ^). Doch spricht es deutlich genug, wenn nach Aristoteles Staat der Athener
50 die Astynomen xal xots ts oüXYjxpt'Sa? xai Tot? '^akxpiai; xoi täs xittapiOTpiac . . . axoitouat,
outo« fiij TrXei'ovo? ri Susiv SpayjiaTv [iKjötuörjflrovTcii, xctv iiXstou? tt]V aüzr^v iirouSaCuJOi Xaßeiv,
ouTOt SiaxXr/poüat xat tiü Xayovn fiiaöoüdt: also FoHzeiaufsicht nicht allein über
die Preise, auch zur Vermeidung von bedenklichen Streitigkeiten um die Personen.
Daß diese drei Arten und andere [looaoupfot selbst im Auslande ansehnliche Lieb-
haber fanden, bezeugt Theopomp, wo er von den Lebensfreuden Straton L des
Philhellenen berichtet 3), sehr wahrscheinhch desselben Königs von Sidon, dem
man seinen Harem an dem schönen Klagefrauensarkophag in ganz griechischen
Formen darstellen ließ, während doch in den Leichenzügen der Dachbalustrade
semitische Bräuche unverkennbar sind 4). Schon nach dem Angeführten läßt
sich Stoff genug denken, wonach mittlere und neuere Komödien xiDaptOTpi« oder
<!f'xk-:pia betitelt wurden 5). Klar vor uns sehen wir noch die kluge, wackere Hetäre
und (jxstXxpw Abrotonon, die inMenanders Epitrepontes der Eheirrung ihres traurigen
Liebhabers Charisios ein Ende macht *>). Dem entsprechen die fidicinae der latei-
nischen Bearbeitungen. Eine mit Namen Acropolistis und die irrig statt ihrer
ins Haus des alten Periphanes zum Opfer bestellte namenlose treten im Epidicus
456 ff. auf. Angehende meretrices schickt der leno, dem sie gehören, zur Aus-
bildung in den ludus fidicinius, im Rudens 43 und im Phormio 82, wo das Mädchen
als citharistria bezeichnet wird. Eine solche Künstlerin wurde wohl auch einmal
zur coniux optima, wie die Auxesis citharoeda eines stadtrömischen Grabsteins^).
Aber noch Sallust im Catilina 25 nennt unter den verderbten Freundinnendes Ver-
schwörers eine schöne vornehme Ehefrau Sempronia, die, litteris graecis et latinis
docta, psallere saltare elegantius, quam necesse est probae, multa alia, quae instru-
■) F. R. I Taf. 23, Pfuhl a.a.O. Abb. 405. 1908 II 36 ff . Vgl. Mendel, Catal. des sculpt.
^) Z. B. Piaton, Protag. 347 D. Mehr im Thesaurus (Musdes ottomans) I Nr. 10.
des Stephanus und der Dindorf unter ij;aXTp[a. 5) Woran mich stud. phil. Emil Kunze erinnert. Es
3) Fr. hist. Gr. I 299, 126 aus Athen. 12, 531 A— D, genügt auf das Titelverzeichnis Kock III S. 698
vgl. Aelian v. h. 7, 2. u. 709 hinzuweisen. Auch unter den xiHapuiSoi
4) Fr. hist. Gr. I 299, 126 aus Athen. 12, 531 .\^D, mag es weibliche gegeben haben.
vgl. Aelian V. h. 7, 2. Zum Klagefrauensarkophag *) A. Körte, Menandrea ' ed. mai. S. 42 Br. i; bei
J. d. I. 1894 IX 226; 233 ff. und meine ent- Kock Br. 600.
scheidenden weiteren Beobachtungen Rev. arch^ol. 7) C. I. L. VI 2 Nr. 10 125; Dessau, I. L. S. Nr. 5244.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
9'
menta luxuriae sunt. Zu den probae gehören natürlich erst recht nicht solche
Dämchen, wie die blonde Thrakerin Chloe, dulcis docta modos et citharae sciens,
bei Horaz im 3. Liederbuch 2, 10. Völlig ungeschminkt zeigen Lukians Hetären-
gespräche musikkundige Vertreterinnen dieses Berufes, 5 die Kitharspielerin
Leaina, 12 die Psaltria Magidion und die Flötenspielerin Kymbalion. Ja, im
Alkiphronbrief 33 schimpft die Ehefrau und Großmutter Anthylla die xiOapwSö?
fuvi; Parthenion, in die sich ihr Gatte, der alte Knabe Koriskos, heillos verliebt
hat, eine iTtnöitopvo?, was gern als Übertreibung berechtigter Eifersucht gelten mag.
Denn im allgemeinen wird das didicisse fideliter artis auch Hetären eher veredelt
haben und die Durchschnittssitten des ganzen Standes müssen wir uns nach der
gesamten Überlieferung wenigstens im äußern Betragen keineswegs allzu niedrig
vorstellen ').
Den in Erinnerung gebrachten Schriftzeugnissen lassen sich bildliche der
klassischen Kunst, auch dort, wo sie das Alltagsleben spiegelt, d. h. vor allem im
Dienste der Verstorbenen, so gut wie keine anreihen 2). Sehr begreiflich; denn
die Hetären werden nur selten Angehörige gehabt haben, die ihnen das ^ipti Dgivovtiuv
mit Bildschmuck ausstatten mochten, und wenn es doch geschah, dann wird er
verschwiegen haben, was ihr Gewerbe verraten konnte. Einige Frauen mit Kithar,
Lyra und Doppelflöte zeigen allerdings weißgrundige Lekythen, aber nur solche
der Vorblüte, deren ausschließliche Bestimmung für die Gräber, wo man sie findet,
meist nichts beweist, so daß auch ihre hergehörigen- Gestalten, obgleich strengschön
wie Musen, für junge Männer bestimmte Darstellungen von Genossinnen ihrer
Freuden sein können, wie doch wohl jene gleichzeitige Kitharstimmerin einer
Trinkschale im Louvre 3). Auf den langen Reihen der eigentlichen Grablekythen
dagegen, wie sie die Werke von Fairbanks und Riezler füllen, weiß ich keine attische
Frau mit Saitenspiel, sie brächte es denn dem Verstorbenen ans Grab 4). Das-
selbe gilt von all den attischen Grabreliefen vordemetrischer Zeit.
Erst als der Hellenismus die alten Sitten lockerte, wagte sich ab und zu an
den eigentlichen Heimstätten seiner Kultur, die den Hetären zu neuer Geltung
verhalf, die Darstellung solch einer Musikantin auf ihren Denkstein. Ich kenne
nur zwei Beispiele. Das bescheidenere, um 200 v. Chr. entstandene, gehört zu der
mir nur aus Chios bekannten Gattung von schlanken, sockelähnlichen Blöcken
') Im allgemeinen vgl. Jacobs, Vermischte Schriften
IV und neuerdings Ph.-E. Legrand, Daos 100 iT.
und K. Schneider, Hetairai bei Pauly, Wissowa,
Kroll VIII 1331 ff., wogegen sich viel sagen
liefie. Nützlich ist das Namenverzeichnis am
Ende, obgleich es den Aufsatz selbst nicht ganz
ausbeutet.
') Beim Suchen hat mich der vasenkundige stud.
phil. E. Kunze eifrig unterstützt.
3) Oben S. 87 A. 5. Schreitende Lyraspielerin mit
Collignon und Couve Nr. 1019; A. M. 1891
XVI 311 Taf. 10,2 .M. Mayer. — Flöten- und
Lyraspielerin einander gegenüberstehend, 'Axejto-
pßrj; xaX(i«, Burlington Catal. 1888, 29 Nr. 51,
Furtwängler, Samml. Somz^e Taf. 39 oben. —
Sitzende Kitharspielerin, vor der eine Frau mit
Lyra steht, 'AXxi(j.[:^J5tj« \iT/y)dWj xa\6i, P.
Gardner, Gr. vases in the .Vshmol. Mus. Nr. 266
Taf. 20, Klein Lieblingsinschr.^ 163 Abb.42, Beazlty
im Journ. hell. stud. 1914 XXXIV 221, 8.
Hund, Athen, Nationalmuseum, im Katalog von ^) Fairbanks, White lekyth. II 129, 14, Taf. 18,2.
92
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
quadratischen Querschnitts aus dem grauen Marmor der Insel, deren spitz einge-
rissener Bildschmuck sich geglättet vom aufgerauhten Grunde abhebt. Das weitaus
bedeutendere Denkmal dieser Art, der Grabstein des Metrodoros, steht im Ber-
liner Museum vor aller Augen').
Auch von den drei erhaltenen
Seiten des hier in Rede ste-
henden Grabsteins im Museum
zu Chios habe ich 1888 leid-
liche Zeichnungen veröffent-
licht^). Die Nebenseiten stel-
len je eine Sirene, links mit
Doppelflöte, rechts mit Kithara
dar. Die Vorderseite Abb. II,
zeigt die Verstorbene, auf
kissenbelegtem Lehnstuhl von
gebogenem Holze (oben S. 84),
mit beiden Händen ihr In-
strument rührend. Es ist wie-
der von ganz schlankem, nur
viel einfacherem Bau als in
unserm Wandbilde, dem S. 86
aus einem anderen pompeia-
nischen (Abb.io) wegen der fünf
Saiten verglichenen am ähn-
lichsten. Die gleichfalls über-
schlanke Musikantin zeigt ober-
halb des um die Beine ge-
schlungenen Mantels den Chi-
ton mit drei Faltenstrichen
zwischen den Brüsten und dem
Halssaum so schwach ange-
deutet, daß wohl nur ein sehr
durchscheinendes Kleid ge-
meint sein kann. Trotz der
häuslich wirkenden Hauben-
tracht ist ein Halsband mit
zwei Punktreihen angegeben. Mit nur einer Reihe geschieht dies auch bei der hier
noch kleineren Dienerin, wieder im gürtellosen Chiton, fast ohne Falten, aber auch
mit wenig Andeutung von Körperformen. Auf der linken oder auf beiden Händen
hält die Kleine eher als ein Körbchen einen Napf bereit, vielleicht um die Herrin
bei ihrer Übung zu erfrischen. Die verstümmelte Inschrift oberhalb des Bildfeldes
Abb. 1 1 . Grabstein von Chios.
Wiederholt aus A. M. 1888 XIII 195 ff.
■) A. M. 1888 XIII 199 ff., 363 ff. Taf. 4. Berlin ') A. M. iS
Ant. Skulpt. Nr. 766 A., G. Weicker, Der Seelen- Abb. 89.
vogel 1768. Pfuhl, Malerei II 8.903!.
XIII 195 ff. Weicker a.a.O. 177
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
93
kann schwerlich anders als zu A«[j,]rpo[v ergänzt werden; und so ein schmeichel-
haftes Beiwort sächlichen Geschlechtes beweist zwar nicht für, paßt aber auf eine
Hetäre, zumal ohne Vaters- oder Gattennamen. Eine Gegenprobe liefert die ein-
zige mir bekannte Namensschwester, die Stymphalierin Lampron, insofern, als
sie ihr delischer Grabstein ausdrücklich als Gattin eines Sarapion bezeichnet •).
Noch klarer spricht meines Erachtens die Inschrift unter Abb. 12, dem viel
erheblicheren Naiskosrclief einer kleinen alexandrinischen Kalksteinstele aus der
ersten Hälfte des 3. Jahrh.=).
Auf einem nur mit seinem
Vorderteil ins Bild herein-
ragenden Stuhl von soweit
ähnlicher Form wie der des
Wandgemäldes sitzt die Ver-
storbene in die alte Gebärde
tiefen, traurigen Sinnens ver-
sunken. Sie achtet nicht dar-
auf, daß ihr das ganz kleine
Mädchen, man fragt ob nicht
eher ihr Kind als ihre Diene-
rin, eifrig die Kithara hinauf-
hält, um sie aus ihrem Hin-
brüten zu reißen. Gewiß be-
zeichnet das Instrument wie-
der den Beruf der Frau als
Kitharistria, und wenn sie
die Sockelinschrift Nix(u Ti-
jituvo? dtOT/j nennt, so kann
ich das nur damit erklären,
daß ihn gewöhnhch Nicht-
bürgerinnen ausübten. Das
aber waren eben die meisten
Hetären. Nur als einer sel-
tenen Ausnahme von dieser
Regel und zugleich von dem sittlichen Durchschnittswesen solcher Frauen gedenkt
ein Bruchstück aus der Hydria des Antiphanes kzaipa: . . . äaT?,?, die obgleich
einsam, ohne Vormund und Verwandte lebend, eine goldene Charakteranlage zur
Tugend besaß und ihren Liebhabern eine wirkliche Excitfvo, eine Freundin war, statt
mit den Berufsgenossinnen diesen wirklich schönen Namen zu entwerten 3). Fremd
Abb. 12. Grabstele aus Alexandria.
Wiederholt aus A. M. 1901 XXVI 272.
') Ich kenne die Inschrift durch Pape und Benselers
Wörterbuch nur aus C. I. G. II Nr. 2322 b 38,
nicht aus einer neueren Veröffentlichung.
») A. M. 1901 XXVI 271 f. mit Textbild. 271
A. 2 stellt Pfuhl die auch (jben angeführten
Vergleichsstücke zusammen. Vorher gab die
Stele Maspero heraus im Mus& 6gypt. I 27
Taf.31.
3) Meineke III 123, Kock II 103, 212, aus Athen. 13,
572 A.
94
Franz Studniczka, Imagines Illustiium.
in Athen ist denn auch wieder die Kitharspielerin SepaTtiä? 'Avti6;(ou MsYoptxij, die
ein Grabstein der Kaiserzeit aus hymettischem Marmor in bogenüberwölbtem Feld
aliein dasitzend zeigt ').
Daß endlich dieser Bildgegenstand nicht auf die bescheidene Gräberkunst
beschränkt blieb, sondern, wie hier vorausgesetzt wird, tatsächlich auf die Höhen
der Malerei emporstieg, verrät uns Plinius 35, 141 mit einem einzigen, zum Glück
unzweideutigen Worte, das gleich in seinem eine Zeitbestimmung enthaltenden
Zusammenhange hergesetzt sei : einer von den primis proximi, Leontiskos, malteAratum
victorem cum tropaeo, psaltriam. Also so eine Musikantin, wie wir sie kennen,
gemalt von einem namhaften Zeitgenossen des berühmten Staatsmanns, der 251
seine Vaterstadt Sikyon befreite und dann als Haupt des Achäerbundes den Anti-
gonidcn entgegenwirkte. Anzuzweifeln, daß auch diese Psaltria eine Hetäre war,
liegt kein Grund vor. Hatte doch schon Praxiteles seine Phryne zu Thespiae und
Delphi in Standbildern aufgestellt ^) und in Gemälden, gleich von Aristeides und
Theoros, kennen wir unter den berühmten Hetären der Diadochenzeit wenigstens
Leontion, die Freundin Epikurs und Metrodors, die allerdings zu den geistig be-
deutendsten Angehörigen ihres Standes gehört haben muß, wie sie denn auch der
jüngere Künstler cogitantem abbildete3). Mit dem von Theoros ebenfalls gemalten
Demetrios nennen wir aber einen der Großen jener Zeit, durch die selbst geringere
Weiber dieser Art zu der Ehre so stattlicher Bildnisgemälde, wie das an unserer
Wand wiedergegebene, gelangen konnten, um hier von der eigentlichen Porno-
graphie abzusehen. Leider bemerke ich in der reichlichen Überlieferung, in der
ja namentlich die Deipnosophisten schwelgen, unter den allerdings vereinzelten
Angaben über den besonderen musikalischen Beruf dieser Halbweltdamen nicht
eine Kitharistria, nur die Flötenspielerinnen Bakchis von Samos 4) und Lamia von
Athen. Obgleich somit auch die letztere für unser Bild nicht in Frage kommt,
wird es doch vielleicht noch verständlicher, wenn wir uns an einiges von dem über
sie Berichteten erinnern 5). Wie auch des Belagerers erste Gemahlin Phila (S. 78)
erheblich älter als er, wußte ihn Lamia doch lange zu fesseln. Zu den Reizen
dieser Tochter des Atheners Klcanor (also auch einer otOTTJ, s. S. 93) zählte Demetrios
ihr sittsames äußeres Auftreten, das er, nach Phylarch, gegenüber dem Schelten
seines Feindes Lysimachos über die jropvi) mit den Worten rühmte : all f, irap' sfioi
iropvKj om^povsiTepnv tt,? itotp' Ixetvro llr,vsXoicr(« C'fl ^), ein scharfer Hieb auf die damalige
thrakische Königin, wohl keine andere als Arsinoe, die spätere Philadelphos. Als
>) Conze und Brückner, Att. Grabrel. IV Taf. 390 Mehr bei Usener, Epicurea 411 verzeichnet.
Nr. 1844. Athen, Nat.-Mus. Nr. 1319, bei Stais, 4) Theopomp, Fr. h. Gr. I. 325 aus Athen. 13, 595 A.
Marbres et bronzes S. 206. I. G. III Nr. 2574. 5) Jacobs a.a.O. 523 ff. Beloch, Gr. Gesch. III i,
Pfuhl a. a. 0. führt diese Grabstele irrig als 429. Hauptquellen für uns: Athen. 3, lOi E; 4,
delisch an. 128 B; 6, 252 F; 13, 577 C; 14, 614 F, 615 A.
') Pausan. 9, 27, 4; 10, 14, 5. Vgl. über den Rest Plutarch, Dem. 16; 19; 24 f. 27. Als ihre Quellen
eines mutmaßlichen Phrynekopfcs S. 88 A. 7. genannt werden Lykos, Demochares, Phylarch,
3) Plinius n. h. 35, 99; 144. Seilers, Plinys chapters Polemon., Nikolaos v. Damaskos.
on art S. 134 Pfuhl, Malerei II S. 726; 746; '') Phylaich Fr. h. Gr. I 335, aus Athen. 14, 615 a',
773. Athen. 13, 585 D; 593 C; Alkiphr. 2, 2. auch bei Plutarch, Dem. 25.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium. gc
der Belagerer Sikyon wiederherstellte, wird es auch geschehen sein, daß Lamia
der Stadt eine bunte Halle stiften konnte, was Polemon bezeugte '). Es wäre selt-
sam, wenn es dort kein monumentale^ Bildnis der Gründerin gegeben haben sollte.
Welche Göttin dazu vor allem die Farben liefern mußte, braucht gar nicht gesagt
zu werden. Zum Überfluß bezeugten der Perieget und Demochares die Verehrung
der Hetäre als Aphrodite Lamia für Theben und Athen ^). Nun kommt ja aber
leider, wie gesagt, diese Flötenspielerin für unser Gemälde nicht in Betracht; da
wir jedoch an der Wand gegenüber die Gattin und den Sohn ihres königlichen
Anbeters gefunden haben, liegt es vorerst einmal nahe, die Psaltria mit der Kithar
unter seinen übrigen Geliebten zu suchen. Fast königliches Ansehn soll von ihnen
die Samierin Myririe erlangt haben, was freilich erst bei Nikolaos von Damaskos
stand 3). Mehr Verlaß ist vielleicht auf Leaina, die nach dem schon angeführten
Zeitgenossen Demochares in Athen gleichfalls einen Kult als Aphrodite empfing.
Sollte Lukian an sie die gleichnamige Teilnehmerin seines 5. Hetärengesprächs
angeknüpft haben, dann könnte auch jenes Urbild eine Kitharspielerin gewesen
sein. Aber das ist gar zu dünnes Gespinnst. Als haltbares Ergebnis jedoch dieser
zum Nutzen der Sicherheit notgedrungen umfassenden Begründung nehme ich in
Anspruch, daß die schöne Kitharistria oder Psaltria von Boscoreale das Bildnis
einer berühmten Hetäre hellenistischer Zeit, vermutlich der Blütezeit ihres Ge-
werbes wiedergibt. Daß sie nicht in unmittelbarem, auch räumlichem Zu-
sammenhang mit der Mittelgruppe steht, wie es sich für das rechte Flügelbild
(entsprechend seinem Gegenüber an der Westwand, S. 8of.) herausstellen wird,
zeigt klar ihre und ihrer Dienerin abgewandte Haltung; nur ein innerer Zu-
sammenhang ist vorauszusetzen.
8. DAS PAAR IM MITTELFELD.
Unsere Taf. III gibt dieses Bild nach einer aus New York freundlich zur Ver-
fügung gestellten Aufnahme, von Regenspuren und sonst gereinigt, z. T. voll-
ständiger als Barnabeis Taf. 6, auf deren Vorlage Pfuhls Abb. 717 zurückgeht.
Doch wurde hiernach dank der Verlagsanstalt Bruckmann unsere Abb. 13 her-
gestellt, weil hier einige Stellen, namentlich der linke Arm des Mannes, in günstigerem
Erhaltungszustand erscheinen, was einer inzwischen wieder abgenommenen
»Verbesserung« des Urbildes zuzuschreiben kaum glaublich wäre. Sambon gibt
außer der Farbtafel 2 den in unserer Abb. 14 wiederholten Ergänzungsversuch.
Der anfangs (S. 66) dargelegten Entsprechung beider Wände gemäß sitzt
hier die Frau links; doch befinden sich beide dicht nebeneinander im Vordergrunde.
Da der Mann ähnlich dasitzt wie die Psaltria, kommt von seinem gleichfalls recht
^) Polemon ed. Fr. PreJler 45 Br. 14, auch Fr. h. gehören z. T. gewiß nicht hierher. Die ebenda
Gr. III 120, aus Athen. 13, 577 C. und 27 angeführte Demo, sehr jung, ist auch
^) Beide bei Athen. 6, 523 AB, Fr. h. Gr. II 449, 3, nach dieser Stelle nicht sicher eine Geliebte des
III 120, 14. Demetrios selbst. Es wird die gleiche sein, die
3) Fr. h. Gr. III 414 aus Athen. 13, 543 A. — Die später seinem Sohn Antigonos den Halkyoneus
von Plutarch, Dem. 24 neben Lamia genannten gebar, oben S. 82.
96
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
ähnlichen — den Gedanken an irgendein Zusammengehören der zwei nahelegenden —
Lehnstuhl ungefähr gleich viel zum Vorschein, abgesehn von dessen Beinen, welche
die nackten Mannsbeine kaum verdecken. Barnabei 56 f. läßt das Gerät irrig aus
Abb. 13. Miialbild der Ostwand aus dem großen Speisesaal von Boscoreale in New York.
Nach der Vorlage von Pfuhl, Malerei Abb. 717. Druckstock von F. Bruckmann A. G.
avorio intarsiato di oro bestehn und Pfuhl 879 folgt ihm darin. Aber, wie G. Richter
bestätigt, ist wieder nur braune Holzfarbe mit heller Maserung gemalt, jedoch hier
nach Sambons Tafel, in etwas grauerem Braun, ungefähr zu Eichenholz passend. Dem
wären die im Vergleich zu dem andern Lehnstuhl, besonders an den ausladenden
Rundplatten, noch kräftiger geschwungenen Umrisse wohl an emessen. Noch ent-
schiedener als dort stehen hier die Stuhlbeine nach rechts geneigt (auch Abb. 14), nicht
durch falsches Zuschneiden des ganzen Bildes, da ja die Hinterkante der gemalten
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
97
Standfläche wagerecht geblieben ist. In der Vorlage unseres Textbildes 13 hat sie
nach rechts ansteigende Richtung erhalten, doch wohl um die Thronbeine ins Lot
zu bringen. Die Seitenansicht zeigt die perspektivische Verkürzung des Hinter-
beins kräftig durchgeführt. Dagegen geht von den zwei anderen, die sich zwischen
den Unterschenkeln zeigen, das von der Stuhlschwinge überschnittene rückwärtige
sogar ein wenig tiefer hinab als die zwei vorderen, statt noch etwas kürzer zu er-
scheinen als das andere Hinterbein rechts (Pfuhl 882). Der wiederum kräftig ge-
schweifte Eckstollen der Rückenlehne setzt hier zu weit einwärts an. Statt wie
im Nachbarbilde links mit der oberen Querlatte in spitzem Winkel zusammenzu-
treffen, überragt er sie ein wenig mit
kymationähnlich ausladendem Kopf-
ende, was den einzigen Schmuck der
Lehne bildet. Weitere Querhölzer wie
dort sind hier nicht angegeben. Statt
dessen läuft dem obern gleich, nämlich
wagerecht trotz der perspektivischen
Schrägstellüng der seitlichen Sitzkante,
wiederum die walzenförmige Armlehne
mit Rundscheibe an der Stirn. Nur
setzt hier das Rundholz erst inmitten
der Vorderseite des Eckstollens an
und ist die Rundscheibe (die den
Lendenumriß des Mannes etwas über-
schneidet) größer, wie an den mei-
sten der verglichenen Darstellungen
(S. 85). Sie enthält eher als kon-
zentrische Kreise wieder eine Schnek-
kenwindung, wie drüben an der Ki-
thar das runde Kopfende des Saiten-
stegs (S. 87). Getragen wird die Arm-
lehne des Mannes von einem der zu diesem Zweck altüblichen sitzenden Fabel-
tiere. Es ist aber nicht die Sphinx, die schon am Harpyiendenkmal (links
vom Kammerpf Örtchen), dann z. B. am Grabstein der Demetria und Pamphile
vor dem Dipylon wie noch gar oft vorkommt, vielmehr ein Löwengreif, das nament-
lich vom Alexandersarkophag her bekannte persisch-hellenische Wappentier').
Wenigstens der Kopf mit Bockshorn und der oben eingerollte Hakenflügel ist ganz
deutHch. Ein mindestens sehr ähnliches Wesen trägt die Seitenlehne am Grabstein
der Cl. Italia im Louvre ^). Auf den Photographien unseres Gemäldes kann man
die übrigen Umrisse des Tieres kaum noch ahnen; immerhin mag dazu Sambons
Abb. 14. Mittelfeld der r. Wand im Hauptsaal von
Boscoreale.
Nach Sambon, Fresques de Bosc. S. 12.
') Dessen scharfsinnige Ausdeutung durch G. F.
Hill im Journ. hell. stud. 1923 XLIII 166 ff., die
von den Alexandermünzen ausgeht, dürfte sich
mit dem Gebrauche des Löwengreifen auf dem
Alexandersarkophage kaum vertragen. Doch
kann darauf hier nicht eingegangen werden.
») Clarac I 147, 330. Außer in S. Reinachs R(^pert.
stat. I 42 auch bei Birt, Die Buchrolle in der
Jahrbuch des archäolog^ischen Instituts XXXVIH/IX 1923/24.
gg Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
Ergänzungsversuch helfen (hier Abb. 14). Beiderseits davon zeigt sich, nach der
Farbtafel weißlichgrau, das aufgestaute Gewand des Mannes. Nicht dazugehören
kann, was hier einen Teil des Platzes einnimmt, wo neben der Musizierenden zwischen
Sitz und Armlehne das Kissen herausschwillt, obgleich Sambon die Stelle ent-
sprechend ergänzen ließ. Deutlich sind, dem vordem Stuhlbeinkopf näher als dem
rückwärtigen, zwei helle, ineinandergreifende Spiralhaken, von denen aus nach
rechts kurze Reihen der gleichfalls hellen Strichelchen verlaufen, wie sie der Maler
zum Ausdruck walzenförmiger Rundung benützt. An der Rückenlehne scheint
sich dieser Gegenstand totzulaufen. Da er Holzfarbe hat (auch nach Sambons die
Form vergröbernder Tafel), möchte ihn G. Richter als einen Teil des Lehnsessels auf-
fassen. Doch finde ich nirgends etwas Entsprechendes und zweifle, ob es zum Stil
des Gerätes passen würde. Eine bessere Deutung weiß ich freilich auch nicht vor-
zuschlagen. Am ehesten ließe sich vielleicht noch an eine Bandrolle denken, wie
sie das Mädchen von Antium mit anderem Opfergerät auf seiner runden Platte trägt.
Zu kurz ist das Ding für eine Buchrolle, wie sie annähernd ähnlich, nur beiderseits
aufgewickelt, in dem großen frühhellenistischen Grabrelief aus Thespiae unter dem
Thron der Frau auf der Kante der Truhe liegt '). Eine sichere Deutung dieser Einzel-
heit vermag vielleicht zu der des Gemäldes beizutragen • — vielleicht auch nicht.
Von der andern Armlehne, die Barnabei 59 erkannte, der Maler Sambons
jedoch übersah, sehe ich dank einem Riß vonG. Richter auch auf Taf. III als dunkeln
Fleck die elliptisch verkürzte Rundscheibe, oben schräg überschnitten vom äußern
Handumriß der Frau, etwa in der Höhe ihres Fingerrings, vom Stab des Mannes
durch ein Streifchen ihres weißen Oberkleides gesondert. Sonst hat der Wand-
maler auf diesen verdeckten Teil des Geräts keine Rücksicht genommen. Selbst
das rechts vorn so deutliche Hinaufragen des Stuhlbeinkopfes und Stütztieres über die
Sitzkante bleibt unberücksichtigt bei der Art, wie sich die rechte Kniekehle über den
ersteren legt. Stützt sich trotzdem die Frau mit dem linken Ellbogen auf die kaum
sichtbare Armlehne des Nachbars, sitzen muß sie auf einem eigenen, dicht herange-
rückten Stühlchen, das ihre wallenden Gewänder ganz verdecken. Die Sorglosigkeit
des Wandmalers, der doch wohl auch hier als Kopist zu erkennen ist, versäumte
selbst das eine Stuhlbein anzugeben, das rechts von dem äußersten Thronbein Hnksim
Hintergrund erscheinen müßte. Nur den flachen Schemel zeichnete er unter dem
linken Fuße der Frau, wie ihn unsere Taf. III deutlich erkennen läßt. Links ist seine,
wie üblich vorgebauchte, Ecke mit dem aufgeschnörkelten Füßchen erhalten ^).
Die auf dem bescheidenen Sitze ruht, ist ein ganz ausgereiftes Weib, was be-
sonders der volle kräftige Unterarm und die seiner würdige linke Hand zeigen, deren
1 —
Kunst 129 wiederholt. Dagegen erweist den ver- ') Athen. Nationalmus. Nr. 817, bei Stais, Marbres
meintlichen Greifen des Gemäldes Heibig Nr. et bronzes 139. J. d. I. 1913 XXVIII334 f. Taf. 30,
1389 b, wie ihn Mus. Borb. V Taf. 17 zeigt, die von Rodenwaldt viel zu früh angesetzt. S. Reinach,
Photographie bei Rodenwaldt, Kompos. 118 Rupert, rel. II 384, 2. Die Buchrolle am deutlich-
Abb. 21 vielmehr als Sphinx, wie sie schon sten in dem kunstlosen Riß bei Birt, Buchrolle 250.
Winckclmann, Gesch. d. Kunst 7, 3, 22 gegen -) Vgl. z. B. Herrmann, Denkm. Taf. 4: Amphitryon;
Bartoli erkannte. 72 Phaidra; 121 Zeus von Nike gekränzt.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. gn
Finger indes doch vornehmen Bau erkennen lassen. Der vierte trägt einen Siegel-
ring wie der der Psaltria, nur mit roter Gemme. Sonst ist diese Frau schmucklos,
auch das üppige dunkle Haar nur einfach zurückgenommen. Die hellen falten-
reichen Gewänder machen den Eindruck nicht ganz leichten Wollstoffs. Sambons
Tafel gibt sie ziemhch gleichförmig weiß, wogegen Barnabei 57 von chitone color
violetto chiaro e manto biancastro amplissimo listellato a zone di color violetto
spricht. Die Borte ist besonders deutlich an dem geschlängelten Saum neben dem Knie
des Mannes, vielleicht auch dort, wo das Gewand auf dem Schemel schleppt. An der
Halsöffnung des Hemdes fällt ein ganz weißes Dreieck auf, mit dem kaum der
dort gewöhnliche Faltenvorsprung gemeint sein kann, das aber nach G. Richter
auch nicht etwa nur von einer Beschädigung herrührt. Von Brust und Unterarmen
abgesehen verhüllt alles der weite Mantel, nach Matronenart auch das Hinterhaupt.
Das paßt gut zu der Gebärde, die schon in polygnotischer Zeit an der »Penelope«
und ihren Verwandten voll ausgebildet erscheint als Ausdruck des Versunkenseins
in tiefes Sinnen, wenn nicht gar in Sorge und Kummer. Das rechte Bein (dessen
hängender Fuß leider von dem hellroten Grund abgegangen ist) hat sie über das linke
geschlagen, den rechten Ellbogen auf das gehobene Knie gestützt, auf die zugehörige
fest geschlossene Hand die entsprechende Backe, während der linke Arm müßig,
wie dargelegt, auf der Armlehne des Genossen ruht. Ihm wendet sie aus ihrer Ver-
sunkenheit das charaktervoll schöne Gesicht zu. Das persönliche Gepräge verleihen
ihm u. a. die starken Backenknochen und die vielleicht noch entschiedener als bei
unserer Königin Phila gebogene Nase (S. 78). Im Gegensatz zu dem freudigen
Aufleuchten in jenem Angesicht spricht aus diesem schwerer, beinahe düsterer Ernst,
namentlich aus den geschlossenen, geschwungenen Lippen und den großen dunkeln
Augen, die unter etwas zusammengezogenen Brauen fragend aufblicken. Hinter
dieser Stirn sucht man keine Liebesgedanken, wie bei der ähnlich verhüllt dasitzenden
Frau (Aphrodite.?) eines andern pompeianischen Bildes, der der kleine Eros ein
Schmuckkästchen hinhält '). Die beschriebene sitzt zwar vertraulich, aber nicht
liebevoll bei dem Manne. Richtiger als Barnabei, der in ihr die sieghafte junge
Braut lola suchte, bewunderte Sambon 15 cette figure de femme dont le regard
trouble le spectateur, le contraste entre la pensöe qui absorbe la femme et la force
insouciante de l'homme.
Dieser Mann sitzt allerdings grundverschieden auf seinem stattlichen Thronos.
Die Beine stehen breit auseinander, wie bei Heraklesgestalten, die Barnabeis Deutung
des Gemäldes irreführten, auch bei einer von pompeianischer Wand *), oder beim
Silen Marsyas in derselben Kunstgattung 3). Der linke Fuß ist etwas zurückgezogen,
beide leider wiederum so gut wie ganz verwischt, aber der vorgesetzte rechte trat
') Heibig Nr. 1430, Mus. Borb. IX Taf. 3, S. Reinach, 3) Heibig Nr. 229. S. Reinach a.a.O. 32, 6 aus
Rupert, peint. 78, 3. Herkulaneum. Ähnlich Reinach 32, 3, besser
0 Heibig Nr. 1148, Mus. Borb. III Taf. 19. S. Rei- Jahreshefte 1907 X 315 Abb. 92.
nach, Rupert, peint. 192, 2.
7*
IQQ Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
in der Tat bis vor den Schemel der Frau (Abb. 13). Doch bleiben deren übereinander-
gelegte Beine fern genug, um eine Berührung mit seinem rechten zu vermeiden.
Man sieht: er macht sich etwas breit, wie wenn er ein großer, gebietender Herr
wäre. Ungescheut zeigt er fast nackt die Pracht seiner Gestalt, deren gebräunte
Hautfarbe auf Sambons Tafel vielleicht nur aus technischen Gründen nicht dunkler
erscheint als die der Frau. Nur gerade die Scham und etwas vom rechten Ober-
schenkel, wie anderererseits vom Gesäßmuskel, decken die gestauten, weichen Falten
der gelöst vom Rücken herabwallenden Chlamys (S. 71). Nach Barnabei hat sie color
cinereo legierissimo, was Sambons Farbenbild, im Widerspruch mit der Textangabe 14
(vert), durchaus bestätigt; nur oben erscheint das Mäntelchen dunkler, wo es der
aufrechte Rücken an die Lehne festdrückt. Gewichtig wirken auch die Hände,
die beide, die rechte über der linken, auf der altüblichen kurzen Querkrücke des
braunen Stabes ruhen, wie es mir ein Riß von G. Richter noch deutlicher machte
als die Lichtaufnahmen. Das ist auch der Höhe nach die herkömmliche ßcixtr^piot
der Griechen, nur in der schlanken glatten Form verschieden von dem knorrigen
Stecken des Philosophen auf der andern Wand (Taf. H, S.80). Ganz ähnlich wie unser
Sitzender stützt sich auf den nur ein wenig knotigen Stab Orestes in dem bekannten
Neapler Amphorenbilde, wo er schutzsuchend auf dem taurischen Altar Platz ge-
nommen hat; doch ist seine müde, geknickte, brütende Haltung der stolzen unseres
Mannes entgegengesetzt '). Daß aber auch ein verwandter Stimmungsausdruck
durch das gleiche Motiv der Hände, sogar über kurzem Stocke, gesteigert werden
kann, veranschaulicht der über die gefangenen Freunde zu Gericht sitzende Thoas
in dem berühmten Bild aus Casa del Citarista und in anderen Nachklängen der-
selben Schöpfung 2). Vielleicht von dieser Gestalt auf den jungen Richter der
drei Göttinnen übergesprungen ist dieselbe Handhaltung in zweien der pompe-
ianischen Bilder des Parisurteils; einmal steht sein langes Wurf holz auf dem Bodens),
das anderemal das kürzere auf dem Schoß, wodurch das Motiv dem unsern noch näher
kommt 4). Hier betont die Verschiebung von Stab und Händen aus der Dreiviertel-
ansicht des Mannes seine Wendung zu der Frau. Dem entsprechend zeigt sich sein
Kopf der Seitenansicht viel näher als der ihre. Doch scheint seine Haltung eher
stolz zu bleiben; jedenfalls überragt er den der vorgebeugten Nachbarin beträchtlich
ohne sich zu ihr zu neigen. Das Oberhaupt fehlt und in dem kurzen, bei Sambon
heller braunen Nackenhaar ist von Kopfschmuck oder -bedeckung keine Spur er-
halten. Das bis über die Brauen vorhandene Gesicht gibt Barnabeis Taf. 6 (und
unser Textbild 13) wenigstens im untern Teil bedenkhchviel deutlicher als die sicher
unberührten Aufnahmen wie Taf. IIl, mit denen hier Sambons Farbenwiedergabe zu-
sammengeht. So wage ich davon nicht mehr auszusagen, wie daß es bartlos und eher
') F. R. III Taf. 148. Monum. d. Inst. II Taf. 43. im Vettierhaus: Herrmann Taf. 20.
') Das genannte Bild bei Herrmann, Denkm. Taf. 3) Heibig Nr. 1285. Mus. Borb. XI Taf. 25. Bau-
115, Mau, Pomp.' 374. Rodenwaldt, Kompos. meister II 1167, M^langes Nicole 6538., Löwy,
pomp. Wandgem. 166, vgl. 170. Jul. Lange, Die Abb. 4 der Beilage.
mensch. Gestalt 84 Fig. 32. — Die Wiederholung 4) Heibig Nr. 1284. Giorn. d. scavi 1861, 60 Taf. 19.
des Thoas, mit etwas manierierter Handhaltung, Lüwy a. a. 0. Abb. 5.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. 10 1
voll war. Kaum fraglich dünkt es mich ferner bei solch kräftigem, stattlichen
und selbstbewußten Manne, daß die Bartlosigkeit nicht die natürliche der Jugend,
sondern die künstliche der hellenistischen Herrenmode ist.
Daß unser Mann an Heraklesbilder verschiedener Kunstgattungen und Stil-
arten erinnert, deren eines, in pompeianischem Gemälde, wieder beide Hände so
auf die Keule stützt '), ist ebenso richtig, wie daß er seiner Tracht nach diesen Heros
nicht bedeuten kann. Für die statt dessen von Sambon vorgeschlagene Deutung
auf einen menschlichen Athleten spricht ebensowenig Entscheidendes, ja der Stab,
soweit meine Erinnerung reicht, eher dagegen. Selbst die Körperbildung hat nichts
eigentlich Athletisches im Sinne des Hellenismus. Und wie. der Mann hier neben
der tiefernsten, bedeutenden Frau thront, das weist in eine höhere Schicht, als z. B.
die, wo sich der selbstgefällige junge Held der Palästra, der blondbärtige Delphis
von Myndos, zu der verliebten Simaitha auf den xXivx^^p setzt, um sie mit süßen
Worten rasch ganz zu betören^). Die lässige Würde dieser zwei Menschen weist
auf ähnlich hohen Rang, wie er dem Paar gegenüber anzuweisen war (S. 78). Die
weitgehende Entblößung, die immerhin vor der Scham Halt macht, würde sich aller-
dings am leichtesten bei einem Heros der Sage erklären. Sehr ähnlich sitzt König
Telephos in dem nach ihm genannten Fries aus Fergamon unter den Achäerfürsten 3),
wohl auch, in einem Wandbild aus dem Dioskurenhause, Minos, dem Skylla die
Locke des Vaters bringt 4). Selbst ein annähernd ähnliches Paar kommt in bisher
nicht überzeugend gedeuteten Darstellungen aus der Sage auf Wandbildern und
römischen Sarkophagen vor 5), ja in einigen spielt eine Buchrolle mit, wie sie zur
Not doch neben unserm Mann auf dem Sitze liegen könnte (S. 98). Allein das
Gegebene bleibt doch die Zugehörigkeit des Paares zu derselben wirklichen Welt,
wie sie für sein Gegenüber und die Psaltria mit ihrer kleinen Sklavin außer Frage
steht. Damit verträgt sich auch die nüchterne ßaxtrjpia am besten. Sie führte
nämlich Antigonos Gonatas zur kriegerischen Chlamys, als er während des Straßen-
kampfes in Argos draußen im Lager wartend saß, und schlug damit strafend seinen
tapfern jungen Bastard Halkyoneus, der dem Vater das abgeschlagene Haupt des
größten Feldherrn der Zeit, seines Jugendfreundes Pyrrhos zu bringen wagte^). Daß
dieses Stocktragen keine Eigenheit des Philosophenkönigs war, lehren Vorläufer
und Nachfolger in dem Korporalsgebrauch: die spartanischen Nauarchen Asty-
ochos und Mnasipp sowie Klearchos, der Führer der Zehntausend?), dann die
') Abgeb. Festschrift für Benndorf 138, wo Petersen 389 fi. verhörten Bildwerke.
irrig Sogliano Nr. 473 statt 497 anführt. *) Plutarch, Pyrrh. 34, vgl. oben S. 77. Nochmals
') Theokrit Id. 2, 102 ff. Der blonde Bart 78. mit dem Stock erscheint Antigonos II., als er
3) Altert. V. Pergam. III 2 Taf. 33, 3. Collignon, damit an die Pforte von Akrokqrinth pocht, um
Hist. sc. gr. II 531. Rodenwaldt, Das Relief bei es zu besetzen, Plutarch, Arat 17. Aber da ist
den Griechen Abb. 117, b. nicht von der Chlamys die Rede und nach dem
4) Herrmann, Denkm. Taf. 128 mit Textbild 49, ganzen Zusammenhang Bürgertracht nicht aus-
nach Archäol. Zeitung 1866 XXIV Taf. 212, wo- geschlossen. Vgl. jedoch S. 100.
nach zur Not auch bei Röscher, Lexik. IV 1070. 7) Thukyd. 8, 84. Xenoph. Hellen. 6,2, 19; Anab. 2,
5) Ich meine die zuletzt von Robert, Hermeneutik 3i n- Vgl. immerhin auch 5, 8, i ff.
'C
JQ2 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
römischen Centurionen mit ihrer vitis '). Mitwirken kann bei der Erklärung unseres
Bildes auch noch der Gedanke an einen vorangegangenen langen Weg, von dem
der Mann, mit etwas weich durchgebogenem Leibe, als Gast ausruht; denn im eigenen
Hause wird er kaum so den Stecken vor sich behalten. Nach einer großen Strapaze
rastend mag es sich auch ein vornehmer hellenistischer Herr, wo er sich zu Hause
fühlen durfte, etwa bei nahen Verwandten, sogar vor Damen dermaßen bequem
gemacht haben, wie er sich bei Turnübungen und erst recht die ideale Plastik ihn
aller Welt zeigen durfte. Gern wüßte man auch, was für Schuhe der Mann trug.
9. DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHILD.
Das rechte, durch die wirkliche Pforte verkürzte Seitenfeld (S. 66) enthält,
in sehr freier Entsprechung mit dem Alten von der Wand gegenüber (Taf. II), eine
hoch aufgerichtete noch jugendliche Frauengestalt. Taf. III gibt sie — leider in zu
weitem Abstand, den der Buchbinder auf den des linken Flügelbildes verkürzen
kann — nach abermals P. Herrmann und F. Bruckmann verdankter Photographie
viel deutlicher als das Textbild 12 bei Barnabei 57. Mit diesen Aufnahmen ver-
glichen erweist sich hier Sambons Taf. 3 sorgfältiger ausgeführt als die anderen.
Zunächst die Kleidung. Unter dem Schilde zeigt sich der weiße Chiton mit
schlichter, sehr breiter Saumborte von der Art, wie sie frühhellenistische Tanagräer-
innen haben ^). Nur nimmt sie hier von rechts nach links an Breite zu, was an-
nähernd bei einem der zwei halbwüchsigen Mädchen wiederkehrt, deren Vorbe-
reitung zu einem Feste ein feines Bild aus Herkulaneum darstellt 3). Die Borte
unserer Gestalt nennt Sambon 15 blau, während seine Tafel wenigstens in den
Faltenschatten das vom ersten Herausgeber bezeugte Violett gibt. Ähnlich tönt
die Farbtafel, nach G. Richter dem Bild entsprechend, den ganzen über dem Schilde
sichtbaren Teil des Chitons um Brust und Schultern; Barnabeis Angabe verde chiaro
ist somit abermals irrig (S. 113). So erst recht seine Meinung, das schmale gelbe
Band um den Halsansatz sei ein Unterchitonsaum und nicht ein Schmuckstück
wie es der Maler Sambons auffaßte. Mit Recht, denn ebenso, auch ein wenig der
Muskelbewegung nachgewellt, erscheint so ein Kettchen bei der eben verglichenen
Halbwüchsigen auf dem herkulanischen Gemälde. Ein ähnlicher Goldstreif um-
faßt den bloßen Oberarm in Achselhöhe, er von Barnabei als armilla erkannt.
Dazu ein weiteres Schlangenarmband am Handgelenk. Nur die vom ersten Heraus-
geber auf der rechten Schulter angenommene fibula a borchia di oro finde ich auf
den Photographien so wenig wie Sambons Zeichner und G. Richter im Urbild. Trotz
all ihrem Schmuck hat die Dame das grauviolette Obergewand schürzenartig von
hinten um den Leib gegürtet, wie es das schräge Aufsteigen der Säume von den
Kniekehlen aus und der mit ihnen gleichlaufenden Falten unter dem Schild erkennen
läßt. Das ist von alters her die Tracht von Männern und Frauen, deren beide Hände
') Marquardt, Domaszewski, Handbuch röm. Alter- ^) Z. B. Furtwängler, Samml. Saburoff Taf. 99; 102;
tümer 2 V 374 ff. Baumeister, Denkm. III Abb. 107 u.a.m.
2263; 2276. 3) Herrmann, Taf. 3. Winter, Kunstg. in Bild. I 95, 8.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium. 10^
eine länger dauernde Verrichtung in Anspruch nimmt '). Ebenso TtepiCu>3a[iEV7) tö l\xdunv
macht sich bei Plutarch im Kleomenes 38 die schöne starke Frau des Pantcus nach
der Hinrichtung des Spartanerkönigs, seiner Kinder und seiner Mutter daran, den
Toten die letzten Liebesdienste zu erweisen, bevor sie selbst an die Reihe kommt.
Nach hellenistischem Vorbilde dargestellt zeigt das in ähnlicher Ansicht wie unser
Mädchen, nur ganz unverdeckt, der zur Opferung Iphigeneias bereite Kalchas in
dem Bild aus Casa del poeta tragico ^), und im Innern pergamenischen Altarfriese
die von der linken Seite gesehene Dienerin mit Helm und Speer hinter Auge, von
der soeben Telephos den Schild empfangen hat 3).
Ebenso geschürzt hat sich auch dieses Mädchen, um Waffen zu tragen. Denn
wenn sie sich selbst zum Kampfe rüsten würdet), müßte wenigstens noch eine Angriffs-
waffe zur Stelle sein. Sie aber hat nur einen Schild mit der Rechten an seinem
Rand aufgehoben, deren Griff jedoch schon nachläßt, weil auf der Rückseite der
linke Arm in die Handhaben eingeführt ist. Daran will sie die Schutzwaffe fort-
bringen, wie schon Thetis im Innenbilde der Erzgießereischale den eben von Hephaistos
übernommenen Achillesschild 5), den auf späteren Vasen,Reliefen und Wandgemälden
sie selbst oder eine andere Teilnehmerin des Nereidenzuges am linken Arme führt ^).
Dort aber hat der Schild, wie meines Erinnern auch in andern Bildwerken aus der
Heldensage, die alte klassische Rundform bewahrt. Der unsere dagegen zeigt
im wesentlichen eine hellenistische Form. Die sehr gestrecr te Ellipse umgibt eine
Antyx, die nach der freilich kaum ganz folgerichtig durchgeführten Beleuchtung
gegen die wenig ausgewölbte Binnenfläche eher vor- als zurücktritt. In ihrer Längs-
achse hebt sich eine schlanke Reliefgestalt, nach Sambons wieder von G. Richter
bestätigter Tafel rötlich braun mit hellen Lichtern, also wohl ehern, von der nicht
viel helleren Fläche ab, statt, wie Barnabei schrieb, golden von silbernem Grunde.
Die Figur wirkt wie eine bildliche Ausgestaltung der ursprünglich nur den Schild-
nabel nach beiden Seiten fortsetzenden Mittelrippe, wie sie auf derselben ovalen
Grundform mit erhabenem Randstreifen der große Gallierschild zeigt. Doch trugen
davon Angehörige dieses Volkes auch so eine kleine Spielart 7) und sie findet sich
») Die frühesten mir gegenwärtigen Beispiele sind von Robert J. d. I. 1888 III 48 f. mit Text-
die Opferdiener der noch strengen Vasenbilder bei bild. Vgl. ebenda 1900 XV 115 Taf. i, 17
Pfuhl a. a. 0. Abb. 477 u. 491 und eine Frau, die Schrader.
eine kleine Truhe hebt, nach Stackeiberg, Gräber 4) Athena nennt sie S. Reinach, Rupert, peint. 20, i.
Taf. 34 bei Schreiber, Bilderatlas Taf. 84, 3. Aus 5) F. R. III Taf. 135. Perrot, Hist. de l'Art X 653.
hellenistischer Zeit vgl. die männlichen Musikanten *) Apulische Vasenbilder bei Heydemann, Nereiden
auf dem Mosaik des Dioskurides hier Abb. 15 Taf. 2; 4; 5, deren eines wiederholt bei Röscher,
mit S. 112 A. I. Lexik. III 224. Dort 225 Relief der Marmorvase
^) Herrmann Taf. 15. Winter, Kunstgesch. in Bil- aus Rhodos, Nr. 203 der Münchener Glyptothek.
dem« I 98, 4. Springer, Handbuch" I Abb. Wandbilder aus Pompeii Heibig Nr. 1320/1, Mus.
968. Die noch von Rodenwaldt, Kompos. 198 ff. Borb. X Taf . 19 u. 7, S. Reinach, Rupert, peint.
bedingt beibehaltene Verknüpfung mit Timanthes 39, i. 2.
verwirft entschieden v. Salis, Kunst d. Griechen' 7) Hier nur wenige sichere Beipiele, wo kämpfende
178. Gallier solche Schilde führen t G Körte, Urne
3) Altert, v. Pergamon III 2, 174 Taf. 61, i, gedeutet etrusche III Taf. 113, 2 u. 117, 9; dieselben bei
jQ^ Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
noch bei anderen als keltischen Kriegern, so bei kleinasiatischen Söldnern auf den
gemalten Grabstelen aus Sidon zu Konstantinopel, namentlich bei Dioskurides von
Balbura und Hekataios von Thyateira, die noch dem 2. Jahrh. v. Chr. angehören
werden '). Auch der ungedeutete Gott im pergamenischen Gigantenkampfe, den
sein schlangenbeiniger Gegner von hinten umklammert hält, trägt solchen Schild ^).
Daß er schon vor dem Galliereinfall in den Gesichtskreis der Hellenen kam, verrät
uns vielleicht eine südrussische Tonfigur aus Kertsch 3). Den Übergang zur bild-
lichen Ausgestaltung des Nabels und Mittelstegs bezeugen freilich erst die zierlichen,
fein bemalten und vergoldeten Tonschildchen aus Vollmöllers makedonischen Kammer-
gräbern zu Eretria, von noch viel spitzerem Oval. In dem einen veröffentlichten
Typus hat nur der Umbo die Form eines stark vorspringenden Hundekopfes, in
dem anderen die einer schönen Medusenmaske, von der nach beiden Seiten als
Bereicherung des Mittelsteges der dreizinkige, flammende Donnerkeil ausgeht 4).
Wie dieses hübsche Stück sind auch die mitgefundenen Rundschildchen von guten,
eher noch frühhellenistischen, z. T. an die oben besprochenen makedonischen (Abb. 7)
anschließenden Formen. Zwei sehr ähnliche Ovalschilde, der ganz sichtbare wieder
mit dem Blitz, schmücken gekreuzt die Leuchtfeuersäule in dem sullanischen Mosaik
des Grottenbezirks im Fortunaheiligtum zu Praeneste 5), leider ohne uns ihre Her-
kunft zu verraten. Auf dem Schild unseres Gemäldes ist an Stelle jener Mittel-
rippe wie gesagt die rötlich metallene Reliefgestalt angebracht, wohl als für den
Eigentümer bezeichnendes Schildzeichen. Ein schlanker, ganz oder so gut wie
nackter Mann in strenger Seitenansicht von links, das linke Knie so leicht gebogen,
daß die Absicht dazu fraglich erscheinen kann. Vom Fersenansatz ab ist der Fuß
geschwunden und statt seiner die helle Strichelung des Grundes zum Vorschein
gekommen. Ob rechts am Oberschenkel etwas von dem zurückstehenden rechten
zum Vorschein kommt oder ob dieser Teil auch noch zu dem, besonders starken,
linken gehört, blieb mir angesichts der großen Vorlage zu Taf. IH fraglich. Den
hintern Umriß schien mir das Ende eines Attributs zu überschneiden, am ehesten
eines Schwertes, so schräg gestellt, daß die Richtung dort hinaufwiese, wo die Hand
des vorgehaltenen linken Unterarmes geschwunden ist. Auf Schulter und Rücken
sah ich bestimmt einen schwachen Wulst, der ungefähr wie der Halsrand eines
Panzers verläuft. Doch erschien das G. Richter vor dem Urbild nur als ein »Effekt
von licht und dunkel«. Auch finde ich nichts von einem entsprechenden untern
Biefikowski, Darstellungen der Gallier Abb. 113 ') Altert, v. Pergam. III 2 Taf. 16 links, 8.641.
u. 133. Dort Taf. 4/5 der Sarkophag Amendola. Winnefeld. v. Salis, Altar v. Pergam. 84.
Nicht ganz sicher ist der Gallier auf dem delischen 3) Compte rendu 1876, Taf. 6, 8, Minns, Scythians
Bruchstück eines gemalten Frieses Monum. Piot & Greeks 56 fig. 10.
XXI 1913, 184 Abb. 8 A. Reinach. Hierher 4) Der ersterwähnte A. M. 1901 XXVI 360 f.
gehören auch die Schilde auf den Plinthen des Abb. 9 (wiederholt aus 'E(p»)|x. (äp-/otoX. 1899, 228f.
sterbenden Galliers und der Ludovisischen Gruppe, Abb. 3). Der zweite, dem Berliner Museum gc-
wenn sie nicht nur attributiv verkleinert sind. hörige, ebenda 363 f. Taf. 15 Mitte.
') Mendel, Catal. des sculpt. I Nr. 102; 104, auch 5) Bull, comun. 1904 XXXII 270 ff. Taf. 6 — 7.
106; 107; Rev. arch^ol. 1904 I 235 ß. Abb. 1—3. A. Köster, Ant. Seewesen 198 Taf. 57. S. Reinach,
S. Reinach, Rupert, peint. 269, 6; 7; 13. Rcpert. peint. 381,3.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. IO5
Panzerrand; eher eine Spur der Scham unter dem leicht vorschwellenden Bauch.
Nach Stile arcaico, den Barnabei zu erkennen meinte, sieht das alles nicht aus. Noch
weniger die starke, schräge Nase des bartlosen Gesichtsprofils. Über dem kurzen
Haar sitzt deutlich nach hinten geneigt eine wulstähnliche Kopfbedeckung, von
Barnabei und G. Richter als Kranz bezeichnet, aber gewiß kein Blatt- oder Blumen-
kranz. Eher mag es die bekannte Athletenmütze sein, wie am Erzkopf des »Ar-
chytas« aus der großen herkulanischen Villa') und, mit anderem Turnergerät auf-
gehangen, in den Zeichnungen des Metrodorsteins aus Chios (S. 92). Sehr möglich
scheint mir indes, daß wieder die Kausia gemeint ist (S. 72). Schade, daß wir über
die Bedeutung dieses Schildzeichens im Unklaren bleiben.
Woher das Mädchen den Schild genommen hat, zeigt ihrq Bewegung nach
rechts, klar ausgedrückt durch den rechts unter dem Chitonsaum in Seitenansicht
hervorkommenden linken Fuß in besohltem Schuh (dem Sambons Tafel dieselbe
gelbbraune Farbe gibt, wie seinem Gegenstück am linken Wandende, am rechten
Fuß der Kitharspielerin) und anderseits durch die Schleppe, deren Rückweis nach
links die Kopfwendung bestätigt. Der begonnenen Schreitbewegung entspricht
ferner der leerbleibende linke Teil des Bildfeldes, der allerdings schon durch den
entsprechenden Abstand des Philosophen von der Mittelgruppe gegenüber gefordert
wird (S. 80). Nicht unerwähnt bleiben soll schon hier, daß die einzelne Frauengestalt
von den zwei andern Bildern dieser Wand durch verschiedenen Lichteinfall abge-
sondert wird: jene sind von rechts, sie allein ist von links her beleuchtet. Ob nur
darum, weil so der starke Ausdruck ihres Gesichts zu vollerer Geltung kommt.!"
Jedenfalls kann dieser Unterschied nichts an dem Zusammenhang ändern, den die
entschiedenen Bewegungsakzente der Mädchenfigur so klar ausdrücken: von der
Mittelgruppe her kommt sie mit dem Schilde. Dieser muß somit als Eigentum
des einzigen Mannes an der ganzen Wand gelten, der zwar jetzt bei der altern Frau
auf dem Lehnstuhl ausruht, aber durch die stolze Kraft seiner Gestalt und die
Chlamys, mit der der Stock nicht im Widerspruche steht, doch nur als Kriegs-
mann bezeichnet sein kann (S. loof.). Die übrigen Waffen hat das Mädchen wohl
schon vorher weggeschafft; weist doch ihr geschürztes Oberkleid auf längere Dauer
der Arbeit hin. Zu Beginn der Odyssee (127) nimmt Telemachos selbst dem Gaste
Mentes den Speer ab, in vielen bildlichen Darstellungen aus der Heldensage, z. B.
noch an der früher verglichenen Stelle des Telephosfrieses (S. 103), helfen die Frauen
des Hauses beim Anlegen, wohl auch einmal beim Ablegen der Rüstung. So ist
in der Schildträgerin eine Angehörige, am ehesten die Tochter der älteren Frau
des Mittelbildes zu vermuten. Dazu paßt die beiden gemeinsame Kraft der Körper-
formen wie der Gesichtszüge. Die der Jüngeren scheint jetzt freilich eine Nase zu
entstellen, kaum weniger häßlich als die des »Sokrates« Albani; doch ist dies nach
G. Richters Auskunft nur einer Beschädigung zuzuschreiben. Auch ihr Haar er-
innert vermöge seines Wuchses und der — mit dem der Hetäre S. 88 verglichen —
schlichten Tracht eher an das der Matrone, obgleich es etwas heller zu sein scheint;
') Neapel, Guida Ruescb Nr. 882; Arndt, Portr. 153/4-
]06 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
ein Teil hängt frei in den Nacken hinab. Der reiche Schmuck, der das Mädchen
vor der Frau auszeichnet, sogar die gefallsüchtige Schönheit links überbietet, setzt
eine der ihren ähnliche Absicht oder einen festlichen Anlaß voraus, oder beides
zugleich. Dem Zusammenhang entspräche es am besten, wenn sie sich für den
herrlichen stolzen Mann geschmückt hätte, weil sie ihm angehören soll. Durch
Schmuck unterscheidet sich z. B., mit Aphrodite, die Braut Hippodameia von der
sie zum Vertragsabschluß zwischen Pelops und Oinomaos heranführenden Mutter
auf einer von den apulischen Vasen dieses Gegenstandes '). Hierauf könnte sich
das sichtlich vertrauliche, jedoch auch tiefernste Gespräch beziehen, das die zwei
im Mittelbilde zu führen im Begriffe stehen. Jedenfalls handelt es sich um etwas,
was des Mädchens Seele tief bewegt. Dies verrät sein fromm zum Himmel aufgeschla-
gener Blick — denn ein tatsächtliches Oben gibt es in diesen Bildern nicht — , das
oöpavov eJaavtSetv oder dvaßXsiteiv in homerischen und spätem Schilderungen ent-
scheidender Augenblicke*). So schaut die Mutter Niobe zu den Göttern auf oder,
da ihr Schicksal schon besiegelt ist, der noch besser zu vergleichende Kalchas, der
vorhin für die Schurztracht des Mädchens in Erinnerung gerufen wurde (S. 103).
Das Stoßgebet, das unsere Schildträgerin dabei zu den Himmlischen emporsendet,
lautet am ehesten wie das der Nausikaa Odyssee 6, 244: aT ^ap Ifiol roiöaSs tooh;
x8x>.r)!Jisvo? ö't); denn auf Widerstreben deutet nichts hin. Immerhin mag das schon
etwas mehr sein, als sich mit voller Gewißheit den aufgewendeten Ausdrucksformen
entnehmen läßt. Aber das Wesentliche der Sachlage scheint mir klar. Auch daß
die tieferregte mutmaßliche Braut, die so eifrig den Mann in Gestalt seiner Waffen
festzuhalten strebt, in bewußten Gegensatz gestellt ist zu der anders gearteten,
untätigen Schönen, die, obschon sichtlich nicht am gleichen Ort, ihre kühlern Erwar-
tungen doch nur auf denselben Mann richtend gemeint sein kann (S. 95).
10. ZUR NÄHEREN DEUTUNG DER OSTWANDBILDER.
Die vorangehende Beschreibung der Bildnisgestalten von der Ostwand noch
mehr als des Hauptbildes der westlichen ist durchsetzt mit vergleichenden Seiten-
blicken auf Darstellungen, bildliche und selbst dichterische, aus der griechischen Sage.
Dennoch stellten sich dem Gedanken Barnabeis, es seien mit diesen Megalographien
wirklich Personen der Sage gemeint, immer neue, unübersteigliche Hindernisse in
den Weg. Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs bringt das tatsächliche Wesen
der dargestellten Menschen aus der frühhellenistischen Geschichte, die sich noch
bei Plutarch ausnehmen, wie ein von dem Gott Alexandros ins Leben gerufenes,
neues Geschlecht von Heroen und erst recht von Heroinen, an denen keine Zeit
so reich war wie diese 3). Solch ein Heros muß der einzige Mann sein, der hier zwischen
drei sehr bestimmt gekennzeichneten Frauen thront. Schon da sich uns die schöne
Kitharspielerin immer sicherer als eine vornehme Hetäre erwies (S. 95), drängte dies
') Brit. Museum F 631, abgeb. auch bei Röscher, ') Ilias 16, 232; 19, 257; 24, 307. Xenophon, Kyrup.
Lexik, d. Mythol. III 775. 6, 4, 9.
3) Rohde, Der gr. Roman und seine Vorläufer 63 ff.
Franz Studniczka, Ima^nes Illustrium. I07
unsere Gedanken auf den vielgeliebten und vielverliebten Vater des inmitten der
linken Saalwand erkannten Antigenes Gonatas. Und nun bietet dessen Leben
annähernd in den für letzteres Bild in Betracht kommenden Jahren (S. 79) tatsächlich
einen im Wesentlichen genau entsprechenden Vorgang. Bezeichnend für die Un-
verwüstlichkeit seiner Schnellkraft wie seiner Anziehungskraft für Frauen, hat er
gleich nach dem Sturze vom makedonischen Thron, den seine erste und vornehmste
Gattin Phila nicht überleben mochte, in der Wiege seines Königtums, Klein-
asien, sowohl dessen Wiederherstellung in Angriff, als auch nochmals eine jüngere
Fürstentochter zur Frau genommen. Es war Ptolemais, Tochter des Begründers
der ägyptischen Dynastie, von dessen erster makedonischer Gattin Eurydike, einer
Tochter des Reichsverwesers Antipatros, also Schwester der Phila und schon seit
321 Schwägerin des Demetrios. Obgleich sie dem Lagiden auch einen Sohn geboren
hatte, den später Keraunos zubenannten Ptolemaios, wurde sie von der mitgenom-
menen Landsmännin Berenike aus dem Herzen des Gemahls verdrängt, so daß er
schließlich auch die Thronfolge seinem Jüngern Sohn von dieser Berenike, nachmals
Ptolemaios Philadelphos, zuwandte. Ptolemais war dem Belagerer, als dessen
erste ebenbürtige Nebenfrau, des Pyrrhos Schwester Deidameia, etwa 298 jung
gestorben war, vielleicht noch als Kind verlobt worden, um die Beziehungen zwischen
beiden Herrschern zu bessern. Diese unausgeführt gebliebene Verbindung wurde
nun vollzogen, da Demetrios 287 zu Eurydike nach ihrem Sitz als geschiedene
Königin, Milet, kam. Dem Ehebund entsproß Demetrios 6 xaXo?'). Zu dieser Lage paßt,
was die rechte Saalwand aufmerksamer Betrachtung an Tatsachen und glaubhchen
Vermutungen ergab, in allen Hauptsachen tadellos, nur Kleinigkeiten sperren sich
ein wenig.
Erst ein Blick auf das Ganze: ein stolzer, schöner Mann, auf den, im abge-
sonderten Bilde links, eine seiner würdige Hetäre wartet (vielleicht jene Myrine,
oder Leaina? S. 95), zwischen Mutter und Tochter. Letztere dient ihm wie Auge
dem Telephos und hat sich für ihn geschmückt wie eine Braut; aber der Brautvater
fehlt. Die Mutter in dem hellenistisch erneuerten Penelopetypus, fast schmucklos
und witwenmäßig tief in anspruchslose Kleider gehüllt, wäre nicht anders zu erfinden
als der bestmögliche Ausdruck für die verdrängte, verlassene Köngin. Daß sie nicht
recht aussieht wie eine in den Fünfzig, ist ein Mindestmaß an höfischer Rücksicht.
Vertraulich, aber nicht zärtlich ist sie an den Mann herangerückt, wie es der ältlichen,
langjährigen Schwägerin wohl zukommt. So auch der düster fragende Blick der um
Phila frisch trauernden Schwester, die den künftigen Schwiegersohn fragen mag,
ob es bei ihm die Tochter besser haben wird, auch im Hinblick auf die endlosen
Liebschaften mit Hetären. Ein Flehen um glücklichere Zukunft mit zum Himmel
erhobenem Blick steht erst recht der Braut eines solchen Mannes an. Dieser selbst
aber thront anspruchsvoll wie ein Gott in dem unverwüstlichen Selbstvertrauen
des bisher immer wieder auch aus tiefem Fall auf die Höhe zurückgekehrten Genies.
') Alles wesentliche bei Plutarch 25; 32; 46; 53. m. W. Rehm in Wiegands Milet III Das Delphi-
Vgl. Beloch, Gr. Gesch. III 2, 91; 127. Zuletzt nion 305 A. i; 306.
•j08 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
Daß sich Demetrios seine körperliche Frische lange zu erhalten wußte, dürfen
wir aus der Nachricht folgern, er habe das zunächst sogar in der Gefangenschaft des
Seleukos durch Jagen und Laufen versucht und sei erst am Ende in schwelgerische
Trägheit verfallen (Plutarch 52). Der prachtvolle Körper unseres Mannes zeigt
nur etwas von lässigem Ausruhen nach schweren Mühen. Dazu passen die auf
den Stock übereinandergelegten Hände und dieser selbst ist ein altes griechisches
Abzeichen der Befehlshabergewalt, unter den hellenistischen Königen für den Sohn
des Demetrios bezeugt ^S. lOi).
Die Waffen sind abgelegt, als letzte trägt die Braut den Schild fort. Ist seine
Form eine Abwandelung der gallischen (S. 103 f.), dann scheint das zunächst freilich
über die Lebenszeit des Poliorketes und über den Galliereinfall von 279 hinaus-
zuweisen. Aber da schon Aristoteles von den Kelten mancherlei weiß, Alexander
und Kassander mit ihren langsam in die Balkanhalbinsel vorrückenden Stämmen
in Berührung kamen '), so könnte sich zur Not auch der Einfluß ihrer Schutzwaffe
schon vor ihrem massenhaften Erscheinen in Makedonien und Griechenland geltend
gemacht haben, zumal bei einem auf neuartige Pracht bedachten Kriegsfürsten.
Aber vielleicht war die Schildform gar nicht auf die Gallier beschränkt ^S. 104).
Trägt der schlanke Mann, der die Waffe als Abzeichen schmückt, wirklich die Kausia
(S. 105), dann bestätigt er wenigstens, daß jene einem Makedonen gehört. Deuten
•ließe er sich dann etwa als einer von den Herakliden, auf die das Haus Philipps und
von dessen verschiedenen Diadochen sicher die Ptolemäer ihren Ursprung zurück-
führten ^).
Anbehalten hat unser ausruhender Held nur die Chlamys und diese ganz locker.
Aber sie hat ja nicht die dunkle Purpurfarbe optpvtvov und erst recht
nicht das stolze Weltbild im Tierkreis, wie nach Duris die Königschlamys des Deme-
trios, die freilich nach Plutarch nicht fertig wurde 3). Der letztere jedoch läßt
den Fürsten gerade auf der Flucht aus dem meuternden Makedonenheer wie einen
Schauspieler seinen goldumsäumten, purpurnen Tragödienmantel gegen x^a(iu3a
«patot'v vertauschen und eine solche, von hellem Aschgrau, trägt unser stolzer Held
statt der violetten des jungen Königs gegenüber. Vom Kopfe des anderen ist ja
leider nicht viel erhalten, das Wenige indes und nicht nur das kurze Haar, sondern
auch das Untergesicht, wenn es die vollständigere Abbildung Barnabeis (unser Text-
bild 13) treu, nicht willkürlich vervollständigt, paßt zu dem kleinen runden Kinn
und hübschen Mund der Münzbildnisse, die etwas herabgezogenen Mundwinkel zu
denen aus reiferem Alter 4). Ihr Diadem fehlt allerdings wieder und es wäre miß-
0 Niese, Gesch. gr. und maked. Staaten II 13. XIII Taf. 16, 1162; 1165; XXI Taf. 15, Ii55f.
Beloch, Gr. Gesch. III i, 577. Head, Hist. num.' 230, Abb. 142. Vermutungen
»)0. Abel, Makedonien vor Philipp 92 ff. Zu den über plastische Demetriosbildnisse R. M. 1889
Ptolemäern: Theokrit Id. 17, 28. IV 34 ff. Wolters und 1903 XVIII 2153.
3) Fr. h. Gr. II 477 aus Athen. 12, 535 F ff. Zum Six, der die von Wolters noch für Demetrios
5pcpvtvov Piaton, Tim.. 68 BC, auch Xenoph. in Betracht gezogenen Chlamysträger lieber mit
Kyr. 8, 3, 3. Plutarch, Dem. 41 ; 44. Oben S. 71. Arndt für Flußgötter hält. Die herkulanische
4) Imhoof, Portr. Taf. 2, 7; 8. J. Hirsch, Katal. Büste zuletzt bei Hekler, Bildniskunst Taf. 72, b.
Fraoz Studniczka, Imagines Illustrium. jOg
lieh, auch seine herabhangenden Bandenden mit dem Oberkopfe spurlos geschwunden
denken zu müssen. Allein so gut wie seinen Purpurmantel kann der König wirklich
auch die Binde auf der Flucht abgelegt haben. Beides zusammen tat sein Ururenkel
Perseus, als er aus der verlorenen Entscheidungsschlacht bei Pydna nach Pella davon-
sprengte '). Bildniswert hat der zerstörte Kopf im Gemälde leider wenig. Um
so eher aber der sehr charaktervolle unserer Eurydike, mit dessen Hilfe nach ihr
unter den Marmorköpfen Umschau zu halten ist, bei der geringen Wichtigkeit ihrer
Person freilich mit wenig Hoffnung auf Erfolg.
Eine andere, zu unserm Ausgangspunkte, der Deutung des Mittelbildes links
auf Antigonos H. und seine Mutter Phila passende Erklärung der Ostwand habe
ich nicht gefunden. In Betracht käme vielleicht noch der jüngere Halbbruder des
Gonatas, der schon erwähnte gleichnamige Sohn des Belagerers aus seiner letzten
Ehe mit Ptolemais: Demetrios der Schöne. Seine immerhin merkwürdige, des
romantischen Reizes nicht entbehrende Rolle in der Geschichte zeigt ihn als Ver-
treter der makedonischen Belange in Kyrene, das er den Ptolemäern streitig zu
machen wagte. Als dort um die Mitte des Jahrhunderts König Magas starb, berief
dessen Witwe Apame, die Tochter Antiochos I. von Syrien, wider den letzten Willen
des Gemahls den Bruder des Makedonenkönigs und verlobte ihm, statt dem Thron-
folger des Philadelphos, ihre noch unerwachsene Tochter Berenike. Einige Jahre
später jedoch (247) empörte sich die Herangereifte tatkräftig gegen diesen ihr auf-
gezwungenen Ehebund, um doch noch die Gattin Ptolemaios HI. Euergetes zu werden,
und ließ Demetrios ermorden, wobei sein, wirkliches oder angebliches, Liebesverhältnis
zu der Schwiegermutter wesentlich mitspielte ^). Diesen Vorgängen entspricht
das Dargestellte nur sehr oberflächlich. Die schöne Hetäre links, die zur Kenn-
zeichnung des Poliorketes fast unentbehrlich ist, fehlt jedenfalls in der Überlieferung
von seinem Sohne, was aber leicht ihrer geringern Ausführlichkeit schuld gegeben
werden könnte. Die übrigen drei Personen jedoch sind und verhalten sich hier
ganz anders als dort. Die ältere Frau hat nichts von einer noch liebebedürftigen
Schwiegermutter, weder an sich, noch in der Art, wie sie neben dem Manne sitzt.
Das Mädchen aber müßte als Berenike, statt mit dem bloßen Schilde wegzuschreiten,
eher heimlich einen Dolch zücken, da niemand anderer zugegen ist, um sie von
dem Verlobten zu befreien.
Sind also, worauf ich vertraue, die Gründe für die vorgelegte Gesamtdeutung
haltbar, dann ist uns an den zwei einander gegenüberliegenden Wänden des oecus
quadratus von Boscoreale ein großartiges, einheitliches auf^evtxov (S. 64) aus dem
Königshause der Antigoniden erhalten, dem sich nichts von geschichtlicher Bildnis-
kunst hellenistischer Zeit auf uns Gekommenes an die Seite stellen läßt. Daß
aber die Teilnahme vornehmer Villenbesitzer Kampaniens für jene romantische
Welt gelegentlich zu so etwas ausreichen mochte, lehrte uns schon der einleitende
Blick auf die plastische Bildnissammlung aus Herkulaneum (S. 68). Dort haben
') Plutarch, Aem. Pauli. 23.
») Die Überlieferung bei Niese a.a.O. II 142 ff. Beloch a.a.O. III i 620; 641; III 2, 91; 93.
j IQ Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
sich ja neben Männern ersten geschichtlichen Ranges wie Seleukos Nikator und
Pyrrhos doch auch solche nachweisen lassen, die selbst an Antigonos II. kaum heran-
reichen, z. B. der seltsame Gründer des pergamenischen Herrschergeschlechts, der
Eunuch Philetairos. Freilich zum täglichen Brot römisch-hellenistischer Bildung
haben solche Gestalten nicht gehört. Das lehrt der klägliche, fehlerhafte Auszug
de regibus bei Nepos 2i und die spärlichen Erwähnungen bei Cicero; erst Trogus
wußte ziemlich genau Bescheid. In Varros illustrium hominum imagines darf man
unter den reges exterarum gentium wohl Demetrios I, schwerlich auch seinen Sohn
vermuten. Aus welcher Quelle mag also der Maler dieses Oekus seine großen, so
echt wirkenden Gestalten geschöpft haben?
III. ZUR KUNSTGESCHICHTLICHEN BESTIMMUNG DER
BILDNISGEMÄLDE.
Unsere Wände dürften nicht fern von Sullas Herrschaftszeit gemalt sein. Das
zierliche dorische Gebälk der nachgebildeten Scherwand, wie es Taf. II und Abb. 5 ; 14
zeigen, steht dem des Podiums im großen Saale des Fortunabezirks zu Praeneste und
anderen Resten aus demselben Heiligtum am nächsten '). Den Feldern dieses Schein-
baus mögen die Bilder mehr oder weniger angepaßt sein. Sie sind es aber nicht in
der angenommenen Richtung des Lichteinfalls. Während nämlich die eine abgebildete
Scheinsäule (Taf. II), besonders deutlich an den uns zugewandten Versatzbossen,
ihre Beleuchtung von links, d. h. von der geöffneten Südwand (S. 66) her empfängt,
fällt es auf die Gestalten dieser Seite von rechts, also aus der Richtung der hinteren
Saalwand, eben daher auf das Mädchen mit Schild aus dem Südfelde der Ostwand
(Taf. III), das doch einem Fenster der Eingangsseite so nahe steht, von der aus
nur die beiden anderen Bilder derselben Wand beleuchtet erscheinen. Solche Wider-
sprüche gibt es ja allerdings auch sonst in derselben Villa und in anderen pom-
peianischen Häusern, während mir sogar P. Herrmann nur ein Beispiel einheitlich
von der tatsächlichen Lichtquelle aus beleuchteter Bilder an allen drei Wänden eines
ähnlichen Saales, im Vettierhause, anzügeben wußte, das er im Texte seiner Denkmäler
Taf. 52 nachgewiesen hat. Aber in einem Falle wie der unsere, wo lebensgroße Per-
sonen wie wirklich vor den Wänden erscheinen, dürfte der Mangel solcher Einheit
doch wohl gegen die Neigung Pfuhls sprechen, die Bilder für diese Wände geschaffen
zu denken. Auch so bewähren sie sich als Kopien verlorener Urbilder. Seltsam bleibt
es freilich, daß nur eine unter den Gestalten, die Schildträgerin, ihr Licht von links
empfängt. Sie deshalb aus einer anderen Quelle herzuleiten, widerrät aber ihr
dargelegter sachlicher und ihr noch darzulegender Formenzusammenhang mit den
übrigen. Wenn der oben in Erwägung gezogene gegenständliche Grund für die ab-
weichende Beleuchtung (S. 105) nicht ausreicht, wird sich ein räumlicher im ursprüng-
lichen Zusammenhange denken lassen. Dies dürfte jedoch leichter fallen, wenn sich
dort die Beleuchtung von links her auf mehr Gestalten als diese einzige erstreckte,
') R. Delbrück, Hellenist. Bauten in Latium I Taf. 19; 20; Textbild 54.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium, m
d. h. wenn unsere zwei Wände nicht den ganzen Figurenbestand ihrer Vorlagen
wiedergeben.
Diese Vorlagen, doch'wohl große Tafeln, können schwerlich für andere Personen,
als für solche des makedonischen Königshauses oder seiner nächsten Umgebung
gemalt worden sein, und zwar in der Zeit, wohin die vorgetragene Deutung führt:
Einerseits der junge König Antigonos II., vermutlich noch als Mitherrscher des
Vaters und Hüter seines Landes für ihn , in enger Verbindung mit seiner edlen Mutter
Phila, die 288 in den Tod ging, beide teilnehmend betrachtet von einem seiner philoso-
phischen Lehrer. Andererseits Demetrios I. schon im Jahre darauf, wie er seine
letzte Heirat, mit Ptolemais, mit ihrer Mutter Eurydike verabredet. Das dürfte
kaum viel später gemalt sein, als diese Ereignisse; jedenfalls, denke ich, bevor Gonatas
nach Erlangung des makedonischen Thrones sich um 276 endlich selbst verheiratete,
mit Phila IL, der Tochter seiner Schwester Stratonike von ihrem ersten Gemahl
Seleukos '). Für die Junggesellenjahre des Antigonos, da er selbst noch in den Banden
der Hetäre Demo verstrickt war, wenigstens ihren Sohn Halkyoneus als Thronfolger
oder nahezu so behandelte (S. 82), spricht auch die Unbefangenheit, womit in der
Bilderdreizahl der Ostwand der nachmaligen ehelichen Mutter seines Halbbruders
Demetrios des Schönen eine von den vielen »Freundinnen« des Vaters gegenüber-
gesetzt ist, freilich ohne die Frechheit, womit Kiesides dessen Tochter Stratonike
»gruppierte« (S. 65). Bestimmt weist ferner in dieselbe frühe Zeit die Verzierung
des makedonischen Schildes, die nirgends ähnlicher wiederkehrt, als auf den Kupfer-
münzen des Gonatas selbst und seiner Mitbewerber um die Herrschaft im Stammlande
Antiochos I. und Pyrrhos (S. 70, Abb. 7, b, c). Auch daß nur an dem Bildnis des
letzteren Königs der bei Männern ganz seltene Haarscheitel unseres jungen Antigonos
wiederkehrt, sei nochmals hervorgehoben (S. 69).
Diese gegenständlichen Anzeichen bestätigt vollkommen die Kunstweise der
Bilder, die meines Erachtens frühhellenistisch ist und nicht erst die »pergamenische«
aus der ersten Hälfte oder Mitte des 2. Jahrb., die Winter und Pfuhl zu erkennen
glaubten ^). Treffend vergleicht ja der letztere unsere Gemälde mit denjenigen kam-
panischen II. Stiles, die am ähnlichsten lebensgroße Gestalten vor die (vertäfelten)
Wände reihen: mit der dionysischen Bilderfolge im Hauptsaal der Villa Item 3).
Dem »vollblütigsten Hellenismus« von Boscoreale steht an diesen Bildern eine Zeich-
nung gegenüber, die allerdings etwas von kleinlichen, hölzernen Marmorkopien hat,
überdies — wie ich hinzufügen möchte — etwas von der später in Pompeii oft so üppig
wuchernden Freude am Menschenfleisch als solchem, die dem Schöpfer unserer Bild-
nisse so ganz fern lag. Diese Eindrücke überwogen auch bei mir, so lang ich auf die
') Laert. Diog. 7, 8, 36. IV. Leben Arats bei Wester- die bisherigen Ausgaben und Bemerkungen,
mann, Biogr. 60. Dittenberger, Or. gr. inscr. 216. Über die Farben sagt noch am meisten Nicole
Beloch, Gr. Gesch. III 2, 91; 150. Tarn, Antig. in der Gaz. d. beaux-arts 1911 XXXIV 298.,
Gon. 173 f., 226 f., 247. aber auch nicht entfernt genug. Die Deutungen
2) Winter, Altert, v. Perg. VII i, 74; 138. Pfuhl, von Comparetti, z.T. sichtlich unhaltbar, sind
Maierei II 878 f. mir vorerst nur durch S. Reinach, Rupert, peint.
3) Pfuhl a.a.O. II 876 ff., Abb. 711— 715. S. 882 115 bekannt.
{ j2 Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
veröffentlichten Lichtaufnahmen allein angewiesen war. Aber als ich unlängst das
Glück hatte, endlich selbst mitten in diesem wunderbaren Gestaltenkranze zu stehen,
da begriff ich die Begeisterung, mit der mir Kenner davon sprachen. Noch stärker
als der Eindruck der trotz aller dekorativen Ruhe erreichten Tiefenwirkungen war
der des zwar auch vornehm maßvollen, aber doch ungemein reichen Farbenkonzertes,
als dessen grundlegende Harmonie mir die von Gelb und Violett erschien. Leider
haben die berufenen Hüter dieses Schatzes meines Wissens noch nichts unternommen,
um ihn in guten Nachbildungen bekannter zu machen und zu erhalten. Nicht einmal
eine zulängliche Beschreibung davon ist bisher veröffentlicht, ein Mangel, dem selbst
abhelfen zu wollen mir die knapp bemessene Zeit verwehrte. So muß ich mich be-
gnügen, in Kürze dem Urteil Pfuhls zu widersprechen: die Farben »wirkten etwas
stumpf und gelangten zu keinem rechten Zusammenklange«. Jedenfalls geschieht
ihnen damit und mit anderen Bemerkungen unrecht im Vergleiche zu dem, was Pfuhl
wenig später (879 f.) über die malerischen Eigenschaften der hier besprochenen Ge-
mälde von Boscoreale sagt.
Aus eigener Anschauung kann ich freilich über keines von diesen Bildern sprechen.
Aber die von Pfuhl übersehenen Farbtafeln der Ostwand in Sambons Verkaufskatalog
(S. 66) geben, obgleich nachlässig gezeichnet und wohl auch aus technischen Gründen
vereinfacht, doch nach dem Eindruck von Gisela Richter ein »ungefähr richtiges«
Bild. Halte ich sie mit den verschiedenen Photographien zusammen, dann muß ich
vermuten, daß diese mit ihrer Entstellung gewisser Farbwerte, die z. T. nur auf
Beschädigungen zurückgehen, Pfuhl eine übertriebene Vorstellung von dem maleri-
schen Wesen der Bilder beigebracht haben. Z. B. kann ich nicht sehen, »wie das
Licht in flimmernder Unruhe über den mächtigen Manneskörper rieselt« usw. Gemeint
ist vielleicht die hier mehr als an sonstigen Wandgemälden angewandte dunkle und
helle Strichelung, die aber ins Ganze gesehen nur dazu dient, Flächen zu verdunkeln
oder aufzuhellen, wohl auch Gegenständliches wie die Maserung des Holzes anzu-
deuten. Immer bleibt ja selbst nach den nötigen Abstrichen genug übrig von Winters
Lob der »breiten, kontrastreich malerischen Behandlung«. Sich diese jedoch auf
keiner allzu entwickelten Stufe zu denken, empfiehlt schon die Tatsache, daß der
Maler Sambons ebensowenig Schlagschatten von Belang wahrgenommen hat wie ich
auf all den Photographien. Mehr davon zeigen selbst die verglichenen Wände Item
und die Alexanderschlacht, erst recht die von Dioskurides in Mosaik nachgebildeten
»Metragyrten« (Abb. 15), für deren Urbild ich eine nicht viel spätere Entstehungszeit
annehmen möchte '). Auch das von Pfuhl aus den Beschreibungen Barnabeis ge-
schöpfte Bild der Koloristik vereinfacht sich nach den oben jeweils mitgeteilten
Berichtigungen von Augenzeugen nicht unwesentlich. Blau, das die Grundfarbe der
Rückwand im gleichen Saale war (S. 66), kommt in den Bildnisgemälden nur spärlich
und matt an untergeordneten Stellen vor: am Stuhlkissen der Kitharspielerin und
in den Bodenstücken unter dem makedonischen Schilde des Antigonos und unter
») In Abb. 15 wiederholt aus dem darunter ang - waldt, nach Herrmann, Denkm. Taf. 106. Pfuhl
führten Aufsatz von M. Bieber und G. Roden- Abb. 684. — Vgl. unten S. 123.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
113
Abb. 15. Mosaik des Dioskurides in Neapel.
Wiederholt aus J. d. I. 191 1 XXVI 2 Abb. i.
seiner Mutter. Nur dort ist auch ein wenig Grün sicher, während es als Gewandfarbe
überall abzulehnen war (S. 78, 85, 89, lOO, 102). Helleres Gelb findet sich nur an
dem bischen Goldschmuck und Stuhlzierat. Neben den nicht allzustarken Fleisch-
farben und den verwandten der Holzgeräte herrscht das Weiß und der ernste königliche
Purpur in verschiedenen violetten Tönen. Diese dürften sich, wenigstens wie sie bei
Sambon erscheinen, durchweg nach der Anweisung Piatons im Timaios 68 B C aus
Schwarz, Rot und Weiß mischen lassen. Sieht man also von jenen Fleckchen eines
matten Blau ab und denkt sich das Grün des Erdreichs ursprünglich als das trübe,
das Schwarz mit Ocker ergibt, dann können die Urbilder dieser höchst ernsten Gemälde
der alten Vierfarbenmalerei aus Weiß, Schwarz, Rot und Ockergelb zugehört haben,
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 8
IIA Fraiiz Studniczka, Imagines lUustrium.
die uns nach Winters schönem Nachweis das Alexandermosaik kennen lehrt, höchst
wahrscheinlich eine Kopie des Schlachtbildes, das Philoxenos für Kassander malte ').
Der helle Zinnober des Wandgrundes, den Pfuhl mit Barnabei irrig als Rosa be-
zeichnet, ist wohl erst die pompejanische Wandfarbe. Weshalb von ihr das unterste
Drittel eines jeden Feldes erheblich dunkleren Ton hat, bleibt mir unklar.
Den im ganzen dunkler roten Grund der alten Marmormalerei, wie er sich
bis in die archaische Zeit hinauf verfolgen läßt, haben, neben violettem, noch die
gemalten Grabstelen aus den Türmen von Fagasai-Demetrias, die darin 191 v. Chr.
verbaut sein, also zumeist dem 3. Jahrh. entstammen dürften *). Und zwar verträgt
sich dort solch unwirkliche Farbe des Hintergrundes, der nicht viel mehr als hier über
die Köpfe hinaufreicht, selbst mit kleinen landschaftlichen Versatzstücken 3), wie wir
eines nur im Antigonosbilde finden. Dessen Zurückschieben einer Person hinter die
andere im Gelände und das der Kleinen hinter den Stuhl der Fsaltria hat freilich in jeder
handwerklichen Marmormalerei ihresgleichen nur im Zusammenhang mit den Raum-
schichten des Wohnbaus auf der Hedistestele4). Sonst »beschränkt sich die räumliche
Tiefe auf den schmalen, von den Figuren eingenommenen Raum und ist durch den
meist braun gemalten Streifen des Bodens genau bezeichnet« 5). Dieser Bühne freilich
geben unsere Wandbilder eine weiße Standfläche, wie die Alexanderschlacht und
das Metragyrtenbild (Abb. 15), beide zugleich mit ebenso hellem Hintergrunde, so daß
man wieder fragt, ob der rote unserer Wände nicht doch nur vom Zimmermaler
dazugetan ist.
Wie dem nun sein mag: mit Stelen des 3. Jahrh. zusammen gehn, wenn schon
dieser bescheidenen Handwerksarbeit unendlich überlegen, auch zwei von unsern
Sitzenden in ihrer wenig folgerichtig durchgeführten Schrägansicht. Man vergleiche
Abb. 9 der Psaltria mit Abb. 16 der Archidike von Tilyssos *>), um die Übereinstim-
mung der Gesamtansicht und mancher Einzelheit zu zeigen. Auch die wenigstens
ähnlich gedrechselten zwei seitlichen Gerätbeine stehn hier unverkürzt nebeneinander
und das obere Holz der Rückenlehne bleibt so gut als wagrecht. Noch ähnlicher scheint
die Parallelperspektive des Lehnsessels auf der allerdings minder gut erhaltenen
Stele der Aphrodeisia, die der Leser im Bilde dazu legen sollte 7). Doch reicht der
Typus mindestens bis ins 4. Jahrh. zurück. Auf dessen spätesten rotfigurigen Vasen,
die oben zu den Gerätformen verglichen sind (S. 84}, begegnet auch der für uns
erstaunliche Verstoß der Thronzeichnung im rechten Mittelfelde, sogar drei Stuhl-
beine auf gleicher Höhe zu geben, nur daß auf den Gefäßen die zwei äußeren nicht
') Diese von R. Schöne vorbereitete Entdeckung 3) Stele des Menophilos 'F^tpr^ji. äpyaioX. 1908, 55,
Winters verteidigt gegen schwache Einwände Abb. 6 Arvanitopullos. Vgl. Rodenwaldt in den
Pfuhl a, a. O. II 619, 663, 764. A. M. 1910 XXXV 127.
2) Zuletzt m. W. im Anzeiger 1912, 245, Karo 4) 'E<p7j|x 1908, Taf. 1. Pfuhl Abb. 748. Rodenwaldt,
nach Arvanitopullos. Pfuhl a. a. 0. II 901 f. — Komposit. 114, Abb. 20.
In Kürze sei auch auf die alcxandrinischen Stelen 5) Rodenwaldt, wie oben Anm. 3.
hingewiesen: Pagenstecher, Nekropohs, Kap. 2. ^) Nach ''f>.pTjix. 1908, Taf. 2; Arvanitopullos, öeoooX.
Von deren mannigfacheren Hintergrundsfarben : |AVT][ji£to 1909, 155, Nr. 20. Vgl. wieder Roden-
ebenda S. 70. waldts in Anm. 3 genannten Aufsatz.
7) Nach 'EcpTjpi. 1908, Taf. 4, 2 auch Pfuhl Abb. 749.
Franz Studniczka, Imagines lllustrium.
115
der vorderen, sondern einer Nebenseite angehören ')• Die bei unsermDemetrios damit
zusammengehende richtige Verkürzung des vierten Beines weiß ich freilich nirgends,
auch nicht in späterer Kunst, nachzuweisen. Auf Kertscher Vasen fanden wir überdies
schon eine nahe Vorläuferin der Seitenansicht unserer Königin Phila in der mut-
Abb. 16. Stele der Archidike aus Pagasae.
Nach E'frjft. äp)(aioX. 1908 Taf. 2.
maßlichen Themis auf dem Omphalos (S. T]). Zu ihrer Gestalt und Kleidung war
ungefähr aus derselben Zeit die Florentiner Mutter Niobe zu vergleichen. Mit alledem
und der frühhellenistischen dair^ des Grabsteins aus Alexandria auf S. 93 gehen
■) So an den Thronen der beiden Kertscher Vasen
oben S. 84, Anm. I. und an allen Stühlen der
Kertscher Deckelschüssel F. R. II Taf. 68.
Vgl. auch das Dareiosbild S. 85, Anm. i. Daß
diese Projektion ins 5. Jh. zurückgeht, lehrt der
Penelopenapf in Chiusi F. R. III Taf. 142. Ähnlich
noch an pompeianischen Wänden S. 82, A. 2.
Ein freistehender Lehnsessel im Ledabilde Heibig
Nr. J44, Overbeck, Kunstmythol. Atlas, Taf. 8, 8;
S. Reinach, Rupert, peint. 16, 9.
Ii6
Franz Studniczka, imagines Illustrium.
unsere Gestalten in ihren ziemlich klassischen Maßverhältnissen zusammen, während
die verglichenen Frauen pagasäischer Stelen, wie Abb. l6, schon dasselbe helle-
nistische Übermaß der Schlankheit aufweisen wie die Psaltria in Chios auf S. 92.
Doch lenkt die reife pergamenische Kunst wenigstens teilweise zu klassischeren Ver-
hältnissen zurück, da sie ja neben ihrem barocken Überschwang schon so manches
Anzeichen des kommenden rückschauenden Klassizismus aufweist. Dafür sei nament-
lich auf den umfassenden Versuch von Salis hingewiesen, dieses volle Sammelbecken
reifhellenistischer Kunstformen auf seine verschiedenen Quellen zurückzuführen.
Besonders wichtig wäre natürlich der Vergleich pergamenischer Gemälde.
Von solchen besitzen wir jedoch im Urbilde nichts gegenständlich Vergleichbares
und an glaubhaft nachgewiesenen Kopien bitter wenig. Dazu rechne ich keineswegs
das matte pompeianische Bildchen eines Tropaions mit Gallierwaffen, an dessen
Vervollständigung eine plumpe Nike und der Sieger zusammenwirken ') ; denn
letzterer ist meines Erachtens nichts als eine ganz äußerlich herangeschobene Nach-
bildung der Augustusstatue von Prima Porta, nur mit ähnlichem Idealgesicht wie
es selbst der Kaisergenius in der Toga zeigt (S. 6^). Wohl aber teile ich die durch
das Zusammenwirken verschiedener Forscher immer sicherer begründete Über-
zeugung: das herkulanische Gemälde des Herakles, der den kleinen Telephos im
Schutze der Nymphe Arkadia von einer Hinde gesäugt auffindet^) (Abb. 17), gehe
im wesentlichen — d. h. abgesehen von Freiheiten wie dem satyrähnlichen Bild-
niskopf des Heros, der in Wandbildern aus der Helden- und sogar der Göttersage
mehr Verwandte findet, als man zunächst glauben möchte — auf eine unweit des
Telephosfrieses, wahrscheinlich etwas früher, entstandene Schöpfung zurück.
Hier machen schon die besseren Photographien klar, wie viel malerischer in mehr als
einer Hinsicht dieses farbenarme Bild ist als die unseren. Das gilt auch von seiner
bescheidenen Andeutung eines landschaftlichen Hintergrundes, dem wir aus Bosco-
reale nur die niedrigen Erdsitze des Paares von der linken Wand an die Seite zu setzen
haben, also kaum mehr als die Andeutungen der von Pelasgern besetzten Hymettos-
höhen im Friese des Uissostempels aus der Mitte des 5. Jahrh. 3). Dennoch bleibt dies
■) Als Kopie nach pergamenischem Urbild, mit
Woelke, gedeutet von Pfuhl II 816, 818 zu Abb.
658. In der oben ausgesprochenen Ansicht
befestigten mich voneinander unabhängige
Äußerungen von P. Herrmann und Sieveking.
2) Herrmann, Taf. 78. Pfuhl 816, 818 (Literatur),
Abb. 659. — Bei seiner Rückführung auf Apelles
zu beharren scheint Six noch in dem S. 64.
Anm. 3 erwähnten Aufsatz über Athenion.
3) J. d. I. 1916 XXXI 172; 195. Roberts neue
Deutung der Ilissos-Friesplatten (Studien
zur Kunstgesch. des Ostens J. Strzygowski
gewidmet 58 ff.) scheint mir unhaltbar. Erst
recht die soeben, A. M. 1923 XLVIII 47, von
L. Curtius empfohlene Rückkehr zur Deutung
Brückners auf Theseus und Perithoos in der
Unterwelt. Sie scheitert an dem von Br. noch
verkannten Reisegepäck, wofür das des Dionysos
in den Fröschen nur ein ad absurdum führender
Beleg wäre. Meine Pelasgerdeutung würde, wie
ich s. Z. darlegte, zu dem Heiligtum irX IWKt.ahita
passen, und für diese Bestimmung des Tempels
spricht die von Preuner nachgewiesene Weihung
an Athena, A. M. 1921 XLVI 1 f. Desgleichen
das Zwillingsverhältnis des Uissostempels zu
dem der Athena Nike. Ionisch war auch auf
Kap Sunion der Tempel der Göttin, die nach
Herodot 5, 72 die Derer von ihrer Schwelle
verwies; s. zuletzt 'E<pTj|j.. ä^jaioK. 1917, 183 ff.
Orlandos.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
117
Abb. 17. Herakles und Telephos aus Herkulaneum.
Wiederholt aus J. d. I. 1905 XX 172.
gemalte Seitenstück zum kleinen pergamenischen Altarfries als Gefüge plastischer Kör-
per reliefmäßiger geschlossen, als unsere Wandbilder, namentlich als das eben ver-
glichene, wo es von der Mutter zum Sohn schräg aufwärts und zugleich in die Tiefe geht.
Von den Einzelgestalten zeigt sich die sitzende Arkadia auseinandergebreitet
etwa wie Apollon und Dionysos im Parthenonfries oder Asklepios auf einigen Hoch-
reliefen aus Epidauros'). Im Gegensatz dazu bilden fast an allen unsern in Drei-
') Ich denke besonders an Svoronos, Athen. Nationalmus. Taf. 31, 173 und 174; Taf. 68 und 126, 1425;
Brunn, Arndt, Denkm. 3 und 564.
Ij g Franz Studniczka, Imagines Illugtrium.
viertelansicht dasitzenden Menschen die beiden Arme in echt lysippisch dreidimen-
sionaler Weise eine lockere Vorderschicht. Als wir diese Motive der Deutung wegen
in anderen Bildwerken aufsuchten, da fanden sich zwei Hände am Speer wie beim
Antigonos verhältnismäßig am ähnlichsten auf der Ficoronischen Ciste (S. 70), die
auf den Stab gestützten des Denietrios auch schon früh im 4. Jahrh. auf einer Vase
und am Thoas der vielleicht einem nicht viel spätem Urbild folgenden Iphi-
geniengemälde (S. loo), jedoch immer nur reliefmäßiger in Seitenansicht. Ebenso
begegnet uns das Motiv des Ares Ludovisi recht ähnlich schon im Parthenonfries,
aber ringsum sichtbar und besonders von vorne zu sehen erst in dieser Schöpfung
Lysipps oder eines ihm nahestehenden Meisters. Wohl vergleicht Winter mit einem
gewissen Rechte — von den ganz anderen, geschwollenen Körperformen abgesehen —
mit unserem Demetrios das ungedeutete Marmorbild eines sitzenden Mannes aus
Pergamon'); allein soviel steht trotz der argen Verstümmelung fest, daß sein linker
Arm längs dem Rumpfe gesenkt war und nur die rechte Hand dicht vor die linke
Achsel an einen weggebrochenen Gegenstand griff. Wieder jene zusammenhängende
Vorderschicht bilden an unserer Psaltria beide Hände mit dem Instrument, das
sonst zur Seite gerückt erscheint wie auf S. 92. Dafür weiß ich abermals nur ein
Vergleichstück aus der Zeit nach Lysipp: die Mandolinenspielerin unter den Relief-
musen von Mantinea (S. 87), die Vollgraff aus geschichtlichen, Sieveking und Buschor
aus kunstgeschichtlichen Gründen dem Enkel des großen Praxiteles zugeschrieben
haben. Mit Recht, da letzterer das Modewerden der ganz hohen Gürtung dicht
unter den Brüsten kaum noch miterlebte und wenn doch, dann erst auf der Ent-
wicklungsstufe des Hermes, der die kühle Anmut und knappe Eleganz der Musen
nicht zugetraut werden kann^). Endlich die Eurydike mit ihrem fast gegen den
Beschauer übergeschlagenen Bein und daraufgestützten Arm klingt vernehmlich
an die Tyche von Antiocheia an 3); nur daß erstere in erneutem Penelopemotiv auch
das Gesicht auf die Hand stützt, alles ganz so wie die trauernde Seele im rhodischen
Grabtürfries des Hieronymos aus »pergamenischcr« Zeit, aber wieder in Seiten-
ansicht 4). So auch die ähnlichsten Gestalten pompejanischer Wände 5), bis auf
solche abermals höchst lysippisch wirkende wie die mutmaßliche Sappho neben
') Altert. V. Perg. VII i, 138 Nr. 122, Taf. 2(). buch" I Abb. 690. Die Pester und die Klein-
i) Bull. corr. hell. 1908 XXXII 236 ff. Voll raff, bronzen, Brunn, Arndt, Denkm. 610 und im
m. E. nicht widerlegt durch die neue Lesung Texte dazu. Die Frage nach der maßgebenden
der grundlegenden Inschrift Philol. 1912 LXXI Wiederholung erörtern zuletzt Sieveking und
1—23 von Herzog (vgl. Glotta 1915 VI 278 Lippold in den R. M. 1917 XXXIII 88 und 1918
Kretschmer); Münch. Jahrb. 1912 II J22; 125 XXXIII 84 f.
Sieveking, Buschor. Zur hohen Gürtung: 4) Brunn, Arndt, Denkm. 579; ungenügend Archäol.
d. J. 1919 XXXIV 112 Anm. 4; 113. Anz. 1902, 20. Der Teil mit dieser Figur A. v.
Schade, daß diese klare Sache auch in einem Salis, Altar von Perg. 112, Abb. 19. Vgl. S. 123.
so feinen Buche wie Rodenwaldt, Relief b. d. Gr. 5) So die Aphrodite mit Eros oben S. 99, Anm. 1 ;
83 verkannt wird. Thetis bei Hephaistos Heibig Nr. 131 7, Mus.
s) Am ähnlichsten, z. T. freihch infolge falscher Borb. X Taf. 18, S. Reinach, Rupert, peint.
Ergänzung des r. Armes, die vatikanische 19,5; das ungedeutete Bildchen Heibig Nr. 1401 b,
Wiederholung in Ansichten wie Springer, Hand- Atlas, Taf. 19, S. Reinach, Rupert, peint. 219, 2.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
119
Alkaios im Vettierhause, die
zugleich an unsere Eurydike
und so sehr an die Statue des
Eutychides erinnert, daß sie
diesem als Maler zugeschrieben
worden ist, als welchen ihn
ja Plinius erwähnt '). Damit
ist auch ein (kaum erforder-
liches) Zeugnis für die Ver-
knüpfung der berühmten si-
kyonischen Malerschule mit der
des großen Bildgießers der-
selben Kunststätte beigebracht.
In diesem Schulzusammenhang
müssen auch die Urbilder un-
serer vier — das schildbedeckte
Mädchen eingerechnet sogar
fünf — gut lysippischen Ge-
staltmotive geschaffen sein.
Die Gewandbehandlung
der Arkadia in der herkula-
nischen Kopie wirkt, mit der
pergamenischen Altarplastik
verglichen, auf den ersten
Blick fast klassisch. Aber auch
in diesen Marmorwerken setzen
sich die Hauptformen des Kör-
pers hinlänglich durch unter
all dem wogenden barocken
Faltenschwall, und von seinen
bezeichnenden Motiven kehrt
in dem Gemälde wenigstens
eines machtvoll wieder: der
leicht schraubenförmig ge-
drehte Wulst des oberen Man-
telsaumes, der sich in gro-
ßem Doppelschwung quer über
den Schoß zum Sitz hinabzieht ^).
Abb. 18. Göttin mit Schwert aus Pergamon.
Nach Altert, v. Perg. VII Taf. 14 Nr. 48.
Wären die Füße der Landesgöttin im Bilde
■) Herrmann, Taf. 28, 2, danach Jahreshefte 1910
XIII 134 Klein, und besser R. M. 1918 XXXIII
71 Lippold. Vgl. Plinius n. h. 35, 141. Anders
Pfuhl 734.
') Hervorgehoben von Rodcnwaldt, Kompos. 208.
Aus dem Gigantenkampfe vgl. besonders die
zwei reitenden Lichtgöttinnen, Altert, v. Perg.
III 2, Taf. 3 und 5, Baumeister, Denkm. II
Tat. 39 und Abb. 1425, Eos auch bei Collignon,
Bist. sc. gr. II 520, Selene bei Springer, Hand-
{20 Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
nicht durch den Fels und den Adler verdeckt, dann würden wohl auch sie sich
umflutet zeigen von den am Boden gestauten Schleppfalten, wie die der marmornen
Sitzbilder in Relief und Rundwerk '). Bezeichnend für diesen echt asianischen ofxoj
sind dann namentlich Standbilder, die in solchem Faltenschwulst förmlich waten,
obgleich sich ihre Glieder dazwischen doch wieder kräftig zur Geltung bringen. Das
wahrhaft berauschende Prachtstück dieses Stiles ist die Göttin mit dem Schwerte
(Abb. i8); etwas zahmer, aber doch gleichartig, die besser erhaltene Statue auf dem
Kapitol '). Doch auch die unterlebensgroßen Frauen des Telephosfrieses stehn und
schreiten in so schwer schleppenden Chitonen, sogar die oben mit der unsern ver-
glichene Waffenträgerin (S. 103). Nur wenig zurückgedämmt erscheint diese Gewänder-
flut an den kleinen Figuren der Archelaostafel, die jetzt durch Schedes Schriftunter-
suchung auf etwa 125 festgelegt sein dürfte 3), wohl auch an dem viel zu wenig be-
achteten Fries des Hekatetempels in Lagina, der als Bauwerk mit Hermogenes zu-
sammenhängt und an seinen Wänden außer dem Senatsbeschlusse von 81 einen vom
Herausgeber Hatzfeld lieber auf 167/6 als auf 88 angesetzten Gemeindebeschluß
der Stratonikeer eingemeißelt trug4). Doch lebt dieser asianische Stil mit neuen Einzel-
heiten überladen noch im i. Jahrh. v. Chr. an Statuen wie denen der Römerinnen
Baebia und Saufeia aus dem »Athenaheiligtum« zu Magnesia am Mäander 5). Ja
selbst noch um die Füße der Frau in der Gruppe des Menelaos aus dem Beginn der
Kaiserzeit *) plätschert sanft ein Ausläufer davon.
Wo ließe sich in dieser Reihe unsere doch ganz statuenähnliche Ptolemais mit
dem Schild einfügen.^ Ihre Gewänder umschließen mit spärlichen Falten den Körper
ganz eng. Die unten sichtbaren des Chitons sind nicht die vielen kleinen des feinen
Leinenstoffes wie zumeist an den Musen von Mantinea (S. 118) oder an der großen
Herkulanerin aus dem Kreise Lysipps 7). Die Zusammenfassung der feinen Fältchen
buch " I 429. Aus dem Telephosfries die thro- nungen vorerst die Hauptveröffentlichung,
nende Auge, Altert, v. Perg. III 2, Taf. 31, 2, Einige Proben in gutem Kupferlichtdruck gab
Springer " 431, - um nur das sachlich Nächst- Chamonard im Bull. corr. hell. 1895 XIX 235 ff.,
stehende anzuführen. Taf. 10 — 15, den ganzen Fries in den gewohnten,
•) Altert. V. Perg. VII Taf. 12 und 22 und die unzureichenden Umrissen S. Reinach, Rupert.
Auge der vorigen Anm. rel. I 170 — 175. Photographien der ganzen Reihe
') V. a. ebenda VII i Abb. 47 d und Springer, verdankt das Archäologische Institut in Leipzig
Handbuch " I Abb. 822. Bulle, Der schöne der Hilfsbereitschaft von Halil Bey. Der Tempel-
Mensch», Taf. 135. Vgl. Heibig, Führer 3 I plan bei Mendel a. a. O. 433 ist von Knackfuß.
Nr. 883 mit Nachtrag II 467. Zur Zeitbestimmung (wohl etwas zu spät) vgl.
3) R. M. 1920 XXXV 70 ff. (69, Anm. i V^eickert, Lesb. Kymation 105, Taf. 10 d.
die Literatur) Schede. S. 74 ff. trägt er zur <;) [Kothe,] Watzinger, Magnesia a. M. 198 ff.,
Zeitbestimmung der auch hierhergehörigen Sta- Abb. 198 — 200, Taf. 9.
tuen bei. 6) Diese wohlbegründete Zeitbestimmung durch
4) Bull. corr. hell. 1914 XLIV 71. Dadurch ist eine neue, unter die Flavier, zu ersetzen versucht
nochmals der Versuch von Mendel widerlegt, L. Curtius auf Grund einer offenbar irrigen Stil-
mit dem Bau, der den hermogenischen nahe- vergleichung in seiner (noch andere ähnliche
steht, womöglich bis auf Augustus hinabzugehen. Neuigkeiten bringenden) Anzeige von Lippolds
Doch bleibt sein Catal. des sculpt. (Mus^es Statuenkopien: D. Lit.- Zeitung 1924, 428.
Ottomans) I 428—542 mit seinen säubern Zeich- 7) Bulle, Der schöne Mensch» 284, Taf. 132. S.
Reinach, Reo. de tetes antiq. 174, Taf. 216 f.
Franz Studniczka, Imagines Ulustrium. 1 2 1
in größere rundliche Falten zeigt der Marmorsockel der Siegerstatue des Pulydamas
aus der Werkstatt desselben Meisters — auch ein für seine genaue kunstgeschicht-
liche Bestimmtheit nicht genug beachtetes Werk — an den persischen Königsfrauen,
die dem Siege des Pankratiasten über einen der »Unsterblichen« zusehn '). Hieran
und noch näher an einzelne von den genannten Musen, besonders die mit der Buchrolle
in der Linken, schließen sich die schlichten Falten der Prinzessin, die ja ihr vermutlich
wollenes Kleid, wie ihre Tante Phila von der Wand gegenüber, auf den Schultern
nach Peplosart genestelt trägt, so daß die Arme ganz frei bleiben. Diese vollen breiten
Falten reichen nur gerade bis an den Boden, wo sie rückwärts etwas nachschleppen
ohne sich »pergamenisch« zu stauen. Ebensowenig sind sie mit wirklich tiefen,
breiten Furchen gegliedert, wie sie z. B. an der Göttin mit dem Schwerte (Abb. l8)
namentlich das Spielbein hervorheben. Dieses setzt an der Schildtragenden nach
alter Weise nur ein schwächerer Faltenbogen ab, übrigens eine von den holprigen
Stellen, wo sich die Kopistenhand verrät. Nicht bis in alles einzelne, aber im ganzen
sehr ähnlich finde ich das dort, wo sich auch die breite, schlichte Saumborte wiederfand
(S. 102): an helladischen Tonfiguren der »tanagräischen« Richtung 2), während
die von Myrina, darunter unserer Gestalt in der Bewegung recht nahekommende,
wie es sich gehört viel mehr von jenem asianischen Gewandstil an sich haben3). Unter-
wegs, aber unserem Ausgangspunkte näher, steht die kleine Dienerin der Archidike
in der Handwerkerarbeit von Demetrias (Abb. 16). — Nicht viel anderes bedeutet es
für die Entstehungszeit der Urgemälde, wenn der leidlich erhaltene Oberleib der
Mutter Phila nicht bloß in seiner Schwere, auch in der Kleidung samt hochsitzendem
Gürtel und, soviel davon erkennbar, in ihrer knappen Formgebung noch an die Floren-
tiner Niobestatue erinnert.
Ein wenig mehr nach jener barocken Entwickelung voraus deutet der Purpur-
chiton der Kitharspielerin. Zum Verständnis der photographischen Aufnahmen
wie Taf. III und Abb. 9 kann hier Sambons Farbtafel i trotz ihrer Nachlässigkeiten
immerhin beitragen. Neu ist gegenüber der zum Gesamtmotiv verglichenen Muse
des Praxiteles (S. II 8), wie sich der Saum gerade etwas auf den Boden legt und von
ihm an den emporgewölbten Falten beinahe in der alten Schlangenlinie aufsteht.
Schwache Anklänge daran bietet schon der Chitonrand an der Rückseite 4) der ge-
lagerten Aphrodite aus dem Parthenonostgiebel, voll aus-, jedoch noch erheblich
fortgebildet kehrt es wieder an dem rings ausgebreiteten Kleide der trunken am
Boden hockenden Alten des Myron von Theben, der bald nach Mitte des 3. Jahrh.
in einem gewissen Zusammenhange mit den Meistern der großen pergamenischen
Gallierstatuen gewirkt haben dürfte 5). Etwa um ein Menschenalter weiter zurück^
') Olympia III Taf. 55 (zu S. 209 ff.), sonst nicht 3) Z. B. Pottier, S. Reinach, La nicrop. de Myrina,
ganz zureichend. Das Leipziger Archäolog. Taf. 35, i. Mehr bei Winter, Typen (ig. Terrak. II
Institut besitzt klarere Aufnahmen des Abgusses. 1 50 f.
') Trefflich abgebildete Beispiele bei Sieveking, 4) Collignon, Le Parthenon, Taf. 51.
Terrak. der Sammlung Loeb I Taf. 43, 44, 46, 5) Die Kopie der Münchener Glyptothek Nr. 437
47. 49. 51. 56. Vgl. immerhin auch Furtwängler, bei Brunn, Arndt, Denkm. 394; Springer, Hand-
Sammlung Saburoff Taf. 105. buch " 1 Abb. 766. Die andere Jones, Sculpt.
122
Franz Studniczka, Imagines Illustrium.
also dicht an die hier vertretene Entstehungszeit der gemalten Bildnisse heran führt
uns der Sturz des unterlebensgroßen Marmorbildes einer sitzenden Göttin mit Traube
(Abb. 19), deren Chitonsaum sich ganz ähnlich vorgeschweift an den Boden legt und
wenigstens (am Abguß unverkennbare) Andeutungen einer ähnlich unterhöhlten
Saumschlange zeigt; daß es nur Andeutungen sind, erklärt die Herkunft des Bruch-
stücks aus dem Giebelfelde des neuen Mysterientempels zu Samothrake '). Klar
sind noch weitere Übereinstimmungen des Gewandstils dieser gemeißelten mit der
gemalten Sitzfigur : wie sich zwischen den
nicht allzu ungleich breiten und tiefen
Chitonfalten das Bein maßvoll geltend
macht, wie darüber auch der Mantel
hauptsächlich durch die Anordnung
recht dichter Falten die nicht heraus-
gepreßten Glieder erraten läßt, nur um
den einen Arm straffer gespannt, u. a. m.
Natürlich faßt der Teil einer marmornen
Giebelgruppe alles enger zusammen, als
das frei in seinem weiten Rahmen thro-
nende Einzelbildnis. Besonders stark zur
Seite geschoben ist sein weißer Mantel
durch das lange Musikgerät. Damit
hängt der quer über den Schoß geführte
Faltenwulst zusammen, der aber diesen
Namen noch kaum verdient, wenn er mit
dem gedrehten der Arkadia (Abb. 17)
und der oben darangeschlossenen per-
gamenischen Marmorwerke, wie Abb. 18,
verglichen wird. In seiner mäßigen
Plastik gleicht dieses schärpenartige
Motiv etwa dem an der Statue des Epi-
kureers Metrodor, deren Wiederher-
stellung und damit Bestimmung Lip-
pold gelungen zu sein scheint *).
Noch ganz anders hüllen die Wollengcwänder die trauernde verdrängte Königin
Eurydike ein. Selbst der Chiton deckt ihre Brust, verschieden von dem der schönen
Abb. 19. Giebeltigur vom nciK'n Tempel in Samothrake.
Nach Conze u. Gen. Unters, auf Samothr. 1 Taf 37.
Mus. Capitol. 89 f.,Taf. 18, Löwy, Gr. Plastik, Taf.
148, 257. Über die Zeit Myrons unlängst Six im
Bull. corr. hell. 1913 XXXVII 361 ff. Flüchtig
sah ich eine russische Sonderschrift des so bewun-
dernswert tätigen Direktors der Ermitage Wald-
hauer über Myron von Eleutherai, die ihm auch
wieder die trunkene Alte zuweist. Das geht aber
wirklich nicht, von allen Stilfragen abgesehen
(oben S. 58 mit Anm.
schon wegen der stockhellenistischen Lagynos
(vgl. oben S. 60), der Haube, der Gewandschnalle
auf der Schulter u. a. m.
') Conze, Hauser, Niemann, Archäol. Untersuch,
auf Samothrake I24Ü., Taf. 37 (und 36). Vgl. O.
Rubensohn, Mysterienheiligtümer 186 f.
=) Lippold, Gr. Porträtstatuen 77 fl. Im Abguß
wiederhergestellt von Poulsen, Ikon. Misccllen
3) 73 ff-- Taf. 31—35-
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. 123
Psaltria, mit einem lockeren Faltengedränge, während ihrweiterMantel vom Hinter-
kopf über die Schultern und dann über das übergeschlagene Bein mit dem frei hän-
genden Fuße niedcrwallt, quer über dem Schöße liegend und beiderseits sich stauend,
besonders bauschig nach dem Saum hin, der neben dem Knie des Mannes in schwer
entwirrbaren Windungen herabhängt. Auch das aber ist in seiner wirklicheren Art
noch sehr verschieden von dem so tief zerklüfteten Gewänderschwall der pergame-
nischen Plastik. Es bildet eher den Gewandstil der Antiocheia weiter, deren junger
schlanker Leib sich freilich durch alle festonartig darüberhängenden und darüber-
spannenden Falten höchst reizvoll zur Geltung bringt (S. II 8). Eine dem Werk des
Eutychides und zugleich unserer gemalten Matrone nahestehende Grabstatue mag
zu erschließen sein aus den zwei Ansichten von verschiedenen Profilen im Hiero-
nymosrelief (S. Ii8) und auf der kleinen Grabstele von Syros, die freilich nach ihrer
Bogenwölbung zwischen korinthischen Halbsäulen kaum hinter lOO v. Chr. zurück-
reicht '). Von derselben Art wie die der Eurydikc ist die Gewandbehandlung unseres
Antigonos: der derbfaltige Chiton mit dem kräftigen Kolpos und — in den Photo-
graphien wie Taf. II nicht scharf davon abgesetzt — der große Querbausch derPurpur-
chlamys mit dem Saumwickel. Viel schlichter liegt der noch schwerere Mantel des
alten Philosophen um die Beine, die ihn übereinandergeschlagen andrücken. Aber
man braucht nur im gleichen Motiv dastehende Götter zu vergleichen, einerseits
den Asklepios athenischer Weihrcliefe aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. ^), anderer-
seits die fast doppelt lebensgroße, statuenähnliche Reliefgestalt vermutlich desselben
Gottes von dem hermogenischen Altar der Artemis Leukophryene 3), um an den
bauschig abgelösten Gewandmassen, besonders des Überschlags, wieder dieselbe,
meines Erachtens zeitlich dazwischen stehende Stilart zu erkennen. Denn auch zu
alledem bietet der samothrakische Tempelgiebel ein recht nahes, wenngleich gegen-
ständlich keiner von unsern Gestalten besonders entsprechendes Vergleichsstück in
seiner mutmaßlichen Mittelfigur (Abb. 20). Conze 25 f. hielt die lebhaft Schreitende
für Demeter, die ihre Tochter sucht. So hätte sie, um beide Hände für die Fackeln
frei zu behalten, ihr Obergewand vor dem Leibe zusammengeknotet. Daß es ringsum
so viel stärker absteht, als das hinter dem Schild auch irgendwie, vermutlich wie beim
Kalchas (S. 103) zusammengesteckt zu denkende OöpioTpiov der Waffenträgerin,
kommt unter anderem von dessen zartem, florartigen Stoff. Mit einem kräftigen
Wollenmantel ausgeführt, ergibt das dem samothrakischen ähnliche Motive an den
Metragyrten desDioskurides, die gleichfalls beideHände dauernd gebrauchen (Abb. 15).
An dem Handpaukenschläger entsteht dabei schon die Schraubendrehung der Falten,
die ohne solchen praktischen Grund erst die pergamenische Kunst häufiger anwendet
(S. 119). Meines Erachtens auch auf ein frühhellenistisches Urbild zurückgehend,
vermitteln diese zwei Männer, natürlich von ihrem komischen Wesen abgesehen,
■) Lebas, S. Reinach, Voyage archeol. Mon. fig. 3) [Kothe,] Watzinger, Magnesia a. M. 176, 179,
Taf. 113 Mitte; danach Springer, Handbuch '^ I Taf. 6. Die Annahme naher Beziehungen dieser
386, auch in früheren Auflagen. AltarreUefe zu den Kultbildern des Damophon
.>) Svoronos, Athener Nationalmus. Taf. 35, 1345; von Messene (S. 183 f.) beruht meines Erachtens
381 1334. ^"f ungenauer Formenvergleichung.
J24 Franz Studniczka, Imagines Illustrium,
zwischen der mutmaßlichen Deo von Samothrake und unserem Philosophen, der
weiterhin die Brücke zu den übrigen Bildnisgemälden schlägt. Daß an ihnen, so wie
sie nachgebildet vor uns stehen, gänzlich die feinen, vermutlich gekreppten Chiton-
fältchen (einer der wiederauflebenden Züge des ionischen Archaismus) dieser und
einer anderen samothrakischen Giebelfigur fehlen, die wenig später am Mantel der
Demeterpriesterin Nikeso aus Priene ^) und dann recht oft in der Plastik vorkommen,
teilen ja die Gemälde mit der sitzenden Giebelfigur (Abb. 19).
Abb. 20. Giebelfigur vom neuen Tempel in Samothrake.
Nach Conze u. Gen.. Unters, auf Samothr. Taf. 39 — 40.
Nicht scheiden möchte ich von diesen so selten beachteten und doch schon
wegen ihrer recht genau umgrenzten Entstehungszeit so beachtenswerten Marmor-
werken des frühen Hellenismus, ohne wenigstens in Kürze zu bekennen, daß mir nah
an die Schreitende (Abb. 2o), wenngleich als Werk eines recht verschiedenen Meisters,
nichts Geringeres als die gewaltige Nike aus dem gleichen Kabirenheiligtum her-
•) Dazu vgl. man den von Pfuhl, Malerei 548 f., Curtius trotz seinem Satyrgesicht zum Hephaistos
nach einem alten Vorschlag von mir erkannten erhoben hat: Sitzungsber. Heidelb. Akad. 1923,
Chormeister der Mädchen auf dem Londoner 4, 8.
Astragal F. R. III Taf. 136, den unlängst L. ') Wiegand und Schrader, Priene 147, 150 abgeb.
Vgl. die Pester Antiocheia S. 118, Anm. 2.
Franz Studniczka, Imagines lUustrium.
125
anzukommen scheint. Ihre
Benndorf - Zumbusch'sche
Ergänzung nach dem nur
im allgemeinen ähnlichen
Weihgeschenk für Salamis
(306), das Poliorketes auf
seinen Münzen nachbilden
ließ, habe auch ich längst
als unhaltbar erkannt, zu-
gunsten der wenigstens mög-
lichen französischen Wieder-
herstellung Abb. 21, die
trotz gewissen Schwächen
bekannter werden muß, als
sie ist I). Doch zeigt die von
Noch wenig entschiedene Beden-
ken gegen Benndorf-Zumbusch
bei S. Reinach in dem unter
Abb. 21 angeführten Aufsatz.
Dann aber O. Rubensohn, My-
sterienheiligtümer 184 f. und be-
sonders nachdrückHch W. Klein
— der nun leider auch dahin-
gegangene — zuletzt Ant. Rokoko
105, wo er bis Actium hinabgeht.
Die Gründe gegen Poliorketes
treffend zusammengefaßt (aber
doch noch Abb. 691 nach Zum-
busch) von Wolters in Springers
Handbuch " I 368, der in früh-
hellenistischer Zeit bleiben zu
wollen scheint, wie sicher Bulle,
Schöner Mensch' 97 zu Taf. 139.
Dagegen, mit Kleins früherer An-
sicht, in die Nähe des pergame-
nischen Altars setzen die Nike
Sieveking und Buschor im Münch.
Jahrbuch 1912 II 123 f., eher
noch später Lippold, Kopien 25,
wie schon R. M 1918 XXXIII
95. Gegen seine Beweisführung
treffend Sieveking, Hermeneut.
Rehefstudien(Sitzungsber. bayr.
Akad. 1920 XI) 15, A. 2. Ähn-
lich beurteilt die Zeit der Nike,
wie ich eben noch nach-
tragen kann, Krahmer in den
R. M. 1923-4 XXXVIII-IX
Abb. 2 1. Die Samothrakische Nike
in der Ergänzung von Cordonnier und Falize.
Nach Gaz. d.beaux-arts 1891 V zu 99 f{.
126
Franz Studniczka, Imagines Ulustrium.
Sieveking und Buschor gegebene Zusammenstellung mit einer dazu eigens ausgesuch-
ten Göttin pergamenischen Stiles aus dem Gigantenkampfe von Priene vielmehr die
grundsätzliche Verschiedenheit beider Gewandstile. Bezeichnend für den der Nike ist
die weit stärkere Loslösung von mächtigen Faltenmotiven, namentlich der Mantelflut
zwischen den Beinen, die an der samothrakischen Giebelstatue (Abb. 20) eines ihrer
nächsten Vergleichstücke findet, während sogar ein so schwulstiges Prachtstück des
pergamenischen Altarstiles wie Abb. i8 ganz anders von dem Gliederbau beherrscht
wird. Etwa ein Jahrzehnt aber nach dem wahrscheinlichen Ansatz der Giebelfiguren,
gegen 260, erfocht Antigonos Gonatas vor Kos seinen glänzenden Seesieg über dieselbe,
die ptolemäische Macht, den mit solcher Erneuerung eines väterlichen Weihgeschen-
kes für Salamis zu feiern dem treuen Sohne wohl zuzutrauen ist •). So führt uns die
kleine Abschweifung in den Bereich unserer Aufgabe zurück.
Wie die Gewänder, so sind auch die Menschen selbst in unseren Bildern, kurz ge-
sagt, eher noch lysippisch als schon pergamenisch. Die fast nackte Gestalt des Demetrios
erinnert, w'ie in dem schon verglichenen Motiv der herausgreifenden Arme, auch
in der damit zusammenhängenden federnden Biegung des Leibes, den Quetschfalten
über dem Nabel u. a. m. mindestens ebensosehr an den Ares Ludovisi, als an die
geschwolleneren und doch minder straffen Formen des von Winter dazugestellten
Sturzes aus Pergamon '). Der Kopf im Gemälde ist trotz weitgehender Zerstörung
sicher kurzhaarig, während im Bereiche des pergamenischen Altars die vollen Ale-
xandermähnen dermaßen vorherrschen, daß eine solche dem von Winter mit Wahr-
scheinlichkeit auf Attalos L gedeuteten, markigen Bildnis nachträglich angefügt
wurde, damit es sich in der Marmorgesellschaft neuen Stiles noch mit Ehren sehen
lassen könne 3). Bezeichnend für den Unterschied ist erst recht das so nüchtern glatt
gescheitelte Haar unseres Antigonos. Ihm entspricht sein eher unschönes Gesicht
mit der breiten Stirn, großen Nase und dem auffallend kleinen, etwas gekniffenen
Munde, dem man, so gut wie den fest ihre Lanze umfassenden Händen, die nicht
stürmische, aber zähe Tatkraft des Sohnes eines auch in diesen Bildern ganz anders
gearteten Vaters gerne zutrauen wird. Es ist der rechte Gegensatz zu dem etwas
rohen, aber doch nach wilder Tapferkeit aussehenden Kopfe seines molossischen
152. Aber 141 setzt er eine so nahe Verwandte
der Nike wie das Mädchen von Antium richtig
noch in den Zusammenhang mit Lysipp. Damit
ist schon angedeutet, daß ich dem anregenden
Versuch Krahmers, den Unterschied zwischen
früherem und späterem Hellenismus ähnlich wie
WölfFlin den zwischen »Klassik« und Barock
aufzufassen, mit starken Zweifeln gegenüberstehe.
Wo ist offenere Form als am Apoxyomenos ?
Der oben angegebene Zeitpunkt der Schlacht
bei Kos scheint mir festgelegt durch Rehm in
Wiegands Milet III 304 f. Vgl. von Wilamowitz
in den Götting. gel. Anz. 1914, 87 f. und Kolbe
daselbst 1916, 456 f. Bei letzterem (473) steht
auch, weshalb die Schlacht bei Andros, in den
vierziger Jahren geschlagen, kaum als dauernder
großer Erfolg wie Kos zu bewerten ist. Deshalb
wird sie als Anlaß des samothrakischen Denkmals
besser außer acht bleiben. Über das Verhältnis
des Sohnes zum Vater s. oben S. 79.
■) Oben S. 118. Vom Ares vgl. besonders den schöne-
ren Sturz in Neapel, Einzelaufn. 534/5.
3) Altert, v. Perg. VII i, Nr. 130, Taf. 31/2. R.
Delbrück, Ant. Portr. Nr. 27, Taf. 22, dessen
abweichender Deutungsvorschlag mir nicht an-
nehmbar scheint. Hekler, Bildniskunst Taf. 75.
Vgl. V. Balis, Altar v. Perg 167.
Franz Studniczka, Imagines Illustrium. 127
Altersgenossen (S. 69). Daneben das würdige Haupt des alten Lehrers, vermutlich
Menedemos, auf der stämmigen und noch so straffen Gestalt, der auch seinem Stile
nach an die oben mit ihm verglichenen Schulhäupter des frühen Hellenismus gemahnt
(S. 8of .). Und wie lysippisch mannigfaltig sind sogar die vier Fraueiibildnisse, obgleich
auf diesem Gebiete selbst noch die hellenistische Kunst der Neigung zum Veredeln
weitgehende Zugeständnisse zu machen pflegt. Am edelsten wirkt das Profil der
Phila mit dem leuchtend erhobenen Mutterblick; aber sie ist für hohe griechische
Kunst außergewöhnlich fettleibig bis herauf in die Wangen. Auf gedrungener, kraft-
voller Gestalt trägt ihre Schwester Eurydike einen wieder auffallend großen Charakter-
kopf mit stärker gebogener Nase, vortretendem Jochbogen und kräftigem Kinn,
in den düstern Zügen ihr schweres • Frauenschicksal. Ihr ähnelt das Gesicht der
Tochter (die Nase ist, wie S. 105 gesagt, durch Beschädigung entstellt), dessen Aufblick
zu den Lenkern des Menschenschicksals nichts von leerer Redensart hat. Die hohe
Gestalt ist im Bau, auch der Arme, von den Matronen deutlich unterschieden. Selbst
die Hetäre behält, obgleich ihre nicht eben seelenvolle Schönheit am meisten an
Göttinnen erinnert, doch etwas nüchtern Wirkliches in dem herben Mund und dem
erwartenden Blick ohne Wärme. Die hier besonders deutlichen Modelöckchen vor
den Ohren erinnern in ihrer Schlichtheit und Breite noch mehr an die der großen
Herkulanerin (S. I20), als an die eleganten Schlänglein all der pergamenischen Frauen.
Vollends in die niedrige Wirklichkeit hinab führt uns die eher garstige kleine Zofe,
deren Kopf mit dem der Herrin noch soviel bezeichnender in Vergleich gestellt ist,
als der lustige des Satyrbuben mit dem seherhaft schönen der Arkadia (S. II7).
Zum Schluß noch ein Wort von der eigentümlichen Lehnenform der beiden
Thronoi. Antik habe ich ihre ausgeschweiften Stollen, die beiderseits über den winkel-
rechten Aufbau des Gestells herausgreifen, bisher nicht wiedergefunden (S. 84). Aber
in der Hauptsache ähnlich, nur zierlich verschnörkelt, zeigte mir sie, meiner dunkeln
Erinnerung nachhelfend, Fräulein Dr. Marie Schütte am Leipziger Kunstgewerbe-
museum im späten englischen Rokoko Chippendales und in schlichterer, aber
auch zahmerer Gestalt an ungefähr gleichzeitigen Stühlen aus Nordamerika '). Dazu
fand ich unlängst auf derMoritzburg einen solchen Lehnstuhl unter anders geformten
in einer sicher noch barocken Zimmereinrichtung, die dort August dem Starken
zugeschrieben wird. Erst recht wird diese ausschweifende Lehnenform innerhalb der
griechischen Gerätkunst als »barock« gelten müssen. Wenn man sich nämlich nicht
von allzu ängstlichen Warnern den Gebrauch solcher Vergleiche wehren läßt, die
ja selbstverständlich hinken, aber dennoch zu anschaulicher Stilbeschreibung bei-
tragen können. »Gleichnisse dürft ihr mir nicht verwehren; ich wüßte mich sonst
nicht zu erklären.«
So weit konnte icli in beschränkter Zeit den Versuch durchführen, aus den
gefundenen Deutungen zu folgern, was sich daraus für die Kunstgeschichte ergibt.
') K. Warten Clouston, The Chippe dale period. Fig. i, 15 u. a. Eine Probe bei A. G. Meyer und
in English furniture, London 1897, Titelbild, Graul, Tafeln zur Gesch. d. Möbelformen I 7, 6.
Ein amerikanischer Stuhl ebenda 10, 8.
128 Ernst Buschor, Das Schirmfest.
Es ist mir wohl bewußt, wie viel noch zu sagen bleibt. Doch wird es sich besser sagen
lassen, wenn das Vorgetragene, wie ich hofifen möchte, Anlaß gibt, diese gar nicht
zu überschätzenden Bildnisgemälde wirklich ausreichend bekanntzumachen, nicht
nur in großen Lichtaufnahmen, auch in Farbendrucken. Der gegebene Ort dafür
sind Paul Herrmanns schon allzulange ruhende Denkmäler der Malerei. Eine voll-
ständigere und tiefer gegründete Übersicht des ganzen Stoffgebietes wird dann ihm
selbst und anderen ermöglichen, in der Würdigung unserer Bilder sowohl als Kopien
frühhellenistischer Meisterwerke, wie als Arbeiten römisch-kampanischer Wand-
malerei weiterzukommen. Aber wann wird das wieder möglich sein?
Weitere imagines illustrium sollen hier bald nachfolgen.
Leipzig, April 1924. Franz Studniczka.
DAS SCHIRMFEST.
L Am Skiren-Fest kam den aristophanischen Weibern der Einfall, mit den
Mänteln und Stöcken ihrer Männer bewaffnet und mit vorgebundenen falschen Barten
an der Volksversammlung der Männer teilzunehmen; zweimal sagt dies die Wort-
führerin der Ekklesiazusen ausdrücklich (v. 18 und 59). Es war ein Frauenfest, wie
auch aus den Thesmophoriazusen hervorgeht (v. 834), eine Art Gegenstück zu den
Thesmophorien (Thesm. 834; C. I. A. II Nr. 573 b; Hermes XX 367 ff.), den eleusi-
nischen Gottheiten gefeiert, mitten im Hochsommer, am 12. Tag des Monats Skiro-
phorion, der von dem Fest seinen Namen hatte. Gerade aus dem Monatsnamen müssen
wir schließen, daß die Frauen an diesem Festtag tjxipa trugen; den Namen etwa von
einer unbekannten Gottheit mit dem Beinamen axipo'fopo; abzuleiten, ist nicht
möglich. Da aber dieses Tragen von sixtpa bei den späten Erklärern keine Rolle mehr
spielt, da sie im Gegenteil bei der Erklärung des Festnamens hin und her raten und
ihre Unwissenheit offen eingestehen, muß dieser altmodische Brauch in der Spätzeit
des Altertums gänzlich abgekommen sein. Die Spätleute dehnen die axipa in axfpa,
bringen sie mit der Athena Skiras, mit dem Ort Skiron in Verbindung; oder aber
sie erklären axt'pov = axiciSstov, sprechen von einem Fest der Sonnenschirm-Göttin
Athena, von einer Prozession, an der männliche und weibliche Priester unter einem
Baldachin nach Skiron zogen usw. Andere wieder reden von Opfern, die an diesem
Fest der Demeter und Köre dargebracht wurden, und setzen die Skirophorien zu den
geheimnisvollen Thesmophorien in Beziehung.
Aus diesem Wust von Nachrichten, über den am besten Robert im Hermes XX
orientiert, geht hervor, daß das Fest im Lauf der Zeit seinen Charakter stark verändert
hat. Spätestens in Lysimachides' Zeit war an die Stelle der alten Begehung der Frauen
eine feierliche vom Erechtheuspriester und der Athenapriesterin geführte Prozession
getreten, gleichsam ein Besuch der Herren des attischen Landes bei den eleusinischen
Gottheiten (Hermes XX 361 u. 378), und Athena war so stark in den Vordergrund
Ernst Buschor, Das Schirmfest. I20
getreten, daß viele Zeugnisse sie, wenn auch unter falschem Namen, zur Herrin des
Festes einsetzen. Für die Erkenntnis der älteren Zeit sind die Nachrichten wertvoller,
die noch von den echten Inhaberinnen der Feier wissen, und so werden die oxtpot in
der Tat uraltertümliche geheimnisvolle Opfergaben sein, die an diesem Fest der
Demeter und Köre von den Frauen dargebracht wurden (Hermes XX 367 ff.). Als
der Sinn des Namens völlig verdunkelt war, bürgerte sich mit großer Hartnäckigkeit
eine zweite Deutung des seltsamen Wortes ein. Die Schol. Theocrit. 15, 38 und die
Schol. T. II. ^' 331 versichern, sxijpov sei ein attisches Wort für oxiaSsiov; Photius
berichtet, am Skirenfest hätten die Frauen sich in der Gluthitze des Sommers mit
Sonnenschirmen versehen, und auch andere Erklärer, die das Fest mit der Athena
Skiras fälschlich verknüpften, haben es als ein Fest der Sonnenschirmgöttin hingestellt.
Ich glaube nicht, daß bare Willkür diese Erklärung hervorgerufen hat. Wenn die
festfeiernden Athenerinnen in der Gluthitze des Juli über Land zogen, mußten
sie ihre peinlich gehütete weiße Haut vor den Pfeilen des Phoebus schützen, sei es
durch Schleier oder Sonnenschirme und Baldachine, die Metökenfrauen über die
Priesterinnen hielten (vgl. Harpokration s. v. (jxo»rj»Qpot und Älian V. H. 6, l). Der
Berliner Skyphos 2589 (F.-R. 125) zeigt uns eine solche Frau, die an einem festlichen
Tag in Prozessionshaltung über Land zieht, offenbar an einem Frauenfest, das in
ländliche Freuden endete; ein lustiger Einfall des Malers hat Satyrn an die Stelle
der Dienerinnen gesetzt. So wird auch die zweite Erklärung der axtpa sich an einen
echten Bestandteil des Festes, von dem noch irgendwie Kunde bestand, angeschlossen
haben; als man nicht mehr wußte, was die axipa eigentlich waren, setzte man sie mit
der auffälligen Schirmprozession gleich. Ja sogar den Baldachin des Erechtheus-
priesters hat Lysimachides und der Scholiast Aristoph. Eccl. 18 noch mit dem merk-
würdigen alten Wort benannt.
II. Betrachten wir eine Gruppe von Vasenbildern:
1. Pelike Florenz Mus. arch. 3987. Frührf.
A. Bärtiger Mann im Chiton und Mantel, mit Rebzweig und Trinkhorn: Dionysos.
B. Bärtige Gestalt jm Ärmelchiton und Mantel, mit Haube, leierspielend.
2. Amphora Louvre G 220. Pottier III Tf. 130.
A. Bärtiger Kahlkopf im Chiton und Mantel, mit Skyphos und Leier.
B. Bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Sonnenschirm, schreitend.
3. Schale Louvre G 285. Pottier III Tf. 134. £lite IV 93.
Nur Innenbild: Bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, schreitend mit Stock
und Sonnenschirm.
4. Nol. Amphora London E 308. filite IV 90.
A. Bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Schopf, schreitend mit Leier.
5. Nol. Amphora München 2326, I. 253, J. H. St. 1916, 132.
A. Bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Schirm.
B. Manteljüngling.
6. Stamnos Madrid 155. Leroux Tf. 19.
A. Vier bärtige Gestalten im Tanzschritt, in Chiton, Mantel und Haube: i. mit Schirm
und Skyphos, 2. verhüllt mit Schirm, 3. verhüllt mit Schirm, 4. Hände erhoben.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 9
130
En>8t BttschoT, Das Schirmfest.
Abb. I. Vermummte Frauen das Schirmfest feiernd. Von einem Kolonettenkrater in Bologna.
B. Vier bärtige Gestalten in Chiton und Mantel, im Tanzschritt: I. (Kopfbinde statt
der Haube) mit Schirm und Korb, 2. mit Haube, Schirm und Leier, 3. mit Schirm
und Skyphos, 4. (Kopfbinde statt der Haube) mit Schirm, eine Hand erhoben.
7. Kolonettenkrater Bologna, Necr. Fels. 239. Pellegrini 96.
A. I. bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Schirm und Schale,
2. verhülltes Mädchen in derselben Tracht, 3. ausschreitende Lcierspielerin derselben
Tracht, 4. bärtige Gestalt derselben Tracht, mit Schale. Tanzschritt.
B. Drei Mantclfiguren.
8. Kolonettenkrater Bologna, Necr. Fels. 234. Zannoni, Scavi di Ccr-
tosa Tf. 40, S. 166. (Unsere Abb. i.)
A. I bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Skyphos und Schirm, 2. ähn-
liche Gestalt verhüllt, 3. schreitende Flötenspielerin, 4, wie I. und 2., mit Schirm
ein Arm verhüllt. Tanzschritt.
B. Drei Mantclfiguren.
9. Kolonettenkrater Wien. Laborde I 38, £lite IV 91. Sacken-Kenner
203, Nr. 140.
A. Tanzende bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Schirm, eine Hand
erhoben; Kitharaspielerin in Pcplos und Haube; bärtige Gestalt in Chiton, Mantel
und Haube, mit Schale, ein Arm verhüllt, im Tanzschritt.
B. Drei Mantelfiguren.
Ernst Buschor, Das Schirmfest. jjj
10. Kolonettenkrater (.') aus Akrae. filitc IV 92.
A. Bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Schirm, ein Arm verhüllt, im
Tanzschritt; schreitende Flötenspielerin derselben Tracht; bärtige Gestalt derselben
Tracht, im Tanzschritt, mit Schirm, ein Arm verhüllt.
11. Gefäß aus Chiusi. Bull. d. Inst. 1843, 90.
A. Flötcnspielerin zwischen zwei bärtigen Schirmträgern vermutlich der typischen
Tracht.
B. Ähnliche Darstellung.
12. Amphora in Mykonos.
A. I . Flötenbläserin, 2. bärtige Gestalt in Chiton, Mantel und Haube, mit Stock und
Schirm.
B. I. Mann mit Stock, 2. dicht verhüllte Gestalt von vorn.
13. Kolonettenkrater, früher Athen. Mir nur durch Photographie
bekannt.
A. I. Mann im Mantel, mit Stock und Skyphos, 2. leierspielender Jüngling, 3. Mann
im Mantel mit Stock, 4. Jüngling in Chiton und Mantel, in der L. anscheinend Schirm,
die R. in den Mantel gehüllt. Tanzschritt.
14. Rotfig. Scherbe Micali, Mon. inediti Taf. 45, 5.
Bärtige Gestalt mit Chiton, Mantel, Haube, Schopf, Schirm.
15. Schwarzfig. Scherbe Akr. 682. Graef Tf. 46.
Vermutlich zu einer ähnlichen Darstellung wie I — 14 gehörig.
Diese Gefäße gehören, soweit ich sehen kann, sämtlich der Zeit vom Ende des
6. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts an. Schon vor 80 Jahren hat man ein attisches
Schirmfest in ihrenBildern erkannt und schon vor öojahren die seltsame Vermummung
entdeckt, die an diesem Fest Sitte war (Bull. d. Inst. 1843, 90; £lite IV 238 ff.):
Männer erscheinen als Frauen, vor allem aber Frauen als Männer verkleidet. Die
Maler dieser Zeit sind ja auf solchen Bildern immer auf die in der Verkleidung dar-
gestellte Person losgegangen und haben sich bei den Einzelheiten der Vermummung
nicht aufgehalten; eine Reihe von Vasenszenen verrät nur durch Einzelheiten der
Bühnentracht die Herkunft vom Drama. So wird es auch hier in vielen Fällen un-
möglich sein, eine sichere Entscheidung zu treffen. Aber eine ganze Reihe dieser Barte
erregt Verdacht, und ich neige zu der Überzeugung, daß alle Musikantinnen dieser
Bilder ihren Geschlechtsgenossinnen zum Tanz aufspielen, daß also hier die Frauen
unter sich sind und am Schirmfest den Komos der Männer nachahmen. Andrerseits
fehlt es nicht an sicheren Darstellungen von Männern, die das Schirmfest der Frauen
mit ihrem dionysischen Komos verbinden. Bei den Verkleideten ohne Schirm (Nr. i
und 4) ist ein Zusammenhang mit unserem Fest nicht zu erweisen, aber immerhin
möglich.
Schon de Witte hat Elite IV 238 die argivischen 'Tßpw-ixa zum Vergleich
herangezogen, ein offenbar komastisches Fest, bei dem sich Frauen als Männer,
Männer als Frauen verkleideten (Plutarch, virt. mul. 245 F); und wenn Philostratos
(imag. 766 p. 381, den Hinweis verdanke ich L. Deubner) vom Komos rühmt, daß er
Männern und Frauen den Tausch ihrer Rollen gestatte, so liegt entweder ein allge-
]92 Ernst Buschor, Das Schirmfest.
meiner Zug des dionysischen Treibens vor, oder, was mir wahrscheinlicher vorkommt,
ein aus altem Festbrauch abgeleitetes Element.
III. Es gab noch ein zweites Frauenfest, an dem der Komos mit Schirmtragung
verbunden erscheint. Hier spielt aber der Schirm nur ganz gelegentlich eine Rolle;
wo er vorkommt, trägt ihn jeweils nur eine Frau; die Frauen sind unverkleidet.
1. Stamnos, Forman Collection 352.
A. Vier Frauen im Komos, eine mit Krotalen, zwei mit Skyphos, eine mit Schirm.
B. Flötenspielerin, Frauen im Komos, davon eine mit Skyphos; ein Stuhl.
2. Stamnos, Boston. Frickenhaus, Lenäenvasen (72. Winck.-Progr.) Nr. 16.
A. Dionysosopfer.
B. Drei Frauen im Komos, davon zwei mit Skyphos, eine mit Schirm; ein Stuhl.
3. Stamnos Louvre G 408. Pottier, Vases du Louvre III 249. Fricken-
haus Nr. 17.
A. Dionysosopfer.
B. Fünf Frauen im Komos, davon mindestens drei mit Skyphos, eine scheint einen
Schirm gehalten zu haben.
Die Stamnoi 2 und 3 zeigen im Bild der Vorderseite, um welches Fest es sich
handelt : ein dionysisches Frauenfest, an dem die Frauen als Mänaden tanzten. Fricken-
haus hat 27 weitere Darstellungen dieses Festes nachgewiesen, auf denen kein Schirm
zu sehen ist. Denkt man an den Stuhl unserer Stamnoi i und 2, so erscheint der Satyr
Tischbein IV 34 als Festdiener einer solchen Feier, ähnlich wie seine Kollegen auf dem
Berliner Skyphos einer dionysischen Frauenprozession und dem Schaukelfest assi-
stieren. Man hat den Eindruck, daß durch Sonnenschirm und Stuhl nur eine
Frau, die Priesterin, ausgezeichnet wird, die auf Stamnos 2 und 3 auch mit dem
Diadem geschmückt ist.
Unzweifelhaft hat das Schirmfest dionysische Elemente aufgenommen, so wie
sich auch an den Haloen der Dienst der Göttinnen mit dem des Dionysos mengt.
Trotzdem sind auf den Vasen beide Frauenfeste aufs deutlichste unterschieden.
Die Lenäen können mit dem Schirmfest nicht identisch sein.
IV. Das Schirmfest unserer Vasenbilder aber können wir jetzt zuversichtlich
mit dem Skirenfest gleichsetzen. In der Juliprozession haben die Schirme so recht
ihre Stelle, und an diesem Fest, an dem die Frauen geschlechtlich sich enthielten
(Philochoros fr. 204), das sie ganz unter sich feierten, ist der ausgelassene Komos mit
der männlichen Maskerade gerade besonders verständlich; hatten doch auch die
Thesmophorien ihren ausgelassenen Teil (Phot. und Hesych. s. v. Ixr^via; Plutarch,
Solon VIII). Aber wir gewinnen noch mehr. Mit einem Schlag wird klar, warum gerade
am Skirentag den Frauen der Einfall kam, in Männertracht und mit falschem Bart sich
in die Volksversammlung einzuschleichen, und warum Praxagora diese Beschlüsse
der Skiren so betont. Und noch nicht genug: wir wissen jetzt, was den genialen Ein-
fall der Ekklesiazusen in des Dichters Phantasie entzündet hat.
Athen. Ernst Buschor.
Jahrbuch des Instituts XXXVIII/IX l(
1
lenistische Gymnasion von Priene.
den Waschsaal (i), den Ephebensaal (2) und
Saal (3); sämtlich von SUden nach Norden
1 nach Westen gesehen,
and des Ephebensaales.
Iwand des Ephebensaales.
Jahrbuch
^^^
ÖrdJichen
'""''S der
«örtiichen
DAS HELLENISTISCHE GYMNASION VON PRIENE.
Mit Beilage II— IV.
Im Herbste 1912 und in dem darauf folgenden Winter führte mich die Unter-
suchung der Stadtmauern von Priene, die ich im Zusammenhang mit denen anderer
jonischer und karischer Städte zu betrachten hatte '), wiederholt nach dem bekannten
Ruinenplatze am Fuß der Mykale. Diese Mauerstudien hoffe ich demnächst in den
Athenischen Mitteilungen zu veröffentlichen. Hier möchte ich die Ergebnisse
einer Aufnahme des hellenistischen Gymnasions von Priene vorlegen, zu der ich im
Anschluß an die eben genannten Arbeiten gelangte. Das Gymnasion stößt mit seinen
starken Untermauerungen unmittelbar an den südlichen Lauf der Stadtmauern,
so daß man unwillkürlich versucht wird zu
fragen, welche militärische Rolle ein solches
Gebäude bei einer Belagerung gespielt
haben würde. Einmal angelockt und tiefer
in den Gegenstand eindringend, fand ich,
daß die Mitteilungen, welche das ausge-
zeichnete Buch von Th. Wiegand und H.
Schrader ») über das wichtige Bauwerk
liefert, stellenweise zu überholen und auch
nicht unerheblich zu berichtigen waren.
So hielt mich diese Aufgabe bis zu ihrer
Lösung fest. Leider haben die Zeitverhält-
nisse die Drucklegung allzulange ver-
zögert. Beim Leser darf die Kenntnis des genannten Werkes wohl vorausgesetzt
werden. Indessen sind die Abweichungen gegen die erste Veröffentlichung bei Wie-
gand und Schrader groß genug, um eine ganz neue Beschreibung des Baues zu recht-
fertigen, deren Vollständigkeit allerdings einige Wiederholungen unvermeidlich
macht.
Wir beginnen mit dem Bauplatze. Schon der zeigt uns, daß im ursprünglichen
Stadtplan das Gymnasion nicht vorgesehen war, zum mindesten nicht in diesem Um-
fang. Daß seine Stützmauern bis auf wenige Meter an die Stadtmauern heranrücken,
besagt dafür weniger, um so mehr aber, daß man die ganze Südseite der Straße be-
seitigte, welche das Gymnasion im Norden begrenzt. Von den abgerissenen Häusern
sind noch die Einarbeitungen im Felsen zu erkennen; in verschiedener Höhenlage
und ohne anderes Verhältnis zum Grundrisse des Gymnasions als die allgemeine nord-
Abb. I. Straßenbrücke.
') Archäologischer Anzeiger 1913, 475 ff. ') Th. Wiegand und H. Schrader, Priene 265 ff.
Jahrbuch des archäologfiachen Instituts XXXVllI/IX 1933/34. JO
134
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasion von Priene.
Südliche Orientierung der Stadt können diese Reste nicht zu jenem Bauwerk gezogen
werden, wie es bei Wiegand und Schrader geschieht; allenfalls eine von den oberen
Querwänden könnte zu einer unteren im Gymnasion passen. Bemerkenswert an der
Straße ist die Überbrückung eines Felsenspaltes nahe der Nordostecke mit einem
eigentümlichen scheitrechten Bogen, wie ich ihn auch auf der Burg von Knidos be-
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Abb. 2. GrundriB, Krhaltungszustand.
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene.
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Abb. 3. Einzelheiten des Peristyls,
obachtet habe und wie ihn Philon ') ZU beschreiben scheint (Abb. i). Man hat das
Material, Breccia und marmorartigen Kalkstein, das bei der Absprengung des Felsens
oben gewonnen wurde, unten zu monumentalen Unterbauten verwendet (Beil. II)
und so den Raum für die zu errichtende große bauliche Anlage nach zwei Seiten
zugleich erweitert, und zwar so weit, wie es die beiden festen Grenzen — im Norden
die Straße, im Süden die Stadtmauer — nur zuließen.
Auf diesem Räume sind zwei Gebäude entstanden, südlich ein Peristyl mit
■) Philo V S. 87, 2 1 ff, H. Diels und E. Schramm in den Abhandlungen der Preußischen Akademie
der Wissenschaften 1919, Phil. bist. Klasse Nr. 12.
in«
135 ^- Krischen, Da« hellenistische Gymnasion von Priene.
Kammern an der Westseite und nördlich vom Peristyl durch einen schmalen Hof
getrennt ein westöstlich gestreckter Bau aneinander gereihter Säle (Abb. 2). Von
den Säulenhallen des ersteren, die sich auf nur einer Stufe erhoben, ist das Stylobat an
der Nordostecke gut erhalten — nach Westen auf etwa 4^/zm, nach Süden auf ii3/4ra
— und zeigt die Aufschnürungen für die Säulen (Abb. 3); auf allen Seiten vorhandene
Reste lassen die Abmessungen zwischen den Stylobatkanten — 34, 35 m westöstlich
und 35, II m nordöstlich — erkennen; die Säulenachsen liegen allerseits etwa einen
Fuß von etwa 30 cm hinter den Kanten zurück. (Als Maßsystem ergibt sich hier
wie überhaupt in Priene der attische Fuß von 29,57 cm — wir werden weiter unten
darauf eingehen.) Alle Seiten hatten je 14 Joche. Danach beträgt die Jochweite
durchschnittlich S'/a Fuß (2,52 m). Die Eckjoche sind erheblich breiter, etwa
9 Fuß. Von den Säulen ist außer dem unteren Durchmesser nichts unmittelbar
festzustellen. Er ist aus der bereits erwähnten Aufschnürung der Säulenachsen
und Tangentenecken zu ersehen, aus den Standspuren mit rauhem, etwa 25 cm
im Durchmesser betragendem Kern, der ein Dübelloch in der Mitte und den zuge-
hörigen Gußkanal aufweist. Der Durchmesser beträgt etwa 55 cm. Daraus errechnet
sich die Höhe mit ziemlicher Sicherheit, da sie erstens ein Vielfaches dieses Maßes,
zweitens ein Vielfaches dieses Fußes von 29,57 sein muß und da drittens diese Fak-
toren einfache Zahlen sein müssen. Diese Zahlen bleiben zudem in der Nähe be-
stimmter Werte, die durch besser erhaltene Bauwerke vertreten werden. Z. B.
zeigt die Oropherneshalle in Priene ein Verhältnis von Säulenhöhe zu Durchmesser
wie 7V« zu I. Möglich erscheinen danach zunächst zwei Werte.
29,57 X 13 = 3,84m :7 = 0,55m
oder 29,57 X 14 = 4,I4 m : 71^ = 0,55 m.
Ich möchte mich für den zweiten entscheiden, da die Gebälkhöhe, von der nun zu
reden ist, dafür spricht. Vom Gebälk fehlen zwar die Architrave, sind aber leicht
zu ergänzen. Der erhaltene dorische Fries verlangt eine entsprechende Regula.
Die Höhe ergibt sich aus dem Verhältnis zur Höhe des Frieses. Das beträgt bei
den nächst verwandten Bauten etwa 3/4 (Stadionhalle), 5/7 (Propylon des Gymna-
sions, weiter unten auszuführen) oder ^/■j an den Markthallen. Wählen wir 3/4 oder
5/7, so erhalten wir als Gesamthöhe des Gebälks 3 Fuß: Architrav 25, Fries 35, Sima-
Geison 30 = 3 Fuß ein rundes Maß, während sich ein solches bei 5/6 und ^/^ nicht ergibt.
Zur Säulenhöhe (14 Fuß) passen 3 Fuß sehr gut, indem die Gesamthöhe 17 Fuß
das Doppelte der Jochweite (8V2 Fuß) bedeutet.
Es sind ziemlich viele Triglyphenblöcke vorhanden, ich habe zehn gezählt,
davon sechs auf der Stadionterrasse; es können noch ein paar mehr sein, die Nach-
barschaft der ähnlichen dorischen Werkstücke von der Stadionhalle erschwerte
etwas die Übersicht. Die beobachteten Stücke sind in der Regel nicht sehr lang
— meist drei Triglyphen mit zwei Metopen oder einzelne Triglyphen von Metopen
eingerahmt, die in üblicher Weise so gefügt sind, daß die schräg hinterschnittenen
Triglyphen die Fuge decken.
Die Breitenmaße zeigen, daß auf das Joch vier Triglyphen kommen, nicht
drei, wie im Prienebuche skizziert ist. Vorhanden ist auch ein Eckblock; ebenso
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene. 1^7
befindet sich ein solcher unter den weniger zahlreichen Gesimsblöcken. Die Eck-
stücke zeigen, daß eine Maßveränderung des Triglyphen- und Metopensystems an
den Ecken, in denen je zwei halbe Triglyphen zusammenstoßen, nicht eintritt.
Das Normaljoch beträgt 8'/a Fuß = 2,51 m geteilt in 4 Triglyphen und Metopen,
die sich verhalten wie 2 : 3, ergibt 63 cm = 25 cm + 38 cm. Das Eckjoch ist um
eine halbe Architravstärke (ca. 20 cm) weiter gespannt, beträgt also etwa 2,70 m.
Dieses Maß zeigen mit geringen Unterschieden die beiden erhaltenen Eckjochweiten.
Daß die Maße etwas schwanken, kann nicht ausbleiben, da die Seitenlängen des qua-
dratischen Hofes etwas verschieden von einander sind. Die Ecksäulen waren wie die
übrigen und nicht gedoppelt.
Über das Bild der vollständigen Säulenordnung kann man danach nicht im
Zweifel sein. In dem Übersichtsblatte der Wiederherstellung, s. Beilage 11z. S. 133
ist sie ergänzt gezeichnet — in der Mitte abgebrochen, um das dahinterliegende
Gebäude nicht zu verdecken. Die vorhandenen Teile sind dabei wie überhaupt
auf dem genannten Blatt mit Innenzeichnung oder Strichelung versehen. Die
oben aufgestellte Konstruktionsberechnung liegt der Zeichnung noch nicht zu-
grunde, doch ist diese mehr gefühlsmäßig so nahe an jene herangekommen, daß
eine Korrektur überflüssig erschien.
Von der Nordostecke bis zum sechsten Joch der Nordseite — ursprünglich
weiter — läuft eine marmorne Wasserrinne am Stylobat entlang; sie erweitert sich
gelegentlich zu einem Becken und wird nach Osten durch den Stylobat hinausgeleitet;
nach Süden ging sie nicht (Abb. 2 u. 3). Vor der Mittelsäule der Nordseite
befand sich ein Postament, dessen unterste Schicht mit Sockelprofil erhalten ist.
Vielleicht haben wir hier den Standort einer Gewandfigur zu suchen, die im Haupt-
saal des nördlichen Gebäudes nicht weit davon gefunden worden ist — sicherlich
verschleppt — da in jenem Saal keine Möglichkeit besteht, sie unterzubringen.
Außer dem Triglyphenf ries sind noch die Blöcke mit den Obergliedern — Kymation,
Hängeplatte mit Tropfen und Sima — erhalten. Deren obere Fläche hat eine sehr
geringe Neigung, das ist für die Rekonstruktion von Wichtigkeit: Die Hallen des
Peristyls sind nicht alle gleich tief; die Westhalle mit ihren dahinterliegenden Kam-
mern gibt eine Gebäudetiefe von 93/4 m gegen 5^/3 m und 6 m bei den anderen;
es müßte bei steileren Dächern ein sehr merkbarer Unterschied entweder in der
Dachhöhe oder der Dachneigung entstehen, während bei einem so flachen Dache
keine Art von Dachlösung irgendwelche Schwierigkeiten bereitet. Ein Pultdach
würde bei einem ringsum freistehenden Gebäude eine unnötige Höhe der Außen-
mauern sowie überflüssige Material- und Arbeitskosten bedeuten. Ein gerades
oder sehr flaches Satteldach dürfte das gegebene sein.
Ein wenig reichere Formen als die Hallen weist das westlich gelegene Pro-
pylon auf, das auf die steile Treppenstraße hinausführt. Es würde eigentlich noch
einige Aufräumungsarbeiten erfordern. Nur ein Teil der zugehörigen Steine ist
freigelegt, mehrere befinden sich noch in Sturzlage und von diesen sind verschiedene
fast ganz verschüttet und geben daher nur Einzelmaße. Immerhin läßt sich schon
jetzt ein Bild des Aufbaues gewinnen (Abb. 4).
138
F. Krischen, Das heUenistische Gymnasion von Priene.
In situ befindet sich die unterste Stufe. Ritzlinien erlauben, Steine der
zweiten Stufe an ihren Ort zu bringen; es sind die beiden ersten Steine der linken
Ecke (links und rechts von der Straße aus). Ritzlinien auch auf der zweiten Stufe
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Abb. 4. Propylon.
zeigen eine dritte Stufe an, die letzte, da der Grundriß mehr nicht zuläßt. Die dritte
Stufe sprang so weit vor die Gebäudeflucht vor, daß Anten und Säulen noch ganz
davor Platz hatten. Daß sie nicht eingerückt standen, wie es der ergänzte Plan
der ersten Veröffentlichung zeigt, beweist ein erhaltener hier gefundener Eckarchitrav,
der eine ausspringende Ecke darstellt; außerdem gibt er den Säulenabstand, der
gerade zu der für die Breite der Oberstufe passenden Aufteilung führt.
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene. I^g
Von den Stützen sind vier Antenblöcke erhalten von verschiedenen Höhen;
ihr größter Durchmesser ist 67,5 cm, ihr geringster 59 cm. Dazu paßt eine glatte
Säulentrommel und zwar ist es nach ihren Maßen 70 cm und 68 cm die unterste.
Sie ist das einzige Stück, das von den nicht geriefelten dorischen Säulen des
Propylons übrig ist. Sie hat nichts mit einem zweiten Säulenfragment zu tun, das
im Prienebuche mit ihr zusammen genannt ist. Dieses, ein unteres Säulenende mit
Ablauf, zeigt andere technische Behandlung in der einfachen Verdübelung gegen-
über der doppelten; auch die Abmessungen lassen eine Verwendung beider Stücke
in demselben Säulenumriß nicht zu. Überhaupt bietet sich für die zweite Trommel
keine Unterkunft im Gymnasien. Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, daß sie bei
einer Zerstörung von einer höhergelegenen Stelle in das Gebiet des Gymnasions
hinabgerollt ist; jedenfalls ist sie nicht dorisch, und den dorischen Stil des Propylons
erweist der schon genannte Eckarchitrav durch seine Tropfenleisten. Die Tri-
glyphen des Frieses sind allerdings nicht mehr erhalten. Das einzige vom Fries
gegenwärtig nachweisbare Stück befindet sich in Sturzlage an der rechten Ecke (von
außen gesehen). Es gehört zu dem kurzen Vorsprung der Seite; die Triglyphen der
Frontseite sind durch die Gehrung der Ecke abgeschnitten ; nur das zu den Triglyphen
gehörige obere Schrägprofil ist erhalten. Von den Obergliedern des Gebälkes sind
verschiedene Fragmente eines Zahnschnittes mit Traufplatte erhalten, darunter
die Ecke. Interessant ist ein entsprechender offenbar der Rückseite angehöriger
Stein, bei dem der Zahnschnitt verschwunden und nur ein gleich hoher glatter
Streifen Wandfläche geblieben ist, während die anderen Gliederungen mit denen
der übrigen Stücke übereinstimmen. Ein Fragment der Traufsima zeigt einen ver-
stümmelten Löwenkopf; von der Giebelsima, die mit der Traufplatte aus einem
Stück gearbeitet ist, ist ein Stück von l'/z m Länge sowie der Schlußstein erhalten.
Ferner ist die linksseitige Tympanonspitze vorhanden; die Giebelneigung hat danach
das Verhältnis l : 4.
Betrachten wir noch die Maße des Gebälkes genauer. Wir finden von Ober-
kante Traufsima bis Unterkante Architrav folgende Höhen:
Sima = 21 cm, Geison + Zahnschnitt = 41 cm, Triglyphcnfries =51 cm,
Architrav = 36 cm, im ganzen 1,47 m = 5 Fuß, also Sima zu Geison wie i : 2, Fries
zu Balken wie 3 : 2 und das obere Paar zum unteren wie 2 : 3. Die Höhe der Stützen
läßt sich etwa wie folgt errechnen: 29,57 (i att. Fuß) x 16.5 = 4.88 m, 4.88 m:
7 = 70 m; das ist der Durchmesser, den Grundriß und Schaftstücke erkennen lassen.
Von besonderer Wichtigkeit ist noch ein Wandblock, dessen eine Außenseite
nur auf der oberen Hälfte geglättete wirkliche Außenfläche zeigt; auf der unteren
ist der Bossen stehen geblieben und eine Einarbeitung für Holzkonstruktion an-
gebracht. Mir erscheint dieser Stein die Annahme zu fordern, daß der Baukörper
des Propylons nur bis zur Mittelwand ging und die Halle, welche von Osten dagegen-
gebaut war, überragte..
Von der Architektur des nördlich an das Propylon anstoßenden Saales (Exedra
des Grundrisses) ist nichts als Reste von Marmorbänken (Abb. 2) und die Stand-
spuren der beiden Säulen erhalten, welche die nach dem Peristyl offene Seite in
1^0 F. KrischcD, Das hellenistische Gymnasien von Priene.
drei Joche teilten. Sie hatten dieselben Abmessungen wie die Peristylsäulen,
standen aber nicht wie diese auf einem durchlaufenden Stylobat, sondern auf einzelnen
unregelmäßig quadratischen Fundamentplatten. Von den anderen Räumen der
westlichen Kammerreihe sind nur noch die Umrisse zu erkennen. Auf den drei
anderen Seiten ist das Peristyl durch Rückwände geschlossen. Die Rückwand
der Nordseite ist aber in der ganzen Breite des Hofes in eine Säulenstellung auf-
gelöst, so daß nur an den Enden Zungenmauern übrigbleiben, deren Länge der
Hallen- und Kammertiefe entspricht. Die Säulen sind wie diejenigen der Exedra
auf einzelne Platten gestellt und müssen gleichfalls denen der Hoffronten genau
entsprochen haben. So entsteht ein reizvoller Durchblick auf das langgestreckte
Hauptgebäude, das hinter der Nordhalle jenseits eines iß'/z Fuß tiefen Hofes liegt.
Dieser Hof ist im Prienebuch als Verdoppelung der nördlichen Peristylhalle auf-
gefaßt worden. Hätten wir es hier mit einer zweischiffigen Halle zu tun '), so
müßte die nördliche Säulenreihe halb soviel Säulen haben — auf jede zweite Außen-
säule eine höhere Innensäule — und die Zungenmauern müßten fehlen, da sie nicht
nur ganz überflüssig wären, sondern sogar im höchsten Maße störend, indem sie
den hinter ihnen liegenden Kammern alle Lichtzufuhr absperren, während sie als
Andeutungen der aufgelösten Rückwand einen guten architektonischen Sinn haben.
Bei Zweischiffigkeit ergibt sich außerdem ein unbrauchbarer Querschnitt, in dem
die innere Säulenreihe eine Wand zu tragen bekommt, was ganz ungriechisch ist,
und damit das Licht absperrt vor einer Reihe von Schulstuben. Auch würde
das Dach eine viel steilere Neigung erhalten müssen, als sämtliche Simablöcke der
Halle aufweisen. Schließlich und vor allem verlangt die Gestalt der nördlichen
Kammerreihe hier einen Hof. Das wird die genaue Betrachtung dieses Bauteiles
zeigen. Der Hof wird als solcher auch durch die vorhandenen Wasserrinnen bezeich-
net; zwar nicht durch die aus dem Waschsaal kommende, die ja auf alle Fälle da sein
müßte, aber durch einen Rest einer Rinne, die zu demselben Ausflußloch führt,
wie die erstere, aber nur Zweck hat, wenn sie von der Traufe des Peristyls ge-
speist wird.
Der Nordbau besteht aus 5 Sälen von verschiedenen Abmessungen, die aus
dem Grundriß Abb. 2 zu ersehen sind. Ihr gegenwärtiger Erhaltungszustand ist
genau zu entnehmen aus der Ansicht Beilage II und den Querschnitten Beilage III. Die
vor den geglätteten Felsen vorgemauerte durchgehende Rückwand besteht aus
Brecciaquadern bei stellenweiser Verwendung von Marmor, wie auch die Querwände.
Soweit die südliche Außenwand erhalten ist, besteht sie durchgehend aus Marmor.
Drei von den Sälen sind merklich einfacher — ohne Marmorreste, die Wände von
grobem Putz überzogen, der spät sein kann, wie es die westliche Querwand des öst-
lichen Saales zeigt. Einarbeitungen für Holz an dieser Wand ergeben nichts, s.
Beilage III. Dieser Saal ist noch nicht vollständig ausgegraben, es können auch
mehrere Räume sein, wofür spricht, daß mehr als eine Tür wie bei den übrigen vor-
') Wie bei den zweischiffigen Hallen der Märkte Bohn falsch rekonstruiert! — zweigeschossige
von Priene, Magnesia und Aegae — letztere von Hallen dieser Art, wie die Markthalle von Assos
und die Attalosstoa in Athen, gehören nicht hierher.
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene. i ij
banden ist. Ausgezeichnet durch Marmorarchitektur sind der erste und dritte
Saal von links. Der erste, der Waschsaal, hatte eine Orthostatenreihe von Marmor-
auf der eine als Wasserrinne ausgebildete Binderschicht liegt; sie war mit Löwen,
köpfen als Wasserspeiern versehen; von dieser Schicht sind 9 Steine mit 6 Köpfen
erhalten (nicht 6 Steine mit 9 Köpfen, wie im Prienebuch verwechselt ist). Dar-
über waren die Wände verputzt. Drei marmorne Waschbecken an der Rückwand
dürften spätere Zutat sein, ebenso die Rinnen am Boden zum Fußwaschen. Die
vor der Tür des Waschsaales erhaltene Wasserrinne dürfte ursprünglich weiter an
der Front gelaufen sein, um das Traufwasser aufzunehmen.
Noch bedeutender als der Waschsaal erscheint der architektonisch und seinem
Zwecke nach wichtigste Raum, das Ephebeum, in der Reihenfolge der dritte von
Westen. Dieser Saal öffnet sich nach Süden mit einer Säulenordnung, die ziemlich
gut erhalten ist. Auf einem Stylobat von breiten Marmorplatten standen zwei
jonische Säulen zwischen Anten. An ihrem Platze sind alle vier Säulen- und
Antenfüße und von der linken Ante (rechts und links von Süden) der unterste Block
mit dem Ablauf. Ein unteres Säulenende ist auf den linken Säulenfuß bei der Auf-
räumung gesetzt worden; dieses Stück war glatt, zwei andere stark beschädigte
Trommeln zeigen den Zusammenstoß des glatten und geriefelten Teils. Die Zahl
der Stege ist 24. Außerdem sind vorhanden:
1 geriefelte Säulentrommel,
2 Antenblöcke,
beide Säulenkapitelle,
I Antenkapitell.
Der untere Durchmesser der Säule beträgt 6"] cm, der obere hat, nach dem unter-
seitigen Durchmesser des Kapitells zu schließen, ca. 60 cm betragen. Die Höhe
der Stützen kann errechnet werden, einmal an ihrem unteren Durchmesser und dann
aus dem Aufbau der Saalwände, denen wir uns deshalb zunächst zuwenden. Die
Betrachtung des Gebälkes müssen wir solange aufschieben.
Die Wände des Innern zeigen zu unterst eine rauhe Brecciaschicht; diese
verschwand einst hinter einer hölzernen Bank, von der 7 kleine marmorne Stützen
noch vorhanden sind. Darüber kommen 7 Marmorschichten, von denen die mittelste
ein leicht vorspringendes flaches Band bildet und die oberste mit einem Gesims ver-
ziert ist (Abb. 7). Dieses Gesims stellt den Abschluß eines Wandsockels dar, auf
dem sich eine Pilaster- und Säulenarchitektur erhob; von ihr befindet sich noch eine
Basis ausBreccia in situ. Andere Steine dieser Architektur haben sich in Menge auf
dem Boden gefunden. Es sind alles Brecciaquadern und zeigen sämtlich dieselbe
Schichthöhe mit geringen Schwankungen, die bedeutungslos sind, da die Breccia
zweifellos überputzt war. Diesen Quadern angearbeitet sind rechteckige und halb-
runde Pilasterschäfte mit zugehörigen Kapitellen und Säulenfüßen. Erstere sind
durch die hohen Kelche als korinthische zu erkennen, deren feinere Einzelheiten
Blätter, Schnecken usw. in Stuck aufgesetzt zu denken sind (Abb. 6). In den
Ecken stießen Viertelsäulen zusammen. Wir geben im folgenden eine genaue Sta-
tistik dieser Steine:
Ij^2 ^- loschen, Das hellenistische Gjrmnasion von Priene.
rechteckige Säulenfüße (mit dem einen in situ befindlichen) 4
runde Säulenfüße 7
rechteckige Schaftstücke 4
runde Schaftstücke 13
rechteckige Kapitelle " 3
runde Kapitelle 7
Gesimsstücke (zusammen 17,12 laufende Meter) 17
Eckstücke zählen wir besonders auf, weil wir dadurch eine bessere Übersicht zu
haben glauben. Es sind:
Eckstücke : i Schaftstück mit Doppelsäulen mit dem bekannten herzförmigen
Querschnitt,
I Säulenkapitell auf Gehrung geschnitten,
I Gesimsstück auf Gehrung.
Über die Höhenlage dieser Stücke kann natürlich kein Zweifel sein; zu fragen
wäre nur, ob die Schaftstücke auf zwei oder drei Schichten zu verteilen wären.
Der erste Fall gibt eine Stützenhöhe von mehr als acht, der zweite eine Höhe von
über zehn unteren Durchmessern. Für die Wahl der etwas gedrungenen Stütze statt
der übertrieben schlanken spricht vor allem der Umstand, daß nur etwa anderthalb-
mal soviel Schaftstücke als Füße oder Kapitelle erhalten sind — der Befund an den
beiden letzteren weist auf eine ziemlich gleichmäßige Erhaltung — ferner das ab-
solute Höhenmaß der Wand, das sich errechnet aus der folgenden Tabelle der Wand-
schichten, unten angefangen:
Brecciaschicht = 0,29
3 Quaderschichten = 1,40
1 Flachschicht = 0,30
2 Quaderschichten zu 48 = 0,96
I Gesimsschicht = 0,40
4 Brecciaschichten von durchschn. 0,60 — 2,40
Summa 5,75
5,75 m sind genau 13 attische Ellen = 5,766 m. Ferner spricht dafür die Überein-
stimmung dieser Höhe mit derjenigen der Säulenarchitektur, mit der sich der Saal
nach Süden öffnet. Dasselbe runde Maß ergibt sich nämlich, wenn man den unteren
Säulendurchmesser S'/jmal nimmt (genau rechnet man umgekehrt 5,766 : S'/i =
67,5 cm). Damit erscheint die Höhenberechnung gesichert; denn es muß doch
angenommen werden, daß die beiden aneinanderstoßenden Ordnungen wenigstens
so weit in Beziehung stehen, daß die Höhen ihrer Gebälklagen übereinstimmen.
Wie sich dann die Profile beider Gebälke miteinander vertragen haben, ist nicht
festzustellen, da von dem Architrav der jonischen Säulen nur ein Fragment vorhanden
ist (das später weiter zu erläutern sein wird) und da der Zusammstoß überhaupt
fehlt.
Auch für die Anlage des Grundrisses gibt die jonische Ordnung einen Hinweis.
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene. 1^2
Die Ante springt nämlich fast in ihrer ganzen Tiefe vor die Flucht der Halbsäulen vor,
die ja durch die erhaltenen Wandreste gegeben ist. Es muß aber unmittelbar neben
der Ante ein Halbsäulchen gestanden haben, da sonst das Wandgebälk gerade in der
Ecke ohne Auflager erschiene. Eigentlich kein Halbsäulchen, sondern nur ein
gut gemessenes Viertelsäulchen nach Analogie der beiden Ecken an der Nordseite,
die aus zwei ebensolchen Viertelsäulchen bestanden haben, wie die oben aufge-
zählten Ecksteine zeigen. Ein vollständiges Halbsäulchen neben die Ante zu setzen,
verbietet sich nicht allein durch die Abweichung von der anderen Ecklösung, sondern
auch durch den schlechteren Anschnitt an das Antenkapitell; es hätte das auch
zur Folge, daß eine merkliche Abweichung der Stützweite auf den Querwänden
gegenüber der Nordwand herauskäme. Diese Stützweite ist gegeben einmal durch
den in situ befindlichen Pfeilerfuß und sicherer noch durch die Vereinigung von
einem Pfeiler- und einem Säulenkapitell auf demselben Block; das Maß von Achse
zu Achse beträgt 1,35 m. Dieses Maß geht in den Querwänden annähernd genau
5mal auf 5 X 1,30 m unter Voraussetzung der oben beschriebenen Ecklösungen.
Auf der Nordwand geht es von der Ecke bis zu dem Pfeilerfuß in situ zweimal auf;
ergänzt man symmetrisch, so bleibt in der Mitte ein Raum für genau 3 Achsen.
Das ist auffällig und veranlaßt zu fragen, ob nicht die bisher dort angenommene
Bogennische einem Irrtum ihr Dasein verdankt.
Die Wand ist an dieser Stelle stark zerstört, nur rückwärtige Steine sind vor-
handen, die Nordostecke ist noch stärker abgeräumt; aus dem Fehlen des Mauer-
werkes kann also auf eine Nische noch nicht geschlossen werden. Lassen wir sie
aber zunächst bestehen und sehen wir zu, wie sich dann die vorhandenen Werk-
stücke einordnen. Wir können uns dabei auf die Betrachtung der Säulenfüße be-
schränken, weil weder Kapitelle noch Schäfte eine größere Anzahl von Stützen
belegen als jene.
Auf der Nordseite sind dann zwischen den Ecken vier Stützen unterzubringen,
und zwar zwischen der erhaltenen rechteckigen Stütze und Ecke eine halbrunde
Säule, wie der obengenannte Stein mit beiden Kapitellen zeigt. Damit sind zwei
rechteckige Pilaster verbraucht, zwei weitere waren mindestens vorhanden. Auf
den Querwänden sind je vier Plätze zu vergeben. Eine regelmäßige Verteilung
kommt dann nur zustande, wenn auf jeder Seite 2 rechteckige Pfeiler stehen; also
müßten noch zwei aus Gründen der Symmetrie ergänzt werden. Dann bleiben
noch je zwei Plätze für Halbsäulen, mit der Nordwand also sechs, sieben aber sind
vorhanden. Die sind aber nur unterzubringen, wenn keine Nische da ist !
Wir wollen gleich hinzufügen, daß auch die vorhandenen Gesimsstückc das
Vorhandensein einer solchen ausschließen, was später noch auszuführen sein wird.
Hier ist zunächst die wirkliche Anordnung der Pfeiler und Säulen zu bestimmen.
An Stelle der Nische sind drei Stützenjoche anzunehmen, also zwei Stützen
mehr. Im ganzen 6 an der Nordseite und je 4 an den anderen zwischen den Ecken,
im ganzen 14. Die vorhandenen Steine können rechnerisch auf zweierlei Weise
untergebracht werden. Erstens auf jeder Seite je zwei rechteckige Pfeiler, dann
bleiben für die Säulen 8 Plätze, was ginge, da nur 7 Säulen vorhanden sind. Oder
144
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene.
die vier vorhandenen Pfeiler standen alle auf der Nordseite, und der Rest bleibt
für die Säulen. Ich möchte mich für diesen Weg entscheiden (Beilage III u.
Abb. 5), weil er die einfachere Lösung ergibt, die zudem eine Analogie an einem
nahestehenden Bau vorfindet, am Marktgiebel von Magnesia, wo gleichfalls eine
Reihung rechteckiger Pilaster koordiniert mit den Säulen der Hallen auftritt.
In den kleinen Jochen hat die überlebensgroße Gewandfigur, deren Trümmer im
Saale lagen, nun keinen Platz mehr. Wir haben ihr einen Platz im Peristyl be-
reits angewiesen.
Von dem Zahnschnittgebälk der Wandarchitektur — das Eckstück einge-
schlossen — sind über ij^ji. m noch vorhanden. Scheidet man, wie notwendig, die
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Abb. 5. Grundriß des Ephebensaales in Höhe der Wandpfeilcr. Wiederherstellung.
Außenwand mit der jonischen Ordnung aus, so braucht man unter Annahme der
Bogennische etwa 18 laufende Meter Gesims beim Zahnschnitt gemessen, also noch
etwas mehr als vorhanden sind. Da aber von den Ecken der Nordwand nur ein
auf Gehrung geschnittenes Stück vorhanden ist, also drei zu ergänzen sind, da ferner
die Eckstücke für die Nische selbst fehlen, so muß man bereits mit einer erheblich
größeren Länge rechnen, als die Nische zulassen würde, auch wenn man für den
Anschluß an die Südwand keine besonderen Steine erwartet. Hier kann tatsächlich
eine gewöhnliche Fuge an den Architrav der jonischen Ordnung anschließen, der
an der fraglichen Stelle geglättet sein müßte; das ist sehr wohl möglich, da die
Anten so weit vor die Wandarchitektur vorspringen. Wenn nun aber die Nische
auch nicht dagewesen ist, so bliebe immer noch ein auf das Gesims aufgesetzter
Bogen denkbar, wenn im Ephebensaal wirklich die Steine eines solchen Bogens
gefunden worden wären. Es sind aber gar keine vorhanden!
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasien von Priene.
145
Abb. 6. Einzelheiten des Wandschmuckes im Ephebensaal.
Hier scheint nun ein merkwürdiger Irrtum vorgekommen zu sein, den ich
mir folgendermaßen erklären möchte.
Die Quaderstreifen der Wand sind, soweit sie aus Breccia bestehen und nach-
träglich überstuckt werden mußten, mit weit geringerer Sorgfalt gearbeitet als die
marmornen Werkstücke. Zu dieser rohen Ausführung gehört auch, daß die Stoß-
146
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasion von Priene.
[•<ftMc|«/i^ ' —
Abb. 7. Einzelheiten der Architektur.
I. Gesims des Hauptgebäudes, la Zahnschnitt, i b Fries. — 2. Geison und Zahnschnitt vom Propylon. —
3. Profil von der RUckwaod des Propylons (entspricht dem Zahnschnitt). 4. Oberglieder des Peristyl-
Gebälkes. — 5. Säulenhalle des Stadions, 5 a Säulenkapitell, 5 b Antenkapitell. — 6. Sockelgesims des
Ephebensaales. — 7. Wasserspeier des Waschsaales. — 8. Basis der Säule. — 9. Basis der Ante.
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasion von Priene. I47
fugen nicht immer senkrecht sind. Namentlich im Gesims sind Schrägfugen häufiger
während die Pilasterstücke der anderen Quadern mehr zur Einhaltung senkrechter
Fugen anleiten. Im ganzen entspricht das Bild durchaus anderen ähnlichen roheren
Quadermauern, wie Stadtmauern, Sockel- und Böschungsmauern. Die schrägen
Fugen haben nun bewirkt, daß einzelne Gesimsstücke, die schief geschnitten sind,
wie Keilsteine aussehen, andere es auch wirklich sind; das täuscht zunächst sehr
leicht.
Indessen sind von solchen Steinen doch nur wenige da — es kann sich ja nur
um die Binder handeln — und dann weist den Betrachter auch das Fehlen jeder
Krümmung schließlich zurecht.
Der Bogen ist also zu tilgen. Der Ephebensaal braucht nicht mehr besonders
hoch gedacht zu werden, jedenfalls ist gar kein Anlaß mehr, verschiedene Gesims-
höhen für verschiedene Strecken des nördlichen Gebäudes anzunehmen.
Das zeigen eigentlich die in Frage kommenden beiden Gesimsarten (Abb. 7)
— beide Zahnschnittgesimse — schon selbst, die in der bisherigen Rekonstruktion
beide für jenes Gebäude benutzt sind. Alle Blöcke der einfacheren Sorte befinden
sich in Sturzlage beim Propylon an der Westseite (sie sind im Zusammenhang damit
bereits behandelt worden). Da auch sonst viele Steine vom Propylon erhalten sind,
braucht ihr zahlreiches Vorhandensein nicht so sehr aufzufallen.
Von der anderen reicheren Gesimsart, die vor dem Hauptgebäude gefunden
wurde und sicher zu ihm gehört, sind im ganzen 9 Stück vorhanden (nicht 8). Zwei
davon sind Eckstücke. Diese beiden Stücke zeigen, daß an eine ausgebildete Front-
seite eine rohe Seitenwand stößt. Sie sind Gegenstücke und passen gut an die
beiden Frontenden eines Gebäudes, das an eine Felswand angelehnt und von
Felsen und Bauwerken eingeschlossen ist, also am ehesten mit nur einer Schauseite
versehen und mit einem Pultdach gedeckt vorgestellt werden kann.
Die übrigen 7 Stücke sind alle als Läufer geschnitten; sie sind mit Versetz-
marken in jeder Fuge versehen, und zwar sowohl in der Richtung von links nach
rechts, also links B, rechts 1', dann links f, rechts A usw. wie in der umgekehrten
Weise. Sie haben — mit der Ausnahme eines einzigen kürzeren Steines — alle die
Länge von drei und einem halben Fuß und vertreten also, da ihre Numerierung
bis 9 geht und da dieses auch von der anderen Seite erreicht werden müßte, eine
Mindestlänge von 16,8 laufenden Metern, mit den Eckstücken von ca. 18 m. Natür-
lich ist nichts unwahrscheinlicher, als daß die Numerierung mit 6 zu Ende wäre.
Die Gesamtlänge des Nordgebäudes ist am Grundriß zu entnehmen und be-
trägt 49,30 m; in dieses Maß läßt sich, wie Beilage II zeigt, genau das Schema des
Steinschnittes eintragen. Es ist zu betonen, daß die vorhandenen Steine eine
lange Strecke und eine große Zahl von Punkten bestimmen. Dabei geht die Auf-
stellung des Schädel- und Rosettenschmuckes, den der Fries trägt, genau so mühe-
los auf wie der des Steinschnittes, und schließlich zeigt sich, daß jenes eben ge-
nannte kürzere Stück wenigstens mit einer Fuge genau in das Schema fällt, wahr-
scheinlich also durch ein größeres Nachbarstück die Ordnung wiederherzustellen
ist. Wenn es auch fast immer möglich sein wird, eine längere Strecke durch eine
148
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasion von Priene.
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Abb. 8. Ordnung der Stadionhalle. MaOstab i : 25.
kurze Einheit bei kleinen Maßschwankungen restlos aufzuteilen, so kommen hi«
doch soviele Bedingungen zusammen, die erfüllt werden müssen, daß wir aus dei
Aufgehen des Exempels eine Bestätigung für das durchlaufende Hauptgesims en
nehmen dürfen.
Die Steine bestehen wie schon gesagt aus Bukranienfries und Zahnschnit
nebst zugehörigen kleineren Profilgliedern. Balkenlöcher auf der Rückseite gebe
die Lage der Decke an. Nach Beseitigung des Bogens im Ephebensaal hindei
uns nichts mehr, diese Decke unmittelbar oder wenigstens nahe über dem Gesin
der Wandarchitektur anzunehmen. Die erhaltenen Steine gehören indessen an die Ende
des Gebäudes, wie die Numerierung zeigt, also könnte die Frage noch offen bleibei
in welcher Höhe sie anzubringen seien.
Über ihnen sind noch Geisonplatte und Sima zu erwarten. Mehrere Block
in denen diese beiden Glieder vereinigt sind — die Sima ziemlich rundlich gi
Schwüngen — sind als zugehörig durch die Verdübelung bestimmt. Die Düb
F. Krischen, Das hellenistische Gymnasion von Priene.
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Abb. 9. Grundriß, Wiederherstellung.
treten im Oberlager der Friesblöcke und im Unterlager der Oberglieder überein-
stimmend immer zu zweien und hintereinander auf.
Eine Lücke im Zusammenhange des Aufbaues entsteht nun durch das Fehlen
ganz, vollständiger Architrave. Es ist eine abgespaltene Unterseite eines solchen
vorhanden, die in der Fuge ebensolche Dübellöcher wie die Oberglieder zeigt und
denen diejenigen der Ante genau entsprechen.
Jahibuch des archSologischen Instituts XXXVlll/lX 1933/24. ||
j CQ Georg Lippold, Zur griechischen Kttnstlergeschichte.
Soll man nun statt des fehlenden oberen Architravstückes gleich ein ganzes
Geschoß ergänzen und zwischen die erhaltenen Ober- und Unterglieder einschieben,
oder einfach nur das nehmen, was man hat ? Hierbei bekommt man ein einge-
schossiges Gebäude, dessen Höhe durch eine jonische Ordnung, den architektonischen
Schmuck des wichtigsten Raumes, bestimmt ist. Auch das Gesamtmaß, das sich
für das Gebälk herstellt, paßt gut zu der oben bestimmten Höhe der Säulen (13 Ellen) ;
es beträgt 3 Ellen, mithin die Gebäudehöhe 16 Ellen oder 24 Fuß. Beim Propylon
haben sich 21 Fuß ergeben; diese Abmessungen stehen also auch in klarem Ver-
hältnis zueinander — von 8 zu 7.
Die anschließende und wahrscheinlich gleichzeitige Halle des Stadions steht
gleichfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem eben geschilderten Bauwerk
(sie ist etwa 2 Ellen niedriger), s. Beilage H. Ihre Profile sind in Abb. 7 denen der
Gymnasionhalle zum Vergleich beigegeben. Gebälk und Kapitell zeigt Abb. 8,
zu beachten ist die Kannelierung des Säulenhalses (im Prienebuch vergessen); wir
fügen zum Material dieser Veröffentlichung auch das Antenkapitell und die Ge-
simsecke hinzu. Es ist bemerkenswert, daß die Architektur der Halle sich tot-
läuft auf einem glatten Mauerstreifen, der eben durch die Ante und die Gesimsecke
nachweisbar ist, Abb. 8. Diese Lösung wäre nicht erforderlich, wenn die Gebälke
der beiden aneinanderstoßenden Gebäude nicht in eine gefährliche Nähe vonein-
ander kämen; so wurde aber einem ungünstigen Verschnitt aus dem Wege gegangen.
Der geschichtlichen Einordnung der Baugruppe, wie sie das Prienebuch bietet,
habe ich nichts hinzuzufügen. Die Ergebnisse unserer Untersuchung sind in
Abbildung 9 und Beilage IV zu Seite 133 veranschaulicht.
Aachen. F. Krischen.
ZUR GRIECHISCHEN KÜNSTLERGESCHICHTE.
I. Panainos.
Wolters ') scheidet richtig Pleistainetos, den Bruder des Phidias, von Panainos,
seinem Bruderssohn. Da aber Pfuhl *) die beiden Künstler wieder zusammenwirft,
lohnt es sich, die Überlieferung nochmals zu befragen.
StrabonVIII 354 (Overbeck SQ 1094 [698]) [loUA Se aoveupafe tw 4)6t8t'a [beim
Zeus von Olympia] Havaivos 6 C<uTpa'»o? dSsX^tooü? «uv aüxou xal auvgpYoXaßo?, irpo? ttjv
TOÜ $oetvou 8ia täv }(p<u!JiaT(uv x6(j|xijaiv xal [xctXiara -zr^ isöfjTo?.
') Springer-Michaelis, Kunstgesch. 1" 250, "«264. =) Malerei und Zeichn. der Griechen 669.
Georg Lippold, Zur griechischen Künstlergeschichte. I 5 (
Pfuhl hat erkannt, daß Strabon hier aus urkundlicher Quelle schöpft : Panainos
wird mit dem technischen Ausdruck suvspYoXa'ßo? »als (haftbarer) Mitunter-
nehmer« bezeichnet. Also wird auch der Verwandtschaftsgrad richtig angegeben
sein; es ist ja auch undenkbar, daß aus dosXoi; dSeXtptSou; wird, während das
Umgekehrte leicht möglich ist und namentlich im Lateinischen, das kein Wort für
Neffe hat, leicht frater statt fratris filius eindringen konnte. In der Urkunde war
natürlich Panainos nicht Neffe des Phidias genannt, sondern so gut wie dieser als
Oeioia? Xapfii'Sou war er als Fldvaivo? o osiva angeführt. Den Vater mußte man
als Bruder des Phidias kennen.
Plutarch, De glor. Ath. 2 (Mor. 346. Overbeck 1109; 1645; 1704; 1795) führt zum
Beweise, daß die Kriegstaten der Athener erst den Stoff für die Meisterwerke der Künst-
ler gegeben haben, nach den Historikern auch die Maler an xai y''*P 'AiroXXoScupoc 6
Cü)"]fpa'®oj dvftpojitojv itpÄTo; sjsupwv tpSopäv xal d7t6)(p«uotv axiä; A&ijvaro? fjV 00 toi; Ipifoi?
sitiYEYpaTCrat "[iiufiTjaeTat xi; [iäXXov t) [nfiTjastai' xal Eutppävtop xal Ntxi«? xal 'AoTrXr/itioowpo?
xal nXstaTatvsTo; 6 $eioiot) doEXtsö?" ot jisv OTpotTr^Yoü; s-^pai^av vtxüivTai, 01 8s
[xa'j(ac, ot o£ ^ptoac Dazu werden als Beispiele angeführt zwei Werke des Euphra-
nor, der Theseus und das Reitertreffen bei Mantinea. Dies mag aus einer andern
Quelle beigebracht sein, ebenso die weiteren Notizen über Apollodoros. Dieser ist
vielleicht genannt wegen des Schol. Arist. Plut. 385 (Overbeck 1642) erwähnten Bildes
der Herakliden, welche die Athener um Hilfe anflehen — also %«)S?. Nikias ist, wie
0. Müller ') bemerkt hat, wegen der Demetr. ir. sp(i.T,veiac 76 (Ov. 1825) erwähnten
tTTTtofiaxiai und vaujiK/t'ai, natürlich athenischer Siege, angeführt. Von Asklepio-
doros kennen wir kein Bild, auf das angespielt sein könnte: er war ein Meister,
der zu seiner Zeit geschätzt, der späteren offenbar keine lebendige Größe mehr war:
ein Zeichen, daß hier kein triviales Wissen vorliegt. Zu den (j-cpaTTj^oi hat Müller
richtig verglichen die Nachricht des Plinius (35, 57), daß Panaenus frater Phidiae
im Bild der Schlacht von Marathon . . . iconicos duces gemalt habe. Man hat
daraus geschlossen, daß bei Plutarch Panainos in Pleistainetos verschrieben oder
versehen sei. Beides ist kaum denkbar. Wie soll der seltene, aber richtige
Name*) aus dem bekannteren durch ein Versehen entstanden sein.? Nein, die
gute Überlieferung bei Plutarch belehrt uns, daß der Bruder des Phidias, also der
Vater des Panainos, Pleistainetos geheißen hat. Er hat die attischen Feldherren,
den athenischen Sieg verherrlicht, Pleistainetos ist der Meister der Marathon-
schlacht in der Poikile. Daß er an mehreren Stellen (Paus. V 11, 6, Plin. 35, 57) mit
dem berühmteren Panainos verwechselt ist, kann nicht auffallen. In der populären
Tradition aber ist der Künstler als Meister der Marathonschlacht schon im IV.
Jahrhundert verdrängt worden durch Mikons). Sogar der Name des Polygnot
als des berühmtesten in der Poikile beschäftigten Künstlers dringt ein 4).
') Kunstarchäol. Werke 2, 5 A. 3. 3) Klein, J. d. I. XXXIII 1918, 20 ff.
') Bechtel, Die bist. Personennamen d. Griechen 4) Aelian nat. anim. VII 38. Von Klein a.a.O.
26 (= Dittenberger Syll .3 389,3 [282 v. Chr.]); mißverstanden.
vgl. a. Pleistainos, Kirchner Pros. Att. 11 863.
IC2 Georg Lippold, Zur griechischen KOnstlergeschichte.
Polygnot, Mikon, Pleistainetos haben wahrscheinlich ungefähr gleichzeitig die
Stoa des Peisianax ') ausgemalt *).
Der Ruhm des jüngeren Malers, desPanainos, knüpft sich an seine Zusammen-
arbeit mit Phidias in Olympia, seine Tätigkeit in Elis. Für diese hat Plinius gute
Nachrichten. Er berichtet 36, 177 von dem Wandbelag, dem tectorium, das Pa-
nainos im Athenatempel verwandte und nennt 35, 54 den wahren Meister des Kult-
bildes, Kolotes, während Pausanias VI 26, 3 den populären Namen des Phidias bietet.
Die Notiz bringt Plinius gelegentlich einer Polemik gegen die griechischen Kunst-
schriftsteller, welche • — im Gegensatz zur Plastik - — eine Malerei erst von 420 an
gelten ließen 'cum et Phidiam ipsum initio pictorem fuisse tradatur . . . prae-
terea in confesso sit octagesima tertia (448) fuisse fratrem eins Panaenum qui clipeum
intus pinxit Elide Minervae quam fecerat Colotes discipulus Phidiae et ei in facienda
love Olympio adiutor. Gegenüber der gewöhnlichen Annahme 3), Panainos sei nach
Phidias (vgl. Plin. 34, 49; 36, 15) datiert, habe ich gelegentlich (P-W s. v. Kolotes
Nr. 2 XI II 22, 60) darauf hingewiesen, daß eher für die Athena von Elis ein urkund-
liches Datum vorgelegen hat. Wonach soll Phidias auf 448 datiert sein.? Weder
der Beginn des Parthenon noch die keineswegs sicher 447 anzusetzende Lemnia
geben sichere Daten. Das naheliegende wäre doch Ol. 35, 438, das bekannte
Datum der Parthenos gewesen: Plinius sucht aber einen möglichst frühen Zeit-
ansatz, findet den 448 für Panainos und übernimmt ihn dann auch für den »Bruder«.
Dann wäre 448 die Tätigkeit des Kolotes und Panainos in Elis bezeugt. Beide
sind Mitarbeiter des Phidias am Zeus von Olympia. Also wäre auch dieser schon
um diese Zeit geschaffen worden .-' Also der Zeus vor der Parthenos.?
2. Das Ende des Phidias.
Zu all den vielen Erörterungen über den Prozeß des Phidias 4) nur ein paar
Worte; denn auch Frickenhaus und Rosenberg haben eine Entscheidung nicht
gegeben. Wir haben zwei einander ausschließende Berichte.
a) Plutarch Perikles 13:
. . . ili ih 8E3(»u>n^piov dira5(8st? iTeXeuTijas voar^aa; | d»s 8e «paoiv eviot, ^ ap[i.<xxot;,
ItA Siaßo).^ Toü flsptxXeou; twv ly^&ptüv uapooxeuaoavxtov.
') Pfuhl, Malerei 637 schlieft (einer Vermutung die dann auch offiziell gebraucht wurde (I. G.
von Robert, Marathonschlacht 8 folgend), da 11 778 B 5 vgl. Busolt Gr. Gesch. III i, 364).
die Halle zunächst die peisianakteische, später ') Auf die Chronologie will ich hier nicht eingehen
nach den Gemälden die bunte geheißen habe, (vgl. Pfuhl 637); ich halte es durchaus für
müsse ein zur Einbürgerung des ersten Namens möglich, daß die Schlacht von Oinoe (456) später
ausreichender Zwischenraum zwischen Erbauung den »kimonischen« Bildern, die man doch am
und Bemalung gelegen haben; natürlich ein Trug- liebsten vor 461 setzen möchte, hinzugefügt
Schluß: die Halle kann sofort nach der Erbauung worden ist.
ausgemalt sein und doch den Namen des Peisianax 3) So Frickenhaus J. d. I. XXVIII 1913,349 Anra. 2.
weitergeführt haben, bis dieser verblaßt war 4) Scholl, Sitz. -Her. bayr. Ak. 1888, i ff. — Fricken-
und eine populärere Bezeichnung durchdrang, haus a. a. 0. 342 ff. Rosenberg, Neue Jahrb. 35,
1915, 205 fl. Schrader, Phidias 25 ff.
Georg Lippold, Zur griechischen KttnstieTgeschicbte. je«
b) Philochoros (Schol. Arist. Pax. 605) zum J. 438:
.... expi&ij xal (pu^tov 8t; ^HXtv Ip^oXaßfjaai t6 aYaXfia toü Aiö; tou iv 'OXu|i.itta
XsYStai, "CiUTO 5s djepfaaa'jievo? äico&avsrv uito 'HXet'wv.
Frickenhaus klärt den Widerspruch sehr einfach auf: Plutarch hat sich ver-
sehen; aber eine solche Auskunft ist ein Gewaltmittel, das man nie ohne zwingenden
Grund anwenden soll. Vergleichen wir die Nachrichten unbefangen.
Bei Plutarch eine einfache, vollkommen logische Entwicklung: Phidias wird
verurteilt, natürlich mindestens zum Ersatz des Veruntreuten, kann nicht zahlen,
wird im Gefängnis gehalten, wo er stirbt.
Bei Philochoros Verurteilung zur Verbannung (oder Flucht), Übernahme des
Zeus in Olympia, Tod durch die Elier. Ob Philochoros selbst hierfür neuen Ver-
dacht der Veruntreuung angegeben hat, wie ihn die Schollen und Rhetoren voraus-
setzen, ist zweifelhaft. Gedacht muß er daran haben. Diese elische Geschichte ist
nun doch eine deutliche Parallele zum athenischen Prozeß, also unwahrscheinlich.
Nun, das Unwahrscheinliche könnte gerade das Wahre sein.
Aber wie ist dann die plutarchische Version entstanden.? Frickenhaus muß
nicht nur die Beziehung der Todesnachricht auf Athen als Irrtum des Plutarch hin-
stellen, sondern auch der Ausgestaltung der Nachricht einen andern Sinn unter-
schieben. Zugeben muß er, daß Plutarch in seinen Quellen schon mehr fand, als
Philochoros gab, nämlich Vermutungen über die Todesursache. Das otTrodavstv
ÜTto 'HXs('u)v habe man umgedeutet als Tod durch Krankheit oder Gift. Aber konnte
man auf den Gedanken kommen, die Elier hätten Phidias vergiftet .-" Das war doch
keine legale Strafe für Veruntreuung. In Athen dagegen konnte man die Vergiftung
als Intrigue gegen Perikles erfinden. Wer also diese Version — daß sie nicht der
Wahrheit entspricht, wollen wir gern glauben — aufstellte, mußte den Tod des
Phidias in Athen annehmen. Natürlich stammt auch die Begründung der Ver-
giftung nicht von Plutarch, sondern von dem, der die Vergiftung erfunden hat:
für diesen war der Tod in Athen überliefert. Das ist also kein Versehen des Plutarch,
sondern eine Tradition, die der vom Tod in Elis ernsthaft gegenübersteht.
Kann sie aus dieser umgebildet sein? Wenn der Tod in Elis überliefert war,
wer hatte ein Interesse, das Ende nach Athen zu verlegen, die Elier vom Odium
der Schuld am Tode des größten Bildhauers zu befreien.?
Diese Frage führt von selbst auf die Lösung. Eine elierfreundliche, athener-
feindliche Tendenz wird man bei keinem für die Tradition maßgebenden Autor
annehmen wollen. Aber umgekehrt: bestand die Überlieferung vom Tode des
Phidias in Athen, so hatten die Athener das größte Interesse, das Odium abzuwälzen.
Athen hatte viel Einfluß auf die Tradition. Vor allem aber war Philochoros Athener,
er, der den Tod uui 'HXetmv erzählt hat. Als tendenziöse patriotische Entstellung
ist die Nachricht wohl zu begreifen. Aber bei Philochoros.'' »Daß Phidias in Elis
noch einmal . . . bezichtigt wurde und durch die Eleer starb, müssen wir auf die
Autorität des Philochoros hin einfach als Überlieferung hinnehmen.« (Frickenhaus
ICA Georg Lippold, Zur griechischen Kfinstlergeschichte.
344). Warum? Daß Philochoros, wo es sich um Erklärungen von Einrich-
tungen, Bräuchen usw. handelt, mit Autoschediasmen schnell bei der Hand ist, ist
anerkannt. Hat er es mit der historischen Wahrheit genauer genommen? Seine
Angaben historischer Art, wie wir sie namentlich aus des Didymos Demosthenes-
kommentar kennen, machen in ihrer knappen Sachlichkeit ja einen vorzüglichen
Eindruck. Aber von Tendenz sind sie doch nicht frei. So findet sich bei Didymos
über den Streit mit Megara um die 'Opfot? [Did. 13, 46 ff.] von Philochoros eine
tendenziös athenische, von Androtion eine megarerfreundliche Version angeführt').
Noch bezeichnender aber ist fr. iio (Schol. Aristoph. Lysistr. 1094). Hier wird
der Hermokopidenfrevel gegen Thukydides und alle andern Zeugen den Korinthern
zugeschoben. Leider ist die Stelle nicht im Wortlaut erhalten, aber die Tendenz
ist ganz offenbar, die Athener von diesem Sakrileg zu reinigen. Es sind Fragen
gerade der Religion und Pietät, die dem Seher Philochoros besonders am Herzen lagen
und wo er besonders Interesse hatte, die Athener reinzuwaschen. Der Tod des
Phidias im Gefängnis mußte als ganz krasser Fall des Undanks gelten.
Wir erkennen also in der Nachricht, daß Phidias in Athen gestorben ist, die
ältere, bessere Tradition, wenn wir auch ihre erste Quelle — eine Urkunde konnte
dafür nicht gut vorhanden sein ■ — nicht kennen. Natürlich hat Philochoros seine
Version, für die er durch Xs-^siai die Verantwortung nicht voll übernimmt, nur
ganz kurz gegeben uit6 'H).siu)v: der Leser konnte es sich dann selbst ausmalen —
und hat es auch getan ■ — , wie Phidias umgekommen war.
Wer dem Philochoros die Flucht nach Elis glaubt, muß auch die Tötung
durch die Elier glauben. Dann ist aber die Existenz der olympischen Phaidynten
aus dem Geschlecht des Phidias nicht ein Argument für = ), sondern gegen die Version
vom Tod in Elis. Wenn Phidias in Athen in Schande umkam, war es natürlich,
daß die Familie auswanderte, daß sie von den Eliern, die im Anfang des peloponne-
sischen Krieges athenerfeindlich waren, aufgenommen und ostentativ geehrt wurde.
Etwas anderes wäre es schon gewesen, wenn sie einem Künstler, der wegen Verun-
treuung bei einem Goldelfenbeinwerk verurteilt war, gleich wieder ein solches über-
tragen hätten.
Der Künstler hätte auch kaum Veranlassung gehabt — wenn es auch nicht
undenkbar ist — sich in der Inschrift des Zeus stolz als Athener zu bekennen: er
hätte ja wohl das elische Bürgerrecht bekommen und sich dann Elier genannt. Und
wäre er in Elis von neuem verurteilt und getötet worden, so wären seine Nachkommen
gewiß nicht dort geblieben, hätten die Elier sie sicher nicht mit der Pflege des Zeus-
bildes beauftragt.
Auch wenn man den Prozeß nicht mehr — was möglich bleibt — bis 432 hin-
unterrücken will, einige Jahre wird es gedauert haben, bis er eingeleitet und die
Verhandlungen beendet waren 3). Dann bleibt aber für den Zeus zu wenig Zeit
') Vgl. Keil ed. min. p. 56. daß die Anklage wegen Veruntreuung nicht auf
-) Wie zuletzt Wolters, Springer-Michaelis" 264 be- Grund der Rechnungsprüfung erfolgte, sondern
hauptet. Richtiger Schrader 29. auf der Selbstbezichtigung eines Gehilfen, die
3) G. Körte, J.d. I. XXXI 1916, 281 bemerkt richtig, erst später erfolgt ist, beruhte.
Georg Lippold, Zur griechischen KUnstlergeschichte. j c c
Übrig. Denn 436 war er anscheinend schon nahezu vollendet, wofür die Pantarkes-
geschichte zeugt: 436 siegte Pantarkes von Elis im Knabenringkampf in Olympia.
riavTapxYj? xaXos stand auf einem Finger des Zeus.
Das sind die urkundlichen Nachrichten; alles andere, was daran geknüpft
ist, sind Kombinationen. Als das Wahrscheinlichste ergibt sich, daß eben 436,
als Pantarkes in Olympia gefeiert wurde, jemand den Namen am Zeus aufschrieb.
