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Full text of "Jahrbuch des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts"

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THF   EISENHOWER  LIBRARY 


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Jahrbuch      , 


DES 


Deutschen 


Archäologischen  Instituts 


3^    4«^ 
Band  xxxviii/ix 

1923/24 


MIT  DEM  BEIBLATT  ARCHÄOLOGISCHER   ANZEIGER 


.   BERLIN  UND  LEIPZIG  1925 
WALTER  DE  GRUYTER  &  CO. 

vormals  G.  J.  Göfchen'sche  Verla; shandlunir  —  }•  Guttentap,  Verla; sbuchhandlun;  —  Georg  Reimer 

Karl  J.  Trübner  —  Veit  &  Comp. 


l'  , 


Druck  von  Walter  de  Gruyter  &  Co.,   Berlin  W.  lo 


Inhalt 


Seile 

Bieber   M.,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  Mit  Tafel  6  u.  7  und 

15  Abbildungen 242 

Bissing  Fr.  W.  Frhr.  v.,  Untersuchungen  überdie»phoinikischen« Metall- 
schalen.   Mit  15  Abbildungen     ....     180 

Buschor  E. ,  Das  Schirmfest.    Mit  1   Abbildung      ....     128 

Hörmann    H.,  Die   römische   Bühnenfront   zu    Ephesos.     Mit 

3  Beilagen  und  8  Abbildungen  ....     275 

Kredel   F.,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein.  Mit 

Tafel  4  u.  5,  I  Beilage  und  3  Abbildungen     169 

Krischen    F.,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene.     Mit 

3  Beilagen  und  9  Abbildungen  ....  133 
Lehmann -Hartleben  K. ,  Libon  und  Phidias.  Mit  5  Abbildungen  .  .  37 
Lippold  G. ,  Zur  griechischen  Künstlergeschichte   .     .     .     .     150 

Matz  F.,  Das  Motiv   des  Gefallenen.     Mit   l    Abbildung         i 

Studniczka   F.,  Imagines    lUustrium.     Mit    Tafel    2    u.   3    und 

21  Abbildungen 57 

Wachtsmuth  F.,  Die    Baugeschichte    von    Sendschirli    (Samal). 

Mit  2  Abbildungen 158 

"Waldhauer  O.,  Zur   Lakonischen   Keramik.     Mit  Tafel    i    und 

3  Abbildungen ■     .     .     .       28 

Winter  F.,  Der  Meister  der  Niobegruppe.     Mit  l  Beilage 

und  I   Abbildung 49 


rv 


Inhalt 


ARCHÄOLOGISCHER  ANZEIGER 

^                                                                                                 Spalte  Spalte 

Bericht  des  Archäologischen  Instituts  Die   neueste    archäologische    Tätig- 

über     die     Rechnungsjahre       1922  keit   in   Spanien    (P.  Bosch  -  Gimpera). 

und   1923 1  Mit  44  Abbildungen 172 

Andrae  W.,              Neue  Funde  aus  Susa.  Erwerbungsberichte: 

Mit  %  Abbildungen..     95  Leipziger  Antiken  1  (A.Rumpf).    Mit  23 

Bissing  Fr.  W.Frhr.»..  Zur  Geschichte  Abbildungen 44 

j             »-1        T>u    •  Sammlungen: 

der  antikenRhyta.  * 

»«••        Awuij                      c  DJc   Antiken    im    Park   zu    Wörlitz 
Mit  2  Abbildungen..    106 

(K.  Schulze-Wollgast).   Mit  6  Abbildungen     24 

Borchardt     L.     und     Viedebantt     O.,  

Ein  spätrömisches  '' Archäologische  G es  ellschaft  zu  Berlin 

Meßgefäß.     Mit    i  1923: 

Abbildung 153  Januar-Sitzung  (Wiegand,  Rodenwaldt)  ...    1 10 

Degering  H.,        ModerneFälschungen.  Februar-SiUung  (Deißmann-Neugebauer)..    110 

Mit  2  Abbildungen..      13  März-Sitzung(Wiegand,Brueckner,  Aßmann)  113 

Jacobsthal  P.,       ZurDelphischenRin-  April-Sitzung  (Schröder,  Curtius) 118 

derraubmetope.  Mai-Sitzung  (Noack,  Rubensohn,  Wiegand)   118 

Mit   I   Abbildung 164  Juni-Sitzung  (Noack,  Schäfer) 121 

—  — ,       Scheuklappen.       Mit  Juli-Sitzung  (Rodenwaldt,  Noack,  Schmidt)   122 

4  Abbildungen 263  Oktober-Sitzung  (Paribeni) 125 

Johansen  P. ,          Die  Parthenongiebel  141  November-Sitzung  (Wiegand,  Lietzmann)  .    125 

„  Dezember-Sitzung  (Noack,  Krüger,  Krencker)  i2q 

Kraiker  W.,  Fragment    des    Her-  ^^  ' 

maios    in   Heidel-  Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin 

berg.    Mit   4  Abbil-  1924: 

düngen 166  Januar-Sitzung  (Lehmann-Hartleben,  Kostet)  276 

Mayer  M.,  Er  widerung  au  f  De-  Februar-Sitzung  (Rubensohn,  Matz) 278 

gering,    Moderne  März-Sitzung  (Neugebauer,  Rubensohn)...   300 

Fälschungen 22  April-Sitzung  (Wiegand) 342 

Rodenwaldt  G.,    Eine  Ansicht  d  esSep-  Mai-Sitzung  (v.  Gerkan) 342 

t  i z  o  n  i  u  m  s.     Mit     i  Juni-Sitzung  (H.  Schmidt,  Kostet) 348 

Abbildung 39  Juli-Sitzung  (K.  Müller) 356 

-  -,    Rekonstruktionen  November-Sitzung   (Rodenwaldt,    v.  Lecoq)  358 

der     Stuckreliefs  Dezember-Sitzung  (Rodenwaldt) 364 

aus  Pseira.     Mit   3  AbgU  sse  der  Wörlitzer  Relief  e ,39 

Abbildungen 268       Kretisch -m  y  kenische  Glyptik ,39 

Schulten  A.,  Forschungen       nach  Lichtbildzentrale 140 

Tartessos.      Mit     i  Neue  Photographien  spätantiker  Denk- 

Karteu.  2  Abbildungen       i  mäler  (Delbrück)  372 

Viedebantt     O. ,     und    Borchardt     L.,  Antiken     der    evangelischen     Schule 

Ein  spätrömisches  in  Smyrna  (Lippold) 373 

Meßgefäß.     Mit     i  

.Abbildung                       153  Ar chäologische  Dissertationen  (Elisa- 
beth Franck) x-jx 

Wrede   W. ,  Zur  Caeretaner   Bu-  '  •*'•' 

sirisvase 11       Register 377 


BERICHT 

DES 

ARCHÄOLOGISCHEN   INSTITUTS   ÜBER  DIE   RECHNUNGSJAHRE 

1922    UND     1923. 


Die  Verwaltung  und  Geschäftsführung  des  Instituts  hatte  in  der  Berichtszeit  unter 
den  Schwierigkeiten  der  allgemeinen  Lage  zu  leiden.  Wenn  das  Institut  am  Ende 
dieser  Zeit  trotz  schwerer  Einschränkungen  gegenüber  dem  Friedenszustande  in  der 
Lage  ist,  seinen  wesentlichen  Aufgaben  gerecht  zu  werden  und  seine  wichtigsten  Unter- 
suchungen weiterzuführen,  so  verdankt  es  dies  in  erster  Linie  dem  Entgegenkommen 
der  Reichsregierung.  Insbesondere  ist  das  Institut  Herrn  Ministerialdirektor  Heilbron 
und  dessen  zeitweiligem  Vertreter,  Herrn  Wirklichen  Legationsrat  Dr.  Soehring,  für  die 
tatkräftige  und  erfolgreiche  Wahrnehmung  der  Interessen  des  Instituts  zu  aufrichtigem 
Dank  verpflichtet. 

Am  I.April  1922  trat  Herr  Rodenwaldt  sein  Amt  als  Generalsekretär  an.  Gleich- 
zeitig begann  Herr  Regierungsobersekretär  Eich  bäum  seine  Tätigkeit  als  Bürovorsteher 
bei  der  Dienststelle  der  Zentraldirektion.  Für  die  redaktionellen  Arbeiten  konnte  erst 
seit  I.  Juni  1922  eine  Hilfskraft  in  Fräulein  L.  Hamburg  gewonnen  werden.  An  ihre 
Stelle  trat  am  i.  Januar  1924  Herr  W.  Schadewaldt.  Für  die  Fortführung  und  den 
Abschluß  der  Bibliographie  für  die  Jahre  1920  bis  1922  sind  wir  Herrn  Brandis  zu 
besonderem   Dank  verpflichtet. 

Zum  Vertreter  Hessens  in  der  Zentraldirektion  wurde  Herr  Delbrueck  ernannt. 
Am  Ende  der  Berichtszeit  schied  Herr  Lietzmann  infolge  seiner  Übersiedlung  nach 
Berlin  aus  der  Zentraldirektion  aus. 

Aus    der  Reihe  seiner  Mitglieder  verlor  das  Institut  durch  den  Tod  die  Herren : 

E.  Anthes  (O.  M.),  A.  Brinkmann  (K.  M.),  E.  Marques  de  Cerralbo  (K.  M.),  H.  Diels 
(O.  M.),  R.  Förster  (O.  M.),  G.  F.  Gammurini  (E.  M.),  A.  E.  J.  Holwerda  (O.  M.),  L.  Jelic 
(K.  M.),  W.  Klein  (O.  M.),  F.  v.  Luschan  (K.  M.),  A.  Riese  (O.  M.),  A.  N.  Skias  (O.  M.), 
V.  Stais  (O.  M.),  D.  Stavropullos  (K.  M.),  J.  N.  Svoronos  (O.  M.)  A.  Weckerling  (K.  M.), 
E.  Ziller  (K.  M.). 

Neu  ernannt  wurde  zum  Ehrenmitglied  im  Jahre  1922  Herr  B.  Croce.  Im  Jahre 
1922  wurden  gewählt  zu  ordentlichen  Mitgliedern  die  Herren:  W.  Andrae,  M.  von  Bahr- 
feldt,  P.  Bosch-Gimpera,  F.  Drexel,  E.  Fiechter,  B.  Filow,  A.  von  Gerkan,  A.  Gold- 
schmidt, F.  Heilbron,  R.  Herzog,  S.  Heuberger,  G.  Kazarow,  O.  Kern,  J.  Kirchner,  L. 
Kjellberg,  H.  Koch,  K.  Kramer,  D.  Krencker,  F.  Krischen,  G.  Lippold,  J.  Loeb,  K.  Müller 
(Göttingen),  A.  Oxe,  E.  Preuner,  K.  Regling,  O.  Reuther,  H.  Schäfer,  H.  Schmidt  (Berlin), 
Br.  Schröder,  W.  Schubart,  Fr.  Sprater,  J.  Sundwall  und  C.  Wulzinger,  zu  korrespondie- 
renden Mitgliedern  die  Herren:  F.  Behn,  W.  Bremer,  M.  Bühlmann,  A.  Deißmann,  F..  G. 
Doublis,  F.  Eichler,  H.  (iropengießer,  F.  Gündel,  S.  Guyer,  K.  Helmke,  Fr.  Hertlein, 
H.  Hofmann,  U.  Hölscher,  A.  Ippel,  A.  Koch  (Berlin),  G.  von  Lücken,  E.  von 
Mercklin,  V.  K.  Müller  (Berlin),  W.  Müller  (Dresden),  H.  Nachod,  C.  A.  Neugebauer,  P. 
Revellio,  E.  Samter,  E.  Schmidt  (München),  E.  Unger,  O.  Waser,  C.  Weickert,  E.  Weigand, 
O.  Weinreich   und  F.  G.  Welter.  Im  Jahre   1923   wurden   zu  ordentlichen  Mitgliedern  ge- 


—    II   — 

wählt  die  Herren:  Chr.  Blinkenberg,  C.  G.  Brandis,  Fr.  Gramer,  H.  Gropengießer,  A.  Hekler, 
F.  Hertlein.  C.  W.  Lunsingh-Scheurleer,  E.  Nowotny,  F.  Philippi,  J.  Rott  und  ().  Soehring, 
zu  korrespondierenden  Mitgliedern  die  Herren:  G.  Bersu,  H.  Bingemer,  H.  Birkner,  G. 
Blecher,  K.  A.  Boethius,  K.  Frickhinger,  A.  Günther,  K.  F.  Johansen,  P.  Th.  Kessler,  Fd. 
Kutsch,  O.  Paret,  A.  Persson,  F.  Wagner  und  E.  Wähle. 

nie  CJesamtsitzung  des  Jahres  1922  fiel  aus.  Die  Gesamtsitzung  des  Jahres  1923 
liind  am  20.  u.  21  April  statt.  In  beiden  Jahren  konnten  je  drei,  gegenüber  den  Friedens- 
sätüen  allerdings  wesendich  beschränkte  Stipendien  verliehen  werden,  im  Jahre  1922  an 
die  Herren  G.  Krahmer,  K.  Lehmann-Hartleben  und  A.  Rumpf,  im  Jahre  1923  an  die 
Herren  H.  Diepolder,  E.  Langlotz  und  W.  v.  Massow. 

Der  Generalsekretär  nahm  im  Jahre  1922  an  dem  Tage  für  Denkmalpflege  und 
Heimatschutz  in  Stuttgart  und  im  Jahre  1923  an  der  Tagung  deutscher  Philologen  und 
Schulmänner  in  Münster  i.  W.  teil.  In  Angelegenheiten  der  römischen  Zweiganstalt  reiste 
er  im  März  1923  und  im  März  1924  nach  Rom.  Kleinere  Dienstreisen  führten  ihn  nach 
Halle  a./S.,  München   und  Frankfurt  a./M. 

Vom  Jahrbuch  und  Anzeiger  erschienen  Band  XXXVI  1921  und  XXXVII  1922,  1-2, 
von  den  Athenischen  Mitteilungen,  deren  Redaktion  Herr  Karo  freundlichst  fortführte, 
Bd.  XLVI  192 1,  von  den  Römischen  Mitteilungen  Band  XXXV  I920,  3 — 4  und 
Band  XXXVI/XXXVII  1921/22. 

Die  Arbeiten  am  Corpus  der  Sarkophagreliefs  wurden  durch  Herrn  Rodenwaldt  und 
Fräulein  Hamburg  gefördert.  Herr  Rodenwaldt  bereiste  zu  diesem  Zweck  im  März  1924 
die  oberitalienischen  Museen.  Von  der  Publikation  der  Akropolisvasen  wurde  durch 
Herrn  I.anglotz  der  Druck  von  Heft  4  fast  vollendet  und  die  Vorarbeiten  für  Heft  5 
begonnen.  Die  Vorarbeiten  für  die  Veröffentlichung  der  clialkidischen  Vasen  konnte 
Herr  Rumpf  dem  Abschluß  nahebringen. 

Die  Fortführung  der  Untersuchungen  in  der  Casa  del  Fauno  in  Pompeji,  die  von 
Herrn  Winter  und  Herrn  v.  Schöfer  vorgenommen  wurden,  konnte  vom  Institut  unter- 
stützt werden,  ebenso  Untersuchungen  von  Herrn  Delbrueck  über  die  Ikonographie  der 
frühchristlichen  Kaiser.  Mit  Unterstützung  des  Instituts  konnte  im  Winter  1922/23 
Herr  Bulle  und  im  Winter  1923/24  Herr  Wolters  zwecks  wissenschaftlicher  Arbeiten 
nach  Griechenland  reisen. 

In  Athen  standen  Herrn  Buschor  als  Assistenten  im  Sommer  1923  Herr  Lehmann- 
Hartleben,  im  Winter  1923/24  Herr  Weickert  zur  Seite.  Herrn  G.  Welter  ist  das  Institut 
für  seine  ständige  Mitarbeit  zu  aufrichtigem  Dank  verpflichtet.  Die  Arbeitskraft  der 
Beamten  wurde  durch  wissenschaftliche  Auskunftstätigkeit  stark  in  Anspruch  genommen. 
Die  schwersten  Lücken  der  Bibliothek  konnten  ausgefüllt  und  die  Photographiensamni- 
lung  ausgebaut  werden.  Dank  der  Unterstützung  von  ausländischen  Freunden  konnten 
kleinere  Untersuchungen  und  Grabungen  vorgenommen  werden  am  Heraion  in  Olympia, 
am  Olympieion  und  am  Nikepyrgos  in  Athen,  am  Kastell  von  Phyle  und  in  Naxos. 
Mit  ihrer  Hilfe  konnte  auch  am  F.nde  der  Berichtsperiode  der  Abschluß  der  seinerzeit 
von  Furtwängler  begonnenen  Grabung  am  Aphroditetempel  in  Aegina  in  Verbindung  mit 
der  bayrischen  Akademie  der  Wissenschaften  unter  Leitung  von  Herrn  Wolters  in  Angriff 
genommen   werden. 

Von  dem  in  Verbindung  mit  dem  Marburger  Kunsthistorischen  Seminar  heraus- 
gegebenen Werk  über  die  Skulpturen  von  Olympia  ist  der  Tafelband  erschienen,  der 
Text  von  Herrn  Buschor  folgt  demnächst. 

In  Rom  wurde  Herr  Amelung  im  Sommer  1923  von  Herrn  Diepolder,  im  folgen- 
den Winter  durch  Herrn  Rumpf  als  Assistenten  unterstützt. 

Die  Nodage  der  Wissenschaft  in  Deutschland  hatte  zur  Folge,  daß  das  Institut 
eine  weit  über  den  F'riedensumfang  hinausgehende  Auskunfts-  und  Vermittlungstätigkeit 
ausüben  mußte.  Daneben  konnte  eine  Reihe  von  wissenschaftlichen  Unternehmungen  des 
Instituts  und  einzelner  Gelehrter  gefördert  und  die  Sammlung  photographischer  Negative 
ausgebaut  werden.  In  der  zweiten  Hälfte  des  Winters  I923/24  gelang  es  endlich,  dem 
Institut  ein  provisorisches  Unterkommen  in  den  Räumen  des  Deutschen  Gemeindehauses 


-   III   — 

Rom  25,  Via  Sardegna  79,  zu  schaffen.  Mit  der  Einrichtung  und  Wiederaufstellung  der 
Bibliothek  konnte  begonnen  werden.  Wenn  die  römische  Zweiganstalt  wieder  fruchtbar 
arbeiten  und  in  absehbarer  Zeit  die  Pforten  ihrer  Bibliothek  zu  öffnen  vermag,  so 
verdanken  wir  dies  zu  einem  wesentlichen  Teil  der  hochherzigen  Unterstützung  durch 
amerikanische  Freunde  des  Instituts. 

In  Frankfurt  a.  M.  wurde  während  der  beiden  hier  zusammengefaßten  Berichts- 
jahre der  6.  und  7.  Jahrgang  der  Germania  abgeschlossen  und  der  13.  und  14.  der 
Berichte  veröffentlicht.  Von  dem  Katalog  der  Sammlung  in  Hanau  wurde  ein  erster 
Teil  zum  Druck  gebracht;  von  dem  zweiten  sind  die  Zinkstöcke  der  Abbildungen  her- 
gestellt. Von  dem  Germanenwerk  ist  eine  erste  Lieferung  erschienen,  die  den  Denk- 
mälern des  Vangionengebiets  gewidmet  ist.  Das  Werk  über  das  Grabmal  von  Igel  stand 
am  Schluß  des  zweiten  Berichtsjahres  vor  dem  letzten  Imprimatur,  und  die  Arbeit  an 
den  Denkmälern  von  Neumagen  ist  während  dieses  Jahres  durch  die  Hilfsarbeit  von 
Herrn  v.  Massow  so  gefördert  worden,  daß  sie  durch  Herrn  Krüger  nunmehr  dem  Ende 
zugeführt  werden  kann. 

Von  dem  Bilderatlas  Germania  Romana,  dessen  Auflage  schnell  vergritifen  worden 
war,  wurde  eine  2.  Auflage  vorbereitet,  die  in  Lieferungen  mit  ausführlichen  Erläute- 
rungen erscheinen  soll.  Die  erste  Lieferung  war  am  Schluß  des  ersten  Berichtsjahres 
in  Druck. 

Als  ein  erfreulicher,  zu  Wiederholungen  auffordernder  Erfolg  darf  die  im  Sommer 
I922  im  Verein  mit  dem  Zentralinstitut  für  Erziehung  und  Unterricht  veranstaltete 
»Römische  Woche«   angesehen   werden. 

Die  Reisen  der  Beamten  der  Römisch-Germanischen  Kommission  mußten  leider 
während  der  beiden  Jahre  stark  beschränkt  werden.  Gegen  Ende  des  zweiten  Berichts- 
jahres konnte  Herrn  Drexel  ein  kurzer  Aufenthalt  in  Basel  und  Brugg  zum  Studium  der 
dortigen  neueren   Ausgrabungen  ermöglicht  werden. 

Im  Jahre  1922  nahm  der  Direktor  an  der  Verbandstagung  in  Braunschweig,  Herr 
Drexel  an  der  in  Speier  teil,  wie  auch  an  der  Tagung  der  Berufsprähistoriker  in  Weimar 
und  der  des  Gesamtvereins  in  Aachen.  Im  folgenden  Jahre  besuchte  Herr  Drexel  die 
Prähistorikertagung  in  Tübingen,  Herr  Koepp  die  Tagung  Deutscher  Philologen  und 
Schulmänner  in  Münster  i.  W.  Auf  einer  Tagung  für  Deutschtumspflege  in  Witzenhausen 
war  der  letztere  mit  einem  Vortrage  über  die  Bevölkerung  der  Rheinlande  im  Altertum 
beteiligt. 

Mit  Dank  muß  erwähnt  werden,  daß  die  Stadt  Frankfurt  in  ihren  Haushaltsplan 
für  1924  wieder  den  alten  Zuschuß  zu  den  Kosten  der  Unterbringung  der  Römisch- 
Germanischen  Kommission   eingestellt  hat. 


DAS  MOTIV  DES  GEFALLENEN. 

I.    DIE  ÄGYPTISCHE  KUNST. 

Wenn  hier  vom  Motiv  des  Gefallenen  und  von  seiner  Geschichte  in  der  antiken 
Kunst  die  Rede  sein  soll,  so  ist  der  Begriff  dabei  in  seinem  weitesten  Umfang  gemeint. 
Im  eigentlichen  Sinne  ist  ein  Gefallener  eine  Figur,  die  im  Kampfe  besiegt  wurde 
und  am  Boden  liegt.  Dieses  Liegen  kann  aber  unter  Umständen  mit  sehr  lebhafter 
Bewegung  einzelner  Glieder  verbunden  sein.  Infolgedessen  ist  die  Grenze  zwischen 
den  Motiven  des  Fallens  und  des  Gefallenseins  flüssig,  so  daß  auch  die  ersteren  in 
weitem  Umfange  hier  heranzuziehen  sind.  Anderseits  kann  ein  Gefallener  auch 
so  ruhig  daliegen,  daß  sich  sein  Bild  in  keiner  Weise  von  dem  eines  Gelagerten  oder 
Schlafenden  unterscheidet.  Daraus  ergibt  sich,  daß  auch  die  Motive  des  Liegens 
überhaupt   in   den   Kreis  dieser   Untersuchung  fallen. 


Die  ägyptische  Kunst  der  vordynastischen  Zeit  gehört  ganz  und  gar,  die  der 
sogenannten  Frühzeit  im  wesentlichen  in  den  Bereich  der  primitiven  Kunstübung, 
d.  h.  sie  steht  entwicklungsgeschichtlich  auf  derselben  Stufe  wie  die  Kunst  der  Kinder 
und  Naturvölker.  Ihre  Bilder  werden  also  einerseits  durch  das  Fehlen  jedes  archi- 
tektonisch-dekorativen Prinzips ')  und  anderseits  durch  die  Anwendung  des  so- 
genannten ideoplastischen  oder  Aufbauverfahrens  bei  der  Zeichnung  gekennzeichnet. 
Vorstellungs-,  Wirklichkeits-  oder  Gegenstandsbild  sind  andere  Namen  für  dieselbe 
Sache. 

Es  folgt  hieraus,  daß  es  für  den  primitiven  Zeichner  da,  wo  das  Thema  des 
Bildes  einen  liegenden  Menschen  verlangte,  ein  eigentliches  Problem  überhaupt  nicht 
gab  oder  höchstens  in  demselben  Sinne  wie  bei  der  Darstellung  aufrechter  Figuren. 
Kopf  und  Rumpf,  Arme  und  Beine,  und  was  man  sonst  noch  als  integrierenden  Teil 
des  Körpers  auffassen  mochte,  sind  ja  hier  wie  dort  vorhanden  und  müssen  also  auch 
im  Bilde  sichtbar  sein.  Daß  sie  sich  teilweise  verdecken,  überschneiden  und  ver- 
kürzen, wird  ja  selbst  bei  der  aufrechten  Gestalt,  für  die  man  doch  über  einen  viel 
größeren  Schatz  von  Erfahrungen  und  Beobachtungen  verfügte,  nicht  berücksichtigt. 
Für  den  Liegenden  kam  es  natürlich  noch  viel  weniger  in  Betracht.  Die  Art  und  Weise, 

')  L.   Curtius,  Antike  Kunst   19. 
Jahrbuch  de»  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1933/24.  I 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

Wie  diece  Kunst  ihre  liegenden  Gestalten  von  den  aufrechten   unterscheidet,  kann 
II so  nu    in  einer  Veränderung  in  der  Richtung  der  Körperachse  bestehen. 

Das  Einfachste  .äre  die  Drehung  um  90  Grad,  und  aus  ^^-^J-;"^-;;"  ^f  ^."^^ 
Völkern  und  Kindern  ist  sie  wohlbekannt  •).     Es  überrascht  daher,    daß    be^  den 
frühesten  ägyptischen  Darstellungen  von  Gefallenen,  d.e  uns  vorhegen  m  den  Wand- 
bto  eines  Grabes  bei  Kom  el-ahmar  ^)  sowie  in  einer  der  älteren  Gruppe  ange- 
hörigen  und  zur  einen  Hälfte  im  Louvre,  zur  anderen  im  British  Museum  aufbewahrten 
Schrnkpalettes)  der  Körper  um  volle  180  Grad  gedreht  ist,    so    daß    für  uns 
Empfinden  die  F  gur  auf  dem  Kopfe  steht.    Man  muß  aber  berücksichtigen,  daß  es 
slTin  beiden  Fällen  um  eine  Gruppe  handelt,  und  daß  bei  der  Komposition  emer 
olchen  der  primitive  Künstler  natürlich  ganz  entsprechend  verfahrt  wie  beim  Aufbau 
der  einzelnen  Figur  aus  ihren  Teilen.    Wo  er  ein  örtliches  E  ement  angeben  muß, 
undTas  ist  ja  bei  jeder  Gruppe  mehr  oder  weniger  der  Fall,  da  gibt  er  es  »emzeln, 
Ton  seLm  örtlichen  Zusamm'e'nhang  getrennt  an  dem  durch  den  Aufbau  des  geistigen 
und  nicht  des  physischen  Bildes  vorgeschriebenen  Platz«  4).     V.ir  wissen  ja    w  e 
beliebt  es  ist,  z  B.  Flüsse,  Teiche,  Wege,  Hügel  u.  ä.  in  unverkürzter  Aufsicht  er- 
scheinen zu  lassen,  so  daß  im  Bedarfsfalle  die  Bildfläche  auch  die  dritte  Dimension 
repräsentieren  konnte.    Die  Drehung  der  Körperachse  um  180  Grad  in  den  beiden 
angeführten  Fällen  soll  also  veranschaulichen,  daß  der  Gefallene  dem  Sieger  bzw. 
dem  Löwen  etwa  quer  vor  den  Füßen  liegt.    Im  Grunde  ebenso  machte  es  cm  zehn- 
jähriger Junge,  der  die  Gruppe  eines  mit  einem  Hunde  spielenden  Knaben  zeichnen 
wollte  und  dabei  die  Achsen  der  beiden  Körper  parallel  anlegte  5),  nur  daß  hie    die 
Köpfe  beider  Figuren  oben  sitzen.    Der  Hund  war  schon  durch  die  anormale  Lage 
seines  Rumpfes  und  durch  die  Art,  wie  die  Beine  angebracht  sind,  deutlich  genug 
als  liegend  gekennzeichnet.  j       r  j 

Daß  die  horizontale  Lage  beim  Gefallenen  in  Ägypten  erst  gegen  das  Ende 
der  primitiven  Periode  auf  zwei  fragmentierten  Schiefertafeln  auftritt  6),  ist  natürlich 
ein  durch  die  Spärlichkeit  unseres  Materials  bedingter  Zufall.  In  Wirklichkeit  muß 
auch  dieser  Typus  von  alters  her  bekannt  gewesen  sein. 

Angesichts  des  Fragments  mit  der  Darstellung  eines  Schlachtfeldes  ist  man 
geneigt  zu  meinen,  die  fünf  liegenden  Figuren  seien  als  solche,  abgesehen  von  der 

.)  z.  B.  Palauinseln :  Woeimann,  Gesch.  d.  Kunst  II  Capart,  D6buts  Taf.  1 ;  Hoernes,  Urgesch.,  2.  Aufl., 

2.  Aufl.,  Taf.  3.    Buschmannzeichnungen:  ebenda  93i  '• 

n,  8.     Brasilien:  Koch-Grünberg,  Die  Anfänge  <)  Loewy,  Naturwiedergabe  8. 

der  Kunst  im  Urwald  21.     Kinderzeichnungen:  5)  Lewinstein,  a.a.O.  9,26. 

Lewinstein,    Kinderzeichnungen    1905,    Taf.    18,  ')  a)  Brit.  Mus.     Darstellung  eines  Schlachtfeldes: 

42  b;   40,   81a   oben  links;   64,   I47  a,  b.  Mon.    Piot   X    1903,   Nr.    5  a;    Capart,   Dftuts 

>)  Quibell-Green,  Hierakonpolis  II  75;  danach  z.  B.  240,  179;  Journ.  of  Aeg.  Arch.  II  1915  Taf.  14'-; 

Capart,  Debüts  146;  Maspiro,  Gesch.  d.  Kunst  Kunstgesch.  in  Bildern  14,  4;  Spnnger-Michaelis, 

in  Ägypten  1:,  17;  Kunstgesch.  in  Bildern  14,  i;  9-  Aufl.,  12,  33!  L-  Curtius,  Ant.  Kunst  24,  21; 

Spiegelberg,  Äg.  Kunstgesch.  Fig.  7;  L-  Curtiu:,  Schäfer,    Äg.    Kunst    4,    2.      b)    Louvre.    Der 

Antike  Kunst  22  f.,  19;  Schäfer.  Äg.  Kunst  2,  i.  König  als  Stier:  Mon.  Piot  X  1903,  Nr.  4;  BCH 

3)  B^nWite,   Mon.  Piot  X  1903,  Nr.  3  a-c.  Fig.  5;  XVI1892,  i;Capart,  D^buts234f-,  i65f.;  Kunst- 
gesch. in  Bildern  14,  3;  Schäfer,  Äg.  Kunst  4,  i. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


horizontalen  Lage,  auch  noch  durch  die  Lockerung  ihrer  Gelenke  in  Knien  und  Füßen 
von  den  Aufrechten  unterschieden.  Aber  eine  von  diesen,  nämlich  die  1.  vom  Löwen 
sichtbare,  teilt  diese  Eigentümlichkeit  mit  ihnen,  und  sie  kann  man  auf  dieser  Ent- 
wicklungsstufe unmittelbar  vor  dem  Einsetzen  der  Streifenkomposition  unmöglich 
noch  als  liegend  ansprechen.  Es  muß  ein  Fliehender  sein;  denn  das  Motiv,  nur  wenig 
verändert  und  im  Gegensinne  angeordnet,  erscheint  wieder  unten  auf  der  Vorderseite 
der  Tafel  des  Königs  Narmer  ')  bei  zwei  Feinden,  die  mit  lebhaften  Zeichen  des 
Entsetzens  dem  Schicksal  ihres  im  Hauptbilde  darüber  vom  König  niedergeschlagenen 
Gefährten  zu  entfliehen  versuchen.  Wäre  die  Keule  bereits  auf  sie  niedergesaust, 
d.  h.  wären  es  Gefallene,  so  könnten  sie  ihre  Furcht  nicht  mehr  so  lebhaft  äußern  ^). 
Jene  Bewegung  in  den  Gelenken  hat  bei  den  anderen  also  keinen  weiteren  Zweck, 
als  die  Zuckungen  der  im  Todeskampf  liegenden  und  von  den  Raubvögeln  zerfleischten 
Gefallenen  zu  veranschaulichen.  Ein  wesentlicher  Unterschied  von  den  aufrechten 
Gestalten   ist  im  Erfassen  des  Motivs  aber  auch  hier  nicht  festzustellen. 

Das  Fragment  mit  der  Darstellung  des  Königs  als  Stier  ist  deswegen  bemerkens- 
wert, weil  es  zum  ersten  Male  deutlich  nicht  einen  Gefallenen,  sondern  einen  Fallenden 
vorführt.  Die  ausgebreiteten  Arme  und  die  verschiedene  Bewegung  der  Beine  ist 
anders  nicht  zu  verstehen.  Im  Grunde  ist  es  auch  hier  das  Schema  des  aufrechten 
Menschen,  aber  man  hat  doch  den  Eindruck,  daß  man,  um  dieses  Bild  zu  verstehen, 
den  eigenen  Sehgewohnheiten  viel  weniger  Zwang  antun  muß  als  in  allen  bisherigen 
Fällen.  Wir  stehen  aber  hier  auch  unmittelbar  an  der  Schwelle  der  eigentlichen 
ägyptischen  Kunst,  die  unter  den  ersten  beiden  Dynastien  mit  der  sogenannten 
Frühzeit  einsetzt. 

Aus  deren  Bereich  kommt  zunächst  in  Frage  das  Bild  auf  der  Rückseite  der 
Schminktafel  des  Königs  Narmer').  Von  den  Körpern  der  in  zwei  Reihen  senk- 
recht übereinander  angeordneten  Erschlagenen,  denen  man  den  abgehauenen  Kopf 
zwischen  die  Beine  gelegt  hat,  unterscheiden  sich  die  der  beiden  untersten  des 
1.  Gliedes  in  keiner  Weise  von  den  1.  heranschreitenden  Gestalten.  Wie  man  aber 
bereits  beobachtet  hat  3),  ist  das  bei  der  Arbeit  dem  Künstler  selbst  aufgefallen, 
und  so  hat  er  dann  bei  allen  übrigen  die  Fußspitzen  gegeneinandergekehrt.  Irgend- 
welche Wirkung  auf  die  spätere  Ausbildung  der  Liegemotive  hat  das  nicht  gehabt. 
Für  die  Arbeitsweise  dieser  Zeit  ist  es  aber  charakteristisch:  die  Korrektur  des  Vor- 
stellungsbildes mit  Hilfe  des  Gedächtnisbildes  beginnt. 

Noch  weniger  kann  von  bloßer  Achsendrehung  aufrechter  Figuren  die  Rede 
sein  bei  den  eine  Anzahl  von  Gefallenen  darstellenden  Graffiti  auf  den  Basen  zweier 


')  Quibell-Green,    Hierakonpolis    I    29;    Mon.    Piot  =)  Demgegenüber  scheint  mir  die  Bemerkung  von 

X  1903,  Nr.  I,  Fig.  if.;  AJ  XIX  1904,  38,14;  E.    Schmidt,    Knielauf  3645.,   nicht  stichhaltig. 

BB  2;  Capart,  Debüts   167  f.;   Masp^ro,  Gesch.  Vgl.  v.  Bissing,  BB  zu  laf.  2  und  3  a.  Anm.  6. 

23,  38  f.;  Woermann,  Gesch.  d.  Kunst  I,  2.  Aufl.,  Daß   keiner  der  Füße   mit  der   Sohle  fest  auf- 

65,  54;  L.  Curtius,  Ant.  Kunst  25,  22;  Schäfer,  gesetzt  und  der  Leib  so  weit  nach  vom  geneigt 

Äg.    Kunst    6,    I  f.;    Hunger-Lamer,    Altorient.  ist,    soll  eben  das  eilige  und  zugleich  unsichere 

Kultur  im  Bilde  13,  23.  Laufen  veranschaulichen. 

3)  L.  Curtius,  Ant.  Kunst  23. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


Sitzstatuetten  des  Königs  Chasechem  (2.  Dyn.)  ').  Die  Bilder  erinnern  stark  an  die 
vordynastischen  Schiefertafeln,  nur  ist  jeder  Parallelismus  in  den  Extremitäten  der 
einzelnen  Figuren  peinlich  gemieden,  und  die  Bewegungen  von  Rumpf  und  Gliedern 
sind  viel  lebhafter,  so  lebhaft,  daß  wieder  —  wie  bei  der  Stiertafel  —  von  Liegenden 
nicht  geredet  werden  kann,  auch  kaum  von  Gefallenen.  Genau  genommen  sind  es 
samt  und  sonders  Fallende,  die  mit  ihren  gewaltsam  und  krampfhaft  auseinander- 
gerissenen Gliedern  der  Vorstellung  von  hilflosem  Stürzen  und  damit  vom  Triumph 
und  von  der  elementaren  Gewalt  der  königlichen  Majestät  prachtvollen  Ausdruck 
verleihen.  Die  intensivere  Naturbeobachtung  zeigt  sich  in  dem  Reichtum  ausdrucks- 
voller Motive.  Trotzdem  bedarf  es  keines  Worts,  daß  wir  es  im  wesentlichen  noch 
mit  richtigen  Vorstellungsbildern  zu  tun  haben. 

II. 

Die  Kunstgeschichte  trennt  die  ersten  beiden  Dynastien  als  die  Frühzeit  von  der 
Periode  des  AR  im  eigentlichen  Sinne.  Unter  den  Dynastien  3,  4  und  5  hat  der 
spezifisch  ägyptische  Stil  seine  feste  und  für  die  ganze  lange  Zeit  seines  Bestehens 
bestimmend  gewordene  Prägung  erhalten.  Damals  hat  man  »die  Formen  gesichtet 
und  die  Typen  aufgestellt«  2).  So  tritt  auch  die  menschliche  Gestalt  schon  unter 
der  3.  Dyn.  in  ihrer  kanonischen  Form  auf,  wofür  das  Holzrelief  des  Hesire  in  Kairo  das 
klassische  Muster  ist  3).  Weil  dieser  Typus  auch  für  die  Darstellung  des  hier  behandelten 
Motivs  maßgebend  gewesen  ist,  so  ist  es  geboten,  bevor  dieses  selbst  näher  ins  Auge 
gefaßt  wird,  zu  dem  Problem  Stellung  zu  nehmen,  das  er  der  Deutung  aufgibt. 

Nach  dem  Vorgange  Ermans  4)  pflegte  man  bisher  in  ihm  ein  kompliziertes 
Gebilde  zu  erblicken,  das  aus  verschiedenen  Ansichten  zusammengesetzt  sei,  und  zwar 
so,  daß  Kopf,  Arme  und  Beine  im  reinen  Profil,  Auge  und  Schultern  in  der  Vorder- 
ansicht und  Brust  und  Unterleib  im  allgemeinen  im  Dreiviertelprofil  gegeben  seien.  Die 
sehr  merkwürdige  Darstellungsweise  der  beiden  letztgenannten  Teile  ist  nach  dieser 
Ansicht  dadurch  zustande  gekommen,  daß  man  sich  vor  die  Notwendigkeit  gestellt 
sah,  zwischen  den  von  verschiedenen  Blickpunkten  aus  gesehenen  Schultern  und 
Beinen  zu  vermitteln  5).    Einspruch  dagegen  erhoben  hat  schon  Della  Seta  ^),  der, 

■)  a)  Kairo,  Schiefer:  Quibell-Green,  Hierakonpolis  4)  Erman,   Ägypten   und   äg.   Leben  im  Altertum 

l40f.;  danach  BB  3  a;  Masp^ro,  Gesch.  77,  135;  1885,   Kap.   16,   S.   532  ff. 

Kunstgesch.  in  Bildern  23.  'O  und  7;  L.  Curtius,  -)  Wesentlich  auf  demselben    Standpunkt  stehen: 

Ant.   Kunst   58  f.    63,  63  a.      b)  Oxford,   Kalk-  v.    Bissing,    BB   Taf.    34;   Einführung   in   die 

stein:  Hierakonpolis  I  39 f;   Capart,  Debüts  258,  äg.    Kunst    11.       Masp^ro,     Gesch.    71.      E. 

184  f.;    Breasted-Ranke,  Gesch.  Äg.  20  f .  Meyer,   Gesch.    d.   Altert.    I   2,   3.   Aufl.,   216. 

")  Schäfer,  Äg.  Zeitschr.  LII  1914,  18.   Äg.  Kunst  9.  Steindorff,  Bädeker,  7.  Aufl.,  1913,  CLXXV  f. 

3)  Quibell,    Saqqara,    Taf.    29;    BB    zu   Taf.    102;  Spiegelberg,  Gesch.  d.  äg.  Kunst  3«.   Perrot, 

Borchardt,  Kunstw.  aus  d.  äg.  Mus.  zu  Kairo  20;  Perrot-Chipiez  I  743  f.  Woerraann,  Gesch. 

Perrot-Chipiez    I   641,    429;    Bulle,   Der   schöne  d.   Kunst   I,  2.   Aufl.,   59.      Bulle,  Der  schöne 

Mensch  19;  Masp^ro,  Gesch.  60,   loi  f.;  Kunst-  Mensch  26.      L.  Curtius,    Ant.    Kunst    124  ff. 

gesch.  in  Bildern  15,  4;  L.  Curtius,  Ant.  Kunst  Nur  wollen  v.  Bissing  und  Masp^ro  auch  in  der 

118,  103;  Schäfer,  Äg.  Kunst  Taf.  i  und  10.  Darstellung  der  Brust  eine  Frontansicht  sehen. 
')  Della   Seta,  Genesi  dello  scorcio,  Atti  della  R. 
Accad.  dei  Lincei   1906  XII  5,   S.   171. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


ausgehend  von  der  Überzeugung,  daß  die  Verkürzung  als  künstlerisches  Darstellungs- 
mittel erst  eine  Errungenschaft  der  klassischen  griechischen  Kunst  sei,  in  allen  den 
Kunstkreisen,  die  deren  Einfluß  noch  nicht  erfahren  konnten,  nur  reine  Profil-  und 
Frontansichten  für  möglich  hält  und  dementsprechend  auch  die  Brust  und  den  Unter- 
leib der  ägyptischen  Figur  als  von  der  Seite  gesehen  verstehen  will.  Es  hat  sich  aber 
gezeigt,  daß  auch  ohne  so  rigorose  Interpretation  im  einzelnen,  wie  sie  Della  Seta 
vornimmt,  der  Obersatz  seine  Richtigkeit  behält.  Im  NR  sind  Ansichten  im  Drei- 
viertelprofi]  etwas  sehr  Gewöhnliches  ')  und  gelegentliche  Versuche  perspektivischer 
Verkürzungen  lassen  sich  bereits  im  AR  aufzeigen  »).  Wunderbar  ist  das  auch  gar 
nicht,  weil  ja  die  griechische  Kunst  des  6.  Jahrhunderts,  in  der  diese  Versuche  sich 
zu  mehren  beginnen,  entwicklungsgeschichtlich  auf  derselben  Stufe  der  Naturwieder- 
gabe steht  wie  die  ägyptische.  Die  konsequente  und  bewußte  Ausbildung  der  Per- 
spektive zum  System  gehört  darum  doch  den  Griechen  ganz  allein,  und  eben  in  dieser 
Konsequenz  liegt  deren  Überlegenheit. 

Neuerdings  hat  Heinrich  Schäfer  die  alte  von  Erman  inaugurierte  Auffassung 
aufs  entschiedenste  verworfen  und  einer  im  wesentlichen  der  von  Della  Seta  ent- 
sprechenden das  Wort  geredet  3).  Das  kanonische  Menschenbild  des  AR  ist  nach 
Schäfers  Erklärung  auf  Grund  der  Vorstellung  aus  seinen  einzelnen  Teilen  aufgebaut. 
Unvermittelte  Übergänge  zwischen  diesen  Teilen  sind  daher  nur  natürlich,  und  zwar 
liegt  für  unser  Gefühl  der  schärfste  Bruch  zwischen  Brust  und  Schultern.  Denn  die 
letzteren  sind  im  allgemeinen  von  vorn  dargestellt,  Brust  und  Unterleib  aber  wie 
die  Beine  im  Profil.  Die  Behandlung  des  Nabels,  in  der  man  bisher  den  aus- 
schlaggebenden Grund  dafür  erblickt  hatte,  daß  ein  Dreiviertelprofil  beabsichtigt 
sei,  findet  für  Schäfer  ebenfalls  in  den  Prinzipien  des  Vorstellungsbildes  ihre 
Begründung  4). 

Diese  Erklärung  beruht  auf  der  von  Schäfer  vertretenen  Grundanschauung 
vom  Wesen  der  ägyptischen  Kunst,  die  sich  durch  das  ganze  Buch  hindurchzieht. 
Er  hält,  um  es  hier  auf  ein  ganz  kurzes  Kennwort  zurückzuführen,  diese  Kunst  für 
wesentlich  vorstellig  oder  ideoplastisch.  Die  relative  Geltung  dieser  These  soll  hier 
durchaus  nicht  in  Frage  gestellt  werden,  aber  die  Gefahr  liegt  nahe,  daß  der  Verlauf 
der  Entwicklung  innerhalb  der  ägyptischen  Kunstgeschichte  durch  sie  verdunkelt 
wird.  In  der  Tat  kommt  auch  die  ganz  scharfe  Grenze  zwischen  der  primitiven  und 
der  eigentlich  ägyptischen  Kunst  bei  Schäfer  nicht  zur  Geltung.  An  anderer  Stelle 
habe  ich  den  Nachweis  versucht,  daß  sich  die  Bilder  des  AR  nicht  nur  durch  ein 
strengeres  rhythmisches  Empfinden,  sondern  auch  durch  eine  fortgeschrittenere 
Auffassung  des  Raumes  von  den  früheren  sondern.  Schon  gegen  Ende  der  ersten 
Periode  war  zu  beobachten,  wie  das  Formengedächtnis  allmählich  in  Bewegung 
gesetzt  wird.  Für  die  mit  dem  AR  beginnende  Stufe  ist  das  Zusammenarbeiten  von 
Vorstellungs-  und  Gedächtnisbild  geradezu  als  charakteristisch  anzusehen.     Wenn 


')  Schäfer,   Äg.    Kunst   103;    188  f.  1)  Schäfer,  Äg.  Kunst  172. 

')  L.  Klebs,   Äg.  Zeitschr.  LII  1914,  31  £f.  Schäfer,        3)  Schäfer,   Äg.    Kunst   Kap.   6,    159«. 
Äg.  Kunst  143;  171. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


sich  aber  zeigen  läßt,  daß  die  Einführung  der  Streifendekoration  in  diesen  Verhält- 
nissen ihren  Grund  hat,  so  ist  damit  natürlich  dem  alten  ideoplastischen  Aufbau- 
verfahren auch  für  die  Zeichnung  der  einzelnen  Figuren  und  Raumelemente  die  Spitze 
abgebrochen'). 

Besonders  sinnfällig  wird  das,  wenn  man  einmal  die  Darstellung  des  vierrädrigen 
Wagens  bei  den  Ägyptern  und  bei  den  Primitiven  vergleicht.  Hier  ein  Parallelogramm 
für  den  Wagenkörper  mit  den  vier  Rädern  an  den  Ecken  und  der  Deichsel  an  der 
einen  Schmalseite  ^),  dort  das,  was  Schäfer  als  die  »vorstellig  reine  Seitenansicht« 
bezeichnet:  zwei  Räder,  darüber  das  Brett,  von  der  Seite  gesehen,  und  ebenso  vorn 
die  Deichsel  3).  Zwar  macht  er  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  daß  wir  auf  der  Stufe 
des  Vorstellungsbildes  von  vornherein  nie  eine  bestimmte  Form  erwarten  können. 
Aber  wenn  der  Ägypter  die  erstere  Gestalt  des  Wagens  verwirft,  und  wenn  er  auch 
bei  den  Zugtieren  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  die  »unvollständige  seit- 
liche Staffelung«  und  nicht  die  bei  den  Primitiven  so  beliebte  vollständige  senkrechte 
benutzt  4),  so  kann  das  eben  nur  daran  liegen,  daß  er  seine  Bilder  nicht  mehr  allein 
oder  doch  wesentlich  aus  der  Vorstellung  heraus  aufbaut.  Man  stelle  sich  nur  einmal 
das  alte  Bild  des  Wagens  zusammen  mit  der  Grundlinie  vor,  um  sofort  zu  sehen,  daß 
dabei  einfach  ein  Unding  herauskommen  würde.  Wer  den  Wagen  so  zeichnet,  für 
den  hat  eine  Grundlinie  keinen  Sinn,  und  wer  von  dieser  ausgeht,  würde  den  Eindruck 
haben,  daß  der  Wagen  auseinanderfällt. 

In  der  Einführung  der  Grundlinie  durch  die  Streifenkomposition  ist  also  das 
wichtigste  Motiv  für  den  Umschwung  von  der  ideoplastischen  zur  physioplastischen 
Darstellungsweise  zu  erkennen.  Daß  aber  dieser  Umschwung  kein  plötzlicher  oder 
gar  vollständiger  war,  liegt  nicht  so  sehr  an  dem  konservativen  Charakter  der  ägypti- 
schen Kunst  wie  an  der  Natur  der  Sache.  Es  versteht  sich,  daß  die  Reste  der  alten 
Darstellungsformen  um  so  stärker  in  die  Erscheinung  treten,  je  älter  die  Entwicklungs- 
stufe ist. 

Ein  richtiges  Vorstellungsbild,  das  nach  dem  Aufbauverfahren  zusammen- 
gesetzt wäre,  darf  also  in  der  aufrechten  Menschengestalt  des  AR  nicht  mehr  erkannt 
werden.  Zur  Beibehaltung  der  längst  üblichen  Profilansicht  der  Beine  nötigte  die 
Grundlinie,  aber  auch  die  Vorderansicht  beider  Schultern  will  man  nicht  missen, 
weil  man,  ohne  zu  gewagten  Verkürzungen  greifen  zu  müssen,  auf  diese  Weise  die 
Aktion  der  Figur  und  ihre  Beziehung  zu  den  anderen  Gestalten  desselben  Streifens 
am  klarsten  ausdrücken  kann.  Der  Charakter  der  überwiegenden  Mehrzahl  dieser 
Bilder,  die  man  als  nach  dem  Prinzip  der  Reihung  angelegte  Erzählungsbilder 
treffend  definiert  hat  ■;),  forderte  die  Profilstellung  auch  beim  Kopfe.  Da  nun 
aber  die  dem  Auge  durch  die  Grundlinie  gegebene  räumliche  Anregung  nicht 
ignoriert  werden   konnte,    so   ergab   sich   für  den  Rumpf  die  Notwendigkeit,  den 


■)  Schraarsow,  Grundbegriffe273,vgl.284f.,  291,1.  S.  25,  Fig.  25,  I  f .  Woermann,  Gesch.  d.  Kunst 

^)  Schäfer,    Äg.    Kunst    u6,    69.       Verwom,    Zur  I'  Taf.  70  h.  IP  46,  39. 

Psychologie   der  primitiven    Kunst,    SA  aus   d.        3)  Schäfer,   Äg.   Kunst  Taf.   44,  2. 

naturwiss.  Wochenschr.,  N.  F.  VI  (22)  44,  1907,  ^)  Für  die  letztere  führt  Schäfer  nur  ein  Beispiel 
an:  S.  120.        5)  L.   Curtius,  Ant.   Kunst   123  f. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen, 


Zusammenhang  zwischen  den  sich  im  rechten  Winkel  kreuzenden  horizontalen 
Frontachsen  der  Beine  und  der  Schultern  dem  Auge,  so  gut  es  ging,  plausibel  zu 
machen.  Die  alte,  aus  der  Vorstellung  gewonnene  Darstellungsform  dieses  Körperteils, 
die  als  Raumwert  völlig  neutral  gewesen  war,  wird  nun  also  in  diesem  Sinne  um- 
gedeutet, so  daß  in  der  unteren,  mit  den  von  der  Seite  gesehenen  Beinen  eng  zusammen- 
hängenden Partie  ein  Dreiviertelprofil  herauskam,  während  die  nahe  den  in  Vorder- 
ansicht gegebenen  Schultern  liegende  Brust  sich  ungefähr  von  vorn  präsentierte. 
Daß  im  AR  und  MR  niemals  die  innere  Brustwarze  angegeben  wird,  kann  als  Grund 
dagegen  nicht  geltend  gemacht  werden.  Zwar  erblicke  ich  mit  Schäfer  ')  darin, 
daß  man  diese  ganze  Zeit  hindurch  die  fraglichen  Partien  bis  auf  die  Umgebung  des 
Nabels  stets  ohne  Modellierung  gelassen  hat,  das  Nachklingen  des  alten  Vorstellungs- 
bildes; nur  daß  ich  nicht  glaube,  es  liege  »ein  dem  Sinneseindruck  zwar  genähertes, 
aber  immer  noch  stark  vorstelliges  Schaffen  zugrunde«,  sondern  vielmehr  der  Meinung 
bin,  daß  dieses  Schaffen  zwar  die  primitive  Art  in  manchen  Resten  durchblicken 
läßt,  im  wesentlichen  aber  schon  im  Banne  des  einheitlich  erfaßten  und  mit  dem 
Gedächtnis  festgehaltenen  Gesichtsbildes  steht  und  nach  dessen  Maßgabe  dem  alten 
Formenschatz  eine  ganz  neue  Prägung  gibt. 

Übrigens  gibt  es  eine  in  ihrer  Wichtigkeit  für  diese  Frage  noch  kaum  genügend 
beachtete  schlagende  Analogie  für  das  hier  geschilderte  Verfahren  der  ägyptischen 
Künstler  bei  der  Zeichnung  der  aufrechten  menschlichen  Gestalt,  das  ist  die  Dar- 
stellung des  Segels  im  AR  -).  Wie  der  von  der  Seite  gesehene  Mensch,  so  ist  auch  das 
Schiff  mit  seinem  Segel  in  räumlichem  Sinne  ein  ziemlich  kompliziertes  Gebilde. 
Der  Schiffskörper  verlangte  die  Darstellung  in  reiner  Seitenansicht.  Das  Segel  mit 
der  Raa  stand  genau  genommen  in  der  normalen  Lage  mit  seiner  Horizontalachse 
senkrecht  dazu;  jedenfalls  verlief  die  letztere  unter  keinen  Umständen  parallel  mit 
dem  Rumpf.  Das  gewöhnliche  Verfahren  des  vorwiegend  mit  der  Vorstellung  arbeiten- 
den Zeichners  ist  es  nun,  ohne  Rücksicht  auf  den  räumlichen  Zusammenhang  das 
Segel  in  seiner  vollen  Ausdehnung  in  der  Fläche  auszubreiten.  So  sehen  wir  es  noch 
die  Künstler  des  MR  und  NR  in  der  Regel  machen  3).  Im  AR  ist  eine  Form  beliebt, 
bei  der  man  die  Raa  zwar  genau  von  vorn  abbildet  wie  beim  Menschen  die  Schultern, 
die  geschwungenen  Konturen  der  Segelflächen  aber  nach  unten  zu  einander  nähert, 
so  daß  der  Kontrast  zwischen  Segel  und  Schiffskörper  dem  Auge  kaum  fühlbar  wird  4). 
Vom  Vorstellungsbild  ist  hier  wirklich  nicht  mehr  viel  zu  spüren. 


')  Schäfer,  Äg.  Kunst  1735.  Äg.  645.  Kunstgesch.   in  Bildern  18,  i.     Neues 

2)  Borchardt,  Das  Grabdenkmal  des  Königs  Sahurc  Reich:  z.  B.  Steindorff,  Blütezeit  des  Pharaonen- 
II  1913,  160.  reiches  63,   54.    M^moires   V   i,   44-    Borchardt, 

3)  Altes   Reich:   z.  B.   Davies,   Deir  el  Gebrawi,  Sahure  II  135,   13. 

II  7.  De  Morgan,  Fouilles  k  Dahchour  II  19.  1)  z.  B.  Steindorff,  Mastaba  des  Ti  77— 8i-  Petrie, 
Mittleres  Reich:  z.B.  Newberry,  Benihassan  I  Deshashe  Bl.  6.  LD  II  22  d,  28,  43  a,  45  b  (=  Er- 
14;  29;  LD  III  10  a;  II  127  =  Erman,  Äg.  644.  man,  Äg.  640),  64  bis.  Aßmann  bei  Borchardt, 
Wilkinson,  Manners  and  Customs  II  224  =  Sahure  II  159,  20.  Davies,  Deir  el  Gebrawi  II  19. 
Tylor,  The  Tomb  of  Paheri  Taf.  2.  Erman  L.  Klebs,  Die  Reliefs  des  AR,  Abh.  d.  Heidel- 
berger Akad.  III   191 5,   106. 


g  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

Die  neue  Grundform  des  menschlichen  Körpers  zusammen  mit  der  Einführung 
der  Grundlinie  brachte  es  mit  sich,  daß  der  Künstler  des  AR  bei  der  Darstellung  des 
Gefallenen  sich  jetzt  ganz  neuen  Bedingungen  gegenüber  sah.  Hatte  das  Auge  einmal 
eine  so  entschiedene  Anregung  zu  räumlichem  Erfassen  des  Dargestellten  bekommen, 
so  konnte  das  Mittel  der  Achsenänderung  nicht  mehr  genügen.  Es  wird  sich  zeigen, 
daß  es  unter  besonderen  Umständen  trotzdem  angewandt  wurde,  aber  gerade  solchen 
Fällen  gegenüber  sieht  man  recht  deutlich,  daß  es  im  Rahmen  dieses  Stils  eigentlich 
keine  Daseinsberechtigung  mehr  hatte.  Der  Körper  macht  den  Eindruck,  als  ob  er 
auf  der  einen  Schmalseite  balanciere;  denn  die  hintere  Schulter  und  das  hintere  Bein 
kommen  auf  diese  Weise  mit  dem  durch  die  Linie  repräsentierten  Grund  gar  nicht  in 
Berührung,  während  naturgemäß  bei  einigermaßen  stabiler  Lage  wenigstens  das  eine 
von  beiden  der  Fall  sein  muß.  Auf  der  anderen  Seite  zwang  das  Stilgesetz,  mit  dem 
vorhandenen  Schema  auszukommen,  und  verbot,  neue  Verkürzungen  einzuführen. 
Trotzdem  ist  der  Ägypter  weit  davon  entfernt,  vor  diesem  Problem  zurückzuschrecken. 
Vielmehr  hat  er  mit  der  frischen  und  unermüdlichen  Beweglichkeit  seiner  künstlerischen 
Phantasie,  die  alle  seine  Schöpfungen  kennzeichnet,  innerhalb  der  festen  Grenzen 
seines  Stils  auf  die  verschiedenste  Weise  und  meist  mit  dem  größten  Geschick  versucht, 
eine  Lösung  zu  finden.  Eine  Durchmusterung  der  in  Frage  kommenden  Erscheinungen 
ergibt,  daß  es  sich  dabei  im  großen  und  ganzen  um  vier  Typen  handelt. 

Im  Totentempel  des  Königs  Sahure  (5.  Dyn.)  findet  sich  zum  ersten  Male  das 
Bild  des  Pharao,  der  als  Greif  seine  Feinde  zerschmettert  ').  Von  diesen  ist  der  eine, 
ein  Libyer,  auf  dessen  Haupt  gerade  die  mächtige  Vordertatze  niedersaust,  ins  Knie 
gesunken  und  gehört  also  nicht  hierher.  Die  beiden  anderen  1.  von  ihm  unter  dem 
Leibe  des  Königsgreifen  sichtbaren  sind  aber  richtige  Gefallene. 

Der  r.  von  ihnen,  ein  Asiat,  ist  nach  1.  hintenübergestürzt.  Alle  seine  Glieder 
sind  in  lebhafter  Bewegung.  Die  beiden  Arme  und  das  1.  Bein  hat  er  wie  abwehrend 
erhoben,  und  vom  r.  Bein  berührt  nur  die  Ferse  den  Boden.  Aber  auch  dieses  Glied 
wirkt  wegen  seiner  Beugung  im  Kniegelenk  wie  federnd. 

Auch  der  Puntmann  1.  von  dieser  Gestalt  ist  hintenübergefallen,  aber  nach  r. 
hin.  Sein  1.  Oberarm  ruht  auf  der  Grundlinie,  während  der  im  r.  Winkel  dazu  gebeugte 
Unterarm  vor  dem  Leib  liegt.  Die  Hand  hält  das  Bild  des  Herzens:  der  Mann  befindet 
sich  also  im  Zustande  äußersten  Entsetzens.  Noch  deutlicher  als  der  1.  ist  aber  der 
r.  Arm  entspannt.  Er  hängt  schlaff  hintenüber.  Nur  an  den  Beinen  sind  die  Gelenke 
noch  gestrafft;  das  1.  Knie  ist  hochgezogen,  wie  wenn  es  kurz  vorher  noch  den  Versuch 
gemacht  hätte,  den  Körper  aufzurichten,  und  das  r.,  im  Kniegelenk  etwa  rechtwinklig 
gebeugte  Bein  stößt  nach  oben  ins  Leere;  gemeint  ist  jedenfalls  auch  hier  ein  krampf- 
hafter hoffnungsloser  Abwehrversuch. 

Von  wirklichen  Liegemotiven  kann  also  bei  keiner  dieser  Figuren  die  Rede  sein, 
schon  deshalb  nicht,  weil  sie  ja  dann  auf  ihrer  Schmalseite  balancieren  würden.  Es 
ist  vielmehr  das  plötzliche  und  gewaltsame  Fallen  in  drei  verschiedenen  Stadien 
veranschaulicht,  und  zwar  so,  daß  der  von  r.  nach  1.  wandernde  Blick  mit  jeder  neuen 


•)  Berlin  21  832.     MDOG  XXXIV  Bl.   5.     Fechheimer,  Äg.  Plastik  Taf.  iii.  Borchardt,  Sahurell  BL  8. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


Figur  auch  eine  zeitlich  fortgeschrittene  Stufe  desselben  Vorgangs  erfaßt  ').  Der 
Libyer  bricht  eben  zusammen,  sein  Oberkörper  ist  aber  noch  aufgerichtet.  Der  Asiat 
befindet  sich  noch  im  Fallen,  berührt  aber  bereits  mit  der  Schulter  und  dem  Glutäus 
seiner  einen  Seite  den  Boden  und  versucht  sich  mit  Händen  und  Füßen  noch  zu 
wehren.  Der  Puntmann  schließlich  windet  sich  in  den  letzten  Zuckungen  der  Agonie, 
sein  Oberkörper  macht  schon  einen  fast  leblosen   Eindruck. 

Bei  den  beiden  im  engeren  Sinne  als  Gefallene  anzusprechenden  Figuren  liegt 
der  Zusammenhang  mit  den  aus  den  älteren  Perioden  angeführten  Beispielen  auf  der 
Hand.  Das  Balancieren  auf  der  einen  Körperseite  war  auch  dort  zu  beobachten. 
Allein  jetzt  wird  es  umgedeutet  und  ist  also  nur  noch  scheinbar  vorhanden.  Der 
Fortschritt  liegt  aber  nicht  nur  darin,  daß  durch  den  Zwang  der  Grundlinie  der  Künstler 
veranlaßt  wurde,  den  Körper  durch  den  vorderen  Arm  überschneiden  zu  lassen.  Die 
Hauptsache  ist  dies:  neben  der  Basis  des  Chasechem  wirken  die  Bewegungen  hier  viel 
gehaltener,  aber  auch  viel  prägnanter.  Die  Kunst  ist  eben  inzwischen  durch  ein  starkes 
Stilgefühl  gebändigt  worden,  und  was  sie  etwa  an  unmittelbarer  leidenschaftlicher 
Ausdruckskraft  eingebüßt  hat,  das  hat  sie  an  Formgefühl  mehr  als  gewonnen. 

Außerdem  sind  die  Bewegungen  jetzt  im  Zusammenhang  der  Komposition  viel 
überzeugender  motiviert.  Die  Schminktafel  mit  dem  vom  Königsstier  nieder- 
gestoßenen Feind  war  hier  schon  vorangegangen.  Aber  es  war  ein  Versuch  mit  unzu- 
länglichen Mitteln.  Jetzt  sind  nicht  nur  in  prachtvoll  in  sich  geschlossenen  Motiven 
die  Reflexbewegungen  der  von  einer  elementaren  Kraft  niedergeschmetterten  und 
tödlich  getroffenen  Feinde  veranschaulicht,  sondern  diese  Unglücklichen  sind  mit 
ihrem  Verderber  hier  auch  zu  einer  festgefügten  Gruppe  zusammenkomponiert. 

Der  Künstler  hat  also  gewissermaßen  Momentbilder  aus  einer  lebhaft  bewegten 
Szene  aufgefangen  und  kunstvoll  zusammengesetzt.  Man  sieht  in  diesem'ersten 
Beispiel  aus  dem  AR,  mit  wie  frischer  Unbedenklichkeit  der  Ägypter  aus  der  Not 
eine  Tugend  machte.  Die  Gesetze  seines  Stils  schnitten  ihm  von  vornherein  die 
Möglichkeit  ab,  ein  erträgliches  Bild  des  am  Boden  liegenden  Menschen  zu  geben. 
Er  weiß  sich  aber  zu  helfen,  indem  er  aus  einer  sehr  heftigen  und  komplizierten  Be- 
wegung einen  prägnanten  Moment  herausgreift,  worin  die  Glieder  des  Körpers  zu- 
einander in  eine  Lage  gebracht  sind,  die  dem  kanonischen  Menschenbild  entspricht. 

Nur  wenige  Jahrzehnte  jünger  als  das  zuletzt  besprochene  Monument  ist  der 
gleichfalls  noch  der  5.  Dyn.  angehörige  Totentempel  des  Königs  Neweserre.  Hier 
haben  sich  Reste  von  mindestens  sieben  Gruppen  dieser  Art  gefunden,  die  im  unteren 
Teil  des  Aufgangs  r.  und  1.  die  Wände  schmückten  '). 

Bei  dem  am  besten  erhaltenen  von  den  hintenübergestürzten  Gefallenen  (Bl.  9 
E — F)  ist  der  hintere  r.  Arm  fast  genau  so  im  rechten  Winkel  kraftlos  um  den  Kopf 
gelegt  wie  bei  dem  nach  r.  gestürzten  aus  dem  Sahuretempel.  Wie  dort  ist  auch  hier 
das  r.  Bein  erhoben,  nur  daß  der  Unterschenkel  viel  weiter  nach  unten  gebeugt  ist. 
Auch  der  Arm  preßt  sich  ja  viel  enger  an  den  Kopf:  auf  beide  saust  gerade  die  Pranke 


')  Schäfer,   Äg.  Kunst  152  f.     Vgl.  unten  S.  25,  5.      ')  Borchardt,   Das  Grabdenkmal  des  Königs  Newe- 
serre BI.  8 — 12. 


10  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

des  Greifen  nieder.  Die  1.  Schulter  berührt  auch  hier  den  Boden,  der  1.  Arm  ist  aber  in 
einem  nach  unten  offenen  Winkel  geknickt,  nicht  wie  dort  in  organischer  Weise  nach 
oben.  Daß  es  sich  dabei  nicht  um  einen  ungeschickten  Versuch  handelt,  den  1.  Fuß 
in  seiner  ungewöhnlichen  Lage  klar  zu  zeigen,  lehrt  ein  Blick  auf  ein  anderes  Fragment 
(Bl.  8  A — B),  wo  der  Arm  ebenso  geknickt  ist,  nur  mit  nach  oben  gekehrtem  Hand- 
rücken, während  hier  doch  das  1.  Bein  zurückgestreckt  war.  Seine  Erklärung  findet 
das,  wenn  man  annimmt,  daß  der  Arm  bereits  durch  einen  Hieb  der  mächtigen  Pranke 
oder  durch  die  Wucht  des  plötzlichen  Sturzes  zerschmettert  und  nun  in  seinen  Ge- 
lenken gebrochen  ist.  Das  gleiche  gilt  für  das  1.  Bein  unserer  Figur.  Auch  die  Drehung 
des  Unterschenkels,  der  dem  Oberschenkel  fast  parallel  läuft,  und  die  Lage  des  Fußes, 
dessen  unterer  Kontur  den  des  Schienbeins  in  gerader  Linie  fortsetzt,  werden  erst 
unter  dieser  Voraussetzung  ganz  verständlich.  Dasselbe  gilt  für  die  ganz  entsprechend 
gezeichnete  rechte  Körperseite  des  Asiaten  aus  einer  anderen  Gruppe  (Bl.  9  D — E). 
Der  einer  dritten  Gruppe  angehörige  Puntmann  (Bl.  10  H — I)  beugt  sein  allein 
erhaltenes  1.  Bein  genau  so  wie  sein  Landsmann  im  Sahuretempel.  Sein  rückwärts 
gewandter  Kopf  und  der  scharf  geknickte  Arm  sind  wieder  durch  die  noch  sicht- 
bare Tatze  motiviert. 

Diese  Künstler  haben  also  denselben  Weg  beschritten,  um  die  im  Stil  gegebenen 
Schwierigkeiten  bei  der  Darstellung  des  Gefallenen  zu  umgehen,  wie  die  im  Sahure- 
tempel. Nur  noch  kompakter  haben  sie  die  Leiber  in  sich  zusammengeballt  und 
dadurch  einen  noch  festeren  Zusammenschluß  der  Gruppen  erreicht. 

Auf  einer  Wand  des  ebenfalls  noch  unter  der  5.  Dyn.  entstandenen  Grabes  ' 
des  Anti  zu  Deshashe  findet  sich  als  einziges  aus  dem  AR  erhaltenes  Schlachtbild  die 
Darstellung  der  Einnahme  einer  syrischen  Festung  durch  ägyptische  Truppen  ') 
(Abb.  i).  Von  den  Gefallenen  und  Fallenden  dieses  Bildes  gehören  mindestens 
vier  (b,  c,  e,  f)  zu  dem  hier  besprochenen  Typus.  Wegen  des  ungünstigen  Erhaltungs- 
zustandes läßt  sich  die  Analyse  bei  den  meisten  von  ihnen  aber  nicht  mit  der  er- 
wünschten Genauigkeit  durchführen. 

Figur  c  zeigt  wieder  den  von  oben  um  den  Kopf  gelegten  hinteren  Arm.  Sonst 
läßt  sich  über  das  Motiv  nur  noch  sagen,  daß  das  hintere  Bein  an  den  Leib  gezogen 
war  wie  bei  dem  Puntmann  aus  dem  Sahuretempel  das  vordere. 

Den  Figuren  b  und  e  ist  es  gemeinsam,  daß  der  Kopf  und  mindestens  auch  noch 
der  eine  sichtbare  Arm  schlaff  nach  hinten  herunterhängen,  wofern  der  letztere  bei  e 
nicht  etwa  als  aufgestützt  zu  verstehen  ist.  Es  handelt  sich  also  um  eine  Weiter- 
bildung der  Form,  die  wir  auf  einer  früheren  Stufe  in  dem  von  demLöwen  zerfleischten 
Libyer  auf  der  Schminktafel  mit  der  Schlachtfelddarstellung  bereits  kennen  ge- 
lernt haben. 

Figur  f  ist  deswegen  interessant,  weil  sie  in  der  Ausbreitung  der  Arme  und 
Beine  über  den  Grund  und  in  der  starken  Krümmung  aller  Gelenke  deutlich  ihre 

■)  Petrie,  Deshashe  (Eg.  Explor.  Fund  XV  1898)  auch    E.   Meyer,    G.    d.   A.   I  2,  3.   Aufl.,   253; 

Taf.  4.    Danach  v.  Bissing,  Einführung  in  d.  äg.  v.  Bissing,  Recueil  de  Travaux  etc.,    XXXII  46; 

Kunst  Taf.  2.     Masp^ro,  Gesch.  108,  196.     Vgl.  ders.  zu  HB  95  Anm.  4. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


II 


Herkunft  von  den  aus  den  Chasechembasen  bekannten  Typen  zu  erkennen  gibt.  Die 
für  die  fortgeschrittene  Stilstufe  charakteristische  straffere  Zusammenfassung  zeigt 
sich  aber  auch  hier,  und  zwar  vor  allem  darin,  daß  der  rechte  Arm  und  das  rechte 
Bein  gerade  bis  an  die  Grundlinie  reichen.  Gemeint  ist  hier  ein  früheres  Moment 
des  Fallens  als  bei  den  anderen  Figuren.  Da  ließ  sich  das  Beibehalten  des  alten  Motivs 
am  ehesten  rechtfertigen. 

Nicht  im  eigentlichen  Sinne  zu  den  Gefallenen,  wohl  aber  zu  den  liegenden 
Gestalten  gehört  eine  Anzahl  von  den  das  Vogelnetz  zusammenziehenden  Sklaven 
in  den  Gräbern  des  AR.  Von  den  stehenden  und  mit  aufgerichtetem  Oberkörper 
auf  der  Erde  sitzenden  kann  hier  abgesehen  werden.   Aber  außer  den  lang  am  Boden 


Abb.   I.     Aus  dem  Grabe  des  Anti  zu  Deshashe.     5.  Dyn.     Nach  Petrie,  Deshashe  Taf.  4. 


ausgestreckten  •)  weisen  auch  die  mit  halberhobenem  Oberkörper  J)  eine  interessante 
Verwandtschaft  mit  dem  hier  besprochenen  ersten  Typus  auf. 

Die  seitliche  Ansicht  der  in  den  Knien  leicht  angezogenen  am  Boden  liegenden 
Beine  ist  durch  den  parallelen  Verlauf  ihres  oberen  Konturs  sehr  einfach  und  klar 
zum  Ausdruck  gebracht.  Eine  solche  Staffelung  ist  hier,  wo  sie  im  allgemeinen  in  der  Ho- 
rizontalen liegt,  natürlich  ebensowenig  ein  Verstoß  gegen  die  durch  die  Grundlinie  be- 


•)  Griffith,  The  Tomb  of  Ptah-Hotep  (Egyptian 
Research  Account  1896)  Taf.  32  =  Davies, 
Ptah-Hotep  I  21.  L.  Curtius,  Ant.  Kunst  115,  lOi. 
Kunstgesch.  in  Bildern  15,  6.  Schäfer,  Äg.  Kunst 
121,  77.    LD  II  46.    Erman,  Äg.  324.    E.  Meyer, 


Äg.  zur  Zeit  der  Pyramidenerbauer  27,  9.    Fech- 
heimer,  Äg.  Plastik  132. 
2)  Capart,  Une  Rue  de  Tombeaux  36  f.  39.     Fech- 
heimer,  Äg.  Plastik   132.     BB  18  a.  —  Capart, 
a.a.O.  85  ff.     L.  Curtius,  Ant.  Kunst  joo,  91. 


Steindorff,  Mastaba  des  Ti  116. 


12  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

dingten  Gesetze  der  Streifenkomposition  wie  in  den  zahlreichen  Fällen,  wo  sie  auf  die- 
sen Bildern  in  vertikaler  Richtung  als  sogenannte  »unvollständige  seitliche  Staffelung« 
bei  Figuren  angewandt  wird,  die  im  gleichen  Motiv  hintereinander  im  Räume  stehen  '). 
Wenn  sich  dagegen  der  Oberkörper  auch  hier  in  der  kanonischen  Dreivierteldrehung 
darbietet,  so  ist  diese  Drehung  durch  das  Seil,  an  dem  sich  der  Mann  mehr  oder  weniger 
aufrichtet,  um  in  die  Bewegung  des  Ziehens  größere  Wucht  zu  legen,  in  völlig  aus- 
reichender Weise  motiviert.  Daß  die  äußere  Schulter  auf  einigen  Bildern  von  vorn 
gesehen,  auf  anderen  nach  innen  »umgeklappt«  ist  2),  bedeutet  für  das  Motiv  der 
ganzen  Figur  keinen  wesentlichen  Unterschied.  Es  ist  also  wie  bei  dem  Gefallenen 
die  notwendige  Dreiviertelansicht  des  Rumpfes  durch  die  Art  der  Bewegung  motiviert. 

Der  zweite  im  AR  vorkommende  Typus  des  Gefallenen  stellt  den  vornüber- 
gestürzten Menschen  dar.  Er  läßt  sich  in  drei  Gruppen  des  Neweserretempels  (Bl.  8, 
O— A  und  B — C,  Bl.   10  H — I)  und  in  Deshashe  nachweisen   (Figur  d). 

Charakteristisch  für  diesen  Typus  ist,  abgesehen  davon,  daß  der  Kopf  den 
Boden  berührt,  die  Stellung  der  Beine,  von  denen  das  eine  im  Gesäß  und  Knie  stark 
gebeugt  ist  und  mit  dem  letzteren  sowie  mit  den  gleichfalls  stark  gekrümmten  Zehen 
auf  den  Boden  drückt,  während  das  andere,  das  seine  Zehen  auch  auf  die  Grundlinie 
preßt,  um  die  Länge  des  Unterschenkels  nach  hinten  ausgestreckt  ist.  Der  wichtigste 
Unterschied  des  Gefallenen  von  Deshashe  von  den  drei  anderen  besteht  darin,  daß 
sein  zurückgestrecktes  Bein  nicht  so  stark  geknickt  ist.  Der  Glutäus  hat  eine  höhere 
Lage  bekommen,  und  so  kann  das  Knie  frei  über  dem  Boden  schweben,  während 
das  entsprechende  auf  den  anderen  Reliefs  ihn  berührt.  Die  Silhouette  hat  so  in 
Deshashe  mehr  Luft,  die  Glieder  sind  weiter  auseinander  gezogen;  offenbar  ist  in  beiden 
Fällen  das  Motiv  in  etwas  verschiedener  Abwandlung  vorgetragen.  In  Deshashe 
ist  es  auch  hier  nicht  eigentlich  ein  Liegender,  sondern  gemeint  ist  ein  Bewegungs- 
moment, der  unmittelbar  auf  den  von  Figur  f  folgt.  Mit  Armen  und  Beinen  macht 
der  Gestürzte  noch  den  Versuch,  sich  aufzurichten,  und  dabei  ist  es  ihm  gelungen, 
seine  Schulter  schon  etwas  zu  heben,  wodurch  denn  die  Dreivierteldrehung  des 
Rumpfes  gut  begründet  wird.  Die  Figuren  der  anderen  Reliefs  kann  man  schon 
eher  als  Liegende  ansprechen,  nur  daß  das  eine  Mal  (Bl.  10  H — ^I)  wieder  ein  ganz  un- 
gewöhnlicher Fall  gemeint  ist.  Die  unorganische  Drehung  des  Rumpfes  hat  eben 
auch  hier  den  Zweck,  die  zerschmetternde  Wirkung  der  Löwenpranke  zu  veran- 
schaulichen. Sein  Schicksal  hat  den  Unglücklichen  in  dem  Augenblick  ereilt,  wo 
er  sich  durch  das  Anziehen  der  Beine  und  die  Drehung  des  Oberkörpers  gerade  vom 
Falle  zu  erheben  suchte. 

Der  Delinquent  in  einer  Bastonnadeszene  aus  Deir  el  Grebrawi  3)  ist  diesen 
auf  dem  Bauche  liegenden  Figuren  anzuschließen.  Die  Drehung  seines  Oberkörpers 
mit  dem  erhobenen  1.  Arm  erklärt  sich  zwanglos  als  ein  Versuch,  sich  den  Händen 
der  Schergen  zu  entwinden,  wie  ihn  der  körperliche  Schmerz  unwillkürlich  auslöst. 


>)  Konsequent  ausgebaut  ist  dies  Verfahren  aller-       »)  Madsen,  Äg.  Zeitschr.  LH  191 5,  65  £E.     Schäfer, 
dings  erst  von  den  Künstlern  des  MR:  Schäfer,  Äg.  Kunst  184  f. 

Äg.  Kunst  130  f.  3)  Davies,  Deir  el  Gebrawi  I  8. 


Friedlich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  I  7 

Für  den  dritten  im  AR  vorkommenden  Typus  bietet  das  Relief  in  Deshashe 
das  merkwürdigste  Beispiel  (Figur  a).  Der  Erhaltungszustand  ist  hier  besonders 
schlecht,  aber  aus  der  von  der  deutschen  Fremdvölkerexpedition  aufgenommenen 
Photographie  (Nr.  2,7)  läßt  sich  das  Motiv  sehr  wohl  erkennen.  Es  ergibt  sich  dabei, 
daß  die  Zeichnung  in  der  Veröffentlichung  Petries  ungenau  und  irreführend  ist. 

Zu  tun  haben  wir  es  mit  einem  Verwundeten  oder  Sterbenden,  der,  von  mehreren 
Pfeilen  getroffen,  rückwärts  nach  1.  gestürzt  ist.  Um  die  Last  des  Körpers  abzufangen, 
hat  er  seine  Arme  nach  1.  zurückgeworfen,  so  daß  der  1.  die  Brust  überschneidet, 
und  stemmt  sich  nun  mit  ihnen  gegen  den  Boden.  So  wußte  sich  der  Künstler  wieder 
die  Möglichkeit  zu  verschaffen,  den  Rumpf  in  der  erforderlichen  Dreiviertelansicht 
zu  zeigen.  Dazu  hätte  allerdings  ein  Aufstützen  durch  den  r.  Arm  allein  genügt,  und 
so  ist  es  auch  der  Fall  bei  der  Figur  der  Chasechembasis  in  Kairo,  in  der  man  eine 
ältere  Form  dieses  Typus  zu  erblicken  hat  (1.  Schmalseite  zweite  Figur  von  1.).  Aber 
das  sonst  im  allgemeinen  vermiedene,  wenn  auch  keineswegs  ganz  singulare  Über- 
schneiden der  ganzen  Brust  durch  den  hinteren  Arm  ließ  sich  hier  deswegen  kaum  um- 
gehen, weil  sonst  das  Motiv  leicht  unklar  geworden  wäre.  Aus  den  vorhandenen  Spuren 
nämlich  kann  geschlossen  werden,  daß  hinter  den  Beinen  dieses  Gefallenen  ein  nach  1. 
gebeugter  Ägypter  stand,  der  jenen  mit  der  einen  Hand  beim  Schöpfe  packte,  wäh- 
rend er  mit  der  andern,  vermutlich  mit  der  erhobenen  r.,  ihm  den  Todesstoß  zu  ver- 
setzen im  Begriff  stand,  ähnlich  wie  es  eine  Frau  auf  dem  obersten  Streifen  innerhalb  der 
Festung  tut.  So  erklärt  sich  auch,  weshalb  der  Gefallene  das  Haupt  nach  unten 
kehrt :  der  Sieger  preßt  es  ihm  nieder.  Und  die  Bewegung  des  1.  Fußes  versteht  man 
jetzt  auch:  es  ist  wieder  ein  verzweifelter  Abwehrversuch.  Ein  ziemlich  kompliziertes 
Motiv  liegt  also  hier  vor.  Aber  abgesehen  von  dem  wohl  etwas  zu  lang  geratenen 
1.  Arm  scheint  es  gut  gelungen.  Im  Vergleich  mit  der  Chasechembasis  kann  man  den 
großen  Fortschritt  sehr  gut  ermessen.  Vor  allem  in  der  stärkeren  Prägnanz  des  er- 
faßten Moments  kommt  er  zum  Ausdruck.  Und  wieder  kann  es  nicht  anders  sein, 
als  daß  die  Gruppenkomposition  zu  dieser  Weiterbildung  den  entscheidenden  Anstoß 
gegeben  hat. 

Faßt  man  als  die  charakteristischen  Merkmale  dieses  Typus  die  durch  den 
aufgestützten  vorderen  Arm  motivierte  Dreivierteldrehung  des  halb  aufgerichteten 
Oberkörpers  und  das  Aufsetzen  mindestens  des  einen  im  Knie  hochgezogenen  Beines 
mit  ganzer  Sohle  auf  den  Boden  auf,  so  sieht  man,  daß  es  im  AR  auch  in  Bildern 
friedlichen    Inhalts  mehrfach  vorkommt. 

Das  gilt  z.  B.  von  den  Reliefs  einer  Mastaba  bei  Sakkara  mit  den  Darstellungen 
des  plötzlichen  Todes  ').  Dem  Thema  entsprechend  besteht  die  Modifizierung  hier 
in  einer  Abschwächung  der  in  Deshashe  doch  sehr  krampfhaften  Bewegungen.  Ein 
festes  Aufstützen  des  r.  Arms  war  ja  deswegen  nicht  nötig,  weil  der  Sterbende  von 
seinem  Genossen  unter  der  r.  Achsel  gestützt  wird;  den  1.  Arm  läßt  er  auf  dem  einen 
Knie  ruhen,  und  der  zweite  Gefährte  hat  ihn  mit  beiden  Händen  ergriffen,  um  seine 
schmerzlichen  und  teilnehmenden  Gefühle  auszudrücken,  was  der  andere  durch  die 


»)  Capart,  Une  Rue  de  Tombeaux  71.     BB   18  b.  Fechheimer,  Äg.  Plastik  133. 


1^  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

Gebärde  seiner  1.  Hand  tut.   Die  beiden  Beine  des  Sterbenden  sind  mit  ganzer  Sohle 
aufgesetzt  und  völlig  parallel  gebeugt. 

Verwendung  dieses  Typus  ist  schliei31icn  noch  festzustellen  auf  dem  Werftbilde 
in  der  Mastaba  des  Ti  bei  den  Arbeitern,  die  unter  den  aufwärts  geschwungenen 
Enden  der  Boote  hocken  und  die  Bordwand  mit  dem  Dächsei  glätten  ').  Den  auf- 
gestützten vorderen  Arm  hat  allerdings  nur  noch  der  eine  von  ihnen,  die  anderen 
fassen  mit  beiden  Händen  ihr  Werkzeug.  Die  Motive  der  Beine  sind  bei  allen  dreien 
verschieden  gewählt  und  auch  beim  einzelnen  Manne  unter  sich  differenziert;  eines 
ist  aber  jedesmal  mit  seiner  ganzen  Sohle  aufgestellt.  Man  sieht  also  deutlich  die 
Verwandtschaft  dieser  Figuren  mit  dem  dritten  Typus  des  Gefallenen,  ebenso  deutlich 
aber  auch  dessen  Übergehen  in  einen  Typus  für  den  hockenden  und  kauernden 
Menschen.  Das  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  Zwischen  dem  Zustande  des  Liegens 
und  Hockens  gibt  es  keine  objektiv  feste  Grenze.  Ein  Vergleich  der  hierher  gehörigen 
Netzezieher  mit  ihren  sitzenden  Gefährten  zeigt  dasselbe  Verhältnis. 

Insofern  als  Typus  3  auch  den  rückwärts  gestürzten  Menschen  vorführt,  kann 
man  ihn  als  Modifikation  von  Typus  l  auffassen.  Der  halb  aufgerichtete  Oberkörper 
ist  das  wichtigste  Unterscheidungsmerkmal.  Etwas  Entsprechendes  gibt  es  auch 
für  den  zweiten  Typus.  Auf  den  Grabwänden  sieht  man  öfter  die  Gutsverwalter, 
wie  sie  sich  auf  den  Knien  rutschend  voll  Ehrfurcht  ihrem  Herrn  nahen  »).  Bei  dieser 
Haltung,  für  die  das  vorgeschobene  hintere  Knie  charakteristisch  ist,  war  ein  Auf- 
stützen des  Rumpfes  durch  den  einen  Arm  zwar  möglich,  aber  nicht  unbedingt  ge- 
boten. Nur  wo  dieses  Motiv  vorkommt,  kann  man  von  liegenden  Figuren  sprechen, 
die  anderen  3)  sind,  genau  genommen,  Kniende.  Es  ist  wie  bei  Typus  3,  wo  ja  auch 
die  Grenze  zwischen  dem  Liegen  und  Hocken  flüssig  ist.  Jedenfalls  ist  die  Schulter- 
partie von  der  Grundlinie  gelöst,  so  daß  von  vornherein  ihre  kanonische  Form  mit 
dieser  gar  nicht  in   Berührung  kam. 

III. 

Was  sich  aus  dem  MR  an  Bildern  erhalten  hat,  ist  im  Vergleich  mit  dem  aus 
dem  AR  und  NR  Stammenden  so  wenig,  daß  man  sich  nicht  zu  wundern  braucht, 
wenn  sich  von  den  vier  Typen  nur  die  ersten  beiden  in  einer  Reihe  von  Beispielen 
belegen  lassen.  Gegeben  hat  es  jedenfalls  auch  die  anderen;  denn  im  NR  treten  sie 
in  großer  Menge  wieder  auf.  Als  ungünstiger  Umstand  kommt  hinzu,  daß  man  für 
die  Gräber  von  Benihassan,  die  für  unser  Motiv  fast  allein  in  Betracht  kommen,  noch 
immer  auf  die  älteren  Publikationen  und  auf  die  sehr  summarischen  Tafeln  in  dem 
Werke  von  Newberry  4)  angewiesen  ist,  sodaß  man  auf  eine  zuverlässige  Beobachtung 


■)  Steindorfl,   Mastaba  des  Ti   119  f.      L.   Curtius,  21,    37.       Grabtempel   des    Sahure:    Borchardt, 

Ant.   Kunst    106,   95.      Breasted-Ranke,   Gesch.  Sahure  II  Bl.  50,  S.  59. 

Ägyptens  91,  4.  3)  Capart,  Une  Rue  de  Tombeaux  44.  Aus  dem  NR: 

=)  Grab  bei  Sakkara:  LD  II  63.    Masp^ro,  Hist.  I  Naville,  Deir   el   Bahari   III   76. 

290.     Perrot-Chipiez  I  30,  18.     Mastaba  des  Ti:  4)  Newberry,  Benihassan  (Arch.  Survey  of  Egypt.) 

Steindorfl  129.    Erman,  Äg.  148.    Hunger-Lamer  Bd.  i  und  2,  London  1893!. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  [C 


der  Einzelheiten  von  vornherein  fast  ganz  verzichten  muß.  Immerhin  läßt  sich  eine 
wichtige  Weiterbildung  feststellen. 

Einen  Fallenden  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  gibt  es  in  der  Belagerungs- 
szene von  Grab  15  (Newberry  II  5).  In  der  Gewaltsamkeit  der  Bewegung  und  in  der 
Art,  wie  die  Glieder  auf  der  Fläche  ausgebreitet  sind,  erinnert  er  noch  lebhaft  an  die 
Graffiti  der  Chasechembasen  und  an  die  Figur  f  des  Bildes  von  Deshashe.  Dadurch 
aber,  daß  der  Kopf,  beide  Hände  und  die  Zehen  des  1.  Fußes  die  Grundlinie  berühren, 
macht  das  Motiv  hier  einen  noch  energischer  zusammengefaßten,  für  unser  Gefühl 
wahrscheinlicheren  Eindruck.  Nur  das  r.  Bein  schwebt  noch  in  der  Luft  und  bringt 
so  das  Momentane  der  Bewegung  zum  Ausdruck.  —  Von  einer  Figur  in  Grab  2  (New- 
berry   I    14)   gilt   ganz   das   Entsprechende. 

Wirkliche  Gefallene  dagegen  sehen  wir  in  den  Leichenhaufen  der  Kampfbilder 
von  Grab  14,  15  und  17.  Bei  der  Schar  der  auf  dem  Boden  ausgestreckten  Toten 
handelt  es  sich  wieder  um  ein  Objekt  von  beträchtlicher  Tiefenausdehnung,  und  hier 
hat  sich  der  Künstler  nicht  anders  zu  helfen  gewußt  als  dadurch,  daß  er  die  Figuren 
in  der  Bildebene  übereinander  legte,  ohne  sie  von  den  aufrechten  durch  etwas  anderes 
zu  unterscheiden  als  durch  die  Drehung  ihrer  Längsachse  um  90  Grad  (Newberry 
I  47,  II  5,  15).     Es  ist  wieder  das  alte,  ganz  primitive  Verfahren. 

Ganz  anders  behandelt  sind  die  unmittelbar  auf  der  Grundlinie  Liegenden, 
weil  bei  ihnen  die  Vorderansicht  beider  Schultern  aus  den  oben  besprochenen  Gründen 
vermieden  werden  mußte.  Von  den  auf  dem  Rücken  Ausgestreckten  sind  augen- 
scheinlich drei  noch  am  Leben  (II  5,  15);  denn  sie  bewegen  einen  oder  beide 
Arme  mehr  oder  weniger  lebhaft.  Das  ist  natürlich  im  Grunde  nichts  anderes  als  die 
aus  dem  AR  wohlbekannte  »Zusammenfaltung«  des  Oberkörpers  •).  Die  Annäherung 
an  das  perspektivische  Bild  ist  also  schon  eine  größere.  Die  Schultern  treten  nicht 
mehr  so  stark  hervor,  oder  es  ist  nur  eine  von  ihnen  zu  sehen.  Zwei  andere  der  auf 
dem  Rücken  liegenden  Gefallenen  zeigen  ganz  richtig  nur  den  vorderen  Arm  und  die 
vordere  Schulter  (II  5,  15).  Die  nun  also  deutlich  als  Profilbild  gedachte  Brust 
ist  in  dem  einen  Falle  (II  15)  übermäßig  vorgewölbt  und  verrät  damit  noch  ihre 
Herkunft  von  der  kanonischen  Form.  Bedenkt  man,  daß  bereits  in  der  Frühzeit 
und  dann  im  AR  sehr  oft  Gefangene  mit  auf  dem  Rücken  zusammengebundenen 
Händen  ganz  ähnlich  dargestellt  werden  *),  so  wird  es  klar,  daß  es  von  da  zur  Er- 
findung dieser  Bilder  nur  ein  kleiner  Schritt  war.  Noch  besser  ausgebaut  zur  Dar- 
stellung des  Gefallenen  sehen  wir  das  Motiv  in  der  Gestalt  des  14.  Grabes,  die  beide 
Arme  hinter  dem  Kopf  auf  der  Grundlinie  ausgestreckt  zeigt  (I  47).  In  diesem  Zu- 
sammenhang verdient  es  Beachtung,  daß  in  Grab  17  die  Ringer,  die  verletzt  von 
ihren  Gefährten  vom  Kampfplatz  getragen  werden,  in  demselben  Schema  dargestellt 
sind  i). 


■)  Schäfer,  Äg.   Kunst  184  f.,  Taf.   11,   i.  Tombs  i  XII  12,   13;  17,  30.     AR:  Borchardt, 

>)  Frühzeit:  z.B.  Capart,Dftuts96,63;  133,  loo;  Neweserre  88,  66.     Ders.,   Sahure  Bl.  6. 

230,    161;    241,    171;    245,    174.       Petrie,    Royal        3)  Benihassan  II  16.    Vgl.  Erman,  Äg.  335.   Wilkin- 
son,  Manners  and  Customs  I  394,   II  71. 


l6  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

Von  den  auf  der  Grundlinie  ausgestreckten  Gefallenen  des  15.  Grabes  liegt 
einer  auf  dem  Bauche  (II  5).  Er  hat  den  einen  Arm  über  dem  Kopfe  erhoben  und 
ist  also  als  noch  nicht  ganz  tot  zu  denken.  Wo  der  andere  Arm  bleibt,  ist  unklar, 
aber  das  Bestreben,  ein  perspektivisch  richtiges  Bild  zu  geben,  zeigt  sich  hier  wieder 
deutlich  ebenso  wie  in  demselben  Grabe  bei  der  Figur  des  Sklaven,  der  seine  Prügel 
erhält  '),  wo  für  uns  zum  erstenmal  augenscheinlich  etwas  wie  eine  Dreiviertelansicht 
des  Rückens  versucht  ist.  Wir  befinden  uns  eben  in  einer  Epoche,  die  energischer 
als  die  früheren  daran  arbeitet,  die  überlieferten  Schemata  durch  Naturbeobachtung 
zu  korrigieren  und  perspektivische  Versuche  auf  Schritt  und  Tritt  macht.  Stammt 
doch  auch  aus  den  Gräbern  von  Benihassan  einer  der  merkwürdigsten  Fälle  dieser 
Art  in  Gestalt  des  fast  in  richtiger  Schrägansicht  gezeichneten  gewölbten  Schildes*). 

So  fügen  sich  auch  die  Gefallenen  von  dem  einen  der  schönen  Pektoralien 
Sesostris  III.  aus  Dahshur  3)  der  Entwicklungsreihe  ein.  Der  Typus  der  Komposition 
ist  kein  anderer  als  der,  den  wir  bereits  aus  den  Totentempeln  der  5.  Dyn.  kennen: 
der  Königsgreif  vernichtet  die  Feinde.  Das  Motiv  des  vorderen  von  diesen  ist  dasselbe 
wie  dort;  der  Mann  sinkt  gerade  in  die  Knie.  Der  andere  aber,  der  ein  richtiger  Ge- 
fallener ist,  hat  nicht  mehr  die  Frontansicht  beider  Schultern,  sondern  zeigt  allein 
die  vordere,  und  zwar  von  der  Seite.  Er  liegt  also  richtig  auf  dem  Rücken.  Um  ein 
Momentbild  des  Fallens  handelt  es  sich  also  hier  nicht  mehr,  wenn  auch  die  Motive 
der  einzelnen  Glieder  im  wesentlichen  die  alten  geblieben  sind.  Durch  den  Fortschritt 
zur  reinen  Profilansicht  ist  eine  leichte  Umbiegung  des  Motivs  zustande  gekommen. 
Die  alte  leidenschaftliche  Ausdruckskraft  hat  man  aufgeopfert  um  den  Preis  größerer 
Klarheit  und  Einfachheit  im  einzelnen,  wodurch  denn  die  Komposition  als  Ganzes 
an  Einheitlichkeit  und  Konzentration  außerordentlich  gewonnen  hat. 

IV. 

Dem  konservativen  Wesen  der  ägyptischen  Kunst  entspricht  es,  daß  die  im 
AR  geschaffenen  Typen,  von  denen  einige  auch  auf  Bildern  des  MR  zu  beobachten 
waren,  noch  im  NR  fortleben.  Natürlich  sind  sie  weitergebildet  worden,  und  mehr 
oder  weniger  wesentliche  Veränderungen  lassen  sich  in  großer  Zahl  bei  ihnen  auf- 
zeigen. Es  sind  aber  auch  ganz  neue  Bildungen  damals  geschaffen,  die  kaum  noch 
ihre  Abkunft  von  den  älteren  erkennen  lassen.  Allein  diese  sind  deshalb  noch  lange 
nicht  überhaupt  verschwunden,  sondern  führen  in  bestimmten  Zusammenhängen 
ein  zähes  Leben.  Denn  darin  liegt  ein  entscheidendes  Moment  für  das  Verständnis 
dieser  durch  das  Nebeneinander  von  Alt  und  Neu  gekennzeichneten  Entwicklung, 
daß  der  Stil  dieser  Bilder  kein  einheitlich  sich  verändernder  ist,  sondern  durch  Ort 
und  Thema  der  Darstellung  bestimmt  wird  und  dementsprechend  nur  unter  Um- 

')  Benihassan  II  7.     Vgl.  ChampolUon,  Mon.  350.  3)  De  Morgan,  Fouilles  ä  Dahchour  21.    Borchardt, 

Rosellini  Mon.  Civ.  123  b.   Masp^ro,  Hist.  I  333.  Kunstw.  aus  d.  äg.  Mus.  zu  Kairo,  41.     Petrie, 

Perrot-Chipiez   I  6,5.  Aits  and  Grafts  88.  Capart,  L'Art  £g.  50.  Masp^ro, 

*)  Grab  3,  Benihassan  I  29.     Vgl.  Rosellini,  Mon.  Hist.  I  518.   Gesch.  121,  226.   Woermann,  Gesch. 

Civ.  93.     Champollion,  Mon.  356.    Schäfer,  Äg.  d.    Kunst   I,   2.  Aufl.,   87,  85. 
Kunst   103,   61.      Hunger-Lamer,   39,  80. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  j  n 

Ständen  den  vorwärtsstrebenden  Kräften  sich  auszuwirken  erlaubte,  dies  dann  aber 
auch  nur  in  sehr  beschränktem  Maße.  Um  die  Geschichte  unseres  Motivs  im  NR 
richtig  würdigen  zu  können,  empfiehlt  es  sich  daher  jetzt  nicht,  wie  im  AR  die  Typen 
einfach  durchzuverfolgen,  sondern  sie  sind  gleichzeitig  nach  den  Zusammenhängen 
zu  gruppieren,  in  denen  sie  auftreten. 

Ein  Gebiet  für  sich  bilden  die  Darstellungen  von  triumphalemlnhalt, 
womit  die  Bilder  bezeichnet  sein  sollen,  die  den  Sieg  des  Pharao  in  der  Weise  ver- 
herrlichen, daß  sie  ihn  zeigen,  wie  er  eine  Gruppe  von  Feinden  oder  auch  einen  einzelnen 
Feind  zerschmettert.  Auch  in  den  Fällen,  wo  hier  der  König  nicht  als  Gott,  Sphinx, 
Greif  oder 'Stier  auftritt,  sondern  in  seiner  Menschengestalt,  unterscheiden  sich  diese 
Darstellungen  von  den  gleichzeitigen  Schlachtbildern  sehr  deutlich  dadurch,  daß 
sie  den  Sieg  gewissermaßen  in  symbolisch  konzentrierter  Form  veranschaulichen, 
während  dort  das  historische  Ereignis  sich  in  seiner  ganzen  Breite  vor  unseren  Augen 
abspielt. 

Nicht  eigentlich  in  den  Kreis  dieser  Untersuchung  gehört  die  Masse  der  Bilder, 
die  den  König  zeigen,  wie  er  weit  ausschreitend  einen  in  die  Knie  gesunkenen  Ver- 
treter des  feindlichen  Volkes  oder  eine  Gruppe  von  solchen  mit  der  Keule  zu  Boden 
schlägt.  Hier  sind  es  in  der  Regel  nur  die  Beine,  in  denen  die  Bewegung  des  Fallens 
sich  ausdrückt;  es  handelt  sich  um  Kniende  oder  Fallende,  nicht  eigentlich  um  Ge- 
fallene •).  Nur  in  einem  Falle  liegt  außerdem  noch  zu  Füßen  des  Pharao  ein  gefallener 
Feind  in  einem  Typus,  der  einem  anderen  Zusammenhange  entstammt  und  noch  zu 
besprechen  sein  wird  >).  Bemerkenswert  ist  auch,  daß  auf  zwei  ptolemäischen  Reliefs 
dieser  Art  in  Philae  3)  die  Männer,  die  unter  dem  Bündel  der  vom  Pharao  beim  Schöpfe 
gepackten  Feinde  liegen,  in  allem  wesentlichen  den  Gefallenen  aus  dem  Sahuretempel 
gleichen,  nur  daß  die  Einzelformen  viel  flauer  behandelt  und  zum  Teil  im  Sinne  der 
richtigen  Profilansicht  ausgedeutet  sind. 

Etwas  verändert  sieht  man  diese  Gruppe  auf  den  gemalten  Bildern  von  einem 
Barkenmodell  aus  dem  Grabe  Amenophis  IL,  wo  der  Sieger  allerdings  ein  Gott  und 
nicht  der  König  ist  4).  Der  Feind  ist  hier  ein  richtiger  Gefallener,  und  zwar  ist  es 
nichts  anderes  als  der  aus  dem  AR  her  bekannte  dritte  Typus. 

Eine  andere  Abwandlung  des.«elben  Themas  ist  es,  wenn  der  König  auf  einer 
Gruppe  von  zwei  oder  mehreren  am  Boden  ausgestreckten  Feinden  steht,  die  ungefähr 
symmetrisch  so  angeordnet  ist,  daß  jede  Hälfte  unter  einem  seiner  Füße  liegt.  So  ist 
es  auf  einem  Bilde  im  Hemispeos  des  Haremheb  zu  Gebel-Silsile  der  Fall  5).  Der 
1.  liegende  Mann,  ein  Libyer,  ist  wieder  in  Typus  3  gegeben;  der  Nubier  r.  von  ihm 
liegt  auf  dem  Bauch,  und  seine  Arme  sind  ihm  auf  dem  Rücken  zusammengebunden. 
Aber  auch  das  ist  ein  Zug,  der  nicht  etwa  zur  Lösung  des  Problems  der  liegenden 

')  z.  B.  LD   III  69.    81  g,  h.    141  h.     195  b,  c.  5)  Rosellini,  Mon.  Stör.  I  44  quater.    ChampoUion, 

^)  Felsstele  zwischen  Assuan  und  Philae  LD  III  81  g.  Mon.  II  1 10.    LD  III  120.     Photogr.  der  dtsch. 

3)  I.  LDIV74.    2.  ChampoUion,  Mon.  I  94.    Rosel-  Fremdvölkerexped.    156.      Vgl.   auch  das   Relief 

lini,  Mon.   Stör.   I  165,  3.  Ramses  II.  zu  Bet  el  Wali.     ChampoUion,  Mon. 

<)  Daressy,    Fouilles    ä    la  Vall^e    des    Rois,     Cairo  I  66.      Rosellini,  Mon.   Stör.    I  69. 

Cat.  Gdn.  4944,  Taf.  49,  S.  239. 

Jahrbuch  des  archäolosfischen  Instituts   XXXVlll/lX  1923/24.  2 


I  g  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

Figur  neu  erfunden  wurde.  Bei  aufrechten  und  knienden  Vertretern  der  Fremdvölker 
kommt  er  seit  der  Frühzeit  häufig  vor').  Hier  ist  es  zufällig  der  erste  Fall  für  uns, 
wo  wir  ihn  beim  liegenden  Manne  angewandt  finden.  Dafür  mußte  er  allerdings 
besonders  geeignet  erscheinen,  weil  er  die  beiden  Schultern  auf  der  einen  Seite  ver- 
einigt und  so  ein  ruhiges  Liegen  ermöglicht,  ohne  daß  von  dem  kanonischen  Menschen- 
bilde allzuviel  geopfert  werden  mußte.  Seine  Herkunft  von  jenem  zeigt  dieser  Typus 
noch  unverkennbar  in  der  Führung  des  Brustkonturs,  der  ganz  unorganisch  in  den 
des  Halses  überleitet.  Seine  Beliebtheit  für  die  Darstellung  des  Gefallenen  in  Bildern 
triumphalen    Inhalts  aus  dem  NR  mögen  noch  folgende  Beispiele  belegen: 

1.  Relief  mit  der  Seeschlacht  Ramses  HI.  in  Medinet  Habu.  Champollion, 
Mon.  222.  Rosellini,  Mon.  Stör.  H  131.  Erman,  Ägypten  712.  Hunger-Lamer,  Alt- 
orientalische  Kultur  im  Bilde  19,  34.  BB,  Text  zu  Tafel  94.  Breasted-Ranke,  Gesch. 
Ägyptens  Abb.  173.     L.  Curtius,  Antike  Kunst  175,  133. 

2.  Tafelaufsatz  mit  Prunkstücken  aus  der  nubischen  Beute  auf  dem  Wandbilde 
eines  thebanischen  Privatgrabes  der  18.  Dyn.  LD  HI  117  f.  Erman,  Ägypten 
663.     Masp^ro,  Hist.  H  235.     Steindorff,  Blütezeit  des  Pharaonenreiches  61,  52. 

3.  Dekoration  auf  gemalten  Schemeln  aus  den  Königsgräbern  zu  Biban  el  Moluk. 
Description  H  89,  6.    Champollion  258.    Rosellini,  Mon.  Civ.  H  9. 

4.  Dekoration  auf  Sandalen.  Champollion  155,  3.  —  Berlin,  Ausf.  VerL.  S.  347, 
Nr.  6983. 

5.  Dekoration  eines  Amuletts.     Berlin,  Ausf.  Verz.   S.  363. 

6.  Relief  von  einer  fragmentierten  Basis  im  Tempel  zu  Gebel  Barkai  (Napata) 
in  Nubien.     LD  V  15  d. 

7.  Relief  von  einer  Pyramide  zu  Begerawije  (Meroc)  in  Nubien.    LD  V  29  b. 
Vor  allen  Dingen  gehört  zu  den  Triumphaldarstellungen  die  Gruppe,  die  den 

König  in  Gestalt  eines  Tieres  oder  Fabeltieres  seine  Feinde  zertretend  zeigt.  Ihre 
frühesten  erhaltenen  Beispiele  haben  wir  oben  in  den  Schminktafeln  und  in  den 
Grabtempcln  der  5.  Dyn.  kennengelernt,  das  Pektorale  Sesostris  III.  konnte  ihr 
Weiterleben  im  MR  bezeugen,  und  jetzt  im  NR  erfreut  sie  sich  der  größten  Beliebtheit. 
Als  Bild  für  sich  kommt  sie  in  der  Regel  nicht  vor,  um  so  häufiger  aber  in  dekorativer 
Verwendung  zum  Schmucke  eines  Gerätes  oder  Möbels,  was  ihrem  symbolischen 
Inhalt  vorzüglich  angemessen  war.  Der  folgenden  Zusammenstellung  liegt  die  Absicht 
absoluter  Vollständigkeit  fern.  Sie  soll  nur  dazu  dienen,  für  die  Beurteilung  der  in 
diesem  Zeitraum  für  unser  Motiv  charakteristischen  Züge  eine  möglichst  sichere 
Grundlage  zu  schaffen: 

1.  Relief  der  Hatschepsut  aus  dem  Tempel  zu  Der  el-bahri.  Naville,  The  Temple 
of  Deir  el  Bahari  VI  159. 

2.  Zierat  von  einer  Thronlehne  auf  einem  Relief  aus  demselben  Tempel,  jetzt 
in  Berlin.  Ausf.  Verz.  S.  1 14,  Nr.  1636.  Naville,  a.  a.  O.  V  122.  LD  III 17.  Borchardt, 
Sahure  II  22,  3. 


■)  Vgl.  oben  S.   15  Anm.  2. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  XO 

3.  4.  Bugzieraten  von  Nilbarken  auf  ebendort  noch  in  situ  befindlichen  Reliefs. 
Naville,  a.  a.  O.  V  124,  VI  153. 

5.  Holzplatten  vom  Modell  einer  Barke  aus  dem  Grabe  Amenophis  IL,  Kairo, 
Daressy,  Fouilles  ä  la  Vall^e  des  Rois,  Cairo  Catal.  G6ner.  XXVII  1902.  a)  Tafel  21, 
Nr.  24  136  f.    24140.    24142.     b)  Tafel  49,   Nr.  4944. 

6.  Seitenlehnen  des  Thrones  aus  dem  Grabe  Thutmosis  IV.,  Kairo,  Newberry 
und  Carter,  The  Tomb  of  Thutmosis  IV.,  Cairo,  Cat.  G^n.  XIV,  1904,  Tafel  VI  u.  f. 

7.  Leinwandstuck  von  der  Innenseite  des  Streitwagens  aus  demselben  Grabe, 
a.  a.  0.  Taf.  12,  S.  31,  Fig.  7  f.  Kunstgesch.  in  Bildern  20,  4.  E.  Meyer,  Äg.  zur  Zeit 
der  Pyramidenerbauer  36,   15. 

8.  Dekoration  auf  der  Seitenlehne  am  Thron  Amenophis  III.  auf  dem  Relief  eines 
thebanischen  Privatgrabes.  LD  III  76.  Prisse,  Mon.  ^gypt.  Taf.  39.  Ders.,  Hist.  de 
l'art^g.  II  18.  35.     Maspöro,  Hist.  II  297.     Perrot-Chipiez  843,  583. 

9.  Eine  ähnliche  Darstellung  von  einem  anderen  Relief  desselben  Grabes.  LD 
III  ']'].     Maspdro,   Hist.    I  271. 

10.  Dasselbe  aus  einem  anderen  thebanischen  Privatgrab  (48).  Photographien 
der  deutschen  Fremdvölkerexpedition  791—798. 

11.  Bugzierat  einer  gemalten  Nilbarke  aus  dem  Grabe  Ramses  IV.  zu  Bibaa 
el  Moluk.    Champollion  III  256,  2.    Rosellini,  Mon.  Civ.  108. 

12.  Dasselbe  aus  einem  anderen  Grabe  zu  Biban  el  Moluk.  Prisse,  Histoire 
de  l'art  eg.  II  89.     Perrot-Chipiez  III  770,  545. 

13.  Kalksteinstele  in  Theben.    Lanzone,  Dizionario  Taf.   13,  S.  39. 

14.  Reliefs  in  Wadi  E  Sofra  in  Nubien.     LD  V  74  a,  b.    75  b,  c. 

Die  beiden  typischen  Formen,  in  denen  wir  auf  den  Reliefs  des  AR  dieser  Art 
den  Gefallenen  beobachteten,  kommen  auch  hier  vor.  Für  die  erste  von  ihnen  ist  das 
besonders  deutlich,  z.  B.  bei  dem  einen  Mann  von  Nr.  6  unter  der  Vordertatze  der 
Sphinx,  dessen  Bild  in  dem  Moment  erfaßt  ist,  wo  er  in  den  Zuckungen  der  Agonie 
den  Boden  nur  mit  der  vorderen  Schulter  und  dem  vorderen  Bein  berührt.  Nament- 
lich das  Bewegungsmotiv  seiner  Beine  ist  fast  identisch  mit  dem  des  Puntmannes 
aus  dem  Sahuretempel  (S.  8,  Anm.  i)  und  des  einen  Mannes  auf  dem  Pektorale 
SesostrisIII.  (S.  16,  Anm.  3).  Häufiger  sind  aber  die  Fälle,  wo  dieser  Typus  im  Sinne 
der  optisch  richtigen  Seitenansicht  verändert  bzw.  ausgedeutet  ist,  wenn  auch  meist  nur 
annäherungsweise.  Man  machte  in  der  Regel  die  vordere  Schulter  etwas  kürzer  (Nr.  2, 
8,  IG,  1 1),  ließ  sie  gelegentlich  auch  wohl  unter  dem  Gewand  ganz  verschwinden  (8, 9) 
und  erweckte  so  den  Anschein,  als  ob  sie  in  ihrer  Seitenansicht  gezeichnet  sei.  Auch  die 
andere  Schulter  verschwindet  bisweilen  ganz  hinter  der  Brust  (2,  8,  9).  Außerdem 
wird  es  beliebt  —  doch  wohl  durch  Anregung  von  Typus  3  — ,  beide  Füße  auf  die 
Grundlinie  zu  setzen,  meist  in  der  Art,  daß  der  vordere  im  Knie  etwas  stärker  an- 
gezogen wird  (2,  8— 11). 

Etwas  Ähnliches  ist  bei  dem  zweiten  der  schon  im  AR  in  diesem  Zusammen- 
hang festgestellten  Typen  zu  beobachten,  der  den  Gefallenen  vornübergestürzt  gibt 
(i,  4,  7,  8,  10,  14).  Solche  Gewaltsamkeiten  wie  bei  der  einen  hierher  gehörigen  Figur 
des  Neweserretempels  gibt  es  jetzt  nicht  mehr.    Vor  allem  kommt  die  Vorderansicht 


20  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

beider  Schultern  überhaupt  nicht  mehr  vor.  Vielmehr  pflegt  die  äußere  in  der  Weise 
»umgeklappt  «zu  sein,  wie  es  beim  aufrechten  Menschen  schon  die  Künstler  des  AR  gern 
gemacht  haben  (S.  15,  Anm.  i).  Der  im  Ellenbogen  gebeugte  Arm  stützt  sich  dabei  auf 
den  Boden  (4,  7,  8,  lO).  Wo  die  andere  Schulter  nicht  samt  dem  dazugehörigen  Arm 
hinter  dem  auf  den  Boden  gepreßten  Kopf  oder  hinter  den  Gliedern  anderer  Gefallener 
völlig  verschwindet  (7,  8,  10),  ist  der  Arm  nach  vorn  zu  aufgestützt  und  motiviert, 
so  die  Dreivierteldrehung  des  Oberkörpers  in  ganz  entsprechender  Weise  wie  beim 
hintenübergestürzten  Menschen  der  aufgestützte  vordere  Arm  in  Typus  3  (4,  7).  Das 
Motiv  der  Beine  ist  in  dem  einen  der  beiden  Fälle,  wo  sie  überhaupt  sichtbar  sind, 
noch  genau  dasselbe  wie  im  Neweserretempel  (i).  In  dem  anderen  Beispiel  (7)  decken 
sich  beide  Oberschenkel  und  Knie,  und  nur  die  Unterschenkel  sind  differenziert,  auch 
dies  wieder  ein  Zug,  der  deutlich  die  Richtung  auf  die  einheitlich  erfaßte  Seiten- 
ansicht zu  erkennen  gibt. 

Auch  der  dritte  und  vierte  Typus  des  AR,  die  nur  damals  im  Zusammenhang 
dieser  Komposition  nicht  zu  beobachten  waren,  kommen  jetzt  in  diesen  Bildern  vor 
(Typus  3:  4,  5  b,  14.  —  Typus  4:  10,  13).  Nur  wird  Typus  3  öfter  in  der  Weise  modi- 
fiziert, daß  der  vordere  stützende  Arm  im  Schulter-  und  Ellenbogengelenk  scharf 
gebeugt  ist,  so  daß  die  Schulter  den  auf  der  Grundlinie  liegenden  Unterarm  unmittel- 
bar berührt.  So  bekommt  die  ganze  Figur  etwas  mehr  Zusammengeballtes  und 
konnte  die  Wirkung  der  von  oben  auf  ihr  lastenden  Löwentatzen  besser  veranschau- 
lichen (5  a,  10).  In  zwei  Fällen  berührt  nur  der  Kopf  den  Boden,  während  der  übrige 
Körper  noch  in  der  Luft  schwebt  (i,  6).  Auch  das  ist  vor  dem  NR  in  dieser  Kom- 
position nicht  zu  belegen.  Der  Gefallene  aus  Deshashe,  der  wieder  seine  Vorgänger 
auf  den  Chasechembasen  hat,  zeigt  aber,  daß  es  sich  auch  hier  nur  um  eine  Weiter- 
bildung alter  Motive  handelt. 

Charakteristische  neue  Formen  sind  also  auch  in  diesem  Zusammenhang  von 
den  Künstlern  des  NR  nicht  geschaffen.  Was  sie  an  Eigenem  hinzutun,  beschränkt 
sich  einerseits  auf  die  Ausgestaltung  der  alten  Typen  in  naturalistischem  Sinne  und 
anderseits  auf  den  festeren  Zusammenschluß  der  Komposition,  dem  zuliebe  starke 
Überschneidungen  jetzt  geradezu  gesucht  werden.  Auf  die  Gewaltsamkeiten  der 
alten  Formen  konnte  man  aber  nur  dann  verzichten,  wenn  man  gleichzeitig  auch 
ihre  starke  Ausdruckskraft  und  leidenschaftliche  Gebärdensprache  preisgab.  So 
ist  es  gekommen,  daß  diese  Gefallenen  in  der  Regel  nicht  mehr  den  Eindruck  von 
in  wilder  Agonie  zuckenden  Menschen  machen,  sondern  meist  ruhig,  oft  beinahe 
teilnahmlos  daliegen.  Aus  dem  Fallenden  und  Gefallenen  ist  meistens  ein  Liegender 
geworden. 

Wenden  wir  uns  jetzt  den  Bildern  aus  dem  Bereich  des  ägyptischen  Mythos 
zu,  so  gibt  der  erste  von  den  beiden  in  Frage  kommenden  Typen,  der  den  Osiris  auf 
dem  Lager  zeigt,  Veranlassung  zu  ganz  entsprechenden  Feststellungen.  Aus  dem 
AR  und  MR  wüßte  ich  ihn  zwar  nicht  zu  belegen,  er  tritt  aber  in  der  Regel  in  unver- 
kennbar hochaltertümlichen  Formen  auf,  und  man  sieht  nun  auch  hier,  wie  diese 
im  NR  als  Profilbilder  ausgedeutet  werden.  Daneben  haben  sich  ganz  primitive 
Bilder  zähe  gehalten. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


21 


Die  älteste  Ausgestaltung  dieses  Typus  wird  es  sein,  wenn  der  Gott  auf  dem 
Bauche  ')  oder  auf  dem  Rücken  ^)  liegt  in  der  Weise,  daß  der  ganze  Körper  von  den 
Schultern  abwärts  mit  Binden  fest  umwickelt  ist.  Die  walzenförmige  Gestalt  des 
Vorbildes  ergab  bei  der  Übertragung  auf  die  Fläche  ganz  von  selbst  die  richtige  Profil- 
ansicht genau  so  wie  bei  den  aufrechten  Kultbildern  des  Osiris,  Min  und  Ptah.  Auch 
wo  die  Arme  nicht  mit  umwickelt  sind  3),  wird  einfach  das  aufrechte  Kultbild  um 
90  Grad  gedreht,  und  wenn  der  erwachende  Osiris  gemeint  ist  4),  so  ist  auch  nicht  die 
Spur  davon  zu  bemerken,  daß  der  Künstler  dieses  Motiv  als  ein  zeichnerisches  Problem 
empfunden  hat.  Einfach  wie  ein  Stück  Gummi  wird  der  Rumpf  leicht  nach  oben 
zurückgebogen.  Dagegen  lag  es  außerordentlich  nahe,  bei  der  richtigen  Seitenansicht 
den  vorderen  Arm  hinzuzufügen  5),  und  zur  Differenzierung  beider  Beine  war  es  dann 
nur  ein  kleiner  Schritt  *).  Es  kann  kein  Zufall  sein,  daß  im  ganzen  Verlauf  der  Unter- 
suchung hier  zum  erstenmal  eine  richtige  Profilansicht  begegnet,  die  keine  Spur  mehr 
von  der  kanonischen  Form  aufweist.  Die  ägyptische  Kunst  ist  also  aus  sich  heraus 
zu  dieser  ganz  vereinzelten  Bildung  gelangt,  wie  deren  Vorkommen  in  Biban  el  Moluk 
zeigt.  Bei  ihrer  Verwendung  auf  späten  Sarkophagen  und  in  Denderah  wird  aber 
gewiß  der  Einfluß  der  griechischen   Kunst  mitspielen. 

Wie  sich  im  hieratischen  Zusammenhang  die  altertümlichsten,  noch  über  das 
AR  hinausweisenden  Typen  daneben  erhalten,  zeigen  diejenigen  Bilder  des  liegenden 
Osiris,  auf  denen  der  Gott  unbekleidet  in  der  kanonischen  Körperform  gebildet  ist, 
und  zwar  in  der  Art,  daß  sein  Liegen  einfach  durch  die  Drehung  der  Körperachse 
um  90  Grad  ausgedrückt  ist.  Vom  NR  abwärts  bis  in  die  ptolemäischen  Zeiten  sind 
sie   in  beträchtlicher  Zahl  zu   beobachten  7). 

Der  andere  in  mythologischem  Zusammenhang  vorkommende  Typus  einer 
liegenden  Gestalt  ist  der  des  Erdgottes  Keb.  Auf  Sarkophagen  und  Papyri  der  späten 
Zeit  ist  die  Gruppe  der  drei  kosmischen  Götter  für  Luft,  Himmel  und  Erde  sehr 
häufig  zu  sehen  in  der  Form,  daß  Nut,  die  Himmelsgöttin,  an  deren  Leib  die  Sonnen- 
barke sich  entlang  bewegt,  in  gebeugter  Stellung  mit  den  Füßen  und  Händen  den 
Boden  berührend,  von  dem  Luftgotte  Schu  gestützt  wird,  während  Keb,  der  Erdgott, 
unter  ihr  liegt  ^). 


')  z.  B.  Reliefs  aus  den  Königsgräbern,  Descr.  II 
84,  I  und  3;  aus  Denderah,  Mariette,  Denderah 
IV  65.  88;  Sarkophagbilder,  Moret,  Cairo,  Cat. 
Gin.  XXXII  15,  Taf.  5,  Nr.  41  00:.  Lanzone, 
Dizionario  268.  284.  294,  2. 

2)  z.  B.  Denderah  IV  66.  70.  89  f. 

3)  Denderah  IV  68.  73.  Lanzone,  Dizionario  269  f. 
•t)  Denderah  IV  72.90.  Lanzone,  Dizionario  282.  291 
5)  Denderah  IV  69.  88.    Lanzone,  Dizionario  272,  1. 

285. 

')  Königsgräber,  ChampoUion  Mon.   III  270. 

7)  Grab  Ramses  IX.  M^moires  XV  Taf.  56.  90  f. 
Bubastis:  Naville,  Bubastis  Taf.  48.  Denderah: 
IV  68.  70.  72.  90.     Philae:  Rosellini,  Mon.  del 


Quito  23.  ChampoUion,  Mon.  I  90.  M6moires 
XIII  I,  Taf.  60.  Karnak:  ChampoUion,  Mon. 
III  64.  LDIV  29.  Privatgrab  ptolemäischer 
Zeit:  Petrie,  Athribis  41.  Sarkophage:  Maspöro, 
Sarcophages  des  ^poques  persanes  et  ptole- 
maiques,  Cairo,  Cat.  Gin.  Taf.  8.  Lanzone, 
Dizionario  261.  271,  i  und  2.  277,  i.  278.  281, 
290. 
*)  Sarkophage:  Kairo  41  003,  22./26.  Dyn.  Moret, 
Cat.  Gin.  I  63,  20,  Taf.  11.  Berlin,  Nr.  8,  Erman, 
Äg.  Religion,  2,  Aufl.,  35,  42.  Paris,  Lanzone, 
Dizionario  io8  =  Breasted-Ranke,  Gesch. 
Ägyptens,  Abb.  30.  Turin,  Lanzone,  Dizionario 
,51,  3  =  Masp6ro,  Hist.  I  129  =  Jeremias,  AT 


22 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


Es  handelt  sich  hier  wieder  um  den  zuerst  in  Deshashe  beobachteten  dritten 
Typus  des  AR,  für  den  der  durch  den  vorderen  Arm  aufgestützte,  halb  aufgerichtete 
Oberkörper  charakteristisch  ist.  Aufgestützt  ist  in  der  Regel  nur  der  Oberarm;  der 
Unterarm  liegt  auf  der  Grundlinie,  falls  er  nicht  nach  oben  gebeugt  ist,  während  die 
andere  Hand  auf  dem  hochgezogenen  hinteren  Knie  ruht;  das  vordere  Bein  ist  ge- 
streckt oder  nur  leicht  im  Knie  gebogen.  Das  Motiv  ist  für  diese  Gestalt  sehr  glücklich 
gewählt.  Von  den  Gliedern  ist  keines  frei  bewegt  wie  bei  den  Gefallenen  in  der  Regel, 
keines  auch  kräftig  angespannt  wie  bei  der  in  diesem  Typus  gegebenen  Figur  in 
Deshashe  der  linke  Arm.  Die  lässig  bequeme  Art,  wie  sie  meist  gestreckt  sind  und 
sich  gegenseitig  stützen  oder  selber  auf  dem  Boden  liegen,  läßt  auf  den  ersten  Blick  — 
wenigstens  bei  den  sorgfältig  ausgeführten  Exemplaren  —  keinen  Zweifel,  daß  es  sich 
um  eine  ruhende  Gestalt  handelt.  Daß  diese  aber  nicht  apathisch  im  Schlafe  liegt, 
sondern  an  den  dargestellten  kosmischen  Vorgängen  lebhaften  geistigen  Anteil  nimmt, 
drückt  der  halb  aufgerichtete  Oberkörper  sehr  zweckentsprechend  aus.  Zugleich 
ist  für  den  Gott  die  enge  Verbindung  mit  seinem  Element  sehr  angebracht;  und 
überdies  hatten  die  Künstler  so  den  Vorteil,  eine  liegende  Gestalt  in  der  kanonischen 
Form  zeichnen  zu  können,  ohne  dabei  mit  den  räumlichen  Prinzipien  ihres  Stils  in 
Konflikt  zu  kommen. 

Von  einer  wesentlich  neuen  Lösung  des  Problems  kann  man  also  auch  hier  nicht 
reden.  Ja,  es  darf  angenommen  werden,  daß  schon  im  AR  der  Erdgott  so  dargestellt 
wurde.  Wenn  sich  ein  positiver  Beleg  dafür  nicht  anführen  läßt,  so  wird  das  an  der 
Überlieferung  liegen,  die  bekanntlich  für  die  mythologischen  Darstellungen  des  AR 
sehr  spärlich  ist.  Dafür  zu  zeugen  scheint  auch  die  Art,  wie  Keb  in  den  Pyramiden- 
texten erwähnt  wird,  in  denen  es  heißt,  er  strecke  den  einen  Arm  gen  Himmel  und 
stütze  sich  mit  dem  anderen  auf  die  Erde  '). 

Auf  den  Wänden  der  Grabkammern  kommen  im  NR  und  später  Kampf- 
bilder nicht  mehr  vor.  Sie  würden  in  diesem  Zusammenhang  also  ausscheiden,  wenn 
nicht  einige  Liegemotive  auf  ihnen  beliebt  wären,  die  nicht  übergangen  werden  dürfen. 

In  Frage  kommt  zunächst  dasjenige,  das  den  Vasallen  vor  seinem  König,  den 
Sklaven  vor  seinem  Herrn  und  den  Gefangenen  vor  dem  Sieger  im  Akte  der  Proskynese 
zeigt  2).    Der  betreffende  mußte  dabei  auf  die  Knie  fallen,  mit  dem  Gesichte  sich  der 


im  Lichte  des  alten  Orients  6i,  29.  Lanzone, 
Dizionario  151,  i.  2.  4;  156,  i.  Papyri:  Louvre, 
I.anzone,  Dizionario  155,  I.  Brit.  Mus.,  Lanzone, 
Dizionario  159.  163.  Vgl.  auch  Prinz,  Altorient. 
Symbolik  1 5  ff. 

')  Brugsch,  Äg.  Religion  577.  Fechheimer,  Äg. 
Plastik  12. 

')  Einige  Beispiele  seien  hier  zusammengestellt: 
I.  Thebanische  Gräber:  Photographien  der 
dtsch.  Fremdvölkerexped.  594 — 596.  763.  783. 
LD  III  94,  105,  117,  116  (=  Steindorff,  Blütezeit 
66,  57).  Erman,  Ägypten  586  f.,  588  f.  (=  Stein- 
dorff, Blütezeit  125,106;  124,  105  =  Kunstgesch. 


in  Bildern  19,  i).  LD  III  76  (=  BB  81  b  = 
Perrot-Chipiez  I  26,  15  =  Kunstgesch.  in  Bildern 
19,  7).  Perrot-Chipiez  770,  513.  Davies,  The 
Rock  Tombs  of  el  Amarna  I  13,  II  11,  33,  38, 
IV  18,  30.  Wreszynski,  Atlas  zur  äg.  Kultur- 
gesch.  4,  31,  50,  56,  94  u.  ö.  M6moires  V  i,  9, 
II — 13,  15,  30,  39.  Vgl.  Hunger-Lamer  40,  82. 
2.  Grab  bei  Sakkara:  Berlin,  Nr.  12  411. 
Äg.  und  Vorderasiat.  Altertümer  aus  den  kgl. 
Museen  zu  Berlin  lio.  Fechheimer,  Äg.  Plastik 
155.  Kunstgesch.  in  Bildern  20,  7.  Hunger- 
Lamer  41,  83.  Äg.  Zeitschr.  XXXIII  Taf.  i. 
L.  Curtius,  Antike  Kunst  41,  46.    Capart,  L'art 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


23 


Erde  nähern  und  mit  beiden  Handflächen  etwa  in  der  Schultergegend  den  Boden 
berühren.  So  ergibt  sich  ein  Motiv,  dessen  Herkunft  von  dem  zweiten  Typus  des  AR 
außer  Frage  steht.  In  etwas  anderer  Abwandlung  war  es  ja  auch  auf  den  Triumphal- 
bildern aufgetreten.  Die  allein  sichtbare  vordere  Schulter  ist  auch  hier  ausnahmslos 
»umgeklappt«.  Aber  die  Drehung  des  Oberkörpers  und  das  dadurch  bedingte  Vor- 
schieben des  hinteren  Armes  verbot  das  Zeremoniell.  So  haben  wir  hier  fast  richtige 
Profilbilder.  Aber  es  ist  charakteristisch,  daß  in  einem  Falle,  wo  die  Sorgfalt  der 
Ausführung  bis  ins  einzelne  geht  und  das  vordere  Knie  nicht  gar  zu  weit  vorgeschoben 
ist,  trotzdem  der  Nabel  angegeben  wird,  obwohl  er  natürlich  eigentlich  nicht  zu  sehen 
sein  dürfte  ').  Es  ist  das  eben  wie  die  niemals  aufgegebene  Vorderansicht  des  Auges 
ein  Rest  der  starren  Konvention,  die  der  Ägypter  trotz  seiner  im  übrigen  jetzt  nahezu 
vollkommenen  Herrschaft  über  die  zeichnerischen  Darstellungsmittel  für  die  mensch- 
liche Figur  nie  ganz  hat  überwinden  können.  Man  kann  behaupten,  daß  es,  abgesehen 
von  den  Fällen,  wo  sich  der  Einfluß  einer  fremden  Kunst  bemerkbar  macht,  eine 
absolut  richtig  gezeichnete  ägyptische  Figur  in  reiner  Profilansicht  überhaupt  nicht 
gibt.  Denn  auch  bei  den  Statuen,  an  denen  auf  Mastabareliefs  des  AR  die  Bildhauer 
arbeiten,  ist  der  Nabel,  der  auch  dort,  genau  genommen,  nicht  zu  sehen  sein  dürfte, 
angegeben.  Ihr  oberer  Brustkontur  ist  außerdem  von  dem  an  die  kanonische  Form 
gewöhnten  Zeichner  viel  zu  weit  vorgewölbt  2). 

Und  damit  sind  wir  hier  in  der  18.  Dyn.  bereits  an  dem  Punkte  angelangt,  wo 
für  die  weltgeschichtliche  Betrachtungsweise  die  Grenzen  dieser  Kunst  liegen.  In 
Vorderasien  anderseits  hat  man  die  reine  Profilansicht  schon  sehr  früh,  von  den 
in  Ägypten  von  alters  her  zum  Stil  gehörigen  Dreivierteldrehungen  aber  niemals  eine 
angewandt.  Erst  die  Griechen  haben  beide  Mittel  zugleich  beherrscht  und  so  der 
graphischen  Naturwiedergabe  im  klassischen  Stil  eine  viel  größere  Bewegungsfreiheit 
ermöglicht. 

Ganz  anders  ist  das  Motiv  eines  solchen  seine  unterwürfige  Verehrung  vor  einem 
ägyptischen  Großen  bekundenden  Gefangenen  gewählt  auf  einem  der  Reliefs,  die 
aus  dem  Grabe  des  Horemheb  stammen  und  jetzt  in  Leyden  aufbewahrt  werden  ?). 
Die  weit  vorwärts  gestreckten  Arme,  der  gewaltsam  zurückgeworfene  und  nach  oben 
gewandte  Kopf  und  die  wie  vom  Falle  noch  federnden  Beine  erwecken  auf  den  ersten 
Blick  nicht  bloß  den  Eindruck  lebendigster  Bewegung,  sondern  geben  dem  Motiv 
auch  eine  ganz  hervorragende,  geradezu  leidenschaftliche  Ausdruckskraft.    Um  seine 


^gyptien  174.  Hier  ist  zwar  nicht  die  Proskynese 
gemeint,  sondern  eine  Gebärde  der  Trauer;  aber 
nur  das  Motiv  der  Hände  ist  ein  anderes.  3.  Kalk- 
steinscherbe aus  der  18./19.  Dyn.:  Naville- 
Hall,  The  iith  Dynasty  Temple  at  Deir  el  Bahari 
22,  I.  4.  Papyrus  Anhai:  Budge,  The  Book 
of  the   Death,   Taf.    1. 

■)  Berlin   12  411.      Vgl.  vorige  Anm.   Nr.  2. 

')  Schäfer,  Äg.  Kunst  186  f.,  113.  L.  Curtius, 
Antike  Kunst  108,  96.     Steindorff,  Mastaba  des 


Ti  134.  Klebs,  Die  Reliefs  des  AR  81,  65.  Eine 
ähnliche  Darstellung  aus  dem  NR:  Berlin, 
Nr.  2089,  Ausf.  Verz.  Abb.  33. 
3)  Leemans,  Äg.  Monumenten  van  het  Nederl.  Mus. 
van  Oudheden  te  Leyden  I  34.  Böser-Holwerda, 
Beschreibung  der  äg.  Altertümer  des  niederl. 
Reichsmuseuras  zu  Leyden.  Die  Denkmäler  des 
NR  I  24,  3  d.  Breasted-Ranke,  Gesch.  Äg. 
Abb.  147.  L.  Curtius,  Antike  Kunst  166,  125  c. 
Steindorff,   Blütezeit   161,    134.      Hunger-Lamer 


21,  36. 


24 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 


Unterwürfigkeit  so  eindrucksvoll  wie  nur  möglich  kundzutun,  hat  sich  der  Mann, 
getrieben  von  dem  für  seine  Rasse  so  charakteristischen  Drange  zu  stark  pathetischer 
Ausdrucksweise,  vor  dem  vornehmen  Ägypter  platt  auf  den  Bauch  geworfen  und 
fleht  ihn  um  Gnade  an,  wie  es  ganz  entsprechend  sein  Nachbar  nur  in  noch  gewalt- 
samerer Weise  tut,  indem  er  sich  auf  den  Rücken  fallen  läßt,  um  womöglich  noch 
hilfloser  zu  erscheinen.  Und  so  überzeugend  wirkt  auf  den  ersten  Blick  dieses  Bild, 
daß  seine  zeichnerischen  Mängel  zunächst  kaum  auffallen.  Zwar  wenn  die  Arme, 
die  Beine  und  der  Hals  gar  zu  kurz  geraten  scheinen,  so  mag  darin  Absicht  liegen. 
Der  Rassentypus  des  fetten  alten  Mannes  ist  jedenfalls  auf  diese  Weise  vorzüglich 
charakterisiert.  Aber  die  Art,  wie  der  Kopf  die  1.  Schulter  und  den  1.  Oberarm  über- 
schneidet, ist  ganz  unmöglich,  und  der  Gürtelknoten,  der  nach  Ausweis  der  übrigen 
Syrer  auf  diesen  Reliefs  in  der  Nabelgegend  zu  sitzen  hat,  ist  in  Anbetracht  der  Lage 
des  Mannes  viel  zu  weit  auf  die  1.  Körperseite  herübergerutscht. 

Bilder  wie  die  aus  dem  Grabe  des  Horemheb  stehen  zugleich  am  Ende  und  auf 
dem  Gipfel  der  ägyptischen  Zeichenkunst,  wofern  deren  Entwicklung  dann  richtig 
erfaßt  ist,  wenn  man  annimmt,  daß  sie  von  dem  nach  dem  Aufbauverfahren  wesent- 
lich mit  Hilfe  der  Vorstellung  zusammengesetzten  Bilde  ausgeht  und  dieses  allmählich 
immer  mehr  dem  einheitlich  erfaßten  Gesichtseindruck  annähert.  Wir  stehen  hier 
vor  dem  »äußersten,  was  die  ägyptische  Zeichenkunst  an  Körper-  und  Raumdarstellung 
gewagt  hat«  ').  Aber  nicht  einmal  hier  haben  wir  eine  absolut  richtig  erfaßte  ein- 
heitliche Profilansicht.  Der  wichtige  und  für  diese  Epoche  charakteristische  Fort- 
schritt besteht  aber  wie  beim  Motiv  der  Proskynese  hier  wieder  erstens  darin,  daß 
das  Motiv  als  solches  das  Profilbild  fordert,  also  nicht  mehr  mit  der  kanonischen 
Form  rechnet,  und  zweitens,  daß  seine  Ausführung  den  Eindruck  eines  solchen  ohne 
weiteres  überzeugend  wiedergibt  trotz  der  darin  enthaltenen  Reste  früherer 
Entwicklungsstufen,  die  bloß  als  zeichnerische  Fehler  zu  kennzeichnen  ein  Irrtum 
wäre. 

Die  Angabe  des  Nabels  oder  dessen,  was  gelegentlich  an  seine  Stelle  trat,  ist 
also  für  das  Ganze  einer  solchen  Figur  etwas  durchaus  Nebensächliches.  In  der  Monu- 
mentalkunst durfte  sie  augenscheinlich  unter  keinen  Umständen  fehlen;  sehr  nahe 
lag  es  aber,  sie  bei  skizzenhafter  Ausführung  einfach  zu  unterlassen,  und  damit  wäre 
denn  auch  für  unser  Motiv  das  im  optischen  Sinne  einwandfreie  Profilbild  in  der 
ägyptischen  Kunst  gewonnen.  So  liegt  es  vor  auf  einer  in  die  Amarnazeit  zu  datieren- 
den Holzbüchse  aus  Kahun  mit  Jagddarstellungen  ^)  bei  dem  unter  dem  Wildstier 
liegenden  Manne.  Man  darf  aber  nicht  vergessen,  daß  eine  solche  Erscheinung  der 
Masse  der  vorschriftsmäßig  mit  angegebenem  Nabel  gezeichneten  Profilbilder  ver- 
einzelt gegenübersteht  und  über  das  Wesen  der  ägyptischen  Zeichenkunst  auf  dieser 
Stufe  nichts  aussagt.  Außerdem  ist  diese  Büchse  ja  zu  einer  Zeit  gefertigt,  in  der 
die  ägyptische  Kunst  im  lebhaftesten  Austausch  mit  der  mykenischen  steht.  Die 
einzigen  ähnlichen  Figuren,  die  ich  anführen  kann,  sind  die  auf  dem  Bauch  liegend 


■)  Schäfer,  Äg.  Kunst  ii.  -)  AM  XXIII   1898  Taf.  7.    v.  Bissing,  Einführung 

XII  2.  Rev.  Arch.   XXXIII   1898,   5,  2. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  25 

ihre  Verehrung  bezeigenden  Vertreter  der  Fremdvölker  auf  den  Bildern  aus  der 
Festhalle  König  Osorkons  IL  (22.  Dyn.)  in  Bubastis  ').  Auch  in  diesem  Zusammen- 
hang ist  das  reine  Profil  etwas  Singuläres.  Nicht  in  Betracht  kommen  hier  die  gleich- 
falls auf  dem  Bauche  liegenden  gefangenen  Nubier  in  einem  thebanischen  Privatgrab 
der  18.  Dyn.  ^).  Bei  ihnen  ist  der  Körper  fest  mit  Binden  umwickelt  wie  bei  den 
Mumien,  sodaß  von  einem  Problem  bei  der  Darstellung  des  von  der  Seite  gesehenen 
Körpers  für  den  Künstler  ebensowenig  die  Rede  sein  konnte  wie  bei  den  entsprechen- 
den Bildern  des  Osiris   (oben  S.  21). 

Vergleicht  man  die  zuletzt  behandelten  Beispiele,  das  Bild  des  Horemhebgrabes, 
die  Büchse  ausKahun  und  die  Reliefs  aus  Bubastis,  mit  den  überlieferten  vier  Typen 
des  AR,  so  ist  festzustellen,  daß  der  Abstand  ein  viel  größerer  ist  als  bei  den  übrigen 
hier  besprochenen  Gefallenen  und  Liegenden  aus  dem  NR  und  der  Spätzeit.  Hier 
zuerst  kann  man  wieder  von  einem  neuen  Typus  sprechen.  Alles  Bisherige  war  nur 
entweder  getreue   Herübernahme   oder  Modifizierung  altererbten   Besitzes. 

Gleichfalls  solch  einen  neuen  Typus  bietet  ein  seinem  Stil  nach  auch  in  die 
18.  Dyn.  gehöriges  Reliefbruchstück  in  Berlin,  auf  dem  man  einen  Mann  in  seinem 
Bette  schlafen  sieht  3).  Der  Eindruck  einer  Seitenansicht  ist  hier  allerdings  gar  nicht 
erstrebt.  Die  kanonischen  Regeln  sind  in  allem  Wesentlichen  beobachtet.  Trotzdem 
konnte  auch  das  verfeinerte  Raumgefühl  dieser  Epoche  an  der  Figur  keinen  Anstoß 
nehmen.  Erreicht  ist  das  dadurch,  daß  der  auf  einer  Stütze  ruhende  Kopf 
in  die  Höhe  gelegt  wurde  und  so  die  Vorderansicht  der  r.  Schulter  motivierte.  Wie 
man  es  beim  Schlafenden  oft  beobachtet,  hat  der  Mann  den  Oberkörper  auf  die  Seite 
gelegt.  Es  ist  also  im  Grunde  dasselbe  Verfahren  wie  bei  den  Typen  3  und  4  des 
AR,  wo  die  notwendige  Dreivierteldrehung  des  Oberkörpers  nur  durch  die  aufge- 
stützten Arme  gerechtfertigt  wurde.  Die  Art,  wie  die  Bettdecke,  bzw.  das  Insekten- 
netz 4)  (?)  angegeben  ist,  braucht  dieser  Beurteilung  gegenüber  nicht  stutzig  zumachen. 
Falls  es  nicht  etwa  nur  der  obere  Kontur  ist  und  im  übrigen  der  Stoff  über  dem  Körper 
durch  Bemalung  deutlich  gemacht  war,  haben  wir  es  eben  hier  wieder  mit  dem  für 
diese  Kunst  so  charakteristischen  unvermittelten  Nebeneinander  von  alten  und  neuen 
Elementen  zu  tun. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  mit  diesen  Fällen  die  Neuschöpfungen  von  Typen 
im  Bereich  unseres  Motivs  während  der  Zeit  des  NR  erledigt  sind.  Aber  es  braucht 
wohl  kaum  noch  ausdrücklich  hervorgehoben  zu  werden,  wie  eng  sie  trotz  aller  Unter- 
schiede doch  mit  den  übrigen  Typen  noch  zusammenhängen.  Diese  Ausnahmen 
lehren  es  also  deutlich:  für  die  Entwicklung  des  Motivs  gehen  die  schöpferischen 
Antriebe  vom  AR  aus  5).    Was  die  Künstler  des  NR  hinzutun,  besteht,  soweit  wir 

1)  Naville,  Festival  Hall  of  Osorkon  II""*,  Taf.  2,  The  Rock  Tombs  of  el  Amarna  II  Taf.  37  f., 
II,  14,  15.  S.  40).    Hier  sieht  man  zweimal  den  Typus  i  des 

2)  Davies,   Five  Theban  Tombs,   Taf.  8,   3,   S.  16.  AR,  aber  es  sind  nicht  die  am  Boden  liegenden 

3)  Berlin  Nr.  20  488.     Schäfer,  Äg.  Kunst  79,  35  A.  Überwundenen,  sondern  es  ist  hier  ein  und  das- 

4)  Herod.   II  95.  selbe  Akrobatenstück  von  r.  nach  l.in  vier  zeitlich 

5)  Sehr  bezeichnend  für  die  ungebrochene  Lebens-  aufeinander  folgenden  Stadien  vorgeführt.  Es 
kraft  der  alten  Typen  ist  auch  eine  Ringergruppe  besteht  darin,  den  Gegner,  wenn  man  ihn  um 
im   Grabe   des   Meryre   zu   el  Amarna   (Davies,  den   Rumpf    gepackt    hat,    emporzuheben     und 


26  Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen. 

bisher  gesehen  haben,  in  der  Verfeinerung  der  Darstellungsmittel.  Das  andere,  worin 
diese  Zeit  in  vielleicht  noch  eindrucksvollerer  Weise  sich  als  schöpferisch  erwiesen 
hat,  ist  die  Komposition.  Wenden  wir  uns  jetzt  dem  letzten  noch  übrig  bleibenden 
Kreise  von  Darstellungen  zu,  in  denen  Gefallene  vorkommen,  nämlich  den  großen 
Schlachtbildern  des  NR,  so  sehen  wir  dieses  Moment  besonders  stark  in  die  Erscheinung 
treten. 

Trotzdem  die  Gefallenen  hier  in  Masse  erscheinen,  gibt  es  weder  Versuche  von 
richtigen  Profilansichten  noch  irgendwelche  Fälle,  in  denen  die  Verkürzungen  über 
die  einfachsten  Errungenschaften  des  AR  hinausgehen.  Sind  auch  die  Bewegungs- 
motive in  der  Regel  sehr  lebhafte,  so  herrscht  doch  das  kanonische  Körperschema 
durchaus  und  in  viel  strengerer  Weise  als  auf  den  meisten  der  bisher  behandelten 
Monumente  des  NR.  Man  kann  in  dieser  Hinsicht  geradezu  einen  Rückschritt  von 
der   l8.   zur   19.    Dyn.   feststellen. 

Die  oben  beobachteten  Typen,  die  bereits  im  AR  ausgebildet  waren,  lassen 
sich  alle  auch  hier  nachweisen.  Für  jeden  von  ihnen  seien  nur  einige  Beispiele  an- 
geführt : 

Typus  I  (oben  S.  8ff.):  Kar  nak,  BB  86  b,  unter  den  Füßen  des  Königs.  Med  inet 
Habu,  BB  93,  in  der  zweiten  Reihe  von  unten  unter  dem  dritten  und  vierten  Wagen 
von  1.    Abu  Simbel,  BB  Text  zu  Tafel  86  f. 

Typus  2  (oben  S.  12):  Bet  el  Wali,  Champollion,  Mon.  71  f.  Rosellini,  Mon. 
Stör.  I  54  f.  Arundcl-Bonomi-Birch,  Gallery  of  Antiquities  38.  Maspero,  Hist.  II  387. 
Hunger- Lamer,   Altorient.   Kultur  im   Bilde   17,   31. 

Typus  3  (oben  S.  13):  Wagen  Thutmosis  IV.,  oben  S.  19,  Nr.  7.  Karnak, 
BB  86  a,  b,  unter  den  Rädern  und  Pferden  des  Wagens.  LD  III  166  =  Erman, 
Ägypten  116,  702  =  Rosellini,  Mon.  Stör.  I  108  unter  dem  Rade  des  vom  König 
verfolgten  Wagens.  Medinet  Habu,  Champollion,  Mon.  227,  unter  dem  1.  Fuß 
des  Königs. 

Typus  4  (oben  S.  14):  Siegesstele  Araenophis  III.,  BB  79.  Karnak, 
BB  86  a,  r.  unter  dem  Rade.  Ramesseum,  LD  III,  in  der  1.  von  den  beiden  vorderen 
Kampfgruppen.      Medinet    Habu,   Champollion,   Mon.    227. 

Auch  die  Form  des  mit  hinter  dem  Rücken  gebogenen  Armen  auf  dem  Bauche 
liegenden  Mannes,  die  für  das  AR  bereits  zu  postulieren  war  (oben  S.  17),  kommt 
vor:  Medinet  Habu,  BB  93  r.  in  der  zweiten  Reihe  von  unten  unter  den  Pferden. 

Noch  viel  häufiger  sind  aber  die  Fälle,  wo  die  lebhaft  bewegten  Glieder  der 
Gefallenen  radial  über  die  Fläche  ausgebreitet  sind,  und  auf  Schritt  und  Tritt  wird 
man  hier  an  die  ganz  frühen  Werke  wie  die  Schminktafel  mit  der  Darstellung  des 
Schlachtfeldes  (S.  2,  Anm.6a)  und  die  Chasechembasen  (S.4,  Anm.  i)  erinnert.  Das 
ist  natürlich  ebensowenig  ein  Zufall  wie  bewußtes  Archaisieren.  Die  Geschichte  der 
Komposition  hat  inzwischen  eine  Art  Kreislauf  vollendet  und  ist  in  gewissem  Sinne 
nun  wieder  bei  einer  jenen  alten  Bildern  entsprechenden  Form  angelangt  ').    Nichts 

so  über  den  Rücken  zu  schleudern.    Der  r.  von  rade  durch   die  Luft   geworfen,    der   1.   berührt 

den  beiden  scheinbar  Gefallenen  wird   also   ge-  im   Falle   eben   den    Boden. 

')  Schäfer,  Äg.  Kunst  135  f. 


Friedrich  Matz,  Das  Motiv  des  Gefallenen.  27 

wäre  verkehrter  als  zu  meinen,  daß  dieser  ganze  lange  Weg  umsonst  gewesen  sei. 
Die  Raumauffassung,  die  in  der  alten  Zeit  noch  ganz  ungeklärt  war,  ist  zwar  von 
einer  Einheitlichkeit  im  modernen  Sinne  noch  weit  entfernt,  aber  ihr  doch  schon 
um  ein  beträchtliches  angenähert,  und  außerdem  wird  die  Verteilung  der  Figuren  jetzt 
von  einem  ganz  bestimmten  dekorativen  Gefühl  geleitet,  das  mit  dem  Stichwort 
Konzentration  am  besten  bezeichnet  wird.  Die  gemeinsame  Bedingung  für  die 
Zeichnung  der  einzelnen  Gestalten  bestand  darin,  daß  sie  sich  hier  wie  dort  über 
die  ganze  Bildfläche  ausbreiten  und  nicht  wie  in  der  Zwischenzeit  an  eine  Masse  von 
einzelnen  Grundlinien  gebunden  sind.  So  wird  man  auch  das  erwähnte  Vorkommen 
der  im  AR  ausgebildeten  Typen  in  den  meisten  Fällen  nur  unten  im  Bilde  auf  der 
einzigen  hier  noch  erhaltenen  Grundlinie  beobachten. 

Vergleicht  man  im  einzelnen  diese  Gefallenen  mit  denen  der  alten  Zeit,  so  fällt 
nicht  nur  die  sehr  flaue  Formbehandlung  auf,  man  muß  auch  sagen,  daß  der  Ausdruck 
an  überzeugender  Kraft  trotz  der  scheinbar  sehr  lebhaften  Bewegungen  entschieden 
eingebüßt  hat.  Der  Mangel  ist  aber  nur  ein  relativer  und  findet  gerade  in  dem,  worin 
die  Größe  dieser  Werke  besteht,  seine  Rechtfertigung.  Der  Künstler  der  alten  Zeit 
haftet  am  einzelnen,  er  setzt  seine  Bilder  aus  einer  Menge  gleichwertiger,  koordinierter 
Elemente  zusammen.  Auf  dem  Höhepunkt  der  Entwicklung  dagegen,  wo  die  psycho- 
logischen Bedingungen  viel  komplizierterer  Natur  sind,  reizt  die  Künstler  in  immer 
stärkerem  Maße  das  Problem,  aus  der  im  Leben  gegebenen  Vielheit  eine  Einheit  in 
der  Kunst  zu  gestalten.  Konzentration  und  Subordination  sind  damit  zu  leitenden 
Prinzipien  ihres  Schaffens  geworden. 

Berlin.  Friedrich  Matz. 


Nachtrag  zu  S.  3  f. 

Der  elfenbeinerne  Messergriff  aus  Gebel  el  Arak  im  Louvre  (Mon.  Piot.  XXII 
1916  Taf.  I.  Journ.  of  Aeg.  Arch.  V  1918  Taf.  32.  Ancient  Egypt  1917,  26;  vgl. 
Schäfer,  Äg.  Kunst  2.  Aufl.  1 36  a.  Weber,  Altoriental.  Siegelbilder  65)  zusammen 
mit  dem  zur  Schlachtfeldpalette  gehörenden  Fragment  in  Oxford  (Schäfer,  Äg. 
Kunst  Taf  5,  l.  Journ.  ofAeg.  Arch.  II  191 5,  Taf  14  f  Capart,  Debüts  230,  161)  zeigt 
jetzt,  daß  die  radiale  Ausbreitung  der  Glieder  schon  in  eine  frühere  Periode  der 
Vorzeit  gehört.  Während  aber  hier  die  Gefallenen  über  den  Grund  »gestreut« 
sind,  hat  das  Motiv  auf  der  Stierpalette  durch  die  Beziehung  zum  Stier,  auf  den 
Chasechembasen  durch  die  zur  Grundlinie  einen  prägnanteren  Sinn  bekommen. 


2S  Oskar  Waldhauer,  Zur  lakojiischen  Keramik, 

ZUR  LAKONISCHEN  KERAMIK. 

Mit  Tafel  I. 

Die  lange  Reihe  von  Vasen  »lakonischer«  Arbeit  gibt  ein  relativ  vollständiges 
Bild  der  Entwicklung  einer  in  jeder  Beziehung  interessanten  Klasse') ;  um  so  wichtiger 
ist  jede  weitere  Vermehrung  des  Materials,  die  vorhandene  Lücken  ausfüllen  könnte. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  sind  zwei  Exemplare  der  Gattung  von  Interesse; 
das  eine  eine  Neuerwerbung  der  Ermitage,  das  andere  ein  schon  längst  bekanntes, 
aber  in  so  schlechter  Zeichnung  publiziertes  Stück,  daß  eine  neue  Publikation  gerecht- 
fertigt erscheint. 

Das  ältere  Stück*)  stammt  aus  einer  Privatsammlung;  Fundort  unbekannt 
(Abb.  i).  Seiner  Form  nach  gehört  es  zu  dem  von  Droop  Lakaina  genannten  Typus  ?), 
eine  Bezeichnung,  die  konventionell  wohl  benutzt  werden  darf.  Der  Körper  der  Vase 
mit  vorspringenden  horizontalen  Henkeln  bildet  den  kleinsten  Teil  derselben;  den 
größten  bildet  der  hoch  ansteigende  Aufsatz  von  zylindrischer  Form  mit  leicht  aus- 
gebogeneni  Rand;  der  Fuß  in  Gestalt  eines  niedrigen  breiten  Ringes.  Der  Ton  schein- 
bar hellgrau,  am  Boden  nur  geglättet,  die  Innenseite  schwarz  gefirnißt;  die  Farbe 
hat  einen  matten  Ton;  auch  der  größte  Teil  der  Außenseite  ist  schwarz;  am  oberen 
Teil  dieses  schwarzen  Streifens  ein  dünner  roter  Strich.  Der  Rand  ist  mit  einem 
weißen  Überzug  von  leicht  gelblichem  Ton  versehen,  auf  welchen  zwischen  zwei 
schwarzen  Strichen  eine  Reihe  von  schwarzen  quadratischen  Punkten  gemalt  ist; 
darüber  und  darunter  je  eine  schwarze  Punktreihe.  Der  eigentliche  Körper  der  Vase 
unten  ist  gleichfalls  weiß  überzogen;  an  seinem  oberen  und  unteren  Rande  je  ein 
schwarzer  Strich;  von  unten  steigen  Strahlen  auf;  über  dem  Fuß  ein  roter  Streif  mit 
schwarzem  Strich  darüber.  Im  Fuß  ein  breiter  rot  ausgefüllter  Kreis,  von  zwei  kon- 
zentrischen schwarzen  Linien  umrahmt;  der  Fußrihg  schwarz  gefirnißt.  Der  Er- 
haltungszustand ist  gut,  nur  der  Rand  z.  T.  aus  Stücken  geklebt.  Die  Henkel  waren 
angesetzt;  der  eine  auf  der  Abb.  links  ist  nicht  zugehörig,  der  rechts  zugehörig;  beide 
wieder  angeklebt. 

Der  Typus  der  Vase  kommt  schon  unter  den  Fragmenten  geometrischen  Stils 
in  Sparta  vor,  doch  sind  hier  die  Henkel  unter  spitzem  Winkel  nach  oben  geführt 
und  der  Rumpf  nicht  vom  oberen  Aufsatz  abgeteilt  4).  In  entwickelter  Form  tritt 
er  jedoch  in  der  von  Droop  Lac.  I  genannten  Gruppe  auf  5).  Die  Wandungen  haben 
aber  in  dieser  Gruppe  gradlinige  Form;  die  Henkel  waren  mehr  horizontal  gestellt, 
so  auch  z.  B.  auf  den  Skyphoi  derselben  Periode^).    Profil  und  Einzelheiten  der  Form 

')  Das  Material  bei  Dugas  und  Laurant,  Rev.  arch.  wurden,  für  wahrscheinlich  halte;  Kyrene, 
IQ07  I  377  ff.,  vgl.  Dugas  ebenda  1912  I  88  ff.  Kreta  würden  zunächst  in  Betracht  kommen, 
Droop  BSA.  XIV  30  ff.  JHS.  XXX  1910,  i  ff.  Zu-         vgl.  Pfuhl  a.  a.  O.  226. 

sammenfassend  jetzt  Pfuhl,  Malerei  und  Zeich-  *)  Inv.  Nr.  187 13,     Höhe    0,17,    Durchmesser    der 
nung  der  Griechen  I  224  ff.     In  der  Frage  über         Mündung    0,13  m. 

den  Fabrikationsort  schließe  ich  mich  Dugas  an,  3)  BSA   XIV   31  Anm.  3. 

indem  ich   Sparta  wohl  als   Hauptzentrum  an-  4)  BSA   XIII    122    Abb.  2    Typus   d. 

nehme,  jedoch  die  Möglichkeit,  daß  Vasen  des-  5)  BSA  XV  23  Abb.  i   a,  b. 

selben   Stils   auch   an  anderen  Orten   verfertigt  ')  BSA  XIV  31   Abb.  i. 


Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 


29 


ähnlich  dem  Exemplar  der  Ermitage  begegnen  uns  in  den  Gruppen  Lac.  II  und  III '). 
Jedoch  ist  es  mit  Sicherheit  Lac.  II  zuzuteilen,  da  die  charakteristische  Ornamen- 
tierung des  Randes  später  in  dieser  Form  nicht  mehr  auftritt  ^).  Derselben  Zeit 
■weist  Droop  das  gut  erhaltene  Stück  im  Konservatorenpalast  zu  3).  An  diesem  ist 
die  Mitte  zum  Unterschied  vom  Exemplar  der  Ermitage  weiß  mit  großem  schwarzen 
Zickzack  darüber.  Im  übrigen  bildet  dieses  Exemplar  die  nächste  Analogie  zu  dem 
hier  publizierten,  das  demgemäß,  nach  der  Chronologie  Droops,  an  das  Ende  des 
VII.  Jahrhunderts  gehört  4).  Der  Typus  der  »Lakaina«  verdient  besondere  Be- 
achtung, da  er  offenbar  als  Urform  des  spätem  Kraters  a  calice  angesehen  werden 


Abb. 


Lak.iina  in  der  Ermitage. 


muß.  Die  Form  des  niedrigen  Rumpfes,  die  horizontalen  Henkel,  die  nach  außen 
gebogenen  hohen  Ränder  stimmen  überein;  nur  der  Fuß  ist  am  Krater  reicher  aus- 
gestaltet, doch  ist  dieser  Teil  offenbar  als  ursprünglich  selbständig  anzusehen.  Jeden- 
falls ist  die  Lakaina  dem  späteren  Kalyxkrater  ähnlicher  als  die  bekannten  Vor- 
läufer aus  Rhodos  und  Naukratis,  an  denen  die  Wandungen  geradlinig  sind  5).    Daß 


BSA  XV  31  Abb.  7- 
Als  Ausnahme  muß 
Nr.  381,     Sieveking- 


')  JHS  XXX  1910,   4  Abb.  1 
>)  Droop  JHS  XXX  1910,  7. 

notiert    werden    München 

Hackl   T.  13. 

3)  JHS  XXX  1910  Abb.  3. 

4)  Diese  Datierung  glaube  ich  als  genügend  ge- 
sichert annehmen  zu  dürfen.  Vgl.  Droop  a.  a.  0.  i 
und  BSA  XIV,  46  f. 

5)  Daß  Walters,  History  of  ancient  pott,  I  170  irrt, 
wenn   er  die  Entstehung  des  Kratertypus  dem 


Anfang  des  V.  Jahrh.  zuweist,  hat  Furtwängler 
gezeigt  (Griech.  Vasenm.  II  Text  172  f.).  Ein 
■  schönes  spätsfg.  Exemplar  in  der  Ermitage 
Stephani  Vasens.  Nr.  49.  Zu  den  Naukratitischen 
Bechern:  Enman,  Bull,  de  la  Com.  Imp.  archeol. 
191 1  (Band  40)  142  ff.  (Exemplar  aus  Bere- 
san);  zu  dem  hier  zusammengestellten  Material 
ist  hinzuzufügen  JHS  XXIX  1909  T.  XXV.  Zur 
Selbständigkeit  des  Fußes  Daremberg-Saglio 
I,  2,  1553  s.  V.  Crater. 


30 


Oskar  Waldbauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 


die  Idee  als  solche  sehr  als  ist,  beweist  der  Typus  des  Kantharos,  der  der  Lakaina  sehr 
verwandt  ist;  das  Verhältnis  von  Aufsatz  zu  Vasenkörper  ist  das  gleiche,  nur  die 
Form  der  Vertikalhenkel  von  den  horizontalen  der  Lakaina  verschieden.  Dieses  Ver- 
hältnis findet  sich  bekanntlich  in  kunstvoll  ausgebildeter  Form  schon  im  Kamares« 
Stil '),  ohne  Fuß  oder  mit  niedrigem  Ringfuß  in  der  alttrojanischen  und  der  sogenannten 
minyschen  Keramik  ^].  Die  Verbindung  dieses  Urtypus  mit  einem  Fuß  in  archaischer 
Zeit  ist  analog  der  weiteren  Entwicklung  der  Lakaina  zum  Kalyxkrater. 

Wie  gesagt,  zeigt  die  Lakaina  schon  in  geometrischer  Zeit  geschwungene  Linien 
des  Aufsatzes,  die  an  die  Form  der  hier  veröffentlichten  Vase  erinnert.  Doch  ist  diese 
Ähnlichkeit  nur  äußerlich.  Wir  finden  einen  ähnlichen  krummlinigen  oberen  Ab- 
schluß auf  einer  Reihe  von  Vasen  geometrischer  Zeit,  die  im  allgemeinen  geradlinige 
Formen  anstrebt.  So  ist  die  Ausbuchtung  auf  den  älteren  theräischen  Vasen  fast 
unmerklich  5),  an  anderen  erscheint  sie  stärker  infolge  des  Vortretens  des  Mündungs- 
randes 4),  ausgeprägt  an  den  Exemplaren  mit  schlankerem  Hals  5).  Ein  Unterschied 
zwischen  dieser  Art  von  der  durch  unsere  Vase  vertretenen  Form  ist  evident;  be- 
sonders deutlich  zu  konstatieren  ist  es  jedoch  an  den  großen  attischen  Kannen  und 
den  kleineren  Gefäßen,  die  dem  Lakaina-Typus  durch  das  Verhältnis  von  Körper  zu 
Aufsatz  analog  sind.^j.  Die  geschwungene  Linie  auf  diesen  geometrischen  Gefäßen 
hat,  sozusagen,  keinen  tektonischen  Charakter.  Die  Tendenz  zu  Geradlinigkeit  ist 
außerordentlich  stark  und  strebt  nach  Unterdrückung  der  Ausbuchtung.  Es  ist 
interessant,  daß  dieses  Streben  in  fast  extremer  Form  an  der  Lakaina  von  Lac.  I 
zum  Ausdruck  kommt,  d.  h.  in  der  Gruppe,  wo  die  geometrische  Stilform  sich  auslebt 
(B.SA  XV  23).  Der  Kontur  unserer  Lakaina  hat  dieses  Durchgangsstadium  zur 
Voraussetzung.  Die  geradlinig  aufsteigenden  Linien  des  Zylinders  liegen  ihm  zu- 
grunde, jedoch  tritt  deutlich  hervor  eine  Ausbuchtung  in  seiner  Mitte,  der  eine  Ein- 
ziehung oben  folgt;  aus  dieser  Einziehung  heraus  erwächst  der  sich  nach  außen  aus- 
breitende Rand.  Wir  haben  es  mit  einer  Erscheinung  zu  tun,  die  der  Entasis  der  Säule 
analog  ist,  und  die  tektonisch  genannt  werden  darf.  Diese  Schwellung  bringt  leben- 
digen Schwung  in  die  abstrakte  Linie,  denn  auf  diese  Weise  erreicht  der  Kontur 
seinen  Eindruck  von  Elastizität,  und  die  obere  Ausbuchtung  erscheint  als  natürlicher 
Abschluß,  als  Ausklingen  der  hinaufführenden  Bewegung.  Diese  Anschauung  ist 
dem  geometrischen  Stil  fremd  und,  wenn  sie  in  ihrer  weiteren  Ausgestaltung  auch 
rein  griechisch  ist,  müssen  wir  ihren  lebendigen  Ursprung  in  einem  anderen  Kunst- 
kreis suchen.  Eine  ähnliche  Linienführung  finden  wir  an  »samischen«  Lekythoi, 
die  z.  T.  in  sehr  frühe  Zeit  hinaufreichen  ").  Diese  bestehen  aus  einem  reich  ge- 
schwungenen Hauptteil,  auf  den  Schulter  und  Mündung  einfach  aufgesetzt  sind; 

•)  Boyd-Hawes  Gourni  u.  T.  C.  (S.  Wide);   Dragendorff.  Thera  II  135  Abb.  312, 

»)  Dörpfeld,    Troja   und    Ilion    Abb.  28:,    Hubert         314. 

Schmidt,    Schliemanns    Samml.  Nr.  1675  ff.,  vgl.  4)  Thera  II   145  Abb.  345  f. 

Forsdyke,  JHS  XXXIV  1914,  146,  dazu  Gordon  5)  Ebenda  144  Abb.    344. 

Childe,  ebenda    1915,    159  ff.  <■)  Z.  B.  J.  d.  I.  XIV   1899,  205  ff. 

3)  Z.   B.     J.   d.    I.     XIV     1899,      29      Abb.  I,   2  7)  Böhlau,    Nekropolen    T.VII   4.3.6,8.      A.  M. 
XXVIII  1903  Beilage  XXII  (S.  161)  i,  4  (Pfuhl). 


Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 


31 


dieser  Hauptteil  ist  jedoch  direkt  ägyptischen  Vorbildern  entlehnt,  nämlich  dem 
bekannten  Typus  des  Bechers  in  Form  eines  Lotoskelches  ').  Wir  müssen  also  an- 
nehmen, daß  in  der  Zeit  von  Lac.  II  der  Einfluß  samischer  Kunst,  vielleicht  auch 
direkt  ägyptischer  Vorbilder  erstarkte.  Dieser  Schluß  wird  wahrscheinlich  gemacht 
auch  durch  dem  Umstand,  daß  Scherben  von  Lac.  I  und  II  sowohl  auf  Samos,  wie 
auch  in  Naukratis  zum  Vorschein  gekommen  sind  2).  Auf  dieselbe  Quelle  weist  auch 
das  Auftreten  der  Strahlen,  die  auf  unserer  Vase  den  Körper  umgeben  wie  die  Lotos- 
blätter  jenen  ägyptischen  Gefäßtypus. 

Das  zweite  lakonische  Stück  in  der  Ermitage  (Abb.  2  u.Taf.  I)  istvonMicalipubli- 


Abb   2.     Lakonische  Schale  in  der  Ermitage. 


ziert  worden;  doch  hatesDroop  nicht  in  sein  systematisches  Verzeichnis  der  erhaltenen 
Stücke  aufgenommen,  wohl  weil  die  ungenügende  Publikation  ihm  nicht  die  Mög- 
lichkeit bot,  es  stilistisch  einzuordnen.  In  den  früheren  Listen  ist  die  Vase  mitgenannt^). 
Der   Erhaltungszustand  ist  gut;  wohl  ist  das  Exemplar  aus  Stücken  zusammen- 


')  Z.  B.    Budge,     Egyptian     cer.   art.  T.  XII,     vgl. 

V.  Bissing,   Steingefäße  (Cat.  gfe.  du    Mus^e    de 

Cairo)   T.  VI  Nr.  1843  ff. 
^)  Lac.  I  Dugas  Nr.  61,  81,  Lac.  II  Dugas  71—73, 

Böhlau,    Nekrop.  T.  IV  4,    X  6,  9. 
3)  Höhe  0,125,  Durchm.  0,20  m.   Stephani,    Vasens. 

Nr.  183  aus  S.  Pizza'.;    Micali,    Storia  degli  ant. 


pop.  ital.  T.  87,  3,  Text  III   150:    »trovata  a.  S. 

P rotte  presso  di  Camino.«    Petersen,  Arch. 

Ztg.  1879,  7,  Loeschke.  Altspart.  Basis  Dorp.  Progr. 
1879,  13  Nr.  5.  Puchstein,  Arch.  Ztg.  i88i,  217 
Nr.  5,  Dumont-Chaplain,  Les  c^ram.  de  la  Grece 
propre  I  298  Nr.  6,  Walters,  History  of  ancient 
pottery  I  344  Anm.  i,  Dugas  Nr.  7. 


-22  Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 

gesetzt,  doch  es  fehlen  nur  Kleinigkeiten.  Der  Fuß  mit  einem  Stück  der  Wandung 
war  ausgebrochen,  wodurch  das  Innenbild  gelitten  hat.  Rötlicher  Ton.  Form  gewöhn- 
lich mit  abgesetztem  Rand.  Schwarz  gefirnißt  sind  Henkel  und  Fuß,  wobei  arn  letzteren 
die  Farbe  durch  den  Brand  einen  schmutzig- roten  Ton  erhalten  hat;  dasselbe  ist  an 
der  Innenseite  des  Fußes  der  Fall.  Tongrundig  ist  der  untere  Fußrand  mit  einem 
schwarzen  Strich  darauf.  Die  Wandungen  der  Schale  sind  mit  Streifen  geschmückt, 
deren  Ornamente  ich  in  der  Reihenfolge  von  unten  nach  oben  beschreibe:  i.  Ton- 
grundig mit  Granatapfelornament.  2.  Mit  weißem  Überzug,  von  i  durch  vier  um- 
laufende Streifen  getrennt:  drei  aus  verdünntem  Firnis,  einer  rot,  der  Fries  zerfällt 
in  zwei  Hälften;  auf  dem  schmäleren  unteren  drei  umlaufende  Linien,  Punktreihe, 
drei  umlaufende  Linien  und  breiter  Purpurstreif;  auf  dem  oberen:  vier  umlaufende 
schwarze  Linien,  spitze  Blattreihe,  vier  umlaufende  Linien,  breiter  Purpurstreif, 
drei  umlaufende  Linien.  3.  Zwischen  den  Henkeln  tongrundig;  von  den  Henkeln 
ausgehend  liegende  Palmetten  auf  eliptischen,  mit  Purpur  bedeckten  Kern.  4.  Auf 
dem  abgesetzten  Rand  weißer  Überzug,  oben  durch  Blattkranz  abgeschlossen, 
zwischen  je  zwei  umlaufenden  schwarzen  Linien.  Innenseite  ganz  mit  weißem 
Überzug  versehen;  am  Rande  zwei  Friese,  mit  umlaufenden  Streifen  eingefaßt: 
oben  Lotosblüten  und  Knospen  auf  bogenförmigen  Stengeln;  zwischen  ihnen  Punkte; 
die  Blüten  geschlossen  und  oben  mit  drei  spitzen  Blättchen  versehen;  unten  —  drei- 
eckige, spitz  zulaufende  Blätter.  Das  Innenbild  von  drei  konzentrischen  Kreisen 
umgeben;  ein  schwarzer  Strich  trennt  das  untere  Kreissegment  ab.  Im  Segment 
eine  Schlange  nach  r.  Hauptbild:  Reiter  nach  r. ;  Umriß  stellenweise  geritzt,  doch 
greift  die  Farbe  vielfach  über  die  Ritzlinie  herüber.  Geritzt:  Gesichts-  und  Brust- 
profil, Umriß  der  Arme  und  Beine,  der  unteren  Rückenhälfte,  am  Pferde  Umriß  des 
Kopfes,  Bauches  und  der  Beine,  ebenso  die  Zügel.  Der  Reiter  trägt  den  Chiton,  dessen 
Ärmel  und  oberer  Saum  am  Hals  durch  Ritzung  angegeben  sind;  beides  rot  um- 
rändert. Das  lange  Haar  im  Nacken  durch  ein  purpurnes  Band  zusammengehalten; 
zwei  lange  Locken  von  oben  herunter  durch  Ritzung  angegeben;  Beinmuskeln  geritzt. 
An  der  r.  Hand,  die  wie  eine  1.  gezeichnet,  sind  die  Finger  geritzt.  Der  Reiter  hält 
in  den  Händen  Zügel  und  Speer.  Am  Pferd  sind  rot  aufgesetzt:  einige  Locken  der 
Mähne,  ein  Teil  der  Mähne  auf  der  Stirn,  Ohren,  Streifen  zwischen  den  geritzten 
Muskellinien,  Hufe,  Nüstern,  Zügel.  Ein  breiter  Riemen  mit  geritztem  Ornament 
auf  der  Brust.  Von  1.  fliegt  ein  geflügelter  Dämon  auf  den  Reiter  zu.  Er  trägt  zwei  in 
Umrißzeichnung  gegebene  Schalen  ')  in  den  Händen,  kurzer  unten  gefranster  Chiton, 
am  Körper  geritzte  Schuppen  in  Kreisform,  langes  Haar.  Rote  Streifen  an  Chiton 
und  Flügeln.  Geritzt  Umrisse  des  Gesichts,  Hände  (teilweis)  Rückseiten  der  Ober- 
schenkel. Zwischen  den  Vorderbeinen  des  Pferdes  ein  sitzender  Vogel  mit  erhobener 
1.  Klaue;   zwei  rote  Flügelstreifen.    Von  r.  ein  fliegender  Vogel;   rot:  zwei  Flügel- 

')  So  schon   Petersen  a.  a.  0.   mit  Anm.  25.      Die         stützt,   die   übrigen   Finger  unten   anliegen,   vgl. 

Zeichnung  bei  Micali  ist  falsch.   Die  Deutung  auf         die  Koraasten  der  Altenburger  Amphora,  Böhlau, 

Kränze    (Loeschke    a.a.O.    13    u.a.)    ist    nicht         Nekropolen  56  Abb.  28,  die  lakonische  Schale  BCH 

annehmbar,    da  der  Daumen  den  oberen  Rand         iSgj,  238  Abb.  6.     Auf  der  Londoner  Vase  B.  3 

(Arch.   Ztg.   1881,   T.  13,  i)   ist   die    Schale   rot. 


Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 


33 


streifen,  Schwanzstreif.  Darunter  kleine  Schlange.  An  vielen  Stellen  Reste  der  Vor- 
zeichnung. 

Durch  das  teilweise  Fehlen  des  weißen  Überzuges  wird  das  Stück  der  Gruppe 
Lac.  IV  zugewiesen;  also  der  zweiten  Hälfte  des  VI.  Jahrh.  Auch  andere  Eigentüm- 
lichkeiten verbinden  unsere  Schale  mit  den  Vasen  dieser  Serie:  die  nachlässige  Zeich- 
nung und  der  sehr  dünne  Überzug.  Derselben  Periode  gehören  auch  zwei  Schalen 
mit  analogen  Darstellungen  an,  in  Paris  und  in  London  von  Droop  um  530  datiert  ■). 

Die  Entwicklung  des  vorliegenden  Schalentypus  ist  fast  lückenlos  zu  verfolgen 
und  gibt  einige  interessante  Tatsachen.  Am  Anfang  der  Reihe  steht  die  breite  Form 
auf  niedrigem  Fuß  Lac.  I  ^).  Der  Fuß  ist  geschweift,  die  Wandungen  über  den  Henkeln 
stark  eingezogen,  die  Lippe  scharf  abgesetzt  und  nach  außen  gezogen.  Die  Ornamentik 
scheint  überall  die  gleiche  zu  sein:  unten  Strahlen,  schwarzer  Streif  zwischen  den 
Henkeln,  am  Rand  die  charakteristischen  Quadrate  zwischen  Punktreihen,  wie  an  der 
Lakaina  der  Ermitage.  In  Lac.  II  verändert  sich  die  Form,  wie  es  scheint  nicht  3). 
Aus  der  Reihe  Lac.  III  können  verglichen  werden  die  Schale  in  Wien  und  für  die 
Ornamentierung  das  Fragment  in  London  4).  Die  erstere  hat  die  tiefe  Form  der  vor- 
hergehenden Epoche  erhalten,  jedoch  ist  das  Gefäß  auf  einen  hohen  Fuß  gesetzt, 
dessen  untere  Ränder  kantig  sind.  Der  Eindruck  ist  plump  infolge  der  Dicke  des 
Fußes,  dessen  Form  fast  zylindrisch  ist,  und  infolge  der  Tiefe  des  Gefäßes  im  Ver- 
hältnis zur  Höhe  des  Fußes  und  der  ausgebauchten  Lippe.  Auf  diesem  Exemplar 
treten  schon  die  liegenden  Palmetten  an  den  Henkeln  auf.  Aus  der  Zeitenphase  von 
Lac.  III  können  verglichen  werden:  die  Arkesilasschale  5),  eine  Schale  des  Louvre  ^), 
Fragmente  aus  Samos  in  Kassel  7)  und  eine  Schale  aus  Sparta  ^).  Charakteristisch 
ist  das  Schwanken  in  den  Proportionen.  Die  Höhe  der  Lippe  im  Verhältnis  zu  den 
Wandungen  bleibt  sich  gleich,  doch  die  Tiefe  ist  verschieden.  Die  Arkesilasschale 
und  das  Exemplar  aus  Sparta  schließen  sich  in  der  zylindrischen  Fußform  an  die  Wiener 
Schale  an,  nur  ist  der  Übergang  zum  unteren  vorspringenden  Teil  weicher.  Bezeich- 
nend ist  das  Schwanken  in  der  Form  der  Lippe:  an  den  Schalen  Kassel  und  Louvre 
ausgebaucht,  an  der  Arkesilasschale  fast  gerade,  an  der  spartanischen  unten  aus- 
gebogen, oben  fast  geradlinig  verlaufend.  Die  Henkel  der  Arkesilasschale  laufen 
horizontal,  wie  an  den  Skyphoi  Lac.  I,  an  der  Schale  im  Louvre  ein  wenig  nach  oben 
gebogen,  an  der  spartanischen  nach  unten  und  darauf  elastisch  hinauf.  In  Lac.  IV 
finden  sich  Anklänge  an  älteres,  so  an  den  Exemplaren  Berlin  9)  und  Athen'")  in  der 
Form  des  Fußes  und  der  Tiefe  der  Schale,  doch  nähern  sie  sich  in  der  elastischen 


')  Dugas  9,  8,  vgl.  Droop,  BSA  ...   40,  47.     JHS  4)  Masner    Nr.  140,     Dugas    21.        Brit.  Mus.  B.  6. 
XXX  1910,  14,  16.  Dugas  10. 

2)  Sparta  BSA  XIV  32,  Abb.  2,  h.    Ephesos  Beschr.    5)  Dugas  12,  Perrot-Chipiez  IX  T.  XX  u.    Vignette 
vonDroop,  JHS  XXX 1910,  6,  München,  Droop  5,         S.  568. 

Sieveking-Hack  1    32,  Nr.  360    Abb.  47,   Florenz,    ^)    Dugas  35.     Der  Fuß  nicht  zugehörig,  Droop  9. 
beschr.    von    Droop    a.  a.  0.  ')  Dugas  22,  74,  Böhlau,  Nekrop.  T.  XI,  X  3. 

3)  Droop    weist    dieser    Serie    zu    Louvre    E.  674,    *)  BSA  XIV  T.  III,  IV. 

Berlin    1647.  9)  Dugas  3,  J.  d.  I.  XVI  1901   T.  III  S.  190. 

■o)  JHS  XXX    1910,    13  f.    Abb.  5,  6. 
Jahrbuch  des  archäoloj^ischen  Instituts.     XXXVIII/IX  1923/24.  3 


34 


Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 


Henkelform  dem  Exemplar  der  Ermitage.  In  der  Fom  der  Lippe  findet  sich  sowohl 
das  ausgebauchte,  wie  das  eingebogene  Profil.  Das  Exemplar  im  Vatikan  ')  steht  dem 
der  Ermitage  besonders  nahe:  der  Fuß  verengert  sich  nach  oben,  doch  ist  ein  Echinus 
zwischen  ihn  und  die  Schale  geschoben,  die  geringe  Tiefe  wie  an  unserem  Exemplar. 
Bezeichnend  ist,  daß  der  Streifen  zwischen  den  Henkeln  an  den  Exemplaren  Berlin 
und  Vatikan  unverziert  bleibt,  wie  an  der  Schale  der  Ermitage.  Von  den  32  Vasen 
der  zweiten  Gruppe  Lac.  IV  hat  die  Münchner  Schale  *)  in  der  ausgebauchten  Form 
der  Lippe  und  in  der  Dicke  der  einzelnen  Teile  archaische  Züge  bewahrt,  andere  sind 
dem  Exemplar  der  Ermitage  vollkommen  gleich  nicht  nur  in  der  Form,  sondern 
auch  in  der  Anlage  der  Ornamente  3). 

Die  Entwickelung  der  notierten  Einzelformen  weist  auf  eine  bewußte  Kunst- 
richtung, die  wenn  auch  von  außen  her  beeinflußt,  ihre  eigenen  Wege  geht.  Be- 
trachten wir  als  Anfangspunkt  den  Schalentypus  von  Lac.  I,  die  Reitervase  der 
Ermitage  als  Endpunkt  der  Entwicklung.  Der  erstere  strebt  nach  scharfer  Trennung 
der  einzelnen  Teile  voneinander.  Die  Mitte  ist  als  Hauptteil  bezeichnet  durch  das 
energisch  modellierte  Profil;  der  untere  Teil  des  Körpers  senkt  sich  nach  dem  Fuß 
zu  und  ist  mit  diesem  durch  den  Strahlenkranz  verbunden.  Die  streng  horizontal 
geführten  Henkel  setzen  die  Seitenbewegung  des  Mittelstücks  fort  und  betonen  seine 
größere  Breite.  Der  Rand,  der  sich  stark  über  dem  Körper  vorwölbt,  wiederholt 
das  gleiche  Profil,  ohne  sich  jedoch  oben  zu  verengern.  Er  öffnet  sich  voll  nach  außen, 
da  er  die  Flüssigkeit  aufnimmt  und  ausleert,  während  der  Körper  sie  hält.  Bezeichnend 
ist,  daß  die  Mitte  als  Kernpunkt  der  Vase  unornamentiert  bleibt:  die  glatte  Fläche 
erweckt  den  Eindruck  größerer  Massivität  und  Festigkeit.  Am  Ende  der  Entwicklung 
ist  die  Art  der  Teilung  des  Gefäßes  geblieben,  doch  das  Verhältnis  der  Stücke  zu- 
einander verändert.  Der  Rand  ist  weniger  scharf  getrennt,  das  Profil  des  Körpers 
ist  flacher  und  fällt  in  seinem  Umriß  mit  dem  der  Lippe  zusammen,  indem  beide  fast 
eine  Linie  bilden.  Auf  diese  Weise  erhalten  wir  eine  bogenförmige  Linie  als  einheit- 
lichen Kontur  der  Vase,  statt  einer  Summe  von  selbständigen  P'ormen,  als  welche  sich 
die  Schale  Lac.  I  darstellt.  Die  Henkel,  am  Ansatz  herabgeführt,  betonen  die  selb- 
ständige Bedeutung  des  Körpers,  doch  sich  darauf  nach  oben. wendend  verschmelzen 
sie  mit  dem  allgemeinen  Umriß  der  Vase.  Den  zentralen  Teil  als  Hauptstück  loslösend, 
dienen  sie  andrerseits  doch  dem  Streben  nach  Einheit  des  Konturs.  Das  Ganze  ist 
auf  einen  hohen  Fuß  gestellt,  der,  indem  er  sich  verengt,  in  die  Wandungen  einschneidet. 

Analoge  Erscheinungen  finden  sich  in  der  Ornamentierung:  Die  glatte  Fläche 
des  zentralen  Teils  ist  gewahrt,  der  untere  Teil  ist  jedoch  nicht  mit  einem  Ornament- 
streif bedeckt,  der  sich  als  Ganzes  charakterisiert,  sondern  in  einzelne  parallele  Streifen 
zerlegt,  die  den  allmählichen  Übergang  zum  Fuß  bilden.  Auf  diese  Weise  wird  der 
Kontrast  zwischen  mittlerem  und  unterem  Teil,  der  im  ersten  lakonischen  Stil  so  stark 
ist,  bedeutend  gemildert.    Die  Vase  erscheint  sonst  auf  der  späteren  Entwicklungs- 

')  Dugas   II,   Gerhard,   A.  V.  II   T.  86.  3)  Wüizburg   Dugas  33,    Louvre    E.  664,  Dugas  34, 

^)  Sieveking-Hackl  Nr.  382  Abb.  48  S.  34.  E.  869,  Dugas  4.     E.  672,  Dugas  18,  Bibl.  nat. 

'  Dugas   5,   de   Ridder  Nr.  190. 


Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik.  -je 


stufe  nicht  als  Summe  einer  Reihe  von  Einzelformen,  aber  als  ein  rhythmisch  geglie- 
dertes Ganzes,  dessen  Streben  nach  Leichtigkeit  durch  das  Schweben  auf  dem  hohen, 
sich  nach  oben  verengenden  Fuß  betont  wird.  Der  Entwicklungsprozeß  führt  von 
jener  älteren  Stufe  logisch  zur  jüngeren,  doch  nicht  stetig,  sondern  mit  Unterbre- 
chungen. Nachdem  die  Stilgruppen  Lac.  I  und  II  das  Problem  in  ihrer  Weise  gelöst, 
wird  mit  Lac.  III  ein  neues  Element  hinzugefügt,  der  hohe  Fuß,  der  aus  der  ostjonischen 
Keramik  stammt '),  ein  Beweis  für  die  Verstärkung  des  östlichen  Einflußstromes; 
gleichzeitig  erscheint  ein  neues  Motiv,  das  das  ganze  tektonische  System  zu  zerstören 
droht,  die  Ausdehnung  des  Ornaments  auf  den  Streif  zwischen  den  Henkeln;  durch 
die  Auflösung  dieser  Fläche  wird  sie  ihrer  selbständigen  Bedeutung  beraubt.  Die 
reichere  Ornamentierung  des  unteren  Teiles  der  Vase  steht  hiermit  im  Zusammen- 
hang und  deutet  auf  das  Eindringen  einer  neuen  Kunstanschauung,  des  teppich- 
artigen, dekorativen  Elements  im  Gegensatz  zum  formal-konstruktiven.  Es  ist  be- 
zeichnend, daß  sporadisch  die  Fußform  der  Caeretaner  Hydria  vorkommt  und  der 
Rand  der  Lippe  häufiger  nach  außen  gebogen  wird;  dieses  letztere  besonders  an 
samische  Keramik  erinnernd.  Als  charakte- 
ristisches Beispiel  gebe  ich  das  Profil  einer  Tasse, 
die  dieser  Gruppe  angehört  und  wahrschein- 
lich aus   Südrußland    stammt  (Abb.    3). 

Das    Überwiegen     des    dekorativen    Ele- 
ments ist  besonders   deutlich  auf  den  Schalen  Abb.  3.    Lakonische  Schale, 
aus  Samos   in  Kassel  (Böhlau  T.  XI)  und  im 

Louvre  (BCH  XVII  1893,  238  f.),   auf  denen  Tierfriese   in  das  ornamentale  System 
eingeschlossen  sind. 

Der  Verzicht  auf  streng  konstruktive  Dreiteilung  hatte  auch  eine  Veränderung 
der  Henkelform  zur  Folge.  Am  Anfang  der  Entwicklung  betont  die  ausgesprochene 
horizontale  Stellung  die  selbständige  Bedeutung  des  mittleren  Teiles  der  Vase;  jedoch 
schon  an  der  Wiener  Schale  vom  Anfang  des  VI.  Jahrh.  wird  der  Henkel  nach  oben 
gebogen,  so  daß  er  sich  eng  an  den  Gefäßkontur  anschließt.  Mit  dem  allgemeinen 
Umriß  verfließend,  verliert  er  seine  Bedeutung  als  teilendes  Element.  Ein  neuer 
Henkeltypus  tritt  auf  mit  der  neuen  Vorstellung  vom  Charakter  der  Oberfläche  der 
Vase,  wobei  auch  die  Vereinigung  mit  dem  hohen  Fuß  eine  Rolle  spielt.  Die  Aus- 
biegung nach  oben  wird  beibehalten,  jedoch  tritt  sie  erst  in  einigem  Abstand  vom 
Gefäßkörper  ein,  indein  die  Linien  zunächst  fast  senkrecht  zu  den  Wandungen  direkt 
nach  unten  geführt  werden.  Diese  Linienführung  ist  in  jeder  Beziehung  bedeutsam, 
besonders  wenn  man  im  Auge  behält,  daß  gleichzeitig  in  Lac.  III  (London,  Dugas  25) 
der  Streifen  zwischen  den  Henkeln  ohne  Ornament  bleibt  und  nur  der  Henkelansatz 
durch  Palmetten  verstärkt  wird.  Ohne  den  allgemeinen  Umriß  der  Vase  zu  stören, 
verleiht  die  anfangs  abwärts  gerichtete  Bewegung  dem  Mittelstreifen  besondere  Be- 
deutung und  gibt  ihm  auch  eine  hervorragende  Rolle  bei  der  Baianzierung  des  Ge- 
fäßes auf  dem  Fuß.     Diese  in  Lac.  III  gestellten  Aufgaben  finden  in  Lac.  IV  ihre 


>)  Z.  B.  Samos,  Böhlau,  Nekropolen  T.  VIII  20. 

3' 


■3^  Oskar  Waldhauer,  Zur  lakonischen  Keramik. 

Lösungen,  indem  auf  größere  Leichtigkeit  im  Aufbau  und  harmonischeren  Ausgleich 
zwischen  rein  dekorativen  und  rein  konstruktiven  Anforderungen  das  Hauptgewicht 
gelegt  wird.  Die  starke  Verjüngung  des  Fußes  nach  oben  scheint  auf  erneuten,  viel- 
leicht direkten  Einfluß  ägyptischer  Formen  hinzuweisen  '). 

Die  lakonischen  Vasen  vervollständigen  in  vielen  Einzelheiten  unsere  Vor- 
stellung von  der  Entwicklung  archaischer  Kunst,  von  dem  Verhältnis  des  Westens 
zum  Osten  und  beider  zu  Ägypten.  Die  Fundstatistik  beweist,  wie  rege  der  Verkehr 
zwischen  Lakonien,  Samos,  Naukratis  und  Daphnä  war  und  ein  lebendiger  Formen- 
austausch ist  vorauszusetzen.  Die  samischen  Vasen,  wie  die  zitierte  Lekythos,  oder 
die  hier  abgebildete  Schale  zeigen,  daß  die  jonischen  Meister  gern  die  geschwungenen 
Umrisse  ägyptischer  Vasen  übernahmen,  da  sie  in  manchem  mit  den  Konturen  der 
ererbten  spätmykenischen  Formen  übereinstimmten.  Der  Westen  hat  die  Periode 
des  geometrischen  Stils  durchlebt,  seine  Formen  in  strenge  Rahmen  gepreßt  und  ein 
wohl  abgewogenes  System  der  Verhältnisse  anzuwenden  gelernt,  wobei  die  dekorativen 
Elemente  den  konstruktiven  untergeordnet  wurden.  In  Sparta  sehen  wir  die  beiden 
Welten  aufeinanderstoßen,  der  geometrische  Zylinder  verwandelt  sich  in  ein  elastisches 
Organ  dank  der  Entasis,  ein  reiches  Ornament  überzieht  die  Gefäßwände,  ja,  zeitweise 
hat  es  den  Anschein,  als  würde  das  ornamentale  Element  die  Oberhand  gewinnen 
und  das  konstruktive  aus  dem  Felde  schlagen.  Wenn  der  konstruktiv  so  wichtige 
Streifen  zwischen  den  Henkeln,  der  als  stützendes  Übergangsglied  in  massiver  Glätte 
und  Einfachheit  gehalten  werden  sollte,  mit  einem  Ornament  versehen  wird,  ist  hierin 
nicht  eine  analoge  Erscheinung  zu  erblicken  wie  an  der  Architrawerzierung  des 
Tempels  von  Assos  ?  Ja,  spiegelt  sich  in  diesen  lakonischen  Schalen  nicht  der  Kampf 
wieder,  der  in  der  Monumentalarchitektur  um  das  Verhältnissystem  geführt  wurde  ? 
Die  eminente  Bedeutung  der  lakonischen  Vasen  liegt  darin,  daß  wir  hier  den  Prozeß 
der  Entwicklung  lebendiger  Formen  beobachten  können,  der  allmählichen  Ver- 
einigung des  geometrischen  Gliederungsprinzips  mit  der  lebendigen  Formenbehand- 
lung des  an  kretischen  Traditionen  und  neuen  orientalischen  dekorativen  Elementen 
so  reichen  Ostens. 

Noch  einige  Worte  über  die  Zeichnung.  Schon  Puchstein  hat  auf  naturalistische 
Züge  auf  »kyrenäischen«  Vasen  hingewiesen  ^).  Die  Schale  der  Ermitage  bestätigt 
die  Beobachtung.  Bei  aller  Steifheit  und  Strenge  der  Stilisierung  sind  die  Beine  des 
Pferdes  naturgetreu  wiedergegeben,  besonders  aber  fällt  eine  Eigentümlichkeit  auf: 
an  dem  Vogel  ist  das  Gefieder  am  Rücken  und  Flügeln  mit  einer  unregelmäßigen 
Strichelung  wiedergegeben,  die  nur  als  Versuch  einer  malerischen  Charakterisierung 
der  Masse  aufgefaßt  werden  kann.  In  der  Tat  finden  sich  ähnliche  Erscheinungen 
auf  streng  durchgeführten  Zeichnungen  aller  Perioden  der  lakonischen  Vasen,  am 
deutlichsten  auf  dem  Dinos  im  Louvrc  3).  Hier  ist  das  Fell  der  Kentauren  ähnlich 
charakterisiert.    Jedoch  auf  derselben  Vase  findet  sich  Strichelung  am  rechten  Arm 

')  Z.  B.  Maspero,  Gesch.  der  Kunst  in  Ägypten  277,  lakonischen    Vasen    vorkommt,    mit  v.  Bissing, 

Abb.  526  und  Tafel  zu  S.  288,   vgl.  den  Echinos  Steingefäße    18218    T.  VII. 

zwischen   Fuß   und   Wandung,    der   auf   einigen     =)  Vgl.  auch  Studniczka,  Kyrene  18  zu  Abb.  13. 
3)  Dugas    17,    Arch.  Ztg.    1881    T.  11,  12. 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias.  37 


des  gestürzten  Kentauren,  am  Körper  und  an  den  Armen  der  Komasten.  In  diesen 
Fällen  liegt  offenbar  ein  Versuch  vor,  die  Schattenwirkung  wiederzugeben.  Diese 
Vase  ist  überhaupt  reich  an  naturalistischen  Details:  das  müde  Pferd  des  Troilos, 
besonders  aber  die  kühne  Verkürzung  des  gestürzten  Kentauren,  der  offenbar,  wie  die 
Richtung  der  Haare  beweist,  in  Rückenansicht  gezeichnet  ist.  Naturalistische  Details 
finden  sich  ferner  an  dem  Vogel  der  Vatikanischen  Schale,  am  Hasen  der  Schale  im 
Louvre  E  669  u.  a.  m.  Wir  müssen  in  diesen  Zügen  die  Anfänge  eines  malerischen 
Stils  sehen.  Ähnliche  Schattierungsversuche  sehen  wir  auf  samischen  Vasen  •) . 

Es  fragt  sich  nun,  ob  dieser  Stil  eine  selbständige  Erfindung  jonischer  Kunst  ist. 
Ich  glaube  auch  hier  auf  Ägypten  hinweisen  zu  müssen.  Auf  ägyptischen  Miniaturen 
findet  sich  eine  ähnliche  Angabe  der  Federn  der  Falken»),  reiches  Helldunkel  an  den 
durchscheinenden  Gewändern  der  Frauen  3).  Diese  Kunst  hat  auch  stark  auf  Samos 
gewirkt.  Besonders  bezeichnend  ist  die  von  Böhlau  gefundene  Schale  *),  zu  der  sich 
eine  genaue  Parallele  im  Papyrus  Ani  findet  5).  Haben  nun  samische  Künstler  direkt 
in  Ägypten  ihre  Studien  gemacht,  und  ihre  Zeichnungen  lakonischen  Meistern  als 
Vorbilder  gedient,  oder  sind  ägyptische  Handschriften  im  Gebiet  des  Mittelmeeres 
verbreitet  gewesen,  jedenfalls  haben  wir  auch  in  den  Zeichnungen  sowohl  samischer 
als  auch  lakonischer  Vasen  deutliche  Spuren  unmittelbaren  ägyptischen  Einflusses 
zu  erblicken.  Es  ist  demnach  nicht  nur  ägyptischer  Schematismus,  sondern  auch 
ägyptischer  Realismus  von  griechischen  Meistern  übernommen  und  verarbeitet 
worden. 

St.    Petersburg.  Oskar    Waidhauer. 


LIBON  UND  PHIDIAS. 

Die  Einteilung  des  Innern  der  Cella  des  olympischen  Zeustempels  hat  seit  der 
Freilegung  des  Gebäudes  durch  die  deutschen  Ausgrabungen  mit  Recht  besondere 
Beachtung  gefunden.  Ist  sie  doch  das  einzige,  unmittelbar  auf  uns  Nachgeborene 
wirkende  Zeugnis  vom  Eindruck  des  vielgepriesenen  Goldelfenbeinbildes  des  Phidias. 
Mit  Rücksicht  auf  dies  hat  denn  auch  Wilhelm  Dörpfeld  in  der  großen  Publikation 
der  Ausgrabungsergebnisse  das  Erhaltene  gedeutet^),  und  es  ist  ihm  gelungen,  den 
Zustand  nach  der  Aufstellung  des  Kultbildes  sicher  zu  rekonstruieren.  Auf  der  Grund- 
lage, die  er  uns  gegeben  hat,  weiterzubauen,  noch  vorhandene  Schwierigkeiten  auf- 
zuklären, ist  eineVerpfiichtung,  die  sich  aus  der  Dankbarkeit  ergibt,  welche  unlängst 


•)  Vgl.  meine    Bemerkungen    zum    Komasten    auf  5)  Papyrus  Ani  T.  16.     Über  ägyptische  Elemente 

dem  Askos  Chanenko.  vgl.    Puchstein  und  Studniczka  a.  a.  0. ;   zu  be- 

')  Brit.  Mus.     The  Book  of  the  dead.  Papyrus  Ani  merken  ist  auch,  daß  die  sitzende  bärtige  Gestalt 

T.  7.      Vgl.    T.  31.  der  Schale  offenbar  auf  einen  Osiristypus  zurück- 

3)  Ebenda   auf  verschiedenen   Tafeln.  geht,   vgl.  Papyrus  Ani   T.  4. 

4)  Nekropolen  T.  XI.  6)  Olympia,  Ergebnisse  II  11  ff-  und  Plan  Tafel  X.. 


38 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 


die  gelehrte  Welt  dem  Altmeister  unserer  Architekturforschung  an  der  Schwelle  seines 
achten   Dezenniums  zum  Ausdruck   bringen  konnte. 

Der  Hauptteil  des  Mittelschiffes  war  als  Raum  für  das  Kultbild  abgeteilt. 
Ihn  umgaben  Scherwände  '),  die  in  der  Längsrichtung  in  den  Interkolumnien  der 
Innensäulen  eingefügt  waren  und  von  denen  sich  hier  noch  Reste  erhalten  haben. 
Sie  beginnen  hinter  der  zweiten  Innensäule  von  Osten  und  bestehen  hier  aus  Mauer- 
werk. Von  den  gleichen  Säulen  aus  ging  eine  Querteilung  durch  das  Mittelschiff, 
von  der  sich  nur  schwache  Spuren  im  Bodenbelag  erhalten  haben,  dessen  Oberfläche 
zudem  stark  verwittert  ist.  Sie  bestand  hier  offenbar  aus  Holz,  das  dafür  zu  wählen 
schon  die  doppelflüglige  Tür  in  der  Mitte  dieses  dreigeteilten  Zuges  nahelegte.  Durch 
letztere  betrat  man  aus  dem  der  Tür  zunächst  gelegenen  Ostteil  derCella,  in  welchem 
noch  das  Kultbild  den  Blicken  entzogen  war,  den  Kultbildraum.  Ein  beschränkter, 
nur  etwa  ein  Interkolumnium  der  Innensäulen  tiefer  Raumabschnitt  diente  hier  dem 
Anschauen  des  Kultbildes.  Wie  im  Osten,  Norden  und  Süden  durch  die  erwähnten 
Scherwände,  so  war  er  auch  im  Westen,  hier  durch  eine  niedrigere  Brüstung,  von 
deren  Spuren  unten  die  Rede  sein  wird,  begrenzt.  Dahinter  lag,  rings  von  einer 
rahmenden  Stufe  aus  pentelischen  Marmor  eingefaßt,  ein  quadratischer  Platz  von 
6,53  ni  Seitenlänge,  der  mit  dem  berühmten  Plattenpflaster  aus  schwärzlichem  eleu- 
sinischen  Marmor  belegt  war,  dessen  ästhetische  Bedeutung  für  die  Wirkung  des  Gold- 
elfenbeinbildes durch  den  Farbenkontrast  und  die  Ausschaltung  des  vom  Boden 
reflektierenden  Lichtes  E.  Löwy  ^)  dargetan  hat. 

Dies  eleusinische  Pflaster  nun  ruhte  auf  einem  höchst  seltsamen  Unterbau. 
In  die  obere  Lage  eines  durchgeschichteten,  doppelschichtigen  Fundamentes  aus 
29  cm  dicken  Porosplatten  des  gleichen  Materials  wie  der  übrige  Bodenbelag  des 
Tempels,  sind  acht  Reihen  von  19,5  cm  dicken  Schienen  aus  hartem  weißlichen  Kalk- 
stein in  der  Längsrichtung  und  in  verschiedenen  Abständen  (27 — 55  cm)  so  verlegt, 
daß  die  beiden  äußeren  Reihen  hart  an  den  Stylobat  der  Innensäulen  stoßen  3).    Die 


')  Richtiger  als,  wie  es  gewöhnlich  heißt,  Schranken. 
Daß  sie  zumindest  ungefähr  mannshoch  waren, 
geht  schon  aus  dem  Breitenmaß  hervor.  Dies 
beträgt  in  den  einzelnen  Abschnitten  zwischen 
den  Säulen  i,8o  m.  Da  auf  den  Gemälden 
des  Panainos  nur  zwei  Figuren  nebeneinander 
dargestellt  waren,  die  den  Raum  füllten, 
müssen  diese  demnach  annähernd  lebensgroß 
gewesen   sein. 

')  Strena     Helbigiana,     Leipzig     1900,      180  ff. 

3)  S.  den  Plan  Olympia  I  Taf.  VIII,  Querschnitt 
ebenda  Taf.  XI  und  Längsschnitt  ebenda  Taf. 
XII  sowie  unten  Abb.  4.  Der  hier  in  Abb.  2 
wiedergegebene  Detailplan,  der  in  Einzelheiten 
von  Dörpfelds  Aufnahme  abweicht,  ist  von  mir 
nach  einer  im  September  1923  erfolgten  Auf- 
nahme hergestellt.  Die  ersten  Beobach- 
tungen, die  zu  der  hier  vorgelegten  Untersuchung 


Anlaß  gaben,  wurden  von  E.  Buschor,  G.  Krah- 
mer  und  mir  auf  einer  Institutsreise  im  Januar 
1923  gemacht.  Buschor  hatte  dann  die  Güte, 
im  Frühsommer  des  Jahres  die  Anlage  für  mich 
von  der  das  Bild  sehr  störenden  Vegetation 
reinigen  zu  lassen,  wobei  Krahmer  sich  der  Mühe 
der  Aufsicht  unterzog.  Vieles  von  dem  hier 
Vorgelegten  ist  in  gemeinsamer  Beobachtung 
festgestellt  worden,  ohne  daß  es  hinterher  mög- 
lich wäre  den  Anteil  des  einzelnen  festzulegen. 
Für  vielfache  Beobachtungen  und  Anregungen 
möchte  ich  aber  auch  beiden  Herren  von  dieser 
Stelle  herzlichsten  Dank  sagen.  Für  die  Schluß- 
folgerungen trage  ich  allein  die  Verantwortung. 
Die  schöne  Photographie  Abb.  i  wird  Herrn 
Prof.  R.  Hamann  verdankt,  der  auch  gütigst 
die  Publikation  gestattete. 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 


39 


Oberfläche  dieser  Schienen  Hegt  im  gleichen  Niveau  wie  die  der  Porosplatten,  in  die 
sie  eingelassen  sind.  Die  Breite  ist  durchweg  gleich  (41  cm,  die  südliche  Reihe  43  cm) 
und  nur  in  den  beiden  äußeren  Reihen  finden  sich  am  Ostende  schmälere  Steine, 
eine  Abweichung,  die  mit  den  hier  befindlichen  Löchern  im  Stylobat  der  Innensäulen ') 
zusammenhängt.  Auch  die  Längenmaße  der  einzelnen  Steine,  aus  denen  die  Schienen 
zusammengesetzt  sind,  schwanken  im  allgemeinen  nur  geringfügig  (94 — 100  cm). 
Nur  die  letzten  Steine  am  Westende  sind  durchgehend  erheblich  kürzer.  Man  darf 
daraus  wohl  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Arbeit  von  Osten  nach  Westen  fortgeschritten 


Abb.  I.    Ansicht  des  Fundamentes  in  der  Mitte  des  Zeustempels  in  Olympia  von  SW  her. 

ist  und  daß  man  am  Ende  mit  dem  durchweg  zugrunde  gelegten  Maß  nicht  auskam. 
Im  Osten  ist  der  Abschluß,  wie  der  Plan  (Abb.  2)  zeigt,  etwas  unregelmäßiger.  Nicht 
alle  im  Plan  angegebenen  Kalksteinblöcke  sind  in  situ  gefunden  ^).    Einzelne  bei  der 


Sie  bleiben  nach  wie  vor  unerklärt.  Denn,  daß 
sie  für  Rostbalken  gedient  hätten,  wie  Dörpfeld 
a.  a.  0.  13  meinte,  wird  dadurch  ausgeschlossen, 
daß  die  Kalksteinschienenanlage  deutlich  mit 
den  nur  vor  ihnen  vorhandenen  schmäleren 
Steinen,  was  bei  Dörpfeld  a.  a.  O.  Abb.  4  nicht 
richtig  gezeichnet  ist,  auf  sie  Rücksicht  nimmt. 