Der Finger war schon fertig, aber an der Statue wurde noch gearbeitet, sonst wäre
der Finger kaum zugänglich gewesen. Es mögen das Arbeiten gewesen sein, bei
denen Phidias selbst nichts mehr zu tun hatte; immerhin kann seine Tätigkeit nicht
allzulange vorher abgeschlossen gewesen sein. Kommen wir dann nicht in Konflikt
mit der Parthenos.'' Ich glaube, es hat keine Schwierigkeit anzunehmen, daß an
der Parthenos und am Zeus gleichzeitig gearbeitet wurde. Die Beschaffung der
Materialien, die architektonische Gestaltung der Plätze für die Statuen, die Aus-
führung und der Aufbau der Kolosse erforderte so viele Tätigkeit von Mitarbeitern
und Gehilfen, war so viel äußerlichen Unterbrechungen ausgesetzt, daß Phidias
gar nicht die ganze Zeit für ein Werk in Anspruch genommen sein konnte. Er hatte
auf der Akropolis so gut sein ip-^cns-zrjpiov wie in Olympia. Und dort hatte
er Kolotes und Panainos als Mitarbeiter. Damit würde sich gut vereinigen lassen,
daß wie oben angenommen, schon um 448 der Zeus in Arbeit war. Aber sei dem
so oder nicht — nach 438 kann Phidias den Zeus nicht übernommen und vollendet
haben, denn nach der allein glaubwürdigen Tradition ist er in dem auf die Voll-
lendung der Athena folgenden Prozeß nicht allein verurteilt worden, er hat auch
in Athen im Gefängnis geendet.
3. Praxiteles und Phryne.
Die Chronologie des Praxiteles ist soeben von Pomtow ') wieder behandelt
worden. Seine Darlegungen sind jedoch in mehreren Punkten anfechtbar.
Zunächst wiederholt er die längst widerlegte Vermutung '), daß Praxiteles
der Bruder des älteren Kephisodot gewesen sei. Phokions erste Frau war die Schwester
des Kephisodot: wäre der des Praxiteles Bruder gewesen, so hätte man sie eben
als Schwester des Praxiteles bezeichnet. Es bleibt immer noch am wahrscheinlichsten,
daß Kephisodot der Vater des Praxiteles gewesen ist.
Dann weist Pomtow darauf hin, daß die delphische Statue der Phryne kaum
nach 372, wo der Tempelplatz mit Schutt und Gerüsten bedeckt war, keinesfalls
aber zur Zeit des heiligen Krieges 358 — 345 errichtet sein könne. Also kommt nur
die Zeit vor 372 oder nach 345 in Betracht. Pomtow entscheidet sich für ersteres.
372 wurde Thespiae, die Heimat der Phryne, zerstört und erst nach 338 wieder
aufgebaut. In Thespiae standen Eros, Phryne und Aphrodite von der Hand des
Praxiteles. Die Aufstellung von Statuen in der zerstörten Stadt sei gänzlich unwahr-
scheinlich. Also sei, da 338 entschieden zu spät sei für die thespische und damit für
■) J. d. I. XXXVII 1922, 109 f. ') Vgl. zuletzt P-W. s. v. Kephisodotos 8 (XI 232),
] eg Geoig Lippold, Zur griechischen Kttnstlergeschichte.
die delphische Phryne, nur das Datum vor 372 denkbar. Pomtow folgt hier Klein,
der aber Furtwänglers Ausführungen keineswegs widerlegt hat: Phryne stammt
aus Thespiae, hat aber ihr Leben in Athen verbracht. Sie ist also vor 372 geboren,
kann aber schon als kleines Kind mit ihrer Familie geflüchtet sein. Bei der Zer-
störung der Stadt blieben die Tempel wohl erhalten, waren jedenfalls für die zurück-
gebliebenen Bewohner nach wie vor Kultstätten. Von den Einwohnern hatte frei-
lich in dieser Zeit niemand Mittel, eine Statue zu weihen, aber vertriebenen Thes-
piern war es doch wohl nicht verwehrt, den heimischen Göttern Geschenke zu machen.
Gerade solche, die auswärts wieder Vermögen erworben hatten, werden sich des
Elendes ihrer Vaterstadt erinnert haben.
Ferner meint Pomtow mit Klein, daß die Phrynebilder aus dem »Liebes-
frühling« des Künstlers und der Hetäre herrühren müßten. Was wissen wir denn
von diesem Liebesfrühling? Alles was in unserer »Überlieferung« darüber vorkommt,
wird ja niemand ernst nehmen. Aber was gibt es überhaupt von glaubwürdigen
Zeugnissen.'' Das Epigramm des thespischen Eros, in dem Praxiteles seine Liebe
bekennt, ist, wie Benndorf ') nachgewiesen hat, wenn überhaupt, erst später auf die
Basis geschrieben worden. Zu seiner Datierung haben wir keinen festen Anhalt. Von
den Nachahmungen ist keine vor die Kaiserzeit datiert ').
Als weitere Ausmalung erscheint schon die Nachricht (Athen. XIII 591 B),
Praxiteles habe Phryne zwischen dem Eros und dem Satyr der Tripodenstraße wählen
lassen, während doch gewiß der Eros für seinen alten Kultort Thespiae, der Satyr
für ein dionysisches Weihgeschenk von vornherein bestimmt war: es sollte eben die
Wahl zwischen zwei der berühmtesten Werke die Liebe des Praxiteles veranschau-
lichen; man dachte sich, er habe solche Werke ohne Auftrag gemacht, lange in seinem
Atelier herumstehen gehabt. Bei Pausanias I 20, i lesen wir dann die Anekdote von
der List, mit der Phryne entdeckt, daß der Künstler Eros und Satyr für seine besten
Werke hält. Das sind alles Geschichten von sehr zweifelhafter Glaubwürdigkeit.
Aber selbst der Grund, auf dem sie basieren, die Weihung des thespischen
Eros durch Phryne, ist sehr unsicher. Denn ein sonst gut unterrichteter Zeuge, Stra-
bon (IX 410), nennt als Weihende gar nicht Phryne, sondern Glykera. Allerdings
ist eine Hetäre Glykera sonst mit einem andern Künstler, mit Pausias verbunden.
Aber der Name ist überhaupt bei Hetären verbreitet 3), sodaß kein Grund vorliegt,
bei Strabon eine Verwechslung anzunehmen. Im Gegenteil, der Name der Phryne
ist einer von den ganz großen, welche die andern verdrängen. Praxiteles hatte die
Phryne von Thespiae gemacht, eine Hetäre aus Thespiae den Eros daneben geweiht —
natürlich meinte man, wieder die Phryne.
Wie dieses, muß ein anderes Zeugnis für den »Liebesfrühling« ausscheiden.
Phryne war das Modell für die knidische Aphrodite nach einer Notiz bei Athen. XIII
591, die der Nachricht über den thespischen Eros vorangeht und angereiht ist an die
') De anthol. Gr. epigr. 25. Die langatmigen Aus- =) Vgl. Reitzenstein, Hermes 29, 238 4).
führungen von Klein, Praxiteles 219 ff. sind 3) Pauly-Wissowa Suppl. III 791, Nr. 3 u. 4.
keine Widerlegung.
Georg Lippold, Zur griechischen KUnstlergeschichte. i 57
Tradition, Phryne sei das Modell der kölschen Aphrodite des Apelles gewesen. Darüber
wußte man aber auch nichts sicheres, denn eine andere Quelle (Plin. 35,86) nennt als
Vorbild für die Koerin Pankaspe — auf die man auch wieder nur kam, weil Pan-
kaspe mit Apelles in einer Anekdote verbunden war (Plin. 35, 86). Aber die Glaub-
würdigkeit der Verbindung von Phryne mit der Knidierin wird man nicht höher
einschätzen wollen.
Auch hier hat wieder der große mit Praxiteles verknüpfte Name gewirkt, er
hat wieder einen andern verdrängt: Clemens Protrept. 53 nennt nach Poseidippos
rspt Kvi'Sou, also einem Lokalschriftsteller, als Modell die Hetäre Kpaxivr). Der
Name, wenn auch sonst anscheinend nicht bezeugt, bietet keinen Anstoß.
Als glaubwürdig bleibt nur übrig, daß Praxiteles die beiden Phrynestatuen
geschaffen hat. Irgendwelche »zarte« Beziehungen brauchen zwischen Hetäre und
Künstler nicht bestanden zu haben, wenn auch ihr Verkehr nicht rein platonisch gewesen
sein wird. Praxiteles hatte aber als Familienvater keine Veranlassung, davon viel
Aufhebens zu machen. Phryne kann schon über die erste, sogar über alle Blüte hinaus-
gewesen sein, als sie aus den Schätzen, die sie durch ihre Schönheit erworben hatte,
dem Liebesgott ihrer Vaterstadt ein Dankgeschenk darbrachte und gleichzeitig —
der besondere Vorwand ist unbekannt — im religiösen Mittelpunkt von Hellas ihre
Statue weihte. Natürlich zeigten die Statuen, wie sie in ihrer Blüte ausgesehen hatte;
ob sie aber von der Schönheit mehr enthüllte, als »anständige« Frauen, die ihre Sta-
tuen in Heiligtümern aufstellen ließen, darf bezweifelt werden ').
So kommt für beide Statuen sehr wohl die Zeit von 345 — 338 in Betracht.
Auch Pomtow hat wenigstens gegen die Weihung der delphischen Statue in dieser
Zeit keinen weiteren Grund vorgebracht. Ein solcher ist nicht, daß dann die Phryne
des Praxiteles, die den Namen ursprünglich trug zeitlich an die eigentlich Mne-
sarete genannte Phryne des Hypereides zu nahe herankäme. »Kröte« ist ein Name,
der für Hetären öfter vorgekommen sein wird ^), sich nicht etwa als Monopol von
»Lehrerin« auf »Schülerin« vererbt hat. Zudem nehmen wir ja auch an, daß die
') Die Statue von Ostia, die Pomtow nach Furt- stellt doch auch der weibliche Kopf eine lite-
wängler auf die delphische Phryne zurückführt, rarische Größe dar.
kann nicht Kopie nach Praxiteles sein, da nicht 2) (Pp'ivn) als Spitzname Arist. Eccl. Iioi. Auch
die Ausführung, sondern die ganze Anlage des die <I>p6vr), die zusammen mit andern schon
Gewandes über praxitelische Art hinausgeht. vor der Perserzerstörung ein Weihgeschenk an
Bei Poratows Datierung vor 372 wäre der sti- die Athena der Akropolis aufgestellt hat (I. G.
listische Abstand noch stärker. Pomtow hätte I Suppl. p. 80, 373 5, vgl. Bechtel, Personennamen
bei dieser Gelegenheit auch die Vermutung von 591) ist verdächtig, weil neben ihr i)(Aix[pa]
Poulsen (Mon. Piot XXI 3 ff.) erwähnen müssen, erscheint, die wir ja als Hetäre der vorpersischen
daß in einer Doppelherme in Compiegne die Zeit kennen (Furtw.-Reinh. T. 63, Klein, Lieb-
Porträts von Phryne und Hypereides (weitere lingsinstr. 76). Daß «Ppävo; gerade in Thespiac
Wiederholung: Poulsen Danske Vid. Selsk. Medd. (Bechtel 587, Verlustliste wohl von Delion 424) als
IV I, 4ff. ; die Zweifel von Poulsen, ob Benn- regulärer Name vorkommt, beweist nichts, da
dorfs »Piaton« Ost. Jhr. II Taf. IV Replik sei, der Mannsname auch z. B. in Attika öfter belegt
sind ganz unbegründet) vereinigt seien, wenn auch ist (Kirchner, Pros. att. 15025 — 28). Also hat
hier der Beweis nicht zwingend ist. Vielleicht doch vielleicht auch Phryne bei der Geburt
einen weniger anzüglichen Namen erhalten; denn ehelicher Abkunft ist sie gewesen.
I e8 Friedrich Wacbtsmuth, Die Baugeschichte von Sendscbirli (Samal).
Phryne des Praxiteles schon ihre Zeit hinter sich hatte, als die jüngere blühte — ■ aber
es ist hier nicht beabsichtigt, aus dem Anekdotengewirre über die Hetären mehr
herausholen zu wollen.
Für Praxiteles bleibt es dabei, daß wir kein Zeugnis haben, daß er schon zur
Zeit, in die Plinius den älteren Kephisodot setzt (372), tätig gewesen sei, andererseits
muß er bis unmittelbar vor Alexanders Regierung gelebt haben.
Erlangen. • Georg Lippold.
DIE BAUGESCHICHTE VON SENDSCHIRLI (SAMAL).
Die Baugeschichte von Sendschirli, wie sie Robert Koldewey in seinen
Ausgrabungsberichten ') zusammengestellt hat, ist von der Wissenschaft mehr oder
weniger stillschweigend anerkannt worden, wenn auch hie und da einzelne Bedenken
aufgetreten sind. Erst im Jahre 1921 ist F. Oelmann mit seinem Aufsatz »Zur
Baugeschichte von Sendschirli« 2) der Koldeweyschen Auffassung entgegengetreten
und hat eine beachtenswerte Umdatierung der Entstehungszeit der Bauten vor-
genommen.
Ich meinerseits kann mich keiner des gebotenen Darstellungen bedingungslos an-
schließen. Daß Koldewey mit seiner Datierung m. E. nicht das Richtige getroffen
hat, ist hauptsächlich der damals noch unvollendeten Grabung zuzuschreiben. Oel-
manns Fehlschluß hängt wiederum damit zusammen, daß er die technisch-kon-
struktiven Grabungsbefunde zu sehr in den Hintergrund rückt, ja sie sogar oft
ganz außer acht läßt. Trotzdem die Unterlagen für die Koldeweysche Zeitangabe
in den Grabungsberichten und im Oelmannschen Aufsatz zu finden sind, sollen sie
von mir der besseren Übersicht wegen hier nochmals wiedergegeben werden; an-
schließend setze ich dann die Auffassung Oelmanns entgegen.
Koldewey faßt nach der Ausführungsart des Mauerwerks sämtliche Gebäude
Sendschirlis zu bestimmten Gruppen zusammen und erreicht dadurch eine relative
Zeitbestimmung. Nach seinen Beobachtungen unterscheiden wir:
1. Gebäude, welche einen großen Balkenrost mit zwischengelegten Stein-
schichten verwenden. Es gehören zu ihnen die innere Stadtmauer, die
innere und äußere Burgmauer, die Quermauer, die Vormauer vor dem alten
Hilani I und wahrscheinlich das Hilani I, dessen Rostschicht allerdings
nicht festzustellen war;
2. Gebäude mit einem Balkenrost, jedoch ohne Steinreihen dazwischen; fest-
stellbar am Hilani HI, am nördlichen Hallenbau und wahrscheinlich am
Hilani 11;
') R. Koldewey, Ausgrabungen in Sendschirli II, ') F. Oelmann, Zur Baugeschichte von Sendschirli,
Berlin 1898. Mitt. aus d. oriental. Samml. J. d. I. XXXVI 192:, 85 ff.
Heft XII 172 ff.
Friedrich Wachtsmuth, Die Bau^eschichte von Sendscbirli (Samal). icg
3. Gebäude, welche keinen wahrnehmbaren oder vielleicht nur einen ein-
fachen Bretterrost gehabt haben. Zu dieser Gruppe wären die Kasematten,
der obere Palast, mit den Gebäuden nördlich davon, und wahrscheinlich
die äußere Stadtmauer zu zählen.
Die I. Gruppe setzt Koldewey in das 13. Jahrhundert v. Chr. Über die Un
Sicherheit seiner Schätzung ist er sich voll und ganz bewußt; er gibt sogar die Mög
lichkeit zu, daß Puchstein mit dem Heraufrücken der Entstehungszeit in das 10
und 9. Jahrhundert unter Umständen recht hat. Puchstein fußt mit seiner Zeit
ansetzung auf der Eigenart der Ausführung und Darstellung der Burgtorreliefs ')
Eine sichere Datierung konnte Koldewey für die Gruppe 2 geben, und zwar durch
die Auffindung des Orthostaten mit der Bauinschrift Barrekubs, der sich »Knecht
desTiglatpileser« nennt=). Es handelt sich in diesem Falle um Tiglatpileser IV. (III. )3)
(746 — 12"/), der den König von Samal in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt und
tributpflichtig macht 4). Die Zeitbestimmung der 3. Gebäudegruppe beruhte auf
einer kritischen Beobachtung des Grabungsbefundes. Mit scharfem Blick hat Kolde-
wey in den zahlreich auftretenden Brandspuren eine absichtliche Brandlegung fest-
gestellt. Er bringt sie mit der Eroberung und Vernichtung Sendschirlis durch
Asarhaddon, König von Assyrien (681 — 668), zusammen. Die Stadt ist dann an-
schließend von ihm selbst wieder aufgerichtet worden, was durch die im äußeren
Burgtor aufgefundene Stele bezeugt wird. In diese Zeit sind die Bauten zu setzen,
die Koldewey in der 3- Gruppe genannt hat. Für die relative Zeitbestimmung, die
der soeben besprochenen vorausgeschickt wurde, waren Feststellungen technischer
Art maßgebend.
Die nun folgende Oelmannsche Datierung gebe ich nur in kurzen Andeutungen
wieder, da ich im Laufe des Textes des öfteren darauf werde zurückkommen müssen.
Die Baugeschichte lautet nach seinen Ausführungen folgendermaßen:
Doppelhaus J4— 14, die Gebäudegruppe ^-6 und
vielleicht Li_3 an der Burgmauer, die Burgmauer
(älteste Teile) und äußeres Burgtor.
Mitte oder l. Hälfte des
9. Jahrhunderts v. Chr.
_ , , T. , r^ ] 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts
Bau J.-3 und Torbau Q. j (^alamu-Zeit).
Vielleicht inneres Burgtor und Hilani I, sonst keine \ Um 800 (Zeit des Karal und
Bauten. | des älteren Panammu).
Hilani III, Palasthof davor in älterer Gestalt (Typus ] Zeit des Bar Sur und des
Saktsche-Gözü). ) jüngeren Panammu.
')Otto Puchstein, Pseudohethitische Kunst, Berlin Berlin 191 1, 377 ff.; F. Oelmann a.a.O. 94;
1890. Teilübersetzung.
=) Veröffentlichung der Bauinschrift :E. Sachau, Sitz.- 3) E. F. Weidner, Neue Königslistcn aus Assur,
Ber. d. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. Berlin Mitteil. d. D. O. G. Berlin 1917, Heft 58, 21.
1896, 1051 ff.; Koldewey, a. a. O. 168; 4) Keilinschriftliche Bibliothek, Berlin 1890, Bd. II
F. V. Luschan, Ausgrabungen in Sendschirli IV, 20/21 ff. und 30/31.
l60 Friedrich Wachtsmuth, Die Baugesdiicbte von Sendschirli (Samal).
Gebäude K und Hilani IV '), die Hallen-
bauten P.
Um 730 ; vielleicht bis Ende
des 8. Jahrhunderts (Zeit des
Barrekub).
Unter Asarhaddon i. J. 670.
Großer Brand durch assyrische Eroberung, an-
schließend Wiederaufbau, Hilani H und der obere
Palast, entweder gleichzeitig oder nacheinander.
Erneuerung der Burgmauer.
Bevor ich zu meinen Ausführungen schreite, muß ich betonen, daß ich mich
derselben Bezeichnungsweise der Bauten, wie Oelmann sie in seinem Aufsatz ge-
braucht hat ^), bedienen werde, und daß ich auf die Zeichnungen Jacobys in den
»Ausgrabungen in Sendschirli IV«, Berlin 1911, 269, Abb. 175 und Taf. IL, L,
LI und auf die Darstellung in Oelmanns Aufsatz a. a. O. 91, Abb. 6 hauptsächlich
Bezug nehmen werde.
Bei der zeitlichen Beurteilung der Entstehung der Bauten Sendschirlis haben
an erster Stelle die Grabungsfunde selbst zu sprechen. Ich schließe mich den obigen
Ausführungen Koldeweys in betreff der relativen Zeitbestimmung an, der auch
Oelmann nichts entgegenzusetzen hat. Es gehören demnach zu den ältesten Denk-
mälern Sendschirlis Gebäude, die einen Balkenrost mit dazwischengelegten Stein-
schichten verwenden. Gebäude, an denen ein Balkenrost ohne Steinschichten da-
zwischen vorkommen, kommen für eine spätere Zeit in Betracht. Der jüngsten
Bauepoche sind dagegen Bauten zuzuschreiben, die keinen wahrnehmbaren Rost
oder nur einen einfachen Bretterrost besessen haben. Nach dieser Feststellung
haben wir in jeder Gruppe die Gebäude herauszugreifen, die eine absolut feststehende
Datierung zulassen, um dann die Bauten, für deren -Entstehungszeit keine Zeit-
angabe vorhanden ist, auf Grund ihrer gleichartigen Konstruktionen in die gleiche
Zeitspanne zu setzen.
Mit Puchstein und Oelmann komme ich zu dem Schluß, daß die älteren Teile
der Burgmauer und das äußere Burgtor zu den ältesten Funden gehören und in die
I. Hälfte des 9. Jahrhunderts zu verlegen sind. Das innere Stadttor rückt Puch-
stein sogar in die Mitte des 10. Jahrhunderts. Alle diese Bauten besitzen einen
Balkenrost mit dazwischengelegten Schichten.
Die zweite Art der Mauerkonstruktion, d. h. die Verwendung des Balkenrostes
ohne Steinreihen dazwischen, gelangt von den letzten Jahrzehnten des 9. bis in das
8. Jahrhundert hinein zur Anwendung, was inschriftlich belegt werden kann.
Im Gebäude, das in den Ausgrabungsplänen von Sendschirli mit J bezeichnet
wird, konnten Bruchstücke eines Leibungsorthostaten gefunden werden, der die
nordwestliche Eingangsseite der Vorhalle geschmückt hatte. Die Zusammensetzung
der Einzelstücke ergab eine mit Relief geschmückte Inschriftplatte, die den Erbauer
') S. .\nin. 2. Hallenbau einführt, wird in meinen Ausführungen
^) An Stelle der Bezeichnung H IV, die Oelmann K II erscheinen. Die Begründung der Änderung
für den Gebäudekomplex i — 3 am nördlichen ist aus dem Text zu ersehen.
Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (§amal). i6l
des Bauwerkes zu erkennen gibt. Nach v. Luschan ') beginnt der Text: »Ich,
Kalamu, Sohn des Haj(ä), König usw. <•; v. Luschan weist nach, daß
Kalamus Vater, Hajä, König von Samal, Sohn des Gabbär, von Salmanassar III.
(II.) ^) besiegt und zur Tributieistung gezwungen wird. Da die Regierungszeit
Salmanassar III. in die Zeit von 859—824 fällt, so ist die Regierunsgzeit des Sohnes
seines Zeitgenossen in das Ende des 9. Jahrhunderts oder Anfang des 8. Jahrhunderts,
also um 800, zu setzen. Ich nehme nun im Gegensatz zu Oelmann an, daß die Ent-
stehung des gesamten Gebäudekomplexes Ji-14 der Zeit Kalamus zuzuschreiben
sei. Diese Behauptung fußt auf der Grabungsfestellung Jacobys, daß eine gleich-
artige Mauerkonstruktion mit Rost ohne Steinreihen dazwischen für alle Räume
des Gebäudes J werde genommen werden müssen. Mithin ist das Hinunterrücken
von J4-I4 in die Mitte oder sogar noch in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts, wie
Oelmann es will, nicht berechtigt; die Annahme eines nicht vorhandenen Rostes
mit dazwischengelegten Steinreihen wäre eine unvermeidliche Folge gewesen. Der
Auffassung Jacobys aber3), daß J 4-14 einen Erweiterungsbau zu Ji— 3 darstellt, pflichte
ich ebenfalls nicht bei, vielmehr hat man m. E. mit dem Hallenbau J14-10 begonnen.
Die Fortsetzung dieses Erstlingbaues hat sich dann über J9 bis Ji ununterbrochen
erstreckt. Diese fortlaufende Bautätigkeit erklärt sich aus der einheitlich durch-
gehenden Verkettung der Mauerzüge. Aus den Aufnahmezeichnungen ist zu ersehen,
daß einerseits das einheitliche Mauerwerk der gesamten Rückwand und der innere
Zusammenhang der Mauern zwischen Jn, Jn, J9, Jg und J7, und andererseits das
Ineinanderfließen der Mauerzüge zwischen J7, Je und J3 trotz mancher Umbauten
den Beweis einer Bautätigkeit ohne Unterbrechung erbringen. Das Vorschieben
der Rückwand von J3 mit trennender Fuge vor den Turm Jio erklärt sich aus der
Annahme, daß die Raumgruppe Ji4- 10 bereits fertig dagestanden habe, als schließ-
lich in fortlaufender Tätigkeit die letzten Räume J3-1 zur Vollendung gelangten.
Die Jacobysche Auffassung, daß man mit Ji den Bau begonnen und mit J14 den-
selben beendet habe, erscheint mir unverständlich und auch unarchitektonisch, da
in diesem Falle die halbe Ansicht eines neu erstehenden Turmes hinter einem älteren
Gebäudeteile hätte verschwinden müssen. Bei meiner Darstellung ist es dagegen
denkbar, daß bei einer Planänderung ein vorhandener Gebäudeteil ganz oder teil-
weise verbaut worden sei.
Der Gesamtbau Ji- 14 fällt somit der Wende des 9. Jahrhunderts zu. Der
nördliche Hallenbau (»Liwanbau«) J14-10 steht unter den Bauten Sendschirlis ganz
vereinzelt da, läge ihm eine ortsübliche Planung zugrunde, so ist es nicht zu ver-
stehen, daß sich ähnliche Lösungen nicht noch an anderer Stelle in Sendschirli ge-
funden haben. Die Ausführung Oelmanns, daß in den Bauten L an der westlichen
Burgmauer dieselbe, nur verkrüppelte, Liwanidee zu erkennen sei, überzeugt mich
') V. Luschan, Ausgrabungen in Sendschirli IV, Berlin 1917, Mitteil. d. D. 0. G. Heft 58, 21,
Berlin 191 1, 374. nicht mehr Salmanassar II., sondern Salraa-
•) Nach E. F. Weidner, Neue Königslisten von Assur, nassar III.
3) G. Jacoby, Ausgrabungen in Sendschirli IV, Berlin 191 1. 272.
l62
Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (Samal).
nicht, da ich in der willkürHchen Aneinanderreihung von 8 — 9 Räumen keine
absichtlich regelmäßige Planung erblicken kann. Das hohe Alter ist ihnen
auch aus konstruktiven Gründen ab-
zusprechen, da im Fundament eine
Rostlage ohne dazwischengelegte
Steinreihen gefunden worden ist. Ich
nehme an, solange nicht an Ort und
Stelle gleiche oder ähnliche Liwan-
grundrisse aus derselben oder noch
früherer Zeit zutage gefördert werden,
daß der Liwangrundriß ein Fremdling
in Sendschirli bleibt, zumal er auch in
der Folgezeit keine Nachahmung ge-
funden hat. Das Streben Oelmanns,
auch die Raumgruppe J9-4 mit einem
weiteren Liwanbau in Zusammenhang
zu bringen, erscheint mir mißglückt,
da er, wie ich oben ausführte, niemals
als selbständiger Bau zu betrachten sei.
Das Fehlen einer abschließenden, selb-
ständigen Frontmauer sei hier beson-
ders hervorgehoben.
In der Raumgruppe J3 -i tritt uns
ein zweiter Gebäudetypus der Kalamu-
Zeit entgegen. Es ist mit Recht von
Oelmann darauf hingewiesen worden,
daß dieser Grundriß nicht dem Heimat-
boden entsprossen ist. In Boghazkoi
können wir das Vorbild kennenlernen. Das »Adyton« in den dortigen Tempelanlagen ')
ist zum Vergleich mit J3 heranzuziehen. Dort wie hier der Schmalraum mit der Ein-
gangstür in der Ecke einer Langseite und mit den Fenstern in der abgelegenen Stirn-
wand. Diese Fensteranlage erscheint auch im Raum Jj, der parallel zu J3 liegt und
sich links an Ji anschließt. Vorausgreifend betone ich, daß die ursprüngliche Anlage
der Raumgruppe J3-1 ohne die Mauer Mk zu denken ist, die sich vor die Außenwand
des Raumes Jj schiebt und den Raum Gk nach Süd-Westen hin begrenzt. Sie
gehört, wie wir weiter unten sehen werden, einer späteren Bauepoche an (s. unten S. 1 65 ).
Die beiden Bautypen — die offene Halle mit den seitlich anschließenden Gemächern
und der große zur Eingangsseite quergelegte Hauptraum mit der vorgelagerten
Eingangshalle und dem Nebenraum — haben in der Sendschirlier Architektur
Abb, I. »Unterer Palast« und »Nordwestbezirk« ii
Sendschirli (nach F. Oelmann, J. d. I. XXXVI 1921
91, Abb. 6).
') Eduard Meyer, Reich und Kultur der Chetiter,
Berlin 1914, 20 ff. E. Meyer hält die Anlagen
in Boghazkoi für Paläste mit einem besonderen
Kultraum.
Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (Samal).
163
keine weitere Nachahmung gefunden, somit stehen sie als Bauten Kalamus einzig
und allein in ihrer Art in Sendschirli da. Von der ersten Art — der Halle — konnten
wir nur die Vermutung aussprechen,
daß ihre Vorbilder auswärts zu su-
chen seien, die zweite Ausführungs-
art lenkte dagegen unsere Blicke auf
Boghazkoi, wo wir eine ähnliche Lö-
sung fanden. Ziehen wir die archa-
ischen Ischtartempel in Assur zum
Vergleich heran, so läßt sich eine
auffallende Ähnlichkeit zwischen dem
Sendschirlier Grundriß aus dem 9
Jahrhundert und dem des Ischtar
tempels aus dem Ende des 3. Jahr
tausends (D-Schicht) feststellen ')
Daß bei einer so weit auseinander
liegenden Entstehungszeit der Bau
ten nicht von einer unmittelbaren
Beeinflussung die Rede sein kann, ist
leicht begreiflich und verständlich,
trotzdem halte ich einen inneren
Zusammenhang für nicht ausge-
schlossen ^). In Sendschirli lag der
Hinweis auf Boghazkoi nahe, und
doch glaube ich annehmen zu müssen,
daß mit Boghazkoi die Herkunfts-
frage des Typus des Kalamu-
baues J3-1 nicht erschöpfend genug
gelöst ist. Über Boghazkoi rücken wir schon um die beträchtliche Zeitspanne von
etwa 600 Jahren — nämlich von ca. 800 bis ca. 1400 v. Chr. — der Assurer Bauzeit
näher. Boghazkoi führt uns in seinen Tempelgrundrissen eine so vollendete und
reife Art der Grundrißlösung vor Augen, daß man unmöglich an eine Erstlings-
lösung denken kann. Es müssen im Hatti- Reich oder sonstwo in der Nachbarschaft
noch Bauten vorhanden gewesen sein, aus deren Grundriß sich der gediegene
Boghazkoier entwickelt haben wird. Die Vorbilder oder Vorstufen sind nicht allein
in Kleinasien oder Nordsyrien, sondern vielleicht in Nordmesopotamien, und zwar
im Mitanni- Reich, zu suchen. Gelänge es hier, Gebäude mit ähnlichen Grundrissen
aus dem 2. — 3. Jahrtausend v. Chr. aufzudecken, so hätten wir die Ursache der
Abb. 2. »Unterer Palast« und »Nordwestbezirk«
in Sendschirli (neue Fassung).
') W. Andrae, Die archaischen Ischtartempel in
Assur, Leipzig 1922, 39. Wissensch. Verüffentl.
der D. O. G.
») Darüber Näheres: Friedrich Wachtsmuth, Der
Raum. Eine geschichtliche Darstellung der Raum-
gestaltung und Raumwirkung. (In Vorbereitung.)
|54 Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirii (Samal).
Zusammenhänge von Assur mit Boghazkoi und Sendschirii gefunden. Ich bin mir
des Hypothetischen dieser Auffassung bewußt, da aber aus den gefundenen Königs-
listen in Assur von E. F. Weidner ') eine politische Abhängigkeit Assyriens vom
Mitanni-Reich im 3. Jahrtausend nachgewiesen worden ist, warum sollte man dann
nicht auch auf eine baukünstlerische schließen können?
Ich stelle nochmals zusammenfassend fest, daß die Bauten in Sendschirii,
die dem König Kalamu zuzuschreiben sind, uns zwei verschiedene Typen vergegen-
wärtigen, von denen keiner vorher und nachher weiter zur Ausführung gelangte.
Die fremde Abhängigkeit des » Vorhallen typus« habe ich oben nachzuweisen ver-
sucht. Der »Liwantypus« könnte desgleichen seinen Ursprung in Nordmesopotamien
gehabt haben, wo er später zur reichsten Entfaltung, z. B. Hatra, gebracht worden ist.
Eine weitere, genaue Bestimmung der Entstehunsgzeit einzelner Bauten er-
möglicht die Bauinschrift des Königs Barrekub ^). Wiederum hat v. Luschan mit
Sicherheit festgestellt, daß der Orthostat, auf dem sie angebracht ist, dem Bau K
angehört. Aus der Bezeichnung »Knecht des Tiglatpileser« ist ein Schluß über die
genaue Entstehungszeit zulässig. Die Annahme v. Luschans, daß der Bau K älter
als der Bau J sei, ist, wie die Ausführungen zeigen werden, nicht stichhaltig.
Die Regierungszeit Barrekubs zeichnet sich durch eine überaus reiche Bau-
tätigkeit aus. Außer dem Bau K sind dieser Zeit der östliche Gebäudekomplex
K II 3) am nördhchen Hallenbau und die Hallenbauten P zuzuweisen. Diese Zeit-
bestimmung läßt sich teils durch die gefundene Barrekubinschrift, teils durch die
gleichartige Reliefdarstellung der in diesen Bauten zutage geförderten Orthostaten
belegen. Bemerkt sei, daß diese Orthostaten, sowohl die in situ, als auch die zer-
streut aufgefundenen, alle am oberen Rande einen schmalen Streifen zeigen, der von
der ursprünglichen Steinfläche Übriggebheben ist. Die Gleichartigkeit der Mauer-
konstruktion, d. h. die Verwendung des Rostes ohne Steinreihen dazwischen, sei
nochmals erwähnt.
Barrekub hat mit seinen Bauten einen neuen Bautypus geschaffen, der sich ]
aus der Verschmelzung des überlieferten Kalamu- »Vorhallengrundrisses« mit dem
heimischen »Hilanigrundriß« ergeben hat (s. S. 165). Der Raum Kj entspricht in
seiner Querlage, mit der in die Ecke verschobenen Eingangstür und mit der durch die [
Anordnung der Feuerungsstätte hervorgerufenen Längswirkung voll und ganz dem
Raum Jj des Kalamu-Baues. Auch die Anfügung eines weiteren Raumes K3 an die 1
Nordecke von Ki könnte gegebenenfalls mit der entsprechenden Lösung von J7 zu
Jj in Einklang gebracht werden. Diese Ähnlichkeit sei nur kurz erwähnt, ich schreibe
ihr keineswegs eine Bedeutung zu. Die beiden Haupträume J3 und K^ stimmen in
ihrer Größe (K, = 9,4 m X 24, 9 m; J3 = 8, 5—8, 65 m x 25, 2 m) und Lage voll- ■
ständig überein; der Aufbau von Ki_3 weicht jedoch wesentlich von dem ursprüng-
lichen Aufriß von ]j-i ab. Beim Aufbau und bei der Frontgestaltung von K macht
■) E. F. Weidner a. .->. 0. 7 (vgl. S. 159, Anm. 3). >) Vgl. S. 159, Anm. 2. 3) Vgl. S. 160, Anm. 2.
Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (Samal). 165
sich der Einfluß des Hilanitypus geltend. Im Barrekubbau K hat die vollendete
Symmetrie des Hilani I der Unsymmetrie weichen müssen. Nur ein Turm schließt
sich nordwestlich der Vorhalle Ki an und setzt sich vor die südwestliche Abschluß-
wand von Ka. Die Südostseite der Vorhalle stößt dagegen unmittelbar an den Kala-
mubau an. Die Vorhalle selbst weist die der Hilanivorhalle eigenen Säulen auf.
Der angrenzende Kalamubau erlebt jetzt in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts
unter Barrekub einen Umbau, der den ursprünglichen, aus dem 9. Jahrhundert
stammenden Bau J3— i zu einem neuen Bau stempelt, der den »Barrekubbaucharakter«
trägt. Ich nehme nämlich an, daß der Mauerzug Mk, der nach den Aufnahmezeich-
nungen mit dem Barrekub- und nicht mit dem Kalamubau eng zusammenhängt,
dazu gedient hat, den anders gearteten, älteren Bau nach dem Schema der Barrekub-
bauten umzugestalten. — Die Errichtung eines Turmes neben der Vorhalle und die
Einführung von Säulen an derselben waren das Haupterfordernis. Beides hat Barre-
kub erreicht. Die Ausgestaltung des Oberbaues von Jj zu einem Turm hätte eine
langgestreckte, rechteckige Turmform ergeben. Um dem Turm die allgemein ver-
breitete, quadratische Grundrißgestalt zu verleihen, wurde die Mauer Mk vorgezogen,
so daß nunmehr ein fast quadratischer Turm über Ji und Gk errichtet werden konnte.
Der Raum Gk bot gleichzeitig einen günstigen Ort, die Treppenanlage unterzubringen,
wobei der Zugang von der Frontseite nach Gk nicht hindernd in den Weg tritt. In
der breiten Eingangsöffnung zu Ji erschien jetzt die Säule, die in der ganzen
Kalmuzeit in keiner Eingangsöffnung zu sehen gewesen war. Es haben
somit zwei gleichartige Bauten — K und der Umbau von J3_i — zur Zeit Barrekubs
den Hof M im Norden abgeschlossen. Eine fast durchlaufende Fluchtlinie war gleich-
falls durch den Erweiterungsbau erzielt worden.
Einen weiteren gleichartigen Bau, der schon von Koldewey Barrekub zuge-
schoben wird, finden wir in der Nordostecke des Hallenbaues P. Auf die Verwandt-
schaft dieses Baues K II mit K hat bereits Oelmann hingewiesen. Wir erkennen die
Säulenvorhalle K IIi, den von Oelmann erkannten seitlichen Turm, den quergelegten
Hauptraum K II2 mit der seitlich verschobenen Tür und schließlich den »angehängten«
Nebenraum K II3, der in seiner Lage, wenn auch hier dem Eingang gegenüber, so doch
dem Raum K3 entspricht.
In die Zeit des Königs Barrekub fällt auch die Errichtung des gesamten Hallen-
baues P. Eine absolut feststehende Datierungsmöglichkeit liegt nicht vor, jedoch
lassen Erwägungen konstruktiver und architektonischer Art auf Grund der Aufnahme-
zeichnungen und Berichte die Annahme der Gleichalterigkeit mit dem Bau K II zu.
Ich komme bei der Besprechung der Hilanibauten nochmals auf die Planung des
Hallenbaues zurück, im Augenblick wende ich mich den Baulichkeiten zu, die eine
weitere genaue Zeitbestimmung ihrer Entstehung ermöglichen.
Der Grabungsbefund weist auf einen verheerenden Brand hin, der die gesamte
Stadt mit allen ihren Baulichkeiten vernichtet hat. Der Auffassung Koldeweys
(s. S.159), daß der Brand mit dem Siegeszug Asarhaddons nach Öamal in Verbindung
Jahrbuch des archäolo^scben Instituts XXXVIII/IX 1933/24.
{55 Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (Samal).
gebracht werden müsse, schließe ich mich an. Ihr ist auch von anderer Seite nicht
widersprochen worden. Die Wiederherstellungsarbeiten im Nordosten und Osten der
Stadt sind dann unter Asarhaddon im 7. Jahrhundert in Angriff genommen worden. Die
Kasematten an der Ostmaucr, der »obere« Palast und die Gebäude nordwestlich
vom Palast verdanken dieser Zeit ihre Entstehung. Das Baumaterial mußten, wie
die Fundumstände ergeben, die älteren Bauten liefern, sogar überarbeitete Ortho-
staten wurden zu Schwellen u. dgl. verwertet, und als charakteristisches Kennzeichen
dieser zeitlichen Bauweise ist das Fehlen eines ausgesprochenen Balkenrostes hervor-
zuheben. Allenfalls könnte nach Koldewey nur ein einfacher Bretterrost angenommen
werden.
Mit der Erwähnung dieser Bauten aus spätassyrischer Zeit hat die Baugeschichte
von Sendschirli, soweit sie für die Kunstgeschichte von Interesse ist, ihr Ende erreicht.
Wir haben uns jetzt nur noch nachträglich mit einer Gruppe von Bauten zu be-
schäftigen, die keinen festen Anhalt zu einer genauen Zeitbestimmung ihrer Ent-
stehung geben. Es gehören zu dieser Gruppe die Hilanibauten I, II und III.
Im Hilani I haben wir anerkannterweise den ältesten Bau dieser Gruppe vor
uns. Da in ihm, wie Koldewey selbst feststellt, ein Balkenrost mit dazwischengelegten
Steinreihen — das Merkmal der ältesten Bauweise Sendschirlis — »allerdings nicht
erhalten ist«, so halte ich es mit Oelmann für nicht berechtigt, ihm das hohe Alter,
das Koldewey ihm zuerkennen will, zuzuschreiben. Ich setze die Entstehungszeit
des Hilani I auf Grund des Grabungsbefundes und der allgemeinen Beobachtung ')
höchstens in das 9. Jahrhundert, d. h. in die Zeit der Erbauung der Burgmauer
und komme somit dem willkürlichen Vorschlag Oelmanns nahe, der für Hilani I
mutmaßlich die Zeit um 800 in Anspruch nehmen will.
Die Meinungen Koldeweys und Oelmanns über die Erbauungszeit von Hilani
Hund III gehen weit wesentlicher auseinander. Während Koldewey seine Gruppe 2
(s. S. 158) mit den Hilanibauten II und III der Regierungszeit Barrekubs, d. h. der
2. Hälfte des 8. Jahrhunderts zuweist, trennt Oelmann die Entstehungszeiten beider
voneinander. Er nimmt für die Errichtung des Hilani III die Zeit des Vorgängers
von Barrekub (ca. Mitte des 8. Jahrhunderts) an und für die des Hilani II erst das
7. Jahrhundert, somit die Zeit des Aufbaues des »oberen« Palastes nach dem großen
Brande.
Ich meinerseits lehne beide Datierungen ab und begründe diese Ablehnung
folgendermaßen. . Die Versetzung der Entstehung von Hilani II in die Zeit nach
dem großen Brande halte ich für unberechtigt. Der »obere« Palast, den Oelmann für
gleichalterig mit Hilani II bezeichnet, weist nach der Grabungsbeschreibung Kolde-
weys eine ganz anders geartete Herstellungsweise auf, als sie bei Hilani II beobachtet
worden ist. Dort die Verwendung alten Baumaterials und überarbeiteter Orthostaten
u. dgl., hier der vollständige Neubau. Dort das Fehlen von Balkenrosten, hier die
Möglichkeit des Vorhandengewesenseins eines Rostes auf Grund der Brandspuren
■) R. Koldewey a. a. O. 138/139 (vgl. S. 158 Anm. i).
Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirli (Öanial). l57
im Gemäuer! Gerade diese letzte kennzeichnende Eigentümlichkeit veranlaßt mich,
die Entstehungszeit des Hilani II spätestens um 700, also noch zu Barrekubs Leb-
zeiten oder gleich nach seinem Tode anzunehmen. — Die Bauzeit von Hilani III fällt
nach der Art der Rostverwendung widerspruchslos in die Zeit vom Ende des 9. bis
in das 8. Jahrhundert (s. S. 159). Die Grabungsbefunde deuten m. E. jedoch darauf
hin, daß Hilani III nicht, wie Jacoby und Oelmann es haben wollen, bereits vor dem
Hallenbau (Pio) bestanden haben wird, sondern erst nach der Fertigstellung desselben
zur Ausführung gelangt sein muß. Dasselbe behaupte ich auch von Hilani II. Hi-
lani III würde demnach in den letzten Regierungsjahren Barrekubs oder gleich nachher
entstanden sein, kurz vor Hilani II, wenn nicht gleichzeitig mit ihm. In diese Zeit
könnte (}) dann auch die Erweiterung des Hallenbauhofes R nach Osten hin fallen.
Das Tor des neuen, großen »Doppelhofes« hat bereits Koldewey aufgedeckt, und eine
interessante Rekonstruktion liefert uns Oelmann, wenn er auch im Gegensatz zu mir
die Tor- und Umfassungsanlage (»Saktsche Gözü-Typus<<) für älter als den selb-
ständigen, kleineren und geschlossenen Hallenbau P hält.
Der Hallenbau P stellte vor der Errichtung der Hilanibauten III und II, wie
wir gleich sehen werden, eine geschlossene, wohlabgewogene Einheit dar. Der Neu-
bau von Hilani III bewirkte eine Zerrissenheit, die vollends zur Tatsache wurde
als schließlich noch Hilani II entstand. Durch die neue Umfriedung wurde die Einheit
wiederhergestellt '). Und nun liegt es nahe, die ursprüngliche Toranlage, wie Oelmann
es will, unter dem Neubau von Hilani II anzunehmen, so daß das neue, westlich von
Hilani II gelegene Tor nur vorgezogen erscheint.
Was endlich die Skulpturen von Hilani II und Hilani III anbelangt, so weisen
sie in ihrer Bearbeitung keineswegs einen so großen Unterschied auf, daß man Ver-
anlassung dazu hätte, sie nach Oelmann um Jahrhunderte »auseinanderzudatieren«!
Ich bin jetzt noch den Nachweis schuldig, daß die Hilanibauten III und II
jünger sind als die Hallenbauten P. Meine Annahme fußt auf der Erkenntnis, daß die
Westseite des Hallenbaues P sich organisch dem nördlichen Teil anschließt, genau wie
Oelmann es von der Ostseite behauptet und bewiesen hat. Die für den südlichen Teil
der Westhalle angenommene Aufteilung in Öffnungen und Pfeiler läßt sich in gleichem
Sinne wie an der Ostseite, bis zum Anschluß an die Nordhalle fortsetzen und ergänzen.
Man erhält durch diese Lösung die stattliche Hofanlage R, die allseitig von offenen
Bogengängen umfaßt ist, somit ein einheitliches Ganze bildet, das im Norden durch
den Portikus in den Hof M übergeht und in der Nordostecke den Barrekubbau KU
aufweist. — Die Einzelzeichnung, die uns Jacoby von dem Anschluß der Hallenbau-
mauer P« an Hilani III gibt^), läßt meiner Meinung nach erkennen, daß die Mauer
des Hallenbaues die ältere sei. Die Unregelmäßigkeit der Anschlußfläche läßt diese
als Bruchfläche erkennen, so daß ich annehme, daß der nördlichere Teil der Westhalle
') Allgemein historische und architektonische Über- eher an eine Erweiterung der Anlage, als an
legungen und Vorbilder veranlassen mich auch eine Einschränkung derselben, wie Oelmann es
tut, zu denken. ») Jacoby a. a. O. 317, Abb. 222 (vgl. S. 161, Anm. 2).
]5g Friedrich Wachtsmuth, Die Baugeschichte von Sendschirii (Samal).
niedergerissen worden sei, um dem Hilanibau Platz zu machen. Eine ähnliche Fest-
stellung konnte bereits Oelmann an der Ostseite machen. Die Böschung des Funda-
ments von Hilani III ist belanglos, vielmehr weist der Mangel einer Quermauer im
Hallenbau südlich der Hilaniwand darauf hin, daß von den bestehenden Hallen-
mauern Teile abgebrochen worden sein müssen.
Koldewey läßt bekanntlich die Hilanibauten in der Reihenfolge I, II, III entstan-
den sein. Diese Behauptung begründet er in der Hauptsache mit folgenden Worten:
»Die starke Verteidigungsfähigkeit, wie sie in strengster Analogie mit dem Festungstor
das alte Hilani aufweist, ist hier (Hilani II) um einen Schritt zurückgegangen. In
ähnlicher Weise sind auch die Dimensionen des Ganzen sowohl, als auch die Dicke
der Mauern gegenüber den alten riesigen Vorfahren eingeschränkt. Aber noch immer
ist der Palast die Festung, ebenso wie beim Hilani III« '). Und an anderer Stelle
schreibt er, indem er von Hilani III spricht, daß der Bau »wieder in kleineren Ab-
messungen als sein Vorgänger (Hilani II), aber ebenso wie dieser mit einem massiven
und einem hohlen Turm usw. «^) erscheint. Koldewey schließt demnach von der
Verminderung der Grundrißabmessungen auf eine Zeitenfolge der Entstehung, wie
sie oben angegeben ist. Ich sehe dagegen in den kleineren Abmessungen bei Hilani III
keinen zwingenden Grund, Hilani III auch für jünger hinzustellen. Die altertümlichere
Skulpturenbehandlung veranlaßt mich im Gegenteil, Hilani III für älter oder minde-
stens ebenso alt wie Hilani II zu halten.
Zum Schluß habe ich noch einen kurzen Blick auf die verschiedenen Turm-
grundrisse zu werfen. Wie die Grabungsfunde uns zeigen, erscheinen sie als massive
Bauklötze oder hohle Baumassen. Sowohl die einen, als auch die anderen können
Treppenanlagen oder sonstige Räume in sich aufnehmen. Ich verstehe nur nicht,
warum Oelmann den Unterschied zwischen »Turm« und »Treppenhaus« zu konstruieren
versucht und ihn auch besonders betont. Eine Treppenanlage hat zu allen Zeiten
gern Aufnahme in einem Turm gefunden, so auch hier in Sendschirii ! Es liegt somit
nicht der geringste Grund vor, bei der Besprechung der Sendschirlier Bauten die
Bezeichnung »Turm« fallen zu lassen.
Die Baugeschichte Sendschirlis stellt sich unter der Berücksichtigung obiger
Ausführungen folgendermaßen zusammen:
A. Gebäude mit einem großen Balkenrost und dazwischengelegten Stein-
schichten (lO. bis Mitte des 9. Jahrhunderts).
1. Innere Stadtmauer,
2. Äußere und innere Burgmauer,
3. Quermauer,
4. Vormauer vor Hilani I.
Relatives Alter aus dem Grabungs-
befund bestimmt. Genaue Ent-
stehungszeit nicht angebbar.
Hilani I 9. Jahrhundert, Balkenrost nicht feststellbar. Zeitbestimmung nur
relativ angenommen auf Grund der gesamten Bauanlage.
') Koldewey a. a. O. 185 (vgl. S. i58,Anm. i). ') Koldewey a. a. O. 175 (vgl. S. 158, Anm.
Jahrbuch des Instituts XXXVHI/IX 1923/24 Beilage V zu Seite 169 ff.
Schmuckstück aus Falconara. New-York, Metropolitanmuseum.
I. Vorderansicht. 2. Rückansicht.
J
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
169
B. Gebäude mit einem Balkenrost ohne Steinreihen dazwischen (Ende des
und im 8. Jahrhundert).
1. Gebäude J und Torbau Q.
2. Gebäude K,
3. Gebäude KU,
4. Umbau J^— i (Mauer MK).
5. Hallenbau P:
6. Gebäude L.
Ende des 9. Jahrhunderts (Kalamu-
Zeit).
2. Hälfte des 8. Jahrhunderts (Barre-
kub-Zeit; Barrekub Zeitgenosse Ti-
glatpilesers (746—727).
I Barrekubzeit, wie 2 — 4 Annahme auf
\ Grund Gleichartigkeit und Zusam-
J menhangs des Gemäuers.
I Zeit unbestimmbar (vielleicht Ka-
I lamu-Zeit).
Hilani HI nach Fertigstellung des Hallenbaues entweder noch zu Lebzeiten
Barrekubs oder gleich nach seinem Tode (um 700?). (Annahme.)
Hilani H anschließend an Hilani HI. (Annahme.)
Torbau östlich von Hilani H gleichzeitig mit Hilani H. (Annahme.)
C. Gebäude ohne wahrnehmbaren Rost oder vielleicht mit einem einfachen
Bretterrost. 7. Jahrhundert, nach der Eroberung Sendschirlis durch Asarhaddon
(681—668).
1. Kasematten,
2. Oberer Palast,
3. Gebäude nordwestlich vom
oberen Palast,
4. Erneuerung der Burgmauer.
Darmstadt, im September 1924.
Annahme: i. Hälfte des 7. Jahr-
hunderts, nach Eroberung Sendschir-
lis durch Asarhaddon.
Friedrich Wachtsmuth.
EIN ARCHAISCHES SCHMUCKSTÜCK AUS BERNSTEIN.
Mit Tafel IV und V, Beilage V.
Das auf Tafel IV abgebildete wundervolle Schmuckstück besteht aus Bern-
stein und bildete die Verzierung eines Fibelbügels. Es wurde vor einigen Jahren in
einem Grabe bei Falconara in der Nähe von Ankona gefunden (wie mir Herr Prof.
Dr. Pollak in Rom in freundlicher Weise mitteilte), gelangte schließlich nach New-
York in die P. Morgan'sche Antikensammlung und mit dieser in das Metropolitan-
I70
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
museum zu New- York ■). Carlo Albizzati hat es in der Rassegna d'arte antica e mo-
derna (Dedalo) 1919, 183 — 200 gut zum ersten Male publiziert. Da jedoch
diese italienische Zeitschrift in Deutschland nur sehr schwer zugänglich ist und ich
in manchem, bes. der Deutung der Darstellung, eine andere Auffassung gewonnen
habe als Albizzati, möchte ich das Stück im Folgenden nochmals veröffentlichen.
Das Schmuckstück besteht aus einem 14 Zentimeter langen Klumpen Bern-
stein, dessen größte Breite 8,4 Zentimeter und dessen Dicke 3,1 Zentimeter beträgt.
Seine Befestigung auf dem Scheitel des eigentlichen Fibelbogens war ähnlich wie bei
Abb. 1. Bernsteingruppe New-York, Unterseite.
i
den riesigen »fibule ad arco semplice;«, die in Ankona und anderweitig zutage gekom-
men sind ^). Der Bogen griff, wie die Seitenansichten des Stückes zeigen, an den
beiden Enden der Schmalseiten in den Bernstein ein. — Auf der Rückseite setzt
nach dem Fußende des Klinenrahmens zu unter der hier stark gehobenen Bettdecke
■) Vgl. Gisela M. A. Richter, Handbook of the
classical antiquities (The Metropolitanmuseum
of art), New York 1920, 72 und Figur 44
auf S. 73. — An Photographien des Stückes
standen mir zur Verfügung: eine unmittelbar
nach der Auffindung gemachte Aufnahme der
Vorder- und eine der Rückseite (danach unsere
Tafel); außerdem Photographien des Stückes in
seinem jetzigen Erhaltungszustand, sowie Ansich-
ten der beiden Schmalseiten, die ich dem freund-
lichen Entgegenkommendes Direktors des Metro-
politanmuseums, Herrn Robinson und der liebens-
würdigen Vermittlung von Frl. Gisela Richter ver-
danke. — Albizzati gibt in seinem Aufsatze unter
Fig. 2 und 3 die New- Yorker Photographien. Licht-
bilder nach Tafel IV sowie ein Diapositiv mit
den Ansichten der beiden Schmalseiten sind bei See-
mann unter Nr. 81 260 — 62 erhältlich.
^) Ähnlicher Fibelbügelschmuck aus Bernstein —
doch ohne fein ausgeführte Darstellungen —
befindet sich z. B. im Museum von Ankona (vgl.
Dair Osso, Guida del' Museo di Ancona, Ancona
1915, Tafel auf S. 127). — Für den Typ der
Fibel vgl. 0. Montelius, La civilisation primitive
en Italic, Premiere partie (Stockholm 1895) Texte
I, Anm. I, Planches, fig. 5, 6, 24^42 usw.
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
171
gerade über dem Bettrahmen ein in dem Bernstein befestigter Metalldraht an, von
dessen oberem Teil ein anderer etwa senkrecht dazu stehender ausgeht, der vom
Beschauer nach rechts gerichtet und ein wenig nach innen gebogen ist. Dieser Dorn
aus Metall diente dazu, die hier hochgehobene Draperie zu stützen und zu sichern.
Die Arbeit des Werkchens ist mit außerordentlicher Sorgfalt und Feinheit
ausgeführt, besonders die Vorderseite, während die Rückseite etwas summarischer
behandelt ist. Die Augen der dargestellten Personen sind hohl und waren wohl ur-
Abb. 2. Bernsteingruppe New-York,
FuSende der Kline.
Abb. 3. Bernsteingruppe New-York,
Kopiende der Kline.
sprünglich farbig eingesetzt. Inwieweit die Größe des Bernsteinstückes manchmal
dem Verfertiger Schranken auferlegte, wird bei der Beschreibung anzugeben sein.
Der Erhaltungszustand des Stückes ist ein ganz ausgezeichneter. Die ursprüng-
liche Politur ist noch zum größten Teil vorhanden, das ganze Stück ist mit einer
goldgelben Patina bedeckt. Die Rückseite zeigt mehrere feine Sprünge, die sich
spinnenwebenförmig fortsetzen, an einigen Stellen ist die Oberschicht abgefallen
und die ziemlich zerfressene Unterschicht sichtbar. Beim Auffinden war das Stück
vollständig erhalten bis auf das abgebrochene rechte Ellenbogengelenk der Frau,
wie die damals angefertigten Photographien zeigen (hiernach Tafel IV). An dieser
Stelle kommt der frische, noch unzersetzte Bernstein (ebenso auch an einer kleinen
Stelle am unteren Ende des Alabastrons) zum Vorschein. Seit der Auffindung hat
das Stück etwas gelitten: Die Zehen des rechten Fußes des Jünglings sind abge-
brochen, außerdem befindet sich am oberen Rande des Bettuches, in das sich der
{72 Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
Jüngling eingeschlagen hat, ein Loch; am Fußende der Kline ist auf der Rückseite
ein Stückchen weiter herausgebrochen, und das unterste Ende des Flügels der weib-
lichen Gestalt ist leicht beschädigt. Überhaupt scheint die Oberfläche unter dem
Einfluß der Luft ebenfalls inzwischen etwas gelitten zu haben. Auf der Rückseite
sind ferner sichtbar: ein längliches Loch in dem Bettrahmen nahe der Ansatzstelle
der Kopflehne, ein weiteres in dem Klinenrahmen nach dem Fußende zu und in seiner
Nähe zwei runde lochartige Vertiefungen, von denen ich, ohne das Stück selbst ge-
sehen zu haben, nicht entscheiden kann, ob sie künstlich oder ob sie aus der Natur
des Bernsteinstückes zu erklären sind.
Dargestellt ist ein einfach gestalteter Klinenrahmen ohne Füße, der nur eine
mittelhohe, schräg nach außen gerichtete Kopflehne besitzt. Diese verjüngt sich
keilförmig nach oben und hat einen Bezug von enganliegendem dicken Stoff oder
Leder, der genau den Holzkern der Lehne umschließt. Nach vorn endet dieser Über-
zug in einem spitzen Zipfel. Der Bettrahmen ist auf der Rückseite etwa einhalbmal
höher als vorn, am Fußende ist er schräg unterschnitten. Die Matratze ist mäßig
hoch (ca. 6 mm) und unverziert. Unter der Last der auf ihr lagernden Personen
quillt sie in der Mitte der Vorderseite etwas vor; am Fußende ist sie durch das
linke Bein des dort sitzenden Knaben etwas nach rechts vom Beschauer zusammen-
geschoben. Auf der Rückseite scheint sie nicht angegeben zu' sein.
Auf dieser Kline sieht man drei Personen : einen sehr jugendlichen und indi-
viduell gestalteten Jüngling rechts gelagert, gerade aus dem Schlafe erwachend,
eine reife Frau mit üppigen Formen in schneller, eiliger Bewegung von links heran-
eilend, endlich am Fußende der Kline einen unbequem hockenden Sklavenknaben
— sicher einen Bediensteten des Jünglings — mit kindlich runden vulgären Gesichts-
zügen, der durch die rasch und ungestüm herandrängende Frauengestalt von seinem
Stützpunkt auf dem Klinenrahmen fast herabgedrückt wird. Besonders fällt an der
Frau in die Augen der auf ihrem Nacken gelagerte Schwan: Es ist also Aphrodite,
die einen Geliebten besucht.
Der Jüngling hatte sich beim Schlafe fest in seine Bettdecke eingewickelt,
wie man auf der Rückseite sieht. Nun ist die Göttin, von links kommend, unter
seine Decke geschlüpft und diese, die den Jüngling ursprünglich ganz bedeckte,
ist dadurch gehoben worden, so daß (auf der Rückseite) der linke Fuß und ein Teil
des linken Unterschenkels des Jünglings entblößt werden. Ebenso wird dadurch
auch auf der Vorderseite ein Teil des Jünglingskörpers der Bedeckung beraubt; hier
erscheinen sein Oberkörper und sein linkes Knie. Die Decke ist aber zu kurz, um
auch die Göttin ganz zu bedecken, so daß deren linkes Bein vom Knie abwärts außer-
halb bleibt. Im übrigen schließt sich die Decke sehr eng an ihre Formen an. Sie läßt
den Beckenkontur durchblicken und gibt die Bewegung des im Knie gebogenen
rechten Beines gut wieder.
Die Haltung der Figuren ist folgende:
Der Jüngling lehnt sich mit seiner linken Hüfte an die Kopflehne an, während
sein Körper über dieselbe vorhängt. Sein rechtes Bein ist hochgehoben und gerade
ausgestreckt, der rechte Fuß kommt unter der Decke hervor und erscheint hinter
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein. lyi
dem Kopfe des Sklaven auf der Rückseite. Sein linkes Bein ist im Knie angezogen
(Vorderseite). Auf der Rückseite sieht man den linken Fuß, der den Bettrahmen
z. T. überschneidet, und den Anfang des linken Unterschenkels von der Innenseite,
in zeichnerischem Flachrelief. Die Haltung der Füße ist so zu erklären, daß der
Schläfer sich gerade erheben will; das linke Bein ist noch in seiner ursprünglichen
Lage (im Schlafe angezogen); das rechte ist gerade erhoben und will eben nach vorne
überschwingen, um über den Bettrahmen zu kommen und auf den Boden zu gelangen.
Der linke Oberarm ist an die linke Brustseite angezogen und verdeckt den vorderen
Teil der Kopflehne. Die linke Hand berührt mit ihrer ganzen Fläche das linke ange-
zogene Knie. Die ausgestreckten Finger dieser Hand liegen eng aneinander bis auf
den etwas nach oben abstehenden Daumen. Der rechte Arm (nur in der Rückansicht
sichtbar) ist im Ellenbogen scharf eingeknickt. Die rechte Hand ist an die Kopf-
bedeckung der Frau angedrückt. In der Vorderansicht sind nur zu erkennen: die
Spitzen der vier Finger (der Daumen ist nicht sichtbar), je zwei an der um die Kappe
der Frau gelegten Binde und an dem unter der Binde hervorragenden Rande der
Kappe selbst. Der Kopf ist in schläfrigem Ausdruck etwas aufgerichtet und nach
seiner Linken gedreht, also von der Frau weg. Ausdruck und Mienen zeigen den
Jüngling in dem Zustande des Erwachens, jedoch noch schlaftrunken. Er trägt
langes, bis auf die Schulterblätter herabhängendes horizontal gewelltes Haar. Das
Haar der Stirntour ist wohl von einem Querscheitel aus nach vorn gekämmt zu denken.
Die Stirntour als Ganzes ist flach gewölbt, in der Mitte schmaler und läßt die Ohren
frei. Die Stirngrenze verläuft in mehrfach geknickter individuell gestalteter Linie.
Die Masse des Stirnhaares ist quer gekerbt, was vielleicht eine Trennung in Strähnen
bedeuten soll. Links sichtbar (ebenso auch rechts zu denken) hinter den Ohren zwei
über die Schultern bis ca. zu den Achselhöhlen herabfallende, spitz zulaufende, kaum
gewellte Locken. Nach hinten schneiden die Haare in der Höhe der Schulterblätter
gerade ab. Der Jüngling trägt nur ein dünnes Hemd mit Ärmeln, die den Oberarm
etwa zur Hälfte bedecken • — sichtbar nur am linken Oberarm. Sonst ist das Hemd
mehr zu ahnen als nachzuweisen.
Über dem Jüngling — noch im Heraneilen dargestellt — die bedeutend größer
gebildete Göttin; sie erscheint hier als eine Frau von fast schon matronaler Fülle,
wie besonders deutlich ein Vergleich der beiden nebeneinander sich befindenden
Köpfe und Arme zeigt. Ihre Gestalt verdeckt die ganze rechte Seite des Jünglings.
Ihr linkes Bein sieht, wie gesagt, vom Knie ab aus der Bedeckung hervor. Es ist
»verzeichnet«, da der sichtbare Teil des Oberschenkels nicht nach seinem Drehpunkt
im Becken hingerichtet ist. Der linke Unterschenkel läuft dann der Matratze parallel;
der linke mit einem spitz zulaufenden Schuh bekleidete Fuß reicht über die Matratze
herab. Das rechte Bein ist im Knie gekrümmt; der rechte Unterschenkel und Fuß
drücken fest gegen den Körper des Sklaven am unteren Klinenrande. Dieser rechte
Fuß wird über dem Kopfe des Sklaven sichtbar, und der Kontur der Schuhsohle
(s. u.!) ist hier deutlich zu erkennen. Der linke Arm der Göttin liegt zwischen ihrem
Oberkörper und dem des Jünglings. Er ist nicht sichtbar bis auf die linke Hand.
Der rechte Arm ist im Ellenbogen fast rechtwinklig gebogen. Die rechte Hand kommt
1/4
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
etwa auf die Brust des Jünglings zu liegen. Sie hält ein Alabastron, dessen aus Watte
oder Wolle bestehenden Pfropfen die Linke in einem zierlichen Gestus des Daumens,
vierten und fünften Fingers — die zwei anderen Finger dieser Hand sind eingeschlagen
— etwas seitlich herauszuziehen sucht. Die Göttin trägt nur ein dünnes Untergewand,
die Falten der halblangen Ärmel erscheinen am rechten Oberarm, ebenso die Faltung
des unteren Saumes am rechten Fuß, der Saum selbst am linken Fuß. An den Füßen
trägt sie spitz zulaufende Schnabelschuhe. Der größte Teil ihrer Frisur ist durch die
Kopfbedeckung verdeckt. Sichtbar sind nur an der rechten Seite vier buckeiförmige
Erhöhungen aus Haar, vier weitere sind für die linke Gesichtshälfte anzunehmen').
Die Frisur der Göttin läuft von Ohr zu Ohr, ohne jedoch dieselben zu bedecken,
außerdem fallen auf beiden Seiten hinter den Ohren je zwei dicke, spitz zulaufende
Schulterlocken in freier Krümmung bis auf Oberarm und Brust herab. Nach hinten
scheinen die Haare der Göttin eine breite ungegliederte Masse zu bilden, ähnlich wie
die der beiden Männer. Als Kopfbedeckung trägt sie eine ziemlich hohe, sich rasch
verjüngende, spitz zulaufende Kappe, deren Spitze nicht zentral, sondern rückwärts
liegt. Über diese Kappe ist ein breites unverziertes Band gelegt; der untere Teil des
Bandes erscheint unter dem Rande. Ob es sich wirklich um ein eigentliches Band
aus Stoff oder vielleicht um eine metallene Stephane handelt, ist nicht sicher zu
entscheiden. Auf dem Nacken der Göttin lagert der oben schon erwähnte Schwan
(es könnte schließlich auch eine Gans sein), dessen Hals dem rechten Rande des
rechten Flügels folgt.
Es bleibt noch die am Fußende der Kline sich befindende Gestalt des nackten
kleinen Dieners. Er ist zusammengekauert und sitzt außerordentlich unbequem da.
Die Matratze reicht hier nicht bis an das äußerste Ende des Klinenrahmens, sondern
erscheint, wie oben erwähnt, etwas zurückgeschoben und durch den von links wir-
kenden Druck des Knabenkörpers etwas faltig. Der Knabe kniet. Er sitzt nicht
mit seinem ganzen Hinterteil auf dem Bettrahmen, sondern dieses erscheint über
dem Rahmen erhoben. Das Körpergewicht des Knaben ruht nur auf seinen Füßen.
Sichtbar ist von dem Unterkörper des Knaben: das rechte Bein vom Knie abwärts
mit dem rechten etwas über den als Halt benutzten Klinenrahmen hervorragenden
Fuß; der rechte Arm ist in naturwidriger Haltung nach oben zurückgebogen; die
rechte Hand erscheint (auf der Rückseite gut sichtbar) oberhalb des Kopfes und
berührt den rechten Fuß der Göttin. Ein Finger dieser Hand ist auch in der Vorder-
ansicht zu erkennen. Der linke Oberarm ist vor der Brust des Knaben sichtbar.
Er greift mit diesem Arm unter seinem rechten Knie hindurch nach seinem Rücken,
') Es ist an unserem Stücke schwer z\i entscheiden,
ob diese buckeiförmigen Erhöhungen eigentliche
Buckellöckchen oder Wellen des Stirnhaares sind.
Kür die letztere Annahme spricht der Umstand,
daß auf den erhaltenen Bildwerken die Buckel-
löckchen stets in zwei Reihen untereinander an-
geordnet sind und daß ihre Zahl wesentlich größer
ist. Parallelen für die wellenförmige Anordnung
der Haare am Stirnrande bietet z. B. eine Ton-
scherbe aus Daphnae im British-Museum (Antike
Denkmäler 2, Tafel 21) oder die auch sonst ver-
wandten Terrakotten aus Veii und Satricum (D.
V. Buren im Journal of hellenic studies 41, 1921,
203 — 216, dazu Tafel 9). Bei dem Stück Morgan
wäre dann nur der äußere Kontur angegeben
wie auf der Scherbe von Daphnae.
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
'75
wo auch unterhalb des rechten Armes (etwas unter der rechten Achsel) die linke
Hand mit aufwärts gebogenen Fingern zu sehen ist. Auf der Vorderseite erscheinen
noch: der nach vorn gebogene linke Oberschenkel, das linke Knie sowie der neben
dem rechten Fuß in der Tiefe verschwindende linke Unterschenkel, dazwischen ein
Teil des Rumpfes. Die Frisur des Knaben ist dieselbe wie die des Jünglings. Sein
Kopf sitzt frontal auf dem Oberkörper; sein Blick ist geradeaus gerichtet, ohne sich
um die zwei Gestalten auf der Kline zu kümmern. —
Die dargestellte Szene wäre etwa folgende: Der Besuch der Göttin zur Nacht-
zeit gilt dem Hause eines vornehmen, in städtischen Verhältnissen lebenden Jüng-
lings (Königssohnes.?); darauf weisen die bequeme Kline und der Diener hin. Die
Zusammenkunft zwischen Jüngling und Göttin ist nicht verabredet, da beide in gar
keinem inneren Verkehr zueinander stehen. Die Bewegung der rechten Hand des
Jünglings nach der Kopfbedeckung der Göttin ist nichts weiter als eine schlaftrunkene
Gebärde der Überraschung. Der Schläfer fühlt nur undeutlich einen auf ihm lastenden
Druck, der dann diese Gebärde auslöst. Auch die Haltung der linken Hand ist noch
ganz die Haltung im Schlafe, eng an den Körper gelegt. Die Göttin bleibt anscheinend
für ihre Umgebung unsichtbar — so erklärt sich am Natürlichsten der geradeaus
gerichtete Blick des Sklaven. Auch die oben skizzierten Bewegungen des Schläfers
deuten nur darauf hin, daß ihn im Schlafe eine ungewohnte Last bedrückt, die er,
da er ja nicht weiß, wer es ist, durch diese Bewegung abzuwehren sucht. Hätte der
Jüngling auch nur eine Ahnung, daß eine menschliche Gestalt ihm nahte, so würde
er sicher seinen Kopf der Gestalt zuwenden. Verfehlt scheint mir also die Deutung,
die in dem Umstand, daß der Jüngling seinen Kopf der Göttin nicht zuwendet, eine
direkte Ablehnung sieht.
Weiter ist sehr auffallend der Unterschied der Größe und der des Alters: Der
Jüngling noch knabenhaft schüchtern und unentwickelt, die Göttin in voller Reife,
mit üppigen Formen, entschiedenen Bewegungen und raffinierten Gesten. Dieser
Kontrast kehrt in den Sagen wieder. So wird z. B. Adonis immer als jung geschildert.
Auch die mit unserer Darstellung nahe verwandten und dem jonischen Kulturkreis
angehörenden iptutixa itaBi^jtaTa des Parthenius (er geht größtenteils zurück
auf die im jonischen Gebiet verbreiteten Städtegründungsgeschichten) enthalten
vielfach Verwandtes. Auch dort ist der von allerdings sterblichen Matronen geliebte
Mann meistenteils ein schöner Jüngling in vornehmen Verhältnissen (oft ein Königs-
sohn) ').
Schließlich ist für die Deutung noch von Wichtigkeit die Betonung des Ala-
bastrons, das die Göttin in beiden Händen hält und das so auffallend dargestellt ist.
Sie könnte ebenso gut das Fläschchen halten, wenn sie ihren linken Arm um den Hals
des Jünglings legen würde. Es wird also der Inhalt dieses Alabastrons nicht nur ein
anregendes Parfüm gewesen sein. Trotzdem müssen wir aber die dargestellte Szene
unter allen Umständen als eine erotische deuten, da sonst Aphrodite sicher nicht
unter die Bettdecke geschlüpft wäre, und es ist nach dem ganzen Charakter grie-
') Vgl. Parthenius, ed. Martini (Mythographi Graeci, vol. 2, fasc. i suppl.), Lipsiae 1902, 14, 16, 17.
I^g Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein.
chischer Sagen anzunehmen, daß diesem erotischen Besuch der Liebesgöttin bei dem
Jüngling auch Kinder entstammen.
Es ist also hier Aphrodite dargestellt, wie sie als unsichtbare Göttin über-
raschend einen jugendlichen vornehmen Geliebten besucht (wohl einen Königs-
sohn). Die eben angeführten Anhaltspunkte berechtigen nun, bestimmte Personen
und Mythen auszuschließen und die hier zugrunde liegende Geschichte mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit zu ermitteln. Mehrere Mythen schildern uns die Liebe der Göttin
zu schönen jungen Männern, so die zu Anchises und zu Adonis. Jedoch ist das ganze
Milieu dort durchaus verschieden. Anchises ist z. B. ein junger schöner Hirte auf
dem Ida, dem Aphrodite am Tage erscheint, uapösvii) atSjirjTO [isfe&oj xai eiSo; öjaoitj');
alles das paßt hier nicht. Hier ist die Szene in das Schlafgemach eines
städtischen Jünglings verlegt, spielt wohl sicher bei Nacht, und die erscheinende
Göttin ist keine izapMvoi db\t.rfi mehr. Ebensowenig paßt Adonis: Das Einzige,
was die Darstellung auf dem Stücke Morgan mit der Adonissage gemein hat, ist der
jugendliche Geliebte. Adonis ist aber ein Hirte oder Jäger, sein Zusammentreffen mit
Aphrodite findet im Walde statt. Der Diener bliebe ebenfalls unerklärt.
Die auffallende Betonung des Alabastrons läßt auf eine Sage schließen, in der
die Göttin dem Geliebten ein Zauberöl bringt, das diesem vielleicht ewige Jugend
verlieh, vielleicht auch die Wirkung hatte, daß der Geliebte der Göttin anderen
Frauen gegenüber spröde blieb. Die dargestellte Szene erinnert in dieser Beziehung
an die Sage von Aphrodite und Phaon, die sicher auf ein älteres Novellenmotiv zurück-
geht ^). Hier bekommt Phaon ein Alabastron mit einem Öl geschenkt, das ihn zum
schönsten Menschen macht und die Frauen von Liebe zu ihm entbrennen läßt. Außer-
dem verbirgt ihn nach einer anderen Überlieferung Aphrodite im Lattich 3), da diesem
die Eigenschaft zugeschrieben wurde, die auf ihm gebettete Person spröde zu erhalten.
Es ist nun nicht unwahrscheinlich, daß in einer Überlieferung beides der Zauberkraft
eines Öles zugeschrieben wurde. Mir scheint außer allem Zweifel zu stehen, daß der
Inhalt des Alabastrons auf dem Bernsteinstück Morgan einen ganz ähnlichen Zweck
hatte, vielleicht sogar die eben angeführten Kräfte in sich vereinigte. Der ein-
zige Unterschied ist der, daß Phaon der hauptsächlichsten Überlieferung nach ein
Fährmann war.
Ferner ist eine Sage erhalten, in der sich Aphrodite dem König Kinyras oder
Byblos auf Cypern naht und mit diesem eine Tochter oder einen Sohn zeugt 4). Ihrem
Geliebten Kinyras verleiht die Göttin großen Reichtum, hohes Alter und strahlende
Schönheit. Die Gestalt des Kinyras ist sagenumwoben 5) und wurde oft mit der
griechischen Mythologie eng verflochten. Der König bleibt als Stifter des Aphrodite-
') Hymni Homerici (ed. Baumeister), Lipsiae 1906, Berolini 1849, s. v. Küitpo«, zurückgehend auf
4, 82/83. Philostephanos (Fragmenta Historicorum Grae-
») Hauptstellen dafür: Aelian, Varia Historia (ed. corum ed. C. Mueller (Parisüs) HI 30, Nr. ii)
Hercher), Lipsiae 1876, 12, 18. Servius ad Aen. und Istros (F. H. G. i, 423, Nr. 39); — Con-
(rec. G. Thilo, Lipsiae I 1881) 3, 279. stantinus Porphyrog. Themat. i, 40 [Editio
3) Aelian, Varia Historia 12, 18. Bonnensis] (= F. H. G. III 30, Nr. 11).
1) Hauptstellen: Stephanus Byzantius (reo. Meineke) 5) Pindar, Pyth. 2, 15 (ed. Schroeder, Lipsiae 1914).
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein,
177
kultes in Cypern von größter Wichtigkeit für den aphrodisischen Kreis, ebenso wie
sein Sohn Adonis mit dem Kult der Aphrodite eng verknüpft ist.
Es sind also alle Erfordernisse für die Deutung der Darstellung in der Sage
des Kinyras gegeben, und auch die aus Parthenius gegebenen Hinweise lassen sich
schön damit vereinigen, daß hier sehr gut das für die spätere griechische Geschlechter-
sage so wichtige Zusammentreffen der Liebesgöttin mit Kinyras dargestellt sein
kann. Damit ist der Kreis der Mythen bestimmt, in dem die Deutung des Morgan-
schen Bernsteins zu suchen ist. Alles paßt, soweit ich sehe, auf Kinyras, ohne daß ein
bindender Beweis sich bisher führen ließe. Jedenfalls handelt es sich um eine öst-
liche Geschlechtersage, in der der Ursprung eines großen Hauses auf eine Liebschaft
der Aphrodite zu dem jugendlichen Ahnherrn zurückgeführt war.
Der archaische Stil des Stückes Morgan weist auf eine Herstellung etwa
zwischen 520 u. 500 v. Chr. Genaue Parallelen finden sich nicht. Besonders auf-
fällig ist die fast völlige Faltenlosigkeit des Frauengewandes sowie die gekerbte
Stirntour des Jünglings. Heranzuziehen sind beim Vergleich die etwas älteren
Bronzereliefs von Perugia'), die in der Behandlung des Gesichtes, besonders
der Augen mit den eingesetzten Pupillen, des Konturs des weiblichen Rückens und
der Schnabelschuhe, die die Göttin trägt, Vergleichungspunkte liefern, sowie die
noch etwas älteren Bronzebeschläge des Streitwagens von Monteleone im Metro-
politanmuseum zu New York 2). Stilverwandtschaft mit den archaisch-jonischen
Funden in dem alten Artemision zu Ephesus scheint mir ebenfalls zu bestehen.
Wie stark der gerade von der kleinasiatischen Küste kommende Einfluß auf die
Ostküste Italiens zu sein scheint, beweist ein ausgezeichnet gearbeiteter Löwen-
kopf aus Bernstein von Belmonte im Museum zu Ancona (Dali' Osso, Guida
del' Museo Nazionale di Ancona, Ancona 191 5, Abb. S. 48), der auffallend nahe
verwandt ist mit dem vom Artemision zu Ephesos stammenden Löwenkopf (Brunn-
Bruckmann, Taf. 642; Text von Schröder).
Etruskische Elemente zeigt das Stück Morgan nicht. Selbst die Kappe der
Göttin findet sich auf jonischen Vasen (vgl. Sieveking-Hackl, Die kgl. Vasensamm-
lung zu München, Bd. I 99, Abb. 99). Es ist — das kann man wohl mit Sicher-
heit behaupten — entweder in einer in Italien bestehenden griechischen Werkstatt
gearbeitet, oder sein Ursprungsort liegt viel wahrscheinlicher in griechischem
Kulturgebiete.
Ich wiederhole zum Schlüsse, was sich aus meinen Ausführungen wohl mit
Sicherheit halten läßt:
I. Die ganz ausgezeichnete Arbeit des Stückes Morgan scheint ganz ent-
schieden dafür zu sprechen, daß es griechisch ist, ob importiert oder an Ort und
Stelle von der Hand eines griechischen Meisters ausgeführt, läßt sich nicht ent-
') Antike Denkmäler 2, Taf. 14. Petersen, R. M. IX ^) Brunn-Bruckraann, Taf. 586/87; Text von Furt-
1894, 253 — 219; vgl. auch die Textabbildung im wängler; G. Richter, Metropolitanmuseum of art:
Text zu der Denkraälertatel ; Brunn-Bruckmann, Greek, Etruskan and Roman Bronzes, New York
Taf. 588/89. 1915. 17-29-
I ^8 Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstuck aus Bernstein.
scheiden, jedoch scheint mir der Fundort in der Nähe der reichen Küsten- und
Handelsstadt Ancona für das erstere zu sprechen.
2. Die wahrscheinlich zugrunde liegende Sage weist bestimmt auf den grie-
chischen Kulturkreis hin, und zwar am ehesten auf jonischen; da jedoch die stil-
verwandten Denkmäler noch nicht gesammelt vorliegen, möchte ich mich hier eines
endgültigen Urteils zunächst noch enthalten.
Ich benutze die Gelegenheit, um eine ebenfalls sehr bedeutende archaische
Bernsteinschnitzerei, früher Sammlung Pourtales '), jetzt im British Museum zu
London, in besseren Abbildungen als den bisher veröffentlichten wiederzugeben ').
Auch die Deutung, die Panofka gab und die, soweit ich sehe, nicht durch eine andere
bessere ersetzt ist, scheint sich nicht halten zu lassen. Die hier veröffentlichten
Photographien dieses Stückes (Taf. V) verdanke ich dem liebenswürdigen Entgegen-
kommen des British Museums; Herr A. H. Smith stellte mir dieselben in dankens-
werter Weise zur Verfügung.
Das Stück ist 17 cm lang, ca. 9,2 cm breit und etwa faustdick; Fundort nach
Panofka Ruvo. Es ist an der Spitze durchbohrt und diente daher als Anhänger
irgendwelcher Art. ,
Der Erhaltungszustand ist ebenfalls ein sehr guter: Der Bernstein ist im
Laufe der Zeit gebräunt und zeigt auf der Rückseite einige unregelmäßig begrenzte
Vertiefungen, die wohl natürliche sind. Außer dem wohl zum Durchziehen des
Fadens oder Drahtes dienenden Loch am oberen Ende des Stückes befinden sich
noch drei regelmäßige runde Löcher an ihm, deren Bestimmung ich vorläufig nicht
zu erklären vermag.
Die ganze Art der Ausführung steht etwas hinter der delikaten Behandlung
des Materials bei dem Stücke Morgan zurück.
Dargestellt sind: ein großer nackter Mann, in seine Kniee gesunken, neben
ihm stehend eine weibliche jugendliche Gestalt, fast ganz in ihr langes Gewand ein-
gehüllt. Zwischen den beiden ein Tierkopf mit langer Schnauze und spitzen Ohren
— wohl sicher der einer Hirschkuh. Das Ganze stellt also Artemis dar im Kampfe
mit einem Riesen.
Im Vordergrunde die Gestalt des zu Boden Gesunkenen. Sichtbar: sein
linker Oberschenkel, das linke Knie am Boden, der linke Unterschenkel fast parallel
dem linken Oberschenkel; der linke Fuß ist abgebrochen. Neben dem linken Ober-
und Unterschenkel, stark »verzeichnet«, der rechte Ober- und Unterschenkel, die
so dargestellt sind, als befände sich der Leib in der Höhe des linken Knies. Der
Körper ist muskulös gebildet mit stark entwickeltem, aber anatomisch nicht richtig
wiedergegebenem Brustkorb. Der Mann trägt einen starken Bart, der von Ohr
') Zuerst veröffentlicht von Panofka, Antiques du seiner Abhandlung nur Photographien nach den
cabinet Pourtales, Paris 1834, Tafel 20, i u. 2; Stichen bei Panofka.
Text S. 24/25. Albizzati in seinem oben er- =) Lichtbilder nach der Vorlage zu Taf. V sind bei
wähnten Aufsatze bietet unter Fig. 21 u. 22 Seemann unter Nr. 81 266 u. 81 267 erhältlich.
Friedrich Kredel, Ein archaisches Schmuckstück aus Bernstein. I 7g
ZU Ohr läuft, außerdem einen kräftigen Schnurrbart. Die Frisur besteht aus einer
glatten Stirntour und glattem Scheitelhaar; die Haare des Kopfes und des Backen-
bartes selbst sind durch parallele senkrechte Striche wiedergegeben. Der Kopf ist
nach der rechten Brustseite hingedreht, der Blick geht geradeaus. Der rechte
Arm ist nicht sichtbar, der linke ist in einer starken unnatürlichen Drehung nach
oben gebogen. Die linke Hand ist am oberen Rande des Bernsteinstückes zu er-
kennen (in der Rückansicht) : Finger parallel nebeneinander liegend, Daumen etwas
abstehend und in der Vorderansicht zu bemerken. Er hält sich mit dieser Hand
an dem vielleicht als Fels gedachten oberen Rande des Stückes fest und sucht sich
an ihm wieder aufzurichten, was die links stehende Artemis verhindert, indem sie
mit ihrer rechten Ferse auf das rechte emporstehende Knie des Mannes tritt. Artemis
steht höher als der Besiegte: die Zehen ihres rechten Fußes hat sie auf einen durch
parallele wagrechte Streifen angedeuteten Felsen gesetzt. Ihr linkes Bein ist in
einem leichten Gestus hoch angezogen und im Knie gekrümmt; sie hält es so frei
in der Luft, die Zehen dieses Fußes gespannt nach unten gerichtet. Die rechte
Hand mit fest geschlossenen Fingern ist etwa in der Höhe ihres linken Knies sicht-
bar. Die Göttin trägt ein langes Gewand mit reichen durchgehenden Falten, das
ihren ganzen Körper bis auf die beiden Füße und die rechte Hand bedeckt. Der
nach rechts gerichtete Blick der Artemis geht über den Kopf des zu Boden Gesunkenen
hinweg. Ihre Frisur ist ähnlich wie die des Mannes, außerdem trägt sie langes,
in geschlossenen Massen herabfallendes Haar, das im Nacken eingeschnitten ist. —
Zwischen den beiden Gestalten der Kopf der oben erwähnten Hirschkuh, dem Hin-
gesunkenen zugewandt. Auf der Rückseite eine mächtige bärtige Schlange, mehr-
fach geringelt, deren Körperumfang nach der Mitte zunimmt; der Kopf der Schlange
wendet sich der Seite zu, an der in der Vorderansicht der Kopf des Mannes liegt
und wo dessen Arm sich befindet; offenbar schickt sie sich gerade an, ihn anzu-
greifen. Am unteren Rande des Stückes ist unter dem rechten Fuße und dem linken
Knie des Hingesunkenen ein kleiner Delphin mit stark hervorquellenden Augen
angebracht.
Die Darstellung zeigt also Artemis im siegreichen Kampfe gegen einen unge-
schlachten Mann. Die Schlange auf der Rückseite ist vielleicht eine von ihrem
Bruder Apollon der Schwester gegen diesen Unhold zu Hilfe gesandtes Tier, wie
ja Apollon mehrfach Schlangen zur Bestrafung von Frevlern entsendet (z. B. gegen
Laokoon). Derartige Kämpfe der Artemis gegen Riesen sind mehrfach überliefert,
z. B. gegen Orion. Für die Deutung des Riesen auf Orion spricht meines Erachtens
ganz entschieden der am unteren Ende des Stückes angebrachte Delphin; denn
Orion ist nach verschiedenen Überlieferungen der Sohn des Poseidon '). Weswegen
nun Orion von der Göttin besiegt wurde — , ob er sich an ihr vergreifen wollte oder ob
er sonst ihr gegenüber prahlte — , darüber ergibt sich aus dem Stücke Pourtales nichts.
Trotz großer Ähnlichkeiten, die das Stück. Pourtales mit dem Stücke Morgan
gemein hat — z. B. die unnatürliche Rückwärtsdrehung des linken Armes des Riesen
') Preller-Robert, Griechische Mythologie. 4. Aufl. Berlin 1894 1 582.
l80 ^^- W. Frhr. v. BUsing, Untersuchungen über die >phoiniki8chen« Metallschalen.
und des rechten Armes des Sklavenknaben sowie die Verzeichnungen von Glied-
maßen — , sind doch auch erhebliche Unterschiede zwischen den beiden vorhanden.
Besonders weist auf dem Stücke Pourtales die so stark hervorgehobene anatomische
Wiedergabe der kräftigen Brustmuskulatur des Riesen sowie das stark entwickelte
Untergesicht der Artemis, vielleicht auch die durchgehenden Falten in deren Be-
kleidung auf eine etwas spätere Entstehungszeit hin. Ich möchte es um etwa
500 V. Chr. datieren. Daß es sich auch hier um ein griechisches Stück handelt, ist
wohl mit Sicherheit anzunehmen.
Eine Sammlung sämtlicher Bernsteinschnitzereien wird hier sicher, wie oben
erwähnt, erhebliche und wichtige neue Ergebnisse bringen.
Gießen. Friedrich Kredel.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE „PHOINIKISCHEN"
METALLSCHALEN.
I. Die Datierung des Fundes von Nimrud.
Zwei Ansichten über das Alter der im Palast von Nimrud gefundenen Bronze-
schalen stehen einander gegenüber: Dumont-Chaplain, les ceramiques de la Grece
propre I 132 f., ich selbst, J. d. I. XIII 1898, 38 ff., Poulsen, Orient und früh-
griechische Kunst 9 ff. haben sich für die Zeit Aschurnazirpals, des Erbauers des
Palastes (884 — 860) ausgesprochen, während der Entdecker der Schalen, Layard,
Discoveries at Nineveh and Babylon = Niniveh und Babylon, Deutsch von Zenker,
193, Perrot- Chipiez II 735 f., Karo A. M. XXXXV, 1920, I50ff. für den Ansatz
unter Sargon (721 — 05), den Erneuerer des Baus, oder gar einen seiner Nachfolger
eingetreten sind. Die Entscheidung bringt, glaube ich, einesteils eine Stelle der In-
schriften Sargons, andernteils der von Layard gegebene Fundbericht. Natürlich kann
CS sich dabei nur um die Zeitbestimmung für die Anlage des von Layard gefundenen
Depots handeln; die Möglichkeit, daß in diesem Depot ältere Stücke vorhanden sind,
bleibt so gut theoretisch wie die andere, daß noch nach Sargon Stücke hinzuge-
kommen sind. Indes werden wir sehen, daß wohl beide Möglichkeiten große Ein-
schränkungen erfahren.
In Sargons Zylinderinschrift (Keilinschriftliche Bibliothek II 39) heißt es:
»Damals war der Palast von Wachholderholz in Kalchu, den Aschurnazirpal, mein
fürstlicher Vorgänger, vordem gebaut hatte — jenes Gebäudes Fundament war nicht
gefestigt, und sein Grundstein war nicht auf harten Boden, festen Fels gelegt worden
— durch Regengüsse, die Wucht des Himmels, in Verfall und Altersschwäche ge-
raten, seine Umfassungsmauer war gelockert und seine Wände (?) in Verfall geraten.
Ich reinigte den Platz und erreichte seinen festen Untergrund; auf gewaltigen
Fr. W. Frhr. V. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« MetaJIschalen. igl
Quadern schüttete ich sein Fundament gleich dem Damm eines hohen Gebirges
auf. Von seinem Grunde bis zu seinem Dache baute und vollendete ich ihn ....
Was bei (.-') der Eroberung der Städte meine Waffen, die ich wider die Feinde
richtete, herausgehen ließen, schloß ich in ihm ein und füllte ihn mit reicher Fülle«.
Auch wenn man gewohnt, ist von den Angaben assyrischer Könige einiges abzu-
ziehen, muß man doch gestehen, daß diese Schilderung Sargons nicht danach aus-
sieht, als habe er von dem Bau der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts oder von
dem Inventar des Palastes noch viel übrig gefunden. Die kritische Betrachtung
des bei Layard a. a. O. 176 ff. gegebenen Fundberichtes bestätigt diese Annahme.
Im hinteren Teil des Südwestpalastes, in dem Zimmer neben AA auf dem Plan
Monuments of Niniveh I Taf. 100, in, in dem sich auch ein Brunnen befand und
dessen einfache Ausstattung auf ein Depot hinzuweisen scheint, entdeckte Layard
aufeinandergestapelt und ohne Ordnung eine große Reihe von Gegenständen aus
verschiedensten Materialien, keiner jedoch aus Edelmetall. Da waren Dinge aus
Elfenbein, Elefantenzähne, Glasnäpfe, Waffen, Teile von Pferdegeschirren (Layard
a. a. 0. 178), Eisengerät, zwei Bronzewürfel mit in Gold tauschiertem Skarabäus,
bronzene Glocken mit eisernen Klöppeln, Stäbe, die in einen Haken mit einer Art
Mundstück ausliefen, Knöpfe und Buckel aus Perlmutter und Elfenbein, zahlreiche
Teile von Dreifüßen, Tischen, andern Möbeln, wozu vor allem die Tierfüße und der
angebliche Weintrichter (Layard 180) gehören '), der Kopf eines Dämons aus Bronze
(Layard 180), wie solche mit dem Körper unter dem Pflaster des Palastes von
Chorsabad gefunden sind ^). Dann fanden sich Beschläge von Türen (.''), die Layard
a. a. O. 180 als Waffengürtel bezeichnet, endlich über 150 bronzene Gefäße, Schüsseln
mit Henkeln, Teller, tiefe Näpfe, Schalen, Pfannen und Krüge. Ein Teil der Funde
lag in den Gefäßen, die Löwen- und Stierfüße lagen in Haufen zusammengeschichtet
unter Pfannen, andere Gefäße lagen hinter den Pfannen auf einem Haufen bei-
sammen. Von den Waffen standen die runden Schilde aufrecht, einer gegen den
anderen gelehnt und durch ein viereckiges Stück Ziegel gestützt, dann waren
da dünne eiserne Stäbe, eher Spieße, wie die bekannten im Heraion gefundenen,
als Pfeilschäfte, wie sie Layard 194 erklärt. Auch der Überrest (.'') einer Götter-
statue scheint gefunden, die a.a.O. 197 erwähnte Linse von Bergkristall, mit einer kon-
vexen und einer ebenen Seite: offenbar das Auge eines Götterbildes. Man gewinnt
aus dieser Beschreibung den Eindruck, daß es sich um ein sorgfältig angelegtes
Depot handelt, in dem die verschiedensten Gegenstände, soweit ihr Material nicht
besonders wertvoll war, aufgestapelt worden sind. Manches von dem so Geborgenen
scheint schon zur Zeit der Bergung unvollständig gewesen zu sein 3), einzelnes, wie
') Möbelteile aus dem Depot sind abgebildet bei British Museum einzelne Tonköpfe solcher Dämo-
Layard-Zenker, Ninive und Babylon Taf. XV nen abgebildet.
M, N,0, Y, Z,AA,AB;Taf. XVI N, U; Taf. XIV ') Man möchte das bei den Möbelteilen vor allem
C, wozu noch die Stücke vom Thron Sargons, annehmen, die sich zu keinem Ganzen fügen.
(s. unten) und vielleicht einige der Taf. XV Zur Form der Möbel vgl. etwa Koeppen-Breuer.
S — X wiedergegebenen Ornamente kommen. Geschichte des Möbels Abb. 133, 134, 138 ff.
^) Jastrow, Bilder zur Religion Babyloniens Taf. 20, Der Abb. 142 wiedergegebene Sitz gehört in die
67/8. Ebenda sind aus dem Louvre und dem Zeit Aschumazirpals.
Jahrbiißh des archäoiog-isnhen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 13
182 Fl'- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die >pboinikischen< Metallschalen.
die Götterfiguren (resp. ihre Überreste) könnten vom älteren Bau stammen, anderes,
wie die Elefantenzähne könnte Rohmaterial sein, wahrscheinlicher aber Beute ').
In vollständiger Erhaltung wurde ein Thron gefunden (Layard 198 ff.), der mit
seinem Fußschemel in der Ecke des Gemaches stand, also magaziniert.
Von diesem Thron, der dann leider zerfiel, stammen die bei Layard-Zenker
abgebildeten Stücke Taf. V B; VI E, F; XVI U, W, X. Die Abbildungen be-
stätigen Layards Urteil (a. a. 0. 200), daß er eine rein assyrische Arbeit ist. Nach
der Beschreibung von Layard 199 f. hatten nun Thron und Schemel Löwenfüße,
die in »Pinienzapfen« endigten. Das gibt einen Anhalt zur Datierung. Wie Layard
a. a. 0. und Meißner, Babylonien I 248 mit Recht bemerkt haben, entspricht diese
Endigung der jüngeren assyrischen Sitte, während die Zeit Aschurnazirpals, der
Meißner (a. a. 0. 268) mit anderen den Thron zuweist, nur den reinen Löwenfuß
kennt. Wir haben also mindestens ein Stück sargonischer Zeit in dem Depot.
Der gleichen Zeit wird, nach dem, was ich J. d. I. XIII 1898, 14 ausgeführt habe,
die Schale Layard-Zenker Taf. XIV K zuzuweisen sein. Gewiß mag sie auf ägyp-
tische Vorbilder zurückgehen (s. meine Metallgefäßc Kairo 3520, 3530), gewiß
wissen wir aus den Excavations in Cyprus 60, daß gerade diese Form im Mittel-
meergebiet gegen Ende der mykenischen Zeit verbreitet war, aber aus Petrie, Nebeshe
Taf. VII, daß sie in Ägypten noch um 230 lebte; in Assyrien scheint sie vor Sargon
nicht nachweisbar. Zu den ägytischen Stücken zählen noch jene beiden Würfel
mit dem Bild des geflügelten Skarabäus Layard-Zenker Taf. XVII M, N, die zwar
Perrot-Chipicz II 751 als assyrisch abbildet, die aber nach Stil und Technik gut
ägyptische Arbeiten der Zeit nach 900 oder später sind, wie die von Vernier, La
bijouterie et la joaillerie egyptienne 123 ff., behandelten Denkmäler lehren, und
vor allem die in der Form übereinstimmenden Würfel aus Tanis, die Mariettc, Monu-
ments Divers Taf. 103 C veröffentlicht hat und die der Spätzeit, wahrscheinlich
erst dem VIII. /VII. Jahrhundert angehören. Ägyptisch ist ferner, ohne uns indes
einen Datierungsanhalt unmittelbar zu geben, der Pfannengriff in Gestalt einer
Nymphaea caerulea, den Layard-Zenker Taf. XIV B abbildet. Eine solche Pfanne
des Neuen Reichs findet sich z. B. in meinen Metallgefäßen, Kairo 3533. Daß aber
diese Grifform auch später noch üblich war, lehren die fünf Kannen aus der kreti-
schen Zeusgrotte (Halbherr-Orsi, Antro di Zeus Idco 37, Taf. XII 9). Auf derselben
Tafel ist Nr. 10 ein Becken abgebildet (nach S. 36 sind mehrere gefunden), das im
wesentlichen mit dem bei Layard-Zenker Taf. XIV L, XV G veröffentlichten über-
einstimmt, wozu die ägyptischen Parallelen in meinen Metallgefäßen 3545 und im
Fund von Zagazig, Mus6e Egyptien II Täf. 47 ff., zum Teil mit figürlichem Schmuck,
sich finden.
Poulsen hat gemeint, durch einige stilistische Beobachtungen die Frühdatierung
der Bronzen von Nimrud sichern zu können. Auf zwei der Gefäße kommen Wagen
vor. Auf der Schale Layard, Monuments II Taf. 65, wozu man die Zeichnung bei
•) Leider wissen wir zu wenig vom Kunstgewerbe ob einzelne der Möbelteile von dort stammen
der Gegend um Karchemisch, um sagen zu können, könnten.
Fr. W. Frbr. v. Bissing, Untersuchungen ttber die »phoinikischenc Metallschalen. I g?
Studniczka J. d. I. XXII 1907, 164 vergleiche, hat der Wagen vier Speichen, eine
zunächst seiir archaisch anmutende Form. Aliein im übrigen trägt diese Schale
keinerlei altertümliche Züge. Anders steht es mit der Tasse Layard a. a. 0. Taf. 63.
Hier hat der Wagen acht Speichen, also, wie auch Studniczka a. a. O. 172 anerkennt,
die jüngere assyrisclie Form, die zu einem Ansatz in sargonische Zeit besser stimmen
würde als zu einem in das IX. Jahrhundert. Ich sage besser: Salmanassar III.
(859 — 23) fährt auf den Torbeschlägen von Balawat noch auf dem sechsspeichigen
Wagen, aber nach den Abbildungen hethitischer Gefährte auf ägyptischen Reliefs
der Ramessidenzeit war der achtspeichige Wagen in diesem Kreis damals ganz all-
gemein im Gebrauch, ja der Pharao Tuthmosis IV. (um 1420) und nicht, wie Stud-
niczka a. a. 0. 149 behauptet, seine syrischen Gegner, benutzt auf den Reliefs seines
Kriegswagens aus seinem Grab (z. B. meine Denkmäler Text zu Taf. 78) den acht-
speichigen Wagen. Andererseits finden wir, vermutlich aus bildlicher assyrischer
Tradition übernommen, den sechsspeichigen Wagen auf dem von Weber, Hethitische
Kunst, zu Taf. 41 wohl zu hoch um lOOO datierten Relief aus Malatia. Mansieht, wie be-
denklich eine Methode ist, die mit Hilfe solcher Einzelheiten eine Datierung zu gewinnen
sucht — vor allem wenn, wie bei den Nimrudschalen, der Entstehungsort des
Denkmals nicht feststeht. Auf der Tasse nun, die diese verhältnismäßig junge
Radform zeigt (und nicht, wie Poulsen, Orient und frühgriechische Kunst 8 und 13 an-
gibt, auf der Schale Layard a. a. O. 65) finden wir an dem Löwen ein Detail, das in der
assyrischen Kunst, wie Poulsen beobachtet hat, nach Aschurnazirpal nicht mehr vorzu-
kommen scheint: den Haarstern am Oberschenkel. Allein dieser Haarstern taucht, wie
teilweise schon Poulsen bemerkt hat, in den Silberarbeiten derskytho-persischen und der
sassanidischen Kunst wieder auf (z. B. Sarre, Kunst des alten Persiens Taf. 113, 128),
nicht aber in der achämenidischen Monumentalkunst. Der Typus scheint sich also
irgendwie in der Metallindustrie gehalten zu haben. Betrachten wir nun aber die
Gesamtgestalt des Löwen auf der Tasse von Nimrud, von der Poulsen a. a. 0. Abb. 3
eine ausgezeichnete Wiedergabe gibt, so stellt sie sich zwar im Gesamthabitus ganz
gut neben die Löwen Aschurnazirpals (Poulsen a. a. O. Abb. 7, Budge, Assyrian
sculptures, reign of Ashurnasirpal Taf. VI, XII, XLII), aber in der Zeichnung
der Mähne wie Schuppen und in der Sträubung der Haare an der Rückenmähne
gleicht der Löwe der Tasse viel mehr den Löwen Sargons (Perrot-Chipiez II Taf. XV,
weniger Taf. XI) und Aschurbanipals (Perrot-Chipiez II Fig. 267 ff., Klcinmann,
Assyrische Skulpturen Taf. XL, Meißner, Grundzüge der Plastik Abb. 236 usw.).
Freilich teilen die Löwen der beiden Layard, Monuments II Taf. 68 wiedergegebenen
Tassen mit den älteren assyrischen Löwen und den hethitischen Ausgrabungen
von Sendschirli IV Taf. LVII') die Behaarung am Oberschenkel der Hinterbeine,
aber diese tritt auch bei den Löwen der Idaeischen Grotte, Halbherr-Orsi, Bronzi
Cretesi Taf. II, auf. Und diese kretischen Löwen zeigen zum Teil (a. a. O. Taf. III,
V) Behaarung des ganzen Körpers, also auch jene auffällige Rückenmähne, die im
Bereich der mesopotamischen Kunst unerhört ist, für die Poulsen auf den kleinen
') Die andern von Poulsen beigebrachten »Parallelen« aus Sendschirli sind irreführend.
•3*
184 ^'- ^' ^'^f- V- Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
von Jaeckel in der Ostasiatischen Zeitschrift I 79 ff. veröffentHchten Bronzelöwen
als einzige Analogie verweist. Jaeckel hielt das in China gefundene Tier für sume-
risch, tatsächlich gehört es mit all seinen Mängeln in den ostasiatischen Kreis, aus
dem es stammt. Hingegen tragen die Löwen auf dem u. a. bei Brunn, Kunst-
geschichte I 94 abgebildeten Bronzeständer aus Caere, dessen Beziehungen zur
»orientalischen« Kunst allgemein erkannt sind (s. auch Poulsen, Orient usw. 124 f.),
Rückenmähnen. Hier mag noch hingewiesen werden auf die Typenverwandtschaft
des Löwen auf dem Siegel des Schema, Dieners Jerobeams, mit den Löwen der
beiden Tassen Layard, Monuments H Taf. 68. Ist mit Lidzbarski, Ephemeris f.
sem. Epigr. H 140 ff. Jcrobeam I. zu verstehen, so gehört das Siegel in den Anfang
des IX., ist, was auch Lidzbarski für möglich hält, Jcrobeam II. gemeint, so muß
CS in den Anfang des VHI. Jahrhunderts gesetzt werden. Im übrigen sei ausdrück-
lich bemerkt, daß so wenig wie auf den Bronzen von Kreta auf den Schalen von
Nimrud ein einheitlicher Löwentypus herrscht.
Hinter dem Löwen der einen Tasse erscheint ein Palmettenbaum. Er kehrt
ganz ähnlich auf der Tasse Layard, Monuments II Taf. 57 C, Ninive und Babylon
190 wieder. Poulsen möchte an Beispielen dartun, daß dieser Baum nur unter
Aschurnazirpal vorkomme, unter Sargon und seinen Nachfolgern schon ganz dege-
neriert sei. Aber Layard a. a. O. II Taf. XIV/V sind Reben gemeint, I Taf. XIII/XIV
scheint mir völlig verschieden. Allenfalls könnte man unter den Skulpturen Aschur-
nazirpals Layard I Taf. 35, 37 vergleichen (Budge, Assyrian sculptures Taf. XXVI,
XXXVI); aus solchen Motiven und den ähnlichen Palmettenbäumen der assyrischen
Gewänder könnte unser Palmettenbaum entstehen, völlig gleich ist ihm, so weit
ich sehe, auch keiner der »Bäume« auf Zylindern: man sehe die Zusammenstellung
bei Ohnefalsch-Richter, Kypros, die Bibel u. s. w. Taf. 69, wo am nächsten die dem
persischen Zylinder mit arameischer Inschrift Taf. y/, 10 entlehnte Form kommt.
Das Stück ist im Libanon gefunden und gehörte einem Syrophoiniker etwa des
Anfangs des V. Jahrhunderts. Der Palmettenbaum entstammt wohl wie das Schema
des Löwen bezwingenden Mannes, das ja auch auf der Nimrudschale Layard II
Taf. 64 wiederkehrt, dem einheimischen Typenschatz, nur das Kostüm ist modisch,
persisch. Wieder hat sich das Motiv, das in den altassyrischen Gewandverzierungen
Layard, Monuments I Taf. 43 anklingt, in der sassanidischen Kunst erhalten: Sarre,
Kunst des alten Persiens Taf. 123 und, naturalistischer, Taf. 122.
Poulsen hat weiter als für den Ansatz unter Aschurnazirpal beweiskräftig
angeführt, die Palmettenreihen der Schalen Layard, Monuments II Taf. 59 C und
62 B stimmten mit dem ägyptischen Krug von Zagazig, Mus^e ßgyptien II Taf. XLV
überein, der der Zeit um 1200 angehören muß. Der Palmettenbogenfries hat seit
alter Zeit und bis zu ihrem Ende Heimatrecht in der assyrischen Kunst erworben;
während aber die Blüten des ägyptischen Ornaments deutlich Nymphäen sind,
sehen wir auf den Nimrudschalcn Sternblüten und Papyros. Der typisch ägyp-
tische fallende Blätterkranz des Gefäßes von Zagazig ist den Nimrudschalcn aber
fremd, auch das Gehänge von Taf. 59 D hat nichts damit zu tun. Allenfalls könnte
man auf ägyptische Vorbilder das bisher kaum beachtete Kymation von Taf. 64
Fr. W. Frhr. v. Bissing, L'ntersuohungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
185
zurückführen'). Die Form dieses Kymations selbst aber weist wieder in die Zeit einer
jüngeren, dem VII. Jahrhundert nahestehenden Entwicklung.
Auch die Berufung auf das Asaphsiegel (z. B. Greßmann, Bilder zum Alten
Testament 105) dürfte die Hochdatierung wenig stützen. Einmal gehört dies
Siegel selber dem VIII. Jahrhundert wahrscheinlich an, dann aber ist die dort
und übereinstimmend auf der Schale Layard, Monuments II Taf. 63 verwendete
Greifenform zwar ihrem Ursprung nach ägyptisch (Lanzone, Dizionario di mito-
logia 1067 aus dem Mittleren Reich), in der hier vorliegenden Ausgestaltung aber
syro-phoinikisch. Ungeflügelt findet er sich als Tier des Gottes Month nicht selten
auf Skarabäen, geflügelt, aber liegend auf der Axt des Amosis (mein Grabfund aus
dem Anfang des Neuen Reichs Taf. I ). Die in Phoinikien übliche Form scheint in der
Spätzeit Ägyptens auf die Heimat zurückgewirkt zu haben, denn nach dem Sockel-
ornament und der Herkunft ist das Bild Lanzone a. a. 0. 1068 nicht vor die Ptole-
mäerzeit zu setzen. Es stammt aus Wadi es Sofra (Budge, Sudan II 149, Lepsius,
Denkmäler V 74). Einen gewissen Anhalt geben auch die vielen Eisenfunde im
Depot. Nicht nur die Waffen waren, mit wenigen Ausnahmen (Layard-Zenker 194
Griffe von Schwertern) aus Eisen, sondern auch die Werkzeuge, Hacken, Hämmer,
eine Säge (Layard-Zenker Taf. XIX A — wieso sie nach S. 195 zwei Griffe haben
soll, ist mir unklar 2)). Nun hat Winkler, Altorientalische Forschungen I 159 ff.
gezeigt, daß zwar zur Zeit Aschurnazirpals das Eisen bekannt war, daß man aber
eiserne Werkzeuge erst in sargonidischer Zeit in größerem Umfang verfertigt hat.
Nach Lehmann-Haupt, Materialien zur älteren Geschichte Armeniens loo liegen die
gleichen Verhältnisse in Armenien vor, einem Hauptsitz der altasiatischen Eisen-
industrie.
Durchaus entschieden zugunsten des Ansatzes unter Sargon glaubte Dussaud,
Les civilisations prehelleniques 1914, 310 f. den Streit durch die aramäischen In-
schriften auf vier der Schalen von Nimrud. Es handelt sich, wie man aus Dumont-
Chaplain, Ceramiques de la Grece I 131 erfährt, um die Schale Layard, Monuments
II Taf. 62 B, die Schale Perrot-Chipiez II 741 und zwei unveröffentlichte Schalen 30 k
(au centre feuille mal dessinee; cinq cercles concentriques) und 30 v (motif du
centre composec de feuilles; deux zones florales), die im British Museum die Nummern
14 und 50 tragen. Nach Rcnans und de Vogues Urteil würden sämtliche vier
Inschriften archaischen Charakter tragen, ähnlich dem der von Layard gefundenen
■) Vgl. die Zusammenstellungen bei Meurer, Ver-
gleichende Formenlehre 342 fE.
^) Einige ganz ähnliche Sägen hat Petrie, Sixtemples
Taf. XXI neben einem assyrischen Helm, einer
unverzierten Bronzescliale etwa der Form derer
von Nimrud gefunden. S. l8f. weist Petrie auf
die Wahrscheinlichkeit hin, daß auch die bei dem
Helm gefundenen eisernen Werkzeuge, deren
Formen unägyptisch sind, assyrischen resp.
armenischen Ursprungs seien. Das Datum des
Thebanischen Fundes muß in die Zeit des Zuges
Assarhaddons gegen Theben, um 670, fallen. Ein
Werkzeug (Axt) und nicht die Spitze eines Pfeiles
ist offenbar auch das Layard-Zenker Taf. XVI, V
abgebildete, zweischneidige Eiseninstrument, das
durchaus die typische Gestalt des Pickels hat
bei Layard aber auf dem Kopf zu stehen scheint.'
Sehr nahe steht ihm das kyprische »Doppelbeil«
Orientalisches Archiv III Taf. XXX 15 aus
Bronze. Über Sägen :Petrie,Tools und Weapons43ff.
i86
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
bilinguen Tafeln, die dem Ende des VIII. oder dem Anfang des VII. Jahrhunderts
angehören. Sie geben Namen, deren Bedeutung, ob Verfertiger, erster oder späterer
Eigentümer der Schalen, nicht feststeht. Lange Zeit war die älteste aramäische
Inschrift eine aus Salmanassar V. Zeit (727 — 722, Sanda, Die Aramäer 25). Neuer-
dings aber kennen wir Inschriften in altsemitischem Alphabet aus Sendschirli, die
in die Regierung Salmanassars III., und vielleicht noch früher, also um die Mitte
des IX. Jahrhunderts fallen (Ausgrabungen von Sendschirli IV 374, Orient. Literztg.
1911, 540 ff., Lidzbarski, Ephemeris III 192 ff. ')). Immerhin soll man nicht über-
sehen, daß die z. B. Perrot-Chipiez III 783 abgebildete Schale aus Olympia, die
nicht allzuweit von den Nimrudschalen abgerückt werden kann, eine Inschrift trägt,
die der Text der Bronzen von Olympia 141 in das VII./VI. Jahrhundert, Renan,
der den rein aramäischen Charakter auch der Sprache betont, sogar in das V. Jahr-
hundert setzen will. Damit würde sie sich mit der Inschrift auf der im nördlichen
Kaukasusgebiet gefundenen Schale persischen Stils berühren, die den letzten Aus-
läufer der Gattung bildet (Zeit. d. Deutsch-Morg.-Gesell. 1878, Taf. II, Perrot-
Chipiez III 792) J).
Ich glaube, auch abgesehen von dem sicher sargonischen Thron und der Schale
und ohne auf die Angaben Sargons übertriebenes Gewicht zu legen, wird man fest-
stellen dürfen, daß kein einziges im Depot gefundenes Stück zu einem Ansatz unter
Aschurnazirpal zwingt, die meisten sich in die bekannte Kultur der sargonischen
Zeit einfügen. Ein Ansatz zwischen Aschurnazirpal und Sargon ist aber aus bau-
geschichtlichen Gründen nicht möglich. Vielleicht aber können wir die Zeit der
Anlage des Depots noch genauer festlegen. Sargon residierte anfangs zu Assur,
siedelte dann nach Nimrud über, um es in der Mitte seiner Regierung wieder zu
verlassen und sich in Ninive niederzulassen, das er gegen Schluß seines Lebens mit
dem neuerbauten Palast Dur-Scharrukin vertauschte (Olmstead, History of
Assyria 270). Nun berichtet Sargon wiederholt von großen aus dem Westen ge-
brachten Tributen: die Gaben sieben kyprischer Könige wurden nach Babylon
gebracht, Keilinschr. Bibl. II 75. A. a. 0. 79 werden reiche Tribute aufgezählt,
die in Dur-Scharrukin niedergelegt werden. Am Schluß der oben angeführten Stelle
der Zylinderinschrift aber heißt es: »Damals ließ ich in jenes Schatzhaus 11 Talente
30 Minen Goldes, 2100 Talente 24 Minen Silbers aus der großen Beute des Pisiri,
Königs von Karchemisch im Chattilande am Ufer des Euphrat, welche meine Hand
gemacht hatte, dorten hineinbringen.« Der Feldzug gegen Karchemisch fällt in das
') S. auch Lidzbarski, Altaramäische Urkunden aus
Assur 1921 und Streck, Klio VI 220 ff. Für
phoinikische Inschriften der Zeit um 1250 v. Chr.
aus Byblos s. jetzt Dussaud, Syria V 135 fl.
An dem Alter der Texte scheint kein Zweifel
möglich. Zur Schaleninschrift s. u. S. 209.
") Leider verzeichnet das C. I. S., soviel ich sehe,
die Inschriften der Nimrudschalen noch nicht
und verläßt sich bei der Schale von Praeneste
C. I. S. I 76 auf das Urteil des Ägyptologen
Maspero, der sie in die XXVI. Dynastie setzt!
Sehr alt, bis ins IX. Jahrhundert hinauf soll die
Inschrift einer auf Kypros gefundenen tiefen
Metallschale reichen, die ursprünglich dem Liba-
nongebiet entstammen soll (C. I. S. I 22 f.
Taf. IV). Sie hat keine Darstellungen und weicht
in der Form durchaus ab. S. Klio XIV 6.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die » phoinikiscben« Metallschalen. 187
Jahr 717, also die Zeit seiner Residenz in Nimrud. Die Vermutung ist wenigstens
erlaubt, daß die Stücke in dem Depot, die einen einheitlichen Charakter tragen
und nicht assyrisch sind, aus der Beute von Karchemisch stammen '), womit noch
keineswegs gesagt ist, daß Hethiter die Gegenstände verfertigt haben.
Im Palast zu Nimrud ist noch ein zweites Depot gefunden dicht neben dem
Bronzedepot in einem Zimmer. Die Kammern stammten, genau wie das Bronze-
magazin ursprünglich von Aschurnazirpal, aber oberhalb der älteren Inschriften
hatte Sargon seine Texte an den Eingang gesetzt. (Layard, Niniveh and its remains
1849, II 16.) Nach der a. a. O. 15 abgedruckten Beschreibung fanden sich lediglich
zum Teil vergoldete Elfenbeine, die zum Schmuck von Möbeln und Wänden (?)
gedient haben sollen. Also auch hier eine gewisse Ordnung nach dem Material. Die
Stücke sind Layard, Monuments I Taf. 88 ff. veröffentlicht, einzelne Stücke nach
Photographien bei Hogarth- Smith, Excavations at Ephesus 170 ff. und Poulsen,
Orient ^7 ff. Smith charakterisierte die Stellung dieser Elfenbeine dahin, daß sie
jünger sein müssen als die Elfenbeine von Enkomi, älter als die Funde von Kameiros
auf Rhodos und die italischen Funde. Diese Gruppe ist durch das wiederholte Vor-
kommen von Skarabäen Psammetichos' I. chronologisch auf nach 663 v. Chr. be-
stimmt. Alter als diese Gruppe sind offenbar aber auch die Elfenbeine von Ephesus,
die ihrerseits von den Nimrudelfenbeinen nicht weit abzustehen scheinen. So kommen
wir auf einen Zeitansatz in das VIII. Jahrhundert, mit Hogarth, Excavations at
Ephesus 242 f. möglicher Weise noch etwas höher, da er den Zeitraum zwischen dem
Nimruddepot und den Enkomifunden auf nicht unter 100 Jahr schätzt, die spätesten
Enkomifunde aber nicht später als um 1000 angesetzt werden können (Poulsen,
J. d. I. XXVI 191 1). Unbemerkt scheint anscheinend bisher geblieben zu sein, daß
in der Idäischen Grotte Bronzi Cretesi Taf. XII 7 ein Ochse (?) ^) gefunden ist, der
im Stil und der Bewegung die größte Ähnlichkeit mit dem Hirsch und der Kuh Layard
a. a. O. Taf. 91, Nr. 31 — 33 zeigt. So sehen wir auch bei diesem Depot eine Verbin-
dung zwischen den kretischen Funden der Idäischen Grotte, die nur Frottingham,
A. J. A. 1888, 440, übrigens zweifelnd, ins IX. Jahrhundert hat setzen wollen, und
dem assyrischen Fund. Layard, Niniveh a. a. O. 163 hielt die Elfenbeine für gleich-
') Mit Kypros tritt Sargon erst 709, gegen Schluß stammten 100 Kupfergefäße, 3000 Kupfer-
seiner Regierung in unmittelbare Verbindung. pfannen, kupferne Amphoren (s. Reo. de trav. 17,
DaichfruherselbstdieStellenKeilinschr.Bibl.il 76 Maspero), Schalen, Ständer, Sessel von
93, 105, 107, 109 angezogen habe, um die Da- Elfenbein und Gold, alles Beute aus dem Chatti-
tierung des Nimrudfundes unter Aschurnazirpal land, nicht aus Phoinikien. Die auf den Schalen
wahrscheinlich zu machen, so sei auf einen dabei von Nimrud angebrachten, aramäischen In-
untergelaufenen Fehler aufmerksam gemacht. Schriften würden an sich zu einem solchen Schatz
Es handelt sich eines Teils um den Tribut phoi- gut passen, aber beweisen können sie nichts,
nikischer Städte, da werden kupferne Kessel ^) »Toro« sagen die Herausgeber im Text S. 65.
genannt. Dann um Schätze aus dem Gebiet von Mir scheint nach dem Bart »Antilope« das wahr-
Bit Adini und Chatni (früher Patni gelesen), scheinlichste, für einen Stier ist das Tier viel zu
dem Hethiter-Gebiet; genauer beschrieben wird wenig mächtig. Es ist leider im kretischen
ein Schatz eines Aramäerfürsten. Ihm ent- Aufstand verlorengegangen.
i88
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen Über die »phoinikiächen« Metallschalen.
zeitig mit dem Erbauer von Chorsabad, also mit Sargen. Was Birch auf ägyptologischer
Grundlage in Layards Buch zu ermitteln suchte, wird hinfällig, da es sich bei der
Elfenbeintafel mit Hieroglyphen in keinem Fall um eine echt ägyptische Arbeit han-
deln kann. Die enge Beziehung der Elfenbeine zu den benachbarten Bronzen er-
hellt unmittelbar, und ihr unassyrischer Charakter wird am leichtesten erkannt,
wenn man daneben echt assyrische Elfenbeinschnitzereien hält wie Meißner, Baby-
lonien und Assyrien ITafabb. 1 53, wohl aus der Zeit Aschurnazirpals. Eine Entscheidung
bringt also auch dies Depot nicht, aber wieder neigt sich die Schale der späteren
Datierung zu ').
Vielleicht kann man dafür auch ein drittes Depot anführen, das nach Layard,
Niniveh and its remains 1849 I 47 sich im Südwestpalast Assarhaddons fand. Hier
kam eine Sphinx, ein Mann im langen Gewand mit der ägyptischen Lebensbinde,
Blumen, alles aus Elfenbein und wie die vorigen Stücke mit Spuren von Vergoldung,
zu Tage. Noch andere Elfenbeinschnitzereien, von einem Thron sollen nach Loftus,
Athenaeum 1855, 351 zitiert bei Perrot-Chipiez II 731 im Südostpalast von Nimrud
gefunden sein, der gegen 620 errichtet ist. Es sind Karyatiden ähnlich den auf einem
Relief aus Babylon dargestellten, das wohl ein Möbel abbildet (Meißner, Babylonien I
Abb. 140). Eine dieser Figuren soll eine phoinikische Inschrift tragen. Schon nach
dem Fundort kann dies Depot nicht älter als der Anfang des VII. Jahrhunderts sein.
Veröffentlicht scheint von diesen Dingen nichts.
Wenn wir somit mit annähernder Sicherheit die Elfenbeine und Bronzen von
Nimrud dem Ende des VII. Jahrhunderts zuweisen dürfen, so ist die Zeit der in Europa
gefundenen Schalen und der armenischen Schilde viel müheloser bestimmt. Die
armenischen Schilde (Perrot-Chipiez II 756, Lehmann-Haupt, Materialien zur Ge-
schichte Armeniens 99) tragen Inschriften der Zeit Rusas II. (um 675 Zeitschr. f.
Assyr. IX 82 ff.) und Rusas III. (um 650). Nun besagt die Inschrift merkwürdiger-
weise nicht, daß Rusas den Schild in den Tempel geweiht habe, geschweige denn daß
er ihn habe anfertigen lassen, sondern daß er den Tempel geweiht habe. Allein da
nach dem am besten bei Olmstead, History of Assyria Fig. 101/2 wiedergegebenen
Relief Sargons mit der Eroberung und Plünderung der armenischen Hauptstadt
Schilde außen an Tempeln hingen, so ist die Fassung der Inschrift vielleicht ver-
') Für eine höhere Datierung der Elfenbeine und die
Erklärung ihres stilistischen Charakters aus
Gründen ihrer Herkunft kann ein bisher an-
scheinend unbemerkter Umstand angeführt
werden. In dem »kleinen Tempel« zu Nimrud
wurde ein .\labasterkopf von einem Möbel (?)
gefunden, der eine fast genaue Kopie eines der
Elfenbeinköpfe aus Nimrud (Excavations at
Ephesus Taf. XXIX 8, Poulsen, Orient Abb. 36)
ist. Nun scheinen die Funde aus dem »kleinen
Tempel « wesentlich der Zeit Aschurnazirpals anzu-
gehören. Der Alabasterkopf, schon nach dem Ma-
terial von einheimischer Arbeit, scheint stilistisch
zu dem ältesten in Nimrud vertretenen Typus
der Elfenbeinköpfe zu gehören, der wiederum
mit dem strengsten Typus der Elfenbeine von
Ephesus nahe zusammengeht. So bleibt die
Möglichkeit, daß wir in dem Elfenbeindepot das
eine oder andere Stück aus dem IX. Jahrhundert
haben. Andererseits steht die wohl der Zeit
Aschurbanipals (oder Sennacheribos ?) ange-
hörige »Astarte« aus Kujundschik Journal Egypt.
arch. I Taf. XV in ihrem stark ägyptisierenden
Stil den andern Nimrudelfenbeinen nicht fern.
King dachte hier sogar an eine für den Export ge-
arbeitet ägyptische Arbeit.
Fr. W. Frhr. v. Kissing, Untersuchungen Über die »phoinikischen« Metallschalen. igg
ständlich; immerhin tut man gut nicht zu übersehen, daß das für die Schilde vom
armenischen Tempel auch nach Sargons Inschrift bezeichnendste, die plastischen
Löwen (Hunde .?)köpfe den beiden erhaltenen Schilden aus Van gerade fehlt. Die
Sargonischen Schilde können also einen entwickelteren Typus darstellen, die er-
haltenen Schilde einen dem gewöhnlichen assyrischen Typus, auch der Spätzeit,
näherstehenden.
Das Vorbild für die auf den Sargonreliefs dargestellten Schilde könnte in Schilden
wie denen der Idäischen Grotte gefunden werden, die ja der Sargonischen Zeit bis
zur ersten Hälfte des VH. Jahrhunderts angehören müssen. Auch die bei den idäischen
Schilden gefundenen ägyptischen und ägyptisierenden Stücke lassen an die Zeit
vom Ende des Neuen Reichs (um looo) bis zum Beginn der Saitischen Zeit (um 660)
denken.
Für die in Griechenland gefundenen Schalen scheinen absolute Daten nicht
zu gewinnen, ebensowenig für die auf Kypros gefundenen. Myres in dem Metropolitan
Museums Catalogue Cesnola Collection S. 45f. ist geneigt den Anfang der »kyprischen«
Schalen »nahe an 1200 zu rücken und ihr Ende in die Mitte des VH. Jahrhunderts«
zu legen. Beide Daten erscheinen eher zu hoch, namentlich angesichts des oben be-
sprochenen epigraphischen Befundes. Wenn man, wie jetzt doch wohl die meisten
Fachgenossen, mit Karo, Bulletino di Paleontologia 1898, 144 f. entgegen Monte-
lius Ansicht die gleichzeitigen italischen Gräber von Caere, Präneste und Vetulonia
an die Wende des VH. zum VI. Jahrhundert setzt (vgl. Dechelette, Manuel d'arch6o-
logie prehist. 11 535), so muß die Masse der kyprischen Schalen in das VII. Jahr-
hundert fallen. Eine der kyprischen Schalen (E 3 unseres Katalogs) ist mit geo-
metrischen Vasen zusammen gefunden (Poulsen, Orient 36). Es bleibt zwischen den
ägyptischen Vorbildern des Neuen Reichs und den späteren Schalen eine Lücke,
die einstweilen nur ausgefüllt wird durch ägyptische Nachbildungen der
vorauszusetzenden Metalloriginale in Faience').
II. Die ägyptischen Nachbildungen in Faience und anderem Material.
Karo hat in den A. M. XXXXV 1920/1, 150 ausgesprochen, es klaffe zwischen
den ägyptischen Vorbildern der Metallschalen aus Nimrud und diesen selbst eine
Lücke von ein paar Jahrhunderten, »die v. Bissing durch Faiencegefäße mit Relief-
darstellungen nur recht notdürftig zu füllen vermag«. Hier ist zunächst festzustellen,
daß bis zum Fund von Zagazig wir aus Ägypten weder in unseren Museen alten Be-
standes, noch aus neueren Ausgrabungen bedeutendere Funde verzierter Metall-
gefäße aus vorgriechischer Zeit besaßen. Außer den beiden unter Tuthmoses III
datierten Schalen im Louvre, die man jetzt bei Vernier, La bijouterie et la joaillerie.
') Während der Korrektur werde ich auf Herzfelds Er berührt sich öfters mit meinen Darlegungen,
offenbar rasch hingeworfenen Aufsatz »Khattische mit einzelnem werde ich mich später auseinander-
und Khaldische Bronzen« in Janus I aufmerksam. setzen.
IQO ^^- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalcn.
egyptiennes Taf. XX gut herausgegeben findet, der von mir im J. d. I. 1898 ver-
öffentlichten Bronzeschale, gab es nur eine hierher gehörige Silberschale im Berliner
Museum — und die war auf Kypros gefunden '). Auch aus Mesopotamien sind bisher
Schalen oder andere hierher gehörige Gefäße aus Edelmetall nicht bekannt geworden.
Wohl aber beweisen die drei Tassen aus Nimrud, daß die Art der Dekoration, die wir
hauptsächlich von den Schalen her kennen, auch bei anderen Formen üblich war,
und ein von Layard- Zenker, Ninive und Babylon Taf. XVII veröffentlichter Scherben
mit der Darstellung einer eroberten Stadt und Sphingen (.'') im untern Streifen, der
im »kleinen Tempel« zu Nimrud, einem Bau Aschurnazirpals, gefunden ist, beweist,
daß vermutlich im IX. Jahrhundert in Assyrien Gefäße hergestellt wurden (denn
Stil der Darstellungen und die Inschriftreste sind rein assyrisch), die unmittelbar
an die gleich zu behandelnden ägyptischen erinnern^). Wir müssen aber auch über die
Faiencegefäße hinaus nach Denkmälern Umschau halten, die das für die Schalen
bezeichnende Dekorationsprinzip in umlaufenden Streifen zeigen und stilistisch
jene Mischung ägyptischer und asiatischer Elemente aufweisen, oder doch einen Stil,
den wir als nicht rein ägyptisch empfinden. Maspero hat vor Jahren in den Monuments
von Rayet (Quelques cuillers ä parfum, abgedruckt in den Essais sur l'art 241 ff.)
angedeutet, daß die Ursprünge des phoinikischen Stils sich inAgypten finden Heßens).
Zunächst können wir die Reihe der ägyptischen Metallschalen um ein schönes
bei Wallis, Egyptian ceramic art I Fig. 156 abgebildetes Exemplar vermehren. An
der inneren Wandung der nicht sehr tiefen halbkugeligen Bronzeschale sind in
schwachem Relief endlose Ochsenzüge in zwei Reihen übereinander angebracht.
Der eine Typus ist in reiner Seitenansicht gesehen; der andere wendet den Kopf dem
Beschauer zu und scheint für den Kopf — aber nur für ihn — in eine dreiviertel
Ansicht gedreht. Beide Typen haben zwei Hörner, ob sie sich auf die beiden Streifen
verteilen oder in ihnen mischen, geht aus Wallis Angaben nicht klar hervor; das erstere
ist wahrscheinlicher. Nach Angabe des Verkäufers soll die Schale mit auf den Namen
der Königin Makere datierten Dingen zusammengefunden sein, also dem Anfang
der XVIII. Dynastie angehören. Wallis zitiert, um sie zu stützen, eine sicher der
XVIII. Dynastie angehörige Faiencescherbe mit dem Bild eines geschmückten Ochsen
aus Sammlung Mac Gregor.
') Daß sie echt ägyptisch ist und dem Neuen Reich Schatz von Zagazig, dessen kunstgeschichtlich
angehört, habe ich J. d. I. XXV 1910, 193 ff- bedeutende Stücke einer Zeit angehören s. auch
gezeigt. Die von Schaefer-Moeller, Ägyptische Maspero, Essais sur l'art Egyptien 189 ff.
Goldschmiedearbeiten 66 f. erwogene Datierung ■) Jetzt kommen noch die von Andrae, Farbige
in saitische Zeit halte ich für undenkbar, auch Keramik aus Assur, veröffentlichten bemalten
der Fundort nötigt nicht dazu; wohl aber mag Gefäßscherben und Fayencegefäße hinzu, um zu
dasStück erst der ramessidischenZeit angehören. — beweisen, daß der Scherben aus Nimrud kein
Unbegreiflich ist, wie Thiersch, Arch. Anz. 1909, vereinzeltes Stück war.
382 f. die Silberschalen von Mendes (meine 3) Über die neuesten Funde aus Byblos, die den
Metallgefäße Taf. III S, XV) für altägyptische phoinikischen ägyptisierenden Mischstil bis in
Arbeiten ausgeben kann; sie gehören in spät- das III. Jahrtausend zurückverfolgen lassen,
ptolemäische Zeit; wie auch die Glasschale im s. im Schlußabschnitt »Ergebnisse«.
Fund von Antikythera bestätigt. Über den
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. igi
Das Berliner Museum bewahrt einen Teller, auf dessen innerem Boden laufende
Kühe dargestellt sind. Nach dem Verzeichnis 1899, 446 Nr. 8867 wird er der libyschen
oder der darauf folgenden Zeit zugeschrieben.
Solche Tierzüge, die Vorläufer der Tiere auf den Nimrudschalen usw. begegnen
uns im Kreis der ägyptischen Faiencen mit Rcliefschmuck mehrfach. Ein bei Leemans,
Monuments de Leide II Taf. 59, 265 abgebildetes Alabastron, in Athen erworben,
zeigt über einer den Boden umschließenden Lotosblüte zwei Streifen Tiere, hinter
denen stilisierte Pflanzen auftauchen. Im unteren sind, wie der Text Leemans,
Description raisonnee 89 zu Nr. 275 bestätigt, vier laufende Pferde, im oberen Streifen
ein Löwe hinter vier Antilopen (.i*) dargestellt. Der Löwe hebt die eine Vordertatze.
Ein Gegenstück zu diesem nach der hellblauen Faience mit schwarz, z. B. am Rücken
der Tiere, etwa in das X. — IX. Jahrhundert zu setzenden Gefäß ist der auf S. 35 des
Führers durch das Kestnermuseum in Hannover abgebildete Aryballos. Wie ich vor
Jahren am Original feststellen konnte, verdankt die Flasche ihre wunderliche Form
einer Verzerrung beim Brand. Die schöne hellblaue Glasur, die an die bei Neujahrs-
flaschen üblichen erinnernden Ornamente in Henkelhöhe verweisen das Stück in das
VII. allenfalls das VIII. Jahrhundert. Wir sehen zu unterst einen Fries von Blüten
und Knospen von Nymphaea caerulea, dann, nach einem schmalen Ornament einen
breiten Fries, auf dem ein aufgerichteter Löwe einen zweihörnigen Stier anfällt. Hinter
dem Stier gehen zwei Gazellen. Hinter und zwischen den Tieren finden wir die gleichen
wunderlichen Pflanzen und aufgerichteten Schilfblätter wie auf dem Leidener Gefäß.
Manche lassen an Ölbäume denken, was dann auf fremde Einflüsse deuten würde.
Ein in der Form genau übereinstimmender Aryballos bei Wallis, Egyptian ccramic
art I Fig. 88 (im Athener Museum) trägt die Inschrift »möge ein gutes Neujahr usw.«,
wir werden also beide Gefäße als Neujahrsflaschen erklären dürfen, vielleicht sind es
Vorgänger der üblichen Saitischen Form. Die Figuren des Athener Stückes (Wasser-
pflanzen, Vögel, Fische) sind nach Wallis eingeritzt.
Schon Longperier im Musee Napoleon zu Taf. 29, dann Dumont-Chaplain,
Ceramiques de la Grece I 195 f. haben neben das Leidener Gefäß die in der Nekropole
von Kameiros gefundenen Alabastra gestellt. Wer die Tafel bei Longperier (z. T.
wiederholt bei Perrot-Chipiez III Taf. V) mit den Vaseii in Leiden und Hannover
vergleicht (und weiter mit der später zu behandelnden Bocchorisvase und dem Kelch
aus Athen), wird in dem Gesamtstil wie in Einzelheiten des Ornaments die bedeu-
tendste Übereinstimmung erkennen. Dieselben Tiere (Löwe, Stier, Gazelle) kehren
wieder unterbrochen von den gleichen Pflanzen. Genau freilich findet sich keine
Figur der Kameirosvasen auf einer der anderen. Man hat die auf Rhodos' gefundenen
Gefäße um gewisser technischer Eigentümlichkeiten willen, besonders aber um der
ungenauen hieroglyphischen Inschriften willen für phoinikische oder griechische
Nachahmungen gehalten. Die unten zu besprechenden Kelche der ehemaligen Samm-
lung Myres, an deren ägyptischem Ursprung niemand zweifelt, beweisen, daß unter
Umständen — vielleicht für auswärtigen Export — ägyptische Handwerker im
Gebrauch der Schriftzeichen sehr nachlässig sein konnten; mir scheint durchaus
möglich, daß ein gut Teil der Faiencen aus Rhodos ägyptische Arbeit sind: auch die
ig2
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen Über die »phoinikischen« Metallschalen.
Verwendung gelber Untermalung und gelber Einzelheiten ist bei den Neujahrs-
flaschen der Saitischen Zeit, also des VII. — VI. Jahrhunderts zu beobachten. Aber
ob diese Flaschen nun aus dem Nilland importiert oder auf Rhodos nach ägyptischen
Vorbildern gearbeitet sein mögen, immer vermehren sie die Reihe der Monumente,
die eine den phoinikischen Schalen gleichartige Dekoration in Ägypten in der ersten
Hälfte des I. Jahrtausends erweisen. Dabei darf bemerkt werden, daß unter den reich
geschmückten Stücken keines einen saitischen Königsnamen
trägt: die Blütezeit dieser Fabriken und ihrer Metallvor-
bilder kann sehr wohl etwas vor die eigentliche Saitenzeit
fallen, in die gleiche Zeit also der, wie wir sehen werden, die
Kelche unbedingt und sicher auch das Bocchorisgefäß zuzu-
schreiben sind.
Das an sich in ägyptischer Kunst seltene Auftreten von
Pferden auf der Leidener Vase ist gerade im Kreis der Metall-
schalen häufiger (J. d. I. XXV 1910, 195); die Gruppe des
Löwen, der einen Stier anfällt, ist seit dem Alten Reich in
Ägypten heimisch (J. d. I. XIII 1898, 32), aber wie schon
Usener, de Iliadis carmine Phocaico gezeigt hat, auch in der
asiatischen und altgriechischen Kunst. Merkwürdigerweise
ist aber das Schema des sich aufrichtenden Löwen, der einen
Stier bei den Hörnern packt, äußerst selten. Ich kann ähn-
liche Gruppen nur mit Hirsch und Löwe, Steinbock und Löwe
auf der Entemenavase Meißner, Grundzüge der Plastik Abb. 31 f..
Abb. I. Holzbuchse
Collection HofFmann
1894 N. 292.
Abb. 2. Fries von der Holzbllchse Sammlung Hoffmann,
auf den noch etwas jüngeren Zylindern Lajard, Culte de Mithra Taf. XIII 6; Ward,
Seal cylinders of Western Asia Fig. 1099; Weber, Altorient. Siegelbilder Fig. 357
und in anderem Schema auf der Schale Layard, Monuments II Taf. 60 nachweisen.
Der bei Lajard wiedergegebne Zylinder soll aus Armenien stammen. Auch unter den
archaischen Denkmälern Griechenlands findet sich nichts Vergleichbares. Im ägyp-
tischen Kreis aber scheinen verwandt der elfenbeinerne Möbelfuß aus Abydos, der
einzig im Amelineauschen Auktionskatalog, Antiquit6s figyptiennes trouvees ä
Abydos 1904 Taf. I Nr. i schlecht abgebildet ist (XXI.— XXIV. Dynastie), dann das
geschnitzte Holzbüchschen Collection Hoffmann 1894 Nr. 292. Hier folgen in kräf-
tigem Relief aufeinander: in einem breiten Streifen ein scheinbar nur von einem Mann
und einem Pferd bedienter sechsspeichiger Wagen, die Gruppe eines nach diesem
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
193
Wagen sich umschauenden Mannes, der in jeder Hand einen Löwen und einen Spieß
faßt (vielleicht soll man sich die Löwen vom Spieß durchbohrt denken); weiter eine
weidende Gazelle, die die Hinterbeine hebt und an deren Euter ein Junges saugt,
eine ruhig stehende Flügelsphinx mit Krone, Zitzen unter dem Bauch, unter dem
Halskragen das viereckige Tuch.
Nach der Form der Büchse
— s. Randall-Maciver, El Amran
and Abydos Taf. XLVH aus
Elfenbein — wird man das
Stück in das spätere Neue Reich
setzen (Abb.' 1,2).
Im Stil schließt hier die
von Schaefer, Äg. Zeitschr. 31,
105 ff. veröffentlichte Lederbe-
spannung eines ovalen Holzkäst-
chens des Neuen Reichs an.
Die Figuren, je ein Löwe, der
ein rotgeflecktes Gazellenkälbchen am Ohr packt, (ein dem oben behandelten ver-
wandtes Motiv), gruppenwcis wohl dreimal wiederholt, sind eingeritzt (Abb. 3).
Abb. 3. Teil der Lederbespannung eines Holzkästchens des
Neuen Reiches.
Abb. 4. Schale aus Daphnae. Kairo 3554.
In dem Friedhof von Sanam bei Napata fand Griffith (Liverpool Annais of
Archaeology X 104) den Deckel eines Faiencegefäßes. Unter einer plastischen, ab-
194 ^^- ^- I^''I>i'. V. Bissing, Untersuchungen Über die »phoinikischen« Metallschalen.
Abb. 5. Faienceschale, Museum Scheurleer. Innenbild.
wärts gekehrten Nymphäenblüte sieht man auf breitem Streifen eine Gazelle mit
weit vorgestrecktem Kopf auf einen schwer zu bestimmenden Gegenstand zuschreiten.
Hinter ihrem Rücken taucht eine Palme auf. Auf dem verlorenen größeren Teil
müssen andere Tiere dargestellt gewesen sein. Die Funde von Sanam sind frühestens
um 740, spätestens um 450 anzusetzen, die Felsgräber, in denen der Deckel gefunden
wurde, werden der älteren Periode zugewiesen. Im Burlington Club, Art of ancient
Egypt 1895 Taf. XXII Nr. 182, ist eine Faienceschale aus Sammlung Evans abge-
bildet, die drei um eine vielblättrige Rosette angeordnete Kreise zeigt. Im innersten
Kreis schwimmen, wie auf den Schalen desDhuti, Fische. Im nächsten sind Vögel dar-
gestellt, vornehmlich Enten in verschiedenen Stellungen. Stilistisch erscheinen diese
Vögel als Vorstufen zu denen der Schale von Daphnae (gegründet um 650
v. Chr.), die hier (Abb. 4) besser als in meinem Metallgefäßkatalog Kairo 3554
abgebildet wird. Ein ähnliches Faiencefragment im Museum Scheurleer mit
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
'95
Abb. 6. Faienceschale. Museum Scheurleer. Außenbild.
Wasservögeln gehört nach Farbe und Technik in die Zeit nach dem Ausgang
des Neuen Reichs bis zur Perserzeit. Im äußersten Kreis der Schale Evans
finden wir Vierfüßler, wahrscheinlich Antilopen und Gazellen, zwischen die, im
Gegensatz zu den ununterbrochen sich folgenden Tieren der inneren Streifen,
sich Schilfblättcr einschieben der gleichen Form wie auf dem Aryballos aus
Hannover. Im Museum of Fine arts Bulletin Boston IX 28 ist eine unter König
Pianchy um 740 v. Chr. datierte Schale aus blauer Faience abgebildet, die in der Mitte
eine flache etwas erhabene Scheibe aufweist, um die ein breiter, glatter Streifen läuft,
der von einem schmächtigen Flechtband abgeschlossen wird. Auf diesem Flechtband
stehen in endloser Reihe vier durch, mäßige Zwischenräume getrennte Tiere mit
einem nach vorn gestreckten und einem rückwärts am Kopf anliegenden Hörn.
Soweit die Abbildung ein Urteil zuläßt, ist der Stil ägyptisch. Diese Schale aus der
Mitte des VIII. Jahrhunderts ist wohl ein sicherer Beweis, daß hier eine den Schalen
I06 ^'- W- I^'hr. V. Bissing, Untersuchungen ttber die »phoinikischen« Metallschalen.
von Nimrud gleichzeitige Entwicklung vorliegt, bei der zwar fremde Elemente, wie
das Flechtband, eingedrungen sind, die aber an die einheimische Tradition anknüpft
und vor allem nicht von den Nimrudfunden sargonischer Zeit abhängig sein kann.
Petrie, Medum and Memphis Taf. XXXIII I2 S. 44 hat eine von ihm als Gold-
schmiedemodell erklärte Bleischale abgebildet; sie zeigt um einen die Mitte ein-
nehmenden Frauenkopf mit Ohrgehänge einen Tierfries: ein geflügelter Greif trennt
zwei einander gegenübergestellte Gruppen. Die eine besteht aus einem ruhig stehenden
Steinbock, dem ein Löwe nachschleicht, wobei er die linke Tatze gegen den Rücken
des Bockes hebt. In der anderen Gruppe hat der Löwe den flüchtigen Steinbock
von hinten gepackt. Nach oben schließt eine Perlschnur den Streifen ab. Petrie
hat die Schale, deren Charakter er »more Persian than Greek« findet, um 400 datiert.
Allein die von Petrie selbst angezogenen Stücke Palace of Apries Taf. XV S. 12,
die doch frühestens der späthcUenistischen Zeit angehören, lassen mich zweifeln,
ob nicht auch der Bleiteller erst in hellenistische Zeit zu datieren sei.
In der Anbringung eines Emblems auf dem inneren Gefäßgrund trifft sich der
Bleiteller aus Memphis mit einer nach Angabe des Vorbesitzers gleichfalls aus
Memphis stammenden Schale aus mattgrüner Faiencc im Museum Scheurleer (Abb.
5 u. 6). Leider fehlt der aufsteigende Rand fast ganz, so daß ein sicheres Urteil
über die Komposition schwer ist. Im Innern befindet sich eine, offenbar getriebene
Metallarbeit nachbildende, prächtige Bcsmaske mit der merkwürdigen seit dem
späten Neuen Reich belegbaren Anordnung des Haares mit zwei Spirallocken über
den Ohren und im untern Teil noch glattem Bart, mehrfach der Breite nach
geteilt. Krall in Benndorfs Heroon von Gjoelbaschi und Ballod, Prolegomena zur
Geschichte der zwerghaften Götter geben Beispiele; in hellenistisch-römischer Zeit
kommt diese Haar- und Barttracht nicht mehr vor. Außen, also an der gleichen
Stelle, an der die Schale von Daphnae den Reliefschmuck trug, sehen wir um eine
mittlere Rosette mit schwarz gefärbtem Mittelpunkt eine zweite angeordnet, die
von einander mit der Spitze der äußeren Blätter berührenden langstiligen Blüten
gebildet wird. Diese Blüten leiten sich wohl von Cyperusdolden her (Äg. Zeitschr. 40,
38), doch mögen »Lilien« oder Irisblüten wie sie Meurer, Vergleich. Formenlehre 441
zusammengestellt hat, von Einfluß gewesen sein. Ein dicht gedrehtes Flechtband
umschließt die Rosette; auf ihm bewegen sich im Kreis allerhand Wüstentiere: eine
Säbelantilope, ein Kamel, ein Steinbock, bartlos — an eine Rappenantilope wird
man aber nicht denken wollen — , Strauß, Löwin, (mit Zitzen und ohne Mähne!)
Mendesantilope, Gazelle {}), das letzte Tier ist weggebrochen, nur das am Boden
schleifende, buschige Schwanzende ist erhalten (Wolf.'' Hyäne?). Ebenso ist von dem
äußeren, wieder durch ein Flechtband getrennten Streifen, der möglicher, aber nicht
notwendiger Weise den Abschluß bildete, so gut wie nichts erhalten. Hier waren
Vierfüßler, meist Huftiere dargestellt, hochstämmige Pflanzen und eine Nymphäe
waren eingestreut. Man glaubt eine Hyäne zu erkennen (vgl. meine Mastaba des
Gemnikai I Taf. XXV 10), einen Hund oder ein junges Tier mit kurzen Beinen.
Gravierung ist selten angewandt, die Einzelheiten sind ziemlich stark stilisiert, aber
Fr. VV. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 1q7
die Umrisse naturgetreu. Der Stil der Tiere mutet nicht »saitisch«, auch nicht helle-
nistisch an, man fühlt sich eher noch an das Neue Reich erinnert.
Bemerkenswert ist im Gegensatz zu den mit Tieren geschmückten Schalen
des phoinikischen Kreises das offenbare Bestreben, den Fries aus lauter verschiedenen
Tieren zusammenzusetzen. Im Gesamtbild vergleicht sich am besten die bei Poulscn
34 wiedergegebene kyprische Bronzeschale, auf der gleichfalls bartlose Steinböcke
vorkommen mit ganz entsprechenden Hörnern. Doch hält diese im Ornament
völlig ägyptisierende Schale auch in der Vierteilung der Komposition das alte ägyp-
tische Schema (das bei den im J. d. I. 1898 behandelten Schalen deutlich hervor-
tritt und auf dem äußeren Streifen der Schale von Zagazig noch durchblickt) fest,
während es auf der Besschale verlassen ist. Man kann hier entweder an eine innere
ägyptische Entwicklung denken — dagegen scheint die strenge Vierteilung auf der
Schale von Daphnae zu sprechen — oder an eine Rückwirkung der Nimrudschalen
und ihrer Verwandten auf das ägyptische Kunstgewerbe, was mir nach Lage der
Dinge das wahrscheinlichste scheint. Denn man wird unsere Schale am wahrschein-
lichsten kurz vor die Saitenzeit setzen (also um 700).
Die langstengligen Pflanzen auf dem äußersten Streifen der Haager Schale
und die hohen Papyrus der Kupferschale aus Kypros finden nun ihre Analogie auf
dem oberen breiten Streifen des in Corneto gefundenen Bocchorisge-
fäßes (A. M. XXXXV 1920, 108 Beilage). Daß wir es hier mit einer echt ägyp-
tischen Arbeit der Zeit um 715 zu tun haben, beweisen die neuerdings von Griffith
in Sanam bei Napata, der äthiopischen Hauptstadt, gefundenen Faiencen (Liver-
pool Annais XTaf. 31, 7; 32, 4 ff.), die im Stil derOrnamente wie in derTechnik genau
übereinstimmen. Das Kompositionsprinzip des Bocchoriskrugs ist aber durchaus
das der Schalen und Tassen von Nimrud und diesen gleichzeitig, der Stil jedoch rein
ägyptisch.
Wir können nun dies Kompositionsprinzip (das bekanntlich auch in der kretischen
Kunst angewandt wird) noch an einer Klasse ägyptischer Monumente nachweisen,
die vom Ende des Neuen Reiches bis in die Perserzeit reichen, den mit Relief-
darstellungen versehenen Faiencebechern.
Im Journal of Egypt. Arch. 1918 sind zwei ehemals in der Sammlung Myres
befindliche Kelche abgebildet, die aus Tune in Mittelägypten stammen. Sie sind
nicht datiert, der Stil ihrer Reliefs weist auf ägyptische Arbeiten des späteren Neuen
Reichs. Wallis hat sie der XXII. Dynastie zugeschrieben, womit die unterste
Grenze bezeichnet sein dürfte. Als oberste kommt die spätere Ramessidenzeit in
Betracht: in den vielen Gräbern der XXIII. Dynastie hat sich ähnliches nie ge-
funden. Der eine der Kelche (a. a. 0. Taf. XXIV = Wallis, Egyptian Ceramic
Art IIFig.36; hier Abb. 7) zeigt amFuß abwärts gekehrte Papyrosdolden und Knospen.
Der Kelchansatz ist mit einer Nymphäenblüte geschmückt. Darüber laufen zwei in
Felder geteilte Streifen; in jedem Feld sehen wir die bekannte Gruppe des Pharao,
der einen Gefangenen niederschlägt. Meist kniet der Gefangene vor dem König
mit abgewandtem Kopf, nur im unteren Streifen wendet er ihn dem König ein-
oder zweimal zu. Die Kartuschen neben dem Kopf des Königs sind sinnlos, kaum
Jahrbuch des archäolofi-isclien Instiliils XXXVIU/IX iq7^/'j^. I4
198
Fr. W, Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallscbalen.
als Hieroglyphen zu bestimmen. Neben ihnen erscheint einige Male, zum Teil
arg verzeichnet, der Bogen, das alte Zeichen der Überwindung, über den Besiegten.
Der König trägt die unterägyptische oder eine Götterkronc. Ob damit auf eine
Entstehung der Vorbilder dieser Gefäße in Unterägypten hingewiesen wird, sei
dahingestellt. Der Randstreifen weist Uzataugen in Felder eingeschlossen auf.
Der zweite Kelch (Journal a. a. 0. Taf. XXIII = Wallis a. a. O. Fig. ^ ; hier Abb. 8)
zeigt am Fuß abwärts hängende Palmblätter. Um den Kelchansatz schließen sich Papyros-
dolden von nicht sehr gleichmäßiger Form und Papyrosknospen. Ein echt ägyp-
^^^Sl^m
Abb 7. Faiencebecher. Eton College.
Nach Journ. Egypt. Arch. 1318.
Abb. 8. Faiencebecher. Eton College.
Nach Journ. Egypt. Arch. 1318.-
tisches Strichband trennt von diesem Ornament die drei übereinander geordneten
Figurenstreifen. Im untersten fährt ein Wagen mit einem Pferd und einem Lenker,
der in der erhobenen Rechten Keule oder Pfeil, in der Linken Bogen und Zügel hält.
Vor dem sechsspeichigen Wagen geht ein an den Armen Gefesselter, ein zweiter
steht auf dem Kopf, über dem Wagen tauchen zwei Köpfe auf und ein Toter liegt
da. Über dem sonst ähnlichen zweiten Wagen liegen zwei Tote, neben dem einen
von ihnen (und ebenso neben dem Toten beim anderen Wagen ein Stock mit einer
Scheibe, einigermaßen an den Fächer (.?) erinnernd, den auf »phoinikischen« Schalen
ein Begleiter des die Feinde zerschmetternden Königs trägt. Neben den Köpfen
der Pferde, des Lenkers usw. stehen sinnlose Kartuschen. Unter dem Pferd des
vorderen Wagens liegt ein Gefallener. Vor und hinter der Wagengruppe war nach
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. Igg
den Resten dargestellt, wie Gefangene niedergeschlagen werden. Der Lenker trägt
den Schurz und soll wohl trotz der undeutlichen Abzeichen (vielleicht ist an der
Stirn der Uräus angedeutet) der König sein. Im vielfach zerstörten oberen Streifen
betet vor einer nur im Unterteil erhaltenen Gottheit der König mit Doppelkrone (.?),
während hinter dem Götterbild ein Mann mit Wedel (.'') steht. Weiter rechts ein
Vogel (Falke .^) im Papyrosgebüsch über aufsprießenden Pflanzen '), daneben eine
sinnlose ovale Kartusche. Dann ein Mann mit Gefangenem vor einer Göttin, Reste
eines weiteren Mannes. Hinter der Anbetungsszene werden zwei Gefesselte von
einem mit erhobener Keule ausschreitenden König im Schurz (vgl. hier die Photo-
graphie Burlington Club, Egyptian Art 1895 Taf. 18) verfolgt. Weiter links steht
vor Isis-Hathor mit Hörnerkrone und Sonnenscheibe Hor-Teme mit dem Sichel-
schwert in der gesenkten Linken, mit der Rechten einen Gefangenen packend. Ein
weiterer Gefesselter hinter Isis. Hinter Hor-Teme der aufrechte Geier. Mit Recht
bemerkt der Herausgeber der beiden Kelche Rickett: »Without the breakages
these vases might be in metal, the incised outline of the potters tool, the engraved
lines of the burin giving sharpness and accent to the work. Their form is really
better adapted to metal, the intricate decoration in relief imitates a type of design
of which embossed and chascd work furnish prototypes. « Ernennt die Arbeit »of an
almost asiatic richness of design, a certain lack of severity even; theire is something
exotic or not entirely Egyptian in their general aspect, though the composing Clements
are entirely native«. Es sind mit anderen Worten Arbeiten aus der Zeit, da die
ägyptische Kunst einen gewissen asiatischen Einfluß erfahren hatte, aber nicht
Arbeiten im späteren Mischstil. Der wird hier vielleicht vorbereitet, aber er ist noch(.?)
nicht da.
Mit dem zuletzt behandelten Becher steht ein anderer aus dem Besitz von
Henry Wallis in nächster Beziehung. Er hat ihn Ceramic arts II Taf. IX ff. ab-
gebildet. Am Fuß finden wir die Palmblätter, am Kelchansatz die Nymphäenblüte.
Darüber breiten sich drei Streifen aus. Der den Rand bildende ist der schmälste.
Wir sehen da Wasservögel in allerhand Stellungen, z. T. mit ihren Nestern. Im
untersten, ein wenig breiteren Streifen werden Ochsen und Pferde durch eine Furt
getrieben. Ein Krokodil hat ein Pferd von hinten gepackt. Leute, die die Tiere
lebhaft vorwärts treiben, tragen Schurz und kurzen Stock, nicht unähnlich dem
»Pfeil« des Wagenlenkers auf dem vorigen Becher. Die Szene auf dem breitesten,
mittleren Streifen hebt sich von einer doppelten Reihe Papyros ab. Vieh setzt
über ein Wasser. Aber das Motiv ist kaum noch verstanden. In zwei Booten fahren
Männer, je einer von ihnen hält die lange Treidelstange; im hinteren Boot scheint
ein zweiter ein Kalb heraufziehen zu wollen, neben dem ein Hirt im Wasser steht,
ein dritter hält vorn im Boot mit beiden Händen ein Netz. Neben ihm erscheint
■) Vgl. dazu den Falken auf dem Relief aus Erment diese Vasen mit Typen der Ptolemäerzeit, die
Lepsius, Denkm. IV 65 b, Ballod, Prolegomena ihrerseits auf solche des Neuen Reichs zurück-
zur Geschichte der zwerghaften Götter 30. greifen (s. unten).
Mehrfach, auch in dem Bestypus, berühren sich
«4*
200 ^''- ^- I^i'hi'- V. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen,
im Wasser der Kopf eines wohl schwimmend zu denkenden Ochsen. Im nächsten
Boot hegt ein Kalb, auf dem Schnabel des Bootes voltigiert ein Mann, wie wohl
sämtliche anderen nur mit dem Schurze bekleidet, und will mit dem Bumerang
eine vor ihm aufflatternde Wildgans jagen. Offenbar nahe dem Ufer stehen ihm
gegenüber zwei Männer, von denen der eine ein Kalb am Kopf packt.
Eine ganz ähnliche Szene war auf dem Kelchfragment aus hellblauer Faience
Kairo, Fayencegefäße 3774 Taf. dargestellt: über einem schmalen Wasserstreifen
fahren drei Boote, ähnlich, wenn auch nicht in allem gleich denen des Walliskelches.
In dem einzigen einigermaßen erhaltenen steht ein Mann, der mit der Stange das
Boot vorwärts stößt, und ein zweiter, der ein Kalb in das Boot aufnimmt, während
ein im Wasser stehender dritter Mann dem springenden (?) Tier zu helfen scheint.
Den Kelchansatz umkleidet eine Lotosblüte. Das Stück ist 1895 gekauft worden.
Bei den engen Beziehungen, die zwischen dem zweiten Direktor des Kairenser
Museums und dem Künstler-Händler Henry Wallis bestanden, halte ich für wahr-
scheinlich, daß die Kairenser Vase und die Wallissche zu einem Fund gehören. In
meinem Katalog der Faiencegefäße habe ich das Kairenser Bruchstück fragweise
in die saitische Zeit gesetzt. Vor allem weil mir zwischen ihren Darstellungen und
dem im Musee £gypt. II Taf. XLIII veröffentlichten saitischen Relief eine Beziehung
zu sein schien. Allein stilistisch gleichen sich die Kelche und die saitisch-griechischen
Reliefs nicht, auch nicht die den Reliefs nahestehenden Elfenbeine Capart, L'art
£gyptien Taf. 191. Die Übereinstimmung geht vielmehr auf die gemeinsame Quelle
zurück, die in den Klebs, Die Reliefs des Alten Reichs 60 f., dieselbe, Reliefs des
Mittleren Reichs 87 f., behandelten Bildern vorliegt. Keine der Vorlagen wird
dabei abgeschrieben, sondern nur der Inhalt übernommen. Das Thema klang
an auch im Randstreifen der Bronzeschale von Gize und auf der Berliner Silber-
schale, wo die beiden auf den Kelchen vertretenen Bootformen vorkommen, und
ebenso auf dem Becken von Zagazig (J. d. I. XXV 1910, 196, wo die Zusammen-
hänge schon kurz skizziert sind).
Wir können den Kreis noch erweitern durch das Bruchstück einer Schale
aus schwarzem Stein in Kairo, deren Beschreibung ich nach meinem Katalog der
Steingefäße 18 682 hierhersetze. »In einem Schiff, das am Bug einen Entenkopf,
am Hinterteil einen Entenschwanz zeigt (das findet sich auf den ägyptischen Metall-
schalen und in der Seeschlacht Ramesses III. wieder) stehen: nach links eine nackte,
nur mit Halsband und zwei Armbändern bekleidete Frau mit kurzem Haar, Ohr-
ringen {}). Sie streckt den rechten Arm vor, in der gesenkten Linken hält sie zwei
Vögel. Vor ihr ein nackter Mann mit langem Haar nach links mit zurückgewandtem
Oberkörper schreitend. (Solche sich umwendende Figuren sind in diesem Kreis
häufig). Sein Penis reicht fast bis zum Boden. In der vorgestreckten Rechten
hält er zwei Nymphäenblüten, die Linke greift nach der Scham der Frau. Hinter
der Frau stößt eine Frau mit der langen Stange das Boot fort. Fische, Vögel,
Nymphäen umgeben das Boot, von einem zweiten ist noch die Treidelstange er-
halten.« Die Reliefs sind außen angebracht, durch ihren erotischen Charakter fallen
sie aus den gewohnten ägyptischen Darstellungen heraus. Ich habe nach dem
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »pboinikischen« Metallschalen.
201
Stil das Stück »in das Neue Reich oder später« gesetzt und halte diese Datierung,
die etwa auf die Äthiopenzeit führen könnte, für die Schale wie für das Becher-
fragment zutreffend. Unter das VIII. Jahrhundert möchte ich in beiden Fällen
nicht gehen.
Unmittelbar mit der einen Myresschale vergleicht sich die von Petrie, Palace
of Apries Taf. 26, 11 abgebildete Tonform. Zwischen zwei Besköpfen, auf denen
ein Gebälk in Gestalt einer Hohlkehle ruht, steht ein einspänniger Wagen mit einem
Lenker in genau der Haltung der Myresvase. Er wird durch die unterägyptische
Krone als König bezeichnet. Das Wagenrad ist sechsspeichig. Über dem Pferd
a. b.
Abb. 9. Faiencebecher. Athen Nationalmuseum. Nach Photographie des Instituts.
und vor ihm sieht man Gefangene und Tote, wiederum ganz ähnlich dem Bild der
Myresvase. Petrie bemerkt zu dem durch die Fundumstände leider nicht genauer
datierten Stücke »the Clements are all Egyptian; but the combination of thesc, and
the workmanship, are unegyptian, and probably due, to a Phoenician in Egypt. «
Wallis hat im Text der Ceramic art II Fig. 39 einen im Athenischen Museum be-
findlichen, aus Ägypten stammenden Kelch abgebildet, den wir hier (Abb. 9)
nach zwei Photographien des Instituts wiedergeben. Die Verwandtschaft springt
in die Augen, nur erinnert der Stil der flachen Reliefs eher an den oben bespro-
chenen Bronzeteller von Daphnae und etwa das Bocchorisgefäß. Am Fuß sind
Blätter, die sich offenbar von den sonst hier üblichen Palmblättern ableiten, darüber
202 f"'- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
eine Nymphäenblüte am Kelchansatz mit Volutenblüten, die sich zwischen die Lotos-
blätter schieben. Wir kennen sie ähnlich hochstielig von dem Leidener Alabastron
her. Hier bilden sie eine innere Pflanzenreihe wie auf dem einen Myrcskelch die
Papyrosknospen. Der breite, einfach eingefaßte Streifen darüber ist mit einem
Fries von Besfiguren gefüllt. Soweit die Photographien und Wallis Zeichnung ein
Urteil zulassen — meine älteren Notizen sind verloren — , tragen sie den Schurz
mit langem Schwanz, am Kopf eine Feder. Der eine geht mit eingestemmten Armen
im Tanzschritt, ein zweiter hält wohl Kastagnetten in den Händen, ein dritter wendet
den Oberkörper einem hinter ihm stehenden, in kleinerem Maßstab dargestellten
Gefangenen zu, den er am Schopf oder an zwei Federn auf dem Haupt packt. Ver-
mutlich war ein vierter Bes ähnlich beschäftigt: in der erhobenen Linken scheint
er eine kurze Keule zu führen. Mit solch einzelner Feder statt der Federkrone
erscheint Bes auf dem bei Lepsius, Denkm. IV 65 b wiedergegebenen Relief des
spätptolemäischen Tempels von Erment ausgerüstet; aber das Vorbild dafür geben
Skarabäen des Neuen Reichs, wie man bei Ballod, Prolegomena zur Gesch. d. zwerg-
haften Götter sehen kann ') . Zwischen und über den Bes erscheinen Pflanzen (Cyperus }
Schilfblatt?). Im Randstreifen finden wir einen endlosen Fries hieroglypiienartig
gezeichneter Vögel in verschiedener Haltung. Recht ähnliche Vögel erscheinen
neben Uräen und Papyros auf dem Kugelaryballos aus Kameiros Perrot-Chipiez
III Taf. V, der den Namen des Apries trägt. Vermutlich sollen die Vögel da Falken
bedeuten. Man wird den Athener Kelch ziemlich dicht an die saitische Zeit heran-
rücken, aber um des Stiles willen schwerlich ihn dieser selbst zuweisen dürfen.
Dieser Ansatz wird wohl bestätigt durch einen Kelch in Berlin, den Wallis
a. a. 0. 24 abbildet, dessen Beschreibung ich zumeist dem Berliner Verzeichnis von
1899, 445 Nr. 4563 entlehne. Der Fuß fehlt. Am Kelchansatz ist eine Nymphäen-
blüte, dann ein wie auf der Athener Vase einfach eingefaßter Mittelstreifen mit
einer hockenden Götterneunheit. Sie trägt Sonnenscheiben auf dem Kopf und die
Feder der Wahrheit in den Händen. Im Randstreifen sind Besfiguren, Hathor-
köpfe, Uzataugen (wie wir sie auch auf dem einen Myrcskelch antrafen). Eine
Inschrift meldet, daß das Gefäß mit einem Erbprinzen Sesonchosis zusammenhängt,
der, wie wir jetzt sagen können, nur der Sohn Osorkons II. und der Königin Karoama
gewesen sein kann, also um etwa 880 lebte (er starb nach Breasted 877 v. Chr.).
Da der Stil nichts mehr von der Lebendigkeit der Myreskelche hat, die Faience
nicht unähnlich dem Athener Exemplar ist, aber der Stil noch straffer, so wird man
vorläufig die Myresgruppe vor den Berliner Kelch, das Athener Exemplar hinter
ihn setzen, womit alle anderen Beobachtungen sich gut vereinigen. Berlin besitzt
noch aus etwa der gleichen Zeit den Kelch 9066, der zwischen den Kelchblüten
»Sumpfblumen zeigt, zwischen denen Vögel nisten«. Eine zur selben Kategorie ge-
hörige Faienceflasche zeigt im Relief u. a. einen Hirten mit Rindern im Sumpf,
') Vgl. auch den tanzenden Bes mit Kastagnette Teil el Amarna Taf. XVI, 180.
und drei einzelnen Federn auf dem Kopf bei Petrie,
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
203
also das hier beliebte Motiv. Angefügt mag ein Kelchfragment aus tiefblauer
Faience in der Sammlung Scheuleer werden, auf dem man in energischem Relief
abwechselnd Papyri von Hathorköpfen bekrönt und stehende Bese mit hohen
Federkronen sieht, als Abschluß am Rand ein Fries vier- und sechsblättriger
Blüten.
Auch ein weiteres Bruchstück des Museums zu Kairo gehört hierher. Kairo
3812 von leuchtend hellblauer Farbe bietet zu unterst einen Wasserstreifen, dann
fiarpokrates auf einer Nymphäe sitzend, zwischen hohen Papyri, am Rand ein
einfaches Stabband. Auf Grund der Farbe, die auch von der des Alabastrons in
Leiden nicht allzusehr abweicht, habe ich das Stück im Katalog der XXII. Dynastie
zugewiesen.
Damit ist das mir zugängliche Material erschöpf t ■) ; man mag darauf hin-
weisen, daß in der römisch-ägyptischen Faienceindustrie sich Tierfriese »orien-
talischen« Stiles gar nicht selten finden, daß derartige Erzeugnisse bis Pompei ge-
kommen sind (Wallis, Egyptian ceramic art I Fig. 125 ff.), daß in den Schalen
ptolemäischer Zeit (a. a. 0. 180) ein letzter Widerhall der alten Rosettenschale
gefunden werden könnte (obgleich Unteritalisches wohl als Vorbild näher liegt).
Im ganzen kann man das Ergebnis dahin zusammenfassen, daß wir in Ägypten
von etwa 1500 an eine ununterbrochene Reihe von Denkmälern finden, die teils
in Form und Anordnung der Dekoration, teils in den Typen, und mit den oben aus-
gesprochenen Einschränkungen auch im Stil enge Beziehungen zu dem »orientali-
schen« Stil, und damit zu den »phoinikischen« Schalen zeigen und daß in Ägypten
wenigstens diese Denkmäler bis in die persische Zeit herabreichen, ohne daß jemals
ein eigentlich »phoinikisches« Stück in Ägypten zutage gekommen wäre.
Anhangsweise sei hier noch eine in Gezer gefundene Faienceschale erwähnt,
die Macalister, Excavations of Gezer Taf. CCV b abbildet (11 S. 338). Die Schale
gehört frühramessidischer Zeit an. Innen am Boden findet sich eine doppelte
Rosette, außen »a simple rosette of 27 radiating lines is surrounded by nineteen
white ovals on a blue ground, around which again are a series of compartments
alternately narrow and broad — the former containing a plant, the latter two animals.
Around the bottom of the sides runs a row of white lozenges on a blue ground.«
Weitere hierher gehörige syrisch-phoinikische Funde sind mir, abgesehen von
dem in Anm. i erwähnten Fläschchen aus Karthago, nach Delatre ein mit korin-
thischen Aryballen zusammen gefundenes Unikum, nicht bekannt geworden.
') Daß damit die in unseren Museen verwahrten
in diesen Zusammenhang gehörigen Stücke
keineswegs erschöpft sind, mag folgende Notiz
aus dem British Museum zeigen: »aeg. Abt. 4766.
Kästchen aus grünlicher Faience ; zu beiden Seiten
eines Baumes geflügelter Löwe (I.) und geflügelter
Stier (r.) in Tiefrelief. An den Schmalseiten ge-
flügelter, hockender ägyptischer Greif mit Sonnen-
Bcheibe, hinter ihm die Papyrushieroglyphe in
einem Untersatz, auf ihr die Sonnenscheibe. Das
Innere des Kästchens ist oval ausgehöhlt.«. —
Das Louvre verwahrt eine Anzahl in diesen Zu-
sammenhang gehörige Elfenbeine, deren Ver-
öffentlichung die Direktion iSg; vorbereitete ! —
Ein Faienceväschen aus Karthago mit Löwen-
fries, zwischen den Löwen Bäume bei Delattrc,
Nicropole de Douimes in Memoire antiquaire
de France 56, Fig. 17 f.; wohl VIL Jahrh.
204 ^'' ^' ^'^'- ^- I^is^ioKi Untersuchungen über die >phoini1cischen« Metallschalen.
III. Die einzelnen Fundgruppen.
Im folgenden soll unter ständigem Vergleich der Verzeichnisse bei Dumont-
Chaplain, Ceramiques de la Grece propre I 112 ff. und von Poulsen, Orient und
frühgriechische Kunst ein für die Funde außerhalb Italiens möglichst vollständiger
und vielfach auf eignen Notizen (in » . . . «) beruhender Katalog gegeben werden
— für die Nimrudschalen in engem Anschluß an Layard — , der darum nötig ist,
weil Poulsen teilweise sehr flüchtig gearbeitet und das ihm vorliegende Material
auch nicht immer glücklich zusammengefaßt hat Wir halten uns ausschließlich
an Formen und Fundorte; die Versuche, nach dem Stil Klassen aufzustellen, sollen
erst im letzten Abschnitt geprüft werden.
A. Der Fund von Nimrud.
a) Schüsseln. (Ich folge der von Layard-Zenker, Babylon und Niniveh 183 ff.
gegebenen Einteilung und Nummerierung und füge die Bezeichnungen Dumont-
Chaplains und Poulsens hinzu).
1. Mit beweglichem, kreisrundem Henkel, der durch zwei auf einer Rolle sitzende
Ösen lief. Zwei Friese und ein Mittelbild, »getrieben und graviert. Der Stil erinnert
an die kretischen Schilde*. Layard, Monuments II Taf. 65, Dumont-Chaplain Nr. 23
Poulsen B 7. Nach Layard und Perrot (bei Dumont-Chaplain) ägyptisierend, nach
Poulsen mit überwiegend assyrischer Dekoration.
2. Mit gleichem Henkel. Drei Tierfriese, der Grund bis auf eine Mittelrosette
undekoriert. »Figuren getrieben und graviert. Stil mit i nicht näher verwandt«.
Layard a. a. 0. Taf. 60, Dum.-Chapl. Nr. 16, Poulsen C 6 Sonderstil.
3. An Stelle des Henkels zwei Ringe, die in Röhren gehen, welche an einem
Rahmen befestigt sind, der um etwa ein Dritteil des Randes läuft. Um die Mittel-
rosette sind vier nach außen an Breite zunehmende Friese angeordnet, der eigent-
liche Rand bleibt frei. Layard a. a. 0. Taf. 57 A. Dum.-Chapl. Nr. 17. Poulsen An.
Nach Layard in Charakter und Behandlung assyrisch, nach Poulsen überwiegend
ägyptisch!
4. Glatte flache Schüssel mit graviertem, geflügeltem Skarabäus von einem
Punktkreis umgeben. Layard-Zenker Taf. XIV G, H, etwas abweichend Monuments II
Taf. 58 B. Wohl Dum.-Chapl. 30 b.
5. In der Mitte Rosette, dann 4 Streifen, abwechselnd ein Papyrusbogenfries
und ein Tropfenfries. Rand breit, glatt. Layard a. a. O. Taf. 57 D. Dum.-Chapl.
Nr. I. Taf. V 6 stellt das Muster auf den Kopf. Poulsen A 13, überwiegend ägyptisch.
b) Teller.
I. Flach, die Mitte ein wenig in die Höhe gebogen. In der Mitte Blütenrosette,
darum 5 Palmettenbänder, dann bis zum Rand breiter vierteiliger Figurenfries.
Layard a. a. O. Taf. 63. Dum.-Chapl. Nr. 25. Poulsen A 7. Nach Layard ist die
Arbeit zwar nicht rein ägyptisch, jedoch mehr als sonst an einem anderen Exemplar,
außer etwa der Schale Monuments II Taf. 68 Mitte der oberen Reihe. Nach Poulsen
überwiegend ägyptisch.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »pboinikischen« Metallschalen. 2O5
la. Flach. In der Mitte Rosette, dann Palmettenbänder, am Rand breiter Fi-
gurenfries. Layard a. a. O. Taf. 68 Mitte oberste Reihe. Dum.-Chapl. Nr. 27. Poulsen
A 3. Nach ihm nur graviert, überwiegend ägyptisch.
2. Tief, mit breitem in die Höhe gebogenem Rand, wie an einem Suppenteller.
In der Mitte Rosette von einem Tierfries umgeben, dann breiter Figurenfries. Ein
Kymation leitet zum abgesetzten Rand über, an dessen abermals abgesetztem Rand
ein Fries mit einander jagenden Tieren läuft, »getrieben, nur die Rosette mit dem
Innern Tierfries graviert, Einzelheiten auch an den getriebenen Figuren graviert«.
Layard a. a. O. Taf. 64, Dum.-Chapl. Nr. 24. Poulsen C 2. Nach Layard ist die Be-
handlung und Zeichnung dieses sehr schönen Stückes assyrisch, obwohl die Kostüme
einen ägyptischen Charakter haben. Nach Poulsen Sonderstil.
3. Flach. In der Mitte oval mit punktierten Rauten bedeckt, mit 9 silbernen
Buckeln besetzt, von vier Berggruppen umgeben. »Die Arbeit ist ziemlich grob,
die Hauptmasse ist von außen nach innen getrieben, die Einzelumrisse von innen
eingedrückt. Die meisten der Tiere auf den Bergen sind graviert, einzelne aber ge-
trieben, überall sind die Einzelheiten graviert«. Layard a. a. O. Taf. 66; Dum.-Chapl.
Nr. 21. Poulsen B i. Layard und Poulsen stimmen in der Betonung des assyrischen
Stils überein, Layard hebt die sehr genaue und sorgfältige Arbeit hervor.
4. Der mittlere Teil etwas in die Höhe gebogen. In der Mitte Stern mit Ro-
setten zwischen den Zacken, dann 5 den ganzen Teller füllende Tierstreifen, die durch 8
Figuren in Hochrelief mit Doppelgesicht wie durch Pfeiler in Felder geteilt werden,
sehr beschädigt, »getrieben und graviert«. Layard a. a. 0. Taf. 61 A, Dum.-Chapl.
Nr. 9. Poulsen C i. Nach Layard die Gesichter der Pfeilerfiguren von ägyptischem
Charakter, nach Poulsen Sonderstil.
5. Getrieben und graviert. In der Mitte Gebirge aus dem vier ägyptisierende
Frauenköpfe auftauchen. Zwischen den Hügeln sind Tiere und Bäume eingegraben.
Ein Rand von Figuren, fast rein ägyptisch, aber leider nur zum Teil erhalten, bildet
den äußern Umkreis des Tellers. Man sieht einen Mann, der auf einem Thron sitzt,
unter einem verzierten Bogen, vor ihm eine besartige Gestalt. Die nächste Gruppe
zeigt einen ägyptisch gekleideten Mann, die Streitkeulc in der Rechten schwingend,
mit der Linken Bogen und Pfeil und den Schopf eines vor ihm kauernden, kleiner
dargestellten Gefangenen fassend. Zwischen den Beinen des Kriegers, der so als
Pharao gekennzeichnet wird, schreitet ein kleiner Löwe. Eine ägyptisch gekleidete
Göttin mit der Sonnenscheibe hält dem König das Krummschwert entgegen, das hier
freilich etwas dei Feder der Wahrheit, dem gewöhnlichen Attribut der Göttinnen,
angeähnelt ist. In der Linken hält sie nach Layard ein Szepter. Dann folgt Bes,
von zwei mit ihm tanzenden ägyptischen Königsfiguren flankiert, die ihre Hände
nach seiner Federkrone auszustrecken scheinen. Weiter dann eine bartlose Figur
in merkwürdigem Schurz (wie er auf pboinikischen Denkmälern zuerst vorkommt)
mit einer Vase und einem Halskragen in den Händen. Eine ähnliche Figur steht ihr
gegenüber, dazwischen aber eine bartlose Figur in langem Gewand, nach Layard mit
einer ägyptischen Götterkrone, in der einen Hand einen Bumerang {?), in der andern
nach Layard einen Bogen {>). Götterfiguren, unter denen Layard den Amon und eine
206 P'* ^- Frhr. v. Bissing, Untersuchungen Über die »phoinikischen« Metallschalen.
Göttin erkennen wollte, ein Greif, eine Schlange waren in dem fast ganz zerstörten
Teil des Tellers dargestellt. Ich habe die Beschreibung so ausführlich gegeben, weil
einesteils die Zeichnung ohne Layards Text vieles nicht erkennen läßt, andrerseits
Layard einige für seine Zeit begreifliche Irrtümer in der Benennung der Figuren
begangen hat. Dann aber bietet keine unter allen Nimrudschalen so viele Vergleichs-
punkte zu den früher behandelten ägyptischen Kelchgefäßen, deren Zugehörigkeit
in diesen Kreis damit erwiesen wird. Die Nimrudschale hat auch die gleichen unver-
ständlichen Hieroglyphen, die gleichen kleinen rechteckigen Kartuschen, ihr Stil
ist aber viel unreiner als der der sicher von Ägyptern gearbeiteten Kelche. Layard
a. a. 0. Taf. 6i B, Dum.-Chapl. Nr. 20. Poulsen B 4, überwiegend assyrisch.
6. Der Boden ist in der Mitte hochgetrieben. In der Mitte Rosette, dann zwei
schmale Palmettenbänder, ein breiter Figurenstreifen (Raubvögel, die paarweis
Hasen zerfleischen), am Rand endloser Fries gleicher Raubvögel. Layard rühmt
die sehr schöne Arbeit. Layard a. a. 0. Taf. 62, B. Dum.-Chapl. Nr. 18, Poulsen C 4
Sonderstil.
7. Flach. In das Kupfer sind in der Mitte und in zwei Reihen um die Sternscheibe
kleine Buckel von Silber eingelegt. In der Mitte Stern, zwischen den Zacken Zick-
zacke und darauf Scheiben, dann zwischen zwei glatten Streifen ein Papyrosfries,
am Rand ein breiter Streifen mit sich wiederholendem Zinnenmustcr, in dessen Felder
Ziegen {}) und Rosetten gesetzt sind, nach Layard mehr als 600. Die Tiere sind
jedes durch drei Schläge mit einem stumpfen Instrument oder einem Stempel ge-
macht (Layard). Layard a. a. 0. Taf. 57, E. Dum.-Chapl. Nr. 10. Poulsen C 3
Sonderstil.
8. Ähnlich wie 7, nur sind zwischen den Sternzacken unter den Scheiben noch
eine'Art Kartuschen angebracht. Den Abschluß bildet ein schmaler Palmettenfries
und dann folgen, durch schmale glatte Streifen getrennt, 6 Friese kleiner Gazellen,
nach Layard wieder über 600. Vermutlich auf der Sternscheibe sind 8 silberne Knöpfe
befestigt (s. Layard). Layard a.a. 0. Taf. 59 C, Dum.-Chapl. Nr. 5. Poulsen C 5 Sonderstil.
9. Tief. In der Mitte ein eingegrabener Stern (Perrot: Rosette), den ein Flecht-
band und Lotosfries umgeben, Flechtband, an der Seite vier Gruppen, die einen
Löwen vorstellen, der im Röhricht lauert, im Begriff sich auf einen Stier zu stürzen
(Perrot: large zone de taureaux et de lions separes par des tiges de papyrus). Nicht
abgebildet. Dum.-Chapl. Nr. 30 p. Poulsen vacat ').
10. Flach. In der Mitte geflügelter Skarabäus, der die Sonnenscheibe in die
Höhe hält, darum Flechtband und Lotosfries, dann ein doppelter Fries, der innere
') Möglicherweise ist dies das von mir folgender- band abgeschlossenen Tierfries sieht man einen
maßen beschriebene Stück: »In der Mitte 16- Löwen mit geöffnetem Maul, vor ihm Papyros-
blättrige Blüte, die Blattspitzen durch ein Flecht- Stauden, dann einen einhörnigen Stier, eine
band verbunden, dann ein von glatten Streifen kleine Papyrospflanze, Löwen, Stier usw., alles
eingefaßtes Flechtband. Lotosbogenfries mit Punk- in ganz flachem getriebenem Relief«. Ist dieser
ten r. und 1. von den Blüten, ein glatter Streifen, Teller nicht mit Dumont-Chapl. N. 30 p identisch,
ein Flechtband, abermals glatter Streifen und dann fehlt er in ihrem Verzeichnis.
Flechtband. Auf dem oben von einem Flecht-
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen ttber die xphoinikischen« Metallschalen. 207
mit Bäumen, Rehen, geflügelten Uraei, Sphingen und Papyrospflanzen, der äußere
mit Skarabäen, fliegenden Schlangen, Rehen und Bäumen, alles graviert. Nicht
abgebildet. Dum.-Chapl. 30 f. Poulsen vacat.
11. Flach, der Boden etwas erhaben. Ihn bedeckt ein Blütennetz mit einem
silbernen Knopf in der Mitte. Am breiten Rand Fries von vier übereinander an-
geordneten und miteinander verflochtenen »phoinikischen« Palmetten. Layard a. a. 0.
Taf. 62 A, Dum.-Chapl. Nr. 4. Poulsen B 3 nur graviert, überwiegend assyrisch.
12. Flach. Rosette als Mittelscheibe eines Stern, zwischen dessen Zacken
Falken mit ausgebreiteten Flügeln und Sonnenscheibe auf dem Kopf. Weiter durch
schmale glatte Streifen getrennt zwei in Felder geteilte Friese mit Flügeltieren, die
meisten mit vier ausgebreiteten Flügeln. Layard a. a. 0. Taf. 57 B. Dum.-Chapl.
Nr. 14 »les Sujets sont difficiles ä distinguer«. Poulsen A 12, überwiegend ägyptisch.
13. Flach mit omphalosartig aufgetriebenem Boden, graviert. In der Mitte
.Scheibe von einem Blättcrbogenfries umgeben, in weitem Abstand schmaler Fries
mit durch je drei Papyri getrennten Tieren und ägyptischen Emblemen; ein ähn-
licher Fries, bei dem aber je eine Palme die Figuren trennt, am Rand. Layard
a. a. O. Taf. 58 A. Dum.-Chapl. Nr. 8. Poulsen A 14, überwiegend ägyptisch.
14. Tief. In der Mitte kleine Rosette von zwei ineinander geflochtenen sphä-
rischen Vierecken umgeben, deren Spitzen in Knospen und Blüten assyrischen Stils
endigen. Es folgen, durch je einen schmalen glatten Streifen getrennt, zwei schmale
Palmettenfriese. Sonst glatt. Layard a. a. 0. Taf. 58 C, Dum.-Chapl. Nr. 3. Poulsen
A 15, überwiegend ägyptisch!
15. Tief. In der Mitte Rosette durch Flechtband eingeschlossen, dann drei
kleine Palmettenfriese, unten durch glatte Streifen, oben durch Flechtbänder abge-
schlossen, alles weitere glatt. Layard a. a. 0. Taf. 58 D, Dum.-Chapl. Nr. 2. Poulsen
A 16, überwiegend ägyptisch!
16. In der Mitte Rosette, von der ein Stern ausgeht, zwischen dessen Zacken
anscheinend eine Kartusche von drei Knöpfen flankiert wird. Weiter bis zum Rand
drei durch glatte schmale Streifen getrennte Figurenstreifen, von denen der erste
und dritte in Felder geteilt ist, die vierflügelige Skarabäen und Falken (oder nach
meiner Notiz wieder Skarabäen) einschließen, der mittelste Streifen zeigt Rehe durch
Buketts getrennt (Perrot,. Plantes ä cinq tiges.?). Layard a. a. O. Taf. 58 E, Dum.-
Chapl. Nr. 12. Poulsen A 17, überwiegend ägyptisch!
17. In der Mitte Rosette, dann drei Palmettenfriese durch glatte Streifen
getrennt und von Flechtbändern eingeschlossen. Nach einem breiten, glatten Streifen
Fries mit schreitenden Flügelsphingen durch vier Papyros getrennt. Layard a. a. 0.
Taf. 58 F (verdruckt E). Dum.-Chapl. Nr. 19. Poulsen A 18, überwiegend ägyptisch!
18. In der Mitte Rosette, deren Herz von einer kleinen Rosette eingenommen
wird, die ein sphärisches Viereck umgibt. Es folgen, durch glatte Streifen getrennt,
drei Tropfenbänder, dann, wieder durch glatte Streifen getrennt, drei Figurenfriese:
I. abwechselnd geflügelte Schlangen und vierflügelige Skarabäen, 2. Kartuschen in
wechselnder, mißverstandener Form, 3. endlose Reihe laufender Strauße. Layard
a. a. 0. Taf. 59 A, Dum.-Chapl. Nr. 7. Poulsen A 4, überwiegend ägyptisch.
208 ^'- ^- P'br. V. Bissing, Untersuchungen über die >phoinikischen« Metallscbalen.
19. In der Mitte Stern mit Scheibe, deren Zentrum eine Blüte einnimmt.
Zwischen den Zaclten spitze Winitel und kleine Scheiben. Dann drei, durch glatte
Streifen getrennte, in Felder geteilte Friese mit abwechselnd stehenden Flügelsphingen
und knienden Figuren im ägyptischen Schurz mit Lotosblüte in jeder Hand. Layard
a. a. 0. Taf. 59 B, Dum.-Chapl. Nr. 11. Poulsen A 5, überwiegend ägyptisch.
Dumont bemerkt, daß zwei weitere Teller 30 d und e dieselben drei Friese
a'afweisen, aber in der Mitte eine achtblättrige Rosette und bei dem einen aufgesetzte
Silberknöpfe. Ich habe folgendes notiert : »Es sind drei ähnliche Teller, die die Num-
mern 17, 20 und 8 (43) tragen. 17 hat alle Figuren fein graviert, die Felder mit Figuren
sind punktiert. Die knienden Figuren der beiden unteren Kreise sind beflügelt,
die des obersten nicht. Nr. 20 ist ganz ähnlich. Nr. 8 hat in der Mitte einen Stern
mit Rosette, die Knienden sind alle flügellos. Zwischen den Strahlen des acht-
strahligen Sternes auf punktiertem Grunde eine Scheibe über einem Tropfen oder einer
Kartusche«. Also ist dies der Layard a. a. 0. Taf. 59 B abgebildete Teller. Da Perrot
Stern und Rosette auch sonst nicht auseinanderhält, wird in allen Fällen ein Stern die
Mitte einnehmen. Die beiden anderen Teller müssen die Nr. 20 und 21 erhalten.
22. Tief, Form wie Layard a. a. 0. Taf. 58, C = b 14, F = b 17. In der Mitte
Rosette mit aufgelöstem, sphärischem Viereck im Herzen, dann, eingefaßt von glatten
Streifen, zwei Tropfenfriese und zwei Friese mit Tieren (Ziegen, Rehe durch Buketts
wie bei b 16 getrennt). Layard a. a. O. Taf. 59 D, Dum.-Chapl. Nr. 6. Poulsen A 6,
überwiegend ägyptisch. ,
23. Flach. In der Mitte Rosette, anschließend ein Streifen abwechselnd schmaler
und breiter hochgestellter Felder, die breiten mit je zwei übereinander gestellten
Knöpfen. Es folgen bis zum Rand vier glatte und vier ornamentierte Friese, die
letzteren in Felder geteilt, die abwechselnd glatt und punktiert sind. Die punktierten
Felder tragen im ersten und letzten Streifen Blüten, im zweiten Uzataugen, im dritten
»ägyptische Ägiden«. Layard a. a. O. Taf. 59 E, Dum.-Chapl. Nr. 13. Poulsen A 3
überwiegend ägyptisch.
c) Schalen.
1. Tief. »Getrieben ohnejede Gravierung.« Mit sehrsorgsam gearbeiteten Figuren
von Tieren (miteinander kämpfenden Löwen und Greifen .'' ) verziert, die in eigen-
tümlicher Verwirrung untereinander verflochten und gruppiert sind und die ganze
innere Fläche bedecken. Layard a. a. 0. Taf. 67, Dum.-Chapl. Nr. 22, Poulsen B 2
(der wohl mit Recht unter den Tieren Stiere mit einem Hörn aufzählt, dessen Behaup-
tung, es sei Gravierung vorhanden, aber irrtümlich sein dürfte), überwiegend assyrisch.
2. Ein Fragment mit Löwen und Stieren in sehr feiner Arbeit. Sonst nirgends
erwähnt.
Layard spricht dann noch von zierlichen, glatten Schalen, deren er eine auf
Taf. XIV k von »Niniveh und Babylon« abbildet, die wie oben (S. 182) gezeigt, von
ägyptischer Form ist, dann von ein oder zwei geriefelten und von einigen mit einem
einfachen getriebenen Stern in der Mitte.
Eine »Schale« — die genauere Form ist leider für die folgenden Nummern C 3 — 7
nicht festzustellen — ist abgebildet bei Perrot-Chipiez II 741. Ich habe davon
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen ttber die »phoinikischen« Metallschalen. 200
folgende Beschreibung gemacht, die ich unter Vergleich von Dumont-Chaplain 30 k
hersetze: »Ein großer siebenstrahligcr Stern nimmt die Mitte ein, dessen Zentrum
ein eben solcher Stern bildet. Zwischen die Zacken des kleineren Sterns sind Kreischen,
zwischen die des größeren kleine von einem Punktkreis eingeschlossene Sterne mit
Kreischen zwischen den Zacken gesetzt. Rechts und links von jedem Zacken des
großen Sterns ein Kreischen, am Fuß der Zacken ein Papyros. Von einem breiteren
unteren und einem schmaleren oberen glatten Streifen eingefaßt , läuft ein Fries von
Pseudohieroglyphen, dann ein Fries von kleinen Blüten mit 7 Blättern und dem
Papyroszeichen im Wechsel, endlich ein breiterer Streifen von pseudoägyptischen
Königsringen, bekrönt mit Federn, im Innern fünf Zeilen horizontaler Pseudohiero-
glyphen. Gegen den Rand hin noch eine weitere pseudohieroglyphische Inschrift.
Ganz am Rand steht in phoinikischen Zeichen Baalazar (s. oben S. 185). Die Orna-
mente scheinen wie das ganze Gefäß nicht getrieben, sondern gegossen und nur nach-
graviert. Unter den Hieroglyphen, die späten Charakter tragen, erkennt man den
stehenden Löwen, das Uzatauge, den Falken mit der Geißel am Rücken, das Zeichen
für Gold, das Uaszepter, das Determinativ U 20 für Schwere, Mineralien, und viel-
leicht einige andere. Poulsen A 2, überwiegend ägyptisch.
4. »Achtblättrige Blüte oder Stern in der Mitte, zwischen den Blättern Punkte.
Jedes Blatt endet in eine Art Palmette, die durch eine Punktreihe verbunden sind.
Dann folgt ein Streifen mit kleinen Blüten zwischen Punktreihen, dann ein glatter
Streifen und zwei durch Punktreihen eingefaßte Papyrosbogenfriese, die durch einen
Blütenstreifen getrennt werden.« Layard a. a. 0. Taf. 68 unterste Reihe rechts. Viel-
leicht Dum.-Chapl. 30 m.
5. »Schale mit bloßer Rosette ohne Stern, zwei schmale Ornamentbanden, ein
etwas breiterer Streifen mit Steinböcken und dazwischen gesetzten Pflanzen. Jedes
zweite Tier sieht sich um. Dieser Fries wird nahe dem Rand wiederholt.« Wahr-
scheinlich Layard a. a. 0. Taf. 68 unterer Streifen Mitte und Dumont-Chapl. Nr.
30 t. Ebenso wie die folgenden Nummern bei Poulsen nicht angeführt (vergl. c 10).
6. » In der Mitte siebenzackiger Stern, zwischen die Zacken ist eine Art Nym-
phäenblüte gesetzt. Am Rand des den Stern umschreibenden Kreises hängen Tropfen.
Es folgt ein locker gezeichneter Nymphäenbogenfries, dann ein Tropfenfries, stets
durch glatte Streifen getrennt.« Vielleicht Dum.-Chapl. Nr. 30 r. Nicht abgebildet.
7. »In der Mitte Stern mit punktiertem Füllgrund und kleinen Kreisen darin,
eingefaßt von einem Punktkreis, dann zwei durch glatte Streifen jeweils abgeteilte
Friese, i. mit Schlangen über dem Korb auf der Papyrosstaude, Greifen mit Löwen-
schwänzen, Falken in Hockstellung mit der Sonnenscheibe auf dem Haupt, 2. Ska-
rabäen mit ausgebreiteten Flügeln, Blüten, alles punktiert und graviert.« Das Stück
scheint nirgends erwähnt.
Bei Layard Monuments II Taf. 68 sind noch folgende Fragmente und voll-
ständige Schalen (.?) gezeichnet:
8. Oberste Reihe links. In der Mitte Rosette, am abgesetzten Rand Flügel-
löwe mit Sonnenscheibe auf dem Haupt. Dum.-Chapl. Nr. 28. Poulsen vacat.
2IO f'- W. Frhr. v. BUsidk, Untenuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
9. Oberster Streifen rechts. In der Mitte Scheibe, zwei Palmettenbogenfriese
zwischen Flechtbändern, breiterer Randfries: geflügelte Skarabäen zwischen Flügel-
sphingen. Dum.-Chapl. Nr. 26.
10. Unterster Streifen Mitte. In der Mitte Rosette mit sphärischem Fünfeck,
vier durch glatte Streifen getrennte Ornamentstreifen, zwei ebenso getrennte und
gleichfalls schmale Friese, i. sich umschauende Rehe durch Papyri getrennt, 2. schrei-
tende Rehe {>) im Wechsel mit ägyptischen Ägiden {}). Anscheinend nirgends
erwähnt. Oder ist es c 5.^
11. Unterster Streifen links. Sphärisches Viereck in der Mitte um eine Rosette,
die Spitzen des Vierecks sind von assyrischen Palmetten besetzt, weiterhin zwei
Palmettenfriese.
Aus Perrots Notizen bei Dum.-Chapl. ergibt sich, daß Flügelskarabäen, Flügel-
sphingcn und Flügelgrcifcn noch mehrhaft auftreten, ebenso »cerfs« (Rehe?) im
Wechsel mit Pflanzen, Rosetten, und allerhand nicht sicher bestimmbare Ornamente.
Auch das Motiv des von Raubvögeln zerfleischten Hasen, in getriebener Arbeit, kehrt
noch einmal wieder. Man sollte meinen, es müßte zu den Ehrenpflichten des British
Museums gehören, endlich die Layardschen Kleiniundc in einer dem Stand der heu-
tigen Wissenschaft angemessenen Weise herauszugeben. Nicht einmal der neuste
Führer hält es für notwendig, bei diesen in den verschlossenen Glaskästen schwer
studierbaren Gegenständen länger zu verweilen.
d) Tassen.
17 Näpfe oder Tassen wurden nach Layard gefunden, aber nur drei davon
trugen Ornamente. Der eine von ihnen ist Layard, Monuments II Taf. 68 unten
links und im ersten Streifen abgebildet. In der Mitte am Boden ist ein Stern in
getriebener Arbeit, der von einer Rosette umgeben ist. Die Jagdszene umschließt
ihn in hohem Relief. Ganz ähnlich ist die Mitte des zweiten, Layard a. a. O. Taf. 68
unten rechts und zweiter Streifen, veröffentlichten Napfes. Layard hebt das sehr
hohe Relief hervor, und für beide Tassen die besonders altertümliche Behandlung
der Figuren, in welcher Beziehung sie den früher in Nimrud entdeckten Elfenbein-
arbeiten gleichen. Ferner fühlt er sich an die ältesten griechischen Kunstwerke
und die bemalten Tongeschirrc aus ctruskischen Gräbern erinnert, so sehr, daß er
beiden ein und denselben Ursprung glaubt beilegen zu müssen, auch an die Funde
von Cerveteri erinnert er.
Als Nr. 3 zählt Layard das a. a. 0. Taf. 57 C veröffentlichte Gefäß, Dum.-
Chapl. Nr. 15, Poulsen A i, überwiegend ägyptisch. Es ist weniger tief wie die
beiden anderen. Im Zentrum hat es nach Layard einen Stern, der durch den
ägyptischen Sonnenfalken gebildet wird, welcher die Sonnenscheibe trägt (die Zeich-
nung läßt das ungefähr ahnen) ■), neben diesem, zwischen zwei Strahlen, die in
Lotosblumen endigen (es sind wohl Papyri), ist eine Geißel; an den Seiten sind in
■) Perrot beschreibt die Mitte wie folgt: Cercle cen- tiennes et ä des repr&entations vig^ales;
tral autour duciuel rayonnent divers motifs qui la coupe de Palestrina, Perrot-Chip, iii 97.
paraissent ttre empruntes i des statuettes egyp-
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
211
getriebener Arbeit wilde Ziegen, lotusähnliche Gewächse und Zwergbäume von
eigentümlicher Gestalt (die aber auf d l wiederkehrt). Die Lotos finden sich durch-
aus verwandt auf den Schalen Layard a. a. 0. 58 E, 59 D.
D I ist bei Dum.-Chapl. Nr. 29, beiPoulsen B6, über-
wiegend assyrisch. Mit Recht sagt er »getrieben und gra-
viert«, was auch für D 2 und 3 gilt.
D 2 ist bei Dum.-Chapl. Nr. 30,
bei Poulsen B 5, überwiegend assyrisch.
Die Mitte, die wir hier nach meiner
Skizze (Abb. 10) geben, beschreibt
er ziemlich zutreffend: »Kreis mit ge-
triebenen halbkreisförmigen rauten-
schraffierten Beulen.« Nur bildet eine
Blütenrosette den Mittelpunkt, und
gehen von dem Kreis wieder spitzige
Blätter aus.
Ich habe dann noch D4 notiert: »ohne figürliche Reliefs, innen am Boden
ein System von Punktkreisen. Dicht unter dem Rand folgt ein Kreispunktband,
bei dem die Kreise alle in unregelmäßiger Höhe stehen, unter dem Band wechseln
Punktkreise und Punktblüten. Außen findet sich ein ähnliches Punktband und
ein anscheinend nach unten sich fortsetzender Bogcnfries, es sind wie vorstehende
Rippen, vielleicht gehämmert. An der entsprechenden Stelle ist innen die Wan-
dung glatt.« (S. die Skizze Abb. 11, die natüriich im einzelnen nicht genau ist.)
Abb. 10. Innen Verzie-
rung der Tasse aus Nim-
rud D 2. Nach eigener
Skizze.
Abb. II. Innenver-
zierung der Tasse aus
Nimrud D 4. Nach
eigener Skizze.
B. Die Funde von Kreta.
Die Bronzen der idäischen Grotte sind von Halbherr und Orsi im H. Band
des Museo Italiano vortrefflich veröffentlicht worden. Spätere Veröffentlichungen
bringen kaum Wesentliches, Poulsen, Der Orient usw. 74 ff. hat die kretischen
Schilde, ebenda S. 22 die zwei Schalen behandelt. Meine eigenen vor Jahren vor
den Originalen unter zweimaligem Vergleich mit den Tafeln Halbherrs aufgenom-
menen Notizen (Herr Chatzidakkis unterstützte hier wie sonst meine Studien aufs
freundlichste) besagen: »Taf. H ist genau, die Blütenform ist noch ägyptischer.
Taf. HI genau; die Augen der menschlichen Figuren auf Taf. I waren eingelegt,
rechts und links von der Mittelfigur befindet sich je ein rundes kleines Loch, je drei
auf den beiden unteren »Schilden«, doch wohl von einer Befestigung.« Auf den
oberen »Schilden« bemerkte ichr. Wellenlinien, 1. Strahlen, Reste einer Innenzeichnung.
Bei Taf. VIII fällt im Gegensatz zu den anderen Schilden die wenige Gravierung
auf, die Reliefs sind ganz flach getrieben. Taf. V hat jetzt einen sehr altertüm-
lichen, strengen Löwenkopf als Mittelstück, der Kopf des 1. Kriegers ist verloren.
Die Löwen sehen altertümlicher aus als die von Taf. III. Gravierung findet sich
trotz des hochgetriebenen Reliefs wenig. Im Gegensatz dazu sind die »phoinikischen«
Stücke Taf. VI schwach getrieben und fein graviert. Von den auf Taf. IX abge-
bildeten Stücken zeigt I viel Gravierung, das behaarte Fell des Löwen ist ausge-
212 Fr. W. Fthr. ». Bissing, Untenuchungen über die >phoiiiikischen« Metallschalen.
prägter. Nr. 2 mit ungewöhnlich feiner Gravierung an Haaren und Gewändern
hat seit der Publikation gelitten, Nr. 3 steht stilistisch der Olympiaschale in Athen
besonders nah. Aber auch 2 gehört in die Reihe. Das Bruchstück Taf. X 2 war
nicht auffindbar. Das Motiv des Tiers, das von unten mit umgedrehtem Kopf
beißt, kehrt aber auf einem feinen Fragment wieder, das zu den Tierfriesen und
Reliefs aus Palaikastro gehört, und ebenso auf den Nimrudschalen Layard, Monu-
ments II Taf. 60, 67. Unter den Schildfragmenten notierte ich eines, das einen
Stier zeigt, auf dem ein Panther oder Löwe reitet und sich in dem Stier festbeißt.
Taf. X 3, 4 sind zusammengefügt wie es der Text S. 18 zeigt. Es haben sich weitere
Nymphäen gefunden, stilistisch steht der reich gravierte Schild dem Schild Taf. IV
am nächsten.
Xanthuthides hat aus Stücken, die in Halbherrs Text meist abgebildet sind,
einen mit Nr. 7 bezeichneten Schild zusammengefügt, in dessen Mitte ein plastischer
Löwenkopf erscheint, dann unten Reste eines riesigen Löwen.? -Greifen, an den kleine
Löwen .'' heranspringen. Der »Greif« trägt die Schabrake, seinen Schnabel faßt
eine Hand. Oben Reste eines Mannes (Sphinx.?) mit bebuschtem Helm (wie ihn
hethitische Soldaten tragen). Vielleicht war ein Löwe dargestellt, der im Maul einen
behelmten Männerkopf hatte. Dann folgt ein Blatt, ein Pferd.?, hinter dessen
Rücken ein Blatt vorkommt. Um dessen breiten inneren Streifen laufen ein
schmälerer, von guten Flechtbändern eingefaßter und ein mittelbreiter Streifen
mit Reiter, Bogenschützen in verschiedenen Lagen kniend, Bogenschützen zu
Pferd, darunter ein rückwärts schießender, hingestreckter Gefallener; darunter ein
riesengroßer mit Schild, dazwischen Löwen. Von diesen hat einer einen Mann
mit den Klauen gepackt, der behelmt ist. Der Gefallene trägt Beinschienen und
einen an beiden Seiten eingebuchteten Schild. Außen schließt das Ganze ein
Flechtband ab, dann der übliche Rand mit Buckelnieten. Eins der einem der knienden
Bogenschützen gegenüberstehenden Tiere ist kein Löwe, eher ein Bär •). Hinter
dem Schützen kommt eine dickstenglige Pflanze heraus. Stilistisch steht das Stück
der Schale aus Delphi sehr nahe, einzelne Züge erinnern aber auch an die engere
»phoinikische« Klasse.
Ganz ungenügend ist leider die Wiedergabe der Bronzen Taf. XII 3, 14. Der
prachtvolle Stil kommt nicht zur Geltung, der r. Löwe von 14 schiebt sich beim Herauf-
klettern etwas zur Seite. Zu den im Text allein abgebildeten Stücken bemerke ich:
Das seltsame Elfenbeingefäß in Gestalt einer nackten, wohl als schwanger
zu denkenden Frau S. 65 hat die nächste Analogie in Gefäßen, wie sie bei Petrie,
Historical studies Taf. XXIV aus der XVIII. Dynastie veröffentlicht sind. Die
Form kann tiefer herabgehen. Das Flechtband von Nr. 5 S. 67 hat durchaus assy-
rischen Charakter, die drei zusammengefügten Bruchstücke Nr. 6 völlig ägyptischen
') Für das Vorkommen von Büren auf den in diesen und Kleinasien angeführt sind. Über Bären
Kreis gehörigen Denkmälern s. Winter, A. vom Libanon: W. Max Müller, Egyptological
M. XII 18S7, 233 ff., dazu Keller, Tiere des klas- Researches 1 194, II 184, Borchardt, Grabdenkmal
sischen Altertums lof, ff., wo besonders auch des Sahure 11 Text passim.
die Zeugnisse für Kreta, die griechischen Inseln
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 213
(spätes Neues Reich-Saitenzeit), zum Efeu? vgl. meine Denkmäler Taf. 97, wohl
Winde. Meine Skizze weicht unbedeutend von der Zeichnung ab. An dem echt
ägyptischen Charakter kann kein Zweifel sein. Nach meinen Notizen sind echt
ägyptisch auch die Bronzekannen mit den Henkeln in Nymphäenform, nicht aber
die Statuette Nr. 1116 aus graublauer, fester Faience, mit Rückenpfeiler bis zu
den Hüften, auf denen eine undeutbare hieroglyphische Inschrift, die Text S. 71
ungefähr richtig wiedergegeben ist (sie fängt mit zd — mdu an, das Determinativ
hinter ib — k hat die zwei Amonsfedern auf). Sie trägt geriefelten Schurz, Halskragen
und hält in der r. Hand einen Stengel, der in Papyrus endigt, ihr Haar endet nach
»hethitischer Weise« im Nacken in einer Locke. Aus blauer Faience, innen aber
sandig gelb, ist auch das Fragment einer Statuette, mit Schurz und Rückenpfeiler
ohne Inschrift, an deren Bein ein kleiner Flötenspieler lehnt, zwischen den Beinen
der Hauptfigur ein Zepter .1* Ich finde sie im Text nicht erwähnt (Nr. Iiio), wohl
aber zwei Sphingenköpfe, für die die Verfasser auf die bekannten Köpfe im Fenster
aus Nimrud bei Perrot-Chipiez II Fig. 129 f. verweisen. Ich habe nichts darüber
notiert. Zu den »Linsen« aus Bergkristall im Text S. 68 darf man vielleicht auf
die eingelegten Augen mesopotamischer Götterfiguren eher als auf »ägyptische« ver-
weisen. Denn diese pflegen zusammengesetzt zu sein.
Über die Schilde aus der diktäischen Grotte zu Palaikastro, von denen bisher
nur der eine (Poulsen a. a. O. Fig. 76 nach Brit. School Ann. XI Taf. XVI) ver-
öffentlicht ist, habe ich angemerkt: »Technisch erinnert der Schild an Bronzi Cretesi
Taf. III. Zwei Sphingen ohne Helm, in einfachem Lockenhaupthaar werden von
den Klauen des Löwen, dessen Kopf erhaben gearbeitet ist, gepackt. Zu beiden
Seiten des Rückens dieses Mittellöwen je ein sich aufrichtender Löwe, mit dem
Kopf einander zugekehrt. Die Einfassung bildet ein dreifacher Ornamentstreifen:
zwischen zwei schmalen ganz verwaschenen Flechtbändern ein Klammerornament
aus gegenständigen Voluten mit einer Palmette dazwischen, offenbar entstanden
aus Motiven wie sie an dem Thron von Wan im British Museum (z. B. Luschan,
Ionische Säule Fig. 5) zu sehen sind. Die Ornamente sind getrieben, graviert und
Einzelheiten gehämmert. Ein zweites Stück, ein Fragment, 1305, zeigt einen von
zwei etwas strafferen Flechtbändern eingefaßten Tierfries, von dem fünf Hirsche
erhalten sind. Das Bruchstück 1306 endlich läßt zwischen ganz aufgelösten Flecht-
bändern zwei Tierfriese erkennen; Rehe {?) mit langen Ohren (vgl. Bronzi Cretesi
Taf. VII, X4), ein Vogel mit spitzem Schnabel, eine Sphinx bildeten u. a. den innern
Streifen, auf dem ein Teil der Tiere umgekehrt orientiert sind, damit keins auf dem
Kopf stünde. Diese Vorsicht ist auf dem äußeren Streifen mit äsenden Rehen
nicht genommen. An einer Stelle schiebt sich zwischen die Rehe eine Art
Hathorbüste.
Auf einem vierten Bruchstück, dessen Fries gleichfalls von diesmal strafferen
Flechtbändern eingefaßt wird, gehen sieben Löwen mit erhobener Tatze gegen ein
fast ganz zerstörtes Tier an. In den Tierleibern sieht man auch hier kleine Löcher
zum Aufheften des Bronzeüberzugs auf Holz oder Leder.
Jahrbuch des archäologischen Tnitituts XXXVIII/IX 1933/^4- '5
21 A Fr. W. Frhr. T. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
C. Die Schilde von Van.
Hier habe ich den Angaben Poulsens, Orient 78 f. und dem S. 188 f. Gesagten
nichts hinzuzufügen.
^b"-
D. Funde des griechischen Festlandes.
Auch hier kann ich im wesentlichen auf Poulsen a. a. O. 22 ff. verweisen.
Für die stilistische Einreihung muß ich daran festhalten, daß die Schale in Delphi
(D l) und ebenso die aus Olympia ins Ashmolean Museum gekommene (D 2) den
kretensischen Bronzen näherstehen als den anderen Gruppen. Auch bei der länger
bekannten Schale aus Olympia (D 3), Ferrot-Chipiez III 783, werden wir solche
Beziehungen feststellen können. Wenn nun Bather J. H. St. XIII 248 das auf
der Akropolis gefundene Bruchstück D 4, das in dem Motiv des Falken auf der
Papyrusstaude und vielleicht auch in der Gestalt der Flügelsphingen stärker ägyp-
tisiert als die meisten kretischen Stücke, mit Recht stilistisch dem Olympiastück
vergleicht, dann hätten wir auf dem Festland eine ziemlich einheitliche Gruppe,
auch darin, daß all diese Bronzeschalen in hohem rundem Relief getrieben sind und
dabei reiche Gravierung zeigen.
E. Die kyprischen Funde.
Da ich die wenigsten der hier aufgeführten Stücke aus eigner Anschauung
kenne, begnüge ich mich unter Beibehaltung der Reihenfolge von Poulsen Nach-
träge zu geben, um möglichste Vollständigkeit zu erreichen.
1. Silberschale mit vergoldeter Innenseite aus Idalion oder Kition. (Ob wirk-
lich die Geschichte Cesnolas von den 12 Silberschalen, die in Dali gefunden seien
und bis auf zwei eingeschmolzen worden seien, vor de Saulcys bei Longperier, Mus^e
Napoleon zu Taf. X/XI gedruckter Angabe, die zwei im Louvre befindlichen Schalen
stammten aus Kition, den Vorzug verdient, erscheint mir nicht ausgemacht, s. auch
unten zu Nr. 15.) Beste Wiedergabe Dussaud, Les civilisations prehell^niques 1914
Taf. VI; Perrot-Chipiez III 779. Ob Poulsens Angabe »hie und da kleine assy-
rische Hügel« nicht auf Täuschung beruht.?
2. Silberschale wie i, vom selben Fundort. Beste Wiedergabe Dussaud a. a. O.
Taf. VII; Perrot-Chipiez III 771.
3. Bronzeschale, Fundort unbekannt. Perrot-Chipiez III 673. Myres,
Cesnola Collection Nr. 4561. Bei Colonna-Ceccaldi, Monuments de Chypres 83 ff.
mag man nachlesen, auf wie unsicherem Grund die Angabe beruht, die Schale sei
in Idalion gefunden. Ihre Form, die Col.-Cecc. S. 85 gibt, weicht ab, indem ein
ausgebildeter Ringfuß vorhanden ist und der Rand scharf abgesetzt senkrecht auf-
steigt. Die Darstellungen sind getrieben, aber alle Einzelheiten sind erst durch die
Gravierung gegeben. Die Außenseite ist unverziert. Gegenüber Col.-Cecc. Versuch,
die Schale um 450 zu datieren (a. a. 0. 114 f.), verdient der Ansatz von Myres
in das VII. Jahrhundert den Vorzug.
4. Silberschale aus Amathus. Perrot-Chipiez III 775. Heute verloren.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen ttber die »phoinikischen« Metallscbalen.
215
5. Bronzeschale aus Salaminia. Cesnola, Salaminia 55; Ohnefalsch- Richter,
Kypros usw. Text S. 128. Die Form ist die bei kyprischen Schalen gewöhn-
liche.
6. Silberschale aus Kurion. American Journal of Archaeology 1888, Taf. VII;
Ohnefalsch-Richter, Kypros Text S. 126. Nicht in Myres Katalog des Metropolitan
Museum. Bei Poulsen fehlt diese wie die folgenden Nummern, soweit nicht aus-
drücklich das Gegenteil bemerkt wird. Dargestellt ist im äußern Streifen ein
Frauenfest, im Innern Jagdszenen, zwei Greifen mit einer »phoinikischen Falmette«
zwischen sich. Fast die Hälfte der Schale fehlt.
7. Silberschale aus Kurion. American Journal of Arch. 1887 Taf. XXX,
Myres, Cesnola Collect. Nr. 4556
mit Tafel. Kriegsszenen, Kampf
mit dem Afifen. Mehr als die
Hälfte verloren.
8. Silberschale aus Kurion.
Perrot-Chipiez III 789; Myres,
Cesnola Coli. Nr. 4554 mit Ab-
bildung. Poulsen, Orient 21.
9. Goldschale aus Kurion.
Cesnola- Stern, Cypern Taf. 56,
4 S. 270. Getriebene und gra-
vierte Arbeit. Myres a. a. 0.
Nr. 4551. Poulsen S. 33 f., der dies
und das folgende Stück für lokale
kyprische Arbeiten hält.
10. Bronzeschale aus Kurion.
Cesnola- Stern, Cypern Taf. 69, 4
S. 273. Cesnolas ausführliche Be-
schreibung des Materials als Sil-
ber mit mehreren Goldblättern
inwendig muß falsch sein, da Myres a. a. 0. Nr. 4560 Bronze angibt, Poulsen S. 34.
11. Silberschale. Reich graviert, nicht getrieben. Myres a. a. 0. 4552;
Cesnola, Atlas III, XXXIII i; hier Abb. 12. Ich entlehne die folgende Beschreibung
Myres, wo ich abweiche, beruht das auf dem Vergleich einer ausgezeichneten Photo-
graphie, die die Direktorin der Cesnola Collection Dr. Miss Gisela Richter mir gütigst
verschafft hat. »In der Mitte große Rosette. Durch breiten glatten Streifen getrennt
Fries von Cyperusblüten und -knospen an kurzen Stielen. Wieder durch glatten
Streifen getrennt, Fries mit meist wappenartig angeordneten Paaren von geflügelten
Falken, Schlangen, Greifen, Sphingen und einem beflügelten hockenden Gott mit
Falken.? köpf, einem menschengestaltigen Wesen mit 4 Flügeln; auch eine fliegende
Gans oder Ente tritt auf. Die meisten haben ägyptisierende Attribute.
Sie werden durch naturalistische und stilisierte Pflanzen (Bäume, »syrische«
Palmetten, Lotos, Papyros?) aufgeteilt. Dann folgt ein glatter Streifen bis zum
■5*
Abb. 12. Kyprische Schale. Metropolitan Museum 4552.
Ell. Nach Photographie.
2l6
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen. Metallschalen.
Rand. In dem Tierfries ist eine kyprische Inschrift eingraviert: »ich bin die Schale
des Epi ...?«').
12. Silberschale mit Vergoldung. Cesnola, Atlas III, XXXIII 4- Myres
a. a. O. 4553 mit Abbildung. »With central medaillon and two zones of Ornament
finely engraved in outline, with
some use of low relief. The stile
is rather less careful thanin4552.«
Die Zonen bedecken das ganze
Innere und werden von Bändern
eingefaßt, die sich aus zwei Punkt-
kreisen und einem mittleren Kreis
kleiner Scheiben mit Mittelpunkt
zusammensetzen. In der Mitte,
auf einem ebensolchen geraden
Band, ein stattlicher Ochse, im
inneren Kreis endlose Reihe von
sieben grasenden Pferden, im
breiteren äußeren Kreis fünf
durch Papyrusstauden geschiedene
Gruppen; zweimal wiederholt sich
das Bild der Kuh mit säugendem
Kalb, zweimal des an der Stute
säugenden Füllens, das fünfte
Mal steht ein Roß allein. Im
Stil stark ägyptisierend.
13. Silberschale, Myres a.a.O. Nr. 4555. »Engraved in a delicate and ad-
vanced style which, though influenced by earlier work of Mixed Oriental style,
is essentially naturalistic, and corresponds in feeling and tcchnique with the earlier
phases of the Archaic Cypriote style in gem-engraving and sculpture«. Am besten
der äußere Streifen. Der Einfluß der ägyptischen Kunst der XXVI. Dynastie sei
Abb. 13. Kyprische Schale. Metropolitan Museum 4553.
E 12. Nach Cesnola, Atlas III Taf. 33, 4.
') Ich setze aus Cesnolas Beschreibung im Atlas
noch einige Einzelheiten hinzu. Über der In-
schrift fliegt nach links eine Gans. Es folgt
ein Baum, zwei geflügelte Schlangen zu beiden
Seiten eines Busches, dann nach einer Lotos-
pflanze ein kleiner Falke, vierflügelige Genien
mit Lotosblüten ode^ Lebenszeichen in den
Händen. Zu beiden Seiten einer Palme knien
zwei adlerköpfige Genien mit zwei Flügeln.
Rechts und links von einem heiligen Baum
sitzen zwei Sphingen mit Menschenhaupt und der
ägyptischen Doppelkrone. Es folgt ein Feigen-
baum?, ein heiliger Baum mit einer falken-
köpfigen Flügelsphinx, auf dem Kopf Sonnen-
scheibe und Hörner. Auf der anderen Seite des
Baumes ein »cynosphinx with diso andhorns«;
alle Sphingen sitzen und »show birds feathers
on one of the front legs«. Nach einem Pahn-
baum? folgt geflügelte Sphinx mit Menschenkopf
mit einer »Imitation of the dubble crown«.
Sie berührt das Lebenszeichen, Falken und
Palmen folgen. Nach der von Cesnola ver-
öffentlichten Photographie konnte ich noch fol-
gendes feststellen: Der innere Streifen scheint
eher Papyros als Lotos. Der Baum hinter der
flatternden Gans fast naturalistisch, ähnUch dem
Baum auf den Sargonfliesen. Der Falke hat auf
dem Rücken die Geißel. Der Stil der Schale
ist nicht ägyptisch, nicht assyrisch, er ägyptisiert
aber stark.
Fr. W. Krhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
217
spürbar an Stelle der »decadent grandeur « der XX. Dynastie (}). In der Mitte Isis stehend
mit dem Horuskind, umrahmt von Papyri. Ein schmaler Fries umgibt das Mittel-
bild: man erkennt einen auf den Stab gelehnten Hirten und Vieh. Papyrusbüsche
gliedern die leider sehr zerstörten Gruppen. Die Tiere bewegen sich von dem
Papyrusgebüsch symmetrisch nach beiden Seiten auf den Hirten zu, worin Myres
den Beweis später Entstehung und Verwandtschaft mit dem westlichen Geist sieht,
der die kretischen Bronzen beeinflußt habe. Getrennt durch einen Lotosstreifen
folgt ein Fries mit der Darstellung von sechs Klinen, einer sitzenden Figur, eines
Knaben mit Speisen und einer
weiteren stehenden Figur.
Im nächsten Streifen scheinen
einem Fürsten, der im Schatten
eines großen Fächers sitzt.
Gaben gebracht zu werden,
und ein Festmahl vor sich zu
gehen. Endlich im fünften
Streifen sieht man eine Stadt,
aus der Wagen heraus und in
die Wagen hineinfahren, die
Bewohner schauen über die
Zinnen hinaus. Das Wagenrad
hat sechs Speichen, der Wagen
gleicht nach Myres archaisch-
griechischen. Die mir vor-
liegende Photographie läßt
Abweichungen im einzelnen
erkennen (s. unten), sie ge-
nügt aber nicht zu einer Re-
vision.
14. Silberschale, getrieben, hohe Reliefs mit Gravierung, im Stil ähnlich Nr. 3.
Myres a. a. O. Nr. 4557 und 4559 (?)• Hier Abb. 14. In der Mitte setzt eine
menschliche Figur in langem Gewand mit vier Flügeln den einen Fuß neben einen
kleinen Löwen, hält einen anderen Löwen vor sich beim Schwanz. Einen zwei-
ten hielt sie wohl in der verlorenen Rechten (Abb. 15). Der äußere Streifen schil-
dert ein Festmahl, bei dem der König, mit der ägyptischen Krone, und die Königin
(?) auf hohen Betten mit Treppchen zum Hinaufsteigen liegen. Der König scheint
einen Spiegel (oder.Schale?) zu halten. Frauen in kretischer Tracht kommen mit
Musikinstrumenten von rückwärts auf die Königin zu, die letzte mit Schalen und
einer Kanne. Trinkgeräte und Tische, weitere Frauen mit Blumen, Ziegen- oder
Schafschinken, Gänsen (?) werden sichtbar. Hinter dem König spielt ein Mann
mit ägyptischem Kopfputz die Doppelflöte Q. Auf dem Innern Streifen sehen wir
Abb. 14.
Schale Metropolitan Museum 4557.
Nach Photographie.
E 14, E 16.
') Auf der Photographie, die ich vergleichen konnte,
erscheint hier ein nach r. laufender Hund, mit
weit geöffnetem Rachen, der wohl zum nächsten
Streifen gehört. Von diesem ist jetzt noch ein bei
2i8 Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
15. Silberschale, innen vergoldet.
zwei Greifen an einem heiligen Baum, links davon schießt ein kniender Mann emen
forteilenden Hirsch mit dem Bogen (vgl. E 6). Ein weiterer Hirsch schreitet daher.
Alles andere fehlt. Die kyprische Inschrift über dem Haupt der Königm schämt
von ungeübter Hand beigesetzt.
Aus Tamassos. In der Mitte ein Pferd
in bestem ägyptischen Stil, zwei durch
einen schmalen glatten Streifen getrennte
mit einfachen Linien eingefaßte Punkt-
kreise umrahmen das Mittelbild. Ver-
wandt erscheint E13. Ohnefalsch-Richter,
Orientalisches Archiv III, Taf. XXXII,
Nr. 43. Der Herausgeber hält die Schale
mit- Unrecht für rein griechisch und setzt
sie daher in die erste Hälfte des
VI. Jahrhunderts. A.a.O. Nr. 41 und
42 sind photographische Wiedergaben
der Schalen I und 2 gegeben, und der
Verfasser weist sie der westlichen Akro-
polis von Idalion und dem VII. Jahr-
hundert zu. S. 183 gibt er ein Inventar
des Fundes, das in Kypros usw. S. 16 und
52 wiederholt wird, aber nirgends, auch
nicht bei Perrot-Chipiez III 771 ff., ist
irgendein Beweis für den Fund gegeben.
16. Bruchstück einer Silberschale.
Myres a. a. 0. 4558. Laufende Löwen
und Steinböcke, durch je einen »leafs-
haped« Baum getrennt Jetzt mit E 14
vereinigt.
Unter den noch von Myres beschriebenen Silberschalen usw. verdient in diesem
Zusammenhang wohl nur noch Myres 4562 (mit Abbildung) unsere Aufmerksamkeit,
weil einesteils ein Vergleich mit Cesnola- Stern, Cypern Taf. XC i zeigt, wie unzu-
verlässig Cesnolas Zeichnungen sind, andererseits hier bei einer Tasse von durchaus
in dieser Gruppe ungewöhnlicher Form außen am Rand eine Vogelreihe erscheint ').
Abb. 15.
Bruchstück der Schale Metropolitan
Museum 4559. E 14.
Myres nicht erwähntes Bruchstück angesetzt,
das einen Steinbock, einen Baum und ein nach r.
galoppierendes Tier (Hase?) zeigt. Die Abbildung
zeigt das Bruchstück E i6 eingesetzt.
') Ungern widerspreche ich auf Grund der photo-
graphischen Wiedergabe bei Cesnola, Atlas iii
Taf. 35, 1 dem Urteil von Myres: der Stil der
Vögel ist durchaus unägyptisch, ein fester Typus
dieser Enten ist nicht entwickelt, man fühlt sich
durchaus an die Vogelzeichnung früher kyprischer
Vasen erinnert. Auch die Nachahmung von
Metallriefelung findet sich ja bei Gefäßen der
frühen Eisenzeit (Myres, Cesnola Coli. S. 56).
Die Form der Tasse in der Wiedergabe des Atlas
erinnerte mich an ägyptische Tongefäße des
Mittleren Reichs, sicher nur zufällig. Denn das
Stück wird etwa dem 7. Jahrh. angehören. Er-
wähnen möchte ich noch als eins der jüngsten
in diesen Zusammenhang gehörigen Stücke die
bei Cesnola, Atlas iii Taf. 37, 4 veröffentlichte
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersachungen über die sphoinikischen« Metallschalen. 2 IQ
F. Italische Funde.
Hier habe ich mich auf die eigentUchen Schalen und die unmittelbar mit ihnen
typengeschichtlich zusammenhängenden Denkmäler beschränkt. Eine weiter-
greifende, auch nach Poulsen noch nötige Bearbeitung der orientalisierenden Kunst
einesteils in Griechenland, andernteils in Italien und Spanien liegt außerhalb des
Themas dieser Untersuchungen.
a) Tomba Bernardini: Palestrina-Praeneste. Jetzt in den Memoirs of the
American Academy in Rome III vollständig herausgegeben.
1. Silberschale, innen vergoldet, gestrichen und graviert. Mit phoinikischer
Inschrift. Perrot-Chipiez III 97. Heibig, Das homerische Epos Fig. 2. Poulsen,
Orient S. 24. Memoirs Taf. 22 f
2. Silberschale wie i. Poulsen a. a. 0. 24 f., Abb. 14; Perrot-Chipiez III
759; Heibig a. a. O. Fig. I. Ausführliche Interpretation von Clermont-Ganneau,
L'imagerie phenicienne. Die Form ist die übliche kyprische. Memoirs Taf. 20 f.
3. Silberner Kessel mit innerer Vergoldung und angenieteten Schlangen-
köpfen. Poulsen 25 Abb. 15. Memoirs Taf. 12 ff.
4. Silbertasse. Innen auf dem Grund Rosette, in zwei Streifen endlose Reihen
von Pferden, über denen Vögel fliegen, von Kühen, über denen Vögel fliegen und
zwischen denen blattförmige Bäume stehen. Paulsen 26 Abb. 16. Memoirs Taf. 19.
b) Tomba Barberini in Palestrina-Praeneste.
5. Silberschale. Poulsen a. a. O. 27. Nach der Beschreibung bei Dumont-
Chaplain, Ceramiques I 125 Nr. 46 sind im ersten Streifen Wagen und Reiter,
im zweiten Krieger zu Roß und zu Fuß, ein Löwe über einem Gefallenen, in der
Mitte, sehr zerstört, der König mit Gefangenen dargestellt.
c) Regulini-Galassigrab in Caere.
6. Silberschale mit innerer Vergoldung, Technik wie die vorigen. Perrot-
Chipiez III 769. Poulsen a. a. 0. 26.
7. Silberschale, stark zerstört. Poulsen 26 Abb. 17
8. Silberschale. Poulsen a.a.O. 26 f. Abb. 18.
9. Silbertassc mit Reliefs innen und außen. Perrot-Chipiez III 780, 785. Poul-
sen 27, Abb. 19. Heibig Führer II 352. Musco Gregoriano I Taf. 63—64 (zur gleichen
Schale gehörig ! Arbeit und Stil der getriebenen Reliefs schienen mir vor Jahren
etwas verschieden).
d) Salerno.
10. Silberschale, fein graviert. Poulsen 27 f., Abb. 20
e) Vetulonia.
11. Silbernapf, innen vergoldet. Poulsen a. a. O. 118. Im Stil etwas
abweichend.
Bilberne Omphalosschale mit einem Goldband rhodische Gefäße erinnernder Palmettenlotosfries
im Innern um den Omphalos, auf dem ein an getrieben ist (Myres, Cesnola Coli. 4572 f-)-
220
Fr. W. Frhr. v. Bissiog, Untersuchungen Über die »phoinikischen« Metallschalen.
G. Vorläufer und Nachwirkungen.
Unter die Vorläufer möchte ich die Goldtasse aus dem spätmykenischen Schatz
von Aigina (J. H. St. XIII 196) rechnen. Die Form ist gut mykenisch, ebenso
das Ornament: um die mittlere Rosette schließt sich ein Viereck aus Spiralen. Nach-
wirkungen begegnen wir im kaukasisch-persischen Kreis. Zunächst die S. 186 er-
wähnte Silberschale vom Nordabhang des Kaukasus mit aramäischer Inschrift.
Sie zeigt einen Buckel, der eingefaßt wird von sechs gegenständigen Palmetten —
die inneren größer als die äußeren, dazwischen sind große Tropfen gesetzt. Die
Palmetten ihrerseits werden von Schwanenhälsen statt der üblichen Spiralen ein-
gerahmt. (Perrot-Chipiez III 792.)
Verwandt ist eine Silberschale achämenidischer Zeit aus Susa (de Morgan,
Delegation en Perse VIII Taf. iii). Der Buckel ist aufgelötet, das Innenmuster
nachgraviert. Um einen Buckel läuft im Innern ein Bogenfries offner und geschlos-
sener Blüten, außen um eine Rosette eine große bis zum Rand reichende Blüte mit
spitzigen Blättern. Das ursprüngliche Motiv für das Ornament der Schale vom
Kaukasus können wir noch in dem Goldschmuck aus Kurion Perrot-Chipiez III
Fig. 576, F erkennen, nur die Richtung der Tropfen ist verschieden.
Endlich mag man noch auf die Schale aus Faience mit gerade aufsteigendem
Rand weisen, die Dieulafoy, Acropole de Suse Taf. XII 15 abbildet. In der Mitte eine
Blüte von einem sphärischen Dreieck eingeschlossen, durch das ein gewöhnliches
Dreieck gesteckt ist. Von den Spitzen gehen papyrusartige Blüten und Spiralen aus.
IV. Die Einheitlichkeit des Typenschatzes der Vorbilder unserer
Fundgruppen.
Poulsen hat den, wie wir sahen, verfehlten Versuch gemacht, zu scheiden zwischen
einer vorwiegend ägyptischen, einer vorwiegend assyrischen und einer Gruppe im
Sonderstil. War der Ausgangspunkt der Gattung Ägypten, so bereitete sich schon
in den ägyptischen Werkstätten des späteren Neuen Reichs jener Mischstil vor, der
für die ganze Gattung so bezeichnend ist, und der an Übergängen so ungemein reich
ist '). Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fundgruppen, die bisher nur
') Hier sei auf die höchst interessante Holzbüchse
aufmerksam gemacht, die Chassinat im Bulletin
de l'institut Fran^ais i Taf. iii veröffentlicht
hat. Sie ist in die Zeit Amcnophis' III.— IV.
datiert. Der Herausgeber hat durchaus richtig
ausgeführt, daß sie schon ihrer Form nach ein Er-
zeugnis ägyptischer Kunstfertigkeit ist, daß aber
allenthalben stilistische Eigentümlichkeiten her-
vortreten, die nach Asien weisen. .\n die von uns
behandelten Metallschalen erinnert die große
Rosette am Boden, die ein mit Zickzack ge-
fülltes breites Band umgibt (also eine gewisse
.\naIogie zum Mittemotiv der Schale von Ama-
thus E 4), das Flechtband und das Kymation am
oberen Band. Der geflügelte Sphinxtypus ist
zwar keineswegs, wie Chassinat meint, der der
weiter unten behandelten Elfenbeinschnitzereien
aus Nimrud — u. a. fehlt bei der Holzbüchse
das Tuch zwischen den Beinen — , aber richtig
ist der Hinweis auf das Auftreten der geknüpften
Schabracke der Sphingen der Büchse bei Greifen
altassyrischer Denkmäler (Perrot-Chip. II Fig.
280, ferner Fig. 305, 444, 446/7). Die geknüpfte
Schabrake tritt aber auch bei den rein ägyptischen
Löwen Tuthmosis'III. Perrot-Chip. I Fig. 491 auf:
auch hier scheint Ägypten zu führen und Asien
zu übernehmen. Ch. hätte wohl auch, außer
auf den in Ägypten seit Anfang des Neuen Reichs
Fr. W. Frlir. v. Bissing, Untersuchungen über die »pboinikischcn« Metallschalen. 221
gelegentlich beleuchtet wurden, lassen sich an einzelnen Beispielen verdeutlichen,
die erklärbar nur bei der Annahme eines gemeinsamen, den uns bekannten Gruppen
vorausliegenden Typenschatzes scheinen.
Schon Marquand im Americ. Journ. of Arch. III 322 ff. Taf. XXX hat be-
merkt, daß der äußere breite Streifen einer in Kurion auf Kypros gefundenen Schale
(E 7) fast Zug um Zug dem entsprechenden Streifen einer zweiten in Präneste gefun-
denen Silberschale (F a 2) entspricht. Die italische Schale ist jetzt auch Memoirs
of the American Academy in Romc III Taf. 20 f. abgebildet und S. 38 ff. beschrieben.
Wichtig ist nun, daß hier die Abenteuer eines Herrschers wiedergegeben sind, die
wenigstens in einem schon von Clermont-Ganneau, L'imaginerie phenicienne richtig
erkannten Punkt, dem Zusammentreffen mit einem Menschenaffen, keineswegs
alltäglich waren. Curtis, der auf der besser erhaltenen Schale aus Präneste fest-
gestellt hat, daß beim ersten Erscheinen des Ungeheuers dieses seinen Kopf und
einen Arm aus der Höhle streckt in unmittelbarer Nähe des Opfertisches, daß es dann
weiterhin in der erhobenen rechten Hand eine Schale mit Deckel, nicht einen Stein
schwingt, also vom Opfertisch, auf dem vorher ein gleiches Gefäß steht, heiligen Wein
gestohlen hat, scheint mir damit die Deutung des Ungeheuers auf einen Menschen-
affen gesichert zu haben. In den folgenden Szenen wird dann der Affe unter wunder-
tätigem Eingreifen der Gottheit verfolgt und, wie sonst die menschlichen Feinde
vom König niedergeschlagen. Gerade hier zeigt nun ein Vergleich von E 7 mit F a 2,
daß nicht die eine Schale von der anderen abhängig sein kann, sondern beide ein
gemeinsames, offenbar umfangreicheres Vorbild hatten : auf der Schale von Präneste
sind die Figuren des vom Gefährt des Königs schon fast ereilten, auf allen Vieren der
Berghöhle zu fliehenden Affen und des vom König gefangenen Tieres dicht zusammen-
gedrängt, der bewaldete Berg ist weggefallen, über der Szene aber schwebt der Horus-
falke, der auf der Kurionschale fehlt; umgekehrt zeigt auf dieser die geflügelte hathor-
artige Göttin, die zwischen ihren Armen den König auf dem Wagen trägt '), die
weitausgebreiteten Flügel ägyptischer Art, während auf der Schale F a 2 diese
Flügel aus Platzmangel oder besser aus kompositionellen Rücksichten etwas
gesenkt sind. Ägyptische Parallelen dazu bei Prinz, Symbolik Taf. II. Dort Nr. 9
stammt aus äthiopischer Zeit (Prinz 44) ! Im ganzen scheint die Dar-
stellung der Kurionschale ausführlicher gewesen zu sein. Jede genauere Betrachtung,
auch der Einzelheiten, aber lehrt, daß die Meister beider Schalen dem gemeinsamen
nachweisbaren »heiligen Baum« auf die unleug- bis in das III. Jahrtausend zurückdatiert. [Zusatz
bare Verwandtschaft der Hathorbüsten der bei der Korrektur.]
Büchse mit den z. B. bei Poulsen, Orient Abb. 30, ') Wenn Curtis Erklärung, daß hier eine »Ent-
36, auch wohl 26 wiedergegebenen Elfenbein- rückung« vorliegt, zutrifft, was mir durchaus
köpfen aus Nimrud, weniger mit dem »Kopf im wahrscheinlich scheint, und auch Clermont-
Fenster« Abb. 25 hinweisen können. Durch Ganneau, Imagerie phenicienne schon ange-
die neuen Funde aus Byblos, über die im Schluß- nommen hatte, so liegt hier die älteste Darstellung
kapitel gehandelt werden soll, wird die Entstehung einer solchen Szene vor, die in der Mythologie der
des ägyptisierenden phönikisch-syrischen Stils Semiten, aber auch in der der Griechen von
Homer ab eine große Rolle spielt, in Ägypten aber unbekannt scheint.
2J2 *"•■■ ^* ^''"■' '• B'**»»?' Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
Vorbild gegenüber bis zu einem bestimmten Grad selbständig blieben. Die Begren-
zung des äußeren Kreises durch die Schlange auf F a 2 kehrt bei E 7 nicht wieder, wo
statt dessen der gewohnte kleine Palmettenbogenfries erscheint. Auch der schmälere
zweite Kreis ist bei E 7 und F a 2 völlig verschieden. Auf E 7 erkennt man die Reste
eines Festzuges von Kriegern und Frauen, auf F a 2 ist ein endloser Reigen von Pferden
mit darüber flatternden Vögeln dargestellt. Die gleichen Pferde finden wir auf der
vergoldeten Silbertasse der Tomba Bernardini Memoirs a. a. 0. Taf. 19, F a 4.
Und hier ist dasselbe Motiv auf Kühe angewandt und findet sich dann wieder, aber
als Gruppe zwischen anderen Figuren, nicht als endlose Reihe, auf dem Boden des ver-
goldeten Silberkessels Memoirs a. a. 0. Taf. 12 ff. F a 3. Glauben wir hier eine nähere
Verwandtschaft verschiedener Stücke der Tomba Bernardini zu bemerken, so sehen
wir andrerseits auf der bei Ccsnola, Atlas III Taf. XXXIII 4 unvollkommen abge-
bildeten vergoldeten Silbcrschale aus Kurion sieben grasende Pferde in endloser Reihe
(E 12), aber ohne die darüber flatternden Vögel '). Diese wiederum sind auf der Schale
(E I ) aus Kition ( ? ) über Reitern angebracht, wie sie fast übereinstimmend auf dem
Silberkessel aus Präneste (Fa 3) vorkommen. Die von Cesnola im Atlas abgebildete
Schale lehnt sich im Stil und den Motiven besonders eng an ägyptische Vorbilder an,
auch die Stücke aus Präneste zeigen überwiegend ägyptisierende Tracht und Motive.
Zu ihnen zählt vor allem das Mittelstück der Schale F a 2. Sein Thema ist der Sieg
Pharaos über seine Feinde. Ein Mann im ägyptischen Schurz verfolgt mit der Lanze
einen ihm völlig gleich gekleideten Feind (auch die Maartracht unterscheidet sich
nicht) und hat ihn schon am linken Arm gepackt. Ein charakteristisch ägyptischer
Hund hat den Fliehenden an der Hacke gefaßt. Das Schicksal des Unglücklichen
scheint sich im unteren Kreissegment zu vollziehen: er liegt am Boden und der Hund
frißt an seiner Hacke. Ein anderer, diesmal durch den Vollbart als Asiate gekenn-
zeichneter Feind ist hinter dem Speerkämpfer nackt an einen Pfahl gebunden — auch
dies ein gut ägyptisches Motiv.
Dasselbe Thema schlägt das Innenbild der Schale aus Kurion (E7) an. Aber
die Ausführung ist verschieden. Die Hauptfigur ist durch den Schurz, den kurzen
Bart und vor allem die hohe Götterkrone als Pharao gekennzeichnet. Um die schlecht
erhaltenen weiteren Figuren zu verstehen, müssen wir die zweite Schale aus Kition ( ? )
(E 2), dann die zweite Schale aus Präneste (Memoirs a. a. 0. Taf. 22, Fa i) und die
Schale aus Salerno F d 10 heranziehen. Hinter dem König erscheint hier jedesmal
ein federngeschmückter, bärtiger Mann mit Lanze in der rechten Hand, der die Leiche
eines Feindes über die Schulter geworfen hat. In der linken Hand hält er einen Fächer.
Auf der Schale von Präneste und der von Salerno faßt er mit derselben Hand den
Schopf eines vor ihm in die Knie gesunkenen Gefangenen. Schwerlich ist dies Motiv
ursprünglich, denn es wiederholt die Handlung des Königs vor dem Fächerträger
und scheint auch auf der Schale von Kurion nicht dargestellt gewesen zu sein. Über-
dies mutet es dem Fächerträger mit der linken Hand eine doppelte Handlung zu.
Die Haltung des Knienden und um Gnade Flehenden ist auf den Schalen F a l und
■) Abb. 13. Ein einzelnes Pferd gleichen Stils zeigt als Mittelbild die Schale E 15.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 22 %
FdiO nicht die gleiche Kleinere Abweichungen zeigt auch die Figur des Königs,
der in Salerno und Präneste von seinem Löwen begleitet wird (ein echt ägyptischer
Vorwurf), auf den beiden kyprischen Stücken anscheinend nicht. Übereinstimmend
ist aber die Gruppe der vom König niedergeschlagenen Gefangenen: zwei (oder in
Präneste drei ? ) bärtige Asiaten und ein nach der anderen Seite gewandter unbärtiger
Neger (in Präneste zwei > ). Dem König gegenüber steht in Präneste Horus mit dem
Sieg verleihenden Krummschwert, ebenso im Mittelbild der Schale E 5, wo die Ge-
fangenen alle nach r. laufend und bärtig abgebildet sind, der Löwe fehlt, der Mann
hinter Pharao Bogen und Pfeile im Köcher führt und eine an hcthitische Formen
erinnernde spitze Mütze trägt; in Salerno steht eine Göttin da, die ihm eine wohl
aus dem Krummschwert mißverstandene Feder, sicher keine »Siegespalme« wie
Poulscn meint, reicht »). Ob auf der Schale von Kurion ein Gott dargestellt war,
läßt sich infolge der Zerstörung nicht ausmachen: auf der Schale von Kition(?)
nimmt der auf den König zuflatternde Horusfalke die Stelle ein — ein Beweis, daß
der Erfinder dieser Komposition mit ägyptischer Symbolik noch wohl vertraut war.
Entlehnt hat der Meister den Falken dem schützenden Falkensymbol, das auf der
Schale aus Präneste (F a i), der Schale von Salerno (F d 10) und vielleicht der Schale
aus Kurion (E 7) über Pharao schwebt. Auf der Kition (.^)-Schale (E 2) erscheint statt
dessen eine Art geflügelter Sonnenscheibe, die mit den Ausstrahlungen oben und
unten deutlich die Hand eines Nichtägypters verrät.
Das Motiv des seine Feinde niederschlagenden Königs kehrt aber noch ein
sechstes Mal wieder im Randstreifen der Schale aus Kurion E 8. Wahrscheinlich
steht diesem Bild die Darstellung im Mittelfeld der anderen Schale aus Kurion (E 7)
am nächsten, nur daß der Zeichner, um die Verbindung des Fächerträgers (der hier
keinen Feind vor sich hat) mit den übrigen Figuren des Streifens herzustellen, dem
Fächerträger sinnwidrig den Kopf nach rückwärts gewendet hat. Mit der Schale F a i
aus Präneste und der Schale von Salerno (F d 10) verbindet diese Kurionschalc die
Verwendung von Pseudokartuschen und Pseudohieroglyphen, die freilich nirgends
so weit geht wie bei der Schale F a l aus Präneste 2).
') Ich wüßte nicht, daß das orientalische Altertum vorführend. Die Feder als Zeichen der Wahrheit
oder selbst die älteste griechische Kunst den wie als Vertreterin besiegter Barbaren spielt in
Begriff der »Sicgespalme« kennt. Die ägyptischen der ägyptischen Symbolik eine große Rolle
Vorbilder, auf die die Szene zurückgeht, sind (s. u. a. den Index meiner Denkmäler). Die Fesse-
zum Teil oben S. 197 ff. gelegentlich der lung des Gefangenen an einen Pfahl ist in einem
Faiencekelche aus Sammlung Myres besprochen. häufigen Hieroglyphenzeichen dargestellt. Für
Wir fanden da eine Göttin mit einem gleichfalls die Haltung vgl. auch Petrie, Decorative art
nicht sicher zu deutenden Gegenstand in der Abb. 162.
erhobenen Hand. Die Haupttypen sind in ') Wie oben S. 205 ausgeführt, kehrt die Darstellung
meinen Denkmälern Text zu Taf. 87 behandelt. des die Feinde niederschlagenden Königs auch
Dort steht Amon mit dem Krummschwert dem im Randstreifen der Schale aus Nimrud Layard,
König gegenüber, auf dem Relief Tuthmosis' HI. Monuments II Taf. 61 B wieder, und hier steht
aus Karnak bei Steindorff, Blütezeit des Phara- dem König abermals eine Göttin mit der Feder
onenreichs Abb. 30 sehen wir die Göttin des gegenüber. Weiter tritt das Motiv sehr zerstört
Westens in ruhiger Haltung vor Pharao die auf der Schale der Tomba Barberini aus Präneste
Schilder der unterworfenen Völker an der Leine F b 5 auf, ferner auf der Schale aus Caere Fe 7,
224 ^'' ^' ^''*"'" '• Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischenc Metallschalen.
Das Thema des Königs, der den Feind besiegt, hat auf der Schale von Kurion
E 8 noch eine zweite Interpretation gefunden in einer Szene des schmäleren inneren
Streifens. Da ist ein Löwe über einem Gefallenen dargestellt '). Mit etwas abweichen-
der Haltung des Gefallenen taucht die's altägyptische Bild als Mitteldarstellung auf
dem Boden des Kessels der Tomba Bernardini Memoirs usw. Taf i6 auf, und hier
bezeichnet der über dem Haupt des Löwen flatternde Falke diesen noch besonders
als Sinnbild des Pharao. Im Segment unter dem Löwenbild finden wir nach asiatischer
Art wiedergegebenes Gebirge. Auf der Schale aus Präneste F a 2 fanden wir da den
Toten, auf der zweiten Schale von Präneste (F a i) an derselben Stelle einen bärtigen
Kriechenden, also einen besiegten Asiaten, auf der Schale von Salerno (F d lo) einen
Bogenschützen in assyrischer Tracht — das ursprüngliche Motiv ist also hier voll-
kommen vergessen. Auf dem Mittclbild der Schale ausSalaminia (E 5) ist diese Figur
zu einem undeutlichen Kringel geworden, wie ja auch sonst gerade bei diesem Stück
Mißverständnisse nachzuweisen sein werden.
Merkwürdiger noch ist vielleicht der folgende Fall : Halbherr-Orsi, Bronzi Cretesi
Taf. VI I S. S5, 177 if. (Poulsen Orient 22 Nr. 7) ist eine Schale abgebildet, die bis
in Einzelheiten mit der Schale aus Nimrud Layard, Monuments II Taf. 68 oben Mitte
übereinstimmt. Es ist nicht wohl daran zu denken, daß die eine Schale unmittelbar
von der anderen abhängt, denn es sind kleine Unterschiede bemerkbar, die sich schwer
bei solcher Annahme erklären, während sie verständlich werden, wenn man eine
gemeinsame Quelle annimmt. Wir können hier also von neuem eine engere Beziehung
der Funde aus der idäischen Grotte zu den Funden von Nimrud feststellen (S. 187).
Auf den beiden eben behandelten Schalen erscheinen Sphingen mit geschlossenen
Flügeln. Sie kehren auf den Nimrudschalen Layard a. a. 0. Taf. 59 B, Taf. 68 oben
rechts wieder. Zwischen den Füßen hängt stets das Tuch, von dem zuweilen ein
Uräus aufsteigt. Dieses Tuch scheint aus dem »Umhang« der ägyptischen Sphingen
seit dem Mittleren Reich entstanden, ist in der mykenischen Kunst, so viel ich sehe,
unbekannt, ebenso in der späteren griechischen »). Die genau übereinstimmenden
Sphingen der Faienceschalen Petrie, Illahun Taf. XX 4 und der Metallschale aus
wo über dem Kopf des Siegers, der dadurch als wieder, freilich in etwas anderer Umgebung,
Pharao gekennzeichnet wird, in ähnlicher Weise ferner auf der' Schale F c 6, in ähnlichem, aber
wie auf der Schale aus Kition? der Horusfalke doch offenbar anderem Zusammenhang,
schwebt, eine weitere Gottheit auch nicht dar- ») S. Roeder-Ilberg in Roschers Lexikons, v. Sphinx,
gestellt war. Ein weiteres »Denkmal des phoini- wo freilich manche Mißverständnisse, namenthch
kischen Kreises« aus Spanien hat P. Paris in bei Roeder, obwalten und auf den hier berührten
den M^langes Perrot 255 ff. vorgelegt: ein Punkt nicht geachtet ist. Das Tuch oder die
Goldmedaillon, dessen eine Seite eine Tiergruppe Schürze, wie Furtwängler, Gemmen III 64
im kretischen Stil zeigt, während die andere sagt, erscheint beim Löwen auf einem Skara-
Seite den Pharao höchst seltsam mit Gefangnen bäus etwa des VIII. Jahrhunderts aus dem syrisch-
beschäfügt sein läßt: eine plumpe Fälschung unter griechischen Kreis (a.a.O. Fig. 52). Warum
Benutzung der Schale von Präneste und anderer Furtwängler es einen spezifisch phoinikischen Zug
Denkmaler. genannt hat, ist mir nicht gut verständlich. Ich
•) Diese Darstellung kehrt auf der Schale F b 5, habe in meinen Denkmälern Text zu Taf. 26, 37,
auf der auch der König die Feinde niederschlagend 70 über den Umhang gehandelt und ihn auf das
dargestellt war, ebenfalls im inneren Streifen Vorbild der Löwenbilder zurückgeführt. Das
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 225
Zagazig Musee figyptien II Taf. 48 zeigen ihn — in frühramessidischer Zeit — niclit.
Hingegen ist er durchaus in der Weise der Metallschalen aus Nimrud und Kreta ausge-
bildet bei der Sphinx auf dem Palankin Ramesses IX. Prisse d'Avennes Art £gypt.
Palanquins, Text S. 439 nach einem Bild im Grab des Imisebi. Auf demselben Bild
wird die große Mähne des Löwen in der gleichen Weise behandelt und damit auf den
Ursprung der Tracht hingewiesen. Das Tuch findet sich auch bei der übrigens ab-
weichend gebildeten Flügelsphinx auf dem Kästchen der Sammlung Hoffmann 1894,
Nr.292 (s.ob. S. 192 ). Auch auf denElfenbeinplatten aus Nimrud (Guide to the Babylonian
usw. antiquities 1922 Taf. 41 f.) tragen die Sphingen das Tuch. Während nun die eine
Platte wie schon Poulsen sah, das gewohnte Tuch zeigt, erinnert die Verzierung der
andern mit ihren Rillen und rund abschließenden Punktleisten an die Flügel, die
zwischen den Beinen der Sphingen mit ausgebreiteten Fittichen auf den beiden Tassen
aus Nimrud Layard a. a. 0. Taf. 68 hängen. Schwerlich stellt aber das Tuch auf dem
Elfenbeinrelief eine unvollkommene Wiedergabe der Federn dar, vielmehr wird der
Federschmuck der Sphingen auf den Tassen aus der Interpretation von Sphingen,
wie sie das Elfenbein zeigt, entstanden sein. Im kretischen Kreis treffen wir das Tuch
zwischen den Beinen nicht wieder an, abgesehen von dem gleich zu besprechenden
Fall, ebensowenig auf den kyprischen und italischen Schalen, auf phoinikischen
Monumenten (von Greifensiegeln, die stark ägyptisieren, wie dem des Asaph bei
Greßmann- Ranke, Altorientalische Texte und Bilder Abb. 208, dem des Aba, Pietsch-
mann, Geschichte der Phoiniker S. 273 abgesehen) oder im hethitischen Kreis ').
Hingegen treffen wir das Tuch bei den Sphingen auf den Schalen Bronzi Cretesi
Taf. VI I, 2, die stilistisch enger zusammengehören, den ähnlichen Sphingen der
Nimrudschale Layard, Mon. II Taf. 58 F, der Schale aus Olympia bei Poulsen, Orient
Abb. 12 und der Schale von Delphi (a. a. O. Abb. 11). In all diesen Fällen handelt
es sich deutlich um ein Tuch. Auf der kretischen Schale VI 2 geht von ihm, wie
zuweilen auch auf der anderen kretischen Schale VI i, bei den Sphingen mit
geschlossenen Flügeln, ein Uräus aus. Der Stil der olympischen Schale schien den
kretischen Schilden verwandt, und die helmartige Mütze des Sphinx auf der delphischen
Schale findet ihren Gegenpart in verschiedenen Kopfbedeckungen der kretischen
Schilde. Auch die Art, wie der Sphinx die linke Vordertatze ausstreckt, erinnert
an den Stil der kretischen Reliefs. Das Motiv kehrt aber wieder auf den Reliefs der
Tassen aus Nimrud. Hier ist das Tuch zwischen den Beinen unzweideutig als Feder-
schmuck charakterisiert. Die Sphingen zeichnet aber noch ein weiteres aus, worauf
Poulsen die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Sie tragen einen bei der zweiten Nimrud-
tasse ausgesprochen dreieckig geformten »Brustschild«. Er kehrt bei den Sphingen
älteste voll entwickelte Beispiel sind wohl die des British Museums N. 70, 72 mit und ohne
Sphingen am Thron Amenophis' III. auf dem Bild ägyptische Krone zeigen das Tuch ebenfalls,
aus dem Grab des Cheemhet Prisse d'Avennes art ■) Wie die Sphingen auf der Akropolisschale ge-
Egypt. sculpture type de Sphinx 6, 7 (vgl. hom- bildet waren, läßt das Bruchstück Journ. Hell,
mäge ä Am^nophis III.). Die bei Kinch, Fouilles stud. XIII 248 leider nicht mehr erkennen,
de Vroulia 16— 18 abgebildete Kalksteinsphingcn Am nächsten verwandt scheinen die Sphingen
der kretischen Schalen Halbherr-Orsi Taf. VI 1 und 2.
226 Ff- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen ttber die »phoinikischen« Metallschalen.
der Schale Bronzi Cretesi Taf. VI 2 wieder. An seiner Stelle trägt der Sphinx mit dem
Königskopf auf der ersten Tasse aus Nimrud einen Halskragen mit einem Menit,
das von einem Löwenkopf mit Sonnenscheibe bekrönt wird, etwa wie die bei Arundale-
Bonomi, Gallery of antiquitics I Taf. 9 abgebildeten. Auch die spätägyptischen
»Schildringe« bei Schäfer-Möller, Ägyptische Goldschmiedearbeiten Taf. 22 f. darf
man vergleichen. Unägyptisch scheinen in dieser Zusammensti-Uung nur die kleinen
Schulterflügel. Von einem »verkümmerten« Gott Assur, wie Poulsen möchte, ist
keine Rede.
Mit Recht hat man die Schalen Bronzi Cretesi Taf. VI neben die Schale Layard,
Mon. II Taf. 63 gestellt und alle drei zu den ägyptisierenden Schalen. In der Tat gehört
auch der Bronzi Cretesi Taf. VI i und Layard a. a. O. Taf. 63 auftretende geflügelte
Skarabäus über der Papyrosstaude zu den der ägyptischen Kunst entlehnten Ele-
menten. Der hier vorliegende »zweiflügelige« Skarabäus mit der Sonnenscheibe
zwischen den Vorderbeinen ist der echt ägyptische, z. B. Petrie, Decorative art
Abb. 205 f. aus der XVIII. und XX. Dynastie '). Der Gedanke, ein heiliges Symbol
auf eine Papyrosstaude (resp. das Papyroszepter) zu setzen, ist gut ägyptisch, wie
der silberne Upuaut in Berlin (Schäfer-Möller, Äg. Goldschmiedearbeiten Taf. 16, 103,
Ptolemäerzeit) oder die Wappentiere von Ober- und Unterägypten auf der Mcnit-
platte der XXII. Dyn. bei v. Bissing, Kultur des alt. Äg. Abb. 17 und viele kleine
Amulette, die so Katzen sitzen lassen, beweisen. Vielleicht zufällig kann ich kein
ägyptisches Beispiel mit dem Skarabäus nachweisen. In Nimrud findet er sich noch
auf den Schalen Layard a. a. 0. Taf. 68 oben Mitte und rechts. In Kreta fehlt er
sonst, ebenso auf den griechischen, kyprischen und italischen Schalen.
Auf diesen (und zwar auf der Schale von Amathus E 4 und der Schale der
Tomba Bernardini Fa i) findet sich nur der »vierflügelige« Skarabäus, wie er in
Nimrud auf den Schalen Layard a. a. 0. Taf. 58 A, B, E, 59 A wiederkehrt *). Wenn
der Skarabäus mit der Sonnenscheibe zwischen den Vorderbeinen auf der Schale
F a I in der Barke fährt, so entspricht das durchaus ägyptischen Vorstellungen.
Lanzone, Dizionario 929 f. hat die Texte zusammengestellt, eine Abbildung z. B.
') Ein ägyptisches Original mit dem zweiflügeligen
Skarabäus ist uns zufällig in Nimrud erhalten:
das mit Gold eingelegte Würfelpaar Layard-
Zenker Taf. XV M, N, über das oben S. 182
gehandelt ist. Perrot-Chip. II 754 haben die
Stücke fälschlich als mesopotamische Arbeiten
behandelt und das ist in andere Darstellungen
übergegangen.
') Die Abweichungen, die die Zeichnung Layard-
Zenker Taf. XIV G von der in den Monuments II
Taf. 58 B aufweist, kommen hier nicht in Be-
tracht. Anscheinend ist in beiden Fällen derselbe
die Mitte einer sonst undekorierten Schale ein-
nehmende Käfer gemeint. Richtige vierflügelige
Skarabäcn kann ich in der einheimischen ägyp-
tischen Kunst nicht nachweisen (auch nicht unter
den von Prinz als Skarabäen mit Vogelflügel
getauften)^ wohl aber den Ursprung dieser Form
in Skarabäen der XIX. Dynastie, bei denen die
am Körper anliegenden, behaarten Beine sich
flügelartig erweitern: Newberry, Scarabs 74 f.
Fig. 75/6. Wieder können wir den Ursprung
einer hybriden, im »phoinikischen« Kreis später
einheimischen Form auf das .\gypten der Rames-
sidenzeit zurückführen, wo sie überdies auf
Sarkophagen (Prinz, Altoriental. Symbolik Taf.III
9 u. 17) noch näher vorgebildet ist; aber wieder
entspricht das Vorbild nicht im einzelnen der
Umbildung.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 227
Erman, Religion « Abb. 90, Champollion, Pantheon Taf. 13. Aber er hat da nie vier
Flügel, wohl aber auf Skarabäoiden mit phoinikischer Inschrift wie Perrot-Chip. III
130 (mit menschlichem Kopf).
Aus derselben Typenreihe stammen die geflügelten Schlangen auf den Papyros-
Stauden auf der Schale Bronzi Cretesi Taf. VI i, der Schale von Nimrud Layard
a. a. O. Taf. 68 oben Mitte, der Fa/ke auf dem Papyros auf der Akropolisschale D4;
auch die geflügelten Schlangen auf der Nimrudschale Layard a. a. O. Taf. 59 A (im
Wechsel mit vierflügeligcn Skarabäen) mag man anführen. Es ist nicht nötig, dafür
ägyptische Beispiele eigens beizubringen.
Wir haben bisher wesentlich solche Motive betrachtet, die Zusammenhänge
mit Ägypten aufweisen. Es gibt aber auch ganz anders geartete und nicht minder
verbreitete Typen. Über den Wagen und den Löwen haben wir oben S. 182 f. schon
gesprochen. Der Haarstern findet sich anscheinend in Ägypten schon bei dem Löwen
Tuthmosis* III. Perrot-Chip. I Fig. 491, der auch die Schabracke trägt. Wenigstens
wüßte ich nicht, was sonst der dreifache Kreis auf dem vorderen Oberschenkel des
Tieres zu bedeuten hätte. Ist auch dies Motiv in Ägypten entstanden oder dürfen
wir es, was um der stark stilisierten Form, in der es erscheint, wahrscheinlich wird,
schon um 1600 in der vorderasiatischen Kunst voraussetzen.? Durchaus unägyptisch
nach Stil wie Inhalt sind die Darstellungen eines Komos, wohl ausschließlich von
Frauen ausgeführt. Die beiden ältesten bekannten Stücke sind die Schale von Olym-
pia D 2 und die Schale von Idalion }^2i- Hier finden wir nun, das eine Mal im Gegensinn
wiedergegeben und mit kleinen Abweichungen, die wiederum eine unmittelbare
Abhängigkeit ausschließen, eine Szene, wo hinter einem eigentümlich aufgebauten
Tisch oder Altar') eine Frau sitzt, die an einer Lotosblüte riecht (aufD2 hält sie sie
nur), in der anderen Hand eine Frucht (aufD2 eine Schale) faßt. Vor ihr steht am
Altar eine Frau, die in der gesenkten Linken einen Schöpflöffel zu haben scheint
(auf D 2, wo auch die Tracht leise ägyptisiert, hält sie die Lebensbinde), in der erhobenen
Rechten einen dreieckigen Gegenstand, bei dem man unwillkürlich an das Marduk-
zeichen ») denkt. In dieser Hand hält auf der Schale von Olympia die Figur einen
sichelartig gebogenen Gegenstand. Genau diesen Gegenstand finden wir nun in der
Hand einer Priesterin auf dem Bruchstück Halbherr-Orsi Bronzi Cretesi Taf. IX 3,
und sie steht vor einem Altar der fast genau dem der Schale D4 entspricht. Merk-
0 Kennzeichnend für ihn sind die krummen »Dak- eher ins hethitische Gebiet: E. Meyer, Reich
kelbeine« mit einer oder zwei verbindenden und Kultur der Chetiter Abb. 20, 32; die ab-
Querleisten und einer Mittelstütze. Auf dem weichende Form auf der Schale von Olympia läßt
Tisch steht ein Korb und darin? eine satura. sich mit Abb. 30 vergleichen und ägyptischen
Die Tischform erinnert wohl an vorderasiatische, Sesseln. Übrigens kommen auch auf den be-
deckt sich aber nicht mit ihnen, am ehesten noch thitischen Stelen bei Meyer a. a. 0. 28 ff. ähnliche
der auf einem Untersatz stehende Tisch der Opfertische mit sehr ähnlich angehäuften Opfer-
Olympischen Schale D 2, zudem man unmittelbar gaben vor.
Layard, Niniveh populär account 213 aus dem =) Frank, Bilder und Symbole babylonisch-assy-
IX. Jahrh. vergleichen darf, für die »Dackel- rischer Götter 22 f.; Jastrow, Bildermappe zur
beine« etwa den Erlanger Dreifuß Springer, Hand- Religion Babyloniens usw. Taf. 9 ff.
buch 1923 Fig. 171. Der Sitz der Frau führt
228 ^'- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die >phoinikischenc Metallschalen.
würdigerweise stellt nun die Tracht der kretensischen Priesterin eine Kombination
aus den beiden anderen Schalen dar: die Kopfbedeckung und das Gewand scheinen
der Schale von Olympia, die Schulterlocke der von Idalion? zu entsprechen. Jenseits
des Altars standen auf dem kretischen Bruchstück noch Gefäße, ob auch die sitzende
Frau folgte, ist bei dem Zustand des Originals nicht auszumachen. Jedenfalls aber
schlössen Musikantinnen an. Sie scheinen alle drei (oder vier, s. den Text S. 35) die
Leier zu halten und zwar in der ursprünglich aus Asien eingeführten, dann im Ägypten
des Neuen Reichs weitergebildeten Form (Sachs, Altägyptische Musikinstrumente
12 f. Abb. 15). Auch auf der olympischen Schale schließen auf derselben Seite
Musikantinnen an: die vorderste führt eine etwas anders geformte Leier (für die man
die chetitische Stele bei Meyer, Reich und Kultur der Chetiter Abb. 30 vergleiche),
die nächste eine runde Rahmentrommel, die letzte die Doppelfiöte. Die runde Rahmen-
trommel hält auf dem kretischen Bruchstück eine Frau rechts von der Priesterin.
Die drei Instrumente vereinigt (dabei die Leier in der Form der kretischen Schale)
finden wir in den Händen von Musikantinnen auf der Schale aus Idalion.'' E 3 und zwar
hinter der Sitzenden, ferner auf der u. a. bei OhnefalschRichter, Kypros 126 ver-
öffentlichten Schale E6, wo sich eine vierte mit einem Krug in der gesenkten Hand
und einer Zither? ') in der anderen anschließt. Es ist wohl dasselbe Saiteninstrument,
das die Musikantinnen auf dem u. a. bei Poulsen, Orient Abb. 31 wiedergegebnen
Elfenbeinrelief aus Nimrud führen (neben Doppelflöte und runder Rahmentrommel).
Wir finden also diesmal zwar auf den Bronzeschalen von Nimrud keine Parallelen
zu unseren Szenen, wohl aber unter den Elfenbeinen. Die starke Tanzbewegung der
Musikantinnen auf der Schale aus Olympia ist bei der aus Kurion E6 gemildert, bei
den Schalen von Kreta, Idalion ? und wohl auch dem Elfenbein durch feierliches
Schreiten ersetzt. Bemerkenswert ist aber die Gleichheit der Anordnung im allge-
meinen, so daß man z. B. die kretische Schale mit Hilfe der anderen ungefähr ergänzen
kann. In Kreta war einst noch eine zweite Komosschale (a. a. 0. Taf. VI 2) vor-
handen.' Die mit aneinander gefaßten Händen im Reigen schreitenden Frauen finden
ihr Gegenstück in den entsprechenden Figuren der Schale von Idalion? und formal (sie
fassen sich aber nicht bei den Händen) der Schale von Kurion. Diese wiederum zeigt,
daß die mit allerhand Gaben (Fischen, Vögeln) nahenden Frauen des Fragments
aus der Zeusgrotte (die eine mit dem merkwürdigen Profil und dem reichen Haar,
das aber die Bezeichnung »spiccatamente egiziana« kaum verdient, möchte man für
männlich halten, wäre die Tracht nicht) der ursprünglichen Komposition angehören,
in der man, wie längst vermutet, die Darstellung eines bestimmten Frauenfestes
wird zu erkennen haben. An Stelle der sitzenden Frau treten nun auf der Schale
von Kurion rechts und links von einem Altar, dessen Grundform den bisher betrach-
teten entspricht, zwei auf hohen Betten mit untergestelltem Tritt 2) liegende Gestalten
auf, die jede eine Frucht halten. Beide dürften weiblich sein. Hinter ihnen setzte
wohl ein neuer Musikantinnenreigen ein.
') Ohnefalsch-Richter denkt an ein flaches Ge- Figuren auf der gleich zu besprechenden Schale
faß mit einem Kuchen oder Adonisgärtlein darauf. aus Salamis immerhin möglich.
Daß ein Gefäß gemeint ist, wäre angesichts der ') Das ist die vor allem aus Ägypten bekannte Form.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen aber die >phoinikischen< Metallschalen. 220
Liegend sind auch auf der Schale E 14 auf ebensolchen Betten König mit ägyp-
tischer Krone und Königin (nach Myres Deutung) beim Festmahl dargestellt. Der
Opfertisch hat wieder »Dackelbeine«, hinter ihm steht nach Myres »a square Screen«,
auf dem Tisch eine Schüssel mit Früchten. Musikantinnen und Musikanten.!" begleiten
das Fest, Frauen mit Fleisch- und Blumenopfern, mit einer Kanne und Schalen. Auf
dem Innern Streifen schießt ein kniender Mann einen forteilenden Hirsch — auf
der Schale von Kurion E 6 sehen wir einen Mann im Knielauf einen Hirsch mit dem
Bogen erlegen. In beiden Fällen war noch ein zweiter Hirsch dargestellt und ein heili-
ger Baum mit zwei Greifen, Wir haben hier also eine weitgehende Übereinstim-
mung in der Zusammenfügung inhaltlich kaum zusammenhängender Motive i); im
Großen herrscht auch eine formale Uebereinstimmung, aber im Kleinen sind
wieder zahlreiche Abweichungen festzustellen.
Aber noch auf einer Schale sehen wir ein Fest, Musikanten, liegende Gestalten:
auf der Bronzeschale aus Salamis. Sie lehnt sich viel stärker als ihre Genossen an
ägyptische Vorbilder, diesmal selbst im Stil an. Abgesehen von der früher S. 222 f. be-
sprochenen Mittelgruppe des seine Feinde niederschlagenden Pharao erscheint wenig-
stens die Gruppe der sitzenden Frau mit einem Kind auf dem Schoß als eine Ver-
körperung von Isis und Horus. So ist sie offenbar aufgefaßt in der bisher unbe-
sprochenen Gruppe, die auf der Schale aus Olympia (D2) das Gegenstück zu der Sitzen-
den am Altar bildet. Die ägyptisicrende Form des Altars (ein Papyros) weist deutlich
auf den Zusammenhang hin, ebenso die Tracht der Priesterin, die die Lebensbinde
und eine Schale hält. Die übrigen Bilder der Schale aus Salamis zeigen Musikan-
tinnen (darunter eine, die nach ägyptischer Weise in die Hände klatscht), Musikanten,
Diener mit Schale, einer Amphore und außer einer sitzenden Frau, die aus einer
Schale trinkt, drei Betten. Das eine Bett ist zum Teil zerstört, auf einem zweiten
sitzen Mann und Frau, auf einem dritten liegt eine nackte Frau — anscheinend hat
sie der Mann neben dem Bett, der eine solche Frau in den Armen trägt, darauf gelegt.
Ein Bild auf dem bei Grenier, Bologne Villanovienne 370, abgebildeten Spiegel
scheint mir den Schlüssel zu liefern: es ist oder sollte dargestellt sein ein Symplegma»).
Die Formen der Möbel sind unägyptisch, abgesehen allenfalls vom Stuhl und dem
papyrosförmigen.? Altar dahinter. Eher erinnern die Formen der Klinen an vorder-
asiatische und an griechische Lager, ohne daß jedoch eine ganz gleiche Kline mir
bekannt wäre 3).
') Die Deutung auf Reschef-ApoUon bei Ohne- Gedanken aber aufgeben. Es wird Zufall sein,
falsch-Richter ist durchaus willkürlich, stellt über- daß in beiden Fällen der Mann einen Spitzbart
dies auch keinen Zusammenhang her. Reste von trägt, und die Ähnlichkeit des Schemas wird auf
einem Aufzug scheinen übrigens auf dem inneren natürlichen Ursachen beruhen. Daß aber auf der
Streifen der Schale aus Kurion E 7 erhalten Schale von Salaminia zur auf der Kline liegenden
neben Aufzügen von Kriegern zu Fuß und Wagen. Frau ein Mann zu ergänzen ist (ist er etwa tat-
Nach Myres erkennt man »a votary, harpist, sächlich vorhanden?) scheint mir sicher,
and double flute-player«. Ein Festzug auch auf 3) Speleers Essai sur le mobilier de l'Asie antirieure
dem Sarg im V. Grab von Byblos. ancienne erweist sich, wie die meisten Arbeiten
') Ich hatte ursprünglich an einen typengeschicht- des Verfassers, als unzureichend.
liehen Zusammenhang gedacht, möchte den
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24. 16
230 P'- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die >phoinikischen« Metallschalen.
Unter den zahlreichen Kampfszenen, die auf den hier behandelten Denkmälern
begegnen, verdient die Gruppe des Bogenschützen, der zu Wagen gegen einen Löwen
kämpft, während dieser von rückwärts von einem zweiten Gegner bedeckt wird,
und des berittenen Schützen, der sich rückwärts gegen einen Löwen wendet, unsere
Aufmerksamkeit. Vereint treffen wir sie auf der Schale Layard, Monuments II 65
mit der Besonderheit, daß der Löwe dem Berittnen gegenüber als Sieger über einem
Gefallenen steht und von hinten ein Mann mit dem Dolch den Löwen anfällt. Dabei
ist so wenig wahre Bewegung in der Gruppe, daß man deutlich die Verwendung
fester Typen empfindet. Ganz anders ist der Vorgang auf der Schale aus Olympia D 2
behandelt, wo der Löwe gegen den Schützen sich hoch aufrichtet und ein zweiter
Schütze zu Fuß auf ihn zueilt. Auch die Szene des Löwen mit dem Wagen ist bewegter,
hier aber fehlt der zweite Gegner. Und während auf der Nimrudschale die Menschen
in der Tracht zu ägyptisieren scheinen, ist davon auf D2 nicht die Rede. Auf der Schale
von Delphi D i finden wir den nach rückwärts gewandten Schützen auf dem Wagen
wieder, aber sein Ziel, der Löwe, fehlt, und noch sonderbarer ist das Gespann: die
oben S. 225 besprochene Flügelsphinx. Sie kehrt genau so auf der Olympiaschale wieder
und kann doch nur an die Stelle der Pferde getreten sein, die auf der Nimrudschale
(vgl. das Detail J. d.i. XXI 1907, 164) noch erhalten sind. Wir sehen hier, wohin
die Vorliebe für phantastische Gestalten die Meister dieser Schalen treibt. In übrigens
recht genauer Übereinstimmung mit der Schale von Olympia ') D 2 wird die Löwen-
jagd zu Wagen auf der Tasse Layard a. a. O. Taf. 68 (A.d. i) dargestellt; von hinten
kniet ein bärtiger Mann mit der Lanze, durchaus assyrisch in seinem Äußeren. Vor
ihm fliegt ein ägyptischer Falke 2).
Der berittene Bogenschütze, wie wir wissen ein beliebtes Motiv der späteren
orientalischen Kunst (die Waffe ist im assyrischen Heer spätestens unter Assur-
nazirpal eingeführt), der ägyptischen Welt aber durchaus fremd, taucht auf dem
sonst stark ägyptisierenden Kessel aus Praeneste (Fa3)Mcmoirs American Academy III
Taf. 16, 17 Fig. 3 auf. Die Haltung ist hier freier, das ^^icl zwei um ein totes Rind
kämpfende Löwen. Der letzte Herausgeber der Tomba Bernardini hat sehr richtig
bemerkt, daß die Zeichnung auf dem Kessel unklar ist, aber erläutert werden kann
aus dem entsprechenden Bild des Rcgulini Galassigrabes in Caere Fe 6. Nur finden wir
da die »orientalische Tiergruppe« 3) nicht beim Schützen, sondern als Mittelbild,
den Schützen aber, Zug um Zug den des Kessels aus Praeneste wiederholend, am
Rand nach der früher (S. 224) behandelten Gruppe »des Löwen über dem Feind«
•) Von dem von hinten heraneilenden Gegner sind für die auf E. Schmidt, Der Knielauf verwiesen
noch Spuren vorhanden. sei, der unsere Darstellung unberücksichtigt
») Ist Knien oder Knielauf gemeint? Assyrische gelassen hat. — Auf der Schale aus Olympia D 2
Monumente (z. B. Budgc, Assyrian sculptures sitzt über dem Löwen ein großer rabenähnlicher
Ashurnazirpal Taf. XVIII, XXIV, XLIII) stellen Vogel. Kann er dem Falken der Tasse ent-
das Knien mit dem Knie am Boden und dem vor- sprechen? Falken flattern auch über der Gruppe
gesetzten Bein schräggestellt dar. Dem Krieger der ein Rind zerfleischenden Löwen, auf die der
auf der Tasse vergleicht sich am besten die Schütze auf dem Kessel von Praeneste Faß schießt,
»phoinikischc« Gemme bei Furtwängler, Gern- 3) Vgl., was über sie oben S. 191 f. gesagt wurde.
men I Taf. VII 41 und griechische Darstellungen,
Fr. W. Frhr. V. Bissing, Untersuchungen über die >phoinikischen« Metallschalen. j'?!
zielend. Es hat hier also ein Tausch zwischen Mittelbild und Seitenbild stattgefunden,
der durch die gleichmäßige Behandlung des unteren Kreissegments der Mittelgruppe
als Gebirge nach assyrisch-phoinikischer Art stilisiert, gewissermaßen noch unter-
strichen wird '). Das Auftreten dieses Elements ist besonders merkwürdig, weil im
allgemeinen die Art des Kessels wie der Schale ägyptisiert.
Auf beiden Silbergefäßen kehrt auch die Gruppe des Mannes, der mit dem
Schwert in der Hand einen aufgerichteten Löwen bekämpft, wieder. Er wird von
seinem Hund auf dem Kessel aus Praeneste(Fa3) begleitet, nicht auf derSchale aus Caere;
auch in Einzelheiten der Tracht weichen die beiden Kämpfer ab 2). Den Hund aber
finden wir wieder auf der Schale unter dem Pferd des berittenen Schützen. Das Motiv
des Schwertkämpfers mit dem Löwen findet sich, aber durchaus verschieden, auf dem
Nimrudteller Layard, Monuments HTaf. 64 (Ab 2), womit zugleich die Bedeutung der
von uns zusammengestellten Übereinstimmungen in ein helleres Licht gerückt wird.
Formal lassen sich noch eher die menschlichen Greifentöter und die vierflügeligen,
also göttlichen, Löwentöter auf derSchale von Kition Ei vergleichen 3), um so mehr,
als der im äußersten Streifen abgebildete Zug der Krieger zu Fuß, Roß und Wagen
die nächste Verwandtschaft mit den entsprechenden Zügen auf dem Kessel, den
Schalen von Caere, der Tasse ebendaher haben. Auf den Nimrudschalen gibt es nichts
wirklich Vergleichbares, ebensowenig auf den kretischen Bronzen, wohl aber setzt
sich gerade diese, wie wir sehen vorzugsweise in den italischen Funden verbreitete
Dekoration in der sog. Situlakunst fort.
Auf dem Kessel der Tomba Bernardini sind ebenso wie auf der Schale aus Caere
Palmen zur Andeutung der Landschaft und Einteilung der Darstellung eingefügt.
Die Palme gehört nicht zu den in diesem Kreis üblichen Pflanzen. Auf den Nimrud-
bronzen und Elfenbeinen kommt sie entweder gar nicht oder nur völlig stilisiert
vor 4). Das gleiche gilt von den kretischen Bronzen und von den Funden des griechi-
■) Diese Stilisierung des Gcbirgs findet sich auf den eingedrungene Tuch, das zwischen den Beinen
Nimrudschalen Layard a. a. O. Taf. 61 B, 66, herabhängt, über das ich Expedition Sieglin 1
auf der Stele von Amrit (Perrot.-Chip. III Fig. 138 gehandelt habe. Sein Gegenstück auf der
2S3),auf der Schale der Tomba Bernardini Fa 2, der Schale aus Caere trägt, wie die von einander
SchaleausCaercFc6, denSchalenausKurionEy, 8 unabhängigen Zeichnungen Museo Grcgoriano I
und also nicht auf den kretischen und griechischen Taf. 66 und bei Grifi, Monumenti di Caere Taf. V
Fundstücken und unter den kyprischen nur auf zeigen den einfachen ägyptischen Schurz. Dieser
zwei Schalen die zu einer in Italien gefundenen findet sich bei anderen Figuren des Kessels
besonders enge Beziehungen haben. Mißverstan- und der Schurz mit Tuch bei anderen Soldaten
den ist die Gebirgsvorlage möglicherweise auf der Schale von Caere. Man sieht, mit diesen
einer bei Perrot-Chip. III Fig. 464—77 abge- Dingen springen die Verfertiger der Schalen
bildeten Reihe sardinischer Skarabäoide, (lei denen ganz willkürlich um, sie haben für sie keine
sie, wie auf der Schale von Caere F c 8 Poulsen, nationale Bedeutung.
Orient usw. Abb. 18 zu einem Gitterwerk ge- 3) Die Greifentöter der Schale von Kurion E 8 und
worden sind. Ob man den Hintergrund der der Schale von Kition E i stehen dieser Schale
Götterbilder auf der Schale von Olympia D 3 näher als den in Italien gefundenen. Die zweite
ebenso erklären darf, lasse ich dahingestellt. variiert das Thema in zum Teil geistvoller, an
>) Der Kämpfer auf dem Kessel hat annähernd rein griechische Bildwerke gemahnender Weise,
ägyptisches Profil und Habitus, der Schurz aber 4) Man könnte auf den Schalen Layard a. a. O.
hat jenes später auch in die ägyptische Kunst Taf. 58 A, 59 D- den Tassen Taf. 57 C und 68
i6»
2^2 ^'' W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
sehen Festlandes. Auf den in Italien gefundenen Schalen F c 6, F a 2, dem Kessel
Fa 3, dann unter den kyprischen Funden auf der Schale E ii und der von Amathus
ist die Palme dargestellt (E 4). Sie gehört zu dem ägyptischen Formenschatz und
tritt z. B. auf dem Bocchoriskrug Monum. Antichi VIII Taf. III/IV (oben S. 197)
auf. Hingegen scheint das Ziehen von Trauben zwischen Falmbäumen, wie es auf
dem Kessel dargestellt ist, keine ägyptische Gepflogenheit (s. Lutz, Viticulture and
brewing 50). Es ist merkwürdigerweise die Methode des Weinbaus, die gerade für
Ober- und Mittelitalien bezeugt ist (Nissen, Ital. Landeskunde I 453).
Auf der Schale von Amathus (E 4) stehen die Palmen neben anderen Bäumen,
die umgehackt werden, vor einer befestigten Stadt, die gegen Angreifer verteidigt wird.
Seltsamerweise scheint, nach der Bewaffnung zu urteilen, zwischen Besatzung und
Feinden kein Unterschied zu bestehen. Beide führen Speer und Bogen, assyrische
hohe Helmhaube und Helm mit Federbusch, runde Schilde mit Schildzeichen —
letzteres nur bei den Angreifern gesichert. Einige auf einer Leiter heraufkletternde
Angreifer haben größere Schilde mit weit vortretendem Buckel. Die Lanzenkämpfer
mit dem Helmbusch tragen ein kurzes Wams; sie gleichen den Soldaten, die wir auf
dem Kessel der Tomba Bernardini (Fa3) Memoirs a. a. O. Taf. IX i, der Tasse
von Caere F c 9 und sonst in diesem Kreise finden. Man würde sie ohne weiteres
für Griechen halten, wenn nicht genau die gleiche Bewaffnung auf hethitischen
Reliefs aus Karchemisch (Hogarth, Carchemisch I Taf. B 2) wiederkehrte '). Die
Bogenschützen tragen über einem kurzen Schurz einen langen, wie er bei assy-
risierenden Gestalten auf den Schalen mehrfach vorkommt und auch in der assy-
rischen Kunst bei Bogenschützen nachweisbar ist (Meißner, Babylonien I 95,
Layard, Niniveh Populär account 257).
Das Thema der belagerten Stadt kehrt auf der Schale von Delphi D i wieder.
Auch hier sind Verteidiger und Angreifer — bis auf einen mit Schwert und assyrischem
Helm sind es Bogenschützen — gleich ausgerüstet. Die Stadt selbst gleicht auf der
Schale von Amathus (E 4) einigermaßen den syrischen Burgen auf ägyptischen Darstel-
lungen (s. etwa Hölsclier, DashoheTor vonMedincHabu6off., wo auch die Erstürmung
von zwei Seiten mit Leitern vorkommt). Aber man wird doch auch an assyrische
Reliefs wie Perrot-Chip. II 475 (Aschurnazirpal), Meißner, Babylonien I 296
erinnert. Auf der Schale von Delphi ist freilich nur ein völlig schematisches Bild
übrig geblieben mit einer sonderbaren bienenkorbartigen Öffnung in der Mitte. Soll
man darin ein Tor vermuten oder Vorbauten, wie sie mit einem Eingang am Fuß
stilisierte Palmen vermuten. S. Andrae, Assur, älteren Eimer Taf. 27 vor, nirgends so lebendig
farbige Keramik 3 über die vermutete Ent- wie in Ägypten und auf den Schalen,
stehung stilisierter Pflanzenornamente aus der ■) Alle auf den Schalen vorkommenden Waffen
Dattelpalme. Naturalistisch kommt sie wohl auf kommen, wie man aus Hunger, Heerwesen
der jungen— aber nicht assyrischen — Scherbe und Kriegführung der Assyrer bes. S. 14 f.
Taf. 5 m, dann auf dem archaischen, aber im sehen mag, auch auf assyrischen Reliefs vor,
VIII. Jahrh. wiederhergestellten farbigen Ziegel- können also von dort bekannt geworden sein,
bild a. a. O. Taf. 6, auf dem späten Toneimer Das gilt auch vom Hebn mit Busch und dem
mit Emailmalerei Taf. 24, dem vielleicht etwas Rundschild.
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die xphoinikischen« Metallschalen. 233
der Burg von Amathus zu stehen scheinen? Bei ihnen wird man an die mit Spitz-
kuppeln überdeckten Speicher (Meißner, Babylonien I 279 f., 288) erinnert oder
auch an die Schutzbauten(?) vor der Festung Dapur auf dem Relief Ramesses' IL (nach
Lepsius, Denkm. III z. B. farbig bei E. Meyer, Gesch. Ägyptens). Jedenfalls hatte
der Meister der kyrischen Schale eine nur sehr allgemeine, der der delphischen Schale
überhaupt keine Vorstellung von dem, was er wiedergab').
Von den Typen mit Inhalt wenden wir uns noch zu einigen rein ornamentalen
Motiven. Wir beschränken uns auch hier auf solche, die in mehreren der geographischen
Gruppen nachweisbar sind, und auch da auf solche, die für die Bestimmung des kunst-
geschichtlichen Charakters von Bedeutung scheinen. Poulsen hat Orient usw. 78
beobachtet, daß auf den kretischen Schalen die Flechtbänder immer von kräftig
getriebenen Streifen oben und unten begleitet werden, so daß die Tiere niemals auf
dem Flechtband selbst einhergehen. Hier habe die strenge Zoneneinteilung der
griechischen Vasen eingewirkt, so erweise sich der griechische Charakter der Schilde.
Der Gegensatz sei auf den Schilden von Van (C) gegeben, wo die Tiere auf das Flecht-
band unmittelbar oder auf einen dünnen Streifen, an den eine Reihe abwärts gekehrter
Lotosblüten gehängt sei, gestellt sind. Diese Blüten begrenzt nach unten kein Streifen.
Wie dem auch sei — mir scheinen nach der Photographic bei Lehmann-Haupt, Mate-
rialien zur älteren Geschichte Armeniens 99, wenn man die Abbildung richtig
stellt, die Tiere auf die Köpfe der Lotosknospen zu treten — jedenfalls zeigt die von
Poulsen selbst a. a. O. 14 veröffentlichte Tonfliese und noch deutlicher der Ziegel-
orthosthat bei Andrae, Assur, Färb. Kcr. 14, daß, was Poulsen auch zugesteht, die Assyrer
durch Linien begrenzte Flechtbänder kannten. Aber die Begrenzung war oft nur
einseitig, oft unterblieb sie ganz: so auf den runden Knauffliesen bei Andrae a. a. 0.
30, oder sie wurde indirekt durch den als schmalen Streifen sich gebenden Grund
erreicht (Andrae a. a. 0. Taf. 32). Dies Verfahren ist auch den kretischen Bronzen
nicht ganz fremd: Bronzi Cretesi TaL IX 3, wo allerdings das Flechtband die Dar-
stellung abschließt. Andrerseits findet sich bei der Schale aus Nimrud Layard, Monu-
ments II Taf. 62 B eine Absetzung des Flechtbandes durch den herausgetriebenen
Rand des Schaleninnern, auf den die Tiere treten; wiederum a. a. 0. Taf. 64 schweben
die Figuren über dem Flechtband frei in der Luft, so daß der Eindruck ähnlich dem
mancher kretischer Schilde (vor allem Taf. VIII) ist. Auf der Schale aus Kurion E 8
die in vielem ägyptisiert, ist, wie auch die photographische Wiedergabe bei Myres, Ces-
nola Collection Nr. 4554 erkennen läßt, jedes Flechtband von Linien begleitet und
auf diesem stehen die Figuren. Eine solche Begrenzung ist technisch praktisch als
Vorzeichnung für die Einteilung, wie man aus dem Auftreten derartiger Kreise in
Stücken z. B. auf dem Kessel der Tomba Bernardini Fa3 sieht, wo übrigens das von
Poulsen hervorgehobene Prinzip herrscht. In diesem Zusammenhang verdient Be-
achtung, daß eine solche Einfassung auch auf der ägyptischen Holzbüchse der Zeit
Amenophis' IV. Bulletin Institut Frangais ITaf. III zu bemerken ist, ebenso auf der
.) Auch auf E 13 war eine Stadt dargestellt. Ich genauer festzustellen, als es nach Myres Be-
hoffe auf Grund der Photographie noch einiges Schreibung möglich war.
2 34
Fr. VV. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Mctallschalen.
Silberschale ramessidischer Zeit Musee figyptien II Taf. 48. Das Flechtband ist keins
der ständigen Ornamente in der ägyptischen Kunst, aber nach Ansätzen in archaischer
Zeit (Petrie, Royal tombs I Taf. XXXVII 55) im sogenannten Kettenmuster (Sybel,
Kritik des äg. Ornaments 4; s. auch Royal tombs II Taf. XL ff.) taucht es im
mittleren Reich auf Skarabäen (z. B. Newberry, Scarabs Taf. XIX) und auf der sog.
nubischen Keramik (Petrie, Decorative Art Fig. 170) auf, um dann niemals wieder
ganz zu verschwinden. Dennoch gehört es nicht zu den charakteristischen ägyptischen
Ornamenten, wohl aber zu den für hethitisch-syrische Kunst bezeichnenden (Furt-
wängler, Gemmen III 8) •).
Darf man sonach das Flechtband zu den verbreitetsten Ornamenten der ganzen
Gruppe rechnen— nurauf den italischen Stücken fehlt es —, so steht im Gegensatz dazu
der Zackenstern, wie er die Mitte der in Athen aufbewahrten Olympiaschale D 3, dann
wiederum die Mitte derNimrudschaleLayardTaf. 61 A und der ebendaher stammenden
Schale Perrot-Chip. II 741 einnimmt. Zwischen den Zacken des großen Sterns
(es sind bald 7, bald 8) finden wir in Kreise eingeschriebene Rosetten oder kleinere
Zackensterne. In der einen oder anderen Variation liegt dies Motiv auch den Mittel-
stücken der Schalen Layard a. a. 0. Taf. 57 B, E, 58 E, 59 B, C zugrunde. Von
jener einen Ausnahme abgesehen kommt das Motiv außerhalb Nimruds auf den
Schalen nicht vor. Es ist gut assyrisch, wie die Funde im Schuschinaktempel von
Susa (de Morgan, Delegation en Persc VII Taf. XII 72 f.) und die Abbildungen
bei Meißner, Grundzüge der Plastik Abb. 116, 134, vgl. auch 120, Perrot-Chip. II
Fig- 352'), zeigen. Neben den Stern tritt auf den herangezogenen Bildern mehrfach
eine in den Kreis beschriebene Rosette mit spitzigen Blättern. Sie erscheint auf den
Nimrudschalen Layard, Monuments II Taf. 63, wo sie noch ganz den Charakter einer
geöffneten Nymphaea Lotos trägt 3), 68 unten rechts. Diese Form ist Bronzi Cretesi
') Die Auflösung des Flechtbandes in tangierte
Kreise oder in Punktlinien kann man bei den
kretischen Schilden, den Schalen von Nimrud,
den kyprischen Stücken (z. B. E 3 aus Kurion)
verfolgen bis in die griechischen Stücke hinein.
Während auf den beiden Schalen von Olympia
das Flechiband seine Form noch einigermaßen
bewahrt hat, wie auf einigen kretischen Schilden,
ist bei der delphischen Schale die Auflösung
weiter fortgeschritten, noch weiter bei andern
kretischen Schilden, und auf dem von Poulsen,
Orient usw. Abb. 86, mit Recht in diesen Zu-
sammenhang gezogenen, übrigens rein griechischen
rhodischen Teller nehmen, genau wie bei den
Schalen aus Kition, punktierte Kreise den Platz
der Flechtbänder ein. Andere kyprische Schalen,
2. B. die Schalen von Kurion E 6, 7, 8, auch 10
oder aus Idalion? E 3, die Schale von Amathus
F4 zeigen das FIcchtband in voller Strenge. Auf
den in Italien gefundenen Schalen ist es gar nicht
zur Rosette werden kann.
oder nur in dem gänzlich aufgelösten Zustand eines
Kugelbandes oder eines Wellenbandes zu finden.
) Poulsen Zitat S. 10 Anm. 1 ist falsch. Sollte
er das bei Meißner, Plastik Abb. 141, wieder-
gegebene Bruchstück im Auge haben, so sind dessen
Rosetten doch nur sehr bedingt vergleichbar.
Da es sich um kretisches Vorkommen handelt, sei
auf die Bronzi Cretesi Taf. VIII sehr ähnlichen
Blütensterne auf den Goldblechen der mykenischen
Schachtgräber (z. B. Streng, Rosettenmotiv
13 ff.) hingewiesen. Der Zackenstern kommt
nicht vor.
j) Es wird kein Zufall sein, daß auf dieser ägyp-
tisierenden Schale die Stilisierung der Blüte
gleichfalls ganz ägyptisch geraten ist, wie ein
Vergleich mit den Blüten auf dem Grund ägyp-
tischer Fayenceschalen des Neuen Reichs Petrie,
Illahun Taf. XVII, Wallis, Egypt. Ceramic art I
Taf. V, VI zeigt. Aus den zuletzt genannten
Beispielen karm man sehen, wie eine Lotosblüte
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 2S5
Taf. VIII nachweisbar, wo übrigens das sie umgebende Ornament am ehesten an den
assyrischen Stern erinnert, dann auf dem rhodischen Teller Poulsen, Orient 87.
Die Mitte des Sternes von Layard a. a. 0. Taf. 61 A wird von einem Blütennelz
eingenommen. Ein solches Netz füllt Taf. 62 A die ganze Mitte der Schale genau wie
auf der Schale ausKition(?)E i. Anderswo tritt das Netz nicht auf, aber als ein gut
assyrisches Ornament wird es durch sein Vorkommen auf der Schwelle Sargons
Perrot-Chip. II 250 und sonst (z. B. a. a. 0. Taf. X) erwiesen. Freilich der
Ursprung auch dieses Musters geht auf Ägypten zurück (Jequier, Decoration ^gypt.
Taf. XV f., XXXIII), seine Ausbildung in der hier vorliegenden Weise scheint aber
assyrisch. In der kretischen, griechischen, italischen Gruppe, der kyprischen bis auf
den einen Fall kommt das Ornament nicht vor — vielleicht weil es in der assy-
rischen Kunst noch sehr modern war und zur Zeit der Entstehung des Typenschatzes
unserer Schalen dort keine Verbreitung gefunden hatte.
Auf der Nimrudschale Layard Taf. 62 A wird der ganze breite Rand einge-
nommen von vier übereinander gesetzten Bändern »phoinikischer« Palmetten. Diese
gehören nicht zum gewöhnlichen Bestand der assyrischen Ornamentik: auf Andraes
Tafeln farbiger Keramik kommen sie nicht vor, ebensowenig in Owen Jones, Grammar
of Ornament. Auf den in Kypros gefundenen Schalen sind sie beliebt: auf der einen
Schale ausKition(.''), E i, auf den Schalen von Kurion E 6 und 8, auf der Schale von
Amathus E 4. Auf den kretischen Bronzen fehlt sie, unter den Schalen des griechischen
Festlands finden wir sie in etwas verflachter Form auf dem Bruchstück von der Akro-
polis D 4 (Journ. Hell. Stud. XIII 248), die in Italien gefundenen Gefäße zeigen sie
nicht mit einziger Ausnahme der Silberschale von Vetulonia F c 1 1 Martha, L'art
Etrusque 115 aus der Tomba del Duce, und des Goldpektorals aus dem Regulini-
Galassigrab a. a. O. III. Das ist um so auffälliger, als die Palmette zuweilen auf
Buccherogefäßen und andern in etruskischen Gräbern gefundenen Gegenständen
(Poulsen, Orient usw. Abb. 143, 147, 149, 150) erscheint. Die eigentliche Heimat
dieser Palmettc ist Phoinikien (und Kypros): wir sehen es an den Pfeilerkapitellen
(z. B. Perrot-Chip. III Fig. 52, 53, 1^2), auf dem Sarkophag von Amathus (a. a. O.
608 f.), in gleicher friesartiger Verwendung auf dem Relief a. a. 0. Fig. 81, der Stele
Fig. 76, wo auch noch die auf den Schalen wiederkehrende Kontamination mit dem
»heiligen Baum« zu finden ist. Das Ornament füllt, genau wie auf den Schalen, ein großes
Feld auf der Alabasterstele von Aradus a. a. 0. Fig. -jt,. Wir begegnen ihm in einer
Variante auf dem Kapitell aus Kypros a.a. 0. Fig. 361 und in seiner ursprünglichen
Form auf einer Reihe sardinischer Schmuckstücke und geschnittener Steine (Perrot-
Chip. III Fig. 180, 444, 445; Furtwängler, Gemmen Taf. XV i, LXIV l) unbekannter
Herkunft. Auch die sardinischen Tonplatten Perrot-Chip. III Fig. 480/1 dürfen
hier genannt werden. Gewiß kann man die Anfänge des Motivs bis in die ägyptische
Ornamentik aus dem Anfang der XVI II. Dyn. zurückverfolgen'). Auch in assyrischen
Ornamenten wie Andrae, Farbige Keramiken Taf. I ff., XXI f.- mag man Vorstufen
•) S. die von mir, Anteil der ägyptischen Kunst 79, bequem bei Hunger-Lamcr, Altor. Kultur Taf. 33,
beigebrachten Zeugnisse, von denen eines jetzt zugänglich ist.
2?6 *"■■• W. Frhr. v. BUsing, Untersuchungen über die »phoinikUchen« Metallsohalen.
oder Seitentriebe sehen: die Heimat der entwickelten Form kann kaum anderswo
als in Phoinikien, anscheinend nicht einmal auf Kypros, gesucht werden ')•
Weniger zuversichtlich können wir über den Palmettenlotosfries urteilen,
der auf den Schalen aus Nimrud Layard a. a. 0. Taf. 57 A, 68 unten Mitte auftritt,
auf den kretischen Bronzen fehlt, ebenso auf den Schalen vom griechischen Fest-
land und von Kypros und den italischen. Es verdient Beachtung, daß ein in der
ägyptischen wie in der assyrischen Kunst vor-, wenn auch mindestens in ersterer nicht
ausgebildetes Motiv»), hier noch ganz spärlich und nur in einer Fundgruppe Ver-
wendung findet, während es bald danach zu den üblichsten Verzierungen der ar-
chaisch-griechischen Kunst gehört 3). Häufiger treffen wir den einfachen Palmetten.
■) Ich urteile also heute anders als Anteil der ägyp-
tischen Kunst 79. Dussauds Ausführungen
in der zweiten Auflage seiner Civilisations pre-
helleniques 321 ff. haben mich nicht über-
zeugt, er geht z. T. von falschen ägyptischen
Mustern aus, die üräen haben hier gar nichts
zu suchen. Das »Kapitell« von Teil Mut csellim
kann trotzdem noch immer von den kyprio-
tischen abhängen, diese spezielle Form auf
Kypros entstanden sein. Die ägyptischen Bei-
spiele hat übrigens in für damals ausgezeichneter
Weise Sybel, Kritik des ägyptischen Ornaments
25 {., behandelt. Er hat auch bemerkt, daß
in dem jetzt bei Poulsen, Orient usw. 48, wieder-
gegebenen Elfenbeinrelief aus Nimrud Elemente
der phoinikischen Palmette vorliegen, noch
versteckter in dem Gegenstück a. a. 0. 49, beide
dem »Kapitell« Perrot-Chip. III 535 ver-
wandt. Die Behandlung bei Riegl, Stilfragen
102 £E., ist unzureichend. Für den phoinikischen
Ursprung der Palmette läßt sich auch ihr Vor-
kommen auf Fundstücken aus Spanien und
Karthago anführen: Antonio Vives y Escudero,
La necropoU di Ibiza 171, Taf. XXV 14, 17,
LH, iS. 133. LXXXVIII 2, 3, S. 159, stark
gräzisiert; ferner, Revue Arch^ol. II 1899, 155,
250 f., 289, alles Elfenbeine. Wenn die »kyprische«
Inschrift auf der Elfenbcinpy,\is des Regulini-
Galassigrabes (Poulsen Abb. 143 f., vgl. S. 129)
wirklich vom Erzeuger aufgesetzt ist, so besagt
sie noch nichts für die Herkunft der gerade bei
diesem Stück (als Krone einer Sphinx 1) höchst
seltsam verwandten Palmette. Auf dem Fayence-
gefäß aus Vulci, das nach dem Material wohl
sicher nicht in Italien gearbeitet sein wird, hat
die Palmette eine starke Umbildung erfahren.
Ist übrigens die Gleichheit des Motivs zwischen
dem Löwen? auf dem Fayencegefäß und dem bei
v. Luschan, Die ionische Saulc 30 ■/.. B. abge-
bildeten Relief aus Persepolis bemerkt worden?
Delbrück, Arch. Anz. 1910, 183 f., hebt mit
Recht die Verwandtschaft der elfenbeinernen
Gefäßformen aus der Tomba Bernardini mit den
Buccherogefäßen hervor und scheint geneigt,
an italischen Ursprung zu denken. Auf den
Silberblechen der Tomba Bernardini (Memoirs
American Academy Rome III Taf. 31 f.), die
wohl vom Beschlag eines Kastens herrühren,
findet sich die vollständige Pahnette und Or-
namente, die aus den Voluten zusammengesetzt
sind, die Palmette auch auf dem Henkel a. a. 0.
Taf. 27, 2 = Poulsen, Orient usw. Abb. 133,
auch nach Poulsens Ansicht ein in Etrurien
gearbeitetes Stück. Die Reliefs sind in dem den
Bronzehenkel verkleidenden Silberblech getrieben,
eine primitive .\rbeitsweise, in der man massiv
silberne Vorbilder offenbar nachahmte.
») Für Ägypten genügt es auf Petrie, Decorativc art
Fig. Jigff. zu verweisen. Eins der ältesten Beispiele
des Bogenfrieses gibt wohl das Siegel Petrie,
lUahun, Taf. X 160 (ein Knoten zwischen zwei
Lotosblüten). Dasselbe Motiv auf Skarabäen
der Zeit Tuthmosis' III. Petrie a. a. 0. Taf. XXVI
25, 28, wo der Knoten schon Knospengestalt
angenommen hat. Für Assyrien vgl. Andrae,
Farbige Keramik Taf. 2, wo der Wechsel zwischen
Lotosblüte und Palmette leidlich gesichert scheint.
Die Datierung um 1200 v. Chr. kann kaum be-
stritten werden. Mithin wäre damals die Zier-
form ausgebildet gewesen, für die wir später(Andrae
a. a. O. Taf. 33) scheinbar weniger entwickelte
Formen besitzen.
3) S. die Ausführungen von Johansen, Les Vases
Sicyoniens 115 ff., der nur m. A. n. unglücklich
in der Wahl des Ausdrucks »Eichel« für das
S. 59 f. behandelte, S. 60 Abb. 1 — 3 wieder-
gegebene Ornament war. Es entstammt einer
naturalistischen Lotosblüte ägyptischer Wieder-
Fr. W. Frhr. V. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 2^7
bogenfries: Layard, Monuments II Taf. 58 C, D, F; 59 C; 63, 68 passim. Es wird
kein Zufall sein, daß er auf den stilistisch mit der Schale Taf. 63 so nah verwandten
Schalen Bronzi Cretesi Taf. VI wieder vorkommt, in einer klobigen Variante auch
a. a. 0. Taf. X 4. Die Stelle des Palmettenbogenfrieses nimmt auf den kretischen
Bronzen der Lotoshogenfries ein, sei es von Knospen (Bronzi Cretesi Taf. I), sei es
von Blüten (a. a. 0. Taf. VII, IX). Auf den Nimrudschalen findet er sich nicht,
obwohl seine Elemente vorkommen (Taf. 57 A s. oben) und in der assyrischen Kunst
gerade der Sargonzeit, allerdings mit Wechsel von Blüte und Knospe, Lotosbogen-
friese bekannt sind (Owen Jones, Grammar of Ornaments Taf. XI; Perrot-Chip. II
251, 320; Andrae, Farbige Keramik Taf. 11 ff., 19). Die anderen Fundgruppen
kennen den Fries, der im letzten Grund wieder auf ägyptische Vorbilder zurückgeht,
nicht, mit Ausnahme der Schale aus Kition Ei. Auch die Lotosblüte als selbständiges
Ornament, wie wir sie in Kreta (Bronzi Cretesi Taf. VI 2, IX l, X 4, 2 (.?.?) und vielleicht
Taf. II rechts') beobachten, tritt uns auf den Nimrudschalen nicht entgegen. Auf
der Schale von Olympia D 3 hält die eine Sitzende eine Lotosblüte, ebenso auf der
Schale aus Kypros E 8, E 3, wo vielleicht auch die säulenartigen Pflanzen im Hintergrund
Lotosblüten tragen sollen *). Vereinzelt kommt eine naturalistisch gebildete Nym-
phaea caerulea auf E l vor. Häufiger tritt, bald naturalistisch behandelt, bald stili-
siert, der Papyros auf. Wir treffen ihn auf den Nimrudschalen Layard, Monuments II
Taf. 57 E; 58 A, F; 63; 68 oben Mitte, der Tasse 57 C, wozu noch die zweifelhaften
Fälle Taf. 59 D und 68 unten Mitte kommen. Dies ist um so bemerkenswerter, als
der Papyros in der assyrischen Ornamentik keine Rolle spielt, auch nicht in der land-
läufigen phoinikischen, aber in die kretisch-mykenische Aufnahme gefunden
hat. Auf den kretischen Schilden glaube ich ihn Taf. III deutlich in üblicher ägyp-
tischer Stilisierung (als Wappenpflanze des Nordens) zu erkennen: die Sphingen
scheinen Dolden zu pflücken, stilisiert findet er sich dann, wieder mit Layard a. a. 0.
Taf. 63 in Übereinstimmung auf der Schale Bronzi Cretesi Taf. VI i. Die Schalen
des griechischen Festlandes bieten ihn nicht, von den kyprischen könnte er (in der
Variante des Cyperus alopecuroides) dem zweiten Fries der Schale von Kition (.?) Ei
zugrunde liegen, ferner scheint er aufE 11 vertreten. Zweifellos ist er auf den beiden
Schalen aus Kurion E 9 und 10, sowie der Schale Myres, Cesnola Coli. 4553, Ei 2.
Dabei wiederholt sich auf den kyprischen Stücken, was bei den Schalen aus
Nimrud auffällt, daß kein fester Typus ausgeprägt ist. In durchaus ägyp-
tischer Weise stilisiert finden wir ihn auf drei Schalen der italischen Gruppe,
der Schale aus Praeneste Fai und der aus Salerno F d 10, ferner auf der
von Caere F c 8. Stets sind damit im engeren Sinn ägyptische Bilder (Horus auf
der Lotosblüte und Pferde auf der Schale von Salerno; eine Kuh, die ein Kalb
gäbe. Siehe auch die Palmettenlotosfriese der beinrelief aus Nimrud Layard,' Monuments I
Simse von Selinunt 41. Berl. Winckelmanns- Taf. 88, l, British Museum guide Taf. 41, 10.
Programm Taf. II. ^) Im Zusammenhang der mythologischen Dar-
Man könnte hier allenfalls an Papyros denken, Stellung, Horus auf der Lotosblüte, findet sie
doch die Form des Stengels spricht dagegen. sich auf der Schale von Salerno F d 10.
Lotes in Verbindung mit Papyros auf dem Elfen-
2 38 ^'- W- ^'^'- ^'- B'ssing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen.
säugt, auf der von Caere und auf der kyprischen E 12, wo abwechselnd Kuh mit
Kalb, Stute mit Füllen dargestellt sind; Isis, die den Horus säugt, auf der Schale der
Tomba Bernardini F a i ') verbunden.
Von den Einzelheiten, die uns bisher beschäftigt haben, wenden wir uns
zum Schluß der Betrachtung der Komposition der Schalen als ganzem und der
sie beherrschenden Dekorationsprinzipien zu. In Ägypten war zuerst die Weise
ausgebildet, das Innere der Schalen mit in konzentrischen Kreisen angeordneten Orna-
menten zu schmücken. Als Mittelpunkt des oder der Ornamentkreise diente entweder ein
kleiner Buckel respektive eine Rosette, oder eine größere Blüte ^). Dies selbe Prinzip
finden wir bei den meisten der Nimrudschalen: Layard, Monuments II Taf. 57 A,
B, D, E; 58 A, C— F; 59 A— E; 60; 61 A; 62 A, B; 63; 64; 65; 68, wobei das Ver-
hältnis von Mittelornament und Randornament veränderlich ist. Von den Tassen
sehen wir hier ab. Sie folgen aber im ganzen dem gleichen Prinzip. Unter den kreti-
schen Bronzen treffen wir es wieder auf den Schalen Bronzi Cretesi Taf. VI, den
Schilden Taf. VII, VIII; über einige der Schilde und die Schalen von der Akropolis
(D4), von Olympia (D2) ist kein sicheres Urteil möglich. Die andere Schale
von Olympia (D3), die Schale von Delphi (Di) und wohl beide Schilde von Van
folgen demselben Dekorationssystem, dem sich unter den kyprischen Schalen
die Schalen aus Kition (Ei), aus Amathus (E 4), aus Idalion (E 3), die Schalen
aus Kurion E 9 und 10, ferner die Schale der Cesnola Collection Eil, unter den
italischen Funden einzig die Tasse der Tomba Bernardini (Fa4), am besten Memoirs
Americ. Acad. III Taf. 19 anschließen. Dies Dekorationssystem ist dann festge-
halten bei der Außendekoration der hier Abb. 5 — 6 veröffentlichten ägyptischen
Fayenceschale und den oben S. I90f. aufgeführten Stücken sowie bei den oben unter G
zusammengestellten »Vorläufern und Nachwirkungen«.
Auf der Mehrzahl der ägyptischen Fayenceschalen und Teller herrscht aber ein
anderes, bisher in Metall im Nilland nicht nachgewiesenes Prinzip: ein Bild füllt das
ganze Innere. Den Übergang von der einen Art zur anderen mag man erblicken in
Gefäßen wie Petrie, lllahun Taf. XVII 44, wo eine weitgeöffnete Lotosblüte den
ganzen Grund einnimmt, eingefaßt von einem bescheidenen Band. Auch die häufigeren
Fälle, wo ein Wasserbecken die Mitte der Komposition einnimmt, aus dem Blumen
sich über die Schale ausbreiten, zwischen denen dann wohl Fische schwimmen (Wallis,
Egypt. Ceram. Art I Taf. VII, Fig. 12; v. Bissing, Fayencegefäße Kairo Nr. 3683),
wird man zu den Übergangsformen rechnen. Meistens aber füllt ein Bild oder eine
Szene die ganze Fläche, nur von einem schmalen Band am Rand eingefaßt. Die bei
den Nimrudschalen und einigen kyprischen Stücken mit Mittelbild (E 15) zu be-
') Genau so säugt Isis stehend den stehenden Horus bar die Fayenceschalen bei Wallis, Egyptian
— ein gut ägyptisches Schema — im Papyros- Ceramic art I Taf. V, VI. Eine Blüte als Mittel-
dickicht auf dem Mittelbild der Schale E 13 in stück z. B. von Bissing, Fayencegefäße Kairo Nr.
der Cesnola Collection. 3708. Im Gegensatz zu fast allen erhaltenen Metall-
') Beispiele im J. d. I. XIII 1898 Taf. 2, S. 35, gcfäßen zeigen die Fayenceschalen innen und außen
Arch. Anz. 1898, 147, J. d. I. XXV 1910, 197. Verzierung.
Nachahmungen metallener Vorbilder bieten ollen-
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die >phoimkischen« Metallschalen. 23O
obachtende Neigung, viel von der glatten Fläche des Gefäßes sehen zu lassen, ist
den meisten ägyptischen Schalen vollkommen fremd. Selbst bei den unter
Tuthmoses III. datierten Gold- und Silberschalen (Vernier, La bijouterie et lajoaillerie
Taf. XX; Chabas, Oeuvres I 225; Deveria, Memoires I 44) und der von mir im
J. d. I. XIII 1898 veröffentlichten Bronzeschale nimmt der figürliche Schmuck ver-
hältnismäßig eine viel größere Fläche ein als bei vielen der Schalen von Nimrud.
Der ägyptischen Gewohnheit folgen fast sämtliche in Italien gefundenen Stücke,
die kretischen Bronzen, die Schilde von Van, offenbar auch die auf dem griechischen
Festland gefundenen Stücke und die Mehrzahl der aus Kypros stammenden. Die
italischen Stücke, die Schalen aus Kypros E 2, E 4, E 5, E 7, E 8, E 12, E 14 zeigen
in der Mitte in der Regel mehrfigurige Szenen, wie sie in gleicher Weise auf den ägyp-
tischen Schalen nicht gefunden werden, wohl aber in der Dekoration der oben
S. 191 ff. zusammengestellten ägyptischen Denkmäler vorkommen. Figurenreiche
Mittelstückc sind die Regel auf 'den Schilden der Zeusgrotte und von Palaikastro,
wo zuweileneinLöwenkopf oder Adler den dann stark plastisch hervortretenden Mittel-
punkt abgibt, um den die Figuren sich drängen. Unter den Schalen von Nimrud steht
diesen Schalen nur Layard a. a. 0. Taf. 65 wirklich nahe. Die Schale a. a. 0. Taf. 67
mit ihrem Gewirr von Figuren, das an hocharchaische Kompositionen erinnert,
hat im ganzen Bereich der Monumentengruppe nicht ihresgleichen, steht auch in
typologischer Hinsicht ziemlich vereinzelt. Die beiden, näher verwandten Schalen
a. a. 0. Taf. 66 und 61 B mit den Gebirgsdarstellungen in ausgesprochen assyrisch-
phoinikischem Charakter weisen einen unregelmäßig geformten ornamentalen Mittel-
punkt auf, der sie zwischen die beiden großen Gruppen stellt. Bei beiden wird man aber
noch eines anderen Dekorationsprinzips gewahr, das auf ägyptische Vorbilder zurück-
zuführen scheint: der Vierteilung, seltener Fünfteilung, der Verzierung.
Sie ist am auffälligsten bei einem Stück wie der kyprischen Schale E 10, aber
nicht minder deutlich bei der Schale ausOlympia D 3, der Schale aus Palestrina F a l,
der Schale von Salerno F d 10. Unter den Nimrudschalen erscheint sie am ausgeprägtesten
auf Taf. 63 und entsprechend bei den kretischen Schalen Taf. VI ^). Man kann das
Prinzip auch auf der Bodendarstellung des Kessels von Palestrina (Fa3) wieder-
erkennen — lauter stark ägyptisierenden Stücken. An Stelle der Vierzahl tritt ge-
legentlich die Fünfteilung: Layard, Monuments II Taf. 66, aus der kyprischen
Gruppe die Schalen E il, E 12, ES (allerdings mit ungleichmäßiger Aufteilung,
ähnlich wie bei dem Kessel von Palestrina). In sechs ungleichmäßige Abstände ist
jeder der Ornamentstreifen der kyprischen Schale E 9 geteilt, die im Verhältnis der
liegenden Hirsche und Vögel zu den Papyris ganz vereinzelt steht.
Zur Verdeutlichung der Einteilung dienen in den Fällen, wo die Gruppen enger
aneinander rücken — und die Tendenz der Entwicklung scheint nach dieser Richtung
zu weisen — Pflanzen. So auf der Schale E 8 »heilige Bäume« in der speziell phoiniki-
schen Form, auf der Schale aus Palestrina F a i Papyrosbüsche mit Isis, die den
') Ist CS Zufall, daß gerade ein aus Ägypten stam- die ausgesprochene Vierlcilung zeigt? Bessert,
mendcr llolzdcckel kretischer Fonncngebung Altkreta Fig. 35".
240 ^r- W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischenc Metallschalen.
Horus säugt, auf dem Kessel von Palestrina F3 Palmen. Wir fanden auf den
oben S. 191 behandelten späteren ägyptischen Vasen bereits den Gebrauch, zwischen
die Tierreihen Pflanzen einzustreuen. Wir beobachten ihn auf den Nimrudschalen
Taf. 57 C; 58 A, F; 60; 66, auf der einen Tasse Taf. 68, ferner Bronzi Cretesi Taf. IX,
X 2, 4'); die kyprischen Schalen E I, E 2 gehören hierher und von den italischen
der Kessel der Tomba Bernardini Fa3, die Tasse desselben Grabes Fa 4, die Tasse und
eine der Silberschalen aus Caere (Fol und Fe 8). Auchauf dem Bruchstück des Silber-
napfes vonVetulonia(Fell)mag man das Prinzip noch verfolgen. Vielfach stellt es
nichts anderes dar als eine gefällige Unterbrechung der endlosen Tierreihen, denen
•wir immer wieder begegnen. Sie setzen sich bald aus völlig gleichen Tieren (oder
auch seltener Menschen) zusammen, bald aus wechselnden, aber dem Schema nach
gleichartigen Typen. Die archaische ägyptische Kunst hatte solche Reihen gekannt,
die spätere verwendet sie selten. Eines der markantesten Beispiele aus späterer
Zeit bietet wohl das Halsband der Königin Aahhetep in der im wesentlichen ge-
sicherten Rekonstruktion in meinem »Grabfund aus dem Anfang des Neuen Reichs«
Taf. VIII, IX. Die dort im Text angeführten Beispiele zeigen, daß die Anordnung im
Schmuck des Neuen Reichs beliebt blieb. Wir finden sie auch auf den in Stein
geschnitzten Kohlbüchsen der XVIII. Dynastie, von denen Wallis eine Anzahl
Egypt. Ceram. Art i Taf. VIII 8 und S. 14 abbildet. Auf manchen Nimrudschalen,
z. B. Layard a. a. 0. Taf. 59 A, nicht ganz so arg Taf. 61 A häufen sich die kleinen
Tierfiguren zu Hunderten. Dafür gibt es Analogien eigentlich nur auf dem Napf
von Vetulonia F c 1 1 in den beiden an Hieroglyphenzeilen erinnernden schmalen Streifen,
und auf den etruskischen(.'') Schmucksachen der Tomba Bernardini und des Regulini-
Galassigrabes *). Sehr seltsam wirkt die Einschließung der kleinen Tiere in ein assy-
risches Zinnenmuster auf der Schale aus Nimrud Layard Taf. 57 E. So sehr bevor-
zugt dieser Stil die Reihung der Figuren, daß er auf das Dach des assyrischen
Tempelchens, in dem Layard a. a. 0. Taf. 63 die geflügelten Greifen stehen, rechts
und links von einer einigermaßen ägyptisch aufgefaßten geflügelten Sonnenscheibe
Reihen von Enten anordnet, etwas in ägyptischer, aber wohl auch in mesopota-
mischer Kunst Unerhörtes. Unwillkürlich aber wird man an die Vogelfriese ge-
wisser melischer Vasen erinnert, zu denen auch sonst aus dem Kreis unserer Schalen
manche Beziehungen laufen 3).
Eine Besonderheit der Nimrudschalen sei hier noch angemerkt, die auf keinem
Stück der anderen Gruppen wiederkehrt, das Einschließen der Tiere in den Friesen
') Die Bronzi Cretesi Taf. II, III, X 4 eingestreuten Fortleben solcher Formen in der »illyrischen«
Streublüten, Palmettcn usw. gehören im weiteren Kunst der Situlen (Bertrand-Reinach, Les Celtcs
Sinn auch hierher. Das Motiv der »raumfullenden et les Gaulois dans les vall^es du Po usw.
Pflanzen« hat Studniczka J. d. I. XVIII 1903, 137 95!!.) kann hier nicht eingegangen werden,
gestreift und mit allerhand Beispielen, vornehm- 3) S. etwa die oft, zuletzt bei Balis, Kunst des Alter-
lich italischer Herkunft, belegt. tums 44 wiedergegebene Vase. Man vgl.
>) S. Memoirs.\mcricanAcadcmyRome ITaf. lOlt , damit die kyprischc Schale E 3, E 6, vielleicht
IIITaf. I(d. i. i)ff., vgl. auch den Schild Taf. 60; auch Bronzi Cretesi Taf. IX 2.
Museo Gregoriano I Taf. XI, XVIII ff. Auf das
Fr. W. Frhr. v. Bissing, Untersuchungen über die »phoinikischen« Metallschalen. 24 1
einzeln oder zu mehreren in Felder. Sie trat uns schon oben bei der Schale Layard
Monuments 11 Taf. 57 E entgegen, in einfacherer, fast an Triglyphen und Metopen
erinnernder Weise aber auf den Schalen a. a. 0. Taf. 57 B; 58 E; 59 B, E. In
den Stabbändern der ägyptischen Kunst (Petrie, Decorat. Art 104 f.), in Friesen
wie am Totenbaldachin der Prinzessin Isimchebt (Brugsch, Tente fun^raire Taf. IV f. ;
Maspero, Archäologie Egypt. 291) mag man Analogien finden. Auch unter den
oben S. 197 f. besprochenen ägyptischen Fayencegefäßen kam die Anordnung
vor, und sie erweisen sich auch hier wieder den Schalen von Nimrud nahe verwandt.
Aber im ganzen ist dies Dekorationssystem erst in der italischen Reliefkeramik
(allerdings unter Vorgang der großen kretischen Pithoi, Bessert, Altkreta 131)
häufiger, aber hier ist sie das Ergebnis der Stempeltechnik, und ich möchte einen
Zusammenhang mit den Nimrudschalen nicht befürworten. Zeitlich berühren sie
sich allerdings, wenn Grenier, Bologne Villanovienne 330 f. diese ,,bucchero de
la seconde espece« an das Ende des VII. und den Anfang des VI. Jahrhunderts
setzt. Grenier schreibt den Töpfen in der Form Anlehnung an korinthische und
protoattische Vasen, im Stil an ionische Vorbilder zu.
Damit haben wir, soviel ich sehe, die wesentlichsten Formelemente, abgesehen
vom eigentlichen »Stil«, behandelt. Wir sehen wie gleiche und gleichartige Typen
und Dekorationsprinzipien sich nicht nur lokal weithin verbreiten, sondern
auch über verschiedene »Stile <•, die sich innerhalb der ganzen Klasse scheiden
lassen. Wir konnten gewisse Vorlieben bei lokalen Gruppen feststellen und werden
dazu, wie zu mancher Einzelbemerkung über bisher absichtlich nicht besprochene
Motive noch im Schlußabschnitt Gelegenheit haben. Aus der Übersicht über
die Fundgruppen folgt auch, daß in Nimrud Gefäße aus Edelmetall gar nicht
gefunden sind, auf Kypros wenige, in Italien aber keine Bronzegefäße dieser
Klasse. Auf Kreta sind nicht nur die Schilde, sondern auch die Schalen aus
Bronze, und das gleiche gilt von den Schalen des griechischen Festlandes. Die
ägyptischen Urahnen waren teils Bronze, teils Silber oder Gold. Die beiden Schilde
von Van sind bronzen. Natürlich kann das alles auf Zufall beruhen, aber es ist
doch wert bemerkt zu werden, denn bei der Frage, wo die Klasse, wo die einzelnen
Gruppen hergestellt wurden, können auch diese Dinge ihre Wichtigkeit haben. Ihr
wenden wir uns im Schlußabschnitt ') zu.
') Dieser Schlußabschnitt soll im nächsten Bande des Jahrbuches folgen,
den Haag. Fr. W. Frhr. v. Bissing.
242
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
DIE SÖHNE DES PRAXITELES.
Mit Taf. VI und VII.
I. Der Altar in Kos.
Am Anfang des vierten Mimiambus des Herondas verehren und bewundern
zwei Frauen die schönen Bilder des Asklepios, seiner Eltern, seiner Gattin '),
seiner Töchter, seiner Söhne und der mitverehrten Götter. Auf die
Frage der einen Frau, von wem die Bildwerke gearbeitet und geweiht sind, ant-
wortet die andere, sie seien von den Söhnen des Praxiteles gefertigt und von Euthias,
Sohn des Praxon, aufgestellt worden. Herondas IV i ff:
KV. Xaipoij avaj natrjov, 8? [isSsi? Tpixxr,?
xctt Kräv fXuxTjav xr,Tti8aupov t^xijxae,
auv xal" Koptovi; ^ a' etixte xujkoXXiov
/atpoiev, rfi xe xstpi 5eSi^ <J/ausi;.
5 'V-fisia, xwvTtep oTSe xifiiot ßtujioi,
riaväxK) TS Xl^TCKU TS x{t)<jo) x*'Poi
)(0f AswfisSoVTOJ ofxi'jJV TS XCtt TSl}(Tj
irspaavTS? t'7]T^ps? dYpiwv vou(j(uv
riooaXetpiöj TS xal M«}(äu)V }(aip6vT«ov,
]o ](">3ot Osol OTjv idxiijv xaxoixsüaiv
xal ösai, TOTsp riair^ov ....
I» i% oeSt^c TÖv Ttivaxa, KoxxbXy), OT^dov
20 TTJ? Tyisitj?.
') Nach den Worten des Herondas muß man ver-
muten, daß in Kos Hygieia die Gattin des As-
klepios ist, nirlit wie sonst Epione, da diese liier
zwischen den beiden Töchtern Panake und laso
genannt wird. Herzog bemerkt mir jedoch hierzu :
»Der Wortlaut der Stelle könnte durch die Reihen-
folge der Aufzählung dazu verleiten und hat
Robert (Preller I 526) verleitet, für Kos Hygieia
als Gattin, Epio(ne) als Tochter des Asklepios
anzunehmen, während sonst überall Epione als
Gattin, Hygieia als Tochter des Asklepios galt.
Aber gerade für Kos ist durch den von einem Koer
verfaßten (Histor. Zeitschrift 125, 220) pseudo-
hippokratischen Brief 10 und das lliasscholion
Venet. A zu Ä 195 (wo MEpo7c((8)os zu verbessern
ist), Epione als Koerin und Gattin des Asklepios,
Tochter des Herakles, bezeugt. Durch sie führten
die koischen Asklepiaden ihren Stammbaum auch
auf den in Kos seit viel älterer Zeit als Asklepios
verehrten Herakles zurück. Im Kult des As-
klepieions erscheint auf den Inschriften von seiner
Gründung bis in die Kaiserzeit regelmäßig die
Dreiheit 'AaxXamö« miX VylEW y.i\ 'Hmdva als
Kultinliaber. Hygieia steht dabei voraus, weil
sie schon im V. Jahrhundert z. B. in Athen als
selbständige Göttin mit älterem Kult neben
Asklepios getreten ist und dann als seine Tochter
eingeordnet wurde, die aber nie mit seinen übrigen
Kindern Panakeia, Akeso, laso, Podalcirios und
Machaon auf eine Stufe gestellt wird. Sic wird
mit ihm als Vater so eng verbunden, wie Athena
mit Zeus als Burggottheiten der griechischen
Städte. Epione als Gattin tritt hinter ihr im
Kult ganz zurück. Sie ist nur etymologisch aus
Asklepios abgespalten und in Kos für die Ge-
nealogie notwendig. Wenn sie im koischen As-
klepieion nur eine der Töchter wäre, so wäre es
unverständlich, daß sie als Kultinhaberin allein
von ihnen erschiene. Herondas verbindet Hygieia
mit Asklepios, weil sie auf dem Altarwerk eine
Gruppe bilden. Daß er Epio zwischen den Töch-
tern Panake und leso nennt, ist durch den Vers-
zwang gegeben.«
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
243
KO.
KT.
[xä, xaXöiv, (pi'Xrj Kuvvot,
d-(aki>.dz(av. tij r^p« ttjv Xt8ov xauxijv
TsxTCüv iirot'ei xai ti's ionv 6 arf^aai;
0? riprjStTeXea) iratSsf oüj( öpfi<; xsiva
Iv r^ ßa'ai -cä Ypa'fifiax'; Kööi'»)? 3' atjxä
25 eaTii)(jcv 6 rTpi^Jujvo?.
KO. tXetuj s»)
xai ToTaS' 6 FlaKuv xal Eö&i'iq xotXÄv ep-jfuv^).
Kynno: Sei mir gegrüßt, o Herrscher Paion, der Du
Auf Trikka waltest, und im trauten Kos
Und Epidauros wohnhaft bist; Koronis
Zugleich, die Dich geboren und Apollon,
Sie seien gegrüßt; und die Du mit der Rechten
5 Berührst, Hygieia; auch die Ehren finden
Auf diesen Opferstätten, Panake
Und Epio und leso, seien gegrüßt;
Und die Laomedons Haus und Mauerwall
Zerstörten, die Ärzte in grimmen Krankheiten,
Podaleirios und Machaon, Gruß ihnen,
10 Und was an Göttern dir am Herde wohnt
Und Göttinnen, Vater Paion ! — — — — — _-
19 Stell' Du die Tafel, Kokkaie, zur Rechten
20 Der Hygieia auf.
Kokkaie: Ach, liebe Kynno,
Die schönen Bildwerke ! Welcher Meister schuf
Das Marmorwerk hier und wer ist der Stifter?
Kynno: Die Söhne des Praxiteles. Siehst Du niciit
Am Sockel dort die Schrift? Und Euthies,
■^■■> Der Sohn des Prexon, hat sie gestiftet.
Kokkaie: Gnädig
Möge den beiden Paion sein um solcher
Herrlichen Werke willen, und nicht minder
Dem Euthies.
(Übersetzt von Crusius und Herzog.)
') Der Mimiambus ist kunstgeschichtlich erklärt
worden durch Diels, Arch. Anz. VI 1891, 190,
Murray, Classical Review V 1891, 389, Wald-
stein, ib. VI 1892, 1351., Gurlitt, Archäol. epigr.
Mitt. aus Österreich XV 1892, 169 ff., Meister,
Festschrift für Overbeck 1893, 109 ff., Herzog,
Üsterr. Jahreshefte VI 1903, 215 ff., Bücheier,
Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen 1905, 176 f.,
Svoronos, Epheraeris 1909, 151 ff. Reügions-
lectio Hcrondas die
geschichtliche Erläuterungen bei Wünsch, Arch.
f. Religionswiss. VII 1904, 95 ff. und Herzog ib.
X 1907, 201 ff. Über die Frage, ob der Dichter
Herondas oder Herodas heißt, sind die zustän-
digen Philologen nicht einig; vgl. zuletzt gleich-
zeitig Herzog, Philologus LXXIX 1924, 370 ff.,
der Herondas, und Wilamowitz-Moellendorf,
Hellenistische Dichtung 1924 I 211 und II 318,
der Herodas sagt. Mir scheint die difficilior
richtigere zu sein.
244 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
Als Herzog, angeregt durch diesen Mimus, das Asklepieion von Kos gesucht
und im Jahre 1902 gefunden hatte, erkannte er sofort in dem Altar in der Mitte
der mittleren Terrasse dieses Heiligtums den Träger der gepriesenen Statuen ').
Seine Vermutung, daß der Schauplatz des ersten Teils des Gesprächs zwischen den
Frauen am Altar liegt, kann man vielleicht noch genauer dahin präzisieren, daß
die Besucherinnen von der Stadt her, also auf der Treppe von der untersten nörd-
lichen Terrasse aus oder, falls diese — wie Schazmann jetzt annimmt — erst
später ausgebaut wurde, auf einem von Nordosten her ansteigenden Weg
zur mittleren Terrasse emporsteigen und zunächst die Nord- und Ostseite
des Altars betrachten. Sie gehen dann um den Altar herum und betreten jetzt
erst den Platz zwischen Altar und Tempel B, wo sie v. 27 ff. die Weihgeschenkc
anstaunen. Für den Aufbau des Altars, der, wie es scheint, mehrfach erneuert wurde,
geben die Fundamente und kärglichen erhaltenen Bauteile nur ungenügenden An-
halt, so daß es unmöglich ist, dem bildhauerischen Schmuck an ihm einen sicheren
Platz anzuweisen. Auch die Münzen lassen uns im Stich. Die letzte, dem Perga-
mener Altar ähnliche Form scheint erst späthellenistisch oder frührömisch zu sein,
doch könnte sie einen ähnlichen älteren Aufbau kopiert haben. In diesem Fall könn-
ten die einzelnen Bilder zwischen den Säulen gestanden haben. Für Asklepios und
die ihm laut v. 4 f. eng verbundene Hygieia müssen wir einen ausgezeichneten und
breiteren Platz, etwa in einem besonderen Naiskos in der Mitte der Ostseite vermuten,
wo auch in Pergamon die Hauptgötter angebracht sind. An dieser und der Nord-
seite fand Herzog die folgenden wenigen, aber wertvollen Fragmente der Altar-
skulpturen.
I. Mädchenkopf (Taf. VI). Gefunden laut Tagebuch Herzogs, das er mir
freundlichst zur Verfügung stellte, am 17. September 1903 »zwischen Altarbau
und Tempel C«, also an der Ostseite des Altars, vor dem römischen Tempel, dem grie-
chischen Tempel aus der Zeit um 300 v. Chr. gerade entgegengesetzt. H. 0,20 m.
Pentelischer Marmor, also aus der Heimat der Söhne des Praxiteles. Abgebrochen
sind Hinterkopf, r. Seite des Schädels und hintere Hälfte des Halses. Bcstoßen sind
Nasenspitze und linke Seite der Unterlippe. Im Oberkopf ein Dübelloch, wohl für
einen Meniskos; im Hals ein ebensolches, wohl zum Einsetzen in eine bekleidete
Statue.
Stellt man den Kopf so, daß beide Dübellöcher senkrecht verlaufen, so ergibt
sich die richtige Haltung des Kopfes, nämlich ein wenig nach seiner rechten Seite
gedreht und geneigt und zugleich leicht zurückgelehnt (Taf.VI). Dies bestätigt der
Hals, der auf seiner linken Seite ganz gestreckt ist, so daß der Übergang vom Hals
zur Wange kaum merklich ist. Dagegen ist rechts eine deutliche Beugung des Kop-
fes zum Hals, und die Halsmuskeln sind geschwollen. Die Drehung des Kopfes nach
rechts wird dadurch bekräftigt, daß der Scheitel der Haare nach der rechten Seite
zu verschoben ist und daß die Haare rechts oben wenig bearbeitet sind. Die Nach-
richt über das Alexander-Porträt des Lysipp, an dem der Hals nach der linken Seite
■) Herzog, Österr. Jahreshefte VI 1903, 218 ff. Fig. 118, Arch. Anz. XVIII 1903, 3 Abb. 2, XX
1905, 7 f. Abb, 2.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
245
gestreckt und außerdem leicht geneigt und gedreht war >), kann durch das Köpfchen
anschaulich gemacht werden.
Die Haare sind gescheitelt, von einem Band umfaßt, zur Seite und von den
Schläfen aus in weichen Massen über das Band und den oberen Teil der Ohren nach
hmten gestrichen. Sie liefen ursprünglich wohl in einem tief sitzenden Schopf am
Hinterkopf zusammen. Die kleinen zierlichen Ohren sitzen auffallend tief. Die Stirn
ist dreieckig. Die Augen sind länglich, schmal, wenig eingesenkt, mit relativ breiten
Unterlidern. Die Nasenwurzel setzt sich nur mit einer kaum merklichen Senkung
von der Stirn ab. Der Nasenrücken ist
gerade. Die Nüstern sind klein und fein
gezeichnet. Der schmale Mund hat eine
leicht vorstehende, kurze, etwas geho-
bene Oberlippe. Das Kinn ist zierlich
rund. Die Wangen sind fein gewölbt.
Es. ist ein vornehmes, zartes Mädchen-
gesicht mit reinem, unschuldigem Aus-
druck, ohne jede Süßlichkeit oder Sen-
timentalität.
Die Deutung kann nur die auf eine
Töchter des Asklepios sein. Welchen
Namen wir wählen sollen, wird wohl
nie zu entscheiden sein. Der Schwur
aus dem hippokratischen Corpus (Herzog,
Kölsche Forschungen 202) nennt nur
Hygieia und Panakeia, Herondas Mimi-
ambus IV 5 —6 nach diesen noch Epione
und laso, freilich v. II auch noch andere
Göttinnen, die neben Asklepios und
den männlichen Göttern den Altar be-
wohnen.
2. Fragment eines weiblichen Kopfes (Abb. i). Gefunden am 18. September
1903, also einen Tag später als Nr. i, bei Abtragung einer modernen Zisterne vor
der Terrassenmauer unterhalb der Treppe von der mittleren zur unteren Terrasse,
also direkt nördlich unterhalb des Altars. Pentelischer Marmor. Erhalten nur flaches
Segment der rechten Kopfseite mit Haaren und angrenzenden Teilen von Schläfe,
Wange, Hals. Der rechte Augenwinkel ist gerade noch erkennbar. H. 0,155 "i. Im
Hals Dübelloch, in dessen Richtung das Fragment abgesplittert ist. Der Eisenrest
im Haar oberhalb der Schläfe ist nur zufällig angeklebt.
Der Kopf scheint nach seiner linken Seite gewandt gewesen zu sein. Die Haare
sind offenbar nicht gescheitelt, sondern in horizontaler Richtung gerade nach hin-
Abb. I. Fragment eines Mädchenkopfes aus Kos.
•) Plutarch, De Alex. fort, seu virt. II 2. Vit. Alex. 4.
Schreiber, Studien über das Bildnis Alexanders
des Großen, Abh. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1903,
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX 1923/24.
9 ff . u. 212 ff. Waldhauer, Über einige Porträts
Alexanders 5 ff. BernouUi, Bildnisse Alexanders
des Großen 16 ff.
'7
2^6 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
ten und über die Ohren gestrichen. Ein Band fehlt. Die Haare steigen am Nacken
empor und lassen hier kleine Löckclien frei, die am Kopf Nr. i verdeckt sind. Der
Schopf saß also höher als dort. Wahrscheinlich stammt der Rest von einer
zweiten Asklepiostochter. Diese werden auf attischen Votivreliefs aus dem As-
klepieion von Athen immer als zarte Mädchen gebildet ').
3. Unterteil einer Frau mit Mantel um die Beine (Taf. VII links). Gefunden
am gleichen Tag und im Schutt derselben Zisterne wie Nr. 2. H. 0,55 m. Der linke
Fuß wurde besonders gefunden und später angesetzt. Plinthenränder und Zehen
abgebrochen. Knie und Falten darunter abgesplittert. Es fehlt der Oberkörper
bis zum Nabel.
Jugendliche Körperformen. Rechtes Standbein mit herausgebogener Hüfte.
Linkes Spielbein leicht gebeugt und zur Seite gestellt. Der Fuß ist mit einer Sandale
bekleidet. Die Figur war leicht nach ihrer linken Seite gelehnt. Ein Mantel umgibt
die Beine derart, daß die rechte Hüfte frei bleibt. Der obere Rand ist richtig ein-
gerollt und steigt ziemlich steil nach der linken Seite empor. Die Enden wallen in
breiten Faltenlagen neben dem linken Bein herab und liegen außerhalb des Fußes
auf dem Boden auf. Der untere Rand des Mantels liegt breit auf dem rechten Fuß-
rücken auf, während er oberhalb des linken Fußes so emporgezogen ist, daß dieser
bis zum Knöchel frei bleibt. Der Drapierung folgend steigen die Falten von der
Außenseite des rechten Beins etwa parallel, aber in verschieden tiefen und r^ich
modellierten Lagen nach oben schräg empor, im oberen Teil zum Wulst, im unte-
ren zum linken Knie. Zwischen den Beinen bilden sie steile, leicht gebogene, tiefe
Buchten. Am Spielbein liegen flache, ähnlich steil geführte Falten am Ober- wie
am Unterschenkel an. Vom Knie hing eine breite kräftige Falte herab, und wulstige
Falten legen sich in die Kniekehle.
Herzog glaubte bei der Auffändung, eine Aphrodite- Statuette »vielleicht nach
der koischen Aphrodite des Praxiteles« vor sich zu haben. Er hielt den Torso ferner
für vielleicht zu dem am Tage vorher gefundenen Mädchenkopf Nr. i für zugehörig.
Die Deutung auf Aphrodite wird das Richtige treffen. Aphrodite wurde im Askle-
pieion von Kos verehrt 2). Sie wird sehr häufig mit ähnlich unterwärts umgeschla-
genem Mantel dargestellt, z.B. in den praxitelischen Aphroditen von Arles und Ostia 3)
und in den hellenistischen Torsen in Wien Nr. 370 4), in Sammlung Torlonia Nr. 253,
aus Hypate, aus Alexandrien, aus Kreta im Louvre, in Delos 5). Ein weiteres Bei-
spiel stammt ebenfalls aus Kos und befindet sich nach Notizen Kurt Müllers in Kon-
stantinopel«). Diese Statuette stützt sich ebenso wie die meisten genannten auf
') Vgl. z. B. Arndt-.\melung, Einzelverkauf Nr. Bruckmann, Denkmäler griech. u. röm. Skulptur
1221. Svoronos, Athener Nationalmuseum 259 ff. Taf. 296. Michon, Mon. PiotXXI 1914, 13 fl. Pl.II.
Taf. XXXIV— V Nr. 1340—1, 1346, 1348, Pomtow, J. d. I. XXXVII 1922, iiof.
'402- 4) Wien. Inv.-Nr. 370. Standnummer 170. H. o,6im.
') Herzog, .\rch. Anz. XVIII 1903, 197 u. XX Schneider, Arch. Anz. VI 1891, 174 Nr. 24.
'905i 12. 5) Reinach, Repertoire de la statuaire I 341, 4,
3) Furtwängler, Meisterwerke 547 ff. Fig. 102—103. H 1, 334, 3, 5 u. 6, 335. 1—3, IV 203, 1.
Klein, Praxiteles 293 ff. Fig. 52. Bulle, Schöner «) H. 0,24 m. Es fehlen der Oberkörper vom Nabel
Mensch 343 fl. Taf. 159—160, Abb. 876. Brunn- an und beide Füße. Die für die Skulpturen sehr
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 247
einen links von ihr stehenden Pfeiler, der an der Altarfigur offenbar nicht vorhanden
war. Die Deutung aller dieser Frauen auf Aphrodite wird durch eine forrnal wie
stilistisch der Figur Nr. 3 besonders ähnliche Terrakotta aus Pricnc ') bestätigt.
Der Pfeiler, auf den diese anmutige Frau sich stützt, trug ein kleines Idol, wie es so
oft als Stützfigur gerade für Aphrodite dient. Die Statuette Nr. 3 stellte also wohl
die Liebesgöttin dar und gehörte zu den von Herondas v. Ii genannten neben der
Familie des Asklepios am Altar verehrten Göttinnen. Die weiblichen Angehörigen
des Heilgotts sind wenigstens auf Reliefs immer voll bekleidet. Zu solchen voll-
ständig bekleideten Statuen gehören sowohl der Mädchenkopf Nr. i, wie das mit
dem Torso gleichzeitig gefundene Fragment Nr. 2 nach Ausweis der Dübellöcher,
da man bei nacktem Oberkörper diesen und die Köpfe aus einem Stück gearbeitet
hätte. Ebenso war die Aphrodite des Praxiteles in Kos velata specie, sittsam lund
streng in das Gewand gehüllt^). Damit erledigen sich — wie Herzog selbt ein-
gesehen hat • — die weiteren, sonst so naheliegenden Kombinationen Herzogs.
Nach den Parallelen und dem steilen Faltenzug nach
links oben kann das Gewand der Figur Nr. 3 kaum
noch linke Schulter und Oberarm bedeckt haben. Es
scheint vielmehr nur über den linken Unterarm nach
außen herübergeschlagen gewesen zu sein.
4. Rechte Kinderhand auf Gewand (Abb. 2). Kos,
Inv. Nr. 39. Gefunden neben dem Altar. Nach Herzogs
Aufzeichnungen ist neben dem Gewand »anscheinend
die bloße Brust einer Frau sichtbar«. Wenn das richtig
ist, so ist neben der Kinderhand die Schulter der Frau, Abb. 2. Kinderhand auf Schulter
und CS muß das Kind auf dem Arm der Frau gesessen '"■»" F'''" »"^ ^°'-
haben. Auf dem Boden stehend könnte es nicht so hoch
cmporgelangt liabcn. Man müßte also, wenn man es nicht auf den Arm setzen will,
es auf einen Pfeiler oder eine andere Erhöhung stellen. In diesem Fall würde es aber
dem Beschauer seine Rückseite zugekehrt haben, da die Hand ihren Rücken nacli
außen wendet. Ich glaubte daher zuerst, daß ein linker Arm mit Gewand von hinten
dargestellt sei und daß ein links neben der erwachsenen Figur stehendes Kind von
hinten nach diesem faßte, also etwa so wie der Eros neben der Aphrodite im Louvrc
(Fröhner 151), die ein später Namensvetter des Praxiteles gearbeitet hat und die
Furtwängler mit Unrecht mit der kölschen Aphrodite des großen Meisters identi-
fizieren wollte 3). Hier greift Eros mit der rechten Hand, deren Fläche nach vorn
gerichtet ist, in die herabhängenden Falten des Mäntelchens der Mutter. Wahr-
scheinlich und hoffentlich ist Herzogs Bestimmung richtig. Es ergibt sich dann das Re-
sultat, das fast zu schön ist, um wahr zu sein, daß die Söhne des Praxiteles das von
spärlichen Notizen Professor Müllers über die ■) Winnefeld bei Wiegand-Schrader, Priene 370 ff.
Einzelfunde von Kos wurden mir, nachdem er Abb. 466.
auf die von 5 Jahren übernommene Bearbeitung ') Vgl. Bieber, Zeitschr. f. Numismatik XXXIV
verzichtet hatte, von Professor Herzog übergeben. 1923, 315 ff.
3) Furtwängler, Meisterwerke 552 f. Fig. 104. Vgl. Bieber a.a.O. 316 f.
17*
248
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
ihrem Großvater in der Eirene, von ihrem Vater im Hermes behandelte Problem
der Verbindung eines Erwachsenen mit einem Kinde zu einer geschlossenen Gruppe
übernommen haben. Das feste Zugreifen der kleinen Hand läßt ein ziemlich enges
Zusammenschließen von Träger und Getragenem vermuten. Welche kinderpflegende
Göttin gemeint ist, ist nicht zu sagen. Im Kreis des Asklepios ist eine Kurotrophos
nicht bezeugt, aber die häufige Widmung von Kinderbildnissen an Asklepios ') läßt
eine Einfügung einer solchen in sein Gefolge durchaus im Bereich der Möglichkeit
erscheinen. Vielleicht hatte eine der von Herondas genannten Töchter eine solche
spezielle Funktion. Svoronos ^) deutet die Terrakottagruppe einer sitzenden Frau
mit einem an ihre Knie geschmiegten Knaben — leider ohne jede Begründung —
auf Epione mit dem kleinen laniskos.
5. Linker Fuß mit flatterndem Gewandsaum (Abb. 3).
Gefunden am Altar. Kos, Inv. Nr. 6. H. 0,13, Fußlänge 0,13,
Fußbreite 0,065 m. Die drei ersten Zehen sind bestoßen. Hinten
glatte Fläche mit Eisendübel, also zum Ansetzen bestimmt.
Zarter, rundlicher, weiblicher Fuß, schräg vorgestreckt, die
Zehen frei schwebend, während die Ferse den Boden berührte.
Am wahrscheinlichsten von einem Akroter in Gestalt einer Nike,
in der Art, wie die Niken von EpidaurosS), die Nike auf Münzen
des Lysimachos 4) und die Nike auf einem Gipsabguß nach
frühptolemäischem Relief in HildesheimS). Wenn der Altar der
frühhellenistischen Zeit bereits die Form des späteren hatte, so
stand dieser Firstschmuck sicher auf einer seiner Ecken. Sonst
könnte er auch von dem Tempel stammen, für den die Figur
allerdings etwas klein wäre.
Die Zusammengehörigkeit dieser fünf Stücke ergibt sich
außer aus dem Fundort, östlich und nördlich unterhalb des zen-
tralen Altars, aus einigen weiteren Umständen. Der Maßstab ist bei allen der
gleiche, zwischen »/i und V3, also etwa 7/,2 Lebensgröße. Es ist ferner die Formen-
gebung an allen fünf Fragmenten die gleiche. Die Arbeit ist original, frisch, flott,
gelegentlich sogar flüchtig wie bei den flachen Falten am äußeren Teil des Ober-
schenkels von Nr. 3 oder an den weniger sichtbaren Teilen der Haare von Nr. i.
Die Formen des Nackten und des Gesichts sind rundlich, zart, fein durchmodelliert.
Die hervorstechenden Charakterzüge sind Anmut und Vornehmheit.
Es kann also kein Zweifel sein, daß die Reste von dem Altar stammen und iden-
tisch sind mit den von Herondas IV i ff. genannten Statuen von den Söhnen des
Praxiteles. Auch ohne diesen äußeren Anlaß hätte man die Fragmente sofort als
Abi). 3. Frauenfiiß
nus Kos.
') Vgl. Herondas IV 27 ff. Herzog, Österr. Jahresh.
VI 1903, 221 ff., bes. 224 Anm. 20, Svoronos,
Ephemeris 1909, 133 ff.; 1917, 78 ff.
') A.a.O. 1909, 149, Fig. 10.; vgl. 1917, 79 f.
3) Cavvadias, Fouilles d'ßpidaure PI. IX Nr. 15—17,
Ephemeris arch. 1885 PI. I. Stais, Marbres et
Bronzes du Mus6e d'Athenes 41 f. Nr. 159 — 161.
Lechat-Defrasse, Fonilles d'6pidaure 167 ff.
t) Lederer, Zeitschr. f. Numismatik XXXIII 1922,
196 Taf.VII 4.
5) Rubensohn, Hellenistisches Silbergerät 62 f.
Nr. 47 Taf. XII.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 24Q
Werke der praxitelischen Schule oder auch als früheste Beispiele der nach Amelung
sogenannten alexandrinischen Bildwerke ') erkennen können. Man kann ihre genaue
kunstgeschichtliche Stellung dahin präzisieren, daß sie in der Mitte zwischen den
Werken des Praxiteles und diesen frühhellenistischen Skulpturen stehen. Der Weg
von der Aphrodite zu Petworth 2) zu einem Hauptstück der frühhellenistischen Kunst
wie dem Kopf aus Chios 3) in Boston führt über den Kopf Nr. i. Von dem Kopf der
knidischen Aphrodite 4) bis zu den »alexandrinischen« oft süßlichen Köpfchen Ame-
lungs 5) geht die Entwicklung Schritt für Schritt von noch festen Formen zu immer
weicheren, gelösteren, zarteren über diesen Weg, in dessen genauer Mitte die Koer
Köpfe Nr. 1—2 stehen. Sie haben nicht mehr die Bestimmtheit, auch nicht die Größe
des Praxiteles, aber bei aller Zartheit der Übergänge in den Gesichtsformen und bei
duftigster Haarbehandlung noch nicht die verschwommene impressionistische Mo-
dellierung der hellenistischen Köpfe, wie sie z. B. in größerer Anzahl sich aus der
noch unveröffentlichten Sammlung Sieglin in Dresden, Stuttgart und Tübingen be-
finden. Sie bewahren praxitelische Weichheit und Anmut noch ohne die Verflauung
und Verweichlichung der von Amelung zuerst behandelten und der aus Alexandrien
stammenden Köpfe. Der Ausdruck der Augen ist weniger bedeutend als bei Praxi-
teles, aber ebenso offen, mild und freundlich wie bei diesem, und noch nicht schmach-
tend oder träumerisch wie bei späteren Köpfen. Zu diesem Ausdruck trägt die Hal-
tung der Köpfe bei. Sie ist bei Nr. i zwar bewegter und komplizierter als bei den
Aphroditen von Knidos, Arles und Petworth, aber lange nicht so kokett und affek-
tiert wie etwa bei dem Kopf in Neapel ^) oder an hellenistischen Statuetten von
Priene, die Winnefeld mit Recht von praxitelischer Kunst herleitet 7).
Dieselbe Zwischenstellung ergibt sich für das Gewand der Fragmente 3—5-
Die Behandlung des Mantels an Nr. 3 steht in der Mitte zwischen der an der Aphro-
dite von Arles, die ihm gegenüber nüchtern, großzügig, sachlich, einfach wirkt, und
den aufgelockerten, naturalistischen Draperien frühhellenistischer Statuen wie
etwa dem Mädchen von Antium ^), von späteren Statuen mit ihrem aufgeregten
Faltenspiel gar nicht zu reden. Von der Harmonie zwischen Naturstudie und künst-
lerischer Disposition, die das Gewand des Hermes von Olympia so eigenartig macht,
ist der Torso Nr. 3 bereits weit entfernt; doch übertrifft er in der zweckmäßigen
klaren Anordnung der verschieden hohen Falten alle späteren hellenissischen Werke,
einschließlich der so ähnlich drapierten oben genannten Torsen und der Statuette
von Priene 9). Die Falten sind an Nr. 3 wie an Nr. 4—5 bewegter und tiefer als in
') Amelung, Bulletino comunale XXV 1897, iioff. 4) Ant. Denkra. I Taf. 41. Bulle a. a. 0. 533 f.
2) Furtwängler, Meisterwerke 640 ff. Taf. XXXI. Taf. 254.
Klein, Praxiteles 278 ff. Fig. 42— 43. Bulle, 5) Vgl. Anm. i. Dazu Arndt-Amelung E. V.
Schöner Mensch 537, Taf. 256. Dickens, Annual Nr. 896, 905, 2026, 242S— 9, 2450—1.
of the British School XXI 1914— 15, 4 f. PI. II 2. (■) Amelung a. a. 0. 130 Fig. 10.
3) Marshall, J. d. I. XXIV 1909, 73 ff. Ant. 7) Winnefeld bei Wiegand-Schrader, Priene 367 ff.
Denkm. d. Inst. II Taf. 59. Bulle, Schöner Fig. 461—466.
Mensch' 537 f. Taf. 257. Dickens, Annual of thc ^) Arndt-Brunn-Br. Taf. 583—4. Bulle 287 ff.
British School XXI 1914— 15, 2 u. 4 f. PI. III 2. Abb. 68, Taf. 136. Helbig-Amelung, Führer
durch Rom 3 Nr. 1352. 9) Vgl. S. 246 Anm. 4 — 6 u. S. 247 Anra. i.
j.Q Matrgarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
der klassischen, ruhiger als in der ausgebildeten hellenistischen Kunst. In der Ent-
blößung der rechten Hüfte an Nr. 3 und der wirkungsvollen Umrahmung des nackten
Körpers an Nr. 3 und 4 durch einen dicken Wulst ist dieselbe Zwischenstellung
schon äußerlich in der zwar rundlichen, aber noch nicht übertrieben plastisch her-
austretenden Form des Wulstes zu erkennen. Das Flattern des Gesamtsaums am Bein
von Nr. 5 ist ebenfalls in die Mitte zwischen ähnlichen Motiven der klassischen Ni-
ken von Epidauros ') und der hellenistischen Nike von Samothrake ^) anzusetzen.
Daß auch die Stellung des Kindes in Fragment Nr. 4 einen Übergang bildete von der
losen Verbindung des kleinen Dionysos auf dem Arm des praxitelischen Hermes
mit seinem Träger zu einer festeren hellenistischen Gruppenbildung, können wir nur
noch ahnen.
Dank Herzogs Funden haben wir also jetzt eine feste Basis, auf der wir unsere
Vorstellung von der Kunstweise der Söhne des Praxiteles aufbauen können. Es er-
gibt sich eine überraschende Übereinstimmung mit der Nachricht des Plinius 3),
daß Kephisodot der Erbe der Kunst seines Vaters gewesen ist. Da Timarchos, doch
wohl der jüngere und unselbständigere der beiden Söhne des Praxiteles, mit Aus-
nahme einer späten römischen Inschrift 4) immer nur als Mitarbeiter des Bruders
signiert hat oder genannt wird 5), so kann auch sein Stil von dem des Kephisodot
sich höchstens der Qualität, nicht dem Wesen nach unterschieden haben. Für Über-
einstimmung des Stils beider mit dem ihres Vaters spricht die Tatsache, daß sie von
Herondas, Plutarch und Pausanias nicht mit ihrem Namen, sondern nur als Söhne
des Praxiteles bezeichnet werden. Sie haben also gewiß das Atelier ihres Vaters in
gleichem Sinne weitergeführt. Die Koer Fragmente bezeugen nun, daß die Söhne
echte Erben der väterlichen Kunst waren. Sie sind nicht nur Träger, sondern Ver-
breiter und Verdeutlichcr der nicht ganz leicht faßlichen Kunst ihres Vaters. In-
dem sie in dem mit Alexandrien eng verbundenen Kos, im neuen Heiligtum
des Asklepios die berühmten, von Herondas so hoch gepriesenen Altarskulpturen
schufen, gaben sie den Anstoß zu der Ausbreitung, allerdings auch zur allmählichen
Verflachung und Verfiauung der »nachpraxitelischen«, impressionistischen, früh-
hellenistischen Kunst, deren Hauptbeispiele sich im wesentlichen im Kulturgebiet
von Alexandrien gefunden haben *). Die Söhne haben die feine, geniale, individuelle
Kunst ihres Vaters in eine etwas greifbarere, prosaischere, daher lehrbare und leichter
■) Vgl. S. 248 Anm. 3. Nr. 491 : [op]us Tim[a]rchi. Sie ist zusammen
») Benndorf, Arch. Untersuchungen auf Samothrake mit einer Basis, die die Inschrift opus Polyclit[i]
II 55 ff. Taf. 64, Studniczka, Siegesgöttin 23 ff. trägt, bei der Basilica Julia in Rom gefunden.
Taf. XI. Klein, Gesch. d. griech. Kunst III Sie stimmt außer mit dieser in der Form auch
288 ff. Brunn-Br. Taf. 85. Lippold, R. M. XXXIII überein mit einer Basis aus Rom, die die Inschrift
1918, 94 ff. Kleins und Lippolds Datierung in opus PraxiteHs trägt. Loewy a.a.O. Nr. 489—
späthcUenistische Zeit zurückgewiesen von Sieve- 490.
king, Sitzungsber. Münchencr Ak. 1920, 11. Abh. 5) Overbeck, Schriftquellen Nr. 1333— 1337. Loewy
15 Anm. 2. a. a. 0. Nr. :o8— lio. Er hat an 7 Werken des
3) Plmius XXXVI 24 Praxitelis f^lius Ccphisodotus Bruders teilgenommen. Vgl. Lippold bei Pauly-
et arlis heres fuit. Wissowa, Rcalencyclopädie XI i, 235 ff. Nr. 1—7.
<) Loewy, Inschriften griechischer Bildhauer 321 ^j Vgl. Marshall, J. d. L XXIV 1909, 83 {. Anm. 6.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
251
nachzuahmende Formensprache umgesetzt und so den Nachahmern praxitelischer
Kunst aller Zeiten vorgearbeitet. Sie haben als erste die klare Anmut und einfache
Schönheit des Praxiteles schon leicht in der Richtung auf das spätere süßlichere
Ideal hellenistischer, römisch-klassizistischer und modern - klassizistischer Zeiten
umgebildet. Auch der hellenistische Verismus beginnt sich, wieder in Überein-
stimmung mit Plinius ') schon an den Koer Fragmenten, besonders in der Bildung
des Gewandes, wenn auch nur ganz leise, zu zeigen.
II. Verwandte Bildwerke in Kos.
Als Salomon Reinach im Jahre 1882 einen feinen Ephebenkopf aus Kos ver-
öffentlichte, brachte er ihn mit einer lokalen Schule in Verbindung, die sich in Kos
am Ende des IV. Jahrhunderts v. Chr. unter dem Einfluß des Praxiteles gebildet
habe ^). Paton verglich zu dem Kopf Nachrichten der antiken Schriftsteller über
die Schönheit der Jünglinge von Kos 3). An die Stelle von Praxiteles selbst treten
jetzt seine Söhne. Man kann sich wohl denken, daß sie, die außer der idealen Rich-
tung ihres Vaters auch die Porträtbildncrei pflegten, angeregt von der Schönheit
der Inselbewohner, neben der Arbeit am Altar eine Reihe weiterer Werke geschaffen
haben, z. B. Votivbilder für die Götter der Insel, die sie für sich selbst weihten oder
auch in Auftrag erhielten. Eine solche Weihegabe ist wohl sicher die folgende Sta-
tuette:
6. Statuette einer bekleideten Frau (Taf. VII rechts) 4). Gefunden am 7. Septem-
ber 1904 an der SW.-Ecke von Terrasse III im Asklepieion. Jetzt in Konstanti-
nopel. Im Gegensatz zu den Altarskulpturcn besteht die Figur aus großkristalli-
nischcm Inselmarmor, und der Maßstab ist etwas kleiner als dort. H. 0,635 m. Es
fehlen Kopf, oberer Teil des Rückens, Unterarme, Füße mit dreieckig nach der Mitte
ansteigendem unteren Stück des Gewandes. Linker Oberschenkel und der herab-
hängende Mantel sind bestoßen. Kopf mit Hals war eingelassen; beide Unterarme
waren mittelst Dübellöcher an die glatten Schnittflächen im Ellbogen angesetzt.
An der Vorderseite der linken Schulter befindet sich innerhalb einer bestoßenen
Stelle ein kleines rundes Loch.
Die Frau trägt einen geschlossenen Peplos mit kurzem Überschlag und Bausch.
Darunter wird nur am rechten Arm ein Chiton sichtbar. Ein Mantel lag über dem
Kopf und hängt im Rücken bis zur Mitte des Unterschenkels herab. Zwei Ecken
mit Hängegewichten sind links vorn auf der Hüfte zwischen Apoptygma und Kol-
pos, hinten neben der Wade sichtbar. Die obere Ecke hängt von der Hnken Schulter
') Plinius XXXVII 24 Praxitelis filius Ccphiso- Villefosse, Mon. Piot I 72 Anra. Nr. 6. Craw-
dotus . . . laudatum est Pergarai symplegma ford, Memoirs of the American Academy of Rome
nobile digitis corpori verius quam marmori im- I 1916, 103 u. 112 Nr. 40.
pressis. ') Paton-Hicks, Inscriptions of Cos XI.
>) Salomon Reinach, Bulletin de corr. hell. VII <) Kos Inv. Nr. 240. Herzog, Arch. Anz. XX 1905,
1882, 467 ff. PI. II. LouvreNr. 2112. Hörende 10. Mendel, Catalogue des sculptures, Musees
ottomancs III 35 Nr. 832. Mus. Nr. 1556.
2e2 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
herab, von der der Zipfel in Zickzackfalten herabfällt. Linke Schulter und Arm
sind ganz verhüllt. Rechts ist der Mantel über Schulter und halben äußeren Ober-
arm gezogen. Das linke Bein ist leicht gebeugt nach auswärts und rückwärts gesetzt.
Beide Unterarme waren vorgestreckt. Die rechte Schulter steht tiefer als die linke.
Die rechte Hand war offenbar weniger belastet als die linke. Sie hielt wohl ein leich-
tes Attribut, etwa eine Schale. Im linken Arm muß dagegen ein größerer Gegenstand
gelegen haben, der in dem Bohrloch vor der Schulter befestigt war. Es könnte ein
Füllhorn, eine Fackel oder eine sich emporringelnde Schlange gewesen sein. Je
nachdem wäre eine Tyche, Demeter, Kora oder eine Hygieia dargestellt gewesen.
Der Fundort läßt die letztere Benennung als die wahrscheinlichste erscheinen.
Die Tracht gibt keinen Anhalt, da Hygieia sowohl im Peplos wie im Chiton
ohne festen Typus erscheint, z. B. in beiden in Epidauros, wo die Deutung durch
die sie umwindenden Schlangen gesichert ist ').
Die Arbeit ist etwas flüchtig, aber ziemlich gut und der der Altarskulp-
turen verwandt, z. B. in der Behandlung der Falten am Spielbein und der daneben
frei herabhängenden Falten. Wie diese macht sie den Eindruck eines frühhellcni-
stischen Originals. Der Bohrer ist maßvoll, hauptsächlich für die Steilfalten am
Peplos verwendet.
Die Entwicklung der Darstellung einer ruhig stehenden Frau im Peplos ist
von Kekule ^) anfangend von der Sterope im Ostgiebel des Zeustempels von Olympia
bis zu den Koren vom Erechtheion verfolgt worden. Dasselbe Thema behandelt
Furtwängler 3) von er. 450 v. Chr. bis in die Zeit des Praxiteles herein. Die Koer
Statue gehört einer jüngeren Zeit an. Zwar erinnert sie auf den ersten Blick an die
Eirene des älteren Kephisodot 4), ja sie macht sogar einen eher älteren Eindruck,
weil die Steilfalten vor dem rechten Bein und die Falten des Kolpos ziemlich ein-
fach und untereinander gleichartig gebildet sind. Dieser Schein trügt jedoch. Die
Proportionen sind bedeutend schlanker. Der Oberkörper ist im Verhältnis zum Un-
terkörper niedrig und schmal. Die Falten rechts außerhalb des Standbeins und links
neben dem Oberkörper schieben sich ganz in späterer Weise übereinander. Die beste
und bedeutungsvollste Parallele zu der Koer »Hygieia« bietet die Leto nach dem Werk
des jüngeren Kephisodot auf der Basis von Sorrent 5). Hier wie dort finden sich der
) Stais, Ephemeris 1886, 249 f. Pin. 11, 1 u. 3. 5) Plinius XXXVI 24. Heydemann, R. M. IV
) Kekule, Kopien einer Frauenstatue aus der Zeit 1889, Taf. X a. Hülsen ib. IX 1894, 240 ff.
des Phidias, 57. Berliner Winckelmannsprogr. Amelung ib. XV 1900, 198 ff. und Ausonia III
1897, 17 f. 1908, 94 f. Fig. I (hier irrtümlich als Werk beider
3) Furtwängler, Originalstatuen in Venedig, Abhdl. Söhne des Praxiteles bezeichnet, während
. d. ba>T. Akad. d. Wiss. i. Kl. XXI 2, 1898,18 Plinius nur von Kephisodot spricht). Arndt-
(resp. 292) ff. Amelung E. V. Nr. 544. Lippold, Kopien und
■t) Furtwängler, Beschreibung der Glyptothek Nr. Umbildungen griech. Statuen 227. Mirone, Revue
219. Brunn-Br. Taf. 43. Klein, Praxiteles 83 ff. arch. 1922, 310 ff. Die Statue befand sich
undGeschichted. griech. Kunst II 240 ff. Ducati, bekanntlich später im Tempel des ApoUon auf
Revue archcol. 1906 I III ff. Amelung, Arch. dem Palatin neben dem Apoll des Skopas und
.\nz. XXXIV 191 9, 50 f. Mirone, Revue archcol. der Artemis des Timotheos. ProperzIIl3i, I5f.
XVI 1922, 274 ff.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 2?^
gleiche kurze Oberkörper, die gleiche schmale Brust mit kräftigen Brüsten, die brei-
ten Hüften, die kleinen gleichmäßig gezeichneten Falten des Bauschs, ähnliche An-
ordnung des Mantels, ähnliche Faltenzüge unter den Brüsten und ähnliches Aus-
breiten des Mantels nach der Seite. Die Unterarme der Koer Statuette scheinen
nach den auswärts gekehrten Schnittflächen ähnlich wie bei der Leto nach den Sei-
ten ausgebreitet gewesen zu sein. Noch ähnlicher ist die Drapierung des Peplos
bei der Leto auf einem Weihrelief aus Larissa in Athen '). Hier kehren auch die
Bogenfalten zwischen den Brüsten wieder, die teilweise mit tütenförmigen Endi-
gungen in der Mitte gegeneinander laufen.
Etwa in der Mitte zwischen der Eirene des älteren Kephisodot und der früh-
hellenistischen Peplosstatuette in Kos stehen sowohl zeitlich wie stilistisch die Frau
mit Kind in Athen 2) und die nach den mitgefundenen Statuen von Apoll und Artemis
auf Leto zu deutende Statue aus dem Theater von Delos 3), die wie mir scheint bis-
her etwas zu nahe an das Werk des älteren Kephisodot angeschlossen wurden. Die
Peplosstatue aus Halikarnass 4) steht zeitlich der Koer Statuette noch näher, ist
aber stilistisch völlig von ihr verschieden. Sie kann dazu dienen zu zeigen, wie die
Söhne des Praxiteles von dem neuen Gewandstil mit der starken Oberflächenbe-
wegung des Stoffes, der sich in Kleinasicn heranbildete und den wir aus Halikar-
nass, Ephesos und Prienc kennen, gänzlich unberührt blieben. Während diese ma-
terialistische Gewandbehandlung in Pergamon zu höchster Virtuosität und täuschen-
der Wiedergabe des Gewandstoffes ausgebildet wurde 5), hat die schlichtere »klassi-
schere«, idealere Auffassung der Söhne des Praxiteles sehr wenig Nachfolge im Helle-
nismus gefunden. Sehr nahe verwandt in Peplosform, Mantelanordnung und Pro-
portionen scheint mir nur ein Statuetten-Torso aus Milet im Berliner Museum Nr.
1678, der aus pentelischem Marmor besteht. Der rechte Arm scheint ähnlich bewegt
gewesen zu sein wie an der Koer Figur. Erst in römischer Zeit finden sich wieder zahl-
reichere ähnliche »klassizistische« Peplosfiguren, z. B. die Statuetten von der Agora
in Thera*) oder die beiden Statuen der Nemesis-Tyche vom Stadion-Eingang in
Olympia 7) .
Diese kurze Übersicht bestätigt nochmals, daß Kephisodot, entsprechend
der Nachricht des Plinius, der Erbe der Kunst seines Vaters ist, so daß er, obwohl
er im hellenistischen Zeitalter lebt, sachlich in mancher Hinsicht noch der klassi-
schen Kunst angehört. Fortgeschrittener erscheint er dagegen in der Bildung der
Köpfe, zu denen wohl auch der folgende zu zählen ist.
«) Athen Nat.-Mus. Nr. 1380. Kuruniotis, Ephe- 4) Michon, Bull. corr. hell. XVII 1893, 410 ff.
meris 1900, 18 PI. 2, 3. Arndt-Amelung E. V. PI. XVI. Phot. Alinari Nr. 22598.
Nr. 125:. Hartwig, Bendis 8 f. Fig. 2. 5) Vgl. z.B. die Frau im Peplos, Winter, Skulp-
») Arndt-Amelung E. V. Nr. 707. Athen. Nat.-Mus. turen von Pergamon I 47 f. Nr. 26, Beibl. 4.
Nr. 1631. Sybel Nr. 589. ^) Hiller von Gaertringen, Thcra III 131 Fig. 112.
3) Mayence et Leroux, Bull. corr. hell. XXXI 1907, 7) Skulpturen von Olympia III 237 f. Taf. 59, 2—3.
400 ff. Fig. 7. Vgl. auch Furtwängler, Sammlung Somz^e 12 f.
Abb. 14.
254
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
7. Weiblicher Kopf (Abb. 4). Gefunden am 12. Oktober 1903 auf Terrasse III
im Asklepieion. Jetzt in Konstantinopel '). H. 0,23 m. Der Maßstab ist also etwas
größer als an den Altarskulpturen und beträgt etwa dreiviertel Lebensgröße. Der
Marmor ist weiß und großkristallinisch, stammt also wohl von den Inseln. Es fehlt
der Hinterkopf, der ohne Dübelloch an eine glatt abgearbeitete Fläche angesetzt
war. Eine ebensolche glatte Fläche befindet sich an der rechten Seite des Ober-
kopfs. Wahrscheinlich waren die fehlenden Teile in Stuck ausgeführt, wie es vor
allem in Alexandrien so häufig vor-
kam ^). Nase und Lippen sind ab-
gestoßen. Rechts vom Scheitel ober-
halb des rechten Auges befindet
sich ein Zapfenloch, das wohl nicht,
wie Mendel annimmt, für das feh-
lende Kopfsegment bestimmt ist,
sondern zur Befestigung eines Me-
niskos diente. Ist dies der Fall, so
muß der Kopf ziemlich stark nach
seiner linken Seite geneigt werden,
wodurch er eine ähnliche, nur ent-
gegengesetzte Haltung bekommen
würde wie Nr. I. Die Anordnung
der von einem Band umgebenen
Haare, der weiche Haaransatz, das
elegante Oval des Gesichts, die fein
gezeichneten Augen mit ihrem zart
empfundenen Ausdruck, der leicht
geöffnete Mund, die hohe Stirn,
das lange Mittelgcsicht, das relativ
kurze Kinn entsprechen völlig dem
Kopf Nr. I. Die Arbeit ist nur
etwas weniger gut und härter als
dort. Mundspalte und Nasenlöcher
sind mit dem Bohrer ausgeführt.
Trotzdem ist es eine sichere frühhellenistische Original-Arbeit und wohl wie Nr. 6
als Nebenarbeit der Söhne des Praxiteles aus der Zeit ihrer Tätigkeit am Altar des
Asklepieions zu verstehen.
Dagegen lehren uns drei weitere in Kos gefundene Köpfe, wie sich nun hier
im Anschluß an die Kunst von Kephisodot und Timarchos die von Amelung behan-
delte »alexandrinische« Richtung herausgebildet hat.
Abb. 4. Frauenkopf aus Kos in Konstantinopel.
') Inv. Kos Nr. 50. Herzog, Arch. Anz. XVIII '-) Vgl. Sicveking zu Brunn-Br. Taf. 605 und Ame-
1903, 196 1. unten und r. oben. Mendel, Cat. des lung, Ausonia III 190S, 115 ff. bes. Taf. III u.
sculptures II 129 Nr. 412. Mus. Nr. 1535. Abb. 18
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
255
8. Mädchenköpfchen (Abb. 5). Gefunden durch Herzog im Asklepieion. Jetzt
in Konstantinopel '). Weißer Marnior mit engem Korn und wenig Kristallen.
H. 0,14 m, also nur etwa halbe Lebensgröße. Es fehlt die Nase. Oberkopf, rechtes
Auge, rechte Wange und Kinn sind bestoßen. Die gescheitelten Haare umrahmen
in welligen, vollen Strähnen die dreieckige Stirn. Sie sind seitlich um ein nicht sicht-
bares Band gelegt und hinten zu einem flachen Knoten zusammen genommen, aus
dem breite Strähnen auf den Rücken fallen. Hinter jedem Ohr fiel eine Locke auf
die Schulter. Das Gesicht zeigt ein derbes Oval, lange Wangen, weich gezeichnete
längliche schmale Augen, einen süßen Mund. Das Köpfchen gehört zu den von Ame-
lung und Marshall zusammengestellten frühhellenistischen »alexandrinischen« Köp-
fen, die, wie wir oben sahen, an die Kunst der Söhne des Praxiteles anschließen ^).
Besonders ähnlich sind der Kopf der Aphrodite- Statuette in Sammlung Spink3),
ein Köpfchen im Museum von Basel 4), ein Köpfchen aus Ägypten in Sammlung
Prinz Rupprecht zu München 5), ein Kopf aus
Gizeh in Dresden^), drei Athena-Köpfchen aus
Gips, gefunden in Memphis, jetzt in Hildesheim 7),
und einige Köpfe der unveröffentlichten Samm-
lung Sieglin in Dresden und Stuttgart. Diese
Gruppe zeigt die Anmut der praxitelischen
Schule nach »alcxandrinischer« Weise bereits
in der Richtung auf das Schwächliche und
Schmachtende hin umgebildet. Sie gehört der
zweiten Hälfte des HI. Jahrhunderts v. Chr. an.
9. Köpfchen auf einer weiblichen Statuette,
zu der er nicht gehört. Aus Kos, in München,
Sammlung Nauc ^). Der Kopf ist von Marshall 9)
richtig zu der von ihm zusammengestellten
Gruppe letzter Ausläufer praxitelischen Stils ge-
zogen worden, kleinen armseligen Werken, die alle Merkmale der zweitklassigen
Abb. 5. Mädclienkopf aus Kos in
Konstantinopel.
') Mendel, Cat. des sculptures II 125 Nr. 404.
Mus. Nr. 1534.
') Amelung, Bulletino comunale XXV 1897, 114 ff.,
Marshall, J. d. I. XXIV 1909, 83 f. Anra. 6.
Vgl. oben S. 249.
3) Salomon Reinach, Revue archeol. 1903 I 388 ff.
PI. VI.
4) Amelung a.a.O. 128 f. Fig. 8 u. 9. Arndt-
Amelung E. V. Nr. 899 — 900.
5) Arndt-Amelung E. V. Nr. 904.
') Treu, Arch. Anz. VI 1891, 25 Fig. 12. Herrmann,
Verzeichnis d. Original-Bildwerke zu Dresden
Nr. 137.
7) Rubensohn, Hellenistisches Silbergerät 72 f. Nr.
60-61, Taf.XVI u. 82 f. Nr. 78 Taf. XVII.
8) Arndt-AmelungE. V.Nr. 1043. Eduard Schmidt,
Auktions-Katalog Naue 1908, 17 Nr. 244, Taf.V.
Arndt hielt den Kopf für zugehörig, während
Schmidt dies, wie mir scheint mit Recht, be-
streitet. Der Torso ist nach ihm (a. a. O. i6
Nr. 242 und bei Valentin Kurt Müller, R.
M. XXXIV 1919, 86 Anm. 2, sowie freundliche
mündliche Belehrung) eine römische Arbeit nach
hellenistischem, archaisierendem Vorbild. Die
Proportionen mit schmaler hoher Brust und
starker Verbreiterung des Gewandes nach unten
erscheinen mir späthellenistisch. Sehr eigenartig
ist die Manteltracht, bei der beide Arme in den
Mantel gewickelt sind, ohne daß dieser die
Vorderseite des Körpers verdeckt (vgl. Valentin
Kurt Müller a.a.O. 86).
9) Marshall a. a. 0. 83 f. Anm. 6 Nr. 4.
256
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
Nachahmung und des Verfalls aufweisen. Einige weitere Beispiele gleicher flüchtiger,
verblasener, verschwimmender, flimmeriger Behandlung der Oberfläche bieten un-
veröffentlichte kleine Köpfe aus Alexandrien in der Sammlung Sieglin, jetzt teils
in Tübingen, teils in Stuttgart, z. B. eine dort befindliche ganz verweichlichte
Nachahmung der kapitolinischen
Venus.
10. Überlebensgroßer Frauen-
kopf (Abb. 6). Früher in der Stadt
Kos beim Demarchos Nikolaides.
H. 0,72 m. Gesichtslänge 0,36 m,
also etwa doppelte Lebensgröße.
Großkörniger weißer Marmor. Kinn,
Mund, Nase mitsamt der Partie
zwischen den Augen, 1. Braue und
Ränder der Ohren sind abgestoßen.
Der Hals war gebrochen. Ein Stück
Oberkopf und der Hinterkopf wa-
ren wie bei Nr. 7 besonders an-
gesetzt. Das gescheitelte Haar ist
von einem Band umgeben, das am
Scheitel ein rundes Loch für einen
Schmuckaufsatz hat. Man könnte
an eine Lotosblüte denken und
den Kopf auf Isis deuten. Jeden-
falls gehört er in die alexandrinische
Kunst, und zwar in ihr letztes
Stadium '). Die etwas affektierte
Haltung des gestreckten Halses und
des emporgerichteten und dabei
zugleich gegen die linke Schulter
geneigten und gedrehten Kopfes
kehrt an dem schönsten Frauen-
kopf dieser Richtung im Museum
von Alexandrien wieder, der bisher
nur in einem populären Buch gut
abgebildet ist ^). Der Koer Kopf wirkt wie eine schlechte, im Gegensinn gearbeitete
Nachahmung. Bei aller Ähnlichkeit auch in den Formen von Stirn, Wangen Kinn
und aufblickenden Augen fehlt ihm das sfumato und die morbidezza des echten
alexandrinischen Kopfes. Das Haar ist ähnlich gleichförmig mit dem Bohrer ge-
arbeitet wie an der Dichterin oder Muse, die Amelung als Kopienach einem alexan-
■) Adelung a. a. O. 138 ff. ^y^ Seemann Nr. 30 556. Kleh^e Abb. bei Breccia,
) Waldmann, Griechische Originale Nr. 177. Licht- Alexandrea ad Aegyptura 1922, „5 Fig. 48;
vgl. 177 £. Nr. 20.
Abb. 6. Frauenkopf aus Kos.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
257
drinischen Original bestimmt hat •). Der Kopf in Kos ist nicht nur schlechter er-
halten, sondern auch noch schlechter und härter gearbeitet als der römische Kopf.
Nur Haltung und Umrisse lassen noch das weiche Vorbild ahnen. Zu bedenken
ist, daß der Künstler bei dem großen Maßstab auf Fernwirkung arbeiten und ver-
schwimmende Formen meiden mußte.
Wir lernen also auf Kos originale Werke der Söhne des Praxiteles und die
Weiterwirkung ihres Stils bis zum Ausleben und Verfall dieser von Praxiteles be-
gonnenen Richtung kennen. Die erhaltenen Koer Originale sind sämtlich stark
fragmentiert. Wir müssen also, um die Kunst des jüngeren Kephisodot und seines
Bruders genauer kennen zu lernen, in unserem Denkmälervorrat nach vollständigen,
stilistisch verwandten Werken aus anderen Fundorten suchen.
III. Sonstige verwandte Bildwerke.
In den meisten Sammlungen antiker Plastik, Katalogen und Büchern über
die griechische Skulptur finden sich Statuen oder Köpfe, die der Schule des Praxiteles,
den Nachfolgern des Praxiteles oder der Generation nach Praxiteles zugeschrieben
werden ^). Manche dieser Stücke sind zwischen Praxiteles und seiner Nachfolge
strittig. Unter diesen scheint mir die Artemis von Larnaka in Wien 3) nicht dem großen
Meister, sondern seinen Söhnen zu gehören. Der Kopf hat in Gesichtszügen, Haar-
behandlung und Haltung nächste Verwandtschaft mit dem Kopf Nr. i. Die Art,
wie der zum Wulst gerollte Mantel von der rechten Hüfte zum linken Arm empor-
steigt und wie die Faltenenden außerhalb des Unterarms in breiten Lagen über das
Idol herabfallen, entspricht völlig dem Wulst und den an der linken Seite herab-
hängenden Falten an dem Torso Nr. 3. Die Proportionen entsprechen der Peplos-
figur Nr. 6. Sie sind für Praxiteles selbst bereits zu »hellenistisch«. Auch die Arbeit
scheint mir in ihrer originalen Frische der der Altarskulpturen von Kos verwandt
zu sein.
Unter den zahllosen »praxitelischcn« Aphroditen scheint mir die größere Aphro-
dite von Ostia im British Museum, die Furtwängler für eine Variante der Aphrodite von
Arles, vielleicht für ein Porträt der Phryne hielt, während Bulle sie richtig in die
»Nachfolge des Praxiteles« setzt 4), am meisten der Kunst der Söhne zu entsprechen.
Die Gesichtsbildung und die Haltung des erhobenen und schräg gestellten Kopfes
ähneln dem Kopf Nr. i, die duftige Haarbehandlung dem Fragment Nr. 2, die Behand-
•) Amelung a. a. 0. 136 f. PI. IX. Vgl. Heibig, Meisterwerke 556. Klein, Praxiteles 316 f. Fig. 59.
Führer durch Rom 3 Nr. 1049. Loewy, Griechische Plastik 77 f. Taf. 86 Nr. 165
») Vgl. Dickens, FoUowers of Praxiteles, Annual of a u. b. Bulle, Archaisierende Rundplastik, Abh.
the British School at Athens XXI 1914/15. ' «■ bayr. Akad. d. Wiss. XXX 1918, 20 Taf. V
PI. I— V. Nr. 40.
3) Wien, Standnummer 152. Inv. Nr. 603. Rob. 4) British Mus. Cat. of Sculpture III Nr. 1574,
V. Schneider, Jahrb. d. Sammig d. allerh. Furtwängler, Meisterwerke 549 f- Fig. 103. Klein,
Kaiserhauses V 1887, l ff. Taf. I— II. Album Praxiteles 293. Friederichs-Wolters Nr. 1455.
auserles. Gegenstände 2 Taf. IV. Furtwängler, Bulle, Schöner Mensch 344 f- Taf. 160. Pomtow,
J. d. I. XXXVII 1922, 110.
258
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
lung und Anordnung des Gewandes dem Torso Nr. 3, nur ist an der Kopie die Formen-
gebung etwas lebloser und kleinlicher als an den Originalen.
Wie die Aphrodite von Ostia sich zu der Venus von Arles, so verhält sich die
Münchener Aphrodite •) zu der knidischen Venus des Praxiteles. Auch sie ist nicht
eine gleichzeitige Variation, sondern eine jüngere Umbildung, und auch sie entspricht
im Kopftypus und in der Wiedergabe der in breiten flachen Faltenlagen neben dem
Abb. 7. Kopf des Apollino, Florenz.
Körper herabfallenden Gewandmasse den Altarskulpturen von Kos. Die Söhne
erreichen nicht die Erhabenheit des Vaters, aber sie formen inmierhin noth kräftigere
Körper, als etwa der Meister der Aphrodite von Medici.
Denselben Unterschied, der zwischen diesen Bildern der Liebesgöttin und den
Aphroditen des Praxiteles besteht, dürfen wir zwischen dem sogenannten »Apollino« *)
') Furtwängler, Meisterwerke 551. Beschreibung ») Amelung, Führer durch Florenz Nr. 69. Klein,
der Glyptothek zu München» 266 ff. Nr. 258. Praxiteles 1 58 ff. Fig. 24. Bulle, Schöner Menscli
Illustrierter Katalog Taf. 40. Brunn-Br. Taf. 372. 134 f. Tat. 69. Zuletzt L. Cesana, Bull. comm.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
259
Abb. 8. Kopf in Kassel.
Abb. 9. Kopf in Kassel,
Abb. 10. Kopf in Kassel, Oberansicht.
43i 1915, 73 ff. Tav. II — 111. Die von ihr zu- und der»Ephebe von Sutri«Tav. III ist doch wohl
sammengestellten Münzen (77 Fig. i u. 80 ff. auch nur ein Nachklang, nicht eine authentische
Fig. 2 — 3 Tav. 11 I — 8) geben nur die Umrisse, Nachbildung des Originals. Abb. 7 nach Phot.
Alinari Nr. 1169.
260
Margarete Kieber, Die Söhne des Praxiteles.
und seinem Vorbild, dem »Apollon Lykeios«') voraussetzen. Die Florentiner Figur
entspricht in der Stellung der Beine, der ausgebogenen Hüfte, der Form des Rumpfes
dem Torso Nr. 3; in der Kopfhaltung (Abb. 7), den länglich-schmalen Augen, dem
leicht schmachtenden Mund, den Proportionen des Gesichts dem Kopf Nr. I. Die
Umbildung zu hellenistischer Eleganz und Süßlichkeit ist hier allerdings schon etwas
weiter geführt, als dort. Wie das Bild des Praxiteles ausgesehen haben mag, lassen
uns die Münzen, ungenauen Marmorstatuen und kleinen Bron2;pstatuetten nur ahnen.
Eine Vorstellung von dem Kopftypüs gibt vielleicht ein Kopf aus Rom, früher im
Abb. II, Mädchenkopf in Budapest.
Abb. 12. Mädchenkopf in Budapest.
Bonner Provinzialmuseuni, jetzt in Kassel ^) (Abb. 8 — 10), den ich dank der Güte
von Professor Lehner und Geheimrat Boehlau hier abbilden darf. Haltung und
Anlage des Kopfes sind die gleichen wie am Kopf des Apollino, doch ist alles
einfacher und großzügiger als dort. Obwohl die Nase, beide Ohrläppchen, der
Rand der Ohrmuschel abgestoßen, das linke Auge verletzt, die Oberfiä,che
') Lukian, Anacharsis cap. 7. Es wird gewöhnlich
vergessen.daß weder Lulcian Praxiteles als Schöpfer
des Bildes nennt, noch eine Einzelstatue des
Apoll von Praxiteles außer dem jugendlichen
Sauroktonos bezeugt ist. Immerhin hat Praxiteles
den Gott dreimal in Gruppen gebildet (Paus. I
44, 2. VIII 9, I. Plin. XXXVI 23), und es könnte
der in Rom mit einem Poseidon verbundene
Apollon ein solches Einzelbild gewesen sein.
Die durch die Münzen bezeugte Komposition
Abstand der inneren Augenwinkel
ist ferner so echt praxitelisch, daß die communis
opinio wohl recht haben wird.
') Bonn, Provinzialmuseum Nr. 29482. Kürzlich
durch Tausch in das hessische Landesmuseum
zu Kassel gekommen. Inselmarmor, vielleicht
parisch. Schöne hellgoldgelbe Patina. H. 0,27.
Kopfhöhe 0,255. Gesichtslänge 0,185. Ab-
stand der Ohren 0,14. Haargrenze — ^Nasen-
wurzel = Nasenwurzel — Mundspalte je 0,69.
Mundspalte — Kinn 0,047. Breite des Mundes 0,04.
0,035. Länge des Auges 0,0325 m.
Margarete Bieber, Die Sehne des Praxiteles.
26£
Stark korrodiert ist, erkennt man deutlich die noch festen Formen, verbunden
mit dem verträumten Lächehi, das nur leise um Augen und Mund huscht, wie
es für Praxiteles charakteristisch ist. Stirn und Mittelgesicht sind im Verhältnis
zum Kinn sehr lang. Der Mund ist schmal; unter der Unterlippe ist eine tiefe Rinne
Abb. 13. Frauenkopf in Tarent.
Die Augen stehen weit auseinander. Der Haarscheitel setzt etwas rechts von der
Mitte an, ist aber im hinteren Teil wie bei dem Apollino nach links verschoben (vgl.
Abb. 10). Auf dem Oberkopf ist rechts eine Abarbeitung, links ein Dübelloch mit
noch darin steckendem Eisendübel für den aufgelegten rechten Arm des Apollon
Lykeios. Vorn sind neben dem Scheitel jederseits kürzere, deutlich abgegrenzte
Haarsträhnen, die die Männlichkeit des Kopfes beweisen. Aus diesen ist dann die
Haarschleife des hellenistischen Apollino geworden. Die Enden der langen flach-
Jahrbuch des arcliäolog-ischeii Instituts XXXVIII/IX i9?3/24.
iS
262
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
gewellten Haare sind hinten aufgenommen und nach oben umgeschlagen, so daß
die lockigen Enden noch über dem Schopf liegen. Die Form des Knotens erinnerte
an die durch das Kopfband gezogenen seitlichen Haartuffs des Sauroktonos ').
Eine große Anzahl von weiblichen Einzelköpfen zeigt engste Verwandtschaft
mit dem Kopf vom Koer Altar einerseits und Abhängigkeit von praxitelischer Kunst
andererseits, so daß alle Voraussetzungen vorhanden sind, die es erlauben, sie als
Werke der Söhne des Praxiteles anzusehen. Ich greife ein halbes Dutzend heraus.
Ein Kopf aus Smyrna in Budapest, den ich dank der Güte von Professor Hekler
Abb. 14, Kopf aus Kyzikos
in Dresden.
Abb. 15. Kopf aus Kyzikos
in Dresden.
hier abbilden kann (Abb. 11— 12) wird von Arndt und Wollanka als ein griechisches
Werk aus der 2. Hälfte des IV. Jahrhunderts unter dem Einfluß des Praxiteles ent-
standen bestimmt '). Der Mädchenkopf in Olympia 3) steht der Münchner Aphro-
dite so nahe, daß man ihn auch als Aphrodite-Köpfchen zu bezeichnen pflegt. Eine
Artemis scheint mir in einem bezaubernden originalen Kopf in Tarent dargestellt
zu sem, der dort als Karyatide aus dem IV. Jahrhundert v.Chr. gilt (.^bb. 13 4)). Ich
glaube, daß die Schnittfläche wie bei dem Kopf Nr. 7 zum Ansetzen des Hinterkopfs
') Klein, Praxiteles 104 ff. Fig. 13.
') Wollanka, Katalog des Museums von Budapest
1912 (ungarisch), 52 Nr. 43 Abb. S. 55. Aus
Sammlung Arndt. Marmor. H. 0,13 m. Nase,
Oberlippe und Teile des Haars sind beschädigt.
Der Haarknoten, der besonders gearbeitet war
fehlt.
von Tarent ist unbeantwortet geblieben.
3) Treu, Olympia, Skulpturen III 206 ff. Abb. 235
Taf. LIV 1—2.
4) Abb. 13 nach Phot. Alinari 35349. Diese Photo-
graphie trägt den Vermerk Riproduzione inter-
detta. Da ich sie länger als 10 Jahre besitze,
so ist dieses Verbot wohl kaum noch gültig.
Eine den Kopf betreffende Anfrage im Museum
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 263
und das Loch in der Mitte hinter dem Haarband zum Einsetzen einer Mondsichel
diente. Die Züge zeigen neben »praxitelischer« Anmut auch »lysippische« Belebung
und Durcharbeitung, doch überwiegt die Grazie das nervöse Muskelspiel. Die Zart-
heit der Formengebung ist unbeschreiblich schön.
Zwei weitere originale Köpfe verbinden mit der dem Koer Kopf ähnlichen
duftigen und liebreizenden Durchbildung von Haar und Gesicht ausgesprochen
individuelle Züge, die an Porträts denken lassen. Es sind das der Frauenkopf aus
Kyzikos in Dresden') (Abb. 14—15) mit dem kleinen, vorgeschobenen, wie nach-
denklich leicht gespitzten Mund, und die sogenannte »Methe«, das Bild einer nicht
mehr ganz jungen Frau mit Haube, in München 2). Einen leise sinnlichen Zug hat
schließlich der sonst auch gleichartige Mädchenkopf im Lateran 3).
Männliche Köpfe und Statuen lassen sich schwerer mit den Altarskulpturen
vergleichen, da die erhaltenen Reste nur von weiblichen Figuren stammen. Man
kann jedoch voia unbärtigen Köpfen den von Reinach veröffentlichten Epheben
von Kos (vgl. oben S. 251) mit seiner leichten, etwas skizzenhaften Formengebung,
von bärtigen den Asklepios von Melos sowie den zu ihm gehörigen Statuentypus
sehr gut mit ihnen vereinigen 4).
Es fragt sich nun, wie zu diesen wegen der Verwandtschaft mit dem Koer Altar
den Söhnen des Praxiteles zugeschriebenen Werken die aus dem Altertum für sie
schriftlich bezeugten Arbeiten passen.
IV. Schriftlich bezeugte Werke.
Die schriftlichen Quellen für die Söhne des Praxiteles fließen relativ reichlich.
Schriftsteller und Inschriften nennen uns rund 20 Werke des Kephisodot, von denen
er 7 gemeinsam mit seinem Bruder Timarchos ausgeführt hat. Diese Nachrichten
sind kürzlich einerseits von Lippold, andererseits von Mirone unabhängig vonein-
ander zusammengestellt und behandelt worden 5). Lippold zählt 20, Mirone 18
Nummern auf, doch stimmen beide nur in bezug auf 15 Nummern überein.
Lippold berücksichtigt nicht die Nachricht des Plinius, daß Kephisodot Phi-
losophenstatuen arbeitete, da er diese für identisch mit den zahlreichen anderen Por-
trätstatuen hält *). Er schreibt die Göttergruppe in Megalopolis dem älteren Ke-
phisodot zu und scheidet den Altar und die Götterbilder imPiraeus aus. Die Iden-
■) Brunn-Br. Taf. 390. Herrmann, Verzeichnis der übrigen in Kos gefundenen und vorauszusetzenden
ant. Original-Bildwerke zu Dresden Nr. 136 Asklepios-Bilder sowie über die gesamte Ikono-
schreibt den Kopf der Richtung des Skopas zu. graphie der Asklepios-Statuen beabsichtige ich
') Brunn-Br. Taf. 125. Furtwängler, Beschreibung einen besonderen Aufsatz zu schreiben. Vgl.
der Glyptothek' Nr. 246. Hundert Tafeln Abb. 50. vorläufig Bieber, Zeitschrift für Numismatik
3) Benndorf-Schöne Nr. 544. Heibig, Führer durch XXXIV 1923, 31511. Taf. VHI.
Roms Nr. 1234. Arndt-Amelung E. V. Nr. 2250 5) Lippold bei Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie
bis 2251. des klass. Alt. XI i, 235 ff. Nr. 9. Mirone, Revue
4) Über diesen Asklepios-Typus, von dem drei arch^ologique XVI 1922, 291 ff.
Wiederholungen in Kos gefunden sind, über die >■) Plinius XXXIV 87 Cephisodoti duo fuere . . .
sequens philosophos fecit. Lippold a.a.O. 237.
|8*
204 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
tifizierung von Philosophenbildern mit Statuen von Staatsmännern, Dichtern und
Priestern scheint mir nicht überzeugend. Daß die Kultbilder in Megalopolis erst
von dem jüngeren Kephisodot gearbeitet sein können, haben die Ausgrabungen in
Megalopolis und Dörpfelds Untersuchungen entscheidend bewiesen '). Dagegen
hat Lippold richtig die Werke im Piraeus, für die uns Plinius den Namen Kephi-
sodorus überliefert, beiseite gelassen *). Ebenso läßt er mit Recht den von Mirone
dem Wortlaut des Pausanias widersprechend den Söhnen des Praxiteles zugeschrie-
benen Kadmos in Theben beiseite 3) und läßt nur zweifelnd die Möglichkeit offen, daß
eine der beiden Musengruppen auf dem Helikon von dem jüngeren Kephisodot war 4^.
Mirone identifiziert mit Unrecht die Statue des Asklepios in Rom mit der
von Herondas in Kos bezeugten 5), da dieser letztere mit Hygieia eine unzertrenn-
liche Gruppe bildete und nicht, wie sicher die Einzelstatue in Rom, lebensgroß
war. Es fehlen bei ihm vier neuere, von Loewy noch nicht gekannte, dagegen
von Lippold herangezogene Inschriften. Von diesen sind wohl allerdings zwei
wieder auszuscheiden. Bei der einen aus dem Athener Asklepieion *) mit der In-
schrift: OlSOauiu \ ist es gar nicht gesagt, daß dieser Name den Künstler
nennt. Es wird vielmehr der Name des Weihenden sein. Zudem ist die durch
den genannten Asklepiospriester in das Jahr 344/3 datierte Inschrift zu jung
für den älteren, zu alt für den jüngeren Kephisodot (vgl. unten). Die Inschrift
von der Akropolis, in der nur die beiden Buchstaben 08 erhalten sind 7), erlaubt zu-
viele verschiedene Ergänzungen, als daß wir sie gerade dem jüngeren Kephisodot
zuschreiben dürften. Die Inschrift in Delphi wollten Homolle undReisch zwar dem
älteren Kephisodot geben, doch hat Pomtow sie als zu jung dafür erwiesen *).
Da also weder Lippold noch Mirone die Arbeiten der Söhne des Praxiteles
vollständig aufzählen und da keiner von beiden die Nachrichten sachlich und über-
sichtlich geordnet hat, so gebe ich nochmals eine kurz gefaßte Liste ihrer sicheren
Werke:
L Altäre.
1. Altar in Theben. Paus. IX 12, 4. Lippold Nr. 3. Mirone Nr. VL
2. Altar in Kos. Herondas IV i ff. Lippold Nr. 2. Mirone Nr. XVI.
") Excavations of Megalopolis, Suppl. to the Journal 4) Pausanias IX 30, i. Lippold a.a.O. 234.
of hellenic studies 1892, 52 ff. Dörpfeld, A. 5) Plinius XXXVI 24 intraOctaviae porticus in Juno-
M. XVIII 1893, 2i8f. nis aedeAesculapius. Vgl. oben Herondas IV 1—5.
') Plinius XXXIV 74. Cephisodorus Minervam Mirone 317 f. Nr. XVI. Lippold Nr. 2 und 18.
mirabilem in portu Atheniensium et aram ad <■) Wilhelm, Beiträge zur griechischen Inschriften-
templum Jovis servatoris in eodem portu, cui künde, Sonderheft des österr. arch. Inst. VII 47
pauca comparantur. Mirone 301 ff. Nr. IX. ergänzt KTj]!pi5(i6[oTOt liro{rj36v]. 'Erl Au3t8iou
3) Pausanias IX 12, 4 [loMSiupov 8J to E'iXov toüto Tptxopuafou lepi[u){. Lippold a.a. O. 238 Nr. 11.
yaXxti» X^ioustv imxoapi^davTa Aiiivusov xaX^aat 7) IG II 1553. Lippold Nr. 15.
KiVo^. itXj)5(ov «i Aiovioou «TfaXfia, xoit T0O3 *) Homolle, Bull. corr. hell. XXV 1901, 104. Reisch
'Ovaaifii^Jtis izoltfit iC SXo'j j:>,f,pEt ütto toO yaX- (nicht wie Lippold zitiert Studniczka), österr.
xoü- Tov ßui|iöv 5i Ol Ttatis; t(pTaoavTO oi Jahresh. IX 1906, 211 Anm. 30. Pomtow, Philo-
ripaMXou«. Mirone 299 f. Nr. VI. logus LXXI 77 f. Dittenberger, SylIoge3 Nr. 324.
Mirone a. a. 0. 266. Lippold Nr. 13.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 265
II. Götterbilder.
3. Zeus Soter, Stadtgöttin von Megalopolis und Artemis Soteira in Megalo-
polis. Paus. VIII 30, 10. Mirone Nr. V.
4. Lato in Rom, auf dem Palatin. Plinius XXXVI 24. Lippold Nr. 16. Mi-
rone Nr. X.
5. Artemis in Rom, Tempel der Juno innerhalb der Porticus der Octavia.
Plinius XXXVI 24. Lippold Nr. 19. Mirone Nr. XI.
6. Asklepios in Rom, ebendort. Plinius XXXVI 24. Lippold Nr. 18. Mi-
rone Nr. XVI.
7. Aphrodite in Rom, in der Sammlung des Asinius Pollio. Plinius XXXVI 24.
Lippold Nr. 17. Mirone Nr. XII.
8. Enyo im Arestempel in Athen. Paus. I 8, 4. Lippold Nr. i. Mirone Nr. XV.
III. Porträts.
9. Lykurg und seine Söhne. Ps.-Plutarch, Vitae X erat. Lykurg p. 843 e. f. Lip-
pold Nr. 4. Mirone Nr. VII.
10. Menander im Theater zu Athen. Paus. I 21, i. Loewy Nr. 108. Lippold
Nr. 6. Mirone Nr. IV.
11. Myro von Byzanz. Tatian, Oratio ad Graecos 52 p. 114 ed. Wroth
(33 B ed. Otto; 34, 13 ed. Schwartz). Lippold Nr. 8. Mirone Nr. XVIII.
12. Anyte von Tegea. Tatian ib. Lippold Nr. 9. Mirone Nr. XVII.
13. Philosophen. Plinius XXXIV 87. Mirone Nr. XIV.
14. Tochter des Lysistratos, Priesterin der Polias, auf der Akropolis von
Athen. Loewy Nr. 109. Lippold Nr. 5. Mirone Nr. III.
15. Philylla, Tochter desPhilokles von Sunion, wohl Priesterin der Demeter
und Köre, in Athen. Loewy Nr. 112. Lippold Nr. 10. Mirone Nr. VIII.
16. Statuen des Dion und der Diokleia, Kinder des Aristogeiton, in Megara.
Loewy Nr. iio. Lippold Nr. 7. Mirone Nr. IL
IV. Unbestimmt, ob Götterbild oder Porträt.
17. Weihgeschenk in Eleusis, bei der Stoa des Philon. Loewy Nr. in. Lip-
pold Nr. 14. Mirone Nr. I.
18. Weihgeschenk eines Priesters des Apollo, in Troizen. Legrand, Bull. corr.
hell. XXIV 1900, 182 ff. Lippold Nr. 12.
19. Weihgeschenk für Athena Pronaia, in Delphi. Homolle, Bull. corr. hell.
XXV 1901, 104. Lippold Nr. 13.
V. Genre.
20. Symplegma in Pergamon. Plin. XXXVI 24. Lippold Nr. 20. Mirone Nr.XIII.
An Nr. I, 2, 8, 9, 10, 14, 16 hat Timarchos, an Nr. 3 Xenophon, an Nr. 12
Euthykrates, der Sohn des Lysipp, mitgearbeitet.
255 Maisarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
Von diesen 20 Werken kennen wir im Original nur den Altar von Kos Nr. 2
und auch von diesem nur kleine Fragmente. Immerhin geben sie ein klares Bild des
Stils eines solchen Altarschmucks, und so dürfen wir den ebenfalls von beiden Brü-
dern ausgeführten Altar in Theben Nr. i uns ungefähr ähnlich dekoriert denken.
Zeus und Artemis in Megalopolis Nr. 3 sind auf Münzen dieser Stadt nachgebildet,
Zeus feierlich in Vorderansicht thronend mit hoch aufgestütztem Szepter; Artemis
in schlanken hellenistischen Proportionen, elastisch emporgereckt, die rechte Hand
zum Speer emporlangend, die linke in die Seite gestemmt'). Ihren Kopf können
wir uns vielleicht etwa wie den Kopf in Tarent (Abb. 13) denken. Die Leto in
Rom Nr. 4 ist mitsamt dem Apollo des Skopas und der Artemis des Timotheos,
mit denen sie verbunden war, auf der Basis von Sorrent abgebildet. Von den
übrigen Statuen in Rom können wir uns den Asklepios Nr. 5 etwa wie den
Asklepios von Melos, die Artemis wie die Artemis von Larnaka, die Aphrodite wie
den Torso Nr. 3, die Aphrodite von Ostia oder die Münchener Aphrodite denken.
Das einzige Porträt von den Söhnen des Praxiteles, von dem wir uns bisher eine
Vorstellung machen können, ist derMenander Nr. 10, besonders nach der guten Kopie
des Kopfes in Boston 2). Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Bildnisse, die etwa
die Hälfte des Tätigkeitsfeldes von Kephisodot und Timarchos einnehmen, einen
anderen Stil und noch andere Eigenschaften haben müssen als die Zartheit der For-
men und der Empfindung, wie sie die halblebensgroßen Altarbilder aufweisen. Die
Vermeidung harter Abgrenzungen konnte hier mit Rücksicht auf die nötige indivi-
duelle Charakterisierung nicht soweit getrieben werden wie an den weiblichen Ideal-
köpfen. Immerhin zeigt sich in der lockeren eleganten Bildung des Haares und der
delikaten Behandlung des Augenlids am Menander dasselbe beginnende hellenistische
sfumato wie dort. Die Tatsache, daß bei so durchaus verschiedenen Themen die
Zuteilung an gleiche Künstler nicht ausgeschlossen ist, läßt Lippolds Bekämpfung
von Studniczkas Deutung des Kopfes in Boston und Lippolds eigene Deutung auf
ein römisches Porträt, wahrscheinlich Vergil, als aussichtslos erscheinen 3). Für
die Philosophenbilder des Kephisodot können wir das dem Menander ähnliche, feine
und geistreiche Porträt seines Altersgenossen, des Epikur, heranziehen 4). Auch
mit dem Kopf der »Methe« besteht eine entfernte Verwandtschaft. Ich halte es nicht
für unmöglich, daß wir in ihr oder dem Kopf aus Kyzikos eins oder das andere der
weiblichen Porträts von den Söhnen des Praxiteles besitzen, etwa eine der beiden
Dichterinnen Nr. 11— 12 oder der Priesterinnen Nr. 14—15. Der Kopf im Lateran
') Mirone 294 ff. Münztafel p. 269 Fig. 9—12. Nr. 14— 15. Bieber, Denkmäler zum Theater-
Imhoof-Gardner, Numismatic commentary on wesen 83 f. Nr. 30 Taf. XLVII.
Pausanias 103 f. V. I_II. ,) Lippold, Griechische Porträtstatuen 89 ff. R.
') BemouUi Griechische Ikonographie II in ff., M. XXXIII 1918,1«.
Taf. XIV— XV. Hekler, Bildniskunst 105—108. 4) BemouUi a.a.O. II 123 ff. Taf. 16-17. Hekler,
Delbrück, Ant. Porträts XXXIV f. Taf. 20. a. a. 0. 101 a. Delbrück a. a. O. Taf. 25. Arndt-
Studniczka, Menander, Neue Jahrbücher XXI Br.-Br. Taf. 38—40. Studniczka a.a.O. 22.
1918, I ff. Poulsen, Ikonographische Miszellen Die zugehörige Statue hat Lippold, Porträt-
25 f. und Portraits in English Countryhouses 41 f. statuen 77 ff. Fig. 17—18 entdeckt. Vgl. Arndt-
Amelung, E. V. 2092-3. Poulsen, Portraits in English Countryhouses 43 Nr. 16.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 267
kann von einer erotischen Gruppe in der Art des Symplegmas Nr. 20 stammen. Die
Schilderung dieses Symplegmas mit den in den Körper eingedrückten Fingern bei
Plinius XXXVI 24 erinnert an die des Kallistratos für den Dionysos des Praxiteles,
bei dem man wirkliches Fleisch zu sehen glaubte ') und an Herondas IV 59—61.
So gewinnen wir ein ziemlich deutliches Bild von der aus der Kunst des Vaters wei-
ter entwickelten Arbeitsweise von Kephisodot und Timarchos.
V. Bisher zugeschriebene Werke.
Die von mir aus der Untersuchung der Altarskulpturen von Kos, der verwand-
ten Werke und der schriftlichen Zeugnisse gewonnenen Resultate stehen in schroffem
Gegensatz zu dem meisten, was bisher über die Söhne des Praxiteles geschrieben
worden ist. Trotz der klaren Nachricht des Plinius wird die Ähnlichkeit mit der Kunst
des Vaters in der Regel geleugnet oder mindestens beschränkt, weil die beiden haupt-
sächlich Porträtbildner gewesen seien und dieser Kunstzweig von Praxiteles nicht
gepflegt worden sei. Diese Ansicht ist dahin zu korrigieren, daß die für Kephisodot
und Timarchos bezeugte Idealplastik den überlieferten Bildnissen der Zahl nach
ungefähr die Wagschale hält, und daß wir die Porträts von der Hand des Praxi-
teles, wie seine Phrynebilder in Thespiae und Delphi und seine Porträtstatue des
Thrasymachos in Thespiae noch nicht kennen ^). Wieweit bereits Praxiteles die uns
zuerst bei Lysipp kenntliche gleichmäßige Durchbildung sämtlicher Gesichtsmus-
keln zu lebensvollem Minenspiel bei seinen Bildnissen durchgeführt hat, entzieht
sich daher unserer Beurteilung. Daß die Söhne hierin weiter gegangen sind wie der
Vater, ist eine selbstverständliche Folge der steigenden Bedeutung des Individuums
in der hellenistischen Zeit und der konsequenten systematischen Weiterentwick-
lung, die die griechische Kunst in allen ihren Stadien zeigt.
Am ausführlichsten hat sich bisher Klein 3) mit den Söhnen des Praxiteles be-
schäftigt, doch hat er ihnen ein geradezu lächerliches Konglomerat von älteren und
jüngeren, von praxitelischen und lysippischen Werken zugewiesen: die wohl noch
der Spätzeit des Praxiteles selbst angehörige Aphrodite von Petworth und — einer
Vermutung Furtwänglers folgend 4) — die reifhellenistische Aphrodite von Medici;
den »Joven orador« inMadrid, der wohl älter ist als Praxiteles 5) und den lysippischen
Silen mit dem Dionysos, der gar das »Symplegma« vorstellen soll. Ebenso schlimm
ist Hausers und Lippolds Identifizierung dieses Symplegmas mit dem erotischen
') Kailistrat. Stat. VIII 2 As Trpö« oipxa fieTop- 1914—15, 6 PI. IV 3. Dagegen halten Jamot,
pu&(ji<Cta8ai TÖv )(«Jl«<5''. Mon. Piot I 1874, 180 und Pottier ib. XXIII
") Overbeck, Schriftquellen Nr. 1190, 1269—1277. 1918— 19, 52 ff. die Aphrodite von Medici sogar
3) Klein, Praxiteles 395 ff. Praxitelische Studien für älter als die Knidierin.
26 ff. Geschichte der griechischen Kunst II 5) Gegen Klein vgl. Dehn, J. d. I. XXVII
394ff. Österr. Jahreshefte XIV 1911, 98 ff. 1912, i99 ff- XXIX 1914, 121 f., der Kleins
XV 1912, Beiblatt 279. Gruppe des Hermes mit Dionysos von einem
4) Furtwängler, Meisterwerke 643. Ihm folgt noch »Praxiteles-Schüler« als ein modernes Pasticcio
Dickens, Annual of the British School XXI auf Grund eines antiken Pasticcio erweist, und
Mirone 284 ff.
2g8 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
Ringkampf zwischen Silen und Hermaphrodit, von dem sich marmorne Wieder-
holungen in Dresden, Kopenhagen, Rom, England und eine kleine Bronzereplik in Bonn
befinden'). Diese Gruppe ist späthellenistisch. Da sie, wie Arndt erkannt hat, perga-
nienischen Stil zeigt, so könnte sie von dem dort befindlichen Symplegma des jün-
geren Kephisodot abhängig sein. Dieses selbst hätte niemals von Plinius das Bei-
wort nobile erhalten, wenn es bereits eine derartig laszive, grob sinnliche Auffassung
oder einen so frech und breit lachenden Kopf gehabt hätte, wie das hellenistische
Werk. Freilich könnte nobile nur im Sinne von berühmt gemeint sein. Ent-
scheidend ist aber, daß gerade das einzige, was Plinius von der Gruppe erwähnt, das
Eindrücken der Finger in den wie wahres Fleisch gearbeiteten Marmor =) an ihm nicht
hervortritt, da die Hände des Silens den Arm, die des Hermaphroditen den Fuß
und ins Gesicht des Gegners fassen, ohne in das weiche Fleisch des ausdrücklich
genannten Körpers hereinzugreifen.
Den Versuch Hausers, die von ihm rekonstruierten »zerstreuten Reliefs« mit
Hören und Agrauliden dem Altar im Piraeus zuzuschreiben 3), sowie die zahlreichen
Versuche Sauers, Milchhöfers, Furtwänglers, Wolters, Marianis und Mirones^), die
Athena Soteira ebendort wiederzufinden, können wir beiseite lassen, da sie für
Kephisodoros, nicht für Kephisodot Interesse haben.
Die Überzeugung von der Minderwertigkeit der Söhne des Praxiteles geht
so weit, daß Amelung früher die praxitelische alexandrinische Richtung direkt an
Praxiteles anknüpfte, während Dickens in seiner sehr guten Studie über die Nach-
folger des Praxiteles 5) zwar einen Vermittler zwischen diesem und der impressio-
nistischen Kunst Alexandriens postulierte, diesen aber nicht in dem echten Erben der
Kunst des Vaters, sondern in Bryaxis zu finden glaubte. Er wollte nur die in Per-
gamon herrschende realistisch-erotische Richtung an das Symplegma des Kephi-
sodot anschließen, das doch eine ganz vereinzelte Erscheinung in dem Lebenswerk
dieses Künstlers ist. Aus dieser verkehrten Einstellung heraus teilt auch Dickens,
wie Klein und Furtwängler, ihm die kokette mediceische Venus zu. Selbst Bulle ^)
spricht von den Söhnen des Praxiteles als süßen Routiniers, denen er die Schöpfung
des geistvollen Menander-Porträts nicht zutraut. Immerhin teilt er ihnen den Apol-
Hauser bei Heibig, Führer durch Rom' zu Nr. Kopf des bärtigen Satyrs mit Hand des Herm-
1063— 1066. Lippold a. a.O. 239. Arndt, Glypto- aphroditen in Smyrna von Schazmann gc-
the<iue Ny-Carlsberg 192 f. PI. 139 rechts u. sehen.
Fig. 116-121. Herrmann, Verzeichnis der Bildwerke ») Plinius XXXVI 24. laudatum est Pergami sym-
Dresden Nr. 155 und bei Röscher s. v. Herrn- plegma nobile digitis corpori verius quam mar-
aphrodit 2337 f. Kleine bronzene Wiederholung mori imprcssis.
in Bonn, Provinzialmuseum Zimmer IV Schrank 8. 3) Hauser, Österr. Jahresh. VI 1903, 79 ff. Taf.
Inv. Nr. 630. U1204. .\us der Fürstlichen Samm- V— VI. Vgl. Arndt Text zu E. V. Nr. 1729.
lung Isenburg-Büdingen. H. 0,05, Br. 0,18 m. Mirone 309 f.
Gute Arbeit und Erhaltung. Wohl kaum identisch 1) Aufzählung bei Mirone a. a. O. 304 ff.
mit einer Bronzegruppe der Gräflich Nostizschen 5) Dickens, Followers of Praxiteles, Annual of the
Sammlung in Prag, Hase bei Böttiger, Archäologie British School at Athens XXI 1914— 15, i ff.
und Kunst 173; Herrmann bei Röscher 12,2338. PI. I— V.
*) Bulle, Schöner Mensch 671 f.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 260
lino und die reizende Statue eines jugendlichen Mädchens zu ■), beider es freilich
zweifelhaft ist, ob eine Dichterin oder eine Hygieia gemeint ist.
Die bisher glaubhaftesten Zuweisungen sind die vonAmelung vorgenommenen ^).
Er geht von der Tatsache aus, daß das feine nervöse Mienenspiel im Gesicht des
Menander Einfluß des Lysipp auf die Söhne des Praxiteles beweise. Er hätte für
diese Tatsache dieNachricht heranziehen können, daß die Statue der Dichterin Anytc
vonTegea von Kcphisodot gemeinsam mit dem Sohn und Schüler des Lysipp Euthy-
krates gearbeitet worden ist 3). Amelung glaubt nun, Werke, in denen der Stil
des Praxiteles mit dem des Lysipp zu einer neuen Einheit verschmolzen ist, als Werke
der Söhne des Praxiteles ansehen zu müssen. Als solche bestimmt er den Satyr mit
der Querflöte 4), den bogenspannenden Eros 5) und das Mädchen von Antium*).
Diese Werke gehören zu den schönsten des beginnenden Hellenismus, doch schei-
nen sie mir eher der Schule des Lysipp als der des Praxiteles und einem späteren
Entwicklungsstadium anzugehören als die bezeugten Werke der Söhne des Praxi-
teles. Auch kann man nicht ohne weiteres Eigenschaften der Porträtbildnerei
auf die Idealplastik derselben Künstler übertragen.
Wenn es überhaupt möglich war, daß von bedeutenden Gelehrten Schöpfungen,
die sachlich und zeitlich derartig weit auseinander liegen, ein und denselben Künst-
lern zugeteilt wurden, so liegt das daran, daß man bisher weder die genaue Kennt-
nis des Stils noch die genaue zeitliche Fixierung der Söhne des Praxiteles er-
reichen konnte. Wie das erstere, so ist auch das letztere jetzt dank Herzogs
Funden und Forschungen eher möglich geworden.