Der  Porosblock,  in  den  Stein  2  eingebettet  ist, 
beweist,  daß  dies  von  Anbeginn  an  der  Fall  war, 
daß  also  diese  Löcher  der  libonischen  Anlage 
irgendwie  dienten  und  nicht  nur  durch  sie  über- 
baut wurden. 
>)  Vgl.  den  Plan  Olympia  Taf.   VIII. 


40 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Pbidias. 


Ausgrabung  nicht  an  ihrem  Platz  befindhche  sind  später  mehr  oder  weniger  will- 
kürHch  in  die  vorhandenen  Leeren  hineingelegt  worden.  Von  diesen  ist  nur  der  Platz 
von  I  und  2  durch  ihre  etwas  größere  Breite  (s.  o.)  absolut  gesichert.  Weitere  Bruch- 
stücke liegen  auf  dem  Fundament  des  Zeusbildes  herum.  Sie  sind  versuchsweise 
in  unsern  Plan  eingetragen,  so  wie  sie  ursprünglich  verteilt  gewesen  sein  können. 
Obwohl  für  die  Einzelheiten  dieser  Anordnung  so  keine  Gewähr  übernommen  werden 
kann,  zeigt  diese  doch  mit  Sicherheit,  daß  von  fast  allen  fehlenden  Blöcken  der  West- 
partie zumindest  Bruchstücke  vorhanden  sind.    Stein  4  ist  völlig  erhalten  und  gehört 


0(vmnn> 


>^kMAo^Ki«& 


Abb.   2,     Grundriß  des  Fundamentes  in  der  Mitte  des  Zeustempels  von  Olympia. 


seiner  geringen  Länge  nach  sicher  an  das  Westende  einer  Reihe.  Der  Platz  von  Stein  3 
wird  sowohl  durch  seine  Länge  wie  durch  die  Entsprechung  der  Löcher  auf  ihm, 
zu  denen  auf  den  in  situ  gefundenen  Blöcken  der  nördlich  benachbarten  Schiene 
empfohlen  (s.  u.).  Im  übrigen  sind  Abweichungen  von  der  hier  versuchten  Anord- 
nung denkbar. 

Was  ist  der  Zweck  dieser  eigenartigen,  auf  den  ersten  Blick  ganz  singulären 
Anlage  und  wann  ist  sie  entstanden.?  Dörpfeld  brachte  sie  mit  dem  Pflaster  aus 
eleusinischem  Stein  in  Verbindung,  das  sie  überdeckte,  und  meinte  aus  der  Einbettung 
der  Kalksteinschienen  in  das  schon  verlegte  Plattenfundament  ein  weiteres  Argument 
für  die  spätere  Datierung  des  vielumstrittenen  phidiasischen  Kultbildes  entnehmen 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias.  ^I 

ZU  dürfen  •).  In  der  Tat  findet  sich  auf  der  Oberfläche  der  Kalksteinschienen  und  nur 
auf  dieser  eine  größere  Zahl  von  längs  und  quer  gerichteten  Stemmlöchern,  die  ein 
einheitliches  System  ergeben  und  nur  mit  der  Verlegung  des  Pflasters  aus  eleusinischem 
Stein  zusammenhängen  können,  dessen  Plattengröße  und  -Verteilung  eben  daraus 
erschUeßbar  ist,  da  uns  von  den  Platten  selbst  nur  Fragmente  erhalten  sind.  Allein 
ehe  wir  uns  auf  anderer  Grundlage  über  den  sinnvollen  und  zeitlichen  Zusammen- 
hang der  seltsamen  Anlage  mit  dem  phidiasischen  Pflaster  Gewißheit  verschafft  haben, 
kann  diese  Tatsache  nicht  als  entscheidend  berücksichtigt  werden.  Denn  wenn 
man  einmal  annimmt,  daß  dies  ganze  Fundament  mit  den  Kalksteinschienen  schon 
vorher  zu  anderem  Zwecke  angelegt  war  und  von  Phidias  vorgefunden  wurde,  so 
ergab  sich  bei  dem  gegebenen  Abstand  der  Kalksteinschienen  und  der  geforderten 
Regelmäßigkeit  der  Pflasterplatten  ganz  natürlich,  daß  deren  Fugen  auf  jenen  zu 
liegen  kamen.  Gegen  den  Zusammenhang  mit  dem  phidiasischen  Pflaster  spricht 
aber  schon  entscheidend  eine  andere  Tatsache.  Die  Ausdehnung  der  Kalkstein- 
schienen-Anlage  fällt  durchaus  nicht  mit  der  des  letzteren  zusammen,  sondern  sie 
reichte  nach  Osten  nicht  unerheblich  weiter  als  es  und  umfaßte  ein  Rechteck,  wäh- 
rend jenes  nur  ein  Quadrat  über  dessen  kürzerer  Seite  (Mittelschiffbreite)  einnahm  ^). 
Und  was  hatte  diese  Anlage  als  Fundament  für  jenes  Plattenpflaster  überhaupt  für 
einen  Sinn.?  Diese  Aufgabe  hätte  das  durchgeschichtete  Porosfundament  vollauf 
erfüllt,  ohne  daß  die  mühevolle  Einfügung  der  Kalksteinschienen  erforderlich  ge- 
wesen wäre.  Mit  den  rostartigen  Fundamenten  griechischer  Tempelfußböden,  die 
wir  jetzt  in  großer  Zahl  kennen  (z.  B.  ApoUontempel  in  Delphi  und  mehrere  Bauten 
in  der  Marmaria  dort,  über  Epidaurus  s.  u.)  hat  sie  nichts  gemein.  Bei  diesen  besteht 
der  maßgebende  Gesichtspunkt  gerade  in  der  Ersparung  des  hier  ja  vorhandenen 
durchgehenden  Fundamentes,  indem  nur  schmälere  Steinblöcke  mit  Erdzwischen- 
füllung kreuzweise  oder  parallel  verlegt  werden,  um  den  Plattenrändern  als  Unter- 
stützung zu  dienen.  Auch  die  von  Dörpfeld  gelegenthch  mündlich  gegebene  Er- 
klärung, daß  durch  die  Einfügung  der  Schienen  das  Aufeinandertreffen  von  Fugen 
des  Plattenbelags  mit  solchen  des  Porosfundamentes  vermieden  werden  sollte,  ist 
unzulänglich.  In  der  Längsrichtung  hätte  man  sich  in  diesem  Falle  ohne  die  vier 
äußeren  Reihen  begnügen  können  und  in  der  Querrichtung  fallen  sogar  jetzt  noch 
z.  T.  die  Fugen  der  Kalksteinschwellen  mit  denen  der  Porosplatten  zusammen. 
Zudem  war  die  Wahl  eines  härteren  Materials  für  die  Schienen  als  des  auch  für  das 
Fundament  des  Kultbildes  von  Phidias  verwendeten  Porös  ganz  überflüssig. 

So  fällt  die  Schienenanlage  weder  dem  Umfange  nach  mit  der  des  eleusinischen 
Pflasters  zusammen,  noch  kann  sie  seinetwegen  geschaffen  sein.  Unrichtig  ist  auch 
die  Auffassung,  daß  die  technische  Prozedur,  die  Einbettung  der  Schienen  in  das 
bereits  durchgeschichtete  Fundament,  jene  als  Zutat  von  diesem  der  Bedeutung 
und  Zeit  nach  sondere.  Vielmehr  läßt  sich  erweisen,  daß  Porosfundament  und  Kalk- 
steinschienen, wenn  auch  vielleicht  nicht  ganz  einheitlichem  Plan  entsprungen  (s.  u.), 
doch   die  gleiche  Aufgabe  zu  erfüllen  hatten.    Während  nämlich  sonst  überall  der 


')  a.  a.  0.   12.  2)  Beson4ers  deutlich  im  Schnitt  Olympia  Taf.  XII. 


42 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 


Tempelfußboden  nur  von  einem  Rostfundament  der  oben  erwähnten  Art  getragen 
wird,  findet  sich  allein  hier,  in  der  Partie,  wo  die  Kalksteinschienen  eingebettet  sind, 
ein  dyrchgeschichtetes  Fundament,  noch  dazu' von  zwei  Schichten  Tiefe.  Danach 
gehören  beide  Dinge  unlösbar  zusammen. 

Daß  diese  Anlage  sich  weder  in  der  Ausdehnung  mit  dem  phidiasischen  Pflaster 
deckt,  noch  für  seine  Unterstützung  geschaffen  ist,  wurde  gezeigt.  Daß  sie  älter  ist 
und  mit  andern  Aufgaben  in  Verbindung  steht,  läßt  sich  erweisen.  Es  finden  sich 
nämlich  auf  den  Kalksteinschienen  eine  Reihe  von  Löchern,  Einlaßspuren,  Auf- 
schnürungen und  Erhöhungen,   die  soweit  sie  noch  unzweifelhaft  kenntlich  sind. 


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Abb.  3.      Mittelteil    der  Cella   des  Zeustempels    in   Olympia   mit   der 
Weihgescbenkanlage  des  ursprünglichen  Baues. 

in  unserm  Plan  verzeichnet  sind.  Schon  Dörpfeld ')  hat  richtig  erkannt,  daß  hier 
einst  eine  Reihe  von  Weihgeschenken  gestanden  hat.  Sie  entsprechen  sich  zum 
Teil  auf  mehreren  nebeneinanderliegenden  Schienen,  über  die  also  dann  die  hier 
aufgestellten  Monumente  hinweggriffen.  Das  Ganze  ergibt  ein  deutliches  System 
von  in  der  Richtung  des  Raumes  orientierten  Anathemen,  das  in  der  Zeichnung 
(Abb.  3)  unter  Weglassung  des  verwirrenden  Bildes  der  Fundamentanlage  wieder- 
gegeben ist.  Man  sieht  deutlich  wie  die  Monumente  in  dem  zur  Verfügung  stehenden 
Raum  verteilt  sind  und  dabei  dem  Bedürfnis  zwischen  ihnen  zu  passieren  Rechnung 
getragen  wurde.  An  sich  wäre  ja  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  daß  diese  Weih- 
geschenke erst  nach  der  Errichtung  des  Goldelfenbeinbildes  im  Räume  vor  diesem 


')  a.  a.  0.  12. 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias.  Ai 

aufgestellt  worden  wären.  Es  wäre  dann  aber  gar  nicht  einzusehen,  warum  man  sie 
nicht  auf  das  Pflaster  aus  eleusinischem  Stein  setzte  und  man  müßte  annehmen, 
daß  dies  durchhackt  worden  sei,  ohne  daß  dazu  irgend  ein  Grund  vorläge.  Zudem 
erwähnt  Pausanias  nichts  von  Anathemen  bei  der  Beschreibung  dieses  Raumab- 
schnittes. Nur  zwei  Weihgeschenke  nennt  er  im  Anschluß  an  diese,  also  nachdem 
er  den  von  Scherwänden  umgebenen  Raum  wieder  verlassen  hat,  darunter  eins  mit 
der  ausdrücklichen  Bemerkung,  es  stehe  im  Pronaos  (V  12,  5).  Das  andere  wird 
man  sich  im  Ostteil  der  Cella  in  der  Nähe  der  Tür  denken  dürfen.  Der  an  anderer 
Stelle  (14,  4)  genannte  Altar  kann  ebensogut  wie  hier,  in  der  Ringhalle,  im  Pronaos 
oder  Opisthodom  gedacht  werden.  Aber  diese  ganze  Überlegung  ist  eigentlich  müßig, 
da  es  sich  bei  den  Standspuren  nicht  nur  um  Löcher,  sondern  auch  um  erhöhte  Auf- 
schnürungen (im  Plan  punktiert)  und  stärkere  Erhöhungen  handelt,  von  denen  eine 
in  der  zweiten  Reihe  von  Süden  mit  zwei  Löchern  für  Stelen,  sogar  eine  Höhe  von 
7  cm  über  das  übrige  Niveau  erreicht  (Abb.  i  vorne  und  Abb.  4).    So  etwas  konnte 


Abb.  4.     Querschnitt  durch  das  Fundament  in  der  Cella  des  Zeustempels  zu  Olympia. 

natürlich  nicht  nachträglich  in  die  Fundamentfläche  hineingefügt  werden,  sondern 
muß  von  Anfang  an  vorhanden  gewesen  sein.  Es  bleibt  dann  nur  die  Alternative, 
daß  entweder  das  Fundament  mit  den  Kalksteinschienen  und  Anathemen  vorphi- 
diasisch  ist  oder  von  Phidias  selbst  stammt.  Wird  letzteres  schon  wenig  durch  das 
oben  erwähnte  Verhältnis  zu  dem  Pflaster  aus  eleusinischem  Stein  empfohlen,  so 
schließt  es  eine  einfache  Überlegung  geradezu  aus.  Phidias  hätte  dann  in  seinem 
Pflaster  nämlich  den  Raum  für  diese  Weihgeschenke  ausgespart,  wobei  von  ihm 
nicht  allzu  viel  übrig  geblieben  wäre.  Und  er  hätte  auf  diese  Weise  selbst  die  ganze 
künstlerisch  wohlberechnete  Wirkung  dieses  quadratischen  Raumes  mit  dem  eleu- 
sinischen  Stein  aufgehoben,  und  die  Betrachtung  des  Kultbildes  selbst  in  einer  ganz 
ungeheuerlichen  Weise  beeinträchtigt.  Ja,  er  hätte  so  das  gerade  Gegenteil  von  alle- 
dem erreicht,  was  er  mit  seinem  ganzen  Einbau  anstrebte. 

Warum  die  phidiasischen  Bauhandwerker  die  Erhöhungen  nicht  abarbeiteten, 
als  sie  das  eleusinische  Pflaster  verlegten,  sondern  es  offenbar  vorzogen,  an  der  Unter- 
seite der  Pflasterplatten  Höhlungen,  die  grob  auf  jene  Erhöhungen  Rücksicht  nehmen 
konnten,  zuzurichten,  läßt  sich  nicht  entscheiden.  Sicher  aber  ist  nach  dem  ausge- 
führten Tatbestand,  daß  vor  Phidias  hier  eine  Anzahl  von  Weihgeschenken  stand, 


AA  Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 

die  er  anderswohin  versetzen  mußte,  um  vor  seinem  Kultbild  den  quadratischen 
Platz  mit  dem  schwarzen  Pflaster  zu  beleg'\n.  Da  der  ältere  Weihgeschenkraum 
ein  etwas  langgestrecktes  Rechteck  bildete,  reichte  das  quadratische  eleusinische 
Pflaster  nicht  ganz  aus,  ihn  zu  überdecken,  und  im  Osten  war  ein  weiterer  Ausgleich 
nötig.  In  der  Tat  ist  dieser  hier  noch  deutlich.  In  der  Südostecke  liegt  noch  jetzt 
eine  große  Porosplatte  (im  Plan  Abb.  2  schraffiert,  Abb.  i  r.  o.),  die  ein  Stück  der 
alten  Schienenanlage  überdeckt.  Sie  liegt  jetzt  nicht  ganz  in  ihrer  ursprünglichen 
Lage,  sondern  hat  sich,  wohl  bei  einem  Erdbeben,  etwas  nach  Westen  verschoben, 
so  daß  zwischen  ihrem  Ostrand  und  dem  ostwärts  anstoßenden  Porospflaster  des 
östlichen  Mittelschiffteiles  ein  Spalt  entstand;  dieser  ist  dann  bei  einer  Wiederher- 
stellung mit  ein  paar  kleinen  Füllsteinen  ausgefüllt  worden.  In  der  ursprünglichen 
Lage  aber  fiel  der  Westrand  dieser  Platte,  deren  Oberfläche  im  gleichen  Niveau  mit 
der  des  Pflasters  im  Ostteil  der  Cella  liegt,  genau  mit  dem  Ostrand  des  Pflasters 
aus  eleusinischem  Stein  zusammen.  Der  Stein  zeigt  zudem  deutlich,  daß  auch  hier 
im  Osten  die  Stufe  aus  pentelischem  Marmor  in  gleicher  Breite  umlief  wie  im  Norden 
und  Süden.  Sein  Westrand  liegt  nämlich  genau  in  der  Fluchtlinie  des  Westrandes 
dieser  Stufe,  wenn  diese  dieselbe  Breite  wie  längs  der  Innensäulen  hatte,  eine  Breite 
von  79  cm.  Und  gerade  im  Abstand  von  79  cm  vom  Westrand  des  Steins  verläuft 
nordsüdlich  über  seine  Oberfläche  eine  8  cm  breite  flache  Rille,  offenbar  die  Stand- 
spur einer  hier  hinter  der  pentelischen  Stufe  hochgehenden  Brüstung,  welche  den 
der  Betrachtung  des  Kultbildes  dienenden  Raumabschnitt  östlich  des  eleusinischen 
Pflasters  im  Westen  begrenzte  (s.  o.).  An  die  Nordostecke  dieser  Platte  stößt  der 
Rest  einer  schmalen  Porosstufe  von  der  sich  zwei  weitere  Bruchstücke  zunächst 
dem  Stylobat  der  nördlichen  Innensäulen  erhalten  haben.  Sie  erreicht  mit  ihrer 
Oberfläche  ebenfalls  das  Niveau  des  Porospflasters  im  Osten,  liegt  aber  auf  einem 
etwas  über  die  Oberflächen  des  Porosfundamentes  mit  dem  Kalksteinschienen  erho- 
benen Auflager.  An  diesem  ist  der  ehemalige  Verlauf  der  schmalen  Stufe  längs  dessen 
ganzem  Ostrande  erkennbar.  Sie  weist  sich  sowohl  durch  ihr  Breitenmaß  von  41  cm, 
das  genau  mit  dem  durchweg  bei  den  Kalksteinschienen  verwendeten  übereinstimmt, 
als  auch  durch  ihren  Verlauf  gerade  an  der  Stelle,  wo  das  einheitliche  Porosfundament 
aufhört,  in  das  diese  eingelassen  sind,  als  dessen  ursprüngliche  Begrenzung  aus.  An 
ihrem  Rand  enden  die  mittleren  Kalksteinschienen  mit  ihren  Standspuren.  Das  etwas 
höhere  Auflager  dieser  Begrenzungsstufe  erklärt  sich  wohl  daraus,  daß  es  der  Höhe 
des  natürlich  vorauszusetzenden  Estrichbelags  des  vorphidiasischen  Weihgeschenk- 
raumes mit  seinem  ungleichmäßigen  Aussehen  entspricht.  Man  wird  danach  an- 
nehmen dürfen,  daß  die  Oberfläche  dieses  Estrichs  um  die  Höhe  der  genannten  Be- 
grenzungsstufe niedriger  lag,  als  das  übrige  Plattenpflaster  der  Cella.  Als  Phidias 
die  Weihgeschenke  beseitigte  und  an  der  Stelle  dieses  dünnen  sie  umgebenden 
Estrichs  sein  schwarzes  Plattenpflaster  legte,  überdeckte  er  im  Osten  einen  Teil  der 
alten  rechteckigen  Anlage.  Er  verfuhr  dabei  so,  daß  er  im  nördlichen  Abschnitt  die 
alte  Begrenzungsstufe  nach  Ausweis  der  noch  jetzt  in  situ  erhaltenen  Bruchstücke 
liegen  ließ  und  an  sie  westwärts  ergänzende  Steine,  die  jetzt  verloren  sind,  anschob. 
Im  Südteil  nahm  er  die  alte  schmale  Stufe  weg  und  verlegte  hier  einheitlich  zwei 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 


45 


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große  Porosplattcn,  von  denen  die  eine,  genannte,  mit  der  Spur  des  einst  hinter  der 
pentelischen  Stufe  umlaufenden  Geländers  noch  an  ihrem  Platze  liegt. 

Alis  der  somit  von  verschiedenen  Seiten  immer  wieder  festgestellten  Tatsache, 
daß  das  Porosfundament  mit  den  Kalksteinschienen  einer  älteren  Bauperiode  als 
die  Errichtung  des  phidiasischen  Goldelfenbeinbildes  angehört,  ergibt  sich  nun,  daß 
keineswegs,  wie  es  im  Schnitt  des  Olympiawerkes  ^)  angenommen  ist,  das  Poros- 
fundament in  dem  Unterbau  des  Kultbildes  einbinden  kann.  Um  auch  diese  Un- 
klarheit  noch   aufzuhellen,    war  es  wünschens- 

wert   den  Anschluß  beider  aneinander  zu  prü-      /,  ?  f~'""^|  «,-.,*._ 

fen.      Das    erlaubten    die    stärker,     als    es    in  ]         »  j.^ 

Dörpfelds  Plan  scheint,  zerstörten  Partien  des 
Porosfundamentes  in  der  Mitte  seines  West- 
randes. Ich  habe  deshalb  hier  an  zwei  Stellen 
die  Steinbrocken, '  die  die  Löcher  füllten,  aus- 
räumen lassen  (bei  A  und  A'  im  Plan)  und  es  er- 
gab sich  dabei  das  Bild,  wie  es  in  den  beiden  ne- 
benstehenden Schnitten  (Abb.  5)  erscheint.  Das 
Porosfundament  besteht  aus  zwei  gleich  hohen 
Schichten,  deren  untere  über  die  obere  nach 
Westen  etwas  vorspringt  (5  bzw.  10  cm).  An  es 
ist  das  Fundament  der  Zeusstatue  nicht  ganz 
regelmäßig  angeschoben.  Bei  A'  klafft  in  der 
oberen  Schicht  sogar  ein  Spalt  von  10  cm 
Breite  zwischen  beiden.  Für  Gleichzeitigkeit 
beider  Anlagen  spricht  somit  nichts.  A.  von 
Gerkan  hat  mich  zwar  belehrt,  daß  auch  bei 
solcher  ein  Einbinden  gar  nicht  erwartet  werden 
dürfte,  weil  man  unbelastete  Fundamente  nicht 
mit  so  stark  belasteten  wie  dem  des  Zeusko- 
losses verankert.  Und  die  tiefere  Fundierung  Ab^-  5-  Längsschnitte  im  Fundament  der 
des  letzteren  erklärt  sich  ebenfalls  aus  der  grö- 
ßeren Schwere  des  Kultbildes.  Aber  man  würde 
bei  einheitlicher  Anlage  doch  deren  Bewerk- 
stelligung durch  weitere  Schichten  der  gleichen  Einheitsdicke  erwarten,  während 
im  vorliegenden  Fall,  die  untere  Schicht  des  Zeusfundamentes  erheblich  stärker 
ist.  Zudem  bestätigt  auch  die  Nachlässigkeit  des  Aneinanderstoßes  die  schon  ge- 
wonnene  Sicherheit,   daß  hier  zwei  getrennte  Bauperioden  vorliegen. 

Es  erhebt  sich  nunmehr  die  Frage,  warum  man  dies  komplizierte  Verfahren 
der  Einbettung  der  Kalksteinschienen  in  das  durchgeschichtete  Fundament,  das  die 
Weihgeschenke  tragen  sollte,  gewählt  hat.  Daß  die  Schienen  in  der  Tat  dazu  dienen 
sollten,   einen  festeren    Standplatz  für  die  Anatheme  abzugeben,  wird  daraus  deut- 


Cella  des  Zeustempels   in  Olympia  vor  dem 
phidiasischen  Kultbild. 


■)  Taf.    XU. 


aQ  Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias, 


lieh,  daß  sich  fast  nur  auf  ihnen  die  Vertiefungen,  Löcher  und  Erhöhungen,  auf 
denen  jene  standen,  finden.  Und  es  hieiJe  den  Tatbestand  unnötig  komplizieren, 
wenn  man  annehmen  wollte,  daß  auf  diese  Weise  nur  eine  eigentlich  für  andere,  uns 
unvorstellbare  Aufgaben  geschaffene  Anlage  ausgenutzt  worden  wäre.  Andererseits 
ist  es  ganz  natürlich,  daß  man  es  vorzog  die  Ränder,  Dübel  etc.  auf  dem  härteren 
Kalkstein  aufruhen  zu  lassen,  anstatt  auf  dem  bröckligen  Porös.  Aber  der  Grundsatz 
des  sparsamen  Umgehens  mit  dem  härteren  Material  kann  hier  wohl  kaum  für  die 
seltsame  Prozedur  maßgebend  sein.  Denn  die  Materialersparnis  war  verhältnismäßig 
gering  und  stand  in  keinem  Verhältnis  zu  der  mühevollen  Arbeit,  in  der  man  erst 
das  durchgehende  Porosfundament  verlegte,  dann  in  dies  die  schmalen  Kalkstein- 
reihen einfügte.  Wenn  man  dem  Porös  nicht  traute,  war  es  viel  einfacher,  anstelle 
von  dessen  oberer  Schicht  eine  durchgeführte  einheitliche  Kalksteinschicht  als  Stand- 
fläche für  die  Monumente  zu  legen.  Ist  hier  etwa  eine  Änderung  des  Programms 
während  des  Baues  eingetreten,  weil  man,  erst  nachdem  das  anfangs  als  Standplatz 
bestimmte  Porosfundament  schon  verlegt  war,  dies  nicht  mehr  für  genügend  er- 
achtete und  sich  dann  entschloß  die  Standfestigkeit  der  Monumente  durch  Ein- 
ziehung von  Kalksteinschienen  zu  verbessern.?  Aber  wäre  es  denn  nicht  auch  dann 
einfacher  gewesen  die  obere  Schicht  der  Porosplatten  wieder  wegzunehmen  und  an 
ihrer  Stelle  ein  durchgehendes  Kalksteinpaviment  zu  legen.?  Einen  Hinweis  in  anderer 
Richtung  gibt  jedoch  der  Rest  einer  andern  Anlage,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
der  des  Zeustempels  analog  ist. 

Es  handelt  sich  um  seltsame  Reste  im  Asklepiostempel  zu  Epidauros,  die  zwar 
im  Plan  des  großen  Ausgrabungswerkes  von  Kabbadias  ')  verzeichnet,  aber,  soweit 
ich  sehe,  bisher  ebenfalls  unerklärt  sind.  Die  Fundamente  dieses  Tempels  bestehen 
durchweg  aus  einem  sehr  weichen,  bröckligen  Porös.  In  der  östlichen  Ringhalle 
liegt  ein  Rost  aus  hartem,  rötlichen  Kalksteinblöcken,  die  an  der  Oberfläche  kleine 
rechteckige  Löcher  zur  Verdübelung  der  einst  auf  ihnen  ruhenden  Fußbodenplatten 
haben.  Die  gleichen  Befestigungslöcher  finden  sich  auch  auf  den  Steinen,  die  in  zwei 
Reihen  noch  erhalten  und  quer  gelegt  im  Pronaos  einst  ebenfalls  als  Rost  den  Fuß- 
boden hier  trugen  2).  Diese  Steine  aber  liegen  hier  nicht  in  ihrer  ursprünglichen  Ver- 
wendung. Sie  bestehen  aus  einem  ziemlich  harten  grauen  Kalkstein  und  sind  zu- 
sammengesetzt aus  Bruchstücken  drei  verschieden  breiter  Reihen  (86,  49,  32  cm). 
Dort  wo  die  breitesten  mit  den  schmälsten  jetzt  in  einer  Reihe  aneinanderstoßen, 
ist  durch  die  auf  den  Anstoß  gleich  breiter  Steine  berechnete  Anathyrose  der  ersteren 
die  zweite  Verwendung  deutlich.  Von  der  ursprünglichen  zeugen  auch  die  Löcher 
verschiedener  Größe,  ganz  der  Art,  wie  sie  an  den  Standplätzen  der  Anatheme  des 
Zeustempels  vorkommen.  Diese  Löcher  zeigen  entsprechend  der  jetzt  verschobenen 
Lage  nun  keine  Entsprechungen  mehr.  Sie  können  auch  deshalb  nicht  an  ihrer  jetzigen 
Stelle  entstanden  sein,  weil  dann  z.  B.  durch  das,  was  auf  diesen  Steinen  aufstand, 
der  Zugang  zum  Pronaos  verbarrikadiert  worden  wäre.  Es  handelt  sich  hier  also 
um  einen  Rest  eines  älteren  Bauwerkes.    Daß  in  diesem  die  Steine  rostartig  verlegt 

')  Fouilles   d'Epidaure,   Athen    1891   pl.   VI.  »)  Im   Plan  nicht  angegeben. 


Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias.  An 

waren,  lehrt  ihre  charakteristische  Zurichtung:  Glättung  der  Oberfläche,  sorgfältige 
Anathyrose  an  den  schmalen  Stoßseiten,  aber  nur  grobe  Zuspitzung  an  den  langen 
Nebenseiten.  Es  ist  das  ganz  dieselbe  Art  der  Herrichtung,  die  wir  von  den  zahl- 
reichen Rostfundamenten  für  Tempelfußböden  kennen,  und  eben  die  gleiche  zeigen 
auch  die  Kalksteinschienen  in  Olympia,  die  ebenfalls  nur  an  den  schmalen  Stoßseiten, 
wo  sie  aneinandertreffen,  Anathyrose  haben.  In  Epidauros  zeugen  die  Einlassungs- 
spuren auf  der  Oberseite  dieser  Rostbalken  davon,  daß  sie  ursprünglich  Monumente 
trugen.  Es  ist  also  hier  ganz  einfach  das  Prinzip  der  Rostfundamentierung  der  Tempel- 
fußböden für  die  Schaffung  von  festen  Standplätzen  für  Monumente  verwendet 
worden  ^).  War  auch  hier  wie  bei  jenen  zwischen  den  Steinreihen,  auf  denen  einzelne 
Weihgeschenke  standen  oder  über  mehrere  hinweggreifend  mit  ihren  Rändern  auf- 
ruhten, nur  eine  Erdfüllung  angebracht,  so  ist  dies  Verfahren  in  der  Tat  praktisch 
und  erlaubt  eine  erhebliche  Materialersparnis  gegenüber  einem  durchgeschichteten 
Steinfundament. 

Angesichts  dieser  Analogie  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  Kalksteinschienen 
in  Olympia  ebenfalls  ursprünglich  zu  einer  solchen  richtigen  Rostanlage  mit  Erd- 
füllung zwischen  den  Steinreihen  gehörten,  daß  sie  also  dem  Baumeister  des  Zeus- 
tempels bereits  gegeben  waren.  Diesen  älteren  Weihgeschenkrost  also  hat  er  ver- 
wendet und,  um  der  ganzen  Anlage  größere  Festigkeit  zu  geben,  in  ein  durchgehendes 
Porosfundament  eingebettet.  So  erklärt  sich  das  merkwürdig  komplizierte  System. 
Damit  nun  ist  gesagt,  daß  die  hauptsächliche  Anordnung  der  Weihgeschenke  bereits 
einer  älteren  Bauanlage  entstammen  muß,  aus  der  diese  mit  dem  Rost  übernommen 
wurden.  Daß  die  Anatheme  selbst  bereits  bei  der  Erbauung  des  großen  Zeustempels 
vorhanden  waren,  beweist  ja  schon  die  Anlage  eines  solchen  Weihgeschenkraumes 
an  sich.  Ich  stehe  nicht  an  als  ihren  Vorgänger  einen  richtigen  Rost  aus  den  hier 
verwendeten  Kalksteinschienen  anzusprechen,  der  in  dem  aus  allgemeinen  Gründen 
vorauszusetzenden  vorlibonischen  Zeustempel,  dessen  Reste  sich  in  der  Tiefe  unter 
dem  erhaltenen  Bau  befinden  mögen,  bereits  die  gleiche  Aufgabe  zu  erfüllen  hatte. 
Schon  dort  also  waren  in  einem  einheitlichen  Raumabschnitt  Weihgeschenke  zu- 
sammengestellt. War  dieser  vorlibonische  Tempel  der  erste,  so  mögen  das  Dinge 
gewesen  sein,  die  vor  seiner  Erbauung  an  seiner  Stelle  im  Bezirk  aufgestellt  waren. 
War  er  nicht  der  erste,  so  konnte  das  hier  einheitlich  Angeordnete  in  einem  Vorgänger 
frei  verteilt  und  sukzessive  gestiftet  sein. 

Daß  es  sich  bei  solchen  Gedankengängen  nicht  um  müßige  Spekulationen 
handelt,  zeigt  die  ganz  auffallende  Analogie  zu  der  einheitlichen  Aufstellung  von 
Weih<;,eschenken  in  einem  Raumabschnitt  des  Tempelinnern,  die  sich  im  Heräon 
von  Olympia  erhalten  hat.  Von  diesem  Bau  wissen  wir  jetzt,  daß  er  bereits  zwei 
ältere  Vorgänger  gehabt  hat.  In  dem  erhaltenen  Tempel  nun  findet  sich  ein  im  Prin- 
zip ganz  gleicher  Weihgeschenkraum  wie  im  libonischen  Zeustempel.  Ganz  wie  dort 
ist  im  Mittelschiff  der  Cella,  deren  Boden  im  übrigen  nur  einen  Estrichbelag  hatte, 
ein  besonderer  rechteckiger  Platz  in  ganzer  Mittelschiffsbreite  und  etwas  größerer 


■)  Die  Anlage '  dürfte  auch  hier  einem  auch  sonst  vorauszusetzenden  älteren  Asklepiostempel  entstammen. 


Aß  Karl  Lehmann-Hartleben,  Libon  und  Phidias. 

Länge  ebenfalls  ung^efähr  in  der  Mitte  zur  Aufnahme  einer  Reihe  von  Weihgeschenken 
einheitlich  durch  ein  Plattenpflaster  h^gerichtet  worden  ').  Es  ist  genau  die  gleiche 
Grundidee:  Hier  wie  dort  wird  eine  Anzahl  bereits  vorhandener  Weihgaben  plan- 
mäßig im  Zentrum  des  Baus  versammelt.  Nach  dem  was  wir  vom  Heräon  wissen, 
kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  diese  Dinge  hier  bereits  aus  dem  älteren  Bau 
übernommen  wurden,  in  dem  sie  freilich  noch  frei  verteilt  gewesen  sein  können, 
wie  sie  jeweils  gestiftet  waren.  So  ergibt  sich  hier  naturgemäß  die  gleiche  geschicht- 
liche Begründung,  die  wir  aus  der  technischen  Herrichtung  für  das  System  des  Zeus- 
tempels erschlossen.  Es  handelt  sich  also  um  einen  alten  Brauch:  Angesammelte 
Weihgeschenke  werden  inmitten  eines  neuen  Hauses  auf  eigens  zugerichtetem  Platz 
angeordnet.  In  dieser  zentralen  Stellung  eines  Haufens  von  Anathemen  im  Gebäude 
liegt  ein  starker  Gegensatz  zu  der  beherrschenden  Rolle  des  Kultbildes,  zur  Ein- 
stellung der  ganzen  Bauidee  auf  dieses,  wie  sie  uns  die  auch  im  Rauminnern  herr- 
schende Harmonie  der  bau-  und  bildkünstlerischen  Ideen  im  Parthenon  zeigt.  An 
sich  läßt  die  hier  wieder  aufgezeigte  Verschiedenheit  der  libonischen  und  phidia- 
sischen  Bauepoche  des  Zeustempels  keine  sicheren  chronologischen  Schlüsse  über 
den  Abstand  beider,  über  die  immer  noch  umstrittene  Datierung  des  Zeusbildes 
zu.  Aber  wie  die  Verwendung  des  in  Athen  erst  an  den  Propyläen  auftretenden 
lokaleleusinischen  Steines,  in  der  noch  dazu  ein  doch  wohl  durch  die  Erfahrung 
geschaffenes  Hinausgehen  über  die  Berechnungen  bei  der  Parthenos  liegt,  für  das 
spätere  Datum  spricht,  so  tut  es  auch  dieser  innere  Gegensatz  der  Auffassung  vom 
Verhältnis  des  Kultbildes  zum  Raum.  Was  im  Parthenon  neu,  großzügig  und  ein- 
heitlich erprobt  wird,  wird  hier,  soweit  es  das  Vorhandene  erlaubt,  angestrebt.  Dort 
verrät  sich  ein  einheitHches  System,  in  dem  sogleich  bei  der  Anlage  des  Baues  die 
Rücksicht  auf  das  Kultbild  sich  durchsetzt.  Gleich,  wenn  man  die  Cella  betritt, 
steht  man  ihm  gegenüber  und  der  Raum,  in  dem  der  Gläubige  der  Göttin  naht,  ist 
nicht  nur  durch  die  seitlichen  Säulenreihen,  sondern  auch  durch  die  Herumführung 
derselben  hinter  der  Statue  als  Einheit  im  ganzen  konzipiert.  Hier  aber  wird  es 
nötig  das  dort  Erreichte  mühsam  zu  schaffen.  Die  alten  Weihgeschenke,  die  den 
zentralen  Raum  im  Hause  des  Gottes  füllten^  müssen  herausgeschafft  werden,  damit 
der  Gott  selbst  zur  Herrschaft  im  Räume  gelangt.  In  der  langen  Cella  war  ein  zu 
großer  Vorraum  übrig,  der  in  langsamer  Annäherung  die  bestimmte  Größenwirkung 
des  Bildes  beeinträchtigt  hätte.  Deshalb  ist  dies  nicht  gleich  von  der  Tür  aus  sicht- 
bar, sondern  erst,  wenn  man  eine  zweite  durchschritten  hat,  die  in  das  ins  Haus 
des  Gottes  eingebaute  Haus  des  Bildes  führt.  So  trägt  Phidias  hier  neue  Raum-  und 
Bildideen  von  der  Akropolis  in  den  alten  dorischen  Bau  von  Olympia  in  derselben 
Zeit,  in  der  sein  großer  Mitarbeiter  Iktinos  die  großen  raumschöpferischen  Ideen, 
die  das  perikleische  Athen  am  Parthenon  und  den  Propyläen  verwirklicht  hatte, 
ins  Herz  des  Peloponnes  nach  Bassai  trug,  wo  sie  sich  auch  mit  uralten  Traditionen 
siegreich  auseinandersetzten. 

Berlin.  Karl  Lehmann-Hartleben. 

«)  Dörpfeld  a.  a.  0.   34  und  Taf.   XVIII. 


Jahrbuch  des  Instituts  XXXVIII/IX  192; 


1.  Vom  Asklepiostempel   in  Epidauros. 

2.  Statue  der  Leda. 


^   l. 


Ü^ 


F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe.  ^g 

DER  MEISTER  DER  NIOBEGRUPPE. 

Mit  Beilage  I. 

Die  Geschichte  von  der  Bestrafung  der  Niobe  hat  die  griechische  Kunst  von 
früh  an  beschäftigt.  Der  älteren  Kunst  bot  sie  willkommenen  Stoff  zur  Darstellung 
einer  bewegten  Handlung.  Der  Akt  der  Vollstreckung  des  Strafgerichtes  ist  ge- 
schildert. Die  das  Gericht  vollziehen,  Apollon  und  Artemis,  und  die  ihm  zum  Opfer 
fallen,  die  Kinder  der  Niobe,  sind  dargestellt.  Auf  einem  archaischen  schwarz- 
figurigen  Vasenbilde ')  erscheint  auch  Niobe  selbst,  aber  sie  figuriert  nur  ganz  äußer- 
lich in  der  Rolle  der  Mutter  der  Kinder  als  Gegenstück  zu  Leto,  der  Mutter  der  beiden 
Götter.  In  den  Darstellungen  des  5.  Jahrhunderts  finden  wir  sie  ganz  fortgelassen, 
weder  das  Bild  auf  der  Rückseite  des  Argonautenkraters  ^)  zeigt  sie,  noch  die  in 
dem  Petersburger  Friese  und  den  übrigen  von  der  gleichen  Vorlage  abhängigen  Re- 
liefs enthaltene  Komposition,  die  Sieveking  und  Buschor  auf  die  Darstellung  des 
Phidias  am  Thron  des  olympischen  Zeusbildes  zurückgeführt  haben  3).  In  dieser 
hat  Niobe  jedenfalls  gefehlt,  nach  dem  Wortlaut  der  Beschreibung  bei  Pausanias 
V  II,  2  Niößr^;  Tou?  TraiS«?  'AtoXXcuv  xaTatoJsuouai  xoti  'Aptsiitj,  die  etwa  als  nur 
summarisch  und  daher  für  diese  Einzelheit  nicht  beweisend  zu  nehmen,  die  Genau- 
igkeit, mit  der  der  gesamte  Thronschmuck  in  allen  seinen  Teilen  beschrieben 
ist,  ausschließt.  Hiernach  wird  das  gleiche  auch  für  die  aus  etwa  derselben  Zeit  stam- 
mende Gruppe,  zu  der  die  Niobide  desMuseo  nazionale  in  Rom 4)  und,  wie  man  meint, 
zwei  weitere  als  Niobiden  gedeutete  Figuren  gehört  haben  5),  anzunehmen  sein,  um 
so  wahrscheinlicher,  wenn  die  Stücke  richtig  als  Reste  einer  Giebelgruppe  erklärt 
worden  sind  ^).  Denn  für  solche  würde  eine  Darstellung,  in  der  die  beiden  Gottheiten, 
wie  Athena  und  Poseidon  im  Parthenonwestgiebel,  nur  in  umgekehrter  Richtung 
nach  außen  gewendet,  die  Mitte  einnelimen  und  die  hinsinkenden  Niobiden  die  Flügel 
ausfüllen,  eine  der  Fläche  aufs  beste  sich  einfügende  Komposition  ergeben,  in  der 
aber  Niobe  selbst  keine  Stelle  fände  ^). 

Mit  der  Schilderung  der  zwei  Parteien  der  Vernichter  und  der  Unterliegenden 
halten  sich  diese  Bilder  der  Behandlung  der  Aufgabe  nach  im  Charakter  der  Kampf- 
darstellung. Werke  wie  der  Athena-Nikefries  oder  der  Theseionfries  lassen  sich  am 
nächsten  vergleichen.  Wie  bei  diesen  handelte  es  sich  den  Künstlern  auch  hier  vor 
allem  um  ein  reichstes   Entfalten  mannigfaltiger  Bewegungsmotive. 

Ganz  anders  ist  das  Thema  in  der  großen  Gruppe  gefaßt,  von  der  wir  in  den 
Florentiner  Statuen  eine  fast  vollständige  Kopie  besitzen.     Nur  die  Unterliegenden 


■)  Ant.  Denkm.  I  Tat.  22.   Loeschcke,   J.    d.   I.   II  *■)   Furtwängler,     Sitzgsber.     d.    bayer.    Ak.     1899, 

1887    275.  279;  1902,  443.     Sauer,  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst 

>)  Mon.  deir  inst.  XI  Taf  40.  XXII  135. 

3)  Münchener  Jahrbuch  der  bildenden  Kunst  1912,  ')  Auch    die    Niobidendarstellung    in  der     Höhle 
138  ff.  oberhalb  des  athenischen  Dionysostheaters  scheint 

4)  Bulle,   Der  schöne   Mensch,    Taf.    149.      Kunst-  nach  der   Beschreibung  bei   Pausanias    I   21,    17 
geseh.  i.  B.  250,  3.  '  Anokluiw  hk  h  aüxm  zat  "Afj-e|ii;  roü;  zaioa?  cbiv 

5)  Bulle,  Taf.   172.  ävatpoüvTE;  to~j;  Niößr,?  in  diese  Reihe  zu  gehören. 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts.    XXXVI[I/IX  1923/24-  4 


cQ  F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe. 

sind  dargestellt,  wie  sie  den  Geschossen  der  unsichtbar  in  der  Höhe  waltenden  Rächer 
zum  Opfer  fallen.     In  ihrer  MitL>  aber  steht  die  Mutter.    Zu  ihr  streben  die  Kinder 
hin,  um  sich  bei  ihr  zu  bergen.    Damit  ist  der  mythische  Vorgang  in  das  rein  Mensch- 
liche hinübergeführt,  der  Untergang  eines  reichsten  Familienglückes  zum  eigentlichen 
Gegenstand  der  Darstellung  geworden.     Finden  die  früheren  Darstellungen  in  den 
Kampfbildern  ihre  nächsten  Analogieen,  so  berührt  sich  diese  am  meisten  mit  den 
Familienbildern  der  attischen  Grabreliefs  des  vierten  Jahrhunderts.    Was  von  Leid 
frühen    Hinsterbens,    von    Schmerz    einsam    Zurückbleibender    auf    bedeutendsten 
Bildern  dieser  Grabmäler  in  ergreifend  wirkender  Einzeldarstellung  zum  Ausdruck 
gebracht  ist,  erscheint  in  ihr  vervielfältigt  und  ins  Höchste  gesteigert.    In  dem  Maße, 
in  dem  der  Künstler  des  Vorbildes  der  Gruppe  die  Wirkung  überwiegend  in  die  Stärke 
des  seelischen  Ausdrucks  gelegt  hat,  ist  sein  Werk  hinter  den  älteren  Niobidendar- 
stellungen  in  der  Kraft  und  Mannigfaltigkeit  der  Bewegungswiedergabe  zurückge- 
blieben.    Gegenüber  der  Fülle  der  verschiedenartigen  Bewegungsmotive  in  den  Fi- 
guren des  Petersburger  Reliefs  gibt  sein  Bild  im  wesentlichen  nur  Variationen  ein 
und  desselben  Motives  und  erreicht  in  keiner  der  zahlreichen  Figuren  die  Lebendig- 
keit,   mit   der   in  der  Niobide   des    Museo   nazionale   das   momentane   Zusammen- 
brechen des  plötzlich  von  dem  tötlichen  Geschosse  getroffenen  Körpers  wiedergegeben 
ist.    Die  ganz  auf  das  Innerliche  gerichtete  Darstellung  der  Florentiner  Gruppe  gipfelt 
in   der  Leidensgestalt  der  Mutter.     Mit  ihr  gab  der  Künstler  dem  vielbehandelten 
Thema  einen  neuen  Inhalt,  sie  bildet  den  großen  Mittelpunkt  des  Ganzen.    So  können 
wir  erwarten,  in  dieser  Figur  die  für  die  individuelle  Kunstart  des  Meisters  besonders 
charakteristischen    Züge   am   stärksten   und   vollständigsten   ausgeprägt   zu   finden. 
Von  ihr  wird   daher  für  einen  Versuch  der  Ermittelung  des  Künstlers  auszugehen 
sein,  und  wenn  sich  ein  anderes  der  Zeit  und  dem  Künstler  nach  genauer  bestimmbares 
Werk  von  gleichem  oder  nahe  verwandtem  inneren  Gehalt  und  äußerer  Gestaltung 
finden  läßt,  so  werden  wir  mit  dessen  Hilfe  auch  am  sichersten  der  Lösung  der  viel 
und  sehr   verschieden  behandelten   Frage   nach   der  kunstgeschichtlichen   Stellung 
der  Niobegruppe   näherzukommen  hoffen  dürfen. 

Ein  solches  Werk  liegt  uns  in  dem  nach  dem  Zeugnis  der  zahlreichen  erhal- 
tenen Kopien  im  Altertum  hochgeschätzten  statuarischen  Bilde  der  Leda  mit  dem 
Schwan  vor  (Eeil.  I  2),  das  die  Verwandtschaft  mit  den  Epidaurosskulpturen  (Beil.  I  l), 
als  Werk  des  Timotheos  hat  erkennen  lassen').  Verfolgt  von  dem  Adler,  der  un- 
sichtbar in  der  Höhe  gedacht  ist,  wie  die  göttlichen  Verfolger  in  der  Niobegruppe, 
flüchtet  sich  der  Schwan  in  den  Schooß  der  Leda.  Sie  drückt  ihn  an  sich  und  zieht 
den  Mantel  von  der  Schulter  empor,  um  ihn  schützend  über  das  Tier  zu  breiten.  In 
der  Entblößung  der  rechten  Körperseite  erscheint  ein  sinnlich  erotischer  Zug  leise 
angedeutet,  aber  er  wird  kaum  vernehmbar,  übertönt  von  dem  Motiv  mütterlichen 

')  Winter,  A.  M  XIX  1894,  157  fi.   Amelung,  Basis  seums.       Heibig,    Führer    1   Nr.    467.    —    Die 

des     Praxiteles     69.     Furtwängler,    Münchener  Klischees      für     die     der    Kunstgeschichte    in 

Sitzungsberichte    1903,    439.     Die  beste   Kopie  Bildern    Heft    10  entnommenen  .\bbildungen  i, 

ist     die     Statuette     des     kapitolinischen      Mu-  2,  4,  6,  7,  8    der  Beilage  hat    der  Verlag  Alfr. 

Kröner  gütigst  zur  Verfügung  gestellt. 


F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe.  c  j 


Behütens,  auf  dem  die  Darstellung  aufgebaut  ist,  demselben  Motiv,  das  wir  in  der 
Gestalt  der  Niobe  ins  Tragische  gesteigert  sehen  (Beil.  I  4).  Niobe  hat  das  jüngste  der 
Kinder,  die  alle  auf  sie  hineilen,  um  bei  ihr  Schutz  zu  suchen,  an  sich  gerissen  und 
sucht  es  in  ihrem  Schooße  zu  bergen.  Der  dramatischeren  Situation  entspricht  der 
erregtere  Ausdruck  der  Gesichtszüge,  die  bewegtere  Haltung  des  Körpers.  Die  so 
viel  mächtigere  matronale  Gestalt  der  Niobe  beugt  sich  ausschreitend  weiter  vor 
und  die  Glieder  greifen  leidenschaftlicher  aus,  aber  die  Bewegung,  durch  dieselbe 
Handlung  der  Abwehr  gegen  die  von  oben  kommende  Gefahr  bedingt,  ist  beide  Male 
die  gleiche.  In  demselben  Verhältnis  wie  durch  den  inneren  Gehalt  stehen  die  beiden 
Figuren  in  der  äußeren  formalen  Ausführung  zusammen.  Das  zeigt  am  deutlichsten 
die  Gewandbehandlung  in  der  Art,  wie  das  Gewand  die  Glieder  umschheßt  und  zu- 
gleich in  breiten  Massen  vom  Körper  sich  ablöst  und  neben  ihm  niederfällt.  Nur  sind 
die  Faltenzüge  an  der  Niobe  gedrängter  und  in  der  Linienführung  weniger  schmieg- 
sam. 

Die  Vergleichung  wird  dadurch  beeinträchtigt,  daß  die  in  den  Florentiner 
Statuen  erhaltene  Kopie  der  Niobegruppe  eine  recht  geringe  Arbeit  ist.  Wie  weit 
sie  hinter  dem  ihr  zugrunde  liegenden  Original  an  Reichtum,  Feinheit  und  Leben- 
digkeit der  Formengestaltung  zurückbleibt,  wie  frei  sich  abet  der  Kopist  andrerseits 
auch  von  jeder  eigenen  Zutat,  von  jedem  Hineintragen  fremder  Züge  gehalten  hat, 
dafür  bieten  griechische  Originalwerke  den  sicheren  Maßstab.  Für  den  Kopf  der 
Niobe  macht  es  der  von  Wolters  und  anderen')  als  nahe  verwandt  verglichene  weib- 
liche Kopf  vom  Südabhang  der  Akropolis  (Beil.  I  3)  bis  ins  einzelne  erkennbar,  für 
die  Gewandbehandlung  läßt  es  das  Grabmal  des  Aristonautes  (Beil.  T  6)  ähnlich  be- 
stimmt feststellen,  denn  dessen  Figur  steht  mit  der  Niobegruppe  in  nicht  weniger 
engem,  auf  gleichen  Ursprung  führenden  Zusammenhang  als  jener  weibliche  Kopf. 
Pathetisch  aufwärtsblickend,  in  der  gleichen  in  steiler  Schräge  gehaltenen  Bewegung 
über  ansteigenden  Felsenboden  hinschreitend  sieht  die  Figur  aus,  als  wäre  einer  der 
Niobiden  aus  der  Gruppe  herausgenommen  und  zum  Krieger  ausstaffiert  in  die  Grab- 
ädikula  hineingestellt.  Das  Gewand  des  Aristonautes,  wie  es  über  den  Körper 
gespannt  und  daneben  in  den  Körperkontur  begleitenden  Faltenzügen  hingebreitet 
ist,  führt  unmittelbar  auf  die  Gewandstilisierung  der  Epidaurosskulpturen  zurück, 
zeigt  diesen  gegenüber  nur  eine  straffere,  mehr  ins  große  gehende,  man  möchte  sagen, 
eine  festere  Hand  verratende  Führung  der  Linien.  Ebenso  verhält  sich  das  Gewand 
der  Niobe  zu  dem  der  Ledastatue.  Wir  sehen  an  Werken,  die  auf  das  engste  mit- 
einander verbunden  sind,  ein  Fortschreiten  des  formal  künstlerischen  Gestaltens, 
das  dem  an  denselben  Werken  auffälliger  und  eindringlicher  sich  bekundenden  Fort- 
schreiten von  gehaltener  zu  stark  pathetischer  Darstellung  entspricht.  Die  Epi- 
daurosskulpturen und  die  Ledastatue  zeigen  ein  künstlerisches  Schaffen  auf  früher 
Stufe,  das  in  der  Niobe  und  dem  Aristonautes  zu  der  vollen  Reife,  zu  der  Höhe  seiner 
Entwicklung  gelangt  erscheint. 

Nun  hat  der  Meister  der  Epidaurosskulpturen,  Timotheos,  in  späteren  Jahren 


'1  Springer-Michaelis,    Handbuch"    32S. 

4' 


£2  F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppc. 

am  Mausoleum  von  Halikarnaß  mitgearbeitet.  Ihm  sind  schon  von  Brunn  ')  und 
neuerdings  auf  Grund  einer  Vergleichung  mit  den  Epidaurosskulpturen  von  Wolters 
und  Sieveking2)  die  Friesplatten  1007,  1008,  lOii,  1012  (J.  d.  I.  XXIV  1909, 
Beil.  I,  Kunstgeschichte  in  Bildern  304,  305  obere  Reihe)  zuerkannt  worden. 
Die  Zuteilung  gründet  sich  auf  den  übereinstimmenden  Pferdetypus  und  findet  ihre 
festeste  Stütze  in  der  Gewandbehandlung,  die  deutlich  auf  die  der  Epidaurosskulp- 
turen zurückweist,  diese  fortgebildet  zeigt.  Worin  sie  sich  aber  von  ihr  unterscheidet, 
in  der  strafferen  Zeichnung  der  Falten,  durch  die  das  Gewand  lockerer  aufliegend, 
nicht  mehr  in  dem  Maße  wie  dort  dem  Körper  wie  naß  angeschmiegt  erscheint, 
stimmt  sie  mit  der  Niobe  und  der  Figur  des  Aristonautes- Grabmales  überein.  Für 
den  daraus  sich  ergebenden  Zusammenhang  zwischen  diesen  und  den  Mausoleums- 
platten liefert  eine  direkte  Vergleichung  genauere  Erkennungsmerkmale  und  die 
bestimmtere  Begründung.  Die  den  Pfeil  abschießende  Amazone  40  auf  Platte  1007 
(Beil.  I  5)  hat  mit  den  beiden  nach  rechts  hin  eilenden  älteren  Niobetöchtern  nicht 
nur  das  Bewegungsmotiv  gemein.  Hier  ist  die  Übereinstimmung  der  Gewanddar- 
stellung besonders  auffällig.  Es  ist  derselbe  Zug,  dieselbe  Gruppierung  der  Falten. 
Denkt  man  sich  das  kurze  Gewand  der  Amazone  bis  zum  Boden  verlängert,  so  erhält 
man  ein  den  beiden  Niobidenfiguren  völlig  entsprechendes  Bild,  dem  in  dem  schal- 
artig übergeworfenen  und  nach  hinten  zurückwehenden  Mantel  auch  das  besondere 
Motiv  der  horizontalen  Überschneidung  der  vertikal  über  den  Körper  hingeführten 
Faltenlinien  nicht  fehlt.  Daß  das  in  unnatürlich  hoher  Wölbung  aufgebauschte 
Gewand  der  ins  Knie  gesunkenen  Amazone  48  (Platte  1012)  an  dem  Akroterien- 
fragment  vom  epidaurischen  Ostgiebel  Nr.  167  (Cavvadias,  Fouilles  d'  £pidaure 
Taf.  XI  19)  seine  nächste  Analogie  findet,  haben  Wolters  und  Sieveking  mit  Recht 
für  die  Zuweisung  der  Friesstücke  an  Timotheos  geltend  gemacht.  Das  Motiv  kehrt  in 
dem  Florentiner  Exemplar  der  einen  älteren  Niobide  3),  hier  an  dem  unteren  Gewandende 
über  dem  vorgesetzten  linken  Fuß,  entsprechend  und  auf  eine  Umbiegung  des  Saumes 
reduziert  an  dem  rechten  Fuße  derselben  Figur  ganz  ähnlich  wie  an  den  beiden  schwe- 
benden Figuren  von  Epidauros,  Cavvadias  Taf.  IX  15  (K.  i.  B.  298,  3)  und  17  wieder. 
Von  allen  Friesplatten  des  Mausoleums  zeigen  diese  dem  Timotheos  zugeschrie- 
benen am  wenigsten  Abwechslung  in  der  Bewegung.  Auch  das  teilen  sie  mit  der  Niobe- 
gruppc, deren  Meister  gerade  hierin  eine  ebenso  auffallend  geringe  erfinderische 
Kraft  verrät.  Und  es  ist  hier  wie  dort  dasselbe  Motiv  des  wie  in  Ausfallstellung  schräg- 
linigen  Hinschreitens,  das  mit  leichten  Variationen  nur  in  der  Lebhaftigkeit  der 
Bewegung  gleichförmig  wiederholt,  in  dem  Friesbilde  nur  durch  die  sehr  bezeich- 
nenderweise im  Aufbau  wenig  gelungene  4)  Gruppe  der  Figuren  47 — 49  auf  Platte 
1012  unterbrochen  ist.  In  dem  gleichen  Motiv  ist  auch  die  Figur  des  Aristonautes 
gehalten.  Sie  verhält  sich,  nach  der  Bewegungsdarstellung  beurteilt,  grade  so  zu 
dem  Friese  wie  die  Niobegruppe.     Für  sie  aber  ergibt  eine  der  Figuren  des  Frieses, 

')  Brunn,  Kleine  Schriften  II  357.  loio,    1016,    1017   an   Timotheos  sehe    ich   ab. 

^)  J.  d.  I.  XXIV  1909,  186.  Von  der  mir  zweifelhaft        3)  Sieveking-Buschor,  Münch.  Jahrb.  d.bild.  Kunst 
bleibenden    Zuteilung    auch    der    Platten    1006  1912,   127  Fig.  11. 

*)  Wolters- Sieveking  a.  a.  O. 


F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe.  cj 


die  des  Kriegers  38  am  linken  Ende  der  Platte  1007  (Beil.  I  5),  die  genauere  Bestimmung 
dieses  Verhältnisses:  wie  am  Aristonautes  greift  der  rechte  Arm  mit  starker  Biegung 
der  Schulter  über  die  Brust  herüber  und  ist  der  linke  den  Schild  haltende  Arm  eng 
an  den  Körper  angelegt  und  von  dem  über  die  Schulter  hängenden  Mantelstück 
bedeckt,  das  bis  zum  unteren  Schildrand  hingeführt  einen  den  Körperkontur  in  glei- 
cher Schwingungslinie  begleitenden  Streifen  bildet.  Die  Übereinstimmung  geht  bis 
in  die  einzelnen  Linienzüge  hinein. 

Die  Vergleichungen,  die  wir  anstellen  konnten,  führen  von  verschiedenen 
Seiten  her  zu  demselben  Ergebnis.  Die  Niobe  zeigt  die  Kunst  des  Meisters,  der  die 
Ledastatue  geschaffen  hat,  in  reicherer  und  reiferer  Entfaltung.  Bezeugte  Werke 
aus  der  Frühzeit  dieses  Meisters  besitzen  wir  in  den  Epidaurosskulpturen,  solche 
aus  seinem  späteren  Schaffen  sind  unter  den  Mausoleumsfriesen  enthalten,  mit  Hilfe 
der  Epidaurosskulpturen  genauer  nachweisbar.  Sie  zeigen  diesen  gegenüber  eine 
fortgeschrittene  Behandlung  derselben  Art,  wie  sie  die  Niobe  der  Ledastatue  gegen- 
über aufweist,  und  sichern  damit  die  aus  der  Vergleichung  mit  der  Leda  sich  dar- 
bietende Bestimmung  der  Niobegruppe  als  Schöpfung  des  Timotheos. 

In  der  literarischen  Überlieferung  ist  Timotheos  nur  wenig  und  nicht  unter 
den  Meistern  ersten  Ranges  genannt.  Aber  daß  er  zu  seinen  Lebzeiten  in  Ansehen 
gestanden  hat,  beweist  seine  Berufung  zur  Mitarbeit  am  Mausoleum.  In  den  vier  Bild- 
hauern, die  an  diesem  größten  Monumentalwerk  dekorativer  Skulptur,  das  im  vierten 
Jahrhundert  geschaffen  ist,  gemeinsam  tätig  gewesen  sind,  waren  zwei  Künstler- 
generationen, in  Timotheos  und  Skopas  eine  ältere,  in  Leochares  und  Bryaxis  eine 
jüngere  vertreten.  Vermutlich  werden  die  letzteren  als  Schüler  der  beiden  älteren 
mitgezogen  sein  ').  Mag  nun  deren  Auswahl  wie  immer  erfolgt  sein,  die  Vereinigung 
der  beiden  führt  darauf,  daß  sie  sich  in  der  Art  und  Richtung  ihres  künstlerischen 
Schaffens  nahegestanden  haben.  Und  davon  geben  ja  die  erhaltenen  Friese  des 
Mausoleums  deutlichstes  Zeugnis.  Erst  genauer  eindringender  Betrachtung  sind  die 
Verschiedenheiten  der  im  großen  Ganzen  wie  eine  Einheit  erscheinenden  Bilder 
gewahr  geworden.  Die  dem  Skopas  zugehörigen  Platten  (daraus  Beil.  '  7)  sind  den 
übrigen  und  namentlich  den  auf  Timotheos  zurückführbaren  an  Kraft  und  Lebendig- 
keit der  Schilderung,  an  Schärfe  der  Charakterisierung  überlegen.  Die  Darstellung 
auf  den  Timotheosplatten  hält  sich  mehr  im  Typischen  und  erreicht  ihre  Haupt- 
wirkung durch  eine  gleichmäßig  durch  das  Ganze  hinschwingende  rythmische  Glie- 
derung. Wo  ein  anderer  Ton  angeschlagen  ist,  wie  in  der  Gruppe  47 — 49  (Platte  1012), 
mit  der  etwas  wie  von  der  stürmischen  Heftigkeit  der  Skopasischen  Schilderung 
in  das  Bild  übertragen  scheint,  wirkt  diese  Durchbrechung  wie  eine  Dissonanz.  Beide 
Darstellungen  sind  pathetisch.  Aber  dem  starken  innerlichen  Pathos  der  Skopasischen 
Gestalten,  das  nur  in  den  Gesichtszügen  heraustritt,  nicht  dagegen  auch  in  der  Körper- 
bewegung, die  bei  jeder  einzelnen  Figur  vielmehr  rein  aus  der  jedesmaligen  Hand- 
lung heraus  entwickelt  ist,  steht  in  den  Figuren  des  Timotheos  ein  mehr  äußerliches, 
auch  in  den  Bewegungen,    in  deren  schwingendem  Rythmus  ausgedrücktes  Pathos 

')  A.    M.    XIX  1894,    162, 


CA  F,  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe. 

gegenüber  (vgl.  namentlich  Fig.  35,  36  auf  PI.  1015  mit  Fig.  50,  51  auf  PI.  1012). 
Dieses  äußerliche,  über  das  Ganze  der  Darstellung  ausgebreitete,  verallgemeinernde 
Pathos  kommt  in  der  Niobegruppe  zu  gesteigertem  Ausdruck.  Von  ihm  ist  ebenso 
die  Gestalt  des  Aristonautesgrabmals  bewegt.  Ein  Blick  von  dieser  hin  zu  dem  Jüng- 
ling auf  dem  Grabmal  vom  Ilissos  (Beil.  I  8),  der  ohne  alle  Pose  in  der  Haltung,  mit 
dem  starken  Ausdruck  der  von  tief  innerlichem  Drang  bewegten  Gesichtszüge  für 
die  Skopasische  Art  der  Wiedergabe  des  TjÖo;  xrfi  '\"r/%? ')  ein  besonders  charak- 
teristisches und  bedeutendes  Beispiel  bietet,  kann  die  Verschiedenheit  der  beiden 
Arten  pathetischer    Darstellung  deutlicher  machen. 

Auf  der  Nichtbeachtung  dieser  Verschiedenheit  beruht  es,  wenn  gerade  in  dem 
Aristonautes  ein  Werk  des  Skopas  hat  gesucht  werden  können  *).  Das  hat  seine 
genaue  Parallele  in  dem  antiken  Bestimmungsversuch  der  Niobegruppe,  von  dem 
wir  aus  Plinius  XXXVI  28  hören,  wo  die  Gruppe  als  Beispiel  dafür  angeführt  ist, 
daß  von  manchen  nach  Rom  überführten  griechischen  Werken  die  Kenntnis  der 
Künstler  abhanden  gekommen  sei.  Den  einen,  heißt  es  da,  gelte  die  Gruppe  als  praxi- 
telisch,  andere  schrieben  sie  dem  Skopas  zu.  Offenbar  war  hier  einer  populären  Be- 
zeichnung, und  als  diese  gibt  sich  ohne  weiteres  die  Taufe  des  Werkes  auf  den  Namen 
des  allen  bekannten  und  berühmtesten  Meisters  Praxiteles  zu  erkennen,  ein  Kenner- 
urteil gegenübergetreten.  Die  Rückführung  auf  Skopas  war  die  besser  begründete, 
sie  traf,  grade  so  wie  die  moderne  Rückführung  des  Aristonautes  auf  denselben  Künst- 
ler, die  Richtung,  trug  aber  dem  innerhalb  der  Richtung  verschiedenartig  zur  Ent- 
wicklung Gelangten  nicht  Rechnung  und  traf  so  mit  der  Bestimmung  des  Meisters 
nicht   ins   Ziel. 

Die  im  Vorstehenden  dargelegten  Zusammenhänge  der  Niobegruppe  mit  der 
Kunst  der  Mausoleumskulpturen,  auf  die  schon  Friederichs 3)  als  ein  »Werk  ganz  ver- 
wandter Art«  hingewiesen  hat,  sind  mit  der  neuerdings  in  Aufnahme  gekommenen 
Datierung  der  Gruppe  in  hellenistische  Zeit  unvereinbar.  Auf  diese  einzugehen, 
erübrigt  sich  nach  der  gründlichen  Widerlegung,  die  sie  durch  Rodenwaldt 
R.  M.  XXXIV  1919,  53  ff.  erfahren  hat.  Nur  einer  der  gegen  die  Ansetzung  des 
Werkes  ins  vierte  Jahrhundert  erhobenen  Einwände,  »daß  die  Erfindung  einer  Gruppe, 
die  jedenfalls  die  malerische  Anordnung  auf  felsigem  Boden  voraussetzte,  keines- 
falls vor  die  hellenistische  Zeit  gesetzt  werden  dürfte«  (Wolters  bei  Springer-Michaelis  I" 
328),  gibt  uns,  da  er  die  vielerörterte  Frage  der  Komposition  der  Gruppe  betrifft, 
zu  einigen  weiteren  Bemerkungen  Anlaß. 

Die  Gruppe  hat  ihren  Mittelpunkt  in  der  auch  an  Größe  die  übrigen  überragen- 
den Figur  der  Mutter,  auf  die  die  Kinder,  soweit  sie  nicht  schon  den  Geschossen 
der  Götter  erlegen  oder  unter  ihnen  zusammenbrechend  dargestellt  sind,  von  beiden 
Seiten  zueilen.  Diese  Bewegung  von  zwei  Seiten  auf  eine  Mitte  hin  und  (wie  Sieve- 
king  und  Buschor  mit  Recht  hervorheben)  die  durchaus  auf  Eine  Ansicht  berech- 

')  Xcnophon,  Memorab.  III  10,  i.  280.      Bulle,  in  Brunn-Bruckmann,  Denkmäler 

')  Wolters.A.M.  XVIII 1893, 6  und  bei  Springer-Mi-  zu  Taf.  649,  Text   16. 

chaelis"    330.      Klein,   Griech.    Kunstgesch.    II        3)  Bausteine  245. 


F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe.  ce 

nete,  flächenhaft  gehaltene  Ausführung  ergibt  eine  reliefmäßig  vor  einem  geschlos- 
senen Hintergrund  hingeführte  Anordnung.  Die  frühere  Annahme  einer  Giebel- 
komposition ist  nach  ihrer  Ablehnung  durch  Friederichs  allgemein  aufgegeben. 
Aus  der  Zurichtung  der  Bodenflächen  als  felsiges  Terrain  und  aus  der  Bewegung 
mehrerer  Figuren,  die  mit  starkem  Schritt  hinaufschreitend  dargestellt  sind,  hat 
Friederichs  ')  die  Folgerung  einer  Anordnung  auf  nicht  horizontal  fortlaufender, 
sondern  auf-  und  absteigender  Fläche  gezogen:  »Die  Figuren  schreiten  mit  starkem 
Schritt  hinauf,  von  unten  nach  oben,  und  dies  Hinaufschreiten  kann  doch  nicht 
durch  einige  ihnen  in  den  Weg  geworfene  Steine  erklärt  werden,  vielmehr  müssen 
wir  eine  ansteigende  und  auf  der  anderen  Seite  abfallende  Fläche  voraussetzen,  auf 
deren  höchstem  Punkte  die  Mutter  steht«.  Nach  diesen  Worten  könnte  es  scheinen, 
als  habe  Friederichs  eine  ähnliche  Anordnung  im  Sinne  gehabt,  wie  sie  kürzlich  von 
Sieveking  und  Buschor  vorgeschlagen  und  in  einer  Rekonstruktionsskizze  verdeut- 
licht ist  2),  wonach  die  Figuren  auf  einer  in  Form  eines  flachen  Dreiecks  gestalteten 
Felsenbasis  von  beiden  Seiten  nach  der  Mitte  zu  aufgereiht  anzunehmen  wären. 
An  eine  derartige  Reihengliederung  aber  hat  Friederichs  doch  wohl  nicht  gedacht. 
Das  geht  aus  den  weiter  folgenden  Sätzen  hervor:  »Wir  erhalten  dadurch  eine  mehr 
malerische  Komposition  nach  Art  des  Farnesischen  Stiers,  einer  Gruppe,  die  freilich 
noch  weiter  nach  dieser  Richtung  geht.  ...  Es  ist  uns  aus  dem  Altertum  von  zwei 
Darstellungen  der  Niobiden  Kunde  erhalten,  von  denen  eine  und  vielleicht  auch  die 
andere  in  ähnlicher  Weise  aufgestellt  waren,  wie  wir  es  für  die  Florentiner  Gruppe 
annehmen.  An  den  Türen  des  palatinischen  Apollotempels,  den  Augustus  zu  Ehren 
des  Sieges  bei  Aktium  stiftete,  waren  auf  dem  einen  Flügel  die  vom  Scheitel  des 
Parnaß  herabgestürzten  Gallier,  auf  dem  andern  der  Tod  der  Niobiden  dargestellt. 
Die  Symmetrie  verlangt,  daß  wir  uns  die  Szene  des  Niobidenuntergangs  in  ähnlicher 
Weise  vorstellen,  wie  die  angeführten  Worte  für  das  Seitenstück,  die  Vernichtung 
der  Gallier  bei  ihrem  Angriff  auf  Delphi,  vorschreiben,  d.  h.  die  einzelnen  Figuren 
waren    malerisch    einen    Berg    hinan    aufgestellt«. 

Für  die  Bilder  an  den  Türen  des  Palatinischen  Tempels  ist  eine  in  die  Länge 
gezogene  Reihengliederung  durch  die  gegebene  Fläche  ausgeschlossen.  Daß  für  sie 
vielmehr  eine  mehr  oder  weniger  von  unten  nach  oben  gegliederte  Anordnung  an- 
zunehmen ist,  hat  Wolters  in  der  Neubearbeitung  der  »Bausteine«  durch  den  den 
Friederichsschen  Sätzen  zugefügten  Hinweis  auf  die  Niobidendarstellung  der  Marmor- 
scheibe des  Britischen  Museums  angedeutet. 

Über  die  mit  der  polygnotischen  Malerei  einsetzende  Ausbildung  der 
staffeiförmigen  Anordnung  der  Figuren  auf  und  vor  bewegtem  felsigen  Terrain  liegt 
uns  in  den  Vasenbildern  des  5.  und  4.  Jahrhunderts  das  reichste  Material  vor.  Wir 
verfolgen  ihre  Entwicklung  von  anfangs  lockerer  zu  gedrängterer  und  von  anfangs 
friesartig  gereihter  zu  geschlossener  auf  die  Mitte  gegliederter  Komposition.  Die 
Gigantenvase   aus  Melos  3)  (Abb.  1)  bietet   ein   der    Niobegruppe   zeitlich   und   mit 


■)  Bausteine  242  f.  3)  Vorlegebl.  VIII  7.    Furtwängler-Reichhold  Taf. 

2)  Münch.  Jahrb.  d.  bild.  Kunst  1912,  117;  1914,  200.  96,   97- 


56 


F.  Winter,  Der  Meister  der  Niobegruppe. 


der  Darstellung  der  von  der  Höhe  des  Olymp  die  Giganten  niederwerfenden  Götter 
gegenständlich  besonders  nahestehendes  Beispiel.  Hier  finden  wir  unter  den  Giganten, 
die  den  Abhang  erklimmen  und  der  von  oben  kommenden  Geschosse  der  Götter  sich 
erwehren,  die  genauen  Parallelen  zu  den  aufwärtsbewegten  Niobiden  der  Gruppe 
und  damit  bietet  sich  für  deren  ursprüngliche  Anbringung  ohne  weiteres  die  Er- 
klärung. Sie  sind  wie  die  Giganten  auf  dem  Vasenbild  in  einer  unteren  Reihe,  das 
Ganze  der  Gruppe  in  einer  dem  Vasenbilde  ähnlichen  Anordnung  zu  denken,  die 
die  Figuren  nicht  in  einer  langen  Flucht  nebeneinander,  sondern  auf  einer  in  Höhen- 
abstufungen gegliederten  Basis  staffeiförmig  geschichtet  zeigte.  So  rücken  die  Fi- 
guren in  der  Längs-  und  Höhenrichtung  zusammen  und  es  wird  ein  bildmäßig  ge- 


Abb.  I.     Gigantomachie  auf  einer  Amphora  aus  Melos. 


schlossener  Aufbau  erreicht,  wie  er  für  ein  nicht,  wie  der  Giebelschmuck,  einer  be- 
stimmten architektonischen  Gliederung  eingefügtes  und  damit  in  seiner  Ausdehnung 
von  vornherein  fest  umgrenztes,  sondern  als  Freigruppe  geschaffenes  Bildwerk  passend 
erscheint.  Vor  einer  Wand  aufgestellt,  die  die.  flächenhafte  Ausführung  der  Figuren 
als  durchlaufenden  Hintergrund  fordert,  mag  das  Werk  in  einer  vorn  offenen,  hallen- 
artigen Exedra  gestanden  haben,  wie  solche  für  große  statuarische  Gruppen  als  Ge- 
häuse errichtete  Exedren  in  Delphi  in  dem  Weihgeschenk  des  Lysander  und  in  dem 
Bau,  der  die  von  Krateros  geweihte  Löwenjagd  Alexanders  einschloß,  erhalten  sind. 
Läßt  sich  der  Nachweis  für  die  Anwendung  dieser  Art  in  der  Fläche  sich  aus- 
breitender Komposition  mit  gestaffelt  in  der  Vertikale  von  unten  nach  oben  über 
ein  ansteigendes  Felsenterrain  angeordneten  Figuren  in  der  Freiskulptur  aus  erhal- 
tenen Werken  nicht  erbringen,  so  macht  der  Einfluß,  mit  dem  die  Malerei  als  die  seit 
dem  ausgehenden  5.  Jahrhundert  führende  Kunst  auf  die  Skulptur  nachweislich 
gewirkt  hat,    ihre   Übernahme   in   diese   ohne   Weiteres   erklärlich.     Entwirklungs- 


Franz  Studniczka,  Imagines  iUustrium.  cy 

geschichtlich  aber  wird  sie  geradezu  gefordert  als  Vorstufe  für  die  Komposition 
der  Gruppe  des  Farnesischen  Stiers.  Deren  Aufbau  auf  dem  emporsteigenden  Felsen 
mit  den  in  verschiedenen  Höhenabstufungen  davor  und  darüberhin  in  Vertikal- 
gliederung verteilten  Figuren  bewahrt  alle  die  charakteristischen  Elemente  dieser 
Art  Anordnung,  gibt  im  Grunde  nichts  anderes  als  ihre  Übertragung  aus  der  Fläche 
in  die  Tiefendimension,  die  Umbildung  einer  ursprünghch  reliefartigen  Gruppen- 
anordnung in  die  Rundgruppe.  Steht  an  sich  der  feste  Entwicklungsgang  der  grie- 
chischen Kunst  der  Annahme  entgegen,  die  Komposition  der  Stiergruppe  könne 
unvorbereitet  als  freie  künstlerische  Erfindung  entstanden  sein,  so  ist  sie  in  der  Be- 
sonderheit ihres  Aufbaues  ohne  Vorstufe  vollends  undenkbar.  Diese  ist  aus  dem 
Gebiete  der  Malerei  in  dem  Bilde  der  Gigantomachievase  vorhanden,  in  der  Form 
vorhanden,  in  der  sie  durch  die  Stiergruppe  für  die  Skulptur  gefordert  wird.  Das 
Vasenbild  aber  liefert  in  den  mit  den  aufsteigenden  Niobiden  übereinstimmenden 
Giganten  für  die  Bewegungsmotive  dieser  isoliert  erhaltenen  Figuren  der  Niobegruppe 
die  Erklärung.  So  treffen  von  zwei  Seiten  her  die  Wege  zusammen,  die  zu  der  Rück- 
gewinnung von  deren  Komposition  hinführen.  Und  da  das  Vasenbild  die  Anwen- 
dung dieser  Komposition  in  der  Malerei  und  damit  auch  die  Möglichkeit  ihrer  Über- 
tragung in  die  Skulptur  für  das  vierte  Jahrhundert  bezeugt,  so  entfallen  alle  Be- 
denken, die  auf  Grund  der  »malerischen  Anordnung  auf  felsigem  Boden«  gegen  die 
Entstehung  der  Gruppe  in  dieser  Zeit  erhoben  worden  sind. 

Bonn.  F.    Winter. 


IMAGINES  ILLUSTRIUM. 

Mit  Tafel  II  u.  III. 

Was  für  ein  Buch  ich  unter  diesem  auf  die  Anfänge  der  neueren  Bildnisforschung 
zurückweisenden  Titel  herauszugeben  gedachte  und  was  daraus  an  einzelnen  Bei- 
trägen bis  1918,  mehr  oder  weniger  vorläufig,  bereits  veröffenthcht  war,  habe  ich 
damals  zu  Beginn  des  Schriftchens  »Das  Bildnis  Menanders«  in  Kürze  dargelegt '). 
Es  sieht  auch  heute  nicht  so  aus,  als  sollte  es  mir  noch  möglich  werden,  jenen  Plan 
durchzuführen.  Darum  beginne  ich  hier  mit  einer  Reihe  weiterer  Einzelbeiträge 
in  freier  Folge.  An  die  Spitze  treten  diejenigen,  die  zuletzt  Gestalt  gewonnen  haben. 
Vorangehen   sollte   ihnen   eigentlich   eine   Verteidigung   des   Ausgangspunktes    all 


')  Es   erschien   als    Sonderabdruck   aus    Ilbergs    N.  widern.  —  Einen  Beitrag  aus  der  Werdezeit  der 

Jahrbüchern  1918  XXI  i  ff.    Der  dort  gegebenen  ikonographischen     Forschung    im    Quattrocento, 

Übersiclit   meiner   ikonographischen   Beiträge   ist  der  in  der  Deutung  des  sogen.  Niccolö  da  Uzzano 

hinzuzufügen:  The  Sophocles  Statues   im    Journ.  auf   Cicero   gipfelt,    bringt   demnächst   die    Fest- 

of  hellen,  stud.   1923  XLIII  57  ff.    Auf  die  ver-  schritt  für  H.  Wölfflin,  in  ausführlicher  Neubear- 

blendete   und    unredliche   Entgegnung  Th.    Rei-  bcitung   des  Leipziger   Winckclmannblattcs   von 

nachs   ebenda  149  ff.  werde  ich  bald  daselbst  er-  19"  [Inzwischen  erschienen.] 


eg  Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 

meiner  einschlägigen  Arbeit,  eben  des  Menanderkopfes.  Denn  diesen  nach  meiner 
Überzeugung  festgelegten,  meist  auch  anerkannten  Eckstein  der  Kunstgeschichte 
hat  neuerdings  ein  Kenner  des  ikonographischen  Stoffes  wie  Lippold  kurzerhand 
beiseite  zu  schieben  versucht.  Lieber  setzt  er  das  vom  Geiste  des  frühen  Helle- 
nismus sprühende  Dichterbildnis,  an  dem  doch  unter  anderen  Julius  Lange,  bevor 
er  meine  Deutung  wußte,  den  von  Lysipp  ausgehenden  Stil  erkannt  hatte,  auf 
Grund  mittelmäßiger  Kopien  in  die  früheste  Kaiserzeit  und  erkennt  in  dem  vor- 
nehm schönen,  eleganten  Griechenkopfe  vielmehr  die  facies  rusticana  Vergils  '). 
Aber  diese  steht  an  der  beinahe  lebensgroßen  Mosaikgestalt,  deren  Kopf  ich  bald 
ausreichend  bekanntzumachen  hoffe,  doch  sehr  verschieden  gebildet  vor  uns  ^). 
Die  Deutung  Lippolds  taugt  meines  Erachtens  nicht  mehr,  als  die  mit  ihr  vorge- 
tragene des  einst  Seneca  genannten  struppigen,  angriffslustigen  Dichtergreises  (am 
ehesten  doch  Philemon),  von  dessen  fast  ebenso  zahlreichen  Wiederholungen  eine 
mit  Menander  die  Doppelherme  Albani  bildet,  auf  den  wenig  beachteten,  nicht 
alt  gewordenen,  melancholischen  Dichterphilosophen  Lucrez.  Beides  hat  denn 
auch  Poulsen  unlängst  in  seinen  «Ikonographischen  Miscellen«  widerlegt  3).  Leider 
tat  er  das  mit  irriger  Einschätzung  der  für  Menander  grundlegenden  Zeugnisse 
und  ohne  hinlängliches  Bewußtsein  davon,  wie  unwahrscheinlich  nach  der  gesamten 
Überlieferung  eine  Reihe  von  bald  vierzig  Wiederholungen  4),  davon  mindestens 
vier  aus  griechischen  Städten,  für  Vergil  ist.  Trotzdem  muß  ich  mich  vorerst  be- 
gnügen, auf  die  Widerlegung  Poulsens  hinzuweisen.  Denn  bevor  ich  dazu  selbst 
ausführlicher  das  Wort  nehme,  will  ich  noch  einmal  versuchen,  ob  sich  der  kopf- 
lose Hermenschaft  mit  der  Inschrift  MsvavSpoj  aus  Nemi  nicht  doch  noch  wieder- 
finden und  in  seine  Halsbettung  die  am  gleichen  Orte  gefundene  Wiederholung 
des  Menanderkopfes,  die  mir  seinerzeit  Amelung  in  Castel  Gandolfo  nachwies, 
einpassen  läßt;  die  Hoffnung  ist  freilich  nur  gering  5).  Heute  möchte  ich  dem  herr- 
lichen Kopfe  des  Meisters  der  neuen  Komödie  die  ganze  Gestalt  eines  etwas  jüngeren 
Sternes  der  frühhellenistischen  Dichtung  nachfolgen  lassen,  dies  freilich  nur  in 
kleinen,  späten  Nachbildungen. 

I.    DER  DICHTER  THEOKRITOS. 

Die  Quelle  für  dieses  Bildnis  liegt  auf  einem  sehr  ausgedehnten  Gebiet,  das 
aber  seiner  Natur  nach  nur  selten  ohne  weiteres  verwertbaren  Stoff  liefern  kann: 
in  der  mittelalterlichen  Buchmalerei  der  Handschriften  antiker  Schriftsteller. 
So  gewiß  nämlich  diese  Überlieferung  aus  dem  Altertum  herrührt,  so  sehr  ist  sie 

')  Lippold  in  den  R.  M.  1918  XXXIII  i  ff;   auch  schaft  der  Wissensch.  1921   IV  1,  25  ff. 

D.    Literaturzeitung    192 1,    204  f.     und    Kopien  4)  Zwei  neue  teilte  mir  Waldhauer  aus  seinen  erfolg- 

gr.  Statuen  92.  reichen    Nachforschungen    in    Petersburgs    Um- 

')  Die  Farbtafel  Gaucklers  Monum.  Piot  IV  Taf.  20  gebung  mit.   Das  eine,  aus  Gatschina,  bringt  sein 

genügt  nicht  ganz.     Den  Kopf  wiederholt  nach  Buch  Rimskaja  portretnaja  skulptura  v  Jermi- 

ihr  Heibig,   Führer '   I  zu  Nr.  536.  taze   1923,   98  Abb.  40. 

3)  Histor.-filolog.  Meddelelser  der  dänischen  Gesell-  5)  Bildnis  Men.  5. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


59 


oft  verkommen  oder  wenigstens  durch  den  Stil  späterer  Kunstepochen  verfärbt  '). 
Dennoch    sollte   auch  sie  für   unsere   Zwecke   umfassender   durchforscht   werden. 


Abb.  1.    Theokrit  weiht  dem  Pan  die  Syrinx.    Aus  der  gr.  Handschr.  2832  der  Pariser  Nationalbibliothek. 

Nach  Monum.  Piot  1905  XII  Taf.  12. 


Denn  daß  ihr  unter  günstigen  Umständen  Wertvolles  abzugewinnen  ist,  lehrt  der 


■)  Einige  Beispiele  bei  BernouUi,  Gr.  Ik.  II  I2i. 
146.  214  fl.  Die  von  Bernoulli  dem  146  be- 
sprochenen  Arat    gegebenen    Marmorköpfe    sind 


jetzt  als  Chrysipp  erwiesen,  dank  besonders 
V.  Prott  (A.  M.  1902  XXVII  297  ff.).  Zuletzt 
Poulsen,  Ikon.  Mise.   7  ff. 


60 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


in  Rede  stehende  Fall,  von  dem  etwas  kürzer  schon  auf  der  Festgabe  zur  Winckel- 
mannsfeier  des  Archäologischen  Seminars  in  Leipzig  1922  gehandelt  wurde. 

Mit    den  Scholien  zu  Theokrit    nach  den  Einleitungen  überliefert  und  von 
dort  in  die  Anthologie  aufgenommen  ist  das  Epigramm  ') : 

'AXXo;  6  Xiof  £Yu)  8e  Osoxpito;  8;  täS'  e^paij^a 
SIC  dm  Ttöv  TioXXuiv  Et'[j,t  Supr,xoat'u)v  usw. 

Es  war  mir  sehr  bestechend,  wenn  Bethe  diese  Verse,  als  Zutat  eines  Spätem,  von 
dem  in  einem  Titelbilde  persönlich  gegenwärtigen  Dichter  gesprochen  dachte  ^). 
Doch  scheint  mir  nach  den  Ausführungen  Immischs  ernstlich  in  Frage  zu  kommen, 
daß  sich  damit  Theokrit  selbst  dem  Leser  vorstellte,  als  verschieden  von  dem 
Namensvetter  aus  Chios,  dem  isokrateischen  Geschichtschreiber  und  Makedonen- 
feinde  3).    Wie  dem  auch  sein  mag,  den  Nachklang  eines  echten  alten  Theokrit- 


Abb.  2.    Hellenistische  Lagynos  aus  Kertsch.    Aus  Archäol.  Anz.  1907,  137  fr.,  Abb.  8—9  (Pharmakowskij). 

bildnisses  bewahrt  noch  die  griechische  Handschrift  2832  der  Pariser  National- 
bibliothek, ein  Mischband,  dessen  Theokrit  nach  Omont  nicht  älter  als  die  zweite  Hälfte 
des  14.  Jahrh.  sein  kann.  Daraus  veröffentlichte  der  Genannte  1905  die  hier  in 
Abb.  I  auf  etwas  mehr  als  die  Hälfte  verkleinerte  Miniatur,  die  den  mit  Beischrift 
gekennzeichneten  Verfasser  dem  Hirtengotte  Pan  sein  Gedicht  aupq?  mit  einer 
Verneigung  darreichend  zeigt  4).  Der  die  Verse  zusammenhaltende  Umriß  hat  hier 
nicht  mehr  die  zuerst  gerade  in  frühhellenistischer  Zeit  auftauchende  Form  der 
aus  einer  Reihe  von  Pfeifen  abnehmender  Länge  zusammengesetzten  Hirtenflöte 
(Abb.  2),  der  die  ebenso  ungleichen  Verse  sichtHch  entsprachen,  wie  andere  solche 
technopaegnia    anderen    Gegenständen  5).      Die    Syrinx    der  Handschrift"  ist  viel- 


')  Bucol.    gr.  ed.    U.  v.    Wilaraowitz,    Oxon.    p.  xvi 

Scholia  in  Theoer.  reo.  C.  Wendel  6. 
';  Bethe,  De  Thecr.  editionib.  antiquiss.  Rostocker 

Univ.-Progr.  Sommer  1896,  3  f.  Rhein.  Mus.  1916 

LXXI  415  ff. 
3)  Sokrates  1918  VI  337  ff.    Immisch;  mir  von  Bethe 


nachgewiesen.  Die  ganz  abweichende  Auffassung 
von  Wilaraowitz  ist  besonders  in  seiner  Textgesch. 
d.  gr.  Bukoliker  125  dargelegt. 

4)  Monum.    Piot  1905    XII    155  ff.,  Taf.  12   Omont. 

5)  Dazu  vgl.  Taf.  1 1  bei  Omont  a.  0.  und  besonders 
von  Wilamowitz  in  diesem  Jahrbuch  1899  XIV 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


6i 


mehr  irrig  als  eine  ganz  kurze,  von  unten  nach  oben  sich  verbreiternde  Flöte  ge- 
bildet. Etwa,s  besser  gewahrt  blieb  das  alte  Vorbild  in  der  Gestalt  des  Fan  und 
in  dem  Bildnis  des  Dichters.  Vom  linken  Arme  hängt  ihm  ein  Mäntelchen,  den 
Oberkörper  umschließt  locker  ein  im  Urbilde  sicher  gegürteter  »purpurner«  Chiton, 
der    die  rechte  Schulter  frei  läßt,  allerdings  auch  sie  bekleidet  mit  dem  Halbärmel 


vHöf 


Abb.   3.     Wandbild  im   lli.  FclsL-ngrab   von  Marissa. 
Nach  P.  Peters  und  H.  Thiersch,  Painted  tombs  of  Marissa  33,  Taf.  16. 


eines  Hauen  Unterhemdes  mit  Schulterstreif.  Von  dieser  kaum  antiken  Zutat 
abgesehen,  trägt  also  Theokrit  eine  Exomis,  wie  sie  unter  anderen  Arbeitsleuten 
auch  Hirten  tragen,  zuletzt  noch  die  des  Vergil  im  Codex  Romanus,  den  Traube 
in  das  6.  Jahrh.,  Ehrle  noch  in  das  5.  setzte  ').  Wie  diese  Hirten,  so  trägt  der  Pariser 
Theokrit  auch  Stiefel,  nur  etwas  anders  umschnürt.     Das  sind  die  äpßuXt'öe?,  womit 


51  ff.  Dort  57A.  21  wußte  v.  W.  die  Hirten- 
pfeife mit  abnehmenden  Röhren  nicht  früher  als 
auf  der  Plinthe  des  Farnesischen  Stieres  nachzu- 
weisen. Deren  Ausschmückung  habe  ich  jedoch 
inzwischen  als  Kopistenzutat  der  Kaiserzeit  er- 


wiesen.    Zum  Ersatz  dient  hier  Abb.  2. 
')  Picturae  cod.  Vatic.  3867  qui  cod.  Vergilii  Rom. 
audit.  1902.     Eine  Probe  bei  (Hartel  und)  Wick- 
hoff,   Wiener   Genesis   Taf.  D    zu  S.  95.     Traube 
in  der   Strena   Heibig.     307  ff. 


52  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

in  der  fröhlichen  Schilderung  des  7.  Idylls  26  Simichidas  eilig  zu  dem  Thalysienfest 
seiner  Freunde  durch  die  steinige  Insel  Kos  stampft.  Daß  dieser  bukolische  Dichter 
den  Theokrit  selbst  bedeutet,  verrät  uns  ausdrücklich  gerade  die  Syrinx  12  ')  . 
Diesem  doch  gewiß  irgendwie  mit  oi[i.oc  zusammenhängenden  Spitznamen  ent- 
spricht das  unverkennbar  stumpfnasige  Gesicht  der  Bildnisgestalt.  Es  macht, 
wie  nach  den  zwei  sichern  Beispielen  Menandros  und  Poseidippos  zu  erwarten  war, 
die  vornehme  Zeittracht  der  Bartlosigkeit  mit.  Auf  dem  Hinterkopfe  scheint  sich 
der  Buchmaler  etwas  wie  eine  anliegende  Kappe  gedacht  zu  haben.  Aber  die  im 
Nacken"  flatternden  zwei  Bänder  und  die  vorn  aufsteigenden  »Federn«  mit  den 
Blättchen  über  der  Stirn  gehen  auf  einen  Kranz  des  Urbildes  zurück.  Beides  findet 
sich  überraschend  ähnlich  an  dem  Flötenspieler  (Abb.  3)  links  von  der  Tür  eines  der 
Felsgräber  von  Marissa-Sandahanna  in  Idumaea,  die  von  ptolemäisch  beeinflußten 
Sidoniern  noch  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.  angelegt  sind  ^). 

Einen  dem  Theokrit  der  Handschrift  gleichartigen  Hirten  zeigt  das  flache 
Relief  des  spätantiken  Silbertellers  aus  Südrußland,  den  hier  Abb.  4  aus  einem 
der  inhaltreichen  Anzeigerberichte  Pharmakowskijs  wiederholt  3).  Der  Mann  sitzt  auf 
einem  plattengedeckten  Erdsitz  in  einer  Landschaft,  vor  sich  zwei  Ziegen,  deren 
eine  ihm  zugekehrte  auf  so  ebener  Felsterrasse  steht,  wie  die  Tiere  vor  dem  Hirten 
einiger  Endymionsarkophage  4),  während  die  andere  in  kühner  Wendung  daliegend 
den  Rücken  zeigt  und  nach  dem  Mann  umblickt.  Zu  seinen  Füßen  sitzt  das  Hünd- 
chen und  kläfft  Beachtung  heischend  zum  Herrn  hinauf.  Denn  er  ist,  frei  von 
Attributen,  ganz  in  seine  Gedanken  versunken,  mit  gefalteten  Händen,  deren 
Daumen  erhoben  sind,  vermutlich  um  zu  skandieren.  An  alledem  hat  unlängst 
Max  Mayer  treffend  einen  Dichter  erkannt.  Dabei  bleibt  es  auch  dann,  wenn  man 
ihm  nicht  einräumt,  daß  die  seltsam  geschlängelte  Falte  der  Exomis  hinten  am 
Sitz  im  Urbild  eine  Buchrolle  gewesen  ist.  Ganz  ähnlich  läuft  ja  auf  einem  Grab- 
stein des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  im  Athener  Nationalmuseum  der  Mantel  der  Erato, 
Frau  des  Epicharides,  hinten  gegen  die  Stuhlecke  aus  5),  und  nicht  viel  anders  endet 
der  kurze  Chiton  klassischer  Reiter,  z.  B.  Fig.  8  im  Westfriese  des  Parthenons. 
Die  Rolle  würde  ja  auch  nicht  zu  der  eifrig  gespielten  Ländlichkeit  des  Hirten- 
dichters passen.  Denn  einen  solchen  in  Gestalt  eines  Salonhirten  und  nicht  mit 
Mayer  den  kunstreichen  Lyriker  Caesius  Bassus  auf  seinem  kampanischen  Land- 
gute haben  wir  auf  dem  Silberteller  zu  erkennen.  Da  nun  Vergil  schon  der  Ge- 
sichtsbildung nach  außer  Betracht  bleibt  (S.  58)  und  irgendein  Dichter  geringeren 
Ranges  ausdrücklich  bezeichnet  sein  müßte,  kommt  nur  der  berühmte  Archeget 
der  Gattung  in  Frage,  den  wir  aus  der  mittelalterlichen  Handschrift  in  hinreichend 


')  Vgl.  von  Wilamowitz,   Bucol.  gr.   157.  Vasen  nennt  Beazley  ojjiiXoS,   Americ.   Journ.  of 

')  Außer    der    unter    Abb.  3    genannten    Veröffenl-  arch.   1921   XXV  334. 

lichung  s.  noch  den  kurzen  Bericht  von  H.Thiersch  3)  Zu  der  unter  Abb.  4  genannten  Urausgabe  vgl. 

im   Archäol.   Anz.    1908,    407  ff.    und   immerhin  S.  Reinach,  Rupert,  rel.  III  507,  2,  weil  da  der 

auch  mein  Symposion  Ptolem.  II.,  61.  Eine  ahn-  Dargestellte   richtig  als   Hirt  bezeichnet   ist. 

lieh    rankende    Kranzpflanze    auf    streng    rotfig.  4)  Z.   B.   Robert,   Sarkoph.  III   i    Taf.  14. 

5)  Conze,  Att.  Grabrel.   I  Taf.  lOl,  429. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


63 


ähnlicher  Gestalt  kennen.  Dem  Ganzen  könnte  wohl  ein  Titelbild  der  Idyllen 
Theokrits  zugrunde  liegen,  wie  es  sich  Bethe  dachte  (S.  60).  Diese  haben  gerade 
die  Dichter  der  späteren  Kaiserzeit  eifrig  gelesen  und  benützt  ').  Der  Teller  dürfte 


Abb.  4.     Silberteller  aus  dem    Gouvernement  Perm. 
Wiederholt  aus  Archäol.  Anz.  1908,   155   (Pharmakowskij). 


nämlich,  gleich  der  mitgefundenen  sassanidischen  Silberschale,  aus  dem  4.  Jahrh. 
herrühren  ^).  Stilistisch  am  nächsten  kommen  ihm,  z.  B.  in  der  ornamentalen 
Gestaltung  des  Baumes,  die  weit  ins  Mittelalter  vorausweist  —  bis  auf  die  Manesse- 
sche  Handschrift  u.  a.  —  und  in  der  Bildung  des  aufblickenden  Hundes  mit  dem 


»)  Pauly,   Wissowa,   Realencyklop.  III  loio,   1012  Knaack. 
2)  Pharmakowskij    a.a.O.    158   Abb.  6. 


54  Franz  Studniczka,  Imag^nes  Illustrium. 

offenen  Maule,  die  rechteckige  Silberplatte  aus  Corbridge-on-Tyne  mit  der  Vor- 
bereitung zum  Parisurteil  und  ein  anderer  Rundteller  aus  dem  Gouvernement  Perm 
mit  heroischer  Jagdgesellschaft ').  Nicht  allzufern  steht  auch  der  schöne  Berliner 
Silberteller  mit  Artemis  auf  dem  Hirsch,  zu  dem  den  unsern  schon  Zahn  gestellt 
hat  ^).  Diese  um  möglichst  treue  Nachahmung  alter  Vorbilder  bemühte  Kunst 
verbürgt  auch  unserm  Theokritbildnis  ein  gewisses  Maß  von  Zuverlässigkeit,  die 
sich  nur  nicht  auch  auf  den  vorauszusetzenden  Geist  der  ursprünglichen  Bildnis- 
schöpfung erstrecken  kann. 

Davon  abgesehen  ist  der  Kopf  in  der  Tat  persönlich  genug  gestaltet.  Die 
kurze  Haartracht  paßt  in  frühhellenistische  Zeit.  Die  schwache  Furche  über  dem 
Stirnhaar  könnte  auf  die  aus  dem  Handschriftbild  erschlossene  Bekränzung  zu- 
rückgehen. Die  eher  schräge  Stirn  ist  ungemein  hoch,  gut  doppelt  das  Maß  der 
etwas  knolligen  Nase.  Von  ihrer  Wurzel  steigt  die  Braue  rasch  an  und  schwingt 
sich  bald  wieder  hinab.  Das  kleine  Auge  liegt  ziemüch  tief  dahinter.  Vom  äußern 
Winkel  läuft  eine  Längsfurche  über  die  Wange,  ein  Zeichen,  daß  der  Mann  kein 
Jüngling  mehr  ist.  Die  Oberlippe  springt  entschieden  über  die  untere  vor;  in  dem 
Buchbild  sieht  sie  gar  wie  ein  Schnauzbart  aus.  Vor  dem  derben  Kinn  der  Mini- 
atur wird  das  kleine  rundliche  des  Silbertellers  auch  den  Vorzug  verdienen.  Das 
alles  sollte  genügen,  um  den  Dichter  in  erhaltenen  Rundwerken  wiederzufinden. 
Doch  ist  es  mir  bisher  nicht  gelungen;  mögen  andere  glücklicher  sein.  Gedacht 
habe  ich,  und  nicht  ich  allein,  an  den  Marmorkopf  in  Madrid,  den  Arndt  Porträts 
507/8  gut  abbildet  und  von  dem  auch  der  Abguß  vor  mir  steht.  Sein  an  Bockspane 
anklingender  Gesichtsausdruck  würde  zu  dem  Bukoliker  nicht  übel  passen.  Aber 
der  Bau  des  Gesichts  ist  doch  gar  zu  verschieden:  die  Stirne  niedrig,  die  Unterlippe 
dick,  ein  ganz  kurzer  Bart  vorhanden  u.  a.  m.  So  bleiben  bessere  antike  Theokrit- 
bildnisse  als  das,  wie  ich  hoffe,  hier  nachgewiesene  späte  noch  zu  suchen.  Häufig 
können  sie  nicht  sein.  Dazu  mag  die  Unschönheit  des  Dichters  beigetragen  haben, 
die  nicht  so  charaktervoll  ist  wie  die  ganz  anders  geartete  des  »Seneca«. 

Von  größerer  Tragweite  sind,  wenn  sie  sich  bewähren,  die  dem  kleinen  Vor- 
gericht nachfolgenden  Beiträge  zur  frühhellenistischen  Ikonographie. 

A.     FRÜHHELLENISTISCHE    BILDNISGRUPPEN    IN    DEN    WAND- 
BILDERN DES  HAUPTSAALS'  VON  BOSCOREALE. 

Schon  Pamphilos  malte  eine  cognatio,  Timomachos  eine  cognatio  nobilium, 
wozu  Brunn,  freilich  ohne  dabei  zu  bleiben,  frequentiam  quam  vocavere  syngenicon 
stellte,  ein  Werk  Athenions  (eines  Schülers  des  mit  Nikias  verglichenen  Glaukion 
von  Korinth),  sowie  das  mit  demselben  griechischen  Kunstwort  genannte  Bild 
eines    Dinias  3).     Zur    notdürftigen    Veranschaulichung   solcher    Bilder    mag    man 

')  Beides    zuletzt    im    Jahrbuch    1915    XXX    192      3)  Plinius  n.  h.  35,  76;  136;  134;  142.   Brunn,  Gesch. 

Abb.  I   und  205  Abb.  5  bei  Drexel.  d.  gr.  Künstler  II  133.   Pfuhl,  Malerei  u.  Zeichn. 

»)  Amtliche  Berichte  1916 — 17,  299  A.  i.  d.    Gr.   II      S.  729;     775.       Zu    Athenion     vgl. 

R.  M.  1921/22  XXXVI/VII  iff.  Six 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium.  gr 


sich  der  Familiengruppen  auf  Grab-  und  Weihreliefen  erinnern.  In  dieselbe  Gat- 
tung von  Malerei  gehörten  wohl  die  an  einer  Wand  des  Erechtheions  angebrachten 
Ypaipal  Tou  •yevöuf  z&v  BoutaSöJv ').  Damit  sind  wir  in  der  hellenistischen  Zeit  an- 
gelangt, wo  die  Fürstenhäuser  neuen  Anlaß  zur  Pflege  solcher  Familienstücke 
gegeben  haben  werden.  Zwar  von  Apelles  kennen  wir  Alexander  nur  als  neuen 
Zeus  mit  dem  Blitz,  als  Genossen  der  Dioskuren  und  anderer  alter  Götter  (mit 
Pan  malte  ihn  Protogenes),  dann  als  Triumphator  zu  Wagen  oder  als  Krieger  mit 
dem  Rosse,  wozu  sich  das  in  Mosaiknachbildung  erhaltene  Schlachtgemälde,  fast 
sicher  ein  Werk  des  Philoxenos,  stellt.  Mit  dem  Rosse  malte  der  Ephesier  auch 
den  Kleitos,  einen  Neoptolemos  und  den  einäugigen  Antigonos,  dessen  Sohn  aber, 
den  auch  Theoros  darstellte,  erschien  in  Athen  beim  Feste  der  Demetria  am  Pro- 
skenion gemalt  im.  -zffi  Ofxoujxsvrj?  ö)(ou(i.£vo?  *),  vielleicht  so,  wie  später  vergöt- 
terte römische  Kaiser  von  Genien,  und  zwar  nicht  nur  geflügelten,  durch  die  Luft 
getragen  werden.  Wenn  der  zum  Genre  neigende  Antiphilos  Alexandrum  ac 
Philippum  cum  Minerva  malte  3.),  so  war  das  auch  noch  kein  Familienbild.  Aber 
Aetion  zeigte  den  jungen  Weltherrscher,  wie  er  in  Begleitung  des  Herzensfreundes 
an  das  Brautbett  seiner  baktrischen  Königin  Roxane  herantrat.  Als  Verfratzung 
der  zarten  Intimität  eines  Bildes  dieser  Art  nimmt  es  sich  aus,  wenn  die  syrische 
Königin  Stratonike  von  einem  Maler,  der  nach  den  Pliniushandschriften  eher 
Kiesides  als  Ktesikles  hieß  4),  zur  Rache  für  ihm  bezeigte  Geringschätzung  in  den 
Armen  eines  von  ihr  angeblich  geliebten  Fischers  abgebildet  wurde.  Das  Werk 
blieb,  nach  eiliger  Flucht  des  Künstlers  über  Meer,  im  Hafen  von  Ephesos  aus- 
gestellt, was  zu  verbieten  die  kluge  Fürstin  in  Bewunderung  der  sprechenden  Ähn- 
lichkeit der  zwei  Bildnisse  ablehnte.  Etwas  von  genrehafter  Belebung  wird  man 
auch  den  ernsthaften  Familiengruppen  des  Hellenismus  zutrauen  dürfen,  und  zwar 
den  Gemälden  noch  mehr  als  den  Bildhauerarbeiten.  Wenigstens  klingt  es  eher 
nach  einer  Statuenreihe  der  alten  Art,  z.  B.  der  des  Leochares  im  Philippeion  zu 
Olympia,  wenn  nach  Kallixeinos  auf  dem  Nilschiff  Ptolemaios  IV.  in  der  Felsgrotte, 

die  sich   an  einer  Langseite  des   bakchischen  Oekus  auftat,    tSpuro t9)?  t&v 

ßasdscuv  cruffEVsfe?  diäX\MTa  efxovixot  Xtöou  Xo)(vs(o?5).  Indes  darf  nicht  vergessen 
werden,  wieviel  gegenseitige  Beziehungen  den  Kundigen  noch  die  Standspuren 
der  schon  zur  Zeit  des  Epameinondas  in  Delphi  errichteten  Ahnenreihe  der 
Arkader  verraten  haben  *). 

Nachbildungen  frühhellenistischer  Familiengemälde  aus  einem   Fürstenhause 
glaube  ich  an  Wänden  II.  Stiles  erkannt  zu  haben.     In  der  vornehmen  Villa  bei 

■)  Pausan.  I,  26,  5  mit  Blümners  Anmerkung.  3)  Plinius  35,  114. 

')  Athen.  12,  536  A.    Für  all  die  genannten  Meister-  4)  Plinius  35,  140.     Vgl.  Fick  und  Bechtel,  Griech. 

werke  genügt  es  auf  die  Verzeichnisse  von  Brunn,  Personennamen*  170. 

Künstlergeschichte     II     hinzuweisen.     Die     des  5)  Athen.  5,  205  F.  Caspari  im  Jahrbuch  1916  XXXI 

großen  Werkes  von  Pfuhl,  für  das  wir  ihm  sonst  60. 

so  warm  zu  danken  haben,  smd  leider  seinen  Mit-  ')  Pomtow  und  besonders  Bulle  in  den  A.  M.  1906 

arbeitern  nicht  ebenso  zureichend  und  Übersicht-  XXXI  461—492.      Vgl.  Pausan.  von  Hitzig  und 

lieh  geraten.  Blümner  III  2  S.  66i  ff. 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  5 


56  Franz  Studniczka,  Imagines  lllustrium. 

Boscoreale,  die  leider  nur  recht  ungenügend  in  den  Sonderschriften  von  Barnabei 
und  Sambon  bekanntgemacht  worden  ist '),  öffnete  der  auch  in  seiner  vier  Tri- 
klinien  fassenden  Weite  (nämHch  etwa  7,40  m  Breite  und  gegen  8  m  Tiefe,  nach 
Barnabei  48)  gut  vitruvische  oecus  quadratus  die  Südseite  auf  das  Peristyl,  mit 
einer  1,90  m  breiten  Tür  und  zwei  kaum  schmäleren  Fenstern.  Das  ist  der  allge- 
meinsten Anlage  nach  in  Sälen  delischer  Häuser  I.  Stiles  und  schon  im  3.  Jahrh. 
in  solche  Oeken  nachahmenden  Grabkammern  von  Alexandria  vorgebildet  2).  Eine 
entsprechende  Dreiteilung  der  drei  übrigen  Wände  bewirkten  in  ihrer  gemalten  Bau- 
anlage je  zwei  vom  Boden  bis  zur  Decke  frei  aufragende  Säulen  (Abb.  5).  An 
den  so  gesonderten  je  drei  Feldern  der  mit  dorischem  Gebälk  abgeschlossenen  Scher- 
wände, über  denen  sich  Durchblicke  in  Säulenhöfe  öffnen,  erscheinen  Jebensgroße 
Gestalten,  zumeist  wie  wirklich  auf  das  Podium  unter  den  Scherwänden  gesetzt. 
An  der  schlecht  erhaltenen,  bald  nach  der  Ausgrabung  zugrunde  gegangenen  Rück- 
wand mit  hellblauer  Wandtünche  (wieder  Abb.  5),  war  es  vor  dem  durch  staffierte 
Bauwerke  belebten  Mittelfeld  Aphrodite  mit  dem  kleinen  Eros  im  Arm  3),  links 
Dionysos  mit  Ariadne,  rechts,  wie  man  zu  sehen  glaubte,  die  drei  Chariten.  An 
den  zwei  erhalten  gebliebenen  Seitenwänden  sitzt  vor  dem  hellen  Zinnobergrund 
je  in  der  Mitte  ein  Menschenpaar.  In  den  an  die  Eingangswand  des  Saales  stoßenden 
Feldern,  die  durch  unmittelbar  an  den  Ecken  angebrachte  Pforten,  rechts  eine 
wirkliche,  links  ihr  Abbild,  verkürzt  sind,  blickt  je  nur  eine  aufrechte  Gestalt  nach 
dem  Paar  des  Mittelfeldes.  Von  den  dritten  Feldern  der  Seitenwände,  welche  an  die 
Rückwand  des  Gemaches  grenzten,  war  das  der  Westseite  bei  einer  baulichen  Ver- 
änderung überstuckt,  das  der  östlichen  mit  einer  sitzenden  Frau  samt  kleiner  Dienerin 
gefüllt. 

In  der  Deutung  dieser  Personen  ließ  sich  die  liebenswürdig  lebhafte  und 
sorgfältige,  nur  etwas  dilettantische  und  weitschweifige  Beschreibung  Barnabeis 
durch  die  Götter  der  himmelblauen  Rückseite  auf  mythologische  Irrwege  verlocken, 
auf  denen  ihm  andere  gefolgt  sind  4).  Erst  Pfuhl  in  seinem  mit  gewaltigem  Fleiße 
zusammenfassenden  und  doch  auch  die  Untersuchung  oft  fördernden  Handbuch 
(II  879)  hat  öffentlich  ausgesprochen,  daß  es  sich  vielmehr  um  Bildnisse  handelt  5). 


')  Die  Hauptarbeit  ist  immer  noch  der  von  Bar-  ')  Vitruv  6,  10,   3.   Delische  Oeken  Bull.  corr.  hell, 

nabei  (statt  von  den  Porapejikennern  de  Petra  1895X1X463:495;  5oo;507;Taf.5;Couve).Breccia, 

oder  Sogliano)  abgefaßte  Bericht   der  den  Wert  La  Necrop.  di  Sciatbi  xxxiii  Taf.  2  u.  8. 

des  Fundes  zu  ermessen  beauftragten  Abordnung:  3)  Abb.  5   nach  einer  Skizze  von  Sogliano  bei  Bar- 

La  Villa  Pompeiana  di  P.  Fannio  Sinistoie  sco-  nabei   S.  53,  danach    N.  Antolog.  a.  a.   O.    381 

perta  presso  Boscoreale,  s.  bes.  S.  47  ff.    Weitere  und  R.   M.    1902  XVII  186  (Mau).     Vgl.  eben- 

Bemerkungen   dazu    verzeichnet    Pfuhl   a.a.O.  da  1903  XVIII  1 44  £f.  (Petersen).    Von  Dionysos 

IIS.  882  f.  (879  Beschreibung).  IS.  IX.  Unerwähnt  und    Ariadne    sagt    uns  Pfuhl  a.a.O.  879,    daß 

bleibt   dort  die  sehr  eilfertig  hergestellte  farbige  sie  »im  Typus  der  Gruppe  in  Villa  Item  gemalt 

Ausgabe   der   später  nach    New  York  gelangten  waren«;  vgl.  seine  Abb.  715. 

Teile   von   A.    Sambon,    Les  fresques  de  Bos-  *)  In  aller  Kürze  R.  Engelmann  in  der  Zeitschr.  f. 

coreale  (Verkaufskatalog    von    Canessa).    Einige  bild.  Kunst  1908  XIX  315;  S.  Reinach,  Rupert. 

Photographien  brachte  die  Nuova  Antologia  1901  peint.  33,  i ;  191,  7.    Vorsichtiger  Sambon  a.  a.  O. 

XCII  378  ff.  zum  Aufsatz  von  B,  Odescalchi.  5)  Nachträglich    weist  stud.   phil.  Scheewe  darauf 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


67 


Nur  hätte  er  sie  nicht  auf  Zeitgenossen  des  pompeianischen  Malers  beziehen  sollen. 
Es  kann  hier  nicht  eine  Übersicht  der  sonstigen  gemalten  Bildnisse  kampanischer 
Wände  versucht  werden,  wovon  ja  so  wenig  veröffentlicht  ist.  Aber  jedermann 
weiß,  wie  selten  und  unbedeutend  unter  diesen  Bildnissen  die  Gestalten  in  römischer 
Tracht,  also  besonders  in  der  Toga  sind  ■).  Dem  stehen  doch  viel  zahlreichere  und 
erheblichere    Griechenbildnisse    gegenüber,    unter    denen    wenigstens    das    schöne 


Abb.  5.      Mittelfeld    der  RUckwand    im    großen  Speisesaal    von   Boscoreale. 
Nach  Bamabei,    Villa  pomp.  Fig.  11,    wiederholt  aus  R.  M.  1902   XVII   186. 


herkulanische  eines  tragischen  Schauspielers  in  Erinnerung  gebracht  sei  ^).    Von 
dem   plastischen   Bildnisschmuck   der   pompeianischen   Häuser   ist  wohl   manches 


hin,  daß  die  Bildnisse  in  Kürze  schon  Grüneisen 
erkannte,  in  dem  Aufsatz  über  das  illusionistische 
Bildnis,  Sophia  (russische  Zeitschrift)  1914  April 

S.53. 
')  Der  einschlägige  XI.  Afbschnitt  bei  Heibig,  Wand- 
gem.  Campan.  Nr.  1523  bis  1526  b  enthält  nicht 
einen   Togatus,   der  bei   Sogliano,   Pitture   mur. 


camp,  nur  Nr.  682  und  683,  die  vielleicht  auch 
nicht  als  zweifelfrei  gelten  können.  Sichere 
Togati  sind  einige  Genii  der  Larenheiligtümer, 
wohl  als  typische  Kaiserbildnisse  gemeint:  Mau, 
Pomp.  '  278  Abb.  143,  Herrmann,  Denkm.  Taf.  48. 
^)  Pfuhl  a.  a.  0.  Abb.  653.  Zu  Pfuhl  Abb.  658  vgl. 
unten  S.  116. 

5* 


58  Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 

nicht  an  Ort  und  Stelle  geblieben,  das  wenige  gefundene  allerdings  meistens  zeit- 
genössisch; höchstens  als  sehr  verfärbter  Menander  kommt  ein  Hermenbüstchen 
in  Frage  ').  Aber  die  reiche  Sammlung  der  großen  herkulanischen  Villa  setzt  sich 
ganz  überwiegend  aus  Griechen  zusammen,  nicht  allein  aus  Philosophen  und  anderen 
Geistesgrößen,  auch  aus  Fürsten  und  Kriegern,  unter  denen  sich  überraschend 
viele  frühhellenistische  bestimmen  ließen,  ganz  sicher  Seleukos  I.  und  Philetairos, 
höchstwahrscheinlich  auch  Pyrrhos  ^).  Hieran  schließen  sich  die  Gemälde  von 
Boscoreale,   wie  sie  gedeutet  werden   müssen. 

I.   DIE  LINKE  OEKUSWAND. 

Einen  festen  Ausgangspunkt,  der  schon  im  Leipziger  Winckelmannsblatt  für 
1923  kurz  dargelegt  ist,  bietet  die  im  Neapeler  Museum  aufbewahrte  Westwand  3). 
Sie  ist  auf  Taf.  II  neu  abgebildet,  dank  P.  Herrmann  und  der  Vcrlagsanstalt 
Bruckmann  nach  einer  für  die  »Denkmäler  der  Malerei«  gemachten,  großen  Auf- 
nahme, aus  der  unser  Bruckmannscher  Lichtdruck  soviel  wie  möglich 
herausgeholt  hat.  Da  ich  das  Urbild  leider  selbst  nicht  untersuchen  konnte,  benutze 
ich  dankbar  Auskünfte  von  Prof.  Amelung,  Fräulein  Dr.  E.  Frank,  Dr.  W.  v.  Massow 
und  Dr.  E.  Langlotz,  namentlich  über  die  Farben. 

2.    EIN  JUNGER  MAKEDONENKÖNIG. 

Im  Mittelfeld,  auf  Taf.  II  rechts,  sitzt  etwas  nach  hinten  geschoben  ein  junger 
Mann  und  blickt  nach  der  mächtigen  Frauengestalt,  die  rechts  vor  ihm  vorgebeugt 
tiefer  unten  sitzt  und  lebhaft  aufblickt.  Unter  beiden  ist  gewachsener  Boden, 
der  nur  in  diesem  Bildnisgemälde  des  Saales  vorkommt.  Den  erhöhten  Sitz  des 
Jünglings  bezeichnet  Barnabei58  als  scoglio  verde,  in  der  Hauptsache  wohl  richtig, 
besonders  nach  Massows  Einzelbeschreibung.  Danach  ist  die  Sitzfläche  mit  dem 
gezackten  Rande  (in  Höhe  der  Schildmitte)  weißgrün,  der  Abhang  darunter  gras- 
grün; unter  dem  Schild  ein  klar  hellblaues  Dreieck,  aber  kaum  Wasser  (woran 
E.  Frank  dachte),  da  sich  ähnliche,  bläuliche  Flecken  weiter  nach  links  ziehen. 
Zu  Unterst  eine  vortretende  Bodenstufe,  links  mehr  gelb  mit  grünlichen  Tönen 
(Gras.?),  die  dunkle  Stelle  vor  und  über  den  Füßen  der  Frau  blauviolett  mit  grünen 
Grashalmen.  Gleiche  Farben  hat  die  etwas  höhere  Fortsetzung  dieser  Unterstufe, 
auf  der  die  Frau  sitzt.  Auch  Barnabeis  Urteil  über  das  Geschlecht  der  Person 
links  bewährt  sich  gegen  abweichende,  wie  es  scheint  naheliegende  Meinungen  4). 


')  Mau,     Pomp. '     463  ff.     Weiteres,     nach     einer  zu  nennen.     Die   wichtigsten  hellenistischen  bei 
Durchsicht  der  Notizie,  die  stud.  phil.  Emil  Kunze  Hekler,  Bildniskunst  Taf.  68  bis  74  und  119. 
freundlich  vornahm,  ergab  nur  1907,  582  Abb.  31  3)  Guida  Ruesch  Nr.  906.   Barnabei  a.  a.  O.  Taf.  7,  8. 
den    mutmaßlichen  Menander  und  592    Abb.  41  4)  Sambon  a.a.O.    13    nennt  unsem  Jüngling  vor- 
einen Römer,  beide  aus  Casa  dcgii  Amorini  dorati,  sichtig  une   divinit^.    A.  J.  Reinach    im  Bull. 

^)  Nach  der  Gesamtausgabe  von  Comparetli  und  de  corr.  hell.  1910  XXXIV  445  A.  4  spricht  von  zwei 

Petra,      La  vüla   Ercolancse,      gibt     eine    Über-  bekleideten  Frauen.    Auch  Amelung  und  Fräulein 

sieht    der  Funde  Mau,    Pomp.  '    547  ff.,    freilich  Dr.  E.   Frank  schrieben  mir,    daß  sie  vor  dem 

ohne   alle   Bildnisse   bei   ihrem   richtigen   Namen  Gemälde    selbst  auf  denselben  Gedanken  kamen. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  gg 


Entscheidend  dünkt  mich  schon  das  Gesicht  mit  der  breiten  und  recht  hohen, 
knochigen  Stirn  und  der  dazu  passenden  starken  Nase  bei  deutlicher  Jugend. 
Weiblich  anmuten  kann  zunächst  allerdings  das  in  der  Mitte  gescheitelte  Haar 
(nach  Barnabei  59  von  schwarzer  Farbe).  Es  findet  sich  jedoch,  wenn  auch  nicht' 
ganz  so  glatt  gestrichen,  an  der  erwähnten  herkulanischen  Marmorherme  mit 
Diadem  unter  dem  eichenzweigbekränzten  Helme  —  mit  dem  die  erst  durch  Winters 
farbige  Ausgaben  so  recht  bekannt  gewordenen  lorbeerbekränzten  im  Alexander- 
mosaik unmittelbar  hinter  dem  König  und  in  der  großen  Schlacht  des  Sarkophags 
von  Sidon  auf  dem  Haupte  des  alten  Feldherrn  (Parmenion)  zu  vergleichen  sind  — 
und  dem  wilden,  brutalen  Gesicht,  in  der  Jan  Six  mit  hoher  WahrscheinHchkeit 
den  tapfersten  Soldatenkönig  der  frühhellenistischen  Zeit,  Pyrrhos  den  Molosser, 
erkannt  hat ').  Diese  beiden  Träger  der  an  Männern  seltenen  Haartracht  werden 
sich  uns  als  genaue  Altersgenossen  erweisen.  Daß  auch  der  gemalte  ein  Mann 
und  ein  Krieger  ist,  bestätigt  jeder  weitere  Zug  seiner  Erscheinung  und  Ausrüstung. 
Zwar  die  Hautfarbe  ist  nicht  dunkler  als  die  der  Frau  neben  ihm;  aber  das  wieder- 
holt sich  in  etwas  braunerem  Ton  an  dem  Paar  der  Wand  gegenüber  (Taf.  III,  Abb.  13, 
S.  96)  und  im  großen  Saale  der  Villa  Item  ^). 

Männlich  genug  sind  die  Hände,  besonders  ihre  Gelenke,  die  in  derselben 
Breitansicht  an  den  zwei  sitzenden  Frauen  der  rechten  Wand,  sogar  an  der  sehr 
kräftigen  Verhüllten  im  Mittelfelde,  entschieden  zarter  gebildet  erscheinen.  Mann- 
haft fassen  sie  beide  den  Speer.  Denn  was  sonst  soll  dieser  gerade  Stab  bedeuten  3), 
der  nach  oben  sich  verjüngend  vom  Epistyl  der  Scherwand  als  Bildrahmen 
noch  vor  dem  Ansatz  der  Lanzenspitze  abgeschnitten  wird,  wie  so  mancher  Speer 
durch  den  obern  Rand  von  Vasenbildern,  Gemälden,  Reliefen  usf.  Dabei  war  es 
kaum  zu  vermeiden,  daß  es  aussieht,  als  ob  der  Stab  mit  abgeschnittenem  Ende 
gegen  die  verkürzte  Unterfläche  des  Epistyls  anstieße,  das  aber  doch  nur  zur  Wand- 
gliederung und  nicht  zu  den  Bildern  selbst  gehört.  Gegen  einen  Speer  würde 
es  auch  nicht  sprechen,  wenn  die  an  verschiedenen  Stellen,  dort  wo  die  Oberschicht 
nicht  abgeblättert  ist  (Langlotz),  deutliche,  schräge  Strichelung  —  von  der  Bar- 
nabeis Taf.  8  etwas  mehr  zeigt  als  unsere  II  —  eine  schraubenförmige  Riefelung  aus- 
drücken sollte.  Wenigstens  ähnlich  gekerbt  sind  ja  im  Alexandermosaik,  am  deut- 
lichsten wieder  in  Winters  farbiger  Nachbildung,  die  vorn  auf  seiner  Bühne  ver- 
streuten Spieße,  namentlich  der  gebrochene  ganz  rechts.  Doch  kommt  die  Striche- 
lung ähnlich  an  vielen  anderen  Gegenständen  dieser  Wandbilder  vor,  wo  sie  nie 
und  nimmer  als  Verzierung  gelten  kann,  z.  B.  an  der  Mütze  unseres  Mannes,  an 
den  Lehnstühlen  der  Wand  gegenüber,  wo  sie  Holzmaserung  und  Schattengebung 


')  R.    M.    1891    VI    279      Taf.  8.     Arndt,    Portr.  Königsbinde,  während   die  Abbildung  m.  E.  eher 

337/8.    Hekler,  Bildniskunst  71,  b.  Guida  Ruesch  einen  Priesterkranz  erkennen   läßt. 

1144  Fig.  69.    Mau,  Pomp.  ^  Abb.  303.  —  Unserm  ')  Pfuhl  a.  a.  O.  Abb.   711—713. 

König  noch  etwas  ähnlicher  gescheitelt  trägt  das  3)  Doch  nicht,  handgrifflos  wie  er  ist,  einen  bastone 

Haar  der  Marmorkopf  aus   Smyrna  im  Louvre  di  viaggio,  wie  schließlich  Barnabei  59  annahm? 

Nr.  3294,   Catal.   somm.   des   marbres   ant.    von  Als  Lanze  bezeichnet  ihn  richtig  A.  J.  Reinach 

1922    p.  164  Tah  62,  nach   dem  Texte    mit   der  a.a.O.  68   Anm.  4. 


pjQ  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

zugleich  bedeutet,  ja  selbst  an  Gliedmaßen  und  Gesichtern  (Taf.  III).  Nur  Speere  finde 
ich  ferner  ähnlich  mit  beiden  Händen  angefaßt:  mit  beiden  höher  oben  auf  der  Fico- 
ronischen  Ciste  von  dem  bärtigen  Argofahrer,  der  sitzend  der  Fesselung  des  Amykos 
zuschaut;  die  Hände  noch  weiter  als  in  unserem  Fall  auseinandergreifend  nach 
dem  Zeugnis  der  Natterschen  Gemme  bei  der  Amazone  Mattei  und  dem  ihr  ver- 
gleichbaren vulneratus  deficiens  von  Bavai,  dessen  Entstehungszeit  mir  freilich, 
mangels  eigener  Anschauung  der  Bronze,  dunkel  bleibt;  endHch  beide  Hände  ähnlich 
wie  in  unserm  Fall  nahe  beisammen,  nur  im  Stehen  höher  vor  der  Brust,  auf  dem 
Berliner  Orpheuskrater  bei  dem  ergriffen  an  sich  haltenden  Zuhörer  mit  geschlossenen 
Augen  i).  So  wie  unser  ruhig  dasitzender  Jüngling  seine  Waffe  fest  gepackt  vor 
sich  aufstützt,  wirkt  es  wie  unauffällige,  aber  zuverlässige  Kampfbereitschaft;  er 
sitzt  auf  seinem  Erdbuckel  wie  eine  Person  gewordene  Besatzung. 

Dazu  dient  auch  der  Schild,  der  angelehnt  die  Unterschenkel  des  Kriegers 
deckt  und  so  ganz  unzweideutig  ihm  zugeeignet  ist,  nicht  der  Frau  (wie  Barnabei 
wollte),  die  er  freilich  fürs  Auge  mi'  dem  Jüngling  verknüpfen  hilft.  Dieser  Silber- 
schild aber  verät  die  Volkszugehörigkeit  seines  Herrn.  Er  hat  nämlich,  was 
zuerst  Lippold  aussprach  *),  die  ganz  eigenartigen  geometrischen  Verzierungen, 
die  in  allen  soweit  verständlichen  Darstellungen  für  die  eigentlichen  Makedonen 
bezeichnend  sind.  So  gerade  auch  dort,  wo  diese  Schutzwaffe  außerhalb  ihres 
Ursprungslandes  abgebildet  ist.  Zu  dritt  zusammengelegt,  im  Mittelrund  eine 
Lanzenspitze  als  Schildzeichen,  erscheinen  sie  auf  den  Kupfermünzen  Abb.  7  a, 
die  Kassanders  Strateg  Eupolemus  314/13  v.  Chr.  in  Karien  schlagen  ließ3).  Im 
gleichen  Metall  prägt  einen  Schild,  mit  dem  Anker,  dem  Siegelbilde  Seleukos  L, 
ein  Antiochos,  wohl  sicher  dessen  Sohn,  zum  Ausdruck  des  von  dem  greisen  Vater 
übernommenen  Anspruchs  auf  den  erledigten  Thron  der  alten  Heimat  4).  Denn 
dasselbe  Gepräge,  nur  mit  den  Monogrammen  der  Könige  im  Schildkreis,  zeigen 
die  Kupfermünzen  des  Pyrrhos  (Abb.  7  b)  aus  den  Jahren  287  bis  284  und  274 
bis  272,  als  er  Makedonien  ganz  oder  teilweise  beherrschte,  und  seines  zuletzt  sieg- 
haften Mitbewerbers  um  dieses  Land,  Antigonos  Gonatas  (Abb.  70)5).  Der 
Schild  auf  den  Kupfermünzen  des  letztern  kommt  dem  des  Gemäldes  am  nächsten 
schon  durch  die  auch  hier  kaum  fragliche  Siebenzahl  der  Halbkreise  —  bei  Pyrrhos 
und  wohl  auch  bei  Eupolemos  sind  ihrer  nur  sechs  — ,  die  der  schmale  Schildrand 
abschneidet.     Aus  späterer  Zeit  sind   besonders  ähnlich    die   zwei  bisher  genauer 

')  Ficor.  Ciste  Pfuhl  a.  a.  O.  Abb.  628;    Springer,  3)  Catal.  gr.  coins  Br.  Mus.Caria  128  Taf. 21,  1 1  — 12. 

Handb.  "  I  Abb.  597.  Nattersche  Gemme  daselbst  Ansön,   Numism.  gr.  I2  Taf.  22,  1055.     Head, 

Abb.  497   und  J.  d.  I.  1918  XXXIII  73.     Bronze  Hist.  num.  »  622.     Vgl.  Diodor  19,  68;  77. 

von  Bavai  Springer  "  Abb.  549.    Orpheuskrater  4)  In  demselben  Catal.,  Scleuc.  S.  xxiii,   1 1  Taf.  4, 

Pfuhl  Abb.  554.  7.  Anson  a.  a.  O.  Taf.   16,  860  fg.     Zum  Anker 

')  Archäol.  Studien  für  A.  Furtwängler  505  A    7.  —  Appian,    Syr.  56,    vgl.  auch  Tarn,  Antig.  Gonat. 

A.  J.  Reinach  (oben  S.  68  Anm.  4)  hält  den  Schild  160  mit  A.  80. 

fUr  goldverziert,  weil  er  den  Text  dazu  mit  dem  5)  Anson  a.  a.  O.    Taf.  15,  823.     Vgl.  Head,  Hist. 

zu  der  schildhaltenden  Frau  an  der  Wand  gegen-  num.'  230 f.    Ich  kenne  diese  selten  abgebildeten 

über  verwechselt  (Barnabei  S.  58  u.  59).     Unten  Münzen  vollständiger  aus  der  Berliner  Sammlung. 

S.  103,  Taf.  III.  Daher  auch  unsere  Abb.  7  b  uijd  c. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  7I 

bekanntgemachten  Schilde  in  den  Reliefen  vom  Denkmal  des  Aemilius  Paulus 
zu  Delphi,  nur  daß  ihren  Rand  eine  breite  Doppelborte  umgibt ').  Auf  den  weiter- 
hin noch  zu  besprechenden  Silbermünzen  Philipps  V.  und  seiner  Vorgänger  mit 
Namen  Antigonos  (Abb.  7  d  bis  f,  h,  k)  erscheinen  die  sieben  Halbkreise  platt- 
gedrückt mit  einwärts  gebogenen  Enden.  Von  einer  Bereicherung  des  Zierats 
auf  diesen  Münzen  erst  unten  (S.  75). 

Zum  makedonischen  Krieger  passen  in  unserm  Gemälde  die  bis  ans  Hand- 
gelenk reichenden  Chitonärmel,  wie  sie  schon  Alexander  auf  dem  Mosaik,  er  und 
seine  Genossen  auf  dem  sidonischen  Marmorsarkophage  tragen.  Die  Farbe  dieses 
Hemdes,  die  Barnabei  59  gleich  der  des  Obergewandes  color  violaceo  nennt,  be- 
zeichnen mir  E.  Frank  und  W.  v.  Massow  als  ein  ganz  helles  Grau  mit  bläulichen 
und  gelblichen  Tönen,  das  wohl  nur  Weiß  bedeutet.  Dunkler,  nach  Massow  röt- 
lichviolett, ist  der  kleine  Mantel,  der  von  der  linken  Schulter  bis  zum  Arm  hängt, 
anderseits  quer  über  den  Schoß  etwa  vom  rechten  Mittelfinger  ein  wenig 
schräg  bis  nahe  an  den  obern  Schildrand  ansteigt,  durch  die  Farbe  von  den  be- 
zeichnenden Kolposfalten  des  Chitons  klarer  abgesetzt  als  in  den  Lichtdrucken, 
wo  sogar  ein  bißchen  Retusche  im  Spiel  sein  dürfte.  Die  große  etwa  ovale  Saum- 
schlinge unweit  der  Hand  gehört  jedoch  offenbar  zum  Mantel.  Dieser  kann,  da 
tiefer  unten  vor  dem  Erdsitz  nicht  mehr  ein  Fältchen  sichtbar  wird,  nur  als  die  dem 
Kriegsmann  gebührende  Chlamys  gelten.  Zwar  ist  sie  nicht  um  den  Hals  auf 
der  rechten  Schulter  zusammengeheftet,  wie  —  gemäß  dem  theokritischen  Aus- 
druck XöJTtos  axpovTOpoväaöai  für  »unter  die  Soldaten  gehn«^)  —  bei  andern  Kriegern 
und  darum  auch  bei  den  einschlägigen  Bildnissen  hellenistischer  Fürsten  3).  Aber 
daß  dieses  Gewand,  wie  sonst  nackten  Epheben  und  den  ihnen  nachgebildeten 
Hermesgestalten,  auch  einmal  einem  richtigen  Soldaten  mit  Ärmelchiton  und 
Speer  nur  lose  auf  der  linken  Schulter  aufhegen  kann,  lehrt  der  miles  gloriosus 
des  bekannten  pompeianischen  Wandbildes,  das  alsbald  noch  für  die  Kopfbedeckung 
heranzuziehen  sein  wird  4).  Das  war  wohl  eine  Art  »Interimstracht«,  wie  sie  unserm 
ruhig  dasitzenden  Makedonen  ansteht.  Das  Violett  zeigen  auch  die  Chlamyden 
des  sidonischen  Sarkophags  nach  Winters  Aufnahme.  Es  ist  das  aXoup^s?,  die  Pur- 
purfarbe, die  ja  nach  schriftlicher  Überlieferung  schon  Alexander  recht  vielen  hohen 
Offizieren  einräumte  5). 

Daß  jedoch  unserm  äp^upaam?  der  allerhöchste  Rang  zukommt,  lehrt  seine 
Mütze,  die  Barnabei  58  f.  ganz  richtig  beschrieben,  nur  nicht  ebenso  benannt  hat. 
Selbst  noch  gelehrteren  Kennern  des  Hellenismus  war  es  entgangen,  was  doch 
Wolters,  allerdings  nur  in  einer  Anmerkung,  schon  1890  kurz,  aber  genau  darlegte, 


0  Am  besten  m.  W.  bisher  bei  A.  J.  Reinach  a.  a.  O.  3)  Z.  B.  Alexander  in  Mosaik,  Sarkophagrelief  und 

(oben  S.  68  Anm.  4)  437  u.  444  f.  abgeb.  Letzterer  Neapeler  Reiterfigur,  aber  auch  die  Büsten  Hekler, 

Schild  zur  Not  auch  bei  S.  Reinach,  Rupert,  rel.  Bildniskunst  70,  71  a,  72  b,  u.  a.  m. 

I  118.  4)   Baumeister,  Denkm.  II  825;  Bieber,  Denkm.  des 

»)  Theokrit  Id.    14,66.      Zu  XüJjio;  vgl.  meine  Bei-  Theaterwesens  160;  19S  A.   134,  Abb.  136. 

träge  zur  altgr.  Tracht  74.  5)  Blümner, Techno!.' 1 234  A.  2;  242.  Athen.  12, 539F. 


72 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


daß  diese  etwa  unsern  Matrosenmützen  ähnliche  Kopfbedeckung  die  xauoia  ist '). 
Diese  besonders  in  Makedonien  heimische  Kopfbedeckung  zeigt  uns  am  deutlichsten, 
von  unten  gesehen,  ein  pergamenisches  Waffenrelief  ^),  aufgesetzt  aber  der  Make- 
done  des  bekannten  Grabreliefs  aus  seiner  Heimat3),  ferner  der  dem  bedrohten  Alexander 
zu  Hilfe   sprengende  Krateros  in  der  Löwenjagd  der  messenischen  Rundbasis  4), 

und  selbst  in  den  erhaltenen  Zeichnungen  jenes  verlorenen 
Wandgemäldes  der  Bramarbas  einer  Komödie.  Nicht  un- 
erwähnt bleibe  hier,  daß  die  hellenistische  Kunst  die  be- 
liebte Militärmütze  auch  Sagengestalten  gibt,  z.  B.  einem 
Jagdgenossen  des  Meleager  und  der  Atalante  auf  einem 
bekannten  Wandgemäldes),  in  Übereinstimmung  mit  der 
Aitoha  der  Bundesmünzen  dieses  Landes  ^).  Doch  ist 
solche  Deutung  unseres  Jünglings  ausgeschlossen,  nicht 
nur  durch  seinen  zweifelfreien  Bildniskopf,  auch  durch  die 
Eigenart  seiner  Kausia  selbst.  Es  ist  nämlich  die  erst  seit 
Alexander  übliche  Königsmütze,  die  xauaia  s)(ouaa  xh  oidbrnia. 
To  ßaaiXixov  oder  kurzweg  xouaia  Siaor^ixaio^popo?").  Dargestellt 
ist  sie  im  wesentlichen  ebenso,  wieder  mit  der  Chlamys  verbunden,  in  dem  Münzbild- 
nis des  Baktrerkönigs  Antimachos  I.  Theos  (Abb.  6),  der  fern  im  Osten  das  besondere 
Bedürfnis  empfand,  die  makedonische  Herkunft  seiner  Macht  zu  veranschaulichen**). 


Abb.  6. 

Antimachos  I.  von  Baktrien. 

Krönerscher  Druckstock. 


')  Wolters  in  den  A.  M.  1890  XV  196  Anm. 
Die  verdienstliche  ausführlichere  Darstellung 
von  Wuescher  -  Becchi  im  Bull,  comun.  1904 
XXXII  93  ff.  hat  wieder  einiges  Unzuge- 
hörige eingemischt  und  dieses  ist  auch  in  dem 
Art.  xauaia  bei  Pauly,  Wissowa,  Kroll,  Real- 
encyklop.  XI  89  ff.,  den  Ada  von  Netoliczka 
verfaßt  hat,  nicht  wieder  ausgemerzt.  Wolters 
scheint  auch  von  ihr  wieder  übersehen  zu  sein. 
Vgl.  Anm.  8  dieser  Seite. 

-)  Altert,  von  Pergam.  II  Taf.  45,  I.  Baumeister, 
Denkm.  II  1284.    S.  Reinach,  Rupert,  rel.  I  214,  I. 

3)  Heuzey,  Mission  de  MacM.  Taf.  22 ;  der  Kopf  bei 
Daremberg,  Saglio,  Pottier,  Dict.  I  2,  975  Abb. 
1259.     Photogr.   Alinari   22  592. 

t)  J.  d.  I.  1888  III  190  Taf.  7  G.  Löschcke;  1909 
XXIV  190  Wolters,  Sieveking;  Journ.  hell.  stud. 
1899  XIX  273  Perdrizet. 

5)  Heibig  Nr.  1165.  Winter,  Kunstg.  in  Bild.  I  97,  6. 
Rodenwaldt,  Kompos.  61  Abb.  8.  Vgl.  den  »Of- 
fiziersburschen« des  mit  Aphrodite  kosenden  Ares 
Herrmann  Taf.  1 09  f.  Jahreshefte  1902  V  97 
Abb.  15  u.  a,  m. 

*)  Head,    Hist.   num. '   334. 

7)  Athen.  12,  537  E;  Plutarch,  Anton.  54;  vgl.  auch 
Arrian  7,  22,  2.  Zu  Plutarchs  kleinem  Ptolemäer- 
prinzlein  der  Kleopatra  vgl.    Winter,  Typen  fig. 


Terrak.  II  239,  i — 6,  soldatenspielende  Jungen. 
*)  Abb.  6,  nach  Berliner  Abguß,  entlehnt  aus  Sprin- 
gers Handbuch  "  Abb.  779.  Catal.  gr.  coins. 
Kings  of  Baktria  Taf.  5,  i.  Imhoof- Blumer,  Portr. 
Taf.  6,  30.  Katal.  J.  Hirsch  XXXIII  Taf.  23, 
943.  —  Wenigstens  hier  erwähne  ich  den  von 
Six  auf  Euthydemos  I.  von  Baktrien  gedeuteten 
Marmorkopf  des  Museo  Torlonia,  der  wahrschein- 
lich auch  die  xausfa  oia57)[jiaTO(p({pot  trug.  Doch  ist 
sie  durch  Ergänzung  und  Überarbeitung  arg  ent- 
stellt. Übrigens  auch  das  Gesicht.  Das  Stück  ge- 
hört somit  nicht  in  Auswahlen  des  Besten  wie  R. 
Delbrück,  Ant.  Porträts  29  oder  gar  Waldmann, 
Gr.  Originale  185.  Beide  verwechseln  auch  noch 
die  Kausia  mit  dem  hutähnlichen  Helm  des 
Alexandersarkophages,  wie  selbst  noch  Winter 
in  seiner  Ausgabe  des  letzteren  S.  13, 
trotz  meiner  auf  Wolters  (hier  Anm.  l)  gegrün- 
deten Warnung  schon  Verhandl.  42.  Philologen- 
versamml.  1892,  87  A.  iii,  die  Th.  Reinach, 
Necrop.  royale  de  Sidon  288  A.  i  wiederholt. 
Mit  ähnlich  wie  in  dem  Marmor  durchgedrücktem 
Oberkopf  scheint  die  Kausia  dargestellt  auf  den 
Münzen  des  Illyrierkönigs  Genthios,  wo  das 
Fehlen  des  Diadems  auffällt;  ob  es  nur  auf 
schlechter  Erhaltung  beruht  ?  Imhoof,  Portr. 
Taf.  2,    18. 


Franz  Studniczka,  Imagines   Illustrium.  j'i 

Nur  hängen  dort,  in  der  Seitenansicht,  die  Bandenden  im  Nacken,  wie  durchaus  die 
des  ums  bloße  Haupt  geschlungenen  Diadems  und  an  dem  der  Kausia  umgelegten 
auch  in  der  Schilderung  des  Demetrios  Pohorketes  von  Duris  ').  Dagegen  mußte  der 
Maler  unserer  Dreiviertelansicht  die  Bandenden  (das  zweite  kommt  eben  noch 
hinter  dem  Speer  zum  Vorschein,  wie  mir  Massow  bestätigt),  um  sie  sichtbar  zu 
machen,  irgendwie  vorverschieben.  Dies  mag  im  Urbilde  —  das  jetzt  niemand 
mehr  auf  einer  pompeianischen  Wand  suchen  wird  —  sachlich  begründet  gewesen 
sein  2).  Daß  es  sich  dennoch  um  die  richtige  Königsbinde  handelt,  bestätigt  hier 
ihre  mehrfach  bezeugte  weiße  Farbe  3),  die  Barnabei  ohne  Zögern  angibt,  obgleich 
sie  nach  Massow  durch  verschiedene,  grünlich-hellblaue  bis  violette  Töne  gedämpft 
ist,  doch  wohl  um  die  Beschattung  durch  die  ausladende  Mütze  auszudrücken.  Das 
Weiß  soll  die  Prachtliebe  des  Belagerers  nach  jenem  Berichte  des  Duris  mit  Gold- 
stickerei überzogen  haben  (ypuaö:ro((5To?).  Doch  ist  damit  vielleicht  nur  Gold 
als  Stoff  des  auf  vielen  Münzen  erkennbaren  Fransenbesatzes  gemeint.  Der  ent- 
sprechende Abschlußstreifen  unseres  Bildes,  nach  Massow  nicht  gefranst,  ist  dunkel- 
violett. Ebenso  die  Kausia  selbst,  also  wieder  c(Xoup7r]f,  wie  nach  dem  samischen 
Peripatetiker  die  des  ersten  Demetrios  und  gewiß  nicht  nur  die  seinige  war. 

Somit  ein  makedonischer  König.  Denkbar  wäre  ja  auch  der  eines  der  helle- 
nistischen Reiche,  wo  Geschlechter  dieser  Abkunft  herrschten,  wie  die  Ptolemäer 
oder  Seleukiden.  Aber  weitaus  näher  liegt,  nach  der  gegebenen  Übersicht  des 
Vorkommens  makedonischer  Schilde  (S.  70 f.),  ein  Herrscher  des  Stammlandes.  Und 
zwar  ein  für  unsere  Augen  neuer.  Denn  der  noch  jugendliche  Kopf  liefert  nicht 
allein  in  der  besprochenen  Haartracht  (S.  69),  auch  in  der  breiten  Stirn  und  der 
langen,  starken  Hakennase  über  der  kurzen,  etwas  gepreßt  wirkenden  Oberlippe, 
in  dem  ebenfalls  kurzen,  aber  kräftig  vortretenden  Kinn  und  den  straffen  Wangen 
Charakterzüge  genug,  um  sagen  zu  können,  daß  er  uns  auf  Münzen  und  sonst  noch 
unbekannt  ist.  So  sah,  um  von  Alexander  zu  schweigen,  weder  Poliorketes,  noch 
einer  von  seinen  Todfeinden  und  Nachfolgern  in  der  Herrschaft  über  Makedonien, 
Pyrrhos  und  Lysimachos  4),  weder  Philipp  V.  noch  dessen  Sohn  Perseus  aus.  An 
die  jung  und  ruhmlos  dahingesunkenen  Nachfolger  Alexanders,  den  Sohn  und 
Halbbruder,  wird  niemand  denken,  ebensowenig  an  die  Söhne  Kassanders,  der 
selbst  in  allzu  reifem  Alter  Makedonenkönig  wurde,  um  hier  in  Erwägung  zu 
kommen.  In  Frage  stehen  also  nur  die  drei  Antigoniden  zwischen  Demetrios  I. 
und  Philipp  V.:  Antigonos  II.  Gonatas  (277  bis  239),  dessen  Sohn  und  Nachfolger 
Demetrios  II.  (239  bis  229)  und  dessen  Nachfolger,  des  Gonatas  Neffe  Antigonos  III. 
Doson  (229  bis  220),  der  Vormund  und  Platzhalter  des  unmündigen  Sohnes  Deme- 
trios II.  Philipp  V.  Von  dem  mittlem  unter  diesen  drei  für  das  gemalte  Bildnis 
ernstlich  in  Betracht  kommenden  Herrschern  gibt  es  bisher  keine  Münzbilder, 
wohl  aber  von  einem  der  beiden  Antigonoi.    Von  welchem,  das  gilt  es  zu  ermitteln. 

')  Fr.  h.  gr.   II  477,  31,  aus  Athen.  12,   535  F.  3)  Die   Stellen  bei   Pauly,   Wissowa,   Realencykl.  V 

')  Beide  Zipfel  der  allein  getragenen   Königsbinde  303  (Mau). 

ziehen  nach  vorne  die  Vorderansichten  von  Arsa-  ■»)  Auch    zu    dessen    Bildnis    vgl.   Six   in    den    R. 

kidenköpfen   bei    Imhoof-Blumer,    Portr.    Taf.  7,  M.  1894   IX  103  ff.       Hekler,     Bildniskunst   69. 

13;  20  u.  a.  m. 


74 


Franz  Studxiiczka,  Imagines  Illustriuni. 


a  Eupolenios 


c  Antigfonos  II. 


b  Pvrrhos 
d  e  Antigonos  III. 
g-  Amyntas  If.  oder  III.  i  Antigonos  II. 

f  h  k  Antigonos  IL   oder  III. 

Abb.  6.     Makedonische  Münzen  in  Abdrücken  von  Berliner  Stücken ; 
nur  f  bei  Dr.  Walter  Giesecke  in  Leipzig. 

3.    DAS  KÖNIGSBILDNIS  DER  ANTIGONOSMÜNZEN. 

Seltene  Vierdrachmenstücke  mit  einem  feinen  diademgeschmückten  Kopfe 
bezog  Imhoof,  mit  Bompois,  auf  Doson,  weil  das  Bildnis  sehr  von  ferne  und  nicht 
in  den  besten  Stücken  an  dessen  Großvater  den  Belagerer  erinnert  und  die  einzige 
Beischrift  dieses  Gepräges  Aa  auf  den  Sieger  von  Sellasia  hindeuten  zu  können 
schien  ').  Es  wird  aber  jetzt  zumeist  dem  im  chremonideischen  Kriege  gefallenen 
Lakonenkönig  Arcus  gegeben,  zu  dessen  bekannten  zeitgemäßen  Ansprüchen  die 
hellenistische  Königsbinde  an  Stelle  des  schlichten  schnurförmigen  Strophions  der 
Archidamosbüste  ^)  gut  passen  würde.  Dagegen  von  einem  König  Antigonos 
gezeichnet  sind,  zu  beiden  Seiten  der  archaisierenden  Athena  Alkidemos  der  Rück- 
seiten, zahlreiche  Vierdrachmenstücke,   die  vorne  den  makedonischen  Schild  mit 


■)  Imhoof,  Porträtk.  15  Taf.  2,  9;  Katal.  J.Hirsch 
XIII  2641  Taf.  29  (wohl  das  beste  Stück)  und 
2642  Taf.  30.     Head,  Hist.  num.»  434  Fig.  238. 


Vgl.  Pauly,  Wissowa,  Realencykl.  II  683  (Niese); 
Beloch,  Gr.  Gesch.   III  i,  314. 
^)  Hierüber  Journ.  hell.  stud.  1923  XLIII  66. 


1 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium.  yc 

dem  bartlosen  Panskopf  im  Kreise  tragen,  der  schließlich  allerdings  in  das  Bildnis 
des  Königs  umgestaltet  wurde.  Die  mit  diesen  Worten  vorausgesetzte  Zeitfolge, 
wie  sie  Abb.  7  zunächst  in  den  drei  Stücken  f,  h,  k  veranschauHcht,  ergibt  sich 
mir  im  Gröbsten  schon  aus  einer  Weiterbildung  des  Schildzierats.  Den  sieben 
Bügeln  der  Umrahmung,  die  jetzt  erst  flachgedrückt  und  eingebogen  sind,  werden 
auch  noch  Sternchen  eingefügt.  Diese  hat  man  offenbar  nur  zu  Beginn  der  neuen 
Prägung  (Abb.  jf)  mit  in  der  Regel  vier  einander  durchkreuzenden  Strichen  so 
lässig  gezeichnet,  wie  wir  sie  mit  der  Feder  »schreiben«.  Nach  einer  Übergangsform, 
wo  der  noch  ebenso  »kursive«  Stern  doch  schon  einen  Mittelpunkt  erhält,  folgt 
die  an  sich  alte  Zierform,  die  grundsätzlich  mit  dem  Schildzeichen  unseres  Gemäldes 
(Taf.  II)  übereinstimmt:  acht  um  einen  gesonderten  Mittelpunkt  angeordnete 
Strahlen,  dick  ansetzend  und  rasch  sich  zuspitzend  (h,  k,  auch  d,  e).  Bleibt  doch 
im  wesentlichen  die  letztere  Sternform  im  Gebrauche  auf  den  Münzen  Philipps  V., 
wo  der  Panskopf  mit  Wurfholz  dem  des  Perseus  mit  Tarnhelm  und  Harpe  ge- 
wichen ist,  ja  noch  auf  denen,  wo  der  Kopf  der  »freien«  Makedonia  an  die  Stelle 
tritt ').  Schon  dieser  enge  Zusammenhang  nach  unten  legt  den  Gedanken  nahe, 
daß  die  Antigonosmünzen  dem  Doson  oder  wenigstens  auch  noch  ihm  gehören. 
In  der  kleinen  Anfangsgruppe  mit  den  »kursiven«  Sternchen  ist  nun  der 
Panskopf,  wie  Abb.  7f  ihn  zeigt,  zwar  durch  kurze  Hörner  bezeichnet,  sonst  aber 
einem  jugendlichen,  noch  ziemlich  edlen  Satyr  ähnlich ').  Erst  neben  jener  Über- 
gangsform des  Sterns  mit  nicht  abgesondertem  Mittelpunkt  wird  das  Gesicht  derber 
und  männlicher,  etwa  dem  der  Barberinischen  Satyrstatue  in  München  vergleich- 
bar 3).  In  dem  endgültigen  Sternkranze  dagegen  klingt  es  nur  noch  selten  an 
den  jugendhchen  Typus  an  t),  macht  vielmehr  zumeist  den  Eindruck  von  Bild- 
nissen aus  gereiftem  Lebensalter  (Abb.  7,  h,  k)  5).  Hierher  gehören  schließlich 
auch  unsere  Berliner  Münzen  d  ^)  und  e  7).  Beide  zeigen  so  ziemlich  dasselbe 
männlich  reife  Gesicht  mit  starken  Wangen,  kleinem  Mund  und  hochgezogener 
Braue,  das  nur  die  kurze  Senknase  entstellt,  bei  dem  aber  ohne  die  Spitzohren 
und  Hörnlein,  das  deutlich  gezeichnete  Fell  um  den  Halsansatz  und  das  Wurfholz, 
kaum  noch  jemand  an  Pan  denken  würde.  Letzteres  Attribut  zeigt  sich  nicht 
mehr  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  dem  Kreisrahmen  angeschmiegt,  sondern  ge- 

•)   Proben  von  beiden  bei  Head,  Hist.  num.»  233;  4)  So  z.B.  J.  Hirsch,  Katal.  XXXIII  Taf.  15,  668. 

238  f.     Anson,  Num.   gr.   I  2  Taf.  11,  575;  20,  5)  Unserm  Berliner  h  ähnlich  J.  Hirsch,  Katal.  XXX 

1015;   10,   564— 566.  [J.  Hirsch.]     VI.   Catal.de  Taf.  15,  474,  wohl  dasselbe  Stück  wie  XXV  Taf.7, 

monn.  gr.  Collect.  Bement  I  vente  1924  Taf.  28.  546.     Vgl.  auch  Head,  Hist.  num.»  203  Fig.  146, 

')  Unserm  Gieseckeschen  Stück  gleich  oder  ähnlich :  ausnahmsweise    mit   gerader   Nase,   aber   schräg 

J.  Ward  (G.  F.  Hill),  Gr.  coins  and  their  parent  auswärts   hochgezogenen    Brauen.       Noch    etwas 

cities  62  Taf.  10,  403.    J.  Hirsch,  Katal.  XXXIII  anders  Coli.   Bement  a.  a.  0.  (Anm.  i)  785. 

Taf.  15,   669,   wohl  gleich   Katal.   XIII  Taf.  16,  ^)  Ähnlich  der  im  Haag,  abg.  Imhoof-Blumer,  Monn. 

n8o  (die  bessere  Abb.).     S.  auch  Coli.  Bement  gr.  130  Nr.  70  Taf.  D,  13.  Gipse  verdanke  ich  dem 

a.  a.  O.   784.  —  Zur  Geschichte  des  Typus  vgl.  Direktor  Herrn  Dr.  A.  0.  van  Kerkwyk. 

Furtwängler,  Kl.  Schriften  I  211.  ^)  Tarn,  Antig.  Gon.  174  A.  20  und  Titelblatt.  Vgl. 

3)  Am  frühesten  wohl  J.  Hirsch,  Katal.  XIII  Taf.  16,  Imhoof.Monn.  gr.  130  oben,  wo  die  ältere  Lite- 

II 78.  ratur. 


76  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

schultert  nur  mit  dem  dicken  Ende  hinten  herausragend,  und  gibt  so  Raum  für 
die  flatternden  Bandenden  des  Diadems,  das  sich  in  die  herkömmliche  Furche 
über  dem  Nackenschopf  gelegt  hat.  Da  dieses  nicht  allzu  augenfällige  Kennzeichen 
von  d  noch  nicht  zu  genügen  schien,  wiederholte  man  auf  e  in  dem  schmalen 
Zwischenraum  des  Doppelkreises  in  winzigen  Buchstaben  die  Aufschrift  der  Rück- 
seite ßotdiXeo)?  'AvTi^övou.  Ihr  zu  Ehren  sind  beide  Seiten  neu  und  sorgfältig  durch- 
gearbeitet, z.  B.  die  Bügel  des  Schildrahmens  ganz  eigenartig  dreifach  gezogen 
und  darum  mit  kleinern,  gedrungenen  Punktsternchen  gefüllt,  auch  die  Athena 
Alkidemos  nach  rechts  gewandt,  was  indes  schon  früher  vorkommt.  So  wird 
gewissermaßen  die  Rückkehr  zur  ausdrücklichen  Bildnisprägung  gefeiert. 

Aber  welcher  von  den  zwei  in  Frage  kommenden  Königen  ist  gemeint.^  Gewiß 
derselbe  Antigonos,  den  bei  einer  von  ihm  geleiteten  Belagerung  Verteidiger  von 
der  Stadtmauer  wegen  seiner  Häßlichkeit  verspotteten,  was  er  zwar  scherzend 
beantwortete  (»und  ich  glaubte,  mein  Gesicht  sei  schön«),  aber  nach  Einnahme 
der  Stadt  doch  durch  Verkauf  der  Leute  in  die  Sklaverei  hart  bestrafte;  nur  sagt 
uns  leider  auch  Plutarch  nicht,  ob  das  Gonatas  oder  Doson  war  ').  Für  ersteren 
nimmt,  wie  schon  angemerkt,  unsere  Münzen  nach  Imhoof  und  anderen  Tarn  in 
Anspruch  und  setzt  e  als  Titelbild  vor  sein  treffliches  Buch  über  den  philosophischen 
König.  Hat  doch  für  diesen  sein  stoischer  Glaubensgenosse,  Freund  und  Hof- 
dichter Aratos  einen  Hymnos  auf  Fan  verfaßt  2),  und  diesem  Schutzgott  feierte 
Gonatas  noch  als  Greis  sogar  auf  der  Apolloninsel  Delos  Faneia  (Tarn  380  f.). 
Ja,  zahlreiche  Kupfermünzen  (wie  Abb.  yi)  mit  demselben  Monogramm,  das 
die  offenbar  im  Wettbewerb  mit  Pyrrhos  und  Antiochos  geprägten  Makedonen- 
schilde  des  Königs  tragen  (Abb.  7  c),  zeigen  den  satyrähnlichen  Gott  ein  Tropaion 
schmückend,  an  dem  bereits  ein  gewaltiger  Schild  mit  großem  Buckel  hängt,  das 
also  doch  wohl  nur  dem  wichtigen  Galliersieg  des  Gonatas  bei  Lysimacheia  (277) 
gelten  kann  3).  Indes  darf  nicht  vergessen  werden,  daß  sich  der  Panskopf  in 
einer  dem  Anfangstypus  der  Vierdrachmenstücke  nicht  allzufernen  Idealform 
(Abb.  7g)  schon  auf  dem  Kupfer  Amyntas  II.  oder  III.  und  noch  nach  dem  Fall 
des  Königtums  auf  dem  der  Botteaten  findet  4),  so  daß  er  nicht  auf  die  Münzen 
Antigonos'  II.  beschränkt  gedacht  werden  muß.  Immerhin  werden  unsere  Silber- 
stücke mit  diesem  König  anheben.  Aber  die  schließliche  Umdeutung  ihres  Pan- 
kopfes  zum  Königsbildnis,  also  eine  Art  Verherrlichung  der  eigenen  Häßlichkeit, 
wie  auch  jene  Rache  für  deren  Verspottung  von  der  Stadtmauer  herab,  paßt  doch 
entschieden  schlechter  zu  dem  stoischen  Verächter  des  Diadems  und  der  Ver- 
gottung 5),  als  zu  dem  mit  Alexander  verglichenen,  kurzlebigen  Sieger  von  Sellasia 
der  sich  Antigoneia  feiern  ließ  und  sonst  gern  alle  Ehren  mitnahm  *).    Diese  ver- 

')  Plutarch,  de  cohib.  ira  458  F,  Bernard.  III  193.  4)  Catal.  gr.  coins  Brit.  Mus.  Maced.  13.  168;  Head, 
')  Maaß,    Aratea    229.      Mehr  Literatur    bei  Tarn  Hist.   num.'  222.   243.      Ich   habe   auch   davon 

a.  a.  0.  226  A.  5.  mehr  Stücke  in  Berlin  gesehen  als  das  in  Abb.  7  g. 

3)  Die  kurzen  Nachrichten  bei  Laert.  Diog.   2,   17,  5)  Stobaeus,  Flor.  7,  20.     Plutarch,  de  Isid.  et  Osjr. 

140  und  lustin  25,  2.   Vgl.  Usener  im  Rhein.  Mus.  360  C  D,  Bernard.  II  494.    Vgl.  Tarn  a.  a.  0.  435. 

1874  XXIX  43.     Head,  Hist.  num.^  232.  «)  Polyb.  2,  70;  9,  36,  4;  5,  9,  8.    Plutarch,  Kleom. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


n 


schämte  Rückkehr  zu  der  seit  Demetrios  I.,  offenbar  infolge  der  langen  Herrschaft 
seines  philosophischen  Sohnes,  ruhenden  Bildnisprägung  durch  Doson  bildet  den 
richtigen  Übergang  zu  deren  rückhaltloser  Wiederaufnahme  unter  seinem  Nach- 
folger Philipp,  dessen  Münzen  mit  dem  Bildnis  als  Perseus,  wie  gesagt,  unmittelbar 
an  die  mit  Pan-Antigonos  anknüpfen   (S.  75). 


4.  DIE  FRAU  NEBEN  DEM  MAKEDONENKÖNIG. 

So  bleiben  für  den  Träger  der  xauata  StaSr^fiaxocpopoc,  zu  dem  wir  nach  dem 
notgedrungenen  Umweg  zurückkehren,  nur  Antigonos  II.  und  sein  Sohn  Demetrios  II. 
zur  Wahl,  und  diese  neigt  sich  von  vornherein  zu  dem  berühmteren  Vater. 
Auf  seinen  Münzen  fanden  wir  den  Makedonenschild  am  ähnlichsten  verziert  wie 
in  dem  Gemälde,  bei  seinem  Altersgenossen 
Pyrrhos  die  ähnlichste  Haartracht  (S.  69). 
Als  das  abgeschnittene  Haupt  dieses  Fein- 
des dem  Gonatas  gebracht  wurde,  deckte 
er  seine  Kausia  darüber,  die  er  nach  Make- 
donensitte  ebenso  zu  tragen  gewöhnt  war'), 
wie  sein  Vater  Demetrios  (S.  73).  Weitere 
Bestätigung  bringt  der  Zusammenhang,  worin 
ihn  das  Bild  zeigt.  Der  junge  König  blickt, 
mit  stark  verschobenen  Augensternen,  in  ern- 
ster Aufmerksamkeit  fast  andächtig  auf  die 
mächtige  Frauengestalt,  die  sich  neben  ihm 
auf  die  tiefere  Bodenstufe  rechts  vorne  nieder- 
gelassen hat.  Vorgebeugt  legt  sie  den  linken 
Unterarm  schräg  über  das  tiefer  herab- 
gelassene Knie  und  stützt,  Xs/pi?  dpeiorafisvrj^), 
aufs  gehobene  rechte  den  rechten  Ellbogen, 
die  Hand  am  Kinn  des  lebhaft  aufschauenden 
Gesichts.  So  schließt  die  Gestalt  sich  Zug  um  Zug  an  das  Urbild  der  auf  dem  Om- 
phalos  sitzenden  Themis  (Abb.  8)  —  oder  wer  es  sonst  ist  — ,  die  auf  der  Kertscher 
Vase  in  Petersburg  dem  Auszug  des  Triptolemos  beiwohnt.  Hier  jedoch  muß  es  ein 
sterbliches  Weib  sein.  Ihr  Aufbhcken  kann  sich  nur  auf  den  könighchen  Jünghng 
beziehen,  obgleich  die  Richtung  der  scharfen  Seitenansicht  des  Gesichts  streng  ge- 
nommen an  dem  etwas  in  den  Hintergrund  Geschobenen  vorbeigeht.  So  erklärt  es 
mir  Amelung  vor  dem  Urbild  sehr  entschieden  gesehen  zu  haben,  weshalb  ihm  die 
Frau  vielmehr  ins    Leere  oder  nach  dem  unzweifelhaft  herüberschauenden  Alten 


Abb.  8.    Themis  von  einer  Kertscher  Vase. 

Nach    F    R.  II    Taf.  70.      Druckstock    von 

B.  G.  Teubner. 


30,  Arat  45;  Athen.  6,  251  D.     Mehr  bei  Tarn  sea,  qua  velatum  caput  suum  morc  Macedonum 

a.a.O.  435  und  250;  A.  106  sind  ihm  die   Pan-  habebat,   texit. 

münzen  für  Gonatas  unbequem.  ")  So    sagt    Apollon.    Rhod.    Argon.  3,    1160    von 

')  Valer.  Max.  5,  i,  4:  humo  caput  sublatum  cau-  Medea,  die  in  sehr  ähnlicher  Haltung  die  Folgen 

des   eben   geschlossenen   Liebesbundes   vorausahnt. 


nß  Franz  Studniczka,  Imagines  lllustrium. 


jenseits  der  gemalten  Säule  zu  blicken  schien.  Aber  Barnabei  und  Massow  bezogen 
angesichts  des  Wandgemäldes  doch  ihren  Augenaufschlag  auf  den  Sitzenden.  Nur 
ging  der  Herausgeber  sicher  in  die  Irre,  wenn  er  gieriges  Liebesverlangen  der  giovine 
donna  herauslas,  die  bei  Pfuhl  S.  87  gar  ein  Mädchen  heißt.  Solche  Bezeichnungen 
passen  jedoch  gar  nicht  auf  diese  Frau,  deren  edles  Gesicht  auf  einem  bis  in  das 
Doppelkinn  und  die  mehr  als  vollen  Wangen  hinauf  geradezu  schweren,  fett- 
leibigen Körper  sitzt.  Man  umspanne  nur  mit  dem  Auge  den  hochumgelegten  Gürtel 
und  die  Hüfte  darunter.  Am  nächsten  kommt  ihr  darin  die  Mutter  Niobe,  noch 
näher  als  die  Statue  der  Uffizien  die  des  pompeianischen  Marmorgemäldes  (Pfuhl 
Abb.  652).  Der  so  unzweideutig  mütterlichen  Gestalt  entsprechend  muß  das 
Aufleuchten  der  Miene,  mit  dem  feurigen,  dunkeln  Auge  und  den  geöffneten  Lippen, 
zwischen  denen  die  obere  Zahnreihe  sichtbar  wird  —  nicht  unähnlich  dem  hier 
191 9,  137  auf  die  Dionysosbraut  Ariadne  gedeuteten  Kopfe  vom  Südabhang  — 
vielmehr  stolze  Mutterliebe  bedeuten.  Also  die  Mutter  des  jungen  makedonischen 
Herrschers,  nicht  ganz  ohne  Bildniszüge  auch  im  Gesicht,  dessen  Nase  fein  gebogen 
ist.  Ihre  Volkszugehörigkeit  mag  dem  Kundigen  die  Tracht  näher  bestimmt  haben. 
Das  um  die  Beine  von  weißem  Mantel  umhüllte  Hauptgewand  —  nach  v.  Massow 
entschieden  grau-violett,  nach  Langlotz  stellenweise  mit  Graugelbbraun  über- 
strichen, der  einzige  Anhalt  für  Barnabeis  Angabe  S.  59,  der  aber  auch  sonst  den 
Purpur  grün  sah  —  zeigt  echt  dorisch  die  prachtvollen  Arme  der  XsuxwXevo;  und 
ihren  Ansatz  bis  unter  die  Achselhöhlen.  Beinah  etwas  Ländliches  hat  das  zur 
Haube  zusammengefaltete  rotbraune  Kopftuch  mit  im  Nacken  verknoteten  und 
hinabhängenden  Zipfeln  ').  Nur  vorn,  von  der  niedrigen  Stirn  bis  zum  Ohr,  kommt 
ein  schmaler,  lockiger  Haarstreifen  zum  Vorschein.  Im  Ohrläppchen  ein  kleiner 
einfacher  Goldring.  Dagegen  Barnabeis  larga  armilla  di  oro  sul  braccio  sinistro 
hat  weder  E.  Frank  noch  v.  Massow  bestätigt,  nur  Langlotz,  und  er  doch  zögernd. 
Das  alles,  besonders  die  schwere  Körperfülle,  paßt  weit  besser,  als  zu  einer  Göttin, 
etwa  der  Verkörperung  einer  Landschaft,  zur  Königin  Mutter,  die  freilich  auf- 
gerichtet den  jungen  König  gewaltig  überragen  würde.  Doch  ist  auch  Mutter 
Niobe  in  der  Marmorgruppe  bedeutend  größer  gewachsen,  als  selbst  die  größte 
von  ihren  erwachsenen  Töchtern  in  dem  die  elende  Florentiner  Kopie  fast  um 
Haupteslänge  überragenden  Urbild  aus  dem  Besitz  des  Chiaramontipapstes. 

Wurde  vorhin  in  dem  jungen  König  richtig  Antigonos  Gonatas  vermutet, 
dann  ist  seine  liebevolle  Mutter  die  edle  Phila,  die  staatskluge  Lieblingstochter 
des  Reichsverwesers  Antipatros.  Sie  wurde  schon  322  mit  Krateros  vermählt, 
aber  nach  dessen  frühem  Tode  im  Kampfe  gegen  Eumenes  wohl  schon  321/0  wieder 
verheiratet  mit  dem  erheblich  Jüngern,  eben  erst  erwachsenen  Demetrios,  der  nur 
ungern  diesen  Wunsch  seines  Vaters,   des  einäugigen  Antigonos,   erfüllte^).      318 

')  A.  J.  Reinachs  Auffassung  der  Haube  als  einer  sie  aus,  in  Übereinstimmung  mit  einer  von  Fräul. 

»phrygischen  Mütze«  (oben  S.  68A.  4)  ging  auch  E.  Frank  vor  dem  Urbild  hergestellten  Skizze, 

mir  durch  den  Kopf,  als  ich  nur  auf  Barnabeis  die    frühere    Angaben    Amelungs    bestätigt,    von 

Taf.  8  angewiesen  war.      Unsere  Taf.  II  schließt  spätem  Massows  ergänzt  wird. 

^)  Plutarch,  Demetr.  14  und  27.  Diodor  19,  59,  3 — 5. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  yg 


gebar  sie  dessen  gleichnamigen  Enkel  und  bald  darauf  Stratonike  (S.  65).  Noch  um 
die  Zeit,  als  der  Belagerungsmeister  Rhodos  bedrängte,  wurde  ihm  eine  nützliche 
Sendung  dieser  Frau  weggekapert.  Sie  lebte  damals  vermutlich  in  der  Nähe, 
etwa  in  Lykien,  da  ein  Sohn  dieses  Landes,  Demarchos,  ihre  Leibwache  befehligte'). 
Aber  das  eheliche  Verhältnis  muß  sich  immer  mehr  gelockert  haben,  da  ihr  junger, 
genußsüchtiger  und  ehrgeiziger  Gemahl  nicht  nur  in  schamlos  betriebenen  Lieb- 
schaften, sondern  auch  in  weiteren  Heiraten  selbst  dem  Mindestmaß  von  schul- 
diger Rücksicht  Hohn  sprach.  Nach  der  schweren  Niederlage  bei  Ipsos  (301) 
jedoch  finden  wir  trotz  allem  Phila  in  Rossos  um  die  Aussöhnung  des  Demetrios 
mit  dem  bejahrten  Schwiegersohn  Seleukos,  weiterhin  als  Abgesandte  des  Gatten 
um  die  mit  ihrem  Bruder  Kassandros  bemüht,  und  nach  dessen  Tode,  dem  der 
Fall  seines  Hauses  rasch  folgte  (294),  verdankte  es  Demetrios  zum  guten  Teil  dem 
Ansehn  der  Antipatrostochter,  einer  wahren  mater  castrorum,  wenn  das  Königtum 
der  alten  Heimat  ihm  zufiel.  Erst  als  der  Leichtsinnige  sogar  diese  heiß  begehrte 
Stellung  nicht  festzuhalten  vermochte  und  vor  den  zu  Pyrrhos  oder  Lysimachos 
übergehenden  Makedonen  fliehen  mußte  (287),  gab  ihn  selbst  Phila  auf,  jedoch 
nur,  indem  sie  sich  das  Leben  nahm*). 

Den  Sohn  erzog  die  königliche  Frau  zu  derselben  Treue  gegen  den  Vater, 
die  letzterer  dem  seinigen  bewiesen  hatte.  Als  Demetrios  noch  nicht  lange  Make- 
donenkönig  war  (293),  da  half  ihm  der  25jährige  Antigonos  das  abgefallene  Böotien 
zurückgewinnen.  Als  jener  endgültig  in  des  Seleukos  Gefangenschaft  fiel  (285), 
legte  der  Sohn  Trauer  an  und  bot  sich  selbst  als  Geisel  für  die  Freilassung  des  immer 
noch  Gefürchteten  dar.  In  tiefem  Schmerz  brachte  er  schließlich  die  goldene 
Aschenurne  des  Vaters  auf  dem  größten  Admiralschiif  nach  Griechenland  heim  3). 
Solch  ein  Sohn  dürfte  einer  solchen  Fürstin  besonders  nahe  verbunden  gewesen 
sein,  auch  wenn  sie  von  seinem  Vater  getrennt  lebte.  Dies  wäre  der  Sinn  unseres 
Bildes:  Antigonos,  wie  gesagt  wurde  (S.  70),  als  die  Person  gewordene  Besatzung 
der  ihm  anvertrauten  Länder,  ermutigt  durch  die  liebevolle  Bewunderung  der 
Mutter.  Freilich  hat  es  Phila  unseres  Wissens  nicht  erlebt,  daß  ihrem  Sohn  die 
Königsmütze  zukam.  Aber  dieses  Wissen  kann  hier  in  mancher  Richtung  unvoll- 
ständig sein.  Vielleicht  hat  Demetrios,  gleich  Seleukos  I.,den  treuen  Kronprinzen 
und  Statthalter  schon  vor  dem  Tode  der  Königin  zum  Mitherrscher  angenommen, 
was  ihm,  der  so  lange  das  Diadem  mit  dem  eigenen  Vater  geteilt  hatte,  besonders 
nahe  liegen  konnte  4).  Vielleicht  auch  gebührte  die  mit  der  Königsbinde  ge- 
schmückte Makedonenmütze  schon  dem  anerkannten  Thronfolger  und  unterschied 
sich  gar  von  der  des  wirklichen  Herrschers  gerade  dadurch,  daß  an  ihr  die  Band- 
enden seitlich  nicht  hinten  herabhingen  (S.  73).  Am  unbedenkhchsten  aber 
scheint  mir   die  Annahme,   unser   au^-cevtxov  (S.  64),   das  Mutter  und  Sohn  in  ideal 

")  Plutarch,  Demetr.  22.    Sylloge  inscr.   gr.  3  I   333  3)  Plutarch,  Demetr.  39.  40.  51. 

mit  Anm.  Hillers  von  Gärtringen.  4)  Ob  dafür  etwas  aus  dem  Schwanken  der  Angaben 

')  Plutarch,  Demetr.  32.  37.  45.  Diodor.  19,   59,  4.  über   die   Regierungsdauer   des   Gonatas   zu  ge- 

Beloch,  Gr.  Gesch.  III  i  237  f.  winnen  ist,  vermag  ich  noch  nicht  zu  beurteilen. 

Vgl.  Tarn  a.  a.  0.  112  A.  3;  434  A.  6. 


80 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


unbestimmter  Landschaftsandeutung  zusammensetzt,  habe  sich  nicht  in  allen 
Einzelheiten  ängstlich  an  einen  scharf  bestimmten  Zeitpunkt  gehalten.  Stellt 
doch  auch  das  Alexandermosaik  einen  Vorgang  dar,  der  sich  nie  und  nirgends  hat 
begeben.  So  vertraueich,  daß  diese  kleine  »Unstimmigkeit«  die  vorgetragene  Deutung 
nicht  ernstlich  gefährden  kann.  Bewährt  sie  sich,  dann  lernen  wir  daraus  für 
Philas  selbst  nach  unserer  dürftigen  Überlieferung  verehrungswürdige  Persönlichkeit, 
daß  die  Wirkung  ihres  edlen  und  feurigen  Angesichts  durch  schwere  Überfülle 
des  Körpers  beeinträchtigt  wurde.  So  wäre  die  Abneigung  des  schönheitsdurstigen 
jungen  Helden  gegen  die  ihm  aufgezwungene  ältere  Frau  noch  verständlicher. 


5.  DER  ALTE  LEHRER  DES  KÖNIGS. 

Das  erhaltene  linke  Nebenfeld  bot,  durch  die  erwähnte  Scheintür  verkürzt, 
nur  Raum  für  eine  Gestalt,  zumal  da  sie  von  dem  Paar  im  Mittelbilde  durch  be- 
trächtlichen Abstand  getrennt  bleiben  sollte  (Taf.  11).  Wen  sie  darstellt,  ist 
wenigstens  in  der  Hauptsache  klar  ').  Barnabei  58  dachte  sich,  auf  dem  Irrweg 
seiner  Deutungsversuche  aus  der  Heldensage,  den  in  ernster  Teilnahme  auf  das 
Menschenpaar  blickenden  Alten  als  Pädagogen  des  Jünglings.  Er  verglich  den 
von  Petersen  erkannten  in  einem  Stuckrelief  des  Farnesinahauses,  der  in  ganz 
ähnlicher  Haltung  am  linken  Ende  dem  Gespräch  von  Phaeton  und  Helios  bei- 
wohnt ').  Der  städtischen  Tracht  und  sonstigen  Erscheinung  nach  hätte  er  noch 
besser  hellenistische  Tonfiguren  vergleichen  können  3).  Solche  leiten  uns  hin- 
über zu  der  nicht  allzu  weit  abliegenden  Deutung,  die  nur  der  gar  nichts  Knechtisches 
aufweisenden,  selbstsichern  Würde  dieses  alten  Mannes  noch  besser  entspricht 
und  sich  allein  in  den  hier  gewonnenen  Zusammenhang  fügt:  ich  meine  die  im 
wesentlichen  schon  von  Pfuhl  879  vorweggenommene  auf  einen  Philosophen.  Nur 
gerade  zu  Epikur  oder  einem  seiner  Anhänger,  die  nach  den  erhaltenen  Köpfen  von 
ihm  selbst,  Metrodoros  und  Hermarchos  Haar  und  Bart  doch  ganz  anders  gepflegt, 
namentlich  den  letztern  runder  zusammengehalten  trugen,  will  die  ganze  Erschei- 
nung nicht  passen.  Schlecht  taugt  für  solch  feine  Herren  besonders  auch  dieser 
zackige  Stecken,  wie  ihn  unter  dem  Namen  ßoxTr^pta  xa|j.TruXi)  ein  Aristophanes- 
bruchstück  dem  a^peixo;  4),  als  ßoxTTjpt'a  täv  oxoXiüiv  der  5.  Charakter  Theo- 
phrasts  mit  anderen  Mittelchen  um  aufzufallen  dem  äpeaxo?  gibt  5).  Einen  von 
den  mit  besonders  schweren  Knütteln  prunkenden  Kynikern  zu  erkennen  ver- 
bietet jedoch  der  Goldring  mit  rotem  Stein  an  der  linken  Hand,  das  gute,  riemen- 


')  Freilich  nicht  für  S.  Reinach,  Rupert,  peint.  33, 
I :  Askl^pios  ou  plutöt  un  devin,  unter  Hinweis 
auf  Le  Mus6e  III  i66. 

=)  Monum  dell'  Inst.  Suppl.  Taf.  33.  R.  M. 
1895  X  67  mit  Textbild.  Heibig,  Führer  3  II 
Nr.  1332. 

3)  Winter,  Typen  üg.  Terrak.  II  402,  besonders  6 
(besser  abgeb.  Monum.  Piot  II  169  Taf.  20,  3, 
vgl.  auch  Pottier,  Diphilos  79  Nr.  292  Taf.  17). 


Das  feine  Stück  kam  mir  bei  wiederholtem  Be- 
trachten, allerdings  nur  durchs  Glas  des  Schrankes 
im  Louvre,  nicht  verdächtig  vor,  wie  Winter. 

4)  Aristoph.  Br.  128  Kock  aus  PoUux  10,  173. 
Daher  wollte  Goligher  in  der  Class.  Review  1899 
XVIII  98  f.  statt  ßoxT*)p(o  geradezu  xa(ijt6Xi) 
schreiben   bei  Demosth.  37  gegen  Pantain   §  52. 

5)  Vgl.  die  Anmerkung  in  der  Leipziger  Ausgabe 
von  1897,  45  f. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  gl 

reiche  Schuhwerk  (nach  Massow  rotbraun  mit  gelbgrauen  Riemen)  und  der  nicht 
eben  tribonartig  knapp  bemessene  pesante  mantello  violaceo,  dessen  Farbe  (nach 
dem  eben  genannten  Gewährsmann)  geradezu  mit  der  der  Königschlamys  im  Mittel- 
felde übereinstimmt.  Die  ganze  Erscheinung  des  würdigen  Alten  taugt  am  ehesten 
zu  einem  Stoiker,  und  mit  solchen  war  wohl  kein  hellenistischer  König  näher  be- 
freundet als  Antigonos  Gonatas.  Am  liebsten  würde  man  Zenon  selbst  erkennen, 
anschaulich  dargestellt  als  den  maßgebendsten  Beobachter  und  Beurteiler  seines 
hohen  Schülers,  der  den  Tod  des  alten  Lehrers  mit  den  Worten  beklagte:  ok-v 
tiri  iHizpov  di:oXu)XExtu?  ').  Der  Kopf  unseres  gemalten  Philosophen  könnte 
vielleicht  zur  Not  als  verschönerte,  die  »jüdischen«  Züge  verwischende  Wiedergabe 
der  plastischen  Zenonbildnisse  gelten,  die  doch  wohl  den  Stoiker  aus  Kition  und 
nicht  den  Epikureer  aus  Sidon  darstellen  ^).  Aber  von  den  sonst  überlieferten 
Eigenschaften  des  schwächlichen,  magern,  dunkelfarbigen  <I)oivixi5iov  3)  wäre 
höchstens  eine  Andeutung  in  der,  mit  dem  jungen  König  verglichen,  gebräunten 
Hautfarbe,  nichts  in  der  stämmigen  Gestalt  mit  den  kräftigen  Armen  und  Händen 
wiederzufinden.  Eher  könnte  man  sich  so  den  von  Zenon  dem  Antigonos  zuge- 
wiesenen Schüler  und  Landsmann  Persaios  denken;  der  aber  kann  nicht  so  viel 
älter  gewesen  sein  als  sein  König  und  wurde  in  dessen  Diensten  ein  Staats-,  Hof- 
und  Lebemann  4).  Bleiben  wir  bei  dem  unzweideutigen  Eindruck,  der  Alte  müsse 
ein  philosophischer  Lehrer  des  fürstlichen  Jünglings  sein,  dann  kommt  wohl  nur 
noch,  obwohl  kein  Stoiker,  sondern  am  ehesten  Megariker,  Menedemos  von  Eretria 
in  Betracht.  Er  war  in  der  Tat  der  erste  Mentor  des  makedonischen  Prinzen,  kein 
Schriftsteller,  sondern  ein  praktischer  Philosoph,  im  Staatsdienste  der  Heimat 
geübt  und  bewährt,  ein  weltgewandter  und  doch  schlichter,  bis  ins  Alter  handfester 
und  lebensfroher,  eigenwilliger  und  stolz  freimütiger  Mann  5).  Mit  einer  solchen 
Persönlichkeit  läßt  sich,  so  scheint  mir,  der  kräftige  Graukopf,  der  mit  überge- 
schlagenen Beinen  so  frei  und  sicher  dasteht,  seinen  derben  Stock  so  fest  gepackt 
hält,  so  zuversichtlich  auf  die  Gruppe  von  Mutter  und  Sohn  bhckt,  gut  vereinigen. 
Wie  immer  er  nun  auch  geheißen  haben  mag:  daß  solch  ein  unverkennbarer  Philo- 
soph hier  als  dem  jugendlichen  König,  wenn  auch  in  einigem  Abstand,  zunächst- 
stehender Mann  erscheint,  ist  eine  weitere  Bestätigung  für  den  gefundenen  Namen 
des  letzteren. 

Im  rechten  Seitenfelde  dieser  Wand  war  das  Gemälde  leider  von  einer  Aus- 
besserung in  weißem  Stuck  verschlungen  (Barnabei  6o).  Aber  nach  der  anfangs 
dargelegten  genauen  Entsprechung  der  zwei  einander  gegenüberliegenden  Wände 
muß  das  verlorene  Bild  in  der  Gesamtanlage  der  sitzenden  Kitharspielerin  mit 
ihrer  kleinen  Magd  von  der  Wand  rechts  entsprochen  haben  (Taf.  lUJ.    Tat  es 

')  Laert.  Diog.  7,  i,  16.    Vgl.  Usener,  Epicurea  163  Miscellen  15  ff.    Seitenansicht  außer  bei  Bernoulli 

fr.  208,   worauf  ich  durch  Tarn  a.  a.  0.  236  A.  47  d  bei  Arndt,  Portr.  236. 

aufmerksam  werde.      Das  ganze   Verhältnis  des  3)  Laert.  Diog.  7,  i,  2 — 3. 

Königs   zu   Zenon   bespricht    Tarn  34  f.  230  f.  4)  Susemihl,  Gr.  Liter,  der  Alexandrinerzeit  I  68  ff. 
')  Bernoulli,    Gr.    Ikon.    II    136  ff.    Taf.  18,    Hekler  Tarn,   Antig.    Gon.  232.   496. 

a.a.O.   Taf.  104  und  zuletzt   Poulsen,    Ikonogr.  5)  Laert.  Diog.  2,  18,  9.  Tarn  a.a.O.  22f.  25  ff.  494. 

Jahrbuch  des  archäologrischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  6 


g2  Kranz  Ötudniczka,  Imagines  Illustrium. 


dies  auch  im  Gegenstande,  dann  könnte  es  die  Jugendgeliebte  des  erst  spät  ver- 
heirateten Antigenes  dargestellt  haben,  die  Hetäre  Demo.  Sie  war  die  Mutter 
seines  Bastards  Halkyoneus,  der  schon  273/2  bei  Einschließung  und  Tod  des  Pyrrhos 
in  Arges  eine  ansehnliche  Rolle  spielte,  aber  bald  darauf  noch  jung  den  Schlachttod 
fand  I). 

II.  DIE  RECHTE  OEKUSWAND. 

Die  Bilder  der  Ostwand  gehören,  von  den  schon  besprochenen  der  westlichen 
leider  getrennt,  dem  Mctropolitan-Muscum  zu  New  York.  Sic  sind  alle  drei  erhalten, 
nur  nicht  im  ununterbrochenen  Zusammenhang  mit  den  nachgebildeten  Bau- 
formen. Doch  gibt  wenigstens  die  Umrahmung  des  Mittelfeldes  das  hier  auf  S.  97 
wiederholte  Textbild  des  zu  Beginn  angeführten  Verkaufskataloges  von  A.  Sambon, 
dessen  Tafeln  i  bis  3  jedes  einzelne  Gemälde  in  Farben  nachbilden,  diese  selbst 
nach  dem  Urteile  der  Hüterin  der  New  Yorker  Antikenschätze,  Fräulein  Gisela 
Richter,  »ungefähr  richtig«,  in  der  Zeichnung  jedoch  meist  wenig  genau.  Dies 
lehrt  der  Vergleich  mit  den  phetographischen  Aufnahmen.  Zu  den  auf  Barnabeis 
wohl  ein  wenig  nachgebesserten  Tafeln  5,  6  und  im  Textbilde  12  wiedergegebenen 
kamen  dank  der  genannten  Fachgenossin  sowie  Paul  Herrmann  und  der  Verlags- 
anstalt Bruckmann  diejenigen  Photographien,  die  letztere  zu  unserer  Lichtdruck- 
tafel in  verarbeitet  hat.  Fräulein  G.  Richter  ist  noch  für  die  unerschöpfliche 
Geduld  zu  danken,  womit  sie  immer  wieder  neu  auftauchende  Einzelfragen  über 
den  Tatbestand  beantwortet  hat. 

6.  DIE  KITHARSPIELERIN. 

Begonnen  sei  hier  nicht  mit  dem  mittleren  Gruppenbilde,  sondern  mit  dem 
des  linken  Seitenfeldes,  weil  es  sich  meines  Erachtens  wenigstens  nach  dem  Stande 
der  Dargestellten  einigermaßen  sicher  deuten  läßt.  Die  Wirkung  des  Ganzen 
vermittelt  das  Textbild  9  vielleicht  noch  kräftiger  als  die  ihm  zu  grundeliegende 
Tafel  5  bei  Barnabei  oder  ihre  Quelle,  während  unsere  Taf.  III  dieselbe  Bruckmannschc 
Vorlage  wiedergibt  wie  Pfuhls  Abb.  716.  Sambons  Farbentafel  ist  in  der  Zeichnung 
besonders  ungenau. 

Eine  schöne  Frau  mit  großem  Saitenspiel  sitzt  auf  stattlichem  Lehnstuhl, 
hinter  dem  ihre  kleine  Dienerin  bereitsteht.  Die  Sichtbarkeit  der  letzteren  fördert 
das  gitterartige  Gleichlaufen  aller  wagerechten  Hölzer,  einerlei  welcher  Seite  des 
Gerätes  sie  angehören.  Doch  kommt  derselbe  Verzicht  auf  Verkürzung  und  Ver- 
schiebung auch  in  anderen  Wandgemälden  vor,  wo  keine  Gestalt  durch  das  tekto- 
nische  Gliederwerk  hindurchzusehen  ist  ^).     In  unserem  Fall  ist  er  deshalb  auf- 


')  Demo  bei  Athen.  13,  578  A,  aus  Ptolemaios  von  ')  Der  beste  Beleg  ist  wohl  der  Thron  der  Aphrodite, 

Megalopolis.   Halkyoneus  bei  Valer.  Max.  5,  i,  4;  der  Ares  von  hinten  an  den  Busen  greift,  Herr- 

Plutarch,  Pyrrh.  34;  cons.  ad  Apoll.  J19  C,  Moral.  mann,  Denkm.  Taf.  2.    Vgl.  Heibig  Nr.  1168,  Mus. 

Bernard.     I  291  f.     Vgl.  Tarn  247  f.  273  f.  301.  Borb.  X  Taf.  44,  S.  Reinach,  Ri'pert.peint.  179,  5. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


83 


fällig,  weilim  Bilde  daneben  wenigstens  die  Seitenansicht  des  sehr  ähnlichen  Lehn- 
stuhls leidlich  verkürzt  erscheint.  Es  ist  beide  Male  das,  was  in  der  griechischen 
Schriftsprache"  von  Homer  an  Thronos  lieißt,  während  die  Lateiner  dafür  wohl 
aus  einer  hellenischen  Nachbarmundart  die  allgemeinere  Bezeichnung  cathedra 
übernommen  haben.     Das  Gerät  der  Frau  ist  nur  etwas  leichter  geformt  und  zier- 


Abb.  9.     Linkes   Feld   der  Ostwand  aus  dem  großen  Speisesaal   von  Boscoreale  in  New  York. 
Wiederholt  aus  Altert,  v.  Pergam.  VII  2,   74. 


lieber  ausgeschmückt.  Die  gedrehten  Beine  folgen  einer  bis  auf  die  Lager  alt- 
korinthischer Vasenbilder  zurückreichenden  Grundform:  die  obere  Hälfte  an- 
nähernd walzenförmig,  die  untere  kegelstutzförmig  ')•  Doch  sind'  hier  beide  Teile 
schon  entschiedener  geschweift,  die  Abschlüsse  und  Absätze  reicher  gegliedert 
als  in  den  klassischen  Zeiten.     Die  nochmals  stark  ausladende  Rundplatte  dicht 


')  Ältere  Belege  bei  Caroline  Ranson,  Couches  and 
beds  Fig.  2,  5,  7,  8,  10,  38,  41.    Erhaltene  Holz- 


beine der  Art  in  Berlin  bei  derselben  im  J.  d.  I. 
1902  XVII  126,  130.   Mehr  S.  82  A.  2;  S.  84  A.  i. 

6* 


gl  Kranz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

überm  Fußende  finde  ich  zuerst,  noch  in  bescheidener  Andeutung,  auf  Kertscher 
Vasen  ').  Die  Rückenlehne  hat  den  kantigen  Eckstoiien  kräftig  nach  außen  ge- 
schweift und  stößt  in  spitzem  Winkel  an  die  obere  Querlatte,  der  noch  zwei  weitere 
von  abnehmender  Breite  gleichlaufen.  Bei  der  Seltenheit  ähnlicher  Hausgeräte 
in  der  hellenistischen  Kunst  ist  es  kein  Wunder,  daß  ich  diese  Lehnenform  nirgends 
genau  wiederfinde.  Immerhin  ähnlich  ausgeschweift  ist  die  Lehne  des  im  Quer- 
schnitt durchaus  kreisförmigen  Marmorsessels  Corsini,  der  jedoch  auch  hierin,  wie 
sonst,  mit  altetruskischen  Erz-  und  Tonstühlen  zusammenhängt  ^).  Auch  bezeugen 
den  Gebrauch  ähnlich  gebogener  kantiger  Hölzer  die  Beine  des  ins  6.  Jahrh.  hinauf 
und  in  die  Kaiserzeit  hinabreichenden  leichten  Lehnsessels  vom  Typus  der  Hegeso- 
stele vor  dem  Dipylon  und  der  beiden  Komikerstatuen  im  Vatikanmuseum.  Ebenso 
dauerhaft  war  das  Bedürfnis  nach  Erbreiterung  der  Rückenlehne  über  die  Sitz- 
breite hinaus;  nur  wurde  es  meist  durch  Vorsprünge  des  oberen  Querbretts  be- 
friedigt. Unsere  barock  wirkende  Form  kann  also  wohl  gut  hellenistisch  sein. 
Statt  des  rotbraunen,  schräg  gemaserten  Holzes  der  übrigen  Teile  zeigt  die  Rücken- 
lehne der  Kitharistria,  nach  Sambon§  Tafel,  ein  kräftiges  Rot,  ungefähr  krapp- 
farbig. Davon  setzt  sich  in  dünnen  gelben  Strichen  eine  zierliche,  wenngleich  nicht 
allzu  sorgsam  ausgeführte  Musterung  ab.  Die  drei  Querlatten  der  Rücklehne 
faßt  jederseits  die  schlichteste  mäanderähnliche  Linie  ein,  die  an  das  in  hellenisti- 
scher Zeit  beliebte  Mauerzinnenmuster  oder  uup-/tuTÖv  erinnern  kann  3).  Dazwischen 
jedesmal  eine  Reihe  einfacher  Kreise,  die  zuunterst  ohne  rechte  Raumnot  am 
kleinsten  sind;  zwischen  ihnen  stehen  nur  am  obersten  Querholz  lotrechte  Striche, 
an  beiden  Enden  mit  offenen,  zwickelfüllenden  Winkeln  oder  Schnörkeln  endigend. 
Den  freibleibenden,  breiten  Streifen  nehmen  nur  sechs  große  konzentrische  Doppel- 
ellipsen ein,  deren  Zwickel  vom  mittleren  Quersteg  aufwärts  kleine  Ringlein  aus 
füllen.  Die  spitze  Ecke  oben  bleibt  unbefriedigend  leer.  Zu  diesem  schlicht- 
geometrischen Ornamentsystem  weiß  ich  aus  hellenistischer  Kunst  nur  entfernt 
Ähnliches,  das  beizubringen  sich  nicht  lohnt.  Die  schmale  Seitenfläche  des  Stollens 
nimmt  ein  ionisches  Kymation  ein,  nach  die  Farbentafel  berichtigender  Angabe 
von  G.  Richter  «nicht  als  Relief,  sondern  nur  gelb  auf  rot  gemalt«,  mit  scharf  ab- 
gegrenzten Schattenstreifen,  wie  sie  auch  an  größeren  Eierstäben  des  frühern 
Hellenismus  wiederkehren  4). 

Die  Armlehne  bildet  ein  von  der  Außenkante  der  Rückenlehne  ausgehender 

')  Vorbereitung   zum    Parisurteil    F.  R.  II  Taf.  69  Annali  1879,  312  Brunn.  Etruskische  Stühle  auch 

(danach    Pfuhl    Abb.  597).       Paris   vor    Helena  bei  Koeppen  und  Breuer,  Gesch.  d.  Möbels  154  ff. 

ebenda  79,  i.    Dann   unteritalisch,  z.B.  Leichen-  Abb.  215;  223. 

feier  für  Patroklos  F.  R.  II  Taf.  89.  Dionysos  3)  Symposion  Ptolemaios  II.  (Abhandl.  sächs.  Ges 
und  Frau  auf  Maultier  120,  2.  —  Von  Wand-  d.  Wiss.  1914  XXX  11)  52 — 54;  112;  173. 
bildern  vgl.  Herrmann,  Denkm.  Taf.  2  Ares  und  4)  Am  ähnlichsten  wohl  an  dem  plastisch  gebildeten 
Aphrodite,  nur  daß  die  hier  sonst  klassisch  ein-  Giebeldreieck  aus  dem  Serapeion  bei  Watzinger, 
fachen  Stuhlbeine  unten  die  schwere  Quaste  alt-  Gr.  Holzsarkophage  33  Abb.  57,  Weicker,  Seelen- 
orientalischer  Herkunft  haben.  vogel  180  Abb.  90.     In  reiner  Malerei  ähnlich  an 

»)  Monum.  d.Lincei  1916  XXIV  401  ff.  Abb.  I  Taf.  I  dem    delischen    Stück    Wandputz    Monum.    Piot 

erläutert  von  Ducati.  Monum.  d.  Inst.  XI  Taf.  9,  XIV  1908  Taf.  8.    U.  a.  m. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  gc 


Rundstab  mit  entsprechender  Stirnscheibe,  deren  Verzierung  auch  G.  Richter 
unklar  bleibt;  vielleicht  war" es  eine  Maske.  Die  tektonische  Grundform  begegnet 
schon  an  den  im  übrigen  anders  gebauten  Thronen  der  Heratonfiguren  aus  Tiryns, 
dann  an  diesen  ähnlichen  auf  apulischen  Prachtamphoren,  und  schließlich,  zu- 
sammen mit  Stuhlbeinen  wie  die  unseres  Bildes,  in  anderen  Wandgemälden  '). 
Wie  in  den  meisten  dieser  Jüngern  Beispiele  und  an  sonstigen  Thronen  archaischer 
und  klassischer  Kunst  wird  im  Mittelfelde  die  entsprechende  Armlehne  von  einem 
vierfüßigen  Fabelwesen  getragen  (S.  97).  Bei  der  Kitharspielerin  dagegen  stützt 
sie  ein  bärtiger  Mann,  der  sich  aufs  linke  Knie  niedergelassen  hat,  die  ent- 
sprechende Hand  am  Oberschenkel,  den  rechten  Arm  auch  gesenkt  hält;  sogar 
das  nackte  Schamglied  meine  ich  zu  sehen.  So  zögere  ich  nicht  den  Typus  der 
knieenden  Silene  wiederzuerkennen,  die  im  Dionysostheater  bei  einem  späten 
Umbau  als  Träger  des  Proskenions  eingefügt  wurden,  aber  schon  weit  früher  zu 
ähnlichem  Dienste  geschaffen  sind  ^).  DenverwandtenTypus  der  auf  beiden  Knien  ru- 
hend ihre  Last  tragenden  Atlanten  im  kleinen  Theater  zuPompeii3)zeigt,  wohl  wieder 
in  Silensgestalt,  als  Armlehnenstütze  verwendet  der  (sonst  andersgeartete)  Sessel 
des  siegreichen  Schauspielers  in  dem  feinen  Dresdner  Relief  aus  früher  Kaiserzeit4). 
Bewährt  sich  diese  Auffassung  der  Stützfigur,  dann  gehört  die  Besitzerin  des  Lehn- 
stuhls schon  deshalb  auch  zum  Gesinde  des  Dionysos  und  nicht  unmittelbar  in  die 
vornehme  Welt,  wohin  uns  das  Mittelbild  der  Westwand  geführt  hat.  Daß  sie  dennoch 
in  allem  Behagen  lebt,  zeigt  uns  nochmals  das  unter  der  Armlehne  vorschwellende 
Kissen  mit  hellblauem  (nicht,  wie  Barnabei  angab,  myrtengrünem),  von  goldgelben 
Streifen  durchzogenem  Überzug.  Nur  durch  die  Grundfarbe  angedeutet  wird  es 
auch  neben  dem  rechten  Knie  der  Sitzenden  sichtbar.  Unter  ihren  Oberschenkeln 
ist  allerdings  nicht  recht  Platz  für  das  Polster. 

Auf  so  reicher  und  weiter  Grundlage  förmlich  ausgebreitet  sitzt  die  schöne 
Kitharspielerin.  Die  Farben  ihrer  Kleider  sind  wesentlich  dieselben  wie  die  der 
mutmaßlichen  Königin-Mutter  von  der  Wand  gegenüber  (S.  78):  grauviolettcr 
Chiton  und  weißer  Mantel,  den  die  Kithar  weit  nach  rechts  schiebt.  Durch  seinen 
feinen-  Stoff  scheint,  nach  der  Farbtafel  bei  Sambon,  etwas  von  der  sehr  hellen  — 
ebendort  nach  G.  Richter  allzu  hell  wiedergegebenen  —  Haut  hindurchzu- 
schimmern.    Die  samt  Knöchel  sichtbare  schöne  Frauenhand  an  den  Saiten  trägt 

")  Tiryns  I  61  Tat.  2     Frickenhaus.     Eine  ähnliche  *)  Die  größte  Abb.  immer  noch  Monum.  d.  Inst.  IX 

Terrakotte  aus   Korinth  in  Berlin  bei  Koeppen  Taf.  16,    S.  Reinach,  Rupert,  stat.  II  57,  5.   Doch 

und  Breuer  a.a.O.   34  Abb.  184.  —  Münchener  genügt  die  Photographie   des  Proskenions  bei  M. 

Unterweltsvase  und  Dareiosvase  bei  F.  R.  I  Taf.  10,  Bieber,  Denkm.  zum  Thtaterwescn  Taf.  7. 

II   Taf.  88,    Baumeister,    Denkm.    I    Taf.  6,    III  3)  H.  v.  Rohden,  Pomp.  Terrak.  Taf.  26,  i.     Mau, 

Taf.  87.   —   Klassizistische   Aphrodite   aus    dem  Pomp.^   162  f.  Abb.  77;   79. 

Farnesinahause  Pfuhl,  Malerei  Abb.  720,  Monum.  4)  M.  Bieber  a.  a.  0.  iio  Nr.  45  Taf.  55,  i ;  dieselbe, 

d.  Inst.  XII  Taf.  21.      Aphrodite  mit  Ares  oben  Dresdner  Schauspieleirelief  74,   wo   die  oben  be- 

S.  82  A  2 ;  Achill  mit  Briseis  Herrmann,  Denkm.  nützten  Vergleichsstücke   beigebracht  sind.     Zur 

Taf.  10,  Pfuhl  Abb.  655.    Wohl  auch  beim  jungen  Zeitbestimmung:   Sieveking  im  Text  zu   Brunn, 

Zeus  desVettierhausesHerrraannTaf.  46,  dem  von  Arndt,  Denkm.  628  b. 
Nike  gekränzten  daselbst  121   u.  a.  m. 