VI. Datierung.
Die Söhne des Praxiteles sind bisher verschieden, aber meistens zu hoch da-
tiert worden. Klein setzt das Geburtsdatum des Kephisodot etwa 368 v. Chr. (Ol. 103),
seine Akme etwa 328 (Ol. 113) an und glaubt nicht, daß seine künstlerische Wirk-
samkeit sich über den Schluß des vierten Jahrhunderts hinaus erstreckt habe").
Overbeck ließ die Tätigkeit der Söhne des Praxiteles bald nach 323 (Ol. 114, 2)
beginnen und um 284 (Ol. 124) enden ^). Perdrizet nimmt die Akme des Kephisodot
gegen 310 (Ol. 117) an 9). Mirone glaubt, daß die Söhne noch einige Zeit mit
ihrem Vater zusammen und dann bis in das erste Dezennium des III. Jahrhunderts
herein gearbeitet haben ^°). Lippold setzt die Lebenszeit des Kephisodot ca.
■) Bulle a.a.O. 283 {.Taf.i34.ArndtBr.Br.Taf.i43—.l. i) Klein, Praxiteles 212 ff. Fig. 33. Helbig-Amelung
Heibig, Führer durch Rom 3 Nr. 952. Nr. 12, 1389— 1390.
2) Amelung bei Heibig, Führer durch Rom3 H 533. ') Mely u. Collignon, Mon. Piot XIII 1906, 137 ff.
3) Tatian,Or.ad Graecos 52 p. ll4ed.\Vroth (33 Bed. PI. XI— XII. Helbig-Amelung Nr. 776.
Otto; 34, :3 ed. Schwartz) -d yöp jxot :reprAvJTr,« <■) Brunn-Br. Taf. 583—4- Bulle 287 ff. Abb. 68 Taf.
X^yetv, TeXeaaXrjt te xot .VI'J3Ti8o«, x^? fih ^ip 136- Helbig-Amelung Nr. 135^-
F.iSuxpiTj)« T£ xi\ KTj!pia(i?0T0« .... PUnius 7) Klein, Praxiteles 7 ff. Praxitclische Studien 26 ff.
XXXIV 66 filios et discipulos reliquit (Lysippus) ») Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik II
laudatos artifices Daippum et Boedan, sed ante 112 ff.
omnes Euthycraten. '>) Perdrizet, Revue des etudes grecques 1898, 82 ff.
■») Mirone, Revue arch^ologique 1922, 292.
270
Margarete Bieber, Die SOhne des Praxiteles.
365 — 285, seine Schaffenszeit ca. 344—290 an'). Pomtow meint, sie hätten 331
bis nach 300 gearbeitet ^). Nur die Eritlärer des Herondas setzen die von ihm im
IV. Mimiambus genannten Künstler mitsamt dem Gedicht in die erste Hälfte des
III. Jahrhunderts, Gurlitt ca. 270 — 260, Meister und Gerhard ca. 280, zuletzt
Adolphe Reinach und Herzog genauer ca. 280 — 275 v. Chr. 3).
Daß die Interpreten recht haben, daß aber das von Herondas genannte Werk
zugleich die jüngste für uns kenntliche Arbeit von Kephisodot und Timarchos ist,
geht aus der folgenden Übersicht der sicheren Daten für die beiden hervor. Der
Mimiambus ist der einzige terminus ante quem, den wir für die Söhne des Praxi-
teles besitzen. Alle übrigen Daten geben termini post quos.
1. Der Altar in Theben (oben Nr. i) kann erst nach der Neugründung dieser
Stadt durch Kassander, also nach 316/5 v. Chr. errichtet sein 4).
2. Die Statuen des Lykurg und seiner Söhne (oben Nr. 9) können frühestens
nach dem Tod des Lykurg, also nach 324 v. Chr. gearbeitet sein. Wahrscheinlich
sind sie aber erst 306/5 v. Chr. aufgestellt worden, als der Sohn Habron Schatzmeister
war 5).
3. Das Weihgeschenk in Eleusis (oben Nr. 17) kann erst nach der Stoa des
Philon, an der die Basis stand, gefertigt sein. Diese Vorhalle ist zur Zeit der Herr-
schaft des Demetrius, also nach 317, wahrscheinlich zur Zeit seines Archontats 309
v. Chr. (Ol. 117, 4) errichtet 6).
4. Die Weihung an Athena Pronaia (oben Nr. 19) gehört nach der Inschrift
in die Jahre 320 — 300 v. Chr. 7).
5. Die Priesterin der Polias (oben Nr. 14) ist nach dem Schriftcharakter der
Inschrift und nach den Familiendaten ca. 305 v. Chr. zu datieren ^).
6. Die Dichterin Myro (oben Nr. Ii), die Mutter des Tragikers Homeros, der
284 — I blühte, lebte am Ende des IV. Jahrhunderts v. Chr. 9).
7. Die Dichterin Anyte (oben Nr. 12) blühte um 300 und wurde am Anfang
des III. Jahrhunderts v. Chr. schon nachgeahmt 'o).
8. Der Lustspieldichter Menander (oben Nr. 10) ist 291 v. Chr. mit 51 Jahren
gestorben. Sein erhaltenes Porträt zeigt ihn in etwa gleichem Alter ").
■) Lippold bei Pauly-Wissowa XI i, 239. 4) Holleaux, Revue des itades grecques 1895, 22 ff.
=) Pomtow, J. d. I. XXXVII 1922, 109. Dittenberger, Sylloge3 zu Nr. 337.
3) Gurlitt, Archäol.-epigr. Mitt. aus Österreich XV 5) Mirone a. a. O. 300. Kirchner, Prosopographia
1892, 169 ff. Meister, Miraiamben des Herondas att. s. v. "Aßpiov 3 Nr. 15.
= Abh. Sachs. Ges. d. Wiss. XIII 1893 Nr. VII ') Blavette, Bull. corr. hell. VIII 1884, 425 ff.
'45 (755) ff- Gerhard bei Pauly-Wissowa Villi 7) Dittenberger, Sylloge3 Nr. 324.
s. V. Herondas 1085 f. Adolphe Reinach, ») Kirchner, Prosop. att. zu Nr. 9615. Lippold
Recueil Milliet I 1921, 325 Anm. 2. Herzog, a.a.O. 2365.
Philologus LXXIX 1924, 423. Wilamowitz, 9) Stuart Jones, Select passages from ancient writers
Hellenistische Dichtung in der Zeit des Kalli- iUustrative of history o£ Greek sculpture 164.
machos II 318 bekämpft eine angebliche Da- Christ-Schraid, Gesch. d. griech. Literatur II 1 5,
tierung in den Anfang des dritten Jahrhunderts iio u. 116.
von Herzog, Philologus LXI 424, während dieser in '«) Christ-Schmid a. a. O. 116, 138 f.
diesem Band nichts veröffentUcht hat und im ") BernouUi, Griech. Ikon. II 103. Christ-Schmid,
Phil. LXXIX die obengenannte Ansetzung vertritt. a.a.O. 29 ff.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles. 271
9. Der Altar in Kos (oben Nr. 2) ist vor dem 280—275 v. Chr. gedichteten vier-
ten Mimiambus fertig gewesen. Die beiden Künstler sind nach v. 26, in denen der
Segen des Asklepios auf sie herabgefleht wird, zur Zeit der Abfassung des Gedichtes
noch am Leben gewesen •). Sie müssen damals ältere, angesehene Männer ge-
wesen sein.
Wir gewinnen also als Schaffenszeit der Söhne des Praxiteles die Jahre 315
bis 280, höchstens 324—275 v. Chr. Lippolds soviel älteres Datum beruht nur auf
der oben ausgeschiedenen unsicheren Inschrift aus dem Jahr 344/3 ^). Mirone be-
rücksichtigt nicht genügend den Mimiambus des Herondas. Perdrizet und Klein
aber setzen sich in direkten Widerspruch zu Plinius, indem sie dessen Angabe über
die Blütezeit von Kephisodot und Timarchos ignorieren und durch willkürliche
Akmc- Daten ersetzen. Plinius XXXIV 51 setzt die beiden klar und deutlich in
Ol. 121, d. h. die Jahre 296—3 v. Chr. Das ist genau die Mitte zwischen den aus den
Werken erschlossenen Anfangs- und Enddaten der Tätigkeit der beiden Künstler.
Die Nachrichten des Plinius über Stil und Zeit der Söhne des Praxiteles haben sich
also vollauf bestätigt.
Damit haben wir einen wichtigen Baustein zur griechischen Kunstgeschichte
gewonnen. Ich weise noch kurz auf einige Folgerungen hin, die von diesem festen
Punkt aus geeignet sind, Licht auf die folgende und vorhergehende Entwicklung
zu werfen.
Wenn die Söhne des Praxiteles noch in ihrer Spätzeit im ersten Viertel des
III. Jahrhunderts v. Clir. so stark in praxitelischem Geist arbeiten, so versteht man
das besonders gut auf der Insel Kos, wo die der Knidierin zwar unterlegene, aber
doch auch wertvolle Aphrodite ihres Vaters stand 3). Es erklärt das aber auch, warum
die alexandrinischc Kunst des frühen III. Jahrhunderts v. Chr. so stark unter praxi-
telischen Einfluß gekommen ist. Herondas, der die Altarbilder der Söhne preist,
hatte Beziehungen zu Ptolemaios II. Philadelphos (285/4—247/6), der im Mai 308 V.
Chr. auf Kos geboren ist 4). Wahrscheinlich hat Ptolemaios IL, als er zur Herrschaft
gekommen ist (285/4), entsprechend der Aufforderung der Heroine von Kos bei Theokrit
XVII 64 ff. seinen Geburtsort mit reichen Gaben bedacht. Vielleicht sind
Tempel B und der davor liegende Altar auf seine Kosten ausgeschmückt
worden, und vielleicht hat Herondas den vierten Mimiambus zur Einweihung
von Tempel und Altar gedichtet. Dann mögen Kephisodot und Timarchos
auch in Ägypten für die Ptolemäer gearbeitet oder griechische Künstler aus
') Mit dem älteren, zwischen 400 und 350 v. Chr. anderen Demos stammt. Loewy Nr. 555. Klein,
errichteten Altar (Herzog, Arch. Anz. 1903, 191) Praxiteles 8 f. Er fehlt bei Lippold, Pauly-
haben die Söhne des Praxiteles natürlich nichts Wissowa XI i s. v. Kephisodotos.
zutun. Die Ausschmückung des mit dem Tempel B 3) Vgl. ihren Kopf auf Münzen von Kos, Bieber,
gleichzeitig neu erbauten Altars wird erst nach 2^itschrift für Numismatik XXXIV 1924, 316 ff.,
Fertigstellung des um 300 v. Chr. anzusetzenden Abb. i.
Tempelbaus erfolgt sein. 0 Vgl. Paton-Hicks, Inscriptions of Cos XXXII f.
') Der Trierarch Kephisodot auf den MarineUsten Ol. Jacoby, Marmor Parium 23, 309—8. Theokrit
III, 3 _ 113^4 = 333 _ 324 v.Chr. ist nicht XVII 58 ff. Herzog, Philologus LXXIX 423
identisch mit dem Bildhauer, da er aus einem u. 430 ff.
272
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
Ägypten die Werke auf der befreundeten Insel studiert und dann in Alexandrien
nachgeahmt haben. Sehr lange nach ihrer Tätigkeit in Kos können die Brüder
aber nicht mehr gewirkt haben, auch nicht Timarchos, der gewöhnlich als der
bei weitem jüngere gilt. Schon die Art, wie die beiden immer gemeinsam, fast wie
Zwillinge genannt werden, spricht dagegen. Vor allem aber war bereits ein Sohn
des Timarchos, der nach seinem berühmten Großvater Praxiteles hieß und den eine
Inschrift aus Delphi als Bildhauer bezeugt, Ol. 128, 2 oder 3 d. h. 267/65 v. Chr. Prie-
ster des Asklepios '). Auch von dieser Seite her wird die oben gewonnene Datie-
rung bestätigt.
Noch wichtiger sind die Folgerungen, die sich aus der genauen Datierung der
Söhne des Praxiteles für die Zeit ihres Vaters und ihres Großvaters ergeben. Beide
sind später anzusetzen, als augenblicklich meistens geschieht. Praxiteles gilt für
bedeutend älter als Lysipp. Wenn aber der Sohn des Praxiteles, Kephisodot, am
Anfang des III. Jahrhunderts mit dem Sohn des Lysipp, Euthykrates, gemeinsam
die Porträtstatue der Dichterin Anyte (oben Nr. 12) arbeitete, so kann der Alters-
unterschied zwischen den beiden Vätern, wie schon Klein gesehen hat ^), nicht so
ungeheuer groß gewesen sein. Wenn die Söhne, wie es nach der Formel 01 Upr^ii-
ziltw uotBs? bei Herondas, 0? npa^ixeXooj uJei; bei Plutarch oder oJ itaiSs; ot llpajt-
■zikvj; bei Pausanias scheint, gewissermaßen die Firma des Vaters fortgeführt
haben, so muß ihre Tätigkeit unmittelbar an die des Praxiteles angeschlossen haben.
Der Vater muß also bis ca. 320 v. Chr. tätig gewesen sein, nicht, wie man gewöhn-
lich annimmt, nur bis ca. 332 v. Chr. Entsprechend muß dann der Beginn seiner
Tätigkeit vom Jahre 370 und sein Geburtsdatum von 404 herabgerückt werden. Daß
das möglich ist, dafür spricht eine Reihe von Tatsachen.
Das jüngste für Praxiteles bezeugte Werk sind die Bildwerke auf dem Altar
vor dem Artemision von Ephesos3). Dieses ist zwar nach dem herostratischen Brand
des Jahres 356 v. Chr. neu aufgebaut worden, aber dieses Datum gibt nur den ter-
minus post quem. Als Alexander im Jahre 334 v. Chr. nach Kleinasien kam, war der
Tempel noch nicht beendet, denn sonst hätte er sich nicht erbieten können, ihn auf
seine Kosten fertigstellen zu lassen 4). Den Altar aber hat man sicher erst nach völ-
liger Herstellung des Tempels begonnen, und der plastische Schmuck pflegt immer
das letzte zu sein, was einem Bau angefügt wird. Ich erinnere an die Giebelfiguren
des Parthenon und die Koren vom Erechtheion.
Ahnlich steht es mit dem Werk, das als das älteste bezeugte von Praxiteles
gilt, der Gruppe von Leto, Apollo und Artemis in Mantinea 5). Auch hier ist die Schlacht
') Loewy, Inschriften griech. Bildhauer Nr. 537
l»'» 539- Der im Testament des Theophrast
Diog. Laert. V 2, 52 im Jahre 287 v. Chr. ge-
nannte Praxiteles ist wohl ein anderer Angehöriger
der Familie, der Philosophie studierte. Vgl.
Fränkel, Inschriften von Pergamon 71 f. u.
Perdrizet, Revue des Stades grecques XI 1898,82 ff.
^) Klein, Praxitelische Studien 29 ff.
3) Strabon XIV 23 p. 641 B.
4) Arrian I 17, 10 ff. 18,2. Strabon XIV 22
p. 64of. Hiller von Gaertringen, Inschriften von
Priene XI.
5) Pausanias VIII 9, i. Amelung, Die Basis des
Praxiteles in Mantinea. Svoronos, Athener
Nationalmuseum 179 ff. Nr. 215 — 217 Taf.
XXX— XXXI.
Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
273
bei Leuktra vom Jahre 371 v. Chr. doch nur ein terminus post quem. Die erhaltene
Basis weist auf ein entschieden jüngeres Datum, wie schon Sieveking und Buschor
gesehen haben, die sie allerdings übertreibend ins Ende des IV. Jahrhunderts setzen
und mit Vollgraff dem gleichnamigen Enkel des berühmten Praxiteles geben
wollen •). Wenn Dickens *) zu ihr attische Grabreliefs aus der Zeit von 350 — 320
vergleicht, so hat er damit wohl das richtige getroffen. Auch Rodenwaldt datiert
die Basis ca. 350 — 340 v. Chr. 3).
Den modernen Irrtum, ein Ereignis, das den ersten Anstoß zur Schöpfung eines
Bildwerks gibt, zur Datierung in der Weise zu verwerten, daß die Ausführung un-
mittelbar erfolgt sein muß, scheint auch Plinius geteilt zu haben. Wenn er die Blüte-
zeit des Praxiteles in die 104. Olympiade (364 — i v. Chr.) setzt, so datiert er ihn
wahrscheinlich nach dem Auftrag der Koer, ihnen nach ihrem Synoikismos vom
Jahre 366/5 v.Chr. (Ol. 103, 3) eine Aphrodite zu schaffen-»). Daß dies ein Frühwerk
war, geht aus der Tatsache hervor, daß der Bildhauer den Bestellern mehrere Fas-
sungen zur Auswahl lieferte. Ein berühmter Künstler pflegt das nicht zu tun. Es
entwickelte sich vielmehr erst der Ruhm des Praxiteles durch die von den Koern
verschmähte, von den Knidiern angekaufte nackte Liebesgöttin. Daß die Koer so-
fort nach der Neugründung ihrer Stadt die Statue bestellt hätten, ist kaum anzu-
nehmen. Wenn wir den Auftrag ca. in das Jahr 360 v. Chr. datieren, so wird dies der
richtige Beginn der Blütezeit des I^raxiteles sein. Wir müßten sonst bis nach 355
V. Chr. herabgehen, da 357 — 55 Kos an dem Bundesgenossenkrieg gegen Athen teil-
nahm und in dieser Zeit sicher keinem Athener Bürger einen Auftrag erteilt hätte 5).
Als frühreifer Meister wird Praxiteles seine Akme in einem früheren Lebensalter
erreicht haben, als seine unbedeutenderen Söhne. Immerhin wird die Spannung von
64 Jahren zwischen der Blütezeit von Vater und Söhnen, die bciPlinius vorliegt, um
etwa 15 Jahre zu verringern sein ^).
Für eine spätere Ansetzung der Lebenszeit des Praxiteles spricht auch sein
Verhältnis zu Phryne "). Außer mit dem Künstler war diese Hetäre mit Hypereides
befreundet, der 390 — 322v.Chr. gelebt und sie ca. 340 v. Chr. verteidigt hat '^). Phryne
hat ferner dem Apelles Modell zu seiner Anadyomene gestanden, dessen Blüte Plinius
XXXV 79 in die Jahre 332—329 (Ol. 112) setzt und der im IV. Mimiambus des He-
■) Vollgraff, Bull. corr. hell. XXXII 1908, 247 ff. d. griech. Künstler I 336 vermutete schon, daß
Buschor u. Sieveking, Münchener Jahrbuch der die Zeitbestimmung des Plinius den Anfang der
bildenden Kunst VII 1912, 125. Studniczka, oben Tätigkeit des Praxiteles bezeichnet.
S. ii8Anm. 2. Anders Herzog, Philologus LXXI 5) Vgl. Paton-Hicks a.a.O. XXIX.
1912, I ff. und Rodenwaldt, R. M. XXXIV 1919, '") Plinius XXXIV 50 f. Klein, Praxiteles 12.
68 ff. 7) S. den Aufsatz von Lippold über Praxiteles und
') Dickens, British School Annual XXI 1914—15, Phryne oben S. 155 ff.
6 ff. PI. I 1. Trotzdem datiert auch er die Reliefs ») Vgl. die Reste der Rede des Hypereides Nr. LX,
erst um 300 v. Chr. 1 Athen. XIII p. 590 und Alkiphron I 30. Über
3) Rodenwaldt a.a.O. 70. Hypereides Kirchner, Prosop. att. Nr. 13912.
4) Vgl. Paton-Hicks, Inscriptions of Cos XXVII f. Adolphe Reinach, Recueil Milliet, Textes relatifs
Klein, Praxiteles 16 f. Auch Brunn, Geschichte ä l'histoire de la peinture ancienne I 332 Anm. i.
274 Margarete Bieber, Die Söhne des Praxiteles.
rondas v. 72 — 78 als vor kurzem gestorben gedacht ist '). Die Statue der Phryne
in Delphi kann aus historischen Gründen kaum vor 345 v. Chr. aufgestellt worden
sein, da seit 372 v. Chr. der delphische Tempel zerstört war und in den Jahren 358
bis 345 der Heilige Krieg die Aufstellung von Weihgeschenken unmöglich machte.
Die Statue deswegen mit Pomtow ^) vor 372 anzusetzen, scheint mir unmöglich.
Damit wird Kleins Scheidung zweier Phrynen überflüssig 3).
Auch die Verbindung mit dem Maler Nikias, der in der zweiten Hälfte des IV.
Jahrhunderts v. Chr. und sicher noch um 300 v. Chr. tätig war, spricht dafür, daß
Praxiteles später gelebt hat als gewöhnlich angenommen wird. Daß Nikias nur in
seiner Jugend für Praxiteles gearbeitet habe, ist eine moderne willkürliche Annahme.
Auch hier wird die vorgeschlagene Verdoppelung des Nikias überflüssig 4).
Zu gleichem Resultat führt die bekannte Nachricht, daß Phokion, der ca.
402 — 318 V. Chr. lebte, mit einer Tante des Praxiteles, der Schwester des älteren
Kephisodot, vermählt war 5). Wenn auch Anomalien in Verwandtschaftsgraden
vorkommen, so ist doch anzunehmen, daß die Tante mindestens 15, der angeheiratete
Onkel mindestens 18 Jahre älter war als der Neffe. Auch das führt auf das Geburts-
datum ca. 385, Beginn der Tätigkeit ca. 365, Frühblüte ca. 360 v. Chr.
Schließlich stimmt hierzu auch die Nachricht des Pausanias VIII 9, l, daß
Praxiteles im dritten Geschlecht nach Alkamenes gelebt hat.
Damit wird die Zeit zwischen der Blüte des älteren Kephisodot und des Praxi-
teles groß genug, um die Annahme, sie seien Brüder gewesen, zu widerlegen^). Die
von Plinius XXXIV 50 genannte Akme des älteren Kephisodot Ol. 102 (372 — 69)
ist sicher nach dem reifsten Spätwerk, der Eirene, datiert, die 375 — i aufgestellt
sein muß.' Das Heraufschieben dieser Statue in das Jahr 403 sollte jemand, der unsere
Zeit mitgemacht hat, nicht mehr vertreten 7). Wäre es denkbar, daß Deutschland
ein Jahr nach Abschluß des Friedensvertrages von Versailles eine überlebensgroße
Bronzestatue der Göttin des Friedens mit dem Gott des Reichtums auf dem Arm
aufgestellt hätte.? Genau so war das den Athenern nach der im Jahr 404 erfolgten,
durch den Hunger erzwungenen Übergabe Athens, nach Schleifung der Festungs-
werke, nach Auslieferung von Flotte und Kolonien, nach Anerkennung der spar-
') Pfuhl, Malerei und Zeichnung der Griechen II 737 Prosop. att. Sterama ad p. 226 Nr. 12172. Pomtow
§804. Adolphe Reinach a.a.O. I 315 und 340 a.a.O. 109. Mirone a. a. 0. 268 ff. Dagegen
^'""- '• richtig Perdrizet, Revue des ^tudes grecques XI
») Pomtow, J. d. I. XXXVII 1922, 109 f. 1898, 87 f. Lippold bei Pauly-Wissowa XI 232
3) Klein, Praxiteles 245 ff. Ihm folgen Pomtow und s. v. Kephisodotos 8 und in diesem Jahrbuch
Lippold. oben S. 155 ff.
4) PUnius XXXV 133. Plutarch, Non posse suaviter 7) Klein, Praxiteles 91 ff. Geschichte der griech.
vivi sec. Epic. 11,2. Pfuhl, Malerei und Zeich- Kunst II 242. Robert, Knöchelspielerinnen 18
nungll75i § 821 und 755 §825. Adolphe Reinach, /Vnm. 42. Ducati, Revue, arch^ol. 1906, 1 1 1 ff . und
Recueil Milliet I 286 f. Anm. 3 und 292 f. .\nm. 6. L'arte classica 461 f. Mirone a. a. O. 274 ff. Ame-
5) Plutarch, Phokion 19. Klein, Praxiteles 14 ff. lung, Arch. Anz. XXXIV 1919, 50 f. und R.
Dagegen Hauser, österr. Jahresh. VI 1903, 103 f. M. XXXVIII/XXXIX 1923/24, 41 ff. Die
Anm. 22. Kirchner, Prosopographia att. Nr. 15076. richtige Datierung Furtwängler, Meisterwerke
Pomtow, J. d. I. XXXVII 1922, 109. 514; Originalstatuen in Venedig 309; Beschrei-
'•) Furtwängler, Meisterwerke 5131. Kirchner, bung der Glyptothek in München Nr. 219.
Jahrbuch des Instituts XXXVIII/IX 1923/24 Beilage VIII zu Seit
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Hans Hörraann, Die römische Bahnenfront lu Ephesos. 27'>
tanischen Hegemonie aus politischen, ökonomischen und ethischen Gründen für
viele Jahre unmöglich '). Die Tätigkeit des Kephisodot kann damals frühestens
begonnen haben, da der Mann seiner Schwester gerade erst geboren wurde. Er
wird daher diesen bedeutenden Staatsauftrag erst ca. 30 Jahre später als reifer
Meister erhalten haben.
Die Tätigkeit des Kephisodot schloß an die seines Vaters, des älteren Praxi-
teles, an, die Furtwängler ^) auf rund 445—425 bestimmt hat.wobei er jedoch mit Recht
annimmt, daß Praxiteles noch länger in der Zeit des peloponnesischen Krieges
gearbeitet hat. Damit erhalten wir für die bedeutende Familie rund folgende Daten
ihrer Tätigkeit:
445 — 405 älterer Praxiteles,
405 — 365 älterer Kephisodot,
365 — 320 berühmter Praxiteles,
325 — 275 Söhne des Praxiteles.
Gießen. Margarete Bicber.
DIE RÖMISCHE BUHNENFRONT ZU EPHESOS.
Mit Beiläge VI— VIU.
Die vorliegende Arbeit ist ein monographisches Teilergebnis systematischer
Untersuchungen, mit welchen sich der Verfasser seit Jahresfrist auf dem Gebiete der
antiken Fassadenarchitektur befaßt. Spürt man den hier einschlägigen Denkmals-
resten in der sehr zerstreuten und ungleichwertigen Literatur nach, so fällt ein reiches
Material an, das in bezug auf seine wissenschaftliche Brauchbarkeit in vier Gruppen
eingeteilt werden kann: Denkmäler, die so gut erhalten sind, daß nennenswerte
Rekonstruktionen überhaupt nicht in Frage kommen; dann solche, die so vollständig
ausgegraben, mit Gründlichkeit untersucht und veröffentlicht sind, daß die nach-
prüfbare Wiederherstellung fast zwingende Beweiskraft hat und höchstens in un-
wesentlichen Punkten noch schwankt; solche, die hypothetisch und nicht in allen
Teilen überzeugend rekonstruiert sind, ohne daß der zu wenig exakte Aufnahmen
des wirklichen Bestandes bietende Text eine gesichertere Wiederherstellung erwarten
ließe; und schließlich die kleine Gruppe der Bauten, die, in der Rekonstruktion an-
fechtbar, trotzdem in der Aufnahme des tatsächlichen Bestandes insoweit vollständig
und genau behandelt sind, daß ein neuer Wiederherstellungsversuch mit Aussicht
auf Erfolg auch von einer Seite unternommen werden kann, die dazu nicht mit frischen
eigenen Beobachtungen an Ort und Steile ausgerüstet ist.
Zu den wenigen Fällen der letzten Art zählt in hervorragendem Maße die
römische Bühnenfassade von Ephesos. Die Nachprüfung ihrer bisherigen Wieder-
') Religiöse Gründe hätteniücht dagegen gesprochen, ») Furtwängler, Meisterwerke 137 ff-
da Eirene dauernden Kult hatte.
2^6 Hans HOnnann, Die römische KUhnenfront in Ephesos.
herstellungsversuche führte zu so überraschenden Resultaten hinsichtlich der Möglich-
keit eindeutiger Ergänzung, daß eine gründliche Neubearbeitung und detaillierte
wissenschaftliche Beweisführung unumgänglich schien. Im Rahmen der systemati-
schen Untersuchung über das Gesamtproblcm hätte diese vorwiegend monographische
Abhandlung leicht einen Fremdkörper und neben dem ohnehin umfangreichen übrigen
Stoff eine neue schwere Belastung dargestellt. Da ich außerdem einen baldigen
Abschluß jener Arbeit noch nicht in Aussicht nehmen kann, das vorliegende Rekon-
struktionsergebnis aber der Öffentlichkeit nicht länger als unbedingt nötig vorent-
halten wollte, schien eine gesonderte Bearbeitung des Stoffes angezeigt und bei dem
selbständigen Charakter der Aufgabe möglich.
Ohne meiner späteren Veröffentlichung vorgreifen zu wollen, konnte ich es mir
doch nicht versagen, der Beschreibung und Begründung des Rekonstruktionsversuches
eine kurze Betrachtung über seine Stellung und Bedeutung innerhalb des Kreises
römischer Fassadenarchitckturen der Kaiserzeit anzuschließen. Es ist eine hoffent-
lich willkommene kritische Würdigung des allgemeinen Zusammenhanges, die, ohne
Abgeschlossenes oder Erschöpfendes zu bieten, das Peinliche der isolierten Stellung
solch neuen Rekonstruktionsvorschlages als eines scheinbar rein lokalen Phänomen
zu mildern vermag. Auf der anderen Seite glaubte ich einen kleinen Überblick über
die vorrömischen Bauschicksale des Ephesischen Theaters vorausschicken zu sollen,
wie sie sich nach Gerkans neuen Untersuchungen darstellen. Dem einschlägigen
Abschnitt in seinem trefflichen Pricnc-Buch ') im allgemeinen folgend brauche ich
wohl nicht zu befürchten, dem Wert dieser Publikation, deren Schwerpunkt ganz
anderswo liegt, damit irgendwie Eintrag zu tun. Im Rahmen meines Themas aber
sind die Gedankengänge bei der Bedeutung, die ihnen für das Verständnis der späteren
römischen Periode zukommt, nicht ganz zu entbehren.
Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Hubert Knackfuß, meinem
verehrten Lehrer auf dem Gebiete der antiken Baukunst, außerdem den Herren
Professoren Paul Wolters und Albert Rehm für die archäologische und epi-
graphischc Überprüfung der vorliegenden Studie.
Die Hauptstufen in der baulichen Entwicklung des Ephesischen
Thcfiters.
Das Theater von Ephesos hat die erste genauere Untersuchung durch J. T.
Wood in den sechziger Jahren (Discovcries at Ephesos 68 ff.) erfahren. Für die
bauliche Forschung zeitigte sie leider fast nur Nachteiliges, da die zutage liegenden
Trümmer selten in der ursprünglichen Lage verblieben und die späteren Fundbeob-
achtungen dadurch für die Rekonstruktion nur noch in wenigen Fällen zu verwerten
waren. Die entscheidenden Grabungen erfolgten 1897 bis 1900 im Auftrag des österrei-
chischen archäologischen Instituts durch Hebcrdey, Niemann und Wilberg. Ihre
endgültigen Ergebnisse wurden in einer für die Zeit mustergültigen amtlichen Ver-
') A. V. Gerkan, Das Theater von Prione als F:inzelanlage und in seiner Bedeutung für das hellenistische
Hühnenwcscn, München 1921.
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 277
öffentlichung niedergelegt, dem 2. Band der »Forschungen in Ephesos« (Wien 1912),
auch heute noch die fast ausschheßHche Quelle unserer Kenntnis jener antiken
Theaterruine (in der vorliegenden Abhandlung einfach mit »Eph.« bezeichnet)').
Auf den wertvollen und grundlegenden Aufnahmen der genannten Forscher wird bis
auf weiteres jeder, der sich mit dem Ephesischcn Theater beschäftigt, aufbauen
müssen. Auch die gegenwärtige Untersuchung fußt darauf. Dem Verdienst jener
Männer vermag es keinen Eintrag zu tun, wenn an ihrer Auswertung der Grabungs-
ergebnisse neuerdings Kritik geübt werden muß. Teilen sie doch dieses Los mehr oder
weniger mit jeder wissenschaftlichen Forscherarbeit. Den bleibenden Wert des Ephe-
soswerkes wird aber gerade der am meisten zu schätzen wissen, dem durch die exakten
wissenschaftlichen Unterlagen ein selbständiges schöpferisches Weiterbauen erst
ermöglicht wurde. Was v. Gerkan (Theater von Priene 96) angesichts des Theaters
von Magnesia sagte, bestätigt sich gerade hier sehr deutlich, daß nämlich eine gute
Publikation einen dauernden Wert hat, gegenüber der veränderlichen, vom Fortschritt
der Wissenschaft abhängigen Beurteilung. »Es muß immer wieder betont werden,
daß eine ausführliche Veröffentlichung im Anschluß an eine Ausgrabung wissen-
schaftliche Pflicht ist, denn das gewonnene Material ist auch in der Gegenwart nicht
vor Vernichtung bewahrt.«
So ist denn in Ephesos der seltene Fall gegeben, daß die früheren Bearbeiter
das Material in wissenschaftlich einwandfreier Form aufgenommen und publiziert,
in ihren Ergänzungsvorschlägen aber daraus noch nicht all di"e Schlüsse gezogen
haben, die tatsächlich mit Sicherheit zu folgern sind. Es war daher, auch ohne weitere
Untersuchungen in loco, die zunächst nicht in Frage kamen ^), möglich, zur mono-
graphischen Bearbeitung dieses Theaters noch wesentlich neue Gesichtspunkte bei-
zubringen. Die österreichischen Forscher, denen Ausgrabungsleitung und amtliche
Publikation oblagen, haben sich zwar dieser beiden Aufgaben, wie gesagt, mit er-
freulichster Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit entledigt, in den Ergänzungs-
und Deutungsversuchen von Irrtümern jedoch nicht frei halten können.
Hinsichtlich der Erklärungen Wilbergs über den Bauverlauf vor der römischen
Periode hat schon Gerkan (a. a. 0. 90 ff.) dies nachgewiesen und vor allem der Auf-
fassung sich widersetzt, als ob das hellenistische Proskenion dieses Theaters eine
Verschiebung in die Vorderwand des römischen Logeions erfahren hätte 3). »Tat-
sächlich ist die erhaltene Säulenarchitektur weder hellenistisch noch ein Proskenion.
Unglaublich ist eine Versetzung des gesamten Aufbaues um 6 m, wie sie von Wilberg
in römischer Kaiserzeit vorausgesetzt wird. Die Schwellen wären dabei auf neue
Fundamente gesetzt worden, genau in der alten Anordnung, mit allen Marken und
■) Forschungen in Ephesos, Bd. II, herausgegeben 3) Vgl. dagegen M. Bieber, Denkmäler zum Theater-
vom österr. archäol. Institut, Wien 1912. Wesen im Altertum (Berlin-Leipzig 1921, S. 38 ff.),
») Ein nachträglicher, leider nur flüchtiger Besuch wo diese irrtümliche Hypothese Wilbergs ebenso
der Ruine im Herbst 24 bestätigte durchaus die wie die Rekonstruktionen Niemanns an der
Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung und römischen scaenae frons ohne Widerspruch auf-
gab keinen Anlaß zu grundsätzlichen Änderungen genommen sind,
(vgl. auch S. 301 Anm. 2).
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVUI/IX »933/24. I9
27g Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos.
Rißlinien, aber unter Vernachlässigung der früheren Verdübelung. All dies ist
undenkbar, die ganze Säulenstellung vielmehr nichts anderes, als die in situ befindliche
Stütze des frührömischen Logeions. Sie entspricht durchaus der gleichen Anlage in
Milet, auch in den Bauformen, die fraglos in die römische Kaiserzeit gehören.« Die
von Wilberg a. a. 0. 52 gegebene Zusammenstellung der dem Theater widerfahrenen
baulichen Veränderungen muß also vor allem bezüglich des Umbaues des Proskenions
am Anfang des i. Jahrh. v. Chr. eine Korrektur erfahren. In Wahrheit hat in dieser
Zeit ein neuerlicher Proskenionumbau gar nicht stattgefunden, so daß nun auch die
gleichzeitig gedachte Veränderung des Oberstockes früher gesetzt werden kann.
Ich möchte dieses neue Forschungsresultat hier vorwegnehmen, um gleich einmal
die vom Ephesoswerk abweichenden baugeschichtlichen Unterlagen, auf denen sich
mein Rekonstruktionsversuch der römischen scaenae-frons in Ephesos aufbaut, zu
beleuchten, dann aber, um zu zeigen, daß die bei Wilberg a. a. 0. Abb. 43 ff. wieder-
gegebenen Werkstücke auf keinen Fall für die Ergänzung der sc. -fr. in Frage kommen;
denn sie sind ausgesprochene Stützenglieder, die auch nicht durch die Fassaden-
gestaltung in ihrer Formgebung irgendwie bedingt worden waren. Wenn man sich
der am Dionysostheater u. a. Bauten vorgenommenen Rekonstruktionen erinnert,
scheint diese Feststellung nicht überflüssig.
Unter Berücksichtigung der von Gerkan aufgezeigten neuen Tatsachen stellt
sich nun die bauliche Entwicklung des Ephesischen Theaters in großen Zügen etwa
folgendermaßen dar. Der ursprüngliche Bau gehört der Neuanlage der Stadt um
274 V. Chr. an; »sein Skenengebäude bestand aus Porös, in der frontalen Ausgestaltung
unbekannt, aber mit ganz geschlossener Vorderwand« (im Gegensatz zu Frickenhaus'
Thyromataergänzung). »Für diesen Bau zuerst ein Holzproskenion anzunehmen '),
entbehrt der Begründung. Nach Analogie von Priene kann wohl von Anfang an ein
Steinproskenion angenommen werden, wahrscheinlich sogar aus Marmor«. Die Tiefe
dieses Proskenion betrug 2,8i m, die Länge 33,60 m und seine ebenfalls von Gerkan
errechnete Höhe 2,92 m (wobei allerdings ein Widerspruch in den Maßangaben der
Abb. 7 und 51 des Epheso'swerkes nur vermutungsweise behoben werden kann).
Auf dieses ursprüngliche Steinproskenion von normalen Abmessungen folgte
nun nicht, wie Wilberg 2) meinte, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein neuer einschnei-
dender Umbau. Dagegen hat das 2 .Jahrh. v. Chr. die erste wesentliche Veränderung
an der sc. -fr. selbst gebracht, nämlich jenen hellenistischen Umbau des Obergeschosses,
der es mit einer monumentalen Pfeilerwand nach dem Muster von Oropos, Priene
u. a., von 7 Öffnungen mit geradem Gebälksturz, ausstattete, die uns auch sonst
allenthalben als der regelmäßige Typ der hellenistischen sc. -fr. begegnet. Erhalten
haben sich von diesem Teil des Theaters vor allem stattliche Reste viereckiger Pfeiler,
in die römische Bühnendekoration eingeschlossen, die sich von den Porosmauern der
ersten Epoche durch Verwendung eines bläulich-weißen Marmors unterscheiden
(Eph. Fig. 30 und 31). Freilich ruhte auf diesen Pfeilern kein horizontales Stein-
') So wollte es Fiechter (vgl. s. Tabellen S. 27, Sp. 3 während Heberdey-Wilberg die Frage offen ließen.
in der »baugesch. Entw. des antiken Theaters«), ') Vgl. s. tabellarische Aufstellung Eph. 52.
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos.
279
gesims — die Werkstücke Eph. Fig. 33 und 34 gehören wohl gar nicht hierher —
sondern, wie Gerkan glaubhaft nachwies, lediglich ein einfaches Holzbalkendach,
Damit entfällt aber auch die für die neue zeitliche Fixierung dieser Bauperiode hinder-
liche Weihinschrift Nr. 31 (Eph. 155). In dieser Aufmachung müssen wir uns das
Skenengebäude im wesentlichen bis in die römische Epoche hinein erhalten denken.
Die nächste einschneidende Änderung brachte erst die Kaiserzeit mit der Um-
gestaltung der scaenae frons zur prunkhaften Säulenfassade. Hand in Hand damit
gingen weitreichende Umbauten in Froskenionhöhe, die auf nichts anderes hinaus-
liefen, als seinen Ersatz durch ein weiter zurückliegendes, niedriges Bühnenpodium,
das in zahlreichen Resten erhaltene römische Logeion. Wie schon angedeutet, hat
Wilberg sich verleiten lassen, seine Werkstücke für ein Proskenion aus dem i. Jahrh.
V. Chr. in Anspruch zu nehmen: »Nur die Voraussetzung, daß man es hier mit einem
späthellenistischen Proskenion zu tun hätte, scheint die Ursache gewesen zu sein,
die doch typisch römische Architektur der Werkstücke Abb. 38, 43 und 45 — 48 für
Abb. I. Aufriß der römischen Skenenvorderwand. Nach Eph. Fig. 60.
hellenistisch zu erklären und den Umbau möglichst spät anzusetzen.« Mit Recht
weist V. Gerkan (a. a. 0. 92 Anm. 2) auf die bedenklichen grundsätzlichen Folgen
eines solchen Beginnens hin.
Nicht vor dem i. Jahrh. v. Chr. also wurde der hellenistische Bau in allen
wesentlichen Teilen erneuert und zu einem Theater mit erhöhtem Bühnenpodium um-
gestaltet (Abb. i). Auf breitem, durch Ansätze an die alte Vordermauer gewonnenen Auf-
lager erhebt sich unmittelbar vor der ehemaligen scaenae frons eine reich geschmückte
Bühnenfassade mit Sockel aus Kalksteinrustikaquadern und ihrem tiefen Relief von
Nischen und verkröpften Säulen, etwa im Niveau des hellenistischen Oberstockes
und dessen alte Öffnungen verdeckend, zuerst zweistöckig, später auf drei Stockwerke
erhöht. Ihre richtige Ergänzung auf Grund der in situ erhaltenen und sonst zutage
geförderten Werkstücke bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.
Über dem alten Spielplatz ward das 6,19 m tiefe, 2,6 m hohe Logeion errichtet. Sein
Fußboden ruhte außer den seitlichen Auflagermauern auf 26 in 2 Reihen angeordneten
Säulen, 10 davorstehenden Pfeilern und der vorderen Abschlußwand. Ob er von Anfang
an aus Steinplatten bestand oder vorher als Holzboden, ist ungewiß. An Stelle der
Parodoi treten neue überwölbte Eingänge, über welchen Rampen auf das Logeion
führten. Hier wurde ein Abschluß durch Türen hergestellt, während die alten Parodoi
völlig versperrt waren. Statt Zugängen zur Orchestra entstanden also Aufgänge
zur Bühne. Gegen den Zuschauerraum hin stießen diese an einzelstehende Säulen,
19»
2go Hans Hönnann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
deren hohe Postamente während der Ausgrabung noch in situ standen. Ich halte
es für ausgeschlossen, daß diese Säulen mit der Architektur der Fassade in tektonischen
Zusammenhang gebracht waren. Denn jeder Versuch, mit der sicher ergänzten scaenae
frons einen solchen in halbwegs organischer Weise herbeizuführen, stößt auf unleug-
bare Schwierigkeiten. Dagegen ist ihre isolierte Stellung etwa als Statuenträger
nicht ohne Vorbild und Parallele (vgl. die Rekonstruktionen aus dem Canopus in der
Hadriansvilla zu Tibur')). Das Motiv, das gerade späten Architekturphasen in ihrer
Freude an Überschneidungen und Verunklärung des tektonischen Zusammenhangs
willkommen sein mußte — man denke etwa an die Karl Boromäuskirche in Wien
als Analogie aus der neueren Baukunst — , scheint in Griechenland auch schon frühei'
bekannt gewesen zu sein, wenn wir H. Thiersch's Wiederherstellungsversuch des
Tempels zu Tegea ') Glauben schenken dürfen. Mag man sich zu dieser Ergänzung
an einem Bauwerk des 4. Jahrh. v. Chr. stellen wie man will — in der Zeit der Er-
richtung unserer römischen Bühnenfassade jedenfalls ist kein Grund mehr vorhanden,
einem solchen Motiv, wenn die Funde nichts weiter bezeugen, irgendwie aus dem
Wege zu' gehen. Und das ist für die vorliegende Untersuchung insoferne von Be-
deutung, als wir die in situ befindlichen Basenresten darnach auf alle Fälle, was in
Wirklichkeit auch einst darauf gestanden haben mag, in den Erörterungen über die
Säulenfassade außer Betracht lassen können.
Die Orchestra wurde, mit Ausnahme ihrer Verkleinerung durch das Logeion,
nicht wesentlich verändert, mehr allerdings der Zuschauerraum.
Die so gewonnene Gestalt hat das Theater, von den Veränderungen an der
Bühnenfassade abgesehen, bis in das ausgehende Altertum bewahrt. Vor allem blieb
das Skenengebäude immer ohne unmittelbare Verbindung mit dem Koilon und ohne
Paraskenien.
Diese einschneidenden Änderungen fallen kurz vor das Jahr 66 n. Chr.
Nach der in einem späteren Kapitel ausführlich zu würdigenden Architravinschrift
(Eph. Nr. 34) ist die scaenae frons in diesem Jahre eingeweiht worden. »Bis dahin
ist also nicht nur die technisch in erster Linie erforderliche und darum naturgemäß
vor allem anderen in Angriff genommene Arbeit am Bühnenhaus, dem Logeion,
der Orchestra und den Parodoi durchgeführt, sondern auch die Schmuckwand soweit
aufgebaut, daß sie als fertiges Ganzes gelten kann, d. h. außer dem ersten auch das
zweite Geschoß, das ja erst den architektonischen Abschluß bringt, im wesentlichen
vollendet.« Diese Überlegung Heberdeys trifft zu. In der Tat haben wir in jenem
Datum einen »terminus, ante quem«, der aber auch nach rückwärts keinen allzu-
großen Spielraum läßt. Über die in der Ausführung des einzelnen zwischen beiden
Geschoßen erkennbaren nicht unerheblichen Abweichungen und ihre Erklärung
verweise ich auf die folgenden Abschnitte.
Etwa 25 Jahre später war der Nordflügel des Zuschauerraumes ausgebaut
und zuletzt in dieser Umbauphase kommt die Vollendung des Südfiügels. Rückt
P. Gusman, la viUa imperiale de Tibur 149 ff. J) H. Thiersch, Zum Problem des Tegea-Tempels.
^''''•^°3ff- J. d. I. XXVIII 1913, S. 266 ff.
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 28 1
man auf Grund der Inschriften den Baubeginn in das 3. oder 4. Jahrzehnt hinauf,
so könnte als äußerer Anlaß dieser durchgreifenden Umbauten ein Elementarereignis,
•wie das von Malalas (Ed. Bonn, pag. 246, 11) aus der Zeit des Claudius erwähnte
Erdbeben wohl in Frage kommen. Heberdey wenigstens denkt an eine solche Möglich-
keit. Trotzdem wird man die in der veränderten Geschmacksrichtung und der Wand-
lung in den künstlerischen Anschauungen begründeten Momente nicht unterschätzen
dürfen als ebenso wichtige innere Triebfedern jener Umgestaltung. Auf jeden Fall
ergibt sich für die scaenae frons eine Bauzeit von mindestens 20 Jahren. Eine so
lange Frist »dürfte ausreichen, um selbst bei Annahme eines einheitlichen Bauplanes
die oben erwähnten Differenzen in der Einzelausführung zu erklären«.
In nachtrajanischer Zeit sind bauliche Veränderungen nur mehr in einzelnen
Teilen und von geringerer Bedeutung zu verzeichnen. So erfolgte die Ausfüllung der
Interkolumnien der Logeionvorderwand durch Steinvertäfelungen und Einsetzung
zwei kleiner Rundnischen mit muschelförmigen Halbkuppeln in den äußersten
Stützenzwischenräumen, während die in der summarischen Zusammenstellung bei
Eph. 52 aufgeführten, gleichfalls dem Umbau unter Vedius Antoninus zugeschrie-
benen beiden Halbkuppelnischen größeren Ausmaßes an den Enden der scaenae frons,
wie ich nachweisen werde, überhaupt nie bestanden haben. Auch bekam das Theater
damals eine umlaufende Säulenhalle auf dem obersten Rang, ganz ähnlich wie in
Milet. — Die Zeit dieses Umbaues ist ebenfalls inschriftlich erwiesen und liegt
zwischen 140 und 144 n. Chr.
Die augenfälligste Veränderung der Bühnenwand nach der Trajanischen Zeit
ist der Aufbau des dritten Geschosses. Ich werde in den folgenden Abschnitten noch
ausführlicher darauf zurückkommen, daß kein Grund besteht, diese letzte Veränderung
einer soviel späteren Periode zuzuweisen, wie dies Heberdey glaubte tun zu müssen.
Weder stilistische Momente noch die besonders von ihm angestellte Kombination
mit der Erbauung des 3. Stockwerkes rechtfertigen seine Datierung bis in den Anfang
des 3. Jahrh. n. Chr. So wenig ich für eine gleichzeitige Errichtung der drei Geschosse
in einem Zuge angesichts der tatsächlich bestehenden stilistischen Verschiedenheiten
eintreten möchte, so scheint mir eine Verbindung dieses Geschoßaufbaues mit den
genannten Veränderungen am Logeion, also eine Datierung in die Mitte des 2. Jahrh.
doch das Gegebene. In diese Zeit fiele dann auch die Wiederholung des Rundgebälk-
motivs an den Flügeln des ersten Stockwerks. Ist doch die Tendenz, welcher sie
entsprang, offenbar verwandt mit den künstlerischen Absichten, die der Errichtung
des 3. Stockwerks zugrunde lagen. Andererseits gestattet die Tatsache, daß diese
Einbauten in ihren erhaltenen Sockelpartien gegenüber den späteren Auswechslungs-
arbeiten noch das ältere Material verwendet zeigen und der Austausch der Orthostaten
die von ihnen verdeckten Teile nicht betroffen hat, nicht jene Veränderungen mit den
gleich zu erwähnenden Ausbesserungsarbeiten zeitlich auf eine Stufe zu stellen.
Als »letzte Bauperiode« mögen dann die bei Eph. Kap. 3 beschriebenen Repa-
raturen an Gesimsen und Giebeln des 2. und Sockeln des i. Geschosses gelten und
meinetwegen in Rücksicht auf die ursprüngliche Verwendung der Inschrift aus
Commodus' Zeit an einem der Ersatzgesimse erst in den Anfang des 3. nachchristlichen
282
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
Jahrhunderts verlegt werden. Die letzte Umgestaltung des Logeion, der Abschluß
der Südrampe gegen das Bühnenhaus zu, sowie einige Neuanlagen am Äußern des
Theaters wären anzufügen.
Nach dieser Darstellung muß die tabellarische Übersicht, in welcher bei Eph.
52 die wichtigsten Daten der Baugeschichte zusammengestellt sind, nunmehr
folgende Fassung erhalten:
I. Bauperiode
II. Bauperiode
I.
2.
3-
///. Bauperiode
[IV. Bauperiode]
Hellenistischer Bau
Neubau des Theaters und Ske
nengebäudes aus Kalkstein, mit
geschlossener (?) Bühnenwand
und Marmorproskenion ( .-')
Umbau des Obergeschosses der
Skenenfront (sieben weite Öff
nungen)
Römischer Bau
Vollendung der beiden unteren
Geschosse der scaenae frons
Vollendung des Nordanalemma
Vollendung des Südanalemma
Veränderungen am römischen
Bau
Abtrennung der untersten Sitz-
reihen,Vertäfelung der Logeion-
Vorderwand
Aufbau des 3. Geschosses
Verdoppelung des Rundge-
bälkmotives am l. Geschoß . . .
Ausbesserungen und Aus-
wechslungen an der Bühnen-
fassade
Ganz späte Reparaturen am
Logeion
Umbauten in byzantinischer Zeit.
Anfang des 3. Jahrh. bis Ende
des 2. Jahrh. v. Chr.
274 V. Chr.
Mitte des 2. Jahrh. v. Chr.
zwischen 40 und 112 n. Chr.
66 n. Chr.
ca. 92 n. Chr.
zwischen 102 und 112 n.Chr.
2. bis 4. Jahrh. n. Chr.
zwischen 140 u. 144 n. Chr.
Mitte des 2. Jahrh. n. Chr.
Mitte des 2. Jahrh. n. Chr.
Anfang des 3. Jahrh. n. Chr.
Ende des 3. Jahrh. n. Chr.
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront 2U Ephesos.
283
Abb. 2. Ephesos, römische Bühnenwand. Nach Ephesos II 53.
DIE RÖMISCHE BÜHNENFASSADE.
I.
WÜRDIGUNG DER BISHERIGEN REKONSTRUKTIONSVERSUCHE.
(Die Mängel und Widersprüche der Niemannschen Varianten.)
Die römische scaenae frons wurde (vgl. Eph. Fig. 6) vor der hellenistischen
Skene aufgebaut in drei Geschossen. Den Erhaltungszustand nach der Ausgrabung
zeigt Wilberg in Fig. 60 (hier Abb. i) und einer Heliogravüre (a.a.O. 53, hier Abb. 2).
Ihre Reste, die sich im Schutt über dem Bühnenhaus, dem Logeion und derOrchestra
fanden, führten zu den Rekonstruktionsversuchen, die Georg Niemann im Kapitel III
der Ephesospublikation begründet und beschreibt (vgl. vor allem Taf. VIII und IX).
Niemann machte dabei zwei Vorschläge, allerdings ohne von irgendeinem der beiden
ganz befriedigt zu sein. Er ist selbst viel zu ehrlich, um nicht die Schwächen und
Ungelöstheiten, die beide Varianten in ästhetischer und konstruktiver Hinsicht noch
besaßen und die er sehr wohl empfand, anzudeuten. Dazu kommt, daß er mit mehreren
bedeutsamen Werkstücken, die er zwar zu Lokalmotiven richtig ergänzte, in der ganzen
Komposition überhaupt nichts anzufangen wußte. Freilich schreibt er den Grund
dieses Mißerfolges dem Zustand des Ruinenfeldes und dem besonderen Charakter
der ganzen Kunstepoche zu, statt ihn eben doch auch in einer gewissen eigenen Be-
fangenheit diesen selbstgegrabenen Funden gegenüber zu suchen. Resigniert meinte
er am Schluß seiner Untersuchung (a. a. 0. 94) : »Wenn die Versuche, die Bühnen-
wand im Bilde wieder erstehen zu lassen, nicht zu einem überzeugenden Resultat
geführt haben, so liegt der Grund zum Teil in der ungenügenden Zahl der Fundstücke,
mehr aber noch im Charakter des römischen Massenbaues. Im Gegensatz zur griechi-
og I Hans Hönnann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos.
sehen Baukunst, welche auch in ihren späten Ausläufern sich nur ausnahmsweise
von dem Zwang der Säulenreihe mit ununterbrochen durchlaufendem Gebälk befreit,
ist der römischen Baukunst freiestes Spiel mit Säulen und Gebälken eigen. Die
Möglichkeit, die nachweisbaren Einzelmotive in verschiedener Weise zu ordnen
und zu ergänzen, hindert uns, über die wahre Gestalt der mächtigen Fassade volle
Gewißheit zu erlangen.«
Seit der Niederschrift dieser Zeilen ist unsere Kenntnis der römischen Baukunst,
in mehr als einem Punkte wesentlich erweitert und vertieft, weit genug fortgeschritten,
um auch i h r er Gesetzmäßigkeit gegenüber etwas sicherere Anhaltspunkte zu besitzen.
Es soll daher — ich wiederhole es mit Nachdruck — gar keine Schmälerung der Ver-
dienste Niemanns, der, wie gesagt, grundlegende und wertvolle Bausteine zu der
bildlichen Wiederherstellung der Fassade ohne Zweifel in Fülle beigetragen hat, darin
erblickt werden, wenn ich im folgenden ein neues rekonstruktives Ergebnis beschreibe,
das für sich in Anspruch nehmen kann, unter Verwendung der sämtlichen ge-
fundenen und publizierten Werkstücke eine eindeutige Lösung darzustellen, die
unserem Bild von anderen Fassadenfronten dieser Art zwanglos sich einfügt
und auch allen technischen und ästhetischen Anforderungen genügt. Es bedarf
natürlich einer präzisen wissenschaftlichen Begründung, welcher einer der folgenden
Abschnitte gewidmet sein soll, und zwar im Interesse der textlichen Klarheit getrennt
von der eigentlichen Beschreibung. Vorher muß ich aber doch noch auf die beiden
Niemannschen Rekonstruktionsversuche eingehen. Dabei kann es sich in diesem
Zusammenhange allerdings nicht um eine vollständige Beschreibung derselben
handeln. Vielmehr kommt es mir nur darauf an, ihre grundsätzlichen Widersprüche
und Mängel aufzuzeigen und damit die Notwendigkeit und Berechtigung einer neuen
Arbeit über dieses Thema darzutun.
Die Rekonstruktionsversuche Niemanns sind, wie er selbst zugibt, nicht über-
zeugend. Im Gesamtaufbau überhaupt nicht verwendet wurden von ihm die Werk-
stücke Eph. Fig. 151, Fig. 156, Fig. 173 und Fig. 190. Bei dem vereinzelten Stück
mit dem Schrankenmotiv (a. a. O. Fig. 173} ist dies soweit auch berechtigt. Seine
Zugehörigkeit zur Fassade ist zum mindesten unsicher, nachdem der Pfeiler überhaupt
verbaut gefunden wurde. Ihn mit der hellenistischen Front in Zusammenhang zu
bringen, wie Fiechter ') gern getan hätte, ist schon von anderer Seite im Hinblick
auf die stilistische Verschiedenheit abgelehnt worden.
Die beiden Werkstücke Fig. 15 1 hat Niemann richtig zu einem selbständigen
einzelnen Ädikula-Motiv in Fig. 152 ergänzt und in Rücksicht auf das Gegen-
stück Fig. 156 in symmetrischer Verwendung wiederkehrend angenommen. Er
hätte aber nur einen Schritt weiter tun dürfen und das vierte unbenutzte Werkstück-
paar (a. a. 0. Fig. 190) wäre zum mindesten in einen sekundären Zusammenhang
gebracht gewesen. Es sei gestattet, dies hier gleich genauer zu erläutern, um später
auf den Punkt nicht nochmals zurückkommen zu. müssen.
Die Architravlänge der Halbsäulenädikula errechnet sich nach den Bruchstücken
zu 2,07 m. Der Zeichnung des Bruchstückes Eph. Fig. 190 mit dem steigenden Voluten-
') Die baugeschichtliche Entwicklung des antiken Theaters 71.
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfiont zu Ephesos. 285
paar ist ein genauer Maßstab nicht beigegeben. Unter Berücksichtigung des ein-
kotierten Höhenmaßes von 0,47 m mißt man jedoch für die Länge ca. 1,90 m heraus. —
Der Gebälkvorsprung beträgt 0,26 m; die Dicke der Steinplatten (a. a. 0. Fig. 190)
0,21 m, wobei selbstverständlich eine leichte Zurücksetzung der Bekrönung zum
mindesten bis in die Architravfluchtlinie anzunehmen ist. Das Stück paßt in der
richtigen Zusammensetzung also sehr gut auf das Gebälk unserer Ädikula und wäre
dann natürlich gleichfalls an der Fassade zweimal zu ergänzen. Es ist vielleicht für
Niemann schwerer als für uns heutzutage gewesen, diese scheinbar so naheliegende
Kombination vorzunehmen. Kannte er doch noch nicht Forschungsresultate, wie die
Wiederherstellung des Nymphäums zu Milet, wo das Vorkommen dieser Zusammen-
stellung im zweiten Geschoß viermal und in etwas veränderter Form auch in der
Mitte des dritten Stockes nachgewiesen ist '). Ganz fremd war es allerdings auch der
Forschung vorher schon nicht mehr. Denn ein Krönungsglied wie das des Grabtempels
zu Termessos ^) ist, wenn auch im einzelnen verschieden, im Grunde doch ebenfalls
nach diesem Gedanken aufgebaut. Welchen Platz das so vervollständigte Ädikula-
motiv im Aufbau der Fassade innegehabt hat, wird im folgenden Abschnitt gezeigt
werden.
Von den vorgenannten Werkstücken abgesehen, hat nun Niemann sämtliche
Motive (aber nicht gleichzeitig, wie es eine endgültige Lösung natürlich erfordert
hätte) in zwei perspektivischen Variantenvorschlägen (a. a. O. Taf. VIII und IX)
untergebracht. Die Mängel und Unvollkommenheiten eines jeden der beiden Ver-
suche deutet er in rühmlicher Selbstkritik rückhaltlos an.
Bei dem ersten Versuch setzt er, um nur das Wesentliche herauszugreifen,
auf die beiden Doppelmotive mit gerundetem Architrav, welche in ihren sicher deut-
baren Spuren noch in situ unter den Überresten des Unterstockes erhalten sind,
wiederum solche im zweiten Geschoß. Es bleibt also, da die Motive unmittelbar zu
beiden Seiten der Mitteltüre sich befanden, die Mittelachse und Symmetrielinie ganz
unbetont : lediglich eine mittelgroße Rundnische mit Statuenfüllung wirkt als schwäch-
liche Markierung dieser doch im Brennpunkt der ganzen Komposition gelegenen
Stelle. Abgesehen davon, daß die Annahme einer Wiederholung des Doppelmotivs
im zweiten Stock an sich schon völlig unbegründet ist — davon soll später noch
ausführlich die Rede sein — , gesteht Niemann selbst die Schwäche gerade dieser
Zusammenstellung ein, indem er (Eph. 83) bemerkt: »Ganz ungewöhnlich und
geschultem architektonischen Empfinden widerstrebend ist hier die Anordnung
eines kreisförmig eingezogenen Gebälkes zwischen Dreieckgiebeln« (die eben dadurch
sich ergab, daß das zweite Geschoß in der ursprünglichen Anlage bereits den architek-
tonischen Abschluß nach oben zu brachte). Doch das sind nicht die einzigen Be-
denken ! Konstruktiv höchst gewagt ist das teilweise Aufsitzen von Massivmauerwerk
in den oberen Rechtecknischen auf dem Hohlraum der unteren Segmentnischen
des Doppelmotivs: »Ein großer Teil der oberen Nischenwand würde auf die wag-
7) Vgl. Hülsens Rekonstruktion, Milet, Ergeb- ») Lanckoronski, Städte Pamphyliens u. Pisidiens,
nisse der Ausgrabungen und Untersuchungen, Bd. II, Fig. 76.
Bd. 1, H. 5. Tafel 58 ff.
2gg Hans Hörmann, Die römische Bflhnenfront zu Ephesos.
rechte Plattenabdeckung der unteren Nische zu stehen kommen«. Es wäre dies
ein technischer Fehler, der auch durch die Annahme einer Öffnung in der oberen
Wand nur zum kleinen Teil beseitigt würde. Stilistisch aber ist, wie schon erwähnt,
ungelöst die unentbehrliche Heraushebung des mittleren Wandfeldes in beiden
Stockwerken. »Der Gedanke, daß die Mitte der Bühnenwand besonders ausge-
zeichnet war, ist naheliegend. « — Schließlich bleibt in dieser Variante das Werk-
stück Eph. Fig. 148/150, das Fragment eines größeren Dreieckgiebels, ganz außer
Betracht.
In dem zweiten Vorschlag (a. a. 0. Taf. IX) setzt Niemann über das Mittelfeld
des unveränderten Erdgeschosses ein Motiv mit gerundetem Architrav, tiefer Nische
und eingestelltem Stützenpaar, indem er es in Zusammenhang bringt mit einem
großen verkröpften Mittelgiebel. In den Wandfeldern daneben aber finden sich nun
tiefe Rechtecknischen mit Tonnengewölben. Die Anordnung des Mittelgiebels
stützt er hierbei auf den Befund des genannten Werkstück- Fragmentes Fig. 148/150,
das im ersten Fall überhaupt nicht hatte untergebracht werden können. Wenig kann
uns in dieser Komposition befriedigen, daß die starke lochartige Aushöhlung durch die
Rechtecknischen nun gerade über dem unteren Rundarchitravmotiv stattfindet. Der
Stelle stärkster plastischer Ausfüllung und schmiegsamerAusrundung unten entspricht
damit oben ein hartes rechteckiges Negativgebilde. Niemann verhehlt sich denn selbst
nicht, daß die Anordnung der rechteckigen Nische unmittelbar über dem gerundeten Ge-
bälk unharmonisch wirkt und keine überzeugende Lösung darstellt. Auch hier konnte
er der nächstliegenden Lösung — die breite und tiefe Rechtecknische als Träger des
Hauptstandbildes der Mitte über der großen Türe des l. Stockwerkes zuzuteilen,
wo sie in gleichem Maße entlastend wie betonend wirken mußte ■ — nicht näher kommen,
da er nach den Funden ein paarweises Auftreten dieses Motivs annehmen zu müssen
meinte. Daß er sich mit dieser Auffassung im Irrtum befand, werden wir später hören.
So schwankt Niemann in der Rekonstruktion der zwei ersten Geschosse unserer
Bühnenfassade hin und her zwischen Versuchen, die den konstruktiven Anforderungen,
die man billigerweise an eine solche Wiederherstellung richten muß. Genüge zu leisten
bemüht sind, und solchen, die vor allem den ästhetischen Gesichtspunkten Rechnung
tragen wollen; bestrebt, alle aufgenommenen Fundstücke gewissenhaft zu ergänzen
und der großen Komposition an richtiger Stelle einzufügen, erblickt er im Gesamtbild
schließlich doch immer nur unter Preisgabe des einen oder anderen Motivs eine
Lösung. Trotzdem wird man nicht leugnen dürfen, daß bereits im Ephesoswerk
für die zeichnerische Wiederherstellung der zwei ersten Stockwerke der römischen
Bühnenfront eine Reihe wichtiger Fixpunkte gegeben sind, an denen auch mein Re-
konstruktionsversuch von vornherein eine wertvolle Stütze gefunden hat.
Schlimmer steht es mit der Ergänzung des dritten Stockwerkes. Aus der Tat-
sache einer kleinen zeitlichen Differenz glaubte hier der Rekonstrukteur eine Freiheit
und Willkürlichkeit der Komposition gegenüber den unteren Geschossen ableiten
zu dürfen, die auf den ersten Blick die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der Wieder-
herstellung jedem verrät, der über die j üngeren Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet
unterrichtet ist. Vermeinte doch Niemann hier überhaupt in den Funden kaum mehr
Hans Hörmann, Die römische Bttbnenfront zu Ephesos. 287
feste Anhaltspunkte für die Anordnung der architektonischen Gliederung und Ver-
teilung der Motive zu erkennen ! Vor allem muß uns die fast völlig ungebundene, das
untere Achsensystem nur an ein paar Punkten aufnehmende Säulenfolge stutzig
machen, die auch in der späteren Kaiserzeit noch ohne Analogie dastehen würde.
Niemann suchte den befremdenden Eindruck freilich soweit als möglich
zu mildern, indem er wenigstens einige der Hauptachsen vom ersten
bis zum dritten Stockwerk durchlaufen ließ. Aber gerade diese Halbheit
hätte in Wirklichkeit die Abweichung der übrigen Achsen um so stärker
und peinlicher empfinden lassen. Daß in der perspektivischen Zeichnung (und nur
eine solche gibt, ich weiß nicht, ob bewußt oder unbewußt, der Verfasser) das Fremd-
artige und Bedenkliche eines derartigen Aufbaues etwas gemildert erscheint, darf
uns über die tatsächlichen Verhältnisse nicht hinwegtäuschen. Man wende auch
nicht ein, daß solche Achsverschiebungen im Geschmack der Zeit gelegen hätten
und als Anlaß malerischer Effekte angenehm empfunden worden wären. Dann müßten
wir vor allem andere Beispiele dieser Art zur Verfügung haben. Sie mangeln aber,
weil die stilistischen Voraussetzungen für solche Experimente fehlten. Denn nicht
barocke Überschneidungen wären das Resultat gewesen, jene auf Vermeidung klassi-
scher Frontalität angelegten Wirkungen eines sich immerfort zu verändern
scheinenden Formcharakters, wie er auch für die neuere Baukunst als ein typisches
Merkmal später Phasen festgestellt worden ist ! Dagegen wäre in die ganze Fassade
eine Beziehungslosigkeit und ein maßstäbliches Mißverhältnis gekommen, über
die sich wahrscheinlich auch Niemann angesichts eines Orthogonalrisses der von
ihm entworfenen Varianten sofort klar geworden sein würde. Jedenfalls wären das
qualitative Folgen ungebundenen Komponierens gewesen, die wir selbst einer Spätzeit
künstlerischer Entwicklung nicht ohne weiteres zutrauen dürfen. Aber — und damit
komme ich wieder auf den festeren Boden archäologisch-bautechnischer Erwägungen
zurück — Niemann hat auch in dem vorliegenden Fall Schwierigkeiten gesehen, wo
in Wahrheit überhaupt kaum welche zu beseitigen sind. Denn ich werde in einem
späteren Abschnitt Gelegenheit haben nachzuweisen, daß die Funde von Werk-
stücken des dritten Geschosses, so wie sie im Ephesoswerk beschrieben und abgebildet
werden, gar keinen Anlaß bieten, in der Rekonstruktion dieses später aufgesetzten
Stockwerkes von der Annahme der herkömmlichen axialen Stützenverteilung abzu-
weichen. —
Ich glaube, die Hervorhebung dieser wenigen allerdings bedeutsamsten Punkte
kritischer Beleuchtung der bisherigen Rekonstruktionsergebnisse dürfte die Be-
rechtigung, ja die wissenschaftliche Pflicht eines neuen ernsten Versuches zur Genüge
erweisen. Denn das Problem der bildlichen Wiederherstellung unserer imposanten
Bühnenfassade, dem ein Mann vom Range des ausgezeichneten österreichischen
Forschers einen kostbaren Teil seiner reichen Lebensarbeit gewidmet hat, verdient
eine endgültige Klarstellung schon um dessentwillen. Ist es ja nur an dem, die fast
reife Frucht zu pflücken, die Niemann mit soviel wissenschaftlicher Treue und Liebe
herangezogen hat, während es ihm versagt blieb, die Ernte selbst zu erleben. Aber
auch vom systematischen Standpunkt aus sollte sich diese Arbeit wohl lohnen. Ist
338 Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
doch das glänzende Phänomen der prunkhaften Fassadenbauten, die zu Beginn der
Kaiserzeit allenthalben meteorhaft auftauchen, merkwürdig genug, um unser Interesse
entwicklungstheoretisch in höchstem Maße in Anspruch zu nehmen. Das eigentliche
»Woher?« und »Wohin?« der seltsamen Typen liegt fast ganz im Dunkeln trotz
mancher beachtenswerter Hinweise in der bisherigen Literatur. Noch gilt es vor
allem Material zu sammeln. Und da muß jede monographische Arbeit, welche mit
einem charakteristischen Vertreter des Typus sich beschäftigt, wohl willkommen sein.
II.
BESCHREIBUNG DES NEUEN REKONSTRUKTIONS VORSCHLAGES.
(Hierru Beilage VI und VII.)
Im folgenden wird zunächst der Aufbau der drei Geschosse beschrieben, wie er
sich nach meiner neuen Ergänzung darstellt. In den beiden ersten bewegen wir uns
dabei auf fast gesichertem Boden, während im dritten Stockwerk bei den spär-
lichen Funden im einzelnen wohl auch andere Kombinationen möglich wären.
Schon einleitend wurde bemerkt, daß eine Hochführung von Paraskenienwänden
senkrecht oder schräg zur Frontmaucr, wie in den Neuschöpfungen der römi-
schen Zeit, hier nicht stattgefunden hat. Die Säulenfassade war daher in Ephesos
auch nicht mit ihren Enden an solche Flügclbauten angelehnt und konnte erst recht
an ihnen keine Fortsetzung erfahren. Sie stand vielmehr frei vor der mächtigen
Rückwand, die, an sich gerade verlaufend, durch eine Anzahl tiefer Nischen belebt war.
Die Gesamtlängenausdehnung der Rückwand und also auch der vorgesetzten
Säulenfassade betrug rund 42 m bei einer Mauerstärke von ca. 1,80 m; die vermutliche
Höhe vor dem Aufbau des dritten Stockwerkes rund 17 m, nachher über 22 m !
Das erste Stockwerk.
Die Bühnenrückwand, unter Mitbenützung stehengebliebener Reste des helle-
nistischen Skenengebäudes aus Marmorblöcken errichtet, weist im i. Geschoß
fünf Türöffnungen auf: Eine mittlere große und vier hierzu symmetrische in den
entsprechenden Abstufungen. Indes hat die Gleichwertigkeit der beiden äußersten
Türen gegenüber den anderen durch einen späteren Umbau etwas gelitten. Der
römische Aufbau war auch sonst nicht aus einem Guß, wie ich im ersten Kapitel
kurz zu zeigen Gelegenheit hatte. Von inschriftlichen Zeugnissen stattgefundener
Erneuerungen abgesehen und außer den erkennbaren Einbauten und Abänderungen
beweist es uns vor allem die verschiedene Behandlung der Ornamente und architek-
tonischen Gliederungen.
Zwischen den fünf Türöffnungen des ersten Stockwerkes sind vor die Wand
heraustretende Sockel von 1,90 m Vorsprung und ca. 2 m Höhe angebracht. Auf
ihnen standen, noch durch einen Stylobat davon getrennt, symmetrisch zur Mittel-
achse im ganzen 16 Freistützen, durch die Ausbildung von abwechselnd geringeren
und breiteren Interkolumnien zu 8 Paaren zusammengefaßt. Diesen entsprachen
an der Mauer rechteckige Pilaster von nur mäßig größerer Breite wie Ausladung.
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 280
Der Säulenachsenabstand in jedem Paar betrug 1,60 m, nur bei den zwei äußersten
Stützenpaaren etwas mehr. Hier müssen wir auch an Stelle der sonst nachgewiesenen
unkannelierten Rundsäulen mit jonischem Kapital, jonischer Basis und Plinthe vier-
eckige Pfeiler mit Füllornament und Kompositkapitäl oder ähnlichem ergänzen.
Außerdem weist der Sockel an diesen beiden Stellen zwischen dem Fußpunkt der
Pfeiler innerhalb jeden Paares einen Rücksprung auf von annähernd der Tiefe, welche
einer Seite des quadratischen Pfeilerquerschnittes entspricht. Nach den Funden
dürfen wir im Hintergrund der Pfeilerbaldachine je eine tiefere Nische fast quadrati-
schen Querschnittes annehmen, eingefaßt von zwei Pilastern, einem Gebälk mit
flachem Dreieckgiebel und schmaler Sohlbank. Die Nischen befanden sich 60 — 80 cm
über Sockeloberkante. Das nur schmale Wandfeld zwischen den Pilastern der
übrigen sechs Stützenkuppelungen war glatt. Ihre Sockel sind unverkröpft gewesen.
Zwischen den zwei Pfeiler- und sechs Säulenpaaren verbleiben sieben breitere
Interkolumnien. Fünf davon in beinahe gleicher Breite von je 3,30 m ca., nur das
zweite und sechste um ungefähr 60 cm schmäler. Im ersten, zweiten, vierten, sechsten
und siebenten Interkolumnium, vor denen der Sockel jeweils unterbrochen ist, sitzen
die fünf Tore, in der Höhe von der Mitte her abgestuft, ebenso in der Breite. Die
Abstufungen erfolgten offenbar in der Weise, daß die geometrischen Figuren der
lichten Öffnungen einander ähnliche Rechtecke bildeten, wie man es ja auch an
anderen Bühnenfronten hat feststellen können. Die Mitteltüre füllt die Mauerfläche
zwischen den Sockel vorsprüngen mit ihrem Gewände gerade aus; auch bei den zwei
nächsten Türen ist dies noch der Fall, da das verminderte Ausmaß durch die erwähnte
geringere Breite dieser Felder ausgeglichen wird. Nur bei den zwei äußersten verbleibt
zwischen Türprofil und Sockelansatz beiderseits ein Spielraum von etwa 80 cm,
der, wie wir sehen werden, neben anderen Momenten zum Anlaß der späteren Ver-
änderungen an dieser Stelle wurde.
Nur einen geraden Rücksprung um das Maß der Plinthenbreite, aber keine
Unterbrechung zeigt der Sockel der zwei großen Interkolumnien nächst dem mittleren
Wandfeld. Hier hat und zwar schon vom Anfang der Erbauung an eine Zusammen-
fassung der dritten und vierten, bezw. fünften und sechsten Säulenpaare zu einem
gemeinsamen wirkungsvollen Motiv stattgefunden (vgl. Eph. Tafel IV). Zu Seiten
einer Nische gelegen, sind hier je zwei Säulen gleich wie vor den übrigen Schmal-
feldern durch ein gemeinsames, gerade vorgekröpftes Gebälk miteinander zu Paaren
verkoppelt. Dieses Horizontalgebälk tritt nun aber zwischen den Stützenpaaren
nicht im rechten Winkel an die Wand zurück, sondern ist im Halbkreis vor der Nische
herumgeführt. Es wird dabei von zwei frei vor der Nischenwand aufgestellten Säulen
derart gestützt, daß innerhalb der Ausrundung drei gleiche Säulenzwischenräume
entstehen. (Die Projektionen des Gebälkes und Stellung der Säulen im Grundriß
zeigen Eph. Fig. 106 und 107, danach hier Abb. 3.) Der Querschnitt der Wand-
nische selbst läßt sich dahin beschreiben, daß zunächst in der Flucht der inneren,
d. h. der Nische zugekehrten Pilasterseiten, also in voller Interkolumniumbreite
ein gerades Stück etwa auf die Tiefe des Maßes eines Pilastervorsprunges aus dem
Wandkern herausgeschnitten ist, an welchem dann noch ein Segmentbogen be-
290
Hans Hörmann, Die römische Bllhnenfront lu Ephesos.
i' 1
Abb. 3. Anordnung des Doppelpostamentes, ergänzt. Nach Eph. Fig. 107.
deutender Stichhöhe und mit einer Sehne gleich der Länge des vorgelagerten Recht-
eckes in der Grundrißfigur sich ansetzt. Die Gesamtnische erreicht auf diese Weise
eine so erhebliche Tiefe, daß hinter und zwischen den oben genannten zwei Mittel-
stützen des Rundarchitravs ein kleiner Tabernakelbau Platz findet. Mit den
Ecken seines Sockelfußprofiles berührt er gerade die beiden Säulen der großen
Ordnung. Er selbst baut sich auf aus Sockel, Stylobat, zwei kleinen freitragenden
Säulchen und dem übUchen Gebälk mit Dreieckgiebel. Statuenschmuck als Füllung
dieses zierlichen Tabernakels ist anzunehmen.
An den freien Wandfeldern über den drei mittleren (und vielleicht auch äußer-
sten) Türen dürfen wir wohl plastischen Schmuck durch Masken ergänzen, Schau-
spieltypen, von denen Reste bei den Ausgrabungen gefunden worden sind. In den
zwei kleinen Nischen am Ende der Fassade mag gleichfalls eine figürliche Füllung
gedacht werden. Da Paraskenien fehlen, gibt ein kurzer seitlicher Überstand der
um etwa 50 cm hinter die Flucht der Bühnenwand zurückgezogenen Mauer an den
beiden Flügeln den natürlichen Anfallspunkt für die stärker ausladenden Sockel-
profile. Bekrönt ist die Säulenordnung des ersten Geschosses von einem aus dreifach
abgesetztem Architrav, reich verziertem Fries und Zahnschnittgesims zusammen-
gesetzten Gebälk, welches über jedem Säulenpaar gemeinsam vorgekröpft ist. Die
Wandarchitrave in den großen Interkolumnien liegen teils bündig mit der Mauer
— so vermutlich in den äußersten Feldern — , teils springen sie um das Maß der
Pilasterausladung vor — nach meiner Rekonstruktion über den drei mittleren Türen.
Nur über dem dritten und fünften Großinterkolumnium weist das Gebälk, durch
das Motiv der Segmentnischen bedingt, die bereits beschriebenen halbrunden Ein-
ziehungen auf.
Zusammenfassend läßt sich also das erste Geschoß als fünftürige scaenae
frons bezeichnen mit acht gekuppelten Stützenpaaren vor den Wandfeldern. Während
die vier äußeren unverbunden vor die glatte Rückwand gestellt sind, erfuhren die
vier mittleren eine Zusammenziehung zu zwei besonderen Motiven von breiter und
tiefer Segmentnische (genau genommen der Kombination einer solchen mit un-
mittelbar d. h. ohne Absatz vorgelagerter Rechtecknische) mit je einem Paar
weiterer großer Zwischenstützen (so daß wir also im ganzen 20 Stützen zu zählen
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
291
haben). Damit liegt ein starker Akzent allein auf den dem Mittelfeld benachbarten
Wandfeldern, während jenes selbst und die vier äußeren unbetont bleiben.
In dieser Gliederung zeigte sich die Front des ersten Stockwerkes von
Ephesos dem Theaterbesucher fast bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts nach Chr.
Abb. 4. Nördliches Ende der Buhnenwand. Nach Eph. II Fig. 131.
Das erste Stockwerk nach dem Umbau.
Schon Niemann hat den in situ befindlichen Resten richtig abgelesen, daß um
die Mitte des 2. Jahrhunderts am ersten Geschoß eine konstruktiv interessante und
stilistisch nicht unwesentliche Veränderung vor sich gegangen sein muß. Die Art,
wie er sich seine an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen motiviert dachte,
weicht aber erheblich von dem ab, was aus stilistischen und konstruktiven Über-
legungen heraus allein für möglich und berechtigt gelten muß. Ich beschreibe daher
im folgenden meinen Rekonstruktionsversuch.
Man erinnert sich, daß die beiden äußersten Türen ihre Wandfelder im Gegensatz
zu den anderen nur lose ausfüllten. Damit war der hier vorgenommenen Änderung
von vornherein die Bahn geebnet. Vorausschicken will ich noch, daß bei sämtlichen
Türen aus technisch naheliegenden Gründen die Rahmenstücke bedeutend schwächer,
also schmäler wie die übrigen Teile der Rückmauer gehalten waren : Sie hatten kaum
ein Drittel ihrer Dicke. Doch lagen die Türen mit ihren Stöcken in Flucht der Front-
wand, so daß nur gegen das Skenenhaus zu diese Differenz zum Ausdruck kam.
Es ist anzunehmen, daß die Abdeckung der so hinter den Türöffnungen entstandenen
ziemlich tiefen Nischen durch Gurtbögen erfolgte, so daß die Last des aufliegenden
Vollmauerwerkes des 2. Geschosses getragen werden konnte.
Diese Konstruktion gab ohne weiteres die Möglichkeit, Gewände und Sturz-
mauerwerk der beiden äußersten Türen zu versetzen und zwar soweit zurück, daß
k
292
Hans Höimann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos.
der Türstock nun mit der rückwärtigen Flucht der Mauer bündig zu liegen kam.
Jetzt konnte man vor den äußersten Türen den Sockel in der Weise ergänzen, daß
je eine halbkreisförmige Nische entstand. Es sind keinerlei Spuren vorhanden, die
darauf hindeuten, daß diese Veränderung am Sockel in darüber liegendem Mauerwerk
ihre Fortsetzung gefunden hätte. Vielmehr lassen Form und Größe der Sockelansätze
Abb. 5. Grundrißanordnung am Nordende der Btthnenwand, Oben jetziger Zustand, unten Zustand
vor dem Umbau (Ergänzung). Nach Eph. Fig. 133, 134.
es als sicher erscheinen, daß auf ihnen ein weiteres zurückgesetztes Säulenpaar im
Rahmen der Stützenordnung des Erdgeschosses seinen Platz finden sollte. Nur
aus diesem Grunde konnte eine so starke Verengung des Durchganges vor der zurück-
gesetzten Türe (Abb. 5 oben) durch die Sockelansätze beabsichtigt sein, daß erst
durch schrägen Verlauf der letzten seitlichen Anschlußfiächen die Breite des Tür-
profils wieder erreicht werden mußte. Tatsächlich deckt sich aber nun auch die
Stelle, die nach der Gestalt des Sockels als Auflagerfläche für den Säulenfuß in
Frage kommt, aufs Haar mit dem Platz, welcher sich aus der Analogie der mittleren
Nischenmotive ergibt.
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos. 2Q3
Es wurde also durch den Einbau zweifellos eine Wiederholung des Motivs der
vier mittleren Säulenpaare erzielt. Daß aber nun auch das Gebälk eine ähnliche
halbkreisförmige Ausbildung an diesen Stellen erfuhr, wird man wohl mit Recht
folgern. Denn damit bekommt die ganze zunächst höchst unpraktisch erscheinende
Umwandlung ja erst ihren Sinn, und der Einsatz der erforderlichen Werkstücke in
den Ecken bereitete kaum irgendwelche Schwierigkeiten; Auflagerfläche war dazu
genug vorhanden. Daß der Hintergrund der so entstandenen Mauernische von Quer-
schnitt und Ausstattung der älteren Segmentnischen abwich, hat bei den starken
Schattenwirkungen, die zu jeder Tageszeit hinter der Säulenstellung aufgetreten
sein müssen, nichts zu bedeuten.
Der entscheidende Eindruck war jedenfalls der einer Wiederholung der älteren
Mittelmotive auf den Flügeln der Bühnenfassade unter geschickter Einpassung in
das Gegebene. Die zwei kleinen äußersten Durchgänge wurden damit ihrer selbstän-
digen öffnenden Wirkung in der Fassade des ersten Stockwerkes entkleidet. Dieses
gibt sich jetzt deutlich als typisch spätrömische scaenae frons, in welche drei monu-
mentale Türöffnungen starke Zäsuren bringen, während die dadurch entstehenden
annähernd gleich breiten Wandabschnitte in der vorgestellten Säulenarchitektur
vier harmonische Festakkorde anklingen lassen. Das Thema, das ihrer Komposition
zugrunde liegt, lautet: »Eine Mittelnische, flankiert von zwei gekuppelten Säulen-
paaren, die jeweils durch gerundetes Gebälk mit unterstelltem stützendem Säulenpaar
eine Zusammenfassung erfahren. « Daß dabei in den an den Enden neu geschaffenen
Motiven durch die etwas größere Interkolumniumbreite der äußersten Stützenpaare
eine leichte Assymetrie verblieb, darf uns nicht beirren. Es war ein Moment von
untergeordneter Bedeutung, das man bei dem Umbau mit in Kauf nehmen mußte
und das sicherlich um den Preis der prächtigeren Ausgestaltung des ganzen Stock-
werkes auch unbedenklich hingenommen wurde.
Über die inneren Gründe dieser für den Gesamteindruck der Fassade des ersten
Geschosses sehr wesentlichen Veränderungen hier nur soviel, daß es jedenfalls aus-
geschlossen ist, dafür irgendwie erhebliche praktische Gesichtspunkte in Ansatz
zu bringen. Selbst wenn bühnentechnisch eine Herabminderung des früheren Fünf-
türensystems auf drei noch wirklich brauchbare Eingänge unter dekorativer Umge-
staltung der zwei außer Benutzung gekommenen an den Flügeln angestrebt worden
wäre - — eine Tendenz, die aber durchaus nicht allgemein ist — , so hätte man dies
auf anderen Wegen wesentlich einfacher und wohlfeiler erreichen können. Wir sind
daher tatsächlich wohl berechtigt, den interessanten baulichen Vorgang als ein
Symptom tieferer entwicklungsgeschichtlicher Tendenzen zu werten.
Zweites Stockwerk.
Hier schiebt sich zunächst zwischen Gebälk der ersten Ordnung und Stylobat
der zweiten ein Sockel ein, etwas niedriger, wie der des Erdgeschosses, welcher die
Bewegung des unteren Architravs mit Ausnahme seiner vier Ausrundungen mit-
macht. An ihrer Stelle ist bei dem Sockel ein gerader Verlauf anzunehmen unmittelbar
vor der Wandflucht bezw. deren idealer Fortsetzung, da nämlich, wo Nischen u. dgl.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIU/IX 1923/34- ^°
2QA Haos Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
angeordnet waren. Der Sockel trug einen Erotenfries als plastischen Schmuck. Die
i6 Freisäulen des zweiten Geschosses stehen auf den Achsen des unteren, mit glatten
Schäften und vermutlich kompositen Kapitalen ausgestattet. Ihre Höhe ist nur
unwesentlich geringer anzunehmen gegenüber denen des Erdgeschosses, entsprechend
der auch nur unbedeutenden Differenz in den unteren Säulendurchmessern. Die
acht gekuppelten Säulenpaare endigten in diesem Geschoß in abwechselnd segment-
und dreieckförmigen Giebeln. Die etwas breiteren Flügelbaldachine erhielten hierbei
Segmentgiebel, welche diesen Stellen eine naheliegende Betonung gegenüber dem
zweiten und dritten bezw. fünften und sechsten Baldachin verliehen. Gerade dieser
Umstand führt wie von selbst auf die Vermutung, daß nun erst recht über dem Mittel-
feld ein energischeres Krönungsmotiv angebracht gewesen sein muß. Ist schon
Niemann zu jenem Resultat auf Grund der größeren Giebel an den Enden, die bei ihm
Dreieckform haben, wenigstens in einer Variante gelangt, so ist diese Forderung
nach meiner Rekonstruktion noch dringlicher: Denn hier läßt die Rundform über
den Flügelbaldachinen deren Hervorhebung viel massiger erscheinen und erheischt
umsomehr einen entsprechenden Ausgleich über der Mitte. Aber auch im Zusammen-
halt mit der Gliederung des ersten Stockwerkes wird diese Lösung gefordert werden
können und schließlich ist der Rückschluß auf verwandte Fassadenaniagen — Niemann
selbst erinnert an das wenig spätere Theater von Aspendos — wohl erlaubt !
So habe denn auch ich für die Bekrönung der beiden mittleren Säulenpaare
dieses zweiten Stockwerkes einander zugekehrte gerade Halbgiebel gewählt, welche
sich über dem Mittelwandfeld dann zurückkröpfen und zu einem großen Dreieckgiebel
ziemlich flacher Neigung zusammenfügen. Die archäologische Unterlage dieser
Rekonstruktion freilich ist bei mir eine etwas andere und ich werde davon in der
Begründung meines Vorschlages noch zu sprechen haben. Die Neigung auch dieses
großen verkröpften Giebels wird wohl die gleiche gewesen sein, wie bei den zwei kleinen
Dreieckgiebeln auf den vorletzten Säulenpaaren, für keinen Fall steiler ! Eine plastische
oder farbige Füllung des mittleren Giebelfeldes ist anzunehmen. Die Reihenfolge
der Giebel vom einen Flügel zum andern ist also folgende: Mittelgroßer Segment-
giebel — kleiner Dreieckgiebel — kleiner Segmentgiebel — großer verkröpfter Mittel-
giebel (Symmetrieachse) — kleiner Segmentgiebel — kleiner Dreieckgiebel —
mittelgroßer Segmentgiebel. Sämtliche Giebel hatten Akroterien, nicht wie bei
Niemann figürliche Motive, sondern wohl etwas niedrigere ornamentale Dekorations-
stücke.
Das Gebälk der zweiten Ordnung (vgl. Eph. Fig. 142) ist einfacher als das des
unteren Geschosses, welches in seiner Behandlung die hellenistische Überlieferung deut-
lich verrät, und trägt im Gegensatz zu diesem entschieden römische Prägung. Architrav
und Fries sind aus einem Stück gearbeitet, jener von schwerfälliger Gliederung,
der Formenschmuck auf den Fries beschränkt, das Kranzgesims in einfachster
Ausführung gehalten. Trotzdem ist an eine zeitliche Verschiedenheit der beiden
Geschosse über das durch die natürliche Differenz des Baufortschrittes bedingte
Maß hinaus nicht zu denken. Die Wandarchitrave liegen teils bündig mit der Mauer,
teils springen sie etwas vor. Über den Säulenpaaren bilden sie gleichwie beim unteren
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos. 20S
Geschoß im Zusammenschluß mit zwei senkrecht ausspringenden und einem parallel
zur Rückwand freiliegenden Architrav die erforderlichen Gebälkkröpfe und den
Rahmen für tiefliegende Kassetten •). Als Träger der Gebälkkröpfe fungieren die
Säulen und mit diesen korrespondierende Pilaster. Die Kapitale der letzteren zeigten,
wie vielleicht auch die der vier Erdgeschoßpfeiler, jene der späteren kleinasiatischen
Architektur eigentümliche Mischform, die man in Erinnerung an Möbeltypen der
Empirezeit mit dem nicht gerade schönen, aber anschaulichen Namen »Sofakapitäle«
belegt hat (Eph. Fig. 119 — 126). Doch wird von ihrer gewöhnlichen Ausbildung
hier insoferne abgewichen, als auf allen drei Seiten »Vorderansicht« gegeben ist. —
Im Hintergrund der Flügelbaldachine habe ich auf Grund von Fundstücken auch
für das obere Geschoß kleine ädikulare Rechtecknischen angenommen, nur natürlich
gegenüber denen des Unterstockes entsprechend verkleinert.
Nun zu den sieben Wandfeldern zwischen den Säulenpaaren dieses Geschosses 1
Für die fünf mittleren müssen wir nach der Rekonstruktion Nischenfüllung annehmen:
Im Mittelfeld, es ganz ausfüllend, eine tiefe Rechtecknische mit Tonnengewölbe;
in den vier seitlichen Feldern Halbkreisnischen von jeweils etwas verkleinertem Quer-
schnitt, nicht ganz so knapp eingepaßt, wie in der Mitte, aber sie doch noch füllend. Alle
Nischen haben Pilaster- und Archivoltenumrahmung, wobei das Kämpfergesims in
gleicher Höhe liegt. Figurale Besetzung unter entsprechender Betonung des Mittelfeldes
ist anzunehmen. Es bleiben nun noch die beiden äußersten Wandfelder. Ihnen
müssen wir ein Motiv zuweisen, das Niemann in seinen beiden Varianten überhaupt
nicht hat unterbringen können und das in diesem Sinne schon in einem früheren
Kapitel Erwähnung gefunden hat: Die Eph. Fig. 152 rekonstruierte Ädikula in Ver-
bindung mit dem krönenden Volutenornament Eph. Fig. 190.
Die beiden äußersten Wandfelder springen um das Maß der Pilasterausladung
vor der Mauer hinter dieselbe zurück, so daß also eine Art Nische, aber in voller
Interkolumniumbreite und ohne Absatz gegenüber den Pilastern entsteht. Diese
selbst, deren Seitenflächen hier in der doppelten Breite ihrer frontalen Abmessungen
nachgewiesen sind, greifen mit ihren Kapitalen in die Nischen herein. Der Fries-
sockel aber bleibt in dergleichen Ebene wie vor den übrigen Wandfeldern. So ergibt sich
ein natürliches Auflager für das obengenannte Motiv. Es besteht aus Halbsäulen,
die in einem Achsenabstand von nicht ganz 1,50 m unmittelbar an die Wand der
Nische gesetzt sind. Ihr Querschnittsmittelpunkt ist ein ganz klein wenig vor die
Mauer herausgerückt. In den Maßen, Fuß- und Kapitälformen stimmen sie mit der
übrigen Ordnung überein. Selbstverständlich bedingten sie eine entsprechende
Verkröpfung des Gebälkes — und im Gang der Rekonstruktion war diese überhaupt
das Primäre, die Partie, welche in erster Linie durch Funde gegeben und gesichert ist:
Ein Gebälkvorsprung ohne Giebel (Eph. Abb. 151) vonnuro,26 m bei einer Architrav-
länge der Ädikula von 2,07 m ! Die seitlich ausladenden Gesimse waren demnach
bei einer Breite der äußersten Wandflächen von 3,63 m durch einen Raum von wenig
mehr als 30 cm zwischen den Hängeplatten voneinander getrennt. Die obere Be-
') Vgl. Eph. Fig. HO, wo diese Ausbildung für das Erdgeschoß rekonstruiert ist.
296
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
krönung der Ädikula dürfen wir — ich kann mich da auf die früheren Ausführungen
über die Berechtigung dieser Zusammenstellung beziehen • — in einem 47 cm hohen
rechteckigen Werkblock von 21 cm Dicke und etwa der Länge ihres Architravs
sehen; an seiner Vorderfläche sind zwei gegen die Mitte zu ansteigende und dort sich
berührende Volutenkonsolen in flachem Relief mit Spiralen- und Rankenornamenten
als Füllung herausgearbeitet (vgl. Eph. Fig. 190).
Über dem Gesims des zweiten Stockwerkes war die Mauer als Attika jedenfalls
noch soweit fortgesetzt, daß die Giebel und besonders auch deren größter in der
Mitte der Fassade gegen die Rückwand anlaufen konnten. Unmittelbar über dem
First des gebrochenen Mittelgiebels erst dürfen wir uns daher den Gesimsabschluß
vorstellen. Ob die Attika ursprünglich ganz glatt war, d. h. ohne Vor- und Rück-
sprünge oder Verkröpfungen, und erst beim Aufbau des dritten Geschosses solche in
dem dazu notwendigen Umfang über jedem Säulenpaar erhalten hat, ist nicht
mehr nachzuweisen. Es bleibt auch denkbar, daß es sich hier um bereits dem ursprüng-
lichen Bau eigentümliche Anordnungen handelt. Beides wäre stilistisch möglich.
Näher scheint mir freilich das erste zu liegen, nachdem ein nachträgliches Versetzen
der Postamente keinerlei technische Schwierigkeiten verursachen konnte.
Schließlich noch ein Wort über den seitlichen Abschluß des ersten Fassaden-
aufbaues, der übrigens durch die Zutat des dritten Stockwerkes keine Veränderung
mehr erfuhr. Hier ist anzunehmen, daß der kleine seitliche Vorsprung, den die
Rückmauer im Erdgeschoß vor den äußersten Fassadenflügeln hatte, auch im zweiten
Geschoß seine Fortsetzung fand, so daß hier ebenfalls Sockel- und andere kleinere
Profile sich daran totlaufen konnten und überall ein klarer Anschluß sich ergab.
Nur die beiden Hauptgesimse dürften seitlich an der Wand des Bühnenhauses
fortgelaufen sein, ebenso die Attika mit ihrem kleinen Abschlußgesims. Um das Maß
der Hauptgesimsausladung vorstehend trat vor die Attika auch hier ein Dreieckgiebel
mit Akroterien, der wohl die ganze Breite des nicht all zu tiefen Bühnenhauses über-
spannte. Seine Neigung war etwas größer als die der frontalen Dreieckgiebel. Er
überschnitt daher in der Mitte zum Teil das Deckgesims der Attika und ragte wohl
auch noch ein Stück frei darüber hinaus, ohne daß sich genauere Maße für diese
Ausbildung heute noch nennen ließen.
Das dritte Stockwerk.
Gleich den oben beschriebenen Einbauten in der Fassade des Erdgeschosses
gehört der Mitte des zweiten Jahrhunderts auch die augenfälligste Veränderung
der Bühnenwand an, der Aufbau des letzten Geschosses. Noch später dürften die
verschiedenen Reparaturen und Auswechslungen an Gesimsen und Giebeln des
zweiten und den Sockeln des ersten Stockwerkes gewesen sein. »Sie sind durch starke
Abweichungen in den Maßen, Formen und Ornamenten einer ganzen Anzahl von
Fundstücken erwiesen, an deren Zugehörigkeit zum System der Bühnenfassade
andererseits doch nicht zu zweifeln ist, zum Teil aber auch durch Verschiedenheiten
des Materials, wobei vielfach die Wiederverwendung älterer Stücke zu bemerken ist.
Die Datierung dieser Arbeiten in den Anfang des dritten Jahrhunderts auf Grund
Hans HörmanD, Die römische BUhnenfront zu Ephesos. 207
der schon genannten Inschrift aus Commodus' Zeit wäre mit den Formen und der
Ausführung jener Ersatzstücke wohl vereinbar.« Auf jeden Fall ist kein Anlaß vor-
handen, viel weiter herabzugehen.
Von der dritten Säulenordnung sind nur mehr geringe Überreste erhalten:
Gesimsstücke, Architrave mit angearbeitetem Fries, sowie einige Kapitale. Meine
Rekonstruktion kann daher hier nur in den wesentlichen Zügen als gesichert
gelten, während in Einzelheiten eine andere Zusammenstellung der Motive ebenfalls
gewisse Berechtigung hätte, freilich nicht entfernt in dem Spielraum wie Niemann
glaubte es beklagen zu müssen. Immerhin möchte bei Fortsetzung der Beschreibung
in der für die zwei ersten Geschosse gewählten bestimmten Form die Gefahr bestehen,
daß doch dem einen oder anderen Detail ein durch die Tatsachen nicht gerecht-
fertigter Grad der Sicherheit zugemessen würde. Eine Trennung der genauen
Analyse dieses dritten Geschosses von der späteren wissenschaftlichen Begründung
scheint mir überhaupt untunlich. Ich will mich also darauf beschränken, lediglich
die charakteristischen Grundzüge seines Aufbaues hier zusammenzustellen, die
nach meinem Untersuchungsergebnis als begründet gelten dürfen.
Da ist zunächst der Umstand zu erwähnen, daß die gegenüber der älteren
Rückwand bedeutend schwächere, im übrigen aber gleich jener undurchbrochen
hinlaufende Bühnenrückmauer gegen die dem Inneren des Bühnenhauses zuge-
kehrte Flucht der unteren scaenac frons nur um wenige Zentimeter abge-
setzt war. Um so größer fiel daher der Rücksprung gegen die andere Seite, also
nach vorne zu aus. Bei den an sich bedeutend kleineren und zierlicheren Abmessungen
(die Säulenhöhe verhält sich zu der des unteren Geschosses etwa wie 2 : 3 und dem
entsprechen alle anderen Proportionen) wurde es auf solche Weise möglich, die vor-
deren Freisäulen dieses dritten Geschosses auf die Achsen der Wandpilaster der beiden
unteren Ordnungen zu setzen, ohne daß der Abstand von den entsprechenden Pilastern
der dritten Ordnung unter das den übrigen Verhältnissen angepaßte Maß herab-
gedrückt wurde. — Eine ebenso einfache wie geschickte Lösung!
War so nach der Tiefe ein organischer Zusammenhang mit den ausschlaggebenden
Schichtflächen im Aufbau der alten Fassade hergestellt — die dritte Ordnung er-
scheint jetzt einfach um ein Stützenabstandsmaß zurückgesetzt! — , so blieb dieser
Zusammenhang ganz sicher auch in der für die Erscheinung der Fassade noch viel
wichtigeren Frontalansicht gewahrt, d. h. es genügt jedenfalls nicht, wie Niemann
glaubte, nur die fünf Hauptachsen der Fassade beizubehalten, dazwischen aber ein
willkürliches Versetzen der Stützen ohne Rücksicht auf das untere Achsensystem
anzunehmen. Es besteht in der Gruppierung dieser Säulenordnung im einzelnen
daher auch gar kein so großer Spielraum, daß man notwendig zu zwei erheblich von-
einander abweichenden Bildern des oberen Aufbaues gelangen müßte. Hat man
sich aber nur einmal zur grundsätzlichen Beibehaltung der Anordnung von acht
Säulenpaaren auf den Achsen der unteren entschlossen, so geben die Funde immerhin
soviel Fingerzeige, um sich von der weiteren Durchbildung dieser Säulenordnung
eine gewisse Vorstellung machen zu können. So wissen wir z. B., daß die Zusammen-
fassung von zwei Säulenpaaren zu einem Motiv durch Rundung des dazwischen
2Qg Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos.
liegenden Gebälkes und Einschaltung zweier stützender Zwischensäulen, jene An-
ordnung, die dem ersten Geschoß sein eigentümliches Gepräge gab, auch im dritten
Stockwerk stattgefunden, freilich dort zum Teil andere Säulenpaare betroffen hat.
Denn es erscheinen — und das läßt sich, wie wir sehen werden, ziemlich sicher belegen —
innerhalb der Stützenstellung des jüngsten Stockwerkes in dieser Weise vereinigt
das zweite und dritte, vierte und fünfte, sechste und siebente Säulenpaar, gegenüber
dem ersten und zweiten, dritten und vierten, fünften und sechsten, siebenten und
achten im Erdgeschoß. Also ein Anklang an jenes merkwürdige Prinzip des Versetzens
gleichartiger Motive gegeneinander, dem man erst allmählich in der Erforschung
der römischen Fassadenarchitekturen auf die Spur kommt. Die Idee findet sich
freilich hier nicht so klar ausgeprägt wie bei einigen anderen kleinasiatischen Säulen-
fassaden. Die Versetzung erfolgt mit Überspringen eines Geschosses, so daß der
Eindruck etwas verwischt ist, aber dennoch bei der größeren Breite des einzelnen
Motivs gegenüber etwa der Erscheinung leichter Ädikulen sich nicht ganz unter-
drücken läßt.
Die Rückwand besaß mindestens drei Nischen, sofern wir Einziehungen auf
die ganze Breite des Wandfeldes, wie solche zur Aufrichtung der Zwischenstützen
unumgänglich waren, so bezeichnen wollen. Wir müssen sie am zweiten, vierten und
sechsten Wandfeld annehmen. Die dazwischen liegenden ungeraden Wandfelder
habe ich in der Zeichnung glatt gelassen, ohne damit sagen zu wollen, daß hier wirklich
keinerlei Belebung der architektonisch gegebenen Fläche stattgefunden hätte. Aber
es scheint mir der monographischen Klärung einer Rekonstruktion nicht immer
förderlich zu sein, wenn sie sich bis auf die letzten Einzelheiten erstreckt, auch wo
bestimmte Anhaltspunkte vollständig fehlen. Es wird Sache des Rekonstrukteurs
sein, hier an einem gewissen Punkt Halt zu machen und nicht gewaltsam Lücken
verbergen zu wollen, wo eben einmal welche bestehen. Als warnendes Beispiel mag
an einige Rekonstruktionen der französischen Architektenschule erinnert sein. Abzu-
lehnen ist freilich in unserem Fall für die glatten Wandfelder eine fensterartige Durch-
brechung, die den Gegensatz von gegliederten, bewegten und stark beschatteten
Abschnitten zu ruhigen, glatten und geschlossenen Zwischenflächen, auf dem das
System der dritten Ordnung offensichtlich aufgebaut ist, nur abschwächen würde.
Für den Verlauf des abschließenden Horizontalgebälkes waren mit die Fund-
stücke entscheidend, welche von Resten des Girlandenfrieses, der den Sockelschmuck
dieses dritten Geschosses bildete, zutage traten. In diesem Zusammenhang nur eine
kurze Aufzählung der charakteristischen Züge, welche gesichert sind: Für den Sockel
ist eine mehrmalige Verkröpfung, zunächst wohl vor jedem Säulenpaar, dann aber
auch einmal in der Weise verbürgt, daß ein »detachiertes« Stützenpaar entsteht
(um mich des Fachausdruckes zu bedienen, der für isoliert stehende Einzelsäulen
mit eigener Sockel- und Gebälkverkröpfung innerhalb des Organismus einer Säulen-
fassade mit Glück geprägt worden ist). — Ich habe diese Lösung bei den zwei äußeren
Säulen der Mittelpaare angenommen und dafür ihre inneren Nachbarn untereinander
durch ein korbbogenförmiges Gebälk mit unterschobenem Säulenpaar verbunden.
Gesichert ist eine ähnliche Verbindung durch Segmentbogenarchitrave über dem
Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos. 2QO
zweiten und sechsten Wandfeld; wahrscheinlich in einer dritten Form, nämlich der
eines Hufeisenbogens für die zwei Flügel- Säulenpaare als Einziehung des Gebälkes
innerhalb jeden Paares.
Das dritte Geschoß stellt sich nach meiner, ich wiederhole, nur zum Teil
gesicherten Ergänzung als Ordnung von ebenfalls acht vorgeschobenen Säulen-
paaren dar. Davon sind die beiden äußersten bei gerader Sockelführung durch huf-
eisenförmiges Gebälk in sich verbunden, die zwei mittleren als »detachierte« Säulen
mit getrennter Sockel- und Simsverkröpfung lose nebeneinander gestellt und die
restlichen vier durch einfache gerade Sockel- und Gebälkverkröpfung wie bei den
unteren Geschossen ineinander verkoppelt. Eine Motivzusammenfassung über das
dazwischenliegende Wand- bzw. Nischenfeld hinweg durch gerundetes Gebälk mit
eingeschobenem Stützenpaar hat stattgefunden vor den drei gerade zu numerierenden
Wandfeldern, darunter dem Mittelfeld. Vielleicht ganz glatt oder jedenfalls tektonisch
nur gering belebt und gegliedert geben sich in wirkungsvollem Gegensatz hierzu die
ungeraden Wandfelder. Als natürlicher Standort für figürlichen Schmuck, auf
dessen Ergänzung in der Rekonstruktion ebenfalls bewußt verzichtet worden ist,
erscheinen die Interkolumnien zwischen den drei eingeschobenen und zurückgesetzten
Säulenpaaren vor den geraden Wandfeldern, sowie die beiden Interkolumnien innerhalb
der Flügelsäulenpaare. — Die dritte Ordnung schloß mit dem horizontal durchlau-
fenden Hauptgesims ab; so dürfen wir wenigstens nach dem Vorbild ähnlicher Auf-
bauten in Milet und an anderen Orten vermuten. Ein seitliches Vortreten der Rück-
wand vor dem letzten Pilaster wie in den unteren Stockwerken lag hier wohl nicht
mehr vor.
Nach dieser Analyse des Aufbaues in den einzelnen Geschossen noch ein kurzes
Wort über die Gesamterscheinung unserer Fassade ! Sie bildet in ihren zwei ersten
Stockwerken ein abgeschlossenes Ganzes, dessen Wirkung vor der Veränderung im
Erdgeschoß auf einer starken Konzentration der Motive nach der Mitte hin
beruhte. Darin dürfen wir gewissermaßen die künstlerische Idee des ersten Original-
entwurfes jener Prunkfassade erblicken. Das zeigt sich ebenso an der anfänglichen
Beschränkung der Doppelsäulenpaare auf den mittleren Frontteil wie in der Ver-
teilung und Ausbildung der oberen Nischen. Von den äußersten Flügeln abgerückt
finden sie sich in den fünf mittleren Wandfeldern zusammen, an Breite, Tiefe und
Höhe gegen das Zentrum zu wachsend.
Der spätere Einbau im Erdgeschoß brachte dieser Grundfigur gegenüber eine
größere und gleichmäßigere Belebung der ganzen Front, wobei eine gewisse Rücksicht
auf das obere Halbsäulenmotiv vielleicht mitgewirkt haben mag. Das Bedürfnis,
die Fassade auch an den Flügeln reich und prächtig zu gestalten, überwiegt. Der
gleichen Tendenz entspringt schließlich auch das Aufsetzen des dritten Stockwerkes.
In Stil und Gesinnung waltet hier ein anderer Geist. Und doch ist die Bindung noch
sehr stark zu verspüren, vor allem durch die Beibehaltung der unteren Pilasterachsen
als Standpunkt für die Freisäulen. Daß darüber hinaus eine weitere Wechselbeziehung
in der Motivversetzung zu vermuten ist, habe ich schon gestreift. Mag also die Aus-
300
Hans Hörmann, Die römische BOhnen&ODt zu Eptiesos.
gestaltung dieses Geschosses im einzelnen auch freier durchgeführt worden sein
und manche Abweichungen aufweisen, der spätere Aufbau war doch in den ent-
scheidenden Zügen mit dem früheren Bestand organisch verschmolzen.
So stellt sich die Ephesische Bühnenwand in meiner Ergänzung dar als ein
typischer Vertreter jener römischen Prunkfassaden, der bei allen deutlichen Merk-
malen einer Spätzeit neben deren Schwächen auch die starken Seiten in der Ver-
passungsfähigkeit von Altem und Neuem deutlich erkennen läßt.
Abb. 6. Südliclier Teil des Skenengebäudes im Obeistock (Bühnenrückwand).
Nach Eph. II Fig. 28.
III.
DIE ABWEICHUNGEN DES NEUEN REKONSTRUKTIONSVORSCHLAGES
UND IHRE BEGRÜNDUNG.
Einbauten im Erdgeschoß.
(Vgl. hierzu Abb. 6 und 7.)
An der Niemannschen Ergänzung des ersten Stockwerkes der Bühnenfassade
im ursprünglichen Zustand ist nichts auszusetzen. In wesentlichen Punkten war
sie durch die in situ befindlichen Reste gegeben; in den übrigen, insbesondere dem
Wiederherstellungsvorschlag für die beiden Doppelmotive zu Seiten des Mittelportales
aber hat der österreichische Archäologe zweifellos das Richtige getroffen. Sein Er-
gebnis kann hier ohne weiteres übernommen werden.
Anders steht es mit dem Einbau. Die Tatsache, daß er anfänglich nicht geplant
war, die Niemann zutreffend erkannt hat, ist noch kein Beweis, daß er als halbkreis-
förmige Nische mit Kuppelabschluß wiederherzustellen wäre. Denn hier liegt offenbar
Haos Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos. 79 1
eine falsche Deutung der Grundrißformen (Eph. Fig. 133 — 135) vor. Warum machte
man die Verengung bei »A«? Wohl nur — ich habe das schon in der Beschreibung
angedeutet — , um hier ein Säulenpaar aufstellen und also das Schema der eingezogenen
Rundung der beiden Mittelachsennachbarn wiederholen zu können ! Denken wir
es uns weiterhin in gleicher Weise ausgestattet, so war das Motiv jedenfalls auch
ähnlich halbkreisförmig oben abgeschlossen. Dann fällt jene ganze gekünstelte und
unschöne Lösung des Einbauproblems weg, die beinahe an einen Strandkorb erinnert,
so fremdartig und willkürlich hingestellt mutet sie auf ihrem Platze an.
Der tiefere Grund für dieses unbehagliche Gefühl Niemanns Rekonstruktion
gegenüber ist eben der, daß eine Nische im ästhetischen Sinn immer eine vordere
Wandebene neutraler flächiger Haltung als Ausgangspunkt verlangt, von der sie
als Konkavgebilde sich klar absetzt. Befriedigt es daher schon weniger, wenn die
vordere Wand durch leichte Krümmung im Gegensinn eine konvexe Wirkung bekommt,
so muß es immer zu unerquicklichen Bildern führen, wenn die unentbehrliche reale
Wandfläche als das die Nische allseitig umschließende Element überhaupt fehlt ').
Wie genau stimmt aber nun meine Hypothese im einzelnen ! Die Höhe des
Einbaues ist durchaus nicht unbekannt, wie Niemann Eph. 69 behauptet. Denn
die in situ befindlichen Reste sind zum Teil genau bis zur Sockeloberkante erhalten;
darüber aber findet sich keinerlei Spur mehr. Es wäre doch wunderlich, wenn das
bloßer Zufall sein sollte ! Zur Überdeckung seiner auf dem Sockel ohne jeden Anlaß
hochgeführten Rundnischc verwendet Niemann das Werkstück Eph. Fig. 139. Seine
Kuppelweite beträgt 2,80 m, seine Tiefe 1,20 m und der Radius 1,42 m. Die Weite
der Ausrundung am Nordendc der Bühnenwand beträgt gleichfalls 2,80 m, die Tiefe
aber 1,04 m, der Halbmesser 1,50 m ! Niemann muß selbst zugestehen, daß eine
genaue Übereinstimmung mit der Rundung des Sockeleinbaues für das Kuppelstück
angesichts dieser Zahlen nicht gegeben ist. Jedenfalls nicht so, daß sie uns zwingen
würde, beide Teile in die von ihm gedachte Verbindung zu bringen ! Auch der trapez-
förmige Steinschnitt des Fragmentes beweist nichts für seine Kombination. Er ist
ebenso bei einer Verwendung im Mauerverband denkbar, wo er zur günstigeren
Druckverteilung gewählt sein mochte ^).
•) Vgl. z. B. das Denkmal König Ludwig II. auf der welches an der oberen wagrechten, wie der seit-
Ehrhardtbrücke in München, wo die unangenehme liehen Schrägfläche Anathyrose zeigt, also nach
Wirkung dadurch besonders aufdringlich wird, diesen Richtungen tatsächlich im Mauerwerk
daß die Nische direkt gegen die offene Flußland- Anschluß gefunden hat. Seine stark beschädigte
Schaft als Hintergrund zu stehen kommt; denn es Einarbeitung an der Schrägfläche muß ich zu-
wird so ein- und dasselbe architektonische Element nächst für eine nach oben gerichtete Klammer-
vom nämlichen Standpunkt aus gesehen, gleich- bettung halten. Falls man nicht etwa auch die
zeitig zur Hohlform und Körperform — ein pein- Möglichkeit eines Querdübels auf Grund näherer
lieber atektonischer Zwiespalt mit dem unver- Untersuchung ins Auge fassen kann, würde
meidlichen Eindruck des »Korb- und Schalen- dadurch die Drehung des Werkstückes um 90»
mäßigen«. erforderlich, so daß an die Stelle der Halbkuppel
-) Bei dem eingangs erwähnten kurzen Besuch in eine nur aus zwei Steinen zusammengesetzte
Ephesos fand ich ein Fragment des Gegenstückes, Flachkuppel tritt und sich eine das Gesamtbild
kaum beeinflussende Variante ergibt.
302
Hans Hönnann, Die römische Bflhnenfront zu Ephesos.
Wir können also das erhaltene Kuppelstück ruhig freigeben für das zweite
Geschoß, wo seiner Verwendung als Abschluß einer Wandnische nach dem Gesagten
nichts im Wege steht und es auch dem Charakter der inneren dekorativen Auskleidung
nach besser hinpaßt. Man vergleiche nur daraufhin Eph. Fig. 139/140 mit Niemanns
zeichnerischer Wiedergabe von Kassettenbruchstücken der ersten Ordnung ebenda
Fig. 115 a und 115 b! Offenbar gehören beide Ornamente so wenigstens, wie sie aus
diesen Abbildungen zu erkennen sind, im wesentlichen in ein- und dieselbe Zeit.
Durch meinen Verwendungsvorschlag im Rahmen des zweiten Geschosses wäre das
bei der grundsätzlichen Einheitlichkeit seiner baulichen Anlage mit der des Unter-
^sßesos. QruridTtßanordnung vom ^Afördende "der Siü^neriToand.
'Zustand nacA 'dem tlm&xu- B'""~'~" 'iiM&md vor dem llmßavi.
IW.-I92^.
Abb. 7. Neue Rekonstruktion. Nordende der Btlhnenwand,
Stockes auch berücksichtigt, während nach Niemann eine Differenz von ca. einem
Jahrhundert bestünde !
Für den Einbau im Erdgeschoß ergibt sich eine zwanglose Übereinstimmung,
wenn wir nur eine Pause der Niemannschen Grundrißzeichnung des Doppelpostaments
Eph. Fig. 107 mit seiner Fig. 135 ebenda zur Deckung bringen. Denn die nach der
Anordnung jenes bereits vorhandenen Doppelmotivs auch hier einzusetzenden Stützen
fallen mit ihrem Fußpunkt genau in die Auflagerfiäche, die wir nach der Form der
eigenartigen seitlichen Sockelvorkragung als natürliche Stelle dafür in Anspruch
nehmen möchten. Dabei hat diese zunächst rein gefühlsmäßig vorgenommene Fixie-
rung einen sehr gesunden und realen Untergrund: Denn die Stelle erweist sich nach
der Querschnittform des Sockelanbaues auch als statisch günstig, indem nur bei
solcher Lastverteilung der exzentrische Druck gegen die Unterlage und damit die-
Kantenpressung auf ein Minimum herabgeschraubt wird. Das unerwünschte negative
i
Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos. ^q-i
Spannungsmoment verschwindet wenigstens in der einen Achsrichtung. Die Tatsache,
daß wir es im Sockelanbau nicht mit einem homogenen Körper zu tun haben, kann
dieses Argument kaum entwerten. Denn eine obere wagrechte Deckplatte über den
in situ befindlichen Werkstücken war sicher einmal vorhanden (vgl Eph. Fig. 136
»K«). — Auch mit dem Verlauf des weiter zu folgernden Rundarchitravs stimmt
diese Stellung des Stützenpaares einwandfrei überein.
In gleicher Weise führt die Aufteilung der ganzen Wand, wie wir sie Eph. Taf. VI
vorgenommen sehen, auf unsere Ergänzung: Die Wand ist in sieben Hauptachsen
durch acht Stützenpaare gegliedert. Die Zwischenräume sind nicht überall gleich.
Es beträgt nämlich der Abstand der Säulenpaare voneinander von Säulenmitte zu
Säulenmitte gemessen, vor der zweiten und vierten Türe 3,50 m, an den anderen
Stellen etwas mehr als 4m! Zu beiden Seiten der Haupttüre sind je 2 Säulenpaare
zu einer Gruppe zusammengezogen. Durch die Einbauten entstand, wie immer man
sie ergänzen mag, auf jeden Fall eine kräftige Betonung der vier äußersten Stützen-
paare. Der Rhythmus der Fassade stellt sich nunmehr etwa so dar: ^^-i-^-!--^^
(»lang — kurz — lang — kurz — lang — kurz — lang«). In diesem architektoni-
schen Versmaß von vier langen und drei kurzen Silben liegt offenbar auf ersteren
der Ton, ein deutlicher Gleichklang von einzelnen Hebungen. Auf einem solchen
Akkord sollte jedenfalls nach dem Umbau die Gesamtwirkung wesentlich beruhen.
Darf man nun annehmen, daß die Architekten diese ihre nicht verkennbare Absicht
selbst wieder in ungeschickter und umständlicher Weise verwischt hätten, indem
sie anstatt der effektvollen Wiederholung etwas ganz Neues und noch dazu so
Schwächliches und Unklares eingeführt hätten? Gerade bei so rutinierten Künstlern,
wie wir sie aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts kennen, scheint mir eine solche
Folgerung ganz ausgeschlossen. Sie wäre ein Irrtum, vor dem nicht genug gewarnt
werden kann.
Schließlich noch ein kurzes Wort über die Argumente, soweit ich sie auf stili-
stische Merkmale in der Dekoration zurückführen zu müssen glaubte ! Wenn ich
nämlich im vorstehenden u. a. darauf hingewiesen habe, daß die Kassettenornamente
Eph. Fig. 115 und die Dekoration der Kugelschale Eph. Fig. 140 übereinstimmende
stilistische Kennzeichen besäßen, die mir ihre Datierung in gleiche Zeit berechtigt
erscheinen ließen, so dachte ich dabei sowohl an die äußere Ähnlichkeit des Motivs
der Flächenaufteilung und der geometrischen Figuren, wie an ein paar auffallende
innerlich verwandte Züge beider Stücke: Wenigstens vermeine ich solche in einer
gewissen Sorglosigkeit und Flottheit der Arbeit zu erkennen, die dann aber doch
wieder in der Gesamtwirkung etwas Trockenes und Hartes trotz äußerlichen Reich-
tums hat. Gleiche Handschrift, ähnliches Temperament, verwandte Stilrichtung
scheinen aus diesen Ornamenten zu sprechen. Faul Wolters verdanke ich den Hinweis
auf die Veröffentlichung eines Schalenemblems in Athen durch Matthies '), wo über
Herkunft und Auftreten der Kombination von Rautenmäander und Sechseck ein
Weniges zusammengetragen und auch unser Werkstück abgebildet ist '). Die
•) A. M. XXXIX 1914, J27 ff., Abb. 8 und Taf. X. ^) Vgl. Furietti, »de musivis«, Taf. IV 2.
?04 Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
Datierung 142 — 144 n. Chr., die er aus der bisherigen Rekonstruktion von Ephesos
abgeleitet hat, wird nach dem Gesagten hinfällig. Nichts hindert uns aber, die Deko-
ration über den Zeitpunkt der konstruktiven Vollendung hinaus und an die Jahr-
hundertwende heranzurücken. Dann bliebe bis zu dem Ansatz des Schalenemblems,
wo das Motiv sichtlich schon weit reifer und besser verarbeitet ist, immer noch eine
angemessene Spanne. Auch der Mäander, der das geometrische Muster der Fig. 140
bei Eph. gegenüber dessen Fig. 1 1 5 bereichert, zeigt in dem Charakter der Ausarbeitung
eine große Ähnlichkeit mit dem analogen Ornament, welches die durch die eingebaute
Rundung verdeckte, also ältere seitliche Ansichtsfläche des Sockels verzierte (siehe
Eph. Fig. 138 bei »A«). Diese Beobachtung steht einer allzu großen zeitlichen Ent-
fernung beider Stücke im Wege und es ist unwahrscheinlich, wenn des einen Zugehörig-
keit zum ursprünglichen Bau feststeht, das andere einem sicherlich viel jüngeren
Vor- oder Einbau zuzuweisen. — Zuletzt noch der von Niemann selbst angebahnte
Vergleich der Fig. 140 mit dem gleichfalls im Oberstock verwendeten Kuppelbruch-
stück Fig. 163; auch er darf hier nicht übergangen werden, obschon ich später nochmal
darauf zurückkomme.
Die Weihinschrift.
(Hierzu Abb. Beil. VI oben.)
Haben wir so im Prinzip die Richtigkeit unserer Ergänzung der Einbaumotive
im Erdgeschoß dargetan, so erhebt sich sofort die Frage, wie weit diese Hypothese
mit der von Niemann vorgenommenen Gebälkstückverteilung im ersten Geschoß
in Einklang zu bringen ist. Trug doch der Architrav hier eine Weihinschrift, von der
verschiedentlich Reste sich erhalten haben, leider zu wenig, um eine gesicherte Wieder-
herstellung in allen Teilen zu gestatten, aber doch auch zu viel, um über die Vorschläge
für ihre Ergänzung und die Art, wie ihre Verteilung auf den Gebälkstücken der ersten
Ordnung mit der architektonischen Rekonstruktion sich verträgt, in diesem Zusammen-
hang einfach hinweggehen zu können.
Die Projektion der Architrave der ersten Ordnung gibt Niemann Eph. Tafel VI.
Er bemerkt hierzu selbst (a. a. O. 70 unten), daß nach der Form allein beurteilt
die Aufeinanderfolge auch eine andere sein könnte. In Kapitel 4 (Eph. 157 ff.)
liefert Heberdey die genaue Beschreibung und Ergänzung der Weihinschrift an
Artemis und einen Kaiser. Auch sie legt aber einer anderen Verteilung derjenigen
Architravbruchstücke, die uns an der Annahme gerundeter Gebälkführung über den
beiden Endfeldern hindern würden, keine Schwierigkeit in den Weg. Die ausspringen-
den Architravstücke Nr. 3, 5, 30 und 32 haben, da bestimmte Anhaltspunkte fehlen,
lediglich durch Einsetzen der Reihe nach von links her ihren Platz gefunden. Sie
•sind unbeschrieben, so daß sich ihre Anordnung natürlich auch beliebig verändern
läßt. Die erste Rückwirkung unserer Einbaurekonstruktion auf die Verteilung ist
nun die, daß uns als Endfeld-Werkstücke nur solche Fragmente dienen können,
die entweder die spätere Ausrundung oder den Anschluß des alten dahinter gelegenen
Gebälkstückes an diese erkennen lassen. Derartiges hat sich bisher unter den Funden
nicht feststellen lassen. (Die wenigen runden Gebälkstücke, die zutage gefördert
i
Hans Hörmann, Die römische Bflhnenfront zu Ephesos. »05
wurden, gehören, wie Heberdey richtig nachweist, den mittleren Rundmotiven an.)
Die Tatsache dieses Mangels an sich braucht uns bei dem durchwegs hohen Prozent-
satz, den das Verlorene immer noch an unserem Bauwerk von dem Gesamtmaterial
ausmacht, nicht zu verwundern. Notwendig wird nur, die von Heberdey den Flügel-
feldern zugewiesenen normalen ausspringenden Architrave anderswo unterzubringen.
Das gehngt nach dem Gesagten ohne Mühe. Bemerkt sei, daß ich im folgenden mich
durchwegs der bei Heberdey-Niemann gewählten Bezeichnungen bediene. Darnach
sind mit arabischen Ziffern (und zwar von links nach rechts in der Platzfolge ihres
Ergänzungsversuches) die erhaltenen Inschriftfragmente durchnumeriert, mit römi-
schen aber (ebenfalls von links nach rechts) die ergänzten Architrave, wobei die senk-
recht ausspringenden, weil unbeschrieben, ausgelassen wurden.
Probieren wir es nun mit der Verteilung der ausspringenden Architravstücke
einmal in der Weise, daß Nr. 3 zwischen III und IV, das Fragment Nr. 5 zwischen
XII und XIII, Nr. 30 zwischen XI und XII und 32 (nach entsprechender Drehung)
hinter dem Architrav Nr. XV eingefügt werden ! Das ist ohne weiteres möglich und
schafft uns die unbequemen Werkstücke zwischen I — -11 — III und XIII— XIV — XV
sogleich vom Halse. Es besteht freilich auch hiernach noch Veranlassung zu einem
kleinen Tausch innerhalb der ausspringenden Architrave, nämlich zwischen Nr. 5 und dem
an sich unbehelligten Fragment Nr. 17: Da aus später zu erörternden Gründen der
Wandarchitrav 24 seinen Platz auf VIII und dafür Nr. 31 auf XII finden muß, würde
der Steinschnitt von 17 im unmittelbaren Anschluß an Nr. 24 Unstimmigkeiten er-
geben. Nr. 5 ist hier die natürliche Fortsetzung, während Nr. 17 mit 31 sehr wohl im
rechten Winkel sich treffen konnte. Wir werden also Nr. 5 zwischen VIII und IX, 17
aber zwischen XII und XIII einsetzen dürfen.
Von Bruchstücken gerader freitragender Architrave kommt als eines, das mit
dem neuen Ergänzungsversuch in Kollision zu geraten droht, nur Nr. 29 in Frage.
Seine Schrift ist getilgt und würde nach Heberdey vielleicht mit der Präposition »lirl«
zu ergänzen sein. So steht einer Verschiebung dieses Werkstückes an einen anderen
passenden Platz epigraphisch nichts im Wege. Könnte ich mich an und für sich
damit auch an der ihm von Heberdey angewiesenen Stelle befreunden, wo ja die
Abweichung vom Krümmungsradius der Gebälkkurve kaum mehr zu bemerken war,
so erlaubt dies doch, wie sich gleich zeigen wird, die bei den Wandarchitraven not-
wendige Veränderung nicht.
Unter ihnen sind es die beiden Wandarchitravbruchstücke Nr. 4 und Nr. 31,
welche ihren Platz jedenfalls räumen müssen, da ja an den wirklich hierher gehörigen
Werkstücken die späteren Einarbeitungen für das Auflager der runden Zwickelfüll-
stücke zu sehen wären. Auf beiden Fragmenten ist die Inschrift radiert, doch läßt
sie sich bei Nr. 4 unter entsprechender epigraphischer Auswertung dieser Tatsache
soweit wieder entziffern, daß die Worte »Nspwvi KXauSi'tut« als gesichert gelten
können. Bei 31 dagegen ist nur ein Buchstabe noch als »T« erkennbar. Beide Stücke,
was nach ihrer Gesamtlage allein recht wohl möglich wäre, bei VIII zu vereinigen,
geht textlich nicht an. Nun sagt Heberdey selbst, daß die Wandarchitravstücke Nr. 8
'?q5 Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos.
und 24 nur vermutungsweise IV und XII zugeteilt sind und jenes ebensogut von
VIII, XII oder XIV, dieses von VIII herrühren könnte.
Es genügt aber nicht, von dieser Möglichkeit etwa nur insofern Gebrauch zu
machen, daß wir Nr. 8 nach VIII verweisen (die Inschrift ist ja abgespHttert !) und
nun Nr. 4 in IV einsetzen. Der Wortlaut der Weihinschrift, wie ihn Heberdey Eph.
160 in der vermuteten, freilich in keiner Weise gesicherten Ergänzung gibt, würde
dann eine eben doch nicht zulässige Änderung erfahren, indem das radierte »NeJpCtovt
KXau8]tu>i[ . . . « zu vertauschen ist mit »dpyt&psl [xsYi'uttot«; technisch bereitet dies
gar keine Schwierigkeit, da die letzteren Worte überhaupt nur ergänzt sind. Sprachlich
würde aber nun die bekanntlich streng festgelegte Ordnung der imperatorischen
Akklamationen eine Umstellung erleiden, für die jede Parallele fehlt. Denn die
kaiserlichen Titel kämen nun zur Hälfte vor, zum anderen Teil hinter die Namens-
bezeichnung zu stehen und das ist philologisch unmöglich. Auch bei Nr. 31 würde
eine solch einfache Umstellung nicht zum Ziel führen und zum mindesten für die
Auslegung des Tilgungsumfanges neue Schwierigkeiten ergeben. Ist diese schon
bei Heberdey nicht ganz ungezwungen — sein Werkstück Nr. 6 auf III setzt voraus,
daß gewisse Teile des Titels radiert wurden, während andere stehen blieben — , so
soll doch eine Herabminderung des Glaubwürdigkeitgrades durch die neue Rekon-
struktion auf alle Fälle vermieden werden.
Ich habe deshalb mit Absicht den ersten nächstliegenden und doch eben nicht
gangbaren Weg angedeutet, damit man sieht, es ist nicht Willkür, wenn ich nun im
folgenden einen weiter ausholenden Vorschlag mache. Aber darf denn der Architekt
in dieser Weise überhaupt dem Epigraphiker zu Leibe rücken, ohne den Boden der
Wissenschaftlichkeit zu verlassen? Ich glaube schon, wenigstens im vorliegenden
Fall. Entscheidend dünkt mir der Grad der Erhaltung; und der ist beim ersten Stock-
werk der Ephesosfassade architektonisch ein sehr erfreulicher, epigraphisch äußerst
dürftig. Gerade die Annahme eines späteren Gebälkansatzes an den Flügeln ist,
wie ich zu zeigen versucht habe, architektonisch so begründet, daß von selten der
inschriftlichen Untersuchung nur ganz schwerwiegende Gegengründe eine andere
Auffassung erheischen könnten. Hier darf also unbedenklich der Architekt zum
Führer des Epigraphikers werden. Ich verfolge daher in gewissen Grenzen mit Be-
wußtheit diesen Weg und befinde mich damit übrigens auch in Übereinstimmung
mit den österreichischen Forschern, die im Grunde nicht anders zu Werke gegangen
sind.
Vor allem ist gar kein Zwang vorhanden, die Ausdehnung der Inschrift über
die ganze Länge der Fassade anzunehmen. Im Gegenteil, stellen wir uns vor, daß
die Architrave I und II, sowie XIV und XV von Buchstaben überhaupt frei geblieben
sind, so liegen die Voraussetzungen für die später hier eingetretene Veränderung
noch glatter. Auch sonst hat diese Annahme mancherlei für sich. Die äußersten
Teile der Bühnenwand waren der durch die Konzentration des Spieles bedingten
Blickrichtung nach der Mitte am meisten entzogen. Man kann daher in der ersten
auf diese Verhältnisse noch Rücksicht nehmenden Aufmachung an diesen Stellen
in beiden Geschossen eine gewisse Zurückhaltung an architektonischer und plastischer
Hans Hörmano, Die römische BOhnenfront «u Ephesos. JO?
Gliederung beobachten, worauf schon an anderem Ort hingewiesen wurde. Da stimmt
es doch sehr gut dazu, wenn wir bemerken, wie die gleiche Tendenz nun auch bei der
Verteilung der Inschrift maßgebend gewesen ist. Sie, die nicht nur dekorativ gedacht
war, sondern schon in der Beschränkung auf die Wand- und Freiarchitrave die Ab-
sicht, bequem gelesen werden zu können, deutlich erkennen läßt, mußte durch die
Konzentration auf die Mittelpartien in diesem Sinne noch mehr gewinnen.
Versuchen wir einmal, wie weit der Gedanke im einzelnen durchzu-
führen ist !
An den Plätzen von i8 und 20 auf den Architraven IX bezw. X b, die durch
Fundort und Form bedingt sind, ist nicht zu rütteln; ebensowenig an den Texten,
welche Heberdey als Ergänzung ihrer Aufschriften in Vorschlag gebracht hat. An
eine völlige Umstellung der Wortfolge in der ganzen Inschrift etwa in der Weise, daß
der Stifter zu Anfang genannt wäre, wie sonst oft üblich, kann daher nicht gedacht
werden. Wir müssen vielmehr daran festhalten, daß bei IX der zweite Teil der Weih-
inschrift begonnen hat, Namen und Titulatur des Kaisers also auf den Architraven
III bis VIII unterzubringen sind. Ebensowenig werden wir an den Werkstücken
des ersten Rundarchitraves VI a — c etwas ändern können, sowohl in Bezug auf ihre
Reihenfolge wie ihre Ergänzung.
Dagegen sind nun eine Reihe anderer Verschiebungen notwendig und, wie sich
zeigt, technisch und epigraphisch auch ohne weiteres möglich:
1. Bei den Freiarchitraven die Verschiebung folgender Stücke:
Nr. 2 von I auf III; Nr. 29 von XIII auf XI;
Nr. 6 „ III „ V; Nr. 33 „ XV „ V;
Nr. 34 von XV auf III.
2. Bei den Wandarchitraven die Verschiebung folgender Stücke:
Nr. 4 von II auf IV; Nr. 31 von XIV auf XII;
Nr. 8 „ IV auf VIII; Nr. 24 „ XII „ VIII.
Zur Begründung folgende Überlegungen:
Nachdem der Architrav VI bereits Teile der Titulatur enthält, kann für das
Fragment Nr. 4 aus dem schon genannten Grunde nur IV in Betracht kommen.
Denn hier allein steht der (getilgte) Kaisername allen Titeln voran. Nr. 8 ist ohne
Schrift und stört auch auf VIII nicht. Die bei Heberdey angegebene Lesart des
Textes auf dem Werkstück Nr. 2 ist ebenso richtig, wie die Feststellung, daß die
Gottheit stets vor dem Herrscher genannt wird. Nr. 2 kann daher nur auf dem
Architrav III Platz finden. Die Freiarchitravstücke Nr. 29 und 34 können unter der
Voraussetzung der Entfernung von 6 aus III, auf XI und III untergebracht werden.
Beide sind radiert und lassen nichts mehr erkennen. Nr. 34 ist ein kurzes rechtes Endstück
und würde auf III gerade den Platz einnehmen, der unter Belassung der Heberdey-
sehen Wortausteilung dem Wörtchen »xal« zufällt. Man darf für dieses Bindewort,
das in ähnlicher Weise wie nachher die Präposition üid«, wenn auch in etwas schwä-
^o8 Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront lu Ephesos.
cherer Form, auf die folgende Persönlichkeit, den »Kaiser damnatae memoriae«,
hinweist, spätere Radierung wohl annehmen, ohne den logischen Gedankengang
zu vergewaltigen. Daß der Architrav III bedeutend kürzer ist als I, braucht uns
nicht zu beirren, da das mittlere Wort »'Etpsoioi« als Epitheton zu 'Aptsixi? in Ephesos
auch fehlen kann '). Nr. 6 tritt unter Beibehaltung der Lesart )>r[Ep}i.avixü)t« auf
Architrav V, davor das ebenfalls radierte Bruchstück Nr. 33. Sein noch schwach
sichtbares Schriftrudiment läßt eine Deutung auf »Ssßautöii« gut zu: Ganz links
der Unterstrich vom Buchstaben »T«; dann die Rundung des auf den Inschriften
meist in geschlossener Form erscheinenden »ö«'), während dessen beide Schenkel
der Tilgung völlig zum Opfer gefallen sind und nur mehr (nach der Zeichnung von
Heberdey wenigstens) am linken Ende eine ganz kleine Spur zurückgelassen haben.
Ein ähnlicher minimaler Rest ist auch das Einzige, was vom letzten Buchstaben »I«
übrig geblieben ist; dann kommt nach einem kleinen Zwischenraum der Unterstrich
vom ersten Buchstaben des folgenden Wortes »r[ep[x«vix(üt«. — In der Architrav-
folge weiterfahrend finden wir auf VIII, das ja nur kurzen Text trägt,hinter Fragment 8
das mit Nr. 24 bezeichnete Werkstück. Dann bleibt alles unverändert bis zum Ende
von XI. Indem hierher Nr. 29 rückt, nehme ich an, daß unter entsprechender Kürzung
auch dieses zweiten Teiles der Inschrift nun gleich mit »sjtt« eingeleitet der Statthalter-
name folgt und 26 bis 29 mit »xateaxsuaaev« den Schluß bildet. Dann läßt sich
auch das radierte »T« auf 31 unter Versetzung nach XII ohne weiteres erklären.
Die Reihenfolge lautet nunmehr von links nach rechts :
Auf freitragendem Architrav I: —
Wandarchitrav II: — (später Rundung),
freitragendem Architrav III: Bruchstücke Nr. 2 und 34.
Wandarchitrav IV: Bruchstück Nr. 4.
freitragendem Architrav V: Bruchsücke Nr. 33 und 6.
Rundarchitrav VI (a— c): ,, Nr. 10, 11, 12 und 13.
freitragendem Architrav VII: ,, Nr. 14 und 15.
Wandarchitrav VIII: „ Nr. 8 und 24.
freitragendem Architrav IX: Bruchstück Nr. 18.
Rundarchitrav X (a — c): Bruchstücke Nr. 19, 20, 21 und 22.
freitragendem Architrav XI: Bruchstück Nr. 29.
Wandarchitrav XII: ,, Nr. 31.
freitragendem Architrav XIII:Bruchstücke Nr. 26, 27 und 28.
Wandarchitrav XIV: — (später Rundung),
freitragendem Architrav XV: —
•) Vgl. Eph. Inscr. II Nr. 47, wo es sich gleichfalls London 1877; inscr. (am Dianatempel) Nr. 8;
um eme kurze, durch den Namen der Artemis (am Odeon) Nr. 3.
eingeleitete MonumentaUnschrift handelt; ferner: ') Vgl. dazu das »öi in »'E<pEa(«)v« auf dem Fragment
D.scovenes at Ephesos; by J. T. Wood, F. S. A., Nr. 20 unserer Inschrift, sowie die Inschrift Nr. 37,
Eph. i6l.
Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos. ■»no
Die Inschrift selbst aber erhält die folgende Fassung:
['ApT]sixt[oi xat I Ns]p[»ovi KXau8]i'a)t [Kai'dopi,
I SeßauJTwt r[spji,avtz(oi], | 8[7jtjLap]yi[xrj? IJouat««
■zh '7], I aiiT[oxpa-op]i zh lä, 1 [ÜTraTwi x6 8]
I -^ vso[xo]poj [t(Üv I 2eß«(JTÄV 'E'J£(J]kuV 7to[>.i?
■rijv uxTjVTjv] !iE[Ta | Tuav-o; tou x6(J|i,ou inl |
] T [ . . . .] j xctTe[(j]xs[ua3£]v. —
In eckige Klammern sind hierbei jeweils die ergänzten Stücke gesetzt; die
senkrechten Teilstriche zeigen die Verteilung auf die einzelnen Architrave und die
punktierten Linien den Umfang der Tilgung. Sie erstreckte sich, wie schon Hebcrdcy
annahm, auf die Namen des Kaisers und Statthalters mit ihren unmittelbaren Vor-
worten, bei jenem auch auf zwei besonders charakteristische Beinamen. Mit dieser
Deutung befinde ich mich gleichfalls in Übereinstimmung mit dem österreichischen
Forscher. Auch er hat, wie schon oben erwähnt, die Worte auf Gebälkstück III,
die nach meiner Ergänzung auf V zu liegen kommen, radiert angenommen, nur daß
er es im Gesamttext — jedenfalls ohne Absicht — unterdrückt.
In der eben wiedergegebenen Form enthält die Inschrift alle die Bestandteile,
welche nach den Analogien anderer ähnlicher Dokumente ') als unentbehrlich gelten
müssen, während die darüber hinaus im Heberdeyschen Text sich findenden Be-
zeichnungen gerade in vielen sonstigen Neronischen Weihinschriften fehlen ^). Auch
die Reihenfolge der Beinamen ist die übliche 3), ebenso wie der Umfang der Radierung,
') Vgl. Dittenberger, or. gr. inscr. II 531, Z. 13, architraven gerade die mittleren, am besten
525, Z. II ff., ferner: R. Cagnat, inscr. graecae abzulesenden Partien von der Schrift frei gehalten
ad res Rom. pertinentes, Bd. I, Paris 191 1; Index worden sind, soweit die Funde erkennen lassen,
imperatorum 563 ff., Neroinschriften. Eine Parallele bietet nun die lockere Füllung des
') Vgl. Cagnat 563 ff . : l. Sämtliche Neroinschriften mittleren geraden Wandarchitravs durch »unato;«.
beweisen, daß »oÜTOxpätujp«, dem Eigennamen Darf man hierin Absicht vermuten? Die größten
vorgesetzt, erst bei den späteren Kaisern in Ge- Nischen über diesen Architraven bargen Frei-
brauch kommt. 2. Nr. 11 10 und 11 24, vor allem plastiken, die man vielleicht in gewissen Zeiten
Nr. 876 beweisen, daß »izon^p raTp(8o{«, das mit Girlanden 0. ä. zu schmücken pflegte. Um
letztere auch, daß »ctpyiepE'JC (Ji^yWTO«« fehlen kann. es ohne Störung des Zusammenhanges der In-
3) Vgl. dazu bes. R. Cagnat, Cours d'Epigraphie schrift tun zu können, hat man die dann verdeckten
Latine, Paris 1898, 162, wo eine systematische Teile des Architravs von vornherein freigelassen;
Zusammenstellung der Kaisertitel »uTtaxot« nach an den runden Gebälkstücken konnte nur die
»aÖTOxpa'Tujp« nennt; ferner R. Cagnat, inscr. Mitte in Frage kommen; an dem geraden Mittel-
graecae : Vespasianinschrift Nr. 903 (S. 564) und stück mögen Kettengehänge ein Abrücken von
Titusinschrift Nr. 435 (S. 564), beide beweisend den Enden veranlaßt haben. Bei der Vergänglich-
für die Zurückstellung von »uraroj««. keit des Schmuckes sind Fundbelege für diese
Indem »uiiato« t6 5 « an Stelle von »«p/iEpeüc Hypothese kaum zu erwarten. Aber auch die
fU'H'STOi« auf den mittelsten Wandarchitrav Literatur schweigt davon, so daß die Kombination
rückt, trifft es nach meiner Rekonstruktion zu- allen Vorbehalt erfordert.
gleich unter die Hauptnische, die sicher das vor- Vielleicht haben einfach die Freiarchitrave
nehmste Standbild enthalten hat. Wer möchte den Ausgangspunkt für die Verteilung gebildet,
leugnen, daß es da dem Sinne nach gut hinpaßt ! von dem aus in die Rundung hineingearbeitet
Und noch eins: Es fällt auf, daß an den Rund- wurde, wobei dann der Rest in der Mitte frei blieb.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVHI/IX 1923/24- 31
.|Q Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
obschon diese letztere sich öfters auf den unmittelbaren Kaisernamen beschränkt.
Icli behalte hier aber die bisherige Auslegung gerne bei, weil sie tatsächlich unter den
gegebenen Verhältnissen den einzigen Ausweg bietet. »Die gewählte Anordnung
geht von dem Gedanken aus, daß auf »xaTeoxsuaoev« mit »im« oder »8ia« der Name
des Statthalters bezw. bauführenden Beamten folgte und die Tilgung sich, um den
Schluß der Inschrift nicht sinnlos zu gestalten, auch auf die Präposition und den
Titel erstreckte*. Dieser Satz Heberdeys gilt auch hier, nur daß ich das Prädikat
der Inschrift an den Schluß gestellt habe. Freilich muß ich mir in gleicher Weise
seine folgenden Worte zu eigen machen: »Mehr zu ermitteln erlauben die geringen
Reste nicht !« —
Ich glaube mit diesen Ausführungen gezeigt zu haben, daß von epigraphischer
Seite auch unter wesentlicher Beibehaltung der Heberdeyschen Rekonstruktion
meiner Hypothese über die Veränderungen am ersten Stockwerk keine Schwierig-
keiten erwachsen. Ernste Hindernisse könnten es allerdings schon aus dem Grunde
nie sein, weil die ganze Ausdeutung, wie sie Heberdey mit viel Sorgfalt und Scharfsinn
versucht hat, bei den geringen Resten all zu wenig gesichert ist. Meine obigen Korrek-
turen sollen daher auch nur einen Vorschlag darstellen, wie man in engster Anlehnung
an den bisherigen Text die durch den neuen Wiederherstellungsversuch des Bühnen-
fassadenumbaues bedingte Verteilungsfolge berücksichtigen kann. Ob auf den ver-
änderten konstruktiven Grundlagen vielleicht eine ganz andere Lesart mehr zu
befriedigen vermag, will ich hier als Architekt nicht entscheiden, da ich des philologi-
schen Rüstzeuges ermangle. Jedenfalls wird man angesichts der dürftigen Erhaltung
unserer Weihinschrift die Lösung des Problems nicht als eine »conditio, sine qua non«
betrachten wollen, mit der jeder Rekonstruktionsvorschlag für die Fassade steht
und fällt.
Kleinere Probleme in der Rekonstruktion des ersten Fassaden-
geschosses.
Bevor ich auf die übrigen nicht eben bedeutsamen Streitpunkte in der Rekon-
struktionsmöglichkeit des ersten Geschosses eingehe, noch ein kurzes Wort darüber,
wie sich der praktische Verlauf der von mir angenommenen späteren Einbauarbeiten
abgewickelt haben mag. Wie erwähnt, müssen wir uns die hinter dem verhältnis-
mäßig schmalen Türgewände in der Mauer entstandenen Nischen mit einem kräftigen
Gurtbogen als Träger der Mauerlast des zweiten Stockwerkes eingewölbt denken.
Es bedurfte also bei einer Zurückversetzung der Türwand mit dem darüber befind-
lichen Sturz neben diesem Gurtbogen nur sehr geringer provisorischer Unterfangungs-
arbeiten. Auch deren Gerüste konnten verschwinden, sobald die neuen Stützen
hochgeführt waren, die ja gerade an die Stelle der früheren Türwand und unmittelbar
vor den Gurtbogen traten. Eine merkliche Beeinträchtigung des Nischenbildes durch
die nun sichtbaren Gurtbogenlaibungen bezw. -zwickel verhinderte die hohe Lage von
Wölbung und Kämpfer, sowie die dort sehr kräftige Schattenwirkung. Außerdem
wurde der Blick durch die vorgestellten Säulen ja ohnehin stark beschränkt. Die
damit verbundene Änderung an den Gebälken schließlich konnte ebenfalls leicht
Hans HHrmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos. 3 1 1
bewerkstelligt werden. Der Steinmetz hatte nur an den alten Architravstücken Auf-
lagerflächen auszuhauen, die bei der an sich günstigen Eckbildung gar nicht sehr
breit zu sein brauchten. Daß uns gerade von diesen so behauenen oder neu versetzten
Gebälkstücken keine Reste erhalten sind, kann nicht besonders Wunder nehmen,
da es sich im ganzen nur um vier bis sechs derartige Werkstücke gehandelt hat.
Die Funde, welche auf quadratische Pfeiler schließen lassen, sind so gering,
daß kein eigentlicher Zwang besteht, solche den beiden äußersten Stützenpaaren
zuzuteilen. Aber vielleicht läßt sich auch unter Beibehaltung dieser Zuweisung die
spätere Veränderung und Zusammenfassung zu äußersten Doppclmotiven erklären.
Denn die ungleiche Breite der Postamente ergab sich aus dem anfänglichen Kom-
positionsschema mit gekoppelten Stützenpaaren. Erst später trat an die Stelle dieser
einfachen Symmetrie auch an den Flügeln eine kompliziertere mit Unter- und Über-
prdnung. Der Abstand der Säulenpaare ist vor den äußersten Wandfeldern fast
genau so groß, wie zu beiden .Seiten der Mittelachse, aber sehr verschieden von den
benachbarten Großinterkolumnien — ein Grund mehr, der für den Einbau sprach
und den Nachteil örtlicher Assymmetrie infolge der Pfeilerverwendung und Differenz
in den Postamentmaßen gerne verschmerzen ließ.
Den von Niemann mit »I« bezeichneten und an das linke Ende der Bühnenwand
verwiesenen ausspringenden Architrav mit längerer Ansichtsfläche können wir dort
belassen. Doch hat daneben auch seine nur als Alternativlösung vorgetragene Ver-
mutung zu Recht bestanden, daß im ersten Geschoß wie im zweiten ein Wechsel
in Bezug auf den Vorsprung der Wandarchitrave stattfand. Ein solcher ist als not-
wendige Voraussetzung für die Möglichkeit des späteren Einbaues vollrunder Archi-
trave über den äußersten Wandfeldern sicher anzunehmen. Er ergibt sich aber, wie
wir sehen werden, auch ganz natürlich aus dem Verlauf der Mauer des zweiten
Stockwerkes, die an dieser Stelle einen seichten Rücksprung aufweist.
Bei allen übrigen Teilen in Niemanns Rekonstruktionsvorschlag für das Erd-
geschoß besteht, wie gesagt, kein Anlaß zu einer Abänderung. Insbesondere ist sein
eigenes Bedenken gegen die Verwendung des Giebelwerkstückes Eph. Fig. 129 an
der Nischenädikula wegen seines massigen Aufsatzes unbegründet. Ähnliche Bil-
dungen waren Niemann vielleicht zur Zeit der Grabung noch nicht so bekannt, kommen
aber auch sonst in der Architektur der römischen Kaiserzeit und schon kurz vorher
allenthalben vor. Ohne Einwand kann auch seine Zuweisung der beiden über 2 m
langen Architravstücke der ersten Ordnung mit glattem Auflager an die Seiten-
fassaden des Bühnenhauses (Eph. 71) bleiben, wo das Hauptgesims des Erd-
geschosses jedenfalls seine Fortsetzung gefunden hat.
Das zweite Geschoß.
Entscheidend dafür, daß Niemann bei seinen Bemühungen, den Aufbau des
zweiten Stockwerkes im Bilde wieder herzustellen, nicht zu befriedigenden Resultaten
gelangen konnte, sind zwei meines Erachtens unzutreffende Beobachtungen und
Überlegungen, die ihn zwangen:
^12 Hans Hörmann, Die römische Bubnenfront zu Ephesos.
1. die tiefe tonnenüberwölbte Rechtecknische zum mindesten in der Zweizahl
anzuordnen;
2. eine Fortsetzung des Motivs der durch Rundgebälke zusammengeschlossenen
Säulenpaargruppen im zweiten Geschoß anzunehmen.
Eph. Fig. 164 — 167 werden die Werkstücke abgebildet, welche die Existenz
einer Rechtccknische von 1,25 m Tiefe mit kassettiertem Tonnengewölbe als Ab-
deckung erschließen lassen. Soweit ist alles in Ordnung. Nun aber glaubt Niemann
auch den Eph. Fig. 169 abgebildeten segmentförmigcn Werkstein mit Vertiefungen
für farbige Einlagen mit der Rechtecknische deshalb in Verbindung bringen zu müssen,
weil der Krümmungsradius seiner Bogenbegrenzung ziemlich genau mit der Form des
Kassettengewölbes, soweit sie sich aus den spärlichen Bruchstücken der Gewölbesteine
erschließen läßt, übereinstimmt. Er fügt deshalb den Stein in die Hinterwand der
Nische oberhalb ihres Kämpfergesimses ein. Nun wäre vielleicht ein zwingender
Grund zu solcher Ergänzung dann gegeben, wenn die Figur des Werkstückes nicht
nur der Form des Nischentympanon im geometrischen Sinne ähnlich, sondern
kongruent wäre, d. h. wenn der Stein die obere Wandfläche tatsächlich ganz zu
füllen vermöchte. Dem ist aber nicht so. Die Sehne des Tympanon mißt 3,16 m,
die des Werksteines nur 2,50 m; es bleibt also zwischen Stein »C« (Eph. Fig. 168)
und dem Gewölbe »A« ein Kreisringflächenstück »B« von ca. 0,30 m Breite übrig.
Niemann gesteht selber, hierher passende Steine nicht gefunden zu haben. Sehen
wir über ihren Verlust hinweg, so würde diese Ergänzung doch die Annahme eines
Steinschnittes zur Folge haben, die allen handwerklichen Regeln und praktischen
Gepflogenheiten widerspricht. Es wäre nicht einzusehen, warum man dem Füllungs-
stein nicht gleich die erforderliche Größe gegeben hat oder, wenn äußere Gründe
dafür vorlagen, warum man dann wiederum eine Fuj;ensetzung wählte, die den Vorzug
der Verwendungsmöglichkeit kleinerer Blöcke zum größten Teil aufhebt.
Nun aber erst das hauptsächlichste Moment, welches gegen die Zusammen-
stellung spricht und auch Niemann schon starke Bedenken verursacht hat, ohne
daß es ihn von seiner falschen Fährte abgelenkt hätte. Die Dicke des Steines »C«
überschreitet das Maß der Mauerdicke um ca. 20 cm. Niemann ist also genötigt,
ihn aus der Mauer innerhalb der Nische (Eph. Taf. VIT) oder hinten (Eph. Fig. 168)
heraustreten zu lassen. Das letztere hält er deshalb für unwahrscheinlicher, weil
es doch nur eine Folge zufälliger Momente sein könnte, der Umstand, daß die Hälfte
eines zweiten Steines von gleicher Form und Dicke gefunden wurde, jedoch gegen
diese Annahme spricht. Auf der anderen Seite ist aber ein Vorkragen des Steines
innerhalb der Nische so unmotiviert und ohne jede Parallele, daß man diesen Vor-
schlag ablehnen muß. Was wäre denn auch durch eine solche Anordnung erreicht
worden? Es ist selbstverständlich, daß die tiefe Nische figürlichen Schmuck, vielleicht
sogar eine Figurengruppe erhalten hat. Anstatt dieser Plastik nun einen ruhigen,
sie klar abschließenden Hintergrund zu geben, hätte man durch eine derartige Auf-
machung gerade das Gegenteil bewirkt. Es wäre ein zweiter flächig gehaltener und doch
kubisch wirkender Einbau geschaffen worden, der sich mit der eigentlichen Rückwand
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos. a I ^
fortwährend überschnitten und der Freiplastik peinliche Konkurrenz gemacht hätte.
Ich glaube diese Vorstellung entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit.
Was liegt vielmehr näher, als die beiden Werkstücke für Giebclfcldtcilc von
Segmentgiebeln anzusehen ! Sind sie in dieser Eigenschaft irgendwie mit den
sonst zu beobachtenden Giebclmaßcn in Einklang zu bringen — und wir werden
sehen, daß dies in der Tat der Fall ist — , so ist es wohl nur erwünscht, wenn wir sie bei
der Ergänzung der rechteckigen Nische aus dem Spiel lassen können. Wir ersparen
uns damit die Verlegenheitslösung eines unwahrscheinlichen Nischeneinbaues und
gewinnen zugleich eine zweite wichtige Tatsache. Denn die Gewölbewerkstücke
allein führen nicht zur Annahme eines paarweisen Auftretens dieses Nischenmotivs^
Dann ist es aber das Gegebene, diese größte unter den nachweisbaren Nischen des
Oberstockes und einzige mit rechteckigem Querschnitt dem mittleren Wandfcld
zuzuweisen, wo sie auch über die größte der Türöffnungen des Erdgeschosses zu stehen
kommt. Hier allein hat eine Rechtccknische von solchen Ausmaßen, die das Wand-
feld gerade füllt, Berechtigung. Hier in der Symmetrieachse der ganzen Front
liegt nun auf beiden Geschossen starke, aber bestimmt begrenzte Schattenwirkung.
Über der größten Öffnung sitzt die größte Nische. An diesem Platz müssen wir uns das
Standbild des Kaisers, Gottes, Stifters oder sonst einer prominenten Persönlichkeit
vielleicht als Sitzfigur auf hohem Thron und Sockel vorstellen, das selbstverständlich
auch in den absoluten Ausmaßen die übrigen Skulpturen übertraf. Das alles läßt
sich nun zwanglos ergänzen, wie es meine Rekonstruktion versucht.
Das weitere Haupthemmnis in der Wiederherstellungsarbeit Niemanns am
oberen Geschoß bildet der Schluß, den er Eph. 82 unten zieht bezüglich gerundeter
Architrave auch an diesem Stockwerk. In Fig. 126 und 127 (Eph. 64) bildet er
im Grund- und Aufriß zwei Pilasterkapitäle mit den Abmessungen der zweiten Ordnung
ab, welche nach der Ungleichheit ihrer Seiten auf den Bestand einer rechteckigen
Nische oder richtiger eines Mauerrücksprunges hindeuten, wobei die Tiefe dem Breiten-
maß der Kapitale entspricht. Auch ohne die maßstäbliche Übereinstimmung müssen
wir sie, wie Niemann mit Recht bemerkt, dem oberen Stockwerk zuweisen, da die
nachweisbare Anordnung des unteren Geschosses eine solche Nische ausschließt.
Der Grundriß des Mauerrücksprunges ist Eph. Fig. 170 folgerichtig gezeichnet.
Die beiden vorhandenen Kapitale sind in diesem Grundriß durch Schraffur hervor-
gehoben. Nun aber folgert Niemann (a. a. 0. 82 unten) weiter: »Die Breiten-
entwicklung der Kapitale an den der Nische zugewendeten und ihre Tiefe bedingenden
Seiten weist mit Entschiedenheit auf einen gerundeten Architrav, nicht aber auf ein
Gebälk, das in gerader Linie von einem Pilasterkapitäl zum anderen sich spannte.«
Denn, so begründet er diese Hypothese, in diesem Falle würden die Kapitale nur die
Breite eines Säulendurchmessers haben. Und er kommt dann selbstverständlich
auf eine Wiederholung des Motivs mit dem eingeschobenen Zwischenstützenpaar,
wie es unten zu beiden Seiten der Haupttür gesichert ist. Diese ganze Theorie ist
aber, abgesehen von dem gänzlichen Fehlen gebogener Gebälkteile unter den Fund-
stücken der zweiten Ordnung, völlig unbegründet. Vielleicht lag der Fehlschluß mit
daran, daß Niemann unwillkürlich immer von der Vorstellung einer eigentlichen
,fj Hans Hermann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
Nische, d. h. eines bis zur normalen Mauerflucht wagrecht überdeckten Mauerrück-
sprunges als vorgefaßter Meinung ausging; zu dieser Annahme sind wir aber in gar
keiner Weise gezwungen. Vielmehr hätte die von ihm vorgeschlagene Lösung mit
eingestellten Freistützen die Verbreiterung der Kapitälseiten erst recht überflüssig
gemacht, da ihr rückwärtiger Teil nur in sehr starker Verkürzung zu sehen gewesen
oder von den eingestellten Säulen verdeckt worden und also in keiner Lage irgendwie
aufgefallen wäre. Unter diesen Umständen hätte man offensichtlich auf die Kapitäl-
verbreiterung, die doch immerhin eine ungewöhnliche Lösung darstellte, viel eher
verzichten dürfen. Betrachten wir die Werkstücke aber lediglich so, wie sie uns nach
den Aufnahmen der österreichischen Archäologen gegeben sind, und unterlassen wir es,
Kombinationen hineinzulesen, die sie gar nicht enthalten, so ist es tatsächlich nichts
weiter als die Annahme eines einfachen rechteckigen Mauerrücksprunges, zu der '
die Form der beiden Kapitale uns veranlaßt. Und es ist auch gar kein Grund vorhanden,
das Gebälk diese Bewegung der Wand nicht mitmachen zu lassen. Wir besitzen noch
mehrere gesicherte analoge Ausbildungen an gleichzeitigen Denkmälern, die ersehen
lassen, daß in ähnlichen Fällen eine Verbreiterung der inneren Pilasterkapitälseiten
selbst bis aufs Doppelte der normalen Größe immer dann beliebt war, wenn der nur
verhältnismäßig seichte Rücksprung auf solche Weise ein Überspannen des ganzen
seitlichen Wandstreifens unter dem Gebälk ermöglichte.
Freilich müssen wir uns nun fragen, wo wir diesen Mauerrücksprung, der nach
dem Befund die Breite eines ganzen Wandfeldes einnahm, in unsererRekonstruktion
unterbringen wollen und welche besonderen Gründe für seine Anordnung in dem vor-
liegenden Fall geltend gemacht werden können. Vorher noch ein Wort über die Archi-
travverteilung ! Denn auch sie stützt meine Vermutung und führt zugleich von selbst
auf die eigentliche Lösung dieses besonderen Problems. Die gefundenen Stücke des
zweiten Gebälkes sind auf Niemanns Taf. VI oben an Stellen, die ihrer Form
entsprechen, in das Schema der Gebälkanordnung eingezeichnet. Sie können, da
ohne Inschrift und ähnliche Merkmale, einen gleichen Platz auch anderswo
einnehmen. Wichtig ist, daß gekrümmte Architrave wie im ersten Geschoß sich
nicht unter den Fundstücken befinden. Dagegen weisen ungleiche Längenmaße der
ausspringenden Architrave auf Vor- und Rücksprünge des Gebälkes hin. Es stimmt
nicht ganz, wenn Niemann meint, an welchen Stellen das eine oder das andere der
Fall gewesen wäre, ließe sich nicht mehr ermitteln. Denn die beiden ursprünglich
vorhandenen Rundarchitrave im Untergeschoß lassen es wohl begründet erscheinen,
hier eine Zurückversetzung des oberen Architraves anzunehmen, da ein Vorstehen
gegenüber dem unteren Gebälk keinesfalls günstig gewirkt hätte. Hier also lag der
Architrav sicherlich mit der Wand bündig. Unsere Rekonstruktion im ersten Geschoß
zwingt uns aber folgerichtig, solchen Rücksprung auch über den Flügelwandfeldern
anzunehmen. Jedenfalls wird dadurch die Möglichkeit, den späteren Einbau har-
monisch dem Vorhandenen anzupassen, noch bedeutend erhöht. Andererseits
dürfen wir nicht vergessen, daß die Rundung im Erdgeschoß wenigstens auf den
Flügeln immer das Sekundäre war, und es wäre ein gefährliches Beginnen, wollte
man hier Ursache und Wirkung einfach umkehren. Daß das Vorhandensein eines
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos. 7 j c
zurückgezogenen Architravs den späteren Einbau im Erdgeschoß überhaupt erst
ermöglicht, im Obergeschoß jedenfalls begünstigt hat, ist sicher. Wenn wir aber dem
angedeuteten » uoispov-TrpoTspov « entgehen wollen, müssen wir als Anlaß dieser Zurück-
nahme des Gebälkes hier doch eigentlich etwas anderes suchen. Die Lösung zeigt sich,
sobald wir das von Niemann in Fig. 152 rekonstruierte und bereits früher mit den
steigenden Voluten als Bekrönung in Verbindung gebrachte Halbsäulenpaarmotiv
zu dem nachgewiesenen Mauerrücksprung in Beziehung setzen.
Hierzu besteht ein doppelter Zwang. Fürs erste wäre das Ädikulamotiv ohne
Nische eine wenig wahrscheinliche Lösung. Nachdem wir nämlich den Wandfeidern
des Obergeschosses, wie wir noch sehen werden, sonst durchwegs konkave Füllungs-
elemente (Nischen) einzufügen haben, wäre es auffallend gewesen, hier nun auf einmal
ein stark plastisch vortretendes Motiv unterbringen -zu müssen. Schon aus diesem
Grunde liegt es nahe, dasselbe in eine nischenartige Mauerbucht zu setzen. — Ein
anderer Beweis liegt auf konstruktivem Gebiet. So wie Niemann Eph. Fig. 152
das Säulenpaar auf einem leicht verkröpften Stylobat zeichnet, ist die Sache weder
befriedigend noch konstruktiv klar. Denn das Gebälk des Untergeschosses läuft
glatt durch und ebenso ist das Wandfeld selbst in gleicher Flucht mit den übrigen.
Nehmen wir nun an (Niemanns Zeichnung läßt es nicht erkennen), der untere Architrav
lag an dieser Stelle mit der Rückwand bündig, dann hätte der verkröpfte Stylobat
auf der Gesimsausladung überhaupt keinen richtigen Platz und würde dieselbe bis
zum vordersten Sima-Profil bedenklich belasten. Läuft aber der Architrav des unteren
Geschosses — das wäre die zweite Möglichkeit — in der Höhe der Pilaster, so hängt
das ganze über ihm aufgebaute Halbsäulenmotiv in der Luft. Unsere Kombination
mit der Zurückziehung der Fassadenmauer des zweiten Geschosses an dieser Stelle
ist also aus den genannten Gründen die allein mögliche.
Zum zweiten aber wäre der Mauerrücksprung in Verbindung mit einem der
anderen nachweisbaren Motive der Fassade des zweiten Stockwerkes kaum möglich.
Denn von solchen kommen sonst nur noch Nischen vor und es wäre im höchsten
Grade unvorteilhaft, einen Rücksprung da anzubringen, wo Nischen hinkommen
sollen, da die Mauer dann nur noch mehr geschwächt würde, mehr Platz verloren
ginge und zwei Konkavgebilde ungünstig zusammenträfen.
Wir dürfen demnach wohl mit Recht die Halbsäulenädikula mit dem Motiv
der offenen Mauernische vereinigen. Das Gebälk der zweiten Ordnung springt zunächst
um die doppelte Pilastertiefe zurück, um sich über den Halbsäulen wiederum etwas
vorzukröpfen. Besonders die Kapitälverbreiterung an den seitlichen Begrenzungs-
streifen des Rücksprunges wird nun sofort verständlich. Würde doch sonst gerade
dort in der formalen Gliederung der Mauer eine Lücke sein, wo die Korrespondenz mit
den Halbsäulen erst recht eine solche ausschließt. Die Pilaster haben eben hier ästhe-
tisch zweierlei Funktionen auszuüben: die Gliederung in der Ebene der übrigen
Wandpilaster aufzunehmen und zugleich nach der anderen Seite hin in der Ebene
des Halbsäulenmotivs. Dieses selbst wird dadurch, obwohl gegen die anderen Wand-
stützen der zweiten Ordnung etwas zurückliegend, organisch in deren fortlaufende
Reihung eingebunden. Die angedeutete Doppelaufgabe der zwei Wandpilaster
-^ Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront lu Ephesos.
aber welche den Mauerrücksprung flankierten, war nur durch eine Kapitälverbreite-
rung zu lösen.
Da das paarweise Auftreten des Motivs durch die Funde gesichert ist, bereitet
nun auch die Bestimmung des Platzes, den wir ihm in der Fassade des zweiten Stock-
werkes anweisen müssen, keine großen Schwierigkeiten mehr. Das Maß der Architrav-
län^e der Ädikula ist erhalten und schließt die Unterbringung im zweiten und sechsten
Wandfeld, die ja beide bedeutend schmäler sind als alle anderen, von vornherein aus.
Das Mittelfeld kommt nach dem oben Gesagten ebenfalls nicht in Betracht. Es bleibt
also nur die Wahl zwischen dem ersten und dritten, bezw. siebenten und fünften
Wandfeld. Auch hier haben wir für die zutreffende Entscheidung mehrere Kriterien.
Ich schließe zunächst so: Der nachgewiesene spätere Einbau eines Rundarchitravs
im Erd<^eschoß bei »eins« und »sieben« hatte ein Bündigliegen des Architravs mit
der Wand an dieser Stelle zur Voraussetzung im Gegensatz zu anderen Feldern,
für die es nicht anzunehmen ist. Welcher Grund war nun aber eigentlich dafür vor-
handen? Kein anderer, als die Tatsache des Darüberliegens eben jenes Halbsäulen-
motivs, dessen Nische, um unschöne Überschneidungen der Halbsäulenbasen und
-plinthen zu vermeiden, auch die Zurücknahme des unteren Architravs zur Folge
hatte. Das Motiv hat also in der Tat in den beiden Flügelwandfeldern seinen Platz
gehabt.
Bestätigt wird dieses Ergebnis nun auch durch die Werkstücke, welche für die
Füllung der vier übrigen Wandfelder des Obergeschosses das Material zu liefern haben.
Es stehen hierzu nämlich zur Verfügung: einmal das von Niemann fälschlich mit
dem späteren Einbau im Erdgeschoß in Verbindung gebrachte Kuppelbruchstück
Eph. Fig. 139 bei einer Spannweite von 2,80 m und einer Tiefe von 1,20 m und weiterhin
das in Eph. Fig. 163 abgebildete Kuppelfragment, dessen Ergänzung auf eine Nische
von etwas über einem Meter Radius führt. Niemann selbst bemerkte von diesem
letzteren Stück (Eph. 80 oben), daß es dieselbe Arbeit aufweist wie das erste Bruch-
stück (Eph. Fig. 139/40), ohne die naheliegende Konsequenz gleichartiger Verwendung
in der Rekonstruktion daraus zu ziehen. Er setzt die aus dem zweiten Bruchstück
zu folgernde Haibkreisnische in seinem ersten Vorschlag als Einzelmotiv in die Mitte
der Front, sehr unwahrscheinlich schon deshalb, weil es hier das Wandfeld nur dürftig
und locker ausfüllt, während doch an anderer Stelle die Maße der Rechtecknische
das Feld beinahe zu sprengen scheinen. Diese Ungleichmäßigkeit — hier sehr lockere,
dort äußerst knappe Wandfüllung willkürlich nebeneinander — würde auch in seinem
zweiten Vorschlag nicht behoben. Nein, der einzig berechtigte Platz für die Unter-
bringung dieser kleineren Nische, die als paarweise auftretend anzunehmen kein
Zwang, aber ohne weiteres die Möglichkeit besteht, ist das schmälere Wandfeld
»zwei« bezw. »sechs«, benachbart dem Halbsäulenmotiv, wo sie, gerahmt von der
erhaltenen Archivolte, die zur Verfügung stehende Wandfläche gut füllen und eine
ästhetisch befriedigende Wirkung ausüben konnte.
Mit der gleichen Natürlichkeit fügt sich das zweite Nischenpaar den dafür in
Betracht kommenden Feldern ein, wobei, nur der Größe nach betrachtet, zunächst
die Feldpaare »eins« = »sieben« und »drei« = »fünf« für die Aufnahme geeignet
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 517
erscheinen. Ich habe indes schon oben mannigfache Gründe angeführt, die für eine
Zuweisung der Ädikula an die Flügelfelder und damit unserer Nischen an das der
Mitte benachbarte Felderpaar sprechen. Es sind aber schließlich auch sehr triftige,
allgemeine stilistische Erwägungen, die sich hier aufdrängen. Nach Stilgesichts-
punkten läge vielleicht auf den ersten Blick nicht weniger die folgende Reihe nahe
(von Mitte bis Flügel) : tiefe Rechtecknische — tiefe Rundnische — flacher Mauer-
rücksprung mit Halbsäulenpaar ~ flache Rundnische. Käme damit ein gewisser
Rhythmus in das zweite Geschoß unserer Säulcnfassade, so ist an diese Verteilung
trotzdem schon auf Grund der bestehenden Maßverhältnisse nicht zu denken. Es
hat aber diese Anordnung auch sofort weit weniger für sich, sobald wir das Erdgeschoß
mit in Betracht ziehen. Denn hier war ursprünglich eben keine derartige rhythmische
Verteilung beabsichtigt, sondern eine ganz entschiedene Konzentration der Gliederung
nach der Mitte zu. Abgesehen davon, daß nach der technischen Unmöglichkeit der
ersten Kombination ein Verweisen der tiefen Rundnischen an die Flügel (also so,
daß die Reihenfolge »Rechtecknischc — Ädikulamotiv — flache — tiefe Rundnische«
zustande käme) schon stilistisch kaum vertretbar wäre, ergibt nun die allein noch
übrig bleibende Zusammenstellung »Rechteckige Mittelnische — großes Rundnischen-
paar — kleines Rundnischenpaar — Ädikulamotiv« auch eine wirkungsvolle Fort-
setzung der eben festgestellten Tendenzen im unteren Stockwerk: eine Zusammen-
fassung der Konkavmotive nach der Mitte zu, wo auch ein günstiger Blick auf die
darin aufgestellten Statuen von allen Plätzen des Theaters aus am ehesten gewähr-
leistet war. Schließlich aber mag das Halbsäulenmotiv an den Flügeln wieder ein
Grund mehr gewesen sein, späterhin durch den Säuleneinbau darunter eine Verän-
derung in dem beschriebenen Sinne vorzunehmen.
Ich glaube damit zur Genüge bewiesen zu haben, daß die von mir gewählte
Verteilung der Motive in den oberen Wandfeldern technisch und stilistisch allein
möglich ist. —
"ö'
Auch die Rekonstruktion und Verteilung der Gebälkbekrönungen erfährt durch
meine bisher besprochenen Wiederherstellungsvorschlägc gegenüber Niemanns Ver-
suchen eine erhebliche Veränderung. Zunächst mußte ich mir natürlich die schon
von ihm aufgeworfene Frage vorlegen, ob die gefundenen Kranzgesimsstücke mit
Konsolen von gleicher Größe, jedoch mit reicherer Akanthusverzierung denn wirklich
neben der einfacheren Abart Verwendung gefunden haben, vielleicht in der Weise,
daß die jüngeren Steine mit den reichen Konsolen als Ersatzstücke zu gelten hätten.
Es wäre ja naheliegend, sie etwa der Rückseite des Bühnenhauses zuzuweisen, wo
sicherlich auch irgend eine Gliederung stattgefunden haben muß. Allein der Umstand,
daß unter jenen reicheren Bildungen Segmentgiebelstücke wie Eph. Fig. 157, die auf
weitgehende Gebälkverkröpfungen hindeuten, und kurze Kropfstückc ähnlich der
Vorkragung bei den vorne untergebrachten Halbsäulenädikulen sich befinden, scheint
mir eine solche Vermutung auszuschließen. Denn die Gliederung auf der Rückseite
wäre dann beinahe mit dem gleichen Motivaufwand und Apparat an formalen Ele-
menten ausgestattet gewesen wie vorne innerhalb der Fassade, und dafür hätten
318
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
•wir sonst keine Parallele. Wir müssen in diesem Fall also wohl Niemanns Hypothese
gelten lassen und auch die reicher ornamentierten Stücke in der Front selbst unter-
zubringen versuchen. Freilich führt dies zu neuen Weiterungen, da wir nun ja auch
die Segmentgiebel, welche ich aus dem Werkstück Eph. Fig. 169 und seinem Gegen-
stück ergänze und die Niemann fälschlich mit der tonnenüberwölbten Rechtecknische
in Verbindung bringen zu müssen geglaubt hat, als Motiv für diese Bekrönungen
erhalten. Die Zahl der bei der Einteilung der Giebel längs der Bühnenwand zu be-
rücksichtigenden Fundstücke überschreitet damit das Maß, das nach der Anzahl der
gekuppelten Säulenpaare denkbar ist.
Diese scheinbare Schwierigkeit entsteht indessen nur, weil Niemann in seiner
Fig. 148 ein Giebelfragment für die Fassade in Anspruch nimmt, das offensichtlich
nicht hierher gehört. Er bemerkt selber, daß es etwas andere Maße habe, als alle
übrigen Giebelwerkstücke, daß insbesondere die Hängeplatte stärker sei und die Sima
ganz fehle. Trotzdem verwendet er das Fragment zu seiner Rekonstruktion des an
sich wohl berechtigten großen verkröpften Mittelgiebels. Nachdem aber auch die
Neigung des Giebels von den anderen erheblich abweicht, ist das kaum zulässig.
Ich glaube vielmehr, wir dürfen dieses Giebelstück den seitlichen Bühnenhausfronten
zuweisen, die ja ein flaches Satteldach besaßen und also auch mit entsprechenden
Giebeln abgeschlossen waren. Auf dem in gleicher Höher umlaufenden Hauptgesims
aufsitzend fügen sich hier solche steileren Giebel ohne Schwierigkeit dem Baukörper
ein, da an diesen Stellen ihre Ausbildung sich ja in wesentlich anderer Weise, weniger
als dekoratives, denn als konstruktives Element äußerte. Selbstverständlich ist das
Bruchstück da als gewöhnlicher Dreieckgiebel ohne Verkröpfung und ähnliche Kom-
plikationen zu ergänzen.
Dagegen können wir nun die Fragmente Eph. Fig. 1 54 an der Stelle des mittleren
Giebelmotivs verwenden. Sie sind von Niemann ohne Zweifel richtig zusammengesetzt
und, da ihre Länge in ergänztem Zustande über das bei den gewöhnlichen kleinen
Giebeln zulässige Maß hinausgeht, den Enden der Bühnenwand als Bestandteile
eines der breiteren (jiebel zugewiesen. Nachdem ich aber für letztere, wie schon
angedeutet, andere Fundstücke (eben die segmentförmigen Tympanonreste, die
sich bei Niemann in die Rückwand der Rechtecknische verirrt hatten) in Anspruch
nehmen will, muß ich die Werkstücke Eph. Fig. 1 54 anderswo unterbringen. Sie kommen
nur in einfacher Ausfertigung vor, ihre paarweise Verwendung ist also jedenfalls
an sich nicht veranlaßt. Gerade der Fund dieser Stücke scheint mir aber nun für das
von Niemann instinktiv empfundene Vorhandensein des mittleren Halbgiebels be-
weisend. Ob sein Feld figürliche oder ornamentale Füllung besaß, ist von unter-
geordneter Bedeutung. Seine Existenz aber nicht minder archäologisch errechnet,
wie ästhetisch gefordert.
Denn allein die Voraussetzung dieses Mittelgiebels ermöglicht eine Lösung der
Giebelverteilung, die sämtliche Werkstücke gleichzeitig verwendet, ohne aber auf
der anderen Seite ein Motiv über die dadurch bedingte Anzahl zu beanspruchen.
An den Enden der Bühnenwand finden in ungezwungener Weise die aus dem Werk-
stück Eph. Fig. 169 (mit Gegenstück) zu erschließenden Segmentgiebel ihren Platz.
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos. -jjq
Die Sehne des erhaltenen Bogenstückcs mißt nach der Zeichnung bei Niemann 2,50 m;
die Architravlänge über den Endsäulcnpaaren 2,86 m. Als Gesimsausladung müssen
wir beiderseits noch 20 cm zulegen, so daß wir auf ein Maß von 3,26 m kommen.
Anderseits treten zu dem Ausmaß der Sehnenlänge unseres Segmentbogen-
feldes die Stärken der beidseitigen Giebelprofile und zwar gemessen an ihrem mehr
oder minder schrägen Anschnitt. Ich entnehme sie den Figuren 144 und 157 bei
Niemann, wobei das zu erschließende Maß wohl näher den Verhältnissen auf jener
letzteren Rekonstruktionszeichnung stehen dürfte. Wählen wir es etwa mit je 35 cm,
so erhalten wir eine Giebelaufsatzlänge von 3,20 m. Die Kombination stimmt also
bis auf ca. 6 cm genau und das kann uns nach dem sonst an der Fassade beobachteten
Grad von Exaktheit der Ausführung wohl befriedigen. Was schließlich die Form
unseres Giebelwerkstückes anlangt, die auf eine gesonderte Bearbeitung der Füllung
und umschließenden Profile hinweist, wobei sich in den Zwickeln sehr spitze Lagen
des Steinschnittes ergeben mußten, so ist dieses Verfahren bei späteren Konstruk-
tionen auch sonst schon nachgewiesen worden. Es stellt allerdings ganz offenbar
eine starke handwerkliche Schematisierung dar und zeugt gegenüber der früher übli-
chen Fugensetzung im Giebelsteinschnitt von einer merklichen Abstumpfung des
natürlichen werkkünstlerischen Empfindens.
Nach dem Gesagten dürfen wir die Giebel an den Enden der Bühnenwand
tatsächlich als Segment ergänzen, erzielen damit auf diesen Punkten einen kräftigen
Abschluß, der in seiner volleren Rundform dem weitergestellten Interkolumnium
darunter gut entspricht, und erhalten einen Grund mehr, der uns berechtigt, in der
Mitte des zweiten Stockwerke^ in eindm großen verkröpften Giebel einen angemessenen
Ausgleich zu erwarten.
Bleiben nun auf jeder Symmetriehälfte noch zwei Giebel zu besetzen! Es wäre
selbstverständlich erwünscht, könnte man die Verteilung so vornehmen, daß im ganzen
ein regelmäßiger Wechsel von geraden und runden Giebeln sich ergibt. Das entspräche
ebensosehr dem natürlichen Bedürfnis nach einer in gleicher Weise gesetzmäßig
gebundenen, wie einfachen und ungekünstelten Rythmik, als es auf der anderen Seite
zahllose Analogien und Vorbilder in der übrigen antiken Fassadenarchitektur besäße.
Die Verwirklichung dieser Idee erheischt die Möglichkeit, noch und nur je ein Paar
solcher Giebel auf Grund der Funde unterzubringen, ein Dreieckgiebelpaar nächst
den größeren Flügelsegmenten und ein rundes auf den restlichen zwei ArChitrav-
kröpfen zu Seiten des großen mittleren verkröpften Giebelmotivs.
Wollen wir einmal zusehen, wieweit die bei Niemann erwähnten oder abgebil-
deten Werkstücke einer solchen Forderung sich fügen! Eph. 83 ff. heißt es: »Vor-
handen sind zwei rechte gerade Eckstücke und ein linkes, ein rechtes Eckstück für
den Einsatz eines runden Giebels und zwei runde Bruchstücke, alle sechs Stücke
mit Konsolen von der einfacheren Form. Daraus ergeben sich zwei gradlinige und
ein gebogener Giebel. Von den Gesimsformen mit Akanthuskonsolen besitzen wir die
beiden in Fig. 154 abgebildeten zusammengehörigen Stücke, ferner ein gradliniges
rechtes Eckstück, das kleine Bruchstück eines runden Giebels und das in Fig. 1 57
dargestellte Giebelfeld mit angearbeiteten Konsolen. Daraus ergeben sich.
^20 Ha»^ Hötmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
wenn man annimmt, daß das kleine Bruchstück einem der anderen Giebel angehörte,
ein gradliniger Giebel und ein runder. Es sind demnach im ganzen außer dem voraus-
gesetzten großen Mittelgiebel drei gradlinige und zwei gebogene Giebel unterzubringen. «
Von diesem Material kommen nach meiner Rekonstruktion in Wegfall: die
bereits in der Mitte verwendeten Stücke von Fig. 154, wozu man auch das rechte
gerade Eckstück mit Akanthuskonsolen rechnen darf. Es bleibt also nur ein runder
Akanthuskonsolengiebel. Da man an eine Vermischung der beiden Varianten
an ein und dem nämlichen Giebel doch nicht denken darf, ist seine Ausscheidung
wohl notwendig. Bei den Giebelbruchstücken der einfacheren Ausbildung ändert
sich nichts. Wir haben also im Ganzen in unserem Falle noch zwei gradlinige und
zwei gebogene Giebel unterzubringen, just die Anzahl, die wir nach den früheren
Bemerkungen über den mutmaßlichen Charakter ihrer Verteilung an der Fassade
aus Gründen der Wahrscheinlichkeit finden zu müssen glaubten. Die Rechnung
stimmt in der Tat bis aufs Haar ! Die Reihenfolge der Bekrönungsmotive des Ge-
bälkes der zweiten Ordnung ist also von einem zum anderen Flügel: großer Segment-
giebel — steigendes Volutenpaar — kleiner Dreieckgiebel — kleiner Segmentgiebel —
ganz großer vcrkröpfter Mittelgicbel (Symmetrieachse) — kleiner Segmentgiebel —
kleiner Dreieckgicbel — steigendes Volutenpaar — großer Segmcntgiebel. Sämtliche
Giebel besaßen Eckakroterien, aber wohl kaum freifigürlicher Art, wie sie Niemann
zeichnete — denndafürist die Zeit noch zu früh — , sondern eher in der Form niedriger
Ornamentalstücke. —
Die Säulen des zweiten Geschosses stehen auf einem niederen Stylobat, dessen
Form durch das Eph. Fig. 158 abgebildete Werkstück nachgewiesen ist. Zwischen
ihm und dem Hauptgesims des ersten Stockes habe ich einen Sockel mit dem Eroten-
fries eingeschoben, indem ich mich für die Lösung entschied, die Niemann in seiner
Fig. 191 angedeutet hat. Von der Hand zu weisen ist es natürlich, wenn man
sich der Unterbringung dieses Erotenfrieses dadurch etwa entledigen will, daß man
ihn dem hellenistischen Bau zuschreibt, wie Hermann Thierse h i) vorschlug. Die
stilistischen Merkmale der erhaltenen Skulpturfragmente sind deutlich genug, um ein
solches Beginnen auszuschließen. Leider ist die ausführliche Beschreibung und Wür-
digung dieses Frieses mit den übrigen Skulpturen einem der späteren Bände vor-
behalten worden. Aber auch auf Grund der bisherigen Veröffentlichungen können
wir, wie ich meine, eine derart weite zeitliche Verschiebung ablehnen, die, wenn
verallgemeinert, für die ganze Datierung schwankende Unterlagen schaffen würde ^).
So müssen wir also mit dem Fries im Rahmen des Aufbaues der römischen Fassade
fertig zu werden suchen. Ich möchte dies, wie gesagt, im Sinne derNiemannschen,
Fig. 191 vorgeschlagenen Ergänzung tun, indem ich die Bedenken, die er selbst
im Text gegen eine solche Anordnung vorbrachte (Eph. 93) nicht zu teilen vermag.
Unter den drei von ihm angeführten Möglichkeiten scheint mir jedenfalls dies die
■) Gott. gel. Anz. 1915, 129 f. das wohl das Stärkste, was bisher in dieser Be-
») Vgl. auch V. Gerkan, Priene 92: »Wenn H. ziehung geleistet worden ist, und übertrifft auch
Thiersch sogar den spUtrömischen Erotenfries die übrigen architektonischen Unmöglichkeiten,
dem hellenistischen Bau zuweisen möchte, so ist die seine Besprechung enthält, bei weitem.«
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront tu Gphesos. 32 1
wahrscheinlichste; weder an eine Anordnung unterhalb des Architravs noch in der
rechteckigen Nische ist ernstlich zu denken. Denn an beiden Plätzen würde der
Fries jeder zusammenhängenden ruhigen Wirkung entbehren und ohne Analogie
dastehen. Dagegen finden sich für die Anordnung als Sockel auch sonst noch Belege.
Die Wirkung ist zweifellos in der Fig. 191 eine unnötig disproportionierte,
die aus den Maßverhältnissen an sich gar nicht hervorgeht. Der Stylobat ist ziemlich
niedrig und vom Sockel durch ein energisches Profil getrennt. Dazu tritt noch die
Überschneidung durch das untere Gesims, so daß in der Höhenausdehnung kaum
die ganze Gliederfolge je als ein zusammengehöriges und in seiner wahren Größe
erkennbares Bauelement zur Geltung kommt. In der Breitenentwicklung aber werden
Niemanns ästhetische Bedenken zum Teil behoben, wenn man berücksichtigt, daß
ein Überstehen des Sockels über die Plinthe der aufsitzenden Säulen, obgleich einem
natürlichen Gefühl entsprungen, in römischer Zeit nicht mehr so unbedingt gefordert
wurde. Hier ist ein bisweilen sogar erhebliches Einziehen des Profils an vielen der
erhaltenen Monumente aus spätrömischer Zeit ganz geläufig und u. a. auch von
Hülsen bei der Rekonstruktion des Nymphäums zu Milet angewendet worden. Überdies
wirkt in unserem Falle das Relief des Frieses noch mit, um den ungewohnten Eindruck
abzuschwächen. Es trifft also nicht zu, wenn Niemann behauptet, daß die Sockel-
breite infolge der Ausladung der Säulenbasen weit größer hätte sein müssen, als wie
die Länge des darunter befindlichen Gebälkes, so daß dieses in unschöner Weise
belastet worden wäre. Völlig unbegründet sind die technischen Bedenken Niemanns
gegen eine solche Lösung. Wenn er aber meint, daß eine derartige Sockeleinschiebung
bei römischen Bauten im oberen Geschoß zweier aufeinander freistehender .Säulen-
ordnungen nicht vorkomme, so mag hier eine Mitteilung von Interesse sein, die ich
Hubert Knackfuß verdanke, daß nämlich beim Theater von Milet ein ähnlicher Fries
nachgewiesen ist, dessen Unterbringung gleichfalls zunächst auf Schwierigkeiten
stieß, aber nunmehr in derselben Weise erklärt wird wie bei der Bühnenfassade von
Ephesos.
Schließlich haben zu der vorliegenden Wahl auch noch triftige stilistische
Überlegungen geführt. Dem Sockel des dritten Geschosses nämlich hat schon Niemann
zweifellos mit Recht den Girlandenfries zugewiesen. Außer diesem aber schiebt sich
zwischen die Systeme der zweiten und dritten Ordnung noch die in ihrer ansehnlichen
Höhe durch, den Firstansatz des Mittelgiebels bedingte Attika; beide sind
in meiner noch zu begründenden Rekonstruktion in einen engen organischen Zu-
sammenhang gebracht. Wenn nun auch das dritte Geschoß wohl erst später auf-
gesetzt worden ist, so hätten doch ohne das Vorhandensein eines ähnlichen Sockels
im zweiten Geschoß die architektonischen Massen hier nach dem Aufbau ein solches
Übergewicht bekommen, daß die unteren Geschosse dagegen geradezu schwächlich
wirken mußten. Nach meinem Fassadenaufriß (Beil. VII) ist die Vorstellung von
diesem Mißverhältnis leicht Zugewinnen, wenn man sich das Bauglied des Erotenfries-
Sockels herausdenkt (oder z. B. in einer Pause wegläßt) und die oberen Zonen ent-
sprechend heranschiebt. Das wagrecht gegliederte tektonische Band, welches zweite und
dritte Ordnung trennt, wäre in diesem Fall mehr als dreimal so breit, wie die ent-
,22 Hans Höimann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
sprechende Partie zwischen den zwei ersten Geschossen. Und wenn auch die Über-
schneidungen im dritten Stock dieses Verhältnis etwas verändern mögen, der Unter-
schied bleibt groß genug, um das Unerfreuliche eines solchen Aufbaues zu erweisen.
Nach all dem müssen wir den Erotenfries wohl an die von mir gewählte Stelle setzen.
Eine Kritik erfordert auch Niemanns Rekonstruktion der Ecke des Bühnen-
hauses in Fig. 171 (Eph. 84). Erhalten sind von der Seitenwand allein die beiden
aufeinanderliegenden Ecksteine bei »A« (vgl. auch Eph. Fig. 136). Sie kennzeichnen
das Vorhandensein einer Mauer, gegen welche der Sockel stieß und die hinter die
Flucht der Bühnenwand um ca. 0,50 m zurückspringt. Niemann läßt diese Mauer
über dem Gesims des ersten Stockes plötzlich und unvermittelt enden und das Gebälk
des zweiten Geschosses ohne jede Brechung von dem ausspringenden Seitenarchitrav
der letzten Ädikula auf die Bühnenhausmauer übersetzen ; alles nur, um für ein Wand-
kapitäl, wie er es in seiner Fig. 125 dargestellt hat, Platz zu schaffen.
Diese Rekonstruktion des oberen Seitengebälkes sieht hart und unorganisch aus,
weil sie Elemente so verschiedenartiger tektonischer Funktion, wie Bühnenhaus-
stirnwand und Fassadcnädikulain einer unnatürlichen Weise verschmilzt. .Sie ist aber
durch das von Niemann angeführte Moment auch nicht hinreichend begründet. Das
fragliche Kapital Fig. 125 (im Aufriß Fig. 122— 124 Eph.) findet auf der rechten
Seite in dem einfach profilierten Wandkapitäl »A« eine Fortsetzung, welches bei
einer Breite von 0,66 cm am freien Ende eine gerade Ansclilußfläche zeigt. Setzen
wir dieses Werkstück an der entsprechenden Stelle im Fassadenaufbau ein, so folgt
daraus m. E. nichts weiter, als daß der Rücksprung der Mauer, gegen welche der
Erotenfries- Sockel stieß und die als natürliche Fortsetzung der unteren Mauer zu
gelten liat, im zweiten Geschoß etwa 65 cm betrug, also ungefähr 15 cm mehr, wie im
ersten Stockwerk. Und das Wandkapitäl lief sich an dieser Mauer einfach mit stumpfem
Stoß tot. Sein Zweck ist ebenfalls leicht erklärlich: Es bildete eine Art »Konsole«
für das an dieser Stelle vielleicht noch ein wenig vorgekröpfte Gebälk. Wir gelangen
damit für die Ecklösung am zweiten Stockwerk ganz von selbst zu einer dem Erd-
geschoß sehr ähnlichen Entwicklung, die ja auch von vornherein die größte Wahr-
scheinlichkeit für sich hatte. Seitlich vorspringende Rückmauer und leichte Gesims-
verkröpfung finden demnach im zweiten Geschoß ihre organische Fortsetzung, nur
daß die Dimensionen ein wenig verändert sind.
Schließlich bedarf noch die Verteilung der Wandädikulen, soweit solche aus
den Funden zu erschließen sind, einer kurzen Erläuterung. Belegt sind ein größeres
und ein kleineres Paar, beide von fast quadratischem Querschnitt. Der Platz, den
Niemann dem größeren zuweist, Wandfelder des oberen Geschosses, kann, wie das
Ergebnis meiner Rekonstruktion zeigt, dafür nicht in Frage kommen. Aber davon
abgesehen, daß sämtliche Felder dort für andere Motive in Anspruch genommen
werden müssen, ist diese Zusammenstellung keineswegs glücklich. Die Ädikula ver-
möchte auch das schmale Feld nur .schlecht zu füllen und würde an solchem Ort eine
fremde Note in den Wandschmuck des zweiten Geschosses tragen. Ähnlich verhielte
es sich mit dem kleineren Ädikulenpaar, das Niemann über den Türen im zweiten
und sechsten Feld des Erdgeschosses unterbringen wollte. Dafür ist der Raum nun
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos. 223
beinahe wieder zu knapp; vor allem aber würde in diesem Fall das Bedürfnis vor-
liegen, eine entsprechende Füllung nun auch über den äußersten Türöffnungen zu
ergänzen. Hierfür ist keinerlei Anhalt gegeben. Die Nischen müßten an dieser Stelle
schon ziemlich groß sein, um den zur Verfügung stehenden Platz wirklich zu beleben,
dann aber entweder verhältnismäßig seicht oder überhaupt als Fenster ausgebildet
— beides gleich unwahrscheinlich — und hätten der späteren Versetzung der
Türsturzwand Schwierigkeiten bereitet. Ich habe aus diesem Grunde eine andere
Verwendung auch für das zweite kleinere Nischenpaar in Aussicht genommen und
über den drei mittleren Türen lieber die Masken angebracht, von welchen ebenfalls
Reste gefunden wurden. Über Art und Umfang einer etwaigen Belebung der Wand
oberhalb der äußersten Türen des Erdgeschosses habe ich mich überhaupt nicht
ausgesprochen. In dem späteren Umbaustadium war eine solche ästhetisch jedenfalls
in keiner Weise mehr nötig; ob sie vorher bestanden hatte, ist eine offene Frage.
Die beiden Nischenpaare aber setze ich — das größere unten — in der Rückwand der
äußersten Säulenbaldachine jeden Geschosses ein. Für diese Zuteilung waren vier
Gründe maßgebend:
1. Die besondere Breite der letzten gekuppelten Säuleninterkolumnien mußte
wohl irgendeine Ursache haben, die mir u. a. mit der Annahme dieses rückwärtigen
Wandschmuckes gegeben scheint.
2. Die ganze Fassade verlangt gerade bei der starken Konzentration der übrigen
Motive nach einer kräftigen Betonung der Endpartien. Ist diesem Bedürfnis
in der Bekrönung durch die schwereren Segmentgiebel Ausdruck verliehen,
so im Rahmen des Motivschatzes zur Füllung der Wandfelder durch die zwei
ädikularen Nischenpaare.
3. Schon im Grundriß erweist sich die von mir gewählte Stelle besonders für die
größere in den Dimensionen genau fixierte Nische der Breite wie Tiefe nach allein
als geeignet. Eine Anordnung über den äußersten Türen etwa als Analogie zu der
Rekonstruktion Niemanns in Bezug auf den Platz des kleinen Nischenpaares
hätte infolge der geringen Wandstärken an diesen Stellen die unmögliche Aus-
legung als »Fensteröffnungen« gefordert, während sonst zwischen den Pilastern
bei genügender Wandstärke wieder die Breite nicht ausgereicht hätte.
4. Proportion und absolute Größe des großen Nischenpaares stimmen mit den
Frpiädikulen in den großen Segmentnischen so sehr überein, daß es gewiß nahe
lag, sie auch im Aufbau irgendwie miteinander in Beziehung zu setzen. In der
seitlichen Zuordnung ist eine solche nun von vornherein gegeben und meiner
Orthogonalansicht (Beil. VTI) besonders leicht abzulesen, indem die vier Adikulen
des Erdgeschosses bei meiner Rekonstruktion dessen Fassadengliederung in drei
annähernd gleichwertige Abschnitte teilen und sie jeweils kräftig einfassen. In
der Höhenlage war es das Gegebene, durch Brüstungsglcichheit diese Bindung
herbeizuführen. Aber auch in der Tiefe ist wenigstens eine Tendenz nach gegen-
seitiger Beziehung zu verspüren, indem eine ideale Bildebene in der Mitte zwischen
beiden Ädikulapaaren sich auszuspannen scheint, der beide in gleicher Weise
zustreben das äußere Paar von der Wandfluchtfläche aus nach rückwärts.
324
Hans Hönnann, Die römische BUbnenfront zu Ephesos.
das Säulenädikulenpaar aber vom Grunde der Segmentnischen her auf
den Beschauer im Vordergrunde zu. —
Habe ich aus solchen Erwägungen heraus das große Ädikulenpaar an die Enden
der Bühnenwand verweisen zu müssen geglaubt, so lag es nahe, die kleineren in den
infolge Einhaltung der unteren Achsen ja ebenfalls breiteren Endinterkolumnien der
zweiten Ordnung anzubringen. Da sich die Brüstungshöhe hierbei nach dem Vorgang
im Erdgesfchoß richten konnte, war von vornherein dafür gesorgt, daß auch die stär-
keren Überschneidungen in dieser Höhe den Blick in die wie unten jedenfalls mit
Figuren geschmückten Nischen nicht behindern sollten. Im übrigen entspricht die
kleinere Ausführung dieses oberen Nischenpaares ganz gut den allgemein etwas
gedämpften Ausmaßen und Proportionen des Oberstockes im Verhältnis zum Charakter
des Erdgeschosses.
Für die Attika nehme auch ich das Gesimsprofil Eph. Fig. 174 in Anspruch.
Die Höhe mußte sich nach dem Mittelgiebel richten, der für keinen Fall über das
abschließende oberste Profil hinausgeragt hat. Vor den späteren Aufbauten war
diese Attika, an der sämtliche Giebel stumpf anliefen, jedenfalls gerade ohne einzelne
Vor- und Rücksprünge. Doch kann man sich die Erkhärung der vorgekröpften An-
bauten vielleicht auch anders vorstellen (vgl. dazu den Anfang des folgenden Kapitels).
Daß das Pfeilerbruchstück Eph. Fig. 173-wahrsCheinlich gar nicht zur Bühnen-
front gehört, da es verbaut gefunden wurde, habe ich schon erwähnt. Das gleiche
dürfen wir aber auch von den Gewölbsteinen Eph. Fig. 172 annehmen, wenigstens
insoweit, als sie wohl nicht der Fassade angehört haben. Niemann hat das dritte
dieser Werkstücke zum Anlaß genommen, um in seiner einen Variante zwei Fenster-
öffnungen anzuordnen. Solche passen aber, noch dazu abgeschlossen mit Archivolten
sehr schlecht zum Charakter der Säulenfassade, wogegen die übrigen Seiten des Bühnen-
hauses sicherlich derartige Lichtgaden besessen haben. Bei den zwei anderen Werk-
stücken führt der Charakter der Steinbearbeitung nach Niemanns eigener Fest-
stellung eher auf die Zugehörigkeit zum hellenistischen Theatergebäude. Und ebenso
machen die Spuren von Gittereinsätzen eine Verwendung in der Architektur der
römischen scaenae frons wenig wahrscheinlich. Ich .schlage also vor, die beiden
letztgenannten Fragmente auch fernerhin bei der Rekonstruktion der römischen
Bühne ganz aus dem Spiel zu lassen, jenes andere Werkstück aber einer der Seiten-
fassadien oder der Rückfront des Bühnenhauses zuzuweisen.
Der Aufbau des dritten Geschosses.
Zunächst die Datierung ! Ihre Erörterung führt uns sogleich mitten in eines der
wichtigsten Rekonstruktionsprobleme am dritten Stockwerk hinein. So wie Nie-
mann es in den zwei Varianten wiedergibt, erheben sich nämlich sofort zwei schwere
Bedenken gegen seine Ergänzung:
I. Das Zurücksetzen des dritten Stockwerkes in der Weise, daß der massive
Mauerkern desselben (vgl. Eph. Fig. 189) ganz und gar außerhalb der natürlichen
Auflagerfläche des Mauerwerkes der unteren Geschosse fällt, ist eine konstruktiv
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos. ^25
höchst problematische, ohne Parallelen dastehende und auch ästhetisch wenig
befriedigende Lösung.
2. Es fällt ebenso stark aus dem Rahmen aller sonstigen Überlieferung, wenn die
Ordnung dieses dritten Geschosses nicht einmal mehr die Achsen der zwei unteren
einhält.
Zu I. ist zu bemerken: Niemann und auch Heberdey-Wilberg denken sich
(vgl. Eph. 48 und 93) die Sache so, daß die acht aus älteren Werkstücken auf-
geführten Pfeiler im Saal »A« (vgl. Eph. Fig. 95 und 189), die weder mit den Ver-
stärkungsmauern noch dem unteren Deckengewölbe im Verband stehen, dieses
durchbrechen und noch jetzt bis zu 2 m darüber emporragen, für den Aufbau des
dritten Stockwerkes das erforderliche Auflager nach rückwärts schufen. Denn Niemann
stellte in seinen beiden Vorschlägen das dritte Stockwerk so auf die Bühnenmauer,
daß seine vordersten Sockelausladungen mit der Attikaflucht bündig lagen. Dabei
kam es ihm als Architekt schon sonderbar vor, daß die Stärke der unteren Bühnen-
mauer geringer sei, als die Tiefe des dritten Stockwerkes. Diese beträgt ziemlich
genau 2 m; die Bühnenmauer ist aber nur 1,60 m dick ! Demnach kommt sein drittes
Geschoß mit einem erheblichen Teil, dem eigentlichen Mauerkern, auf die Gewölbe
des Bühnenhauses zu stehen, was er selbst nur unter der Voraussetzung für möglich
hielt, daß ein solcher Aufsatz ursprünglich nicht geplant war.
Aber auch dann möchte man eine derart gezwungene Annahme lieber vermieden
haben. Wer weiß, wie ungern noch heutzutage im Zeitalter des Eisenbeton jeder
ernste Baumeister und Statiker trotz der ungeahnten technischen Möglichkeiten und
Konstruktionsmittel unserer Zeit sich entschließt, Tragmauern nicht auf ihre natür-
liche feste Unterlage zu setzen, wird dem antiken Bauwerk gegenüber mit der Vor-
aussetzung solcher Konstrtiktionsmethoden sehr vorsichtig und zurückhaltend sein.
Das Unnatürliche einer derartigen Anordnung kommt denn auch schon im Quer-
schnitt für jeden statisch Empfindsamen voll zur Geltung. Ifch will nicht sagen, daß
diese Ergänzung überhaupt unmöglich wäre. Man muß ihr aber aus dem Wege gehen,
sobald auf andere Weise eine einwandfreie Lösung gefunden werden kann. In unserem
Falle hängt das davon ab, daß
1. die offensichtlich später eingebautenacht Pfeiler auch ohne diese Annahme einen
vernünftigen Zweck erkennen lassen;
2. das dritte Geschoß in anderer Weise in befriedigenden Zusammenhang mit
seinem Unterbau gebracht werden kann.
Auf Punkt I ist die Antwort nicht schwer. Heberdey selbst gibt sie uns Eph.
48, indem er sagt: » Da den acht Pfeilern im Obergeschoß gleichartige an der West-
wand entsprechen, haben sie sicherlich, wie auch im Schnitt (Eph. Fig. 96 und 189)
angenommen. Gurtbogen getragen, auf denen Tonnengewölbe für die Decken der
oberen Stockwerke auflagen.« Genügt denn diese Zweckbestimmung nicht vollauf?
Aus der Existenz der Pfeiler allein kann man also jedenfalls nicht die Notwendigkeit
ableiten, das dritte Geschoß als derartig stark zurückgesetzten Aufbau anzunehmen.
Damit können wir nun aber auch auf die eingangs aufgerollte Datierungsfrage eine
Antwort geben. Denn erst der, wie sich zeigt, durchaus nicht genügend motivierte
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX i923/"4- 22
,26 Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos.
konstruktive Zusammenhang, in den die frühere Forschung die acht großen Pfeiler
mit der Erbauung des dritten Stockwerkes gebracht haben wollte, gab Heberdey
Veranlassung, diese ganze Auf bauperiode genauer zu datieren. Drei Momente bestimm-
ten ihn, den Bau des dritten Stockwerkes in den Anfang des 3. nachchristlichen Jahr-
hunderts zu setzen:
a) Durch den Einbau der Pfeiler wurden an den Schmalseiten des Bühnenhauses
Türöffnungen verstellt, die erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. angelegt
worden waren.
Diese Tatsache ist ohne Belang, sobald wir den konstruktiven Zusammenhang
der Pfeiler mit dem Aufbau des dritten Stockwerkes verneint haben.
b) Die Einbauten an den Enden des Erdgeschosses, die dem Umbau unter Vedius
Antoninus zuzuschreiben sind, verwenden in den Sockeln noch das ältere Ma-
terial, und die Auswechslung derOrthostaten hat die von ihnen verdeckten Teile
nicht betroffen.
Hier darf ich auf das im i. Kapitel (S. 281 unten) Gesagte verweisen. Darüber
hinaus sind wir nicht berechtigt, aus dieser Beobachtung für die zeitliche Festlegung
unserer Umbauperiode Schlüsse zu ziehen.
c) Eines der Ersatzgesimse des zweiten Geschosses ist aus einer Wandquader
hergestellt, die in der früheren Verwendung eine Inschrift aus Commodus' Zeit
(Eph. Nr. 20) trug.
Zu c) ist zu bemerken, daß es durchaus willkürlich ist, wenn Heberdey die späteren
Reparaturen an den Gesimsen und Giebeln des zweiten und Sockeln des ersten Stockes
mit dem Aufbau des dritten Stockwerkes der scaenae frons in einen so unmittelbaren
Zusammenhang bringt.
Aus diesen Darlegungen geht das eine hervor, daß kein ernstlicher Anlaß besteht,
zwischen der Erbauung der unteren Geschosse und dem nachträglichen Stockwerk-
aufsatz einen bedeutenden Zeitunterschied anzunehmen, jedenfalls nicht auf Grund
exakter äußerer Indizien. Wir werden daher gut tun, für die Entscheidung der Da-
tierung lediglich die stilistischen Merkmale gelten zu lassen. Darnach kann bei
der weitgehenden Formenmischung in der Gliederung des dritten Stockwerkes von
einer gleichzeitigen Hochführung in unmittelbarem Anschluß an das zweite Geschoß
wohl auch nicht die Rede sein. Dagegen ist man m. E. angesichts der verschiedenen
Behandlung der Ornamente und architektonischen Gliederungen auf dem richtigen
Weg, wenn man zwischen beiden Bauperioden einen zeitlichen Abstand von höchstens
einhundert Jahren annimmt, wobei die Auswechslungsarbeiten dann immer noch einmal
siebzig Jahre später stattgefunden haben mögen. Wer aber auf Grund der stilistischen
Beobachtungen trotzdem an dem bei Heberdey angenommenen Zeitunterschied fest-
halten will, möge berücksichtigen, daß solche Tatsachen allein nicht immer den Mangel
jeden technischen Anhaltspunktes ersetzen können.
Nun aber zurück zur Rekonstruktion !
Zu 2. Konnten wir feststellen, daß die Existenz der acht Pfeiler auch auf andere
Weise eine befriedigende Erklärung findet, so müssen wir uns jetzt noch fragen, wie
die Stellung des dritten Geschosses auf der Attika nun wirklich gewesen sein mag.