86 


Franz  Studniczka,  Imagines  Ulustrium. 


einen  Ring  mit  gelbem  Stein.  Der  rechte  ganz  blol3e  Arm  ist  leider  durch  Ver- 
sinterung  entstellt.  An  seinem  Armband  eher  als  an  dem  andern  erkannte  Barnabei, 
daß  es  sich  mit  Tierköpfen,  wie  er  meinte  von  Schlangen,  öffnet.  Die  ziemlich 
breit  auseinanderstehenden  Füße  sind  etwas  zur  Seite  gesetzt,  der  rechte  weiter 
vor,  so  daß  sich  sein  gelbbrauner  Schuh  zeigt.  Das  Fehlen  der  in  der  Regel  zu 
einem  Thronos  gehörigen  Fußbank,  die  wir  doch  vor  dem  unscheinbaren  und  darum 
unsichtbaren  Sitze  der  Nachbarin  finden  werden  (S.  98),  betont  die  Höhe  der 
Unterschenkel,    die  schlanken  Hochwuchs  verraten.     Demgemäß  ist  der  Oberleib 


Abb.   10.     Pompejanisches  Wandbild,  stimmende  Kitharspielerin. 
Wiederholt  aus  Winter,   Kunstg.   in   Bild. '  1  95,  7.     Druckstock  von  A   Kröner,  Leipzig  dargeliehen. 

eher  kurz.  Durch  den  dunklen  Chiton  macht  sich  hier  am  deutlichsten  die  Run- 
dung des  Busens  geltend,  obgleich  der  (bei  unserer  Phila  hochsitzende)  Gürtel  nicht 
sichtbar  wird. 

Den  aufrechten  Oberkörper  überschneidet  schräg  ansteigend  das  sehr  lange 
Saitenspiel,  so  daß  seine  ausgreifenden.  Armenden  dem  spitzen  Winkel  der  Rücken- 
lehne entsprechen,  deren  obere  Wagerechte  annähernd  der  Saitensteg  fortsetzte. 
Die  etwa  goldgelbe  Holzfarbc  setzt  sich  unten  gegen  das  Weiß  des  Mantels  klarer 
ab  als  in  den  Photographien,  noch  deutlicher  gegen  den  dunklen  Chiton  die  inneren 
Zacken  der  r.r,-/zi<;  und  die  weißen  Saiten.  Ihre  geringe  Zahl,  fünf,  nur  für  eine 
Vereinfachung  des  Wandmalers  zu  halten,  widerrät  schon  ihre  im  einzelnen  sorg- 
fältige Darstellung  auch  auf  dem  pompeianischen  Wandbilde  Abb.  10,  wo  so  eine 
Künstlerin,  von  drei  Genossinnen  umgeben,  dieses  ihr  Spielgerät  nach  einem  neben 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustriura.  3-^ 

ihr  auf  dem  Ruhebett  liegenden  zweiten  stimmt  ■).  Auch  kennen  wir  aus  dem 
Dithyrambendichter  Telestes  von  Sclinus  eine  fünfsaitige  Spielart  der  lydischen 
Magadis,  und  zu  einer  solchen  würde  nach  Aristoxenos  die  Abwesenheit  des  Plek- 
trons in  unserem  Bilde  stimmen,  wonach  überdies  das  Tun  der  Dame  als  '^likX&iv 
und  nicht  xii)aptCeiv  zu  bezeichnen  wäre  ^).  Dennoch  gebührt  ihrem  Instrument 
der  doch  wohl  allgemeinere  Name  Kithara,  denn  in  wesentlich  derselben  lang- 
gestreckten Form  geben  es  nicht  selten  die  zwischen  168  v.  Chr.  und  43  n.  Chr. 
geprägten  Silbermünzen  des  lykischen  Bundes  mit  Apollonkopf  anderseits,  für 
die  inschriftlich  der  Name  xtOapr,«6poi  feststeht  3).  Doch  findet  sich  dieselbe 
Form  schon  früh  im  3.  Jahrb.,  z.  B.  auf  Münzen  von  Chalkedon  4).  Auch  m  den 
kleinen  Münzreliefchen  zeigt  der  Schallkasten  der  Länge  nach  oft  die  stumpf- 
winkelige Mittelkante  wie  im  Gemälde,  samt  einer  ähnlichen  Gliederung  der  Arme. 
Diese  reichen  hier  mit  wenig  abnehmender  Breite,  die  zuoberst  nochmals  geschweift 
ausladet,  bis  an  das  nicht  ganz  deutlich  erhaltene  'u-pv  mit  den  Wirbeln  der  Saiten, 
das  nach  vorn  herausragend  mit  einer  Rundscheibe  endet.  Sie  trägt  als  Zierat 
eine  weiße  Spirale,  gleich  dem  Endknopf  der  Armlehne  am  Thron  des  Mittelbildes 
(S.  97).  Wie  an  der  Kithar  diese  Rundscheibe  mit  dem  Saitensteg  zusammenhängt, 
lassen  mich  die  zwei  voneinander  hier  stark  abweichenden  Aufnahmen  —  die  Farb- 
tafel versagt  dafür  ganz  —  nicht  sicher  erkennen.  Deutlich  sind  erst  wieder  die 
schlanken  obersten  Fortsätze  der  iti^x^'»'  "^^^  ^'^^  aufwärts,  nach  dem  treffenden 
Ausdruck  Barnabeis,  trompetenförmig  erbreitern.  Doch  behalten  sie  den  recht- 
eckigen Querschnitt  der  Arme  bei,  den  die  Schatten  links  und  das,  wie  im  Mittel- 
bilde, von  rechts  kommende  Licht  klar  anzeigen.  Gemäß  der  unsichern  Perspektive 
ist  der  hintere  Fortsatz  erheblich  länger.  Auf  sein  breites  Kopfende  legt  die  Frau 
die  Spitze  ihres  rechten  Zeigefingers.  Es  wird  ein  Pflock  sein,  der  niedergedrückt 
den  Saitensteg  beim  Stimmen  in  der  erforderlichen  Lage  festzuhalten  hat.  Zu 
solch  bloß  vorbereitender  Handlung  mag  auch  der  lässige  Griff  der  linken  Hand 
an  die  Saiten  passen. 

Aber  selbst  die  Kitharstimmerin  in  Abb.  10  ist,  wie  schon  die  der  köstHchen 
weißgrundigen  Schale  polygnotischer  Zeit  im  Louvre,  die  ihr  zweites  tonangebendes 
Instrument  vor  sich  auf  dem  Schöße  liegen  hat  5),  mit  gesenktem  Kopfe  ganz  ver- 
tieft in  ihre  Beschäftigung,  und  sogar  die  entsprechende  Muse  des  Jüngern  Praxiteles 
senkt  ihr  hübsches,  gewiß  nicht  allzu  tiefsinniges  Köpfchen  beim  Stimmen  ihrer 
Mandoline  ^).     Unsere  Musikerin    dagegen  ist  wirklich    nichts    weniger  als   tutta 

')  Heibig  Nr.  1442;   Mau,  Pomp.'  497  Abb.  288.  4)  Anson  a.a.O.  Taf.  11,  299,  Catal.  Brit.  Mus.  usw. 

=)  Telestes  bei  Athen.  14,  637  A;  Aristoxenos  daselbst  Pontus  Taf.  27,  15.  Vgl.  immerhin  auch  die  nicht 

635  B.    S.  noch  Piaton,  Lysis  209  B  und  Sylloge  späte  Weinkanne  im  Louvre,  abgeb.  bei  Leroux, 

inscr.  Gr.3  II  Nr.  578,  15  mit  Anmerkung.     Vgl.  Lagynos  38  Nr.  66  und  unsere  Abb.  2  S.  60. 

Abert  in  der  Realencyklop.  2.  Reihe  I  1764  f.  5)  Monum.  Piot  II  1895  Taf.  5.     S.  40  hält  Pottier 

3)  Realencyklop.    XI    528  f.    Regling.     Viele    abgc-  das  Saitenspiel  auf  dem  Schöße  für  ein  Diptychon. 

bildet   bei    Anson,    Numism.    gr.    I   6    Taf.  6 — 8,  <>)   Svoronos,  Athen.  Nationalmuseum  Taf.  30,  oben. 

391— 460,  auch  Catal.  Brit.  Mus.  Lycia  Taf.  9— 15;  Winter,  Kunstgesch.  in  Bildern  =  I  296,  i.     Vgl. 

17;  42;  43.     Katal.  J.  Hirsch  XIII  Taf.  50,  be-  unten  S.  ij8. 

sonders  4220. 


gg  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

assorta  a  sentire  quel  accordo;  sie  hält  zwar  ihr  AntHtz  in  der  Dreiviertelansicht 
der  Gestalt,  aber  ganz  aufrecht,  und  die  braunen  Augensterne  wenden  sich  nach 
der  andern  Seite,  wie  wenn  hier  jemand  nahte,  der  ihre  Aufmerksamkeit  auf  sich 
lenkt.  Das  kann  bei  einer  so  schönen  jungen  Frau  kaum  einen  andern  als  erotischen 
Sinn  haben,  obgleich  der  Gesichtsausdruck  mir  nichts  von  der  liebevollen  Wärme 
verrät,  die  Barnabei,  im  Sinne  seiner  von  der  Aphrodite  der  Rückwand  (S.  66) 
ausgehenden  Gesamtauffassung  all  unserer  Figuren,  hineinsieht;  geschweige  denn 
von  stärkern  Seelenregungen,  wie  sie  die  übrigen  Frauen  dieser  Wandbilder  zeigen. 
Es  scheint  mir  vielmehr  nur  der  gewohnheitsmäßige,  höchstens  etwas  gespannte 
Anspruch  auf  bewundernde  Zuneigung,  was  aus  diesen  Augen  und  dem  eher  herben 
Munde  spricht.  Die,  vielleicht  vom  Schwung  des  Nasenumrisses  abgesehen,  wenig 
persönlichen  Gesichtsformen  weisen  bis  auf  Idealtypen  des  5.  Jahrh.  zurück,  von 
denen  ich  die  Hertzsche  Kopie  der  (oder  einer)  Faioniosnike  ')  und  den  der  Alka- 
menesaphrodite  nicht  allzufern  stehenden  großen  Frauenkopf  in  Berlin  herausgreife*). 
Etwas  näher  kommt  schon  das  schlanke  Oval  des  Hygieiakopfes,  dessen  schönste 
Marmorwiederholung  im  Thermenmuseum  steht  3).  Manches  erinnert  sogar  an 
die  Knidierin,  wenigstens  in  ihren  härteren  Repliken,  so  auch  der  Hals  mit  seinen 
zarten  Venusringen.  In  die  Nähe  der  Liebesgöttin  führt  dann  namentlich  die 
Haartracht,  deren  kräftige  Zeichnung  die  Vorlage  zu  Taf.  III  am  deutlichsten  er- 
kennen läßt,  besonders  der  Aufbau  über  dem  goldumsäumten  Bande  mit  der  runden 
Schließe,  dessen  Hauptbestandteil  zwei  große  Schnecken  sind,  wie  auch  bei  Apoll 
und  bei  Frauen  der  Sage  von  anderen  pompeianischen  Wänden  4).  Doch  findet 
er  sich  ähnlich  schon  an  der  attischen  Tonfigur  des  4.  Jahrh.,  der  freien  Wiedergabe 
einer  halblebensgroßen  Marmorgestalt,  die  ich  mit  der  Sosandra  des  Jüngern  Kaia- 
mis zusammenbrachte  5).  Weiterhin  schließen  sich  reichere  Formen  der  Haar- 
schleife an  wie  die  des  Urbildes  der  kapitolinischen  Aphrodite  *).  Von  Sterblichen 
trug  sich  so  Phryne  nach  dem  traurigen  Bruchstück  ihres  Kopfes  in  der  Doppel- 
herme von  Compiegne,  die  Poulsen  sehr  wahrscheinlich  auf  diese  berühmte  Hetäre 
und  ihren  Verteidiger  Hypereides  deutet  7).  Auf  attischen  Grabrehefen,  d.  h.  vor 
den  Luxusgesetzen  des  Phalereers  Demetrios,  kommt  diese  Haartracht  noch  sehr 
selten  vor  *>).  Bescheiden  tritt  sie  auch  noch  bei  den  Musen  des  Jüngern  Praxiteles 
auf,  am  ähnlichsten  bei  der  mit  der  Doppelflöte.    Daß  die  Kitharspielerin  von  Bos- 


")  Olympia,  die  Ergebnisse  III  S.  189.   Kunstgesch.  Ein  besseres  Exemplar  der  Tonfigur  besitze  ich. 

in  Bildern  ^  I  266,  6.  «)  Dem   der    Kopf   in    München,    Glypt.    Nr.  257  a 

')  Furtwängler,  Meisterwerke   118  Taf.  5.  wohl  am  nächsten  kommt.    Münchener  Jahrbuch 

3)  Heibig,  Amelung,  Führer^  II  Nr.  1341.    J.  d.  I.  1908  I  i  fiF.  Sieveking. 

1904XX  Taf.  2  L.Curtius.  Bulle,  Schöner  Mensch^  7)  Monum.  Piot  XXI  1913,  47  f[.  Taf.  3,  besonders 

Taf.  125.  Textbild  2  und  4.     Espirandieu,  Recucil  V  144 

4)  Apoll   in   dem   Bild  aus  Casa   del   poeta  tragico  Nr.  3892.    Vgl.  noch  Poulsen,  Ikonogr.  Miscellen 
Winter,  Kunstg.  in  Bild. '98,  5,  Herrmann  Taf.  13;  4  ff.  (oben  S.  58  A.  3). 

auch  18  und  133  b.  8)  Das  einzige  mir  erinnerliche  Beispiel  ist  die  Stele 

5)  Kaiamis  (Abhandl.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  1907  der  Hedeia  und   Phanylla  Ny  Carlsberg    Glypo- 
XXV  4)  31 ;  36  Taf.  i,  b;  vgl.  Taf.  2,  a  und  3,  a.  thek  Nr.  219,  Jacobsen,  Billedtavler  Taf.  16. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  3q 

coreale  dem  fortgeschrittenen  Hellenismus  entstammt,  verraten  die  losen  Löck- 
chen  vor  den  Ohrläppchen  (die  wieder  mit  Goldringen  a  navicella  geschmückt 
sind).  Das  Ganze  wirkt  viel  anspruchsvoller  als  die  Haaranordnungen  der  drei 
größeren  Damen  des  Saales. 

Ein  Meisterstreich  ist  es,  wie  die  Wirkung  dieses  schönen,  wenn  auch  nicht 
gerade  seelenvollen  Frauenbildes  durch  das  Nebeneinander  mit  der  kleinen  Sklavin 
gehoben  und  erläutert  wird.  Die  nicht  allzu  hohe  Stuhllehne  knapp  mit  dem 
Kopf  überragend,  kann  sie  höchstens  13  Jahre  alt  sein.  Als  dienstbereite  Magd 
trägt  sie  nur  den  Chiton,  der  den  linken  Arm  bloß  läßt,  und  wohl  ungegürtet  wie 
bei  so  mancher  Dienerin  auf  Grabsteinen,  nur  faltenreicher  an  den  Boden  stößt. 
Aber  er  hat  dieselbe  vornehme  grauviolette  Farbe  wie  der  der  Herrin,  was  G.  Richter 
der  Tafel  Sambons  gegen  das  Grünsehn  Barnabeis  bestätigt.  Auch  sonst  zeigt  sich 
die  Kleine  beflissen,  es  der  Gnädigen  gleichzutun.  Sie  ist  sehr  ähnlich,  nur  etwas 
dürftiger  »frisiert«  und  geschmückt,  mit  Haarband,  Ohrringen  und  wahrhaftig  auch 
schon  mit  einem  Ring  an  der  Linken,  nach  der  Farbtafel  sogar  mit  ähnlichem  gelben 
Stein.  Die  beiden  großen,  langfingerigen  Hände  legt  sie  ähnlich  auf  zwei  Leisten 
der  Lehne  wie  jene  an  ihre  Kithar.  Ganz  gleich  stehn  und  blicken  die  beiden  Ge- 
sichter. Nur  ist  das  der  Sklavin  viel  breiter,  gröber,  unedler,  die  Nase  derber 
und  schon  stärker  gebogen,  die  Augen  weiter  aufgerissen  unter  viel  weniger  klassischen 
Brauen,  die  Mundwinkel  etwas  gekräuselt.  Den  Gesamtausdruck  finde  ich  nicht 
espiögle,  wie  Sambon  13,  sondern  eher  dumm  neugierig  und  sonst  gierig.  Man 
möchte  ihr,  wie  Kynno  ihrer  Kydilla  im  4.  Mimiambos  des  Herodas  44,  zurufen: 
£OTr,x£  8'  d(  [x'  öpsüaa  xop-xivou  fi£C''V.  So  macht  die  junge  Dienerin  nicht  den 
Eindruck,  als  ob  die  Herrin  auch  innerlich  veredelnd  auf  sie  wirkte. 

Fassen  wir  zusammen.  Da  sitzt  auf  reich  geschmücktem  Lehnstuhl,  dessen 
Armlehne  allem  Anscheine  nach  ein  kniender  Silen  stützt,  eine  schöne  junge,  vor- 
nehm gekleidete  und  geschmückte  Frau,  aber  in  keiner  bessern  Gesellschaft  als 
in  der  der  kleinen,  trotz  dem  bischen  Luxus  an  ihrer  Person  doch  niedrig  genug 
aussehenden  Sklavin.  Diese  allein  genügt,  um  den  Gedanken  an  eine  Muse  aus- 
zuschließen. Eine  Dichterin  zu  vermuten,  widerrät  das  Fehlen  von  etwas  Ge- 
schriebenem, wie  die  Buchrollen  der  Sappho  und  Korinna"),  und  erst  recht  der 
Mangel  an  Versunkenheit  der  Einsamen  in  ihre  Geistesarbeit,  wie  sie  vorhin  noch 
an  dem  Bukoliker  des  Silbertellers  beobachtet  worden  ist  (S.  62).  Hier  richtet 
vielmehr  die  Herrin  und  mit  ihr  die  Dienerin  ihre  Blicke,  die  nichts  von  den  starken 
Gemütsbewegungen  der  Frauen  in  den  übrigen  Bildern  verraten,  nur  mehr  oder 
weniger  begierig  nach  außen,  am  ehesten  wie  in  Erwartung  eines  Verehrers  der  Dame. 

7.  ANDERE  KITHARSPIELERINNEN. 

Das  alles  paßt  zu  dem  Berufe,  den  das  vom  Künstler  als  etwas  sehr  Wesent- 
liches behandelte,   große   Saitenspiel  deutlich    macht,   dem    der    xiUapicsTpia    oder, 

')  Sapphoauf  der  Middletonschen  Vase  des  4.  Jahrh.  sächs.  Ges.  VIII  712  ff.  Taf.  i,  i.    Vgl.  BernouUi, 

bei  O.  Jahn,  Dichter  auf  Vasenbildem,  Abhandl.  Gr.  Ik.  I  66  f.  Ebenda  88  f.  Abb.  14  Korinna. 


gO  Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


wenn  hier  das  Fehlen  des  Plektrons  wirklich  entscheidet  (S.  87),  der  "j/äXTpia.  Wir 
kennen  ihn  von  alters  her  aus  schriftlichen  und  bildlichen  Zeugnissen.  Schon 
die  attischen  Vasen  kleisthenischer  und  themistokleischer  Zeit  zeigen  solche  Musi- 
kantinnen, wenn  auch  kaum  so  oft  wie  die  Flötenspielerinnen,  neben  denen  jene  zum 
Symposion  aufspielen  und  dann  noch  andere  Dienste  leisten.  Mit  am  drastischesten 
und  doch  ohne  grobe  Schamlosigkeit  zeigt  dies  das  Innenbild  der  Londoner  Eurys- 
theusschale  aus  der  Werkstatt  des  Euphronios,  wo  die  «j/aXtpia  die  Leier  beiseite 
gestellt  hat,  um  ihre  Gürtelschnur  zu  lösen,  was  dem  auf  einem  Hocker  ungeduldig 
harrenden  Lebemann  nicht  rasch  genug  vonstatten  geht ').  Die  Schriftsteller  der 
klassischen  Zeiten  lassen  meist  nur  erraten,  daß  es  damals  nicht  wesentlich  anders 
stand  ^).  Doch  spricht  es  deutlich  genug,  wenn  nach  Aristoteles  Staat  der  Athener 
50  die  Astynomen  xal  xots  ts  oüXYjxpt'Sa?  xai  Tot?  '^akxpiai;  xoi  täs  xittapiOTpiac  .  . .  axoitouat, 
outo«  fiij  TrXei'ovo?  ri  Susiv  SpayjiaTv  [iKjötuörjflrovTcii,  xctv  iiXstou?  tt]V  aüzr^v  iirouSaCuJOi  Xaßeiv, 
ouTOt  SiaxXr/poüat  xat  tiü  Xayovn  fiiaöoüdt:  also  FoHzeiaufsicht  nicht  allein  über 
die  Preise,  auch  zur  Vermeidung  von  bedenklichen  Streitigkeiten  um  die  Personen. 
Daß  diese  drei  Arten  und  andere  [looaoupfot  selbst  im  Auslande  ansehnliche  Lieb- 
haber fanden,  bezeugt  Theopomp,  wo  er  von  den  Lebensfreuden  Straton  L  des 
Philhellenen  berichtet  3),  sehr  wahrscheinhch  desselben  Königs  von  Sidon,  dem 
man  seinen  Harem  an  dem  schönen  Klagefrauensarkophag  in  ganz  griechischen 
Formen  darstellen  ließ,  während  doch  in  den  Leichenzügen  der  Dachbalustrade 
semitische  Bräuche  unverkennbar  sind  4).  Schon  nach  dem  Angeführten  läßt 
sich  Stoff  genug  denken,  wonach  mittlere  und  neuere  Komödien  xiDaptOTpi«  oder 
<!f'xk-:pia  betitelt  wurden  5).  Klar  vor  uns  sehen  wir  noch  die  kluge,  wackere  Hetäre 
und  (jxstXxpw  Abrotonon,  die  inMenanders  Epitrepontes  der  Eheirrung  ihres  traurigen 
Liebhabers  Charisios  ein  Ende  macht  *>).  Dem  entsprechen  die  fidicinae  der  latei- 
nischen Bearbeitungen.  Eine  mit  Namen  Acropolistis  und  die  irrig  statt  ihrer 
ins  Haus  des  alten  Periphanes  zum  Opfer  bestellte  namenlose  treten  im  Epidicus 
456  ff.  auf.  Angehende  meretrices  schickt  der  leno,  dem  sie  gehören,  zur  Aus- 
bildung in  den  ludus  fidicinius,  im  Rudens  43  und  im  Phormio  82,  wo  das  Mädchen 
als  citharistria  bezeichnet  wird.  Eine  solche  Künstlerin  wurde  wohl  auch  einmal 
zur  coniux  optima,  wie  die  Auxesis  citharoeda  eines  stadtrömischen  Grabsteins^). 
Aber  noch  Sallust  im  Catilina  25  nennt  unter  den  verderbten  Freundinnendes  Ver- 
schwörers eine  schöne  vornehme  Ehefrau  Sempronia,  die,  litteris  graecis  et  latinis 
docta,  psallere  saltare  elegantius,  quam  necesse  est  probae,  multa  alia,  quae  instru- 


■)  F.  R.  I  Taf.  23,  Pfuhl  a.a.O.  Abb.  405.  1908   II  36  ff .     Vgl.  Mendel,   Catal.   des   sculpt. 

^)  Z.  B.  Piaton,  Protag.  347  D.    Mehr  im  Thesaurus  (Musdes  ottomans)  I  Nr.  10. 

des  Stephanus  und  der  Dindorf  unter  ij;aXTp[a.  5)  Woran  mich  stud.  phil.  Emil  Kunze  erinnert.   Es 

3)  Fr.  hist.  Gr.  I  299,  126  aus  Athen.  12,  531  A— D,  genügt  auf  das  Titelverzeichnis  Kock  III  S.  698 
vgl.  Aelian  v.  h.  7,  2.  u.  709   hinzuweisen.     Auch   unter  den    xiHapuiSoi 

4)  Fr.  hist.  Gr.  I  299,  126  aus  Athen.  12,  531  .\^D,  mag  es  weibliche  gegeben  haben. 

vgl.  Aelian  V.  h.  7,  2.   Zum  Klagefrauensarkophag  *)  A.  Körte,   Menandrea  '  ed.  mai.  S.  42  Br.  i;  bei 

J.  d.  I.   1894  IX  226;    233  ff.    und    meine    ent-  Kock  Br.  600. 

scheidenden  weiteren  Beobachtungen  Rev.  arch^ol.  7)  C.  I.  L.  VI  2  Nr.  10  125;  Dessau,  I.  L.  S.  Nr.  5244. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


9' 


menta  luxuriae  sunt.  Zu  den  probae  gehören  natürlich  erst  recht  nicht  solche 
Dämchen,  wie  die  blonde  Thrakerin  Chloe,  dulcis  docta  modos  et  citharae  sciens, 
bei  Horaz  im  3.  Liederbuch  2,  10.  Völlig  ungeschminkt  zeigen  Lukians  Hetären- 
gespräche musikkundige  Vertreterinnen  dieses  Berufes,  5  die  Kitharspielerin 
Leaina,  12  die  Psaltria  Magidion  und  die  Flötenspielerin  Kymbalion.  Ja,  im 
Alkiphronbrief  33  schimpft  die  Ehefrau  und  Großmutter  Anthylla  die  xiOapwSö? 
fuvi;  Parthenion,  in  die  sich  ihr  Gatte,  der  alte  Knabe  Koriskos,  heillos  verliebt 
hat,  eine  iTtnöitopvo?,  was  gern  als  Übertreibung  berechtigter  Eifersucht  gelten  mag. 
Denn  im  allgemeinen  wird  das  didicisse  fideliter  artis  auch  Hetären  eher  veredelt 
haben  und  die  Durchschnittssitten  des  ganzen  Standes  müssen  wir  uns  nach  der 
gesamten  Überlieferung  wenigstens  im  äußern  Betragen  keineswegs  allzu  niedrig 
vorstellen  '). 

Den  in  Erinnerung  gebrachten  Schriftzeugnissen  lassen  sich  bildliche  der 
klassischen  Kunst,  auch  dort,  wo  sie  das  Alltagsleben  spiegelt,  d.  h.  vor  allem  im 
Dienste  der  Verstorbenen,  so  gut  wie  keine  anreihen  2).  Sehr  begreiflich;  denn 
die  Hetären  werden  nur  selten  Angehörige  gehabt  haben,  die  ihnen  das  ^ipti  Dgivovtiuv 
mit  Bildschmuck  ausstatten  mochten,  und  wenn  es  doch  geschah,  dann  wird  er 
verschwiegen  haben,  was  ihr  Gewerbe  verraten  konnte.  Einige  Frauen  mit  Kithar, 
Lyra  und  Doppelflöte  zeigen  allerdings  weißgrundige  Lekythen,  aber  nur  solche 
der  Vorblüte,  deren  ausschließliche  Bestimmung  für  die  Gräber,  wo  man  sie  findet, 
meist  nichts  beweist,  so  daß  auch  ihre  hergehörigen- Gestalten,  obgleich  strengschön 
wie  Musen,  für  junge  Männer  bestimmte  Darstellungen  von  Genossinnen  ihrer 
Freuden  sein  können,  wie  doch  wohl  jene  gleichzeitige  Kitharstimmerin  einer 
Trinkschale  im  Louvre  3).  Auf  den  langen  Reihen  der  eigentlichen  Grablekythen 
dagegen,  wie  sie  die  Werke  von  Fairbanks  und  Riezler  füllen,  weiß  ich  keine  attische 
Frau  mit  Saitenspiel,  sie  brächte  es  denn  dem  Verstorbenen  ans  Grab  4).  Das- 
selbe gilt  von  all  den  attischen  Grabreliefen  vordemetrischer  Zeit. 

Erst  als  der  Hellenismus  die  alten  Sitten  lockerte,  wagte  sich  ab  und  zu  an 
den  eigentlichen  Heimstätten  seiner  Kultur,  die  den  Hetären  zu  neuer  Geltung 
verhalf,  die  Darstellung  solch  einer  Musikantin  auf  ihren  Denkstein.  Ich  kenne 
nur  zwei  Beispiele.  Das  bescheidenere,  um  200  v.  Chr.  entstandene,  gehört  zu  der 
mir   nur  aus  Chios  bekannten  Gattung  von  schlanken,   sockelähnlichen  Blöcken 


')  Im  allgemeinen  vgl.  Jacobs,  Vermischte  Schriften 
IV  und  neuerdings  Ph.-E.  Legrand,  Daos  100  iT. 
und  K.  Schneider,  Hetairai  bei  Pauly,  Wissowa, 
Kroll  VIII  1331  ff.,  wogegen  sich  viel  sagen 
liefie.  Nützlich  ist  das  Namenverzeichnis  am 
Ende,  obgleich  es  den  Aufsatz  selbst  nicht  ganz 
ausbeutet. 

')  Beim  Suchen  hat  mich  der  vasenkundige  stud. 
phil.   E.   Kunze   eifrig  unterstützt. 

3)  Oben  S.  87  A.  5.     Schreitende  Lyraspielerin  mit 


Collignon  und  Couve  Nr.  1019;  A.  M.  1891 
XVI  311  Taf.  10,2  .M.  Mayer.  —  Flöten-  und 
Lyraspielerin  einander  gegenüberstehend, 'Axejto- 
pßrj;  xaX(i«,  Burlington  Catal.  1888,  29  Nr.  51, 
Furtwängler,  Samml.  Somz^e  Taf.  39  oben.  — 
Sitzende  Kitharspielerin,  vor  der  eine  Frau  mit 
Lyra  steht,  'AXxi(j.[:^J5tj«  \iT/y)dWj  xa\6i,  P. 
Gardner,  Gr.  vases  in  the  .Vshmol.  Mus.  Nr.  266 
Taf.  20,  Klein  Lieblingsinschr.^  163  Abb.42,  Beazlty 
im  Journ.  hell.  stud.    1914  XXXIV  221,  8. 


Hund,    Athen,  Nationalmuseum,  im  Katalog  von      ^)  Fairbanks,  White  lekyth.   II  129,   14,  Taf.  18,2. 


92 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


quadratischen  Querschnitts  aus  dem  grauen  Marmor  der  Insel,  deren  spitz  einge- 
rissener Bildschmuck  sich  geglättet  vom  aufgerauhten  Grunde  abhebt.  Das  weitaus 
bedeutendere  Denkmal  dieser  Art,  der  Grabstein  des  Metrodoros,  steht  im  Ber- 
liner Museum  vor  aller  Augen'). 
Auch  von  den  drei  erhaltenen 
Seiten  des  hier  in  Rede  ste- 
henden Grabsteins  im  Museum 
zu  Chios  habe  ich  1888  leid- 
liche Zeichnungen  veröffent- 
licht^). Die  Nebenseiten  stel- 
len je  eine  Sirene,  links  mit 
Doppelflöte,  rechts  mit  Kithara 
dar.  Die  Vorderseite  Abb.  II, 
zeigt  die  Verstorbene,  auf 
kissenbelegtem  Lehnstuhl  von 
gebogenem  Holze  (oben  S.  84), 
mit  beiden  Händen  ihr  In- 
strument rührend.  Es  ist  wie- 
der von  ganz  schlankem,  nur 
viel  einfacherem  Bau  als  in 
unserm  Wandbilde,  dem  S.  86 
aus  einem  anderen  pompeia- 
nischen  (Abb.io)  wegen  der  fünf 
Saiten  verglichenen  am  ähn- 
lichsten. Die  gleichfalls  über- 
schlanke Musikantin  zeigt  ober- 
halb des  um  die  Beine  ge- 
schlungenen Mantels  den  Chi- 
ton mit  drei  Faltenstrichen 
zwischen  den  Brüsten  und  dem 
Halssaum  so  schwach  ange- 
deutet, daß  wohl  nur  ein  sehr 
durchscheinendes  Kleid  ge- 
meint sein  kann.  Trotz  der 
häuslich  wirkenden  Hauben- 
tracht ist  ein  Halsband  mit 
zwei  Punktreihen  angegeben.  Mit  nur  einer  Reihe  geschieht  dies  auch  bei  der  hier 
noch  kleineren  Dienerin,  wieder  im  gürtellosen  Chiton,  fast  ohne  Falten,  aber  auch 
mit  wenig  Andeutung  von  Körperformen.  Auf  der  linken  oder  auf  beiden  Händen 
hält  die  Kleine  eher  als  ein  Körbchen  einen  Napf  bereit,  vielleicht  um  die  Herrin 
bei  ihrer  Übung  zu  erfrischen.     Die  verstümmelte  Inschrift  oberhalb  des  Bildfeldes 


Abb.  1 1 .     Grabstein  von  Chios. 
Wiederholt  aus  A.  M.  1888  XIII   195  ff. 


■)  A.   M.    1888  XIII  199  ff.,   363  ff.    Taf.  4.    Berlin       ')   A.  M.   iS 
Ant.  Skulpt.  Nr.  766  A.,  G.  Weicker,  Der  Seelen-  Abb.  89. 

vogel  1768.     Pfuhl,  Malerei  II  8.903!. 


XIII  195  ff.    Weicker  a.a.O.    177 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


93 


kann  schwerlich  anders  als  zu  A«[j,]rpo[v  ergänzt  werden;  und  so  ein  schmeichel- 
haftes Beiwort  sächlichen  Geschlechtes  beweist  zwar  nicht  für,  paßt  aber  auf  eine 
Hetäre,  zumal  ohne  Vaters-  oder  Gattennamen.  Eine  Gegenprobe  liefert  die  ein- 
zige mir  bekannte  Namensschwester,  die  Stymphalierin  Lampron,  insofern,  als 
sie  ihr  delischer  Grabstein  ausdrücklich  als  Gattin  eines  Sarapion  bezeichnet  •). 
Noch  klarer  spricht  meines  Erachtens  die  Inschrift  unter  Abb.  12,  dem  viel 
erheblicheren  Naiskosrclief  einer  kleinen  alexandrinischen  Kalksteinstele  aus  der 
ersten  Hälfte  des  3.  Jahrh.=). 
Auf  einem  nur  mit  seinem 
Vorderteil  ins  Bild  herein- 
ragenden Stuhl  von  soweit 
ähnlicher  Form  wie  der  des 
Wandgemäldes  sitzt  die  Ver- 
storbene in  die  alte  Gebärde 
tiefen,  traurigen  Sinnens  ver- 
sunken. Sie  achtet  nicht  dar- 
auf, daß  ihr  das  ganz  kleine 
Mädchen,  man  fragt  ob  nicht 
eher  ihr  Kind  als  ihre  Diene- 
rin, eifrig  die  Kithara  hinauf- 
hält, um  sie  aus  ihrem  Hin- 
brüten zu  reißen.  Gewiß  be- 
zeichnet das  Instrument  wie- 
der den  Beruf  der  Frau  als 
Kitharistria,  und  wenn  sie 
die  Sockelinschrift  Nix(u  Ti- 
jituvo?  dtOT/j  nennt,  so  kann 
ich  das  nur  damit  erklären, 
daß  ihn  gewöhnhch  Nicht- 
bürgerinnen  ausübten.  Das 
aber  waren  eben  die  meisten 
Hetären.  Nur  als  einer  sel- 
tenen Ausnahme  von    dieser 

Regel  und  zugleich  von  dem  sittlichen  Durchschnittswesen  solcher  Frauen  gedenkt 
ein  Bruchstück  aus  der  Hydria  des  Antiphanes  kzaipa:  .  .  .  äaT?,?,  die  obgleich 
einsam,  ohne  Vormund  und  Verwandte  lebend,  eine  goldene  Charakteranlage  zur 
Tugend  besaß  und  ihren  Liebhabern  eine  wirkliche  Excitfvo,  eine  Freundin  war,  statt 
mit  den  Berufsgenossinnen  diesen  wirklich  schönen  Namen  zu  entwerten  3).     Fremd 


Abb.    12.     Grabstele  aus  Alexandria. 
Wiederholt  aus  A.  M.  1901   XXVI  272. 


')  Ich  kenne  die  Inschrift  durch  Pape  und  Benselers 
Wörterbuch  nur  aus  C.  I.  G.  II  Nr.  2322  b  38, 
nicht  aus  einer  neueren  Veröffentlichung. 

»)  A.  M.  1901  XXVI  271  f.  mit  Textbild.  271 
A.  2    stellt   Pfuhl   die    auch     (jben    angeführten 


Vergleichsstücke     zusammen.      Vorher     gab     die 
Stele   Maspero    heraus    im    Mus&    6gypt.     I   27 
Taf.31. 
3)  Meineke  III  123,  Kock  II  103,  212,  aus  Athen.  13, 
572  A. 


94 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustiium. 


in  Athen  ist  denn  auch  wieder  die  Kitharspielerin  SepaTtiä?  'Avti6;(ou  MsYoptxij,  die 
ein  Grabstein  der  Kaiserzeit  aus  hymettischem  Marmor  in  bogenüberwölbtem  Feld 
aliein    dasitzend    zeigt '). 

Daß  endlich  dieser  Bildgegenstand  nicht  auf  die  bescheidene  Gräberkunst 
beschränkt  blieb,  sondern,  wie  hier  vorausgesetzt  wird,  tatsächlich  auf  die  Höhen 
der  Malerei  emporstieg,  verrät  uns  Plinius  35,  141  mit  einem  einzigen,  zum  Glück 
unzweideutigen  Worte,  das  gleich  in  seinem  eine  Zeitbestimmung  enthaltenden 
Zusammenhange  hergesetzt  sei :  einer  von  den  primis  proximi,  Leontiskos,  malteAratum 
victorem  cum  tropaeo,  psaltriam.  Also  so  eine  Musikantin,  wie  wir  sie  kennen, 
gemalt  von  einem  namhaften  Zeitgenossen  des  berühmten  Staatsmanns,  der  251 
seine  Vaterstadt  Sikyon  befreite  und  dann  als  Haupt  des  Achäerbundes  den  Anti- 
gonidcn  entgegenwirkte.  Anzuzweifeln,  daß  auch  diese  Psaltria  eine  Hetäre  war, 
liegt  kein  Grund  vor.  Hatte  doch  schon  Praxiteles  seine  Phryne  zu  Thespiae  und 
Delphi  in  Standbildern  aufgestellt  ^)  und  in  Gemälden,  gleich  von  Aristeides  und 
Theoros,  kennen  wir  unter  den  berühmten  Hetären  der  Diadochenzeit  wenigstens 
Leontion,  die  Freundin  Epikurs  und  Metrodors,  die  allerdings  zu  den  geistig  be- 
deutendsten Angehörigen  ihres  Standes  gehört  haben  muß,  wie  sie  denn  auch  der 
jüngere  Künstler  cogitantem  abbildete3).  Mit  dem  von  Theoros  ebenfalls  gemalten 
Demetrios  nennen  wir  aber  einen  der  Großen  jener  Zeit,  durch  die  selbst  geringere 
Weiber  dieser  Art  zu  der  Ehre  so  stattlicher  Bildnisgemälde,  wie  das  an  unserer 
Wand  wiedergegebene,  gelangen  konnten,  um  hier  von  der  eigentlichen  Porno- 
graphie abzusehen.  Leider  bemerke  ich  in  der  reichlichen  Überlieferung,  in  der 
ja  namentlich  die  Deipnosophisten  schwelgen,  unter  den  allerdings  vereinzelten 
Angaben  über  den  besonderen  musikalischen  Beruf  dieser  Halbweltdamen  nicht 
eine  Kitharistria,  nur  die  Flötenspielerinnen  Bakchis  von  Samos  4)  und  Lamia  von 
Athen.  Obgleich  somit  auch  die  letztere  für  unser  Bild  nicht  in  Frage  kommt, 
wird  es  doch  vielleicht  noch  verständlicher,  wenn  wir  uns  an  einiges  von  dem  über 
sie  Berichteten  erinnern  5).  Wie  auch  des  Belagerers  erste  Gemahlin  Phila  (S.  78) 
erheblich  älter  als  er,  wußte  ihn  Lamia  doch  lange  zu  fesseln.  Zu  den  Reizen 
dieser  Tochter  des  Atheners  Klcanor  (also  auch  einer  otOTTJ,  s.  S.  93)  zählte  Demetrios 
ihr  sittsames  äußeres  Auftreten,  das  er,  nach  Phylarch,  gegenüber  dem  Schelten 
seines  Feindes  Lysimachos  über  die  jropvi)  mit  den  Worten  rühmte :  all  f,  irap'  sfioi 
iropvKj  om^povsiTepnv  tt,?  itotp'  Ixetvro  llr,vsXoicr(«  C'fl  ^),  ein  scharfer  Hieb  auf  die  damalige 
thrakische  Königin,   wohl  keine  andere  als  Arsinoe,  die  spätere  Philadelphos.    Als 

>)  Conze   und   Brückner,  Att.   Grabrel.    IV  Taf.  390  Mehr  bei  Usener,  Epicurea  411  verzeichnet. 

Nr.  1844.     Athen,  Nat.-Mus.  Nr.  1319,  bei  Stais,  4)  Theopomp,  Fr.  h.  Gr.  I.  325  aus  Athen.  13,  595  A. 

Marbres   et  bronzes   S.  206.  I.    G.    III   Nr.  2574.  5)  Jacobs  a.a.O.  523  ff.     Beloch,  Gr.  Gesch.  III  i, 

Pfuhl  a.  a.  0.    führt    diese    Grabstele    irrig   als  429.     Hauptquellen  für  uns:  Athen.  3,  lOi  E;  4, 

delisch  an.  128  B;   6,   252  F;    13,    577  C;    14,   614  F,   615  A. 

')  Pausan.  9,  27,  4;   10,  14,  5.     Vgl.  über  den  Rest  Plutarch,  Dem.  16;  19;  24  f.  27.    Als  ihre  Quellen 

eines  mutmaßlichen   Phrynekopfcs  S.  88  A.  7.  genannt    werden    Lykos,   Demochares,    Phylarch, 

3)  Plinius  n.  h.  35,  99;  144.    Seilers,  Plinys  chapters  Polemon.,  Nikolaos  v.  Damaskos. 

on   art    S.  134    Pfuhl,  Malerei    II    S.  726;    746;  '')  Phylaich  Fr.  h.  Gr.  I  335,  aus  Athen.    14,  615  a', 

773.      Athen.    13,    585  D;    593  C;  Alkiphr.  2,  2.  auch  bei  Plutarch,  Dem.  25. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium.  gc 

der  Belagerer  Sikyon  wiederherstellte,  wird  es  auch  geschehen  sein,  daß  Lamia 
der  Stadt  eine  bunte  Halle  stiften  konnte,  was  Polemon  bezeugte  ').  Es  wäre  selt- 
sam, wenn  es  dort  kein  monumentale^  Bildnis  der  Gründerin  gegeben  haben  sollte. 
Welche  Göttin  dazu  vor  allem  die  Farben  liefern  mußte,  braucht  gar  nicht  gesagt 
zu  werden.  Zum  Überfluß  bezeugten  der  Perieget  und  Demochares  die  Verehrung 
der  Hetäre  als  Aphrodite  Lamia  für  Theben  und  Athen  ^).  Nun  kommt  ja  aber 
leider,  wie  gesagt,  diese  Flötenspielerin  für  unser  Gemälde  nicht  in  Betracht;  da 
wir  jedoch  an  der  Wand  gegenüber  die  Gattin  und  den  Sohn  ihres  königlichen 
Anbeters  gefunden  haben,  liegt  es  vorerst  einmal  nahe,  die  Psaltria  mit  der  Kithar 
unter  seinen  übrigen  Geliebten  zu  suchen.  Fast  königliches  Ansehn  soll  von  ihnen 
die  Samierin  Myririe  erlangt  haben,  was  freilich  erst  bei  Nikolaos  von  Damaskos 
stand  3).  Mehr  Verlaß  ist  vielleicht  auf  Leaina,  die  nach  dem  schon  angeführten 
Zeitgenossen  Demochares  in  Athen  gleichfalls  einen  Kult  als  Aphrodite  empfing. 
Sollte  Lukian  an  sie  die  gleichnamige  Teilnehmerin  seines  5.  Hetärengesprächs 
angeknüpft  haben,  dann  könnte  auch  jenes  Urbild  eine  Kitharspielerin  gewesen 
sein.  Aber  das  ist  gar  zu  dünnes  Gespinnst.  Als  haltbares  Ergebnis  jedoch  dieser 
zum  Nutzen  der  Sicherheit  notgedrungen  umfassenden  Begründung  nehme  ich  in 
Anspruch,  daß  die  schöne  Kitharistria  oder  Psaltria  von  Boscoreale  das  Bildnis 
einer  berühmten  Hetäre  hellenistischer  Zeit,  vermutlich  der  Blütezeit  ihres  Ge- 
werbes wiedergibt.  Daß  sie  nicht  in  unmittelbarem,  auch  räumlichem  Zu- 
sammenhang mit  der  Mittelgruppe  steht,  wie  es  sich  für  das  rechte  Flügelbild 
(entsprechend  seinem  Gegenüber  an  der  Westwand,  S.  8of.)  herausstellen  wird, 
zeigt  klar  ihre  und  ihrer  Dienerin  abgewandte  Haltung;  nur  ein  innerer  Zu- 
sammenhang ist  vorauszusetzen. 

8.  DAS  PAAR  IM  MITTELFELD. 

Unsere  Taf.  III  gibt  dieses  Bild  nach  einer  aus  New  York  freundlich  zur  Ver- 
fügung gestellten  Aufnahme,  von  Regenspuren  und  sonst  gereinigt,  z.  T.  voll- 
ständiger als  Barnabeis  Taf.  6,  auf  deren  Vorlage  Pfuhls  Abb.  717  zurückgeht. 
Doch  wurde  hiernach  dank  der  Verlagsanstalt  Bruckmann  unsere  Abb.  13  her- 
gestellt, weil  hier  einige  Stellen,  namentlich  der  linke  Arm  des  Mannes,  in  günstigerem 
Erhaltungszustand  erscheinen,  was  einer  inzwischen  wieder  abgenommenen 
»Verbesserung«  des  Urbildes  zuzuschreiben  kaum  glaublich  wäre.  Sambon  gibt 
außer  der  Farbtafel    2    den  in  unserer  Abb.  14  wiederholten    Ergänzungsversuch. 

Der  anfangs  (S.  66)  dargelegten  Entsprechung  beider  Wände  gemäß  sitzt 
hier  die  Frau  links;  doch  befinden  sich  beide  dicht  nebeneinander  im  Vordergrunde. 
Da  der  Mann  ähnlich  dasitzt  wie  die  Psaltria,  kommt  von  seinem  gleichfalls  recht 

^)  Polemon  ed.   Fr.   PreJler  45   Br.  14,  auch  Fr.  h.  gehören  z.  T.  gewiß  nicht  hierher.     Die  ebenda 

Gr.  III  120,  aus  Athen.  13,  577  C.  und  27  angeführte  Demo,    sehr  jung,  ist    auch 

^)  Beide  bei  Athen.  6,  523  AB,  Fr.  h.  Gr.  II  449,  3,  nach  dieser  Stelle  nicht  sicher  eine  Geliebte  des 

III  120,   14.  Demetrios  selbst.     Es  wird  die  gleiche  sein,    die 

3)   Fr.  h.  Gr.  III  414  aus  Athen.  13,   543  A.  —  Die  später   seinem  Sohn    Antigonos   den  Halkyoneus 

von  Plutarch,   Dem.  24   neben   Lamia  genannten  gebar,    oben    S.    82. 


96 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


ähnlichen  —  den  Gedanken  an  irgendein  Zusammengehören  der  zwei  nahelegenden  — 
Lehnstuhl  ungefähr  gleich  viel  zum  Vorschein,  abgesehn  von  dessen  Beinen,  welche 
die  nackten  Mannsbeine  kaum  verdecken.     Barnabei  56  f.  läßt  das  Gerät  irrig  aus 


Abb.   13.     Miialbild  der  Ostwand  aus  dem  großen  Speisesaal   von  Boscoreale  in  New  York. 
Nach  der  Vorlage   von  Pfuhl,  Malerei  Abb.  717.    Druckstock  von  F.  Bruckmann  A.  G. 

avorio  intarsiato  di  oro  bestehn  und  Pfuhl  879  folgt  ihm  darin.  Aber,  wie  G.  Richter 
bestätigt,  ist  wieder  nur  braune  Holzfarbe  mit  heller  Maserung  gemalt,  jedoch  hier 
nach  Sambons  Tafel,  in  etwas  grauerem  Braun,  ungefähr  zu  Eichenholz  passend.  Dem 
wären  die  im  Vergleich  zu  dem  andern  Lehnstuhl,  besonders  an  den  ausladenden 
Rundplatten,  noch  kräftiger  geschwungenen  Umrisse  wohl  an  emessen.  Noch  ent- 
schiedener als  dort  stehen  hier  die  Stuhlbeine  nach  rechts  geneigt  (auch  Abb.  14),  nicht 
durch  falsches  Zuschneiden  des  ganzen  Bildes,  da  ja  die  Hinterkante  der  gemalten 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


97 


Standfläche  wagerecht  geblieben  ist.  In  der  Vorlage  unseres  Textbildes  13  hat  sie 
nach  rechts  ansteigende  Richtung  erhalten,  doch  wohl  um  die  Thronbeine  ins  Lot 
zu  bringen.  Die  Seitenansicht  zeigt  die  perspektivische  Verkürzung  des  Hinter- 
beins kräftig  durchgeführt.  Dagegen  geht  von  den  zwei  anderen,  die  sich  zwischen 
den  Unterschenkeln  zeigen,  das  von  der  Stuhlschwinge  überschnittene  rückwärtige 
sogar  ein  wenig  tiefer  hinab  als  die  zwei  vorderen,  statt  noch  etwas  kürzer  zu  er- 
scheinen als  das  andere  Hinterbein  rechts  (Pfuhl  882).  Der  wiederum  kräftig  ge- 
schweifte Eckstollen  der  Rückenlehne  setzt  hier  zu  weit  einwärts  an.  Statt  wie 
im  Nachbarbilde  links  mit  der  oberen  Querlatte  in  spitzem  Winkel  zusammenzu- 
treffen, überragt  er  sie  ein  wenig  mit 
kymationähnlich  ausladendem  Kopf- 
ende, was  den  einzigen  Schmuck  der 
Lehne  bildet.  Weitere  Querhölzer  wie 
dort  sind  hier  nicht  angegeben.  Statt 
dessen  läuft  dem  obern  gleich,  nämlich 
wagerecht  trotz  der  perspektivischen 
Schrägstellüng  der  seitlichen  Sitzkante, 
wiederum  die  walzenförmige  Armlehne 
mit  Rundscheibe  an  der  Stirn.  Nur 
setzt  hier  das  Rundholz  erst  inmitten 
der  Vorderseite  des  Eckstollens  an 
und  ist  die  Rundscheibe  (die  den 
Lendenumriß  des  Mannes  etwas  über- 
schneidet) größer,  wie  an  den  mei- 
sten der  verglichenen  Darstellungen 
(S.  85).  Sie  enthält  eher  als  kon- 
zentrische Kreise  wieder  eine  Schnek- 
kenwindung,  wie  drüben  an  der  Ki- 
thar  das  runde  Kopfende  des  Saiten- 
stegs (S.  87).  Getragen  wird  die  Arm- 
lehne des  Mannes  von  einem  der  zu  diesem  Zweck  altüblichen  sitzenden  Fabel- 
tiere. Es  ist  aber  nicht  die  Sphinx,  die  schon  am  Harpyiendenkmal  (links 
vom  Kammerpf Örtchen),  dann  z.  B.  am  Grabstein  der  Demetria  und  Pamphile 
vor  dem  Dipylon  wie  noch  gar  oft  vorkommt,  vielmehr  ein  Löwengreif,  das  nament- 
lich vom  Alexandersarkophag  her  bekannte  persisch-hellenische  Wappentier'). 
Wenigstens  der  Kopf  mit  Bockshorn  und  der  oben  eingerollte  Hakenflügel  ist  ganz 
deutHch.  Ein  mindestens  sehr  ähnliches  Wesen  trägt  die  Seitenlehne  am  Grabstein 
der  Cl.  Italia  im  Louvre  ^).  Auf  den  Photographien  unseres  Gemäldes  kann  man 
die  übrigen  Umrisse  des  Tieres  kaum  noch  ahnen;  immerhin  mag  dazu  Sambons 


Abb.   14.     Mittelfeld  der  r.  Wand  im  Hauptsaal  von 

Boscoreale. 

Nach  Sambon,  Fresques  de  Bosc.  S.  12. 


')  Dessen  scharfsinnige  Ausdeutung  durch  G.  F. 
Hill  im  Journ.  hell.  stud.  1923  XLIII  166  ff.,  die 
von  den  Alexandermünzen  ausgeht,  dürfte  sich 
mit  dem  Gebrauche  des  Löwengreifen  auf  dem 


Alexandersarkophage    kaum    vertragen.       Doch 
kann  darauf  hier  nicht  eingegangen  werden. 
»)  Clarac  I  147,  330.    Außer  in  S.  Reinachs  R(^pert. 
stat.    I  42   auch  bei   Birt,   Die   Buchrolle  in   der 


Jahrbuch  des  archäolog^ischen  Instituts  XXXVIH/IX  1923/24. 


gg  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


Ergänzungsversuch  helfen  (hier  Abb.  14).     Beiderseits  davon  zeigt  sich,  nach  der 
Farbtafel  weißlichgrau,   das  aufgestaute    Gewand  des  Mannes.  Nicht  dazugehören 
kann,  was  hier  einen  Teil  des  Platzes  einnimmt,  wo  neben  der  Musizierenden  zwischen 
Sitz  und  Armlehne   das   Kissen  herausschwillt,   obgleich   Sambon  die   Stelle    ent- 
sprechend ergänzen  ließ.     Deutlich  sind,  dem  vordem  Stuhlbeinkopf  näher  als  dem 
rückwärtigen,    zwei    helle,    ineinandergreifende    Spiralhaken,    von    denen    aus    nach 
rechts  kurze  Reihen  der  gleichfalls  hellen  Strichelchen  verlaufen,  wie  sie  der  Maler 
zum   Ausdruck  walzenförmiger   Rundung  benützt.     An   der   Rückenlehne  scheint 
sich  dieser  Gegenstand  totzulaufen.     Da  er  Holzfarbe  hat  (auch  nach  Sambons  die 
Form  vergröbernder  Tafel),  möchte  ihn  G.  Richter  als  einen  Teil  des  Lehnsessels  auf- 
fassen.    Doch  finde  ich  nirgends  etwas  Entsprechendes  und  zweifle,  ob  es  zum  Stil 
des  Gerätes  passen  würde.     Eine  bessere  Deutung  weiß  ich  freilich  auch  nicht  vor- 
zuschlagen.    Am  ehesten  ließe  sich  vielleicht  noch  an  eine  Bandrolle  denken,  wie 
sie  das  Mädchen  von  Antium  mit  anderem  Opfergerät  auf  seiner  runden  Platte  trägt. 
Zu  kurz  ist  das  Ding  für  eine  Buchrolle,  wie  sie  annähernd  ähnlich,  nur  beiderseits 
aufgewickelt,  in  dem  großen  frühhellenistischen  Grabrelief  aus  Thespiae  unter  dem 
Thron  der  Frau  auf  der  Kante  der  Truhe  liegt  ').     Eine  sichere  Deutung  dieser  Einzel- 
heit vermag  vielleicht  zu  der  des  Gemäldes  beizutragen  • —  vielleicht  auch  nicht. 
Von  der  andern  Armlehne,   die  Barnabei   59  erkannte,   der  Maler   Sambons 
jedoch  übersah,  sehe  ich  dank  einem  Riß  vonG.  Richter  auch  auf  Taf.  III  als  dunkeln 
Fleck  die  elliptisch  verkürzte  Rundscheibe,  oben  schräg  überschnitten  vom  äußern 
Handumriß  der  Frau,  etwa  in  der  Höhe  ihres  Fingerrings,  vom  Stab  des  Mannes 
durch  ein  Streifchen  ihres  weißen  Oberkleides   gesondert.      Sonst    hat    der  Wand- 
maler auf  diesen  verdeckten  Teil  des  Geräts  keine  Rücksicht  genommen.     Selbst 
das  rechts  vorn  so  deutliche  Hinaufragen  des  Stuhlbeinkopfes  und  Stütztieres  über  die 
Sitzkante  bleibt  unberücksichtigt  bei  der  Art,  wie  sich  die  rechte  Kniekehle  über  den 
ersteren  legt.     Stützt  sich  trotzdem  die  Frau  mit  dem  linken  Ellbogen  auf  die  kaum 
sichtbare  Armlehne  des  Nachbars,  sitzen  muß  sie  auf  einem  eigenen,  dicht  herange- 
rückten Stühlchen,  das  ihre  wallenden  Gewänder  ganz  verdecken.     Die  Sorglosigkeit 
des  Wandmalers,  der  doch  wohl  auch  hier  als  Kopist  zu  erkennen  ist,  versäumte 
selbst  das  eine  Stuhlbein  anzugeben,  das  rechts  von  dem  äußersten  Thronbein  Hnksim 
Hintergrund  erscheinen  müßte.     Nur  den  flachen  Schemel  zeichnete  er  unter  dem 
linken  Fuße  der  Frau,  wie  ihn  unsere  Taf.  III  deutlich  erkennen  läßt.    Links  ist  seine, 
wie  üblich  vorgebauchte,  Ecke  mit  dem  aufgeschnörkelten  Füßchen  erhalten  ^). 

Die  auf  dem  bescheidenen  Sitze  ruht,  ist  ein  ganz  ausgereiftes  Weib,  was  be- 
sonders der  volle  kräftige  Unterarm  und  die  seiner  würdige  linke  Hand  zeigen,  deren 

1 — 

Kunst  129  wiederholt.    Dagegen  erweist  den  ver-      ')  Athen.  Nationalmus.  Nr.  817,  bei   Stais,  Marbres 
meintlichen    Greifen    des    Gemäldes    Heibig    Nr.  et  bronzes  139.   J.  d.  I.  1913  XXVIII334  f.  Taf.  30, 

1389  b,  wie  ihn  Mus.  Borb.   V  Taf.  17   zeigt,  die  von  Rodenwaldt  viel  zu  früh  angesetzt.  S.  Reinach, 

Photographie     bei     Rodenwaldt,     Kompos.     118  Rupert,  rel.  II 384,  2.    Die  Buchrolle  am  deutlich- 

Abb.  21     vielmehr     als    Sphinx,    wie     sie    schon  sten  in  dem  kunstlosen  Riß  bei  Birt,  Buchrolle  250. 

Winckclmann,  Gesch.  d.   Kunst  7,  3,   22  gegen      -)  Vgl.  z.  B.  Herrmann,  Denkm.  Taf.  4:  Amphitryon; 
Bartoli  erkannte.  72  Phaidra;  121  Zeus  von  Nike  gekränzt. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  gn 

Finger  indes  doch  vornehmen  Bau  erkennen  lassen.  Der  vierte  trägt  einen  Siegel- 
ring wie  der  der  Psaltria,  nur  mit  roter  Gemme.  Sonst  ist  diese  Frau  schmucklos, 
auch  das  üppige  dunkle  Haar  nur  einfach  zurückgenommen.  Die  hellen  falten- 
reichen Gewänder  machen  den  Eindruck  nicht  ganz  leichten  Wollstoffs.  Sambons 
Tafel  gibt  sie  ziemhch  gleichförmig  weiß,  wogegen  Barnabei  57  von  chitone  color 
violetto  chiaro  e  manto  biancastro  amplissimo  listellato  a  zone  di  color  violetto 
spricht.  Die  Borte  ist  besonders  deutlich  an  dem  geschlängelten  Saum  neben  dem  Knie 
des  Mannes,  vielleicht  auch  dort,  wo  das  Gewand  auf  dem  Schemel  schleppt.  An  der 
Halsöffnung  des  Hemdes  fällt  ein  ganz  weißes  Dreieck  auf,  mit  dem  kaum  der 
dort  gewöhnliche  Faltenvorsprung  gemeint  sein  kann,  das  aber  nach  G.  Richter 
auch  nicht  etwa  nur  von  einer  Beschädigung  herrührt.  Von  Brust  und  Unterarmen 
abgesehen  verhüllt  alles  der  weite  Mantel,  nach  Matronenart  auch  das  Hinterhaupt. 
Das  paßt  gut  zu  der  Gebärde,  die  schon  in  polygnotischer  Zeit  an  der  »Penelope« 
und  ihren  Verwandten  voll  ausgebildet  erscheint  als  Ausdruck  des  Versunkenseins 
in  tiefes  Sinnen,  wenn  nicht  gar  in  Sorge  und  Kummer.  Das  rechte  Bein  (dessen 
hängender  Fuß  leider  von  dem  hellroten  Grund  abgegangen  ist)  hat  sie  über  das  linke 
geschlagen,  den  rechten  Ellbogen  auf  das  gehobene  Knie  gestützt,  auf  die  zugehörige 
fest  geschlossene  Hand  die  entsprechende  Backe,  während  der  linke  Arm  müßig, 
wie  dargelegt,  auf  der  Armlehne  des  Genossen  ruht.  Ihm  wendet  sie  aus  ihrer  Ver- 
sunkenheit  das  charaktervoll  schöne  Gesicht  zu.  Das  persönliche  Gepräge  verleihen 
ihm  u.  a.  die  starken  Backenknochen  und  die  vielleicht  noch  entschiedener  als  bei 
unserer  Königin  Phila  gebogene  Nase  (S.  78).  Im  Gegensatz  zu  dem  freudigen 
Aufleuchten  in  jenem  Angesicht  spricht  aus  diesem  schwerer,  beinahe  düsterer  Ernst, 
namentlich  aus  den  geschlossenen,  geschwungenen  Lippen  und  den  großen  dunkeln 
Augen,  die  unter  etwas  zusammengezogenen  Brauen  fragend  aufblicken.  Hinter 
dieser  Stirn  sucht  man  keine  Liebesgedanken,  wie  bei  der  ähnlich  verhüllt  dasitzenden 
Frau  (Aphrodite.?)  eines  andern  pompeianischen  Bildes,  der  der  kleine  Eros  ein 
Schmuckkästchen  hinhält ').  Die  beschriebene  sitzt  zwar  vertraulich,  aber  nicht 
liebevoll  bei  dem  Manne.  Richtiger  als  Barnabei,  der  in  ihr  die  sieghafte  junge 
Braut  lola  suchte,  bewunderte  Sambon  15  cette  figure  de  femme  dont  le  regard 
trouble  le  spectateur,  le  contraste  entre  la  pensöe  qui  absorbe  la  femme  et  la  force 
insouciante  de  l'homme. 

Dieser  Mann  sitzt  allerdings  grundverschieden  auf  seinem  stattlichen  Thronos. 
Die  Beine  stehen  breit  auseinander,  wie  bei  Heraklesgestalten,  die  Barnabeis  Deutung 
des  Gemäldes  irreführten,  auch  bei  einer  von  pompeianischer  Wand  *),  oder  beim 
Silen  Marsyas  in  derselben  Kunstgattung  3).  Der  linke  Fuß  ist  etwas  zurückgezogen, 
beide  leider  wiederum  so  gut  wie  ganz  verwischt,   aber  der  vorgesetzte  rechte  trat 


')  Heibig  Nr.  1430,  Mus.  Borb.  IX  Taf.  3,  S.  Reinach,       3)  Heibig  Nr.  229.      S.   Reinach  a.a.O.   32,  6  aus 
Rupert,   peint.  78,   3.  Herkulaneum.      Ähnlich   Reinach   32,   3,      besser 

0  Heibig  Nr.  1148,  Mus.  Borb.  III  Taf.  19.    S.  Rei-  Jahreshefte  1907  X  315  Abb.  92. 

nach,  Rupert,  peint.   192,  2. 

7* 


IQQ  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

in  der  Tat  bis  vor  den  Schemel  der  Frau  (Abb.  13).  Doch  bleiben  deren  übereinander- 
gelegte  Beine  fern  genug,  um  eine  Berührung  mit  seinem  rechten  zu  vermeiden. 
Man  sieht:  er  macht  sich  etwas  breit,  wie  wenn  er  ein  großer,  gebietender  Herr 
wäre.  Ungescheut  zeigt  er  fast  nackt  die  Pracht  seiner  Gestalt,  deren  gebräunte 
Hautfarbe  auf  Sambons  Tafel  vielleicht  nur  aus  technischen  Gründen  nicht  dunkler 
erscheint  als  die  der  Frau.  Nur  gerade  die  Scham  und  etwas  vom  rechten  Ober- 
schenkel, wie  anderererseits  vom  Gesäßmuskel,  decken  die  gestauten,  weichen  Falten 
der  gelöst  vom  Rücken  herabwallenden  Chlamys  (S.  71).  Nach  Barnabei  hat  sie  color 
cinereo  legierissimo,  was  Sambons  Farbenbild,  im  Widerspruch  mit  der  Textangabe  14 
(vert),  durchaus  bestätigt;  nur  oben  erscheint  das  Mäntelchen  dunkler,  wo  es  der 
aufrechte  Rücken  an  die  Lehne  festdrückt.  Gewichtig  wirken  auch  die  Hände, 
die  beide,  die  rechte  über  der  linken,  auf  der  altüblichen  kurzen  Querkrücke  des 
braunen  Stabes  ruhen,  wie  es  mir  ein  Riß  von  G.  Richter  noch  deutlicher  machte 
als  die  Lichtaufnahmen.  Das  ist  auch  der  Höhe  nach  die  herkömmliche  ßcixtr^piot 
der  Griechen,  nur  in  der  schlanken  glatten  Form  verschieden  von  dem  knorrigen 
Stecken  des  Philosophen  auf  der  andern  Wand  (Taf.  H,  S.80).  Ganz  ähnlich  wie  unser 
Sitzender  stützt  sich  auf  den  nur  ein  wenig  knotigen  Stab  Orestes  in  dem  bekannten 
Neapler  Amphorenbilde,  wo  er  schutzsuchend  auf  dem  taurischen  Altar  Platz  ge- 
nommen hat;  doch  ist  seine  müde,  geknickte,  brütende  Haltung  der  stolzen  unseres 
Mannes  entgegengesetzt ').  Daß  aber  auch  ein  verwandter  Stimmungsausdruck 
durch  das  gleiche  Motiv  der  Hände,  sogar  über  kurzem  Stocke,  gesteigert  werden 
kann,  veranschaulicht  der  über  die  gefangenen  Freunde  zu  Gericht  sitzende  Thoas 
in  dem  berühmten  Bild  aus  Casa  del  Citarista  und  in  anderen  Nachklängen  der- 
selben Schöpfung  2).  Vielleicht  von  dieser  Gestalt  auf  den  jungen  Richter  der 
drei  Göttinnen  übergesprungen  ist  dieselbe  Handhaltung  in  zweien  der  pompe- 
ianischen  Bilder  des  Parisurteils;  einmal  steht  sein  langes  Wurf  holz  auf  dem  Bodens), 
das  anderemal  das  kürzere  auf  dem  Schoß,  wodurch  das  Motiv  dem  unsern  noch  näher 
kommt  4).  Hier  betont  die  Verschiebung  von  Stab  und  Händen  aus  der  Dreiviertel- 
ansicht des  Mannes  seine  Wendung  zu  der  Frau.  Dem  entsprechend  zeigt  sich  sein 
Kopf  der  Seitenansicht  viel  näher  als  der  ihre.  Doch  scheint  seine  Haltung  eher 
stolz  zu  bleiben;  jedenfalls  überragt  er  den  der  vorgebeugten  Nachbarin  beträchtlich 
ohne  sich  zu  ihr  zu  neigen.  Das  Oberhaupt  fehlt  und  in  dem  kurzen,  bei  Sambon 
heller  braunen  Nackenhaar  ist  von  Kopfschmuck  oder  -bedeckung  keine  Spur  er- 
halten. Das  bis  über  die  Brauen  vorhandene  Gesicht  gibt  Barnabeis  Taf.  6  (und 
unser  Textbild  13)  wenigstens  im  untern  Teil  bedenkhchviel  deutlicher  als  die  sicher 
unberührten  Aufnahmen  wie  Taf.  IIl,  mit  denen  hier  Sambons  Farbenwiedergabe  zu- 
sammengeht.   So  wage  ich  davon  nicht  mehr  auszusagen,  wie  daß  es  bartlos  und  eher 

')  F.  R.  III  Taf.  148.     Monum.  d.  Inst.  II  Taf.  43.  im  Vettierhaus:  Herrmann  Taf.  20. 

')  Das  genannte  Bild  bei  Herrmann,    Denkm.  Taf.  3)  Heibig  Nr.  1285.     Mus.  Borb.   XI  Taf.  25.    Bau- 

115,  Mau,   Pomp.'  374.      Rodenwaldt,   Kompos.  meister  II   1167,  M^langes  Nicole  6538.,  Löwy, 

pomp.  Wandgem.  166,  vgl.  170.    Jul.  Lange,  Die  Abb.  4  der  Beilage. 

mensch.  Gestalt  84  Fig.  32.  —  Die  Wiederholung  4)  Heibig  Nr.  1284.    Giorn.  d.  scavi  1861,  60  Taf.  19. 

des  Thoas,  mit  etwas  manierierter  Handhaltung,  Lüwy  a.  a.  0.  Abb.  5. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  10 1 

voll  war.  Kaum  fraglich  dünkt  es  mich  ferner  bei  solch  kräftigem,  stattlichen 
und  selbstbewußten  Manne,  daß  die  Bartlosigkeit  nicht  die  natürliche  der  Jugend, 
sondern  die  künstliche  der  hellenistischen  Herrenmode  ist. 

Daß  unser  Mann  an  Heraklesbilder  verschiedener  Kunstgattungen  und  Stil- 
arten erinnert,  deren  eines,  in  pompeianischem  Gemälde,  wieder  beide  Hände  so 
auf  die  Keule  stützt '),  ist  ebenso  richtig,  wie  daß  er  seiner  Tracht  nach  diesen  Heros 
nicht  bedeuten  kann.  Für  die  statt  dessen  von  Sambon  vorgeschlagene  Deutung 
auf  einen  menschlichen  Athleten  spricht  ebensowenig  Entscheidendes,  ja  der  Stab, 
soweit  meine  Erinnerung  reicht,  eher  dagegen.  Selbst  die  Körperbildung  hat  nichts 
eigentlich  Athletisches  im  Sinne  des  Hellenismus.  Und  wie.  der  Mann  hier  neben 
der  tiefernsten,  bedeutenden  Frau  thront,  das  weist  in  eine  höhere  Schicht,  als  z.  B. 
die,  wo  sich  der  selbstgefällige  junge  Held  der  Palästra,  der  blondbärtige  Delphis 
von  Myndos,  zu  der  verliebten  Simaitha  auf  den  xXivx^^p  setzt,  um  sie  mit  süßen 
Worten  rasch  ganz  zu  betören^).  Die  lässige  Würde  dieser  zwei  Menschen  weist 
auf  ähnlich  hohen  Rang,  wie  er  dem  Paar  gegenüber  anzuweisen  war  (S.  78).  Die 
weitgehende  Entblößung,  die  immerhin  vor  der  Scham  Halt  macht,  würde  sich  aller- 
dings am  leichtesten  bei  einem  Heros  der  Sage  erklären.  Sehr  ähnlich  sitzt  König 
Telephos  in  dem  nach  ihm  genannten  Fries  aus  Fergamon  unter  den  Achäerfürsten  3), 
wohl  auch,  in  einem  Wandbild  aus  dem  Dioskurenhause,  Minos,  dem  Skylla  die 
Locke  des  Vaters  bringt  4).  Selbst  ein  annähernd  ähnliches  Paar  kommt  in  bisher 
nicht  überzeugend  gedeuteten  Darstellungen  aus  der  Sage  auf  Wandbildern  und 
römischen  Sarkophagen  vor  5),  ja  in  einigen  spielt  eine  Buchrolle  mit,  wie  sie  zur 
Not  doch  neben  unserm  Mann  auf  dem  Sitze  liegen  könnte  (S.  98).  Allein  das 
Gegebene  bleibt  doch  die  Zugehörigkeit  des  Paares  zu  derselben  wirklichen  Welt, 
wie  sie  für  sein  Gegenüber  und  die  Psaltria  mit  ihrer  kleinen  Sklavin  außer  Frage 
steht.  Damit  verträgt  sich  auch  die  nüchterne  ßaxtrjpia  am  besten.  Sie  führte 
nämlich  Antigonos  Gonatas  zur  kriegerischen  Chlamys,  als  er  während  des  Straßen- 
kampfes in  Argos  draußen  im  Lager  wartend  saß,  und  schlug  damit  strafend  seinen 
tapfern  jungen  Bastard  Halkyoneus,  der  dem  Vater  das  abgeschlagene  Haupt  des 
größten  Feldherrn  der  Zeit,  seines  Jugendfreundes  Pyrrhos  zu  bringen  wagte^).  Daß 
dieses  Stocktragen  keine  Eigenheit  des  Philosophenkönigs  war,  lehren  Vorläufer 
und  Nachfolger  in  dem  Korporalsgebrauch:  die  spartanischen  Nauarchen  Asty- 
ochos  und  Mnasipp   sowie    Klearchos,    der   Führer    der  Zehntausend?),    dann    die 


')  Abgeb.  Festschrift  für  Benndorf  138,  wo  Petersen  389  fi.  verhörten  Bildwerke. 

irrig    Sogliano    Nr.  473    statt  497    anführt.  *)  Plutarch,  Pyrrh.  34,  vgl.  oben  S.  77.     Nochmals 

')  Theokrit  Id.  2,  102  ff.     Der  blonde  Bart  78.  mit   dem  Stock   erscheint  Antigonos    II.,   als   er 

3)  Altert.  V.  Pergam.  III  2  Taf.  33,  3.  Collignon,  damit  an  die  Pforte  von  Akrokqrinth  pocht,  um 
Hist.  sc.  gr.  II  531.  Rodenwaldt,  Das  Relief  bei  es  zu  besetzen,  Plutarch,  Arat  17.  Aber  da  ist 
den   Griechen   Abb.  117,   b.  nicht  von  der  Chlamys  die  Rede  und  nach  dem 

4)  Herrmann,  Denkm.  Taf.  128  mit  Textbild  49,  ganzen  Zusammenhang  Bürgertracht  nicht  aus- 
nach  Archäol.  Zeitung  1866  XXIV  Taf.  212,  wo-  geschlossen.     Vgl.  jedoch  S.  100. 

nach  zur  Not  auch  bei  Röscher,  Lexik.  IV  1070.  7)  Thukyd.  8,  84.    Xenoph.  Hellen.  6,2, 19;  Anab.  2, 

5)  Ich  meine  die  zuletzt  von  Robert,  Hermeneutik  3i  n-     Vgl.  immerhin  auch  5,  8,  i  ff. 


'C 


JQ2  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


römischen  Centurionen  mit  ihrer  vitis  ').  Mitwirken  kann  bei  der  Erklärung  unseres 
Bildes  auch  noch  der  Gedanke  an  einen  vorangegangenen  langen  Weg,  von  dem 
der  Mann,  mit  etwas  weich  durchgebogenem  Leibe,  als  Gast  ausruht;  denn  im  eigenen 
Hause  wird  er  kaum  so  den  Stecken  vor  sich  behalten.  Nach  einer  großen  Strapaze 
rastend  mag  es  sich  auch  ein  vornehmer  hellenistischer  Herr,  wo  er  sich  zu  Hause 
fühlen  durfte,  etwa  bei  nahen  Verwandten,  sogar  vor  Damen  dermaßen  bequem 
gemacht  haben,  wie  er  sich  bei  Turnübungen  und  erst  recht  die  ideale  Plastik  ihn 
aller  Welt  zeigen  durfte.     Gern  wüßte  man  auch,    was  für  Schuhe  der  Mann  trug. 

9.    DAS  MÄDCHEN  MIT  DEM  SCHILD. 

Das  rechte,  durch  die  wirkliche  Pforte  verkürzte  Seitenfeld  (S.  66)  enthält, 
in  sehr  freier  Entsprechung  mit  dem  Alten  von  der  Wand  gegenüber  (Taf.  II),  eine 
hoch  aufgerichtete  noch  jugendliche  Frauengestalt.  Taf.  III  gibt  sie  —  leider  in  zu 
weitem  Abstand,  den  der  Buchbinder  auf  den  des  linken  Flügelbildes  verkürzen 
kann  —  nach  abermals  P.  Herrmann  und  F.  Bruckmann  verdankter  Photographie 
viel  deutlicher  als  das  Textbild  12  bei  Barnabei  57.  Mit  diesen  Aufnahmen  ver- 
glichen erweist  sich  hier  Sambons  Taf.  3  sorgfältiger  ausgeführt  als  die  anderen. 

Zunächst  die  Kleidung.  Unter  dem  Schilde  zeigt  sich  der  weiße  Chiton  mit 
schlichter,  sehr  breiter  Saumborte  von  der  Art,  wie  sie  frühhellenistische  Tanagräer- 
innen  haben  ^).  Nur  nimmt  sie  hier  von  rechts  nach  links  an  Breite  zu,  was  an- 
nähernd bei  einem  der  zwei  halbwüchsigen  Mädchen  wiederkehrt,  deren  Vorbe- 
reitung zu  einem  Feste  ein  feines  Bild  aus  Herkulaneum  darstellt  3).  Die  Borte 
unserer  Gestalt  nennt  Sambon  15  blau,  während  seine  Tafel  wenigstens  in  den 
Faltenschatten  das  vom  ersten  Herausgeber  bezeugte  Violett  gibt.  Ähnlich  tönt 
die  Farbtafel,  nach  G.  Richter  dem  Bild  entsprechend,  den  ganzen  über  dem  Schilde 
sichtbaren  Teil  des  Chitons  um  Brust  und  Schultern;  Barnabeis  Angabe  verde  chiaro 
ist  somit  abermals  irrig  (S.  113).  So  erst  recht  seine  Meinung,  das  schmale  gelbe 
Band  um  den  Halsansatz  sei  ein  Unterchitonsaum  und  nicht  ein  Schmuckstück 
wie  es  der  Maler  Sambons  auffaßte.  Mit  Recht,  denn  ebenso,  auch  ein  wenig  der 
Muskelbewegung  nachgewellt,  erscheint  so  ein  Kettchen  bei  der  eben  verglichenen 
Halbwüchsigen  auf  dem  herkulanischen  Gemälde.  Ein  ähnlicher  Goldstreif  um- 
faßt den  bloßen  Oberarm  in  Achselhöhe,  er  von  Barnabei  als  armilla  erkannt. 
Dazu  ein  weiteres  Schlangenarmband  am  Handgelenk.  Nur  die  vom  ersten  Heraus- 
geber auf  der  rechten  Schulter  angenommene  fibula  a  borchia  di  oro  finde  ich  auf 
den  Photographien  so  wenig  wie  Sambons  Zeichner  und  G.  Richter  im  Urbild.  Trotz 
all  ihrem  Schmuck  hat  die  Dame  das  grauviolette  Obergewand  schürzenartig  von 
hinten  um  den  Leib  gegürtet,  wie  es  das  schräge  Aufsteigen  der  Säume  von  den 
Kniekehlen  aus  und  der  mit  ihnen  gleichlaufenden  Falten  unter  dem  Schild  erkennen 
läßt.     Das  ist  von  alters  her  die  Tracht  von  Männern  und  Frauen,  deren  beide  Hände 

')  Marquardt,  Domaszewski,  Handbuch  röm.  Alter-       ^)  Z.  B.  Furtwängler,  Samml.  Saburoff  Taf.  99;  102; 
tümer  2  V  374  ff.     Baumeister,  Denkm.  III  Abb.  107  u.a.m. 

2263;  2276.  3)  Herrmann,  Taf.  3.  Winter,  Kunstg.  in  Bild.  I  95,  8. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium.  10^ 

eine  länger  dauernde  Verrichtung  in  Anspruch  nimmt  ').  Ebenso  TtepiCu>3a[iEV7)  tö  l\xdunv 
macht  sich  bei  Plutarch  im  Kleomenes  38  die  schöne  starke  Frau  des  Pantcus  nach 
der  Hinrichtung  des  Spartanerkönigs,  seiner  Kinder  und  seiner  Mutter  daran,  den 
Toten  die  letzten  Liebesdienste  zu  erweisen,  bevor  sie  selbst  an  die  Reihe  kommt. 
Nach  hellenistischem  Vorbilde  dargestellt  zeigt  das  in  ähnlicher  Ansicht  wie  unser 
Mädchen,  nur  ganz  unverdeckt,  der  zur  Opferung  Iphigeneias  bereite  Kalchas  in 
dem  Bild  aus  Casa  del  poeta  tragico  ^),  und  im  Innern  pergamenischen  Altarfriese 
die  von  der  linken  Seite  gesehene  Dienerin  mit  Helm  und  Speer  hinter  Auge,  von 
der  soeben  Telephos  den  Schild  empfangen  hat  3). 

Ebenso  geschürzt  hat  sich  auch  dieses  Mädchen,  um  Waffen  zu  tragen.  Denn 
wenn  sie  sich  selbst  zum  Kampfe  rüsten  würdet),  müßte  wenigstens  noch  eine  Angriffs- 
waffe zur  Stelle  sein.  Sie  aber  hat  nur  einen  Schild  mit  der  Rechten  an  seinem 
Rand  aufgehoben,  deren  Griff  jedoch  schon  nachläßt,  weil  auf  der  Rückseite  der 
linke  Arm  in  die  Handhaben  eingeführt  ist.  Daran  will  sie  die  Schutzwaffe  fort- 
bringen, wie  schon  Thetis  im  Innenbilde  der  Erzgießereischale  den  eben  von  Hephaistos 
übernommenen  Achillesschild  5),  den  auf  späteren  Vasen,Reliefen  und  Wandgemälden 
sie  selbst  oder  eine  andere  Teilnehmerin  des  Nereidenzuges  am  linken  Arme  führt  ^). 
Dort  aber  hat  der  Schild,  wie  meines  Erinnern  auch  in  andern  Bildwerken  aus  der 
Heldensage,  die  alte  klassische  Rundform  bewahrt.  Der  unsere  dagegen  zeigt 
im  wesentlichen  eine  hellenistische  Form.  Die  sehr  gestrecr  te  Ellipse  umgibt  eine 
Antyx,  die  nach  der  freilich  kaum  ganz  folgerichtig  durchgeführten  Beleuchtung 
gegen  die  wenig  ausgewölbte  Binnenfläche  eher  vor-  als  zurücktritt.  In  ihrer  Längs- 
achse hebt  sich  eine  schlanke  Reliefgestalt,  nach  Sambons  wieder  von  G.  Richter 
bestätigter  Tafel  rötlich  braun  mit  hellen  Lichtern,  also  wohl  ehern,  von  der  nicht 
viel  helleren  Fläche  ab,  statt,  wie  Barnabei  schrieb,  golden  von  silbernem  Grunde. 
Die  Figur  wirkt  wie  eine  bildliche  Ausgestaltung  der  ursprünglich  nur  den  Schild- 
nabel nach  beiden  Seiten  fortsetzenden  Mittelrippe,  wie  sie  auf  derselben  ovalen 
Grundform  mit  erhabenem  Randstreifen  der  große  Gallierschild  zeigt.  Doch  trugen 
davon  Angehörige  dieses  Volkes  auch  so  eine  kleine  Spielart  7)  und  sie  findet  sich 

»)  Die   frühesten   mir   gegenwärtigen   Beispiele   sind  von    Robert    J.  d.   I.    1888    III   48  f.  mit  Text- 

die  Opferdiener  der  noch  strengen  Vasenbilder  bei  bild.     Vgl.    ebenda    1900    XV    115    Taf.  i,    17 

Pfuhl  a.  a.  0.  Abb.  477  u.  491  und  eine  Frau,  die  Schrader. 

eine  kleine  Truhe  hebt,  nach  Stackeiberg,  Gräber  4)  Athena  nennt  sie  S.  Reinach,  Rupert,  peint.  20,  i. 

Taf.  34  bei  Schreiber,  Bilderatlas  Taf.  84,  3.    Aus  5)  F.  R.  III  Taf.  135.    Perrot,  Hist.  de  l'Art  X  653. 

hellenistischer  Zeit  vgl.  die  männlichen  Musikanten  *)  Apulische  Vasenbilder  bei  Heydemann,  Nereiden 

auf   dem    Mosaik   des    Dioskurides   hier    Abb.  15  Taf.  2;  4;   5,  deren   eines  wiederholt  bei  Röscher, 

mit  S.  112  A.  I.  Lexik.  III  224.    Dort  225  Relief  der  Marmorvase 

^)  Herrmann  Taf.  15.     Winter,  Kunstgesch.  in  Bil-  aus  Rhodos,  Nr.  203  der  Münchener  Glyptothek. 

dem«   I  98,  4.      Springer,  Handbuch"   I  Abb.  Wandbilder  aus  Pompeii  Heibig  Nr.  1320/1,  Mus. 

968.    Die  noch  von  Rodenwaldt,  Kompos.  198  ff.  Borb.  X  Taf .  19  u.  7,  S.  Reinach,  Rupert,  peint. 

bedingt  beibehaltene  Verknüpfung  mit  Timanthes  39,  i.  2. 

verwirft  entschieden  v.  Salis,  Kunst  d.  Griechen'  7)  Hier  nur  wenige  sichere  Beipiele,  wo  kämpfende 

178.  Gallier    solche    Schilde    führen  t  G    Körte,  Urne 

3)  Altert,  v.  Pergamon  III  2,  174  Taf.  61,  i,  gedeutet  etrusche  III  Taf.  113,  2  u.  117,  9;  dieselben  bei 


jQ^  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


noch  bei  anderen  als  keltischen  Kriegern,  so  bei  kleinasiatischen  Söldnern  auf  den 
gemalten  Grabstelen  aus  Sidon  zu  Konstantinopel,  namentlich  bei  Dioskurides  von 
Balbura  und  Hekataios  von  Thyateira,  die  noch  dem  2.  Jahrh.  v.  Chr.  angehören 
werden ').  Auch  der  ungedeutete  Gott  im  pergamenischen  Gigantenkampfe,  den 
sein  schlangenbeiniger  Gegner  von  hinten  umklammert  hält,  trägt  solchen  Schild  ^). 
Daß  er  schon  vor  dem  Galliereinfall  in  den  Gesichtskreis  der  Hellenen  kam,  verrät 
uns  vielleicht  eine  südrussische  Tonfigur  aus  Kertsch  3).  Den  Übergang  zur  bild- 
lichen Ausgestaltung  des  Nabels  und  Mittelstegs  bezeugen  freilich  erst  die  zierlichen, 
fein  bemalten  und  vergoldeten  Tonschildchen  aus  Vollmöllers  makedonischen  Kammer- 
gräbern zu  Eretria,  von  noch  viel  spitzerem  Oval.  In  dem  einen  veröffentlichten 
Typus  hat  nur  der  Umbo  die  Form  eines  stark  vorspringenden  Hundekopfes,  in 
dem  anderen  die  einer  schönen  Medusenmaske,  von  der  nach  beiden  Seiten  als 
Bereicherung  des  Mittelsteges  der  dreizinkige,  flammende  Donnerkeil  ausgeht  4). 
Wie  dieses  hübsche  Stück  sind  auch  die  mitgefundenen  Rundschildchen  von  guten, 
eher  noch  frühhellenistischen,  z.  T.  an  die  oben  besprochenen  makedonischen  (Abb.  7) 
anschließenden  Formen.  Zwei  sehr  ähnliche  Ovalschilde,  der  ganz  sichtbare  wieder 
mit  dem  Blitz,  schmücken  gekreuzt  die  Leuchtfeuersäule  in  dem  sullanischen  Mosaik 
des  Grottenbezirks  im  Fortunaheiligtum  zu  Praeneste  5),  leider  ohne  uns  ihre  Her- 
kunft zu  verraten.  Auf  dem  Schild  unseres  Gemäldes  ist  an  Stelle  jener  Mittel- 
rippe wie  gesagt  die  rötlich  metallene  Reliefgestalt  angebracht,  wohl  als  für  den 
Eigentümer  bezeichnendes  Schildzeichen.  Ein  schlanker,  ganz  oder  so  gut  wie 
nackter  Mann  in  strenger  Seitenansicht  von  links,  das  linke  Knie  so  leicht  gebogen, 
daß  die  Absicht  dazu  fraglich  erscheinen  kann.  Vom  Fersenansatz  ab  ist  der  Fuß 
geschwunden  und  statt  seiner  die  helle  Strichelung  des  Grundes  zum  Vorschein 
gekommen.  Ob  rechts  am  Oberschenkel  etwas  von  dem  zurückstehenden  rechten 
zum  Vorschein  kommt  oder  ob  dieser  Teil  auch  noch  zu  dem,  besonders  starken, 
linken  gehört,  blieb  mir  angesichts  der  großen  Vorlage  zu  Taf.  IH  fraglich.  Den 
hintern  Umriß  schien  mir  das  Ende  eines  Attributs  zu  überschneiden,  am  ehesten 
eines  Schwertes,  so  schräg  gestellt,  daß  die  Richtung  dort  hinaufwiese,  wo  die  Hand 
des  vorgehaltenen  linken  Unterarmes  geschwunden  ist.  Auf  Schulter  und  Rücken 
sah  ich  bestimmt  einen  schwachen  Wulst,  der  ungefähr  wie  der  Halsrand  eines 
Panzers  verläuft.  Doch  erschien  das  G.  Richter  vor  dem  Urbild  nur  als  ein  »Effekt 
von  licht   und  dunkel«.     Auch  finde  ich  nichts  von  einem  entsprechenden  untern 

Biefikowski,  Darstellungen  der  Gallier  Abb.  113  ')  Altert,  v.   Pergam.   III  2   Taf.  16  links,   8.641. 
u.  133.     Dort  Taf.  4/5  der  Sarkophag  Amendola.  Winnefeld.     v.  Salis,  Altar  v.  Pergam.  84. 

Nicht  ganz  sicher  ist  der  Gallier  auf  dem  delischen  3)  Compte  rendu  1876,  Taf.  6,  8,  Minns,    Scythians 
Bruchstück  eines  gemalten  Frieses  Monum.  Piot  &  Greeks  56  fig.  10. 

XXI  1913,   184  Abb.  8     A.  Reinach.       Hierher  4)  Der     ersterwähnte    A.    M.     1901    XXVI    360  f. 
gehören  auch  die  Schilde  auf  den  Plinthen  des  Abb.  9  (wiederholt  aus 'E(p»)|x.  (äp-/otoX.  1899,  228f. 

sterbenden  Galliers  und  der  Ludovisischen  Gruppe,  Abb.  3).     Der  zweite,   dem   Berliner  Museum  gc- 

wenn  sie   nicht  nur    attributiv    verkleinert  sind.  hörige,  ebenda  363  f.   Taf.  15   Mitte. 

')  Mendel,  Catal.  des  sculpt.  I  Nr.  102;  104,  auch  5)  Bull,    comun.    1904    XXXII    270  ff.    Taf.  6 — 7. 
106;  107;  Rev.  arch^ol.  1904  I  235  ß.  Abb.  1—3.  A.  Köster,  Ant.  Seewesen  198  Taf.  57.  S.  Reinach, 


S.  Reinach,  Rupert,  peint.  269,  6;  7;  13.  Rcpert.  peint.  381,3. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  IO5 

Panzerrand;  eher  eine  Spur  der  Scham  unter  dem  leicht  vorschwellenden  Bauch. 
Nach  Stile  arcaico,  den  Barnabei  zu  erkennen  meinte,  sieht  das  alles  nicht  aus.  Noch 
weniger  die  starke,  schräge  Nase  des  bartlosen  Gesichtsprofils.  Über  dem  kurzen 
Haar  sitzt  deutlich  nach  hinten  geneigt  eine  wulstähnliche  Kopfbedeckung,  von 
Barnabei  und  G.  Richter  als  Kranz  bezeichnet,  aber  gewiß  kein  Blatt-  oder  Blumen- 
kranz. Eher  mag  es  die  bekannte  Athletenmütze  sein,  wie  am  Erzkopf  des  »Ar- 
chytas«  aus  der  großen  herkulanischen  Villa')  und,  mit  anderem  Turnergerät  auf- 
gehangen, in  den  Zeichnungen  des  Metrodorsteins  aus  Chios  (S.  92).  Sehr  möglich 
scheint  mir  indes,  daß  wieder  die  Kausia  gemeint  ist  (S.  72).  Schade,  daß  wir  über 
die   Bedeutung  dieses  Schildzeichens  im  Unklaren  bleiben. 

Woher  das  Mädchen  den  Schild  genommen  hat,  zeigt  ihrq  Bewegung  nach 
rechts,  klar  ausgedrückt  durch  den  rechts  unter  dem  Chitonsaum  in  Seitenansicht 
hervorkommenden  linken  Fuß  in  besohltem  Schuh  (dem  Sambons  Tafel  dieselbe 
gelbbraune  Farbe  gibt,  wie  seinem  Gegenstück  am  linken  Wandende,  am  rechten 
Fuß  der  Kitharspielerin)  und  anderseits  durch  die  Schleppe,  deren  Rückweis  nach 
links  die  Kopfwendung  bestätigt.  Der  begonnenen  Schreitbewegung  entspricht 
ferner  der  leerbleibende  linke  Teil  des  Bildfeldes,  der  allerdings  schon  durch  den 
entsprechenden  Abstand  des  Philosophen  von  der  Mittelgruppe  gegenüber  gefordert 
wird  (S.  80).  Nicht  unerwähnt  bleiben  soll  schon  hier,  daß  die  einzelne  Frauengestalt 
von  den  zwei  andern  Bildern  dieser  Wand  durch  verschiedenen  Lichteinfall  abge- 
sondert wird:  jene  sind  von  rechts,  sie  allein  ist  von  links  her  beleuchtet.  Ob  nur 
darum,  weil  so  der  starke  Ausdruck  ihres  Gesichts  zu  vollerer  Geltung  kommt.!" 
Jedenfalls  kann  dieser  Unterschied  nichts  an  dem  Zusammenhang  ändern,  den  die 
entschiedenen  Bewegungsakzente  der  Mädchenfigur  so  klar  ausdrücken:  von  der 
Mittelgruppe  her  kommt  sie  mit  dem  Schilde.  Dieser  muß  somit  als  Eigentum 
des  einzigen  Mannes  an  der  ganzen  Wand  gelten,  der  zwar  jetzt  bei  der  altern  Frau 
auf  dem  Lehnstuhl  ausruht,  aber  durch  die  stolze  Kraft  seiner  Gestalt  und  die 
Chlamys,  mit  der  der  Stock  nicht  im  Widerspruche  steht,  doch  nur  als  Kriegs- 
mann bezeichnet  sein  kann  (S.  loof.).  Die  übrigen  Waffen  hat  das  Mädchen  wohl 
schon  vorher  weggeschafft;  weist  doch  ihr  geschürztes  Oberkleid  auf  längere  Dauer 
der  Arbeit  hin.  Zu  Beginn  der  Odyssee  (127)  nimmt  Telemachos  selbst  dem  Gaste 
Mentes  den  Speer  ab,  in  vielen  bildlichen  Darstellungen  aus  der  Heldensage,  z.  B. 
noch  an  der  früher  verglichenen  Stelle  des  Telephosfrieses  (S.  103),  helfen  die  Frauen 
des  Hauses  beim  Anlegen,  wohl  auch  einmal  beim  Ablegen  der  Rüstung.  So  ist 
in  der  Schildträgerin  eine  Angehörige,  am  ehesten  die  Tochter  der  älteren  Frau 
des  Mittelbildes  zu  vermuten.  Dazu  paßt  die  beiden  gemeinsame  Kraft  der  Körper- 
formen wie  der  Gesichtszüge.  Die  der  Jüngeren  scheint  jetzt  freilich  eine  Nase  zu 
entstellen,  kaum  weniger  häßlich  als  die  des  »Sokrates«  Albani;  doch  ist  dies  nach 
G.  Richters  Auskunft  nur  einer  Beschädigung  zuzuschreiben.  Auch  ihr  Haar  er- 
innert vermöge  seines  Wuchses  und  der  —  mit  dem  der  Hetäre  S.  88  verglichen  — 
schlichten  Tracht  eher  an  das  der  Matrone,  obgleich  es  etwas  heller  zu  sein  scheint; 

')  Neapel,    Guida    Ruescb    Nr.  882;   Arndt,    Portr.  153/4- 


]06  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

ein  Teil  hängt  frei  in  den  Nacken  hinab.  Der  reiche  Schmuck,  der  das  Mädchen 
vor  der  Frau  auszeichnet,  sogar  die  gefallsüchtige  Schönheit  links  überbietet,  setzt 
eine  der  ihren  ähnliche  Absicht  oder  einen  festlichen  Anlaß  voraus,  oder  beides 
zugleich.  Dem  Zusammenhang  entspräche  es  am  besten,  wenn  sie  sich  für  den 
herrlichen  stolzen  Mann  geschmückt  hätte,  weil  sie  ihm  angehören  soll.  Durch 
Schmuck  unterscheidet  sich  z.  B.,  mit  Aphrodite,  die  Braut  Hippodameia  von  der 
sie  zum  Vertragsabschluß  zwischen  Pelops  und  Oinomaos  heranführenden  Mutter 
auf  einer  von  den  apulischen  Vasen  dieses  Gegenstandes  ').  Hierauf  könnte  sich 
das  sichtlich  vertrauliche,  jedoch  auch  tiefernste  Gespräch  beziehen,  das  die  zwei 
im  Mittelbilde  zu  führen  im  Begriffe  stehen.  Jedenfalls  handelt  es  sich  um  etwas, 
was  des  Mädchens  Seele  tief  bewegt.  Dies  verrät  sein  fromm  zum  Himmel  aufgeschla- 
gener Blick  —  denn  ein  tatsächtliches  Oben  gibt  es  in  diesen  Bildern  nicht  — ,  das 
oöpavov  eJaavtSetv  oder  dvaßXsiteiv  in  homerischen  und  spätem  Schilderungen  ent- 
scheidender Augenblicke*).  So  schaut  die  Mutter  Niobe  zu  den  Göttern  auf  oder, 
da  ihr  Schicksal  schon  besiegelt  ist,  der  noch  besser  zu  vergleichende  Kalchas,  der 
vorhin  für  die  Schurztracht  des  Mädchens  in  Erinnerung  gerufen  wurde  (S.  103). 
Das  Stoßgebet,  das  unsere  Schildträgerin  dabei  zu  den  Himmlischen  emporsendet, 
lautet  am  ehesten  wie  das  der  Nausikaa  Odyssee  6,  244:  aT  ^ap  Ifiol  roiöaSs  tooh; 
x8x>.r)!Jisvo?  ö't);  denn  auf  Widerstreben  deutet  nichts  hin.  Immerhin  mag  das  schon 
etwas  mehr  sein,  als  sich  mit  voller  Gewißheit  den  aufgewendeten  Ausdrucksformen 
entnehmen  läßt.  Aber  das  Wesentliche  der  Sachlage  scheint  mir  klar.  Auch  daß 
die  tieferregte  mutmaßliche  Braut,  die  so  eifrig  den  Mann  in  Gestalt  seiner  Waffen 
festzuhalten  strebt,  in  bewußten  Gegensatz  gestellt  ist  zu  der  anders  gearteten, 
untätigen  Schönen,  die,  obschon  sichtlich  nicht  am  gleichen  Ort,  ihre  kühlern  Erwar- 
tungen doch  nur  auf  denselben  Mann  richtend  gemeint  sein  kann  (S.  95). 

10.  ZUR  NÄHEREN  DEUTUNG  DER  OSTWANDBILDER. 

Die  vorangehende  Beschreibung  der  Bildnisgestalten  von  der  Ostwand  noch 
mehr  als  des  Hauptbildes  der  westlichen  ist  durchsetzt  mit  vergleichenden  Seiten- 
blicken auf  Darstellungen,  bildliche  und  selbst  dichterische,  aus  der  griechischen  Sage. 
Dennoch  stellten  sich  dem  Gedanken  Barnabeis,  es  seien  mit  diesen  Megalographien 
wirklich  Personen  der  Sage  gemeint,  immer  neue,  unübersteigliche  Hindernisse  in 
den  Weg.  Die  Auflösung  des  scheinbaren  Widerspruchs  bringt  das  tatsächliche  Wesen 
der  dargestellten  Menschen  aus  der  frühhellenistischen  Geschichte,  die  sich  noch 
bei  Plutarch  ausnehmen,  wie  ein  von  dem  Gott  Alexandros  ins  Leben  gerufenes, 
neues  Geschlecht  von  Heroen  und  erst  recht  von  Heroinen,  an  denen  keine  Zeit 
so  reich  war  wie  diese  3).  Solch  ein  Heros  muß  der  einzige  Mann  sein,  der  hier  zwischen 
drei  sehr  bestimmt  gekennzeichneten  Frauen  thront.  Schon  da  sich  uns  die  schöne 
Kitharspielerin  immer  sicherer  als  eine  vornehme  Hetäre  erwies  (S.  95),  drängte  dies 

')  Brit.  Museum  F  631,    abgeb.  auch   bei  Röscher,       ')  Ilias  16,  232;  19,  257;  24,  307.  Xenophon,  Kyrup. 
Lexik,    d.    Mythol.    III   775.  6,  4,  9. 

3)  Rohde,  Der  gr.  Roman  und  seine  Vorläufer  63  ff. 


Franz  Studniczka,  Ima^nes  Illustrium.  I07 

unsere  Gedanken  auf  den  vielgeliebten  und  vielverliebten  Vater  des  inmitten  der 
linken  Saalwand  erkannten  Antigenes  Gonatas.  Und  nun  bietet  dessen  Leben 
annähernd  in  den  für  letzteres  Bild  in  Betracht  kommenden  Jahren  (S.  79)  tatsächlich 
einen  im  Wesentlichen  genau  entsprechenden  Vorgang.  Bezeichnend  für  die  Un- 
verwüstlichkeit seiner  Schnellkraft  wie  seiner  Anziehungskraft  für  Frauen,  hat  er 
gleich  nach  dem  Sturze  vom  makedonischen  Thron,  den  seine  erste  und  vornehmste 
Gattin  Phila  nicht  überleben  mochte,  in  der  Wiege  seines  Königtums,  Klein- 
asien, sowohl  dessen  Wiederherstellung  in  Angriff,  als  auch  nochmals  eine  jüngere 
Fürstentochter  zur  Frau  genommen.  Es  war  Ptolemais,  Tochter  des  Begründers 
der  ägyptischen  Dynastie,  von  dessen  erster  makedonischer  Gattin  Eurydike,  einer 
Tochter  des  Reichsverwesers  Antipatros,  also  Schwester  der  Phila  und  schon  seit 
321  Schwägerin  des  Demetrios.  Obgleich  sie  dem  Lagiden  auch  einen  Sohn  geboren 
hatte,  den  später  Keraunos  zubenannten  Ptolemaios,  wurde  sie  von  der  mitgenom- 
menen Landsmännin  Berenike  aus  dem  Herzen  des  Gemahls  verdrängt,  so  daß  er 
schließlich  auch  die  Thronfolge  seinem  Jüngern  Sohn  von  dieser  Berenike,  nachmals 
Ptolemaios  Philadelphos,  zuwandte.  Ptolemais  war  dem  Belagerer,  als  dessen 
erste  ebenbürtige  Nebenfrau,  des  Pyrrhos  Schwester  Deidameia,  etwa  298  jung 
gestorben  war,  vielleicht  noch  als  Kind  verlobt  worden,  um  die  Beziehungen  zwischen 
beiden  Herrschern  zu  bessern.  Diese  unausgeführt  gebliebene  Verbindung  wurde 
nun  vollzogen,  da  Demetrios  287  zu  Eurydike  nach  ihrem  Sitz  als  geschiedene 
Königin,  Milet,  kam.  Dem  Ehebund  entsproß  Demetrios  6  xaXo?').  Zu  dieser  Lage  paßt, 
was  die  rechte  Saalwand  aufmerksamer  Betrachtung  an  Tatsachen  und  glaubhchen 
Vermutungen  ergab,  in  allen  Hauptsachen  tadellos,  nur  Kleinigkeiten  sperren  sich 
ein  wenig. 

Erst  ein  Blick  auf  das  Ganze:  ein  stolzer,  schöner  Mann,  auf  den,  im  abge- 
sonderten Bilde  links,  eine  seiner  würdige  Hetäre  wartet  (vielleicht  jene  Myrine, 
oder  Leaina?  S.  95),  zwischen  Mutter  und  Tochter.  Letztere  dient  ihm  wie  Auge 
dem  Telephos  und  hat  sich  für  ihn  geschmückt  wie  eine  Braut;  aber  der  Brautvater 
fehlt.  Die  Mutter  in  dem  hellenistisch  erneuerten  Penelopetypus,  fast  schmucklos 
und  witwenmäßig  tief  in  anspruchslose  Kleider  gehüllt,  wäre  nicht  anders  zu  erfinden 
als  der  bestmögliche  Ausdruck  für  die  verdrängte,  verlassene  Köngin.  Daß  sie  nicht 
recht  aussieht  wie  eine  in  den  Fünfzig,  ist  ein  Mindestmaß  an  höfischer  Rücksicht. 
Vertraulich,  aber  nicht  zärtlich  ist  sie  an  den  Mann  herangerückt,  wie  es  der  ältlichen, 
langjährigen  Schwägerin  wohl  zukommt.  So  auch  der  düster  fragende  Blick  der  um 
Phila  frisch  trauernden  Schwester,  die  den  künftigen  Schwiegersohn  fragen  mag, 
ob  es  bei  ihm  die  Tochter  besser  haben  wird,  auch  im  Hinblick  auf  die  endlosen 
Liebschaften  mit  Hetären.  Ein  Flehen  um  glücklichere  Zukunft  mit  zum  Himmel 
erhobenem  Blick  steht  erst  recht  der  Braut  eines  solchen  Mannes  an.  Dieser  selbst 
aber  thront  anspruchsvoll  wie  ein  Gott  in  dem  unverwüstlichen  Selbstvertrauen 
des  bisher  immer  wieder  auch  aus  tiefem  Fall  auf  die  Höhe  zurückgekehrten  Genies. 

')  Alles  wesentliche   bei   Plutarch  25;   32;  46;   53.  m.  W.  Rehm  in  Wiegands  Milet  III  Das  Delphi- 

Vgl.  Beloch,  Gr.  Gesch.  III  2,  91;  127.     Zuletzt  nion  305  A.  i;  306. 


•j08  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

Daß  sich  Demetrios  seine  körperliche  Frische  lange  zu  erhalten  wußte,  dürfen 
wir  aus  der  Nachricht  folgern,  er  habe  das  zunächst  sogar  in  der  Gefangenschaft  des 
Seleukos  durch  Jagen  und  Laufen  versucht  und  sei  erst  am  Ende  in  schwelgerische 
Trägheit  verfallen  (Plutarch  52).  Der  prachtvolle  Körper  unseres  Mannes  zeigt 
nur  etwas  von  lässigem  Ausruhen  nach  schweren  Mühen.  Dazu  passen  die  auf 
den  Stock  übereinandergelegten  Hände  und  dieser  selbst  ist  ein  altes  griechisches 
Abzeichen  der  Befehlshabergewalt,  unter  den  hellenistischen  Königen  für  den  Sohn 
des  Demetrios  bezeugt  ^S.  lOi). 

Die  Waffen  sind  abgelegt,  als  letzte  trägt  die  Braut  den  Schild  fort.  Ist  seine 
Form  eine  Abwandelung  der  gallischen  (S.  103  f.),  dann  scheint  das  zunächst  freilich 
über  die  Lebenszeit  des  Poliorketes  und  über  den  Galliereinfall  von  279  hinaus- 
zuweisen. Aber  da  schon  Aristoteles  von  den  Kelten  mancherlei  weiß,  Alexander 
und  Kassander  mit  ihren  langsam  in  die  Balkanhalbinsel  vorrückenden  Stämmen 
in  Berührung  kamen '),  so  könnte  sich  zur  Not  auch  der  Einfluß  ihrer  Schutzwaffe 
schon  vor  ihrem  massenhaften  Erscheinen  in  Makedonien  und  Griechenland  geltend 
gemacht  haben,  zumal  bei  einem  auf  neuartige  Pracht  bedachten  Kriegsfürsten. 
Aber  vielleicht  war  die  Schildform  gar  nicht  auf  die  Gallier  beschränkt  ^S.  104). 
Trägt  der  schlanke  Mann,  der  die  Waffe  als  Abzeichen  schmückt,  wirklich  die  Kausia 
(S.  105),  dann  bestätigt  er  wenigstens,  daß  jene  einem  Makedonen  gehört.  Deuten 
•ließe  er  sich  dann  etwa  als  einer  von  den  Herakliden,  auf  die  das  Haus  Philipps  und 
von  dessen  verschiedenen  Diadochen  sicher  die  Ptolemäer  ihren  Ursprung  zurück- 
führten ^). 

Anbehalten  hat  unser  ausruhender  Held  nur  die  Chlamys  und  diese  ganz  locker. 
Aber  sie  hat  ja  nicht  die  dunkle  Purpurfarbe  optpvtvov  und  erst  recht 
nicht  das  stolze  Weltbild  im  Tierkreis,  wie  nach  Duris  die  Königschlamys  des  Deme- 
trios, die  freilich  nach  Plutarch  nicht  fertig  wurde  3).  Der  letztere  jedoch  läßt 
den  Fürsten  gerade  auf  der  Flucht  aus  dem  meuternden  Makedonenheer  wie  einen 
Schauspieler  seinen  goldumsäumten,  purpurnen  Tragödienmantel  gegen  x^a(iu3a 
«patot'v  vertauschen  und  eine  solche,  von  hellem  Aschgrau,  trägt  unser  stolzer  Held 
statt  der  violetten  des  jungen  Königs  gegenüber.  Vom  Kopfe  des  anderen  ist  ja 
leider  nicht  viel  erhalten,  das  Wenige  indes  und  nicht  nur  das  kurze  Haar,  sondern 
auch  das  Untergesicht,  wenn  es  die  vollständigere  Abbildung  Barnabeis  (unser  Text- 
bild 13)  treu,  nicht  willkürlich  vervollständigt,  paßt  zu  dem  kleinen  runden  Kinn 
und  hübschen  Mund  der  Münzbildnisse,  die  etwas  herabgezogenen  Mundwinkel  zu 
denen  aus  reiferem  Alter  4).     Ihr  Diadem  fehlt  allerdings  wieder  und  es  wäre  miß- 

0  Niese,   Gesch.   gr.   und   maked.    Staaten    II    13.  XIII  Taf.  16,  1162;  1165;  XXI  Taf.  15,  Ii55f. 

Beloch,  Gr.  Gesch.  III  i,  577.  Head,  Hist.  num.'  230,  Abb.  142.     Vermutungen 

»)0.  Abel,    Makedonien  vor  Philipp  92  ff.      Zu  den  über   plastische    Demetriosbildnisse    R.  M.  1889 

Ptolemäern:  Theokrit  Id.  17,  28.  IV    34  ff.     Wolters     und     1903     XVIII     2153. 

3)  Fr.  h.  Gr.  II  477  aus  Athen.  12,  535  F  ff.  Zum  Six,  der  die  von  Wolters  noch  für  Demetrios 
5pcpvtvov  Piaton,  Tim..  68  BC,  auch  Xenoph.  in  Betracht  gezogenen  Chlamysträger  lieber  mit 
Kyr.  8,  3,  3.    Plutarch,  Dem.  41 ;  44.   Oben  S.  71.  Arndt    für   Flußgötter  hält.     Die  herkulanische 

4)  Imhoof,  Portr.  Taf.  2,  7;  8.     J.   Hirsch,  Katal.  Büste  zuletzt  bei  Hekler,  Bildniskunst  Taf.  72,  b. 


Fraoz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  jOg 

lieh,  auch  seine  herabhangenden  Bandenden  mit  dem  Oberkopfe  spurlos  geschwunden 
denken  zu  müssen.  Allein  so  gut  wie  seinen  Purpurmantel  kann  der  König  wirklich 
auch  die  Binde  auf  der  Flucht  abgelegt  haben.  Beides  zusammen  tat  sein  Ururenkel 
Perseus,  als  er  aus  der  verlorenen  Entscheidungsschlacht  bei  Pydna  nach  Pella  davon- 
sprengte  ').  Bildniswert  hat  der  zerstörte  Kopf  im  Gemälde  leider  wenig.  Um 
so  eher  aber  der  sehr  charaktervolle  unserer  Eurydike,  mit  dessen  Hilfe  nach  ihr 
unter  den  Marmorköpfen  Umschau  zu  halten  ist,  bei  der  geringen  Wichtigkeit  ihrer 
Person  freilich  mit  wenig  Hoffnung  auf  Erfolg. 

Eine  andere,  zu  unserm  Ausgangspunkte,  der  Deutung  des  Mittelbildes  links 
auf  Antigonos  H.  und  seine  Mutter  Phila  passende  Erklärung  der  Ostwand  habe 
ich  nicht  gefunden.  In  Betracht  käme  vielleicht  noch  der  jüngere  Halbbruder  des 
Gonatas,  der  schon  erwähnte  gleichnamige  Sohn  des  Belagerers  aus  seiner  letzten 
Ehe  mit  Ptolemais:  Demetrios  der  Schöne.  Seine  immerhin  merkwürdige,  des 
romantischen  Reizes  nicht  entbehrende  Rolle  in  der  Geschichte  zeigt  ihn  als  Ver- 
treter der  makedonischen  Belange  in  Kyrene,  das  er  den  Ptolemäern  streitig  zu 
machen  wagte.  Als  dort  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  König  Magas  starb,  berief 
dessen  Witwe  Apame,  die  Tochter  Antiochos  I.  von  Syrien,  wider  den  letzten  Willen 
des  Gemahls  den  Bruder  des  Makedonenkönigs  und  verlobte  ihm,  statt  dem  Thron- 
folger des  Philadelphos,  ihre  noch  unerwachsene  Tochter  Berenike.  Einige  Jahre 
später  jedoch  (247)  empörte  sich  die  Herangereifte  tatkräftig  gegen  diesen  ihr  auf- 
gezwungenen Ehebund,  um  doch  noch  die  Gattin  Ptolemaios  HI.  Euergetes  zu  werden, 
und  ließ  Demetrios  ermorden,  wobei  sein,  wirkliches  oder  angebliches,  Liebesverhältnis 
zu  der  Schwiegermutter  wesentlich  mitspielte  ^).  Diesen  Vorgängen  entspricht 
das  Dargestellte  nur  sehr  oberflächlich.  Die  schöne  Hetäre  links,  die  zur  Kenn- 
zeichnung des  Poliorketes  fast  unentbehrlich  ist,  fehlt  jedenfalls  in  der  Überlieferung 
von  seinem  Sohne,  was  aber  leicht  ihrer  geringern  Ausführlichkeit  schuld  gegeben 
werden  könnte.  Die  übrigen  drei  Personen  jedoch  sind  und  verhalten  sich  hier 
ganz  anders  als  dort.  Die  ältere  Frau  hat  nichts  von  einer  noch  liebebedürftigen 
Schwiegermutter,  weder  an  sich,  noch  in  der  Art,  wie  sie  neben  dem  Manne  sitzt. 
Das  Mädchen  aber  müßte  als  Berenike,  statt  mit  dem  bloßen  Schilde  wegzuschreiten, 
eher  heimlich  einen  Dolch  zücken,  da  niemand  anderer  zugegen  ist,  um  sie  von 
dem  Verlobten  zu  befreien. 

Sind  also,  worauf  ich  vertraue,  die  Gründe  für  die  vorgelegte  Gesamtdeutung 
haltbar,  dann  ist  uns  an  den  zwei  einander  gegenüberliegenden  Wänden  des  oecus 
quadratus  von  Boscoreale  ein  großartiges,  einheitliches  auf^evtxov  (S.  64)  aus  dem 
Königshause  der  Antigoniden  erhalten,  dem  sich  nichts  von  geschichtlicher  Bildnis- 
kunst hellenistischer  Zeit  auf  uns  Gekommenes  an  die  Seite  stellen  läßt.  Daß 
aber  die  Teilnahme  vornehmer  Villenbesitzer  Kampaniens  für  jene  romantische 
Welt  gelegentlich  zu  so  etwas  ausreichen  mochte,  lehrte  uns  schon  der  einleitende 
Blick    auf  die  plastische  Bildnissammlung  aus  Herkulaneum  (S.  68).     Dort  haben 

')  Plutarch,  Aem.  Pauli.  23. 
»)  Die    Überlieferung   bei   Niese   a.a.O.    II    142  ff.     Beloch  a.a.O.    III  i   620;  641;   III  2,  91;  93. 


j  IQ  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

sich  ja  neben  Männern  ersten  geschichtlichen  Ranges  wie  Seleukos  Nikator  und 
Pyrrhos  doch  auch  solche  nachweisen  lassen,  die  selbst  an  Antigonos  II.  kaum  heran- 
reichen, z.  B.  der  seltsame  Gründer  des  pergamenischen  Herrschergeschlechts,  der 
Eunuch  Philetairos.  Freilich  zum  täglichen  Brot  römisch-hellenistischer  Bildung 
haben  solche  Gestalten  nicht  gehört.  Das  lehrt  der  klägliche,  fehlerhafte  Auszug 
de  regibus  bei  Nepos  2i  und  die  spärlichen  Erwähnungen  bei  Cicero;  erst  Trogus 
wußte  ziemlich  genau  Bescheid.  In  Varros  illustrium  hominum  imagines  darf  man 
unter  den  reges  exterarum  gentium  wohl  Demetrios  I,  schwerlich  auch  seinen  Sohn 
vermuten.  Aus  welcher  Quelle  mag  also  der  Maler  dieses  Oekus  seine  großen,  so 
echt  wirkenden  Gestalten  geschöpft  haben? 

III.   ZUR  KUNSTGESCHICHTLICHEN  BESTIMMUNG  DER 
BILDNISGEMÄLDE. 

Unsere  Wände  dürften  nicht  fern  von  Sullas  Herrschaftszeit  gemalt  sein.  Das 
zierliche  dorische  Gebälk  der  nachgebildeten  Scherwand,  wie  es  Taf.  II  und  Abb.  5 ;  14 
zeigen,  steht  dem  des  Podiums  im  großen  Saale  des  Fortunabezirks  zu  Praeneste  und 
anderen  Resten  aus  demselben  Heiligtum  am  nächsten  ').  Den  Feldern  dieses  Schein- 
baus mögen  die  Bilder  mehr  oder  weniger  angepaßt  sein.  Sie  sind  es  aber  nicht  in 
der  angenommenen  Richtung  des  Lichteinfalls.  Während  nämlich  die  eine  abgebildete 
Scheinsäule  (Taf.  II),  besonders  deutlich  an  den  uns  zugewandten  Versatzbossen, 
ihre  Beleuchtung  von  links,  d.  h.  von  der  geöffneten  Südwand  (S.  66)  her  empfängt, 
fällt  es  auf  die  Gestalten  dieser  Seite  von  rechts,  also  aus  der  Richtung  der  hinteren 
Saalwand,  eben  daher  auf  das  Mädchen  mit  Schild  aus  dem  Südfelde  der  Ostwand 
(Taf.  III),  das  doch  einem  Fenster  der  Eingangsseite  so  nahe  steht,  von  der  aus 
nur  die  beiden  anderen  Bilder  derselben  Wand  beleuchtet  erscheinen.  Solche  Wider- 
sprüche gibt  es  ja  allerdings  auch  sonst  in  derselben  Villa  und  in  anderen  pom- 
peianischen  Häusern,  während  mir  sogar  P.  Herrmann  nur  ein  Beispiel  einheitlich 
von  der  tatsächlichen  Lichtquelle  aus  beleuchteter  Bilder  an  allen  drei  Wänden  eines 
ähnlichen  Saales,  im  Vettierhause,  anzügeben  wußte,  das  er  im  Texte  seiner  Denkmäler 
Taf.  52  nachgewiesen  hat.  Aber  in  einem  Falle  wie  der  unsere,  wo  lebensgroße  Per- 
sonen wie  wirklich  vor  den  Wänden  erscheinen,  dürfte  der  Mangel  solcher  Einheit 
doch  wohl  gegen  die  Neigung  Pfuhls  sprechen,  die  Bilder  für  diese  Wände  geschaffen 
zu  denken.  Auch  so  bewähren  sie  sich  als  Kopien  verlorener  Urbilder.  Seltsam  bleibt 
es  freilich,  daß  nur  eine  unter  den  Gestalten,  die  Schildträgerin,  ihr  Licht  von  links 
empfängt.  Sie  deshalb  aus  einer  anderen  Quelle  herzuleiten,  widerrät  aber  ihr 
dargelegter  sachlicher  und  ihr  noch  darzulegender  Formenzusammenhang  mit  den 
übrigen.  Wenn  der  oben  in  Erwägung  gezogene  gegenständliche  Grund  für  die  ab- 
weichende Beleuchtung  (S.  105)  nicht  ausreicht,  wird  sich  ein  räumlicher  im  ursprüng- 
lichen Zusammenhange  denken  lassen.  Dies  dürfte  jedoch  leichter  fallen,  wenn  sich 
dort  die  Beleuchtung  von  links  her  auf  mehr  Gestalten  als  diese  einzige  erstreckte, 

')  R.    Delbrück,    Hellenist.    Bauten   in   Latium    I    Taf.  19;  20;  Textbild  54. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium,  m 


d.  h.  wenn  unsere  zwei  Wände  nicht  den  ganzen  Figurenbestand  ihrer  Vorlagen 
wiedergeben. 

Diese  Vorlagen,  doch'wohl  große  Tafeln,  können  schwerlich  für  andere  Personen, 
als  für  solche  des  makedonischen  Königshauses  oder  seiner  nächsten  Umgebung 
gemalt  worden  sein,  und  zwar  in  der  Zeit,  wohin  die  vorgetragene  Deutung  führt: 
Einerseits  der  junge  König  Antigonos  II.,  vermutlich  noch  als  Mitherrscher  des 
Vaters  und  Hüter  seines  Landes  für  ihn  ,  in  enger  Verbindung  mit  seiner  edlen  Mutter 
Phila,  die  288  in  den  Tod  ging,  beide  teilnehmend  betrachtet  von  einem  seiner  philoso- 
phischen Lehrer.  Andererseits  Demetrios  I.  schon  im  Jahre  darauf,  wie  er  seine 
letzte  Heirat,  mit  Ptolemais,  mit  ihrer  Mutter  Eurydike  verabredet.  Das  dürfte 
kaum  viel  später  gemalt  sein,  als  diese  Ereignisse;  jedenfalls,  denke  ich,  bevor  Gonatas 
nach  Erlangung  des  makedonischen  Thrones  sich  um  276  endlich  selbst  verheiratete, 
mit  Phila  IL,  der  Tochter  seiner  Schwester  Stratonike  von  ihrem  ersten  Gemahl 
Seleukos  ').  Für  die  Junggesellenjahre  des  Antigonos,  da  er  selbst  noch  in  den  Banden 
der  Hetäre  Demo  verstrickt  war,  wenigstens  ihren  Sohn  Halkyoneus  als  Thronfolger 
oder  nahezu  so  behandelte  (S.  82),  spricht  auch  die  Unbefangenheit,  womit  in  der 
Bilderdreizahl  der  Ostwand  der  nachmaligen  ehelichen  Mutter  seines  Halbbruders 
Demetrios  des  Schönen  eine  von  den  vielen  »Freundinnen«  des  Vaters  gegenüber- 
gesetzt ist,  freilich  ohne  die  Frechheit,  womit  Kiesides  dessen  Tochter  Stratonike 
»gruppierte«  (S.  65).  Bestimmt  weist  ferner  in  dieselbe  frühe  Zeit  die  Verzierung 
des  makedonischen  Schildes,  die  nirgends  ähnlicher  wiederkehrt,  als  auf  den  Kupfer- 
münzen des  Gonatas  selbst  und  seiner  Mitbewerber  um  die  Herrschaft  im  Stammlande 
Antiochos  I.  und  Pyrrhos  (S.  70,  Abb.  7,  b,  c).  Auch  daß  nur  an  dem  Bildnis  des 
letzteren  Königs  der  bei  Männern  ganz  seltene  Haarscheitel  unseres  jungen  Antigonos 
wiederkehrt,  sei  nochmals  hervorgehoben  (S.  69). 

Diese  gegenständlichen  Anzeichen  bestätigt  vollkommen  die  Kunstweise  der 
Bilder,  die  meines  Erachtens  frühhellenistisch  ist  und  nicht  erst  die  »pergamenische« 
aus  der  ersten  Hälfte  oder  Mitte  des  2.  Jahrb.,  die  Winter  und  Pfuhl  zu  erkennen 
glaubten  ^).  Treffend  vergleicht  ja  der  letztere  unsere  Gemälde  mit  denjenigen  kam- 
panischen II.  Stiles,  die  am  ähnlichsten  lebensgroße  Gestalten  vor  die  (vertäfelten) 
Wände  reihen:  mit  der  dionysischen  Bilderfolge  im  Hauptsaal  der  Villa  Item  3). 
Dem  »vollblütigsten  Hellenismus«  von  Boscoreale  steht  an  diesen  Bildern  eine  Zeich- 
nung gegenüber,  die  allerdings  etwas  von  kleinlichen,  hölzernen  Marmorkopien  hat, 
überdies  —  wie  ich  hinzufügen  möchte  —  etwas  von  der  später  in  Pompeii  oft  so  üppig 
wuchernden  Freude  am  Menschenfleisch  als  solchem,  die  dem  Schöpfer  unserer  Bild- 
nisse so  ganz  fern  lag.    Diese  Eindrücke  überwogen  auch  bei  mir,  so  lang  ich  auf  die 

')  Laert.  Diog.  7,  8,  36.  IV.  Leben  Arats  bei  Wester-  die    bisherigen   Ausgaben    und    Bemerkungen, 

mann,  Biogr.  60.  Dittenberger,  Or.  gr.  inscr.  216.  Über  die  Farben  sagt  noch  am  meisten  Nicole 

Beloch,  Gr.  Gesch.  III  2,  91;  150.   Tarn,  Antig.  in  der  Gaz.  d.  beaux-arts  1911     XXXIV   298., 

Gon.  173  f.,  226  f.,  247.  aber  auch  nicht  entfernt  genug.    Die  Deutungen 

2)  Winter,    Altert,  v.  Perg.  VII  i,  74;  138.  Pfuhl,  von  Comparetti,   z.T.   sichtlich  unhaltbar,   sind 

Maierei   II  878  f.  mir  vorerst  nur  durch  S.  Reinach,  Rupert,  peint. 

3)  Pfuhl  a.a.O.  II   876  ff.,   Abb.  711— 715.     S.  882  115  bekannt. 


{  j2  Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 

veröffentlichten  Lichtaufnahmen  allein  angewiesen  war.  Aber  als  ich  unlängst  das 
Glück  hatte,  endlich  selbst  mitten  in  diesem  wunderbaren  Gestaltenkranze  zu  stehen, 
da  begriff  ich  die  Begeisterung,  mit  der  mir  Kenner  davon  sprachen.  Noch  stärker 
als  der  Eindruck  der  trotz  aller  dekorativen  Ruhe  erreichten  Tiefenwirkungen  war 
der  des  zwar  auch  vornehm  maßvollen,  aber  doch  ungemein  reichen  Farbenkonzertes, 
als  dessen  grundlegende  Harmonie  mir  die  von  Gelb  und  Violett  erschien.  Leider 
haben  die  berufenen  Hüter  dieses  Schatzes  meines  Wissens  noch  nichts  unternommen, 
um  ihn  in  guten  Nachbildungen  bekannter  zu  machen  und  zu  erhalten.  Nicht  einmal 
eine  zulängliche  Beschreibung  davon  ist  bisher  veröffentlicht,  ein  Mangel,  dem  selbst 
abhelfen  zu  wollen  mir  die  knapp  bemessene  Zeit  verwehrte.  So  muß  ich  mich  be- 
gnügen, in  Kürze  dem  Urteil  Pfuhls  zu  widersprechen:  die  Farben  »wirkten  etwas 
stumpf  und  gelangten  zu  keinem  rechten  Zusammenklange«.  Jedenfalls  geschieht 
ihnen  damit  und  mit  anderen  Bemerkungen  unrecht  im  Vergleiche  zu  dem,  was  Pfuhl 
wenig  später  (879  f.)  über  die  malerischen  Eigenschaften  der  hier  besprochenen  Ge- 
mälde von  Boscoreale  sagt. 

Aus  eigener  Anschauung  kann  ich  freilich  über  keines  von  diesen  Bildern  sprechen. 
Aber  die  von  Pfuhl  übersehenen  Farbtafeln  der  Ostwand  in  Sambons  Verkaufskatalog 
(S.  66)  geben,  obgleich  nachlässig  gezeichnet  und  wohl  auch  aus  technischen  Gründen 
vereinfacht,  doch  nach  dem  Eindruck  von  Gisela  Richter  ein  »ungefähr  richtiges« 
Bild.  Halte  ich  sie  mit  den  verschiedenen  Photographien  zusammen,  dann  muß  ich 
vermuten,  daß  diese  mit  ihrer  Entstellung  gewisser  Farbwerte,  die  z.  T.  nur  auf 
Beschädigungen  zurückgehen,  Pfuhl  eine  übertriebene  Vorstellung  von  dem  maleri- 
schen Wesen  der  Bilder  beigebracht  haben.  Z.  B.  kann  ich  nicht  sehen,  »wie  das 
Licht  in  flimmernder  Unruhe  über  den  mächtigen  Manneskörper  rieselt«  usw.  Gemeint 
ist  vielleicht  die  hier  mehr  als  an  sonstigen  Wandgemälden  angewandte  dunkle  und 
helle  Strichelung,  die  aber  ins  Ganze  gesehen  nur  dazu  dient,  Flächen  zu  verdunkeln 
oder  aufzuhellen,  wohl  auch  Gegenständliches  wie  die  Maserung  des  Holzes  anzu- 
deuten. Immer  bleibt  ja  selbst  nach  den  nötigen  Abstrichen  genug  übrig  von  Winters 
Lob  der  »breiten,  kontrastreich  malerischen  Behandlung«.  Sich  diese  jedoch  auf 
keiner  allzu  entwickelten  Stufe  zu  denken,  empfiehlt  schon  die  Tatsache,  daß  der 
Maler  Sambons  ebensowenig  Schlagschatten  von  Belang  wahrgenommen  hat  wie  ich 
auf  all  den  Photographien.  Mehr  davon  zeigen  selbst  die  verglichenen  Wände  Item 
und  die  Alexanderschlacht,  erst  recht  die  von  Dioskurides  in  Mosaik  nachgebildeten 
»Metragyrten«  (Abb.  15),  für  deren  Urbild  ich  eine  nicht  viel  spätere  Entstehungszeit 
annehmen  möchte  ').  Auch  das  von  Pfuhl  aus  den  Beschreibungen  Barnabeis  ge- 
schöpfte Bild  der  Koloristik  vereinfacht  sich  nach  den  oben  jeweils  mitgeteilten 
Berichtigungen  von  Augenzeugen  nicht  unwesentlich.  Blau,  das  die  Grundfarbe  der 
Rückwand  im  gleichen  Saale  war  (S.  66),  kommt  in  den  Bildnisgemälden  nur  spärlich 
und  matt  an  untergeordneten  Stellen  vor:  am  Stuhlkissen  der  Kitharspielerin  und 
in  den  Bodenstücken  unter  dem  makedonischen  Schilde  des  Antigonos  und  unter 

»)  In  Abb.  15  wiederholt  aus  dem  darunter  ang  -  waldt,  nach  Herrmann,  Denkm.  Taf.  106.  Pfuhl 

führten  Aufsatz  von  M.  Bieber  und  G.  Roden-  Abb.  684.  —  Vgl.  unten  S.  123. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


113 


Abb.    15.     Mosaik    des  Dioskurides   in  Neapel. 
Wiederholt   aus  J.  d.  I.    191 1    XXVI   2  Abb.  i. 


seiner  Mutter.  Nur  dort  ist  auch  ein  wenig  Grün  sicher,  während  es  als  Gewandfarbe 
überall  abzulehnen  war  (S.  78,  85,  89,  lOO,  102).  Helleres  Gelb  findet  sich  nur  an 
dem  bischen  Goldschmuck  und  Stuhlzierat.  Neben  den  nicht  allzustarken  Fleisch- 
farben und  den  verwandten  der  Holzgeräte  herrscht  das  Weiß  und  der  ernste  königliche 
Purpur  in  verschiedenen  violetten  Tönen.  Diese  dürften  sich,  wenigstens  wie  sie  bei 
Sambon  erscheinen,  durchweg  nach  der  Anweisung  Piatons  im  Timaios  68  B  C  aus 
Schwarz,  Rot  und  Weiß  mischen  lassen.  Sieht  man  also  von  jenen  Fleckchen  eines 
matten  Blau  ab  und  denkt  sich  das  Grün  des  Erdreichs  ursprünglich  als  das  trübe, 
das  Schwarz  mit  Ocker  ergibt,  dann  können  die  Urbilder  dieser  höchst  ernsten  Gemälde 
der  alten  Vierfarbenmalerei  aus  Weiß,  Schwarz,  Rot  und  Ockergelb  zugehört  haben, 

Jahrbuch   des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  8 


IIA  Fraiiz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 

die  uns  nach  Winters  schönem  Nachweis  das  Alexandermosaik  kennen  lehrt,  höchst 
wahrscheinlich  eine  Kopie  des  Schlachtbildes,  das  Philoxenos  für  Kassander  malte  '). 
Der  helle  Zinnober  des  Wandgrundes,  den  Pfuhl  mit  Barnabei  irrig  als  Rosa  be- 
zeichnet, ist  wohl  erst  die  pompejanische  Wandfarbe.  Weshalb  von  ihr  das  unterste 
Drittel  eines  jeden  Feldes  erheblich  dunkleren  Ton  hat,  bleibt  mir  unklar. 

Den  im  ganzen  dunkler  roten  Grund  der  alten  Marmormalerei,  wie  er  sich 
bis  in  die  archaische  Zeit  hinauf  verfolgen  läßt,  haben,  neben  violettem,  noch  die 
gemalten  Grabstelen  aus  den  Türmen  von  Fagasai-Demetrias,  die  darin  191  v.  Chr. 
verbaut  sein,  also  zumeist  dem  3.  Jahrh.  entstammen  dürften  *).  Und  zwar  verträgt 
sich  dort  solch  unwirkliche  Farbe  des  Hintergrundes,  der  nicht  viel  mehr  als  hier  über 
die  Köpfe  hinaufreicht,  selbst  mit  kleinen  landschaftlichen  Versatzstücken  3),  wie  wir 
eines  nur  im  Antigonosbilde  finden.  Dessen  Zurückschieben  einer  Person  hinter  die 
andere  im  Gelände  und  das  der  Kleinen  hinter  den  Stuhl  der  Fsaltria  hat  freilich  in  jeder 
handwerklichen  Marmormalerei  ihresgleichen  nur  im  Zusammenhang  mit  den  Raum- 
schichten des  Wohnbaus  auf  der  Hedistestele4).  Sonst  »beschränkt  sich  die  räumliche 
Tiefe  auf  den  schmalen,  von  den  Figuren  eingenommenen  Raum  und  ist  durch  den 
meist  braun  gemalten  Streifen  des  Bodens  genau  bezeichnet«  5).  Dieser  Bühne  freilich 
geben  unsere  Wandbilder  eine  weiße  Standfläche,  wie  die  Alexanderschlacht  und 
das  Metragyrtenbild  (Abb.  15),  beide  zugleich  mit  ebenso  hellem  Hintergrunde,  so  daß 
man  wieder  fragt,  ob  der  rote  unserer  Wände  nicht  doch  nur  vom  Zimmermaler 
dazugetan  ist. 

Wie  dem  nun  sein  mag:  mit  Stelen  des  3.  Jahrh.  zusammen  gehn,  wenn  schon 
dieser  bescheidenen  Handwerksarbeit  unendlich  überlegen,  auch  zwei  von  unsern 
Sitzenden  in  ihrer  wenig  folgerichtig  durchgeführten  Schrägansicht.  Man  vergleiche 
Abb.  9  der  Psaltria  mit  Abb.  16  der  Archidike  von  Tilyssos  *>),  um  die  Übereinstim- 
mung der  Gesamtansicht  und  mancher  Einzelheit  zu  zeigen.  Auch  die  wenigstens 
ähnlich  gedrechselten  zwei  seitlichen  Gerätbeine  stehn  hier  unverkürzt  nebeneinander 
und  das  obere  Holz  der  Rückenlehne  bleibt  so  gut  als  wagrecht.  Noch  ähnlicher  scheint 
die  Parallelperspektive  des  Lehnsessels  auf  der  allerdings  minder  gut  erhaltenen 
Stele  der  Aphrodeisia,  die  der  Leser  im  Bilde  dazu  legen  sollte  7).  Doch  reicht  der 
Typus  mindestens  bis  ins  4.  Jahrh.  zurück.  Auf  dessen  spätesten  rotfigurigen  Vasen, 
die  oben  zu  den  Gerätformen  verglichen  sind  (S.  84},  begegnet  auch  der  für  uns 
erstaunliche  Verstoß  der  Thronzeichnung  im  rechten  Mittelfelde,  sogar  drei  Stuhl- 
beine auf  gleicher  Höhe  zu  geben,  nur  daß  auf  den  Gefäßen  die  zwei  äußeren  nicht 


')  Diese   von    R.  Schöne    vorbereitete    Entdeckung  3)  Stele  des   Menophilos   'F^tpr^ji.  äpyaioX.    1908,    55, 

Winters    verteidigt    gegen    schwache    Einwände  Abb.  6  Arvanitopullos.     Vgl.  Rodenwaldt  in  den 

Pfuhl  a,  a.  O.   II  619,  663,   764.  A.  M.  1910  XXXV  127. 

2)  Zuletzt   m.    W.   im   Anzeiger    1912,    245,    Karo  4)  'E<p7j|x  1908,  Taf.  1.  Pfuhl  Abb.  748.  Rodenwaldt, 

nach  Arvanitopullos.    Pfuhl  a.  a.  0.  II  901  f.  —  Komposit.  114,  Abb.  20. 

In  Kürze  sei  auch  auf  die  alcxandrinischen  Stelen  5)   Rodenwaldt,  wie  oben  Anm.  3. 

hingewiesen:   Pagenstecher,  Nekropohs,    Kap.  2.  ^)  Nach ''f>.pTjix.  1908,  Taf.  2;  Arvanitopullos,  öeoooX. 

Von  deren  mannigfacheren  Hintergrundsfarben :  |AVT][ji£to  1909,    155,  Nr.  20.    Vgl.   wieder   Roden- 

ebenda  S.  70.  waldts  in  Anm.  3  genannten  Aufsatz. 
7)  Nach  'EcpTjpi.  1908,  Taf.  4,  2    auch   Pfuhl   Abb.  749. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lllustrium. 


115 


der  vorderen,  sondern  einer  Nebenseite  angehören  ')•  Die  bei  unsermDemetrios  damit 
zusammengehende  richtige  Verkürzung  des  vierten  Beines  weiß  ich  freilich  nirgends, 
auch  nicht  in  späterer  Kunst,  nachzuweisen.  Auf  Kertscher  Vasen  fanden  wir  überdies 
schon    eine  nahe  Vorläuferin  der  Seitenansicht  unserer  Königin   Phila  in  der  mut- 


Abb.    16.     Stele  der  Archidike  aus  Pagasae. 
Nach    E'frjft.  äp)(aioX.  1908  Taf.  2. 

maßlichen  Themis  auf  dem  Omphalos  (S.  T]).  Zu  ihrer  Gestalt  und  Kleidung  war 
ungefähr  aus  derselben  Zeit  die  Florentiner  Mutter  Niobe  zu  vergleichen.  Mit  alledem 
und   der  frühhellenistischen   dair^    des  Grabsteins  aus  Alexandria  auf  S.  93  gehen 


■)  So  an  den  Thronen  der  beiden  Kertscher  Vasen 
oben  S.  84,  Anm.  I.  und  an  allen  Stühlen  der 
Kertscher  Deckelschüssel  F.  R.  II  Taf.  68. 
Vgl.  auch  das  Dareiosbild  S.  85,  Anm.  i.  Daß 
diese  Projektion  ins  5.  Jh.  zurückgeht,  lehrt  der 


Penelopenapf  in  Chiusi  F.  R.  III  Taf.  142.  Ähnlich 
noch  an  pompeianischen  Wänden  S.  82,  A.  2. 
Ein  freistehender  Lehnsessel  im  Ledabilde  Heibig 
Nr.  J44,  Overbeck,  Kunstmythol.  Atlas,  Taf.  8,  8; 
S.  Reinach,  Rupert,  peint.  16,  9. 


Ii6 


Franz  Studniczka,  imagines  Illustrium. 


unsere  Gestalten  in  ihren  ziemlich  klassischen  Maßverhältnissen  zusammen,  während 
die  verglichenen  Frauen  pagasäischer  Stelen,  wie  Abb.  l6,  schon  dasselbe  helle- 
nistische Übermaß  der  Schlankheit  aufweisen  wie  die  Psaltria  in  Chios  auf  S.  92. 
Doch  lenkt  die  reife  pergamenische  Kunst  wenigstens  teilweise  zu  klassischeren  Ver- 
hältnissen zurück,  da  sie  ja  neben  ihrem  barocken  Überschwang  schon  so  manches 
Anzeichen  des  kommenden  rückschauenden  Klassizismus  aufweist.  Dafür  sei  nament- 
lich auf  den  umfassenden  Versuch  von  Salis  hingewiesen,  dieses  volle  Sammelbecken 
reifhellenistischer  Kunstformen  auf  seine  verschiedenen  Quellen  zurückzuführen. 

Besonders  wichtig  wäre  natürlich  der  Vergleich  pergamenischer  Gemälde. 
Von  solchen  besitzen  wir  jedoch  im  Urbilde  nichts  gegenständlich  Vergleichbares 
und  an  glaubhaft  nachgewiesenen  Kopien  bitter  wenig.  Dazu  rechne  ich  keineswegs 
das  matte  pompeianische  Bildchen  eines  Tropaions  mit  Gallierwaffen,  an  dessen 
Vervollständigung  eine  plumpe  Nike  und  der  Sieger  zusammenwirken ') ;  denn 
letzterer  ist  meines  Erachtens  nichts  als  eine  ganz  äußerlich  herangeschobene  Nach- 
bildung der  Augustusstatue  von  Prima  Porta,  nur  mit  ähnlichem  Idealgesicht  wie 
es  selbst  der  Kaisergenius  in  der  Toga  zeigt  (S.  6^).  Wohl  aber  teile  ich  die  durch 
das  Zusammenwirken  verschiedener  Forscher  immer  sicherer  begründete  Über- 
zeugung: das  herkulanische  Gemälde  des  Herakles,  der  den  kleinen  Telephos  im 
Schutze  der  Nymphe  Arkadia  von  einer  Hinde  gesäugt  auffindet^)  (Abb.  17),  gehe 
im  wesentlichen  —  d.  h.  abgesehen  von  Freiheiten  wie  dem  satyrähnlichen  Bild- 
niskopf des  Heros,  der  in  Wandbildern  aus  der  Helden-  und  sogar  der  Göttersage 
mehr  Verwandte  findet,  als  man  zunächst  glauben  möchte  —  auf  eine  unweit  des 
Telephosfrieses,  wahrscheinlich  etwas  früher,  entstandene  Schöpfung  zurück. 
Hier  machen  schon  die  besseren  Photographien  klar,  wie  viel  malerischer  in  mehr  als 
einer  Hinsicht  dieses  farbenarme  Bild  ist  als  die  unseren.  Das  gilt  auch  von  seiner 
bescheidenen  Andeutung  eines  landschaftlichen  Hintergrundes,  dem  wir  aus  Bosco- 
reale  nur  die  niedrigen  Erdsitze  des  Paares  von  der  linken  Wand  an  die  Seite  zu  setzen 
haben,  also  kaum  mehr  als  die  Andeutungen  der  von  Pelasgern  besetzten  Hymettos- 
höhen  im  Friese  des  Uissostempels  aus  der  Mitte  des  5.  Jahrh.  3).  Dennoch  bleibt  dies 


■)  Als  Kopie  nach  pergamenischem  Urbild,  mit 
Woelke,  gedeutet  von  Pfuhl  II  816,  818  zu  Abb. 
658.  In  der  oben  ausgesprochenen  Ansicht 
befestigten  mich  voneinander  unabhängige 
Äußerungen  von  P.  Herrmann  und  Sieveking. 

2)  Herrmann,  Taf.  78.  Pfuhl  816,  818  (Literatur), 
Abb.  659.  —  Bei  seiner  Rückführung  auf  Apelles 
zu  beharren  scheint  Six  noch  in  dem  S.  64. 
Anm.  3  erwähnten  Aufsatz  über  Athenion. 

3)  J.  d.  I.  1916  XXXI  172;  195.  Roberts  neue 
Deutung  der  Ilissos-Friesplatten  (Studien 
zur  Kunstgesch.  des  Ostens  J.  Strzygowski 
gewidmet  58  ff.)  scheint  mir  unhaltbar.  Erst 
recht  die  soeben,  A.  M.  1923  XLVIII  47,  von 
L.  Curtius   empfohlene   Rückkehr  zur   Deutung 


Brückners  auf  Theseus  und  Perithoos  in  der 
Unterwelt.  Sie  scheitert  an  dem  von  Br.  noch 
verkannten  Reisegepäck,  wofür  das  des  Dionysos 
in  den  Fröschen  nur  ein  ad  absurdum  führender 
Beleg  wäre.  Meine  Pelasgerdeutung  würde,  wie 
ich  s.  Z.  darlegte,  zu  dem  Heiligtum  irX  IWKt.ahita 
passen,  und  für  diese  Bestimmung  des  Tempels 
spricht  die  von  Preuner  nachgewiesene  Weihung 
an  Athena,  A.  M.  1921  XLVI  1  f.  Desgleichen 
das  Zwillingsverhältnis  des  Uissostempels  zu 
dem  der  Athena  Nike.  Ionisch  war  auch  auf 
Kap  Sunion  der  Tempel  der  Göttin,  die  nach 
Herodot  5,  72  die  Derer  von  ihrer  Schwelle 
verwies;  s.  zuletzt  'E<pTj|j..  ä^jaioK.  1917,  183  ff. 
Orlandos. 


Franz  Studniczka,  Imagines  lUustrium. 


117 


Abb.    17.     Herakles  und  Telephos    aus   Herkulaneum. 
Wiederholt  aus  J.  d.  I.   1905   XX   172. 


gemalte  Seitenstück  zum  kleinen  pergamenischen  Altarfries  als  Gefüge  plastischer  Kör- 
per reliefmäßiger  geschlossen,  als  unsere  Wandbilder,  namentlich  als  das  eben  ver- 
glichene, wo  es  von  der  Mutter  zum  Sohn  schräg  aufwärts  und  zugleich  in  die  Tiefe  geht. 
Von  den  Einzelgestalten  zeigt  sich  die  sitzende  Arkadia  auseinandergebreitet 
etwa  wie  Apollon  und  Dionysos  im  Parthenonfries  oder  Asklepios  auf  einigen  Hoch- 
reliefen aus  Epidauros').     Im  Gegensatz  dazu  bilden  fast  an  allen  unsern  in  Drei- 


')  Ich  denke  besonders  an   Svoronos,  Athen.   Nationalmus.  Taf.  31,  173  und  174;  Taf.  68  und  126,  1425; 

Brunn,  Arndt,  Denkm.  3  und  564. 


Ij g  Franz  Studniczka,  Imagines  Illugtrium. 


viertelansicht  dasitzenden  Menschen  die  beiden  Arme  in  echt  lysippisch  dreidimen- 
sionaler Weise  eine  lockere  Vorderschicht.  Als  wir  diese  Motive  der  Deutung  wegen 
in  anderen  Bildwerken  aufsuchten,  da  fanden  sich  zwei  Hände  am  Speer  wie  beim 
Antigonos  verhältnismäßig  am  ähnlichsten  auf  der  Ficoronischen  Ciste  (S.  70),  die 
auf  den  Stab  gestützten  des  Denietrios  auch  schon  früh  im  4.  Jahrh.  auf  einer  Vase 
und  am  Thoas  der  vielleicht  einem  nicht  viel  spätem  Urbild  folgenden  Iphi- 
geniengemälde  (S.  loo),  jedoch  immer  nur  reliefmäßiger  in  Seitenansicht.  Ebenso 
begegnet  uns  das  Motiv  des  Ares  Ludovisi  recht  ähnlich  schon  im  Parthenonfries, 
aber  ringsum  sichtbar  und  besonders  von  vorne  zu  sehen  erst  in  dieser  Schöpfung 
Lysipps  oder  eines  ihm  nahestehenden  Meisters.  Wohl  vergleicht  Winter  mit  einem 
gewissen  Rechte  —  von  den  ganz  anderen,  geschwollenen  Körperformen  abgesehen  — 
mit  unserem  Demetrios  das  ungedeutete  Marmorbild  eines  sitzenden  Mannes  aus 
Pergamon');  allein  soviel  steht  trotz  der  argen  Verstümmelung  fest,  daß  sein  linker 
Arm  längs  dem  Rumpfe  gesenkt  war  und  nur  die  rechte  Hand  dicht  vor  die  linke 
Achsel  an  einen  weggebrochenen  Gegenstand  griff.  Wieder  jene  zusammenhängende 
Vorderschicht  bilden  an  unserer  Psaltria  beide  Hände  mit  dem  Instrument,  das 
sonst  zur  Seite  gerückt  erscheint  wie  auf  S.  92.  Dafür  weiß  ich  abermals  nur  ein 
Vergleichstück  aus  der  Zeit  nach  Lysipp:  die  Mandolinenspielerin  unter  den  Relief- 
musen von  Mantinea  (S.  87),  die  Vollgraff  aus  geschichtlichen,  Sieveking  und  Buschor 
aus  kunstgeschichtlichen  Gründen  dem  Enkel  des  großen  Praxiteles  zugeschrieben 
haben.  Mit  Recht,  da  letzterer  das  Modewerden  der  ganz  hohen  Gürtung  dicht 
unter  den  Brüsten  kaum  noch  miterlebte  und  wenn  doch,  dann  erst  auf  der  Ent- 
wicklungsstufe des  Hermes,  der  die  kühle  Anmut  und  knappe  Eleganz  der  Musen 
nicht  zugetraut  werden  kann^).  Endlich  die  Eurydike  mit  ihrem  fast  gegen  den 
Beschauer  übergeschlagenen  Bein  und  daraufgestützten  Arm  klingt  vernehmlich 
an  die  Tyche  von  Antiocheia  an  3);  nur  daß  erstere  in  erneutem  Penelopemotiv  auch 
das  Gesicht  auf  die  Hand  stützt,  alles  ganz  so  wie  die  trauernde  Seele  im  rhodischen 
Grabtürfries  des  Hieronymos  aus  »pergamenischcr«  Zeit,  aber  wieder  in  Seiten- 
ansicht 4).  So  auch  die  ähnlichsten  Gestalten  pompejanischer  Wände 5),  bis  auf 
solche   abermals    höchst   lysippisch  wirkende  wie   die   mutmaßliche  Sappho  neben 

')  Altert.  V.  Perg.  VII  i,  138  Nr.  122,  Taf.  2().  buch"   I   Abb.  690.    Die  Pester  und  die  Klein- 

i)  Bull.  corr.  hell.   1908    XXXII  236  ff.  Voll  raff,  bronzen,    Brunn,   Arndt,   Denkm.   610   und   im 

m.   E.    nicht   widerlegt   durch   die   neue   Lesung  Texte   dazu.     Die  Frage  nach  der  maßgebenden 

der  grundlegenden  Inschrift  Philol.  1912    LXXI  Wiederholung    erörtern    zuletzt    Sieveking    und 

1—23  von   Herzog  (vgl.   Glotta   1915    VI    278  Lippold  in  den  R.  M.  1917  XXXIII  88  und  1918 

Kretschmer);  Münch.  Jahrb.  1912    II   J22;   125  XXXIII  84  f. 

Sieveking,      Buschor.       Zur     hohen    Gürtung:  4)  Brunn,  Arndt,  Denkm.  579;  ungenügend  Archäol. 

d.     J.     1919      XXXIV     112     Anm.    4;      113.  Anz.  1902,  20.    Der  Teil  mit  dieser  Figur  A.  v. 

Schade,   daß   diese   klare   Sache   auch  in   einem  Salis,  Altar  von  Perg.  112,  Abb.  19.    Vgl.  S.  123. 

so  feinen  Buche  wie  Rodenwaldt,  Relief  b.  d.  Gr.  5)  So  die  Aphrodite  mit  Eros  oben  S.  99,  Anm.  1 ; 

83  verkannt  wird.  Thetis    bei    Hephaistos    Heibig    Nr.  131 7,    Mus. 

s)  Am   ähnlichsten,    z.  T.    freihch   infolge  falscher  Borb.    X     Taf.  18,    S.  Reinach,   Rupert,   peint. 

Ergänzung     des     r.    Armes,      die     vatikanische  19,5;  das  ungedeutete  Bildchen  Heibig  Nr.  1401  b, 

Wiederholung  in  Ansichten  wie  Springer,  Hand-  Atlas,  Taf.  19,  S.  Reinach,  Rupert,  peint.  219,  2. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


119 


Alkaios  im  Vettierhause,  die 
zugleich  an  unsere  Eurydike 
und  so  sehr  an  die  Statue  des 
Eutychides  erinnert,  daß  sie 
diesem  als  Maler  zugeschrieben 
worden  ist,  als  welchen  ihn 
ja  Plinius  erwähnt ').  Damit 
ist  auch  ein  (kaum  erforder- 
liches) Zeugnis  für  die  Ver- 
knüpfung der  berühmten  si- 
kyonischen  Malerschule  mit  der 
des  großen  Bildgießers  der- 
selben Kunststätte  beigebracht. 
In  diesem  Schulzusammenhang 
müssen  auch  die  Urbilder  un- 
serer vier  —  das  schildbedeckte 
Mädchen  eingerechnet  sogar 
fünf  —  gut  lysippischen  Ge- 
staltmotive geschaffen  sein. 

Die  Gewandbehandlung 
der  Arkadia  in  der  herkula- 
nischen  Kopie  wirkt,  mit  der 
pergamenischen  Altarplastik 
verglichen,  auf  den  ersten 
Blick  fast  klassisch.  Aber  auch 
in  diesen  Marmorwerken  setzen 
sich  die  Hauptformen  des  Kör- 
pers hinlänglich  durch  unter 
all  dem  wogenden  barocken 
Faltenschwall,  und  von  seinen 
bezeichnenden  Motiven  kehrt 
in  dem  Gemälde  wenigstens 
eines  machtvoll  wieder:  der 
leicht  schraubenförmig  ge- 
drehte Wulst  des  oberen  Man- 
telsaumes, der  sich  in  gro- 
ßem Doppelschwung  quer  über 
den  Schoß    zum  Sitz    hinabzieht  ^). 


Abb.    18.     Göttin  mit  Schwert  aus  Pergamon. 
Nach  Altert,  v.  Perg.  VII  Taf.  14  Nr.  48. 

Wären  die  Füße  der  Landesgöttin  im  Bilde 


■)  Herrmann,  Taf.  28,  2,  danach  Jahreshefte  1910 
XIII  134  Klein,  und  besser  R.  M.  1918  XXXIII 
71  Lippold.  Vgl.  Plinius  n.  h.  35,  141.  Anders 
Pfuhl  734. 

')   Hervorgehoben  von  Rodcnwaldt,  Kompos.  208. 


Aus  dem  Gigantenkampfe  vgl.  besonders  die 
zwei  reitenden  Lichtgöttinnen,  Altert,  v.  Perg. 
III  2,  Taf.  3  und  5,  Baumeister,  Denkm.  II 
Tat.  39  und  Abb.  1425,  Eos  auch  bei  Collignon, 
Bist.  sc.  gr.  II    520,  Selene  bei  Springer,  Hand- 


{20  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 

nicht  durch  den  Fels  und  den  Adler  verdeckt,  dann  würden  wohl  auch  sie  sich 
umflutet  zeigen  von  den  am  Boden  gestauten  Schleppfalten,  wie  die  der  marmornen 
Sitzbilder  in  Relief  und  Rundwerk  ').  Bezeichnend  für  diesen  echt  asianischen  ofxoj 
sind  dann  namentlich  Standbilder,  die  in  solchem  Faltenschwulst  förmlich  waten, 
obgleich  sich  ihre  Glieder  dazwischen  doch  wieder  kräftig  zur  Geltung  bringen.  Das 
wahrhaft  berauschende  Prachtstück  dieses  Stiles  ist  die  Göttin  mit  dem  Schwerte 
(Abb.  i8);  etwas  zahmer,  aber  doch  gleichartig,  die  besser  erhaltene  Statue  auf  dem 
Kapitol ').  Doch  auch  die  unterlebensgroßen  Frauen  des  Telephosfrieses  stehn  und 
schreiten  in  so  schwer  schleppenden  Chitonen,  sogar  die  oben  mit  der  unsern  ver- 
glichene Waffenträgerin  (S.  103).  Nur  wenig  zurückgedämmt  erscheint  diese  Gewänder- 
flut an  den  kleinen  Figuren  der  Archelaostafel,  die  jetzt  durch  Schedes  Schriftunter- 
suchung auf  etwa  125  festgelegt  sein  dürfte  3),  wohl  auch  an  dem  viel  zu  wenig  be- 
achteten Fries  des  Hekatetempels  in  Lagina,  der  als  Bauwerk  mit  Hermogenes  zu- 
sammenhängt und  an  seinen  Wänden  außer  dem  Senatsbeschlusse  von  81  einen  vom 
Herausgeber  Hatzfeld  lieber  auf  167/6  als  auf  88  angesetzten  Gemeindebeschluß 
der  Stratonikeer  eingemeißelt  trug4).  Doch  lebt  dieser  asianische  Stil  mit  neuen  Einzel- 
heiten überladen  noch  im  i.  Jahrh.  v.  Chr.  an  Statuen  wie  denen  der  Römerinnen 
Baebia  und  Saufeia  aus  dem  »Athenaheiligtum«  zu  Magnesia  am  Mäander  5).  Ja 
selbst  noch  um  die  Füße  der  Frau  in  der  Gruppe  des  Menelaos  aus  dem  Beginn  der 
Kaiserzeit  *)  plätschert  sanft  ein  Ausläufer  davon. 

Wo  ließe  sich  in  dieser  Reihe  unsere  doch  ganz  statuenähnliche  Ptolemais  mit 
dem  Schild  einfügen.^  Ihre  Gewänder  umschließen  mit  spärlichen  Falten  den  Körper 
ganz  eng.  Die  unten  sichtbaren  des  Chitons  sind  nicht  die  vielen  kleinen  des  feinen 
Leinenstoffes  wie  zumeist  an  den  Musen  von  Mantinea  (S.  118)  oder  an  der  großen 
Herkulanerin  aus  dem  Kreise  Lysipps  7).    Die  Zusammenfassung  der  feinen  Fältchen 

buch "  I  429.     Aus  dem  Telephosfries  die  thro-  nungen     vorerst      die      Hauptveröffentlichung, 

nende  Auge,    Altert,    v.  Perg.  III  2,  Taf.  31,  2,  Einige    Proben  in   gutem  Kupferlichtdruck  gab 

Springer  "  431,  -    um  nur  das  sachlich  Nächst-  Chamonard  im  Bull.  corr.  hell.  1895  XIX  235  ff., 

stehende  anzuführen.  Taf.  10 — 15,  den  ganzen  Fries  in  den  gewohnten, 

•)  Altert.   V.   Perg.   VII  Taf.  12    und  22  und  die  unzureichenden   Umrissen    S.  Reinach,    Rupert. 

Auge  der  vorigen  Anm.  rel.  I  170 — 175.  Photographien  der  ganzen  Reihe 

')  V.  a.  ebenda  VII  i  Abb.  47  d  und  Springer,  verdankt  das  Archäologische  Institut  in  Leipzig 
Handbuch  "  I  Abb.  822.  Bulle,  Der  schöne  der  Hilfsbereitschaft  von  Halil  Bey.  Der  Tempel- 
Mensch»,  Taf.  135.  Vgl.  Heibig,  Führer  3  I  plan  bei  Mendel  a.  a.  O.  433  ist  von  Knackfuß. 
Nr.  883  mit  Nachtrag  II  467.  Zur  Zeitbestimmung  (wohl  etwas  zu  spät)  vgl. 

3)  R.     M.      1920     XXXV     70  ff.     (69,     Anm.    i  V^eickert,   Lesb.    Kymation    105,   Taf.  10  d. 

die   Literatur)    Schede.      S.  74  ff.    trägt   er   zur  <;)  [Kothe,]  Watzinger,    Magnesia    a.     M.     198  ff., 

Zeitbestimmung  der  auch  hierhergehörigen  Sta-  Abb.  198 — 200,  Taf.  9. 

tuen  bei.  6)  Diese     wohlbegründete    Zeitbestimmung    durch 

4)  Bull.  corr.  hell.  1914  XLIV  71.  Dadurch  ist  eine  neue,  unter  die  Flavier,  zu  ersetzen  versucht 
nochmals  der  Versuch  von  Mendel  widerlegt,  L.  Curtius  auf  Grund  einer  offenbar  irrigen  Stil- 
mit  dem  Bau,  der  den  hermogenischen  nahe-  vergleichung  in  seiner  (noch  andere  ähnliche 
steht,  womöglich  bis  auf  Augustus  hinabzugehen.  Neuigkeiten  bringenden)  Anzeige  von  Lippolds 
Doch  bleibt  sein  Catal.  des  sculpt.  (Mus^es  Statuenkopien:  D.  Lit.- Zeitung  1924,  428. 
Ottomans)  I  428—542  mit  seinen  säubern  Zeich-  7)    Bulle,   Der  schöne   Mensch»  284,  Taf.  132.      S. 

Reinach,   Reo.   de  tetes    antiq.   174,  Taf.  216  f. 


Franz  Studniczka,  Imagines   Ulustrium.  1 2 1 


in  größere  rundliche  Falten  zeigt  der  Marmorsockel  der  Siegerstatue  des  Pulydamas 
aus  der  Werkstatt  desselben  Meisters  —  auch  ein  für  seine  genaue  kunstgeschicht- 
liche Bestimmtheit  nicht  genug  beachtetes  Werk  —  an  den  persischen  Königsfrauen, 
die  dem  Siege  des  Pankratiasten  über  einen  der  »Unsterblichen«  zusehn ').  Hieran 
und  noch  näher  an  einzelne  von  den  genannten  Musen,  besonders  die  mit  der  Buchrolle 
in  der  Linken,  schließen  sich  die  schlichten  Falten  der  Prinzessin,  die  ja  ihr  vermutlich 
wollenes  Kleid,  wie  ihre  Tante  Phila  von  der  Wand  gegenüber,  auf  den  Schultern 
nach  Peplosart  genestelt  trägt,  so  daß  die  Arme  ganz  frei  bleiben.  Diese  vollen  breiten 
Falten  reichen  nur  gerade  bis  an  den  Boden,  wo  sie  rückwärts  etwas  nachschleppen 
ohne  sich  »pergamenisch«  zu  stauen.  Ebensowenig  sind  sie  mit  wirklich  tiefen, 
breiten  Furchen  gegliedert,  wie  sie  z.  B.  an  der  Göttin  mit  dem  Schwerte  (Abb.  l8) 
namentlich  das  Spielbein  hervorheben.  Dieses  setzt  an  der  Schildtragenden  nach 
alter  Weise  nur  ein  schwächerer  Faltenbogen  ab,  übrigens  eine  von  den  holprigen 
Stellen,  wo  sich  die  Kopistenhand  verrät.  Nicht  bis  in  alles  einzelne,  aber  im  ganzen 
sehr  ähnlich  finde  ich  das  dort,  wo  sich  auch  die  breite,  schlichte  Saumborte  wiederfand 
(S.  102):  an  helladischen  Tonfiguren  der  »tanagräischen«  Richtung  2),  während 
die  von  Myrina,  darunter  unserer  Gestalt  in  der  Bewegung  recht  nahekommende, 
wie  es  sich  gehört  viel  mehr  von  jenem  asianischen  Gewandstil  an  sich  haben3).  Unter- 
wegs, aber  unserem  Ausgangspunkte  näher,  steht  die  kleine  Dienerin  der  Archidike 
in  der  Handwerkerarbeit  von  Demetrias  (Abb.  16).  —  Nicht  viel  anderes  bedeutet  es 
für  die  Entstehungszeit  der  Urgemälde,  wenn  der  leidlich  erhaltene  Oberleib  der 
Mutter  Phila  nicht  bloß  in  seiner  Schwere,  auch  in  der  Kleidung  samt  hochsitzendem 
Gürtel  und,  soviel  davon  erkennbar,  in  ihrer  knappen  Formgebung  noch  an  die  Floren- 
tiner Niobestatue  erinnert. 

Ein  wenig  mehr  nach  jener  barocken  Entwickelung  voraus  deutet  der  Purpur- 
chiton der  Kitharspielerin.  Zum  Verständnis  der  photographischen  Aufnahmen 
wie  Taf.  III  und  Abb. 9  kann  hier  Sambons  Farbtafel  i  trotz  ihrer  Nachlässigkeiten 
immerhin  beitragen.  Neu  ist  gegenüber  der  zum  Gesamtmotiv  verglichenen  Muse 
des  Praxiteles  (S.  II 8),  wie  sich  der  Saum  gerade  etwas  auf  den  Boden  legt  und  von 
ihm  an  den  emporgewölbten  Falten  beinahe  in  der  alten  Schlangenlinie  aufsteht. 
Schwache  Anklänge  daran  bietet  schon  der  Chitonrand  an  der  Rückseite  4)  der  ge- 
lagerten Aphrodite  aus  dem  Parthenonostgiebel,  voll  aus-,  jedoch  noch  erheblich 
fortgebildet  kehrt  es  wieder  an  dem  rings  ausgebreiteten  Kleide  der  trunken  am 
Boden  hockenden  Alten  des  Myron  von  Theben,  der  bald  nach  Mitte  des  3.  Jahrh. 
in  einem  gewissen  Zusammenhange  mit  den  Meistern  der  großen  pergamenischen 
Gallierstatuen  gewirkt  haben  dürfte  5).    Etwa  um  ein  Menschenalter  weiter  zurück^ 


')  Olympia  III   Taf.  55  (zu  S.  209  ff.),    sonst  nicht  3)  Z.  B.  Pottier,  S.  Reinach,  La  nicrop.  de  Myrina, 

ganz     zureichend.       Das    Leipziger    Archäolog.  Taf.  35,  i.  Mehr  bei  Winter,  Typen  (ig.  Terrak.  II 

Institut  besitzt  klarere  Aufnahmen  des  Abgusses.  1 50  f. 

')  Trefflich    abgebildete    Beispiele    bei    Sieveking,  4)  Collignon,  Le  Parthenon,  Taf.  51. 

Terrak.  der  Sammlung  Loeb  I  Taf.  43,  44,  46,  5)  Die  Kopie  der  Münchener  Glyptothek  Nr.  437 
47.  49.  51.  56.  Vgl.  immerhin  auch  Furtwängler,  bei  Brunn,  Arndt,  Denkm.  394;  Springer,  Hand- 
Sammlung  Saburoff  Taf.  105.  buch  "  1  Abb.  766.     Die  andere  Jones,  Sculpt. 


122 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium. 


also  dicht  an  die  hier  vertretene  Entstehungszeit  der  gemalten  Bildnisse  heran  führt 
uns  der  Sturz  des  unterlebensgroßen  Marmorbildes  einer  sitzenden  Göttin  mit  Traube 
(Abb.  19),  deren  Chitonsaum  sich  ganz  ähnlich  vorgeschweift  an  den  Boden  legt  und 
wenigstens  (am  Abguß  unverkennbare)  Andeutungen  einer  ähnlich  unterhöhlten 
Saumschlange  zeigt;  daß  es  nur  Andeutungen  sind,  erklärt  die  Herkunft  des  Bruch- 
stücks aus  dem  Giebelfelde  des  neuen  Mysterientempels  zu  Samothrake  ').  Klar 
sind  noch  weitere  Übereinstimmungen  des  Gewandstils  dieser  gemeißelten  mit  der 

gemalten  Sitzfigur :  wie  sich  zwischen  den 
nicht  allzu  ungleich  breiten  und  tiefen 
Chitonfalten  das  Bein  maßvoll  geltend 
macht,  wie  darüber  auch  der  Mantel 
hauptsächlich  durch  die  Anordnung 
recht  dichter  Falten  die  nicht  heraus- 
gepreßten Glieder  erraten  läßt,  nur  um 
den  einen  Arm  straffer  gespannt,  u.  a.  m. 
Natürlich  faßt  der  Teil  einer  marmornen 
Giebelgruppe  alles  enger  zusammen,  als 
das  frei  in  seinem  weiten  Rahmen  thro- 
nende Einzelbildnis.  Besonders  stark  zur 
Seite  geschoben  ist  sein  weißer  Mantel 
durch  das  lange  Musikgerät.  Damit 
hängt  der  quer  über  den  Schoß  geführte 
Faltenwulst  zusammen,  der  aber  diesen 
Namen  noch  kaum  verdient,  wenn  er  mit 
dem  gedrehten  der  Arkadia  (Abb.  17) 
und  der  oben  darangeschlossenen  per- 
gamenischen  Marmorwerke,  wie  Abb.  18, 
verglichen  wird.  In  seiner  mäßigen 
Plastik  gleicht  dieses  schärpenartige 
Motiv  etwa  dem  an  der  Statue  des  Epi- 
kureers Metrodor,  deren  Wiederher- 
stellung und  damit  Bestimmung  Lip- 
pold  gelungen  zu  sein  scheint  *). 
Noch  ganz  anders  hüllen  die  Wollengcwänder  die  trauernde  verdrängte  Königin 
Eurydike  ein.    Selbst  der  Chiton  deckt  ihre  Brust,  verschieden  von  dem  der  schönen 


Abb.  19.  Giebeltigur  vom  nciK'n  Tempel  in  Samothrake. 
Nach  Conze  u.  Gen.  Unters,  auf  Samothr.  1   Taf   37. 


Mus.  Capitol.  89  f.,Taf.  18,  Löwy,  Gr.  Plastik,  Taf. 
148,  257.  Über  die  Zeit  Myrons  unlängst  Six  im 
Bull.  corr.  hell.  1913  XXXVII  361  ff.  Flüchtig 
sah  ich  eine  russische  Sonderschrift  des  so  bewun- 
dernswert tätigen  Direktors  der  Ermitage  Wald- 
hauer über  Myron  von  Eleutherai,  die  ihm  auch 
wieder  die  trunkene  Alte  zuweist.  Das  geht  aber 
wirklich  nicht,  von  allen  Stilfragen  abgesehen 
(oben   S.  58  mit  Anm. 


schon   wegen    der   stockhellenistischen    Lagynos 
(vgl.  oben  S.  60),  der  Haube,  der  Gewandschnalle 
auf   der    Schulter   u.  a.  m. 
')  Conze,    Hauser,    Niemann,    Archäol.    Untersuch, 
auf  Samothrake  I24Ü.,  Taf.  37  (und  36).  Vgl.  O. 
Rubensohn,    Mysterienheiligtümer    186  f. 
=)  Lippold,     Gr.    Porträtstatuen   77  fl.    Im   Abguß 
wiederhergestellt    von    Poulsen,   Ikon.  Misccllen 
3)  73  ff--  Taf.  31—35- 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  123 

Psaltria,  mit  einem  lockeren  Faltengedränge,  während  ihrweiterMantel  vom  Hinter- 
kopf über  die  Schultern  und  dann  über  das  übergeschlagene  Bein  mit  dem  frei  hän- 
genden Fuße  niedcrwallt,  quer  über  dem  Schöße  liegend  und  beiderseits  sich  stauend, 
besonders  bauschig  nach  dem  Saum  hin,  der  neben  dem  Knie  des  Mannes  in  schwer 
entwirrbaren  Windungen  herabhängt.  Auch  das  aber  ist  in  seiner  wirklicheren  Art 
noch  sehr  verschieden  von  dem  so  tief  zerklüfteten  Gewänderschwall  der  pergame- 
nischen  Plastik.  Es  bildet  eher  den  Gewandstil  der  Antiocheia  weiter,  deren  junger 
schlanker  Leib  sich  freilich  durch  alle  festonartig  darüberhängenden  und  darüber- 
spannenden Falten  höchst  reizvoll  zur  Geltung  bringt  (S.  II 8).  Eine  dem  Werk  des 
Eutychides  und  zugleich  unserer  gemalten  Matrone  nahestehende  Grabstatue  mag 
zu  erschließen  sein  aus  den  zwei  Ansichten  von  verschiedenen  Profilen  im  Hiero- 
nymosrelief  (S.  Ii8)  und  auf  der  kleinen  Grabstele  von  Syros,  die  freilich  nach  ihrer 
Bogenwölbung  zwischen  korinthischen  Halbsäulen  kaum  hinter  lOO  v.  Chr.  zurück- 
reicht ').  Von  derselben  Art  wie  die  der  Eurydikc  ist  die  Gewandbehandlung  unseres 
Antigonos:  der  derbfaltige  Chiton  mit  dem  kräftigen  Kolpos  und  —  in  den  Photo- 
graphien wie  Taf.  II  nicht  scharf  davon  abgesetzt  —  der  große  Querbausch  derPurpur- 
chlamys  mit  dem  Saumwickel.  Viel  schlichter  liegt  der  noch  schwerere  Mantel  des 
alten  Philosophen  um  die  Beine,  die  ihn  übereinandergeschlagen  andrücken.  Aber 
man  braucht  nur  im  gleichen  Motiv  dastehende  Götter  zu  vergleichen,  einerseits 
den  Asklepios  athenischer  Weihrcliefe  aus  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrh.  ^),  anderer- 
seits die  fast  doppelt  lebensgroße,  statuenähnliche  Reliefgestalt  vermutlich  desselben 
Gottes  von  dem  hermogenischen  Altar  der  Artemis  Leukophryene  3),  um  an  den 
bauschig  abgelösten  Gewandmassen,  besonders  des  Überschlags,  wieder  dieselbe, 
meines  Erachtens  zeitlich  dazwischen  stehende  Stilart  zu  erkennen.  Denn  auch  zu 
alledem  bietet  der  samothrakische  Tempelgiebel  ein  recht  nahes,  wenngleich  gegen- 
ständlich keiner  von  unsern  Gestalten  besonders  entsprechendes  Vergleichsstück  in 
seiner  mutmaßlichen  Mittelfigur  (Abb.  20).  Conze  25  f.  hielt  die  lebhaft  Schreitende 
für  Demeter,  die  ihre  Tochter  sucht.  So  hätte  sie,  um  beide  Hände  für  die  Fackeln 
frei  zu  behalten,  ihr  Obergewand  vor  dem  Leibe  zusammengeknotet.  Daß  es  ringsum 
so  viel  stärker  absteht,  als  das  hinter  dem  Schild  auch  irgendwie,  vermutlich  wie  beim 
Kalchas  (S.  103)  zusammengesteckt  zu  denkende  OöpioTpiov  der  Waffenträgerin, 
kommt  unter  anderem  von  dessen  zartem,  florartigen  Stoff.  Mit  einem  kräftigen 
Wollenmantel  ausgeführt,  ergibt  das  dem  samothrakischen  ähnliche  Motive  an  den 
Metragyrten  desDioskurides,  die  gleichfalls  beideHände  dauernd  gebrauchen  (Abb.  15). 
An  dem  Handpaukenschläger  entsteht  dabei  schon  die  Schraubendrehung  der  Falten, 
die  ohne  solchen  praktischen  Grund  erst  die  pergamenische  Kunst  häufiger  anwendet 
(S.  119).  Meines  Erachtens  auch  auf  ein  frühhellenistisches  Urbild  zurückgehend, 
vermitteln   diese  zwei  Männer,   natürlich   von  ihrem  komischen  Wesen  abgesehen, 


■)  Lebas,    S.  Reinach,    Voyage    archeol.    Mon.    fig.  3)  [Kothe,]  Watzinger,   Magnesia  a.   M.   176,   179, 

Taf.  113  Mitte;  danach   Springer,   Handbuch  '^  I  Taf.  6.    Die  Annahme  naher  Beziehungen  dieser 

386,  auch  in  früheren  Auflagen.  AltarreUefe  zu   den   Kultbildern   des   Damophon 

.>)  Svoronos,    Athener  Nationalmus.   Taf.  35,   1345;  von  Messene  (S.  183  f.)  beruht  meines  Erachtens 

381  1334.  ^"f  ungenauer  Formenvergleichung. 


J24  Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium, 


zwischen  der  mutmaßlichen  Deo  von  Samothrake  und  unserem  Philosophen,  der 
weiterhin  die  Brücke  zu  den  übrigen  Bildnisgemälden  schlägt.  Daß  an  ihnen,  so  wie 
sie  nachgebildet  vor  uns  stehen,  gänzlich  die  feinen,  vermutlich  gekreppten  Chiton- 
fältchen  (einer  der  wiederauflebenden  Züge  des  ionischen  Archaismus)  dieser  und 
einer  anderen  samothrakischen  Giebelfigur  fehlen,  die  wenig  später  am  Mantel  der 
Demeterpriesterin  Nikeso  aus  Priene  ^)  und  dann  recht  oft  in  der  Plastik  vorkommen, 
teilen  ja  die  Gemälde  mit  der  sitzenden  Giebelfigur  (Abb.  19). 


Abb.  20.     Giebelfigur  vom  neuen  Tempel  in  Samothrake. 
Nach  Conze  u.  Gen..   Unters,  auf  Samothr.  Taf.  39 — 40. 

Nicht  scheiden  möchte  ich  von  diesen  so  selten  beachteten  und  doch  schon 
wegen  ihrer  recht  genau  umgrenzten  Entstehungszeit  so  beachtenswerten  Marmor- 
werken des  frühen  Hellenismus,  ohne  wenigstens  in  Kürze  zu  bekennen,  daß  mir  nah 
an  die  Schreitende  (Abb.  2o),  wenngleich  als  Werk  eines  recht  verschiedenen  Meisters, 
nichts  Geringeres   als  die  gewaltige  Nike  aus  dem  gleichen  Kabirenheiligtum  her- 


•)  Dazu  vgl.  man  den  von  Pfuhl,    Malerei   548  f.,  Curtius  trotz  seinem  Satyrgesicht  zum  Hephaistos 

nach  einem  alten  Vorschlag  von  mir  erkannten  erhoben  hat:  Sitzungsber.  Heidelb.  Akad.  1923, 

Chormeister   der  Mädchen    auf   dem   Londoner  4,  8. 

Astragal  F.  R.   III  Taf.   136,    den   unlängst  L.         ')  Wiegand  und  Schrader,  Priene  147,  150  abgeb. 
Vgl.  die  Pester  Antiocheia  S.  118,  Anm.  2. 


Franz  Studniczka,   Imagines  lUustrium. 


125 


anzukommen  scheint.  Ihre 
Benndorf  -  Zumbusch'sche 
Ergänzung  nach  dem  nur 
im  allgemeinen  ähnlichen 
Weihgeschenk  für  Salamis 
(306),  das  Poliorketes  auf 
seinen  Münzen  nachbilden 
ließ,  habe  auch  ich  längst 
als  unhaltbar  erkannt,  zu- 
gunsten der  wenigstens  mög- 
lichen französischen  Wieder- 
herstellung Abb.  21,  die 
trotz  gewissen  Schwächen 
bekannter  werden  muß,  als 
sie  ist  I).   Doch  zeigt  die  von 


Noch  wenig  entschiedene  Beden- 
ken gegen  Benndorf-Zumbusch 
bei  S.  Reinach  in  dem  unter 
Abb.  21  angeführten  Aufsatz. 
Dann  aber  O.  Rubensohn,  My- 
sterienheiligtümer 184  f.  und  be- 
sonders nachdrückHch  W.  Klein 
—  der  nun  leider  auch  dahin- 
gegangene —  zuletzt  Ant.  Rokoko 
105,  wo  er  bis  Actium  hinabgeht. 
Die  Gründe  gegen  Poliorketes 
treffend  zusammengefaßt  (aber 
doch  noch  Abb.  691  nach  Zum- 
busch)  von  Wolters  in  Springers 
Handbuch  "  I  368,  der  in  früh- 
hellenistischer Zeit  bleiben  zu 
wollen  scheint,  wie  sicher  Bulle, 
Schöner  Mensch'  97  zu  Taf.  139. 
Dagegen,  mit  Kleins  früherer  An- 
sicht, in  die  Nähe  des  pergame- 
nischen  Altars  setzen  die  Nike 
Sieveking  und  Buschor  im  Münch. 
Jahrbuch  1912  II  123  f.,  eher 
noch  später  Lippold,  Kopien  25, 
wie  schon  R.  M  1918  XXXIII 
95.  Gegen  seine  Beweisführung 
treffend  Sieveking,  Hermeneut. 
Rehefstudien(Sitzungsber.  bayr. 
Akad.  1920  XI)  15,  A.  2.  Ähn- 
lich beurteilt  die  Zeit  der  Nike, 
wie  ich  eben  noch  nach- 
tragen kann,  Krahmer  in  den 
R.    M.     1923-4     XXXVIII-IX 


Abb.   2  1.    Die  Samothrakische  Nike 
in  der  Ergänzung  von  Cordonnier  und  Falize. 
Nach  Gaz.  d.beaux-arts   1891   V  zu  99  f{. 


126 


Franz  Studniczka,  Imagines  Ulustrium. 


Sieveking  und  Buschor  gegebene  Zusammenstellung  mit  einer  dazu  eigens  ausgesuch- 
ten Göttin  pergamenischen  Stiles  aus  dem  Gigantenkampfe  von  Priene  vielmehr  die 
grundsätzliche  Verschiedenheit  beider  Gewandstile.  Bezeichnend  für  den  der  Nike  ist 
die  weit  stärkere  Loslösung  von  mächtigen  Faltenmotiven,  namentlich  der  Mantelflut 
zwischen  den  Beinen,  die  an  der  samothrakischen  Giebelstatue  (Abb.  20)  eines  ihrer 
nächsten  Vergleichstücke  findet,  während  sogar  ein  so  schwulstiges  Prachtstück  des 
pergamenischen  Altarstiles  wie  Abb.  i8  ganz  anders  von  dem  Gliederbau  beherrscht 
wird.  Etwa  ein  Jahrzehnt  aber  nach  dem  wahrscheinlichen  Ansatz  der  Giebelfiguren, 
gegen  260,  erfocht  Antigonos  Gonatas  vor  Kos  seinen  glänzenden  Seesieg  über  dieselbe, 
die  ptolemäische  Macht,  den  mit  solcher  Erneuerung  eines  väterlichen  Weihgeschen- 
kes für  Salamis  zu  feiern  dem  treuen  Sohne  wohl  zuzutrauen  ist  •).  So  führt  uns  die 
kleine   Abschweifung   in   den    Bereich   unserer   Aufgabe   zurück. 

Wie  die  Gewänder,  so  sind  auch  die  Menschen  selbst  in  unseren  Bildern,  kurz  ge- 
sagt, eher  noch  lysippisch  als  schon  pergamenisch.  Die  fast  nackte  Gestalt  des  Demetrios 
erinnert,  w'ie  in  dem  schon  verglichenen  Motiv  der  herausgreifenden  Arme,  auch 
in  der  damit  zusammenhängenden  federnden  Biegung  des  Leibes,  den  Quetschfalten 
über  dem  Nabel  u.  a.  m.  mindestens  ebensosehr  an  den  Ares  Ludovisi,  als  an  die 
geschwolleneren  und  doch  minder  straffen  Formen  des  von  Winter  dazugestellten 
Sturzes  aus  Pergamon  ').  Der  Kopf  im  Gemälde  ist  trotz  weitgehender  Zerstörung 
sicher  kurzhaarig,  während  im  Bereiche  des  pergamenischen  Altars  die  vollen  Ale- 
xandermähnen dermaßen  vorherrschen,  daß  eine  solche  dem  von  Winter  mit  Wahr- 
scheinlichkeit auf  Attalos  L  gedeuteten,  markigen  Bildnis  nachträglich  angefügt 
wurde,  damit  es  sich  in  der  Marmorgesellschaft  neuen  Stiles  noch  mit  Ehren  sehen 
lassen  könne  3).  Bezeichnend  für  den  Unterschied  ist  erst  recht  das  so  nüchtern  glatt 
gescheitelte  Haar  unseres  Antigonos.  Ihm  entspricht  sein  eher  unschönes  Gesicht 
mit  der  breiten  Stirn,  großen  Nase  und  dem  auffallend  kleinen,  etwas  gekniffenen 
Munde,  dem  man,  so  gut  wie  den  fest  ihre  Lanze  umfassenden  Händen,  die  nicht 
stürmische,  aber  zähe  Tatkraft  des  Sohnes  eines  auch  in  diesen  Bildern  ganz  anders 
gearteten  Vaters  gerne  zutrauen  wird.  Es  ist  der  rechte  Gegensatz  zu  dem  etwas 
rohen,   aber  doch  nach  wilder  Tapferkeit  aussehenden  Kopfe  seines  molossischen 


152.  Aber  141  setzt  er  eine  so  nahe  Verwandte 
der  Nike  wie  das  Mädchen  von  Antium  richtig 
noch  in  den  Zusammenhang  mit  Lysipp.  Damit 
ist  schon  angedeutet,  daß  ich  dem  anregenden 
Versuch  Krahmers,  den  Unterschied  zwischen 
früherem  und  späterem  Hellenismus  ähnlich  wie 
WölfFlin  den  zwischen  »Klassik«  und  Barock 
aufzufassen,  mit  starken  Zweifeln  gegenüberstehe. 
Wo  ist  offenere  Form  als  am  Apoxyomenos  ? 
Der  oben  angegebene  Zeitpunkt  der  Schlacht 
bei  Kos  scheint  mir  festgelegt  durch  Rehm  in 
Wiegands  Milet  III  304  f.  Vgl.  von  Wilamowitz 
in  den  Götting.  gel.  Anz.  1914,  87  f.  und  Kolbe 
daselbst  1916,  456  f.     Bei  letzterem  (473)  steht 


auch,  weshalb  die  Schlacht  bei  Andros,  in  den 
vierziger  Jahren  geschlagen,  kaum  als  dauernder 
großer  Erfolg  wie  Kos  zu  bewerten  ist.  Deshalb 
wird  sie  als  Anlaß  des  samothrakischen  Denkmals 
besser  außer  acht  bleiben.  Über  das  Verhältnis 
des  Sohnes  zum  Vater  s.  oben  S.  79. 

■)  Oben  S.  118.  Vom  Ares  vgl.  besonders  den  schöne- 
ren   Sturz  in    Neapel,    Einzelaufn.  534/5. 

3)  Altert,  v.  Perg.  VII  i,  Nr.  130,  Taf.  31/2.  R. 
Delbrück,  Ant.  Portr.  Nr.  27,  Taf.  22,  dessen 
abweichender  Deutungsvorschlag  mir  nicht  an- 
nehmbar scheint.  Hekler,  Bildniskunst  Taf.  75. 
Vgl.  V.  Balis,  Altar  v.  Perg  167. 


Franz  Studniczka,  Imagines  Illustrium.  127 


Altersgenossen  (S.  69).  Daneben  das  würdige  Haupt  des  alten  Lehrers,  vermutlich 
Menedemos,  auf  der  stämmigen  und  noch  so  straffen  Gestalt,  der  auch  seinem  Stile 
nach  an  die  oben  mit  ihm  verglichenen  Schulhäupter  des  frühen  Hellenismus  gemahnt 
(S.  8of .).  Und  wie  lysippisch  mannigfaltig  sind  sogar  die  vier  Fraueiibildnisse,  obgleich 
auf  diesem  Gebiete  selbst  noch  die  hellenistische  Kunst  der  Neigung  zum  Veredeln 
weitgehende  Zugeständnisse  zu  machen  pflegt.  Am  edelsten  wirkt  das  Profil  der 
Phila  mit  dem  leuchtend  erhobenen  Mutterblick;  aber  sie  ist  für  hohe  griechische 
Kunst  außergewöhnlich  fettleibig  bis  herauf  in  die  Wangen.  Auf  gedrungener,  kraft- 
voller Gestalt  trägt  ihre  Schwester  Eurydike  einen  wieder  auffallend  großen  Charakter- 
kopf mit  stärker  gebogener  Nase,  vortretendem  Jochbogen  und  kräftigem  Kinn, 
in  den  düstern  Zügen  ihr  schweres  •  Frauenschicksal.  Ihr  ähnelt  das  Gesicht  der 
Tochter  (die  Nase  ist,  wie  S.  105  gesagt,  durch  Beschädigung  entstellt),  dessen  Aufblick 
zu  den  Lenkern  des  Menschenschicksals  nichts  von  leerer  Redensart  hat.  Die  hohe 
Gestalt  ist  im  Bau,  auch  der  Arme,  von  den  Matronen  deutlich  unterschieden.  Selbst 
die  Hetäre  behält,  obgleich  ihre  nicht  eben  seelenvolle  Schönheit  am  meisten  an 
Göttinnen  erinnert,  doch  etwas  nüchtern  Wirkliches  in  dem  herben  Mund  und  dem 
erwartenden  Blick  ohne  Wärme.  Die  hier  besonders  deutlichen  Modelöckchen  vor 
den  Ohren  erinnern  in  ihrer  Schlichtheit  und  Breite  noch  mehr  an  die  der  großen 
Herkulanerin  (S.  I20),  als  an  die  eleganten  Schlänglein  all  der  pergamenischen  Frauen. 
Vollends  in  die  niedrige  Wirklichkeit  hinab  führt  uns  die  eher  garstige  kleine  Zofe, 
deren  Kopf  mit  dem  der  Herrin  noch  soviel  bezeichnender  in  Vergleich  gestellt  ist, 
als  der  lustige  des  Satyrbuben  mit  dem  seherhaft  schönen  der  Arkadia  (S.  II7). 
Zum  Schluß  noch  ein  Wort  von  der  eigentümlichen  Lehnenform  der  beiden 
Thronoi.  Antik  habe  ich  ihre  ausgeschweiften  Stollen,  die  beiderseits  über  den  winkel- 
rechten Aufbau  des  Gestells  herausgreifen,  bisher  nicht  wiedergefunden  (S.  84).  Aber 
in  der  Hauptsache  ähnlich,  nur  zierlich  verschnörkelt,  zeigte  mir  sie,  meiner  dunkeln 
Erinnerung  nachhelfend,  Fräulein  Dr.  Marie  Schütte  am  Leipziger  Kunstgewerbe- 
museum im  späten  englischen  Rokoko  Chippendales  und  in  schlichterer,  aber 
auch  zahmerer  Gestalt  an  ungefähr  gleichzeitigen  Stühlen  aus  Nordamerika  ').  Dazu 
fand  ich  unlängst  auf  derMoritzburg  einen  solchen  Lehnstuhl  unter  anders  geformten 
in  einer  sicher  noch  barocken  Zimmereinrichtung,  die  dort  August  dem  Starken 
zugeschrieben  wird.  Erst  recht  wird  diese  ausschweifende  Lehnenform  innerhalb  der 
griechischen  Gerätkunst  als  »barock«  gelten  müssen.  Wenn  man  sich  nämlich  nicht 
von  allzu  ängstlichen  Warnern  den  Gebrauch  solcher  Vergleiche  wehren  läßt,  die 
ja  selbstverständlich  hinken,  aber  dennoch  zu  anschaulicher  Stilbeschreibung  bei- 
tragen können.  »Gleichnisse  dürft  ihr  mir  nicht  verwehren;  ich  wüßte  mich  sonst 
nicht  zu  erklären.« 

So  weit  konnte  icli  in  beschränkter  Zeit  den  Versuch  durchführen,  aus  den 
gefundenen  Deutungen  zu  folgern,  was  sich  daraus  für  die  Kunstgeschichte  ergibt. 

')  K.    Warten   Clouston,    The    Chippe  dale  period.  Fig.  i,  15  u.  a.    Eine  Probe  bei  A.  G.  Meyer  und 

in     English  furniture,    London  1897,    Titelbild,  Graul,  Tafeln  zur  Gesch.  d.  Möbelformen  I   7,   6. 

Ein  amerikanischer  Stuhl  ebenda  10,  8. 


128  Ernst  Buschor,  Das  Schirmfest. 


Es  ist  mir  wohl  bewußt,  wie  viel  noch  zu  sagen  bleibt.  Doch  wird  es  sich  besser  sagen 
lassen,  wenn  das  Vorgetragene,  wie  ich  hofifen  möchte,  Anlaß  gibt,  diese  gar  nicht 
zu  überschätzenden  Bildnisgemälde  wirklich  ausreichend  bekanntzumachen,  nicht 
nur  in  großen  Lichtaufnahmen,  auch  in  Farbendrucken.  Der  gegebene  Ort  dafür 
sind  Paul  Herrmanns  schon  allzulange  ruhende  Denkmäler  der  Malerei.  Eine  voll- 
ständigere und  tiefer  gegründete  Übersicht  des  ganzen  Stoffgebietes  wird  dann  ihm 
selbst  und  anderen  ermöglichen,  in  der  Würdigung  unserer  Bilder  sowohl  als  Kopien 
frühhellenistischer  Meisterwerke,  wie  als  Arbeiten  römisch-kampanischer  Wand- 
malerei weiterzukommen.  Aber  wann  wird  das  wieder  möglich  sein? 
Weitere  imagines  illustrium  sollen  hier  bald  nachfolgen. 

Leipzig,  April  1924.  Franz  Studniczka. 


DAS  SCHIRMFEST. 

L  Am  Skiren-Fest  kam  den  aristophanischen  Weibern  der  Einfall,  mit  den 
Mänteln  und  Stöcken  ihrer  Männer  bewaffnet  und  mit  vorgebundenen  falschen  Barten 
an  der  Volksversammlung  der  Männer  teilzunehmen;  zweimal  sagt  dies  die  Wort- 
führerin der  Ekklesiazusen  ausdrücklich  (v.  18  und  59).  Es  war  ein  Frauenfest,  wie 
auch  aus  den  Thesmophoriazusen  hervorgeht  (v.  834),  eine  Art  Gegenstück  zu  den 
Thesmophorien  (Thesm.  834;  C.  I.  A.  II  Nr.  573  b;  Hermes  XX  367  ff.),  den  eleusi- 
nischen  Gottheiten  gefeiert,  mitten  im  Hochsommer,  am  12.  Tag  des  Monats  Skiro- 
phorion,  der  von  dem  Fest  seinen  Namen  hatte.  Gerade  aus  dem  Monatsnamen  müssen 
wir  schließen,  daß  die  Frauen  an  diesem  Festtag  tjxipa  trugen;  den  Namen  etwa  von 
einer  unbekannten  Gottheit  mit  dem  Beinamen  axipo'fopo;  abzuleiten,  ist  nicht 
möglich.  Da  aber  dieses  Tragen  von  sixtpa  bei  den  späten  Erklärern  keine  Rolle  mehr 
spielt,  da  sie  im  Gegenteil  bei  der  Erklärung  des  Festnamens  hin  und  her  raten  und 
ihre  Unwissenheit  offen  eingestehen,  muß  dieser  altmodische  Brauch  in  der  Spätzeit 
des  Altertums  gänzlich  abgekommen  sein.  Die  Spätleute  dehnen  die  axipa  in  axfpa, 
bringen  sie  mit  der  Athena  Skiras,  mit  dem  Ort  Skiron  in  Verbindung;  oder  aber 
sie  erklären  axt'pov  =  axiciSstov,  sprechen  von  einem  Fest  der  Sonnenschirm-Göttin 
Athena,  von  einer  Prozession,  an  der  männliche  und  weibliche  Priester  unter  einem 
Baldachin  nach  Skiron  zogen  usw.  Andere  wieder  reden  von  Opfern,  die  an  diesem 
Fest  der  Demeter  und  Köre  dargebracht  wurden,  und  setzen  die  Skirophorien  zu  den 
geheimnisvollen  Thesmophorien  in  Beziehung. 

Aus  diesem  Wust  von  Nachrichten,  über  den  am  besten  Robert  im  Hermes  XX 
orientiert,  geht  hervor,  daß  das  Fest  im  Lauf  der  Zeit  seinen  Charakter  stark  verändert 
hat.  Spätestens  in  Lysimachides'  Zeit  war  an  die  Stelle  der  alten  Begehung  der  Frauen 
eine  feierliche  vom  Erechtheuspriester  und  der  Athenapriesterin  geführte  Prozession 
getreten,  gleichsam  ein  Besuch  der  Herren  des  attischen  Landes  bei  den  eleusinischen 
Gottheiten  (Hermes  XX   361   u.  378),  und  Athena  war  so  stark  in  den  Vordergrund 


Ernst  Buschor,  Das  Schirmfest.  I20 


getreten,  daß  viele  Zeugnisse  sie,  wenn  auch  unter  falschem  Namen,  zur  Herrin  des 
Festes  einsetzen.  Für  die  Erkenntnis  der  älteren  Zeit  sind  die  Nachrichten  wertvoller, 
die  noch  von  den  echten  Inhaberinnen  der  Feier  wissen,  und  so  werden  die  oxtpot  in 
der  Tat  uraltertümliche  geheimnisvolle  Opfergaben  sein,  die  an  diesem  Fest  der 
Demeter  und  Köre  von  den  Frauen  dargebracht  wurden  (Hermes  XX  367  ff.).  Als 
der  Sinn  des  Namens  völlig  verdunkelt  war,  bürgerte  sich  mit  großer  Hartnäckigkeit 
eine  zweite  Deutung  des  seltsamen  Wortes  ein.  Die  Schol.  Theocrit.  15,  38  und  die 
Schol.  T.  II.  ^'  331  versichern,  sxijpov  sei  ein  attisches  Wort  für  oxiaSsiov;  Photius 
berichtet,  am  Skirenfest  hätten  die  Frauen  sich  in  der  Gluthitze  des  Sommers  mit 
Sonnenschirmen  versehen,  und  auch  andere  Erklärer,  die  das  Fest  mit  der  Athena 
Skiras  fälschlich  verknüpften,  haben  es  als  ein  Fest  der  Sonnenschirmgöttin  hingestellt. 
Ich  glaube  nicht,  daß  bare  Willkür  diese  Erklärung  hervorgerufen  hat.  Wenn  die 
festfeiernden  Athenerinnen  in  der  Gluthitze  des  Juli  über  Land  zogen,  mußten 
sie  ihre  peinlich  gehütete  weiße  Haut  vor  den  Pfeilen  des  Phoebus  schützen,  sei  es 
durch  Schleier  oder  Sonnenschirme  und  Baldachine,  die  Metökenfrauen  über  die 
Priesterinnen  hielten  (vgl.  Harpokration  s.  v.  (jxo»rj»Qpot  und  Älian  V.  H.  6,  l).  Der 
Berliner  Skyphos  2589  (F.-R.  125)  zeigt  uns  eine  solche  Frau,  die  an  einem  festlichen 
Tag  in  Prozessionshaltung  über  Land  zieht,  offenbar  an  einem  Frauenfest,  das  in 
ländliche  Freuden  endete;  ein  lustiger  Einfall  des  Malers  hat  Satyrn  an  die  Stelle 
der  Dienerinnen  gesetzt.  So  wird  auch  die  zweite  Erklärung  der  axtpa  sich  an  einen 
echten  Bestandteil  des  Festes,  von  dem  noch  irgendwie  Kunde  bestand,  angeschlossen 
haben;  als  man  nicht  mehr  wußte,  was  die  axipa  eigentlich  waren,  setzte  man  sie  mit 
der  auffälligen  Schirmprozession  gleich.  Ja  sogar  den  Baldachin  des  Erechtheus- 
priesters  hat  Lysimachides  und  der  Scholiast  Aristoph.  Eccl.  18  noch  mit  dem  merk- 
würdigen alten  Wort  benannt. 

II.  Betrachten  wir  eine  Gruppe  von  Vasenbildern: 

1.  Pelike  Florenz  Mus.  arch.  3987.    Frührf. 

A.  Bärtiger  Mann  im  Chiton  und  Mantel,  mit  Rebzweig  und  Trinkhorn:  Dionysos. 

B.  Bärtige   Gestalt   jm  Ärmelchiton   und   Mantel,    mit  Haube,   leierspielend. 

2.  Amphora  Louvre  G  220.    Pottier  III  Tf.  130. 

A.  Bärtiger  Kahlkopf  im  Chiton  und  Mantel,  mit  Skyphos  und  Leier. 

B.  Bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Sonnenschirm,  schreitend. 

3.  Schale   Louvre  G  285.    Pottier  III  Tf.  134.     £lite  IV  93. 

Nur  Innenbild:  Bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  schreitend  mit  Stock 
und    Sonnenschirm. 

4.  Nol.  Amphora  London  E  308.    filite  IV  90. 

A.  Bärtige  Gestalt  in  Chiton,   Mantel  und  Haube,  mit  Schopf,  schreitend  mit  Leier. 

5.  Nol.  Amphora  München  2326,  I.  253,  J.  H.  St.  1916,    132. 

A.  Bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Schirm. 

B.  Manteljüngling. 

6.  Stamnos   Madrid  155.     Leroux  Tf.  19. 

A.  Vier  bärtige  Gestalten  im  Tanzschritt,  in  Chiton,  Mantel  und  Haube:  i.  mit  Schirm 
und  Skyphos,  2.  verhüllt  mit  Schirm,  3.  verhüllt  mit  Schirm,  4.  Hände  erhoben. 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  9 


130 


En>8t  BttschoT,  Das  Schirmfest. 


Abb.    I.      Vermummte   Frauen  das  Schirmfest  feiernd.     Von  einem  Kolonettenkrater  in  Bologna. 


B.  Vier  bärtige  Gestalten  in  Chiton  und  Mantel,  im  Tanzschritt:  I.  (Kopfbinde  statt 
der  Haube)  mit  Schirm  und  Korb,  2.  mit  Haube,  Schirm  und  Leier,  3.  mit  Schirm 
und  Skyphos,  4.  (Kopfbinde  statt  der  Haube)  mit  Schirm,  eine  Hand  erhoben. 

7.  Kolonettenkrater   Bologna,    Necr.  Fels.  239.    Pellegrini    96. 

A.  I.  bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Schirm  und  Schale, 
2.  verhülltes  Mädchen  in  derselben  Tracht,  3.  ausschreitende  Lcierspielerin  derselben 
Tracht,  4.  bärtige  Gestalt  derselben  Tracht,  mit  Schale.    Tanzschritt. 

B.  Drei  Mantclfiguren. 

8.  Kolonettenkrater   Bologna,    Necr.  Fels.  234.    Zannoni,  Scavi  di  Ccr- 
tosa  Tf.  40,   S.   166.        (Unsere  Abb.   i.) 

A.  I  bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Skyphos  und  Schirm,  2.  ähn- 
liche Gestalt  verhüllt,  3.  schreitende  Flötenspielerin,  4,  wie  I.  und  2.,  mit  Schirm 
ein  Arm  verhüllt.    Tanzschritt. 

B.  Drei  Mantclfiguren. 

9.  Kolonettenkrater   Wien.     Laborde  I  38,    £lite  IV  91.    Sacken-Kenner 
203,  Nr.  140. 

A.  Tanzende  bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Schirm,  eine  Hand 
erhoben;  Kitharaspielerin  in  Pcplos  und  Haube;  bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel 
und  Haube,  mit  Schale,  ein  Arm  verhüllt,  im  Tanzschritt. 

B.  Drei   Mantelfiguren. 


Ernst  Buschor,  Das  Schirmfest.  jjj 


10.  Kolonettenkrater  (.')  aus   Akrae.     filitc  IV  92. 

A.  Bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Schirm,  ein  Arm  verhüllt,  im 
Tanzschritt;  schreitende  Flötenspielerin  derselben  Tracht;  bärtige  Gestalt  derselben 
Tracht,  im  Tanzschritt,  mit  Schirm,  ein  Arm  verhüllt. 

11.  Gefäß  aus  Chiusi.    Bull.  d.  Inst.  1843,  90. 

A.  Flötcnspielerin  zwischen  zwei  bärtigen  Schirmträgern  vermutlich  der  typischen 
Tracht. 

B.  Ähnliche   Darstellung. 

12.  Amphora    in    Mykonos. 

A.  I .  Flötenbläserin,  2.  bärtige  Gestalt  in  Chiton,  Mantel  und  Haube,  mit  Stock  und 
Schirm. 

B.  I.  Mann  mit  Stock,  2.  dicht  verhüllte  Gestalt  von  vorn. 

13.  Kolonettenkrater,     früher    Athen.       Mir    nur    durch    Photographie 
bekannt. 

A.  I.  Mann  im  Mantel,  mit  Stock  und  Skyphos,  2.  leierspielender  Jüngling,  3.  Mann 
im  Mantel  mit  Stock,  4.  Jüngling  in  Chiton  und  Mantel,  in  der  L.  anscheinend  Schirm, 
die  R.  in  den  Mantel  gehüllt.    Tanzschritt. 

14.  Rotfig.  Scherbe  Micali,  Mon.  inediti  Taf.  45,  5. 
Bärtige  Gestalt  mit  Chiton,  Mantel,  Haube,  Schopf,  Schirm. 

15.  Schwarzfig.  Scherbe    Akr.  682.     Graef  Tf.  46. 
Vermutlich  zu  einer  ähnlichen  Darstellung  wie  I  — 14  gehörig. 

Diese  Gefäße  gehören,  soweit  ich  sehen  kann,  sämtlich  der  Zeit  vom  Ende  des 
6.  bis  zur  Mitte  des  5.  Jahrhunderts  an.  Schon  vor  80  Jahren  hat  man  ein  attisches 
Schirmfest  in  ihrenBildern  erkannt  und  schon  vor  öojahren  die  seltsame  Vermummung 
entdeckt,  die  an  diesem  Fest  Sitte  war  (Bull.  d.  Inst.  1843,  90;  £lite  IV  238  ff.): 
Männer  erscheinen  als  Frauen,  vor  allem  aber  Frauen  als  Männer  verkleidet.  Die 
Maler  dieser  Zeit  sind  ja  auf  solchen  Bildern  immer  auf  die  in  der  Verkleidung  dar- 
gestellte Person  losgegangen  und  haben  sich  bei  den  Einzelheiten  der  Vermummung 
nicht  aufgehalten;  eine  Reihe  von  Vasenszenen  verrät  nur  durch  Einzelheiten  der 
Bühnentracht  die  Herkunft  vom  Drama.  So  wird  es  auch  hier  in  vielen  Fällen  un- 
möglich sein,  eine  sichere  Entscheidung  zu  treffen.  Aber  eine  ganze  Reihe  dieser  Barte 
erregt  Verdacht,  und  ich  neige  zu  der  Überzeugung,  daß  alle  Musikantinnen  dieser 
Bilder  ihren  Geschlechtsgenossinnen  zum  Tanz  aufspielen,  daß  also  hier  die  Frauen 
unter  sich  sind  und  am  Schirmfest  den  Komos  der  Männer  nachahmen.  Andrerseits 
fehlt  es  nicht  an  sicheren  Darstellungen  von  Männern,  die  das  Schirmfest  der  Frauen 
mit  ihrem  dionysischen  Komos  verbinden.  Bei  den  Verkleideten  ohne  Schirm  (Nr.  i 
und  4)  ist  ein  Zusammenhang  mit  unserem  Fest  nicht  zu  erweisen,  aber  immerhin 
möglich. 

Schon  de  Witte  hat  Elite  IV  238  die  argivischen  'Tßpw-ixa  zum  Vergleich 
herangezogen,  ein  offenbar  komastisches  Fest,  bei  dem  sich  Frauen  als  Männer, 
Männer  als  Frauen  verkleideten  (Plutarch,  virt.  mul.  245  F);  und  wenn  Philostratos 
(imag.  766  p.  381,  den  Hinweis  verdanke  ich  L.  Deubner)  vom  Komos  rühmt,  daß  er 
Männern  und  Frauen  den  Tausch  ihrer  Rollen  gestatte,  so  liegt  entweder  ein  allge- 


]92  Ernst  Buschor,  Das  Schirmfest. 


meiner  Zug  des  dionysischen  Treibens  vor,  oder,  was  mir  wahrscheinlicher  vorkommt, 
ein  aus  altem  Festbrauch  abgeleitetes  Element. 

III.  Es  gab  noch  ein  zweites  Frauenfest,  an  dem  der  Komos  mit  Schirmtragung 
verbunden  erscheint.  Hier  spielt  aber  der  Schirm  nur  ganz  gelegentlich  eine  Rolle; 
wo  er  vorkommt,  trägt  ihn  jeweils  nur  eine  Frau;  die  Frauen  sind  unverkleidet. 