J
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. •127
Das Zurücksetzen habe ich aus konstruktiven Gründen abgelehnt. Es hätte auch
ästhetisch alles eher, denn glücklich gewirkt. Die Überschneidungen würden je nach
dem Standpunkt so ungünstig das Gesamtbild beeinflußt haben und der ganze Zu-
sammenhang mit den unteren Stockwerken wäre ein so loser gewesen, daß der Aufbau
auf den ersten Blick als ein dürftiges Flickwerk sich zu erkennen gegeben hätte.
Solche Schwächen dürfen wir selbst einem Baumeister des 2. Jahrhunderts n. Chr.
noch nicht zutrauen !
Am nächsten läge ohne Zweifel, den Aufbau des dritten Geschosses in der
Weise vorzunehmen, daß auch im Sthnitt die durchgehenden Achslinien erhalten
bleiben und also Freistützen auf Freistützen und Pilaster wieder auf Pilaster zu
stehen kommen. Diese Ergänzung, so sympathisch sie uns sicherlich wäre, verbietet
sich jedoch infolge der nachweisbaren Maße der Architravaussprünge des dritten
Stockwerkes, welche bedeutend geringer sind als unten (1,09 m gegenüber 1,35 m
im zweiten Geschoß), und der deutlichen Akroterienreste, welche den aufgefundenen
Giebeleckstücken des zweiten Geschosses regelmäßig angearbeitet sind. Ein un-
mittelbares Aufsetzen der dritten Ordnung auf den Tabernakeln des zweiten Stockes
unter völliger Beibehaltung der Achsen im Querschnitt, etwa wie beim Nymphäum
zu Milet, verbieten also die Funde. Es ist in der Regel auch nur dort denkbar, wo die
Fassade aus einem Guß entstand oder wenigstens schon von vornherein mit
dem Aufsatz eines dritten Stockwerkes gerechnet wurde. Beides war in Ephesos nicht
der Fall!
Aber brauchte denn damit wirklich schon auf jede Achsenbeziehung, die zweifellos
viel zur organischen Verbindung von Alt und Neu beitragen könnte, verzichtet zu
werden.'' Zwischen dem gänzlichen Zurück hinter die untere Adikulenarchitektur
und einem völligen Vornebleiben in deren Front gab es doch vielleicht noch einen
Mittelweg, in gleichem Maße ästhetisch wertvoll wie statisch einwandfrei. Man
rückte einfach so weit zurück, daß die Freisäulen der dritten Ordnung auf die Achsen
der Wandpilaster der ersten und zweiten zu stehen kamen.
Probieren wir auch hier einmal, wie eine solche Lösung im einzelnen mit dem
Grabungsbefund und Baufortgang zusammenstimmt! Die Gesamttiefe von Mauer
und davorgestellter Säulenfront beträgt nach den Grabungsresultaten 3,26 m in
jedem der beiden ersten Stockwerke. Gerechnet ist dieses Maß von der rückwärtigen
Flucht der Fassadenmauer bis zur Mitte der freien Säulenstellung. Während es sich
im Erdgeschoß auf die Stärke der Mauer, den Pilastervorsprung und den Abstand
des Stützenmittelpunktes von Pilastervorderflucht im Verhältnis 1,75 : 0,36: 1,15
verteilt, ist dieseAusteilung im ersten Stockwerk mit 1,64 : 0,51 : 1,1 1 nachgewiesen;
also ein Zurückspringen der Mauer des zweiten Stockes gegenüber der des ersten
um 1 1 cm ! Die Fig. 178 Eph. gibt für das dritte Stockwerk die analogen Abmessungen.
.Sie betragen 0,84 m, 0,10 m und 0,80 m. Als Fixpunkt bei der Aufeinandersetzung der
drei Stockwerke müssen wir nach dem Gesagten jene Ebene annehmen, in welcher
die Wandpfeilerachsen der zwei unteren und die Freistützenachse des obersten Stock-
werkes liegen. Genau genommen weichen ja allerdings die Achsen der untersten Pilaster
von den in dieser Ebene befindlichen Loten um 3,5 cm ab, wenn wir die zwei ersten
^28 Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront in Ephesos.
Stockwerke mit ihren äußersten Grenzflächen aufeinander bündig setzen. Das braucht
uns aber bei der Bezugnahme des zweiten und dritten Stockwerkes untereinander nicht
weiter zu stören. Gehen wir von dem genannten Fixpunkt aus zurück, so ergibt sich
beim zweiten Stockwerk ein Maß von 1,64 + 0,25 (die Abrundung des halben Zenti-
meters — vgl. Eph. Fig. 146 links oben — im gleichen Sinn, in dem die Verschiebung
der Parterreachsen nachgewiesen ist, erscheint wohl zulässig!) = 1,89 m; beim
dritten Stockwerk ein solches von 0,84 + 0,90 = 1,74 m. Das bedeutet nichts anderes,
als daß nach den aus den Funden zu entnehmenden Abmessungen die Mauer des
dritten Stockwerkes beim Aufbau gegenüber den beiden tieferen um 15 cm abgesetzt
wurde, eine Tatsache, die den späteren Geschoßaufbau in einem jedenfalls viel natür-
licheren Licht erscheinen läßt, als die bisherige Hypothese. Schon im Schnitt sieht
ein solcher Zusammenhang der alten und neuen Mauerteile wesentlich günstiger aus
und dürfte seine statische und praktische Berechtigung behalten, auch wenn ein
unmittelbares Zurschautreten dieses Sockelabsatzes von 15 cm durch das zunächst
anschließende Bühnenhausdach unmöglich gewesen sein mag.
Der Grabungsbefund bestätigt also die von mir vorgeschlagene Kombination
in zwanglosester Weise. Nicht anders ist es mit der Erklärung, die wir aus dem Bau-
fortgang für dieselbe entnehmen können: Daß bei der Annahme einer unmittelbar
aneinanderstoßenden Bauzeit des zweiten und dritten Stockes die Emporführung
des letzteren nach meinem Vorschlag keine Schwierigkeiten gemacht hat, sieht man
wohl ohne weiteres ein. Die Attika wurde eben mit den Verkröpfungen über jedem
Giebelstück in einem Zuge hochgeführt, darauf der Sockel der dritten Ordnung usw.
Nun haben wir aber gesehen, daß wir trotz Wegfalls mehrerer der bei Niemann ange-
führten Argumente um die Annahme eines gewissen zeitlichen Unterschiedes in
der Erbauung der zwei ersten und des dritten Stockwerkes doch nicht herumkommen.
Wie kann sich dann der Baufortgang abgespielt haben } Es ist kein Zweifel, daß wir
uns in diesem Fall die Attika über dem Hauptgesims des zweiten Stockes ursprünglich
wohl unverkröpft durchlaufend vorstellen müssen. An sie liefen die sieben Giebel
stumpf an. Denn zur Anordnung von Vorsprüngen an dieser Attika bestand zunächst
gar keine Veranlassung. Das änderte sich jedoch mit dem Aufbau des dritten Ge-
schosses. Wollte man seine Freisäulen, wie ich annehme, über die Pilaster der zweiten
Ordnung setzen, so erforderte dies nicht nur beim Sockel jenes dritten Geschosses,
sondern auch schon an der Attika die Anordnung entsprechender mäßig tiefer Vor-
bauten, die als Auflager der Säulenfußpunkte dienten. Sie nun nachträglich der glatten
Attika über jedem Giebel anzufügen, machte weder statisch noch konstruktiv Schwie-
rigkeiten. Ging doch ihre Ausladung über die unteren Pilastervorsprünge nur ganz
wenig hinaus und war ein engerer Verband mit dem alten Mauerwerk bei der geringen
Höhenausdehnung nicht von Bedeutung ! Das Herstellen einer kleinen ebenen Unter-
lage durch leichtes Abnehmen der rückwärtigen Giebelfirste und das Abschlagen
der entsprechenden geraden Gesimsstücke an der Attika genügte, um die erforderlichen
Anbauten in handwerklich einwandfreier Form ohne Schwierigkeit zu vollziehen.
Hatte man die auf solche Weise leicht zu gewinnenden acht kleinen Anstückelungen
an der Attika nur einmal fertig, so war damit die Unterlage für das Aufsetzen des
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Kphesos. 320
neuen Stockwerkes nach jeder Richtung vorhanden. Ich darf also ein volles Auf-
sitzen des dritten Geschosses in der Weise, daß seine Freisäulen auf die Pilaster
des zweiten zu stehen kamen, von allen Möglichkeiten, die durch Situationen und
Überlegung gegeben sind, als die allein wahrscheinliche bezeichnen.
Als zweites hauptsächlichstes Bedenken, welches man gegen die Niemannscheu
Ergänzungsvorschläge hegen muß, habe ich oben die Tatsache bezeichnet, daß es ganz
allen sonstigen Beobachtungen und Erfahrungen widerspricht, wenn angenommen
wird, die Säulen der dritten Ordnung hätten in der Frontalansicht nicht einmal mehr
die Achsen der unteren Stützen eingehalten. Durch zwei Umstände wird das Be-
denkliche dieser Annahme bei Niemanns Rekonstruktionen im Ephesoswerk allerdings
etwas verschleiert (vgl. darüber auch S. 287). Niemann hat die Mehrzahl seiner
Ergänzungsskizzen zur römischen Bühnenwand — eine Ausnahme macht nur Taf. VI- ,
soweit sie über die Wiedergabe bloßer Einzelmotive mit durchaus örtlicher Begrenzung
hinausgehen, in perspektivischen Zeichnungen niedergelegt, die in gleichem Maße
durch die Sicherheit der denStift führenden Hand fesseln, wie durch die reizvolle Art,
mit der aus dem Gegenstand malerische und graphische Effekte herausgeholt sind.
Es war jedenfalls seine Überzeugung, auf solche Weise sich am schnellsten und leich-
testen verständlich zu machen. Daß freilich die beste perspektivische Skizze die
geometrische Aufrißzeichnung nie entbehrlich machen kann, besonders, wenn es sich
um Fassadenrekonstruktionen handelt, hätte er bedenken sollen. Denn er täuschte
sich vieHeicht durch sein Verfahren selber etwas hinweg über die großen Schwächen
der Achsenanordnung im dritten Geschoß. Man mache nur einmal einen Versuch,
seine Abbildungen Eph. Taf. VIII und IX in Orthogonalprojektion zu übertragen 1
Abgesehen davon, daß sich sofort zeigt, wie sehr diese beiden Schaubilder auch
in den einzelnen Proportionen von den etwa in Taf. VI auf Grund des Sacli-
befundes angenommenen Verhältnissen abweichen, wird das Störende, ja Unmögliche
einer so freien Achsverteilung im obersten Geschoß dadurch viel sinnfälliger
werden. Man wende nicht dagegen ein, eine Aufrißzeichnung bedeute eben eine so
willkürliche Abstraktion gegenüber der Wirklichkeit, daß sie nicht als Maßstab
dieser oder jener Rekonstruktion dienen könne. Es ist allerdings richtig, daß bei
der wirklichen Betrachtung das Bild auch einer Fassadenfront immer wieder sich
verschiebt und verändert. Nun vermindert sich bei der Betrachtung aus gewisser
Ferne, die doch hier die Regel bildete, die Verschiebung der orthogonalen Lagenbe-
ziehungen einer nicht allzu tiefen Fassadenfront an sich sehr rasch. Aber auch
davon abgesehen müssen wir der Orthogonalzeichnung, wie es in der Entwurfsarbeit
des Architekten die Regel bildet, in der Beurteilung eines Bauwerkes eine entscheidende
Bedeutung beimessen. Denn es ist eine dem Praktiker geläufige Erfahrungstatsache,
daß die absoluten Verhältnisse und geometrischen Abstimmungen einer Fassade
in ihrem Aufriß von fast jedem Standpunkt aus entscheidend mitsprechen
und der empfängliche Beschauer bewußt oder unbewußt dem perspektivischen Bild
jene Momente außerordentlich schnell abliest. Diese psychologische Tatsache, die nichts
zu tun hat mit jenen Symptomen entwicklungsgeschichtlicher Natur, welche bei dem
einen Bauwerk frontale Einstellung des Beschauers verlangen, während sie bei dem
,,g Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos.
anderen ein absichtliches Hinarbeiten auf Schrägansichten und Verkürzungen er-
kennen lassen, kann uns die Bedeutung der Orthogonalansicht auch auf dem Gebiete
der Rekonstruktionen meines Erachtens nicht hoch genug einschätzen lassen. Hätte
es Niemann ebenfalls getan, so wäre er vielleicht schon dadurch von der falschen Fährte
abgelenkt worden.
In unserem Fall kommt schließlich noch hinzu, daß unter der Voraussetzung
einer Achseneinhaltung im Schnitt, wie ich ihre Notwendigkeit vorhin bewiesen habe,
eine derart freie Verteilung der Säulen über die ganze Front schon mangels des nötigen
Auflagers unmöglich gewesen wäre. Man sieht, es zieht eine Folgerung die andere so-
fort nach sich. —
Ein zweites gleichfalls schon früher erwähntes Moment, durch das Niemann
die UnWahrscheinlichkeit seiner Lösung äußerlich zu mildern suchte, war die Beibe-
haltung der fünf Hauptachsen der Fassade im 3. Stockwerk bei beiden Varianten.
Dadurch bringt er eine scheinbare Bindung in das System hinein, ohne in Wahrheit
an den entscheidenden Punkten etwas geändert zu haben. Ich möchte sogar
glauben, daß diese teilweise Beibehaltung des Achsensystems die Willkür der Stützen-
verteilung an den anderen Stellen eher noch stärker hätte empfinden lassen. Niemann
war es selbst recht wenig behaglich bei diesem Rekonstruktionsverfahren zu Mute;
er suchte es gleichsam zu rechtfertigen mit dem Hinweis, daß die engere Säulen-
stellung den geringeren Gebälkmaßen und der hiervon abhängigen verminderten
Säulenhöhe entsprochen habe. Davon kann nun gar keine Rede sein. Daß diese
Dinge miteinander im allgemeinen wenig zu tun hatten, zeigt die Baugeschichte.
Denn an vielen Fassaden der alten und neueren Architektur wird aus solcher Ab-
stufung der Gebälkdimensionen die Niemannsche Konsequenz nicht gezogen, während
gerade da, wo tatsächlich über die Achspunkte der unteren Geschosse in den höheren
Etagen hinweggegangen wurde, z. B. bei Peträischen Stockwerkgräbern, die Ver-
jüngung der Geschoßhöhen nicht in entsprechendem Umfang stattgefunden hat.
Daß aber Felsfassaden überhaupt diese Freiheit sich erlaubt haben, kann bei ihrer
doch etwas anderen Stellung zu statischen Anforderungen und Gesetzen nicht über-
raschen. Niemals dürfen wir aus solchen Vorbildern das Gleiche für unsere Fassade
ableiten.
Was war aber nun der eigentliche zwingende Grund für die Achsenverschiebung,
dem Niemann nicht glaubte sich entziehen zu können.' Die Eph. Fig. 177 ab-
gebildeten Bruchstücke »A« — »G« lassen sich mit Sicherheit zu einem segmentför-
migen Architrav zwischen zwei freitragenden kürzeren Stücken gerader Gebälkteile
zusammenfügen. Dabei ist bei den Stücken »D« und »E« die gerade Linie des Wand-
anschlusses, wo die Steine mit einem Falz von 0,20 m Breite in die Hinterwand der
Nische eingriffen, gut erhalten und durch ihre Gesamtlänge der Abstand zwischen
den senkrecht zur Wand laufenden ausspringenden Architraven »C« und »F« ziem-
lich genau gegeben. Niemann maß ihn mit 2,175 m und errechnete hieraus die Achs-
weite der an den Enden der Rundung stehenden Säulen zu 3, 1 5 m. Es wiederholt sich
hier, wie er meinte, ein Baugedanke des unteren Stockwerkes in kleinerem Maß-
stab. Denn dort beträgt die Achsenweite der an den Enden der Rundung stehenden
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 's •? j
Säulen mehr als 4 m. Hierin allein liegt der Sachbefund, der Niemann hinderte, die
unteren Achsen im dritten Stock beizubehalten. Es ist nun allerdings sicher, daß das
beschriebene Rundarchitravmotiv sich auf der Mehrzahl der unteren Wandfeldcr
mit ihren Achsenzwischenräumen von über 4 m nicht aufsetzen läßt. Unter den
sieben Wandfeldern der unteren Stockwerke haben wir aber auch solche mit bedeu-
tend engerer Säulenstellung, nämlich das zweite und sechste. Da das Eph. Fig. 182
abgebildete Architravbruchstück auf mindestens paarweises Auftreten des Motivs
hindeutet, wären also an und für sich diese beiden Nischen wohl geeignet. Prüfen wir
einmal, wie sich die Architravmaße dazu verhalten würden! Die Achsweite beträgt
beim zweiten und sechsten Feld nur 3,34 m; sollte nicht vielleicht hier eine Einpassung
denkbar sein.'' Eine Differenz von kaum 20 cm kann bei den sonst an der Bühnen-
front beobachteten Unregelmäßigkeiten m. E. nicht von ausschlaggebender Bedeutung
sein. Erklärt doch Niemann selbst beispielsweise an dem Architrav Eph. Fig. 143
der mittleren Ordnung einen ähnlichen Unterschied von 0,25 m aus der Sorglosigkeit
der Arbeit. In unserem Fall kommt aber noch hinzu, daß die Form der Werkstücke
auch den Grad der Exaktheit bei der Messung und Aufnahme beschränken mußte.
Die Bruchstücke »D« und »E« sind, das zeigt Eph. Fig. 177 deutlich, nicht unmittel-
bar aufeinander gepaßt. Läßt auch der gerade Falzrand eine erhebliche Auseinander-
ziehung kaum zu, so würde eine solche, in nur sehr geringem Umfang vorgenommen,
doch schon die bei Niemann errechnete Differenz ausgleichen. Es wäre wohl müßig,
ohne den Steinen selbst gegenüberzustehen, hier über das wirkliche genaue Maß der
Spannweite Abschließendes sagen zu wollen. Festgestellt muß aber werden, daß nach
dieser Sachlage eine Anordnung des Segmentbogenmotivs über den Wandfeldern
»2« und »6« der unteren Geschosse, allein nach den Abmessungen beurteilt, auf jeden
Fall möglich und zulässig erscheint. Denn daß die Säulenpaare zu Seiten der Nische
oben enger gestellt worden wären, als es unten der Fall gewesen ist, war lediglich
eine Vermutung Niemanns, die aufrecht zu erhalten nach meiner Erklärung des Zu-
sammenhanges kein Anlaß mehr besteht.
Stilkritisch nun hat die Einfügung des Rundgebälks, jedenfalls mit unterge-
schobenem Stützenpaar, an der von mir vorgeschlagenen Stelle zweifellos manches
für sich:
1. Können wir jetzt auch die übrige Motivverteilung im dritten Stockwerk unter
ausschließlicher Beibehaltung der alten Achsen durchführen.
2. Werden dadurch die Kombinationsmöglichkeiten bedeutend eingeschränkt und
wir trotz der Mängel in der Erhaltung einer eindeutigen Rekonstruktion auch
dieses dritten Gescho.sses sehr viel näher gebracht.
3. Deutet die Versetzung des Motivs auf die äußeren Lücken der durch den Einbau
im Erdgeschoß geschaffenen Reihe auf eine gewisse Gesetzmäßigkeit der Anord-
nung hin, welche uns wohl berechtigt, nun auch im mittleren Wandfeld des
obersten Stockwerkes trotz Fehlens entsprechender Funde eine ähnliche Lösung
zu ergänzen. — Wir gelangen damit für das zweite, vierte und sechste Wandfeld
der dritten Ordnung ganz von selbst zu der von mir gezeichneten Rekon-
struktion.
5^2 Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos.
Als Material für die weitere Motivbildung stehen uns zunächst noch die Ge-
simsplatten Eph. Fig. 183 zur Verfügung. Niemann ergänzt sie in zwei Vorschlägen
Eph. Fig. 184 und 185. Der erste hat wohl die größere Wahrscheinlichkeit für sich.
Denn das Einschalten eines längeren geraden Gebälkstückes wirkt immer sehr hart
in einem an sich abgerundeten Nischenzug. Es entsteht dadurch eine Nischenform,
die man im allgemeinen nach Möglichkeit zu vermeiden suchte. Viel lieber wurde
in solchen Fällen zum Korb- oder elliptischen Bogen gegriffen, wie ich dies auch im
neuen Ergänzungsvorschlag für das Mittelmotiv angenommen habe. Ganz willkürlich
und unbegründet wäre aber der Bogenansatz unter 60°, da doch stets der Viertelkreis
den natürlichen Übergang zwischen zwei zu einander senkrechten Geraden bildet.
Entscheiden wir uns also im Prinzip für die der Anordnung Eph. Fig. 184 zu Grunde
liegende Idee, so dürfen wir doch auch sie nicht kritiklos hinnehmen. Niemann er-
rechnet die Achsweite der Säulen »d« und »e«, wie er selbst betont, nur annähernd
zu etwas weniger als 2 m. Da das erhaltene Bogenstück von 0,23 m an dem Werkstück
Eph. Fig. 183 »A« nicht lang und auch nicht genau genug gearbeitet ist, um aus seiner
Krümmung direkt den Radius zu bestimmen, erschließt er dieses Maß aus der Ent-
fernung des Scheitelpunktes (b) von der Architravvorderkante (c), die er als bekannt
ansieht, da die Nische, welcher das Gesimsstück angehörte, nicht tiefer gewesen sein
kann, als die segmentförmige Nische in Fig. 177. Damit wären, so meint er
wenigstens, auch Radius und Nischenweite gegeben. In dieser Überlegung kann ich
Niemann nicht ganz beistimmen. An sich besteht zwischen beiden Motiven kein
engerer Zusammenhang. Das geht vor allem daraus hervor, daß vor jenem Segment-
gebälk die Rückwand in rechteckiger Einziehung zurücksprang, um das eingeschobene
Stützenpaar aufzunehmen, während im vorliegenden Fall die Wand auch nach Nie-
manns Annahme Eph. Fig. 184 in gerader Flucht durchgeführt ist. Dadurch ergeben
sich hier und dort verschiedene, wenn auch in Rücksicht auf die Gesamtwirkung
wohl nicht sehr stark von einander abweichende Tiefenverhältnisse. Freilich kann die
Differenz, wie ein Blick auf Fig. 178 lehrt, kaum von Bedeutung gewesen sein.
Ein Trugschluß ist es aber, wenn Niemann aus der Entfernung (b) — (c) (Eph.
Fig. 184), sowie dem Ansatzpunkt und Ansatzwinkel des kleinen Bogenstückchens
bei »A<( den Radius bestimmen zu können glaubt, wo er doch selbst sagt, daß die
Anhaltspunkte zur Messung der Krümmung nicht genügen. Es steht ja damit auch gar
nicht fest, ob diese an allen Stellen überhaupt gleich gewesen ist und bleibt außer
der Annahme eines Kreissegmentbogens ebenso auch die einer elliptischen Rundung
offen. Lag nur eine kleine Abweichung der Kurve von der reinen Kreisbogenlinie
m diesem Sinne vor, so genügte es, um die Achsweite gleich um mehrere Dezimeter
zu vergrößern. Wir haben für die Ergänzung also in dieser Hinsicht zum mindesten
einen Spielraum von 1,90 bis 2,50 m. Solcher Motivbildungen gab es, da drei Eck-
stücke vorhanden sind, wenigstens zwei. Nachdem die geringe Achsweite keines-
falls ein Einschieben von Zwischenstützen notwendig machte, bestand auch kaum ein
Anlaß zur Ausbildung eines Mauerrücksprunges an dieser Stelle. Das hat Niemann
in seiner Fig. 184 schon in zutreffender Weise berücksichtigt. Damit aber eignet
sich das Motiv nicht nur zur Einfügung an der Stelle von Wandfeldern, sondern auch
Hans Hörmanu, Die römische Btthnenfront tu Ephesos. 2 5 3
gleichermaßen über irgend einem der gekuppelten Architrave der unteren Geschosse.
Erstere mit ihren Achsweiten von über vier Metern kommen nach der entwickelten
Maßberechnung hier auch gar nicht in Frage. Dagegen liegt es nahe, über den beiden
großen Segmentgiebeln an den Flügeln, wo ja durch die nunmehr ermöglichte Beibe-
haltung der Achsen ebenfalls weitere Interkolumnien sich ergeben, eine besondere
Architravführung anzunehmen. Würde bei den schlankeren und feineren Gesamt-
proportionen doch ein gerades Gebälk hier leicht zu einem unnatürlich gespreizten
Eindruck der gekuppelten Säulenmotive führen. Eine Ergänzung in Form der gleich-
falls nachgewiesenen detachierten Säulen an diesen Plätzen sähe aber nicht weniger
dürftig und schwächlich aus. Berücksichtigen wir andererseits, wie gut nach dem
Gesagten dieses Rundmotiv in den Maßen bei einer Achsweite von 2,35 m an diese
Stelle paßt, so kann kaum mehr ein Zweifel sein, daß wir es den beiden Flügel-
tabernakeln zuzuweisen haben.
Erübrigt noch die Unterbringung des Motivs der »detachierten« Säulen, nach
dem Werkstück Eph. Fig. 183 »D« schon von Niemann in Fig. 187 richtig er-
gänzt und zweifellos in symmetrischer Wiederholung anzunehmen ! Da wir ohne Grund
über die durch die Funde bedingte Anzahl des Auftretens eines solchen Motivs nicht
hinausgehen sollen, habe ich die zwei detachierten Säulen zu beiden Seiten des Mittel-
wandfeldes angeordnet. Hier ist die besondere Komposition immerhin durch die
größere Länge des mittleren Rundarchitravs berechtigt, ohne daß man ihre Wieder-
holung neben den beiden anderen Rundarchitraven annehmen müßte. Auch ist ihr
Auftreten an solchem Platz durch Analogien wie am Theater zu Milet und an afri-
kanischen Monumenten belegt. Wollte man die detachierten Säulen etwa den Flü-
geln zuweisen wie amNymphäumzu Milet, so müßten i. vier solcher Säulen angenom-
men werden, was, da in den Funden nicht begründet, besser unterbleibt; 2. müßte
das dort von mir angeordnete Motiv nach der Mitte rücken. Hier würde es aber außer-
ordentlich gepreßt und neben dem ziemlich weit gespannten Mittelbogen nichts we-
niger als harmonisch wirken. —
Damit hotfe ich gezeigt zu haben, daß wir auch bei dem scheinbar so spärlich
überlieferten und von Niemann nur nach der Phantasie rekonstruierten dritten Stock-
werk zu einem, wenn nicht in allen Einzelheiten gesicherten, so doch in den wesent-
lichen Zügen der Gliederung archäologisch wohl begründeten Wiederherstellungs-
resultat gelangen können. Sehr zurückgehalten habe ich mich absichtlich in der Aus-
schmückung dieses auf solche Weise rekonstruierten dritten Stockwerkes. Daß auch
hier etwa in den Flügelinterkolumnien sowie dem zweiten, vierten und sechsten Wand-
feld Statuenschmuck Platz gefunden hat, ist wohl zu vermuten. Es scheint mir aber
wenig empfehlenswert, ohne reale Unterlagen hierüber exakte Angaben zu machen.
Ebenso kann in den neutraleren Wandfeldern »eins«, »drei«, »fünf« und »sieben«
irgendeine dekorative Belebung architektonischer, plastischer oder farbiger Natur
(man darf vielleicht an ein Bas-Relief oder eine Marmorinkrustation denken) Platz
gefunden haben, jedenfalls aber so diskret, daß der Charakter jener Stellen als un-
betonter »Silben« zwischen den drei anderen synkopischen und scharf akzentuierten
in der Reihe dieses architektonischen Metron nicht verwischt wurde.
-- . Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos.
Abzulehnen ist der Gedanke, als ob in den in meiner Rekonstruktion leer ge-
lassenen Wandflächen Fenster oder gar größere Durchbrüche der Mauer vorhanden
gewesen sein könnten, was Niemann nach der Form des Pilasterkapitäls »N« in Fig. 178
für möglich halten möchte. Eine Durchbrechung der Mauer und Anordnung freiste-
hender Pfeiler, wie bei »M« in Fig. 178, sodaß gleichsam eine »luftige Attika«
als Gesamteindruck des Geschoßaufbaus entstanden wäre, würde dem Charakter
dieser stets fassadenmäßig an eine Rückwand angelehnten Prunkbauten zuwider-
laufen und ohne jede Analogie aus dem Kreis der bisher nachgewiesenen Aufbau-
formen bleiben. Es ist doch wohl so, daß dieses Vollkapitäl von 0,88 m Breite an das
Ende der Bühnenwand zu verweisen ist (s. Eph. Fig. 171 bei »D«), wo ja eine vor-
springende Bühnenhausmauer, an welcher die Profile hätten anlaufen müssen, wie
bei den zwei unteren Geschossen, nicht mehr vorlag.
Den vielfach verkröpften Sockel mit Girlandenfries habe ich gleich Niemann
unter der dritten Ordnung angebracht. Er vermittelt dort zwanglos zwischen ihr und
der Attika. In der Orthogonalansicht mag vielleicht dadurch das massive Mauerband,
welches zwischen die zwei oberen Ordnungen sich einschiebt, etwas breit und schwer
erscheinen. Man darf aber nicht vergessen, daß die weit vorspringenden Giebel und
zumal der große Mittelgiebel eine so starke Überschneidung der Attika in der per-
spektivischen Ansicht zur Folge haben, daß der Eindruck in Wirklichkeit ein wesent-
lich anderer war. Abgesehen von dem für die Attika in Anspruch genommenen
Gesimsprofil Eph. Fig. 174, das ja wohl auch anderswo unterzubringen wäre, ist aus
diesem Grunde ihre Einfügung nicht zu entbehren. Es widerspräche der sonst zu
beobachtenden Übung, wollte man hier ein freies Überstehen der Giebel vor dem Auf-
bau des dl itten Stockes annehmen. Daß ein Hinlaufen des Frieses an der Attika selbst
nicht in Frage kommt, hat Niemann Eph. 91 unten schon nachgewiesen. Denn der
Fries hat, nach dem Eph. Fig. 188 abgebildeten Bruchstück zu schließen, als Sockel
die Bewegung einer vor die Wand heraustretenden Einzelsäule mitgemacht. Das traf
jedenfalls in erster Linie unterhalb der »detachierten« Säulen zu. Dort hätte aber
ohne Einschub der ungeschmückten Attika der einspringende Giebel dieses ganze
Motiv so weitgehend verschluckt und verstümmelt, daß die Wirkung eine höchst
unvorteilhafte gewesen wäre. Die Sockelverkröpfung würde hier gar keinen archi-
tektonischen Sinn gehabt und überdies zur Ausbildung mehrerer technisch recht be-
denklicher Wasserwinkel geführt haben, die erst wieder besondere Vorkehrungen
zu ihrer Trockenhaltung erfordert hätten. Auch an den übrigen Stellen wäre der Zu-
sammenhang des Frieses alle Augenblicke störend unterbrochen worden und das ganze
dritte Geschoß schließlich hinter dem Unterbau derart versunken, daß es beinahe
zwergenhaft und jedenfalls sehr unorganisch gewirkt hätte. Das Aufsetzen des
Frieses auf der Attika war also unter den Möglichkeiten, die dem Re-
konstrukteur rein äußerlich zur Wahl standen, die ästhetisch und konstruktiv allein
vertretbare. Der Sockel macht die Bewegung der gekuppelten Säulenpaare in gerader
Linie soweit mit, als die Schaffung des notwendigen Säulenauflagers es erfordert.
Welche Ergänzungen dadurch gelegentlich des Stockwerkaufbaues an der Attika
nötig wurden, habe ich schon oben erwähnt. Eine Verkröpfung darüber hinaus ist
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos. t-sc
bei dem Sockel nur vor den »detachierten« Säulen angenommen, wo ja die Funde ihre
Existenz bezeugen. Nicht ausgedehnt habe ich sie dagegen auf die Flügelsäulenpaare.
Dort bestand weder nach den Fundstücken noch nach der Gebälkführung und Weite
des Säulenzwischenraumes ein Anlaß dazu. Vor allem würde eine Verkröpfung hier
das Einstellen irgendwelcher Freiplastik unmöglich machen, die man an diesen
Funkten nach der besonderen Interkolumnienweite (Ädikulanischcn, wie in den
darunter befindlichen Feldern, hätten in jener Höhe keine Wirkung mehr erzielt)
und betonten Lage auf den Flügeln der Fassade gerne voraussetzen würde.
Zuletzt noch ein Wort über die obere Begrenzung des dritten Geschosses ! Ich
glaubte hier nicht gegenüber Niemanns Vorschlägen irgendwelche Änderungen oder
Zusätze machen zu sollen. Es schließt daher auch bei mir mit dem wagrecht laufenden
Hauptgesims ab. Verblieb doch der eigentliche organische Abschluß der Fassade in
ihrer einheitlichen Komposition nach wie vor oberhalb des zweiten Stockwerkes !
Das dritte Geschoß konnte und wollte demgegenüber seinen Charakter als spätere
Zutat nicht verleugnen. Es wäre eine Abschwächung der krönenden Wirkung seiner
Gesamtanlage gewesen, hätte man ihm nun für sich noch einmal eine Folge von Gie-
belabschlüssen gegeben, die doch neben den größeren Dimensionen des zweiten
Stockwerkes immer zierlich und schwächlich ausgesehen haben würden. So hat denn
der horizontale Gesimsabschluß hier wohl seine Berechtigung: er hebt das letzte
Stockwerk in der Gesamtheit heraus gegenüber den älteren Teilen der Fassade und
unterstreicht seine Funktion als glänzendes und großzügiges Krönungsmotiv. Und
selbst, wenn das ganze Bauwerk aus einem Guß wäre, würden dieser Ergänzung —
man denke an das Nymphäum von Milet ! — die Vorbilder nicht mangeln, weil der
Schwerpunkt eben auch dann bisweilen gerne auf die Betonung des abschließenden
Charakters des Gesamtstockwerkes im Rahmen der mehrgeschossigen Fassaden-
komposition gelegt zu werden pflegte •).
Damit sind alle Punkte besprochen, in welchen mein neuer Rekonstruktions-
vorschlag für die römische Bühnenfassade zu Ephesos von den bisherigen Versuchen
abweicht. Im Resultat kann er jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, erschöpfender
und bestimmter zu sein als die Ergebnisse der früheren Untersuchung. Wenn es mir ge-
lungen ist, auch den Nachweis für seine wissenschaftliche Berechtigung in überzeu-
gender Weise zu führen, dann ist der Zweck dieser Zeilen erfüllt. Bleibt aber ein
Rest, so teilt meine Arbeit die Unvollkommenheit aller menschlichen Forschung.
IV.
DIE STELLUNG DER EPHESISCHEN BÜHNENFRONT IM KREISE DER ZEIT-
GENÖSSISCHEN FASSADENARCHITEKTUR.
Nun noch eine kurze stilistische Würdigung der neuen Rekonstruktionsergeb-
nisse ! Nicht zu erwarten hat der Leser hier eine systematische entwicklungsge-
') Vgl. hierzu auch Dombart, Das Palatinische Abschlüsse für die Prunkfassaden geradezu als
Septizonium 5, wo solche horizontalen oberen Regel angeführt werden.
336
Hans Hörmann, Die römische Btthnenfront zu Ephesos.
schichtliche Darstellung. Sie bedürfte der Grundlage eines sehr viel reicheren Mate-
rials und mag vielleicht einmal anfallen als Blüte und Letztes einer gründlichen Un-
tersuchung über das gesamte Fassadenproblem. Im Rahmen meiner monographischen
Arbeit aber kann es sich nur um einen bescheidenen Versuch handeln, den allgemeinen
Zusammenhang zu umreißen, in den unsere Bühnenfront auf Grund des neuen Wie-
derherstellungsresultates einzureihen ist.
Daß man sich dabei heutzutage nicht mehr auf das Theater allein stützen darf,
auch wenn lediglich im Anschluß an eine Einzeluntersuchung ein besserer Standpunkt
für die stilkritische Beurteilung erstrebt wird, hat v. Gerkan in dem schon zitierten
Priene-Werk ') betont. Es treten neben die Bühnenfronten vor allem Fassadenbildun-
gen an Nymphäen, die bisweilen durch die Ähnlichkeit charakteristischer Züge im
Aufbau geradezu überraschen; dann aber auch Tore, Bibliotheken, kurz Vertreter
fast aller baulichen Typen, die das Bild der hellenistisch-römischen Stadtanlagen,
soweit es uns heutzutage bekannt geworden ist, beleben. In der Tat bestehen
zwischen diesen Gruppen innere Stilzusammenhänge. Darüber finden sich auch sonst
in der Literatur gelegentlich Hinweise, allerdings zumeist in dürftiger Form; seltener
in kurzen entwicklungsgeschichtlichen Ausblicken im Anschluß an die ausführliche
monographische Behandlung eines bedeutsamen Denkmals 2).
Mit am frühesten hat Petersen bei der Beschreibung des Nymphäums von
Side 3) auf die verwandten Züge in den Prunkfassaden der großen römischen Wasser-
schlösser mit den scaenarum frontes hingewiesen 4). Schließlich tut es auch Wiegand 5),
indem er besonders die Bühne des großen Theaters zu Pompei nach Koldeweys Grund-
riß mit der Nymphäumfassade vergleicht, die uns auf der Münze des Septimius Se-
verus von Adrianopol erhalten ist*). — Auch das Ziel der gegenwärtigen Erörterung
dürfte hinlänglich erreicht werden, wenn wir im Material uns im wesentlichen auf
Theater- und Nymphäen-Fassaden zur Illustration der künstlerischen Atmosphäre
unseres Rekonstruktionsversuches konzentrieren.
Die örtliche Abgrenzung dürfen wir nicht zu knapp fassen, da sich gerade aus
der Kenntnis von der weiten Verbreitung beider Typen die wichtigsten Gesichts-
punkte für die Einfügung unserer Bühnenfront an richtiger Stelle ergeben. Das Gleiche
gilt zeitlich. Der Begriff des »Zeitgenössischen« kann hier nur in einem weiteren
Sinn verstanden werden, insofern es sich eben durchweg um Neu- oder Umbauten
aus der Kaiserzeit handeln wird, für die als unterer Abschluß etwa das Ende des
zweiten Jahrhunderts zu gelten hat.
Bei der Auswahl der zum Vergleich heranzuziehenden Denkmäler ist in Ansehung
des besonderen Zweckes Beschränkung in mehrfacher Richtung geboten:
') a.a.O. 112. 3) Lanckoronski, Reisen in Paraphylien und Pisidien,
') So Wiegand über Nymphäen in der mustergültigen Bd. I 44 ff.
Publikation des Nymphäums von Milet ; v. Gerkan 4) Vgl. Chr. Hülsen, 46. Berliner Winckelraanns-
über Theater im Pricne-Buch, Wulzinger in Programm 33.
einem auf Kohls Untersuchungen fußenden 5) Zur Entwicklung der antiken Brunnenarchitek-
Aufsatz über die Felsfassaden von Petra; in etwas tur, a. a. O. 84 fl.
anderem Zusammenhang Fiechter in der bau- ') J. Sieveking, R. M. XXI 1906, 93 Abb. 3.
geschichtlichen Studie über das antike Theater.
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront tu Ephesos.
337
2.
3-
4.
I. führe ich nur solche Fassaden an, die in ihrer Erhaltung oder Wiederherstellung
einige Anhaltspunkte für sicheres Arbeiten gewähren.
muß ich das Material auch, insoweit es ergänzt ist, als gegeben hinnehmen und
eine vorherige Nachprüfung der Rekonstruktionen auf ihre wissenschaftliche
Zuverlässigkeit mir versagen'. Ich hoffe dabei allerdings, dieses Versäumnis in
anderem Zusammenhang einmal nachholen zu können.
wird sich der Vergleich im allgemeinen auf die Erdgeschoßgrundrisse als den
für die Beurteilung der Gesamtanlage ergiebigsten Teil beschränken und nur aus-
nahmsweise auch den Aufbau der einzelnen Obergeschosse mit in Betracht
ziehen können.
kann es sich nur um die Heraushebung der wichtigsten Vergleichspunkte handeln,
soweit sie eben für die Einordnung unserer Ephesos-Front ausschlaggebend
erscheinen.
In diesem Sinne kommen als Vergleichsobjekte in Betracht:
Im Osten: Die Bühnenfassaden von Aizanoi '), Patara 2), Priene 3), Ther-
messos 4), Sagalassos 5), Aspendos '), Bosra 7), Es'-Suhba *), Gerasa 9); die Nymphäen
zu Milet 1°), Aspendos"), Side ")^ Es'-Suhba 's), Es'-Suhweda m), Aman '5).
In Griechenland: Das Herodes Attikus-Theater zu Athen '^) und die Exedra
des Herodes Attikus in Olympia '7).
Im Westen: Die Bühnenfronten zu Pompei '^), Herkulanum '?), Ferentum 2"),
Segesta-'), Syrakus ''), Taormina ^3), Arles'4) und Orange 25); das Septizonium in
Rom 2^).
In Afrika: Die Theater zu Dschemila ^7), Dugga 2*), Khamissa ^9) und das
Septizonium zu Lambaesis 3»).
') Taxier, descr. de l'Asie mineure, Bd. I pl. 41 (i.
») Texier, a. a. O. HI pl. 181—184.
3) V. Gerkan, a. a. O. 83 ff. Abb. 9 — 10.
4) Lanckoronski, Städte Pamphyliens und Pisidiens,
Bd. II 92 ff. Taf. X— XIII.
!) Lanckoronski a. a. 0. II 152 ff., Taf. XXVI—
XXX.
') Lanckoronski a. a. O. I 91 u. 102 ff., Taf. XX—
XXVI; Texier a. a. O. III pl. 232—241.
7) De Vogü6, Syrie centrale, pl. 5; Brünnow und
V. Domascewski, Provincia Arabia III 47 ff.,
Taf. 50/51, Fig. 928—963.
*) Brünnow etc. III i69ff., Taf. 52, Fig. 1059 — 1067.
9) Fiechter a. a. O. 96, Abb. 95.
■") Milet, Ergeb. d. Ausgrab. u. Unters., Bd. I H. 5
") Lanckoronski a. a. O. I 98 ff., Taf. 18/19.
") Lanckoronski a. a. O. I 139 ff., Taf. XXX
—XXXI.
■:!) Butler, Arch. and other arts 82 ff., Fig. 133.
M) u. '5) Bisher. Aufn. mangelhaft; Amtl. Publ. d.
Puchstein-Exped. steht noch aus.
»') Versakis, Eph. arch. 1912, 161 ff., Taf. VIII
— XIL
■7) Olympia, Erg. II 134«., Taf. 83— 85.
i8)Fiechter a.a.O. 76ff., Abb. 68; v. Gerkan a.a.O.
104 ff.
'!») Mazois, Les ruines de Pompei IV pl- 35 — 4'>
Mau, Pompei 540 ff., Fig. 297 — 298.
")Galli, Boll. d'arte V 1911, 213«.
^') Puchstein, griech. Bühne iio ff.; v. Gerkan
a. a. 0. 106 ff.
")Drerup, A. M. XXVI 1901, 9 «•; Ri^'o, II
teatro greco di Siracusa, Milano 1923.
«3) Fiechter a. a. O. 86, Abb. 76.
^4) Fiechter a. a. 0. 86 f., Abb. 77.
^5) Caristie, Mon. ant. ä Orange, pl. 33 — 50.
'•i) Dombart, Das palat. Septizonium zu Rom,
München 1922.
=")GselI, Mon. ant. de l'Alg^rie I 186 ff., Fig. 6r,
pl. 44—45.
28) Carton, Le th^atre Rom. de Dougga, Paris 1902,
pl. II— in.
29)Gsell a.a.O. I 189 ff., Fig. 62, pl. 46— 47;
Arch. Anz. 1901, 76, Abb. 5 und 191 1, 267 ff.,
Abb. 15 — 16.
3") Renier, Archives des missions scient. I!I
^^g . Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos.
Daß die genannten Fassadenanlagen bei aller grundsätzlichen Verwandtschaft
schon in der Gesamtkomposition starke Unterschiede aufzuweisen haben, ist von Wie-
gand, Fiechter und Dombart bereits empfunden und gelegentlich ausgesprochen wor-
den. Dabei ist es eine noch nicht geklärte Frage, wie weit sich eigentlich gerade ört-
liche Abgrenzungen für die einzelnen Haupttypen einführen lassen. Den am meisten
in die Augen springenden Unterschied, der die in Frage kommenden Fassaden schon
bei oberflächlicher Betrachtung in zwei Klassen scheidet, hat unlängst Dombart ■)
klar formuliert. Seine Klassifizierung ist ohne Zweifel brauchbar. Sie läuft darauf
hinaus, daß man im ersten Fall als das Primäre die gerade Wandfläche ansieht, die
dann durch den üblichen Apparat von Tabernakeln etc. gegliedert und belebt wird.
Im zweiten Fall aber die Nischen selbst, die, sofern sie in der Mehrzahl auftreten,
durch kurze gerade Wandstücke untereinander verbunden werden, wodurch dann oft
die ganze Front in Schwingung versetzt erscheint. Es ist also der gleiche Unterschied,
wie ihn schon Fiechter fühlte, als er*) seinen westlichen und östlichen scaenae frons-
Typus aufstellte, jenen charakterisierend durch das Auftreten von meistens drei sehr
tiefen Nischen, so daß die Wand aufgelöst in reicher vor- und zurückflutender Be-
wegung sich befindet, deren Kontraste noch durch wechselnde Beleuchtung tiefer
Schatten- und greller Lichtseiten vermehrt werden; diesen im Gegensatz hierzu als
glatt durchgeführte Wand mit monumentaler Säulenstellung auf hohen Postamenten
und Schemeln.
Der Fehler in dieser Betrachtung ist nur der, daß die beiden Typen an geogra-
phische Begriffe gekettet wurden. Schon Fiechter selbst sah sich veranlaßt, zugleich
Übergänge festzustellen und vor allem mehrere Vertreter seines östlichen Typus im
Westen aufzeigen zu müssen und umgekehrt. Nach der heutigen Kenntnis der Denk-
mäler insbesondere Syriens ist diese äußerliche lokale Scheidung kaum mehr auf-
recht zu erhalten. Welche Momente eigentlich die Verbreitung des einen und des
anderen Typus bestimmten, dürfte eine Untersuchung wohl lohnen. Hier muß ich
es mir versagen, auf die interessante Frage näher einzugehen.
Einen Schritt über Fiechter und Dombart hinaus ist Wiegand gegangen 3),
indem er versucht, innerhalb des zweiten, von Dombart überhaupt erst später defi-
nierten Grundtypus (bewegter Grundrißführung) wieder Unterscheidungen vorzu-
nehmen :
1. Ein vereinfachtes Fassadenschema, das er nach der Form des lunaren Sigma
» aiYt^aToeiSsf « nannte (völlig dominierende Mittelnische, die dann ihrerseits
wieder kleine Bildnischen aufnimmt): Gerasa, Es-Suhweda, Alexandreia, Troas,
Exedra des Herodes Attikus, Tipasa, Trofei di Mario in Rom(.?) usw.;
2. mehrfacher Sigmatypus (zweifach, dreifach, je nach der Anzahl der vor-
handenen Nischen bzw. Apsiden und geraden Zwischenstücke): Bosra, Side,
Septizonium zu Rom.
324; Boissonnet, Rev. archöol. I 1893, ') a.a.O. 112 ff.
368 f.; Dombart, a.a.O. Abb. 5. 3) In dem kurzen entwicklungsgeschichtlichen Über-
•) Das Palat. Septizonium (München 1922, C. H. blick über die Entstehung der Nymphäen im Anhang
Beck) 4 ff. jy jgf Veröffentl. des Nymphäums von Müet
(a. a. O. 82 ff.).
Hans Hörmann, Die römische Bahnenfront zu Ephesos. isq
Damit ist freilich erst eines der Merkmale gekennzeichnet, die für die Beur-
teilung der merkwürdigen baulichen Anlagen in Frage kommen können. Eine syste-
matische Untersuchung wird sicherlich weitere Gesichtspunkte zu Tage fördern, die
uns die Gesetzmäßigkeit, welche hier zu Grunde liegt, klar sehen lassen. In diesem
Zusammenhang genügt die Feststellung, daß wir außer den eigentlichen Vertretern
des Sigmatypus noch manch andere Säulenfassaden der zweiten Hauptgruppe zu-
zählen müssen. Vor allem sämtliche afrikanische Anlagen, dann Ferentum,
Pompei, Arles usw. — Als wichtigste Vertreter der ersten Gruppe aber würde ich
nennen: fast alle die Theater des griechischen Ostens, welche Umbauten auf helle-
nistischer Grundlage sind, dann aucli sizilianische Bühnenfronten und einige Nym-
phäen wie Milet u. a. Als Übergang: die Bühne von Orange und in etwas anderem
Sinn das sogen. Septizonium von Lambaesis.
Eine neue besonders auffällige Eigentümlichkeit, welche jedoch bis jetzt nur
an wenigen Vertretern, und zwar ausschließlich der ersten Gruppe festgestellt worden
ist, sieht Wiegand mit Recht in dem Motiv der Tabernakelversetzung. Er kennt nur
zwei Zeugen dieser merkwürdigen Übung: die Fassaden des Nymphäums von Milet
und der von Wilberg veröffentlichten Bibliothek zu Ephesos '). —
Nun zurück zum neuen Rekonstruktionsversuch der Bühnenfassade von Ephe-
sos ! Welcher der beiden oben festgestellten Stilgruppen er zuzuweisen ist, darüber
kann nach dem Gesagten kaum mehr ein Zweifel bestehen. Es ist der erste »gerad-
linige« Typus, mit dem wir es in Ephesos offenbar zu tun haben. In diesem Sinn
hat Fiechter die Fassade behandelt und eingereiht und so wird man auch bei nur
oberflächlicher Betrachtung die Entscheidung fällen. Vielleicht werden erst bei
näherem Eingehen auf die Komposition Schwierigkeiten sichtbar und gewisse
Bedenken laut, die aber — wir werden das in den folgenden Ausführungen im
einzelnen sehen — doch nur scheinbarer Natur sind und in Wahrheit unser erstes
Urteil nicht umzustoßen vermögen.
Fassen wir das Erdgeschoß im ursprünglichen Zustand ins Auge — denn nur
ihn dürfen wir zunächst hier zu Grunde legen! Die ebene Front der Rückwand ist
unverkennbar. Die beiden an sich nicht allzu kleinen Segmentnischen wirken in der
gesamten Mauermasse ^) doch durchaus als sekundäre unselbständige Einkerbungen,
die es nicht fertig bringen, den eigentlichen Mauerkörper sich anzupassen, gleichsam
mit sich fortzureißen; natürlich bleiben sie auch an ihrer tiefsten Stelle doch immer
noch hinter der Mauerstärke gebührend zurück, sodaß sie nach rückwärts nicht in
Erscheinung treten können!
Man sieht also schon, die Definition bei Dombart, die ja wohl nur ganz grob
das Wesentliche der Charakteristik andeuten sollte, braucht nicht immer so wörtlich
genommen zu werden. Weder absolut noch relativ klein zu nennen sind die Nischen
des Ephesischen Erdgeschosses — füllen sie doch das ganze Wandfcld prompt aus — ,
auch gar nicht zahlreich ist ihr Auftreten; aber trotzdem erweisen sie sich als typisch
im Sinne unserer Definition! Einen Grund habe ich schon genannt; ein zweiter
*) österr. Jahresh. XI 1908, 118 ff. ») Man betrachte daraufhin nur den Grundriß bei
Fiechter a. a. O. Abb. 86.
, .Q Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos.
ist vielleicht noch der, daß durch die eingestellten Säulen absichtlich die wirkliche
Größe der Nischen verschleiert, verunklärt wird. Und gerade das Verhältnis, in dem
diese eingeschobenen Säulenpaarc zu ihrer Nische stehen, bestätigt unsere anfängliche
Zuteilung der Fassade.
Das ganze Motiv der gekuppelten Säulcnpaare lohnt überhaupt einen Vergleich
mit ähnlichen Bildungen aus der zweiten Kategorie. Scheint es doch zunächst bei-
nahe, als hätten wir Merkmale vor uns, die gerade für jene anderen Fassadenbildungen
als charakteristisch gelten: hier und dort eine tiefe Rundnische, deren Bewegung
das Gebälk und die Säulenstellung mitmachen. Trotzdem liegt der Fall in Ephesos
sehr viel anders ! Schon der Umstand, daß die Krümmung der Nischenrückwand in
ganz anderer Kurve verläuft, wie der vordere Architrav, macht uns stutzig; denn er
läßt das Gefühl, daß das eine an das andere gebunden sei, nicht aufkommen. Die Säulen
jedoch, welche zur Unterstützung des Architravs eingestellt sind, erweisen sich als ge-
nau in die Flucht der Bühnenwand, bzw. deren Pilasterordnung gerückt, sodaß im
Grundriß ihr Zusammenhang mit diesen Elementen viel inniger erscheint, als etwa
die Bindung an den Querschnitt der Nische. Man sieht also, wir dürfen uns durch die
scheinbare Verwandtschaft solcher Motive nicht täuschen lassen; auf der anderen
Seite aber auch, wie sehr innerhalb der Gruppen doch Abschattierungen möglich
sind, an welchen die sprudelnde Phantasie der Zeit überreich war.
Ganz glatt gestaltet sich die Nachprüfung der Gruppeneigenart bei den ge-
koppelten Säulenpaaren des Erdgeschosses und — wir dürfen dies wohl gleich hin-
zunehmen — auch im zweiten Stockwerk. Hier haben wir tatsächlich eine in einzelne
Tabernakel oder Baldachine zusammengezogene und gleichmäßig gruppierte Säulen-
ordnung vor uns, die ähnlich wie in Dombarts Musterbeispiel Aspendos die Wand-
fläche gleichsam ornamental überzieht.
Auch auf das zweite Geschoß läßt sich der BegrifT des Typus gut anwenden.
Allerdings sahen wir in einem früheren Abschnitt, daß der Wandverlauf in den beiden
Endfeldern nicht als Nischenbildung, sondern richtiger als Mauerrücksprung anzu-
sprechen ist; aber diese Mauerrücksprünge bestehen doch nur auf einer Seite als Kon-
kavgebilde, ohne daß ihnen auf der anderen eine entsprechende Konvexform antwor-
tete; sie prägen sich auf der abgekehrten Seite gar nicht aus, wo vielmehr die Mauer
nach wie vor glatt durchläuft. Das Gleiche gilt von den Nischen. Eine Bildung von
dem Ausmaß unserer mittleren Rechtccknische, die beinahe das von ihr besetzte
Wandfeld auseinander zu sprengen droht, überschreitet wohl eigentlich das Maß
dessen, was sich als »klein« im Sinne unserer Definition der ersten Klasse bezeichnen
läßt. Denn auch die tatsächlichen Ausmaße sind recht beträchtliche. Trotzdem fäUt
sie nicht aus dem Typ, den wir festgestellt haben, weil sie mit ihrem ganzen Quer-
schnitt innerhalb der Schranken des natürlichen gradlinig begrenzten Mauerkernes
verbleibt; der Begriff der »Schwingung« kann damit nicht aufkommen. Daß die
Säulenbaldachine des zweiten Geschosses gerade mit dem von mir vorgeschlagenen
ungezwungenen Wechsel runder und gerader Giebelbekrönungen sich dem Vergleichs-
material gut einpassen, liegt auf der Hand. Die Verwandtschaft etwa mit Aizanoi,
vor allem aber mit .'Kspendos ist nicht zu bestreiten. Sie war es ja auch, die schon
Hans Hörmann, Die römische Bühnenfront zu Ephesos. 341
in der Begründung Anlaß zur Rekonstruktion des verkröpften Mittclgiebels gab und
bei der sonstigen Ähnlichkeit der beiderseitigen Obergeschosse liegt diese Entlehnung
in der Tat nicht zu ferne. Man nehme nur ein Beispiel. In Aspendos sitzen die Flügel-
säulenpaare unmittelbar neben den Paraskenien, welche dort senkrecht zur Front
vorspringen. Der Dreieckgiebel, der den oberen Abschluß eines Flügelbaldachins
bildete, war (wenigstens nach der Wiederherstellung bei Lanckoroiiski) als Halbgiebel
ausgeführt in der Weise, daß er pultdachartig ansteigend mit dem First an der Para-
skenienmauer anlief. Diese Lösung ist konstruktiv berechtigt und vermeidet in lo-
gischer Weise eine lästige Kehlenausbildung. Für die Erscheinung aber ergibt sich
daraus eine Betonung der Endädikulen und ein Gegengewicht gegen den mittleren
Kropfgiebel, also das Gleiche, was in Ephesos durch die größeren Segmentgiebel auf
den etwas weiter auseinandergestellten Stützen der Flügelbaldachine erreicht wird.
Ja man möchte beinahe glauben, die größere Ausbildung der beiden Endinterkolum-
nien haben keinen anderen Zweck verfolgt, als diese Wirkung eben auch hier vorzu-
bereiten und möglich zu machen, nachdem bei dem Fehlen von Paraskenien eine An-
lehnung an solche wie in Aspendos nicht in Betracht kam. Dort, wo in diesem Sinne
keine Veranlassung zu einer Auseinanderziehung der Säulen in den Flügelpaaren be-
stand, blieben dagegen sämtliche Interkolumnien innerhalb der Verkuppelungen
einander gleich.
Angesichts so deutlicher Anklänge an charakteristische Züge der scaenae
frons von Aspendos im Aufbau des zweiten Stockwerkes unserer Bühnenfassade
wäre man bald versucht, jene schlechthin als den nächsten Verwandten des Theaters
von Ephesos zu bezeichnen, nicht sowohl der Zeit nach, als eben in der Komposition.
Dieser Eindruck hält aber doch nicht nach, sobald wir wieder unseren Blick auf die
Gesamtfassade richten. Bereits in der Beschreibung hatte ich Gelegenheit,
als eine der Tendenzen, welche der Säulendekoration schon nach Niemanns
Rekonstruktion, noch mehr aber bei meinem WicdcrherstcUungsvorschlag
selbstverständlich immer unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Fassung
innewohnten, die Verdichtung nach der Mitte hin, ein gewisses Konzentrations-
bestreben festzustellen. Nicht daß wir ein eigentliches starkes Mittelmotiv hätten, das
durch alle Geschosse durchläuft, eine große Mittelnische wie etwa in Aizanoi, Herku-
lanum oder Pompei ! Unsere Fassade als typischer Vertreter der ersten Gruppe
vermeidet eine solche Lösung; denn die Rechtecknische im oberen Geschoß ist eben
doch ein rein lokales unselbständiges Glied des architektonischen Aufbaues. Aber
die gekuppelten Säulenpaare zu beiden Seiten der Mittelachse im Erdgeschoß, die an
Tiefe, Breite und Höhe gegen die Mitte hin zunehmenden Nischen des ersten Stockes
und schließlich auch die von mir wahrscheinlich gemachte Konzentration der Weih-
inschrift am Architrav der ersten Ordnung wirken deutlich alle in demselben Sinne.
Die Tatsache unterscheidet Ephesos nun doch wieder erheblich von Aspendos oder
Sagalassos, auch von Aizanoi. Dort ist die Haltung in dieser Richtung überall ganz
neutral.
Dagegen habe ich das Empfinden, daß unsere Fassade — wir können den
Vergleich nur an der Erdgeschoßgliederung anstellen — damit eher auf Termesso-s,
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVni/IX 1924/35. 23
342
Hans Hönnann, Die römische BUhnenfront zu Ephesos.
Taormina oder selbst das Nymphäum von Side herauskommt. Denn auch bei deren
Grundriß bemerkt man unter Verzicht auf unmittelbare Achsenbetonung
eine »ewisse Steigerung der Motive gegen die Mitte zu. Daß im einzelnen die Aus-
führung recht verschieden ist und der Vergleich bald zum Stocken käme, wenn wir
ihn crenauer durchführen wollten, braucht uns nicht zu verwundern. Haben wir es
bei den herangezogenen Bauten doch durchaus nicht mit »gleichzeitigen« Anlagen im
engeren Sinne zu tun. Bei Side kommt noch hinzu, daß es ein Vertreter der anderen
Hauptgruppe ist und die unmittelbare Ursache der Ausbildung längerer Säulen-
koppelungen gegen die Mitte zu in der Art, wie die drei Rundnischen in der ganzen
Front verteilt sind, liegen dürfte. Aber es ist doch bemerkenswert, daß wir innerhalb
der Gruppe der »geraden« Fronten und zum Teil sogar noch darüber hinausgreifend
wieder ein neues Motiv entdeckt haben, welches eine Anzahl von Monumenten unter-
einander in engere Beziehung setzt. Ich möchte nicht mißverstanden werden. Es soll
sich nicht um die Herausschälung einer neuen »Untergruppe« handeln; das würde ja
dem Zweck dieser Zeilen überhaupt zuwiderlaufen und schon durch das eine Beispiel
von Side nur unter Aufgabe einiger der klarsten und wertvollsten bisherigen Resul-
tate möglich sein. Denn dieses reicht gleichsam von der anderen Seite her der Familie
die Hand und hat deshalb in diesem Zusammenhang mit Erwähnung gefunden, trotzdem
CS zunächst etwasferner zu liegen schien. Es fällt mir auch gar nicht ein, etwa nun aus
den drei übrigen Säulenfassaden eine neue Gemeinschaft zu bilden. Ich will nur die
Fäden aufzeigen, die von Ephesos zu den anderen Fassadendenkmälern gesponnen
werden können, sodaß tatsächlich die stilistische Isolierung immer mehr schwindet. In
diesem Sinne allein möchte ich von einer Kreuzung sprechen zwischen den Tendenzen
der Bühnenfassaden von Aspendos ^ — Sagalassos einerseits und Termessos — Taormina
auf der anderen Seite.
Aber bei diesem Schema blieb es, wie wir in den früheren Kapiteln sahen, an
unserer Bühnenfassade nicht ! Denn durch die Einbauten im Erdgeschoß und den Auf-
satz eines dritten Geschosses wurde in später Zeit nochmals ein neuartiger Gedanke
in das System der Säulenarchitektur getragen: die Idee der »Motivversetzung«.
Vielleicht, daß man damals, als für diese Dinge überhaupt ein empfänglicher
Sinn erwacht war, in der Art, wie das mittlere Wandfeld des Oberstockes mit dem ver-
kröpften Drcieckgicbel zu den unteren Nischcnfeldern stand, schon einen Ansatz dazu
verspürte, den auszubauen dann nahelag; jedenfalls nahm man den Gedanken auf,
der in jener Zeit auch sonst nicht mehr so unbekannt gewesen sein kann. Denn
unter dem im Verhältnis zur damaligen Produktion recht kärglichen Rest der auf uns
gekommenen Ruinen finden sich dafür konsequente Belege vor allem in Milet und
Ephesos. Die Datierung des Nympliäums zu Milet ist noch umstritten; wir wissen
nicht, ob der Bau damals schon auf Ephesos hat Einfluß ausüben können. Aber man
muß wie gesagt ja überhaupt nicht so weit gehen; hat doch Wilberg in der Stadt un-
seres Theaters selbst in der Fassade der Bibliothek einen Bau nachgewiesen, der jenes
merkwürdige Prinzip nicht weniger deutlich wie das Nymphäum von Milet zum Aus-
druck brachte. Und dieses Gebäude ist etwa I15 n. Chr. entstanden. Man brauchte
also gar nicht nach Milet zu schielen und hatte um die Zeit des Aufbaues der Theater-
Hans Hörmann, Die römische BUhnenfront zu Ephcsos. 543
fassade schon ein deutliches Vorbild in der eigenen Stadt. Die Datierung stimmt
sogar außerordentlich gut: In der Bibliothek ist das neue Prinzip des Wechsels in
der Säulengruppierung ebenso streng und regelmäßig durchgeführt, wie am Nymphä-
um von Milet; man hätte auch damals wahrscheinlich sich noch nicht getraut, es auf
einen Umbau zu übertragen, bei dem die Natur der alten Fassadenteile doch immer
nur einen Kompromiß erlaubte. Aber zwanzig bis dreißig Jahre später war diese
neuartige architektonische Verbindung bereits in aller Fleisch und Blut übergegangen,
waren solche Scherze und Kunststücke so geläufig geworden, daß man auch vor
Halbheiten nicht mehr zurückschreckte. Und da ergab sich bei dem Umbau derEphe-
sischen Bühnenfront auch jenes merkwürdige Resultat, daß der neue Kniff kurzer-
hand auf eine Komposition Anwendung fand, die eigentlich gar nicht dafür vorge-
bildet war. Denn es ist ein Unterschied, ob man mit diesem an sich ja freien und kühnen
Motiv noch relativ konsequent und logisch verfährt, wechselnd von einem Tabernakel
zum anderen, sodaß beinahe ein Schachbrettmuster herauskommt, oder ob man das
nämliche Prinzip aus breiteren Doppelmotiven aufbaut und noch dazu unter Über-
springung eines ganzen Geschosses. Das zeitliche Intervall von zwanzig bis dreißig
Jahren würde immerhin ausreichen, diesen Gegensatz zu erklären.
Einer solchen Hypothese scheint sich auch eine Beobachtung ganz gut zu fügen,
die wir in der Anwendung der »detachierten« Säulen machen können. AmNymphäum
zu Milet und an der Bibliothek zu Ephesos ergeben sich an den beiden Frontenden
im obersten Stockwerk und bei erstcrem auch noch an den Flügelbautcn des Unter-
stockes freie Stützenbildungcn, die sogenannten »detachierten« Säulen. Sie resultieren
logisch aus der Zusammenfassung der Stützen zu Paaren in der Weise, daß die Taber-
nakel des einen Geschosses nicht axial zu den anderen stehen, sondern sich vielmehr
über deren Zwischenräumen aufbauen. Dadurcli mußte in jedem zweiten Stockwerk
an den Enden eine ungerade und eine gerade Säule übrig bleiben. Diese eigentliche
Herkunft und Bestimmung der »detachierten« Säulen hat man am dritten Stockwerk
von Ephesos bereits vollkommen vergessen. Denn dort, wo die Versetzung nicht mehr
einzelne Säulenpaare oder Tabernakel, sondern Tabernakelgruppen erfaßte, warder
ursprüngliche Anlaß für die Ausbildung »detachierter« Säulen so gut wie verschwunden.
Trotzdem ist ihre Verwendung nachgewiesen, aber wahrscheinlich nicht an den Enden,
wie ich in der Begründung zu zeigen vermochte, sondern mitten in der ganzen Ordnung.
Daß das Motiv anfänglich eben doch eine Art Notbehelf war, hat man vollständig über-
sehen; daß es in diesem neuen Zusammenhang und an so ausgesprochenem
»Binnenplatz« seinen unmittelbaren Sinn verloren hatte, fühlte man vielleicht noch,
aber mochte es als willkommenes Mittel zur weiteren Bereicherung und Auflockerung
des Stützenapparates nicht mehr missen.
Vielleicht kommt schließlich noch etwas anderes hinzu, was den Mut zur Über-
tragung eines ursprünglich ganz kleinmustrigen Dekorationsschemas auf solch breit-
spurige Verhältnisse gefördert hat: die damals schon immer rrtehr verbreitete Kennt-
nis der echt barocken Grabfassaden des ferneren Ostens. Denn es scheint mir, daß
wir am ehesten noch Ansätze zu der Verbreiterung des Versetzungsmotivs, wie sie im
Ephesos-Theater gegenüber dem Milesischen Wasserschloß und der Bibliothek zum
344
Hans Hörmann, Die lömische Btthnenfront zu Ephesos.
Ausdruck kommt, an einem sehr eigenartigen Phänomen der antiken Baugeschichte
besitzen: den Fclsfassaden von Petra. Ich nenne etwa »Ed Der«*) oder das sogenannte
»korinthische Grab«. ^) Doch davon später und an anderem Ort ! Denn ich muß es-
mir versagen auf diese immerhin noch sehr problematischen Zusammenhänge hier
schon näher einzugchen. —
Gleich dem Nymphäum zu Milet, von dem diese Worte in der amtlichen Publi-
Abb. 8. Schaubild der Fassade des römischen J heatcrs in Ephesos. .Nene Rekonstruktion.
kation geprägt worden sind, stellt sich auch unsere scaenae frons dar als ein her-
vorragendes Beispiel der prunkvollen ostgriechischen Säulenfassaden, wie sie in der
römischen Kaiserzeit so gerne überall da angewendet wurden, wo es sich um die Aus-
gestaltung einer großen Wandiläche handelte. Und wie bei jenem Bau eine diskrete
bunte Tönung — man betrachte daraufhin Hülsens schöne farbige Rekonstruktion —
dem Ganzen wie ein Nebenakkord untergeordnet war, »als ob ferne Kunde vom Wesen
der alten Polychromie noch in diese Zeiten gedrungen wäre«, so dürfen und müssen
■) Brünnow u. v. Domascewski a. a. O. I Nr. 462, Fig. 220. ') Ebenda Nr. 766, Fig. 192]
]
Hans Hörmann, Die römische Buhnenfront zu Ephesos. 345
wir das ähnlich auch von der römischen Bühnenfront zu Ephesos annehmen. Konnten
wir ja auch sonst noch der reizvollen Feinheiten genug im festlichen Gewand dieses
Bauwerkes entdecken ! Trotzdem wird man sich des Eindruckes des Überladenen,
zumal wenn wir den Zustand nach dem Umbau ins Auge fassen, nicht ganz erwehren.
Ohne Zweifel haben wir es hier bereits mit einer im Grunde genommen doch
hohlen barbarischen Kunst zu tun, welche die Spuren des beginnenden Verfalls nicht
verleugnet — um das Urteil zu gebrauchen, das einer unserer führenden Baukünstler
einmal über diese architektonischen Leistungen gefällt hat. Vom wissenschaft-
lichen Standpunkt aus werden wir der Epoche unsere Anteilnahme nicht versagen.
Enthält sie doch interessante noch ungelöste Probleme und fesselnde Einzelzüge
genug, um dem Forscher ein Feld der Tätigkeit zu erschließen, auf dem ihm nicht
weniger reichliche Ernte winkt, als bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit
solchen Zeiten, die einen Gipfel künstlerischer Kultur bedeutet haben. Gleich einem
Januskopf wendet sich unser am Ausgang einer hohen und reichen künstlerischen
Entwicklung stehendes Monument nach vor- und rückwärts. Mit vielen Fasern seines
architektonischen Wesens in der Vergangenheit wurzelnd, weist es zugleich mit anderen
entscheidenden Zügen ebenso deutlich in die Zukunft. Immer aberstelltes dem For-
scher unserer Tage mannigfache Fragen und gibt es Rätsel auf dem, der sich ihm
kritisch naht.
München. Hans Hörmann.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXXVIII/IX i924/'S- 24
Archäologischer Anzeiger
B EIBLATT
ZUM Jahrbuch des Archäologischen Instituts
1923/24- i/ii.
FORSCHUNGEN NACH TARTESSOS.
(2. Bericht').)
Mit I Karte.
Die erste Kampagne der Grabung nach
Tartessos wurde ermöglicht durch die Libe-
ralität des Herzogs von Tarifa, dem
die ganze Gegend am unteren Guadalquivir,
der Co to Dona Ana, gehört, ein riesiges
Jagdgut mit dichtem Wald von Strand-
kiefern im südhchen, Macchia im nördlichen
Teil. Ich hatte dem Herzog nach der vor-
jährigen Forschung (Arch. Anz. 1922, 18 f.)
eine Denkschrift vorgelegt mit dem Antrag,
mir die Mittel für eine Grabung zur Ver-
fügung zu stellen, und der Herzog, der sich
lebhaft für das Tartessosproblem interessiert,
hat die beantragte Summe bewilligt und uns
Aufenthalt und Forschung auf seiner Be-
sitzung in jeder Weise erleichtert. Wir
fanden in den beiden Jagdschlössern des
Coto gute Wohnung und Verpflegung, Pferde
und Gehilfen; das ganze Personal des Jagd-
gebietes war angewiesen, uns in jeder Weise
zu fördern. Außer dem Berichterstatter
und General Dr. h. c. L ammerer nahm
an der Kampagne teil Herr Georg Bonsor,
der seit 30 Jahren in Andalusien forscht
und sich durch die Aufdeckung der Nekro-
pole von Carmona und die Erforschung
der Kuppelgräber am unteren Baetis Ver-
dienste erworben hat, wie ihm denn auch
die Feststellung der westlichen Mündung
des Baetis verdankt wird. Mit ihrem Besuch
erfreuten uns Prof. Bosch aus Barcelona
und Herr L. Claus aus Huelva. Unser
Aufenthalt dauerte 5 Wochen, vom 7. Sep-
') I. Bericht Arch. Anz. 1922, 18.
Archäolog^ischer Anzeiger 1923/24.
tember bis 14. Oktober 1923. Standquartier
war während der ersten vier Wochen das im
südlichen Teil des Coto gelegene neue Jagd-
schloß »Marismilla«, in der 5. Woche das
alte Jagdschloß »Palacio de Dofla Ana«,
welches im nördlichen Teile liegt. Das
Wetter war vom ersten bis zum letzten
Tage schön, aber die drückende Hitze der
Maremme (span. Marisma) und vor allem
die beständige Plage der Mücken und Stech-
fliegen machten Aufenthalt und Arbeit
sehr anstrengend. Gegen die in der ganzen
Maremme sehr verbreitete Malaria haben wir
uns durch Chinin zu schützen gesucht, das von
den Vereinigten Chininfabriken in Frankfurt
gestiftet wurde. Die 20 Arbeiter stammten
aus dem Dorf Almonte nördlich des Coto und
erwiesen sich als fleißig und anstellig. Der
Tagelohn betrug 5 Pesetas, gearbeitet wurde
8 Stunden, die sich aber auf die Zeit von
Sonnenaufgang bis -Untergang verteilten,
indem alle i'/z Stunden eine Pause gemacht
wurde, was zwar unbequem, aber bei der
starken Hitze unvermeidlich war. Arbeits-
gerät war eine breite Hacke (Azada), die
zugleich als Schaufel diente, seltener die
Spitzhacke, da der Boden nur aus Sand be-
steht. Der Sand wurde mit Körben und
Schiebkarren entfernt.
In der vorjährigen Kampagne (1922)
hatte Dr. Jessen aus der Grenze des alten
Alluviums festgestellt, daß der östliche
Mündungsarm des Guadalquivir, an dem
Tartessos sicher lag, damals bei größerer
Breite yiel weiter nach Norden, nämlich
bis zur Linie Pico de Cafio-Trigo-Salabar
reichte. Dieses Ergebnis wird bestätigt
durch Strabons Angabe, man messe von
einer Mündung zur anderen 100 Stadien
Forschungen nach Taitessos.
(= i8 km). Denn wenn man vom Westarm
bei Matalascanas (den General Lammerer
aufnahm) nach Süden i8 km abträgt,
so kommt man in die Gegend von Salabar,
also dahin, wo nach Jessen das Nordufer
der alten Ostmündung war. Damit war
auch der Ostarm bestimmt und eine Grund-
lage für das Suchen nach der an ihm ge-
legenen Stadt gewonnen. Es galt nun die
Lage der Stadt genauer zu bestimmen und
zu diesem Zweck nahm General Lammerer
die Gegend zwischen Pico Cafio und Trigo
I : 5000 auf. Für den Verlauf des Nord-
ufers hat sich daraus folgendes ergeben.
Der von Osten her kommende und zuletzt
nach Westen, auf Salabar zu, strömende
Fluß scheint bei Pico Cafio mit seinem
Nordufer den Rand des alten Alluviums
erreicht und diesen dann weiter, bis südlich
von Trigo, begleitet zu haben, so daß der
heutige Rand des Alluviums und der Ma-
risma dem alten Nordufer entspricht. Leider
ist weiter südlich von Trigo die Gegend mit
hohen Dünen bedeckt und durch diese der
Verlauf des Flusses verschüttet. General Lam-
mererglaubte aberzu erkennen, daßderFluß
südlich von Trigo nach WNW., auf Sala-
bar zu, geflossen sei. Die am Nordufer des
Ostarmes gelegene Stadt ist also
auf der Strecke Pico del Ca no -Trigo -
Salabar zu suchen. Von dieser Strecke
kommt a priori am meisten für die Stadtlage
in Betracht der östliche Teil zwischen Cano
und Trigo, i. weil die Stadt dort den nord-
westlichen Stürmen und Sturmfluten ent-
rückt und gegen Piraten besser geschützt
war als auf der westlichen Strecke, 2. weil
hier jene römische Ansiedlung liegt, die
irgendwie mit Tartessos zusammenhängen
muß. Ich habe deshalb zunächst i. auf
der Strecke Cano bis Trigo in einigem Abstand
vom alten Ufer (dem Rande des alten Allu-
viums) Gräben gezogen, 2. die römische
Siedlung aufgedeckt, in der Hoffnung, in ihr
Spuren der alten Stadt (Bautrümmer, In-
schriften etc.) zu finden.
Die Grabung am Rande des Alluviums,
des alten Nordufers, zwischen Cano und
Trigo machte keine Schwierigkeit, da hier
keine Dünen sind; sie führte zu dem negati-
ven Ergebnis, daß hier über dem Grund-
wasser keine antike Kulturschicht, weder
eine tartessische noch eine römische, vor-
handen ist, während doch im Bereiche der
römischen Siedlung die Mauern zum größten
Teil über dem Grundwasser liegen und
nur wenig in dasselbe hinabreichen (s. u.).
Unter dem Grundwasser nach der alten
Stadt zu graben, mußte ich mir vorläufig
versagen, da das größere Anstalten zum
Fernhalten oder Ableiten des Wassers er-
fordert. Es bleibt also die Möglichkeit, daß
Abb. 1. Behälter zum Einsalzen der Fische.
Reste von Tartessos auf dieser Strecke
unter dem Grundwasser liegen.
Zu positiven Ergebnissen führte die Auf-
deckung der römischen Siedlung nörd-
lich von Trigo, die ich bereits im vorigen Jahr
angeschnitten hatte. Es ist zunächst ge-
lungen, ihre Ausdehnung festzustellen. Die
römischen Mauern erstrecken sich von N.
nach S. etwa 600, von O. nach W. etwa
200 m, bedecken aber schwerlich die ganze
Fläche. Wie schon mitgeteilt wurde, hat
man diese Mauern beim Ausroden von Bäu-
men gefunden und an vielen Stellen ausge-
brochen. Es ergab sich aber, daß trotz dieser
Zerstörung noch zahlreiche Mauerreste übrig
Archäologischer Anzeiger 1923/24
Beilage l
6°2a'0este de Greenwich
EL COTO DE DONA ANA
/ ßuinas Romanas
IHliioial
AbjuoiaL anizffiut
Marismas
nanza
Saiilüccir
Escala 1:200000
4
-1 — ^
8
Salme dina
G^ao* Oestr de (fpsenwich.
Forschungen nach Tartessos.
sind. Es fällt auf, daß die Siedlung sich
fast 600 m vom Rande des Alluviums,
dem alten Flußufer, entfernt hält, obgleich
sie, wie wir sehen werden, von Fischern
bewohnt wurde, also möglichst nahe am
Flusse liegen mußte. Da östlich der Sied-
lung unter dem Sand Marismenschlamm fest-
gestellt wurde, lag wohl hier das alte Ufer
weiter westlich, dicht bei der Siedlung.
Auch haben die zwischen der Siedlung und
dem heutigen Ufer gezogenen Gräben keine
antiken Spuren ergeben. Von der Sied-
lung ist in den 3 Wochen, die ich an
sie gewandt habe, nur ein kleiner Teil
aufgedeckt worden, ein Stück im Norden,
beim Hause des Waldhüters, ein Teil im
Süden, beim Hügel «Cerro de la Cebada«,
was wohl mit der Fabrikation zusammen-
hängt. Ihr Maß ist für Länge, Breite, Tiefe
hier ca. im, das Mauerwerk sehr festes Guß-
werk. Im Walde beim Cerro Cebada wurde
ein rechteckiges Gebäude von großen Ab-
messungen (21x7 m) aufgedeckt, viel-
leicht ein Tempel ?
An verschiedenen Stellen des nördlichen
Stadtteils kamen Gräber zum Vorschein,
alle ohne irgendwelche Beigabe. Die einen
sind gemauert, andere aus Dachziegeln
zusammengesetzt, Kinder sind in Amphoren
bestattet. Aus der verschiedenen Orien-
tierung und Tiefe — einige Gräber liegen
unmittelbar unter der Oberfläche, andere
über 2 m tief — erkennt man, daß sie aus
verschiedener Zeit stammen. Mehrere Grä-
Aussen:
A(-\l/(Nev\QI^(fN(()\l/9)A
8 9 10
12
13 1"»
Innen: ^y Q \^/n^ (\ ^l/ Q K\ Q \>/ Q V\ Q
Abb. 2. Inschriften des Fingerringes (veigrößert).
mitten im Walde. Die nördlichen Mauern
haben eine andere Orientierung als die
südlichen, sie sind von SW. nach NO., jene
von W. nach 0. orientiert. Es scheint,
daß mindestens der nördliche Stadtteil
regelmäßig, nach rechtwinkligem Schema,
gebaut war. Es wurde hier u. a. eine Gruppe
von 3 Häusern aufgedeckt, die etwa 4x4 m
groß sind und einen Herd von IX I m be-
sitzen. Die Mauern bestehen aus Bruch-
steinen ohne Mörtel, das Dach war mit
Flach- und Hohlziegeln gedeckt. Der
interessanteste Baurest sind 4 Behälter
zum Einpökeln von Fischen, wie sie
überall in den römischen Siedlungen der
andalusischen Küste vorkommen, z. B. in
Bolonia, dem alten Baelo, das neuerdings
ausgegraben worden ist (Abb. i). Die Be-
hälter liegen hier und auch sonst paarweise '),
«) Vgl. Fouilles de Belo (Bolonia), Bordeaux
1923, lÖQf.
ber lagen im Grundwasser. Der Grund-
wasserspiegel muß sich also gehoben haben,
sei es infolge Senkung, sei es durch die
spätere Flug.sandüberschüttung oder aus
beiden Ursachen.
70 Kupfermünzen des 3. — 4. Jahrh.,
bes. der konstantinischen Zeit, ergeben, daß
die Siedlung erst im 3. Jahrh. n. Ch. erbaut
und bis ins 5. Jahrh. (die jüngste Münze
ist von Arcadius) bewohnt wurde. Reinigung
und genauere Bestimmung der Münzen
soll in Madrid erfolgen. Wie die Münzen,
sind auch die anderen Funde ärmlich: wenig
Metall und Glas, die zahlreiche Keramik
einfach und spät, anscheinend sogar zum
Teil westgotisch. Westgotisch scheint auch
das Bruchstück eines großen ornamentierten
Behälters aus spanischem Marmor, viel-
leicht ein Taufstein. An Inschriften wurde
ein Dachziegel mit dem Stempel PAT(erni?)
gefunden.
I*
Forschungen nach Tartessos.
Den wichtigsten Fund hat der letzte Tag
der Grabung ergeben: einen Fingerring
aus Kupfer, ohne Stein oder Ornament,
in den sowohl außen wie innen eine Inschrift
graviert ist.
Der Ring paßt bei einem Durchmesser
von i8 mm, Umfang von 56,6 mm nur an
eine kleine Hand, wie man sie aber in
Spanien auch bei Männern findet. Die
Breite ist 5,1 — 3 mm, die Dicke 0,4 mm,
die Höhe der Buchstaben ca. 5 mm. Ich
gebe die Schrift in genauer Abzeichnung
wieder (die äußere Schrift etwas vergrößert.
Abb. 2.).
Die äußere Schrift ist besser als die innere,
wie das der größeren Schwierigkeit der
inneren Gravierung entspricht. Die Buch-
staben sind mit einer weißen Masse einge-
legt. Der Ring lag im Schutte der römischen
Siedlung, in einem der Häuser des N. -Stadt-
teils, aber seine Schrift ist nicht römisch,
sondern stammt aus einer ganz anderen
Welt. Die Schrift ist auch nicht iberisch,
wie man zunächst erwarten würde, auch
nicht griechisch und erst recht nicht phö-
nizisch oder libysch, sondern steht ganz
für sich. Die beiden Inschriften bieten II
verschiedene Buchstaben, wenn die Zeichen
1,2 mit den Zeichen 4, 5 identisch sind und
die Doppelzeichen II und 13 einen Buch-
staben bilden. Sechs der Zeichen könnten
rein äußerlich griechisch sein (Y, A, I,
Oj P) ^), ^ber die anderen 5 sind un-
griechisch. Die beiden ersten Zeichen
(i, 2) finden sich ähnlich auf den Münzen
von 9 Städten der Gegend von Cadix,
deren Schrift gleichfalls ganz für sich steht
und weder iberisch noch phönizisch ist
(vgl. Zobel de Zangroniz »Spanische Münzen
mit bisher unerklärten Aufschriften« in
Zeitschr. d. morgenländ. Ges. 17, 1863,
336 und Mon. Ling. ■fber. 118), aber
auch mit dieser Schrift besteht sonst keine
Ähnhchkeit. So bleibt denn die Schrift
des Ringes vorläufig ein Rätsel. Es liegt
nahe, an die von Strabon p. 139 bezeugte
alte Schrift der Tartessier zu denken,
da diese von der Schrift der anderen Iberer
verschieden war. Über das Alter des Ringes
und der Schrift läßt sich zweifeln; die Buch-
staben sehen altertümlich aus — wie solche
des 6. Jahrb. v. Chr. — aber wie auf den
Münzen jener 9 Städte könnte sich hier eine
alte Schrift bis in römische Zeit erhalten
haben. Man erkennt, daß sich in der inneren
Schrift dasselbe Wort dreimal wiederholt.
Auch die äußere Inschrift scheint dreiteilig
zu sein. Denn die mittlere Gruppe mit den
Zeichen 6 — 9 ist eingeschlossen von 2 anderen
Gruppen, von denen jede aus 5 Zeichen
besteht, und diese Zeichen sind wiederum
symmetrisch geordnet, indem rechts und
links von mittlerem V je 2 Zeichen stehen:
in der Gruppe i — 5 die Zeichen i, 2 und 4, 5,
in der Gruppe 10 — 14 ein A (lO, 14) und die
Doppelzeichen 11 und 13. Allem Anschein
nach bilden die Doppelzeichen einen Buch-
staben. Der Sinn der Inschriften bleibt na-
türlich völlig dunkel, aber die dreimalige
Wiederholung desselben Wortes in der in-
neren Schrift deutet auf einen Segensspruch,
also ein Amulett oder dgl. hin. Es handelt
sich wohl um wirkliche Inschriften, nicht
um mehr oder weniger sinnlose Zauber-
formeln oder Zauberzeichen, nach Art der
Abraxas und »ephesischen Buchstaben« (vgl.
Wünsch, Zaubergerät aus Fergamon 28 f. ;
Realenz. V 2771). Glücks- oder Zauberringe
sind häufig (vgl. Realenz. s. Ring 833 f.).
Einen innen und außen mit einer Zauber-
formel beschriebenen Glücksring finde ich
bei Heim, Incantamenta magica (Fleck-
eisens Jahrb. Suppl. 19, 1893, 479, Nr. 53)
wo aus einem Zauberbuche zitiert wird:
anulus de auro texta tunica fit exusta, cui
insculpitur vice gemmae piscis aut delphinus
sie ut holochrysus sit et habeat in am-
bitu rutunditatis utriusque id est
interius et exterius graecis litteris
scriptum :
ösö? xeXsuei ixy; xustv xöXov uovou?.
Die mehrfach in der römischen Siedlung
gefundenen vierkantigen Kupfernägel
möchte man, da damals zu praktischen
Zwecken nur Eisennägel verwendet wurden,
für Zaubernägel halten, die ja oft aus
Kupfer oder Bronze sind (vgl. Wünsch,
Zaubergerät 43). Unter den anderen
Funden fielen auf mehrere Bruchstücke
von Architektur aus weißem einheimischen
Marmor. Sie müssen, als Baumaterial
verwandt, von früheren Bauten herrühren,
können römisch, können aber auch älter,
tartessisch, sein. Und damit berühre icl;
Forschungen nach Tartessos.
10
eine Hauptfrage: woher haben die Erbauer
dieser spätrörnischen Stadt in dieser völlig
steinlosen Gegend ihre Bausteine genommen ?
Die Bausteine der römischen Siedlung stam-
men nach Dr. Jessen zum guten Teil aus der
Sierra Morena, also weither. Ist es nun wahr-
scheinlich oder auch nur denkbar, daß
sich arme Fischer die ungeheure Mühe
gemacht haben, diese Steinmassen zu Lande
oder Wasser so weit her zu holen? Wahr-
lich, nein, sondern es ergibt sich daraus,
daß sie die Steine aus der Nähe
entnahmen, nämlich aus den Ruinen
des alten Tartessos.
Für die Erbauer von Tartessos dagegen
war die Herbeischaffung der Steine viel
leichter, da sie sicher über viele Schiffe
verfügten, und viel lohnender und notwen-
diger, da sie sich von der Lage auf der
sicheren Insel und zugleich am Flusse und
am Meere die größten Vorteile versprechen
konnten, worin sie sich ja auch nicht ge-
täuscht haben. Wenn demnach die rö-
mische Siedlung nur aus den Ruinen von
Tartessos erbaut sein kann, dann muß
dieses in der Nähe liegen.
Auf derselben Stelle, also unter der
römischen Siedlung wird T. nicht liegen, da
man sonst bei der Ausgrabung der römi-
schen Siedlung wenigstens an einigen Stellen
auf die alte Stadt hätte stoßen müssen.
Denn sicherlich hätten die Römer die alten
Mauern mindestens mitunter als Fundament
benutzt, wie z. B. die Erbauer des römischen
Numantia ihre Mauern meist unmittelbar
auf die der Ibererstadt gesetzt haben.
Tartessos wird also in der Nähe der
römischen Siedlung liegen und zwar,
wie wir oben sahen, unter dem Grund-
wasser. Seine Mauern werden aber hoch- j
stens I m unter dem römischen Niveau
und dem Wasser liegen, denn da sich in I
den 1400 Jahren, die seit der Aufgabe der
römischen Siedlung (um 500) und heute
verflossen sind, nur i m Sand gebildet hat,
dürfte sich in den 700 Jahren, die zwischen j
der Zerstörung von Tartessos (500 v. Chr.) [
und der Erbauung der römischen Siedlung j
(um 200 n. Ch.) liegen, nicht mehr als i m |
Sand aufgehäuft haben. Auf der Strecke
Cano-Trigo scheint Tartessos nicht zu liegen,
da sonst die diesjährigen Grabungen wohl
dort irgend etwas ergeben hätten. Wahr-
scheinlich liegt die Stadt also zwi-
schen Trigo und Salabar. Da die Allu-
vialplatte auf dieser Strecke überall von
hohen Dünen überschüttet ist, wird die Son-
dierung Mühe machen, aber da es zwischen
den Dünen Dünentäler (»corrales«) gibt, die
bis auf die alte Alluvialplatte hinabreichen,
ist eine Grabung möglich. Und da Tartessos
doch wohl eine große, ausgedehnte Stadt
war, ist die Aussicht, auf irgendeine Stelle
der Stadt zu treffen, vorhanden. Wenn
aber erst einmal eine Stelle gefunden ist,
dann ist die weitere Aufdeckung nur eine
Frage des Geldes. Und schon die Lage
einer solchen Stadt festzustellen, ist jeder
Mühe wert und dieses Ziel muß erreicht
werden.
An den Sonntagen wurden mehrfach
archäologische Streifereien in die Umgegend
unternommen. Eine galt der alten Stadt
Ebora, heute Cortijo de Ebora, 5 km
östlich von Bonanza. Man erkennt eine
ausgedehnte Stadtanlage, die sich am Rande
der Maremme über mehrere Hügel erstreckt.
Über dem Boden findet man außer zahllosen
Steinen, Ziegeln, Scherben noch eine römische
Zisterne. In Sanlucar hat Bonsor die Stelle
des Tempels des Morgensternes (Lu-
cifer, davon Sanlucar, vgl. Strabon p. 140
und Tartessos 74) festgestellt: auf der
Höhe der Kathedrale, die offenbar die Nach-
folgerin des alten Tempels ist, wie sich aus
8 römischen Säulen ergibt, die dort einge-
mauert sind. Der Kult der Gestirne ist
alttartessisch. Auf der Rückreise sah ich
im Museum zu Cordoba den vor einiger
Zeit in der Nähe von Espejo (südöstlich von
Cordoba) gefundenen steinernen Löwen,
ein wundervolles Kunstwerk, das die Zahl
der iberischen Skulpturen um ein beson-
ders schönes Exemplar vermehrt. Wie die
ganze iberische Skulptur, die sich bekannt-
lich auf den Süden der Halbinsel beschränkt,
geht dieses Werk auf ionischen Einfluß
zurück, wie denn ein neulich in Phokaia
gefundener Löwe dem iberischen »leon
de Bocairente« des Madrider Museums
gleicht (vgl. Tartessos 27, 69).
Erlangen. A. Schulten.
II
Zur Caeretaner Busirisvase.
12
ZUR CAERETANER BUSIRIS VASE.
Friedrich Matz zeigt im Arch. Anz. 192 i,
1 1 ff., daß das Hauptmotiv der Busiris-
vase formal durch unmittelbare Anschauung
ägyptischer Bilder angeregt worden ist. In
Anm. 366 meiner ungedruckten Dissertation
»Kriegers Abschied und Heimkehr I« (vgl.
Arch. Anz. 192 1, 2 64 f.) hatte ich die
gleiche Erkenntnis durch andere Belege
begründet. Inzwischen konnte ich das
Material, durch das die in Frage stehende
Beziehung klar bewiesen werden dürfte,
noch vermehren und möchte jetzt nicht
mehr damit zurückhalten, um Matz' Aus-
führungen zu ergänzen und zu unterstützen.
Schon die ganze Idee, das Bildfeld rings
um eine überragende Siegergestalt mit den
zappelnden Gliedern toter und fliehender
Feinde zu bedecken, dürfte durch ägyptische
Kamptbilder wie das von Karnak, Lepsius
Abt. III 126a, angeregt sein. Wie Herak-
les seine Gegner niedertritt, das erinnert
an die ägyptischen Siegerkönige mit dem
Feind unter den Füßen (z. B. Champollion,
Monum. de l'Egypte I pl. 17; vgl. auch III
pl. 297, 2). Besonders gut lassen sich mit
dem unter Herakles' rechtem Beine zappeln-
den -Ägypter der Asiat und der Neger ver-
gleichen, die unter den Krallen der Sperber-
löwen auf dem Brustschild Osertesens III.
liegen (Morgan, Fouilles ä Dahchour I
pl. XXI ob. 1; S. 64 Nr. i). — Für die Stel-
lung des Gegners, der sich unter Herakles'
linker Ferse krümmt, sei an Typen wie
Wilkinson, Manners and customs IP 74
Nr. 341 d oder Lepsius Abt. III 160 Mitte
erinnert. Das Vorbild für den kopfüber
Schwebenden, den des Riesen linke Faust
am Beine packt, ist etwa in Figuren
/u suchen wie der des vom Pfeil durch-
bohrten Hettiters in der Mitte des Schlacht-
reliefs Champollion, a. a. O. pl. XXVI =
Maspero, Hist. anc. des peuples de l'or.
class. II 225 Abb. — Die Skizze zu
der erbarmungswürdig verbogenen Gestalt
des Königs Busiris könnte etwa vor dem
Seeschlachtrelief Ramses' III. (Rosellini,
Monumenti storici 131 = Erman, Ägypten
u. ägypt. Leben II 712) genommen sein,
wo ungefähr in der Mitte (unter dem Steuer-
ruder des ersten Schiffes von rechts in der
zweiten Reihe) sein fast genaues Vorbild
liegt. Ähnliche Stellungen z. B. Lepsius
Abt. III 127 a ob. 1. u. unt. Mitte; Abt. V
75 unt. 1. — Der kleine Neger, schreiend
und schlotternd hinter demAltar verkrochen,
wirkt wie eine Parodie auf Knieende wie
Maspero, a. a. O. II 159 Abb. unt. 1.
(Stele im Louvre); 392 Abb. (Tempel-
relief von Ibsambul); 511 Abb. = Ro-
sellini, Monumenti civili pl. CXXVI 2 — 3
r. (Mumienklage). — Auch die in Reih
und Glied anmarschierenden Mohren der
Caeretaner Vase, mit denen dann auch die
Keulenträger der Eberjagdhydria Mon. d. I.
VI/VII Taf. 77 zu verbinden wären, wollen
mit den ähnlichen Kriegerreihen auf ägyp-
tischen Grabkammerreliefs verglichen werden/
wie Lepsius Abt II 47 unt.; 51; III 92;
Wilkinson, A populär account of the anc.
Egypt. I 338 f. — Und sind zur Charak-
terisierung der Ägyptertypen nicht Züge
aus ägyptischen Semitendarstellungen ver-
wendet? (vgl. Lepsius Abt. II 133; III
40; 76 unt. 1.; 116). Und damit kommen
wir auf das ganz singulare Kolorit unserer
Vase: der rote Ägypterkönig, riesengroß,
wütet unter den kleinen gelb- und schwarz-
häutigen Feinden! Auch die merkwürdigen
gelben Haare einiger Heraklesopfer finden
wir auf dem Bildhauerrelief von Theben
(Lepsius Abt. III 41) wieder.
Daß mit der Erkenntnis dieses äußer-
lichen Abhängigkeitsverhältnisses des »Cae-
retaner« Meisters zu ägyptischen Motiven sein
künstlerisches Verdienst nur noch steigt,
die Komik seiner Schöpfung um so erschüt-
ternder wirkt, hat Matz gebührend hervor-
gehoben.
Ein eingehenderes Studium ägyptischer
Monumente, als es das mir hier zur Verfü-
gung stehende Material erlaubt, würde die
Beobachtungen in dieser Richtung vielleicht
noch vermehren lassen. Dabei würden na-
türlich auch die übrigen leider nur zu
so kleinem Teil gut publizierten Caeretaner
Hydrien in den Kreis der Betrachtung zu
ziehen sein. Hier sei nur zum Schluß noch
darauf hingewiesen, daß der Wasservogel
der Europavase Castellani (Jahn, Entlührung
der Europa Taf. Va) nähere Verwandtschaft
mit den Vögeln der ägyptischen Papyrus-
\yälder als mit irgend einer griechischen
13
Moderne Fälschungen.
14
Vogel wiedergäbe zeigt (vgl. Schäfer, Von
ägypt. Kunst I 98 f. und das Material
der Tabelle A bei Delbrück, Beitr. z.
Kenntn. d. Linienperspekt. 10 f.).
Athen. Walther Wrede.
MODERNE FÄLSCHUNGEN.
Im Bande 34 dieses Jahrbuches, Archäol.
Anz. 118 ff. hat Maximilian Mayer unter
dem Titel: Ein antikes Wandbild in einem
Kodex von 1467 eine kleine Handzeich-
nung veröffentlicht und ausführlich be-
sprochen, die er in einer im Besitze von
Karl W. Hiersemann -Leipzig befindlichen
Handschrift von Servius: Kommentar
zu Virgil aufgefunden hat und von
der er schon vorher eine kurze Notiz in der
Kunstchronik 1920, Nr. 16, 335 gegeben
hatte. M. hält diese Zeichnung für gleich-
zeitig mit der Niederschrift der Handschrift.
Die Handschrift ist aber an ihrem Schlüsse
ganz unzweifelhaft authentisch vom Schrei-
ber selbst mit der Jahreszahl 1467 datiert,
und zu dieser ihrer Datierung stimmt so-
wohl der Charakter der Schrift als auch
die Fabrikmarke des Papiers, nach der
dasselbe in einer oberitalienischen Fabrik
um das Jahr 1465 hergestellt ist.
M. sagt nun a.a.O. 118 in bezug auf
die Zeichnung: »Sie ist, vielleicht von dem
Schreiber selbst, jedenfalls aber gleich-
zeitig mit der Schrift in der gleichen Tinte
hergestellt, zeigt dieselbe Farbe und den-
selben schwachen Grad der Verblassung.
Daß sie 300 Jahre später, nach Aufdeckung
der Vesuvstädte in den freigebliebenen
Raum eingefügt worden sei, auf diese Ab-
surdität wird nicht so leicht jemand ver-
fallen«.
Leider muß ich mich nun aber doch zu
dieser »Absurdität« bekennen, und es ist
darüber hinaus sogar meine Absicht und
feste Erwartung, durch diese Zeilen auch
andere zum Glauben an dieselbe zu be-
kehren.
Um mit der Grundlage zu beginnen, auf
die M. seine obige Behauptungen gründet,
so ist hier zunächst festzustellen, daß es
durchaus nicht zutrifft, was M. als sicher
hinstellt, daß nämlich die Tinte der Zeich-
nung und der Schrift des Textes die gleiche
sei. Der Verfälscher der Handschrift, denn
um einen solchen handelt es sich im vor-
liegenden Falle, wie weiter unten noch zu
erörtern sein wird, war natürlich nicht so
töricht und ungeschickt, für das von ihm
in die Handschrift einzuschmuggelnde Bild
eine ganz abstechende Tinte zu wählen,
sondern hielt sich mit dem braunen Farbton
seiner Bildtinte möglichst nahe an den
Farbton der Schrifttinte; aber bei einer
genaueren Prüfung ist doch ganz sicher
und deutlich zu sehen und zu erkennen,
daß im Unterton die Bildtinte nach dem
Rot, die Schrifttinte dagegen nach den
Grün des Spektrums gravitiert, und somit
offensichtlich zwei Tinten von ganz ver-
schiedenen chemischen Konstitutionen vor-
liegen. Kann demnach aber von einer
Gleichheit der Tinten nicht die Rede sein,
so ist damit auch natürlich der Skepsis
gegen die Gleichzeitigkeit von Schrift und
Bild Tür und Tor geöffnet.
Im Grunde genommen ist damit aber die
Theorie Mayer's, der in dieser Handzeich-
nung die Kopie der Nachzeichnung eines
inzwischen verlorengegangenen Wandge-
mäldes aus einem der stadtrömischen Häu-
ser oder Paläste erblicken will, bereits er-
ledigt, denn nur wenn wirklich und ganz
unzweifelhaft durch die Identität der Tinten
und etwa durch Überschneidungen des
Bildes durch die Ausladungen der Schrift
die Gleichzeitigkeit der Handzeichnung mit
der Textschrift verbürgt und sichergestellt
wäre, würde man sich notgedrungen zu einer
solchen Erklärung der Entstehung des
Bildes bequemen müssen. Ja, hier läßt sich
meiner Ansicht nach der Nachweis direkt
erbringen, daß die Verfälschung der Servius-
handschrift, die sich übrigens, wie wir
sehen werden, nicht nur auf dieses Bild
allein erstreckt, tatsächlich erst in neuerer
Zeit und zwar zum mindesten erst nach
1780 stattgefunden hat, denn als die direkte
Vorlage des Bildfälschers läßt sich das Bild
13 des ersten Bandes der Antiquit6s d'Her-
culanum, grav^es par F. A. David, avec leurs
explications. Par P. S(ylvan) Marechal.
Paris 1780 mit aller wünschenswerten Sicher-
heit erweisen.
15
Moderne FUschungen.
I6
Als mir die Handschrift von der Firma
Hierscmann zum Ankauf für die Preußi-
sche Staatsbibhothek zugesandt wurde,
und ich sie zunächst an der Hand der mit-
gesandten Beschreibung untersuchte, wurde
ich in betreff des Bildes nicht nur wegen
des Stoffes und der darin zutage tretenden
so außerordentlich engen Beziehung zu dem
Herkulanischen Gemälde, die das angeb-
liche stadtrömische Bild abgesehen von
gewissen Vereinfachungen und leicht zu
bewirkenden Aus-
scheidungen an Fi-
guren und Staffage
zu einer unmittel-
baren und nur durch
die Voraussetzung
ein und desselben
Kartons und ein
und desselben aus-
führenden Künst-
lers in Rom und
Herculanum erklär-
lichen Dublette
stempeln würden,
sondern zunächst
und in der Haupt-
sache durch einen
anderen Umstand
stutzig, der nicht
den oder meinet-
wegen auch die aus-
führenden Künstler
der beiden Wand-
gemälde in Rom
und in Herkulanum
angehen würde, son-
dern direkt den Abb
Zeichner des Bil-
des der Handschrift und seine Zeichen-
technik berührt. Es ist das die Art und
Weise der Körperschraffierung sowie der
Strichfüllung der Standfläche und des Hin-
tergrundes, die mir völlig unvereinbar er-
schien mit dem, was ich bisher in dieser
Beziehung an Hand- und Federzeichnungen
der fraglichen Zeit erfahren und beobachtet
zu haben glaubte. Sodann aber suchte
ich vergeblich nach einem plausiblen Grunde
für die Umkehrung des Bildes in der Hand-
zeichnung, für die sich auf den Wegen des
direkten Kopierens, Pausens oder Nach-
zeichnens mir schlechterdings keine Er-
klärungsmöglichkeit bietet, wie auch M.
für diese doch wahrlich auffallende Tatsache
keine ausreichende Erklärung beibringen
kann. Freilich kommen auch unter Vari-
anten antiker Gemälde vereinzelt Umzeich-
nungen im Gegensinne vor, wenn etwa die
Korrelation zu einem anderen Gemälde,
das als Pendant dieselbe Raumwand
schmückte oder andere Raumnotwendig-
keiten Veranlassung dazu gaben, aber der
antike Maler läßt
6^<^ticwn.'i;*.<r. '3^t!CfLti.{^\sf,
dabei nicht, wie es
der Spiegel und das
mechanische Repro-
duktionsverfahren
tun, links zu rechts
und rechts zu links
werden, sondern er
zeichnet die Einzel-
figuren in Tracht
und Gesten so um,
daß sie der nor-
malen Anschauung
entsprechen.
Nun erinnerte ich
mich aber einmal
früher im archäolo-
gischen Seminar zu
Göttingen bei Übun -
gen über die Ge-
mälde des Philo -
Stratos, die wir sei-
nerzeit unter Karl
Dilthey'sLeitung ge-
trieben hatten, Nach-
bildungenderHerku-
Federzeichnung in einem Servius-Codex von 1467. lanischen Wandge-
mälde in Kupfer-
stich in den Händen gehabt zu haben,
welche die Darstellungen dieser Gemälde
sämtlich im Spiegelbilde wiedergeben, weil
sie der Stecher nach der großen Ausgabe
der Antichitä di Ercolano direkt auf die
Kupferplatte gezeichnet und gestochen hat,
ohne sich der Mühe zu unterziehen, die
Zeichnungen mit Rücksicht auf die um-
kehrende Wirkung des Abdrucks im Gegen-
sinne auf seine Platten zu bringen. Die
Preußische Staatsbibliothek besitzt sonder-
barer Weise dieses Werk nicht, aber in der
Bibliothek der staatlichen Museen konnte
17
Moderne Fälschung^en.
i8
Herr Dr. Winkler das obengenannte Werk
als das gesuchte zur Stelle schaffen.
Ich lasse hier nun beide Bilder nebenein-
ander abdrucken und glaube mich der sicheren
Überzeugung hingeben zu dürfen, daß kein
Sachverständiger im geringsten mehr be-
zweifeln wird, daß der David'sche Kupfer-
stich die direkte Vorlage des Verfälschers
der Handschrift für das eingeschmuggelte
Bild gewesen ist, so daß diese angebliche
Handzeichnung des 15. Jahrhunderts tat-
sächlich also erst nach 1780 in diesen Ser-
viuskodex von 1467
kann eingezeichnet
worden sein. Die
Maße beider Bilder
stimmen nämlich so
genau ') miteinander
überein und die
Konturen der Hand-
zeichnung und des
Kupfers decken sich,
wie ich mit Hilfe
einer angefertigten
Pause der ersteren
nachgeprüft habe,
mit solcher mathe-
matischen Genauig-
keit, daß an die-
sem Verhältnisse der
beiden Bilder gar
kein Zweifel aufkom-
men kann. Wo Ab-
weichungen zwi-
schen Kupfer und
Zeichnung vorliegen,
handelt es sich ausnahmslos um Verein-
fachungen, zu denen der Zeichner des
Bildes sich genötigt sah, weil er sonst, um
nicht selbst sofort durch den fragmen-
tarischen Charakter seiner Zeichnung seine
Herkulanische Vorlage unmittelbar zu ver-
raten, zu umfangreichen Ergänzungen (Hals
und Kopf der Lokalgöttin, Tür des Laby-
rinths mit den herausströmenden Geretteten,
Unterkörper des den Arm des Retters
küssenden kleinen Burschen u. dgl.) ge-
') Das Klischee der Reproduktion der Hand-
zeichnung ist bei der zugrunde hegenden photo-
graphischen Aufnahme um ein ganz geringes Maß
verkleinert; es ist das aber so wenig, daß es für
Einzelheiten der Zeichnung völlig wirkungslos ist
1
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i .(
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9"lHä'^ i*,.'^'^.
1
—■—
Abb. 2. Uavid, Antiq. d'Herculanum 1870, PI. 13.
zwungen gewesen wäre, und er sich auf
dieses für ihn gefährliche Gebiet offenbar
in richtiger Erkenntnis seines zeichnerischen
Unvermögens nicht ohne den zwingendsten
Grund zu begeben wagte. Wie begründet
diese seine Furcht war, zeigt uns mit völliger
und überzeugender Deuthchkeit, die Be-
handlung der linken unteren Bildecke,
wo er solche Ergänzungen schlechterdings
nicht umgehen konnte. Hier hat nämlich der
Bildfälscher, weil er den nackten Körper
offensichtlich zeichnerisch zu meistern nicht
verstand, den knie-
enden Epheben halb
unter dem Gewände
der hinter ihm ste-
henden Gefährtin
versteckt, als sei er
ihr zwischen den Bei-
nen durchgekrochen.
Überhaupt ist die
ganze Kleidung dieser
Mädchenfigur, die ja
an der ganzen linken
Seite und in den un-
teren Partien völlig
auf Ergänzung be-
ruht, sehr problema-
tisch ausgefallen, und
hier verrät sich der
fälschende Pfuscher
mit jedem Strich.
Ich halte es für völ-
lig unnötig, hier in
dieser Beziehung noch
weitere Einzelheiten
der Zeichnung zu erörtern, da ich glaube
annehmen zu dürfen, daß das Gesagte
genügt und jeder nun an der Hand der
Gegenüberstellung von Original und Kopie,
sich über jede Einzelheit selbst das richtige
Urteil wird bilden können; aber ich muß
hier noch auf die im Vorstehenden mehrfach
erwähnten anderweitigen Verfälschungen der
Serviushandschrift mit einigen Worten ein-
gehen.
Meiner Auffassung nach liegt die Sache da-
bei so: Die ganz unzweifelhaft echte, im Jahre
1467, wie gesagt, von Humanistenhand ge-
schriebene Handschrift war, wie das ja so
oft der Fall ist, unter Aussparung der
Räume für Initialen und Überschriften,
>9
Moderne Fälschungen.
20
deren Ausführung einem Rubrikator und
Miniator überlassen werden sollte, nachher
unrubriziert und ohne den beabsichtigten
Schmuck von farbigen Initialen geblieben,
ein Mangel, dem der Fälscher zunächst
dadurch abzuhelfen suchte, daß er vorn
einige farbige Initialen einfügte, für die
er ohne Zweifel humanistische Vorbilder
benutzt hat, und von denen die erste ein
Kopfbild Virgils enthält. Nun sind ja natür-
lich auch nicht alle Schreiber undMiniatoren
des ausgehenden Mittelalters immer gerade
hervorragende Künstler auf diesem Gebiete,
aber solch' klägliches Machwerk, wie es
in diesen farbigen Initialen vorliegt, findet
man in Humanistenhandschriften denn doch
sehr selten. Was mir aber den hierdurch
geweckten Verdacht, daß auch diese Ini-
tialen der Pfuscharbeit des Bildfälschers
ihr Dasein verdanken könnten, bestätigt,
sind die für die Illuminierung derselben
verwendeten Farben, die einem modernen
Kindertuschkasten zu entstammen scheinen,
sowie die wohl ebendaher entnommene
Bronzetinktur, mit der die »Goldhöhung«
dieses Initialenschmuckes ausgeführt ist.
Wer diese Initialen mit anderen vergleicht,
die unzweifelhaft in jene Zeit fallen, in der
sie angeblich hergestellt sind, wird auch
da, wo er künstlerisch recht minderwertige
Erzeugnisse zum Vergleiche wählt und von
dem Rein -zeichnerischen ganz abstrahiert,
durch den Vergleich der Farben allein ohne
Zweifel zu derselben Überzeugung kommen
müssen. Dazu kommt nun aber noch, daß
in der Handschrift auch noch andere Ini-
tialen mit roter Farbe eingezeichnet sind,
die ich gleichfalls für die Arbeit des späten
Verfälschers der Handschrift halte, weil
sie im Stil untereinander ganz ungleich-
mäßig sind und dadurch den Eindruck
hervorrufen, als seien für sie die Vorlagen
mühselig aus verschiedenen Handschriften
zusammengesucht. Ganz besonders ver-
dächtig, ja ich darf wohl sagen, direkt un-
möglich, sind für eine Humanistenhand-
schrift aber auch die zahlreichenÜbcrschrif ten
der einzelnen Bücher und Buchabschnitte
in Unzialschrift. Ich konnte mich nicht
entsinnen, jemals bisher eine Humanisten-
handschrift mit solchen Überschriften in
Unzialis gesehen zu haben, und habe mich
deshalb der Mühe unterzogen, alle mir
erreichbaren Humanistenhandschriften der
Staatsbibliothek, und wir haben deren eine
nicht geringe -Anzahl, daraufhin zu durch-
mustern, und das für mich nicht über-
raschende Resultat war daß unter ihnen
allen nicht eine einzige mit solchen unzialen
Überschriften zu finden war. Dieser Um-
stand macht, das wird man wohl allgemein
zugeben, diese Überschriften schon minde-
stens fälschungsverdächtig. Es kommt
aber noch hinzu, daß die Ausführung
derselben eine ganz auffällige Unbeholfen -
heit verrät auch in solchen Einzelheiten,
die wie z. B. die darin vorkommenden Zahl-
zeichen mit der Ungewohntheit der Unzial-
schrift gar nichts zu tun haben; auch hier
gewinne ich durchaus den Eindruck einer
unbeholfenen späten Fälschung.
Von außerordentlichem Interesse würde
es nun aber sein, die Person des Fälschers
selbst zu ermitteln, und in dieser Hinsicht
ist Folgendes zu bemerken. Die Handschrift
trägt vorn im Bande das Exlibris des
Malers, Kunst- und Büchersammlers Sehen -
nis, aus dessen Nachlaß sie mit zahlreichen
anderen Handschriften und Büchern in
den Besitz des Hiersemann'schen Antiqua-
riats übergegangen ist; und nun muß ich
daran erinnern, daß aus dem gleichen Be-
sitze auch jene Handschrift stammte, aus
deren Einband Mayer (s. Kunstchronik 1920,
Nr. 16, 335) auch das von mirin den Sitzungs-
berichten d. Berliner Akademie 1919, 468 ff.
veröffentlichte Fragment einer Plautushand-
schrift ausgelöst hat, dessen Echtheit E. Cha-
telain in den Comptes rendus des seances de
l'acad^mie des inscriptions et belles lettres
1921, 223 — 229 mit nicht leicht zu nehmen-
den, wenn auch nicht absolut überzeugenden
Gründen bestritten hat. Das in dieser
Serviushandschrift unzweifelhaft vorliegende
Fälscherstückchen macht mich, ich stehe
nicht an, das offen zu erklären, in meinem
Glauben an die Echtheit des aus dem gleichen
Besitze stammenden Plautusfragments wan-
kend '). Ob das dritte von Mayer a. a. 0.
') Ich gehe hier vorläufig auf das Plautusfrag-
ment und seine Echtheit.'sfrage absichtlich nicht
weiter ein, weil ich den Resultaten der farbentech-
nischen Untersuchungen, die Herr Prof. Maaß in
der chemisch technischen Reichsanstalt auszuführen
21
Moderne Fälschungen.
22
genannte Stück, ein Liviusbruchstück des
5. Jahrh., das zu Gesicht zu bekommen
ich mich leider bisher vergeblich bemüht
habe, auch aus einer der Schennis'schen
Handschriften stammt, weiß ich nicht, aber
fälschungsverdächtig ist es mir vom ersten
Augenblicke, in dem ich davon las, durch
seinen Inhalt erschienen, denn der Zufall,
daß das Fragment gerade mit dem Schluß
der vorliegenden Überlieferung zusammen-
fällt und nur mit ein paar Worten über den
Schluß unserer Handschriften hinausgieift,
ist doch wahrlich zu merkwürdig und auf-
fällig, um nicht den obigen Verdacht ge-
radezu von selbst herauszufordern.
In allen diesen Fällen ist nun unbedingte
Aufklärung über alle noch ungeklärten
Fragen zu verlangen, wozu vor allen Dingen
hinsichtlich der beiden Fragmente die Her-
beischaffung der Bände, aus denen sie
ausgelöst sind, notwendig sein würde,
um von den Fundumständen, der Pro-
venienz und der Entstehung dieser Frag-
mente ein sicheres Urteil gewinnen zu
können. M. Mayer als der erste Ent-
decker aller dieser drei Stücke, der beiden
fälschungsverdächtigen und des nach-
weislich gefälschten dritten Stückes wird
gewiß die Verpflichtung anerkennen, zu
diesen notwendigen Aufklärungen mit allen
seinen Kräften beizusteuern. Es muß ver-
sucht werden, zu ermitteln, von wem die
Fälschungen, soweit sie festzustellen sind
(und hier könnte man bei der vorliegenden
Sachlage die Untersuchung eventuell auch
auf andere aus Schennis'schem Besitze
stammende Handschriften ausdehnen) her-
rühren. Angesichts der oben gekennzeich-
neten Ungeschicklichkeiten in den Ergän-
zungen der Handzeichnung und der
ungeschickten Nachbildung der Unzialschrift
wird man schwerlich dem »Maler« Schennis
die Urheberschaft zutrauen können, das
umso weniger, als allgemein die Lauterkeit
seines Charakters gerühmt wird. Daß
natürlich eine Weltfirma wie die Hierse-
freundlich übernoramen hat, nicht vorgreifen kann.
Meiner Ansicht nach muß die verwendete Farbe
in dieser Frage die sicherste Entscheidung geben,
und sobald das Resultat vorliegt, werde ich darüber
sofort berichten. [Die Untersuchung hat leider zu
keinen sicheren Ergebnissen geführt.]
mann'sche und ein Gelehrter wie Maxi-
milian Mayer von dem Verdachte, an den
Fälschungen irgendwie beteiligt zu sein,
nicht betroffen werden können, ist eigent-
lich so selbstverständlich, daß es über-
flüssig erscheinen mag, das überhaupt zu
erwähnen.
Berlin, Januar 1924. H. Degering.
Erwiderung.
Durch die vorstehenden Bemerkungen
Degerings wird der Inhalt meines Aufsatzes
im A. Anz. (s. ob.) größtenteils nicht berührt,
also nicht das, was ich über die Bildkom-
position, über die zuschauenden Figuren und
Personifikationen sowie über Plinius dar-
gelegt habe. Es würde, wenn sich das Er-
gebnis von D.s Nachforschungen bestätigt,
nur der interessante Anknüpfungspunkt weg-
fallen, den die Kodexzeichnung darzubieten
schien ■ — die übrigens seither, also in vier
Jahren, von keiner Seite angezweifelt wor-
den ist. Natürlich habe ich — mein Text
zeigt es — von vornherein die Frage, wie
die Zeichnung sich zu dem im 18. Jahrh.
publizierten Herkulanenser Gemälde ver-
halte, in Erwägung gezogen; ich habe sie
fallen lassen, zumal mir Carl Robert schrieb,
das Herkulanenser Bild könne dies nicht sein,
und Publikation sei dringend erwünscht
(18. Sept. 1918). Daß die verblaßte Tinte
nachgemacht sei, scheint mir auch heute
noch nicht erwiesen. Wir hätten ja, nach D.,
als Anfangs- und Fixpunkt für die Datierung
nur das Jahr 1780. Ob derjenige, welcher
diese Lücke im Kodex zeichnerisch ausfüllte,
wirklich eine Täuschung beabsichtigte, wäre
auch noch zu fragen. Woran ich hauptsäch-
lich Anstoß nehme, ist die Bezeichnung
»moderne« Fälschungen und die Eilfertigkeit,
womit dieses Prädikat auf das Plautus- und
das Livius-Blatt ausgedehnt wird.
Also zunächst das Plautus-BIatt, als
dessen Entdecker mich bei dieser Gelegen-
heit weitere Kreise kennen lernen. Über
die Umstände der Entdeckung und die Her-
kunft des Kodex selbst, worin das Blatt
sich versteckte, habe ich im Hierscmann-
schen Katalog aufs genaueste berichtet und
D. hat diese Angaben in seiner Publikation
gebührend verwertet. Ich füge hinzu: das
23
Die Antiken im Park zu Wörlite.
24
Blatt war innen an dem Holzdeckel des alt-
italienischen Einbandes- wo es als Pendant
ein mittelalterliches Pergamentblatt nicht-
klassischen Inhalts hatte, so fest aufgeleimt,
daß die Loslösung nicht leicht vonstatten
ging; selten hat bei den vielen, in die Hun-
derte gehenden alten Pergament-Schriftblät-
tern, die ich seitdem abzulösen hatte, da-
runter hin und wieder klassisch-antike Texte,
die Prozedur so viel Mühe gemacht. Wenn
nun Chatelain der Publikation gegenüber den
Verdacht äußert, daß es sich um eine Nach-
bildung alter Schrift handele, die er, soviel
ich mich erinnere, der Renaissance zu-
schreibt, so mag das für D. als Herausgeber,
der das Original in Händen hielt, unange-
nehm sein. Aber die Untersuchung ist ja
noch nicht abgeschlossen. Jedenfalls hätte
D. sein vermeintliches Mißgeschick mit
Würde ertragen sollen und höchstens be-
tonen können, daß sich vor ihm auch andere
hätten täuschen lassen, anstatt den vor-
stehenden, nicht gerade glücklichen Ab-
wälzungsversuch zu unternehmen. Die For-
derung, daß der Kodex selber vorgelegt
werde, als ob es sich um ein Bibliotheks-
stück, nicht ein durch den Buchhandel ge-
gangenes handele, ist nicht nur unstatthaft,
sondern auch unhaltbar, um nicht zu sagen
sinnlos. Wer beweist uns, wenn der Kodex
wieder auftauchte, daß dieses Blatt an die-
sem Deckel angesessen, wer verbürgt auch
nur, daß die unansehnlich gewordene Innen-
seite des Deckels nicht inzwischen gereinigt
worden.' Und wenn das Blatt nun nicht
aus einem Bucheinband stammte, sondern
eines der hunderte loser derartiger Bruch-
stücke wäre, wie sie mir vorgelegen: welche
Beweiskraft würde das im Sinne D.s haben ?
Degering scheint sich gar nicht klarge-
macht zu haben, welchen ungünstigen Ein-
druck die Leser oder viele von ihnen be-
züglich meines Anteils an der Frage erhalten,
ehe sie an den Schlußpassus gelangen.
Aber um einmal darauf einzugehen, wie
denkt sich D. eigentlich das Entstehen sol-
cher modernen Plautus-Fälschung.? Das
Blatt wurde für einen Spottpieis an die
Berliner Bibliothek verkauft, für einen Preis,
wofür kaum ein neuzeitliches Schriftdiplom
von 50 Zeilen herzustellen wäre. Gibt es
in unsern Tagen einen so täuschend geschickt
arbeitenden Graphiker, so hätte derselbe zu
welchem Zwecke gearbeitet? Damit das
Blatt zerschnitten, aufgeklebt und großen-
teils der Zerstörung preisgegeben würde?
Was nun das zweite, ganz verschieden
geartete Pergamentblatt betrifft, in schönem,
dabei geläufigen Schriftcharakter des IV.
Jahrh., ein Blatt, worin ich den Schluß von
Liv. 45 erkannte, so machte dasselbe, halb
beschrieben wie es war, den Eindruck — wenn
es nicht eine bloße Schreibübung war — ,
als Schlußblatt einer schadhaften Livius-
RoUe bestimmt gewesen zu sein, ohne dann
aber zur Verwendung zu kommen. Vielleicht
war es dafür zu fehlerhaft geschrieben. Aber
auch dieser zerrüttete, vielleicht schon nach
defekter Vorlage geschriebene Text, der sich,
wie gegen D. zu bemerken, in keiner Zeile
mit dem überlieferten deckt, sondern eine
neue Fassung bietet, will beachtet sein und
läßt sich nicht aus der Welt schaffen. Das
verscheuerte, schwer lesbare Blatt bildete
den biegsamen, alt angehefteten Umschlag
eines unbedeutenden italienischen Druckes
von etwa 1600, eines Heftchens, das zweifel-
los in diesem Zustand von De Schennis in
Italien, unter so vielem Wichtigeren, erwor-
ben war. Man könnte sogar zu behaupten
geneigt sein, daß es sich seit drei Jahr-
hunderten in diesem Zustande befunden
habe — mit größerem Rechte jedenfalls, als
auch hier bloß wegen der D. sehen Plautus-
Sorgen, mit dem Wort ,, moderne Fälschung"
um sich zu werfen. Ich möchte dem jetzigen
Besitzer, wer er auch sei, nicht vorgreifen;
denn der direkte Käufer war, wie ich höre,
nur Mittelsmann und der Name von dessen
Klienten trotz aller Bemühungen nicht zu
erfahren. D.s Ansinnen, die seit sechs
Jahren im Buchhandel befindliche und zer-
streute Sammlung De Schennis teilweis einer
Untersuchung zu unterziehen, auch wenn es
an jemanden gerichtet wäre, der sonst nichts
zu tun hätte, ist etwas so Abenteuerliches,
daß dabei zu verweilen sich nicht verlohnt.
Leipzig, März 1924. M. Mayer.
DIE ANTIKEN IM PARK ZU WÖRLITZ.
(Auszug.)
Durch die Staatsumwälzung des Jah-
res 1918 ist die ehemalige Antikensammlung
25
Die Antiken im Park zu Wörlitz.
26
des Herzogs Franz bedauerlicherweise in
zwei Teile zerrissen worden. Alles im Schloß
Befindliche blieb Eigentum des herzog-
lichen Hauses und konnte bis jetzt nicht
neubearbeitet werden. Der andere Teil der
Sammlung, welcher hier auszugsweise be-
sprochen werden soll, gehört jetzt der Jo-
achim-Ernst-Stiftung zu Dessau. Die
meisten der großen Wörlitzer Marmorwerke
sind von Arndt in den Einzelaufnahmen
394 — 403 veröffentlicht (über ihre Erwer-
Nr. 26 — 41. Bruchstücke von Marmor-
arbeiten, meist ArchitekturteiJen, z. T. der
besten römischen Kaiserzeit.
Nr. 42. (Abb. 1). Bruchstück eines Re-
liefs. H. 40 cm, Br. 41 cm. Marmor. Fund-
ort nicht überliefert, doch wohl wie von
allem anderen, Italien.
In der erhöhten Randleiste links ist der
ursprüngliche Abschluß erhalten. An ihrer
Außenseite befindet sich ein rechteckiger,
nach hinten ausgebrochener Einschnitt
Abb. I. Opferung der Polyxena.
bung vgl. W. Hosäus, Die Wörlitzer An-
tiken, Dessau 1873). Im Jahre 1906 kamen
aus dem Nachlaß I. K. H. der Prinzessin
Friedrich Karl von Preußen — W. Heibig
hat alles für sie erworben — und von ihrer
Hofdame, der Gräfin Clementine v. Pückler,
eine größere Anzahl von Architekturbruch-
stücken und Werken der Kleinkunst hinzu.
Von Arndt nicht aufgeführt wurde die
gute Kopie einer Aphrodite (H. 1,05 m),
Nr. 25, deren Original in nächste Nähe
des Vorbildes der Kapitolinischen Aphro-
dite gehört (Helbig-Amelung, Führers) I 803)
(L. 5 cm, Br. I cm). Die Bruchstelle über
j der Randleiste ist unberührt, alles Übrige
ringsherum modern geglättet, ebenso die
Rückseite, in deren oberem Teil ein 3 cm
breiter Eisenklammerrest steckt. Teil-
weise starke Verwitterung. Risse im Marmor.
I Zwei Jünglinge helfen eine bekleidete
weibliche Gestalt tragen. Von einem dritten,
der offenbar die Hauptlast hatte, sind der
rechte Unterarm und der rechte Unter-
schenkel erhalten. Diesen hielt er deutlich
aufgestellt etwa auf einen Stein oder eine
j Stufe. Der Oberkörper der Frau war er-
27
Die Antiken im Park zu WOrlitz.
28
hoben. Ihr Obergewand ist herabgeglitten.
Der mittlere Jüngling ist mit einem Schwert
bewaffnet. Die Tragenden müssen sicii
auf ansteigendem Gelände (oder Stufen .?)
bewegt haben, wie eine Verbindung ihrer
Knicc erweist. Eine weibliche Gestalt wird
von Kriegern geschleppt, zweifellos gewalt-
.sam — zur Opferung. Es stehen zwei Deu-
tungsmöglichkeiten offen: Opferung der
Iphigenie in Aulis oder der Polyxena. Die
Rilievi delle urne etrusce Tf. 33 ff.). Der
finster mitleidslose Ausdruck in dem
Antlitz auf dem Wörlitzer Relief, die Drei-
zahl der Tragenden, die starke Bewegung
zur Opferstätte hin — Momente, die sich auf
keiner der Iphigeniendarstellungen, aber
sämtlich auf der tyrrhenischen Amphora
finden — machen die Deutung auf Opferung
der Polyxena wahrscheinlich. Auf dem
abgebrochenen Teil des Reliefs stand dann
Abb. 2. Eros als Hahnenkämpfer.
literarische Überlieferung kennt eine ge-
waltsame Opferung der Iphigenie, nur in
Aischylos' Agamemnon 231 ff. Opferdiener
(aoCoi) halten sie über den Altar. Alle
spätere Dichtung und Erzählung beherrscht
die Gestaltung der Sagen durch Euripides:
Beide Frauen bieten sich freiwillig dem
Tode dar. In der bildlichen Tradition
sind die nächsten Parallelen: die Opferung
der Poly.xena auf der tyrrhenischen Am-
phora in London (abg. Journ. Hell. Stud. 18 '
pl. 15) und das Iphigenienbild der casa del j
poeta tragico (abg. Hermann -Bruckmann
Tf. 15), auch die Urnenrcliefs (Brunn, I
auf Stufen oder einer Anhöhe das Grabmal
des Achill neben dem Neoptolemos der
Jungfrau das Schwert in die Brust stieß.
Die Schlankheit der Gestalten deutet auf
die Mitte des 4. Jhdts. als Entstehungszeit
des Reliefs. Kopfbildung und Prägung der
Muskelpartien erinnern entfernt an Attisches.
Neben einzelnen Unebenheiten, wie z. B.
der steifen Bildung des linken Oberschen-
kels des linken Jünglings, der flüchtigen
Wiedergabe des Schwertes des mittleren,
steht die teilweis vorzügliche Modellierung
der Muskelpartien und Glieder, besonders
in der Bewegtheit des mittleren. Die starke
29
Die Antiken im Park zu Wörlitz.
30
Achsenbewegung in der Körperhaltung des
linken Jünglings ohne Gewaltsamkeit zu
geben, ist dem Bildner noch nicht geläufig.
Ebensowenig vermag er an der Glutäen-
partie des Mittleren, wo drei Körper hinter-
einander darzustellen sind, den Eindruck
voll -runder Körperlichkeit zu erwecken.
Wie steht die Bewältigung dieser Aufgaben
im Zusammenhang des reliefbildnerischen
Schaffens, zu datierbaren Denkmälern.'
Relief so viel stärker erhaben, daß ein genauer
Vergleich nicht angängig ist. Dagegen ver-
mittelt der Fries vom Lysikratesdenkmal in
Athen, der in ähnlich flacher Reliefierung wie
dasWörlitzer Fragment gehalten ist, den Ein-
druck völliger Plastizität bei Höchstmaßen
von Bewegungen: der Satyr, der den bitt-
flehenden Seeräuber am rechten Fußgelenk
über den Boden zerrt, ist z. B. in stärkster
Körperdrehung dargestellt (abg. Br.-Br. 488,
Abb. 3. Gipsabguß nach dem Relief Abb. 2.
Einen frühen Versuch, die Oberkörper-
drehung an der nackten Gestalt in flachem
Relief wiederzugeben, stellt dar die Bildung
des Heros auf dem Weihrelief in Berlin 808
(abg. Kekuie-Schröder, Griech. Skulptur
193). Der Unterkörper aber ist wieder
in Seitenansicht gedreht. Auf den Mauso-
leumsfriesen von Halikarnaß erfordern
die kräftigen Bewegungen einzelner wild
Kämpfender schon starke Körperdrehungen,
die fast bis zu dem in Frage stehenden
scharfen Gegeneinander desOberkörpers zum
Unterkörper gesteigert werden (vgl. J. d. I.
1909, 171, Beil. I 29 u. a.). Doch ist hier das
I 4. Reihe am weitesten links). Die Ent-
{ stehungszeit des Frieses (334 v. Chr.) ist
! also terminus ante für das Wörlitzer Relief.
Bestimmteres wird sich bei dem provin-
ziellen Charakter, der diesem anhaftet,
kaum sagen lassen.
! Nr. 43. Bärtiger Marmorkopf. H. 19 cm.
Kopie etwa aus der zweiten Hälfte des
2. Jahrhs. n. Chr. nach einem Original um
350 V. Chr. Nase stark beschädigt. Kopf
saß mit leichter Neigung nach r. auf dem
Körper. Am nächsten verwandt in der Ge-
samtkonzeption ist der Asklepios von Epi-
dauros (abgeb. Bulle, Schöner Mensch =
31
Die Antiken im Park zu Wörlitz.
32
Abb. 152, Athen, Nat.-Mus.). Die reiche
Fülle der Vorderansicht steht in einem ge-
wissen Gegensatz zur klaren Begrenztheit
der Einzelformen im Profil.
Nr. 44. Weiblicher Kopf aus einem Hoch-
relief. Marmor. H. 23 cm. Nase, Lippen,
Kinn modern ergänzt. L. Kopfhälfte un-
bearbeitet. Wir haben es mit einer ins
Relief übersetzten Replik des Kopfes der
Knidierin aus Tralles zu tun (Ant. Denkm.
d. Inst. I 41).
dem oberen Hahn ist der Rest eines zweiten,
stark erhabenen Pfeilers erhalten. Er war
an der linken Ecke abgeschrägt, vielleicht
übereck gestellt. Die Quaderung außerhalb
der Pfeiler ist größer gehalten als zwischen
ihnen. Sicheren Aufschluß über drei Seiten
der einstigen Reliefplatte gibt die Rückseite,
die ebenso wie die Plattenränder als Bosse
unregelmäßig gerauht ist und einen rahmen-
den glatten Saum trägt (Abb. 4). Nur die
obere Begrenzung ist ganz weggebrochen.
Abb. 4. Rückseite des Reliefs Abb. 2.
Nr. 45. (Abb. 2—4). Reliefbruchstück.
Marmor. H. 27 cm, Br. 29 cm. Angeblich
aus Pozzuoli. Große schwarze Brandflecken.
Ein geflügelter halbwüchsiger Knabe mit
zwei Hähnen vor einer Architektur. Der
Kopf des oberen Hahnes und der Oberteil
des r. Knabenflügels waren antikaufgestückt.
Die Brüche des 1. Unterschenkels, des r.
Fußes des Knaben, des Körpers des am
Boden stehenden Hahnes und des größten
Teiles der Standplatte sind modern abge-
arbeitet. Der basenlose Pfeiler hinter dem
Standbein des Knaben erscheint über dessen
Kopf wieder. An der Bruchstelle rechts von
Wo rechts die Standplatte aufhört, genau
in der Mitte, steckt ein Rest des Eisenstiftes
der Befestigung.
Der dargestellte Augenblick des Hahnen -
kampfes scheint der zu sein: der besiegte
Hahn wird von dem Knaben vor dem sich
nach der Anstrengung des Kampfes strecken-
den Sieger schützend aufgenommen (vgl.
Daremberg-Saglio I Abb. 213).
Eroten erscheinen in hellenistisch -römi-
scher Zeit in allen menschlichen Tätigkeiten,
auch als Hahnenkämpfer. Doch sind die
derart symbolisch gegebenen Gestalten durch-
weg mit kindlichen Körpern ausgestattet.
33
Die Antiken im Park zu Wörlitz.
34
Bei knabenhafter Bildung scheinen wir da-
gegen auf bestimmte mythologische Gestal-
ten deuten zu dürfen. Der Liebesgott wird
als Knabe gebildet, ebenso Ikarus (Schreiber j
Hellenist. Reliefbilder XI). Die bekannte
Bronze von Mahdia ist nach Wolters 'Afiuv
zu nennen. Diesen Gott sah de Witte (R6v.
arch. 1868 I 2,77) in der Flügelgestalt mit
dem Hahn auf dem Bronzespiegel in Lyon
(vgl. auch Melanges Holleaux 374 die Per-
sonifizierung des Wettkampfes auf dem Dio-
nysospriestersessel in Athen). Dieselbe Be-
nennung scheint auch hier die gegebene, zu-
mal im Hinblick auf die Besonderheit des
Motivs: der göttliche Knabe vermag beide
Hähne zu dirigieren. Auf den menschlichen
Hahnenkampfdarstellungen hat jeder seinen
eigenen Hahn. Das Relief war wohl das
Weihgeschenk eines Siegers.
Unter den sog. ,, Hellenistischen Relief-
bildern" nimmt das Stück insofern eine be-
sondere Stellung ein, als es in völligem Ver-
zicht auf die üblichen malerischen Momente
der Naturwiedergabe fast nüchtern -klar nur
den Ort der Handlung angibt: eine groß-
gequaderte Mauer links (wohl ein Sims als
oberer Abschluß zu ergänzen), rechts ein
Eingang, dessen Pfeiler durch Bogen oder
Architrav verbunden zu denken sind, mit
dem Durchblick auf eine andere Mauer-
fläche. Hintergrund und Knabengestalt sind
nicht zu einheitlicher Komposition verwoben.
Der statuarische Gehalt der Figur spricht
überwiegend stark. Der Künstler stand in
guter griechischer Tradition. Ein Vorbild
aus dem Kreise des Lysipp hat ihm vor-
geschwebt. Die Körpcrbildung ist reifer als
die des bogenspannendcn Eros dieses Mei-
sters. Die federnde Haltung ist die des
»labilen Gleichgewichtes« des Apoxyomenos,
ins Schlanke, Knabenhafte übertragen.
Dae aus gleichförmigen Einzelfedern ge-
bildete, aber doch locker übereinander-
geschobene Flaumgefieder hat eine Parallele
in der Flügelbildung auf dem Ikarusrelief
der Villa Albani (Helbig-Amelung3 II 1879;
Schreiber a. a. O. XI), das auch in der Spar-
samkeit der Ortsangabe, in der weichen Aus-
prägung des Leibes dem Wörlitzer nahe-
steht'). Auffallende Verwandtschaft in der
■) Eigene, hiervon abweichende Stilisierung der
Fittiche hat f.. B. auf der ara pacis die Aura mit
Archäologfischer Anzeiger 1923/24.
Gestaltung der Flügel zeigt das Londoner
Exemplar des bogenspannenden Eros (Cat.
sculpt. Brit. Mus. III 1673, nach A. Smith
eine Kopie antoninischer Zeit). Starke An-
klänge hieran weist ferner auch auf die Ge-
fiederdurchbildung auf der Basis der Anto-
ninsäule im Vatikan mit der Apotheose des
Antoninus und der Faustina (Amelung, Vat.
Mus. I 883, Nr. 223). Der Kopf des Knaben
fällt durch seine Lockenfülle auf. Zwar ist
derartiges schon im 5. Jhdt. denkbar (Ma-
drid, Prado 535, Rev. arch. II 1901, 19, 20).
Allgemein beliebt ist es erst in hadrianischer
und antoninischer Zeit, nach der großen An-
zahl solcher Köpfe auf Reliefdarstellungen
zu urteilen (vgl. auch Schreiber a. a. O.
XIII). Die fast lineare Einzellockenbehand-
lung über der Stirn ist wohl nicht archai-
sierend, sondern aus dem Zwang heraus ent-
standen, den der nicht tief genug ausge-
hauene Marmor auferlegte. Das pausbäckige
Gesichtchen zeigt unbestimmt weiche Züge,
wohl kindlich. Doch ist ein leicht »Antinous«-
hafter Zug nicht zu verkennen. Wie alle
diese Stilmerkmale andeuten, so atmet auch
die Marmorarbeit die elegante Vornehmheit
der Kaiserzeit um die Mitte des 2. Jhdts.
n. Chr. Geb.
Nr. 46. Satyrmaske aus gelblichem Mar-
mor, Arbeit etwa des 1. Jhdts. n. Chr. H.
15 cm. Typus des jungen Satyrn (vgl.
Winter-Pernice, Hildesheimer Silberfund Taf.
12, i; 14, 2 u. a.). Auf der Rückseite ist ein
1. Unterarm bis zum Ellenbogen erhalten.
Die Richtung des Oberarms ist gerade noch
feststellbar. Vier Finger einer r. Hand liegen
unter dem Kinn der Maske. Der Daumen ist
verstümmelt. Nach der Gliedergröße muß
ein Erot von etwa 30 cm Höhe die Maske
— nach der Armstellung zu urteilen — links
von seinem Kopf in Schulterhöhe gehalten
haben.
Nr. 47. Weibl. Marmorkopf (aus einem
Relieffries.?). Aus Kampanien. H. 16 cm.
Der Block, aus dem heraus der Kopf wächst,
ist in 19 cm Tiefe erhalten. Die jetzt schräg
verlaufende Rückseite ist Bruchfläche. Die
Gesichtsbehandlung ist stark gewollt, ähn-
hch der Architektonik der Medusa Ron-
dera Reiher (Uffizien, Petersen, Ara pacis Taf. III),
ferner Schreiber a. a. O. XXXV, mit seinen Re-
pliken, die bewußt archaisieren, und Br.-Br. 629 b.
35
Die Autikeii im Park zu Wörlitz.
36
danini, doch in breit-pathetischer Aus-
führung. Die Deutung auf Medusa scheint
naheliegend.
Nr. 48. Sitzende Fortunastatuette. Mar-
mor. H. 37,5 cm. Arbeit der röm. Kaiser-
zeit etwa des frühen 2. Jhdts. n. Chr. Es
felilt die r. und 1. Hand mit dem unteren
Teil des Füllhorns und seiner Stütze, der
Aus einer Reihe von Terrakotten verdienen
Beachtung:
Nr. 59. Protome eines weibl. Köpfchens
mit Perlstabdiadem. H. 10 cm. Aus Tarent.
Strenger Stil (vgl. Berlin 7575).
Nr. 61. Weibl. Kopf mit Kalathos. H.
15 cm. Aus Tarent. Zweite Hälfte 5. Jhdts.
(vgl. Burlington Club 1904, F 57, pl. 82).
«• b.
Abb. 5. Bronzene Athena (a) und bronzene Aphrodite (b).
obere Teil des Thronsessels. Auf dem Ge-
wand über der Brust starke Spuren von
kräftigem Rot, an Diadem und Füllhorn viel
Gold. Am r. Unterarm ringeln sich die
letzten Windungen einer Schlange. Die For-
tuna ist also eine salubris. Die Form des
Diadems ähnelt auffallend derjenigen der bei
Br.-Br. 396,3. Gestalt des 1. Reliefs vom
Trajansbogen in Benevent. Verwandtschaft
zeigt sich auch in der Gewandfaltenbe-
handlung.
Nr. 49. Gigantentorso. Marmor. Stark
geglättet. H. 36 cm. Verwandt dem Gi-
gantensarkophag im Vatikan, Helbig-Ame-
lung 209.
j Von »Campana« -Tonreliefs ist Nr. 76 bei
Rhoden-Winnefeld 92 als Unikum er-
wähnt. Die Deutung auf eine Höre scheint
mir gegebener als die auf eine Brautführerin
(vgl. Würzburg 30 b).
Nr. ^^ ist ein Bruchstück (H. 21 cm,
Br. 13 cm) aus einer ähnlichen Foim ge-
preßt wie Brit. Mus. Cat. of terracottas pl. 24
, mit der Darstellung der Winterhore.
Nr. 84—119 meist kleinere Gefäße ital.-
kor. Art, attischen und hellenistischen Ur-
sprungs, römisches Glas.
Eine kleine Anzahl römischer Bronzen
wurden in Italien erworben, nach einer
j Nachricht aus dem Briefwechsel Erd-
37
Die Antiken im Park zu Wörlitz.
38
mannsdorffs mit dem Fürsten Franz vom
26. 4. 1766 (Mitt. d. Anh. Gesch. -Ver. 2,
127).
Nr. 122. (Abb. 5 u. 6). Bronzene Athena.
H. 12 cm. Etwa vom Ende des 2. Jhdts.
n. Chr. Eine genaue Replik, wenn auch
nicht aus derselben Form, so doch wohl von
der gleichen Hand, ist in London, Brit. Mus.,
Nr. 123. (Abb. 5 u. 6). Nackte, bronzene
Aphrodite. H. 10 cm. Römische Arbeit
des späten 2. Jhdts. n. Chr. Nach einem
Vorbild hellenistischer Zeit voll schlanker
Eleganz und Grazie.
Nr. 135 — 154. Bronzehenkel, meist von
kleineren Kannen.
Nr. 42 — -154 werden jetzt in das Anhalti-
b. a.
Abb. 6. Bronzene Aphrodite (b) und bronzene Athena (a).
Bronzes 1042 pl. 29, das Original des Vor-
bildes ist im Kreise der Köre Albani (Br.-Br.
285) zu suchen. Das Wörlitzer Stück zeigt
die Teile des Gewandes auf der Vorderseite
zwar richtig abgegrenzt, aber noch unver-
standener gebildet als das Londoner. Die
Falten der offenen (linken) Peplosseite sind
in ihrem großartigen Fluß getreu nachge-
bildet. Dies ist zugleich die Hauptschau -
Seite, wie die sorgfältige Arbeit und der
Grundriß erweisen. Die Figur war also
wohl für eine Eckaufstellung gearbeitet,
die nach innen leicht eingebogene Rück-
seite ist dagegen sehr summarisch be-
handelt.
sehe Landesmuseum im Schloß zu Zerbst
überführt und dort aufgestellt").
Dessau. Karl Schulze-Wollgast.
■) Herrn Geheinirat Prof. Dr. Fr. Studniczka und
seinem Institut bin ich zu tiefem Dank verpflichtet.
Durch Abgießen und Photographieren der Nr. 42,
45, 122, 123 wurde die Veröffentlichung in dieser
Form überhaupt erst möglich. Herr Geheimrat
Studniczka gab nicht nur die Deutungen der beiden
Reliefs Nr. 42 und 45, sondern auch sonst wert-
volle und entscheidende Anregungen durch Lite-
raturhinweise.
39
Eine Ansicht des Septizoniums.
40
EINE ANSICHT DES SEPTIZONIUMS.
In der Cappella S. Ugone der Certosa bei
Pavia befindet sich ein sechsteiliges Altar-
werk, das zusammengesetzt ist aus zwei je
zwei Evangelisten enthaltenden Bildern des
Borgognone ') und vier unter sich zusammen-
gehörenden Tafeln, die von Macrino d'Alba
signiert und in das Jahr 1496 datiert sind'),
oberen Teils einnimmt, und einer Madonna
zwischen zwei Heiligen im unteren Teil.
Die Heiligen stehen vor einer niedrigen
Schranke, über die man in eine Landschaft
mit antiken Bauten blickt. Abb. I zeigt in
einer der Staatlichen Bildstelle verdankten
Vergrößerung nach einer kleineren Aufnahme
den Kopf des H. Hugo und den landschaft-
lichen Hintergrund der linken Tafel. Wir
Abb. I. Ausschnitt aus einem Bilde des Macrino d'Alba.
einer Auferstehung, die zwischen den
Evangelisten des Borgognone die Mitte des
■) Thieme-Becker, Borgognone, Bd. IV 359, wo
irrtümlich von vier Tafeln die Rede ist.
2) Magenta, La Certosa di Pavia 267 ff., Abb.
S. 43'; Beltrami, La Certosa di Pavia (1895) 96
u. 159. — Über Macrino d'Alba vgl. Magenta a. a. 0..
Berenson, TTie North-Italian painters of the Renaiss!
252 f-> 'Jgo Flercs, Le C>allerie Nazionali Italiane III
69 ff., L. Ciaccio, Rass. d'Arte VI 1906, 145 ff.
(.S. 150 sind die vier, dem Macrino gehörigen Tafeln
des .Mtarwerkes abgebildet), Jocelyn Ffoulkes-
Maiocchi, Vincenzo Foppa 257.
sehen darin zur Linken, hoch emporragend
und oben durch den Bildrand abgeschnitten,
das Septizonium des Septimius Severus'),
') Ihm entspricht auf der rechten Tafel neben
dem Kopfe des Heiligen eine vom oberen und rechten
Bildrand abgeschnittene Ruine, die sich nicht mit
einem bestimmten Bauwerk identifizieren läßt.
Ch. Huelsen, dem ich für seine freundliche Stellung-
nahme zu den von dem Bilde angeregten Fragen zu
aufrichtigem Dank verpflichtet bin, glaubt, daß
das Bauwerk seinen Ursprung hat von den beiden
obersten Geschossen des Colosseums, die allerdings
frei behandelt und durch die aufgesetzte Inschrift
41
Eine Ansicht des äcptizoniums.
42
zur Rechten, tiefliegend und nur in den
oberen Teilen sichtbar, den westlichen und
mittleren Bogen des Seitenschiffs der Kon-
stantinsbasilika, zwischen ihnen die damals
noch stehende Säule des Mittelschiffs'), hin-
ter ihnen links die Torre dei Conti, rechts
einen zweiten Turm 2). Der Maler hat nicht
einen wirklichen Landschaftszusammenhang
wiedergegeben, sondern zwei einzeln aufge-
nommene Prospekte aneinandergesetzt, die
in dieser Weise nicht zusammengesehen wer-
den konnten; das Septizonium ist von Nord-
osten, die Basilika von Süden aufgenommen.
Beide sind durch den Kopf des Heiligen ge-
trennt; ein innerer Zusammenhang zwischen
beiden Landschaftsstücken ist dadurch ge-
schaffen, daß sich der Hang, auf dem sich
das Septizonium erhebt, auf der rechten
Seite fortsetzt und die unteren Teile der
Basilika verdeckt. Da das Altarwerk aller
Wahrscheinlichkeit nach in der Certosa selbst
ausgeführt ist, hat Macrino d'Alba Skizzen
benutzt, die er früher in Rom gemacht
hatte 3).
Soweit ich feststellen kann, ist das Bild
der Aufmerksamkeit der Forscher, die die
Zeichnungen des Septizoniums gesammelt
habend), bisher entgangen. Wie die meisten
Darstellungen jener Zeit ist es weit davon
entfernt, eine wissenschaftlich korrekte Auf-
nahme des Tatbestandes zu bieten, sondern
ein Gemisch von Wiedergabe des Vorhande-
nen mit freien Rekonstruktionen. In einer
Reihe von Details, z. B. den Löchern in der
CONDITORI VRB zur Ruine eines Romulustempels
(oder einer Casa Romuli?) gestempelt sind.
') Vgl- Jordan-Huelsen, Topographie d. Stadt
Rom III 13, Anm. 24.
2) Es könnte, wie mir Huelsen mitteilt, der Lage
nach die Torre Cesarini-Margani sein, welche noch
heute an der Westseite der Piazza S. Pietro in Vincoli
existiert (zur Geschichte vgl. Adinolfi, Roma nell'
etä di mezzo I 104 ff.), doch sei das bei der wenig
individuellen Darstellung nicht ganz sicher zu sagen.
3) Einen römischen Aufenthalt des Macrino in
der ersten Hälfte der neunziger Jahre erschließt
Fleres a. a. 0. aus den römischen Prospekten des
Bildes in der Certosa und eines ihm zugeschriebenen
Bildes in der Pinacoteca des Conscrvatorenpalastes
(abgebildet bei L. Ciaccio a. a. 0. 146), L. Ciaccio
außerdem aus der von ihr angenommenen Beein-
flussung durch die damals in Rom tätigen um-
brischen Meister.
4) Die Literatur bei Th. Dombart, Das Pala-
tinische Septizonium zu Rom 2 u. 12.
Quaderwand des Untergeschosses und der
Zerstörung des Gebälkes des Mittelgcsehosses
(vgl. den Stich bei Lafreri, Huelsen S. 10,
Fig. 3, den Stich Duperacs, Huelsen S. 30,
Fig. 10, Boll. d'Artc 1909, 255, Fig. I, die
Zeichnung Hecmskercks Boll. d'Arte 1909,
264, Taf. n) scheint der Maler mit ziemlicher
Treue den Erhaltungszustand wiedergegeben
zu haben. Dagegen hat er die durch die
anderen Zeichnungen bezeugten mittelalter-
lichen Einbauten zwischen den Säulen des
Mittelgeschosses fortgelassen, so daß sich
diese frei von dem lichten Himmel abheben.
Hat er in diesem Fall den ursprünglichen
Zustand hergestellt, so hat er in einer ande-
ren Einzelheit falsch ergänzt. Offenbar waren
in derOrthostatenschicht des Mittelgeschosses
an der Seitenfassade, wie es zum Teil auch
an der Front des Flügelbaues der Fall war,
die Steine der Interkolumnien ausgebrochen
(vgl. auch die oben angeführte Zeichnung
Hecmskercks) ; der Maler rekonstruiert aus
diesem Zustande irrig unter den Säulen vor-
gekröpfte Sockel. Unzuverlässig wird auch
die Bildung der Kapitelle sein. Die Unter-
schiede und Übereinstimmungen gegenüber
den schon bekannten Darstellungen im ein-
zelnen zu verzeichnen, verlohnt nicht die
Mühe, da sie für die Rekonstruktion nicht
von Wert sind.
Eine gewisse Bedeutung erhält unser Bild
jedoch dadurch, daß es einen wichtigen Teil
des Baues wiedergibt, der in sämtlichen
anderen Zeichnungen und Stichen fehlt.
Bekanntlich bestehen Widersprüche in bezug
auf die Grundrißgestaltung der Flügel zwi-
schen dem Fragment des antiken Stadt-
plans und den Feststellungen der Renais-
sancezeichner. Daß das Zeugnis des Stadt-
plans bezüglich der Zahl der Säulen gegen-
über jenen als das unzuverlässigere zutück-
treten muß, haben Huelsen •) und nach ihm
Dombart überzeugend dargelegt. Dagegen
ist seit Huelsen und Graf methodisch mit
Recht angenommen worden '), daß der Stadt -
') Vgl. außer 46. Berliner Winckelmannsprogr. 22
i. d. Zeitschrift f. Gesch. d. Arch. V 1911—12, 17.
^) Daß Durm, Baukunst d. Etrusker u. Römer '
472 in seiner Rekonstruktionsskizze zwischen den
seitHchen Säulenpaaren die Rückwand nicht an-
gibt, während er im Text in jeder Beziehung dem
Stadtplan gegenüber den Renaissancezeichnungen
Recht gibt, beruht vielleicht nur auf einem Verschen.
43
Leipziger Antiken I.
44
plan zuverlässig ist, wenn er an den rück-
wärtigen Ecken des Baues einen Mauervor-
sprung angibt, während die Renaissance-
zeichnungen, sofern die Ecke nicht über
haupt fehlt, im Grundriß eine vierte Säule
an der Ecke gezeichnet haben. Der Stadt-
plan kann zwar in Einzelheiten, wie in der
Zahl der Säulen oder in den Proportionen,
ungenau sein, nicht aber ein wichtiges ar-
chitektonisches Motiv frei erfinden. Auch
ästhetisch wird man die Fortsetzung der
eigentlichen Wand, vor der sich die dekora-
tive Architektur aufbaut, bis zu den Flügel-
enden als notwendig empfinden. Als einzi-
ges Zeugnis der neueren Zeit enthält nun
das Bild des Macrino d'Alba in unzwei-
deutiger Klarheit den Ansatz dieses Mauer-
stückes und zwar sowohl im unteren wie im
mittleren Geschoß. Im oberen Geschoß
war es zerstört. Die Ecke selbst ist auch
hier nicht mehr vorhanden, und die Säulen-
architektur der Seitenfront ist genau so weit
erhalten wie auf den Zeichnungen Heems-
kcrcks und eines Anonymus des XVI. Jahrh.
(Boll. d'Arte 1909, 261, Fig. 4 nach Egger).
Huelsen hat mit Recht angenommen, daß
die Künstler, die anstatt eines Mauervor-
sprunges eine Ecksäule gezeichnet haben,
dieses Stück der Ruine nicht gesehen, son-
dern ergänzt haben. Wer den Mauervor-
sprung auch nur soweit erhalten sah, wie
ihn das Bild der Certosa zeigt, konnte nicht
die Fassade der Flügelmauer glatt bis zur
Rückfront verlaufen lassen und an der Ecke
eine Säule ergänzen. Fehlte dagegen das
ganze Stück, so lag eine Ergänzung ganz
in der Gewohnheit der Zeichner und Archi-
tekten. Demnach müssen wir folgern, daß
das Bild der Certosa oder richtiger die ihm
zugrundeliegende Skizze die älteste Dar-
stellung der ganzen Reihe ist, und daß nach
ihrer Herstellung die Ecke des Baues zer-
stört wurde, soweit sie über den Teil des
Baues hinausragte, an dem die Säulenhallen
mit dem Kernbau noch durch die Zwischen-
decken fest verbunden waren. Dieser Sach-
verhalt ist tatsächlich möglich.
Für die Skizzen Macrinos ist das Datum
des vollendeten Bildes, 1496, ein terminus
ante quem; innerhalb des Jahrfünftes von
etwa 1490 bis 1495 lassen sie sich nicht
näher datieren. Von den übrigen Zeich-
nungen des Septizoniums, soweit ihre Auto-
ren überhaupt bekannt sind, braucht nach
den Daten und, soweit ich sehen kann, auch
nach den Lebensumständen der Künstler
keine vor diesem Zeitpunkt entstanden zu
sein. Am geringsten ist die verfügbare Zeit-
spanne bei dem am frühesten (1502) von
allen anderen Darstellern Verstorbenen, dem
Sieneser Maler, Architekten und Festungs-
baumeister Francesco di Giorgio Martini ').
Er ging 1491 von Siena nach Neapel, ist
aber 1493 wieder in Siena gewesen. 1494
kehrt er nach Neapel zurück, wo er am
22. II. 1495 bei der Belagerung Neapels
durch die Franzosen zum erstenmal eine
Pulvermine gelegt haben soll, und im Februar
1497 ist sein Aufenthalt in Siena wieder
urkundlich 2) bezeugt. Aufenthalte in Rom
sind für die Jahre 1491, 1493, 1494 und 1496
möglich. Seine Aufnahme (Huelsen, Sep-
tizonium 7, Fig. i) kann daher sehr wohl
einige Zeit nach der Skizze Macrinos ge-
macht sein.
Berlin.
G. Rodenwaldt.
LEIPZIGER ANTIKEN L
ÄLTERSCHWARZFIGURIGE VASEN AUS CAERE
tJber die Geschichte und das Wachstum
des Antikenmuseums der Universität Leipzig
hat sein Leiter Franz Studniczka in der
Festschrift zum 500 jährigen Jubiläum der
Universität Leipzig 1909, Bd. IV l be-
richtet. In den folgenden Jahren bis zum
Kriegsausbruch ruhte der Ausbau der Samm-
lung nicht, und selbst in den Kriegs- und
Nachkriegsjahren waren vereinzelte Er-
werbungen von Antiken möglich. Den
Hauptbestand an Originalen bilden nach
wie vor die Vasen. Einige Proben davon
ließ Studniczka in der oben erwähnten
Festschrift abbilden. Mehrere Stücke der
Sammlung Hauser, die 1898 vollständig
für die Universität erworben wurde, teilte
der frühere Besitzer im Jahrbuch XI 1896
mit, einige ihrer besten Stücke hatten in
Hartwigs Meisterschalen Aufnahme gefunden.
Letztere, sowie die von Beazley in Zeit-
') Vgl. Schubring bei Thieme-Becker XII 303 ff.
und die dort angeführte Literatur.
') Panlanelli, Di Francesco di Giorgio Martini 140.
45
Leipziger Antiken I.
46
Schriftenaufsätzen und in seinen Attic red-
figured Vasesin American Museums einzelnen
Meistern zugeteilten Leipziger Stücke findet
man am übersichtlichsten im Museumsin-
dex von Hoppin, Handbook of redfig. Vases
unter Leipzig und unter Stuttgart, Hausers
Collection verzeichnet, auch von den unter
»disappeared« aufgeführten Vasen desselben
Verzeichnisses ist Makron Nr. 121 in Leip-
zig. Die schwarzfigurigen Vasen mit Meister-
signaturen findet man sämtlich in Hoppins
Handbook of blackfigured Vases. Einzelnes
ist gelegentlich bekannt gemacht, so im J. H.
S. Xn 1891, 368 Taf. 22/3 (Jones), J. d. I.
XVni 1903, 133 Taf. 9(Nils30n), Jahreshefte
VI 1903, 126 Abb. 75; 140 Abb. 85/6 (Stud-
niczka), PoUak, Zwei Vasen, aus der Werk-
statt Hierons 27, Nachod, Der Rennwagen
bei den Italikern Taf. 2, 28, Pagenstecher,
Calenische Reliefkeramik (8. Ergänzungsheft
zum Jahrb.) Taf. 15 Nr. 113, 20 Nr. 179,
25 Nr. 258 m, von Stern, Prämykenische
Kultur in Südrußland (russisch), Moskau 1907,
Taf. 3, 4u. 9; 4, 411. II, J. d. I. XXVI 191 1,
114 Abb. 42 (Studniczka) u. 261 Abb. 12
(Karo), A. M. XLIII 1918, 83 Abb. 14
(Schweitzer), A. M. XLVI 1921 Taf. VI B,
Beil. Abb. 7. Als Festblatt zur Winkelmanns-
feier des Leipziger Seminars waren 1919
eine Reihe von Scherben mitgeteilt worden,
die in Caere gefunden, von einem altbewäh rten
Gönner dem Antikenmuseum vor 13 Jahren
geschenkt worden sind, und die an verschiedene
Vasen auswärtiger Museen anzupassen ge-
lungen war. Diese Scherben sowie solche,
die an J. H. S. XXXIX 1919 Taf. 2, i und
an A. J. A. 1916 Taf. 4 gehörten, sind in-
zwischen sämtlich auch im Original ihren
Vasen eingefügt. Noch sind nicht alle Scher-
ben aus dieser Schenkung zusammengesetzt.
Da deshalb ein Katalog vorerst verfrüht
wäre, sollen hier mit Genehmigung des Di-
rektors einige Vasen und Scherben, die teils
in der Literatur bereits erwähnt, aber noch
nicht abgebildet sind, teils sonst auf Interesse
auch außerhalb des Rahmens einer Lehr-
sammlung rechnen dürfen, bekannt gegeben
werden. Den Abbildungen von Nr. 4 und
16 liegen Aufnahmen von Ernst Langlotz
zugrunde, deren Platten er dem Leipziger
archäologischen Institut freundlichst über-
lassen hat, die zu Nr. 2, 3, 5-8, 11-15, 1?
wurden von Oberkonservator Fr. Hackebeil
angefertigt.
ALTATTISCHE VASEN
I. (Abb. l) Bruchstück aus fünf Scherben.
Blaßroter Ton, schwarzer Firnis, kirschrote
Deckfarbe, Spuren von geschwundenem
Weiß. Größte Breite: 0,18. Erhalten ist der
untere Teil einer mit kurzem Chiton be-
kleideten nach rechts hin im »Knielauf-
schema« eilenden Flügelgestalt bis kurz über
den Gürtel. Rechter Fuß und linkes Knie
Abb. I. Fragment einer altattischen Amphora (Nr. i).
fehlen, von den Flügeln sind gerade noch in
den beiden oberen Ecken je drei Federn vor-
handen, Füllmuster im Raum.
Die erhaltenen Reste genügen vollauf, um
in der Gestalt die genaue Wiederholung
einer Gorgone von der bekannten Netosani-
phora (Athen, Collignon-Couve 657) zu er-
kennen, mit der unser Fragment auch in
Technik und Erhaltung übereinstimmt, wie
ein Vergleich mit der Aufnahme Alinari
24457 (danach Pfuhl, Mal. u. Zchg Abb. 89)
besser als der mit der Tafel Antike Denkmäler
I 57 lehrt. Außer dem allgemeinen Bewe-
gungsschema stimmen die Proportionen und
die geritzte Innenzeichnung — Kniescheibe,
Wadenmuskel, Knöchel — , der Chitonum-
47
Leipziger Antiicen I.
48
riß mit dem cireistrichigen Saum und der
Gürtel mit den beiderseits über ihn hängen-
den doppelt umrissenen Bäuschen Strich
für Strich üherein. Auch die Füllornamente,
die fünfblättrigen Punktrosetten und die ge-
reihten Z, sind die gleichen. Wir besitzen
also in dem Bruchstück den Rest eines Wer-
kes vom Maler der Netosamphora. Freilich
war es keine Replik, schon weil statt des
nur durch drei dünne Streifen vom Haupt-
bild getrennten Frieses mit hüpfenden
Delphinen hier ein breiter Firnisstreif die
Darstellung unten begrenzt, von dem es
unentschieden bleiben muß, ob er der Rest
eines breiten Bandes ist, oder ob der ganze
untere Teil der Vase schwarz abgedeckt
war. Auch mißt unsere Flügelgestalt nur
4/5 derer auf der Netosamphora, und der
Durchmesser des Gefäßes läßt sich — so-
weit das der geringe Rest des Umfangs er-
laubt — auf etwa 0.35 berechnen, also auf
wenig mehr als die Hälfte der Athener Vase.
Zudem war die Gefäßform sicher verschieden;
während bei der großen Grabvase der größte
Durchmesser in Höhe der Brust der Gor-
gonen liegt, befand er sich an unserem Stück
etwa in der Mitte des rechten Oberschenkels.
Der demnach tiefliegende Schwerpunkt legt
den Gedanken an eine bauchige Amphora
nahe, ähnlich den in Attika gefundenen,
z. B. Athen, Collignon-Couve 652 (B. C. H.
XX n 1898, 283; Weicker, Seelenvogel 153),
Brit. Mus. A 1531 (B. C. H. XXH 1898,
285) Berlin 1683. Solche Gefäße wurden na-
türlich eher exportiert als die großen eigens
als Grabdenkmäler gefertigten Amphoren,
und haben sich denn auch in etruskischen
Gräbern gefunden, z. B. Louvre E 817 bis
819 (Pottier, Vas. du Louvre Tf. 58, Corpus
vas. ant. fasc. I France 31, Louvre III
H. d. pl. I, 4-6 und 10-12).
Stilistisch bietet das Leipziger Fragment
nichts Neues, wohl aber technisch. Gewand
und Beine sind ebenso wie auf dem Athener
Gegenstück in dünnem Firnis mit verstriche-
nem Pinsel aufgetragen, so daß stellenweise
der Tongrund kaum bedeckt ist. Pfuhl,
Malerei und Zeichnung I § 122 erwähnt dies
Verfahren als »teilweise fleckigen« Firnis.
Genaues Betrachten lehrt, daß alle so be-
handelten Teile mit Kirschrot gedeckt waren,
das auf dem Chiton gut, auf den Beinen nur
in schwachen Spuren erhalten ist. Der Fir-
nis dient also, wo er »fleckig« ist, nur zur
Grundierung, hingegen ist er in den Füll-
rosetten, dem unteren Bildabschluß, dem
Chitonsaum, dem Gürtel und den Flügeln
dick aufgetragen, schwarz und glänzend,
i Glänzend freilich nur dort, wo nicht das jetzt
J geschwundene Weiß darüber saß, dessen
Vorhandensein nur die bekannte matte
Oberfläche der einst von ihm bedeckten
Stellen erkennen läßt. Weiß war der Gür-
tel in seiner ganzen Ausdehnung, und weiße
Punkte saßen wechselständig auf den drei
I Reihen des Chitonsaumes. Diese Spuren
j der weißen Farbe veranlaßten eine erneute
Nachprüfung des dritten erhaltenen Werkes
unseres Malers, der Schüssel von Aigina in
; Berlin 1682 (Arch. Ztg. XL 1882 Taf. 9/10,
l Furtwängler, Kl. Sehr. II Taf. 21/22, Perrot
X 75 ff^.) durch stud. phil. E. Kunze, der die
Anwendung von Weiß an denselben Stellen
wie auf dem Leipziger Stücke fand. Furt-
wänglers Angaben (Arch. Ztg. XL 1882,
205, Kl. Sehr. II lOi, Beschreibung Berlin I
220) sind dementsprechend zu berichtigen.
Es mußte darauf besonders hingewiesen
werden, weil die wiederholt mit Bestimmt-
heit ausgesprochene und gedruckte Be-
hauptung vom fehlenden Weiß in den eiser-
nen Bestand unseres Handbuchwissens auf-
genommen worden ist. Noch Pfuhl (Mal. u.
Zchg. I. § 121) hält gegen Graf (Akrop. Vas.
I 40) daran fest. Er leugnet den Zusammen-
hang des aufgesetzten Weiß auf attischen
Vasen des VI. Jahrh. mit der seit dem geo-
metrischen Stil (A. M. XVII 1892, 215,
Akrop. Vas. Nr. 283, 303) das ganze VII. Jhd.
hindurch in Attika üblichen Verwendung
: dieser Deckfarbe. Das neue Aufleben der
Technik sucht er mit Buschor (Gr. Vasenm. -
I 68) durch ionischen Einfluß zu erklären,
I obwohl gerade auf östlichen Vasen des VII.
und beginnenden VI. Jahrhdts. das Deck-
weiß nur eine ganz untergeordnete Rolle
spielt. Diese gesuchte Erklärung wird durch
den Befund auf den altattischen Stücken
in Leipzig und Berlin hinfällig. Von den
beiden Beispielen aus den Akropolisfunden,
die der Art unseres Meisters zum mindesten
nahe stehen, wenn nicht von seiner Hand
: sind, Graf Nr. 390 u. 391, hat das letztge-
nannte auch Spuren von Weiß. Somit ist
49
Leipziger Antiken I.
50
die ununterbrochene Tradition in der atti-
schen Keramik, wie wir sie stilistisch klar
vor uns sehen, auch technisch gesichert.
Auf der Athener Netosvase finden sich,
wie W. von Massow und E. Langlotz nach
erneuter Prüfung versichern, keine Spuren
von Deckweiß.
2. (Abb. 2) Bruchstück aus 7 Scherben von
einem großen Becken. Im oberen Rand Furche
Ihm gegenüber stand ein Löwe, von dem
noch Kopf, Brust, Vorderbeine und die
Hintertatzen vorhanden sind. Im Räume
verstreut sind Punktrosetten, deren einzelne
Punkte (je 8-10) ineinander überlaufen,
so daß ein breiter Kranz mit unregelmäßigen
Konturen entsteht, in den ein Kreuz einge-
zeichnet ist. Unter der Bildzone folgt zwi-
schen je drei Streifen ein Band mit flott
Abb. 2. Altattische Schüssel (Nr. 2).
für den Deckel. Blaßgelber Ton mit leichtem
Stich ins Rötliche. Der Firnis ist oben und in
der linken Hälfte des Stückes hochrot ge-
brannt, in der rechten schwarz, an den Fuß-
strahlen braun, keine Deckfarben. Erhaltene
größte Höhe: 0,24, ursprünglicher oberer
Durchmesser: 0,44.
Oben ist ein kurzes Stück des antiken
Randes erhalten, sonst an allen Seiten Bruch.
Das Innere des Gefäßes ist tongrundig,
der Rand oben gefirnist. Den Hauptbild-
streif nahm ein Fries mit großen Tierdar-
stellungen ein. Erhalten ist von einem nach
links hin ins Knie gesunkenen Stier der ganze
Vorderkörper und die Hufe der Hinterbeine.
gezogenen schrägen Treppenlinien, darunter
Fußstrahlen.
Die Gefäßform und -einteilung, wie auch
die Dekoration des unter dem Hauptbild -
streif gelegenen Teils der Vase stimmen
durchaus mit dem nur um ein weniges klei-
neren sogenannten Skyphos, richtiger
Becken, von Vurva (A. M. XV 1890 Taf. 10,
Athen, Collignon-Couve Nr. 594) überein.
Auch die seltene Form der Füllrosetten —
sie findet sich attisch sonst nur noch auf zwei
Fragmenten von der Akropolis, Graf Nr. 414
u. 550 und der Scherbe aus den Grabungen am
Dipylon Phot. Ath. Inst. Keram. 282 (Bie-
ber, Verzeichnis I Nr. 1808) — kehrt auf ihm
51
Leipziger Antiken I.
52
I
identisch wieder, so daß man unbedenklich
für beide Becken die gleiche Werkstatt an-
nehmen kann. Künstlerisch stehen freilich
die Tierbilder des Leipziger Bruchstücks
entschieden höher als die nüchtern gezeich-
neten Schwäne der Vase aus Vurva. Wie sie
in der saftigen Fülle der Formen mit den
schwellenden Konturen groß gesehen und
flott hingesetzt sind, nehmen sie einen her-
vorragenden Platz in der Tierdarstellung der
älterattischen und der älterschwarzfigurigen
Malerei überhaupt ein. Die Innenzeichnung
ist klar und sicher gezogen, die Vorliebe für
geschwungene Linien, besonders die Volute
im Kopf des Stieres, erinnert an die Ranke
dargestellt, das Hinterteil des Hnken wird
vom Bildrahmen abgeschnitten, vom rechten
sind nur ein Teil des Flügels und des Hinter-
körpers erhalten. Die Deckfedern der Flügel
waren als rote Fläche gegeben; flüchtige
Füllrosetten. Links davon, nur in ihren unte-
ren =/3 erhalten, im Raum schwebende
Schlingmuster. Darunter drei wagerechte
Streifen und ein undeutlicher Rest von der
Füllung der darunterliegenden Zone.
Nach Form und Stil stammt das Frag-
ment von einem Gegenstück des vorher-
gehenden. Da das Bildfeld rechts nicht bis
zum oberen Rand des Gefäßes reichte, muß
darüber der wagerechte Henkel gesessen
Abb. 3. Fragment einer altattischen Schüssel (Nr. 3).
mit Palmette im Löwenkopf der Piräusam-
phora (Athen, Collignon-Couvc 651,' EcpTj[xepls
äpXaioXoTfixrj 1897, Taf. 5/6, Pfuhl, Mal. u.
Zchg. Abb. 88).
3. (Abb. 3) Bruchstück aus zwei Scherben
von einem Becken derselben Form wie das vor-
hergehende. Rötlichgelber Ton, Firnis rot-
braun bis schwarzbraun, Spuren roter Deck-
farbe. Ringsum Bruch. Größte Höhe: 0,14,
größte Breite: 0,29, ursprünghcher Durch-
messer in der Mitte der Scherben: 0,405.
Im Innern läuft ungefähr in der Mitte des
erhaltenen Bruchstücks ein etwa ii/,cm brei-
tes wagerechtes Firnisband über die sonst ton-
grundige Fläche. Außen rechts ein von
einem Firnisstreif eingefaßtes Bildfeld, die
linke senkrechte Begrenzung und die daran
anschließenden Teile der beiden wage-
rechten sind erhalten. In diesem Feld sind
zwei nach rechts gerichtete Wasservögel
haben wie über dem Flächenmuster aus
schwarzen und tongrundigen Dreiecken auf
dem Becken aus Vurva. Den gereihten Vo-
luten auf dessen Rückseite entsprechen hier
die lockeren Schleifen. Sie sind der letzte,
etwas verwahrloste Ausläufer der Schlingen-
muster, die in der frühattischen Ornamentik
eine große Rolle spielen (vgl. Böhlau, Aus
ion. und ital. Nekropolen liof., Johansen,
Vases Sicyoniens 116 f.). Ein unmittel-
barer Vorläufer unseres Stückes ist hierin
die große Amphora in New York (J. H. S.
XXXII 1912, 377), wo die einzelnen Schlei-
fen aus dem unteren Streif aufwachsen und
durch Halbbögen oben verbunden sind; los-
gelöst im Raum schwebend, wie auf unserem
Stück, finden sie sich auf der Rückseite der
Piräusamphora (Collignon-Couve 651, Böh-
lau, Nekropolen iio Abb. 62, 2). Ähn-
lich abgeschnitten wie der linke Vogel ist
53
Leipziger Antiken I.
54
auch der letzte der schreitenden Schwäne
im Fries des Beckens von Vurva.
4. (Abb. 4) Bruchstück einer Baucham-
phora. Blaßrötlicher Ton, schwarzer, an einzel-
nen Stellen rot verbrannter, Firnis, stumpft-
ziegelrote Deckfarbe. Es fehlen ein Henkel
und der untere Teil des Gefäßes. Größte
erhaltene Höhe: 0,265.
Das Innere des Halses, der wagerechte
Mündungsrand, die Lippe nebst dem darun-
terliegenden Teil bis zum oberen Henkelan -
Abb. 4. Altattische Amphora' (Nr. 4).
satz sind gefirnist, ebenso die runden Hen-
kel an ihren Außenseiten und der unter dem
Bildstreif erhaltene Teil des Gefäßes. Zwi-
schen den oberen Ansatzstellen der Henkel
beiderseits je fünf gereihte Rosetten mit
schwarzem Zentrum und rot und schwarzen
Blättern. Darunter je ein großer nach rechts
schreitender Löwe, der eine offenbar männ-
lich, der andere weiblich. Am ersteren (s.
.^bb.) sind Augapfel, Maul, Zunge, Mähne,
je drei Streifen auf Weichen und Hinter-
schenkel, Bauchstreif und Genital rot, bei
dem der Rückseite nur Augapfel, Maul, Zun-
ge und Mähne.
In Qualität der Zeichnung stehen die Lö-
wen der Bauchamphora nicht hinter dem des
Beckens 2 zurück. Die gereihten schwarz
und rot gefärbten Rosetten begegnen schon
auf der Netosamphora, dann aber besonders
auf der Bauchamphora Louvre E 8i7(Pottier,
Vases du Louvre Taf. 58, Corpus Louvre III
H. d. Taf. I, 4 u. 10, Pfuhl, Mal. u. Zchg.
Abb. 93) und den Kannen Brit. Mus. B 32 (Pa-
nofka, Mus. Blacas Taf. 25, Lenormant-De
Witte, filite c^ramogr. III Taf. •]^), Brit. Mus,
B 33, Coli. Morin 3020 (Morin- Jean, Dessin
des animaux 161, Abb. 187), Oxford (J. H. S.
XXIV 1904, 297, Abb. 505). Von den genann-
ten Vasen möge man die Bauchamphora auch
für die Gefäßform, die drei ersten Kannen
wegen der sehr ähnlichen Bildung von Tatzen
und Schweifquaste, die letzte wegen des
starken Zurücktretens des Füllornaments
mit unserer Vase vergleichen. Noch spär-
licher ist das Füllornament auf der Baucham-
phora Louvre E 819 (Pottier Vases du
Louvre Taf. 58, Corpus Louvre III H. d.
Taf. I, 6 u. 12). Freien Bildgrund ohne
raumfüllende Muster haben Akrop. Vas.
474 (Graf. I Taf. 17), 478 (I Taf. 18), 499
(I Taf. 20), 568 (I Taf. 19), ferner der Mün-
chener Dreifuß Buschor, Griech. Vasenm.^ 122,
Abb. 88 und namentlich die Pferdekopf-
amphoren, die ja bereits auf dieser Stilstufe
beginnen (J. d. L XXII 1907, 83 ff., Hackl).
Die vier Stücke sind wichtig nicht nur
für die Kenntnis der attischen Keramik im
Beginn des schwarzfigurigen Stils, sondern
auch durch den Fundort Caere. Sie ver-
mehren das Material, das die Anschauung
j von der geringen Verbreitung attischer
Tonwaren aus der ersten Hälfte des VI.
! Jahrh. außerhalb der engeren Heimat (Pfuhl,
Mal. u. Zchg. I 125) einengt. Neben die
Funde aus Aigina und Naukratis, die Prinz,
I Naukratis 75 ff. aufführt, treten die Kannen
aus Kamiros Louvre A 474, 475 (Salzmann,
Necrop. de Kamiros, Taf. 36, Pottier, Vases
i du Louvre, Taf. 16), aus Nola stammen zwei
' Kannen gleicher Form im Brit. Mus. B 32
(Panofka, Mus. Blacas Taf. 25, Lenormant-
De Witte, Elite ceramogr. III, Taf. 77) u. B33,
eine solche befindet sich im Museum von
j Tarent, zwei weitere nebst einer Pferde-
\ kopfamphora unter den Funden Menga-
; rellis aus Caere im Museum der Villa Giulia,
aus Caere stammen neben unseren vier
i Stücken auch die Vasen aus Sammlung
55
Leipziger Antiken I.
56
Campana im Louvre E 817-8T9 und E
874 (Potticr, Vases du Louvre, Taf. 58, 60
bis 62, Corpus Louvre III H. d. Taf. I),
endlich haben sogar die Grabungen in Mar-
seille ein Beispiel von unserer Stilstufe ge-
liefert (Vasseur, Origine de Marseille [Anna-
les du Musee de Marseille XIII] Taf. 10, 12).
Einer etwas jüngeren Stilstufe als die be-
handelten Vasen gehört das folgende Stück
an:
5. (Abb. 5) Bruchstück aus 10 Scherben.
Von einer Bauchamphora. Oberer Mün-
dungsrand erhalten, sonst überall Bruch. Röt-
Abb. 5. Frühattischschwarzfigurige Bauchamphora
(Nr. 5).
lichbrauner Ton, schwarzer, dünner Firnis,
aufgesetztes mattes Rot. H.: 0,3.
Hals innen und wagerechter Mündungs-
rand schwarz. Außen war das GefäßTmit
Ausnahme der ausgesparten Bildfelder ganz
gefirnißt. Zwei rote Streifen laufen unter
der kantigen Lippe um den Hals, der Rand
des Bildfeldes wird innerhalb und außerhalb
von je einem roten Streifen begrenzt. Im
Bildfeld ein nackter Jüngling, der mit
einem Beipferd nach links reitet. Über der
Kruppe des Pferdes sind noch Schwanz und
ein Flügelbug eines nach links fliegenden
Vogels erhalten. Das Haar des Jünglings
und die Mähne des Pferdes sind rot, aufge-
setztes Rot auch auf Brustwarze und Rippen
des Reiters und auf dem Hinterschenkel
des Pferdes.
Das Stück gehört zu den älteren attisch -
schwarzfigurigen Bauchamphoren mit Bild-
feld, die die Tradition des großfigurigen
Bildes, wie es schon in der Löwenamphora
oben Nr. 4 vorgebildet ist, weiter pflegen.
Neben den Pferdekopfamphoren, die ge-
mäß ihrem sepulkralen Charakter unter den
erhaltenen Grabvasen überwiegen (Pfuhl,
Malerei u. Zchg. I 246), sind auch andere
Darstellungen in großem Maßstab nicht
selten. Unter den Reiterbildern dieser
Gruppe sind die der kolossalen Berliner
Amphora 4823 entschieden älter als unser
Stück, ihm ungefähr gleichzeitig ist eine
vorzüglich erhaltene Amphora im Museum
von Tarquinia (Inventarzettel Bruschi 916,
A: Jüngling auf schreitendem Pferd nach
rechts, raumfüllender Vogel, B: Jüngling
auf galoppierendem Pferd nach rechts,
raumfüllender Vogel), die durch Füllrosetten
und -kreise noch den Anschluß an älteres
erkennen läßt, aber in der Zeichnung von
Pferden und Reitern mit dem Leipziger
Bruchstück die engste Verwandtschaft auf-
weist.
»TYRRHENISCHE» AMPHOREN
6. (Abb. 6, 7) Amphora aus zahlreichen
Bruchstücken, deren Kanten teilweise bei
einer früheren Zusammensetzung beschädigt
sind. Orangeroter Ton, schwarzer Firnis, auf-
gesetztes mattes Rot und (häufig geschwunde-
nes) Weiß. H (mit ergänztem Fuß): 0,5.
Das Innere des Halses ist gefirnißt, oben
zwei rote Streifen. Wagerechter Mündungs-
rand schwarz. Am äußeren Mündungs-
wulst Bogenfries mit Blüten und Knospen
(Blüten mit weißem Mittelblatt, Knospen
rot). Auf dem Hals gegenständiges Lotos-
Palmettengeschlinge (dreispitzige Lotos-
blüten). Die dreigeteilten Henkel außen
schwarz gefirnißt. Unter dem Hals um-
laufender plastischer roter Ring. Daran
ansetzend Stabband mit langen Zungen
als oberer Bildabschluß.
A. (Abb. 6) Amphiaraos' Auszug. Amphi-
araos mit Helm und Beinschienen, den Schild
am 1. Arm, zwei Speere in der r. Hand, be-
steigt ein nach rechts gewandtes Gespann
(es sind nur zwei Pferde gemalt, die jedoch
acht Vorderbeine haben, Hals und Schweif
des vorderen sind rot). Ihn verdeckt groß-
57
Leipziger Antiken I.
58
tenteils der Wagenlenker (roter Helm, weißer
senkrecht gefältelter Chiton, boeotischer
Schild auf dem Rücken). Zwischen Pferden
und Wagen blickt ein nackter Knabe — offen-
bar Alkmaion — mit erhobener r. Hand zum
Vater auf. Hinter dem Wagen steht eine
Frau in schwarzem Mantel (oben ist der
Abb. 6. »Tyrrhenische« Amphora,
Auszug (Nr. 6A).
Amphiaraos'
Kopf nebst Schulter, unten alles von den
Knieen abwärts mit Ausnahme des 1. Fußes
verloren). Ihr folgt eine zweite in schwar-
zem Chiton mit Mittelstreif und rotem Man-
tel mit einem Kind auf den Schultern (der
Frau fehlen Kopf und Rücken, vom Kind sind
nur das eine Bein, das jene mit der 1. hält,
und der untere Teil seines kurzen Chitons
erhalten). Hinter den Pferden kommt von
rechts eine Frau, im Haar weiße Punkt-
reihen, ihr Chiton ist am Oberkörper schwarz
mit weißen Punkten unten rot mit schwarzem
Mittelstreif. Sie entspricht der Leontis
des korinthischen Kraters, nur hält sie in
der ausgestreckten Hand keine Schale. Vor
den Pferden hockt ein mit kurzem roten
Chiton und schwarzem Mantel bekleideter
bärtiger Mann mit einem Stab in der r.
und weißer Binde im Haar. Hinter ihm steht,
einen großen Ring — offenbar das Halsband
— in der erhobenen r. Hand, Eriphyle
(schwarzer Chiton mit Mittelstreif, roter
Mantel, ihr Gesicht ist verloren). Auf sie fol-
gen zwei Krieger. Der erste Helm und Bein-
schienen rot, zwei Speere; auf den Schild
quadratische Felder geritzt, in ihnen flüch-
tige Kreise, der zweite Helm und Bein-
schienen schwarz, auf dem schwarzen Schild
mit rotem Rand eine weiße gezäumte Pfer-
deprotome. Ihnen entsprach auf der linken
Seite ein zur Mitte gewendeter Krieger, nur
die Unterschenkel in Beinschienen und das
untere Ende der zwei Speere erhalten.
B. (Abb. 7) Einführung in den Olymp. In
der Mitte sitzt Zeus nach rechts hin auf einem
Thron mit Schemel, dessen Lehne in 'einen
Schwanenkopf endigt, das Sitzkissen ist
kreuzschraffiert mit weißen Punkten in den
Feldern. Er trägt schwarzen Chiton und roten
Mantel, in der r. Hand das Blitzbündel, die
I. zum Willkomm erhoben gegen Hephaistos,
der von r. herantritt. Dieser ist nackt bis auf
ein rotes Mäntelchen, das über die rechte
Schulter und den 1. Unterarm gelegt ist. Er
trägt im Haar einen Kranz, dessen Blätter
weiß waren, schultert mit der 1. das Doppcl-
beil, u. erhebt die r. grüßend zu Zeus. Er
schreitet vor einem mit zwei Maultieren
(roter Hals, Reihe weißer Punkte am
Zaum, Körper größtenteils verloren) be-
spannten Sitzwagen. In diesem sitzt auf
einem Kissen, das ebenso wie das des Zeus-
throns gemustert ist, eine Frau im schwar-
zen Chiton, die mit der r. den über den Kopf
gelegten in rote und schwarze Bahnen (die
schwarzen mit eingeritzten Sternen) geteilten
Mantel neben die Wange zieht. Neben dem
Gespann schritt Hermes, von ihm sind nur
das Kerykeion, das das Beil des Hephaistos
schneidet, der Hals nebst der Schulter mit
rotem Mantel, endlich die Flügelschuhe
neben den Vorderfüßen der Maultiere er-
59
Leipziger Antiken I.
60
halten. Die Gestalt auf dem Wagen wird
begrüßt von einer ihr entgegenschreitenden
Frau in schwarzem Chiton und Mantel,
letzterer mit geritzten Sternen (Oberkopf
verloren). Hinter dem Gefährt steht Po-
seidon mit dem Dreizack in den Händen
(Chiton schwarz, Mantel rot, vom Kopf
nur der Kinnbart erhalten). Hinter dem
Thron des Zeus stehen zunächst zwei Frauen
mit erhobenen Händen. Die erste trägt
schwarzen Chiton mit Mittelstreif und roten
Mantel (Rücken fehlt), die zweite schwarzen
Chiton und ebensolchen Mantel mit geritzten
breite schwarze Firnisbänder, auf die je ein
roter Streif aufgesetzt ist. In der obersten
tongrundigen Zwischenzone wechselständi -
ges Lotosblüten-Falmettengeschlinge, in der
untersten eine Blüten-Knospenreihe wie an
der Mündung. Von den Fußstrahlen sind
nur einige Spitzen erhalten, der Fuß ist er-
gänzt.
Die Amphora beansprucht unser Interesse
zunächst wegen der Darstellungen. Obgleich
die Inschriften sinnlos sind, ist in der Szene von
A sicher der Auszug des Amphiaraos zu
erkennen. Neben der bekannten Florentiner
Abb. 7. Schulterbild von »tyrrhenischer« Amphora, Einführung in den Olymp (Nr. 6 B).
Sternen, der herabhängende Zipfel ihres
Mantels ist rot (Gesicht und 1. Hand fehlen).
Dann folgen Dionysos in schwarzem Chiton
und Mantel (herabhängender Zipfel rot)
einen großen Kantharos in der r., darauf
wieder eine Frau in rotem Chiton mit Mittel-
streifen, die den schwarzen über den Kopf
gelegten Mantel mit beiden Händen hält.
Auf beiden Bildern waren die Frauen
weiß, ebenso die flüchtigen Andeutungen
von Fabelwesen, die die Felder der Mittel-
streifen auf den Chitonen füllten. Überall
sind im Raum sinnlose Inschriften verteilt.
Unter den Bildern auf den Tongrund ge-
setzter roter Streif zwischen je zwei dünnen
Firnislinien.
Auf dem vmtercn Teil des Gefäßes vier
Darstellung (Thiersch, Tyrrhen. Amph. Taf.3)
fällt die Ökonomie des Bildes auf, das
sich auf die Hauptpersonen beschränkt:
Amphiaraos, Alkmaion und Eriphyle (letztere
fehlt bekanntlich in Florenz) sowie Baton,
Leontis und Halimedes, die, weil in den
archaischen Darstellungen ständig vorhanden ,
eine von uns nicht mehr im einzelnen zu
erklärende Bedeutung in der Sage gehabt
haben müssen. Den schlichten Aufbau des
Ganzen rahmen nur Krieger ein, während
in Florenz die zahlreiche agierende Familie
die Aufmerksamkeit von den eigentlichen
Trägern der Handlung ablenkt.
Zur Darstellung der Rückseite ist mir
keine Parallele bekannt. Eine einwand-
freie Deutung wird ohne eine solche oder
Leipzigfer Antiken 1.
62
ohne Inschriften kaum zu erwarten sein.
Doch erleichtern die Götterattribute uns die
Deutung. Hephaistos führt eine Frau in den
Kreis der olympischen Götter ein, die sie
begrüßen. Sehr einleuchtend hat dies W.
von Massow erklärt: Der Gott stellt die von
ihm erschaffene Pandora vor, die die Götter
aufnehmen, um ihr ihre Gaben zu überreichen.
In Form, Einteilung und Größe nimmt un- ,
sere Amphora eine Sonderstellung innerhalb ■.
der »tyrrhenischen« Amphoren ein. Be-
sonders eigenartig ist das vollkommene ,
F'ehlen von Tierstreifen. Die schwarzen
Bänder verleihen der Vase ein ernstes Ge-
präge, vielleicht sind sie durch Einfluß der
bauchigeren, den »tyrrhenischen« engst ver-
wandten Amphoren, deren untere Hälfte ganz
schwarz gefirnißt ist, zu erklären. (Vgl. Corpus
vas. ant. Louvre III H. d. Taf. 6, Taf. gu. 10.)
7. (Abb. 8) Amphora aus zahlreichen
Bruchstücken. Hals und Henkel fehlen.
Rötlichgelber Ton. Firnis stellenweise
hellbraun bis orangerot. Aufgesetztes mattes
Rot und Weiß. H.: 0,315.
Über den Bildern Stabband, in das die
Figuren teilweise hineinragen.
A. (Abb. 8) Ein nackter Krieger mit korin-
thischem Helm besteigt, den Schild am 1. Arm,
einen Speer in der r., nach r. hin ein Gespann
(r. Unterschenkel und Rücken verloren).
Auf dem Wagen steht der bärtige Lenker
(auf dem Kopf Fetasos mit hinten aufge-
schlagener Krempe, das Gesicht verloren) in
langem schwarzen Chiton mit Rosetten
(rote Scheibe von weißen Funkten umge-
ben) und geritzten Kreisen am unteren Saum,
das Schwert links am roten Wehrgehenk.
Von den vier Pferden hat das vorderste '
roten Hals und aufgesetztes Rot auf Brust, 1
Weichen und Hinterschenkeln, das vordere |
Jochpferd ist weiß mit rotem Schweif. Von
den Hinterschenkeln der Pferde teilweise ver-
deckt, schreitet nach rechts eine Frau in rotem
Chiton mit Mittelstreif, auf dessen Feldern
weiße Fabeltiere flüchtig angedeutet sind,
und dessen Saum unten und auf den Schultern
ein geritztes Wellenband trägt. Sie dreht
sich nach dem Wagenlenker um und erhob
zu ihm die Rechte (nur der r. Ellenbogen er-
halten, das Gesicht verloren). Vor dem Ge-
spann hockt auf dem Boden nach links hin
ein Mann. Sein Haar (darin geritzte Binde)
und Bart scheinen weiß gewesen zu sein.
Er trägt weißen Chiton und schwarzen
Mantel, auf diesem Rosetten gleich denen
auf dem Chiton des Wagenlenkers. Die Man-
telzipfel sind in Zickzackfalten angegeben.
Die linke Hand hat er ausgestreckt, die r.,
offenbar wehklagend, zum Kopf erhoben
Hinter ihm schreiten zwei Krieger nach
links. Der Helm des ersten ist rot mit
schwarzem Busch, ""der des zweiten schwarz
mit rotem' Busch, die Beinschienen bei beiden
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Abb. 8. »Tyrrhenische« Amphora, Amphiaraos'
Auszug (Nr. 7).
rot, beide Schilde schwarz mit weißen Punk-
ten auf dem Rand und weiß aufgemaltem
Schildzeichen (beim ersten Dreifuß, beim
zweiten Stierkopf von vorn). Beide tragen
einen Speer, sinnlose Inschriften im Raum.
B. ObscoenerTanz von vier ithyphallischen
Silenen und drei Nymphen. Die Silene sind
menschenfüßig, haben groteske Gesichter,
gesträubtes Stirnhaar, verhältnismäßig kleine
Pferdeohren und mächtige Mähnen im
Nacken. Zwei von ihnen haben rote Ober-
körper. Von den Nymphen ist die linke
nackt, die rechte trägt einen schwarzen
Chiton, die in der Mitte einen Chiton, dessen
63
Leipziger Antiken I.
64
I
Oberteil rot, dessen Unterteil schwarz ist,
darauf aus vier gekreuzten Strichen be-
stehende geritzte Sterne. In der gesenkten
1. trägt diese ein Schmuckstück, das aus
einem Reif mit Verdickungen besteht.
Unter den Bildern streng symmetrischer
Tierstreif. Unter der Mitte von A zwei ge-
geneinander sitzende Sphingen mit umge-
wandten Köpfen (Flügeldecken rot, weißer
Flügelstreif, rot auf den Hinterschenkeln).
Es folgen zwei gegen sie schreitende Panther
mit roten Hälsen und geritzten Kreisen auf
den Körpern. Dann jederseits von diesen
fortschreitende Panther mit rotem Hals und
aufgesetztem Rot auf Weichen und Hinter-
schenkeln, endlich zwei zueinander gekehrte
weidende Steinböcke mit aufgesetztem Rot
wie bei den zuletzt genannten Panthern.
Darunter weitgestellte Fußstrahlen.
Der echinusförmige Fuß ist schwarz mit
zwei roten Ringen.
Die Darstellung auf A kann sehr wohl
Kriegers Auszug ohne bestimmte mytho-
logische Beziehung bedeuten. Aber mahnt
schon die sich zum Wagenlenker wendende
Frau an die Leontis des Korinthischen Kra-
ters, so legt besonders der am Boden hockende
unheilahnende Greis den Gedanken an einen
besonderen Auszug nahe, eben an den des
Amphiaraos. Freilich, fehlen zwei Haupt-
personen: Alkmaion und Eriphyle. Letztere
vermissen wir auch auf der ausführlichen
Schilderung der Florentiner Amphora
(Thiersch Nr. 54, Taf. 3). Auszüge aus
größeren mythologischen Darstellungen sind
aber gerade in unserer Gattung nicht uner-
hört (Pottier, Catalogue H 569 f.), und man
wird der Annahme einer abgekürzten Dar-
stellung von Amphiaraos' Auszug vor der
einer sinnlosen »bildlichen Tradition« den
Vorzug geben. Fast scheint es, dem Maler
habe bei dem Schmuckstück, das er der
einen Nymphe auf B in die Hand gab,
noch der Halsschmuck der Eriphyle vorge-
schwebt.
Die Amphora gehört zu der von Thiersch
(S. 141) von den »thyrrhenischen« im enge-
ren Sinne getrennten Sondergattung. Zu
den dort zusammengestellten drei Stücken
Louvre E 855-857 (Jetzt Corpus vas.
ant. LouvreHIH. d. Taf. 5; 1,4,8,9, 12, 16,
Taf. 8; I, 2) kommt noch eine unveröffent-
lichte Amphora des Ashmolean Museums in
Oxford (A: Amazonen kamf, B: Reiter),
aus der gleichen Fundgruppe wie unsere
stammend. Es ist wohl möglich, daß aus
einer Vermengung beider Stücke miteinander
die Notiz Loeschckes bei Thiersch, Tyrrhen.
Amph. 68 Nr. 72 entstanden ist.
Alle fünf Stücke gehören nicht nur in der
gegenüber den eigentlichen «tyrrhenischen«
plumpen Form zusammen, stimmen nicht
nur in der Einteilung des Gefäßes überein,
indem der Hauptbildstreif weit über den
unteren Henkelansatz heruntergezogen ist
und der einzige Tierstreif den gesamten
Raum zwischen dem Hauptbildstreif und
den Fußstrahlen einnimmt, sondern sie
lassen auch deutlich die Hand eines Malers
erkennen.
Freilich darf man seinen Stil nicht aus der
Großaufnahme des Corpus vas. ant. Louvre
HI H. d. Taf. 8, i erkennen wollen. Pottier
hält es nicht für nötig mitzuteilen, daß ge-
rade der dort abgebildete Teil der Amphora
Louvre E 857 durch moderne Überarbei-
tungen entstellt ist. Übermalungen gibt
er im Text wie auch Vases du Louvre H
79 nur für die Rückseite an. Der fade Kopf,
der in den 1. Flügel der enthaupteten Medusa
eingeritzt ist, und der auch im Text des
Corpus wieder als der des Chrysaor aus-
gegeben wird, wird doch jedenfalls einem
Restaurator des Marchese Campana ver-
dankt (so schon Dumont in Mon. grecs
1878, 22). Ein leider in dieser Publikation
nicht allein stehender Fall, minderwertige
Kunst des XIX. Jahrh. als antik zu ver-
öffentlichen (Vgl. J. D. B[eazley] in J. H. S.
XLIII 1923, 199). Täuscht die Photographie
nicht, so sitzt der Kopf dazu noch über der
Übermalung eines vom Henkel wagerecht
nach rechts verlaufenden Bruchs. Einen
weiteren vom Henkel senkrecht abwärts
laufenden, ebenfalls übermalten Bruch
glaubt man unter dem seltsamen Stern auf
dem Chiton der Medusa zu erkennen, auch
der seltsame , an eine Badehose gemahnende
untere Abschluß des Chitons könnte auf
diese Überarbeitung zurückgeführt werden.
Ferner bedürfen die technischen Angaben
zu diesem Stück des Louvre entschieden
einer Berichtigung. Pottier gibt Vases du
Louvre II 79 kein aufgesetztes Weiß an,
65
Leipziger Antiken I.
66
im Text des Corpus versichert er, daß keines
vorhanden sei. Auf der Photographie Corpus
Taf. 8, 2 erkennt man deutlich die Umrisse
der Fabeltiere, die in jetzt geschwundenem
Weiß in den Feldern des Mittelstreifens im
Chiton der laufenden Gorgo sitzen, ferner
scheint auch weiß der Wellensaum dieses
Chitons gewesen zu sein, und auch Gesicht
Arme und Beine der Gorgo zeigen Spuren
einer Deckfarbe.
8. (Abb. 9, 10) Amphora, intakt erhalten,
außer einem Loch im Bildfeld B. Orangeroter
Ton, schwarzer Firnis, aufgesetztes Kirschrot
und Weiß. H. : 0,4.
I fen auf dem schwarzen Saum, am Unter-
' körper schwarz mit geritzten Kreuzen und
] geritztem Wellensaum). Der Kentaur knickt
in den Vorderbeinen ein, und bhckt mit angst-
voll erhobenem r. Arm um nach Herakles,
: der ihn ereilt hat. Herakles trägt über
dem kurzen weißen Chiton mit geritztem
Wellenband auf dem schwarzen Saum das
, gegürtete Löwenfell (Hals rot, Zähne und
I Krallen weiß). Er schreitet mächtig nach
i rechts aus, hat die 1. auf den Pferdeleib sei-
nes Gegners gestemmt und schwingt in der
r. das für die kleinen Scheide übermächtig
große Schwert (Griff weiß mit schwarzen
Abb. 9. Schulterbild von »tyrrhenischer« .\mphora, Herakles und Nessos (Nr. 8A).
Hals innen in der oberen Hälfte gefirnist
mit einem roten Streifen. Wagerechter
Mündungsrand schwarz mit je einem roten
Streifen an den Kanten. Der äußere Mün-
dungswulst und die runden Henkel schwarz.
Auf dem Hals wechselständiges Lotus -
blüten-Palmettengeschlinge (dreispitzige Lo-
tosblüten). Über den Bildern Stabband,
in das die Köpfe der Figuren teilweise hin-
einragen.
A. (Abb. 9) Herakles und Nessos. In der
Mitte Nessos (Hals und Brust rot, aufgesetztes
Rot auf dem Hinterschenkel) nach rechts-
hin. Er trägt im 1. Arm Deianeira, die mit
erhobenen Armen nach links gewendet ist
(Peplos am Oberkörper rot mit weißen Tup-
Archäologischer Anzeiger 1923/24
Nägeln). Rechts von dieser Gruppe steht, ihr
zugewandt, Hermes in Petasos, rotem Mantel
und weißem Chiton mit schwarzem Saum
(auf diesem geritzte Striche). Beiderseits
je zwei Frauen, zur Mitte gewandt mit er-
hobenen Händen. Sie tragen abwechselnd
roten Mantel mit schwarzem Chiton und
schwarzen Mantel mit rotem Chiton. Drei
Chitone haben Mittelstreifen mit weißen
Fabeltieren in den Feldern, einer ist ein-
farbig, nur mit geritztem Wellensaum. Alle
fünf Frauen, einschließlich Deianeira, tra-
gen Kränze im Haar (rote Streifen mit
weißen Punkten beiderseits), geritzte wellen-
förmige Halsbänder und eine lange dünne
Haarsträhne vor dem Ohr. Unter den Hen-
67
Leipziger Antiken 1.
68
kein hervor galoppiert beiderseits je ein
Kentaur zur Mitte, bei beiden ist der Bauch,
beim linken auch Bart und Haar rot. Sie
schwingen jeder einen weißen Stein.
B."'(Abb. lO) Wettlauf. Sieben Männer, da-
von'dcrfünfte und der siebente unbärtig, eilen
nach rechts zu einer Zielsäule. Der erste ist gro-
Abb. lo. »Tyrrhenische« Amphora, Wettläufer
(Nr. 8 B).
ßenteils durch das oben erwähnte Loch ver-
loren. Der erste, dritte und sechste haben
roten Bart und Haar, der zweite und fünfte
roten Bauch, der vierte rote Brust, der sie-
bente roten Rumpf. Die Zielsäule hat ein
flüchtig angedeutetes Kapitell, darauf ein
großer weißer Fleck ganz wie die Steine der
Kentauren.
Auf beiden Bildern sinnlose Inschriften.
Unter den Bildern Punktband, dann weit-
gezogenes wechselständiges Lotosblumen -
Palmettengeschlinge. Darunter zwei symme-
trische Tierstreifen. Im oberen Bildstreif
unter der Mitte von A ein Reh nach rechts
zwischen zwei ihm zugekehrten Panthern,
unter den Henkeln je ein nach dieser Gruppe
gewandter Stier, unter B zwei von einander
abgekehrte Steinböcke, denen je ein Panther
gegenübersteht.
Im zweiten Bildstreif: Unter A ein Widder
nach rechts, vor ihm ein Löwe, hinter ihm
ein Panther, beide ihm zugekehrt, unter
B ein Panther nach links und ein Löwe nach
rechts, denen je ein Eber gegenübersteht.
Alle Tiere haben rote Hälse und aufge-
setztes Rot auf Brust und Hinterschenkeln,
einige auch auf den Weichen. Das Reh unter
A ist durch weißen Bauchstreif und weiße
Punkte auf der Kruppe ausgezeichnet.
Unter den Tierstreifen Fußstrahlen.
Schwarzer echinusförmiger Fuß.
Das Hauptbild ist streng symmetrisch
angelegt. Dem Streben nach Symmetrie sind
auch die beiden Kentauren unter den Hen-
keln zuzuschreiben. Sie stellen eine gedan-
kenlose, wohl durch den Typus des Fabel-
wesens zu erklärende, Kontamination der
Bestrafung des Nessos mit dem Abenteuer
auf der Pholoe dar. Eine Kontamination,
die sich auch auf einigen anderen Vasen der
Gattung, so in München (Jahn 126, Thiersch,
Tyrrh. Amph. Nr. 52, Baur, Centaurs Nr. 36),
Dresden (Thiersch Nr. 25, Baur Nr. 32) und
im Vatikan (Thiersch Nr. 28, Baur Nr. 33)
findet, ohne dort durch Rücksicht auf die
Komposition entschuldigt zu sein.
Unter der Fülle der tyrrhenischen Ampho-
ren geht besonders eine mit unserer eng zu-
sammen: Karlsruhe Winnefeld Nr. 200
(Thiersch Nr. 58, Taf. 6. Eine Photographie
verdanke ich Gabriel Welter). Sieistin Form,
Einteilung und Größe ein genaues Gegen-
stück der Leipziger. Auch an ihr ist das
Hauptbild streng symmetrisch angeordnet,
auch in den Wettkampfbildern der Rück-
seite die Zielsäule angegeben. Vor allem
fällt das gleichartige Ornament auf, sogar
eine Einzelheit wie die weißen Punkte auf
den Bändern, die die Blätter der Lotos-
blumen und Palmetten begrenzen, kehren
wieder. Beide Vasen sind ungebrochen.
Da die Leipziger Nessosvase in einer tomba
\
69
Leipziger Antiken I.
70
vergine auf der Banditaccia bei Cervetri
gefunden ist, dasselbe Grab aber ein Gegen-
stück enthielt, das nach Helbigs Beschrei-
bung (Bull. d. Inst. 1881, 163, Nr. 14 u. 15,
vgl. auch Not. scav. 1881, 167, J. H. S. XIV
1894, 214) genau der Karlsruher Amphora
entspricht, dürfen wir die Herkunftsangabe
Orvieto in Winnefelds Katalog wohl unbe-
denkhch in Caere ändern.
Ein drittes, sicheres Werk derselben Hand
ist die Amphora im Haag, Mus. Meermanno-
Westrenianum, Thiersch Nr. 48, Phot. Münch.
Seminar B. 590.
Raum Füllrosetten, die beiden größten haben
weißen, von breitem roten Band umgebenen
Mittelpunkt. Rechts Teil des schwarz ge-
deckten Abschnitts unter den Henkeln er-
halten. Unter dem Bildfeld breites schwarzes
Band, darauf zwei breitere, oben von je
einem sehr schmalen weißen Strich beglei-
tete rote Streifen. Im Tierfries darunter
weidender Bock nach links (Hals, Bauch -
streif und Rippen rot), von dem Kopf, Beine
und Hinterschenkel verloren sind, vor ihm
ist das Ohr eines Panthers erhalten.
Nach der Wölbung des Bauches und dem
Abb. II. Scherbe von korinthischem Kraler (Nr. 9).
KORINTHISCHE KR.^TERE
9. (Abb. II) Bruchstück eines Kraters.
Oben Rand erhalten, sonst ringsum Bruch.
Bräunlichgelber Ton, schwarzbrauner Firnis,
aufgesetztes Kirschrot und Weiß, reichliche
Ritzung. Erhaltene Höhe: 0,185, ur-
sprünglicher Durchmesser: 0,42.
Innen: Gefirnißt, in dem kurzen Hals
zwei rote Streifen, auf dem wagerechten
Mündungsrand nach außen gerichtete Strah-
len.
Außen: Lippe und Hals schwarz. Im Bild-
feld zwei Hähne nach rechts, vom rechten,
pickenden, ist der Kopf verloren (Kamm,
Kinnlappen, Flügeldecke und einzelne
Schwungfedern, beim linken auch Tupfen
auf dem Flügelstreif rot), vor ihnen kleine
Henne nach links (Flügeldecke rot). Im
erhaltenen Rand gehört die Scherbe zweifel-
los zu einem der üblichen korinthischen Kra-
tere (vaso a colonette). Und zwar zu der
engeren Gruppe derer, die auf das Stabband
über dem Schulterbild verzichten. Gerade
unter ihnen sind großfigurige Tierbilder nicht
selten, mitunter ist der zweite Tierfries durch
eine schwarze Zone ersetzt. Als Beispiele
seien angeführt: Louvre E 565 (Pottier,
Vases du Louvre Taf. 42), Louvre E 620
(Pottier Taf. 44, Perrot IX 597 Abb. 305),
Vatikan (Heibig, Führers Nr. 452, Phot.
Alinari 35749. Albizzati, Vasi del Vaticano
Nr. 88, S. 35, Taf. 10) und der Krater aus Ko-
rinth ÄJA 1898, 196 Taf. 6/7 (Perrot IX 627
Abb. 343). Allen gemeinsam ist das Abdecken
der Henkelabschnitte, das Strahlenmuster
auf der Lippe, die Füllrosetten, die reichliche
3*
71
Leipziger Antiken I.
72
Ritzung und das spärlich verwendete Weiß.
Große Hähne finden sich auf korinthischen
Krateren unter den Henkeln von Louvre E
629 (Pottier, Taf. 46) und auf der Rückseite
des Kraters bei E. A. Gardner, Naukratis H
Taf. 10 (Perrot IX 392, Abb. 193).
10. (Abb. 12) Bruchstück aus zwölf Scher-
ben (eine dreizehnte, nicht abgebildete, paßt
nicht an). Gelber Ton, außen warmorangefar-
bener Überzug, innen gefirnißt. Schwarzer
?"irnis, aufgesetztes Weiß (ohne Untermalung)
und Kirschrot (mit Firnis untermalt), spar-
Flügelstreif, Schwungfedern rot und schwarz).
Zwischen den Henkeln große weiße Sirene
nach links mit ausgebreiteten schwarzen
Flügeln (roter Flügelstreif, schwarze und
rote Schwungfedern), neben ihr schwarze
Füllrosette. Unter dem Bildfeld ein roter,
ein weißer, ein tongrundiger, ein weißer,
ein roter Streif. Im Tierfries darunter
Schulter, Teil des roten Halses und Hörner
eines nach links weidenden Bockes, vor ihm
die Ohren eines Panthers. Auf der nicht
abgebildeten Scherbe befindet sich die Si-
.«Kfab. 12. Bruchstücke eines korinthisclicn Kraters (Nr. 10).
same Ritzung. Größte erhaltene Höhe: 0,165,
ursprünglicher Durchmesser: 0,42.
Oben ist das Stabband erhalten, zwischen
die roten und schwarzen Zungen ist je eine
weiße eingeschoben. Im Bildfeld schreiten
vier Männer (Gesicht und Hals rot) im Chi-
ton (abwechselnd weiß und tongrundig)
und roten Mantel, je eine Lanze in der r.
Hand nach links. Links am Bruch das obere,
nach rechts gekrümmte Ende eines uner-
klärbaren Gegenstands, im Umriß gezeichnet
mit schwarzen Punkten. Zwischen den
Männern reitet, ebenfalls nach links, ein
Jüngling im roten Wams, eine Lanze in der
r., auf weißem Pferd mit schwarzem Beipferd
(roter Hals). Unter dem Henkelansatz rechts
steht ein Vogel mit erhobenen Flügeln nach
links (rote Tupfen auf dem Hals, roter
rene, die den Raum unter dem anderen Hen-
kel füllte. Sie ist eine genaue Wiederholung
ihres Gegenstückes, ihr Kopf fehlt.
Das Stück stammt ebenfalls von einem
Kolonettkrater. Es ist ausgezeichnet durch
die vorzügliche Erhaltung der Oberfläche,
und namentlich geeignet, von dem ursprüng-
lichen farbigen Eindruck ein gutes Bild zu
geben. Durch eine wohlabgewogene Vertei -
lung der Farben ist bei aller Buntheit des Gan -
zen eine ruhige, vornehme Wirkung erzielt.
So hat das Bestreben die größeren weißen
Flächen nicht überhand nehmen zu lassen
den Maler veranlaßt, den Chiton der beiden
dem Schimmel zunächst stehenden Männer
nur im Umriß auf der rötlichen Farbe des
Überzugs zu geben. Klar und sicher wie die
Verteilung ist auch der gleichmäßige Auf-
73
Leipziger Antiken I.
74
trag der Farben und der bestimmte, flüssige
Zug von Umrissen und Innenzeichnung.
Dem Kopf unserer Sirene entsprechen am
nächsten die Frauenköpfe auf dem Bruch-
stück aus Cumae Mon. Line. XXII 475 Abb.
179-
II. (Abb. 13) Drei Scherben eines Kraters,
die nicht aneinander passen. Ton hellrosa,
außen orangeroter Überzug, innen gefirnißt,
guter braunschwarzer Firnis (innen teilweise
schenke! an fehlen, geritztes Haarband)
an den Kopf, neben ihrem zurückgeschwunge-
nen r. Arm wird der Arm eines dritten Mannes
sichtbar.
B. Hals, Brust und zurückgeschwungener
r. Arm einer nach rechts tanzenden nackten
F^rau. Ihr Ellenbogen berührt den Ansatz
des gebrochenen Henkels, unter diesem
steht ein Trinkgefäß (rot, Fuß und die mit
flüchtigen S-Linien geritzte Lippe schwarz).
A^OäXaS
Abb. 13. Korinthische Scherben (Nr. 11), i : 1,8.
rot verbrannt), aufgesetztes Kirschrot (mit
F'irnis untermalt) und Weiß (ohne Unter-
malung), sparsame Ritzung. Ursprünglicher
Durchmesser etwa : 0,26.
A. Oben Stabband aus schwarzen und
roten Zungen. Links zwei auseinanderge-
kehrte bartlose Tänzer in rotem Wams,
dessen Bausch vorn über den Gürtel über-
hängt, mit geritzten Haarbinden. Vom linken
ist nur Rumpf, rechter Arm und der Ansatz
beider Oberschenkel erhalten. Den nach
rechts gewendeten, bis auf die Unterschenkel
ganz erhaltenen faßt eine von rechts nahende
nackte Frau (Beine von Mitte der Ober-
I Zwischen den Henkeln saß ein Vogel mit
! zurückgebogenem Kopf, von dem der rot-
I getupfte Hals und der Flügelbug erhalten
j sind.
C. Stammt offenbar von der Rückseite
desselben Gefäßes, rechts oben ist der Hen-
! kelansatz erhalten, darunter ein Vogel nach
rechts mit umgewandtem Kopf (Beine ver-
I loren, rote Tupfen auf dem Hals, roter
j Flügelbug). Links davon Teil einer Kline
] (die Decke darüber hat roten Saum und
! Fransen) mit weißem Speisetisch, auf ihm
teilweise weiße Speisen, davor weiße Fuß-
bank. Darunter roter Streif. Vom Tier-
75
Leipziger Antiken I.
76
streif unter diesem ist nur die Schulter eines
nach links hin weidenden Wiederkäuers
erhalten.
Die Scherben stammen, das beweist schon
der Henkelansatz, sicher von einem Kolo-
nettkrater. Sie stehen dem auch in der Dar-
stellung und den Maßen übereinstimmenden
Krater des Dresdener Museums (Fränkel,
Satyr- und Bakchennamen, Taf. l) nahe,
dessen Beischriften, da sie mit chalkidischen
Silens- und Nyphennamen übereinstimmen,
uns belehren, daß wir es auch wohl bei den
Tänzern auf unseren Scherben mit diony-
sischen Daemonen zu tun haben. Ohne diese
Parallele würde man, namentlich da auf der
gebene Scheiben. Der plastische Ring
zwischen Hals und Schulter ist rot. Auf
der Schulter Stabband aus abwechselnd roten
und schwarzen Zungen, die von weißen Bän-
dern eingefaßt sind.
A. (Abb. 14) Auf dem größten erhaltenen
Scherben der Hauptseite sind die Reste eines
nach rechts galoppierenden Viergespanns. Das
vorderste Pferd (9P>OYPSOM 9pou7rioc
linksläufig) weiß mit roter Mähne, auf
seinem schwarzen Brustband weiße Punkte.
Auf seiner Kruppe steht . . . / AAM (. .tSif),
wohl das Ende vom Namen eines Kämpfers,
wahrscheinlich Aä8a?. Das vordere Deich-
selpferd, dessen Hals über dem Rücken des
Abb. 14. Von korinthischem Krater (Nr. 12 A), 1:2.
Rückseite ein Symposion dargestellt ge-
wesen zu sein scheint, eher an einen
Komos von Menschen denken. Zur Frage
des Namens dieser Tänzer vgl. Frickenhaus,
J. d. I. XXXH 1917, 4 Anm. 4.
12. (Abb. 14, 15) 17 Bruchstücke eines
Kraters in die gesicherte Ergänzung des Gan-
zen eingefügt. Ton gelblich weiß, Firnis
schwarz, aufgesetztes Kirschrot (auf Unterma-
lung), und Weiß (ohneUntermalung), rötlicher
Überzug. H. (mit ergänztem Fuß): 0,435.
Das Gefäß ist innen gefirnißt, im Hals
drei rote Bänder. Die geschweiften Henkel-
platten sind oben gefirnißt, an den Stirn-
seiten rot auf Tongrund. Auf der tongrundi-
gen Lippe Mäander im Umriß mit weißer
Füllung. Auf dem schwarzen Hals jeder-
seits sechs rote, von weißen Punkten um-
9pou7rto? sichtbar wird, ist schwarz mit
weißer Mähne, das zweite, von dem nur die
Vorderbeine erhalten sind, war weiß, der
zweite asipa^opof schwarz. Von den
Pferden sind auf einer anderen Scherbe noch
die Hinterhufe erhalten, und, auf einer mit
dieser zusammenhängenden, Reste eines Ge-
fallenen, der unter den Pferden lag. Ferner
ist an den erhaltenen Henkel anschließend
ein weißer Helmbusch und eine erhobene
rechte Hand, die die Lanze schwingt, erhal-
ten. Sie schneiden tief in das obere Orna-
mentband ein, können also nur dem Epi-
baten eines Gespanns angehören. Durch sie
wird die Lage unserer Hauptscherbe im Ge-
fäß bestimmt. Auf dieser selbst erkennen
wir noch über den Pferderücken Kopf und
Schulter eines nach links kämpfenden
71
Leipziger Antiken I.
78
Kriegers, er trägt roten Helm mit weißem
Busch und roten Schild, neben ihm steht
AAiPYrOM (AaiÄoXo? linksläufig). Er
schwingt die Lanze gegen einen Gegner, von
dem nur der Rest eines weißen Helmbusches
erhalten ist. Vor den Pferden sinkt ein
nackter Krieger, dem wieder der Namen
AAiPYrOM beigeschrieben ist, nach links
zurück. Von seinem Gegner ist allein der
weiße Schild mit einem schwarzen Stierkopf
in Vorderansicht, und schwarzem Rand,
darauf weiße Punkte, erhalten.
B. (.Abb. 15) Drei Reiterpaare, Hoplit links
Abb. 15. Korinthischer Krater (Nr. 12 B).
Knappe rechts, reiten nach links. Beim ersten
und dritten Paar ist das Pferd des Hopliten
weiß, das des Knappen schwarz, der Helm
des Hopliten rot mit schwarzem Busch, sein
Schild rot mit schwarzem Rand und Mittel-
punkt. Beim Mittelpaar ist das Hopliten-
pferd schwarz mit aufgesetztem Rot auf dem
Hinterschenkel, das des Knappen weiß,
der Helm des Hopliten rot mit rotem Busch,
sein Schild weiß mit laufendem Rad aus
roten und schwarzen Sicheln und schwarzem
Rand. Alle Pferdemähnen sind rot. Hinter
jedem Reiterpaar nach links fliegender schwar-
zer Vogel (rote Tupfen auf dem Leib, roter
Flügelstreif). Unter dem einen erhaltenen
Henkel steht eine weiße Sirene nach rechts.
Nur ihr Hinterleib und Reste eines schwar-
zen Flügels mit rotem Flügelstreif sind er-
halten.
Unter den Bildern zwei rote Streifen.
Es folgt ein Netzband. Auf den Kreuzungs-
stellen der schwarzen Linien sitzen in der
obersten und der dritten Reihe schwarze,
in der Mittelreihe rote Punkte, in den Fel-
dern weiße Punkte, darunter ein breites
schwarzes Band mit drei roten Streifen, dann
Fußstrahlen. Der Fuß ist in Gips ergänzt.
Auffällig ist die Form. Ein breiter hoher
Hals, schmale Schulter, nach unten stark
sich verjüngender Bauch. Diese hat eine
kleine Gruppe korinthischer Kratere, die
wohl mit zu den jüngsten gehören, mit unse-
rer Vase gemein. Es sind dies Louvre E
621 u. E 622 (Pottier, Vases du Louvre
Taf. 44), Brit. Mus. B 37 (Walters, Hist.
Anc. Pott. I Taf. 21, 2), Dresden (Fränkel,
Satyr- u. Bakchenn. Taf. i), Madrid (Le-
roux Nr. 22, Taf. 2). Diese Form ist in der
chalkidischen Keramik (Würzburg 147 u.
315, Furtwängler-Reichold Taf. 101/2, Brit.
Mus. B 15, Brüssel, Mus. du cinqu. A. 135)
wie in der lakonischen (vgl. zuletzt Mingazzini
imBolletinod'arte2.ser. nii924,496ff. u. 508,
3) üblich, in der attischen (mir ist nur ein
spätschwarzfiguriges Exemplar im Auktions-
katalog Weitzinger, München Nr. V 1918,
Taf. 51, Nr. 1515 und ein streng rotfiguriges
im Museum von Girgenti bekannt) und in der
korinthischen eine Ausnahmeerscheinung.
Die sechs korinthischen Kratere dieser Form
stehen auch stilistisch einander nahe, sie
stammen sicher aus einer Werkstatt, ob
auch von derselben Hand, das zu beurteilen
erlauben die kleinen Abbildungen nicht.
Von Vasen anderer Form schließen sich
die Halsamphora Louvre E 640 (Pottier
Taf. 50, Phot. Alinari 23702), die Hydria E
642 (Pottier Taf. 50, Phot. Alinari 23695)
die Kanne und die Hydria des Vatikan (Hel-
big, Führer 3 Nr. 447, 448, Phot. Alinari
35742) an. Auffällig in der Schlachtdar-
stellung des Leipziger Kraters ist das ga-
loppierende Viergespann, das korinthisch
in Wettkämpfen wie Neapel, Heydemann
Nr. 685 (Phot. Sommer I1027 u. 11 089)
und Berlin 1655 (Furtwängler - Reichhold,
Taf. 121), nicht aber in Schlachten belegt ist.
79
Leipziger Antiken 1.
80
LAKONISCHE SCHALEN
13. (Abb. 16, 17) Fragmentierte Schale aus
zahlreichcnBruchstücken. Die Aufnahme zeigt
nur die antiken Teile vor der Ergänzung der
Lücken in Gips, durch die die Schale, mit Aus
nähme der Henkel, vervollständigt wurde
Blasser rötlichgelber Ton teilweise mit sahne
farbenem Überzug, guter schwarzer Firnis,
aufgesetztes Kirschrot, H. : 0,135, D. : 0,198
Außen (Abb. 16): Tongrundige, scharf ab-
gesetzte Lippe mit schwarzem Streifen am
Rand und Lorbeerkranz. Henkelstreif ton-
grundig mit sorgfältigen Henkelpalmetten
ohne Kot. Vom Henkelstreif abwärts bis zum
deren das Bildrund nebst seinem Rahmen
auf weißem Überzug sitzt. Der Rahmen
besteht aus einem beiderseits von je drei
schmalen Firnisstreifen begleiteten breiten
roten Band. Im Bild nach rechts galoppie-
rendes Flügelpferd, dessen Schweif den Rah-
men überschneidet, aufgesetztes Rot auf
Flügel und Hinterschenkel.
Die Schale ist in Technik (äußerst dünner
Ton) und Dekoration gleich hervorragend.
Die zentrale Komposition, ohne abgetrenntes
Segment ist auf der Stilstufe Laconian IV,
der wir sie zuteilen müssen, äußerst selten.
Der Flügeldämon und der Bock in München
Abb. 16. Lakonische Schale, Auüenseitc (Nr. i.^). Abb. 17. Lakonische Schale, Flügelpferd (Nr. 13).
Fußring weißer Überzug, darauf Strahlen-
kranz, der oben und unten von je einem brei-
tenroten Band, das seinerseits auf beiden Sei-
ten von je drei dünnen schwarzen Streifen
umgeben ist, eingefaßt wird. Dann Stab-
band, darunter ein rotes Band, das von je
einem schwarzen Streifen begleitet wird.
Endlich gereihte Granatäpfel zwischen je
einem schwarzen Streifen. Tongrundiger,
kantiger Fußring. Hoher, schwarzer Fuß,
unter der Standfläche zwei schwarze Bän-
der auf Tongrund.
Innen (Abb. 17): Lippe tongrundig, auf ihr
unter schwarzem Streif ein Bogenfries mit
Granatäpfeln zwischen jezwei schwarzen Strei-
fen. Es folgt eine breite Firniszone, innerhalb
(382, 386, Sieveking-Hackl I Taf. 13) wären
dazu zu vergleichen. Von Pferdedarstellun-
gen in unserem Stil sind die der Reiterbil-
der Louvre E 665 (Corpus Louvre III D. c.
Taf. 3, 10), Brit.Mus. B i (Arch.Ztg. XXXIX
1881, Taf. 13, 2, Pfuhl, Mal. u. Zchg., Abb. 194,
wo durch Abdecken der Lippe und Schat-
tieren des Hintergrunds der Eindruck her-
vorgerufen wird, als handele es sich um einen
Teller und nicht um eine Schale) und Pe-
tersburg, Stephani 183 (Micali , Storia
Tf. 87,3) in der Darstellung von Mähne und
Hufen von unserer Schale grundverschieden.
In beiden und auch in der Wiedergabe der
Flügel stimmt Brit. Mus. B 2 (Bull. Nap. N. S. I
1853, Taf. 11,8, Bonn. Stud. für Kekule 250)
8i
Leipziger Antiken I.
82
vollkommen mit ihr überein. In ihr dürfen
wir ein Werk derselben Hand erkennen.
Als drittes Werk desselben Malers gibt sich
die Schale Louvrc E 672 (B. C. H. XVII
1893, 237 Abb. 5) durch die einzigartige
Zeichnung der Henkelpalmetteu zu erkennen.
In den Listen der Gattung pflegt die Leip-
ziger Schale aufgeführt zu werden. So bei
Loeschcke, De basi quadam prope Spartam
reperta (Dorpater Progr. 1879) 13, Nr. 13,
Arch. Ztg. XXXIX 1 881, 218, Nr. 13 (Puch-
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Abb. 18. Lakonische Fragmente, Außenseite (Nr. 14)-
ztein), Dumont-Chaplain, Ceramiques de la
Grece propre I 301 Nr. 17, Rev. arch. 1907
II 54 Nr. 46 (Dugas u. Laurent).
14. (Abb. 18, 19) Bruchstück einer Schale.
Außer den acht abgebildeten Scherben sind
noch acht weitere von der Lippe vorhanden,
die zu drei größeren Fragmenten sich verei -
nigen lassen, die jedoch außer einem kleinen
6 mm langen Firnisstreif auf dem Bildrand
nichts von der Darstellung enthalten. Orange -
roter Ton, dünner weißer Überzug, durch den
der Ton stellenweise durchschimmert, me-
tallisch glänzender schwarzer Firnis, aufge-
setztes Kirschrot, das überall, auch bei den
Schmuckbändern der Außenseite auf Firnis
sitzt. Ursprünglicher Durchmesser: 0,172.
Außen (Abb. 18): Lippe tongrundig mit
breitem schwarzen Rand. Henkelstreif ton-
grundig von schwarzen Streifen eingefaßt,
langgestreckte Henkelpalmetten (auch Reste
der zweiten linken Palmette sind auf den nicht
abgebildeten Scherben erhalten) mit rotem
Palmettenherz. Von da an bis zum Fuß-
ansatz weißer Überzug. Darauf breites
rotes Band, oben von zwei, unten von drei
Abb. 19. Lakonische Fragmente, Innenseite (Nr. 14.)
schmalen schwarzen Streifen begleitet,
Strahlenkranz, dann breites rotes Band,
oben von drei, unten von vier schmalen
schwarzen Streifen begleitet.
Innen (Abb. 19): Lippe schwarz mit ton-
grundigen Rändern. Das Bildfeld von drei
schmalen Streifen eingefaßt. Ein rotes Wellen-
band teilt das Hauptbild vom Abschnitt. Im
Hauptbild sind erhalten: Rumpf, 1. Arm, r.
Bein und Ansatz des 1. Oberschenkels nebst
beiden Füßen (vom r. nur die vordere Hälfte)
von einem nach rechts weit ausschreitenden
nackten Mann. Vor seiner r. Schulter fällt
eine Haarsträhne bis zur Hüfte herab, in
83
Leipziger Antiken I.
84
der vorgestreckten 1. trägt er einen Gegen-
stand, der nur als Blitzbündel gedeutet
werden kann. Vor ihm flieht nach rechts ein
Mann im Knielaufschema. Erhalten sind von
ihm: von dem zurückgeschwungenen r. Arm
die Hand und der untere Kontur bis über den
Ellenbogen, weiter das Gesäß, der r. Ober-
schenkel und der r. Wadenumriß. Er trägt
einen kurzen Chiton mit roten Tupfen und
geritzten Kreisen am Rand. Über den Zehen
des r. Fußes des nackten Mannes sind die
Reste einer Füllpalmette erhalten, die nach
abwärts gerichteten Blätter mit Ritzung
setzen an einen roten Streif an, vom Stiel ist
ein Rest in der Scherbe darüber erhalten, klei-
nere Reste einer ähnlichen Palmette auch
vor den linken Zehen. Über der Wade des
Fliehenden ein formloser roter Gegenstand.
Rechts davon eine Inschrift, von der noch
App (linksläufig) deutlich ist, die schwachen
Reste weiterer Buchstaben gestatten keine
Lesung. Im Abschnitt ein Hippokamp nach
rechts, dessen Kopf und Vorderbeine fehlen.
Seine Mähne ist rot, aufgesetztes Rot auch
auf der Brust, auf dem durch Ritzlinien
dreigeteilten Fischleib rote Tupfen.
Den einzigen Anhalt zur Deutung gibt das
vermeintliche Blitzbündel. Mit aller Zu-
rückhaltung, die der trümmerhafte Zustand
des ganzen auferlegt, darf wohl Zeus im Gi-
gantenkampf vermutet werden. Die Buch-
staben der Inschrift helfen auch nicht weiter,
wenigstens ist es bisher nicht gelungen eine
Ergänzung vorzuschlagen, auch ihre Buch-
stabenformen bieten nichts Neues, so besitzt
sie neben der der Arkesilasschale und der
verschollenen Arch. Ztg. XXXIX 1881,
217, Nr. 3 A nur Zählwert.
In Technik und Stil gehört auch dies Stück
zu der entwickelten Reihe, die Droop alsLa-
conian IV bezeichnet. Für die Füllpalmetten
mag man vergleichen: Louvre E 671 (Corpus
vas. ant. Louvre III t). c. Taf. 3, 9) und
München383,384(SievekingHackl. I Taf.13).
Zur Schulterlocke des Zeus findet sich eine
Analogie beim Achill des Deinos Louvre
E 662 (Corpus Louvre III D. c. Taf. 7, 3),
der jedoch in der Zeichnung erheblich roher
ist als unsere Schale. Sorgfältiger auch in
der Zeichnung der Schulterlocke des einen
Jägers ist hingegen die Schale E 670 (Cor-
pus Louvre III D. c. Taf. 3, 5 u. Taf. 4, i.)
! Diese Jagdschale ist aber auch die einzige,
auf der wir einer ähnlich sorgfältig geritzten
Anatomie begegnen, wie auf dem Leipziger
Stück. Die Beinmuskeln der Jäger stim-
men mit denen des Zeus Strich für Strich
überein, auch die konzentrischen Kreise
als Saummuster kehren beim ersten Jäger
wieder. All das legt den Schluß nahe, in
beiden Schalen Werke eines Malers zu sehen.
Auch die sorgfältige Füllung des Abschnitts
mit liebevoll gezeichneten Seewesen spricht
dafür. Die Fische der Jägerschale sind aber
zweifellos vom Meister der Münchener
Schale 385 (Sieveking-Hackl I Taf. 13), und
kleine Bruchstücke einer Wiederholung von
dieser sind in Leipziger Scherben erhalten.
Technisch sind diese drei Vasen freihch vom
Leipziger Gigantenbruchstück darin ver-
schieden, daß sie die Bilder unmittelbar
auf den Tongrund ohne Überzug setzen.
Droop hat darum die Pariser und die Münche-
ner Schale seinem Laconian V zugewiesen,
da sie aber stilistisch sich in nichts Wesent-
lichem von den Vasen der IV. Stilgruppe
unterscheiden, wird man allein auf diese
technische Eigentümlichkeit gestützt die
Trennung nicht aufrechterhalten. Man muß
sich damit abfinden, daß derselbe Maler in
beiden Techniken gearbeitet hat, ein Fall,
der in Attika nicht selten ist, wo oft dieselben
Meister bald der rotfigurigen, bald der
schwarzfigurigen Technik sich bedienen.
Sollte der der Pariser Schale angefügte
Fuß mit weißem Überzug unter der Stand-
fläche zugehören, so würde dies die vorge-
tragene Ansicht noch bekräftigen.
15. (Abb. 20) Fragmentierte Schale aus
vielen Scherben, außer einigen für das Bild un -
wesentlichen Teilen fehlen ein Henkel und
der Fuß. Rötlicher Ton, teilweise weißer
Überzug, schwarzer Firnis, aufgesetztes
Kirschrot. D.: 0,145.
Außen: Lippe weiß mit schwarzem Rand.
Henkelstreif tongrundig von schwarzen Strei-
fen eingefaßt, darauf flüchtige Henkelpal-
metten mit rotem Palmettenherz, Henkel
schwarz. Es folgt ein beiderseits von je
einem breiten roten Band zwischen je zwei
schmalen schwarzen Streifen eingefaßter
flüchtiger Strahlenkranz. Um den Ansatz
des Fußes schwarze Punkte auf Tongrund.
Innen: Lippe schwarz mit tongrundigem
85
Leipziger Antiken I.
86
Rand. Innenbild auf Überzug, von zwei
schwarzen Ringen eingefaßt. Um einen
Krater (am Hab geritztes Wellenband,
Bauch rot mit Ausnahme zweier Firnis -
Zonen, auf denen geritztes Zickzackband),
auf dessen Rand ein schwarzer Krug steht,
tanzen zwei Jünglinge. Der linke hält den
einen Kraterhenkel, er scheint ein rotes
Wams zu tragen, dessen Begrenzung jedoch
finden sie sich auf dem gleichfalls recht rohen
Deinos Louvre E 662 (Corpus Louvre III
D. c. Taf. 8, 2, wo dem tanzenden Flöten-
spieler rechts des Mischkrugs freilich bei
der modernen Übermalung die Flöten ge-
nommen sind — nur die cpopßsioi ist erhalten
— und ein Vollbart in die Brust eingraviert
ist). Feiner in der Zeichnung ist Brit.
Mus. B 3 (Pfuhl, Mal. u. Zchg. Abb. 196,
Abb. 20. Lakonische Schale, Komasten (Nr. 1 5).
nur an Hals und Oberarm geritzt ist, der
untere Abschluß ist nicht angegeben. Der
rechte bläst die DoppeWöte, auch er hat über
die Brust einen Chitonsaum geritzt, obwohl
er nackt ist (aufgesetztes Rot auf dem
Nackenhaar und dem Gesäß). Beide haben
das Haar hinter den Ohren zusammenge-
bunden. Im Raum als Füllornamente
zwei schwarze Kreise mit Mittelpunkt (der
linke fragmentiert). Von der Füllung des
Abschnitts ist nur links eine wagerechte
Lotosblüte mit roten Deckblättern erhalten.
Technik und Zeichnung sind plump und
flüchtig. Das Stück gehört der Massenwarc
der Stilstufe Laconian IV an. Zecher
neben Krateren sind nicht selten. Ahnlich
auch hier durch Retouchc des Grundes
entstellt) und, dem Leipziger Stück näher-
stehend Cab. med. de Ridder 192 (Arch. Ztg.
XXXIX 1881, Taf. 13, 4). Bei den beiden
Kreisen im Raum auf dem Leipziger Stück
könnte man an aufgehängte Omphalos-
schalen denken, doch finden sie sich auch auf
den Schalen München 383 und384(Sicveking-
Hackl I Taf. 13) und Bryn Mawr (A. J. A.
1916, Taf. 11), wo diese Deutung ausge-
schlossen ist. Sinnvolles Füllornament ist
ja überhaupt in dieser Gattung nicht üblich.
CAERETANER HVDRIA
16. (Abb. 21) Sieben Scherben, drei von
der Schulter, vier vom Bauch einer Hydria,
87
Leipziger Antiken I.
88
die nicht aneinander passen. Rötlicher Ton
mit wenig Glimmer. Schwarzer Firnis, auf-
gesetztes Rot und Weiß auf Firnis.
Vom Hals sind nur geringe Reste anschlie-
ßend an zwei von den Schulterscherben er-
halten. Der Hals ist innen schwarz, von
seiner äußeren Dekoration ist nur eine ab-
wärts gerichtete Spitze und ein Teil eines ge-
schweiften Palmettendeckblatts erhalten.
geritzt. Der Stierhals, in den die charakte-
ristischen Furchen der Wamme leicht graviert
sind, sowie das Hörn sind rot. Letzteres wird
von einem leuchtend schwarzen Birnisstreif,
der den rechten oberen Rand der Scherbe ent-
lang läuft, überschnitten, der sich durch den
erhaltenen Kontur als Unterarm eines Man-
nes, der den Stiermenschen am Hörn packte,
zu erkennen gibt.
Abb. 21. Scherben einer Caeretaner Hydria (Nr. i6), i : 2,25.
Zwischen Hals und Schulter tongrundiger
plastischer Ring. Auf der Schulter Efeu-
ranke mit Korymben.
Von der Vorderseite des Bauches dürfte
eine Scherbe stammen, die den Kopf eines
.A.cheloos zeigt. Der verstrichene Firnis in
seinem Gesicht diente als Grundlage für das
jetzt geschwundene Weiß, das alle Fleisch-
teilc und die Hornhaut des Auges bedeckte.
Von dem stumpfen Ton dieser Untermalung
hebt sich der leuchtend schwarze Firnis von
Pupille, Vollbart und den Haaren um die
Wurzel des Horns ab. Der Schnurrbart ist nur
Von der Rückseite stammen offenbar die
drei weiteren Scherben. Auf einer sind
die Köpfe zweier nach links sprengender
Damhirsche erhalten, ihr Fell ist schwarz
mit weißen Tupfen, das Geweih des ersten
rot, das des zweiten weiß, am oberen Rand
der Scherbe läuft der Trennungsstreifen
von Schulter und Bauchbild (schwarz mit
aufgelegtem weißen Band in der Mitte),
links die Reste von zwei Blättern einer Hen-
kelpalmette, das obere mit weißer Füllung.
Auf einer weiteren Scherbe sehen wir das
Vorderbein eines Damhirsches (Huf rot) und
89
Leipiigei Antiken 1.
90
den Kontur eines zweiten, links schwache
Spur eines Palmettenblattes. Am unteren
Rand dieser Scherbe läuft der Bodenstreif
(auch dieser schwarz mit weißer Mitte).
Auf der letzten Scherbe sind die Hinter-
beine beider Damhirsche (weiße Tupfen auf
dem Fell, rote Hufe), dann der untere Bild-
abschluß (auch hier weißer Mittelstreif),
darunter das geschweifte Ende vom Deck-
blatt einer Lotosblüte erhalten.
Unsere Scherben gehören offenbar zu einer
Hydria der besonders durch die Arbeiten
von Dümmler (R. M. HI i888, i66.
Kleine Schriften HI 269 mit Zusätzen von
Böhlau), Pottier (B. C. H. XVI 1892, 253) und
Endt (Beiträge zur jonischen Vasenmalerei
1899) bekannten Gattung (Zuletzt: Pfuhl,
Mal. u. Zchg. I 179 und mit guten Photo-
graphien Mingazzini im Bolletino d'arte 2. ser.
in 1924, 502 ff ). Als solche wurden sie schon
von Loeschcke erkannt, der sie A. M.
XIX 1894, 516 kurz beschrieb. Auf ihn gehen
die weiteren Erwähnungen in der Fach-
literatur zurück (Endt, S. i, Nr. IX, Mon.
Line. VII 284, Anm. i [Savignoni], Fölzer,
Hydria 73 Nr. 108, 112 N. 72, Dümmler,
Kl. Schriften III 272, Nr. XX, Pfuhl, Mal.
u. Zchg. I 184). Loeschcke scheint mehr
Scherben gesehen zu haben als sich jetzt
in Leipzig befinden, so namentlich eine mit
dem Kopf eines bartlosen Mannes und
Teile von Pferden. Ob auch von den Fuß-
strahlen und der Lotospalmettenkette dar-
über, ist aus seinen Angaben nicht mit
Sicherheit zu entnehmen. Fußstrahlen
müssen natürlich vorausgesetzt werden, und
zur Ergänzung der üblichen Lotospalmetten-
kette genügt der Rest unter den Hirsch -
hinterbeinen. Sicher irrig ist Loeschckes
Annahme eines Tierfrieses zwischen Lotos-
streif und Hauptbild, eine solche zweite
Zwischenzone findet sich statt der üblichen
einfachen, in der Regel vegetabilisch orna-
mentierten und nur auf der Busirisvase
durch den Jagdfries ausgezeichneten, allein
bei der auch in der Form etwas abweichenden
Hydria Brit. Mus. B 59 (Walters, Hist.
Ana. Pott. I Taf. 26). Bezeichnenderweise
ist hier aber dieser zweite Streifen undeko-
riert. Die Tiere eines solchen Schmuckstreifs
müßten aber auch bedeutend kleiner sein
als die erhaltenen, kleiner namentlich als
der Acheloos. Er nahm nicht nur die Höhe
des Hauptbilds ein, sondern war auch nicht,
wie Loeschcke annahm, im Tierfries schrei-
tend dargestellt, vielmehr, wie der Arm des
mit ihm kämpfenden Mannes beweist,
in die Handlung einbezogen.
Wir können demnach die ganze Hydria
wie folgt rekonstruieren. Hals: Gegenstän-
dige Lotosblumen und Sterne (Vgl. Louvre
E 697-699 und die Busirisvase, Masner,
Katalog Taf. 2, Nr. 217). Schulter: Efeu-
ranke. Bauch, Vorderseite: Herakles im
Kampf mit Acheloos, Rückseite: links vom
senkrechten Henkel zwei nach links spren-
gende Damhirsche (die Palmette links von
ihnen kann nach Stellung der Blätter nur
vom Ansatz eines wagerechten Henkels
herrühren). Für die Füllung der rechten
Hälfte könnten die von Loeschcke notier-
ten, jetz verschollenen Scherben herange-
zogen werden. Der bartlose Reiter, den er
nach Analogie von Endt Nr. VII u. VIII
für Hephaistos hielt, konnte sehr wohl
ein berittener Jäger wie auf der Vorder-
seite von Louvre E 697 (B. C. H. XVI 1892,
259, Abb. 8) gewesen sein. Für die unsym-
metrische Füllung von Rückseiten gerade
mit Jagdbildern vgl. auch Berlin Inv. 3345
(Ant. Dkm. II 28) und das Stück der Slg.
Scheurleer im Haag (Endt, 11 Abb. 6, .Arch.
Anz. 1922, 231). Unter dem Hauptbild-
streif folgte ein Lotospalmettenband wie auf
den meisten Stücken der Gattung.
POLYCHROME BüCCHEROAMPHORA
17. (Abb. 22, 23) Amphora mit Bandhen-
keln. Fuß gebrochen und angekittet. Bucchero
im Bruch dunkelgrau, wenig Glimmer, an
der Oberfläche teilweise grünlichgelb ver-
wittert, stellenweise mit Sinter bedeckt. Auf
den Henkeln gepreßte Reliefs. Reichliche
Farbspuren erhalten. Es sind verwendet: i.
Rot, zinnoberfarben, im allgemeinen gut er-
halten, 2. Himmelblau, häufig geschwunden,
3. Hellgrün, nur an wenigen Stellen noch
klar kenntlich, meist in ein stumpfes Gelb
verwittert, 4. Weiß, nur in geringen Spuren
festzustellen, meist geschwunden und nur
am matten Ton der Oberfläche zu erkennen.
H.: 0,29.
Die Form ist aus den Abbildungen er-
sichtlich, die Beschreibung kann sich daher im
91
Leipziger Antiken I.
92
wesentlichen auf die Farbspuren beschrän-
ken. Im Innern der Lippe läuft um die
Mündung der Halsöfifnung ein roter Streif,
auf der Wölbung der Lippe selbst sitzt ein
rotes Zickzackband, am oberen Ansatz des
einen Henkels gereihte rote Kreise. Auf
den Henkeln beiderseits aus derselben Form
gepreßte Reliefs (Abb. 22). Zu unterst eine
außen ein Muster von zwölf Reihen Schup-
pen. Die Umrisse der Schuppen sind rot,
die Mittelrippen in jeder Reihe von einer
anderen Farbe, und zwar in der I., 3., 5.,
7., 9., II. Reihe von oben weiß, in der 2.,
6., 10. grün, in der 4., 8., 12. blau, so daß
sämtliche Schuppen mit weißen Mittel-
rippen senkrecht übereinanderstehen, die
Abb. 22. Polychrome Buccheroamphora (Nr. 17).
Stierprotome, Hörn blau, Kopf. Brust und vor-
gesetztes Bein rot, der übrige Körper weiß.
Darüber Löwe, rote Farbspuren am Kopf,
an Brust und vorgesetztem Bein keine Farb-
reste, die drei hinteren Beine, und also
wohl auch der übrige Körper sind weiß, zu
Oberst Panther, am Ohr des einen etwas rot
erhalten, am Körper des anderen sehr
schwache Spuren von weiß und blau; die
Beschreibung im Bull. d. Inst. 1881, 167 er-
wähnt blaue Tupfen. Auf dem Hals sitzt
Abb. 23. Polychrome Buccheroamphora (Nr, 17).
blauen und grünen Mittelstreifen innerhalb
der senkrechten Reihen wechseln. Hals
und Schulter sind farbig nicht getrennt.
Auf der Schulter läuft zunächst eine Reihe
von weißen Kreisen mit blauen Mittelpunkten,
dann, in Höhe des unteren Henkelansatzes
ein roter Streif, dann eine Reihe grüner
Punkte, darunter ein weißes Zinnenband
mit roten Punkten in den durch die ein-
zelnen Zinnen gebildeten Feldern, darunter
eine Reihe blauer Punkte, unter der ein
93
Leipziger Antiken I.
94
grüner Streif, es folgt ein weißes Zickzack-
band, mit roten Punkten an den oberen,
blauen Punkten an den unteren Zacken.
Unter diesem sitzt ein plastischer Ring, der
oben und unten von einem roten Streifen
eingefaßt ist, unter ihm ein weißes Wellen -
band mit roten Punkten in den oberen,
blauen in den unteren Bögen, darunter
wieder ein plastischer Ring mit roten Streifen,
dann ein grünes Zickzackband mit weißen
Punkten an den oberen Zacken, dann zwei
Reihen kleiner roter Kreise, unter ihnen
ein Streif, dessen Farbe völlig geschwunden
ist (wahrscheinlich weiß , dann ein grüner,
nach diesem ein roter Streif, gereihte grüne
Sparren, ein blauer Streif, ein rotes Zick-
zickband, ein grüner Streif. Es folgen die
Fußstrahlen immer abwechselnd von rechts
nach links: rot, blau, weiß, grün. Der plasti-
sche Ring über dem Fuß ist farblos. Auf
dem Fuß ein grüner Streif, gereihte weiße
Punkte, ein roter Streif, zu unterst endlich
abwärts hängende Zungen abwechselnd rot
und blau, in den Zwischenräumen aufwärts
gerichtete Zungen. Von diesen ist jede zweite
weiß, von denen dazwischen ist jede Farbe
geschwunden, sie werden grün gewesen sein.
Die Amphora ist in derselben »tomba
vergine«, aus der die beiden >>tyrrhenischen«
Amphoren in Leipzig (oben Nr. 8) und Karls-
ruhe (Winnefeld 20O) sowie die Caeretaner
Hydria Brit. Mus. B 59 stammen, gefunden.
Sie ist im Fundbericht Helbigs im Bull,
d. Inst. 1881, 167 unter Nr. 26 beschrieben,
in dem Fiorellis in den Not. scav. 1881,
167 erwähnt (aus den beiden Zitaten wur-
den bei Karo, De arte vascularia anti-
quissima quaestiones, Diss. Bonn 1896,
23 Nr. 4 u. 24 Nr. 7 zwei Vasen). Sie wurde
auf Grund der Beschreibung in den Listen
des polychromen Bucchero geführt, so von
Cecil Smith im J. H. S. XIV 1894, 213,
Nr. III, Karo a. o. a. 0., Prinz, Funde von
Naukratis (7. Beiheft zur Klio) 60 Nr. 3.
Von dieser Gattung sind die einzigen bis-
her zureichend veröffentlichten Stücke die
angeblich in der »tomba d'Iside« von Vulci |
gefundenen beiden Vasen des Brit. Mus. ;
H. 228 u. 229. Während man auf der letzt- |
genannten Schale nichts Ungriechisches zu
erkennen vermag, ist die Hydria H. 228 ,
mit Recht als mittelitalisch bezeichnet wor-
den, so zuletzt von Walters im Catalogue of
Vases I 2, 254, wo die ältere Literatur an-
geführt ist. Ganz neuerdings ist aller-
dings Pfuhl, Mal. u. Zchg. I 152 ff. wieder
für ihren griechischen Ursprung einge-
treten (vgl. aber dagegen I 334). Das ein-
zige Kriterium, auf das er sich hierfür gegen
den stilistischen Augenschein stützt, ist
der glimmerhaltige Ton. Nun ist es gewiß
innerhalb der griechischen Keramik auf-
fällig, daß die »rhodischen« Vasen älteren
Stils mehr Glimmer im Ton haben als die
attischen — die jüngeren, bildlosen öst-
lichen Gefäße (Pfuhl I § 193 f.) und auch
die Fikelluravasen sind hierin von den
attischen kaum verschieden — während
der »protokorinthische« und korinthische
Ton so gut wie glimmerfrei zu sein pflegt.
Zutreffend ist auch, daß es unter den Bucche-
rogefäßen solche mit glimmerhaltigem und
solche mit glimmerfreiem Ton gibt (Prinz,
Naukratis 61). Erstere deshalb für nicht-
italisch zu halten liegt aber kein Grund vor,
zumal sich im »impasto itahco« reichlich
Glimmer findet, und namentlich die falls -
kischen Vasen in dieser Beziehung dem
»rhodischen« Ton in nichts nachstehen.
Glimmer enthält auch der Ton arretinischer
Gefäße und besonders reich der arre-
tinischer Formstempel. Daß die Form
unserer Amphora im italischen Bucchero
beliebt ist, dafür brauchen Beispiele nicht
angeführt zu werden. Daß auch ihr Ton
italisch ist, lehrt die Oberfläche, die von
dem charakteristischen matten Glanz des
östlichen »Bucchero« deutlich verschieden
ist. Gute Gelegenheit beide Arten der
schwarzgeschmauchten Ware zu vergleichen
bieten die Grabfunde des Syrakusaner
Museums. Italisch ist auch die Polychromie.
Dafür, daß wie auf den Henkeln unseres
Stückes, und auch in den Friesen der Lon-
doner Hydria die Tiere in verschiedenfarbige
Felder zerlegt werden, liegen reichlich Bei-
spiele aus der mittelitalischen Kunst, keine
aus der griechischen vor (vgl. Rumpf, Wand-
malereien in Veii 51, 63). Auch die ge-
malten Ornamente sind aus der italischen
Keramik zu belegen, so zeigt die Omphalos-
schale München 994 (Sieveking-Hackl I
Taf . 44) das Wellenband wie auf der Schulter,
die gegenständigen Spitzblätter wie auf dem
95
Neue Funde aus Susa.
96
Fuß der Leipziger Amphora, für die Schup-
pen vgl. Berlin 1885 iB. C. H. XVII 1893,
434 Abb. 7, sicher italisch). Nach der Be-
schreibung scheinen unserer Vase die beiden
Gegenstücke Louvre C 617 u. 618 am näch-
sten zu stehen. Der Wert unseres Stückes
besteht hauptsächhch darin; daß alle vier
Farben in unzweideutigen Resten festzu-
stellen sind. Ob das Gelb auf den Amphoren
des Louvre verblaßtes Grün ist, wird sich
nur nach erneuter Prüfung der Originale
entscheiden lassen. Hingegen scheint es
nach den klaren Spuren, die auch die gänzlich
geschwundenen Farben auf der Oberfläche
hinterlassen haben, sicher, daß die Farben
eingebrannt sind. Pottiers Vermutung die
meisten Buccheri seien polychrom ge-
wesen (Catalogue II 347), geht entschieden
zu weit.
Die Form der Leipziger Amphora stimmt
mit der in Attika besonders von Nikosthenes
gepflegten (Hoppin, Handbook blackfig.
Vases 178 ff.) überein, und zwar so eng,
daß man, selbst wenn man die Frage, ob
gegenseitige Abhängigkeit oder gemeinsame
von Metallvorbildern vorliegt, offen läßt,
an der Gleichzeitigkeit nicht zweifeln kann.
Wir kämen damit in das Jahrzehnt 530 bis
520. Daß für die Polledrarahydria die Da-
tierung ins VII. Jahrh. auf Grund des
Psammetichosskarabäus nicht verbindlich
ist, hat Pinza erwiesen (vgl. Karo in A.
M. XLV 1920, II i). Daß sie die Caere-
taner Hydrien voraussetzt, hat Nachod,
Rennwagen bei den Italikern 67 mit Recht
betont.
Leipzig.
Andreas Rumpf.
NEUE FUNDE AUS SUSA.
Auch bei der groß und breit angelegten
Veröffentlichung der Ausgrabungsfunde von
Susa hat der Krieg bewirkt, daß der Um-
fang zusammenschrumpft. Wer hätte nicht
die reich und vornehm ausgestatteten Bände
der Delegation en Perse bewundert, in denen
die Ausgrabungen von Susa bisher nieder-
gelegt waren, archäologische, inschrift-
liche, topographische, geographische, geo-
logische Ergebnisse von teilweise außer-
ordentlicher Bedeutung. Nur die Bauten
waren immer zu kurz gekommen und hin-
sichtlich der Schichtenbeobachtung hörte
man alle Benutzer dieser wichtigen Quelle
klagen. Für die bildlichen Darstellungen
fand man dagegen erste Kräfte am Werke,
klare und schöne Zeichnungen ergänzten
die Fülle der photographischen Tafelbei-
gaben, an denen nicht gespart war in Aus-
führung und Güte von Druck und Papier.
Jetzt ist das alles anders geworden. Ein
knapper, ja magerer Bericht soll der wissen-
schaftlichen Welt Kenntnis geben von
dem, was kurz vor und nach dem Kriege
in Susa geschafft worden ist. Und jetzt
hätte sich zeigen müssen, was die Aus-
gräber ohne die Hilfe der reichen Mittel
können, die ihnen früher die Erscheinung
ihrer Arbeit in so günstiges Licht versetzen
halfen. Man kann richtige Erkenntnisse
mit den knappsten Mitteln wissenschaftlich
einwandfrei darstellen. Das erfordert große
Meisterschaft. Ich erinnere da nur an die
prachtvoll knappe und doch vollständige
Darstellung, die R. Koldewey vom Baby-
lonischen Turm in dem doch gewiß beschei-
denen Gewände einer Mitteilung der Deut-
schen Orient-Gesellschaft gegeben hat.
Schlägt man nun de Mecquenem's Bericht •)
zum ersten Male auf, so empfindet man die
freudige Überraschung, daß da endlich ein-
mal Pläne von Bauwerken erscheinen, die
zunächst den Eindruck von etwas Zusam-
menhängendem machen, und hat die Hoff-
nung, der achämenidischen Baukunst von
Susa näher zu kommen. Aber ich will gleich
vorausschicken: die Hoffnung ist trügerisch.
Und das ist angesichts der Mängel der bisher
erschienenen Memoires der Delegation en
Perse besonders schmerzlich. In diesen
forscht man ja vergeblich nach einiger-
maßen verständlichen, geschweige denn ge-
nauen und zuverlässigen Aufnahmezeich -
nungen der vorgefundenen Bauwerke. Man
begreift nicht, daß in diesem ungeheuren
,,TeU" mit seiner doch vollkommen mesopo-
tamischen Struktur trotz der vieljährigen,
mit ungeheuren Mitteln veranstalteten Ab-
tragungen, so kümmerlich wenig Mauer-
reste zu verzeichnen waren, daß nicht ein
') Fouilles de Suse, Campagnes des annees
1914 — 1921 — 1922. M. R. de Mecquenem. In
Revue d'Assyriologie XIX Nr. III 1922.
97
Neue Funde aus Susa.
98
einziges einigermaßen vollständiges Ge-
bäude, ja nicht einmal ein Gebäudeteil, mit
dem man architekturgeschichtlich etwas
anfangen könnte, herausgekommen sein
sollte. Wie geht das zu? Bei dem höchst
interessanten Besuch, den die ganze Mission
unter de Morgans persönlicher Leitung im
Jahre 1901 unserer Ausgrabung in Babylon
abstattete, waren wir schon außerordentlich
überrascht von der Schilderung, die uns de
Morgan selber von seiner Grabungsmethode
gab. Er beschäftigte fünf mal mehr Arbeiter
als wir, hatte Feldbahn von der fünffachen
Länge unserer babylonischen und ging dem
Teil äußerst systematisch in Fünf-Meter-
Schichten zuleibe in einem Tempo, daß
sich uns die Haare sträubten! Und die
Memoires bestätigen, daß diese Methode
mit erschreckander Energie durchgeführt
wurde. Auch de Mecquenem's Bericht
läßt sie noch erkennen. Nur eins unter-
scheidet die letzte Campagne von den frü-
heren: Hier ist zum ersten Mal der Versuch
gemacht, über ein Gebäude soweit als nur
irgend möglich Aufschluß zu gewinnen.
Früher dagegen fielen die Gebäude dem
System der abzutragenden Schichten, man
möchte fast sagen, dem Koordinatensystem
zum Opfer, das doch immer nur Mittel zum
Zweck, Ordnung zu stiften und niemals
Selbstzweck sein sollte. Kein Mensch kann
heute nachprüfen, was da vorgegangen ist,
ob etwa gar die Luftziegelmauern nicht er-
kannt und mit abgetragen worden sind,
wie es früher vielfach vorkam und z. B.
in Tello zweifellos geschehen ist. Es ist
sicherlich nicht leicht, in mesopotamischen
Ruinen, zu denen ich Susa unbedenklich
rechne. Luftziegelmauern zu erkennen. Das
muß man aber von jedem verlangen, der
sich eine solche Ruine zur Untersuchung —
und damit zur Zerstörung! — anvertrauen
läßt. Denn auf seinen zwei Augen und dem,
was er der Nachwelt als Geschautes und
Erkanntes überliefert, steht das Schicksal
dieser Ruine, er kann sie vernichten oder
erhalten, je nachdem, wie untreu oder wie
treu er sie behandelt und veröffentlicht.
Die Mission wird behaupten, es sei in der
Tat alles aufgezeichnet, was sie an baulichen
Resten aufgedeckt habe. Dann ergibt sich
aber die wunderliche Tatsache, daß Susa
Archäolog-ischer Anzeiger 1923/24.
der einzige Hügel Mesopotamiens ist — Tello,
wie es in der französischen Veröffentlichung
erscheint, vielleicht ausgenommen — , in
dem so wenig an Bauwerken erhalten ge-
blieben ist, während alle anderen von
solchen Resten über und nebeneinander
so sehr wimmeln, daß die Ausgrabungs-
architekten kaum aufarbeiten können, was
ihnen die Arbeiter täglich an Bauwerken
neu freilegen. In Susa aber war nie die der
Arbeiterzahl entsprechende fünffache Zahl
der Architekten anwesend, das würde wohl
auch diese reiche D^ldgation nicht haben
zahlen können. Die wenigen Herren, die
sich mit den Bauwerken beschäftigten,
können meines Erachtens garnicht mit
den Bauwerken fertig geworden sein,
fertig in dem Sinne, wie wir es bei unseren
deutschen Ausgrabungen immer verlangt
haben und auch stets wieder verlangen
würden.
Nun soll freilich de Mecquenem's Bericht
nur ein vorläufiger Bericht sein, somit seine
Pläne wohl auch nur vorläufige. Denn so
wie sie gegeben sind, genügen sie — ein
jeder für sich ■ — doch nur als grobe Skizze
zur Erläuterung und Übersicht und würden
auch in dieser an sich verdienstvollen bal-
digen Mitteilung an die gelehrte Welt hin-
reichen, wenn sie nicht in sich und unter
sich verdächtig wären. Wer sie zusammen-
stellt mit dem Übersichtsplänehen, das
der damals noch junge Diplom-Architekt
Pillet nach seiner Aufnahme 1914 als ,, Palais
de Darius L ä Suse" veröffentlicht hat,
wird erschrecken. Dieser Plan, dem doch,
sollte man meinen, die genaue Aufnahme
an Ort und Stelle zu Grunde liegen müßte,
stimmt durchaus nicht mit dem Übersichts-
plan bei de Mecquenem PI. 1 und noch viel
weniger mit dessen großem Plan PI. II
überein, die unsere Abb. i und 2 hier wieder-
geben. Und doch sollen alle drei das gleiche
Gebäude vorstellen! Wie ist das möglich?
Welcher Plan ist der richtige? Und zu
welchem Zwecke läßt man sie in den wich-
tigsten Teilen von einander abweichen?
Blickt man in den Text, so steht da
nichts, was diese Tatsache irgendwie ver-
ständlich machen könnte. Mit Sorgfalt ist
vermieden, die ganze große Anlage zu er-
läutern. Denn mit dem, was über Funda-
99
Neue Funde aus Susa.
100
mente und Pflaster gesagt ist und vor allem
über das, was garnicht vorhanden ist und
was man sich nur hinzudenken muß, ver-
mag der Prüfende nichts anzufangen. Mir
fällt vor allem auf, daß sich der Herausgeber
Hauptplan. Und der letztere allein hat
jene Übereinstimmung mit Babylon. In
Babylon liegt die Gruppe östlich neben
dem Gebiet mit den achämenidischen
Resten, in denen auch jener rötliche Beton-
Abb. I. Ubersichtsplan des achämenidischen Palastes in Susa.
dieser neuen Pläne gar keine Rechenschaft
darüber gegeben hat, wie überraschend
ähnlich die linke, westliche Hälfte, die
Gruppe um den Parvis de l'ouest herum,
der westlichsten Gruppe von Räumen in
der Südburg des Kasr in Babylon ist, die
Koldewey schon 191 8 auf dem großen
Stadtplan von Babylon in seinem ,,Ischtar-
Tor" mit veröffentlicht hat. Ich füge
zur raschen Orientierung des Lesers eine
kleine Wiedergabe des Südburgplanes als
Abb. 3 hier bei. Es ist ganz erstaunlich,
wie weit die Übereinstimmungen gehen,
bis in die kleinsten Maße von Mauer-
dicken und Türbreiten! Freilich weiß man
nun nicht, was gilt: Drei breite Haupt-
räume an der Südseite wie im Übersichts-
plänehen, oder deren nur zwei, wie im
Estrich vorkommt, der die Fußböden in
Susa bildet, wo sie nicht mit Ziegeln ge-
pflastert sind.
Diese Beziehungen hätten den Archi-
tekten der Grabung in Susa doch mindestens
zu einem Hinweis und zu einem Versuch
der Datierung begeistern müssen, und sie
wären vor allem für die Frage von Wich-
tigkeit, ob und wie der vielräumige Grund-
riß mit der großartig einfachen im Nord-
osten vorgelagerten Apadana in Zusammen-
hang steht, von der uns schon M. Dieulafoy
Bericht gegeben hat. Eingezeichnete Achs-
linien verraten, daß sich auch Pillet mit der
Frage beschäftigt hat, aber diese Bau-
Achsen stimmen nicht zueinander und der
bauliche Zusammenhang ist an Ort und
Stelle nicht mehr erkannt worden. Wenn
lOI
Neue Funde aus Susa.
102
er also in dem 1914 erschienenen Plänchen
von Pillet erscheint, ist er verdächtig als
wenn nicht mehr davon herausgekommen
ist, als der Plan verzeichnet.
FOUILLES DE SUSfi
PALAIS
Tics
HOlS ACHEMENIDES
Abb. 2. Aufnahme-Plan des achämenidischen Palastes in Susa.
W.H.
Abb. 3. Südburg des Kasr in Babylon. W.H. = Westhof.
frei erfundene Ergänzung. Ebensowenig In dem vielräumigen Grundriß wimmelt
scheint mir der auch im großen Plane er- es überdies von Unverständhchke.ten, die
gänzte Zugang von Osten her erwiesen, man sich vergeblich zu entwirren versucht.
I03
Neue Funde aus Susa.
104
Offenbar liegt hier eine nicht beobachtete Ver-
schränkung verschiedener Bauperioden vor,
oder die allein erhaltenen Gründungsmauern
sind in unrichtiger Weise zur Ergänzung
der Aufbauten herangezogen. Ganz rätsel-
haft bleiben für den Baugeschichtier die
sonderbaren Raumgruppen südlich des
Parvis central. Türen mit fehlenden Lei-
bungen begegnen ebenso oft wie in den
Plänen des alten Rassam, der doch wenig-
stens damit entschuldigt ist, daß er nicht
Architekt war und sich nicht so über die
baulichen Erfordernisse Rechenschaft geben
konnte, wie man es von Pillet und einer
modernen Grabung verlangen darf.
Hoffen wir also, daß dieser merkwürdige
Achämeniden -Palast im Stile Nabonids von
Babylon eines Tages doch noch so veröffent-
licht wird, daß man ihn kunstgeschichtlich
einordnen und verwenden kann und darüber
aufgeklärt wird, wie seine Verwandtschaft
mit Babylon zustande gekommen ist, d. h.
wer hier kopiert hat.
Außerordentlich besorgt gemacht hat mich
noch ein anderer Abschnitt von de Mecque-
nem's Bericht, S. 20 ff. mit Tafel VI, wo er
über drei neue Gruppea von Reliefziegeln
schreibt, deren Zusammensetzung im Louvre
versucht worden sei. Der Versuch ist auf
der erwähnten Tafel dargestellt und ganz
sonderbar. Ich verzweifele zunächst als
Architekt, wenn ich sehen muß, daß in
einer Ziegelwand alle Stoßfugen senkrecht
übereinander gestellt werden, statt wie bei
gewöhnlichen, mit Ziegeln bauenden Sterb-
lichen, im Verband, d. h. mit versetzten
Stoßfugen. Wie soll ich mich von der Rich-
tigkeit der Zusammensetzung überzeugen,
wenn deren Ergebnis nun außerdem die
sonderbarsten Unglaublichkeiten sugge-
rieren will? Einen Palmbaum sieht man
da mit entblätterten Wedeln und einem
einzigen, aus dem Stamm herauswachsenden
menschlichen Arm, der an eine ägyptische
Darstellung von der Segen spendenden
Palme erinnert, aber hier ganz untätig ist,
ferner eine Art Mumie mit fürchterlich
verrenkten Armstummeln und endlich einen
Stierdämon, Lamassu, halb kriegsinvalid,
halb verkrüppelt, denn sein linker Arm
ist vom Ellbogengelenk ab verloren gegangen,
während der rechte Unterarm wie im
Schmerz über diesen Verlust zu einem
Katzenpfötchen zusammengeschwunden ist.
Über die Spitzen dieser Figuren läuft ein
mehr als einfaches Ornament aus diagonal
gestellten rechten Winkeln hin, unten da-
gegen sind drei ganz leere Schichten ge-
zeichnet. Bei den drei Figuren werden nun
noch die angeblich hineinpassenden Ziegel -
Inschriften Kutir-Nachunte's und seines
Bruders Schilhak-in-Schuschinak einge-
zeichnet, sie sollen diese Monstra datieren
helfen, die danach im 11. Jahrhundert das
Licht der Welt erblickt hätten.
Die Sache hat eine ernste Seite. In
Place's Veröffentlichung von Chorsabad
findet sich ein Ziegelrelief dargestellt, das
seitdem Eingang in alle Kunstgeschichten
der Welt gefunden hat, obwohl es nie im
Original in ein Museum gelangt, sondern
beim Transport von den Fluten des Tigris
verschlungen worden ist: der Löwe von
Chorsabad'). Schon Koldewey hat in
seinem ,,Ischtar-Tor in Babylon" S. 42
empfohlen, diesen Löwen mit Vorsicht zu
betrachten. Der Löwe von Babylon hat
uns stutzig gemacht, er ist nicht so kurz-
beinig, wie der von Place zusammengesetzte',
an dem, wie Koldewey bemerkt, die zweit-
unterste Schicht fehlt, wodurch das Tier
um seinen Metatarsus am Hinterfuß ge-
kommen ist und dementsprechend natürlich
auch um einen Teil der Vorderläufe.
In ähnlicher Weise scheinen mir nun auch
die schon seit langem im Louvre befind-
lichen Ziegelrelief-Tiere aus Susa verge-
waltigt zu sein. Es ist mir von einem Be-
such im Louvre her namentlich der ge-
flügelte Stier in Erinnerung»), der um eine
halbe Ziegellänge zu lang geraten ist und
seine Vorderbeine dadurch an falscher
Stelle erhalten hat. Die Bauchlinie ist eine
unmögliche Hängekurve geworden und auch
sonst sitzen einzelne Stücke an verkehrten
Stellen. Als Hörn hat man ihm z. B. ein
Stück des Schwanzansatzes aufgesetzt! Und
es ist mir auch heute noch nicht ganz glaub-
haft, daß nicht nur der Greif, sondern auch
der Stier mit Flügeln versehen gewesen
') Vgl. Perrot II Tafel XV.
') Von Alinari photographiert. Danach z. B. in
Seemanns Kunstgeschichte in Bildern I von C. Frank
64, 5 abgebildet.
I05
Zur Geschichte der antiken Rhyta.
io6
J
sein soll, wie man es jetzt im Louvre sieht.
Aber ob man diese nun einmal zusammen-
gesetzten Tiere je wieder auseinander-
brechen und nach einem eingehenden Stu-
dium und namentlich unter Berücksichti-
gung der vollkommen erhaltenen Tiere von
Babylon, ihren Ahnen, neu zusammen-
setzen wird, scheint mir zweifelhaft. Es
wird sicherlich als Blasphemie empfunden
werden, wenn man auch die Zuverlässigkeit
der Zusammensetzung der berühmten far-
bigen Leibgarde bezweifelt, die schon
M. Dieulafoy aus Susa in den Louvre über-
führt hat. Aber da ist es sehr schwer zu
beweisen, denn diese ,,suite d'archers"
sind so schön mit neu dazu gemachten
Stücken ergänzt — ,,superbement restau-
r^es", sagt de M. — daß man nicht mehr
recht sieht, wo das Alte aufhört und das
Neue anfängt. Hier geraten wir freilich auf
ein leider noch strittiges Gebiet der Muse-
umstechnik, das eigentlich längst nicht
mehr strittig sein sollte.
Zum Schluß noch ein Wort über die
zweite Hälfte des Berichts von de Mec-
quenem. Sie betitelt sich ,, Exploration
d'une necropole elamite" und behandelt
zwei Gruppen von Gräbern; die eine liegt
östlich des neuveröffentlichten Palastes,
die andere im Zentralhof, parvis central.
Für die Lagen der Gräber sind, wie das schon
in den Mem. D^l. en Perse üblich war,
wesenlose Linien- und Zahlendiagramme
beigesetzt, aus denen sich sicherlich nur
Leute, die bei dieser Ausgrabung zugegen
gewesen sind, etwas entnehmen können.
Ein einziger Querschnitt würde uns viel
mehr geben und vor allem belehren, zu
welchen Schichten die Gräber gehören.
Nach den Grabformen und Beigaben er-
geben sich allerdings eindeutige Bezie-
hungen zu den schichtenmäßig gut zu ord-
nenden Gräbern in Babylon und Assur,
deren Veröffentlichung wenigstens für Ba-
bylon nicht mehr lange auf sich warten
lassen wird. Es wäre dazu sehr erwünscht,
bessere Abbildungen der Funde von Susa |
zur Hand zu haben als de M. hier gibt. |
Die an Kinderzeichnungen erinnernde Un- 1
geschicklichkeit der Darstellungen, die von
P. Toscanne gezeichnet sind, wird jeden ,
. überraschen, der an die früheren, wenig-
stens zeichnerisch musterhaften Abbil-
dungen der französischen Veröffentlichungen
gewöhnt war. So sind namentlich Fig. 9,
eine höchst interessante Pyxis aus Fritte,
und Fig. 13, eine sehr merkwürdige Asphalt-
schale mit drei rhyton-artigen Füßen, in
einer äußerst wunderlichen Perspektive
wiedergegeben und für eine Veröffentlichung
vom Jahre 1922 recht unzeitgemäß.
Lichterfelde. W. Andrae.
ZUR GESCHICHTE DER ANTIKEN
RHYTA.
Georg Karo hat im J. d. I. XXVI 191 1,
249 ff. zum erstenmal das Material über die
kretisch-mykenischen Rhyta zusammenge-
bracht, das dann Stais durch die Wieder-
herstellung des Silberrhytons aus dem vierten
Grab in willkommenster Weise vermehrt
hat; Karo hat seinen Blick auch über die
eigentlichen Grenzen der griechischen Welt
hinausschweiien lassen, ihm konnte damals
aber eine interessante Parallele noch nicht
bekannt sein: das aus Kultepe stammende,
im Besitz der Lehrsammlung des Archäo-
logischen Seminars der Universität Berlin
befindliche Rhyton in Rehgestalt, das Weber
im Orbis pictus, Hethitische Kunst Taf. 47
abbildet (auch bei E. Meyer, Reich und
Kultur der Chetiter 52 ff., Taf. V)'). Das
Stück, das wohl in das erste Viertel des
II. vorchristlichen Jahrtausends gehört,
zeigt so auffallende Übereinstimmung mit
dem Silberhirsch von Mykene, daß man
beide an einem Ort, also den mykenischen
') Die Form dieses Rhyfons kehrt noch zweimal
in Stücken wieder, die der frühen XVIII. Dynastie
angehören: Petrie, lUahun Taf. XXVI 50, S. 22 aus
dem in die Zeit Tuthmosis' III. datierten Grab der
Meket : »Curious model of a stopped hörne made of
greenpaste.« Als Verschluß dient eine Platte mit einer
Rosette. Einen in gleicher Weise dekorierten Ver-
schluß zeigt das Petrie, Qurneh Taf. XXV, S. 7 ver-
öffentlichte »Hörn«, das mit einer runden Platte
aus Elfenbein verschlossen war. »The point (des
Homs) has as ring of ivory round it, and upon the
end is a bird's head with a spout carved at the
top of it. The beard's beak was of black hörn.«
In beiden Fällen ist die Natur dieser Hörner nicht
erkannt, ihre Ähnlichkeit mit dem Tonrhyton lehrt
aber, daß der oben behandelte Typus auf ein wirk-
liches, mit einem Tierkopf in der Regel geschmücktes
Hern zurückgeht.
107
Zur Geschichte der antiken Rhyta.
io8
Hirsch im kleinasiatischen Gebiet entstanden
denken möchte, der, wie Karo bemerkt,
aus der Reihe der übrigen kretisch-myke-
nischen Funde auch naturgeschichtlich her-
ausfällt. Bei den auf den archaischen Re-
liefs von Sendschirli (Ausgrabungen V
207, Taf. XXXIV) dargestellten Hirschen
handelt es sich offenbar um Edelhirsche,
weniger sicher scheint das bei den Hirschen
von Euyuk (Meyer a.a.O. Fig. 64 f.).
Abb. I. Altpersisches Rhyton aus Armenien.
Nach Sarre, Kunst des alten Persiens Taf. 47.
Nicht um die eben aufgestellte Parallele
abzuschwächen, sondern um zu zeigen,
wie lange sich namentlich in Edelmetall
alte Formen halten können"), und wie vor-
sichtig man mit Vergleichen operieren muß,
ehe man Schlüsse zieht, wie sie immer
wieder in Strzygowskis Altai- Iran und
Völkerwanderung begegnen, bilde ich das
altpersische Rhyton aus Armenien (Sarre,
Kunst des alten Persiens Taf. 47 = Dalton,
Treasury of theOxus Taf. XXII, hier Abb. l)
') Für die Langlebigkeit der Formen gerade in
der Toreutik s. Drexel, J. d. I. XXX 191 5, 32 ff.
neben einem tönernen Rhyton der XVIII. Dy-
nastie aus Ägypten (Petrie, Hyksosand Israe-
litecitiesTaf.XXXVIIA, hier Abb.2)ab. Dal-
ton hat im Text S. 118 f. die entscheidenden
Zeugnisse für eine Datierung des arme-
nischen Rhytons in das VI. — ^V. Jahrh. bei-
gebracht. Die Grabgruppe der Sieben Brüder
zu Kuban enthält die nächsten Parallelen
(Minus, Skythians and Greeks 210 ff., Ro-
stowzeff, Iranians and Greeks Taf. XII). Das
bei Petrie abgebildete Gefäß wird von ihm
ohne nähere Gründe der XVIII. Dyn. zu-
gewiesen; nach der Oberfläche zu urteilen
und dem Stil des Gazellenkopfes mit Recht.
Die Vorderfüße sind abgebrochen, die Ril-
lung des aufsteigenden Gefäßzylinders ist
im Ton nicht angegeben, übrigens aber ist
die Übereinstimmung auch in der Form
der Lippe vollkommen. Ich wüßte nicht,
daß bisher solche Rhyta aus dem II. Jahr-
tausend bekannt wären. Am nächsten
kommen ihnen Gefäße, die unter der Asia-
tischen Beute Sethos' I. abgebildet sind,
Abb. 2. Tönernes Gazellenrhyton der XVIII. Dyn.
aus Ägj'pten. Nach Petrie, Hyksos and Israelite
cities Taf. XXXVII A.
z. B. W. M. Müller, Asien und Europa 308 f.
Hier vertritt ein Menschenkopf den Tier-
kopf. Eine gewisse Verwandtschaft hatten
auch die a. a. O. unter b aus derselben
Beute wiedergegebenen Gefäße, wenn es sich
nicht, wie ich Ancient Egypt I 112 f. wahr-
scheinlich gemacht habe, um Griffe handelt.
Im Haag. Fr. W. v. Bissing.
Nachschrift.
Soeben geht mir das neueste Heft des
X. Bandes der Liverpool Annais of Archaeo-
109
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Januar- und Februar-Sitzung 1923.
HO
logy zu. In ihm hat Woolley auf Taf. 68
ein Rhyton aus Gold und Silber veröffent-
licht, das in der äußeren Gestalt dem Rhy-
ton der Hyksos cities ganz nahe steht. Es
bildet das Mittelglied zwischen dem ägypti-
schen Stück und den pontischen. Woolley,
in falschem Vertrauen auf die Aussagen
eines Armeniers, nimmt an, das Stück sei
in Marasch gefunden und bemüht sich,
hethitische Analogien beizubringen. Tat-
sächlich handelt es sich um ein sehr altes
Achaemenidisches Stück (vgl. für den Stil
etwa Sarre, Kunst des alten Persiens Taf. 21,
28, 37 (Silberstatuette!), in manchem auch
Taf. 45). Vielleicht daß das neue Rhyton
noch vor die Zeit des Dareios gehört').
Durch Woolley werde ich aufmerksam auf
zwei in späten »hethi tischen« Gräbern ge-
fundene Rhy tone, die mehr dem die Hornform
noch unmittelbar festhaltenden ägyptischen
Typus von Illahun und Qurna entsprechen,
sowie dem pontischen Rhyton bei Sarre,
Kunst des alten Persiens, Taf. 44 — 48. Sie
sind abgebildet Liverpool Annais VII Taf. 27,
N. 15, 17. Das eine endet in einen Löwen-
kopf, das andere in eine unverzierte
Schnauze. Die Datierung des Friedhofs
scheint durch die übrigens sicher echt
ägyptische Besvase a. a. O. N. 7 gegeben,
die der späteren saitischen Periode wohl
mit Recht zugeschrieben wird. Woolley
hat S. 127 f. das Alter des Friedhofs auf das
VI. und V. Jahrhundert auch auf Grund der
dort gefundenen Münzen und griechischen
Vasen bestimmt. Endlich sei noch auf
das Rhyton Musee Egyptien II Taf. XXV
hingewiesen, das aus hellenistischer Zeit
stammt; es steht Sarre a. a. O. Taf. 47 am
nächsten 2).
') Man halte nur den kappadokischen Stierkopf
Ohnefalsch-Richter, Kypros, die Bibel usw. Taf. 191,
I — 2 daneben, um zu erkennen, wie viel »persischer«
unser Stück ist, obwohl man die »kappadokische«
Grundlage anerkennen kann.
') Völlig von diesem Typus zu scheiden sind
die »Kopfrhyta«, von denen Liverpool Annais VI
Taf. XX ein neues hethitisches abgebildet ist.
ARCHÄOLOGISCHE GESELLSCHAFT
ZU BERLIN.
Sitzung vom 2. Januar 1923.
Herr Wiegand legte das neu erschienene
sechste Heft des ersten Bandes der Milet-
publikation vor; es behandelt den Nord-
markt und den Hafen an der Löwenbucht
und ist von A. v. Gerkan bearbeitet.
Hierauf sprach Herr Rodenwaldt über
Eine Episode der spätantiken
Kunst. Der Inhalt des Vortrages ist in
den R. M. XXXVII 1922, 58 ff. wieder-
gegeben.
Sitzung vom 6. Februar 1923.
Herr A. Deißmann sprach über Epigra-
phisches zum Neuen Testament.
Er charakterisierte zunächst den allge-
meinen Wert der Inschriften von Alexander
bis Konstantin für die Erforschung des
Neuen Testaments und der Anfänge des
Christentums. Dieser Wert ist hauptsächlich
ein indirekter: sie hellen den kulturgeschicht-
lichen Hintergrund des Zeitalters der Re-
ligionswende auf und lassen uns beides besser
verstehen: den Kontakt und den Kontrast,
der zwischen Evangelium und antiker Welt
besteht. Von besonderer Bedeutung sind
die Inschriften, wenn auch nicht in so hohem
Grade wie die Papyri, für die Erforschung
der mittelmeerländischen Koine und damit
für die neutestamentliche Philologie.
Aber sie werfen oft auch ein direktes Licht
auf chronologische, religions- und kultur-
geschichtliche Probleme des Neuen Testa-
ments. Unter Hervorhebung einer noch
nicht genügend erforschten Kategorie, der
Ossuarien- Inschriften aus Palästina, gab
Vortragender alsdann eine Anzahl von Bei-
spielen direkter Förderung unseres Verständ-
nisses durch neuere Inschriftfunde; die
meisten wurden durch Lichtbilder erläutert.
Es seien folgende Inschriften hervorge-
hoben: die bilingue des Ossuariums des Nika-
nor von Alexandrien, des Stifters der »schö-
nen Tür« (Apostelgesch. 3, 2) des Herodiani-
schen Tempels; die Quirinius- (Luk. 2, 2)
Inschriften aus dem pisidischen Antiochien;
die Lysanias- (Luk. 3, i)- Inschrift von Abila;
die Gallio- (Apostelgesch. 18, 12) Inschrift
von Delphi; die für den Namen Lukas
1 1 1
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Siteung 1923.
112
wertvollen Inschriften aus dem pisidischen
Antiochien; die Inschrift der Synagoge des
Theodotos zu Jerusalem; syrische Becher-
inschriften, die das Jesuswort Matth. 26, 50
l(p' 8 sa'pet; aufhellen; die sprach- und
religionsgeschichtlich bedeutsame Grab-
inschrift der Jüdin Regina aus Rom; eine
größere Anzahl von Inschriften und Ostraka,
die für die Geschichte des Namens Jesus
wichtig sind, darunter die eben entdeckte
des Juden Jesus von Leontopolis. Hierbei
wurde insbesondere das Problem des Kult-
namens Jesus aufgerollt: ursprünglich ein
weit verbreiteter häufiger Personenname,
wird Jesus erst durch den Christuskult zu
einem nomen sacrum, und von hier aus sind
eine ganze Anzahl von späteren Eingriffen
in den Text des Neuen Testaments zu ver-
stehen, z. B. die Tilgung des eigentlichen
Namens des aus der Passionsgeschichte be-
kannten Banditen Barabbas in der Masse
der Handschriften; der Mann hieß von Hause
aus Jesus Barabbas, aber als Jesus nur
noch als Kultname empfunden wurde, stieß
man sich an der Überlieferung des Namens
Jesus für den Mörder und tilgte ihn. Die
Hypothese, Jesus sei ein altsemitischer Kult-
name und erst später einer Einzelperson als
Name beigelegt, scheitert an dem epigraphi-
schen Befund.
Die meisten der vom Vortragenden er-
wähnten Inschriften sind inzwischen in der
4. Aufl. seines Buches «Licht vom Osten«
(Tübingen 1923) faksimiliert und erklärt
worden.
Dann sprach Herr K. A. Neugebauer
über Neue Beiträge zur Kenntnis
und Beurteilung der Mausoleums-
skulpturen und ihrer Künstler").
Der Vortragende führte die bisherige Un-
stimmigkeit in den Versuchen, die Anteile
der überlieferten vier Bildhauer an den erhal-
tenen Resten zu bestimmen, darauf zurück,
daß jene Arbeiten ohne völlige Ausnützung
der vorhandenen Hilfsmittel unternommen
worden seien. Es gibt im Britischen Museum
zu London nicht nur eine Menge ansehnlicher
Statuen- und Reliefreste vom Mausoleum,
die niemals veröffentlicht und auf ihren Stil
') Der hier folgende Bericht ist ein Abdruck des
Referates in der Kunstchronik 22, 1923 Heft III
43 7 ff-
hin untersucht worden sind, sondern es
liegen auch über zahlreiche von ihnen in den
Berichten, die Newton während seiner Gra-
bung an den Earl of Clarendon zwecks Vor-
legung an die beiden vereinigten Häuser des
Parlaments gerichtet hat, sowie in Biliottis
Ausgrabungstagebuch Fundnotizen vor, die
in Newtons beiden Werken nicht Aufnahme
gefunden haben. Eine Anzahl dieser Frag-
mente wurde in Lichtbildern gezeigt und
mit den bereits bekannten Mausoleums-
skulpturen sowie mit anderen Werken des
Skopas, Timotheos, Bryaxis und Leochares
verglichen. Die Zuweisung der Genueser
Platte (Kat. N. 1022) des Amazonenfrieses
an Skopas (Neugebauer, Studien über Sko-
pas 98 ff.) erhielt eine neue Stütze durch
einen im Stil mit ihr übereinstimmenden
bärtigen Kopf, vermutlich vom Kentauren -
friese, der aus zwei Bruchstücken zusammen-
gesetzt ist; der Fundort des oberen ist un-
bekannt, das untere stammt von der Ost-
seite des Mausoleums. Neue Aufnahmen der
Giebelskulpturen des Asklepiostempels zu
Epidauros wurden mit solchen der drei
aneinander anpassenden Amazonenfries-
platten verglichen, die Newton in der Ost-
hälfte des Trümmerfeldes, aber nicht in
Fallage, fand (Nr. IO13 — 15), und die Mög-
lichkeit deren Zuweisung an Timotheos be-
gründet; von demselben Künstler stammt
vielleicht auch die Platte Nr. 1006 trotz der
schwer erklärbar schlechten Ausführung
des Pferdes. Am meisten scheint vom An-
teile des Bryaxis erhalten. Vor der Nord-
seite fanden sich außer den bekannten Ko-
lossalstatuen des »Mausolos« und der
»Artemisia« ein weiterer kolossaler Frauen -
torso, ein lebensgroßer Torso in ungegür-
tetem Chiton, mehrere Köpfe, sowie einige
Bruchstücke der Friese. Die Amazonen -
friesplatten Nr. 1018 — 21 sind diesen Fund-
stücken in mehrfacher Hinsicht verwandt;
in den Proportionen der Gestalten erscheinen
besonders N. 1020 bis 102 1, desgleichen die
Kentaurenfriesplatte N. 1032, als Vor-
läufer hellenistischer Kunst. In bezug
auf Leochares schloß sich der Vortragende,
zum Teil auf Grund bisher unbekannter
Friesbruchstücke von der Westseite, im
ganzen der Ansicht von Amelung an (Au-
sonia III 1908, 128 ff.), teilte'dem Kunst-
H3
Archlolo^sche Gesellschaft zu Berlin. März-SiUung tgij.
114
1er aber auch die übereinstimmend weich
gearbeitete, in den Motiven etwas lahme
Amazonenfriesplatte Nr. 1009 zu. Ein bär-
tiger Bildniskopf aus einer der unterirdischen
Galerien vor der Südseite des Mausoleums
(N. 1055) wurde als Original einer etwas
älteren Zeit erklärt.
Sitzung vom 6, März 1923.
Als Neuerscheinungen legte Herr Wie-
gand den ersten Band der Ausgrabungen
von Sardes vor, bearbeitet von H. C.
Butler 1922, sowie H. Schaal, Griechische
Vasen aus Frankfurter Sammlungen, Frankf.
Verl.-Anst. 1923.
Neuere Veröffentlichungen Athen be-
treffend berichtete Herr Brueckner zu-
sammenfassend über
R. Heberdey, Altattische Porosskulptur,
Sdrschr. d. Österr. Arch. Inst., und über
des gleichen Verfassers Abhandlung: Die
Komposition der Reliefs an der Balustrade
der Athena Nike, Öster. Jhsh. XXI, XXII.
Auf Heberdeys gesicherter Herstellung
des großen Tritongiebels fußend, zog Br.
seine A. M. 1889 ausgesprochene Deu-
tung auf den Kampf des Typhon zurück
und führte zur Bestimmung des Vorgangs
aus: An dem friedliebenden Charakter des
Dreileibigen ist nicht mehr zu zweifeln
Wohl ist er wie Typhon ein Hekatoncheir,
Kräfte der Erde, des Wassers und der Luft
urgewaltig in sich vereinend, aber keiner,
der im Titanenringen gegen die olympischen
Götter Typhon gleich ankämpft, sondern
im Gegenteil seines Ruhestandes unter ihrer
Herrschaft sich freut, mehr z. D. als a. D.,
wie die <puXaxef Triaxot Atoj Gyes Kottos
Briareos, welche über die überwundenen
Titanen im Tartaros und lu 'ß/savoio
{)£}i£8>.ot? als Aiöf xXstToi imxoupot in der
Hcsiodeischen Theogonie oder ihren alten
Eindichtungen (735. 815) wachen. Der
Kampf des Herakles mit dem Triton ist
in der literarischen Überlieferung so weit
verschollen, daß wir aus ihr nichts über
seine Lösung erfahren. Aber ein Parallel-
mythos ist doch aus der gleichen Epoche
erhalten im A der Ilias. Achill erinnert
seine Mutter: als den Zeus die anderen
Olympier binden wollten, Hera Poseidon
und Pallas Athene, da bist Du gegangen
und hast ihn aus den Banden gelöst, indem
Du schnell herbeiriefst zum langen Olymp
den Hekatoncheir, welchen die Götter Bria-
reos, die Menschen aber alle Aigaion nennen;
der brauchte sich im Stolz auf seine Kraft
nur neben den Zeus hinzusetzen (oc pa
irapd Kpovttuvi xaOeCeTO xuSei -jaiwv 405, vgl.
E 906), da erzitterten vor ihm auch die
seligen Götter und banden ihn nicht. Im
Giebel sehen wir den Triton dem die Über-
wältigung droht, wir haben die Nereide,
die den Retter herbeiholt, wir haben den
Hekatoncheir und sehen ihn als xuSei fai'iov;
daraus erhellt auch die Absicht seines Er-
scheinens. Er ist mehr als ein »einfacher
Zuschauer« (Heberdey S. 74, vgl. S. 69) ;
er erscheint als der xXsiib? luixoupof, als
der getreue Eckart des Weltenregimentes
des Kroniden und bringt die Lösung des
Kampfes: wie die olympischen Götter vom
Götterkönig beim Auftauchen der ewigen
Urgewalt, die ihn schützt, ablassen, so wird
auch der ringende Heros notgedrungen mit
dem vom Regimente bestellten Hirten des
Meeres seinen Frieden machen.
Für weitere Verfolgung der Vorstellung
von Briareos-Aigaion drängt sich eine Frage
auf. Heberdey bestätigt (S. 56), daß der
mittlere Kopf. des Hekatoncheir bei freilich
dunklem Barte doch unbemaltes, also weiß
erscheinendes Haupthaar hatte, während
die beiden äußeren Köpfe dunkles Haar
tragen. Ist das lediglich zu farbiger Ab-
wechselung geschehen, oder sind die drei
Körper auch sonst als verschiedenen Alters
charakterisiert? Mit einem Vogel zu spielen,
an die Brust ihn zu drücken, ist Knaben -
und Jünglingsgewohnheit (z. B. Att. Grabr.
947- 1976 ff.). Sollen wir in den derberen
Formen des Rechten die Jugend, im mageren
Arm und der ruhigeren Haltung des Mittleren
das höhere Alter, in der strebenden Haltung
des Linken das Mannesalter erkennen .>
Dann spiegelte diese Dreieinigkeit die drei
Menschenalter wider, und eben aus dem
Werke dieses gedankenreichen Künstlers,
der mit einer über die Grenzen der Giebel-
wand einzigartig hinausgreifenden Lebendig-
keit seinen Gegenstand angepackt hat,
möchte es dämmern, wie die Gestalten des
Briareos Kottos und Gyes vom Exegeten
HS
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1923.
116
Kleidemos gleichgesetzt werden konnten
mit den Tri topatoren, den Urvätern der
Menschengeschlechter. Heberdeys schöne
Tafeln setzen jedermann in den Stand,
zu dieser der Klärung bedürfenden Frage
Stellung zu nehmen').
Herr Brueckner legte ferner die 19. Liefe-
rung, den Abschluß des IV. Bandes der
von Alexander Conze im Auftrage der
Wiener Akademie der Wissenschaften heraus-
gegebenen Attischen Grabreliefs vor.
Die Herausgabe, von Conze vorbereitet,
von dem Vorlegenden zu Ende geführt, war
durch die Kriegsverhältnisse verzögert. Für
die Fortführung des Sammelwerkes hat das
Deutsche Archäologische Institut seit Er-
scheinen der ersten Lieferung das neu auf-
tauchende Material gesammelt und mit
dessen Redaktion Herrn Brueckner be-
auftragt.
HerrE. Aßmann sprach sodann über Die
minoischen und Dipylon - Schiffe. Die
ältesten Schiffsbilder des kretisch -minoisch-
mykenischen Kulturkreises, hauptsächlich
durch Siegelsteine und sog. Piktographs
vertreten, wurden bisher nur fehlerhaft und
unzulänglich behandelt. Niemand erkannte
die überraschende, beherrschende Rolle,
welche durchaus nichteuropäische und zwar
ägyptische Technicismen hier spielen. Als
solche entdeckte A. i. Die Rah am unteren
Segelrand (Unterrah, Baum), 2. das Deck-
haus über der Schiffsmitte mit Wänden aus
gemusterten Matten und Tüchern, 3. die
zahlreichen, einander parallelen, in ver-
schiedenen Höhen vom Mast zu den ins
Schiff herabgelassenen Rahen laufenden
Toppnanten, 4. die halbmondförmige Rumpf-
bildung, welche bei den Nilschiffen durch
die Angst vor dem Stranden auf den
Schlammbänken des Stromes entstanden
war. Diese Schiffsbildchen waren nicht,
wie so manches Andere, aus Ägypten er-
handelt, sondern echtkretische Erzeugnisse,
sie verschwanden mit den minoischen Zeiten,
•) Literatur über die Tritopatoren, die Furtwängler
und neuerdings Schweitzer im Giebel erkannten, bei
Kern Orph. frg. nr. 318. Ihre Gleichsetzung mit
den Hekatoncheiren beruht auf ihrer Funktion als
tp'iXotxE« TAS-zoi lii;, vgl. Radermacher, Berl. Phil.
Woch. 1922, 202. Nachweise von in Dreileibig-
keit ausgeprägter Dreilebigkeit bei Schweitzer,
Herakles 69. 80. 88.
ohne dauernde Spuren an den späteren
Schiffen dort zu hinterlassen. Es scheint
also zeitweise auf Kreta ein besonders
starker Anlaß zur Abbildung ägyptischer
Schiffe bestanden zu haben, und ein solcher
läßt sich in der Herrschaft des Hyksos-
Pharao Chian über Kreta um 1700 v. Chr.
finden. Jedenfalls darf man hier nicht von
echtkretischen, ächäischen, ägäischen
Schiffstypen sprechen. — Betreffs der Di-
pylon- oder geometrischen Schiffe hat Aß-
mann schon lange die Ansicht bekämpft,
wonach hier griechische und zwar den äl-
testen attischen Naukrarien angehörige
Fahrzeuge dargestellt sein sollen. Attica
war nicht nur im 9. und 8. Jahrhundert v.
Chr. sondern noch viel später sehr rück-
ständig im Schiffswesen, in Kriegsmarine und
Abb. I. Bugzierde der Dipylon-Schiffe (a) und
Chamaecyparis Lawsoniana (b).
Seehandel fast Null. Die Dipylonschiffe er-
scheinen auf dem Kopenhagener Gefäß
als Angreifer einer Küste, auf anderen in der
Flucht, mit ihren eigenen Toten beladen
(so stellt kein Volk des Altertums seine eige-
nen Schiffe dar), sie scheinen die frühesten
Kriegsschiffe mit zwei Rojerreihen überein-
ander zu sein. Die attischen Überlieferungen
melden schwere Drangsale durch die Kreter
des Minos, welche sich auch später noch
wiederholt haben mögen, als Kreta sich von
Hellas zurückzog. Vielleicht führt uns ein
zweiter Weg gleichfalls nach Kreta, nämlich
die auffällige Eigenart der Bugzierde (Abb.
la). Im Halbkreis vorspringend, dann zarter
nach hinten oben verlaufend konnte sie höch-
stens als natürliche Zweigbildung den Er-
schütterungen durch Wellen und Wind wider-
stehen. Nach erfolglosen Umfragen bei Bota-
nikern fand A. selbst das Erforderliche bei
der amerikanischen Zypressenart Chamae-
cyparis Lawsoniana (Abb. ib), deren un-
117
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. April- und Mai-Sitzung I9»3.
Il8
terste Zweige abgekappt, jene Bugzierde
fertig liefern (die Stümpfe der Endzweige
liefern die abgebildeten, einseitigen Stop-
peln). Nichts verbietet die Annahme gleicher
Formen in der alten Welt, wo nach Plinius
Kreta als die Heimat der Zypresse galt.
Freilich würde wohl auch eine derartige
naturwüchsige Bugzierde, welche abbrechen,
auch das vorgeblähte Segel verletzen konnte,
kaum gewählt worden sein, wenn sie nicht
das Symbol einer Gottheit, das Wahrzeichen
einer Örtlichkeit bildete. Die Zypresse war
der heilige Baum der Göttermutter Rhea
im uralten Hain zu Knossos, auch des Zeus-
Berges Ida. Rhea Cybele verwandelte die
aus Holz vom troischen Ida gezimmerten
Schiffe des Aeneas in unsterbliche Meer-
mädchen. Die Wurzeln der Rhea und der
heiligen Zypresse, der Korybanten und Ku-
reten sind in Phönizien und Babylonien
nachzuweisen. — Neben der Bugzierde ist
eine zweite Eigenart der Dipylon- Schiffe,
ein 8 (seltner i6) strahliger Stern am Bug,
der, wie A. schon früher erkannte, nichts
mit dem später nach ägyptischem Vorbilde
dort auftretenden Auge zu tun hat. Auch
er ist ein Symbol und gleicht dem Wahr-
zeichen, dem Standartenkopf der Istar auf
altbabylonischen Zylindern. Merkwürdiger-
weise erinnern nun auf dem nach Homer
vielsprachigen Kreta Stadt Istros und Berg
Cadistus an Istar und ihre Hierodule (Ca-
distu), ferner zeugen dort zahlreiche Namen,
Sitten, Überlieferungen (die vom Grab des
altassyrischen Königs wird einmütig tot-
geschwiegen) von einer uralten babylo-
nischen Kolonisation (A. im Philologus 1908).
Das sollen Anregungen zur Klärung dunkler
Fragen sein, nicht mehr. A. besprach noch
einige nach Vorderasien oder Ägypten deu-
tende Punkte, endlich Fragen des wahren
und des scheinbaren Rammsporns. ■ — Die
einst kanonische Ansicht vom griechischen
Minos ist gefallen, man hat dahin umge-
lernt, daß die minoische Kultur, die alt-
kretische Religion sich ohne griechische
Mitwirkung, wohl aber unter starker Be-
einflussung aus Ägypten und Babylonien
entwickelte. Damit erstand Recht und
Pflicht, auch minoische und Dipylon -Schiffe
mit neuen, morgenländischen Mitteln zu
untersuchen. —
Sitzung vom 3. April 1923.
Herr Br. Schröder erläuterte kurz den
von Herrn Nogara der Lehrsammlung des
Berliner Archäologischen Seminars ge-
schenkten Gipsabguß einer von W. Amelung
in den Magazinen des Vatikanischen Mu-
seums gefundenen Wiederholung des sogen.
Pherekydeskopfes zu Madrid. Nach Treus
Vorgang hat man in diesem Werk den Kopf
des Aristogeiton aus der Tyrannenmörder-
gruppe zu sehen.
Dann sprach Herr L. Curtius (Heidel-
berg) als Gast über die Reliefs Ludovisi -
Boston. Der Vortrag wird als Aufsatz
erscheinen.
Sitzung vom i. Mai 1923.
Herr Noack berichtete vor Eintritt in
die Tagesordnung über die Sammlung
Lunsingh-Scheurleer im Haag und be-
sprach einige Stücke an Hand von Licht-
bildern. Ein Bericht über die Sammlung ist
im Arch. Anzeiger 1922, 202 ff. erschienen.
Dann sprach Herr Rubensohn über Das
Delion von Paros. Das Heiligtum lag
auf einer heute Vigla genannten Höhe nord-
östlich der antiken Stadt, durch den Hafen
von ihr getrennt, mit weitem Überblick
über das Meer nördlich, westlich und östlich
von Paros.
Baugeschichtlich lassen sich zwei Perioden
unterscheiden. In der ersten Periode
herrschte tempelloser Kult. Der von einet
sorgfältig gebauten Peribolosmauer um-
schlossene heilige Bezirk, von fast quadrati-
scher Form, mit Eingang an der Südseite,
enthielt, heute nachweisbar, nur zwei Altäre:
einen Felsaltar von gerundeter Form fast
in der Mitte des Bezirks, wahrscheinlich der
Altar des Apollo, und nördlich von diesem
die Reste eines rechtwinkligen Fundaments
auf dem gewachsenen Fels aufliegend, nach
Form und Größe sicher auch von einem
Altar, wahrscheinlich dem der Artemis
(s. u.). Dieser Altar fiel weg in der zweiten
Periode des Heiligtums, in der er z. T.
überbaut wurde durch einen westlich neben
ihn, zwischen ihn und die Peribolosmauer,
gesetzten kleinen dorischen Tempel. Bei
der Errichtung dieses wurde die Peribolos-
mauer durchbrochen, da er mit seiner
119
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Mai-Sitzung 1923.
120
Westmauer nach außen vor die Peribolos-
mauer vortritt. Der Tempel, ein kleines
templum in antis, 9,50 m lang, 6 m breit;
Fundament aus Gneisblöcken, wie sie im
älteren Asklepieion und bei der Stadtmauer
zur Verwendung gekommen sind. Die
Euthynteria aus polygonal geschnittenen
Marmorquadern. Vom Aufbau erhalten sind
Teile des Triglyphons, Geisonblöcke und
zahlreiche Dachziegel, alles aus Marmor.
Die Funde unter dem Tempel schneiden
mit Mitte des 6. Jahrhunderts ab. Der
Tempel ist also wahrscheinlich in der
I. Hälfte des 6. Jahrhunderts erbaut worden.
Aus der zweiten Periode des HeiHgtums
stammen ferner: a) der zum Tempel ge-
hörige »neue Altar«, hart östlich neben dem
»alten Altar« errichtet; b) ein Speisesaal
(oOTiOTopiov), mit z. T. wohlerhaltenem
Kieselmosaik und Resten des Tricliniums,
und anschließende Wirtschaf tsräume (Küche,
Priesterwohnungen) direkt südUch neben
dem Tempel; c) eine außen an Tempel und
Peribolosmauer angebaute Terrasse, die
durch seitliche Treppen besteigbar war.
Die Identifizierung des Heiligtums ergaben
Inschriften: a) Inschrift an Artemis DeHe
auf der Basis einer weiblichen Standfigur,
deren Reste (Kopf mit Polos) unmittel-
bar neben dem Tempel liegend gefunden
wurden; b) Horosstein mit Inschrift: '\8TivatT)
KuvDtV;.
Die Gründung des Heiligtums geht, wie
bei den meisten Delien in vorgriechische
Zeit zurück, wie ihre Rückführung auf
Herakles (Oxyrliynch. Pap. III 408 v. 35)
und die Auffindung wenn auch nur weniger
prähistorischer Scherben und Obsidian-
messer, beweist. Der Tempel gehörte
der Artemis wie neben der erwähnten
Inschrift die in und neben dem Tempel
gemachten Einzelfunde beweisen. Der
Tempel trat mit seinem neuen Altar an die
Stelle des alten Altars. Wo Athene Kynthie
und [Zeus Kynthios] und die anderen Gott-
heiten eines Delions ihre Kultusstätten im
Hieron hatten, läßt sich nicht mehr nach-
weisen.
Kultus: Hauptstätte des Kultus in beiden
Perioden war der Felsaltar des Apollo. Auf
der ihn umgebenden freien ebenen Fels-
platte fanden die Festtänze statt; in dem
Speisesaal, der dem kaziazopiov tö Iv Kuvöq)
in Delos (Bullet, hellen. XIV 1890, 507)
entspricht, wurden die auch für das Atheni-
sche Delion bezeugten Festschmäuse der
Priesterschaft (vgl. Athenaeus VI 234 kombin.
mit Plutarch Solon c. 24) abgehalten. Die
Terrasse am Tempel ist der einzige Punkt
auf dieser Höhe, der einen Ausblick auf
Delos gewährte, sie ist eine Parallele zur la^api]
iv Tip xeiyei p.eT«Su xou riuftiou xal toü 'OXuniriou
des Zeus Astrapaios in Athen, von der aus
man die Blitzzeichen für die Absendung der
Pythiasten nach Delphi beobachtete. Die
Terrasse ist eine solche iaydpri — Stein-
ummauerung, in der Mitte Erdfüllung —
und Warte, von der aus man das Zeichen
von Delos (etwa Feuersignal auf dem
Kynthosberg) zum Beginn der Delischen
Panegyris beobachtete.
Einzelfunde sind nur im Inneren des
Tempels und — in geringer Anzahl — in
dessen unmittelbarer Umgebung gemacht
worden. Die im Inneren des Tempels ge-
machten Funde sind fast ausnahmslos unter
dem antiken Boden des Tempels in einer
hier vor der Errichtung des Tempels vor-
handen gewesenen grubenartigen Boden-
senkung zutage getreten. Eine Ausnahme
macht eine größere Anzahl kleiner runder
Marmorteller mit Löwenfüßen, die in dem
Speisesaal gefunden sind.
Marmorfunde. Die gefundenen Skulp-
turenreste sind nur gering an Zahl, besondere
Berücksichtigung verdienen einige frag-
mentierte Marmorköpfchen wegen ihrer in
die Augen springenden Verwandtschaft
mit den Olympia-Giebel-Skulpturen.
Die Vasenfun de, abgesehen von ein paar
prähistorischen und minyischen Scherben,
setzen mit der reif -geometrischen Gattung
ein und umfassen alle im Gebiet des ägäischen
Meeres heimischen Gattungen bis zur früh-
korinthischen. Sie schHeßen gerade da
an, wo die Vasenfunde auf der Akropolis
vonParos aufhören, und es ergibt sich somit
eine geschlossene historische Reihe. Be-
sondere Bedeutung haben die zahlreichen
Tellerarten, die die Vorstufe bilden zu den
erwähnten, z. T. hellenistischen Marmor-
tellern, vielleicht Weihungen der Teilnehmer
an den öffentlichen Festspeisungen. Vasen-
geschichtlich bedeutsam ist das Auftreten
121
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juni- und Juli-Sitzung 1923.
122
der der melischen Gattung nahestehenden
Teller wie sie gleicher Art unter dem Heraion
von Delos und in Rheneia gefunden sind,
und von polychromen Tellern jener
Gattung, deren Hauptstück der bekannte
Teller von Thera ist, die ebenfalls im Fund
vom Heraion von Delos vertreten sind
(vgl. Compt. rend. d. l'Acad. d. Inscr. 1911,
551).
Unter den Kleinfunden aus verschiede-
nen Materialien sind bemerkenswert zahlreiche
Knochen- und Elfenbeinplatten von Fibeln,
wie sie vielfach an griechischen Fundstätten
der gleichen Epoche, besonders im ephesi-
schen Artemistempel unter den Fundament-
beigaben der zentralen Basis aufgetreten
sind, und Skarabäen und andere Klein-
kunstwerke ägyptischen Stils der bekannten
Naukratischen Fabrik aus der i. Hälfte des
6. Jahrhunderts. Besonders zahlreich unter
den Kleinfunden sind dann schließlich die
figürlichen Terrakotten; es sind meist
sitzende und stehende Frauen, sehr häufig
mit dem Polos auf dem Haupt, ferner
Puppen und dergleichen mehr, also offenbar
Weihungen von Frauen für eine weibliche
Gottheit, d. h. in diesem Fall für Artemis.
Die Terrakotten sind nicht in Paros ge-
arbeitet, sondern im wesentlichen ost-
jonische Fabrikate, die sich, völlig gleich-
artig, in Samos und Rhodos, aber auch z. B.
im Eileithyia-Heiligtum in Paros gefunden
haben, also Schöpfungen von Fabriken, die
möglichst allgemein gehaltene Typen für
verschiedene weibliche Gottheiten als Weih-
gaben herstellten. Während die Vasen und
anderen Kleinfunde durchaus der ersten
Hälfte des 6. Jahrhunderts angehören,
reichen die Funde an figürlichen Terrakotten
bis ins 4. Jahrhundert hinab, bezeugen also
die Pflege des Kultus auch für diese späteren
Zeiten, aus denen sonst alle Fundstücke der
radikalen Verwüstung des Heiligtums be-
sonders durch moderne Kalkbrenner zum
Opfer gefallen sind.
Hierauf sprach Herr Wiegand über
Untersuchungen in Palmyra.
Sitzung vom 5. Juni 1923.
Herr Noack legte den vierzehnten Bericht
der Römisch-Germanischen Kommission vor:
Drexel, Die Götterverehrung im römischen
Germanien, Frankfurt 1923; Herr Krüger
berichtete über D. Krencker, Das römi-
sche Trier, Berlin, Deutsch. Kunstv. 1923.
Dann sprach Herr H. Schäfer über
Grundlagen der ägyptischen Rund-
bildner ei. Der Inhalt des Vortrages ist
wiederholt in den Grundlagen der ägyp-
tischen Rundbildnerei und ihreVer-
wandtschaft mit denen der Flach-
bildnerei, Der alte Orient 1923, Leipzig,
Hinrichssche Buchhandlung.
Sitzung vom 3. Juli 1923.
Herr Rodenwaldt legte die während
des Krieges und nach dem Kriege er-
schienenen russischen Publikationen vor.
Herr Noack berichtete über K. Lehmann -
Hartleben, Die antiken Hafenanlagen des
Mittelmeeres, Klio Beiheft XIV Leipzig
1923, und W. Blümel, Der Fries des
Tempels der Athena Nike, Berlin 1923,
J. Altmann.
Darauf besprach Herr Hubert Schmidt
zunächst das Buch von A. Schulten (Tar-
tessos. Ein Beitrag zur ältesten Geschichte
des Westens. Hamburg 1922), dem besten
Kenner der alten Überlieferung über die
iberische Halbinsel, eine Untersuchung, die
in demselben Geiste gehalten ist, wie des
Verfassers Artikel »Hispania« bei Pauly-
Wissowa und sein großes Numantiawerk.
Die Hauptzeit von Stadt und Reich Tar-
tessos (1000 — 500 V. Chr.) ghedert sich in
3 Abschnitte nach seinen Beziehungen zu
den Phönikiern, den Phokaiern und den
Karthagern, die im Westen Europas die
Vorherrschaft der Tartessier ablösen. Um
500 V. Chr. wird Tartessos zerstört und ist
seitdem in der geschichtlichen Überliefe-
rung verschwunden, wie der Verfasser klar
zu machen versteht, durch absichtliches Be-
treiben der Karthager selbst, die überhaupt
die Schiffahrt und den Verkehr mit West-
europa sperren, um dort die Alleinherrschaft
zu behalten. So ist auch für den Weltkampf
der Karthager mit den Römern der Hinter-
grund gegeben. Das Verschwinden von Tar-
tessos in der Erinnerung der Griechen bringt
Schulten in geschickter Weise in Verbindung
mit dem Atlantismärchen der Griechen und
123
Archäologische Gesellschaft »u Berlin. Juli-Sitiung 1923.
124
identifiziert Tartessos geradezu mit dem
sagenhaften Atlantis. An diese Hypothese
knüpft das archäologische Experiment,
wodurch das Tartessosproblem gelöst werden
soll. Deswegen hat Schulten an der Mün-
dung des Guadalquivir umfangreiche Bo-
denuntersuchungen begonnen und hofft dort
wirklich Tartessos zu finden.
Für die Lösung des Tartessosproblems ist
auch die Vorgeschichtsforschungin aus-
giebigem Maße in Anspruch zu nehmen, viel-
leicht sogar mit Erfolg, nachdem sie in den
letzten Jahren auf spanischem Boden außer-
ordentliche Fortschritte gemacht hat. So
zieht Schulten für seine Schlußfolgerungen
einen großen Bronzedepotfund heran,
der jüngst im Hafen von Huelva gemacht
worden ist. Es ist bei weitem der umfang-
reichste Fund, der je in Spanien zutage kam:
insgesamt fast 400 Bronzegegenstände, die aus
dem Hafen ausgebaggert worden sind, also
wohl eine Schiffsladung darstellen, Dolche,
Schwerter, Lanzenspitzen, sogen. Lanzen -
schuhe, Äxte und andere Geräte, Gürtel-
haken und Fibeln, hauptsächlich westeuro-
päische Typen der jüngsten Bronzezeit,
etwa entsprechend Montelius Per. IV, d. h.
1000 — 800 v.Chr. Die eigenartige Knie-
fibel kommt aus einem fremden Kultur-
kreise; sie ist eine jüngere Variante der
Kniefibel von Cassibile (Sizilien) und steht
den Vorstufen der italischen Schlangen -
fibel in Periode IV i bei Montelius parallel.
Die T-förmigen Gürtelhaken dagegen sind
jüngeren Ursprungs; sie stellen einen Typus
der Hallstattkultur dar und sind auch in
Westeuropa verbreitet; in Spanien wird diese
Form sogar in der nachhallstättischen Kul-
tur, die keltischen Ursprungs ist, variiert
(Döchelette, Manuel II 2 S. 862, Fig. 359).
Jedenfalls sind in diesem Depot von Huelva
Fundstücke verschiedener Herkunft und ver-
schiedenen Alters vereinigt. Dazu kommt
der schlechte Erhaltungszustand der meisten
Stücke. Offenbar haben wir es mit Altsachen
zu tun, die in aller Welt gesammelt worden
sind und nach Tartessos gebracht werden
sollten, um in »tartessische Bronze« umge-
schmolzen zu werden.
Im Anschluß daran hieltHerr H. Schmidt
einen Lichtbildervortrag Zu den troja-
nischen Prachtbeilen. Sie gehören zu
einem Depotfunde aus Troja II 3, sind also
dem großen Schatzfunde A aus der vollent-
wickelten Bronzezeit um 2000 v. Chr. gleich-
zustellen. Trotz des seltenen Materials
(nephrit- oder jadeitartiger Grünstein und
Lapislazuli) und der vollendeten Politur
gehen sie nach ihrer Form (Hammeräxte)
und Verzierungstechnik (Buckelchen mit
dem Hohlbohrer hergestellt) auf die
Steinzeit zurück und zwar auf die steinzeit-
lichen Streitaxttypen des nordeuropäisch -
baltischen Kulturkreises. In Troja II haben
sie Analogien unter gewöhnlichen Steinge-
räten. Die Prachtbeile haben vielleicht
als Herrschersymbole besonderen Prunk- u.
Zeremonialzwecken gedient, die gewöhn-
lichen Steingeräte ähnlicher Form als Streit-
äxte, wie ihre nordischen Gegenstücke.
Die Kultur von Troja II ist steinbronzezeit-
lich charakterisiert. Dieselben Streitwaffen
begegnen nun im hettitischen Kreise als
Götterwaffen, besonders in der Hand des
Blitzgottes Teschub. Die Herrschersymbole
vermitteln zwischen dem gewöhnlichen
Gebrauche und der göttlichen Bestim-
mung.
Die vorauszusetzenden bronzezeitlichen
Beziehungen zwischen Vorderasien und
Nordeuropa im 2. Jährt, v. Chr. finden ihre
Bestätigung durch andere Erzeugnisse. Sie
sind teils als orientalische nach dem Nor-
den verschlagen worden (hettitische Bronzen
im Ostbaltikum und die bis in die sumerische
Kultur zurückreichende Krummkeule, fälsch -
lieh »Bumerang« genannt, die in Skandina-
vien vereinzelt aus Feuerstein und in Säbel -
form aus Bronze auftritt), teils als gemein-
same Kulturgüter im Orient sowohl als in
Europa im Gebrauch gewesen (Renn- und
Streitwagen), teils als mitteleuropäische
Formen auf dem Wege über den Kaukasus
und den altägäischen Kulturkreis bis nach
Vorderasien oder Ägypten gelangt (Hänge-
spiralen, Schwerter, Fibeln). Die Grundlage
für solche weitreichenden Beziehungen bil-
det die Verbreitung der steinkupf erzeit-
lichen Kulturen südöstlichen Ursprungs um
3000 V. Chr., für welche die Gefäßmalerei
in zwei Stilgruppen (Anau I- Susa-Chäronea
und Tripolje-Cucuteni-Dimini) das Haupt-
merkmal darstellt. Auch in Kreta läßt sich
ihre Nachwirkung bei der Entwicklung der
125
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Oktober- und November-Sitzung 1923.
126
minoischen Kultur des 3. Jahrtausends v.
Chr. beobachten.
Das Material des zweiten Vortrags soll
demnächst in einer ausführlichen Publika-
tion verarbeitet werden.
Außerordentliche Sitzung
vom. 23. Oktober 1923.
Herr R. Pariben i (Rom) sprach als Gast
unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder
über das Thema Ostia.
Sitzung vom 6. November 1923.
Herr Wiegand legte den zweiten Band
des Baalbeck-Werkes vor, der von D.
Krencker, Th. von Lüpke und H. Winne-
feld unter Mitwirkung von O. Puchstein
und B. Schulz verfaßt ist (Berlin 1923,
W. de Gruyter u. Co.). Mit diesem Bande
ist die Darstellung der antiken Bauten be-
endet, einschließlich der christlichen Epoche,
die durch die große Basilika im Hofe des
Heliopolitanums repräsentiert wird. Der
dritte und letzte Band wird die islamischen
Altertümer und die Geschichte Baalbeks in
nachchristlicher Zeit bringen.
Herr Lietzmann (Jena) als Gast be-
richtete zunächst über ein Unternehmen,
das bestimmt ist, für das Studium der spät-
antiken Kunstentwicklung von einer Seite
her grundlegende Vorarbeit zu leisten. In der
spätantiken Abteilung des Jenaer archäologi-
schen Instituts ist der Plan eines Corpus
basilicarum, d. h. einer Sammlung aller
bisher publizierten altchristlichen Basiliken
bis zur Zeit des Arabereinfalls in Angriff
genommen und bereits in ziemlich weitem
Umfang durchgeführt worden. Herr H. W.
Beyer hat das gesamte Material nach einem
einheitlichen Plan verzettelt, alle veröffent-
lichten Grundrisse auf den gleichen Maßstab
reduziert und Aufrisse, Ornamentzeichnun-
gen, Baubefund im einzelnen beigegeben.
Es besteht die Absicht, diese umfassende
Stoffsammlung später einmal als Nach-
schlagebuch herauszugeben. Zunächst aber
sollen die verschiedenen geographisch deut-
lich sich sondernden Gebiete einer Durch-
arbeitung unterzogen werden. Als vorzüglich
geeignet zur Eröffnung dieser Reihe von
Studien erwies sich der syrische Kirchen -
bau, über den Herr Beyer seine Unter-
suchung bereits abgeschlossen hat: sie wird
in Kürze im Verlag von Schoetz und Parrhy-
sius (Berlin) erscheinen. In Syrien fallen
sofort zwei Hauptzentren der Bautätigkeit
in die Augen. Das östlich von Antiochia
liegende nordsyrische Gebiet bis Aleppo
und darüber hinaus, und der große Bezirk
des Haurängebirges in Zentralsyrien. Im
Norden steht den Bauleuten ein gut zu be-
arbeitender Stein zur Verfügung, und die
Wälder boten ausreichend Holz für Balken,
Decken und Dachkonstruktionen. Der Haurän
ist holzarm und liefert dem Bau nur hartes
Basaltgestein. Infolgedessen hat sich in
Zentralsyrien die Bogenkonstruktion im
Großen wie im Kleinen reich entwickelt,
derart, daß auch die Fußböden der Ober-
geschosse und die flachen Fächer der Bauten
aus Steinplatten bestehen, die auf Gurtbögen
ruhen, während im Norden säulengetragene
Archivolten in Verbindung mit Systemen
von Holzbalken die auch anderswo übliche
Rolle spielen. Auch in der Ornamentik prägt
sich die Wirkung des verschiedenen Stein -
materials deutlich aus. Von besonderer
Bedeutung für Syrien ist nun ein die Fassa-
den gliederndes, Fenster und Türen um-
ziehendes Bandornament, das in den ältesten
Bauten fehlt, wie sie noch durch vier ver-
schiedene, von demselben Architekten Ky-
rillos um 400 errichtete Anlagen vertreten
sind. Dann aber können wir das allmähliche
Auftreten und Fortschreiten dieser Band-
Ornamentik an den zahlreichen datierten
Basiliken vortrefflich verfolgen. Das Glanz-
stück der nordsyrischen Architektur, die
Kirchen- und Klosterbauten des hl. Symeon
Stylites (Dgr Sim'än) zeigen diese Orna-
mentik voll entwickelt, und man würde
deshalb geneigt sein, diese Anlagen in justi-
nianische Zeit zu datieren. Aber die erst
kürzlich publizierte Phokaskirche des wenige
Stunden entfernten Basufän kopiert
bereits die Ornamentik der Symeonskirchen
im Jahre 492. Damit ist die Entstehungszeit
von DSr Sim'än für das Menschenalter
zwischen 459 (Symeon f ) und 492 festgelegt,
zugleich aber eine weitere, kunstgeschicht-
lich recht bedeutsame Erkenntnis gewonnen.
Die Ornamentik der Prachtbauten des
127
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. November-Sitzung 1923.
128
hl. Symeon ist nicht das Ergebnis einer
innersyrischen Entwicklung, sondern ist fix
und fertig übernommen; sie hat sich aber
stück- und tropfenweise von dort aus in
Syrien weiter verbreitet. Ihren Ursprung
kann man nach Lage der Dinge nur in dem
großen Kulturzentrum suchen, von dem
Kal'at Sim'än nicht weiter als Aleppo ent-
fernt ist, in Antiochia. Wenn wir also die
künstlerische Physiognomie der antiocheni-
schen Architektur vor dem großen Erdbeben
von 526 rekonstruieren wollen, wird Kal'at
Sim'än wesentliches Material zu liefern haben.
Diese und andere Beobachtungen lehren aber
auch, daß das künstlerische Leben im Hinter-
lande stagniert und über die alteinheimischen
festen Typen nur durch Einflüsse, die aus
dem kulturellen Vorort oder einem frucht-
baren Nachbarlande sich eindrängen, hinaus-
geführt wird. Solche Einflüsse lassen sich
mannigfach beobachten. Das künstlerisch
bedeutsamste Ergebnis einer derartigen
Kombination sind die berühmten drei Ka-
thedralen mit den Zwei -Turm -Fassaden in
Ruwfiha, Kalb-Luze und Turmanin. Hier
ist das jüngst von Oelmann (Bonner JB.
1922, 189 ff.) ausgezeichnet behandelte
Hilani -Motiv, das sonst in Syrien unbekannt
ist (ebd. 205), zu einer wundervollen Aus-
bildung gelangt: daß hier wieder Antiochia
das Vorbild lieferte, kann kaum bezweifelt
werden, zumal ein mit ähnlicher Fassade
ausgestatteter Palast Diokletians dort be-
zeugt ist (Theodoret h. e. IV 26, i ; Oelmann
205, 3). In Kalb-Luze und Ruwgha ist
dazu der aus dem Haurän stammende Pfeiler-
bau mit mächtigen Bögen gefügt worden;
in Kalb-Luze begegnen wir ebenso wie in
Kal'at Sim'än einer Dekoration der Außen-
seite der Apsis durch doppelte Säulchen,
bei der man das Ringen des Künstlers mit
dem Motiv gut studieren kann.
Aber nicht nur die Fragen der Entwick-
lung, auch das Problem der Entstehung des
christlichen Basilikatypus wird durch solche
Einzeluntersuchung in neue Beleuchtung
gerückt. Daß die christliche Basihka —
ähnlich wie die jüdische Synagoge — aus
dem hellenistisch -römischen Saal heraus-
gewachsen ist und deshalb von Hause aus
mannigfaltige Formen ausgebildet hat, darf
heutzutage wohl als selbstverständlich gelten.
So sehen wir auch im syrischen Hinterland
verschiedene Kirchen an lokale Profantypen
anknüpfen und können nach dem, was wir
über die geringe Regsamkeit des Binnen-
landes gelernt haben, es leicht begreifen,
wenn sich verschiedene altheimische Formen
lange erhalten haben. Das Problem ist viel-
mehr dies: woher kommt der fast eintönig
in Syrien wie überall sonst zur Herrschaft
gelangende Typ der dreischiffigen Basilika
mit halbrunder Apsis und überhöhtem Mittel-
schiff.? Wie erklärt es sich, daß er so schnell
und siegreich die einheimische Mannigfaltig-
keit zurückdrängt ? Die übliche Behauptung
von der Beliebtheit dieses Typs auch für
Profanbauten der früheren Zeit bedarf
dringend der Nachprüfung am Material.
Keinesfalls darf man sich dafür auf die so
gern zitierte Profanbasilika von Aspendos
berufen, wo die vortreffliche Zeichnung im
Gegensatz zum Text (Lanckoronski, Pam-
phylien I, 97; vgl. Taf. 17) deutlich erkennen
läßt, daß eine mit doppelgeschossigen
Emporen versehene Profanbasilika später
in den Typ einer normalen christlichen
Kirche verwandelt wurde. Vielmehr drängt
sich jetzt mit Nachdruck die Hypothese in
den Vordergrund, daß der gekennzeichnete
christliche Basilikatyp eine — natürlich
auf profanen Vorgängern beruhende —
Schöpfung der konstantinischen Regierungs-
baumeister gewesen ist, und daß die in Rom,
Jerusalem und Umgebung, Tyrus, Kon-
stantinopel und anderswo aus kaiserlicher
Stiftung errichteten Kirchen, die sämtlich
mit leichten Modifikationen im einzelnen
die in Frage stehende Grundform aufweisen,
die maßgebenden Vorbilder für die nun
allenthalben einsetzende große Kirchen -
bautätigkeit gewesen sind. Von größter
Bedeutung für dieses Problem wird die
Untersuchung der kleinen (konstantinischen ? )
Paulskirche in Rom sein: denn diese weist
alle Merkmale dieses Typs auf, aber ihre
unter dem Fußboden der heutigen Pauls-
basilika liegenden Reste harren noch der
systematischen Nachprüfung, die allein auch
die Datierung — ob unter oder vor Kon-
stantin — festlegen kann. Soviel kann wohl
jetzt schon gesagt werden, daß aller Wahr-
scheinlichkeit nach das quadratische Atrium
nur im engsten Zusammenhang mit konstan-
129
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitzung 1923.
'30
tinischen Bauten auftritt: sein Vorbild ist
noch nicht aufgefunden, und da die kleine
Paulskirche die syrische Besonderheit der
zwei quadratischen Sakristeien neben der
.Apsis aufweist, so erhebt sich die Frage,
ob etwa ihr Baumeister Syrer war.? —
So führt die weitere Verfolgung der Probleme
von Land zu Land: und für diese Wanderung
den Weg zu bereiten, ist die Aufgabe des
Corpus Basilicarum und der damit zu-
sammenhängenden Einzelstudien.
Sitzung vom 9. Dezember 1923.
83. Winckelmannsfest.
Das 81. Winckelmannsprogramm ist von
K. Zahn verfaßt und tagt den Titel Kl'ii
XPß.
Der alte Festsaal der L'niversität, in dem
diesmal — unter Teilnahme der Gesell-
schaft der Freunde der Antiken
Kunst — das Winckelmannsfest begangen
wurde, war geschmückt mit einer Reihe
neu erworbener Abgüsse von archaischen
Skulpturen, Koren von der Akropolis,
darunter die .große Chiotin, die Antenor-
figur, die Fragmente der Giebelgruppe des
eretrischen Apollontempels, die Kolossal -
büste des Kuros von Sunion, — auch die
Athenagruppe der pisistratischen Gigan-
tomachie und die neugefundenen Basis-
reliefs aus der Stadtmauer gehören zu dieser
ohne staatliche Beihilfe erfolgten Erwerbung.
Herr Noack eröffnete die Sitzung mit
einer Begrüßung des an diesem Tage der
Gesellschaft seit 50 Jahren und lange schon
als Ehrenmitglied angehörenden Geh. Rats
Adolf Trendelenburg, gedachte der man -
nigfaltigen neuen Arbeiten und auch Aus- j
grabungserfolge des athenischen Instituts [
sowie der nahe bevorstehenden Wiederher- '
Stellung normaler Arbeitsmöglichkeit in
eigenem Hause auch in Rom und gab, er-
innernd an die tausendfältigen Beziehungen
deutscher Geschichte und deutschen Le-
bens zu Rom und Italien, einen kurzen
Überblick über die Entwicklung der rö-
misch-germanischen Forschung, die längst
über das erste vor 33 Jahren von Mommsen
eingeleitete Stadium einer großzügigen Er-
forschung des Limes hinausgewachsen ist
zu einer weitgreifenden Altertumsforschung,
die rückwärts den Anschluß an die Prä-
Archäologischer Anzeiger 1923/24.
historie vollzieht und andererseits bis tief
hinein in die ausgehende Antike und früh-
christlichen Zeiten führt. Wenn die Gesell-
schaft zwei Meister auf diesem Gebiete
gebeten hat, gerade an diesem Festtage hier
zu sprechen, so will sie nicht nur die Zu-
sammenhänge zwischen den Kulturen, die
sich im römisch-germanischen Gebiet ab-
lösten, und dem südlichen Europa, der
klassischen Antike, betonen, sie will damit
heute auch zum Ausdruck bringen, daß,
wie das ganze Land um Rhein und Mosel
ein unlösbarer Teil der großen deutschen
Einheit ist, auch die geistige .Arbeit, die dort
geleistet wird, Arbeit ist deutschen Geistes,
deutscher Wissenschaft, und daß auch sie
zu ihrem Gedeihen die Freiheit der Betäti-
gung, der Forschung auf freiem deutschen
Boden braucht und fordern muß. Die Ge-
sellschaft grüßt in den beiden verehrten
Rednern die Vertreter deutscher Wissen-
schaft in dem Teile deutschen Landes, das,
von unsrem größten deutschen Strom durch-
zogen, deutsches Gut seit fernsten Zeiten ist.
Darauf sprach Herr E. Krüger(Trier) über
Archäologische Bodenforschung in
Trier. J. J. Winckelmann hat von den
rheinischen Altertümern schwerlich viel ge-
kannt, aber der Mann, der schon als Schüler
in .Stendal »Heidenpötte« ausgrub und
sammelte, hätte sicherlich auch Sinn gehabt
für unsere rheinische Forschung und für die
heimatliche Note, die bei ihr mitklingt, und
würde für seine Studien Belege aus deutschem
Boden gewiß nicht abgelehnt haben, wie etwa
die bei uns besonders eifrig gesammelten
Ziegelstempel, denen auch er in Rom
Interesse widmete, oder die Basilika in
Trier als Bestätigung seines Satzes, daß in
römischer Zeit die ganz aus Ziegel bestehen-
den Bauten die vornehmsten sind, oder den
Hinweis auf das Vorkommen der feinen
Bauweise des opus reticulatuni auch an der
Grenze des römischen Reiches in Trier.
Der Vortrag soll an einigen Proben zeigen,
wie auch am Rhein, insbesondere in Trier,
danach gestrebt wird, die archäologische
Bodenforschung auf den Wegen weiter zu
treiben, die Winckelmann ihr gewiesen hat.
Der Reiz Triers ist die Fülle antiker Bauten,
die noch heute im Stadtbild stehen. Die
moderne Forschung holt sie aus der Ver-
«31
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitzung 1923.
•32
bauung heraus und sucht sie nach Form
und Bedeutung klarzustellen. (Diese Reste
über der Erde im einzelnen waren dem
zweiten Vortrag des Abends, dem des Herrn
Krencker, vorbehalten). Die zweite, viel-
fach schwierigere Seite unserer Arbeit sind
die Reste unter der Erde. Wir streben,
danach, wie Wiegand in Priene und Milet
das Vorbild gegeben hat, das Gesamtbild
des römischen Trier wiederzugewinnen, aber
wir können nicht wie dort einfach das
Leichentuch vom Körper der antiken Stadt
wegziehen und auf den sauber skelettierten
Überresten das Stadtbild rekonstruieren.
Wir müssen vielmehr stets mit dem blühen-
den Leben der modernen Stadt paktieren
und uns vielfach den Weg unserer Forschung
durch diesen Zwang vorschreiben lassen.
Der äußere Umkreis der römischen Stadt,
die Stadtmauer, konnte systematisch unter-
sucht werden; für die Erforschung des
Innern aber sind wir in der Regel rein auf
Gelegenheiten angewiesen. Es muß eben
bei jeder größeren Ausschachtung der Ar-
chäologe zur Stelle sein, um zu beobachten
und zu sammeln. Es ist eine Entwicklung
von fast zwei Jahrtausenden, die über die
römischen Reste hinweggegangen ist und
sie beständig verändert hat. Schon in
den ersten viereinhalb Jahrhunderten unse-
rer Zeitrechnung, in der römischen Zeit
selbst, ist allein die Bodenhöhe mindestens
um 2 m gewachsen. Nach der Zerstörung
und dem Verfall der Römerstadt hat sich
auf dem Schutt und in den Ruinen das
mittelalterliche Trier eingerichtet, dem das
erhaltene römische vielfach nur als Stein-
bruch diente. Heute sind im Boden erhalten
nur noch die Fundamente und die untersten
Teile der Häuser, mit ihren Kellern, Heiz-
anlagen und den vielfach mit Mosaiken ge-
schmückten Fußböden, dazwischen die
Straßen mit Kanälen und Wasserleitungen.
Diese Reste gilt es festzuhalten auf dem
Papier oder im Bilde; aus ihnen soll das Bild
der antiken Stadt wieder erwachsen.
Die moderne Kanalisierung der heutigen
Stadt bedeutete archäologisch die erste zu-
sammenhängende Rekognoszierung der ge-
samten römischen Innenstadt, die in jahre-
langer Arbeit durch oft kleinlich erschei-
nende Einzelbeobachtungen durchgeführt
wurde. Das erste Hauptergebnis war der
Plan der Stadt mit rechtwinklig, in regel-
mäßigen Abständen sich kreuzenden
Straßen. Außer der Porta nigra, deren ab-
weichende Stellung die große Stadterweite-
rung der Spätzeit verrät, fügen sich die
großen erhaltenen Römerbauten in dieses
Straßennetz ein.
Aber diese fortlaufende Kanalisations-
beobachtung war eine besondere Sache,
einzigartig und schwerlich wiederkehrend.
In der Regel sind unsere Aufgaben meist
recht überraschend auftretende Einzelfälle,
die rasches archäologisches Eingreifen er-
fordern. So sollte eines Tages die Basilika
mit Bäumen und Gartenanlagen umgeben
werden. Es gelang, dies solange aufzuhalten,
bis das Gelände in schnellem Tempo durch-
forscht war. Es ergab sich ein außerordent-
lich wichtiges Wohnhaus eines höheren Be-
amten mit vielen Mosaiken; ferner auf einer
Straßenkreuzung davor ein eigenartiger
Achteckbau, dessen Grundriß mit dem des
Turms der Winde in Athen verwandt ist
und der deshalb als Stadtuhrgebäude ge-
deutet wird.
Große Weinkelleranlagen, in denen in den
ersten Jahren nach dem Krieg die Erträg-
nisse der guten Weinjahre angelegt wurden,
brachten im Zentrum der Stadt größere
Teile des Forums, an anderen Stellen aus-
gedehnte und wohlerhaltene Reste von
Straßen und Wohnhäusern zutage. Da alle
römischen Baureste bei solchen modernen
Bauten völlig vernichtet zu werden pflegen,
ist eine gründliche Aufnahme in Zeichnung
und Bild eine unumgängliche Verpflichtung.
Der Sommer 1921, der mit seiner Trocken-
heit alle früheren übertraf, offenbarte im
Bette der Mosel Gruppen von zahlreichen
Holzpfählen, die sich durch eiserne Schuhe
als sicher römisch erwiesen. Aus ihnen er-
schloß S. Loeschcke den Grundriß der
römischen Moselbrücke, die schon Tacitus
erwähnt. Sie fügt sich in das Straßennetz
und an die Reste des Brückentors viel besser
ein als die heute noch stehende »Römer-
brücke«.
Bei der großen Heeresvermehrung des
Jahres 1913 wurde eine Reiterkaserne vor
die Waldschlucht des sog. Balduinshäus-
chens gelegt. Bei den dabei gemachten
133
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitzung 1923.
134
Ausschachtungen erbrachten schöne In-
schriften- und andere Funde volle Auf-
klärung über die Ausdehnung und Bedeu-
tung einer prachtvollen Tempelanlage, deren
Ruine dort seit alters bekannt ist. Die
Tempelinhaber sind Lenus Mars und eine
Göttin Ancamna. Auf großen Steinbänken
werden Gaue der Treverer genannt. Der
Tempel war sicher das Hauptheiligtum
dieses Stammes. Als nach dem Kriege in
demselben Gebiet Notwohnbauten errichtet
wurden, kam daneben der heilige Bezirk
der Quellnymphen Xulsigiae mit zahlreichen
Inschriften und Statuen zum Vorschein,
Weihgaben zum Dank für Heilung in
Krankheit; auch diese Quellnymphen wieder
im Verein mit Lenus Mars, der also auch
hier, wie schon von Pommern an der Mosel
bekannt war, als Heilgott verehrt wurde.
Diese aus der Fülle in etwas willkürlicher
Zusammenstellung herausgegriffenen Bei-
spiele mögen zeigen, wie in Trier die Boden -
forschung mit dem Leben der modernen
Stadt verquickt ist. In der modernen Stadt-
entwicklung haben lange Jahrzehnte frei-
willige Helfer, organisiert in der »Gesell-
schaft für nützliche Forschungen«, sich
bemüht, diese Forschungsarbeit nach besten
Kräften zu leisten. Aber erst die Organi-
sation, die der Staat Preußen und die Rhei-
nische Provinzialverwaltung durch die ge-
meinsame Gründung des Provinzialmuseums
^in Trier i. J. 1877 geschaffen haben, und
^ die seitdem von der Rheinprovinz regel-
mäßig mit guten Mitteln ausgestattet wurde,
erst diese Organisation hat es ermöglicht,
daß die Forschung in allen wichtigen Fällen
wirklich auf ihrem Posten sein kann. Die
Notwendigkeit aber dieser Organisation ist
in Berlin zuerst dargelegt worden durch
eine Denkschrift von Richard Schöne.
Er hat dadurch die Schaffung der beiden
rheinischen Provinzialmuseen in Bonn und
in Trier angeregt und damit unserer rhei-
i nischen Bodenforschung die entscheidende
Wendung, die Möglichkeit, ihre wissenschaft-
liche Pflicht wirklich zu erfüllen, gegeben.
Im Anschluß daran sprach Herr Krencker
über Römische Denkmäler aus Trier und
Umgebung'). Die innere Einstellung zu den
') Vgl. Daniel Krencker, Das römische Trier,
Berlin 1923; ders. Von den Römerbauten Triers,
auf deutschem Boden stehenden Römischen
Denkmälern ist für den, der am eigenen
Leibe es verspürt, was es heißt, wenn Ger-
manen und Romanen wieder um die Seele
deutscher Grenzvölker ringen, heute eine
besondere. Auf den Darstellungen der
Igeler Säule, der Neumagener Monumente
betrachtet er mit besonderer Anteilnahme
die Typen der alten Moselaner und Eifel-
leute, unter den Hermen des Welsch -
billiger Beckens die Germanenköpfe, selbst
wenn noch der Halsreif der Barbaren diese
ziert. Es ist ihm kein Zufall, wenn auf dem
berühmten Schulrelief von Neumagen die
dargestellten einheimischen Personen sich
nicht in der römischen Toga, sondern in
ihrer Nationaltracht ausmeißeln lassen. Aus
römischen Trümmern steigt gerade auch die
Frage nach dem alten bodenständigen Volk
hoch !
Das war einer der Gesichtspunkte, unter dem
der Vortrag stand. Es kam sodann dem Redner
darauf an, dem größeren Berliner Kreis
einen Begriff von der meist ungeahnten
Fülle und Mannigfaltigkeit, ja auch Größe
antiker Reste auf deutschem Boden zu
geben. Und wenn die provinzielle römisch-
germanische Kunst gelegentlich auch etwas
plump und derb ist, so steht sie dafür auf
Heimatboden.
Für die frühere Einstellung bei römischen
Forschungen stand zu stark das rein Archäo-
logische im Vordergrund, und die architek-
tonischen Probleme wurden zu wenig be-
rücksichtigt. Gerade in Trier ist man den
räumlichen Problemen der Architektur zu
spät nachgegangen; man hat vor allem den
anschaulichen Wert von Rekonstruktionen
nicht hoch genug geachtet. So hat man es
denn erleben müssen, daß ein ausländischer
Künstler auf dem großen Denkmalspflegetag
in Trier 1909 mit großzügig angelegten
Rekonstruktionen der Barbarathermen und
des Kaiserpalastes den Deutschen die Augen
erst öffnete für die Größe ihrer antiken
Reste.
An Hand von Lichtbildern sprach der
Vortragende über eine Reihe wesentlicher
Denkmäler: Zunächst über Felsdenkmäler
von seltener Stimmung in der Landschaft.
in Deutschlands Städtebau, Heft Trier 1922 (neue
erweiterte Auflage in Vorbereitung).
'35
Archäologische Gesellschaft tu Berlin. Dezember-Sitzung 1923.
'36
Das Reiterdenkmal in Schwein-
schied'), das Mithrasdenkmal in
Schwarzerden -), eine in eine Felswand
eingehauene Mithrasdarstellung, das Di-
anadenkmal zu Bollendorf 3), das
heute in prachtvollem Buchenwald gelegen
wohl einst ein begeisterter Jäger nach glück-
lichem Bärenfang der Göttin zu Ehren aus
einem Felsen hauen ließ, und das Felsen-
grab von Serrig, eine aus dem Felsen
herausgehauene, von einem schweren Sarko-
phagdeckel überlagerte Grabkammer, ein-
sam inmitten einer Wiese gelegen 4).
Um Bodenständiges handelte es sich
bei den Gigantensäulen und den länd-
lichen Tempelbezirken 5) der Treverer mit
ihren schlichten Bauerntempeln und den
einheimischen oft so naiven und plumpen
Göttern und Göttinnen. Von römischen
Wohnbauten griff der Vortragende die
Villa zu Bollendorf und die Pracht-
villa zu Nennig mit ihrem monumentalen
Mosaikfußboden heraus. Bei ersterer wurde
hingewiesen auf die neue Deutung des
Innenraumes, der heute nicht wie früher
als Hof, sondern als Halle des darinstehenden
Herdes halber angesehen werden muß. Rö-
mischen Villenbau gilt es hier mit nordischen
Raumgedanken zu verbinden. Ein höchst
beachtenswertes Beispiel reichster Garten-
kunst in dem Park eines römischen Agrariers
in der antiken Eifel ist das pompöse Was-
serbecken mit dem berühmten Hermen-
geländer zu Welschbillig.
Das Gebiet römischer Wandmalerei wurde
nur berührt. Wandmalereien aus Grab-
kammem wurden vorgeführt, eine, die reich-
ste Marmorwandinkrustation nachahmte 6)^
eine andere 7), die vor allem in der Behand-
lung der Decke zusammengeht mit Mo-
tiven aus bekannten römischen Kata-
komben. Dann wurde jenes »Gruten-
häuschen« vorgeführt, ein zweistöckiges rö-
misches Mausoleum, das ','4 Stunde von der
■) Germania V 192 1. looff.
') Beschreibung mit neuen .\ufnahnun in
Vorbereitung für die Germania.
') Ramboux und Wyttenbach, Taf. ').
*) .^bb. in Westermanns .\lonatsh. Juli 1S86, 449.
5) Hettner, Drei Tempelbezirke im Trevererlande.
') Grabkammer zu Ehrang bei Trier.
7) »Heidenkeller« bei Nehren a. d. M. Ver-
öfTentlichung in der Germania in Vorbereitung.
i berühmten Igeler Säule entfernt bis 1913
' inmitten eines Weinberges ein Dorn-
röschendasein führen durfte.
Nach der Besprechung noch anderer Denk-
mäler (Igeler Säule, Neumagener Denk-
mäler u. a.) zeigte der Vortragende
in der 2. Hälfte des Vortrags das Bild des
römischen Trier. Die Zuhörer wurden im
Geiste hinaufgeführt auf die beherrschende
] Höhe rechts über der Stadt, auf den Hügel,
der heute noch die Reste eines monumen-
talen, einst von einer Riesenfigur bekrönten
Rundgrabes faßt.
Aus seinen Studien der erhaltenen Reste
gewann der Vortragende ein Bild, das er
mit folgenden Worten schilderte: Wir steigen
den Hügel hinauf und überblicken die Stadt
in der Zeit der spätesten römischen Herr-
schaft. Zu unsern Füßen liegt sie, mit stolzen
Toren, mauerumgürtet, turmbewehrt. Im
rechteckigen Straßennetz fallen uns die
Prachtstraßen auf mit ihren durchgehenden
Säulenhallen, ähnlich denen Palmyras, mit
; Triumph- und Ehrenbögen wie in Timgad,
mit Fontänen, Nymphäen und Ehrensäulen
geschmückt wie in syrischen und klein -
asiatischen Städten. Wir sehen mit Hallen
umgebene Plätze, vor allem das große Forum.
Wir sehen das stattliche Kapitol, den Staats-
tempel, der an Pracht und Ausstattung
: nicht geringer war als die Tempel an andern
I Rändern des römischen Reiches. Wir sehen,
I verteilt auf die Stadt, auf die Höhen jen-
seits der Mosel, flußauf- und abwärts in
den Dörfern und bei den Villen Tempel und
Kapellen für die vielfachen Götter Roms
und des Landes, so viel wie heute Kirchen.
Wir sehen von oben hinein in die halbkreis-
förmig ansteigenden Sitzreihen, auf die säu-
lengeschmückten Bühnenwände der Thea-
ter, auf das Amphitheater, die lange Renn-
' bahn, dem Circus maximus in Rom gleich,
I hochragende Basiliken, die Curie und andere
; Staatsgebäude. Es rauchen die Schorn-
steine von großen Prachtthermen (vgl. Au-
sonius) und ungezählten kleineren, wir sehen
einen, vielleicht mehrere Kaiserpaläste,
turmbewehrt mit Kasernements und Gärten,
wir schauen hinein in die inneren Säulenhöfe
und die Gärten der Privathäuser. An der
Mosel dehnen sich Magazine und Quaian-
j lagen aus. Der Dunst, der im S.W. an der
"^^7
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitiung 1923.
138
inneren Stadtmauer hochsteigt, kommt von
den vielen Töpferöfen. Rechts am Hang
entlang kommt die große Wasserleitung, sie
endigt zu unsern Füßen in einem großen
Wasserkastell, von dem aus Bogenaquädukte
das Wasser der Stadt, vor allem den Ther-
men zuführen. An den Straßen außerhalb
der Stadt im N. und S. und jenseits der Mosel
dehnen sich endlose Friedhöfe aus, bestanden
mit Grabdenkmälern aller Art, Stelen mit
Altären, Sarkophagen und Triclinien, Ka-
pellen und Rundtumulis, Standbildwerken,
Grabpfeilern und Turmgräbern. Mitten
darin erkennt man auch die Friedhöfe für
die Christen mit besonderen Oratorien. Auf
keinem Flecken deutscher Erde sind so viele
christliche Grabinschriften gefunden worden
wie in Trier. Und, wenn wir richtig ver-
muten, so sieht man in der Zeit, in die wir
uns zurückversetzen, in der Mitte der Stadt
auch schon große Umbauten von Thermen
(Kaiserthermen) und eines anderen großen
Römerbaues (Dom), die man umbaut zu
monumentalen Kirchen des neuen Christen -
gottes ! Ein Blick verlohnt sich noch hinüber
nach dem Ausgang eines stillen Tales auf
die andere Moselseite, wo in heiligem Hain
das marmorne Heiligtum der Treverer-
stämme steht, der Tempel des Mars und der
Ancamna. Und wo wir hinschauen
in die Ferne sehen wir Villen und
Gutshöfe, gesegnete Felder, rebbehangene
Hügel ! Das ist das Bild, das ich auf Grund
meiner Arbeiten in Trier und unter dem Ein-
druck syrischer und afrikanischer römischer
Ruinenstätten gewann. Das kaiserliche rö-
mische Trier hat man sich bisher in Deutsch-
land nie in seinem wirklichen großstädtischen
Glänze vorgestellt.
Zu den einzelnen Römerbauten Triers gab
Herr Krencker an Hand der neueren Ergeb-
nisse kurze Bemerkungen und seine neuen
eigenen Rekonstruktionen zur Porta Nigra,
zum römischen Kern des Doms, zur Basi-
lika, zu den Kaiserthermen, zum spätrömi-
schen Umbau derselben, zum Amphitheater
und zu den beiden neuerdings von ihm aus
trockenen Fundamenten zu räumlichem Er-
leben gestalteten Monumentaltempeln.
Auf das Problem des römischen Domkerns
ging der Vortragende nur kurz ein, er zeigte
aber einen neuen Grundriß. Zu Oelmanns
Archäologischer Anzeiger 1923/24.
Polemik in dieser Frage (Bonner Jahr-
bücher, Heft 128) hat Krencker bis jetzt
noch nicht Stellung genommen, er teilt
aber mit, daß neuerdings Fi echt er ihm
geschrieben habe, daß der neue Vorschlag
zum ersten Mal den richtigen Weg zum Ver-
ständnis des Raumes gebe.
Die vorgeführten Rekonstruktionen der
großen Tempel und der Basilika sind bisher
nur summarisch veröffentlicht, die ein-
gehende Schilderung des Tatbestandes und
die näheren Begründungen dieser so wich-
tigen Dinge hofft Krencker in absehbarer
Zeit geben zu können.
Bei der Deutung des spätrömischen Um-
baues der Kaiserthermen tritt Krencker
immer stärker trotz aller Bedenken und der
Vorsicht der Historiker und Archäologen
für die Deutung als Kirche ein; seine Aus-
führungen dazu lauten: Mit Sicherheit
kann die Erklärung noch nicht gegeben
werden. Mangels klarer historischer Über-
lieferung bleibt nur eins übrig — • wie es
auch seinerzeit bei der Deutung des sog.
Kaiserpalastes in Trier gemacht werden
mußte, um zum Ziele zu kommen — wir
müssen den Bau mit verwandten Raum-
gebilden vergleichen und daraus bis zum
Beweis des Gegenteils ihn deuten.
Der Historiker mag Recht haben, wenn er
zaghafter ist als wir Architekten, für die
gefühlsmäßig der Raum selber eine starke,
die stärkste Überlieferung ist. Ernsthaft
kann ich den Bau bisher nur mit Kirchen
und Klöstern vergleichen. So lange es ein
Badepalast war, war ein Vergleich mit
der Kirche in Bethlehem verfrüht. So es
sich aber um einen Umbau großzügigster
Art aus dem 4. — 5. Jahrh. handelt, da
spricht sie mit, ebenso sprechen mit die
Schilderungen überlieferter Xenodochien und
frühchristlicher Klöster. Einen Reflex da-
von finden wir in den von Butler aus Syrien
uns mitgeteilten Klosterkirchen aus II An-
derin, Der-il-Kahf, vor allem hat das Kloster
Jd Der (Publ. Princ. Univ. Die. H. A. 2.
Taf. Vni) trotz des ganz anderen Maßstabs
mit dem Trierer Umbau den gemeinsamen
Raumgedanken: viereckiger hallenumgebener
Hof mit Räumen ringsum, in der Mittel-
achse die Kirche, rechts und links davon
waren 2 nur von der Kirche aus zugängliche
IjQ Abgüsse der Wörliuer Reliefe. — Kretisch-mykenische Glyptik. — Lichtbildzentrale. 140
Räume. Für die Geschichte des Christen-
tums auf deutschem Boden sind das natür-
lich schwerwiegende Probleme, vor allem,
wenn, wie ich immer stärker glaube, auch
der Domkern von Anfang an als Kirche
geplant war. Auch an das spätere Kloster
zu Tebessa bleibt immer zu denken.
ABGÜSSE DER WÖRLITZER RELIEFE.
Nr. 42 (Polyxena) und 45 (Agon) der oben
Sp. 24 ff. abgedruckten Übersicht vermag,
dank ihrem Verfasser, das Archäologische
Institut der Universität Leipzig zu liefern
(Schillerstr. 8, Hofgebäude). Für deutsche
und deutschösterreichische wissenschaftliche
Anstalten kostet der Agon mit der beachtens-
werten Rückseite 5 G.M., das Polyxena-
bruchstück 6 G.M., ohne Verpackung. Auch
die den Abb. i und 2—4 des Berichtes zu-
grunde liegenden Photographien im Format
9X12 cm können zu 0,50 G.M. bezogen
werden. F. Studniczka.
KRETISCH-MYKENISCHE GLYPTIK.
Im Auftrage der R. Scuola Archeologica
Italiana in Athen bereitet Dr. D. Levi eine
zusammenfassende Bearbeitung der kretisch-
mykenischen Glyptik vor. Das genannte
Institut wäre für Mitteilungen über noch
unveröffentlichtes Material in kleinen Mu-
seen, Universitäts- und Privatsammlungen
dankbar.
LICHTBILDZENTRALE.
Die Bestände der Lichtbiidanstalt E. A.
Seemann in Leipzig sind seit September
1923 um eine beträchtliche Anzahl Neu-
aufnahmen, etwa 280 Nummern, bereichert
worden. Ein Katalog in Maschinenschrift
ist durch das Archäologische Institut des
Deutschen Reiches leihweise zu beziehen.
Hier seien folgende Serien hervorgehoben:
1. Gigantenfries des Pergamenischen Al-
tars (zusammengestellt von W.-H.
Schuchhardt, München).
2. Gymnasion von Pergamon (zusammen-
gestellt von A. v. Gerkan, Berlin).
3. Etruskische Malerei (zusammengestellt
von F. Weege, Breslau).
4. Antikes Seewesen (zusammengestellt
von A. Köster, Berlin).
5. Assur: Keramik, Wandmalerei (zu-
sammengestellt von W. Andrae, Berlin).
6. Berliner Bronzen (zusammengestellt
von K. A. Neugebauer, Berlin).
7. Römische Kaiser (zusammengestellt
von F. Kredel, Gießen).
JAHRBUCH DES INSTITUTS XXXVIII/XXXIX 1923/4
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JAHRBUCH DES INSTITUTS XXXVIII / XXXIX 1923/24
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TAFEL III
hol. fjruckmann
Archäologischer Anzeiger
B EIBLATT
ZUM Jahrbuch des Archäologischen Instituts
1923/24- III/IV.
DIE PARTHENONGIEBEL.
Ihre Technik und ihr Meister.
In seinem neuerdings erschienenen hoch-
gelehrten und hochinteressanten Werk über
Phidias hat Hans Seh rader mir die Ehre
erwiesen, ein ganzes Kapitel darauf zu
verwenden, meine Ansicht über die Technik
der parthenonischen Giebelskulpturen zu
widerlegen. Sein Hauptargument lautet:
»wären die Marmorskulpturen nach Ton-
modellen in voller Größe ausgeführt worden,
so wäre die Tätigkeit der ausführenden Bild-
hauer ein rein mechanisches Kopieren gewe-
sen, wie es die Carraresen üben«; und das
scheint ihm ganz undenkbar zu sein. Gewiß.
Aber das habe ich auch nie behaupten wollen.
Als ausschlaggebenden Beweis zieht Schra-
der die Reliefs des sog. Fuggerschen Sarko-
phags heran, welche beide dieselbe Kom-
position aufweisen, aber sich in vielen Einzel-
heiten und in den künstlerischen Qualitäten
voneinander unterscheiden. Daraus schließt
er, daß sie »unmöglich durch mechanisches
Kopieren eines und desselben Modelles oder
durch Kopieren der schon ausgeführten Dar-
stellung der einen Seite auf der anderen, etwa
mit Hilfe eines Abgusses, entstanden sein
können«. Wieder hat er ganz recht. Von
einem mechanischen »carraresischen« Kopie-
ren kann auch hier nicht die Rede sein. Ich
werde hierauf unten zurückkommen.
»In Marmor ist sie gefunden, erträumt,
erarbeitet« sagt Schradervon den Draperien
Archäolo^scher Anzeiger 1933/24,
der Tauschwestern, offenbar um das Ton-
modell ablehnen zu können. Aber besser
hätte er gesagt: »Für Marmor erfunden,
in Ton vorbereitet«.
Hat Schrader insofern recht, daß man den
Griechen rein mechanische Marmorarbeit
(Carrara) nicht zutrauen darf, so folgt daraus
keineswegs, daß sie nicht vollgroße ausge-
führte Tonmodelle gebraucht haben. Im
Gegenteil. Die Sachlage ist ganz einfach:
Tonmodelle waren, damals wie jetzt, prak-
tisch unentbehrlich. Beim Bronzeguß waren
sie von altersher üblich, Gipsgießen war eben-
so gut bekannt; es ist also von keinem neuen
Verfahren die Rede. Bei frontalen Figuren
hätte man sie entbehren können, darum
waren auch diese von dem vierseitigen Mar-
morblock durchaus abhängig. Aber Figuren
mit so freier dreidimensionaler Ausdehnung
wie die Parthenongiebelgruppen, in jeder
Hinsicht ganz unabhängig vom Blocke auf-
gebaut, konnten nicht auf den Block in Plan-
projektion aufgezeichnet werden, und noch
weniger konnte man diese Aufzeichnung
während der Ausführung festhalten. Da war
es einfach technisch unmöglich, in den
Stein zu arbeiten, ohne ein Modell neben
sich zu haben, nachdem man sich in jedem
Augenblick richten konnte. Kein antiker
oder moderner Künstler würde es vermögen,
Figuren wie z. B. den »Theseus« oder die
Tauschwestern in Marmor zu hauen, ohne
sich im voraus die Form in allen Teilen klar
gemacht zu haben. Man frage welchen Bild-
143
Die Parthenongiebel.
144
hauer man nur will ,ob er sich dazu erdreiste.
Fehlhauen, Fehlberechnungen, Proportions -
fehler würden unvermeidlich sein, die im
Marmor sich nicht redressieren ließen. *) Be-
sonders bei der Draperiebehandlung der »Tau -
Schwestern« glaube ich erwiesen zu haben,
daß die Schwierigkeiten ohne Modell unüber-
windlich wären. Es ist hier von Ästhetik
und dergleichen gar nicht die Rede, sondern
nur von den Möglichkeiten der Praxis.
Wollte man trotzdem annehmen, die
Giebelgruppen wären in Marmor ohne Mo-
delle gehauen, dann hätte diese Arbeitsweise
erfordert, daß die Künstler von Anfang bis
Ende die Arbeit eigenhändig ausführten,
eben weil die Figuren erst im Marmor ge-
schaffen wurden. Für Unterstützung durch
Gehilfen bliebe kein Raum übrig. Mitunter
hätte der Künstler die Arbeit wegen
irgend eines Fehlers von vorne anfangen
müssen. Und jede Figur hätte jahre-
lange Arbeit in Anspruch genommen,
weil man nur mit äußerster Vorsicht vor-
gehen durfte. Demgegenüber ist im Auge
zu behalten, daß die Arbeit am Par-
thenon schnell von statten gehen mußte,
um rechtzeitig vollendet zu werden — so
schnell, daß es Plutarch besonders imponierte.
Schrader selbst ist ja der Ansicht, daß die
beiden Giebelgruppen in den Jahren 447 — 42
im großen und ganzen fertiggestellt wurden.
Dabei wäre es notwendig gewesen, die Arbeit
unter so viele Künstler zu verteilen, daß das
einheitliche Gepräge eines einzelnen leiten-
den Künstlers nicht zum Ausdruck kommen
konnte. Mit einem »herrschenden Willen«
kommt man nicht aus. Kunstwerke werden
mit Händen und nicht mit einem Willen
allein geschaffen. Und der Marmor läßt
Korrektur und Abänderung nicht zu.
Um dieses Nichtfachmännern näher zu
verdeutlichen, möchte ich daran erinnern,
daß die Arbeit auf der Akropolis wie in
anderen großen Werkstätten vor sich ge-
gangen sein muß. Am Schreibtisch setzt
man sich leicht über Schwierigkeiten hinweg,
die in der Werkstatt unüberwindlich sind.
Modellieren in Ton, Gießen in Gips, Hauen
in Marmor, das war damals ganz dasselbe
') Wie in mehreren Fällen bei Michelangelo, ob-
schon (lieser wenigstens bei den Mcdiceergräbern Ton-
Modelle verwendet hat.
wie heutzutage, einfach weil es nicht anders
sein kann. Das Material bedingt das Ver-
fahren, und das Material war dasselbe.
Zu Anfang hatte der leitende Künstler
die I'vomposition in großen Zügen fest-
zustellen, nachdem der Inhalt mit den Be-
stellern abgeredet war. Dieses geschah
natürlich zuerst in Zeichnung und in kleinen
Bozzctten aus Ton (oder Wachs), die man
nach Belieben umgestalten konnte. Danach
mußten die einzelnen Figuren in Angriff
genommen werden. Von jeder wurde ein
Modell in ziemlicher Größe (etwa Lebens-
größe) gemacht, worin Stellung, Körper-
form und Draperie durchgearbeitet werden
konnte. Bei größeren Aufgaben mag sich
der leitende Meister hauptsächlich hierauf
beschränkt und ferner nur korrigiert haben.
Dann kam die Reihe an die Gehilfen, welche
nach dem »Meistermodell« die Figur in
endgültiger Größe aufbauten — in Ton oder
bei so kolossalen Figuren wie etwa dem Zeus
oder der Parthenos sofort in Gips — unter
Aufsicht des Meisters, der auch eigenhändig
hie und da eingreifen konnte. Diese Arbeits-
weise setzt ein Material voraus, das sich
nach Belieben und Erfordernis umformen
läßt. Waren die großen Modelle fertig, so
-fing die Marmorarbeit an. Daß die Griechen
das Maßnehmen verstanden, wird von der
von Gardner (Journ. of hell, studies XI 1890)
besprochenen halbvollendeten Statue aus
Rheneia bestätigt. Aber wie Schrader richtig
bemerkt, »eine unbefangene Betrachtung
der Parthenonskulpturen« macht genügend
klar, daß von rein mechanischem, »carraresi-
schem« Handwerk nicht die Rede sein
kann. Griechische Marmorarbeiter waren
nicht geistlose Rutine-Handwerker, sondern
selbst Künstler mit künstlerischem Gefühl
und Verständnis. Maßnehmen war ihnen
unentbehrlich, um die Figur aus dem Block
herauszuarbeiten (zumal sie dabei den Bohrer
benutzten wie in der Rheneiastatue) und in
allen wesentlichen Teilen festzulegen. Aber
gewiß haben sie nie Punkt neben Punkt ge-
setzt wie die Carraresen; sie haben viel nach
Augenmaß auf freie Hand gearbeitet, wenn
sie auch dem Modell gewissenhaft folgten.
Dadurch hat ihre Arbeit das frische Gepräge
»von der Hand« erhalten. Das Modell hat
sie gegen Tasten, Unsicherheit und daraus
145
Die Parthenongiebel.
146
fließende Fehler, welche die Arbeit verderben,
bewahrt. Einige von den Marmorarbeitern
hatten feines künstlerisches Gefühl, andere
waren von geringerem Geschick und Talent.
In den Olympiagiebeln ist dieser Unterschied
mehrmals fühlbar, z. B. in den Gewändern.
Ein anderes Beispiel ist das Eleusinische
Relief, welches von einem großen Meister
auf die Steinplatte aufgezeichnet sein muß
(Aufzeichnung war unter allen Umständen
notwendig), aber in der Durchführung von
viel geringerer Qualität ist. Man beachte
nur die Augen, deren Form und Plazierung
im Kranium gar nicht verstanden ist, und
die häufig ziemlich zünftige Durchbildung
der Falten.
Schon früher (J. d. I. XXX 1915, 102)
hat B. Schröder meine Ansicht in Frage
gestellt. Nach seiner Meinung müßten sich
im Marmor deutlichere Spuren der Ton-
technik finden. Weniger vielleicht bei den
schweren Himationfalten, aber »an dem
dünnen Chiton weist nichts auf die
Technik des Auftragens auf den Akt
oder Wegnehmens mit den üblichen Model-
lierinstrumenten«. Ohne Zweifel; denn
am Marmor muß man Marmorwerkzeug,
Meißel, Hammer und Bohrer verwenden.
Eine ganz andere Frage aber ist es, ob es
überhaupt möglich ist, ohne Modell den
Marmorblock zu bearbeiten.
Es ist eine anscheinend verbreitete An-
schauung, daß der leitende Künstler sich
darauf beschränkt habe, ziemlich kleine
Kompositionsbozzetten zu liefern, um danach
alles Übrige den Gehilfen zu überlassen.
Damit wird aber die Bedeutung des leiten-
den Künstlers in bedenklichstem Grade
herabgesetzt, denn dann wurden alle wei-
teren, eigentlich künstlerischen Werte von
den Gehilfen geschaffen. Eine solche
bloße »Direktorstellung« steht mit
dem Wesen der Kunst in stärkstem
Widerspruch und kein wirklicher Künstler
würde sich damit begnügen. Die
Finger würden ihm zucken, selbst mit
Hand anzulegen. Schrader führt S. 148 an,
bei dem Asklepiostempel zu Epidauros
»lieferte der Bildhauer Timotheos tuttoi,
Modelle für beide Giebelgruppen und Akro-
terien. Die Ausführung in Marmor wird
unter eine Anzahl mit Namen angeführter
Bildhauer verteilt. Ebenso«, meint er,
»fertige Paionios in Olympia Modelle für
die Marmorskulptur«. Damit bin ich ein-
verstanden. Das Mißverständnis liegt nur
darin, daß man Tiinot ausschließlich als
kleine Bozzetten erklären will, wodurch
Timotheos und Paionios zu bloßen »Entre-
preneurs« herabgesetzt werden. Muß man sie
aber als wirklicheKünstler auffassen — was ja
auch Schrader will — , denen die künstleri-
sche Ehre der fertigen Schöpfung mit Recht
zukommt, so muß in den -tSrot das künst-
lerische Ergebnis festgelegt und gesichert
worden sein; und das war nur bei ausge-
führten Modellen möglich, wenn es auch den
Gehilfen zufiel, diese in den Marmor zu über-
tragen. Daß es in der Römerzeit »Skulp-
turenfabriken« gegeben hat, ist eine andere
Sache. Deshalb sind auch die römischen
Skulpturen vielfach so rutiniert ausgeführt.
Sagt doch Schrader selbst, daß in Olympia
»sowohl in den Giebeln wie in den Metopen
im großen und ganzen eine Einheitlichkeit
und Durchbildung beobachtet wird, die nur
in einer von einem herrschenden Willen gelei-
teten Werkstatt denkbar ist.« Ganz richtig
— aber in der Kunst genügt der Wille nicht,
auch die Hand muß dabei sein. Sonder-
barerweise hat Schrader selbst S. 220 eine
»treffende Bemerkung von P.Wolters« ange-
führt, die nur von meiner Ansicht aus mög-
lich ist, nämlich »die Modelle für beide Kom-
positionen (Giebelgruppen) müßten vollendet
gewesen sein, ehe die Giebelwände empor-
geführt wurden, also vor 442«, so daß »der
gesamte Skulpturenschmuck des Parthenons,
Metopen und Fries in der Marmoraus-
führung, die Giebelgruppen in den Mo-
dellen . . . zwischen 447 und 442 vollendet
sind«. Seiner Motivierung nach kann hier
nicht von Bozzetten, sondern nur von voll-
großen Modellen die Rede sein, und da die
Marmorarbeit erst gegen 432 beendigt war,
müssen die Modelle von Ton (mit Vieh-
haaren, um haltbar zu sein) oder besser von
Gips gewesen sein. Eine dritte .Möglichkeit
gibt es nicht.
Ich komme jetzt auf die Fuggerschen
Sarkophagreliefs zurück. Wäre die Ansicht
Schraders richtig, sie könnten nicht nach
einer gemeinsamen Komposition ausgeführt
sein, ohne daß der eine »carraresisch« nach
7*
147
Die Parthenongiebel.
148
dem andern kopiert wäre, so wären die
Unterschiede freilich unerklärlich. Aber
ein solches Verfahren ist durchaus unwahr-
scheinlich. Viel näher liegt es anzunehmen,
daß beide ausführenden Bildhauer ein
jeder für sich die Komposition nach einer
gemeinsamen Vorlagezeichnung auf den
Stein übertragen und nachher auf freie
Hand gearbeitet haben. S. 282 geht auch
Schrader davon aus, daß die Metopen »nach
einer vermutlich in Tonmodell (hier ist ein
solches also zulässig !) oder in Zeichnung
skizzierten Komposition« gearbeitet wurden.
Jedoch kann man von niedrigen Reliefs,
wo die Umrisse der Aufzeichnung leicht
festzuhalten waren, nicht auf freie Rund-
skulpturen schließen, wo eine Aufzeichnung
auf den Block sofort nach Beginn der Arbeit
verschwinden mußte. Die technischen Mög-
lichkeiten sind hier durchaus verschieden —
das weiß jeder Bildhauer.
Dagegen werfen diese Reliefs Licht auf
eine andere Tatsache, welche man bei Be-
trachtung antiker Kunstwerke immer vor
Augen haben sollte, auf die freie Sicher-
heit nämlich, mit der man kopierte. Selbst
da, wo eigentliches Kopieren Selbstzweck
war, und viel gemessen wurde, hat man zum
großen Teil auf freie Hand gearbeitet;
daher die wohlbekannten Nuancen und Ver-
schiedenheiten unter Kopien nach demselben
Original. Das bezeugt wieder, wie unsicher
es ist, aus vorhandenen Kopien sichere
Schlüsse auf verschwundene Originale
ziehen zu wollen '). Sicher ist nur
der Unterschied. Phidias' Parthenos muß
von ganz anderem Geiste gewesen sein, als
die pergamenische Kopie. Das Verschollene
rekonstruieren zu wollen, ist hoffnungslos.
Eben das, worauf es ankommt, bleibt un-
wiederbringlich verloren.
Es seien mir bei dieser Gelegenheit einige
weitere Bemerkungen zu Schraders Thesen
gestattet.
I. Phidias. Schrader will die Geburt des
Phidias um 510 ansetzen, weil er meint, der
Akrolith in Plataiai sei 478 begonnen worden.
Davon wissen wir aber nichts. Auch wenn
der Tempelbau sofort in Angriff genommen
') Man vergleiche die Kopien nach Leonardo, die
anläßlich der Florabüste zusammengebracht wurden.
wurde, kann sich die Bestellung der Tempel -
Statue sehr gut verzögert haben. Auch
braucht Phidias keineswegs damals schon
ein Dreißigjähriger gewesen zu sein; das ist
eine allzu moderne Auffassung. Im Süden
reift man früh, und Holz und Marmor waren
billiges Material, das man wohl einem jünge-
ren Künstler anvertrauen durfte. Ist Phidias
um 510 geboren, so wäre er 447 über sechzig
Jahre alt gewesen, 438 zweiundsiebzig.
Ist es nun wahrscheinlich, daß er mit den
Aeginameistern und Kaiamis nahezu gleich-
altrig gewesen ist? Werden sie doch ge-
wöhnlich als Vertreter zweier Generationen
angesehen. Plinius setzt die Akme des Phidias
Ol. 83 an, was auffallend ist, wäre Phidias
damals in den sechziger Jahren gewesen,
zumal • — wie Schrader meint — sein Haupt-
werk Zeus um ein Jahrzehnt älter gewesen ist.
S. 220 sagt Schrader, daß 447 — 42, als die
Modelle der Parthenongiebel ausgeführt
wurden, Phidias »eher ein Fünfziger, als
ein Vierziger war«. Das klingt wahrschein-
licher. Phidias wäre demnach um 490
geboren worden.
Heute, wo die Originale restlos zugrunde
gegangen sind, ist es künstlerisch ohne
Belang, ob der Zeus oder die Parthenos
zuerst ausgeführt wurde. Mit Gewißheit
läßt es sich auch nicht feststellen. Die
Argumente Fr. Winters (Jahresh. XVIII
1915, i) können nicht ausschlaggebend sein,
dazu stützen sie sich auf allzu nebensächliche
Dinge. Daß die Parthenos von der Rück-
wand des Tempels entfernt war, wird hin-
reichend dadurch erklärt, daß sie so luftiger
und freier im Räume stand, während es
notwendig war, den Zeus an die Wand zu
rücken, um den nötigen Abstand zu ge-
winnen. Wollte man in Olympia eine Figur
in voller Raumhöhe, ähnlich wie die Par-
thenos, so mußte sie zwischen die Säulen-
reihe gedrückt werden, weil der Bau des
Tempels sich nicht ändern ließ. Warum
sollte eigentlich Phidias alle Tempelmaße
nach Athen übertragen.? Man kann sich
besser das Umgekehrte denken, nachdem
die Maßverhältnisse im Parthenon so gut
ausgefallen waren. Ist es ferner wahrschein-
lich, daß man in Olympia sofort nach
Vollendung des Tempelbaues die nötigen
Mittel für ein so ungeheuer kostspieliges
149
Die Parthenongiebel.
150
Unternehmen wie die Zeusstatue zur Ver-
fügung gehabt hat? Daß Künstler wie
die griechischen ein so stupides Gesetz
aufgestellt hätten, daß nur das linke Bein
Standbein sein durfte, klingt gar sonderbar.
Führt doch Winter selbst Ausnahmen an.
Schrader macht einen Versuch das Werk des
Phidias zu rekonstruieren. Da er die Par-
thenongiebel dem Alkamenes und dem
Paionios zuschreibt, bleibt ihm als einzige
Grundlage die Varvakeionstatuette, die er
selbst mit Recht als künstlerisch minder-
wertig bezeichnet und sogar in die Zeit
Hadrians setzen will. Außerdem ist die
Statuette skizzenhaft und nur in den alier-
gröbsten Zügen ausgeführt. Um so be-
denklicher ist es, auf sie einen ganzen
Hypothesenbau auftürmen zu wollen. Be-
seitigt man die Giebelgruppen, Metopen
und Fries — welche letztere unzweifel-
haft nicht eigenhändige Arbeiten von
Phidias sind — so fehlt uns im Grunde
fast jeder Anhalt, eine Anschauung von dem
persönlichem »Stil des Phidias« zu gewinnen.
Das wenige, das sich aus der Varvakeion-
statuette ersehen läßt, wird auf den ganzen
»Kreis des Phidias« passen.
Immerhin will Schrader auf dieser Grund-
lage zuerst die Demeter Cherchell und dann
die Kora Albani als zuverlässige Kopien
Phidias zuschreiben. Die Ähnlichkeiten
sind jedoch ziemlich allgemein — die be-
deutendste, die vertikale Kniefalte hat auch
die verworfene »Lemnia« ') und »Myrons«
Athena in Frankfurt, die Kora Albani
aber nicht — und die Unterschiede sind
zu groß um sichere Schlüsse zu gestatten.
Die Tracht der Demeter Cherchell ist eine
andere, als die der Varvakeionstatuette,
anders ist der ganze Oberkörper mit den
plumpen wulstigen Falten. Die Schulter-
falten des Himation kann man nicht ohne
weiteres mit der Ägis zusammenstellen. Die
Kora Albani ist noch weiter von der Var-
vakeionstatuette entfernt. Eine gewisse, nicht
allzu ausgesprocheneVerwandtschaft mit dem
Ostgiebel des Parthenon und den liegenden
Weibern im Westgiebel von Olympia würde
i) Mit dieser Kniefalte und den Schulterfalten
bildet die „Lemnia" ein interessantes Zwischenglied
»wischen der Varvakeionstatuette und den Tau-
schwestem.
nach Schraders Hypothesen eher auf Alka-
menes deuten. Die Chitonbehandlung der
Kora Albani hat mit dem Ostgiebel des Par-
thenon eine gewisse Verwandtschaft, mit
der Varvakeionstatuette aber gar keine,
und von Schraders Standpunkt aus müßte
jede Annahme einer solchen Draperie-
behandlung als Phidiasisch hinfällig sein.
Daß das Eleusisrelief auf Phidias zurückgehe,
dafür hat man gar keinen Beweis; die Ver-
wandtschaft mit dem Parthenonfries ist
offenbar; aber diesen will Schrader ja Alka-
menes zuschreiben.
2. Alkamenes. Mit Recht macht Schra-
der geltend, daß der Bericht des Pausanias,
in Olympia habe Paionios den Ostgiebel
und Alkamenes den Westgiebel ausgeführt,
nicht ohne weiteres abgelehnt werden kann.
Aber gleich darauf geht er selbst mit Pausa-
nias willkürlich um, indem er Paionios die
beiden Giebelgruppen und Alkamenes nur
die liegenden Frauen in den Ecken des West-
giebels zuschreibt. Er faßt es als eine »Un-
genauigkeit« des Pausanias auf, daß er
Alkamenes als Meister des ganzen West-
giebels nennt. »Solche Vereinfachung und
Übertreibung ist namentlich innerhalb ört-
licher Überlieferung im Munde der Ciceroni
etwas Alltägliches.« Weiß man gewiß, daß
Pausanias nur aus mündlicher Cicerone-
weisheit geschöpft habe? Daß die liegenden
Frauen von anderer Hand und vielleicht
später sind, ist augenfällig. Aber daß sie
aus den fünfziger Jahren und während
Phidias' Aufenthalt in Olympia herrühren,
und daß Alkamenes damals Phidias' Schüler
war, ist nur Hypothese. Die Verwandtschaft
der beiden Olympiagiebel ist zwar groß,
jedoch kaum groß genug, um zwingend
einen und denselben Meister vorauszusetzen.
Die Verwandtschaft der liegenden Frauen
mit der »Phidiasschule« ist offenbar, aber
der Abstand ist sehr groß. Von der par-
thenonischen blendenden Meisterschaft ist
in den liegenden Frauen keine Spur vor-
handen. Ihre Körperform ist glatt, fast
ein wenig aufgedunsen, läßt gänzlich die
Nuancen, die Akzente und namentlich die
genaue Kenntnis des Körperbaues vermissen,
die im Parthenongiebel zu einem Höhepunkt
entwickelt sind. Die Draperie der Olympia-
frauen ist gefühl- und charakterlos, grob
151
Die Partheoongiebel.
152
und oberflächlich behandelt — welcher
Gegensatz zu der virtuosen Meisterschaft
an den Tauschwestern ! Der Kopf der
einen liegenden Frau hat allerdings mit der
Kora Albani eine gewisse Ähnlichkeit, aber
diese schreibt ja Schrader nicht Alkamenes
zu, und von den Parthenongiebeln besitzen
wir keinen einzigen weiblichen Kopf. Aus
der Verwandtschaft späterer Werke des
Alkamenes mit den Parthenonskulpturen,
läßt sich kein Beweis für seine Urheberschaft
der letzteren herleiten. Beiläufig möchte
ich fragen, woher kennt man ,,den Typus
ruhig stehender, in dorisches Gewand ge-
kleideter Frauen, den Phidias um 460 ge-
schaffen hat" (Schrader S. 184).'
Auffallend ist es, daß Schrader S. 105
die beiden Olympiagiebel in die Jahre
475 — 65 verlegt — wonach Alkamenes
unmöglich Meister des Westgiebels sein kann
— , S. 135 aber sagt: »Es ist nicht sicher,
aber doch wahrscheinlich, daß damals (457)
die Giebelgruppen aufgesetzt waren.« Zieht
man die Schnelligkeit in Betracht, mit der
offenbar die sehr breit gehaltenen und in
vieler Hinsicht wenig durchgebildeten Giebel -
Skulpturen vollendet wurden, und den
Umstand, daß auch hier wie üblich mehrere
Gehilfen bei der Arbeit beteiligt waren, so
würde es keineswegs Wunder nehmen, wenn
der Westgiebel erst in den Jahren 461 — 57
ausgeführt worden wäre. Als Gehilfe des
Paionios zuerst nach Olympia gekommen,
braucht Alkamenes 461 nur einige zwanzig
Jahre alt gewesen zu sein ; er kann also 485 —
80 geboren sein und dabei sehr gut 403 als
ein achtziger unter dem Beistand vonSchülcrn
und Gehilfen das große Relief geliefert
haben. Dies ist zwar auch Hypothese. Aber
ich möchte daran erinnern, daß Tizian bis
zu einem Alter von 99 , Michelangelo 89,
Gio. Bellini 85 Jahren tätig gewesen ist;
der dänische Bildhauer Saabye hat 82 Jahre
alt ein großes bronzenes Standbild geschaffen
und 92 Jahre alt, eine lebensgroße, frisch
und gut modellierte Prophetenstatue.
3. Paionios. Undenkbar ist es nicht,
daß ein ganz großer Meister in den Jahren
457—445, unter Einfluß von Phidias' Werk-
statt eine Entwicklung wie die vom Olympia-
ostgiebel bis zum Parthenonwestgiebel durch-
gemacht haben kann, wenn es auch ver-
wundert, daß gerade ein so tiefernster
Meister wie Paionios in diesem Grade
Virtuose geworden wäre. Es ist ein arges
künstlerisches Mißverständnis, den Par-
thenonwestgiebel für altertümlicher, als
den Parthenonostgiebel zu halten. Ein-
zige Grundlage für diese Auffassung ist,
daß Entfaltung und Gruppierung von »Ke-
phissos« und »Kekrops und Tochter« von
der »unsichtbaren Vorfläche« des Giebel -
raumes etwas gebunden scheinen. Aber
dem steht entgegen, was viel wesentlicher
ist, daß alle — oder die meisten • — Figuren
aus dem Westgiebel eine technisch und
ästhetisch fortgeschrittenere Stufe bezeich-
nen, als der Ostgiebel, denn die Entwicklung
geht nie von Virtuosität und beginnendem
Manierismus zu natürlicher Frische, sondern
umgekehrt. Bei den Tauschwestern ist das
Verhältnis zwischen Körper und Draperie
noch frei und natürlich, in beiden kommen
Stofflichkeit und eigenes Wesen vollständig
zu ihrem Recht, aber bei der »Iris« und be-
sonders dem Bruchstück der Athcna aus
dem Westgiebel ist die Draperiebehandlung
Manier geworden, der natürliche Fall des
Stoffes ist einer raffinierten, aber unwahren
malerischen Wirkung gewichen • — Vorstufe
der pikanten Wirkung der Aphrodite Fr^jus
und des Nereidenmonuments. »Kephissos«
zeigt ein intimeres Verständnis der Anatomie
der Körperbewegung, eine virtuosere Meister-
schaft in der Behandlung der komplizierten
Verschiebungen der Körperteile bei der
Drehung als der »Theseus« im Ostgiebel.
»Theseus« ist einfacher ■).
Die Schwierigkeit betreffs Paionios' Ur-
heberschaft am Parthenonwestgiebel liegt
darin, daß sich ein sicheres Zwischenglied,
welches die Verbindung sicherstellen könnte,
nicht finden läßt. Schrader meint zwar hier
die Nike aus Olympia heranziehen zu können,
und will sie deshalb etwa in das Jahr 450
setzen, jedoch gibt er selbst zu, daß wir nur
wissen, daß die Nike zwischen 450 und 420
entstanden sein muß. Es ist fraglich, ob
') Übrigens sind wohl im Westgiebel mehrere
Hände an der Arbeit beteiligt gewesen, wenn sich
auch dieses bei dem jetzigen Zustand schwerlich
näher verfolgen läßt — auch im Ostgiebel können ja
die verschollenen Zentralfiguren von anderer Hand
als die Eckfiguren gewesen sein.
153
Ein spätrömisches MeBgefäfi.
154
sie ihren Platz zwischen Olympia und dem
Parthenon finden kann. Mit dem Parthenon -
westgiebel ist sie insofern ähnlich, als auch
an ihr das natürliche und freie Verhältnis
zwischen Körperform und Draperie be-
einträchtigt ist. Der Stoff klebt wie naß
an den Oberschenkeln, und diese klebenden
Falten zeigen eben denselben Manierismus
wie im Parthcnonwestgiebel, nur etwas
schwerfälliger, ohne das Brillante — wie
bei Nachahmern. Sonderbar wäre es, wenn
dieser Manierismus vor dem Parthenon -
ostgicbel entwickelt wäre, in welchem er
noch nicht spürbar ist, aber aus welchem er
sich leicht entwickelt haben kann. Dann hätte
Paionios diesen Draperiestil sofort nach
den durchaus nicht virtuosen Draperien in
Olympia erfunden. Klingt das wahrschein-
lich.? Ist dagegen die Nike jünger als der
Parthenon, so wird ihr Stil leicht erklärlich;
aber dann versteht man nicht, daß Paionios
die Virtuosität wieder teilweise verloren
habe.
In Schradcrs geistvollen Hypothesen
klaffen also bedenkliche Lücken. Durchaus
ausgeschlossen ist es nicht, daß er richtig
geahnt haben kann, aber der Beweis ist
nicht geführt, und bei unserem heutigen
Wissen läßt er sich wohl überhaupt nicht
führen.
Kopenhagen. P. Johansen.
EIN SPÄTRÖMISCHES MESSGEFÄSS.
Im Juni 1924 zeigte mir in Alexandricn
der Altertumshändler Mahmud Sultan aus
A'leppo ein spätrömisches Meßgefäß. Auf
meine Bitte erlaubte er auch in dankens-
wertester Weise, daß ich die folgende Be-
schreibung davon veröffentliche:
Zylindrischer Becher aus Metall
(heute grün oxydiertes Kupfer?), an dem
der angelötet gewesene Henkel heute fehlt.
Erworben bei Antakije') (Antiochia).
Maße: Äußerer Durchm.: 102—103,5 mm.
Äußere Höhe^): 131 mm. Innerer Durchm. :
97,5 mm. Innere Höhe: 128 mm. Die
') So habe ich den Ortsnamen verstanden.
') Der Gefäßboden ist ein wenig nach unten
gewölbt. Das aufstehende Gefäß ist 131 mm hoch,
die äußere senkrechte Wandung nur 128 mm.
rund 25 mm breiten Lötstellen des Hen-
kels sitzen übereinander vom Boden aus in
erstens 2 — 23 mm und zweitens 88—1 1 1 mm
Höhe.
Außen ist der Becher durch herumlaufende
vertiefte Linien verziert und zwar von unten
an durch 1 1 Doppellinien und darüber, 1 1 mm
unter dqm oberen Rande, mit einer einfachen
Linie ').
Innen findet sich keine Linie, die bei der
dünnen Oxydierung sichtbar sein müßte,
wenn sie vorhanden wäre.
Um das Gefäß läuft oben die folgende vier-
zeilige eingekratzte Inschrift, rechts neben
der oberen Lötstelle des Henkels beginnend,
herum:
6ITAAIKOC THC ACCnOTlAC TOY KOMHTOC
OYAAIAA 1 AnO KeACYCewC TOY APXWNTOC
erPAfA KAI e|A | riACMeNON=)|ecTiN Ano
ONOMATOC eOPTACIOY | AlKAlONjONKItON
IKOCI TeCAPWN CTPATIWTIKW 1 N3)(Abb. 1).
Mit allem Vorbehalt möchte ich diese
Inschrift folgendermaßen übersetzen:
»(Ich) Italikus aus der Herrschaft des
Komes Wadila habe auf Geheiß des Be-
fehlshabers genau einen Xestes, mit seinem
offiziellen Namen einen »richtigen« mit In-
schrift versehen und auswiegen (lassen) :
(nämlich einen von) 24 Heeresunzen.«
') Da jemand wegen des Zwecks des Gefäßes
auf den m. A. falschen Gedanken kommen könnte,
aus den Lagen dieser Linien Schlüsse zu ziehen,
sollen sie hier von unten nach oben gegeben werden :
Boden außen: o mm; Linien: 1,5 u. 3; 8 u. 11,5:
21,5 u. 24; 33 u. 35,5; 43 u. 45,5; 53,5 u. 55; 65
u. 67,3; 76,5 u. 80; 87,3 u. 89,3; 96,3 u. 98; 105,5
u. 108; 117 mm; oberer Rand; 128 mm. Kleine
Abweichungen hiervon würden sich bei Messungen
an anderen Stellen ergeben, da die Linien nicht
genau parallel gearbeitet sind.
') Hier scheint ein Fehler des die Inschrift Ein-
ritzenden zu stecken. Vielleicht ist zu verbessern:
eEAlriACAMONONHeCTIN
wonach ich oben übersetzt habe. [Wilcken bemerkt
hierzu: |xövo; wird in byzantinischen Texten in
der Tat gern bei Zalilen verwendet, um die Genauig-
keit hervorzuheben; dies fjiovoc steht aber nicht vor,
sondern hinter der Zahl (z. B. •.o^i.hy.i-za tpia (i'^va),
die zudem bei Jeativ fehlt. Im übrigen würde «.ovo;,
wenn es hier angewendet wäre, vielleicht hinter
die 24 Unzen gesetzt sein, deren Feststellung der
Hauptzweck der Inschrift ist.]
3) Z. 4 ist in IKOCI das K aus N, in TeCAPWN
das C aus £ alt verbessert.
155
Ein spätTömiscbes Meflgeftfi.
156
Da die Inschrift besagt, daß wir hier einen
»richtigen Xestes von 24 Heeresunzen« vor
uns haben, so habe ich den Inhalt des
Bechers so genau wie möglich ermittelt.
Durch Rechnung ergibt sich: 955,65 ccm —
'/!4 davon also 39,82 com'); durch Ausmes-
sung mit Wasser bei vollständiger Füllung
als Durchschnitt von drei Messungen: 955
ccm — '/n davon also 39,80 ccm.
Ob diese Bestimmung des Xestes und der
»Heeres«-Unze mit früher dafür festge-
stellten oder angenommenen Größen in
Einklang zu bringen ist, wer der Komes
Wadila war, den ich für einen Goten oder
sonstigen Germanen halte, wie die Zeit des
Bechers nach den Schriftformen seiner In-
schrift anzusetzen ist, und wie endlich die
wohl nicht ganz fehlerfreie Inschrift selbst
richtig aufzufassen ist, das sind alles Fragen,
die zu beantworten ich keine Schulung habe.
Kairo, 6. 7. 1924.
Ludwig Borchardt.
sehen Xestes möge es die metrologische Wis-
senschaft zum Danke heißen • — und weil
ich Ludwig Borchardt selbst zu jenen
meinen Wohltätern zähle, die mich durch
ihre Kritik vor Jahren aus dem blühenden
Irrgarten der »älteren metrologischen Schule«
zu meinem Heile noch rechtzeitig zurück-
gerufen haben.
I. Die Inschrift bietet trotz ihrer Kürze
mehr als eine Schwierigkeit. Ihrer zwei
wenigstens seien herausgehoben. Z. 2/3
steht ErPAYA KAI eHAHACMeNON E€CTIN.
Darin vermißt man nach KAI ein zweites
Prädikat, und dieses zu gewinnen, möchte
Borchardt, nicht ohne selbst gelinden Zwei-
fel anzudeuten, xat iSaift«(j[a] jjiovov SedTiv
lesen: »ich habe genau einen xestis oder
genau ein xesti(o)n . . .« (Wilcken oben
Sp. 154 Anm. 2). Allein das — MeNON, dessen
e nach dem Abklatsch sicher ist, deutet doch
wohl eher auf ein Participium perfecti pas-
sivi hin, und darum verdient m. E. Hiller
v. Gaertringens Vorschlag i-(pa'^a. xareS-
&ITAAI KQCTH C A&CnQ ,
UCTQYKOMHTQCOY;,
TüTT
H
Abb. I. Inschrift des spätrömischen Meßgefäßes.
Herr Geheimrat Borchardt hat den Wunsch
geäußert, daß ich dem von ihm publizierten
Maßgefäß von Antiocheia sofort ein paar
Beobachtungen beifügen möchte. Dem
komme ich gern nach, aus einem sachlichen
und einem persönlichen Grunde: um die
große Bedeutung des Monuments als metro-
logischer Quelle darzutun*) — den Borchardt-
') Will jemand die 1 1 mm außen (!) unter dem
oberen Rande befindliche Linie als Aichstrich an-
sehen, so ergäbe seine Rechnung 873,54 ccm; V24
davon also 36,38 ccm.
') In welchem Ausmaße der neues Xestes die
metrologische Forschung noch befruchten wird,
läßt sich im voraus nicht sagen, daß er es tun wird,
ist gewiß. Und so fühle ich mich berechtigt, den
Wunsch auszusprechen, daß dem guten Beispiel des
verdienstvollen Leiters des deutschen archäologi-
schen Instituts in Kairo auch anderwärts, vor allem
in Griechenland und Kleinasien, recht viele Archäo-
logen folgen möchten. Denn auch der Metrologe
darf hoffen, daß ihm zugänglich gemacht werde,
was der Boden für seine Wissenschaft hergibt, und
' a7ta3(iEvov Ssottv), bei dem lediglich ein I
zu T geändert wird, unbedingt den Vor-
zug*). Die unter Vespasian hergestellten
und auf dem Capitol aufbewahrten römi-
schen Normalmaße trugen die Bezeichnung
daß seiner Arbeit gedenke, wer immer den Vorzug
hat. Schätze zu heben oder Schätze zu bewahren.
') Brief d. 29. 9. 24.
') Ich selbst hatte an xal iiafla(s[(z au[jiߣ-
ßX7)](iivov oder (jE(j7jx«)]|jiiv&v Ssarfv (vgl. e07)x<ii8ir]
auf dem Gewichtstück aus demselben Antiocheia,
unten Sp. 162) gedacht. Denn die amtliche Aus-
messung und Auswiegung metrischer Instrumente
geschah an Hand von normalen Mustermaßen (sog.
oO|jißo>,«) Jti Toü ou(jißäXXe!j3oi, und ein dergestalt
geprüftes Instrument trug die Bezeichnung cü^xcofin
(vgl. RE sub oi^x(u(ia u. S'VßoXov;. Allein da die
Schreibung xaTecaytaaii^vov ungleich leichter ist als
diese Ergänzung und in einer kurzen Inschrift die An-
nahme einer Lücke immer etwas Mißliches hat, so bleibt
auch dieser an und für sich mögliche Vorschlag
natürlich hinter v. Hillers Emendation an Glaub-
würdigkeit zurück.
157
Ein spätrömisches MeBgefifi.
158
mensurae exactae ■), und so wird man in
der Annahme nicht fehlgehen, daß d^oYiaa-
[xevov das gräzisierte exactum ist=), und
daß xdTsSaYiatjjievov 3) dieses verstärkt:
perexactum. — Die andere Schwierigkeit
liegt in dem «Ttb ivofjiaTo; lopTaatou ■•)
(Z. 3), das sich verschieden erklären
läßt. Ich kann mich der Vermutung
nicht erwehren, daß auch in diesem
Begriff eine Gräzisierung vorliegt. Aber
jestivus oder sollemnis} ciiius sollemne
nomen interpretiert v. Hiller, und Borchardt,
wie ich aus seiner Übersetzung entnehme,
offenbar nicht anders, und dem stimme ich
auch zu. Sollemnüas war in der Sprache
der römischen Juristen offenbar die Rechts-
feierlichkeit mit all ihrer Rechtsformalität
oder umgekehrt die Rechtsformalität mit
all ihrer Rechtsfeierlichkeit'); und so ist
vermutlich äito Äv6|xaxos eopTaat'ou Sixatov
zusammen zu nehmen und zu erklären:
». . . . ein xestion, das rechtlich-förmlich
gesprochen, richtig ist.« Demnach inter-
pretiere ich die ganze Inschrift so: >>(Ich)
Italicus von der Herrschaft des Comes Va-
') Vgl. Hultsch, Metrologie^ 123. Das exactae ist
hier allerdings zunächst wohl schlechthin als ein-
faches Prädikat zu nehmen, das die (amtliche) An-
fertigung der Maße als solche feststellt: mensurae
exactae (sunt) = sind hergestellt worden. Aber gleich-
zeitig umschließt exigere den Begriff der normalen
Richtigkeit (vgl. coltminas ad perpendiculum e. Cic. ;
pondtis margaritarum manu e. Plin. ; materiam ad
regulam et libellam e. ders.). Also mensurae exactae =
genaue Maße. Wenn dabei im übrigen der von
Hultsch an der angegebenen Stelle beschriebene
Dresdner Congius nicht normal genau ist — er ist
beträchtlich zu groß — , so liegt das daran, daß er,
wie Dressel an Hand seiner Inschrift festgestellt
hat, gefälscht ist. Echt dagegen ist sein von Pernice
sehr sorgfältig ausgemessener Neapoütaner Bruder,
und er ist denn auch im Volumen (unten Sp.161 Anm.3)
genau. Vgl. Dessau, Inscr. Lat. sei. II 2 Nr. 862S.
') Vgl. ^T)7Xrjaat und ^Tj^Xtäcjai vom lateini-
schen reguläre (Du Gange 1294) in meinen Quaesti-
ones Epiphanianae, Leipzig 191 1, 52, 10 und xaarp:^-
<3i'j; (-/aiTptato?) aus lat. castretisis unten Sp. 159
mit Anm. 4.
3) Vgl. xaTeSexa^Eiv im späten Griechisch.
4) Oder 'Kopiaatou als Name??
5) Vgl. Ulpian Dig. I 7,25: neque adoptare qiiis
absens nee per alium eiusmodi solemnitatem peragere
polest; ebd. XLV 1,50: si quis scripserit se fidei
iussisse, videntur omnia solemniter acta. An Hand
dessen: »apud ICtos solemniter fieri dicuntur, quae
ex praescripto iuris et recepto forensi more fiunt«,
Forcelhni, tot. Lat. lex. V 553.
dila habe auf Befehl des Befehlsherrn ■)
mit Inschrift verschen ein auf unbedingte
normale Genauigkeit ausgewogenes xestion;
es ist rechtlich-förmlich gesagt, richtig:
wiegt vierundzwanzig Soldatenunzen.«
2. Wer der Comes Vadila oder Wadila
war, der seinem Untergebenen (.?) Italicus
die Herstellung und Beurkundung des
Maßes anbefohlen hat, weiß ich nicht. Daß
er ein Germane, und zwar aller Wahrschein-
lichkeit nach ein Gote war, hat schon
Borchardt ausgesprochen. Der bekannte
Ostgotenkönig Totila hieß auch Baduila,
das steht auf seinen Münzen ») und bei
Jordanes (Rom. 379 f.). Theoderich d. Gr.
wendet sich 508 n. Chr. in einem seiner
Briefe an einen gewissen Vvandil (hand-
schriftl. Variante Vvadel u. a.) in Avignon
(Cassiod. Var. III 38); und wenn denn ein
anderer Brief desselben Königs aus den
Jahren 507 — II gar die Adresse trägt
Adüae v[iro) s{pectabüt) comiti (ebd. II 29),
so möchten wir fast meinen, unsern Comes
Vadila 3) unmittelbar wieder vor uns zu
hüben 1). — Der Comes >) war ein hoher
Würdenträger, sei es militärischen, sei es
zivilen Ranges, und unser Vadila war ge-
wiß Militär, als äpyriav einer SsoitoTict (vor-
ausgesetzt, daß Vadila selbst mit dem
äpxiuv gemeint ist, was ich nicht weiß)
vielleicht comes prmiinciae, Provinzialstatt-
halter; wie denn Adila, der Empfänger des
Theoderichbriefes, sehr wahrscheinlich in
Sizilien residiert hat, das tatsächlich eine
') Ist comes Vadila dieser i'pyiov? Oder ist das
i.T.h xeXe'Joeu); toO oip^tovxo; etwa gleich iussu
domini (vgl. iussu Richiari reges bei [v. Sallet-] Reg-
ling. Die antiken Münzen' 127 und T>{ominiis)
N(osfcr) auf den Münzen germanischer Könige ebd.
124 ff.")? Übrigens soll vor einigen Jahren in einer
spanischen Zeitschrift ein Maßgefäß publiziert
worden sein, dessen Inschrift beginnt iitssione do-
mini. Für den Nachweis wäre ich dankbar. ■
') D. N. BADVILA REX. Vgl. Friedländer,
Münzen der Ostgoten 46 f.
3) Vgl. Vulfila neben Ulfila.
4) Auf Valila bei Fiebiger- Schmidt, Inschriften-
sammlung zur Geschichte der Ostgermanen Nr. 297-8
weist noch v. Hiller hin.
5) Vgl. Mommsen, Neues Archiv d. Gesellsch. f.
ältere deutsche Geschichtsk. XIV 1899, 225 ff.;
453 ff. (= Ges. Schriften VI 362 fl.). Grossi-Gondi
bei Ruggiero, Dizionario epigrafico II 1,468 ff. Seeck
RE. IV 622 ff.
^•^
A
s^>-''
159
Ein spätrömisches MeBgefäS.
i6o
solche Provinz war'). Trotzdem soll damit
natürlich nicht gesagt sein, daß der theo-
derizianische Comes mit dem Comcs des
Borchardtschen Xestes identisch wäre; denn
dieser ist trotz des »westlichen« Namens
seines domesticus, nach dem Fundort (?)
des Gefäßes zu schließen, gewißlich ein
Statthalter-Kommandant im Dienste eines
oströmischen Kaisers gewesen.
3. Jetzt zur Metrologie. Borchardt wirft
die Frage auf, ob sein Xestes und die durch
ihn bezeugte Soldatenunze mit anderen
metrischen Größen in Einklang zu bringen
sei. Dies ist der Fall, wenngleich die exakte
metrologische Interpretation des Gefäßes
zur Zeit noch nicht mit absoluter Eindeutig-
keit zu geben ist.
4. Wir gehen aus von der Feststellung,
daß das Maß offenbar auch dem kyprischen
Bischof Epiphanios bekannt gewesen ist.
Denn in dessen 392 n. Chr. geschriebenem
Maß- und Gewichtsbüchlein >) findet sich
der Satz: der castrensische (Seutjj;) aber ist
ebenfalls gleichmäßig 24 unzen, ivenig darüber
und wenig darunter t). Ein castrensischer
SetJTr^j ist natürlich ein im Lager benutzter,
kurz gesagt, ein Lagerxestes •<), und wie
trefflich zu dieser Benennung die — es
sind ihrer ebenfalls 24 — Soldatenunzen
des Borchardtschen Gefäßes passen, bedarf
keines Wortes.
5. Die Reduktion des Maßes auf Unzen
macht es von vornherein so gut wie sicher,
daß es sich dabei um eine Bestimmung
nach dem Gewicht, d. h. natürlich nach
dem Nettogewicht der Füllungsmasse han-
delt. Denn ob es zwar auch eine ouyxi'»
') Vgl. Comes civitatis Syracusae, Cass. VI 22;
IX II, 14.
') Vgl. meine Quaestiones Epiphanianae, Leipzig
1911.
3) So die syrische Übersetzung, die nach zwei
Londoner Handschriften aus dem 7. u. 9. Jahrb.
von Paul de Lagarde (Symmikta II, Göttingen
1880, 149 ff.) mustergültig ediert worden ist. Dieser
syrische Text ist vollständiger als die griechischen
Exzerpte, in denen denn auch die oben ausgeschrie-
bene Stelle (Sym. II 193, 73 ff.) leider fortgefallen ist.
•t) Selbstverständlich handelt es sich von Haus
aus um eine lateinische Bezeichnung: sextarius
caslrensis, wie modius castrensis (Metrol. Script. II
'26, 3; vgl. Ind. sub modüis), die dann zu j^arrj;
xacTpTjUioc oder x«(3Tp(aio; (Epiphanios 1. c. 193, 67
und Metrol. Script. Ind. sub [xii^to; 5) gräzisiert
wurde.
(iSTptxTj gegeben hat, so war diese doch
ein epichorisches, nämlich stadtrömisches
Medizinermaß '), für das in der übrigen
Welt keinerlei Spuren vorhanden sind,
während die 067x1a OTaOjxui^ d. i.
das Zwölftel des im ganzen römischen
Imperium gangbaren römischen Pfundes
für die Bestimmung aller anderen Gewichte
im weitesten Umfange gleichmäßig die
bevorzugte Einheit gebildet hat. Und die
Bestätigung gibt in unserm Falle die Be-
merkung des Epiphanios, der Lagerxestes
habe gleichmäßig 24 unzen gehabt, wenig
darüber und wenig darunter. Denn wie diese
Worte ganz offenbar nichts anderes besagen,
denn das Maß habe im Durchschnitt 24
Unzen, manchmal eine Kleinigkeit mehr
und manchmal etwas weniger gehabt, so ist
es auch gewiß, daß eben dieses Schwanken
des Definitionswerts nur dann einen Sinn
haben kann, wenn die Bestimmung auf
Wägung geht und nicht auf Messung. Denn
das Volumen eines Hohlmaßes bleibt bei
jeder Füllung dasselbe, das Gewicht dieser
Füllung aber ändert sich, je nachdem man
eine schwerere oder leichtere Ingredienz, je
nachdem man beispielsweise Getreidekörner
geringerer oder größerer Schwere einfüllt.
6. Eine Frage ist es und wird es, wie wir
sehen werden, zunächst auch bleiben, wie
das Maßvolumen in dem Borchardtschen
Gefäße abzugrenzen ist. Über die attischen
Maßgefäße weiß Pollux (IV 170) zu er-
zählen : imys.dri, imys,ikrf, im^izs-zi ' eaxt ok
hoyeiKTi (isv ri ?r>.T]pr). iiri^feiXr/ Sk TixotTu)-
Tspu) Toiji xsi^^»"», iTciasaxa 8s xi uÄepirXea, eirt
8k xiüv $7)p<öv (isxpcuv TÄ oux ctTtg'J^ijjxsva, und
im attischen Psephisma über Maß und Ge-
wicht (I.G. II2 1013 Z. 23 = Hermes LI
1916, 123 Z. 25) wird eine jfoivt; bestimmt
als kyoön-q xo [i.kv ßa'öos SaxxuXtuv zlvxs, xo
8k irXctxo? xoü j^ctwuj SaxxuXo'j. Danach
war an den attischen Maßgefäßen oben
durch eine umlaufende Linie ein Kragen
()(ctXoj, Lippe) abgegrenzt, und je nachdem
man die Füllung bis zum obern oder
■) Vgl. Galen nspt 3jv9. »apji. fh. III u. VI
Kühn XIII 616; 894= Metroi. Script. I 213, i ff.;
217, 13 ff. u. a. Dazu Pernice, Galeni de pond. et
mens, testimonia, Diss. Bonn 1888, 36 ff. Viedebantt,
Forschungen z. Metrologie d. Altertums, Leipzig
1917- 130-
i6i
Ein spttTömisches MeBgeftB.
162
untern Rand des Kragens gehen ließ, sprach
man vom hoy^sikki oder litij(si>.e« [isipov»).
— Daß diese Linie im Innern des
Gefäßes angebracht sei, erscheint uns Mo-
dernen selbstverständlich. Allein ob uns
damit zugleich das Recht gegeben ist, dies
auch für das Altertum als selbstverständlich
vorauszusetzen, will mir einigermaßen zwei-
felhaft erscheinen; und wenn daher das
Borchardtsche Gefäß (11 mm unterhalb des
obern Randes) eine solche umlaufende
Linie auf der Außenwand zeigt, so ist es
uns angesichts dessen, wie ich meine, nicht
erlaubt, das Maßvolumen des Gefäßes a pri-
ori bis zum obern Rand gehen zu lassen,
vielmehr haben wir auch die andere Mög-
lichkeit ins Auge zu fassen, daß das Maß
normalerweise als litij^eds; und nicht als
laoytikki fisTpov, d. h. daß es in seinem
regulären Maiivolumen nicht zu 0,955(65],
sondern zu 0,873 [54] 1 genommen worden
ist.
7. Was mag mit dem {Lager-)Xestes ver-
messen worden sein? Aller Wahrscheinlich-
keit nach das, was das wichtigste Unterhalts-
mittel für die Mannschaft war: das Brot-
getreide, also der Weizen. Der nun hat je
nach dem Boden, auf dem er gewachsen ist,
ein verschiedenes Gewicht. Der leichteste
Weizen, der in Rom auf den Markt kam,
war nach Plinius der gallische und eher-
sonnesische, während der schwerste aus
Afrika kam. Jener wog 20, dieser 213/4
röm. Pfund [librae) im römischen Modius *).
Dieser Modius hatte ca. 8,7o[66] 1 '), mit-
') Vgl. übrigens Bruno Keil zu Aristoph. Rittern
814, Herrn. LI 1916, 314.
') Ich setze die ganze Stelle (Plin. NH. XVIII
66) her: tiunc ex his generibiis, quae Romam invehun-
lur, levissimum est Gallinim atque Chersonneso ad-
vectuvi, quippe non excedunt modii vicenas Hbras, si
quis granum ipsiiin ponderet. Sardinn adicil seli-
bram, Alexandrittum et trientem — hoc et Siculi
pondus — , Baeticum totam libram addit, Africum ei
dodrantem.
3) Der von Pernice ausgemessene römische
Congius in Neapel (oben Sp. 157 Anm. i), den ich
bei Gelegenheit des näheren zu besprechen gedenke,
faßt 3,265 1. Laut Inschrift war das Nettogewicht
der Füllung P(o«rfo)X, also 10 röm. Pfund, und da
diese Bestimmung auf Wein- oder Wassergewicht
zu beziehen ist (Hultsch, Metrologie^ 124; 116), so
läßt dieser Congius für das römische Pfund den
Betrag von ca. 326,5 g errechnen. (Nebenbei : daß
aus den Münzen für gewisse Perioden ein geringerer
hin so gut wie genau das Zehnfache des
Borchardtschen Xestes, wenn man diesen
als iiti}(ei),k; (letpov nimmt. Und wenn
daher der Modius Weizen 20 röm. Pfund
wiegt, so wiegt der Xestes als '/.o Modius,
2 Pfund auf, und dies sind 24 Unzen, wie
die Inschrift angibt.
8. So die mögliche Lösung, wenn man
das Maß als lirtj^eiXk« ptsTpov nimmt.
Anders wenn man die Füllung bis zum
äußersten Rande gehen läßt. Der schwerste
in Rom gehandelte Weizen, der aus Afrika,
wog, wie gesagt, 21 3/^ röm. Pfund oder
(326,5 . 21,75 =) 7101,375 g') im römischen
Modius von ca. 8,7o[66] 1. Demnach
wog er in einem Gefäß von 0,955(65] 1
f7Wi,Z7S . 0,955^ .,0
[ ^ J = 779,518 g. Auch
dieses Gewicht läßt sich auf den durch die
Inschrift des Borchardtschen Xestes gefor-
derten Gewichtsbetrag von 24 Unzen redu-
zieren. Die Handhabe dazu bietet ein Ge-
wichtstück aus Antiocheia, das ich in
meiner Liste der hebräischen, phönizischcn
und syrischen Gewichtstücke (Zeitschrift
Deutsch. Palästina-Vereins XLV 1922, 2 ff.)
unter Nr. 94 aufgeführt habe. Es wiegt
340 g und trägt die Inschrift ETOYC FIT
MH|NOCZANAIK|OYEniMAPKOiY-AYPHAIOY.
lElPAKOC XEIAIAiPXOY eCHKw|0H HMIAI-
TPlN|ONKIWN .|<. Es ist also, da die Ära
von .■\ntiocheia auf dem Jahre 49 v. Chr.
steht 2), im Jahre 263 n. Chr. -geeicht
worden. Die Gewichtsdefinition habe ich
früher (a. a. 0. 22) zu I [B] < ergänzen
wollen, in der Erwägung, daß 340 g = i2'/2
Pfundwert von rund 320 g oder wenig mehr ge-
wonnen wird [vgl. L. Naville, Revue suisse de Nu-
mismatique XXII 1920-22, 42 ff.; 257 ff. und meine
Antiken Gewichtsnormen und Münzfüße, Berlin 1923,
6 ff.; 119 fl.], kann hier außer Betracht bleiben.
Das römische Pfund hatte seine Geschichte, und
diese harrt noch der Aufklärung). — Für das Qua-
drantal oder die Amphora (= 8 Congii) ergibt sich
an Hand jenes Neapolitaner Congius ein Volumen
von (3,265 . 8 =) 26,12 1 und für den Modius
(= V3 Amphora) 8,7066 I.
') Das römische Pfund hatte ca. 326,5 g. Vgl.
die vorige Anmerkung.
') Vgl. Kubitschek, RE. I 650. — Der Monat
Zandikos oder (makedonisch) Xanthikos ist der
jüdische Frühjahrsmonat Nisan, der babylonische
Nisannu. Vgl. Ginzel, Handb. d. Chronol. I 137;
II 68.
i63
Zur Delphischen Rinderraubmetope.
164
röm. Unzen sind '), und in der Meinung,
die Konjektur erhalte dadurch eine gewisse
Stütze, daß auch in dem vorangehenden
Wort HMIAITPI(0)N das O ausgefallen
sei. Allein dies war jedenfalls ein Irr-
tum, da, wie U. Wilcken mich belehrt,
das f/fiiXiTpiv vielmehr junge Form ist 2).
Demnach wird man die überlieferte
Zahl |< -= 10 'A also für richtig halten
müssen, und damit legt das Gewichtstück
denn offenbar Zeugnis ab für eine (von der
vulgären römischen abweichende) Unze von
(340 : 10,5 — ) 32,380 g; und 24 dieser Unzen
wiegen 777,120 g, d. h. bis auf etwa 2 — 3 g
ebensoviel wie der bis zum Rand gefüllte
Borchardtsche Xestes an (afrikanischem)
Weizen aufgewogen hat.
9. Zugunsten dieser Lösung läßt sich ein
Doppeltes ins Feld führen. Zum einen,
daß die ausdrückliche Benennung der der
metrischen Definition des Borchardtschen
Xestes zugrunde liegenden Unze als 6vxwt
atpsTituTixT^ darauf schließen lasse, daß es
sich hier gewißlich um ein von der vulgären
römischen Unze verschiedenes Gewicht
handle 3). Und zum andern spricht für diese
Lösungsmöglichkeit, bei der also das Maß
als latysikki [letpov, d. h. zum vollen Vo-
lumen von 0,955 1 zu nehmen ist, der nicht
zu unterschätzende Umstand, daß das Ge-
fäß, wie es scheint, in demselben Lokal
(Antiocheia am Orontes) ans Licht getreten
ist wie das für diese Lösung die Unterlage
abgebende Gewichtstück 4).
') Das röm. Pfund hat 326,5 g (oben Sp. 161
Anm. 3), sein Zwölftel, die Unze, mithin 27,208 g,
und 27,208 . 12, 5 = 340, I.
') Wie übrigens analog auch in unserer Inschrift
Eeativ statt ^iinioi stehe, also nicht itazistisch
statt 5iiTT)v.
3) Wiewohl dem freilich auch entgegengehalten
werden kann, daß dieser .Ausdruck möglicherweise
nichts anderes als die urkundliche Feststellung
geben will, wo und mit welchen Gewichtsteinen die
Auswiegung des Gefäßes vorgenommen worden war:
mit den a7)X(o[ji7Ta oder mit den 3'i(Jißo>,a des Lagers.
4) Für die andere Möglichkeit, nach der das
Maß als ^jttyeiXh nsTpov zu nehmen wäre, ließe
sich gegebenenfalls seine Benennung als sopxcijiov
[jirpov ins Feld führen, wenn man nämlich JopTcijto;
= festivus nimmt. Denn in diesem Falle könnte
man annehmen, daß der Xestes als solcher und für
gewöhnlich zu 0,87 1 genommen worden wäre, daß
aber an festlichen Tagen der Mannschaft '/>o (0,87
+ Vio = ">957) oder '/u bzw. I Unze (0,87 + Vu
= o?9425) mehr an Weizen verabreicht worden wäre,
10. Wie man sich in der dargelegten
Alternative auch entscheiden möge: ob
man den Borchardtschen (Lager-)Xestes
als Itcij^siXs? [iSTpov nehmen will, oder, was
ich vorziehen möchte, als ?or))(siXs? [xsTpov:
so oder so gesehen, stellt er das Hohlmaß
für ein Gewichtsquantum von 24 (römi-
schen oder anderen) Unzen (leichtern oder
schwereren) Weizens dar.
Charlottenburg.
Oskar Viedebantt.
ZUR DELPHISCHEN RINDERRAUB-
METOPE.
An der Delphischen Rinderraubmetope
ist meines Wissens bis jetzt ein hübscher
Zug übersehen worden. Da auch die pu-
blizierten Aufnahmen ihn nicht geben, setze
ich hier Photographie (Abb. l) und Notizen,
die ich 1914 nahm, her.
Über die Rinderbeine rechts vom linken
Bein des zweiten Mannes läuft in 10 cm
Höhe über der Standfläche deutlich sicht-
bar eine annähernd horizontale Linie. Sie
ist auf allen 5 Beinen zu konstatieren und
geht noch 2^/j cm weiter nach r. auf dem
Grunde, dann verliert sie sich, im ganzen
steigt sie von 1. nach r. ein wenig. Sie scheint
mit demselben Rotbraun gezogen, das zur
Bemalung der Haare gebraucht ist. Auch
bei den Rinderbeinen 1. vom linken Bein des-
selben Mannes ist eine ganz schwache Spur
1 1 cm über der Standfläche auf dem vor-
dersten Rindcrbcin, von 1. nach r. ein wenig
absteigend wahrzunehmen. So wenig man
in der Lage ist, die einzelnen Rinderbeine
zu verifizieren'), so wenig wird man auch
über den genauen Verlauf des Strickes
etwas ausmachen können. So viel ist klar:
Die Rinder sind, damit sie nicht davonlaufen,
an den Beinen gefesselt, wie man es noch
heute beim Weidevieh sieht. Daß der Strick
in den Grund läuft, spricht dafür, daß es dem
mit anderen Worten, daß dem Mann gewöhnlich ein
^Tti/eiX^;, bei besonderen Anlässen ein i(joj(EtX4{
oder lopxiatov (i^tpov zugemessen worden wäre.
Indes (wohlgemerkt I) dies ist eine Möglichkeit, nicht
meine Meinung.
') Schema bei Katterfeld, Die griechischen Me-
topenbilder 4.
165
Fragment des Hermaios in Heidelberg.
166
Abb. I. Ausschnitt der Delphischen Rinderraubraetope.