1.  Stamnos,    Forman    Collection   352. 

A.  Vier  Frauen  im  Komos,  eine  mit  Krotalen,  zwei  mit  Skyphos,  eine  mit  Schirm. 

B.  Flötenspielerin,   Frauen  im  Komos,  davon  eine  mit  Skyphos;  ein    Stuhl. 

2.  Stamnos,  Boston.  Frickenhaus,  Lenäenvasen  (72.  Winck.-Progr.)  Nr.  16. 

A.  Dionysosopfer. 

B.  Drei  Frauen  im  Komos,  davon  zwei  mit  Skyphos,  eine  mit  Schirm;  ein  Stuhl. 

3.  Stamnos  Louvre  G  408.  Pottier,  Vases  du  Louvre  III  249.  Fricken- 
haus Nr.    17. 

A.  Dionysosopfer. 

B.  Fünf  Frauen  im  Komos,  davon  mindestens  drei  mit  Skyphos,  eine  scheint  einen 
Schirm  gehalten  zu  haben. 

Die  Stamnoi  2  und  3  zeigen  im  Bild  der  Vorderseite,  um  welches  Fest  es  sich 
handelt :  ein  dionysisches  Frauenfest,  an  dem  die  Frauen  als  Mänaden  tanzten.  Fricken- 
haus hat  27  weitere  Darstellungen  dieses  Festes  nachgewiesen,  auf  denen  kein  Schirm 
zu  sehen  ist.  Denkt  man  an  den  Stuhl  unserer  Stamnoi  i  und  2,  so  erscheint  der  Satyr 
Tischbein  IV  34  als  Festdiener  einer  solchen  Feier,  ähnlich  wie  seine  Kollegen  auf  dem 
Berliner  Skyphos  einer  dionysischen  Frauenprozession  und  dem  Schaukelfest  assi- 
stieren. Man  hat  den  Eindruck,  daß  durch  Sonnenschirm  und  Stuhl  nur  eine 
Frau,  die  Priesterin,  ausgezeichnet  wird,  die  auf  Stamnos  2  und  3  auch  mit  dem 
Diadem  geschmückt  ist. 

Unzweifelhaft  hat  das  Schirmfest  dionysische  Elemente  aufgenommen,  so  wie 
sich  auch  an  den  Haloen  der  Dienst  der  Göttinnen  mit  dem  des  Dionysos  mengt. 
Trotzdem  sind  auf  den  Vasen  beide  Frauenfeste  aufs  deutlichste  unterschieden. 
Die  Lenäen  können  mit  dem  Schirmfest  nicht  identisch  sein. 

IV.  Das  Schirmfest  unserer  Vasenbilder  aber  können  wir  jetzt  zuversichtlich 
mit  dem  Skirenfest  gleichsetzen.  In  der  Juliprozession  haben  die  Schirme  so  recht 
ihre  Stelle,  und  an  diesem  Fest,  an  dem  die  Frauen  geschlechtlich  sich  enthielten 
(Philochoros  fr.  204),  das  sie  ganz  unter  sich  feierten,  ist  der  ausgelassene  Komos  mit 
der  männlichen  Maskerade  gerade  besonders  verständlich;  hatten  doch  auch  die 
Thesmophorien  ihren  ausgelassenen  Teil  (Phot.  und  Hesych.  s.  v.  Ixr^via;  Plutarch, 
Solon  VIII).  Aber  wir  gewinnen  noch  mehr.  Mit  einem  Schlag  wird  klar,  warum  gerade 
am  Skirentag  den  Frauen  der  Einfall  kam,  in  Männertracht  und  mit  falschem  Bart  sich 
in  die  Volksversammlung  einzuschleichen,  und  warum  Praxagora  diese  Beschlüsse 
der  Skiren  so  betont.  Und  noch  nicht  genug:  wir  wissen  jetzt,  was  den  genialen  Ein- 
fall der  Ekklesiazusen  in  des  Dichters  Phantasie  entzündet  hat. 

Athen.  Ernst  Buschor. 


Jahrbuch  des  Instituts  XXXVIII/IX  l( 


1 


lenistische  Gymnasion  von  Priene. 

den  Waschsaal  (i),    den    Ephebensaal  (2)    und 
Saal  (3);    sämtlich   von   SUden    nach   Norden 
1  nach  Westen  gesehen, 
and  des  Ephebensaales. 
Iwand  des  Ephebensaales. 


Jahrbuch 


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DAS  HELLENISTISCHE  GYMNASION  VON  PRIENE. 

Mit  Beilage  II— IV. 

Im  Herbste  1912  und  in  dem  darauf  folgenden  Winter  führte  mich  die  Unter- 
suchung der  Stadtmauern  von  Priene,  die  ich  im  Zusammenhang  mit  denen  anderer 
jonischer  und  karischer  Städte  zu  betrachten  hatte  '),  wiederholt  nach  dem  bekannten 
Ruinenplatze  am  Fuß  der  Mykale.  Diese  Mauerstudien  hoffe  ich  demnächst  in  den 
Athenischen  Mitteilungen  zu  veröffentlichen.  Hier  möchte  ich  die  Ergebnisse 
einer  Aufnahme  des  hellenistischen  Gymnasions  von  Priene  vorlegen,  zu  der  ich  im 
Anschluß  an  die  eben  genannten  Arbeiten  gelangte.  Das  Gymnasion  stößt  mit  seinen 
starken  Untermauerungen  unmittelbar  an  den  südlichen  Lauf  der  Stadtmauern, 
so  daß  man  unwillkürlich  versucht  wird  zu 
fragen,  welche  militärische  Rolle  ein  solches 
Gebäude  bei  einer  Belagerung  gespielt 
haben  würde.  Einmal  angelockt  und  tiefer 
in  den  Gegenstand  eindringend,  fand  ich, 
daß  die  Mitteilungen,  welche  das  ausge- 
zeichnete Buch  von  Th.  Wiegand  und  H. 
Schrader »)  über  das  wichtige  Bauwerk 
liefert,  stellenweise  zu  überholen  und  auch 
nicht  unerheblich  zu  berichtigen  waren. 
So  hielt  mich  diese  Aufgabe  bis  zu  ihrer 
Lösung  fest.  Leider  haben  die  Zeitverhält- 
nisse die  Drucklegung  allzulange  ver- 
zögert. Beim  Leser  darf  die  Kenntnis  des  genannten  Werkes  wohl  vorausgesetzt 
werden.  Indessen  sind  die  Abweichungen  gegen  die  erste  Veröffentlichung  bei  Wie- 
gand und  Schrader  groß  genug,  um  eine  ganz  neue  Beschreibung  des  Baues  zu  recht- 
fertigen, deren  Vollständigkeit  allerdings  einige  Wiederholungen  unvermeidlich 
macht. 

Wir  beginnen  mit  dem  Bauplatze.  Schon  der  zeigt  uns,  daß  im  ursprünglichen 
Stadtplan  das  Gymnasion  nicht  vorgesehen  war,  zum  mindesten  nicht  in  diesem  Um- 
fang. Daß  seine  Stützmauern  bis  auf  wenige  Meter  an  die  Stadtmauern  heranrücken, 
besagt  dafür  weniger,  um  so  mehr  aber,  daß  man  die  ganze  Südseite  der  Straße  be- 
seitigte, welche  das  Gymnasion  im  Norden  begrenzt.  Von  den  abgerissenen  Häusern 
sind  noch  die  Einarbeitungen  im  Felsen  zu  erkennen;  in  verschiedener  Höhenlage 
und  ohne  anderes  Verhältnis  zum  Grundrisse  des  Gymnasions  als  die  allgemeine  nord- 


Abb.   I.     Straßenbrücke. 


')  Archäologischer  Anzeiger    1913,  475  ff.  ')  Th.  Wiegand  und  H.  Schrader,    Priene  265  ff. 

Jahrbuch  des  archäologfiachen  Instituts  XXXVllI/IX  1933/34.  JO 


134 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasion  von  Priene. 


Südliche  Orientierung  der  Stadt  können  diese  Reste  nicht  zu  jenem  Bauwerk  gezogen 
werden,  wie  es  bei  Wiegand  und  Schrader  geschieht;  allenfalls  eine  von  den  oberen 
Querwänden  könnte  zu  einer  unteren  im  Gymnasion  passen.  Bemerkenswert  an  der 
Straße  ist  die  Überbrückung  eines  Felsenspaltes  nahe  der  Nordostecke  mit  einem 
eigentümlichen  scheitrechten  Bogen,  wie  ich  ihn  auch  auf  der  Burg  von  Knidos  be- 


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F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene. 


135 


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Abb.  3.    Einzelheiten  des  Peristyls, 

obachtet  habe  und  wie  ihn  Philon ')  ZU  beschreiben  scheint  (Abb.  i).  Man  hat  das 
Material,  Breccia  und  marmorartigen  Kalkstein,  das  bei  der  Absprengung  des  Felsens 
oben  gewonnen  wurde,  unten  zu  monumentalen  Unterbauten  verwendet  (Beil.  II) 
und  so  den  Raum  für  die  zu  errichtende  große  bauliche  Anlage  nach  zwei  Seiten 
zugleich  erweitert,  und  zwar  so  weit,  wie  es  die  beiden  festen  Grenzen  —  im  Norden 
die  Straße,  im  Süden  die  Stadtmauer  —  nur  zuließen. 

Auf  diesem  Räume  sind  zwei  Gebäude  entstanden,  südlich  ein  Peristyl  mit 


■)  Philo  V  S.  87,    2 1  ff,    H.  Diels    und  E.  Schramm    in    den   Abhandlungen   der    Preußischen    Akademie 
der  Wissenschaften   1919,  Phil.  bist.  Klasse  Nr.  12. 

in« 


135  ^-  Krischen,  Da«  hellenistische  Gymnasion  von  Priene. 

Kammern  an  der  Westseite  und  nördlich  vom  Peristyl  durch  einen  schmalen  Hof 
getrennt  ein  westöstlich  gestreckter  Bau  aneinander  gereihter  Säle  (Abb.  2).  Von 
den  Säulenhallen  des  ersteren,  die  sich  auf  nur  einer  Stufe  erhoben,  ist  das  Stylobat  an 
der  Nordostecke  gut  erhalten  —  nach  Westen  auf  etwa  4^/zm,  nach  Süden  auf  ii3/4ra 

—  und  zeigt  die  Aufschnürungen  für  die  Säulen  (Abb.  3);  auf  allen  Seiten  vorhandene 
Reste  lassen  die  Abmessungen  zwischen  den  Stylobatkanten  —  34,  35  m  westöstlich 
und  35,  II  m  nordöstlich  —  erkennen;  die  Säulenachsen  liegen  allerseits  etwa  einen 
Fuß  von  etwa  30  cm  hinter  den  Kanten  zurück.  (Als  Maßsystem  ergibt  sich  hier 
wie  überhaupt  in  Priene  der  attische  Fuß  von  29,57  cm  —  wir  werden  weiter  unten 
darauf  eingehen.)  Alle  Seiten  hatten  je  14  Joche.  Danach  beträgt  die  Jochweite 
durchschnittlich  S'/a  Fuß  (2,52  m).  Die  Eckjoche  sind  erheblich  breiter,  etwa 
9  Fuß.  Von  den  Säulen  ist  außer  dem  unteren  Durchmesser  nichts  unmittelbar 
festzustellen.  Er  ist  aus  der  bereits  erwähnten  Aufschnürung  der  Säulenachsen 
und  Tangentenecken  zu  ersehen,  aus  den  Standspuren  mit  rauhem,  etwa  25  cm 
im  Durchmesser  betragendem  Kern,  der  ein  Dübelloch  in  der  Mitte  und  den  zuge- 
hörigen Gußkanal  aufweist.  Der  Durchmesser  beträgt  etwa  55  cm.  Daraus  errechnet 
sich  die  Höhe  mit  ziemlicher  Sicherheit,  da  sie  erstens  ein  Vielfaches  dieses  Maßes, 
zweitens  ein  Vielfaches  dieses  Fußes  von  29,57  sein  muß  und  da  drittens  diese  Fak- 
toren einfache  Zahlen  sein  müssen.  Diese  Zahlen  bleiben  zudem  in  der  Nähe  be- 
stimmter Werte,  die  durch  besser  erhaltene  Bauwerke  vertreten  werden.  Z.  B. 
zeigt  die  Oropherneshalle  in  Priene  ein  Verhältnis  von  Säulenhöhe  zu  Durchmesser 
wie  7V«  zu  I.    Möglich  erscheinen  danach  zunächst  zwei  Werte. 

29,57  X  13  =  3,84m  :7  =  0,55m 
oder  29,57  X  14  =  4,I4  m  :  71^  =  0,55  m. 
Ich  möchte  mich  für  den  zweiten  entscheiden,  da  die  Gebälkhöhe,  von  der  nun  zu 
reden  ist,  dafür  spricht.  Vom  Gebälk  fehlen  zwar  die  Architrave,  sind  aber  leicht 
zu  ergänzen.  Der  erhaltene  dorische  Fries  verlangt  eine  entsprechende  Regula. 
Die  Höhe  ergibt  sich  aus  dem  Verhältnis  zur  Höhe  des  Frieses.  Das  beträgt  bei 
den  nächst  verwandten  Bauten  etwa  3/4  (Stadionhalle),  5/7  (Propylon  des  Gymna- 
sions,  weiter  unten  auszuführen)  oder  ^/■j  an  den  Markthallen.  Wählen  wir  3/4  oder 
5/7,  so  erhalten  wir  als  Gesamthöhe  des  Gebälks  3  Fuß:  Architrav  25,  Fries  35,  Sima- 
Geison  30  =  3  Fuß  ein  rundes  Maß,  während  sich  ein  solches  bei  5/6  und  ^/^  nicht  ergibt. 
Zur  Säulenhöhe  (14  Fuß)  passen  3  Fuß  sehr  gut,  indem  die  Gesamthöhe  17  Fuß 
das  Doppelte  der  Jochweite  (8V2  Fuß)  bedeutet. 

Es  sind  ziemlich  viele  Triglyphenblöcke  vorhanden,  ich  habe  zehn  gezählt, 
davon  sechs  auf  der  Stadionterrasse;  es  können  noch  ein  paar  mehr  sein,  die  Nach- 
barschaft der  ähnlichen  dorischen  Werkstücke  von  der  Stadionhalle  erschwerte 
etwas  die  Übersicht.     Die  beobachteten  Stücke  sind  in  der  Regel  nicht  sehr  lang 

—  meist  drei  Triglyphen  mit  zwei  Metopen  oder  einzelne  Triglyphen  von  Metopen 
eingerahmt,  die  in  üblicher  Weise  so  gefügt  sind,  daß  die  schräg  hinterschnittenen 
Triglyphen  die  Fuge  decken. 

Die  Breitenmaße  zeigen,  daß  auf  das  Joch  vier  Triglyphen  kommen,  nicht 
drei,  wie  im  Prienebuche  skizziert  ist.    Vorhanden  ist  auch  ein  Eckblock;  ebenso 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene.  1^7 

befindet  sich  ein  solcher  unter  den  weniger  zahlreichen  Gesimsblöcken.  Die  Eck- 
stücke zeigen,  daß  eine  Maßveränderung  des  Triglyphen-  und  Metopensystems  an 
den  Ecken,  in  denen  je  zwei  halbe  Triglyphen  zusammenstoßen,  nicht  eintritt. 
Das  Normaljoch  beträgt  8'/a  Fuß  =  2,51  m  geteilt  in  4  Triglyphen  und  Metopen, 
die  sich  verhalten  wie  2  :  3,  ergibt  63  cm  =  25  cm  +  38  cm.  Das  Eckjoch  ist  um 
eine  halbe  Architravstärke  (ca.  20  cm)  weiter  gespannt,  beträgt  also  etwa  2,70  m. 
Dieses  Maß  zeigen  mit  geringen  Unterschieden  die  beiden  erhaltenen  Eckjochweiten. 
Daß  die  Maße  etwas  schwanken,  kann  nicht  ausbleiben,  da  die  Seitenlängen  des  qua- 
dratischen Hofes  etwas  verschieden  von  einander  sind.  Die  Ecksäulen  waren  wie  die 
übrigen  und  nicht  gedoppelt. 

Über  das  Bild  der  vollständigen  Säulenordnung  kann  man  danach  nicht  im 
Zweifel  sein.  In  dem  Übersichtsblatte  der  Wiederherstellung,  s.  Beilage  11z.  S.  133 
ist  sie  ergänzt  gezeichnet  —  in  der  Mitte  abgebrochen,  um  das  dahinterliegende 
Gebäude  nicht  zu  verdecken.  Die  vorhandenen  Teile  sind  dabei  wie  überhaupt 
auf  dem  genannten  Blatt  mit  Innenzeichnung  oder  Strichelung  versehen.  Die 
oben  aufgestellte  Konstruktionsberechnung  liegt  der  Zeichnung  noch  nicht  zu- 
grunde, doch  ist  diese  mehr  gefühlsmäßig  so  nahe  an  jene  herangekommen,  daß 
eine  Korrektur  überflüssig  erschien. 

Von  der  Nordostecke  bis  zum  sechsten  Joch  der  Nordseite  —  ursprünglich 
weiter  —  läuft  eine  marmorne  Wasserrinne  am  Stylobat  entlang;  sie  erweitert  sich 
gelegentlich  zu  einem  Becken  und  wird  nach  Osten  durch  den  Stylobat  hinausgeleitet; 
nach  Süden  ging  sie  nicht  (Abb.  2  u.  3).  Vor  der  Mittelsäule  der  Nordseite 
befand  sich  ein  Postament,  dessen  unterste  Schicht  mit  Sockelprofil  erhalten  ist. 
Vielleicht  haben  wir  hier  den  Standort  einer  Gewandfigur  zu  suchen,  die  im  Haupt- 
saal des  nördlichen  Gebäudes  nicht  weit  davon  gefunden  worden  ist  —  sicherlich 
verschleppt  —  da  in  jenem  Saal  keine  Möglichkeit  besteht,  sie  unterzubringen. 

Außer  dem  Triglyphenf  ries  sind  noch  die  Blöcke  mit  den  Obergliedern — Kymation, 
Hängeplatte  mit  Tropfen  und  Sima  —  erhalten.  Deren  obere  Fläche  hat  eine  sehr 
geringe  Neigung,  das  ist  für  die  Rekonstruktion  von  Wichtigkeit:  Die  Hallen  des 
Peristyls  sind  nicht  alle  gleich  tief;  die  Westhalle  mit  ihren  dahinterliegenden  Kam- 
mern gibt  eine  Gebäudetiefe  von  93/4  m  gegen  5^/3  m  und  6  m  bei  den  anderen; 
es  müßte  bei  steileren  Dächern  ein  sehr  merkbarer  Unterschied  entweder  in  der 
Dachhöhe  oder  der  Dachneigung  entstehen,  während  bei  einem  so  flachen  Dache 
keine  Art  von  Dachlösung  irgendwelche  Schwierigkeiten  bereitet.  Ein  Pultdach 
würde  bei  einem  ringsum  freistehenden  Gebäude  eine  unnötige  Höhe  der  Außen- 
mauern sowie  überflüssige  Material-  und  Arbeitskosten  bedeuten.  Ein  gerades 
oder  sehr  flaches  Satteldach  dürfte  das  gegebene  sein. 

Ein  wenig  reichere  Formen  als  die  Hallen  weist  das  westlich  gelegene  Pro- 
pylon auf,  das  auf  die  steile  Treppenstraße  hinausführt.  Es  würde  eigentlich  noch 
einige  Aufräumungsarbeiten  erfordern.  Nur  ein  Teil  der  zugehörigen  Steine  ist 
freigelegt,  mehrere  befinden  sich  noch  in  Sturzlage  und  von  diesen  sind  verschiedene 
fast  ganz  verschüttet  und  geben  daher  nur  Einzelmaße.  Immerhin  läßt  sich  schon 
jetzt  ein  Bild  des  Aufbaues  gewinnen  (Abb.  4). 


138 


F.  Krischen,  Das  heUenistische  Gymnasion  von  Priene. 


In  situ  befindet  sich  die  unterste  Stufe.  Ritzlinien  erlauben,  Steine  der 
zweiten  Stufe  an  ihren  Ort  zu  bringen;  es  sind  die  beiden  ersten  Steine  der  linken 
Ecke  (links  und  rechts  von  der  Straße  aus).     Ritzlinien  auch  auf  der  zweiten  Stufe 


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Abb.  4.    Propylon. 

zeigen  eine  dritte  Stufe  an,  die  letzte,  da  der  Grundriß  mehr  nicht  zuläßt.  Die  dritte 
Stufe  sprang  so  weit  vor  die  Gebäudeflucht  vor,  daß  Anten  und  Säulen  noch  ganz 
davor  Platz  hatten.  Daß  sie  nicht  eingerückt  standen,  wie  es  der  ergänzte  Plan 
der  ersten  Veröffentlichung  zeigt,  beweist  ein  erhaltener  hier  gefundener  Eckarchitrav, 
der  eine  ausspringende  Ecke  darstellt;  außerdem  gibt  er  den  Säulenabstand,  der 
gerade  zu  der  für  die  Breite  der  Oberstufe  passenden  Aufteilung  führt. 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene.  I^g 

Von  den  Stützen  sind  vier  Antenblöcke  erhalten  von  verschiedenen  Höhen; 
ihr  größter  Durchmesser  ist  67,5  cm,  ihr  geringster  59  cm.  Dazu  paßt  eine  glatte 
Säulentrommel  und  zwar  ist  es  nach  ihren  Maßen  70  cm  und  68  cm  die  unterste. 
Sie  ist  das  einzige  Stück,  das  von  den  nicht  geriefelten  dorischen  Säulen  des 
Propylons  übrig  ist.  Sie  hat  nichts  mit  einem  zweiten  Säulenfragment  zu  tun,  das 
im  Prienebuche  mit  ihr  zusammen  genannt  ist.  Dieses,  ein  unteres  Säulenende  mit 
Ablauf,  zeigt  andere  technische  Behandlung  in  der  einfachen  Verdübelung  gegen- 
über der  doppelten;  auch  die  Abmessungen  lassen  eine  Verwendung  beider  Stücke 
in  demselben  Säulenumriß  nicht  zu.  Überhaupt  bietet  sich  für  die  zweite  Trommel 
keine  Unterkunft  im  Gymnasien.  Es  ist  wohl  nicht  unwahrscheinlich,  daß  sie  bei 
einer  Zerstörung  von  einer  höhergelegenen  Stelle  in  das  Gebiet  des  Gymnasions 
hinabgerollt  ist;  jedenfalls  ist  sie  nicht  dorisch,  und  den  dorischen  Stil  des  Propylons 
erweist  der  schon  genannte  Eckarchitrav  durch  seine  Tropfenleisten.  Die  Tri- 
glyphen  des  Frieses  sind  allerdings  nicht  mehr  erhalten.  Das  einzige  vom  Fries 
gegenwärtig  nachweisbare  Stück  befindet  sich  in  Sturzlage  an  der  rechten  Ecke  (von 
außen  gesehen).  Es  gehört  zu  dem  kurzen  Vorsprung  der  Seite;  die  Triglyphen  der 
Frontseite  sind  durch  die  Gehrung  der  Ecke  abgeschnitten ;  nur  das  zu  den  Triglyphen 
gehörige  obere  Schrägprofil  ist  erhalten.  Von  den  Obergliedern  des  Gebälkes  sind 
verschiedene  Fragmente  eines  Zahnschnittes  mit  Traufplatte  erhalten,  darunter 
die  Ecke.  Interessant  ist  ein  entsprechender  offenbar  der  Rückseite  angehöriger 
Stein,  bei  dem  der  Zahnschnitt  verschwunden  und  nur  ein  gleich  hoher  glatter 
Streifen  Wandfläche  geblieben  ist,  während  die  anderen  Gliederungen  mit  denen 
der  übrigen  Stücke  übereinstimmen.  Ein  Fragment  der  Traufsima  zeigt  einen  ver- 
stümmelten Löwenkopf;  von  der  Giebelsima,  die  mit  der  Traufplatte  aus  einem 
Stück  gearbeitet  ist,  ist  ein  Stück  von  l'/z  m  Länge  sowie  der  Schlußstein  erhalten. 
Ferner  ist  die  linksseitige  Tympanonspitze  vorhanden;  die  Giebelneigung  hat  danach 
das  Verhältnis  l  :  4. 

Betrachten  wir  noch  die  Maße  des  Gebälkes  genauer.  Wir  finden  von  Ober- 
kante Traufsima  bis  Unterkante  Architrav  folgende  Höhen: 

Sima  =  21  cm,  Geison  +  Zahnschnitt  =  41  cm,  Triglyphcnfries  =51  cm, 
Architrav  =  36  cm,  im  ganzen  1,47  m  =  5  Fuß,  also  Sima  zu  Geison  wie  i  :  2,  Fries 
zu  Balken  wie  3  :  2  und  das  obere  Paar  zum  unteren  wie  2  :  3.  Die  Höhe  der  Stützen 
läßt  sich  etwa  wie  folgt  errechnen:  29,57  (i  att.  Fuß)  x  16.5  =  4.88  m,  4.88  m: 
7  =  70  m;  das  ist  der  Durchmesser,  den  Grundriß  und  Schaftstücke  erkennen  lassen. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  noch  ein  Wandblock,  dessen  eine  Außenseite 
nur  auf  der  oberen  Hälfte  geglättete  wirkliche  Außenfläche  zeigt;  auf  der  unteren 
ist  der  Bossen  stehen  geblieben  und  eine  Einarbeitung  für  Holzkonstruktion  an- 
gebracht. Mir  erscheint  dieser  Stein  die  Annahme  zu  fordern,  daß  der  Baukörper 
des  Propylons  nur  bis  zur  Mittelwand  ging  und  die  Halle,  welche  von  Osten  dagegen- 
gebaut  war,  überragte.. 

Von  der  Architektur  des  nördlich  an  das  Propylon  anstoßenden  Saales  (Exedra 
des  Grundrisses)  ist  nichts  als  Reste  von  Marmorbänken  (Abb.  2)  und  die  Stand- 
spuren der  beiden  Säulen  erhalten,  welche  die  nach  dem  Peristyl  offene  Seite  in 


1^0  F.  KrischcD,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene. 

drei  Joche  teilten.  Sie  hatten  dieselben  Abmessungen  wie  die  Peristylsäulen, 
standen  aber  nicht  wie  diese  auf  einem  durchlaufenden  Stylobat,  sondern  auf  einzelnen 
unregelmäßig  quadratischen  Fundamentplatten.  Von  den  anderen  Räumen  der 
westlichen  Kammerreihe  sind  nur  noch  die  Umrisse  zu  erkennen.  Auf  den  drei 
anderen  Seiten  ist  das  Peristyl  durch  Rückwände  geschlossen.  Die  Rückwand 
der  Nordseite  ist  aber  in  der  ganzen  Breite  des  Hofes  in  eine  Säulenstellung  auf- 
gelöst, so  daß  nur  an  den  Enden  Zungenmauern  übrigbleiben,  deren  Länge  der 
Hallen-  und  Kammertiefe  entspricht.  Die  Säulen  sind  wie  diejenigen  der  Exedra 
auf  einzelne  Platten  gestellt  und  müssen  gleichfalls  denen  der  Hoffronten  genau 
entsprochen  haben.  So  entsteht  ein  reizvoller  Durchblick  auf  das  langgestreckte 
Hauptgebäude,  das  hinter  der  Nordhalle  jenseits  eines  iß'/z  Fuß  tiefen  Hofes  liegt. 
Dieser  Hof  ist  im  Prienebuch  als  Verdoppelung  der  nördlichen  Peristylhalle  auf- 
gefaßt worden.  Hätten  wir  es  hier  mit  einer  zweischiffigen  Halle  zu  tun  '),  so 
müßte  die  nördliche  Säulenreihe  halb  soviel  Säulen  haben  —  auf  jede  zweite  Außen- 
säule eine  höhere  Innensäule  —  und  die  Zungenmauern  müßten  fehlen,  da  sie  nicht 
nur  ganz  überflüssig  wären,  sondern  sogar  im  höchsten  Maße  störend,  indem  sie 
den  hinter  ihnen  liegenden  Kammern  alle  Lichtzufuhr  absperren,  während  sie  als 
Andeutungen  der  aufgelösten  Rückwand  einen  guten  architektonischen  Sinn  haben. 
Bei  Zweischiffigkeit  ergibt  sich  außerdem  ein  unbrauchbarer  Querschnitt,  in  dem 
die  innere  Säulenreihe  eine  Wand  zu  tragen  bekommt,  was  ganz  ungriechisch  ist, 
und  damit  das  Licht  absperrt  vor  einer  Reihe  von  Schulstuben.  Auch  würde 
das  Dach  eine  viel  steilere  Neigung  erhalten  müssen,  als  sämtliche  Simablöcke  der 
Halle  aufweisen.  Schließlich  und  vor  allem  verlangt  die  Gestalt  der  nördlichen 
Kammerreihe  hier  einen  Hof.  Das  wird  die  genaue  Betrachtung  dieses  Bauteiles 
zeigen.  Der  Hof  wird  als  solcher  auch  durch  die  vorhandenen  Wasserrinnen  bezeich- 
net; zwar  nicht  durch  die  aus  dem  Waschsaal  kommende,  die  ja  auf  alle  Fälle  da  sein 
müßte,  aber  durch  einen  Rest  einer  Rinne,  die  zu  demselben  Ausflußloch  führt, 
wie  die  erstere,  aber  nur  Zweck  hat,  wenn  sie  von  der  Traufe  des  Peristyls  ge- 
speist wird. 

Der  Nordbau  besteht  aus  5  Sälen  von  verschiedenen  Abmessungen,  die  aus 
dem  Grundriß  Abb.  2  zu  ersehen  sind.  Ihr  gegenwärtiger  Erhaltungszustand  ist 
genau  zu  entnehmen  aus  der  Ansicht  Beilage  II  und  den  Querschnitten  Beilage  III.  Die 
vor  den  geglätteten  Felsen  vorgemauerte  durchgehende  Rückwand  besteht  aus 
Brecciaquadern  bei  stellenweiser  Verwendung  von  Marmor,  wie  auch  die  Querwände. 
Soweit  die  südliche  Außenwand  erhalten  ist,  besteht  sie  durchgehend  aus  Marmor. 
Drei  von  den  Sälen  sind  merklich  einfacher  —  ohne  Marmorreste,  die  Wände  von 
grobem  Putz  überzogen,  der  spät  sein  kann,  wie  es  die  westliche  Querwand  des  öst- 
lichen Saales  zeigt.  Einarbeitungen  für  Holz  an  dieser  Wand  ergeben  nichts,  s. 
Beilage  III.  Dieser  Saal  ist  noch  nicht  vollständig  ausgegraben,  es  können  auch 
mehrere  Räume  sein,  wofür  spricht,  daß  mehr  als  eine  Tür  wie  bei  den  übrigen  vor- 


')  Wie   bei   den   zweischiffigen   Hallen   der   Märkte  Bohn    falsch    rekonstruiert!    —    zweigeschossige 

von  Priene,  Magnesia  und  Aegae  —  letztere  von  Hallen  dieser  Art,  wie  die  Markthalle  von  Assos 

und  die  Attalosstoa  in  Athen,  gehören  nicht  hierher. 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene.  i  ij 


banden  ist.  Ausgezeichnet  durch  Marmorarchitektur  sind  der  erste  und  dritte 
Saal  von  links.  Der  erste,  der  Waschsaal,  hatte  eine  Orthostatenreihe  von  Marmor- 
auf der  eine  als  Wasserrinne  ausgebildete  Binderschicht  liegt;  sie  war  mit  Löwen, 
köpfen  als  Wasserspeiern  versehen;  von  dieser  Schicht  sind  9  Steine  mit  6  Köpfen 
erhalten  (nicht  6  Steine  mit  9  Köpfen,  wie  im  Prienebuch  verwechselt  ist).  Dar- 
über waren  die  Wände  verputzt.  Drei  marmorne  Waschbecken  an  der  Rückwand 
dürften  spätere  Zutat  sein,  ebenso  die  Rinnen  am  Boden  zum  Fußwaschen.  Die 
vor  der  Tür  des  Waschsaales  erhaltene  Wasserrinne  dürfte  ursprünglich  weiter  an 
der  Front  gelaufen  sein,  um  das  Traufwasser  aufzunehmen. 

Noch  bedeutender  als  der  Waschsaal  erscheint  der  architektonisch  und  seinem 
Zwecke  nach  wichtigste  Raum,  das  Ephebeum,  in  der  Reihenfolge  der  dritte  von 
Westen.  Dieser  Saal  öffnet  sich  nach  Süden  mit  einer  Säulenordnung,  die  ziemlich 
gut  erhalten  ist.  Auf  einem  Stylobat  von  breiten  Marmorplatten  standen  zwei 
jonische  Säulen  zwischen  Anten.  An  ihrem  Platze  sind  alle  vier  Säulen-  und 
Antenfüße  und  von  der  linken  Ante  (rechts  und  links  von  Süden)  der  unterste  Block 
mit  dem  Ablauf.  Ein  unteres  Säulenende  ist  auf  den  linken  Säulenfuß  bei  der  Auf- 
räumung gesetzt  worden;  dieses  Stück  war  glatt,  zwei  andere  stark  beschädigte 
Trommeln  zeigen  den  Zusammenstoß  des  glatten  und  geriefelten  Teils.  Die  Zahl 
der  Stege  ist  24.     Außerdem  sind  vorhanden: 

1  geriefelte  Säulentrommel, 

2  Antenblöcke, 
beide  Säulenkapitelle, 
I  Antenkapitell. 

Der  untere  Durchmesser  der  Säule  beträgt  6"]  cm,  der  obere  hat,  nach  dem  unter- 
seitigen Durchmesser  des  Kapitells  zu  schließen,  ca.  60  cm  betragen.  Die  Höhe 
der  Stützen  kann  errechnet  werden,  einmal  an  ihrem  unteren  Durchmesser  und  dann 
aus  dem  Aufbau  der  Saalwände,  denen  wir  uns  deshalb  zunächst  zuwenden.  Die 
Betrachtung  des  Gebälkes  müssen  wir  solange  aufschieben. 

Die  Wände  des  Innern  zeigen  zu  unterst  eine  rauhe  Brecciaschicht;  diese 
verschwand  einst  hinter  einer  hölzernen  Bank,  von  der  7  kleine  marmorne  Stützen 
noch  vorhanden  sind.  Darüber  kommen  7  Marmorschichten,  von  denen  die  mittelste 
ein  leicht  vorspringendes  flaches  Band  bildet  und  die  oberste  mit  einem  Gesims  ver- 
ziert ist  (Abb.  7).  Dieses  Gesims  stellt  den  Abschluß  eines  Wandsockels  dar,  auf 
dem  sich  eine  Pilaster-  und  Säulenarchitektur  erhob;  von  ihr  befindet  sich  noch  eine 
Basis  ausBreccia  in  situ.  Andere  Steine  dieser  Architektur  haben  sich  in  Menge  auf 
dem  Boden  gefunden.  Es  sind  alles  Brecciaquadern  und  zeigen  sämtlich  dieselbe 
Schichthöhe  mit  geringen  Schwankungen,  die  bedeutungslos  sind,  da  die  Breccia 
zweifellos  überputzt  war.  Diesen  Quadern  angearbeitet  sind  rechteckige  und  halb- 
runde Pilasterschäfte  mit  zugehörigen  Kapitellen  und  Säulenfüßen.  Erstere  sind 
durch  die  hohen  Kelche  als  korinthische  zu  erkennen,  deren  feinere  Einzelheiten 
Blätter,  Schnecken  usw.  in  Stuck  aufgesetzt  zu  denken  sind  (Abb.  6).  In  den 
Ecken  stießen  Viertelsäulen  zusammen.  Wir  geben  im  folgenden  eine  genaue  Sta- 
tistik dieser  Steine: 


Ij^2  ^-  loschen,  Das  hellenistische  Gjrmnasion  von  Priene. 


rechteckige  Säulenfüße  (mit  dem  einen  in  situ  befindlichen) 4 

runde  Säulenfüße 7 

rechteckige  Schaftstücke 4 

runde  Schaftstücke 13 

rechteckige  Kapitelle " 3 

runde  Kapitelle 7 

Gesimsstücke  (zusammen    17,12  laufende  Meter) 17 

Eckstücke  zählen  wir  besonders  auf,  weil  wir  dadurch  eine  bessere  Übersicht  zu 
haben  glauben.     Es  sind: 

Eckstücke :   i   Schaftstück  mit  Doppelsäulen  mit  dem  bekannten  herzförmigen 
Querschnitt, 
I   Säulenkapitell  auf  Gehrung  geschnitten, 
I  Gesimsstück  auf  Gehrung. 

Über  die  Höhenlage  dieser  Stücke  kann  natürlich  kein  Zweifel  sein;  zu  fragen 
wäre  nur,  ob  die  Schaftstücke  auf  zwei  oder  drei  Schichten  zu  verteilen  wären. 
Der  erste  Fall  gibt  eine  Stützenhöhe  von  mehr  als  acht,  der  zweite  eine  Höhe  von 
über  zehn  unteren  Durchmessern.  Für  die  Wahl  der  etwas  gedrungenen  Stütze  statt 
der  übertrieben  schlanken  spricht  vor  allem  der  Umstand,  daß  nur  etwa  anderthalb- 
mal soviel  Schaftstücke  als  Füße  oder  Kapitelle  erhalten  sind  —  der  Befund  an  den 
beiden  letzteren  weist  auf  eine  ziemlich  gleichmäßige  Erhaltung  —  ferner  das  ab- 
solute Höhenmaß  der  Wand,  das  sich  errechnet  aus  der  folgenden  Tabelle  der  Wand- 
schichten, unten  angefangen: 

Brecciaschicht =  0,29 

3  Quaderschichten =  1,40 

1  Flachschicht    =  0,30 

2  Quaderschichten  zu  48 =  0,96 

I  Gesimsschicht =  0,40 

4  Brecciaschichten  von  durchschn.  0,60 —  2,40 

Summa  5,75 

5,75  m  sind  genau  13  attische  Ellen  =  5,766  m.  Ferner  spricht  dafür  die  Überein- 
stimmung dieser  Höhe  mit  derjenigen  der  Säulenarchitektur,  mit  der  sich  der  Saal 
nach  Süden  öffnet.  Dasselbe  runde  Maß  ergibt  sich  nämlich,  wenn  man  den  unteren 
Säulendurchmesser  S'/jmal  nimmt  (genau  rechnet  man  umgekehrt  5,766  :  S'/i  = 
67,5  cm).  Damit  erscheint  die  Höhenberechnung  gesichert;  denn  es  muß  doch 
angenommen  werden,  daß  die  beiden  aneinanderstoßenden  Ordnungen  wenigstens 
so  weit  in  Beziehung  stehen,  daß  die  Höhen  ihrer  Gebälklagen  übereinstimmen. 
Wie  sich  dann  die  Profile  beider  Gebälke  miteinander  vertragen  haben,  ist  nicht 
festzustellen,  da  von  dem  Architrav  der  jonischen  Säulen  nur  ein  Fragment  vorhanden 
ist  (das  später  weiter  zu  erläutern  sein  wird)  und  da  der  Zusammstoß  überhaupt 
fehlt. 

Auch  für  die  Anlage  des  Grundrisses  gibt  die  jonische  Ordnung  einen  Hinweis. 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene.  1^2 

Die  Ante  springt  nämlich  fast  in  ihrer  ganzen  Tiefe  vor  die  Flucht  der  Halbsäulen  vor, 
die  ja  durch  die  erhaltenen  Wandreste  gegeben  ist.  Es  muß  aber  unmittelbar  neben 
der  Ante  ein  Halbsäulchen  gestanden  haben,  da  sonst  das  Wandgebälk  gerade  in  der 
Ecke  ohne  Auflager  erschiene.  Eigentlich  kein  Halbsäulchen,  sondern  nur  ein 
gut  gemessenes  Viertelsäulchen  nach  Analogie  der  beiden  Ecken  an  der  Nordseite, 
die  aus  zwei  ebensolchen  Viertelsäulchen  bestanden  haben,  wie  die  oben  aufge- 
zählten Ecksteine  zeigen.  Ein  vollständiges  Halbsäulchen  neben  die  Ante  zu  setzen, 
verbietet  sich  nicht  allein  durch  die  Abweichung  von  der  anderen  Ecklösung,  sondern 
auch  durch  den  schlechteren  Anschnitt  an  das  Antenkapitell;  es  hätte  das  auch 
zur  Folge,  daß  eine  merkliche  Abweichung  der  Stützweite  auf  den  Querwänden 
gegenüber  der  Nordwand  herauskäme.  Diese  Stützweite  ist  gegeben  einmal  durch 
den  in  situ  befindlichen  Pfeilerfuß  und  sicherer  noch  durch  die  Vereinigung  von 
einem  Pfeiler-  und  einem  Säulenkapitell  auf  demselben  Block;  das  Maß  von  Achse 
zu  Achse  beträgt  1,35  m.  Dieses  Maß  geht  in  den  Querwänden  annähernd  genau 
5mal  auf  5  X  1,30  m  unter  Voraussetzung  der  oben  beschriebenen  Ecklösungen. 
Auf  der  Nordwand  geht  es  von  der  Ecke  bis  zu  dem  Pfeilerfuß  in  situ  zweimal  auf; 
ergänzt  man  symmetrisch,  so  bleibt  in  der  Mitte  ein  Raum  für  genau  3  Achsen. 
Das  ist  auffällig  und  veranlaßt  zu  fragen,  ob  nicht  die  bisher  dort  angenommene 
Bogennische  einem  Irrtum  ihr  Dasein  verdankt. 

Die  Wand  ist  an  dieser  Stelle  stark  zerstört,  nur  rückwärtige  Steine  sind  vor- 
handen, die  Nordostecke  ist  noch  stärker  abgeräumt;  aus  dem  Fehlen  des  Mauer- 
werkes kann  also  auf  eine  Nische  noch  nicht  geschlossen  werden.  Lassen  wir  sie 
aber  zunächst  bestehen  und  sehen  wir  zu,  wie  sich  dann  die  vorhandenen  Werk- 
stücke einordnen.  Wir  können  uns  dabei  auf  die  Betrachtung  der  Säulenfüße  be- 
schränken, weil  weder  Kapitelle  noch  Schäfte  eine  größere  Anzahl  von  Stützen 
belegen  als  jene. 

Auf  der  Nordseite  sind  dann  zwischen  den  Ecken  vier  Stützen  unterzubringen, 
und  zwar  zwischen  der  erhaltenen  rechteckigen  Stütze  und  Ecke  eine  halbrunde 
Säule,  wie  der  obengenannte  Stein  mit  beiden  Kapitellen  zeigt.  Damit  sind  zwei 
rechteckige  Pilaster  verbraucht,  zwei  weitere  waren  mindestens  vorhanden.  Auf 
den  Querwänden  sind  je  vier  Plätze  zu  vergeben.  Eine  regelmäßige  Verteilung 
kommt  dann  nur  zustande,  wenn  auf  jeder  Seite  2  rechteckige  Pfeiler  stehen;  also 
müßten  noch  zwei  aus  Gründen  der  Symmetrie  ergänzt  werden.  Dann  bleiben 
noch  je  zwei  Plätze  für  Halbsäulen,  mit  der  Nordwand  also  sechs,  sieben  aber  sind 
vorhanden.     Die  sind  aber  nur  unterzubringen,  wenn  keine  Nische  da  ist ! 

Wir  wollen  gleich  hinzufügen,  daß  auch  die  vorhandenen  Gesimsstückc  das 
Vorhandensein  einer  solchen  ausschließen,  was  später  noch  auszuführen  sein  wird. 
Hier  ist  zunächst  die  wirkliche  Anordnung  der  Pfeiler  und  Säulen  zu  bestimmen. 
An  Stelle  der  Nische  sind  drei  Stützenjoche  anzunehmen,  also  zwei  Stützen 
mehr.  Im  ganzen  6  an  der  Nordseite  und  je  4  an  den  anderen  zwischen  den  Ecken, 
im  ganzen  14.  Die  vorhandenen  Steine  können  rechnerisch  auf  zweierlei  Weise 
untergebracht  werden.  Erstens  auf  jeder  Seite  je  zwei  rechteckige  Pfeiler,  dann 
bleiben  für  die  Säulen  8  Plätze,  was  ginge,  da  nur  7  Säulen  vorhanden  sind.     Oder 


144 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene. 


die  vier  vorhandenen  Pfeiler  standen  alle  auf  der  Nordseite,  und  der  Rest  bleibt 
für  die  Säulen.  Ich  möchte  mich  für  diesen  Weg  entscheiden  (Beilage  III  u. 
Abb.  5),  weil  er  die  einfachere  Lösung  ergibt,  die  zudem  eine  Analogie  an  einem 
nahestehenden  Bau  vorfindet,  am  Marktgiebel  von  Magnesia,  wo  gleichfalls  eine 
Reihung  rechteckiger  Pilaster  koordiniert  mit  den  Säulen  der  Hallen  auftritt. 
In  den  kleinen  Jochen  hat  die  überlebensgroße  Gewandfigur,  deren  Trümmer  im 
Saale  lagen,  nun  keinen  Platz  mehr.  Wir  haben  ihr  einen  Platz  im  Peristyl  be- 
reits angewiesen. 

Von  dem  Zahnschnittgebälk   der  Wandarchitektur   —   das  Eckstück  einge- 
schlossen —  sind  über  ij^ji.  m  noch  vorhanden.    Scheidet  man,  wie  notwendig,  die 


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Abb.  5.     Grundriß  des  Ephebensaales  in  Höhe  der  Wandpfeilcr.     Wiederherstellung. 


Außenwand  mit  der  jonischen  Ordnung  aus,  so  braucht  man  unter  Annahme  der 
Bogennische  etwa  18  laufende  Meter  Gesims  beim  Zahnschnitt  gemessen,  also  noch 
etwas  mehr  als  vorhanden  sind.  Da  aber  von  den  Ecken  der  Nordwand  nur  ein 
auf  Gehrung  geschnittenes  Stück  vorhanden  ist,  also  drei  zu  ergänzen  sind,  da  ferner 
die  Eckstücke  für  die  Nische  selbst  fehlen,  so  muß  man  bereits  mit  einer  erheblich 
größeren  Länge  rechnen,  als  die  Nische  zulassen  würde,  auch  wenn  man  für  den 
Anschluß  an  die  Südwand  keine  besonderen  Steine  erwartet.  Hier  kann  tatsächlich 
eine  gewöhnliche  Fuge  an  den  Architrav  der  jonischen  Ordnung  anschließen,  der 
an  der  fraglichen  Stelle  geglättet  sein  müßte;  das  ist  sehr  wohl  möglich,  da  die 
Anten  so  weit  vor  die  Wandarchitektur  vorspringen.  Wenn  nun  aber  die  Nische 
auch  nicht  dagewesen  ist,  so  bliebe  immer  noch  ein  auf  das  Gesims  aufgesetzter 
Bogen  denkbar,  wenn  im  Ephebensaal  wirklich  die  Steine  eines  solchen  Bogens 
gefunden  worden  wären.     Es  sind  aber  gar  keine  vorhanden! 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasien  von  Priene. 


145 


Abb.  6.     Einzelheiten  des  Wandschmuckes  im  Ephebensaal. 


Hier  scheint  nun  ein  merkwürdiger  Irrtum  vorgekommen  zu  sein,  den  ich 
mir  folgendermaßen  erklären  möchte. 

Die  Quaderstreifen  der  Wand  sind,  soweit  sie  aus  Breccia  bestehen  und  nach- 
träglich überstuckt  werden  mußten,  mit  weit  geringerer  Sorgfalt  gearbeitet  als  die 
marmornen  Werkstücke.     Zu  dieser  rohen  Ausführung  gehört  auch,  daß  die  Stoß- 


146 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasion  von  Priene. 


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Abb.  7.     Einzelheiten  der  Architektur. 

I.  Gesims  des  Hauptgebäudes,   la  Zahnschnitt,   i  b  Fries.  —  2.  Geison  und  Zahnschnitt  vom  Propylon.  — 

3.  Profil  von  der  RUckwaod  des  Propylons    (entspricht   dem    Zahnschnitt).     4.  Oberglieder   des  Peristyl- 

Gebälkes.  —   5.  Säulenhalle  des  Stadions,    5  a  Säulenkapitell,    5  b  Antenkapitell.  —  6.  Sockelgesims  des 

Ephebensaales.  —  7.  Wasserspeier  des  Waschsaales.  —     8.   Basis  der  Säule.  —  9.  Basis  der  Ante. 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasion  von  Priene.  I47 


fugen  nicht  immer  senkrecht  sind.  Namentlich  im  Gesims  sind  Schrägfugen  häufiger 
während  die  Pilasterstücke  der  anderen  Quadern  mehr  zur  Einhaltung  senkrechter 
Fugen  anleiten.  Im  ganzen  entspricht  das  Bild  durchaus  anderen  ähnlichen  roheren 
Quadermauern,  wie  Stadtmauern,  Sockel-  und  Böschungsmauern.  Die  schrägen 
Fugen  haben  nun  bewirkt,  daß  einzelne  Gesimsstücke,  die  schief  geschnitten  sind, 
wie  Keilsteine  aussehen,  andere  es  auch  wirklich  sind;  das  täuscht  zunächst  sehr 
leicht. 

Indessen  sind  von  solchen  Steinen  doch  nur  wenige  da  —  es  kann  sich  ja  nur 
um  die  Binder  handeln  —  und  dann  weist  den  Betrachter  auch  das  Fehlen  jeder 
Krümmung  schließlich  zurecht. 

Der  Bogen  ist  also  zu  tilgen.  Der  Ephebensaal  braucht  nicht  mehr  besonders 
hoch  gedacht  zu  werden,  jedenfalls  ist  gar  kein  Anlaß  mehr,  verschiedene  Gesims- 
höhen für  verschiedene  Strecken  des  nördlichen  Gebäudes  anzunehmen. 

Das  zeigen  eigentlich  die  in  Frage  kommenden  beiden  Gesimsarten  (Abb.  7) 
—  beide  Zahnschnittgesimse  —  schon  selbst,  die  in  der  bisherigen  Rekonstruktion 
beide  für  jenes  Gebäude  benutzt  sind.  Alle  Blöcke  der  einfacheren  Sorte  befinden 
sich  in  Sturzlage  beim  Propylon  an  der  Westseite  (sie  sind  im  Zusammenhang  damit 
bereits  behandelt  worden).  Da  auch  sonst  viele  Steine  vom  Propylon  erhalten  sind, 
braucht  ihr  zahlreiches  Vorhandensein  nicht  so  sehr  aufzufallen. 

Von  der  anderen  reicheren  Gesimsart,  die  vor  dem  Hauptgebäude  gefunden 
wurde  und  sicher  zu  ihm  gehört,  sind  im  ganzen  9  Stück  vorhanden  (nicht  8).  Zwei 
davon  sind  Eckstücke.  Diese  beiden  Stücke  zeigen,  daß  an  eine  ausgebildete  Front- 
seite eine  rohe  Seitenwand  stößt.  Sie  sind  Gegenstücke  und  passen  gut  an  die 
beiden  Frontenden  eines  Gebäudes,  das  an  eine  Felswand  angelehnt  und  von 
Felsen  und  Bauwerken  eingeschlossen  ist,  also  am  ehesten  mit  nur  einer  Schauseite 
versehen  und  mit  einem  Pultdach  gedeckt  vorgestellt  werden  kann. 

Die  übrigen  7  Stücke  sind  alle  als  Läufer  geschnitten;  sie  sind  mit  Versetz- 
marken in  jeder  Fuge  versehen,  und  zwar  sowohl  in  der  Richtung  von  links  nach 
rechts,  also  links  B,  rechts  1',  dann  links  f,  rechts  A  usw.  wie  in  der  umgekehrten 
Weise.  Sie  haben  —  mit  der  Ausnahme  eines  einzigen  kürzeren  Steines  —  alle  die 
Länge  von  drei  und  einem  halben  Fuß  und  vertreten  also,  da  ihre  Numerierung 
bis  9  geht  und  da  dieses  auch  von  der  anderen  Seite  erreicht  werden  müßte,  eine 
Mindestlänge  von  16,8  laufenden  Metern,  mit  den  Eckstücken  von  ca.  18  m.  Natür- 
lich  ist  nichts  unwahrscheinlicher,   als  daß  die  Numerierung  mit  6  zu  Ende  wäre. 

Die  Gesamtlänge  des  Nordgebäudes  ist  am  Grundriß  zu  entnehmen  und  be- 
trägt 49,30  m;  in  dieses  Maß  läßt  sich,  wie  Beilage  II  zeigt,  genau  das  Schema  des 
Steinschnittes  eintragen.  Es  ist  zu  betonen,  daß  die  vorhandenen  Steine  eine 
lange  Strecke  und  eine  große  Zahl  von  Punkten  bestimmen.  Dabei  geht  die  Auf- 
stellung des  Schädel-  und  Rosettenschmuckes,  den  der  Fries  trägt,  genau  so  mühe- 
los auf  wie  der  des  Steinschnittes,  und  schließlich  zeigt  sich,  daß  jenes  eben  ge- 
nannte kürzere  Stück  wenigstens  mit  einer  Fuge  genau  in  das  Schema  fällt,  wahr- 
scheinlich also  durch  ein  größeres  Nachbarstück  die  Ordnung  wiederherzustellen 
ist.     Wenn  es  auch  fast  immer  möglich  sein  wird,  eine  längere  Strecke  durch  eine 


148 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasion  von  Priene. 


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Abb.  8.     Ordnung  der  Stadionhalle.     MaOstab   i  :  25. 


kurze  Einheit  bei  kleinen  Maßschwankungen  restlos  aufzuteilen,  so  kommen  hi« 
doch  soviele  Bedingungen  zusammen,  die  erfüllt  werden  müssen,  daß  wir  aus  dei 
Aufgehen  des  Exempels  eine  Bestätigung  für  das  durchlaufende  Hauptgesims  en 
nehmen  dürfen. 

Die  Steine  bestehen  wie  schon  gesagt  aus  Bukranienfries  und  Zahnschnit 
nebst  zugehörigen  kleineren  Profilgliedern.  Balkenlöcher  auf  der  Rückseite  gebe 
die  Lage  der  Decke  an.  Nach  Beseitigung  des  Bogens  im  Ephebensaal  hindei 
uns  nichts  mehr,  diese  Decke  unmittelbar  oder  wenigstens  nahe  über  dem  Gesin 
der  Wandarchitektur  anzunehmen.  Die  erhaltenen  Steine  gehören  indessen  an  die  Ende 
des  Gebäudes,  wie  die  Numerierung  zeigt,  also  könnte  die  Frage  noch  offen  bleibei 
in  welcher  Höhe  sie  anzubringen  seien. 

Über  ihnen  sind  noch  Geisonplatte  und  Sima  zu  erwarten.  Mehrere  Block 
in  denen  diese  beiden  Glieder  vereinigt  sind  —  die  Sima  ziemlich  rundlich  gi 
Schwüngen   —   sind    als  zugehörig  durch  die  Verdübelung  bestimmt.     Die  Düb 


F.  Krischen,  Das  hellenistische  Gymnasion  von  Priene. 


149 




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Abb.  9.     Grundriß,  Wiederherstellung. 


treten  im  Oberlager  der  Friesblöcke  und  im  Unterlager  der  Oberglieder  überein- 
stimmend immer  zu  zweien  und  hintereinander  auf. 

Eine  Lücke  im  Zusammenhange  des  Aufbaues  entsteht  nun  durch  das  Fehlen 
ganz,  vollständiger  Architrave.  Es  ist  eine  abgespaltene  Unterseite  eines  solchen 
vorhanden,  die  in  der  Fuge  ebensolche  Dübellöcher  wie  die  Oberglieder  zeigt  und 
denen  diejenigen  der  Ante  genau  entsprechen. 

Jahibuch  des  archSologischen  Instituts  XXXVlll/lX  1933/24.  || 


j  CQ  Georg  Lippold,  Zur  griechischen  Kttnstlergeschichte. 

Soll  man  nun  statt  des  fehlenden  oberen  Architravstückes  gleich  ein  ganzes 
Geschoß  ergänzen  und  zwischen  die  erhaltenen  Ober-  und  Unterglieder  einschieben, 
oder  einfach  nur  das  nehmen,  was  man  hat  ?  Hierbei  bekommt  man  ein  einge- 
schossiges Gebäude,  dessen  Höhe  durch  eine  jonische  Ordnung,  den  architektonischen 
Schmuck  des  wichtigsten  Raumes,  bestimmt  ist.  Auch  das  Gesamtmaß,  das  sich 
für  das  Gebälk  herstellt,  paßt  gut  zu  der  oben  bestimmten  Höhe  der  Säulen  (13  Ellen) ; 
es  beträgt  3  Ellen,  mithin  die  Gebäudehöhe  16  Ellen  oder  24  Fuß.  Beim  Propylon 
haben  sich  21  Fuß  ergeben;  diese  Abmessungen  stehen  also  auch  in  klarem  Ver- 
hältnis zueinander   —   von   8  zu   7. 

Die  anschließende  und  wahrscheinlich  gleichzeitige  Halle  des  Stadions  steht 
gleichfalls  in  einem  angemessenen  Verhältnis  zu  dem  eben  geschilderten  Bauwerk 
(sie  ist  etwa  2  Ellen  niedriger),  s.  Beilage  H.  Ihre  Profile  sind  in  Abb.  7  denen  der 
Gymnasionhalle  zum  Vergleich  beigegeben.  Gebälk  und  Kapitell  zeigt  Abb.  8, 
zu  beachten  ist  die  Kannelierung  des  Säulenhalses  (im  Prienebuch  vergessen);  wir 
fügen  zum  Material  dieser  Veröffentlichung  auch  das  Antenkapitell  und  die  Ge- 
simsecke hinzu.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  Architektur  der  Halle  sich  tot- 
läuft auf  einem  glatten  Mauerstreifen,  der  eben  durch  die  Ante  und  die  Gesimsecke 
nachweisbar  ist,  Abb.  8.  Diese  Lösung  wäre  nicht  erforderlich,  wenn  die  Gebälke 
der  beiden  aneinanderstoßenden  Gebäude  nicht  in  eine  gefährliche  Nähe  vonein- 
ander kämen;  so  wurde  aber  einem  ungünstigen  Verschnitt  aus  dem  Wege  gegangen. 

Der  geschichtlichen  Einordnung  der  Baugruppe,  wie  sie  das  Prienebuch  bietet, 
habe  ich  nichts  hinzuzufügen.  Die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  sind  in 
Abbildung  9  und  Beilage  IV  zu  Seite  133  veranschaulicht. 

Aachen.  F.  Krischen. 


ZUR  GRIECHISCHEN  KÜNSTLERGESCHICHTE. 

I.  Panainos. 

Wolters  ')  scheidet  richtig  Pleistainetos,  den  Bruder  des  Phidias,  von  Panainos, 
seinem  Bruderssohn.  Da  aber  Pfuhl  *)  die  beiden  Künstler  wieder  zusammenwirft, 
lohnt  es  sich,  die  Überlieferung  nochmals  zu  befragen. 

StrabonVIII  354  (Overbeck  SQ  1094  [698])  [loUA  Se  aoveupafe  tw  4)6t8t'a  [beim 
Zeus  von  Olympia]  Havaivos  6  C<uTpa'»o?  dSsX^tooü?  «uv  aüxou  xal  auvgpYoXaßo?,  irpo?  ttjv 
TOÜ  $oetvou  8ia  täv  }(p<u!JiaT(uv  x6(j|xijaiv  xal  [xctXiara  -zr^  isöfjTo?. 

')  Springer-Michaelis,    Kunstgesch.  1"  250,    "«264.       =)  Malerei  und   Zeichn.   der  Griechen  669. 


Georg  Lippold,  Zur  griechischen  Künstlergeschichte.  I  5  ( 

Pfuhl  hat  erkannt,  daß  Strabon  hier  aus  urkundlicher  Quelle  schöpft :  Panainos 
wird  mit  dem  technischen  Ausdruck  suvspYoXa'ßo?  »als  (haftbarer)  Mitunter- 
nehmer« bezeichnet.  Also  wird  auch  der  Verwandtschaftsgrad  richtig  angegeben 
sein;  es  ist  ja  auch  undenkbar,  daß  aus  dosXoi;  dSeXtptSou;  wird,  während  das 
Umgekehrte  leicht  möglich  ist  und  namentlich  im  Lateinischen,  das  kein  Wort  für 
Neffe  hat,  leicht  frater  statt  fratris  filius  eindringen  konnte.  In  der  Urkunde  war 
natürlich  Panainos  nicht  Neffe  des  Phidias  genannt,  sondern  so  gut  wie  dieser  als 
Oeioia?  Xapfii'Sou  war  er  als  Fldvaivo?  o  osiva  angeführt.  Den  Vater  mußte  man 
als  Bruder  des  Phidias  kennen. 

Plutarch,  De  glor.  Ath.  2  (Mor.  346.  Overbeck  1109;  1645;  1704;  1795)  führt  zum 
Beweise,  daß  die  Kriegstaten  der  Athener  erst  den  Stoff  für  die  Meisterwerke  der  Künst- 
ler gegeben  haben,  nach  den  Historikern  auch  die  Maler  an  xai  y''*P  'AiroXXoScupoc  6 
Cü)"]fpa'®oj  dvftpojitojv  itpÄTo;  sjsupwv  tpSopäv  xal  d7t6)(p«uotv  axiä;  A&ijvaro?  fjV  00  toi;  Ipifoi? 
sitiYEYpaTCrat  "[iiufiTjaeTat  xi;  [iäXXov  t)  [nfiTjastai'  xal  Eutppävtop  xal  Ntxi«?  xal  'AoTrXr/itioowpo? 
xal  nXstaTatvsTo;  6  $eioiot)  doEXtsö?"  ot  jisv  OTpotTr^Yoü;  s-^pai^av  vtxüivTai,  01  8s 
[xa'j(ac,  ot  o£  ^ptoac  Dazu  werden  als  Beispiele  angeführt  zwei  Werke  des  Euphra- 
nor,  der  Theseus  und  das  Reitertreffen  bei  Mantinea.  Dies  mag  aus  einer  andern 
Quelle  beigebracht  sein,  ebenso  die  weiteren  Notizen  über  Apollodoros.  Dieser  ist 
vielleicht  genannt  wegen  des  Schol.  Arist.  Plut.  385  (Overbeck  1642)  erwähnten  Bildes 
der  Herakliden,  welche  die  Athener  um  Hilfe  anflehen  —  also  %«)S?.  Nikias  ist,  wie 
0.  Müller  ')  bemerkt  hat,  wegen  der  Demetr.  ir.  sp(i.T,veiac  76  (Ov.  1825)  erwähnten 
tTTTtofiaxiai  und  vaujiK/t'ai,  natürlich  athenischer  Siege,  angeführt.  Von  Asklepio- 
doros  kennen  wir  kein  Bild,  auf  das  angespielt  sein  könnte:  er  war  ein  Meister, 
der  zu  seiner  Zeit  geschätzt,  der  späteren  offenbar  keine  lebendige  Größe  mehr  war: 
ein  Zeichen,  daß  hier  kein  triviales  Wissen  vorliegt.  Zu  den  (j-cpaTTj^oi  hat  Müller 
richtig  verglichen  die  Nachricht  des  Plinius  (35,  57),  daß  Panaenus  frater  Phidiae 
im  Bild  der  Schlacht  von  Marathon  .  .  .  iconicos  duces  gemalt  habe.  Man  hat 
daraus  geschlossen,  daß  bei  Plutarch  Panainos  in  Pleistainetos  verschrieben  oder 
versehen  sei.  Beides  ist  kaum  denkbar.  Wie  soll  der  seltene,  aber  richtige 
Name*)  aus  dem  bekannteren  durch  ein  Versehen  entstanden  sein.?  Nein,  die 
gute  Überlieferung  bei  Plutarch  belehrt  uns,  daß  der  Bruder  des  Phidias,  also  der 
Vater  des  Panainos,  Pleistainetos  geheißen  hat.  Er  hat  die  attischen  Feldherren, 
den  athenischen  Sieg  verherrlicht,  Pleistainetos  ist  der  Meister  der  Marathon- 
schlacht in  der  Poikile.  Daß  er  an  mehreren  Stellen  (Paus.  V  11,  6,  Plin.  35,  57)  mit 
dem  berühmteren  Panainos  verwechselt  ist,  kann  nicht  auffallen.  In  der  populären 
Tradition  aber  ist  der  Künstler  als  Meister  der  Marathonschlacht  schon  im  IV. 
Jahrhundert  verdrängt  worden  durch  Mikons).  Sogar  der  Name  des  Polygnot 
als  des  berühmtesten  in  der  Poikile  beschäftigten  Künstlers  dringt  ein  4). 


')  Kunstarchäol.  Werke  2,  5  A.  3.  3)  Klein,    J.    d.   I.   XXXIII  1918,   20  ff. 

')  Bechtel,   Die   bist.   Personennamen   d.   Griechen  4)  Aelian    nat.    anim.  VII  38.     Von  Klein  a.a.O. 

26  (=  Dittenberger  Syll  .3    389,3  [282  v.  Chr.]);  mißverstanden. 

vgl.   a.   Pleistainos,    Kirchner  Pros.   Att.  11  863. 


IC2  Georg  Lippold,  Zur  griechischen  KOnstlergeschichte. 

Polygnot,  Mikon,  Pleistainetos  haben  wahrscheinlich  ungefähr  gleichzeitig  die 
Stoa  des  Peisianax  ')  ausgemalt  *). 

Der  Ruhm  des  jüngeren  Malers,  desPanainos,  knüpft  sich  an  seine  Zusammen- 
arbeit mit  Phidias  in  Olympia,  seine  Tätigkeit  in  Elis.  Für  diese  hat  Plinius  gute 
Nachrichten.  Er  berichtet  36,  177  von  dem  Wandbelag,  dem  tectorium,  das  Pa- 
nainos  im  Athenatempel  verwandte  und  nennt  35,  54  den  wahren  Meister  des  Kult- 
bildes, Kolotes,  während  Pausanias  VI  26,  3  den  populären  Namen  des  Phidias  bietet. 
Die  Notiz  bringt  Plinius  gelegentlich  einer  Polemik  gegen  die  griechischen  Kunst- 
schriftsteller, welche  • —  im  Gegensatz  zur  Plastik  - —  eine  Malerei  erst  von  420  an 
gelten  ließen  'cum  et  Phidiam  ipsum  initio  pictorem  fuisse  tradatur  .  .  .  prae- 
terea  in  confesso  sit  octagesima  tertia  (448)  fuisse  fratrem  eins  Panaenum  qui  clipeum 
intus  pinxit  Elide  Minervae  quam  fecerat  Colotes  discipulus  Phidiae  et  ei  in  facienda 
love  Olympio  adiutor.  Gegenüber  der  gewöhnlichen  Annahme  3),  Panainos  sei  nach 
Phidias  (vgl.  Plin.  34,  49;  36,  15)  datiert,  habe  ich  gelegentlich  (P-W  s.  v.  Kolotes 
Nr.  2  XI  II 22,  60)  darauf  hingewiesen,  daß  eher  für  die  Athena  von  Elis  ein  urkund- 
liches Datum  vorgelegen  hat.  Wonach  soll  Phidias  auf  448  datiert  sein.?  Weder 
der  Beginn  des  Parthenon  noch  die  keineswegs  sicher  447  anzusetzende  Lemnia 
geben  sichere  Daten.  Das  naheliegende  wäre  doch  Ol.  35,  438,  das  bekannte 
Datum  der  Parthenos  gewesen:  Plinius  sucht  aber  einen  möglichst  frühen  Zeit- 
ansatz, findet  den  448  für  Panainos  und  übernimmt  ihn  dann  auch  für  den  »Bruder«. 
Dann  wäre  448  die  Tätigkeit  des  Kolotes  und  Panainos  in  Elis  bezeugt.  Beide 
sind  Mitarbeiter  des  Phidias  am  Zeus  von  Olympia.  Also  wäre  auch  dieser  schon 
um  diese  Zeit  geschaffen  worden .-'      Also  der  Zeus  vor  der  Parthenos.? 

2.   Das   Ende    des    Phidias. 

Zu  all  den  vielen  Erörterungen  über  den  Prozeß  des  Phidias  4)  nur  ein  paar 
Worte;  denn  auch  Frickenhaus  und  Rosenberg  haben  eine  Entscheidung  nicht 
gegeben.     Wir  haben  zwei  einander  ausschließende  Berichte. 

a)  Plutarch  Perikles  13: 

. . .  ili  ih  8E3(»u>n^piov  dira5(8st?  iTeXeuTijas  voar^aa;  |  d»s  8e  «paoiv  eviot,  ^ ap[i.<xxot;, 
ItA  Siaßo).^  Toü  flsptxXeou;  twv  ly^&ptüv  uapooxeuaoavxtov. 

')  Pfuhl,    Malerei   637    schlieft   (einer   Vermutung  die  dann  auch  offiziell  gebraucht  wurde   (I.  G. 

von   Robert,    Marathonschlacht   8    folgend),    da  11  778  B  5  vgl.  Busolt  Gr.  Gesch.  III  i,  364). 

die  Halle  zunächst  die  peisianakteische,    später  ')  Auf  die  Chronologie  will  ich  hier  nicht  eingehen 

nach    den   Gemälden   die   bunte   geheißen  habe,  (vgl.    Pfuhl    637);    ich    halte    es  durchaus  für 

müsse    ein  zur  Einbürgerung  des  ersten  Namens  möglich,  daß  die  Schlacht  von  Oinoe  (456)  später 

ausreichender  Zwischenraum    zwischen  Erbauung  den    »kimonischen«   Bildern,    die    man  doch  am 

und  Bemalung  gelegen  haben;  natürlich  ein  Trug-  liebsten    vor    461     setzen    möchte,    hinzugefügt 

Schluß:  die  Halle  kann  sofort  nach  der  Erbauung  worden  ist. 

ausgemalt  sein  und  doch  den  Namen  des  Peisianax  3)   So  Frickenhaus  J.  d.  I.  XXVIII  1913,349  Anra.  2. 

weitergeführt    haben,    bis    dieser    verblaßt    war  4)   Scholl,  Sitz. -Her.  bayr.  Ak.  1888,  i  ff. —  Fricken- 

und   eine    populärere    Bezeichnung    durchdrang,  haus  a.  a.  0.  342  ff.  Rosenberg,  Neue  Jahrb.  35, 

1915,  205  fl.      Schrader,   Phidias  25  ff. 


Georg  Lippold,  Zur  griechischen  KttnstieTgeschicbte.  je« 

b)  Philochoros    (Schol.   Arist.   Pax.   605)   zum   J.  438: 

....  expi&ij  xal  (pu^tov  8t;  ^HXtv  Ip^oXaßfjaai  t6  aYaXfia  toü  Aiö;  tou  iv  'OXu|i.itta 
XsYStai,  "CiUTO  5s  djepfaaa'jievo?  äico&avsrv  uito  'HXet'wv. 

Frickenhaus  klärt  den  Widerspruch  sehr  einfach  auf:  Plutarch  hat  sich  ver- 
sehen; aber  eine  solche  Auskunft  ist  ein  Gewaltmittel,  das  man  nie  ohne  zwingenden 
Grund  anwenden  soll.     Vergleichen  wir  die  Nachrichten  unbefangen. 

Bei  Plutarch  eine  einfache,  vollkommen  logische  Entwicklung:  Phidias  wird 
verurteilt,  natürlich  mindestens  zum  Ersatz  des  Veruntreuten,  kann  nicht  zahlen, 
wird   im  Gefängnis  gehalten,  wo  er  stirbt. 

Bei  Philochoros  Verurteilung  zur  Verbannung  (oder  Flucht),  Übernahme  des 
Zeus  in  Olympia,  Tod  durch  die  Elier.  Ob  Philochoros  selbst  hierfür  neuen  Ver- 
dacht der  Veruntreuung  angegeben  hat,  wie  ihn  die  Schollen  und  Rhetoren  voraus- 
setzen, ist  zweifelhaft.  Gedacht  muß  er  daran  haben.  Diese  elische  Geschichte  ist 
nun  doch  eine  deutliche  Parallele  zum  athenischen  Prozeß,  also  unwahrscheinlich. 
Nun,  das  Unwahrscheinliche  könnte  gerade  das  Wahre  sein. 

Aber  wie  ist  dann  die  plutarchische  Version  entstanden.?  Frickenhaus  muß 
nicht  nur  die  Beziehung  der  Todesnachricht  auf  Athen  als  Irrtum  des  Plutarch  hin- 
stellen, sondern  auch  der  Ausgestaltung  der  Nachricht  einen  andern  Sinn  unter- 
schieben. Zugeben  muß  er,  daß  Plutarch  in  seinen  Quellen  schon  mehr  fand,  als 
Philochoros  gab,  nämlich  Vermutungen  über  die  Todesursache.  Das  otTrodavstv 
ÜTto  'HXs('u)v  habe  man  umgedeutet  als  Tod  durch  Krankheit  oder  Gift.  Aber  konnte 
man  auf  den  Gedanken  kommen,  die  Elier  hätten  Phidias  vergiftet .-"  Das  war  doch 
keine  legale  Strafe  für  Veruntreuung.  In  Athen  dagegen  konnte  man  die  Vergiftung 
als  Intrigue  gegen  Perikles  erfinden.  Wer  also  diese  Version  —  daß  sie  nicht  der 
Wahrheit  entspricht,  wollen  wir  gern  glauben  —  aufstellte,  mußte  den  Tod  des 
Phidias  in  Athen  annehmen.  Natürlich  stammt  auch  die  Begründung  der  Ver- 
giftung nicht  von  Plutarch,  sondern  von  dem,  der  die  Vergiftung  erfunden  hat: 
für  diesen  war  der  Tod  in  Athen  überliefert.  Das  ist  also  kein  Versehen  des  Plutarch, 
sondern  eine  Tradition,  die  der  vom  Tod  in  Elis  ernsthaft  gegenübersteht. 

Kann  sie  aus  dieser  umgebildet  sein?  Wenn  der  Tod  in  Elis  überliefert  war, 
wer  hatte  ein  Interesse,  das  Ende  nach  Athen  zu  verlegen,  die  Elier  vom  Odium 
der  Schuld  am  Tode  des  größten  Bildhauers  zu  befreien.? 

Diese  Frage  führt  von  selbst  auf  die  Lösung.  Eine  elierfreundliche,  athener- 
feindliche Tendenz  wird  man  bei  keinem  für  die  Tradition  maßgebenden  Autor 
annehmen  wollen.  Aber  umgekehrt:  bestand  die  Überlieferung  vom  Tode  des 
Phidias  in  Athen,  so  hatten  die  Athener  das  größte  Interesse,  das  Odium  abzuwälzen. 
Athen  hatte  viel  Einfluß  auf  die  Tradition.  Vor  allem  aber  war  Philochoros  Athener, 
er,  der  den  Tod  uui  'HXetmv  erzählt  hat.  Als  tendenziöse  patriotische  Entstellung 
ist  die  Nachricht  wohl  zu  begreifen.  Aber  bei  Philochoros.''  »Daß  Phidias  in  Elis 
noch  einmal  .  .  .  bezichtigt  wurde  und  durch  die  Eleer  starb,  müssen  wir  auf  die 
Autorität  des  Philochoros  hin  einfach  als  Überlieferung  hinnehmen.«  (Frickenhaus 


ICA  Georg  Lippold,  Zur  griechischen  Kfinstlergeschichte. 


344).  Warum?  Daß  Philochoros,  wo  es  sich  um  Erklärungen  von  Einrich- 
tungen, Bräuchen  usw.  handelt,  mit  Autoschediasmen  schnell  bei  der  Hand  ist,  ist 
anerkannt.  Hat  er  es  mit  der  historischen  Wahrheit  genauer  genommen?  Seine 
Angaben  historischer  Art,  wie  wir  sie  namentlich  aus  des  Didymos  Demosthenes- 
kommentar  kennen,  machen  in  ihrer  knappen  Sachlichkeit  ja  einen  vorzüglichen 
Eindruck.  Aber  von  Tendenz  sind  sie  doch  nicht  frei.  So  findet  sich  bei  Didymos 
über  den  Streit  mit  Megara  um  die  'Opfot?  [Did.  13,  46  ff.]  von  Philochoros  eine 
tendenziös  athenische,  von  Androtion  eine  megarerfreundliche  Version  angeführt'). 

Noch  bezeichnender  aber  ist  fr.  iio  (Schol.  Aristoph.  Lysistr.  1094).  Hier  wird 
der  Hermokopidenfrevel  gegen  Thukydides  und  alle  andern  Zeugen  den  Korinthern 
zugeschoben.  Leider  ist  die  Stelle  nicht  im  Wortlaut  erhalten,  aber  die  Tendenz 
ist  ganz  offenbar,  die  Athener  von  diesem  Sakrileg  zu  reinigen.  Es  sind  Fragen 
gerade  der  Religion  und  Pietät,  die  dem  Seher  Philochoros  besonders  am  Herzen  lagen 
und  wo  er  besonders  Interesse  hatte,  die  Athener  reinzuwaschen.  Der  Tod  des 
Phidias  im  Gefängnis  mußte  als  ganz  krasser  Fall  des  Undanks  gelten. 

Wir  erkennen  also  in  der  Nachricht,  daß  Phidias  in  Athen  gestorben  ist,  die 
ältere,  bessere  Tradition,  wenn  wir  auch  ihre  erste  Quelle  —  eine  Urkunde  konnte 
dafür  nicht  gut  vorhanden  sein  ■ —  nicht  kennen.  Natürlich  hat  Philochoros  seine 
Version,  für  die  er  durch  Xs-^siai  die  Verantwortung  nicht  voll  übernimmt,  nur 
ganz  kurz  gegeben  uit6  'H).siu)v:  der  Leser  konnte  es  sich  dann  selbst  ausmalen  — 
und  hat  es  auch  getan  ■ — ,  wie  Phidias  umgekommen  war. 

Wer  dem  Philochoros  die  Flucht  nach  Elis  glaubt,  muß  auch  die  Tötung 
durch  die  Elier  glauben.  Dann  ist  aber  die  Existenz  der  olympischen  Phaidynten 
aus  dem  Geschlecht  des  Phidias  nicht  ein  Argument  für  =  ),  sondern  gegen  die  Version 
vom  Tod  in  Elis.  Wenn  Phidias  in  Athen  in  Schande  umkam,  war  es  natürlich, 
daß  die  Familie  auswanderte,  daß  sie  von  den  Eliern,  die  im  Anfang  des  peloponne- 
sischen  Krieges  athenerfeindlich  waren,  aufgenommen  und  ostentativ  geehrt  wurde. 
Etwas  anderes  wäre  es  schon  gewesen,  wenn  sie  einem  Künstler,  der  wegen  Verun- 
treuung bei  einem  Goldelfenbeinwerk  verurteilt  war,  gleich  wieder  ein  solches  über- 
tragen hätten. 

Der  Künstler  hätte  auch  kaum  Veranlassung  gehabt  —  wenn  es  auch  nicht 
undenkbar  ist  —  sich  in  der  Inschrift  des  Zeus  stolz  als  Athener  zu  bekennen:  er 
hätte  ja  wohl  das  elische  Bürgerrecht  bekommen  und  sich  dann  Elier  genannt.  Und 
wäre  er  in  Elis  von  neuem  verurteilt  und  getötet  worden,  so  wären  seine  Nachkommen 
gewiß  nicht  dort  geblieben,  hätten  die  Elier  sie  sicher  nicht  mit  der  Pflege  des  Zeus- 
bildes beauftragt. 

Auch  wenn  man  den  Prozeß  nicht  mehr  —  was  möglich  bleibt  —  bis  432  hin- 
unterrücken will,  einige  Jahre  wird  es  gedauert  haben,  bis  er  eingeleitet  und  die 
Verhandlungen  beendet  waren  3).     Dann  bleibt  aber  für  den  Zeus  zu  wenig  Zeit 


')  Vgl.  Keil  ed.  min.  p.  56.  daß  die  Anklage  wegen  Veruntreuung  nicht  auf 

-)  Wie  zuletzt  Wolters,  Springer-Michaelis"  264  be-  Grund  der   Rechnungsprüfung  erfolgte,   sondern 

hauptet.     Richtiger  Schrader  29.  auf   der    Selbstbezichtigung   eines   Gehilfen,    die 

3)  G.  Körte,  J.d.  I.  XXXI  1916,  281  bemerkt  richtig,  erst   später   erfolgt   ist,   beruhte. 


Georg  Lippold,  Zur  griechischen  KUnstlergeschichte.  j  c  c 


Übrig.     Denn  436  war  er  anscheinend  schon  nahezu  vollendet,  wofür  die  Pantarkes- 
geschichte  zeugt:    436  siegte  Pantarkes  von  Elis  im  Knabenringkampf  in  Olympia. 
riavTapxYj?  xaXos  stand  auf  einem  Finger  des  Zeus. 

Das  sind  die  urkundlichen  Nachrichten;  alles  andere,  was  daran  geknüpft 
ist,  sind  Kombinationen.  Als  das  Wahrscheinlichste  ergibt  sich,  daß  eben  436, 
als  Pantarkes  in  Olympia  gefeiert  wurde,  jemand  den  Namen  am  Zeus  aufschrieb. 
Der  Finger  war  schon  fertig,  aber  an  der  Statue  wurde  noch  gearbeitet,  sonst  wäre 
der  Finger  kaum  zugänglich  gewesen.  Es  mögen  das  Arbeiten  gewesen  sein,  bei 
denen  Phidias  selbst  nichts  mehr  zu  tun  hatte;  immerhin  kann  seine  Tätigkeit  nicht 
allzulange  vorher  abgeschlossen  gewesen  sein.  Kommen  wir  dann  nicht  in  Konflikt 
mit  der  Parthenos.''  Ich  glaube,  es  hat  keine  Schwierigkeit  anzunehmen,  daß  an 
der  Parthenos  und  am  Zeus  gleichzeitig  gearbeitet  wurde.  Die  Beschaffung  der 
Materialien,  die  architektonische  Gestaltung  der  Plätze  für  die  Statuen,  die  Aus- 
führung und  der  Aufbau  der  Kolosse  erforderte  so  viele  Tätigkeit  von  Mitarbeitern 
und  Gehilfen,  war  so  viel  äußerlichen  Unterbrechungen  ausgesetzt,  daß  Phidias 
gar  nicht  die  ganze  Zeit  für  ein  Werk  in  Anspruch  genommen  sein  konnte.  Er  hatte 
auf  der  Akropolis  so  gut  sein  ip-^cns-zrjpiov  wie  in  Olympia.  Und  dort  hatte 
er  Kolotes  und  Panainos  als  Mitarbeiter.  Damit  würde  sich  gut  vereinigen  lassen, 
daß  wie  oben  angenommen,  schon  um  448  der  Zeus  in  Arbeit  war.  Aber  sei  dem 
so  oder  nicht  —  nach  438  kann  Phidias  den  Zeus  nicht  übernommen  und  vollendet 
haben,  denn  nach  der  allein  glaubwürdigen  Tradition  ist  er  in  dem  auf  die  Voll- 
lendung  der  Athena  folgenden  Prozeß  nicht  allein  verurteilt  worden,  er  hat  auch 
in  Athen  im  Gefängnis  geendet. 

3.    Praxiteles    und    Phryne. 

Die  Chronologie  des  Praxiteles  ist  soeben  von  Pomtow ')  wieder  behandelt 
worden.     Seine   Darlegungen  sind  jedoch   in  mehreren   Punkten   anfechtbar. 

Zunächst  wiederholt  er  die  längst  widerlegte  Vermutung '),  daß  Praxiteles 
der  Bruder  des  älteren  Kephisodot  gewesen  sei.  Phokions  erste  Frau  war  die  Schwester 
des  Kephisodot:  wäre  der  des  Praxiteles  Bruder  gewesen,  so  hätte  man  sie  eben 
als  Schwester  des  Praxiteles  bezeichnet.  Es  bleibt  immer  noch  am  wahrscheinlichsten, 
daß  Kephisodot  der  Vater  des  Praxiteles  gewesen  ist. 

Dann  weist  Pomtow  darauf  hin,  daß  die  delphische  Statue  der  Phryne  kaum 
nach  372,  wo  der  Tempelplatz  mit  Schutt  und  Gerüsten  bedeckt  war,  keinesfalls 
aber  zur  Zeit  des  heiligen  Krieges  358 — 345  errichtet  sein  könne.  Also  kommt  nur 
die  Zeit  vor  372  oder  nach  345  in  Betracht.     Pomtow  entscheidet  sich  für  ersteres. 

372  wurde  Thespiae,  die  Heimat  der  Phryne,  zerstört  und  erst  nach  338  wieder 
aufgebaut.  In  Thespiae  standen  Eros,  Phryne  und  Aphrodite  von  der  Hand  des 
Praxiteles.  Die  Aufstellung  von  Statuen  in  der  zerstörten  Stadt  sei  gänzlich  unwahr- 
scheinlich.  Also  sei,  da  338  entschieden  zu  spät  sei  für  die  thespische  und  damit  für 

■)  J.   d.   I.   XXXVII  1922,   109  f.  ')  Vgl.  zuletzt  P-W.  s.  v.  Kephisodotos  8  (XI  232), 


]  eg  Geoig  Lippold,  Zur  griechischen  Kttnstlergeschichte. 

die  delphische  Phryne,  nur  das  Datum  vor  372  denkbar.  Pomtow  folgt  hier  Klein, 
der  aber  Furtwänglers  Ausführungen  keineswegs  widerlegt  hat:  Phryne  stammt 
aus  Thespiae,  hat  aber  ihr  Leben  in  Athen  verbracht.  Sie  ist  also  vor  372  geboren, 
kann  aber  schon  als  kleines  Kind  mit  ihrer  Familie  geflüchtet  sein.  Bei  der  Zer- 
störung der  Stadt  blieben  die  Tempel  wohl  erhalten,  waren  jedenfalls  für  die  zurück- 
gebliebenen Bewohner  nach  wie  vor  Kultstätten.  Von  den  Einwohnern  hatte  frei- 
lich in  dieser  Zeit  niemand  Mittel,  eine  Statue  zu  weihen,  aber  vertriebenen  Thes- 
piern  war  es  doch  wohl  nicht  verwehrt,  den  heimischen  Göttern  Geschenke  zu  machen. 
Gerade  solche,  die  auswärts  wieder  Vermögen  erworben  hatten,  werden  sich  des 
Elendes  ihrer  Vaterstadt  erinnert  haben. 

Ferner  meint  Pomtow  mit  Klein,  daß  die  Phrynebilder  aus  dem  »Liebes- 
frühling« des  Künstlers  und  der  Hetäre  herrühren  müßten.  Was  wissen  wir  denn 
von  diesem  Liebesfrühling?  Alles  was  in  unserer  »Überlieferung«  darüber  vorkommt, 
wird  ja  niemand  ernst  nehmen.  Aber  was  gibt  es  überhaupt  von  glaubwürdigen 
Zeugnissen.''  Das  Epigramm  des  thespischen  Eros,  in  dem  Praxiteles  seine  Liebe 
bekennt,  ist,  wie  Benndorf ')  nachgewiesen  hat,  wenn  überhaupt,  erst  später  auf  die 
Basis  geschrieben  worden.  Zu  seiner  Datierung  haben  wir  keinen  festen  Anhalt.  Von 
den  Nachahmungen  ist  keine  vor  die  Kaiserzeit  datiert '). 

Als  weitere  Ausmalung  erscheint  schon  die  Nachricht  (Athen.  XIII  591  B), 
Praxiteles  habe  Phryne  zwischen  dem  Eros  und  dem  Satyr  der  Tripodenstraße  wählen 
lassen,  während  doch  gewiß  der  Eros  für  seinen  alten  Kultort  Thespiae,  der  Satyr 
für  ein  dionysisches  Weihgeschenk  von  vornherein  bestimmt  war:  es  sollte  eben  die 
Wahl  zwischen  zwei  der  berühmtesten  Werke  die  Liebe  des  Praxiteles  veranschau- 
lichen; man  dachte  sich,  er  habe  solche  Werke  ohne  Auftrag  gemacht,  lange  in  seinem 
Atelier  herumstehen  gehabt.  Bei  Pausanias  I  20,  i  lesen  wir  dann  die  Anekdote  von 
der  List,  mit  der  Phryne  entdeckt,  daß  der  Künstler  Eros  und  Satyr  für  seine  besten 
Werke  hält.     Das  sind  alles  Geschichten  von  sehr  zweifelhafter  Glaubwürdigkeit. 

Aber  selbst  der  Grund,  auf  dem  sie  basieren,  die  Weihung  des  thespischen 
Eros  durch  Phryne,  ist  sehr  unsicher.  Denn  ein  sonst  gut  unterrichteter  Zeuge,  Stra- 
bon  (IX  410),  nennt  als  Weihende  gar  nicht  Phryne,  sondern  Glykera.  Allerdings 
ist  eine  Hetäre  Glykera  sonst  mit  einem  andern  Künstler,  mit  Pausias  verbunden. 
Aber  der  Name  ist  überhaupt  bei  Hetären  verbreitet  3),  sodaß  kein  Grund  vorliegt, 
bei  Strabon  eine  Verwechslung  anzunehmen.  Im  Gegenteil,  der  Name  der  Phryne 
ist  einer  von  den  ganz  großen,  welche  die  andern  verdrängen.  Praxiteles  hatte  die 
Phryne  von  Thespiae  gemacht,  eine  Hetäre  aus  Thespiae  den  Eros  daneben  geweiht  — 
natürlich  meinte  man,  wieder  die  Phryne. 

Wie  dieses,  muß  ein  anderes  Zeugnis  für  den  »Liebesfrühling«  ausscheiden. 
Phryne  war  das  Modell  für  die  knidische  Aphrodite  nach  einer  Notiz  bei  Athen.  XIII 
591,  die  der  Nachricht  über  den  thespischen  Eros  vorangeht  und  angereiht  ist  an  die 

')  De  anthol.  Gr.  epigr.  25.    Die  langatmigen  Aus-       =)  Vgl.   Reitzenstein,   Hermes  29,   238  4). 
führungen    von    Klein,    Praxiteles    219  ff.    sind       3)  Pauly-Wissowa  Suppl.  III  791,  Nr.  3  u.  4. 
keine  Widerlegung. 


Georg  Lippold,  Zur  griechischen  KUnstlergeschichte.  i  57 


Tradition,  Phryne  sei  das  Modell  der  kölschen  Aphrodite  des  Apelles  gewesen.  Darüber 
wußte  man  aber  auch  nichts  sicheres,  denn  eine  andere  Quelle  (Plin.  35,86)  nennt  als 
Vorbild  für  die  Koerin  Pankaspe  —  auf  die  man  auch  wieder  nur  kam,  weil  Pan- 
kaspe  mit  Apelles  in  einer  Anekdote  verbunden  war  (Plin.  35,  86).  Aber  die  Glaub- 
würdigkeit der  Verbindung  von  Phryne  mit  der  Knidierin  wird  man  nicht  höher 
einschätzen  wollen. 

Auch  hier  hat  wieder  der  große  mit  Praxiteles  verknüpfte  Name  gewirkt,  er 
hat  wieder  einen  andern  verdrängt:  Clemens  Protrept.  53  nennt  nach  Poseidippos 
rspt  Kvi'Sou,  also  einem  Lokalschriftsteller,  als  Modell  die  Hetäre  Kpaxivr).  Der 
Name,  wenn  auch  sonst  anscheinend  nicht  bezeugt,  bietet  keinen  Anstoß. 

Als  glaubwürdig  bleibt  nur  übrig,  daß  Praxiteles  die  beiden  Phrynestatuen 
geschaffen  hat.  Irgendwelche  »zarte«  Beziehungen  brauchen  zwischen  Hetäre  und 
Künstler  nicht  bestanden  zu  haben,  wenn  auch  ihr  Verkehr  nicht  rein  platonisch  gewesen 
sein  wird.  Praxiteles  hatte  aber  als  Familienvater  keine  Veranlassung,  davon  viel 
Aufhebens  zu  machen.  Phryne  kann  schon  über  die  erste,  sogar  über  alle  Blüte  hinaus- 
gewesen sein,  als  sie  aus  den  Schätzen,  die  sie  durch  ihre  Schönheit  erworben  hatte, 
dem  Liebesgott  ihrer  Vaterstadt  ein  Dankgeschenk  darbrachte  und  gleichzeitig  — 
der  besondere  Vorwand  ist  unbekannt  —  im  religiösen  Mittelpunkt  von  Hellas  ihre 
Statue  weihte.  Natürlich  zeigten  die  Statuen,  wie  sie  in  ihrer  Blüte  ausgesehen  hatte; 
ob  sie  aber  von  der  Schönheit  mehr  enthüllte,  als  »anständige«  Frauen,  die  ihre  Sta- 
tuen in  Heiligtümern  aufstellen  ließen,  darf  bezweifelt  werden  '). 

So  kommt  für  beide  Statuen  sehr  wohl  die  Zeit  von  345 — 338  in  Betracht. 
Auch  Pomtow  hat  wenigstens  gegen  die  Weihung  der  delphischen  Statue  in  dieser 
Zeit  keinen  weiteren  Grund  vorgebracht.  Ein  solcher  ist  nicht,  daß  dann  die  Phryne 
des  Praxiteles,  die  den  Namen  ursprünglich  trug  zeitlich  an  die  eigentlich  Mne- 
sarete  genannte  Phryne  des  Hypereides  zu  nahe  herankäme.  »Kröte«  ist  ein  Name, 
der  für  Hetären  öfter  vorgekommen  sein  wird  ^),  sich  nicht  etwa  als  Monopol  von 
»Lehrerin«  auf  »Schülerin«  vererbt  hat.    Zudem  nehmen   wir  ja  auch  an,   daß  die 

')  Die  Statue  von  Ostia,  die  Pomtow  nach  Furt-  stellt  doch  auch   der   weibliche   Kopf   eine   lite- 

wängler  auf  die  delphische  Phryne  zurückführt,  rarische  Größe  dar. 

kann  nicht  Kopie  nach  Praxiteles  sein,  da  nicht  2)  (Pp'ivn)  als  Spitzname  Arist.  Eccl.  Iioi.  Auch 
die  Ausführung,  sondern  die  ganze  Anlage  des  die  <I>p6vr),  die  zusammen  mit  andern  schon 
Gewandes  über  praxitelische  Art  hinausgeht.  vor  der  Perserzerstörung  ein  Weihgeschenk  an 
Bei  Poratows  Datierung  vor  372  wäre  der  sti-  die  Athena  der  Akropolis  aufgestellt  hat  (I.  G. 
listische  Abstand  noch  stärker.  Pomtow  hätte  I  Suppl.  p.  80,  373  5,  vgl.  Bechtel,  Personennamen 
bei  dieser  Gelegenheit  auch  die  Vermutung  von  591)  ist  verdächtig,  weil  neben  ihr  i)(Aix[pa] 
Poulsen  (Mon.  Piot  XXI  3  ff.)  erwähnen  müssen,  erscheint,  die  wir  ja  als  Hetäre  der  vorpersischen 
daß  in  einer  Doppelherme  in  Compiegne  die  Zeit  kennen  (Furtw.-Reinh.  T.  63,  Klein,  Lieb- 
Porträts  von  Phryne  und  Hypereides  (weitere  lingsinstr.  76).  Daß  «Ppävo;  gerade  in  Thespiac 
Wiederholung:  Poulsen  Danske  Vid.  Selsk.  Medd.  (Bechtel  587,  Verlustliste  wohl  von  Delion  424)  als 
IV  I,  4ff. ;  die  Zweifel  von  Poulsen,  ob  Benn-  regulärer  Name  vorkommt,  beweist  nichts,  da 
dorfs  »Piaton«  Ost.  Jhr.  II  Taf.  IV  Replik  sei,  der  Mannsname  auch  z.  B.  in  Attika  öfter  belegt 
sind  ganz  unbegründet)  vereinigt  seien,  wenn  auch  ist  (Kirchner,  Pros.  att.  15025 — 28).  Also  hat 
hier  der  Beweis  nicht  zwingend  ist.  Vielleicht  doch  vielleicht  auch  Phryne  bei  der  Geburt 
einen  weniger  anzüglichen  Namen  erhalten;  denn    ehelicher  Abkunft  ist  sie  gewesen. 


I  e8  Friedrich  Wacbtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendscbirli  (Samal). 

Phryne  des  Praxiteles  schon  ihre  Zeit  hinter  sich  hatte,  als  die  jüngere  blühte  — ■  aber 
es  ist  hier  nicht  beabsichtigt,  aus  dem  Anekdotengewirre  über  die  Hetären  mehr 
herausholen  zu  wollen. 

Für  Praxiteles  bleibt  es  dabei,  daß  wir  kein  Zeugnis  haben,  daß  er  schon  zur 
Zeit,  in  die  Plinius  den  älteren  Kephisodot  setzt  (372),  tätig  gewesen  sei,  andererseits 
muß  er  bis  unmittelbar  vor  Alexanders  Regierung  gelebt  haben. 

Erlangen.  •  Georg     Lippold. 


DIE    BAUGESCHICHTE    VON    SENDSCHIRLI     (SAMAL). 

Die  Baugeschichte  von  Sendschirli,  wie  sie  Robert  Koldewey  in  seinen 
Ausgrabungsberichten  ')  zusammengestellt  hat,  ist  von  der  Wissenschaft  mehr  oder 
weniger  stillschweigend  anerkannt  worden,  wenn  auch  hie  und  da  einzelne  Bedenken 
aufgetreten  sind.  Erst  im  Jahre  1921  ist  F.  Oelmann  mit  seinem  Aufsatz  »Zur 
Baugeschichte  von  Sendschirli«  2)  der  Koldeweyschen  Auffassung  entgegengetreten 
und  hat  eine  beachtenswerte  Umdatierung  der  Entstehungszeit  der  Bauten  vor- 
genommen. 

Ich  meinerseits  kann  mich  keiner  des  gebotenen  Darstellungen  bedingungslos  an- 
schließen. Daß  Koldewey  mit  seiner  Datierung  m.  E.  nicht  das  Richtige  getroffen 
hat,  ist  hauptsächlich  der  damals  noch  unvollendeten  Grabung  zuzuschreiben.  Oel- 
manns  Fehlschluß  hängt  wiederum  damit  zusammen,  daß  er  die  technisch-kon- 
struktiven Grabungsbefunde  zu  sehr  in  den  Hintergrund  rückt,  ja  sie  sogar  oft 
ganz  außer  acht  läßt.  Trotzdem  die  Unterlagen  für  die  Koldeweysche  Zeitangabe 
in  den  Grabungsberichten  und  im  Oelmannschen  Aufsatz  zu  finden  sind,  sollen  sie 
von  mir  der  besseren  Übersicht  wegen  hier  nochmals  wiedergegeben  werden;  an- 
schließend setze  ich  dann  die  Auffassung  Oelmanns  entgegen. 

Koldewey  faßt  nach  der  Ausführungsart  des  Mauerwerks  sämtliche  Gebäude 
Sendschirlis  zu  bestimmten  Gruppen  zusammen  und  erreicht  dadurch  eine  relative 
Zeitbestimmung.     Nach  seinen  Beobachtungen  unterscheiden  wir: 

1.  Gebäude,  welche  einen  großen  Balkenrost  mit  zwischengelegten  Stein- 
schichten verwenden.  Es  gehören  zu  ihnen  die  innere  Stadtmauer,  die 
innere  und  äußere  Burgmauer,  die  Quermauer,  die  Vormauer  vor  dem  alten 
Hilani  I  und  wahrscheinlich  das  Hilani  I,  dessen  Rostschicht  allerdings 
nicht  festzustellen  war; 

2.  Gebäude  mit  einem  Balkenrost,  jedoch  ohne  Steinreihen  dazwischen;  fest- 
stellbar am  Hilani  HI,  am  nördlichen  Hallenbau  und  wahrscheinlich  am 
Hilani  11; 

')  R.    Koldewey,  Ausgrabungen  in   Sendschirli   II,       ')  F.  Oelmann,  Zur  Baugeschichte  von  Sendschirli, 
Berlin    1898.      Mitt.    aus    d.    oriental.  Samml.  J.    d.    I.  XXXVI  192:,  85  ff. 

Heft  XII  172  ff. 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Bau^eschichte  von  Sendscbirli  (Samal).  icg 

3.  Gebäude,  welche  keinen  wahrnehmbaren  oder  vielleicht  nur  einen  ein- 
fachen Bretterrost  gehabt  haben.  Zu  dieser  Gruppe  wären  die  Kasematten, 
der  obere  Palast,  mit  den  Gebäuden  nördlich  davon,  und  wahrscheinlich 
die  äußere  Stadtmauer  zu  zählen. 

Die  I.  Gruppe  setzt  Koldewey  in  das  13.  Jahrhundert  v.  Chr.     Über  die  Un 
Sicherheit  seiner  Schätzung  ist  er  sich  voll  und  ganz  bewußt;  er  gibt  sogar  die  Mög 
lichkeit  zu,  daß  Puchstein  mit  dem  Heraufrücken  der  Entstehungszeit  in  das  10 
und  9.  Jahrhundert  unter  Umständen  recht  hat.     Puchstein  fußt  mit  seiner  Zeit 
ansetzung  auf  der  Eigenart  der  Ausführung  und  Darstellung  der  Burgtorreliefs  ') 
Eine  sichere  Datierung  konnte  Koldewey  für  die  Gruppe  2  geben,  und  zwar  durch 
die  Auffindung  des  Orthostaten  mit  der  Bauinschrift  Barrekubs,  der  sich  »Knecht 
desTiglatpileser«  nennt=).  Es  handelt  sich  in  diesem  Falle  um  Tiglatpileser  IV.  (III.  )3) 
(746 — 12"/),  der  den  König  von  Samal    in    ein  Abhängigkeitsverhältnis  bringt  und 
tributpflichtig  macht  4).     Die  Zeitbestimmung  der  3.  Gebäudegruppe  beruhte  auf 
einer  kritischen  Beobachtung  des  Grabungsbefundes.    Mit  scharfem  Blick  hat  Kolde- 
wey in  den  zahlreich  auftretenden  Brandspuren  eine  absichtliche  Brandlegung  fest- 
gestellt.     Er   bringt    sie    mit  der  Eroberung  und  Vernichtung  Sendschirlis  durch 
Asarhaddon,  König  von  Assyrien  (681 — 668),  zusammen.     Die  Stadt  ist  dann  an- 
schließend von  ihm  selbst  wieder  aufgerichtet  worden,  was  durch  die  im  äußeren 
Burgtor  aufgefundene  Stele  bezeugt  wird.     In  diese  Zeit  sind  die  Bauten  zu  setzen, 
die  Koldewey  in  der  3-  Gruppe  genannt  hat.     Für  die  relative  Zeitbestimmung,  die 
der  soeben  besprochenen  vorausgeschickt  wurde,  waren  Feststellungen  technischer 
Art  maßgebend. 

Die  nun  folgende  Oelmannsche  Datierung  gebe  ich  nur  in  kurzen  Andeutungen 
wieder,  da  ich  im  Laufe  des  Textes  des  öfteren  darauf  werde  zurückkommen  müssen. 
Die  Baugeschichte  lautet  nach  seinen  Ausführungen  folgendermaßen: 

Doppelhaus  J4— 14,  die  Gebäudegruppe  ^-6  und 
vielleicht  Li_3  an  der  Burgmauer,  die  Burgmauer 
(älteste  Teile)  und  äußeres  Burgtor. 


Mitte      oder      l.     Hälfte     des 
9.  Jahrhunderts  v.  Chr. 


_        ,  ,  T.    ,        r^  ]  2.  Hälfte   des   9.  Jahrhunderts 

Bau  J.-3  und  Torbau  Q.  j  (^alamu-Zeit). 

Vielleicht  inneres  Burgtor  und  Hilani  I,  sonst  keine  \  Um    800   (Zeit  des  Karal  und 
Bauten.  |  des   älteren  Panammu). 

Hilani  III,  Palasthof  davor  in  älterer  Gestalt  (Typus  ]  Zeit     des    Bar     Sur    und    des 
Saktsche-Gözü).  )  jüngeren  Panammu. 


')Otto  Puchstein,  Pseudohethitische  Kunst,  Berlin  Berlin  191 1,   377   ff.;    F.    Oelmann    a.a.O.   94; 

1890.  Teilübersetzung. 

=)  Veröffentlichung  der  Bauinschrift  :E.  Sachau,  Sitz.-  3)  E.    F.    Weidner,   Neue    Königslistcn   aus  Assur, 

Ber.    d.   Akad.    d.   Wiss.,    phil.-hist.    Kl.    Berlin  Mitteil.  d.  D.  O.  G.   Berlin     1917,     Heft  58,    21. 

1896,      1051    ff.;     Koldewey,     a.    a.    O.       168;  4)  Keilinschriftliche  Bibliothek,  Berlin  1890,  Bd.    II 

F.  V.  Luschan,  Ausgrabungen  in  Sendschirli    IV,  20/21  ff.   und   30/31. 


l60  Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugesdiicbte  von  Sendschirli  (Samal). 


Gebäude     K     und      Hilani    IV  '),     die      Hallen- 
bauten P. 


Um  730 ;  vielleicht  bis  Ende 
des  8.  Jahrhunderts  (Zeit  des 
Barrekub). 


Unter    Asarhaddon     i.   J.  670. 


Großer  Brand  durch  assyrische  Eroberung,  an- 
schließend Wiederaufbau,  Hilani  H  und  der  obere 
Palast,  entweder  gleichzeitig  oder  nacheinander. 
Erneuerung  der  Burgmauer. 

Bevor  ich  zu  meinen  Ausführungen  schreite,  muß  ich  betonen,  daß  ich  mich 
derselben  Bezeichnungsweise  der  Bauten,  wie  Oelmann  sie  in  seinem  Aufsatz  ge- 
braucht hat  ^),  bedienen  werde,  und  daß  ich  auf  die  Zeichnungen  Jacobys  in  den 
»Ausgrabungen  in  Sendschirli  IV«,  Berlin  1911,  269,  Abb.  175  und  Taf.  IL,  L, 
LI  und  auf  die  Darstellung  in  Oelmanns  Aufsatz  a.  a.  O.  91,  Abb.  6  hauptsächlich 
Bezug  nehmen  werde. 

Bei  der  zeitlichen  Beurteilung  der  Entstehung  der  Bauten  Sendschirlis  haben 
an  erster  Stelle  die  Grabungsfunde  selbst  zu  sprechen.  Ich  schließe  mich  den  obigen 
Ausführungen  Koldeweys  in  betreff  der  relativen  Zeitbestimmung  an,  der  auch 
Oelmann  nichts  entgegenzusetzen  hat.  Es  gehören  demnach  zu  den  ältesten  Denk- 
mälern Sendschirlis  Gebäude,  die  einen  Balkenrost  mit  dazwischengelegten  Stein- 
schichten verwenden.  Gebäude,  an  denen  ein  Balkenrost  ohne  Steinschichten  da- 
zwischen vorkommen,  kommen  für  eine  spätere  Zeit  in  Betracht.  Der  jüngsten 
Bauepoche  sind  dagegen  Bauten  zuzuschreiben,  die  keinen  wahrnehmbaren  Rost 
oder  nur  einen  einfachen  Bretterrost  besessen  haben.  Nach  dieser  Feststellung 
haben  wir  in  jeder  Gruppe  die  Gebäude  herauszugreifen,  die  eine  absolut  feststehende 
Datierung  zulassen,  um  dann  die  Bauten,  für  deren  -Entstehungszeit  keine  Zeit- 
angabe vorhanden  ist,  auf  Grund  ihrer  gleichartigen  Konstruktionen  in  die  gleiche 
Zeitspanne  zu  setzen. 

Mit  Puchstein  und  Oelmann  komme  ich  zu  dem  Schluß,  daß  die  älteren  Teile 
der  Burgmauer  und  das  äußere  Burgtor  zu  den  ältesten  Funden  gehören  und  in  die 
I.  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  zu  verlegen  sind.  Das  innere  Stadttor  rückt  Puch- 
stein sogar  in  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts.  Alle  diese  Bauten  besitzen  einen 
Balkenrost  mit  dazwischengelegten  Schichten. 

Die  zweite  Art  der  Mauerkonstruktion,  d.  h.  die  Verwendung  des  Balkenrostes 
ohne  Steinreihen  dazwischen,  gelangt  von  den  letzten  Jahrzehnten  des  9.  bis  in  das 
8.  Jahrhundert  hinein  zur  Anwendung,  was  inschriftlich  belegt  werden  kann. 

Im  Gebäude,  das  in  den  Ausgrabungsplänen  von  Sendschirli  mit  J  bezeichnet 
wird,  konnten  Bruchstücke  eines  Leibungsorthostaten  gefunden  werden,  der  die 
nordwestliche  Eingangsseite  der  Vorhalle  geschmückt  hatte.  Die  Zusammensetzung 
der  Einzelstücke  ergab  eine  mit  Relief  geschmückte  Inschriftplatte,  die  den  Erbauer 

')   S.  .\nin.  2.  Hallenbau  einführt,  wird  in  meinen  Ausführungen 

^)  An  Stelle  der  Bezeichnung  H  IV,  die  Oelmann  K  II  erscheinen.    Die  Begründung  der  Änderung 

für   den   Gebäudekomplex    i — 3   am   nördlichen  ist  aus  dem  Text  zu  ersehen. 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (§amal).  i6l 


des  Bauwerkes  zu  erkennen  gibt.  Nach  v.  Luschan ')  beginnt  der  Text:  »Ich, 
Kalamu,  Sohn  des  Haj(ä),  König  usw.  <•;  v.  Luschan  weist  nach,  daß 
Kalamus  Vater,  Hajä,  König  von  Samal,  Sohn  des  Gabbär,  von  Salmanassar  III. 
(II.)  ^)  besiegt  und  zur  Tributieistung  gezwungen  wird.  Da  die  Regierungszeit 
Salmanassar  III.  in  die  Zeit  von  859—824  fällt,  so  ist  die  Regierunsgzeit  des  Sohnes 
seines  Zeitgenossen  in  das  Ende  des  9.  Jahrhunderts  oder  Anfang  des  8.  Jahrhunderts, 
also  um  800,  zu  setzen.  Ich  nehme  nun  im  Gegensatz  zu  Oelmann  an,  daß  die  Ent- 
stehung des  gesamten  Gebäudekomplexes  Ji-14  der  Zeit  Kalamus  zuzuschreiben 
sei.  Diese  Behauptung  fußt  auf  der  Grabungsfestellung  Jacobys,  daß  eine  gleich- 
artige Mauerkonstruktion  mit  Rost  ohne  Steinreihen  dazwischen  für  alle  Räume 
des  Gebäudes  J  werde  genommen  werden  müssen.  Mithin  ist  das  Hinunterrücken 
von  J4-I4  in  die  Mitte  oder  sogar  noch  in  die  erste  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts,  wie 
Oelmann  es  will,  nicht  berechtigt;  die  Annahme  eines  nicht  vorhandenen  Rostes 
mit  dazwischengelegten  Steinreihen  wäre  eine  unvermeidliche  Folge  gewesen.  Der 
Auffassung  Jacobys  aber3),  daß  J  4-14  einen  Erweiterungsbau  zu  Ji— 3  darstellt,  pflichte 
ich  ebenfalls  nicht  bei,  vielmehr  hat  man  m.  E.  mit  dem  Hallenbau  J14-10  begonnen. 
Die  Fortsetzung  dieses  Erstlingbaues  hat  sich  dann  über  J9  bis  Ji  ununterbrochen 
erstreckt.  Diese  fortlaufende  Bautätigkeit  erklärt  sich  aus  der  einheitlich  durch- 
gehenden Verkettung  der  Mauerzüge.  Aus  den  Aufnahmezeichnungen  ist  zu  ersehen, 
daß  einerseits  das  einheitliche  Mauerwerk  der  gesamten  Rückwand  und  der  innere 
Zusammenhang  der  Mauern  zwischen  Jn,  Jn,  J9,  Jg  und  J7,  und  andererseits  das 
Ineinanderfließen  der  Mauerzüge  zwischen  J7,  Je  und  J3  trotz  mancher  Umbauten 
den  Beweis  einer  Bautätigkeit  ohne  Unterbrechung  erbringen.  Das  Vorschieben 
der  Rückwand  von  J3  mit  trennender  Fuge  vor  den  Turm  Jio  erklärt  sich  aus  der 
Annahme,  daß  die  Raumgruppe  Ji4- 10  bereits  fertig  dagestanden  habe,  als  schließ- 
lich in  fortlaufender  Tätigkeit  die  letzten  Räume  J3-1  zur  Vollendung  gelangten. 
Die  Jacobysche  Auffassung,  daß  man  mit  Ji  den  Bau  begonnen  und  mit  J14  den- 
selben beendet  habe,  erscheint  mir  unverständlich  und  auch  unarchitektonisch,  da 
in  diesem  Falle  die  halbe  Ansicht  eines  neu  erstehenden  Turmes  hinter  einem  älteren 
Gebäudeteile  hätte  verschwinden  müssen.  Bei  meiner  Darstellung  ist  es  dagegen 
denkbar,  daß  bei  einer  Planänderung  ein  vorhandener  Gebäudeteil  ganz  oder  teil- 
weise verbaut  worden  sei. 

Der  Gesamtbau  Ji- 14  fällt  somit  der  Wende  des  9.  Jahrhunderts  zu.  Der 
nördliche  Hallenbau  (»Liwanbau«)  J14-10  steht  unter  den  Bauten  Sendschirlis  ganz 
vereinzelt  da,  läge  ihm  eine  ortsübliche  Planung  zugrunde,  so  ist  es  nicht  zu  ver- 
stehen, daß  sich  ähnliche  Lösungen  nicht  noch  an  anderer  Stelle  in  Sendschirli  ge- 
funden haben.  Die  Ausführung  Oelmanns,  daß  in  den  Bauten  L  an  der  westlichen 
Burgmauer  dieselbe,  nur  verkrüppelte,  Liwanidee  zu  erkennen  sei,  überzeugt  mich 


')  V.    Luschan,    Ausgrabungen  in    Sendschirli    IV,  Berlin  1917,    Mitteil.  d.  D.  0.  G.    Heft  58,   21, 

Berlin  191 1,  374.  nicht    mehr    Salmanassar    II.,    sondern    Salraa- 

•)  Nach  E.  F.  Weidner,  Neue  Königslisten  von  Assur,  nassar  III. 

3)  G.  Jacoby,  Ausgrabungen  in  Sendschirli  IV,  Berlin  191 1.  272. 


l62 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (Samal). 


nicht,  da  ich  in  der  willkürHchen  Aneinanderreihung  von  8 — 9  Räumen  keine 
absichtlich  regelmäßige  Planung  erblicken  kann.  Das  hohe  Alter  ist  ihnen 
auch  aus  konstruktiven  Gründen  ab- 
zusprechen, da  im  Fundament  eine 
Rostlage  ohne  dazwischengelegte 
Steinreihen  gefunden  worden  ist.  Ich 
nehme  an,  solange  nicht  an  Ort  und 
Stelle  gleiche  oder  ähnliche  Liwan- 
grundrisse  aus  derselben  oder  noch 
früherer  Zeit  zutage  gefördert  werden, 
daß  der  Liwangrundriß  ein  Fremdling 
in  Sendschirli  bleibt,  zumal  er  auch  in 
der  Folgezeit  keine  Nachahmung  ge- 
funden hat.  Das  Streben  Oelmanns, 
auch  die  Raumgruppe  J9-4  mit  einem 
weiteren  Liwanbau  in  Zusammenhang 
zu  bringen,  erscheint  mir  mißglückt, 
da  er,  wie  ich  oben  ausführte,  niemals 
als  selbständiger  Bau  zu  betrachten  sei. 
Das  Fehlen  einer  abschließenden,  selb- 
ständigen Frontmauer  sei  hier  beson- 
ders hervorgehoben. 

In  der  Raumgruppe  J3  -i  tritt  uns 
ein  zweiter  Gebäudetypus  der  Kalamu- 
Zeit  entgegen.  Es  ist  mit  Recht  von 
Oelmann  darauf  hingewiesen  worden, 
daß  dieser  Grundriß  nicht  dem  Heimat- 
boden entsprossen  ist.  In  Boghazkoi 
können  wir  das  Vorbild  kennenlernen.  Das  »Adyton«  in  den  dortigen  Tempelanlagen  ') 
ist  zum  Vergleich  mit  J3  heranzuziehen.  Dort  wie  hier  der  Schmalraum  mit  der  Ein- 
gangstür in  der  Ecke  einer  Langseite  und  mit  den  Fenstern  in  der  abgelegenen  Stirn- 
wand. Diese  Fensteranlage  erscheint  auch  im  Raum  Jj,  der  parallel  zu  J3  liegt  und 
sich  links  an  Ji  anschließt.  Vorausgreifend  betone  ich,  daß  die  ursprüngliche  Anlage 
der  Raumgruppe  J3-1  ohne  die  Mauer  Mk  zu  denken  ist,  die  sich  vor  die  Außenwand 
des  Raumes  Jj  schiebt  und  den  Raum  Gk  nach  Süd-Westen  hin  begrenzt.  Sie 
gehört,  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  einer  späteren  Bauepoche  an  (s.  unten  S.  1 65 ). 
Die  beiden  Bautypen  —  die  offene  Halle  mit  den  seitlich  anschließenden  Gemächern 
und  der  große  zur  Eingangsseite  quergelegte  Hauptraum  mit  der  vorgelagerten 
Eingangshalle   und   dem   Nebenraum    —  haben    in    der   Sendschirlier  Architektur 


Abb,  I.     »Unterer  Palast«    und  »Nordwestbezirk«    ii 

Sendschirli  (nach  F.  Oelmann,  J.  d.  I.  XXXVI   1921 

91,  Abb.  6). 


')  Eduard  Meyer,  Reich  und  Kultur  der  Chetiter, 
Berlin   1914,    20  ff.    E.  Meyer  hält  die  Anlagen 


in  Boghazkoi  für  Paläste  mit  einem  besonderen 
Kultraum. 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (Samal). 


163 


keine  weitere  Nachahmung  gefunden,  somit  stehen  sie  als  Bauten  Kalamus  einzig 
und  allein  in  ihrer  Art  in  Sendschirli  da.  Von  der  ersten  Art  —  der  Halle  —  konnten 
wir  nur  die  Vermutung  aussprechen, 
daß  ihre  Vorbilder  auswärts  zu  su- 
chen seien,  die  zweite  Ausführungs- 
art lenkte  dagegen  unsere  Blicke  auf 
Boghazkoi,  wo  wir  eine  ähnliche  Lö- 
sung fanden.  Ziehen  wir  die  archa- 
ischen Ischtartempel  in  Assur  zum 
Vergleich  heran,  so  läßt  sich  eine 
auffallende  Ähnlichkeit  zwischen  dem 
Sendschirlier  Grundriß  aus  dem  9 
Jahrhundert  und  dem  des  Ischtar 
tempels  aus  dem  Ende  des  3.  Jahr 
tausends  (D-Schicht)  feststellen  ') 
Daß  bei  einer  so  weit  auseinander 
liegenden  Entstehungszeit  der  Bau 
ten  nicht  von  einer  unmittelbaren 
Beeinflussung  die  Rede  sein  kann,  ist 
leicht  begreiflich  und  verständlich, 
trotzdem  halte  ich  einen  inneren 
Zusammenhang  für  nicht  ausge- 
schlossen ^).  In  Sendschirli  lag  der 
Hinweis  auf  Boghazkoi  nahe,  und 
doch  glaube  ich  annehmen  zu  müssen, 
daß  mit  Boghazkoi  die  Herkunfts- 
frage des  Typus  des  Kalamu- 
baues  J3-1  nicht  erschöpfend  genug 
gelöst  ist.  Über  Boghazkoi  rücken  wir  schon  um  die  beträchtliche  Zeitspanne  von 
etwa  600  Jahren  —  nämlich  von  ca.  800  bis  ca.  1400  v.  Chr.  —  der  Assurer  Bauzeit 
näher.  Boghazkoi  führt  uns  in  seinen  Tempelgrundrissen  eine  so  vollendete  und 
reife  Art  der  Grundrißlösung  vor  Augen,  daß  man  unmöglich  an  eine  Erstlings- 
lösung denken  kann.  Es  müssen  im  Hatti- Reich  oder  sonstwo  in  der  Nachbarschaft 
noch  Bauten  vorhanden  gewesen  sein,  aus  deren  Grundriß  sich  der  gediegene 
Boghazkoier  entwickelt  haben  wird.  Die  Vorbilder  oder  Vorstufen  sind  nicht  allein 
in  Kleinasien  oder  Nordsyrien,  sondern  vielleicht  in  Nordmesopotamien,  und  zwar 
im  Mitanni- Reich,  zu  suchen.  Gelänge  es  hier,  Gebäude  mit  ähnlichen  Grundrissen 
aus  dem  2. — 3.  Jahrtausend  v.  Chr.   aufzudecken,   so  hätten  wir  die  Ursache  der 


Abb.  2.     »Unterer  Palast«  und  »Nordwestbezirk« 
in  Sendschirli   (neue  Fassung). 


')  W.  Andrae,  Die  archaischen  Ischtartempel  in 
Assur,  Leipzig  1922,  39.  Wissensch.  Verüffentl. 
der  D.  O.  G. 


»)  Darüber  Näheres:  Friedrich  Wachtsmuth,  Der 
Raum.  Eine  geschichtliche  Darstellung  der  Raum- 
gestaltung und  Raumwirkung.  (In  Vorbereitung.) 


|54  Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirii  (Samal). 

Zusammenhänge  von  Assur  mit  Boghazkoi  und  Sendschirii  gefunden.  Ich  bin  mir 
des  Hypothetischen  dieser  Auffassung  bewußt,  da  aber  aus  den  gefundenen  Königs- 
listen in  Assur  von  E.  F.  Weidner ')  eine  politische  Abhängigkeit  Assyriens  vom 
Mitanni-Reich  im  3.  Jahrtausend  nachgewiesen  worden  ist,  warum  sollte  man  dann 
nicht  auch  auf  eine  baukünstlerische  schließen  können? 

Ich  stelle  nochmals  zusammenfassend  fest,  daß  die  Bauten  in  Sendschirii, 
die  dem  König  Kalamu  zuzuschreiben  sind,  uns  zwei  verschiedene  Typen  vergegen- 
wärtigen, von  denen  keiner  vorher  und  nachher  weiter  zur  Ausführung  gelangte. 
Die  fremde  Abhängigkeit  des  » Vorhallen typus«  habe  ich  oben  nachzuweisen  ver- 
sucht. Der  »Liwantypus«  könnte  desgleichen  seinen  Ursprung  in  Nordmesopotamien 
gehabt  haben,  wo  er  später  zur  reichsten  Entfaltung,  z.  B.  Hatra,  gebracht  worden  ist. 

Eine  weitere,  genaue  Bestimmung  der  Entstehunsgzeit  einzelner  Bauten  er- 
möglicht die  Bauinschrift  des  Königs  Barrekub  ^).  Wiederum  hat  v.  Luschan  mit 
Sicherheit  festgestellt,  daß  der  Orthostat,  auf  dem  sie  angebracht  ist,  dem  Bau  K 
angehört.  Aus  der  Bezeichnung  »Knecht  des  Tiglatpileser«  ist  ein  Schluß  über  die 
genaue  Entstehungszeit  zulässig.  Die  Annahme  v.  Luschans,  daß  der  Bau  K  älter 
als  der  Bau  J  sei,  ist,  wie  die  Ausführungen  zeigen  werden,  nicht  stichhaltig. 

Die  Regierungszeit  Barrekubs  zeichnet  sich  durch  eine  überaus  reiche  Bau- 
tätigkeit aus.  Außer  dem  Bau  K  sind  dieser  Zeit  der  östliche  Gebäudekomplex 
K  II 3)  am  nördhchen  Hallenbau  und  die  Hallenbauten  P  zuzuweisen.  Diese  Zeit- 
bestimmung läßt  sich  teils  durch  die  gefundene  Barrekubinschrift,  teils  durch  die 
gleichartige  Reliefdarstellung  der  in  diesen  Bauten  zutage  geförderten  Orthostaten 
belegen.  Bemerkt  sei,  daß  diese  Orthostaten,  sowohl  die  in  situ,  als  auch  die  zer- 
streut aufgefundenen,  alle  am  oberen  Rande  einen  schmalen  Streifen  zeigen,  der  von 
der  ursprünglichen  Steinfläche  Übriggebheben  ist.  Die  Gleichartigkeit  der  Mauer- 
konstruktion, d.  h.  die  Verwendung  des  Rostes  ohne  Steinreihen  dazwischen,  sei 
nochmals  erwähnt. 

Barrekub  hat  mit  seinen  Bauten  einen  neuen  Bautypus  geschaffen,  der  sich   ] 
aus  der  Verschmelzung  des  überlieferten  Kalamu- »Vorhallengrundrisses«  mit  dem 
heimischen  »Hilanigrundriß«  ergeben  hat  (s.  S.   165).  Der  Raum  Kj  entspricht  in 
seiner  Querlage,  mit  der  in  die  Ecke  verschobenen  Eingangstür  und  mit  der  durch  die    [ 
Anordnung  der  Feuerungsstätte  hervorgerufenen  Längswirkung  voll  und  ganz  dem 
Raum  Jj  des  Kalamu-Baues.     Auch  die  Anfügung  eines  weiteren  Raumes  K3  an  die    1 
Nordecke  von  Ki   könnte  gegebenenfalls  mit  der  entsprechenden  Lösung  von  J7  zu 
Jj  in  Einklang  gebracht  werden.    Diese  Ähnlichkeit  sei  nur  kurz  erwähnt,  ich  schreibe 
ihr  keineswegs  eine  Bedeutung  zu.     Die  beiden  Haupträume  J3  und  K^  stimmen  in 
ihrer  Größe   (K,  =  9,4  m  X  24,  9  m;   J3  =  8,  5—8,  65  m  x  25,  2  m)  und  Lage  voll-    ■ 
ständig  überein;  der  Aufbau  von  Ki_3  weicht  jedoch  wesentlich  von  dem  ursprüng- 
lichen Aufriß  von  ]j-i  ab.    Beim  Aufbau  und  bei  der  Frontgestaltung  von  K  macht 


■)  E.  F.  Weidner  a.   .->.  0.    7  (vgl.  S.  159,  Anm.  3).        >)  Vgl.  S.  159,  Anm.  2.        3)  Vgl.  S.  160,  Anm.  2. 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (Samal).  165 


sich  der  Einfluß  des  Hilanitypus  geltend.  Im  Barrekubbau  K  hat  die  vollendete 
Symmetrie  des  Hilani  I  der  Unsymmetrie  weichen  müssen.  Nur  ein  Turm  schließt 
sich  nordwestlich  der  Vorhalle  Ki  an  und  setzt  sich  vor  die  südwestliche  Abschluß- 
wand von  Ka.  Die  Südostseite  der  Vorhalle  stößt  dagegen  unmittelbar  an  den  Kala- 
mubau  an.    Die  Vorhalle  selbst  weist  die  der   Hilanivorhalle  eigenen   Säulen   auf. 

Der  angrenzende  Kalamubau  erlebt  jetzt  in  der  2.  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts 
unter  Barrekub  einen  Umbau,  der  den  ursprünglichen,  aus  dem  9.  Jahrhundert 
stammenden  Bau  J3— i  zu  einem  neuen  Bau  stempelt,  der  den  »Barrekubbaucharakter« 
trägt.  Ich  nehme  nämlich  an,  daß  der  Mauerzug  Mk,  der  nach  den  Aufnahmezeich- 
nungen mit  dem  Barrekub-  und  nicht  mit  dem  Kalamubau  eng  zusammenhängt, 
dazu  gedient  hat,  den  anders  gearteten,  älteren  Bau  nach  dem  Schema  der  Barrekub- 
bauten umzugestalten.  —  Die  Errichtung  eines  Turmes  neben  der  Vorhalle  und  die 
Einführung  von  Säulen  an  derselben  waren  das  Haupterfordernis.  Beides  hat  Barre- 
kub erreicht.  Die  Ausgestaltung  des  Oberbaues  von  Jj  zu  einem  Turm  hätte  eine 
langgestreckte,  rechteckige  Turmform  ergeben.  Um  dem  Turm  die  allgemein  ver- 
breitete, quadratische  Grundrißgestalt  zu  verleihen,  wurde  die  Mauer  Mk  vorgezogen, 
so  daß  nunmehr  ein  fast  quadratischer  Turm  über  Ji  und  Gk  errichtet  werden  konnte. 
Der  Raum  Gk  bot  gleichzeitig  einen  günstigen  Ort,  die  Treppenanlage  unterzubringen, 
wobei  der  Zugang  von  der  Frontseite  nach  Gk  nicht  hindernd  in  den  Weg  tritt.  In 
der  breiten  Eingangsöffnung  zu  Ji  erschien  jetzt  die  Säule,  die  in  der  ganzen 
Kalmuzeit  in  keiner  Eingangsöffnung  zu  sehen  gewesen  war.  Es  haben 
somit  zwei  gleichartige  Bauten  —  K  und  der  Umbau  von  J3_i  —  zur  Zeit  Barrekubs 
den  Hof  M  im  Norden  abgeschlossen.  Eine  fast  durchlaufende  Fluchtlinie  war  gleich- 
falls   durch    den    Erweiterungsbau    erzielt   worden. 

Einen  weiteren  gleichartigen  Bau,  der  schon  von  Koldewey  Barrekub  zuge- 
schoben wird,  finden  wir  in  der  Nordostecke  des  Hallenbaues  P.  Auf  die  Verwandt- 
schaft dieses  Baues  K  II  mit  K  hat  bereits  Oelmann  hingewiesen.  Wir  erkennen  die 
Säulenvorhalle  K  IIi,  den  von  Oelmann  erkannten  seitlichen  Turm,  den  quergelegten 
Hauptraum  K  II2  mit  der  seitlich  verschobenen  Tür  und  schließlich  den  »angehängten« 
Nebenraum  K  II3,  der  in  seiner  Lage,  wenn  auch  hier  dem  Eingang  gegenüber,  so  doch 
dem   Raum    K3   entspricht. 

In  die  Zeit  des  Königs  Barrekub  fällt  auch  die  Errichtung  des  gesamten  Hallen- 
baues P.  Eine  absolut  feststehende  Datierungsmöglichkeit  liegt  nicht  vor,  jedoch 
lassen  Erwägungen  konstruktiver  und  architektonischer  Art  auf  Grund  der  Aufnahme- 
zeichnungen und  Berichte  die  Annahme  der  Gleichalterigkeit  mit  dem  Bau  K  II  zu. 
Ich  komme  bei  der  Besprechung  der  Hilanibauten  nochmals  auf  die  Planung  des 
Hallenbaues  zurück,  im  Augenblick  wende  ich  mich  den  Baulichkeiten  zu,  die  eine 
weitere  genaue   Zeitbestimmung  ihrer  Entstehung  ermöglichen. 

Der  Grabungsbefund  weist  auf  einen  verheerenden  Brand  hin,  der  die  gesamte 
Stadt  mit  allen  ihren  Baulichkeiten  vernichtet  hat.  Der  Auffassung  Koldeweys 
(s.  S.159),  daß  der  Brand  mit  dem  Siegeszug  Asarhaddons  nach  Öamal  in  Verbindung 

Jahrbuch  des  archäolo^scben  Instituts     XXXVIII/IX  1933/24. 


{55  Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (Samal). 

gebracht  werden  müsse,  schließe  ich  mich  an.  Ihr  ist  auch  von  anderer  Seite  nicht 
widersprochen  worden.  Die  Wiederherstellungsarbeiten  im  Nordosten  und  Osten  der 
Stadt  sind  dann  unter  Asarhaddon  im  7.  Jahrhundert  in  Angriff  genommen  worden.  Die 
Kasematten  an  der  Ostmaucr,  der  »obere«  Palast  und  die  Gebäude  nordwestlich 
vom  Palast  verdanken  dieser  Zeit  ihre  Entstehung.  Das  Baumaterial  mußten,  wie 
die  Fundumstände  ergeben,  die  älteren  Bauten  liefern,  sogar  überarbeitete  Ortho- 
staten wurden  zu  Schwellen  u.  dgl.  verwertet,  und  als  charakteristisches  Kennzeichen 
dieser  zeitlichen  Bauweise  ist  das  Fehlen  eines  ausgesprochenen  Balkenrostes  hervor- 
zuheben. Allenfalls  könnte  nach  Koldewey  nur  ein  einfacher  Bretterrost  angenommen 
werden. 

Mit  der  Erwähnung  dieser  Bauten  aus  spätassyrischer  Zeit  hat  die  Baugeschichte 
von  Sendschirli,  soweit  sie  für  die  Kunstgeschichte  von  Interesse  ist,  ihr  Ende  erreicht. 
Wir  haben  uns  jetzt  nur  noch  nachträglich  mit  einer  Gruppe  von  Bauten  zu  be- 
schäftigen, die  keinen  festen  Anhalt  zu  einer  genauen  Zeitbestimmung  ihrer  Ent- 
stehung geben.     Es  gehören  zu  dieser  Gruppe  die  Hilanibauten  I,  II  und  III. 

Im  Hilani  I  haben  wir  anerkannterweise  den  ältesten  Bau  dieser  Gruppe  vor 
uns.  Da  in  ihm,  wie  Koldewey  selbst  feststellt,  ein  Balkenrost  mit  dazwischengelegten 
Steinreihen  —  das  Merkmal  der  ältesten  Bauweise  Sendschirlis  —  »allerdings  nicht 
erhalten  ist«,  so  halte  ich  es  mit  Oelmann  für  nicht  berechtigt,  ihm  das  hohe  Alter, 
das  Koldewey  ihm  zuerkennen  will,  zuzuschreiben.  Ich  setze  die  Entstehungszeit 
des  Hilani  I  auf  Grund  des  Grabungsbefundes  und  der  allgemeinen  Beobachtung  ') 
höchstens  in  das  9.  Jahrhundert,  d.  h.  in  die  Zeit  der  Erbauung  der  Burgmauer 
und  komme  somit  dem  willkürlichen  Vorschlag  Oelmanns  nahe,  der  für  Hilani  I 
mutmaßlich  die  Zeit  um  800  in  Anspruch  nehmen  will. 

Die  Meinungen  Koldeweys  und  Oelmanns  über  die  Erbauungszeit  von  Hilani 
Hund  III  gehen  weit  wesentlicher  auseinander.  Während  Koldewey  seine  Gruppe  2 
(s.  S.  158)  mit  den  Hilanibauten  II  und  III  der  Regierungszeit  Barrekubs,  d.  h.  der 
2.  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  zuweist,  trennt  Oelmann  die  Entstehungszeiten  beider 
voneinander.  Er  nimmt  für  die  Errichtung  des  Hilani  III  die  Zeit  des  Vorgängers 
von  Barrekub  (ca.  Mitte  des  8.  Jahrhunderts)  an  und  für  die  des  Hilani  II  erst  das 
7.  Jahrhundert,  somit  die  Zeit  des  Aufbaues  des  »oberen«  Palastes  nach  dem  großen 
Brande. 

Ich  meinerseits  lehne  beide  Datierungen  ab  und  begründe  diese  Ablehnung 
folgendermaßen.  .  Die  Versetzung  der  Entstehung  von  Hilani  II  in  die  Zeit  nach 
dem  großen  Brande  halte  ich  für  unberechtigt.  Der  »obere«  Palast,  den  Oelmann  für 
gleichalterig  mit  Hilani  II  bezeichnet,  weist  nach  der  Grabungsbeschreibung  Kolde- 
weys eine  ganz  anders  geartete  Herstellungsweise  auf,  als  sie  bei  Hilani  II  beobachtet 
worden  ist.  Dort  die  Verwendung  alten  Baumaterials  und  überarbeiteter  Orthostaten 
u.  dgl.,  hier  der  vollständige  Neubau.  Dort  das  Fehlen  von  Balkenrosten,  hier  die 
Möglichkeit   des  Vorhandengewesenseins   eines  Rostes  auf  Grund  der  Brandspuren 


■)  R.    Koldewey   a.  a.  O.  138/139   (vgl.  S.  158  Anm.  i). 


Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirli  (Öanial).  l57 

im  Gemäuer!  Gerade  diese  letzte  kennzeichnende  Eigentümlichkeit  veranlaßt  mich, 
die  Entstehungszeit  des  Hilani  II  spätestens  um  700,  also  noch  zu  Barrekubs  Leb- 
zeiten oder  gleich  nach  seinem  Tode  anzunehmen.  —  Die  Bauzeit  von  Hilani  III  fällt 
nach  der  Art  der  Rostverwendung  widerspruchslos  in  die  Zeit  vom  Ende  des  9.  bis 
in  das  8.  Jahrhundert  (s.  S.  159).  Die  Grabungsbefunde  deuten  m.  E.  jedoch  darauf 
hin,  daß  Hilani  III  nicht,  wie  Jacoby  und  Oelmann  es  haben  wollen,  bereits  vor  dem 
Hallenbau  (Pio)  bestanden  haben  wird,  sondern  erst  nach  der  Fertigstellung  desselben 
zur  Ausführung  gelangt  sein  muß.  Dasselbe  behaupte  ich  auch  von  Hilani  II.  Hi- 
lani III  würde  demnach  in  den  letzten  Regierungsjahren  Barrekubs  oder  gleich  nachher 
entstanden  sein,  kurz  vor  Hilani  II,  wenn  nicht  gleichzeitig  mit  ihm.  In  diese  Zeit 
könnte  (})  dann  auch  die  Erweiterung  des  Hallenbauhofes  R  nach  Osten  hin  fallen. 
Das  Tor  des  neuen,  großen  »Doppelhofes«  hat  bereits  Koldewey  aufgedeckt,  und  eine 
interessante  Rekonstruktion  liefert  uns  Oelmann,  wenn  er  auch  im  Gegensatz  zu  mir 
die  Tor-  und  Umfassungsanlage  (»Saktsche  Gözü-Typus<<)  für  älter  als  den  selb- 
ständigen, kleineren  und  geschlossenen  Hallenbau  P  hält. 

Der  Hallenbau  P  stellte  vor  der  Errichtung  der  Hilanibauten  III  und  II,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,  eine  geschlossene,  wohlabgewogene  Einheit  dar.  Der  Neu- 
bau von  Hilani  III  bewirkte  eine  Zerrissenheit,  die  vollends  zur  Tatsache  wurde 
als  schließlich  noch  Hilani  II  entstand.  Durch  die  neue  Umfriedung  wurde  die  Einheit 
wiederhergestellt  ').  Und  nun  liegt  es  nahe,  die  ursprüngliche  Toranlage,  wie  Oelmann 
es  will,  unter  dem  Neubau  von  Hilani  II  anzunehmen,  so  daß  das  neue,  westlich  von 
Hilani  II  gelegene  Tor  nur  vorgezogen  erscheint. 

Was  endlich  die  Skulpturen  von  Hilani  II  und  Hilani  III  anbelangt,  so  weisen 
sie  in  ihrer  Bearbeitung  keineswegs  einen  so  großen  Unterschied  auf,  daß  man  Ver- 
anlassung dazu  hätte,  sie  nach  Oelmann  um  Jahrhunderte  »auseinanderzudatieren«! 

Ich  bin  jetzt  noch  den  Nachweis  schuldig,  daß  die  Hilanibauten  III  und  II 
jünger  sind  als  die  Hallenbauten  P.  Meine  Annahme  fußt  auf  der  Erkenntnis,  daß  die 
Westseite  des  Hallenbaues  P  sich  organisch  dem  nördlichen  Teil  anschließt,  genau  wie 
Oelmann  es  von  der  Ostseite  behauptet  und  bewiesen  hat.  Die  für  den  südlichen  Teil 
der  Westhalle  angenommene  Aufteilung  in  Öffnungen  und  Pfeiler  läßt  sich  in  gleichem 
Sinne  wie  an  der  Ostseite,  bis  zum  Anschluß  an  die  Nordhalle  fortsetzen  und  ergänzen. 
Man  erhält  durch  diese  Lösung  die  stattliche  Hofanlage  R,  die  allseitig  von  offenen 
Bogengängen  umfaßt  ist,  somit  ein  einheitliches  Ganze  bildet,  das  im  Norden  durch 
den  Portikus  in  den  Hof  M  übergeht  und  in  der  Nordostecke  den  Barrekubbau  KU 
aufweist.  —  Die  Einzelzeichnung,  die  uns  Jacoby  von  dem  Anschluß  der  Hallenbau- 
mauer  P«  an  Hilani  III  gibt^),  läßt  meiner  Meinung  nach  erkennen,  daß  die  Mauer 
des  Hallenbaues  die  ältere  sei.  Die  Unregelmäßigkeit  der  Anschlußfläche  läßt  diese 
als  Bruchfläche  erkennen,  so  daß  ich  annehme,  daß  der  nördlichere  Teil  der  Westhalle 


')  Allgemein  historische  und  architektonische  Über-  eher    an    eine    Erweiterung    der    Anlage,    als    an 

legungen   und  Vorbilder   veranlassen   mich   auch  eine   Einschränkung   derselben,   wie  Oelmann   es 

tut,  zu  denken.      »)   Jacoby    a.  a.  O.     317,     Abb.  222    (vgl.    S.   161,  Anm.  2). 


]5g  Friedrich  Wachtsmuth,  Die  Baugeschichte  von  Sendschirii  (Samal). 

niedergerissen  worden  sei,  um  dem  Hilanibau  Platz  zu  machen.  Eine  ähnliche  Fest- 
stellung konnte  bereits  Oelmann  an  der  Ostseite  machen.  Die  Böschung  des  Funda- 
ments von  Hilani  III  ist  belanglos,  vielmehr  weist  der  Mangel  einer  Quermauer  im 
Hallenbau  südlich  der  Hilaniwand  darauf  hin,  daß  von  den  bestehenden  Hallen- 
mauern Teile  abgebrochen  worden  sein  müssen. 

Koldewey  läßt  bekanntlich  die  Hilanibauten  in  der  Reihenfolge  I,  II,  III  entstan- 
den sein.  Diese  Behauptung  begründet  er  in  der  Hauptsache  mit  folgenden  Worten: 
»Die  starke  Verteidigungsfähigkeit,  wie  sie  in  strengster  Analogie  mit  dem  Festungstor 
das  alte  Hilani  aufweist,  ist  hier  (Hilani  II)  um  einen  Schritt  zurückgegangen.  In 
ähnlicher  Weise  sind  auch  die  Dimensionen  des  Ganzen  sowohl,  als  auch  die  Dicke 
der  Mauern  gegenüber  den  alten  riesigen  Vorfahren  eingeschränkt.  Aber  noch  immer 
ist  der  Palast  die  Festung,  ebenso  wie  beim  Hilani  III«  ').  Und  an  anderer  Stelle 
schreibt  er,  indem  er  von  Hilani  III  spricht,  daß  der  Bau  »wieder  in  kleineren  Ab- 
messungen als  sein  Vorgänger  (Hilani  II),  aber  ebenso  wie  dieser  mit  einem  massiven 
und  einem  hohlen  Turm  usw.  «^)  erscheint.  Koldewey  schließt  demnach  von  der 
Verminderung  der  Grundrißabmessungen  auf  eine  Zeitenfolge  der  Entstehung,  wie 
sie  oben  angegeben  ist.  Ich  sehe  dagegen  in  den  kleineren  Abmessungen  bei  Hilani  III 
keinen  zwingenden  Grund,  Hilani  III  auch  für  jünger  hinzustellen.  Die  altertümlichere 
Skulpturenbehandlung  veranlaßt  mich  im  Gegenteil,  Hilani  III  für  älter  oder  minde- 
stens ebenso  alt  wie  Hilani  II  zu  halten. 

Zum  Schluß  habe  ich  noch  einen  kurzen  Blick  auf  die  verschiedenen  Turm- 
grundrisse zu  werfen.  Wie  die  Grabungsfunde  uns  zeigen,  erscheinen  sie  als  massive 
Bauklötze  oder  hohle  Baumassen.  Sowohl  die  einen,  als  auch  die  anderen  können 
Treppenanlagen  oder  sonstige  Räume  in  sich  aufnehmen.  Ich  verstehe  nur  nicht, 
warum  Oelmann  den  Unterschied  zwischen  »Turm«  und  »Treppenhaus«  zu  konstruieren 
versucht  und  ihn  auch  besonders  betont.  Eine  Treppenanlage  hat  zu  allen  Zeiten 
gern  Aufnahme  in  einem  Turm  gefunden,  so  auch  hier  in  Sendschirii !  Es  liegt  somit 
nicht  der  geringste  Grund  vor,  bei  der  Besprechung  der  Sendschirlier  Bauten  die 
Bezeichnung  »Turm«  fallen  zu  lassen. 

Die  Baugeschichte  Sendschirlis  stellt  sich  unter  der  Berücksichtigung  obiger 
Ausführungen  folgendermaßen  zusammen: 

A.  Gebäude    mit    einem    großen    Balkenrost    und    dazwischengelegten    Stein- 
schichten (lO.  bis  Mitte  des  9.  Jahrhunderts). 

1.  Innere  Stadtmauer, 

2.  Äußere  und  innere  Burgmauer, 

3.  Quermauer, 

4.  Vormauer  vor  Hilani  I. 


Relatives  Alter  aus  dem  Grabungs- 
befund bestimmt.  Genaue  Ent- 
stehungszeit   nicht    angebbar. 


Hilani    I  9.  Jahrhundert,    Balkenrost  nicht  feststellbar.     Zeitbestimmung  nur 
relativ  angenommen   auf   Grund   der  gesamten   Bauanlage. 

')  Koldewey   a.  a.  O.     185   (vgl.    S.  i58,Anm.  i).       ')  Koldewey   a.  a.  O.     175   (vgl.    S.  158,  Anm. 


Jahrbuch  des  Instituts  XXXVHI/IX   1923/24  Beilage  V  zu  Seite  169 ff. 


Schmuckstück  aus  Falconara.     New-York,  Metropolitanmuseum. 
I.  Vorderansicht.     2.  Rückansicht. 


J 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 


169 


B.  Gebäude  mit  einem  Balkenrost  ohne   Steinreihen  dazwischen    (Ende  des 
und   im   8.    Jahrhundert). 


1.  Gebäude  J  und  Torbau  Q. 

2.  Gebäude  K, 

3.  Gebäude  KU, 

4.  Umbau  J^— i  (Mauer  MK). 

5.  Hallenbau  P: 


6.  Gebäude  L. 


Ende  des  9.  Jahrhunderts  (Kalamu- 
Zeit). 

2.  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  (Barre- 
kub-Zeit;  Barrekub  Zeitgenosse  Ti- 
glatpilesers  (746—727). 

I  Barrekubzeit,  wie  2 — 4  Annahme  auf 
\  Grund  Gleichartigkeit  und  Zusam- 
J    menhangs  des  Gemäuers. 

I  Zeit  unbestimmbar  (vielleicht  Ka- 
I    lamu-Zeit). 


Hilani  HI  nach  Fertigstellung    des  Hallenbaues  entweder  noch  zu  Lebzeiten 
Barrekubs  oder  gleich  nach  seinem  Tode  (um  700?).     (Annahme.) 
Hilani  H  anschließend  an  Hilani  HI.     (Annahme.) 
Torbau  östlich  von  Hilani  H  gleichzeitig  mit  Hilani  H.    (Annahme.) 
C.  Gebäude  ohne  wahrnehmbaren  Rost  oder  vielleicht  mit  einem  einfachen 
Bretterrost.     7.  Jahrhundert,  nach   der  Eroberung   Sendschirlis  durch  Asarhaddon 
(681—668). 


1.  Kasematten, 

2.  Oberer  Palast, 

3.  Gebäude    nordwestlich   vom 
oberen  Palast, 

4.  Erneuerung  der  Burgmauer. 

Darmstadt,  im  September  1924. 


Annahme:  i.  Hälfte  des  7.  Jahr- 
hunderts, nach  Eroberung  Sendschir- 
lis  durch  Asarhaddon. 


Friedrich  Wachtsmuth. 


EIN  ARCHAISCHES  SCHMUCKSTÜCK   AUS  BERNSTEIN. 

Mit  Tafel  IV  und  V,  Beilage  V. 

Das  auf  Tafel  IV  abgebildete  wundervolle  Schmuckstück  besteht  aus  Bern- 
stein und  bildete  die  Verzierung  eines  Fibelbügels.  Es  wurde  vor  einigen  Jahren  in 
einem  Grabe  bei  Falconara  in  der  Nähe  von  Ankona  gefunden  (wie  mir  Herr  Prof. 
Dr.  Pollak  in  Rom  in  freundlicher  Weise  mitteilte),  gelangte  schließlich  nach  New- 
York  in  die  P.  Morgan'sche  Antikensammlung  und  mit  dieser  in  das  Metropolitan- 


I70 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 


museum  zu  New- York  ■).  Carlo  Albizzati  hat  es  in  der  Rassegna  d'arte  antica  e  mo- 
derna  (Dedalo)  1919,  183 — 200  gut  zum  ersten  Male  publiziert.  Da  jedoch 
diese  italienische  Zeitschrift  in  Deutschland  nur  sehr  schwer  zugänglich  ist  und  ich 
in  manchem,  bes.  der  Deutung  der  Darstellung,  eine  andere  Auffassung  gewonnen 
habe  als  Albizzati,  möchte  ich  das  Stück  im  Folgenden  nochmals  veröffentlichen. 
Das  Schmuckstück  besteht  aus  einem  14  Zentimeter  langen  Klumpen  Bern- 
stein, dessen  größte  Breite  8,4  Zentimeter  und  dessen  Dicke  3,1  Zentimeter  beträgt. 
Seine  Befestigung  auf  dem  Scheitel  des  eigentlichen  Fibelbogens  war  ähnlich  wie  bei 


Abb.  1.     Bernsteingruppe  New-York,  Unterseite. 

i 

den  riesigen  »fibule  ad  arco  semplice;«,  die  in  Ankona  und  anderweitig  zutage  gekom- 
men sind  ^).  Der  Bogen  griff,  wie  die  Seitenansichten  des  Stückes  zeigen,  an  den 
beiden  Enden  der  Schmalseiten  in  den  Bernstein  ein.  —  Auf  der  Rückseite  setzt 
nach  dem  Fußende  des  Klinenrahmens  zu  unter  der  hier   stark  gehobenen  Bettdecke 


■)  Vgl.  Gisela  M.  A.  Richter,  Handbook  of  the 
classical  antiquities  (The  Metropolitanmuseum 
of  art),  New  York  1920,  72  und  Figur  44 
auf  S.  73.  —  An  Photographien  des  Stückes 
standen  mir  zur  Verfügung:  eine  unmittelbar 
nach  der  Auffindung  gemachte  Aufnahme  der 
Vorder-  und  eine  der  Rückseite  (danach  unsere 
Tafel);  außerdem  Photographien  des  Stückes  in 
seinem  jetzigen  Erhaltungszustand,  sowie  Ansich- 
ten der  beiden  Schmalseiten,  die  ich  dem  freund- 
lichen Entgegenkommendes  Direktors  des  Metro- 
politanmuseums,  Herrn  Robinson  und  der  liebens- 
würdigen Vermittlung  von  Frl.  Gisela  Richter  ver- 


danke.  —  Albizzati  gibt  in  seinem  Aufsatze  unter 
Fig.  2  und  3  die  New- Yorker  Photographien.  Licht- 
bilder nach  Tafel  IV  sowie  ein  Diapositiv  mit 
den  Ansichten  der  beiden  Schmalseiten  sind  bei  See- 
mann unter  Nr.  81  260 — 62  erhältlich. 
^)  Ähnlicher  Fibelbügelschmuck  aus  Bernstein  — 
doch  ohne  fein  ausgeführte  Darstellungen  — 
befindet  sich  z.  B.  im  Museum  von  Ankona  (vgl. 
Dair  Osso,  Guida  del'  Museo  di  Ancona,  Ancona 
1915,  Tafel  auf  S.  127).  —  Für  den  Typ  der 
Fibel  vgl.  0.  Montelius,  La  civilisation  primitive 
en  Italic,  Premiere  partie  (Stockholm  1895)  Texte 
I,    Anm.    I,    Planches,    fig.  5,   6,    24^42    usw. 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 


171 


gerade  über  dem  Bettrahmen  ein  in  dem  Bernstein  befestigter  Metalldraht  an,  von 
dessen  oberem  Teil  ein  anderer  etwa  senkrecht  dazu  stehender  ausgeht,  der  vom 
Beschauer  nach  rechts  gerichtet  und  ein  wenig  nach  innen  gebogen  ist.  Dieser  Dorn 
aus  Metall  diente  dazu,  die  hier  hochgehobene  Draperie  zu  stützen  und  zu  sichern. 
Die  Arbeit  des  Werkchens  ist  mit  außerordentlicher  Sorgfalt  und  Feinheit 
ausgeführt,  besonders  die  Vorderseite,  während  die  Rückseite  etwas  summarischer 
behandelt  ist.    Die  Augen  der  dargestellten  Personen  sind  hohl  und  waren  wohl  ur- 


Abb.  2.     Bernsteingruppe  New-York, 
FuSende  der  Kline. 


Abb.  3.     Bernsteingruppe  New-York, 
Kopiende  der  Kline. 


sprünglich  farbig  eingesetzt.  Inwieweit  die  Größe  des  Bernsteinstückes  manchmal 
dem  Verfertiger  Schranken  auferlegte,  wird  bei  der  Beschreibung  anzugeben  sein. 
Der  Erhaltungszustand  des  Stückes  ist  ein  ganz  ausgezeichneter.  Die  ursprüng- 
liche Politur  ist  noch  zum  größten  Teil  vorhanden,  das  ganze  Stück  ist  mit  einer 
goldgelben  Patina  bedeckt.  Die  Rückseite  zeigt  mehrere  feine  Sprünge,  die  sich 
spinnenwebenförmig  fortsetzen,  an  einigen  Stellen  ist  die  Oberschicht  abgefallen 
und  die  ziemlich  zerfressene  Unterschicht  sichtbar.  Beim  Auffinden  war  das  Stück 
vollständig  erhalten  bis  auf  das  abgebrochene  rechte  Ellenbogengelenk  der  Frau, 
wie  die  damals  angefertigten  Photographien  zeigen  (hiernach  Tafel  IV).  An  dieser 
Stelle  kommt  der  frische,  noch  unzersetzte  Bernstein  (ebenso  auch  an  einer  kleinen 
Stelle  am  unteren  Ende  des  Alabastrons)  zum  Vorschein.  Seit  der  Auffindung  hat 
das  Stück  etwas  gelitten:  Die  Zehen  des  rechten  Fußes  des  Jünglings  sind  abge- 
brochen, außerdem  befindet  sich  am  oberen  Rande  des  Bettuches,    in   das  sich  der 


{72  Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 

Jüngling  eingeschlagen  hat,  ein  Loch;  am  Fußende  der  Kline  ist  auf  der  Rückseite 
ein  Stückchen  weiter  herausgebrochen,  und  das  unterste  Ende  des  Flügels  der  weib- 
lichen Gestalt  ist  leicht  beschädigt.  Überhaupt  scheint  die  Oberfläche  unter  dem 
Einfluß  der  Luft  ebenfalls  inzwischen  etwas  gelitten  zu  haben.  Auf  der  Rückseite 
sind  ferner  sichtbar:  ein  längliches  Loch  in  dem  Bettrahmen  nahe  der  Ansatzstelle 
der  Kopflehne,  ein  weiteres  in  dem  Klinenrahmen  nach  dem  Fußende  zu  und  in  seiner 
Nähe  zwei  runde  lochartige  Vertiefungen,  von  denen  ich,  ohne  das  Stück  selbst  ge- 
sehen zu  haben,  nicht  entscheiden  kann,  ob  sie  künstlich  oder  ob  sie  aus  der  Natur 
des   Bernsteinstückes   zu   erklären   sind. 

Dargestellt  ist  ein  einfach  gestalteter  Klinenrahmen  ohne  Füße,  der  nur  eine 
mittelhohe,  schräg  nach  außen  gerichtete  Kopflehne  besitzt.  Diese  verjüngt  sich 
keilförmig  nach  oben  und  hat  einen  Bezug  von  enganliegendem  dicken  Stoff  oder 
Leder,  der  genau  den  Holzkern  der  Lehne  umschließt.  Nach  vorn  endet  dieser  Über- 
zug in  einem  spitzen  Zipfel.  Der  Bettrahmen  ist  auf  der  Rückseite  etwa  einhalbmal 
höher  als  vorn,  am  Fußende  ist  er  schräg  unterschnitten.  Die  Matratze  ist  mäßig 
hoch  (ca.  6  mm)  und  unverziert.  Unter  der  Last  der  auf  ihr  lagernden  Personen 
quillt  sie  in  der  Mitte  der  Vorderseite  etwas  vor;  am  Fußende  ist  sie  durch  das 
linke  Bein  des  dort  sitzenden  Knaben  etwas  nach  rechts  vom  Beschauer  zusammen- 
geschoben.   Auf  der  Rückseite  scheint  sie  nicht  angegeben  zu'  sein. 

Auf  dieser  Kline  sieht  man  drei  Personen :  einen  sehr  jugendlichen  und  indi- 
viduell gestalteten  Jüngling  rechts  gelagert,  gerade  aus  dem  Schlafe  erwachend, 
eine  reife  Frau  mit  üppigen  Formen  in  schneller,  eiliger  Bewegung  von  links  heran- 
eilend, endlich  am  Fußende  der  Kline  einen  unbequem  hockenden  Sklavenknaben 
—  sicher  einen  Bediensteten  des  Jünglings  —  mit  kindlich  runden  vulgären  Gesichts- 
zügen, der  durch  die  rasch  und  ungestüm  herandrängende  Frauengestalt  von  seinem 
Stützpunkt  auf  dem  Klinenrahmen  fast  herabgedrückt  wird.  Besonders  fällt  an  der 
Frau  in  die  Augen  der  auf  ihrem  Nacken  gelagerte  Schwan:  Es  ist  also  Aphrodite, 
die  einen  Geliebten  besucht. 

Der  Jüngling  hatte  sich  beim  Schlafe  fest  in  seine  Bettdecke  eingewickelt, 
wie  man  auf  der  Rückseite  sieht.  Nun  ist  die  Göttin,  von  links  kommend,  unter 
seine  Decke  geschlüpft  und  diese,  die  den  Jüngling  ursprünglich  ganz  bedeckte, 
ist  dadurch  gehoben  worden,  so  daß  (auf  der  Rückseite)  der  linke  Fuß  und  ein  Teil 
des  linken  Unterschenkels  des  Jünglings  entblößt  werden.  Ebenso  wird  dadurch 
auch  auf  der  Vorderseite  ein  Teil  des  Jünglingskörpers  der  Bedeckung  beraubt;  hier 
erscheinen  sein  Oberkörper  und  sein  linkes  Knie.  Die  Decke  ist  aber  zu  kurz,  um 
auch  die  Göttin  ganz  zu  bedecken,  so  daß  deren  linkes  Bein  vom  Knie  abwärts  außer- 
halb bleibt.  Im  übrigen  schließt  sich  die  Decke  sehr  eng  an  ihre  Formen  an.  Sie  läßt 
den  Beckenkontur  durchblicken  und  gibt  die  Bewegung  des  im  Knie  gebogenen 
rechten    Beines    gut    wieder. 

Die  Haltung  der  Figuren  ist  folgende: 

Der  Jüngling  lehnt  sich  mit  seiner  linken  Hüfte  an  die  Kopflehne  an,  während 
sein  Körper  über  dieselbe  vorhängt.  Sein  rechtes  Bein  ist  hochgehoben  und  gerade 
ausgestreckt,  der  rechte  Fuß  kommt  unter  der  Decke  hervor  und  erscheint  hinter 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein.  lyi 


dem  Kopfe  des  Sklaven  auf  der  Rückseite.  Sein  linkes  Bein  ist  im  Knie  angezogen 
(Vorderseite).  Auf  der  Rückseite  sieht  man  den  linken  Fuß,  der  den  Bettrahmen 
z.  T.  überschneidet,  und  den  Anfang  des  linken  Unterschenkels  von  der  Innenseite, 
in  zeichnerischem  Flachrelief.  Die  Haltung  der  Füße  ist  so  zu  erklären,  daß  der 
Schläfer  sich  gerade  erheben  will;  das  linke  Bein  ist  noch  in  seiner  ursprünglichen 
Lage  (im  Schlafe  angezogen);  das  rechte  ist  gerade  erhoben  und  will  eben  nach  vorne 
überschwingen,  um  über  den  Bettrahmen  zu  kommen  und  auf  den  Boden  zu  gelangen. 
Der  linke  Oberarm  ist  an  die  linke  Brustseite  angezogen  und  verdeckt  den  vorderen 
Teil  der  Kopflehne.  Die  linke  Hand  berührt  mit  ihrer  ganzen  Fläche  das  linke  ange- 
zogene Knie.  Die  ausgestreckten  Finger  dieser  Hand  liegen  eng  aneinander  bis  auf 
den  etwas  nach  oben  abstehenden  Daumen.  Der  rechte  Arm  (nur  in  der  Rückansicht 
sichtbar)  ist  im  Ellenbogen  scharf  eingeknickt.  Die  rechte  Hand  ist  an  die  Kopf- 
bedeckung der  Frau  angedrückt.  In  der  Vorderansicht  sind  nur  zu  erkennen:  die 
Spitzen  der  vier  Finger  (der  Daumen  ist  nicht  sichtbar),  je  zwei  an  der  um  die  Kappe 
der  Frau  gelegten  Binde  und  an  dem  unter  der  Binde  hervorragenden  Rande  der 
Kappe  selbst.  Der  Kopf  ist  in  schläfrigem  Ausdruck  etwas  aufgerichtet  und  nach 
seiner  Linken  gedreht,  also  von  der  Frau  weg.  Ausdruck  und  Mienen  zeigen  den 
Jüngling  in  dem  Zustande  des  Erwachens,  jedoch  noch  schlaftrunken.  Er  trägt 
langes,  bis  auf  die  Schulterblätter  herabhängendes  horizontal  gewelltes  Haar.  Das 
Haar  der  Stirntour  ist  wohl  von  einem  Querscheitel  aus  nach  vorn  gekämmt  zu  denken. 
Die  Stirntour  als  Ganzes  ist  flach  gewölbt,  in  der  Mitte  schmaler  und  läßt  die  Ohren 
frei.  Die  Stirngrenze  verläuft  in  mehrfach  geknickter  individuell  gestalteter  Linie. 
Die  Masse  des  Stirnhaares  ist  quer  gekerbt,  was  vielleicht  eine  Trennung  in  Strähnen 
bedeuten  soll.  Links  sichtbar  (ebenso  auch  rechts  zu  denken)  hinter  den  Ohren  zwei 
über  die  Schultern  bis  ca.  zu  den  Achselhöhlen  herabfallende,  spitz  zulaufende,  kaum 
gewellte  Locken.  Nach  hinten  schneiden  die  Haare  in  der  Höhe  der  Schulterblätter 
gerade  ab.  Der  Jüngling  trägt  nur  ein  dünnes  Hemd  mit  Ärmeln,  die  den  Oberarm 
etwa  zur  Hälfte  bedecken  • —  sichtbar  nur  am  linken  Oberarm.  Sonst  ist  das  Hemd 
mehr  zu  ahnen  als  nachzuweisen. 

Über  dem  Jüngling  —  noch  im  Heraneilen  dargestellt  —  die  bedeutend  größer 
gebildete  Göttin;  sie  erscheint  hier  als  eine  Frau  von  fast  schon  matronaler  Fülle, 
wie  besonders  deutlich  ein  Vergleich  der  beiden  nebeneinander  sich  befindenden 
Köpfe  und  Arme  zeigt.  Ihre  Gestalt  verdeckt  die  ganze  rechte  Seite  des  Jünglings. 
Ihr  linkes  Bein  sieht,  wie  gesagt,  vom  Knie  ab  aus  der  Bedeckung  hervor.  Es  ist 
»verzeichnet«,  da  der  sichtbare  Teil  des  Oberschenkels  nicht  nach  seinem  Drehpunkt 
im  Becken  hingerichtet  ist.  Der  linke  Unterschenkel  läuft  dann  der  Matratze  parallel; 
der  linke  mit  einem  spitz  zulaufenden  Schuh  bekleidete  Fuß  reicht  über  die  Matratze 
herab.  Das  rechte  Bein  ist  im  Knie  gekrümmt;  der  rechte  Unterschenkel  und  Fuß 
drücken  fest  gegen  den  Körper  des  Sklaven  am  unteren  Klinenrande.  Dieser  rechte 
Fuß  wird  über  dem  Kopfe  des  Sklaven  sichtbar,  und  der  Kontur  der  Schuhsohle 
(s.  u.!)  ist  hier  deutlich  zu  erkennen.  Der  linke  Arm  der  Göttin  liegt  zwischen  ihrem 
Oberkörper  und  dem  des  Jünglings.  Er  ist  nicht  sichtbar  bis  auf  die  linke  Hand. 
Der  rechte  Arm  ist  im  Ellenbogen  fast  rechtwinklig  gebogen.   Die  rechte  Hand  kommt 


1/4 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 


etwa  auf  die  Brust  des  Jünglings  zu  liegen.  Sie  hält  ein  Alabastron,  dessen  aus  Watte 
oder  Wolle  bestehenden  Pfropfen  die  Linke  in  einem  zierlichen  Gestus  des  Daumens, 
vierten  und  fünften  Fingers  —  die  zwei  anderen  Finger  dieser  Hand  sind  eingeschlagen 
—  etwas  seitlich  herauszuziehen  sucht.  Die  Göttin  trägt  nur  ein  dünnes  Untergewand, 
die  Falten  der  halblangen  Ärmel  erscheinen  am  rechten  Oberarm,  ebenso  die  Faltung 
des  unteren  Saumes  am  rechten  Fuß,  der  Saum  selbst  am  linken  Fuß.  An  den  Füßen 
trägt  sie  spitz  zulaufende  Schnabelschuhe.  Der  größte  Teil  ihrer  Frisur  ist  durch  die 
Kopfbedeckung  verdeckt.  Sichtbar  sind  nur  an  der  rechten  Seite  vier  buckeiförmige 
Erhöhungen  aus  Haar,  vier  weitere  sind  für  die  linke  Gesichtshälfte  anzunehmen'). 
Die  Frisur  der  Göttin  läuft  von  Ohr  zu  Ohr,  ohne  jedoch  dieselben  zu  bedecken, 
außerdem  fallen  auf  beiden  Seiten  hinter  den  Ohren  je  zwei  dicke,  spitz  zulaufende 
Schulterlocken  in  freier  Krümmung  bis  auf  Oberarm  und  Brust  herab.  Nach  hinten 
scheinen  die  Haare  der  Göttin  eine  breite  ungegliederte  Masse  zu  bilden,  ähnlich  wie 
die  der  beiden  Männer.  Als  Kopfbedeckung  trägt  sie  eine  ziemlich  hohe,  sich  rasch 
verjüngende,  spitz  zulaufende  Kappe,  deren  Spitze  nicht  zentral,  sondern  rückwärts 
liegt.  Über  diese  Kappe  ist  ein  breites  unverziertes  Band  gelegt;  der  untere  Teil  des 
Bandes  erscheint  unter  dem  Rande.  Ob  es  sich  wirklich  um  ein  eigentliches  Band 
aus  Stoff  oder  vielleicht  um  eine  metallene  Stephane  handelt,  ist  nicht  sicher  zu 
entscheiden.  Auf  dem  Nacken  der  Göttin  lagert  der  oben  schon  erwähnte  Schwan 
(es  könnte  schließlich  auch  eine  Gans  sein),  dessen  Hals  dem  rechten  Rande  des 
rechten   Flügels  folgt. 

Es  bleibt  noch  die  am  Fußende  der  Kline  sich  befindende  Gestalt  des  nackten 
kleinen  Dieners.  Er  ist  zusammengekauert  und  sitzt  außerordentlich  unbequem  da. 
Die  Matratze  reicht  hier  nicht  bis  an  das  äußerste  Ende  des  Klinenrahmens,  sondern 
erscheint,  wie  oben  erwähnt,  etwas  zurückgeschoben  und  durch  den  von  links  wir- 
kenden Druck  des  Knabenkörpers  etwas  faltig.  Der  Knabe  kniet.  Er  sitzt  nicht 
mit  seinem  ganzen  Hinterteil  auf  dem  Bettrahmen,  sondern  dieses  erscheint  über 
dem  Rahmen  erhoben.  Das  Körpergewicht  des  Knaben  ruht  nur  auf  seinen  Füßen. 
Sichtbar  ist  von  dem  Unterkörper  des  Knaben:  das  rechte  Bein  vom  Knie  abwärts 
mit  dem  rechten  etwas  über  den  als  Halt  benutzten  Klinenrahmen  hervorragenden 
Fuß;  der  rechte  Arm  ist  in  naturwidriger  Haltung  nach  oben  zurückgebogen;  die 
rechte  Hand  erscheint  (auf  der  Rückseite  gut  sichtbar)  oberhalb  des  Kopfes  und 
berührt  den  rechten  Fuß  der  Göttin.  Ein  Finger  dieser  Hand  ist  auch  in  der  Vorder- 
ansicht zu  erkennen.  Der  linke  Oberarm  ist  vor  der  Brust  des  Knaben  sichtbar. 
Er  greift  mit  diesem  Arm  unter  seinem  rechten  Knie  hindurch  nach  seinem  Rücken, 


')  Es  ist  an  unserem  Stücke  schwer  z\i  entscheiden, 
ob  diese  buckeiförmigen  Erhöhungen  eigentliche 
Buckellöckchen  oder  Wellen  des  Stirnhaares  sind. 
Kür  die  letztere  Annahme  spricht  der  Umstand, 
daß  auf  den  erhaltenen  Bildwerken  die  Buckel- 
löckchen stets  in  zwei  Reihen  untereinander  an- 
geordnet sind  und  daß  ihre  Zahl  wesentlich  größer 
ist.     Parallelen  für  die  wellenförmige  Anordnung 


der  Haare  am  Stirnrande  bietet  z.  B.  eine  Ton- 
scherbe aus  Daphnae  im  British-Museum  (Antike 
Denkmäler  2,  Tafel  21)  oder  die  auch  sonst  ver- 
wandten Terrakotten  aus  Veii  und  Satricum  (D. 
V.  Buren  im  Journal  of  hellenic  studies  41,  1921, 
203 — 216,  dazu  Tafel  9).  Bei  dem  Stück  Morgan 
wäre  dann  nur  der  äußere  Kontur  angegeben 
wie  auf  der  Scherbe  von  Daphnae. 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 


'75 


wo  auch  unterhalb  des  rechten  Armes  (etwas  unter  der  rechten  Achsel)  die  linke 
Hand  mit  aufwärts  gebogenen  Fingern  zu  sehen  ist.  Auf  der  Vorderseite  erscheinen 
noch:  der  nach  vorn  gebogene  linke  Oberschenkel,  das  linke  Knie  sowie  der  neben 
dem  rechten  Fuß  in  der  Tiefe  verschwindende  linke  Unterschenkel,  dazwischen  ein 
Teil  des  Rumpfes.  Die  Frisur  des  Knaben  ist  dieselbe  wie  die  des  Jünglings.  Sein 
Kopf  sitzt  frontal  auf  dem  Oberkörper;  sein  Blick  ist  geradeaus  gerichtet,  ohne  sich 
um  die  zwei  Gestalten  auf  der  Kline  zu  kümmern.  — 

Die  dargestellte  Szene  wäre  etwa  folgende:  Der  Besuch  der  Göttin  zur  Nacht- 
zeit gilt  dem  Hause  eines  vornehmen,  in  städtischen  Verhältnissen  lebenden  Jüng- 
lings (Königssohnes.?);  darauf  weisen  die  bequeme  Kline  und  der  Diener  hin.  Die 
Zusammenkunft  zwischen  Jüngling  und  Göttin  ist  nicht  verabredet,  da  beide  in  gar 
keinem  inneren  Verkehr  zueinander  stehen.  Die  Bewegung  der  rechten  Hand  des 
Jünglings  nach  der  Kopfbedeckung  der  Göttin  ist  nichts  weiter  als  eine  schlaftrunkene 
Gebärde  der  Überraschung.  Der  Schläfer  fühlt  nur  undeutlich  einen  auf  ihm  lastenden 
Druck,  der  dann  diese  Gebärde  auslöst.  Auch  die  Haltung  der  linken  Hand  ist  noch 
ganz  die  Haltung  im  Schlafe,  eng  an  den  Körper  gelegt.  Die  Göttin  bleibt  anscheinend 
für  ihre  Umgebung  unsichtbar  —  so  erklärt  sich  am  Natürlichsten  der  geradeaus 
gerichtete  Blick  des  Sklaven.  Auch  die  oben  skizzierten  Bewegungen  des  Schläfers 
deuten  nur  darauf  hin,  daß  ihn  im  Schlafe  eine  ungewohnte  Last  bedrückt,  die  er, 
da  er  ja  nicht  weiß,  wer  es  ist,  durch  diese  Bewegung  abzuwehren  sucht.  Hätte  der 
Jüngling  auch  nur  eine  Ahnung,  daß  eine  menschliche  Gestalt  ihm  nahte,  so  würde 
er  sicher  seinen  Kopf  der  Gestalt  zuwenden.  Verfehlt  scheint  mir  also  die  Deutung, 
die  in  dem  Umstand,  daß  der  Jüngling  seinen  Kopf  der  Göttin  nicht  zuwendet,  eine 
direkte   Ablehnung   sieht. 

Weiter  ist  sehr  auffallend  der  Unterschied  der  Größe  und  der  des  Alters:  Der 
Jüngling  noch  knabenhaft  schüchtern  und  unentwickelt,  die  Göttin  in  voller  Reife, 
mit  üppigen  Formen,  entschiedenen  Bewegungen  und  raffinierten  Gesten.  Dieser 
Kontrast  kehrt  in  den  Sagen  wieder.  So  wird  z.  B.  Adonis  immer  als  jung  geschildert. 
Auch  die  mit  unserer  Darstellung  nahe  verwandten  und  dem  jonischen  Kulturkreis 
angehörenden  iptutixa  itaBi^jtaTa  des  Parthenius  (er  geht  größtenteils  zurück 
auf  die  im  jonischen  Gebiet  verbreiteten  Städtegründungsgeschichten)  enthalten 
vielfach  Verwandtes.  Auch  dort  ist  der  von  allerdings  sterblichen  Matronen  geliebte 
Mann  meistenteils  ein  schöner  Jüngling  in  vornehmen  Verhältnissen  (oft  ein  Königs- 
sohn) '). 

Schließlich  ist  für  die  Deutung  noch  von  Wichtigkeit  die  Betonung  des  Ala- 
bastrons,  das  die  Göttin  in  beiden  Händen  hält  und  das  so  auffallend  dargestellt  ist. 
Sie  könnte  ebenso  gut  das  Fläschchen  halten,  wenn  sie  ihren  linken  Arm  um  den  Hals 
des  Jünglings  legen  würde.  Es  wird  also  der  Inhalt  dieses  Alabastrons  nicht  nur  ein 
anregendes  Parfüm  gewesen  sein.  Trotzdem  müssen  wir  aber  die  dargestellte  Szene 
unter  allen  Umständen  als  eine  erotische  deuten,  da  sonst  Aphrodite  sicher  nicht 
unter  die  Bettdecke  geschlüpft  wäre,  und  es  ist  nach  dem  ganzen  Charakter  grie- 

')  Vgl.  Parthenius,  ed.  Martini  (Mythographi  Graeci,  vol.  2,  fasc.  i   suppl.),  Lipsiae  1902,  14,  16,  17. 


I^g  Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein. 

chischer  Sagen  anzunehmen,  daß  diesem  erotischen  Besuch  der  Liebesgöttin  bei  dem 
Jüngling  auch  Kinder  entstammen. 

Es  ist  also  hier  Aphrodite  dargestellt,  wie  sie  als  unsichtbare  Göttin  über- 
raschend einen  jugendlichen  vornehmen  Geliebten  besucht  (wohl  einen  Königs- 
sohn). Die  eben  angeführten  Anhaltspunkte  berechtigen  nun,  bestimmte  Personen 
und  Mythen  auszuschließen  und  die  hier  zugrunde  liegende  Geschichte  mit  ziemlicher 
Wahrscheinlichkeit  zu  ermitteln.  Mehrere  Mythen  schildern  uns  die  Liebe  der  Göttin 
zu  schönen  jungen  Männern,  so  die  zu  Anchises  und  zu  Adonis.  Jedoch  ist  das  ganze 
Milieu  dort  durchaus  verschieden.  Anchises  ist  z.  B.  ein  junger  schöner  Hirte  auf 
dem  Ida,  dem  Aphrodite  am  Tage  erscheint,  uapösvii)  atSjirjTO  [isfe&oj  xai  eiSo;  öjaoitj'); 
alles  das  paßt  hier  nicht.  Hier  ist  die  Szene  in  das  Schlafgemach  eines 
städtischen  Jünglings  verlegt,  spielt  wohl  sicher  bei  Nacht,  und  die  erscheinende 
Göttin  ist  keine  izapMvoi  db\t.rfi  mehr.  Ebensowenig  paßt  Adonis:  Das  Einzige, 
was  die  Darstellung  auf  dem  Stücke  Morgan  mit  der  Adonissage  gemein  hat,  ist  der 
jugendliche  Geliebte.  Adonis  ist  aber  ein  Hirte  oder  Jäger,  sein  Zusammentreffen  mit 
Aphrodite  findet  im  Walde  statt.     Der  Diener  bliebe  ebenfalls  unerklärt. 

Die  auffallende  Betonung  des  Alabastrons  läßt  auf  eine  Sage  schließen,  in  der 
die  Göttin  dem  Geliebten  ein  Zauberöl  bringt,  das  diesem  vielleicht  ewige  Jugend 
verlieh,  vielleicht  auch  die  Wirkung  hatte,  daß  der  Geliebte  der  Göttin  anderen 
Frauen  gegenüber  spröde  blieb.  Die  dargestellte  Szene  erinnert  in  dieser  Beziehung 
an  die  Sage  von  Aphrodite  und  Phaon,  die  sicher  auf  ein  älteres  Novellenmotiv  zurück- 
geht ^).  Hier  bekommt  Phaon  ein  Alabastron  mit  einem  Öl  geschenkt,  das  ihn  zum 
schönsten  Menschen  macht  und  die  Frauen  von  Liebe  zu  ihm  entbrennen  läßt.  Außer- 
dem verbirgt  ihn  nach  einer  anderen  Überlieferung  Aphrodite  im  Lattich  3),  da  diesem 
die  Eigenschaft  zugeschrieben  wurde,  die  auf  ihm  gebettete  Person  spröde  zu  erhalten. 
Es  ist  nun  nicht  unwahrscheinlich,  daß  in  einer  Überlieferung  beides  der  Zauberkraft 
eines  Öles  zugeschrieben  wurde.  Mir  scheint  außer  allem  Zweifel  zu  stehen,  daß  der 
Inhalt  des  Alabastrons  auf  dem  Bernsteinstück  Morgan  einen  ganz  ähnlichen  Zweck 
hatte,  vielleicht  sogar  die  eben  angeführten  Kräfte  in  sich  vereinigte.  Der  ein- 
zige Unterschied  ist  der,  daß  Phaon  der  hauptsächlichsten  Überlieferung  nach  ein 
Fährmann  war. 

Ferner  ist  eine  Sage  erhalten,  in  der  sich  Aphrodite  dem  König  Kinyras  oder 
Byblos  auf  Cypern  naht  und  mit  diesem  eine  Tochter  oder  einen  Sohn  zeugt  4).  Ihrem 
Geliebten  Kinyras  verleiht  die  Göttin  großen  Reichtum,  hohes  Alter  und  strahlende 
Schönheit.  Die  Gestalt  des  Kinyras  ist  sagenumwoben  5)  und  wurde  oft  mit  der 
griechischen  Mythologie  eng  verflochten.    Der  König  bleibt  als  Stifter  des  Aphrodite- 

')  Hymni  Homerici  (ed.  Baumeister),  Lipsiae  1906,  Berolini   1849,   s.   v.   Küitpo«,   zurückgehend  auf 

4,    82/83.  Philostephanos    (Fragmenta  Historicorum  Grae- 

»)  Hauptstellen  dafür:  Aelian,  Varia  Historia  (ed.  corum   ed.  C.    Mueller  (Parisüs)  HI  30,   Nr.  ii) 

Hercher),  Lipsiae  1876,   12,   18.   Servius  ad  Aen.  und    Istros   (F.  H.  G.   i,   423,   Nr.  39);  —  Con- 

(rec.  G.  Thilo,  Lipsiae  I  1881)  3,  279.  stantinus    Porphyrog.    Themat.     i,    40    [Editio 

3)  Aelian, Varia  Historia   12,   18.  Bonnensis]  (=  F.  H.  G.  III  30,  Nr.  11). 

1)  Hauptstellen:  Stephanus  Byzantius  (reo.  Meineke)       5)  Pindar,  Pyth.  2,  15  (ed.  Schroeder,  Lipsiae  1914). 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein, 


177 


kultes  in  Cypern  von  größter  Wichtigkeit  für  den  aphrodisischen  Kreis,  ebenso  wie 
sein  Sohn  Adonis  mit  dem  Kult  der  Aphrodite  eng  verknüpft  ist. 

Es  sind  also  alle  Erfordernisse  für  die  Deutung  der  Darstellung  in  der  Sage 
des  Kinyras  gegeben,  und  auch  die  aus  Parthenius  gegebenen  Hinweise  lassen  sich 
schön  damit  vereinigen,  daß  hier  sehr  gut  das  für  die  spätere  griechische  Geschlechter- 
sage so  wichtige  Zusammentreffen  der  Liebesgöttin  mit  Kinyras  dargestellt  sein 
kann.  Damit  ist  der  Kreis  der  Mythen  bestimmt,  in  dem  die  Deutung  des  Morgan- 
schen  Bernsteins  zu  suchen  ist.  Alles  paßt,  soweit  ich  sehe,  auf  Kinyras,  ohne  daß  ein 
bindender  Beweis  sich  bisher  führen  ließe.  Jedenfalls  handelt  es  sich  um  eine  öst- 
liche Geschlechtersage,  in  der  der  Ursprung  eines  großen  Hauses  auf  eine  Liebschaft 
der  Aphrodite  zu  dem  jugendlichen  Ahnherrn  zurückgeführt  war. 

Der  archaische  Stil  des  Stückes  Morgan  weist  auf  eine  Herstellung  etwa 
zwischen  520  u.  500  v.  Chr.  Genaue  Parallelen  finden  sich  nicht.  Besonders  auf- 
fällig ist  die  fast  völlige  Faltenlosigkeit  des  Frauengewandes  sowie  die  gekerbte 
Stirntour  des  Jünglings.  Heranzuziehen  sind  beim  Vergleich  die  etwas  älteren 
Bronzereliefs  von  Perugia'),  die  in  der  Behandlung  des  Gesichtes,  besonders 
der  Augen  mit  den  eingesetzten  Pupillen,  des  Konturs  des  weiblichen  Rückens  und 
der  Schnabelschuhe,  die  die  Göttin  trägt,  Vergleichungspunkte  liefern,  sowie  die 
noch  etwas  älteren  Bronzebeschläge  des  Streitwagens  von  Monteleone  im  Metro- 
politanmuseum  zu  New  York  2).  Stilverwandtschaft  mit  den  archaisch-jonischen 
Funden  in  dem  alten  Artemision  zu  Ephesus  scheint  mir  ebenfalls  zu  bestehen. 
Wie  stark  der  gerade  von  der  kleinasiatischen  Küste  kommende  Einfluß  auf  die 
Ostküste  Italiens  zu  sein  scheint,  beweist  ein  ausgezeichnet  gearbeiteter  Löwen- 
kopf aus  Bernstein  von  Belmonte  im  Museum  zu  Ancona  (Dali'  Osso,  Guida 
del' Museo  Nazionale  di  Ancona,  Ancona  191 5,  Abb.  S.  48),  der  auffallend  nahe 
verwandt  ist  mit  dem  vom  Artemision  zu  Ephesos  stammenden  Löwenkopf  (Brunn- 
Bruckmann,  Taf.  642;  Text  von  Schröder). 

Etruskische  Elemente  zeigt  das  Stück  Morgan  nicht.  Selbst  die  Kappe  der 
Göttin  findet  sich  auf  jonischen  Vasen  (vgl.  Sieveking-Hackl,  Die  kgl.  Vasensamm- 
lung zu  München,  Bd.  I  99,  Abb.  99).  Es  ist  —  das  kann  man  wohl  mit  Sicher- 
heit behaupten  —  entweder  in  einer  in  Italien  bestehenden  griechischen  Werkstatt 
gearbeitet,  oder  sein  Ursprungsort  liegt  viel  wahrscheinlicher  in  griechischem 
Kulturgebiete. 

Ich  wiederhole  zum  Schlüsse,  was  sich  aus  meinen  Ausführungen  wohl  mit 
Sicherheit  halten  läßt: 

I.  Die  ganz  ausgezeichnete  Arbeit  des  Stückes  Morgan  scheint  ganz  ent- 
schieden dafür  zu  sprechen,  daß  es  griechisch  ist,  ob  importiert  oder  an  Ort  und 
Stelle  von  der  Hand  eines  griechischen  Meisters  ausgeführt,    läßt  sich    nicht  ent- 

')  Antike  Denkmäler  2,  Taf.  14.  Petersen,   R.  M.  IX  ^)  Brunn-Bruckraann,  Taf.  586/87;   Text  von  Furt- 

1894,  253 — 219;  vgl.  auch  die  Textabbildung  im  wängler;  G.  Richter,  Metropolitanmuseum  of  art: 

Text  zu  der  Denkraälertatel ;  Brunn-Bruckmann,  Greek,  Etruskan  and  Roman  Bronzes,  New  York 

Taf.  588/89.  1915.  17-29- 


I  ^8  Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstuck  aus  Bernstein. 

scheiden,  jedoch  scheint  mir  der  Fundort  in  der  Nähe  der  reichen   Küsten-  und 
Handelsstadt  Ancona  für  das  erstere  zu  sprechen. 

2.  Die  wahrscheinlich  zugrunde  liegende  Sage  weist  bestimmt  auf  den  grie- 
chischen Kulturkreis  hin,  und  zwar  am  ehesten  auf  jonischen;  da  jedoch  die  stil- 
verwandten Denkmäler  noch  nicht  gesammelt  vorliegen,  möchte  ich  mich  hier  eines 
endgültigen  Urteils  zunächst  noch  enthalten. 

Ich  benutze  die  Gelegenheit,  um  eine  ebenfalls  sehr  bedeutende  archaische 
Bernsteinschnitzerei,  früher  Sammlung  Pourtales  '),  jetzt  im  British  Museum  zu 
London,  in  besseren  Abbildungen  als  den  bisher  veröffentlichten  wiederzugeben '). 
Auch  die  Deutung,  die  Panofka  gab  und  die,  soweit  ich  sehe,  nicht  durch  eine  andere 
bessere  ersetzt  ist,  scheint  sich  nicht  halten  zu  lassen.  Die  hier  veröffentlichten 
Photographien  dieses  Stückes  (Taf.  V)  verdanke  ich  dem  liebenswürdigen  Entgegen- 
kommen des  British  Museums;  Herr  A.  H.  Smith  stellte  mir  dieselben  in  dankens- 
werter Weise  zur  Verfügung. 

Das  Stück  ist  17  cm  lang,  ca.  9,2  cm  breit  und  etwa  faustdick;  Fundort  nach 
Panofka  Ruvo.  Es  ist  an  der  Spitze  durchbohrt  und  diente  daher  als  Anhänger 
irgendwelcher  Art.  , 

Der  Erhaltungszustand  ist  ebenfalls  ein  sehr  guter:  Der  Bernstein  ist  im 
Laufe  der  Zeit  gebräunt  und  zeigt  auf  der  Rückseite  einige  unregelmäßig  begrenzte 
Vertiefungen,  die  wohl  natürliche  sind.  Außer  dem  wohl  zum  Durchziehen  des 
Fadens  oder  Drahtes  dienenden  Loch  am  oberen  Ende  des  Stückes  befinden  sich 
noch  drei  regelmäßige  runde  Löcher  an  ihm,  deren  Bestimmung  ich  vorläufig  nicht 
zu  erklären  vermag. 

Die  ganze  Art  der  Ausführung  steht  etwas  hinter  der  delikaten  Behandlung 
des  Materials  bei  dem  Stücke  Morgan  zurück. 

Dargestellt  sind:  ein  großer  nackter  Mann,  in  seine  Kniee  gesunken,  neben 
ihm  stehend  eine  weibliche  jugendliche  Gestalt,  fast  ganz  in  ihr  langes  Gewand  ein- 
gehüllt. Zwischen  den  beiden  ein  Tierkopf  mit  langer  Schnauze  und  spitzen  Ohren 
—  wohl  sicher  der  einer  Hirschkuh.  Das  Ganze  stellt  also  Artemis  dar  im  Kampfe 
mit  einem  Riesen. 

Im  Vordergrunde  die  Gestalt  des  zu  Boden  Gesunkenen.  Sichtbar:  sein 
linker  Oberschenkel,  das  linke  Knie  am  Boden,  der  linke  Unterschenkel  fast  parallel 
dem  linken  Oberschenkel;  der  linke  Fuß  ist  abgebrochen.  Neben  dem  linken  Ober- 
und  Unterschenkel,  stark  »verzeichnet«,  der  rechte  Ober-  und  Unterschenkel,  die 
so  dargestellt  sind,  als  befände  sich  der  Leib  in  der  Höhe  des  linken  Knies.  Der 
Körper  ist  muskulös  gebildet  mit  stark  entwickeltem,  aber  anatomisch  nicht  richtig 
wiedergegebenem   Brustkorb.     Der  Mann  trägt  einen  starken   Bart,   der  von  Ohr 

')  Zuerst  veröffentlicht  von  Panofka,  Antiques  du  seiner  Abhandlung  nur  Photographien  nach  den 

cabinet  Pourtales,  Paris  1834,  Tafel  20,   i  u.  2;  Stichen  bei  Panofka. 

Text   S.  24/25.      Albizzati   in  seinem    oben    er-  =)  Lichtbilder  nach  der  Vorlage  zu  Taf.   V  sind  bei 

wähnten   Aufsatze    bietet    unter    Fig.  21    u.    22  Seemann   unter   Nr.  81  266  u.  81  267  erhältlich. 


Friedrich  Kredel,  Ein  archaisches  Schmuckstück  aus  Bernstein.  I  7g 

ZU  Ohr  läuft,  außerdem  einen  kräftigen  Schnurrbart.  Die  Frisur  besteht  aus  einer 
glatten  Stirntour  und  glattem  Scheitelhaar;  die  Haare  des  Kopfes  und  des  Backen- 
bartes selbst  sind  durch  parallele  senkrechte  Striche  wiedergegeben.  Der  Kopf  ist 
nach  der  rechten  Brustseite  hingedreht,  der  Blick  geht  geradeaus.  Der  rechte 
Arm  ist  nicht  sichtbar,  der  linke  ist  in  einer  starken  unnatürlichen  Drehung  nach 
oben  gebogen.  Die  linke  Hand  ist  am  oberen  Rande  des  Bernsteinstückes  zu  er- 
kennen (in  der  Rückansicht) :  Finger  parallel  nebeneinander  liegend,  Daumen  etwas 
abstehend  und  in  der  Vorderansicht  zu  bemerken.  Er  hält  sich  mit  dieser  Hand 
an  dem  vielleicht  als  Fels  gedachten  oberen  Rande  des  Stückes  fest  und  sucht  sich 
an  ihm  wieder  aufzurichten,  was  die  links  stehende  Artemis  verhindert,  indem  sie 
mit  ihrer  rechten  Ferse  auf  das  rechte  emporstehende  Knie  des  Mannes  tritt.  Artemis 
steht  höher  als  der  Besiegte:  die  Zehen  ihres  rechten  Fußes  hat  sie  auf  einen  durch 
parallele  wagrechte  Streifen  angedeuteten  Felsen  gesetzt.  Ihr  linkes  Bein  ist  in 
einem  leichten  Gestus  hoch  angezogen  und  im  Knie  gekrümmt;  sie  hält  es  so  frei 
in  der  Luft,  die  Zehen  dieses  Fußes  gespannt  nach  unten  gerichtet.  Die  rechte 
Hand  mit  fest  geschlossenen  Fingern  ist  etwa  in  der  Höhe  ihres  linken  Knies  sicht- 
bar. Die  Göttin  trägt  ein  langes  Gewand  mit  reichen  durchgehenden  Falten,  das 
ihren  ganzen  Körper  bis  auf  die  beiden  Füße  und  die  rechte  Hand  bedeckt.  Der 
nach  rechts  gerichtete  Blick  der  Artemis  geht  über  den  Kopf  des  zu  Boden  Gesunkenen 
hinweg.  Ihre  Frisur  ist  ähnlich  wie  die  des  Mannes,  außerdem  trägt  sie  langes, 
in  geschlossenen  Massen  herabfallendes  Haar,  das  im  Nacken  eingeschnitten  ist.  — 
Zwischen  den  beiden  Gestalten  der  Kopf  der  oben  erwähnten  Hirschkuh,  dem  Hin- 
gesunkenen zugewandt.  Auf  der  Rückseite  eine  mächtige  bärtige  Schlange,  mehr- 
fach geringelt,  deren  Körperumfang  nach  der  Mitte  zunimmt;  der  Kopf  der  Schlange 
wendet  sich  der  Seite  zu,  an  der  in  der  Vorderansicht  der  Kopf  des  Mannes  liegt 
und  wo  dessen  Arm  sich  befindet;  offenbar  schickt  sie  sich  gerade  an,  ihn  anzu- 
greifen. Am  unteren  Rande  des  Stückes  ist  unter  dem  rechten  Fuße  und  dem  linken 
Knie  des  Hingesunkenen  ein  kleiner  Delphin  mit  stark  hervorquellenden  Augen 
angebracht. 

Die  Darstellung  zeigt  also  Artemis  im  siegreichen  Kampfe  gegen  einen  unge- 
schlachten Mann.  Die  Schlange  auf  der  Rückseite  ist  vielleicht  eine  von  ihrem 
Bruder  Apollon  der  Schwester  gegen  diesen  Unhold  zu  Hilfe  gesandtes  Tier,  wie 
ja  Apollon  mehrfach  Schlangen  zur  Bestrafung  von  Frevlern  entsendet  (z.  B.  gegen 
Laokoon).  Derartige  Kämpfe  der  Artemis  gegen  Riesen  sind  mehrfach  überliefert, 
z.  B.  gegen  Orion.  Für  die  Deutung  des  Riesen  auf  Orion  spricht  meines  Erachtens 
ganz  entschieden  der  am  unteren  Ende  des  Stückes  angebrachte  Delphin;  denn 
Orion  ist  nach  verschiedenen  Überlieferungen  der  Sohn  des  Poseidon  ').  Weswegen 
nun  Orion  von  der  Göttin  besiegt  wurde — ,  ob  er  sich  an  ihr  vergreifen  wollte  oder  ob 
er  sonst  ihr  gegenüber  prahlte — ,  darüber  ergibt  sich  aus  dem  Stücke  Pourtales  nichts. 

Trotz  großer  Ähnlichkeiten,  die  das  Stück.  Pourtales  mit  dem  Stücke  Morgan 
gemein  hat  —  z.  B.  die  unnatürliche  Rückwärtsdrehung  des  linken  Armes  des  Riesen 


')  Preller-Robert,  Griechische  Mythologie.    4.  Aufl.      Berlin   1894   1   582. 


l80  ^^-  W.  Frhr.  v.  BUsing,  Untersuchungen  über  die  >phoiniki8chen«  Metallschalen. 

und  des  rechten  Armes  des  Sklavenknaben  sowie  die  Verzeichnungen  von  Glied- 
maßen — ,  sind  doch  auch  erhebliche  Unterschiede  zwischen  den  beiden  vorhanden. 
Besonders  weist  auf  dem  Stücke  Pourtales  die  so  stark  hervorgehobene  anatomische 
Wiedergabe  der  kräftigen  Brustmuskulatur  des  Riesen  sowie  das  stark  entwickelte 
Untergesicht  der  Artemis,  vielleicht  auch  die  durchgehenden  Falten  in  deren  Be- 
kleidung auf  eine  etwas  spätere  Entstehungszeit  hin.  Ich  möchte  es  um  etwa 
500  V.  Chr.  datieren.  Daß  es  sich  auch  hier  um  ein  griechisches  Stück  handelt,  ist 
wohl  mit  Sicherheit  anzunehmen. 

Eine  Sammlung  sämtlicher  Bernsteinschnitzereien  wird  hier  sicher,  wie  oben 
erwähnt,  erhebliche  und  wichtige  neue  Ergebnisse  bringen. 

Gießen.  Friedrich    Kredel. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DIE  „PHOINIKISCHEN" 

METALLSCHALEN. 

I.  Die  Datierung  des  Fundes  von  Nimrud. 

Zwei  Ansichten  über  das  Alter  der  im  Palast  von  Nimrud  gefundenen  Bronze- 
schalen stehen  einander  gegenüber:  Dumont-Chaplain,  les  ceramiques  de  la  Grece 
propre  I  132  f.,  ich  selbst,  J.  d.  I.  XIII  1898,  38  ff.,  Poulsen,  Orient  und  früh- 
griechische Kunst  9  ff.  haben  sich  für  die  Zeit  Aschurnazirpals,  des  Erbauers  des 
Palastes  (884 — 860)  ausgesprochen,  während  der  Entdecker  der  Schalen,  Layard, 
Discoveries  at  Nineveh  and  Babylon  =  Niniveh  und  Babylon,  Deutsch  von  Zenker, 
193,  Perrot- Chipiez  II  735  f.,  Karo  A.  M.  XXXXV,  1920,  I50ff.  für  den  Ansatz 
unter  Sargon  (721 — 05),  den  Erneuerer  des  Baus,  oder  gar  einen  seiner  Nachfolger 
eingetreten  sind.  Die  Entscheidung  bringt,  glaube  ich,  einesteils  eine  Stelle  der  In- 
schriften Sargons,  andernteils  der  von  Layard  gegebene  Fundbericht.  Natürlich  kann 
CS  sich  dabei  nur  um  die  Zeitbestimmung  für  die  Anlage  des  von  Layard  gefundenen 
Depots  handeln;  die  Möglichkeit,  daß  in  diesem  Depot  ältere  Stücke  vorhanden  sind, 
bleibt  so  gut  theoretisch  wie  die  andere,  daß  noch  nach  Sargon  Stücke  hinzuge- 
kommen sind.  Indes  werden  wir  sehen,  daß  wohl  beide  Möglichkeiten  große  Ein- 
schränkungen  erfahren. 

In  Sargons  Zylinderinschrift  (Keilinschriftliche  Bibliothek  II  39)  heißt  es: 
»Damals  war  der  Palast  von  Wachholderholz  in  Kalchu,  den  Aschurnazirpal,  mein 
fürstlicher  Vorgänger,  vordem  gebaut  hatte  —  jenes  Gebäudes  Fundament  war  nicht 
gefestigt,  und  sein  Grundstein  war  nicht  auf  harten  Boden,  festen  Fels  gelegt  worden 
—  durch  Regengüsse,  die  Wucht  des  Himmels,  in  Verfall  und  Altersschwäche  ge- 
raten, seine  Umfassungsmauer  war  gelockert  und  seine  Wände  (?)  in  Verfall  geraten. 
Ich  reinigte  den   Platz  und  erreichte  seinen    festen  Untergrund;    auf    gewaltigen 


Fr.  W.  Frhr.  V.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  MetaJIschalen.  igl 


Quadern  schüttete  ich  sein  Fundament  gleich  dem  Damm  eines  hohen  Gebirges 
auf.  Von  seinem  Grunde  bis  zu  seinem  Dache  baute  und  vollendete  ich  ihn  .... 
Was  bei  (.-')  der  Eroberung  der  Städte  meine  Waffen,  die  ich  wider  die  Feinde 
richtete,  herausgehen  ließen,  schloß  ich  in  ihm  ein  und  füllte  ihn  mit  reicher  Fülle«. 
Auch  wenn  man  gewohnt,  ist  von  den  Angaben  assyrischer  Könige  einiges  abzu- 
ziehen, muß  man  doch  gestehen,  daß  diese  Schilderung  Sargons  nicht  danach  aus- 
sieht, als  habe  er  von  dem  Bau  der  ersten  Hälfte  des  IX.  Jahrhunderts  oder  von 
dem  Inventar  des  Palastes  noch  viel  übrig  gefunden.  Die  kritische  Betrachtung 
des  bei  Layard  a.  a.  O.  176  ff.  gegebenen  Fundberichtes  bestätigt  diese  Annahme. 
Im  hinteren  Teil  des  Südwestpalastes,  in  dem  Zimmer  neben  AA  auf  dem  Plan 
Monuments  of  Niniveh  I  Taf.  100,  in,  in  dem  sich  auch  ein  Brunnen  befand  und 
dessen  einfache  Ausstattung  auf  ein  Depot  hinzuweisen  scheint,  entdeckte  Layard 
aufeinandergestapelt  und  ohne  Ordnung  eine  große  Reihe  von  Gegenständen  aus 
verschiedensten  Materialien,  keiner  jedoch  aus  Edelmetall.  Da  waren  Dinge  aus 
Elfenbein,  Elefantenzähne,  Glasnäpfe,  Waffen,  Teile  von  Pferdegeschirren  (Layard 
a.  a.  0.  178),  Eisengerät,  zwei  Bronzewürfel  mit  in  Gold  tauschiertem  Skarabäus, 
bronzene  Glocken  mit  eisernen  Klöppeln,  Stäbe,  die  in  einen  Haken  mit  einer  Art 
Mundstück  ausliefen,  Knöpfe  und  Buckel  aus  Perlmutter  und  Elfenbein,  zahlreiche 
Teile  von  Dreifüßen,  Tischen,  andern  Möbeln,  wozu  vor  allem  die  Tierfüße  und  der 
angebliche  Weintrichter  (Layard  180)  gehören  '),  der  Kopf  eines  Dämons  aus  Bronze 
(Layard  180),  wie  solche  mit  dem  Körper  unter  dem  Pflaster  des  Palastes  von 
Chorsabad  gefunden  sind  ^).  Dann  fanden  sich  Beschläge  von  Türen  (.''),  die  Layard 
a.  a.  O.  180  als  Waffengürtel  bezeichnet,  endlich  über  150  bronzene  Gefäße,  Schüsseln 
mit  Henkeln,  Teller,  tiefe  Näpfe,  Schalen,  Pfannen  und  Krüge.  Ein  Teil  der  Funde 
lag  in  den  Gefäßen,  die  Löwen-  und  Stierfüße  lagen  in  Haufen  zusammengeschichtet 
unter  Pfannen,  andere  Gefäße  lagen  hinter  den  Pfannen  auf  einem  Haufen  bei- 
sammen. Von  den  Waffen  standen  die  runden  Schilde  aufrecht,  einer  gegen  den 
anderen  gelehnt  und  durch  ein  viereckiges  Stück  Ziegel  gestützt,  dann  waren 
da  dünne  eiserne  Stäbe,  eher  Spieße,  wie  die  bekannten  im  Heraion  gefundenen, 
als  Pfeilschäfte,  wie  sie  Layard  194  erklärt.  Auch  der  Überrest  (.'')  einer  Götter- 
statue scheint  gefunden,  die  a.a.O.  197  erwähnte  Linse  von  Bergkristall,  mit  einer  kon- 
vexen und  einer  ebenen  Seite:  offenbar  das  Auge  eines  Götterbildes.  Man  gewinnt 
aus  dieser  Beschreibung  den  Eindruck,  daß  es  sich  um  ein  sorgfältig  angelegtes 
Depot  handelt,  in  dem  die  verschiedensten  Gegenstände,  soweit  ihr  Material  nicht 
besonders  wertvoll  war,  aufgestapelt  worden  sind.  Manches  von  dem  so  Geborgenen 
scheint  schon  zur  Zeit  der  Bergung  unvollständig  gewesen  zu  sein  3),  einzelnes,  wie 

')  Möbelteile  aus   dem  Depot  sind  abgebildet  bei  British  Museum  einzelne  Tonköpfe  solcher  Dämo- 

Layard-Zenker,  Ninive  und   Babylon    Taf.    XV  nen  abgebildet. 

M,  N,0,  Y,  Z,AA,AB;Taf.  XVI  N,  U;  Taf.  XIV  ')  Man  möchte  das  bei  den  Möbelteilen  vor  allem 

C,  wozu  noch  die  Stücke  vom  Thron   Sargons,  annehmen,    die   sich   zu   keinem  Ganzen   fügen. 

(s.    unten)   und   vielleicht   einige    der  Taf.    XV  Zur  Form  der  Möbel  vgl.  etwa  Koeppen-Breuer. 

S — X  wiedergegebenen  Ornamente  kommen.  Geschichte    des  Möbels  Abb.    133,    134,   138  ff. 

^)   Jastrow,  Bilder  zur  Religion  Babyloniens  Taf.  20,  Der  Abb.  142  wiedergegebene  Sitz  gehört  in  die 

67/8.      Ebenda  sind  aus  dem  Louvre  und  dem  Zeit  Aschumazirpals. 

Jahrbiißh  des  archäoiog-isnhen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  13 


182  Fl'-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >pboinikischen<  Metallschalen. 


die  Götterfiguren  (resp.  ihre  Überreste)  könnten  vom  älteren  Bau  stammen,  anderes, 
wie  die  Elefantenzähne  könnte  Rohmaterial  sein,  wahrscheinlicher  aber  Beute  '). 
In  vollständiger  Erhaltung  wurde  ein  Thron  gefunden  (Layard  198  ff.),  der  mit 
seinem  Fußschemel  in  der  Ecke  des  Gemaches  stand,  also  magaziniert. 

Von  diesem  Thron,  der  dann  leider  zerfiel,  stammen  die  bei  Layard-Zenker 
abgebildeten  Stücke  Taf.  V  B;  VI  E,  F;  XVI  U,  W,  X.  Die  Abbildungen  be- 
stätigen Layards  Urteil  (a.  a.  0.  200),  daß  er  eine  rein  assyrische  Arbeit  ist.  Nach 
der  Beschreibung  von  Layard  199  f.  hatten  nun  Thron  und  Schemel  Löwenfüße, 
die  in  »Pinienzapfen«  endigten.  Das  gibt  einen  Anhalt  zur  Datierung.  Wie  Layard 
a.  a.  0.  und  Meißner,  Babylonien  I  248  mit  Recht  bemerkt  haben,  entspricht  diese 
Endigung  der  jüngeren  assyrischen  Sitte,  während  die  Zeit  Aschurnazirpals,  der 
Meißner  (a.  a.  0.  268)  mit  anderen  den  Thron  zuweist,  nur  den  reinen  Löwenfuß 
kennt.  Wir  haben  also  mindestens  ein  Stück  sargonischer  Zeit  in  dem  Depot. 
Der  gleichen  Zeit  wird,  nach  dem,  was  ich  J.  d.  I.  XIII  1898,  14  ausgeführt  habe, 
die  Schale  Layard-Zenker  Taf.  XIV  K  zuzuweisen  sein.  Gewiß  mag  sie  auf  ägyp- 
tische Vorbilder  zurückgehen  (s.  meine  Metallgefäßc  Kairo  3520,  3530),  gewiß 
wissen  wir  aus  den  Excavations  in  Cyprus  60,  daß  gerade  diese  Form  im  Mittel- 
meergebiet gegen  Ende  der  mykenischen  Zeit  verbreitet  war,  aber  aus  Petrie,  Nebeshe 
Taf.  VII,  daß  sie  in  Ägypten  noch  um  230  lebte;  in  Assyrien  scheint  sie  vor  Sargon 
nicht  nachweisbar.  Zu  den  ägytischen  Stücken  zählen  noch  jene  beiden  Würfel 
mit  dem  Bild  des  geflügelten  Skarabäus  Layard-Zenker  Taf.  XVII  M,  N,  die  zwar 
Perrot-Chipicz  II  751  als  assyrisch  abbildet,  die  aber  nach  Stil  und  Technik  gut 
ägyptische  Arbeiten  der  Zeit  nach  900  oder  später  sind,  wie  die  von  Vernier,  La 
bijouterie  et  la  joaillerie  egyptienne  123  ff.,  behandelten  Denkmäler  lehren,  und 
vor  allem  die  in  der  Form  übereinstimmenden  Würfel  aus  Tanis,  die  Mariettc,  Monu- 
ments Divers  Taf.  103  C  veröffentlicht  hat  und  die  der  Spätzeit,  wahrscheinlich 
erst  dem  VIII. /VII.  Jahrhundert  angehören.  Ägyptisch  ist  ferner,  ohne  uns  indes 
einen  Datierungsanhalt  unmittelbar  zu  geben,  der  Pfannengriff  in  Gestalt  einer 
Nymphaea  caerulea,  den  Layard-Zenker  Taf.  XIV  B  abbildet.  Eine  solche  Pfanne 
des  Neuen  Reichs  findet  sich  z.  B.  in  meinen  Metallgefäßen,  Kairo  3533.  Daß  aber 
diese  Grifform  auch  später  noch  üblich  war,  lehren  die  fünf  Kannen  aus  der  kreti- 
schen Zeusgrotte  (Halbherr-Orsi,  Antro  di  Zeus  Idco  37,  Taf.  XII  9).  Auf  derselben 
Tafel  ist  Nr.  10  ein  Becken  abgebildet  (nach  S.  36  sind  mehrere  gefunden),  das  im 
wesentlichen  mit  dem  bei  Layard-Zenker  Taf.  XIV  L,  XV  G  veröffentlichten  über- 
einstimmt, wozu  die  ägyptischen  Parallelen  in  meinen  Metallgefäßen  3545  und  im 
Fund  von  Zagazig,  Mus6e  Egyptien  II  Täf.  47  ff.,  zum  Teil  mit  figürlichem  Schmuck, 
sich  finden. 

Poulsen  hat  gemeint,  durch  einige  stilistische  Beobachtungen  die  Frühdatierung 
der  Bronzen  von  Nimrud  sichern  zu  können.  Auf  zwei  der  Gefäße  kommen  Wagen 
vor.    Auf  der  Schale  Layard,  Monuments  II  Taf.  65,  wozu  man  die  Zeichnung  bei 


•)  Leider  wissen  wir  zu  wenig  vom  Kunstgewerbe  ob  einzelne   der   Möbelteile   von   dort   stammen 

der  Gegend  um  Karchemisch,  um  sagen  zu  können,  könnten. 


Fr.  W.  Frbr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  ttber  die  »phoinikischenc  Metallschalen.  I  g? 

Studniczka  J.  d.  I.  XXII  1907,  164  vergleiche,  hat  der  Wagen  vier  Speichen,  eine 
zunächst  seiir  archaisch  anmutende  Form.  Aliein  im  übrigen  trägt  diese  Schale 
keinerlei  altertümliche  Züge.  Anders  steht  es  mit  der  Tasse  Layard  a.  a.  0.  Taf.  63. 
Hier  hat  der  Wagen  acht  Speichen,  also,  wie  auch  Studniczka  a.  a.  O.  172  anerkennt, 
die  jüngere  assyrisclie  Form,  die  zu  einem  Ansatz  in  sargonische  Zeit  besser  stimmen 
würde  als  zu  einem  in  das  IX.  Jahrhundert.  Ich  sage  besser:  Salmanassar  III. 
(859 — 23)  fährt  auf  den  Torbeschlägen  von  Balawat  noch  auf  dem  sechsspeichigen 
Wagen,  aber  nach  den  Abbildungen  hethitischer  Gefährte  auf  ägyptischen  Reliefs 
der  Ramessidenzeit  war  der  achtspeichige  Wagen  in  diesem  Kreis  damals  ganz  all- 
gemein im  Gebrauch,  ja  der  Pharao  Tuthmosis  IV.  (um  1420)  und  nicht,  wie  Stud- 
niczka a.  a.  0.  149  behauptet,  seine  syrischen  Gegner,  benutzt  auf  den  Reliefs  seines 
Kriegswagens  aus  seinem  Grab  (z.  B.  meine  Denkmäler  Text  zu  Taf.  78)  den  acht- 
speichigen  Wagen.  Andererseits  finden  wir,  vermutlich  aus  bildlicher  assyrischer 
Tradition  übernommen,  den  sechsspeichigen  Wagen  auf  dem  von  Weber,  Hethitische 
Kunst,  zu  Taf.  41  wohl  zu  hoch  um  lOOO  datierten  Relief  aus  Malatia.  Mansieht,  wie  be- 
denklich eine  Methode  ist,  die  mit  Hilfe  solcher  Einzelheiten  eine  Datierung  zu  gewinnen 
sucht  —  vor  allem  wenn,  wie  bei  den  Nimrudschalen,  der  Entstehungsort  des 
Denkmals  nicht  feststeht.  Auf  der  Tasse  nun,  die  diese  verhältnismäßig  junge 
Radform  zeigt  (und  nicht,  wie  Poulsen,  Orient  und  frühgriechische  Kunst  8  und  13  an- 
gibt, auf  der  Schale  Layard  a.  a.  O.  65)  finden  wir  an  dem  Löwen  ein  Detail,  das  in  der 
assyrischen  Kunst,  wie  Poulsen  beobachtet  hat,  nach  Aschurnazirpal  nicht  mehr  vorzu- 
kommen scheint:  den  Haarstern  am  Oberschenkel.  Allein  dieser  Haarstern  taucht,  wie 
teilweise  schon  Poulsen  bemerkt  hat,  in  den  Silberarbeiten  derskytho-persischen  und  der 
sassanidischen  Kunst  wieder  auf  (z.  B.  Sarre,  Kunst  des  alten  Persiens Taf.  113,  128), 
nicht  aber  in  der  achämenidischen  Monumentalkunst.  Der  Typus  scheint  sich  also 
irgendwie  in  der  Metallindustrie  gehalten  zu  haben.  Betrachten  wir  nun  aber  die 
Gesamtgestalt  des  Löwen  auf  der  Tasse  von  Nimrud,  von  der  Poulsen  a.  a.  0.  Abb.  3 
eine  ausgezeichnete  Wiedergabe  gibt,  so  stellt  sie  sich  zwar  im  Gesamthabitus  ganz 
gut  neben  die  Löwen  Aschurnazirpals  (Poulsen  a.  a.  O.  Abb.  7,  Budge,  Assyrian 
sculptures,  reign  of  Ashurnasirpal  Taf.  VI,  XII,  XLII),  aber  in  der  Zeichnung 
der  Mähne  wie  Schuppen  und  in  der  Sträubung  der  Haare  an  der  Rückenmähne 
gleicht  der  Löwe  der  Tasse  viel  mehr  den  Löwen  Sargons  (Perrot-Chipiez  II  Taf.  XV, 
weniger  Taf.  XI)  und  Aschurbanipals  (Perrot-Chipiez  II  Fig.  267  ff.,  Klcinmann, 
Assyrische  Skulpturen  Taf.  XL,  Meißner,  Grundzüge  der  Plastik  Abb.  236  usw.). 
Freilich  teilen  die  Löwen  der  beiden  Layard,  Monuments  II  Taf.  68  wiedergegebenen 
Tassen  mit  den  älteren  assyrischen  Löwen  und  den  hethitischen  Ausgrabungen 
von  Sendschirli  IV  Taf.  LVII')  die  Behaarung  am  Oberschenkel  der  Hinterbeine, 
aber  diese  tritt  auch  bei  den  Löwen  der  Idaeischen  Grotte,  Halbherr-Orsi,  Bronzi 
Cretesi  Taf.  II,  auf.  Und  diese  kretischen  Löwen  zeigen  zum  Teil  (a.  a.  O.  Taf.  III, 
V)  Behaarung  des  ganzen  Körpers,  also  auch  jene  auffällige  Rückenmähne,  die  im 
Bereich  der  mesopotamischen  Kunst  unerhört  ist,  für  die  Poulsen  auf  den  kleinen 


')  Die  andern  von   Poulsen  beigebrachten    »Parallelen«    aus    Sendschirli    sind    irreführend. 

•3* 


184  ^'-  ^'  ^'^f-  V-  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


von  Jaeckel  in  der  Ostasiatischen  Zeitschrift  I  79  ff.  veröffentHchten  Bronzelöwen 
als  einzige  Analogie  verweist.  Jaeckel  hielt  das  in  China  gefundene  Tier  für  sume- 
risch, tatsächlich  gehört  es  mit  all  seinen  Mängeln  in  den  ostasiatischen  Kreis,  aus 
dem  es  stammt.  Hingegen  tragen  die  Löwen  auf  dem  u.  a.  bei  Brunn,  Kunst- 
geschichte I  94  abgebildeten  Bronzeständer  aus  Caere,  dessen  Beziehungen  zur 
»orientalischen«  Kunst  allgemein  erkannt  sind  (s.  auch  Poulsen,  Orient  usw.  124  f.), 
Rückenmähnen.  Hier  mag  noch  hingewiesen  werden  auf  die  Typenverwandtschaft 
des  Löwen  auf  dem  Siegel  des  Schema,  Dieners  Jerobeams,  mit  den  Löwen  der 
beiden  Tassen  Layard,  Monuments  H  Taf.  68.  Ist  mit  Lidzbarski,  Ephemeris  f. 
sem.  Epigr.  H  140  ff.  Jcrobeam  I.  zu  verstehen,  so  gehört  das  Siegel  in  den  Anfang 
des  IX.,  ist,  was  auch  Lidzbarski  für  möglich  hält,  Jcrobeam  II.  gemeint,  so  muß 
CS  in  den  Anfang  des  VHI.  Jahrhunderts  gesetzt  werden.  Im  übrigen  sei  ausdrück- 
lich bemerkt,  daß  so  wenig  wie  auf  den  Bronzen  von  Kreta  auf  den  Schalen  von 
Nimrud   ein  einheitlicher  Löwentypus  herrscht. 

Hinter  dem  Löwen  der  einen  Tasse  erscheint  ein  Palmettenbaum.  Er  kehrt 
ganz  ähnlich  auf  der  Tasse  Layard,  Monuments  II  Taf.  57  C,  Ninive  und  Babylon 
190  wieder.  Poulsen  möchte  an  Beispielen  dartun,  daß  dieser  Baum  nur  unter 
Aschurnazirpal  vorkomme,  unter  Sargon  und  seinen  Nachfolgern  schon  ganz  dege- 
neriert sei.  Aber  Layard  a.  a.  O.  II  Taf.  XIV/V  sind  Reben  gemeint,  I  Taf.  XIII/XIV 
scheint  mir  völlig  verschieden.  Allenfalls  könnte  man  unter  den  Skulpturen  Aschur- 
nazirpals  Layard  I  Taf.  35,  37  vergleichen  (Budge,  Assyrian  sculptures  Taf.  XXVI, 
XXXVI);  aus  solchen  Motiven  und  den  ähnlichen  Palmettenbäumen  der  assyrischen 
Gewänder  könnte  unser  Palmettenbaum  entstehen,  völlig  gleich  ist  ihm,  so  weit 
ich  sehe,  auch  keiner  der  »Bäume«  auf  Zylindern:  man  sehe  die  Zusammenstellung 
bei  Ohnefalsch-Richter,  Kypros,  die  Bibel  u.  s.  w.  Taf.  69,  wo  am  nächsten  die  dem 
persischen  Zylinder  mit  arameischer  Inschrift  Taf.  y/,  10  entlehnte  Form  kommt. 
Das  Stück  ist  im  Libanon  gefunden  und  gehörte  einem  Syrophoiniker  etwa  des 
Anfangs  des  V.  Jahrhunderts.  Der  Palmettenbaum  entstammt  wohl  wie  das  Schema 
des  Löwen  bezwingenden  Mannes,  das  ja  auch  auf  der  Nimrudschale  Layard  II 
Taf.  64  wiederkehrt,  dem  einheimischen  Typenschatz,  nur  das  Kostüm  ist  modisch, 
persisch.  Wieder  hat  sich  das  Motiv,  das  in  den  altassyrischen  Gewandverzierungen 
Layard,  Monuments  I  Taf.  43  anklingt,  in  der  sassanidischen  Kunst  erhalten:  Sarre, 
Kunst  des  alten  Persiens  Taf.  123  und,  naturalistischer,  Taf.  122. 

Poulsen  hat  weiter  als  für  den  Ansatz  unter  Aschurnazirpal  beweiskräftig 
angeführt,  die  Palmettenreihen  der  Schalen  Layard,  Monuments  II  Taf.  59  C  und 
62  B  stimmten  mit  dem  ägyptischen  Krug  von  Zagazig,  Mus^e  ßgyptien  II  Taf.  XLV 
überein,  der  der  Zeit  um  1200  angehören  muß.  Der  Palmettenbogenfries  hat  seit 
alter  Zeit  und  bis  zu  ihrem  Ende  Heimatrecht  in  der  assyrischen  Kunst  erworben; 
während  aber  die  Blüten  des  ägyptischen  Ornaments  deutlich  Nymphäen  sind, 
sehen  wir  auf  den  Nimrudschalcn  Sternblüten  und  Papyros.  Der  typisch  ägyp- 
tische fallende  Blätterkranz  des  Gefäßes  von  Zagazig  ist  den  Nimrudschalcn  aber 
fremd,  auch  das  Gehänge  von  Taf.  59  D  hat  nichts  damit  zu  tun.  Allenfalls  könnte 
man  auf  ägyptische  Vorbilder  das  bisher  kaum  beachtete  Kymation  von  Taf.  64 


Fr.  W.   Frhr.   v.   Bissing,   L'ntersuohungen  über  die  »phoinikischen«   Metallschalen. 


185 


zurückführen').  Die  Form  dieses  Kymations  selbst  aber  weist  wieder  in  die  Zeit  einer 
jüngeren,  dem  VII.  Jahrhundert  nahestehenden  Entwicklung. 

Auch  die  Berufung  auf  das  Asaphsiegel  (z.  B.  Greßmann,  Bilder  zum  Alten 
Testament  105)  dürfte  die  Hochdatierung  wenig  stützen.  Einmal  gehört  dies 
Siegel  selber  dem  VIII.  Jahrhundert  wahrscheinlich  an,  dann  aber  ist  die  dort 
und  übereinstimmend  auf  der  Schale  Layard,  Monuments  II  Taf.  63  verwendete 
Greifenform  zwar  ihrem  Ursprung  nach  ägyptisch  (Lanzone,  Dizionario  di  mito- 
logia  1067  aus  dem  Mittleren  Reich),  in  der  hier  vorliegenden  Ausgestaltung  aber 
syro-phoinikisch.  Ungeflügelt  findet  er  sich  als  Tier  des  Gottes  Month  nicht  selten 
auf  Skarabäen,  geflügelt,  aber  liegend  auf  der  Axt  des  Amosis  (mein  Grabfund  aus 
dem  Anfang  des  Neuen  Reichs  Taf.  I ).  Die  in  Phoinikien  übliche  Form  scheint  in  der 
Spätzeit  Ägyptens  auf  die  Heimat  zurückgewirkt  zu  haben,  denn  nach  dem  Sockel- 
ornament und  der  Herkunft  ist  das  Bild  Lanzone  a.  a.  0.  1068  nicht  vor  die  Ptole- 
mäerzeit  zu  setzen.  Es  stammt  aus  Wadi  es  Sofra  (Budge,  Sudan  II  149,  Lepsius, 
Denkmäler  V  74).  Einen  gewissen  Anhalt  geben  auch  die  vielen  Eisenfunde  im 
Depot.  Nicht  nur  die  Waffen  waren,  mit  wenigen  Ausnahmen  (Layard-Zenker  194 
Griffe  von  Schwertern)  aus  Eisen,  sondern  auch  die  Werkzeuge,  Hacken,  Hämmer, 
eine  Säge  (Layard-Zenker  Taf.  XIX  A  —  wieso  sie  nach  S.  195  zwei  Griffe  haben 
soll,  ist  mir  unklar  2)).  Nun  hat  Winkler,  Altorientalische  Forschungen  I  159  ff. 
gezeigt,  daß  zwar  zur  Zeit  Aschurnazirpals  das  Eisen  bekannt  war,  daß  man  aber 
eiserne  Werkzeuge  erst  in  sargonidischer  Zeit  in  größerem  Umfang  verfertigt  hat. 
Nach  Lehmann-Haupt,  Materialien  zur  älteren  Geschichte  Armeniens  loo  liegen  die 
gleichen  Verhältnisse  in  Armenien  vor,  einem  Hauptsitz  der  altasiatischen  Eisen- 
industrie. 

Durchaus  entschieden  zugunsten  des  Ansatzes  unter  Sargon  glaubte  Dussaud, 
Les  civilisations  prehelleniques  1914,  310  f.  den  Streit  durch  die  aramäischen  In- 
schriften auf  vier  der  Schalen  von  Nimrud.  Es  handelt  sich,  wie  man  aus  Dumont- 
Chaplain,  Ceramiques  de  la  Grece  I  131  erfährt,  um  die  Schale  Layard,  Monuments 
II  Taf.  62  B,  die  Schale  Perrot-Chipiez  II 741  und  zwei  unveröffentlichte  Schalen  30  k 
(au  centre  feuille  mal  dessinee;  cinq  cercles  concentriques)  und  30  v  (motif  du 
centre  composec  de  feuilles;  deux  zones  florales),  die  im  British  Museum  die  Nummern 
14  und  50  tragen.  Nach  Rcnans  und  de  Vogues  Urteil  würden  sämtliche  vier 
Inschriften  archaischen  Charakter  tragen,  ähnlich  dem  der  von  Layard  gefundenen 


■)  Vgl.  die  Zusammenstellungen  bei  Meurer,  Ver- 
gleichende Formenlehre  342  fE. 

^)  Einige  ganz  ähnliche  Sägen  hat  Petrie,  Sixtemples 
Taf.  XXI  neben  einem  assyrischen  Helm,  einer 
unverzierten  Bronzescliale  etwa  der  Form  derer 
von  Nimrud  gefunden.  S.  l8f.  weist  Petrie  auf 
die  Wahrscheinlichkeit  hin,  daß  auch  die  bei  dem 
Helm  gefundenen  eisernen  Werkzeuge,  deren 
Formen  unägyptisch  sind,  assyrischen  resp. 
armenischen  Ursprungs  seien.     Das  Datum  des 


Thebanischen  Fundes  muß  in  die  Zeit  des  Zuges 
Assarhaddons  gegen  Theben,  um  670,  fallen.  Ein 
Werkzeug  (Axt)  und  nicht  die  Spitze  eines  Pfeiles 
ist  offenbar  auch  das  Layard-Zenker  Taf.  XVI,  V 
abgebildete,  zweischneidige  Eiseninstrument,  das 
durchaus  die  typische  Gestalt  des  Pickels  hat 
bei  Layard  aber  auf  dem  Kopf  zu  stehen  scheint.' 
Sehr  nahe  steht  ihm  das  kyprische  »Doppelbeil« 
Orientalisches  Archiv  III  Taf.  XXX  15  aus 
Bronze.  Über  Sägen :Petrie,Tools  und  Weapons43ff. 


i86 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


bilinguen  Tafeln,  die  dem  Ende  des  VIII.  oder  dem  Anfang  des  VII.  Jahrhunderts 
angehören.  Sie  geben  Namen,  deren  Bedeutung,  ob  Verfertiger,  erster  oder  späterer 
Eigentümer  der  Schalen,  nicht  feststeht.  Lange  Zeit  war  die  älteste  aramäische 
Inschrift  eine  aus  Salmanassar  V.  Zeit  (727 — 722,  Sanda,  Die  Aramäer  25).  Neuer- 
dings aber  kennen  wir  Inschriften  in  altsemitischem  Alphabet  aus  Sendschirli,  die 
in  die  Regierung  Salmanassars  III.,  und  vielleicht  noch  früher,  also  um  die  Mitte 
des  IX.  Jahrhunderts  fallen  (Ausgrabungen  von  Sendschirli  IV  374,  Orient.  Literztg. 
1911,  540  ff.,  Lidzbarski,  Ephemeris  III  192  ff. ')).  Immerhin  soll  man  nicht  über- 
sehen, daß  die  z.  B.  Perrot-Chipiez  III  783  abgebildete  Schale  aus  Olympia,  die 
nicht  allzuweit  von  den  Nimrudschalen  abgerückt  werden  kann,  eine  Inschrift  trägt, 
die  der  Text  der  Bronzen  von  Olympia  141  in  das  VII./VI.  Jahrhundert,  Renan, 
der  den  rein  aramäischen  Charakter  auch  der  Sprache  betont,  sogar  in  das  V.  Jahr- 
hundert setzen  will.  Damit  würde  sie  sich  mit  der  Inschrift  auf  der  im  nördlichen 
Kaukasusgebiet  gefundenen  Schale  persischen  Stils  berühren,  die  den  letzten  Aus- 
läufer der  Gattung  bildet  (Zeit.  d.  Deutsch-Morg.-Gesell.  1878,  Taf.  II,  Perrot- 
Chipiez  III  792)  J). 

Ich  glaube,  auch  abgesehen  von  dem  sicher  sargonischen  Thron  und  der  Schale 
und  ohne  auf  die  Angaben  Sargons  übertriebenes  Gewicht  zu  legen,  wird  man  fest- 
stellen dürfen,  daß  kein  einziges  im  Depot  gefundenes  Stück  zu  einem  Ansatz  unter 
Aschurnazirpal  zwingt,  die  meisten  sich  in  die  bekannte  Kultur  der  sargonischen 
Zeit  einfügen.  Ein  Ansatz  zwischen  Aschurnazirpal  und  Sargon  ist  aber  aus  bau- 
geschichtlichen Gründen  nicht  möglich.  Vielleicht  aber  können  wir  die  Zeit  der 
Anlage  des  Depots  noch  genauer  festlegen.  Sargon  residierte  anfangs  zu  Assur, 
siedelte  dann  nach  Nimrud  über,  um  es  in  der  Mitte  seiner  Regierung  wieder  zu 
verlassen  und  sich  in  Ninive  niederzulassen,  das  er  gegen  Schluß  seines  Lebens  mit 
dem  neuerbauten  Palast  Dur-Scharrukin  vertauschte  (Olmstead,  History  of 
Assyria  270).  Nun  berichtet  Sargon  wiederholt  von  großen  aus  dem  Westen  ge- 
brachten Tributen:  die  Gaben  sieben  kyprischer  Könige  wurden  nach  Babylon 
gebracht,  Keilinschr.  Bibl.  II  75.  A.  a.  0.  79  werden  reiche  Tribute  aufgezählt, 
die  in  Dur-Scharrukin  niedergelegt  werden.  Am  Schluß  der  oben  angeführten  Stelle 
der  Zylinderinschrift  aber  heißt  es:  »Damals  ließ  ich  in  jenes  Schatzhaus  11  Talente 
30  Minen  Goldes,  2100  Talente  24  Minen  Silbers  aus  der  großen  Beute  des  Pisiri, 
Königs  von  Karchemisch  im  Chattilande  am  Ufer  des  Euphrat,  welche  meine  Hand 
gemacht  hatte,  dorten  hineinbringen.«    Der  Feldzug  gegen  Karchemisch  fällt  in  das 


')  S.  auch  Lidzbarski,  Altaramäische  Urkunden  aus 
Assur  1921  und  Streck,  Klio  VI  220  ff.  Für 
phoinikische  Inschriften  der  Zeit  um  1250  v.  Chr. 
aus  Byblos  s.  jetzt  Dussaud,  Syria  V  135  fl. 
An  dem  Alter  der  Texte  scheint  kein  Zweifel 
möglich.     Zur  Schaleninschrift  s.  u.  S.  209. 

")  Leider  verzeichnet  das  C.  I.  S.,  soviel  ich  sehe, 
die  Inschriften  der  Nimrudschalen  noch  nicht 
und  verläßt  sich  bei  der  Schale  von  Praeneste 


C.  I.  S.  I  76  auf  das  Urteil  des  Ägyptologen 
Maspero,  der  sie  in  die  XXVI.  Dynastie  setzt! 
Sehr  alt,  bis  ins  IX.  Jahrhundert  hinauf  soll  die 
Inschrift  einer  auf  Kypros  gefundenen  tiefen 
Metallschale  reichen,  die  ursprünglich  dem  Liba- 
nongebiet entstammen  soll  (C.  I.  S.  I  22  f. 
Taf.  IV).  Sie  hat  keine  Darstellungen  und  weicht 
in  der  Form  durchaus  ab.     S.  Klio  XIV  6. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  » phoinikiscben«   Metallschalen.  187 


Jahr  717,  also  die  Zeit  seiner  Residenz  in  Nimrud.  Die  Vermutung  ist  wenigstens 
erlaubt,  daß  die  Stücke  in  dem  Depot,  die  einen  einheitlichen  Charakter  tragen 
und  nicht  assyrisch  sind,  aus  der  Beute  von  Karchemisch  stammen  '),  womit  noch 
keineswegs  gesagt  ist,   daß  Hethiter  die  Gegenstände  verfertigt  haben. 

Im  Palast  zu  Nimrud  ist  noch  ein  zweites  Depot  gefunden  dicht  neben  dem 
Bronzedepot  in  einem  Zimmer.  Die  Kammern  stammten,  genau  wie  das  Bronze- 
magazin ursprünglich  von  Aschurnazirpal,  aber  oberhalb  der  älteren  Inschriften 
hatte  Sargon  seine  Texte  an  den  Eingang  gesetzt.  (Layard,  Niniveh  and  its  remains 
1849,  II  16.)  Nach  der  a.  a.  O.  15  abgedruckten  Beschreibung  fanden  sich  lediglich 
zum  Teil  vergoldete  Elfenbeine,  die  zum  Schmuck  von  Möbeln  und  Wänden  (?) 
gedient  haben  sollen.  Also  auch  hier  eine  gewisse  Ordnung  nach  dem  Material.  Die 
Stücke  sind  Layard,  Monuments  I  Taf.  88  ff.  veröffentlicht,  einzelne  Stücke  nach 
Photographien  bei  Hogarth- Smith,  Excavations  at  Ephesus  170  ff.  und  Poulsen, 
Orient  ^7  ff.  Smith  charakterisierte  die  Stellung  dieser  Elfenbeine  dahin,  daß  sie 
jünger  sein  müssen  als  die  Elfenbeine  von  Enkomi,  älter  als  die  Funde  von  Kameiros 
auf  Rhodos  und  die  italischen  Funde.  Diese  Gruppe  ist  durch  das  wiederholte  Vor- 
kommen von  Skarabäen  Psammetichos'  I.  chronologisch  auf  nach  663  v.  Chr.  be- 
stimmt. Alter  als  diese  Gruppe  sind  offenbar  aber  auch  die  Elfenbeine  von  Ephesus, 
die  ihrerseits  von  den  Nimrudelfenbeinen  nicht  weit  abzustehen  scheinen.  So  kommen 
wir  auf  einen  Zeitansatz  in  das  VIII.  Jahrhundert,  mit  Hogarth,  Excavations  at 
Ephesus  242  f.  möglicher  Weise  noch  etwas  höher,  da  er  den  Zeitraum  zwischen  dem 
Nimruddepot  und  den  Enkomifunden  auf  nicht  unter  100  Jahr  schätzt,  die  spätesten 
Enkomifunde  aber  nicht  später  als  um  1000  angesetzt  werden  können  (Poulsen, 
J.  d.  I.  XXVI  191 1).  Unbemerkt  scheint  anscheinend  bisher  geblieben  zu  sein,  daß 
in  der  Idäischen  Grotte  Bronzi  Cretesi  Taf.  XII  7  ein  Ochse  (?)  ^)  gefunden  ist,  der 
im  Stil  und  der  Bewegung  die  größte  Ähnlichkeit  mit  dem  Hirsch  und  der  Kuh  Layard 
a.  a.  O.  Taf.  91,  Nr.  31 — 33  zeigt.  So  sehen  wir  auch  bei  diesem  Depot  eine  Verbin- 
dung zwischen  den  kretischen  Funden  der  Idäischen  Grotte,  die  nur  Frottingham, 
A.  J.  A.  1888,  440,  übrigens  zweifelnd,  ins  IX.  Jahrhundert  hat  setzen  wollen,  und 
dem  assyrischen  Fund.    Layard,  Niniveh  a.  a.  O.  163  hielt  die  Elfenbeine  für  gleich- 


')  Mit  Kypros  tritt  Sargon  erst  709,  gegen  Schluß  stammten  100  Kupfergefäße,  3000  Kupfer- 
seiner Regierung  in  unmittelbare  Verbindung.  pfannen,  kupferne  Amphoren  (s.  Reo.  de  trav.  17, 
DaichfruherselbstdieStellenKeilinschr.Bibl.il  76  Maspero),  Schalen,  Ständer,  Sessel  von 
93,  105,  107,  109  angezogen  habe,  um  die  Da-  Elfenbein  und  Gold,  alles  Beute  aus  dem  Chatti- 
tierung  des  Nimrudfundes  unter  Aschurnazirpal  land,  nicht  aus  Phoinikien.  Die  auf  den  Schalen 
wahrscheinlich  zu  machen,  so  sei  auf  einen  dabei  von  Nimrud  angebrachten,  aramäischen  In- 
untergelaufenen Fehler  aufmerksam  gemacht.  Schriften  würden  an  sich  zu  einem  solchen  Schatz 
Es  handelt  sich  eines  Teils  um  den  Tribut  phoi-  gut  passen,  aber  beweisen  können  sie  nichts, 
nikischer  Städte,  da  werden  kupferne  Kessel  ^)  »Toro«  sagen  die  Herausgeber  im  Text  S.  65. 
genannt.  Dann  um  Schätze  aus  dem  Gebiet  von  Mir  scheint  nach  dem  Bart  »Antilope«  das  wahr- 
Bit  Adini  und  Chatni  (früher  Patni  gelesen),  scheinlichste,  für  einen  Stier  ist  das  Tier  viel  zu 
dem  Hethiter-Gebiet;  genauer  beschrieben  wird  wenig  mächtig.  Es  ist  leider  im  kretischen 
ein   Schatz    eines   Aramäerfürsten.       Ihm    ent-  Aufstand  verlorengegangen. 


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Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikiächen«  Metallschalen. 


zeitig  mit  dem  Erbauer  von  Chorsabad,  also  mit  Sargen.  Was  Birch  auf  ägyptologischer 
Grundlage  in  Layards  Buch  zu  ermitteln  suchte,  wird  hinfällig,  da  es  sich  bei  der 
Elfenbeintafel  mit  Hieroglyphen  in  keinem  Fall  um  eine  echt  ägyptische  Arbeit  han- 
deln kann.  Die  enge  Beziehung  der  Elfenbeine  zu  den  benachbarten  Bronzen  er- 
hellt unmittelbar,  und  ihr  unassyrischer  Charakter  wird  am  leichtesten  erkannt, 
wenn  man  daneben  echt  assyrische  Elfenbeinschnitzereien  hält  wie  Meißner,  Baby- 
lonien  und  Assyrien  ITafabb.  1 53,  wohl  aus  der  Zeit  Aschurnazirpals.  Eine  Entscheidung 
bringt  also  auch  dies  Depot  nicht,  aber  wieder  neigt  sich  die  Schale  der  späteren 
Datierung    zu  '). 

Vielleicht  kann  man  dafür  auch  ein  drittes  Depot  anführen,  das  nach  Layard, 
Niniveh  and  its  remains  1849  I  47  sich  im  Südwestpalast  Assarhaddons  fand.  Hier 
kam  eine  Sphinx,  ein  Mann  im  langen  Gewand  mit  der  ägyptischen  Lebensbinde, 
Blumen,  alles  aus  Elfenbein  und  wie  die  vorigen  Stücke  mit  Spuren  von  Vergoldung, 
zu  Tage.  Noch  andere  Elfenbeinschnitzereien,  von  einem  Thron  sollen  nach  Loftus, 
Athenaeum  1855,  351  zitiert  bei  Perrot-Chipiez  II  731  im  Südostpalast  von  Nimrud 
gefunden  sein,  der  gegen  620  errichtet  ist.  Es  sind  Karyatiden  ähnlich  den  auf  einem 
Relief  aus  Babylon  dargestellten,  das  wohl  ein  Möbel  abbildet  (Meißner,  Babylonien  I 
Abb.  140).  Eine  dieser  Figuren  soll  eine  phoinikische  Inschrift  tragen.  Schon  nach 
dem  Fundort  kann  dies  Depot  nicht  älter  als  der  Anfang  des  VII.  Jahrhunderts  sein. 
Veröffentlicht  scheint  von  diesen  Dingen  nichts. 

Wenn  wir  somit  mit  annähernder  Sicherheit  die  Elfenbeine  und  Bronzen  von 
Nimrud  dem  Ende  des  VII.  Jahrhunderts  zuweisen  dürfen,  so  ist  die  Zeit  der  in  Europa 
gefundenen  Schalen  und  der  armenischen  Schilde  viel  müheloser  bestimmt.  Die 
armenischen  Schilde  (Perrot-Chipiez  II  756,  Lehmann-Haupt,  Materialien  zur  Ge- 
schichte Armeniens  99)  tragen  Inschriften  der  Zeit  Rusas  II.  (um  675  Zeitschr.  f. 
Assyr.  IX  82  ff.)  und  Rusas  III.  (um  650).  Nun  besagt  die  Inschrift  merkwürdiger- 
weise nicht,  daß  Rusas  den  Schild  in  den  Tempel  geweiht  habe,  geschweige  denn  daß 
er  ihn  habe  anfertigen  lassen,  sondern  daß  er  den  Tempel  geweiht  habe.  Allein  da 
nach  dem  am  besten  bei  Olmstead,  History  of  Assyria  Fig.  101/2  wiedergegebenen 
Relief  Sargons  mit  der  Eroberung  und  Plünderung  der  armenischen  Hauptstadt 
Schilde  außen  an  Tempeln  hingen,  so  ist  die  Fassung  der  Inschrift  vielleicht  ver- 


')  Für  eine  höhere  Datierung  der  Elfenbeine  und  die 
Erklärung  ihres  stilistischen  Charakters  aus 
Gründen  ihrer  Herkunft  kann  ein  bisher  an- 
scheinend unbemerkter  Umstand  angeführt 
werden.  In  dem  »kleinen  Tempel«  zu  Nimrud 
wurde  ein  .\labasterkopf  von  einem  Möbel  (?) 
gefunden,  der  eine  fast  genaue  Kopie  eines  der 
Elfenbeinköpfe  aus  Nimrud  (Excavations  at 
Ephesus  Taf.  XXIX  8,  Poulsen,  Orient  Abb.  36) 
ist.  Nun  scheinen  die  Funde  aus  dem  »kleinen 
Tempel «  wesentlich  der  Zeit  Aschurnazirpals  anzu- 
gehören. Der  Alabasterkopf,  schon  nach  dem  Ma- 
terial von  einheimischer  Arbeit,  scheint  stilistisch 


zu  dem  ältesten  in  Nimrud  vertretenen  Typus 
der  Elfenbeinköpfe  zu  gehören,  der  wiederum 
mit  dem  strengsten  Typus  der  Elfenbeine  von 
Ephesus  nahe  zusammengeht.  So  bleibt  die 
Möglichkeit,  daß  wir  in  dem  Elfenbeindepot  das 
eine  oder  andere  Stück  aus  dem  IX.  Jahrhundert 
haben.  Andererseits  steht  die  wohl  der  Zeit 
Aschurbanipals  (oder  Sennacheribos  ?)  ange- 
hörige  »Astarte«  aus  Kujundschik  Journal  Egypt. 
arch.  I  Taf.  XV  in  ihrem  stark  ägyptisierenden 
Stil  den  andern  Nimrudelfenbeinen  nicht  fern. 
King  dachte  hier  sogar  an  eine  für  den  Export  ge- 
arbeitet ägyptische  Arbeit. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Kissing,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  igg 


ständlich;  immerhin  tut  man  gut  nicht  zu  übersehen,  daß  das  für  die  Schilde  vom 
armenischen  Tempel  auch  nach  Sargons  Inschrift  bezeichnendste,  die  plastischen 
Löwen  (Hunde  .?)köpfe  den  beiden  erhaltenen  Schilden  aus  Van  gerade  fehlt.  Die 
Sargonischen  Schilde  können  also  einen  entwickelteren  Typus  darstellen,  die  er- 
haltenen Schilde  einen  dem  gewöhnlichen  assyrischen  Typus,  auch  der  Spätzeit, 
näherstehenden. 

Das  Vorbild  für  die  auf  den  Sargonreliefs  dargestellten  Schilde  könnte  in  Schilden 
wie  denen  der  Idäischen  Grotte  gefunden  werden,  die  ja  der  Sargonischen  Zeit  bis 
zur  ersten  Hälfte  des  VH.  Jahrhunderts  angehören  müssen.  Auch  die  bei  den  idäischen 
Schilden  gefundenen  ägyptischen  und  ägyptisierenden  Stücke  lassen  an  die  Zeit 
vom  Ende  des  Neuen  Reichs  (um  looo)  bis  zum  Beginn  der  Saitischen  Zeit  (um  660) 
denken. 

Für  die  in  Griechenland  gefundenen  Schalen  scheinen  absolute  Daten  nicht 
zu  gewinnen,  ebensowenig  für  die  auf  Kypros  gefundenen.  Myres  in  dem  Metropolitan 
Museums  Catalogue  Cesnola  Collection  S.  45f.  ist  geneigt  den  Anfang  der  »kyprischen« 
Schalen  »nahe  an  1200  zu  rücken  und  ihr  Ende  in  die  Mitte  des  VH.  Jahrhunderts« 
zu  legen.  Beide  Daten  erscheinen  eher  zu  hoch,  namentlich  angesichts  des  oben  be- 
sprochenen epigraphischen  Befundes.  Wenn  man,  wie  jetzt  doch  wohl  die  meisten 
Fachgenossen,  mit  Karo,  Bulletino  di  Paleontologia  1898,  144  f.  entgegen  Monte- 
lius  Ansicht  die  gleichzeitigen  italischen  Gräber  von  Caere,  Präneste  und  Vetulonia 
an  die  Wende  des  VH.  zum  VI.  Jahrhundert  setzt  (vgl.  Dechelette,  Manuel  d'arch6o- 
logie  prehist.  11  535),  so  muß  die  Masse  der  kyprischen  Schalen  in  das  VII.  Jahr- 
hundert fallen.  Eine  der  kyprischen  Schalen  (E  3  unseres  Katalogs)  ist  mit  geo- 
metrischen Vasen  zusammen  gefunden  (Poulsen,  Orient  36).  Es  bleibt  zwischen  den 
ägyptischen  Vorbildern  des  Neuen  Reichs  und  den  späteren  Schalen  eine  Lücke, 
die  einstweilen  nur  ausgefüllt  wird  durch  ägyptische  Nachbildungen  der 
vorauszusetzenden  Metalloriginale  in  Faience'). 

II.  Die  ägyptischen  Nachbildungen  in  Faience  und  anderem  Material. 

Karo  hat  in  den  A.  M.  XXXXV  1920/1,  150  ausgesprochen,  es  klaffe  zwischen 
den  ägyptischen  Vorbildern  der  Metallschalen  aus  Nimrud  und  diesen  selbst  eine 
Lücke  von  ein  paar  Jahrhunderten,  »die  v.  Bissing  durch  Faiencegefäße  mit  Relief- 
darstellungen nur  recht  notdürftig  zu  füllen  vermag«.  Hier  ist  zunächst  festzustellen, 
daß  bis  zum  Fund  von  Zagazig  wir  aus  Ägypten  weder  in  unseren  Museen  alten  Be- 
standes, noch  aus  neueren  Ausgrabungen  bedeutendere  Funde  verzierter  Metall- 
gefäße aus  vorgriechischer  Zeit  besaßen.  Außer  den  beiden  unter  Tuthmoses  III 
datierten  Schalen  im  Louvre,  die  man  jetzt  bei  Vernier,  La  bijouterie  et  la  joaillerie. 


')  Während  der  Korrektur  werde  ich  auf  Herzfelds  Er  berührt  sich  öfters  mit  meinen  Darlegungen, 

offenbar  rasch  hingeworfenen  Aufsatz  »Khattische  mit  einzelnem  werde  ich  mich  später  auseinander- 

und  Khaldische  Bronzen«  in  Janus  I  aufmerksam.  setzen. 


IQO  ^^-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalcn. 

egyptiennes  Taf.  XX  gut  herausgegeben  findet,  der  von  mir  im  J.  d.  I.  1898  ver- 
öffentlichten Bronzeschale,  gab  es  nur  eine  hierher  gehörige  Silberschale  im  Berliner 
Museum  —  und  die  war  auf  Kypros  gefunden  ').  Auch  aus  Mesopotamien  sind  bisher 
Schalen  oder  andere  hierher  gehörige  Gefäße  aus  Edelmetall  nicht  bekannt  geworden. 
Wohl  aber  beweisen  die  drei  Tassen  aus  Nimrud,  daß  die  Art  der  Dekoration,  die  wir 
hauptsächlich  von  den  Schalen  her  kennen,  auch  bei  anderen  Formen  üblich  war, 
und  ein  von  Layard- Zenker,  Ninive  und  Babylon  Taf.  XVII  veröffentlichter  Scherben 
mit  der  Darstellung  einer  eroberten  Stadt  und  Sphingen  (.'')  im  untern  Streifen,  der 
im  »kleinen  Tempel«  zu  Nimrud,  einem  Bau  Aschurnazirpals,  gefunden  ist,  beweist, 
daß  vermutlich  im  IX.  Jahrhundert  in  Assyrien  Gefäße  hergestellt  wurden  (denn 
Stil  der  Darstellungen  und  die  Inschriftreste  sind  rein  assyrisch),  die  unmittelbar 
an  die  gleich  zu  behandelnden  ägyptischen  erinnern^).  Wir  müssen  aber  auch  über  die 
Faiencegefäße  hinaus  nach  Denkmälern  Umschau  halten,  die  das  für  die  Schalen 
bezeichnende  Dekorationsprinzip  in  umlaufenden  Streifen  zeigen  und  stilistisch 
jene  Mischung  ägyptischer  und  asiatischer  Elemente  aufweisen,  oder  doch  einen  Stil, 
den  wir  als  nicht  rein  ägyptisch  empfinden.  Maspero  hat  vor  Jahren  in  den  Monuments 
von  Rayet  (Quelques  cuillers  ä  parfum,  abgedruckt  in  den  Essais  sur  l'art  241  ff.) 
angedeutet,  daß  die  Ursprünge  des  phoinikischen  Stils  sich  inAgypten  finden  Heßens). 
Zunächst  können  wir  die  Reihe  der  ägyptischen  Metallschalen  um  ein  schönes 
bei  Wallis,  Egyptian  ceramic  art  I  Fig.  156  abgebildetes  Exemplar  vermehren.  An 
der  inneren  Wandung  der  nicht  sehr  tiefen  halbkugeligen  Bronzeschale  sind  in 
schwachem  Relief  endlose  Ochsenzüge  in  zwei  Reihen  übereinander  angebracht. 
Der  eine  Typus  ist  in  reiner  Seitenansicht  gesehen;  der  andere  wendet  den  Kopf  dem 
Beschauer  zu  und  scheint  für  den  Kopf  —  aber  nur  für  ihn  —  in  eine  dreiviertel 
Ansicht  gedreht.  Beide  Typen  haben  zwei  Hörner,  ob  sie  sich  auf  die  beiden  Streifen 
verteilen  oder  in  ihnen  mischen,  geht  aus  Wallis  Angaben  nicht  klar  hervor;  das  erstere 
ist  wahrscheinlicher.  Nach  Angabe  des  Verkäufers  soll  die  Schale  mit  auf  den  Namen 
der  Königin  Makere  datierten  Dingen  zusammengefunden  sein,  also  dem  Anfang 
der  XVIII.  Dynastie  angehören.  Wallis  zitiert,  um  sie  zu  stützen,  eine  sicher  der 
XVIII.  Dynastie  angehörige  Faiencescherbe  mit  dem  Bild  eines  geschmückten  Ochsen 
aus  Sammlung  Mac  Gregor. 

')  Daß  sie  echt  ägyptisch  ist  und  dem  Neuen  Reich  Schatz   von    Zagazig,   dessen    kunstgeschichtlich 

angehört,   habe   ich   J.  d.  I.  XXV   1910,    193  ff-  bedeutende  Stücke   einer  Zeit  angehören s.  auch 

gezeigt.     Die   von    Schaefer-Moeller,   Ägyptische  Maspero,  Essais  sur  l'art  Egyptien  189  ff. 
Goldschmiedearbeiten  66   f.  erwogene  Datierung      ■)   Jetzt  kommen  noch    die    von    Andrae,    Farbige 

in   saitische  Zeit   halte  ich  für  undenkbar,  auch  Keramik    aus    Assur,    veröffentlichten    bemalten 

der  Fundort    nötigt  nicht  dazu;  wohl  aber  mag  Gefäßscherben  und  Fayencegefäße  hinzu,  um  zu 

dasStück  erst  der  ramessidischenZeit  angehören. —  beweisen,    daß    der    Scherben    aus    Nimrud    kein 

Unbegreiflich  ist,  wie  Thiersch,  Arch.  Anz.  1909,  vereinzeltes  Stück  war. 

382  f.    die    Silberschalen     von    Mendes    (meine      3)   Über  die  neuesten   Funde  aus  Byblos,   die  den 

Metallgefäße   Taf.  III    S,  XV)   für   altägyptische  phoinikischen    ägyptisierenden    Mischstil    bis    in 

Arbeiten   ausgeben   kann;   sie   gehören   in   spät-  das      III.  Jahrtausend     zurückverfolgen     lassen, 

ptolemäische  Zeit;  wie  auch  die  Glasschale  im  s.  im  Schlußabschnitt  »Ergebnisse«. 
Fund    von    Antikythera    bestätigt.     Über    den 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,   Untersuchungen  über  die   »phoinikischen«   Metallschalen.  igi 

Das  Berliner  Museum  bewahrt  einen  Teller,  auf  dessen  innerem  Boden  laufende 
Kühe  dargestellt  sind.  Nach  dem  Verzeichnis  1899,  446  Nr.  8867  wird  er  der  libyschen 
oder  der  darauf  folgenden  Zeit  zugeschrieben. 

Solche  Tierzüge,  die  Vorläufer  der  Tiere  auf  den  Nimrudschalen  usw.  begegnen 
uns  im  Kreis  der  ägyptischen  Faiencen  mit  Rcliefschmuck  mehrfach.  Ein  bei  Leemans, 
Monuments  de  Leide  II  Taf.  59,  265  abgebildetes  Alabastron,  in  Athen  erworben, 
zeigt  über  einer  den  Boden  umschließenden  Lotosblüte  zwei  Streifen  Tiere,  hinter 
denen  stilisierte  Pflanzen  auftauchen.  Im  unteren  sind,  wie  der  Text  Leemans, 
Description  raisonnee  89  zu  Nr.  275  bestätigt,  vier  laufende  Pferde,  im  oberen  Streifen 
ein  Löwe  hinter  vier  Antilopen  (.i*)  dargestellt.  Der  Löwe  hebt  die  eine  Vordertatze. 
Ein  Gegenstück  zu  diesem  nach  der  hellblauen  Faience  mit  schwarz,  z.  B.  am  Rücken 
der  Tiere,  etwa  in  das  X. — IX.  Jahrhundert  zu  setzenden  Gefäß  ist  der  auf  S.  35  des 
Führers  durch  das  Kestnermuseum  in  Hannover  abgebildete  Aryballos.  Wie  ich  vor 
Jahren  am  Original  feststellen  konnte,  verdankt  die  Flasche  ihre  wunderliche  Form 
einer  Verzerrung  beim  Brand.  Die  schöne  hellblaue  Glasur,  die  an  die  bei  Neujahrs- 
flaschen üblichen  erinnernden  Ornamente  in  Henkelhöhe  verweisen  das  Stück  in  das 
VII.  allenfalls  das  VIII.  Jahrhundert.  Wir  sehen  zu  unterst  einen  Fries  von  Blüten 
und  Knospen  von  Nymphaea  caerulea,  dann,  nach  einem  schmalen  Ornament  einen 
breiten  Fries,  auf  dem  ein  aufgerichteter  Löwe  einen  zweihörnigen  Stier  anfällt.  Hinter 
dem  Stier  gehen  zwei  Gazellen.  Hinter  und  zwischen  den  Tieren  finden  wir  die  gleichen 
wunderlichen  Pflanzen  und  aufgerichteten  Schilfblätter  wie  auf  dem  Leidener  Gefäß. 
Manche  lassen  an  Ölbäume  denken,  was  dann  auf  fremde  Einflüsse  deuten  würde. 
Ein  in  der  Form  genau  übereinstimmender  Aryballos  bei  Wallis,  Egyptian  ccramic 
art  I  Fig.  88  (im  Athener  Museum)  trägt  die  Inschrift  »möge  ein  gutes  Neujahr  usw.«, 
wir  werden  also  beide  Gefäße  als  Neujahrsflaschen  erklären  dürfen,  vielleicht  sind  es 
Vorgänger  der  üblichen  Saitischen  Form.  Die  Figuren  des  Athener  Stückes  (Wasser- 
pflanzen, Vögel,   Fische)  sind  nach  Wallis  eingeritzt. 

Schon  Longperier  im  Musee  Napoleon  zu  Taf.  29,  dann  Dumont-Chaplain, 
Ceramiques  de  la  Grece  I  195  f.  haben  neben  das  Leidener  Gefäß  die  in  der  Nekropole 
von  Kameiros  gefundenen  Alabastra  gestellt.  Wer  die  Tafel  bei  Longperier  (z.  T. 
wiederholt  bei  Perrot-Chipiez  III  Taf.  V)  mit  den  Vaseii  in  Leiden  und  Hannover 
vergleicht  (und  weiter  mit  der  später  zu  behandelnden  Bocchorisvase  und  dem  Kelch 
aus  Athen),  wird  in  dem  Gesamtstil  wie  in  Einzelheiten  des  Ornaments  die  bedeu- 
tendste Übereinstimmung  erkennen.  Dieselben  Tiere  (Löwe,  Stier,  Gazelle)  kehren 
wieder  unterbrochen  von  den  gleichen  Pflanzen.  Genau  freilich  findet  sich  keine 
Figur  der  Kameirosvasen  auf  einer  der  anderen.  Man  hat  die  auf  Rhodos' gefundenen 
Gefäße  um  gewisser  technischer  Eigentümlichkeiten  willen,  besonders  aber  um  der 
ungenauen  hieroglyphischen  Inschriften  willen  für  phoinikische  oder  griechische 
Nachahmungen  gehalten.  Die  unten  zu  besprechenden  Kelche  der  ehemaligen  Samm- 
lung Myres,  an  deren  ägyptischem  Ursprung  niemand  zweifelt,  beweisen,  daß  unter 
Umständen  —  vielleicht  für  auswärtigen  Export  —  ägyptische  Handwerker  im 
Gebrauch  der  Schriftzeichen  sehr  nachlässig  sein  konnten;  mir  scheint  durchaus 
möglich,  daß  ein  gut  Teil  der  Faiencen  aus  Rhodos  ägyptische  Arbeit  sind:  auch  die 


ig2 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


Verwendung  gelber  Untermalung  und  gelber  Einzelheiten  ist  bei  den  Neujahrs- 
flaschen der  Saitischen  Zeit,  also  des  VII. — VI.  Jahrhunderts  zu  beobachten.  Aber 
ob  diese  Flaschen  nun  aus  dem  Nilland  importiert  oder  auf  Rhodos  nach  ägyptischen 
Vorbildern  gearbeitet  sein  mögen,  immer  vermehren  sie  die  Reihe  der  Monumente, 
die  eine  den  phoinikischen  Schalen  gleichartige  Dekoration  in  Ägypten  in  der  ersten 
Hälfte  des  I.  Jahrtausends  erweisen.  Dabei  darf  bemerkt  werden,  daß  unter  den  reich 
geschmückten  Stücken  keines  einen  saitischen  Königsnamen 
trägt:  die  Blütezeit  dieser  Fabriken  und  ihrer  Metallvor- 
bilder kann  sehr  wohl  etwas  vor  die  eigentliche  Saitenzeit 
fallen,  in  die  gleiche  Zeit  also  der,  wie  wir  sehen  werden,  die 
Kelche  unbedingt  und  sicher  auch  das  Bocchorisgefäß  zuzu- 
schreiben sind. 

Das  an  sich  in  ägyptischer  Kunst  seltene  Auftreten  von 
Pferden  auf  der  Leidener  Vase  ist  gerade  im  Kreis  der  Metall- 
schalen häufiger  (J.  d.  I.  XXV  1910,  195);  die  Gruppe  des 
Löwen,  der  einen  Stier  anfällt,  ist  seit  dem  Alten  Reich  in 
Ägypten  heimisch  (J.  d.  I.  XIII  1898,  32),  aber  wie  schon 
Usener,  de  Iliadis  carmine  Phocaico  gezeigt  hat,  auch  in  der 
asiatischen  und  altgriechischen  Kunst.  Merkwürdigerweise 
ist  aber  das  Schema  des  sich  aufrichtenden  Löwen,  der  einen 
Stier  bei  den  Hörnern  packt,  äußerst  selten.  Ich  kann  ähn- 
liche Gruppen  nur  mit  Hirsch  und  Löwe,  Steinbock  und  Löwe 
auf  der  Entemenavase  Meißner,  Grundzüge  der  Plastik  Abb.  31  f.. 


Abb.  I.     Holzbuchse 

Collection  HofFmann 

1894  N.   292. 


Abb.  2.    Fries  von  der  Holzbllchse  Sammlung  Hoffmann, 


auf  den  noch  etwas  jüngeren  Zylindern  Lajard,  Culte  de  Mithra  Taf.  XIII  6;  Ward, 
Seal  cylinders  of  Western  Asia  Fig.  1099;  Weber,  Altorient.  Siegelbilder  Fig.  357 
und  in  anderem  Schema  auf  der  Schale  Layard,  Monuments  II  Taf.  60  nachweisen. 
Der  bei  Lajard  wiedergegebne  Zylinder  soll  aus  Armenien  stammen.  Auch  unter  den 
archaischen  Denkmälern  Griechenlands  findet  sich  nichts  Vergleichbares.  Im  ägyp- 
tischen Kreis  aber  scheinen  verwandt  der  elfenbeinerne  Möbelfuß  aus  Abydos,  der 
einzig  im  Amelineauschen  Auktionskatalog,  Antiquit6s  figyptiennes  trouvees  ä 
Abydos  1904  Taf.  I  Nr.  i  schlecht  abgebildet  ist  (XXI.— XXIV.  Dynastie),  dann  das 
geschnitzte  Holzbüchschen  Collection  Hoffmann  1894  Nr.  292.  Hier  folgen  in  kräf- 
tigem Relief  aufeinander:  in  einem  breiten  Streifen  ein  scheinbar  nur  von  einem  Mann 
und  einem  Pferd  bedienter  sechsspeichiger  Wagen,  die  Gruppe  eines  nach  diesem 


Fr.  W.   Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


193 


Wagen  sich  umschauenden  Mannes,  der  in  jeder  Hand  einen  Löwen  und  einen  Spieß 

faßt  (vielleicht  soll  man  sich  die  Löwen  vom  Spieß  durchbohrt  denken);  weiter  eine 

weidende  Gazelle,  die  die  Hinterbeine  hebt  und  an  deren  Euter  ein  Junges  saugt, 

eine   ruhig    stehende  Flügelsphinx  mit  Krone,  Zitzen  unter  dem  Bauch,  unter  dem 

Halskragen  das  viereckige  Tuch. 

Nach    der     Form     der    Büchse 

—  s.  Randall-Maciver,  El  Amran 

and    Abydos    Taf.  XLVH    aus 

Elfenbein     —    wird     man     das 

Stück  in  das  spätere  Neue  Reich 

setzen  (Abb.' 1,2). 

Im  Stil  schließt  hier  die 
von  Schaefer,  Äg.  Zeitschr.  31, 
105  ff.  veröffentlichte  Lederbe- 
spannung eines  ovalen  Holzkäst- 
chens des  Neuen  Reichs  an. 
Die  Figuren,   je   ein   Löwe,    der 

ein  rotgeflecktes  Gazellenkälbchen  am  Ohr  packt,   (ein  dem  oben  behandelten  ver- 
wandtes Motiv),    gruppenwcis   wohl    dreimal  wiederholt,  sind    eingeritzt    (Abb.  3). 


Abb.  3.    Teil  der  Lederbespannung  eines  Holzkästchens  des 
Neuen  Reiches. 


Abb.  4.     Schale  aus  Daphnae.     Kairo  3554. 


In  dem  Friedhof  von  Sanam  bei  Napata  fand  Griffith  (Liverpool  Annais  of 
Archaeology  X  104)  den  Deckel  eines  Faiencegefäßes.    Unter  einer  plastischen,  ab- 


194  ^^-  ^-  I^''I>i'.  V.  Bissing,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


Abb.  5.     Faienceschale,     Museum  Scheurleer.     Innenbild. 

wärts  gekehrten  Nymphäenblüte  sieht  man  auf  breitem  Streifen  eine  Gazelle  mit 
weit  vorgestrecktem  Kopf  auf  einen  schwer  zu  bestimmenden  Gegenstand  zuschreiten. 
Hinter  ihrem  Rücken  taucht  eine  Palme  auf.  Auf  dem  verlorenen  größeren  Teil 
müssen  andere  Tiere  dargestellt  gewesen  sein.  Die  Funde  von  Sanam  sind  frühestens 
um  740,  spätestens  um  450  anzusetzen,  die  Felsgräber,  in  denen  der  Deckel  gefunden 
wurde,  werden  der  älteren  Periode  zugewiesen.  Im  Burlington  Club,  Art  of  ancient 
Egypt  1895  Taf.  XXII  Nr.  182,  ist  eine  Faienceschale  aus  Sammlung  Evans  abge- 
bildet, die  drei  um  eine  vielblättrige  Rosette  angeordnete  Kreise  zeigt.  Im  innersten 
Kreis  schwimmen,  wie  auf  den  Schalen  desDhuti,  Fische.  Im  nächsten  sind  Vögel  dar- 
gestellt, vornehmlich  Enten  in  verschiedenen  Stellungen.  Stilistisch  erscheinen  diese 
Vögel  als  Vorstufen  zu  denen  der  Schale  von  Daphnae  (gegründet  um  650 
v.  Chr.),  die  hier  (Abb.  4)  besser  als  in  meinem  Metallgefäßkatalog  Kairo  3554 
abgebildet  wird.     Ein     ähnliches     Faiencefragment      im    Museum    Scheurleer    mit 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


'95 


Abb.   6.      Faienceschale.     Museum   Scheurleer.     Außenbild. 


Wasservögeln  gehört  nach  Farbe  und  Technik  in  die  Zeit  nach  dem  Ausgang 
des  Neuen  Reichs  bis  zur  Perserzeit.  Im  äußersten  Kreis  der  Schale  Evans 
finden  wir  Vierfüßler,  wahrscheinlich  Antilopen  und  Gazellen,  zwischen  die,  im 
Gegensatz  zu  den  ununterbrochen  sich  folgenden  Tieren  der  inneren  Streifen, 
sich  Schilfblättcr  einschieben  der  gleichen  Form  wie  auf  dem  Aryballos  aus 
Hannover.  Im  Museum  of  Fine  arts  Bulletin  Boston  IX  28  ist  eine  unter  König 
Pianchy  um  740  v.  Chr.  datierte  Schale  aus  blauer  Faience  abgebildet,  die  in  der  Mitte 
eine  flache  etwas  erhabene  Scheibe  aufweist,  um  die  ein  breiter,  glatter  Streifen  läuft, 
der  von  einem  schmächtigen  Flechtband  abgeschlossen  wird.  Auf  diesem  Flechtband 
stehen  in  endloser  Reihe  vier  durch,  mäßige  Zwischenräume  getrennte  Tiere  mit 
einem  nach  vorn  gestreckten  und  einem  rückwärts  am  Kopf  anliegenden  Hörn. 
Soweit  die  Abbildung  ein  Urteil  zuläßt,  ist  der  Stil  ägyptisch.  Diese  Schale  aus  der 
Mitte  des  VIII.  Jahrhunderts  ist  wohl  ein  sicherer  Beweis,  daß  hier  eine  den  Schalen 


I06  ^'-  W-  I^'hr.  V.  Bissing,   Untersuchungen  ttber  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 

von  Nimrud  gleichzeitige  Entwicklung  vorliegt,  bei  der  zwar  fremde  Elemente,  wie 
das  Flechtband,  eingedrungen  sind,  die  aber  an  die  einheimische  Tradition  anknüpft 
und  vor  allem  nicht  von  den  Nimrudfunden  sargonischer  Zeit  abhängig  sein  kann. 

Petrie,  Medum  and  Memphis  Taf.  XXXIII  I2  S.  44  hat  eine  von  ihm  als  Gold- 
schmiedemodell erklärte  Bleischale  abgebildet;  sie  zeigt  um  einen  die  Mitte  ein- 
nehmenden Frauenkopf  mit  Ohrgehänge  einen  Tierfries:  ein  geflügelter  Greif  trennt 
zwei  einander  gegenübergestellte  Gruppen.  Die  eine  besteht  aus  einem  ruhig  stehenden 
Steinbock,  dem  ein  Löwe  nachschleicht,  wobei  er  die  linke  Tatze  gegen  den  Rücken 
des  Bockes  hebt.  In  der  anderen  Gruppe  hat  der  Löwe  den  flüchtigen  Steinbock 
von  hinten  gepackt.  Nach  oben  schließt  eine  Perlschnur  den  Streifen  ab.  Petrie 
hat  die  Schale,  deren  Charakter  er  »more  Persian  than  Greek«  findet,  um  400  datiert. 
Allein  die  von  Petrie  selbst  angezogenen  Stücke  Palace  of  Apries  Taf.  XV  S.  12, 
die  doch  frühestens  der  späthcUenistischen  Zeit  angehören,  lassen  mich  zweifeln, 
ob  nicht  auch  der  Bleiteller  erst  in  hellenistische  Zeit  zu  datieren  sei. 

In  der  Anbringung  eines  Emblems  auf  dem  inneren  Gefäßgrund  trifft  sich  der 
Bleiteller  aus  Memphis  mit  einer  nach  Angabe  des  Vorbesitzers  gleichfalls  aus 
Memphis  stammenden  Schale  aus  mattgrüner  Faiencc  im  Museum  Scheurleer  (Abb. 
5  u.  6).  Leider  fehlt  der  aufsteigende  Rand  fast  ganz,  so  daß  ein  sicheres  Urteil 
über  die  Komposition  schwer  ist.  Im  Innern  befindet  sich  eine,  offenbar  getriebene 
Metallarbeit  nachbildende,  prächtige  Bcsmaske  mit  der  merkwürdigen  seit  dem 
späten  Neuen  Reich  belegbaren  Anordnung  des  Haares  mit  zwei  Spirallocken  über 
den  Ohren  und  im  untern  Teil  noch  glattem  Bart,  mehrfach  der  Breite  nach 
geteilt.  Krall  in  Benndorfs  Heroon  von  Gjoelbaschi  und  Ballod,  Prolegomena  zur 
Geschichte  der  zwerghaften  Götter  geben  Beispiele;  in  hellenistisch-römischer  Zeit 
kommt  diese  Haar-  und  Barttracht  nicht  mehr  vor.  Außen,  also  an  der  gleichen 
Stelle,  an  der  die  Schale  von  Daphnae  den  Reliefschmuck  trug,  sehen  wir  um  eine 
mittlere  Rosette  mit  schwarz  gefärbtem  Mittelpunkt  eine  zweite  angeordnet,  die 
von  einander  mit  der  Spitze  der  äußeren  Blätter  berührenden  langstiligen  Blüten 
gebildet  wird.  Diese  Blüten  leiten  sich  wohl  von  Cyperusdolden  her  (Äg.  Zeitschr.  40, 
38),  doch  mögen  »Lilien«  oder  Irisblüten  wie  sie  Meurer,  Vergleich.  Formenlehre  441 
zusammengestellt  hat,  von  Einfluß  gewesen  sein.  Ein  dicht  gedrehtes  Flechtband 
umschließt  die  Rosette;  auf  ihm  bewegen  sich  im  Kreis  allerhand  Wüstentiere:  eine 
Säbelantilope,  ein  Kamel,  ein  Steinbock,  bartlos  —  an  eine  Rappenantilope  wird 
man  aber  nicht  denken  wollen  — ,  Strauß,  Löwin,  (mit  Zitzen  und  ohne  Mähne!) 
Mendesantilope,  Gazelle  {}),  das  letzte  Tier  ist  weggebrochen,  nur  das  am  Boden 
schleifende,  buschige  Schwanzende  ist  erhalten  (Wolf.''  Hyäne?).  Ebenso  ist  von  dem 
äußeren,  wieder  durch  ein  Flechtband  getrennten  Streifen,  der  möglicher,  aber  nicht 
notwendiger  Weise  den  Abschluß  bildete,  so  gut  wie  nichts  erhalten.  Hier  waren 
Vierfüßler,  meist  Huftiere  dargestellt,  hochstämmige  Pflanzen  und  eine  Nymphäe 
waren  eingestreut.  Man  glaubt  eine  Hyäne  zu  erkennen  (vgl.  meine  Mastaba  des 
Gemnikai  I  Taf.  XXV  10),  einen  Hund  oder  ein  junges  Tier  mit  kurzen  Beinen. 
Gravierung  ist  selten  angewandt,  die  Einzelheiten  sind  ziemlich  stark  stilisiert,  aber 


Fr.  VV.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  1q7 

die  Umrisse  naturgetreu.  Der  Stil  der  Tiere  mutet  nicht  »saitisch«,  auch  nicht  helle- 
nistisch an,  man  fühlt  sich  eher  noch  an  das  Neue  Reich  erinnert. 

Bemerkenswert  ist  im  Gegensatz  zu  den  mit  Tieren  geschmückten  Schalen 
des  phoinikischen  Kreises  das  offenbare  Bestreben,  den  Fries  aus  lauter  verschiedenen 
Tieren  zusammenzusetzen.  Im  Gesamtbild  vergleicht  sich  am  besten  die  bei  Poulscn 
34  wiedergegebene  kyprische  Bronzeschale,  auf  der  gleichfalls  bartlose  Steinböcke 
vorkommen  mit  ganz  entsprechenden  Hörnern.  Doch  hält  diese  im  Ornament 
völlig  ägyptisierende  Schale  auch  in  der  Vierteilung  der  Komposition  das  alte  ägyp- 
tische Schema  (das  bei  den  im  J.  d.  I.  1898  behandelten  Schalen  deutlich  hervor- 
tritt und  auf  dem  äußeren  Streifen  der  Schale  von  Zagazig  noch  durchblickt)  fest, 
während  es  auf  der  Besschale  verlassen  ist.  Man  kann  hier  entweder  an  eine  innere 
ägyptische  Entwicklung  denken  —  dagegen  scheint  die  strenge  Vierteilung  auf  der 
Schale  von  Daphnae  zu  sprechen  —  oder  an  eine  Rückwirkung  der  Nimrudschalen 
und  ihrer  Verwandten  auf  das  ägyptische  Kunstgewerbe,  was  mir  nach  Lage  der 
Dinge  das  wahrscheinlichste  scheint.  Denn  man  wird  unsere  Schale  am  wahrschein- 
lichsten kurz  vor  die  Saitenzeit  setzen  (also  um  700). 

Die  langstengligen  Pflanzen  auf  dem  äußersten  Streifen  der  Haager  Schale 
und  die  hohen  Papyrus  der  Kupferschale  aus  Kypros  finden  nun  ihre  Analogie  auf 
dem  oberen  breiten  Streifen  des  in  Corneto  gefundenen  Bocchorisge- 
fäßes  (A.  M.  XXXXV  1920,  108  Beilage).  Daß  wir  es  hier  mit  einer  echt  ägyp- 
tischen Arbeit  der  Zeit  um  715  zu  tun  haben,  beweisen  die  neuerdings  von  Griffith 
in  Sanam  bei  Napata,  der  äthiopischen  Hauptstadt,  gefundenen  Faiencen  (Liver- 
pool Annais  XTaf.  31,  7;  32,  4  ff.),  die  im  Stil  derOrnamente  wie  in  derTechnik  genau 
übereinstimmen.  Das  Kompositionsprinzip  des  Bocchoriskrugs  ist  aber  durchaus 
das  der  Schalen  und  Tassen  von  Nimrud  und  diesen  gleichzeitig,  der  Stil  jedoch  rein 
ägyptisch. 

Wir  können  nun  dies  Kompositionsprinzip  (das  bekanntlich  auch  in  der  kretischen 
Kunst  angewandt  wird)  noch  an  einer  Klasse  ägyptischer  Monumente  nachweisen, 
die  vom  Ende  des  Neuen  Reiches  bis  in  die  Perserzeit  reichen,  den  mit  Relief- 
darstellungen versehenen  Faiencebechern. 

Im  Journal  of  Egypt.  Arch.  1918  sind  zwei  ehemals  in  der  Sammlung  Myres 
befindliche  Kelche  abgebildet,  die  aus  Tune  in  Mittelägypten  stammen.  Sie  sind 
nicht  datiert,  der  Stil  ihrer  Reliefs  weist  auf  ägyptische  Arbeiten  des  späteren  Neuen 
Reichs.  Wallis  hat  sie  der  XXII.  Dynastie  zugeschrieben,  womit  die  unterste 
Grenze  bezeichnet  sein  dürfte.  Als  oberste  kommt  die  spätere  Ramessidenzeit  in 
Betracht:  in  den  vielen  Gräbern  der  XXIII.  Dynastie  hat  sich  ähnliches  nie  ge- 
funden. Der  eine  der  Kelche  (a.  a.  0.  Taf.  XXIV  =  Wallis,  Egyptian  Ceramic 
Art  IIFig.36;  hier  Abb.  7)  zeigt  amFuß  abwärts  gekehrte  Papyrosdolden  und  Knospen. 
Der  Kelchansatz  ist  mit  einer  Nymphäenblüte  geschmückt.  Darüber  laufen  zwei  in 
Felder  geteilte  Streifen;  in  jedem  Feld  sehen  wir  die  bekannte  Gruppe  des  Pharao, 
der  einen  Gefangenen  niederschlägt.  Meist  kniet  der  Gefangene  vor  dem  König 
mit  abgewandtem  Kopf,  nur  im  unteren  Streifen  wendet  er  ihn  dem  König  ein- 
oder  zweimal  zu.     Die  Kartuschen  neben  dem  Kopf  des  Königs  sind  sinnlos,  kaum 

Jahrbuch  des  archäolofi-isclien  Instiliils  XXXVIU/IX  iq7^/'j^.  I4 


198 


Fr.  W,  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallscbalen. 


als  Hieroglyphen  zu  bestimmen.  Neben  ihnen  erscheint  einige  Male,  zum  Teil 
arg  verzeichnet,  der  Bogen,  das  alte  Zeichen  der  Überwindung,  über  den  Besiegten. 
Der  König  trägt  die  unterägyptische  oder  eine  Götterkronc.  Ob  damit  auf  eine 
Entstehung  der  Vorbilder  dieser  Gefäße  in  Unterägypten  hingewiesen  wird,  sei 
dahingestellt.     Der  Randstreifen  weist  Uzataugen  in  Felder  eingeschlossen  auf. 

Der  zweite  Kelch  (Journal  a.  a.  0.  Taf.  XXIII  =  Wallis  a.  a.  O.  Fig.  ^ ;  hier  Abb.  8) 
zeigt  am  Fuß  abwärts  hängende  Palmblätter.  Um  den  Kelchansatz  schließen  sich  Papyros- 
dolden  von  nicht  sehr  gleichmäßiger  Form  und  Papyrosknospen.      Ein  echt  ägyp- 


^^^Sl^m 


Abb    7.     Faiencebecher.     Eton  College. 
Nach  Journ.  Egypt.  Arch.    1318. 


Abb.  8.     Faiencebecher.     Eton  College. 
Nach  Journ.  Egypt.  Arch.    1318.- 


tisches  Strichband  trennt  von  diesem  Ornament  die  drei  übereinander  geordneten 
Figurenstreifen.  Im  untersten  fährt  ein  Wagen  mit  einem  Pferd  und  einem  Lenker, 
der  in  der  erhobenen  Rechten  Keule  oder  Pfeil,  in  der  Linken  Bogen  und  Zügel  hält. 
Vor  dem  sechsspeichigen  Wagen  geht  ein  an  den  Armen  Gefesselter,  ein  zweiter 
steht  auf  dem  Kopf,  über  dem  Wagen  tauchen  zwei  Köpfe  auf  und  ein  Toter  liegt 
da.  Über  dem  sonst  ähnlichen  zweiten  Wagen  liegen  zwei  Tote,  neben  dem  einen 
von  ihnen  (und  ebenso  neben  dem  Toten  beim  anderen  Wagen  ein  Stock  mit  einer 
Scheibe,  einigermaßen  an  den  Fächer  (.?)  erinnernd,  den  auf  »phoinikischen«  Schalen 
ein  Begleiter  des  die  Feinde  zerschmetternden  Königs  trägt.  Neben  den  Köpfen 
der  Pferde,  des  Lenkers  usw.  stehen  sinnlose  Kartuschen.  Unter  dem  Pferd  des 
vorderen  Wagens  liegt  ein  Gefallener.     Vor  und  hinter  der  Wagengruppe  war  nach 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  Igg 

den  Resten  dargestellt,  wie  Gefangene  niedergeschlagen  werden.  Der  Lenker  trägt 
den  Schurz  und  soll  wohl  trotz  der  undeutlichen  Abzeichen  (vielleicht  ist  an  der 
Stirn  der  Uräus  angedeutet)  der  König  sein.  Im  vielfach  zerstörten  oberen  Streifen 
betet  vor  einer  nur  im  Unterteil  erhaltenen  Gottheit  der  König  mit  Doppelkrone (.?), 
während  hinter  dem  Götterbild  ein  Mann  mit  Wedel  (.'')  steht.  Weiter  rechts  ein 
Vogel  (Falke  .^)  im  Papyrosgebüsch  über  aufsprießenden  Pflanzen  '),  daneben  eine 
sinnlose  ovale  Kartusche.  Dann  ein  Mann  mit  Gefangenem  vor  einer  Göttin,  Reste 
eines  weiteren  Mannes.  Hinter  der  Anbetungsszene  werden  zwei  Gefesselte  von 
einem  mit  erhobener  Keule  ausschreitenden  König  im  Schurz  (vgl.  hier  die  Photo- 
graphie Burlington  Club,  Egyptian  Art  1895  Taf.  18)  verfolgt.  Weiter  links  steht 
vor  Isis-Hathor  mit  Hörnerkrone  und  Sonnenscheibe  Hor-Teme  mit  dem  Sichel- 
schwert in  der  gesenkten  Linken,  mit  der  Rechten  einen  Gefangenen  packend.  Ein 
weiterer  Gefesselter  hinter  Isis.  Hinter  Hor-Teme  der  aufrechte  Geier.  Mit  Recht 
bemerkt  der  Herausgeber  der  beiden  Kelche  Rickett:  »Without  the  breakages 
these  vases  might  be  in  metal,  the  incised  outline  of  the  potters  tool,  the  engraved 
lines  of  the  burin  giving  sharpness  and  accent  to  the  work.  Their  form  is  really 
better  adapted  to  metal,  the  intricate  decoration  in  relief  imitates  a  type  of  design 
of  which  embossed  and  chascd  work  furnish  prototypes. «  Ernennt  die  Arbeit  »of  an 
almost  asiatic  richness  of  design,  a  certain  lack  of  severity  even;  theire  is  something 
exotic  or  not  entirely  Egyptian  in  their  general  aspect,  though  the  composing  Clements 
are  entirely  native«.  Es  sind  mit  anderen  Worten  Arbeiten  aus  der  Zeit,  da  die 
ägyptische  Kunst  einen  gewissen  asiatischen  Einfluß  erfahren  hatte,  aber  nicht 
Arbeiten  im  späteren  Mischstil.  Der  wird  hier  vielleicht  vorbereitet,  aber  er  ist  noch(.?) 
nicht  da. 

Mit  dem  zuletzt  behandelten  Becher  steht  ein  anderer  aus  dem  Besitz  von 
Henry  Wallis  in  nächster  Beziehung.  Er  hat  ihn  Ceramic  arts  II  Taf.  IX  ff.  ab- 
gebildet. Am  Fuß  finden  wir  die  Palmblätter,  am  Kelchansatz  die  Nymphäenblüte. 
Darüber  breiten  sich  drei  Streifen  aus.  Der  den  Rand  bildende  ist  der  schmälste. 
Wir  sehen  da  Wasservögel  in  allerhand  Stellungen,  z.  T.  mit  ihren  Nestern.  Im 
untersten,  ein  wenig  breiteren  Streifen  werden  Ochsen  und  Pferde  durch  eine  Furt 
getrieben.  Ein  Krokodil  hat  ein  Pferd  von  hinten  gepackt.  Leute,  die  die  Tiere 
lebhaft  vorwärts  treiben,  tragen  Schurz  und  kurzen  Stock,  nicht  unähnlich  dem 
»Pfeil«  des  Wagenlenkers  auf  dem  vorigen  Becher.  Die  Szene  auf  dem  breitesten, 
mittleren  Streifen  hebt  sich  von  einer  doppelten  Reihe  Papyros  ab.  Vieh  setzt 
über  ein  Wasser.  Aber  das  Motiv  ist  kaum  noch  verstanden.  In  zwei  Booten  fahren 
Männer,  je  einer  von  ihnen  hält  die  lange  Treidelstange;  im  hinteren  Boot  scheint 
ein  zweiter  ein  Kalb  heraufziehen  zu  wollen,  neben  dem  ein  Hirt  im  Wasser  steht, 
ein  dritter  hält  vorn  im  Boot  mit  beiden  Händen  ein  Netz.     Neben  ihm  erscheint 


■)  Vgl.  dazu  den  Falken  auf  dem  Relief  aus  Erment  diese   Vasen   mit   Typen   der    Ptolemäerzeit,   die 

Lepsius,    Denkm.   IV  65  b,  Ballod,  Prolegomena  ihrerseits   auf  solche   des   Neuen  Reichs   zurück- 

zur    Geschichte     der    zwerghaften     Götter     30.  greifen  (s.  unten). 
Mehrfach,  auch  in  dem  Bestypus,  berühren  sich 

«4* 


200  ^''-  ^-  I^i'hi'-  V.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen, 

im  Wasser  der  Kopf  eines  wohl  schwimmend  zu  denkenden  Ochsen.  Im  nächsten 
Boot  hegt  ein  Kalb,  auf  dem  Schnabel  des  Bootes  voltigiert  ein  Mann,  wie  wohl 
sämtliche  anderen  nur  mit  dem  Schurze  bekleidet,  und  will  mit  dem  Bumerang 
eine  vor  ihm  aufflatternde  Wildgans  jagen.  Offenbar  nahe  dem  Ufer  stehen  ihm 
gegenüber  zwei  Männer,  von  denen  der  eine  ein  Kalb  am  Kopf  packt. 

Eine  ganz  ähnliche  Szene  war  auf  dem  Kelchfragment  aus  hellblauer  Faience 
Kairo,  Fayencegefäße  3774  Taf.  dargestellt:  über  einem  schmalen  Wasserstreifen 
fahren  drei  Boote,  ähnlich,  wenn  auch  nicht  in  allem  gleich  denen  des  Walliskelches. 
In  dem  einzigen  einigermaßen  erhaltenen  steht  ein  Mann,  der  mit  der  Stange  das 
Boot  vorwärts  stößt,  und  ein  zweiter,  der  ein  Kalb  in  das  Boot  aufnimmt,  während 
ein  im  Wasser  stehender  dritter  Mann  dem  springenden  (?)  Tier  zu  helfen  scheint. 
Den  Kelchansatz  umkleidet  eine  Lotosblüte.  Das  Stück  ist  1895  gekauft  worden. 
Bei  den  engen  Beziehungen,  die  zwischen  dem  zweiten  Direktor  des  Kairenser 
Museums  und  dem  Künstler-Händler  Henry  Wallis  bestanden,  halte  ich  für  wahr- 
scheinlich, daß  die  Kairenser  Vase  und  die  Wallissche  zu  einem  Fund  gehören.  In 
meinem  Katalog  der  Faiencegefäße  habe  ich  das  Kairenser  Bruchstück  fragweise 
in  die  saitische  Zeit  gesetzt.  Vor  allem  weil  mir  zwischen  ihren  Darstellungen  und 
dem  im  Musee  £gypt.  II  Taf.  XLIII  veröffentlichten  saitischen  Relief  eine  Beziehung 
zu  sein  schien.  Allein  stilistisch  gleichen  sich  die  Kelche  und  die  saitisch-griechischen 
Reliefs  nicht,  auch  nicht  die  den  Reliefs  nahestehenden  Elfenbeine  Capart,  L'art 
£gyptien  Taf.  191.  Die  Übereinstimmung  geht  vielmehr  auf  die  gemeinsame  Quelle 
zurück,  die  in  den  Klebs,  Die  Reliefs  des  Alten  Reichs  60  f.,  dieselbe,  Reliefs  des 
Mittleren  Reichs  87  f.,  behandelten  Bildern  vorliegt.  Keine  der  Vorlagen  wird 
dabei  abgeschrieben,  sondern  nur  der  Inhalt  übernommen.  Das  Thema  klang 
an  auch  im  Randstreifen  der  Bronzeschale  von  Gize  und  auf  der  Berliner  Silber- 
schale, wo  die  beiden  auf  den  Kelchen  vertretenen  Bootformen  vorkommen,  und 
ebenso  auf  dem  Becken  von  Zagazig  (J.  d.  I.  XXV  1910,  196,  wo  die  Zusammen- 
hänge schon  kurz  skizziert  sind). 

Wir  können  den  Kreis  noch  erweitern  durch  das  Bruchstück  einer  Schale 
aus  schwarzem  Stein  in  Kairo,  deren  Beschreibung  ich  nach  meinem  Katalog  der 
Steingefäße  18  682  hierhersetze.  »In  einem  Schiff,  das  am  Bug  einen  Entenkopf, 
am  Hinterteil  einen  Entenschwanz  zeigt  (das  findet  sich  auf  den  ägyptischen  Metall- 
schalen und  in  der  Seeschlacht  Ramesses  III.  wieder)  stehen:  nach  links  eine  nackte, 
nur  mit  Halsband  und  zwei  Armbändern  bekleidete  Frau  mit  kurzem  Haar,  Ohr- 
ringen {}).  Sie  streckt  den  rechten  Arm  vor,  in  der  gesenkten  Linken  hält  sie  zwei 
Vögel.  Vor  ihr  ein  nackter  Mann  mit  langem  Haar  nach  links  mit  zurückgewandtem 
Oberkörper  schreitend.  (Solche  sich  umwendende  Figuren  sind  in  diesem  Kreis 
häufig).  Sein  Penis  reicht  fast  bis  zum  Boden.  In  der  vorgestreckten  Rechten 
hält  er  zwei  Nymphäenblüten,  die  Linke  greift  nach  der  Scham  der  Frau.  Hinter 
der  Frau  stößt  eine  Frau  mit  der  langen  Stange  das  Boot  fort.  Fische,  Vögel, 
Nymphäen  umgeben  das  Boot,  von  einem  zweiten  ist  noch  die  Treidelstange  er- 
halten.« Die  Reliefs  sind  außen  angebracht,  durch  ihren  erotischen  Charakter  fallen 
sie   aus   den   gewohnten   ägyptischen   Darstellungen   heraus.     Ich   habe   nach   dem 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »pboinikischen«  Metallschalen. 


201 


Stil  das  Stück  »in  das  Neue  Reich  oder  später«  gesetzt  und  halte  diese  Datierung, 
die  etwa  auf  die  Äthiopenzeit  führen  könnte,  für  die  Schale  wie  für  das  Becher- 
fragment zutreffend.  Unter  das  VIII.  Jahrhundert  möchte  ich  in  beiden  Fällen 
nicht  gehen. 

Unmittelbar  mit  der  einen  Myresschale  vergleicht  sich  die  von  Petrie,  Palace 
of  Apries  Taf.  26,  11  abgebildete  Tonform.  Zwischen  zwei  Besköpfen,  auf  denen 
ein  Gebälk  in  Gestalt  einer  Hohlkehle  ruht,  steht  ein  einspänniger  Wagen  mit  einem 
Lenker  in  genau  der  Haltung  der  Myresvase.  Er  wird  durch  die  unterägyptische 
Krone  als  König  bezeichnet.     Das  Wagenrad  ist  sechsspeichig.     Über  dem  Pferd 


a.  b. 

Abb.  9.     Faiencebecher.     Athen  Nationalmuseum.     Nach  Photographie  des  Instituts. 


und  vor  ihm  sieht  man  Gefangene  und  Tote,  wiederum  ganz  ähnlich  dem  Bild  der 
Myresvase.  Petrie  bemerkt  zu  dem  durch  die  Fundumstände  leider  nicht  genauer 
datierten  Stücke  »the  Clements  are  all  Egyptian;  but  the  combination  of  thesc,  and 
the  workmanship,  are  unegyptian,  and  probably  due,  to  a  Phoenician  in  Egypt. « 
Wallis  hat  im  Text  der  Ceramic  art  II  Fig.  39  einen  im  Athenischen  Museum  be- 
findlichen, aus  Ägypten  stammenden  Kelch  abgebildet,  den  wir  hier  (Abb.  9) 
nach  zwei  Photographien  des  Instituts  wiedergeben.  Die  Verwandtschaft  springt 
in  die  Augen,  nur  erinnert  der  Stil  der  flachen  Reliefs  eher  an  den  oben  bespro- 
chenen Bronzeteller  von  Daphnae  und  etwa  das  Bocchorisgefäß.  Am  Fuß  sind 
Blätter,  die  sich  offenbar  von  den  sonst  hier  üblichen  Palmblättern  ableiten,  darüber 


202  f"'-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


eine  Nymphäenblüte  am  Kelchansatz  mit  Volutenblüten,  die  sich  zwischen  die  Lotos- 
blätter  schieben.  Wir  kennen  sie  ähnlich  hochstielig  von  dem  Leidener  Alabastron 
her.  Hier  bilden  sie  eine  innere  Pflanzenreihe  wie  auf  dem  einen  Myrcskelch  die 
Papyrosknospen.  Der  breite,  einfach  eingefaßte  Streifen  darüber  ist  mit  einem 
Fries  von  Besfiguren  gefüllt.  Soweit  die  Photographien  und  Wallis  Zeichnung  ein 
Urteil  zulassen  —  meine  älteren  Notizen  sind  verloren  — ,  tragen  sie  den  Schurz 
mit  langem  Schwanz,  am  Kopf  eine  Feder.  Der  eine  geht  mit  eingestemmten  Armen 
im  Tanzschritt,  ein  zweiter  hält  wohl  Kastagnetten  in  den  Händen,  ein  dritter  wendet 
den  Oberkörper  einem  hinter  ihm  stehenden,  in  kleinerem  Maßstab  dargestellten 
Gefangenen  zu,  den  er  am  Schopf  oder  an  zwei  Federn  auf  dem  Haupt  packt.  Ver- 
mutlich war  ein  vierter  Bes  ähnlich  beschäftigt:  in  der  erhobenen  Linken  scheint 
er  eine  kurze  Keule  zu  führen.  Mit  solch  einzelner  Feder  statt  der  Federkrone 
erscheint  Bes  auf  dem  bei  Lepsius,  Denkm.  IV  65  b  wiedergegebenen  Relief  des 
spätptolemäischen  Tempels  von  Erment  ausgerüstet;  aber  das  Vorbild  dafür  geben 
Skarabäen  des  Neuen  Reichs,  wie  man  bei  Ballod,  Prolegomena  zur  Gesch.  d.  zwerg- 
haften Götter  sehen  kann  ') .  Zwischen  und  über  den  Bes  erscheinen  Pflanzen (Cyperus } 
Schilfblatt?).  Im  Randstreifen  finden  wir  einen  endlosen  Fries  hieroglypiienartig 
gezeichneter  Vögel  in  verschiedener  Haltung.  Recht  ähnliche  Vögel  erscheinen 
neben  Uräen  und  Papyros  auf  dem  Kugelaryballos  aus  Kameiros  Perrot-Chipiez 
III  Taf.  V,  der  den  Namen  des  Apries  trägt.  Vermutlich  sollen  die  Vögel  da  Falken 
bedeuten.  Man  wird  den  Athener  Kelch  ziemlich  dicht  an  die  saitische  Zeit  heran- 
rücken, aber  um  des  Stiles  willen  schwerlich  ihn  dieser  selbst  zuweisen  dürfen. 

Dieser  Ansatz  wird  wohl  bestätigt  durch  einen  Kelch  in  Berlin,  den  Wallis 
a.  a.  0.  24  abbildet,  dessen  Beschreibung  ich  zumeist  dem  Berliner  Verzeichnis  von 
1899,  445  Nr.  4563  entlehne.  Der  Fuß  fehlt.  Am  Kelchansatz  ist  eine  Nymphäen- 
blüte, dann  ein  wie  auf  der  Athener  Vase  einfach  eingefaßter  Mittelstreifen  mit 
einer  hockenden  Götterneunheit.  Sie  trägt  Sonnenscheiben  auf  dem  Kopf  und  die 
Feder  der  Wahrheit  in  den  Händen.  Im  Randstreifen  sind  Besfiguren,  Hathor- 
köpfe,  Uzataugen  (wie  wir  sie  auch  auf  dem  einen  Myrcskelch  antrafen).  Eine 
Inschrift  meldet,  daß  das  Gefäß  mit  einem  Erbprinzen  Sesonchosis  zusammenhängt, 
der,  wie  wir  jetzt  sagen  können,  nur  der  Sohn  Osorkons  II.  und  der  Königin  Karoama 
gewesen  sein  kann,  also  um  etwa  880  lebte  (er  starb  nach  Breasted  877  v.  Chr.). 
Da  der  Stil  nichts  mehr  von  der  Lebendigkeit  der  Myreskelche  hat,  die  Faience 
nicht  unähnlich  dem  Athener  Exemplar  ist,  aber  der  Stil  noch  straffer,  so  wird  man 
vorläufig  die  Myresgruppe  vor  den  Berliner  Kelch,  das  Athener  Exemplar  hinter 
ihn  setzen,  womit  alle  anderen  Beobachtungen  sich  gut  vereinigen.  Berlin  besitzt 
noch  aus  etwa  der  gleichen  Zeit  den  Kelch  9066,  der  zwischen  den  Kelchblüten 
»Sumpfblumen  zeigt,  zwischen  denen  Vögel  nisten«.  Eine  zur  selben  Kategorie  ge- 
hörige Faienceflasche  zeigt  im  Relief  u.  a.   einen  Hirten  mit   Rindern    im   Sumpf, 


')  Vgl.  auch  den  tanzenden  Bes  mit  Kastagnette  Teil  el  Amarna  Taf.  XVI,  180. 

und  drei  einzelnen  Federn  auf  dem  Kopf  bei  Petrie, 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


203 


also  das  hier  beliebte  Motiv.  Angefügt  mag  ein  Kelchfragment  aus  tiefblauer 
Faience  in  der  Sammlung  Scheuleer  werden,  auf  dem  man  in  energischem  Relief 
abwechselnd  Papyri  von  Hathorköpfen  bekrönt  und  stehende  Bese  mit  hohen 
Federkronen  sieht,  als  Abschluß  am  Rand  ein  Fries  vier-  und  sechsblättriger 
Blüten. 

Auch  ein  weiteres  Bruchstück  des  Museums  zu  Kairo  gehört  hierher.  Kairo 
3812  von  leuchtend  hellblauer  Farbe  bietet  zu  unterst  einen  Wasserstreifen,  dann 
fiarpokrates  auf  einer  Nymphäe  sitzend,  zwischen  hohen  Papyri,  am  Rand  ein 
einfaches  Stabband.  Auf  Grund  der  Farbe,  die  auch  von  der  des  Alabastrons  in 
Leiden  nicht  allzusehr  abweicht,  habe  ich  das  Stück  im  Katalog  der  XXII.  Dynastie 
zugewiesen. 

Damit  ist  das  mir  zugängliche  Material  erschöpf t  ■) ;  man  mag  darauf  hin- 
weisen, daß  in  der  römisch-ägyptischen  Faienceindustrie  sich  Tierfriese  »orien- 
talischen« Stiles  gar  nicht  selten  finden,  daß  derartige  Erzeugnisse  bis  Pompei  ge- 
kommen sind  (Wallis,  Egyptian  ceramic  art  I  Fig.  125  ff.),  daß  in  den  Schalen 
ptolemäischer  Zeit  (a.  a.  0.  180)  ein  letzter  Widerhall  der  alten  Rosettenschale 
gefunden  werden  könnte  (obgleich  Unteritalisches  wohl  als  Vorbild  näher  liegt). 
Im  ganzen  kann  man  das  Ergebnis  dahin  zusammenfassen,  daß  wir  in  Ägypten 
von  etwa  1500  an  eine  ununterbrochene  Reihe  von  Denkmälern  finden,  die  teils 
in  Form  und  Anordnung  der  Dekoration,  teils  in  den  Typen,  und  mit  den  oben  aus- 
gesprochenen Einschränkungen  auch  im  Stil  enge  Beziehungen  zu  dem  »orientali- 
schen« Stil,  und  damit  zu  den  »phoinikischen«  Schalen  zeigen  und  daß  in  Ägypten 
wenigstens  diese  Denkmäler  bis  in  die  persische  Zeit  herabreichen,  ohne  daß  jemals 
ein  eigentlich   »phoinikisches«  Stück  in  Ägypten  zutage  gekommen  wäre. 

Anhangsweise  sei  hier  noch  eine  in  Gezer  gefundene  Faienceschale  erwähnt, 
die  Macalister,  Excavations  of  Gezer  Taf.  CCV  b  abbildet  (11  S.  338).  Die  Schale 
gehört  frühramessidischer  Zeit  an.  Innen  am  Boden  findet  sich  eine  doppelte 
Rosette,  außen  »a  simple  rosette  of  27  radiating  lines  is  surrounded  by  nineteen 
white  ovals  on  a  blue  ground,  around  which  again  are  a  series  of  compartments 
alternately  narrow  and  broad  —  the  former  containing  a  plant,  the  latter  two  animals. 
Around  the  bottom  of  the  sides  runs  a  row  of  white  lozenges  on  a  blue  ground.« 
Weitere  hierher  gehörige  syrisch-phoinikische  Funde  sind  mir,  abgesehen  von 
dem  in  Anm.  i  erwähnten  Fläschchen  aus  Karthago,  nach  Delatre  ein  mit  korin- 
thischen Aryballen   zusammen   gefundenes   Unikum,    nicht  bekannt   geworden. 


')  Daß  damit  die  in  unseren  Museen  verwahrten 
in  diesen  Zusammenhang  gehörigen  Stücke 
keineswegs  erschöpft  sind,  mag  folgende  Notiz 
aus  dem  British  Museum  zeigen:  »aeg.  Abt.  4766. 
Kästchen  aus  grünlicher  Faience ;  zu  beiden  Seiten 
eines  Baumes  geflügelter  Löwe  (I.)  und  geflügelter 
Stier  (r.)  in  Tiefrelief.  An  den  Schmalseiten  ge- 
flügelter, hockender  ägyptischer  Greif  mit  Sonnen- 
Bcheibe,    hinter  ihm    die  Papyrushieroglyphe    in 


einem  Untersatz,  auf  ihr  die  Sonnenscheibe.  Das 
Innere  des  Kästchens  ist  oval  ausgehöhlt.«.  — 
Das  Louvre  verwahrt  eine  Anzahl  in  diesen  Zu- 
sammenhang gehörige  Elfenbeine,  deren  Ver- 
öffentlichung die  Direktion  iSg;  vorbereitete  !  — 
Ein  Faienceväschen  aus  Karthago  mit  Löwen- 
fries, zwischen  den  Löwen  Bäume  bei  Delattrc, 
Nicropole  de  Douimes  in  Memoire  antiquaire 
de  France  56,    Fig.  17  f.;   wohl   VIL  Jahrh. 


204  ^''  ^'  ^'^'-  ^-  I^is^ioKi  Untersuchungen  über  die  >phoini1cischen«  Metallschalen. 

III.  Die    einzelnen    Fundgruppen. 

Im  folgenden  soll  unter  ständigem  Vergleich  der  Verzeichnisse  bei  Dumont- 
Chaplain,  Ceramiques  de  la  Grece  propre  I  112  ff.  und  von  Poulsen,  Orient  und 
frühgriechische  Kunst  ein  für  die  Funde  außerhalb  Italiens  möglichst  vollständiger 
und  vielfach  auf  eignen  Notizen  (in  »  .  .  .  «)  beruhender  Katalog  gegeben  werden 
—  für  die  Nimrudschalen  in  engem  Anschluß  an  Layard  — ,  der  darum  nötig  ist, 
weil  Poulsen  teilweise  sehr  flüchtig  gearbeitet  und  das  ihm  vorliegende  Material 
auch  nicht  immer  glücklich  zusammengefaßt  hat  Wir  halten  uns  ausschließlich 
an  Formen  und  Fundorte;  die  Versuche,  nach  dem  Stil  Klassen  aufzustellen,  sollen 
erst  im   letzten  Abschnitt  geprüft  werden. 

A.  Der    Fund    von    Nimrud. 

a)  Schüsseln.  (Ich  folge  der  von  Layard-Zenker,  Babylon  und  Niniveh  183  ff. 
gegebenen  Einteilung  und  Nummerierung  und  füge  die  Bezeichnungen  Dumont- 
Chaplains  und  Poulsens  hinzu). 

1.  Mit  beweglichem,  kreisrundem  Henkel,  der  durch  zwei  auf  einer  Rolle  sitzende 
Ösen  lief.  Zwei  Friese  und  ein  Mittelbild,  »getrieben  und  graviert.  Der  Stil  erinnert 
an  die  kretischen  Schilde*.  Layard,  Monuments  II  Taf.  65,  Dumont-Chaplain  Nr.  23 
Poulsen  B  7.  Nach  Layard  und  Perrot  (bei  Dumont-Chaplain)  ägyptisierend,  nach 
Poulsen  mit   überwiegend   assyrischer  Dekoration. 

2.  Mit  gleichem  Henkel.  Drei  Tierfriese,  der  Grund  bis  auf  eine  Mittelrosette 
undekoriert.  »Figuren  getrieben  und  graviert.  Stil  mit  i  nicht  näher  verwandt«. 
Layard  a.  a.  0.  Taf.  60,  Dum.-Chapl.  Nr.  16,  Poulsen  C  6  Sonderstil. 

3.  An  Stelle  des  Henkels  zwei  Ringe,  die  in  Röhren  gehen,  welche  an  einem 
Rahmen  befestigt  sind,  der  um  etwa  ein  Dritteil  des  Randes  läuft.  Um  die  Mittel- 
rosette sind  vier  nach  außen  an  Breite  zunehmende  Friese  angeordnet,  der  eigent- 
liche Rand  bleibt  frei.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  57  A.  Dum.-Chapl.  Nr.  17.  Poulsen  An. 
Nach  Layard  in  Charakter  und  Behandlung  assyrisch,  nach  Poulsen  überwiegend 
ägyptisch! 

4.  Glatte  flache  Schüssel  mit  graviertem,  geflügeltem  Skarabäus  von  einem 
Punktkreis  umgeben.  Layard-Zenker  Taf.  XIV  G,  H,  etwas  abweichend  Monuments  II 
Taf.    58    B.    Wohl    Dum.-Chapl.    30  b. 

5.  In  der  Mitte  Rosette,  dann  4  Streifen,  abwechselnd  ein  Papyrusbogenfries 
und  ein  Tropfenfries.  Rand  breit,  glatt.  Layard  a.  a.  O.  Taf.  57  D.  Dum.-Chapl. 
Nr.  I.  Taf.  V  6  stellt  das  Muster  auf  den  Kopf.   Poulsen  A  13,  überwiegend  ägyptisch. 

b)  Teller. 

I.  Flach,  die  Mitte  ein  wenig  in  die  Höhe  gebogen.  In  der  Mitte  Blütenrosette, 
darum  5  Palmettenbänder,  dann  bis  zum  Rand  breiter  vierteiliger  Figurenfries. 
Layard  a.  a.  O.  Taf.  63.  Dum.-Chapl.  Nr.  25.  Poulsen  A  7.  Nach  Layard  ist  die 
Arbeit  zwar  nicht  rein  ägyptisch,  jedoch  mehr  als  sonst  an  einem  anderen  Exemplar, 
außer  etwa  der  Schale  Monuments  II  Taf.  68  Mitte  der  oberen  Reihe.  Nach  Poulsen 
überwiegend  ägyptisch. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »pboinikischen«  Metallschalen.  2O5 

la.  Flach.  In  der  Mitte  Rosette,  dann  Palmettenbänder,  am  Rand  breiter  Fi- 
gurenfries. Layard  a.  a.  O.  Taf.  68  Mitte  oberste  Reihe.  Dum.-Chapl.  Nr.  27.  Poulsen 
A  3.     Nach  ihm  nur  graviert,  überwiegend  ägyptisch. 

2.  Tief,  mit  breitem  in  die  Höhe  gebogenem  Rand,  wie  an  einem  Suppenteller. 
In  der  Mitte  Rosette  von  einem  Tierfries  umgeben,  dann  breiter  Figurenfries.  Ein 
Kymation  leitet  zum  abgesetzten  Rand  über,  an  dessen  abermals  abgesetztem  Rand 
ein  Fries  mit  einander  jagenden  Tieren  läuft,  »getrieben,  nur  die  Rosette  mit  dem 
Innern  Tierfries  graviert,  Einzelheiten  auch  an  den  getriebenen  Figuren  graviert«. 
Layard  a.  a.  O.  Taf.  64,  Dum.-Chapl.  Nr.  24.  Poulsen  C  2.  Nach  Layard  ist  die  Be- 
handlung und  Zeichnung  dieses  sehr  schönen  Stückes  assyrisch,  obwohl  die  Kostüme 
einen  ägyptischen  Charakter  haben.    Nach  Poulsen  Sonderstil. 

3.  Flach.  In  der  Mitte  oval  mit  punktierten  Rauten  bedeckt,  mit  9  silbernen 
Buckeln  besetzt,  von  vier  Berggruppen  umgeben.  »Die  Arbeit  ist  ziemlich  grob, 
die  Hauptmasse  ist  von  außen  nach  innen  getrieben,  die  Einzelumrisse  von  innen 
eingedrückt.  Die  meisten  der  Tiere  auf  den  Bergen  sind  graviert,  einzelne  aber  ge- 
trieben, überall  sind  die  Einzelheiten  graviert«.  Layard  a.  a.  O.  Taf.  66;  Dum.-Chapl. 
Nr.  21.  Poulsen  B  i.  Layard  und  Poulsen  stimmen  in  der  Betonung  des  assyrischen 
Stils  überein,  Layard  hebt  die  sehr  genaue  und  sorgfältige  Arbeit  hervor. 

4.  Der  mittlere  Teil  etwas  in  die  Höhe  gebogen.  In  der  Mitte  Stern  mit  Ro- 
setten zwischen  den  Zacken,  dann  5  den  ganzen  Teller  füllende  Tierstreifen,  die  durch  8 
Figuren  in  Hochrelief  mit  Doppelgesicht  wie  durch  Pfeiler  in  Felder  geteilt  werden, 
sehr  beschädigt,  »getrieben  und  graviert«.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  61  A,  Dum.-Chapl. 
Nr.  9.  Poulsen  C  i.  Nach  Layard  die  Gesichter  der  Pfeilerfiguren  von  ägyptischem 
Charakter,    nach   Poulsen    Sonderstil. 

5.  Getrieben  und  graviert.  In  der  Mitte  Gebirge  aus  dem  vier  ägyptisierende 
Frauenköpfe  auftauchen.  Zwischen  den  Hügeln  sind  Tiere  und  Bäume  eingegraben. 
Ein  Rand  von  Figuren,  fast  rein  ägyptisch,  aber  leider  nur  zum  Teil  erhalten,  bildet 
den  äußern  Umkreis  des  Tellers.  Man  sieht  einen  Mann,  der  auf  einem  Thron  sitzt, 
unter  einem  verzierten  Bogen,  vor  ihm  eine  besartige  Gestalt.  Die  nächste  Gruppe 
zeigt  einen  ägyptisch  gekleideten  Mann,  die  Streitkeulc  in  der  Rechten  schwingend, 
mit  der  Linken  Bogen  und  Pfeil  und  den  Schopf  eines  vor  ihm  kauernden,  kleiner 
dargestellten  Gefangenen  fassend.  Zwischen  den  Beinen  des  Kriegers,  der  so  als 
Pharao  gekennzeichnet  wird,  schreitet  ein  kleiner  Löwe.  Eine  ägyptisch  gekleidete 
Göttin  mit  der  Sonnenscheibe  hält  dem  König  das  Krummschwert  entgegen,  das  hier 
freilich  etwas  dei  Feder  der  Wahrheit,  dem  gewöhnlichen  Attribut  der  Göttinnen, 
angeähnelt  ist.  In  der  Linken  hält  sie  nach  Layard  ein  Szepter.  Dann  folgt  Bes, 
von  zwei  mit  ihm  tanzenden  ägyptischen  Königsfiguren  flankiert,  die  ihre  Hände 
nach  seiner  Federkrone  auszustrecken  scheinen.  Weiter  dann  eine  bartlose  Figur 
in  merkwürdigem  Schurz  (wie  er  auf  pboinikischen  Denkmälern  zuerst  vorkommt) 
mit  einer  Vase  und  einem  Halskragen  in  den  Händen.  Eine  ähnliche  Figur  steht  ihr 
gegenüber,  dazwischen  aber  eine  bartlose  Figur  in  langem  Gewand,  nach  Layard  mit 
einer  ägyptischen  Götterkrone,  in  der  einen  Hand  einen  Bumerang  {?),  in  der  andern 
nach  Layard  einen  Bogen  {>).  Götterfiguren,  unter  denen  Layard  den  Amon  und  eine 


206  P'*  ^-  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 

Göttin  erkennen  wollte,  ein  Greif,  eine  Schlange  waren  in  dem  fast  ganz  zerstörten 
Teil  des  Tellers  dargestellt.  Ich  habe  die  Beschreibung  so  ausführlich  gegeben,  weil 
einesteils  die  Zeichnung  ohne  Layards  Text  vieles  nicht  erkennen  läßt,  andrerseits 
Layard  einige  für  seine  Zeit  begreifliche  Irrtümer  in  der  Benennung  der  Figuren 
begangen  hat.  Dann  aber  bietet  keine  unter  allen  Nimrudschalen  so  viele  Vergleichs- 
punkte zu  den  früher  behandelten  ägyptischen  Kelchgefäßen,  deren  Zugehörigkeit 
in  diesen  Kreis  damit  erwiesen  wird.  Die  Nimrudschale  hat  auch  die  gleichen  unver- 
ständlichen Hieroglyphen,  die  gleichen  kleinen  rechteckigen  Kartuschen,  ihr  Stil 
ist  aber  viel  unreiner  als  der  der  sicher  von  Ägyptern  gearbeiteten  Kelche.  Layard 
a.  a.  0.  Taf.  6i  B,  Dum.-Chapl.  Nr.  20.    Poulsen  B  4,  überwiegend  assyrisch. 

6.  Der  Boden  ist  in  der  Mitte  hochgetrieben.  In  der  Mitte  Rosette,  dann  zwei 
schmale  Palmettenbänder,  ein  breiter  Figurenstreifen  (Raubvögel,  die  paarweis 
Hasen  zerfleischen),  am  Rand  endloser  Fries  gleicher  Raubvögel.  Layard  rühmt 
die  sehr  schöne  Arbeit.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  62,  B.  Dum.-Chapl.  Nr.  18,  Poulsen  C  4 
Sonderstil. 

7.  Flach.  In  das  Kupfer  sind  in  der  Mitte  und  in  zwei  Reihen  um  die  Sternscheibe 
kleine  Buckel  von  Silber  eingelegt.  In  der  Mitte  Stern,  zwischen  den  Zacken  Zick- 
zacke und  darauf  Scheiben,  dann  zwischen  zwei  glatten  Streifen  ein  Papyrosfries, 
am  Rand  ein  breiter  Streifen  mit  sich  wiederholendem  Zinnenmustcr,  in  dessen  Felder 
Ziegen  {})  und  Rosetten  gesetzt  sind,  nach  Layard  mehr  als  600.  Die  Tiere  sind 
jedes  durch  drei  Schläge  mit  einem  stumpfen  Instrument  oder  einem  Stempel  ge- 
macht (Layard).  Layard  a.  a.  0.  Taf.  57,  E.  Dum.-Chapl.  Nr.  10.  Poulsen  C  3 
Sonderstil. 

8.  Ähnlich  wie  7,  nur  sind  zwischen  den  Sternzacken  unter  den  Scheiben  noch 
eine'Art  Kartuschen  angebracht.  Den  Abschluß  bildet  ein  schmaler  Palmettenfries 
und  dann  folgen,  durch  schmale  glatte  Streifen  getrennt,  6  Friese  kleiner  Gazellen, 
nach  Layard  wieder  über  600.  Vermutlich  auf  der  Sternscheibe  sind  8  silberne  Knöpfe 
befestigt  (s.  Layard).  Layard a.a.  0.  Taf.  59 C,  Dum.-Chapl.  Nr.  5.  Poulsen C  5  Sonderstil. 

9.  Tief.  In  der  Mitte  ein  eingegrabener  Stern  (Perrot:  Rosette),  den  ein  Flecht- 
band und  Lotosfries  umgeben,  Flechtband,  an  der  Seite  vier  Gruppen,  die  einen 
Löwen  vorstellen,  der  im  Röhricht  lauert,  im  Begriff  sich  auf  einen  Stier  zu  stürzen 
(Perrot:  large  zone  de  taureaux  et  de  lions  separes  par  des  tiges  de  papyrus).  Nicht 
abgebildet.     Dum.-Chapl.  Nr.  30  p.  Poulsen  vacat  '). 

10.  Flach.  In  der  Mitte  geflügelter  Skarabäus,  der  die  Sonnenscheibe  in  die 
Höhe  hält,  darum  Flechtband  und  Lotosfries,  dann  ein  doppelter  Fries,  der  innere 

')  Möglicherweise  ist  dies  das  von  mir  folgender-  band  abgeschlossenen  Tierfries  sieht  man  einen 

maßen   beschriebene    Stück:     »In  der    Mitte   16-  Löwen  mit   geöffnetem  Maul,  vor  ihm  Papyros- 

blättrige  Blüte,  die  Blattspitzen  durch  ein  Flecht-  Stauden,    dann    einen    einhörnigen    Stier,     eine 

band  verbunden,    dann    ein  von  glatten  Streifen  kleine   Papyrospflanze,    Löwen,  Stier  usw.,   alles 

eingefaßtes  Flechtband.  Lotosbogenfries  mit  Punk-  in   ganz   flachem  getriebenem  Relief«.    Ist  dieser 

ten  r.  und  1.  von  den  Blüten,  ein  glatter  Streifen,  Teller  nicht  mit  Dumont-Chapl.  N.  30  p  identisch, 

ein    Flechtband,    abermals    glatter   Streifen   und  dann  fehlt  er  in  ihrem  Verzeichnis. 
Flechtband.     Auf   dem  oben  von  einem   Flecht- 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  ttber  die  xphoinikischen«  Metallschalen.  207 

mit  Bäumen,  Rehen,  geflügelten  Uraei,  Sphingen  und  Papyrospflanzen,  der  äußere 
mit  Skarabäen,  fliegenden  Schlangen,  Rehen  und  Bäumen,  alles  graviert.  Nicht 
abgebildet.     Dum.-Chapl.  30  f.     Poulsen  vacat. 

11.  Flach,  der  Boden  etwas  erhaben.  Ihn  bedeckt  ein  Blütennetz  mit  einem 
silbernen  Knopf  in  der  Mitte.  Am  breiten  Rand  Fries  von  vier  übereinander  an- 
geordneten und  miteinander  verflochtenen  »phoinikischen«  Palmetten.  Layard  a.  a.  0. 
Taf.  62  A,  Dum.-Chapl.  Nr.  4.     Poulsen  B  3  nur  graviert,  überwiegend  assyrisch. 

12.  Flach.  Rosette  als  Mittelscheibe  eines  Stern,  zwischen  dessen  Zacken 
Falken  mit  ausgebreiteten  Flügeln  und  Sonnenscheibe  auf  dem  Kopf.  Weiter  durch 
schmale  glatte  Streifen  getrennt  zwei  in  Felder  geteilte  Friese  mit  Flügeltieren,  die 
meisten  mit  vier  ausgebreiteten  Flügeln.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  57  B.  Dum.-Chapl. 
Nr.  14  »les  Sujets  sont  difficiles  ä  distinguer«.  Poulsen  A  12,  überwiegend  ägyptisch. 

13.  Flach  mit  omphalosartig  aufgetriebenem  Boden,  graviert.  In  der  Mitte 
.Scheibe  von  einem  Blättcrbogenfries  umgeben,  in  weitem  Abstand  schmaler  Fries 
mit  durch  je  drei  Papyri  getrennten  Tieren  und  ägyptischen  Emblemen;  ein  ähn- 
licher Fries,  bei  dem  aber  je  eine  Palme  die  Figuren  trennt,  am  Rand.  Layard 
a.  a.  O.  Taf.  58  A.     Dum.-Chapl.  Nr.  8.     Poulsen  A  14,  überwiegend  ägyptisch. 

14.  Tief.  In  der  Mitte  kleine  Rosette  von  zwei  ineinander  geflochtenen  sphä- 
rischen Vierecken  umgeben,  deren  Spitzen  in  Knospen  und  Blüten  assyrischen  Stils 
endigen.  Es  folgen,  durch  je  einen  schmalen  glatten  Streifen  getrennt,  zwei  schmale 
Palmettenfriese.  Sonst  glatt.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  58  C,  Dum.-Chapl.  Nr.  3.  Poulsen 
A  15,  überwiegend  ägyptisch! 

15.  Tief.  In  der  Mitte  Rosette  durch  Flechtband  eingeschlossen,  dann  drei 
kleine  Palmettenfriese,  unten  durch  glatte  Streifen,  oben  durch  Flechtbänder  abge- 
schlossen, alles  weitere  glatt.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  58  D,  Dum.-Chapl.  Nr.  2.  Poulsen 
A  16,  überwiegend  ägyptisch! 

16.  In  der  Mitte  Rosette,  von  der  ein  Stern  ausgeht,  zwischen  dessen  Zacken 
anscheinend  eine  Kartusche  von  drei  Knöpfen  flankiert  wird.  Weiter  bis  zum  Rand 
drei  durch  glatte  schmale  Streifen  getrennte  Figurenstreifen,  von  denen  der  erste 
und  dritte  in  Felder  geteilt  ist,  die  vierflügelige  Skarabäen  und  Falken  (oder  nach 
meiner  Notiz  wieder  Skarabäen)  einschließen,  der  mittelste  Streifen  zeigt  Rehe  durch 
Buketts  getrennt  (Perrot,.  Plantes  ä  cinq  tiges.?).  Layard  a.  a.  O.  Taf.  58  E,  Dum.- 
Chapl.  Nr.  12.    Poulsen  A  17,  überwiegend  ägyptisch! 

17.  In  der  Mitte  Rosette,  dann  drei  Palmettenfriese  durch  glatte  Streifen 
getrennt  und  von  Flechtbändern  eingeschlossen.  Nach  einem  breiten,  glatten  Streifen 
Fries  mit  schreitenden  Flügelsphingen  durch  vier  Papyros  getrennt.  Layard  a.  a.  0. 
Taf.  58  F  (verdruckt  E).    Dum.-Chapl.  Nr.  19.    Poulsen  A  18,  überwiegend  ägyptisch! 

18.  In  der  Mitte  Rosette,  deren  Herz  von  einer  kleinen  Rosette  eingenommen 
wird,  die  ein  sphärisches  Viereck  umgibt.  Es  folgen,  durch  glatte  Streifen  getrennt, 
drei  Tropfenbänder,  dann,  wieder  durch  glatte  Streifen  getrennt,  drei  Figurenfriese: 
I.  abwechselnd  geflügelte  Schlangen  und  vierflügelige  Skarabäen,  2.  Kartuschen  in 
wechselnder,  mißverstandener  Form,  3.  endlose  Reihe  laufender  Strauße.  Layard 
a.  a.  0.  Taf.  59  A,  Dum.-Chapl.  Nr.  7.    Poulsen  A  4,  überwiegend  ägyptisch. 


208  ^'-  ^-  P'br.  V.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >phoinikischen«  Metallscbalen. 


19.  In  der  Mitte  Stern  mit  Scheibe,  deren  Zentrum  eine  Blüte  einnimmt. 
Zwischen  den  Zaclten  spitze  Winitel  und  kleine  Scheiben.  Dann  drei,  durch  glatte 
Streifen  getrennte,  in  Felder  geteilte  Friese  mit  abwechselnd  stehenden  Flügelsphingen 
und  knienden  Figuren  im  ägyptischen  Schurz  mit  Lotosblüte  in  jeder  Hand.  Layard 
a.  a.  0.  Taf.  59  B,  Dum.-Chapl.  Nr.  11.    Poulsen  A  5,  überwiegend  ägyptisch. 

Dumont  bemerkt,  daß  zwei  weitere  Teller  30  d  und  e  dieselben  drei  Friese 
a'afweisen,  aber  in  der  Mitte  eine  achtblättrige  Rosette  und  bei  dem  einen  aufgesetzte 
Silberknöpfe.  Ich  habe  folgendes  notiert :  »Es  sind  drei  ähnliche  Teller,  die  die  Num- 
mern 17,  20  und  8  (43)  tragen.  17  hat  alle  Figuren  fein  graviert,  die  Felder  mit  Figuren 
sind  punktiert.  Die  knienden  Figuren  der  beiden  unteren  Kreise  sind  beflügelt, 
die  des  obersten  nicht.  Nr.  20  ist  ganz  ähnlich.  Nr.  8  hat  in  der  Mitte  einen  Stern 
mit  Rosette,  die  Knienden  sind  alle  flügellos.  Zwischen  den  Strahlen  des  acht- 
strahligen  Sternes  auf  punktiertem  Grunde  eine  Scheibe  über  einem  Tropfen  oder  einer 
Kartusche«.  Also  ist  dies  der  Layard  a.  a.  0.  Taf.  59  B  abgebildete  Teller.  Da  Perrot 
Stern  und  Rosette  auch  sonst  nicht  auseinanderhält,  wird  in  allen  Fällen  ein  Stern  die 
Mitte  einnehmen.     Die  beiden  anderen  Teller  müssen  die  Nr.  20  und  21  erhalten. 

22.  Tief,  Form  wie  Layard  a.  a.  0.  Taf.  58,  C  =  b  14,  F  =  b  17.  In  der  Mitte 
Rosette  mit  aufgelöstem,  sphärischem  Viereck  im  Herzen,  dann,  eingefaßt  von  glatten 
Streifen,  zwei  Tropfenfriese  und  zwei  Friese  mit  Tieren  (Ziegen,  Rehe  durch  Buketts 
wie  bei  b  16  getrennt).  Layard  a.  a.  O.  Taf.  59  D,  Dum.-Chapl.  Nr.  6.  Poulsen  A  6, 
überwiegend  ägyptisch.  , 

23.  Flach.  In  der  Mitte  Rosette,  anschließend  ein  Streifen  abwechselnd  schmaler 
und  breiter  hochgestellter  Felder,  die  breiten  mit  je  zwei  übereinander  gestellten 
Knöpfen.  Es  folgen  bis  zum  Rand  vier  glatte  und  vier  ornamentierte  Friese,  die 
letzteren  in  Felder  geteilt,  die  abwechselnd  glatt  und  punktiert  sind.  Die  punktierten 
Felder  tragen  im  ersten  und  letzten  Streifen  Blüten,  im  zweiten  Uzataugen,  im  dritten 
»ägyptische  Ägiden«.  Layard  a.  a.  O.  Taf.  59  E,  Dum.-Chapl.  Nr.  13.  Poulsen  A  3 
überwiegend  ägyptisch. 

c)  Schalen. 

1.  Tief.  »Getrieben  ohnejede  Gravierung.«  Mit  sehrsorgsam  gearbeiteten  Figuren 
von  Tieren  (miteinander  kämpfenden  Löwen  und  Greifen .'' )  verziert,  die  in  eigen- 
tümlicher Verwirrung  untereinander  verflochten  und  gruppiert  sind  und  die  ganze 
innere  Fläche  bedecken.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  67,  Dum.-Chapl.  Nr.  22,  Poulsen  B  2 
(der  wohl  mit  Recht  unter  den  Tieren  Stiere  mit  einem  Hörn  aufzählt,  dessen  Behaup- 
tung, es  sei  Gravierung  vorhanden,  aber  irrtümlich  sein  dürfte),  überwiegend  assyrisch. 

2.  Ein  Fragment  mit  Löwen  und  Stieren  in  sehr  feiner  Arbeit.  Sonst  nirgends 
erwähnt. 

Layard  spricht  dann  noch  von  zierlichen,  glatten  Schalen,  deren  er  eine  auf 
Taf.  XIV  k  von  »Niniveh  und  Babylon«  abbildet,  die  wie  oben  (S.  182)  gezeigt,  von 
ägyptischer  Form  ist,  dann  von  ein  oder  zwei  geriefelten  und  von  einigen  mit  einem 
einfachen  getriebenen  Stern  in  der  Mitte. 

Eine  »Schale«  —  die  genauere  Form  ist  leider  für  die  folgenden  Nummern  C  3 — 7 
nicht  festzustellen  —   ist   abgebildet  bei   Perrot-Chipiez   II  741.     Ich  habe   davon 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  ttber  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  200 

folgende  Beschreibung  gemacht,  die  ich  unter  Vergleich  von  Dumont-Chaplain  30  k 
hersetze:  »Ein  großer  siebenstrahligcr  Stern  nimmt  die  Mitte  ein,  dessen  Zentrum 
ein  eben  solcher  Stern  bildet.  Zwischen  die  Zacken  des  kleineren  Sterns  sind  Kreischen, 
zwischen  die  des  größeren  kleine  von  einem  Punktkreis  eingeschlossene  Sterne  mit 
Kreischen  zwischen  den  Zacken  gesetzt.  Rechts  und  links  von  jedem  Zacken  des 
großen  Sterns  ein  Kreischen,  am  Fuß  der  Zacken  ein  Papyros.  Von  einem  breiteren 
unteren  und  einem  schmaleren  oberen  glatten  Streifen  eingefaßt ,  läuft  ein  Fries  von 
Pseudohieroglyphen,  dann  ein  Fries  von  kleinen  Blüten  mit  7  Blättern  und  dem 
Papyroszeichen  im  Wechsel,  endlich  ein  breiterer  Streifen  von  pseudoägyptischen 
Königsringen,  bekrönt  mit  Federn,  im  Innern  fünf  Zeilen  horizontaler  Pseudohiero- 
glyphen. Gegen  den  Rand  hin  noch  eine  weitere  pseudohieroglyphische  Inschrift. 
Ganz  am  Rand  steht  in  phoinikischen  Zeichen  Baalazar  (s.  oben  S.  185).  Die  Orna- 
mente scheinen  wie  das  ganze  Gefäß  nicht  getrieben,  sondern  gegossen  und  nur  nach- 
graviert. Unter  den  Hieroglyphen,  die  späten  Charakter  tragen,  erkennt  man  den 
stehenden  Löwen,  das  Uzatauge,  den  Falken  mit  der  Geißel  am  Rücken,  das  Zeichen 
für  Gold,  das  Uaszepter,  das  Determinativ  U  20  für  Schwere,  Mineralien,  und  viel- 
leicht einige  andere.     Poulsen  A  2,  überwiegend  ägyptisch. 

4.  »Achtblättrige  Blüte  oder  Stern  in  der  Mitte,  zwischen  den  Blättern  Punkte. 
Jedes  Blatt  endet  in  eine  Art  Palmette,  die  durch  eine  Punktreihe  verbunden  sind. 
Dann  folgt  ein  Streifen  mit  kleinen  Blüten  zwischen  Punktreihen,  dann  ein  glatter 
Streifen  und  zwei  durch  Punktreihen  eingefaßte  Papyrosbogenfriese,  die  durch  einen 
Blütenstreifen  getrennt  werden.«  Layard  a.  a.  0.  Taf.  68  unterste  Reihe  rechts.  Viel- 
leicht Dum.-Chapl.   30  m. 

5.  »Schale  mit  bloßer  Rosette  ohne  Stern,  zwei  schmale  Ornamentbanden,  ein 
etwas  breiterer  Streifen  mit  Steinböcken  und  dazwischen  gesetzten  Pflanzen.  Jedes 
zweite  Tier  sieht  sich  um.  Dieser  Fries  wird  nahe  dem  Rand  wiederholt.«  Wahr- 
scheinlich Layard  a.  a.  0.  Taf.  68  unterer  Streifen  Mitte  und  Dumont-Chapl.  Nr. 
30  t.    Ebenso  wie  die  folgenden  Nummern  bei  Poulsen  nicht  angeführt  (vergl.  c  10). 

6.  » In  der  Mitte  siebenzackiger  Stern,  zwischen  die  Zacken  ist  eine  Art  Nym- 
phäenblüte  gesetzt.  Am  Rand  des  den  Stern  umschreibenden  Kreises  hängen  Tropfen. 
Es  folgt  ein  locker  gezeichneter  Nymphäenbogenfries,  dann  ein  Tropfenfries,  stets 
durch  glatte  Streifen  getrennt.«  Vielleicht  Dum.-Chapl.  Nr.  30  r.   Nicht  abgebildet. 

7.  »In  der  Mitte  Stern  mit  punktiertem  Füllgrund  und  kleinen  Kreisen  darin, 
eingefaßt  von  einem  Punktkreis,  dann  zwei  durch  glatte  Streifen  jeweils  abgeteilte 
Friese,  i.  mit  Schlangen  über  dem  Korb  auf  der  Papyrosstaude,  Greifen  mit  Löwen- 
schwänzen, Falken  in  Hockstellung  mit  der  Sonnenscheibe  auf  dem  Haupt,  2.  Ska- 
rabäen  mit  ausgebreiteten  Flügeln,  Blüten,  alles  punktiert  und  graviert.«  Das  Stück 
scheint    nirgends    erwähnt. 

Bei  Layard  Monuments  II  Taf.  68  sind  noch  folgende  Fragmente  und  voll- 
ständige   Schalen    (.?)   gezeichnet: 

8.  Oberste  Reihe  links.  In  der  Mitte  Rosette,  am  abgesetzten  Rand  Flügel- 
löwe mit  Sonnenscheibe  auf  dem  Haupt.     Dum.-Chapl.  Nr.  28.     Poulsen  vacat. 


2IO  f'-  W.  Frhr.  v.  BUsidk,  Untenuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


9.  Oberster  Streifen  rechts.  In  der  Mitte  Scheibe,  zwei  Palmettenbogenfriese 
zwischen  Flechtbändern,  breiterer  Randfries:  geflügelte  Skarabäen  zwischen  Flügel- 
sphingen.    Dum.-Chapl.  Nr.  26. 

10.  Unterster  Streifen  Mitte.  In  der  Mitte  Rosette  mit  sphärischem  Fünfeck, 
vier  durch  glatte  Streifen  getrennte  Ornamentstreifen,  zwei  ebenso  getrennte  und 
gleichfalls  schmale  Friese,  i.  sich  umschauende  Rehe  durch  Papyri  getrennt,  2.  schrei- 
tende Rehe  {>)  im  Wechsel  mit  ägyptischen  Ägiden  {}).  Anscheinend  nirgends 
erwähnt.  Oder  ist  es  c  5.^ 

11.  Unterster  Streifen  links.  Sphärisches  Viereck  in  der  Mitte  um  eine  Rosette, 
die  Spitzen  des  Vierecks  sind  von  assyrischen  Palmetten  besetzt,  weiterhin  zwei 
Palmettenfriese. 

Aus  Perrots  Notizen  bei  Dum.-Chapl.  ergibt  sich,  daß  Flügelskarabäen,  Flügel- 
sphingcn  und  Flügelgrcifcn  noch  mehrhaft  auftreten,  ebenso  »cerfs«  (Rehe?)  im 
Wechsel  mit  Pflanzen,  Rosetten,  und  allerhand  nicht  sicher  bestimmbare  Ornamente. 
Auch  das  Motiv  des  von  Raubvögeln  zerfleischten  Hasen,  in  getriebener  Arbeit,  kehrt 
noch  einmal  wieder.  Man  sollte  meinen,  es  müßte  zu  den  Ehrenpflichten  des  British 
Museums  gehören,  endlich  die  Layardschen  Kleiniundc  in  einer  dem  Stand  der  heu- 
tigen Wissenschaft  angemessenen  Weise  herauszugeben.  Nicht  einmal  der  neuste 
Führer  hält  es  für  notwendig,  bei  diesen  in  den  verschlossenen  Glaskästen  schwer 
studierbaren    Gegenständen    länger   zu    verweilen. 

d)  Tassen. 

17  Näpfe  oder  Tassen  wurden  nach  Layard  gefunden,  aber  nur  drei  davon 
trugen  Ornamente.  Der  eine  von  ihnen  ist  Layard,  Monuments  II  Taf.  68  unten 
links  und  im  ersten  Streifen  abgebildet.  In  der  Mitte  am  Boden  ist  ein  Stern  in 
getriebener  Arbeit,  der  von  einer  Rosette  umgeben  ist.  Die  Jagdszene  umschließt 
ihn  in  hohem  Relief.  Ganz  ähnlich  ist  die  Mitte  des  zweiten,  Layard  a.  a.  O.  Taf.  68 
unten  rechts  und  zweiter  Streifen,  veröffentlichten  Napfes.  Layard  hebt  das  sehr 
hohe  Relief  hervor,  und  für  beide  Tassen  die  besonders  altertümliche  Behandlung 
der  Figuren,  in  welcher  Beziehung  sie  den  früher  in  Nimrud  entdeckten  Elfenbein- 
arbeiten gleichen.  Ferner  fühlt  er  sich  an  die  ältesten  griechischen  Kunstwerke 
und  die  bemalten  Tongeschirrc  aus  ctruskischen  Gräbern  erinnert,  so  sehr,  daß  er 
beiden  ein  und  denselben  Ursprung  glaubt  beilegen  zu  müssen,  auch  an  die  Funde 
von  Cerveteri  erinnert  er. 

Als  Nr.  3  zählt  Layard  das  a.  a.  0.  Taf.  57  C  veröffentlichte  Gefäß,  Dum.- 
Chapl.  Nr.  15,  Poulsen  A  i,  überwiegend  ägyptisch.  Es  ist  weniger  tief  wie  die 
beiden  anderen.  Im  Zentrum  hat  es  nach  Layard  einen  Stern,  der  durch  den 
ägyptischen  Sonnenfalken  gebildet  wird,  welcher  die  Sonnenscheibe  trägt  (die  Zeich- 
nung läßt  das  ungefähr  ahnen)  ■),  neben  diesem,  zwischen  zwei  Strahlen,  die  in 
Lotosblumen  endigen  (es  sind  wohl  Papyri),  ist  eine  Geißel;  an  den  Seiten  sind  in 


■)  Perrot  beschreibt  die  Mitte  wie  folgt:  Cercle  cen-  tiennes  et   ä  des  repr&entations  vig^ales; 

tral  autour  duciuel  rayonnent  divers  motifs  qui  la  coupe  de  Palestrina,  Perrot-Chip,  iii  97. 

paraissent  ttre  empruntes  i  des  statuettes  egyp- 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


211 


getriebener  Arbeit  wilde  Ziegen,  lotusähnliche  Gewächse  und  Zwergbäume  von 
eigentümlicher  Gestalt  (die  aber  auf  d  l  wiederkehrt).  Die  Lotos  finden  sich  durch- 
aus verwandt  auf  den  Schalen  Layard  a.  a.  0.  58  E,  59  D. 

D  I  ist  bei  Dum.-Chapl.  Nr.  29,  beiPoulsen  B6,  über- 
wiegend assyrisch.  Mit  Recht  sagt  er  »getrieben  und  gra- 
viert«, was  auch  für  D  2  und  3  gilt. 

D  2  ist  bei  Dum.-Chapl.  Nr.  30, 
bei  Poulsen  B  5,  überwiegend  assyrisch. 
Die  Mitte,  die  wir  hier  nach  meiner 
Skizze  (Abb.  10)  geben,  beschreibt 
er  ziemlich  zutreffend:  »Kreis  mit  ge- 
triebenen halbkreisförmigen  rauten- 
schraffierten Beulen.«  Nur  bildet  eine 
Blütenrosette  den  Mittelpunkt,  und 
gehen  von  dem  Kreis  wieder  spitzige 
Blätter  aus. 
Ich  habe  dann  noch  D4  notiert:  »ohne  figürliche  Reliefs,  innen  am  Boden 
ein  System  von  Punktkreisen.  Dicht  unter  dem  Rand  folgt  ein  Kreispunktband, 
bei  dem  die  Kreise  alle  in  unregelmäßiger  Höhe  stehen,  unter  dem  Band  wechseln 
Punktkreise  und  Punktblüten.  Außen  findet  sich  ein  ähnliches  Punktband  und 
ein  anscheinend  nach  unten  sich  fortsetzender  Bogcnfries,  es  sind  wie  vorstehende 
Rippen,  vielleicht  gehämmert.  An  der  entsprechenden  Stelle  ist  innen  die  Wan- 
dung glatt.«  (S.  die  Skizze   Abb.  11,  die  natüriich  im  einzelnen  nicht  genau  ist.) 


Abb.   10.      Innen  Verzie- 
rung der  Tasse  aus  Nim- 
rud  D  2.    Nach  eigener 
Skizze. 


Abb.   II.     Innenver- 
zierung der  Tasse  aus 
Nimrud   D  4.      Nach 
eigener  Skizze. 


B.     Die    Funde    von    Kreta. 

Die  Bronzen  der  idäischen  Grotte  sind  von  Halbherr  und  Orsi  im  H.  Band 
des  Museo  Italiano  vortrefflich  veröffentlicht  worden.  Spätere  Veröffentlichungen 
bringen  kaum  Wesentliches,  Poulsen,  Der  Orient  usw.  74  ff.  hat  die  kretischen 
Schilde,  ebenda  S.  22  die  zwei  Schalen  behandelt.  Meine  eigenen  vor  Jahren  vor 
den  Originalen  unter  zweimaligem  Vergleich  mit  den  Tafeln  Halbherrs  aufgenom- 
menen Notizen  (Herr  Chatzidakkis  unterstützte  hier  wie  sonst  meine  Studien  aufs 
freundlichste)  besagen:  »Taf.  H  ist  genau,  die  Blütenform  ist  noch  ägyptischer. 
Taf.  HI  genau;  die  Augen  der  menschlichen  Figuren  auf  Taf.  I  waren  eingelegt, 
rechts  und  links  von  der  Mittelfigur  befindet  sich  je  ein  rundes  kleines  Loch,  je  drei 
auf  den  beiden  unteren  »Schilden«,  doch  wohl  von  einer  Befestigung.«  Auf  den 
oberen  »Schilden«  bemerkte  ichr.  Wellenlinien,  1.  Strahlen,  Reste  einer  Innenzeichnung. 
Bei  Taf.  VIII  fällt  im  Gegensatz  zu  den  anderen  Schilden  die  wenige  Gravierung 
auf,  die  Reliefs  sind  ganz  flach  getrieben.  Taf.  V  hat  jetzt  einen  sehr  altertüm- 
lichen, strengen  Löwenkopf  als  Mittelstück,  der  Kopf  des  1.  Kriegers  ist  verloren. 
Die  Löwen  sehen  altertümlicher  aus  als  die  von  Taf.  III.  Gravierung  findet  sich 
trotz  des  hochgetriebenen  Reliefs  wenig.  Im  Gegensatz  dazu  sind  die  »phoinikischen« 
Stücke  Taf.  VI  schwach  getrieben  und  fein  graviert.  Von  den  auf  Taf.  IX  abge- 
bildeten Stücken  zeigt   I   viel  Gravierung,  das  behaarte  Fell  des  Löwen    ist  ausge- 


212  Fr.  W.  Fthr.  ».  Bissing,  Untenuchungen  über  die  >phoiiiikischen«  Metallschalen. 


prägter.  Nr.  2  mit  ungewöhnlich  feiner  Gravierung  an  Haaren  und  Gewändern 
hat  seit  der  Publikation  gelitten,  Nr.  3  steht  stilistisch  der  Olympiaschale  in  Athen 
besonders  nah.  Aber  auch  2  gehört  in  die  Reihe.  Das  Bruchstück  Taf.  X  2  war 
nicht  auffindbar.  Das  Motiv  des  Tiers,  das  von  unten  mit  umgedrehtem  Kopf 
beißt,  kehrt  aber  auf  einem  feinen  Fragment  wieder,  das  zu  den  Tierfriesen  und 
Reliefs  aus  Palaikastro  gehört,  und  ebenso  auf  den  Nimrudschalen  Layard,  Monu- 
ments II  Taf.  60,  67.  Unter  den  Schildfragmenten  notierte  ich  eines,  das  einen 
Stier  zeigt,  auf  dem  ein  Panther  oder  Löwe  reitet  und  sich  in  dem  Stier  festbeißt. 
Taf.  X  3,  4  sind  zusammengefügt  wie  es  der  Text  S.  18  zeigt.  Es  haben  sich  weitere 
Nymphäen  gefunden,  stilistisch  steht  der  reich  gravierte  Schild  dem  Schild  Taf.  IV 
am  nächsten. 

Xanthuthides  hat  aus  Stücken,  die  in  Halbherrs  Text  meist  abgebildet  sind, 
einen  mit  Nr.  7  bezeichneten  Schild  zusammengefügt,  in  dessen  Mitte  ein  plastischer 
Löwenkopf  erscheint,  dann  unten  Reste  eines  riesigen  Löwen.? -Greifen,  an  den  kleine 
Löwen .''  heranspringen.  Der  »Greif«  trägt  die  Schabrake,  seinen  Schnabel  faßt 
eine  Hand.  Oben  Reste  eines  Mannes  (Sphinx.?)  mit  bebuschtem  Helm  (wie  ihn 
hethitische  Soldaten  tragen).  Vielleicht  war  ein  Löwe  dargestellt,  der  im  Maul  einen 
behelmten  Männerkopf  hatte.  Dann  folgt  ein  Blatt,  ein  Pferd.?,  hinter  dessen 
Rücken  ein  Blatt  vorkommt.  Um  dessen  breiten  inneren  Streifen  laufen  ein 
schmälerer,  von  guten  Flechtbändern  eingefaßter  und  ein  mittelbreiter  Streifen 
mit  Reiter,  Bogenschützen  in  verschiedenen  Lagen  kniend,  Bogenschützen  zu 
Pferd,  darunter  ein  rückwärts  schießender,  hingestreckter  Gefallener;  darunter  ein 
riesengroßer  mit  Schild,  dazwischen  Löwen.  Von  diesen  hat  einer  einen  Mann 
mit  den  Klauen  gepackt,  der  behelmt  ist.  Der  Gefallene  trägt  Beinschienen  und 
einen  an  beiden  Seiten  eingebuchteten  Schild.  Außen  schließt  das  Ganze  ein 
Flechtband  ab,  dann  der  übliche  Rand  mit  Buckelnieten.  Eins  der  einem  der  knienden 
Bogenschützen  gegenüberstehenden  Tiere  ist  kein  Löwe,  eher  ein  Bär  •).  Hinter 
dem  Schützen  kommt  eine  dickstenglige  Pflanze  heraus.  Stilistisch  steht  das  Stück 
der  Schale  aus  Delphi  sehr  nahe,  einzelne  Züge  erinnern  aber  auch  an  die  engere 
»phoinikische«  Klasse. 

Ganz  ungenügend  ist  leider  die  Wiedergabe  der  Bronzen  Taf.  XII  3,  14.  Der 
prachtvolle  Stil  kommt  nicht  zur  Geltung,  der  r.  Löwe  von  14  schiebt  sich  beim  Herauf- 
klettern etwas  zur  Seite.    Zu  den  im  Text  allein  abgebildeten  Stücken  bemerke  ich: 

Das  seltsame  Elfenbeingefäß  in  Gestalt  einer  nackten,  wohl  als  schwanger 
zu  denkenden  Frau  S.  65  hat  die  nächste  Analogie  in  Gefäßen,  wie  sie  bei  Petrie, 
Historical  studies  Taf.  XXIV  aus  der  XVIII.  Dynastie  veröffentlicht  sind.  Die 
Form  kann  tiefer  herabgehen.  Das  Flechtband  von  Nr.  5  S.  67  hat  durchaus  assy- 
rischen Charakter,  die  drei  zusammengefügten  Bruchstücke  Nr.  6  völlig  ägyptischen 


')  Für  das  Vorkommen  von  Büren  auf  den  in  diesen  und    Kleinasien    angeführt    sind.       Über    Bären 

Kreis    gehörigen    Denkmälern     s.     Winter,     A.  vom    Libanon:    W.   Max    Müller,    Egyptological 

M.    XII  18S7,  233  ff.,  dazu  Keller,  Tiere  des  klas-  Researches  1 194,  II  184,  Borchardt,  Grabdenkmal 

sischen  Altertums    lof,  ff.,     wo    besonders    auch  des   Sahure   11  Text  passim. 
die  Zeugnisse  für  Kreta,  die  griechischen   Inseln 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«   Metallschalen.  213 


(spätes  Neues  Reich-Saitenzeit),  zum  Efeu?  vgl.  meine  Denkmäler  Taf.  97,  wohl 
Winde.  Meine  Skizze  weicht  unbedeutend  von  der  Zeichnung  ab.  An  dem  echt 
ägyptischen  Charakter  kann  kein  Zweifel  sein.  Nach  meinen  Notizen  sind  echt 
ägyptisch  auch  die  Bronzekannen  mit  den  Henkeln  in  Nymphäenform,  nicht  aber 
die  Statuette  Nr.  1116  aus  graublauer,  fester  Faience,  mit  Rückenpfeiler  bis  zu 
den  Hüften,  auf  denen  eine  undeutbare  hieroglyphische  Inschrift,  die  Text  S.  71 
ungefähr  richtig  wiedergegeben  ist  (sie  fängt  mit  zd — mdu  an,  das  Determinativ 
hinter  ib — k  hat  die  zwei  Amonsfedern  auf).  Sie  trägt  geriefelten  Schurz,  Halskragen 
und  hält  in  der  r.  Hand  einen  Stengel,  der  in  Papyrus  endigt,  ihr  Haar  endet  nach 
»hethitischer  Weise«  im  Nacken  in  einer  Locke.  Aus  blauer  Faience,  innen  aber 
sandig  gelb,  ist  auch  das  Fragment  einer  Statuette,  mit  Schurz  und  Rückenpfeiler 
ohne  Inschrift,  an  deren  Bein  ein  kleiner  Flötenspieler  lehnt,  zwischen  den  Beinen 
der  Hauptfigur  ein  Zepter  .1*  Ich  finde  sie  im  Text  nicht  erwähnt  (Nr.  Iiio),  wohl 
aber  zwei  Sphingenköpfe,  für  die  die  Verfasser  auf  die  bekannten  Köpfe  im  Fenster 
aus  Nimrud  bei  Perrot-Chipiez  II  Fig.  129  f.  verweisen.  Ich  habe  nichts  darüber 
notiert.  Zu  den  »Linsen«  aus  Bergkristall  im  Text  S.  68  darf  man  vielleicht  auf 
die  eingelegten  Augen  mesopotamischer  Götterfiguren  eher  als  auf  »ägyptische«  ver- 
weisen.    Denn  diese  pflegen  zusammengesetzt  zu  sein. 

Über  die  Schilde  aus  der  diktäischen  Grotte  zu  Palaikastro,  von  denen  bisher 
nur  der  eine  (Poulsen  a.  a.  O.  Fig.  76  nach  Brit.  School  Ann.  XI  Taf.  XVI)  ver- 
öffentlicht ist,  habe  ich  angemerkt:  »Technisch  erinnert  der  Schild  an  Bronzi  Cretesi 
Taf.  III.  Zwei  Sphingen  ohne  Helm,  in  einfachem  Lockenhaupthaar  werden  von 
den  Klauen  des  Löwen,  dessen  Kopf  erhaben  gearbeitet  ist,  gepackt.  Zu  beiden 
Seiten  des  Rückens  dieses  Mittellöwen  je  ein  sich  aufrichtender  Löwe,  mit  dem 
Kopf  einander  zugekehrt.  Die  Einfassung  bildet  ein  dreifacher  Ornamentstreifen: 
zwischen  zwei  schmalen  ganz  verwaschenen  Flechtbändern  ein  Klammerornament 
aus  gegenständigen  Voluten  mit  einer  Palmette  dazwischen,  offenbar  entstanden 
aus  Motiven  wie  sie  an  dem  Thron  von  Wan  im  British  Museum  (z.  B.  Luschan, 
Ionische  Säule  Fig.  5)  zu  sehen  sind.  Die  Ornamente  sind  getrieben,  graviert  und 
Einzelheiten  gehämmert.  Ein  zweites  Stück,  ein  Fragment,  1305,  zeigt  einen  von 
zwei  etwas  strafferen  Flechtbändern  eingefaßten  Tierfries,  von  dem  fünf  Hirsche 
erhalten  sind.  Das  Bruchstück  1306  endlich  läßt  zwischen  ganz  aufgelösten  Flecht- 
bändern zwei  Tierfriese  erkennen;  Rehe  {?)  mit  langen  Ohren  (vgl.  Bronzi  Cretesi 
Taf.  VII,  X4),  ein  Vogel  mit  spitzem  Schnabel,  eine  Sphinx  bildeten  u.  a.  den  innern 
Streifen,  auf  dem  ein  Teil  der  Tiere  umgekehrt  orientiert  sind,  damit  keins  auf  dem 
Kopf  stünde.  Diese  Vorsicht  ist  auf  dem  äußeren  Streifen  mit  äsenden  Rehen 
nicht  genommen.  An  einer  Stelle  schiebt  sich  zwischen  die  Rehe  eine  Art 
Hathorbüste. 

Auf  einem  vierten  Bruchstück,  dessen  Fries  gleichfalls  von  diesmal  strafferen 
Flechtbändern  eingefaßt  wird,  gehen  sieben  Löwen  mit  erhobener  Tatze  gegen  ein 
fast  ganz  zerstörtes  Tier  an.  In  den  Tierleibern  sieht  man  auch  hier  kleine  Löcher 
zum  Aufheften  des  Bronzeüberzugs  auf  Holz  oder  Leder. 

Jahrbuch  des  archäologischen  Tnitituts  XXXVIII/IX  1933/^4-  '5 


21 A  Fr.  W.  Frhr.  T.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


C.    Die    Schilde    von   Van. 

Hier  habe  ich  den  Angaben  Poulsens,  Orient  78  f.  und  dem  S.  188  f.  Gesagten 
nichts  hinzuzufügen. 


^b"- 


D.    Funde   des   griechischen   Festlandes. 

Auch  hier  kann  ich  im  wesentlichen  auf  Poulsen  a.  a.  O.  22  ff.  verweisen. 
Für  die  stilistische  Einreihung  muß  ich  daran  festhalten,  daß  die  Schale  in  Delphi 
(D  l)  und  ebenso  die  aus  Olympia  ins  Ashmolean  Museum  gekommene  (D  2)  den 
kretensischen  Bronzen  näherstehen  als  den  anderen  Gruppen.  Auch  bei  der  länger 
bekannten  Schale  aus  Olympia  (D  3),  Ferrot-Chipiez  III  783,  werden  wir  solche 
Beziehungen  feststellen  können.  Wenn  nun  Bather  J.  H.  St.  XIII  248  das  auf 
der  Akropolis  gefundene  Bruchstück  D  4,  das  in  dem  Motiv  des  Falken  auf  der 
Papyrusstaude  und  vielleicht  auch  in  der  Gestalt  der  Flügelsphingen  stärker  ägyp- 
tisiert  als  die  meisten  kretischen  Stücke,  mit  Recht  stilistisch  dem  Olympiastück 
vergleicht,  dann  hätten  wir  auf  dem  Festland  eine  ziemlich  einheitliche  Gruppe, 
auch  darin,  daß  all  diese  Bronzeschalen  in  hohem  rundem  Relief  getrieben  sind  und 
dabei  reiche  Gravierung  zeigen. 

E.    Die   kyprischen   Funde. 

Da  ich  die  wenigsten  der  hier  aufgeführten  Stücke  aus  eigner  Anschauung 
kenne,  begnüge  ich  mich  unter  Beibehaltung  der  Reihenfolge  von  Poulsen  Nach- 
träge zu  geben,  um  möglichste  Vollständigkeit  zu  erreichen. 

1.  Silberschale  mit  vergoldeter  Innenseite  aus  Idalion  oder  Kition.  (Ob  wirk- 
lich die  Geschichte  Cesnolas  von  den  12  Silberschalen,  die  in  Dali  gefunden  seien 
und  bis  auf  zwei  eingeschmolzen  worden  seien,  vor  de  Saulcys  bei  Longperier,  Mus^e 
Napoleon  zu  Taf.  X/XI  gedruckter  Angabe,  die  zwei  im  Louvre  befindlichen  Schalen 
stammten  aus  Kition,  den  Vorzug  verdient,  erscheint  mir  nicht  ausgemacht,  s.  auch 
unten  zu  Nr.  15.)  Beste  Wiedergabe  Dussaud,  Les  civilisations  prehell^niques  1914 
Taf.  VI;  Perrot-Chipiez  III  779.  Ob  Poulsens  Angabe  »hie  und  da  kleine  assy- 
rische Hügel«  nicht  auf  Täuschung  beruht.? 

2.  Silberschale  wie  i,  vom  selben  Fundort.  Beste  Wiedergabe  Dussaud  a.  a.  O. 
Taf.  VII;   Perrot-Chipiez   III    771. 

3.  Bronzeschale,  Fundort  unbekannt.  Perrot-Chipiez  III  673.  Myres, 
Cesnola  Collection  Nr.  4561.  Bei  Colonna-Ceccaldi,  Monuments  de  Chypres  83  ff. 
mag  man  nachlesen,  auf  wie  unsicherem  Grund  die  Angabe  beruht,  die  Schale  sei 
in  Idalion  gefunden.  Ihre  Form,  die  Col.-Cecc.  S.  85  gibt,  weicht  ab,  indem  ein 
ausgebildeter  Ringfuß  vorhanden  ist  und  der  Rand  scharf  abgesetzt  senkrecht  auf- 
steigt. Die  Darstellungen  sind  getrieben,  aber  alle  Einzelheiten  sind  erst  durch  die 
Gravierung  gegeben.  Die  Außenseite  ist  unverziert.  Gegenüber  Col.-Cecc.  Versuch, 
die  Schale  um  450  zu  datieren  (a.  a.  0.  114  f.),  verdient  der  Ansatz  von  Myres 
in  das  VII.  Jahrhundert   den  Vorzug. 

4.  Silberschale  aus  Amathus.     Perrot-Chipiez  III    775.     Heute  verloren. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  ttber  die  »phoinikischen«  Metallscbalen. 


215 


5.  Bronzeschale  aus  Salaminia.  Cesnola,  Salaminia  55;  Ohnefalsch- Richter, 
Kypros  usw.  Text  S.  128.  Die  Form  ist  die  bei  kyprischen  Schalen  gewöhn- 
liche. 

6.  Silberschale  aus  Kurion.  American  Journal  of  Archaeology  1888,  Taf.  VII; 
Ohnefalsch-Richter,  Kypros  Text  S.  126.  Nicht  in  Myres  Katalog  des  Metropolitan 
Museum.  Bei  Poulsen  fehlt  diese  wie  die  folgenden  Nummern,  soweit  nicht  aus- 
drücklich das  Gegenteil  bemerkt  wird.  Dargestellt  ist  im  äußern  Streifen  ein 
Frauenfest,  im  Innern  Jagdszenen,  zwei  Greifen  mit  einer  »phoinikischen  Falmette« 
zwischen  sich.     Fast  die  Hälfte  der  Schale  fehlt. 

7.  Silberschale   aus   Kurion.     American    Journal   of   Arch.    1887   Taf.   XXX, 
Myres,    Cesnola  Collect.  Nr.  4556 
mit  Tafel.     Kriegsszenen,  Kampf 
mit    dem   Afifen.      Mehr    als    die 
Hälfte  verloren. 

8.  Silberschale  aus  Kurion. 
Perrot-Chipiez  III  789;  Myres, 
Cesnola  Coli.  Nr.  4554  mit  Ab- 
bildung.    Poulsen,  Orient    21. 

9.  Goldschale  aus  Kurion. 
Cesnola- Stern,  Cypern  Taf.  56, 
4  S.  270.  Getriebene  und  gra- 
vierte Arbeit.  Myres  a.  a.  0. 
Nr.  4551.  Poulsen  S.  33  f.,  der  dies 
und  das  folgende  Stück  für  lokale 
kyprische  Arbeiten  hält. 

10.  Bronzeschale  aus  Kurion. 
Cesnola- Stern,  Cypern  Taf.  69,  4 
S.  273.  Cesnolas  ausführliche  Be- 
schreibung des  Materials  als  Sil- 
ber   mit    mehreren    Goldblättern 

inwendig  muß  falsch  sein,  da  Myres  a.  a.  0.  Nr.  4560  Bronze  angibt,  Poulsen  S.  34. 

11.  Silberschale.  Reich  graviert,  nicht  getrieben.  Myres  a.  a.  0.  4552; 
Cesnola,  Atlas  III,  XXXIII  i;  hier  Abb.  12.  Ich  entlehne  die  folgende  Beschreibung 
Myres,  wo  ich  abweiche,  beruht  das  auf  dem  Vergleich  einer  ausgezeichneten  Photo- 
graphie, die  die  Direktorin  der  Cesnola  Collection  Dr.  Miss  Gisela  Richter  mir  gütigst 
verschafft  hat.  »In  der  Mitte  große  Rosette.  Durch  breiten  glatten  Streifen  getrennt 
Fries  von  Cyperusblüten  und  -knospen  an  kurzen  Stielen.  Wieder  durch  glatten 
Streifen  getrennt,  Fries  mit  meist  wappenartig  angeordneten  Paaren  von  geflügelten 
Falken,  Schlangen,  Greifen,  Sphingen  und  einem  beflügelten  hockenden  Gott  mit 
Falken.? köpf,  einem  menschengestaltigen  Wesen  mit  4  Flügeln;  auch  eine  fliegende 
Gans  oder  Ente  tritt  auf.  Die  meisten  haben  ägyptisierende  Attribute. 
Sie  werden  durch  naturalistische  und  stilisierte  Pflanzen  (Bäume,  »syrische« 
Palmetten,   Lotos,   Papyros?)   aufgeteilt.    Dann  folgt  ein  glatter  Streifen  bis  zum 

■5* 


Abb.  12.     Kyprische  Schale.     Metropolitan  Museum  4552. 
Ell.     Nach  Photographie. 


2l6 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen.  Metallschalen. 


Rand.  In  dem  Tierfries  ist  eine  kyprische  Inschrift  eingraviert:   »ich  bin  die  Schale 

des  Epi ...?«'). 

12.  Silberschale  mit  Vergoldung.  Cesnola,  Atlas  III,  XXXIII  4-  Myres 
a.  a.  O.  4553  mit  Abbildung.     »With  central  medaillon  and  two  zones  of  Ornament 

finely  engraved  in  outline,  with 
some  use  of  low  relief.  The  stile 
is  rather  less  careful  thanin4552.« 
Die  Zonen  bedecken  das  ganze 
Innere  und  werden  von  Bändern 
eingefaßt,  die  sich  aus  zwei  Punkt- 
kreisen und  einem  mittleren  Kreis 
kleiner  Scheiben  mit  Mittelpunkt 
zusammensetzen.  In  der  Mitte, 
auf  einem  ebensolchen  geraden 
Band,  ein  stattlicher  Ochse,  im 
inneren  Kreis  endlose  Reihe  von 
sieben  grasenden  Pferden,  im 
breiteren  äußeren  Kreis  fünf 
durch  Papyrusstauden  geschiedene 
Gruppen;  zweimal  wiederholt  sich 
das  Bild  der  Kuh  mit  säugendem 
Kalb,  zweimal  des  an  der  Stute 
säugenden  Füllens,  das  fünfte 
Mal  steht  ein  Roß  allein.  Im 
Stil  stark  ägyptisierend. 

13.  Silberschale,  Myres  a.a.O.  Nr.  4555.  »Engraved  in  a  delicate  and  ad- 
vanced  style  which,  though  influenced  by  earlier  work  of  Mixed  Oriental  style, 
is  essentially  naturalistic,  and  corresponds  in  feeling  and  tcchnique  with  the  earlier 
phases  of  the  Archaic  Cypriote  style  in  gem-engraving  and  sculpture«.  Am  besten 
der  äußere  Streifen.     Der  Einfluß  der  ägyptischen  Kunst  der  XXVI.  Dynastie  sei 


Abb.  13.    Kyprische  Schale.     Metropolitan  Museum  4553. 
E  12.     Nach  Cesnola,  Atlas  III  Taf.  33,  4. 


')  Ich  setze  aus  Cesnolas  Beschreibung  im  Atlas 
noch  einige  Einzelheiten  hinzu.  Über  der  In- 
schrift fliegt  nach  links  eine  Gans.  Es  folgt 
ein  Baum,  zwei  geflügelte  Schlangen  zu  beiden 
Seiten  eines  Busches,  dann  nach  einer  Lotos- 
pflanze  ein  kleiner  Falke,  vierflügelige  Genien 
mit  Lotosblüten  ode^  Lebenszeichen  in  den 
Händen.  Zu  beiden  Seiten  einer  Palme  knien 
zwei  adlerköpfige  Genien  mit  zwei  Flügeln. 
Rechts  und  links  von  einem  heiligen  Baum 
sitzen  zwei  Sphingen  mit  Menschenhaupt  und  der 
ägyptischen  Doppelkrone.  Es  folgt  ein  Feigen- 
baum?, ein  heiliger  Baum  mit  einer  falken- 
köpfigen  Flügelsphinx,  auf  dem  Kopf  Sonnen- 
scheibe und  Hörner.    Auf  der  anderen  Seite  des 


Baumes  ein  »cynosphinx  with  diso  andhorns«; 
alle  Sphingen  sitzen  und  »show  birds  feathers 
on  one  of  the  front  legs«.  Nach  einem  Pahn- 
baum?  folgt  geflügelte  Sphinx  mit  Menschenkopf 
mit  einer  »Imitation  of  the  dubble  crown«. 
Sie  berührt  das  Lebenszeichen,  Falken  und 
Palmen  folgen.  Nach  der  von  Cesnola  ver- 
öffentlichten Photographie  konnte  ich  noch  fol- 
gendes feststellen:  Der  innere  Streifen  scheint 
eher  Papyros  als  Lotos.  Der  Baum  hinter  der 
flatternden  Gans  fast  naturalistisch,  ähnUch  dem 
Baum  auf  den  Sargonfliesen.  Der  Falke  hat  auf 
dem  Rücken  die  Geißel.  Der  Stil  der  Schale 
ist  nicht  ägyptisch,  nicht  assyrisch,  er  ägyptisiert 
aber  stark. 


Fr.  W.  Krhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


217 


spürbar  an  Stelle  der  »decadent  grandeur « der  XX.  Dynastie  (}).  In  der  Mitte  Isis  stehend 
mit  dem  Horuskind,  umrahmt  von  Papyri.  Ein  schmaler  Fries  umgibt  das  Mittel- 
bild: man  erkennt  einen  auf  den  Stab  gelehnten  Hirten  und  Vieh.  Papyrusbüsche 
gliedern  die  leider  sehr  zerstörten  Gruppen.  Die  Tiere  bewegen  sich  von  dem 
Papyrusgebüsch  symmetrisch  nach  beiden  Seiten  auf  den  Hirten  zu,  worin  Myres 
den  Beweis  später  Entstehung  und  Verwandtschaft  mit  dem  westlichen  Geist  sieht, 
der  die  kretischen  Bronzen  beeinflußt  habe.  Getrennt  durch  einen  Lotosstreifen 
folgt  ein  Fries  mit  der  Darstellung  von  sechs  Klinen,  einer  sitzenden  Figur,  eines 
Knaben  mit  Speisen  und  einer 
weiteren  stehenden  Figur. 
Im  nächsten  Streifen  scheinen 
einem  Fürsten,  der  im  Schatten 
eines  großen  Fächers  sitzt. 
Gaben  gebracht  zu  werden, 
und  ein  Festmahl  vor  sich  zu 
gehen.  Endlich  im  fünften 
Streifen  sieht  man  eine  Stadt, 
aus  der  Wagen  heraus  und  in 
die  Wagen  hineinfahren,  die 
Bewohner  schauen  über  die 
Zinnen  hinaus.  Das  Wagenrad 
hat  sechs  Speichen,  der  Wagen 
gleicht  nach  Myres  archaisch- 
griechischen. Die  mir  vor- 
liegende Photographie  läßt 
Abweichungen  im  einzelnen 
erkennen  (s.  unten),  sie  ge- 
nügt aber  nicht  zu  einer  Re- 
vision. 

14.  Silberschale,  getrieben,  hohe  Reliefs  mit  Gravierung,  im  Stil  ähnlich  Nr.  3. 
Myres  a.  a.  O.  Nr.  4557  und  4559  (?)•  Hier  Abb.  14.  In  der  Mitte  setzt  eine 
menschliche  Figur  in  langem  Gewand  mit  vier  Flügeln  den  einen  Fuß  neben  einen 
kleinen  Löwen,  hält  einen  anderen  Löwen  vor  sich  beim  Schwanz.  Einen  zwei- 
ten hielt  sie  wohl  in  der  verlorenen  Rechten  (Abb.  15).  Der  äußere  Streifen  schil- 
dert ein  Festmahl,  bei  dem  der  König,  mit  der  ägyptischen  Krone,  und  die  Königin 
(?)  auf  hohen  Betten  mit  Treppchen  zum  Hinaufsteigen  liegen.  Der  König  scheint 
einen  Spiegel  (oder.Schale?)  zu  halten.  Frauen  in  kretischer  Tracht  kommen  mit 
Musikinstrumenten  von  rückwärts  auf  die  Königin  zu,  die  letzte  mit  Schalen  und 
einer  Kanne.  Trinkgeräte  und  Tische,  weitere  Frauen  mit  Blumen,  Ziegen-  oder 
Schafschinken,  Gänsen  (?)  werden  sichtbar.  Hinter  dem  König  spielt  ein  Mann 
mit  ägyptischem  Kopfputz  die  Doppelflöte  Q.       Auf  dem  Innern  Streifen  sehen  wir 


Abb.   14. 


Schale  Metropolitan  Museum  4557. 
Nach  Photographie. 


E  14,  E  16. 


')  Auf  der  Photographie,  die  ich  vergleichen  konnte, 
erscheint  hier  ein  nach  r.  laufender  Hund,  mit 


weit  geöffnetem  Rachen,  der  wohl  zum  nächsten 
Streifen  gehört.   Von  diesem  ist  jetzt  noch  ein  bei 


2i8  Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


15.    Silberschale,   innen  vergoldet. 


zwei  Greifen  an  einem  heiligen  Baum,  links  davon  schießt  ein  kniender  Mann  emen 
forteilenden  Hirsch  mit  dem  Bogen  (vgl.  E  6).  Ein  weiterer  Hirsch  schreitet  daher. 
Alles  andere  fehlt.     Die  kyprische  Inschrift  über  dem  Haupt  der  Königm  schämt 

von  ungeübter  Hand  beigesetzt. 

Aus  Tamassos.  In  der  Mitte  ein  Pferd 
in  bestem  ägyptischen  Stil,  zwei  durch 
einen  schmalen  glatten  Streifen  getrennte 
mit  einfachen  Linien  eingefaßte  Punkt- 
kreise umrahmen  das  Mittelbild.  Ver- 
wandt erscheint  E13.  Ohnefalsch-Richter, 
Orientalisches  Archiv  III,  Taf.  XXXII, 
Nr.  43.  Der  Herausgeber  hält  die  Schale 
mit-  Unrecht  für  rein  griechisch  und  setzt 
sie  daher  in  die  erste  Hälfte  des 
VI.  Jahrhunderts.  A.a.O.  Nr.  41  und 
42  sind  photographische  Wiedergaben 
der  Schalen  I  und  2  gegeben,  und  der 
Verfasser  weist  sie  der  westlichen  Akro- 
polis  von  Idalion  und  dem  VII.  Jahr- 
hundert zu.  S.  183  gibt  er  ein  Inventar 
des  Fundes,  das  in  Kypros  usw.  S.  16  und 
52  wiederholt  wird,  aber  nirgends,  auch 
nicht  bei  Perrot-Chipiez  III  771  ff.,  ist 
irgendein  Beweis  für  den  Fund  gegeben. 
16.  Bruchstück  einer  Silberschale. 
Myres  a.  a.  0.  4558.  Laufende  Löwen 
und  Steinböcke,  durch  je  einen  »leafs- 
haped«  Baum  getrennt  Jetzt  mit  E  14 
vereinigt. 

Unter  den  noch  von  Myres  beschriebenen  Silberschalen  usw.  verdient  in  diesem 
Zusammenhang  wohl  nur  noch  Myres  4562  (mit  Abbildung)  unsere  Aufmerksamkeit, 
weil  einesteils  ein  Vergleich  mit  Cesnola- Stern,  Cypern  Taf.  XC  i  zeigt,  wie  unzu- 
verlässig Cesnolas  Zeichnungen  sind,  andererseits  hier  bei  einer  Tasse  von  durchaus 
in  dieser  Gruppe  ungewöhnlicher  Form  außen  am  Rand  eine  Vogelreihe  erscheint '). 


Abb.   15. 


Bruchstück  der  Schale     Metropolitan 
Museum  4559.     E  14. 


Myres  nicht  erwähntes  Bruchstück  angesetzt, 
das  einen  Steinbock,  einen  Baum  und  ein  nach  r. 
galoppierendes  Tier  (Hase?)  zeigt.  Die  Abbildung 
zeigt  das  Bruchstück  E  i6  eingesetzt. 
')  Ungern  widerspreche  ich  auf  Grund  der  photo- 
graphischen Wiedergabe  bei  Cesnola,  Atlas  iii 
Taf.  35,  1  dem  Urteil  von  Myres:  der  Stil  der 
Vögel  ist  durchaus  unägyptisch,  ein  fester  Typus 
dieser  Enten  ist  nicht  entwickelt,  man  fühlt  sich 
durchaus  an  die  Vogelzeichnung  früher  kyprischer 


Vasen  erinnert.  Auch  die  Nachahmung  von 
Metallriefelung  findet  sich  ja  bei  Gefäßen  der 
frühen  Eisenzeit  (Myres,  Cesnola  Coli.  S.  56). 
Die  Form  der  Tasse  in  der  Wiedergabe  des  Atlas 
erinnerte  mich  an  ägyptische  Tongefäße  des 
Mittleren  Reichs,  sicher  nur  zufällig.  Denn  das 
Stück  wird  etwa  dem  7.  Jahrh.  angehören.  Er- 
wähnen möchte  ich  noch  als  eins  der  jüngsten 
in  diesen  Zusammenhang  gehörigen  Stücke  die 
bei  Cesnola,  Atlas  iii  Taf.  37,  4  veröffentlichte 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersachungen  über  die  sphoinikischen«  Metallschalen.  2  IQ 

F.    Italische   Funde. 

Hier  habe  ich  mich  auf  die  eigentUchen  Schalen  und  die  unmittelbar  mit  ihnen 
typengeschichtlich  zusammenhängenden  Denkmäler  beschränkt.  Eine  weiter- 
greifende,  auch  nach  Poulsen  noch  nötige  Bearbeitung  der  orientalisierenden  Kunst 
einesteils  in  Griechenland,  andernteils  in  Italien  und  Spanien  liegt  außerhalb  des 
Themas  dieser  Untersuchungen. 

a)  Tomba  Bernardini:  Palestrina-Praeneste.  Jetzt  in  den  Memoirs  of  the 
American  Academy  in  Rome   III  vollständig  herausgegeben. 

1.  Silberschale,  innen  vergoldet,  gestrichen  und  graviert.  Mit  phoinikischer 
Inschrift.  Perrot-Chipiez  III  97.  Heibig,  Das  homerische  Epos  Fig.  2.  Poulsen, 
Orient  S.  24.     Memoirs  Taf.  22  f 

2.  Silberschale  wie  i.  Poulsen  a.  a.  0.  24  f.,  Abb.  14;  Perrot-Chipiez  III 
759;  Heibig  a.  a.  O.  Fig.  I.  Ausführliche  Interpretation  von  Clermont-Ganneau, 
L'imagerie  phenicienne.     Die  Form  ist  die  übliche  kyprische.     Memoirs  Taf.  20  f. 

3.  Silberner  Kessel  mit  innerer  Vergoldung  und  angenieteten  Schlangen- 
köpfen.    Poulsen  25  Abb.  15.  Memoirs  Taf.  12  ff. 

4.  Silbertasse.  Innen  auf  dem  Grund  Rosette,  in  zwei  Streifen  endlose  Reihen 
von  Pferden,  über  denen  Vögel  fliegen,  von  Kühen,  über  denen  Vögel  fliegen  und 
zwischen  denen  blattförmige  Bäume  stehen.     Paulsen  26  Abb.  16.  Memoirs  Taf.  19. 

b)  Tomba  Barberini  in  Palestrina-Praeneste. 

5.  Silberschale.  Poulsen  a.  a.  O.  27.  Nach  der  Beschreibung  bei  Dumont- 
Chaplain,  Ceramiques  I  125  Nr.  46  sind  im  ersten  Streifen  Wagen  und  Reiter, 
im  zweiten  Krieger  zu  Roß  und  zu  Fuß,  ein  Löwe  über  einem  Gefallenen,  in  der 
Mitte,  sehr  zerstört,  der  König  mit  Gefangenen  dargestellt. 

c)  Regulini-Galassigrab  in  Caere. 

6.  Silberschale  mit  innerer  Vergoldung,  Technik  wie  die  vorigen.  Perrot- 
Chipiez  III    769.      Poulsen   a.  a.  0.  26. 

7.  Silberschale,   stark  zerstört.     Poulsen  26  Abb.  17 

8.  Silberschale.     Poulsen  a.a.O.  26 f.  Abb.  18. 

9.  Silbertassc  mit  Reliefs  innen  und  außen.  Perrot-Chipiez  III  780,  785.  Poul- 
sen 27,  Abb.  19.  Heibig  Führer  II  352.  Musco  Gregoriano  I  Taf.  63—64  (zur  gleichen 
Schale  gehörig  !  Arbeit  und  Stil  der  getriebenen  Reliefs  schienen  mir  vor  Jahren 
etwas  verschieden). 

d)  Salerno. 

10.  Silberschale,  fein  graviert.     Poulsen  27  f.,  Abb.  20 

e)  Vetulonia. 

11.  Silbernapf,  innen  vergoldet.  Poulsen  a.  a.  O.  118.  Im  Stil  etwas 
abweichend. 


Bilberne    Omphalosschale    mit    einem    Goldband  rhodische  Gefäße  erinnernder  Palmettenlotosfries 

im  Innern  um  den  Omphalos,  auf  dem  ein  an  getrieben  ist  (Myres,  Cesnola  Coli.  4572  f-)- 


220 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissiog,  Untersuchungen  Über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


G.  Vorläufer   und    Nachwirkungen. 

Unter  die  Vorläufer  möchte  ich  die  Goldtasse  aus  dem  spätmykenischen  Schatz 
von  Aigina  (J.  H.  St.  XIII  196)  rechnen.  Die  Form  ist  gut  mykenisch,  ebenso 
das  Ornament:  um  die  mittlere  Rosette  schließt  sich  ein  Viereck  aus  Spiralen.  Nach- 
wirkungen begegnen  wir  im  kaukasisch-persischen  Kreis.  Zunächst  die  S.  186  er- 
wähnte Silberschale  vom  Nordabhang  des  Kaukasus  mit  aramäischer  Inschrift. 
Sie  zeigt  einen  Buckel,  der  eingefaßt  wird  von  sechs  gegenständigen  Palmetten  — 
die  inneren  größer  als  die  äußeren,  dazwischen  sind  große  Tropfen  gesetzt.  Die 
Palmetten  ihrerseits  werden  von  Schwanenhälsen  statt  der  üblichen  Spiralen  ein- 
gerahmt.   (Perrot-Chipiez  III  792.) 

Verwandt  ist  eine  Silberschale  achämenidischer  Zeit  aus  Susa  (de  Morgan, 
Delegation  en  Perse  VIII  Taf.  iii).  Der  Buckel  ist  aufgelötet,  das  Innenmuster 
nachgraviert.  Um  einen  Buckel  läuft  im  Innern  ein  Bogenfries  offner  und  geschlos- 
sener Blüten,  außen  um  eine  Rosette  eine  große  bis  zum  Rand  reichende  Blüte  mit 
spitzigen  Blättern.  Das  ursprüngliche  Motiv  für  das  Ornament  der  Schale  vom 
Kaukasus  können  wir  noch  in  dem  Goldschmuck  aus  Kurion  Perrot-Chipiez  III 
Fig.  576,  F  erkennen,  nur  die  Richtung  der  Tropfen  ist  verschieden. 

Endlich  mag  man  noch  auf  die  Schale  aus  Faience  mit  gerade  aufsteigendem 
Rand  weisen,  die  Dieulafoy,  Acropole  de  Suse  Taf.  XII  15  abbildet.  In  der  Mitte  eine 
Blüte  von  einem  sphärischen  Dreieck  eingeschlossen,  durch  das  ein  gewöhnliches 
Dreieck  gesteckt  ist.  Von  den  Spitzen  gehen  papyrusartige  Blüten  und  Spiralen  aus. 


IV.  Die     Einheitlichkeit     des     Typenschatzes     der     Vorbilder     unserer 

Fundgruppen. 

Poulsen  hat  den,  wie  wir  sahen,  verfehlten  Versuch  gemacht,  zu  scheiden  zwischen 
einer  vorwiegend  ägyptischen,  einer  vorwiegend  assyrischen  und  einer  Gruppe  im 
Sonderstil.  War  der  Ausgangspunkt  der  Gattung  Ägypten,  so  bereitete  sich  schon 
in  den  ägyptischen  Werkstätten  des  späteren  Neuen  Reichs  jener  Mischstil  vor,  der 
für  die  ganze  Gattung  so  bezeichnend  ist,  und  der  an  Übergängen  so  ungemein  reich 
ist ').     Die  Zusammenhänge  zwischen  den  einzelnen  Fundgruppen,  die  bisher  nur 


')  Hier  sei  auf  die  höchst  interessante  Holzbüchse 
aufmerksam  gemacht,  die  Chassinat  im  Bulletin 
de  l'institut  Fran^ais  i  Taf.  iii  veröffentlicht 
hat.  Sie  ist  in  die  Zeit  Amcnophis'  III.— IV. 
datiert.  Der  Herausgeber  hat  durchaus  richtig 
ausgeführt,  daß  sie  schon  ihrer  Form  nach  ein  Er- 
zeugnis ägyptischer  Kunstfertigkeit  ist,  daß  aber 
allenthalben  stilistische  Eigentümlichkeiten  her- 
vortreten, die  nach  Asien  weisen.  .\n  die  von  uns 
behandelten  Metallschalen  erinnert  die  große 
Rosette  am  Boden,  die  ein  mit  Zickzack  ge- 
fülltes breites  Band  umgibt  (also  eine  gewisse 
.\naIogie  zum  Mittemotiv  der  Schale  von  Ama- 
thus  E  4),  das  Flechtband  und  das  Kymation  am 


oberen  Band.  Der  geflügelte  Sphinxtypus  ist 
zwar  keineswegs,  wie  Chassinat  meint,  der  der 
weiter  unten  behandelten  Elfenbeinschnitzereien 
aus  Nimrud  —  u.  a.  fehlt  bei  der  Holzbüchse 
das  Tuch  zwischen  den  Beinen  — ,  aber  richtig 
ist  der  Hinweis  auf  das  Auftreten  der  geknüpften 
Schabracke  der  Sphingen  der  Büchse  bei  Greifen 
altassyrischer  Denkmäler  (Perrot-Chip.  II  Fig. 
280,  ferner  Fig.  305,  444,  446/7).  Die  geknüpfte 
Schabrake  tritt  aber  auch  bei  den  rein  ägyptischen 
Löwen  Tuthmosis'III.  Perrot-Chip.  I  Fig.  491  auf: 
auch  hier  scheint  Ägypten  zu  führen  und  Asien 
zu  übernehmen.  Ch.  hätte  wohl  auch,  außer 
auf  den  in  Ägypten  seit  Anfang  des  Neuen  Reichs 


Fr.  W.  Frlir.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »pboinikischcn«  Metallschalen.  221 


gelegentlich  beleuchtet  wurden,  lassen  sich  an  einzelnen  Beispielen  verdeutlichen, 
die  erklärbar  nur  bei  der  Annahme  eines  gemeinsamen,  den  uns  bekannten  Gruppen 
vorausliegenden  Typenschatzes  scheinen. 

Schon  Marquand  im  Americ.  Journ.  of  Arch.  III  322  ff.  Taf.  XXX  hat  be- 
merkt, daß  der  äußere  breite  Streifen  einer  in  Kurion  auf  Kypros  gefundenen  Schale 
(E  7)  fast  Zug  um  Zug  dem  entsprechenden  Streifen  einer  zweiten  in  Präneste  gefun- 
denen Silberschale  (F  a  2)  entspricht.  Die  italische  Schale  ist  jetzt  auch  Memoirs 
of  the  American  Academy  in  Romc  III  Taf.  20  f.  abgebildet  und  S.  38  ff.  beschrieben. 
Wichtig  ist  nun,  daß  hier  die  Abenteuer  eines  Herrschers  wiedergegeben  sind,  die 
wenigstens  in  einem  schon  von  Clermont-Ganneau,  L'imaginerie  phenicienne  richtig 
erkannten  Punkt,  dem  Zusammentreffen  mit  einem  Menschenaffen,  keineswegs 
alltäglich  waren.  Curtis,  der  auf  der  besser  erhaltenen  Schale  aus  Präneste  fest- 
gestellt hat,  daß  beim  ersten  Erscheinen  des  Ungeheuers  dieses  seinen  Kopf  und 
einen  Arm  aus  der  Höhle  streckt  in  unmittelbarer  Nähe  des  Opfertisches,  daß  es  dann 
weiterhin  in  der  erhobenen  rechten  Hand  eine  Schale  mit  Deckel,  nicht  einen  Stein 
schwingt,  also  vom  Opfertisch,  auf  dem  vorher  ein  gleiches  Gefäß  steht,  heiligen  Wein 
gestohlen  hat,  scheint  mir  damit  die  Deutung  des  Ungeheuers  auf  einen  Menschen- 
affen gesichert  zu  haben.  In  den  folgenden  Szenen  wird  dann  der  Affe  unter  wunder- 
tätigem Eingreifen  der  Gottheit  verfolgt  und,  wie  sonst  die  menschlichen  Feinde 
vom  König  niedergeschlagen.  Gerade  hier  zeigt  nun  ein  Vergleich  von  E  7  mit  F  a  2, 
daß  nicht  die  eine  Schale  von  der  anderen  abhängig  sein  kann,  sondern  beide  ein 
gemeinsames,  offenbar  umfangreicheres  Vorbild  hatten :  auf  der  Schale  von  Präneste 
sind  die  Figuren  des  vom  Gefährt  des  Königs  schon  fast  ereilten,  auf  allen  Vieren  der 
Berghöhle  zu  fliehenden  Affen  und  des  vom  König  gefangenen  Tieres  dicht  zusammen- 
gedrängt, der  bewaldete  Berg  ist  weggefallen,  über  der  Szene  aber  schwebt  der  Horus- 
falke,  der  auf  der  Kurionschale  fehlt;  umgekehrt  zeigt  auf  dieser  die  geflügelte  hathor- 
artige  Göttin,  die  zwischen  ihren  Armen  den  König  auf  dem  Wagen  trägt '),  die 
weitausgebreiteten  Flügel  ägyptischer  Art,  während  auf  der  Schale  F  a  2  diese 
Flügel  aus  Platzmangel  oder  besser  aus  kompositionellen  Rücksichten  etwas 
gesenkt  sind.  Ägyptische  Parallelen  dazu  bei  Prinz,  Symbolik  Taf.  II.  Dort  Nr.  9 
stammt  aus  äthiopischer  Zeit  (Prinz  44) !  Im  ganzen  scheint  die  Dar- 
stellung der  Kurionschale  ausführlicher  gewesen  zu  sein.  Jede  genauere  Betrachtung, 
auch  der  Einzelheiten,  aber  lehrt,  daß  die  Meister  beider  Schalen  dem  gemeinsamen 


nachweisbaren   »heiligen  Baum«  auf  die  unleug-  bis  in  das  III.  Jahrtausend  zurückdatiert.  [Zusatz 

bare     Verwandtschaft     der     Hathorbüsten     der  bei  der  Korrektur.] 

Büchse  mit  den  z.  B.  bei  Poulsen,  Orient  Abb.  30,  ')  Wenn    Curtis    Erklärung,    daß   hier   eine    »Ent- 

36,    auch   wohl    26   wiedergegebenen   Elfenbein-  rückung«     vorliegt,  zutrifft,  was    mir    durchaus 

köpfen  aus  Nimrud,  weniger  mit  dem  »Kopf  im  wahrscheinlich    scheint,     und     auch     Clermont- 

Fenster«    Abb.  25    hinweisen    können.       Durch  Ganneau,     Imagerie     phenicienne     schon    ange- 

die  neuen  Funde  aus  Byblos,  über  die  im  Schluß-  nommen  hatte,  so  liegt  hier  die  älteste  Darstellung 

kapitel  gehandelt  werden  soll,  wird  die  Entstehung  einer  solchen  Szene  vor,  die  in  der  Mythologie  der 

des    ägyptisierenden    phönikisch-syrischen    Stils  Semiten,   aber   auch  in   der   der   Griechen   von 
Homer  ab  eine  große  Rolle  spielt,  in  Ägypten  aber  unbekannt  scheint. 


2J2  *"•■■  ^*  ^''"■'  '•  B'**»»?'  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


Vorbild  gegenüber  bis  zu  einem  bestimmten  Grad  selbständig  blieben.  Die  Begren- 
zung des  äußeren  Kreises  durch  die  Schlange  auf  F  a  2  kehrt  bei  E  7  nicht  wieder,  wo 
statt  dessen  der  gewohnte  kleine  Palmettenbogenfries  erscheint.  Auch  der  schmälere 
zweite  Kreis  ist  bei  E  7  und  F  a  2  völlig  verschieden.  Auf  E  7  erkennt  man  die  Reste 
eines  Festzuges  von  Kriegern  und  Frauen,  auf  F  a  2  ist  ein  endloser  Reigen  von  Pferden 
mit  darüber  flatternden  Vögeln  dargestellt.  Die  gleichen  Pferde  finden  wir  auf  der 
vergoldeten  Silbertasse  der  Tomba  Bernardini  Memoirs  a.  a.  0.  Taf.  19,  F  a  4. 
Und  hier  ist  dasselbe  Motiv  auf  Kühe  angewandt  und  findet  sich  dann  wieder,  aber 
als  Gruppe  zwischen  anderen  Figuren,  nicht  als  endlose  Reihe,  auf  dem  Boden  des  ver- 
goldeten Silberkessels  Memoirs  a.  a.  0.  Taf.  12  ff.  F  a  3.  Glauben  wir  hier  eine  nähere 
Verwandtschaft  verschiedener  Stücke  der  Tomba  Bernardini  zu  bemerken,  so  sehen 
wir  andrerseits  auf  der  bei  Ccsnola,  Atlas  III  Taf.  XXXIII  4  unvollkommen  abge- 
bildeten vergoldeten  Silbcrschale  aus  Kurion  sieben  grasende  Pferde  in  endloser  Reihe 
(E  12),  aber  ohne  die  darüber  flatternden  Vögel ').  Diese  wiederum  sind  auf  der  Schale 
(E  I )  aus  Kition  ( ? )  über  Reitern  angebracht,  wie  sie  fast  übereinstimmend  auf  dem 
Silberkessel  aus  Präneste  (Fa  3)  vorkommen.  Die  von  Cesnola  im  Atlas  abgebildete 
Schale  lehnt  sich  im  Stil  und  den  Motiven  besonders  eng  an  ägyptische  Vorbilder  an, 
auch  die  Stücke  aus  Präneste  zeigen  überwiegend  ägyptisierende  Tracht  und  Motive. 
Zu  ihnen  zählt  vor  allem  das  Mittelstück  der  Schale  F  a  2.  Sein  Thema  ist  der  Sieg 
Pharaos  über  seine  Feinde.  Ein  Mann  im  ägyptischen  Schurz  verfolgt  mit  der  Lanze 
einen  ihm  völlig  gleich  gekleideten  Feind  (auch  die  Maartracht  unterscheidet  sich 
nicht)  und  hat  ihn  schon  am  linken  Arm  gepackt.  Ein  charakteristisch  ägyptischer 
Hund  hat  den  Fliehenden  an  der  Hacke  gefaßt.  Das  Schicksal  des  Unglücklichen 
scheint  sich  im  unteren  Kreissegment  zu  vollziehen:  er  liegt  am  Boden  und  der  Hund 
frißt  an  seiner  Hacke.  Ein  anderer,  diesmal  durch  den  Vollbart  als  Asiate  gekenn- 
zeichneter Feind  ist  hinter  dem  Speerkämpfer  nackt  an  einen  Pfahl  gebunden  —  auch 
dies  ein  gut  ägyptisches  Motiv. 

Dasselbe  Thema  schlägt  das  Innenbild  der  Schale  aus  Kurion  (E7)  an.  Aber 
die  Ausführung  ist  verschieden.  Die  Hauptfigur  ist  durch  den  Schurz,  den  kurzen 
Bart  und  vor  allem  die  hohe  Götterkrone  als  Pharao  gekennzeichnet.  Um  die  schlecht 
erhaltenen  weiteren  Figuren  zu  verstehen,  müssen  wir  die  zweite  Schale  aus  Kition  ( ? ) 
(E  2),  dann  die  zweite  Schale  aus  Präneste  (Memoirs  a.  a.  0.  Taf.  22,  Fa  i)  und  die 
Schale  aus  Salerno  F  d  10  heranziehen.  Hinter  dem  König  erscheint  hier  jedesmal 
ein  federngeschmückter,  bärtiger  Mann  mit  Lanze  in  der  rechten  Hand,  der  die  Leiche 
eines  Feindes  über  die  Schulter  geworfen  hat.  In  der  linken  Hand  hält  er  einen  Fächer. 
Auf  der  Schale  von  Präneste  und  der  von  Salerno  faßt  er  mit  derselben  Hand  den 
Schopf  eines  vor  ihm  in  die  Knie  gesunkenen  Gefangenen.  Schwerlich  ist  dies  Motiv 
ursprünglich,  denn  es  wiederholt  die  Handlung  des  Königs  vor  dem  Fächerträger 
und  scheint  auch  auf  der  Schale  von  Kurion  nicht  dargestellt  gewesen  zu  sein.  Über- 
dies mutet  es  dem  Fächerträger  mit  der  linken  Hand  eine  doppelte  Handlung  zu. 
Die  Haltung  des  Knienden  und  um  Gnade  Flehenden  ist  auf  den  Schalen  F  a  l  und 


■)  Abb.  13.  Ein  einzelnes  Pferd  gleichen  Stils  zeigt  als  Mittelbild  die  Schale  E  15. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«   Metallschalen.  22  % 


FdiO  nicht  die  gleiche  Kleinere  Abweichungen  zeigt  auch  die  Figur  des  Königs, 
der  in  Salerno  und  Präneste  von  seinem  Löwen  begleitet  wird  (ein  echt  ägyptischer 
Vorwurf),  auf  den  beiden  kyprischen  Stücken  anscheinend  nicht.  Übereinstimmend 
ist  aber  die  Gruppe  der  vom  König  niedergeschlagenen  Gefangenen:  zwei  (oder  in 
Präneste  drei  ? )  bärtige  Asiaten  und  ein  nach  der  anderen  Seite  gewandter  unbärtiger 
Neger  (in  Präneste  zwei  > ).  Dem  König  gegenüber  steht  in  Präneste  Horus  mit  dem 
Sieg  verleihenden  Krummschwert,  ebenso  im  Mittelbild  der  Schale  E  5,  wo  die  Ge- 
fangenen alle  nach  r.  laufend  und  bärtig  abgebildet  sind,  der  Löwe  fehlt,  der  Mann 
hinter  Pharao  Bogen  und  Pfeile  im  Köcher  führt  und  eine  an  hcthitische  Formen 
erinnernde  spitze  Mütze  trägt;  in  Salerno  steht  eine  Göttin  da,  die  ihm  eine  wohl 
aus  dem  Krummschwert  mißverstandene  Feder,  sicher  keine  »Siegespalme«  wie 
Poulscn  meint,  reicht »).  Ob  auf  der  Schale  von  Kurion  ein  Gott  dargestellt  war, 
läßt  sich  infolge  der  Zerstörung  nicht  ausmachen:  auf  der  Schale  von  Kition(?) 
nimmt  der  auf  den  König  zuflatternde  Horusfalke  die  Stelle  ein  —  ein  Beweis,  daß 
der  Erfinder  dieser  Komposition  mit  ägyptischer  Symbolik  noch  wohl  vertraut  war. 
Entlehnt  hat  der  Meister  den  Falken  dem  schützenden  Falkensymbol,  das  auf  der 
Schale  aus  Präneste  (F  a  i),  der  Schale  von  Salerno  (F  d  10)  und  vielleicht  der  Schale 
aus  Kurion  (E  7)  über  Pharao  schwebt.  Auf  der  Kition  (.^)-Schale  (E  2)  erscheint  statt 
dessen  eine  Art  geflügelter  Sonnenscheibe,  die  mit  den  Ausstrahlungen  oben  und 
unten  deutlich  die  Hand  eines  Nichtägypters  verrät. 

Das  Motiv  des  seine  Feinde  niederschlagenden  Königs  kehrt  aber  noch  ein 
sechstes  Mal  wieder  im  Randstreifen  der  Schale  aus  Kurion  E  8.  Wahrscheinlich 
steht  diesem  Bild  die  Darstellung  im  Mittelfeld  der  anderen  Schale  aus  Kurion  (E  7) 
am  nächsten,  nur  daß  der  Zeichner,  um  die  Verbindung  des  Fächerträgers  (der  hier 
keinen  Feind  vor  sich  hat)  mit  den  übrigen  Figuren  des  Streifens  herzustellen,  dem 
Fächerträger  sinnwidrig  den  Kopf  nach  rückwärts  gewendet  hat.  Mit  der  Schale  F  a  i 
aus  Präneste  und  der  Schale  von  Salerno  (F  d  10)  verbindet  diese  Kurionschalc  die 
Verwendung  von  Pseudokartuschen  und  Pseudohieroglyphen,  die  freilich  nirgends 
so  weit  geht  wie  bei  der  Schale  F  a  l  aus  Präneste  2). 

')  Ich  wüßte  nicht,   daß  das  orientalische  Altertum  vorführend.    Die  Feder  als  Zeichen  der  Wahrheit 

oder   selbst   die   älteste   griechische    Kunst   den  wie  als  Vertreterin  besiegter  Barbaren  spielt  in 

Begriff  der  »Sicgespalme«  kennt.  Die  ägyptischen  der    ägyptischen     Symbolik    eine    große    Rolle 

Vorbilder,    auf  die  die   Szene  zurückgeht,    sind  (s.  u.  a.  den  Index  meiner  Denkmäler).  Die  Fesse- 

zum     Teil     oben     S.    197    ff.     gelegentlich     der  lung  des  Gefangenen  an  einen  Pfahl  ist  in  einem 

Faiencekelche  aus  Sammlung  Myres   besprochen.  häufigen    Hieroglyphenzeichen    dargestellt.     Für 

Wir  fanden  da  eine  Göttin  mit  einem  gleichfalls  die    Haltung  vgl.   auch   Petrie,    Decorative   art 

nicht   sicher    zu   deutenden   Gegenstand   in   der  Abb.    162. 

erhobenen     Hand.     Die     Haupttypen     sind     in       ')  Wie  oben  S.  205  ausgeführt,  kehrt  die  Darstellung 

meinen  Denkmälern  Text  zu  Taf.  87  behandelt.  des  die   Feinde  niederschlagenden   Königs  auch 

Dort  steht  Amon  mit  dem  Krummschwert  dem  im  Randstreifen  der  Schale  aus  Nimrud  Layard, 

König  gegenüber,  auf  dem  Relief  Tuthmosis'  HI.  Monuments  II  Taf.  61  B  wieder,  und  hier  steht 

aus  Karnak  bei  Steindorff,  Blütezeit  des  Phara-  dem  König  abermals  eine  Göttin  mit  der  Feder 

onenreichs   Abb.   30   sehen   wir   die   Göttin   des  gegenüber.    Weiter  tritt  das  Motiv  sehr  zerstört 

Westens    in    ruhiger    Haltung    vor    Pharao    die  auf  der  Schale  der  Tomba  Barberini  aus  Präneste 

Schilder  der  unterworfenen  Völker  an  der  Leine  F  b  5  auf,  ferner  auf  der  Schale  aus  Caere  Fe  7, 


224  ^''  ^'  ^''*"'"  '•  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischenc  Metallschalen. 


Das  Thema  des  Königs,  der  den  Feind  besiegt,  hat  auf  der  Schale  von  Kurion 
E  8  noch  eine  zweite  Interpretation  gefunden  in  einer  Szene  des  schmäleren  inneren 
Streifens.  Da  ist  ein  Löwe  über  einem  Gefallenen  dargestellt ').  Mit  etwas  abweichen- 
der Haltung  des  Gefallenen  taucht  die's  altägyptische  Bild  als  Mitteldarstellung  auf 
dem  Boden  des  Kessels  der  Tomba  Bernardini  Memoirs  usw.  Taf  i6  auf,  und  hier 
bezeichnet  der  über  dem  Haupt  des  Löwen  flatternde  Falke  diesen  noch  besonders 
als  Sinnbild  des  Pharao.  Im  Segment  unter  dem  Löwenbild  finden  wir  nach  asiatischer 
Art  wiedergegebenes  Gebirge.  Auf  der  Schale  aus  Präneste  F  a  2  fanden  wir  da  den 
Toten,  auf  der  zweiten  Schale  von  Präneste  (F  a  i)  an  derselben  Stelle  einen  bärtigen 
Kriechenden,  also  einen  besiegten  Asiaten,  auf  der  Schale  von  Salerno  (F  d  lo)  einen 
Bogenschützen  in  assyrischer  Tracht  —  das  ursprüngliche  Motiv  ist  also  hier  voll- 
kommen vergessen.  Auf  dem  Mittclbild  der  Schale  ausSalaminia  (E  5)  ist  diese  Figur 
zu  einem  undeutlichen  Kringel  geworden,  wie  ja  auch  sonst  gerade  bei  diesem  Stück 
Mißverständnisse  nachzuweisen  sein  werden. 

Merkwürdiger  noch  ist  vielleicht  der  folgende  Fall :  Halbherr-Orsi,  Bronzi  Cretesi 
Taf.  VI  I  S.  S5,  177  if.  (Poulsen  Orient  22  Nr.  7)  ist  eine  Schale  abgebildet,  die  bis 
in  Einzelheiten  mit  der  Schale  aus  Nimrud  Layard,  Monuments  II  Taf.  68  oben  Mitte 
übereinstimmt.  Es  ist  nicht  wohl  daran  zu  denken,  daß  die  eine  Schale  unmittelbar 
von  der  anderen  abhängt,  denn  es  sind  kleine  Unterschiede  bemerkbar,  die  sich  schwer 
bei  solcher  Annahme  erklären,  während  sie  verständlich  werden,  wenn  man  eine 
gemeinsame  Quelle  annimmt.  Wir  können  hier  also  von  neuem  eine  engere  Beziehung 
der  Funde  aus  der  idäischen  Grotte  zu  den  Funden  von  Nimrud  feststellen  (S.  187). 
Auf  den  beiden  eben  behandelten  Schalen  erscheinen  Sphingen  mit  geschlossenen 
Flügeln.  Sie  kehren  auf  den  Nimrudschalen  Layard  a.  a.  0.  Taf.  59  B,  Taf.  68  oben 
rechts  wieder.  Zwischen  den  Füßen  hängt  stets  das  Tuch,  von  dem  zuweilen  ein 
Uräus  aufsteigt.  Dieses  Tuch  scheint  aus  dem  »Umhang«  der  ägyptischen  Sphingen 
seit  dem  Mittleren  Reich  entstanden,  ist  in  der  mykenischen  Kunst,  so  viel  ich  sehe, 
unbekannt,  ebenso  in  der  späteren  griechischen  »).  Die  genau  übereinstimmenden 
Sphingen  der  Faienceschalen  Petrie,    Illahun  Taf.  XX  4  und   der  Metallschale  aus 

wo  über  dem  Kopf  des  Siegers,  der  dadurch  als  wieder,    freilich    in    etwas    anderer    Umgebung, 

Pharao  gekennzeichnet  wird,  in  ähnlicher  Weise  ferner  auf  der'  Schale  F  c  6,  in  ähnlichem,  aber 

wie  auf  der  Schale  aus  Kition?  der  Horusfalke  doch  offenbar  anderem  Zusammenhang, 
schwebt,  eine  weitere  Gottheit  auch  nicht  dar-       »)  S.  Roeder-Ilberg in  Roschers  Lexikons,  v.  Sphinx, 

gestellt  war.    Ein  weiteres  »Denkmal  des  phoini-  wo  freilich  manche  Mißverständnisse,  namenthch 

kischen  Kreises«  aus  Spanien  hat  P.    Paris    in  bei  Roeder,  obwalten  und  auf  den  hier  berührten 

den    M^langes    Perrot      255  ff.    vorgelegt:    ein  Punkt  nicht  geachtet  ist.     Das  Tuch  oder  die 

Goldmedaillon,  dessen  eine  Seite  eine  Tiergruppe  Schürze,     wie     Furtwängler,      Gemmen   III  64 

im   kretischen    Stil   zeigt,    während   die   andere  sagt,   erscheint  beim  Löwen  auf  einem    Skara- 

Seite  den  Pharao  höchst  seltsam  mit  Gefangnen  bäus  etwa  des  VIII.  Jahrhunderts  aus  dem  syrisch- 

beschäfügt  sein  läßt:  eine  plumpe  Fälschung  unter  griechischen    Kreis    (a.a.O.    Fig.  52).      Warum 

Benutzung  der  Schale  von  Präneste  und  anderer  Furtwängler  es  einen  spezifisch  phoinikischen  Zug 

Denkmaler.  genannt  hat,  ist  mir  nicht  gut  verständlich.    Ich 

•)  Diese   Darstellung  kehrt  auf  der   Schale  F  b  5,  habe  in  meinen  Denkmälern  Text  zu  Taf.  26,  37, 

auf  der  auch  der  König  die  Feinde  niederschlagend  70  über  den  Umhang  gehandelt  und  ihn  auf  das 

dargestellt   war,   ebenfalls   im   inneren    Streifen  Vorbild   der   Löwenbilder   zurückgeführt.      Das 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  225 


Zagazig  Musee  figyptien  II  Taf.  48  zeigen  ihn  —  in  frühramessidischer  Zeit  —  niclit. 
Hingegen  ist  er  durchaus  in  der  Weise  der  Metallschalen  aus  Nimrud  und  Kreta  ausge- 
bildet bei  der  Sphinx  auf  dem  Palankin  Ramesses  IX.  Prisse  d'Avennes  Art  £gypt. 
Palanquins,  Text  S.  439  nach  einem  Bild  im  Grab  des  Imisebi.  Auf  demselben  Bild 
wird  die  große  Mähne  des  Löwen  in  der  gleichen  Weise  behandelt  und  damit  auf  den 
Ursprung  der  Tracht  hingewiesen.  Das  Tuch  findet  sich  auch  bei  der  übrigens  ab- 
weichend gebildeten  Flügelsphinx  auf  dem  Kästchen  der  Sammlung  Hoffmann  1894, 
Nr.292 (s.ob.  S.  192 ).  Auch  auf  denElfenbeinplatten  aus  Nimrud  (Guide  to  the  Babylonian 
usw.  antiquities  1922  Taf.  41  f.)  tragen  die  Sphingen  das  Tuch.  Während  nun  die  eine 
Platte  wie  schon  Poulsen  sah,  das  gewohnte  Tuch  zeigt,  erinnert  die  Verzierung  der 
andern  mit  ihren  Rillen  und  rund  abschließenden  Punktleisten  an  die  Flügel,  die 
zwischen  den  Beinen  der  Sphingen  mit  ausgebreiteten  Fittichen  auf  den  beiden  Tassen 
aus  Nimrud  Layard  a.  a.  0.  Taf.  68  hängen.  Schwerlich  stellt  aber  das  Tuch  auf  dem 
Elfenbeinrelief  eine  unvollkommene  Wiedergabe  der  Federn  dar,  vielmehr  wird  der 
Federschmuck  der  Sphingen  auf  den  Tassen  aus  der  Interpretation  von  Sphingen, 
wie  sie  das  Elfenbein  zeigt,  entstanden  sein.  Im  kretischen  Kreis  treffen  wir  das  Tuch 
zwischen  den  Beinen  nicht  wieder  an,  abgesehen  von  dem  gleich  zu  besprechenden 
Fall,  ebensowenig  auf  den  kyprischen  und  italischen  Schalen,  auf  phoinikischen 
Monumenten  (von  Greifensiegeln,  die  stark  ägyptisieren,  wie  dem  des  Asaph  bei 
Greßmann- Ranke,  Altorientalische  Texte  und  Bilder  Abb.  208,  dem  des  Aba,  Pietsch- 
mann,  Geschichte  der  Phoiniker  S.  273  abgesehen)  oder  im  hethitischen  Kreis  '). 
Hingegen  treffen  wir  das  Tuch  bei  den  Sphingen  auf  den  Schalen  Bronzi  Cretesi 
Taf.  VI  I,  2,  die  stilistisch  enger  zusammengehören,  den  ähnlichen  Sphingen  der 
Nimrudschale  Layard,  Mon.  II  Taf.  58  F,  der  Schale  aus  Olympia  bei  Poulsen,  Orient 
Abb.  12  und  der  Schale  von  Delphi  (a.  a.  O.  Abb.  11).  In  all  diesen  Fällen  handelt 
es  sich  deutlich  um  ein  Tuch.  Auf  der  kretischen  Schale  VI  2  geht  von  ihm,  wie 
zuweilen  auch  auf  der  anderen  kretischen  Schale  VI  i,  bei  den  Sphingen  mit 
geschlossenen  Flügeln,  ein  Uräus  aus.  Der  Stil  der  olympischen  Schale  schien  den 
kretischen  Schilden  verwandt,  und  die  helmartige  Mütze  des  Sphinx  auf  der  delphischen 
Schale  findet  ihren  Gegenpart  in  verschiedenen  Kopfbedeckungen  der  kretischen 
Schilde.  Auch  die  Art,  wie  der  Sphinx  die  linke  Vordertatze  ausstreckt,  erinnert 
an  den  Stil  der  kretischen  Reliefs.  Das  Motiv  kehrt  aber  wieder  auf  den  Reliefs  der 
Tassen  aus  Nimrud.  Hier  ist  das  Tuch  zwischen  den  Beinen  unzweideutig  als  Feder- 
schmuck charakterisiert.  Die  Sphingen  zeichnet  aber  noch  ein  weiteres  aus,  worauf 
Poulsen  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat.  Sie  tragen  einen  bei  der  zweiten  Nimrud- 
tasse  ausgesprochen  dreieckig  geformten  »Brustschild«.    Er  kehrt  bei  den  Sphingen 

älteste   voll  entwickelte  Beispiel  sind  wohl  die  des  British  Museums  N.    70,   72   mit  und  ohne 

Sphingen  am  Thron  Amenophis'  III.  auf  dem  Bild  ägyptische  Krone  zeigen  das  Tuch  ebenfalls, 

aus  dem  Grab  des  Cheemhet  Prisse  d'Avennes  art  ■)  Wie   die   Sphingen   auf  der   Akropolisschale   ge- 

Egypt.  sculpture  type  de  Sphinx  6,  7  (vgl.  hom-  bildet  waren,   läßt  das  Bruchstück  Journ.  Hell, 

mäge  ä  Am^nophis  III.).   Die  bei  Kinch,  Fouilles  stud.    XIII    248    leider    nicht    mehr    erkennen, 

de  Vroulia  16— 18  abgebildete  Kalksteinsphingcn  Am   nächsten  verwandt   scheinen  die   Sphingen 
der   kretischen    Schalen    Halbherr-Orsi   Taf.    VI  1   und   2. 


226  Ff-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  ttber  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


der  Schale  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  2  wieder.  An  seiner  Stelle  trägt  der  Sphinx  mit  dem 
Königskopf  auf  der  ersten  Tasse  aus  Nimrud  einen  Halskragen  mit  einem  Menit, 
das  von  einem  Löwenkopf  mit  Sonnenscheibe  bekrönt  wird,  etwa  wie  die  bei  Arundale- 
Bonomi,  Gallery  of  antiquitics  I  Taf.  9  abgebildeten.  Auch  die  spätägyptischen 
»Schildringe«  bei  Schäfer-Möller,  Ägyptische  Goldschmiedearbeiten  Taf.  22  f.  darf 
man  vergleichen.  Unägyptisch  scheinen  in  dieser  Zusammensti-Uung  nur  die  kleinen 
Schulterflügel.  Von  einem  »verkümmerten«  Gott  Assur,  wie  Poulsen  möchte,  ist 
keine    Rede. 

Mit  Recht  hat  man  die  Schalen  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  neben  die  Schale  Layard, 
Mon.  II  Taf.  63  gestellt  und  alle  drei  zu  den  ägyptisierenden  Schalen.  In  der  Tat  gehört 
auch  der  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  i  und  Layard  a.  a.  O.  Taf.  63  auftretende  geflügelte 
Skarabäus  über  der  Papyrosstaude  zu  den  der  ägyptischen  Kunst  entlehnten  Ele- 
menten. Der  hier  vorliegende  »zweiflügelige«  Skarabäus  mit  der  Sonnenscheibe 
zwischen  den  Vorderbeinen  ist  der  echt  ägyptische,  z.  B.  Petrie,  Decorative  art 
Abb.  205  f.  aus  der  XVIII.  und  XX.  Dynastie  ').  Der  Gedanke,  ein  heiliges  Symbol 
auf  eine  Papyrosstaude  (resp.  das  Papyroszepter)  zu  setzen,  ist  gut  ägyptisch,  wie 
der  silberne  Upuaut  in  Berlin  (Schäfer-Möller,  Äg.  Goldschmiedearbeiten  Taf.  16,  103, 
Ptolemäerzeit)  oder  die  Wappentiere  von  Ober-  und  Unterägypten  auf  der  Mcnit- 
platte  der  XXII.  Dyn.  bei  v.  Bissing,  Kultur  des  alt.  Äg.  Abb.  17  und  viele  kleine 
Amulette,  die  so  Katzen  sitzen  lassen,  beweisen.  Vielleicht  zufällig  kann  ich  kein 
ägyptisches  Beispiel  mit  dem  Skarabäus  nachweisen.  In  Nimrud  findet  er  sich  noch 
auf  den  Schalen  Layard  a.  a.  0.  Taf.  68  oben  Mitte  und  rechts.  In  Kreta  fehlt  er 
sonst,   ebenso   auf   den   griechischen,    kyprischen   und   italischen    Schalen. 

Auf  diesen  (und  zwar  auf  der  Schale  von  Amathus  E  4  und  der  Schale  der 
Tomba  Bernardini  Fa  i)  findet  sich  nur  der  »vierflügelige«  Skarabäus,  wie  er  in 
Nimrud  auf  den  Schalen  Layard  a.  a.  0.  Taf.  58  A,  B,  E,  59  A  wiederkehrt  *).  Wenn 
der  Skarabäus  mit  der  Sonnenscheibe  zwischen  den  Vorderbeinen  auf  der  Schale 
F  a  I  in  der  Barke  fährt,  so  entspricht  das  durchaus  ägyptischen  Vorstellungen. 
Lanzone,  Dizionario     929  f.   hat  die  Texte  zusammengestellt,  eine  Abbildung  z.  B. 


')  Ein  ägyptisches  Original  mit  dem  zweiflügeligen 
Skarabäus  ist  uns  zufällig  in  Nimrud  erhalten: 
das  mit  Gold  eingelegte  Würfelpaar  Layard- 
Zenker  Taf.  XV  M,  N,  über  das  oben  S.  182 
gehandelt  ist.  Perrot-Chip.  II  754  haben  die 
Stücke  fälschlich  als  mesopotamische  Arbeiten 
behandelt  und  das  ist  in  andere  Darstellungen 
übergegangen. 