Künstler gewohnt war, das Vieh an einem
Hinter- und einem Vorderbein gebunden
zu sehen ').
Eine sichere Linie der gleichen Farbe ver-
läuft 8 cm weit zu verfolgen am 1. Bein des
zweiten Mannes, ansetzend unterhalb der
Kniekehle und dann ungefähr der rückwärti-
gen Grenze des Wadenmuskels folgend 2).
') Wie nach Aussage des Herrn Kontoleon z. B.
die Bauern in Arachowaund anderswo das Weidevieh
koppeln, während die Bauern in Kastri nur die
Vorderfüße zu koppeln pflegen. — Fesselung der
Vorderfüße auch bei dem einen Pferd der Silber-
vase von Nikopol (CR 1864, Taf. H vgl. Text S. 18)
und Imhoof-Blumer-Keller, Tier- und Pflanzen-
bilder auf Münzen und Gemmen Taf. II 20. Vgl.
auch V. Moltke, Briefe über Zustände und Begeben-
heiten in der Türkei, 3. Aufl., Berl. 1877, 248/9:
»Die Pferde (der Araber) aber stehen gefesselt an
den Füßen, ein Strick aus Ziegenhaar vereint mittelst
zwei wattierter Schleifen den rechten Vorder- und
Hinterfuß, und wird rückwärts mittelst eines Pflockes
an der Erde befestigt.
') KenntUch auf einer Aufnahme des Kunst-
historischen Seminars Marburg Serie Griechenland
Schwerlich Seilende: das würde lotrecht
hängen. Beinschiene wahrscheinlicher als
Muskulaturangabe.
Marburg. P. Jacobsthal.
FRAGMENT DES HERMAIOS IN
HEIDELBERG.
Fragment Heidelberg B 62, aus Athen,
Abb. I.
Größte Breite: 5,6 cm, Länge: 5,8 cm.
Erhalten ist vom Innenbild (Durchmesser
ca. 8 cm) einer rotfigurigen Schale: Glutäen
und rechtes im Knie scharf abgebogenes
Bein eines nach links laufenden Mannes, der
mit den Zehen leicht und federnd auf dem
tongrundigen, das Bild einfassenden Rand-
streifen steht. Reiche in Relieflinien aus-
geführte Innenzeichnung, bei der besonders
auffallen das mit einem Doppelstrich wieder-
Nr. 200, auf der auch das Seil an den Rinderbeinen
einigermaßen deutlich ist.
i67
Fragment des Hermaios in Heidelberg.
i68
gegebene Schienbein, die mit je zwei kleinen
Strichen angegebenen Fältchen über uhd
unter dem Knie und der durch zwei ausein-
anderstrebende bogenartige Striche bezeich-
nete Übergang der inwendigen Muskelzüge
vom Ober- zum Unterschenkel. Die Vorzeich-
nung ist noch deutlich sichtbar. Hinter dem
Fuße ein schräg im Schwünge des Rundes
hereinhängender Gewandzipfel mit Blei-
kügelchen. Ein zweiter hinter Rücken und
Cilutäen schräg herabhängend mit eigentüm-
lich schematisch wiedergegebenem wellig
gefälteltem Rand, Saum und Kügelchen.
Rund hineinkomponierten laufenden Mannes
geht auf Epiktet zurück (vgl. die signierte
Schale in Ferrara, Hoppin, Handbook I 307.
Hier Abb. 2), wie überhaupt das rot-
figurige Innenbild von ihm eingeführt,
kompositionell entwickelt und zur ersten
Blüte gebracht wurde. Danach läßt
sich die Darstellung zu einem Komasten
ergänzen, der wie auf dem Fragment einer
Panaitios- Schale im Louvre (Abb. 3 nach
Pottier, Vases ant. du Louvre HI Taf. 112
G 130) die kurze Chlamys mit zwei Zipfeln
über seinen rechten Arm gehängt hat.
Abb. I. Vasenscherbe B 62 in Heidelberg.
Dahinter ein anderer groß und rund sich
bauschender Teil des Gewandes. Links
Ferse des linken Fußes, der ebenso auf den
Randstreifen aufgesetzt ist. Zwischen bei-
den Füßen, von der Schalenmitte aus zu
lesen, die Aufschrift ESEN in roter Farbe.
(Darunter zum Rande hin einige Sprünge
im Firnis.) Auf der gefirnißten Außenseite
keine Zeichnung. Der Fußansatz ist weg-
gebrochen.
Das Motiv des mit Hilfe des weiterge-
bildeten alten Knielaufschemas') in das
') Vgl. Ed. Schmidt, Der Knielauf. Münchener
Arch. Stud. 345 f., 394 f.
Die Zeichnung ist sehr sicher und leicht
in sehr feiner, haardünner Relieflinie aus-
geführt. Der mit hart aufstoßenden halben
und darinliegenden Viertelbogen wieder-
gegebene, demnach wellenförmig gefältelte
Rand jedoch bleibt in seiner abkürzenden
Schematisierung ohne seine entwicklungs-
mäßige Vorstufe unverständlich. Sie findet
sich bei Euthymides'). Die erwähnten
Besonderheiten der Innenzeichnung aber
') Vgl. unterer Chitonrand der Korone und herbei-
eilender Mädchen auf der Thes'eusamphora Abb.
Pfuhl, Malerei und Zeichnung der Griechen IIl
108 — 9.
lÖQ
Fragment des. Hennaios in Heidelberg.
170
treten auch bei einigen Vasen aus der Werk-
statt des Kachrylion auf'). Doch ist dort
die Zeichnung organischer, den Körper-
formen auch im Schwu-nge der kleinsten
Linie noch nachgehend und überhaupt be-
weghchcr (was ebenso an dem Randge-
fältel des Gewandes deuthch wird).
Die Zuweisung führt auf Grund dieser
Einzelheiten und Eigenheiten der Zeichnung
vollkommen sicher zu dem .Maler der mit
HEPMAIOS [EnOIE-^lEN gezeichneten Schale
dem Bleikügelchen kehrt am Gewandzipfel
vor dem linken Knie wieder. Ebenso wird
die Zuweisung gesichert durch die beiden
Stücken eigentümliche Sprödigkeit der For-
men (Wade, Einbiegung der Kniekehle,
Glutäeni).
Die Schale des Britischen Museums ist
augenscheinlich älter als das vorliegende
Fragment. Das zeigt die im Vergleich zu
diesem hilflosere und noch unsichere Zeich-
nung, die bis zum Hölzernen und Starren
Abb. 2.
Innenbild der Schale des Epiktet
in Ferrara.
Abb. 3.
Fragment einer Panaitiosschale
im Louvre.
im Britischen Museum (Abb. 4 nach Hoppin
II 17). Auch bei dem Hermes dieses Innen-
bildes ist das von innen gesehene Schienbein
mit einem solchen Doppelstrich, die Falten
um das Knie ebenso mit zwei kleinen (hier
etwas größeren, in ihrer geraden Führung
unbeholfeneren) und der Übergang zu Knie
und Unterschenkel wiederum mit den bogen -
artig ausgespreiteten Strichen angegeben.
Evident dieselbe Hand zeigt aber das Gefältel
des Gewandrandes, das in dieser Abbreviatur
der Wiedergabe einzigartig und nur einer
einzigen Hand möglich ist. Auch der kleine
Zug des deutlich angegebenen Saumes mit
') Vgl. signierte Schale in Berlin, Abb. Hoppin I
149, ebenso in Cambridge, Hoppin I 151.
gehende Sprödigkeit der Formen, der wenig
sichere Stand der ganzen Figur im Vergleich
zu dem sicheren und elastischen Aufsetzen
des rechten Fußes auf dem Fragment, dessen
leicht zu erschließende, spannungs- und be-
ziehungsreiche Komposition in das Rund
es in die Mitte stellt zwischen der epikte-
tischen Schale und dem Fragment im Louvre.
Damit ist ein Anhalt für die Datierung
gegeben. Einen weiteren gewinnen wir für
die Zeit, in der der Töpfer Hermaios tätig
war, durch seine signierte Schale zu Peters-
burg'). Diese hat schon Beazley') mit Recht
■) Abb. Hoppin H 18.
') Beaziey, Att. Redfig. Vases in Am. Mus. 14:
»Closely akin and perhaps by the same band.«
171
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
172
Abb. 4. Innenbild der Hermaiosschale im Brit. Museum.
dem Maler der Chelisschale in München')
zuzuteilen versucht, die gleichzeitig mit der
reifen epiktetischen Schale im Britischen
Museum ') anzusetzen ist auf Grund des
im wesentlichen übereinstimmenden Pal-
mettenornaments, das die Veränderungen
der fortschreitenden allgemeinen Entwick-
lung ja durchweg am empfindlichsten re-
gistriert. Im Verein damit spricht auch die
oben festgestellte Vorläuferschaft des Eu-
thymides und Kachrylion für die Datierung
des Fragmentes in die letzten Jahre des
VI. Jahrhunderts. Für eine späte zeit-
liche Ansetzung spricht die Tatsache, daß
es nicht nur aus einer geringeren Werkstatt
(wie die drei anderen bei Hoppin, Hand-
book angeführten signierten Schalen zeigen),
sondern auch von einem Maler stammt,
dessen Formen der zeichnerischen Dar-
stellung in einem feinen Manierismus liegen.
Heidelberg. W. Kraiker.
') Abb. Hoppin I 185; Furtw. - Reichh.,
Griech. Vasenmalerei Taf. 43.
') Abb. Hoppin H 313; Furtw.-Reichh. a. a. O.
Tafel 73.
DIE NEUESTE ARCHÄOLOGISCHE
TÄTIGKEIT IN SPANIEN.
Seit 191 5 hat sich in Spanien eine außer-
ordentlich rege archäologische Tätigkeit ent-
wickelt, die nicht nur Privatunternehmun-
gen zählt, wie es früher üblich war (Aus-
grabungen Schulten in und um Numantia,
Ausgrabungen des Marques de Cerralbo in
den keltischen castilischen Nekropolen,
Forschungen P. Paris, Albertini, Engel,
Siret, Bonsor in den iberischen Städten),
sondern die Frucht festorganisierter Unter-
nehmungen von wissenschaftlichen Insti-
tuten oder vom Staate selbst ist. Schon
früher hatte der Staat für Numantia eine
Forschungskommission unter der Leitung von
Prof. J. R. M61ida ernannt, welche die Aus-
grabungen ven Prof. Schulten in Numantia
fortsetzen sollte. Auch in Catalonien hatte
das Museum unter der Leitung von J.
Puig i Cadafalch, Architekt u. Präsident des
Instituts d'EstudisCatalans, die methodische
Ausgrabung der griechischen Kolonie Em-
porion veranstaltet, bei welcher er durch
die Mitarbeit von Prof. M. Cazurro, dem
173
Die neueste archäolog-ische Tätigkeit in Spanien,
174
ehemaligen Direktor in Gerona, und von
E. Gandia, dem Konservator am Museum
zu Barcelona, unterstützt wurde. Sonst
hatte das Institut d' Estudis Catalans in
Barcelona einige prähistorische Ausgrabun-
gen veranstaltet.
Im Jahre 1915 beginnt die Tätigkeit der
Junta Superior de Excavaciones y Antigüe-
dades, einer staatlichen Einrichtung zur
Unterstützung des im Jahre 191 1 eingebrach-
ten Gesetzes zum Schutz der Altertümer
und zur Kontrolle der Ausgrabungen. Die
Junta de Excavaciones hat seitdem eine
große Anzahl von archäologischen Unter-
nehmungen in iberischen und römischen
Plätzen veranstaltet (im Heiligtum von Des
Peiiaperros, M6rida, Itdlica und a. m.) und
in ihren Berichten (Memorias) ein ständiges
Organ für die Veröffentlichung nicht nur
der Ausgrabungen der Junta selbst, sondern
auch vieler Privatforscher gebildet. Auch
sind den Memorias die vorläufigen Be-
richte der Numantia-Erforschung einverleibt
worden. Das Verdienst, die wissenschaft-
liche Arbeit der Junta organisiert zu haben,
gebührt besonders den Herren Marques de
Cerralbo, Professor Gömez-Moreno, Herzog
von Alba, Dr. F. Alvarez-Ossorio. Die
wichtigsten Ausgrabungen der Junta sind
unter andern von Professor Melida, Dr. B.
Taracena, J. Cabre, J. Scrra Vilarö geleitet
worden.
Neben der Junta de Excavaciones hat
der Staat eine Comisiön de Investigacio-
nes paleontolögicas y prehistöricas gegrün-
det, die sich besonders der Erforschung der
ältesten Perioden der Vorgeschichte gewid-
met hat. Unter dem Vorsitz des Marques de
Cerralbo und der Leitung von Professor
Herndndez -Pachcco zählte sie als Mit-
arbeiter besonders Professor H. Obermaier,
Graf Vega del Sella, P. Wernert und J.
Cabr6.
Das Institut d'Estudis Catalans in Barce-
lona hat im Jahre 191 5 einen ständigen
Ausgrabungsdienst für Katalonien unter der
Leitung von Professor P. Bosch -Gimpera
organisiert (Servei d'Investigacions arqueo-
lögiques del Institut d' E. C). Das Ver-
dienst der Gründung hat besonders der
Vorsitzende des Instituts J. Puig i Cada-
falch. Auch auf nichtkatalonisches Gebiet
Ar(*häo!of isrher Anzeiger 1921/24.
wie Aragonien, Valencia und Mallorca hat
sich der Ausgrabungsdienst erstreckt. Als
ständige Mitarbeiter waren die Herren
Colominas, Duran, Pallarfe, Pericot und
Serra-Räfols beim Ausgrabungsdienst tätig.
Sonst wären, von reinen Privatunterneh-
mungen abgesehen, die besonders auf das
Gebiet der Prähistorie sich erstreckende Tä-
tigkeit der Museen Solsona und Vieh in
Catalonien unter der respektiven Leitung
von J. Serra-Vilaro und J. Gudiol so-
wie die der Sociedad de Estudios Vascos,
geleitet von Prof. T. de Aranzadi, für das
Baskenland zu nennen.
Die Tätigkeit der Museen hat seit 1915
außerordentlich zugenommen. Das Museum
in Madrid ist unter der Leitung von Pro-
fessor Melida und Dr. Alvarez-Ossorio
völlig neu geordnet worden; viele Neuer-
werbungen wurden ihm einverleibt. Das
gleiche gilt für die archäologische Abteilung
des Museums in Barcelona (Museu d'Art i
Arqueologia) unter der Leitung von Pro-
fessor Bosch-Gimpera, wo die Funde des
Ausgrabungsdienstes gesammelt werden. Als
neue, wissenschaftlich organisierte Lo-
kalmuseen sind in erster Reihe die, meisten-
teils prähistorische Sammlungen enthalten-
den, Museen von Solsona und Vieh und das
Numantia - Museum in Soria zu nennen.
Wichtiges prähistorisches Material findet
man auch in folgenden Museen und Privat -
Sammlungen:
Zaragoza, Pamplona, S. Sebastian, Bilbao,
Orense, La Guardia (Prov. Pontevedra),
C'ördoba, Mairena del Alcor (Prov. Sevilla,
Sammlung Bonsor), Granada, Herrerias
(Prov. Almeria, Sammlung Siret), Orihucla
(Prov. Alicante), Yecla (Prov. Albacete)
und in Madrid im Museo de Ciencias Natu-
rales und Museo Antropolögico. Wichtige
römische Materialien werden außer in Ma-
drid (Museo Arqueolögico) und Barcelona
(Museu d'Art i Arqueologia und Museo Ar-
queolögico Provincial) in den Museen Tarra-
gona (Funde aus der Stadt), Sevilla (Fun-
de aus Italica im Museo Provincial und in
der Sammlung der Marquesa de Lebrija)
aufbewahrt.
Die reichen Funde von Merida werden
in dem noch nicht eingerichteten Museum
der Stadt untergebracht. Die Funde aus der
175
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
176
griechischen Kolonie Emporion befinden sich
in den Museen in Barcelona und Gerona und
in der Sammlung Cazurro (Barcelona), die
aus der phönikischen Nekropole von Cadiz
in dem dortigen Museum. Ferner besitzt das
Museo Arqueolögico in Madrid den phöni-
kischen Schatzfund von La Aliseda (Caceres).
Die karthagischen Funde aus Ibiza befin-
den sich in dem Museo Arqueolögico in Ma-
drid, im Museum von Barcelona (Museu d*
Art i Arqueologia) und dem Museum von
Ibiza.
Der laufenden Information über die archäo -
logische Tätigkeit Spaniens dienen beson-
ders folgende Veröffentlichungen:
Memorias de la Junta Superior de Exca-
vaciones y Antigüedades (seit 1916), Anuari
del Institut d'Estudis Catalans (seit 1907) und
hauptsächlich für die Prähistorie die Memo-
rias delaComisiön de Investigacion es Paleon -
tologicas y Prehistöricas (seit 1914), Actas y
Memorias de la Sociedad espanola de An-
tropologia, Etnografia y Prehistoria, Madrid
(seit 1922), Butlleti de laAssociaciö Catalana
d'Antropologia, Etnologia i Prehistoria,
Barcelona (seit 1923), wo eine vollständige
Literatur erscheinen soll, auch die nicht
prähistorische Perioden des Altertums be-
treffend.
Die folgende Darstellung bezieht sich
auf das Gebiet der sogenannten iberischen
Kultur und Verwandtes. Eine Übersicht
über den jetzigen Stand der Forschung für
die vorhergehenden Perioden findet man:
Prähistorische Zeitschrift XIII bis XIV
1921/22, I77ff. (Obermaier, Paläolithikum
und steinzeitliche Felsenkunst in Spanien),
XV 1923, 81 ff. (Bosch, Die Vorgeschichte
der iberischen Halbinsel seit dem Neoli-
thikum).
DER GEGENWÄRTIGE STAND UNSERER
KENNTNIS DER IBERISCHEN KULTUR.
I. Die einzelnen Gruppen der iberi-
schen Kultur und die benachbarten
Kulturen.
In den letzten Jahren hat die Erforschung
der iberischen Kultur bemerkenswerte
Fortschritte gemacht. Die Funde haben sich
nicht nur sehr vermehrt, sondern sie sind
so beschafl'en, daß sie den Problemen der
Chronologie und der Systematisierung, wie
man sie, den jetzigen Kenntnissen nach,
in besagter Kultur aufstellt, eine feste Basis
geben.
Man hat außerdem eine interessante Tat-
sache beobachtet: Die archäologische For-
schung, die unabhängig von den historischen
Texten arbeitet, ist zu Resultaten gekom-
men, die in den Hauptzügen mit denjenigen
übereinstimmen, die man durch das Stu-
dium der literarischen Quellen erhalten hat.
Dieser Umstand läßt die Punkte, in denen
sich beide Methoden treffen, so gesichert
erscheinen, daß man diese wohl als definitiv
gelöst betrachten darf.
Schon 1915 glaubte man die iberischen
Funde nach geographischen Gesichtspunk-
ten') gruppieren zu können, um auf diese
Weise lokale Evolutionen der iberischen
Kunst und mögliche Beziehungen der ein-
zelnen Gruppen untereinander aufzudecken.
Die bemalte Keramik gab für diese Gruppen
die Basis. Heute muß man noch die
übrigen Materialien den durch die Kera-
mik gefundenen Gruppen einfügen und die
Existenz neuer Gruppen anerkennen.
Schon damals begann man die äußersten
Daten für jede lokale Evolution aufzu-
stellen und die Aufmerksamkeit darauf zu
richten, daß griechische Keramik in ibe-
rischen Stationen vorkam, und andererseits
iberische Keramik in den verschiedenen
Schichten von Emporion auftrat. Letzterer
Umstand gab vor allem ein sicheres Ver-
gleichsmoment und einen festen Anhalts-
punkt für die iberische Evolution.
Nachdem die Methode einmal feststand,
zeigte sie sich ergiebig in den Resultaten. Der
Weg, der zur Lösung der mit der iberischen
Kultur zusammenhängenden Probleme
führt, scheint nun klar vorgezeichnet.
Die letzten Funde *) haben das Material
vermehrt und die Existenz der vorher auf-
gestellten Regionalgruppen, nämlich: i. An-
dalusien; 2. der Südosten; 3. die Küste von
") Vgl. Bosch, El problema de la ceramica ib^rica
(Memorias de la Comisidn de Investigaciones pa-
leontolögicas y prehistöricas, Madrid 1915).
') Vgl. die Bibliographie bis 1920 bei Bosch,
La Arqueologia Pre-Romana hispänica (Appendix
zu der Übersetzung von Hispania von Schulten,
Barcelona »La Acadimica« 1920) und Bosch, Pre-
historia Catalana (Enciclopedia Catalana, Barce-
lona 19:9).
177
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
1/8
Valencia und Katalonien mit dem Süden von
Frankreich; 4. das Ebrogebiet; 5. die Mitte
Spaniens, bestätigt. Sie haben auch die Be-
ziehungen der Gruppen untereinander prä-
zisiert und die Existenz einer neuen
Gruppe in Portugal aufgedeckt. Mit den
Forschungen im Heiligtum vom CoUado
de los Jardines in Despefiaperros und der
Nekropole von Galera in Andalusien durch
Cabr4 Calvo und Motos und denen des
Instituts d'Estudis Catalans im Ebrogebiet
und Katalonien durch Bosch, Colominas,
Durän, Serra-Räfols ist die 1915 aufgestellte
Chronologie (die sich besonders auf die von
denvonPuigi Cadafalch, Cazurro und Gandia
bei den Ausgrabungen von Emporion und
ganz besonders bei dem Studium der Schich-
tenbildung erhaltenen Resultate stützte,
die mit den Daten der französischen
Stationen, wie sie zuletzt Herr Mouret in
Ensörune erhielt, übereinstimmten) vollauf
bestätigt worden. Die Forschungen des
Verfassers in den iberischen Ortschaften von
Niederaragon haben sehr deutlich gezeigt,
daß die iberische Kultur vom 5. Jahrhun-
dert ab sich entwickelt und bis zur Roma-
nisierung dauert. Man könnte an eine neue
chronologische Unterteilung denken, be-
sonders für das Ebrogebiet und Katalonien
aber auch teilweise für die anderen Gebiete.
Andrerseits erscheint der wesentliche
Unterschied, der schon 191 5 zwischen der
iberischen Küstenkultur und der des Innern,
die man vor der Entwicklung der iberischen
Kultur von Numancia') in Kastilien als
keltisch bezeichnen muß, hervortrat, heut
endgültig festgelegt^), und damit scheint
das chronologische Problem des Beginnes
der numantinischen Zivilisation in dem
Sinne gelöst, daß diese nicht das 3. Jahr-
hundert überschreite. Daraus ergibt sich,
wie wir schon 1915 vermuteten, daß die
iberische Kultur um so älter erscheint, je
') Man vergleiche die genannte Arbeit über die
iberische Keramik und die Berichte über die Ar-
beiten des Marques von Cerralbo, D^chelette und
Sandars in dem Anuari de l'Institut d'Estudis Cata-
lans V 1913—15, 940 — 952 und besonders 943.
2) Bosch, Los Celtas y la civilizaci6n c^ltica en
la peninsula ib^rica (abgedruckt im Boletin de la
Sociedad Espanola de Excursiones 1921, letztes
Vierteljahrsheft); Deutsches Resum^: Die Kelten
und die keltische Kultur in Spanien (Mannusbiblio-
thek, Nr. 22, 53 ff.).
mehr sie sich der Küste des Südostens und
Südens von Spanien nähert. Auf dieseWeise
ist man zu ähnlichen Resultaten gelangt wie
Professor Schulten ■) durch das Studium der
Texte. Er beobachtete den Unterschied zwi-
schen den Iberern der Küste und den Kelten
des Innern auf Grund der Quellen vom 6. bis
3. Jahrhundert und ebenso die Existenz von
iberischen Stämmen im Innern erst vom
3. Jahrhundert ab. Er schloß aus allem
diesen auf eine Bewegung der Iberer nach
dem Innern zu, die sie schließlich im 3. Jahr-
hundert zu Herren des größten Teiles der
Halbinsel macht.
A. Die Kultur des Südostens und
Andalusiens.
Man erkennt jeden Tag deutlicher, daß
von den regionalen Gruppen der iberischen
Kultur die des Südostens und Verwandtes
und die von Andalusien die blühendsten
sind. Man kann schon eine geographische'
') Schulten: Numantia, Begebnisse der Ausgra-
grabungen I, Die Keltiberer und ihre Kriege mit
Rom (München, Bruckmann 1914). In Betracht
kommt besonders der I. Teil von Schultens Hispania
(Pauly Wissowas Realencyclopädie ; spanische Über-
setzung in La Acadömica, Barcelona 1920, mit Be-
richtigungen). Man vergleiche auch die andern
Schriften von Schulten über den alten Peri-
plus (Fontes Hispaniae antiquae, veröffentlicht
von Schulten - Bosch, Barcelona - Berlin 1922),
und Tartessos (Hamburg, Friedrichsen 1922).
Die archäologischen Resultate sind von Bosch
zusammengefaßt worden in: La arqueologia
prcromana hispanica, Barcelona 1920; Bosch, Los
Celtas usw., Bosch, L'estat actual de la investi-
gacio de la cultura iberica (Anuari del Institut
d'Estudis Catalans VI 1915—20, 671 ff.) (das We-
sentliche dieser Arbeit wird hier wiedergegeben).
Bosch, Ensayo de ima reconstruccion de la etno-
logia prchistorica de la peninsula iberica (Boletin
de la Biblioteca Menendez y Pelayo, Satander 1922).
Bosch, Assaig de reconstitucio de la etnologia de
Catalunya (Discurso de la R, Academia de Buenas
Letras de Barcelona 1922). Für die verschiedenen Re-
gionen vergleiche man die folgenden Arbeiten: Bosch,
Prehistoria Catalana (Barcelona 1919). Bosch, L'estat
actual del coneixement de la civilitzaciö iberica del
Regne de Valencia (Anuari Inst. E. C. VI 1915-20,
624 ff.). Bosch, Eis proplemes arqueolögics de la
provincia de Castello (abgedruckt im Boletin de la
Sociedad Castellonense de Cultura 1924). Bosch,
Les investigacions de la cultura iberica al Baix Aragö
(Anuari Inst. E. C. 1919—20, 641 ff.). Bosch, Notes
de prehistoria aragonesa (BuUeti de la Associaciö
catalana d' Antropologia etnologia i Prehistoria
I 1923, 15 ff.)
8»
179
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
i8o
Grenzlinie zwischen beiden Gruppen fest-
stellen, und ebenso wie zwischen dem Süd-
osten und seinen nördlichen Nachbarn be-
stehen zwischen dem Südosten und Anda-
lusien Beziehungen und Verschiedenheiten.
a) Grenzen und Beziehungen der
Kultur des Südostens und der von
Andalusien. Die Gruppe des Süd-
ostens.
Die typische Kultur des Südostens scheint
sich nach Norden hin nicht über die Berge
zu erstrecken, die die Ebene von Valencia von
der von Alicante trennen, in deren Grenzlinie
sich Denia, der Ort der alten Griechenkolonie
Hemeroscopion, findet. Am Fuß jener
Berge, und zwar auf der Seite nach Alicante
hin, finden sich die Orte, die durch die Ent-
deckungen der Löwen und Sphingen von
Bocairente und Agost ebenso berühmt
wurden wie durch Keramik mit Vogel- und
»Carnassiers« -Darstellungen, wie sie sehr
häufig in Elche vorkommen. Diese Funde
aber dringen anscheinend nicht in die Ebene
von Valencia vor, wo eine neue Region be-
ginnt, die zwar ganz tief den Einfluß der
südöstlichen Kultur erfahren hat, aber viel
ärmer und wesentlich anders erscheint.
Die gebirgige Gegend zwischen den Pro-
vinzen Valencia und Alicante stellt ein inter-
essantes Problem dar: sie erscheint in einer
Hinsicht mehr mit Valencia als mit Ali-
cante verbunden. Die Grenzen der südöst-
lichen Kultur nach der Mitte von Spanien,
d.h. nach der Mancha und den Bergen der Pro-
vinz Cuenca zu, sind noch schwer zu präzi-
sieren; sicher ist nur, daß bis weit in die
Provinz Albacete hinein sich einer der
wichtigsten Mittelpunkte jener Zivilisation
findet (Balazote und Salobral : Orte, in denen
der Stier und die Sphingen gefunden wurden,
Montealegre mit dem Cerro de los Santos
und das Llano de la Consolaciön etc.). Nach
.Süden endet, sobald das Gebiet betreten wird,
das von dem orographischen System der
Sierra Nevada abhängt, d. h- beim Verlassen
des Flußbettes des Segura und beim Betreten
des Flußbettes des Almanzora in der Provinz
Almeria, die Kultur des Südostens, und
die von Andalusien beginnt. Das ist bei
Villaricos der Fall, das trotz eines Keramik-
fundes mit der Vogeldekoration von Elche
doch völlig zur andalusischen Kultur gehört.
b) Andalusien. Dieses scheint schon
in dem Berggebiet des Flußbettes vom obe-
ren Guadalquivir anzufangen, in dem Teil
der das Flußbett des oberen Segura berührt
(Castellar de Santisteban); die Nordgrenze
folgt der Sierra Morena, aber die Orte, die
man bisher kennt, entfernen sich nicht von
den Abhängen zum Flußbett des Guadal-
quivir (das Heiligtum von Despeftaperros in
Santa Elena). Das ganze Flußtal des
Guadalquivir gehört völlig zu der iberisch-
andalusischen Kultur (Osuna, Carmona,
Niebla); die Grenze nach Nordwesten,
d. h. nach dem östlichen Teil der Sierra
Morena (die Berge von Cordoba, Huelva
und Algarve), läßt sich aber noch nicht
genau festsetzen. Man kann nur sagen,
daß eine Einfuhr oder ein Einfluß von anda-
lusischen Typen in Portugal ') sehr stark
gewesen ist (die Funde von Faro in Algarve,
von der Nekropole, von Alcacer do Sal und
von den »Castros« von Santa Olalla und
anderen). Trotzdem erscheinen von Algarve
an andere nicht-iberische Zivilisationen.
c) Beziehungen und Verschieden-
heiten zwischen dem Südosten und
Andalusien.
Von den beiden Kulturen, der südöst-
lichen und der andalusischen, steht un-
zweifelhaft fest, daß die erstere einen höheren
Grad erreichte; die größere Vollendung
und Mannigfaltigkeit der Typen in den
Stein- und Bronzesklupturen beweist dies,
wie auch der größere Reichtum in den Typen
der Keramik. Man" sieht dies deutlich,
wenn man die Steinskulpturcn des Süd-
ostens, d. h. die Dame von Elche, die Fi-
guren des Cerro de los Santos, den Krieger
von Elche, die Sphingen von Salobral und
von Agost, die Tiere und Löwen von Bala-
zote und von Bocairente, mit denen von
Andalusien vergleicht, z. B. den Reliefs
von Osuna, den Löwen von Baena und Cor-
doba, den Sphingen von Villacarrillo, dem
Relief von Alcalä la Real. Gerade so zeigen
die Bronzen des Ortes la Luz bei San An-
tonio el Pobre in Marcia, der vielleicht ein
Sanktuarium darstellt, eine vorgeschritte-
nere Kunst als die Statuetten der anda-
lusischen Sanktuarien von Despefiaperros
') Vgl. Bosch, Los Celtas.
i8i
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
182
und Castellar de Santisteban. Bei der Kera-
mik herrscht in Andalusien ausschließlich
die geometrische Dekoration, während der
Südosten einen großen Reichtum an Tier-
motiven (die Vögel und die Carnassiers
von Elche und Archena), an Pflanzen -
mustern (Epheublätter, stilisierte Blumen
und Palmetten) und geometrischen Mustern
(Spiralen und anderen Motiven, die häufig
mit Blumenmotiven kombiniert sind) auf-
weist; bei den geometrischen Mustern haben
die Wellenlinien und die konzentrischen
Kreise, die in Andalusien das typische und
beinahe einzige Muster sind, kaum IBedeutung.
Es ist möglich, daß diese Beziehungen und
gleichzeitigen Verschiedenheiten, die die
Überlegenheit der südöstlichen Gruppe be-
weisen, sich auch in der Architektur spie-
geln. Diese ist zwar im Südosten noch sehr
unvollkommen bekannt, aber sie bietet doch
eine Fülle von monumentalen Resten, be-
sonders von Kapitalen, die in so großen
Mengen nicht in Andalusien auftreten, wo
die Reste von Schmuckarchitektur (Osuna)
ärmer sind.
d) Mögliche Untergruppen im Süd-
osten.
Vielleicht besteht die Möglichkeit, innerhalb
der südöstlichen Gruppe eine gewisse Ver-
schiedenheit zwischen dem Teil an der Küste
(Elche und Archena oder den südlichsten
und östlichsten Teilen der Sierras von Sa-
linas, la Pila, las Cabras und von Tarbella)
und dem Teil des Innern, der geographisch
mit der Mancha zusammenhängt, und dem
südlichen Teil der kastilischen Randgebirge
(die Gruppe des Cerro de los .Santos, Meca
etc.) zu konstatieren. Der Unterschied tritt
besonders in der Keramik hervor, wo man
in Elche und Archena eine Fülle von Tier-
motiven findet, die sich elegant mit pflanz-
lichen Stilisierungen und Spiralen ver-
binden, während die vorige Gruppe aus-
schließlich geometrische und vegetabile Mo-
tive aufweist, die weniger elegant und mit
gewisser Unabhängigkeit entwickelt sind.
Man muß schließlich in der Skulptur eine
größere Vollendung der Dame von Elche,
der Statue des Kriegers von Elche, der
Sphingen von Agost und der Bronzen von
Murcia anerkennen, gegenüber den Figuren
des Cerro de los Santos, dem Stier von Ba-
lazote und den wenigen Bronzen, die man
aus demselben Cerro kennt, und die schon
sehr denen von Andalusien gleichen.
e) Die neuen Funde des Südostens.
Die Kenntnis des Materials hat sich in
den letzten Jahren sehr vermehrt.
Der Cerro de los Santos und die
Nekropolis von Montealegre und
Meca. Herr Zuazo y Palacios hat aufs
neue die Skulpturen des Cerro de los San-
tos studiert, er will die Echtheit von einigen,
die man als falsch bezeichnete, beweisen
und besonders darlegen, daß viele, die man
mit denen des Cerro zusammengebracht
hat, aus dem Llano de la Consolaciön kom-
men, das anscheinend ein ähnliches Sanktu-
arium enthielt.
Herr Zuazo erforschte auch eine Nekro-
pole in Montealegre bei den erwähnten Sank-
tuarien, ohne daß aber die Art der Gräber
von ihm genau angegeben wird, in denen er
Urnen gefunden zu haben scheint, die ein-
geäscherte Knochen enthielten. Die frag-
lichen Urnen waren mit Tontellern geschlos-
sen und mit einfachen gemalten Streifen
geschmückt. Zu diesen Gräbern gehört auch
das Stück einer »falcata« (Krummsäbel).
Andrerseits untersuchte er aufs neue die
Station Meca ^), ohne aber wesentlich Neues
zu bringen.
Das Heiligtum von La Luz bei
Murcia. Zu dem bekannten Material von
der Gruppe an der Küste ist heute eine Fülle
von Bronzen gekommen, die das Museum
von Barcelona erworben hat, und die von
alten Ausgrabungen aus dem Ort namens
la Luz nahe der Einsiedelei von San An-
tonio el Pobre im Palmenwald bei der Stadt
Murcia stammen, die aber unbekannt ge-
blieben waren. Man hat nur wenig Posi-
tives über die näheren Umstände der Ent-
deckung erforschen können, man weiß nur,
daß alle Bronzen zusammen gefunden wur-
den, was auf ein Heiligtum schließen läßt,
und dies macht auch die Natur der Dar-
stellungen wahrscheinlich, die denen aus
') J. Zuazo, La villa de Montealegre y su Cerro
de los Santos (Madrid Hijos de Gömez Fuentenebro
i9>5).
') J. Zuazo, Contribuciön al estudio Ics ciudades
ibericas. Meca (Madrid 1916).
i83
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
184
Abb. I. La Luj (Murcia). Reiter aus Bronze
(etwa '/»). Museum Barcelona.
Abb. 2. La Lui (Murcia). Votivstatucttc aus
Bronze (etwa Vs)- Mus. Barcelona.
den andalusischen Sanktuarien sehr ähn-
lich sind.
Kürzlich haben die Ausgrabungen von C. de
Mergelina in La Luz die Bestimmung des Ortes
als Heiligtum bestätigt und neue Bronze -
funde hervorgebracht. Die Bronzen zeigen
Krieger zu Pferde mit interessanten Rüs-
tungsdetails, wie Krummsäbeln, Sporen,
Helmen, Schilden etc., verschiedene weibliche
Abb. 3. La Luz (Murcia). Votivstatuette aus
Bronze (etwa Vs). Mus. Barcelona.
Figuren mit Mänteln und Schmuck, von
dem Typ der Figuren aus dem Cerro de
los Santos und der Dame von Elche (eine
hat ein Gefäß in der Hand, das sie wie eine
Spende vorstreckt), verschiedene männliche
Figuren (darunter eine ityphallische), eine
nackte Frauenstatue von korrekter Aus-
führung und Form, eine Hand, die zu einer
Figur von normalen Dimensionen gehört und
außerordentlich gut ausgeführt ist.
Die Kunst, die sich in den Bronzen aus
Murcia zeigt, ist im allgemeinen die gleiche
i85
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
[86
' -rsr
^'
a b c d e
Abb. 4. La Luz. Votivstatuettcn aus Bronze (a und d etwa '/s! ^^i c, c etwa Vs)- Mus. Barcelona.
wie bei den anclalusischen; in einigen Fällen
würden wir sie für vollkommener, reicher
an Beobachtung der natürlichen Formen,
sowie feiner in der Ausführung halten
(Abb. 1—4).
Die Serreta von Alcoy. Einen wich-
tigen Beitrag zu der Kultur des Südostens,
der die Beobachtung erlaubt, wie diese in
der Zone zwischen Valencia und Alicante bis
zum 3. Jahrhundert lebt, bietet die Station
La Serreta in Alcoy . Hier hat sich neben
hellenistischer Keramik, solche vom Typus
der südöstlichen Kultur mit stilisierten
Pflanzen, ja sogar mit Reitern dekoriert ge-
funden, alles jedoch in weniger korrektem
und elegantem Stil als bei der Keramik von
Elche etc. Außerdem fand man eine Blei-
tafel •) mit iberischen Schriftzeichen, die
") C. Visedo, Excavaciones en el monte »La
Screta« pröximo a Alcoy (Alicante) (Memorias de
la Junta Superior de Excavaciones nums. 41,
1920—21; 45, 1921—22; 56, 1922— 1923). Auch R.
Vicedo, Historia de Alcoy y de su regiön (I, Alcoy,
allerdings den gebräuchlichen gegenüber
einige Varianten aufweisen. Auch ist diese
Schrift als ionisch angenommen worden.
f) Die neuen F'unde in Andalusien.
Die neuen Beiträge für die Kultur von
Andalusien waren gleichfalls von Bedeutung,
besonders in allem, was mit der Steinplastik
zusammenhängt. In Villacarrillo (Jaen)
fand man eine neue Sphinx von dem Typus
derer von Agost'). Neue Steinlöwen vom
Impr. El Serpis 1920 — 1922). Über die Inschrift
haben gehandelt H. Schuchardt, Die Inschrift von
Alcoy (Sitzungsberichte der pr. Akad. der Wissen-
schaften 1922, Phil.-hist. Kl. 83 fl.); M. Gömez
Moreno, De epigrafia ib^rica. El plomo de Alcoy
(Revista de Filologia espanola IX 1922, 341 ff.)
und H. Schuchardt's Besprechung von G. M.
Schrift in Revista internacional de los estudios
vascos, S. Sebastian 1923. Eine Lesung von
Schulten Hegt vor S. 170 — 71 der Historia de
Alcoy II von R. Vicedo. Während von Schuchardt
die Schrift als iberisch angeschen wird, halten
Schulten und Gomez Moreno sie für ionisch.
■) M61ida, Musco Arqucologico Nacional. Ad
i87
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
188
Typus Bacna kamen bei Montilla') zum
Vorschein. In Aicala la Real fand man
ein leider unvollständiges Reliefe), das
einen Mann im Profil gesehen darstellt,
der etwas hält, das man als Ähre interpre-
tiert hat. Auffallend ist an diesem Relief der
ausgesprochen griechisch - archaische Ge-
schmack.
Das Heiligtum. Weitere interessante
Funde sind die der Sanktuarien von Castellar
de Santisteban und Despenaperros. Das
Material des ersteren, dessen größter Teil,
d. h. alles, was Herr Cabre besaß, in das
Museum von Barcelona gelangt ist, ist sehr
gut von Herrn Raymond Lantier in Zu-
sammenarbeit mit Herrn Cabr6 3) ver-
öffentlicht worden. Das Heiligtum von
Despenaperros war nur durch einige Bronze-
funde bekannt, die von Bauern gemacht
und Herrn Horace Sandars gegeben wurden.
Die Junta Superior de Excavaciones und
Antigüedades hat methodische Ausgrabun-
gen veranstaltet, deren Arbeiten Juan
Cabre und Ignacio Calvo 4) anvertraut
wurden.
Von dem ersten Heligtum, d. h. dem von
Castellar, kennt man leider nicht die nähe-
ren Umstände der Auffindung der ersten
Gegenstände, da sie von den Landleuten ge-
macht wurden, die sich nur von dem Wunsch,
Schätze zu finden, leiten ließen. Man hat
nur klarstellen können, daß sich die Gegen-
stände ganz unordentlich bei einer Höhle
fanden, die wohl der Ort für den Kult ge-
wesen ist.
In Despenaperros scheint dagegen keine
Höhle bestanden zu haben, sondern ein Ge-
bäude, von dem einige Reste existieren, die
quisiciones en 1916 (Revista de Archivos, Biblio-
tecas y Museos 1912 I num. 3).
') Diese Nachricht verdanken wir Herrn Jos^ de
la Torre, dem Archivar von Cördoba, durch Ver-
mittlung seines Bruders Dr. Antonio de la Torre,
Professor an der Universität Barcelona.
^) E. Romero de Torres 464 mit Abb. im
Boletin de la RealAcademia de la Historia LXVII,
Madrid 191 5.
3) Lantier, El santuario ib^rico de Castellar de
Santisteban (Memorias de la Comisiön de Investiga-
ciones paleontolögicas y prehistöricas, Madrid 1917).
4) Calvo-Cabr^, Excavaciones en la cueva y
coUado de los Jardines (Sta Elena, Jaen) (Memorias
de la Junta Superior de excavaciones y antigüedades
1917 — 1918 — 1919).
eine primitive Konstruktion verraten, die
später zu einer Rekonstruktion verwandt
sind. Die Schlüsse, die man auf die Da-
tierung . der gefundenen Exvotos ziehen
kann, sind im allgemeinen außer dem frag-
lichen Gebäude, das ganz in Trümmern
liegt, nicht sehr klar. Auf dem oberen Teil
des Berges, wo man das Sanktuarium fand,
entdeckte man auch Reste von Wohnungen
von rechteckiger Form und eine Mauer,
die offenbar zur Verteidigung diente.
Die Ausgrabenden haben keine Keramik
gefunden, die im ganzen Heiligtum sehr
spärlich auftritt, im Gegensatz zu Castellar
de Santisteban, aus dem schöne iberische
Gefäße stammen, mit den in Andalusien
üblichen geometrischen Verzierungen be-
malt.
Dafür erschienen in den erwähnten Woh-
nungen von Despeflaperros zahlreiche Reste
von Dreifüßen, die vermutlich dazu dien-
ten, die Schmelztiegel zu tragen, in denen
die Exvota gegossen wurden. Man hat
aber ebensowenig Reste an diesen Tiegeln
entdecken können.
In der Nähe der fraglichen Ortschaft,
zwischen den Fundamenten der Wände ver-
muten die Herren Cabre und Calvo die
Existenz einer Nekropolis, da sie in einer
Aschenschicht stark zerbrochene Keramik -
reste, kleine Eisenwaffen und Exvota,
wie die aus dem Sanktuarium, fanden.
Wir wissen nicht, ob man tatsächlich an
die Existenz dieser Nekropolis glauben soll.
Die Funde gleichen sich in beiden Heilig-
tümern. In Despenaperros sind sie, obgleich
man sie nicht genau datieren kann, sehr inter-
essant, der Zahl und der Typen wegen. Die
menschlichen Votivfigürchen sind stark
stilisiert, so daß einzelne wie eine Nadel er-
scheinen, andere aber verraten gute Kunst
und erinnern an gewisse griechisch -archai-
sche Typen. Einige Tierfiguren kommen
vor, ebenso wie Exvota von Gliedern (Ar-
me, Beine, Hände, Gebisse, phalli, etc.),'
am gebräuchlichsten aber ist das mensch-
liche Figürchen. Die männlichen Figuren
stellen Krieger zu Pferde dar, die oft mit
falcata (Krummsäbel), Lanze oder rundem
Schild bewaffnet sind, nackte Männer oft
ityphallisch oder mit einer kurzen Tunika
bekleidet. Die Frauen gehen nackt oder
i89
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien,
190
tragen einen großen Mantel, der vom Kopf
herabfällt und durch einen Gegenstand
gehalten wird, der ihn in eine Spitze en-
digen läßt, sodaß das Ganze eine Glocken -
form ergibt; er paßt sich aber auch der na-
türlichen Form des Kopfes an. Schmuck
kommt häufig vor, z. B. die Scheiben an
den Ohren wie bei der Dame von Elche (Abb.
5, 6). Die Exvota sind massiv, in einer Form
gegossen, oder auch aus Bronzeplättchcn ge-
Abb. 5. Volive Kriegerstatue Iten aus Castellar de Santistcban (Prov. Jacn). Bronze (etwa S/s)-
(Mus. Barcelona.)
Abb. 6. Weibliche Votivstatuetten aus Castellar de Santisteban (Prov. Jaen). Bronze (etwa Vs)-
Mus. Barcelona.
hämmert. Von letzterer Art, allerdings aus
Goldplättchen, gibt es ein Paar in Castellar.
Unter den kleinen Gegenständen finden
sich in beiden Sanktuarien außerordenlich
viele Ringfibeln und Latenefibeln, gewöhn-
lich aus der 2. Periode stammend. In Des-
peflaperros hat man verschiedene Gürtel-
schnallen gefunden von dem Typus, der der
iberischen Kultur des Südens und Südos-
tens anzugehören scheint, und von dem man
andere Beispiele aus Elche im Museo Arqueo-
lögico Nacional kennt, ebenso eins aus dem
Grab von Salzadclla in Castellön'). Aus
•) J. Colorainas, Eis enterraments iberics dels
Espleters a Salzadella (Anuari Inst. E. C. 191 5 —
1920, 617). Für die von Despefiaperros vgl. Calvo-
Cabre, Exe. en la cueva y collado de los Jardincs
(Memorias Junt. Sup. Exe. 1918, memoria de la
campana de 1917 Taf. XXVIII).
ipl
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
192
Castellar stammen einige ungeschickte Fi-
gürchen aus gebranntem Ton, wahrschein-
lich iberisch, und eine kleine sehr bedeutende
Abb. 7. Greif aus Castellar de Santisteban
(Prov. Jacn). Bronze (etwa '/O- Mus. Barcelona,
Bronze, ein Greif, der griechische Arbeit,
und zwar archaisch-griechische Arbeit, zu
sein scheint (Abb. 7). Allem Anschein nach
mit einem glänzenden Schwarz lackiert sind
(hellenistische Art).
Es scheint, daß beide Sanktuarien auch
noch während der römischen Zeit benutzt
Abb. 8. Gräbertypen von Galera (Prov. Granada).
Nach Cabrc.
hat man in Despenaperros keine griechische
Keramik gefunden. Dafür kennt man aus
Castellar einige Gefäße und Fragmente, die
Abb. 9. Gräbertypen von Galera (Prov. Granada).
Nach Cabri.
wurden; aus dieser Epoche stammen die
meisten der geschnittenen Steine, die man
gefunden hat, und außerdem lumpen, Ke-
ramik, und sogar gebrannter Ton, letzterer
besonders in Castellar.
193
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
194
Die Nekropole von Galera ■). Ein
anderer Fund von kapitaler Wichtigkeit,
besonders um unsere Kenntnisse über die
Datierung und die andalusische Kultur zu
erweitern, ist die Nekropolis von Galera,
die leider zum größten Teil ausgeplündert
wurde. Von den Ausgrabungen des Herrn
Cabre, der dorthin von der Junta Superior
de Excavaciones geschickt wurde, nachdem
an Ort und Stelle schon durch Herrn Motos-
Velez Blanco und durch die Bauern Nach-
forschungen angestellt worden waren, kennen
wir folgende Resultate.
bemaltem Stuck. Die Keramik kommt
hier in Fülle vor, und zwar von dem ge-
bräuchlichen Typus mit den andalusischcn
geometrischen Verzierungen. Es gibt außer-
dem große eiförmige Gefäße mit reicherem
Schmuck, unter dem man auch Pferde sieht,
und die nach Herrn Cabre ibero-punisch
sind. Leider genügen die veröffentlichten
Photographien nicht, um sich ein Bild von
diesen Gefäßen zu machen. Griechische Ge-
fäße sind reichlich da, im allgemeinen sind
es italische Kratere aus dem 4. Jahrhundert,
ebenso wie die ländliche Keramik und die
Abb.
10. Neue Nekropole von'Galera (Prov. Granada). Alabasterstatuette (etwa '/»)• Museum Sirct
in Herrerias. Aufnahme des Herrn G. Gosse.
Neben den armen'Gräbern, die nur aus
Steinkisten bestehen, die in der Erde oder
unter Steinen begraben sind (Abb. 8) und nur
Urnen und einige kleine Gegenstände enthal-
ten (z. B. Fibeln aus dem Ende der ersten
Epoche von La Ttee), gibt es reichere Grä-
ber mit Tumuli, die aus einer viereckigen
Kammer bestehen und aus Gewölben, deren
Schlußstein durch einen Pfeiler gehalten
wird, und einem Eingangskorridor (Abb. 9).
Diese Gräber pflegen reicheres Material zu
enthalten. Man findet oft an den Wänden der
Kammer oder auf dem Boden Reste von
I) J. Cabre, F. de Motos, La necröpolis de Tiitugi
(Meni. de la Junt. Sup. de Excav. 1920) und Cabre,
Objetos exöticos y de procedencia oriental cn las
necröpolis turdetanas (Boletin de la Sociedad
Espanola de e.xecursioncs 1920 IV trimcstre).
Gegenstände karthagischer Einfuhr,' die man
schon aus Villaricos kennt: kleine gläserne
Amphoren, Amulette, Karneole mit orien-
talischen Motiven, Schmuckstücke, die
manchmal granuliert sind. Man findet
auch viele Krummsäbel, Soliferrea, Zäume
für Pferde, kleine weniger wichtige Bronzen
und außerdem viele Kisten aus Kalkstein,
die oft als Graburnen dienten.
Ein bemerkenswerter Gegenstand, der in
der allgemeinen Gruppe der Funde seinen
besonderen Platz einnimmt, ist ein Ala-
basterstatuettchcn (Abb. lo), etwa 10 cm
hoch, eine Frauenfigur, die in den Händen
eine Schale hält, in der sie die Flüssigkeit auf-
fing, die ihren Brüsten entquoll. Die
Figur sitzt auf einem Sitz, dessen Armlehnen
zwei geflügelte Sphinge darstellen. Herr
G. Gosse erwarb den Gegenstand durch
'95
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien,
196
Kauf von einem Bauern und übergab ihn
dem Museum Siret in Herrerias. Das Fi-
gürchen scheint, wenn nicht selbst griechi-
sches Erzeugnis, zum mindesten seiner Art
nach von der archischen griechischen Pla-
stik abzuhängen, die orientalische Erinne-
rungen aufweist. Leider kennt man die nähe-
ren F"undumstände nicht. Die Figur scheint
etwas älter als die Einrichtung der Nekro-
polis, die nach allgemeiner Regel dem 4.-3.
Jahrhundert v. Chr. angehört.
Bei besagter Nekropolis scheinen ver-
schiedene Keramiköfen existiert zu haben.
Die Herren Cabre u. Motos sprechen von
Trümmern, aber erwähnen keine Einzel-
heit der Form oder Konstruktion.
Die Nekropolis von Illora'). Teile
des Materials von einer Nekropolis bei
Illora sind in die Sammlung des Marquis
von Cerralbo gekommen. Sie bestehen außer
anderen Dingen in einigen falcatas, Schwer-
tern mit degeneriertem Hufeisengriff, Soli-
ferrea und einem Schwert mit breiter Klinge,
dessen Griff in einen Metallring endet, der
sicher den Schwertknopf in Kugelform um-
schloß.
Die Nekropole von Peal de Be-
cerro. Das Museo Arqueolögico Nacional
hat gleichfalls seine Sammlungen durch
Funde aus Andalusien vermehrt, besonders
durch zahlreiche Gefäße, die aus der Nekro-
polis von Peal de Becerro (Provinz Jaen)
stammen, und von der man schon einige
Gefäße in den Sammlungen Vives u. Gö-
mez Moreno in Madrid kannte.
Der Schatz von Mogon»). Dank der
großmütigen Schenkung von Herrn Sandars
ist der Schatz von Mogön in das Museum
von Madrid gelangt. Zwischen einem Stein-
haufen fand man ein Gefäß, das mit einem
silbernen Halsring (torque) verschlossen
war, und das viele Münzen und silberne
Schmuckstücke enthielt. Das Gefäß ist
kreisförmig mit einfach gemalten Streifen,
wie sie in der andalusischen Keramik ge-
') Artlnano, Catälogo de la exposiciön de hierros
artisicos espafioles (Publ. de la Sociedad espafiola de
Araigos del Arte, Madrid 1920) Num. 9 (Abb.
Seite ()) und Nunim. 94 — 106 (Abb. Seite 20).
') H. Sandars, Joyas ibero-romanas halladas cn
Mogon cerca de Villacarillo en la provincia de Jaen
(Ja6n Inipr., Murales, ohne Datum).
bräuchlich sind. Im ganzen waren es 1258
Münzen republikanischer Zeit. Unter den
Schmucksachen verdienen erwähnt zu wer-
den Halsringe (torques), Armbänder, eine
Platte aus vergoldetem Silber, die etwa
5 cm breit und mit sehr fein ziselierten
Zeichnungen von Blumen und Früchten
dekoriert ist, eine andere Platte, die wahr-
scheinlich dazu diente, die Scheide eines
Dolches zu schmücken, sie hat ziselierte
Vierfüßler und Fische, jedoch in viel grö-
berer Ausführung als bei dem vorigen Stück,
ein Medaillon mit dem Haupt einer Medusa,
und eine Schnalle, die einen Vogel mit ge-
öffneten Flügeln darstellt, die er nach dem
Bogen wendet, der die Schnalle bildet. In
der Nähe des Fundortes gab es eine iberische
Station mit Scheibenkeramik, die mit ein-
fachen geometrischen Motiven bemalt war.
Die Münzen des Schatzes stammen vom
Anfang des i. Jahrhunderts v. Chr. Die
jüngste Prägung ist die vom Jahr 89 v.
Chr. Dies Jahr kann man ungefähr als Da-
tum für das Vergraben des Schatzes anneh-
men. Die Gegenstände des Schatzes wird
man sicher auch nicht viel früher datieren
dürfen, d. h. also um das Ende des 2. und
Anfang des i. Jahrhunderts v. Chr. Wenn
man die dreieckige Platte oder die Schnalle
mit dem Vogel ausnimmt, so erscheinen alle
Gegenstände römisch oder griechisch-rö-
misch. Die beiden erwähnten Stücke sind
nach Herrn Sandars iberische Arbeit.
g) Mögliche Untergruppen in An-
dalusien.
Wie im Südosten darf man auch in An-
dalusien mit geographischen Untergruppen
rechnen. Eine solche wäre in der Provinz
Jaen (Oberlauf des Guadalquivir, Berg-
werkdistrikte) zu suchen. Nach den Heilig-
tümern von Despeüaperros und Castellar
und der reich entwickelten Bronze und
Stierplastik (Sphinx von Villacarrillo) zu
urteilen lehnt sie sich an diejenige Gruppe
des Südosten an, die durch den Oberlauf
des Seguraflusses mit der Gruppe von Ar-
chena-Elche im Südosten in Verbindung
treten konnte. Südlich davon, durch den
Bergknoten von La Sagra geschieden, wäre
eine andere Gruppe in den Provinzen
197
Die neueste archäologische Täiiglceit in Spanien.
198
Granada (Nord- und Ostgegend) und AI-
meria zu finden, welche durch einen starken
karthagischen Import (Nekropolen Villa-
ricos in Almeria und Galera in Granada,
mit Kammergräbern unter großen TumuH)
bezeichnet wird. Die Gruppe, die die west-
hchen Teile der Provinz Granada umfaßt
(Nekropolen Iznalloz und Illora, ohne kar-
thagischen Import und ohne Kammer-
gräber), mündet allmähhch durch das Tal
des Genil in die Gruppe der Provinz Cör-
doba ein (Nekropolen Cabra, Almedinilla,
Fuente Töjar), welche ebenfalls durch den
Guadalquivir mit Jaön verbunden wird.
Dazu kommt die Steinplastik (Löwen von
Montilla, Relief von Alcalä la Real), welche
allen Guadalquivirgruppen gemein zu sein
•scheint, was die Funde von Osuna und die
Tierfigur von Las Cabezas de S. Juan in
der Provinz Sevilla (in einer neuen Gruppe)
bestätigen. Der Gruppe der Provinz Sevilla
gehören auch die Gräber des Acebuchal
mit ziemlich frühen karthagischen Import-
stücken (den Funden der Nekropole von
Gades entsprechend) und die aus den Cer-
tosatypen entwickelten Silberfibeln an, die
wohl eine Besonderheit dieser Gruppe dar-
stellen.
Bemerkenswert ist, daß die mit dem Süd-
osten in näherem Kontakt stehenden
Gruppen im Guadalquivirtale, also in Inncr-
andalusien, angetroffen werden; das deutet
auf gegenseitige Beziehungen auf dem Wege
Guadalquivir— Segura. Außerdem scheint
sich der karthagische Import auf das Hinter-
land von Gades und von Villaricos (wo
Siret die Lage der karthagischen Kolonie
Baria vermutet hat) zu beschränken. Die
Gruppen des Inlandes scheinen frei von
karthagischem Import zu sein. Auch ließ
sich griechischer Import (Vasen) nur in den
östlichen Gruppen (Granada — Almeria) fest-
stellen. Da diese Zone, deren Verbindungen
nach der Küste hinführen, vollständig in
karthagischem Einflußgebiet lag (westlich
von Mastia — Cartagena), hängt der grie-
chische Import zweifellos mit den Kartha-
gern zusammen. In den innerandalusischen
Gruppen gibt es, abgesehen von dem Greifen-
kopf aus Bronze von Castellar de Santiste-
ban, so gut wie garnichts an griechischer
Importware.
h) Chronologie von Andalusien.
Mit diesem neuen Material können wir
weiter beweisen, daß die Blüte der ibe-
rischen Keramik in Andalusien in allen
Teilen dem 5. u. 4. Jahrhundert entspricht
(Galera) und daß man sie sich vielleicht bis
zur römischen Zivilisation denken darf
(Schatz von Mogön), aber wir erhalten kein
neues Datum für die Evolution dieser
Kultur. Die stilistischen Parallelen, die
man zwischen den Brozefigürchen der ibe-
rischen Sanktuarien und der archaischen
griechischen Kultur aufgestellt hat, können
wohl den Ursprung der iberischen Kultur
aufhellen, aber sie geben keine feste Chrono-
logie. Man kann dasselbe von den archai-
schen griechischen Funden sagen, die man
schon kannte, wie z. B. den Satyr aus dem
Llano de la Consolaciön '), dem Greifen von
Castellar '), und vielleicht ist auch das
Figürchen von Galera hellenisch, wenn auch
die Beziehung zum Material ganz unbe-
kannt ist. Die Becher, die dem Anschein
nach in Castellar gefunden wurden,
bringen nicht viel Aufklärung. Im Süden
der Halbinsel ist es genau so. Wir müssen
uns damit begnügen, festzustellen, daß die
Kultur des Ostens und die von Andalusien
von 500 ab blühte.
B. Valencia, Niederaragon, Katalo-
nien und der Süden von Frankreich.
a) Die erste Periode von Nieder-
aragon und den benachbarten Ge-
bieten Valencia und dem Innern von
Katalonien.
Sobald man an die anderen Gebiete
geht, erhellt sich das Problem der
Chronologie durch die neuen Funde bedeu-
tend. Man verdankt dies besonders den
methodischen Ausgrabungen, die man in
Aragon und Katalonien und auch in den
neu entdeckten Stellen von Valencia ge-
macht hat. Man kann sowohl fürdie Küste
wie für das Innere zwei gut definierte Peri-
oden als gesichert erachten, zwischen die sich
in Niederaragon eine Übergangszeit ein-
') P. Paris, Essai sur l'art et l'industrie d'Es-
pagne primitive (Paris, Leroux 1909, 116, fig. 90).
>) Lantier op. cit. Taf. XXVIII Nr. 22 u. S. 114,
Fig. II.
199
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
200
Abb.
Modell der Ansiedlung »Tossal Redo« bei Calaceite (Prov. Teruel).
del Inst. Est. Cat.
Nach Bosch, Anuari
schiebt. Die erste Periode umfaßt 'das 5.
und 4. Jahrhundert und zeigt große lokale
Verschiedenheiten.
Aragonien und Valencia '). Es
scheint als ob sich eine gleiche Kultur an
der Küste des Reiches von Valencia und in
Abb. 12. Straße in der Ansiedlung »Tossal Redo«. Nach Bosch, Anuari,
Abb. 13. Haus in der Ansiedlung »Tossal Redö«. Nach Bosch, Anuari.
') Über Aragonien vgl. Bosch, Notes de Pre-
historia aragonesa (Butlleti de la Associaciö catalana
d'Antropologia, Etnologia i Prchistoria, I 1923),
besonders S. 49 ff. Bosch, La investigaciö de la
cultura ib^rica al Baix-Aragö (Anuari Inst. E. C.
VI 191 5 — 20, 641 ff.). Bosch, Campanya arqueolo-
gica del Institut d'Estudis Catalans al limit de Cata-
lunya y Aragö (Cascres Calaceit i Macaliö) (Anuari
del Inst. E. C. Cronica V 1913— 14, 819 ff.).
Über Valencia vgl. Bosch, L'estat actual del coneixe-
ment de la civilitzaci6 iberica del regne de Valencia
(Anuari Inst. E. C. VI 1915—20, 625 ß.). J.
Colominas., Eis enterraments iberics dels Espleters ä
Salzadella(a. a. 0. 1915 — 20, 616 ff.). J. J. Senent,
Estaciöns iberiques entre el riu Ccnia i el Millars
(Castellö) (a.a.O. 1915 — 20, 619 ff.). Bosch, Elspro-
blemes argueolögics de la provincia de Castellö (Boletin
del Centro Castellonense de Cultura 1924).
201
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
202
Abb. 14. Plan eines Grabes bei der Ansiedlung »Vilallonc« bei Calaceite (Prov. Teruel).
Nach Bosch, Anuari.
einem großen Teil von Aragon ausgebreitet
hat. Diese Kultur, die in dem zweiten Ge-
biet durch die Stationen Las Kscodinas,
Sant Cristofol, El Tossal Redo und el Vi-
lallonc in der Provinz Teruel und durch las
Valletas und andere Stationen von Scna
(Prov. Huesca) vertreten wird (Abb. 1 1 — 14),
wird durch ihre geringe Beziehung zu der
Kultur des .Südostens charakterisiert, die
man erst am Ende der Periode findet, wo die
Funde an Scheibenkeramik mit gemalten,
wenn auch einfachen Motiven zunehmen.
Was dieser Gegend in jener Zeit eigent-
tümlich ist, ist grobe Handkeramik mit
reichem Reliefschmuck, welche eine alter-
tümliche Tradition aus der Höhlen -
kultur der Stein- und Kupferzeit zu
bewahren scheint (Abb. 15 — 17). Außer-
dem findet man die glatte Keramik hall-
stättischer Tradition, die ursprünglich von
den Formen der Eisenzeit der katalanischen
Küste abzuhängen scheint. Andrerseits
muß man einen großen Einfluß der be-
nachbarten keltischen, nachhallslättischen
Kultur aus dem Innern der Halbinsel
konstatieren, einen liinfluß, den man
besonders in den Bronzestücken bemerkt
(Abb. 18). Von der Keramik hallstätti-
scher Tradition (Abb. 19, 20) finden wir
in allen Ortschaften und Gräbern Nie-
deraragons ein Gefäß mit hohem Fuß, in
I'^orm eines doppelten Kegels, mit hohen
vorspringenden Rändern, und weiter ein
kugelförmiges Gefäß mit vorspringendem
I'iand. Nachhallstättischen Einfluß der
Kelten aus dem hinern der Halbinsel zei-
gen in denselben Ortschaften verschiedene
Formen von Fibeln, Gürtelschließen und
sehr dünnen Armreifen von viereckigem
Schnitt. An der Küste des Reiches Valen-
cia fängt man jetzt an, dank der
Forschungen von Herrn Senent, denen man
das Material einiger Privatsammlungen und
das Grab von Salzadella anschließen könnte,
mit dieser Kultur gut bekannt zu werden
(Abb. 21 — 26). Das gemeinsame Merkmal
ist gleichfalls das Vorherrschen von gro-
ber Handkeramik, mit Rcliefschnürcn und
203
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
204
Abb. 15. Handgemachte Vase aus dem Ansiedlungs-
platz >S. Cristofol« bei Mazaleon (Prov. Teruel)
mit Reliefornamentik (etwa '/g). Mus. Barcelona.
Nach Bosch, Anuari.
Abb. 16. Handgemachte Vase aus »S. Cristofol«
bei Mazaleon mit Reliefomamentik (etwa '/4). Mus.
Barcelona. Nach Bosch, Anuari.
Fingereindriicken verziert, in Salzadella
kommt außerdem das Gefäß mit dem
hohen Fuß aus der nachhallstättischen
Tradition vor. Bronzen, die den nachhall-
stättischen kehischen ähneln, finden sich
anscheinend auch reichlich in der Provinz
Castellön. Die dünnen Armreifen aus Salza-
della kamen auch in einem andern Grab
von Cabanes zum Vorschein (hier mit ibe-
rischer Scheibenkeramik). In Salzadella
war bei den Armreifen eine bronzene Hals-
kette und eine Gürtelschließe, letztere von
J
Abb. 17. Handgemachte Vase mit Reliefornamentik
aus dem Ansiedelungsplatz »Vilalloncc bei Cala-
ceite (etwa Vs)- Mus. Barcelona. Nach Bosch, Anuari.
einem Typ, wie er in der Kultur des
Innern der Halbinsel nicht vorkommt, wie
er aber seine Parallelen im iberischen Ge-
biet des Südostens und des Südens (Elche,
Castellar de Santisteban) hat. Unter
d e f
Abb. 18. Bronzegegenstände aus den Fundorten
der ersten Periode Niederaragoniens.
a — c Fibeln aus »Tossal Redö« (etwa "/a). d GUrtel-
verschlufi aus »Tossal Redö« (etwa '/s)- ^ Knopf
aus »Tossal Redo« (etwa '/s)- f Gürtelverschluß
aus La Gessera (Caseres) (etwa '/s)-
205
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien,
206
den Eisengeräten finden wir wieder Dinge,
die denen aus der Mitte Spaniens gleichen,
z. B. die krummen Messer aus der Familie
der Falcata, und dasselbe ist bei den Ein-
äscherungsnekropolen mit kugelförmigen
Urnen der Fall, die so geformt sind wie die
aus der Mitte Spaniens, die sich oben von den
Provinzen Castellon (Arafluelo) u. Valencia
(Requena, Turis) bis hinunter zum Südosten
der Provinz (Oliva) und dem Norden von
Alicante (Altea) erstrecken. Der Fund von
Oliva bietet eine merkwürdige Vergesell-
hat man Spuren einer tieferen Schicht ge-
funden, die ungeschicktere Wände und
eine Keramik aufweist, die sehr der aus
der I. Periode von Niederaragon') gleicht.
Ähnliche Funde bietet die Ortschaft An-
seresa (Olius), die Dir. Juan Serra y Vilaiö
erforscht hat*).
Trotz des starken nachhallstättischen
Einflusses aber ist es nicht möglich,
diese Kulturen mit der Zivilisation der
Kelten zu vermischen, da sich einerseits
in ihr nicht speziell keltische Typen zeigen
Abb. 19. Handgemachte Vase aus dem Ansicd-
lungsplatz »Les Escodines Alles« bei Mazaleon
mit eingeritzten Ornamenten (etwa '/i)- Mus-
Barcelona. Nach Bosch, Annuari.
Abb. 20. Handgemachte Vase aus der Ansiedlung
»Tossal Redo« bei Calaceite mit bemalten geometrischen
Ornamenten (etwa ^1^. Mus. Barcelona. Nach Bosch,
Annuari.
schaf tung nordvalenzianisch -nachhallstätti -
scher Erscheinungen mit feinen bemalten
Vasen südöstlicher Typen (Blumen, Spiralen,
Kriegerdarstellungenj, alle auf das Ende des
IV. oder den Anfang des III. Jahrhunderts
durch frühhellenistische Keramik datiert.
Das Innere von Katalonien. In dem
bergigen Teil von Katalonien, im Gebiet
von Solsona, gibt es auch eine ähnlich
arme Kultur, die der iberischen Kultur
des Südostens gleicht. An einigen Stellen
der Ortschaft Castell Vell von Solsona, die
fast ganz und gar der 2. Periode angehört.
Archäologischer Anieiirer 1913/24.
(wie die • Schwerter mit degeneriertem
Hufeisengriffe, gewisse Formen von Bronze-
schmuck), und andrerseits die Keramik
völlig von der keltischen verschieden ist
(ausgenommen nur die der Nekropolen mit
kugelförmigen Urnen aus dem Reich Va-
') J. Serra y'Vilarö, Excavaciones en el poblado
iberico del Castell Vell de Solsona (Memorias de la
Junta Superior de Excavaciones y Antigüedades
1920).
») Veröffentlichung gedruckt in Memorias de la
Junta Superior de Excavaciones y Antigüedades
1921 (Excavaciones en el poblado ib(;nco de Anseresa,
Olius).
207
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
208
•V-."«; ."::-. ■'■;
/i'^jv:-
^^'»»>
Abb. 21. Grabbauten bei Salzadella (CasteUön).
Nach Colominas, Anuari.
Abb. 22. Vase aus dem Grabe bei Salzadella
(Prov. Castellön). Mus. Barcelona. Etwa ^|^.
'^
Abb. 24. Gürtelverschluß aus Bronze mit Silber-
einlage aus dem Grabe bei Salzadella (»/»)•
Abb. 23. Bronzekollier aus dem Grabe von
Salzadella ('/»). Mus. Barcelona.
lencia). Außerdem beginnen während dieser
Periode die Webstuhlgewichte ihre Ent-
wicklung, die sich in die zweite Periode
Abb. 25. Bronzene Armbänder aus dem Grabe bei
Salzadella ("/i). Nach Colominas, Anuari.
gon und Valencia als nichtkeltisch ansehen
muß. Das Aufkommen der Scheibenkeramik
geht ebenso ohne Gewalt vor sich, denn in der
fortsetzt, woraus hervorgeht, daß man Ära- folgenden Periode verschwindet allmählich
209
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
2IO
Abb. 26. Eisenwaffen aus einem Grabe bei Torre-Endomenech (Prov. Castellön). In Privatbesitz.
Etwa V;- Nach Senent, Anuari.
die handgefertigte Keramii<; man sieht also
deutHch, daß es sicli um eine progressive imd
langsame Entwicklung einer und derselben
Kultur handelt, die später in der zweiten
Periode in Aragon und Valencia keinen
Zweifel über ihren durchaus iberischen
Charakter läßt.
Chronologie. Die Chronologie dieser
ersten Periode erhält man hauptsächlich
durch den Parallelismus zu Zentral-Spa-
nien, wo während der ersten Periode (d. h.
während des 5. und 4. Jahrl;iunderts) sich
dieselben Fibeltypen finden wie in Nieder-
aragon, ohne daß neben ihnen Typen aus
der 2. T^neperiode stehen, die dafür in der
2. Periode in beiden Regionen reichlich vor-
handen sind. An der Küste ist es gerade so,
und in allen Teilen gibt die 2. Periode, die
chronologisch durch besagte Stücke der
2. Tteeperiode und durch die hellenistische
Keramik festgelegt wird, den terminus
ante quem.
b) Die katalanische Küste. Ihre
erste Periode ist vorläufig wenig bekannt.
Die einzigen Funde') die man bisher ge-
macht hat, sind das Gefäß von l'Aigueta bei
Figueras, die gemalte Keramik der griechi-
schen Schicht von Emporion, und was aus
jener Zeit in Tarragona dazu gehören könnte.
Die Keramik von l'Aigueta bei Figueras und
Emporion steht der des Südostens, der
Gruppe von Elche sehr nahe. Sie hat die-
selben Vögel, Kombinationen von Spiralen
und stilisierten Pflanzen, was beweist, daß der
Einfluß des Südostens im Nordosten von
Catalonien stärker war als in dem benach-
barten Reich von Valencia. Daß die hand-
gefertigte Keramik in Wülsten und Fin-
') Bosch, Prehistoria Catalana (Barcelona 1919),
das Gefäß von Aigueta bei P. Paris, Quelques va-
ses ib^riques in^dits (Anuari del Inst. E. C. I 1907,
76 S.). Über Ampurias vgl. Cazurro-Gandia,
La estratificacidn de la ceramica de Ampurias y la
Äpoca de sus restos (Anuari Inst. E. C. V 1913 — 1914,
657 £f.). Die übrige Bibliographie zitiert Bosch in
Prehist. Cat. Über Tarragona, den Vergleich der
sogenannten kyklopischen Mauern mit denen von
Ainpurias und die Schichtbildung vgl. Bosch,
Prehist. Cat. 252 ff.
9*
211
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
212
gereindrücken auch in Catalonien für die
erste iberische Periode die charakteristische
ist, wird von Tag zu Tag mehr bestätigt. Kürz-
lich fand man in Tivisa eine Ortschaft, die
kein anderes Material aufwies als besagte
Keramik. Heute kann man ganz anders als
noch vor einigen Jahren das Problem des
iberisclien Tarragona betrachten. Wenn
man ohne irgend ein Vorurteil die soge-
nannten kyklopischen Mauern ansieht,
kommt es einem sofort in den Sinn, sie mit
denen von Emporion zu vergleichen. Man
sieht die gleiche Anordnung der quadra-
tischen Türme, die aus der Mauerlinie her-
ausspringen, wie die Verwendung desselben
groben Materials, das die nicht immer be-
folgte Tendenz hat, horizontale Reihen zu
bilden. Heute, wo wir wissen, daß an der
ganzen Küste und dem Flußbett des Ebro
die iberische Kultur zwei sehr verschiedene
Perioden aufweist, ist es möglich, dasselbe
für Tarragona für die wenigen Male zu
beweisen, wo man in Tarragona Schicht -
bildungen gefunden hat. Unter einer rö-
mischen Schicht fand man stets eine mit
hellenistischer Keramik und iberischen
Fragmenten (unter ihnen die von P. Paris
veröffentlichten), und unter dieser eine
Schicht mit sehr spärlichem und atypischem
Material, worunter die handgefertigte Kera-
mik figuriert.
c) Südfrankreich ■). Man kann den
gleichen Reichtum der Kultur für das 5.
unrl 4. Jahrhundert wie für den Nordosten
von Katalonien auch für den Süden von
l'rankreich nachweisen, wo man zu den be-
kannten Stationen von Montlaurös, Ba-
oux-Rou.x etc., heut die wichtige Nekro-
polis von Enserume, die Herr Mourct aus-
gegraben hat, und die bei Beziers liegt, fü-
gen kann. Sie wird aus Einäscherungs-
gruben gebildet, die denen gleichen, wie
man sie während der 2. Epoche reichlich in
Katalonien findet. Sie sind so gruppiert.
') Die Bibliographie vor 191 5 über den Süden
von Frankreich bei Bosch, El problema de la c^-
räraica iberica (Madrid 1915). Über die jüngsten
Funde von Ens&une bei Bfaiers: Mouret, Pottier,
Reinach, Notice sur Ens6rune (Comptes rendus de
l'Academie des Inscriptions et Beiles Lettres, Paris
1916) Pottier a.a.O. 1920, Rouzaud, L'oppidum pre-
romain d'Ens^rune (Bulletin de la Commission ar-
chfelogique de Narbonne 1923).
daß sie zwei Perioden bilden, eine mit
einem großen Reichtum iberischer bemalter
Keramik, gewöhnlich mit geometrischen
Motiven, und eine andere ohne iberische,
aber mit reichlicher hellenistischer Kera-
mik. Die iberische Keramik der ersten Pe-
riode spricht für eine Lokalgruppe, die sich
von der spanischen unterscheidet.
d) Die zweite Periode der katala-
nischen Küste und die der Ebene
von Castellön. Man kennt im allgemeinen
die zweite Periode in Katalonien sehr gut.
Es kann nicht mehr zweifelhaft sein, daß an
der Küste die alten Stationen') von Puig
Castellar (Oftschaft), Cabrera de Matarö
(Nekropole) und die Gruben von San
Feliu de Guixols, La Plana Basarda und
Caldetes dieser Periode angehören. Heute
kann man die bei Rubi (Abb. 27, 28) und Vieh
hinzufügen, die beweisen, wie die Kultur der
zweiten Periode an der katalanischen Küste
bis zur römischen Epoche dauert, dann
weiter den befestigten Platz bei Olerdola, die
Ansiedlung bei Valls und die Töpferei bei
Fontscaldes.
Die Kultur der Küste, die jetzt sehr ver-
schieden ist von der des Innern, wird be-
grenzt durch das Ende des 4. und des 3. Jahr-
hunderts. Aus den Funden von Puig Cas-
tellar und Cabrera de Matarö kann man
schließen, daß das Anfangsdatum nach den
dekadenten wenigen rotfigurigen Gefäßen
und nach den Fibeln aus dem Ende der ersten
T^neperiode das Ende des 4. Jahrhunderts
ist, während der große Reichtum an helle-
nistischer Keramik mit den Funden (Schwer-
tern und Fibeln) der zweiten Tfenezeit als
allgemeines Datum das 3. Jahrhundert be-
zeichnet.
') Das alte Material wird ausführlich bei Bosch,
Prehistoria Catalana zitiert. Neue Publikationen:
Bosch, El donatiu de Puig Castellar per D. Ferran de
Sagarra al Inst. d'Estudis Catalans (Anuari del Inst.
E. C. 191 5 — 20, 593 ff.). M. Pallares, Excavacions
a Olerdola a. a. O. 1915 — 20, 598 ff. J. Colorainas,
NekropoKs de Can Fatjö (Rabi a.a.O. 1915 — 20,
599 ff)- J- Colominasu. J. Puig i Cadafalch, El forn
lb6ric de Fontscaldes (a. a. 0. 602 ff.). J. Colo-
minas, Necröpoüs ibero-romana del Puig d'En
Planes (Vieh) (a. a. 0. 720 ff.). J. Serra
Vilarö, Excavaciones en el poblado ib^rico del
Castellvell (Solsona) (Memorias de la Junta Sup. de
Excav. 1920). J. Serra Vilar(5, Excavaciones en el
poblado ibörico de Sorba (a. a. 0. 1920 — 21).
213
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
214
Abb. 27. Vertikaler Sclinitt der Gruben bei Rubi (Brandgräber). Prov. Barcelona.
Nach Colominas, Anuari.
Innerhalb des Parallelismus, der in all
diesen Kulturen besteht, fällt die Kultur
der zweiten Periode mit der hellenistischen
Schicht von Ampurias zusammen. Die
charakteristische Note für diese Kultur ist
die Armut der iberischen Keramik, die ent-
weder undekoricrt ist und an der Oberfläche
eine eigentümliche Bleifarbe hat (Abb. 29)
oder, wenn sie dekoriert auftritt, sich mit kon-
zentrischen Kreisen und einfachen Wellen-
linien begnügt. Eine Kultur, die der der kata-
lanischen Küste sehr ähnlich ist, findet man
in der Ebene von Castellön bis zu dem Ni-
veau der Sierra von Almenara und dem
Fluß Palancia, wie in dem bergigen Teil des
inneren Kataloniens, d. h. in Manresa, in
dem Gebiet von Solsona (in zahlreichen Sta-
tionen besonders in den Ortschaften, die
J. Serra y Vilarö ausgegraben hat: das
Castell Vell von Solsona und San Miguel de
Sorba); hier unterscheidet man deutlich zwei
große Gruppen, von denen jede einen sehr
ausgesprochenen Charakter hat.
d) Die Gruppe von Urgel und an-
grenzenden Gebieten, Niederaragon
und die verwandten Regionen des
Reichs Valencia (I I. Periode). In
der Ebene des Urgel, in Niederaragon, in
Abb. 28. Grube bei Rubi. Nach Colominas, Anuari.
dem gebirgigen Teil der Provinz Castellön,
sowie in der Ebene von dem Niveau der
Sierra von Almenara bis südlich von Valencia
findet man eine sehr verschiedene Kultur,
die bäurischer ist und sehr an die erinnert.
Abb. 29. Keramik (mit der Scheibe hergesteUt) aus der Ansiedlung Puig Castellar (Prov. Barcelona).
Mus. Barcelona. Etwa '/s- Nach Boschs, Anuari.
215
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
216
Abb. 30. Bemalte Vase aus der Ansiedlung im »Tossal de les Tenalles« bei Sidamunl (Prov. Le'rida).
Mus. Barcelona. Etwa 74- Nach Colominas.
die während des 5. und 4. Jahrhunderts im
Südosten von Spanien blühte. Nach dem,
was wir von Niederaragon wissen, stellt sie
die Zeit dar, in der mit der Einführung der
gemalten Keramik die meisten Einflüsse in
die Kultur der ersten Periode dieser Gegen-
den eindrangen.
Die Urgelgruppc '). Die erste Gruppe
ist die von Urgel, die : besonders durch
die Ortschaft Tossal de las Tenalles de Sida-
munt dargestellt wird, und von deren Ein-
fluß bis zur Küste man die Keramik
der Töpferöfen von Fonscaldes bei Valls
kennt, was wahrscheinlich als Schnittpunkt
zwischen den Kulturen von Urgel und der
') J. Colominas, A. Duran, Reste de poblats ib^rics
al pla d'Urgell i Segarra (Anuari Inst. E. C. V 191 5
— 20, 606 ff.).
&m
Abb. 31. Dekoration der Vase Abb. 30.
217
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
2l8
Abb. 32. Bemalte Vase aus dem »Tossal de les Tenalles« (Sidamunt). Mus. Barcelona. Etwa '/^.
Nach Colominas-Durän, Anuari.
Küste gelten darf. In dieser Gruppe be-
weist das Vorkommen von hellenistischer
Keramik und Gegenständen der zweiten
Abb.
Bemalte Vase aus dem »Toasal ile les
Tenalles« (Sidamunt). Mus. Barcelona. Etwa '/♦•
Nach Colominas-Durän, Anuari,
F"
Abb. 34. Eingang der Stadt und turmartige Mauer
in San Antoni bei Calaceite. Nach Bosch, Anuari.
Teneperiode den Parallelismus mit der
Küste. Die Schniuckformen der Keramik
aber zeugen, obgleich auch sie Analogien
219
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
220
Abb. 35. Straße und Häuser in San Antoni bei Calaceite. Nach Bosch, Anuari.
aufweisen, für eine sehr ausgesprochene
Lokalkunst, in welcher sich große Korrekt-
heit der geometrischen Ornamente mit der
häufigen Anwendung von Spiralen und stili-
Abb. 36. Untere Kammer eines Hauses und Treppe in S. Antoni bei Calaceite. Nacli Bosch, Anuari.
sicrten Pflanzen (Efeublättern) und Vögeln In naher Beziehung zu der Gruppe von
verbindet (Abb. 30—33). I Urgel entwickelt sich in der Ebene des süd-
Abb. 37. VVandtechnik in San Antoni bei Calaceite. Nach Bosch, Anuari.
liehen Teiles der Provinz Huesca ') eine inter-
essante Lokalgruppe: es sind dies die Statio-
') Bosch, Notes de Prehistoria aragonesa (Butlleti
de la Associaciö Catalana d'Antropologia I 1923
55 ff-)-
nen bei Sena (El Escobizal bei Sena, El Pun-
tal bei Ontifiena), die R. Gudel erforscht hat.
Auch hier gibt es hellenistische Keramik und
bemalte Scheibenkeramik, die aber viel
ärmer ist als die von Urgel.
221
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
222
Abb. 38. Dekoration einer bemalten Vase aus S. Antoni (Calaceite). Mus. Barcelona. V,o der nat. Größe.
Nach Bosch, Anuari.
Niederaragon und der verwandte
Teil des Reiches von Valencia. Die
. andere Gruppe ist die von Niederaragon
Abb. 39. Bemalte Scherbe aus S. Antoni bei
Calaceite. Mus. Barcelona. Etwa •/>• N^ch
Bosch, Anuari.
Abb. 40. Stele aus Palermo bei Caspe (Prov. Zaragoza).
Stein. Mus. Barcelona. Etwa '/«■ Nach Bosch, Anuari.
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
Abb. 41. Plan und Schnitt des Turmes in der Mitte der Ansiedlung »Los Foyos « bei Lucena del Cid
(Prov. Castellön). Nach Bosch-Senent, Anuari.
Abb. 42. Eingang des Turmes von »Los Foyos« (Lucena del Cid). Nach Bosch-Senent, Anuari.
(Calaceitc) ') (Abb. 34 — 40) und von den
erwähnten Teilen der Provinzen Castellön
und Valencia^).
■) Für Niederaragon vf;l. Bosch, La invcsti-
gacio de la cultura iberica del Baix Aragö (Anuari
Inst. E. C. 1915—20, 641 ff.). J. Cabre, Esteies
iberiques ornamentades del Baix Aragö (a. a. O. 191 5
— 20, 629 ff.).
') Bosch, Estat actual del coneixement de la ci-
viUlzacio iberica del regne de Valencia (Anuari Inst,
li. C. 1915 — 20, 625 ff.). J. J. Senent, Estacions
iberiques entre el riu Cenia i el Millars (id. id. 1915
— -20, 620 ff.). Bosch-Senent, _^La torre iberica de
225
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
226
Dank den Übergangsortschaften von der
ersten zur zweiten Periode (ElPiuro, LaGes-
sera, Los Ombries) kann man die Evolution
der Gruppe von Calaceite gut verfolgen.
Man beobachtet den wachsenden Gebrauch
der Scheibenkeramik, die mit geometrischen
Motiven bemalt ist. In der vollen zweiten
Periode (San Antonio de Calaceite, und wahr-
scheinlich innerhalb derselben Lokalgruppe
noch die Ansiedlungen bei Alcafiiz, Caspe und
Chiprana) erreicht die Anwendung der be-
malten Scheibenkeramik ihren Höhepunkt,
trotz größeren Reichtums aber hält sich die
Dekoration in einer gewissen Beschränkung
der Motive. Diese sind weiter geometrische
und bieten einen sehr typischen Anblick
(Rhomben, konzentrische Kreise, ziemlich
inkorrekte Wellenlinien, Viertelkreise), und
wenn auch einige Pflanzenmotive vorkom-
men (Kombination von Efeublättern mit
Kreuzern) und endlich Tiere und Menschen
(Pferde und Männer sehr barbarischen Stils),
welche diese Keramik mit der von Azaila
und noch mehr von Urgel verbinden, so be-
merkt man doch für die Gruppe als charakte-
ristische Dekoration das einfache geome-
trische Ornament, das wir als stationarisch
bezeichnen könnten. Die gleiche Kunst der
gravierten Stelen mit Kriegern und Pferden,
denen man heute die von Caspe hinzufügen
muß, bietet denselben bäurischen Anblick.
Die chronologischen Elemente sind für diese
Gruppe die gleichen wie für Urgel; d.h. die
hellenistische Keramik und die Schwerter
und Fibeln der zweiten La Teneperiode,
die sie ins 3. Jahrhundert setzen.
Im Norden der Provinz Castellon dauert
ganz homogen die Kultur von Calaceite fort.
Neben andern beweist dies die Station Lu-
cena del Cid. Ihre Keramik besitzt die
gleichen geometrischen Motive wie die von
Calaceite, sowie gewisse ärmliche Deko-
rationen von Efeublättern. Noch klarer
tritt der Parallelismus in den Ähnlichkeiten
der Bautechnik hervor, in dem ovalen
Turm von Lucena und dem turmartigen
Vorsprung der Mauer von San Antonio de
Calaceite sowie dem Turm La Torre Cremada
in Valdeltoimo (Prov. Teruel), letzter in der
Mitte der Ansiedlung gelegen, wie der von
Lucena (Abb. 41, 42).
Weiter im Süden besteht eine andere
Gruppe von äquivalenten Stationen z. B.
bei Sagunt: Castell d'Asens, la Arpillera und
Casalets bei Carcer und diejenigen, die den
Süden der Provinz Valencia erreichen (Cu-
llera, Albaida), wo man schon in die Gebirgs-
gegend kommt, die besagte Provinz von der
von Alicante trennt, in deren der Ebene von
Castellon am nächsten liegenden Teil man
eine verschiedene Kultur kennt, die das
Überleben der Civilisation des Südostens
aus der ersten Periode in abgelegener Ge-
gend darstellt (La Serreta de Alcoy); von
ihr ist schon die Rede gewesen.
C. Der Ebro und Innerspanien.
Die Gruppe von Azailaund Kasti-
lien: Numantia.
a) Azaila. In der Gruppe von La Zaida,
wie man früher sagte, oder Azaila, wie es
richtiger scheint '), ist die Dekoration im
allgemeinen viel reicher. Am wenigsten
wichtig erscheinen hier die erwähnten ein-
fachen geometrischen Motive. Die geläu-
figsten Typen sind kompliziertere geome-
trische Muster: Kombinationen von
Spiralen (die oft mit stilisierten Efeublättern
zusammengehen), Damenbretter etc., alles
wird jedoch auf sehr originelle und elegante
Weise interpretiert. Wenn man genau die
charakteristischen Ähnlichkeiten der ver-
schiedenen Gruppen des Ebro studiert,
scheint es, daß sich die meisten Analogien
zwischen der Gruppe von Azaila und der
Llucena del Gd (a.a.O. 1915—20, 620 ff.). Über
die Serreta von Alcoy vgl. man die vorher genannte
Bibliographie. Man sehe auch: Almarche, La civili-
zaciön iberica en el antiguo reino de Valencia (Va-
lencia, Tipografiamoderna 1918). J. Sanchis Sivera,
La diocesis valenlina. Estudios historicos (Anales
del Inslitulo general y t^cnico de Valencia 1920).
Bosch, Eis problemes arqueolögics de la provincia
de Castellö (im Boletin de la Sociedad castellonense
de cultura 1924).
') Vgl. die alte Bibliographie bei Bosch, El
problema de la cerämica iberica (Madrid 1915).
Über die neuen Arbeiten von Cabr^ und P^rez siehe
Cabri, Dos tesoros de monedas de bronce autönomas
de Azaila (Teruel) (Memorial numismätico espaüol
1 921, Juni). Bosch, Rezension der vorigen Arbeit in
ButUeti de la Associaciö catalana d'Antropologia
Etnologia i Prehistoria I 1923, 185 ff. und Note»
de prehistoria aragonesa a. a. 0. 66. Ein regel-
rechter vorlaufiger Bericht der Ausgrabungen von
Azaila ist noch nicht erschienen.
227
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
228
von Urgel finden (die Spiralen sind ihnen
gemeinsam). Zwischen Azaila und Calaceite
besteht die gemeinsame Anwendung ge-
wisser Spiralen und Efeublätter, obgleich
letztere in Calaceite sehr selten sind.
Dafür ist zwischen Calaceite und Urgel der
Kontakt sehr gering.
Wenn wir den Ebro verlassen, bemerken
wir, daß die unmittelbare Parallele im Süd-
osten nicht grade die Gruppe von Elche-
Archena ist, sondern die von Meca-Amarejo.
In dieser Gruppe scheint man die Grundlage
für die verschiedenen Dekorationen des
Ebrogebietes zu finden. Hier treffen wir
einerseits in Fülle die einfachen geome-
trischen Motive der Gruppe von Calaceite
und des Reiches von Valencia, und andrer-
seits herrscht dort auch Überfluß an Spi-
ralen, die sich dort an Linien anschließen oder
von einer Vertikallinie ausgehen, an die sich
zwei im Scheitelpunkt vereinte Dreiecke an-
lehnen, an Schachbrettern und Efeublättern,
Motive, die in die Gruppe von Azaila und
in die von Urgel übergangen sind.
Man könnte annehmen, daß auf dieser
Basis der Gruppe von Meca-Amarejo jede
einzelne der Gruppen des Innern sich unab-
hängig ihre besonderen Schmuckmotive
sucht.
b) Numantia. Weiter im Innern der
Halbinsel ist die letzte klar bestimmte Lo-
kalgruppe der iberischen Kultur die von
Ketiberien, die besonders durch Numantia
bekannt ist. Die Ausgrabungen der letzten
Jahre haben weiter die gleichen schon be-
kannten Dekorationsclemente ergeben, aber
die Frage der Chronologie und endlich auch
der Beziehungen zu Aragon hellt sich jeden
Tag mehr auf ').
Die frühere nachhallstättische
Kultur. Heute wissen wir, daß der ibe-
rischen Kultur von Numantia in Kastilien
eine nachhallstättische Kultur, die man den
Kelten verdankte, vorausging; sie dauert
bis zum 3. Jahrhundert und entwickelt sich
ganz unabhängig von der iberischen Kultur.
') Über Numantia vgl. Mölida, Excavaciones de
Numancia, Madrid 1912, und später die jährlichen
Berichte in Memoria de la Junta Supcrior de excava-
ciones y antigüedades (von Melida und Tara-
cena). Siehe auch B. Taracena, La ccranjica iberica
de Numancia (Madrid, Biblioteca de Coleccionismo
1924).
Im 3. Jahrhundert (während der zweiten
Periode der nachhallstättischen Zivilisation),
als das Ebrogebiet auf seiner Höhe stand,
fängt ein wichtiger Austausch an. Gewisse,
iberische Einflüsse, die durch die bemalte
Keramik repräsentiert werden, dringen in
Castilien ein. So finden wir in den Nekro-
polen von Luzaga, Molino de Benjamin Ar-
cobriga, Osma und Gormaz einige konzen-
trische Kreise, Kreuze und endlich stili-
sierte Vögel, die auf eine Keramik gemalt
sind, die schon Scheibenkeramik ist, ob-
gleich sie nach ihren Formen und dem Ton-
material sich stark von der iberischen un-
terscheidet').
Die iberische Kultur von Numan-
tia und ihre Chronologie. Jene Kul-
tur verschwindet sogleich und wird durch
die von Numantia ersetzt, die gewisse Eigen-
tümlichkeiten der früheren erbt, wie die
Dolche mit den Scheiben im Griff und ge-
wisse Gefäßformen, die aber trotzdem in
jeder Hinsicht eine neue Phase iberischer
Kultur bedeuten. Im Jahre 133 endet mit
der Einnahme von Numantia seine Kultur.
Da sie noch nicht zur Zeit der nachhall-
stättischen Nekropolen oder nur in der Form
leichter Einflüsse existierte, so erhalten wir
als Daten für den Beginn der iberischen
Kultur von Numantia die Zwischenzeit, die
sicher nicht über die zweite Hälfte des 3.
Jahrhunderts hinausgeht.
Die Beziehungen von Numantia
zu anderen iberischen Gruppen. Die
iberische Kunst in Numantia ist sehr ori-
ginell trotz aller Kontakte mit Aragon, die
täglich mehr erkannt werden. Diese be-
ziehen sich auf die Spiralen, Hakenkreuze,
Schachbretter. Aber die Beschränkung
auf ein Minimum von konzentrischen Krei-
sen und Wellenlinien, sowie die typischen
Motive von Numantia wie die Stilisierungen
von Pferden, die persönliche Art Vögel,
') Vgl. Bosch, El problema de la cerämica ibe-
rica (Memorias de la Comisiön de inv. pal. y preh.
Madrid 1915, 33 ff). Cabre, Urna cineraria de
la necropohs de Uxama (Coleccionismo num. 62, 1918)
und besonders Bosch, Los Celtas y la civilizaciön
celtica en la peninsula iberica (Boletin de la So-
ciedad Espanola d'Excursioncs 1921 H. A. VL;
davon ein Auszug: Die Kelten und die keltische
Kultur in Spanien, Mannusbibliothck Nr. 22,
Leipzig, Kabitsch, 1922).
229
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
230
Fische, menschliche Figuren wiederzugeben,
verleihen der Kultur von Numantia ein
besonderes Gepräge. Es war indessen eine
Überraschung, in San Antonio de Cala-
ceite ein Fragment zu finden, auf dem nach
der Technik von Numantia eine mensch-
liche Figur gemalt war, eine Tatsache, die
wiederum den Connex zwischen beiden Re-
gionen erweist.
c) Die Zwischengruppe zwischen
Numantia und dem Ebro. Die Kultur
des Gebietes zwischen der Mitte des Ebro,
Azaila und Numantia ist immer noch we-
nig bekannt, die Nekropole von Belmonte
hilft kaum die Leere auszufüllen '). Be-
sagte Nekropole ist indessen sehr wichtig
und gibt uns vielleicht den Verbindungs-
punkt der Zivilisation der Gruppe von
Azaila und der von Numantia und erklärt
dadurch wenigstens zum Teil das Ein-
dringen der iberischen Kultur in Kastilien.
Das Material. In Belmonte gibt es
eine Fülle von bemalten Gefäßen mit deut-
lich iberischen Formen (Zylinderhüte), aber
es gibt auch Formen, die man als mit denen
der nachhallstättischen Periode in Kasti-
lien verwandt ansehen kann, wie die kugel-
förmigen Urnen mit konischen Deckeln,
ein Gefäß mit hohem mehr oder weniger
zylindrischen Hals und halbkugelförmigem
Bauch mit Henkeln, die von dem Rand
des Gefäßes bis zu dem Anfang des Bauches
reichen, oder auch Gefäße der gleichen Form,
aber ohne Henkel, manchmal mit einem
Fuß 2). Solche Formen finden sich nicht
allein in der nachhallstättischen kastili-
schen Kultur, sondern auch manchmal in
der iberischen Kultur der Gruppe von
Azaila 3), und in Niederaragon und scheinen
mit einigen Gefäßen aus Numantia <)
•) Man vgl. das Anuari de l'Inst. E. C. (Crönica)
I 1907, 570 u. Bosch, Notes de prehistöria ara-
gonesa (ButUeti de 1' Associaciö Catalana d'Antrop.
Etnol. y Prehist. I 1923. 60 ff.
2) Man vergleiche die in der vorigen Anmerkung
erwähnte Literatur. Zu den ähnHchen nachhallstätti-
schen siehe Bosch, Celtas Abb. 7 Typus a und Typus
d und i.
3) Pijoan, La ceramica iberica a l'Arago (Anuari
de l'Inst. I 1908, 261, Abb. 25, Nr. 16).
4) Man vgl. Excavaciones de Numancia (Memo-
ria de la Comisiön ejecutiva, Madrid 1912), Taf.
XXXIII A (ohne den Fuß, der für die Gefäße von
Belmonte charakteristisch ist).
verwandt zu sein. Was die Dekoration an-
belangt, so finden sich in Belmonte die
Wellenlinien und die konzentrischen Kreise,
d. h. also die allgemeinen iberischen Motive.
Daneben hat man Motive, die eine wohlent-
wickelte Lokalgruppe anzeigen, z. B. die
besondere Form der Wellenlinien, die eine
Reihe von S bildete, eine Reihe von Spira-
len, die an einer horizontalen Linie hängen
(die sogenannten stilisierten Pferdeköpfe
von Azaila und Numantia), besonders aber
ein Motiv, das seine unmittelbaren Parallelen
in Numantia hat: eine Reihe paralleler
Vertikallinien, die unten am Rand des Ge-
fäßes anfangen, und die in eine Reihe von
konzentrischen Halbkreisen endigen, die
nach einer Seite offen sind').
Eine andere Besonderheit der Dekoration
von Belmonte zeigt ein Fragment mit zwei
Vögeln, die eine neue Parallele zur Gruppe
von Azaila bilden.
Chronologie und Beziehungen. Was
die Chronologie von Belmonte anlangt, so
spricht, obgleich das Material nichts für eine
feste Datierung bietet, nichts dagegen, sie
in das 3. Jahrhundert zusetzen, d.h. in die
Zeit der Gruppe von Azaila, der zweiten Pe-
riode von Niederaragon und der letzten Ne-
kropolen aus der nachhallstättischen Kul-
tur (Osma, Arcöbriga), in welchen sich die
für Belmonte erwähnten keltischen Formen
häufig finden, ebenso wie gemalte einfache
ausgesprochen iberische Dekorationen (Os-
ma, Arcöbriga, CJormaz, Molino de Benja-
min, Luzaga)^).
Es scheint, als ob Belmonte das Verbin-
dungsglied ist, zwischen dem Ebro und
Kastilien; so erklärt sich das Vorkommen
von iberischen Einflüssen in den nachhall-
stättischen Nekropolen, und zu gleicher
Zeit hat man einen Weg zur Erklärung der
Kultur von Numantia.
Für eine solche Erklärung muß man aller-
dings bedenken, daß gewisse nachhallstätti-
sche Typen in Numantia sich lange erhiel-
ten (der Dolch mit Doppelkugel im Griff,
gewisse keltische Formen der Keramik)
■) Man vgl. als Parallele für dieses Motiv ein
Fragment aus Numantia (Excavaciones de Nu-
mancia Taf. XXXII B). ^ _
») Bosch, Celtas und El Problema de la ceramica
ibWca, Madrid 191 5, 33—39-
231
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
232
wie auch der Name von Keltiberern, der be-
weist, daß eine Mischung mit den Kelten
stattfand. In diesem Fall hätte Numan-
tia in gewisser Weise die nachhallstättische
kastilische Kultur geerbt. Aber zu gleicher
Zeit spricht sowohl der Name Keltiberer')
wie der allgemeine Eindruck der Kultur
von einem herrschenden iberischen Element.
Die Gruppe von Belmonte scheint zu zeigen,
daß der Weg der Iberisierung Kastiliens vom
oberen Ebro ausgeht und der Straße des Jalön
folgt. Aber die Art, wie die keltiberischen
Stämme verteilt sind, die von dem Duero bis
zu den äußersten iberischen Gebirgen reichen,
die an Valencia stoßen, läßt vermuten, daß
die Iberisierung des fraglichen Territori-
ums in einer komplizierten Weise vor sich
ging. Es ist möglich, daß sie auf zwei We-
gen zugleich stattfand, da sie von zwei ver-
schiedenen Orten kam: durch den Jalön
vom Ebro aus, und von der valencianischen
Küste aus durch die Flußtäler der Flüsse,
die von der Hochebene hinunterfließen und
die sich in dem des Jiloca vereinen, wo ein
guter Teil der Keltiberer wohnte.
D. Die östliche Ausdehnung der ibe-
rischen Kultur. Portugal.
a) Die Kultur der Castros (keltisch)
und die Kultur des Algarve. Nach
den Studien von Santos Rocha in den
Castros der Umgebung von Figueira da Foz
(Santa Olalla, 0 Crasto, Chöes) und von
Vergilio Correia in Conimbriga (Condeixa
a Velha) und von andern in verschiedenen
Castros^), besonders nach den alten Ar-
beiten von Martins Sarmento in dem Mi-
nhogebiet(Briteiros, Sabroso), kann man sa-
gen, daß es im 5. — 4. Jahrhundert zwei
Typen einer nicht iberischen Kultur gibt,
von denen dernördliche Typus (Minho, Du-
ero) sich sehr rein, ohne iberische Einflüsse
erhält, während der der Mitte von Portugal
(Santa Olalla und andere bei Figueira, Co-
') Vgl. Schulten, Numantia, und über die Bedeu-
tung des Namens »Keltiberer«, daß bei ihm das
herrschende Element »Iberer« ist.
>) Für die Kultur der Castros vgl. man die bei
Bosch zitierte Literatur: La arqueologia pre-romana
hispdnica und Bosch, Celtas. Für Conimbriga siehe
V. Correia, Conimbriga, a camada preromana
da cidade (O Archeologo Portugues XXI 1916,
1—2).
nimbriga bis zu der Nekropole von Alcacer
do Sal) einen aus Andalusien stammenden
iberischen Einfluß zeigt. Man kann letzteres
auch für das Algarvegebiet nachweisen
(Fund eines iberischen Gefäßes aus Faro,
Ethnologisches Museum von Lissabon), wo
außerdem noch eine andere Kultur existiert,
die sich sowohl von der iberischen als der
keltischen unterscheidet, die wir aber noch
wenig kennen").
b) Die iberische Kultur des Nor-
dens von Portugal. J.Fontes') hat die
Funde der Ortschaft San Juliäo in Cal-
dellas im Norden von Portugal veröffent-
licht, und im Museum von Oporto gibt es
unveröffentlichte Fragmente von Keramik
aus Guifföes. Diese scheinen anzuzeigen,
daß hier ein Typ von dekadenter iberischer
Kultur besteht, der wahrscheinlich mit dem
nördlichen Teil des kastilischen Tafellandes
zusammenhängt. Die Fragmente von Guif-
föes (Fragmente eines Kruges mit
flachem Rand und doppelten Henkeln, nicht
gemalt, aber aus rötlichem Ton mit der
Scheibe verfertigt) haben zum mindesten
einen iberischen Charakter. Die Funde von
S. Juliäo unterscheiden sich schon etwas
von dem gewöhnlichen iberischen Typ.
Die Ethnologie dieser Kulturen in Por-
tugal scheint klar zu werden, wenn man
annimmt, daß die beiden Gruppen der Kul-
tur der Castros keltisch scheinen, die Kul-
tur des Algarve, die trotz ihrer Beziehungen
zu der iberischen Kultur von Andalusien
dieser so fern wie der der Castros steht,
muß den Kyneten oder Koniern gehö-
ren, die die Quellen in den Süden von
Portugal verlegen, während die ärmliche
iberische Kultur im Norden von Portugal in
Beziehung mit der von den Lusitanern zu
stehen scheint.
E. Die südliche Hälfte der Hoch-
fläche (meseta).
Die Stiere und Eber (bichas u.
verracos). Wir wissen immer noch sehr
wenig von dem Süden der Hochfläche. Wir
' ') Für das Gebiet des Algarve vgl. Bosch,
Celtas.
') La Station' de S. Juliäo aux environs de
Caldellas (Bulletin de la Society Portugaise de
Sciences Naturelles VII 1916).
233
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
234
bleiben auf einzelne Funde von Stein -
(Eber) oder Bronzetieren beschränkt. Über
diese kann man nach ihrer geographischen
Verteilung, ihren Typen und ihrer Technik
etwas Neues sagen.
a) Topographie. Allem Anschein nach
liegen die hauptsächlichsten Mittelpunkte für
die Funde der Eber in dem oberen Tajo-
gebiet'). Von hier gelangten sie zu ande-
ren Orten, da sie sich auch am Nordabhang
des Guadarrama (Provinz Salamanca, Avi-
la, Segovia) finden, natürlich nur verein-
zelt. Ganz ausnahmsweise erscheinen sie in
Portugal, ja sogar in den baskischen Pro-
vinzen. Ihre Typen beschränken sich auf
zwei: auf einen, der mehr oder weniger
einem Stier oder Löwen gleicht, und einen
anderen mit breiter Schnauze, der einem
Schwein ähnlich sieht' (daher der Name Eber,
den man ihnen gegeben hat). Die Ausfüh-
rung ist aber bei allen so roh, daß es schwer
ist, mit Sicherheit festzustellen, welches Tier
sie wiedergeben sollen.
b) Beziehungen zum Südosten und
zu Anda lusien. Ihre Bestimmung und ihre
Datierung bleibt vorläufig noch ein Geheim-
nis. Die Umstände ihres Auffindens klären
das Problem nicht, man findet sie einzeln
oder auf dem Felde eine Reihe bildend (wie
in Guisando). Man nimmt an, daß sie zu
Grabstätten gehörten, und man hat in dem
Schwein ein Tier sehen wollen, das mit der
Welt der Toten verknüpft ist, aber alles dieses
kommt nicht über bloße Hypothese hinaus.
Was ihre Datierung anbelangt, so haben wir
im Innern von Spanien keine andern Indi-
zien als die römischen Inschriften, die man
auf einigen liest, und zwar grade auf den
rohesten von ihnen (Torralba de Oropesa in
Toledo, Miqueldi u. a.); man hat häufig
schon vermutet, daß diese Inschriften später
sind als die fraglichen Skulpturen.
Wenn man andere Orte sucht, die für
diese Tierfiguren Parallelen bilden, so denkt
man sofort an Andalusien und an den Süd-
osten; die Gruppe von Tieren des Innern, die
Stiere oder Löwen scheinen, kann man sich
dem Typus nach mit den andalusischen Lö-
wen verwandt denken, z.B. diejenige des Mu-
seums von Segovia und des Palastes der Her-
zöge von Abrantes in Avila. So kommen wir
ohne zu große Gewalt zu den Köpfen von
Cabezas de San Juan (in Sevilla), und damit
haben wir etwas, was sich mit den Löwen
von Baena oder Bocairente, die den vollen-
deten Typus darstellen, vergleichen läßt.
W'enn man weiß, daß die iberische Kul-
tur, je weiter sie sich von der Küste ent-
fernt, um so später auftritt, und wenn man
keine anderen Analogien als im Süden und
Südosten (den Gebieten der ältesten ibe-
rischen Zivilisation) findet, so muß sich
notwendig als einzige wahrscheinliche
Hypothese aufdrängen, daß diese Tiere
des Innern eine Degeneration der in
Andalusien und im Südosten häufig vor-
kommenden Löwen darstellen, mit denen
sie typologische Beziehungen haben, und
daß ihr Alter nicht die letzten Zeiten der
iberischen Freiheit des Innern, d. h. des
3. und 2. Jahrhunderts überschreitet. So
können die Eber mit den römischen
Inschriften, die gerade die degenerierte-
sten Typen, die sich am meisten von den
vorhergehenden des Südens scheiden, dar-
stellen, sehr wohl die Fortsetzung jener Kul-
tur zu Zeiten der Romanisierung sein; sie
zeugten dann von einem Überleben der ibe-
rischen Kultur in Gegenden von Spanien,
in die die römische Kultur am langsamsten
eindrang, um die heimische zu verdrängen').
11. VERGLEICH DER ARCHÄOLOGISCHEN
RESULTATE Mir DEN LITERARISCHEN
QUELLEN.
Nach dem vorhergehenden allgemeinen
Überblick über die archäologischen Re-
sultate soll jetzt ein Vergleich versucht wer-
den mit den Ergebnissen, die wir aus den
Texten der zeitgenössischen Geschichte
gewinnen.
') Man vergleiche Bosch, Las Bichas y verracos
ibericos (Hejas Selectas, Barcelona 1919, 8). Für die
Aufzählung der bis 1903 bekannten vgl. P. Paris,
Essai 1 58 ff.
') Ein vielleicht sehr ähnliches Problem stellen
die andern bekannten Skulpturen des Innern und
des Westens der Halbinsel dar, wie die erwähnten
lusitanischen Krieger und die Stelen mit den Kriegern
von Clunia, wenn ihre Epoche wirklich vorrömisch
ist; sie wären dann weiter nichts als eine Barbari-
sierung der Kunst des Südens.
235
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
236
A. Die Völker der i. Periode (6. bis
4. Jahrhundert) ■).
Schulten hat vermittels der Texte wich-
tige Verschiedenheiten in dem Bild der Völ-
ker der Halbinsel nachgewiesen, je nach den
Zeiten, denen diese Texte artgehören. So
gibt die Gruppe der ältesten Autoren (Peri-
plus, der in der Ora maritima von Avienus
erhalten ist, Hekataios, Herodot, Aischylos,
Herodoros, Ephoros, der Pseudo-Skylax
usw.) ein Bild von Völkern, da«« anders ist
als das, welches die Autoren vom 3. Jahr-
hundert an zu rekonstruieren erlauben (Era-
tosthenes, Polybios, die zeitgenössischen
Quellen aus dem zweiten punischen Krieg
und der Romanisierung, besonders die
Quellen von Strabo, darunter Poseido-
nios und Artemidoros, Livius, Diodor, Pto-
lemaios und die Itinerarien usw.).
In den ältesten Autoren hat Schulten drei
verschiedene ethnologische Schichten er-
kannt. Vor allem die Reste von einheimi-
scher vorkeltischer und voriberischer Be-
völkerung, die er als ligurisch betrachtet
nach dem Vorgehen von C. JuUian, der
sich auf den berühmten Text von Hesiod
stützt, welcher die Ligurer als das typische
Volk des Westens ansieht. Schulten schließt
in diese die Draganerim Norden von Spanien
ein, ferner die Oestrymnier der Küste von
Portugal (die, nach dem was der Periplus
zu verstehen gibt, durch die Invasion der
Kelten vertrieben wurden), die Kyneter oder
Conier des Algarve, und rechnet vielleicht
noch einige Völkerschaften im Norden des
Guadalquivirtales (die Gletcn oder Ilcaten,
Elmaneer) hinzu. Wir möchten nicht
') Schulten, Numantia. Ergebnis der Ausgra-
bungen I, München, Bruckmann 1914. Schulten-
Bosch, Fontes Hispaniae Antiquac, Barcelona-
Berlin 1922. Schulten, Tartessos. Ein Beitrag
zur ältesten Geographie des Westens, Hamburg
Friedrichsen 1922. Bosch, Ensayo de una
reconstrucciön de la etnologia preliistörica de la
peninsula ib^rica (Boletin de la Biblioteca Menen-
dez y Pelayo Santander 1922). Bosch, Assaig de
reconstitucid de la etnologia de Catalanya (Dis-
curso de la R. Academia de Buenas Letras, Barce-
lona 1922). Bosch, El probleraa etnolögico vasco
y la arqueologia (Revista internacional de los estudios
vascos 1923). Die Hauptresultate davon siehe in
»Die baskische Ethnologie im Lichte der neuesten
archäologischen Forschung« in Zeitschrift für Eth-
nologie 1923, 87 ff.).
glauben, daß alle vorkeltischen und vor-
iberischen Völker der Halbinesl sich auf
eine einzige ethnische Familie zurückführen
lassen, obgleich gewisse Verwandtschaft
unter ihnen besteht und auch gewisse
Ähnlichkeit mit den Liguren in Südost -
frankreich da ist. Wir nehmen an, daß sie
ein Ergebnis der Mischung der verschiedenen
Völker sind, die, wie wir in andern Arbeiten
auseinandergesetzt haben, von altersher die
Halbinsel einnahmen. Wir glauben jedenfalls
bewiesen zu haben, daß man solchen Völ-
kern mit heimischen Wurzeln gewisse Volks-
stämme im Norden von Katalonien (Indi-
geten, Cereten, Ausocereten, Ausetaner) ')
einverleiben muß, die in den Quellen erwähnt
werden, und ganz besonders die Völker der
Pyrenäengebiete, die in den Texten des
6. und 4. Jahrhunderts noch nicht erwähnt
werden, von denen aber später die Basken
und andere mit ihnen verwandte Völker
große Bedeutung erlangen ^). Man kann
diese weder als iberisch ansehen, wie es
die klassische Theorie verlangt, noch als
ligurisch, wie es Schulten will, sondern muß
zugeben, daß sie etwas Besonderes für sich
in der ganzen Ethnologie des Westens von
Europa darstellen; sie haben ihre Wurzeln in
einem gewissen Volksstamm, der schon zur
Kupferzeit eines der ethnischen Elemente der
Halbinsel bildet (Pyrenäische Völker).
Die zweite ethnisciie Schicht Spaniens bil-
den die Kelten. Schulten hat als solche die
Sefes, Cempsi und Berybraces identifiziert,
die ims der Periplus überliefert. Von
diesen Kelten wissen wir durch die Quellen,
daß sie nicht nur die Küste von Portugal und
die Hochfläche von Castilien besaßen, son-
dern daß sie »raids« an die Küste von Anda-
lusien machten (die Insel Cartarö an der
tartessischen Küste, die die Kelten nach
dem Periplus in Besitz nehmen). Die Orts-
namen an der Küste von Valencia verraten
gewissen keltischen Einfluß, Segorbe =
Segobriga), was die Archäologie bestä-
tigt, und die Archäologie gibt uns auch
Kunde, daß vor der großen Bewegung, die
die Kelten nach der Hochfläche und nach
') Siehe meine oben angegebene Arbeit über die
Ethnologie Kataloniens.
1 ') Siehe meine oben angegebene Arbeiten über
j die Basken.
237
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
238
Portugal brachte, und die man ins 6. Jahr-
hundert verlegen muß, eine Infiltration
von Kelten an der Nordküste von Katalo-
nien vom Süden Frankreichs aus stattge-
funden hat, und zwar schon im Anfang der
Eisenzeit (gegen 900 v. Chr.: die katala-
nische hallstättische Küstenkultur). End-
lich muß man vermuten, obgleich uns dies
nur aus späteren Quellen bekannt ist, daß
mit den Kelten ein germanischer Stamm kam,
der später in der Sierra Morena erscheint
und den Schulten als keltisch ansah, der
aber, wie man aus den Arbeiten von E. Nor-
den erkennt, sehr gut ein germanischer
Stamm sein könnte, der, vermischt mit den
Kelten, in der großen Bewegung des 6. Jahr-
hunderts nach der Halbinsel gelangte').
Die dritte ethnische Schicht ist die der
iberischen Völker. Die Quellen bezeichnen
sie von Herodoros an alle mit dem gleichen
Namen. Trotzdem unterscheidet man vor-
her (Periplus, Hekataios, Herodot) zwischen
den Iberern im engeren Sinne (an den
Küsten von Valencia und Katalonien) und
denen, die man mit dem Namen Tartessier
bezeichnet, unter denen sich vielleicht wich-
tige Reste voriberischer Völker verbergen.
Es ist zwar hier nicht der geeignete Ort,
über die Ursprünge beider Gruppen zu dis-
kutieren, aber aus archäologischen Gründen
glauben wir, daß sie zwei verschiedenen
Wellen entsprechen, die zu verschiedenen
Epochen in die Halbinsel kamen. Was die
Iberer anbelangt, so ist ihre Anwesenheit
fast schon von dem Ende des Neolithikums
an erwiesen, während die Tartessier eine
spätere Invasion darstellen könnten, je-
denfalls vor dem Jahre lOOO v. Chr. liegend,
wo sie schon die biblischen Texte zitieren.
Von den iberischen Völkerschaften im
eigentlichen Sinne kennen die alten Quellen
außer den Gymneten aus den Grenzen der
Provinzen Valencia und Alicante, die ihnen
wahrscheinlich analog sind, die Edetaner
(vom Jucargebiet bis zum Ebro?), die Uer-
geten (vom Ebro bis zu den Garrafküsten in
der Prov. Barcelona) und diejenigen, die nach
dem Periplus die iberische Herrschaft bis
zu den Pyrenäen über verschiedene Völker-
schaften ausdehnten (besonders über die
') E. Norden, Die Germanische Urgeschichte
in Tacitus Germania, Berlin-Leipzig 1920.
Archäologischer Anzeiger 1933/34.
Indiketen), und die sich den Süden von
Frankreich bis zur Rhone (Aischylos) un-
terwarfen, und ligurische Stämme (Sordo-
nen, Elysiker) beherrschten. Solche äu-
ßersten Gruppen der Iberer haben wir mit
den Mysgeten von Hekataios identifiziert '),
deren genaue Lage aus den Hekataios -
fragmenten nicht zu ermitteln ist, und mit
den »mit Iberern gemischten Ligurern«, die
der Pseudo-Skylax an der französischen
Küste zitiert.
Die Gruppe der tartessischen Völker um-
faßt folgende Stämme, die, wenn man nach
dem Periplus geht, eine Konföderation unter
der Hegemonie der Tartesser darstellten.
Im Südosten und im östlichen Teil von
Andalusien (etwas oberhalb von Mastia-
Cartagena bis zu dem Fluß Chrysus-Guadi-
aro) die Mastiener, unter denen es fremde
Elemente, sicher afrikanische Kolonisatoren,
die der Periplus Libyphöniker nennt, gegeben
hat, im Süden der Provinz von Cadiz, vom
Chrysus-Guadiaro zum Cilbus -Salado deConil,
die Cilbicener (f ür Herodor Kelkianer), an der
Mündung des Quadalquivir und in seinem Tal
die eigentlichen Tartessier, die vielleicht in
dem Gebiet des Rio Tinto und des Odiel
(Huelva) einen andern Stamm bildeten:
die Elbysinier (Herodoros) oder Olbysier
(wie Stephan von Byzanz schreibt), welche
vielleicht die Elbestier des Hekataios sind.
Der Periplus spricht für den Norden des
Quadalquivirgebietes noch von andern Völ-
kerschaften, die den Tartessie. n angegliedert
waren. Schulten hält sie, besonders ihres
Namens wegens nicht für iberisch; es han-
delt sich um die Ileaten (oder Gleten nach
Herodoros) und die Etmaneer, deren Ge-
biet schwer zu präzisieren ist.
B. Die Völker der zweiten Periode
(3. Jahrhundert bis zur Romani-
sierung).
Das Bild, das wir eben entworfen haben,
verändert sich gegen das 3. Jahrundert zu
(Eratosthenes, Polybios und andere Auto-
ren, die Strabo und Diodor benutzt haben.
') Bosch, Prehistoria catalana Barcelona 1919.
Schulten hat dann (Fontes Hispaniae antiquae i
22, Commentar zu Hekataios) die Identifizierung an-
genommen.
10
239
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
240
darunter Poseidonios, Artemidor u. a.).
Im Süden gibt es jetzt Völker, die wie eine
Transformation der früheren Tartessier, Cil-
bicener und Mastiener erscheinen; es sind
die Turdetaner, Bastetaner und vielleicht
auch Contestaner.
An der Ostküste haben sich die Stämme
der alten Iberer sehr geändert. Die Ede-
taner kommen nur bis zum Palancia (mit
Sagunt), dafür breiten sie sich im Innern aus,
sie steigen in den Bergen der Provinz Cas-
tellön in Richtung auf Niederaragon und
das Ebrogebiet zu und erreichen Zaragoza.
Die Ilercavoner breiten sich vom Pa-
lancia durch die Ebene der Provinz Caste-
llon bis zur Ebromündung (Tortosa) und
bis zu den Bergen des Coli de Balaguer aus.
Mit sehr schlecht zu bestimmenden Gren-
zen gibt es im Innern der Ebenen von Urgell
die alten Ilergeten, die früher vom Ebro ab
an der Küste erwähnt wurden, und die man
stets als Abzweigung der alten Ilergeten be-
trachtet hat und die Ilercavoner, die jetzt,
wie gesagt, weiter unterhalb der alten
Grenzen der Ilergeten leben. Von der
Küste von Coli von Balaguer an im Gebiet
von Tarragona wohnen bis zu der Küste
von Garraf die Cossetaner; von hier nach
Norden bis Tordera oder bis Blanes die
Laietaner, die in ihrem Rücken die Lace-
taner haben, welche mit den vorigen iden-
tisch scheinen und die das ganze Flußge-
biet des Llobregat, des Cardoner, mit dem
an den Bergen liegenden Teil einnehmen ').
Das Gebiet des Ter m't Vieh und Gerona ge-
hört den Ausetanern, und das Ampurdan den
Indiketen. In der Cerdagne leben die Cere-
taner, weiter südlicher findet man die
Castellani, die die Ausocereten der frühe-
ren Quellen scheinen. Zwischen den Ause-
tanern und Lacetanern wird ein unbekann-
ter Volksstamm jetzt aufgesogen, der früher
Bergistaner oder Bargusier von Berga hieß.
Im Südosten von Frankreich waren die Ibe-
rer vor der Eroberung der Gallier (Völker
Tektosages) verschwunden.
Im Innern der Halbinsel, im Tal des
Ebro, erscheinen jetzt nach den Ilergeten
die Jacetaner (Jaca), die mit den Aquita-
nern identisch scheinen, den einzigen Ibe-
rern, die man in Frankreich erwähnt, im
Südwesten grenzen die Jacetaner an die
Vasconen vonNavarra und aus den baskischen
Provinzen, welche voriberisch und vorkel-
tisch sind '). Im Norden von Spanien leben
die Kantabrer, die einen ausgesprochen
iberischen Charakter haben, und die in leb-
haften Beziehungen mit den Aquitanern
stehen, dagegen nichts mit den voriberischen
und vorkeltischen Asturern (vielleicht ist
letzterer ein anderer Name für die alten
Draganer) gemeinsam haben.
Im Innern und nach Westen hin leben
jetzt in allen Teilen iberische Stämme, die
Keltiberer auf dem iberischen Tafellande und
im oberen Gebiet des Duero, die Vaccäer in
dem mittleren Gebiet des Duero, und die Lu-
sitaner zwischen den Stromgebieten des
Duero und Tajo, an der Küste von Portu-
gal. Diese drei Völker scheinen mehr Be-
ziehungen unter sich als mit den andern
Iberern der südlichen Hochfläche zu haben,
wo die Carpetaner (in der Mancha), die
Oretaner (im südlichen Neukastilien), die
Vettoner (Extremadura und z. T. auch auf
der andern Seite der Pässe der Sierra von
Gredos in der Provinz Salamanca) leben.
Von den Kelten haben sich nur Reste im
äußersten Nordwesten und Südwesten der
Halbinsel erhalten, die Celtici, die dann
in Galizien die Callaeci werden, und dann in
den nördlichen Ecken der iberischen Rand-
gebirge und in la Rioja die Beroner. Wir
wissen nicht, ob die Turmodiger vom Tal
»La Bureba« nicht auch keltisch sind, die
sich zwischen den Beronen, Cantabrern
und Keltiberern finden. Und wenn man sie
auch nicht als keltisch betrachtet, sondern
als einzelnen Rest der mit ihnen in Verbin-
dung stehenden Völkerschaften, muß man
in der Sierra Morena, vermischt mit den
Oretanern, die Germanen erwähnen, von
denen schon gesprochen wurde.
Das bedeutet nach der Hypothese von
Schulten eine Eroberung des Innern und
Westens auf Kosten der Kelten, die in die
. i ') ^*" Vasconen muß man sich andere analoge
■) Die Schriftsteller haben oft die Laietaner u. Völkerschaften einverleibt denken, die mehrmals
Lacetaner mit den Jacetanern von Jaca, der Ahn- i erwähnt werden, die aber Ptolemaios als erster ge-
hchkeit der Namen wegen, verwechselt. nau begrenzt : Varduler, Carystier, Autrigonen.
241
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
242
Ecke gedrängt werden, wie sie vorher die
früheren Völkerschaften in die Ecke dräng-
ten, und die jetzt nur in abgelegenen Orten
weiter fortdauern. Schulten sieht die Ur-
sache dieser Eroberung in dem Druck, den
die Gallier von Frankreich auf die Stäm-
me von Katalonien und auf die des Ebro
ausübten, und er äußert den Gedanken,
daß in den Stämmen aus dem Süden von
Frankreich der Ursprung der Stämme
Zentralspaniens zu suchen ist, und daß sie
den Ebro und Jalon entlang hereinkamen.
Die Archäologie gewährt andere Möglich-
keiten.
a) Die Gruppe der Iberer und die
Gruppe der Tartessier. Die Unterschei-
dung zwischen den beiden Gruppen der
Iberer aus dem 6. — -4. Jahrhundert, d. h.
der Völkerstämme, die man sich unter den
Tartessiern und den eigentlichen Iberern
vereinigt denkt, spiegelt klar die kulturellen
Unterschiede zwischen dem Südosten (Mas-
tiener) und Andalusien (eigentliche Tar-
tessier) einerseits, und der Küste des Reiches
von Valencia und Katalonien andrerseits.
Der Eintritt der Iberer in Frankreich wird
durch die iberischen Stationen bewiesen,
die sich bis zur Rhone erstrecken, welche die
Abb. 43. Die Iberische Halbinsel im V. — IV. Jahrh. v. Chr. Fundkarte. (Bosch.)
C. Die Gruppen der iberischen Kul-
tur und die iberischen Völkerschaf-
ten.
Man kann heute sagen, daß das, was wir
eben auseinandergesetzt haben, sich im allge-
meinen mit den Resultaten der archäolo-
gischen Forschungen deckt. (Vgl. die
Karten Abb. 43, 44). Es ist möglich
einige Punkte aufzuklären, die aus Mangel
an literarischen Nachrichten zweifelhaft
blieben und wieder andere Punkte zu modi-
fizieren, die durch die archäologischen
Forschungen helles Licht erhalten.
äußerste Grenze zu sein scheint, die die
Iberer erreichten. Die Archäologie lehrt
uns eine weitere interessante Tatsache: näm-
lich daß es in Niederaragön schon eine ibe-
rische Kultur gab, die mit der Küste der
Provinz Castellön in Beziehung stand, die
von den Edetanern besetzt war. Dies läßt
vermuten, daß die iberische Kultur der ersten
Periode von Niederaragon, deren Grenze
nach dem Innern man nicht bestimmen
kann, den Edetanern entspricht, die schon
damals durch die Pässe von Morella in Rich-
tung auf die Flußgebiete vom Matarrana und
243
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
244
andern Nebenflüssen des Ebro vorgedrungen
waren, oder wenigstens iberischen Stämmen,
die mit ihnen verwandt waren.
Diese iberische Kultur der Küste von Va-
lencia und von Niederaragön ist andrerseits
äußerst wichtig, da sie mit ihrem ärmlichen
Charakter, der so abweichend von der reichen
Kultur des Südostens ist, und mit den über-
lebenden prähistorischen Dingen, die sie
enthält, die bis zur Almeria- und Grotten-
kultur der Kupferzeit hinaufsteigen, vor
allem einen starken ethnischen Unter-
rung der Kultur von Valencia und Aragon,
die sich der des Südostens angleicht, die
ethnische Verwandtschaft zwischen Iberern
und Tartessiern, die, wenn sie auch zu ver-
schiedenen Epochen nach Spanien kamen,
doch einem gemeinsamen Stamme ent-
sprossen sein könnten.
b) Die Kultur von Katalonien. Man
hat gesehen, daß in Katalonien nur die
Südzone rein iberisch gewesen sein dürfte,
die dann die Küstenzone iberisiert hat, bis
schließlich die Iberer bis zur Rhone und
Abb. 44. Die Iberische Halbinsel im lll.— II. Jahrh. vor Chr. Fundkarte. (Bosch.)
schied zu den Völkerschaften Südost -
Spaniens verrät, der sehr gut zusammen-
geht mit der radikalen Trennung zwischen
den Tartessiern und eigentlichen Iberern,
und andererseits das Alter der eigentlichen
Iberer an der Ostküste von Spanien und in
Aragon beweist. Nur so erklärt sich, daß
die Iberer, die wahrscheinlichen Nachkom-
men des alten Volkes der Almeriakultur
aus der Kupferzeit sind, das in seinem Gebiet
geblieben ist, ohne sich fortzubewegen, und
das seine Kultur entwickelt und sie erst
nach und nach auf das Niveau der Kultur
bringt, welches die Völker der tartessischen
Gruppe im Südosten von Spanien bilden, und
das, trotzdem es von dieser entlehnt, doch
lange Erinnerungen der einheimischen Art
behält. Außerdem erläutert die Verände-
nach der inneren Zone kamen, die Sitz von
einheimischen, nicht iberischen Völkern war.
Die Archäologie scheint, trotzdem man
sie für das 5. — 4. Jahrhundert noch schlecht
kennt, diese Unterschiede zu erläutern.
Im Nordosten von Katalonien gibt es einige
Funde, wie das Gefäß von La Aigueta und
die iberische bemalte Keramik aus der un-
teren Schicht von Emporion, die man direkt
als vom Südosten eingeführt betrachten
könnte. Die iberische Keramik des Südens
von Frankreich verrät trotz ihres ausge-
sprochenen Lokalcharakters auch Bezie-
hung zum Südosten, was eine Parallele zu
der Annahme der Kultur des Südostens
durch die iberischen Stämme von Aragon
und Valencia darstellt.
Das Wenige, was wir dagegen aus dem
245
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
246
Innern von Katalonien kennen, verrät nicht
nur eine archaische Zivilisation, die den
prähistorischen Traditionen folgt, die von
den Zeiten der alten Höhlenkultur aus der
Kupferzeit an durch die verschiedenen Peri-
oden hindurch bestanden hat (dies wird
durch verschiedene Funde bewiesen), son-
dern eine sehr typische ethnische Indivi-
dualität. Dies ist z. B. der Fall bei den Fund-
orten Castell Vell, von Solsona (die untere
Schicht) und von dem Dorf Anseresa (Olius).
Alles dieses verträgt sich sehr gut mit der
Existenz von einheimischen, nicht iberischen
Völkern in diesen Gegenden, Völkern, wie
wir sie schon so nach den Nachrichten der
Quellen vermutet hatten (Cereter, Auso-
cereter, Ausetaner).
c) Die Kelten und die Iberer. Daß
es weiter im Innern der Halbinsel im 5. und
4. Jahrhundert noch keine Iberer gab, zeigt
die nachhallstättische Kultur, die man den
Kelten in ihren verschiedenen Lokalgruppen
zuschreiben kann. Die Castros von Portugal
und Galizien stammen wahrscheinlich von
den Cempsern und Sefen und die kastilischen
Nekropolen können den Berybraces ange-
hören. Die geographische Einheit, die das
Territorium der letzteren bildet mit den
Ausläufern des iberischen orographischen Sy-
stems in der Provinz Cuenca, die an die
von Valencia grenzt, und wohin sich grade die
nachhallstättische Kultur erstreckt, läßtdaran
denken, daß, da ihr Ende notwendig die der
Berybracer ist, sie auch die kastilische
Gruppe sein oder wenigstens zu verwandten
keltischen Stämmen gehören könnte. Die
Nähe der keltischen Kultur von Cuenca und
der iberischen Kultur von Valencia, Caste-
llön und Niederaragön erklärt in rationeller
Weise die keltischen Einflüsse, die sich in
der ersten Periode von Niederaragön und
Valencia so reichlich finden, und die in der
zweiten Periode verschwinden.
d) Die Veränderungen im 3. Jahr-
hundert auf der unteren Hochfläche
(»meseta«). Der Stand der Dinge, wie
Schulten ihn vom 3. Jahrhundert ab in
den Quellen erkennt, findet volle Ent-
sprechung in den allgemeinen Zügen im
Süden und Südosten trotz gewisser Schwie-
rigkeiten, die von den ungenügenden Mate-
rialien und ihrer Datierung herrühren; für
den Nordosten hat man einige Berichtigun-
gen vorzunehmen. Von der Evolution der
Kultur im Südosten und Süden in der Zeit, für
die die Quellen dort die Contestaner, die Baste-
taner und Turdetaner erwähnen, weiß man
nur, daß besagte Kultur, wenn auch ärmer
und dekadent, bis zur römischen Zeit fort-
dauert. Die große Blüte fällt ganz und gar
in die Zeit vor dem 3. Jahrhundert. Viel-
leicht kann man aus den Beziehungen, die
die Stämme der unteren Meseta (Oretaner,
Carpetaner, Vettoner) immer mit denen aus
dem Südosten und aus Andalusien hatten,
aus ihrer Opposition gegen Stämme des
Ostens, Nordens und Westens (die Iberer in
Valencia, Keltiberer, Vaccäer und Lu-
sitaner), was sich einerseits in der Leichtig-
keit zeigt, mit der sie sich romanisieren
lassen, sowie in den »raids« von Viriat
und von den Keltiberern in Andalusien und
der unteren Meseta, schließen, daß die Stäm-
me der unteren Meseta mit denen des Süd-
ostens und Südens aus dem 6. — 4. Jahr-
hundert zusammenhängen.
Dafür spricht auch der archäologische Nach-
weis, daß die Fundorte der Tierskulpturen,
deren Beziehungen zum Südosten und zu
Andalusien wir erwähnt haben, sich im Innern
der Halbinsel und grade in der unteren Me-
seta finden, mit Ausbreitungen nach Sala-
manca, Avila und Segovia, also grade den
Orten der oberen Meseta, die den Pässen der
Sierra Carpetana am nächsten liegen, an
deren anderer Seite sich gleichfalls die Vetoner
ausbreiteten. Wenn dies gewiß ist, könnten
wir vermuten, daß die Iberisierung dieser
Südhälfte von' Mittelspanien auf- den na-
türlichen Wegen vom Süden her stattfand,
auf dem der Mancha, den die Carpetaner
nahmen (wahrscheinliche Abzweigung der
Stämme des Südostens, wie es auch der
Stamm der Oretaner sein kann), und dem
Wege, der durch den östlichen Teil der
Sierra Morena von Niederandalusien nach
Estremadura und Salamanca führt (die Ve-
toner wahrscheinliche Abzweigung der Tar-
tessier).
e)Die Bewegungen auf der Nord-
hälfte der Halbinsel. Die Bewegung und
Identifizierung der Kultur der Stämme im
Norden und Nordosten der Halbinsel scheint
viel sicherer zu sein. Schulten nahm an, daß die
247
Die neueste archSologische Tätigkeit in Spanien.
248
Iberisierung der Meseta (wir können
hinzufügen des nördlichen Teiles derselben)
und von Portugal als weitere Konsequenz des
Druckes der Gallier auf den Süden von
Frankreich erfolgte, der die iberischen Völker
des Nordostens ") in Bewegung bringt, aber
die Archäologie gibt uns dafür Details. Sie
beweist vor allem die Existenz von zwei Pe-
rioden, die mit den Verschiedenheiten der
Völker, wie sie die Quellen vor dem 3. Jahr-
hundert verglichen mit den späteren Be-
richten erkennen lassen, übereinstimmen.
Mit Hilfe der Archäologie erklären wir uns,
warum die Quellen die Ilergeten im Innern,
in Urgell, getrennt von den Ilercavonen
(ihrer Abzweigung) zitieren, während an
verschiedenen Orten der katalonischen
Küste oberhalb des Ebro die Cosetaner
erscheinen, die man nicht vorher kann-
te, und warum sich die Ilercavonen seitdem
gezwungen sahen, sich Wohnsitze an der
Mündung des Ebro zu suchen, und bis
in die Nachbarschaft von Sagunt kommen,
in das Gebiet der alten Edetaner. Diese
Tatsachen spiegeln sich in den kulturellen
Unterschieden, die wir weiter oben ausein-
andergesetzt haben, zwischen der Gruppe
von Sidamunt (der Ilergeten), der Gruppe
von Niederaragön, dem oberen Teil von
Castellön -Valencia (Edetaner) und der Ebene
von der Mündung des Ebro und der Provinz
von Castellön (Ilercavonen); sie scheinen mit
der Erscheinung neuer Stämme verbunden
zu sein, die sich zwischen die Ilerget^n-Iler-
cavonen und die Indigeten schieben, d. h.
der Cosetaner und Laietaner, sie alle mit der
gleichen Kultur der Küste aus dem 3. Jahr-
hundert, die auch die Ilercavonen beein-
flußte. Diese nahmen, entfernt von ihren
Brüdern im Innern, die Einflüsse ihrer Nach-
barn, der Cosetaner auf. Alles dieses ist letzten
Endes ein Resultat des Druckes der Gallier
auf die ligurischen und iberischen Stämme im
Süden von Frankreich, der seinen Ge-
genstoß in Katalonien fand, wo die Völker,
') Es ist unmöglich, daß die Iberer aus der Meseta
die sind, die vorher im Süden von Frankreich leb-
ten, da die Ausdehnung der Iberer viel mehr durch
Teilbewegung und successiven Druck erfolgt zu sein
scheint als durch große Expeditionen von Abenteu-
rern. Der archäologische Augenschein lehrt dieses
gleichfalls.
die den Indigeten verwandt sind, sich teil-
ten ■). Die Cossetaner nehmen das alte Ge-
biet der Ilergeten und lassen diese im
Gebiete von Urgell isoliert, die Ilercavonen
sehen sich zur Auswanderung, die Küste
abwärts, gezwungen, während die Gruppe
der Lacetaner den Llobregat und den Car-
doner heraufwandert auf Kosten der früheren
Völker '). Der Eintritt der Ilercavonen in
die Ebene von Castellön, auf Kosten der
Edetaner, zwingt diese, sich auf die Berge zu-
rückzuziehen und in das Innern einzudrin-
gen. Vielleicht trugen hierzu auch mögliche
Bewegungen der iberischen Gruppen im
Südosten bei, die das Eindringen des ibe-
rischen Elementes in die Mancha nach der
Mitte der Halbinsel hin, verursachten. Der
Druck wurde erstickt durch die kartha-
gische Eroberung des Südostens, die nun eine
schwierig zu überschreitende Schranke bil-
det. So fanden die Edetaner, die von Norden
und von Süden gedrängt werden, keinen
andern Ausweg, als sich in die Berge zu
flüchten.
In dieser Bewegung der Edetaner kann
man den Ursprung des Eintrittes der ibe-
rischen Elemente in das vorher von den
keltischen Berybracern und jetzt von den
Keltiberern besetzte Gebiet erblicken. Es
konnte dieses auf zwei Wegen geschehen:
auf dem Wege des Jiloca und des Jalon, die
die Meseta begrenzen, oder vomEbro ab durch
den Jalon und dem Hochlande von Almazan-
Duero, und nachdem die Vertreibung der
Keltiberer, Vaccäer und Lusitaner vollendet
war, durch deren Gebiete. Die Beziehung
der Edetaner zu den Keltiberern erklärt sich
sehr gut aus der Beziehung, die zwischen
der iberischen Kultur des Ebro und Numan-
■) Die Analogie für das erwähnte Volk der Indi-
geten, bestärkt durch die Identität der Kultur, die
zwischen ihnen besteht und sie von der Ilergeten
von Sidamunt scheidet, wird durch den Text von
StraboIIl4, i (S. 156) bewiesen, der besagt, daß die
Indigeten mehr nach dem Norden des Ebro wohnten,
und daß sie in 4 Teile geteilt waren.
') Diese Substitution von Völkerschaften macht
den plötzlichen Wechsel verständlich, den man in
der oberen Schicht der Ortschaft Castellvell de Solsona,
die dem III. Jahrh. angehört, trifft; sie zeigt eine
der Küste identische Kultur, die ganz von der der
unteren Schicht desselben Ortes und von der durch
die Ortschaft Anseresa (Olius) bekannten verschie-
den ist.
249
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
250
tia besteht, einer Beziehung, die heut klarer
ist durch das Fragment mit figürlicher Deko-
ration von einer Numantia verwandten Tech-
nik, das man in San Antonio von Calaceite
fand, und durch das, was wir bezüglich der
Gruppe von Belmonte sagten. Wahrscheinlich
erklären sich die beobachteten Verschieden-
heiten durch die Isolierung der Kel tiberer, die
bis in späte Zeiten (133 v. Chr.) reicht, und
durch die Absorbierung von vielen keltischen
Elementen, die man durch die Fülle von kel-
tischen Eigennamen zwischen den numan-
tinischen, ja durch dem Namen Celtiberer
selbst beweisen kann, sowie durch die kel-
tischen Formen der Keramik von Numan-
tia, die denen der nachhallstättischen Ne-
kropolen gleichen, und durch den Dolch mit
zwei Scheiben am Griff, der sich in Numan-
tia befindet. Die zahlreichen Beziehungen
der Keltiberer, Vaccäer und Lusitaner stehen
im Gegensatz zu der Opposition zu anderen
Stämmen; anstelle anderer fehlender archäo-
logischer Indizien beweisen sie, daß die Ibe-
risierung der nördlichen Meseta und Portu-
gals die Fortsetzung der Bewegung ist, die
die iberischen Elemente der Keltiberer nach
Celtiberien brachte.
f) Der äußerste Norden '). Im allge-
meinen ist der ganze Norden der Halbinsel
bis in späte Epochen hinein sehr wenig
bekannt. Das Wenige, was man weiß, aber
erlaubt, die Filiation der verschiedenen Völ-
kerschaften aufzustellen, die ihn einnehmen,
sowie ihre Itinerarien zu rekonstruieren.
Wenn wir von Gegenden absehen, von denen
die Texte absolut nichts sagen, und für die
es auch zur Kompensierung keinerlei archäo-
logische Funde gibt, wie die obere Provinz
von L^rida, so erwähnen die Texte dann die
Jacetaner in der oberen Provinz von Hues-
ca (Jaca); sie folgen dann den verschiede-
nen Stämmen, die mit den Basken eine Ein-
heit zu bilden scheinen, und zwar in den Pyre-
näen von Navarra und Guipuzcoa, bis zum
Ebro hin, und erwähnen ferner in dem übri-
gen baskischen Land die Varduler, Carystier
und Autrigonen. Den Rest der Küste von
Nordspanien bis zu dem keltischen Gebiet
von Galicien nahmen die Kantabrer ein
') Bosch, El problema etnolögico vasco y la
Arqueologia (Revista Internacional de los Estudios
Vascos, San Sebastian 1923).
(Santander und den östlichen Teil von
Asturien), die Asturer den übrigen Teil
von Asturien und den Norden der Pro-
vinz Leon. Zwischen den Kantabrern und
den Asturern einerseits und den Kelti-
berern des Duerogebietes andrerseits schieben
sich die Beroner (in der Rioja und der ibe-
rischen Gebirgskette) und die Turmodiger
(in der Bureva d. h. in der oberen Provinz
Burgos) ein.
Von diesen Völkerschaften weiß man, daß
die Kantabrer iberisch und in lebhafter
Verbindung mit den Aquitanern aus Frank-
reich waren; ja sie könnten ähnlichen Ur-
sprungs wie die Aquitaner sein. Dafür
waren die Beziehungen der Kantabrer
und Autrigoner (d. h. die Gruppe der Bas-
ken) immer wenig freundschaftlich und der
Krieg mit den Römern wurde durch diese
Feindschaft geweckt. Das gleiche ist der
Fall bei den Turmodigern und den Beronen,
die von den Kantabrern verschieden und
auf alle Fälle nicht iberisch scheinen. Die
Beroner scheinen zu den keltischen Stäm-
men zu gehören, welche die Eroberung des
Duerogebietes durch die Keltiberer zurück-
ließ. Von den Turmodigern ist schwer zu
sagen, ob es sich um Kelten oder um andere
einheimische Stämme handelt. Die Asturer
scheinen nicht iberisch, nach ihren Volks-
und Ortsnamen hat man sie als Ligurer an-
gesehen. Wenn dem so ist, so bilden die
Kantabrer eine iberische Enklave zwischen
Stämmen anderer Herkunft; es ist bemer-
kenswert, daß sie nicht an den keltiberischen
Kriegen teilnahmen, weswegen man sie nur
schwer als äußerste Erstreckung der ibe-
rischen Völker der Meseta bezeichnen könnte.
Zu gleicher Zeit berührt ihre Verbindung mit
den Aquitanern aus Frankreich eigenartig.
Wir haben eine Zeit lang geglaubt, daß
man die Bewegung der Kantabrer rekon-
struieren könnte, wenn man annimmt, daß
die keltischen Bewegungen von Frankreich,
die einen Druck auf die Linie der Garonne
ausüben, das Eindringen einer Gruppe von
Aquitanern von Jaca her veranlassen und
an dem Südabhang der Pyrenäen die Bil-
dung der iacetanischen Gruppe bewirken.
Eine Gruppe von dieser hätte beim Sichaus-
breiten sich in dem Ebrogebiet verlieren und
über Reinosa nach der Provinz Santander
251
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
252
gelangen können. Heut halten wir aber auch
etwas anderes für möglich. Die Bewegung
der Aquitaner- Jacetaner könnte unabhängig
von der der Kantabrer sein, diese könnten
aus den alten iberischen Gruppen am Ebro
hervorgehen, die, als die große Bewegung
des Eindringens in die Meseta vor sich ging,
ebroaufwärts gingen und bis zum Meer
kamen, und die als sie sich von ihren Verwand -
ten durch die benachbarten Völker (die bas-
kische Gruppe, die Beroner und Turmodiger),
die ihnen den Verkehr mit den iberischen
Zentren am Ebro und mit den Celtiberern
des Duero abschnitten, isoliert sahen, all-
mählich die Beziehungen zu ihnen ver-
loren und dafür neue mit den ihnen am
nächsten Verwandten (den Aquitanern der
Küsten des Golfes von Gascogne) an-
knüpften.
Was die Gruppe der Basken anbelangt,
die man lange Zeit für iberische Reste an-
sah, die ihre Sprache, die man für eine Fort-
entwicklung der iberischen hielt, bis zur
Gegenwart erhalten hätten, so scheint es
heute sicher, daß man sie nicht als iberisch
gelten können •). Die Bewegungen der
Iberer scheinen in das obere Ebrogebiet
und das Innere von Spanien nicht vor dem
3. Jahrhundert zu gelangen, und wenn wir
Iberer an der Nordküste der Halbinsel (die
Kantaber) nachweisen können, macht die
Opposition zwischen ihnen und der bas-
kischen Gruppe schwer verständlich, daß
sie dem gleichen Stamm angehören sollten.
Die archäologischen Forschungen der letzten
Jahre haben für das Baskenland für die
Zeiten der pyrenäischen Kultur der Kupfer-
zeit menschliche Reste ergeben, die nach den
anthropologischen Untersuchungen von Pro-
fessor Aranzadi den jetzigen Basken glei-
chen. Dies setzt die Existenz dieses ethni-
schen Elementes schon für die Kupferzeit
voraus, wo es kaum Iberer in dieser Region
geben konnte. Wir müssen heut die Basken
als eine der einheimischen, voriberischen Völ-
kerschaften von Spanien ansehen.
Was die baskische Sprache und die Mög-
lichkeit anbelangt, daß sie iberisch sein
könnte, so muß man, selbst da es möglich
') Bosch, El problema etnolögico vasco. S. auch:
Bosch, Zeitschrift für Ethnologie, 1923, 87 ff. und
Artikel „Basken" in Eberts Reallexikon der Vor-
geschichte.
ist, daß zahlreiche iberische Überflutungen
der Sprache stattgefunden haben, sich hüten,
das Problem zu einfach zu nehmen. Es
könnte sein, daß ältere Elemente in der
Sprache existieren, die einen andern Ur-
sprung haben als die iberischen Elemente,
und die mehr in Beziehung zu der wahren
ethnischen Natur des Volkes stehen. Schul-
ten wollte die baskische Sprache als li-
gurisch ansehen, was aber von H. Schuchardt
energisch bestritten wurde ').
Auf alle Fälle ist der heutige Stand der
Frage der, daß die Basken als Abkömmlinge
des alten pyrenäischen Volkes der Kupfer-
zeit gelten, das damals die ganzen Pyrenäen
einnahm (es scheint daß die Ortsnamen-
kunde dies in gewisser Weise bezeugt), und
daß sie das in dieser Region wirklich ein-
geborene Volk darstellen =).
g) Der historische Rahmen für die
iberische Ethnologie und Kultur.
Eis scheint klar, daß besagte Bewegungen
ihre Basis an der Küste hatten. Die Ost-
küste iberisiert die Meseta und den Norden
von Portugal; Andalusien und der Süd-
osten schickt die Iberer nach der unteren
Meseta. Der fernere Ursprung der ersten
Bewegung ist wahrscheinlich der Eintritt
der Gallier in den Süden von Frankreich.
Der letzte Ursprung der zweiten bleibt zu
erklären, aber vielleicht kann man auch
dieses heute tun. Trotz Mangel an ausführ-
lichen Nachrichten scheint es, daß die Ur-
sache hierfür in der Eroberung des Süd-
ostens und Südens durch Karthago liegt.
Während des 5. und eines Teils des 4. Jahr-
hunderts beschränkte sich diese Eroberung
auf den Besitz der alten phönizischen Kolo-
nien und auf die Zerstörung der griechischen
Kolonie Mainake, die eine gefährliche
Rivalin war nach der Schlacht von Alalia
(535 V. Chr.). Aber gegen das Ende des
4. Jahrhunderts und besonders während des
3. Jahrhunderts organisierten die Karthager
') H. Schuchardt, Baskisch- iberisch oder -li-
gurisch? Mitteilungen der Anthropolog. Gesellsch.
in Wien XVIII N.F. 1915, 109.
') Über alte prähistorische Beziehungen der Ur-
basken zu den Uriberern, welche eine starke sprach-
liche Beeinflussung hervorrufen könnten, s. meine
Arbeit »Die Vorgeschichte der Iberer« im Druck zu
den Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft
in Wien.
253
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
254
eine wahre Beherrschung des ganzen Tales
des Guadalquivirs und des Südostens. Die
Haupttatsache der karthagischen Erobe-
rung scheint die Zerstörung der beiden gro-
ßen iberischen Metropolen zu sein, der der
Tartessier und der der Mastiener, d. h. von
Tartessos an der Mündung des Guadal-
quivir, das nach Schulten schon kurz nach
Alalia gegen 500 zerstört wurde, und das
niemals wieder erstand, und von Mastia, das
die Barkiden zerstörten und unter dem
Namen Cartago Nova (Cartagena) wieder
aufbauten. Beide Umstände, besonders
letzterer, verursachten sicher die Flucht
nach dem Innern von denen, die sich der
fremden Eroberung nicht fügten. Die Er-
oberung von Andalusien und die damit zu-
sammenhängenden Kriege mußten die Aus-
wanderung der Vetonen, die von Mastia mit
der Einnahme des Südostens die derOreta-
ner und Carpetaner veranlassen. Diese
Bewegungen mußten in der Zeit zwischen
dem ersten und zweiten punischen Krieg
beendet sein, da ja die Karthager Anläufe
unternahmen, um zum mindestens in nomi-
neller Weise die Beherrschung der besagten
iberischen Stämme des Innern vorzunehmen,
außerdem veranstalteten sie dort während
des zweiten punischen Krieges Aushebungen.
III. DAS URSPRUNGSPROBLEM DER IBE-
RISCHEN KULTUR.
a) Die alten Hypothesen. Zum
Schluß muß ein anderes Problem von neuem
gestellt werden, für das die jüngsten For-
schungen neue Anhalte geben: es handelt
sich um die große Frage des Ursprunges
und der Bildung der iberischen Kultur. P.
Paris suchte sie in der heroischen Zeit der
iberischen Archäologie in dem mykenischen
Einfluß. In Polemik zu ihm stellte H. Siret
die Hypothese von dem punischen Einfluß
auf. Man fing dann nach und nach an, von
dem geometrischen und dem archaischen
Griechenland zu sprechen. Jetzt wird das
Problem kompliziert, aber wir haben heute
einen Rahmen, um es viel klarer als früher
zu begrenzen.
b) Die chronologische Basis. Vor
allem die Chronologie. Schon Pottier')
■) La Probleme de la c^ramique iWrique (Journal
des Savants 1905, 58).
begriff, als er die Rezension des Buches
von P. Paris schrieb, daß für die Annahme
belegter mykenischer Einflüsse ein Hinder-
nis bestand, und daß die Ähnlichkeiten sich
aus dem Fortleben gewisser mykenischer
Motive in der jonischen Keramik erklären
könnten. Heut steht dies fest, wie es Paris ')
selbst, Pottier'), Lantier?) und andere aner-
kannten, daß es nicht möglich ist, die Frage
in eine Epoche zu verschieben, die dem
5. Jahrhundert sehr ferne liegt, da keiner
der iberischen Funde als vor dieser Zeit
liegend angesehen werden darf. Außerdem
zeigen Funde aus der ersten Eisenzeit im
Südosten (die Gräber der Provinz Almeria)
eine sehr arme und keine mit der iberischen
vergleichbare Kultur. Etwas Ähnliches
kann man von der hallstättischen Kultur in
Katalonien sagen.
c) DerOrtderBildung unddiemög-
lichen fremden Einflüsse. Andrerseits
besteht kein Zweifel, daß man die Bildung
der iberischen Kultur weder in Katalonien,
noch oberhalb der Küste von Valencia
suchen darf, da sich in keiner der beiden Ge-
genden im 5. Jahrhundert die Hauptheim-
stätten der iberischen Kultur finden, die
hier vom Südosten abhängen. Man muß sie
also im Südosten oder in Andalusien suchen.
Es ist auch selbstverständlich, daß man
einen bemerkenswerten Teil an dieser Bil-
dung fremden Einflüssen zuschreiben muß,
und diese können nur den Phöniziern,
Karthagern und den Griechen zuerteilt
werden, die durch ihre respektiven Kolo-
nien diese Einflüsse einströmen ließen.
Niemand diskutiert das Bestehen von phöni-
zisch-karthagischen Kolonien. Das Bestehen
der griechischen ist dagegen noch dunkel,
und viele, die beeinflußt werden durch
den metropolen Charakter, den Emporion
schließlich für die griechische Kolonisie-
rung in Spanien erwirbt, bedenken nicht ge-
nügend, welchen Einfluß die Kolonien des
Südens z. B. Mainake und Hemeroscopeion
haben konnten, deren Existenz und Priori-
tät vor Emporion aufrecht erhalten werden
muß. Der Periplus, der durch Avien erhalten
') Revue Archeologique 1917 II, 81.
') Pottier, Le probleme de la c^ramique ib^riquc
(Journal des Savants 1908, 28:).
3) Journal des Savants 1917, 185.
255
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
256
ist, spricht mit seiner Basis des 6. Jahrhun-
derts von Mainake und Hemeroscopeion,
zitiert aber Emporion nicht. Andrerseits
führt alles auf die Annahme, daß die
Kolonien des Südens und Südostens in ihren
Anfängen direkt von Phokaia und nicht
von Massilia abhängen wie Emporion, das
eine andere kolonisatorische Bewegung re-
präsentiert ').
Wir glauben, daß der einzuschlagende Weg
nicht im Vergleich mit den Phöniziern oder
Karthagern, sondern mit den Griechen be-
steht. Die karthagische Kultur im allge-
meinen, und besonders die von Spanien, ist
sehr arm und kann nur vereinzelte Elemen-
te der iberischen Kunst ') ergeben. Vielleicht
beschränken diese sich auf den hartnäckigen
Gebrauch der geometrischen Verzierung in An-
dalusien, die sich oft auf parallele Zonen ohne
andere Motive beschränkt, oder auf eine kleine
Zahl von Gefäßformen aus jener Gegend.
Die orientalischen Elemente der Kunst des
Südostens brauchen nicht notwendig durch
Karthago oder durch die phönizischen Kolo-
nien gegangen zu sein, sie sind besser durch
griechische Intervention zu erklären, die
jene orientalischen Elemente mitgebracht
haben kann, da die archaische Kunst der
Griechen noch viele Eigentümlichkeiten der
Zeit besaß, in der das orientalisierende Ge-
präge ihre vorherrschende Note war.
Wir könnten den Weg vielleicht auf zweier-
lei Art finden. Wir könnten einerseits sehen,
ob die griechischen Funde aus Spanien uns
die Lösung bringen, oder, wenn diese fehlen,
in Griechenland die Dinge studieren, die sich
mit denen der ersten Zeiten des Kontaktes
mit der Halbinsel vergleichen lassen, vor
allem die der Gegenden, die mit Phokaia,
■) Man vergleiche besonders für die Kolonisierung
des Südens und Südostens Clerc, Les premieres colo-
nisations phoceennes dans la M^ditarran^e occi-
dentale (Revue des etudes anciennes VII 1905,
329 ff.). Daß Herodot nicht Mainake erwähnt,
sondern nur die ersten Expeditionen der Phokäer in
Andalusien, kann man durch die Zerstörung von
Mainake durch die Karthager bald nach Alalia (535)
erklären; es ist wahrscheinlich, daß der Periplus, der
früher ist, es kannte. Aber daß Hekataios nichts
von ihm weiß, ist recht merkwürdig, da in seiner
Zeit, wie die Ausgrabungen gelehrt haben, Emporion
schon bestand.
') Man erkennt dies deutHch in der Polemik
zwischen P. Paris und Siret.
der Metropole unserer Kolonien, in Verbin-
dung stehen. Wenn wir in der jonischen
Kunst und im allgemeinen in der Kunst des
orientalischen Griechenlands vom 7. Jahr-
hundert an bis zu dem Ende des Archaismus
Vergleichspunkte für die noch dunklen
Reste der iberischen Kunst des Südostens
und Südens fänden, hätten wir zweifellos
einen großen Schritt nach vorwärts getan,
dann könnten wir eine Hypothese auf
sicherer Basis aufbauen.
d) Die griechischen Funde auf der
Halbinsel. Die wenigen griechischen Ge-
genstände, die man im Südosten und Süden
von Spanien gefunden hat, sind einige
archaische Bronzen (der Satyr aus dem
Llano de la Consolacion, der Greif von
Castellar de Santisteban, die Athena aus
dem Museum von Granada) und dann rot-
figurige und schwarzgefirnißte Keramik.
Um uns über die Phänomene der grie-
chischen Kunst von Griechenland zu orien-
tieren, die wir nötig haben, können uns auch
die Keramikarten, die man in der Nekropole
von Emporion gefunden hat, gute Dienste
leisten. Die ältesten von ihnen sind sicher
Zeitgenossen der Palaiopolis aus dem 6. Jahr-
hundert und gehören mit wenig Ausnahmen
dem orientalischen Griechenland an, das not-
wendig die hellenische Region sein mußte, die
am meisten mit Phokaia, der gemeinsamen
Hauptstadt, in Verbindung stand. Diese
Arten sind die folgenden: gewöhnliche
Keramik des griechischen Orients mit ein-
fachen farbigen Linien, die das Gefäß in
Zonen teilen ; chalkidische Keramik (Oinochoe
mit einem Fries, auf dem ein Panther und
Füllmotive zu sehen sind, z. B. eine Art
Palmette und andere Blumenmotive), ko-
rinthische und italo-korinthische Gattungen.
Schon hieraus lernen wir etwas Wichti-
ges, nämlich daß durch Vermittlung der
Griechen die Figuren von Ungeheuern zu den
Iberern kamen oder kommen konnten, und
zwar aus der orientalisierenden griechischen
Kunst, die in dem vorgeschrittenen grie-
chischen Archaismus noch nicht verschwun-
den waren: der Greif von Castellar de San-
tisteban und die Darstellung der kleinen
chalkidischen Oinochoe von Ampurias (in
dem Museum von Gerona) •). Diese beiden
") A. Frickenhaus, Griechische Vasen aus Em-
257 ^>' neueste aTchiologfiscbe Tfttigkeit in Spanien.
258
Funde lassen uns das Problem der Tierdar-
stellungen aus der Keramik des Südostens
(Canassiers und Vögel) in neuem Lichte
sehen, ja auch die Ungeheuer der Skulpturen.
Aber weiter: der kürzliche Fund eines Frag-
mentes eines Reliefs mit zwei Sphingen ■) aus
Ampurias an der Stelle der Palaiopolis (Sant
Martin) und der eines jonischen Löwens,
der in Phokaia »), der Mutterstadt aller
griechischen Kolonien auf der Halbinsel,
zutage kam, geben den richtigen Schlüssel
zu dem Problem.
e) Die griechische Kunst in Bezie-
hung zu der iberischen. Der Löwe von
Phokaia hat bemerkenswerte Ähnlichkeit, so -
wohl was Form als Technik anbelangt, mit
dem Löwen von Bocairente, und damit er-
klärt sich die ganze Gruppe der mit dem
von Bocairente verwandten Löwen als jo-
nischen Ursprungs, und in gleicherweise zei-
gen uns die Sphingen des Frieses der Palaio-
polis von Emporion auch den Ursprung der
Sphingen des Südostens und des Südens
in der jonischen Kunst, da die Tatsache be-
wiesen ist, daß sowohl der Löwe wie die
Sphingen häufige Motive in der archaischen
jonischen Kunst sind, die grade zeitlich mit
der Gründung der spanischen Kolonien zu-
sammenfällt. Ein genauer Vergleich der
schönen Statuen des Cerro de los Santos mit
der archaischen griechischen Skulptur, be-
sonders mit den Kleidern der Koren von der
Akropolis von Athen wäre sicher sehr nütz-
lich, und sicher ließen sich auch in der Aus-
führung gewisser männlicher Gesichter des-
selben Cerro Ähnlichkeiten mit den archa-
ischen griechischen Gesichtern finden. Lau-
tier wollte schon die Bronzen von Castellar
mit der griechischen Plastik ' vergleichen,
und wir sehen unsererseits diese Erkenntnis
bekräftigt durch die Bronzen von Murcia,
besonders durch die große Figur des Kriegers
und die nackte Frau. Den augenscheinlichen
Einfluß der griechischen Kunst auf die Dame
porion (Anuari de l'Institut d'Estudis Catalans II
1908, 198 u. ff.).
') Cronica de les excavacions d'Empuries in
dem Anuari del Inst. E. C. V 1915—20, 707
fig. 546.
») F. Sartiaux, R^cherches sur le site de l'an-
cienne Phoc^e (CR. des sc^ancesdel'Acad.des Inscr.
et Beiles Lettres 1914) 6 ff. Abb. 2.
von Elche, den Krieger mit der falcata, auch
aus Elche, die Skulpturen von Osuna, wel-
che Hypothese man auch immer aufstellt,
um ihn zu erklären, braucht man hier nicht
besonders zu betonen, und ebensowenig die
Übertragung griechischer Bauformen, wie in
den iberisch jonischen Kapitalen von Elche,
den Dekorationen von Osuna, dem System
der Verteidigung und der Anlage der Städte
(Türme und Mauern von Tarragona und
Osuna etc.). Die wenigen sepulkralen Mo-
numentalformen, die wir kennen, wie die
großen Tumuli mit innerer Kammer von
Galera, haben auch ihre griechischen Vor-
bilder im orientalischen Griechenland, und
dies macht eine direkte Erklärung aus dem
Orient überflüssig.
f) Die archaischen griechischen
Elemente der iberischen Kunst." Es
ist interessant zu beweisen, daß die große
iberische Kunst stark mit griechischen Ele-
menten durchsetzt ist, die schon im 6. Jahr-
hundert anfangen, und zu sehen, daß der
Weg zur Erklärung der alten iberischen
Kunst ihr Vergleich mit der archaischen
griechischen Kunst ist und besonders mit
der des orientalischen Griechenlands, dem
die jonische Metropolis der Kolonien von
Spanien angehörte. Diese griechische Ba-
sis erklärt uns auch sicher die Genesis von
vielen Motiven der iberischen Keramik. Hier
muß man allerdings immer bedenken, daß
man logischerweise annehmen darf, daß einer-
seits die Originalitätssucht und die persön-
liche Interpretation der Iberer eine große
Rolle spielen, ein Punkt, den E. Pottier
besonders betont, und daß andrerseits
beim Auswählen der griechischen Motive
für die Keramik sie selten solche wählten,
die ein tiefes schwieriges Studium der
menschlichen Figur oder anderer Dinge
voraussetzten (man sehe als Ausnahme die
laufenden Männer des Gefäßes von Em-
porion aus der Sammlung Cazurro '). Es
wurden im Gegenteil Motive leichter Aus-
führung vorgezogen oder solche, die leicht
zu assimilieren waren, man verband sie
frei und entfernte sich so, was die Kom-
bination betrifft, weit von dem Original.
') Anuari Inst. E. C. 1908, 561 ff. wiederabge-
druckt in dem Bulletin hispanique 1911.
259
Die neueste archäologische Tätigkeit in Spanien.
260
Aus diesen Gründen beeinflußte die
griechische Figurenkeramik nur wenig die
iberische, und wir finden dafür die größten
Ähnlichkeiten in den rein ornamentalen
Motiven, die die Figuren der griechischen
Vasen begleiteten oder in vielen, die
die jonische Keramik des 6. Jahrhunderts
aufweist. Das ist bei der Mehrzahl der stili-
sierten Blumen und geometrischen Motive
der Fall, ja sogar bei den carnassiers und
Vögeln von Elche. Ein ausführlicher Ver-
gleich der jonischen Keramik aus dem Ende
des 7. Jahrhunderts und besonders aus dem
6. bis 4. Jahrhundert (für letzteres ist dies
schwierig wegen Mangels an Material aus
Griechenland selbst) wäre sehr fruchtbar
und müßte unbedingt gemacht werden. Hier
können wir nur auf einige Vergleichspunkte
hinweisen, die von selbst in die Augen
springen.
Besonders ist das Einteilen der Gefäße
in Zonen durch breite Streifen oder farbige
Linien in den gewöhnlichen jonischen Ge-
fäßen, die wir schon in Emporion finden, ganz
gebräuchlich.
Die einfachsten und allgemeinsten Mo-
tive in der ganzen iberischen Keramik, d. h.
die Kreise und Segmente von konzentrischen
Kreisen, die parallelen Wellenlinien, auf
welche sich mit besonderem Nachdruck
die Hypothese des mykenischen Ursprunges
stützte, werden in der griechischen geome-
trischen Keramik (bis zum 8. Jahrhundert)
gebraucht, und während der orientalisie-
renden Periode (7. Jahrhundert) als Motive,
um leere Räume zu füllen. Es würde nicht
unmöglich sein, Analoges noch in den jo-
nischen Arten zu finden. Was aber in der ibe-
rischen Keramik etwas Originelles darstellt,
ist ihre Kombination und die Tat-
sache, daß dadurch ein ornamentales System
geschaffen wurde.
Das Motiv der Halbkreise, der Sekanten,
das man im Südosten, der ganzen Ostküste
und in Frankreich findet, und das dann nach
Aragon übergeht, ist typisch für die Ge-
fäße der griechischen sogenannten äolischen
Gattung; wenn man diese Gefäße auch
nicht auf unserer Halbinsel gefunden hat,
so begleiten sie in Italien viele der ersten
Arten, die in Emporion gefunden wurden, d. h.
solche aus dem Ende der orientalisierenden
Periode '). Es ist bekannt, wie sehr in der
griechischen Keramik aller Arten und in
der iberischen aller Regionen, die Schach-
bretter, die Hakenkreuze, Mäander, Wolfs -
Zähne, S-Reihen herrschen. Das Motiv der
Spiralen in einer Reihe oder das der vonein-
ander getrennten Spiralen, die aber von
einer gemeinsamen Linie ausgehen, ist in
der ganzen griechischen Keramik sehr häu-
fig, besonders in der orientalisierenden Pe-
riode und in den jonischen Arten.
Das gemischte Motiv der Rosette oder
Palmette mit der Spirale hat eine lange
griechische Tradition in allen Regionen
Griechenlands und besonders in Jonien, von
den rein orientalisierenden Vasen und den
Vasen der Fikelluragattung an bis zu
den vorgeschrittenen, bis zu den atti-
schen Arten des 6. und 5. Jahrhunderts, bei
denen man zum Schmuck und Füllen den
Raum unter den Henkeln oder andere Orte
verwendet. In der iberischen Keramik
des Südostens hat es eine reichere und man-
nigfaltigere Entwicklung genommen, und
von hier aus scheint es sich über die ganze
Ostküste zu verbreiten (bis zu dem Gefäß
von l'Aigueta und Emporion) und eben-
so bis zu den Gruppen des 3. Jahrhunderts:
Urgel, Azaila und San Antonio de
Calaceite.
Die Efeublätter, die von beiden Seiten
eines horizontalen Stammes ausgehen (ty-
pisch in Spanien im Südosten und in Em-
porion), findet man in Griechenland wäh-
rend der ganzen Zeit, in der die jonische
Keramik ') blühte. Die verschiedenen Kom-
binationen der Efeublätter für Guirlanden
sind häufig und mannigfaltig in der jo-
nischen Keramik des 6. Jahrhunderts, die
sich dann fortsetzt 3) . Die Kombinationen von
Efeuguirlanden von Azaila haben eine über-
raschende Ähnlichkeit mit einem Teller, der
') Der zitierte Katalog von Friclienhaus in dem
.\nuari von 1908. Man sehe zahlreiche jonische
Parallelen bei Böhlau, Aus jonischen und italischen
Nekropolen, Leipzig Teubner 1898.
') Böhlau, das zitierte Werk.
3) Böhlau, Zitiertes Werk. Sieveking-Hackl,
Die königliche Vasensammlung zu München I. Die
älteren nicht attischen Vasen (München, Obernetter
1912) unter vielen andern Dingen: Abb. 18 num.
522 — 23, Abb. 21 num. 585, 586. 595, Abb. 42 num.
159, S. 151 fig. 196.
26 1
Die neueste archäologische T&tigkeit in Spanien.
262
in Cypern gefunden wurde '), dem man ein
viel späteres Datum geben muß (4. — 3. Jahr-
hundert?), der bis auf gewisse Punkte mit
den Gefäßen von Azaila zusammengeht.
Eine gründliche Revision des griechischen
Materials der ganzen orientalisierenden
Epoche und der Zwischenzeit von dieser zu
den schwarzen Figuren, z. B. den letzten
jonischen Arten und der korinthischen Ke-
ramik, würde Carnassiers und Vögel
finden lassen wie die der Gruppe Elche,
Archena. In Spanien besitzen wir außer-
dem die kleine chalkidische Oinochoe von
Emporion mit einem Ungeheuer '), das in
gewisser Weise der Art der Carnassiers
verwandt ist.
Dagegen haben die menschlichen Motive
wenig Vergleichspunkte mit denen aus Grie-
chenland, ausgenommen das schon zitierte
Beispiel aus Emporion.
g) Die griechischen Kolonien und
die iberische Kultur. Nach dem bisher
Gesagten mußte die Errichtung der Kolo-
nien von Mainake und Hemeroscopeion im
Süden und Südosten von kapitaler Wichtig-
keit für die Bildung der iberischen Kultur
sein, die heute den Eindruck macht, daß sie
von einem Volke hervorgebracht ist, das
große rezeptive Fähigkeiten besitzt und zahl-
reiche griechische Elemente, die ihm aus
jenen Kolonien zuströmen, assimiliert, diese
Einflüsse mit anderen weniger starken 3)
kreuzt, alles zusammenzuschmelzen weiß
und seinen Schöpfungen ausgesprochen per-
sönlichen Charakter gibt. Es ist unzweifel-
haft, daß von allen barbarischen Zivilisa-
tionen des barbarischen Europas, auf die die
■) P. Hermann, Das Gräberfeld von Marion auf
Cypern (48. Winckelmannsprcgramm. Berlin, Reimer,
1888) Abb. 32, S. 51 u. Abb. 42, S. 58.
') Frickenhaus. Zitiertes Werk Nr. B. a (Abb. 16
der S. 208).
3) Z. B. der geringe E^nfluB, den das phönizisch
karthagische Element gehabt haben kann, das man
vielleicht in einigen Gefäßformen erkennt ,dem großen
Weinkrug mit eiförmigem Bauch, dem andalusischen
Gefäß mit hohem zylindrischem Hals, der in einen
ebenen vorspringenden Rand endigt (Bosch, Cerä-
mica ib^r. Abb. Vi). Die nachhallstättische Civili-
sation des Zentrums scheint auch viele Gefäßformen
beeinflußt zu haben, nicht nur die der Keramik von
Numantia,sondern auch die der anderen Gebiete. Der
griechische Einfluß in dem Typus des sog. »carnas-
sier< ist schon eine feststehende Tatsache.
klassischen Kulturen Einfluß ausübten, die
iberische zu größter Vollendung kam. Viel-
leicht ist letzteres und die Treue, mit der
die griechischen Einflüsse hier aufgenom-
men wurden, dem Umstand zu verdanken,
daß in Spanien im Gegensatz zu andern Län-
dern (zu Frankreich z. B. bei den keltischen
Stämmen, die die La T^nekultur auf der
hallstättischen Basis entwickelten), die grie-
chischen Einflüsse fast auf jungfräulichen
Boden fielen, ohne dort irgend eine Zivi-
lisation von irgendwie nennenswertem Ni-
veau vorzufinden, weswegen der griechische
Same dort ohne irgend ein Hindernis auf-
gehen konnte.
So ist es ganz natürlich, daß wir die erste
Heimstätte für die iberische Kultur im
Süden und Südosten finden, Stätten, die
schon seit alter Zeit in Verbindung mit den
Fremden stehen, die nie den Kontakt mit dem
eigenen Volke verloren, und andrerseits in
den Zeiten der griechischen Kolonisation
mit Stämmen besetzt waren, die sich zu-
gänglicher zeigten, als jene, die das Hinter-
land von Emporion einnahmen, die,
wie wir wissen, lange zögerten einen inti-
men Kontakt mit den Griechen einzugehn.
Wenn wir durch Emporion den sicheren
chronologischen Rahmen für die Syste-
matisierung der iberischen Kultur erhalten
haben, so werden wir an dem Tage, an dem
wir, durch methodische Ausgrabungen, die
Kolonien Mainake und Hemeroscopion ken-
nen, den endgültigen Schritt getan haben,
um das große Problem des Ursprungs und
der Bildung der iberischen Kultur zu lösen ').
Barcelona. P. Bosch- Gimpera.
(Deutsche Übersetzung von Frl. Dr. G.
Richert.)
') Eine wichtige Frage, die hier nicht erörtert
werden kann, betrifft die Möglichkeit der Vermitt-
lung der griechischen Einflüsse auf die iberischen
Kultur durch die iberischen Söldner, welche öfters
in karthagischen und griechischen Heeren gekämpft
und sogar Athen selbst besucht haben. Die lite-
rarischen Belege darüber werden im II. Heft der
Fontes Hispaniae antiquae (im Druck) von Prof.
Schulten und von mir herausgegeben.
263
Scheuklappen.
264
SCHEUKLAPPEN.
Die Römer kennen wohl metallene Augen -
schutzkörbe bei den schwergepanzerten
Pferden der catafractarii (Lindenschmidt,
Altert, unserer heidn. Vorzeit V Taf. 17,
Text S. 87) und die brillenartige Vollban-
Abb. I. Pferdekopf von einem Sarkophagrelief.
Museo Chiaramonti.
dage beider Augen beim Arbeitstier: Sar-
kophagrelief des Museo Chiaramonti Ame-
lung, Vatikan I Nr. 497 Taf. 68 ; Blümner,
Technologie I'4i Fig. 16 (undeutlich),
entstellt bei Baumeister, Denkmäler II 933
Fig. 1005 und Mau, Pompeji 383 Fig. 224.
Hier als Abb. I nach A. Rumpf verdankter
getreuerer Skizze. Die literarischen Stellen
bei Blümner a. a. O. 35 Anm. 5.
Aber der Gebrauch eigentlicher Scheu-
klappen des Wagenpferdes ist Griechen
und Römern fremd. Meines Wissens gibt
es weder Monumente, auf denen sie erschei-
nen, noch eine literarische Erwähnung
ihrer. Hingegen sind Scheuklappen im
Fahrwesen des kyprisch- phönikischen Be-
reiches üblich. Unsere Abb. 2 zeigt ein in
deutschem Privatbesitz befindliches ky-
prisches Terrakottapferd. Länge O, li m,
Höhe des erhaltenen 0,075 "i- Brandspuren.
Sehr heller weißlicher Ton; viele Reste
roter Farbe am Zaumzeug, ebenso ist die
Satteldecke mit Rot aufgemalt. Links an
der Schulter Bruchstelle des Verbindungs-
stücks zum Nachbarpferd — das vollständige
Monument war ein vier- oder zweispänniger
Wagen, wie wir deren sogleich mehrere
aufführen werden. Unser Pferd zeichnet
sich vor jenen zumeist sehr summarisch
ausgeführten durch verhältnismäßig gute
Arbeit aus. Zeit wohl V. Jahrhundert,
erste Hälfte. Die Scheuklappen stehen
deutlich erkennbar in dem Winkel zwischen
Stirnriemen und Backenstück, an denen sie
befestigt zu denken sind, neben den Augen.
Scheuklappen finden sich auf folgenden
sonstigen kyprischen Denkmälern: i. Sar-
kophag von Amathus, auf beiden Längs-
seiten. Am deutlichsten AD III Taf. 3.
Sonstige Bibliographie bei Studniczka J. d. I.
XXII 1907, 182; Myres, handbook of the
Cesnola Collection 228 nr. 1365. 2. Sar-
kophag von Golgoi, auf der einen Schmal -
Abb. 2. Kyprisches Terrakottapferd.
265
Scheuklappen.
266
Seite. AD III Taf. 6. Vgl. wiederum Stud-
niczka a.a.O. 183; Myres a.a.O. 226,
nr. 1364. Die Klappen sind von spitziger
Form. 3. Kalksteinbiga aus Kurion, New
York, Cesnola coli, of Cypr. antiquities
atlas I pl. LXXX 520; Myres a. a. O. 145,
nr. 1017 ; Cesnola und Stern, Cypern Taf. 67,
danach Studniczka a. a. 0. 186. 4. Kalk-
steinquadriga aus Dali, British Museum
Nr. 73. 3. — 20. 93. 5. Tonquadriga aus
Tamassos, BritishMuseum Nr.1910. 6. — 20.20
(Nr. 4 und 5 weist mir Herr Pryce nach).
6. Fragment eines Pferdekopfes, Ton, Ces-
nola coli. II pl. LXXIV 670. 7. Terra-
kottapferd Louvre, Heuzey, cat. nr. 39;
unsere Abb. 3 nach einer Photograpie,
die ich nebst anderer Belehrung Herrn Pottier
verdanke. DasStück ist primitiver, aber auch
archaischer als Abb. 2.
Von phönikischen Monumenten kommt
in Betracht die bekannte kleine Terrakotta-
quadriga aus Marathus (Amrith) im Louvre:
Heuzey, figurines de terre cuite du Louvre
pl. 5 Mitte; Studniczka a. a. O. 169; Poulsen,
Der Orient und die frühgriech. Kunst 63.
Studniczka hat die Datierung ins 9. Jahr-
hundert begründet. Daß die Pferde wirk-
lich Scheuklappen tragen, hat Herr Pottier
noch einmal ausdrücklich festgestellt. Eben-
so — nach freundlicher Auskunft des Herrn
Jean Babelon — die Pferde der beiden
phönikischen Terrakottagespanne des Ca-
binet des m^dailles Nr. 5912, 5913, abg.
Poulsen a. a. O. Fig. 60 — 62. Vgl. zu ihnen
noch Undset, Ztsch. f. Ethnologie 1890, 69.
Weist der Brustbehang der Pferde auf
Assyrien, so gehören die Scheuklappen zu
den ägyptischen Elementen des phöni-
kisch-kyprischen Fahrwesens. Vgl. dazu im
Abb. 3. Terrakottapferd. Louvre.
allgemeinen Studniczka a. a. 0. 161. Die
Scheuklappen, die wir auf den aufgeführten
Denkmälern fanden, stimmen nach Form
und Befestigungsart genau mit den ägyp-
tischen überein. Die Darstellungen auf den
Reliefs der 18. — 20. Dynastie sind so zahl-
reich, daß es genügt, auf die Werke von Da-
vis (El Amarna), Rosellini, Champollion,
Abb. 4. Scheuklappen aus dem Tut-ench-Amun-grabe.
267
Rekonstruktionen der Stuckreliefs aus Pseira.
268
Prisse d' Avenues zu verweisen, um so mehr,
als jetzt originale Scheuklappen aus dem
Tut-ench-Amun -grabe vorhanden sind. Wir
bilden eine derselben in Abb. 4 nach Phot.
(geliehen vom Verlag A, Scherl) ab. Für
die Dekoration des Basisstückes mit Lotos-
blüte ist ChampoUion I Taf. XIII und, bei
flüchtiger Zeichnung weniger klar erkenn-
bar, wohl auch Rosellini II Taf. LXXXIX,
XCV zu vergleichen. Für die Setzung des
apotropäischen Auges weiß ich keine Paral-
lele; figürlicher Schmuck auf Scheuklappen
findet sich ChampoUion I Taf. XV, Rosel-
lini II Taf. LXXXIV (Löwen).
Es haben sich also die im Aegypten der
18. — 20. Dynastie erfundenen Scheuklappen
mit dem Streitwagen nach Phönikien und
Kypros ausgebreitet. Unsere dem 9. und 6./5.
Jahrhundert entstammenden Denkmäler
sind ein zufälliger Ausschnitt des erhaltenen
und geben keinen Hinweis auf das Datum
der Übernahme.
Daß, wie wir bei der Art unserer Über-
lieferung aus dem negativen TatDestand
mit Sicherheit schließen dürfen, die Griechen
und Römer von dieser orientalischen Er-
findung keinen Gebrauch machten, hat,
wie mich Herr Major Dr. A. Diehl belehrt,
seinen Grund darin, daß »ihre Reit- und
Fahrkunst hochentwickelt war, während
dem Pferdegebrauch der Ägypter Primitivi-
tät und ein sozusagen barbarischer Ein-
schlag anhaftete, erkennbar beispielsweise
an der unendlich harten Beizäumung und
dem Gebrauch schroffer Hilfszügel«.
Auf die naheliegende Frage, ob die Scheu-
klappen später zum zweiten Male und un-
abhängig wiedererfunden wurden oder —
was bei der Ökonomie der Kulturgeschichte
wahrscheinlicher ist — irgendwann aus dem
Orient ins Abendland übergingen, habe ich
mich vergeblich bemüht, eine Antwort
von Hippologen und Kulturhistorikern des
Mittelalters zu erhalten. ')
Marburg. P. Jacobsthal.
') Der früheste bildliche Beleg für Scheuklappen
aus dem Mittelalter und der Neuzeit erst 14. Jahr-
hundert, wie mirL. v. Schlözer nachweist : Flämische
Chronik (Flucht Ermengadas, der Gattin Salvards,
Lord of Rouissilion) im British Museum, wozu er
V. Achenbach, Anspannen und Fahren 126 (mir
REKONSTRUKTIOiNEN DER STUCK-
RELIEFS AUS PSEIRA.
Als ich im Frühjahr 1914 zum letzten
Male mit Emile Gilli^ron in Herakleion
auf Kreta zusammen sein und arbeiten
konnte, beschäftigte ihn neben den Re-
konstruktionen knossischer Gemälde, die er
im Auftrage von Evans ausführte, in seiner
Mußezeit eine Aufgabe, die er sich selbst
gestellt hatte "und mit besonderer Liebe
verfolgte, nämlich die Zusammensetzung
und Ergänzung der von R. B. Seager in
Pseira gefundenen Fragmente von Stuck-
reliefs sitzender Frauen. Es erscheint mir
als eine Pflicht der Dankbarkeit, das Er-
gebnis seiner Versuche hier nach den mir
von seinem Sohne und Erben seiner Kunst,
Herrn Emile Gilli^ron fils, freundlichst zur
Verfügung gestellten Photographien be-
kanntzugeben, obwohl ich ohne erneute
Anschauung nicht die genauen wissenschaft-
lichen Nachweisungen, die zur Ergänzung
vielleicht wünschenswert wären, zu geben
vermag.
Halvor Bagge hatte in der Zeichnung für
Seagers Veröffentlichung (Excavat. on the
Island of Pseira, Crete; Univ. of Pennsyl-
vania, The Museum, Anthrop. Publ. Vol. III
Nr. I, Plate V')) die besterhaltenen Stücke
zu dem Bilde einer sitzenden Frau zusam-
mengestellt; Seager hatte im Text S. 32
schon bemerkt, daß der linke Arm zu einer
zweiten Figur gehört haben könne, von der
indessen keine weiteren Fragmente Zeugnis
ablegten. Da die überaus zahlreichen Reste
von Frauendarstellungen aus Knossos, Hagia
Triada, Theben, Mykenai und Tiryns die
ausnahmslos innegehaltene Regel ergeben,
daß das Stoffmuster an dem Ärmeljäck-
chen in sich einheitlich ist, konnte aus der
Verschiedenheit der Ärmelmuster mit Si-
unzugänglich) zitiert. Der älteste deutsche sprach-
liche Beleg (nach freundlicher Mitteilung der Direk-
tion des Germanischen Museums) bei Geiler von
Kaysersberg. S. Charles Schmidt, Historisches Wör-
terbuch der Elsässischen Mundart, Strassburg 1901
314 „Schuechleder"
-) K. Müller, J. d. I. XXX igis, 270 A. 3 (dort
weitere Literatur); Karo, R. E. s. v. Kreta 1778;
Rodenwaldt, J. d. I. XXXIV 1919, 98, Abb. 5 u.
Fries des Megarons von Mykenai 9 u. 63 A. 21.
269
Rekonstruktionen der Stuckreliefs aus Pseira.
270
cherheit gefolgert werden, daß es sich um
Reste von mindestens zwei Figuren handle').
Die Untersuchung der in der Baggeschen
Rekonstruktion nicht verwandten Stücke
bestätigte diese Annahme und ergab an-
dererseits, daß es sich bei beiden Gestalten,
wie Seager und Bagge schon mit Recht für
die eine angenommen hatten, um sitzende
Figuren handelt. Außer der Einbeziehung
der weiteren Fragmente galt es für die
neuen Rekonstruktionen, die Reste auf zwei
Figuren aufzuteilen, sie richtig zu rücken
und endlich die Stoffmuster genauer wieder-
zugeben, als es in der ersten Publikation
geschehen war, kurz die Erfahrungen zu
verwerten, die bei der ersten Publikation
noch nicht zur Verfügung standen.
Die Erwägungen, von denen sich Gilli^ron
hat leiten lassen, ergeben sich unmittelbar
aus der Anschauung der beiden Abb. I und 2
wiedergegebenen Rekonstruktionen, in de-
nen er mit gewohnter Meisterschaft ein
plastisches Faksimile der erhaltenen Relief-
teile geschaffen hat. Welche Unterkörper-
und welche Oberkörperfragmente zusammen-
gehören, bleibt hypothetisch. Auch muß
man mit einem Spielraum für die richtige
Stellung einzelner Fragmente rechnen; z. B.
fragt es sich, ob man bei der Figur Abb. 2
das Muster des Rockes nicht noch mehr
in die Horizontale drehen und das Haupt -
fragment etwas nach links verschieben solle.
Nicht ganz gesichert ist vielleicht auch die
Deutung des Fußrestes auf Abb. i. Aber
im wesentlichen wird uns der richtige Ein-
druck von der Ergänzung der Fragmente
vermittelt. Die beiden kleinen Fragmente,
die Gillieron Abb. 2 für den Rock verwandt
hat, beweisen zusammen mit der plastischen
Rundung des Hauptfragments, daß dil Ge-
stalt saß. Von dem Sitz hat sich kein Rest
erhalten. Entsprechende Stücke sind von
der zweiten Figur erhalten, doch ist bei
ihnen ebenso wie am Ober- und Unterarm
die feine oberste, die Bemalung tragende
Schicht abgeblättert in derselben Weise,
wie es bei einigen für die technische Her-
stellung dieser Reliefs lehrreichen Frag-
menten aus Knossos der Fall ist, die Evans,
The palace of Minos 531, Fig. 387 abgebil-
I) Rodenwaldt, Tiryns 11 77 u. 195-
Archäologischer Anzeiger tgi^/^^.
det und besprochen hat. Die Haltung und
Bewegung der gesamten Gestalt hat Gil-
liöron dem Vorbilde der sitzenden Frau
auf dem großen Goldring und auf einem
Elfenbeinrelief aus Mykenai') nachgebildet,
dem er auch den Felssitz entnommen hat.
Wesentlich verändert erscheint in Gil-
lierons Aufnahmen gegenüber der alten Pu-
blikation das Stoffmuster des Rockes auf
Abb. 2. An den Kreuzungspunkten der in
kleinen Schwingungen verlaufenden Wellen-
linien sitzen zierliche Rosetten. Die Spi-
ralen sind untereinander verbunden und
bilden mit den umrahmenden Kreisreihen
und den die Ecken verbindenden Rosetten
ein Ornament, das äußerlich an die rauten-
förmigen Plättchen aus dem vierten Schacht-
grabe von Mykenai =) erinnert. Auf den
übrigen Feldern sitzt ein einfaches Zick-
zackmuster. Das Ärmelmuster auf Abb. 2
ist in bezug auf die Details der Ornamentik
nicht ganz vollständig 3). Eine Erörterung
der Stoffmuster mit Hilfe von größeren
Zeichnungen könnte nur im Rahmen einer
Behandlung der kretischen Textilornamentik
erfolgen.
Die Reliefs sind vermutlich ebenso wie
die Fresken von Phylakopi*) von einem
knossischen Künstler ausgeführt. Ihre
Qualität steht dem »Jewel fresco« (Evans
a. a. O. 526, Fig. 383), den »Ladies in blue«
(a.a.O. 545 ff., Fig. 397)5) und verwandten
') Stai's, Journ. Int. d' Arch. Nuin. XIV 19 12,
181 ff., Tf. 12, 2; Bessert, Altkreta' 168 Nr. 224
nach Phot. d. Inst. (Bieber 194 Nr. 3428).
2) Schlieraann, Mykenae 298 f. ; Schuchhardt,
Schliemanns Ausgrab. 269 f.; Stais, Coli. Myc. 35 f.,
Gotsmich, Entwicklung der kretischen Ornamentik
16 f. hat für das Gesamtmuster in Pseira wohl
richtig an das einzige verwandte Ornament auf
einem Stierrhyton aus Pseira erinnert und das
Ornament zu den Netzmustern gestellt. Ob aber
die Erklärung des reichen Rockmusters so einfach
ist, wie er annimmt, ist mir fragUch.
3) Vgl. J. d. I. XXXIV 1919, 99.
4) Zu dem seltsamen, noch von Evans, The Pa-
lace of Minos 542 erwähnten Einfall von Bosanquet,
daß fertige Fresken in Holzrahmen exportiert
worden seien, vgl. Tiryns II 208.
5) In Ergänzung zu den Bemerkungen von Evans
a. a. O. A. 3 über die frei ergänzten Haarfrisuren
kann ich anführen, daß Gillieron dazu außer dem
Tiryns II 85 erwähnten Fragment aus dem Queens
Megaron ein stark verbranntes Fragment in Ma-
gazin 14 des Museums von Candia benutzt hat,
271
Rekonstruktionen der Stuckreliefs aus Pseira.
272
Abb. I. Stuckrelief
Stücken aus Knossos (a. a. O. 546 f. A.) und
das auf dem Rest der Schulter oder des Ärmels
einer weiblichen Figur dicke schwarze Haarlocken
zeigt, durch die rote Perlketten und rote Ketten
von Gliedern in Papyrusblütenform in ähnlichen
Schwingungen und Kombinationen geflochten sind,
wie Gilliöron sie bei der problematischen Rekon-
einer sitzenden Frau.
Hagia Triada'j, die sämtlich von Evans
in M. M. III datiert werden, so nahe, daß
struktion der Frisuren gezeichnet hat. Vgl. dazu
Tiryns II 85 A. 3.
■) Im Magazin des Museums von Herakleion
befinden sich aus Hagia Triada zwei außerordentlich
feine, allerdings stark verbrannte Fragmente von
273
Rekonstruktionen der Stuckreliefs aus Pseira.
274
Abb. 2. Stuckrelief einer sitzenden Frau.
man sie ungern sehr viel später ansetzen
wird (vgl. K.Müller, J. d. I. XXX 1915,
273). Unter den Funden aus Knossos sind
mir drei Fragmente von Gürtel und Rock-
dem Oberkörper einer Frau, die wohl zu dem
großen Friese gehören.
ansatz verschiedener weiblicher Relief figu-
ren bekannt, deren eines von Gilli^ron in
eine Rekonstruktion eingesetzt worden ist
und hoffentlich bald von Evans veröffentlicht
wird. Die Elfenbeinschnitzer, die in My-
kenai das Motiv sitzender Frauen kunst-
275
Archäologische 'Gesellschaft ku Berlinj Jantiar-Sitzung 1924.
276
Abb. 3. Fragment eines Stuckreliefs aus Mykenai.
gewerblich verwandten, und die Gemmen-
sciineider hatten offenbar Vorbilder in
bemaltem Relief vor Augen, die keine Sel-
tenheit waren.
Wahrscheinlich hat es in Mykenai selbst
ein solches Relief gegeben. Unter den
Funden Schliemanns, die in das Museum
von Nauplia gelangt sind, befindet sich das
in Abb. 3 wiedergegebene unscheinbare und
schlecht erhaltene Fragment, das als ein-
ziger Rest eines festländischen Stuckreliefs
von Bedeutung ist (größte Höhe etwa
8,5 cm.; erwähnt von K.Müller, J. d. I.
XXX 191 5, 273 A. i; Rodenwaldt, Fries
des Megarons 69 A. 152 u. 154, 15; Karo,
R. E. s.v. Kreta 1778). Es scheint vom
Gürtel und Rockansatz einer nach rechts
sitzenden Frau zu stammen. Links ist der
Umriß der Hüfte erhalten, am rechten
oberen Rande die im Relief eingezogene
geschwungene Kurve des Gürtels, der auf
blauem Grunde breite schwarze Quer-
striche zeigt, ein in der Textilornamentik
gebräuchliches Motiv, das auch an dem Gür-
tel eines der unveröffentlichten Relief-
figurenfragmente aus Knossos wiederkehrt.
Die Oberfläche des Rockteils ist nicht gut
erhalten; man erkennt Reste schwarzer
Färbung und roter Striche.
Berlin. G. Rodenwaldt.
ARCHÄOLOGISCHE GESELLSCHAFT
ZU BERLIN.
Sitzung vom 8. Januar 1924.
Nach Erstattung des Jahres- und Kassen-
berichtes legte der Schriftführer und Schatz -
nieister Herr Schiff seine Ämter nieder.
Herr Noack sprach ihm im Namen des
Vorstandes für seine siebzehnjährige Füh-
rung der Geschäfte den bleibenden Dank
der Gesellschaft aus und bat ihn, dem Vor-
stande weiter als Mitglied anzugehören.
277
Archäologische Gesellschaft zu Beilin. Februar-Sitzung 1924.
278
An die Stelle von Herrn Schiff wurde Herr
Neugebauer gewählt.
Sodann erbat Herr Trendelenburg das
Wort, um der Gesellschaft seinen Dank für
die ehrenvolle Begrüßung abzustatten, mit
der ihn der Vorsitzende aus Anlaß seines
vor 50 Jahren erfolgten Eintrittes in die
Gesellschaft zu Beginn des Winckelmanns-
festes überraschte. Um es nicht bloß bei
dem Danke mit Worten bewenden zu lassen,
führte er der Versammlung drei Stuck -
reliefs eines Grabes bei Cumae in Licht-
bildern vor, die bei ihrem ersten Bekannt-
werden in den Weimarer »Curiositäten«
1812 Goethe lebhaft beschäftigten, weil er,
der Vorkämpfer der Pflanzen- und Tier-
metamorphose, darin ein Beispiel der drei-
maligen Umbildung eines und desselben
künstlerischen Motives sah, die Gestalt
einer Tänzerin, die »zuerst in ihrem leib-
lichen Zustande durch ihre Kunst die Ver-
ehrer unterhielt und entzückte, sogar im
zweiten Bilde in schauerlicher Lemuren-
gestalt noch ihre beifälligen Verehrer neben
sich versammelt, sodann aber im dritten
geistig erhoben und dargestellt, ihre Anmut
vollendet«. Von den drei Bildern hat die
Lemurendarstellung durch die Veröffent-
hchung eines Tonbechers im Berliner Anti-
quarium in Robert Zahns Winckelmanns-
programm eine besondere Bedeutung da-
durch gewonnen, daß sie die bisher einzige
Parallele zu den grotesken Gestalten bildet,
die auf dem Becher das Menschengerippe
umtanzen.
Darauf sprach Herr C. Lehmann -
Hartleben über Untersuchungen in
der Cella des Zeustempels zu Olym-
pia. Der Inhalt des Vortrages, an den sich
eine Diskussion zwischen Herrn von
Gerkan und dem Redner anschloß, ist irti
J. d. L des laufenden Jahrganges 2,7 ff.
bereits veröffentlicht worden.
Zum Schluß sprach Herr A. Köster
über Neues aus dem Gebiete des
antiken Seewesens (zu Herodot H
p6^ 4 — 5). Im Gegensatze zu Herrn Aßmann,
der zuletzt ausführlich hierüber gehandelt
hat (Hermes 1896, 183 f.), kommt der Vor-
tragende zu der Ansicht, daß die Stelle,
die philologisch keine Schwierigkeit bietet,
so wie sie uns vorliegt, durchaus verständlich
ist und daß die merkwürdige Art der Fort-
bewegung, die Herodot bei den Nilschiffen
beobachtete, nicht unwahrscheinlich oder gar
unmöglich erscheint, wenn man die Eigen-
art der Strom- und Windverhältnisse des
Nils in Rechnung setzt.
Eine ausführliche Darlegung wird in
einer Sonderschrift des Vortragenden er-
folgen: Nautica, Gesammelte Abhandlungen
a. d. Gebiete des antiken Seewesens.
Sitzung vom 5. Februar 1924.
Herr Wiegan d berichtete über Aus-
grabungen, die Prof. Montet aus Straßburg
neuerdings in Byblos gemacht hat. Vgl.
Beaux-arts 1924, 50 f.
Den ersten Vortrag des Abends hielt
Herr Rubensohn über den Ionischen
Burgtempel auf Faros.
Bei den Grabungen auf dem Phrurion
von Paroikia, über die in den A.M, XXXXII
191 7, I ff. berichtet worden ist, wurde auch
den Überresten eines Tempels nachge-
gangen, von dessen Fundamenten Reste
über dem gegenüber der antiken Zeit
niedriger gewordenen Boden sichtbar waren.
Durch die vielfachen modernen Überbau-
ungen, deren Beseitigung sich nicht er-
möglichen läßt, und durch den Absturz von
ungefähr der Hälfte des ganzen Baus ins
Meer ist eine vollständige Aufklärung über
den Bau nicht möglich. Bei der klaren
Verwandtschaft des Baues mit dem Tempel
auf Palati bei Naxos, die sich sofort aus der
Übereinstimmung der Portale ergab, mögen
jetzt, wo der Naxos-Tempel genau unter-
sucht worden ist, die von uns gewonnenen
Resultate vorgelegt werden, da sich so
vielleicht für die Reconstruction beide:
Tempel verwertbare Beobachtungen ergeben').
I. Tempelfundament.
I. Der Absturz des Akropolisfelsens hat
ungefähr die Hälfte des Tempels, die west-
liche, mit in die Tiefe gerissen. Erhalten
sind vom Fundament: der östliche Teil der
beiden Längsmauern, die Türwand der
Cella und die Frontwand der östlichen Vor-
halle (vgl. den Plan Abb. i). Von den
') Nach Drucklegung dieses Berichtes erhalte ich
durch Vermittlung der Redaktion des Jahrbuches
die Fahnen von dem Bericht des Herrn Welter
279
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1934.
280
Abb.
Grundriß des Tempels und der Kirche des Hag. Konstantinos.
Längsmauerstücken ist das nördliche in
einer Länge von rund 13 m von der Ost-
ecke ab in unseren Grabungen zutage ge-
treten. Ihre allein freigelegte Noidseite
zeigt Abb. 2.
Das entsprechende Stück der südlichen
Längsmauer ist unter der Nordwand der
auf dem Phrurion sich erhebenden Kirche
des Hag. Konstantinos (vgl. den Plan und
A. M. XXXXII T. I) erhalten. Ein Stück
von yli m Länge tritt vor die Front dieser
Kirche vor und trägt noch in situ die drei
Marmorstufen des Tempels (Abb. 3). Die
über seine Untersuchungen .in den Temjjeln von
Naxos und Paros in den A. M. 1924. Ich ver-
weise auf diesen Bericht, der einige Ergänzungen
zu meinen Ausführungen bringt.
östliche Fortsetzung dieser Stufen ist in
die Nordwand der Konstantinoskirche ein-
gebaut und entzieht sich hier unter dem
Pflaster der Kirche und äußeren Anbauten
der näheren Untersuchung. Das Fundament
der Frontmauer der östlichen Vorhalle ist
in ganzer Ausdehnung erhalten. Zutage
liegt aber nur ein Stück von 5 m Länge
von der Nordecke ab, der weitere Verlauf
der Mauer verbirgt sich unter und in mo-
dernen Privathäusern und ist hier in einigen
Kellerräumen von uns festgestellt worden.
Von der Türwand der Cella ist der Ansatz
an die nördliche Längsmauer und etwa
3'/i m der Mauer von diesem Punkt aus
durch unsere Grabungen freigelegt worden
(vgl. Plan und Abb. 2), ebenso ein Stück
28 1
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
282
des Fundaments nahe der Südmauer. Der
mittlere Teil der Grundmauer mit der
vielleicht noch erhaltenen Türschwelle') ist
durch ein Privathaus überbaut.
2. Struktur der Mauern. Das Material
des Fundaments ist Gneis, wie er beim
Fundament des Asklepieion und bei der
Stadtmauer zur Verwendung gekommen ist.
Es sind ziemlich regelmäßig gebrochene
mit ihrer größten Ausdehnung quer zur
Mauerrichtung, die Breite der Mauern be-
trägt also 1,80 m.
Der Treffpunkt der verschieden breiten
Teile der Nordmauer liegt da, wo die Cella-
türwand einbindet. Hier endet der zum
Pronaos gehörige Teil der Nordmauer
treppenartig, aber nur in seinen unteren
Schichten, die auch seitlich hier bis zu
Abb. 2. Ansicht des Fundaments der nördlichen Mauer.
Platten, die, wo sie meßbar waren, einheit-
liche Maße von durchschnittlich 1,80 m
Länge und 1,20 m Breite aufwiesen. An
den die Cella umschließenden Teilen der
Längswände und der Türwand sind diese
Platten als Läufer gelegt, die Mauern haben
also 1,20 m Breite. Beim Pronaos, also
in der östlichen Fortsetzung der Nordmauer
(Südmauer konnte nicht untersucht werden),
und an der Frontmauer liegen die Platten
■) Doch vgl. jeUt Weher A. M. XXXXIX 1924,
23 Nr. 4.
17 cm vor die Front der Nordmauer vor-
springen (vgl. Abb. 2). Dieser Teil der
Mauer hatte also eine etwas andere Flucht
als das westlich ansetzende Stück. Die
entsprechenden Schichten dieses schmaleren
Mauerteils stoßen deutlich gegen die treppen -
artigen Endigungen der Pronaosmauer,
binden nicht ein. Die gleichzeitige Ent
stehung beider Mauerstücke wird gewähr-
leistet durch die Gleichartigkeit des Materials,
auch in den Maßen, und durch die Über-
bauung der Differenz in den oberen Schich-
ten. Vielleicht ist die Mauer von beiden
283
Archäologische Gesellschaft zu Beilin. Februar-Sitzung 1924.
284
Ecken gleichzeitig zu bauen angefangen
worden').
Das Fundament des Pronaos besteht aus
14, das der Cellawände aus II Schichten.
Die Schichtenzahl nimmt nach Westen hin
ab, da der Akropolisfels von Osten nach
Westen stark ansteigt. Die unteren Schichten
sind durchschnittlich 10 — 14 cm hoch, die
beiden obersten Schichten bestehen aus be-
Schuttschicht eine Höhe von 1,55 m bis
zum gewachsenen Fels.
Auf der obersten Schicht ist, wo die
Oberfläche der Steine gut erhalten ist, die
Aufschnürungslinie für die Tempelstufen
verfolgbar. Die Stufen bestehen aus Marmor.
Abbildung 3 zeigt die rauh gestockte Innen-
seite, die also unter dem Fußboden des
Tempels verschwand. An der Außenseite
Aljb.. 3. S^dfundament mit. den Marmorstufen.
sonders ausgewählten 24 resp. 25 cm dicken'
Platten. Gesamthöhe des Fundaments im
östlichen Teil der Nordmauer 2,23 m. In
dem ausgegrabenen Teil sitzt diese Stein -
last durchaus auf dem Schutt, weniger auf
den Mauern der prähistorischen Ansiede-
lung auf. Unter der Ostecke hat die
') Vgl. den verwandten Befund beim Megarcr-
Schatzhaus in Olympia (Olympia II 51) und beim
Fundament der äußeren Säulenreihe des .Tempels
von Samos, worauf v. Gerkan aufmerksam macht
(vgl. Th. Wiegand Erster vorläufig. Bericht . . . Samos
Berl. Abhandig. 191 1, 17.
sind die Stufen ganz glatt, ohne Ablauf
oder Ähnliches.
Breite der untersten Stufe 1,01 m, Rück-
sprung gegen das Fundament beiderseits
9 cm', Rücksprung der oberen Stufen je
3,5 cm gegen die Unterstufe. Höhe der
beiden untersten Stufen 29 cm, der obersten
25 cm, die oberste Stufe hat eine Breite
von 0,81 m. Die Stufenquadern zeigen an
Stoß- und Lagerflächen sorgfältige, regel-
mäßige Anathyrosis mit glattem Rand und
versenkter Innenfläche. Verklammerungen
sind nicht mehr erkennbar an den frei-
285
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
286
liegenden Stellen, nur ein Dollenloch ist
noch erhalten, an regelmäßiger Verbindung
der Steine durch Klammern und Dollen
kann aber kein Zweifel sein.
II. Orientierung, Maße undGrundriß.
Die Längsachse des Tempels verläuft
nicht genau von SO — NW, sondern mit
60° westlicher Abweichung von der magne-
tischen Nordlinie. Die Lage ist zweifelsohne
durch die beschränkten Raumverhältnisse
auf der Höhe des Phrurion bestimmt.
Die Breite des Fundaments beträgt, von
Außenkante zu Außenkante gemessen,
16,75 m, es ergibt sich also für die Cella
selbst, außen gemessen, eine Breite von
rund 16 m. Die Tiefe der Vorhalle zwischen
Frontmauer Außenkante und Türwand Ost-
kante ist 7,10 m. Über die Länge des
Tempels lassen sich nicht einmal Ver-
mutungen aufstellen. Schlüsse aus der
Tiefe der Vorhalle auf die Länge der Cella
ergeben keine sicheren Resultate. Eine um-
laufende Säulenhalle hatte der Tempel nicht.
Wie die Vorhalle gestaltet war, ob als
templum in antis oder als prostyle Anlage,
muß unsicher bleiben. Bei der starken
Verbreiterung der Fundamentmauern gegen-
über denen der Cella möchte man vielleicht
eher an eine letztere denken. Dg, aber die
schmalen, die Cella umgebenden Stufen
sich nur an der Eingangsseite zu richtigen
Auftrittstufen erweitert haben können, nicht
auch an den Seiten der Vorhalle vorgetreten
sind, wie z. B. bei dem Tempel von Lykosura,
dem jüngeren Dionysostempel in Athen, dem
Zeustempel von Aigeira, dem neuen Tempel
von Samothrake, so dürfte wohl eher die
Ergänzung zu einem Antentempel in Frage
kommen.
IIL Aufbau.
Bauteile des Tempels sind bei den Gra-
bungen nicht gefunden worden, das hat
seinen guten Grund. Dem Tempel ist schon
früh übel mitgespielt worden. In byzantini-
scher Zeit ist inmitten der Cella eine große
Cisterne angelegt worden (vgl. den Plan
Abb. l), deren Wände noch aufrecht stehen
bis auf die Westwand, die beim Absturz
des Akropolisfelsens mitgerissen wurde und
heute am Abhang der Akropolis in Fallage
steht. Der ganze Aufbau des Tempels ist
dann in das Schloß gewandert, das die
Herzöge aus dem Geschlecht des Marco
Sanudo hier auf dem Phiurion errichteten
und dessen der Stadt zugewandte Seite heute
noch als imposante Ruine auf dem Phrurion
steht (A. M. XXVI 1901, 195); die dem Meer
zugewandten Mauern des Schlosses sind bei
der Katastrophe des Akropolisfelsens zer-
stört worden. Wichtige Bauglieder des
Tempels sind uns nun in der noch stehenden
Schloßmauer erhalten worden. Genau vor
der Front des Burgtempels sitzen in ihr
die drei gewaltigen Blöcke von der
Türumrahmung des Tempels (Abb. 4).
a) Türsturz. (Abb. 4 in der Mitte, Abb. 5
Schnitt und Ansicht). Länge 5,97 m, Höhe
95,5 m. Von dem Längenmaß kommen
für das eigentliche Türgewände nur 5,65 m
in Anrechnung; 15 bzw. 17 cm sind die
beiden Quaderstücke breit, die beiderseits
an den Türsturz angearbeitet mit ihrer auf
64 bzw. 61 cm verringerten Höhe bereits
im Verband der anschließenden Quader-
wand saßen.