')  Die  Abweichungen,  die  die  Zeichnung  Layard- 
Zenker  Taf.  XIV  G  von  der  in  den  Monuments  II 
Taf.  58  B  aufweist,  kommen  hier  nicht  in  Be- 
tracht. Anscheinend  ist  in  beiden  Fällen  derselbe 
die  Mitte  einer  sonst  undekorierten  Schale  ein- 
nehmende Käfer  gemeint.  Richtige  vierflügelige 
Skarabäcn  kann  ich  in  der  einheimischen  ägyp- 


tischen Kunst  nicht  nachweisen  (auch  nicht  unter 
den  von  Prinz  als  Skarabäen  mit  Vogelflügel 
getauften)^  wohl  aber  den  Ursprung  dieser  Form 
in  Skarabäen  der  XIX.  Dynastie,  bei  denen  die 
am  Körper  anliegenden,  behaarten  Beine  sich 
flügelartig  erweitern:  Newberry,  Scarabs  74  f. 
Fig.  75/6.  Wieder  können  wir  den  Ursprung 
einer  hybriden,  im  »phoinikischen«  Kreis  später 
einheimischen  Form  auf  das  .\gypten  der  Rames- 
sidenzeit  zurückführen,  wo  sie  überdies  auf 
Sarkophagen  (Prinz,  Altoriental.  Symbolik  Taf.III 
9  u.  17)  noch  näher  vorgebildet  ist;  aber  wieder 
entspricht  das  Vorbild  nicht  im  einzelnen  der 
Umbildung. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  227 


Erman,  Religion «  Abb.  90,  Champollion,  Pantheon  Taf.  13.  Aber  er  hat  da  nie  vier 
Flügel,  wohl  aber  auf  Skarabäoiden  mit  phoinikischer  Inschrift  wie  Perrot-Chip.  III 
130    (mit   menschlichem   Kopf). 

Aus  derselben  Typenreihe  stammen  die  geflügelten  Schlangen  auf  den  Papyros- 
Stauden  auf  der  Schale  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  i,  der  Schale  von  Nimrud  Layard 
a.  a.  O.  Taf.  68  oben  Mitte,  der  Fa/ke  auf  dem  Papyros  auf  der  Akropolisschale  D4; 
auch  die  geflügelten  Schlangen  auf  der  Nimrudschale  Layard  a.  a.  O.  Taf.  59  A  (im 
Wechsel  mit  vierflügeligcn  Skarabäen)  mag  man  anführen.  Es  ist  nicht  nötig,  dafür 
ägyptische   Beispiele   eigens  beizubringen. 

Wir  haben  bisher  wesentlich  solche  Motive  betrachtet,  die  Zusammenhänge 
mit  Ägypten  aufweisen.  Es  gibt  aber  auch  ganz  anders  geartete  und  nicht  minder 
verbreitete  Typen.  Über  den  Wagen  und  den  Löwen  haben  wir  oben  S.  182  f.  schon 
gesprochen.  Der  Haarstern  findet  sich  anscheinend  in  Ägypten  schon  bei  dem  Löwen 
Tuthmosis*  III.  Perrot-Chip.  I  Fig.  491,  der  auch  die  Schabracke  trägt.  Wenigstens 
wüßte  ich  nicht,  was  sonst  der  dreifache  Kreis  auf  dem  vorderen  Oberschenkel  des 
Tieres  zu  bedeuten  hätte.  Ist  auch  dies  Motiv  in  Ägypten  entstanden  oder  dürfen 
wir  es,  was  um  der  stark  stilisierten  Form,  in  der  es  erscheint,  wahrscheinlich  wird, 
schon  um  1600  in  der  vorderasiatischen  Kunst  voraussetzen.?  Durchaus  unägyptisch 
nach  Stil  wie  Inhalt  sind  die  Darstellungen  eines  Komos,  wohl  ausschließlich  von 
Frauen  ausgeführt.  Die  beiden  ältesten  bekannten  Stücke  sind  die  Schale  von  Olym- 
pia D  2  und  die  Schale  von  Idalion  }^2i-  Hier  finden  wir  nun,  das  eine  Mal  im  Gegensinn 
wiedergegeben  und  mit  kleinen  Abweichungen,  die  wiederum  eine  unmittelbare 
Abhängigkeit  ausschließen,  eine  Szene,  wo  hinter  einem  eigentümlich  aufgebauten 
Tisch  oder  Altar')  eine  Frau  sitzt,  die  an  einer  Lotosblüte  riecht  (aufD2  hält  sie  sie 
nur),  in  der  anderen  Hand  eine  Frucht  (aufD2  eine  Schale)  faßt.  Vor  ihr  steht  am 
Altar  eine  Frau,  die  in  der  gesenkten  Linken  einen  Schöpflöffel  zu  haben  scheint 
(auf  D  2,  wo  auch  die  Tracht  leise  ägyptisiert,  hält  sie  die  Lebensbinde),  in  der  erhobenen 
Rechten  einen  dreieckigen  Gegenstand,  bei  dem  man  unwillkürlich  an  das  Marduk- 
zeichen  »)  denkt.  In  dieser  Hand  hält  auf  der  Schale  von  Olympia  die  Figur  einen 
sichelartig  gebogenen  Gegenstand.  Genau  diesen  Gegenstand  finden  wir  nun  in  der 
Hand  einer  Priesterin  auf  dem  Bruchstück  Halbherr-Orsi  Bronzi  Cretesi  Taf.  IX  3, 
und  sie  steht  vor  einem  Altar  der  fast  genau  dem  der  Schale  D4  entspricht.    Merk- 


0  Kennzeichnend  für  ihn  sind  die  krummen  »Dak-  eher  ins  hethitische  Gebiet:  E.  Meyer,  Reich 
kelbeine«  mit  einer  oder  zwei  verbindenden  und  Kultur  der  Chetiter  Abb.  20,  32;  die  ab- 
Querleisten und  einer  Mittelstütze.  Auf  dem  weichende  Form  auf  der  Schale  von  Olympia  läßt 
Tisch  steht  ein  Korb  und  darin?  eine  satura.  sich  mit  Abb.  30  vergleichen  und  ägyptischen 
Die  Tischform  erinnert  wohl  an  vorderasiatische,  Sesseln.  Übrigens  kommen  auch  auf  den  be- 
deckt sich  aber  nicht  mit  ihnen,  am  ehesten  noch  thitischen  Stelen  bei  Meyer  a.  a.  0.  28  ff.  ähnliche 
der  auf  einem  Untersatz  stehende  Tisch  der  Opfertische  mit  sehr  ähnlich  angehäuften  Opfer- 
Olympischen  Schale  D  2,  zudem  man  unmittelbar  gaben  vor. 

Layard,  Niniveh  populär  account    213  aus  dem  =)  Frank,    Bilder    und    Symbole    babylonisch-assy- 

IX.    Jahrh.   vergleichen  darf,   für  die    »Dackel-  rischer  Götter  22  f.;    Jastrow,  Bildermappe    zur 

beine«  etwa  den  Erlanger  Dreifuß  Springer,  Hand-  Religion  Babyloniens  usw.  Taf.  9  ff. 
buch  1923  Fig.   171.     Der  Sitz  der  Frau  führt 


228  ^'-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >phoinikischenc  Metallschalen. 


würdigerweise  stellt  nun  die  Tracht  der  kretensischen  Priesterin  eine  Kombination 
aus  den  beiden  anderen  Schalen  dar:  die  Kopfbedeckung  und  das  Gewand  scheinen 
der  Schale  von  Olympia,  die  Schulterlocke  der  von  Idalion?  zu  entsprechen.  Jenseits 
des  Altars  standen  auf  dem  kretischen  Bruchstück  noch  Gefäße,  ob  auch  die  sitzende 
Frau  folgte,  ist  bei  dem  Zustand  des  Originals  nicht  auszumachen.  Jedenfalls  aber 
schlössen  Musikantinnen  an.  Sie  scheinen  alle  drei  (oder  vier,  s.  den  Text  S.  35)  die 
Leier  zu  halten  und  zwar  in  der  ursprünglich  aus  Asien  eingeführten,  dann  im  Ägypten 
des  Neuen  Reichs  weitergebildeten  Form  (Sachs,  Altägyptische  Musikinstrumente 
12  f.  Abb.  15).  Auch  auf  der  olympischen  Schale  schließen  auf  derselben  Seite 
Musikantinnen  an:  die  vorderste  führt  eine  etwas  anders  geformte  Leier  (für  die  man 
die  chetitische  Stele  bei  Meyer,  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  Abb.  30  vergleiche), 
die  nächste  eine  runde  Rahmentrommel,  die  letzte  die  Doppelfiöte.  Die  runde  Rahmen- 
trommel hält  auf  dem  kretischen  Bruchstück  eine  Frau  rechts  von  der  Priesterin. 
Die  drei  Instrumente  vereinigt  (dabei  die  Leier  in  der  Form  der  kretischen  Schale) 
finden  wir  in  den  Händen  von  Musikantinnen  auf  der  Schale  aus  Idalion.''  E  3  und  zwar 
hinter  der  Sitzenden,  ferner  auf  der  u.  a.  bei  OhnefalschRichter,  Kypros  126  ver- 
öffentlichten Schale  E6,  wo  sich  eine  vierte  mit  einem  Krug  in  der  gesenkten  Hand 
und  einer  Zither?  ')  in  der  anderen  anschließt.  Es  ist  wohl  dasselbe  Saiteninstrument, 
das  die  Musikantinnen  auf  dem  u.  a.  bei  Poulsen,  Orient  Abb.  31  wiedergegebnen 
Elfenbeinrelief  aus  Nimrud  führen  (neben  Doppelflöte  und  runder  Rahmentrommel). 
Wir  finden  also  diesmal  zwar  auf  den  Bronzeschalen  von  Nimrud  keine  Parallelen 
zu  unseren  Szenen,  wohl  aber  unter  den  Elfenbeinen.  Die  starke  Tanzbewegung  der 
Musikantinnen  auf  der  Schale  aus  Olympia  ist  bei  der  aus  Kurion  E6  gemildert,  bei 
den  Schalen  von  Kreta,  Idalion  ?  und  wohl  auch  dem  Elfenbein  durch  feierliches 
Schreiten  ersetzt.  Bemerkenswert  ist  aber  die  Gleichheit  der  Anordnung  im  allge- 
meinen, so  daß  man  z.  B.  die  kretische  Schale  mit  Hilfe  der  anderen  ungefähr  ergänzen 
kann.  In  Kreta  war  einst  noch  eine  zweite  Komosschale  (a.  a.  0.  Taf.  VI  2)  vor- 
handen.' Die  mit  aneinander  gefaßten  Händen  im  Reigen  schreitenden  Frauen  finden 
ihr  Gegenstück  in  den  entsprechenden  Figuren  der  Schale  von  Idalion?  und  formal  (sie 
fassen  sich  aber  nicht  bei  den  Händen)  der  Schale  von  Kurion.  Diese  wiederum  zeigt, 
daß  die  mit  allerhand  Gaben  (Fischen,  Vögeln)  nahenden  Frauen  des  Fragments 
aus  der  Zeusgrotte  (die  eine  mit  dem  merkwürdigen  Profil  und  dem  reichen  Haar, 
das  aber  die  Bezeichnung  »spiccatamente  egiziana«  kaum  verdient,  möchte  man  für 
männlich  halten,  wäre  die  Tracht  nicht)  der  ursprünglichen  Komposition  angehören, 
in  der  man,  wie  längst  vermutet,  die  Darstellung  eines  bestimmten  Frauenfestes 
wird  zu  erkennen  haben.  An  Stelle  der  sitzenden  Frau  treten  nun  auf  der  Schale 
von  Kurion  rechts  und  links  von  einem  Altar,  dessen  Grundform  den  bisher  betrach- 
teten entspricht,  zwei  auf  hohen  Betten  mit  untergestelltem  Tritt  2)  liegende  Gestalten 
auf,  die  jede  eine  Frucht  halten.  Beide  dürften  weiblich  sein.  Hinter  ihnen  setzte 
wohl  ein  neuer  Musikantinnenreigen  ein. 


')  Ohnefalsch-Richter     denkt     an  ein   flaches  Ge-  Figuren  auf  der  gleich  zu  besprechenden  Schale 

faß  mit  einem  Kuchen  oder  Adonisgärtlein  darauf.  aus   Salamis  immerhin  möglich. 

Daß  ein  Gefäß  gemeint  ist,  wäre  angesichts  der       ')  Das  ist  die  vor  allem  aus  Ägypten  bekannte  Form. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  aber  die  >phoinikischen<  Metallschalen.  220 


Liegend  sind  auch  auf  der  Schale  E  14  auf  ebensolchen  Betten  König  mit  ägyp- 
tischer Krone  und  Königin  (nach  Myres  Deutung)  beim  Festmahl  dargestellt.  Der 
Opfertisch  hat  wieder  »Dackelbeine«,  hinter  ihm  steht  nach  Myres  »a  square  Screen«, 
auf  dem  Tisch  eine  Schüssel  mit  Früchten.  Musikantinnen  und  Musikanten.!"  begleiten 
das  Fest,  Frauen  mit  Fleisch-  und  Blumenopfern,  mit  einer  Kanne  und  Schalen.  Auf 
dem  Innern  Streifen  schießt  ein  kniender  Mann  einen  forteilenden  Hirsch  —  auf 
der  Schale  von  Kurion  E  6  sehen  wir  einen  Mann  im  Knielauf  einen  Hirsch  mit  dem 
Bogen  erlegen.  In  beiden  Fällen  war  noch  ein  zweiter  Hirsch  dargestellt  und  ein  heili- 
ger Baum  mit  zwei  Greifen,  Wir  haben  hier  also  eine  weitgehende  Übereinstim- 
mung in  der  Zusammenfügung  inhaltlich  kaum  zusammenhängender  Motive  i);  im 
Großen  herrscht  auch  eine  formale  Uebereinstimmung,  aber  im  Kleinen  sind 
wieder  zahlreiche  Abweichungen  festzustellen. 

Aber  noch  auf  einer  Schale  sehen  wir  ein  Fest,  Musikanten,  liegende  Gestalten: 
auf  der  Bronzeschale  aus  Salamis.  Sie  lehnt  sich  viel  stärker  als  ihre  Genossen  an 
ägyptische  Vorbilder,  diesmal  selbst  im  Stil  an.  Abgesehen  von  der  früher  S.  222  f.  be- 
sprochenen Mittelgruppe  des  seine  Feinde  niederschlagenden  Pharao  erscheint  wenig- 
stens die  Gruppe  der  sitzenden  Frau  mit  einem  Kind  auf  dem  Schoß  als  eine  Ver- 
körperung von  Isis  und  Horus.  So  ist  sie  offenbar  aufgefaßt  in  der  bisher  unbe- 
sprochenen  Gruppe,  die  auf  der  Schale  aus  Olympia  (D2)  das  Gegenstück  zu  der  Sitzen- 
den am  Altar  bildet.  Die  ägyptisicrende  Form  des  Altars  (ein  Papyros)  weist  deutlich 
auf  den  Zusammenhang  hin,  ebenso  die  Tracht  der  Priesterin,  die  die  Lebensbinde 
und  eine  Schale  hält.  Die  übrigen  Bilder  der  Schale  aus  Salamis  zeigen  Musikan- 
tinnen (darunter  eine,  die  nach  ägyptischer  Weise  in  die  Hände  klatscht),  Musikanten, 
Diener  mit  Schale,  einer  Amphore  und  außer  einer  sitzenden  Frau,  die  aus  einer 
Schale  trinkt,  drei  Betten.  Das  eine  Bett  ist  zum  Teil  zerstört,  auf  einem  zweiten 
sitzen  Mann  und  Frau,  auf  einem  dritten  liegt  eine  nackte  Frau  —  anscheinend  hat 
sie  der  Mann  neben  dem  Bett,  der  eine  solche  Frau  in  den  Armen  trägt,  darauf  gelegt. 
Ein  Bild  auf  dem  bei  Grenier,  Bologne  Villanovienne  370,  abgebildeten  Spiegel 
scheint  mir  den  Schlüssel  zu  liefern:  es  ist  oder  sollte  dargestellt  sein  ein  Symplegma»). 
Die  Formen  der  Möbel  sind  unägyptisch,  abgesehen  allenfalls  vom  Stuhl  und  dem 
papyrosförmigen.?  Altar  dahinter.  Eher  erinnern  die  Formen  der  Klinen  an  vorder- 
asiatische und  an  griechische  Lager,  ohne  daß  jedoch  eine  ganz  gleiche  Kline  mir 
bekannt  wäre  3). 

')  Die    Deutung     auf    Reschef-ApoUon    bei    Ohne-  Gedanken  aber  aufgeben.     Es  wird  Zufall  sein, 

falsch-Richter  ist  durchaus  willkürlich,  stellt  über-  daß  in  beiden  Fällen  der  Mann  einen  Spitzbart 

dies  auch  keinen  Zusammenhang  her.    Reste  von  trägt,  und  die  Ähnlichkeit  des  Schemas  wird  auf 

einem  Aufzug  scheinen  übrigens  auf  dem  inneren  natürlichen  Ursachen  beruhen.   Daß  aber  auf  der 

Streifen    der    Schale    aus    Kurion    E  7    erhalten  Schale  von  Salaminia  zur  auf  der  Kline  liegenden 

neben  Aufzügen  von  Kriegern  zu  Fuß  und  Wagen.  Frau  ein  Mann  zu  ergänzen  ist  (ist  er  etwa  tat- 

Nach   Myres   erkennt   man    »a  votary,   harpist,  sächlich  vorhanden?)  scheint  mir  sicher, 

and  double  flute-player«.    Ein  Festzug  auch  auf  3)  Speleers  Essai  sur  le  mobilier  de  l'Asie  antirieure 

dem  Sarg  im  V.  Grab  von  Byblos.  ancienne  erweist  sich,  wie  die  meisten  Arbeiten 

')  Ich  hatte  ursprünglich  an  einen  typengeschicht-  des   Verfassers,   als   unzureichend. 
liehen     Zusammenhang    gedacht,     möchte     den 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24.  16 


230  P'-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >phoinikischen«  Metallschalen. 


Unter  den  zahlreichen  Kampfszenen,  die  auf  den  hier  behandelten  Denkmälern 
begegnen,  verdient  die  Gruppe  des  Bogenschützen,  der  zu  Wagen  gegen  einen  Löwen 
kämpft,  während  dieser  von  rückwärts  von  einem  zweiten  Gegner  bedeckt  wird, 
und  des  berittenen  Schützen,  der  sich  rückwärts  gegen  einen  Löwen  wendet,  unsere 
Aufmerksamkeit.  Vereint  treffen  wir  sie  auf  der  Schale  Layard,  Monuments  II  65 
mit  der  Besonderheit,  daß  der  Löwe  dem  Berittnen  gegenüber  als  Sieger  über  einem 
Gefallenen  steht  und  von  hinten  ein  Mann  mit  dem  Dolch  den  Löwen  anfällt.  Dabei 
ist  so  wenig  wahre  Bewegung  in  der  Gruppe,  daß  man  deutlich  die  Verwendung 
fester  Typen  empfindet.  Ganz  anders  ist  der  Vorgang  auf  der  Schale  aus  Olympia  D  2 
behandelt,  wo  der  Löwe  gegen  den  Schützen  sich  hoch  aufrichtet  und  ein  zweiter 
Schütze  zu  Fuß  auf  ihn  zueilt.  Auch  die  Szene  des  Löwen  mit  dem  Wagen  ist  bewegter, 
hier  aber  fehlt  der  zweite  Gegner.  Und  während  auf  der  Nimrudschale  die  Menschen 
in  der  Tracht  zu  ägyptisieren  scheinen,  ist  davon  auf  D2  nicht  die  Rede.  Auf  der  Schale 
von  Delphi  D  i  finden  wir  den  nach  rückwärts  gewandten  Schützen  auf  dem  Wagen 
wieder,  aber  sein  Ziel,  der  Löwe,  fehlt,  und  noch  sonderbarer  ist  das  Gespann:  die 
oben  S.  225  besprochene  Flügelsphinx.  Sie  kehrt  genau  so  auf  der  Olympiaschale  wieder 
und  kann  doch  nur  an  die  Stelle  der  Pferde  getreten  sein,  die  auf  der  Nimrudschale 
(vgl.  das  Detail  J. d.i.  XXI  1907,  164)  noch  erhalten  sind.  Wir  sehen  hier,  wohin 
die  Vorliebe  für  phantastische  Gestalten  die  Meister  dieser  Schalen  treibt.  In  übrigens 
recht  genauer  Übereinstimmung  mit  der  Schale  von  Olympia  ')  D  2  wird  die  Löwen- 
jagd zu  Wagen  auf  der  Tasse  Layard  a.  a.  O.  Taf.  68  (A.d.  i)  dargestellt;  von  hinten 
kniet  ein  bärtiger  Mann  mit  der  Lanze,  durchaus  assyrisch  in  seinem  Äußeren.  Vor 
ihm  fliegt    ein    ägyptischer    Falke  2). 

Der  berittene  Bogenschütze,  wie  wir  wissen  ein  beliebtes  Motiv  der  späteren 
orientalischen  Kunst  (die  Waffe  ist  im  assyrischen  Heer  spätestens  unter  Assur- 
nazirpal  eingeführt),  der  ägyptischen  Welt  aber  durchaus  fremd,  taucht  auf  dem 
sonst  stark  ägyptisierenden  Kessel  aus  Praeneste  (Fa3)Mcmoirs  American  Academy  III 
Taf.  16,  17  Fig.  3  auf.  Die  Haltung  ist  hier  freier,  das  ^^icl  zwei  um  ein  totes  Rind 
kämpfende  Löwen.  Der  letzte  Herausgeber  der  Tomba  Bernardini  hat  sehr  richtig 
bemerkt,  daß  die  Zeichnung  auf  dem  Kessel  unklar  ist,  aber  erläutert  werden  kann 
aus  dem  entsprechenden  Bild  des  Rcgulini  Galassigrabes  in  Caere  Fe  6.  Nur  finden  wir 
da  die  »orientalische  Tiergruppe«  3)  nicht  beim  Schützen,  sondern  als  Mittelbild, 
den  Schützen  aber,  Zug  um  Zug  den  des  Kessels  aus  Praeneste  wiederholend,  am 
Rand  nach  der  früher  (S.  224)  behandelten  Gruppe  »des  Löwen  über  dem  Feind« 

•)  Von  dem  von  hinten  heraneilenden  Gegner  sind  für  die  auf  E.  Schmidt,  Der  Knielauf  verwiesen 

noch  Spuren  vorhanden.  sei,     der    unsere     Darstellung    unberücksichtigt 

»)  Ist   Knien  oder  Knielauf  gemeint?      Assyrische  gelassen  hat.  —  Auf  der  Schale  aus  Olympia  D  2 

Monumente    (z.    B.    Budgc,    Assyrian    sculptures  sitzt  über  dem  Löwen  ein   großer  rabenähnlicher 

Ashurnazirpal  Taf.  XVIII,  XXIV,  XLIII)   stellen  Vogel.      Kann   er   dem   Falken   der   Tasse   ent- 

das  Knien  mit  dem  Knie  am  Boden  und  dem  vor-  sprechen?    Falken  flattern  auch  über  der  Gruppe 

gesetzten  Bein  schräggestellt  dar.    Dem  Krieger  der  ein  Rind  zerfleischenden  Löwen,  auf  die  der 

auf  der  Tasse  vergleicht  sich  am  besten  die  Schütze  auf  dem  Kessel  von  Praeneste  Faß  schießt, 
»phoinikischc«  Gemme  bei  Furtwängler,  Gern-  3)  Vgl.,  was  über  sie  oben  S.  191  f.  gesagt  wurde. 
men  I  Taf.  VII  41  und  griechische  Darstellungen, 


Fr.  W.  Frhr.  V.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >phoinikischen«  Metallschalen.  j'?! 


zielend.  Es  hat  hier  also  ein  Tausch  zwischen  Mittelbild  und  Seitenbild  stattgefunden, 
der  durch  die  gleichmäßige  Behandlung  des  unteren  Kreissegments  der  Mittelgruppe 
als  Gebirge  nach  assyrisch-phoinikischer  Art  stilisiert,  gewissermaßen  noch  unter- 
strichen wird  ').  Das  Auftreten  dieses  Elements  ist  besonders  merkwürdig,  weil  im 
allgemeinen  die  Art  des  Kessels  wie  der  Schale  ägyptisiert. 

Auf  beiden  Silbergefäßen  kehrt  auch  die  Gruppe  des  Mannes,  der  mit  dem 
Schwert  in  der  Hand  einen  aufgerichteten  Löwen  bekämpft,  wieder.  Er  wird  von 
seinem  Hund  auf  dem  Kessel  aus  Praeneste(Fa3) begleitet,  nicht  auf  derSchale  aus  Caere; 
auch  in  Einzelheiten  der  Tracht  weichen  die  beiden  Kämpfer  ab  2).  Den  Hund  aber 
finden  wir  wieder  auf  der  Schale  unter  dem  Pferd  des  berittenen  Schützen.  Das  Motiv 
des  Schwertkämpfers  mit  dem  Löwen  findet  sich,  aber  durchaus  verschieden,  auf  dem 
Nimrudteller  Layard,  Monuments  HTaf.  64  (Ab  2),  womit  zugleich  die  Bedeutung  der 
von  uns  zusammengestellten  Übereinstimmungen  in  ein  helleres  Licht  gerückt  wird. 
Formal  lassen  sich  noch  eher  die  menschlichen  Greifentöter  und  die  vierflügeligen, 
also  göttlichen,  Löwentöter  auf  derSchale  von  Kition  Ei  vergleichen  3),  um  so  mehr, 
als  der  im  äußersten  Streifen  abgebildete  Zug  der  Krieger  zu  Fuß,  Roß  und  Wagen 
die  nächste  Verwandtschaft  mit  den  entsprechenden  Zügen  auf  dem  Kessel,  den 
Schalen  von  Caere,  der  Tasse  ebendaher  haben.  Auf  den  Nimrudschalen  gibt  es  nichts 
wirklich  Vergleichbares,  ebensowenig  auf  den  kretischen  Bronzen,  wohl  aber  setzt 
sich  gerade  diese,  wie  wir  sehen  vorzugsweise  in  den  italischen  Funden  verbreitete 
Dekoration  in  der  sog.  Situlakunst  fort. 

Auf  dem  Kessel  der  Tomba  Bernardini  sind  ebenso  wie  auf  der  Schale  aus  Caere 
Palmen  zur  Andeutung  der  Landschaft  und  Einteilung  der  Darstellung  eingefügt. 
Die  Palme  gehört  nicht  zu  den  in  diesem  Kreis  üblichen  Pflanzen.  Auf  den  Nimrud- 
bronzen  und  Elfenbeinen  kommt  sie  entweder  gar  nicht  oder  nur  völlig  stilisiert 
vor  4).    Das  gleiche  gilt  von  den  kretischen  Bronzen  und  von  den  Funden  des  griechi- 

■)  Diese  Stilisierung  des  Gcbirgs  findet  sich  auf  den  eingedrungene  Tuch,    das    zwischen   den   Beinen 

Nimrudschalen   Layard   a.  a.  O.   Taf.    61  B,    66,  herabhängt,  über  das  ich  Expedition   Sieglin    1 

auf  der   Stele  von  Amrit  (Perrot.-Chip.   III  Fig.  138   gehandelt   habe.     Sein  Gegenstück   auf  der 

2S3),auf  der  Schale  der  Tomba  Bernardini  Fa  2,  der  Schale    aus  Caere  trägt,    wie  die  von  einander 

SchaleausCaercFc6,  denSchalenausKurionEy,  8  unabhängigen  Zeichnungen  Museo  Grcgoriano    I 

und  also  nicht  auf  den  kretischen  und  griechischen  Taf.  66  und  bei  Grifi,  Monumenti  di  Caere  Taf.  V 

Fundstücken  und  unter  den  kyprischen  nur  auf  zeigen  den  einfachen  ägyptischen  Schurz.    Dieser 

zwei  Schalen  die  zu  einer  in  Italien  gefundenen  findet    sich    bei    anderen    Figuren    des    Kessels 

besonders  enge  Beziehungen  haben.    Mißverstan-  und  der  Schurz  mit  Tuch  bei  anderen  Soldaten 

den  ist    die   Gebirgsvorlage   möglicherweise     auf  der   Schale  von  Caere.     Man  sieht,   mit   diesen 

einer   bei   Perrot-Chip.    III   Fig.   464—77   abge-  Dingen    springen    die    Verfertiger    der    Schalen 

bildeten  Reihe  sardinischer  Skarabäoide,  (lei  denen  ganz    willkürlich    um,    sie    haben    für    sie    keine 

sie,  wie  auf  der  Schale  von  Caere  F  c  8  Poulsen,  nationale   Bedeutung. 

Orient   usw.   Abb.    18    zu   einem   Gitterwerk   ge-       3)  Die  Greifentöter  der  Schale  von  Kurion  E  8  und 

worden   sind.      Ob   man   den   Hintergrund   der  der  Schale  von  Kition  E  i  stehen    dieser  Schale 

Götterbilder    auf    der   Schale  von  Olympia   D  3  näher  als  den  in  Italien  gefundenen.    Die  zweite 

ebenso  erklären  darf,  lasse  ich  dahingestellt.  variiert   das  Thema  in  zum  Teil  geistvoller,  an 

>)  Der  Kämpfer  auf  dem  Kessel  hat  annähernd  rein  griechische   Bildwerke   gemahnender  Weise, 
ägyptisches  Profil  und  Habitus,  der  Schurz  aber       4)  Man   könnte    auf   den    Schalen   Layard  a.  a.  O. 

hat  jenes  später  auch  in  die  ägyptische  Kunst  Taf.  58  A,  59  D-    den  Tassen  Taf.  57  C  und  68 

i6» 


2^2  ^''  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


sehen  Festlandes.  Auf  den  in  Italien  gefundenen  Schalen  F  c  6,  F  a  2,  dem  Kessel 
Fa  3,  dann  unter  den  kyprischen  Funden  auf  der  Schale  E  ii  und  der  von  Amathus 
ist  die  Palme  dargestellt  (E  4).  Sie  gehört  zu  dem  ägyptischen  Formenschatz  und 
tritt  z.  B.  auf  dem  Bocchoriskrug  Monum.  Antichi  VIII  Taf.  III/IV  (oben  S.  197) 
auf.  Hingegen  scheint  das  Ziehen  von  Trauben  zwischen  Falmbäumen,  wie  es  auf 
dem  Kessel  dargestellt  ist,  keine  ägyptische  Gepflogenheit  (s.  Lutz,  Viticulture  and 
brewing  50).  Es  ist  merkwürdigerweise  die  Methode  des  Weinbaus,  die  gerade  für 
Ober-  und  Mittelitalien  bezeugt  ist  (Nissen,  Ital.  Landeskunde  I  453). 

Auf  der  Schale  von  Amathus  (E  4)  stehen  die  Palmen  neben  anderen  Bäumen, 
die  umgehackt  werden,  vor  einer  befestigten  Stadt,  die  gegen  Angreifer  verteidigt  wird. 
Seltsamerweise  scheint,  nach  der  Bewaffnung  zu  urteilen,  zwischen  Besatzung  und 
Feinden  kein  Unterschied  zu  bestehen.  Beide  führen  Speer  und  Bogen,  assyrische 
hohe  Helmhaube  und  Helm  mit  Federbusch,  runde  Schilde  mit  Schildzeichen  — 
letzteres  nur  bei  den  Angreifern  gesichert.  Einige  auf  einer  Leiter  heraufkletternde 
Angreifer  haben  größere  Schilde  mit  weit  vortretendem  Buckel.  Die  Lanzenkämpfer 
mit  dem  Helmbusch  tragen  ein  kurzes  Wams;  sie  gleichen  den  Soldaten,  die  wir  auf 
dem  Kessel  der  Tomba  Bernardini  (Fa3)  Memoirs  a.  a.  O.  Taf.  IX  i,  der  Tasse 
von  Caere  F  c  9  und  sonst  in  diesem  Kreise  finden.  Man  würde  sie  ohne  weiteres 
für  Griechen  halten,  wenn  nicht  genau  die  gleiche  Bewaffnung  auf  hethitischen 
Reliefs  aus  Karchemisch  (Hogarth,  Carchemisch  I  Taf.  B  2)  wiederkehrte  ').  Die 
Bogenschützen  tragen  über  einem  kurzen  Schurz  einen  langen,  wie  er  bei  assy- 
risierenden  Gestalten  auf  den  Schalen  mehrfach  vorkommt  und  auch  in  der  assy- 
rischen Kunst  bei  Bogenschützen  nachweisbar  ist  (Meißner,  Babylonien  I  95, 
Layard,  Niniveh  Populär  account  257). 

Das  Thema  der  belagerten  Stadt  kehrt  auf  der  Schale  von  Delphi  D  i  wieder. 
Auch  hier  sind  Verteidiger  und  Angreifer  —  bis  auf  einen  mit  Schwert  und  assyrischem 
Helm  sind  es  Bogenschützen  —  gleich  ausgerüstet.  Die  Stadt  selbst  gleicht  auf  der 
Schale  von  Amathus  (E  4)  einigermaßen  den  syrischen  Burgen  auf  ägyptischen  Darstel- 
lungen (s.  etwa  Hölsclier,  DashoheTor  vonMedincHabu6off.,  wo  auch  die  Erstürmung 
von  zwei  Seiten  mit  Leitern  vorkommt).  Aber  man  wird  doch  auch  an  assyrische 
Reliefs  wie  Perrot-Chip.  II  475  (Aschurnazirpal),  Meißner,  Babylonien  I  296 
erinnert.  Auf  der  Schale  von  Delphi  ist  freilich  nur  ein  völlig  schematisches  Bild 
übrig  geblieben  mit  einer  sonderbaren  bienenkorbartigen  Öffnung  in  der  Mitte.  Soll 
man  darin  ein  Tor  vermuten  oder  Vorbauten,  wie  sie  mit  einem  Eingang  am  Fuß 


stilisierte  Palmen  vermuten.     S.  Andrae,  Assur,  älteren  Eimer  Taf.  27  vor,  nirgends  so  lebendig 

farbige    Keramik    3    über    die    vermutete    Ent-  wie  in  Ägypten  und  auf  den  Schalen, 
stehung   stilisierter   Pflanzenornamente    aus    der      ■)  Alle    auf    den    Schalen    vorkommenden   Waffen 

Dattelpalme.    Naturalistisch  kommt  sie  wohl  auf  kommen,    wie     man    aus    Hunger,    Heerwesen 

der  jungen— aber  nicht  assyrischen  —    Scherbe  und    Kriegführung    der   Assyrer    bes.    S.    14  f. 

Taf.  5  m,    dann  auf  dem  archaischen,  aber  im  sehen   mag,   auch   auf   assyrischen   Reliefs   vor, 

VIII.  Jahrh.  wiederhergestellten  farbigen  Ziegel-  können  also  von  dort  bekannt  geworden  sein, 

bild  a.  a.  O.  Taf.  6,  auf   dem    späten   Toneimer  Das  gilt  auch  vom  Hebn  mit    Busch    und    dem 

mit  Emailmalerei  Taf.  24,  dem  vielleicht  etwas  Rundschild. 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  xphoinikischen«  Metallschalen.  233 

der  Burg  von  Amathus  zu  stehen  scheinen?  Bei  ihnen  wird  man  an  die  mit  Spitz- 
kuppeln überdeckten  Speicher  (Meißner,  Babylonien  I  279  f.,  288)  erinnert  oder 
auch  an  die  Schutzbauten(?)  vor  der  Festung  Dapur  auf  dem  Relief  Ramesses'  IL  (nach 
Lepsius,  Denkm.  III  z.  B.  farbig  bei  E.  Meyer,  Gesch.  Ägyptens).  Jedenfalls  hatte 
der  Meister  der  kyrischen  Schale  eine  nur  sehr  allgemeine,  der  der  delphischen  Schale 
überhaupt  keine  Vorstellung  von  dem,  was  er  wiedergab'). 

Von  den  Typen  mit  Inhalt  wenden  wir  uns  noch  zu  einigen  rein  ornamentalen 
Motiven.  Wir  beschränken  uns  auch  hier  auf  solche,  die  in  mehreren  der  geographischen 
Gruppen  nachweisbar  sind,  und  auch  da  auf  solche,  die  für  die  Bestimmung  des  kunst- 
geschichtlichen Charakters  von  Bedeutung  scheinen.  Poulsen  hat  Orient  usw.  78 
beobachtet,  daß  auf  den  kretischen  Schalen  die  Flechtbänder  immer  von  kräftig 
getriebenen  Streifen  oben  und  unten  begleitet  werden,  so  daß  die  Tiere  niemals  auf 
dem  Flechtband  selbst  einhergehen.  Hier  habe  die  strenge  Zoneneinteilung  der 
griechischen  Vasen  eingewirkt,  so  erweise  sich  der  griechische  Charakter  der  Schilde. 
Der  Gegensatz  sei  auf  den  Schilden  von  Van  (C)  gegeben,  wo  die  Tiere  auf  das  Flecht- 
band unmittelbar  oder  auf  einen  dünnen  Streifen,  an  den  eine  Reihe  abwärts  gekehrter 
Lotosblüten  gehängt  sei,  gestellt  sind.  Diese  Blüten  begrenzt  nach  unten  kein  Streifen. 
Wie  dem  auch  sei  —  mir  scheinen  nach  der  Photographic  bei  Lehmann-Haupt,  Mate- 
rialien zur  älteren  Geschichte  Armeniens  99,  wenn  man  die  Abbildung  richtig 
stellt,  die  Tiere  auf  die  Köpfe  der  Lotosknospen  zu  treten  —  jedenfalls  zeigt  die  von 
Poulsen  selbst  a.  a.  O.  14  veröffentlichte  Tonfliese  und  noch  deutlicher  der  Ziegel- 
orthosthat  bei  Andrae,  Assur,  Färb.  Kcr.  14,  daß,  was  Poulsen  auch  zugesteht,  die  Assyrer 
durch  Linien  begrenzte  Flechtbänder  kannten.  Aber  die  Begrenzung  war  oft  nur 
einseitig,  oft  unterblieb  sie  ganz:  so  auf  den  runden  Knauffliesen  bei  Andrae  a.  a.  0. 
30,  oder  sie  wurde  indirekt  durch  den  als  schmalen  Streifen  sich  gebenden  Grund 
erreicht  (Andrae  a.  a.  0.  Taf.  32).  Dies  Verfahren  ist  auch  den  kretischen  Bronzen 
nicht  ganz  fremd:  Bronzi  Cretesi  TaL  IX  3,  wo  allerdings  das  Flechtband  die  Dar- 
stellung abschließt.  Andrerseits  findet  sich  bei  der  Schale  aus  Nimrud  Layard,  Monu- 
ments II  Taf.  62  B  eine  Absetzung  des  Flechtbandes  durch  den  herausgetriebenen 
Rand  des  Schaleninnern,  auf  den  die  Tiere  treten;  wiederum  a.  a.  0.  Taf.  64  schweben 
die  Figuren  über  dem  Flechtband  frei  in  der  Luft,  so  daß  der  Eindruck  ähnlich  dem 
mancher  kretischer  Schilde  (vor  allem  Taf.  VIII)  ist.  Auf  der  Schale  aus  Kurion  E  8 
die  in  vielem  ägyptisiert,  ist,  wie  auch  die  photographische  Wiedergabe  bei  Myres,  Ces- 
nola  Collection  Nr.  4554  erkennen  läßt,  jedes  Flechtband  von  Linien  begleitet  und 
auf  diesem  stehen  die  Figuren.  Eine  solche  Begrenzung  ist  technisch  praktisch  als 
Vorzeichnung  für  die  Einteilung,  wie  man  aus  dem  Auftreten  derartiger  Kreise  in 
Stücken  z.  B.  auf  dem  Kessel  der  Tomba  Bernardini  Fa3  sieht,  wo  übrigens  das  von 
Poulsen  hervorgehobene  Prinzip  herrscht.  In  diesem  Zusammenhang  verdient  Be- 
achtung, daß  eine  solche  Einfassung  auch  auf  der  ägyptischen  Holzbüchse  der  Zeit 
Amenophis'  IV.  Bulletin  Institut  Frangais  ITaf.  III  zu  bemerken  ist,  ebenso  auf  der 


.)  Auch  auf  E  13  war  eine  Stadt  dargestellt.     Ich  genauer    festzustellen,    als    es   nach    Myres    Be- 

hoffe auf  Grund  der  Photographie  noch  einiges  Schreibung  möglich  war. 


2  34 


Fr.  VV.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Mctallschalen. 


Silberschale  ramessidischer  Zeit  Musee  figyptien  II  Taf.  48.  Das  Flechtband  ist  keins 
der  ständigen  Ornamente  in  der  ägyptischen  Kunst,  aber  nach  Ansätzen  in  archaischer 
Zeit  (Petrie,  Royal  tombs  I  Taf.  XXXVII  55)  im  sogenannten  Kettenmuster  (Sybel, 
Kritik  des  äg.  Ornaments  4;  s.  auch  Royal  tombs  II  Taf.  XL  ff.)  taucht  es  im 
mittleren  Reich  auf  Skarabäen  (z.  B.  Newberry,  Scarabs  Taf.  XIX)  und  auf  der  sog. 
nubischen  Keramik  (Petrie,  Decorative  Art  Fig.  170)  auf,  um  dann  niemals  wieder 
ganz  zu  verschwinden.  Dennoch  gehört  es  nicht  zu  den  charakteristischen  ägyptischen 
Ornamenten,  wohl  aber  zu  den  für  hethitisch-syrische  Kunst  bezeichnenden  (Furt- 
wängler,  Gemmen  III  8)  •). 

Darf  man  sonach  das  Flechtband  zu  den  verbreitetsten  Ornamenten  der  ganzen 
Gruppe  rechnen—  nurauf  den  italischen  Stücken  fehlt  es —,  so  steht  im  Gegensatz  dazu 
der  Zackenstern,  wie  er  die  Mitte  der  in  Athen  aufbewahrten  Olympiaschale  D  3,  dann 
wiederum  die  Mitte  derNimrudschaleLayardTaf.  61  A  und  der  ebendaher  stammenden 
Schale  Perrot-Chip.  II  741  einnimmt.  Zwischen  den  Zacken  des  großen  Sterns 
(es  sind  bald  7,  bald  8)  finden  wir  in  Kreise  eingeschriebene  Rosetten  oder  kleinere 
Zackensterne.  In  der  einen  oder  anderen  Variation  liegt  dies  Motiv  auch  den  Mittel- 
stücken der  Schalen  Layard  a.  a.  0.  Taf.  57  B,  E,  58  E,  59  B,  C  zugrunde.  Von 
jener  einen  Ausnahme  abgesehen  kommt  das  Motiv  außerhalb  Nimruds  auf  den 
Schalen  nicht  vor.  Es  ist  gut  assyrisch,  wie  die  Funde  im  Schuschinaktempel  von 
Susa  (de  Morgan,  Delegation  en  Persc  VII  Taf.  XII  72  f.)  und  die  Abbildungen 
bei  Meißner,  Grundzüge  der  Plastik  Abb.  116,  134,  vgl.  auch  120,  Perrot-Chip.  II 
Fig-  352'),  zeigen.  Neben  den  Stern  tritt  auf  den  herangezogenen  Bildern  mehrfach 
eine  in  den  Kreis  beschriebene  Rosette  mit  spitzigen  Blättern.  Sie  erscheint  auf  den 
Nimrudschalen  Layard,  Monuments  II  Taf.  63,  wo  sie  noch  ganz  den  Charakter  einer 
geöffneten  Nymphaea  Lotos  trägt  3),  68  unten  rechts.    Diese  Form  ist  Bronzi  Cretesi 


')  Die  Auflösung  des  Flechtbandes  in  tangierte 
Kreise  oder  in  Punktlinien  kann  man  bei  den 
kretischen  Schilden,  den  Schalen  von  Nimrud, 
den  kyprischen  Stücken  (z.  B.  E  3  aus  Kurion) 
verfolgen  bis  in  die  griechischen  Stücke  hinein. 
Während  auf  den  beiden  Schalen  von  Olympia 
das  Flechiband  seine  Form  noch  einigermaßen 
bewahrt  hat,  wie  auf  einigen  kretischen  Schilden, 
ist  bei  der  delphischen  Schale  die  Auflösung 
weiter  fortgeschritten,  noch  weiter  bei  andern 
kretischen  Schilden,  und  auf  dem  von  Poulsen, 
Orient  usw.  Abb.  86,  mit  Recht  in  diesen  Zu- 
sammenhang gezogenen,  übrigens  rein  griechischen 
rhodischen  Teller  nehmen,  genau  wie  bei  den 
Schalen  aus  Kition,  punktierte  Kreise  den  Platz 
der  Flechtbänder  ein.  Andere  kyprische  Schalen, 
2.  B.  die  Schalen  von  Kurion  E  6,  7,  8,  auch  10 
oder  aus  Idalion?  E  3,  die  Schale  von  Amathus 
F4  zeigen  das  FIcchtband  in  voller  Strenge.  Auf 
den  in  Italien  gefundenen  Schalen  ist  es  gar  nicht 


zur    Rosette   werden   kann. 


oder  nur  in  dem  gänzlich  aufgelösten  Zustand  eines 
Kugelbandes  oder  eines  Wellenbandes  zu  finden. 

)  Poulsen  Zitat  S.  10  Anm.  1  ist  falsch.  Sollte 
er  das  bei  Meißner,  Plastik  Abb.  141,  wieder- 
gegebene Bruchstück  im  Auge  haben,  so  sind  dessen 
Rosetten  doch  nur  sehr  bedingt  vergleichbar. 
Da  es  sich  um  kretisches  Vorkommen  handelt,  sei 
auf  die  Bronzi  Cretesi  Taf.  VIII  sehr  ähnlichen 
Blütensterne  auf  den  Goldblechen  der  mykenischen 
Schachtgräber  (z.  B.  Streng,  Rosettenmotiv 
13  ff.)  hingewiesen.  Der  Zackenstern  kommt 
nicht     vor. 

j)  Es  wird  kein  Zufall  sein,  daß  auf  dieser  ägyp- 
tisierenden  Schale  die  Stilisierung  der  Blüte 
gleichfalls  ganz  ägyptisch  geraten  ist,  wie  ein 
Vergleich  mit  den  Blüten  auf  dem  Grund  ägyp- 
tischer Fayenceschalen  des  Neuen  Reichs  Petrie, 
Illahun  Taf.  XVII,  Wallis,  Egypt.  Ceramic  art  I 
Taf.  V,  VI  zeigt.  Aus  den  zuletzt  genannten 
Beispielen  karm  man  sehen,  wie  eine   Lotosblüte 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  2S5 


Taf.  VIII  nachweisbar,  wo  übrigens  das  sie  umgebende  Ornament  am  ehesten  an  den 
assyrischen  Stern  erinnert,  dann  auf  dem  rhodischen  Teller  Poulsen,  Orient  87. 

Die  Mitte  des  Sternes  von  Layard  a.  a.  0.  Taf.  61  A  wird  von  einem  Blütennelz 
eingenommen.  Ein  solches  Netz  füllt  Taf.  62  A  die  ganze  Mitte  der  Schale  genau  wie 
auf  der  Schale  ausKition(?)E  i.  Anderswo  tritt  das  Netz  nicht  auf,  aber  als  ein  gut 
assyrisches  Ornament  wird  es  durch  sein  Vorkommen  auf  der  Schwelle  Sargons 
Perrot-Chip.  II  250  und  sonst  (z.  B.  a.  a.  0.  Taf.  X)  erwiesen.  Freilich  der 
Ursprung  auch  dieses  Musters  geht  auf  Ägypten  zurück  (Jequier,  Decoration  ^gypt. 
Taf.  XV  f.,  XXXIII),  seine  Ausbildung  in  der  hier  vorliegenden  Weise  scheint  aber 
assyrisch.  In  der  kretischen,  griechischen,  italischen  Gruppe,  der  kyprischen  bis  auf 
den  einen  Fall  kommt  das  Ornament  nicht  vor  —  vielleicht  weil  es  in  der  assy- 
rischen Kunst  noch  sehr  modern  war  und  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Typenschatzes 
unserer  Schalen  dort  keine  Verbreitung  gefunden  hatte. 

Auf  der  Nimrudschale  Layard  Taf.  62  A  wird  der  ganze  breite  Rand  einge- 
nommen von  vier  übereinander  gesetzten  Bändern  »phoinikischer«  Palmetten.  Diese 
gehören  nicht  zum  gewöhnlichen  Bestand  der  assyrischen  Ornamentik:  auf  Andraes 
Tafeln  farbiger  Keramik  kommen  sie  nicht  vor,  ebensowenig  in  Owen  Jones,  Grammar 
of  Ornament.  Auf  den  in  Kypros  gefundenen  Schalen  sind  sie  beliebt:  auf  der  einen 
Schale  ausKition(.''),  E  i,  auf  den  Schalen  von  Kurion  E  6  und  8,  auf  der  Schale  von 
Amathus  E  4.  Auf  den  kretischen  Bronzen  fehlt  sie,  unter  den  Schalen  des  griechischen 
Festlands  finden  wir  sie  in  etwas  verflachter  Form  auf  dem  Bruchstück  von  der  Akro- 
polis  D  4  (Journ.  Hell.  Stud.  XIII  248),  die  in  Italien  gefundenen  Gefäße  zeigen  sie 
nicht  mit  einziger  Ausnahme  der  Silberschale  von  Vetulonia  F  c  1 1  Martha,  L'art 
Etrusque  115  aus  der  Tomba  del  Duce,  und  des  Goldpektorals  aus  dem  Regulini- 
Galassigrab  a.  a.  O.  III.  Das  ist  um  so  auffälliger,  als  die  Palmette  zuweilen  auf 
Buccherogefäßen  und  andern  in  etruskischen  Gräbern  gefundenen  Gegenständen 
(Poulsen,  Orient  usw.  Abb.  143,  147,  149,  150)  erscheint.  Die  eigentliche  Heimat 
dieser  Palmettc  ist  Phoinikien  (und  Kypros):  wir  sehen  es  an  den  Pfeilerkapitellen 
(z.  B.  Perrot-Chip.  III  Fig.  52,  53,  1^2),  auf  dem  Sarkophag  von  Amathus  (a.  a.  O. 
608  f.),  in  gleicher  friesartiger  Verwendung  auf  dem  Relief  a.  a.  0.  Fig.  81,  der  Stele 
Fig.  76,  wo  auch  noch  die  auf  den  Schalen  wiederkehrende  Kontamination  mit  dem 
»heiligen  Baum«  zu  finden  ist.  Das  Ornament  füllt,  genau  wie  auf  den  Schalen,  ein  großes 
Feld  auf  der  Alabasterstele  von  Aradus  a.  a.  0.  Fig.  -jt,.  Wir  begegnen  ihm  in  einer 
Variante  auf  dem  Kapitell  aus  Kypros  a.a.  0.  Fig.  361  und  in  seiner  ursprünglichen 
Form  auf  einer  Reihe  sardinischer  Schmuckstücke  und  geschnittener  Steine  (Perrot- 
Chip.  III  Fig.  180,  444,  445;  Furtwängler,  Gemmen  Taf.  XV  i,  LXIV  l)  unbekannter 
Herkunft.  Auch  die  sardinischen  Tonplatten  Perrot-Chip.  III  Fig.  480/1  dürfen 
hier  genannt  werden.  Gewiß  kann  man  die  Anfänge  des  Motivs  bis  in  die  ägyptische 
Ornamentik  aus  dem  Anfang  der  XVI II.  Dyn.  zurückverfolgen').  Auch  in  assyrischen 
Ornamenten  wie  Andrae,  Farbige  Keramiken  Taf.  I  ff.,  XXI  f.-  mag  man  Vorstufen 


•)   S.  die  von  mir,  Anteil  der  ägyptischen  Kunst  79,  bequem  bei  Hunger-Lamcr,  Altor.  Kultur  Taf.  33, 

beigebrachten  Zeugnisse,   von  denen   eines  jetzt  zugänglich  ist. 


2?6  *"■■•  W.  Frhr.  v.  BUsing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikUchen«  Metallsohalen. 


oder  Seitentriebe  sehen:  die  Heimat  der  entwickelten  Form  kann  kaum  anderswo 
als  in  Phoinikien,  anscheinend  nicht  einmal  auf  Kypros,  gesucht  werden  ')• 

Weniger  zuversichtlich  können  wir  über  den  Palmettenlotosfries  urteilen, 
der  auf  den  Schalen  aus  Nimrud  Layard  a.  a.  0.  Taf.  57  A,  68  unten  Mitte  auftritt, 
auf  den  kretischen  Bronzen  fehlt,  ebenso  auf  den  Schalen  vom  griechischen  Fest- 
land und  von  Kypros  und  den  italischen.  Es  verdient  Beachtung,  daß  ein  in  der 
ägyptischen  wie  in  der  assyrischen  Kunst  vor-,  wenn  auch  mindestens  in  ersterer  nicht 
ausgebildetes  Motiv»),  hier  noch  ganz  spärlich  und  nur  in  einer  Fundgruppe  Ver- 
wendung findet,  während  es  bald  danach  zu  den  üblichsten  Verzierungen  der  ar- 
chaisch-griechischen Kunst  gehört  3).    Häufiger  treffen  wir  den  einfachen  Palmetten. 


■)  Ich  urteile  also  heute  anders  als  Anteil  der  ägyp- 
tischen Kunst  79.  Dussauds  Ausführungen 
in  der  zweiten  Auflage  seiner  Civilisations  pre- 
helleniques  321  ff.  haben  mich  nicht  über- 
zeugt, er  geht  z.  T.  von  falschen  ägyptischen 
Mustern  aus,  die  üräen  haben  hier  gar  nichts 
zu  suchen.  Das  »Kapitell«  von  Teil  Mut  csellim 
kann  trotzdem  noch  immer  von  den  kyprio- 
tischen  abhängen,  diese  spezielle  Form  auf 
Kypros  entstanden  sein.  Die  ägyptischen  Bei- 
spiele hat  übrigens  in  für  damals  ausgezeichneter 
Weise  Sybel,  Kritik  des  ägyptischen  Ornaments 
25  {.,  behandelt.  Er  hat  auch  bemerkt,  daß 
in  dem  jetzt  bei  Poulsen,  Orient  usw.  48,  wieder- 
gegebenen Elfenbeinrelief  aus  Nimrud  Elemente 
der  phoinikischen  Palmette  vorliegen,  noch 
versteckter  in  dem  Gegenstück  a.  a.  0.  49,  beide 
dem  »Kapitell«  Perrot-Chip.  III  535  ver- 
wandt. Die  Behandlung  bei  Riegl,  Stilfragen 
102  £E.,  ist  unzureichend.  Für  den  phoinikischen 
Ursprung  der  Palmette  läßt  sich  auch  ihr  Vor- 
kommen auf  Fundstücken  aus  Spanien  und 
Karthago  anführen:  Antonio  Vives  y  Escudero, 
La  necropoU  di  Ibiza  171,  Taf.  XXV  14,  17, 
LH,  iS.  133.  LXXXVIII  2,  3,  S.  159,  stark 
gräzisiert;  ferner,  Revue  Arch^ol.  II  1899,  155, 
250  f.,  289,  alles  Elfenbeine.  Wenn  die  »kyprische« 
Inschrift  auf  der  Elfenbcinpy,\is  des  Regulini- 
Galassigrabes  (Poulsen  Abb.  143  f.,  vgl.  S.  129) 
wirklich  vom  Erzeuger  aufgesetzt  ist,  so  besagt 
sie  noch  nichts  für  die  Herkunft  der  gerade  bei 
diesem  Stück  (als  Krone  einer  Sphinx  1)  höchst 
seltsam  verwandten  Palmette.  Auf  dem  Fayence- 
gefäß aus  Vulci,  das  nach  dem  Material  wohl 
sicher  nicht  in  Italien  gearbeitet  sein  wird,  hat 
die  Palmette  eine  starke  Umbildung  erfahren. 
Ist  übrigens  die  Gleichheit  des  Motivs  zwischen 
dem  Löwen?  auf  dem  Fayencegefäß  und  dem  bei 
v.   Luschan,   Die  ionische   Saulc   30  ■/..  B.  abge- 


bildeten Relief  aus  Persepolis  bemerkt  worden? 
Delbrück,  Arch.  Anz.  1910,  183  f.,  hebt  mit 
Recht  die  Verwandtschaft  der  elfenbeinernen 
Gefäßformen  aus  der  Tomba  Bernardini  mit  den 
Buccherogefäßen  hervor  und  scheint  geneigt, 
an  italischen  Ursprung  zu  denken.  Auf  den 
Silberblechen  der  Tomba  Bernardini  (Memoirs 
American  Academy  Rome  III  Taf.  31  f.),  die 
wohl  vom  Beschlag  eines  Kastens  herrühren, 
findet  sich  die  vollständige  Pahnette  und  Or- 
namente, die  aus  den  Voluten  zusammengesetzt 
sind,  die  Palmette  auch  auf  dem  Henkel  a.  a.  0. 
Taf.  27,  2  =  Poulsen,  Orient  usw.  Abb.  133, 
auch  nach  Poulsens  Ansicht  ein  in  Etrurien 
gearbeitetes  Stück.  Die  Reliefs  sind  in  dem  den 
Bronzehenkel  verkleidenden  Silberblech  getrieben, 
eine  primitive  .\rbeitsweise,  in  der  man  massiv 
silberne    Vorbilder    offenbar    nachahmte. 

»)  Für  Ägypten  genügt  es  auf  Petrie,  Decorativc  art 
Fig.  Jigff.  zu  verweisen.  Eins  der  ältesten  Beispiele 
des  Bogenfrieses  gibt  wohl  das  Siegel  Petrie, 
lUahun,  Taf.  X  160  (ein  Knoten  zwischen  zwei 
Lotosblüten).  Dasselbe  Motiv  auf  Skarabäen 
der  Zeit  Tuthmosis'  III.  Petrie  a.  a.  0.  Taf.  XXVI 
25,  28,  wo  der  Knoten  schon  Knospengestalt 
angenommen  hat.  Für  Assyrien  vgl.  Andrae, 
Farbige  Keramik  Taf.  2,  wo  der  Wechsel  zwischen 
Lotosblüte  und  Palmette  leidlich  gesichert  scheint. 
Die  Datierung  um  1200  v.  Chr.  kann  kaum  be- 
stritten werden.  Mithin  wäre  damals  die  Zier- 
form ausgebildet  gewesen,  für  die  wir  später(Andrae 
a.  a.  O.  Taf.  33)  scheinbar  weniger  entwickelte 
Formen  besitzen. 

3)  S.  die  Ausführungen  von  Johansen,  Les  Vases 
Sicyoniens  115  ff.,  der  nur  m.  A.  n.  unglücklich 
in  der  Wahl  des  Ausdrucks  »Eichel«  für  das 
S.  59  f.  behandelte,  S.  60  Abb.  1 — 3  wieder- 
gegebene Ornament  war.  Es  entstammt  einer 
naturalistischen  Lotosblüte  ägyptischer  Wieder- 


Fr.  W.  Frhr.  V.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  2^7 


bogenfries:  Layard,  Monuments  II  Taf.  58  C,  D,  F;  59  C;  63,  68  passim.  Es  wird 
kein  Zufall  sein,  daß  er  auf  den  stilistisch  mit  der  Schale  Taf.  63  so  nah  verwandten 
Schalen  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  wieder  vorkommt,  in  einer  klobigen  Variante  auch 
a.  a.  0.  Taf.  X  4.  Die  Stelle  des  Palmettenbogenfrieses  nimmt  auf  den  kretischen 
Bronzen  der  Lotoshogenfries  ein,  sei  es  von  Knospen  (Bronzi  Cretesi  Taf.  I),  sei  es 
von  Blüten  (a.  a.  0.  Taf.  VII,  IX).  Auf  den  Nimrudschalen  findet  er  sich  nicht, 
obwohl  seine  Elemente  vorkommen  (Taf.  57  A  s.  oben)  und  in  der  assyrischen  Kunst 
gerade  der  Sargonzeit,  allerdings  mit  Wechsel  von  Blüte  und  Knospe,  Lotosbogen- 
friese  bekannt  sind  (Owen  Jones,  Grammar  of  Ornaments  Taf.  XI;  Perrot-Chip.  II 
251,  320;  Andrae,  Farbige  Keramik  Taf.  11  ff.,  19).  Die  anderen  Fundgruppen 
kennen  den  Fries,  der  im  letzten  Grund  wieder  auf  ägyptische  Vorbilder  zurückgeht, 
nicht,  mit  Ausnahme  der  Schale  aus  Kition  Ei.  Auch  die  Lotosblüte  als  selbständiges 
Ornament,  wie  wir  sie  in  Kreta  (Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  2,  IX  l,  X  4, 2  (.?.?)  und  vielleicht 
Taf.  II  rechts')  beobachten,  tritt  uns  auf  den  Nimrudschalen  nicht  entgegen.  Auf 
der  Schale  von  Olympia  D  3  hält  die  eine  Sitzende  eine  Lotosblüte,  ebenso  auf  der 
Schale  aus  Kypros  E  8,  E  3,  wo  vielleicht  auch  die  säulenartigen  Pflanzen  im  Hintergrund 
Lotosblüten  tragen  sollen  *).  Vereinzelt  kommt  eine  naturalistisch  gebildete  Nym- 
phaea  caerulea  auf  E  l  vor.  Häufiger  tritt,  bald  naturalistisch  behandelt,  bald  stili- 
siert, der  Papyros  auf.  Wir  treffen  ihn  auf  den  Nimrudschalen  Layard,  Monuments  II 
Taf.  57  E;  58  A,  F;  63;  68  oben  Mitte,  der  Tasse  57  C,  wozu  noch  die  zweifelhaften 
Fälle  Taf.  59  D  und  68  unten  Mitte  kommen.  Dies  ist  um  so  bemerkenswerter,  als 
der  Papyros  in  der  assyrischen  Ornamentik  keine  Rolle  spielt,  auch  nicht  in  der  land- 
läufigen phoinikischen,  aber  in  die  kretisch-mykenische  Aufnahme  gefunden 
hat.  Auf  den  kretischen  Schilden  glaube  ich  ihn  Taf.  III  deutlich  in  üblicher  ägyp- 
tischer Stilisierung  (als  Wappenpflanze  des  Nordens)  zu  erkennen:  die  Sphingen 
scheinen  Dolden  zu  pflücken,  stilisiert  findet  er  sich  dann,  wieder  mit  Layard  a.  a.  0. 
Taf.  63  in  Übereinstimmung  auf  der  Schale  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI  i.  Die  Schalen 
des  griechischen  Festlandes  bieten  ihn  nicht,  von  den  kyprischen  könnte  er  (in  der 
Variante  des  Cyperus  alopecuroides)  dem  zweiten  Fries  der  Schale  von  Kition  (.?)  Ei 
zugrunde  liegen,  ferner  scheint  er  aufE  11  vertreten.  Zweifellos  ist  er  auf  den  beiden 
Schalen  aus  Kurion  E  9  und  10,  sowie  der  Schale  Myres,  Cesnola  Coli.  4553,  Ei 2. 
Dabei  wiederholt  sich  auf  den  kyprischen  Stücken,  was  bei  den  Schalen  aus 
Nimrud  auffällt,  daß  kein  fester  Typus  ausgeprägt  ist.  In  durchaus  ägyp- 
tischer Weise  stilisiert  finden  wir  ihn  auf  drei  Schalen  der  italischen  Gruppe, 
der  Schale  aus  Praeneste  Fai  und  der  aus  Salerno  F  d  10,  ferner  auf  der 
von  Caere  F  c  8.  Stets  sind  damit  im  engeren  Sinn  ägyptische  Bilder  (Horus  auf 
der  Lotosblüte  und  Pferde  auf  der  Schale  von  Salerno;   eine  Kuh,  die  ein  Kalb 


gäbe.      Siehe  auch  die  Palmettenlotosfriese  der  beinrelief     aus    Nimrud    Layard,'  Monuments    I 

Simse    von    Selinunt    41.    Berl.   Winckelmanns-  Taf.  88,   l,  British  Museum  guide  Taf.  41,   10. 

Programm  Taf.  II.  ^)  Im    Zusammenhang    der    mythologischen  Dar- 

Man  könnte  hier  allenfalls  an  Papyros  denken,  Stellung,   Horus   auf   der   Lotosblüte,   findet   sie 

doch  die   Form   des   Stengels    spricht    dagegen.  sich  auf  der  Schale  von  Salerno  F  d  10. 
Lotes  in  Verbindung  mit  Papyros  auf  dem  Elfen- 


2  38  ^'-  W-  ^'^'-  ^'-  B'ssing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen. 


säugt,  auf  der  von  Caere  und  auf  der  kyprischen  E  12,  wo  abwechselnd  Kuh  mit 
Kalb,  Stute  mit  Füllen  dargestellt  sind;  Isis,  die  den  Horus  säugt,  auf  der  Schale  der 
Tomba  Bernardini    F  a  i  ')  verbunden. 

Von  den  Einzelheiten,  die  uns  bisher  beschäftigt  haben,  wenden  wir  uns 
zum  Schluß  der  Betrachtung  der  Komposition  der  Schalen  als  ganzem  und  der 
sie  beherrschenden  Dekorationsprinzipien  zu.  In  Ägypten  war  zuerst  die  Weise 
ausgebildet,  das  Innere  der  Schalen  mit  in  konzentrischen  Kreisen  angeordneten  Orna- 
menten zu  schmücken.  Als  Mittelpunkt  des  oder  der  Ornamentkreise  diente  entweder  ein 
kleiner  Buckel  respektive  eine  Rosette,  oder  eine  größere  Blüte  ^).  Dies  selbe  Prinzip 
finden  wir  bei  den  meisten  der  Nimrudschalen:  Layard,  Monuments  II  Taf.  57  A, 
B,  D,  E;  58  A,  C— F;  59  A— E;  60;  61  A;  62  A,  B;  63;  64;  65;  68,  wobei  das  Ver- 
hältnis von  Mittelornament  und  Randornament  veränderlich  ist.  Von  den  Tassen 
sehen  wir  hier  ab.  Sie  folgen  aber  im  ganzen  dem  gleichen  Prinzip.  Unter  den  kreti- 
schen Bronzen  treffen  wir  es  wieder  auf  den  Schalen  Bronzi  Cretesi  Taf.  VI,  den 
Schilden  Taf.  VII,  VIII;  über  einige  der  Schilde  und  die  Schalen  von  der  Akropolis 
(D4),  von  Olympia  (D2)  ist  kein  sicheres  Urteil  möglich.  Die  andere  Schale 
von  Olympia  (D3),  die  Schale  von  Delphi  (Di)  und  wohl  beide  Schilde  von  Van 
folgen  demselben  Dekorationssystem,  dem  sich  unter  den  kyprischen  Schalen 
die  Schalen  aus  Kition  (Ei),  aus  Amathus  (E  4),  aus  Idalion  (E  3),  die  Schalen 
aus  Kurion  E  9  und  10,  ferner  die  Schale  der  Cesnola  Collection  Eil,  unter  den 
italischen  Funden  einzig  die  Tasse  der  Tomba  Bernardini  (Fa4),  am  besten  Memoirs 
Americ.  Acad.  III  Taf.  19  anschließen.  Dies  Dekorationssystem  ist  dann  festge- 
halten bei  der  Außendekoration  der  hier  Abb.  5 — 6  veröffentlichten  ägyptischen 
Fayenceschale  und  den  oben  S.  I90f.  aufgeführten  Stücken  sowie  bei  den  oben  unter  G 
zusammengestellten   »Vorläufern  und  Nachwirkungen«. 

Auf  der  Mehrzahl  der  ägyptischen  Fayenceschalen  und  Teller  herrscht  aber  ein 
anderes,  bisher  in  Metall  im  Nilland  nicht  nachgewiesenes  Prinzip:  ein  Bild  füllt  das 
ganze  Innere.  Den  Übergang  von  der  einen  Art  zur  anderen  mag  man  erblicken  in 
Gefäßen  wie  Petrie,  lllahun  Taf.  XVII  44,  wo  eine  weitgeöffnete  Lotosblüte  den 
ganzen  Grund  einnimmt,  eingefaßt  von  einem  bescheidenen  Band.  Auch  die  häufigeren 
Fälle,  wo  ein  Wasserbecken  die  Mitte  der  Komposition  einnimmt,  aus  dem  Blumen 
sich  über  die  Schale  ausbreiten,  zwischen  denen  dann  wohl  Fische  schwimmen  (Wallis, 
Egypt.  Ceram.  Art  I  Taf.  VII,  Fig.  12;  v.  Bissing,  Fayencegefäße  Kairo  Nr.  3683), 
wird  man  zu  den  Übergangsformen  rechnen.  Meistens  aber  füllt  ein  Bild  oder  eine 
Szene  die  ganze  Fläche,  nur  von  einem  schmalen  Band  am  Rand  eingefaßt.  Die  bei 
den  Nimrudschalen  und  einigen  kyprischen  Stücken  mit  Mittelbild   (E  15)  zu  be- 


')  Genau  so  säugt  Isis  stehend  den  stehenden  Horus  bar  die  Fayenceschalen  bei  Wallis,  Egyptian 
—  ein  gut  ägyptisches  Schema  —  im  Papyros-  Ceramic  art  I  Taf.  V,  VI.  Eine  Blüte  als  Mittel- 
dickicht auf  dem  Mittelbild  der  Schale  E  13  in  stück  z.  B.  von  Bissing,  Fayencegefäße  Kairo  Nr. 
der  Cesnola  Collection.  3708.  Im  Gegensatz  zu  fast  allen  erhaltenen  Metall- 

')  Beispiele    im    J.  d.  I.    XIII    1898    Taf.  2,    S.  35,  gcfäßen  zeigen  die  Fayenceschalen  innen  und  außen 

Arch.  Anz.    1898,    147,    J.  d.  I.    XXV   1910,    197.  Verzierung. 
Nachahmungen  metallener  Vorbilder  bieten  ollen- 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  >phoimkischen«  Metallschalen.  23O 


obachtende  Neigung,  viel  von  der  glatten  Fläche  des  Gefäßes  sehen  zu  lassen,  ist 
den  meisten  ägyptischen  Schalen  vollkommen  fremd.  Selbst  bei  den  unter 
Tuthmoses  III.  datierten  Gold-  und  Silberschalen  (Vernier,  La  bijouterie  et  lajoaillerie 
Taf.  XX;  Chabas,  Oeuvres  I  225;  Deveria,  Memoires  I  44)  und  der  von  mir  im 
J.  d.  I.  XIII  1898  veröffentlichten  Bronzeschale  nimmt  der  figürliche  Schmuck  ver- 
hältnismäßig eine  viel  größere  Fläche  ein  als  bei  vielen  der  Schalen  von  Nimrud. 
Der  ägyptischen  Gewohnheit  folgen  fast  sämtliche  in  Italien  gefundenen  Stücke, 
die  kretischen  Bronzen,  die  Schilde  von  Van,  offenbar  auch  die  auf  dem  griechischen 
Festland  gefundenen  Stücke  und  die  Mehrzahl  der  aus  Kypros  stammenden.  Die 
italischen  Stücke,  die  Schalen  aus  Kypros  E  2,  E  4,  E  5,  E  7,  E  8,  E  12,  E  14  zeigen 
in  der  Mitte  in  der  Regel  mehrfigurige  Szenen,  wie  sie  in  gleicher  Weise  auf  den  ägyp- 
tischen Schalen  nicht  gefunden  werden,  wohl  aber  in  der  Dekoration  der  oben 
S.  191  ff.  zusammengestellten  ägyptischen  Denkmäler  vorkommen.  Figurenreiche 
Mittelstückc  sind  die  Regel  auf  'den  Schilden  der  Zeusgrotte  und  von  Palaikastro, 
wo  zuweileneinLöwenkopf  oder  Adler  den  dann  stark  plastisch  hervortretenden  Mittel- 
punkt abgibt,  um  den  die  Figuren  sich  drängen.  Unter  den  Schalen  von  Nimrud  steht 
diesen  Schalen  nur  Layard  a.  a.  0.  Taf.  65  wirklich  nahe.  Die  Schale  a.  a.  0.  Taf.  67 
mit  ihrem  Gewirr  von  Figuren,  das  an  hocharchaische  Kompositionen  erinnert, 
hat  im  ganzen  Bereich  der  Monumentengruppe  nicht  ihresgleichen,  steht  auch  in 
typologischer  Hinsicht  ziemlich  vereinzelt.  Die  beiden,  näher  verwandten  Schalen 
a.  a.  0.  Taf.  66  und  61  B  mit  den  Gebirgsdarstellungen  in  ausgesprochen  assyrisch- 
phoinikischem  Charakter  weisen  einen  unregelmäßig  geformten  ornamentalen  Mittel- 
punkt auf,  der  sie  zwischen  die  beiden  großen  Gruppen  stellt.  Bei  beiden  wird  man  aber 
noch  eines  anderen  Dekorationsprinzips  gewahr,  das  auf  ägyptische  Vorbilder  zurück- 
zuführen scheint:  der  Vierteilung,   seltener  Fünfteilung,   der  Verzierung. 

Sie  ist  am  auffälligsten  bei  einem  Stück  wie  der  kyprischen  Schale  E  10,  aber 
nicht  minder  deutlich  bei  der  Schale  ausOlympia  D  3,  der  Schale  aus  Palestrina  F  a  l, 
der  Schale  von  Salerno  F  d  10.  Unter  den  Nimrudschalen  erscheint  sie  am  ausgeprägtesten 
auf  Taf.  63  und  entsprechend  bei  den  kretischen  Schalen  Taf.  VI  ^).  Man  kann  das 
Prinzip  auch  auf  der  Bodendarstellung  des  Kessels  von  Palestrina  (Fa3)  wieder- 
erkennen —  lauter  stark  ägyptisierenden  Stücken.  An  Stelle  der  Vierzahl  tritt  ge- 
legentlich die  Fünfteilung:  Layard,  Monuments  II  Taf.  66,  aus  der  kyprischen 
Gruppe  die  Schalen  E  il,  E  12,  ES  (allerdings  mit  ungleichmäßiger  Aufteilung, 
ähnlich  wie  bei  dem  Kessel  von  Palestrina).  In  sechs  ungleichmäßige  Abstände  ist 
jeder  der  Ornamentstreifen  der  kyprischen  Schale  E  9  geteilt,  die  im  Verhältnis  der 
liegenden  Hirsche  und  Vögel  zu  den  Papyris  ganz  vereinzelt  steht. 

Zur  Verdeutlichung  der  Einteilung  dienen  in  den  Fällen,  wo  die  Gruppen  enger 
aneinander  rücken  —  und  die  Tendenz  der  Entwicklung  scheint  nach  dieser  Richtung 
zu  weisen  —  Pflanzen.  So  auf  der  Schale  E  8  »heilige  Bäume«  in  der  speziell  phoiniki- 
schen  Form,  auf  der  Schale  aus  Palestrina  F  a  i  Papyrosbüsche  mit  Isis,  die  den 


')  Ist  CS  Zufall,  daß  gerade  ein  aus  Ägypten  stam-  die   ausgesprochene   Vierlcilung  zeigt?     Bessert, 

mendcr     llolzdcckel     kretischer     Fonncngebung  Altkreta   Fig.   35". 


240  ^r-  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischenc  Metallschalen. 


Horus  säugt,  auf  dem  Kessel  von  Palestrina  F3  Palmen.  Wir  fanden  auf  den 
oben  S.  191  behandelten  späteren  ägyptischen  Vasen  bereits  den  Gebrauch,  zwischen 
die  Tierreihen  Pflanzen  einzustreuen.  Wir  beobachten  ihn  auf  den  Nimrudschalen 
Taf.  57  C;  58  A,  F;  60;  66,  auf  der  einen  Tasse  Taf.  68,  ferner  Bronzi  Cretesi  Taf.  IX, 
X  2,  4');  die  kyprischen  Schalen  E  I,  E  2  gehören  hierher  und  von  den  italischen 
der  Kessel  der  Tomba  Bernardini  Fa3,  die  Tasse  desselben  Grabes  Fa  4,  die  Tasse  und 
eine  der  Silberschalen  aus  Caere  (Fol  und  Fe  8).  Auchauf  dem  Bruchstück  des  Silber- 
napfes vonVetulonia(Fell)mag  man  das  Prinzip  noch  verfolgen.  Vielfach  stellt  es 
nichts  anderes  dar  als  eine  gefällige  Unterbrechung  der  endlosen  Tierreihen,  denen 
•wir  immer  wieder  begegnen.  Sie  setzen  sich  bald  aus  völlig  gleichen  Tieren  (oder 
auch  seltener  Menschen)  zusammen,  bald  aus  wechselnden,  aber  dem  Schema  nach 
gleichartigen  Typen.  Die  archaische  ägyptische  Kunst  hatte  solche  Reihen  gekannt, 
die  spätere  verwendet  sie  selten.  Eines  der  markantesten  Beispiele  aus  späterer 
Zeit  bietet  wohl  das  Halsband  der  Königin  Aahhetep  in  der  im  wesentlichen  ge- 
sicherten Rekonstruktion  in  meinem  »Grabfund  aus  dem  Anfang  des  Neuen  Reichs« 
Taf.  VIII,  IX.  Die  dort  im  Text  angeführten  Beispiele  zeigen,  daß  die  Anordnung  im 
Schmuck  des  Neuen  Reichs  beliebt  blieb.  Wir  finden  sie  auch  auf  den  in  Stein 
geschnitzten  Kohlbüchsen  der  XVIII.  Dynastie,  von  denen  Wallis  eine  Anzahl 
Egypt.  Ceram.  Art  i  Taf.  VIII  8  und  S.  14  abbildet.  Auf  manchen  Nimrudschalen, 
z.  B.  Layard  a.  a.  0.  Taf.  59  A,  nicht  ganz  so  arg  Taf.  61  A  häufen  sich  die  kleinen 
Tierfiguren  zu  Hunderten.  Dafür  gibt  es  Analogien  eigentlich  nur  auf  dem  Napf 
von  Vetulonia  F  c  1 1  in  den  beiden  an  Hieroglyphenzeilen  erinnernden  schmalen  Streifen, 
und  auf  den  etruskischen(.'')  Schmucksachen  der  Tomba  Bernardini  und  des  Regulini- 
Galassigrabes  *).  Sehr  seltsam  wirkt  die  Einschließung  der  kleinen  Tiere  in  ein  assy- 
risches Zinnenmuster  auf  der  Schale  aus  Nimrud  Layard  Taf.  57  E.  So  sehr  bevor- 
zugt dieser  Stil  die  Reihung  der  Figuren,  daß  er  auf  das  Dach  des  assyrischen 
Tempelchens,  in  dem  Layard  a.  a.  0.  Taf.  63  die  geflügelten  Greifen  stehen,  rechts 
und  links  von  einer  einigermaßen  ägyptisch  aufgefaßten  geflügelten  Sonnenscheibe 
Reihen  von  Enten  anordnet,  etwas  in  ägyptischer,  aber  wohl  auch  in  mesopota- 
mischer  Kunst  Unerhörtes.  Unwillkürlich  aber  wird  man  an  die  Vogelfriese  ge- 
wisser melischer  Vasen  erinnert,  zu  denen  auch  sonst  aus  dem  Kreis  unserer  Schalen 
manche  Beziehungen  laufen  3). 

Eine  Besonderheit  der  Nimrudschalen  sei  hier  noch  angemerkt,  die  auf  keinem 
Stück  der  anderen  Gruppen  wiederkehrt,  das  Einschließen  der  Tiere  in  den  Friesen 


')  Die  Bronzi  Cretesi  Taf.  II,  III,  X  4  eingestreuten  Fortleben  solcher  Formen  in  der  »illyrischen« 
Streublüten,  Palmettcn  usw.  gehören  im  weiteren  Kunst  der  Situlen  (Bertrand-Reinach,  Les  Celtcs 
Sinn  auch  hierher.  Das  Motiv  der  »raumfullenden  et  les  Gaulois  dans  les  vall^es  du  Po  usw. 
Pflanzen«  hat  Studniczka  J.  d.  I.  XVIII  1903,  137  95!!.)  kann  hier  nicht  eingegangen  werden, 
gestreift  und  mit  allerhand  Beispielen,  vornehm-  3)  S.  etwa  die  oft,  zuletzt  bei  Balis,  Kunst  des  Alter- 
lich italischer  Herkunft,  belegt.  tums    44     wiedergegebene     Vase.        Man     vgl. 

>)   S.  Memoirs.\mcricanAcadcmyRome  ITaf.  lOlt ,  damit  die  kyprischc   Schale   E  3,   E  6,   vielleicht 

IIITaf.  I(d.  i.  i)ff.,  vgl.  auch  den  Schild  Taf.  60;  auch   Bronzi  Cretesi  Taf.   IX   2. 
Museo  Gregoriano  I  Taf.  XI,   XVIII  ff.    Auf  das 


Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing,  Untersuchungen  über  die  »phoinikischen«  Metallschalen.  24 1 


einzeln  oder  zu  mehreren  in  Felder.  Sie  trat  uns  schon  oben  bei  der  Schale  Layard 
Monuments  11  Taf.  57  E  entgegen,  in  einfacherer,  fast  an  Triglyphen  und  Metopen 
erinnernder  Weise  aber  auf  den  Schalen  a.  a.  0.  Taf.  57  B;  58  E;  59  B,  E.  In 
den  Stabbändern  der  ägyptischen  Kunst  (Petrie,  Decorat.  Art  104  f.),  in  Friesen 
wie  am  Totenbaldachin  der  Prinzessin  Isimchebt  (Brugsch,  Tente  fun^raire  Taf.  IV  f. ; 
Maspero,  Archäologie  Egypt.  291)  mag  man  Analogien  finden.  Auch  unter  den 
oben  S.  197  f.  besprochenen  ägyptischen  Fayencegefäßen  kam  die  Anordnung 
vor,  und  sie  erweisen  sich  auch  hier  wieder  den  Schalen  von  Nimrud  nahe  verwandt. 
Aber  im  ganzen  ist  dies  Dekorationssystem  erst  in  der  italischen  Reliefkeramik 
(allerdings  unter  Vorgang  der  großen  kretischen  Pithoi,  Bessert,  Altkreta  131) 
häufiger,  aber  hier  ist  sie  das  Ergebnis  der  Stempeltechnik,  und  ich  möchte  einen 
Zusammenhang  mit  den  Nimrudschalen  nicht  befürworten.  Zeitlich  berühren  sie 
sich  allerdings,  wenn  Grenier,  Bologne  Villanovienne  330  f.  diese  ,,bucchero  de 
la  seconde  espece«  an  das  Ende  des  VII.  und  den  Anfang  des  VI.  Jahrhunderts 
setzt.  Grenier  schreibt  den  Töpfen  in  der  Form  Anlehnung  an  korinthische  und 
protoattische  Vasen,  im  Stil  an  ionische  Vorbilder  zu. 

Damit  haben  wir,  soviel  ich  sehe,  die  wesentlichsten  Formelemente,  abgesehen 
vom  eigentlichen  »Stil«,  behandelt.  Wir  sehen  wie  gleiche  und  gleichartige  Typen 
und  Dekorationsprinzipien  sich  nicht  nur  lokal  weithin  verbreiten,  sondern 
auch  über  verschiedene  »Stile <•,  die  sich  innerhalb  der  ganzen  Klasse  scheiden 
lassen.  Wir  konnten  gewisse  Vorlieben  bei  lokalen  Gruppen  feststellen  und  werden 
dazu,  wie  zu  mancher  Einzelbemerkung  über  bisher  absichtlich  nicht  besprochene 
Motive  noch  im  Schlußabschnitt  Gelegenheit  haben.  Aus  der  Übersicht  über 
die  Fundgruppen  folgt  auch,  daß  in  Nimrud  Gefäße  aus  Edelmetall  gar  nicht 
gefunden  sind,  auf  Kypros  wenige,  in  Italien  aber  keine  Bronzegefäße  dieser 
Klasse.  Auf  Kreta  sind  nicht  nur  die  Schilde,  sondern  auch  die  Schalen  aus 
Bronze,  und  das  gleiche  gilt  von  den  Schalen  des  griechischen  Festlandes.  Die 
ägyptischen  Urahnen  waren  teils  Bronze,  teils  Silber  oder  Gold.  Die  beiden  Schilde 
von  Van  sind  bronzen.  Natürlich  kann  das  alles  auf  Zufall  beruhen,  aber  es  ist 
doch  wert  bemerkt  zu  werden,  denn  bei  der  Frage,  wo  die  Klasse,  wo  die  einzelnen 
Gruppen  hergestellt  wurden,  können  auch  diese  Dinge  ihre  Wichtigkeit  haben.  Ihr 
wenden  wir  uns  im  Schlußabschnitt ')  zu. 


')  Dieser  Schlußabschnitt  soll  im  nächsten  Bande  des  Jahrbuches  folgen, 
den  Haag.  Fr.  W.  Frhr.  v.  Bissing. 


242 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


DIE  SÖHNE  DES  PRAXITELES. 

Mit  Taf.  VI  und  VII. 
I.  Der   Altar    in    Kos. 
Am  Anfang  des  vierten  Mimiambus  des  Herondas  verehren  und  bewundern 
zwei  Frauen    die    schönen  Bilder    des  Asklepios,    seiner  Eltern,  seiner    Gattin '), 
seiner      Töchter,      seiner     Söhne      und      der     mitverehrten     Götter.       Auf     die 
Frage  der  einen  Frau,  von  wem  die  Bildwerke  gearbeitet  und  geweiht  sind,  ant- 
wortet die  andere,  sie  seien  von  den  Söhnen  des  Praxiteles  gefertigt  und  von  Euthias, 
Sohn  des  Praxon,  aufgestellt  worden.     Herondas   IV  i  ff: 
KV.    Xaipoij  avaj  natrjov,  8?  [isSsi?  Tpixxr,? 
xctt  Kräv  fXuxTjav  xr,Tti8aupov  t^xijxae, 
auv  xal"  Koptovi;  ^  a'   etixte  xujkoXXiov 
/atpoiev,  rfi  xe  xstpi  5eSi^  <J/ausi;. 
5  'V-fisia,  xwvTtep  oTSe  xifiiot  ßtujioi, 
riaväxK)   TS  Xl^TCKU  TS  x{t)<jo)  x*'Poi 
)(0f    AswfisSoVTOJ    ofxi'jJV    TS    XCtt    TSl}(Tj 

irspaavTS?  t'7]T^ps?  dYpiwv  vou(j(uv 

riooaXetpiöj  TS  xal  M«}(äu)V  }(aip6vT«ov, 
]o  ](">3ot  Osol  OTjv  idxiijv  xaxoixsüaiv 

xal  ösai,  TOTsp  riair^ov  .... 
I»  i%  oeSt^c  TÖv  Ttivaxa,  KoxxbXy),  OT^dov 
20  TTJ?  Tyisitj?. 


')  Nach  den  Worten  des  Herondas  muß  man  ver- 
muten, daß  in  Kos  Hygieia  die  Gattin  des  As- 
klepios ist,  nirlit  wie  sonst  Epione,  da  diese  liier 
zwischen  den  beiden  Töchtern  Panake  und  laso 
genannt  wird.  Herzog  bemerkt  mir  jedoch  hierzu : 
»Der  Wortlaut  der  Stelle  könnte  durch  die  Reihen- 
folge der  Aufzählung  dazu  verleiten  und  hat 
Robert  (Preller  I  526)  verleitet,  für  Kos  Hygieia 
als  Gattin,  Epio(ne)  als  Tochter  des  Asklepios 
anzunehmen,  während  sonst  überall  Epione  als 
Gattin,  Hygieia  als  Tochter  des  Asklepios  galt. 
Aber  gerade  für  Kos  ist  durch  den  von  einem  Koer 
verfaßten  (Histor.  Zeitschrift  125,  220)  pseudo- 
hippokratischen  Brief  10  und  das  lliasscholion 
Venet.  A  zu  Ä  195  (wo  MEpo7c((8)os  zu  verbessern 
ist),  Epione  als  Koerin  und  Gattin  des  Asklepios, 
Tochter  des  Herakles,  bezeugt.  Durch  sie  führten 
die  koischen  Asklepiaden  ihren  Stammbaum  auch 
auf  den  in  Kos  seit  viel  älterer  Zeit  als  Asklepios 
verehrten  Herakles  zurück.  Im  Kult  des  As- 
klepieions  erscheint  auf  den  Inschriften  von  seiner 


Gründung  bis  in  die  Kaiserzeit  regelmäßig  die 
Dreiheit  'AaxXamö«  miX  VylEW  y.i\  'Hmdva  als 
Kultinliaber.  Hygieia  steht  dabei  voraus,  weil 
sie  schon  im  V.  Jahrhundert  z.  B.  in  Athen  als 
selbständige  Göttin  mit  älterem  Kult  neben 
Asklepios  getreten  ist  und  dann  als  seine  Tochter 
eingeordnet  wurde,  die  aber  nie  mit  seinen  übrigen 
Kindern  Panakeia,  Akeso,  laso,  Podalcirios  und 
Machaon  auf  eine  Stufe  gestellt  wird.  Sic  wird 
mit  ihm  als  Vater  so  eng  verbunden,  wie  Athena 
mit  Zeus  als  Burggottheiten  der  griechischen 
Städte.  Epione  als  Gattin  tritt  hinter  ihr  im 
Kult  ganz  zurück.  Sie  ist  nur  etymologisch  aus 
Asklepios  abgespalten  und  in  Kos  für  die  Ge- 
nealogie notwendig.  Wenn  sie  im  koischen  As- 
klepieion  nur  eine  der  Töchter  wäre,  so  wäre  es 
unverständlich,  daß  sie  als  Kultinhaberin  allein 
von  ihnen  erschiene.  Herondas  verbindet  Hygieia 
mit  Asklepios,  weil  sie  auf  dem  Altarwerk  eine 
Gruppe  bilden.  Daß  er  Epio  zwischen  den  Töch- 
tern Panake  und  leso  nennt,  ist  durch  den  Vers- 


zwang gegeben.« 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


243 


KO. 


KT. 


[xä,  xaXöiv,  (pi'Xrj  Kuvvot, 
d-(aki>.dz(av.  tij  r^p«  ttjv  Xt8ov  xauxijv 
TsxTCüv  iirot'ei  xai  ti's  ionv  6  arf^aai; 
0?  riprjStTeXea)  iratSsf  oüj(  öpfi<;  xsiva 
Iv  r^  ßa'ai  -cä  Ypa'fifiax';  Kööi'»)?  3'  atjxä 
25  eaTii)(jcv  6  rTpi^Jujvo?. 
KO.  tXetuj  s») 

xai   ToTaS'  6  FlaKuv    xal  Eö&i'iq  xotXÄv  ep-jfuv^). 

Kynno:        Sei  mir  gegrüßt,  o  Herrscher  Paion,  der  Du 
Auf  Trikka   waltest,    und   im   trauten    Kos 
Und   Epidauros   wohnhaft   bist;    Koronis 
Zugleich,    die    Dich    geboren    und    Apollon, 
Sie  seien  gegrüßt;   und  die  Du  mit  der  Rechten 
5  Berührst,    Hygieia;  auch  die  Ehren  finden 
Auf  diesen  Opferstätten,   Panake 
Und   Epio   und    leso,   seien   gegrüßt; 
Und    die    Laomedons    Haus    und    Mauerwall 
Zerstörten,    die    Ärzte    in    grimmen    Krankheiten, 
Podaleirios  und  Machaon,  Gruß  ihnen, 
10  Und  was  an  Göttern  dir  am  Herde  wohnt 

Und  Göttinnen,  Vater  Paion  !  —   —   —   —   —  _- 

19  Stell'  Du  die  Tafel,  Kokkaie,  zur  Rechten 

20  Der  Hygieia  auf. 

Kokkaie:  Ach,  liebe  Kynno, 

Die  schönen   Bildwerke  !      Welcher  Meister  schuf 
Das  Marmorwerk  hier  und  wer  ist  der   Stifter? 

Kynno:        Die  Söhne  des  Praxiteles.     Siehst  Du  niciit 
Am  Sockel  dort  die  Schrift?     Und  Euthies, 
■^■■>  Der  Sohn  des  Prexon,  hat  sie  gestiftet. 

Kokkaie:  Gnädig 

Möge  den  beiden  Paion  sein  um  solcher 
Herrlichen  Werke  willen,  und  nicht  minder 
Dem   Euthies. 

(Übersetzt  von  Crusius  und  Herzog.) 


')  Der  Mimiambus  ist  kunstgeschichtlich  erklärt 
worden  durch  Diels,  Arch.  Anz.  VI  1891,  190, 
Murray,  Classical  Review  V  1891,  389,  Wald- 
stein, ib.  VI  1892,  1351.,  Gurlitt,  Archäol.  epigr. 
Mitt.  aus  Österreich  XV  1892,  169  ff.,  Meister, 
Festschrift  für  Overbeck  1893,  109  ff.,  Herzog, 
Üsterr.  Jahreshefte  VI  1903,  215  ff.,  Bücheier, 
Zeitschr.  f.  d.  Gymnasialwesen  1905,  176  f., 
Svoronos,   Epheraeris    1909,     151  ff.     Reügions- 

lectio  Hcrondas  die 


geschichtliche  Erläuterungen  bei  Wünsch,  Arch. 
f.  Religionswiss.  VII  1904,  95  ff.  und  Herzog  ib. 
X  1907,  201  ff.  Über  die  Frage,  ob  der  Dichter 
Herondas  oder  Herodas  heißt,  sind  die  zustän- 
digen Philologen  nicht  einig;  vgl.  zuletzt  gleich- 
zeitig Herzog,  Philologus  LXXIX  1924,  370  ff., 
der  Herondas,  und  Wilamowitz-Moellendorf, 
Hellenistische  Dichtung  1924  I  211  und  II  318, 
der  Herodas  sagt.  Mir  scheint  die  difficilior 
richtigere  zu  sein. 


244  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


Als  Herzog,  angeregt  durch  diesen  Mimus,  das  Asklepieion  von  Kos  gesucht 
und  im  Jahre  1902  gefunden  hatte,  erkannte  er  sofort  in  dem  Altar  in  der  Mitte 
der  mittleren  Terrasse  dieses  Heiligtums  den  Träger  der  gepriesenen  Statuen  '). 
Seine  Vermutung,  daß  der  Schauplatz  des  ersten  Teils  des  Gesprächs  zwischen  den 
Frauen  am  Altar  liegt,  kann  man  vielleicht  noch  genauer  dahin  präzisieren,  daß 
die  Besucherinnen  von  der  Stadt  her,  also  auf  der  Treppe  von  der  untersten  nörd- 
lichen Terrasse  aus  oder,  falls  diese  —  wie  Schazmann  jetzt  annimmt  —  erst 
später  ausgebaut  wurde,  auf  einem  von  Nordosten  her  ansteigenden  Weg 
zur  mittleren  Terrasse  emporsteigen  und  zunächst  die  Nord-  und  Ostseite 
des  Altars  betrachten.  Sie  gehen  dann  um  den  Altar  herum  und  betreten  jetzt 
erst  den  Platz  zwischen  Altar  und  Tempel  B,  wo  sie  v.  27  ff.  die  Weihgeschenkc 
anstaunen.  Für  den  Aufbau  des  Altars,  der,  wie  es  scheint,  mehrfach  erneuert  wurde, 
geben  die  Fundamente  und  kärglichen  erhaltenen  Bauteile  nur  ungenügenden  An- 
halt, so  daß  es  unmöglich  ist,  dem  bildhauerischen  Schmuck  an  ihm  einen  sicheren 
Platz  anzuweisen.  Auch  die  Münzen  lassen  uns  im  Stich.  Die  letzte,  dem  Perga- 
mener  Altar  ähnliche  Form  scheint  erst  späthellenistisch  oder  frührömisch  zu  sein, 
doch  könnte  sie  einen  ähnlichen  älteren  Aufbau  kopiert  haben.  In  diesem  Fall  könn- 
ten die  einzelnen  Bilder  zwischen  den  Säulen  gestanden  haben.  Für  Asklepios  und 
die  ihm  laut  v.  4  f.  eng  verbundene  Hygieia  müssen  wir  einen  ausgezeichneten  und 
breiteren  Platz,  etwa  in  einem  besonderen  Naiskos  in  der  Mitte  der  Ostseite  vermuten, 
wo  auch  in  Pergamon  die  Hauptgötter  angebracht  sind.  An  dieser  und  der  Nord- 
seite fand  Herzog  die  folgenden  wenigen,  aber  wertvollen  Fragmente  der  Altar- 
skulpturen. 

I.  Mädchenkopf  (Taf.  VI).  Gefunden  laut  Tagebuch  Herzogs,  das  er  mir 
freundlichst  zur  Verfügung  stellte,  am  17.  September  1903  »zwischen  Altarbau 
und  Tempel  C«,  also  an  der  Ostseite  des  Altars,  vor  dem  römischen  Tempel,  dem  grie- 
chischen Tempel  aus  der  Zeit  um  300  v.  Chr.  gerade  entgegengesetzt.  H.  0,20  m. 
Pentelischer  Marmor,  also  aus  der  Heimat  der  Söhne  des  Praxiteles.  Abgebrochen 
sind  Hinterkopf,  r.  Seite  des  Schädels  und  hintere  Hälfte  des  Halses.  Bcstoßen  sind 
Nasenspitze  und  linke  Seite  der  Unterlippe.  Im  Oberkopf  ein  Dübelloch,  wohl  für 
einen  Meniskos;  im  Hals  ein  ebensolches,  wohl  zum  Einsetzen  in  eine  bekleidete 
Statue. 

Stellt  man  den  Kopf  so,  daß  beide  Dübellöcher  senkrecht  verlaufen,  so  ergibt 
sich  die  richtige  Haltung  des  Kopfes,  nämlich  ein  wenig  nach  seiner  rechten  Seite 
gedreht  und  geneigt  und  zugleich  leicht  zurückgelehnt  (Taf.VI).  Dies  bestätigt  der 
Hals,  der  auf  seiner  linken  Seite  ganz  gestreckt  ist,  so  daß  der  Übergang  vom  Hals 
zur  Wange  kaum  merklich  ist.  Dagegen  ist  rechts  eine  deutliche  Beugung  des  Kop- 
fes zum  Hals,  und  die  Halsmuskeln  sind  geschwollen.  Die  Drehung  des  Kopfes  nach 
rechts  wird  dadurch  bekräftigt,  daß  der  Scheitel  der  Haare  nach  der  rechten  Seite 
zu  verschoben  ist  und  daß  die  Haare  rechts  oben  wenig  bearbeitet  sind.  Die  Nach- 
richt über  das  Alexander-Porträt  des  Lysipp,  an  dem  der  Hals  nach  der  linken  Seite 


■)  Herzog,    Österr.    Jahreshefte    VI    1903,     218  ff.  Fig.  118,  Arch.  Anz.  XVIII  1903,  3   Abb.  2,  XX 

1905,  7  f.  Abb,  2. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


245 


gestreckt  und  außerdem  leicht  geneigt  und  gedreht  war  >),  kann  durch  das  Köpfchen 
anschaulich  gemacht  werden. 

Die  Haare  sind  gescheitelt,  von  einem  Band  umfaßt,  zur  Seite  und  von  den 
Schläfen  aus  in  weichen  Massen  über  das  Band  und  den  oberen  Teil  der  Ohren  nach 
hmten  gestrichen.  Sie  liefen  ursprünglich  wohl  in  einem  tief  sitzenden  Schopf  am 
Hinterkopf  zusammen.  Die  kleinen  zierlichen  Ohren  sitzen  auffallend  tief.  Die  Stirn 
ist  dreieckig.  Die  Augen  sind  länglich,  schmal,  wenig  eingesenkt,  mit  relativ  breiten 
Unterlidern.  Die  Nasenwurzel  setzt  sich  nur  mit  einer  kaum  merklichen  Senkung 
von  der  Stirn  ab.  Der  Nasenrücken  ist 
gerade.  Die  Nüstern  sind  klein  und  fein 
gezeichnet.  Der  schmale  Mund  hat  eine 
leicht  vorstehende,  kurze,  etwas  geho- 
bene Oberlippe.  Das  Kinn  ist  zierlich 
rund.  Die  Wangen  sind  fein  gewölbt. 
Es.  ist  ein  vornehmes,  zartes  Mädchen- 
gesicht mit  reinem,  unschuldigem  Aus- 
druck, ohne  jede  Süßlichkeit  oder  Sen- 
timentalität. 

Die  Deutung  kann  nur  die  auf  eine 
Töchter  des  Asklepios  sein.  Welchen 
Namen  wir  wählen  sollen,  wird  wohl 
nie  zu  entscheiden  sein.  Der  Schwur 
aus  dem  hippokratischen  Corpus  (Herzog, 
Kölsche  Forschungen  202)  nennt  nur 
Hygieia  und  Panakeia,  Herondas  Mimi- 
ambus  IV  5  —6  nach  diesen  noch  Epione 
und  laso,  freilich  v.  II  auch  noch  andere 
Göttinnen,  die  neben  Asklepios  und 
den  männlichen  Göttern  den  Altar  be- 
wohnen. 

2.  Fragment  eines  weiblichen  Kopfes  (Abb.  i).  Gefunden  am  18.  September 
1903,  also  einen  Tag  später  als  Nr.  i,  bei  Abtragung  einer  modernen  Zisterne  vor 
der  Terrassenmauer  unterhalb  der  Treppe  von  der  mittleren  zur  unteren  Terrasse, 
also  direkt  nördlich  unterhalb  des  Altars.  Pentelischer  Marmor.  Erhalten  nur  flaches 
Segment  der  rechten  Kopfseite  mit  Haaren  und  angrenzenden  Teilen  von  Schläfe, 
Wange,  Hals.  Der  rechte  Augenwinkel  ist  gerade  noch  erkennbar.  H.  0,155  "i.  Im 
Hals  Dübelloch,  in  dessen  Richtung  das  Fragment  abgesplittert  ist.  Der  Eisenrest 
im  Haar  oberhalb  der  Schläfe  ist  nur  zufällig  angeklebt. 

Der  Kopf  scheint  nach  seiner  linken  Seite  gewandt  gewesen  zu  sein.  Die  Haare 
sind  offenbar  nicht  gescheitelt,  sondern  in  horizontaler  Richtung  gerade  nach  hin- 


Abb.   I.    Fragment  eines  Mädchenkopfes  aus  Kos. 


•)  Plutarch,  De  Alex.  fort,  seu  virt.  II  2.  Vit.  Alex.  4. 
Schreiber,  Studien  über  das  Bildnis  Alexanders 
des  Großen,  Abh.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1903, 
Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  1923/24. 


9  ff .  u.  212  ff.  Waldhauer,  Über  einige  Porträts 
Alexanders  5  ff.  BernouUi,  Bildnisse  Alexanders 
des  Großen  16  ff. 

'7 


2^6  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


ten  und  über  die  Ohren  gestrichen.  Ein  Band  fehlt.  Die  Haare  steigen  am  Nacken 
empor  und  lassen  hier  kleine  Löckclien  frei,  die  am  Kopf  Nr.  i  verdeckt  sind.  Der 
Schopf  saß  also  höher  als  dort.  Wahrscheinlich  stammt  der  Rest  von  einer 
zweiten  Asklepiostochter.  Diese  werden  auf  attischen  Votivreliefs  aus  dem  As- 
klepieion  von  Athen  immer  als  zarte  Mädchen  gebildet '). 

3.  Unterteil  einer  Frau  mit  Mantel  um  die  Beine  (Taf.  VII  links).  Gefunden 
am  gleichen  Tag  und  im  Schutt  derselben  Zisterne  wie  Nr.  2.  H.  0,55  m.  Der  linke 
Fuß  wurde  besonders  gefunden  und  später  angesetzt.  Plinthenränder  und  Zehen 
abgebrochen.  Knie  und  Falten  darunter  abgesplittert.  Es  fehlt  der  Oberkörper 
bis  zum  Nabel. 

Jugendliche  Körperformen.  Rechtes  Standbein  mit  herausgebogener  Hüfte. 
Linkes  Spielbein  leicht  gebeugt  und  zur  Seite  gestellt.  Der  Fuß  ist  mit  einer  Sandale 
bekleidet.  Die  Figur  war  leicht  nach  ihrer  linken  Seite  gelehnt.  Ein  Mantel  umgibt 
die  Beine  derart,  daß  die  rechte  Hüfte  frei  bleibt.  Der  obere  Rand  ist  richtig  ein- 
gerollt und  steigt  ziemlich  steil  nach  der  linken  Seite  empor.  Die  Enden  wallen  in 
breiten  Faltenlagen  neben  dem  linken  Bein  herab  und  liegen  außerhalb  des  Fußes 
auf  dem  Boden  auf.  Der  untere  Rand  des  Mantels  liegt  breit  auf  dem  rechten  Fuß- 
rücken auf,  während  er  oberhalb  des  linken  Fußes  so  emporgezogen  ist,  daß  dieser 
bis  zum  Knöchel  frei  bleibt.  Der  Drapierung  folgend  steigen  die  Falten  von  der 
Außenseite  des  rechten  Beins  etwa  parallel,  aber  in  verschieden  tiefen  und  r^ich 
modellierten  Lagen  nach  oben  schräg  empor,  im  oberen  Teil  zum  Wulst,  im  unte- 
ren zum  linken  Knie.  Zwischen  den  Beinen  bilden  sie  steile,  leicht  gebogene,  tiefe 
Buchten.  Am  Spielbein  liegen  flache,  ähnlich  steil  geführte  Falten  am  Ober-  wie 
am  Unterschenkel  an.  Vom  Knie  hing  eine  breite  kräftige  Falte  herab,  und  wulstige 
Falten  legen  sich  in  die  Kniekehle. 

Herzog  glaubte  bei  der  Auffändung,  eine  Aphrodite- Statuette  »vielleicht  nach 
der  koischen  Aphrodite  des  Praxiteles«  vor  sich  zu  haben.  Er  hielt  den  Torso  ferner 
für  vielleicht  zu  dem  am  Tage  vorher  gefundenen  Mädchenkopf  Nr.  i  für  zugehörig. 
Die  Deutung  auf  Aphrodite  wird  das  Richtige  treffen.  Aphrodite  wurde  im  Askle- 
pieion  von  Kos  verehrt  2).  Sie  wird  sehr  häufig  mit  ähnlich  unterwärts  umgeschla- 
genem Mantel  dargestellt,  z.B.  in  den  praxitelischen  Aphroditen  von  Arles  und  Ostia  3) 
und  in  den  hellenistischen  Torsen  in  Wien  Nr.  370  4),  in  Sammlung Torlonia  Nr.  253, 
aus  Hypate,  aus  Alexandrien,  aus  Kreta  im  Louvre,  in  Delos  5).  Ein  weiteres  Bei- 
spiel stammt  ebenfalls  aus  Kos  und  befindet  sich  nach  Notizen  Kurt  Müllers  in  Kon- 
stantinopel«).     Diese  Statuette  stützt  sich  ebenso  wie  die  meisten  genannten  auf 

')  Vgl.    z.    B.    Arndt-.\melung,    Einzelverkauf    Nr.  Bruckmann,  Denkmäler  griech.  u.  röm.  Skulptur 

1221.  Svoronos,  Athener  Nationalmuseum  259  ff.  Taf.  296.   Michon,  Mon.  PiotXXI  1914, 13  fl.  Pl.II. 

Taf.    XXXIV— V     Nr.    1340—1,     1346,     1348,  Pomtow,  J.  d.  I.  XXXVII  1922,  iiof. 

'402-  4)  Wien.  Inv.-Nr.  370.  Standnummer  170.  H.  o,6im. 

')  Herzog,   .\rch.   Anz.   XVIII    1903,    197    u.    XX  Schneider,  Arch.  Anz.  VI  1891,  174  Nr.  24. 

'905i  12.  5)  Reinach,  Repertoire   de   la    statuaire    I   341,   4, 

3)  Furtwängler,  Meisterwerke  547  ff.  Fig.  102—103.  H  1,  334,  3,  5  u.  6,   335.  1—3,    IV  203,  1. 

Klein,  Praxiteles  293  ff.  Fig.  52.    Bulle,  Schöner  «)  H.  0,24  m.    Es  fehlen  der  Oberkörper  vom  Nabel 

Mensch    343  fl.  Taf.  159—160,  Abb.  876.  Brunn-  an  und  beide  Füße.    Die  für  die  Skulpturen  sehr 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  247 

einen  links  von  ihr  stehenden  Pfeiler,  der  an  der  Altarfigur  offenbar  nicht  vorhanden 
war.  Die  Deutung  aller  dieser  Frauen  auf  Aphrodite  wird  durch  eine  forrnal  wie 
stilistisch  der  Figur  Nr.  3  besonders  ähnliche  Terrakotta  aus  Pricnc  ')  bestätigt. 
Der  Pfeiler,  auf  den  diese  anmutige  Frau  sich  stützt,  trug  ein  kleines  Idol,  wie  es  so 
oft  als  Stützfigur  gerade  für  Aphrodite  dient.  Die  Statuette  Nr.  3  stellte  also  wohl 
die  Liebesgöttin  dar  und  gehörte  zu  den  von  Herondas  v.  Ii  genannten  neben  der 
Familie  des  Asklepios  am  Altar  verehrten  Göttinnen.  Die  weiblichen  Angehörigen 
des  Heilgotts  sind  wenigstens  auf  Reliefs  immer  voll  bekleidet.  Zu  solchen  voll- 
ständig bekleideten  Statuen  gehören  sowohl  der  Mädchenkopf  Nr.  i,  wie  das  mit 
dem  Torso  gleichzeitig  gefundene  Fragment  Nr.  2  nach  Ausweis  der  Dübellöcher, 
da  man  bei  nacktem  Oberkörper  diesen  und  die  Köpfe  aus  einem  Stück  gearbeitet 
hätte.  Ebenso  war  die  Aphrodite  des  Praxiteles  in  Kos  velata  specie,  sittsam  lund 
streng  in  das  Gewand  gehüllt^).  Damit  erledigen  sich  —  wie  Herzog  selbt  ein- 
gesehen hat  • —  die  weiteren,  sonst  so  naheliegenden  Kombinationen  Herzogs. 
Nach  den  Parallelen  und  dem  steilen  Faltenzug  nach 
links  oben  kann  das  Gewand  der  Figur  Nr.  3  kaum 
noch  linke  Schulter  und  Oberarm  bedeckt  haben.  Es 
scheint  vielmehr  nur  über  den  linken  Unterarm  nach 
außen  herübergeschlagen  gewesen  zu  sein. 

4.  Rechte  Kinderhand  auf  Gewand  (Abb.  2).  Kos, 
Inv.  Nr.  39.  Gefunden  neben  dem  Altar.  Nach  Herzogs 
Aufzeichnungen  ist  neben  dem  Gewand  »anscheinend 
die  bloße  Brust  einer  Frau  sichtbar«.  Wenn  das  richtig 
ist,  so  ist  neben  der  Kinderhand  die  Schulter  der  Frau,  Abb.  2.  Kinderhand  auf  Schulter 
und  CS  muß  das  Kind  auf  dem  Arm  der  Frau  gesessen  '"■»"  F'''"  »"^  ^°'- 

haben.    Auf  dem  Boden  stehend  könnte  es  nicht  so  hoch 

cmporgelangt  liabcn.  Man  müßte  also,  wenn  man  es  nicht  auf  den  Arm  setzen  will, 
es  auf  einen  Pfeiler  oder  eine  andere  Erhöhung  stellen.  In  diesem  Fall  würde  es  aber 
dem  Beschauer  seine  Rückseite  zugekehrt  haben,  da  die  Hand  ihren  Rücken  nacli 
außen  wendet.  Ich  glaubte  daher  zuerst,  daß  ein  linker  Arm  mit  Gewand  von  hinten 
dargestellt  sei  und  daß  ein  links  neben  der  erwachsenen  Figur  stehendes  Kind  von 
hinten  nach  diesem  faßte,  also  etwa  so  wie  der  Eros  neben  der  Aphrodite  im  Louvrc 
(Fröhner  151),  die  ein  später  Namensvetter  des  Praxiteles  gearbeitet  hat  und  die 
Furtwängler  mit  Unrecht  mit  der  kölschen  Aphrodite  des  großen  Meisters  identi- 
fizieren wollte  3).  Hier  greift  Eros  mit  der  rechten  Hand,  deren  Fläche  nach  vorn 
gerichtet  ist,  in  die  herabhängenden  Falten  des  Mäntelchens  der  Mutter.  Wahr- 
scheinlich und  hoffentlich  ist  Herzogs  Bestimmung  richtig.  Es  ergibt  sich  dann  das  Re- 
sultat, das  fast  zu  schön  ist,  um  wahr  zu  sein,  daß  die  Söhne  des  Praxiteles  das  von 


spärlichen   Notizen   Professor    Müllers    über  die       ■)  Winnefeld  bei  Wiegand-Schrader,   Priene  370  ff. 
Einzelfunde  von  Kos  wurden  mir,  nachdem  er  Abb.  466. 

auf  die  von  5  Jahren  übernommene  Bearbeitung       ')  Vgl.   Bieber,   Zeitschr.    f.    Numismatik   XXXIV 
verzichtet  hatte,  von  Professor  Herzog  übergeben.  1923,  315  ff. 

3)  Furtwängler,   Meisterwerke    552  f.  Fig.  104.  Vgl.  Bieber  a.a.O.  316  f. 

17* 


248 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


ihrem  Großvater  in  der  Eirene,  von  ihrem  Vater  im  Hermes  behandelte  Problem 
der  Verbindung  eines  Erwachsenen  mit  einem  Kinde  zu  einer  geschlossenen  Gruppe 
übernommen  haben.  Das  feste  Zugreifen  der  kleinen  Hand  läßt  ein  ziemlich  enges 
Zusammenschließen  von  Träger  und  Getragenem  vermuten.  Welche  kinderpflegende 
Göttin  gemeint  ist,  ist  nicht  zu  sagen.  Im  Kreis  des  Asklepios  ist  eine  Kurotrophos 
nicht  bezeugt,  aber  die  häufige  Widmung  von  Kinderbildnissen  an  Asklepios  ')  läßt 
eine  Einfügung  einer  solchen  in  sein  Gefolge  durchaus  im  Bereich  der  Möglichkeit 
erscheinen.  Vielleicht  hatte  eine  der  von  Herondas  genannten  Töchter  eine  solche 
spezielle  Funktion.  Svoronos  ^)  deutet  die  Terrakottagruppe  einer  sitzenden  Frau 
mit  einem  an  ihre  Knie  geschmiegten  Knaben  —  leider  ohne  jede  Begründung  — 
auf  Epione  mit  dem  kleinen  laniskos. 

5.  Linker  Fuß  mit  flatterndem  Gewandsaum  (Abb.  3). 
Gefunden  am  Altar.  Kos,  Inv.  Nr.  6.  H.  0,13,  Fußlänge  0,13, 
Fußbreite  0,065  m.  Die  drei  ersten  Zehen  sind  bestoßen.  Hinten 
glatte  Fläche  mit  Eisendübel,  also  zum  Ansetzen  bestimmt. 

Zarter,  rundlicher,  weiblicher  Fuß,  schräg  vorgestreckt,  die 
Zehen  frei  schwebend,  während  die  Ferse  den  Boden  berührte. 
Am  wahrscheinlichsten  von  einem  Akroter  in  Gestalt  einer  Nike, 
in  der  Art,  wie  die  Niken  von  EpidaurosS),  die  Nike  auf  Münzen 
des  Lysimachos  4)  und  die  Nike  auf  einem  Gipsabguß  nach 
frühptolemäischem  Relief  in  HildesheimS).  Wenn  der  Altar  der 
frühhellenistischen  Zeit  bereits  die  Form  des  späteren  hatte,  so 
stand  dieser  Firstschmuck  sicher  auf  einer  seiner  Ecken.  Sonst 
könnte  er  auch  von  dem  Tempel  stammen,  für  den  die  Figur 
allerdings  etwas  klein  wäre. 

Die  Zusammengehörigkeit  dieser  fünf  Stücke  ergibt  sich 
außer  aus  dem  Fundort,  östlich  und  nördlich  unterhalb  des  zen- 
tralen Altars,  aus  einigen  weiteren  Umständen.  Der  Maßstab  ist  bei  allen  der 
gleiche,  zwischen  »/i  und  V3,  also  etwa  7/,2  Lebensgröße.  Es  ist  ferner  die  Formen- 
gebung  an  allen  fünf  Fragmenten  die  gleiche.  Die  Arbeit  ist  original,  frisch,  flott, 
gelegentlich  sogar  flüchtig  wie  bei  den  flachen  Falten  am  äußeren  Teil  des  Ober- 
schenkels von  Nr.  3  oder  an  den  weniger  sichtbaren  Teilen  der  Haare  von  Nr.  i. 
Die  Formen  des  Nackten  und  des  Gesichts  sind  rundlich,  zart,  fein  durchmodelliert. 
Die  hervorstechenden  Charakterzüge  sind  Anmut  und  Vornehmheit. 

Es  kann  also  kein  Zweifel  sein,  daß  die  Reste  von  dem  Altar  stammen  und  iden- 
tisch sind  mit  den  von  Herondas  IV  i  ff.  genannten  Statuen  von  den  Söhnen  des 
Praxiteles.    Auch  ohne  diesen  äußeren  Anlaß  hätte  man  die  Fragmente  sofort  als 


Abi).  3.      Frauenfiiß 
nus  Kos. 


')  Vgl.  Herondas  IV  27  ff.  Herzog,  Österr.  Jahresh. 
VI  1903,  221  ff.,  bes.  224  Anm.  20,  Svoronos, 
Ephemeris   1909,    133  ff.;   1917,    78  ff. 

')  A.a.O.  1909,   149,  Fig.  10.;  vgl.  1917,  79  f. 

3)  Cavvadias,  Fouilles  d'ßpidaure  PI.  IX  Nr.  15—17, 
Ephemeris  arch.   1885  PI.  I.      Stais,   Marbres  et 


Bronzes  du  Mus6e  d'Athenes  41  f.  Nr.  159 — 161. 

Lechat-Defrasse,   Fonilles   d'6pidaure    167  ff. 
t)  Lederer,  Zeitschr.  f.  Numismatik  XXXIII  1922, 

196  Taf.VII  4. 
5)  Rubensohn,     Hellenistisches     Silbergerät     62  f. 

Nr.  47  Taf.  XII. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  24Q 


Werke  der  praxitelischen  Schule  oder  auch  als  früheste  Beispiele  der  nach  Amelung 
sogenannten  alexandrinischen  Bildwerke  ')  erkennen  können.  Man  kann  ihre  genaue 
kunstgeschichtliche  Stellung  dahin  präzisieren,  daß  sie  in  der  Mitte  zwischen  den 
Werken  des  Praxiteles  und  diesen  frühhellenistischen  Skulpturen  stehen.  Der  Weg 
von  der  Aphrodite  zu  Petworth  2)  zu  einem  Hauptstück  der  frühhellenistischen  Kunst 
wie  dem  Kopf  aus  Chios  3)  in  Boston  führt  über  den  Kopf  Nr.  i.  Von  dem  Kopf  der 
knidischen  Aphrodite  4)  bis  zu  den  »alexandrinischen«  oft  süßlichen  Köpfchen  Ame- 
lungs  5)  geht  die  Entwicklung  Schritt  für  Schritt  von  noch  festen  Formen  zu  immer 
weicheren,  gelösteren,  zarteren  über  diesen  Weg,  in  dessen  genauer  Mitte  die  Koer 
Köpfe  Nr.  1—2  stehen.  Sie  haben  nicht  mehr  die  Bestimmtheit,  auch  nicht  die  Größe 
des  Praxiteles,  aber  bei  aller  Zartheit  der  Übergänge  in  den  Gesichtsformen  und  bei 
duftigster  Haarbehandlung  noch  nicht  die  verschwommene  impressionistische  Mo- 
dellierung der  hellenistischen  Köpfe,  wie  sie  z.  B.  in  größerer  Anzahl  sich  aus  der 
noch  unveröffentlichten  Sammlung  Sieglin  in  Dresden,  Stuttgart  und  Tübingen  be- 
finden. Sie  bewahren  praxitelische  Weichheit  und  Anmut  noch  ohne  die  Verflauung 
und  Verweichlichung  der  von  Amelung  zuerst  behandelten  und  der  aus  Alexandrien 
stammenden  Köpfe.  Der  Ausdruck  der  Augen  ist  weniger  bedeutend  als  bei  Praxi- 
teles, aber  ebenso  offen,  mild  und  freundlich  wie  bei  diesem,  und  noch  nicht  schmach- 
tend oder  träumerisch  wie  bei  späteren  Köpfen.  Zu  diesem  Ausdruck  trägt  die  Hal- 
tung der  Köpfe  bei.  Sie  ist  bei  Nr.  i  zwar  bewegter  und  komplizierter  als  bei  den 
Aphroditen  von  Knidos,  Arles  und  Petworth,  aber  lange  nicht  so  kokett  und  affek- 
tiert wie  etwa  bei  dem  Kopf  in  Neapel  ^)  oder  an  hellenistischen  Statuetten  von 
Priene,   die  Winnefeld  mit  Recht  von  praxitelischer  Kunst  herleitet  7). 

Dieselbe  Zwischenstellung  ergibt  sich  für  das  Gewand  der  Fragmente  3—5- 
Die  Behandlung  des  Mantels  an  Nr.  3  steht  in  der  Mitte  zwischen  der  an  der  Aphro- 
dite von  Arles,  die  ihm  gegenüber  nüchtern,  großzügig,  sachlich,  einfach  wirkt,  und 
den  aufgelockerten,  naturalistischen  Draperien  frühhellenistischer  Statuen  wie 
etwa  dem  Mädchen  von  Antium  ^),  von  späteren  Statuen  mit  ihrem  aufgeregten 
Faltenspiel  gar  nicht  zu  reden.  Von  der  Harmonie  zwischen  Naturstudie  und  künst- 
lerischer Disposition,  die  das  Gewand  des  Hermes  von  Olympia  so  eigenartig  macht, 
ist  der  Torso  Nr.  3  bereits  weit  entfernt;  doch  übertrifft  er  in  der  zweckmäßigen 
klaren  Anordnung  der  verschieden  hohen  Falten  alle  späteren  hellenissischen  Werke, 
einschließlich  der  so  ähnlich  drapierten  oben  genannten  Torsen  und  der  Statuette 
von  Priene  9).    Die  Falten  sind  an  Nr.  3  wie  an  Nr.  4—5  bewegter  und  tiefer  als  in 

')  Amelung,  Bulletino  comunale  XXV  1897,  iioff.       4)  Ant.    Denkra.    I  Taf.  41.      Bulle  a.  a.  0.    533  f. 

2)  Furtwängler,    Meisterwerke    640  ff.    Taf.  XXXI.  Taf.  254. 

Klein,    Praxiteles    278  ff.      Fig.  42— 43.      Bulle,  5)  Vgl.    Anm.  i.        Dazu    Arndt-Amelung     E.    V. 
Schöner  Mensch  537,  Taf.  256.    Dickens,  Annual  Nr.  896,  905,  2026,  242S— 9,     2450—1. 

of  the  British  School  XXI  1914— 15,  4  f.  PI.  II  2.  (■)  Amelung  a.  a.  0.  130  Fig.  10. 

3)  Marshall,     J.  d.  I.    XXIV   1909,    73  ff.       Ant.  7)  Winnefeld  bei  Wiegand-Schrader,  Priene  367  ff. 
Denkm.    d.    Inst.    II   Taf.  59.       Bulle,    Schöner  Fig.  461—466. 

Mensch'  537  f.   Taf.  257.   Dickens,  Annual  of  thc       ^)  Arndt-Brunn-Br.     Taf.    583—4.      Bulle      287  ff. 
British  School  XXI  1914— 15,  2  u.  4  f.  PI.  III  2.  Abb.    68,     Taf.    136.     Helbig-Amelung,     Führer 

durch  Rom  3    Nr.  1352.     9)  Vgl.  S.  246  Anm.  4 — 6  u.  S.  247  Anra.  i. 


j.Q  Matrgarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


der  klassischen,  ruhiger  als  in  der  ausgebildeten  hellenistischen  Kunst.  In  der  Ent- 
blößung der  rechten  Hüfte  an  Nr.  3  und  der  wirkungsvollen  Umrahmung  des  nackten 
Körpers  an  Nr.  3  und  4  durch  einen  dicken  Wulst  ist  dieselbe  Zwischenstellung 
schon  äußerlich  in  der  zwar  rundlichen,  aber  noch  nicht  übertrieben  plastisch  her- 
austretenden Form  des  Wulstes  zu  erkennen.  Das  Flattern  des  Gesamtsaums  am  Bein 
von  Nr.  5  ist  ebenfalls  in  die  Mitte  zwischen  ähnlichen  Motiven  der  klassischen  Ni- 
ken  von  Epidauros  ')  und  der  hellenistischen  Nike  von  Samothrake  ^)  anzusetzen. 
Daß  auch  die  Stellung  des  Kindes  in  Fragment  Nr.  4  einen  Übergang  bildete  von  der 
losen  Verbindung  des  kleinen  Dionysos  auf  dem  Arm  des  praxitelischen  Hermes 
mit  seinem  Träger  zu  einer  festeren  hellenistischen  Gruppenbildung,  können  wir  nur 
noch  ahnen. 

Dank  Herzogs  Funden  haben  wir  also  jetzt  eine  feste  Basis,  auf  der  wir  unsere 
Vorstellung  von  der  Kunstweise  der  Söhne  des  Praxiteles  aufbauen  können.  Es  er- 
gibt sich  eine  überraschende  Übereinstimmung  mit  der  Nachricht  des  Plinius  3), 
daß  Kephisodot  der  Erbe  der  Kunst  seines  Vaters  gewesen  ist.  Da  Timarchos,  doch 
wohl  der  jüngere  und  unselbständigere  der  beiden  Söhne  des  Praxiteles,  mit  Aus- 
nahme einer  späten  römischen  Inschrift  4)  immer  nur  als  Mitarbeiter  des  Bruders 
signiert  hat  oder  genannt  wird  5),  so  kann  auch  sein  Stil  von  dem  des  Kephisodot 
sich  höchstens  der  Qualität,  nicht  dem  Wesen  nach  unterschieden  haben.  Für  Über- 
einstimmung des  Stils  beider  mit  dem  ihres  Vaters  spricht  die  Tatsache,  daß  sie  von 
Herondas,  Plutarch  und  Pausanias  nicht  mit  ihrem  Namen,  sondern  nur  als  Söhne 
des  Praxiteles  bezeichnet  werden.  Sie  haben  also  gewiß  das  Atelier  ihres  Vaters  in 
gleichem  Sinne  weitergeführt.  Die  Koer  Fragmente  bezeugen  nun,  daß  die  Söhne 
echte  Erben  der  väterlichen  Kunst  waren.  Sie  sind  nicht  nur  Träger,  sondern  Ver- 
breiter und  Verdeutlichcr  der  nicht  ganz  leicht  faßlichen  Kunst  ihres  Vaters.  In- 
dem sie  in  dem  mit  Alexandrien  eng  verbundenen  Kos,  im  neuen  Heiligtum 
des  Asklepios  die  berühmten,  von  Herondas  so  hoch  gepriesenen  Altarskulpturen 
schufen,  gaben  sie  den  Anstoß  zu  der  Ausbreitung,  allerdings  auch  zur  allmählichen 
Verflachung  und  Verfiauung  der  »nachpraxitelischen«,  impressionistischen,  früh- 
hellenistischen  Kunst,  deren  Hauptbeispiele  sich  im  wesentlichen  im  Kulturgebiet 
von  Alexandrien  gefunden  haben  *).  Die  Söhne  haben  die  feine,  geniale,  individuelle 
Kunst  ihres  Vaters  in  eine  etwas  greifbarere,  prosaischere,  daher  lehrbare  und  leichter 


■)  Vgl.  S.  248  Anm.  3.  Nr.  491 :   [op]us  Tim[a]rchi.      Sie  ist  zusammen 

»)  Benndorf,  Arch.  Untersuchungen  auf  Samothrake  mit  einer  Basis,  die  die  Inschrift  opus  Polyclit[i] 

II  55  ff.  Taf.  64,    Studniczka,  Siegesgöttin  23  ff.  trägt,  bei  der  Basilica  Julia  in  Rom  gefunden. 

Taf.  XI.      Klein,   Gesch.   d.   griech.    Kunst    III  Sie  stimmt  außer  mit  dieser  in  der  Form  auch 

288  ff.  Brunn-Br.  Taf.  85.  Lippold,  R.  M.  XXXIII  überein  mit  einer  Basis  aus  Rom,  die  die  Inschrift 

1918,  94  ff.      Kleins  und   Lippolds  Datierung  in  opus  PraxiteHs  trägt.     Loewy  a.a.O.  Nr.  489— 

späthcUenistische  Zeit  zurückgewiesen  von  Sieve-  490. 

king,  Sitzungsber.  Münchencr  Ak.  1920,  11.  Abh.  5)  Overbeck,  Schriftquellen  Nr.  1333— 1337.    Loewy 

15  Anm.  2.  a.  a.  0.  Nr.  :o8— lio.     Er  hat  an  7  Werken  des 

3)  Plmius  XXXVI  24  Praxitelis  f^lius  Ccphisodotus  Bruders  teilgenommen.    Vgl.  Lippold  bei  Pauly- 

et  arlis  heres  fuit.  Wissowa,  Rcalencyclopädie  XI  i,  235  ff.  Nr.  1—7. 

<)  Loewy,    Inschriften   griechischer    Bildhauer    321  ^j  Vgl.  Marshall,  J.  d.  L  XXIV  1909,  83  {.  Anm.  6. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


251 


nachzuahmende  Formensprache  umgesetzt  und  so  den  Nachahmern  praxitelischer 
Kunst  aller  Zeiten  vorgearbeitet.  Sie  haben  als  erste  die  klare  Anmut  und  einfache 
Schönheit  des  Praxiteles  schon  leicht  in  der  Richtung  auf  das  spätere  süßlichere 
Ideal  hellenistischer,  römisch-klassizistischer  und  modern  -  klassizistischer  Zeiten 
umgebildet.  Auch  der  hellenistische  Verismus  beginnt  sich,  wieder  in  Überein- 
stimmung mit  Plinius  ')  schon  an  den  Koer  Fragmenten,  besonders  in  der  Bildung 
des  Gewandes,  wenn  auch  nur  ganz  leise,  zu  zeigen. 

II.  Verwandte    Bildwerke   in    Kos. 

Als  Salomon  Reinach  im  Jahre  1882  einen  feinen  Ephebenkopf  aus  Kos  ver- 
öffentlichte, brachte  er  ihn  mit  einer  lokalen  Schule  in  Verbindung,  die  sich  in  Kos 
am  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  v.  Chr.  unter  dem  Einfluß  des  Praxiteles  gebildet 
habe  ^).  Paton  verglich  zu  dem  Kopf  Nachrichten  der  antiken  Schriftsteller  über 
die  Schönheit  der  Jünglinge  von  Kos  3).  An  die  Stelle  von  Praxiteles  selbst  treten 
jetzt  seine  Söhne.  Man  kann  sich  wohl  denken,  daß  sie,  die  außer  der  idealen  Rich- 
tung ihres  Vaters  auch  die  Porträtbildncrei  pflegten,  angeregt  von  der  Schönheit 
der  Inselbewohner,  neben  der  Arbeit  am  Altar  eine  Reihe  weiterer  Werke  geschaffen 
haben,  z.  B.  Votivbilder  für  die  Götter  der  Insel,  die  sie  für  sich  selbst  weihten  oder 
auch  in  Auftrag  erhielten.  Eine  solche  Weihegabe  ist  wohl  sicher  die  folgende  Sta- 
tuette: 

6.  Statuette  einer  bekleideten  Frau  (Taf.  VII  rechts)  4).  Gefunden  am  7.  Septem- 
ber 1904  an  der  SW.-Ecke  von  Terrasse  III  im  Asklepieion.  Jetzt  in  Konstanti- 
nopel. Im  Gegensatz  zu  den  Altarskulpturcn  besteht  die  Figur  aus  großkristalli- 
nischcm  Inselmarmor,  und  der  Maßstab  ist  etwas  kleiner  als  dort.  H.  0,635  m.  Es 
fehlen  Kopf,  oberer  Teil  des  Rückens,  Unterarme,  Füße  mit  dreieckig  nach  der  Mitte 
ansteigendem  unteren  Stück  des  Gewandes.  Linker  Oberschenkel  und  der  herab- 
hängende Mantel  sind  bestoßen.  Kopf  mit  Hals  war  eingelassen;  beide  Unterarme 
waren  mittelst  Dübellöcher  an  die  glatten  Schnittflächen  im  Ellbogen  angesetzt. 
An  der  Vorderseite  der  linken  Schulter  befindet  sich  innerhalb  einer  bestoßenen 
Stelle  ein  kleines  rundes  Loch. 

Die  Frau  trägt  einen  geschlossenen  Peplos  mit  kurzem  Überschlag  und  Bausch. 
Darunter  wird  nur  am  rechten  Arm  ein  Chiton  sichtbar.  Ein  Mantel  lag  über  dem 
Kopf  und  hängt  im  Rücken  bis  zur  Mitte  des  Unterschenkels  herab.  Zwei  Ecken 
mit  Hängegewichten  sind  links  vorn  auf  der  Hüfte  zwischen  Apoptygma  und  Kol- 
pos, hinten  neben  der  Wade  sichtbar.    Die  obere  Ecke  hängt  von  der  Hnken  Schulter 


')  Plinius    XXXVII    24    Praxitelis    filius    Ccphiso-  Villefosse,  Mon.  Piot  I  72  Anra.    Nr.  6.     Craw- 

dotus  .  .  .     laudatum  est   Pergarai   symplegma  ford,  Memoirs  of  the  American  Academy  of  Rome 

nobile   digitis   corpori   verius   quam  marmori  im-  I   1916,   103  u.   112  Nr.  40. 

pressis.  ')  Paton-Hicks,  Inscriptions  of  Cos  XI. 

>)   Salomon    Reinach,    Bulletin    de    corr.    hell.    VII  <)  Kos  Inv.  Nr.  240.    Herzog,  Arch.  Anz.  XX  1905, 

1882,  467  ff.  PI.  II.    LouvreNr.  2112.    Hörende  10.     Mendel,    Catalogue   des   sculptures,  Musees 

ottomancs  III  35  Nr.  832.     Mus.  Nr.  1556. 


2e2  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


herab,  von  der  der  Zipfel  in  Zickzackfalten  herabfällt.  Linke  Schulter  und  Arm 
sind  ganz  verhüllt.  Rechts  ist  der  Mantel  über  Schulter  und  halben  äußeren  Ober- 
arm gezogen.  Das  linke  Bein  ist  leicht  gebeugt  nach  auswärts  und  rückwärts  gesetzt. 
Beide  Unterarme  waren  vorgestreckt.  Die  rechte  Schulter  steht  tiefer  als  die  linke. 
Die  rechte  Hand  war  offenbar  weniger  belastet  als  die  linke.  Sie  hielt  wohl  ein  leich- 
tes Attribut,  etwa  eine  Schale.  Im  linken  Arm  muß  dagegen  ein  größerer  Gegenstand 
gelegen  haben,  der  in  dem  Bohrloch  vor  der  Schulter  befestigt  war.  Es  könnte  ein 
Füllhorn,  eine  Fackel  oder  eine  sich  emporringelnde  Schlange  gewesen  sein.  Je 
nachdem  wäre  eine  Tyche,  Demeter,  Kora  oder  eine  Hygieia  dargestellt  gewesen. 
Der  Fundort  läßt  die  letztere  Benennung  als  die  wahrscheinlichste  erscheinen. 
Die  Tracht  gibt  keinen  Anhalt,  da  Hygieia  sowohl  im  Peplos  wie  im  Chiton 
ohne  festen  Typus  erscheint,  z.  B.  in  beiden  in  Epidauros,  wo  die  Deutung  durch 
die  sie  umwindenden  Schlangen  gesichert  ist '). 

Die  Arbeit  ist  etwas  flüchtig,  aber  ziemlich  gut  und  der  der  Altarskulp- 
turen verwandt,  z.  B.  in  der  Behandlung  der  Falten  am  Spielbein  und  der  daneben 
frei  herabhängenden  Falten.  Wie  diese  macht  sie  den  Eindruck  eines  frühhellcni- 
stischen  Originals.  Der  Bohrer  ist  maßvoll,  hauptsächlich  für  die  Steilfalten  am 
Peplos  verwendet. 

Die  Entwicklung  der  Darstellung  einer  ruhig  stehenden  Frau  im  Peplos  ist 
von  Kekule  ^)  anfangend  von  der  Sterope  im  Ostgiebel  des  Zeustempels  von  Olympia 
bis  zu  den  Koren  vom  Erechtheion  verfolgt  worden.  Dasselbe  Thema  behandelt 
Furtwängler  3)  von  er.  450  v.  Chr.  bis  in  die  Zeit  des  Praxiteles  herein.  Die  Koer 
Statue  gehört  einer  jüngeren  Zeit  an.  Zwar  erinnert  sie  auf  den  ersten  Blick  an  die 
Eirene  des  älteren  Kephisodot  4),  ja  sie  macht  sogar  einen  eher  älteren  Eindruck, 
weil  die  Steilfalten  vor  dem  rechten  Bein  und  die  Falten  des  Kolpos  ziemlich  ein- 
fach und  untereinander  gleichartig  gebildet  sind.  Dieser  Schein  trügt  jedoch.  Die 
Proportionen  sind  bedeutend  schlanker.  Der  Oberkörper  ist  im  Verhältnis  zum  Un- 
terkörper niedrig  und  schmal.  Die  Falten  rechts  außerhalb  des  Standbeins  und  links 
neben  dem  Oberkörper  schieben  sich  ganz  in  späterer  Weise  übereinander.  Die  beste 
und  bedeutungsvollste  Parallele  zu  der  Koer  »Hygieia«  bietet  die  Leto  nach  dem  Werk 
des  jüngeren  Kephisodot  auf  der  Basis  von  Sorrent  5).    Hier  wie  dort  finden  sich  der 


)  Stais,  Ephemeris  1886,  249  f.    Pin.  11,  1  u.  3.  5)  Plinius    XXXVI    24.      Heydemann,    R.    M.    IV 

)  Kekule,  Kopien  einer  Frauenstatue  aus  der  Zeit  1889,    Taf.  X  a.      Hülsen   ib.    IX    1894,    240  ff. 

des    Phidias,    57.  Berliner    Winckelmannsprogr.  Amelung  ib.  XV  1900,   198  ff.  und  Ausonia  III 

1897,  17  f.  1908,  94  f.  Fig.  I  (hier  irrtümlich  als  Werk  beider 

3)  Furtwängler,  Originalstatuen  in  Venedig,  Abhdl.  Söhne     des     Praxiteles     bezeichnet,       während 

.     d.  ba>T.  Akad.  d.  Wiss.    i.  Kl.  XXI  2,    1898,18  Plinius    nur    von   Kephisodot    spricht).     Arndt- 

(resp.  292)  ff.  Amelung  E.  V.  Nr.  544.     Lippold,  Kopien  und 

■t)  Furtwängler,   Beschreibung  der   Glyptothek  Nr.  Umbildungen  griech.  Statuen  227.  Mirone,  Revue 

219.    Brunn-Br.  Taf.  43.    Klein,  Praxiteles  83  ff.  arch.   1922,  310  ff.         Die     Statue     befand     sich 

undGeschichted.  griech.  Kunst  II  240  ff.  Ducati,  bekanntlich  später  im  Tempel  des  ApoUon  auf 

Revue  archcol.   1906  I  III  ff.     Amelung,  Arch.  dem  Palatin  neben  dem  Apoll  des  Skopas  und 

.\nz.  XXXIV  191 9,  50  f.    Mirone,  Revue  archcol.  der  Artemis  des  Timotheos.  ProperzIIl3i,  I5f. 

XVI  1922,  274  ff. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  2?^ 


gleiche  kurze  Oberkörper,  die  gleiche  schmale  Brust  mit  kräftigen  Brüsten,  die  brei- 
ten Hüften,  die  kleinen  gleichmäßig  gezeichneten  Falten  des  Bauschs,  ähnliche  An- 
ordnung des  Mantels,  ähnliche  Faltenzüge  unter  den  Brüsten  und  ähnliches  Aus- 
breiten des  Mantels  nach  der  Seite.  Die  Unterarme  der  Koer  Statuette  scheinen 
nach  den  auswärts  gekehrten  Schnittflächen  ähnlich  wie  bei  der  Leto  nach  den  Sei- 
ten ausgebreitet  gewesen  zu  sein.  Noch  ähnlicher  ist  die  Drapierung  des  Peplos 
bei  der  Leto  auf  einem  Weihrelief  aus  Larissa  in  Athen  ').  Hier  kehren  auch  die 
Bogenfalten  zwischen  den  Brüsten  wieder,  die  teilweise  mit  tütenförmigen  Endi- 
gungen in  der  Mitte  gegeneinander  laufen. 

Etwa  in  der  Mitte  zwischen  der  Eirene  des  älteren  Kephisodot  und  der  früh- 
hellenistischen  Peplosstatuette  in  Kos  stehen  sowohl  zeitlich  wie  stilistisch  die  Frau 
mit  Kind  in  Athen  2)  und  die  nach  den  mitgefundenen  Statuen  von  Apoll  und  Artemis 
auf  Leto  zu  deutende  Statue  aus  dem  Theater  von  Delos  3),  die  wie  mir  scheint  bis- 
her etwas  zu  nahe  an  das  Werk  des  älteren  Kephisodot  angeschlossen  wurden.  Die 
Peplosstatue  aus  Halikarnass  4)  steht  zeitlich  der  Koer  Statuette  noch  näher,  ist 
aber  stilistisch  völlig  von  ihr  verschieden.  Sie  kann  dazu  dienen  zu  zeigen,  wie  die 
Söhne  des  Praxiteles  von  dem  neuen  Gewandstil  mit  der  starken  Oberflächenbe- 
wegung des  Stoffes,  der  sich  in  Kleinasicn  heranbildete  und  den  wir  aus  Halikar- 
nass, Ephesos  und  Prienc  kennen,  gänzlich  unberührt  blieben.  Während  diese  ma- 
terialistische Gewandbehandlung  in  Pergamon  zu  höchster  Virtuosität  und  täuschen- 
der Wiedergabe  des  Gewandstoffes  ausgebildet  wurde  5),  hat  die  schlichtere  »klassi- 
schere«, idealere  Auffassung  der  Söhne  des  Praxiteles  sehr  wenig  Nachfolge  im  Helle- 
nismus gefunden.  Sehr  nahe  verwandt  in  Peplosform,  Mantelanordnung  und  Pro- 
portionen scheint  mir  nur  ein  Statuetten-Torso  aus  Milet  im  Berliner  Museum  Nr. 
1678,  der  aus  pentelischem  Marmor  besteht.  Der  rechte  Arm  scheint  ähnlich  bewegt 
gewesen  zu  sein  wie  an  der  Koer  Figur.  Erst  in  römischer  Zeit  finden  sich  wieder  zahl- 
reichere ähnliche  »klassizistische«  Peplosfiguren,  z.  B.  die  Statuetten  von  der  Agora 
in  Thera*)  oder  die  beiden  Statuen  der  Nemesis-Tyche  vom  Stadion-Eingang  in 
Olympia  7) . 

Diese  kurze  Übersicht  bestätigt  nochmals,  daß  Kephisodot,  entsprechend 
der  Nachricht  des  Plinius,  der  Erbe  der  Kunst  seines  Vaters  ist,  so  daß  er,  obwohl 
er  im  hellenistischen  Zeitalter  lebt,  sachlich  in  mancher  Hinsicht  noch  der  klassi- 
schen Kunst  angehört.  Fortgeschrittener  erscheint  er  dagegen  in  der  Bildung  der 
Köpfe,  zu  denen  wohl  auch  der  folgende  zu  zählen  ist. 


«)  Athen  Nat.-Mus.  Nr.   1380.      Kuruniotis,  Ephe-  4)    Michon,    Bull.    corr.    hell.    XVII   1893,    410  ff. 

meris  1900,   18  PI.  2,  3.     Arndt-Amelung  E.  V.  PI.  XVI.     Phot.  Alinari  Nr.  22598. 

Nr.  125:.    Hartwig,  Bendis  8  f.  Fig.  2.  5)  Vgl.  z.B.  die  Frau  im  Peplos,   Winter,    Skulp- 

»)  Arndt-Amelung  E.  V.  Nr.  707.    Athen.  Nat.-Mus.  turen  von  Pergamon   I  47  f.  Nr.  26,  Beibl.  4. 

Nr.  1631.     Sybel  Nr.  589.  ^)  Hiller  von  Gaertringen,  Thcra  III  131  Fig.  112. 

3)  Mayence  et  Leroux,  Bull.  corr.  hell.  XXXI  1907,  7)  Skulpturen  von  Olympia  III  237  f.  Taf.  59,  2—3. 

400  ff.  Fig.  7.  Vgl.  auch  Furtwängler,    Sammlung  Somz^e  12  f. 

Abb.  14. 


254 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


7.  Weiblicher  Kopf  (Abb.  4).  Gefunden  am  12.  Oktober  1903  auf  Terrasse  III 
im  Asklepieion.  Jetzt  in  Konstantinopel ').  H.  0,23  m.  Der  Maßstab  ist  also  etwas 
größer  als  an  den  Altarskulpturen  und  beträgt  etwa  dreiviertel  Lebensgröße.  Der 
Marmor  ist  weiß  und  großkristallinisch,  stammt  also  wohl  von  den  Inseln.  Es  fehlt 
der  Hinterkopf,  der  ohne  Dübelloch  an  eine  glatt  abgearbeitete  Fläche  angesetzt 
war.  Eine  ebensolche  glatte  Fläche  befindet  sich  an  der  rechten  Seite  des  Ober- 
kopfs.   Wahrscheinlich  waren  die  fehlenden  Teile  in  Stuck  ausgeführt,  wie  es  vor 

allem  in  Alexandrien  so  häufig  vor- 
kam ^).  Nase  und  Lippen  sind  ab- 
gestoßen. Rechts  vom  Scheitel  ober- 
halb des  rechten  Auges  befindet 
sich  ein  Zapfenloch,  das  wohl  nicht, 
wie  Mendel  annimmt,  für  das  feh- 
lende Kopfsegment  bestimmt  ist, 
sondern  zur  Befestigung  eines  Me- 
niskos  diente.  Ist  dies  der  Fall,  so 
muß  der  Kopf  ziemlich  stark  nach 
seiner  linken  Seite  geneigt  werden, 
wodurch  er  eine  ähnliche,  nur  ent- 
gegengesetzte Haltung  bekommen 
würde  wie  Nr.  I.  Die  Anordnung 
der  von  einem  Band  umgebenen 
Haare,  der  weiche  Haaransatz,  das 
elegante  Oval  des  Gesichts,  die  fein 
gezeichneten  Augen  mit  ihrem  zart 
empfundenen  Ausdruck,  der  leicht 
geöffnete  Mund,  die  hohe  Stirn, 
das  lange  Mittelgcsicht,  das  relativ 
kurze  Kinn  entsprechen  völlig  dem 
Kopf  Nr.  I.  Die  Arbeit  ist  nur 
etwas  weniger  gut  und  härter  als 
dort.  Mundspalte  und  Nasenlöcher 
sind  mit  dem  Bohrer  ausgeführt. 
Trotzdem  ist  es  eine  sichere  frühhellenistische  Original-Arbeit  und  wohl  wie  Nr.  6 
als  Nebenarbeit  der  Söhne  des  Praxiteles  aus  der  Zeit  ihrer  Tätigkeit  am  Altar  des 
Asklepieions  zu  verstehen. 

Dagegen  lehren  uns  drei  weitere  in  Kos  gefundene  Köpfe,  wie  sich  nun  hier 
im  Anschluß  an  die  Kunst  von  Kephisodot  und  Timarchos  die  von  Amelung  behan- 
delte  »alexandrinische«  Richtung  herausgebildet  hat. 


Abb.  4.     Frauenkopf  aus  Kos  in  Konstantinopel. 


')   Inv.   Kos  Nr.  50.      Herzog,   Arch.   Anz.   XVIII       '-)  Vgl.  Sicveking  zu  Brunn-Br.  Taf.  605  und  Ame- 
1903,  196  1.  unten  und  r.  oben.    Mendel,  Cat.  des  lung,  Ausonia  III   190S,   115  ff.  bes.  Taf.  III  u. 

sculptures  II  129  Nr.  412.     Mus.  Nr.  1535.  Abb.  18 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


255 


8.  Mädchenköpfchen  (Abb.  5).  Gefunden  durch  Herzog  im  Asklepieion.  Jetzt 
in  Konstantinopel ').  Weißer  Marnior  mit  engem  Korn  und  wenig  Kristallen. 
H.  0,14  m,  also  nur  etwa  halbe  Lebensgröße.  Es  fehlt  die  Nase.  Oberkopf,  rechtes 
Auge,  rechte  Wange  und  Kinn  sind  bestoßen.  Die  gescheitelten  Haare  umrahmen 
in  welligen,  vollen  Strähnen  die  dreieckige  Stirn.  Sie  sind  seitlich  um  ein  nicht  sicht- 
bares Band  gelegt  und  hinten  zu  einem  flachen  Knoten  zusammen  genommen,  aus 
dem  breite  Strähnen  auf  den  Rücken  fallen.  Hinter  jedem  Ohr  fiel  eine  Locke  auf 
die  Schulter.  Das  Gesicht  zeigt  ein  derbes  Oval,  lange  Wangen,  weich  gezeichnete 
längliche  schmale  Augen,  einen  süßen  Mund.  Das  Köpfchen  gehört  zu  den  von  Ame- 
lung  und  Marshall  zusammengestellten  frühhellenistischen  »alexandrinischen«  Köp- 
fen, die,  wie  wir  oben  sahen,  an  die  Kunst  der  Söhne  des  Praxiteles  anschließen  ^). 
Besonders  ähnlich  sind  der  Kopf  der  Aphrodite- Statuette  in  Sammlung  Spink3), 
ein  Köpfchen  im  Museum  von  Basel  4),  ein  Köpfchen  aus  Ägypten  in  Sammlung 
Prinz  Rupprecht  zu  München  5),  ein  Kopf  aus 
Gizeh  in  Dresden^),  drei  Athena-Köpfchen  aus 
Gips,  gefunden  in  Memphis,  jetzt  in  Hildesheim  7), 
und  einige  Köpfe  der  unveröffentlichten  Samm- 
lung Sieglin  in  Dresden  und  Stuttgart.  Diese 
Gruppe  zeigt  die  Anmut  der  praxitelischen 
Schule  nach  »alcxandrinischer«  Weise  bereits 
in  der  Richtung  auf  das  Schwächliche  und 
Schmachtende  hin  umgebildet.  Sie  gehört  der 
zweiten  Hälfte  des  HI.  Jahrhunderts  v.  Chr.  an. 

9.  Köpfchen  auf  einer  weiblichen  Statuette, 
zu  der  er  nicht  gehört.  Aus  Kos,  in  München, 
Sammlung  Nauc  ^).  Der  Kopf  ist  von  Marshall  9) 
richtig  zu  der  von  ihm  zusammengestellten 
Gruppe  letzter  Ausläufer  praxitelischen  Stils  ge- 
zogen  worden,   kleinen  armseligen  Werken,   die  alle  Merkmale  der  zweitklassigen 


Abb.  5.     Mädclienkopf  aus  Kos  in 
Konstantinopel. 


')  Mendel,    Cat.    des    sculptures    II    125    Nr.  404. 

Mus.  Nr.  1534. 
')  Amelung,  Bulletino  comunale  XXV  1897,  114  ff., 

Marshall,    J.    d.    I.  XXIV   1909,   83  f.  Anra.  6. 

Vgl.   oben   S.  249. 

3)  Salomon  Reinach,  Revue  archeol.  1903  I  388  ff. 
PI.  VI. 

4)  Amelung  a.a.O.  128  f.  Fig.  8  u.  9.  Arndt- 
Amelung  E.  V.  Nr.  899 — 900. 

5)  Arndt-Amelung  E.  V.  Nr.  904. 

')  Treu,  Arch.  Anz.  VI  1891,  25  Fig.  12.  Herrmann, 
Verzeichnis  d.  Original-Bildwerke  zu  Dresden 
Nr.  137. 

7)  Rubensohn,  Hellenistisches  Silbergerät  72  f.  Nr. 
60-61,   Taf.XVI  u.   82  f.   Nr.  78  Taf.  XVII. 

8)  Arndt-AmelungE.  V.Nr.  1043.  Eduard  Schmidt, 


Auktions-Katalog  Naue  1908,  17  Nr.  244,  Taf.V. 
Arndt  hielt  den  Kopf  für  zugehörig,  während 
Schmidt  dies,  wie  mir  scheint  mit  Recht,  be- 
streitet. Der  Torso  ist  nach  ihm  (a.  a.  O.  i6 
Nr.  242  und  bei  Valentin  Kurt  Müller,  R. 
M.  XXXIV  1919,  86  Anm.  2,  sowie  freundliche 
mündliche  Belehrung)  eine  römische  Arbeit  nach 
hellenistischem,  archaisierendem  Vorbild.  Die 
Proportionen  mit  schmaler  hoher  Brust  und 
starker  Verbreiterung  des  Gewandes  nach  unten 
erscheinen  mir  späthellenistisch.  Sehr  eigenartig 
ist  die  Manteltracht,  bei  der  beide  Arme  in  den 
Mantel  gewickelt  sind,  ohne  daß  dieser  die 
Vorderseite  des  Körpers  verdeckt  (vgl.  Valentin 
Kurt  Müller  a.a.O.  86). 
9)  Marshall  a.  a.  0.  83  f.  Anm.  6  Nr.  4. 


256 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


Nachahmung  und  des  Verfalls  aufweisen.  Einige  weitere  Beispiele  gleicher  flüchtiger, 
verblasener,  verschwimmender,  flimmeriger  Behandlung  der  Oberfläche  bieten  un- 
veröffentlichte kleine  Köpfe  aus  Alexandrien  in  der  Sammlung  Sieglin,  jetzt  teils 
in  Tübingen,  teils   in   Stuttgart,    z.  B.    eine   dort  befindliche   ganz  verweichlichte 

Nachahmung    der    kapitolinischen 
Venus. 

10.  Überlebensgroßer  Frauen- 
kopf (Abb.  6).  Früher  in  der  Stadt 
Kos  beim  Demarchos  Nikolaides. 
H.  0,72  m.  Gesichtslänge  0,36  m, 
also  etwa  doppelte  Lebensgröße. 
Großkörniger  weißer  Marmor.  Kinn, 
Mund,  Nase  mitsamt  der  Partie 
zwischen  den  Augen,  1.  Braue  und 
Ränder  der  Ohren  sind  abgestoßen. 
Der  Hals  war  gebrochen.  Ein  Stück 
Oberkopf  und  der  Hinterkopf  wa- 
ren wie  bei  Nr.  7  besonders  an- 
gesetzt. Das  gescheitelte  Haar  ist 
von  einem  Band  umgeben,  das  am 
Scheitel  ein  rundes  Loch  für  einen 
Schmuckaufsatz  hat.  Man  könnte 
an  eine  Lotosblüte  denken  und 
den  Kopf  auf  Isis  deuten.  Jeden- 
falls gehört  er  in  die  alexandrinische 
Kunst,  und  zwar  in  ihr  letztes 
Stadium  ').  Die  etwas  affektierte 
Haltung  des  gestreckten  Halses  und 
des  emporgerichteten  und  dabei 
zugleich  gegen  die  linke  Schulter 
geneigten  und  gedrehten  Kopfes 
kehrt  an  dem  schönsten  Frauen- 
kopf dieser  Richtung  im  Museum 
von  Alexandrien  wieder,  der  bisher 
nur  in  einem  populären  Buch  gut 
abgebildet  ist  ^).  Der  Koer  Kopf  wirkt  wie  eine  schlechte,  im  Gegensinn  gearbeitete 
Nachahmung.  Bei  aller  Ähnlichkeit  auch  in  den  Formen  von  Stirn,  Wangen  Kinn 
und  aufblickenden  Augen  fehlt  ihm  das  sfumato  und  die  morbidezza  des  echten 
alexandrinischen  Kopfes.  Das  Haar  ist  ähnlich  gleichförmig  mit  dem  Bohrer  ge- 
arbeitet  wie  an  der  Dichterin  oder  Muse,  die  Amelung  als  Kopienach  einem  alexan- 

■)  Adelung  a.  a.  O.   138  ff.  ^y^  Seemann  Nr.  30  556.  Kleh^e  Abb.  bei  Breccia, 

)  Waldmann,  Griechische  Originale  Nr.  177.  Licht-  Alexandrea    ad    Aegyptura    1922,    „5    Fig.  48; 

vgl.  177  £.   Nr.  20. 


Abb.  6.     Frauenkopf  aus  Kos. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


257 


drinischen  Original  bestimmt  hat  •).  Der  Kopf  in  Kos  ist  nicht  nur  schlechter  er- 
halten, sondern  auch  noch  schlechter  und  härter  gearbeitet  als  der  römische  Kopf. 
Nur  Haltung  und  Umrisse  lassen  noch  das  weiche  Vorbild  ahnen.  Zu  bedenken 
ist,  daß  der  Künstler  bei  dem  großen  Maßstab  auf  Fernwirkung  arbeiten  und  ver- 
schwimmende Formen  meiden  mußte. 

Wir  lernen  also  auf  Kos  originale  Werke  der  Söhne  des  Praxiteles  und  die 
Weiterwirkung  ihres  Stils  bis  zum  Ausleben  und  Verfall  dieser  von  Praxiteles  be- 
gonnenen Richtung  kennen.  Die  erhaltenen  Koer  Originale  sind  sämtlich  stark 
fragmentiert.  Wir  müssen  also,  um  die  Kunst  des  jüngeren  Kephisodot  und  seines 
Bruders  genauer  kennen  zu  lernen,  in  unserem  Denkmälervorrat  nach  vollständigen, 
stilistisch  verwandten  Werken  aus  anderen  Fundorten  suchen. 

III.  Sonstige  verwandte  Bildwerke. 

In  den  meisten  Sammlungen  antiker  Plastik,  Katalogen  und  Büchern  über 
die  griechische  Skulptur  finden  sich  Statuen  oder  Köpfe,  die  der  Schule  des  Praxiteles, 
den  Nachfolgern  des  Praxiteles  oder  der  Generation  nach  Praxiteles  zugeschrieben 
werden  ^).  Manche  dieser  Stücke  sind  zwischen  Praxiteles  und  seiner  Nachfolge 
strittig.  Unter  diesen  scheint  mir  die  Artemis  von  Larnaka  in  Wien  3)  nicht  dem  großen 
Meister,  sondern  seinen  Söhnen  zu  gehören.  Der  Kopf  hat  in  Gesichtszügen,  Haar- 
behandlung und  Haltung  nächste  Verwandtschaft  mit  dem  Kopf  Nr.  i.  Die  Art, 
wie  der  zum  Wulst  gerollte  Mantel  von  der  rechten  Hüfte  zum  linken  Arm  empor- 
steigt und  wie  die  Faltenenden  außerhalb  des  Unterarms  in  breiten  Lagen  über  das 
Idol  herabfallen,  entspricht  völlig  dem  Wulst  und  den  an  der  linken  Seite  herab- 
hängenden Falten  an  dem  Torso  Nr.  3.  Die  Proportionen  entsprechen  der  Peplos- 
figur  Nr.  6.  Sie  sind  für  Praxiteles  selbst  bereits  zu  »hellenistisch«.  Auch  die  Arbeit 
scheint  mir  in  ihrer  originalen  Frische  der  der  Altarskulpturen  von  Kos  verwandt 
zu  sein. 

Unter  den  zahllosen  »praxitelischcn«  Aphroditen  scheint  mir  die  größere  Aphro- 
dite von  Ostia  im  British  Museum,  die  Furtwängler  für  eine  Variante  der  Aphrodite  von 
Arles,  vielleicht  für  ein  Porträt  der  Phryne  hielt,  während  Bulle  sie  richtig  in  die 
»Nachfolge  des  Praxiteles«  setzt  4),  am  meisten  der  Kunst  der  Söhne  zu  entsprechen. 
Die  Gesichtsbildung  und  die  Haltung  des  erhobenen  und  schräg  gestellten  Kopfes 
ähneln  dem  Kopf  Nr.  i,  die  duftige  Haarbehandlung  dem  Fragment  Nr.  2,  die  Behand- 


•)  Amelung   a.  a.  0.   136  f.   PI.    IX.      Vgl.    Heibig,  Meisterwerke  556.  Klein,  Praxiteles  316  f.  Fig.  59. 

Führer  durch  Rom  3  Nr.  1049.  Loewy,  Griechische  Plastik  77  f.  Taf.  86  Nr.  165 

»)  Vgl.  Dickens,  FoUowers  of  Praxiteles,  Annual  of  a  u.  b.    Bulle,  Archaisierende  Rundplastik,  Abh. 

the  British  School  at  Athens  XXI  1914/15.  '  «■  bayr.   Akad.   d.  Wiss.   XXX   1918,   20   Taf.    V 

PI.  I— V.  Nr.  40. 

3)  Wien,   Standnummer    152.   Inv.    Nr.  603.    Rob.  4)  British   Mus.    Cat.    of   Sculpture    III   Nr.    1574, 

V.     Schneider,     Jahrb.     d.     Sammig    d.    allerh.  Furtwängler,  Meisterwerke  549  f-  Fig.  103.   Klein, 

Kaiserhauses  V  1887,   l  ff.  Taf.   I— II.     Album  Praxiteles   293.      Friederichs-Wolters  Nr.    1455. 

auserles.  Gegenstände  2  Taf.  IV.     Furtwängler,  Bulle,  Schöner  Mensch  344  f-  Taf.  160.   Pomtow, 

J.   d.   I.    XXXVII  1922,  110. 


258 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


lung  und  Anordnung  des  Gewandes  dem  Torso  Nr.  3,  nur  ist  an  der  Kopie  die  Formen- 
gebung  etwas  lebloser  und  kleinlicher  als  an  den  Originalen. 

Wie  die  Aphrodite  von  Ostia  sich  zu  der  Venus  von  Arles,  so  verhält  sich  die 
Münchener  Aphrodite  •)  zu  der  knidischen  Venus  des  Praxiteles.  Auch  sie  ist  nicht 
eine  gleichzeitige  Variation,  sondern  eine  jüngere  Umbildung,  und  auch  sie  entspricht 
im  Kopftypus  und  in  der  Wiedergabe  der  in  breiten  flachen  Faltenlagen  neben  dem 


Abb.  7.     Kopf  des  Apollino,  Florenz. 

Körper  herabfallenden  Gewandmasse  den  Altarskulpturen  von  Kos.  Die  Söhne 
erreichen  nicht  die  Erhabenheit  des  Vaters,  aber  sie  formen  inmierhin  noth  kräftigere 
Körper,  als  etwa  der  Meister  der  Aphrodite  von  Medici. 

Denselben  Unterschied,  der  zwischen  diesen  Bildern  der  Liebesgöttin  und  den 
Aphroditen  des  Praxiteles  besteht,  dürfen  wir  zwischen  dem  sogenannten  »Apollino«  *) 

')  Furtwängler,    Meisterwerke    551.       Beschreibung       »)  Amelung,  Führer  durch  Florenz   Nr.   69.     Klein, 
der   Glyptothek   zu   München»   266  ff.   Nr.    258.  Praxiteles  1 58  ff.  Fig.  24.    Bulle,  Schöner  Menscli 

Illustrierter  Katalog  Taf.  40.   Brunn-Br.  Taf.  372.  134  f.  Tat.  69.     Zuletzt  L.  Cesana,  Bull.  comm. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


259 


Abb.  8.      Kopf  in  Kassel. 


Abb.  9.     Kopf  in   Kassel, 


Abb.   10.     Kopf  in  Kassel,  Oberansicht. 


43i  1915,  73  ff.  Tav.   II — 111.     Die  von  ihr  zu-  und  der»Ephebe  von  Sutri«Tav.  III  ist  doch  wohl 

sammengestellten   Münzen   (77    Fig.    i    u.    80  ff.  auch  nur  ein  Nachklang,  nicht  eine  authentische 

Fig.  2 — 3  Tav.  11  I — 8)  geben  nur  die  Umrisse,  Nachbildung  des  Originals.     Abb.  7  nach  Phot. 

Alinari  Nr.  1169. 


260 


Margarete  Kieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


und  seinem  Vorbild,  dem  »Apollon  Lykeios«')  voraussetzen.  Die  Florentiner  Figur 
entspricht  in  der  Stellung  der  Beine,  der  ausgebogenen  Hüfte,  der  Form  des  Rumpfes 
dem  Torso  Nr.  3;  in  der  Kopfhaltung  (Abb.  7),  den  länglich-schmalen  Augen,  dem 
leicht  schmachtenden  Mund,  den  Proportionen  des  Gesichts  dem  Kopf  Nr.  I.  Die 
Umbildung  zu  hellenistischer  Eleganz  und  Süßlichkeit  ist  hier  allerdings  schon  etwas 
weiter  geführt,  als  dort.  Wie  das  Bild  des  Praxiteles  ausgesehen  haben  mag,  lassen 
uns  die  Münzen,  ungenauen  Marmorstatuen  und  kleinen  Bron2;pstatuetten  nur  ahnen. 
Eine  Vorstellung  von  dem  Kopftypüs  gibt  vielleicht  ein  Kopf  aus  Rom,  früher  im 


Abb.    II,     Mädchenkopf  in  Budapest. 


Abb.   12.     Mädchenkopf  in  Budapest. 


Bonner  Provinzialmuseuni,  jetzt  in  Kassel  ^)  (Abb.  8 — 10),  den  ich  dank  der  Güte 
von  Professor  Lehner  und  Geheimrat  Boehlau  hier  abbilden  darf.  Haltung  und 
Anlage  des  Kopfes  sind  die  gleichen  wie  am  Kopf  des  Apollino,  doch  ist  alles 
einfacher  und  großzügiger  als  dort.  Obwohl  die  Nase,  beide  Ohrläppchen,  der 
Rand    der  Ohrmuschel    abgestoßen,    das    linke    Auge    verletzt,    die    Oberfiä,che 

')  Lukian,  Anacharsis  cap.  7.  Es  wird  gewöhnlich 
vergessen.daß  weder  Lulcian  Praxiteles  als  Schöpfer 
des  Bildes  nennt,  noch  eine  Einzelstatue  des 
Apoll  von  Praxiteles  außer  dem  jugendlichen 
Sauroktonos  bezeugt  ist.  Immerhin  hat  Praxiteles 
den  Gott  dreimal  in  Gruppen  gebildet  (Paus.  I 
44,  2.  VIII  9,  I.  Plin.  XXXVI  23),  und  es  könnte 
der  in  Rom  mit  einem  Poseidon  verbundene 
Apollon  ein  solches  Einzelbild  gewesen  sein. 
Die  durch  die  Münzen  bezeugte  Komposition 
Abstand  der  inneren  Augenwinkel 


ist  ferner  so  echt  praxitelisch,  daß  die  communis 
opinio  wohl  recht  haben  wird. 
')  Bonn,  Provinzialmuseum  Nr.  29482.  Kürzlich 
durch  Tausch  in  das  hessische  Landesmuseum 
zu  Kassel  gekommen.  Inselmarmor,  vielleicht 
parisch.  Schöne  hellgoldgelbe  Patina.  H.  0,27. 
Kopfhöhe  0,255.  Gesichtslänge  0,185.  Ab- 
stand der  Ohren  0,14.  Haargrenze — ^Nasen- 
wurzel =  Nasenwurzel  —  Mundspalte  je  0,69. 
Mundspalte  —  Kinn  0,047.  Breite  des  Mundes  0,04. 
0,035.     Länge  des  Auges  0,0325   m. 


Margarete  Bieber,  Die  Sehne  des  Praxiteles. 


26£ 


Stark  korrodiert  ist,  erkennt  man  deutlich  die  noch  festen  Formen,  verbunden 
mit  dem  verträumten  Lächehi,  das  nur  leise  um  Augen  und  Mund  huscht,  wie 
es  für  Praxiteles  charakteristisch  ist.  Stirn  und  Mittelgesicht  sind  im  Verhältnis 
zum  Kinn  sehr  lang.    Der  Mund  ist  schmal;  unter  der  Unterlippe  ist  eine  tiefe  Rinne 


Abb.  13.     Frauenkopf  in  Tarent. 


Die  Augen  stehen  weit  auseinander.  Der  Haarscheitel  setzt  etwas  rechts  von  der 
Mitte  an,  ist  aber  im  hinteren  Teil  wie  bei  dem  Apollino  nach  links  verschoben  (vgl. 
Abb.  10).  Auf  dem  Oberkopf  ist  rechts  eine  Abarbeitung,  links  ein  Dübelloch  mit 
noch  darin  steckendem  Eisendübel  für  den  aufgelegten  rechten  Arm  des  Apollon 
Lykeios.  Vorn  sind  neben  dem  Scheitel  jederseits  kürzere,  deutlich  abgegrenzte 
Haarsträhnen,  die  die  Männlichkeit  des  Kopfes  beweisen.  Aus  diesen  ist  dann  die 
Haarschleife  des  hellenistischen  Apollino  geworden.     Die  Enden  der  langen  flach- 


Jahrbuch  des  arcliäolog-ischeii  Instituts  XXXVIII/IX  i9?3/24. 


iS 


262 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


gewellten  Haare  sind  hinten  aufgenommen  und  nach  oben  umgeschlagen,  so  daß 
die  lockigen  Enden  noch  über  dem  Schopf  liegen.  Die  Form  des  Knotens  erinnerte 
an  die  durch  das  Kopfband  gezogenen  seitlichen  Haartuffs  des  Sauroktonos '). 

Eine  große  Anzahl  von  weiblichen  Einzelköpfen  zeigt  engste  Verwandtschaft 
mit  dem  Kopf  vom  Koer  Altar  einerseits  und  Abhängigkeit  von  praxitelischer  Kunst 
andererseits,  so  daß  alle  Voraussetzungen  vorhanden  sind,  die  es  erlauben,  sie  als 
Werke  der  Söhne  des  Praxiteles  anzusehen.  Ich  greife  ein  halbes  Dutzend  heraus. 
Ein  Kopf  aus  Smyrna  in  Budapest,  den  ich  dank  der  Güte  von  Professor  Hekler 


Abb.   14,     Kopf  aus  Kyzikos 
in  Dresden. 


Abb.   15.     Kopf  aus  Kyzikos 
in  Dresden. 


hier  abbilden  kann  (Abb.  11— 12)  wird  von  Arndt  und  Wollanka  als  ein  griechisches 
Werk  aus  der  2.  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluß  des  Praxiteles  ent- 
standen bestimmt ').  Der  Mädchenkopf  in  Olympia  3)  steht  der  Münchner  Aphro- 
dite so  nahe,  daß  man  ihn  auch  als  Aphrodite-Köpfchen  zu  bezeichnen  pflegt.  Eine 
Artemis  scheint  mir  in  einem  bezaubernden  originalen  Kopf  in  Tarent  dargestellt 
zu  sem,  der  dort  als  Karyatide  aus  dem  IV.  Jahrhundert  v.Chr.  gilt  (.^bb.  13  4)).  Ich 
glaube,  daß  die  Schnittfläche  wie  bei  dem  Kopf  Nr.  7  zum  Ansetzen  des  Hinterkopfs 

')  Klein,  Praxiteles  104  ff.  Fig.  13. 

')  Wollanka,   Katalog  des  Museums  von  Budapest 

1912  (ungarisch),   52  Nr.   43  Abb.   S.  55.      Aus 

Sammlung  Arndt.     Marmor.     H.  0,13  m.    Nase, 

Oberlippe  und  Teile  des  Haars  sind  beschädigt. 

Der  Haarknoten,   der  besonders  gearbeitet  war 

fehlt. 


von  Tarent  ist  unbeantwortet  geblieben. 


3)  Treu,  Olympia,  Skulpturen  III  206  ff.  Abb.  235 
Taf.   LIV  1—2. 

4)  Abb.  13  nach  Phot.  Alinari  35349.  Diese  Photo- 
graphie trägt  den  Vermerk  Riproduzione  inter- 
detta.  Da  ich  sie  länger  als  10  Jahre  besitze, 
so  ist  dieses  Verbot  wohl  kaum  noch  gültig. 
Eine  den  Kopf  betreffende  Anfrage  im  Museum 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  263 


und  das  Loch  in  der  Mitte  hinter  dem  Haarband  zum  Einsetzen  einer  Mondsichel 
diente.  Die  Züge  zeigen  neben  »praxitelischer«  Anmut  auch  »lysippische«  Belebung 
und  Durcharbeitung,  doch  überwiegt  die  Grazie  das  nervöse  Muskelspiel.  Die  Zart- 
heit der  Formengebung  ist  unbeschreiblich  schön. 

Zwei  weitere  originale  Köpfe  verbinden  mit  der  dem  Koer  Kopf  ähnlichen 
duftigen  und  liebreizenden  Durchbildung  von  Haar  und  Gesicht  ausgesprochen 
individuelle  Züge,  die  an  Porträts  denken  lassen.  Es  sind  das  der  Frauenkopf  aus 
Kyzikos  in  Dresden')  (Abb.  14—15)  mit  dem  kleinen,  vorgeschobenen,  wie  nach- 
denklich leicht  gespitzten  Mund,  und  die  sogenannte  »Methe«,  das  Bild  einer  nicht 
mehr  ganz  jungen  Frau  mit  Haube,  in  München  2).  Einen  leise  sinnlichen  Zug  hat 
schließlich  der  sonst   auch  gleichartige  Mädchenkopf  im  Lateran  3). 

Männliche  Köpfe  und  Statuen  lassen  sich  schwerer  mit  den  Altarskulpturen 
vergleichen,  da  die  erhaltenen  Reste  nur  von  weiblichen  Figuren  stammen.  Man 
kann  jedoch  voia  unbärtigen  Köpfen  den  von  Reinach  veröffentlichten  Epheben 
von  Kos  (vgl.  oben  S.  251)  mit  seiner  leichten,  etwas  skizzenhaften  Formengebung, 
von  bärtigen  den  Asklepios  von  Melos  sowie  den  zu  ihm  gehörigen  Statuentypus 
sehr  gut  mit  ihnen  vereinigen  4). 

Es  fragt  sich  nun,  wie  zu  diesen  wegen  der  Verwandtschaft  mit  dem  Koer  Altar 
den  Söhnen  des  Praxiteles  zugeschriebenen  Werken  die  aus  dem  Altertum  für  sie 
schriftlich  bezeugten  Arbeiten  passen. 

IV.  Schriftlich   bezeugte   Werke. 

Die  schriftlichen  Quellen  für  die  Söhne  des  Praxiteles  fließen  relativ  reichlich. 
Schriftsteller  und  Inschriften  nennen  uns  rund  20  Werke  des  Kephisodot,  von  denen 
er  7  gemeinsam  mit  seinem  Bruder  Timarchos  ausgeführt  hat.  Diese  Nachrichten 
sind  kürzlich  einerseits  von  Lippold,  andererseits  von  Mirone  unabhängig  vonein- 
ander zusammengestellt  und  behandelt  worden  5).  Lippold  zählt  20,  Mirone  18 
Nummern  auf,  doch  stimmen  beide  nur  in  bezug  auf  15  Nummern  überein. 

Lippold  berücksichtigt  nicht  die  Nachricht  des  Plinius,  daß  Kephisodot  Phi- 
losophenstatuen arbeitete,  da  er  diese  für  identisch  mit  den  zahlreichen  anderen  Por- 
trätstatuen hält  *).  Er  schreibt  die  Göttergruppe  in  Megalopolis  dem  älteren  Ke- 
phisodot zu  und  scheidet  den  Altar  und  die  Götterbilder  imPiraeus  aus.    Die  Iden- 


■)  Brunn-Br.  Taf.  390.    Herrmann,  Verzeichnis  der  übrigen  in  Kos  gefundenen  und  vorauszusetzenden 

ant.    Original-Bildwerke    zu    Dresden    Nr.    136  Asklepios-Bilder  sowie  über  die  gesamte  Ikono- 

schreibt  den  Kopf  der  Richtung  des  Skopas  zu.  graphie   der   Asklepios-Statuen   beabsichtige   ich 

')  Brunn-Br.  Taf.  125.     Furtwängler,  Beschreibung  einen  besonderen   Aufsatz   zu   schreiben.      Vgl. 

der  Glyptothek'  Nr.  246.  Hundert  Tafeln  Abb.  50.  vorläufig    Bieber,    Zeitschrift    für    Numismatik 

3)  Benndorf-Schöne  Nr.  544.    Heibig,  Führer  durch  XXXIV  1923,  31511.  Taf.  VHI. 

Roms  Nr.  1234.    Arndt-Amelung  E.  V.  Nr.  2250       5)  Lippold    bei    Pauly-Wissowa,    Realenzyklopädie 
bis  2251.  des  klass.  Alt.  XI  i,  235  ff.  Nr.  9.   Mirone,  Revue 

4)  Über    diesen    Asklepios-Typus,    von    dem    drei  arch^ologique  XVI  1922,  291  ff. 
Wiederholungen  in  Kos  gefunden  sind,  über  die       >■)  Plinius   XXXIV    87    Cephisodoti   duo   fuere  .  .  . 

sequens  philosophos  fecit.  Lippold  a.a.O.   237. 

|8* 


204  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


tifizierung  von  Philosophenbildern  mit  Statuen  von  Staatsmännern,  Dichtern  und 
Priestern  scheint  mir  nicht  überzeugend.  Daß  die  Kultbilder  in  Megalopolis  erst 
von  dem  jüngeren  Kephisodot  gearbeitet  sein  können,  haben  die  Ausgrabungen  in 
Megalopolis  und  Dörpfelds  Untersuchungen  entscheidend  bewiesen ').  Dagegen 
hat  Lippold  richtig  die  Werke  im  Piraeus,  für  die  uns  Plinius  den  Namen  Kephi- 
sodorus  überliefert,  beiseite  gelassen  *).  Ebenso  läßt  er  mit  Recht  den  von  Mirone 
dem  Wortlaut  des  Pausanias  widersprechend  den  Söhnen  des  Praxiteles  zugeschrie- 
benen Kadmos  in  Theben  beiseite  3)  und  läßt  nur  zweifelnd  die  Möglichkeit  offen,  daß 
eine  der  beiden  Musengruppen  auf  dem  Helikon  von  dem  jüngeren  Kephisodot  war  4^. 

Mirone  identifiziert  mit  Unrecht  die  Statue  des  Asklepios  in  Rom  mit  der 
von  Herondas  in  Kos  bezeugten  5),  da  dieser  letztere  mit  Hygieia  eine  unzertrenn- 
liche Gruppe  bildete  und  nicht,  wie  sicher  die  Einzelstatue  in  Rom,  lebensgroß 
war.  Es  fehlen  bei  ihm  vier  neuere,  von  Loewy  noch  nicht  gekannte,  dagegen 
von  Lippold  herangezogene  Inschriften.  Von  diesen  sind  wohl  allerdings  zwei 
wieder  auszuscheiden.  Bei  der  einen  aus  dem  Athener  Asklepieion  *)  mit  der  In- 
schrift: OlSOauiu  \  ist  es  gar  nicht  gesagt,  daß  dieser  Name  den  Künstler 
nennt.  Es  wird  vielmehr  der  Name  des  Weihenden  sein.  Zudem  ist  die  durch 
den  genannten  Asklepiospriester  in  das  Jahr  344/3  datierte  Inschrift  zu  jung 
für  den  älteren,  zu  alt  für  den  jüngeren  Kephisodot  (vgl.  unten).  Die  Inschrift 
von  der  Akropolis,  in  der  nur  die  beiden  Buchstaben  08  erhalten  sind  7),  erlaubt  zu- 
viele  verschiedene  Ergänzungen,  als  daß  wir  sie  gerade  dem  jüngeren  Kephisodot 
zuschreiben  dürften.  Die  Inschrift  in  Delphi  wollten  Homolle  undReisch  zwar  dem 
älteren  Kephisodot  geben,  doch  hat  Pomtow  sie  als  zu  jung  dafür  erwiesen  *). 

Da  also  weder  Lippold  noch  Mirone  die  Arbeiten  der  Söhne  des  Praxiteles 
vollständig  aufzählen  und  da  keiner  von  beiden  die  Nachrichten  sachlich  und  über- 
sichtlich geordnet  hat,  so  gebe  ich  nochmals  eine  kurz  gefaßte  Liste  ihrer  sicheren 
Werke: 

L  Altäre. 

1.  Altar  in  Theben.    Paus.  IX  12,  4.    Lippold  Nr.  3.    Mirone  Nr.  VL 

2.  Altar  in  Kos.    Herondas  IV  i  ff.    Lippold  Nr.  2.    Mirone  Nr.  XVI. 


")  Excavations  of  Megalopolis,  Suppl.  to  the  Journal  4)  Pausanias  IX  30,   i.     Lippold  a.a.O.  234. 

of  hellenic  studies    1892,    52  ff.      Dörpfeld,    A.  5)  Plinius  XXXVI  24  intraOctaviae  porticus  in Juno- 

M.  XVIII   1893,  2i8f.  nis  aedeAesculapius.  Vgl.  oben  Herondas  IV  1—5. 

')  Plinius     XXXIV     74.     Cephisodorus    Minervam  Mirone  317  f.  Nr.  XVI.     Lippold  Nr.  2  und  18. 

mirabilem   in   portu   Atheniensium   et   aram    ad  <■)  Wilhelm,     Beiträge  zur  griechischen  Inschriften- 

templum  Jovis   servatoris   in   eodem    portu,   cui  künde,  Sonderheft  des  österr.  arch.  Inst.   VII   47 

pauca  comparantur.      Mirone   301  ff.   Nr.   IX.  ergänzt  KTj]!pi5(i6[oTOt    liro{rj36v].  'Erl     Au3t8iou 

3)  Pausanias  IX  12,  4    [loMSiupov  8J  to  E'iXov  toüto  Tptxopuafou  lepi[u){.    Lippold  a.a.  O.  238  Nr.  11. 

yaXxti»   X^ioustv   imxoapi^davTa  Aiiivusov   xaX^aat  7)   IG  II  1553.    Lippold  Nr.  15. 

KiVo^.   itXj)5(ov   «i  Aiovioou   «TfaXfia,  xoit  T0O3  *)  Homolle,  Bull.  corr.  hell.  XXV  1901,  104.   Reisch 

'Ovaaifii^Jtis  izoltfit  iC  SXo'j  j:>,f,pEt  ütto  toO  yaX-  (nicht    wie   Lippold   zitiert    Studniczka),  österr. 

xoü-    Tov     ßui|iöv    5i    Ol    Ttatis;    t(pTaoavTO     oi  Jahresh.  IX  1906,  211  Anm.  30.   Pomtow,  Philo- 

ripaMXou«.     Mirone   299 f.   Nr.  VI.  logus  LXXI  77  f.  Dittenberger,  SylIoge3  Nr.  324. 

Mirone  a.  a.  0.  266.     Lippold  Nr.  13. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  265 


II.  Götterbilder. 

3.  Zeus  Soter,  Stadtgöttin   von  Megalopolis  und  Artemis  Soteira  in  Megalo- 
polis.     Paus.  VIII  30,   10.     Mirone  Nr.  V. 

4.  Lato  in  Rom,  auf  dem  Palatin.    Plinius  XXXVI  24.    Lippold  Nr.  16.    Mi- 
rone Nr.  X. 

5.  Artemis   in  Rom,    Tempel    der  Juno  innerhalb    der  Porticus  der  Octavia. 
Plinius  XXXVI  24.    Lippold  Nr.  19.    Mirone  Nr.  XI. 

6.  Asklepios  in  Rom,  ebendort.   Plinius   XXXVI   24.     Lippold  Nr.   18.     Mi- 
rone Nr.  XVI. 

7.  Aphrodite  in  Rom,  in  der  Sammlung  des  Asinius  Pollio.    Plinius  XXXVI  24. 
Lippold  Nr.    17.     Mirone  Nr.   XII. 

8.  Enyo  im  Arestempel  in  Athen.   Paus.  I  8,  4.   Lippold  Nr.  i.  Mirone  Nr.  XV. 

III.  Porträts. 

9.  Lykurg  und  seine  Söhne.  Ps.-Plutarch,  Vitae  X  erat.  Lykurg  p.  843  e.  f.  Lip- 
pold Nr.  4.     Mirone  Nr.  VII. 

10.  Menander  im  Theater  zu  Athen.    Paus.  I  21,  i.     Loewy  Nr.  108.     Lippold 
Nr.   6.      Mirone  Nr.    IV. 

11.  Myro    von   Byzanz.      Tatian,    Oratio    ad    Graecos    52    p.    114  ed.    Wroth 
(33  B  ed.  Otto;    34,  13  ed.  Schwartz).     Lippold  Nr.  8.     Mirone  Nr.  XVIII. 

12.  Anyte  von  Tegea.     Tatian  ib.     Lippold  Nr.  9.     Mirone  Nr.  XVII. 

13.  Philosophen.     Plinius   XXXIV  87.     Mirone  Nr.  XIV. 

14.  Tochter   des   Lysistratos,    Priesterin    der    Polias,    auf    der    Akropolis  von 
Athen.     Loewy  Nr.  109.     Lippold  Nr.  5.     Mirone  Nr.  III. 

15.  Philylla,  Tochter   desPhilokles   von  Sunion,    wohl  Priesterin  der  Demeter 
und  Köre,  in  Athen.     Loewy  Nr.  112.     Lippold  Nr.  10.    Mirone  Nr.  VIII. 

16.  Statuen  des  Dion   und    der  Diokleia,  Kinder  des  Aristogeiton,  in  Megara. 
Loewy  Nr.  iio.     Lippold  Nr.  7.     Mirone  Nr.   IL 

IV.  Unbestimmt,    ob    Götterbild    oder   Porträt. 

17.  Weihgeschenk  in  Eleusis,  bei  der  Stoa  des  Philon.    Loewy  Nr.  in.    Lip- 
pold Nr.   14.     Mirone  Nr.   I. 

18.  Weihgeschenk  eines  Priesters  des  Apollo,   in  Troizen.     Legrand,  Bull.  corr. 
hell.  XXIV  1900,   182  ff.     Lippold  Nr.   12. 

19.  Weihgeschenk  für  Athena  Pronaia,  in  Delphi.     Homolle,  Bull.  corr.  hell. 
XXV  1901,  104.    Lippold  Nr.  13. 

V.  Genre. 

20.  Symplegma  in  Pergamon.  Plin.  XXXVI 24.  Lippold  Nr.  20.  Mirone  Nr.XIII. 

An  Nr.   I,  2,  8,  9,   10,   14,   16  hat  Timarchos,    an   Nr.  3  Xenophon,  an  Nr.  12 
Euthykrates,  der  Sohn  des  Lysipp,  mitgearbeitet. 


255  Maisarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 

Von  diesen  20  Werken  kennen  wir  im  Original  nur  den  Altar  von  Kos  Nr.  2 
und  auch  von  diesem  nur  kleine  Fragmente.  Immerhin  geben  sie  ein  klares  Bild  des 
Stils  eines  solchen  Altarschmucks,  und  so  dürfen  wir  den  ebenfalls  von  beiden  Brü- 
dern ausgeführten  Altar  in  Theben  Nr.  i  uns  ungefähr  ähnlich  dekoriert  denken. 
Zeus  und  Artemis  in  Megalopolis  Nr.  3  sind  auf  Münzen  dieser  Stadt  nachgebildet, 
Zeus  feierlich  in  Vorderansicht  thronend  mit  hoch  aufgestütztem  Szepter;  Artemis 
in  schlanken  hellenistischen  Proportionen,  elastisch  emporgereckt,  die  rechte  Hand 
zum  Speer  emporlangend,  die  linke  in  die  Seite  gestemmt').  Ihren  Kopf  können 
wir  uns  vielleicht  etwa  wie  den  Kopf  in  Tarent  (Abb.  13)  denken.  Die  Leto  in 
Rom  Nr.  4  ist  mitsamt  dem  Apollo  des  Skopas  und  der  Artemis  des  Timotheos, 
mit  denen  sie  verbunden  war,  auf  der  Basis  von  Sorrent  abgebildet.  Von  den 
übrigen  Statuen  in  Rom  können  wir  uns  den  Asklepios  Nr.  5  etwa  wie  den 
Asklepios  von  Melos,  die  Artemis  wie  die  Artemis  von  Larnaka,  die  Aphrodite  wie 
den  Torso  Nr.  3,  die  Aphrodite  von  Ostia  oder  die  Münchener  Aphrodite  denken. 

Das  einzige  Porträt  von  den  Söhnen  des  Praxiteles,  von  dem  wir  uns  bisher  eine 
Vorstellung  machen  können,  ist  derMenander  Nr.  10,  besonders  nach  der  guten  Kopie 
des  Kopfes  in  Boston  2).  Es  leuchtet  ohne  weiteres  ein,  daß  die  Bildnisse,  die  etwa 
die  Hälfte  des  Tätigkeitsfeldes  von  Kephisodot  und  Timarchos  einnehmen,  einen 
anderen  Stil  und  noch  andere  Eigenschaften  haben  müssen  als  die  Zartheit  der  For- 
men und  der  Empfindung,  wie  sie  die  halblebensgroßen  Altarbilder  aufweisen.  Die 
Vermeidung  harter  Abgrenzungen  konnte  hier  mit  Rücksicht  auf  die  nötige  indivi- 
duelle Charakterisierung  nicht  soweit  getrieben  werden  wie  an  den  weiblichen  Ideal- 
köpfen. Immerhin  zeigt  sich  in  der  lockeren  eleganten  Bildung  des  Haares  und  der 
delikaten  Behandlung  des  Augenlids  am  Menander  dasselbe  beginnende  hellenistische 
sfumato  wie  dort.  Die  Tatsache,  daß  bei  so  durchaus  verschiedenen  Themen  die 
Zuteilung  an  gleiche  Künstler  nicht  ausgeschlossen  ist,  läßt  Lippolds  Bekämpfung 
von  Studniczkas  Deutung  des  Kopfes  in  Boston  und  Lippolds  eigene  Deutung  auf 
ein  römisches  Porträt,  wahrscheinlich  Vergil,  als  aussichtslos  erscheinen  3).  Für 
die  Philosophenbilder  des  Kephisodot  können  wir  das  dem  Menander  ähnliche,  feine 
und  geistreiche  Porträt  seines  Altersgenossen,  des  Epikur,  heranziehen  4).  Auch 
mit  dem  Kopf  der  »Methe«  besteht  eine  entfernte  Verwandtschaft.  Ich  halte  es  nicht 
für  unmöglich,  daß  wir  in  ihr  oder  dem  Kopf  aus  Kyzikos  eins  oder  das  andere  der 
weiblichen  Porträts  von  den  Söhnen  des  Praxiteles  besitzen,  etwa  eine  der  beiden 
Dichterinnen  Nr.  11— 12  oder  der  Priesterinnen  Nr.  14—15.    Der  Kopf  im  Lateran 


')  Mirone    294  ff.     Münztafel    p.    269    Fig.    9—12.  Nr.  14— 15.      Bieber,   Denkmäler   zum   Theater- 

Imhoof-Gardner,    Numismatic    commentary    on  wesen  83  f.  Nr.  30  Taf.  XLVII. 

Pausanias  103  f.     V.   I_II.  ,)  Lippold,   Griechische   Porträtstatuen    89  ff.     R. 

')   BemouUi   Griechische    Ikonographie    II   in    ff.,  M.  XXXIII  1918,1«. 

Taf.  XIV— XV.     Hekler,  Bildniskunst  105—108.  4)   BemouUi  a.a.O.  II  123  ff.  Taf.  16-17.    Hekler, 

Delbrück,     Ant.     Porträts     XXXIV  f.     Taf.  20.  a.  a.  0.  101  a.    Delbrück  a.  a.  O.  Taf.  25.    Arndt- 

Studniczka,    Menander,   Neue    Jahrbücher   XXI  Br.-Br.    Taf.    38—40.      Studniczka    a.a.O.  22. 

1918,   I  ff.      Poulsen,   Ikonographische   Miszellen  Die    zugehörige    Statue    hat    Lippold,    Porträt- 

25  f.  und  Portraits  in  English  Countryhouses  41  f.  statuen  77  ff.  Fig.  17—18  entdeckt.    Vgl.  Arndt- 
Amelung,   E.  V.  2092-3.    Poulsen,    Portraits  in  English  Countryhouses  43  Nr.  16. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  267 


kann  von  einer  erotischen  Gruppe  in  der  Art  des  Symplegmas  Nr.  20  stammen.  Die 
Schilderung  dieses  Symplegmas  mit  den  in  den  Körper  eingedrückten  Fingern  bei 
Plinius  XXXVI  24  erinnert  an  die  des  Kallistratos  für  den  Dionysos  des  Praxiteles, 
bei  dem  man  wirkliches  Fleisch  zu  sehen  glaubte  ')  und  an  Herondas  IV  59—61. 
So  gewinnen  wir  ein  ziemlich  deutliches  Bild  von  der  aus  der  Kunst  des  Vaters  wei- 
ter entwickelten  Arbeitsweise  von  Kephisodot  und  Timarchos. 

V.  Bisher   zugeschriebene   Werke. 

Die  von  mir  aus  der  Untersuchung  der  Altarskulpturen  von  Kos,  der  verwand- 
ten Werke  und  der  schriftlichen  Zeugnisse  gewonnenen  Resultate  stehen  in  schroffem 
Gegensatz  zu  dem  meisten,  was  bisher  über  die  Söhne  des  Praxiteles  geschrieben 
worden  ist.  Trotz  der  klaren  Nachricht  des  Plinius  wird  die  Ähnlichkeit  mit  der  Kunst 
des  Vaters  in  der  Regel  geleugnet  oder  mindestens  beschränkt,  weil  die  beiden  haupt- 
sächlich Porträtbildner  gewesen  seien  und  dieser  Kunstzweig  von  Praxiteles  nicht 
gepflegt  worden  sei.  Diese  Ansicht  ist  dahin  zu  korrigieren,  daß  die  für  Kephisodot 
und  Timarchos  bezeugte  Idealplastik  den  überlieferten  Bildnissen  der  Zahl  nach 
ungefähr  die  Wagschale  hält,  und  daß  wir  die  Porträts  von  der  Hand  des  Praxi- 
teles, wie  seine  Phrynebilder  in  Thespiae  und  Delphi  und  seine  Porträtstatue  des 
Thrasymachos  in  Thespiae  noch  nicht  kennen  ^).  Wieweit  bereits  Praxiteles  die  uns 
zuerst  bei  Lysipp  kenntliche  gleichmäßige  Durchbildung  sämtlicher  Gesichtsmus- 
keln zu  lebensvollem  Minenspiel  bei  seinen  Bildnissen  durchgeführt  hat,  entzieht 
sich  daher  unserer  Beurteilung.  Daß  die  Söhne  hierin  weiter  gegangen  sind  wie  der 
Vater,  ist  eine  selbstverständliche  Folge  der  steigenden  Bedeutung  des  Individuums 
in  der  hellenistischen  Zeit  und  der  konsequenten  systematischen  Weiterentwick- 
lung, die  die  griechische  Kunst  in  allen  ihren  Stadien  zeigt. 

Am  ausführlichsten  hat  sich  bisher  Klein  3)  mit  den  Söhnen  des  Praxiteles  be- 
schäftigt, doch  hat  er  ihnen  ein  geradezu  lächerliches  Konglomerat  von  älteren  und 
jüngeren,  von  praxitelischen  und  lysippischen  Werken  zugewiesen:  die  wohl  noch 
der  Spätzeit  des  Praxiteles  selbst  angehörige  Aphrodite  von  Petworth  und  —  einer 
Vermutung  Furtwänglers  folgend  4) — die  reifhellenistische  Aphrodite  von  Medici; 
den  »Joven  orador«  inMadrid,  der  wohl  älter  ist  als  Praxiteles  5)  und  den  lysippischen 
Silen  mit  dem  Dionysos,  der  gar  das  »Symplegma«  vorstellen  soll.  Ebenso  schlimm 
ist  Hausers  und  Lippolds  Identifizierung  dieses  Symplegmas  mit  dem  erotischen 

')  Kailistrat.   Stat.  VIII  2    As  Trpö«   oipxa   fieTop-  1914—15,  6  PI.  IV  3.      Dagegen  halten  Jamot, 

pu&(ji<Cta8ai  TÖv  )(«Jl«<5''.  Mon.  Piot  I  1874,  180   und   Pottier   ib.  XXIII 

")  Overbeck,   Schriftquellen  Nr.    1190,    1269—1277.  1918— 19,  52  ff.  die  Aphrodite  von  Medici  sogar 

3)  Klein,   Praxiteles  395  ff.      Praxitelische   Studien  für  älter  als  die  Knidierin. 

26  ff.        Geschichte   der   griechischen   Kunst    II  5)  Gegen    Klein     vgl.    Dehn,     J.    d.    I.      XXVII 

394ff.       Österr.    Jahreshefte    XIV    1911,    98  ff.  1912,    i99  ff-    XXIX    1914,    121  f.,    der    Kleins 

XV  1912,     Beiblatt  279.  Gruppe   des   Hermes   mit   Dionysos   von   einem 

4)  Furtwängler,  Meisterwerke  643.     Ihm  folgt  noch  »Praxiteles-Schüler«  als  ein  modernes  Pasticcio 
Dickens,    Annual   of   the    British    School   XXI  auf  Grund  eines  antiken  Pasticcio  erweist,  und 

Mirone  284  ff. 


2g8  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


Ringkampf  zwischen  Silen  und  Hermaphrodit,  von  dem  sich  marmorne  Wieder- 
holungen in  Dresden,  Kopenhagen,  Rom,  England  und  eine  kleine  Bronzereplik  in  Bonn 
befinden').  Diese  Gruppe  ist  späthellenistisch.  Da  sie,  wie  Arndt  erkannt  hat,  perga- 
nienischen  Stil  zeigt,  so  könnte  sie  von  dem  dort  befindlichen  Symplegma  des  jün- 
geren Kephisodot  abhängig  sein.  Dieses  selbst  hätte  niemals  von  Plinius  das  Bei- 
wort nobile  erhalten,  wenn  es  bereits  eine  derartig  laszive,  grob  sinnliche  Auffassung 
oder  einen  so  frech  und  breit  lachenden  Kopf  gehabt  hätte,  wie  das  hellenistische 
Werk.  Freilich  könnte  nobile  nur  im  Sinne  von  berühmt  gemeint  sein.  Ent- 
scheidend ist  aber,  daß  gerade  das  einzige,  was  Plinius  von  der  Gruppe  erwähnt,  das 
Eindrücken  der  Finger  in  den  wie  wahres  Fleisch  gearbeiteten  Marmor  =)  an  ihm  nicht 
hervortritt,  da  die  Hände  des  Silens  den  Arm,  die  des  Hermaphroditen  den  Fuß 
und  ins  Gesicht  des  Gegners  fassen,  ohne  in  das  weiche  Fleisch  des  ausdrücklich 
genannten  Körpers  hereinzugreifen. 

Den  Versuch  Hausers,  die  von  ihm  rekonstruierten  »zerstreuten  Reliefs«  mit 
Hören  und  Agrauliden  dem  Altar  im  Piraeus  zuzuschreiben  3),  sowie  die  zahlreichen 
Versuche  Sauers,  Milchhöfers,  Furtwänglers,  Wolters,  Marianis  und  Mirones^),  die 
Athena  Soteira  ebendort  wiederzufinden,  können  wir  beiseite  lassen,  da  sie  für 
Kephisodoros,  nicht  für  Kephisodot   Interesse  haben. 

Die  Überzeugung  von  der  Minderwertigkeit  der  Söhne  des  Praxiteles  geht 
so  weit,  daß  Amelung  früher  die  praxitelische  alexandrinische  Richtung  direkt  an 
Praxiteles  anknüpfte,  während  Dickens  in  seiner  sehr  guten  Studie  über  die  Nach- 
folger des  Praxiteles  5)  zwar  einen  Vermittler  zwischen  diesem  und  der  impressio- 
nistischen Kunst  Alexandriens  postulierte,  diesen  aber  nicht  in  dem  echten  Erben  der 
Kunst  des  Vaters,  sondern  in  Bryaxis  zu  finden  glaubte.  Er  wollte  nur  die  in  Per- 
gamon  herrschende  realistisch-erotische  Richtung  an  das  Symplegma  des  Kephi- 
sodot anschließen,  das  doch  eine  ganz  vereinzelte  Erscheinung  in  dem  Lebenswerk 
dieses  Künstlers  ist.  Aus  dieser  verkehrten  Einstellung  heraus  teilt  auch  Dickens, 
wie  Klein  und  Furtwängler,  ihm  die  kokette  mediceische  Venus  zu.  Selbst  Bulle  ^) 
spricht  von  den  Söhnen  des  Praxiteles  als  süßen  Routiniers,  denen  er  die  Schöpfung 
des  geistvollen  Menander-Porträts  nicht  zutraut.    Immerhin  teilt  er  ihnen  den  Apol- 


Hauser  bei   Heibig,   Führer  durch   Rom'  zu  Nr.  Kopf  des  bärtigen   Satyrs  mit  Hand  des  Herm- 

1063— 1066.  Lippold  a.  a.O.  239.  Arndt,  Glypto-  aphroditen      in    Smyrna    von    Schazmann    gc- 

the<iue   Ny-Carlsberg    192    f.   PI.    139    rechts   u.  sehen. 

Fig.  116-121.  Herrmann,  Verzeichnis  der  Bildwerke  »)  Plinius  XXXVI  24.  laudatum  est  Pergami  sym- 

Dresden  Nr.   155  und   bei   Röscher  s.  v.   Herrn-  plegma  nobile  digitis  corpori  verius  quam  mar- 

aphrodit  2337  f.     Kleine  bronzene  Wiederholung  mori  imprcssis. 

in  Bonn,  Provinzialmuseum  Zimmer  IV  Schrank  8.  3)  Hauser,    Österr.    Jahresh.    VI    1903,    79  ff.    Taf. 

Inv.  Nr.  630.  U1204.  .\us  der  Fürstlichen  Samm-  V— VI.      Vgl.   Arndt   Text   zu   E.   V.   Nr.    1729. 

lung    Isenburg-Büdingen.       H.  0,05,   Br.  0,18  m.  Mirone  309  f. 

Gute  Arbeit  und  Erhaltung.  Wohl  kaum  identisch  1)  Aufzählung  bei   Mirone  a.  a.  O.   304  ff. 

mit  einer  Bronzegruppe  der  Gräflich  Nostizschen  5)  Dickens,  Followers  of  Praxiteles,  Annual  of  the 

Sammlung  in  Prag,  Hase  bei  Böttiger,  Archäologie  British   School   at  Athens   XXI    1914— 15,    i  ff. 

und  Kunst  173;  Herrmann  bei  Röscher  12,2338.  PI.  I— V. 

*)  Bulle,   Schöner   Mensch   671  f. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  260 


lino  und  die  reizende  Statue  eines  jugendlichen  Mädchens  zu  ■),  beider  es  freilich 
zweifelhaft  ist,  ob  eine  Dichterin  oder  eine  Hygieia  gemeint  ist. 

Die  bisher  glaubhaftesten  Zuweisungen  sind  die  vonAmelung  vorgenommenen  ^). 
Er  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  das  feine  nervöse  Mienenspiel  im  Gesicht  des 
Menander  Einfluß  des  Lysipp  auf  die  Söhne  des  Praxiteles  beweise.  Er  hätte  für 
diese  Tatsache  dieNachricht  heranziehen  können,  daß  die  Statue  der  Dichterin  Anytc 
vonTegea  von  Kcphisodot  gemeinsam  mit  dem  Sohn  und  Schüler  des  Lysipp  Euthy- 
krates  gearbeitet  worden  ist  3).  Amelung  glaubt  nun,  Werke,  in  denen  der  Stil 
des  Praxiteles  mit  dem  des  Lysipp  zu  einer  neuen  Einheit  verschmolzen  ist,  als  Werke 
der  Söhne  des  Praxiteles  ansehen  zu  müssen.  Als  solche  bestimmt  er  den  Satyr  mit 
der  Querflöte  4),  den  bogenspannenden  Eros  5)  und  das  Mädchen  von  Antium*). 
Diese  Werke  gehören  zu  den  schönsten  des  beginnenden  Hellenismus,  doch  schei- 
nen sie  mir  eher  der  Schule  des  Lysipp  als  der  des  Praxiteles  und  einem  späteren 
Entwicklungsstadium  anzugehören  als  die  bezeugten  Werke  der  Söhne  des  Praxi- 
teles. Auch  kann  man  nicht  ohne  weiteres  Eigenschaften  der  Porträtbildnerei 
auf  die  Idealplastik  derselben  Künstler  übertragen. 

Wenn  es  überhaupt  möglich  war,  daß  von  bedeutenden  Gelehrten  Schöpfungen, 
die  sachlich  und  zeitlich  derartig  weit  auseinander  liegen,  ein  und  denselben  Künst- 
lern zugeteilt  wurden,  so  liegt  das  daran,  daß  man  bisher  weder  die  genaue  Kennt- 
nis des  Stils  noch  die  genaue  zeitliche  Fixierung  der  Söhne  des  Praxiteles  er- 
reichen konnte.  Wie  das  erstere,  so  ist  auch  das  letztere  jetzt  dank  Herzogs 
Funden  und  Forschungen  eher  möglich  geworden. 

VI.  Datierung. 
Die  Söhne  des  Praxiteles  sind  bisher  verschieden,  aber  meistens  zu  hoch  da- 
tiert worden.  Klein  setzt  das  Geburtsdatum  des  Kephisodot  etwa  368  v.  Chr.  (Ol.  103), 
seine  Akme  etwa  328  (Ol.  113)  an  und  glaubt  nicht,  daß  seine  künstlerische  Wirk- 
samkeit sich  über  den  Schluß  des  vierten  Jahrhunderts  hinaus  erstreckt  habe"). 
Overbeck  ließ  die  Tätigkeit  der  Söhne  des  Praxiteles  bald  nach  323  (Ol.  114,  2) 
beginnen  und  um  284  (Ol.  124)  enden  ^).  Perdrizet  nimmt  die  Akme  des  Kephisodot 
gegen  310  (Ol.  117)  an  9).  Mirone  glaubt,  daß  die  Söhne  noch  einige  Zeit  mit 
ihrem  Vater  zusammen  und  dann  bis  in  das  erste  Dezennium  des  III.  Jahrhunderts 
herein    gearbeitet    haben  ^°).     Lippold  setzt    die  Lebenszeit    des   Kephisodot    ca. 

■)  Bulle  a.a.O.  283  {.Taf.i34.ArndtBr.Br.Taf.i43—.l.  i)  Klein,  Praxiteles  212  ff.  Fig.  33.   Helbig-Amelung 
Heibig,  Führer  durch  Rom  3  Nr.  952.  Nr.    12,    1389— 1390. 

2)  Amelung  bei  Heibig,  Führer  durch  Rom3   H   533.  ')   Mely   u.    Collignon,    Mon.  Piot  XIII  1906,  137  ff. 

3)  Tatian,Or.ad  Graecos  52  p.   ll4ed.\Vroth  (33  Bed.  PI.  XI— XII.    Helbig-Amelung  Nr.  776. 

Otto;  34,  :3  ed.  Schwartz)  -d  yöp  jxot  :reprAvJTr,«  <■)  Brunn-Br.  Taf.  583—4-  Bulle  287  ff.  Abb.  68  Taf. 

X^yetv,   TeXeaaXrjt  te  xot  .VI'J3Ti8o«,    x^?   fih   ^ip  136-    Helbig-Amelung  Nr.   135^- 

F.iSuxpiTj)«    T£    xi\     KTj!pia(i?0T0«    ....    PUnius  7)  Klein,  Praxiteles  7  ff.   Praxitclische  Studien  26  ff. 

XXXIV  66  filios  et  discipulos  reliquit  (Lysippus)  »)  Overbeck,  Geschichte  der  griechischen  Plastik  II 

laudatos  artifices    Daippum  et  Boedan,  sed  ante  112  ff. 

omnes  Euthycraten.  '>)  Perdrizet,  Revue  des  etudes  grecques  1898,  82  ff. 
■»)  Mirone,    Revue   arch^ologique    1922,    292. 