Die Front des Türsturzes ist durch drei
kräftig vorspringende Fascien gegliedert,
deren -Breite von innert nach außen zu-
nimmt. Den umrahmenden Abschluß bildet
ein 10,5 cm breiter doppelter 'Perlstab von
sorgfältigster Arbeit. Der äußere, aus rund-
lichen Perlen und scharf profilierten linsen-
förmigen Scheiben nach dem im reif ar-
chaischen Stil gebräuchlichen Schema zu-
sammengesetzt, dem Astragal des Türsturzes
vom Siphnierschatzhaus aufs nächste ver-
wandt, der innere aus länglich ovalen Perlen
ohne Scheiben gebildet: wie die Verdopplung
des Perlstabs, so ist auch dieser scheibenlose
Astragal ein in der großen Architektur
singuläres Motiv").
Fascien und Perlstäbe biegen auf die
Schmalseiten um, um _ an den Türpfeilern
niedergeführt zu werden. 29 cm oberhalb
Unterkante hört die Ausarbeitung des Perl-
stabs auf und ein doppelter Rundstab, die
Vorstufe für die letzte Ausführung, bildet
die Fortsetzung. Die Fertigstellung hier
') Die Türleibung des Tempels von Labranda
(Antiqu. of lonia P cap. IV T. 4 fig. 5) zeigt drei
Perlstäbe neben Eierstab, für den Tempel von
Naxos vgl. jetzt Welter a. a. O. 19.
28;
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
288
Abb. 4. TUrumrahmungssteine der Cella-Tür, verbaut in der SchloBraauer.
sollte offenbar nach der Versetzung des
Steines erfolgen und ist dann unterblieben.
Die Unfertigkeit der Türe tritt noch schärfer
in die Erscheinung bei den Türpfeilern
(Abb. 6), Abmessungen 6 m x 0,95 m.
Die dekorative Ausgestaltung sollte der
des Türsturzes entsprechen, aber bei beiden
Türpfeilern sind die Perlstäbe durchgehends
•10 O ,50 I,OOM.
Abb. 5. Ansicht und .Schnitt des Türslurzcs, gez. von P. Sursos.
289
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
290
Abb. 6. Rechter Türpfosten der Cella-Tür.
in der Vorstufe des doppelten Rundstabs,
am einen Ende sogar in der noch ursprüng-
licheren Form einer dicken Leiste stecken
geblieben; an beiden Enden trägt die Ober-
fläche der Fascien noch den Werkzoll und
am Kopfende steht quer über die ganze
Breite der Steine reichend eine ungefüge
Versatzbosse.
Während die beiden an den Türsturz
angearbeiteten Quadern vertikale Kanten
zeigen, weisen alle Vertikallinien des Tür-
sturzes selbst eine Neigung nach außen
auf — in der Aufnahme (Abb. 5) von Herrn
Sursos übersehen — , die etwa 3 cm auf
I m beträgt. Diese Neigung setzte sich
natürlich auf den Türpfeilern fort. Die
Tür hatte also trapezoide Form. Maße:
Lichte Weite oben etwa 3,68 m, lichte Weite
unten etwa 4,07 m, lichte Höhe der Türe ,
6,00 m. Nächste Parallele ist das Portal
auf Palati, Maße nach Welter. Lichte Höhe
5,95 m. Breite 3,65 m. Beim Siphniefschatz- j
haus betragen die Maße (nach Dinsnioore):
Höhe 3,227 m, lichte Weite oben 2,233 ni,
lichte Weite unten 2,410 m, die Verjüngung
i beträgt 0,028 m auf l m, also ungefähr
wie bei unserem Portal (vgl. auch die Türe
vom Nymphenrelief von Thasos, das ja
in parischer Kunsttradition steht). Die
Dicke des Türsturzes beträgt an der Unter-
seite 1,12 m. Am vorderen Rand ist — ■
vgl. Schnitt — eine niedere Fascie von
9 cm angearbeitet. Die Türschwelle kann
wie bei den jonischen Schatzhäusern in
Delphi aus einem Block oder wie in Naxos
aus mehreren Blöcken bestanden haben.
Die Türe paßt vortrefflich auf das 1,20 m
breite Türwandfundament des Tempels, auch
die Weitenmaße ordnen sich gut ein: Länge
der Türwand zwischen den Längsmauern
= 13,30 m. Breite der Türe mit Türgewände
5,98 m. Jederseits des Türpfeilers ver-
bleiben 3,65 m aufgehende Wand. An Zu-
gehörigkeit kann also kein Zweifel sein,
igi
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
292
zumal die Türsteine unmittelbar vor der
Tempelfront in der Schloßmauer
mit Beibehaltung der bei der Nie-
derlegung sich ergebenden Anord-
nung sitzen. Der Tempel war also jonisch.
Die Abarbeitung zu beiden Seiten des Tür-
sturzes läßt die Annahme zu, daß rechts
und links des Türsturzes Konsolen angeord-
net waren, wie beim Siphnierschatzhaus und
Eine Konsole mit Voluten ist in der
Nordseite des Turmes des venetianischen
Schlosses eingebaut, leider so, daß wir sie
nicht herausnehmen und nicht genau ver-
messen konnten, sie scheint aber gut zu
den Abmessungen der Türe zu passen. Ge-
naueres über diese Konsole jetzt bei Welter
a. a. O. 23.
Ein weiteres Dekorationsglied des Tempels
Abb. 7. Ionisches Kymation des Tempels, verbaut in der Apsis der venetianischen Schlofikapelle.
wahrscheinlich auch bei den Schatzhäusern
von Klazomenae und Massilia und wie beim
Nymphenrelief in Thasos. Die Konsolen
wären mit dem vollen Block oberhalb
der angearbeiteten Quaderstücke eingebaut
gewesen und scheinen mit ihrer frei herab-
hängenden Endigung über die angearbei-
teten glatten Quaderstücke bis dahin hinab -
gereicht zu haben, wo die fein eingerissene
Rille (s. Abb. 5), die die Quadern vom
Türgewände durch Schattenwirkung loslöst,
aufhört. Über den Konsolen mag dann
ein Dachgebälk für die Tür geruht haben.
ist der großzügige Eierstab Abb. 7. Je
zwei Platten mit diesem Ornament sind
in der Schloßkapelle des venetianischen
Schlosses links und rechts von der Apsis
angeordnet, die hier mit den Steinen
eines zierlichen antiken Rundbaus er-
richtet ist (vgl. A. M. XXVI 1901, 196),
drei davon bis zur Unkenntlichkeit zerstört.
Eine fünfte Platte wundervoll in Erhaltung
und Ausführung dient als Altarplatte am
Hauptaltar der großen Panagiakirche von
Paros (genaue Aufnahme bei Bühlmann,
Die Entstehung der Krcuzkuppclkirche,
293
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1984.
294
Beiheft 10 zur Zeitschrift für Geschichte
der Architektur 83, Abb. 43). Zugehörig-
keit zum Tempel ergibt sich aus der auf
MilHmeter genauen Übereinstimmung der
Maße von Eierstab und Tür-Perlstab (Ent-
fernung von Spitze zu Spitze im Eierstab
= 18 cm, Breite der Perlen 6 cm, Breite
des Scheibenpaares 3 cm). Länge der
Platten durchschnittlich 2,16 — 2,25 m. Der
Eierstab wird also als Wandbekrönung oder
als Zierglied des Architravs Verwendung
gefunden haben.
Wahrscheinlich zugehörig zum Tempel
ist auch das Antenkapitell, das als
Türsturz über der Haupttüre des Bapti-
steriums der Hekatontapyliani eingebaut
ist (vgl. Bühlmann a. a. O. 82 f., Abb.
41 u. 42). Der Block trägt an seiner Front
zwei Eierstäbe übereinander und Perlstab
darunter. Die Verwandtschaft der Eier-
stäbe mit dem großen Eierstab und ebenso
die der beiden Perlstäbe ist in die Augen
springend und von Bühlmann a. a. 0. auch
schon gebührend gewürdigt worden. Der
Block ist beiderseits auf Gehrung geschnitten
und hat zweifelsohne im Altertum als
Antenkapitell gedient, er kann bei seiner
Breite von etwa 2,03 m Breite an der Ober-
kante sehr wohl die Bekrönung der auf dem
Fundament von 1,80 m Breite stehenden
Ante der Tempelwand gebildet haben. Der
über dem Kapitell in der Baptisterionstür
angeordnete Zahnschnittbiock scheint nicht
von unserem Tempel herzurühren.
Weitere Bausteine des Tempels kann ich
nicht nachweisen, es kann aber kein Zweifel
sein, daß sowohl in der Konstantinoskirche
wie im Venetianischen Schloß sich noch
zahlreiche Teile des Tempels verbaut finden.
Eine Untersuchung beider Bauten mit ge-
nügenden Mitteln wird wohl die Rekon-
struktion des ganzen Tempels ermöglichen.
Die Zeit des Tempels wird durch die Be-
ziehungen der nachgewiesenen Bauglieder
zu den uns an den delphischen Schatz-
häusern bekannt gewordenen Formen am
besten beleuchtet. Mit den dem entwickelten
Stil angehörigen Formen von Astragal und
Kymation dürfte ein Ansatz Ende des
6. Jahrh. der Wahrscheinlichkeit nahe
kommen, der Tempel also in der Blütezeit
von Paros entstanden sein. Als Gottheit
des Tempels kommt am ehesten Athena in
Betracht, die als ■Koh.oöyot in Paros ver-
ehrt, den größten Anspruch auf den Burg-
tempel haben dürfte.
Danach sprach Herr Fr. Matz über
Kretisch -mykenische Bildkompo-
sition.
Die ältesten Bilder in der kretischen
Kunst bieten die f. m. Siegel. Altertüm-
liche und jüngere Stücke sind leicht zu
bestimmen, eine Verteilung auf die drei
üblichen f. m. Epochen ist aber nicht
möglich. Die Gruppierung kann sich nur
an die Motive halten.
Auf dem Elfenbeinwürfel aus der Tholos
von HaghiaTriada (Rendic. 1905, 395. Mosso,
Preistoria I 192, 102) ist ein Versuch zu
räumlicher Klärung der einzelnen dar-
gestellten Erscheinungen nicht zu verkennen.
Die Beine der Tiere sind nach ihrer Zu-
gehörigkeit zu den beiden Körperseiten
differenziert. So entsteht der Eindruck
einer wenn auch noch ganz flachen räum-
lichen Schicht wenigstens für die einzelnen
Figuren. Als Ganzes aber bieten diese
Bilder noch keine räumliche Einheit, viel-
mehr werden ihre Bestandteile in der üb-
lichen primitiven Weise einfach addiert:
die Bäume und Zweige, die Schlange über
dem Rücken des Schafes und das wohl als
Gehöft zu erklärende eckige Gebilde unter
dem Eber. Den bildlichen Zusammen-
schluß schafft vor allem der Rahmen. Die
Tiere stehen genau in seiner Mitte und die
Zweige folgen seiner Kurve.
Eine Gruppe f. m. Siegel, die den Kin-
druck einer flachen körperräumlichen Schicht
nicht bietet, erscheint als stilistisch älter,
wenn sich auch ihre Verwendung noch bis
ins frühe M. M. hinein nachweisen läßt.
Es sind die frühen Prismen mit piktographi-
schen Zeichen. Die Addition der räumlichen
Elemente wird hier noch unbedenklicher
vorgenommen. Trotzdem zeigen auch diese
Steine schon Versuche, die Darstellungen
zu einem Ganzen zusammenzuschließen.
Häufig findet sich der Rahmen; einmal
ist die Fläche durch ein größeres T-förmiges
Gebilde aufgeteilt, und überhaupt spielt
die Symmetrie bei der Gruppierung eine
große Rolle. Der Sinn für das Bildganze ist
also auch hier lebendig (Scr. Min. I 130 ff.).
295
Archäologische Gesellschaft lu Berlin. Februar-Sitiung 1924.
296
Das gilt ebenfalls für die Gruppe der mit
ornamental verwandten Tieren verzierten
Siegel. Addition der einzelnen Tiere kommt
vor. Das Gewöhnliche ist aber hier der Zu-
sammenschluß zu einem einheitlich das
Ganze füllenden und auf den runden Stücken
die Peripherie an das Zentrum knüpfenden
Ornament (Delt. IV 1918, 4. Evans, Palace
I 118, 87, I.e.).
Unter den rein ornamental behandelten
Stücken sondern sich solche mit einheitlich
auf das Rund berechneter Füllung und solche
von zusammengesetztem Charakter (Mem.
Inst. Lomb. XXI Taf. lo/ii). Bei den
ersteren ist das beliebteste Motiv das Haken-
kreuz in verschiedenen Abwandlungen, in
eckiger und runder, mäanderartiger und
spiraliger Form. Bei den letzteren handelt
es sich um Muster von unendlichem Rapport,
die mit der Füllung des Rundes ursprüng-
lich nichts zu tun haben.
Dasselbe Bild bietet die f. m. Gefäß-
dekoration. Gern wird die ganze Wandung
mit großen regellosen Farbfiecken bedeckt,
wie es bei der mottled wäre (Gournia Taf. B)
und bei den Steingefäßen aus Breccia
(Mochlos Taf. III f. IX) der Fall ist. Dann
bleibt das Auge an keiner Einzelform haften
und erfaßt die ganz einfache und regel-
mäßige Gefäßform im Kontrast zu den
irrationalen Flecken um so eindringlicher.
Oder es überspinnen Oberflächenlinien ein-
heitlich das ganze Gefäß; so bei der dunklen
Malerei auf hellem Grunde (Mon. Ant. XIX
Taf. 2) sowie bei den Gefäßen aus Marmor
und Alabaster, bei denen mit Vorliebe die
Schichtung des Steines in schiefem Winkel
zur senkrechten Achse liegt (Mochlos
Taf. IV f.). Als Erbe aus dem Neolithischen
wird daneben die Streifendekoration, wenn
auch in vervollkommneter Form, beibehalten.
Auch hier sind in dieser Periode des Neu-
schaffens eines Stiles Tradition und Kunst-
wollen nebeneinander zu greifen.
Charakteristische Beispiele der f. m.
Kleinplastik sind der Hund auf einem
Steatitdeckel aus Mochlos (Mochlos 21,5)
und der Stier auf einem Elfenbeinsiegel aus
Platanos (Evans, Plaace I 118, 87, 2 a).
Sie unterscheiden sich von allen gleich-
zeitigen und älteren liegenden Tieren in
Ägypten und Vorderasien durch die Anlage
in einem nach der einen Langseite hin
ofi^enen Winkel bzw. Bogen. Die strenge
zylindrische bzw. kubische Körperform ist
gelockert, um dem Ganzen einen einheit-
lichen Zug zu geben. Zäsuren sind ver-
mieden.
Die eigenartige stilistische Natur der
kretischen Kunst schärfer zu beleuchten,
ist ein Überblick über die Ausschmückung
der Kreisfläche in Ägypten und Vorderasien
besonders geeignet. Bei den ägyptischen
Steintellern und -näpfen des AR fällt auf,
daß sich sehr oft Standfläche und Stein-
schichten in rechtem Winkel schneiden,
während es für Kreta charakteristisch ist,
daß beide schiefwinklig zueinander liegen.
So ergibt sich bei den ägyptischen Gefäßen
vielfach eine scharfe Teilung in zwei gleiche
Hälften. Die runde Form wird ins Kubische
umstilisiert (Berlin 20520). Auf den Skara-
bäen des MR klammern sich die Ornamente,
auch wo statt des Ovals nahezu ein Kreis
vorliegt (Newberry, Scarabs Taf. XIX 33),
an die Achse. Nirgends findet man einen
einheitlichen Zusammenschluß der Kräfte
im Zentrum. Das beliebteste Motiv für den
Schmuck der Fayenceschalen des N. R.
ist das Lotosblütenkreuz, das zentrifugale
Tendenz hat (El Arabah 12. 19. Kunstgesch.
in Bildern 30, 5). Die Kreuzform verschaß't
dem geschmückten Rund verschiedene feste
Stellungen dem Auge des Beschauers gegen-
über.
Die Rundkomposition in Vorderasien läßt
ein anderes Dekorationsprinzip erkennen.
Die Schalen des ersten susischen Stils haben
als beliebtesten Schmuck die abgestufte
Borte, die die Parallelkreise und Meridiane
der Oberflächenlinien in sich vereinigt (Dele-
gation en Perse XIII 16). Die größere
Ausdruckskraft ist den konzentrischen
Kurven eigen. Die Randzäsuren haben für
sie nur den Sinn einer rhythmischen Festi-
gung und Belebung. Das Zentrum selbst
besitzt oft zwei feste Achsen, doch sind diese
in der Regel ohne Bindung mit dem übrigen
Ornamentsystem angelegt.
In Ägypten also: Quadratur des Zirkels,
Krystallisation des Zylinders sowie der
Halbkugel, in der dekorativen Kunst ganz
entsprechend wie in der Plastik. In Vorder-
asien: Zerlegung der runden Form nach
297
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Februar-Sitzung 1924.
298
ihren Elementen: Peripherie, Radius, Zen-
trum, wozu bei den dreimidensionalen Ge-
bilden noch deren Projektion auf die Außen-
fläche kommt (stehende Gudeastatuen).
Den Unterschied der kretischen Rund-
komposition von der vorderasiatischen kann
besonders gut das Nebeneinanderstellen des
Keulenknaufs König Mesilims von Kiä
(D6couvertes I Nr. 2) mit einem von Gil-
li6ron rekonstruierten Schwertknauf aus
einem der mykenischen Schachtgräber er-
läutern (Geislinger Katalog 19, 21; A Z
191 1, 257, 9). Auf der Keule besteht keine
Verbindung zwischen dem Zentrum (Adler)
und der Peripherie (Löwen). Die Löwen -
köpfe sind Projektionen der Radien, das
Ganze ist zentrifugal. Umgekehrt beim
Schwertknauf: die Elemente schließen sich
zentripetal zu einer erstaunlichen Einheit
zusammen. Die Löwenleiber betonen das
horizontale Rund und sind dementsprechend
von der Seite gesehen. Aber die in der
Oberaufsicht gegebenen Köpfe vermitteln
nicht nur zwischen der Peripherie und dem
Zentrum, sondern auch zwischen der Kreis-
linie und der Kurve der Kugeloberfläche.
Das ägyptische Gegenbeispiel ist der Dolch
des Amosis (Kunstg. i. Bild. H. 3, Farben-
tafel), wo die in der Art des Hathorkapitells
angeordneten vier Köpfe ein stückweises
Absetzen beim Betrachten verlangen.
Nach welchen Kompositioiisprinzipien sind
nun die eigentlichen Bilder der Blütezeit
angelegt.? — ^"f fh''^ Bechern von Vaphio
ist die Einheit der Komposition ganz deut-
lich nach einer Richtung. Die drei Wild-
stiere bilden, rein ornamental angesehen,
ein Spiralmuster; aus einer großen Mittel -
Spirale rollt sich links von unten nach oben
und rechts von oben nach unten je eine
Seitenspirale heraus. Auf dem andern
Becher bieten sich trotz der Reihung ein
Zentrum und zwei unvertauschbare Flügel.
Aber wie ist die Zusammensetzung der
Raumelemente zu beurteilen.? Ist der Ein-
druck einer räumlichen Einheit beabsich-
tigt, oder sind die Teile ohne Rücksicht
darauf einfach addiert? Eine Erklärung
wird durch die Glyptik der Blütezeit möglich.
Der Tonabdruck aus dem 5. Magazin
in Knossos mit dem Bilde eines Stiersprin-
gers (Scr. Min. I 43, 20, bl) ist als Bildganzes
in rein ornamentalem Sinne wieder völlig
einheitlich: eine Doppelvolute mit Mittel-
füllung. Aber auch hier sind nach der
räumlichen Seite hin einzelne Elemente
höchst auffallend: die Vorder- und Hinter-
beine sind nach innen gewandt, und der
Stierhals hat einen sehr eigenartigen S-
förmigen Schwung.
Im Unterschied zu allen andern Bildern
zeichnen sich die auf den kleinen Juwelen,
die man in die Hand nimmt, durch ihre
leichte Beweglichkeit und Drehbarkeit nach
allen Richtungen aus. Ihr Verhältnis zur
Blick- und Körperachse des Betrachters
ist nicht von vornherein fest bestimmt
und bei einer gewissen Haltung und Blick-
richtung ergibt sich die sonst so proble-
matische dritte Dimension ganz von selbst.
Andererseits soll in erster Linie doch aber
die vertikale Ausdehnung der dargestellten
Objekte gemacht werden. Für die Bild-
elemente liegen also die ersten beiden
Dimensionen fest, nicht für das Bildganze.
Für dieses kommt aus den allgemeinen
Bedingungen seiner Gestalt und aus den
besondern seines Inhalts unter Umständen
ein sehr sonderbares Zusammenfließen von
Vorn und Unten sowie von Hinten und
Oben zustande. Die Randlinie vermittelt
zwischen allen drei Dimensionen und faßt
sie sozusagen in einer zusammen. Auf dem
Siegel mit dem Stierspringer ist es für den
Kreter also nicht auf Rechts und Links
angekommen, sondern darauf, daß die
Beine in der einheitlichen Bewegungslinie
der Peripherie liegen. Es handelt sich um
eine spezifisch glyptische Raumdarstellung.
Die räumliche Lage eines jeden Punktes
ist nicht nach seinem Verhältnis zu unserm
Blickfeld bestimmt, sondern nach seinem
Verhältnis zu dem einzigen relativ fest-
liegenden Punkte, d. h. zu dem Zentrum
der Bildfläche. Der Baum auf einem Ab-
druck aus dem Hieroglyphic Deposit (Scr.
Min. I 22, II a) steht, sobald man nach
unsrer Gewohnheit ein festes Achsensystem
annimmt, auf einer Erhöhung und schief.
Sobald man aber nur nach seinem Verhältnis
zum Zentrum fragt, wird er gerade; denn
wir dürfen dann den Stein ja drehen. Es
kann also jeder Punkt der Peripherie den
Grund, jeder Radius die Vertikale bedeuten.
299
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
300
Aus diesen Verhältnissen erklären sich
die zackigen Geländeangaben am Bildrand.
An der Peripherie des glyptischen Rundes
haben sie ihren guten Sinn.
Auch die Kleinplastik der Blütezeit läßt
ein der Tiefenräumlichkeit gegenüber keines-
wegs gleichgültiges Kunstwollen erkennen.
Trotz aller orientalischen Einzelzüge ist
bei der Sphinx aus Haghia Triada (Karo-
Maraghiannis I 24) die Anlage des Ganzen
in einem nach der einen Körperseite hin
offenen Bogen spezifisch kretisch. Ein
Absetzen der Tiefendimension wird so ver-
mieden, die Körperlichkeit des Ganzen
erschließt sich auf einen Blick.
Die Auffassung, es sei auf den kretischen
Bildern die Tiefenräumlichkeit rein flächig
behandelt, muß daher abgelehnt werden.
Aber ebensowenig kommt auch der Eindruck
eines einheitlichen Raumes zustande, zu-
mal auf den Fresken. Denn wenn auch
i. a. die schräge Ansicht von oben (Kavalier-
perspektive) gilt, so würden sich doch so
stattliche Bildbänder, die durch eine ganze
Halle laufen können, selbst mit den Mitteln
unserer Perspektive kaum einer einheit-
lichen Raumansicht fügen. Die Lage der
einzelnen Figuren im Raum muß für sich
abgelesen werden. Die aus der Glyptik
übertragenen Verhältnisse führen in der
Malerei und im Relief zu räumlicher Addition.
Als ein kräftiges Mittel rhythmischen
Zusammenschlusses wirken dagegen die
rahmenden Ornamentstreifen oben und unten.
Entsprechendes kennt auch die ägyptische
Wanddekoration. Aber während in Kreta
die Eckzäsuren konsequent negiert sind,
werden sie in Ägypten betont. Die recht-
eckigen Flächen werden hier voneinander
abgehoben, und die kubische Natur des
Raumganzen wird deutlich zum Ausdruck
gebracht (Wreszinski, Atlas zur äg. Kultur-
geschichte Taf. 40). In Vorderasien laufen
die Bildfriese über Ecken und Türlücken
hinweg. Der Blick wird an den Wänden
schrittweise entlanggeführt und tastet das
Raumvolumen in einer kontinuierlichen Be-
wegung ab. Aber die horizontale Rahmung
scheint zu fehlen, und die einzelnen Figuren
sind viel schärfer als in Kreta voneinander
gesondert.
Höchst charakteristisch für Kreta ist es.
wie auf dem Prozessionsfresko in Knossos
(Bessert, Altkreta* 58) ein so hervorragend
addierendes Thema behandelt ist. In der
durch die Schurze der Männer gegebenen
Zone ist der gelbe Grund durch einen blauen
Horizontalstreifen unterbrochen, der den
Vertikalzäsuren entgegenwirkt; dadurch, daß
die Schurze abwechselnd gelb und blau sind,
ist dieser Streifen außerdem noch mit dem
übrigen Grunde nach oben und unten ver-
zahnt. Also nicht durch die Behandlung
des Räumlichen, sondern durch rhythmisch
dekorative Mittel wird das Ganze zusammen-
gehalten.
In Ägypten und Vorderasien ist das
Wesentliche der Bildkomposition die Zu-
sammenordnung gleichwertiger Teile, die
Addition nicht nur auf dem Gebiete der
Naturwiedergabe, sondern auch auf dem
rhythmisch-dekorativen. Das Ganze be-
steht daneben als elementare übergreifende
Ordnung (Kubus bzw. Zylinder oder Halb-
kugel) von gleichfalls völlig selbständiger
Natur.
Dem kretischen Künstler kommt es wesent-
lich auf die Einheit, auf das Ganze an. Bei
größeren Bildern sind es allein die rhyth-
mischen Mittel, durch die er sie zum Aus-
druck bringen kann. Die Raumwiedergabe
bleibt hier primitiv und addierend. Aber
in der Glyptik hat die auf die Einheit ge-
richtete Natur des kretischen Kunstwollens
nach beiden Seiten hin ihre Erfüllung
gefunden.
Sitzung vom 4. März 1924.
Ausgestellt waren die Abgüsse der beiden
iberischen Grabstelen Institut d'Estudis
Catalans, Annari VI 1915— 20, 630 Abb. 438
und 654 Abb. 493, die sich als Geschenk des
Museums in Barcelona in der Abgußsamm-
lung des Archäologischen Seminars befinden.
Der Vorsitzende, Herr Wieg and, wid-
mete dem verstorbenen Mitglied Herrn
Felix von Luschan Worte des Nachrufes.
Nachdem er der Verdienste Luschans als
des Direktors der anthropologischen und
afrikanischen Sammlungen der Staat-
lichen Museen kurz gedacht hatte, schil-
derte er die besonderen Verdienste des
Entschlafenen um die archäologische Wissen-
schaft. Luschan kam 1885 nach Berlin.
30I
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Märi-Sitzung 1924.
302
Er hatte sich schon zuvor während des
Krieges in Bosnien archäologischen Studien
gewidmet und begleitete 1889 Eugen Petersen
auf der Forschungsreise durch Lykien.
Auf das Engste wurde er mit der Archäologie
verknüpft seit seiner erfolgreichen Tätig-
keit bei der Freilegung der Burg von Send-
schirli in Nordsyrien, die den ersten Anstoß
zu größerer Beachtung des Hethiterpro-
blems und seines Verhältnisses zu den
Aramäern gegeben hat. Seinem lang-
jährigen Freunde Otto Puchstein setzte er
ein Denkmal in der Schrift über das jonische
Kapitell, das er mit den Augen des Eth-
nologen betrachtete und aus der natura-
listischen Darstellung der Dattelpalme er-
klärte. Luschan hat mit seiner unterneh-
mungsfreudigen Persönlichkeit u. a. dem
einst so erfolgreich wirkenden Orient-
komitee vorgestanden, dessen Wirksamkeit
sich hoffentlich ebenso wiederbeleben wird,
wie die der Deutschen Orient-Gesellschaft.
Besonders erwähnenswert sind auch die
Arbeiten Luschans über die Konstruktion
des Bogens, über die er in der Festschrift
für Otto Benndorf und in einem Vortrag
unserer Gesellschaft gehandelt hat.
Herr Krüger (Trier) legte vor:
Josef Hagen, Römerstraßen der
Rheinprovinz (Erläuterungen zum ge-
schichtlichen Atlas der Rheinprovinz, Band 8),
Bonn, Schröder, 1923.
Das Buch dürfte den Titel tragen: Die
Römerstraßen der Rheinprovinz, denn es
ist bestrebt, unser ganzes derzeitiges Wissen
über diese Römerstraßen zusammengefaßt
darzulegen, eine Fülle von Arbeit, die in
langen Jahren von der Lokalforschung auf
diesem Gebiet geleistet ist. Dargestellt von
einem im Gelände geschulten Mitarbeiter,
der als Assistent am Bonner Provinzial-
museum vieles selbst aufgenommen hat
und mit allen Einzelheiten dieser Art der
Forschung vertraut ist. Dem Bearbeiter
haben die römisch-germanische Kommission
in Frankfurt und das Frovinzialmuseum in
Trier außerdem ihre reichen Vorarbeiten
zur Verfügung gestellt.
Von Siedlungen sind nur die wichtigsten
Dinge, die unmittelbar an den Straßen
liegen, eingetragen. Die vollständige Dar-
stellung aller Siedlungen wird erst die in
Archäologischer Anzeigrer 1933/34.
Arbeit befindliche archäologische Karte der
Rheinprovinz zu bringen haben. Mehrfach
ist notiert, daß die römische auf einer
schon älteren, voi geschichtlichen Straße
beruht; aber dieses ältere Straßennetz läßt
sich heute noch nicht darstellen.
Man bedauert in dem Buch das Fehlen
eines Kapitels, das die Hauptstraßen, die
großen Verkehrsadern, heraushebt und das
am Schluß der Arbeit den Stand der Haupt-
probleme der rheinischen Straßenforschung
kurz umreißt. Aber das Ganze ist eine
vortreffliche, sehr verdienstliche Arbeit, die
jeder Anerkennung wert ist. Wer die auf
drei Blättern in i : 200 000 anschaulich
dargestellten Straßen studiert, bekommt
vielleicht doch einmal Lust, auch diese
römischen Anlagen im Gelände selbst kennen
zu lernen. Es gibt noch heute nicht wenige
Strecken dieser Straßen, auf denen man
einen starken Eindruck bekommt, wie
diese römischen Heerstraßen, nach größten
Gesichtspunkten angelegt, beherrschend die
Landschaft durchziehen.
Herr Neugebauer sprach über die
Bronzeindustrie von Vulci.
Der bisher nicht unternommene Versych,
für die fast unübersehbare Fülle etruskischer
Bronzen nach Fabrikationsorten zu suchen,
kann nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn
er von geschlossenen Gerätegruppen aus-
geht. Eine solche besitzen wir in den neun
Stabdreifüßen, die sich angeblich mit zahl-
reichen anderen, verschollenen in den Grä-
bern von Vulci gefunden haben »). Denn
ein gleichartiger Dreifuß ist sonst nur, wie
so manche unteritalische und. etruskische
Bronze, im Rheinlande zutage gekommen ^),
Bruchstücke von zwei weiteren in Todi und
Falerii 3), eines auf der Akropolis zu Athen 4).
Unbekannt ist der Fundort einer hierher
gehörigen Statuette in München 5).
') Mon. dei Lincei VII 1897, 277 ff. (Savignoni).
Diese Arbeit wird weiterhin nur mit Sav. und der
Seitenzahl angeführt.
') Dreifuß aus Dürkheim zu Speyer: Sav. 299
VIII; Sieveking, Antike Metallgeräte Taf. 16.
3) Sav. 292 II und 301 XI; 362 Abb. 27.
4) Sav. 277 £F. mit Textvignette, 302 XII und
Taf. 9.
5) Statuette in München unten Abb. i. — Ein
Herakles in New York, den G. Richter, Greek,
Etr. and Rom. bronzes Metr. Mus. 43 f., Nr. 62,
303
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
304
Im Folgenden wird zunächst versucht,
eine entwicklungsgeschichtliche Anordnung
der erhaltenen Beispiele zu geben. Für
alle nicht berührten Einzelheiten sei auf
Savignonis grundlegende Arbeit und die
von ihm angeführte Literatur verwiesen.
Drei Gruppen lassen sich unterscheiden.
Der schlichteste Dreifuß ist der Berliner ').
Die Stäbe sind nicht kanneliert; die drei
einzelnen werden von einer schwerfälligen
Blüte bekrönt, die Bögen der anderen ge-
füllt von einem einfachen durchbiochenen
Abb. I. München, Mus. f. ant. Kleinkunst.
Lyramuster. Auf diesen erscheinen, drei-
mal gleich wiederholt, Tierkampfgruppen,
auf jenen nur je eine Gestalt in Knielauf.
Das faltenlose Gewand der Gorgo darf nicht
zu einem zu hohen Zeitansatz des Dreifußes
verleiten, denn die abstehenden Zipfel der
als Rest eines Vulcenter Dreifußes (versehentlich
spricht sie von Chiusi) anspricht, gehört nach dem
seltsamen Stützrest unter seinem rechten Knie,
für den die Dreifüße nichts Entsprechendes bieten,
kaum hierher.
») Sav. 294 IV Taf. 9, 3; 351 Abb. 24. Führer
d. d. Antiquarium I 77 f., Fr. 767, Taf. 19; Licht-
bild Seemann 81 196.
Scheinärmel lassen sich in Attika erst auf
streng rotfigurigen Vasen belegen ').
Die unkannelierten Stäbe und die Be-
krönungsblüten hat auch das Petersburger
Exemplar»). Doch sind hier die Bogen-
füUungen von einer Form, die sonst an diesen
Dreifüßen nicht wiederkehrt, in den figür-
lichen Aufsätzen begegnen mannigfaltigere
und schwierigere Gruppierungen. Der Ein-
bau eines Untersatzes für den Kessel, falls
antik, entspricht dem ursprünglichen Zu-
stande der Stabdreifüße aus Olympia und
MetapontS).
Weiter schließt sich an den Berliner
Dreifuß der aus Sammlung Feoli verschol-
lene an 4) . Eine leichte Bereicherung be-
deuten die Palmetten und Blütenleisten
auf den Raubtierklauen, falls sie ursprüng-
lich zugehören, denn in der ältesten Ab-
bildung des Dreifußes fehlen sie. Unwesent-
lich weiter gebildet erscheinen auch die Lyra-
muster in den Bögen. In dem Figuren -
schmuck fallen die antithetischen Pferde-
protomen als ein Motiv von langer Vorge-
schichte auf 5). Die Blüten unter den
Einzelgestalten auf den Stäben zeigen,
wie auch in St. Petersburg, das Mittelblatt
nach vorn herausgebogen, hier aber vorn
in der Art eines Schlangenkopfes verdickt.
Das kehrt nicht nur an der Wiederholung
einer jener Figuren, einer im Knielauf be-
wegten Frau, deren Mantel kapuzenartig
über den Kopf gelegt ist, aus Todi 6), son-
dern auch an einem mit dem Schurz be-
kleideten Jüngling ähnlicher Haltung in
München wieder (Abb. i) 7); beidemale
ist auch der Knauf unter der Blüte nahezu
derselbe. Der Jüngling stammt also von
einem Dreifuß desselben engeren Kunst-
') Berliner Museum 1924, 32 (Neugebauer).
') Sav. 299 IX, 297 Abb. 3. Fouilles de Delphes
V 125 zu Nr. 679 Abb. 468 (Perdrizet).
3) Olympia IV 131 (Furtwängler). Zum Dreifuß
aus Metapont zuletzt R. M. XXXVIII/XXXIX
1923/1924, 403 u. 414 (Neugebauer).
4) Sav. 292 I; Mon.dell' Inst. VI— VII, Taf. 69, 3.
5) Vgl. Anatolian Studies presented to Sir Wil-
liam Ramsay 442 ff. (Zahn).
') Sav. 292 II; Not. d. scavi 1879, 260 mit Abb.
(Fiorelli).
7) München, Mus. f. ant. Kleinkunst 3707. Früher
in einer englischen Privatsammlung, später in
Sammlung Arndt. Höhe 0,10 m. Die Erlaubnis zur
Veröffentlichung verdanke ich Herrn Dir. Sieveking.
305
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Märi-Sitzung I9a4.
306
kreises wie jene Frau und das Exemplar
Feoli. An diesem läßt sich ihm auch der
nackte »Hermes« nahe vergleichen.
Von sehr ähnlichem Körperbau wie die
Münchener Statuette ist das Jünglingspaar
aus Falerii in Villa Giulia '). Doch fallen
hier an den Schurzen die unter dem Hüft-
bausch hindurchgezogenen Zipfel faltenlos
herab. Schwerer wiegt der Unterschied,
daß über die in Resten erhaltenen Blüten-
blätter eine Plinthe mit vertieftem Zungen-
muster gelegt ist. Denn eine Plinthe wird
von jetzt ab die Regel. So leitet das Bruch-
stück aus Falerii über zu der zweiten Gruppe,
die mit dem Vulcenter Dreifuß des Britischen
Museums Nr. 587 beginnt 2).
Er geht an Reichtum des Schmuckes
über die bisher aufgezählten Denkmäler
hinaus. Die Raubtierklauen ruhen auf
Fröschen; die Stäbe sind kanneliert. An
Stelle der Abschlußblüten sehen wir kapitell-
ähnliche Gebilde, die aus zweireihigen
Kelchblättern bestehen. Die Bögen sind
mit sorgfältigem Zungenornament verziert.
Das sie füllende Lyramuster wird unten ab-
geschlossen durch Eicheln und Palmetten,
von denen jene an kreisförmig geboge-
nen Stengeln herabhängen, diese daneben
aus den Zwickeln der Kreise heraus-
kommen. Andererseits klingen die Tier-
kampfgruppen auf den Bögen an die des
Dreifußes zu St. Petersburg an, und das
Bewegungsschema in der Gruppe des He-
rakles und einer Frau gleicht dem des
Jünglingspaares aus Falerii. Zeitlich scheint
daher London 587 nicht weit von den zuerst
genannten Bronzen abzustehen. Die nur
in geringfügigen Einzelheiten einfachere
Wiederholung dieses Dreifußes aus Dürk-
heim (oben 302 Anm. 2) zeichnet sich
dadurch aus, daß ihr Aufsatz einen Rost
erhalten zeigt; sie diente also zweifellos
als Kohlenbecken.
Auch das Exemplar im Museo Gregoriano
gehört nach den Fröschen unter den Raub-
") Sav. 301 XI, 362 Abb. 27.
«) Sav. 298 f. VII; Mon. dell' Inst. III Taf 43;
Walters, Cat. of bronzes Brit. Mus. 85 (wo irrtümlich
auch die Abbildung des Dreifußes Feoli M. d. Inst. II
Taf. 42 B angeführt wird, was Savignoni über-
nommen hat); Phot. Mansell 2262; Uchtbild
Seemann 81 198.
tierklauen der kannelierten Stäbe, nach
den BogenfüUungen und nach dem Statu-
ettenschmuck eng neben die beiden letzt-
genannten '). Nur in den Kapitellen der
Stäbe geht er über diese hinaus. Denn hier
sind zwischen die zu Halbbögen mit daran
hängenden blattähnlichen Palmetten um-
gebildeten Kelchblätter und die Plinthen
des figürlichen Aufsatzes zwei Glieder ein-
geschoben worden, deren oberes einer Um-
kehrung jener uns bekannten Kelchblätter
ähnelt, während das untere aus zwei nach
der Mitte zu aufgerollten Blattstengeln
besteht.
Damit ist ein Motiv gegeben, das bereits
für die dritte Gruppe unserer Dreifüße be-
zeichnend ist. Keineswegs aber verläuft
darum die Entwicklung dieser Denkmäler-
gattung ganz geradlinig. Nicht alle Toreuten
beteiligen sich an jedem Fortschritt, son-
dern ältere Vorlagen werden neben jüngeren
weiterbenutzt. Der zweite Dreifuß in
London, Brit. Mus. 588 2), veranschaulicht
dies aufs Deutlichste dadurch, daß er in
manchen Zügen an das Exemplar Feoli
erinnert. Wie dort sehen wir antithetische
Pferdevorderteile über den Bögen; die
Knielaufbewegung der Einzelfiguren auf
den Stäben gleicht der an jenem durchaus;
die Stäbe selber sind unkanneliert geblieben.
Dagegen strebt die Ornamentierung trotz
etwas derber und oberflächlicher Ausführung
nach Reichtum. Unter dem Lyramuster
hängen eng zusammengedrängte Knospen(?),
und die Kapitelle zeigen ein noch etwas
mannigfaltigeres Schlingwerk als die des
Dreifußes in Rom.
Viele Züge verbinden auch den Karls-
ruher Dreifuß (Abb. 2) 3) mit jenem; die
Füße und die BogenfüUungen kopieren das-
selbe Muster. Daß den Stäben die Kannelur
fehlt, durfte bei sonst so üppigem Schmuck
kaum erwartet werden. Die Kapitelle vor
allem sind ja um noch eine Schicht Schling-
werk höher als die an London 588. Der
') Sav. 296 VI, Abb. 2; Heibig 3 I Nr. 626 (Reisch);
Lichtbild Seemann 81199.
») Sav. 293 III, 353, Abb. 25, Taf. 9, 2; Walters
a. a. 0. 86; Phot. Mansell 2263; Lichtbild Seemann
81197-
3) Sav. 294 f. V. Unsere Abbildung nach neuer,
durch die Leitung des Badischen Landesmuseums
gütigst vermittelter Photographie.
307
ArchSologiscbe Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
308
Statuettenschmuck bietet wenig Abwechs-
lung; drei nach links gelagerte Frauen und
drei nach rechts eilende Flügeldämonen,
Gestalten von etwas unbestimmtem, breitem
Körperbau, wiederholen sich gleichförmig.
Enten, gefüllt. In gleicher Höhe wie diese
Plinthen befinden sich die auf den Einzel -
stützen. Die Statuetten auf diesen begannen
an den bisher betrachteten Dreifüßen meist
tiefer als die der Bögen; doch bildete hiervon
Abb. 2, Karlsruhe, Badisches Landesmuseum.
Die KJinen stehen noch ohne Bodenleiste
auf den Bögen.
Dagegen zeigt der Dreifuß der National -
bibliothek zu Paris (Abb. 3) ») Plinthen
auch auf diesen; die Zwickel werden mit
den Statuetten von Wasservögeln, wohl
-) Sav. 302 XII, 278 ff. mit Abb., Taf. 9. i ;
Lichtbild Seemann 38642.
schon der Dreifuß zu St. Petersburg eine
Ausnahme dadurch, daß die Einzelstäbe
höher herauf reichten als gewöhnlich. Näher
steht dem Pariser der zu Karlsruhe, an dem
die Höhengleichheit des Figurenschmuckes
durch Streckung der Kapitelle erreicht
worden ist. Diese erscheint an dem Dreifuß
der Nationalbibliothek derart fortgeführt,
309
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
310
daß das Kapitell sich gar nicht mehr als
gerade Weiterbildung der uns bekannt ge-
wordenen Form auffassen läßt, in der
Vorliebe für Kombinationen aus aufgerollten
Ranken sich aber doch aus demselben Geiste
Aufbaues; die Abklärung des tektonischen
Sinnes, die sich hierin kundgibt, verweist
noch entschiedener als der Überschwang
im Ornament das Exemplar an das Ende
der ganzen Entwicklung. Ob das Ruhen der
Abb. 3. Paris, Nationalbibliothek.
wie jene hervorgegangen erweist. Vögel
sitzen in zwei Zwickeln dieser Ranken und
ähnlich in der nahezu hybriden Fülle kreis-
förmig zusammengerollter Ranken unter
den Bögen. Die sechs Plinthen mit den
abwechselnd aus zwei und drei nebeneinander
stehenden Gestalten gebildeten Gruppen
darauf beruhigen den oberen Abschluß des
Raubtierklauen auf Schildkröten statt auf
Fröschen ähnlich bewertet werden kann •),
scheint mir fraglich. Wie Savignoni nicht
entgangen ist, darf das Bruchstück von der
Akropolis zu Athen ^) als Rest eines nahe
verwandten Dreifußes angesehen werden.
■) Mainzer Zeitschrift VI 191 1, 6 (Behn).
') Vgl. oben Sp. 302 Anm. 4.
3H
Archäologische Gesellschaft zu Berlin, März-Sitzung 1934.
312
Abb. 4. Mainz, Röm.-german. Zentralmuseum.
Die Übereinstimmung aller dieser Drei-
füße im Typus und in zahlreichen Einzel-
heiten läßt sich nur durch die Annahme
erklären, sie seien Erzeugnisse eines geo-
graphisch eng begrenzten Industriegebietes.
Die Ansetzung dieser Industrie in Vulci
selber liegt gewiß am nächsten. Anderer-
seits aber hat Savignoni die von Behn
geteilte Auffassung jener Dreifüße als Ar-
beit jonischer Griechen begründet '). In-
dessen konnte Savignoni keine einzige ge-
sichert jonische oder chalkidische Bronze
als aus demselben Kunstkreise stammend
beibringen ^), sondern er hat nur für den
Stabdreifuß als Ganzes wie für bestimmte
Einzelformen die Vorstufen in der griechischen
Kunst aufgezeigt. Der etruskische Ur-
sprung der Vulcenter Dreifüße folgt dem-
gegenüber aus ihrer Verwandtschaft in
Technik und Stil mit anderen Bronzewerken
Etruriens; er ist denn auch meistens aner-
kannt worden 3).
Die besprochenen Beispiele gehören sämt-
lich der archaischen Kunst an. Da nun
aber schon der einfachste Dreifuß, der zu
Berlin, nicht lange vor dem Ende des
6. Jahrh. v. Chr. gearbeitet sein kann, haben
wir offenbar die Erzeugnisse einer nur kurze
Zeit hindurch tätigen Industrie vor uns.
Dieser noch weitere Bronzen zuzuweisen,
wird durch entscheidende Zierformen an
den Dreifüßen ermöglicht.
So hat bereits Behn, ohne aber hieraus
die letzte Folgerung zu ziehen, auf zahl-
reiche Übereinstimmungen an dem von
ihm besprochenen Thymiaterion in Mainz
hingewiesen (Abb. 4) ■<). Zu nennen sind
vor allem die Gruppen in ausgeschnittenem
Relief und die beiden S-förmigen Ranken,
auf denen sie sich bewegen. Diese sind von
derselben Art wie das Rankenschlingwerk
unter den Bögen der Dreifüße. Von jenen
stimmt das Paar der Silene mit einer Be-
krönungsgruppe des vatikanischen Drei-
') Vgl. die Zusatpmenfassung Sav. 369!!.; Mainzer
Zeitschrift VI 1911, 6 ff. (Behn).
') ZuT Kritik neuerer Anschauungen über eine
chalkidische Bronzeindustrie vgl. R. M. XXXVIII/
XXXIX 1923/1924, 394 ff. (Neugebauer).
3) Ich nenne nur Friederichs, Berlins Antike Bild-
werke II 191 f.; Martha, L'art ^trusque 526; Heibig,
Führers I 367 (Reisch); Sieveking, Antike Metallge-
räte 9 zu Taf. 16.
4) Behn a.a.O. 4 ff. Taf. i; ders., Kataloge des
Röm.-Germ. Zentralmuseums Nr. 8 (Italische Alter-
tümer vorhellenistischer Zeit) lii Nr. 877 Taf. 10;
Bonner Jahrbücher CXXII 1912, 33 u. 51 f. (K.
Wigand); Berliner Museen XLV 1924, 30 (Neu-
gebauer).
313
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
314
fußes nahezu völlig überein; die Jünglinge
im Schurz lassen sich der allerdings nach
rechts gewandten Gruppe aus Falerii nahe
vergleichen. Die Palmetten, die über den
Gruppen herabhängen, ähneln am meisten
Das Paar laufender Silene findet sich
außerdem als Schmuck der Wandung eines
Kronleuchtes im Louvre (Abb. 5) '). Die
Abbildung bietet keinen Grund, dieses
Gerät als Pasticcio zu verdächtigen. Denn
Abb. 5. Paris, Louvre.
denen an den Kapitellen des römischen
Exemplars. Bestätigend kommen Motive
wie die Schildkröten unter den Raubtier-
klauen, die am Pariser Dreifuß begegneten,
oder die Acheloosmasken, die an das Bruch-
stück in Athen erinnern, hinzu.
von gleichem Stil wie die laufenden Silene
sind offensichtlich ihre gelagerten Gefährten
auf dem Rande; die Löwenmähnen scheinen
ganz gleichartig graviert wie Haar und Barte
') De Ridder, Bronzes antiques du Louvre II
150 Nr. 3142, Taf. ill.
315
Archäologische Gesellschaft za Berlin. Mäiz-Sitzung 1924.
316
an jenen. Silene und andere Wesen liegend
sehen wir aber an den Vulcenter Dreifüßen
mehrmals als Aufsatz des Ringes über den
diagonalen Streben, die von den Raubtier -
klauen ausgehen. Das Exemplar Feoli zeigt
einen Silen vermutlich willkürlich zu-
sammengestoppelt mit einem liegenden
Mädchen und einem Vogel. In Karlsruhe
sind es drei nackte Männer an gleicher
Stelle. An London 587 fehlt eine Gestalt,
erhalten sind zwei Rücken an Rücken
liegende Silene; derselbe Dreifuß bietet
in einer der Gruppen auf den Einzelstäben
ein etwas lahmes Gegenstück zu dem Paare
an der Wandung des Kronleuchters und des
Abb. 6. Berlin, Antiquarium.
Dreifußes im Musco Gregoriano. An dem
letztgenannten aber ist der untere Ring
mit drei Silenen besetzt, von denen zwei
dieselbe Haltung wie die an dem Kron-
leuchter haben. Diesen derselben Industrie
zuzusprechen, wie die Dreifüße, liegt
somit nahe. Allerdings könnten die figür-
lichen Muster auch in die Manufaktur eines
anderen Ortes übertragen worden sein.
Der Umstand indessen, daß sie sich sonst
nur an den vorhergenannten, eng mitein-
ander verbundenen Denkmälern wieder-
finden, läßt auf alle Fälle den Verfertiger des
Kronleuchters in enger Abhängigkeit von
der durch jene bezeugten Industrie erscheinen.
Ahnliche liegende Silene als Einzel-
statuetten befinden sich in verschiedenen
Sammlungen. Einander nächst verwandt
scheinen mir zwei in Berlin (Abb. 6 und 7) '),
') Friederichs, Berlins Antike Kunstwerke II 314,
Nr. 1490 pq; Olympia IV 24 Anm. 2 (Furt wängler) ;
de Ridder, Br. ant. du Louvre II 150 zu Nr. 3142.
einer in Wien ') und einer, auf der Akro-
polis gefunden, im Athener National -
museum 2) ; nur wenig ferner steht einer
in der Pariser Nationalbibliothek 3). Nach
ihrer Größe dürften diese Statuetten am
ehesten von Fußringen Vulcenter Dreifüße
stammen, deren einer auf der Akropolis
ja einen sicheren Rest hinterlassen hat.
Für den Versuch, an diese Bronzen auch
Gefäße anzuschließen, hat wiederum Behn
den Weg gewiesen, als er für das Stehen
ausgeschnittener Reliefgestalten auf Spiral -
bändern am Thymiaterion in Mainz die
Henkelattasche der Trierer Schnabelkanne
aus Schwarzenbach als verwandt bezeich -
Abb. 7. Berlin, Antiquarium.
nete (Abb. 8) ■<). Zwei leichte Varianten
desselben Henkeltypus, dessen Handgriff
aus einem rücklings gebeugten Jüngling ge-
bildet wird, sind in neuerer Zeit einem
Krater des Museo Gregoriano angefügt
worden 5) , zwei weitere befanden sich früher
Fr. 1490 p: Länge 0,04 m, Höhe 0,03 m; Fr. 1490 q:
Länge 0,045 ">> Höhe 0,031 m.
') V. Sacken, Bronzen Taf. 26, 11; Reinach,
R^p. d. 1. stat. II 6i,2. »5 cm groß«.
') J. H. St. XIII 1892— 1893, 240 Abb. 12
(Bather); de Ridder, Cat. des bronzes trouv& sur
r Acropole Nr. 763 Abb. 272. Länge 0,069 mi
Höhe 0,03 m.
3) Babelon-Blanchet 182 Nr. 412. Länge 0,055 ™;
Höhe 0,035 "i-
4) Behn a. a. O. 6. Hettner, 111. Führer d. d.
Prov. Mus. Trier 125 Abb. 8, 127; Baldes u. Behrens,
Birkenfeld 52 Taf. VII u. VIII C, nach derselben
Vorlage unsere Abbildung. Lichtbild Seemann
81203.
5) Mus. Greg. B I Taf. VI 3 a; Martha, L'art
etrusque 521 Abb. 348; Heibig 3 I 360 f. Nr. 598.
317
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
318
in der Sammlung Fejerwary zu Eperies '),
Wiederholungen der Attaschen allein be-
wahrt der Louvre auf'), eine einzelne der-
selben Art das Britische Museum 3). Die
wesentlichsten Unterschiede der beiden
Henkelpaare von dem Griff der Trierer
ihr lagen'). Mit Ausnahme des Florentiner
Stückes rollen sich nun aber übei den an
allen miteinander übereinstimmenden Atta-
schenpalmetten zwei Doppelspiralen zur
Seite, aus deren involutierten Enden kleine
Palmetten herauswachsen, um sich, etwas
Abb. 8. Trier, Provinzialmuseum.
Kanne bestehen darin, daß an ihnen die
Raubtiere oben unterhalb der Mündung be-
festigt waren, während sie an diesem auf
der Mündung sitzen, so wie an Henkeln
zu Florenz und Berlin zwei Männer auf
■) Mon. dell' Inst. V Taf. 52 links; annali XXV
1853, 126 f. (Braun).
») DeRidder, Br. ant. du Louvre II 118 Nr. 2788
u. 2789 Taf. 100.
3) Walters, Cat. of bronzes Brit. Mus. 65 Nr. 467.
einwärts gerichtet, über die obersten Blatt-
spitzen jener größeren herüberzulegen. Nicht
unverwandt scheint mir die Anordnung der
Knospen in der Mittelschicht der Kapitelle
an dem Dreifuß zu Rom.
Eine ähnliche Attasche hat ein nicht
') Henkel in Florenz: Mon. dei Lincei VII 1897,
348 Abb. 23 (Savignoni); Milani, II R. Museo Ar-
cheologico di Firenze I 131, II Taf. 22, 3. — Henkel
in Berlin: Führer d. d. Antiquarium I lOO Fr. 602,
an unzugehöriger Kanne befestigt.
319
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1934.
320
figürlicher Schnabelkannenhenkel zu Berlin
(Abb. 9) '). Hier sehen wir zwei nach den
Seiten auseinander strebende Sirenen an
der Stelle des Kämpferpaares an der Trierer
Kanne und ihresgleichen. Mit sehr auf-
fälligen Lücken zwischen den Spiralen, den
Leibern, Gliedmaßen und Flügeln der Fabel -
Abb. 9. Berlin, Antiquarium.
Wesen bezeugen sie dieselbe Vorliebe für
durchbrochene Arbeit, wie an den Drei-
füßen die Kapitelle der dritten Gruppe
oder die Bogenfüllungen vor allem des
Pariser Exemplars. Der obere Bügel, der
einst der Mündung auflag, läuft ohne
scharfen Absatz in Gestalten liegender
Löwen aus. Der Rücken des hochge-
schwungenen Handgriffes ist in der Mitte
') Mise. Inv. 8477. Geschenk 1894. Höhe bis
zu den Scheiteln der Löwen rund 0,24 m.
mit drei kleinlichen und flachen Perlreihen
verziert, offenbar der Nachahmung einer
in der unteritalischen Toreutik oft ver-
wandten Schmuckform'). Auf dem Scheitel-
punkte befindet sich in flachem Relief eine
blattähnliche Auflagefläche für den Daumen
der die Kanne tragenden Hand.
Diese Grifform begegnet an einer kleinen
Gruppe etruskischer Schnabelkannenhenkel
Abb. 10. Berlin, Antiquarium.
wieder. Nahe steht dem Berliner Henkel
ein zweiter ebendort (Abb. 10), mit dem
zusammen sich Mündung, Hals und Schulter-
ansatz der Kanne erhalten haben; der
größere Teil der Gefäßwandung ist ergänzt*).
Die feinere Ornamentierung erstreckt sich
bis auf die Auflagefläche für den Daumen.
So sind denn auch die Spiralbänder breiter
■) R. M. XXXVIII/XXXIX 1923/1924, 422
(Neugebauer).
^) Führer d. d. Antiquarium I 97 Nr. 10554;
Lichtbild Seemann S1205.
321
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1934.
322
als gewöhnlich, leicht gehöhlt und mit feiner
Randstrichelung verziert. Um eine Windung
bereichert, weichen sie soweit zur Seite,
daß die zierlichen Nebenpalmetten nicht
über die Blattspitzen des unteren Attaschen-
abschlusses herüberfallen können. Zarte
Gravierung belebt auch Haare, Gefieder und
Gewänder der Sirenen; wenigstens rechts
erscheint wieder ein abstehender Chiton -
zipfel am Ellenbogen. Indessen weicht die
Attasche von den zuvor zusammengestellten
durch stärkere Zusammenfassung der ein-
zelnen Teile ab; die Schleifen der Spiralen
sind gefüllt, und im übrigen erscheint so
wenig Durchbrechung wie möglich. So
macht die ganze Arbeit doch den Eindruck,
aus einer anderen Manufaktur zu stammen,
diese muß aber mit den bisher erkannten
in naher Verbindung gestanden haben.
Die Spiralen fehlen an einem Henkel von
sonst gleichem Typus in der National -
bibliothek zu Paris"). Die etwas preziöse
Formgebung der Sirenen erlaubt nicht, ihn
demselben Künstler wie die Bronze Abb. 10
zuzuschreiben, aber es kann nur von leichten
Abwandelungen desselben Musters ge-
sprochen werden. Dieser Henkel nun leitet
über zu drei weiteren, an denen nur eine
Sirene ohne Palmette die Attasche bildet.
Das Exemplar der Nationalbibliothek steht
mit seiner strengen und sorgfältigen Gra-
vierung an den figürlichen Teilen und mit
der glatten Mittelrippe des Handgriffes an
Stelle von Perlreihen etwas abseits 2), zwei
verschieden große Henkel zu Berlin dagegen,
auf die vor Jahren bereits Pernice hin-
gewiesen hat, zeigen im Typus und im Stil
nicht nur zahlreiche Übereinstimmungen
untereinander, sondern auch, bis auf die
Attasche, mit dem in Abb. 9 wieder-
gegebenen 3). Gewiß entfernen wir uns mit
den letztgenannten Bronzen soweit von
unserem Ausgangspunkte, daß ihre Zu-
weisung an die Vulcenter Werkstätten, in
denen wir die Dreifüße entstanden denken,
unbegründet erschiene. Es sind Erzeugnisse
von etwas provinzieller Art; daß wir aber
auch mit ihnen in derselben Südwesteckc
Etruriens bleiben, lehrt eine Wiederholuns
der Attasche des von Pernice Abb. 78 ver-
öffentlichen Henkels, denn sie stammt aus
Corneto').
Nach Vulci führt uns dagegen ein in der-
dortigen Gräbern gefundener wagerechten
Gefäßhenkel des Museo Gregoriano zurück*).
Ihm nahe verwandt ist ein Henkel unbe-
kannter Herkunft in der Pariser National -
bibliothek 3). Dieser wiederholt in der
Palmette seiner Attasche die zu Abb. 8
besprochene Form; die geflügelten Pferde -
protomen darüber erinnern an den Henkel
zu Florenz (oben 318 Anm. l). Der
Vulcenter Henkel läßt am Handgriff die
Kannelierung des Vergleichsstückes in Paris
vermissen und zeigt ihn dafür mit einer
Perlreihe besetzt. Die Palmetten fügen
sich in den Hauptzügen den eben bereits
Abb. II. Paris, Nationalbibliothek.
erwähnten an, und die Reiter auf den Pferde-
vorderteilen mit wiederum untergeschlagenen
Beinen scheinen von gleichem Stil wie die
Kampfgruppen oben 3i6f. Anm. 4 — 3. Die-
i selben Kampfgruppen begegnen auch an
zwei Appliken zu Paris 4). Ist es nun aber
ein Zufall, daß von der Plinthe der zweiten
(Abb. 11) an Spiralen Eicheln (oder Knospen)
■ und Palmetten herabhängen, wie wir sie
in den BogenfüUungen des Dreifußes London
587 zuerst vermerkt hatten.^ Mir scheint
') Babelon-Blanchet 739 Nr. 1449 bis.
») Ebenda 584 Nr. 1449.
3) Weicker, Der Seelenvogel 187; Österr. Jahres-
hefte VII 1904, 166 f. Abb. 78 u. 77 (Pernice);
Führer d. d. Antiquarium I loi Fr. 1409 u. Inv. 8558;
Lichtbild Seemann 81206.
") Friederichs, Berlins antike Bildwerke 11 475
Nr. 2172 a; Weicker a.a.O. Die bei Friederichs
versehentlich fortgelassene Herkunftsangabe findet
sich in dem handschriftlichen Verzeichnis der Samm-
lung Dorow, mit der die Bronze erworben wurde.
') Mus. Greg. B I Taf. 60 f.
3) Babelon-Blanchet 586 Nr. 1458.
4) Ebenda 240 f. Nr. 579 u. 580.
323
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. M&rz-Sitzung 1934.
324
vielmehr, daß hierdurch die Zurückführung
unserer Bronzen auf einen und denselben
Mittelpunkt toreutischer Tätigkeit eine
weitere Bestätigung erfährt.
Zahlreiche Fäden verbinden die be-
sprochenen Kunstwerke auch mit einem
Volutenkraterhenkel im Louvre (Abb. 12)').
Manteltracht und Faltengebung des »Dios-
kuren« links erinnern an eine der in Buda-
pest befindlichen Bekrönungsgruppen vom
Dürkheimer Dreifuß 2). Die Spiralen unter
Die kleinlichen Strichelungen der mittleren
Henkelprofile sind durchaus gleichartig denen
zu Abb. 9 und lO erwähnten. Wichtig wäre
eine Abbildung der Rückseite, auf der nach
de Ridders Beschreibung zwischen den an-
springenden Löwen in rechteckigem Felde
das Relief einer Hirschkuh erscheint, denn
um ein Tier derselben Art geht ja der Kampf
der Attaschenfiguren an je einem der zu
Abb. 8 genannten Henkel im Vatikan, in
Sammlung Fejerwary und im Louvre.
Abb. 12. Paris, Louvre.
der Mittelpalmette sind in der etwas
schlaffen, wulstigen Form denen über den
Figurengruppen des Thymiaterions in Mainz
(Abb. 4) verwandt. Mit den Voluten unter
den Seitenpalmetten zeigt Abb. 8, mit der
Palmettenform selber zeigen die Leisten
auf den Raubtierklauen am Dreifuß in Rom
und Abb. 10 wesentliche Übereinstimmungen.
') De Ridder, Br. ant. du Louvre II 105 Nr. 2635
Tai. 96. Unsere Abbildung nach Phot. Alinari 23956.
Lichtbild Seemann 81204.
') Westdeutsche Zeitschrift V 1886, 234 f. Taf. n,
3 (Undset).
Um eine Hirschkuh kämpft auch Herakles
mit Apollon in dem Relief eines Helmes zu
Paris, der sich in demselben Kammergrabe
gefunden hat, wie der Dreifuß des Museo
Gregoriano"). Der hierdurch nahegelegte
Gedanke, auch er sei ein Werk der Bronze -
Industrie von Vulci, erfährt indessen kaum
eine Stütze durch den Vergleich in den
Gesichtstypen, der Körperbildung und der
Gewandbehandlung mit dem Statuetten-
') Babelon-Blanchet 659Nr. 2013; Sav. 29oAnm.
3; Phot. Giraudon B 379.
325
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
326
schmuck der Dreifüße. Man möchte den
Helm um so lieber im südwestlichen Etrurien
ansetzen, als für seinen Reliefschmuck zu
den etwas ferneren Analogien jener Henkel -
attaschen mit Kampfgruppen nun noch die
inhaltlich so nahe der Terrakottastatuen aus
Veji kommt'). Die Frage könnte indessen
nur durch eine möglichst vollständige Samm-
lung der Bronzen aus Südetrurien geklärt
werden.
Als Fundstück aus Vulci lehrt der Helm
nun aber doch etwas Wichtiges. Die Scheitel -
kappe schließt mit einem Zungenmuster ab,
unter dem in zartem Relief eine Reihe von
Doppelspiralen sich hinzieht. Hierfür aber
darf an Mündung und Henkel unteritalischer
Bronzekratere, wie des Müncheners, erinnert
werden'). Läßt sich mithin an dem Helm
ein Eindringen großgriechischer Kunst-
formen in Vulci beobachten, so fanden wir
ja auch mehr oder weniger geglückte Nach-
bildungen der unteritalischen Perlreihen 3)
an Gefäßhenkeln; ja, vielleicht darf sogar
in der Vorliebe für durchbrochene Reliefs
die Einwirkung einer vermutlich in Tarent
seit alters geübten Technik gesehen werden 1).
Auch der Dreifußtypus im ganzen wird
doch wohl unmittelbar von Unteritalien
beeinflußt worden sein, wo im achäischen
Metapont ein älteres Gerät der Art von
wahrscheinlich einheimischer Arbeit ge-
funden wurde 5).
Keine südetruskische Stadt läßt m. E.
so deutlich das Eindringen großgriechischer
Einflüsse in die einheimische Toreutik er-
kennen, wie Vulci. Aus der ganzen Gegend
und so auch aus Vulci stammen Bronzen,
die mit Zuversicht als unteritalische Ein-
fuhr bezeichnet werden dürfen. Vulci oder
Bomarzo wird als Fundort einer Amphora
im Museo Gregoriano angegeben, über die
ich an anderer Stelle handele^. Aus Vulci
ist die prachtvolle Amphora Pourtal^s ge-
') Zu der Arch. Anz. 1921, 237 zusammengestellten
Literatur ist nachzutragen vor allem Springer,
Michaelis, Wolters I " 460 mit Abb. 885 u. 886.
») R. M. XXXVIII/XXXIX 1923/1924, 3840.
Abb. i8 (Neugebauer) ; Sieveking, Antike Metall-
geräte Taf. 2 und 3.
3) R. M. ebenda 422.
4) Ebenda 402 f.
5) Ebenda 403.
') Ebenda 365 ff. Nr. 17; Mus. Greg. B I Taf. 8, 2.
kommen'), in der ich nach Einzelformen
der Attasche, wie der Spiralen und der
Zwickelpalmetten, des Gefieders und des
Haarschmuckes der Sirene, und nach dem
Ornament der Mündung eine typisch unter-
italische, vermutlich tarentinische Arbeit
erblicke*). Auch das schönste Thymiaterion
des Museo Gregoriano, aus Cervetri, Vulci,
Bomarzo oder Orte 3), zeigt an den) pyra-
midenförmigen Unterständer — der Schaft
wird als stark ergänzt bezeichnet — in dem
Lyramuster, dessen untere Spiralen durch
ein schachbrettartig gemustertes Band mit-
einander verschnürt sind, in den Palmetten
mit vorgelegten Knöpfen, in den Plinthen
unter den Löwenfüßen, in dem Haarschmuck
der Jünglinge, so schön und sicher wieder-
gegebene Formen desselben Kunstkreises,
daß die Annahme einer etruskischen Nach-
ahmung unbegründet erscheint ■•). Eine
solche liegt für das Motiv der von den Raub-
tierbeinen ausgehenden Flügel vielmehr an
dem Mainzer Thymiaterion Abb. 4 vor.
Die jugendlichen Reiter auf den geflügelten
Raubtierbeinen aber kommen in den Haupt-
zügen übereinstimmend mit dem Weih-
rauchständer in Rom, in der Ausführung
indessen wesentlich gröber als dort an einem
Kandelaber aus Vulci in Berlin vor, dessen
Gesamtaufbau den Typus tarentinischer
Kandelaber nachbildet 5).
Ob auch gravierte Spiegel eines jüngeren
Stils, von denen eine ganze Anzahl in Vulci
gefunden wurde, sich als Arbeiten dortiger
Werkstätten erkennen lassen, wird noch zu
untersuchen sein.
•) Walters, Cat. of bronz. 79 Nr. 557; A. H.
Smith, Marbles and bronzes Taf. 43; Walters,
Select bronzes Taf. 1 1 ; nach Phot. Mansell 2256
Lichtbild Seemann.
») Vgl. die R. M. a. a. 0. zusammengestellten
Bronzen.
3) Mus. Greg. B I Taf. 51, 3; Phot. Alinari 35526;
Heibig 3 I 378 Nr. 672.
4) Zum Verschnürungsband mit Schachbrett-
muster vgl. Schumacher, Beschr. d. ant. Bronzen
Karlsruhe 49 Nr. 272 Taf. VI 4 u. 5 ; R. M. a. a. O. 422
(Neugebauer). Zu den Knöpfen vor den Palmetten
Neugebauer a. a. 0. 381 f. Abb. 17, sowie vor allem
aber Pernice, Die hellenistische Kunst in Pompeji IV.
Zu den Plinthen Pernice ebenda; zum Haar-
schmuck Neugebauer 423 ff.
5) Führer d. d. Antiquarium I, Bronzen, 103 Fr.
697 Taf. 30.
327
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
328
Darauf berichtete Herr Rubens oh n über
neue griechisch-römische Fundstücke
im Kairener Museum. Dank der
Wiedereröffnung unseres Deut-
schen Instituts für ägyptische
Abb. I. Statue aus Ehnassje el Medine.
Altertumskunde sind wir wieder in
der Lage, hier einen solchen Bericht zu
erstatten, für den der Direktor des Instituts,
Herr Geh. Rat Dr. Borchardt, uns
das Material vermittelt hat. Herr Edgar
vom Kairener Museum hat bereitwillig
die photographischen Aufnahmen und nähe-
ren Angaben über die hierunter veröffent-
lichten Denkmäler zur Verfügung gestellt
und die Veröffentlichung der Abbildungen
gestattet. Wir sind ihm dafür zu wärmstem
Danke verpflichtet.
Nur kurz erwähnt sei i. ein Kalkstein -
relief der Isis mit Harpokrates aus
Theadelphia-Batn Harit im Fayum, der
Fundstätte zahlreicher Papyri hauptsächlich
aus den ersten Jahrhunderten der römischen
Kaiserzeit. In einer einfachen, von Säulen
mit Blütenkapitellen flankierten flachen
Ädicula steht die Büste der Isis, schräg
von vorn gesehen, mit leichter Wendung
nach links. Schlichte Gewandung (Chiton
und Mantel); r. Arm tritt nackt aus der
Gewandung heraus; die r. Hand hält Mohn-
blumen vor der Brust. L. Arm und Schulter
verschwinden im Hintergrund. Das Haar
auf der Mitte des Kopfes gescheitelt, fällt
in glatten, feinen Strähnen gekämmt auf
Schulter und Brust herab. Zwei ebenfalls
in feine einzelne Strähnen geteilte breite
Haarwellen sind von der Stirn aus über
diese herabfallenden Haare hin zum Haar-
knoten zurückgenommen. Auf dieser schlicht-
natürlichen Frisur, einer Umbildung der uns
besonders von Terrakotten bekannten stereo-
typen Isisfrisur, sitzt unvermittelt — wie eine
große Haarnadel • — • das Isisdiadem, dessen
obere Endigungen auf die Abschlußleiste der
Nische übergreifen. Schräg über die rechte
Schulter der Isis blickt der hinter der Isis
stehend gedachte Harpokrates, nur mit dem
Kopf sichtbar, dieser in der gewohnten
Erscheinung mit reichen Locken und Diadem,
der Zeigefinger der rechten Hand liegt am
Mund. Reste von Bemalung sollen erhalten
sein. Im r. Ohr der Isis ein Gehänge, um
ihren Hals ein Halsschmuck. Das leere
Gesicht erinnert an die Typen der Fayum -
porträts und an das mit diesen gleichzeitige
Isisbild Jahrbuch d. Inst. 1905, T. I. Ein
geradlinig umgrenzter Gegenstand in der
rechten unteren Ecke des Reliefs ist viel-
leicht ein Kästchen, eine schräg aufsteigende
Stange hinter der 1. Schulter der Isis ist
für ein Szepter zu breit und soll vielleicht
eine Thronlehne andeuten.
2. Grabrelief eines Isidoros; hier
nur kurz behandelt, weil es nächstens von
Herrn Edgar publiziert werden wird. Stele
mit flachem Giebel, in dem ein eingeritzter
329
Archäologische Gesellschaft zu Betlin. März-Sitzung 1924.
330
Kreis die Sonnenscheibe andeutet. In dem
Relieffelde darunter steht ganz frontal,
in der Haltung des Körpers und der Bein-
stellung Skopasischen Figuren wie dem
Herakles Lansdowne nachgebildet, der Tote,
nackt bis auf einen auf der rechten Schulter
mit einem runden Knopf geknöpften Mantel,
der im Rücken herunterfällt, mit wollig
gelocktem Haupthaar, kurz geschnittenem
linke Vorderpfote zu dem Toten erhebt. Der
Tote ist danach als Dionysos charakteri-
siert '), auf dem Haupt aber trägt er zu-
gleich ein ägyptisches Diadem, das aus
Ziegenhörnern und drei auf sie aufgesetzten
Schilfbündeln mit Sonnenscheiben gebildet
wird, die Krone Hem-Hem; er wird also
gleichzeitig in synkretistischer Form einem
ägyptischen Gott gleichgestellt. Welchem }
Abb. 2. Marmorbüste einer Frau.
Backen-, Kinn- und etwas länger gehaltenem
Schnurrbart, mit der hoch erhobenen Linken
einen Thyrsos dicht unter dem Pinienzapfen
fassend, in der gesenkten Rechten ein Füll-
horn haltend. An den Füßen Jagdstiefel,
deren geschnürte Schäfte bis zur halben
Höhe des Unterschenkels reichen. Auf
einer Erhöhung neben seinem rechten Fuß,
zu der von der Standfläche der Figur zwei
Stufen hinaufführen, sitzt nach rechts ge-
wandt ein Fanther mit Halsband, der die
— das ist schwer zu sagen; Osiris, mit dem
Dionysos so oft ausgeglichen ist, und an den
wir bei einem vergöttlichten Toten zuerst
denken würden, trägt für gewöhnlich nicht
dies Diadem; am häufigsten erscheint es bei
Horus. Unter dem Toten steht die Jnschrift:
ICIAOPOC LKe MHA'OC Ä HMePflN H eVYYXI
') Vgl. das sehr verwandte Relief des Louvre,
Reinach Repertoire de la statuaire I S. 23, Nr. 3
vgl. auch S. 32, I.
331
Archäologfische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
332
= Isidoros 25 Jahre i Monat 8 Tage alt,
sei »guten Mutes«.
3. Porträtstatue eines Mannes in
Lebensgröße, gefunden in Ehnassje el Me-
dine. Marmor. Ergänzt nur die Nasen-
spitze, abgebrochen der Daumen der r. Hand,
der von dieser gehaltene Gewandzipfel und
der diesen stützende Steg (Abb. i). Der
Kopf sitzt, wie es scheint, ungebrochen auf
I Charakters in das Museum von Minie
in Oberägypten gekommen sein.
4. Von anderen Bildnissen sei hier nur
I noch die umstehend (Abb. 2) abgebildete
; Marmor büste einer Frau erwähnt, eine
flaue Arbeit, die aber Interesse verdient wegen
der Haartracht und des eigentümlichen
i Schmuckes, der unter den auf die Stirn
■ herabhängenden Locken • — einer bei den
Abb. 3. DreifuB aus Doudit im Delta.
der Statue. Sorgfältige Arbeit des 2.- Jahrh.
n. Chr. Der gut modellierte Kopf mit dem
gelockten kurzen Haar, den straffen Wangen
und dem ausdrucksvollen Mund und Kinn
findet seine nächste Parallele in Stuck-
köpfen von Sarkophagen, die aus der
zweiten Hälfte des 2. nachchristlichen Jahr-
hunderts stammen, wie etwa der Stuck-
kopf des Pelizaeus-Museums in Hildesheim
(Die Denkmäler des Peliz. Mus. S. 105).
Aus Ehnassje soll eine Statue ähnlichen
Stuckmasken sehr beliebten Frisur — hervor-
kommt. R. Zahn erkennt darin einen z. B. bei
Jesaia 3, 20 erwähnten Haarschmuck, das
discriminale, einen gewöhnlich auf dem
Haar aufliegenden Scheitelschmuck, der mit
solchen auf die Stirn herabhängenden
Bommeln endigt').
5. Bronze drei fuß, 66 cm hoch, gefunden
') Vgl. Gallerie Bachstitz, Zahn, Die Sammlung
Friedrich L. v. Gans, S. 43, Nr. 100, Taf. 19; Nach-
trag S. 82.
333
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Mätx-Sitzunf; 1924.
334
inDoudit bei Leontonpolis im Delta (Abb. 3).
Die drei Füße stehen auf drei kleinen ge-
gossenen runden Basen, wie wir sie ähnlich
unter dem kleinen Dreifuß des Hildesheimer
Silberfundes und unter den kleinen Marmor-
tischchen mit Löwenfüßen aus dem Delium
von Faros kennen, nur daß diese Basen von
Hildesheim und Faros als besondere Stücke
gearbeitet sind. Die drei Beine sind in der
gleichen Form einheitlich gegossen; der
untere Teil gleicht dem schlanken Vorderfuß
eines Hundes und endigt oben in einer
keulenartigen Rundung; darüber erhebt sich
ein S-förmiges, schlankes Glied mit einer
tiefen Rille auf der Innenseite; auf der
oberen Biegung dieses Gliedes sitzt, ganz
unvermittelt, eine Stierprotome, deren
Homer die Tischplatte getragen haben. Die
Verbindung der drei Beine wird hergestellt
durch ein einfaches rechteckiges Rahmen -
gesteil, das sich aus zwei an jeden Fuß an-
gelöteten oder angegossenen horizontalen
Streben und einer diese verbindenden verti-
kalen Strebe zusammensetzt. An der
vertikalen Strebe eines jeden der drei
Rahmen sitzen auf der einen Seite zwei,
auf der anderen Seite drei Schamierösen
so verteilt, daß sie, wie aus der Abbildung
ersichtlich, ineinandergreifen und so drei
Scharniere bilden. In diese Scharniere
griffen ehemals Stifte ein, die heute ver-
loren (und durch drei moderne Schrauben
ersetzt) sind. Wie L. Borchardt bemerkt,
waren entweder alle drei Stifte zum Hei aus-
nehmen hergerichtet, dann wurde der Tbch,
wenn er nicht gebraucht wurde, einfach
auseinandergenommen und die drei Beine
konnten lose aufeinandergelegt werden, oder
es war nur ein Stift herausnehmbar; dann
wurden beim Auseinandernehmen des Tisches
zwei Füße auf den dritten geklappt.
Schlanke Ranken, deren Anfänge sich
um jedes der drei Hundebeine winden,
füllten den Winkel zwischen jedem Rahmen -
gestell und dem zugehörigen Hundebein aus.
Die Ranken sind heute bis auf geringe
Reste zerstört ; daß sie aber nicht so schmuck-
los verliefen wie die Bogenstäbe an den
Stabdreifüßen (vgl. z. B. A. M. XVIII
1883 Taf. XIV), das beweist der kleine
Ansatz, der an dem Rest der Ranke links
unter der Horizontalstrebe erhalten ist.
Archäolo^schcr Ajnci|^r 1933/34.
Sie waren also ornamental ausgestaltet,
wenn sie natürlich auch nicht so prunkvoll
verliefen wie beim Dreifuß aus dem Isis-
tempel von Fompeji. Daß die Ranken der
drei Beine miteinander in irgendwelche
technische Verbindung (durch Ringe oder
Ösen) gebracht waren, ist kaum anzunehmen.
Mit den uns bekannten Tischdreifüßen
gemein ist unserem Dreifuß die Zusammen-
setzung der Beine aus verschiedenartigen
Tiergliedern. Schon die archaischen Stab-
dreifüße neigen zu dieser Art ornamentaler
Ausgestaltung, und ganz bekannt ist sie
bei den hellenistischen und römischen Tisch -
dreifüßen, die man jetzt am besten bei
Schwendemann J. d. I. XXXVI 1921, 107 ff.
zusammengestellt findet. Die Beliebtheit des
Hundebeins in dieser Denkmälergattung ist
bekannt. Das schlanke S-förmige Glied bei
unserem Stück könnte aus einer tierischen
Form entwickelt sein, nämlich aus dem
Uräus, wie ein Vergleich mit Catalogue
G^n^rale Cairo Greek Bronzes t. XV
No. 27813 lehren kann. Die Stierprotome
ist bei diesen jüngeren Dreifüßen eine
seltene Erscheinung, es mag hier eine Er-
innerung oder direkte Anknüpfung an die
archaischen Stabdreifüße vorliegen, bei denen
Protomen gerade an dieser Stelle des Drei-
fußes häufig sind, vgl. z. B. den Stabdreifuß
von Vulci, Schwendemann, J d. I. XXXVI
1921 Beil. zu S. 98 Nr. 14 und bes. Nr. 13,
wo ein ganzer Stier an ähnlicher Stelle
erscheint. Auch auf den altjonischen
Bronzekandelaber des Mainzer Zentral -
museums (Mainzer Zeitschrift VI 1911
Tafel I [Behn]) sei in diesem Zusammen-
hang hingewiesen, an dessen Dreifußunter-
satz als Bekrönung an der gleichen Stelle
wie bei unserem Dreifuß das mit Stier-
hörnern versehene Haupt des Acheloos an-
gebracht ist (vgl. auch den Text von Behn).
Das Besondere bei unserem Dreifuß gegen-
über allen anderen bekannten Tischunter-
sätzen besteht in der technischen Her-
richtung. Die uns sonst bekannten ver-
stellbaren Dreifüße sind mit einem in sich
verschiebbaren Strebengestell zwischen den
Beinen versehen und lassen sich mit Hilfe
dieser Streben zusammenschieben und
auseinander ziehen. Die Bezeichnung
»Klappdreifüße«, die Schwendemann a. a.O.
'3
335
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
336
diesen beweglichen Gestellen gibt, trifft nicht
ganz zu. Ein Klappdreifuß wäre nur
unser Exemplar, wenn nur einer
der drei Stifte in den Scharnieren
herauszunehmen war. Wahrscheinlicher
Daremberg-Saglio I 879 Abb. 1096);
bei dem ersteren ermöglichten durch die
Ösen gesteckte Stifte wie bei unserem
Dreifuß die Zusammenfügung bzw. die Aus-
einanderlegung des Kandelaberuntergestells,
Abb, 4. Ammon von el Qes
ist es aber, daß alle drei Stifte heraus-
nehmbar waren und so der ganze Dreifuß
jedesmal nach Gebrauch auseinanderge-
nommen wurde, denn dieselbe technische
Herrichtung findet sich, worauf mich R.
Zahn hinweist, bei den Kandelaber-Unter-
sätzen Roux et Barre, Herculanum et Pom-
peji, Bronzes B. VI t. 3 u. t. 25 (vgl. auch
während bei dem anderen der verlängerte
Schaft des Kandelabers selbst jedesmal
durch die Ösen der drei Füße des Unter-
gestells gesteckt wurde. Die Konstruktion
unseres Dreifußes ist altertümlicher als die
der verschiebbaren Gestelle; die in ihr
liegenden Entwicklungsmöglichkeiten schei-
nen nach Erfindung der verschiebbaren Ge-
337
Arcliäologische Gesellschaft zu Berlin. März-Sitzung 1924.
338
stelle nicht weiter ausgebaut worden zu
sein, jedenfalls fehlt es uns an antiken
Zwischengliedern, die von unserem Dreifuß
zu seinen Nachkommen führen, den noch
heute im Orient gebräuchlichen Klapp-
dreifüßen, den Untergestellen zu den be-
kannten runden Messingtischplatten (Saniji).
Auch die Schlichtheit der Ausführung und
die angedeuteten ornamentalen Zusammen-
hänge mit den altjonischen Stabdreifüßen
scheinen unserem Dreifuß ein etwas höheres
Alter gegenüber der Gesamtgruppe der ver-
schiebbaren Tischuntergestelle zu verleihen.
Auch die Herleitung seiner Entstehung wird
durch diese Zusammenhänge deutlich ge-
macht. Denn das sei zum Schluß noch
hervorgehoben: diese Art verstellbarer Drei-
füße hat ihre Heimat nicht in ägyptischem,
sondern in griechischem Kulturgebiet. In
Ägypten kennt man nur die leichten unver-
stellbaren Untersätze aus Ton oder Holz,
wie sie uns in unzähligen Beispielen in
Original und auf den Denkmälern erhalten
sind.
6. Das wichtigste Stück unter den neuen
Funden ist der Kopf und Oberkörper einer
etwas überlebensgroßen Sitzfigur des
Ammon (Abb. 4 — 6). Gefunden in El Qes
bei Behnessa (Oxyrynchos). Marmor. Kopf
und Rumpf aus besonderen Stücken ge-
arbeitet und getrennt voneinander gefunden.
Zusammengehörigkeit und Zusammensetzung
sind gesichert. Gesamthöhe des Erhaltenen
1,20 m. Breite unten 58 cm, also über-
lebensgroß. Arme, Unterkörper und Thron
waren aus besonderen Stücken gearbeitet
und angesetzt. Der erhaltene Oberkörper
gehörte, wie die Ansatzfläche und die
Haltung zeigen, zu einer Sitzstatue. Wie
die Haltung der rechten Schulter, der Zug
der Gewandfalten und die Ansatzfläche mit
dem hoch sitzenden Zapfenloch klar machen,
war der r. Arm bis zur Schulterhöhe gehoben.
Der 1. Arm war gesenkt. Wäre der Rumpf
allein erhalten, so würden wir annehmen,
er gehöre zu einer in der Haltung der Arme
im Gegensinn bewegten Wiederholung der
großen Sarapisstatue von Alexandria, so
genau stimmt die Gewandung unserer Figur
mit der des Sarapis überein, nur hat der
Kopist — daß es sich um eine Kopie römi-
scher Zeit handelt, beweist die reichliche
Verwendung des Bohrers beim Haar —
die Gewandung flüchtig und flau behandelt.
Der Kopf ist vortrefflich erhalten bis auf
den unteren Teil der Nase mit der Um-
gebung der Nasenlöcher und bis auf die
Hörner, die abgebrochen, deren Ansatzstellen
aber in den Seitenansichten ganz deutlich
sind. Das von dem reichen Haargelock
umwallte Gesicht erhält seinen Charakter
durch die scharf unterschnittenen Augen-
brauen und die hierdurch bewirkte Tief-
legung der Augen unter die leicht vorgewölb-
te Stirn, durch die kräftige Betonung der
Backenknochen und die Einbettung des
leise geöffneten Mundes in das von Schnurr-
bart und stark vortretendem buschigem
Vollbart gebildete Rund. In der Profil -
ansieht von links wird das Vortreten deS
Kinns mit dem Vollbart besonders anschau-
lich; es tritt in deutlich betonten Gegensatz
zu der beinahe senkrecht verlaufenden
Profillinie von Nase und Stirn, die fast
wie flach gedrückt erscheint. Der durch
diese Einzelzüge bewirkte Wechsel von Licht
und Schatten, der dem Gesicht ein kräftiges
Leben verleiht, wird noch verstärkt durch
die Haarbehandlung. Tiefe Schatten liegen
unter den in zwei Bögen übereinander über
der Stirn emporsteigenden Locken und in
der reichen Fülle der die Wangen begrenzen-
den, durch kräftige Rillen gegliederten
Haarwellen. In der Profilansicht wird die
Großzügigkeit der Haarbehandlung beson-
ders anschaulich, die in scharfem Gegensatz
steht zu dem wirren Wuchs der Haare,
den wir von den meisten der uns erhaltenen
Ammonsköpfe, ganz besonders von dem
Ammon der ptolemäischen Münzen kennen.
Hinzu treten als wichtiger Formbestandteil
noch die Hörner,die, so weit sich aus den An-
satzresten nach der Photographie schließen
läßt, kräftig aus dem Haar heraus traten.
Hinter den Hörnern, am ganzen Hintei-
kopf und auch auf dem Scheitel ist das
Haar nur ganz oberflächlich angelegt, so
daß die reiche Fülle der vorderen Haare
ohne Übergang an die nur ganz oberflächlich
behandelten, abwärts fließenden Haare
des Hinterhauptes stößt. Dadurch erinnert
der Kopf an die Technik der mit Gipsan-
stücklungen arbeitenden Schule, die häufig
die hinteren Partieen ganz vernachlässigt
>3*
339
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. März-SiUung 1924.
340
und die genauere Ausführung auf die nähere
Umgebung des Gesichtes beschränkt. Be-
kanntlich ist die Schule in Ägypten heimisch.
Mit dieser Eigenart und seinem ganzen
Stil reiht sich der Kopf in die Gruppe der
besonders von Amelung (Ausonia 1908,
115 ff.) in die Nähe des Bryaxes ge-
Kopf noch verstärkt und bei dem Beschauer
die Vorstellung einer inneren Erregung
des Gottes hervorgerufen. Das paßt vor-
trefflich zu dem Charakter des Ammon,
bei dessen Darstellung die griechischen
Künstler häufig — ein Blick durch die
Typen der ptolemäischen Münzen kann das
Abb. 5. Ammon von el Qes.
wiesenen Werke ein, wohin ihn ja auch
die nahe Verwandtschaft mit dem Serapis
von Alexandrien weist. Nur scheint mir
der Kopf in mancher Beziehung besonders
in der Behandlung von Haar und Bart
stilistisch weiter entwickelt zu sein als die
direkt auf Bryaxis zurückgeführten Werke.
Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht
und der Blick der Augen geht nach oben.
Dadurch wird die Lebendigkeit bei dem
! jedem zeigen — eine fast zur Wildheit ge-
] steigerte Erregung zum Ausdruck gebracht
haben. Aber zu Grunde liegt hier ein
hoheitvoller Typus, in dem abgesehen
1 von den Hörnern jede Erinnerung an
den tierischen Ursprung des Gottes ge-
I schwunden ist. Zweifellos ist das Erhalten
der Rest eines Kultbildes, das in einem
! Heiligtum in einer von Griechen bewohnten
• Stadt Oberägyptens, vielleicht in Oxy-
341
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. April-Mai-Sitzung 1924.
342
rynchos selbst, aufgestellt woi'den ist, in
jener Epoche der Neubelebung der ägyp-
tisch-griechischen Religion, die unter Do-
mitian anhebt und sich bis in die 2. Hälfte
des 2. Jahrhunderts hinein erstreckt (vgl.
Vogt, Römische Politik in Ägypten 24 f.).
Das Original zu unserem Kultbild wird
Sitzung vom i. April 1924.
Herr Wiegand sprach über die innere
Einrichtung des Didymaions. Der
Inhalt ist erschienen als Achter vorläufiger
Bericht über die von den Staatlichen Museen
in Milet und Didyma unternommenen Aus-
grabungen in den Abhandlungen der Preu-
Abb. 6. Ammon von el Qes.
wohl in der Nähe der Sarapisstatue von
Alexandrien gesucht werden müssen.
Zum Schluß legte der Vortragende die
von Herrn Direktor Dr. E. Breccia, Alexan-
drien, freundlichst übersandten neuen Hefte
des Bulletin de la Soci6t6 Archeologique
d'Alexandrie vor und sprach eingehender
über die darin veröffentlichten neu gefun-
denen Gräber von der Anfuschibucht.
ßischen Akademie der Wissenschaften 1924,
phil.-hist. Klasse Nr. i.
Sitzung vom 6. Mai 1924.
Herr Rodenwaldt besprach eine An-
sicht des Septizoniums auf einer der
vier Altartafeln des Macrino d'Alba vom
Jahre 1496, die sich in der Certosa zu Pavia
befinden (oben 39 ff.).
343
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Mai-Sitzung 1924.
344
Herr Wiegand legte die von der Mar6es-
Gesellschaft in farbigen Lichtdrucken ver-
vielfältigten Kopien Eugen Spiros von
Wandgemälden aus Pompeji und Rom
vor und wies darauf hin, daß die Unterschiede
von den Kopien Ternites, deren eine im
Original ausgestellt war, in dem Wandel
der malerischen Anschauungen während
eines Jahrhunderts begründet sind.
Herr Neu geb au er erklärte mehrere Neu-
erwerbungen der • Abgußsammlung der Uni-
Dugas, Berchmans u. Clemmensen, Le
sanctuaire d'Alea Athdna ä Tegee au IVe
sifecle 88 Nr. 8 Taf. 99 B, loi A u. B).
Den Vortrag des Abends hielt Herr
von Gerkan: Der Altar des Artemis-
tcmpels zu Magnesia a. M.
W. Dörpfelds Vorarbeiten zur Wiedcr-
aufstellung des Altars von Pergamon, die
er 1918 — -19 für die Staatlichen Museen
vornahm, hatten bei allseitiger Betrachtung
des Materials ergeben, daß auch die beiden
. -f3.-»j»»2. toja /o
-^•♦'f
B
1^1 l»l l»l \m
1 a B ■ 11 1
W 1*1 W W [81 |»1
Abb. I. Altar des Artemistempels zu Magnesia a. M.
versität. Als Geschenk der Generaldircktion
der Vatikanischen Museen waren aufge-
stellt die Abgüsse mehrerer Köpfe, die zu
den von Amelung in den Magazinen des
Vatikans gefundenen Antiken gehören, so
der myronischen Athene, der Wiederholung
des Dresdener Athletenkopfcs aus Perinth
mit Satyrohren, der Hermenreplik des sog.
Hertzschen Kopfes (vgl. Amelung im A.
A. 1921, 262); ferner wurde der zweite
behelmte Kopf aus den Giebeln des Athena-
tempels zu Tegea besprochen (vgl. jetzt
Monumentalaltäre in Priene und in Magnesia
eine ähnliche Gestalt, Säulenhöfe auf
Podien mit breiten Freitreppen, hatten.
Für diese beiden Bauten kam Dörpfeld zu
Ergebnissen, die er selbst nur als vorläufige
bezeichnete, als Problemstellung, die ich
weiter zu entwickeln versucht habe. Für
Priene konnte eine endgiltige Gestalt durch
den Nachweis gewonnen werden, daß die
Gigantomachiereliefs zum Schmuck des
Sockels gehörten (Bonn. Jahrb. CXXIX
1925, 15 ff.). Der Altar zu Magnesia aber
345
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Mai-Sitzung 1924.
346
erhielt eine Form, die schon C. Humann
und R. Heyne voraussetzten, ohne daß
damals eine Rekonstruktion gelungen war;
die Ergänzung in der Publikation ist da-
gegen als ein Rückschritt zu bezeichnen,
da sie weder sämtliche bekannte Werkstücke
berücksichtigt, noch allen Eigenschaften
der verwendeten gerecht wird. Heynes Auf-
nahmen ermöglichen jedoch eine zuverlässige
Wiederherstellung (Abb. l), deren ein-
gehendere Begründung an anderer Stelle
erfolgen muß.
Das Fundament hat die Gestalt eines
Rechtecks von 23,07 X I5|62 m, an dessen
westlicher Hälfte die Reste einer Konstruk-
tion aus quergerichteten Schwellen, die
einst mit Platten überdeckt waren, erhalten
sind; sie lag zwischen zwei Fundament -
massiven an den Schmalseiten von je 5,40 m
Breite. Daraus ergibt sich, daß der Aufgang
an der Ostseite lag, denn solche Schwellen -
roste kennen wir am Tempel nur von
Stellen, die nicht unter Stufen lagen,
ferner war nur hier, an der Rückseite, ein
30 cm breiter Streif des Kalksteinfunda-
ments sichtbar, und hier befanden sich die
Ringe zum Anbinden der Opfertiere. Die
schon von Heyne ungefähr ermittelten
Jochweiten der Säulenstellung sind ver-
schieden: an der Langseite betrug sie
1,592 m, an der Schmalseite 1,663 ni;
daraus ergeben sich für die Langseite
12 Joche = 20,70 m = 70 Fuß attisch,
für die Schmalseite 8 Joche = 13,31 m =
45 Fuß attisch, und für alle vier Seiten ein
Überstand der Sockelstufe von 1,183 m =
4 Fuß, so daß das Grundmaß 78 X 53 Fuß
entspricht. Die Abmessungen des Zahn-
schnittes bestätigen die Jochweiten und
weisen die Gesimsplatten den verschiedenen
Seiten zu. Diese gehören teilweise einer
geschlossenen Wand mit Halbsäulen an,
die den Hof selbst umgab, zum Teil aber
einer offenen Säulenstellung an der Ein-
gangseite. Eine andere Platte mit einem
Wandabschlußprofil nach innen gehört zur
Halle oberhalb der Freitreppe. Die Einzel-
heiten gestatten, die Breite der Zungen-
mauer auf den Flügeln zu berechnen,
die zwischen 0,60 m (2 Fuß) starken Wänden
je einen schmalen Treppenraum enthalten:
das bestätigen der einspringende Eckblock
des Wandfrieses als Übergang der Schein -
halle zur wirklichen Säulcnstcllung und die
großen 3,15 m hohen Reliefs, die nicht zum
Sockel gehören können, da gegen ihre Rück-
seiten Stufen gestoßen haben, welche auch
eine andere Höhe hatten als die aus Resten
bekannte Freitreppe. Die Stellung der
Reliefs an den Zungen entspricht also den
Mädchenrelicfs am Altar in Priene und dem
Bankpodium in den Flügeln des pergameni-
schcn Altars, das demnach ebenfalls P'iguren-
schmuck getragen hat.
Da die in Pfeiler aufgelöste Ostwand des
Hofes nicht in der Flucht der NO- und
SO-Ecken liegt, ist zur Vermittlung je eine
Pfeilerstellung an beiden Enden des Hofes
rekonstruiert, in Übereinstimmung mit der
Breite der erwähnten Fundamentmassive
und mit dem Bruchstück einer Gesimsplatte
von der NO-Ecke des Hofes, die hier an
dieser Stelle das innere Wandsims nach
Westen umbiegen läßt. Auch beweisen die
Gesimsplatten vom Ende des Hofes, daß
hier überdeckte Räume lagen, wodurch die.
gegebene Grundrißgcstaltung bestätigt wird.
— Vom Opferherde, dem nur ein Eckstück
der Bekrönung zuzuweisen ist, läßt sich
nur sagen, daß er wahrscheinlich die Gestalt
eines rechteckigen Tisches mit einem Wind-
schutz an drei Seiten hatte.
Da Dörpfeld das große Relief für den
Unterbau in Anspruch genommen hatte,
erhielt er einen Sockel von gleicher Höhe,
wie der Oberbau, und eine Freitreppe bis
zur Mitte des Altars. Die Fronthalle würde
den Hof bis auf einen schmalen Gang ein-
geengt haben. Nun gibt es eine unaus-
gearbeitete Reliefplatte, die Dörpfeld für
einen dem pergamenischen Telephosfries
entsprechenden Innenfries ansah, doch be-
zeugt auch deren Rückseite eine Schichtung
des Kernmauerwerks in Stufenhöhe. Ver-
wenden wir ihn für den Sockel, so haben
wir die Möglichkeit, die Freitreppe in der
Flucht der dritten Säulenreihe aufhören
zu lassen und ein metrologisch einwand-
freies Höhenverhältnis zu erhalten, wenn
die beiden obersten Stufen als Stylobat
der Halle gelten, die erste aber als Platt-
form des Ganzen, ebenso wie in Priene,
nicht mitgezählt wird; der Oberbau wird
5,32 m = 18 Fuß, der Sockel aber 2,66 =
347
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juni-Sitzung 1924.
348
9 Fuß hoch, wobei die Stufenzahl 15 be-
trägt.
Sowohl dieser, wie auch der Altar in
Priene können nicht als Vorbilder des
pergamenischen Altars gelten, sie sind viel-
mehr Nachahmungen, deren geringere Größe
zu Einschränkungen des Vorbildes, be-
sonders in bezug auf die Säulenhallen zwang.
Für Priene wird das durch die späten Bau-
formen und die von Pergamon abhängige
Komposition der Gigantomachie unmittel-
bar bewiesen; für Magnesia jedoch steht
die bisher übliche Datierung des Tempels
diesem Resultat entgegen. Sie ist aber nicht
aufrecht zu erhalten. Heyne hat aus den
Anschlüssen des Hofpflasters richtig ge-
folgert, daß der Altar bereits stand, als der
Stylobat des Tempels gebaut wurde, ferner
wissen wir aus der Inschrift Milet I 3, Nr. 148,
daß der Tempel des Zeus Sosipolis nach
196 V. Chr. begonnen wurde, er ist aber
nach seiner noch jonischen Basisform älter
als der Artemistempel. Dessen Datierung
beruhte auf der unbegründeten Annahme,
daß sein Bau an die Epiphanie der Göttin
im Jahre 221/10 knüpfte und im Jahre
206, als die Stadt alle griechischen Ge-
meinden zur Teilnahme an das neube-
gründete Artemisfest einlud, beendet ge-
wesen sein müßte (Inschr. v. Magnesia
Nr. 16 — 84). Allein ein Zusammenhang
dieser Vorgänge, in der Überlieferung nur
zur Stiftung der Leukophryena verwendet,
mit dem Tempelbau ist sogar unwahr-
scheinlich und widerspricht der Inschrift
Nr. 100, welche von der feierlichen Über-
führung des alten Kultbildes in den eben
(vüv) fertiggestellten Kultraum handelt:
aus paläographischen wie aus historischen
Gründen (Ditt. Syll. Il3 Nr. 695) wird sie
in die Zeit um 129 v. Chr. datiert. Die
Weihung des Tempels konnte also nicht
75 Jahre früher erfolgt sein, und die An-
nahme, die Inschrift sei erst jetzt auf-
gestellt worden, ist offensichtlich gemacht
worden, um jene Datierung aufrecht er-
halten zu können. Da sie aber dem Bau-
charakter des Altars und des Zeustempels
widerspricht, können wir sie unbedenklich
fallen lassen.
Ebensowenig braucht die Datierung des
Hermogenestempels in Teos um 195 v. Chr.
aufrecht erhalten zu werden, da auch sie
nur auf einer unbegründeten Verknüpfung
des Neubaues mit dem Auftreten der
dionysischen Techniten in jener Stadt be-
ruht. Auch die Weihung eines Hermogenes
in Priene (Inschr. Nr. 207), die vorläufig allen
Ergänzungsversuchen spottet, würde der
bisherigen Datierung widersprechen, da sie
etwa um 180 v.Chr. entstanden ist, allein die
Identität ihres Stifters mit dem Baumeister
Hermogenes ist nicht zu erweisen. — Wir
werden nicht umhin können, den Altar in
Magnesia frühestens um 150 v. Chr. datieren
zu müssen, und dürfen angesichts der Über-
einstimmung seiner Bauformen mit denen
des Tempels voraussetzen, daß Hermogenes
ihn baute und im Anschluß daran den
Auftrag erhielt, den Artemistempel zu er-
neuern. Um 140, kurz vor dem Beginn der
römischen Herrschaft, ist der Tempel ge-
baut und um 129 beendet worden, ob noch
bei Lebzeiten und unter der Leitung des
Hermogenes, steht dahin. Vitruv zitiert
ihn daher nicht als Größe einer vergangenen
Zeit, sondern als eine Autorität, die knapp
zwei Generationen vor ihm gelebt hat, und
damit stimmt aufs beste überein, daß im
jonischen Stil damals hermogenische Formen
modern waren und von Vitruv selbst gelehrt
wurden.
Sitzung vom 3. Juni 1924.
Herr Hubert Schmidt sprach über die
Ausgrabungen von Cucuteni undSara-
ta-M[onteoru (Rumänien) im Lichte
der ägäischen Vorgeschichte. Im
ägäischen Kreise, dem Grenzgebiete oder der
Brücke zwischen Europa und dem Orient
ist, wie in keinem anderen Forschungs
gebiete der drei benachbarten Kontinente,
durch exakte Bodenforschung die Auf
einanderfolge der Kulturablagerungen (Stra
tigraphie) in umfassender Weise klargestellt
worden. Darauf beruht die Bedeutung des
ägäischen Kreises für die Chronologie der
Vorgeschichte von ganz Europa, sofern es
möglich ist, diese in Beziehung zu den
ägäischen Kulturschichten zu bringen. Dann
ist eine Parallelisierung der europäischen
Kulturentwicklung sowohl mit Ägypten als
mit den vorderasiatischen Kulturzentren
(Babylonien, Assyrien, Hettitien) möglich
i
J
349
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juni-Sitzung.
350
und durch die Stratigraphie auch gesichert.
Diese Aussicht gewähren uns gerade die
Ergebnisse der Ausgrabungen des Vor-
tragenden in Cucuteni bei Jassy (zwei
Kampagnen 1909/10) in der östlichen Moldau
und in Sarata-Monteoru (zwei Kampagnen
1917/18) bei Station Monteoru, Bezirk
Buzöu-Mizil, in den Vorbergen der trans-
silvanischen Alpen, nördlich der Wallachei.
Die Cucuteni-Kultur gehört zum Bereiche
der jungsteinzeitlichen oder besser stein-
kupferzeitlichen bemalten Keramik innerhalb
des bandkeramischen Kulturkreises im Do-
nau-Balkangebiete und weist als haupt-
sächliches Kulturmerkmal die Gefäßmalerei
im Spiral-Mäander-Stile auf. Über die
vorgeschichtliche Siedlung von Cucuteni und
die Ausgrabungen liegt ein vorläufiger Be-
richt vor: Ztschr. f. Ethnol. 191 1, 582 — 601.
Bei der Keramik lassen sich zwei ver-
schiedene Stilgruppen unterscheiden so-
wohl auf Grund der Gefäßformen als nach
den aufgemalten Mustern: eine polychrome
A (weiß -schwarz -rote) und eine einfarbig
bemalte B (schwarze) Gruppe. Formen
und Muster beweisen auch, daß sich B
aus A allmählich entwickelt hat. Daher
ist eine Zwischenstufe A — B durch eine
Reihe von Zwischenstilen ausgezeichnet,
die die Übergänge von A zu B aufweisen.
Analoge Unterschiede lassen sich bei den
Tonfiguren, den sogen. Idolen machen.
Stein- und Knochengeräte geben der Kultur
ihren Steinzeitcharakter; doch beginnt zu-
gleich die Metallverarbeitung, meist von
Kupfer; vereinzelt steht zinnarme Bronze.
Alter und Dauer der Cucuteni-Kultur
lassen sich bestimmen, wenn wir Cucuteni
als Vertreter eines großen Kulturkreises auf-
fassen. Er dehnt sich westlich über Sieben-
bürgen (besonders Tal des Altflusses) bis
an die Donau (Lengyel, Kom. Tolna), nord-
westlich über die Bukowina und Ostgalizien
bis in die Gegend von Lemberg und noch
darüber hinaus, östlich über Bessarabien bis
in die Gegend von Kijew (Tripolje), südlich
über den Balkan bis an das ägäische Meer
aus. Hier in Thessalien schneidet die Peri-
pherie dieses Kulturkreises einen anderen
mit ganz anderen Kulturmerkmalen, der
sich nach einigen Hauptzentren umschreiben
läßt: An au I (Transkaspien) — Susa I
(Persien) — Sesklo-Chaeronea (Nord-
griechenland). Sein Hauptmerkmal ist
gleichfalls Gefäßmalerei, aber in einem
Textilstil. Der Vergleich der Gefäßmalerei
in den verschiedenen Kulturzentren beweist,
daß dieser Stil eine Entwicklung durch-
macht, wobei Anau die älteste Stufe dar-
stellt, in Sesklo-Chaeronea eine schlagende
Parallele dazu vorliegt, während in Persien
verschiedene Übergangsstufen sich bemerk-
bar machen und schließlich in Susa I der
Stil seinen Kulminationspunkt erlebt und
zugleich von Tierdarstellungen überwuchert
wird. Mit diesem Kulturkreise, der östlich
gerichtet ist, tritt die westlich benachbarte
Cucuteni-Tripoljc-Kultur in Berührung.
Denn in Thessaliens H. neolithischer Periode
taucht die Spiral -Mäander-Keramik
auf, unter ihren Formen im besonderen die
Schale mit hohem Zylinderfuß, die ihre
Herkunft aus dem Donau-Balkan-Kreise
beweist. Sie greift in die einheimische Ent-
wicklung fruchtbringend ein; denn offen-
sichtlich entsteht aus der Verbindung des
Spiralmäanderstils mit dem Textilstil ein
neuer Mischstil, der am klarsten in der
sogen. Diminiware sich ausprägt.
Solche Beziehungen zwischen Nord und
Süd lassen sich nur erklären bei der An-
nahme, daß die Träger der bandkeramischen
Kultur des Donau -Balkangebietes an den
Nordrand des ägäischen Meeres gelangt sind
und mit den Trägern der Sesklo-Chaeronea-
Kultur sich vermischt haben.
Auf das Cucuteni-Problem fällt nun ein
neues Licht durch die Ergebnisse der Aus-
grabungen in Sarata-Monteoru. Da,
wo in den südöstlichen Vorbergen der trans-
silvanischen Alpen der Sarata-Fluß aus
engen Tälern heraustritt und einen scharfen
Knick macht, um in einem breiteren Tale
direkt nach Süden zu laufen, liegen am
linken Ufer an den Hängen der Berge die
Spuren der vorgeschichtlichen Hütten zer-
streut; auf einem besonders hervorragenden
Berge dagegen eine durch Steinwall und
Graben befestigte Siedlung, die als die
Akropolis zu gelten hat. Der Kultur-
charakter von M. ist grundverschieden von
der Cucuteni-Kultur: steinbronzezeitlich mit
schwarz-monochromer, polierter Keramik
von durchaus eigenartigen Formen und
351
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juni-SiUung.
352
Verzierungen, neben den Siedlungsfunden
Hockergräber mit bronzenen Schmuck-
sachen, zu denen noch Steinwaffen (Kugel -
keule und Axthammer) kommen, unter dem
Schmuckwerk Typen der mitteleuropäischen
Hängespiralen, die sich über den Balkan
nach Griechenland (myken. Schachtgräber)
und über den Kaukasus nach Kleinasien
(Troja n 3 und lortan Kelembo bei Smyrna)
und Mesopotamien verfolgen lassen. In
welchem Verhältnis steht die Monteoru-
Kultur zur Cucuteni-Kultur, die ihr benach-
bart ist, aber eine viel ältere Entwicklung
aufzuweisen hat? Die Ausgrabungen 1918
teni-Fund, der sonst vielleicht unter-
schätzt werden würde, zur vollen Geltung:
das Bruchstück einer auf der Scheibe ge-
drehten, hellgrautonigen Schale mit hohem
Zylinderfuß, der typische Vertreter einer
Gefäßgattung, die in Griechenland als
Orchomenos HI - Ware bekannt ist, in
die älter-mykenische Zeit gehört und in
den Schachtgräbern von Mykenä die ein-
heimische und bodenständige Topfware dar-
stellt und — • was noch hinzuzufügen wäre —
jetzt als »älteste-griechische« bezeichnet
werden muß. (Abb. i, 2.) Diese Schale muß
also aus Griechenland auf noch unbekannten
Abb. I. Bruchstück einer grautonigen Fußschale von der Art der Orchomenos Ill-Warc, gefunden in
der vorgeschichtlichen Siedlung von Cucuteni bei Jassy (Rumänien). Etwra V» n. Gr.
haben erwiesen, daß die jüngere Cucuteni -
wäre B, und zwar eine Stilvariante der
Schwarzmalerei mit Rot in Monteoru im-
portiert wurde. Aber nur auf der Burg
von Monteoru findet sich solche Keramik
in Verbindung mit anderen Erzeugnissen
der Cucuteni-Kultur, und zwar in einer
jüngeren Ablagerung, so daß die Annahme
berechtigt erscheint, daß Träger der Cucu-
teni-Kultur von der Burg von Monteoru Besitz
ergriffen haben. Durch diese Fundtatsache
ist erwiesen, daß die jüngere Stufe der
Cucuteni -Keramik (B), und zwar davon
wieder eine jüngere Variante in die voll-
entwickelte Bronzezeit hinabreicht. In
diesem Zusammenhange kommt ein Cucu-
Wegen in das Hinterland der Balkanhalb-
insel gelangt sein. Es fragt sich nur, mit
welcher Stufe der Gefäßmalerei von Cucuteni
das Auftreten dieses Importstückes zu-
sammenfällt. Es ist im Jahre 1910 in einer
mittleren Ablagerungsschicht oberhalb eines
großen Brandschutthaufens gefunden wor-
den, der der untersten Schicht angehörte
und ausschließlich Topfscherben des älteren
Stils (A) ergab, ist also der Zeit des jüngeren
Stils B zuzuweisen, der hauptsächlich in der
mittleren und oberen Schicht der Ab-
lagerungen vorkommt.
So steht die Cucuteni-Kultur zu ver-
schiedenen Kulturschichten des ägäischen
Kreises ebenso wie zur Anau-Susa-Kultur
35i
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juni-Sitzung 1924.
354
in festen, durch die Stratigraphie begründeten
Beziehungen. Daraus gewinnen wir für
mehrschichtige Synchronismen chronologi-
sche Fixpunkte. Zunächst durch die
Susakultur nach dem sghematischen Schich-
tenprofil von Susa bei Pottier (Delegation
cn Perse. Memoires XIII 23 Fig. 1 13). Hier-
nach liegt die jüngere, bemalte Keramik
von Susa (= Susa II) in einer Schicht, die
durch Funde zwischen Naramsin und Ham-
murapi von Babylon bestimmt ist, d. h.
etwa 2500 — 190x3 v. Chr. sich datieren
läßt. Für die ältere Gefäßmalerei von Susa
(= Susa I), die sich an den Anau-Chaeronea-
Stil anschließt, wählt Pottier a. a. O. das
entwickelte Bronzezeit der unteren Donau -
und Balkanländer, wie aus der in Sarata-
Monteoru gefundenen bemalten Keramik
sich ohne weiteres ergibt. Dafür liefert
die in Cucuteni gefundene Schale der
Orchomenos III - Gattung den chronologi-
schen Fixpunkt: die Stufe der Schacht-
gräber von Mykcnä = rund 1500 v. Chr. Geb.
Die Cucutenifunde sind also in ihrer aus-
geprägten Eigenart rund 3000 — 1500 v. Chr.
zu datieren. Für die Monteoru-Kultur ist
zunächst nur das Datum 1500 v. Chr. zu
verwerten; aber ihr Höhepunkt ist damit
schon überschritten, so daß für ihren Verlauf
die erste Hälfte des 2. Jahrtausend v. Chr.
Abb. 2. Innenfläche der Schale von Abb. i mit den Spuren der Töpferscheibe.
Datum 3000 — 2800 v. Chr., was man an-
nehmen kann. Die Anfänge dieser Kultur-
entwicklung, die in Anau I liegen, werden
also ins 4. Jahrtausend v. Chr. hinauf-
reichen; wieweit hinauf, muß freilich noch
unbestimmt bleiben.
Nach diesem Fixpunkt hat sich auch die
Datierung der Tripolje-Cucuteni-Kultur zu
richten. Da sich ihr Kreis in Nordgriechen-
land mit der Anau-Chaeronea-Susa-Kultur
schneidet, müssen ihre Entwicklungen pa-
rallel laufen, d. h. die Anfänge der Cucuteni -
Kultur, die in Cucuteni A schon in einer
voll entwickelten Phase vorliegt, müssen
gleichfalls ins 4. Jahrtausend zurückreichen.
Ihre weitere Entwicklung ist ununterbrochen
fortlaufend und reicht mit ihren jüngeren
Stilstufen (als B bezeichnet) in die voll-
in Betracht kommt. Ebendahin gehört die
südwestliche Nachbarkultur, die im jetzigen
serbischen Ungarn ein bemerkenswertes
Zentrum hat, die Vattinakultur in der
Gegend von Werschetz (Banat), wie genau
entsprechende Parallelfunde zu den Gräbern
von Monteoru beweisen. Ihr Hauptmerkmal
ist die Buckelkeramik; ihr hat die feiner
geartete Monteorukeramik die ihr fremde
Buckelverzierung zu verdanken'). Die nor-
disch-ägäischen Beziehungen lassen sich nun
weiter auf den südägäischen Kreis aus-
dehnen: Kreta wird hier eingezogen. Zu
dieser wichtigen Frage des Zusammenhanges
zwischen Kreta und dem Donau -Balkan -
') Vgl. die Chronologietabelle in meiner ,, Vor-
geschichte Europas." Natur- u. Geisteswelt Nr. 571,
42.
355
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Juli-Sitzung 1924.
356
gebiete hat der Vortragende schon gelegent-
lich seines ersten Berichtes über Cucuteni
(Ztschr. f. Ethnol. 1911, 598) einzelne
Punkte hervorgehoben. Sie betreffen Tech-
nik und Formen der Gefäßbildnerei und
Metallindustrie. Sie erklären sich nicht aus
dem bodenständigen Neolithikum, wenn
man nicht annimmt, daß fremde Kultur-
demente in die Entwicklung eingegriffen
haben. Folgendes mag hier zusammen-
gestellt werden: für die Gefäßfabrikation
hochgradiger Brand bei vollendeter Ton-
technik, aufgemalte Spiralverzierung ent-
wickelter Stilbildung, unter den Formen
Schalen auf hohem Fuß (»Fruchtständer«)
und birnförmige Töpfe ohne Randbildung
mit enger Öffnung (in Kreta durch Ausguß-
rinne und Bügelhenkel ausgezeichnet) — •
für die Metallindustrie: kreuzschneidige
Axthacken und Axtpickel, Weiterbildungen
von Urtypen aus der sogen. »Kupferzeit
Ungarns«, die im Donau-Balkangebiete ver-
breitet sind; Nachkommen dieser Urtypen
lassen sich auch in Troja II nachweisen
und stehen den steinernen Axthämmern
parallel, die in den Prachtbeilen von Troja
II 3 glänzend vertreten sind. Vgl. Präh.
Ztschr. IV 1912, 20 ff., wo auch die kreti-
schen Formen S. 24 behandelt sind; — •
für die Siegelfabrikation: Knopfsiegel
und Stempel aus Stein mit Spiralver-
zierungen; sie kommen in Kreta in früh-
minoischer Zeit vor und spielen überhaupt
im ägäischen Kreise und Vorderasien eine
besondere Rolle, gehen aber zurück auf
einfache Tonstempel mit Spiralmustern, die
in Erösd (Siebenbürgen) zur steinkupfer-
zcitlichen Kultur mit bemalter Keramik
( = Tripolje-Cucuteni-Kultur) gehören. Eben-
daher stammen in Italiens epoca eneolitica
die pintaderas.
So sehen wir schließlich umgekehrt aus
dem Donau -Balkangebiete einige Licht-
strahlen auf die ägäische Kultur fallen. —
Über den Inhalt des Vortrages soll aus-
führlicher an anderer Stelle gehandelt
werden.
Darauf sprach Herr Köster über die
Taktik des Herakleides, über die ein
von U. Wilcken, Hermes XLI 103 ff.,
veröffentlichter Papyrus der Würzburger
Universität berichtet. Der Vortragende
entwickelte die Ansicht, daß durch den
eigenartigen Verlauf der Schlacht bei Arte-
mision sich in der griechischen Flotte eine
besondere Defensivtaktik herausgebildet
habe, die wir eingehender in der Schilderung
der Schlacht bei Naupaktos kennenlernen.
Der Vortrag erscheint demnächst in: Köster,
Nautica, Gesammelte Abhandlungen auf
dem Gebiete des antiken Seewesens.
Sitzung vom i. Juli 1924.
Herr Kurt Müller (Göttingen) sprach
über das Thema Erechtheion und Pro-
pyläen. Der Vortrag stellte die Frage, wie
sich die beiden Bauten des 5. Jahrhunderts
zu dem verhalten, was vorher an ihrem
Platze stand. Bei Errichtung des Erech-
theionssind nicht nur, wie selbstverständlich,
die Kultmale geschont worden, sondern nach
den eben veröffentlichten Untersuchungen
der Amerikaner (L. B. Holland, Am. J.
Arch. XXVIII 1924, i) auch ältere Bauten,
so eine Temenoseinfassung unter der spä-
teren Ostcella und die Marmoranlage des
früheren 5. Jahrhunderts, die in der Rich-
tung der Pandroseionnordmauer unter der
Südseite der Nordhalle verschwindet, ja
sogar noch tiefer liegende Mauerreste, die
erst beim Graben der Fundamentgrube zu-
tage getreten sein können. Das war bereits
für das Kekropsgrab anzunehmen, dessen
sicher einst nicht freiliegender Kern die
Lage der Westwand des Erechtheions be-
stimmt. Bei dieser außerordentlichen Be-
dingtheit war der Architekt gezwungen,
seinen ursprünglichen Bauplan während
der Fundamentierung den Verhältnissen
anzupassen.
Bei den Propyläen liegen die Verhält-
nisse anders. Die Betrachtung kann von
dem Dörpfelds Scharfsinn verdankten ur-
sprünglichen Plan des Mnesikles ausgehen.
Der Mittelbau enthält bereits alle Elemente
der alten Propyläen und verdient diesen
Namen schon allein. Der ältere Bau ist teil-
weise abgetragen, die Achse verändert. Der
südöstliche Flügel wäre fast ganz auf das
Heiligtum der Brauronia zu stehen ge-
kommen. Für ihn hätte der Fels beträcht-
lich abgearbeitet werden müssen, in weit
größerer Ausdehnung, als die Halle selbst
erforderte, da östlich von ihr ein genügend
357
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. November-Sitzung 1924.
358
breiter freier Raum in gleicher Höhenlage
geschaffen werden mußte. So wäre der
Artemis Brauronia etwa die Hälfte ihres
Bezirks genommen worden. Das wäre ein
schwerer Frevel gewesen, den wir Perikles
und seinem Architekten nicht zutrauen
dürfen. Vielmehr muß das Projekt die Zu-
stimmung der Priesterschaft gefunden haben;
das setzt voraus, daß die Halle für den
Kult der Brauronia bestimmt war. Gewiß
sollte ihr ganzer Bezirk tiefer gelegt werden.
Die Ausführung ist also auch nicht durch
den Einspruch der Priesterschaft der Brau-
ronia verhindert worden, sondern offenbar
dadurch, daß die »pelasgische« Burgmauer
für unantastbar erklärt wurde.
Auch das nördliche Gegenstück des be-
sprochenen Flügels sollte keine reine
Schmuckhalle werden. In sein Gebiet, die
tiefste Stelle der Burgfläche, fiel seit alten
Zeiten wenigstens ein Teil der Burgzisterne;
später lag sie ganz dort. Er sollte also
über der Zisterne errichtet werden und
als eine Art Brunnenhaus dienen.
Für die Pinakothek hat schon Dörpfeld
auf den tempelähnlichen Grundriß hin-
gewiesen; wem der später abgestorbene
Kult galt, wissen wir nicht. Jedenfalls
ist hier nichts von Schonung älterer Reste
zu bemerken. Am schwierigsten ist der
Südwestflügel zu beurteilen. Wahrschein-
lich war er, bevor die von Dörpfeld ermit-
telte westliche Säulenstellung geplant
wurde, der Pinakothek entsprechend nach
Westen geschlossen erdacht und gleichfalls
für Kultzwecke bestimmt; den Pyrgos
scheint Mnesikles tiefer zu legen beabsich-
tigt zu haben, gewiß nicht gegen den Willen
der Priesterschaft. Er mußte aber auch
hier auf eine alte Mauer, die Nordmauer
des älteren Pyrgos, Rücksicht nehmen,
die sorgfältig umbaut ist. Diese und die
pelasgische Ringmauer brachten den Plan
zu Fall, und seinen verkümmerten Rest
deckt nun, auf erhöhtem Boden, der Nike-
tempel wenigstens einigermaßen.
Der Architekt des Erechtheions war also
von Anfang an auf Schonung der alten
Reste bedacht, Mnesikles zunächst nicht,
aber er mußte sich schließlich doch dazu be-
quemen. Das heißt, das alte Verbot to
ll£Xa(>7ix6v dp'i'jv ajisivov ist während der
Bauzeit der Propyläen erneuert und ver-
schärft worden; die erste Bauperiode des
Erechtheions setzt später ein. Darum ist
hier der ursprüngliche Baugedanke nicht
mehr so sicher zu ermitteln, wie bei den
Propyläen. Es liegt etwas Gewaltsames
darin, daß Mnesikles seinem prächtigen
Torbau als Flügel Bauwerke angegliedert
hat, die ganz anderen Zwecken dienen
sollten. Er hat sie dazu in ein gemeinsames
Achsensystem gezwungen und durch strenge
Symmetrie die Baugruppe zusammenge-
bunden. Aber gerade die kühne Unterord-
nung der verschiedenartigen Elemente unter
den Gedanken des Torbaues, der nach außen
abweisend geschlossen nur den Zugangsweg
feierlich einladend aufnimmt, während die
breite Innenseite sich frei öffnet, sichert
dem genialen Projekt immer neue Bewun-
derung.
Sitzung vom 4. November 1924.
Herr Rodenwaldt gedachte des acht-
zigsten Geburtstages (lO. August 1924) von
Herrn Trendelenburg und des sechzigsten
Gebuitstages (31. Oktober 1924) von Herrn
Wiegand und berichtete über die Wieder-
aufstellung und Eröffnung der Bibliothek
des Deutschen Archäologischen Instituts
in Rom.
Er teilte sodann die aus Athen einge-
troffene Nachricht von dem Hinscheiden
des Malers Emile Gillieron mit. Ein arbeits-
reiches Leben, dessen Tätigkeit für die
archäologische Wissenschaft in Griechen-
land während der letzten 45 Jahre eine
hohe Bedeutung gehabt hat, ist damit zu
Ende gegangen. Aufgewachsen teils in
seiner Heimat am Genfer See, teils in Basel
hat Gillieron in Paris Malerei studiert,
nachdem er in der Schweiz eine Ausbildung
als Graveur durchgemacht hatte. Dieser
letzteren hat er selbst eine besondere Be-
deutung zugemessen, weil sie ihm die un-
gewöhnliche Sicherheit der Hand verliehen
hat, die es ihm ermöglichte, die Strich-
führung griechischer Vasenbilder und die
Miniaturkunst kretisch-mykenischer Glyptik
nachzubilden. Eine früh erwachte Neigung
zu wissenschaftlicher Erkenntnis ließ ihn
schon in Paris die Technik Rubensscher
Gemälde eingehend untersuchen.
359
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. November-Sitzung 1924.
360
Nach Athen kam er als Maler und Lehrer
der Malerei. Seine künstlerische Originalität
war wohl nicht groß genug, dazu die da-
maligen athenischen Verhältnisse zu un-
günstig, um ihm einen Erfolg zu sichern;
seit Ende der siebziger Jahre war er mehr
und mehr dazu gezwungen, seine Tätigkeit
in den Dienst der Archäologie für wissen-
schaftliche Reproduktionen zu stellen. In
besonders hohem Maße zog ihn das deutsche
Institut für diese Zwecke heran. Er wid-
mete dieser Aufgabe die ganze Intensität
seiner temperamentvollen Veranlagung, wenn
er auch die Tragik des Verzichtes auf eigene
Schöpfungen nie ganz verwunden hat; sie
war der Grund, aus dem er nie eine Repro-
duktion signiert hat. Mit der Veröffent-
lichung der Funde des Kuppelgrabes von
Menidi und dem Jahrgang 1880 der Athe-
nischen Mitteilungen beginnt die ununter-
brochene Reihe seiner Zeichnungen für
wissenschaftliche Publikationen. Wenn
auch die Mannigfaltigkeit der Aufgaben all-
mählich durch die Photographie beschränkt
wurde, so gab es doch immei Objekte, wie
es sie stets geben wird, bei denen der Er-
haltungszustand die interpretierende und
verdeutlichende Zeichnung unentbehrlich
macht. Ganz besonders bedeutungsvoll
wurde seine Tätigkeit für die Festhaltung
der Reste antiker Malerei und der Farb-
.spuren an Skulpturen. Es sei an seine
Mitarbeit bei Wiegands Untersuchung der
Porosskulpturen, seine farbigen Aufnahmen
der Koren, an seine dokumentarischen
Wert behaltenden Wiedergaben der Grab-
stelen von Pagasai und seine Aufnahme
der Lyseasstele erinnert. Meisterhaft sind
seine Kopien der Marmorbilder von Hercu-
lanum und pompeianischer Wandgemälde,
die einen wertvollen Besitz des Hallischen
Robertinums bilden. Sein Gefühl für die
Farbe war weniger sicher als das für die
Zeichnung; aber dieser gewisse Mangel
wurde durch die unermüdliche Gewissen-
haftigkeit meist ausgeglichen.
Das Hauptfeld seiner Tätigkeit und das-
jenige, das ohne seine Hilfe nie so hätte
bearbeitet werden können, wurde die kre-
tisch-mykenische Kunst. Neben seine
Aufnahmen der Funde von Menidi traten
alsbald die noch heute nicht übertroffcncn
zeichnerischen Wiedergaben des Enten-
dolches und des Löwendolches aus My-
kenai in A. M. VII 1882, Taf. 8 und im
'AOvjvatov X 1881. Eine besonders glückliche
Idee war die Herstellung der galvano-
plastischen Nachbildungen von Gegenstän-
den der mykenischen Kunst, die zugleich eine
Reihe wertvoller Erkenntnisse für die Technik
ihrer Herstellung zeitigte (Arch. Anz. 1903,
157 ff.). Sie haben weithin befruchtend und
anregend auf den archäologischen Unter-
richt und die Verbreitung der Anschauung
dieser Kunst gewirkt.
Durch diese innige Vertrautheit mit dem
mykenischen Stil war er der prädestinierte
Mitarbeiter für die wissenschaftliche Ver-
wertung der gewaltigen Funde von Knossos
und der sich daran anschließenden Aus-
grabungen in Kreta und auf dem griechischen
Festlande. Während der beiden letzten
Jahrzehnte ist Gilli^ron von dieser Arbeit,
bei der ihn kein anderer hätte ersetzen
können, fast ausschließlich in Anspruch
genommen worden. Die Fresken von
Knossos, Orchomenos, Tiryns und My-
kenai verdanken ihm eine wahrhafte Auf-
erstehung. Aus eigener Initiative machte
er eine neue, bisher nur zum kleineren Teil
veröffentlichte Aufnahme der Fresken von
Hagia Triada, die die erste Veröffentlichung
wesentlich überragt, und rekonstruierte die
Stuckreliefs von Pseira (s. oben Sp. 268 ff.).
Seine Rekonstruktionen bilden die Grund-
lage unserer Kenntnis der kretischen Malerei;
die Anregungen, die von den Sammlungen
dieser Kopien in amerikanischen Museen,
in Oxford und in Berlin (Arch. Anz. 1921,
34) ausgegangen sind, können nicht hoch
genug eingeschätzt werden. Nebenher
gingen Zeichnungen von Werken der Klein-
kunst, namentlich der Glyptik. Ein großer
Teil von Gillierons Lebensarbeit ist noch
nicht veröffentlicht und wird erst in den
großen Publikationen der Funde von Knossos,
der Schachtgräber von Mykenai und der
Stelen von Pagasai der Allgemeinheit zu-
gänglich werden.
Gillieron hatte sich so in den kretisch-
mykenischen Stil eingefühlt, daß er auch
ohne direkte Vorlage in ihm zu zeichnen
und zuletzt nur mit Mühe ein griechisches
Werk zu kopieren vermochte. Trotzdem
36i
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. November-Sitzung 1924.
362
bleibt auch in seinen Kopien ein nie auszu-
schaltendes subjektives Element, dessen er
sich mit einem gewissen Stolz bewußt war.
Daß er es in einem besonderem Maße zu-
• rückzudrängen vermochte, beruhte wohl
auf der ganz eigentümlichen Verbindung,
die in ihm eine starke rein imitative Veran-
lagung, ein Mangel an eigentlich schöpfe-
rischer Begabung, die Sicherheit der Hand
und ein ausgesprochen wissenschaftlicher
Erkenntnisdrang eingegangen waren. Dieser
letztere hatte ihn auch zu der Überzeu-
gung geführt, daß eine wirklich zulängliche
Kopie nur durch das ständige Zusammen-
arbeiten zweier Persönlichkeiten, eines aus-
führenden Künstlers und eines verglei-
chenden und korrigierenden Kritikers, zu
erreichen sei. Er suchte gern die Beratung
durch Gelehrte, die ihm kompetent schienen,
und fühlte sich nie bei Arbeiten ganz wohl,
bei denen er eine solche ständige Mitarbeit
entbehren mußte.
Die archäologische Wissenschaft hat allen
Grund, Gilliöron ein dankbares Angedenken
zu bewahren. Wer ihn näher kannte, wird
seine originelle, leidenschaftliche, geist-
reiche und humorvolle Persönlichkeit schwer
vermissen.
Herr Trendelenburg sagte darauf der
Gesellschaft Dank für die Begrüßung zu
seinem 80. Geburtstag und übergab seine
Verdeutschung von Euripides' Alkest is, in
der zum ersten Mal der Versuch gemacht
worden ist, den heiteren Charakter dieses
»Satyrspiels ohne Satyrn« möglichst getreu
wiederzugeben. Sie kam als viertes Drama,
also an der Stelle zur Ausführung, die
sonst den Satyrspielen vorbehalten ist.
Die darin auftretende Figur des Thanatos
führte den Verfasser zu einer Prüfung der
Ergebnisse, zu denen Carl Robert in seinem
Thanatos (39. Winckelmannsprogramm) ge-
kommen ist. Robert erkennt in der nackten,
mit mächtigen Flügeln und einem Schwerte
ausgestatteten Figur von fast knabenhafter
Bildung, die der Reliefstreifen einer der
jüngeren columnae caelatae das Artemis-
tempels von Ephesos zeigt, den Thanatos
und beruft sich für dessen Bewaffnung und
Beflügelung auf den Thanatos der Alkestis.
Daß dieser ein Schwert trug, ist sicher, daß
er geflügelt war, kann aus keiner Stelle des
Dramas gefolgert werden und widerspricht
völlig seinem burlesk täppischen Gebaren.
Das irtspioTÖ? {>beschwingt«) V. 262 geht
nicht auf Thanatos, sondern auf Hades
und ist, wie so häufig, in übertragenem
Sinne gebraucht zum Ausdruck der Eile,
mit der die jugendliche Alkestis von Hades
■abberufen wird. »Den Dämonen der Erd-
tiefe gebühren keine Flügel« (v. Wilamo-
witz, Einleit. zu den Eumeniden 232).
Herr A. von Lecoq sprach als Gast über
Kulturströmungen durch Mittel-
asien. Vier große Kulturströmungen sind
leicht in Mittelasien nachzuweisen. Zwei
von ihnen verlaufen in der Richtung von
Westen nach Osten, zwei in der von Osten
nach Westen.
Die erste dieser Strömungen ist das im
unsicheren Lichte der letzten vorchrist-
lichen Jahrhunderte wahrnehmbare Vor-
dringen iranischer und europäischer No-
maden aus Südrußland nach China — diese
Strömung erreicht im 3. Jhdt. v. Chr. das
Knie des Hoang-ho und wird dann nach
den hellenistischen Ländern Baktriens und
NW-Lidicns zurückgedrängt; die Träger
dieser Strömung hellenisieren sich dort
und werden eifrige Förderer des Buddhis-
mus. Der Anfang dieser Bewegung läßt
sich nicht feststellen, dürfte aber in alt-
achämenidische Zeiten hinaufreichen ').
Die zweite Strömung beginnt mit dem
Alexanderzug, durch den hellenistische
Staaten in Baktrien und NW- Indien be-
gründet werden, um, in Indien wenigstens,
bis etwa 50 n. Chr. zu bestehen. Besonders
die an den Pforten Indiens, dem Khaibarpaß,
gelegenen Gebiete, die wir nach der wich-
tigsten Landschaft unter dem Namen
Gandhära zusammenfassen, spielen unter
ihren griechischen Fürsten eine wichtige
Rolle. Hier mischte sich hellenisches und in-
disches Wesen, und hier bemächtigte sich
der indische Buddhaglauben des Formen -
Schatzes der griechischen Mythologie, um
sich ein Pantheon zu schaffen. So wurde
hier, von griechischen oder mischblütigen
■) Diese Strömung kam unter die persönliche
Beobachtung des Vortragenden auf seinem Weg
durch Südsibirien und die Dsungarei. Einiges
darüber bei F. W. K. Müller, To/ri und Küisän,
Sitzber. XXXII 191S.
363
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezembei-SiUuDg 1924.
364
Künstlern, zum erstenmal die Gestalt
des Buddha geschaffen, und zwar nach
dem Vorbild des Apollo oder Dionysos;
Zeus, Hera, Herakles, die Satyrn usw.
wurden umgedeutet zu Gestalten der bud-
dhistischen Mythologie, und Palmetten, Mä-
ander, Rankenwerk aller Art wurde körper-
lich in die neue buddhistische Kunst hin-
übergenommen. Mit anderen Worten:
wie im Westen die Berührung des Christen-
tums mit der ausgehenden Antike die
frühchristliche Kunst, die »christliche An-
tike«, entstehen ließ, so erwuchs im Osten
aus der Berührung der hellenistischen Kunst
mit dem Buddhatum die »buddhistische
Antike« — die beiden neuen Kunstübungen
überraschen häufig durch die Überein-
stimmung der übernommenen Elemente.
Als der Buddhismus begann sich auszu-
breiten, fand er im Westen bald seine
Grenzen, nach Osten aber begegnete seinem
Vordringen keinerlei Hindernis, und so
brachte er seine indo-hellenistische Kunst
einerseits von Baktrien durch Mittelasien
nach China, Korea und Japan, andererseits
von Baktrien durch die indische Halbinsel
in den Archipel und nach Hinterindien.
So gelangten auch alle Arten der Technik
e. g. die Kunst, in großem Maßstabe in Stein
zu arbeiten, nach Indien und nach China.
Begleitet wurde dieser Zug des Buddhismus
von mancherlei Bauformen, die sich in
Iran (Kuppelbau, Laternendach), und an
anderen, die sich in Indien (Stüpa) ent-
wickelt hatten').
Die dritte Strömung setzt ein, als die
Völkerwanderung die Reste der antiken
') Die für die Kunstgeschichte Ostasiens wich-
tigste Strömung ist die mit dem Alexanderzug
beginnende Einwirkung hellenistischer Kunst auf
die Bevölkerung Asiens. Zur Beleuchtung dieser
Einwirkung gab der Vortragende eine Anzahl von
Bilderserien, die die Entwicklung gewisser klas-
sischer Typen in Asien von Stufe zu Stufe zeigen.
Wir erwähnen u. a. die Serie von fünf Bildern der
Ganymedes-Legende, die die Gruppe des Leochares
in ihren Wandlungen in Gandhära, bei den Sassa-
niden, in den Wandgemälden von Kutscha und
Turfan bringt. Auch die Wandlungen, die die Ge-
stalten der Nike, der Gaea, des Helios, sowie die
Cornucopia und der Drache auf dem Weg zwischen
Gandhära und China durchmachen, waren in Serien
vertreten. Daneben wurde das Vordringen ira-
nischer und indischer Bautormen demonstriert.
Kultur in Europa zerschlug. Die Hunnen
und die iranischen Alanen überrannten
weite Gebiete Europas. Sie werden manche
Kulturgüter aus Mittelasien, besonders
Waffen, Kleidungsstücke, vielleicht auch
Begräbnissitten, in Europa eingeführt
haben.
Die vierte Strömung endlich ist der Zug
der Mongolen nach Europa, der für kurze
Zeit wenigstens, durch die an die Post der
Achämeniden erinnernde Nachrichtenbe-
förderung, zum ersten Male Ostasien und
Europa einander nahe brachte und der
sicherlich einen gewaltigen Einfluß auf den
Austausch von Kulturgütern gehabt hat.
Sitzung vom 9. Dezember 1924.
84. Winckelmannsfest.
Das 82. Winckelmannsprogramm ist von
Herrn Franz Winter verfaßt und trägt
den Titel Der Tod des Archimedes.
Herr Rodenwaldt begrüßte die Ver-
sammlung, zu der auch der Kgl. Italienische
Botschafter und der griechische Gesandte
erschienen waren, und sprach zunächst
über die Bedeutung Winckelmanns für die
Gegenwart als eines alle nebeneinander
gehenden oder sich widerstrebenden Rich-
tungen der Auseinandersetzung mit der
Antike einigenden Symbols. Er gedachte
sodann der Bedeutung des diesjährigen
Winckelmannstages für die Altertums-
wissenschaft durch die Feier des fünfzig-
jährigen Bestehens des Deutschen Archäo-
logischen Instituts in Athen und versuchte
in knappen Zügen ein Bild von der Rolle,
die das athenische Institut für die Geschichte
und Entwicklung der archäologischen Wis-
senschaft gespielt hat, und von der Bedeu-
tung der Persönlichkeiten zu geben, die
das Wesen und die Leistungen des Instituts
entscheidend bestimmt haben. Trotz aller
Nöte und Einschränkungen sind Geist und
Wille des Instituts ungebrochen, und zu-
versichtlich tritt es in die zweite Jahrhun-
derthälfte ein. Auch für das deutsche
Archäologische Institut in Rom war das
diesjährige Winckelmannsfest ein bedeu-
tungsvoller Tag, da an ihm nach über
zehnjähriger Pause zum ersten Male wieder
eine Adunanz mit internationaler Beteili-
365
Archäologische Gesellschaft lu Berlin. Dezember-SiUimgr 1924.
366
gung stattfand. Es ist zu hoffen, daß die
alten capitolinischen Traditionen in dem
neuen Heim des Instituts auf dem Mons
Pincius lebendig bleiben.
Herr v. Wilamowitz-MöUendorff sprach
anknüpfend an persönliche Erinnerungen
aus der Gründungszeit des athenischen In-
stituts und aus dem römischen Institut der
siebziger Jahre im Namen der gesamten
Altertumswissenschaft Glückwünsche für die
Zukunft beider Institute aus.
Den Festvortrag hielt Herr Rodenwaldt
über das Thema »Römisches in der antiken
Kunst«. Der Inhalt des von zahlreichen
Lichtbildern begleiteten Vortrages wird
im folgenden kurz skizziert.
Auf die in sich geschlossene, organische
Entwicklung, die von der archaischen Kunst
der Griechen durch die klassische Epoche
zu den Barock- und Rokokoerscheinungen
und zum Klassizismus der hellenistischen
Zeit führt, folgt, beginnend mit dem Über-
gang des politischen und kulturellen Zen-
trums der Mittelmeerländer nach Rom,
eine Epoche, die von wechselnden und
widerstreitenden Bewegungen erfüllt ist und
mit der Zersetzung der Antike endet.
Wir haben zunächst einen auch sonst in
der Kunstgeschichte wirksamen Wechsel
von mehr naturalistischen, unruhigen und
malerischen mit mehr stilisierenden, be-
ruhigten und plastischen Stilen. Dazu
kommen Erscheinungen wie Impressionis-
mus und Expressionismus, letzterer sowohl
im Sinne kunstgeschichtlicher Altetser-
scheinungen wie des Umschlagens in Pri-
mitivität, die Ausdrucksformen allgemeiner,
nicht an Länder und Nationen gebundener
geistiger Bewegungen sind oder sein können.
Endlich ringen miteinander die geistigen
Wesensformen der verschiedenen an dem
Entwicklungsprozeß der Kaiserzeit betei-
ligten Völker oder Kulturen, des Griechen-
tums, des Römertums, des Orients und der
primitiven Völker. Angesichts dieser Ver-
worrenheit, geht es nicht an, von dem Geist
der Kunst der römischen Kaiserzeit zu
sprechen und zu versuchen, ihn durch eine
einfache und einheitliche Formel zu erfassen.
Vielmehr ist es zunächst erforderlich, mit
bewußter Einseitigkeit jeder einzelnen dieser
verschiedenen Erscheinungen nachzugehen,
Archäologischer Anzeiger 1923/24.
Wie es in diesem Falle mit dem Römischen
in der antiken Kunst geschieht.
Römisch ist der Gehalt der historischen
Darstellungen und der Bilder aus dem
römischen Leben. Die Bedeutung dieser
Tatsache geht weit über das eigentlich
Inhaltliche hinaus. Der Parthenonfries
stellt nicht einen bestimmten Panathenäen-
zug, sondern gewissermaßen die Idee des-
selben dar. In dem Alexandermosaik ist
aus zeitlichem und geistigem Abstände
heraus das Wesen des Sieges des helle-
nistischen Heerführers über den orienta-
lischen Herrscher unter Abstreifung alles
Akzidentellen zum Ausdruck gebracht. Da-
gegen geben römische geschichtliche Dar-
stellungen die zufällige, einmalige Wirk-
lichkeit, wie sie -gewesen ist, wieder, z. B.
die Ära Pacis den Prozessionszug bestimmter
Persönlichkeiten in der Form, wie er sich
an einem bestimmten Tage vollzogen hat.
Ein ähnlicher Gegensatz zeigt sich bei
einem anderen Thema, der Darstellung der
ehelichen Zusammengehörigkeit auf attischen
Grabstelen und römischen Sarkophagen;
dort der Gestus der Handreichung ohne
Bezugnahme auf eine bestimmte Zeremonie,
hier der Akt der Eheschließung. Man wird
der römischen Darstellung nicht mit dem
Begriff des Naturalismus gerecht; denn
wir finden hier nicht nur symbolische Be-
deutung, sondern auch die Einfügung
göttlicher Gestalten in die irdische Handlung.
Vielmehr strebt der Grieche zui Formung
der Idee, während der Römer die Bedeutung
des Geschichtlichen in seiner einmaligen
zufälligen Wirklichkeit empfindet und dieser
Empfindung Ausdruck verleiht. Diese
Empfindung ist eine Folge des positivisti-
schen Verhältnisses der Römer zur ört-
lichen und zeitlichen Wirklichkeit, das in
einem tiefen Wesensgegensatz zum grie-
chischen Geiste steht. In diesem Sinne ist
die historische Kunst der römischen Re-
publik und der Kaiserzeit ein adäquater
Ausdruck des römischen Geistes und kann
recht eigentlich römisch genannt werden.
Dieser Tatsache gegenüber ist es ganz
unwesentlich, ob die Einzelformen griechisch
sind oder griechische Meister die Werke
ausgeführt haben. Wahrscheinlich ist dies
in hohem Maße der Fall gewesen; aber
«4
367
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitzung 1924.
368
die griechischen Meister haben sich ihrer
IndividuaHtät entäußert und die Formen
zum Ausdruck römischen Wesens geliefert.
Die griechische Kunst ist hier zur Dienerin
der Römer geworden.
In einem merkwürdigen Gegensatz zu
allen anderen Völkern verwandter Kultur-
stufen haben die Griechen eine innere Ab-
neigung gegen das Porträt gehabt. Auf
die instinktive Ablehnung während der
archaischen Epoche folgte die bewußte
Polemik gegen die Anfänge des Porträts
in der klassischen Kunst. Wesentlich anders
ist bekanntlich von vornherein das Ver-
hältnis der Römer zum Porträt gewesen.
Vergleichen wir griechische oder helle-
nistische Porträts mit typisch römischen,
so ist auch hier nicht entscheidend der
größere oder geringere Verismus in der
Wiedergabe der Naturformen ; vielmehr stellt
der Grieche alle Formen bis zum geringsten
Detail in den Dienst des Ausdrucks des
Charakteristischen, des Wesens der Persön-
lichkeit, während der Römer einen zu-
fälligen, einmaligen Zustand wiedergibt.
Beide Darstellungsarten gehen im Laufe
der Kaiserzeit die verschiedensten Verbin-
dungen ein. Während uns die Gestalt
Alexanders des Großen sich stets ins Gött-
liche auflöst, ist Augustus die erste Per-
sönlichkeit, dessen menschliche Entwicklung
wir an seinem Porträt trotz der auch hier
vorhandenen merkwürdigen Konventionen
verfolgen können. Der Grieche sucht auch
im Porträt das Zufällige und Veränderliche
abzustreifen, während der Römer es festhält.
Das Verhältnis der griechischen Kunst
zum Porträt von Ereignissen und Menschen
entspringt ihrem normhaften Wesen. Es
ist ein von der Archäologie noch nicht
genügend gewürdigtes Verdienst Max Dvor-
öaks, klarer als je vorher den tiefen Gegen-
satz zwischen der Antike und aller neueren
Kunst dargestellt zu haben, die nicht »die
zur begrifflichen Norm und Formenvollen-
dung erhobene Naturkenntnis, sondern das
einmal Beobachtete und individuell Cha-
rakteristische als Naturtreue empfindet«.
Größe und Grenzen der griechischen Kunst
beruhen auf ihrem Streben zur Norm. Sie
ermöglicht die Vermenschlichung der griechi-
schen Götter, ohne sie zu entgöttlichen, und
die Innigkeit attischer Grabstelen, ohne
indiskret zu werden. Sie bildet aber auch
für uns die Schranke, die die scheinbare
Kühle der Antike erzeugt, und stellt ihre
Werke auf die Höhe, zu der wir empor-
steigen müssen. Sie erzeugt die absolute
Vollendung, aber auch die Unnachahmlich -
keit ihrer Schöpfungen. Die Macht dieser
klassischen Kunst war so groß, daß das
römische Empfinden, auch wenn wir es als
abweichend voraussetzen, sich ihm fügen
mußte. Auf dem Gebiete der Idealplastik
und weiter in der Darstellung des Menschen
und der Bildung des Gewandes erhält sich
die griechische Tradition bis zur Um-
formung ins Mittelalter. In diesem Sinne
haben wir es nur mit einer einheitlichen
Antike zu tun. Nur dort, wo überformale
Ausdrucksbedürfnisse die Oberhand ge-
wannen, bei der historischen Darstellung
und beim Porträt, siegte das der neueren
Zeit verwandte Empfinden für die Be-
deutung des Einmaligen, Wechselnden und
Zufälligen und bediente sich der griechischen
Form als eines Mittels der Darstellung.
Die Reliefs der Traianssäule und der
Marcussäule sowie andere Reliefs mit Szenen
aus dem wirklichen Leben zeigen eine Dar-
stellung der Landschaft, die weit über die
Einbeziehung landschaftlicher Elemente in
die Kunst des Hellenismus hinausgeht. Sie
spiegeln eine Malerei wider, von der
uns wenige Reste und eine reiche literarische
Überlieferung Zeugnis ablegen. E^ geht
daraus hervor, daß mindestens seit dem
dritten vorchristlichen Jahrhundert, wahr-
scheinlich aber zurückreichend bis in die
Epoche der in ihrem Wesen ebenfalls
italischen etruskischen Kunst die eigentlich
volkstümliche, herrschende und den Cha-
rakter Roms bestimmende Kunst die Malerei
gewesen ist. Sie umfaßte ein Stoffgebiet
und hatte eine Bedeutung im öffentlichen
Leben, für die wir in der griechischen Kultur
auch nichts annähernd Vergleichbares finden.
Nichts beleuchtet ihre Bedeutung schärfer
als die Tatsache, daß die Malerei in Rom
auch von Angehörigen der Nobilität aus-
geübt wurde. Als Volkskunst von gar
nicht hoch genug zu schätzender Bedeutung
hielt sich diese realistische und den Menschen
im Zusammenhange der Umgebung dar-
369
Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Dezember-Sitzung 1934.
370
stellende Malerei bis zum Ausgang der
römischen Antike lebendig. Innerlich ver-
bunden scheint sie mit dem historischen
Gehalt ihrer Themata. Zeigt sich hierin
die positive Neigung zur Malerei, so be-
gegnen wir entsprechend einem Mangel
plastischen Empfindens, z. B. in der Be-
schränkung des Porträts auf den Kopf,
während der Grieche ursprünglich und über-
wiegend die Ganzheit der Gestalt für not-
wendig hält. Im Gegensatz dazu ist die
griechische Kunst plastischen Wesens, auch
in der Malerei, einschließlich des Hellenis-
mus. Da die Plastik grundsätzlich nach
dem Bleibenden und Ruhenden strebt unter
Ablösung des zufälligen örtlichen und zeit-
lichen Zusammenhanges, während die Ma-
lerei den Augenblick und die räumliche
Erscheinung festhält, sind die von uns fest-
gestellten gegensätzlichen Kategorien des
Normativen und Plastischen für die Griechen
und des Positivistischen und Malerischen
für die Römer auch innerlich unter sich
zusammenhängend.
Aus der Schwäche des plastischen Emp-
findens und der eingewurzelten Neigung zur
Malerei würde noch nicht mit Notwendig-
keit folgen, daß die Römer auch den eigent-
lich malerischen Stil in der Malerei zur
Entwicklung gebracht haben. Im vierten
pompeianischen Stil sind uns Zeugnisse
eines malerischen Stils erhalten, dessen
Geist und Phantasie, Grazie und Tempera-
ment noch nie die gebührende Würdigung
gefunden haben. Freilich darf man seine
Vorzüge nicht in den Figurenbildern, son-
dern in den dekorativen Bildchen, Gestalten
und Ornamenten suchen. Entspringt dieser
Stil, dessen malerische Eigenschaften weit
über impressionistische Züge des Hellenis-
mus hinausgehen, einer allgemeinen geistigen
Bewegung, die nicht an die Materie einer
Volksindividualität gebunden ist, oder ge-
winnt in ihm eigentümlich römisches Kunst-
empfinden eine zu hoher dekorativer Form
gesteigerte Gestalt? Betrachtet man den
Stil, der sich um die Mitte des ersten Jahr-
hunderts entwickelt und den man wenig
treffend meist als fiavisch bezeichnet, als
Ganzes, so wird man zu der zweiten Deu-
tung neigen. Denn auch in der Plastik
und Architektur kommt in ihm nach dem
Klassizismus der augusteischen Kunst das
eigentlich schöpferische Römische wieder
zum Durchbruch. Das gilt für Relief und
Porträt, vor allem aber für die Schaffung
kunstgeschichtlich entscheidender Bau-
formen, wie des Typus der Kaiserthermen
durch die Thermen des Nero, des Kreuz-
gewölbes und der Fassadenbildung. In der
Überwindung der plastischen Form und
des organischen Aufbaues in der dekorativen
Malerei dieses Stils scheint daher römisches
Empfinden zu walten.
In der dekorativen römischen Kunst,
sowohl in der Wandmalerei wie in der
Architekturornamentik, z. B. bei den Kom-
posit- und Mischbildungen der Kapitelle
oder auch bei dem Variationsspiel der
Säulensarkophagfronten, offenbart sich ein
Gegensatz zum Griechentum, der in erster
Linie als ein Mangel erscheint. Es fehlt
der römischen Kunst die Notwendigkeit
der Einheit und des organischen Aufbaues
dekorativer Gebilde. Dieser Gegensatz
erstreckt sich nicht nur auf die ältere,
sondern auch auf die gleichzeitige griechische
Kunst, die den dekorativen Schöpfungen
der römischen Architekturornamentik gegen-
über eine große Zurückhaltung bewahrt.
Wenn wir sie nun aber auch als absolut
schwächer erkennen, so dürfen wir anderer-
seits auch nicht übersehen, daß der Mangel
an jenen Bindungen, die das griechische
Kunstwollen erfordert, den Römern eine
Beweglichkeit verleiht und ihnen im Spiel
der Phantasie eine Freude an der Kon-
tamination erlaubt, die diesen ganzen
Formenreichtum als ejn Vorspiel innerlich
verwandter Formen der mittelalterlichen
Kunst erscheinen läßt.
Die Originalität der römischen Archi-
tektur und ihre Gegensätzlichkeit zur
griechischen bedürfen keines Beweises und
keiner These. Im Grunde steht uns die
griechische Architektur als Bauform und
Raumgestaltung innerlich viel ferner als
die römische und bedarf viel mehr der Er-
läuterung. Sie beruht wiederum auf dem
Extrem plastischer Veranlagung, deren
idealer Ausdruck die plastische, ruhende
Gestalt des griechischen Tempels ist. Der
italische Tempel bewahrt den alteuropäi-
schen Richtungsgehalt, das Haus weitet
371
Neue Photographien spätantiker Denkmäler.
372
und gliedert sich von innen heraus. Bauten
schließen sich zu Komplexen zusammen. Die
Gewölbebauten erfüllen sich mit einer kon-
struktiven Belebung und Bewegung, die im
Keim Gotisches enthält, das aber nicht zum
vollen Ausdruck gelangt, weil im Kampfe
zwischen Konstruktion und Dekoration mit
der letzteren die griechische Tradition siegt.
Auch für die römische Architektur ist
entscheidend die Freiheit von den griechi-
schen Bindungen. Wo der griechische Ein-
fluß wirksam ist, wirkt er hemmend. Wir
empfinden auf der anderen Seite die innere
Verwandtschaft zu den malerischen Eigen -
■tümlichkeiten der bildenden Kunst und zur
Phantasie dekorativer Elemente, wenn sie
sich auch schwer begrifflich fassen läßt.
Betrachten wir die antike Kunst im
Gegensatz zu der des Orients oder des
Mittelalters, so gibt es nur eine einige antike
Kunst. Erst wenn wir näher herantreten,
erkennen wir die römischen Züge, die aber
nicht stark genug sind, um eine in sich ge-
schlossene neue und andere Kunst zu
schaffen, die sich der griechischen gegen-
überstellt. Das römische Kunstempfinden
reicht an Stärke und Ausdruckskraft nicht
entfernt an das unvergleichliche der Griechen
heran. Wohl aber sehen wir, daß es seinem
Wesen nach von dem griechischen grund-
verschieden ist und daß seine verschiedenen
Äußerungen diesem einheitlichen Wesen
entspringen. So überragend in der Gesamt -
erscheinung der Kunst der Kaiserzeit die
griechische Tradition ist, so sehr ist doch
das Römische das eigentlich Lebendige.
Jene gleicht einem mächtigen schattenden
Baume, der weder Blüten noch Früchte
mehr trägt, in dessen Zweigen vielmehr
■Schlinggewächse Blumen entfalten. Erst
als der Stamm gefallen war, vermochte sich
ein neuer Baum zu entwickeln. In dem,
was uns als römisch erscheint, erkennen wir
etwas, das in seinen positiven Eigenschaften,
aber vielleicht stärker noch durch das Fehlen
des Griechischen der neueren Zeit innerlich
näher steht als die griechische Kunst. Es ist
eine irdische Kunst im Gegensatz zu der
göttlichen der Griechen.
NEUE PHOTOGRAPHIEN SPÄT-
ANTIKER DENKMÄLER.
Brescia, Langobardisches Prozessionskreuz,
einzelne Teilaufnahmen mit Gemmen.
13 X 18.
Brescia, Museo civico, Bronzebüsten (Julia
Titi, Septimius Severus, Probus?).
13 X 18.
Florenz, Bargello, Elfenbeinrelief, Kaise-
rin, nat. Größe.
Madrid, Silberschild des Theodosius, Ge-
samtansicht und Teilaufnahmen.
24 X 30 und 13 X 18.
Mailand, Silberkasten von San Nazaro, von
allen Seiten. 24 X 30.
Mailand, Theodora, von allen Seiten.
24 X 30.
Mailand, Domschatz, Diptychon 5. bis
6. Jahrh. 30 X 40.
Mailand, ebenda, Diptychon, 9. Jahrh.
30 X 40.
Mailand, ebenda, Zwei Buchdeckel. 30 X 40.
Monza, Diptychon, Dichter und Muse.
30 X 40.
Monza, Diptychon, sogenannter Stilicho.
30 X 40.
Monza, Diptychon, David und Gregor.
30 X 40.
München, Glyptothek, Porträtkopf Nr. 266,
mehrere Aufnahmen. 18 X 24.
Ravenna, Porphyrtorso, verschiedene Auf«
nahmen. 18 X 24.
Rom, Villa Borghese, »Crispus«, Gesamt-
ansicht und Teilaufnahmen. 24 X 30.
Rom, Conservatorenpalast, Kolossaler Bronze-
kopf und zugehörige Hand. 18 X 24.
Rom, ebenda, Marmorkoloß des Constan-
tin, Kopf. 24 X 30. Teilaufnahmen
der Gliedmaßen.
Rom, Lateran, sog. Dogmatius, Kopf.
24 X 30.
Rom, ebenda, Panzerstatue des Constantin,
Kopf. 24 X 30.
Rom, Thermenmuseum, sog. Julianus
Apostata, Gesamtansicht und Teilauf-
nahmen des Kopfes.
Rom, Museo Torlonia, Spätantike Por-
träts, ferner Caesar v. Bovillae, Galba.
Rom, Vatikanische Bibliothek, Porphyrsäu-
len mit Kaiserpaaren, Gesamtansichten
und Einzelaufnahmen der Köpfe.
373 Die Antiken der evangelischen Schule in Smyrna. — Archäologische Dissertationen. 374
Tivoli, Villa d'Este, Kaiserkopf, mehrere
Aufnahmen. 13 X 18.
Turin, Porphyrtorso. 18 X 24.
Venedig, Porphyrgruppen, mehrere Gesamt-
ansichten, Teilaufnahmen der Köpfe
und Füße. ^
Wien, Elfenbeinrelief, Kaiserin, nat. Größe.
Der Unterzeichnete (Gießen, Universität,
archäologisches Institut) ist bereit, Abzüge
der angeführten Photographien zu Studien-
zwecken zu vermitteln. Die Veröffent-
lichung bleibt vorbehalten.
R. Delbrueck.
DIE ANTIKEN DER EVANGELISCHEN
SCHULE IN SMYRNA.
Bei dem Brande von Smyrna sind die
Antiken der evangelischen Schule zugrunde
gegangen. Eine vollständige Beschreibung
oder ein brauchbarer Katalog ist nicht vor-
handen. Da aber gewiß zahlreiche Fach-
genossen Notizen, Zeichnungen, Photo-
graphien und Negative dieser Sammlung
besitzen, liegt es im Interesse der Wissen-
schaft, dieses Material zu sammeln und all-
gemein zugänglich zu machen. Es besteht
die Absicht, als Beiheft zu den »Einzel -
aufnahmen antiker Skulpturen« eine mög-
lichst vollständige Beschreibung mit Ab-
bildungen zu geben. Ich bitte diesen Plan
zu unterstützen; bei der Publikation wer-
den die wissenschaftlichen Rechte des Ein-
zelnen selbstverständlich gewahrt werden.
Erlangen. Georg Lippold.
Löwenichstraße 18.
ARCHAEOLOGISCHE DISSER-
TATIONEN.
Elisabeth Franck, Griechische Standspiegel mit
menschlicher Stützfigur. Ludwig Maximilians-
Universität München 1923. Referent: Prof. Paul
Wolters.
I. Analyse der tektonischen Formen des Stand-
spiegels. — Die ägyptischen Spiegel mit mensch-
lich gestaltetem Griff waren sämtlich Handspiegel,
erforderten also im Gegensatz zu den in dieser
Arbeit behandelten griechischen keine Standfestig-
keit. Trotzdem kann Abhängigkeit der griechischen
Exemplare mit nackter weiblicher Stützfigur von
jenen ägyptischen angenommen werden. (Prasch-
niker ö. J. 1912, 245 ff., Furtwänger, MW 633 ff.).
Der Scheibenträger, das vermittelnde Glied zwischen
Figur und Spiegelscheibe, zeigt in Ägypten 2 Haupt-
formen: I. rundes, kalatosartiges Gebilde, in das
die Scheibe eingelassen ist, wie Cat. du Caire, Bi-
n^dite, Miroirs 44043 — entsprechende griechische
Spiegel Athen, de Ridder, Bronzes Soc. Arch. 151
und München, Praschniker a. a. 0. 230. — 2. Hori-
zontal ausladendes Glied in Form der Papyrusdolde
wie Fechheimer, Kleinplastik der Ägypter, Taf. 128.
Bei griechischen Spiegeln ist die entsprechende
Form nicht erhalten; im Gegensatz zur rundplasti-
schen Dolde erscheint hier der horizontal ausladende
scheibenförmig platte »Träger«, dessen verschiedene
Formen sich aus dem Volutenkapitell ableiten lassen,
wie es sich an dem archaischen Griffspiegel aus
Ägina (schurzbekleidetes Mädchen, Ephem. arch.
1895, Taf. 7) findet. Am reinsten ist diese Form bei
unteritalischen, lokrischen Exemplaren erhalten
(Syrakus, Notizie d. Scavi 1912 Suppl. Fig. 4).
Bei Athen, Arch. Ztg. 1875 ,Taf. 14, 1 läßt sich der
Träger als in die Breite auseinandergezogenes Vo-
lutenkapitell auffassen, und fast alle mutterlän-
dischen Exemplare lassen sich als bereicherte Aus-
gestaltungen dieser Grundform verstehen mit der
Tendenz, der breit ausladenden Scheibe im »Träger«
ein Gegengewicht zu schaffen. Sie erweisen sich
schon dadurch als geschlossene Reihe, deren Spitze
jener athenische Spiegel bildet. Auf dieselbe ge-
schlossene Stetigkeit der Entwicklung weisen ihre
übrigen tektonischen Formen hin. Die Basen haben
fast durchgängig Glockenform; bei den italischen
Exemplaren ist die Stufenbasis beliebt.
Als Raumfüllung zwischen den Schultern der
Stützfigur und dem Scheibenträger dienen in ar-
chaischer Zeit Sphingen (Arch. Ztg. 1875, 14, i;
Athen, Spec. Anc. Sculpt. H Taf. 6, London) oder
Panther (unteritalische Exemplare, Sieveking,
Bronzen der S. Loeb, Taf. 6 — 8), im Mutterland
seit etwa 480 Eroten (früheste Beispiele: Peters-
burg, Schebelew, Mat. z. Archäologie Rußlands
1907, Taf. 2 und Boston, Forman Coli. 66, Taf. 3, :),
die dann dauernd bleiben. Die Deutung der be-
kleideten, weiblichen Stützfiguren auf Aphrodite
ist nicht wahrscheinlich. Die nackten Stützfiguren
faßt man allgemein als Hetären oder Hierodulen
auf; die auch rein ornamental verwendeten beklei-
deten weiblichen sollte man von jenen nicht prinzi-
piell trennen und sie einfach als schöne Mädchen
in der Tracht des Alltags auffassen.
n. Stilistische Analyse der Stützfiguren. — Die
Betrachtung der tektonischen Grundformen machte
schon für die große Masse der mutterländischen
Spiegel Entstehung in einem nicht weit ausgedehnten
Bezirk wahrscheinlich. Dies Resultat wird durch
die stilistische Analyse vollauf bestätigt, weil sie
eine durchaus stetige Entwicklung des statuarischen
und der Gewandstilisierung erkennen läßt. Das
375
Archäologische Dissertationen.
376
ganze Material läßt sich in 11 Gruppen ordnen, von
denen Gruppe 2 italische archaische Figuren, 8 ver-
einzelt stehende Peplosfiguren, 9 kalabrische, be-
kleidete Figuren, 10 nackte, männliche Figuren,
II die von Praschniker schon behandelten nackten,
weiblichen Figuren umfaßt. Die übrigen Gruppen
enthalten die in ununterbrochener stilistischer Ent-
wicklung aufeinanderfolgenden mutterländischen,
bekleideten Figuren. — Innerhalb dieser mutter-
ländischen Gruppen und beim Übergang von der
einen zur anderen tritt die Zähigkeit hervor, mit der
die einzelnen Stilisierungsmotive (Gewandraffung,
Mittelfalten am Unterteil) festgehalten und nur
ganz langsam in eleganterer und freierer Manier um-
gebildet werden. Nur einzelne Stücke von besonders
hoher Qualität zeigen originelle und fortschrittliche
Elemente. Die Gruppen 2, 9 und 10 lassen sich im
griechischen Westen lokalisieren, als etrusldsch
erweisen sich mit Wahrscheinlichkeit Walters, Cat.
Bronzes, Brit. Mus. 548 und 551, als unteritalisch,
vielleicht kalabrisch der Rest der Gruppe 2. Gruppe 9,
aus den jüngsten Ausgrabungen der Italiener in
Kalabrien stammend, läßt sich sicher lokalisieren,
entweder dort selbst oder doch in einem westgrie-
chischen Fabrikationsorte, da sowohl die tekto-
nischen und ornamentalen, wie die statuarischen
Formen sich deutlich von denen der mutterländischen
Gruppen abheben. — Gruppe 8 ist nicht mit voller
Sicherheit zu lokalisieren; nur bei dem Exemplar
der Sammlung Lambros (Cat. Lambros u. Dattari,
Taf. 17, 212) ist Locri als Fundort gesichert und
danach für sie wie für andere, ihr ähnliche Exem-
plare derselben Gruppe die westgriechische Heimat
wahrscheinlich. Das gleiche gilt für die nackten
männlichen Stützfiguren (Gruppe 10) mit Aus-
nahme von Walters, Cat. of Bronzes, Brit. Mus. 224,
Taf. 3 (aus Theben) und Coli. Somz&, Taf. 32,
Brüssel (aus dem Peloponnes). Letztere, gegen
Ende des 5. Jahrh. zu datieren, stellt überhaupt
den letzten Ausläufer eines schon degenerierten
Fabrikbetriebes dar, den wir für die große Masse
der mutterländischen Standspiegel anzunehmen
haben, und der in der Zeit seiner Blüte anscheinend
keine nackten männlichen Figuren verwendete. —
Seine zeitliche untere Grenze bildet also die Brüsseler
Bronze, die obere gewinnen wir durch die ziemlich
sichere Datierung des Athener Spiegels mit Sphingen,
der den Anfangspunkt der mutterländischen Reihe
bildet; er ist um 525 zu datieren (vgl. Schrader,
Auswahl, Fig. 5). Der Fabrikbetrieb bleibt etwa
75 Jahre auf gleicher Höhe; seine höchste Blüte
fällt ungefähr 490 — 470 (Gruppe 2), also nicht weit
entfernt von der höchsten Blüte des rotfigur. Stils.
Nach ^o scheint eine Stagnation einzutreten,
deren innere, kunsthistorische Ursache darin zu
sehen ist, daß diese Kleinkunst das Problem der
Ponderation des menschlichen Körpers mit dem
der Stützfigur vereinte, diese Vereinigung mit der
ganzen Energie jener Kleinkunst des ausgehenden
Archaismus und des strengen Stils anpackte und
löste, dann aber liegen ließ. Die äui3eren historischen
Gründe sind wohl in der Lahmlegung des korin-
thischen Handels um die Mitte des 5. Jahrh. durch
die Operationen der Athener (Ed. Meyer, Gesch.
des Altert.» III 599 ff.) zu sehen. Auf eine pelo-
ponnesische Fabrik weist nämlich der allgemeine
Charakter der mutterländischen Spiegelstützen hin,
ihr verschlossenes, trübes Wesen, ihre Tracht, auf
Korinth speziell weist dessen Rolle in der Metall-
industrie und zahlreiche Provenienzen hin, vor allem
aber die Ähnlichkeit von Gruppe 6 mit Statuen wie
Kreta (Bull. Com. 1897, Taf. 12, 13 — Thermen-
museum Br. Br. 337, Helbig^ 1289 — , Athena im
Thermenmuseum Br. Br. 502, Heibig' 1338. Die
Bronzen sowohl als die Marmorstatuen zeigen einen
besonders herben und schematischen Typus der
Peplosfigur, der sich gleichfalls bei Terrakotten aus
Tiryns findet: Tiryns I Taf. 12, 3 (von Frickenhaus
nach Argos gesetzt). Nach Herodot V 87 ff. wurde in
Argos, Sikyon u. Ägina, den Städten, die für die
Fabrik der Standspiegel in Betracht kämen, Ende
des 6. und Anfang des 5. Jahrhunderts ausschließlich
der Peplos getragen; das Vorkommen des Chiton
bei den Spiegelstützen erklärt sich bei Ansetzung
der Fabrik in Korinth. Eine oder mehrere Ab-
zweigungen sind im griechischen Westen anzunehmen.
Besonders wichtig ist die gewonnene Möglichkeit,
die wichtigsten Probleme der Epoche vom Ende
des Archaismus bis zum Ende des strengen Stils an
griechischen Originalen beinahe von Jahr zu Jahr
in ihrer Entwicklung zu verfolgen: das Problem der
Tektonik, das der Ponderation und das der Gewand-
stilisierung.
REGISTER.
I. SACHREGISTER.
Die Spaltenzahlen des Archäolo^schen Anzeigers sind kursiv gedruc1<t.
Abkürzun?en: Br(n) « Bronze(n). G(n) ■» Gemme(n). Gr = Gruppe. L = Lampe. M*» Marmor. Mos(en} ■> Mosaik(en).
Mze(n) _ Münze(n). Rel(s) = Relief(s). Sk(e) — Sarkophag(e). Sp = Spiegel. Sta(n) = Statue(n). Stte(n) = Statuette{nl.
T(n) = Terrakotten. V(n) ■• Vase(n). Vb — Vasenbild. Wgm — Wandgemälde.
Abu Simbel, Gefallenendarstellung in — 26
Ägyptische Kunst: Motiv des Gefallenen i ff.;
Behandlung des Nabels 5, 24; Darstellung des
Segels im AR 7 ; — Nachbildungen 'phoinildscher'
Metallschalen 189 ff.; — Motive auf der Caere-
taner Busirisvase II ff.
Akroterfragment (Nike) aus Kos 248
Alabastra, ägyptische 191
Alexander-Mos 69, 71
'Alexandrinische' Bildwerke 249, 2545.
Alkamenes 150 f.
Altar des Artemistempels zu Magnesia 3^ ;?.
A mar na, Ringerdarstellung im Grab des Meryre zu
— 25'
Amenophis, Barkenmodell aus dem Grabe — II.
17, 19; Siegesstele — III. 26
Amulett, Dekoration eines ägypt. — s in Berlin 18
Anaukultur 349 ff.
Anti, Darstellung im Grab des — 10 ff., 15, 20
Antigonos Gonatas auf einem Wgm von Boscoreale
68 ff.
Antiphanes Hydria frg. 212: 93
Archäologische Dissertationen 373ff.
Archäologische Gesellschaft zu Berlin, Sit-
zungen 1923: Februar HO ff.; März Iljff.; April
118; Mai 118 ff.; Juni I2I f.; Juli 122 ff.; Oktober
(außerordentlich) J25; November J25 //.i Dezember
12$ ff.; Sitzungen 1924: Januar 2y6ff.; Februar
278 ff.; JAäiz 300 ff.; April 342; Mai 342 ff.; Juni
348 ff.; Juli 356 ff-; November 35^ ff-; Dezember
364 ff-
Archäologisches Institut, Jahresbericht 1922
und 1923: 1 ff.
Archelaos, Apotheose Homers 120
Architektur, römische 370 f.
Aristonautes, Grabmal des — 51 ff.
Aristophanes, Grundmotiv der Ekklesiazusen
128 ff.
Aryballoi, ägyptische 191, 195, 202
Asaphsiegel 185
Asien, Kulturströmungen in Mittel — 362 ff,
Athen, Erechtheion und Propyläen J56 ff. ; Triton-
giebel vom alten Athenatempel 113 ff.; Parthenon
48; Aphrodite des Parthenonostgiebels 121; Fig. 8
vom Westfries des Parthenon 62; Fries des Tem-
pels am Ilissos 116; Fries des Lysikratesdenkmals
30; weiblicher Kopf von der Akropolis 51; 'phoi-
nikische' Schale von der Akropolis 214; Grab-
stele der Erato im Nat.-Museum 62; Grabstein
der Serapias im Nat.-Museum 94
Attalos I, Bildnis des — aus Pergamon 126
Babylon, Südburg des Kasr in — ^ f.
Baebia, Sta der — aus Magnesia 120
paxTr|p(a 80, 100
Barken, gemalte — aus Gräbern zu Biban el Moluk
19
Basilika Konstantins auf einem Altarbild des
Macrino d'Alha. 41; altchristliche — enl2Sff.
Basis von Sorrent 252 f., 266; Rel einer — im
Tempel zu Gebel Barkai 18; — en von Sitzstten
des Königs Chasechem 3 f., 9, 13, 15, 20, 26 f.
Begerawije, Rel einer Pyramide zu — 18
Benihassan, Darstellungen in den Gräbern von —
14 ff.
Berlin, Reibruchstück der 18. Dynastie 25; Frauen-
kopf 88; Grabstein des Metrodoros aus Chios 92,
105; Skyphos 2589 : 129
Bernsteinschnitzereien, archaische — in New-
York und London 169 ff., 178 ff.
Bet el Wali, Gefallenendarstellung in — 26
Biban el Moluk, gemalte Nilbarken aus Gräbern
zu — 19; gemalte Schemel aus den Königsgrä-
bern zu — 18
Bocchorisgefäß aus Corneto 197
Boghazkoi, Tempelanlagen von — 162 f.
379
Register.
380
Bologna, Kolonettenkratere in — 130
Boscoreale, Wgm 2. Stiles in der Villa von — 65 £f.
Boston, Stamnos 132
Bronzen: Amphora Pourtalis 525/.; Dreifuß in
Kairo 332 f.; Dreifüße aus Vulci 302 ff-; Geiäü-
henkel 376/7.; Helm in Paris 524/.; Kronleuchter
im Louvre 3I4f-; Schalen aus Nimrud 180 £f.; Sp
in Lyon 33; griechische Spstützen 374 ff -'i Thymi-
aterion in Mainz 312 f.; — Industrie von Vulci
302 ff. ; — stten aus Spanien 183 ff., l8y ff. ; — si ten
aus Wörlitz 57/., liegende Silene 315 i-\ Ver-
wundeter von Bavai 70
Bryaxes 339; Anteil des — am Mausoleum von
Halikarnaß III ff.
Bubastis, Bilder aus der Festhalle Osorkons II.
in — 25
Büchse, Jagdbild auf einer Holz — aus Kahun
24 f.; Holz — Hoffmann 192 f.
Büste einer Frau in Kairo 332
Castellar de Santis teban, Heiligtum von —
187 ff.
Chasechem, Basen von Sitzstten des Königs —
3f-. 9. 13. 15. 20. 26 f.
Chios, Grabstein aus — 91 S., 116; Kopf des Mäd-
chens von — 249
Chrysipp, Kopf des — 59'
Cucuteni, Ausgrabungen und Kultur von — 348 ff.
Dahshur, Pektorale Sesostris' III. aus — 16
Damatrios, Grabtürfries des Hieronymos 118, 123
Deir el Gebrawi, Bastonnadesszene aus — 12
Dekorative römische Kunst 3yo
Della Setas Deutung der ägypt. Körperdarstel-
lung 4 f.
Delphi, 'phoinikische' Schale von — 214; Rinder-
raubmetope 164 /. ; Rel vom Denkmal des Aemilius
Paulus 71
Demetrios Poliorketes auf einem Wgm \on
Boscoreale 107 fE.
Der el-bahri, Reis aus dem Tempel zu — 18 ff.
Deshashe, Darstellung im Grab des Anti zu —
10 ff., 15, 20
Despe naperros, Heiligtum von — 187 ff.
Didymaion, Innere Einrichtung 342
Dioskurides, Mos des — in Neapel 112, 114, 123
Dreifuß, Br. — in Kairo JJ2 /.; — e aus Vulci 302 ff.
Ephesos, Baugeschichte des Theaters 276 ff.; rö-
mische Bühnenfront 2758.; bisherige Rekon-
struktionen 2830.; neue Rekonstruktion 288 ff.;
Einbauten im Erdgeschoß 300 ff., 310 f.; die
Weihinschrift 3046.; zweites Geschoß 311 ff.;
drittes Geschoß 3240.; Einordnung in die zeit-
genössische Fassadenarchitektur 335 S.
Epidauros, Asklepiostempel 46 f.; Nikenakrotere
248, 250; Skulpturen des Timotheos 50 ff.
Erato, Grabstein der — 62
Erechtheion 35^ ff-
Ermans Deutung der ägypt. Körperdarstellung 4
Eroten als Spdekoration yj4
Euripides' Alkestis 361 f.
Eurydike, Tochter Antipaters, auf einem Wgm
von Boscoreale 107 f.
Eutychides 119
Fälschungen, moderne 13 ff.
Faiencebecher und -flasche, ägyptische 197 ff.;
ägyptische — nachbildungen 'phoinildscher' Scha-
len 189 ff.
Fibelschmuck, archaischer — aus Bernstein 169 ff.
Fikoronische Ciste 70, 118
Flechtbänder auf phoinildschen' Schalen 233 f.
Florenz, Pelike Mus. arch. 3987: 129; Apollino
258, 260
Gebälk, dorisches — auf dem Wgm von Boscoreale
110; — aus dem Fortunabezirk zu Präneste 110
Gebel el Arak, Messergriff aus — im Louvre 27
Gebel Barkai, Rel einer Basis im Tempel zu — 18
Gebel Silsile, Bild im Hemispeos des Haremheb
zu — 17 f.
Gefäße italisch-korinthischer Art in Wörlitz ^
Gefallener als Motiv i ff.
Gilli^ron, Nekrolog auf — 35^ ff.
Grab, Bilder von Barkenmodellen aus dem —
Amenophis' II. 17, 19; Darstellung im — des
Anti 10 ff., 15, 20; Rel aus dem — des Haremheb
in Leyden 23 ff.; — des Meryre zu el Amarna 25;
Thron und Streitwagen aus dem — Thutmosis' IV.
19 f., 26; Wandbilder im — bei Kom-el-ahmar 2;
Wandbild eines — es der 18. Dynastie in Theben
18; Darstellung in einem Privat — in Theben 25;
Darstellungen in — ern des AR 1 1 f . ; Darstellungen
in den — ern von Benihassan 14 ff.; gemalte
Schemel aus den Königs — ern zu Biban el Moluk
18; gemalte Nilbarken aus — ern zu Biban el Moluk
19; Reis in Privat — ern zu Theben 19 f.; Liege-
motive in Darstellungen der — er von Theben
und Sakkara 22 f. ; — er in der römischen Sied lung
an der Guadalquivirmündung 6; — rel des Ari-
stonautes 51 ff.; — ^rel vom Ilissos 54; — rel des
Isidoros zu Kairo 328 ff.; — rel eines Makedonen
72; — stein der Erato 62; kaiserzeitlicher — stein
38i
Register.
382
der Serapias 94; alexandrinische Kalksteinstele
93) 115; — stein aus Chios 91 ff., Ii6; —stein des
Metrodoros aus Chios 92, 105; — Stelen aus Pa-
gasai 114, n6, 121 ; — stelen aus Sidon 104; — stele
von Syros 123
Hagia Triada, Stuckxel mit sitzender Frau aus
— 272*
Halikarnass, Fries des Mausoleums 51 ff., 2gf.\
Mausoleumskulpturen lll fj.
Haremheb, Bild im Hemispeos des — zu Gebel
Silsile 17 f.; Rel aus dem Grab des — in Leyden
23 ff.
Hatschepsut, Rel der — aus dem Tempel zu
Der el-bahri 18
Herakleides, Taktik des — 355 f-
Herkulanum, Marmorherme aus — 68 f.; Wgm
Herakles-Telephos 1 1 6 ff . ; Wgm des Marsyas 99 ;
Wgm mit Mädchen bei Festvorbereitung 102
Hermaios, Schalenfrg. des — in Heidelberg 166 ;7-
Hermogenes, Rel des Asklepios am Altar der
Artemis Leukophryene 123; Tempel zu Teos 34y f.
Herodas, 4. Mimiamb 242 ff.
Hesire, Holzrel des — 4
Hieronymos, rhodischer Grabtürfries des — von
Damatrios 118, 123
Holzbüchse Hoffmann 192 f.; — kästchen des NR
mit Lederbespannung 193; — büchse aus Kahun 24f.
Iberische Kultur und ihre Gruppen JJSif-
Ionische Elemente in der iberischen Kunst 257 //.
Isidoros, Grabrel des — zu Kairo 328 ff.
Italien, 'phoinikische' Metallgefäße aus — 219,
221 ff.
Kahun, Jagddarstellung auf einer Holzbüchse aus
— 24 f.
Kairo, Basis einer Sitzstte des Königs Chasechem
3f-) 9) I3i '5' 20> 26 f.; neue grch.-röm. Funde
im Museum zu — 32y ff.
Kaiamis, Sosandra des — 88
Karnak, Gefallenendarstellungen in — 26
xauafa 71 ff., 105
Keb, Darstellung des liegenden — im NR 21 f.
Kephisodot, Eirene des — 252 f.; Leto des jün-
geren — auf der Basis von Sorrent 252 f., 266;
Stan des jüngeren — in Kos 2423.; literarisch
bezeugte Werke des jüngeren — 263 ff.
Kitharspielerinnen, antike — in Literatur und
Kunst 89 ff.
Knossos, Stuckrel einer sitzenden Frau aus —
273 f-
Kom-el-ahmar, Wandbilder im Grab von — 2
Komos auf 'phoinikischen' Schalen 227 ff.
Konstantinopel, gemalte Grabstelen aus Sidon
in — 104
Korinthische Standspiegelindustrie 3j6
Kos, Altar und Skulpturen des Asklepieions 242 ff.;
sonstige Skulpturenfunde aus — 251 ff.
Kopf, Br. — des 'Archytas' aus Herkulanum 105;
— Attalos' L aus Pergamon 126; — des Chrysipp
59'; — des Epikur 266; — der Hygieia im Ther-
menmuseum 88; — des Menander 58, 68, 266;
- — der 'Methe' in München 263, 266; — des sogen.
Pherekydes Ii8\ Doppelherme Phryne - Hyper-
eides von CompiegneSS; weiblicher — vom Südab-
hang der Akropolis 51 ; — einer Frau in Berlin 88;
weiblicher — aus Smyrna in Budapest 260, 262;
— des chüschen Mädchens 249; weiblicher — aus
Kyzikos in Dresden 262 f., 266; männlicher —
aus Rom in Kassel 259 ff.; weibliche — e aus Kos
244 f., 2548..; — eines Epheben aus Kos 251, 263;
M — in Madrid 64; Frauen — von Neapel
249; weiblicher — aus Olympia 262; M —
aus Smyrna in Paris 69'; — e aus dem Delion von
Faros 120 ; weiblicher — in Rom .(Lateran) 263,
266; — des Museo Torlonia in Rom 72''; weib-
licher — aus Tarent 261 f., 266; bärtiger M —
aus Wörlitz 30 f.; weiblicher — (Medusa?) aus
Wörlitz 34 f.
Kreta, Funde 'phoinikischen' Stiles aus — 183,
187, 211 ff., 224 ff.
Kretisch-mykenische Bildkomposition 2g4ff.;
— Glyptik 139 /.; — Kultur 354 f.
Kypros, 'phoinikische' Metallschalen aus — 189,
2 4 ff., 221 ff.
Lagina, Fries des Hekatetempels von — 120
Lakonische Keramik 28 ff.
La Luz, Heiligtum von — 182 f.
Lamia, Hetäre des Demetrios Poliorketes 94 f.
Lampron, Grabstein der — 93
Leaina, Hetäre des Demetrios Poliorketes 95
Leipzig, Vn des Antikenmuseums der Universität
— 44ft-
Leocharis, Anteil am Mausoleum zu Halikarnafi
III ff.
Leyden, Rel aus dem Grab des Haremheb 23 ff.
Libon 37 ff., 277
Lichtbildzentrale E. A. Seemann Leipzig 140
Liviushandschrift, angeblich gefälschte — aus
der Bibliothek Schennis 20 ff.
Löwe, iberischer steinerner — 10 ; Darstellimg des
— en in der orientalischen Kunst 183 f.
383
Register.
384
London, ägypt. Schnünkpaletten im Brit. Mu-
seum 2 f., 10, 26; archaische Bernsteinschnitze-
reien 169 ff., 178 ff.; Mscheibe mit Niobiden-
darstellung 55; Nolanische Amphora E308: 129
Lysipp nSff., 33 f.
Madrid, Mkopf in — 64; Stamnos 155: 129; 'Joven
orador' 267
Magnesia, Altar des Artemistempels 344ff-; Stan
der Baebia und Saufeia aus dem Athenaheilig-
tum 120
Malerei: gemalte Grabstelen aus Pagasai-De-
metrias I14, 116; dgl. aus Sidon 104; — in einem
Felsgrab von Marissa Sandahanna 62; angeblich
antikes Wgm in einer Serviushandschrift 13 ff. ;
FamiUenbilder der klassischen und hellenistischen
Zeit 64 S.; Bilder hellenistischer Hetären 94;
Bildnis des Theokrit $8 5.; Sikyonische Schule
119; Bedeutung der ■ — für die römische Kunst
368 ff.; Beleuchtung der Wgm iio; vierter pom-
peianischer Stil 36g ; Wgm zweiten Stiles aus Bos-
coreale 65 ff. S. a. Herkulanum und Pompeji
Marissa Sandahanna, Malerei in einem Felsgrab
von — (2
Maske eines Satyrn aus Wörlitz 34
Mastaba, Darstellung von der — des Ti 14; — reis
von Sakkara 13 f.
Medinet Habu, Reis in — 18, 26
Menander, Kopf des — 58, 68, 266
Menedemosvon Eretria auf einem Wgm von Bosco-
reale f 80 f.
Meröe, Rel einer Pyramide zu — 18
Meryre, Grab des — zu el Amarna 25
Messergriff aus Gebel el Arak im Louvre 27
Meßgefäß, spätrömisches J53 ;/.
Metallschalen, ägyptische 189 ff.
Mnesikles 356 ff.
Mogön, Schatz von — 195 f-
Mosaik, Alexander — 112, 114; — des Dioskurides
in Neapel 112, 114, 123; — im Fortunaheiligtum
zu Praeneste 104
München, Barberinischer Satyr 75; Nolanische
Amphora 2326: 129
Münzen, hellenistische: makedonische mit Schild-
darstellung 70 f.; aetolische 72; baktrische 72;
illyrische 72' ; — des Antigonos III. Doson 74 ff. ;
lykische und chalkedonische — mit Kitharadarstel-
lung 87; Kupfer — des 3.-4. Jhdt. n. Chr. aus
der römischen Siedelung an der Guadalquivir-
mündung 6
Mykenai, Stuckrel aus — ^75 ff.
Mykenische Kultur, Orchomenos III. - Ware J52
Myrine, Hetäre des Demetrios Polio:ketes 95
Myron von Theben, Trunkene Alte des — 121
Nägel, Kupferne Zauber(?) — aus der römischen
Siedelung an der Guadalquivirmündimg 8
Narmer, Schminktafel des Königs — 3
Neapel, Frauenkopf in — 249; Mosaik des Diosku-
rides 112, 114, 123; Orestesamphora 100, Il8
Nekropolen, spanische 182, 193 f.
Neues Testament, Epigraphisches zum — lio f.
Neveserre, Darstellung im Totentempel des Königs
— 9f-, 12 f., 19 f-
New-York, archaische Bernsteinschnitzereien in
— 169 ff., 1780.
Nike von Epidauros 248, 250; — von Kos 248; —
von Samothrake 250
Nikes 0, Stele der Demeterpriesterin — aus Priene
124
Niko, Grabstele der — 93, 115
Nimrud, Br. -Schalen aus dem Palast von — 180 ff.;
Datierung des Fundes von — 180 ff.; Verzeichnis
der 'phoinikischen' Gefäße aus — 204 ff.
Ninive, Schatzkammer im Südwestpalast Assar-
haddons 188
Niobe in der griechischen Kunst 49 f., 78
Numantia, Kulturgruppe von — 227 ff.
Olympia, Heraion 47 f., Zeustempel 37 ff.; Giebel-
stan vom Zeustempel 150 f. ; 'phoinikische' Schalen
aus — 214; Relsockel der Siegersta des Puly-
damas 121
Osiris, Darstellung des liegenden — im NR 20 ff
Osorkon II., Bilder aus der Festhalle — in Bu
bastis 25
Oxford, Basis einer Sitzstte des Königs Chasechem
in — 3 f., 9, 15, 20, 26 f.
Pagasai, Grabstelen von — 114, 116, 121
Paionios J5J;7-i Hertzsche Kopie der Nike des
— 88
Palmetten in der orientalischen Kunst 184 f.; —
auf 'phoinikischen' Schalen 235 ff.
Panainos 150 ff.
Panther als Spdekoration 374
Paris, ägypt. Schminktafeln im Louvre 2 f., 9, 27;
Messergriff aus Gebel el Arak 27 ; Mkopf aus Smyr-
na 69 ; Sta Eros-Aphrodite 247; weißgrundige
Schale 87, 91 ; Amphora Louvre G 220 und Schale
Louvre G 285: 129; Stamnos Louvre G 408: 132
Paros, Delion von — I18 ff.; ionischer Burgtempel
auf — 278
Pektorale Sesostris' III. aus Dahsbur 16, 19
385
Register.
386
Pergamon, Telephosfries loi, 103, 116 f. 120;
Giganttnfries 104; Waffenrel aus — 72; Bildnis
Attalos' I. :26; Mbild eines sitzenden Mannes 118,
126; Göttin mit Schwert 120 ff.
Phidias 37 B.,147 ff., 277; Ende des — 152 ff.; Ent-
stehung der Zeusstatue 152, 1545.
Phila, Tochter Antipaters, auf einem Wgm von
Boscoreale 77 ff.
Philae, ptolemäische Reis in — 17
'Phoinikische' Metallschalen 180 ff.; Datierung
des Fundes von Nimrud 180 ff.; ägyptische Nach-
bildungen 189 ff.; einzelne Fundgruppen 204 ff. ;
Typenschatz und Komposition 220 ff.
Photographien spätantiker Denkmäler 372 f.
Plautushandschrift, angeblich gefälschte —
der preußischen Staatsbibliothek 20 ff.
Pleistai netos, Bruder des Phidias 150 ff.
Pompeji, Mbüste Pyrrhos des Kolossers 69; Wgm:
Kaiydonische Eberjagd in der Casa del centauro
72; Opferung Iphigenias in der Casa del poeta
tragico 123; Sappho und Alkaios im Vettierhaus
118 ff.; Wgm aus Villa Item 69, ni f.; Aphrodite
und Eros (?) 99 ; Darstellung eines Bramarbas 7 1 f . ;
Herakles 99, loi; Opferung Iphigenias 103, 106;
stimmende Kitharspielerin 86; Minos und Skylla
loi; Orest und Pylades vor Thoas 100, 118; Bild
eines Tropaions 116
Porosskulptur: Tritongiebel vom alten Athena-
tempel II3 ff.
Praeneste, dorisches Gebälk aus dem Fortuna-
bezirk iio; Mos ebendaher 104
Praxiteles, Bildwerke vom Artemisionaltar in
Ephesos 272; koische Aphrodite 246 f.; knidische
Aphrodite 249, 258; Gruppe in Mantinea 272;
Sta der Phryne 155 ff.; Verhältnis zum Maler
Nikias 274; Verhältnis zu Phryne 273 f.; Lebens-
zeit des — 272 ff.; die Söhne des — 242 ff.; Musen
des jüngeren — 88; mandolinenspielende Muse
des jüngeren — 87, 118, 120 f.; Eros und Aphro-
dite eines jüngeren ■ — 247
Priene, hellenistisches Gymnasion von — 133 ff.;
Stele der Demeterpriesterin Nikeso 124; helle-
nistische Stten von — 247, 249
Pseira, Stuckreis aus — 268 ff.
Ptolemais, Gattin des Demetrios Poliorketes,
auf einem Wgm von Boscoreale 107 f.
Pulydamas, Relsockel der olympischen Siegersta
des — 121
Pyramide, Rel einer — zu Begerawije (Meröe) 18
Pyrrhos der Molosser, Mbüste aus Pompeji 69
Ramesseum, Gefallenendarstellung im — 26
Ramses IV., gemalte Barke aus dem Grabe — 19
Relief einer Pyramide zu Begerawije (Meröe) 18;
— s aus dem Tempel zu Der el-bahri 18 ff.; — einer
Basis im Tempel zu Gebel Barkai 18; — in Medinet
Habu 18; ptolemäische — s in Philae 17; — s einer
Mastaba bei Sakkara 13 f.; — s in thebanischen
Privatgräbern 19 f.; — s in Wadi E Sofra ig; —
aus dem Grab des Haremheb in Leyden 23 ff.;
Holz — des Hesire 4; Bruchstück eines — s der
18. Dynastie zu Berlin 25; achämenidische Ziegel — s
aus Susa I04f.; Stuck — s aus Hagia Triada,
Knossos, Mykenai, Pseira 268 ff. ; Fig. 8 im Parthe-
nonwestfries 62; Fries des Tempels am Uissos 116;
Fries des Lysikratesdenkmals 30 ; Fries des Mauso-
leums vonHalikarnaß 51 ff., 29 ff., iii ff. ; — des As-
klepios am Altar derArtemis Leukophryene des Her-
mogenes 123; pergamenischer Telephosfries, loi,
103, 116 f., 120; pergamenischer Gigantenfries 104;
Waffen — aus Pergamon 72; Fries des Hekate-
tempels in Lagina 120; ^iobiden — am palatini-
schen Apollotempel 55; — vom Trajansbogen
in Benevent 35; — vom Denkmal des Aemilius
Paulus in Delphi 71 ; Kalkstein — der Isin mit Har-
pokrates in Kairo 328; Grab — des Isidoros zu
Kairo 328 ff. ; Basis der Antoninsäule im Vatikan
34; Ikaros — der Villa Albani 33; Opferung Po-
lyxenas aus Wörlitz 26 ff. ; Eros als Hahnen-
kämpfer aus Wörlitz 31 ff.; weiblicher Kopf eines
Hoch — s aus Wörlitz 31; Mscheibe des Brit. Mu-
seums mit Niobiden — 55; spätantiker Silberteller
aus Südrußland 62; Rundteller aus Gouv. Perm
mit heroischer Jagdgesellschaft 64; Silberplatte
aus Corbridge-on-Tyne mit Vorbereitung zum
Parisurteil 64; Grab — des Aristonautes 51 ff.;
Grab — vom Ilissos 54; rhodischer Grabtürfries
des Hieronymos von Damatrios 118, 123; alex-
andrinische Kalksteinstele 93, 115; Grab — der
Erato 62; Grab — eines Makedonen 72; Weih —
in Berlin 808 : 2g ; Asklepios auf athenischen Weih-s
des 4. Jhdt. 123; Weih — aus Larissa in Athen
253; Brbeschläge vom Streitwagen von Monteleone
177; Br — s von Perugia 177; Ludovisischer Thron
und Boston — 118; hellenistische — s 33 f.; — am
Sockel der Siegersta des Pulydamas J2l; mes-
senische Rundbasis mit Löwenjagd: — 72 ; Archelaos'
Apotheose Homers 120
Rhyta, mykenische, altpersische und ägyptische
106 ff.
Ring aus der römischen Siedelung an der Guadal-
quivirmündung 7 /.
Römisches in der antiken Kunst 365 ff.
Rom, Septizonium und Konstantinsbasilika 41;
387
Register.
388
Sta einer Göttin auf dem Kapitol 120; Gigantensk
im Vatikan 35; Basis der Antoninsäule im Vatikan
34; Hygieiakopf im Thermenmuseum 88; weib-
licher Kopf im Lateran 263, 266; Kopf des Museo
Torlonia 72 ; Ikarosrel der Villa Albani 33
Säulen als Staträger im Theater zu Ephesos 279 f.
Sahure, Darstellung im Totentempel des — 8 f.,
10, 19
Sakkara, Liegemotive in Darstellungen eines Grabes
von — 22 f.; Mastabarels 13 f.
Samothrake, Giebelfiguren vom neuen Mysterien-
tempel 122 ff.; Nike von — 1243., 250
Sandalen, Dekoration auf ägyptischen — 18
Sanlucar, Lucifertempel in — 10
Sarata-Monteoru, Ausgrabungen zu — 348 ff-
Sarkophag, Giganten — im Vatikan 55; — von
Sidon 69, 71
Saufeia, Sta der — aus Magnesia 120
Schäfer, Deutung der ägypt. Körperdarstellung
durch Heinrich — 4 ff.
Scheuklappen 263 ff.
Schiffe, minoische und Dipylon — HS ff.
Schild, armenische — e aus Van 188 f.; keltischer
— 103 f.; makedonische — e 70 ff.
Schminktafel, ägyptische — n2f., 9 f., 26 f.; —
des Königs Narmer 3
Segel, ägypt. Darstellung des — s 7
Sendschirli, Baugeschichte von — 158 ff.
Septizonium, Ansicht des ^s auf einem Altar-
bild des Macrino d'Alba 39 ff., 342
Serapias, Grabstein der — 94
Serreta von Alcoy in Spanien 185 f.
Sesklo-Chaeroneakultur 350 ff.
SesostrisIII., Pektorale des — aus Dahshur 16,
19
Si egesstele Amenophis' III. 26
Sikyonische Malerschule 119
Skarabäus auf 'phoinikischen' Schalen 226
Skirophorien 128 ff.
Skopas, Anteil des — an den Mausoleumskulptüren
IJI ff. ; Fries des Mausoleums 53 f.
Smyrna, Antiken der ev. Schule zu — J73
Sorrent, Basis von — 252 f., 266
Spanien, neueste archäologische Forschungen in
— 172 ff. ; Kulturgruppen und neueste Funde
175 ft\ archäologische Resultate und literarische
Quellen 234 ff. \ Forschungen nach Tartessos l ff.;
römische Siedelung an der Guadalquivirmündung
4ff.\ Tempel des Lucifer in Sanlucar 10
Sphinxe als Spdekoration 374
Spiegel, ägyptische 373 1-\ griechische Stand—
mit menschlicher Stützfigiu- 373 ff.; Br — in Lyon
33
Spiegelstützen, griechische 374 ff-
Statue: Giebel — n vom neuen Mysterientempel
in Samothrake 122 ff.; — n vom Mausoleum zu
Halikarnaß III ff. ; Fragmente von — n vom Askle-
piosaltar in Kos 244 ff.; Epidaurosskulpturen des
Thimotheos 50 ff. ; Sitz — des Ammon in Kairo
337 ff- \ Apollino in Florenz 258, 260; Ares Ludo-
visi 118, 126; Asklepios von Melos 263, 266; bogen-
spannender Eros 269; Gigantentorso aus Wörlitz
35\ 'Joven orador' in Madrid 267; — des Epiku-
reers Metrodor 122; Satyr mit der Querflöte 269;
Barberinischer Satyr 75; Verwundeter von Bavai
70; sitzender Mann aus Pergamon 118, 126; Porträt
— eines Mannes in Kairo 331 f. ; Trunkene Alte
Myrons von Theben 121; Amazone Mattei 70;
Mädchen von Antium 249, 269; Aphrodite von
Arles 249, 257 f.; Kapitolinische Aphrodite 88;
Knidische Aphrodite 88, 249; Replik aus Tralles
31 ; Aphrodite von Medici 267 f. ; Münchener Aphro-
dite 258, 266; Aphrodite von Ostia 257f., 266; Aphro-
dite von Petworth 249, 267 ; Aphrodite aus Wörlitz
25; Aphrodite — n mit umgeschlagenem Mantel
246; Artemis von Larnaka in Wien 257, 266; — n
der Baebia und Saufeia aus Magnesia 120; Demeter
Cherchell 14g f.; große Herkulanerin 120, 127;
Köre Albani 14g f. ; — der Leto (?) aus dem Theater
von Delos 253; mandolinenspielende Muse des
jüngeren Praxiteles 87, 118, 120 f.; Nemesis-Tyche
von Olympia 253; Nike des Paionios 88; Nike von
Samothrake 124 ff.; — der Demeterpriesterin Ni-
keso aus Priene 124; 'Phryne' von Ostia 157'; So-
sandra des Kaiamis 88; Tyche von Antiocheia 118,
123; Frau mit Kind in Athen 253; — einer Göttin
auf dem Kapitol 120; Göttin mit Schwert aus
Pergamon 120 ff.; Peplos — aus Halikarnaß 253;
Peplos — n aus Kreta und dem Thermenmuseum
376; Eros und Aphrodite eines jüngeren Praxiteles
247; Farnesischer Stier 57; Leda mit dem Schwan
50 f.; Menelaosgruppe 120; Florentiner Niobe-
gruppe 49ff. ; 78, 115; Silen mit Dionysos 267;
Silen und Hermaphrodit 268; Kopf des Aristo-
geiton aus der Tyrannenmördergruppe 118
Statuette: Basen von Sitzen des Königs Cha-
sechem 3 f., 9, 13, 15, 20, 26 f.; Torso aus Milet
in Berlin 253; — n von der Agora in Thera 253;
Alabaster — aus der Nekropole von Galera ig4 f. ;
— einer Frau aus Kos 251 f.; hellenistische — n
aus Priene 247, 249; Br — n aus Spanien 183 ff. ^
Br — n aus Wörlitz 37 f. ; sitzende Fortuna — aus
Wörlitz 35
389
Register.
390
Stele, Sieges — Amenophis' III. 26; — in Theben
19; alexandrinische Grab — 93, 115; Grab — n aus
Pagasai 114, 116, 121; Grab — n aus Sidon 104;
Grab — von Syros 123
Streifenkomposition, Einführung der — in
der ägypt. Kunst 6
Streitwagen aus .dem Grab Thutmosis' IV. 19 £.,
26; Brbeschläge vom — von Monteleone 177
Susa, achämenidische Bauten in — 95 ff-i Greif
und Stier in Ziegelrel aus — 104 f. ; 'Leibgarde'
in Ziegelrel J05 ; Gräberfelder bei — 105 ; — Kultur
350 ff.
Taitessos I ff.; 122 f.
Tempel, Reis aus dem — zu Der el-bahri 18 ff.; Rel
einer Basis im — zu Gebel Barkai 18; Darstellung
im Toten — des Sahure 8 f., 10, 19; dgl. im Toten —
des Neveserre 9 f., 12 f., 19 f.; Parthenon 48, 62,
121; Fries des Ilissos — s 116; Asklepios — in Epi-
dauros 46 f.; Fries des Hekate — s in Lagina 1 20;
Heraion von Olympia 47 f. ; Zeus — von Olympia
37 ff. ; Delion von Faros I18 ff. ; ionischer Burg —
von Faros 2^8 ; Giebelfiguren vom neuen Mysterien
— in Samothrake 122 ff.; Niobidenrel am palatini-
schen ApoUo — 55; — des Lucifer in Sanlucar 10
Teos, Datierung des Hermogenestempels in —
347 f-
Terrakotten, südrussisehe — aus Kertsch 104;
figürUche — aus dem Dehon von Faros 121; Peplos-
figur aus Tiryns 376; — aus Wörlitz j6; frühhelle-
nistische Tanagräerinnen 102; helladische — der
tanagräischen Richtung 121
Theben, Liegemotiv in Darstellungen von Gräbern
in — 22 f. ; Wandbild eines Grabes der 18. Dynastie
in — 18; Reis in Frivatgräbern zu — 19 f., 25;
Kalksteinstele in — 19
Theokrit, Bildnis des — 58 ff.
Thron aus dem Grabe Thutmosis' IV. 19
8 p ö V 0 { auf Wgm von Boscoreale 83 ff. ; 96 ff., 127;
sonstige — Darstellimgen in der griechischen
Kunst 84 f., 97 f.
Thutmosis IV., Thron und Streitwagen aus dem
Grabe — 19 f. 26
Ti, Darstellung von der Mastaba des — 14
Timarchos, Stan des — in Kos 242 ff.; verwandte
Werke 257 ff.; literarisch bezeugte Werke 263 ff.
Timotheos, Ledamit dem Schwan 50 f . ; Epidauros-
skulpturen 50 ff.; Mausoleumfries 51 ff., Ill ff.;
Niobegruppe 49 ff.
Tonform, ägyptische 201
Totentempel, Darstellung im — des Neveserre
9 f., 12 f., 19 f.; dgl. im — des Sahure 8 f., 10, 19
Trier, archäologische Bodenforschung in — I3off.;
römische Denkmäler aus — und Umgebung 133 ff.
Triumphalbilder des NR 17 ff.
Troja, Prachtbeile aus — 123 ff.
Vasen:Kamares — 30; minysche — 30; theräische —
30; Caeretaner Hydria 35; Caeretaner Busiris-
vase II ff.; Caeretaner — des Antikenmuseums
der Univ. Leipzig 44 ff.; Europav Castellani 12 /.;
Korinthische sf. Kolonettkratere in Leipzig 69 /f. ;
lakonische — 28 ff. ; malerische Züge auf lakoni-
schen — 36 f. ; lakonische sf . Schalen in Leipzig
79 ff.; samische — 30 f., 37; 'tyrrhenische' Am-
phoren in Leipzig 56 ff.; ostionische — 35; Ar-
kesilasschale 33; polychrome sf. Buccheroamphora
in Leipzig 90 ff. ; altattische Amphora in New York
52; Piräusamphora 52 ; Skyphos von Vurva 50 /. ;
Netosamphora 46 ff. ; Schüssel von Aigina inBerlin
1682: 48; sf. Scherbe Akrop. 682: 131; rf. Scherbe
Micali 131; Erzgießereischale 103; weißgrundige
Schale des Louvre 87, 91; Orpheuskrater 70;
Gigantenv aus Melos 55 f.; Kertscher Triptolemosv
in Petersburg 77, 115; apulische — mit Pelops
und Oinomaos 106; Neapler Orestesamphora lOO,
iiS; Gefäß aus Chiusi 131; Amphora in Mykonos
131; Kolonettkrater Bologna Necr. Fels. 239 und
234: 130; Kolonettkrater in Wien, aus Akrae,
früher in Athen 130 f.; FeUke Florenz Mus. arch.
3987: 129; Stamnos Madrid 155: 129; Skyphos
2589 Berlin 129; Stamnoi der Forman CoUection,
aus Boston und dem Louvre (G 408) 132; Am-
phora Louvre G 220 und Schale Louvre
G 285: 129; Hermaiosfragment in Heidelberg
166 ff. ; nolanische Amphoren London E 308 und
München 2326: 129; — aus dem Delion von Faros
120 f.; griechische sf.und rf. — funde aus Spanien
256 ff.; iberische — 258 ff.
Vattinakultur 354
Vulci, Brindustrie von — 3^2 ff.
Wadi E Sofra, Reis in — 19
Wagenrad, Darstellung des — es in der orientali-
schen Kunst 182 f.
Wien, Artemis von Larnaka 257, 266; Kolonett-
krater 130
Wörlitz, Antikensammlung im Park zu — 24 ff.;
Abgüsse der — er Reis J39
Xestes, Borchardtscher J5J ;?.
Zackenstern auf 'phoinildschen' Schalen 234 f.
Zagazig, ägyptischer Krug von — 184, 189
391
Register.
392
II. INSCHRIFTENREGISTER.
Die Spaltenzahlen des Archäoloj^ischen Anzeigers sind kurtiv gredruckt.
Griechische Inschriften: auf einer alexandrini-
schen Stele 93; auf einem chiischen Grabstein 93;
auf einem kaiserzeitUchen Grabstein aus Athen
94; auf dem Grabrel des Isidoros in Kairo JJO;
von einem spätrömischen Meßgefäß 154 ff. ; Weih —
vom Theater zu Ephesos 304 ff.
Lateinische Inschrift auf einem Dachziegel 6
Tartessische (?) Inschrift auf einem Fingerring 7 /.
Griechische Inschriften.
Seanorfo I54
EitaXixii« 154
eopTäaiO! 154
'l3i5opo{ 330
xaTE^aYici^iu 1^4
x(J(iri{ IS4
Aa(ji]iTpo[v 93
$eST((o)v IS4
öyxt'a 154
Oia8aa 154
Lateinische Inschriften.
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JAHRBUCH DES INSTITUTS XXXVIII/XXXIX 1923 24
TAFEL IV
JONISCHES SCHMUCKSTÜCK AUS FALCONARA
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