270 


Margarete  Bieber,  Die  SOhne  des  Praxiteles. 


365 — 285,  seine  Schaffenszeit  ca.  344—290  an').  Pomtow  meint,  sie  hätten  331 
bis  nach  300  gearbeitet  ^).  Nur  die  Eritlärer  des  Herondas  setzen  die  von  ihm  im 
IV.  Mimiambus  genannten  Künstler  mitsamt  dem  Gedicht  in  die  erste  Hälfte  des 
III.  Jahrhunderts,  Gurlitt  ca.  270 — 260,  Meister  und  Gerhard  ca.  280,  zuletzt 
Adolphe  Reinach  und  Herzog  genauer  ca.  280 — 275  v.  Chr.  3). 

Daß  die  Interpreten  recht  haben,  daß  aber  das  von  Herondas  genannte  Werk 
zugleich  die  jüngste  für  uns  kenntliche  Arbeit  von  Kephisodot  und  Timarchos  ist, 
geht  aus  der  folgenden  Übersicht  der  sicheren  Daten  für  die  beiden  hervor.  Der 
Mimiambus  ist  der  einzige  terminus  ante  quem,  den  wir  für  die  Söhne  des  Praxi- 
teles besitzen.     Alle  übrigen  Daten  geben  termini  post  quos. 

1.  Der  Altar  in  Theben  (oben  Nr.  i)  kann  erst  nach  der  Neugründung  dieser 
Stadt  durch  Kassander,  also  nach  316/5  v.  Chr.  errichtet  sein  4). 

2.  Die  Statuen  des  Lykurg  und  seiner  Söhne  (oben  Nr.  9)  können  frühestens 
nach  dem  Tod  des  Lykurg,  also  nach  324  v.  Chr.  gearbeitet  sein.  Wahrscheinlich 
sind  sie  aber  erst  306/5  v.  Chr.  aufgestellt  worden,  als  der  Sohn  Habron  Schatzmeister 
war  5). 

3.  Das  Weihgeschenk  in  Eleusis  (oben  Nr.  17)  kann  erst  nach  der  Stoa  des 
Philon,  an  der  die  Basis  stand,  gefertigt  sein.  Diese  Vorhalle  ist  zur  Zeit  der  Herr- 
schaft des  Demetrius,  also  nach  317,  wahrscheinlich  zur  Zeit  seines  Archontats  309 
v.  Chr.  (Ol.   117,  4)  errichtet  6). 

4.  Die  Weihung  an  Athena  Pronaia  (oben  Nr.  19)  gehört  nach  der  Inschrift 
in  die  Jahre  320 — 300  v.  Chr.  7). 

5.  Die  Priesterin  der  Polias  (oben  Nr.  14)  ist  nach  dem  Schriftcharakter  der 
Inschrift  und  nach  den  Familiendaten  ca.  305  v.  Chr.  zu   datieren  ^). 

6.  Die  Dichterin  Myro  (oben  Nr.  Ii),  die  Mutter  des  Tragikers  Homeros,  der 
284 — I  blühte,  lebte  am  Ende  des  IV.   Jahrhunderts  v.  Chr.  9). 

7.  Die  Dichterin  Anyte  (oben  Nr.  12)  blühte  um  300  und  wurde  am  Anfang 
des  III.  Jahrhunderts  v.  Chr.  schon  nachgeahmt 'o). 

8.  Der  Lustspieldichter  Menander  (oben  Nr.  10)  ist  291  v.  Chr.  mit  51  Jahren 
gestorben.     Sein  erhaltenes  Porträt  zeigt  ihn  in  etwa  gleichem  Alter  "). 

■)  Lippold  bei  Pauly-Wissowa  XI  i,  239.  4)  Holleaux,  Revue  des  itades  grecques  1895,  22  ff. 

=)  Pomtow,  J.  d.  I.  XXXVII  1922,  109.  Dittenberger,  Sylloge3  zu  Nr.  337. 

3)  Gurlitt,  Archäol.-epigr.  Mitt.  aus  Österreich  XV  5)  Mirone  a.  a.  O.   300.      Kirchner,   Prosopographia 

1892,  169  ff.    Meister,  Miraiamben  des  Herondas  att.  s.  v.  "Aßpiov  3  Nr.  15. 

=  Abh.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  XIII  1893  Nr.  VII  ')  Blavette,    Bull.    corr.  hell.  VIII  1884,  425  ff. 

'45  (755)  ff-    Gerhard  bei  Pauly-Wissowa  Villi  7)  Dittenberger,   Sylloge3  Nr.  324. 

s.    V.     Herondas     1085  f.       Adolphe     Reinach,  »)   Kirchner,   Prosop.   att.   zu   Nr.   9615.      Lippold 

Recueil    Milliet  I  1921,    325    Anm.  2.      Herzog,  a.a.O.   2365. 

Philologus    LXXIX  1924,     423.       Wilamowitz,  9)  Stuart  Jones,  Select  passages  from  ancient  writers 

Hellenistische  Dichtung  in  der  Zeit  des   Kalli-  iUustrative   of  history   o£   Greek  sculpture   164. 

machos   II   318   bekämpft   eine   angebliche   Da-  Christ-Schraid,  Gesch.  d.  griech.  Literatur  II  1 5, 

tierung  in  den  Anfang  des   dritten   Jahrhunderts  iio  u.  116. 

von  Herzog,  Philologus  LXI 424,  während  dieser  in  '«)  Christ-Schmid  a.  a.  O.  116,   138  f. 

diesem  Band  nichts  veröffentUcht    hat    und   im  ")  BernouUi,  Griech.  Ikon.   II  103.  Christ-Schmid, 

Phil.  LXXIX  die  obengenannte  Ansetzung  vertritt.  a.a.O.   29  ff. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles.  271 

9.  Der  Altar  in  Kos  (oben  Nr.  2)  ist  vor  dem  280—275  v.  Chr.  gedichteten  vier- 
ten Mimiambus  fertig  gewesen.  Die  beiden  Künstler  sind  nach  v.  26,  in  denen  der 
Segen  des  Asklepios  auf  sie  herabgefleht  wird,  zur  Zeit  der  Abfassung  des  Gedichtes 
noch  am  Leben  gewesen  •).  Sie  müssen  damals  ältere,  angesehene  Männer  ge- 
wesen sein. 

Wir  gewinnen  also  als  Schaffenszeit  der  Söhne  des  Praxiteles  die  Jahre  315 
bis  280,  höchstens  324—275  v.  Chr.  Lippolds  soviel  älteres  Datum  beruht  nur  auf 
der  oben  ausgeschiedenen  unsicheren  Inschrift  aus  dem  Jahr  344/3  ^).  Mirone  be- 
rücksichtigt nicht  genügend  den  Mimiambus  des  Herondas.  Perdrizet  und  Klein 
aber  setzen  sich  in  direkten  Widerspruch  zu  Plinius,  indem  sie  dessen  Angabe  über 
die  Blütezeit  von  Kephisodot  und  Timarchos  ignorieren  und  durch  willkürliche 
Akmc- Daten  ersetzen.  Plinius  XXXIV  51  setzt  die  beiden  klar  und  deutlich  in 
Ol.  121,  d.  h.  die  Jahre  296—3  v.  Chr.  Das  ist  genau  die  Mitte  zwischen  den  aus  den 
Werken  erschlossenen  Anfangs-  und  Enddaten  der  Tätigkeit  der  beiden  Künstler. 
Die  Nachrichten  des  Plinius  über  Stil  und  Zeit  der  Söhne  des  Praxiteles  haben  sich 
also  vollauf  bestätigt. 

Damit  haben  wir  einen  wichtigen  Baustein  zur  griechischen  Kunstgeschichte 
gewonnen.  Ich  weise  noch  kurz  auf  einige  Folgerungen  hin,  die  von  diesem  festen 
Punkt  aus  geeignet  sind,  Licht  auf  die  folgende  und  vorhergehende  Entwicklung 
zu  werfen. 

Wenn  die  Söhne  des  Praxiteles  noch  in  ihrer  Spätzeit  im  ersten  Viertel  des 
III.  Jahrhunderts  v.  Clir.  so  stark  in  praxitelischem  Geist  arbeiten,  so  versteht  man 
das  besonders  gut  auf  der  Insel  Kos,  wo  die  der  Knidierin  zwar  unterlegene,  aber 
doch  auch  wertvolle  Aphrodite  ihres  Vaters  stand  3).  Es  erklärt  das  aber  auch,  warum 
die  alexandrinischc  Kunst  des  frühen  III.  Jahrhunderts  v.  Chr.  so  stark  unter  praxi- 
telischen  Einfluß  gekommen  ist.  Herondas,  der  die  Altarbilder  der  Söhne  preist, 
hatte  Beziehungen  zu  Ptolemaios  II.  Philadelphos  (285/4—247/6),  der  im  Mai 308  V. 
Chr.  auf  Kos  geboren  ist  4).  Wahrscheinlich  hat  Ptolemaios  IL,  als  er  zur  Herrschaft 
gekommen  ist  (285/4),  entsprechend  der  Aufforderung  der  Heroine  von  Kos  bei  Theokrit 
XVII  64  ff.  seinen  Geburtsort  mit  reichen  Gaben  bedacht.  Vielleicht  sind 
Tempel  B  und  der  davor  liegende  Altar  auf  seine  Kosten  ausgeschmückt 
worden,  und  vielleicht  hat  Herondas  den  vierten  Mimiambus  zur  Einweihung 
von  Tempel  und  Altar  gedichtet.  Dann  mögen  Kephisodot  und  Timarchos 
auch    in    Ägypten    für    die   Ptolemäer    gearbeitet   oder   griechische    Künstler    aus 

')   Mit  dem  älteren,  zwischen  400  und  350  v.  Chr.  anderen  Demos  stammt.    Loewy  Nr.  555.    Klein, 

errichteten  Altar  (Herzog,  Arch.  Anz.  1903,  191)  Praxiteles    8  f.       Er    fehlt   bei    Lippold,    Pauly- 

haben  die  Söhne  des  Praxiteles  natürlich  nichts  Wissowa  XI  i  s.  v.  Kephisodotos. 

zutun.  Die  Ausschmückung  des  mit  dem  Tempel  B  3)  Vgl.  ihren  Kopf  auf  Münzen  von  Kos,  Bieber, 

gleichzeitig  neu  erbauten  Altars  wird  erst  nach  2^itschrift  für  Numismatik  XXXIV  1924,  316  ff., 

Fertigstellung  des  um  300  v.  Chr.  anzusetzenden  Abb.   i. 

Tempelbaus  erfolgt  sein.  0  Vgl.  Paton-Hicks,  Inscriptions  of  Cos    XXXII  f. 

')  Der  Trierarch  Kephisodot  auf  den  MarineUsten  Ol.  Jacoby,  Marmor  Parium  23,  309—8.     Theokrit 

III,  3  _  113^4  =  333  _  324    v.Chr.    ist    nicht  XVII    58  ff.      Herzog,    Philologus   LXXIX  423 

identisch  mit  dem  Bildhauer,  da  er  aus  einem  u.  430  ff. 


272 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


Ägypten  die  Werke  auf  der  befreundeten  Insel  studiert  und  dann  in  Alexandrien 
nachgeahmt  haben.  Sehr  lange  nach  ihrer  Tätigkeit  in  Kos  können  die  Brüder 
aber  nicht  mehr  gewirkt  haben,  auch  nicht  Timarchos,  der  gewöhnlich  als  der 
bei  weitem  jüngere  gilt.  Schon  die  Art,  wie  die  beiden  immer  gemeinsam,  fast  wie 
Zwillinge  genannt  werden,  spricht  dagegen.  Vor  allem  aber  war  bereits  ein  Sohn 
des  Timarchos,  der  nach  seinem  berühmten  Großvater  Praxiteles  hieß  und  den  eine 
Inschrift  aus  Delphi  als  Bildhauer  bezeugt,  Ol.  128,  2  oder  3  d.  h.  267/65  v.  Chr.  Prie- 
ster des  Asklepios ').  Auch  von  dieser  Seite  her  wird  die  oben  gewonnene  Datie- 
rung bestätigt. 

Noch  wichtiger  sind  die  Folgerungen,  die  sich  aus  der  genauen  Datierung  der 
Söhne  des  Praxiteles  für  die  Zeit  ihres  Vaters  und  ihres  Großvaters  ergeben.  Beide 
sind  später  anzusetzen,  als  augenblicklich  meistens  geschieht.  Praxiteles  gilt  für 
bedeutend  älter  als  Lysipp.  Wenn  aber  der  Sohn  des  Praxiteles,  Kephisodot,  am 
Anfang  des  III.  Jahrhunderts  mit  dem  Sohn  des  Lysipp,  Euthykrates,  gemeinsam 
die  Porträtstatue  der  Dichterin  Anyte  (oben  Nr.  12)  arbeitete,  so  kann  der  Alters- 
unterschied zwischen  den  beiden  Vätern,  wie  schon  Klein  gesehen  hat  ^),  nicht  so 
ungeheuer  groß  gewesen  sein.  Wenn  die  Söhne,  wie  es  nach  der  Formel  01  Upr^ii- 
ziltw  uotBs?  bei  Herondas,  0?  npa^ixeXooj  uJei;  bei  Plutarch  oder  oJ  itaiSs;  ot  llpajt- 
■zikvj;  bei  Pausanias  scheint,  gewissermaßen  die  Firma  des  Vaters  fortgeführt 
haben,  so  muß  ihre  Tätigkeit  unmittelbar  an  die  des  Praxiteles  angeschlossen  haben. 
Der  Vater  muß  also  bis  ca.  320  v.  Chr.  tätig  gewesen  sein,  nicht,  wie  man  gewöhn- 
lich annimmt,  nur  bis  ca.  332  v.  Chr.  Entsprechend  muß  dann  der  Beginn  seiner 
Tätigkeit  vom  Jahre  370  und  sein  Geburtsdatum  von  404  herabgerückt  werden.  Daß 
das  möglich  ist,  dafür  spricht  eine  Reihe  von  Tatsachen. 

Das  jüngste  für  Praxiteles  bezeugte  Werk  sind  die  Bildwerke  auf  dem  Altar 
vor  dem  Artemision  von  Ephesos3).  Dieses  ist  zwar  nach  dem  herostratischen  Brand 
des  Jahres  356  v.  Chr.  neu  aufgebaut  worden,  aber  dieses  Datum  gibt  nur  den  ter- 
minus  post  quem.  Als  Alexander  im  Jahre  334  v.  Chr.  nach  Kleinasien  kam,  war  der 
Tempel  noch  nicht  beendet,  denn  sonst  hätte  er  sich  nicht  erbieten  können,  ihn  auf 
seine  Kosten  fertigstellen  zu  lassen  4).  Den  Altar  aber  hat  man  sicher  erst  nach  völ- 
liger Herstellung  des  Tempels  begonnen,  und  der  plastische  Schmuck  pflegt  immer 
das  letzte  zu  sein,  was  einem  Bau  angefügt  wird.  Ich  erinnere  an  die  Giebelfiguren 
des  Parthenon  und  die  Koren  vom  Erechtheion. 

Ahnlich  steht  es  mit  dem  Werk,  das  als  das  älteste  bezeugte  von  Praxiteles 
gilt,  der  Gruppe  von  Leto,  Apollo  und  Artemis  in  Mantinea  5).  Auch  hier  ist  die  Schlacht 


')  Loewy,  Inschriften  griech.  Bildhauer  Nr.  537 
l»'»  539-  Der  im  Testament  des  Theophrast 
Diog.  Laert.  V  2,  52  im  Jahre  287  v.  Chr.  ge- 
nannte Praxiteles  ist  wohl  ein  anderer  Angehöriger 
der  Familie,  der  Philosophie  studierte.  Vgl. 
Fränkel,  Inschriften  von  Pergamon  71  f.  u. 
Perdrizet,  Revue  des  Stades  grecques  XI  1898,82  ff. 

^)  Klein,  Praxitelische  Studien  29  ff. 


3)  Strabon  XIV  23  p.  641  B. 

4)  Arrian  I  17,  10  ff.  18,2.  Strabon  XIV  22 
p.  64of.  Hiller  von  Gaertringen,  Inschriften  von 
Priene   XI. 

5)  Pausanias  VIII  9,  i.  Amelung,  Die  Basis  des 
Praxiteles  in  Mantinea.  Svoronos,  Athener 
Nationalmuseum  179  ff.  Nr.  215 — 217  Taf. 
XXX— XXXI. 


Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


273 


bei  Leuktra  vom  Jahre  371  v.  Chr.  doch  nur  ein  terminus  post  quem.  Die  erhaltene 
Basis  weist  auf  ein  entschieden  jüngeres  Datum,  wie  schon  Sieveking  und  Buschor 
gesehen  haben,  die  sie  allerdings  übertreibend  ins  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  setzen 
und  mit  Vollgraff  dem  gleichnamigen  Enkel  des  berühmten  Praxiteles  geben 
wollen  •).  Wenn  Dickens  *)  zu  ihr  attische  Grabreliefs  aus  der  Zeit  von  350 — 320 
vergleicht,  so  hat  er  damit  wohl  das  richtige  getroffen.  Auch  Rodenwaldt  datiert 
die  Basis  ca.  350 — 340  v.  Chr.  3). 

Den  modernen  Irrtum,  ein  Ereignis,  das  den  ersten  Anstoß  zur  Schöpfung  eines 
Bildwerks  gibt,  zur  Datierung  in  der  Weise  zu  verwerten,  daß  die  Ausführung  un- 
mittelbar erfolgt  sein  muß,  scheint  auch  Plinius  geteilt  zu  haben.  Wenn  er  die  Blüte- 
zeit des  Praxiteles  in  die  104.  Olympiade  (364 — i  v.  Chr.)  setzt,  so  datiert  er  ihn 
wahrscheinlich  nach  dem  Auftrag  der  Koer,  ihnen  nach  ihrem  Synoikismos  vom 
Jahre  366/5  v.Chr.  (Ol.  103,  3)  eine  Aphrodite  zu  schaffen-»).  Daß  dies  ein  Frühwerk 
war,  geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  der  Bildhauer  den  Bestellern  mehrere  Fas- 
sungen zur  Auswahl  lieferte.  Ein  berühmter  Künstler  pflegt  das  nicht  zu  tun.  Es 
entwickelte  sich  vielmehr  erst  der  Ruhm  des  Praxiteles  durch  die  von  den  Koern 
verschmähte,  von  den  Knidiern  angekaufte  nackte  Liebesgöttin.  Daß  die  Koer  so- 
fort nach  der  Neugründung  ihrer  Stadt  die  Statue  bestellt  hätten,  ist  kaum  anzu- 
nehmen. Wenn  wir  den  Auftrag  ca.  in  das  Jahr  360  v.  Chr.  datieren,  so  wird  dies  der 
richtige  Beginn  der  Blütezeit  des  I^raxiteles  sein.  Wir  müßten  sonst  bis  nach  355 
V.  Chr.  herabgehen,  da  357 — 55  Kos  an  dem  Bundesgenossenkrieg  gegen  Athen  teil- 
nahm und  in  dieser  Zeit  sicher  keinem  Athener  Bürger  einen  Auftrag  erteilt  hätte  5). 
Als  frühreifer  Meister  wird  Praxiteles  seine  Akme  in  einem  früheren  Lebensalter 
erreicht  haben,  als  seine  unbedeutenderen  Söhne.  Immerhin  wird  die  Spannung  von 
64  Jahren  zwischen  der  Blütezeit  von  Vater  und  Söhnen,  die  bciPlinius  vorliegt,  um 
etwa  15  Jahre  zu  verringern  sein  ^). 

Für  eine  spätere  Ansetzung  der  Lebenszeit  des  Praxiteles  spricht  auch  sein 
Verhältnis  zu  Phryne  ").  Außer  mit  dem  Künstler  war  diese  Hetäre  mit  Hypereides 
befreundet,  der  390 — 322v.Chr.  gelebt  und  sie  ca.  340  v.  Chr.  verteidigt  hat '^).  Phryne 
hat  ferner  dem  Apelles  Modell  zu  seiner  Anadyomene  gestanden,  dessen  Blüte  Plinius 
XXXV  79  in  die  Jahre  332—329  (Ol.  112)  setzt  und  der  im  IV.  Mimiambus  des  He- 


■)  Vollgraff,  Bull.  corr.  hell.  XXXII   1908,  247  ff.  d.  griech.  Künstler  I  336  vermutete  schon,  daß 

Buschor  u.  Sieveking,  Münchener  Jahrbuch  der  die  Zeitbestimmung  des  Plinius  den  Anfang  der 

bildenden  Kunst  VII  1912,  125.   Studniczka,  oben  Tätigkeit  des  Praxiteles  bezeichnet. 

S.  ii8Anm.  2.  Anders  Herzog,  Philologus  LXXI  5)  Vgl.  Paton-Hicks  a.a.O.  XXIX. 

1912,  I  ff.  und  Rodenwaldt,  R.  M.  XXXIV  1919,  '")  Plinius  XXXIV  50  f.    Klein,  Praxiteles  12. 

68  ff.  7)   S.  den  Aufsatz   von  Lippold  über  Praxiteles   und 

')  Dickens,  British  School  Annual  XXI  1914—15,  Phryne  oben   S.  155  ff. 

6  ff.   PI.  I  1.   Trotzdem  datiert  auch  er  die  Reliefs  »)  Vgl.  die  Reste  der  Rede  des  Hypereides  Nr.  LX, 

erst  um  300  v.  Chr.  1  Athen.  XIII  p.  590  und  Alkiphron  I  30.     Über 

3)  Rodenwaldt  a.a.O.   70.  Hypereides    Kirchner,    Prosop.    att.    Nr.    13912. 

4)  Vgl.  Paton-Hicks,   Inscriptions  of  Cos  XXVII  f.  Adolphe  Reinach,  Recueil  Milliet,  Textes  relatifs 
Klein,  Praxiteles  16  f.     Auch  Brunn,  Geschichte  ä  l'histoire  de  la  peinture  ancienne  I  332  Anm.  i. 


274  Margarete  Bieber,  Die  Söhne  des  Praxiteles. 


rondas  v.  72 — 78  als  vor  kurzem  gestorben  gedacht  ist ').  Die  Statue  der  Phryne 
in  Delphi  kann  aus  historischen  Gründen  kaum  vor  345  v.  Chr.  aufgestellt  worden 
sein,  da  seit  372  v.  Chr.  der  delphische  Tempel  zerstört  war  und  in  den  Jahren  358 
bis  345  der  Heilige  Krieg  die  Aufstellung  von  Weihgeschenken  unmöglich  machte. 
Die  Statue  deswegen  mit  Pomtow  ^)  vor  372  anzusetzen,  scheint  mir  unmöglich. 
Damit  wird  Kleins  Scheidung  zweier  Phrynen  überflüssig  3). 

Auch  die  Verbindung  mit  dem  Maler  Nikias,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  IV. 
Jahrhunderts  v.  Chr.  und  sicher  noch  um  300  v.  Chr.  tätig  war,  spricht  dafür,  daß 
Praxiteles  später  gelebt  hat  als  gewöhnlich  angenommen  wird.  Daß  Nikias  nur  in 
seiner  Jugend  für  Praxiteles  gearbeitet  habe,  ist  eine  moderne  willkürliche  Annahme. 
Auch  hier  wird  die  vorgeschlagene  Verdoppelung  des  Nikias  überflüssig  4). 

Zu  gleichem  Resultat  führt  die  bekannte  Nachricht,  daß  Phokion,  der  ca. 
402 — 318  V.  Chr.  lebte,  mit  einer  Tante  des  Praxiteles,  der  Schwester  des  älteren 
Kephisodot,  vermählt  war  5).  Wenn  auch  Anomalien  in  Verwandtschaftsgraden 
vorkommen,  so  ist  doch  anzunehmen,  daß  die  Tante  mindestens  15,  der  angeheiratete 
Onkel  mindestens  18  Jahre  älter  war  als  der  Neffe.  Auch  das  führt  auf  das  Geburts- 
datum ca.  385,  Beginn  der  Tätigkeit  ca.  365,  Frühblüte  ca.  360  v.  Chr. 

Schließlich  stimmt  hierzu  auch  die  Nachricht  des  Pausanias  VIII  9,  l,  daß 
Praxiteles  im  dritten  Geschlecht  nach  Alkamenes  gelebt  hat. 

Damit  wird  die  Zeit  zwischen  der  Blüte  des  älteren  Kephisodot  und  des  Praxi- 
teles groß  genug,  um  die  Annahme,  sie  seien  Brüder  gewesen,  zu  widerlegen^).  Die 
von  Plinius  XXXIV  50  genannte  Akme  des  älteren  Kephisodot  Ol.  102  (372 — 69) 
ist  sicher  nach  dem  reifsten  Spätwerk,  der  Eirene,  datiert,  die  375 — i  aufgestellt 
sein  muß.'  Das  Heraufschieben  dieser  Statue  in  das  Jahr  403  sollte  jemand,  der  unsere 
Zeit  mitgemacht  hat,  nicht  mehr  vertreten  7).  Wäre  es  denkbar,  daß  Deutschland 
ein  Jahr  nach  Abschluß  des  Friedensvertrages  von  Versailles  eine  überlebensgroße 
Bronzestatue  der  Göttin  des  Friedens  mit  dem  Gott  des  Reichtums  auf  dem  Arm 
aufgestellt  hätte.?  Genau  so  war  das  den  Athenern  nach  der  im  Jahr  404  erfolgten, 
durch  den  Hunger  erzwungenen  Übergabe  Athens,  nach  Schleifung  der  Festungs- 
werke, nach  Auslieferung  von  Flotte  und  Kolonien,  nach  Anerkennung  der  spar- 

')  Pfuhl,  Malerei  und  Zeichnung  der  Griechen  II 737  Prosop.  att.  Sterama  ad  p.  226  Nr.  12172.  Pomtow 

§804.    Adolphe  Reinach  a.a.O.  I  315  und  340  a.a.O.    109.      Mirone  a.  a.  0.   268  ff.      Dagegen 

^'""-   '•  richtig  Perdrizet,  Revue  des  ^tudes  grecques  XI 

»)  Pomtow,  J.    d.  I.  XXXVII   1922,  109  f.  1898,  87  f.     Lippold  bei  Pauly-Wissowa  XI  232 

3)  Klein,  Praxiteles  245  ff.  Ihm  folgen  Pomtow  und  s.  v.  Kephisodotos  8  und  in  diesem  Jahrbuch 
Lippold.  oben  S.  155  ff. 

4)  PUnius  XXXV  133.  Plutarch,  Non  posse  suaviter  7)  Klein,  Praxiteles  91  ff.  Geschichte  der  griech. 
vivi  sec.  Epic.  11,2.  Pfuhl,  Malerei  und  Zeich-  Kunst  II  242.  Robert,  Knöchelspielerinnen  18 
nungll75i  §  821  und  755  §825.  Adolphe  Reinach,  /Vnm.  42.  Ducati,  Revue,  arch^ol.  1906,  1 1 1  ff .  und 
Recueil  Milliet  I  286  f.  Anm.  3  und  292  f.  .\nm.  6.  L'arte  classica  461  f.  Mirone  a.  a.  O.  274  ff.  Ame- 

5)  Plutarch,  Phokion  19.  Klein,  Praxiteles  14  ff.  lung,  Arch.  Anz.  XXXIV  1919,  50  f.  und  R. 
Dagegen  Hauser,  österr.  Jahresh.  VI  1903,  103  f.  M.     XXXVIII/XXXIX      1923/24,  41    ff.        Die 

Anm.  22.  Kirchner,  Prosopographia  att.  Nr.  15076.  richtige    Datierung    Furtwängler,    Meisterwerke 

Pomtow,  J.  d.   I.   XXXVII  1922,  109.  514;  Originalstatuen  in  Venedig  309;  Beschrei- 

'•)  Furtwängler,     Meisterwerke     5131.        Kirchner,  bung  der  Glyptothek  in  München  Nr.   219. 


Jahrbuch  des  Instituts  XXXVIII/IX   1923/24  Beilage  VIII  zu  Seit 


i!7hmpei,  großes  SJ^eafer,  J^u/meS- 
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Jahrbuch  des  Instituts  XXXVIII  IX  192.^/24  Beilage  VII  zu  Seite  7T^  ff. 


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Jahrbuch  des  Instituts  XXXVIII,IX  1923/24  Beilage  VI 


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Hans  Hörraann,  Die  römische  Bahnenfront  lu  Ephesos.  27'> 


tanischen  Hegemonie  aus  politischen,  ökonomischen  und  ethischen  Gründen  für 
viele  Jahre  unmöglich  ').  Die  Tätigkeit  des  Kephisodot  kann  damals  frühestens 
begonnen  haben,  da  der  Mann  seiner  Schwester  gerade  erst  geboren  wurde.  Er 
wird  daher  diesen  bedeutenden  Staatsauftrag  erst  ca.  30  Jahre  später  als  reifer 
Meister  erhalten  haben. 

Die  Tätigkeit  des  Kephisodot  schloß  an  die  seines  Vaters,  des  älteren  Praxi- 
teles, an,  die  Furtwängler  ^)  auf  rund  445—425  bestimmt  hat.wobei  er  jedoch  mit  Recht 
annimmt,  daß  Praxiteles  noch  länger  in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
gearbeitet  hat.  Damit  erhalten  wir  für  die  bedeutende  Familie  rund  folgende  Daten 
ihrer  Tätigkeit: 

445 — 405  älterer  Praxiteles, 
405 — 365  älterer  Kephisodot, 
365 — 320  berühmter  Praxiteles, 
325 — 275  Söhne  des  Praxiteles. 
Gießen.  Margarete    Bicber. 


DIE  RÖMISCHE  BUHNENFRONT  ZU  EPHESOS. 

Mit  Beiläge  VI— VIU. 

Die  vorliegende  Arbeit  ist  ein  monographisches  Teilergebnis  systematischer 
Untersuchungen,  mit  welchen  sich  der  Verfasser  seit  Jahresfrist  auf  dem  Gebiete  der 
antiken  Fassadenarchitektur  befaßt.  Spürt  man  den  hier  einschlägigen  Denkmals- 
resten in  der  sehr  zerstreuten  und  ungleichwertigen  Literatur  nach,  so  fällt  ein  reiches 
Material  an,  das  in  bezug  auf  seine  wissenschaftliche  Brauchbarkeit  in  vier  Gruppen 
eingeteilt  werden  kann:  Denkmäler,  die  so  gut  erhalten  sind,  daß  nennenswerte 
Rekonstruktionen  überhaupt  nicht  in  Frage  kommen;  dann  solche,  die  so  vollständig 
ausgegraben,  mit  Gründlichkeit  untersucht  und  veröffentlicht  sind,  daß  die  nach- 
prüfbare Wiederherstellung  fast  zwingende  Beweiskraft  hat  und  höchstens  in  un- 
wesentlichen Punkten  noch  schwankt;  solche,  die  hypothetisch  und  nicht  in  allen 
Teilen  überzeugend  rekonstruiert  sind,  ohne  daß  der  zu  wenig  exakte  Aufnahmen 
des  wirklichen  Bestandes  bietende  Text  eine  gesichertere  Wiederherstellung  erwarten 
ließe;  und  schließlich  die  kleine  Gruppe  der  Bauten,  die,  in  der  Rekonstruktion  an- 
fechtbar, trotzdem  in  der  Aufnahme  des  tatsächlichen  Bestandes  insoweit  vollständig 
und  genau  behandelt  sind,  daß  ein  neuer  Wiederherstellungsversuch  mit  Aussicht 
auf  Erfolg  auch  von  einer  Seite  unternommen  werden  kann,  die  dazu  nicht  mit  frischen 
eigenen  Beobachtungen  an  Ort  und  Steile  ausgerüstet  ist. 

Zu  den  wenigen  Fällen    der  letzten  Art  zählt  in  hervorragendem  Maße  die 
römische  Bühnenfassade  von  Ephesos.     Die  Nachprüfung  ihrer  bisherigen  Wieder- 

')  Religiöse  Gründe  hätteniücht  dagegen  gesprochen,       »)  Furtwängler,  Meisterwerke  137  ff- 
da  Eirene   dauernden   Kult   hatte. 


2^6  Hans  HOnnann,  Die  römische  KUhnenfront  in  Ephesos. 


herstellungsversuche  führte  zu  so  überraschenden  Resultaten  hinsichtlich  der  Möglich- 
keit eindeutiger  Ergänzung,  daß  eine  gründliche  Neubearbeitung  und  detaillierte 
wissenschaftliche  Beweisführung  unumgänglich  schien.  Im  Rahmen  der  systemati- 
schen Untersuchung  über  das  Gesamtproblcm  hätte  diese  vorwiegend  monographische 
Abhandlung  leicht  einen  Fremdkörper  und  neben  dem  ohnehin  umfangreichen  übrigen 
Stoff  eine  neue  schwere  Belastung  dargestellt.  Da  ich  außerdem  einen  baldigen 
Abschluß  jener  Arbeit  noch  nicht  in  Aussicht  nehmen  kann,  das  vorliegende  Rekon- 
struktionsergebnis aber  der  Öffentlichkeit  nicht  länger  als  unbedingt  nötig  vorent- 
halten wollte,  schien  eine  gesonderte  Bearbeitung  des  Stoffes  angezeigt  und  bei  dem 
selbständigen  Charakter  der  Aufgabe  möglich. 

Ohne  meiner  späteren  Veröffentlichung  vorgreifen  zu  wollen,  konnte  ich  es  mir 
doch  nicht  versagen,  der  Beschreibung  und  Begründung  des  Rekonstruktionsversuches 
eine  kurze  Betrachtung  über  seine  Stellung  und  Bedeutung  innerhalb  des  Kreises 
römischer  Fassadenarchitckturen  der  Kaiserzeit  anzuschließen.  Es  ist  eine  hoffent- 
lich willkommene  kritische  Würdigung  des  allgemeinen  Zusammenhanges,  die,  ohne 
Abgeschlossenes  oder  Erschöpfendes  zu  bieten,  das  Peinliche  der  isolierten  Stellung 
solch  neuen  Rekonstruktionsvorschlages  als  eines  scheinbar  rein  lokalen  Phänomen 
zu  mildern  vermag.  Auf  der  anderen  Seite  glaubte  ich  einen  kleinen  Überblick  über 
die  vorrömischen  Bauschicksale  des  Ephesischen  Theaters  vorausschicken  zu  sollen, 
wie  sie  sich  nach  Gerkans  neuen  Untersuchungen  darstellen.  Dem  einschlägigen 
Abschnitt  in  seinem  trefflichen  Pricnc-Buch  ')  im  allgemeinen  folgend  brauche  ich 
wohl  nicht  zu  befürchten,  dem  Wert  dieser  Publikation,  deren  Schwerpunkt  ganz 
anderswo  liegt,  damit  irgendwie  Eintrag  zu  tun.  Im  Rahmen  meines  Themas  aber 
sind  die  Gedankengänge  bei  der  Bedeutung,  die  ihnen  für  das  Verständnis  der  späteren 
römischen  Periode  zukommt,   nicht  ganz  zu  entbehren. 

Besonderen  Dank  schulde  ich  Herrn  Professor  Dr.  Hubert  Knackfuß,  meinem 
verehrten  Lehrer  auf  dem  Gebiete  der  antiken  Baukunst,  außerdem  den  Herren 
Professoren  Paul  Wolters  und  Albert  Rehm  für  die  archäologische  und  epi- 
graphischc  Überprüfung  der  vorliegenden  Studie. 

Die    Hauptstufen    in    der    baulichen    Entwicklung    des    Ephesischen 

Thcfiters. 

Das  Theater  von  Ephesos  hat  die  erste  genauere  Untersuchung  durch  J.  T. 
Wood  in  den  sechziger  Jahren  (Discovcries  at  Ephesos  68  ff.)  erfahren.  Für  die 
bauliche  Forschung  zeitigte  sie  leider  fast  nur  Nachteiliges,  da  die  zutage  liegenden 
Trümmer  selten  in  der  ursprünglichen  Lage  verblieben  und  die  späteren  Fundbeob- 
achtungen dadurch  für  die  Rekonstruktion  nur  noch  in  wenigen  Fällen  zu  verwerten 
waren.  Die  entscheidenden  Grabungen  erfolgten  1897  bis  1900  im  Auftrag  des  österrei- 
chischen archäologischen  Instituts  durch  Hebcrdey,  Niemann  und  Wilberg.  Ihre 
endgültigen  Ergebnisse  wurden  in  einer  für  die  Zeit  mustergültigen  amtlichen  Ver- 


')   A.  V.  Gerkan,    Das  Theater  von  Prione   als  F:inzelanlage  und  in  seiner  Bedeutung   für  das  hellenistische 

Hühnenwcscn,   München   1921. 


Hans  Hörmann,  Die  römische   Buhnenfront  zu  Ephesos.  277 


öffentlichung  niedergelegt,  dem  2.  Band  der  »Forschungen  in  Ephesos«  (Wien  1912), 
auch  heute  noch  die  fast  ausschheßHche  Quelle  unserer  Kenntnis  jener  antiken 
Theaterruine  (in  der  vorliegenden  Abhandlung  einfach  mit  »Eph.«  bezeichnet)'). 
Auf  den  wertvollen  und  grundlegenden  Aufnahmen  der  genannten  Forscher  wird  bis 
auf  weiteres  jeder,  der  sich  mit  dem  Ephesischcn  Theater  beschäftigt,  aufbauen 
müssen.  Auch  die  gegenwärtige  Untersuchung  fußt  darauf.  Dem  Verdienst  jener 
Männer  vermag  es  keinen  Eintrag  zu  tun,  wenn  an  ihrer  Auswertung  der  Grabungs- 
ergebnisse neuerdings  Kritik  geübt  werden  muß.  Teilen  sie  doch  dieses  Los  mehr  oder 
weniger  mit  jeder  wissenschaftlichen  Forscherarbeit.  Den  bleibenden  Wert  des  Ephe- 
soswerkes  wird  aber  gerade  der  am  meisten  zu  schätzen  wissen,  dem  durch  die  exakten 
wissenschaftlichen  Unterlagen  ein  selbständiges  schöpferisches  Weiterbauen  erst 
ermöglicht  wurde.  Was  v.  Gerkan  (Theater  von  Priene  96)  angesichts  des  Theaters 
von  Magnesia  sagte,  bestätigt  sich  gerade  hier  sehr  deutlich,  daß  nämlich  eine  gute 
Publikation  einen  dauernden  Wert  hat,  gegenüber  der  veränderlichen,  vom  Fortschritt 
der  Wissenschaft  abhängigen  Beurteilung.  »Es  muß  immer  wieder  betont  werden, 
daß  eine  ausführliche  Veröffentlichung  im  Anschluß  an  eine  Ausgrabung  wissen- 
schaftliche Pflicht  ist,  denn  das  gewonnene  Material  ist  auch  in  der  Gegenwart  nicht 
vor  Vernichtung  bewahrt.« 

So  ist  denn  in  Ephesos  der  seltene  Fall  gegeben,  daß  die  früheren  Bearbeiter 
das  Material  in  wissenschaftlich  einwandfreier  Form  aufgenommen  und  publiziert, 
in  ihren  Ergänzungsvorschlägen  aber  daraus  noch  nicht  all  di"e  Schlüsse  gezogen 
haben,  die  tatsächlich  mit  Sicherheit  zu  folgern  sind.  Es  war  daher,  auch  ohne  weitere 
Untersuchungen  in  loco,  die  zunächst  nicht  in  Frage  kamen  ^),  möglich,  zur  mono- 
graphischen Bearbeitung  dieses  Theaters  noch  wesentlich  neue  Gesichtspunkte  bei- 
zubringen. Die  österreichischen  Forscher,  denen  Ausgrabungsleitung  und  amtliche 
Publikation  oblagen,  haben  sich  zwar  dieser  beiden  Aufgaben,  wie  gesagt,  mit  er- 
freulichster Gründlichkeit  und  Gewissenhaftigkeit  entledigt,  in  den  Ergänzungs- 
und Deutungsversuchen  von  Irrtümern  jedoch  nicht  frei  halten  können. 

Hinsichtlich  der  Erklärungen  Wilbergs  über  den  Bauverlauf  vor  der  römischen 
Periode  hat  schon  Gerkan  (a.  a.  0.  90  ff.)  dies  nachgewiesen  und  vor  allem  der  Auf- 
fassung sich  widersetzt,  als  ob  das  hellenistische  Proskenion  dieses  Theaters  eine 
Verschiebung  in  die  Vorderwand  des  römischen  Logeions  erfahren  hätte  3).  »Tat- 
sächlich ist  die  erhaltene  Säulenarchitektur  weder  hellenistisch  noch  ein  Proskenion. 
Unglaublich  ist  eine  Versetzung  des  gesamten  Aufbaues  um  6  m,  wie  sie  von  Wilberg 
in  römischer  Kaiserzeit  vorausgesetzt  wird.  Die  Schwellen  wären  dabei  auf  neue 
Fundamente  gesetzt  worden,  genau  in  der  alten  Anordnung,  mit  allen  Marken  und 


■)  Forschungen   in  Ephesos,  Bd.  II,  herausgegeben  3)  Vgl.  dagegen  M.  Bieber,  Denkmäler  zum  Theater- 

vom  österr.  archäol.  Institut,  Wien  1912.  Wesen  im  Altertum  (Berlin-Leipzig  1921,  S.  38  ff.), 

»)   Ein  nachträglicher,   leider  nur  flüchtiger   Besuch  wo  diese  irrtümliche  Hypothese  Wilbergs  ebenso 
der  Ruine  im  Herbst  24  bestätigte   durchaus  die  wie    die     Rekonstruktionen    Niemanns    an     der 
Ergebnisse   der  vorliegenden   Untersuchung  und  römischen  scaenae  frons  ohne  Widerspruch  auf- 
gab keinen  Anlaß  zu  grundsätzlichen  Änderungen  genommen   sind, 
(vgl.  auch  S.  301  Anm.  2). 
Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVUI/IX     »933/24.  I9 


27g  Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 


Rißlinien,  aber  unter  Vernachlässigung  der  früheren  Verdübelung.  All  dies  ist 
undenkbar,  die  ganze  Säulenstellung  vielmehr  nichts  anderes,  als  die  in  situ  befindliche 
Stütze  des  frührömischen  Logeions.  Sie  entspricht  durchaus  der  gleichen  Anlage  in 
Milet,  auch  in  den  Bauformen,  die  fraglos  in  die  römische  Kaiserzeit  gehören.«  Die 
von  Wilberg  a.  a.  0.  52  gegebene  Zusammenstellung  der  dem  Theater  widerfahrenen 
baulichen  Veränderungen  muß  also  vor  allem  bezüglich  des  Umbaues  des  Proskenions 
am  Anfang  des  i.  Jahrh.  v.  Chr.  eine  Korrektur  erfahren.  In  Wahrheit  hat  in  dieser 
Zeit  ein  neuerlicher  Proskenionumbau  gar  nicht  stattgefunden,  so  daß  nun  auch  die 
gleichzeitig  gedachte  Veränderung  des  Oberstockes  früher  gesetzt  werden  kann. 
Ich  möchte  dieses  neue  Forschungsresultat  hier  vorwegnehmen,  um  gleich  einmal 
die  vom  Ephesoswerk  abweichenden  baugeschichtlichen  Unterlagen,  auf  denen  sich 
mein  Rekonstruktionsversuch  der  römischen  scaenae-frons  in  Ephesos  aufbaut,  zu 
beleuchten,  dann  aber,  um  zu  zeigen,  daß  die  bei  Wilberg  a.  a.  0.  Abb.  43  ff.  wieder- 
gegebenen Werkstücke  auf  keinen  Fall  für  die  Ergänzung  der  sc. -fr.  in  Frage  kommen; 
denn  sie  sind  ausgesprochene  Stützenglieder,  die  auch  nicht  durch  die  Fassaden- 
gestaltung in  ihrer  Formgebung  irgendwie  bedingt  worden  waren.  Wenn  man  sich 
der  am  Dionysostheater  u.  a.  Bauten  vorgenommenen  Rekonstruktionen  erinnert, 
scheint  diese  Feststellung  nicht  überflüssig. 

Unter  Berücksichtigung  der  von  Gerkan  aufgezeigten  neuen  Tatsachen  stellt 
sich  nun  die  bauliche  Entwicklung  des  Ephesischen  Theaters  in  großen  Zügen  etwa 
folgendermaßen  dar.  Der  ursprüngliche  Bau  gehört  der  Neuanlage  der  Stadt  um 
274  V.  Chr.  an;  »sein  Skenengebäude  bestand  aus  Porös,  in  der  frontalen  Ausgestaltung 
unbekannt,  aber  mit  ganz  geschlossener  Vorderwand«  (im  Gegensatz  zu  Frickenhaus' 
Thyromataergänzung).  »Für  diesen  Bau  zuerst  ein  Holzproskenion  anzunehmen  '), 
entbehrt  der  Begründung.  Nach  Analogie  von  Priene  kann  wohl  von  Anfang  an  ein 
Steinproskenion  angenommen  werden,  wahrscheinlich  sogar  aus  Marmor«.  Die  Tiefe 
dieses  Proskenion  betrug  2,8i  m,  die  Länge  33,60  m  und  seine  ebenfalls  von  Gerkan 
errechnete  Höhe  2,92  m  (wobei  allerdings  ein  Widerspruch  in  den  Maßangaben  der 
Abb.  7  und  51  des  Epheso'swerkes  nur  vermutungsweise  behoben  werden  kann). 

Auf  dieses  ursprüngliche  Steinproskenion  von  normalen  Abmessungen  folgte 
nun  nicht,  wie  Wilberg  2)  meinte,  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  ein  neuer  einschnei- 
dender Umbau.  Dagegen  hat  das  2  .Jahrh.  v.  Chr.  die  erste  wesentliche  Veränderung 
an  der  sc. -fr.  selbst  gebracht,  nämlich  jenen  hellenistischen  Umbau  des  Obergeschosses, 
der  es  mit  einer  monumentalen  Pfeilerwand  nach  dem  Muster  von  Oropos,  Priene 
u.  a.,  von  7  Öffnungen  mit  geradem  Gebälksturz,  ausstattete,  die  uns  auch  sonst 
allenthalben  als  der  regelmäßige  Typ  der  hellenistischen  sc. -fr.  begegnet.  Erhalten 
haben  sich  von  diesem  Teil  des  Theaters  vor  allem  stattliche  Reste  viereckiger  Pfeiler, 
in  die  römische  Bühnendekoration  eingeschlossen,  die  sich  von  den  Porosmauern  der 
ersten  Epoche  durch  Verwendung  eines  bläulich-weißen  Marmors  unterscheiden 
(Eph.  Fig.  30  und  31).     Freilich  ruhte  auf  diesen  Pfeilern  kein  horizontales  Stein- 


')   So  wollte  es  Fiechter  (vgl.  s.  Tabellen  S.  27,  Sp.  3  während  Heberdey-Wilberg  die  Frage  offen  ließen. 

in  der  »baugesch.  Entw.  des  antiken  Theaters«),      ')  Vgl.  s.  tabellarische  Aufstellung  Eph.  52. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos. 


279 


gesims  —  die  Werkstücke  Eph.  Fig.  33  und  34  gehören  wohl  gar  nicht  hierher  — 
sondern,  wie  Gerkan  glaubhaft  nachwies,  lediglich  ein  einfaches  Holzbalkendach, 
Damit  entfällt  aber  auch  die  für  die  neue  zeitliche  Fixierung  dieser  Bauperiode  hinder- 
liche Weihinschrift  Nr.  31  (Eph.  155).  In  dieser  Aufmachung  müssen  wir  uns  das 
Skenengebäude  im  wesentlichen  bis  in  die  römische  Epoche  hinein  erhalten  denken. 

Die  nächste  einschneidende  Änderung  brachte  erst  die  Kaiserzeit  mit  der  Um- 
gestaltung der  scaenae  frons  zur  prunkhaften  Säulenfassade.  Hand  in  Hand  damit 
gingen  weitreichende  Umbauten  in  Froskenionhöhe,  die  auf  nichts  anderes  hinaus- 
liefen, als  seinen  Ersatz  durch  ein  weiter  zurückliegendes,  niedriges  Bühnenpodium, 
das  in  zahlreichen  Resten  erhaltene  römische  Logeion.  Wie  schon  angedeutet,  hat 
Wilberg  sich  verleiten  lassen,  seine  Werkstücke  für  ein  Proskenion  aus  dem  i.  Jahrh. 
V.  Chr.  in  Anspruch  zu  nehmen:  »Nur  die  Voraussetzung,  daß  man  es  hier  mit  einem 
späthellenistischen  Proskenion  zu  tun  hätte,  scheint  die  Ursache  gewesen  zu  sein, 
die  doch  typisch  römische  Architektur  der  Werkstücke  Abb.  38,  43  und  45 — 48  für 


Abb.   I.     Aufriß  der  römischen  Skenenvorderwand.     Nach  Eph.  Fig.  60. 


hellenistisch  zu  erklären  und  den  Umbau  möglichst  spät  anzusetzen.«  Mit  Recht 
weist  V.  Gerkan  (a.  a.  0.  92  Anm.  2)  auf  die  bedenklichen  grundsätzlichen  Folgen 
eines  solchen  Beginnens  hin. 

Nicht  vor  dem  i.  Jahrh.  v.  Chr.  also  wurde  der  hellenistische  Bau  in  allen 
wesentlichen  Teilen  erneuert  und  zu  einem  Theater  mit  erhöhtem  Bühnenpodium  um- 
gestaltet (Abb.  i).  Auf  breitem,  durch  Ansätze  an  die  alte  Vordermauer  gewonnenen  Auf- 
lager erhebt  sich  unmittelbar  vor  der  ehemaligen  scaenae  frons  eine  reich  geschmückte 
Bühnenfassade  mit  Sockel  aus  Kalksteinrustikaquadern  und  ihrem  tiefen  Relief  von 
Nischen  und  verkröpften  Säulen,  etwa  im  Niveau  des  hellenistischen  Oberstockes 
und  dessen  alte  Öffnungen  verdeckend,  zuerst  zweistöckig,  später  auf  drei  Stockwerke 
erhöht.  Ihre  richtige  Ergänzung  auf  Grund  der  in  situ  erhaltenen  und  sonst  zutage 
geförderten  Werkstücke  bildet  den  Gegenstand  der  vorliegenden  Untersuchung. 
Über  dem  alten  Spielplatz  ward  das  6,19  m  tiefe,  2,6  m  hohe  Logeion  errichtet.  Sein 
Fußboden  ruhte  außer  den  seitlichen  Auflagermauern  auf  26  in  2  Reihen  angeordneten 
Säulen,  10  davorstehenden  Pfeilern  und  der  vorderen  Abschlußwand.  Ob  er  von  Anfang 
an  aus  Steinplatten  bestand  oder  vorher  als  Holzboden,  ist  ungewiß.  An  Stelle  der 
Parodoi  treten  neue  überwölbte  Eingänge,  über  welchen  Rampen  auf  das  Logeion 
führten.  Hier  wurde  ein  Abschluß  durch  Türen  hergestellt,  während  die  alten  Parodoi 
völlig  versperrt  waren.  Statt  Zugängen  zur  Orchestra  entstanden  also  Aufgänge 
zur  Bühne.    Gegen  den  Zuschauerraum  hin  stießen  diese  an  einzelstehende  Säulen, 

19» 


2go  Hans  Hönnann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


deren  hohe  Postamente  während  der  Ausgrabung  noch  in  situ  standen.  Ich  halte 
es  für  ausgeschlossen,  daß  diese  Säulen  mit  der  Architektur  der  Fassade  in  tektonischen 
Zusammenhang  gebracht  waren.  Denn  jeder  Versuch,  mit  der  sicher  ergänzten  scaenae 
frons  einen  solchen  in  halbwegs  organischer  Weise  herbeizuführen,  stößt  auf  unleug- 
bare Schwierigkeiten.  Dagegen  ist  ihre  isolierte  Stellung  etwa  als  Statuenträger 
nicht  ohne  Vorbild  und  Parallele  (vgl.  die  Rekonstruktionen  aus  dem  Canopus  in  der 
Hadriansvilla  zu  Tibur')).  Das  Motiv,  das  gerade  späten  Architekturphasen  in  ihrer 
Freude  an  Überschneidungen  und  Verunklärung  des  tektonischen  Zusammenhangs 
willkommen  sein  mußte  —  man  denke  etwa  an  die  Karl  Boromäuskirche  in  Wien 
als  Analogie  aus  der  neueren  Baukunst  — ,  scheint  in  Griechenland  auch  schon  frühei' 
bekannt  gewesen  zu  sein,  wenn  wir  H.  Thiersch's  Wiederherstellungsversuch  des 
Tempels  zu  Tegea ')  Glauben  schenken  dürfen.  Mag  man  sich  zu  dieser  Ergänzung 
an  einem  Bauwerk  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  stellen  wie  man  will  —  in  der  Zeit  der  Er- 
richtung unserer  römischen  Bühnenfassade  jedenfalls  ist  kein  Grund  mehr  vorhanden, 
einem  solchen  Motiv,  wenn  die  Funde  nichts  weiter  bezeugen,  irgendwie  aus  dem 
Wege  zu'  gehen.  Und  das  ist  für  die  vorliegende  Untersuchung  insoferne  von  Be- 
deutung, als  wir  die  in  situ  befindlichen  Basenresten  darnach  auf  alle  Fälle,  was  in 
Wirklichkeit  auch  einst  darauf  gestanden  haben  mag,  in  den  Erörterungen  über  die 
Säulenfassade  außer  Betracht  lassen  können. 

Die  Orchestra  wurde,  mit  Ausnahme  ihrer  Verkleinerung  durch  das  Logeion, 
nicht  wesentlich  verändert,   mehr  allerdings  der  Zuschauerraum. 

Die  so  gewonnene  Gestalt  hat  das  Theater,  von  den  Veränderungen  an  der 
Bühnenfassade  abgesehen,  bis  in  das  ausgehende  Altertum  bewahrt.  Vor  allem  blieb 
das  Skenengebäude  immer  ohne  unmittelbare  Verbindung  mit  dem  Koilon  und  ohne 
Paraskenien. 

Diese  einschneidenden  Änderungen  fallen  kurz  vor  das  Jahr  66  n.  Chr. 
Nach  der  in  einem  späteren  Kapitel  ausführlich  zu  würdigenden  Architravinschrift 
(Eph.  Nr.  34)  ist  die  scaenae  frons  in  diesem  Jahre  eingeweiht  worden.  »Bis  dahin 
ist  also  nicht  nur  die  technisch  in  erster  Linie  erforderliche  und  darum  naturgemäß 
vor  allem  anderen  in  Angriff  genommene  Arbeit  am  Bühnenhaus,  dem  Logeion, 
der  Orchestra  und  den  Parodoi  durchgeführt,  sondern  auch  die  Schmuckwand  soweit 
aufgebaut,  daß  sie  als  fertiges  Ganzes  gelten  kann,  d.  h.  außer  dem  ersten  auch  das 
zweite  Geschoß,  das  ja  erst  den  architektonischen  Abschluß  bringt,  im  wesentlichen 
vollendet.«  Diese  Überlegung  Heberdeys  trifft  zu.  In  der  Tat  haben  wir  in  jenem 
Datum  einen  »terminus,  ante  quem«,  der  aber  auch  nach  rückwärts  keinen  allzu- 
großen Spielraum  läßt.  Über  die  in  der  Ausführung  des  einzelnen  zwischen  beiden 
Geschoßen  erkennbaren  nicht  unerheblichen  Abweichungen  und  ihre  Erklärung 
verweise  ich  auf  die  folgenden  Abschnitte. 

Etwa  25  Jahre  später  war  der  Nordflügel  des  Zuschauerraumes  ausgebaut 
und  zuletzt  in  dieser  Umbauphase  kommt  die  Vollendung  des  Südfiügels.     Rückt 


P.  Gusman,  la  viUa  imperiale   de  Tibur    149  ff.       J)  H.  Thiersch,   Zum   Problem  des  Tegea-Tempels. 
^''''•^°3ff-  J.  d.  I.  XXVIII  1913,  S.  266  ff. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  28 1 


man  auf  Grund  der  Inschriften  den  Baubeginn  in  das  3.  oder  4.  Jahrzehnt  hinauf, 
so  könnte  als  äußerer  Anlaß  dieser  durchgreifenden  Umbauten  ein  Elementarereignis, 
•wie  das  von  Malalas  (Ed.  Bonn,  pag.  246,  11)  aus  der  Zeit  des  Claudius  erwähnte 
Erdbeben  wohl  in  Frage  kommen.  Heberdey  wenigstens  denkt  an  eine  solche  Möglich- 
keit. Trotzdem  wird  man  die  in  der  veränderten  Geschmacksrichtung  und  der  Wand- 
lung in  den  künstlerischen  Anschauungen  begründeten  Momente  nicht  unterschätzen 
dürfen  als  ebenso  wichtige  innere  Triebfedern  jener  Umgestaltung.  Auf  jeden  Fall 
ergibt  sich  für  die  scaenae  frons  eine  Bauzeit  von  mindestens  20  Jahren.  Eine  so 
lange  Frist  »dürfte  ausreichen,  um  selbst  bei  Annahme  eines  einheitlichen  Bauplanes 
die  oben  erwähnten  Differenzen  in  der  Einzelausführung  zu  erklären«. 

In  nachtrajanischer  Zeit  sind  bauliche  Veränderungen  nur  mehr  in  einzelnen 
Teilen  und  von  geringerer  Bedeutung  zu  verzeichnen.  So  erfolgte  die  Ausfüllung  der 
Interkolumnien  der  Logeionvorderwand  durch  Steinvertäfelungen  und  Einsetzung 
zwei  kleiner  Rundnischen  mit  muschelförmigen  Halbkuppeln  in  den  äußersten 
Stützenzwischenräumen,  während  die  in  der  summarischen  Zusammenstellung  bei 
Eph.  52  aufgeführten,  gleichfalls  dem  Umbau  unter  Vedius  Antoninus  zugeschrie- 
benen beiden  Halbkuppelnischen  größeren  Ausmaßes  an  den  Enden  der  scaenae  frons, 
wie  ich  nachweisen  werde,  überhaupt  nie  bestanden  haben.  Auch  bekam  das  Theater 
damals  eine  umlaufende  Säulenhalle  auf  dem  obersten  Rang,  ganz  ähnlich  wie  in 
Milet.  —  Die  Zeit  dieses  Umbaues  ist  ebenfalls  inschriftlich  erwiesen  und  liegt 
zwischen  140  und  144  n.  Chr. 

Die  augenfälligste  Veränderung  der  Bühnenwand  nach  der  Trajanischen  Zeit 
ist  der  Aufbau  des  dritten  Geschosses.  Ich  werde  in  den  folgenden  Abschnitten  noch 
ausführlicher  darauf  zurückkommen,  daß  kein  Grund  besteht,  diese  letzte  Veränderung 
einer  soviel  späteren  Periode  zuzuweisen,  wie  dies  Heberdey  glaubte  tun  zu  müssen. 
Weder  stilistische  Momente  noch  die  besonders  von  ihm  angestellte  Kombination 
mit  der  Erbauung  des  3.  Stockwerkes  rechtfertigen  seine  Datierung  bis  in  den  Anfang 
des  3.  Jahrh.  n.  Chr.  So  wenig  ich  für  eine  gleichzeitige  Errichtung  der  drei  Geschosse 
in  einem  Zuge  angesichts  der  tatsächlich  bestehenden  stilistischen  Verschiedenheiten 
eintreten  möchte,  so  scheint  mir  eine  Verbindung  dieses  Geschoßaufbaues  mit  den 
genannten  Veränderungen  am  Logeion,  also  eine  Datierung  in  die  Mitte  des  2.  Jahrh. 
doch  das  Gegebene.  In  diese  Zeit  fiele  dann  auch  die  Wiederholung  des  Rundgebälk- 
motivs an  den  Flügeln  des  ersten  Stockwerks.  Ist  doch  die  Tendenz,  welcher  sie 
entsprang,  offenbar  verwandt  mit  den  künstlerischen  Absichten,  die  der  Errichtung 
des  3.  Stockwerks  zugrunde  lagen.  Andererseits  gestattet  die  Tatsache,  daß  diese 
Einbauten  in  ihren  erhaltenen  Sockelpartien  gegenüber  den  späteren  Auswechslungs- 
arbeiten noch  das  ältere  Material  verwendet  zeigen  und  der  Austausch  der  Orthostaten 
die  von  ihnen  verdeckten  Teile  nicht  betroffen  hat,  nicht  jene  Veränderungen  mit  den 
gleich  zu  erwähnenden  Ausbesserungsarbeiten  zeitlich  auf  eine  Stufe  zu  stellen. 

Als  »letzte  Bauperiode«  mögen  dann  die  bei  Eph.  Kap.  3  beschriebenen  Repa- 
raturen an  Gesimsen  und  Giebeln  des  2.  und  Sockeln  des  i.  Geschosses  gelten  und 
meinetwegen  in  Rücksicht  auf  die  ursprüngliche  Verwendung  der  Inschrift  aus 
Commodus'  Zeit  an  einem  der  Ersatzgesimse  erst  in  den  Anfang  des  3.  nachchristlichen 


282 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 


Jahrhunderts  verlegt  werden.  Die  letzte  Umgestaltung  des  Logeion,  der  Abschluß 
der  Südrampe  gegen  das  Bühnenhaus  zu,  sowie  einige  Neuanlagen  am  Äußern  des 
Theaters  wären  anzufügen. 


Nach  dieser  Darstellung  muß  die  tabellarische  Übersicht,  in  welcher  bei  Eph. 
52  die  wichtigsten  Daten  der  Baugeschichte  zusammengestellt  sind,  nunmehr 
folgende  Fassung  erhalten: 


I.  Bauperiode 


II.  Bauperiode 
I. 

2. 

3- 
///.  Bauperiode 


[IV.  Bauperiode] 


Hellenistischer  Bau 


Neubau  des  Theaters  und  Ske 
nengebäudes  aus  Kalkstein,  mit 
geschlossener  (?)  Bühnenwand 
und  Marmorproskenion  ( .-') 

Umbau  des  Obergeschosses    der 
Skenenfront   (sieben  weite  Öff 
nungen) 

Römischer  Bau 

Vollendung  der  beiden  unteren 
Geschosse  der  scaenae  frons 

Vollendung  des  Nordanalemma 

Vollendung  des  Südanalemma 

Veränderungen   am  römischen 
Bau  

Abtrennung  der  untersten  Sitz- 
reihen,Vertäfelung  der  Logeion- 
Vorderwand  

Aufbau  des  3.  Geschosses 

Verdoppelung  des  Rundge- 
bälkmotives  am  l.  Geschoß  . . . 

Ausbesserungen  und  Aus- 
wechslungen an  der  Bühnen- 
fassade     

Ganz  späte  Reparaturen  am 
Logeion 

Umbauten  in  byzantinischer  Zeit. 


Anfang  des  3.  Jahrh.  bis  Ende 
des  2.  Jahrh.  v.  Chr. 


274  V.  Chr. 


Mitte  des  2.  Jahrh.  v.  Chr. 
zwischen  40  und  112  n.  Chr. 

66  n.  Chr. 

ca.  92  n.  Chr. 

zwischen    102  und  112  n.Chr. 

2.  bis  4.  Jahrh.  n.  Chr. 


zwischen  140  u.  144  n.  Chr. 
Mitte  des  2.  Jahrh.  n.  Chr. 

Mitte  des  2.  Jahrh.  n.  Chr. 


Anfang    des    3.  Jahrh.    n.  Chr. 
Ende  des  3.  Jahrh.  n.  Chr. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  2U  Ephesos. 


283 


Abb.  2.     Ephesos,  römische  Bühnenwand.     Nach  Ephesos  II  53. 


DIE    RÖMISCHE    BÜHNENFASSADE. 
I. 
WÜRDIGUNG  DER  BISHERIGEN  REKONSTRUKTIONSVERSUCHE. 
(Die  Mängel  und  Widersprüche  der  Niemannschen  Varianten.) 

Die  römische  scaenae  frons  wurde  (vgl.  Eph.  Fig.  6)  vor  der  hellenistischen 
Skene  aufgebaut  in  drei  Geschossen.    Den  Erhaltungszustand  nach  der  Ausgrabung 
zeigt  Wilberg  in  Fig.  60  (hier  Abb.  i)  und  einer  Heliogravüre  (a.a.O.  53,  hier  Abb.  2). 
Ihre  Reste, die  sich  im  Schutt  über  dem  Bühnenhaus,  dem  Logeion  und  derOrchestra 
fanden,  führten  zu  den  Rekonstruktionsversuchen,  die  Georg  Niemann  im  Kapitel  III 
der  Ephesospublikation  begründet  und  beschreibt  (vgl.  vor  allem  Taf.  VIII  und  IX). 
Niemann  machte  dabei  zwei  Vorschläge,  allerdings  ohne  von  irgendeinem  der  beiden 
ganz  befriedigt  zu  sein.    Er  ist  selbst  viel  zu  ehrlich,   um  nicht  die  Schwächen  und 
Ungelöstheiten,  die  beide  Varianten  in  ästhetischer  und  konstruktiver  Hinsicht  noch 
besaßen  und  die  er  sehr  wohl  empfand,  anzudeuten.  Dazu  kommt,  daß  er  mit  mehreren 
bedeutsamen  Werkstücken,  die  er  zwar  zu  Lokalmotiven  richtig  ergänzte,  in  der  ganzen 
Komposition  überhaupt  nichts  anzufangen  wußte.     Freilich  schreibt  er  den  Grund 
dieses  Mißerfolges  dem  Zustand  des  Ruinenfeldes  und  dem  besonderen  Charakter 
der  ganzen  Kunstepoche  zu,  statt  ihn  eben  doch  auch  in  einer  gewissen  eigenen  Be- 
fangenheit diesen  selbstgegrabenen  Funden  gegenüber  zu  suchen.    Resigniert  meinte 
er  am  Schluß  seiner  Untersuchung  (a.  a.  0.  94) :   »Wenn  die  Versuche,  die  Bühnen- 
wand im  Bilde  wieder  erstehen  zu  lassen,  nicht  zu  einem  überzeugenden  Resultat 
geführt  haben,  so  liegt  der  Grund  zum  Teil  in  der  ungenügenden  Zahl  der  Fundstücke, 
mehr  aber  noch  im  Charakter  des  römischen  Massenbaues.    Im  Gegensatz  zur  griechi- 


og  I  Hans  Hönnann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 

sehen  Baukunst,  welche  auch  in  ihren  späten  Ausläufern  sich  nur  ausnahmsweise 
von  dem  Zwang  der  Säulenreihe  mit  ununterbrochen  durchlaufendem  Gebälk  befreit, 
ist  der  römischen  Baukunst  freiestes  Spiel  mit  Säulen  und  Gebälken  eigen.  Die 
Möglichkeit,  die  nachweisbaren  Einzelmotive  in  verschiedener  Weise  zu  ordnen 
und  zu  ergänzen,  hindert  uns,  über  die  wahre  Gestalt  der  mächtigen  Fassade  volle 
Gewißheit  zu  erlangen.« 

Seit  der  Niederschrift  dieser  Zeilen  ist  unsere  Kenntnis  der  römischen  Baukunst, 
in  mehr  als  einem  Punkte  wesentlich  erweitert  und  vertieft,  weit  genug  fortgeschritten, 
um  auch  i  h  r  er  Gesetzmäßigkeit  gegenüber  etwas  sicherere  Anhaltspunkte  zu  besitzen. 
Es  soll  daher  —  ich  wiederhole  es  mit  Nachdruck  —  gar  keine  Schmälerung  der  Ver- 
dienste Niemanns,  der,  wie  gesagt,  grundlegende  und  wertvolle  Bausteine  zu  der 
bildlichen  Wiederherstellung  der  Fassade  ohne  Zweifel  in  Fülle  beigetragen  hat,  darin 
erblickt  werden,  wenn  ich  im  folgenden  ein  neues  rekonstruktives  Ergebnis  beschreibe, 
das  für  sich  in  Anspruch  nehmen  kann,   unter  Verwendung  der  sämtlichen  ge- 
fundenen und  publizierten  Werkstücke  eine  eindeutige  Lösung  darzustellen,  die 
unserem  Bild  von  anderen  Fassadenfronten  dieser  Art   zwanglos    sich    einfügt 
und  auch  allen  technischen  und  ästhetischen  Anforderungen  genügt.    Es  bedarf 
natürlich  einer  präzisen  wissenschaftlichen  Begründung,  welcher  einer  der  folgenden 
Abschnitte  gewidmet  sein  soll,  und  zwar  im  Interesse  der  textlichen  Klarheit  getrennt 
von  der  eigentlichen  Beschreibung.    Vorher  muß  ich  aber  doch  noch  auf  die  beiden 
Niemannschen  Rekonstruktionsversuche  eingehen.      Dabei  kann  es  sich  in  diesem 
Zusammenhange    allerdings    nicht    um    eine    vollständige    Beschreibung     derselben 
handeln.    Vielmehr  kommt  es  mir  nur  darauf  an,  ihre  grundsätzlichen  Widersprüche 
und  Mängel  aufzuzeigen  und  damit  die  Notwendigkeit  und  Berechtigung  einer  neuen 
Arbeit  über  dieses  Thema  darzutun. 

Die  Rekonstruktionsversuche  Niemanns  sind,  wie  er  selbst  zugibt,  nicht  über- 
zeugend. Im  Gesamtaufbau  überhaupt  nicht  verwendet  wurden  von  ihm  die  Werk- 
stücke Eph.  Fig.  151,  Fig.  156,  Fig.  173  und  Fig.  190.  Bei  dem  vereinzelten  Stück 
mit  dem  Schrankenmotiv  (a.  a.  O.  Fig.  173}  ist  dies  soweit  auch  berechtigt.  Seine 
Zugehörigkeit  zur  Fassade  ist  zum  mindesten  unsicher,  nachdem  der  Pfeiler  überhaupt 
verbaut  gefunden  wurde.  Ihn  mit  der  hellenistischen  Front  in  Zusammenhang  zu 
bringen,  wie  Fiechter  ')  gern  getan  hätte,  ist  schon  von  anderer  Seite  im  Hinblick 
auf  die  stilistische  Verschiedenheit  abgelehnt  worden. 

Die  beiden  Werkstücke  Fig.  15 1  hat  Niemann  richtig  zu  einem  selbständigen 
einzelnen  Ädikula-Motiv  in  Fig.  152  ergänzt  und  in  Rücksicht  auf  das  Gegen- 
stück Fig.  156  in  symmetrischer  Verwendung  wiederkehrend  angenommen.  Er 
hätte  aber  nur  einen  Schritt  weiter  tun  dürfen  und  das  vierte  unbenutzte  Werkstück- 
paar (a.  a.  0.  Fig.  190)  wäre  zum  mindesten  in  einen  sekundären  Zusammenhang 
gebracht  gewesen.  Es  sei  gestattet,  dies  hier  gleich  genauer  zu  erläutern,  um  später 
auf  den  Punkt  nicht  nochmals  zurückkommen  zu.  müssen. 

Die  Architravlänge  der  Halbsäulenädikula  errechnet  sich  nach  den  Bruchstücken 
zu  2,07  m.  Der  Zeichnung  des  Bruchstückes  Eph.  Fig.  190  mit  dem  steigenden  Voluten- 

')  Die  baugeschichtliche  Entwicklung  des  antiken  Theaters  71. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfiont  zu  Ephesos.  285 


paar  ist  ein  genauer  Maßstab  nicht  beigegeben.  Unter  Berücksichtigung  des  ein- 
kotierten  Höhenmaßes  von  0,47  m  mißt  man  jedoch  für  die  Länge  ca.  1,90  m  heraus.  — 
Der  Gebälkvorsprung  beträgt  0,26  m;  die  Dicke  der  Steinplatten  (a.  a.  0.  Fig.  190) 
0,21  m,  wobei  selbstverständlich  eine  leichte  Zurücksetzung  der  Bekrönung  zum 
mindesten  bis  in  die  Architravfluchtlinie  anzunehmen  ist.  Das  Stück  paßt  in  der 
richtigen  Zusammensetzung  also  sehr  gut  auf  das  Gebälk  unserer  Ädikula  und  wäre 
dann  natürlich  gleichfalls  an  der  Fassade  zweimal  zu  ergänzen.  Es  ist  vielleicht  für 
Niemann  schwerer  als  für  uns  heutzutage  gewesen,  diese  scheinbar  so  naheliegende 
Kombination  vorzunehmen.  Kannte  er  doch  noch  nicht  Forschungsresultate,  wie  die 
Wiederherstellung  des  Nymphäums  zu  Milet,  wo  das  Vorkommen  dieser  Zusammen- 
stellung im  zweiten  Geschoß  viermal  und  in  etwas  veränderter  Form  auch  in  der 
Mitte  des  dritten  Stockes  nachgewiesen  ist  ').  Ganz  fremd  war  es  allerdings  auch  der 
Forschung  vorher  schon  nicht  mehr.  Denn  ein  Krönungsglied  wie  das  des  Grabtempels 
zu  Termessos  ^)  ist,  wenn  auch  im  einzelnen  verschieden,  im  Grunde  doch  ebenfalls 
nach  diesem  Gedanken  aufgebaut.  Welchen  Platz  das  so  vervollständigte  Ädikula- 
motiv  im  Aufbau  der  Fassade  innegehabt  hat,  wird  im  folgenden  Abschnitt  gezeigt 
werden. 

Von  den  vorgenannten  Werkstücken  abgesehen,  hat  nun  Niemann  sämtliche 
Motive  (aber  nicht  gleichzeitig,  wie  es  eine  endgültige  Lösung  natürlich  erfordert 
hätte)  in  zwei  perspektivischen  Variantenvorschlägen  (a.  a.  O.  Taf.  VIII  und  IX) 
untergebracht.  Die  Mängel  und  Unvollkommenheiten  eines  jeden  der  beiden  Ver- 
suche deutet  er  in  rühmlicher  Selbstkritik  rückhaltlos  an. 

Bei  dem  ersten  Versuch  setzt  er,  um  nur  das  Wesentliche  herauszugreifen, 
auf  die  beiden  Doppelmotive  mit  gerundetem  Architrav,  welche  in  ihren  sicher  deut- 
baren Spuren  noch  in  situ  unter  den  Überresten  des  Unterstockes  erhalten  sind, 
wiederum  solche  im  zweiten  Geschoß.  Es  bleibt  also,  da  die  Motive  unmittelbar  zu 
beiden  Seiten  der  Mitteltüre  sich  befanden,  die  Mittelachse  und  Symmetrielinie  ganz 
unbetont :  lediglich  eine  mittelgroße  Rundnische  mit  Statuenfüllung  wirkt  als  schwäch- 
liche Markierung  dieser  doch  im  Brennpunkt  der  ganzen  Komposition  gelegenen 
Stelle.  Abgesehen  davon,  daß  die  Annahme  einer  Wiederholung  des  Doppelmotivs 
im  zweiten  Stock  an  sich  schon  völlig  unbegründet  ist  —  davon  soll  später  noch 
ausführlich  die  Rede  sein  — ,  gesteht  Niemann  selbst  die  Schwäche  gerade  dieser 
Zusammenstellung  ein,  indem  er  (Eph.  83)  bemerkt:  »Ganz  ungewöhnlich  und 
geschultem  architektonischen  Empfinden  widerstrebend  ist  hier  die  Anordnung 
eines  kreisförmig  eingezogenen  Gebälkes  zwischen  Dreieckgiebeln«  (die  eben  dadurch 
sich  ergab,  daß  das  zweite  Geschoß  in  der  ursprünglichen  Anlage  bereits  den  architek- 
tonischen Abschluß  nach  oben  zu  brachte).  Doch  das  sind  nicht  die  einzigen  Be- 
denken !  Konstruktiv  höchst  gewagt  ist  das  teilweise  Aufsitzen  von  Massivmauerwerk 
in  den  oberen  Rechtecknischen  auf  dem  Hohlraum  der  unteren  Segmentnischen 
des  Doppelmotivs:    »Ein  großer  Teil  der  oberen  Nischenwand  würde  auf  die  wag- 

7)  Vgl.    Hülsens     Rekonstruktion,     Milet,     Ergeb-       »)   Lanckoronski,   Städte  Pamphyliens  u.   Pisidiens, 
nisse    der   Ausgrabungen    und     Untersuchungen,  Bd.  II,  Fig.  76. 

Bd.  1,  H.  5.     Tafel    58  ff. 


2gg  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bflhnenfront  zu  Ephesos. 


rechte  Plattenabdeckung  der  unteren  Nische  zu  stehen  kommen«.  Es  wäre  dies 
ein  technischer  Fehler,  der  auch  durch  die  Annahme  einer  Öffnung  in  der  oberen 
Wand  nur  zum  kleinen  Teil  beseitigt  würde.  Stilistisch  aber  ist,  wie  schon  erwähnt, 
ungelöst  die  unentbehrliche  Heraushebung  des  mittleren  Wandfeldes  in  beiden 
Stockwerken.  »Der  Gedanke,  daß  die  Mitte  der  Bühnenwand  besonders  ausge- 
zeichnet war,  ist  naheliegend. «  —  Schließlich  bleibt  in  dieser  Variante  das  Werk- 
stück Eph.  Fig.  148/150,  das  Fragment  eines  größeren  Dreieckgiebels,  ganz  außer 
Betracht. 

In  dem  zweiten  Vorschlag  (a.  a.  0.  Taf.  IX)  setzt  Niemann  über  das  Mittelfeld 
des  unveränderten  Erdgeschosses  ein  Motiv  mit  gerundetem  Architrav,  tiefer  Nische 
und  eingestelltem  Stützenpaar,  indem  er  es  in  Zusammenhang  bringt  mit  einem 
großen  verkröpften  Mittelgiebel.  In  den  Wandfeldern  daneben  aber  finden  sich  nun 
tiefe  Rechtecknischen  mit  Tonnengewölben.  Die  Anordnung  des  Mittelgiebels 
stützt  er  hierbei  auf  den  Befund  des  genannten  Werkstück- Fragmentes  Fig.  148/150, 
das  im  ersten  Fall  überhaupt  nicht  hatte  untergebracht  werden  können.  Wenig  kann 
uns  in  dieser  Komposition  befriedigen,  daß  die  starke  lochartige  Aushöhlung  durch  die 
Rechtecknischen  nun  gerade  über  dem  unteren  Rundarchitravmotiv  stattfindet.  Der 
Stelle  stärkster  plastischer  Ausfüllung  und  schmiegsamerAusrundung  unten  entspricht 
damit  oben  ein  hartes  rechteckiges  Negativgebilde.  Niemann  verhehlt  sich  denn  selbst 
nicht,  daß  die  Anordnung  der  rechteckigen  Nische  unmittelbar  über  dem  gerundeten  Ge- 
bälk unharmonisch  wirkt  und  keine  überzeugende  Lösung  darstellt.  Auch  hier  konnte 
er  der  nächstliegenden  Lösung  —  die  breite  und  tiefe  Rechtecknische  als  Träger  des 
Hauptstandbildes  der  Mitte  über  der  großen  Türe  des  l.  Stockwerkes  zuzuteilen, 
wo  sie  in  gleichem  Maße  entlastend  wie  betonend  wirken  mußte  ■ —  nicht  näher  kommen, 
da  er  nach  den  Funden  ein  paarweises  Auftreten  dieses  Motivs  annehmen  zu  müssen 
meinte.  Daß  er  sich  mit  dieser  Auffassung  im  Irrtum  befand,  werden  wir  später  hören. 

So  schwankt  Niemann  in  der  Rekonstruktion  der  zwei  ersten  Geschosse  unserer 
Bühnenfassade  hin  und  her  zwischen  Versuchen,  die  den  konstruktiven  Anforderungen, 
die  man  billigerweise  an  eine  solche  Wiederherstellung  richten  muß.  Genüge  zu  leisten 
bemüht  sind,  und  solchen,  die  vor  allem  den  ästhetischen  Gesichtspunkten  Rechnung 
tragen  wollen;  bestrebt,  alle  aufgenommenen  Fundstücke  gewissenhaft  zu  ergänzen 
und  der  großen  Komposition  an  richtiger  Stelle  einzufügen,  erblickt  er  im  Gesamtbild 
schließlich  doch  immer  nur  unter  Preisgabe  des  einen  oder  anderen  Motivs  eine 
Lösung.  Trotzdem  wird  man  nicht  leugnen  dürfen,  daß  bereits  im  Ephesoswerk 
für  die  zeichnerische  Wiederherstellung  der  zwei  ersten  Stockwerke  der  römischen 
Bühnenfront  eine  Reihe  wichtiger  Fixpunkte  gegeben  sind,  an  denen  auch  mein  Re- 
konstruktionsversuch von  vornherein  eine  wertvolle  Stütze  gefunden  hat. 

Schlimmer  steht  es  mit  der  Ergänzung  des  dritten  Stockwerkes.  Aus  der  Tat- 
sache einer  kleinen  zeitlichen  Differenz  glaubte  hier  der  Rekonstrukteur  eine  Freiheit 
und  Willkürlichkeit  der  Komposition  gegenüber  den  unteren  Geschossen  ableiten 
zu  dürfen,  die  auf  den  ersten  Blick  die  wissenschaftliche  Unhaltbarkeit  der  Wieder- 
herstellung jedem  verrät,  der  über  die  j  üngeren  Forschungsergebnisse  auf  diesem  Gebiet 
unterrichtet  ist.  Vermeinte  doch  Niemann  hier  überhaupt  in  den  Funden  kaum  mehr 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bttbnenfront  zu  Ephesos.  287 


feste  Anhaltspunkte  für  die  Anordnung  der  architektonischen  Gliederung  und  Ver- 
teilung der  Motive  zu  erkennen !  Vor  allem  muß  uns  die  fast  völlig  ungebundene,  das 
untere  Achsensystem  nur  an  ein  paar  Punkten  aufnehmende  Säulenfolge  stutzig 
machen,  die  auch  in  der  späteren  Kaiserzeit  noch  ohne  Analogie  dastehen  würde. 
Niemann  suchte  den  befremdenden  Eindruck  freilich  soweit  als  möglich 
zu  mildern,  indem  er  wenigstens  einige  der  Hauptachsen  vom  ersten 
bis  zum  dritten  Stockwerk  durchlaufen  ließ.  Aber  gerade  diese  Halbheit 
hätte  in  Wirklichkeit  die  Abweichung  der  übrigen  Achsen  um  so  stärker 
und  peinlicher  empfinden  lassen.  Daß  in  der  perspektivischen  Zeichnung  (und  nur 
eine  solche  gibt,  ich  weiß  nicht,  ob  bewußt  oder  unbewußt,  der  Verfasser)  das  Fremd- 
artige und  Bedenkliche  eines  derartigen  Aufbaues  etwas  gemildert  erscheint,  darf 
uns  über  die  tatsächlichen  Verhältnisse  nicht  hinwegtäuschen.  Man  wende  auch 
nicht  ein,  daß  solche  Achsverschiebungen  im  Geschmack  der  Zeit  gelegen  hätten 
und  als  Anlaß  malerischer  Effekte  angenehm  empfunden  worden  wären.  Dann  müßten 
wir  vor  allem  andere  Beispiele  dieser  Art  zur  Verfügung  haben.  Sie  mangeln  aber, 
weil  die  stilistischen  Voraussetzungen  für  solche  Experimente  fehlten.  Denn  nicht 
barocke  Überschneidungen  wären  das  Resultat  gewesen,  jene  auf  Vermeidung  klassi- 
scher Frontalität  angelegten  Wirkungen  eines  sich  immerfort  zu  verändern 
scheinenden  Formcharakters,  wie  er  auch  für  die  neuere  Baukunst  als  ein  typisches 
Merkmal  später  Phasen  festgestellt  worden  ist !  Dagegen  wäre  in  die  ganze  Fassade 
eine  Beziehungslosigkeit  und  ein  maßstäbliches  Mißverhältnis  gekommen,  über 
die  sich  wahrscheinlich  auch  Niemann  angesichts  eines  Orthogonalrisses  der  von 
ihm  entworfenen  Varianten  sofort  klar  geworden  sein  würde.  Jedenfalls  wären  das 
qualitative  Folgen  ungebundenen  Komponierens  gewesen,  die  wir  selbst  einer  Spätzeit 
künstlerischer  Entwicklung  nicht  ohne  weiteres  zutrauen  dürfen.  Aber  —  und  damit 
komme  ich  wieder  auf  den  festeren  Boden  archäologisch-bautechnischer  Erwägungen 
zurück  —  Niemann  hat  auch  in  dem  vorliegenden  Fall  Schwierigkeiten  gesehen,  wo 
in  Wahrheit  überhaupt  kaum  welche  zu  beseitigen  sind.  Denn  ich  werde  in  einem 
späteren  Abschnitt  Gelegenheit  haben  nachzuweisen,  daß  die  Funde  von  Werk- 
stücken des  dritten  Geschosses,  so  wie  sie  im  Ephesoswerk  beschrieben  und  abgebildet 
werden,  gar  keinen  Anlaß  bieten,  in  der  Rekonstruktion  dieses  später  aufgesetzten 
Stockwerkes  von  der  Annahme  der  herkömmlichen  axialen  Stützenverteilung  abzu- 
weichen. — 

Ich  glaube,  die  Hervorhebung  dieser  wenigen  allerdings  bedeutsamsten  Punkte 
kritischer  Beleuchtung  der  bisherigen  Rekonstruktionsergebnisse  dürfte  die  Be- 
rechtigung, ja  die  wissenschaftliche  Pflicht  eines  neuen  ernsten  Versuches  zur  Genüge 
erweisen.  Denn  das  Problem  der  bildlichen  Wiederherstellung  unserer  imposanten 
Bühnenfassade,  dem  ein  Mann  vom  Range  des  ausgezeichneten  österreichischen 
Forschers  einen  kostbaren  Teil  seiner  reichen  Lebensarbeit  gewidmet  hat,  verdient 
eine  endgültige  Klarstellung  schon  um  dessentwillen.  Ist  es  ja  nur  an  dem,  die  fast 
reife  Frucht  zu  pflücken,  die  Niemann  mit  soviel  wissenschaftlicher  Treue  und  Liebe 
herangezogen  hat,  während  es  ihm  versagt  blieb,  die  Ernte  selbst  zu  erleben.  Aber 
auch  vom  systematischen  Standpunkt  aus  sollte  sich  diese  Arbeit  wohl  lohnen.    Ist 


338  Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 

doch  das  glänzende  Phänomen  der  prunkhaften  Fassadenbauten,  die  zu  Beginn  der 
Kaiserzeit  allenthalben  meteorhaft  auftauchen,  merkwürdig  genug,  um  unser  Interesse 
entwicklungstheoretisch  in  höchstem  Maße  in  Anspruch  zu  nehmen.  Das  eigentliche 
»Woher?«  und  »Wohin?«  der  seltsamen  Typen  liegt  fast  ganz  im  Dunkeln  trotz 
mancher  beachtenswerter  Hinweise  in  der  bisherigen  Literatur.  Noch  gilt  es  vor 
allem  Material  zu  sammeln.  Und  da  muß  jede  monographische  Arbeit,  welche  mit 
einem  charakteristischen  Vertreter  des  Typus  sich  beschäftigt,  wohl  willkommen  sein. 

II. 

BESCHREIBUNG  DES  NEUEN  REKONSTRUKTIONS VORSCHLAGES. 

(Hierru  Beilage  VI  und  VII.) 

Im  folgenden  wird  zunächst  der  Aufbau  der  drei  Geschosse  beschrieben,  wie  er 
sich  nach  meiner  neuen  Ergänzung  darstellt.  In  den  beiden  ersten  bewegen  wir  uns 
dabei  auf  fast  gesichertem  Boden,  während  im  dritten  Stockwerk  bei  den  spär- 
lichen Funden  im  einzelnen  wohl  auch  andere  Kombinationen  möglich  wären. 
Schon  einleitend  wurde  bemerkt,  daß  eine  Hochführung  von  Paraskenienwänden 
senkrecht  oder  schräg  zur  Frontmaucr,  wie  in  den  Neuschöpfungen  der  römi- 
schen Zeit,  hier  nicht  stattgefunden  hat.  Die  Säulenfassade  war  daher  in  Ephesos 
auch  nicht  mit  ihren  Enden  an  solche  Flügclbauten  angelehnt  und  konnte  erst  recht 
an  ihnen  keine  Fortsetzung  erfahren.  Sie  stand  vielmehr  frei  vor  der  mächtigen 
Rückwand,  die,  an  sich  gerade  verlaufend,  durch  eine  Anzahl  tiefer  Nischen  belebt  war. 

Die  Gesamtlängenausdehnung  der  Rückwand  und  also  auch  der  vorgesetzten 
Säulenfassade  betrug  rund  42  m  bei  einer  Mauerstärke  von  ca.  1,80  m;  die  vermutliche 
Höhe  vor  dem  Aufbau  des  dritten  Stockwerkes  rund  17  m,  nachher  über  22  m  ! 

Das  erste   Stockwerk. 

Die  Bühnenrückwand,  unter  Mitbenützung  stehengebliebener  Reste  des  helle- 
nistischen Skenengebäudes  aus  Marmorblöcken  errichtet,  weist  im  i.  Geschoß 
fünf  Türöffnungen  auf:  Eine  mittlere  große  und  vier  hierzu  symmetrische  in  den 
entsprechenden  Abstufungen.  Indes  hat  die  Gleichwertigkeit  der  beiden  äußersten 
Türen  gegenüber  den  anderen  durch  einen  späteren  Umbau  etwas  gelitten.  Der 
römische  Aufbau  war  auch  sonst  nicht  aus  einem  Guß,  wie  ich  im  ersten  Kapitel 
kurz  zu  zeigen  Gelegenheit  hatte.  Von  inschriftlichen  Zeugnissen  stattgefundener 
Erneuerungen  abgesehen  und  außer  den  erkennbaren  Einbauten  und  Abänderungen 
beweist  es  uns  vor  allem  die  verschiedene  Behandlung  der  Ornamente  und  architek- 
tonischen  Gliederungen. 

Zwischen  den  fünf  Türöffnungen  des  ersten  Stockwerkes  sind  vor  die  Wand 
heraustretende  Sockel  von  1,90  m  Vorsprung  und  ca.  2  m  Höhe  angebracht.  Auf 
ihnen  standen,  noch  durch  einen  Stylobat  davon  getrennt,  symmetrisch  zur  Mittel- 
achse im  ganzen  16  Freistützen,  durch  die  Ausbildung  von  abwechselnd  geringeren 
und  breiteren  Interkolumnien  zu  8  Paaren  zusammengefaßt.  Diesen  entsprachen 
an  der  Mauer  rechteckige  Pilaster  von   nur  mäßig  größerer  Breite  wie  Ausladung. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  280 


Der  Säulenachsenabstand  in  jedem  Paar  betrug  1,60  m,  nur  bei  den  zwei  äußersten 
Stützenpaaren  etwas  mehr.  Hier  müssen  wir  auch  an  Stelle  der  sonst  nachgewiesenen 
unkannelierten  Rundsäulen  mit  jonischem  Kapital,  jonischer  Basis  und  Plinthe  vier- 
eckige Pfeiler  mit  Füllornament  und  Kompositkapitäl  oder  ähnlichem  ergänzen. 
Außerdem  weist  der  Sockel  an  diesen  beiden  Stellen  zwischen  dem  Fußpunkt  der 
Pfeiler  innerhalb  jeden  Paares  einen  Rücksprung  auf  von  annähernd  der  Tiefe,  welche 
einer  Seite  des  quadratischen  Pfeilerquerschnittes  entspricht.  Nach  den  Funden 
dürfen  wir  im  Hintergrund  der  Pfeilerbaldachine  je  eine  tiefere  Nische  fast  quadrati- 
schen Querschnittes  annehmen,  eingefaßt  von  zwei  Pilastern,  einem  Gebälk  mit 
flachem  Dreieckgiebel  und  schmaler  Sohlbank.  Die  Nischen  befanden  sich  60 — 80  cm 
über  Sockeloberkante.  Das  nur  schmale  Wandfeld  zwischen  den  Pilastern  der 
übrigen  sechs  Stützenkuppelungen  war  glatt.    Ihre  Sockel  sind  unverkröpft  gewesen. 

Zwischen  den  zwei  Pfeiler-  und  sechs  Säulenpaaren  verbleiben  sieben  breitere 
Interkolumnien.  Fünf  davon  in  beinahe  gleicher  Breite  von  je  3,30  m  ca.,  nur  das 
zweite  und  sechste  um  ungefähr  60  cm  schmäler.  Im  ersten,  zweiten,  vierten,  sechsten 
und  siebenten  Interkolumnium,  vor  denen  der  Sockel  jeweils  unterbrochen  ist,  sitzen 
die  fünf  Tore,  in  der  Höhe  von  der  Mitte  her  abgestuft,  ebenso  in  der  Breite.  Die 
Abstufungen  erfolgten  offenbar  in  der  Weise,  daß  die  geometrischen  Figuren  der 
lichten  Öffnungen  einander  ähnliche  Rechtecke  bildeten,  wie  man  es  ja  auch  an 
anderen  Bühnenfronten  hat  feststellen  können.  Die  Mitteltüre  füllt  die  Mauerfläche 
zwischen  den  Sockel vorsprüngen  mit  ihrem  Gewände  gerade  aus;  auch  bei  den  zwei 
nächsten  Türen  ist  dies  noch  der  Fall,  da  das  verminderte  Ausmaß  durch  die  erwähnte 
geringere  Breite  dieser  Felder  ausgeglichen  wird.  Nur  bei  den  zwei  äußersten  verbleibt 
zwischen  Türprofil  und  Sockelansatz  beiderseits  ein  Spielraum  von  etwa  80  cm, 
der,  wie  wir  sehen  werden,  neben  anderen  Momenten  zum  Anlaß  der  späteren  Ver- 
änderungen an  dieser  Stelle  wurde. 

Nur  einen  geraden  Rücksprung  um  das  Maß  der  Plinthenbreite,  aber  keine 
Unterbrechung  zeigt  der  Sockel  der  zwei  großen  Interkolumnien  nächst  dem  mittleren 
Wandfeld.  Hier  hat  und  zwar  schon  vom  Anfang  der  Erbauung  an  eine  Zusammen- 
fassung der  dritten  und  vierten,  bezw.  fünften  und  sechsten  Säulenpaare  zu  einem 
gemeinsamen  wirkungsvollen  Motiv  stattgefunden  (vgl.  Eph.  Tafel  IV).  Zu  Seiten 
einer  Nische  gelegen,  sind  hier  je  zwei  Säulen  gleich  wie  vor  den  übrigen  Schmal- 
feldern durch  ein  gemeinsames,  gerade  vorgekröpftes  Gebälk  miteinander  zu  Paaren 
verkoppelt.  Dieses  Horizontalgebälk  tritt  nun  aber  zwischen  den  Stützenpaaren 
nicht  im  rechten  Winkel  an  die  Wand  zurück,  sondern  ist  im  Halbkreis  vor  der  Nische 
herumgeführt.  Es  wird  dabei  von  zwei  frei  vor  der  Nischenwand  aufgestellten  Säulen 
derart  gestützt,  daß  innerhalb  der  Ausrundung  drei  gleiche  Säulenzwischenräume 
entstehen.  (Die  Projektionen  des  Gebälkes  und  Stellung  der  Säulen  im  Grundriß 
zeigen  Eph.  Fig.  106  und  107,  danach  hier  Abb.  3.)  Der  Querschnitt  der  Wand- 
nische selbst  läßt  sich  dahin  beschreiben,  daß  zunächst  in  der  Flucht  der  inneren, 
d.  h.  der  Nische  zugekehrten  Pilasterseiten,  also  in  voller  Interkolumniumbreite 
ein  gerades  Stück  etwa  auf  die  Tiefe  des  Maßes  eines  Pilastervorsprunges  aus  dem 
Wandkern   herausgeschnitten  ist,    an  welchem   dann  noch  ein   Segmentbogen  be- 


290 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bllhnenfront  lu  Ephesos. 


i' 1 


Abb.  3.     Anordnung  des  Doppelpostamentes,  ergänzt.     Nach  Eph.  Fig.   107. 


deutender  Stichhöhe  und  mit  einer  Sehne  gleich  der  Länge  des  vorgelagerten  Recht- 
eckes in  der  Grundrißfigur  sich  ansetzt.  Die  Gesamtnische  erreicht  auf  diese  Weise 
eine  so  erhebliche  Tiefe,  daß  hinter  und  zwischen  den  oben  genannten  zwei  Mittel- 
stützen des  Rundarchitravs  ein  kleiner  Tabernakelbau  Platz  findet.  Mit  den 
Ecken  seines  Sockelfußprofiles  berührt  er  gerade  die  beiden  Säulen  der  großen 
Ordnung.  Er  selbst  baut  sich  auf  aus  Sockel,  Stylobat,  zwei  kleinen  freitragenden 
Säulchen  und  dem  übUchen  Gebälk  mit  Dreieckgiebel.  Statuenschmuck  als  Füllung 
dieses  zierlichen  Tabernakels  ist  anzunehmen. 

An  den  freien  Wandfeldern  über  den  drei  mittleren  (und  vielleicht  auch  äußer- 
sten) Türen  dürfen  wir  wohl  plastischen  Schmuck  durch  Masken  ergänzen,  Schau- 
spieltypen, von  denen  Reste  bei  den  Ausgrabungen  gefunden  worden  sind.  In  den 
zwei  kleinen  Nischen  am  Ende  der  Fassade  mag  gleichfalls  eine  figürliche  Füllung 
gedacht  werden.  Da  Paraskenien  fehlen,  gibt  ein  kurzer  seitlicher  Überstand  der 
um  etwa  50  cm  hinter  die  Flucht  der  Bühnenwand  zurückgezogenen  Mauer  an  den 
beiden  Flügeln  den  natürlichen  Anfallspunkt  für  die  stärker  ausladenden  Sockel- 
profile. Bekrönt  ist  die  Säulenordnung  des  ersten  Geschosses  von  einem  aus  dreifach 
abgesetztem  Architrav,  reich  verziertem  Fries  und  Zahnschnittgesims  zusammen- 
gesetzten Gebälk,  welches  über  jedem  Säulenpaar  gemeinsam  vorgekröpft  ist.  Die 
Wandarchitrave  in  den  großen  Interkolumnien  liegen  teils  bündig  mit  der  Mauer 
—  so  vermutlich  in  den  äußersten  Feldern  — ,  teils  springen  sie  um  das  Maß  der 
Pilasterausladung  vor  —  nach  meiner  Rekonstruktion  über  den  drei  mittleren  Türen. 
Nur  über  dem  dritten  und  fünften  Großinterkolumnium  weist  das  Gebälk,  durch 
das  Motiv  der  Segmentnischen  bedingt,  die  bereits  beschriebenen  halbrunden  Ein- 
ziehungen auf. 

Zusammenfassend  läßt  sich  also  das  erste  Geschoß  als  fünftürige  scaenae 
frons  bezeichnen  mit  acht  gekuppelten  Stützenpaaren  vor  den  Wandfeldern.  Während 
die  vier  äußeren  unverbunden  vor  die  glatte  Rückwand  gestellt  sind,  erfuhren  die 
vier  mittleren  eine  Zusammenziehung  zu  zwei  besonderen  Motiven  von  breiter  und 
tiefer  Segmentnische  (genau  genommen  der  Kombination  einer  solchen  mit  un- 
mittelbar d.  h.  ohne  Absatz  vorgelagerter  Rechtecknische)  mit  je  einem  Paar 
weiterer  großer  Zwischenstützen  (so  daß  wir  also  im  ganzen  20  Stützen  zu  zählen 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


291 


haben).    Damit  liegt  ein  starker  Akzent  allein  auf  den  dem  Mittelfeld  benachbarten 
Wandfeldern,  während  jenes  selbst  und  die  vier  äußeren  unbetont  bleiben. 

In    dieser   Gliederung    zeigte    sich    die   Front    des    ersten    Stockwerkes    von 
Ephesos  dem  Theaterbesucher  fast  bis  zur  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  nach  Chr. 


Abb.  4.     Nördliches  Ende  der  Buhnenwand.     Nach  Eph.  II  Fig.  131. 

Das  erste   Stockwerk  nach  dem  Umbau. 

Schon  Niemann  hat  den  in  situ  befindlichen  Resten  richtig  abgelesen,  daß  um 
die  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  am  ersten  Geschoß  eine  konstruktiv  interessante  und 
stilistisch  nicht  unwesentliche  Veränderung  vor  sich  gegangen  sein  muß.  Die  Art, 
wie  er  sich  seine  an  Ort  und  Stelle  gemachten  Beobachtungen  motiviert  dachte, 
weicht  aber  erheblich  von  dem  ab,  was  aus  stilistischen  und  konstruktiven  Über- 
legungen heraus  allein  für  möglich  und  berechtigt  gelten  muß.  Ich  beschreibe  daher 
im  folgenden  meinen  Rekonstruktionsversuch. 

Man  erinnert  sich,  daß  die  beiden  äußersten  Türen  ihre  Wandfelder  im  Gegensatz 
zu  den  anderen  nur  lose  ausfüllten.  Damit  war  der  hier  vorgenommenen  Änderung 
von  vornherein  die  Bahn  geebnet.  Vorausschicken  will  ich  noch,  daß  bei  sämtlichen 
Türen  aus  technisch  naheliegenden  Gründen  die  Rahmenstücke  bedeutend  schwächer, 
also  schmäler  wie  die  übrigen  Teile  der  Rückmauer  gehalten  waren :  Sie  hatten  kaum 
ein  Drittel  ihrer  Dicke.  Doch  lagen  die  Türen  mit  ihren  Stöcken  in  Flucht  der  Front- 
wand, so  daß  nur  gegen  das  Skenenhaus  zu  diese  Differenz  zum  Ausdruck  kam. 
Es  ist  anzunehmen,  daß  die  Abdeckung  der  so  hinter  den  Türöffnungen  entstandenen 
ziemlich  tiefen  Nischen  durch  Gurtbögen  erfolgte,  so  daß  die  Last  des  aufliegenden 
Vollmauerwerkes  des  2.  Geschosses  getragen  werden  konnte. 

Diese  Konstruktion  gab  ohne  weiteres  die  Möglichkeit,  Gewände  und  Sturz- 
mauerwerk der  beiden  äußersten  Türen  zu  versetzen  und  zwar  soweit  zurück,  daß 


k 


292 


Hans  Höimann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos. 


der  Türstock  nun  mit  der  rückwärtigen  Flucht  der  Mauer  bündig  zu  liegen  kam. 
Jetzt  konnte  man  vor  den  äußersten  Türen  den  Sockel  in  der  Weise  ergänzen,  daß 
je  eine  halbkreisförmige  Nische  entstand.  Es  sind  keinerlei  Spuren  vorhanden,  die 
darauf  hindeuten,  daß  diese  Veränderung  am  Sockel  in  darüber  liegendem  Mauerwerk 
ihre  Fortsetzung  gefunden  hätte.   Vielmehr  lassen  Form  und  Größe  der  Sockelansätze 


Abb.  5.     Grundrißanordnung   am  Nordende    der   Btthnenwand,     Oben   jetziger   Zustand,    unten    Zustand 
vor  dem  Umbau  (Ergänzung).     Nach  Eph.   Fig.    133,    134. 


es  als  sicher  erscheinen,  daß  auf  ihnen  ein  weiteres  zurückgesetztes  Säulenpaar  im 
Rahmen  der  Stützenordnung  des  Erdgeschosses  seinen  Platz  finden  sollte.  Nur 
aus  diesem  Grunde  konnte  eine  so  starke  Verengung  des  Durchganges  vor  der  zurück- 
gesetzten Türe  (Abb.  5  oben)  durch  die  Sockelansätze  beabsichtigt  sein,  daß  erst 
durch  schrägen  Verlauf  der  letzten  seitlichen  Anschlußfiächen  die  Breite  des  Tür- 
profils wieder  erreicht  werden  mußte.  Tatsächlich  deckt  sich  aber  nun  auch  die 
Stelle,  die  nach  der  Gestalt  des  Sockels  als  Auflagerfläche  für  den  Säulenfuß  in 
Frage  kommt,  aufs  Haar  mit  dem  Platz,  welcher  sich  aus  der  Analogie  der  mittleren 
Nischenmotive  ergibt. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos.  2Q3 

Es  wurde  also  durch  den  Einbau  zweifellos  eine  Wiederholung  des  Motivs  der 
vier  mittleren  Säulenpaare  erzielt.  Daß  aber  nun  auch  das  Gebälk  eine  ähnliche 
halbkreisförmige  Ausbildung  an  diesen  Stellen  erfuhr,  wird  man  wohl  mit  Recht 
folgern.  Denn  damit  bekommt  die  ganze  zunächst  höchst  unpraktisch  erscheinende 
Umwandlung  ja  erst  ihren  Sinn,  und  der  Einsatz  der  erforderlichen  Werkstücke  in 
den  Ecken  bereitete  kaum  irgendwelche  Schwierigkeiten;  Auflagerfläche  war  dazu 
genug  vorhanden.  Daß  der  Hintergrund  der  so  entstandenen  Mauernische  von  Quer- 
schnitt und  Ausstattung  der  älteren  Segmentnischen  abwich,  hat  bei  den  starken 
Schattenwirkungen,  die  zu  jeder  Tageszeit  hinter  der  Säulenstellung  aufgetreten 
sein  müssen,  nichts  zu  bedeuten. 

Der  entscheidende  Eindruck  war  jedenfalls  der  einer  Wiederholung  der  älteren 
Mittelmotive  auf  den  Flügeln  der  Bühnenfassade  unter  geschickter  Einpassung  in 
das  Gegebene.  Die  zwei  kleinen  äußersten  Durchgänge  wurden  damit  ihrer  selbstän- 
digen öffnenden  Wirkung  in  der  Fassade  des  ersten  Stockwerkes  entkleidet.  Dieses 
gibt  sich  jetzt  deutlich  als  typisch  spätrömische  scaenae  frons,  in  welche  drei  monu- 
mentale Türöffnungen  starke  Zäsuren  bringen,  während  die  dadurch  entstehenden 
annähernd  gleich  breiten  Wandabschnitte  in  der  vorgestellten  Säulenarchitektur 
vier  harmonische  Festakkorde  anklingen  lassen.  Das  Thema,  das  ihrer  Komposition 
zugrunde  liegt,  lautet:  »Eine  Mittelnische,  flankiert  von  zwei  gekuppelten  Säulen- 
paaren, die  jeweils  durch  gerundetes  Gebälk  mit  unterstelltem  stützendem  Säulenpaar 
eine  Zusammenfassung  erfahren. «  Daß  dabei  in  den  an  den  Enden  neu  geschaffenen 
Motiven  durch  die  etwas  größere  Interkolumniumbreite  der  äußersten  Stützenpaare 
eine  leichte  Assymetrie  verblieb,  darf  uns  nicht  beirren.  Es  war  ein  Moment  von 
untergeordneter  Bedeutung,  das  man  bei  dem  Umbau  mit  in  Kauf  nehmen  mußte 
und  das  sicherlich  um  den  Preis  der  prächtigeren  Ausgestaltung  des  ganzen  Stock- 
werkes auch  unbedenklich  hingenommen  wurde. 

Über  die  inneren  Gründe  dieser  für  den  Gesamteindruck  der  Fassade  des  ersten 
Geschosses  sehr  wesentlichen  Veränderungen  hier  nur  soviel,  daß  es  jedenfalls  aus- 
geschlossen ist,  dafür  irgendwie  erhebliche  praktische  Gesichtspunkte  in  Ansatz 
zu  bringen.  Selbst  wenn  bühnentechnisch  eine  Herabminderung  des  früheren  Fünf- 
türensystems auf  drei  noch  wirklich  brauchbare  Eingänge  unter  dekorativer  Umge- 
staltung der  zwei  außer  Benutzung  gekommenen  an  den  Flügeln  angestrebt  worden 
wäre  - —  eine  Tendenz,  die  aber  durchaus  nicht  allgemein  ist  — ,  so  hätte  man  dies 
auf  anderen  Wegen  wesentlich  einfacher  und  wohlfeiler  erreichen  können.  Wir  sind 
daher  tatsächlich  wohl  berechtigt,  den  interessanten  baulichen  Vorgang  als  ein 
Symptom  tieferer  entwicklungsgeschichtlicher  Tendenzen  zu  werten. 

Zweites  Stockwerk. 
Hier  schiebt  sich  zunächst  zwischen  Gebälk  der  ersten  Ordnung  und  Stylobat 
der  zweiten  ein  Sockel  ein,  etwas  niedriger,  wie  der  des  Erdgeschosses,  welcher  die 
Bewegung  des  unteren  Architravs  mit  Ausnahme  seiner  vier  Ausrundungen  mit- 
macht. An  ihrer  Stelle  ist  bei  dem  Sockel  ein  gerader  Verlauf  anzunehmen  unmittelbar 
vor  der  Wandflucht  bezw.  deren  idealer  Fortsetzung,  da  nämlich,  wo  Nischen  u.  dgl. 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIU/IX  1923/34-  ^° 


2QA  Haos  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 


angeordnet  waren.  Der  Sockel  trug  einen  Erotenfries  als  plastischen  Schmuck.  Die 
i6  Freisäulen  des  zweiten  Geschosses  stehen  auf  den  Achsen  des  unteren,  mit  glatten 
Schäften  und  vermutlich  kompositen  Kapitalen  ausgestattet.  Ihre  Höhe  ist  nur 
unwesentlich  geringer  anzunehmen  gegenüber  denen  des  Erdgeschosses,  entsprechend 
der  auch  nur  unbedeutenden  Differenz  in  den  unteren  Säulendurchmessern.  Die 
acht  gekuppelten  Säulenpaare  endigten  in  diesem  Geschoß  in  abwechselnd  segment- 
und  dreieckförmigen  Giebeln.  Die  etwas  breiteren  Flügelbaldachine  erhielten  hierbei 
Segmentgiebel,  welche  diesen  Stellen  eine  naheliegende  Betonung  gegenüber  dem 
zweiten  und  dritten  bezw.  fünften  und  sechsten  Baldachin  verliehen.  Gerade  dieser 
Umstand  führt  wie  von  selbst  auf  die  Vermutung,  daß  nun  erst  recht  über  dem  Mittel- 
feld ein  energischeres  Krönungsmotiv  angebracht  gewesen  sein  muß.  Ist  schon 
Niemann  zu  jenem  Resultat  auf  Grund  der  größeren  Giebel  an  den  Enden,  die  bei  ihm 
Dreieckform  haben,  wenigstens  in  einer  Variante  gelangt,  so  ist  diese  Forderung 
nach  meiner  Rekonstruktion  noch  dringlicher:  Denn  hier  läßt  die  Rundform  über 
den  Flügelbaldachinen  deren  Hervorhebung  viel  massiger  erscheinen  und  erheischt 
umsomehr  einen  entsprechenden  Ausgleich  über  der  Mitte.  Aber  auch  im  Zusammen- 
halt mit  der  Gliederung  des  ersten  Stockwerkes  wird  diese  Lösung  gefordert  werden 
können  und  schließlich  ist  der  Rückschluß  auf  verwandte  Fassadenaniagen  —  Niemann 
selbst  erinnert  an  das  wenig  spätere  Theater  von  Aspendos  —  wohl  erlaubt ! 

So  habe  denn  auch  ich  für  die  Bekrönung  der  beiden  mittleren  Säulenpaare 
dieses  zweiten  Stockwerkes  einander  zugekehrte  gerade  Halbgiebel  gewählt,  welche 
sich  über  dem  Mittelwandfeld  dann  zurückkröpfen  und  zu  einem  großen  Dreieckgiebel 
ziemlich  flacher  Neigung  zusammenfügen.  Die  archäologische  Unterlage  dieser 
Rekonstruktion  freilich  ist  bei  mir  eine  etwas  andere  und  ich  werde  davon  in  der 
Begründung  meines  Vorschlages  noch  zu  sprechen  haben.  Die  Neigung  auch  dieses 
großen  verkröpften  Giebels  wird  wohl  die  gleiche  gewesen  sein,  wie  bei  den  zwei  kleinen 
Dreieckgiebeln  auf  den  vorletzten  Säulenpaaren,  für  keinen  Fall  steiler  !  Eine  plastische 
oder  farbige  Füllung  des  mittleren  Giebelfeldes  ist  anzunehmen.  Die  Reihenfolge 
der  Giebel  vom  einen  Flügel  zum  andern  ist  also  folgende:  Mittelgroßer  Segment- 
giebel —  kleiner  Dreieckgiebel  —  kleiner  Segmentgiebel  —  großer  verkröpfter  Mittel- 
giebel (Symmetrieachse)  —  kleiner  Segmentgiebel  —  kleiner  Dreieckgiebel  — 
mittelgroßer  Segmentgiebel.  Sämtliche  Giebel  hatten  Akroterien,  nicht  wie  bei 
Niemann  figürliche  Motive,  sondern  wohl  etwas  niedrigere  ornamentale  Dekorations- 
stücke. 

Das  Gebälk  der  zweiten  Ordnung  (vgl.  Eph.  Fig.  142)  ist  einfacher  als  das  des 
unteren  Geschosses,  welches  in  seiner  Behandlung  die  hellenistische  Überlieferung  deut- 
lich verrät,  und  trägt  im  Gegensatz  zu  diesem  entschieden  römische  Prägung.  Architrav 
und  Fries  sind  aus  einem  Stück  gearbeitet,  jener  von  schwerfälliger  Gliederung, 
der  Formenschmuck  auf  den  Fries  beschränkt,  das  Kranzgesims  in  einfachster 
Ausführung  gehalten.  Trotzdem  ist  an  eine  zeitliche  Verschiedenheit  der  beiden 
Geschosse  über  das  durch  die  natürliche  Differenz  des  Baufortschrittes  bedingte 
Maß  hinaus  nicht  zu  denken.  Die  Wandarchitrave  liegen  teils  bündig  mit  der  Mauer, 
teils  springen  sie  etwas  vor.   Über  den  Säulenpaaren  bilden  sie  gleichwie  beim  unteren 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos.  20S 


Geschoß  im  Zusammenschluß  mit  zwei  senkrecht  ausspringenden  und  einem  parallel 
zur  Rückwand  freiliegenden  Architrav  die  erforderlichen  Gebälkkröpfe  und  den 
Rahmen  für  tiefliegende  Kassetten  •).  Als  Träger  der  Gebälkkröpfe  fungieren  die 
Säulen  und  mit  diesen  korrespondierende  Pilaster.  Die  Kapitale  der  letzteren  zeigten, 
wie  vielleicht  auch  die  der  vier  Erdgeschoßpfeiler,  jene  der  späteren  kleinasiatischen 
Architektur  eigentümliche  Mischform,  die  man  in  Erinnerung  an  Möbeltypen  der 
Empirezeit  mit  dem  nicht  gerade  schönen,  aber  anschaulichen  Namen  »Sofakapitäle« 
belegt  hat  (Eph.  Fig.  119 — 126).  Doch  wird  von  ihrer  gewöhnlichen  Ausbildung 
hier  insoferne  abgewichen,  als  auf  allen  drei  Seiten  »Vorderansicht«  gegeben  ist. — 
Im  Hintergrund  der  Flügelbaldachine  habe  ich  auf  Grund  von  Fundstücken  auch 
für  das  obere  Geschoß  kleine  ädikulare  Rechtecknischen  angenommen,  nur  natürlich 
gegenüber  denen  des  Unterstockes  entsprechend  verkleinert. 

Nun  zu  den  sieben  Wandfeldern  zwischen  den  Säulenpaaren  dieses  Geschosses  1 
Für  die  fünf  mittleren  müssen  wir  nach  der  Rekonstruktion  Nischenfüllung  annehmen: 
Im  Mittelfeld,  es  ganz  ausfüllend,  eine  tiefe  Rechtecknische  mit  Tonnengewölbe; 
in  den  vier  seitlichen  Feldern  Halbkreisnischen  von  jeweils  etwas  verkleinertem  Quer- 
schnitt, nicht  ganz  so  knapp  eingepaßt,  wie  in  der  Mitte,  aber  sie  doch  noch  füllend.  Alle 
Nischen  haben  Pilaster-  und  Archivoltenumrahmung,  wobei  das  Kämpfergesims  in 
gleicher  Höhe  liegt.  Figurale  Besetzung  unter  entsprechender  Betonung  des  Mittelfeldes 
ist  anzunehmen.  Es  bleiben  nun  noch  die  beiden  äußersten  Wandfelder.  Ihnen 
müssen  wir  ein  Motiv  zuweisen,  das  Niemann  in  seinen  beiden  Varianten  überhaupt 
nicht  hat  unterbringen  können  und  das  in  diesem  Sinne  schon  in  einem  früheren 
Kapitel  Erwähnung  gefunden  hat:  Die  Eph.  Fig.  152  rekonstruierte  Ädikula  in  Ver- 
bindung mit  dem  krönenden  Volutenornament  Eph.  Fig.  190. 

Die  beiden  äußersten  Wandfelder  springen  um  das  Maß  der  Pilasterausladung 
vor  der  Mauer  hinter  dieselbe  zurück,  so  daß  also  eine  Art  Nische,  aber  in  voller 
Interkolumniumbreite  und  ohne  Absatz  gegenüber  den  Pilastern  entsteht.  Diese 
selbst,  deren  Seitenflächen  hier  in  der  doppelten  Breite  ihrer  frontalen  Abmessungen 
nachgewiesen  sind,  greifen  mit  ihren  Kapitalen  in  die  Nischen  herein.  Der  Fries- 
sockel aber  bleibt  in  dergleichen  Ebene  wie  vor  den  übrigen  Wandfeldern.  So  ergibt  sich 
ein  natürliches  Auflager  für  das  obengenannte  Motiv.  Es  besteht  aus  Halbsäulen, 
die  in  einem  Achsenabstand  von  nicht  ganz  1,50  m  unmittelbar  an  die  Wand  der 
Nische  gesetzt  sind.  Ihr  Querschnittsmittelpunkt  ist  ein  ganz  klein  wenig  vor  die 
Mauer  herausgerückt.  In  den  Maßen,  Fuß-  und  Kapitälformen  stimmen  sie  mit  der 
übrigen  Ordnung  überein.  Selbstverständlich  bedingten  sie  eine  entsprechende 
Verkröpfung  des  Gebälkes  —  und  im  Gang  der  Rekonstruktion  war  diese  überhaupt 
das  Primäre,  die  Partie,  welche  in  erster  Linie  durch  Funde  gegeben  und  gesichert  ist: 
Ein  Gebälkvorsprung  ohne  Giebel  (Eph.  Abb.  151)  vonnuro,26  m  bei  einer  Architrav- 
länge  der  Ädikula  von  2,07  m  !  Die  seitlich  ausladenden  Gesimse  waren  demnach 
bei  einer  Breite  der  äußersten  Wandflächen  von  3,63  m  durch  einen  Raum  von  wenig 
mehr  als  30  cm  zwischen  den  Hängeplatten  voneinander  getrennt.     Die  obere  Be- 


')  Vgl.  Eph.  Fig.  HO,  wo  diese  Ausbildung  für  das  Erdgeschoß  rekonstruiert  ist. 


296 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


krönung  der  Ädikula  dürfen  wir  —  ich  kann  mich  da  auf  die  früheren  Ausführungen 
über  die  Berechtigung  dieser  Zusammenstellung  beziehen  • —  in  einem  47  cm  hohen 
rechteckigen  Werkblock  von  21  cm  Dicke  und  etwa  der  Länge  ihres  Architravs 
sehen;  an  seiner  Vorderfläche  sind  zwei  gegen  die  Mitte  zu  ansteigende  und  dort  sich 
berührende  Volutenkonsolen  in  flachem  Relief  mit  Spiralen-  und  Rankenornamenten 
als  Füllung  herausgearbeitet  (vgl.  Eph.  Fig.  190). 

Über  dem  Gesims  des  zweiten  Stockwerkes  war  die  Mauer  als  Attika  jedenfalls 
noch  soweit  fortgesetzt,  daß  die  Giebel  und  besonders  auch  deren  größter  in  der 
Mitte  der  Fassade  gegen  die  Rückwand  anlaufen  konnten.  Unmittelbar  über  dem 
First  des  gebrochenen  Mittelgiebels  erst  dürfen  wir  uns  daher  den  Gesimsabschluß 
vorstellen.  Ob  die  Attika  ursprünglich  ganz  glatt  war,  d.  h.  ohne  Vor-  und  Rück- 
sprünge oder  Verkröpfungen,  und  erst  beim  Aufbau  des  dritten  Geschosses  solche  in 
dem  dazu  notwendigen  Umfang  über  jedem  Säulenpaar  erhalten  hat,  ist  nicht 
mehr  nachzuweisen.  Es  bleibt  auch  denkbar,  daß  es  sich  hier  um  bereits  dem  ursprüng- 
lichen Bau  eigentümliche  Anordnungen  handelt.  Beides  wäre  stilistisch  möglich. 
Näher  scheint  mir  freilich  das  erste  zu  liegen,  nachdem  ein  nachträgliches  Versetzen 
der  Postamente  keinerlei  technische  Schwierigkeiten  verursachen  konnte. 

Schließlich  noch  ein  Wort  über  den  seitlichen  Abschluß  des  ersten  Fassaden- 
aufbaues, der  übrigens  durch  die  Zutat  des  dritten  Stockwerkes  keine  Veränderung 
mehr  erfuhr.  Hier  ist  anzunehmen,  daß  der  kleine  seitliche  Vorsprung,  den  die 
Rückmauer  im  Erdgeschoß  vor  den  äußersten  Fassadenflügeln  hatte,  auch  im  zweiten 
Geschoß  seine  Fortsetzung  fand,  so  daß  hier  ebenfalls  Sockel-  und  andere  kleinere 
Profile  sich  daran  totlaufen  konnten  und  überall  ein  klarer  Anschluß  sich  ergab. 
Nur  die  beiden  Hauptgesimse  dürften  seitlich  an  der  Wand  des  Bühnenhauses 
fortgelaufen  sein,  ebenso  die  Attika  mit  ihrem  kleinen  Abschlußgesims.  Um  das  Maß 
der  Hauptgesimsausladung  vorstehend  trat  vor  die  Attika  auch  hier  ein  Dreieckgiebel 
mit  Akroterien,  der  wohl  die  ganze  Breite  des  nicht  all  zu  tiefen  Bühnenhauses  über- 
spannte. Seine  Neigung  war  etwas  größer  als  die  der  frontalen  Dreieckgiebel.  Er 
überschnitt  daher  in  der  Mitte  zum  Teil  das  Deckgesims  der  Attika  und  ragte  wohl 
auch  noch  ein  Stück  frei  darüber  hinaus,  ohne  daß  sich  genauere  Maße  für  diese 
Ausbildung  heute  noch  nennen  ließen. 

Das  dritte  Stockwerk. 
Gleich  den  oben  beschriebenen  Einbauten  in  der  Fassade  des  Erdgeschosses 
gehört  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  auch  die  augenfälligste  Veränderung 
der  Bühnenwand  an,  der  Aufbau  des  letzten  Geschosses.  Noch  später  dürften  die 
verschiedenen  Reparaturen  und  Auswechslungen  an  Gesimsen  und  Giebeln  des 
zweiten  und  den  Sockeln  des  ersten  Stockwerkes  gewesen  sein.  »Sie  sind  durch  starke 
Abweichungen  in  den  Maßen,  Formen  und  Ornamenten  einer  ganzen  Anzahl  von 
Fundstücken  erwiesen,  an  deren  Zugehörigkeit  zum  System  der  Bühnenfassade 
andererseits  doch  nicht  zu  zweifeln  ist,  zum  Teil  aber  auch  durch  Verschiedenheiten 
des  Materials,  wobei  vielfach  die  Wiederverwendung  älterer  Stücke  zu  bemerken  ist. 
Die  Datierung  dieser  Arbeiten  in  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  auf  Grund 


Hans  HörmanD,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos.  207 


der  schon  genannten  Inschrift  aus  Commodus'  Zeit  wäre  mit  den  Formen  und  der 
Ausführung  jener  Ersatzstücke  wohl  vereinbar.«  Auf  jeden  Fall  ist  kein  Anlaß  vor- 
handen, viel  weiter  herabzugehen. 

Von  der  dritten  Säulenordnung  sind  nur  mehr  geringe  Überreste  erhalten: 
Gesimsstücke,  Architrave  mit  angearbeitetem  Fries,  sowie  einige  Kapitale.  Meine 
Rekonstruktion  kann  daher  hier  nur  in  den  wesentlichen  Zügen  als  gesichert 
gelten,  während  in  Einzelheiten  eine  andere  Zusammenstellung  der  Motive  ebenfalls 
gewisse  Berechtigung  hätte,  freilich  nicht  entfernt  in  dem  Spielraum  wie  Niemann 
glaubte  es  beklagen  zu  müssen.  Immerhin  möchte  bei  Fortsetzung  der  Beschreibung 
in  der  für  die  zwei  ersten  Geschosse  gewählten  bestimmten  Form  die  Gefahr  bestehen, 
daß  doch  dem  einen  oder  anderen  Detail  ein  durch  die  Tatsachen  nicht  gerecht- 
fertigter Grad  der  Sicherheit  zugemessen  würde.  Eine  Trennung  der  genauen 
Analyse  dieses  dritten  Geschosses  von  der  späteren  wissenschaftlichen  Begründung 
scheint  mir  überhaupt  untunlich.  Ich  will  mich  also  darauf  beschränken,  lediglich 
die  charakteristischen  Grundzüge  seines  Aufbaues  hier  zusammenzustellen,  die 
nach  meinem  Untersuchungsergebnis  als  begründet  gelten  dürfen. 

Da  ist  zunächst  der  Umstand  zu  erwähnen,  daß  die  gegenüber  der  älteren 
Rückwand  bedeutend  schwächere,  im  übrigen  aber  gleich  jener  undurchbrochen 
hinlaufende  Bühnenrückmauer  gegen  die  dem  Inneren  des  Bühnenhauses  zuge- 
kehrte Flucht  der  unteren  scaenac  frons  nur  um  wenige  Zentimeter  abge- 
setzt war.  Um  so  größer  fiel  daher  der  Rücksprung  gegen  die  andere  Seite,  also 
nach  vorne  zu  aus.  Bei  den  an  sich  bedeutend  kleineren  und  zierlicheren  Abmessungen 
(die  Säulenhöhe  verhält  sich  zu  der  des  unteren  Geschosses  etwa  wie  2  :  3  und  dem 
entsprechen  alle  anderen  Proportionen)  wurde  es  auf  solche  Weise  möglich,  die  vor- 
deren Freisäulen  dieses  dritten  Geschosses  auf  die  Achsen  der  Wandpilaster  der  beiden 
unteren  Ordnungen  zu  setzen,  ohne  daß  der  Abstand  von  den  entsprechenden  Pilastern 
der  dritten  Ordnung  unter  das  den  übrigen  Verhältnissen  angepaßte  Maß  herab- 
gedrückt wurde.  —  Eine  ebenso  einfache  wie  geschickte  Lösung! 

War  so  nach  der  Tiefe  ein  organischer  Zusammenhang  mit  den  ausschlaggebenden 
Schichtflächen  im  Aufbau  der  alten  Fassade  hergestellt  —  die  dritte  Ordnung  er- 
scheint jetzt  einfach  um  ein  Stützenabstandsmaß  zurückgesetzt!  — ,  so  blieb  dieser 
Zusammenhang  ganz  sicher  auch  in  der  für  die  Erscheinung  der  Fassade  noch  viel 
wichtigeren  Frontalansicht  gewahrt,  d.  h.  es  genügt  jedenfalls  nicht,  wie  Niemann 
glaubte,  nur  die  fünf  Hauptachsen  der  Fassade  beizubehalten,  dazwischen  aber  ein 
willkürliches  Versetzen  der  Stützen  ohne  Rücksicht  auf  das  untere  Achsensystem 
anzunehmen.  Es  besteht  in  der  Gruppierung  dieser  Säulenordnung  im  einzelnen 
daher  auch  gar  kein  so  großer  Spielraum,  daß  man  notwendig  zu  zwei  erheblich  von- 
einander abweichenden  Bildern  des  oberen  Aufbaues  gelangen  müßte.  Hat  man 
sich  aber  nur  einmal  zur  grundsätzlichen  Beibehaltung  der  Anordnung  von  acht 
Säulenpaaren  auf  den  Achsen  der  unteren  entschlossen,  so  geben  die  Funde  immerhin 
soviel  Fingerzeige,  um  sich  von  der  weiteren  Durchbildung  dieser  Säulenordnung 
eine  gewisse  Vorstellung  machen  zu  können.  So  wissen  wir  z.  B.,  daß  die  Zusammen- 
fassung von  zwei   Säulenpaaren  zu  einem  Motiv  durch  Rundung  des  dazwischen 


2Qg  Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 

liegenden  Gebälkes  und  Einschaltung  zweier  stützender  Zwischensäulen,  jene  An- 
ordnung, die  dem  ersten  Geschoß  sein  eigentümliches  Gepräge  gab,  auch  im  dritten 
Stockwerk  stattgefunden,  freilich  dort  zum  Teil  andere  Säulenpaare  betroffen  hat. 
Denn  es  erscheinen  —  und  das  läßt  sich,  wie  wir  sehen  werden,  ziemlich  sicher  belegen  — 
innerhalb  der  Stützenstellung  des  jüngsten  Stockwerkes  in  dieser  Weise  vereinigt 
das  zweite  und  dritte,  vierte  und  fünfte,  sechste  und  siebente  Säulenpaar,  gegenüber 
dem  ersten  und  zweiten,  dritten  und  vierten,  fünften  und  sechsten,  siebenten  und 
achten  im  Erdgeschoß.  Also  ein  Anklang  an  jenes  merkwürdige  Prinzip  des  Versetzens 
gleichartiger  Motive  gegeneinander,  dem  man  erst  allmählich  in  der  Erforschung 
der  römischen  Fassadenarchitekturen  auf  die  Spur  kommt.  Die  Idee  findet  sich 
freilich  hier  nicht  so  klar  ausgeprägt  wie  bei  einigen  anderen  kleinasiatischen  Säulen- 
fassaden. Die  Versetzung  erfolgt  mit  Überspringen  eines  Geschosses,  so  daß  der 
Eindruck  etwas  verwischt  ist,  aber  dennoch  bei  der  größeren  Breite  des  einzelnen 
Motivs  gegenüber  etwa  der  Erscheinung  leichter  Ädikulen  sich  nicht  ganz  unter- 
drücken läßt. 

Die  Rückwand  besaß  mindestens  drei  Nischen,  sofern  wir  Einziehungen  auf 
die  ganze  Breite  des  Wandfeldes,  wie  solche  zur  Aufrichtung  der  Zwischenstützen 
unumgänglich  waren,  so  bezeichnen  wollen.  Wir  müssen  sie  am  zweiten,  vierten  und 
sechsten  Wandfeld  annehmen.  Die  dazwischen  liegenden  ungeraden  Wandfelder 
habe  ich  in  der  Zeichnung  glatt  gelassen,  ohne  damit  sagen  zu  wollen,  daß  hier  wirklich 
keinerlei  Belebung  der  architektonisch  gegebenen  Fläche  stattgefunden  hätte.  Aber 
es  scheint  mir  der  monographischen  Klärung  einer  Rekonstruktion  nicht  immer 
förderlich  zu  sein,  wenn  sie  sich  bis  auf  die  letzten  Einzelheiten  erstreckt,  auch  wo 
bestimmte  Anhaltspunkte  vollständig  fehlen.  Es  wird  Sache  des  Rekonstrukteurs 
sein,  hier  an  einem  gewissen  Punkt  Halt  zu  machen  und  nicht  gewaltsam  Lücken 
verbergen  zu  wollen,  wo  eben  einmal  welche  bestehen.  Als  warnendes  Beispiel  mag 
an  einige  Rekonstruktionen  der  französischen  Architektenschule  erinnert  sein.  Abzu- 
lehnen ist  freilich  in  unserem  Fall  für  die  glatten  Wandfelder  eine  fensterartige  Durch- 
brechung, die  den  Gegensatz  von  gegliederten,  bewegten  und  stark  beschatteten 
Abschnitten  zu  ruhigen,  glatten  und  geschlossenen  Zwischenflächen,  auf  dem  das 
System  der  dritten  Ordnung  offensichtlich  aufgebaut  ist,  nur  abschwächen  würde. 

Für  den  Verlauf  des  abschließenden  Horizontalgebälkes  waren  mit  die  Fund- 
stücke entscheidend,  welche  von  Resten  des  Girlandenfrieses,  der  den  Sockelschmuck 
dieses  dritten  Geschosses  bildete,  zutage  traten.  In  diesem  Zusammenhang  nur  eine 
kurze  Aufzählung  der  charakteristischen  Züge,  welche  gesichert  sind:  Für  den  Sockel 
ist  eine  mehrmalige  Verkröpfung,  zunächst  wohl  vor  jedem  Säulenpaar,  dann  aber 
auch  einmal  in  der  Weise  verbürgt,  daß  ein  »detachiertes«  Stützenpaar  entsteht 
(um  mich  des  Fachausdruckes  zu  bedienen,  der  für  isoliert  stehende  Einzelsäulen 
mit  eigener  Sockel-  und  Gebälkverkröpfung  innerhalb  des  Organismus  einer  Säulen- 
fassade mit  Glück  geprägt  worden  ist).  —  Ich  habe  diese  Lösung  bei  den  zwei  äußeren 
Säulen  der  Mittelpaare  angenommen  und  dafür  ihre  inneren  Nachbarn  untereinander 
durch  ein  korbbogenförmiges  Gebälk  mit  unterschobenem  Säulenpaar  verbunden. 
Gesichert  ist  eine  ähnliche  Verbindung  durch   Segmentbogenarchitrave  über  dem 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos.  2QO 


zweiten  und  sechsten  Wandfeld;  wahrscheinlich  in  einer  dritten  Form,  nämlich  der 
eines  Hufeisenbogens  für  die  zwei  Flügel- Säulenpaare  als  Einziehung  des  Gebälkes 
innerhalb  jeden  Paares. 

Das  dritte  Geschoß  stellt  sich  nach  meiner,  ich  wiederhole,  nur  zum  Teil 
gesicherten  Ergänzung  als  Ordnung  von  ebenfalls  acht  vorgeschobenen  Säulen- 
paaren dar.  Davon  sind  die  beiden  äußersten  bei  gerader  Sockelführung  durch  huf- 
eisenförmiges Gebälk  in  sich  verbunden,  die  zwei  mittleren  als  »detachierte«  Säulen 
mit  getrennter  Sockel-  und  Simsverkröpfung  lose  nebeneinander  gestellt  und  die 
restlichen  vier  durch  einfache  gerade  Sockel-  und  Gebälkverkröpfung  wie  bei  den 
unteren  Geschossen  ineinander  verkoppelt.  Eine  Motivzusammenfassung  über  das 
dazwischenliegende  Wand-  bzw.  Nischenfeld  hinweg  durch  gerundetes  Gebälk  mit 
eingeschobenem  Stützenpaar  hat  stattgefunden  vor  den  drei  gerade  zu  numerierenden 
Wandfeldern,  darunter  dem  Mittelfeld.  Vielleicht  ganz  glatt  oder  jedenfalls  tektonisch 
nur  gering  belebt  und  gegliedert  geben  sich  in  wirkungsvollem  Gegensatz  hierzu  die 
ungeraden  Wandfelder.  Als  natürlicher  Standort  für  figürlichen  Schmuck,  auf 
dessen  Ergänzung  in  der  Rekonstruktion  ebenfalls  bewußt  verzichtet  worden  ist, 
erscheinen  die  Interkolumnien  zwischen  den  drei  eingeschobenen  und  zurückgesetzten 
Säulenpaaren  vor  den  geraden  Wandfeldern,  sowie  die  beiden  Interkolumnien  innerhalb 
der  Flügelsäulenpaare.  —  Die  dritte  Ordnung  schloß  mit  dem  horizontal  durchlau- 
fenden Hauptgesims  ab;  so  dürfen  wir  wenigstens  nach  dem  Vorbild  ähnlicher  Auf- 
bauten in  Milet  und  an  anderen  Orten  vermuten.  Ein  seitliches  Vortreten  der  Rück- 
wand vor  dem  letzten  Pilaster  wie  in  den  unteren  Stockwerken  lag  hier  wohl  nicht 
mehr  vor. 

Nach  dieser  Analyse  des  Aufbaues  in  den  einzelnen  Geschossen  noch  ein  kurzes 
Wort  über  die  Gesamterscheinung  unserer  Fassade  !  Sie  bildet  in  ihren  zwei  ersten 
Stockwerken  ein  abgeschlossenes  Ganzes,  dessen  Wirkung  vor  der  Veränderung  im 
Erdgeschoß  auf  einer  starken  Konzentration  der  Motive  nach  der  Mitte  hin 
beruhte.  Darin  dürfen  wir  gewissermaßen  die  künstlerische  Idee  des  ersten  Original- 
entwurfes jener  Prunkfassade  erblicken.  Das  zeigt  sich  ebenso  an  der  anfänglichen 
Beschränkung  der  Doppelsäulenpaare  auf  den  mittleren  Frontteil  wie  in  der  Ver- 
teilung und  Ausbildung  der  oberen  Nischen.  Von  den  äußersten  Flügeln  abgerückt 
finden  sie  sich  in  den  fünf  mittleren  Wandfeldern  zusammen,  an  Breite,  Tiefe  und 
Höhe  gegen  das  Zentrum  zu  wachsend. 

Der  spätere  Einbau  im  Erdgeschoß  brachte  dieser  Grundfigur  gegenüber  eine 
größere  und  gleichmäßigere  Belebung  der  ganzen  Front,  wobei  eine  gewisse  Rücksicht 
auf  das  obere  Halbsäulenmotiv  vielleicht  mitgewirkt  haben  mag.  Das  Bedürfnis, 
die  Fassade  auch  an  den  Flügeln  reich  und  prächtig  zu  gestalten,  überwiegt.  Der 
gleichen  Tendenz  entspringt  schließlich  auch  das  Aufsetzen  des  dritten  Stockwerkes. 
In  Stil  und  Gesinnung  waltet  hier  ein  anderer  Geist.  Und  doch  ist  die  Bindung  noch 
sehr  stark  zu  verspüren,  vor  allem  durch  die  Beibehaltung  der  unteren  Pilasterachsen 
als  Standpunkt  für  die  Freisäulen.  Daß  darüber  hinaus  eine  weitere  Wechselbeziehung 
in  der  Motivversetzung  zu  vermuten  ist,  habe  ich  schon  gestreift.    Mag  also  die  Aus- 


300 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BOhnen&ODt  zu  Eptiesos. 


gestaltung  dieses  Geschosses  im  einzelnen  auch  freier  durchgeführt  worden  sein 
und  manche  Abweichungen  aufweisen,  der  spätere  Aufbau  war  doch  in  den  ent- 
scheidenden Zügen  mit  dem  früheren  Bestand  organisch  verschmolzen. 

So  stellt  sich  die  Ephesische  Bühnenwand  in  meiner  Ergänzung  dar  als  ein 
typischer  Vertreter  jener  römischen  Prunkfassaden,  der  bei  allen  deutlichen  Merk- 
malen einer  Spätzeit  neben  deren  Schwächen  auch  die  starken  Seiten  in  der  Ver- 
passungsfähigkeit  von  Altem  und  Neuem  deutlich  erkennen  läßt. 


Abb.  6.     Südliclier  Teil   des  Skenengebäudes  im  Obeistock  (Bühnenrückwand). 
Nach  Eph.   II  Fig.   28. 


III. 

DIE  ABWEICHUNGEN  DES  NEUEN  REKONSTRUKTIONSVORSCHLAGES 

UND  IHRE  BEGRÜNDUNG. 

Einbauten    im    Erdgeschoß. 

(Vgl.  hierzu  Abb.  6  und  7.) 

An  der  Niemannschen  Ergänzung  des  ersten  Stockwerkes  der  Bühnenfassade 
im  ursprünglichen  Zustand  ist  nichts  auszusetzen.  In  wesentlichen  Punkten  war 
sie  durch  die  in  situ  befindlichen  Reste  gegeben;  in  den  übrigen,  insbesondere  dem 
Wiederherstellungsvorschlag  für  die  beiden  Doppelmotive  zu  Seiten  des  Mittelportales 
aber  hat  der  österreichische  Archäologe  zweifellos  das  Richtige  getroffen.  Sein  Er- 
gebnis kann  hier  ohne  weiteres  übernommen  werden. 

Anders  steht  es  mit  dem  Einbau.  Die  Tatsache,  daß  er  anfänglich  nicht  geplant 
war,  die  Niemann  zutreffend  erkannt  hat,  ist  noch  kein  Beweis,  daß  er  als  halbkreis- 
förmige Nische  mit  Kuppelabschluß  wiederherzustellen  wäre.  Denn  hier  liegt  offenbar 


Haos  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos.  79 1 

eine  falsche  Deutung  der  Grundrißformen  (Eph.  Fig.  133 — 135)  vor.  Warum  machte 
man  die  Verengung  bei  »A«?  Wohl  nur  —  ich  habe  das  schon  in  der  Beschreibung 
angedeutet  — ,  um  hier  ein  Säulenpaar  aufstellen  und  also  das  Schema  der  eingezogenen 
Rundung  der  beiden  Mittelachsennachbarn  wiederholen  zu  können  !  Denken  wir 
es  uns  weiterhin  in  gleicher  Weise  ausgestattet,  so  war  das  Motiv  jedenfalls  auch 
ähnlich  halbkreisförmig  oben  abgeschlossen.  Dann  fällt  jene  ganze  gekünstelte  und 
unschöne  Lösung  des  Einbauproblems  weg,  die  beinahe  an  einen  Strandkorb  erinnert, 
so  fremdartig  und  willkürlich  hingestellt  mutet  sie  auf  ihrem  Platze  an. 

Der  tiefere  Grund  für  dieses  unbehagliche  Gefühl  Niemanns  Rekonstruktion 
gegenüber  ist  eben  der,  daß  eine  Nische  im  ästhetischen  Sinn  immer  eine  vordere 
Wandebene  neutraler  flächiger  Haltung  als  Ausgangspunkt  verlangt,  von  der  sie 
als  Konkavgebilde  sich  klar  absetzt.  Befriedigt  es  daher  schon  weniger,  wenn  die 
vordere  Wand  durch  leichte  Krümmung  im  Gegensinn  eine  konvexe  Wirkung  bekommt, 
so  muß  es  immer  zu  unerquicklichen  Bildern  führen,  wenn  die  unentbehrliche  reale 
Wandfläche  als  das  die  Nische  allseitig  umschließende  Element  überhaupt  fehlt '). 

Wie  genau  stimmt  aber  nun  meine  Hypothese  im  einzelnen  !  Die  Höhe  des 
Einbaues  ist  durchaus  nicht  unbekannt,  wie  Niemann  Eph.  69  behauptet.  Denn 
die  in  situ  befindlichen  Reste  sind  zum  Teil  genau  bis  zur  Sockeloberkante  erhalten; 
darüber  aber  findet  sich  keinerlei  Spur  mehr.  Es  wäre  doch  wunderlich,  wenn  das 
bloßer  Zufall  sein  sollte  !  Zur  Überdeckung  seiner  auf  dem  Sockel  ohne  jeden  Anlaß 
hochgeführten  Rundnischc  verwendet  Niemann  das  Werkstück  Eph.  Fig.  139.  Seine 
Kuppelweite  beträgt  2,80  m,  seine  Tiefe  1,20  m  und  der  Radius  1,42  m.  Die  Weite 
der  Ausrundung  am  Nordendc  der  Bühnenwand  beträgt  gleichfalls  2,80  m,  die  Tiefe 
aber  1,04  m,  der  Halbmesser  1,50  m  !  Niemann  muß  selbst  zugestehen,  daß  eine 
genaue  Übereinstimmung  mit  der  Rundung  des  Sockeleinbaues  für  das  Kuppelstück 
angesichts  dieser  Zahlen  nicht  gegeben  ist.  Jedenfalls  nicht  so,  daß  sie  uns  zwingen 
würde,  beide  Teile  in  die  von  ihm  gedachte  Verbindung  zu  bringen  !  Auch  der  trapez- 
förmige Steinschnitt  des  Fragmentes  beweist  nichts  für  seine  Kombination.  Er  ist 
ebenso  bei  einer  Verwendung  im  Mauerverband  denkbar,  wo  er  zur  günstigeren 
Druckverteilung  gewählt  sein  mochte  ^). 


•)  Vgl.  z.  B.  das  Denkmal  König  Ludwig  II.  auf  der  welches  an  der  oberen  wagrechten,  wie  der  seit- 
Ehrhardtbrücke  in  München,  wo  die  unangenehme  liehen  Schrägfläche  Anathyrose  zeigt,  also  nach 
Wirkung  dadurch  besonders  aufdringlich  wird,  diesen  Richtungen  tatsächlich  im  Mauerwerk 
daß  die  Nische  direkt  gegen  die  offene  Flußland-  Anschluß  gefunden  hat.  Seine  stark  beschädigte 
Schaft  als  Hintergrund  zu  stehen  kommt;  denn  es  Einarbeitung  an  der  Schrägfläche  muß  ich  zu- 
wird so  ein- und  dasselbe  architektonische  Element  nächst  für  eine  nach  oben  gerichtete  Klammer- 
vom  nämlichen  Standpunkt  aus  gesehen,  gleich-  bettung  halten.  Falls  man  nicht  etwa  auch  die 
zeitig  zur  Hohlform  und  Körperform  —  ein  pein-  Möglichkeit  eines  Querdübels  auf  Grund  näherer 
lieber  atektonischer  Zwiespalt  mit  dem  unver-  Untersuchung  ins  Auge  fassen  kann,  würde 
meidlichen  Eindruck  des  »Korb-  und  Schalen-  dadurch  die  Drehung  des  Werkstückes  um  90» 
mäßigen«.  erforderlich,  so  daß  an  die  Stelle  der  Halbkuppel 

-)  Bei  dem  eingangs  erwähnten  kurzen  Besuch  in  eine    nur    aus    zwei    Steinen    zusammengesetzte 

Ephesos  fand  ich  ein  Fragment  des  Gegenstückes,  Flachkuppel  tritt  und  sich  eine  das  Gesamtbild 

kaum  beeinflussende  Variante  ergibt. 


302 


Hans  Hönnann,  Die  römische  Bflhnenfront  zu  Ephesos. 


Wir  können  also  das  erhaltene  Kuppelstück  ruhig  freigeben  für  das  zweite 
Geschoß,  wo  seiner  Verwendung  als  Abschluß  einer  Wandnische  nach  dem  Gesagten 
nichts  im  Wege  steht  und  es  auch  dem  Charakter  der  inneren  dekorativen  Auskleidung 
nach  besser  hinpaßt.  Man  vergleiche  nur  daraufhin  Eph.  Fig.  139/140  mit  Niemanns 
zeichnerischer  Wiedergabe  von  Kassettenbruchstücken  der  ersten  Ordnung  ebenda 
Fig.  115  a  und  115  b!  Offenbar  gehören  beide  Ornamente  so  wenigstens,  wie  sie  aus 
diesen  Abbildungen  zu  erkennen  sind,  im  wesentlichen  in  ein-  und  dieselbe  Zeit. 
Durch  meinen  Verwendungsvorschlag  im  Rahmen  des  zweiten  Geschosses  wäre  das 
bei  der  grundsätzlichen  Einheitlichkeit  seiner  baulichen  Anlage  mit  der  des  Unter- 


^sßesos.  QruridTtßanordnung  vom  ^Afördende  "der  Siü^neriToand. 


'Zustand  nacA  'dem  tlm&xu-    B'""~'~"   'iiM&md  vor  dem  llmßavi. 


IW.-I92^. 


Abb.  7.     Neue  Rekonstruktion.     Nordende  der  Btlhnenwand, 

Stockes  auch  berücksichtigt,  während  nach  Niemann  eine  Differenz  von  ca.  einem 
Jahrhundert  bestünde  ! 

Für  den  Einbau  im  Erdgeschoß  ergibt  sich  eine  zwanglose  Übereinstimmung, 
wenn  wir  nur  eine  Pause  der  Niemannschen  Grundrißzeichnung  des  Doppelpostaments 
Eph.  Fig.  107  mit  seiner  Fig.  135  ebenda  zur  Deckung  bringen.  Denn  die  nach  der 
Anordnung  jenes  bereits  vorhandenen  Doppelmotivs  auch  hier  einzusetzenden  Stützen 
fallen  mit  ihrem  Fußpunkt  genau  in  die  Auflagerfiäche,  die  wir  nach  der  Form  der 
eigenartigen  seitlichen  Sockelvorkragung  als  natürliche  Stelle  dafür  in  Anspruch 
nehmen  möchten.  Dabei  hat  diese  zunächst  rein  gefühlsmäßig  vorgenommene  Fixie- 
rung einen  sehr  gesunden  und  realen  Untergrund:  Denn  die  Stelle  erweist  sich  nach 
der  Querschnittform  des  Sockelanbaues  auch  als  statisch  günstig,  indem  nur  bei 
solcher  Lastverteilung  der  exzentrische  Druck  gegen  die  Unterlage  und  damit  die- 
Kantenpressung  auf  ein  Minimum  herabgeschraubt  wird.   Das  unerwünschte  negative 


i 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos.  ^q-i 


Spannungsmoment  verschwindet  wenigstens  in  der  einen  Achsrichtung.  Die  Tatsache, 
daß  wir  es  im  Sockelanbau  nicht  mit  einem  homogenen  Körper  zu  tun  haben,  kann 
dieses  Argument  kaum  entwerten.  Denn  eine  obere  wagrechte  Deckplatte  über  den 
in  situ  befindlichen  Werkstücken  war  sicher  einmal  vorhanden  (vgl  Eph.  Fig.  136 
»K«).  —  Auch  mit  dem  Verlauf  des  weiter  zu  folgernden  Rundarchitravs  stimmt 
diese  Stellung  des  Stützenpaares  einwandfrei  überein. 

In  gleicher  Weise  führt  die  Aufteilung  der  ganzen  Wand,  wie  wir  sie  Eph.  Taf.  VI 
vorgenommen  sehen,  auf  unsere  Ergänzung:  Die  Wand  ist  in  sieben  Hauptachsen 
durch  acht  Stützenpaare  gegliedert.  Die  Zwischenräume  sind  nicht  überall  gleich. 
Es  beträgt  nämlich  der  Abstand  der  Säulenpaare  voneinander  von  Säulenmitte  zu 
Säulenmitte  gemessen,  vor  der  zweiten  und  vierten  Türe  3,50  m,  an  den  anderen 
Stellen  etwas  mehr  als  4m!  Zu  beiden  Seiten  der  Haupttüre  sind  je  2  Säulenpaare 
zu  einer  Gruppe  zusammengezogen.  Durch  die  Einbauten  entstand,  wie  immer  man 
sie  ergänzen  mag,  auf  jeden  Fall  eine  kräftige  Betonung  der  vier  äußersten  Stützen- 
paare. Der  Rhythmus  der  Fassade  stellt  sich  nunmehr  etwa  so  dar:  ^^-i-^-!--^^ 
(»lang  —  kurz  —  lang  —  kurz  —  lang  —  kurz  —  lang«).  In  diesem  architektoni- 
schen Versmaß  von  vier  langen  und  drei  kurzen  Silben  liegt  offenbar  auf  ersteren 
der  Ton,  ein  deutlicher  Gleichklang  von  einzelnen  Hebungen.  Auf  einem  solchen 
Akkord  sollte  jedenfalls  nach  dem  Umbau  die  Gesamtwirkung  wesentlich  beruhen. 
Darf  man  nun  annehmen,  daß  die  Architekten  diese  ihre  nicht  verkennbare  Absicht 
selbst  wieder  in  ungeschickter  und  umständlicher  Weise  verwischt  hätten,  indem 
sie  anstatt  der  effektvollen  Wiederholung  etwas  ganz  Neues  und  noch  dazu  so 
Schwächliches  und  Unklares  eingeführt  hätten?  Gerade  bei  so  rutinierten  Künstlern, 
wie  wir  sie  aus  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  kennen,  scheint  mir  eine  solche 
Folgerung  ganz  ausgeschlossen.  Sie  wäre  ein  Irrtum,  vor  dem  nicht  genug  gewarnt 
werden  kann. 

Schließlich  noch  ein  kurzes  Wort  über  die  Argumente,  soweit  ich  sie  auf  stili- 
stische Merkmale  in  der  Dekoration  zurückführen  zu  müssen  glaubte  !  Wenn  ich 
nämlich  im  vorstehenden  u.  a.  darauf  hingewiesen  habe,  daß  die  Kassettenornamente 
Eph.  Fig.  115  und  die  Dekoration  der  Kugelschale  Eph.  Fig.  140  übereinstimmende 
stilistische  Kennzeichen  besäßen,  die  mir  ihre  Datierung  in  gleiche  Zeit  berechtigt 
erscheinen  ließen,  so  dachte  ich  dabei  sowohl  an  die  äußere  Ähnlichkeit  des  Motivs 
der  Flächenaufteilung  und  der  geometrischen  Figuren,  wie  an  ein  paar  auffallende 
innerlich  verwandte  Züge  beider  Stücke:  Wenigstens  vermeine  ich  solche  in  einer 
gewissen  Sorglosigkeit  und  Flottheit  der  Arbeit  zu  erkennen,  die  dann  aber  doch 
wieder  in  der  Gesamtwirkung  etwas  Trockenes  und  Hartes  trotz  äußerlichen  Reich- 
tums hat.  Gleiche  Handschrift,  ähnliches  Temperament,  verwandte  Stilrichtung 
scheinen  aus  diesen  Ornamenten  zu  sprechen.  Faul  Wolters  verdanke  ich  den  Hinweis 
auf  die  Veröffentlichung  eines  Schalenemblems  in  Athen  durch  Matthies  '),  wo  über 
Herkunft  und  Auftreten  der  Kombination  von  Rautenmäander  und  Sechseck  ein 
Weniges   zusammengetragen    und    auch    unser    Werkstück    abgebildet  ist ').     Die 


•)  A.   M.  XXXIX   1914,  J27  ff.,  Abb.  8  und  Taf.  X.     ^)  Vgl.  Furietti,  »de  musivis«,  Taf.  IV  2. 


?04  Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 

Datierung  142 — 144  n.  Chr.,  die  er  aus  der  bisherigen  Rekonstruktion  von  Ephesos 
abgeleitet  hat,  wird  nach  dem  Gesagten  hinfällig.  Nichts  hindert  uns  aber,  die  Deko- 
ration über  den  Zeitpunkt  der  konstruktiven  Vollendung  hinaus  und  an  die  Jahr- 
hundertwende heranzurücken.  Dann  bliebe  bis  zu  dem  Ansatz  des  Schalenemblems, 
wo  das  Motiv  sichtlich  schon  weit  reifer  und  besser  verarbeitet  ist,  immer  noch  eine 
angemessene  Spanne.  Auch  der  Mäander,  der  das  geometrische  Muster  der  Fig.  140 
bei  Eph.  gegenüber  dessen  Fig.  1 1 5  bereichert,  zeigt  in  dem  Charakter  der  Ausarbeitung 
eine  große  Ähnlichkeit  mit  dem  analogen  Ornament,  welches  die  durch  die  eingebaute 
Rundung  verdeckte,  also  ältere  seitliche  Ansichtsfläche  des  Sockels  verzierte  (siehe 
Eph.  Fig.  138  bei  »A«).  Diese  Beobachtung  steht  einer  allzu  großen  zeitlichen  Ent- 
fernung beider  Stücke  im  Wege  und  es  ist  unwahrscheinlich,  wenn  des  einen  Zugehörig- 
keit zum  ursprünglichen  Bau  feststeht,  das  andere  einem  sicherlich  viel  jüngeren 
Vor-  oder  Einbau  zuzuweisen.  —  Zuletzt  noch  der  von  Niemann  selbst  angebahnte 
Vergleich  der  Fig.  140  mit  dem  gleichfalls  im  Oberstock  verwendeten  Kuppelbruch- 
stück Fig.  163;  auch  er  darf  hier  nicht  übergangen  werden,  obschon  ich  später  nochmal 
darauf  zurückkomme. 

Die    Weihinschrift. 
(Hierzu  Abb.  Beil.  VI  oben.) 

Haben  wir  so  im  Prinzip  die  Richtigkeit  unserer  Ergänzung  der  Einbaumotive 
im  Erdgeschoß  dargetan,  so  erhebt  sich  sofort  die  Frage,  wie  weit  diese  Hypothese 
mit  der  von  Niemann  vorgenommenen  Gebälkstückverteilung  im  ersten  Geschoß 
in  Einklang  zu  bringen  ist.  Trug  doch  der  Architrav  hier  eine  Weihinschrift,  von  der 
verschiedentlich  Reste  sich  erhalten  haben,  leider  zu  wenig,  um  eine  gesicherte  Wieder- 
herstellung in  allen  Teilen  zu  gestatten,  aber  doch  auch  zu  viel,  um  über  die  Vorschläge 
für  ihre  Ergänzung  und  die  Art,  wie  ihre  Verteilung  auf  den  Gebälkstücken  der  ersten 
Ordnung  mit  der  architektonischen  Rekonstruktion  sich  verträgt,  in  diesem  Zusammen- 
hang einfach  hinweggehen  zu  können. 

Die  Projektion  der  Architrave  der  ersten  Ordnung  gibt  Niemann  Eph.  Tafel  VI. 
Er  bemerkt  hierzu  selbst  (a.  a.  O.  70  unten),  daß  nach  der  Form  allein  beurteilt 
die  Aufeinanderfolge  auch  eine  andere  sein  könnte.  In  Kapitel  4  (Eph.  157  ff.) 
liefert  Heberdey  die  genaue  Beschreibung  und  Ergänzung  der  Weihinschrift  an 
Artemis  und  einen  Kaiser.  Auch  sie  legt  aber  einer  anderen  Verteilung  derjenigen 
Architravbruchstücke,  die  uns  an  der  Annahme  gerundeter  Gebälkführung  über  den 
beiden  Endfeldern  hindern  würden,  keine  Schwierigkeit  in  den  Weg.  Die  ausspringen- 
den  Architravstücke  Nr.  3,  5,  30  und  32  haben,  da  bestimmte  Anhaltspunkte  fehlen, 
lediglich  durch  Einsetzen  der  Reihe  nach  von  links  her  ihren  Platz  gefunden.  Sie 
•sind  unbeschrieben,  so  daß  sich  ihre  Anordnung  natürlich  auch  beliebig  verändern 
läßt.  Die  erste  Rückwirkung  unserer  Einbaurekonstruktion  auf  die  Verteilung  ist 
nun  die,  daß  uns  als  Endfeld-Werkstücke  nur  solche  Fragmente  dienen  können, 
die  entweder  die  spätere  Ausrundung  oder  den  Anschluß  des  alten  dahinter  gelegenen 
Gebälkstückes  an  diese  erkennen  lassen.  Derartiges  hat  sich  bisher  unter  den  Funden 
nicht  feststellen  lassen.     (Die  wenigen  runden  Gebälkstücke,  die  zutage  gefördert 


i 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bflhnenfront  zu  Ephesos.  »05 


wurden,  gehören,  wie  Heberdey  richtig  nachweist,  den  mittleren  Rundmotiven  an.) 
Die  Tatsache  dieses  Mangels  an  sich  braucht  uns  bei  dem  durchwegs  hohen  Prozent- 
satz, den  das  Verlorene  immer  noch  an  unserem  Bauwerk  von  dem  Gesamtmaterial 
ausmacht,  nicht  zu  verwundern.  Notwendig  wird  nur,  die  von  Heberdey  den  Flügel- 
feldern zugewiesenen  normalen  ausspringenden  Architrave  anderswo  unterzubringen. 
Das  gehngt  nach  dem  Gesagten  ohne  Mühe.  Bemerkt  sei,  daß  ich  im  folgenden  mich 
durchwegs  der  bei  Heberdey-Niemann  gewählten  Bezeichnungen  bediene.  Darnach 
sind  mit  arabischen  Ziffern  (und  zwar  von  links  nach  rechts  in  der  Platzfolge  ihres 
Ergänzungsversuches)  die  erhaltenen  Inschriftfragmente  durchnumeriert,  mit  römi- 
schen aber  (ebenfalls  von  links  nach  rechts)  die  ergänzten  Architrave,  wobei  die  senk- 
recht ausspringenden,  weil  unbeschrieben,  ausgelassen  wurden. 

Probieren  wir  es  nun  mit  der  Verteilung  der  ausspringenden  Architravstücke 
einmal  in  der  Weise,  daß  Nr.  3  zwischen  III  und  IV,  das  Fragment  Nr.  5  zwischen 
XII  und  XIII,  Nr.  30  zwischen  XI  und  XII  und  32  (nach  entsprechender  Drehung) 
hinter  dem  Architrav  Nr.  XV  eingefügt  werden  !  Das  ist  ohne  weiteres  möglich  und 
schafft  uns  die  unbequemen  Werkstücke  zwischen  I — -11 — III  und  XIII— XIV — XV 
sogleich  vom  Halse.  Es  besteht  freilich  auch  hiernach  noch  Veranlassung  zu  einem 
kleinen  Tausch  innerhalb  der  ausspringenden  Architrave,  nämlich  zwischen  Nr.  5  und  dem 
an  sich  unbehelligten  Fragment  Nr.  17:  Da  aus  später  zu  erörternden  Gründen  der 
Wandarchitrav  24  seinen  Platz  auf  VIII  und  dafür  Nr.  31  auf  XII  finden  muß,  würde 
der  Steinschnitt  von  17  im  unmittelbaren  Anschluß  an  Nr.  24  Unstimmigkeiten  er- 
geben. Nr.  5  ist  hier  die  natürliche  Fortsetzung,  während  Nr.  17  mit  31  sehr  wohl  im 
rechten  Winkel  sich  treffen  konnte.  Wir  werden  also  Nr.  5  zwischen  VIII  und  IX,  17 
aber  zwischen  XII  und  XIII  einsetzen  dürfen. 

Von  Bruchstücken  gerader  freitragender  Architrave  kommt  als  eines,  das  mit 
dem  neuen  Ergänzungsversuch  in  Kollision  zu  geraten  droht,  nur  Nr.  29  in  Frage. 
Seine  Schrift  ist  getilgt  und  würde  nach  Heberdey  vielleicht  mit  der  Präposition  »lirl« 
zu  ergänzen  sein.  So  steht  einer  Verschiebung  dieses  Werkstückes  an  einen  anderen 
passenden  Platz  epigraphisch  nichts  im  Wege.  Könnte  ich  mich  an  und  für  sich 
damit  auch  an  der  ihm  von  Heberdey  angewiesenen  Stelle  befreunden,  wo  ja  die 
Abweichung  vom  Krümmungsradius  der  Gebälkkurve  kaum  mehr  zu  bemerken  war, 
so  erlaubt  dies  doch,  wie  sich  gleich  zeigen  wird,  die  bei  den  Wandarchitraven  not- 
wendige Veränderung  nicht. 

Unter  ihnen  sind  es  die  beiden  Wandarchitravbruchstücke  Nr.  4  und  Nr.  31, 
welche  ihren  Platz  jedenfalls  räumen  müssen,  da  ja  an  den  wirklich  hierher  gehörigen 
Werkstücken  die  späteren  Einarbeitungen  für  das  Auflager  der  runden  Zwickelfüll- 
stücke zu  sehen  wären.  Auf  beiden  Fragmenten  ist  die  Inschrift  radiert,  doch  läßt 
sie  sich  bei  Nr.  4  unter  entsprechender  epigraphischer  Auswertung  dieser  Tatsache 
soweit  wieder  entziffern,  daß  die  Worte  »Nspwvi  KXauSi'tut«  als  gesichert  gelten 
können.  Bei  31  dagegen  ist  nur  ein  Buchstabe  noch  als  »T«  erkennbar.  Beide  Stücke, 
was  nach  ihrer  Gesamtlage  allein  recht  wohl  möglich  wäre,  bei  VIII  zu  vereinigen, 
geht  textlich  nicht  an.  Nun  sagt  Heberdey  selbst,  daß  die  Wandarchitravstücke  Nr.  8 


'?q5  Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 

und  24  nur  vermutungsweise  IV  und  XII  zugeteilt  sind  und  jenes  ebensogut  von 
VIII,  XII  oder  XIV,  dieses  von  VIII  herrühren  könnte. 

Es  genügt  aber  nicht,  von  dieser  Möglichkeit  etwa  nur  insofern  Gebrauch  zu 
machen,  daß  wir  Nr.  8  nach  VIII  verweisen  (die  Inschrift  ist  ja  abgespHttert !)  und 
nun  Nr.  4  in  IV  einsetzen.  Der  Wortlaut  der  Weihinschrift,  wie  ihn  Heberdey  Eph. 
160  in  der  vermuteten,  freilich  in  keiner  Weise  gesicherten  Ergänzung  gibt,  würde 
dann  eine  eben  doch  nicht  zulässige  Änderung  erfahren,  indem  das  radierte  »NeJpCtovt 
KXau8]tu>i[ .  .  .  «  zu  vertauschen  ist  mit  »dpyt&psl  [xsYi'uttot«;  technisch  bereitet  dies 
gar  keine  Schwierigkeit,  da  die  letzteren  Worte  überhaupt  nur  ergänzt  sind.  Sprachlich 
würde  aber  nun  die  bekanntlich  streng  festgelegte  Ordnung  der  imperatorischen 
Akklamationen  eine  Umstellung  erleiden,  für  die  jede  Parallele  fehlt.  Denn  die 
kaiserlichen  Titel  kämen  nun  zur  Hälfte  vor,  zum  anderen  Teil  hinter  die  Namens- 
bezeichnung zu  stehen  und  das  ist  philologisch  unmöglich.  Auch  bei  Nr.  31  würde 
eine  solch  einfache  Umstellung  nicht  zum  Ziel  führen  und  zum  mindesten  für  die 
Auslegung  des  Tilgungsumfanges  neue  Schwierigkeiten  ergeben.  Ist  diese  schon 
bei  Heberdey  nicht  ganz  ungezwungen  —  sein  Werkstück  Nr.  6  auf  III  setzt  voraus, 
daß  gewisse  Teile  des  Titels  radiert  wurden,  während  andere  stehen  blieben  — ,  so 
soll  doch  eine  Herabminderung  des  Glaubwürdigkeitgrades  durch  die  neue  Rekon- 
struktion auf  alle  Fälle  vermieden  werden. 

Ich  habe  deshalb  mit  Absicht  den  ersten  nächstliegenden  und  doch  eben  nicht 
gangbaren  Weg  angedeutet,  damit  man  sieht,  es  ist  nicht  Willkür,  wenn  ich  nun  im 
folgenden  einen  weiter  ausholenden  Vorschlag  mache.  Aber  darf  denn  der  Architekt 
in  dieser  Weise  überhaupt  dem  Epigraphiker  zu  Leibe  rücken,  ohne  den  Boden  der 
Wissenschaftlichkeit  zu  verlassen?  Ich  glaube  schon,  wenigstens  im  vorliegenden 
Fall.  Entscheidend  dünkt  mir  der  Grad  der  Erhaltung;  und  der  ist  beim  ersten  Stock- 
werk der  Ephesosfassade  architektonisch  ein  sehr  erfreulicher,  epigraphisch  äußerst 
dürftig.  Gerade  die  Annahme  eines  späteren  Gebälkansatzes  an  den  Flügeln  ist, 
wie  ich  zu  zeigen  versucht  habe,  architektonisch  so  begründet,  daß  von  selten  der 
inschriftlichen  Untersuchung  nur  ganz  schwerwiegende  Gegengründe  eine  andere 
Auffassung  erheischen  könnten.  Hier  darf  also  unbedenklich  der  Architekt  zum 
Führer  des  Epigraphikers  werden.  Ich  verfolge  daher  in  gewissen  Grenzen  mit  Be- 
wußtheit diesen  Weg  und  befinde  mich  damit  übrigens  auch  in  Übereinstimmung 
mit  den  österreichischen  Forschern,  die  im  Grunde  nicht  anders  zu  Werke  gegangen 
sind. 

Vor  allem  ist  gar  kein  Zwang  vorhanden,  die  Ausdehnung  der  Inschrift  über 
die  ganze  Länge  der  Fassade  anzunehmen.  Im  Gegenteil,  stellen  wir  uns  vor,  daß 
die  Architrave  I  und  II,  sowie  XIV  und  XV  von  Buchstaben  überhaupt  frei  geblieben 
sind,  so  liegen  die  Voraussetzungen  für  die  später  hier  eingetretene  Veränderung 
noch  glatter.  Auch  sonst  hat  diese  Annahme  mancherlei  für  sich.  Die  äußersten 
Teile  der  Bühnenwand  waren  der  durch  die  Konzentration  des  Spieles  bedingten 
Blickrichtung  nach  der  Mitte  am  meisten  entzogen.  Man  kann  daher  in  der  ersten 
auf  diese  Verhältnisse  noch  Rücksicht  nehmenden  Aufmachung  an  diesen  Stellen 
in  beiden  Geschossen  eine  gewisse  Zurückhaltung  an  architektonischer  und  plastischer 


Hans  Hörmano,  Die  römische  BOhnenfront  «u  Ephesos.  JO? 

Gliederung  beobachten,  worauf  schon  an  anderem  Ort  hingewiesen  wurde.  Da  stimmt 
es  doch  sehr  gut  dazu,  wenn  wir  bemerken,  wie  die  gleiche  Tendenz  nun  auch  bei  der 
Verteilung  der  Inschrift  maßgebend  gewesen  ist.  Sie,  die  nicht  nur  dekorativ  gedacht 
war,  sondern  schon  in  der  Beschränkung  auf  die  Wand-  und  Freiarchitrave  die  Ab- 
sicht, bequem  gelesen  werden  zu  können,  deutlich  erkennen  läßt,  mußte  durch  die 
Konzentration  auf  die  Mittelpartien  in  diesem  Sinne  noch  mehr  gewinnen. 

Versuchen  wir  einmal,  wie  weit  der  Gedanke  im  einzelnen  durchzu- 
führen ist ! 

An  den  Plätzen  von  i8  und  20  auf  den  Architraven  IX  bezw.  X  b,  die  durch 
Fundort  und  Form  bedingt  sind,  ist  nicht  zu  rütteln;  ebensowenig  an  den  Texten, 
welche  Heberdey  als  Ergänzung  ihrer  Aufschriften  in  Vorschlag  gebracht  hat.  An 
eine  völlige  Umstellung  der  Wortfolge  in  der  ganzen  Inschrift  etwa  in  der  Weise,  daß 
der  Stifter  zu  Anfang  genannt  wäre,  wie  sonst  oft  üblich,  kann  daher  nicht  gedacht 
werden.  Wir  müssen  vielmehr  daran  festhalten,  daß  bei  IX  der  zweite  Teil  der  Weih- 
inschrift begonnen  hat,  Namen  und  Titulatur  des  Kaisers  also  auf  den  Architraven 
III  bis  VIII  unterzubringen  sind.  Ebensowenig  werden  wir  an  den  Werkstücken 
des  ersten  Rundarchitraves  VI  a — c  etwas  ändern  können,  sowohl  in  Bezug  auf  ihre 
Reihenfolge  wie  ihre  Ergänzung. 

Dagegen  sind  nun  eine  Reihe  anderer  Verschiebungen  notwendig  und,  wie  sich 
zeigt,  technisch  und  epigraphisch  auch  ohne  weiteres  möglich: 

1.  Bei  den   Freiarchitraven  die  Verschiebung  folgender  Stücke: 

Nr.  2  von   I  auf  III;  Nr.  29  von  XIII  auf  XI; 

Nr.  6     „    III  „     V;  Nr.  33     „     XV       „     V; 

Nr.  34  von  XV  auf  III. 

2.  Bei  den  Wandarchitraven  die  Verschiebung  folgender  Stücke: 

Nr.  4  von  II  auf  IV;  Nr.  31   von    XIV  auf  XII; 

Nr.  8     „     IV  auf  VIII;  Nr.  24     „      XII      „     VIII. 

Zur  Begründung  folgende  Überlegungen: 

Nachdem  der  Architrav  VI  bereits  Teile  der  Titulatur  enthält,  kann  für  das 
Fragment  Nr.  4  aus  dem  schon  genannten  Grunde  nur  IV  in  Betracht  kommen. 
Denn  hier  allein  steht  der  (getilgte)  Kaisername  allen  Titeln  voran.  Nr.  8  ist  ohne 
Schrift  und  stört  auch  auf  VIII  nicht.  Die  bei  Heberdey  angegebene  Lesart  des 
Textes  auf  dem  Werkstück  Nr.  2  ist  ebenso  richtig,  wie  die  Feststellung,  daß  die 
Gottheit  stets  vor  dem  Herrscher  genannt  wird.  Nr.  2  kann  daher  nur  auf  dem 
Architrav  III  Platz  finden.  Die  Freiarchitravstücke  Nr.  29  und  34  können  unter  der 
Voraussetzung  der  Entfernung  von  6  aus  III,  auf  XI  und  III  untergebracht  werden. 
Beide  sind  radiert  und  lassen  nichts  mehr  erkennen.  Nr.  34  ist  ein  kurzes  rechtes  Endstück 
und  würde  auf  III  gerade  den  Platz  einnehmen,  der  unter  Belassung  der  Heberdey- 
sehen  Wortausteilung  dem  Wörtchen  »xal«  zufällt.  Man  darf  für  dieses  Bindewort, 
das  in  ähnlicher  Weise  wie  nachher  die  Präposition  üid«,  wenn  auch  in  etwas  schwä- 


^o8  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  lu  Ephesos. 


cherer  Form,  auf  die  folgende  Persönlichkeit,  den  »Kaiser  damnatae  memoriae«, 
hinweist,  spätere  Radierung  wohl  annehmen,  ohne  den  logischen  Gedankengang 
zu  vergewaltigen.  Daß  der  Architrav  III  bedeutend  kürzer  ist  als  I,  braucht  uns 
nicht  zu  beirren,  da  das  mittlere  Wort  »'Etpsoioi«  als  Epitheton  zu 'Aptsixi?  in  Ephesos 
auch  fehlen  kann  ').  Nr.  6  tritt  unter  Beibehaltung  der  Lesart  )>r[Ep}i.avixü)t«  auf 
Architrav  V,  davor  das  ebenfalls  radierte  Bruchstück  Nr.  33.  Sein  noch  schwach 
sichtbares  Schriftrudiment  läßt  eine  Deutung  auf  »Ssßautöii«  gut  zu:  Ganz  links 
der  Unterstrich  vom  Buchstaben  »T«;  dann  die  Rundung  des  auf  den  Inschriften 
meist  in  geschlossener  Form  erscheinenden  »ö«'),  während  dessen  beide  Schenkel 
der  Tilgung  völlig  zum  Opfer  gefallen  sind  und  nur  mehr  (nach  der  Zeichnung  von 
Heberdey  wenigstens)  am  linken  Ende  eine  ganz  kleine  Spur  zurückgelassen  haben. 
Ein  ähnlicher  minimaler  Rest  ist  auch  das  Einzige,  was  vom  letzten  Buchstaben  »I« 
übrig  geblieben  ist;  dann  kommt  nach  einem  kleinen  Zwischenraum  der  Unterstrich 
vom  ersten  Buchstaben  des  folgenden  Wortes  »r[ep[x«vix(üt«.  —  In  der  Architrav- 
folge  weiterfahrend  finden  wir  auf  VIII,  das  ja  nur  kurzen  Text  trägt,hinter  Fragment  8 
das  mit  Nr.  24  bezeichnete  Werkstück.  Dann  bleibt  alles  unverändert  bis  zum  Ende 
von  XI.  Indem  hierher  Nr.  29  rückt,  nehme  ich  an,  daß  unter  entsprechender  Kürzung 
auch  dieses  zweiten  Teiles  der  Inschrift  nun  gleich  mit  »sjtt«  eingeleitet  der  Statthalter- 
name folgt  und  26  bis  29  mit  »xateaxsuaaev«  den  Schluß  bildet.  Dann  läßt  sich 
auch  das  radierte  »T«  auf  31  unter  Versetzung  nach  XII  ohne  weiteres  erklären. 

Die  Reihenfolge  lautet  nunmehr  von  links  nach  rechts : 

Auf  freitragendem  Architrav  I:  — 

Wandarchitrav  II:  —  (später    Rundung), 

freitragendem  Architrav  III:  Bruchstücke   Nr.  2   und   34. 

Wandarchitrav  IV:  Bruchstück  Nr.  4. 

freitragendem  Architrav  V:  Bruchsücke     Nr.  33  und  6. 
Rundarchitrav  VI  (a— c):  ,,  Nr.  10,    11,    12   und   13. 

freitragendem  Architrav  VII:  ,,  Nr.  14  und  15. 

Wandarchitrav  VIII:  „  Nr.  8   und   24. 

freitragendem  Architrav  IX:  Bruchstück  Nr.  18. 

Rundarchitrav  X  (a — c):  Bruchstücke  Nr.  19,   20,  21   und  22. 

freitragendem  Architrav  XI:  Bruchstück  Nr.  29. 
Wandarchitrav  XII:  ,,  Nr.  31. 

freitragendem  Architrav  XIII:Bruchstücke  Nr.  26,   27  und  28. 

Wandarchitrav  XIV:  —  (später  Rundung), 

freitragendem  Architrav  XV:  — 


•)  Vgl.  Eph.  Inscr.  II  Nr.  47,  wo  es  sich  gleichfalls  London    1877;   inscr.    (am   Dianatempel)   Nr.  8; 

um  eme  kurze,  durch    den  Namen   der  Artemis  (am  Odeon)  Nr.  3. 

eingeleitete  MonumentaUnschrift  handelt;  ferner:      ')  Vgl.  dazu  das  »öi  in  »'E<pEa(«)v«  auf  dem  Fragment 
D.scovenes  at  Ephesos;  by  J.  T.  Wood,  F.  S.  A.,  Nr.  20  unserer  Inschrift,  sowie  die  Inschrift  Nr.  37, 

Eph.  i6l. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos.  ■»no 


Die  Inschrift  selbst  aber  erhält  die  folgende  Fassung: 

['ApT]sixt[oi  xat  I  Ns]p[»ovi  KXau8]i'a)t  [Kai'dopi, 
I  SeßauJTwt  r[spji,avtz(oi],  |  8[7jtjLap]yi[xrj?  IJouat«« 
■zh  '7],  I  aiiT[oxpa-op]i  zh  lä,  1  [ÜTraTwi  x6  8] 
I  -^  vso[xo]poj  [t(Üv  I  2eß«(JTÄV  'E'J£(J]kuV  7to[>.i? 
■rijv  uxTjVTjv]  !iE[Ta  |  Tuav-o;  tou  x6(J|i,ou  inl  | 
]  T  [  .  .   .  .]      j      xctTe[(j]xs[ua3£]v.    — 

In  eckige  Klammern  sind  hierbei  jeweils  die  ergänzten  Stücke  gesetzt;  die 
senkrechten  Teilstriche  zeigen  die  Verteilung  auf  die  einzelnen  Architrave  und  die 
punktierten  Linien  den  Umfang  der  Tilgung.  Sie  erstreckte  sich,  wie  schon  Hebcrdcy 
annahm,  auf  die  Namen  des  Kaisers  und  Statthalters  mit  ihren  unmittelbaren  Vor- 
worten, bei  jenem  auch  auf  zwei  besonders  charakteristische  Beinamen.  Mit  dieser 
Deutung  befinde  ich  mich  gleichfalls  in  Übereinstimmung  mit  dem  österreichischen 
Forscher.  Auch  er  hat,  wie  schon  oben  erwähnt,  die  Worte  auf  Gebälkstück  III, 
die  nach  meiner  Ergänzung  auf  V  zu  liegen  kommen,  radiert  angenommen,  nur  daß 
er  es  im  Gesamttext  —  jedenfalls  ohne  Absicht  —  unterdrückt. 

In  der  eben  wiedergegebenen  Form  enthält  die  Inschrift  alle  die  Bestandteile, 
welche  nach  den  Analogien  anderer  ähnlicher  Dokumente  ')  als  unentbehrlich  gelten 
müssen,  während  die  darüber  hinaus  im  Heberdeyschen  Text  sich  findenden  Be- 
zeichnungen gerade  in  vielen  sonstigen  Neronischen  Weihinschriften  fehlen  ^).  Auch 
die  Reihenfolge  der  Beinamen  ist  die  übliche  3),  ebenso  wie  der  Umfang  der  Radierung, 

')  Vgl.  Dittenberger,  or.  gr.  inscr.   II    531,    Z.  13,  architraven    gerade    die    mittleren,    am    besten 

525,   Z.  II  ff.,   ferner:    R.  Cagnat,   inscr.   graecae  abzulesenden  Partien  von  der  Schrift  frei  gehalten 

ad  res  Rom.  pertinentes,  Bd.  I,  Paris  191 1;  Index  worden  sind,  soweit  die  Funde  erkennen  lassen, 

imperatorum  563  ff.,  Neroinschriften.  Eine  Parallele  bietet  nun  die  lockere  Füllung  des 

')  Vgl.  Cagnat  563  ff . :  l.  Sämtliche  Neroinschriften  mittleren  geraden  Wandarchitravs  durch  »unato;«. 
beweisen,  daß  »oÜTOxpätujp«,  dem  Eigennamen  Darf  man  hierin  Absicht  vermuten?  Die  größten 
vorgesetzt,  erst  bei  den  späteren  Kaisern  in  Ge-  Nischen  über  diesen  Architraven  bargen  Frei- 
brauch kommt.  2.  Nr.  11 10  und  11 24,  vor  allem  plastiken,  die  man  vielleicht  in  gewissen  Zeiten 
Nr.  876  beweisen,  daß  »izon^p  raTp(8o{«,  das  mit  Girlanden  0.  ä.  zu  schmücken  pflegte.  Um 
letztere  auch,  daß  »ctpyiepE'JC  (Ji^yWTO««  fehlen  kann.  es  ohne   Störung  des   Zusammenhanges  der   In- 

3)  Vgl.  dazu  bes.  R.  Cagnat,  Cours  d'Epigraphie  schrift  tun  zu  können,  hat  man  die  dann  verdeckten 
Latine,  Paris  1898,  162,  wo  eine  systematische  Teile  des  Architravs  von  vornherein  freigelassen; 
Zusammenstellung  der  Kaisertitel  »uTtaxot«  nach  an  den  runden  Gebälkstücken  konnte  nur  die 
»aÖTOxpa'Tujp«  nennt;  ferner  R.  Cagnat,  inscr.  Mitte  in  Frage  kommen;  an  dem  geraden  Mittel- 
graecae :  Vespasianinschrift  Nr.  903  (S.  564)  und  stück  mögen  Kettengehänge  ein  Abrücken  von 
Titusinschrift  Nr.  435  (S.  564),  beide  beweisend  den  Enden  veranlaßt  haben.  Bei  der  Vergänglich- 
für die  Zurückstellung  von  »uraroj««.  keit  des  Schmuckes  sind  Fundbelege  für  diese 
Indem  »uiiato«  t6  5  «  an  Stelle  von  »«p/iEpeüc  Hypothese  kaum  zu  erwarten.  Aber  auch  die 
fU'H'STOi«  auf  den  mittelsten  Wandarchitrav  Literatur  schweigt  davon,  so  daß  die  Kombination 
rückt,  trifft  es  nach  meiner  Rekonstruktion  zu-  allen  Vorbehalt  erfordert. 

gleich  unter  die  Hauptnische,  die  sicher  das  vor-  Vielleicht    haben    einfach    die    Freiarchitrave 

nehmste  Standbild  enthalten  hat.     Wer  möchte  den  Ausgangspunkt  für  die  Verteilung  gebildet, 

leugnen,  daß  es  da  dem  Sinne  nach  gut  hinpaßt  !  von  dem  aus  in  die   Rundung  hineingearbeitet 

Und  noch  eins:    Es  fällt  auf,  daß  an  den  Rund-  wurde,  wobei  dann  der  Rest  in  der  Mitte  frei  blieb. 
Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVHI/IX  1923/24-  31 


.|Q  Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 


obschon  diese  letztere  sich  öfters  auf  den  unmittelbaren  Kaisernamen  beschränkt. 
Icli  behalte  hier  aber  die  bisherige  Auslegung  gerne  bei,  weil  sie  tatsächlich  unter  den 
gegebenen  Verhältnissen  den  einzigen  Ausweg  bietet.  »Die  gewählte  Anordnung 
geht  von  dem  Gedanken  aus,  daß  auf  »xaTeoxsuaoev«  mit  »im«  oder  »8ia«  der  Name 
des  Statthalters  bezw.  bauführenden  Beamten  folgte  und  die  Tilgung  sich,  um  den 
Schluß  der  Inschrift  nicht  sinnlos  zu  gestalten,  auch  auf  die  Präposition  und  den 
Titel  erstreckte*.  Dieser  Satz  Heberdeys  gilt  auch  hier,  nur  daß  ich  das  Prädikat 
der  Inschrift  an  den  Schluß  gestellt  habe.  Freilich  muß  ich  mir  in  gleicher  Weise 
seine  folgenden  Worte  zu  eigen  machen:  »Mehr  zu  ermitteln  erlauben  die  geringen 
Reste   nicht !«  — 

Ich  glaube  mit  diesen  Ausführungen  gezeigt  zu  haben,  daß  von  epigraphischer 
Seite  auch  unter  wesentlicher  Beibehaltung  der  Heberdeyschen  Rekonstruktion 
meiner  Hypothese  über  die  Veränderungen  am  ersten  Stockwerk  keine  Schwierig- 
keiten erwachsen.  Ernste  Hindernisse  könnten  es  allerdings  schon  aus  dem  Grunde 
nie  sein,  weil  die  ganze  Ausdeutung,  wie  sie  Heberdey  mit  viel  Sorgfalt  und  Scharfsinn 
versucht  hat,  bei  den  geringen  Resten  all  zu  wenig  gesichert  ist.  Meine  obigen  Korrek- 
turen sollen  daher  auch  nur  einen  Vorschlag  darstellen,  wie  man  in  engster  Anlehnung 
an  den  bisherigen  Text  die  durch  den  neuen  Wiederherstellungsversuch  des  Bühnen- 
fassadenumbaues  bedingte  Verteilungsfolge  berücksichtigen  kann.  Ob  auf  den  ver- 
änderten konstruktiven  Grundlagen  vielleicht  eine  ganz  andere  Lesart  mehr  zu 
befriedigen  vermag,  will  ich  hier  als  Architekt  nicht  entscheiden,  da  ich  des  philologi- 
schen Rüstzeuges  ermangle.  Jedenfalls  wird  man  angesichts  der  dürftigen  Erhaltung 
unserer  Weihinschrift  die  Lösung  des  Problems  nicht  als  eine  »conditio,  sine  qua  non« 
betrachten  wollen,  mit  der  jeder  Rekonstruktionsvorschlag  für  die  Fassade  steht 
und    fällt. 

Kleinere    Probleme    in    der    Rekonstruktion    des    ersten    Fassaden- 
geschosses. 

Bevor  ich  auf  die  übrigen  nicht  eben  bedeutsamen  Streitpunkte  in  der  Rekon- 
struktionsmöglichkeit des  ersten  Geschosses  eingehe,  noch  ein  kurzes  Wort  darüber, 
wie  sich  der  praktische  Verlauf  der  von  mir  angenommenen  späteren  Einbauarbeiten 
abgewickelt  haben  mag.  Wie  erwähnt,  müssen  wir  uns  die  hinter  dem  verhältnis- 
mäßig schmalen  Türgewände  in  der  Mauer  entstandenen  Nischen  mit  einem  kräftigen 
Gurtbogen  als  Träger  der  Mauerlast  des  zweiten  Stockwerkes  eingewölbt  denken. 
Es  bedurfte  also  bei  einer  Zurückversetzung  der  Türwand  mit  dem  darüber  befind- 
lichen Sturz  neben  diesem  Gurtbogen  nur  sehr  geringer  provisorischer  Unterfangungs- 
arbeiten.  Auch  deren  Gerüste  konnten  verschwinden,  sobald  die  neuen  Stützen 
hochgeführt  waren,  die  ja  gerade  an  die  Stelle  der  früheren  Türwand  und  unmittelbar 
vor  den  Gurtbogen  traten.  Eine  merkliche  Beeinträchtigung  des  Nischenbildes  durch 
die  nun  sichtbaren  Gurtbogenlaibungen  bezw.  -zwickel  verhinderte  die  hohe  Lage  von 
Wölbung  und  Kämpfer,  sowie  die  dort  sehr  kräftige  Schattenwirkung.  Außerdem 
wurde  der  Blick  durch  die  vorgestellten  Säulen  ja  ohnehin  stark  beschränkt.  Die 
damit  verbundene  Änderung  an  den  Gebälken  schließlich  konnte  ebenfalls  leicht 


Hans  HHrmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos.  3  1 1 

bewerkstelligt  werden.  Der  Steinmetz  hatte  nur  an  den  alten  Architravstücken  Auf- 
lagerflächen auszuhauen,  die  bei  der  an  sich  günstigen  Eckbildung  gar  nicht  sehr 
breit  zu  sein  brauchten.  Daß  uns  gerade  von  diesen  so  behauenen  oder  neu  versetzten 
Gebälkstücken  keine  Reste  erhalten  sind,  kann  nicht  besonders  Wunder  nehmen, 
da  es  sich  im  ganzen  nur  um  vier  bis  sechs  derartige  Werkstücke  gehandelt  hat. 

Die  Funde,  welche  auf  quadratische  Pfeiler  schließen  lassen,  sind  so  gering, 
daß  kein  eigentlicher  Zwang  besteht,  solche  den  beiden  äußersten  Stützenpaaren 
zuzuteilen.  Aber  vielleicht  läßt  sich  auch  unter  Beibehaltung  dieser  Zuweisung  die 
spätere  Veränderung  und  Zusammenfassung  zu  äußersten  Doppclmotiven  erklären. 
Denn  die  ungleiche  Breite  der  Postamente  ergab  sich  aus  dem  anfänglichen  Kom- 
positionsschema mit  gekoppelten  Stützenpaaren.  Erst  später  trat  an  die  Stelle  dieser 
einfachen  Symmetrie  auch  an  den  Flügeln  eine  kompliziertere  mit  Unter-  und  Über- 
prdnung.  Der  Abstand  der  Säulenpaare  ist  vor  den  äußersten  Wandfeldern  fast 
genau  so  groß,  wie  zu  beiden  .Seiten  der  Mittelachse,  aber  sehr  verschieden  von  den 
benachbarten  Großinterkolumnien  —  ein  Grund  mehr,  der  für  den  Einbau  sprach 
und  den  Nachteil  örtlicher  Assymmetrie  infolge  der  Pfeilerverwendung  und  Differenz 
in  den  Postamentmaßen  gerne  verschmerzen  ließ. 

Den  von  Niemann  mit  »I«  bezeichneten  und  an  das  linke  Ende  der  Bühnenwand 
verwiesenen  ausspringenden  Architrav  mit  längerer  Ansichtsfläche  können  wir  dort 
belassen.  Doch  hat  daneben  auch  seine  nur  als  Alternativlösung  vorgetragene  Ver- 
mutung zu  Recht  bestanden,  daß  im  ersten  Geschoß  wie  im  zweiten  ein  Wechsel 
in  Bezug  auf  den  Vorsprung  der  Wandarchitrave  stattfand.  Ein  solcher  ist  als  not- 
wendige Voraussetzung  für  die  Möglichkeit  des  späteren  Einbaues  vollrunder  Archi- 
trave  über  den  äußersten  Wandfeldern  sicher  anzunehmen.  Er  ergibt  sich  aber,  wie 
wir  sehen  werden,  auch  ganz  natürlich  aus  dem  Verlauf  der  Mauer  des  zweiten 
Stockwerkes,  die  an  dieser  Stelle  einen  seichten  Rücksprung  aufweist. 

Bei  allen  übrigen  Teilen  in  Niemanns  Rekonstruktionsvorschlag  für  das  Erd- 
geschoß besteht,  wie  gesagt,  kein  Anlaß  zu  einer  Abänderung.  Insbesondere  ist  sein 
eigenes  Bedenken  gegen  die  Verwendung  des  Giebelwerkstückes  Eph.  Fig.  129  an 
der  Nischenädikula  wegen  seines  massigen  Aufsatzes  unbegründet.  Ähnliche  Bil- 
dungen waren  Niemann  vielleicht  zur  Zeit  der  Grabung  noch  nicht  so  bekannt,  kommen 
aber  auch  sonst  in  der  Architektur  der  römischen  Kaiserzeit  und  schon  kurz  vorher 
allenthalben  vor.  Ohne  Einwand  kann  auch  seine  Zuweisung  der  beiden  über  2  m 
langen  Architravstücke  der  ersten  Ordnung  mit  glattem  Auflager  an  die  Seiten- 
fassaden des  Bühnenhauses  (Eph.  71)  bleiben,  wo  das  Hauptgesims  des  Erd- 
geschosses jedenfalls  seine  Fortsetzung  gefunden  hat. 

Das    zweite    Geschoß. 
Entscheidend  dafür,  daß  Niemann  bei  seinen  Bemühungen,  den  Aufbau  des 
zweiten  Stockwerkes  im  Bilde  wieder  herzustellen,  nicht  zu  befriedigenden  Resultaten 
gelangen  konnte,   sind  zwei  meines  Erachtens  unzutreffende  Beobachtungen  und 
Überlegungen,   die  ihn  zwangen: 


^12  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bubnenfront  zu  Ephesos. 


1.  die  tiefe  tonnenüberwölbte  Rechtecknische  zum  mindesten  in  der  Zweizahl 
anzuordnen; 

2.  eine  Fortsetzung  des  Motivs  der  durch  Rundgebälke  zusammengeschlossenen 
Säulenpaargruppen  im  zweiten  Geschoß  anzunehmen. 

Eph.  Fig.  164 — 167  werden  die  Werkstücke  abgebildet,  welche  die  Existenz 
einer  Rechtccknische  von  1,25  m  Tiefe  mit  kassettiertem  Tonnengewölbe  als  Ab- 
deckung erschließen  lassen.  Soweit  ist  alles  in  Ordnung.  Nun  aber  glaubt  Niemann 
auch  den  Eph.  Fig.  169  abgebildeten  segmentförmigcn  Werkstein  mit  Vertiefungen 
für  farbige  Einlagen  mit  der  Rechtecknische  deshalb  in  Verbindung  bringen  zu  müssen, 
weil  der  Krümmungsradius  seiner  Bogenbegrenzung  ziemlich  genau  mit  der  Form  des 
Kassettengewölbes,  soweit  sie  sich  aus  den  spärlichen  Bruchstücken  der  Gewölbesteine 
erschließen  läßt,  übereinstimmt.  Er  fügt  deshalb  den  Stein  in  die  Hinterwand  der 
Nische  oberhalb  ihres  Kämpfergesimses  ein.  Nun  wäre  vielleicht  ein  zwingender 
Grund  zu  solcher  Ergänzung  dann  gegeben,  wenn  die  Figur  des  Werkstückes  nicht 
nur  der  Form  des  Nischentympanon  im  geometrischen  Sinne  ähnlich,  sondern 
kongruent  wäre,  d.  h.  wenn  der  Stein  die  obere  Wandfläche  tatsächlich  ganz  zu 
füllen  vermöchte.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Die  Sehne  des  Tympanon  mißt  3,16  m, 
die  des  Werksteines  nur  2,50  m;  es  bleibt  also  zwischen  Stein  »C«  (Eph.  Fig.  168) 
und  dem  Gewölbe  »A«  ein  Kreisringflächenstück  »B«  von  ca.  0,30  m  Breite  übrig. 
Niemann  gesteht  selber,  hierher  passende  Steine  nicht  gefunden  zu  haben.  Sehen 
wir  über  ihren  Verlust  hinweg,  so  würde  diese  Ergänzung  doch  die  Annahme  eines 
Steinschnittes  zur  Folge  haben,  die  allen  handwerklichen  Regeln  und  praktischen 
Gepflogenheiten  widerspricht.  Es  wäre  nicht  einzusehen,  warum  man  dem  Füllungs- 
stein nicht  gleich  die  erforderliche  Größe  gegeben  hat  oder,  wenn  äußere  Gründe 
dafür  vorlagen,  warum  man  dann  wiederum  eine  Fuj;ensetzung  wählte,  die  den  Vorzug 
der  Verwendungsmöglichkeit  kleinerer  Blöcke  zum  größten  Teil  aufhebt. 

Nun  aber  erst  das  hauptsächlichste  Moment,  welches  gegen  die  Zusammen- 
stellung spricht  und  auch  Niemann  schon  starke  Bedenken  verursacht  hat,  ohne 
daß  es  ihn  von  seiner  falschen  Fährte  abgelenkt  hätte.  Die  Dicke  des  Steines  »C« 
überschreitet  das  Maß  der  Mauerdicke  um  ca.  20  cm.  Niemann  ist  also  genötigt, 
ihn  aus  der  Mauer  innerhalb  der  Nische  (Eph.  Taf.  VIT)  oder  hinten  (Eph.  Fig.  168) 
heraustreten  zu  lassen.  Das  letztere  hält  er  deshalb  für  unwahrscheinlicher,  weil 
es  doch  nur  eine  Folge  zufälliger  Momente  sein  könnte,  der  Umstand,  daß  die  Hälfte 
eines  zweiten  Steines  von  gleicher  Form  und  Dicke  gefunden  wurde,  jedoch  gegen 
diese  Annahme  spricht.  Auf  der  anderen  Seite  ist  aber  ein  Vorkragen  des  Steines 
innerhalb  der  Nische  so  unmotiviert  und  ohne  jede  Parallele,  daß  man  diesen  Vor- 
schlag ablehnen  muß.  Was  wäre  denn  auch  durch  eine  solche  Anordnung  erreicht 
worden?  Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  tiefe  Nische  figürlichen  Schmuck,  vielleicht 
sogar  eine  Figurengruppe  erhalten  hat.  Anstatt  dieser  Plastik  nun  einen  ruhigen, 
sie  klar  abschließenden  Hintergrund  zu  geben,  hätte  man  durch  eine  derartige  Auf- 
machung gerade  das  Gegenteil  bewirkt.  Es  wäre  ein  zweiter  flächig  gehaltener  und  doch 
kubisch  wirkender  Einbau  geschaffen  worden,  der  sich  mit  der  eigentlichen  Rückwand 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos.  a  I  ^ 

fortwährend  überschnitten  und  der  Freiplastik  peinliche  Konkurrenz  gemacht  hätte. 
Ich  glaube  diese  Vorstellung  entbehrt  jeder  Wahrscheinlichkeit. 

Was  liegt  vielmehr  näher,  als  die  beiden  Werkstücke  für  Giebclfcldtcilc  von 
Segmentgiebeln  anzusehen  !  Sind  sie  in  dieser  Eigenschaft  irgendwie  mit  den 
sonst  zu  beobachtenden  Giebclmaßcn  in  Einklang  zu  bringen  —  und  wir  werden 
sehen,  daß  dies  in  der  Tat  der  Fall  ist — ,  so  ist  es  wohl  nur  erwünscht,  wenn  wir  sie  bei 
der  Ergänzung  der  rechteckigen  Nische  aus  dem  Spiel  lassen  können.  Wir  ersparen 
uns  damit  die  Verlegenheitslösung  eines  unwahrscheinlichen  Nischeneinbaues  und 
gewinnen  zugleich  eine  zweite  wichtige  Tatsache.  Denn  die  Gewölbewerkstücke 
allein  führen  nicht  zur  Annahme  eines  paarweisen  Auftretens  dieses  Nischenmotivs^ 
Dann  ist  es  aber  das  Gegebene,  diese  größte  unter  den  nachweisbaren  Nischen  des 
Oberstockes  und  einzige  mit  rechteckigem  Querschnitt  dem  mittleren  Wandfcld 
zuzuweisen,  wo  sie  auch  über  die  größte  der  Türöffnungen  des  Erdgeschosses  zu  stehen 
kommt.  Hier  allein  hat  eine  Rechtccknische  von  solchen  Ausmaßen,  die  das  Wand- 
feld gerade  füllt,  Berechtigung.  Hier  in  der  Symmetrieachse  der  ganzen  Front 
liegt  nun  auf  beiden  Geschossen  starke,  aber  bestimmt  begrenzte  Schattenwirkung. 
Über  der  größten  Öffnung  sitzt  die  größte  Nische.  An  diesem  Platz  müssen  wir  uns  das 
Standbild  des  Kaisers,  Gottes,  Stifters  oder  sonst  einer  prominenten  Persönlichkeit 
vielleicht  als  Sitzfigur  auf  hohem  Thron  und  Sockel  vorstellen,  das  selbstverständlich 
auch  in  den  absoluten  Ausmaßen  die  übrigen  Skulpturen  übertraf.  Das  alles  läßt 
sich  nun  zwanglos  ergänzen,  wie  es  meine  Rekonstruktion  versucht. 

Das  weitere  Haupthemmnis  in  der  Wiederherstellungsarbeit  Niemanns  am 
oberen  Geschoß  bildet  der  Schluß,  den  er  Eph.  82  unten  zieht  bezüglich  gerundeter 
Architrave  auch  an  diesem  Stockwerk.  In  Fig.  126  und  127  (Eph.  64)  bildet  er 
im  Grund-  und  Aufriß  zwei  Pilasterkapitäle  mit  den  Abmessungen  der  zweiten  Ordnung 
ab,  welche  nach  der  Ungleichheit  ihrer  Seiten  auf  den  Bestand  einer  rechteckigen 
Nische  oder  richtiger  eines  Mauerrücksprunges  hindeuten,  wobei  die  Tiefe  dem  Breiten- 
maß der  Kapitale  entspricht.  Auch  ohne  die  maßstäbliche  Übereinstimmung  müssen 
wir  sie,  wie  Niemann  mit  Recht  bemerkt,  dem  oberen  Stockwerk  zuweisen,  da  die 
nachweisbare  Anordnung  des  unteren  Geschosses  eine  solche  Nische  ausschließt. 
Der  Grundriß  des  Mauerrücksprunges  ist  Eph.  Fig.  170  folgerichtig  gezeichnet. 
Die  beiden  vorhandenen  Kapitale  sind  in  diesem  Grundriß  durch  Schraffur  hervor- 
gehoben. Nun  aber  folgert  Niemann  (a.  a.  0.  82  unten)  weiter:  »Die  Breiten- 
entwicklung der  Kapitale  an  den  der  Nische  zugewendeten  und  ihre  Tiefe  bedingenden 
Seiten  weist  mit  Entschiedenheit  auf  einen  gerundeten  Architrav,  nicht  aber  auf  ein 
Gebälk,  das  in  gerader  Linie  von  einem  Pilasterkapitäl  zum  anderen  sich  spannte.« 
Denn,  so  begründet  er  diese  Hypothese,  in  diesem  Falle  würden  die  Kapitale  nur  die 
Breite  eines  Säulendurchmessers  haben.  Und  er  kommt  dann  selbstverständlich 
auf  eine  Wiederholung  des  Motivs  mit  dem  eingeschobenen  Zwischenstützenpaar, 
wie  es  unten  zu  beiden  Seiten  der  Haupttür  gesichert  ist.  Diese  ganze  Theorie  ist 
aber,  abgesehen  von  dem  gänzlichen  Fehlen  gebogener  Gebälkteile  unter  den  Fund- 
stücken der  zweiten  Ordnung,  völlig  unbegründet.  Vielleicht  lag  der  Fehlschluß  mit 
daran,   daß  Niemann  unwillkürlich  immer  von  der  Vorstellung  einer  eigentlichen 


,fj  Hans  Hermann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 

Nische,  d.  h.  eines  bis  zur  normalen  Mauerflucht  wagrecht  überdeckten  Mauerrück- 
sprunges als  vorgefaßter  Meinung  ausging;  zu  dieser  Annahme  sind  wir  aber  in  gar 
keiner  Weise  gezwungen.  Vielmehr  hätte  die  von  ihm  vorgeschlagene  Lösung  mit 
eingestellten  Freistützen  die  Verbreiterung  der  Kapitälseiten  erst  recht  überflüssig 
gemacht,  da  ihr  rückwärtiger  Teil  nur  in  sehr  starker  Verkürzung  zu  sehen  gewesen 
oder  von  den  eingestellten  Säulen  verdeckt  worden  und  also  in  keiner  Lage  irgendwie 
aufgefallen  wäre.  Unter  diesen  Umständen  hätte  man  offensichtlich  auf  die  Kapitäl- 
verbreiterung,  die  doch  immerhin  eine  ungewöhnliche  Lösung  darstellte,  viel  eher 
verzichten  dürfen.  Betrachten  wir  die  Werkstücke  aber  lediglich  so,  wie  sie  uns  nach 
den  Aufnahmen  der  österreichischen  Archäologen  gegeben  sind,  und  unterlassen  wir  es, 
Kombinationen  hineinzulesen,  die  sie  gar  nicht  enthalten,  so  ist  es  tatsächlich  nichts 
weiter  als  die  Annahme  eines  einfachen  rechteckigen  Mauerrücksprunges,  zu  der  ' 
die  Form  der  beiden  Kapitale  uns  veranlaßt.  Und  es  ist  auch  gar  kein  Grund  vorhanden, 
das  Gebälk  diese  Bewegung  der  Wand  nicht  mitmachen  zu  lassen.  Wir  besitzen  noch 
mehrere  gesicherte  analoge  Ausbildungen  an  gleichzeitigen  Denkmälern,  die  ersehen 
lassen,  daß  in  ähnlichen  Fällen  eine  Verbreiterung  der  inneren  Pilasterkapitälseiten 
selbst  bis  aufs  Doppelte  der  normalen  Größe  immer  dann  beliebt  war,  wenn  der  nur 
verhältnismäßig  seichte  Rücksprung  auf  solche  Weise  ein  Überspannen  des  ganzen 
seitlichen  Wandstreifens  unter  dem  Gebälk  ermöglichte. 

Freilich  müssen  wir  uns  nun  fragen,  wo  wir  diesen  Mauerrücksprung,  der  nach 
dem  Befund  die  Breite  eines  ganzen  Wandfeldes  einnahm,  in  unsererRekonstruktion 
unterbringen  wollen  und  welche  besonderen  Gründe  für  seine  Anordnung  in  dem  vor- 
liegenden Fall  geltend  gemacht  werden  können.  Vorher  noch  ein  Wort  über  die  Archi- 
travverteilung  !  Denn  auch  sie  stützt  meine  Vermutung  und  führt  zugleich  von  selbst 
auf  die  eigentliche  Lösung  dieses  besonderen  Problems.  Die  gefundenen  Stücke  des 
zweiten  Gebälkes  sind  auf  Niemanns  Taf.  VI  oben  an  Stellen,  die  ihrer  Form 
entsprechen,  in  das  Schema  der  Gebälkanordnung  eingezeichnet.  Sie  können,  da 
ohne  Inschrift  und  ähnliche  Merkmale,  einen  gleichen  Platz  auch  anderswo 
einnehmen.  Wichtig  ist,  daß  gekrümmte  Architrave  wie  im  ersten  Geschoß  sich 
nicht  unter  den  Fundstücken  befinden.  Dagegen  weisen  ungleiche  Längenmaße  der 
ausspringenden  Architrave  auf  Vor-  und  Rücksprünge  des  Gebälkes  hin.  Es  stimmt 
nicht  ganz,  wenn  Niemann  meint,  an  welchen  Stellen  das  eine  oder  das  andere  der 
Fall  gewesen  wäre,  ließe  sich  nicht  mehr  ermitteln.  Denn  die  beiden  ursprünglich 
vorhandenen  Rundarchitrave  im  Untergeschoß  lassen  es  wohl  begründet  erscheinen, 
hier  eine  Zurückversetzung  des  oberen  Architraves  anzunehmen,  da  ein  Vorstehen 
gegenüber  dem  unteren  Gebälk  keinesfalls  günstig  gewirkt  hätte.  Hier  also  lag  der 
Architrav  sicherlich  mit  der  Wand  bündig.  Unsere  Rekonstruktion  im  ersten  Geschoß 
zwingt  uns  aber  folgerichtig,  solchen  Rücksprung  auch  über  den  Flügelwandfeldern 
anzunehmen.  Jedenfalls  wird  dadurch  die  Möglichkeit,  den  späteren  Einbau  har- 
monisch dem  Vorhandenen  anzupassen,  noch  bedeutend  erhöht.  Andererseits 
dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  die  Rundung  im  Erdgeschoß  wenigstens  auf  den 
Flügeln  immer  das  Sekundäre  war,  und  es  wäre  ein  gefährliches  Beginnen,  wollte 
man  hier  Ursache  und  Wirkung  einfach  umkehren.    Daß  das  Vorhandensein  eines 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos.  7  j  c 


zurückgezogenen  Architravs  den  späteren  Einbau  im  Erdgeschoß  überhaupt  erst 
ermöglicht,  im  Obergeschoß  jedenfalls  begünstigt  hat,  ist  sicher.  Wenn  wir  aber  dem 
angedeuteten  »  uoispov-TrpoTspov «  entgehen  wollen,  müssen  wir  als  Anlaß  dieser  Zurück- 
nahme des  Gebälkes  hier  doch  eigentlich  etwas  anderes  suchen.  Die  Lösung  zeigt  sich, 
sobald  wir  das  von  Niemann  in  Fig.  152  rekonstruierte  und  bereits  früher  mit  den 
steigenden  Voluten  als  Bekrönung  in  Verbindung  gebrachte  Halbsäulenpaarmotiv 
zu  dem  nachgewiesenen  Mauerrücksprung  in  Beziehung  setzen. 

Hierzu  besteht  ein  doppelter  Zwang.  Fürs  erste  wäre  das  Ädikulamotiv  ohne 
Nische  eine  wenig  wahrscheinliche  Lösung.  Nachdem  wir  nämlich  den  Wandfeidern 
des  Obergeschosses,  wie  wir  noch  sehen  werden,  sonst  durchwegs  konkave  Füllungs- 
elemente (Nischen)  einzufügen  haben,  wäre  es  auffallend  gewesen,  hier  nun  auf  einmal 
ein  stark  plastisch  vortretendes  Motiv  unterbringen  -zu  müssen.  Schon  aus  diesem 
Grunde  liegt  es  nahe,  dasselbe  in  eine  nischenartige  Mauerbucht  zu  setzen.  —  Ein 
anderer  Beweis  liegt  auf  konstruktivem  Gebiet.  So  wie  Niemann  Eph.  Fig.  152 
das  Säulenpaar  auf  einem  leicht  verkröpften  Stylobat  zeichnet,  ist  die  Sache  weder 
befriedigend  noch  konstruktiv  klar.  Denn  das  Gebälk  des  Untergeschosses  läuft 
glatt  durch  und  ebenso  ist  das  Wandfeld  selbst  in  gleicher  Flucht  mit  den  übrigen. 
Nehmen  wir  nun  an  (Niemanns  Zeichnung  läßt  es  nicht  erkennen),  der  untere  Architrav 
lag  an  dieser  Stelle  mit  der  Rückwand  bündig,  dann  hätte  der  verkröpfte  Stylobat 
auf  der  Gesimsausladung  überhaupt  keinen  richtigen  Platz  und  würde  dieselbe  bis 
zum  vordersten  Sima-Profil  bedenklich  belasten.  Läuft  aber  der  Architrav  des  unteren 
Geschosses  —  das  wäre  die  zweite  Möglichkeit  —  in  der  Höhe  der  Pilaster,  so  hängt 
das  ganze  über  ihm  aufgebaute  Halbsäulenmotiv  in  der  Luft.  Unsere  Kombination 
mit  der  Zurückziehung  der  Fassadenmauer  des  zweiten  Geschosses  an  dieser  Stelle 
ist  also  aus  den  genannten  Gründen  die  allein  mögliche. 

Zum  zweiten  aber  wäre  der  Mauerrücksprung  in  Verbindung  mit  einem  der 
anderen  nachweisbaren  Motive  der  Fassade  des  zweiten  Stockwerkes  kaum  möglich. 
Denn  von  solchen  kommen  sonst  nur  noch  Nischen  vor  und  es  wäre  im  höchsten 
Grade  unvorteilhaft,  einen  Rücksprung  da  anzubringen,  wo  Nischen  hinkommen 
sollen,  da  die  Mauer  dann  nur  noch  mehr  geschwächt  würde,  mehr  Platz  verloren 
ginge  und  zwei  Konkavgebilde  ungünstig  zusammenträfen. 

Wir  dürfen  demnach  wohl  mit  Recht  die  Halbsäulenädikula  mit  dem  Motiv 
der  offenen  Mauernische  vereinigen.  Das  Gebälk  der  zweiten  Ordnung  springt  zunächst 
um  die  doppelte  Pilastertiefe  zurück,  um  sich  über  den  Halbsäulen  wiederum  etwas 
vorzukröpfen.  Besonders  die  Kapitälverbreiterung  an  den  seitlichen  Begrenzungs- 
streifen des  Rücksprunges  wird  nun  sofort  verständlich.  Würde  doch  sonst  gerade 
dort  in  der  formalen  Gliederung  der  Mauer  eine  Lücke  sein,  wo  die  Korrespondenz  mit 
den  Halbsäulen  erst  recht  eine  solche  ausschließt.  Die  Pilaster  haben  eben  hier  ästhe- 
tisch zweierlei  Funktionen  auszuüben:  die  Gliederung  in  der  Ebene  der  übrigen 
Wandpilaster  aufzunehmen  und  zugleich  nach  der  anderen  Seite  hin  in  der  Ebene 
des  Halbsäulenmotivs.  Dieses  selbst  wird  dadurch,  obwohl  gegen  die  anderen  Wand- 
stützen der  zweiten  Ordnung  etwas  zurückliegend,  organisch  in  deren  fortlaufende 
Reihung  eingebunden.      Die   angedeutete   Doppelaufgabe   der    zwei   Wandpilaster 


-^  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  lu  Ephesos. 


aber  welche  den  Mauerrücksprung  flankierten,  war  nur  durch  eine  Kapitälverbreite- 

rung   zu   lösen. 

Da  das  paarweise  Auftreten  des  Motivs  durch  die  Funde  gesichert  ist,  bereitet 
nun  auch  die  Bestimmung  des  Platzes,  den  wir  ihm  in  der  Fassade  des  zweiten  Stock- 
werkes anweisen  müssen,  keine  großen  Schwierigkeiten  mehr.  Das  Maß  der  Architrav- 
län^e  der  Ädikula  ist  erhalten  und  schließt  die  Unterbringung  im  zweiten  und  sechsten 
Wandfeld,  die  ja  beide  bedeutend  schmäler  sind  als  alle  anderen,  von  vornherein  aus. 
Das  Mittelfeld  kommt  nach  dem  oben  Gesagten  ebenfalls  nicht  in  Betracht.  Es  bleibt 
also  nur  die  Wahl  zwischen  dem  ersten  und  dritten,  bezw.  siebenten  und  fünften 
Wandfeld.  Auch  hier  haben  wir  für  die  zutreffende  Entscheidung  mehrere  Kriterien. 
Ich  schließe  zunächst  so:  Der  nachgewiesene  spätere  Einbau  eines  Rundarchitravs 
im  Erd<^eschoß  bei  »eins«  und  »sieben«  hatte  ein  Bündigliegen  des  Architravs  mit 
der  Wand  an  dieser  Stelle  zur  Voraussetzung  im  Gegensatz  zu  anderen  Feldern, 
für  die  es  nicht  anzunehmen  ist.  Welcher  Grund  war  nun  aber  eigentlich  dafür  vor- 
handen? Kein  anderer,  als  die  Tatsache  des  Darüberliegens  eben  jenes  Halbsäulen- 
motivs,  dessen  Nische,  um  unschöne  Überschneidungen  der  Halbsäulenbasen  und 
-plinthen  zu  vermeiden,  auch  die  Zurücknahme  des  unteren  Architravs  zur  Folge 
hatte.  Das  Motiv  hat  also  in  der  Tat  in  den  beiden  Flügelwandfeldern  seinen  Platz 
gehabt. 

Bestätigt  wird  dieses  Ergebnis  nun  auch  durch  die  Werkstücke,  welche  für  die 
Füllung  der  vier  übrigen  Wandfelder  des  Obergeschosses  das  Material  zu  liefern  haben. 
Es  stehen  hierzu  nämlich  zur  Verfügung:  einmal  das  von  Niemann  fälschlich  mit 
dem  späteren  Einbau  im  Erdgeschoß  in  Verbindung  gebrachte  Kuppelbruchstück 
Eph.  Fig.  139  bei  einer  Spannweite  von  2,80  m  und  einer  Tiefe  von  1,20  m  und  weiterhin 
das  in  Eph.  Fig.  163  abgebildete  Kuppelfragment,  dessen  Ergänzung  auf  eine  Nische 
von  etwas  über  einem  Meter  Radius  führt.  Niemann  selbst  bemerkte  von  diesem 
letzteren  Stück  (Eph.  80  oben),  daß  es  dieselbe  Arbeit  aufweist  wie  das  erste  Bruch- 
stück (Eph.  Fig.  139/40),  ohne  die  naheliegende  Konsequenz  gleichartiger  Verwendung 
in  der  Rekonstruktion  daraus  zu  ziehen.  Er  setzt  die  aus  dem  zweiten  Bruchstück 
zu  folgernde  Haibkreisnische  in  seinem  ersten  Vorschlag  als  Einzelmotiv  in  die  Mitte 
der  Front,  sehr  unwahrscheinlich  schon  deshalb,  weil  es  hier  das  Wandfeld  nur  dürftig 
und  locker  ausfüllt,  während  doch  an  anderer  Stelle  die  Maße  der  Rechtecknische 
das  Feld  beinahe  zu  sprengen  scheinen.  Diese  Ungleichmäßigkeit  —  hier  sehr  lockere, 
dort  äußerst  knappe  Wandfüllung  willkürlich  nebeneinander  —  würde  auch  in  seinem 
zweiten  Vorschlag  nicht  behoben.  Nein,  der  einzig  berechtigte  Platz  für  die  Unter- 
bringung dieser  kleineren  Nische,  die  als  paarweise  auftretend  anzunehmen  kein 
Zwang,  aber  ohne  weiteres  die  Möglichkeit  besteht,  ist  das  schmälere  Wandfeld 
»zwei«  bezw.  »sechs«,  benachbart  dem  Halbsäulenmotiv,  wo  sie,  gerahmt  von  der 
erhaltenen  Archivolte,  die  zur  Verfügung  stehende  Wandfläche  gut  füllen  und  eine 
ästhetisch  befriedigende  Wirkung  ausüben  konnte. 

Mit  der  gleichen  Natürlichkeit  fügt  sich  das  zweite  Nischenpaar  den  dafür  in 
Betracht  kommenden  Feldern  ein,  wobei,  nur  der  Größe  nach  betrachtet,  zunächst 
die  Feldpaare  »eins«  =  »sieben«  und   »drei«  =  »fünf«  für  die  Aufnahme  geeignet 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  517 


erscheinen.  Ich  habe  indes  schon  oben  mannigfache  Gründe  angeführt,  die  für  eine 
Zuweisung  der  Ädikula  an  die  Flügelfelder  und  damit  unserer  Nischen  an  das  der 
Mitte  benachbarte  Felderpaar  sprechen.  Es  sind  aber  schließlich  auch  sehr  triftige, 
allgemeine  stilistische  Erwägungen,  die  sich  hier  aufdrängen.  Nach  Stilgesichts- 
punkten läge  vielleicht  auf  den  ersten  Blick  nicht  weniger  die  folgende  Reihe  nahe 
(von  Mitte  bis  Flügel) :  tiefe  Rechtecknische  —  tiefe  Rundnische  —  flacher  Mauer- 
rücksprung mit  Halbsäulenpaar  ~  flache  Rundnische.  Käme  damit  ein  gewisser 
Rhythmus  in  das  zweite  Geschoß  unserer  Säulcnfassade,  so  ist  an  diese  Verteilung 
trotzdem  schon  auf  Grund  der  bestehenden  Maßverhältnisse  nicht  zu  denken.  Es 
hat  aber  diese  Anordnung  auch  sofort  weit  weniger  für  sich,  sobald  wir  das  Erdgeschoß 
mit  in  Betracht  ziehen.  Denn  hier  war  ursprünglich  eben  keine  derartige  rhythmische 
Verteilung  beabsichtigt,  sondern  eine  ganz  entschiedene  Konzentration  der  Gliederung 
nach  der  Mitte  zu.  Abgesehen  davon,  daß  nach  der  technischen  Unmöglichkeit  der 
ersten  Kombination  ein  Verweisen  der  tiefen  Rundnischen  an  die  Flügel  (also  so, 
daß  die  Reihenfolge  »Rechtecknischc  —  Ädikulamotiv  —  flache  —  tiefe  Rundnische« 
zustande  käme)  schon  stilistisch  kaum  vertretbar  wäre,  ergibt  nun  die  allein  noch 
übrig  bleibende  Zusammenstellung  »Rechteckige  Mittelnische  —  großes  Rundnischen- 
paar —  kleines  Rundnischenpaar  —  Ädikulamotiv«  auch  eine  wirkungsvolle  Fort- 
setzung der  eben  festgestellten  Tendenzen  im  unteren  Stockwerk:  eine  Zusammen- 
fassung der  Konkavmotive  nach  der  Mitte  zu,  wo  auch  ein  günstiger  Blick  auf  die 
darin  aufgestellten  Statuen  von  allen  Plätzen  des  Theaters  aus  am  ehesten  gewähr- 
leistet war.  Schließlich  aber  mag  das  Halbsäulenmotiv  an  den  Flügeln  wieder  ein 
Grund  mehr  gewesen  sein,  späterhin  durch  den  Säuleneinbau  darunter  eine  Verän- 
derung in  dem  beschriebenen  Sinne  vorzunehmen. 

Ich  glaube  damit  zur  Genüge  bewiesen  zu  haben,  daß  die  von  mir  gewählte 
Verteilung  der  Motive  in  den  oberen  Wandfeldern  technisch  und  stilistisch  allein 
möglich  ist.  — 


"ö' 


Auch  die  Rekonstruktion  und  Verteilung  der  Gebälkbekrönungen  erfährt  durch 
meine  bisher  besprochenen  Wiederherstellungsvorschlägc  gegenüber  Niemanns  Ver- 
suchen eine  erhebliche  Veränderung.  Zunächst  mußte  ich  mir  natürlich  die  schon 
von  ihm  aufgeworfene  Frage  vorlegen,  ob  die  gefundenen  Kranzgesimsstücke  mit 
Konsolen  von  gleicher  Größe,  jedoch  mit  reicherer  Akanthusverzierung  denn  wirklich 
neben  der  einfacheren  Abart  Verwendung  gefunden  haben,  vielleicht  in  der  Weise, 
daß  die  jüngeren  Steine  mit  den  reichen  Konsolen  als  Ersatzstücke  zu  gelten  hätten. 
Es  wäre  ja  naheliegend,  sie  etwa  der  Rückseite  des  Bühnenhauses  zuzuweisen,  wo 
sicherlich  auch  irgend  eine  Gliederung  stattgefunden  haben  muß.  Allein  der  Umstand, 
daß  unter  jenen  reicheren  Bildungen  Segmentgiebelstücke  wie  Eph.  Fig.  157,  die  auf 
weitgehende  Gebälkverkröpfungen  hindeuten,  und  kurze  Kropfstückc  ähnlich  der 
Vorkragung  bei  den  vorne  untergebrachten  Halbsäulenädikulen  sich  befinden,  scheint 
mir  eine  solche  Vermutung  auszuschließen.  Denn  die  Gliederung  auf  der  Rückseite 
wäre  dann  beinahe  mit  dem  gleichen  Motivaufwand  und  Apparat  an  formalen  Ele- 
menten   ausgestattet  gewesen  wie  vorne  innerhalb  der  Fassade,    und  dafür  hätten 


318 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


•wir  sonst  keine  Parallele.  Wir  müssen  in  diesem  Fall  also  wohl  Niemanns  Hypothese 
gelten  lassen  und  auch  die  reicher  ornamentierten  Stücke  in  der  Front  selbst  unter- 
zubringen versuchen.  Freilich  führt  dies  zu  neuen  Weiterungen,  da  wir  nun  ja  auch 
die  Segmentgiebel,  welche  ich  aus  dem  Werkstück  Eph.  Fig.  169  und  seinem  Gegen- 
stück ergänze  und  die  Niemann  fälschlich  mit  der  tonnenüberwölbten  Rechtecknische 
in  Verbindung  bringen  zu  müssen  geglaubt  hat,  als  Motiv  für  diese  Bekrönungen 
erhalten.  Die  Zahl  der  bei  der  Einteilung  der  Giebel  längs  der  Bühnenwand  zu  be- 
rücksichtigenden Fundstücke  überschreitet  damit  das  Maß,  das  nach  der  Anzahl  der 
gekuppelten   Säulenpaare  denkbar  ist. 

Diese  scheinbare  Schwierigkeit  entsteht  indessen  nur,  weil  Niemann  in  seiner 
Fig.  148  ein  Giebelfragment  für  die  Fassade  in  Anspruch  nimmt,  das  offensichtlich 
nicht  hierher  gehört.  Er  bemerkt  selber,  daß  es  etwas  andere  Maße  habe,  als  alle 
übrigen  Giebelwerkstücke,  daß  insbesondere  die  Hängeplatte  stärker  sei  und  die  Sima 
ganz  fehle.  Trotzdem  verwendet  er  das  Fragment  zu  seiner  Rekonstruktion  des  an 
sich  wohl  berechtigten  großen  verkröpften  Mittelgiebels.  Nachdem  aber  auch  die 
Neigung  des  Giebels  von  den  anderen  erheblich  abweicht,  ist  das  kaum  zulässig. 
Ich  glaube  vielmehr,  wir  dürfen  dieses  Giebelstück  den  seitlichen  Bühnenhausfronten 
zuweisen,  die  ja  ein  flaches  Satteldach  besaßen  und  also  auch  mit  entsprechenden 
Giebeln  abgeschlossen  waren.  Auf  dem  in  gleicher  Höher  umlaufenden  Hauptgesims 
aufsitzend  fügen  sich  hier  solche  steileren  Giebel  ohne  Schwierigkeit  dem  Baukörper 
ein,  da  an  diesen  Stellen  ihre  Ausbildung  sich  ja  in  wesentlich  anderer  Weise,  weniger 
als  dekoratives,  denn  als  konstruktives  Element  äußerte.  Selbstverständlich  ist  das 
Bruchstück  da  als  gewöhnlicher  Dreieckgiebel  ohne  Verkröpfung  und  ähnliche  Kom- 
plikationen   zu    ergänzen. 

Dagegen  können  wir  nun  die  Fragmente  Eph.  Fig.  1 54  an  der  Stelle  des  mittleren 
Giebelmotivs  verwenden.  Sie  sind  von  Niemann  ohne  Zweifel  richtig  zusammengesetzt 
und,  da  ihre  Länge  in  ergänztem  Zustande  über  das  bei  den  gewöhnlichen  kleinen 
Giebeln  zulässige  Maß  hinausgeht,  den  Enden  der  Bühnenwand  als  Bestandteile 
eines  der  breiteren  (jiebel  zugewiesen.  Nachdem  ich  aber  für  letztere,  wie  schon 
angedeutet,  andere  Fundstücke  (eben  die  segmentförmigen  Tympanonreste,  die 
sich  bei  Niemann  in  die  Rückwand  der  Rechtecknische  verirrt  hatten)  in  Anspruch 
nehmen  will,  muß  ich  die  Werkstücke  Eph.  Fig.  1 54  anderswo  unterbringen.  Sie  kommen 
nur  in  einfacher  Ausfertigung  vor,  ihre  paarweise  Verwendung  ist  also  jedenfalls 
an  sich  nicht  veranlaßt.  Gerade  der  Fund  dieser  Stücke  scheint  mir  aber  nun  für  das 
von  Niemann  instinktiv  empfundene  Vorhandensein  des  mittleren  Halbgiebels  be- 
weisend. Ob  sein  Feld  figürliche  oder  ornamentale  Füllung  besaß,  ist  von  unter- 
geordneter Bedeutung.  Seine  Existenz  aber  nicht  minder  archäologisch  errechnet, 
wie  ästhetisch  gefordert. 

Denn  allein  die  Voraussetzung  dieses  Mittelgiebels  ermöglicht  eine  Lösung  der 
Giebelverteilung,  die  sämtliche  Werkstücke  gleichzeitig  verwendet,  ohne  aber  auf 
der  anderen  Seite  ein  Motiv  über  die  dadurch  bedingte  Anzahl  zu  beanspruchen. 
An  den  Enden  der  Bühnenwand  finden  in  ungezwungener  Weise  die  aus  dem  Werk- 
stück Eph.  Fig.  169  (mit  Gegenstück)  zu  erschließenden  Segmentgiebel  ihren  Platz. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos.  -jjq 


Die  Sehne  des  erhaltenen  Bogenstückcs  mißt  nach  der  Zeichnung  bei  Niemann  2,50  m; 
die  Architravlänge  über  den  Endsäulcnpaaren  2,86  m.  Als  Gesimsausladung  müssen 
wir  beiderseits  noch  20  cm  zulegen,  so  daß  wir  auf  ein  Maß  von  3,26  m  kommen. 
Anderseits  treten  zu  dem  Ausmaß  der  Sehnenlänge  unseres  Segmentbogen- 
feldes  die  Stärken  der  beidseitigen  Giebelprofile  und  zwar  gemessen  an  ihrem  mehr 
oder  minder  schrägen  Anschnitt.  Ich  entnehme  sie  den  Figuren  144  und  157  bei 
Niemann,  wobei  das  zu  erschließende  Maß  wohl  näher  den  Verhältnissen  auf  jener 
letzteren  Rekonstruktionszeichnung  stehen  dürfte.  Wählen  wir  es  etwa  mit  je  35  cm, 
so  erhalten  wir  eine  Giebelaufsatzlänge  von  3,20  m.  Die  Kombination  stimmt  also 
bis  auf  ca.  6  cm  genau  und  das  kann  uns  nach  dem  sonst  an  der  Fassade  beobachteten 
Grad  von  Exaktheit  der  Ausführung  wohl  befriedigen.  Was  schließlich  die  Form 
unseres  Giebelwerkstückes  anlangt,  die  auf  eine  gesonderte  Bearbeitung  der  Füllung 
und  umschließenden  Profile  hinweist,  wobei  sich  in  den  Zwickeln  sehr  spitze  Lagen 
des  Steinschnittes  ergeben  mußten,  so  ist  dieses  Verfahren  bei  späteren  Konstruk- 
tionen auch  sonst  schon  nachgewiesen  worden.  Es  stellt  allerdings  ganz  offenbar 
eine  starke  handwerkliche  Schematisierung  dar  und  zeugt  gegenüber  der  früher  übli- 
chen Fugensetzung  im  Giebelsteinschnitt  von  einer  merklichen  Abstumpfung  des 
natürlichen  werkkünstlerischen  Empfindens. 

Nach  dem  Gesagten  dürfen  wir  die  Giebel  an  den  Enden  der  Bühnenwand 
tatsächlich  als  Segment  ergänzen,  erzielen  damit  auf  diesen  Punkten  einen  kräftigen 
Abschluß,  der  in  seiner  volleren  Rundform  dem  weitergestellten  Interkolumnium 
darunter  gut  entspricht,  und  erhalten  einen  Grund  mehr,  der  uns  berechtigt,  in  der 
Mitte  des  zweiten  Stockwerke^  in  eindm  großen  verkröpften  Giebel  einen  angemessenen 
Ausgleich  zu  erwarten. 

Bleiben  nun  auf  jeder  Symmetriehälfte  noch  zwei  Giebel  zu  besetzen!  Es  wäre 
selbstverständlich  erwünscht,  könnte  man  die  Verteilung  so  vornehmen,  daß  im  ganzen 
ein  regelmäßiger  Wechsel  von  geraden  und  runden  Giebeln  sich  ergibt.  Das  entspräche 
ebensosehr  dem  natürlichen  Bedürfnis  nach  einer  in  gleicher  Weise  gesetzmäßig 
gebundenen,  wie  einfachen  und  ungekünstelten  Rythmik,  als  es  auf  der  anderen  Seite 
zahllose  Analogien  und  Vorbilder  in  der  übrigen  antiken  Fassadenarchitektur  besäße. 
Die  Verwirklichung  dieser  Idee  erheischt  die  Möglichkeit,  noch  und  nur  je  ein  Paar 
solcher  Giebel  auf  Grund  der  Funde  unterzubringen,  ein  Dreieckgiebelpaar  nächst 
den  größeren  Flügelsegmenten  und  ein  rundes  auf  den  restlichen  zwei  ArChitrav- 
kröpfen  zu  Seiten  des  großen  mittleren  verkröpften  Giebelmotivs. 

Wollen  wir  einmal  zusehen,  wieweit  die  bei  Niemann  erwähnten  oder  abgebil- 
deten Werkstücke  einer  solchen  Forderung  sich  fügen!  Eph.  83  ff.  heißt  es:  »Vor- 
handen sind  zwei  rechte  gerade  Eckstücke  und  ein  linkes,  ein  rechtes  Eckstück  für 
den  Einsatz  eines  runden  Giebels  und  zwei  runde  Bruchstücke,  alle  sechs  Stücke 
mit  Konsolen  von  der  einfacheren  Form.  Daraus  ergeben  sich  zwei  gradlinige  und 
ein  gebogener  Giebel.  Von  den  Gesimsformen  mit  Akanthuskonsolen  besitzen  wir  die 
beiden  in  Fig.  154  abgebildeten  zusammengehörigen  Stücke,  ferner  ein  gradliniges 
rechtes  Eckstück,  das  kleine  Bruchstück  eines  runden  Giebels  und  das  in  Fig.  1 57 
dargestellte     Giebelfeld    mit    angearbeiteten    Konsolen.        Daraus    ergeben    sich. 


^20  Ha»^  Hötmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


wenn  man  annimmt,  daß  das  kleine  Bruchstück  einem  der  anderen  Giebel  angehörte, 
ein  gradliniger  Giebel  und  ein  runder.  Es  sind  demnach  im  ganzen  außer  dem  voraus- 
gesetzten großen  Mittelgiebel  drei  gradlinige  und  zwei  gebogene  Giebel  unterzubringen. « 

Von  diesem  Material  kommen  nach  meiner  Rekonstruktion  in  Wegfall:  die 
bereits  in  der  Mitte  verwendeten  Stücke  von  Fig.  154,  wozu  man  auch  das  rechte 
gerade  Eckstück  mit  Akanthuskonsolen  rechnen  darf.  Es  bleibt  also  nur  ein  runder 
Akanthuskonsolengiebel.  Da  man  an  eine  Vermischung  der  beiden  Varianten 
an  ein  und  dem  nämlichen  Giebel  doch  nicht  denken  darf,  ist  seine  Ausscheidung 
wohl  notwendig.  Bei  den  Giebelbruchstücken  der  einfacheren  Ausbildung  ändert 
sich  nichts.  Wir  haben  also  im  Ganzen  in  unserem  Falle  noch  zwei  gradlinige  und 
zwei  gebogene  Giebel  unterzubringen,  just  die  Anzahl,  die  wir  nach  den  früheren 
Bemerkungen  über  den  mutmaßlichen  Charakter  ihrer  Verteilung  an  der  Fassade 
aus  Gründen  der  Wahrscheinlichkeit  finden  zu  müssen  glaubten.  Die  Rechnung 
stimmt  in  der  Tat  bis  aufs  Haar  !  Die  Reihenfolge  der  Bekrönungsmotive  des  Ge- 
bälkes der  zweiten  Ordnung  ist  also  von  einem  zum  anderen  Flügel:  großer  Segment- 
giebel —  steigendes  Volutenpaar  —  kleiner  Dreieckgiebel  —  kleiner  Segmentgiebel  — 
ganz  großer  vcrkröpfter  Mittelgicbel  (Symmetrieachse)  —  kleiner  Segmentgiebel  — 
kleiner  Dreieckgicbel  —  steigendes  Volutenpaar  —  großer  Segmcntgiebel.  Sämtliche 
Giebel  besaßen  Eckakroterien,  aber  wohl  kaum  freifigürlicher  Art,  wie  sie  Niemann 
zeichnete  —  denndafürist  die  Zeit  noch  zu  früh  — ,  sondern  eher  in  der  Form  niedriger 
Ornamentalstücke.  — 

Die  Säulen  des  zweiten  Geschosses  stehen  auf  einem  niederen  Stylobat,  dessen 
Form  durch  das  Eph.  Fig.  158  abgebildete  Werkstück  nachgewiesen  ist.  Zwischen 
ihm  und  dem  Hauptgesims  des  ersten  Stockes  habe  ich  einen  Sockel  mit  dem  Eroten- 
fries eingeschoben,  indem  ich  mich  für  die  Lösung  entschied,  die  Niemann  in  seiner 
Fig.  191  angedeutet  hat.  Von  der  Hand  zu  weisen  ist  es  natürlich,  wenn  man 
sich  der  Unterbringung  dieses  Erotenfrieses  dadurch  etwa  entledigen  will,  daß  man 
ihn  dem  hellenistischen  Bau  zuschreibt,  wie  Hermann  Thierse h  i)  vorschlug.  Die 
stilistischen  Merkmale  der  erhaltenen  Skulpturfragmente  sind  deutlich  genug,  um  ein 
solches  Beginnen  auszuschließen.  Leider  ist  die  ausführliche  Beschreibung  und  Wür- 
digung dieses  Frieses  mit  den  übrigen  Skulpturen  einem  der  späteren  Bände  vor- 
behalten worden.  Aber  auch  auf  Grund  der  bisherigen  Veröffentlichungen  können 
wir,  wie  ich  meine,  eine  derart  weite  zeitliche  Verschiebung  ablehnen,  die,  wenn 
verallgemeinert,  für  die  ganze  Datierung  schwankende  Unterlagen  schaffen  würde  ^). 
So  müssen  wir  also  mit  dem  Fries  im  Rahmen  des  Aufbaues  der  römischen  Fassade 
fertig  zu  werden  suchen.  Ich  möchte  dies,  wie  gesagt,  im  Sinne  derNiemannschen, 
Fig.  191  vorgeschlagenen  Ergänzung  tun,  indem  ich  die  Bedenken,  die  er  selbst 
im  Text  gegen  eine  solche  Anordnung  vorbrachte  (Eph.  93)  nicht  zu  teilen  vermag. 
Unter  den  drei  von  ihm  angeführten  Möglichkeiten  scheint  mir  jedenfalls  dies  die 

■)  Gott.   gel.  Anz.  1915,  129  f.  das  wohl  das  Stärkste,  was  bisher  in  dieser  Be- 

»)  Vgl.    auch    V.  Gerkan,    Priene    92:      »Wenn  H.  ziehung  geleistet  worden  ist,  und  übertrifft  auch 

Thiersch    sogar    den    spUtrömischen    Erotenfries  die   übrigen   architektonischen   Unmöglichkeiten, 

dem  hellenistischen  Bau  zuweisen  möchte,  so  ist  die  seine  Besprechung  enthält,  bei  weitem.« 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  tu  Gphesos.  32 1 


wahrscheinlichste;  weder  an  eine  Anordnung  unterhalb  des  Architravs  noch  in  der 
rechteckigen  Nische  ist  ernstlich  zu  denken.  Denn  an  beiden  Plätzen  würde  der 
Fries  jeder  zusammenhängenden  ruhigen  Wirkung  entbehren  und  ohne  Analogie 
dastehen.  Dagegen  finden  sich  für  die  Anordnung  als  Sockel  auch  sonst  noch  Belege. 
Die  Wirkung  ist  zweifellos  in  der  Fig.  191  eine  unnötig  disproportionierte, 
die  aus  den  Maßverhältnissen  an  sich  gar  nicht  hervorgeht.  Der  Stylobat  ist  ziemlich 
niedrig  und  vom  Sockel  durch  ein  energisches  Profil  getrennt.  Dazu  tritt  noch  die 
Überschneidung  durch  das  untere  Gesims,  so  daß  in  der  Höhenausdehnung  kaum 
die  ganze  Gliederfolge  je  als  ein  zusammengehöriges  und  in  seiner  wahren  Größe 
erkennbares  Bauelement  zur  Geltung  kommt.  In  der  Breitenentwicklung  aber  werden 
Niemanns  ästhetische  Bedenken  zum  Teil  behoben,  wenn  man  berücksichtigt,  daß 
ein  Überstehen  des  Sockels  über  die  Plinthe  der  aufsitzenden  Säulen,  obgleich  einem 
natürlichen  Gefühl  entsprungen,  in  römischer  Zeit  nicht  mehr  so  unbedingt  gefordert 
wurde.  Hier  ist  ein  bisweilen  sogar  erhebliches  Einziehen  des  Profils  an  vielen  der 
erhaltenen  Monumente  aus  spätrömischer  Zeit  ganz  geläufig  und  u.  a.  auch  von 
Hülsen  bei  der  Rekonstruktion  des  Nymphäums  zu  Milet  angewendet  worden.  Überdies 
wirkt  in  unserem  Falle  das  Relief  des  Frieses  noch  mit,  um  den  ungewohnten  Eindruck 
abzuschwächen.  Es  trifft  also  nicht  zu,  wenn  Niemann  behauptet,  daß  die  Sockel- 
breite infolge  der  Ausladung  der  Säulenbasen  weit  größer  hätte  sein  müssen,  als  wie 
die  Länge  des  darunter  befindlichen  Gebälkes,  so  daß  dieses  in  unschöner  Weise 
belastet  worden  wäre.  Völlig  unbegründet  sind  die  technischen  Bedenken  Niemanns 
gegen  eine  solche  Lösung.  Wenn  er  aber  meint,  daß  eine  derartige  Sockeleinschiebung 
bei  römischen  Bauten  im  oberen  Geschoß  zweier  aufeinander  freistehender  .Säulen- 
ordnungen nicht  vorkomme,  so  mag  hier  eine  Mitteilung  von  Interesse  sein,  die  ich 
Hubert  Knackfuß  verdanke,  daß  nämlich  beim  Theater  von  Milet  ein  ähnlicher  Fries 
nachgewiesen  ist,  dessen  Unterbringung  gleichfalls  zunächst  auf  Schwierigkeiten 
stieß,  aber  nunmehr  in  derselben  Weise  erklärt  wird  wie  bei  der  Bühnenfassade  von 
Ephesos. 

Schließlich  haben  zu  der  vorliegenden  Wahl  auch  noch  triftige  stilistische 
Überlegungen  geführt.  Dem  Sockel  des  dritten  Geschosses  nämlich  hat  schon  Niemann 
zweifellos  mit  Recht  den  Girlandenfries  zugewiesen.  Außer  diesem  aber  schiebt  sich 
zwischen  die  Systeme  der  zweiten  und  dritten  Ordnung  noch  die  in  ihrer  ansehnlichen 
Höhe  durch,  den  Firstansatz  des  Mittelgiebels  bedingte  Attika;  beide  sind 
in  meiner  noch  zu  begründenden  Rekonstruktion  in  einen  engen  organischen  Zu- 
sammenhang gebracht.  Wenn  nun  auch  das  dritte  Geschoß  wohl  erst  später  auf- 
gesetzt worden  ist,  so  hätten  doch  ohne  das  Vorhandensein  eines  ähnlichen  Sockels 
im  zweiten  Geschoß  die  architektonischen  Massen  hier  nach  dem  Aufbau  ein  solches 
Übergewicht  bekommen,  daß  die  unteren  Geschosse  dagegen  geradezu  schwächlich 
wirken  mußten.  Nach  meinem  Fassadenaufriß  (Beil.  VII)  ist  die  Vorstellung  von 
diesem  Mißverhältnis  leicht  Zugewinnen,  wenn  man  sich  das  Bauglied  des  Erotenfries- 
Sockels  herausdenkt  (oder  z.  B.  in  einer  Pause  wegläßt)  und  die  oberen  Zonen  ent- 
sprechend heranschiebt.  Das  wagrecht  gegliederte  tektonische  Band,  welches  zweite  und 
dritte  Ordnung  trennt,  wäre  in  diesem  Fall  mehr  als  dreimal  so  breit,  wie  die  ent- 


,22  Hans  Höimann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


sprechende  Partie  zwischen  den  zwei  ersten  Geschossen.  Und  wenn  auch  die  Über- 
schneidungen im  dritten  Stock  dieses  Verhältnis  etwas  verändern  mögen,  der  Unter- 
schied bleibt  groß  genug,  um  das  Unerfreuliche  eines  solchen  Aufbaues  zu  erweisen. 
Nach  all  dem  müssen  wir  den  Erotenfries  wohl  an  die  von  mir  gewählte  Stelle  setzen. 
Eine  Kritik  erfordert  auch  Niemanns  Rekonstruktion  der  Ecke  des  Bühnen- 
hauses in  Fig.  171  (Eph.  84).  Erhalten  sind  von  der  Seitenwand  allein  die  beiden 
aufeinanderliegenden  Ecksteine  bei  »A«  (vgl.  auch  Eph.  Fig.  136).  Sie  kennzeichnen 
das  Vorhandensein  einer  Mauer,  gegen  welche  der  Sockel  stieß  und  die  hinter  die 
Flucht  der  Bühnenwand  um  ca.  0,50  m  zurückspringt.  Niemann  läßt  diese  Mauer 
über  dem  Gesims  des  ersten  Stockes  plötzlich  und  unvermittelt  enden  und  das  Gebälk 
des  zweiten  Geschosses  ohne  jede  Brechung  von  dem  ausspringenden  Seitenarchitrav 
der  letzten  Ädikula  auf  die  Bühnenhausmauer  übersetzen ;  alles  nur,  um  für  ein  Wand- 
kapitäl,  wie  er  es  in  seiner  Fig.  125  dargestellt  hat,  Platz  zu  schaffen. 
Diese  Rekonstruktion  des  oberen  Seitengebälkes  sieht  hart  und  unorganisch  aus, 
weil  sie  Elemente  so  verschiedenartiger  tektonischer  Funktion,  wie  Bühnenhaus- 
stirnwand und  Fassadcnädikulain  einer  unnatürlichen  Weise  verschmilzt.  .Sie  ist  aber 
durch  das  von  Niemann  angeführte  Moment  auch  nicht  hinreichend  begründet.  Das 
fragliche  Kapital  Fig.  125  (im  Aufriß  Fig.  122— 124  Eph.)  findet  auf  der  rechten 
Seite  in  dem  einfach  profilierten  Wandkapitäl  »A«  eine  Fortsetzung,  welches  bei 
einer  Breite  von  0,66  cm  am  freien  Ende  eine  gerade  Ansclilußfläche  zeigt.  Setzen 
wir  dieses  Werkstück  an  der  entsprechenden  Stelle  im  Fassadenaufbau  ein,  so  folgt 
daraus  m.  E.  nichts  weiter,  als  daß  der  Rücksprung  der  Mauer,  gegen  welche  der 
Erotenfries- Sockel  stieß  und  die  als  natürliche  Fortsetzung  der  unteren  Mauer  zu 
gelten  liat,  im  zweiten  Geschoß  etwa  65  cm  betrug,  also  ungefähr  15  cm  mehr,  wie  im 
ersten  Stockwerk.  Und  das  Wandkapitäl  lief  sich  an  dieser  Mauer  einfach  mit  stumpfem 
Stoß  tot.  Sein  Zweck  ist  ebenfalls  leicht  erklärlich:  Es  bildete  eine  Art  »Konsole« 
für  das  an  dieser  Stelle  vielleicht  noch  ein  wenig  vorgekröpfte  Gebälk.  Wir  gelangen 
damit  für  die  Ecklösung  am  zweiten  Stockwerk  ganz  von  selbst  zu  einer  dem  Erd- 
geschoß sehr  ähnlichen  Entwicklung,  die  ja  auch  von  vornherein  die  größte  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  hatte.  Seitlich  vorspringende  Rückmauer  und  leichte  Gesims- 
verkröpfung finden  demnach  im  zweiten  Geschoß  ihre  organische  Fortsetzung,  nur 
daß  die  Dimensionen  ein  wenig  verändert  sind. 

Schließlich  bedarf  noch  die  Verteilung  der  Wandädikulen,  soweit  solche  aus 
den  Funden  zu  erschließen  sind,  einer  kurzen  Erläuterung.  Belegt  sind  ein  größeres 
und  ein  kleineres  Paar,  beide  von  fast  quadratischem  Querschnitt.  Der  Platz,  den 
Niemann  dem  größeren  zuweist,  Wandfelder  des  oberen  Geschosses,  kann,  wie  das 
Ergebnis  meiner  Rekonstruktion  zeigt,  dafür  nicht  in  Frage  kommen.  Aber  davon 
abgesehen,  daß  sämtliche  Felder  dort  für  andere  Motive  in  Anspruch  genommen 
werden  müssen,  ist  diese  Zusammenstellung  keineswegs  glücklich.  Die  Ädikula  ver- 
möchte auch  das  schmale  Feld  nur  .schlecht  zu  füllen  und  würde  an  solchem  Ort  eine 
fremde  Note  in  den  Wandschmuck  des  zweiten  Geschosses  tragen.  Ähnlich  verhielte 
es  sich  mit  dem  kleineren  Ädikulenpaar,  das  Niemann  über  den  Türen  im  zweiten 
und  sechsten  Feld  des  Erdgeschosses  unterbringen  wollte.    Dafür  ist  der  Raum  nun 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos.  223 

beinahe  wieder  zu  knapp;  vor  allem  aber  würde  in  diesem  Fall  das  Bedürfnis  vor- 
liegen, eine  entsprechende  Füllung  nun  auch  über  den  äußersten  Türöffnungen  zu 
ergänzen.  Hierfür  ist  keinerlei  Anhalt  gegeben.  Die  Nischen  müßten  an  dieser  Stelle 
schon  ziemlich  groß  sein,  um  den  zur  Verfügung  stehenden  Platz  wirklich  zu  beleben, 
dann  aber  entweder  verhältnismäßig  seicht  oder  überhaupt  als  Fenster  ausgebildet 
—  beides  gleich  unwahrscheinlich  —  und  hätten  der  späteren  Versetzung  der 
Türsturzwand  Schwierigkeiten  bereitet.  Ich  habe  aus  diesem  Grunde  eine  andere 
Verwendung  auch  für  das  zweite  kleinere  Nischenpaar  in  Aussicht  genommen  und 
über  den  drei  mittleren  Türen  lieber  die  Masken  angebracht,  von  welchen  ebenfalls 
Reste  gefunden  wurden.  Über  Art  und  Umfang  einer  etwaigen  Belebung  der  Wand 
oberhalb  der  äußersten  Türen  des  Erdgeschosses  habe  ich  mich  überhaupt  nicht 
ausgesprochen.  In  dem  späteren  Umbaustadium  war  eine  solche  ästhetisch  jedenfalls 
in  keiner  Weise  mehr  nötig;  ob  sie  vorher  bestanden  hatte,  ist  eine  offene  Frage. 
Die  beiden  Nischenpaare  aber  setze  ich  —  das  größere  unten  —  in  der  Rückwand  der 
äußersten  Säulenbaldachine  jeden  Geschosses  ein.  Für  diese  Zuteilung  waren  vier 
Gründe  maßgebend: 

1.  Die  besondere  Breite  der  letzten  gekuppelten  Säuleninterkolumnien  mußte 
wohl  irgendeine  Ursache  haben,  die  mir  u.  a.  mit  der  Annahme  dieses  rückwärtigen 
Wandschmuckes  gegeben  scheint. 

2.  Die  ganze  Fassade  verlangt  gerade  bei  der  starken  Konzentration  der  übrigen 
Motive  nach  einer  kräftigen  Betonung  der  Endpartien.  Ist  diesem  Bedürfnis 
in  der  Bekrönung  durch  die  schwereren  Segmentgiebel  Ausdruck  verliehen, 
so  im  Rahmen  des  Motivschatzes  zur  Füllung  der  Wandfelder  durch  die  zwei 
ädikularen  Nischenpaare. 

3.  Schon  im  Grundriß  erweist  sich  die  von  mir  gewählte  Stelle  besonders  für  die 
größere  in  den  Dimensionen  genau  fixierte  Nische  der  Breite  wie  Tiefe  nach  allein 
als  geeignet.  Eine  Anordnung  über  den  äußersten  Türen  etwa  als  Analogie  zu  der 
Rekonstruktion  Niemanns  in  Bezug  auf  den  Platz  des  kleinen  Nischenpaares 
hätte  infolge  der  geringen  Wandstärken  an  diesen  Stellen  die  unmögliche  Aus- 
legung als  »Fensteröffnungen«  gefordert,  während  sonst  zwischen  den  Pilastern 
bei  genügender  Wandstärke  wieder  die  Breite  nicht  ausgereicht  hätte. 

4.  Proportion  und  absolute  Größe  des  großen  Nischenpaares  stimmen  mit  den 
Frpiädikulen  in  den  großen  Segmentnischen  so  sehr  überein,  daß  es  gewiß  nahe 
lag,  sie  auch  im  Aufbau  irgendwie  miteinander  in  Beziehung  zu  setzen.  In  der 
seitlichen  Zuordnung  ist  eine  solche  nun  von  vornherein  gegeben  und  meiner 
Orthogonalansicht  (Beil.  VTI)  besonders  leicht  abzulesen,  indem  die  vier  Adikulen 
des  Erdgeschosses  bei  meiner  Rekonstruktion  dessen  Fassadengliederung  in  drei 
annähernd  gleichwertige  Abschnitte  teilen  und  sie  jeweils  kräftig  einfassen.  In 
der  Höhenlage  war  es  das  Gegebene,  durch  Brüstungsglcichheit  diese  Bindung 
herbeizuführen.  Aber  auch  in  der  Tiefe  ist  wenigstens  eine  Tendenz  nach  gegen- 
seitiger Beziehung  zu  verspüren,  indem  eine  ideale  Bildebene  in  der  Mitte  zwischen 
beiden  Ädikulapaaren  sich  auszuspannen  scheint,  der  beide  in  gleicher  Weise 
zustreben     das  äußere   Paar   von   der  Wandfluchtfläche   aus   nach   rückwärts. 


324 


Hans  Hönnann,  Die  römische  BUbnenfront  zu  Ephesos. 


das    Säulenädikulenpaar    aber     vom   Grunde    der    Segmentnischen    her    auf 
den  Beschauer  im  Vordergrunde  zu.  — 

Habe  ich  aus  solchen  Erwägungen  heraus  das  große  Ädikulenpaar  an  die  Enden 
der  Bühnenwand  verweisen  zu  müssen  geglaubt,  so  lag  es  nahe,  die  kleineren  in  den 
infolge  Einhaltung  der  unteren  Achsen  ja  ebenfalls  breiteren  Endinterkolumnien  der 
zweiten  Ordnung  anzubringen.  Da  sich  die  Brüstungshöhe  hierbei  nach  dem  Vorgang 
im  Erdgesfchoß  richten  konnte,  war  von  vornherein  dafür  gesorgt,  daß  auch  die  stär- 
keren Überschneidungen  in  dieser  Höhe  den  Blick  in  die  wie  unten  jedenfalls  mit 
Figuren  geschmückten  Nischen  nicht  behindern  sollten.  Im  übrigen  entspricht  die 
kleinere  Ausführung  dieses  oberen  Nischenpaares  ganz  gut  den  allgemein  etwas 
gedämpften  Ausmaßen  und  Proportionen  des  Oberstockes  im  Verhältnis  zum  Charakter 
des  Erdgeschosses. 

Für  die  Attika  nehme  auch  ich  das  Gesimsprofil  Eph.  Fig.  174  in  Anspruch. 
Die  Höhe  mußte  sich  nach  dem  Mittelgiebel  richten,  der  für  keinen  Fall  über  das 
abschließende  oberste  Profil  hinausgeragt  hat.  Vor  den  späteren  Aufbauten  war 
diese  Attika,  an  der  sämtliche  Giebel  stumpf  anliefen,  jedenfalls  gerade  ohne  einzelne 
Vor-  und  Rücksprünge.  Doch  kann  man  sich  die  Erkhärung  der  vorgekröpften  An- 
bauten vielleicht  auch  anders  vorstellen  (vgl.  dazu  den  Anfang  des  folgenden  Kapitels). 

Daß  das  Pfeilerbruchstück  Eph.  Fig.  173-wahrsCheinlich  gar  nicht  zur  Bühnen- 
front gehört,  da  es  verbaut  gefunden  wurde,  habe  ich  schon  erwähnt.  Das  gleiche 
dürfen  wir  aber  auch  von  den  Gewölbsteinen  Eph.  Fig.  172  annehmen,  wenigstens 
insoweit,  als  sie  wohl  nicht  der  Fassade  angehört  haben.  Niemann  hat  das  dritte 
dieser  Werkstücke  zum  Anlaß  genommen,  um  in  seiner  einen  Variante  zwei  Fenster- 
öffnungen anzuordnen.  Solche  passen  aber,  noch  dazu  abgeschlossen  mit  Archivolten 
sehr  schlecht  zum  Charakter  der  Säulenfassade,  wogegen  die  übrigen  Seiten  des  Bühnen- 
hauses sicherlich  derartige  Lichtgaden  besessen  haben.  Bei  den  zwei  anderen  Werk- 
stücken führt  der  Charakter  der  Steinbearbeitung  nach  Niemanns  eigener  Fest- 
stellung eher  auf  die  Zugehörigkeit  zum  hellenistischen  Theatergebäude.  Und  ebenso 
machen  die  Spuren  von  Gittereinsätzen  eine  Verwendung  in  der  Architektur  der 
römischen  scaenae  frons  wenig  wahrscheinlich.  Ich  .schlage  also  vor,  die  beiden 
letztgenannten  Fragmente  auch  fernerhin  bei  der  Rekonstruktion  der  römischen 
Bühne  ganz  aus  dem  Spiel  zu  lassen,  jenes  andere  Werkstück  aber  einer  der  Seiten- 
fassadien  oder  der  Rückfront  des  Bühnenhauses  zuzuweisen. 


Der   Aufbau    des    dritten    Geschosses. 

Zunächst  die  Datierung  !  Ihre  Erörterung  führt  uns  sogleich  mitten  in  eines  der 
wichtigsten  Rekonstruktionsprobleme  am  dritten  Stockwerk  hinein.  So  wie  Nie- 
mann es  in  den  zwei  Varianten  wiedergibt,  erheben  sich  nämlich  sofort  zwei  schwere 
Bedenken  gegen  seine  Ergänzung: 

I.  Das  Zurücksetzen  des  dritten  Stockwerkes  in  der  Weise,  daß  der  massive 
Mauerkern  desselben  (vgl.  Eph.  Fig.  189)  ganz  und  gar  außerhalb  der  natürlichen 
Auflagerfläche  des  Mauerwerkes  der  unteren  Geschosse  fällt,  ist  eine  konstruktiv 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos.  ^25 

höchst  problematische,  ohne  Parallelen  dastehende  und  auch  ästhetisch  wenig 

befriedigende  Lösung. 
2.  Es  fällt  ebenso  stark  aus  dem  Rahmen  aller  sonstigen  Überlieferung,  wenn  die 

Ordnung  dieses  dritten  Geschosses  nicht  einmal  mehr  die  Achsen  der  zwei  unteren 

einhält. 

Zu  I.  ist  zu  bemerken:  Niemann  und  auch  Heberdey-Wilberg  denken  sich 
(vgl.  Eph.  48  und  93)  die  Sache  so,  daß  die  acht  aus  älteren  Werkstücken  auf- 
geführten Pfeiler  im  Saal  »A«  (vgl.  Eph.  Fig.  95  und  189),  die  weder  mit  den  Ver- 
stärkungsmauern noch  dem  unteren  Deckengewölbe  im  Verband  stehen,  dieses 
durchbrechen  und  noch  jetzt  bis  zu  2  m  darüber  emporragen,  für  den  Aufbau  des 
dritten  Stockwerkes  das  erforderliche  Auflager  nach  rückwärts  schufen.  Denn  Niemann 
stellte  in  seinen  beiden  Vorschlägen  das  dritte  Stockwerk  so  auf  die  Bühnenmauer, 
daß  seine  vordersten  Sockelausladungen  mit  der  Attikaflucht  bündig  lagen.  Dabei 
kam  es  ihm  als  Architekt  schon  sonderbar  vor,  daß  die  Stärke  der  unteren  Bühnen- 
mauer geringer  sei,  als  die  Tiefe  des  dritten  Stockwerkes.  Diese  beträgt  ziemlich 
genau  2  m;  die  Bühnenmauer  ist  aber  nur  1,60  m  dick  !  Demnach  kommt  sein  drittes 
Geschoß  mit  einem  erheblichen  Teil,  dem  eigentlichen  Mauerkern,  auf  die  Gewölbe 
des  Bühnenhauses  zu  stehen,  was  er  selbst  nur  unter  der  Voraussetzung  für  möglich 
hielt,  daß  ein  solcher  Aufsatz  ursprünglich  nicht  geplant  war. 

Aber  auch  dann  möchte  man  eine  derart  gezwungene  Annahme  lieber  vermieden 
haben.  Wer  weiß,  wie  ungern  noch  heutzutage  im  Zeitalter  des  Eisenbeton  jeder 
ernste  Baumeister  und  Statiker  trotz  der  ungeahnten  technischen  Möglichkeiten  und 
Konstruktionsmittel  unserer  Zeit  sich  entschließt,  Tragmauern  nicht  auf  ihre  natür- 
liche feste  Unterlage  zu  setzen,  wird  dem  antiken  Bauwerk  gegenüber  mit  der  Vor- 
aussetzung solcher  Konstrtiktionsmethoden  sehr  vorsichtig  und  zurückhaltend  sein. 
Das  Unnatürliche  einer  derartigen  Anordnung  kommt  denn  auch  schon  im  Quer- 
schnitt für  jeden  statisch  Empfindsamen  voll  zur  Geltung.  Ifch  will  nicht  sagen,  daß 
diese  Ergänzung  überhaupt  unmöglich  wäre.  Man  muß  ihr  aber  aus  dem  Wege  gehen, 
sobald  auf  andere  Weise  eine  einwandfreie  Lösung  gefunden  werden  kann.  In  unserem 
Falle  hängt  das  davon  ab,  daß 

1.  die  offensichtlich  später  eingebautenacht  Pfeiler  auch  ohne  diese  Annahme  einen 
vernünftigen  Zweck  erkennen  lassen; 

2.  das  dritte  Geschoß  in  anderer  Weise  in  befriedigenden  Zusammenhang  mit 
seinem  Unterbau  gebracht  werden  kann. 

Auf  Punkt  I  ist  die  Antwort  nicht  schwer.  Heberdey  selbst  gibt  sie  uns  Eph. 
48,  indem  er  sagt:  »  Da  den  acht  Pfeilern  im  Obergeschoß  gleichartige  an  der  West- 
wand entsprechen,  haben  sie  sicherlich,  wie  auch  im  Schnitt  (Eph.  Fig.  96  und  189) 
angenommen.  Gurtbogen  getragen,  auf  denen  Tonnengewölbe  für  die  Decken  der 
oberen  Stockwerke  auflagen.«  Genügt  denn  diese  Zweckbestimmung  nicht  vollauf? 
Aus  der  Existenz  der  Pfeiler  allein  kann  man  also  jedenfalls  nicht  die  Notwendigkeit 
ableiten,  das  dritte  Geschoß  als  derartig  stark  zurückgesetzten  Aufbau  anzunehmen. 
Damit  können  wir  nun  aber  auch  auf  die  eingangs  aufgerollte  Datierungsfrage  eine 
Antwort  geben.    Denn  erst  der,  wie  sich  zeigt,  durchaus  nicht  genügend  motivierte 

Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  i923/"4-  22 


,26  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos. 


konstruktive  Zusammenhang,  in  den  die  frühere  Forschung  die  acht  großen  Pfeiler 
mit  der  Erbauung  des  dritten  Stockwerkes  gebracht  haben  wollte,  gab  Heberdey 
Veranlassung,  diese  ganze  Auf  bauperiode  genauer  zu  datieren.  Drei  Momente  bestimm- 
ten ihn,  den  Bau  des  dritten  Stockwerkes  in  den  Anfang  des  3.  nachchristlichen  Jahr- 
hunderts zu  setzen: 

a)  Durch  den  Einbau  der  Pfeiler  wurden  an  den  Schmalseiten  des  Bühnenhauses 
Türöffnungen  verstellt,  die  erst  um  die  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.  angelegt 
worden  waren. 

Diese  Tatsache  ist  ohne  Belang,  sobald  wir  den  konstruktiven  Zusammenhang 
der  Pfeiler  mit  dem  Aufbau  des  dritten  Stockwerkes  verneint  haben. 

b)  Die  Einbauten  an  den  Enden  des  Erdgeschosses,  die  dem  Umbau  unter  Vedius 
Antoninus  zuzuschreiben  sind,  verwenden  in  den  Sockeln  noch  das  ältere  Ma- 
terial, und  die  Auswechslung  derOrthostaten  hat  die  von  ihnen  verdeckten  Teile 
nicht  betroffen. 

Hier  darf  ich  auf  das  im  i.  Kapitel  (S.  281  unten)  Gesagte  verweisen.  Darüber 
hinaus  sind  wir  nicht  berechtigt,  aus  dieser  Beobachtung  für  die  zeitliche  Festlegung 
unserer  Umbauperiode  Schlüsse  zu  ziehen. 

c)  Eines  der  Ersatzgesimse  des  zweiten  Geschosses  ist  aus  einer  Wandquader 
hergestellt,  die  in  der  früheren  Verwendung  eine  Inschrift  aus  Commodus'  Zeit 
(Eph.  Nr.  20)  trug. 

Zu  c)  ist  zu  bemerken,  daß  es  durchaus  willkürlich  ist,  wenn  Heberdey  die  späteren 
Reparaturen  an  den  Gesimsen  und  Giebeln  des  zweiten  und  Sockeln  des  ersten  Stockes 
mit  dem  Aufbau  des  dritten  Stockwerkes  der  scaenae  frons  in  einen  so  unmittelbaren 
Zusammenhang  bringt. 

Aus  diesen  Darlegungen  geht  das  eine  hervor,  daß  kein  ernstlicher  Anlaß  besteht, 
zwischen  der  Erbauung  der  unteren  Geschosse  und  dem  nachträglichen  Stockwerk- 
aufsatz einen  bedeutenden  Zeitunterschied  anzunehmen,  jedenfalls  nicht  auf  Grund 
exakter  äußerer  Indizien.  Wir  werden  daher  gut  tun,  für  die  Entscheidung  der  Da- 
tierung lediglich  die  stilistischen  Merkmale  gelten  zu  lassen.  Darnach  kann  bei 
der  weitgehenden  Formenmischung  in  der  Gliederung  des  dritten  Stockwerkes  von 
einer  gleichzeitigen  Hochführung  in  unmittelbarem  Anschluß  an  das  zweite  Geschoß 
wohl  auch  nicht  die  Rede  sein.  Dagegen  ist  man  m.  E.  angesichts  der  verschiedenen 
Behandlung  der  Ornamente  und  architektonischen  Gliederungen  auf  dem  richtigen 
Weg,  wenn  man  zwischen  beiden  Bauperioden  einen  zeitlichen  Abstand  von  höchstens 
einhundert  Jahren  annimmt,  wobei  die  Auswechslungsarbeiten  dann  immer  noch  einmal 
siebzig  Jahre  später  stattgefunden  haben  mögen.  Wer  aber  auf  Grund  der  stilistischen 
Beobachtungen  trotzdem  an  dem  bei  Heberdey  angenommenen  Zeitunterschied  fest- 
halten will,  möge  berücksichtigen,  daß  solche  Tatsachen  allein  nicht  immer  den  Mangel 
jeden  technischen  Anhaltspunktes  ersetzen  können. 
Nun  aber  zurück  zur  Rekonstruktion  ! 

Zu  2.  Konnten  wir  feststellen,  daß  die  Existenz  der  acht  Pfeiler  auch  auf  andere 
Weise  eine  befriedigende  Erklärung  findet,  so  müssen  wir  uns  jetzt  noch  fragen,  wie 
die  Stellung  des  dritten  Geschosses  auf  der  Attika  nun  wirklich  gewesen  sein  mag. 


J 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  •127 


Das  Zurücksetzen  habe  ich  aus  konstruktiven  Gründen  abgelehnt.  Es  hätte  auch 
ästhetisch  alles  eher,  denn  glücklich  gewirkt.  Die  Überschneidungen  würden  je  nach 
dem  Standpunkt  so  ungünstig  das  Gesamtbild  beeinflußt  haben  und  der  ganze  Zu- 
sammenhang mit  den  unteren  Stockwerken  wäre  ein  so  loser  gewesen,  daß  der  Aufbau 
auf  den  ersten  Blick  als  ein  dürftiges  Flickwerk  sich  zu  erkennen  gegeben  hätte. 
Solche  Schwächen  dürfen  wir  selbst  einem  Baumeister  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
noch  nicht  zutrauen  ! 

Am  nächsten  läge  ohne  Zweifel,  den  Aufbau  des  dritten  Geschosses  in  der 
Weise  vorzunehmen,  daß  auch  im  Sthnitt  die  durchgehenden  Achslinien  erhalten 
bleiben  und  also  Freistützen  auf  Freistützen  und  Pilaster  wieder  auf  Pilaster  zu 
stehen  kommen.  Diese  Ergänzung,  so  sympathisch  sie  uns  sicherlich  wäre,  verbietet 
sich  jedoch  infolge  der  nachweisbaren  Maße  der  Architravaussprünge  des  dritten 
Stockwerkes,  welche  bedeutend  geringer  sind  als  unten  (1,09  m  gegenüber  1,35  m 
im  zweiten  Geschoß),  und  der  deutlichen  Akroterienreste,  welche  den  aufgefundenen 
Giebeleckstücken  des  zweiten  Geschosses  regelmäßig  angearbeitet  sind.  Ein  un- 
mittelbares Aufsetzen  der  dritten  Ordnung  auf  den  Tabernakeln  des  zweiten  Stockes 
unter  völliger  Beibehaltung  der  Achsen  im  Querschnitt,  etwa  wie  beim  Nymphäum 
zu  Milet,  verbieten  also  die  Funde.  Es  ist  in  der  Regel  auch  nur  dort  denkbar,  wo  die 
Fassade  aus  einem  Guß  entstand  oder  wenigstens  schon  von  vornherein  mit 
dem  Aufsatz  eines  dritten  Stockwerkes  gerechnet  wurde.  Beides  war  in  Ephesos  nicht 
der  Fall! 

Aber  brauchte  denn  damit  wirklich  schon  auf  jede  Achsenbeziehung,  die  zweifellos 
viel  zur  organischen  Verbindung  von  Alt  und  Neu  beitragen  könnte,  verzichtet  zu 
werden.''  Zwischen  dem  gänzlichen  Zurück  hinter  die  untere  Adikulenarchitektur 
und  einem  völligen  Vornebleiben  in  deren  Front  gab  es  doch  vielleicht  noch  einen 
Mittelweg,  in  gleichem  Maße  ästhetisch  wertvoll  wie  statisch  einwandfrei.  Man 
rückte  einfach  so  weit  zurück,  daß  die  Freisäulen  der  dritten  Ordnung  auf  die  Achsen 
der  Wandpilaster  der  ersten  und  zweiten  zu  stehen  kamen. 

Probieren  wir  auch  hier  einmal,  wie  eine  solche  Lösung  im  einzelnen  mit  dem 
Grabungsbefund  und  Baufortgang  zusammenstimmt!  Die  Gesamttiefe  von  Mauer 
und  davorgestellter  Säulenfront  beträgt  nach  den  Grabungsresultaten  3,26  m  in 
jedem  der  beiden  ersten  Stockwerke.  Gerechnet  ist  dieses  Maß  von  der  rückwärtigen 
Flucht  der  Fassadenmauer  bis  zur  Mitte  der  freien  Säulenstellung.  Während  es  sich 
im  Erdgeschoß  auf  die  Stärke  der  Mauer,  den  Pilastervorsprung  und  den  Abstand 
des  Stützenmittelpunktes  von  Pilastervorderflucht  im  Verhältnis  1,75  :  0,36:  1,15 
verteilt,  ist  dieseAusteilung  im  ersten  Stockwerk  mit  1,64  :  0,51  :  1,1 1  nachgewiesen; 
also  ein  Zurückspringen  der  Mauer  des  zweiten  Stockes  gegenüber  der  des  ersten 
um  1 1  cm  !  Die  Fig.  178  Eph.  gibt  für  das  dritte  Stockwerk  die  analogen  Abmessungen. 
.Sie  betragen  0,84  m,  0,10  m  und  0,80  m.  Als  Fixpunkt  bei  der  Aufeinandersetzung  der 
drei  Stockwerke  müssen  wir  nach  dem  Gesagten  jene  Ebene  annehmen,  in  welcher 
die  Wandpfeilerachsen  der  zwei  unteren  und  die  Freistützenachse  des  obersten  Stock- 
werkes liegen.  Genau  genommen  weichen  ja  allerdings  die  Achsen  der  untersten  Pilaster 
von  den  in  dieser  Ebene  befindlichen  Loten  um  3,5  cm  ab,  wenn  wir  die  zwei  ersten 


^28  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  in  Ephesos. 


Stockwerke  mit  ihren  äußersten  Grenzflächen  aufeinander  bündig  setzen.  Das  braucht 
uns  aber  bei  der  Bezugnahme  des  zweiten  und  dritten  Stockwerkes  untereinander  nicht 
weiter  zu  stören.  Gehen  wir  von  dem  genannten  Fixpunkt  aus  zurück,  so  ergibt  sich 
beim  zweiten  Stockwerk  ein  Maß  von  1,64  +  0,25  (die  Abrundung  des  halben  Zenti- 
meters —  vgl.  Eph.  Fig.  146  links  oben  —  im  gleichen  Sinn,  in  dem  die  Verschiebung 
der  Parterreachsen  nachgewiesen  ist,  erscheint  wohl  zulässig!)  =  1,89  m;  beim 
dritten  Stockwerk  ein  solches  von  0,84  +  0,90  =  1,74  m.  Das  bedeutet  nichts  anderes, 
als  daß  nach  den  aus  den  Funden  zu  entnehmenden  Abmessungen  die  Mauer  des 
dritten  Stockwerkes  beim  Aufbau  gegenüber  den  beiden  tieferen  um  15  cm  abgesetzt 
wurde,  eine  Tatsache,  die  den  späteren  Geschoßaufbau  in  einem  jedenfalls  viel  natür- 
licheren Licht  erscheinen  läßt,  als  die  bisherige  Hypothese.  Schon  im  Schnitt  sieht 
ein  solcher  Zusammenhang  der  alten  und  neuen  Mauerteile  wesentlich  günstiger  aus 
und  dürfte  seine  statische  und  praktische  Berechtigung  behalten,  auch  wenn  ein 
unmittelbares  Zurschautreten  dieses  Sockelabsatzes  von  15  cm  durch  das  zunächst 
anschließende  Bühnenhausdach  unmöglich  gewesen  sein  mag. 

Der  Grabungsbefund  bestätigt  also  die  von  mir  vorgeschlagene  Kombination 
in  zwanglosester  Weise.  Nicht  anders  ist  es  mit  der  Erklärung,  die  wir  aus  dem  Bau- 
fortgang für  dieselbe  entnehmen  können:  Daß  bei  der  Annahme  einer  unmittelbar 
aneinanderstoßenden  Bauzeit  des  zweiten  und  dritten  Stockes  die  Emporführung 
des  letzteren  nach  meinem  Vorschlag  keine  Schwierigkeiten  gemacht  hat,  sieht  man 
wohl  ohne  weiteres  ein.  Die  Attika  wurde  eben  mit  den  Verkröpfungen  über  jedem 
Giebelstück  in  einem  Zuge  hochgeführt,  darauf  der  Sockel  der  dritten  Ordnung  usw. 
Nun  haben  wir  aber  gesehen,  daß  wir  trotz  Wegfalls  mehrerer  der  bei  Niemann  ange- 
führten Argumente  um  die  Annahme  eines  gewissen  zeitlichen  Unterschiedes  in 
der  Erbauung  der  zwei  ersten  und  des  dritten  Stockwerkes  doch  nicht  herumkommen. 
Wie  kann  sich  dann  der  Baufortgang  abgespielt  haben }  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  wir 
uns  in  diesem  Fall  die  Attika  über  dem  Hauptgesims  des  zweiten  Stockes  ursprünglich 
wohl  unverkröpft  durchlaufend  vorstellen  müssen.  An  sie  liefen  die  sieben  Giebel 
stumpf  an.  Denn  zur  Anordnung  von  Vorsprüngen  an  dieser  Attika  bestand  zunächst 
gar  keine  Veranlassung.  Das  änderte  sich  jedoch  mit  dem  Aufbau  des  dritten  Ge- 
schosses. Wollte  man  seine  Freisäulen,  wie  ich  annehme,  über  die  Pilaster  der  zweiten 
Ordnung  setzen,  so  erforderte  dies  nicht  nur  beim  Sockel  jenes  dritten  Geschosses, 
sondern  auch  schon  an  der  Attika  die  Anordnung  entsprechender  mäßig  tiefer  Vor- 
bauten, die  als  Auflager  der  Säulenfußpunkte  dienten.  Sie  nun  nachträglich  der  glatten 
Attika  über  jedem  Giebel  anzufügen,  machte  weder  statisch  noch  konstruktiv  Schwie- 
rigkeiten. Ging  doch  ihre  Ausladung  über  die  unteren  Pilastervorsprünge  nur  ganz 
wenig  hinaus  und  war  ein  engerer  Verband  mit  dem  alten  Mauerwerk  bei  der  geringen 
Höhenausdehnung  nicht  von  Bedeutung  !  Das  Herstellen  einer  kleinen  ebenen  Unter- 
lage durch  leichtes  Abnehmen  der  rückwärtigen  Giebelfirste  und  das  Abschlagen 
der  entsprechenden  geraden  Gesimsstücke  an  der  Attika  genügte,  um  die  erforderlichen 
Anbauten  in  handwerklich  einwandfreier  Form  ohne  Schwierigkeit  zu  vollziehen. 
Hatte  man  die  auf  solche  Weise  leicht  zu  gewinnenden  acht  kleinen  Anstückelungen 
an  der  Attika  nur  einmal  fertig,  so  war  damit  die  Unterlage  für  das  Aufsetzen  des 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Kphesos.  320 


neuen  Stockwerkes  nach  jeder  Richtung  vorhanden.  Ich  darf  also  ein  volles  Auf- 
sitzen des  dritten  Geschosses  in  der  Weise,  daß  seine  Freisäulen  auf  die  Pilaster 
des  zweiten  zu  stehen  kamen,  von  allen  Möglichkeiten,  die  durch  Situationen  und 
Überlegung  gegeben  sind,  als  die  allein  wahrscheinliche  bezeichnen. 

Als  zweites  hauptsächlichstes  Bedenken,  welches  man  gegen  die  Niemannscheu 
Ergänzungsvorschläge  hegen  muß,  habe  ich  oben  die  Tatsache  bezeichnet,  daß  es  ganz 
allen  sonstigen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  widerspricht,  wenn  angenommen 
wird,  die  Säulen  der  dritten  Ordnung  hätten  in  der  Frontalansicht  nicht  einmal  mehr 
die  Achsen  der  unteren  Stützen  eingehalten.  Durch  zwei  Umstände  wird  das  Be- 
denkliche dieser  Annahme  bei  Niemanns  Rekonstruktionen  im  Ephesoswerk  allerdings 
etwas  verschleiert  (vgl.  darüber  auch  S.  287).  Niemann  hat  die  Mehrzahl  seiner 
Ergänzungsskizzen  zur  römischen  Bühnenwand  —  eine  Ausnahme  macht  nur  Taf.  VI-  , 
soweit  sie  über  die  Wiedergabe  bloßer  Einzelmotive  mit  durchaus  örtlicher  Begrenzung 
hinausgehen,  in  perspektivischen  Zeichnungen  niedergelegt,  die  in  gleichem  Maße 
durch  die  Sicherheit  der  denStift  führenden  Hand  fesseln,  wie  durch  die  reizvolle  Art, 
mit  der  aus  dem  Gegenstand  malerische  und  graphische  Effekte  herausgeholt  sind. 
Es  war  jedenfalls  seine  Überzeugung,  auf  solche  Weise  sich  am  schnellsten  und  leich- 
testen verständlich  zu  machen.  Daß  freilich  die  beste  perspektivische  Skizze  die 
geometrische  Aufrißzeichnung  nie  entbehrlich  machen  kann,  besonders,  wenn  es  sich 
um  Fassadenrekonstruktionen  handelt,  hätte  er  bedenken  sollen.  Denn  er  täuschte 
sich  vieHeicht  durch  sein  Verfahren  selber  etwas  hinweg  über  die  großen  Schwächen 
der  Achsenanordnung  im  dritten  Geschoß.  Man  mache  nur  einmal  einen  Versuch, 
seine  Abbildungen  Eph.  Taf.  VIII  und  IX  in  Orthogonalprojektion  zu  übertragen  1 
Abgesehen  davon,  daß  sich  sofort  zeigt,  wie  sehr  diese  beiden  Schaubilder  auch 
in  den  einzelnen  Proportionen  von  den  etwa  in  Taf.  VI  auf  Grund  des  Sacli- 
befundes  angenommenen  Verhältnissen  abweichen,  wird  das  Störende,  ja  Unmögliche 
einer  so  freien  Achsverteilung  im  obersten  Geschoß  dadurch  viel  sinnfälliger 
werden.  Man  wende  nicht  dagegen  ein,  eine  Aufrißzeichnung  bedeute  eben  eine  so 
willkürliche  Abstraktion  gegenüber  der  Wirklichkeit,  daß  sie  nicht  als  Maßstab 
dieser  oder  jener  Rekonstruktion  dienen  könne.  Es  ist  allerdings  richtig,  daß  bei 
der  wirklichen  Betrachtung  das  Bild  auch  einer  Fassadenfront  immer  wieder  sich 
verschiebt  und  verändert.  Nun  vermindert  sich  bei  der  Betrachtung  aus  gewisser 
Ferne,  die  doch  hier  die  Regel  bildete,  die  Verschiebung  der  orthogonalen  Lagenbe- 
ziehungen einer  nicht  allzu  tiefen  Fassadenfront  an  sich  sehr  rasch.  Aber  auch 
davon  abgesehen  müssen  wir  der  Orthogonalzeichnung,  wie  es  in  der  Entwurfsarbeit 
des  Architekten  die  Regel  bildet,  in  der  Beurteilung  eines  Bauwerkes  eine  entscheidende 
Bedeutung  beimessen.  Denn  es  ist  eine  dem  Praktiker  geläufige  Erfahrungstatsache, 
daß  die  absoluten  Verhältnisse  und  geometrischen  Abstimmungen  einer  Fassade 
in  ihrem  Aufriß  von  fast  jedem  Standpunkt  aus  entscheidend  mitsprechen 
und  der  empfängliche  Beschauer  bewußt  oder  unbewußt  dem  perspektivischen  Bild 
jene  Momente  außerordentlich  schnell  abliest.  Diese  psychologische  Tatsache,  die  nichts 
zu  tun  hat  mit  jenen  Symptomen  entwicklungsgeschichtlicher  Natur,  welche  bei  dem 
einen  Bauwerk  frontale  Einstellung  des  Beschauers  verlangen,  während  sie  bei  dem 


,,g  Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos. 


anderen  ein  absichtliches  Hinarbeiten  auf  Schrägansichten  und  Verkürzungen  er- 
kennen lassen,  kann  uns  die  Bedeutung  der  Orthogonalansicht  auch  auf  dem  Gebiete 
der  Rekonstruktionen  meines  Erachtens  nicht  hoch  genug  einschätzen  lassen.  Hätte 
es  Niemann  ebenfalls  getan,  so  wäre  er  vielleicht  schon  dadurch  von  der  falschen  Fährte 
abgelenkt  worden. 

In  unserem  Fall  kommt  schließlich  noch  hinzu,  daß  unter  der  Voraussetzung 
einer  Achseneinhaltung  im  Schnitt,  wie  ich  ihre  Notwendigkeit  vorhin  bewiesen  habe, 
eine  derart  freie  Verteilung  der  Säulen  über  die  ganze  Front  schon  mangels  des  nötigen 
Auflagers  unmöglich  gewesen  wäre.  Man  sieht,  es  zieht  eine  Folgerung  die  andere  so- 
fort nach  sich.  — 

Ein  zweites  gleichfalls  schon  früher  erwähntes  Moment,  durch  das  Niemann 
die  UnWahrscheinlichkeit  seiner  Lösung  äußerlich  zu  mildern  suchte,  war  die  Beibe- 
haltung der  fünf  Hauptachsen  der  Fassade  im  3.  Stockwerk  bei  beiden  Varianten. 
Dadurch  bringt  er  eine  scheinbare  Bindung  in  das  System  hinein,  ohne  in  Wahrheit 
an  den  entscheidenden  Punkten  etwas  geändert  zu  haben.  Ich  möchte  sogar 
glauben,  daß  diese  teilweise  Beibehaltung  des  Achsensystems  die  Willkür  der  Stützen- 
verteilung an  den  anderen  Stellen  eher  noch  stärker  hätte  empfinden  lassen.  Niemann 
war  es  selbst  recht  wenig  behaglich  bei  diesem  Rekonstruktionsverfahren  zu  Mute; 
er  suchte  es  gleichsam  zu  rechtfertigen  mit  dem  Hinweis,  daß  die  engere  Säulen- 
stellung den  geringeren  Gebälkmaßen  und  der  hiervon  abhängigen  verminderten 
Säulenhöhe  entsprochen  habe.  Davon  kann  nun  gar  keine  Rede  sein.  Daß  diese 
Dinge  miteinander  im  allgemeinen  wenig  zu  tun  hatten,  zeigt  die  Baugeschichte. 
Denn  an  vielen  Fassaden  der  alten  und  neueren  Architektur  wird  aus  solcher  Ab- 
stufung der  Gebälkdimensionen  die  Niemannsche  Konsequenz  nicht  gezogen,  während 
gerade  da,  wo  tatsächlich  über  die  Achspunkte  der  unteren  Geschosse  in  den  höheren 
Etagen  hinweggegangen  wurde,  z.  B.  bei  Peträischen  Stockwerkgräbern,  die  Ver- 
jüngung der  Geschoßhöhen  nicht  in  entsprechendem  Umfang  stattgefunden  hat. 
Daß  aber  Felsfassaden  überhaupt  diese  Freiheit  sich  erlaubt  haben,  kann  bei  ihrer 
doch  etwas  anderen  Stellung  zu  statischen  Anforderungen  und  Gesetzen  nicht  über- 
raschen. Niemals  dürfen  wir  aus  solchen  Vorbildern  das  Gleiche  für  unsere  Fassade 
ableiten. 

Was  war  aber  nun  der  eigentliche  zwingende  Grund  für  die  Achsenverschiebung, 
dem  Niemann  nicht  glaubte  sich  entziehen  zu  können.'  Die  Eph.  Fig.  177  ab- 
gebildeten Bruchstücke  »A«  —  »G«  lassen  sich  mit  Sicherheit  zu  einem  segmentför- 
migen  Architrav  zwischen  zwei  freitragenden  kürzeren  Stücken  gerader  Gebälkteile 
zusammenfügen.  Dabei  ist  bei  den  Stücken  »D«  und  »E«  die  gerade  Linie  des  Wand- 
anschlusses, wo  die  Steine  mit  einem  Falz  von  0,20  m  Breite  in  die  Hinterwand  der 
Nische  eingriffen,  gut  erhalten  und  durch  ihre  Gesamtlänge  der  Abstand  zwischen 
den  senkrecht  zur  Wand  laufenden  ausspringenden  Architraven  »C«  und  »F«  ziem- 
lich genau  gegeben.  Niemann  maß  ihn  mit  2,175  m  und  errechnete  hieraus  die  Achs- 
weite der  an  den  Enden  der  Rundung  stehenden  Säulen  zu  3, 1 5  m.  Es  wiederholt  sich 
hier,  wie  er  meinte,  ein  Baugedanke  des  unteren  Stockwerkes  in  kleinerem  Maß- 
stab.   Denn  dort  beträgt  die  Achsenweite  der  an  den  Enden  der  Rundung  stehenden 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  's  •?  j 


Säulen  mehr  als  4  m.  Hierin  allein  liegt  der  Sachbefund,  der  Niemann  hinderte,  die 
unteren  Achsen  im  dritten  Stock  beizubehalten.  Es  ist  nun  allerdings  sicher,  daß  das 
beschriebene  Rundarchitravmotiv  sich  auf  der  Mehrzahl  der  unteren  Wandfeldcr 
mit  ihren  Achsenzwischenräumen  von  über  4  m  nicht  aufsetzen  läßt.  Unter  den 
sieben  Wandfeldern  der  unteren  Stockwerke  haben  wir  aber  auch  solche  mit  bedeu- 
tend engerer  Säulenstellung,  nämlich  das  zweite  und  sechste.  Da  das  Eph.  Fig.  182 
abgebildete  Architravbruchstück  auf  mindestens  paarweises  Auftreten  des  Motivs 
hindeutet,  wären  also  an  und  für  sich  diese  beiden  Nischen  wohl  geeignet.  Prüfen  wir 
einmal,  wie  sich  die  Architravmaße  dazu  verhalten  würden!  Die  Achsweite  beträgt 
beim  zweiten  und  sechsten  Feld  nur  3,34  m;  sollte  nicht  vielleicht  hier  eine  Einpassung 
denkbar  sein.''  Eine  Differenz  von  kaum  20  cm  kann  bei  den  sonst  an  der  Bühnen- 
front beobachteten  Unregelmäßigkeiten  m.  E.  nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung 
sein.  Erklärt  doch  Niemann  selbst  beispielsweise  an  dem  Architrav  Eph.  Fig.  143 
der  mittleren  Ordnung  einen  ähnlichen  Unterschied  von  0,25  m  aus  der  Sorglosigkeit 
der  Arbeit.  In  unserem  Fall  kommt  aber  noch  hinzu,  daß  die  Form  der  Werkstücke 
auch  den  Grad  der  Exaktheit  bei  der  Messung  und  Aufnahme  beschränken  mußte. 
Die  Bruchstücke  »D«  und  »E«  sind,  das  zeigt  Eph.  Fig.  177  deutlich,  nicht  unmittel- 
bar aufeinander  gepaßt.  Läßt  auch  der  gerade  Falzrand  eine  erhebliche  Auseinander- 
ziehung kaum  zu,  so  würde  eine  solche,  in  nur  sehr  geringem  Umfang  vorgenommen, 
doch  schon  die  bei  Niemann  errechnete  Differenz  ausgleichen.  Es  wäre  wohl  müßig, 
ohne  den  Steinen  selbst  gegenüberzustehen,  hier  über  das  wirkliche  genaue  Maß  der 
Spannweite  Abschließendes  sagen  zu  wollen.  Festgestellt  muß  aber  werden,  daß  nach 
dieser  Sachlage  eine  Anordnung  des  Segmentbogenmotivs  über  den  Wandfeldern 
»2«  und  »6«  der  unteren  Geschosse,  allein  nach  den  Abmessungen  beurteilt,  auf  jeden 
Fall  möglich  und  zulässig  erscheint.  Denn  daß  die  Säulenpaare  zu  Seiten  der  Nische 
oben  enger  gestellt  worden  wären,  als  es  unten  der  Fall  gewesen  ist,  war  lediglich 
eine  Vermutung  Niemanns,  die  aufrecht  zu  erhalten  nach  meiner  Erklärung  des  Zu- 
sammenhanges kein  Anlaß  mehr  besteht. 

Stilkritisch  nun  hat  die  Einfügung  des  Rundgebälks,  jedenfalls  mit  unterge- 
schobenem Stützenpaar,  an  der  von  mir  vorgeschlagenen  Stelle  zweifellos  manches 
für  sich: 

1.  Können  wir  jetzt  auch  die  übrige  Motivverteilung  im  dritten  Stockwerk  unter 
ausschließlicher  Beibehaltung  der  alten  Achsen  durchführen. 

2.  Werden  dadurch  die  Kombinationsmöglichkeiten  bedeutend  eingeschränkt  und 
wir  trotz  der  Mängel  in  der  Erhaltung  einer  eindeutigen  Rekonstruktion  auch 
dieses  dritten  Gescho.sses  sehr  viel  näher  gebracht. 

3.  Deutet  die  Versetzung  des  Motivs  auf  die  äußeren  Lücken  der  durch  den  Einbau 
im  Erdgeschoß  geschaffenen  Reihe  auf  eine  gewisse  Gesetzmäßigkeit  der  Anord- 
nung hin,  welche  uns  wohl  berechtigt,  nun  auch  im  mittleren  Wandfeld  des 
obersten  Stockwerkes  trotz  Fehlens  entsprechender  Funde  eine  ähnliche  Lösung 
zu  ergänzen.  —  Wir  gelangen  damit  für  das  zweite,  vierte  und  sechste  Wandfeld 
der  dritten  Ordnung  ganz  von  selbst  zu  der  von  mir  gezeichneten  Rekon- 
struktion. 


5^2  Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos. 

Als  Material  für  die  weitere  Motivbildung  stehen  uns  zunächst  noch  die  Ge- 
simsplatten Eph.  Fig.  183  zur  Verfügung.  Niemann  ergänzt  sie  in  zwei  Vorschlägen 
Eph.  Fig.  184  und  185.  Der  erste  hat  wohl  die  größere  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 
Denn  das  Einschalten  eines  längeren  geraden  Gebälkstückes  wirkt  immer  sehr  hart 
in  einem  an  sich  abgerundeten  Nischenzug.  Es  entsteht  dadurch  eine  Nischenform, 
die  man  im  allgemeinen  nach  Möglichkeit  zu  vermeiden  suchte.  Viel  lieber  wurde 
in  solchen  Fällen  zum  Korb-  oder  elliptischen  Bogen  gegriffen,  wie  ich  dies  auch  im 
neuen  Ergänzungsvorschlag  für  das  Mittelmotiv  angenommen  habe.  Ganz  willkürlich 
und  unbegründet  wäre  aber  der  Bogenansatz  unter  60°,  da  doch  stets  der  Viertelkreis 
den  natürlichen  Übergang  zwischen  zwei  zu  einander  senkrechten  Geraden  bildet. 
Entscheiden  wir  uns  also  im  Prinzip  für  die  der  Anordnung  Eph.  Fig.  184  zu  Grunde 
liegende  Idee,  so  dürfen  wir  doch  auch  sie  nicht  kritiklos  hinnehmen.  Niemann  er- 
rechnet die  Achsweite  der  Säulen  »d«  und  »e«,  wie  er  selbst  betont,  nur  annähernd 
zu  etwas  weniger  als  2  m.  Da  das  erhaltene  Bogenstück  von  0,23  m  an  dem  Werkstück 
Eph.  Fig.  183  »A«  nicht  lang  und  auch  nicht  genau  genug  gearbeitet  ist,  um  aus  seiner 
Krümmung  direkt  den  Radius  zu  bestimmen,  erschließt  er  dieses  Maß  aus  der  Ent- 
fernung des  Scheitelpunktes  (b)  von  der  Architravvorderkante  (c),  die  er  als  bekannt 
ansieht,  da  die  Nische,  welcher  das  Gesimsstück  angehörte,  nicht  tiefer  gewesen  sein 
kann,  als  die  segmentförmige  Nische  in  Fig.  177.  Damit  wären,  so  meint  er 
wenigstens,  auch  Radius  und  Nischenweite  gegeben.  In  dieser  Überlegung  kann  ich 
Niemann  nicht  ganz  beistimmen.  An  sich  besteht  zwischen  beiden  Motiven  kein 
engerer  Zusammenhang.  Das  geht  vor  allem  daraus  hervor,  daß  vor  jenem  Segment- 
gebälk die  Rückwand  in  rechteckiger  Einziehung  zurücksprang,  um  das  eingeschobene 
Stützenpaar  aufzunehmen,  während  im  vorliegenden  Fall  die  Wand  auch  nach  Nie- 
manns Annahme  Eph.  Fig.  184  in  gerader  Flucht  durchgeführt  ist.  Dadurch  ergeben 
sich  hier  und  dort  verschiedene,  wenn  auch  in  Rücksicht  auf  die  Gesamtwirkung 
wohl  nicht  sehr  stark  von  einander  abweichende  Tiefenverhältnisse.  Freilich  kann  die 
Differenz,  wie  ein  Blick  auf  Fig.  178  lehrt,  kaum  von  Bedeutung  gewesen  sein. 
Ein  Trugschluß  ist  es  aber,  wenn  Niemann  aus  der  Entfernung  (b) — (c)  (Eph. 
Fig.  184),  sowie  dem  Ansatzpunkt  und  Ansatzwinkel  des  kleinen  Bogenstückchens 
bei  »A<(  den  Radius  bestimmen  zu  können  glaubt,  wo  er  doch  selbst  sagt,  daß  die 
Anhaltspunkte  zur  Messung  der  Krümmung  nicht  genügen.  Es  steht  ja  damit  auch  gar 
nicht  fest,  ob  diese  an  allen  Stellen  überhaupt  gleich  gewesen  ist  und  bleibt  außer 
der  Annahme  eines  Kreissegmentbogens  ebenso  auch  die  einer  elliptischen  Rundung 
offen.  Lag  nur  eine  kleine  Abweichung  der  Kurve  von  der  reinen  Kreisbogenlinie 
m  diesem  Sinne  vor,  so  genügte  es,  um  die  Achsweite  gleich  um  mehrere  Dezimeter 
zu  vergrößern.  Wir  haben  für  die  Ergänzung  also  in  dieser  Hinsicht  zum  mindesten 
einen  Spielraum  von  1,90  bis  2,50  m.  Solcher  Motivbildungen  gab  es,  da  drei  Eck- 
stücke vorhanden  sind,  wenigstens  zwei.  Nachdem  die  geringe  Achsweite  keines- 
falls ein  Einschieben  von  Zwischenstützen  notwendig  machte,  bestand  auch  kaum  ein 
Anlaß  zur  Ausbildung  eines  Mauerrücksprunges  an  dieser  Stelle.  Das  hat  Niemann 
in  seiner  Fig.  184  schon  in  zutreffender  Weise  berücksichtigt.  Damit  aber  eignet 
sich  das  Motiv  nicht  nur  zur  Einfügung  an  der  Stelle  von  Wandfeldern,  sondern  auch 


Hans  Hörmanu,  Die  römische  Btthnenfront  tu  Ephesos.  2  5  3 


gleichermaßen  über  irgend  einem  der  gekuppelten  Architrave  der  unteren  Geschosse. 
Erstere  mit  ihren  Achsweiten  von  über  vier  Metern  kommen  nach  der  entwickelten 
Maßberechnung  hier  auch  gar  nicht  in  Frage.  Dagegen  liegt  es  nahe,  über  den  beiden 
großen  Segmentgiebeln  an  den  Flügeln,  wo  ja  durch  die  nunmehr  ermöglichte  Beibe- 
haltung der  Achsen  ebenfalls  weitere  Interkolumnien  sich  ergeben,  eine  besondere 
Architravführung  anzunehmen.  Würde  bei  den  schlankeren  und  feineren  Gesamt- 
proportionen doch  ein  gerades  Gebälk  hier  leicht  zu  einem  unnatürlich  gespreizten 
Eindruck  der  gekuppelten  Säulenmotive  führen.  Eine  Ergänzung  in  Form  der  gleich- 
falls nachgewiesenen  detachierten  Säulen  an  diesen  Plätzen  sähe  aber  nicht  weniger 
dürftig  und  schwächlich  aus.  Berücksichtigen  wir  andererseits,  wie  gut  nach  dem 
Gesagten  dieses  Rundmotiv  in  den  Maßen  bei  einer  Achsweite  von  2,35  m  an  diese 
Stelle  paßt,  so  kann  kaum  mehr  ein  Zweifel  sein,  daß  wir  es  den  beiden  Flügel- 
tabernakeln zuzuweisen  haben. 

Erübrigt  noch  die  Unterbringung  des  Motivs  der  »detachierten«  Säulen,  nach 
dem  Werkstück  Eph.  Fig.  183  »D«  schon  von  Niemann  in  Fig.  187  richtig  er- 
gänzt und  zweifellos  in  symmetrischer  Wiederholung  anzunehmen  !  Da  wir  ohne  Grund 
über  die  durch  die  Funde  bedingte  Anzahl  des  Auftretens  eines  solchen  Motivs  nicht 
hinausgehen  sollen,  habe  ich  die  zwei  detachierten  Säulen  zu  beiden  Seiten  des  Mittel- 
wandfeldes angeordnet.  Hier  ist  die  besondere  Komposition  immerhin  durch  die 
größere  Länge  des  mittleren  Rundarchitravs  berechtigt,  ohne  daß  man  ihre  Wieder- 
holung neben  den  beiden  anderen  Rundarchitraven  annehmen  müßte.  Auch  ist  ihr 
Auftreten  an  solchem  Platz  durch  Analogien  wie  am  Theater  zu  Milet  und  an  afri- 
kanischen Monumenten  belegt.  Wollte  man  die  detachierten  Säulen  etwa  den  Flü- 
geln zuweisen  wie  amNymphäumzu  Milet,  so  müßten  i.  vier  solcher  Säulen  angenom- 
men werden,  was,  da  in  den  Funden  nicht  begründet,  besser  unterbleibt;  2.  müßte 
das  dort  von  mir  angeordnete  Motiv  nach  der  Mitte  rücken.  Hier  würde  es  aber  außer- 
ordentlich gepreßt  und  neben  dem  ziemlich  weit  gespannten  Mittelbogen  nichts  we- 
niger als  harmonisch  wirken.  — 

Damit  hotfe  ich  gezeigt  zu  haben,  daß  wir  auch  bei  dem  scheinbar  so  spärlich 
überlieferten  und  von  Niemann  nur  nach  der  Phantasie  rekonstruierten  dritten  Stock- 
werk zu  einem,  wenn  nicht  in  allen  Einzelheiten  gesicherten,  so  doch  in  den  wesent- 
lichen Zügen  der  Gliederung  archäologisch  wohl  begründeten  Wiederherstellungs- 
resultat gelangen  können.  Sehr  zurückgehalten  habe  ich  mich  absichtlich  in  der  Aus- 
schmückung dieses  auf  solche  Weise  rekonstruierten  dritten  Stockwerkes.  Daß  auch 
hier  etwa  in  den  Flügelinterkolumnien  sowie  dem  zweiten,  vierten  und  sechsten  Wand- 
feld Statuenschmuck  Platz  gefunden  hat,  ist  wohl  zu  vermuten.  Es  scheint  mir  aber 
wenig  empfehlenswert,  ohne  reale  Unterlagen  hierüber  exakte  Angaben  zu  machen. 
Ebenso  kann  in  den  neutraleren  Wandfeldern  »eins«,  »drei«,  »fünf«  und  »sieben« 
irgendeine  dekorative  Belebung  architektonischer,  plastischer  oder  farbiger  Natur 
(man  darf  vielleicht  an  ein  Bas-Relief  oder  eine  Marmorinkrustation  denken)  Platz 
gefunden  haben,  jedenfalls  aber  so  diskret,  daß  der  Charakter  jener  Stellen  als  un- 
betonter »Silben«  zwischen  den  drei  anderen  synkopischen  und  scharf  akzentuierten 
in  der  Reihe  dieses  architektonischen  Metron  nicht  verwischt  wurde. 


-- .  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos. 


Abzulehnen  ist  der  Gedanke,  als  ob  in  den  in  meiner  Rekonstruktion  leer  ge- 
lassenen Wandflächen  Fenster  oder  gar  größere  Durchbrüche  der  Mauer  vorhanden 
gewesen  sein  könnten,  was  Niemann  nach  der  Form  des  Pilasterkapitäls  »N«  in  Fig.  178 
für  möglich  halten  möchte.  Eine  Durchbrechung  der  Mauer  und  Anordnung  freiste- 
hender Pfeiler,  wie  bei  »M«  in  Fig.  178,  sodaß  gleichsam  eine  »luftige  Attika« 
als  Gesamteindruck  des  Geschoßaufbaus  entstanden  wäre,  würde  dem  Charakter 
dieser  stets  fassadenmäßig  an  eine  Rückwand  angelehnten  Prunkbauten  zuwider- 
laufen und  ohne  jede  Analogie  aus  dem  Kreis  der  bisher  nachgewiesenen  Aufbau- 
formen bleiben.  Es  ist  doch  wohl  so,  daß  dieses  Vollkapitäl  von  0,88  m  Breite  an  das 
Ende  der  Bühnenwand  zu  verweisen  ist  (s.  Eph.  Fig.  171  bei  »D«),  wo  ja  eine  vor- 
springende Bühnenhausmauer,  an  welcher  die  Profile  hätten  anlaufen  müssen,  wie 
bei  den  zwei  unteren  Geschossen,  nicht  mehr  vorlag. 

Den  vielfach  verkröpften  Sockel  mit  Girlandenfries  habe  ich  gleich  Niemann 
unter  der  dritten  Ordnung  angebracht.  Er  vermittelt  dort  zwanglos  zwischen  ihr  und 
der  Attika.  In  der  Orthogonalansicht  mag  vielleicht  dadurch  das  massive  Mauerband, 
welches  zwischen  die  zwei  oberen  Ordnungen  sich  einschiebt,  etwas  breit  und  schwer 
erscheinen.  Man  darf  aber  nicht  vergessen,  daß  die  weit  vorspringenden  Giebel  und 
zumal  der  große  Mittelgiebel  eine  so  starke  Überschneidung  der  Attika  in  der  per- 
spektivischen Ansicht  zur  Folge  haben,  daß  der  Eindruck  in  Wirklichkeit  ein  wesent- 
lich anderer  war.  Abgesehen  von  dem  für  die  Attika  in  Anspruch  genommenen 
Gesimsprofil  Eph.  Fig.  174,  das  ja  wohl  auch  anderswo  unterzubringen  wäre,  ist  aus 
diesem  Grunde  ihre  Einfügung  nicht  zu  entbehren.  Es  widerspräche  der  sonst  zu 
beobachtenden  Übung,  wollte  man  hier  ein  freies  Überstehen  der  Giebel  vor  dem  Auf- 
bau des  dl  itten  Stockes  annehmen.  Daß  ein  Hinlaufen  des  Frieses  an  der  Attika  selbst 
nicht  in  Frage  kommt,  hat  Niemann  Eph.  91  unten  schon  nachgewiesen.  Denn  der 
Fries  hat,  nach  dem  Eph.  Fig.  188  abgebildeten  Bruchstück  zu  schließen,  als  Sockel 
die  Bewegung  einer  vor  die  Wand  heraustretenden  Einzelsäule  mitgemacht.  Das  traf 
jedenfalls  in  erster  Linie  unterhalb  der  »detachierten«  Säulen  zu.  Dort  hätte  aber 
ohne  Einschub  der  ungeschmückten  Attika  der  einspringende  Giebel  dieses  ganze 
Motiv  so  weitgehend  verschluckt  und  verstümmelt,  daß  die  Wirkung  eine  höchst 
unvorteilhafte  gewesen  wäre.  Die  Sockelverkröpfung  würde  hier  gar  keinen  archi- 
tektonischen Sinn  gehabt  und  überdies  zur  Ausbildung  mehrerer  technisch  recht  be- 
denklicher Wasserwinkel  geführt  haben,  die  erst  wieder  besondere  Vorkehrungen 
zu  ihrer  Trockenhaltung  erfordert  hätten.  Auch  an  den  übrigen  Stellen  wäre  der  Zu- 
sammenhang des  Frieses  alle  Augenblicke  störend  unterbrochen  worden  und  das  ganze 
dritte  Geschoß  schließlich  hinter  dem  Unterbau  derart  versunken,  daß  es  beinahe 
zwergenhaft  und  jedenfalls  sehr  unorganisch  gewirkt  hätte.  Das  Aufsetzen  des 
Frieses  auf  der  Attika  war  also  unter  den  Möglichkeiten,  die  dem  Re- 
konstrukteur  rein  äußerlich  zur  Wahl  standen,  die  ästhetisch  und  konstruktiv  allein 
vertretbare.  Der  Sockel  macht  die  Bewegung  der  gekuppelten  Säulenpaare  in  gerader 
Linie  soweit  mit,  als  die  Schaffung  des  notwendigen  Säulenauflagers  es  erfordert. 
Welche  Ergänzungen  dadurch  gelegentlich  des  Stockwerkaufbaues  an  der  Attika 
nötig  wurden,  habe  ich  schon  oben  erwähnt.    Eine  Verkröpfung  darüber  hinaus  ist 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos.  t-sc 

bei  dem  Sockel  nur  vor  den  »detachierten«  Säulen  angenommen,  wo  ja  die  Funde  ihre 
Existenz  bezeugen.  Nicht  ausgedehnt  habe  ich  sie  dagegen  auf  die  Flügelsäulenpaare. 
Dort  bestand  weder  nach  den  Fundstücken  noch  nach  der  Gebälkführung  und  Weite 
des  Säulenzwischenraumes  ein  Anlaß  dazu.  Vor  allem  würde  eine  Verkröpfung  hier 
das  Einstellen  irgendwelcher  Freiplastik  unmöglich  machen,  die  man  an  diesen 
Funkten  nach  der  besonderen  Interkolumnienweite  (Ädikulanischcn,  wie  in  den 
darunter  befindlichen  Feldern,  hätten  in  jener  Höhe  keine  Wirkung  mehr  erzielt) 
und  betonten  Lage  auf  den  Flügeln  der  Fassade  gerne  voraussetzen  würde. 

Zuletzt  noch  ein  Wort  über  die  obere  Begrenzung  des  dritten  Geschosses  !  Ich 
glaubte  hier  nicht  gegenüber  Niemanns  Vorschlägen  irgendwelche  Änderungen  oder 
Zusätze  machen  zu  sollen.  Es  schließt  daher  auch  bei  mir  mit  dem  wagrecht  laufenden 
Hauptgesims  ab.  Verblieb  doch  der  eigentliche  organische  Abschluß  der  Fassade  in 
ihrer  einheitlichen  Komposition  nach  wie  vor  oberhalb  des  zweiten  Stockwerkes  ! 
Das  dritte  Geschoß  konnte  und  wollte  demgegenüber  seinen  Charakter  als  spätere 
Zutat  nicht  verleugnen.  Es  wäre  eine  Abschwächung  der  krönenden  Wirkung  seiner 
Gesamtanlage  gewesen,  hätte  man  ihm  nun  für  sich  noch  einmal  eine  Folge  von  Gie- 
belabschlüssen gegeben,  die  doch  neben  den  größeren  Dimensionen  des  zweiten 
Stockwerkes  immer  zierlich  und  schwächlich  ausgesehen  haben  würden.  So  hat  denn 
der  horizontale  Gesimsabschluß  hier  wohl  seine  Berechtigung:  er  hebt  das  letzte 
Stockwerk  in  der  Gesamtheit  heraus  gegenüber  den  älteren  Teilen  der  Fassade  und 
unterstreicht  seine  Funktion  als  glänzendes  und  großzügiges  Krönungsmotiv.  Und 
selbst,  wenn  das  ganze  Bauwerk  aus  einem  Guß  wäre,  würden  dieser  Ergänzung  — 
man  denke  an  das  Nymphäum  von  Milet  !  —  die  Vorbilder  nicht  mangeln,  weil  der 
Schwerpunkt  eben  auch  dann  bisweilen  gerne  auf  die  Betonung  des  abschließenden 
Charakters  des  Gesamtstockwerkes  im  Rahmen  der  mehrgeschossigen  Fassaden- 
komposition gelegt  zu  werden  pflegte  •). 

Damit  sind  alle  Punkte  besprochen,  in  welchen  mein  neuer  Rekonstruktions- 
vorschlag für  die  römische  Bühnenfassade  zu  Ephesos  von  den  bisherigen  Versuchen 
abweicht.  Im  Resultat  kann  er  jedenfalls  für  sich  in  Anspruch  nehmen,  erschöpfender 
und  bestimmter  zu  sein  als  die  Ergebnisse  der  früheren  Untersuchung.  Wenn  es  mir  ge- 
lungen ist,  auch  den  Nachweis  für  seine  wissenschaftliche  Berechtigung  in  überzeu- 
gender Weise  zu  führen,  dann  ist  der  Zweck  dieser  Zeilen  erfüllt.  Bleibt  aber  ein 
Rest,  so  teilt  meine  Arbeit  die  Unvollkommenheit  aller  menschlichen  Forschung. 

IV. 
DIE  STELLUNG  DER  EPHESISCHEN  BÜHNENFRONT  IM  KREISE  DER  ZEIT- 
GENÖSSISCHEN FASSADENARCHITEKTUR. 

Nun  noch  eine  kurze  stilistische  Würdigung  der  neuen  Rekonstruktionsergeb- 
nisse !     Nicht  zu  erwarten  hat  der  Leser  hier  eine  systematische  entwicklungsge- 

')  Vgl.    hierzu    auch    Dombart,     Das    Palatinische      Abschlüsse    für    die   Prunkfassaden    geradezu    als 
Septizonium    5,  wo  solche    horizontalen    oberen       Regel  angeführt  werden. 


336 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 


schichtliche  Darstellung.  Sie  bedürfte  der  Grundlage  eines  sehr  viel  reicheren  Mate- 
rials und  mag  vielleicht  einmal  anfallen  als  Blüte  und  Letztes  einer  gründlichen  Un- 
tersuchung über  das  gesamte  Fassadenproblem.  Im  Rahmen  meiner  monographischen 
Arbeit  aber  kann  es  sich  nur  um  einen  bescheidenen  Versuch  handeln,  den  allgemeinen 
Zusammenhang  zu  umreißen,  in  den  unsere  Bühnenfront  auf  Grund  des  neuen  Wie- 
derherstellungsresultates  einzureihen  ist. 

Daß  man  sich  dabei  heutzutage  nicht  mehr  auf  das  Theater  allein  stützen  darf, 
auch  wenn  lediglich  im  Anschluß  an  eine  Einzeluntersuchung  ein  besserer  Standpunkt 
für  die  stilkritische  Beurteilung  erstrebt  wird,  hat  v.  Gerkan  in  dem  schon  zitierten 
Priene-Werk ')  betont.  Es  treten  neben  die  Bühnenfronten  vor  allem  Fassadenbildun- 
gen an  Nymphäen,  die  bisweilen  durch  die  Ähnlichkeit  charakteristischer  Züge  im 
Aufbau  geradezu  überraschen;  dann  aber  auch  Tore,  Bibliotheken,  kurz  Vertreter 
fast  aller  baulichen  Typen,  die  das  Bild  der  hellenistisch-römischen  Stadtanlagen, 
soweit  es  uns  heutzutage  bekannt  geworden  ist,  beleben.  In  der  Tat  bestehen 
zwischen  diesen  Gruppen  innere  Stilzusammenhänge.  Darüber  finden  sich  auch  sonst 
in  der  Literatur  gelegentlich  Hinweise,  allerdings  zumeist  in  dürftiger  Form;  seltener 
in  kurzen  entwicklungsgeschichtlichen  Ausblicken  im  Anschluß  an  die  ausführliche 
monographische  Behandlung  eines  bedeutsamen  Denkmals  2). 

Mit  am  frühesten  hat  Petersen  bei  der  Beschreibung  des  Nymphäums  von 
Side  3)  auf  die  verwandten  Züge  in  den  Prunkfassaden  der  großen  römischen  Wasser- 
schlösser mit  den  scaenarum  frontes  hingewiesen  4).  Schließlich  tut  es  auch  Wiegand  5), 
indem  er  besonders  die  Bühne  des  großen  Theaters  zu  Pompei  nach  Koldeweys  Grund- 
riß mit  der  Nymphäumfassade  vergleicht,  die  uns  auf  der  Münze  des  Septimius  Se- 
verus  von  Adrianopol  erhalten  ist*).  —  Auch  das  Ziel  der  gegenwärtigen  Erörterung 
dürfte  hinlänglich  erreicht  werden,  wenn  wir  im  Material  uns  im  wesentlichen  auf 
Theater-  und  Nymphäen-Fassaden  zur  Illustration  der  künstlerischen  Atmosphäre 
unseres  Rekonstruktionsversuches  konzentrieren. 

Die  örtliche  Abgrenzung  dürfen  wir  nicht  zu  knapp  fassen,  da  sich  gerade  aus 
der  Kenntnis  von  der  weiten  Verbreitung  beider  Typen  die  wichtigsten  Gesichts- 
punkte für  die  Einfügung  unserer  Bühnenfront  an  richtiger  Stelle  ergeben.  Das  Gleiche 
gilt  zeitlich.  Der  Begriff  des  »Zeitgenössischen«  kann  hier  nur  in  einem  weiteren 
Sinn  verstanden  werden,  insofern  es  sich  eben  durchweg  um  Neu-  oder  Umbauten 
aus  der  Kaiserzeit  handeln  wird,  für  die  als  unterer  Abschluß  etwa  das  Ende  des 
zweiten  Jahrhunderts  zu  gelten  hat. 

Bei  der  Auswahl  der  zum  Vergleich  heranzuziehenden  Denkmäler  ist  in  Ansehung 
des  besonderen  Zweckes  Beschränkung  in  mehrfacher  Richtung  geboten: 

')  a.a.O.  112.  3)  Lanckoronski,  Reisen  in  Paraphylien  und  Pisidien, 
')   So  Wiegand  über  Nymphäen  in  der  mustergültigen  Bd.  I  44  ff. 

Publikation  des  Nymphäums  von  Milet ;  v.  Gerkan  4)  Vgl.     Chr.  Hülsen,     46.  Berliner  Winckelraanns- 

über    Theater    im     Pricne-Buch,     Wulzinger    in  Programm  33. 

einem     auf     Kohls     Untersuchungen     fußenden  5)  Zur   Entwicklung   der   antiken  Brunnenarchitek- 

Aufsatz  über  die  Felsfassaden  von  Petra;  in  etwas  tur,  a.  a.  O.  84  fl. 

anderem   Zusammenhang   Fiechter   in   der   bau-  ')  J.  Sieveking,    R.    M.  XXI    1906, 93  Abb.  3. 

geschichtlichen  Studie  über  das  antike  Theater. 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  tu  Ephesos. 


337 


2. 


3- 


4. 


I.  führe  ich  nur  solche  Fassaden  an,  die  in  ihrer  Erhaltung  oder  Wiederherstellung 
einige  Anhaltspunkte  für  sicheres  Arbeiten  gewähren. 

muß  ich  das  Material  auch,  insoweit  es  ergänzt  ist,  als  gegeben  hinnehmen  und 
eine  vorherige  Nachprüfung  der  Rekonstruktionen  auf  ihre  wissenschaftliche 
Zuverlässigkeit  mir  versagen'.  Ich  hoffe  dabei  allerdings,  dieses  Versäumnis  in 
anderem  Zusammenhang  einmal  nachholen  zu  können. 

wird  sich  der  Vergleich  im  allgemeinen  auf  die  Erdgeschoßgrundrisse  als  den 
für  die  Beurteilung  der  Gesamtanlage  ergiebigsten  Teil  beschränken  und  nur  aus- 
nahmsweise auch  den  Aufbau  der  einzelnen  Obergeschosse  mit  in  Betracht 
ziehen  können. 

kann  es  sich  nur  um  die  Heraushebung  der  wichtigsten  Vergleichspunkte  handeln, 
soweit  sie  eben  für  die  Einordnung  unserer  Ephesos-Front  ausschlaggebend 
erscheinen. 

In  diesem  Sinne  kommen  als  Vergleichsobjekte  in  Betracht: 
Im    Osten:   Die  Bühnenfassaden  von  Aizanoi '),   Patara  2),    Priene  3),   Ther- 
messos 4),  Sagalassos  5),  Aspendos  '),  Bosra  7),  Es'-Suhba  *),  Gerasa  9);  die  Nymphäen 
zu  Milet  1°),  Aspendos"),   Side  ")^  Es'-Suhba 's),  Es'-Suhweda  m),  Aman '5). 

In  Griechenland:  Das  Herodes  Attikus-Theater  zu  Athen  '^)  und  die  Exedra 
des  Herodes  Attikus  in  Olympia  '7). 

Im  Westen:  Die  Bühnenfronten  zu  Pompei  '^),  Herkulanum  '?),  Ferentum  2"), 
Segesta-'),  Syrakus ''),  Taormina  ^3),  Arles'4)  und  Orange  25);  das  Septizonium  in 
Rom  2^). 

In  Afrika:  Die  Theater  zu  Dschemila  ^7),  Dugga  2*),  Khamissa  ^9)  und  das 
Septizonium  zu  Lambaesis  3»). 


')  Taxier,  descr.  de  l'Asie  mineure,    Bd.  I  pl.  41  (i. 
»)  Texier,  a.  a.  O.  HI  pl.  181—184. 

3)  V.  Gerkan,  a.  a.  O.  83  ff.  Abb.  9 — 10. 

4)  Lanckoronski,  Städte  Pamphyliens  und  Pisidiens, 
Bd.  II  92  ff.  Taf.  X— XIII. 

!)  Lanckoronski  a.   a.  0.    II  152  ff.,    Taf.  XXVI— 

XXX. 
')  Lanckoronski   a.  a.  O.    I  91  u.  102  ff.,    Taf.  XX— 

XXVI;  Texier  a.  a.  O.   III  pl.  232—241. 
7)  De  Vogü6,   Syrie    centrale,  pl.  5;  Brünnow  und 

V.  Domascewski,     Provincia     Arabia    III    47  ff., 

Taf.  50/51,  Fig.  928—963. 
*)  Brünnow  etc.  III  i69ff.,  Taf.  52,  Fig.  1059 — 1067. 
9)  Fiechter  a.  a.  O.  96,  Abb.  95. 
■")  Milet,  Ergeb.  d.  Ausgrab.  u.  Unters.,    Bd.  I  H.  5 
")  Lanckoronski  a.  a.  O.  I  98  ff.,  Taf.  18/19. 
")  Lanckoronski     a.  a.  O.    I   139  ff.,      Taf.   XXX 

—XXXI. 
■:!)  Butler,  Arch.  and  other    arts    82  ff.,    Fig.  133. 
M)  u.  '5)  Bisher.  Aufn.  mangelhaft;  Amtl.  Publ.  d. 

Puchstein-Exped.  steht  noch  aus. 
»')  Versakis,   Eph.   arch.     1912,     161  ff.,     Taf.    VIII 

— XIL 


■7)  Olympia,    Erg.    II    134«.,    Taf.  83— 85. 
i8)Fiechter  a.a.O.  76ff.,  Abb.  68;   v.  Gerkan  a.a.O. 

104  ff. 
'!»)  Mazois,  Les  ruines  de   Pompei    IV      pl- 35 — 4'> 

Mau,  Pompei    540  ff.,  Fig.  297 — 298. 
")Galli,  Boll.  d'arte    V  1911,  213«. 
^')  Puchstein,    griech.   Bühne     iio  ff.;      v.   Gerkan 

a.  a.  0.  106  ff. 
")Drerup,    A.   M.     XXVI   1901,  9  «•;    Ri^'o,    II 

teatro  greco  di   Siracusa,  Milano  1923. 
«3)  Fiechter  a.  a.  O.  86,  Abb.  76. 
^4)  Fiechter  a.  a.  0.  86  f.,  Abb.  77. 
^5)  Caristie,  Mon.  ant.  ä  Orange,  pl.  33 — 50. 
'•i)  Dombart,    Das    palat.     Septizonium    zu     Rom, 

München  1922. 
=")GselI,    Mon.   ant.   de   l'Alg^rie  I    186  ff.,   Fig.  6r, 

pl.  44—45. 
28)  Carton,  Le  th^atre  Rom.  de  Dougga,  Paris  1902, 

pl.  II— in. 
29)Gsell    a.a.O.     I      189  ff.,      Fig.  62,     pl.  46— 47; 

Arch.   Anz.     1901,     76,  Abb.  5  und  191 1,     267  ff., 

Abb.  15 — 16. 
3")  Renier,      Archives     des     missions     scient.     I!I 


^^g  .        Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos. 


Daß  die  genannten  Fassadenanlagen  bei  aller  grundsätzlichen  Verwandtschaft 
schon  in  der  Gesamtkomposition  starke  Unterschiede  aufzuweisen  haben,  ist  von  Wie- 
gand,  Fiechter  und  Dombart  bereits  empfunden  und  gelegentlich  ausgesprochen  wor- 
den. Dabei  ist  es  eine  noch  nicht  geklärte  Frage,  wie  weit  sich  eigentlich  gerade  ört- 
liche Abgrenzungen  für  die  einzelnen  Haupttypen  einführen  lassen.  Den  am  meisten 
in  die  Augen  springenden  Unterschied,  der  die  in  Frage  kommenden  Fassaden  schon 
bei  oberflächlicher  Betrachtung  in  zwei  Klassen  scheidet,  hat  unlängst  Dombart  ■) 
klar  formuliert.  Seine  Klassifizierung  ist  ohne  Zweifel  brauchbar.  Sie  läuft  darauf 
hinaus,  daß  man  im  ersten  Fall  als  das  Primäre  die  gerade  Wandfläche  ansieht,  die 
dann  durch  den  üblichen  Apparat  von  Tabernakeln  etc.  gegliedert  und  belebt  wird. 
Im  zweiten  Fall  aber  die  Nischen  selbst,  die,  sofern  sie  in  der  Mehrzahl  auftreten, 
durch  kurze  gerade  Wandstücke  untereinander  verbunden  werden,  wodurch  dann  oft 
die  ganze  Front  in  Schwingung  versetzt  erscheint.  Es  ist  also  der  gleiche  Unterschied, 
wie  ihn  schon  Fiechter  fühlte,  als  er*)  seinen  westlichen  und  östlichen  scaenae  frons- 
Typus  aufstellte,  jenen  charakterisierend  durch  das  Auftreten  von  meistens  drei  sehr 
tiefen  Nischen,  so  daß  die  Wand  aufgelöst  in  reicher  vor-  und  zurückflutender  Be- 
wegung sich  befindet,  deren  Kontraste  noch  durch  wechselnde  Beleuchtung  tiefer 
Schatten-  und  greller  Lichtseiten  vermehrt  werden;  diesen  im  Gegensatz  hierzu  als 
glatt  durchgeführte  Wand  mit  monumentaler  Säulenstellung  auf  hohen  Postamenten 
und  Schemeln. 

Der  Fehler  in  dieser  Betrachtung  ist  nur  der,  daß  die  beiden  Typen  an  geogra- 
phische Begriffe  gekettet  wurden.  Schon  Fiechter  selbst  sah  sich  veranlaßt,  zugleich 
Übergänge  festzustellen  und  vor  allem  mehrere  Vertreter  seines  östlichen  Typus  im 
Westen  aufzeigen  zu  müssen  und  umgekehrt.  Nach  der  heutigen  Kenntnis  der  Denk- 
mäler insbesondere  Syriens  ist  diese  äußerliche  lokale  Scheidung  kaum  mehr  auf- 
recht zu  erhalten.  Welche  Momente  eigentlich  die  Verbreitung  des  einen  und  des 
anderen  Typus  bestimmten,  dürfte  eine  Untersuchung  wohl  lohnen.  Hier  muß  ich 
es  mir  versagen,  auf  die  interessante  Frage  näher  einzugehen. 

Einen  Schritt  über  Fiechter  und  Dombart  hinaus  ist  Wiegand  gegangen  3), 
indem  er  versucht,  innerhalb  des  zweiten,  von  Dombart  überhaupt  erst  später  defi- 
nierten Grundtypus  (bewegter  Grundrißführung)  wieder  Unterscheidungen  vorzu- 
nehmen : 

1.  Ein  vereinfachtes  Fassadenschema,  das  er  nach  der  Form  des  lunaren  Sigma 
» aiYt^aToeiSsf «  nannte  (völlig  dominierende  Mittelnische,  die  dann  ihrerseits 
wieder  kleine  Bildnischen  aufnimmt):  Gerasa,  Es-Suhweda,  Alexandreia,  Troas, 
Exedra  des  Herodes  Attikus,    Tipasa,  Trofei  di  Mario  in  Rom(.?)  usw.; 

2.  mehrfacher  Sigmatypus  (zweifach,  dreifach,  je  nach  der  Anzahl  der  vor- 
handenen Nischen  bzw.  Apsiden  und  geraden  Zwischenstücke):  Bosra,  Side, 
Septizonium  zu  Rom. 

324;      Boissonnet,      Rev.      archöol.      I      1893,       ')  a.a.O.  112  ff. 

368  f.;  Dombart,  a.a.O.  Abb.  5.  3)    In  dem  kurzen  entwicklungsgeschichtlichen  Über- 

•)  Das   Palat.    Septizonium   (München  1922,   C.  H.  blick  über  die  Entstehung  der  Nymphäen  im  Anhang 

Beck)  4  ff.  jy    jgf  Veröffentl.    des  Nymphäums    von    Müet 

(a.  a.  O.  82  ff.). 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bahnenfront  zu  Ephesos.  isq 


Damit  ist  freilich  erst  eines  der  Merkmale  gekennzeichnet,  die  für  die  Beur- 
teilung der  merkwürdigen  baulichen  Anlagen  in  Frage  kommen  können.  Eine  syste- 
matische Untersuchung  wird  sicherlich  weitere  Gesichtspunkte  zu  Tage  fördern,  die 
uns  die  Gesetzmäßigkeit,  welche  hier  zu  Grunde  liegt,  klar  sehen  lassen.  In  diesem 
Zusammenhang  genügt  die  Feststellung,  daß  wir  außer  den  eigentlichen  Vertretern 
des  Sigmatypus  noch  manch  andere  Säulenfassaden  der  zweiten  Hauptgruppe  zu- 
zählen müssen.  Vor  allem  sämtliche  afrikanische  Anlagen,  dann  Ferentum, 
Pompei,  Arles  usw.  —  Als  wichtigste  Vertreter  der  ersten  Gruppe  aber  würde  ich 
nennen:  fast  alle  die  Theater  des  griechischen  Ostens,  welche  Umbauten  auf  helle- 
nistischer Grundlage  sind,  dann  aucli  sizilianische  Bühnenfronten  und  einige  Nym- 
phäen  wie  Milet  u.  a.  Als  Übergang:  die  Bühne  von  Orange  und  in  etwas  anderem 
Sinn  das  sogen.  Septizonium  von  Lambaesis. 

Eine  neue  besonders  auffällige  Eigentümlichkeit,  welche  jedoch  bis  jetzt  nur 
an  wenigen  Vertretern,  und  zwar  ausschließlich  der  ersten  Gruppe  festgestellt  worden 
ist,  sieht  Wiegand  mit  Recht  in  dem  Motiv  der  Tabernakelversetzung.  Er  kennt  nur 
zwei  Zeugen  dieser  merkwürdigen  Übung:  die  Fassaden  des  Nymphäums  von  Milet 
und  der  von  Wilberg  veröffentlichten  Bibliothek  zu  Ephesos  ').  — 

Nun  zurück  zum  neuen  Rekonstruktionsversuch  der  Bühnenfassade  von  Ephe- 
sos !  Welcher  der  beiden  oben  festgestellten  Stilgruppen  er  zuzuweisen  ist,  darüber 
kann  nach  dem  Gesagten  kaum  mehr  ein  Zweifel  bestehen.  Es  ist  der  erste  »gerad- 
linige« Typus,  mit  dem  wir  es  in  Ephesos  offenbar  zu  tun  haben.  In  diesem  Sinn 
hat  Fiechter  die  Fassade  behandelt  und  eingereiht  und  so  wird  man  auch  bei  nur 
oberflächlicher  Betrachtung  die  Entscheidung  fällen.  Vielleicht  werden  erst  bei 
näherem  Eingehen  auf  die  Komposition  Schwierigkeiten  sichtbar  und  gewisse 
Bedenken  laut,  die  aber  —  wir  werden  das  in  den  folgenden  Ausführungen  im 
einzelnen  sehen  —  doch  nur  scheinbarer  Natur  sind  und  in  Wahrheit  unser  erstes 
Urteil  nicht  umzustoßen  vermögen. 

Fassen  wir  das  Erdgeschoß  im  ursprünglichen  Zustand  ins  Auge  —  denn  nur 
ihn  dürfen  wir  zunächst  hier  zu  Grunde  legen!  Die  ebene  Front  der  Rückwand  ist 
unverkennbar.  Die  beiden  an  sich  nicht  allzu  kleinen  Segmentnischen  wirken  in  der 
gesamten  Mauermasse  ^)  doch  durchaus  als  sekundäre  unselbständige  Einkerbungen, 
die  es  nicht  fertig  bringen,  den  eigentlichen  Mauerkörper  sich  anzupassen,  gleichsam 
mit  sich  fortzureißen;  natürlich  bleiben  sie  auch  an  ihrer  tiefsten  Stelle  doch  immer 
noch  hinter  der  Mauerstärke  gebührend  zurück,  sodaß  sie  nach  rückwärts  nicht  in 
Erscheinung  treten  können! 

Man  sieht  also  schon,  die  Definition  bei  Dombart,  die  ja  wohl  nur  ganz  grob 
das  Wesentliche  der  Charakteristik  andeuten  sollte,  braucht  nicht  immer  so  wörtlich 
genommen  zu  werden.  Weder  absolut  noch  relativ  klein  zu  nennen  sind  die  Nischen 
des  Ephesischen  Erdgeschosses  —  füllen  sie  doch  das  ganze  Wandfcld  prompt  aus  — , 
auch  gar  nicht  zahlreich  ist  ihr  Auftreten;  aber  trotzdem  erweisen  sie  sich  als  typisch 
im  Sinne  unserer  Definition!     Einen  Grund  habe  ich  schon  genannt;  ein  zweiter 


*)  österr.  Jahresh.  XI   1908,   118  ff.  »)  Man   betrachte   daraufhin   nur   den  Grundriß  bei 

Fiechter  a.  a.  O.  Abb.  86. 


,  .Q  Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos. 


ist  vielleicht  noch  der,  daß  durch  die  eingestellten  Säulen  absichtlich  die  wirkliche 
Größe  der  Nischen  verschleiert,  verunklärt  wird.  Und  gerade  das  Verhältnis,  in  dem 
diese  eingeschobenen  Säulenpaarc  zu  ihrer  Nische  stehen,  bestätigt  unsere  anfängliche 
Zuteilung  der  Fassade. 

Das  ganze  Motiv  der  gekuppelten  Säulcnpaare  lohnt  überhaupt  einen  Vergleich 
mit  ähnlichen  Bildungen  aus  der  zweiten  Kategorie.  Scheint  es  doch  zunächst  bei- 
nahe, als  hätten  wir  Merkmale  vor  uns,  die  gerade  für  jene  anderen  Fassadenbildungen 
als  charakteristisch  gelten:  hier  und  dort  eine  tiefe  Rundnische,  deren  Bewegung 
das  Gebälk  und  die  Säulenstellung  mitmachen.  Trotzdem  liegt  der  Fall  in  Ephesos 
sehr  viel  anders  !  Schon  der  Umstand,  daß  die  Krümmung  der  Nischenrückwand  in 
ganz  anderer  Kurve  verläuft,  wie  der  vordere  Architrav,  macht  uns  stutzig;  denn  er 
läßt  das  Gefühl,  daß  das  eine  an  das  andere  gebunden  sei,  nicht  aufkommen.  Die  Säulen 
jedoch,  welche  zur  Unterstützung  des  Architravs  eingestellt  sind,  erweisen  sich  als  ge- 
nau in  die  Flucht  der  Bühnenwand,  bzw.  deren  Pilasterordnung  gerückt,  sodaß  im 
Grundriß  ihr  Zusammenhang  mit  diesen  Elementen  viel  inniger  erscheint,  als  etwa 
die  Bindung  an  den  Querschnitt  der  Nische.  Man  sieht  also,  wir  dürfen  uns  durch  die 
scheinbare  Verwandtschaft  solcher  Motive  nicht  täuschen  lassen;  auf  der  anderen 
Seite  aber  auch,  wie  sehr  innerhalb  der  Gruppen  doch  Abschattierungen  möglich 
sind,  an  welchen  die  sprudelnde  Phantasie  der  Zeit  überreich  war. 

Ganz  glatt  gestaltet  sich  die  Nachprüfung  der  Gruppeneigenart  bei  den  ge- 
koppelten Säulenpaaren  des  Erdgeschosses  und  —  wir  dürfen  dies  wohl  gleich  hin- 
zunehmen —  auch  im  zweiten  Stockwerk.  Hier  haben  wir  tatsächlich  eine  in  einzelne 
Tabernakel  oder  Baldachine  zusammengezogene  und  gleichmäßig  gruppierte  Säulen- 
ordnung vor  uns,  die  ähnlich  wie  in  Dombarts  Musterbeispiel  Aspendos  die  Wand- 
fläche gleichsam  ornamental  überzieht. 

Auch  auf  das  zweite  Geschoß  läßt  sich  der  BegrifT  des  Typus  gut  anwenden. 
Allerdings  sahen  wir  in  einem  früheren  Abschnitt,  daß  der  Wandverlauf  in  den  beiden 
Endfeldern  nicht  als  Nischenbildung,  sondern  richtiger  als  Mauerrücksprung  anzu- 
sprechen ist;  aber  diese  Mauerrücksprünge  bestehen  doch  nur  auf  einer  Seite  als  Kon- 
kavgebilde, ohne  daß  ihnen  auf  der  anderen  eine  entsprechende  Konvexform  antwor- 
tete; sie  prägen  sich  auf  der  abgekehrten  Seite  gar  nicht  aus,  wo  vielmehr  die  Mauer 
nach  wie  vor  glatt  durchläuft.  Das  Gleiche  gilt  von  den  Nischen.  Eine  Bildung  von 
dem  Ausmaß  unserer  mittleren  Rechtccknische,  die  beinahe  das  von  ihr  besetzte 
Wandfeld  auseinander  zu  sprengen  droht,  überschreitet  wohl  eigentlich  das  Maß 
dessen,  was  sich  als  »klein«  im  Sinne  unserer  Definition  der  ersten  Klasse  bezeichnen 
läßt.  Denn  auch  die  tatsächlichen  Ausmaße  sind  recht  beträchtliche.  Trotzdem  fäUt 
sie  nicht  aus  dem  Typ,  den  wir  festgestellt  haben,  weil  sie  mit  ihrem  ganzen  Quer- 
schnitt innerhalb  der  Schranken  des  natürlichen  gradlinig  begrenzten  Mauerkernes 
verbleibt;  der  Begriff  der  »Schwingung«  kann  damit  nicht  aufkommen.  Daß  die 
Säulenbaldachine  des  zweiten  Geschosses  gerade  mit  dem  von  mir  vorgeschlagenen 
ungezwungenen  Wechsel  runder  und  gerader  Giebelbekrönungen  sich  dem  Vergleichs- 
material gut  einpassen,  liegt  auf  der  Hand.  Die  Verwandtschaft  etwa  mit  Aizanoi, 
vor  allem  aber  mit  .'Kspendos  ist  nicht  zu  bestreiten.     Sie  war  es  ja  auch,  die  schon 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Bühnenfront  zu  Ephesos.  341 


in  der  Begründung  Anlaß  zur  Rekonstruktion  des  verkröpften  Mittclgiebels  gab  und 
bei  der  sonstigen  Ähnlichkeit  der  beiderseitigen  Obergeschosse  liegt  diese  Entlehnung 
in  der  Tat  nicht  zu  ferne.  Man  nehme  nur  ein  Beispiel.  In  Aspendos  sitzen  die  Flügel- 
säulenpaare unmittelbar  neben  den  Paraskenien,  welche  dort  senkrecht  zur  Front 
vorspringen.  Der  Dreieckgiebel,  der  den  oberen  Abschluß  eines  Flügelbaldachins 
bildete,  war  (wenigstens  nach  der  Wiederherstellung  bei  Lanckoroiiski)  als  Halbgiebel 
ausgeführt  in  der  Weise,  daß  er  pultdachartig  ansteigend  mit  dem  First  an  der  Para- 
skenienmauer  anlief.  Diese  Lösung  ist  konstruktiv  berechtigt  und  vermeidet  in  lo- 
gischer Weise  eine  lästige  Kehlenausbildung.  Für  die  Erscheinung  aber  ergibt  sich 
daraus  eine  Betonung  der  Endädikulen  und  ein  Gegengewicht  gegen  den  mittleren 
Kropfgiebel,  also  das  Gleiche,  was  in  Ephesos  durch  die  größeren  Segmentgiebel  auf 
den  etwas  weiter  auseinandergestellten  Stützen  der  Flügelbaldachine  erreicht  wird. 
Ja  man  möchte  beinahe  glauben,  die  größere  Ausbildung  der  beiden  Endinterkolum- 
nien  haben  keinen  anderen  Zweck  verfolgt,  als  diese  Wirkung  eben  auch  hier  vorzu- 
bereiten und  möglich  zu  machen,  nachdem  bei  dem  Fehlen  von  Paraskenien  eine  An- 
lehnung an  solche  wie  in  Aspendos  nicht  in  Betracht  kam.  Dort,  wo  in  diesem  Sinne 
keine  Veranlassung  zu  einer  Auseinanderziehung  der  Säulen  in  den  Flügelpaaren  be- 
stand, blieben  dagegen  sämtliche  Interkolumnien  innerhalb  der  Verkuppelungen 
einander  gleich. 

Angesichts  so  deutlicher  Anklänge  an  charakteristische  Züge  der  scaenae 
frons  von  Aspendos  im  Aufbau  des  zweiten  Stockwerkes  unserer  Bühnenfassade 
wäre  man  bald  versucht,  jene  schlechthin  als  den  nächsten  Verwandten  des  Theaters 
von  Ephesos  zu  bezeichnen,  nicht  sowohl  der  Zeit  nach,  als  eben  in  der  Komposition. 
Dieser  Eindruck  hält  aber  doch  nicht  nach,  sobald  wir  wieder  unseren  Blick  auf  die 
Gesamtfassade  richten.  Bereits  in  der  Beschreibung  hatte  ich  Gelegenheit, 
als  eine  der  Tendenzen,  welche  der  Säulendekoration  schon  nach  Niemanns 
Rekonstruktion,  noch  mehr  aber  bei  meinem  WicdcrherstcUungsvorschlag 
selbstverständlich  immer  unter  Bezugnahme  auf  die  ursprüngliche  Fassung 
innewohnten,  die  Verdichtung  nach  der  Mitte  hin,  ein  gewisses  Konzentrations- 
bestreben festzustellen.  Nicht  daß  wir  ein  eigentliches  starkes  Mittelmotiv  hätten,  das 
durch  alle  Geschosse  durchläuft,  eine  große  Mittelnische  wie  etwa  in  Aizanoi,  Herku- 
lanum  oder  Pompei  !  Unsere  Fassade  als  typischer  Vertreter  der  ersten  Gruppe 
vermeidet  eine  solche  Lösung;  denn  die  Rechtecknische  im  oberen  Geschoß  ist  eben 
doch  ein  rein  lokales  unselbständiges  Glied  des  architektonischen  Aufbaues.  Aber 
die  gekuppelten  Säulenpaare  zu  beiden  Seiten  der  Mittelachse  im  Erdgeschoß,  die  an 
Tiefe,  Breite  und  Höhe  gegen  die  Mitte  hin  zunehmenden  Nischen  des  ersten  Stockes 
und  schließlich  auch  die  von  mir  wahrscheinlich  gemachte  Konzentration  der  Weih- 
inschrift am  Architrav  der  ersten  Ordnung  wirken  deutlich  alle  in  demselben  Sinne. 
Die  Tatsache  unterscheidet  Ephesos  nun  doch  wieder  erheblich  von  Aspendos  oder 
Sagalassos,  auch  von  Aizanoi.  Dort  ist  die  Haltung  in  dieser  Richtung  überall  ganz 
neutral. 

Dagegen  habe  ich  das  Empfinden,  daß  unsere  Fassade  —  wir  können  den 
Vergleich  nur  an  der  Erdgeschoßgliederung  anstellen  —  damit  eher  auf  Termesso-s, 

Jahrbuch  des  archäologischen    Instituts  XXXVni/IX  1924/35.  23 


342 


Hans  Hönnann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephesos. 


Taormina  oder  selbst  das  Nymphäum  von  Side  herauskommt.  Denn  auch  bei  deren 
Grundriß  bemerkt  man  unter  Verzicht  auf  unmittelbare  Achsenbetonung 
eine  »ewisse  Steigerung  der  Motive  gegen  die  Mitte  zu.  Daß  im  einzelnen  die  Aus- 
führung recht  verschieden  ist  und  der  Vergleich  bald  zum  Stocken  käme,  wenn  wir 
ihn  crenauer  durchführen  wollten,  braucht  uns  nicht  zu  verwundern.  Haben  wir  es 
bei  den  herangezogenen  Bauten  doch  durchaus  nicht  mit  »gleichzeitigen«  Anlagen  im 
engeren  Sinne  zu  tun.  Bei  Side  kommt  noch  hinzu,  daß  es  ein  Vertreter  der  anderen 
Hauptgruppe  ist  und  die  unmittelbare  Ursache  der  Ausbildung  längerer  Säulen- 
koppelungen gegen  die  Mitte  zu  in  der  Art,  wie  die  drei  Rundnischen  in  der  ganzen 
Front  verteilt  sind,  liegen  dürfte.  Aber  es  ist  doch  bemerkenswert,  daß  wir  innerhalb 
der  Gruppe  der  »geraden«  Fronten  und  zum  Teil  sogar  noch  darüber  hinausgreifend 
wieder  ein  neues  Motiv  entdeckt  haben,  welches  eine  Anzahl  von  Monumenten  unter- 
einander in  engere  Beziehung  setzt.  Ich  möchte  nicht  mißverstanden  werden.  Es  soll 
sich  nicht  um  die  Herausschälung  einer  neuen  »Untergruppe«  handeln;  das  würde  ja 
dem  Zweck  dieser  Zeilen  überhaupt  zuwiderlaufen  und  schon  durch  das  eine  Beispiel 
von  Side  nur  unter  Aufgabe  einiger  der  klarsten  und  wertvollsten  bisherigen  Resul- 
tate möglich  sein.  Denn  dieses  reicht  gleichsam  von  der  anderen  Seite  her  der  Familie 
die  Hand  und  hat  deshalb  in  diesem  Zusammenhang  mit  Erwähnung  gefunden,  trotzdem 
CS  zunächst  etwasferner  zu  liegen  schien.  Es  fällt  mir  auch  gar  nicht  ein,  etwa  nun  aus 
den  drei  übrigen  Säulenfassaden  eine  neue  Gemeinschaft  zu  bilden.  Ich  will  nur  die 
Fäden  aufzeigen,  die  von  Ephesos  zu  den  anderen  Fassadendenkmälern  gesponnen 
werden  können,  sodaß  tatsächlich  die  stilistische  Isolierung  immer  mehr  schwindet.  In 
diesem  Sinne  allein  möchte  ich  von  einer  Kreuzung  sprechen  zwischen  den  Tendenzen 
der  Bühnenfassaden  von  Aspendos  ^ —  Sagalassos  einerseits  und  Termessos  —  Taormina 
auf  der  anderen  Seite. 

Aber  bei  diesem  Schema  blieb  es,  wie  wir  in  den  früheren  Kapiteln  sahen,  an 
unserer  Bühnenfassade  nicht  !  Denn  durch  die  Einbauten  im  Erdgeschoß  und  den  Auf- 
satz eines  dritten  Geschosses  wurde  in  später  Zeit  nochmals  ein  neuartiger  Gedanke 
in  das  System  der  Säulenarchitektur  getragen:    die    Idee   der    »Motivversetzung«. 

Vielleicht,  daß  man  damals,  als  für  diese  Dinge  überhaupt  ein  empfänglicher 
Sinn  erwacht  war,  in  der  Art,  wie  das  mittlere  Wandfeld  des  Oberstockes  mit  dem  ver- 
kröpften Drcieckgicbel  zu  den  unteren  Nischcnfeldern  stand,  schon  einen  Ansatz  dazu 
verspürte,  den  auszubauen  dann  nahelag;  jedenfalls  nahm  man  den  Gedanken  auf, 
der  in  jener  Zeit  auch  sonst  nicht  mehr  so  unbekannt  gewesen  sein  kann.  Denn 
unter  dem  im  Verhältnis  zur  damaligen  Produktion  recht  kärglichen  Rest  der  auf  uns 
gekommenen  Ruinen  finden  sich  dafür  konsequente  Belege  vor  allem  in  Milet  und 
Ephesos.  Die  Datierung  des  Nympliäums  zu  Milet  ist  noch  umstritten;  wir  wissen 
nicht,  ob  der  Bau  damals  schon  auf  Ephesos  hat  Einfluß  ausüben  können.  Aber  man 
muß  wie  gesagt  ja  überhaupt  nicht  so  weit  gehen;  hat  doch  Wilberg  in  der  Stadt  un- 
seres Theaters  selbst  in  der  Fassade  der  Bibliothek  einen  Bau  nachgewiesen,  der  jenes 
merkwürdige  Prinzip  nicht  weniger  deutlich  wie  das  Nymphäum  von  Milet  zum  Aus- 
druck brachte.  Und  dieses  Gebäude  ist  etwa  I15  n.  Chr.  entstanden.  Man  brauchte 
also  gar  nicht  nach  Milet  zu  schielen  und  hatte  um  die  Zeit  des  Aufbaues  der  Theater- 


Hans  Hörmann,  Die  römische  BUhnenfront  zu  Ephcsos.  543 


fassade  schon  ein  deutliches  Vorbild  in  der  eigenen  Stadt.  Die  Datierung  stimmt 
sogar  außerordentlich  gut:  In  der  Bibliothek  ist  das  neue  Prinzip  des  Wechsels  in 
der  Säulengruppierung  ebenso  streng  und  regelmäßig  durchgeführt,  wie  am  Nymphä- 
um  von  Milet;  man  hätte  auch  damals  wahrscheinlich  sich  noch  nicht  getraut,  es  auf 
einen  Umbau  zu  übertragen,  bei  dem  die  Natur  der  alten  Fassadenteile  doch  immer 
nur  einen  Kompromiß  erlaubte.  Aber  zwanzig  bis  dreißig  Jahre  später  war  diese 
neuartige  architektonische  Verbindung  bereits  in  aller  Fleisch  und  Blut  übergegangen, 
waren  solche  Scherze  und  Kunststücke  so  geläufig  geworden,  daß  man  auch  vor 
Halbheiten  nicht  mehr  zurückschreckte.  Und  da  ergab  sich  bei  dem  Umbau  derEphe- 
sischen  Bühnenfront  auch  jenes  merkwürdige  Resultat,  daß  der  neue  Kniff  kurzer- 
hand auf  eine  Komposition  Anwendung  fand,  die  eigentlich  gar  nicht  dafür  vorge- 
bildet war.  Denn  es  ist  ein  Unterschied,  ob  man  mit  diesem  an  sich  ja  freien  und  kühnen 
Motiv  noch  relativ  konsequent  und  logisch  verfährt,  wechselnd  von  einem  Tabernakel 
zum  anderen,  sodaß  beinahe  ein  Schachbrettmuster  herauskommt,  oder  ob  man  das 
nämliche  Prinzip  aus  breiteren  Doppelmotiven  aufbaut  und  noch  dazu  unter  Über- 
springung eines  ganzen  Geschosses.  Das  zeitliche  Intervall  von  zwanzig  bis  dreißig 
Jahren  würde  immerhin  ausreichen,  diesen  Gegensatz  zu  erklären. 

Einer  solchen  Hypothese  scheint  sich  auch  eine  Beobachtung  ganz  gut  zu  fügen, 
die  wir  in  der  Anwendung  der  »detachierten«  Säulen  machen  können.  AmNymphäum 
zu  Milet  und  an  der  Bibliothek  zu  Ephesos  ergeben  sich  an  den  beiden  Frontenden 
im  obersten  Stockwerk  und  bei  erstcrem  auch  noch  an  den  Flügelbautcn  des  Unter- 
stockes freie  Stützenbildungcn,  die  sogenannten  »detachierten«  Säulen.  Sie  resultieren 
logisch  aus  der  Zusammenfassung  der  Stützen  zu  Paaren  in  der  Weise,  daß  die  Taber- 
nakel des  einen  Geschosses  nicht  axial  zu  den  anderen  stehen,  sondern  sich  vielmehr 
über  deren  Zwischenräumen  aufbauen.  Dadurcli  mußte  in  jedem  zweiten  Stockwerk 
an  den  Enden  eine  ungerade  und  eine  gerade  Säule  übrig  bleiben.  Diese  eigentliche 
Herkunft  und  Bestimmung  der  »detachierten«  Säulen  hat  man  am  dritten  Stockwerk 
von  Ephesos  bereits  vollkommen  vergessen.  Denn  dort,  wo  die  Versetzung  nicht  mehr 
einzelne  Säulenpaare  oder  Tabernakel,  sondern  Tabernakelgruppen  erfaßte,  warder 
ursprüngliche  Anlaß  für  die  Ausbildung  »detachierter«  Säulen  so  gut  wie  verschwunden. 
Trotzdem  ist  ihre  Verwendung  nachgewiesen,  aber  wahrscheinlich  nicht  an  den  Enden, 
wie  ich  in  der  Begründung  zu  zeigen  vermochte,  sondern  mitten  in  der  ganzen  Ordnung. 
Daß  das  Motiv  anfänglich  eben  doch  eine  Art  Notbehelf  war,  hat  man  vollständig  über- 
sehen; daß  es  in  diesem  neuen  Zusammenhang  und  an  so  ausgesprochenem 
»Binnenplatz«  seinen  unmittelbaren  Sinn  verloren  hatte,  fühlte  man  vielleicht  noch, 
aber  mochte  es  als  willkommenes  Mittel  zur  weiteren  Bereicherung  und  Auflockerung 
des  Stützenapparates  nicht  mehr  missen. 

Vielleicht  kommt  schließlich  noch  etwas  anderes  hinzu,  was  den  Mut  zur  Über- 
tragung eines  ursprünglich  ganz  kleinmustrigen  Dekorationsschemas  auf  solch  breit- 
spurige Verhältnisse  gefördert  hat:  die  damals  schon  immer  rrtehr  verbreitete  Kennt- 
nis der  echt  barocken  Grabfassaden  des  ferneren  Ostens.  Denn  es  scheint  mir,  daß 
wir  am  ehesten  noch  Ansätze  zu  der  Verbreiterung  des  Versetzungsmotivs,  wie  sie  im 
Ephesos-Theater  gegenüber  dem  Milesischen  Wasserschloß  und  der  Bibliothek  zum 


344 


Hans  Hörmann,  Die  lömische  Btthnenfront  zu  Ephesos. 


Ausdruck  kommt,  an  einem  sehr  eigenartigen  Phänomen  der  antiken  Baugeschichte 
besitzen:  den  Fclsfassaden  von  Petra.  Ich  nenne  etwa  »Ed  Der«*)  oder  das  sogenannte 
»korinthische  Grab«.  ^)  Doch  davon  später  und  an  anderem  Ort  !  Denn  ich  muß  es- 
mir  versagen  auf  diese  immerhin  noch  sehr  problematischen  Zusammenhänge  hier 
schon  näher  einzugchen.    — 

Gleich  dem  Nymphäum  zu  Milet,  von  dem  diese  Worte  in  der  amtlichen  Publi- 


Abb.  8.     Schaubild   der  Fassade  des  römischen    J  heatcrs  in   Ephesos.      .Nene  Rekonstruktion. 

kation  geprägt  worden  sind,  stellt  sich  auch  unsere  scaenae  frons  dar  als  ein  her- 
vorragendes Beispiel  der  prunkvollen  ostgriechischen  Säulenfassaden,  wie  sie  in  der 
römischen  Kaiserzeit  so  gerne  überall  da  angewendet  wurden,  wo  es  sich  um  die  Aus- 
gestaltung einer  großen  Wandiläche  handelte.  Und  wie  bei  jenem  Bau  eine  diskrete 
bunte  Tönung  —  man  betrachte  daraufhin  Hülsens  schöne  farbige  Rekonstruktion  — 
dem  Ganzen  wie  ein  Nebenakkord  untergeordnet  war,  »als  ob  ferne  Kunde  vom  Wesen 
der  alten  Polychromie  noch  in  diese  Zeiten  gedrungen  wäre«,  so  dürfen  und  müssen 
■)  Brünnow    u.    v.  Domascewski  a.  a.  O.  I  Nr.  462,  Fig.  220.       ')  Ebenda  Nr.  766,  Fig.   192] 


] 


Hans  Hörmann,  Die  römische  Buhnenfront  zu  Ephesos.  345 

wir  das  ähnlich  auch  von  der  römischen  Bühnenfront  zu  Ephesos  annehmen.  Konnten 
wir  ja  auch  sonst  noch  der  reizvollen  Feinheiten  genug  im  festlichen  Gewand  dieses 
Bauwerkes  entdecken  !  Trotzdem  wird  man  sich  des  Eindruckes  des  Überladenen, 
zumal  wenn  wir  den  Zustand  nach  dem  Umbau  ins  Auge  fassen,  nicht  ganz  erwehren. 
Ohne  Zweifel  haben  wir  es  hier  bereits  mit  einer  im  Grunde  genommen  doch 
hohlen  barbarischen  Kunst  zu  tun,  welche  die  Spuren  des  beginnenden  Verfalls  nicht 
verleugnet  —  um  das  Urteil  zu  gebrauchen,  das  einer  unserer  führenden  Baukünstler 
einmal  über  diese  architektonischen  Leistungen  gefällt  hat.  Vom  wissenschaft- 
lichen Standpunkt  aus  werden  wir  der  Epoche  unsere  Anteilnahme  nicht  versagen. 
Enthält  sie  doch  interessante  noch  ungelöste  Probleme  und  fesselnde  Einzelzüge 
genug,  um  dem  Forscher  ein  Feld  der  Tätigkeit  zu  erschließen,  auf  dem  ihm  nicht 
weniger  reichliche  Ernte  winkt,  als  bei  der  wissenschaftlichen  Beschäftigung  mit 
solchen  Zeiten,  die  einen  Gipfel  künstlerischer  Kultur  bedeutet  haben.  Gleich  einem 
Januskopf  wendet  sich  unser  am  Ausgang  einer  hohen  und  reichen  künstlerischen 
Entwicklung  stehendes  Monument  nach  vor-  und  rückwärts.  Mit  vielen  Fasern  seines 
architektonischen  Wesens  in  der  Vergangenheit  wurzelnd,  weist  es  zugleich  mit  anderen 
entscheidenden  Zügen  ebenso  deutlich  in  die  Zukunft.  Immer  aberstelltes  dem  For- 
scher unserer  Tage  mannigfache  Fragen  und  gibt  es  Rätsel  auf  dem,  der  sich  ihm 
kritisch  naht. 

München.  Hans    Hörmann. 


Jahrbuch  des  archäologischen  Instituts  XXXVIII/IX  i924/'S-  24 


Archäologischer  Anzeiger 

B  EIBLATT 

ZUM  Jahrbuch  des  Archäologischen  Instituts 
1923/24- i/ii. 


FORSCHUNGEN  NACH  TARTESSOS. 

(2.  Bericht').) 

Mit   I   Karte. 

Die  erste  Kampagne  der  Grabung  nach 
Tartessos  wurde  ermöglicht  durch  die  Libe- 
ralität des  Herzogs  von  Tarifa,  dem 
die  ganze  Gegend  am  unteren  Guadalquivir, 
der  Co to  Dona  Ana,  gehört,  ein  riesiges 
Jagdgut  mit  dichtem  Wald  von  Strand- 
kiefern im  südhchen,  Macchia  im  nördlichen 
Teil.  Ich  hatte  dem  Herzog  nach  der  vor- 
jährigen Forschung  (Arch.  Anz.  1922,  18  f.) 
eine  Denkschrift  vorgelegt  mit  dem  Antrag, 
mir  die  Mittel  für  eine  Grabung  zur  Ver- 
fügung zu  stellen,  und  der  Herzog,  der  sich 
lebhaft  für  das  Tartessosproblem  interessiert, 
hat  die  beantragte  Summe  bewilligt  und  uns 
Aufenthalt  und  Forschung  auf  seiner  Be- 
sitzung in  jeder  Weise  erleichtert.  Wir 
fanden  in  den  beiden  Jagdschlössern  des 
Coto  gute  Wohnung  und  Verpflegung,  Pferde 
und  Gehilfen;  das  ganze  Personal  des  Jagd- 
gebietes war  angewiesen,  uns  in  jeder  Weise 
zu  fördern.  Außer  dem  Berichterstatter 
und  General  Dr.  h.  c.  L  ammerer  nahm 
an  der  Kampagne  teil  Herr  Georg  Bonsor, 
der  seit  30  Jahren  in  Andalusien  forscht 
und  sich  durch  die  Aufdeckung  der  Nekro- 
pole  von  Carmona  und  die  Erforschung 
der  Kuppelgräber  am  unteren  Baetis  Ver- 
dienste erworben  hat,  wie  ihm  denn  auch 
die  Feststellung  der  westlichen  Mündung 
des  Baetis  verdankt  wird.  Mit  ihrem  Besuch 
erfreuten  uns  Prof.  Bosch  aus  Barcelona 
und  Herr  L.  Claus  aus  Huelva.  Unser 
Aufenthalt  dauerte  5  Wochen,  vom  7.  Sep- 

')  I.  Bericht  Arch.   Anz.   1922,  18. 
Archäolog^ischer  Anzeiger  1923/24. 


tember  bis  14.  Oktober  1923.  Standquartier 
war  während  der  ersten  vier  Wochen  das  im 
südlichen  Teil  des  Coto  gelegene  neue  Jagd- 
schloß »Marismilla«,  in  der  5.  Woche  das 
alte  Jagdschloß  »Palacio  de  Dofla  Ana«, 
welches  im  nördlichen  Teile  liegt.  Das 
Wetter  war  vom  ersten  bis  zum  letzten 
Tage  schön,  aber  die  drückende  Hitze  der 
Maremme  (span.  Marisma)  und  vor  allem 
die  beständige  Plage  der  Mücken  und  Stech- 
fliegen machten  Aufenthalt  und  Arbeit 
sehr  anstrengend.  Gegen  die  in  der  ganzen 
Maremme  sehr  verbreitete  Malaria  haben  wir 
uns  durch  Chinin  zu  schützen  gesucht,  das  von 
den  Vereinigten  Chininfabriken  in  Frankfurt 
gestiftet  wurde.  Die  20  Arbeiter  stammten 
aus  dem  Dorf  Almonte  nördlich  des  Coto  und 
erwiesen  sich  als  fleißig  und  anstellig.  Der 
Tagelohn  betrug  5  Pesetas,  gearbeitet  wurde 
8  Stunden,  die  sich  aber  auf  die  Zeit  von 
Sonnenaufgang  bis  -Untergang  verteilten, 
indem  alle  i'/z  Stunden  eine  Pause  gemacht 
wurde,  was  zwar  unbequem,  aber  bei  der 
starken  Hitze  unvermeidlich  war.  Arbeits- 
gerät war  eine  breite  Hacke  (Azada),  die 
zugleich  als  Schaufel  diente,  seltener  die 
Spitzhacke,  da  der  Boden  nur  aus  Sand  be- 
steht. Der  Sand  wurde  mit  Körben  und 
Schiebkarren    entfernt. 

In  der  vorjährigen  Kampagne  (1922) 
hatte  Dr.  Jessen  aus  der  Grenze  des  alten 
Alluviums  festgestellt,  daß  der  östliche 
Mündungsarm  des  Guadalquivir,  an  dem 
Tartessos  sicher  lag,  damals  bei  größerer 
Breite  yiel  weiter  nach  Norden,  nämlich 
bis  zur  Linie  Pico  de  Cafio-Trigo-Salabar 
reichte.  Dieses  Ergebnis  wird  bestätigt 
durch  Strabons  Angabe,  man  messe  von 
einer    Mündung    zur   anderen    100  Stadien 


Forschungen  nach  Taitessos. 


(=  i8  km).  Denn  wenn  man  vom  Westarm 
bei  Matalascanas  (den  General  Lammerer 
aufnahm)  nach  Süden  i8  km  abträgt, 
so  kommt  man  in  die  Gegend  von  Salabar, 
also  dahin,  wo  nach  Jessen  das  Nordufer 
der  alten  Ostmündung  war.  Damit  war 
auch  der  Ostarm  bestimmt  und  eine  Grund- 
lage für  das  Suchen  nach  der  an  ihm  ge- 
legenen Stadt  gewonnen.  Es  galt  nun  die 
Lage  der  Stadt  genauer  zu  bestimmen  und 
zu  diesem  Zweck  nahm  General  Lammerer 
die  Gegend  zwischen  Pico  Cafio  und  Trigo 
I  :  5000  auf.  Für  den  Verlauf  des  Nord- 
ufers  hat  sich  daraus  folgendes  ergeben. 
Der  von  Osten  her  kommende  und  zuletzt 
nach  Westen,  auf  Salabar  zu,  strömende 
Fluß  scheint  bei  Pico  Cafio  mit  seinem 
Nordufer  den  Rand  des  alten  Alluviums 
erreicht  und  diesen  dann  weiter,  bis  südlich 
von  Trigo,  begleitet  zu  haben,  so  daß  der 
heutige  Rand  des  Alluviums  und  der  Ma- 
risma  dem  alten  Nordufer  entspricht.  Leider 
ist  weiter  südlich  von  Trigo  die  Gegend  mit 
hohen  Dünen  bedeckt  und  durch  diese  der 
Verlauf  des  Flusses  verschüttet.  General  Lam- 
mererglaubte  aberzu  erkennen,  daßderFluß 
südlich  von  Trigo  nach  WNW.,  auf  Sala- 
bar zu,  geflossen  sei.  Die  am  Nordufer  des 
Ostarmes  gelegene  Stadt  ist  also 
auf  der  Strecke  Pico  del  Ca no -Trigo - 
Salabar  zu  suchen.  Von  dieser  Strecke 
kommt  a  priori  am  meisten  für  die  Stadtlage 
in  Betracht  der  östliche  Teil  zwischen  Cano 
und  Trigo,  i.  weil  die  Stadt  dort  den  nord- 
westlichen Stürmen  und  Sturmfluten  ent- 
rückt und  gegen  Piraten  besser  geschützt 
war  als  auf  der  westlichen  Strecke,  2.  weil 
hier  jene  römische  Ansiedlung  liegt,  die 
irgendwie  mit  Tartessos  zusammenhängen 
muß.  Ich  habe  deshalb  zunächst  i.  auf 
der  Strecke  Cano  bis  Trigo  in  einigem  Abstand 
vom  alten  Ufer  (dem  Rande  des  alten  Allu- 
viums) Gräben  gezogen,  2.  die  römische 
Siedlung  aufgedeckt,  in  der  Hoffnung,  in  ihr 
Spuren  der  alten  Stadt  (Bautrümmer,  In- 
schriften etc.)    zu    finden. 

Die  Grabung  am  Rande  des  Alluviums, 
des  alten  Nordufers,  zwischen  Cano  und 
Trigo  machte  keine  Schwierigkeit,  da  hier 
keine  Dünen  sind;  sie  führte  zu  dem  negati- 
ven Ergebnis,  daß  hier  über  dem  Grund- 
wasser  keine   antike    Kulturschicht,    weder 


eine  tartessische  noch  eine  römische,  vor- 
handen ist,  während  doch  im  Bereiche  der 
römischen  Siedlung  die  Mauern  zum  größten 
Teil  über  dem  Grundwasser  liegen  und 
nur  wenig  in  dasselbe  hinabreichen  (s.  u.). 
Unter  dem  Grundwasser  nach  der  alten 
Stadt  zu  graben,  mußte  ich  mir  vorläufig 
versagen,  da  das  größere  Anstalten  zum 
Fernhalten  oder  Ableiten  des  Wassers  er- 
fordert.   Es  bleibt  also  die  Möglichkeit,  daß 


Abb.   1.     Behälter  zum  Einsalzen  der  Fische. 

Reste    von    Tartessos    auf    dieser    Strecke 
unter    dem  Grundwasser    liegen. 

Zu  positiven  Ergebnissen  führte  die  Auf- 
deckung der  römischen  Siedlung  nörd- 
lich von  Trigo,  die  ich  bereits  im  vorigen  Jahr 
angeschnitten  hatte.  Es  ist  zunächst  ge- 
lungen, ihre  Ausdehnung  festzustellen.  Die 
römischen  Mauern  erstrecken  sich  von  N. 
nach  S.  etwa  600,  von  O.  nach  W.  etwa 
200  m,  bedecken  aber  schwerlich  die  ganze 
Fläche.  Wie  schon  mitgeteilt  wurde,  hat 
man  diese  Mauern  beim  Ausroden  von  Bäu- 
men gefunden  und  an  vielen  Stellen  ausge- 
brochen. Es  ergab  sich  aber,  daß  trotz  dieser 
Zerstörung  noch  zahlreiche  Mauerreste  übrig 


Archäologischer  Anzeiger  1923/24 


Beilage   l 


6°2a'0este  de  Greenwich 


EL  COTO  DE  DONA  ANA 

/         ßuinas  Romanas 


IHliioial 
AbjuoiaL  anizffiut 
Marismas 


nanza 


Saiilüccir 


Escala  1:200000 


4 
-1 — ^ 


8 


Salme  dina 


G^ao*  Oestr  de  (fpsenwich. 


Forschungen  nach  Tartessos. 


sind.  Es  fällt  auf,  daß  die  Siedlung  sich 
fast  600  m  vom  Rande  des  Alluviums, 
dem  alten  Flußufer,  entfernt  hält,  obgleich 
sie,  wie  wir  sehen  werden,  von  Fischern 
bewohnt  wurde,  also  möglichst  nahe  am 
Flusse  liegen  mußte.  Da  östlich  der  Sied- 
lung unter  dem  Sand  Marismenschlamm  fest- 
gestellt wurde,  lag  wohl  hier  das  alte  Ufer 
weiter  westlich,  dicht  bei  der  Siedlung. 
Auch  haben  die  zwischen  der  Siedlung  und 
dem  heutigen  Ufer  gezogenen  Gräben  keine 
antiken  Spuren  ergeben.  Von  der  Sied- 
lung ist  in  den  3  Wochen,  die  ich  an 
sie  gewandt  habe,  nur  ein  kleiner  Teil 
aufgedeckt  worden,  ein  Stück  im  Norden, 
beim  Hause  des  Waldhüters,  ein  Teil  im 
Süden,    beim  Hügel    «Cerro    de  la  Cebada«, 


was  wohl  mit  der  Fabrikation  zusammen- 
hängt. Ihr  Maß  ist  für  Länge,  Breite,  Tiefe 
hier  ca.  im,  das  Mauerwerk  sehr  festes  Guß- 
werk. Im  Walde  beim  Cerro  Cebada  wurde 
ein  rechteckiges  Gebäude  von  großen  Ab- 
messungen (21x7  m)  aufgedeckt,  viel- 
leicht ein  Tempel  ? 

An  verschiedenen  Stellen  des  nördlichen 
Stadtteils  kamen  Gräber  zum  Vorschein, 
alle  ohne  irgendwelche  Beigabe.  Die  einen 
sind  gemauert,  andere  aus  Dachziegeln 
zusammengesetzt,  Kinder  sind  in  Amphoren 
bestattet.  Aus  der  verschiedenen  Orien- 
tierung und  Tiefe  —  einige  Gräber  liegen 
unmittelbar  unter  der  Oberfläche,  andere 
über  2  m  tief  —  erkennt  man,  daß  sie  aus 
verschiedener  Zeit  stammen.    Mehrere  Grä- 


Aussen: 


A(-\l/(Nev\QI^(fN(()\l/9)A 


8      9      10 


12 


13       1"» 


Innen:       ^y  Q  \^/n^  (\     ^l/  Q    K\    Q  \>/   Q   V\     Q 

Abb.   2.     Inschriften  des   Fingerringes   (veigrößert). 


mitten  im  Walde.  Die  nördlichen  Mauern 
haben  eine  andere  Orientierung  als  die 
südlichen,  sie  sind  von  SW.  nach  NO.,  jene 
von  W.  nach  0.  orientiert.  Es  scheint, 
daß  mindestens  der  nördliche  Stadtteil 
regelmäßig,  nach  rechtwinkligem  Schema, 
gebaut  war.  Es  wurde  hier  u.  a.  eine  Gruppe 
von  3  Häusern  aufgedeckt,  die  etwa  4x4  m 
groß  sind  und  einen  Herd  von  IX  I  m  be- 
sitzen. Die  Mauern  bestehen  aus  Bruch- 
steinen ohne  Mörtel,  das  Dach  war  mit 
Flach-  und  Hohlziegeln  gedeckt.  Der 
interessanteste  Baurest  sind  4  Behälter 
zum  Einpökeln  von  Fischen,  wie  sie 
überall  in  den  römischen  Siedlungen  der 
andalusischen  Küste  vorkommen,  z.  B.  in 
Bolonia,  dem  alten  Baelo,  das  neuerdings 
ausgegraben  worden  ist  (Abb.  i).  Die  Be- 
hälter liegen  hier  und  auch  sonst  paarweise '), 
«)  Vgl.   Fouilles     de    Belo    (Bolonia),    Bordeaux 

1923,    lÖQf. 


ber  lagen  im  Grundwasser.  Der  Grund- 
wasserspiegel muß  sich  also  gehoben  haben, 
sei  es  infolge  Senkung,  sei  es  durch  die 
spätere  Flug.sandüberschüttung  oder  aus 
beiden    Ursachen. 

70  Kupfermünzen  des  3. — 4.  Jahrh., 
bes.  der  konstantinischen  Zeit,  ergeben,  daß 
die  Siedlung  erst  im  3.  Jahrh.  n.  Ch.  erbaut 
und  bis  ins  5.  Jahrh.  (die  jüngste  Münze 
ist  von  Arcadius)  bewohnt  wurde.  Reinigung 
und  genauere  Bestimmung  der  Münzen 
soll  in  Madrid  erfolgen.  Wie  die  Münzen, 
sind  auch  die  anderen  Funde  ärmlich:  wenig 
Metall  und  Glas,  die  zahlreiche  Keramik 
einfach  und  spät,  anscheinend  sogar  zum 
Teil  westgotisch.  Westgotisch  scheint  auch 
das  Bruchstück  eines  großen  ornamentierten 
Behälters  aus  spanischem  Marmor,  viel- 
leicht ein  Taufstein.  An  Inschriften  wurde 
ein  Dachziegel  mit  dem  Stempel  PAT(erni?) 
gefunden. 

I* 


Forschungen  nach  Tartessos. 


Den  wichtigsten  Fund  hat  der  letzte  Tag 
der  Grabung  ergeben:  einen  Fingerring 
aus  Kupfer,  ohne  Stein  oder  Ornament, 
in  den  sowohl  außen  wie  innen  eine  Inschrift 
graviert    ist. 

Der  Ring  paßt  bei  einem  Durchmesser 
von  i8  mm,  Umfang  von  56,6  mm  nur  an 
eine  kleine  Hand,  wie  man  sie  aber  in 
Spanien  auch  bei  Männern  findet.  Die 
Breite  ist  5,1 — 3  mm,  die  Dicke  0,4  mm, 
die  Höhe  der  Buchstaben  ca.  5  mm.  Ich 
gebe  die  Schrift  in  genauer  Abzeichnung 
wieder  (die  äußere  Schrift  etwas  vergrößert. 
Abb.  2.). 

Die  äußere  Schrift  ist  besser  als  die  innere, 
wie  das  der  größeren  Schwierigkeit  der 
inneren  Gravierung  entspricht.  Die  Buch- 
staben sind  mit  einer  weißen  Masse  einge- 
legt. Der  Ring  lag  im  Schutte  der  römischen 
Siedlung,  in  einem  der  Häuser  des  N. -Stadt- 
teils, aber  seine  Schrift  ist  nicht  römisch, 
sondern  stammt  aus  einer  ganz  anderen 
Welt.  Die  Schrift  ist  auch  nicht  iberisch, 
wie  man  zunächst  erwarten  würde,  auch 
nicht  griechisch  und  erst  recht  nicht  phö- 
nizisch  oder  libysch,  sondern  steht  ganz 
für  sich.  Die  beiden  Inschriften  bieten  II 
verschiedene  Buchstaben,  wenn  die  Zeichen 
1,2  mit  den  Zeichen  4,  5  identisch  sind  und 
die  Doppelzeichen  II  und  13  einen  Buch- 
staben bilden.  Sechs  der  Zeichen  könnten 
rein  äußerlich  griechisch  sein  (Y,  A,  I, 
Oj  P)  ^),  ^ber  die  anderen  5  sind  un- 
griechisch.  Die  beiden  ersten  Zeichen 
(i,  2)  finden  sich  ähnlich  auf  den  Münzen 
von  9  Städten  der  Gegend  von  Cadix, 
deren  Schrift  gleichfalls  ganz  für  sich  steht 
und  weder  iberisch  noch  phönizisch  ist 
(vgl.  Zobel  de  Zangroniz  »Spanische  Münzen 
mit  bisher  unerklärten  Aufschriften«  in 
Zeitschr.  d.  morgenländ.  Ges.  17,  1863, 
336  und  Mon.  Ling.  ■fber.  118),  aber 
auch  mit  dieser  Schrift  besteht  sonst  keine 
Ähnhchkeit.  So  bleibt  denn  die  Schrift 
des  Ringes  vorläufig  ein  Rätsel.  Es  liegt 
nahe,  an  die  von  Strabon  p.  139  bezeugte 
alte  Schrift  der  Tartessier  zu  denken, 
da  diese  von  der  Schrift  der  anderen  Iberer 
verschieden  war.  Über  das  Alter  des  Ringes 
und  der  Schrift  läßt  sich  zweifeln;  die  Buch- 
staben sehen  altertümlich  aus  —  wie  solche 
des  6.  Jahrb.  v.  Chr.  —  aber  wie  auf  den 


Münzen  jener  9  Städte  könnte  sich  hier  eine 
alte  Schrift  bis  in  römische  Zeit  erhalten 
haben.  Man  erkennt,  daß  sich  in  der  inneren 
Schrift  dasselbe  Wort  dreimal  wiederholt. 
Auch  die  äußere  Inschrift  scheint  dreiteilig 
zu  sein.  Denn  die  mittlere  Gruppe  mit  den 
Zeichen  6 — 9  ist  eingeschlossen  von  2  anderen 
Gruppen,  von  denen  jede  aus  5  Zeichen 
besteht,  und  diese  Zeichen  sind  wiederum 
symmetrisch  geordnet,  indem  rechts  und 
links  von  mittlerem  V  je  2  Zeichen  stehen: 
in  der  Gruppe  i — 5  die  Zeichen  i,  2  und  4,  5, 
in  der  Gruppe  10 — 14  ein  A  (lO,  14)  und  die 
Doppelzeichen  11  und  13.  Allem  Anschein 
nach  bilden  die  Doppelzeichen  einen  Buch- 
staben. Der  Sinn  der  Inschriften  bleibt  na- 
türlich völlig  dunkel,  aber  die  dreimalige 
Wiederholung  desselben  Wortes  in  der  in- 
neren Schrift  deutet  auf  einen  Segensspruch, 
also  ein  Amulett  oder  dgl.  hin.  Es  handelt 
sich  wohl  um  wirkliche  Inschriften,  nicht 
um  mehr  oder  weniger  sinnlose  Zauber- 
formeln oder  Zauberzeichen,  nach  Art  der 
Abraxas  und  »ephesischen  Buchstaben«  (vgl. 
Wünsch,  Zaubergerät  aus  Fergamon  28  f. ; 
Realenz.  V  2771).  Glücks-  oder  Zauberringe 
sind  häufig  (vgl.  Realenz.  s.  Ring  833  f.). 
Einen  innen  und  außen  mit  einer  Zauber- 
formel beschriebenen  Glücksring  finde  ich 
bei  Heim,  Incantamenta  magica  (Fleck- 
eisens Jahrb.  Suppl.  19,  1893,  479,  Nr.  53) 
wo  aus  einem  Zauberbuche  zitiert  wird: 
anulus  de  auro  texta  tunica  fit  exusta,  cui 
insculpitur  vice  gemmae  piscis  aut  delphinus 
sie  ut  holochrysus  sit  et  habeat  in  am- 
bitu  rutunditatis  utriusque  id  est 
interius  et  exterius  graecis  litteris 
scriptum : 

ösö?  xeXsuei  ixy;  xustv  xöXov  uovou?. 

Die  mehrfach  in  der  römischen  Siedlung 
gefundenen  vierkantigen  Kupfernägel 
möchte  man,  da  damals  zu  praktischen 
Zwecken  nur  Eisennägel  verwendet  wurden, 
für  Zaubernägel  halten,  die  ja  oft  aus 
Kupfer  oder  Bronze  sind  (vgl.  Wünsch, 
Zaubergerät  43).  Unter  den  anderen 
Funden  fielen  auf  mehrere  Bruchstücke 
von  Architektur  aus  weißem  einheimischen 
Marmor.  Sie  müssen,  als  Baumaterial 
verwandt,  von  früheren  Bauten  herrühren, 
können  römisch,  können  aber  auch  älter, 
tartessisch,    sein.      Und   damit  berühre  icl; 


Forschungen  nach  Tartessos. 


10 


eine  Hauptfrage:  woher  haben  die  Erbauer 
dieser  spätrörnischen  Stadt  in  dieser  völlig 
steinlosen  Gegend  ihre  Bausteine  genommen  ? 
Die  Bausteine  der  römischen  Siedlung  stam- 
men nach  Dr.  Jessen  zum  guten  Teil  aus  der 
Sierra  Morena,  also  weither.  Ist  es  nun  wahr- 
scheinlich oder  auch  nur  denkbar,  daß 
sich  arme  Fischer  die  ungeheure  Mühe 
gemacht  haben,  diese  Steinmassen  zu  Lande 
oder  Wasser  so  weit  her  zu  holen?  Wahr- 
lich, nein,  sondern  es  ergibt  sich  daraus, 
daß  sie  die  Steine  aus  der  Nähe 
entnahmen,  nämlich  aus  den  Ruinen 
des    alten    Tartessos. 

Für  die  Erbauer  von  Tartessos  dagegen 
war  die  Herbeischaffung  der  Steine  viel 
leichter,  da  sie  sicher  über  viele  Schiffe 
verfügten,  und  viel  lohnender  und  notwen- 
diger, da  sie  sich  von  der  Lage  auf  der 
sicheren  Insel  und  zugleich  am  Flusse  und 
am  Meere  die  größten  Vorteile  versprechen 
konnten,  worin  sie  sich  ja  auch  nicht  ge- 
täuscht haben.  Wenn  demnach  die  rö- 
mische Siedlung  nur  aus  den  Ruinen  von 
Tartessos  erbaut  sein  kann,  dann  muß 
dieses    in    der    Nähe    liegen. 

Auf    derselben     Stelle,     also     unter    der 
römischen  Siedlung  wird  T.  nicht  liegen,  da 
man   sonst  bei   der  Ausgrabung  der  römi- 
schen Siedlung  wenigstens  an  einigen  Stellen 
auf   die   alte    Stadt   hätte   stoßen    müssen. 
Denn  sicherlich  hätten  die  Römer  die  alten 
Mauern  mindestens  mitunter  als  Fundament 
benutzt,  wie  z.  B.  die  Erbauer  des  römischen 
Numantia   ihre   Mauern    meist   unmittelbar 
auf    die    der    Ibererstadt    gesetzt    haben. 
Tartessos  wird    also    in  der   Nähe   der 
römischen    Siedlung    liegen    und    zwar, 
wie    wir    oben    sahen,    unter    dem    Grund- 
wasser.     Seine  Mauern  werden  aber  hoch-   j 
stens    I    m    unter   dem    römischen    Niveau 
und   dem   Wasser   liegen,    denn   da   sich   in   I 
den   1400  Jahren,  die  seit  der  Aufgabe  der 
römischen    Siedlung    (um    500)    und    heute 
verflossen  sind,  nur  i  m  Sand  gebildet  hat, 
dürfte  sich  in  den  700  Jahren,  die  zwischen   j 
der  Zerstörung  von  Tartessos  (500  v.  Chr.)   [ 
und  der  Erbauung  der  römischen  Siedlung  j 
(um  200  n.  Ch.)   liegen,  nicht  mehr  als  i  m  | 
Sand  aufgehäuft  haben.      Auf  der  Strecke 
Cano-Trigo  scheint  Tartessos  nicht  zu  liegen, 
da  sonst  die  diesjährigen   Grabungen  wohl 


dort  irgend  etwas  ergeben  hätten.  Wahr- 
scheinlich liegt  die  Stadt  also  zwi- 
schen Trigo  und  Salabar.  Da  die  Allu- 
vialplatte auf  dieser  Strecke  überall  von 
hohen  Dünen  überschüttet  ist,  wird  die  Son- 
dierung Mühe  machen,  aber  da  es  zwischen 
den  Dünen  Dünentäler  (»corrales«)  gibt,  die 
bis  auf  die  alte  Alluvialplatte  hinabreichen, 
ist  eine  Grabung  möglich.  Und  da  Tartessos 
doch  wohl  eine  große,  ausgedehnte  Stadt 
war,  ist  die  Aussicht,  auf  irgendeine  Stelle 
der  Stadt  zu  treffen,  vorhanden.  Wenn 
aber  erst  einmal  eine  Stelle  gefunden  ist, 
dann  ist  die  weitere  Aufdeckung  nur  eine 
Frage  des  Geldes.  Und  schon  die  Lage 
einer  solchen  Stadt  festzustellen,  ist  jeder 
Mühe  wert  und  dieses  Ziel  muß  erreicht 
werden. 

An  den  Sonntagen  wurden  mehrfach 
archäologische  Streifereien  in  die  Umgegend 
unternommen.  Eine  galt  der  alten  Stadt 
Ebora,  heute  Cortijo  de  Ebora,  5  km 
östlich  von  Bonanza.  Man  erkennt  eine 
ausgedehnte  Stadtanlage,  die  sich  am  Rande 
der  Maremme  über  mehrere  Hügel  erstreckt. 
Über  dem  Boden  findet  man  außer  zahllosen 
Steinen,  Ziegeln,  Scherben  noch  eine  römische 
Zisterne.  In  Sanlucar  hat  Bonsor  die  Stelle 
des  Tempels  des  Morgensternes  (Lu- 
cifer,  davon  Sanlucar,  vgl.  Strabon  p.  140 
und  Tartessos  74)  festgestellt:  auf  der 
Höhe  der  Kathedrale,  die  offenbar  die  Nach- 
folgerin des  alten  Tempels  ist,  wie  sich  aus 
8  römischen  Säulen  ergibt,  die  dort  einge- 
mauert sind.  Der  Kult  der  Gestirne  ist 
alttartessisch.  Auf  der  Rückreise  sah  ich 
im  Museum  zu  Cordoba  den  vor  einiger 
Zeit  in  der  Nähe  von  Espejo  (südöstlich  von 
Cordoba)  gefundenen  steinernen  Löwen, 
ein  wundervolles  Kunstwerk,  das  die  Zahl 
der  iberischen  Skulpturen  um  ein  beson- 
ders schönes  Exemplar  vermehrt.  Wie  die 
ganze  iberische  Skulptur,  die  sich  bekannt- 
lich auf  den  Süden  der  Halbinsel  beschränkt, 
geht  dieses  Werk  auf  ionischen  Einfluß 
zurück,  wie  denn  ein  neulich  in  Phokaia 
gefundener  Löwe  dem  iberischen  »leon 
de  Bocairente«  des  Madrider  Museums 
gleicht   (vgl.    Tartessos   27,  69). 

Erlangen.  A.  Schulten. 


II 


Zur  Caeretaner  Busirisvase. 


12 


ZUR  CAERETANER  BUSIRIS  VASE. 

Friedrich  Matz  zeigt  im  Arch.  Anz.  192  i, 
1 1  ff.,  daß  das  Hauptmotiv  der  Busiris- 
vase formal  durch  unmittelbare  Anschauung 
ägyptischer  Bilder  angeregt  worden  ist.  In 
Anm.  366  meiner  ungedruckten  Dissertation 
»Kriegers  Abschied  und  Heimkehr  I«  (vgl. 
Arch.  Anz.  192 1,  2 64 f.)  hatte  ich  die 
gleiche  Erkenntnis  durch  andere  Belege 
begründet.  Inzwischen  konnte  ich  das 
Material,  durch  das  die  in  Frage  stehende 
Beziehung  klar  bewiesen  werden  dürfte, 
noch  vermehren  und  möchte  jetzt  nicht 
mehr  damit  zurückhalten,  um  Matz'  Aus- 
führungen zu  ergänzen  und  zu  unterstützen. 

Schon  die  ganze  Idee,  das  Bildfeld  rings 
um  eine  überragende  Siegergestalt  mit  den 
zappelnden  Gliedern  toter  und  fliehender 
Feinde  zu  bedecken,  dürfte  durch  ägyptische 
Kamptbilder  wie  das  von  Karnak,  Lepsius 
Abt.  III  126a,  angeregt  sein.  Wie  Herak- 
les seine  Gegner  niedertritt,  das  erinnert 
an  die  ägyptischen  Siegerkönige  mit  dem 
Feind  unter  den  Füßen  (z.  B.  Champollion, 
Monum.  de  l'Egypte  I  pl.  17;  vgl.  auch  III 
pl.  297,  2).  Besonders  gut  lassen  sich  mit 
dem  unter  Herakles'  rechtem  Beine  zappeln- 
den -Ägypter  der  Asiat  und  der  Neger  ver- 
gleichen, die  unter  den  Krallen  der  Sperber- 
löwen auf  dem  Brustschild  Osertesens  III. 
liegen  (Morgan,  Fouilles  ä  Dahchour  I 
pl.  XXI  ob.  1;  S.  64  Nr.  i).  —  Für  die  Stel- 
lung des  Gegners,  der  sich  unter  Herakles' 
linker  Ferse  krümmt,  sei  an  Typen  wie 
Wilkinson,  Manners  and  customs  IP  74 
Nr.  341  d  oder  Lepsius  Abt.  III  160  Mitte 
erinnert.  Das  Vorbild  für  den  kopfüber 
Schwebenden,  den  des  Riesen  linke  Faust 
am  Beine  packt,  ist  etwa  in  Figuren 
/u  suchen  wie  der  des  vom  Pfeil  durch- 
bohrten Hettiters  in  der  Mitte  des  Schlacht- 
reliefs Champollion,  a.  a.  O.  pl.  XXVI  = 
Maspero,  Hist.  anc.  des  peuples  de  l'or. 
class.  II  225  Abb.  —  Die  Skizze  zu 
der  erbarmungswürdig  verbogenen  Gestalt 
des  Königs  Busiris  könnte  etwa  vor  dem 
Seeschlachtrelief  Ramses'  III.  (Rosellini, 
Monumenti  storici  131  =  Erman,  Ägypten 
u.  ägypt.  Leben  II  712)  genommen  sein, 
wo  ungefähr  in  der  Mitte  (unter  dem  Steuer- 
ruder des  ersten  Schiffes  von  rechts  in  der 


zweiten  Reihe)  sein  fast  genaues  Vorbild 
liegt.  Ähnliche  Stellungen  z.  B.  Lepsius 
Abt.  III  127  a  ob.  1.  u.  unt.  Mitte;  Abt.  V 
75  unt.  1.  —  Der  kleine  Neger,  schreiend 
und  schlotternd  hinter  demAltar  verkrochen, 
wirkt  wie  eine  Parodie  auf  Knieende  wie 
Maspero,  a.  a.  O.  II  159  Abb.  unt.  1. 
(Stele  im  Louvre);  392  Abb.  (Tempel- 
relief von  Ibsambul);  511  Abb.  =  Ro- 
sellini, Monumenti  civili  pl.  CXXVI  2  —  3 
r.  (Mumienklage).  —  Auch  die  in  Reih 
und  Glied  anmarschierenden  Mohren  der 
Caeretaner  Vase,  mit  denen  dann  auch  die 
Keulenträger  der  Eberjagdhydria  Mon.  d.  I. 
VI/VII  Taf.  77  zu  verbinden  wären,  wollen 
mit  den  ähnlichen  Kriegerreihen  auf  ägyp- 
tischen Grabkammerreliefs  verglichen  werden/ 
wie  Lepsius  Abt  II  47  unt.;  51;  III  92; 
Wilkinson,  A  populär  account  of  the  anc. 
Egypt.  I  338  f.  —  Und  sind  zur  Charak- 
terisierung der  Ägyptertypen  nicht  Züge 
aus  ägyptischen  Semitendarstellungen  ver- 
wendet? (vgl.  Lepsius  Abt.  II  133;  III 
40;  76  unt.  1.;  116).  Und  damit  kommen 
wir  auf  das  ganz  singulare  Kolorit  unserer 
Vase:  der  rote  Ägypterkönig,  riesengroß, 
wütet  unter  den  kleinen  gelb-  und  schwarz- 
häutigen Feinden!  Auch  die  merkwürdigen 
gelben  Haare  einiger  Heraklesopfer  finden 
wir  auf  dem  Bildhauerrelief  von  Theben 
(Lepsius  Abt.  III  41)  wieder. 

Daß  mit  der  Erkenntnis  dieses  äußer- 
lichen Abhängigkeitsverhältnisses  des  »Cae- 
retaner« Meisters  zu  ägyptischen  Motiven  sein 
künstlerisches  Verdienst  nur  noch  steigt, 
die  Komik  seiner  Schöpfung  um  so  erschüt- 
ternder wirkt,  hat  Matz  gebührend  hervor- 
gehoben. 

Ein  eingehenderes  Studium  ägyptischer 
Monumente,  als  es  das  mir  hier  zur  Verfü- 
gung stehende  Material  erlaubt,  würde  die 
Beobachtungen  in  dieser  Richtung  vielleicht 
noch  vermehren  lassen.  Dabei  würden  na- 
türlich auch  die  übrigen  leider  nur  zu 
so  kleinem  Teil  gut  publizierten  Caeretaner 
Hydrien  in  den  Kreis  der  Betrachtung  zu 
ziehen  sein.  Hier  sei  nur  zum  Schluß  noch 
darauf  hingewiesen,  daß  der  Wasservogel 
der  Europavase  Castellani  (Jahn,  Entlührung 
der  Europa  Taf.  Va)  nähere  Verwandtschaft 
mit  den  Vögeln  der  ägyptischen  Papyrus- 
\yälder    als    mit   irgend  einer    griechischen 


13 


Moderne  Fälschungen. 


14 


Vogel  wiedergäbe  zeigt  (vgl.  Schäfer,  Von 
ägypt.  Kunst  I  98  f.  und  das  Material 
der  Tabelle  A  bei  Delbrück,  Beitr.  z. 
Kenntn.  d.  Linienperspekt.   10  f.). 

Athen.  Walther  Wrede. 


MODERNE  FÄLSCHUNGEN. 

Im  Bande  34  dieses  Jahrbuches,  Archäol. 
Anz.  118  ff.  hat  Maximilian  Mayer  unter 
dem  Titel:  Ein  antikes  Wandbild  in  einem 
Kodex  von  1467  eine  kleine  Handzeich- 
nung veröffentlicht  und  ausführlich  be- 
sprochen, die  er  in  einer  im  Besitze  von 
Karl  W.  Hiersemann -Leipzig  befindlichen 
Handschrift  von  Servius:  Kommentar 
zu  Virgil  aufgefunden  hat  und  von 
der  er  schon  vorher  eine  kurze  Notiz  in  der 
Kunstchronik  1920,  Nr.  16,  335  gegeben 
hatte.  M.  hält  diese  Zeichnung  für  gleich- 
zeitig mit  der  Niederschrift  der  Handschrift. 
Die  Handschrift  ist  aber  an  ihrem  Schlüsse 
ganz  unzweifelhaft  authentisch  vom  Schrei- 
ber selbst  mit  der  Jahreszahl  1467  datiert, 
und  zu  dieser  ihrer  Datierung  stimmt  so- 
wohl der  Charakter  der  Schrift  als  auch 
die  Fabrikmarke  des  Papiers,  nach  der 
dasselbe  in  einer  oberitalienischen  Fabrik 
um   das   Jahr   1465   hergestellt    ist. 

M.  sagt  nun  a.a.O.  118  in  bezug  auf 
die  Zeichnung:  »Sie  ist,  vielleicht  von  dem 
Schreiber  selbst,  jedenfalls  aber  gleich- 
zeitig mit  der  Schrift  in  der  gleichen  Tinte 
hergestellt,  zeigt  dieselbe  Farbe  und  den- 
selben schwachen  Grad  der  Verblassung. 
Daß  sie  300  Jahre  später,  nach  Aufdeckung 
der  Vesuvstädte  in  den  freigebliebenen 
Raum  eingefügt  worden  sei,  auf  diese  Ab- 
surdität wird  nicht  so  leicht  jemand  ver- 
fallen«. 

Leider  muß  ich  mich  nun  aber  doch  zu 
dieser  »Absurdität«  bekennen,  und  es  ist 
darüber  hinaus  sogar  meine  Absicht  und 
feste  Erwartung,  durch  diese  Zeilen  auch 
andere  zum  Glauben  an  dieselbe  zu  be- 
kehren. 

Um  mit  der  Grundlage  zu  beginnen,  auf 
die  M.  seine  obige  Behauptungen  gründet, 
so  ist  hier  zunächst  festzustellen,  daß  es 
durchaus  nicht  zutrifft,  was  M.  als  sicher 


hinstellt,  daß  nämlich  die  Tinte  der  Zeich- 
nung und  der  Schrift  des  Textes  die  gleiche 
sei.  Der  Verfälscher  der  Handschrift,  denn 
um  einen  solchen  handelt  es  sich  im  vor- 
liegenden Falle,  wie  weiter  unten  noch  zu 
erörtern  sein  wird,  war  natürlich  nicht  so 
töricht  und  ungeschickt,  für  das  von  ihm 
in  die  Handschrift  einzuschmuggelnde  Bild 
eine  ganz  abstechende  Tinte  zu  wählen, 
sondern  hielt  sich  mit  dem  braunen  Farbton 
seiner  Bildtinte  möglichst  nahe  an  den 
Farbton  der  Schrifttinte;  aber  bei  einer 
genaueren  Prüfung  ist  doch  ganz  sicher 
und  deutlich  zu  sehen  und  zu  erkennen, 
daß  im  Unterton  die  Bildtinte  nach  dem 
Rot,  die  Schrifttinte  dagegen  nach  den 
Grün  des  Spektrums  gravitiert,  und  somit 
offensichtlich  zwei  Tinten  von  ganz  ver- 
schiedenen chemischen  Konstitutionen  vor- 
liegen. Kann  demnach  aber  von  einer 
Gleichheit  der  Tinten  nicht  die  Rede  sein, 
so  ist  damit  auch  natürlich  der  Skepsis 
gegen  die  Gleichzeitigkeit  von  Schrift  und 
Bild   Tür    und    Tor   geöffnet. 

Im  Grunde  genommen  ist  damit  aber  die 
Theorie  Mayer's,  der  in  dieser  Handzeich- 
nung die  Kopie  der  Nachzeichnung  eines 
inzwischen  verlorengegangenen  Wandge- 
mäldes aus  einem  der  stadtrömischen  Häu- 
ser oder  Paläste  erblicken  will,  bereits  er- 
ledigt, denn  nur  wenn  wirklich  und  ganz 
unzweifelhaft  durch  die  Identität  der  Tinten 
und  etwa  durch  Überschneidungen  des 
Bildes  durch  die  Ausladungen  der  Schrift 
die  Gleichzeitigkeit  der  Handzeichnung  mit 
der  Textschrift  verbürgt  und  sichergestellt 
wäre,  würde  man  sich  notgedrungen  zu  einer 
solchen  Erklärung  der  Entstehung  des 
Bildes  bequemen  müssen.  Ja,  hier  läßt  sich 
meiner  Ansicht  nach  der  Nachweis  direkt 
erbringen,  daß  die  Verfälschung  der  Servius- 
handschrift,  die  sich  übrigens,  wie  wir 
sehen  werden,  nicht  nur  auf  dieses  Bild 
allein  erstreckt,  tatsächlich  erst  in  neuerer 
Zeit  und  zwar  zum  mindesten  erst  nach 
1780  stattgefunden  hat,  denn  als  die  direkte 
Vorlage  des  Bildfälschers  läßt  sich  das  Bild 
13  des  ersten  Bandes  der  Antiquit6s  d'Her- 
culanum,  grav^es  par  F.  A.  David,  avec  leurs 
explications.  Par  P.  S(ylvan)  Marechal. 
Paris  1780  mit  aller  wünschenswerten  Sicher- 
heit  erweisen. 


15 


Moderne  FUschungen. 


I6 


Als  mir  die  Handschrift  von  der  Firma 
Hierscmann  zum  Ankauf  für  die  Preußi- 
sche Staatsbibhothek  zugesandt  wurde, 
und  ich  sie  zunächst  an  der  Hand  der  mit- 
gesandten Beschreibung  untersuchte,  wurde 
ich  in  betreff  des  Bildes  nicht  nur  wegen 
des  Stoffes  und  der  darin  zutage  tretenden 
so  außerordentlich  engen  Beziehung  zu  dem 
Herkulanischen  Gemälde,  die  das  angeb- 
liche stadtrömische  Bild  abgesehen  von 
gewissen  Vereinfachungen  und  leicht  zu 
bewirkenden  Aus- 
scheidungen an  Fi- 
guren und  Staffage 
zu  einer  unmittel- 
baren und  nur  durch 
die  Voraussetzung 
ein  und  desselben 
Kartons  und  ein 
und  desselben  aus- 
führenden Künst- 
lers in  Rom  und 
Herculanum  erklär- 
lichen Dublette 
stempeln  würden, 
sondern  zunächst 
und  in  der  Haupt- 
sache durch  einen 
anderen  Umstand 
stutzig,  der  nicht 
den  oder  meinet- 
wegen auch  die  aus- 
führenden Künstler 
der  beiden  Wand- 
gemälde in  Rom 
und  in  Herkulanum 
angehen  würde,  son- 
dern direkt  den  Abb 
Zeichner  des  Bil- 
des der  Handschrift  und  seine  Zeichen- 
technik  berührt.  Es  ist  das  die  Art  und 
Weise  der  Körperschraffierung  sowie  der 
Strichfüllung  der  Standfläche  und  des  Hin- 
tergrundes, die  mir  völlig  unvereinbar  er- 
schien mit  dem,  was  ich  bisher  in  dieser 
Beziehung  an  Hand-  und  Federzeichnungen 
der  fraglichen  Zeit  erfahren  und  beobachtet 
zu  haben  glaubte.  Sodann  aber  suchte 
ich  vergeblich  nach  einem  plausiblen  Grunde 
für  die  Umkehrung  des  Bildes  in  der  Hand- 
zeichnung,  für  die  sich  auf  den  Wegen  des 
direkten    Kopierens,    Pausens    oder    Nach- 


zeichnens  mir  schlechterdings  keine  Er- 
klärungsmöglichkeit bietet,  wie  auch  M. 
für  diese  doch  wahrlich  auffallende  Tatsache 
keine  ausreichende  Erklärung  beibringen 
kann.  Freilich  kommen  auch  unter  Vari- 
anten antiker  Gemälde  vereinzelt  Umzeich- 
nungen  im  Gegensinne  vor,  wenn  etwa  die 
Korrelation  zu  einem  anderen  Gemälde, 
das  als  Pendant  dieselbe  Raumwand 
schmückte  oder  andere  Raumnotwendig- 
keiten Veranlassung  dazu  gaben,  aber  der 
antike    Maler    läßt 


6^<^ticwn.'i;*.<r.  '3^t!CfLti.{^\sf, 


dabei  nicht,  wie  es 
der  Spiegel  und  das 
mechanische  Repro- 
duktionsverfahren 
tun,  links  zu  rechts 
und  rechts  zu  links 
werden,  sondern  er 
zeichnet  die  Einzel- 
figuren in  Tracht 
und  Gesten  so  um, 
daß  sie  der  nor- 
malen Anschauung 
entsprechen. 

Nun  erinnerte  ich 
mich     aber    einmal 
früher  im  archäolo- 
gischen Seminar  zu 
Göttingen  bei Übun  - 
gen    über    die    Ge- 
mälde    des     Philo - 
Stratos,  die  wir  sei- 
nerzeit   unter    Karl 
Dilthey'sLeitung  ge- 
trieben hatten,  Nach- 
bildungenderHerku- 
Federzeichnung  in  einem  Servius-Codex  von  1467.  lanischen     Wandge- 
mälde    in     Kupfer- 
stich    in     den    Händen    gehabt   zu   haben, 
welche     die    Darstellungen    dieser  Gemälde 
sämtlich  im    Spiegelbilde  wiedergeben,   weil 
sie   der   Stecher    nach    der  großen  Ausgabe 
der  Antichitä   di    Ercolano    direkt   auf   die 
Kupferplatte  gezeichnet  und  gestochen  hat, 
ohne    sich    der   Mühe    zu    unterziehen,    die 
Zeichnungen    mit    Rücksicht    auf    die    um- 
kehrende Wirkung  des  Abdrucks  im  Gegen- 
sinne  auf   seine   Platten   zu   bringen.      Die 
Preußische  Staatsbibliothek  besitzt  sonder- 
barer Weise  dieses  Werk  nicht,  aber  in  der 
Bibliothek   der  staatlichen   Museen   konnte 


17 


Moderne  Fälschung^en. 


i8 


Herr  Dr.  Winkler  das  obengenannte  Werk 
als    das    gesuchte    zur    Stelle    schaffen. 

Ich  lasse  hier  nun  beide  Bilder  nebenein- 
ander abdrucken  und  glaube  mich  der  sicheren 
Überzeugung  hingeben  zu  dürfen,  daß  kein 
Sachverständiger  im  geringsten  mehr  be- 
zweifeln wird,  daß  der  David'sche  Kupfer- 
stich die  direkte  Vorlage  des  Verfälschers 
der  Handschrift  für  das  eingeschmuggelte 
Bild  gewesen  ist,  so  daß  diese  angebliche 
Handzeichnung  des  15.  Jahrhunderts  tat- 
sächlich also  erst  nach  1780  in  diesen  Ser- 
viuskodex  von  1467 
kann  eingezeichnet 
worden  sein.  Die 
Maße  beider  Bilder 
stimmen  nämlich  so 
genau  ')  miteinander 
überein  und  die 
Konturen  der  Hand- 
zeichnung und  des 
Kupfers  decken  sich, 
wie  ich  mit  Hilfe 
einer  angefertigten 
Pause  der  ersteren 
nachgeprüft  habe, 
mit  solcher  mathe- 
matischen Genauig- 
keit, daß  an  die- 
sem Verhältnisse  der 
beiden  Bilder  gar 
kein  Zweifel  aufkom- 
men kann.  Wo  Ab- 
weichungen zwi- 
schen Kupfer  und 
Zeichnung  vorliegen, 

handelt  es  sich  ausnahmslos  um  Verein- 
fachungen, zu  denen  der  Zeichner  des 
Bildes  sich  genötigt  sah,  weil  er  sonst,  um 
nicht  selbst  sofort  durch  den  fragmen- 
tarischen Charakter  seiner  Zeichnung  seine 
Herkulanische  Vorlage  unmittelbar  zu  ver- 
raten, zu  umfangreichen  Ergänzungen  (Hals 
und  Kopf  der  Lokalgöttin,  Tür  des  Laby- 
rinths mit  den  herausströmenden  Geretteten, 
Unterkörper  des  den  Arm  des  Retters 
küssenden    kleinen    Burschen    u.    dgl.)    ge- 

')  Das  Klischee  der  Reproduktion  der  Hand- 
zeichnung ist  bei  der  zugrunde  hegenden  photo- 
graphischen Aufnahme  um  ein  ganz  geringes  Maß 
verkleinert;  es  ist  das  aber  so  wenig,  daß  es  für 
Einzelheiten  der  Zeichnung  völlig  wirkungslos  ist 


1 

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1 

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Abb.  2.     Uavid,   Antiq.  d'Herculanum  1870,  PI.  13. 


zwungen  gewesen  wäre,  und  er  sich  auf 
dieses  für  ihn  gefährliche  Gebiet  offenbar 
in  richtiger  Erkenntnis  seines  zeichnerischen 
Unvermögens  nicht  ohne  den  zwingendsten 
Grund  zu  begeben  wagte.  Wie  begründet 
diese  seine  Furcht  war,  zeigt  uns  mit  völliger 
und  überzeugender  Deuthchkeit,  die  Be- 
handlung der  linken  unteren  Bildecke, 
wo  er  solche  Ergänzungen  schlechterdings 
nicht  umgehen  konnte.  Hier  hat  nämlich  der 
Bildfälscher,  weil  er  den  nackten  Körper 
offensichtlich  zeichnerisch  zu  meistern  nicht 
verstand,  den  knie- 
enden Epheben  halb 
unter  dem  Gewände 
der  hinter  ihm  ste- 
henden Gefährtin 
versteckt,  als  sei  er 
ihr  zwischen  den  Bei- 
nen durchgekrochen. 
Überhaupt  ist  die 
ganze  Kleidung  dieser 
Mädchenfigur,  die  ja 
an  der  ganzen  linken 
Seite  und  in  den  un- 
teren Partien  völlig 
auf  Ergänzung  be- 
ruht, sehr  problema- 
tisch ausgefallen,  und 
hier  verrät  sich  der 
fälschende  Pfuscher 
mit  jedem  Strich. 

Ich  halte  es  für  völ- 
lig unnötig,  hier  in 
dieser  Beziehung  noch 
weitere  Einzelheiten 
der  Zeichnung  zu  erörtern,  da  ich  glaube 
annehmen  zu  dürfen,  daß  das  Gesagte 
genügt  und  jeder  nun  an  der  Hand  der 
Gegenüberstellung  von  Original  und  Kopie, 
sich  über  jede  Einzelheit  selbst  das  richtige 
Urteil  wird  bilden  können;  aber  ich  muß 
hier  noch  auf  die  im  Vorstehenden  mehrfach 
erwähnten  anderweitigen  Verfälschungen  der 
Serviushandschrift  mit  einigen  Worten  ein- 
gehen. 

Meiner  Auffassung  nach  liegt  die  Sache  da- 
bei so:  Die  ganz  unzweifelhaft  echte,  im  Jahre 
1467,  wie  gesagt,  von  Humanistenhand  ge- 
schriebene Handschrift  war,  wie  das  ja  so 
oft  der  Fall  ist,  unter  Aussparung  der 
Räume    für    Initialen    und    Überschriften, 


>9 


Moderne  Fälschungen. 


20 


deren  Ausführung  einem  Rubrikator  und 
Miniator  überlassen  werden  sollte,  nachher 
unrubriziert  und  ohne  den  beabsichtigten 
Schmuck  von  farbigen  Initialen  geblieben, 
ein  Mangel,  dem  der  Fälscher  zunächst 
dadurch  abzuhelfen  suchte,  daß  er  vorn 
einige  farbige  Initialen  einfügte,  für  die 
er  ohne  Zweifel  humanistische  Vorbilder 
benutzt  hat,  und  von  denen  die  erste  ein 
Kopfbild  Virgils  enthält.  Nun  sind  ja  natür- 
lich auch  nicht  alle  Schreiber  undMiniatoren 
des  ausgehenden  Mittelalters  immer  gerade 
hervorragende  Künstler  auf  diesem  Gebiete, 
aber  solch'  klägliches  Machwerk,  wie  es 
in  diesen  farbigen  Initialen  vorliegt,  findet 
man  in  Humanistenhandschriften  denn  doch 
sehr  selten.  Was  mir  aber  den  hierdurch 
geweckten  Verdacht,  daß  auch  diese  Ini- 
tialen der  Pfuscharbeit  des  Bildfälschers 
ihr  Dasein  verdanken  könnten,  bestätigt, 
sind  die  für  die  Illuminierung  derselben 
verwendeten  Farben,  die  einem  modernen 
Kindertuschkasten  zu  entstammen  scheinen, 
sowie  die  wohl  ebendaher  entnommene 
Bronzetinktur,  mit  der  die  »Goldhöhung« 
dieses  Initialenschmuckes  ausgeführt  ist. 
Wer  diese  Initialen  mit  anderen  vergleicht, 
die  unzweifelhaft  in  jene  Zeit  fallen,  in  der 
sie  angeblich  hergestellt  sind,  wird  auch 
da,  wo  er  künstlerisch  recht  minderwertige 
Erzeugnisse  zum  Vergleiche  wählt  und  von 
dem  Rein -zeichnerischen  ganz  abstrahiert, 
durch  den  Vergleich  der  Farben  allein  ohne 
Zweifel  zu  derselben  Überzeugung  kommen 
müssen.  Dazu  kommt  nun  aber  noch,  daß 
in  der  Handschrift  auch  noch  andere  Ini- 
tialen mit  roter  Farbe  eingezeichnet  sind, 
die  ich  gleichfalls  für  die  Arbeit  des  späten 
Verfälschers  der  Handschrift  halte,  weil 
sie  im  Stil  untereinander  ganz  ungleich- 
mäßig sind  und  dadurch  den  Eindruck 
hervorrufen,  als  seien  für  sie  die  Vorlagen 
mühselig  aus  verschiedenen  Handschriften 
zusammengesucht.  Ganz  besonders  ver- 
dächtig, ja  ich  darf  wohl  sagen,  direkt  un- 
möglich, sind  für  eine  Humanistenhand- 
schrift aber  auch  die  zahlreichenÜbcrschrif  ten 
der  einzelnen  Bücher  und  Buchabschnitte 
in  Unzialschrift.  Ich  konnte  mich  nicht 
entsinnen,  jemals  bisher  eine  Humanisten- 
handschrift mit  solchen  Überschriften  in 
Unzialis  gesehen  zu  haben,  und  habe  mich 


deshalb  der  Mühe  unterzogen,  alle  mir 
erreichbaren  Humanistenhandschriften  der 
Staatsbibliothek,  und  wir  haben  deren  eine 
nicht  geringe  -Anzahl,  daraufhin  zu  durch- 
mustern, und  das  für  mich  nicht  über- 
raschende Resultat  war  daß  unter  ihnen 
allen  nicht  eine  einzige  mit  solchen  unzialen 
Überschriften  zu  finden  war.  Dieser  Um- 
stand macht,  das  wird  man  wohl  allgemein 
zugeben,  diese  Überschriften  schon  minde- 
stens fälschungsverdächtig.  Es  kommt 
aber  noch  hinzu,  daß  die  Ausführung 
derselben  eine  ganz  auffällige  Unbeholfen - 
heit  verrät  auch  in  solchen  Einzelheiten, 
die  wie  z.  B.  die  darin  vorkommenden  Zahl- 
zeichen mit  der  Ungewohntheit  der  Unzial- 
schrift gar  nichts  zu  tun  haben;  auch  hier 
gewinne  ich  durchaus  den  Eindruck  einer 
unbeholfenen   späten   Fälschung. 

Von  außerordentlichem  Interesse  würde 
es  nun  aber  sein,  die  Person  des  Fälschers 
selbst  zu  ermitteln,  und  in  dieser  Hinsicht 
ist  Folgendes  zu  bemerken.  Die  Handschrift 
trägt  vorn  im  Bande  das  Exlibris  des 
Malers,  Kunst-  und  Büchersammlers  Sehen - 
nis,  aus  dessen  Nachlaß  sie  mit  zahlreichen 
anderen  Handschriften  und  Büchern  in 
den  Besitz  des  Hiersemann'schen  Antiqua- 
riats übergegangen  ist;  und  nun  muß  ich 
daran  erinnern,  daß  aus  dem  gleichen  Be- 
sitze auch  jene  Handschrift  stammte,  aus 
deren  Einband  Mayer  (s.  Kunstchronik  1920, 
Nr.  16,  335)  auch  das  von  mirin  den  Sitzungs- 
berichten d.  Berliner  Akademie  1919,  468  ff. 
veröffentlichte  Fragment  einer  Plautushand- 
schrift  ausgelöst  hat,  dessen  Echtheit  E.  Cha- 
telain  in  den  Comptes  rendus  des  seances  de 
l'acad^mie  des  inscriptions  et  belles  lettres 
1921,  223 — 229  mit  nicht  leicht  zu  nehmen- 
den, wenn  auch  nicht  absolut  überzeugenden 
Gründen  bestritten  hat.  Das  in  dieser 
Serviushandschrift  unzweifelhaft  vorliegende 
Fälscherstückchen  macht  mich,  ich  stehe 
nicht  an,  das  offen  zu  erklären,  in  meinem 
Glauben  an  die  Echtheit  des  aus  dem  gleichen 
Besitze  stammenden  Plautusfragments  wan- 
kend ').    Ob  das  dritte  von  Mayer  a.  a.  0. 


')  Ich  gehe  hier  vorläufig  auf  das  Plautusfrag- 
ment  und  seine  Echtheit.'sfrage  absichtlich  nicht 
weiter  ein,  weil  ich  den  Resultaten  der  farbentech- 
nischen Untersuchungen,  die  Herr  Prof.  Maaß  in 
der  chemisch  technischen  Reichsanstalt  auszuführen 


21 


Moderne  Fälschungen. 


22 


genannte  Stück,  ein  Liviusbruchstück  des 
5.  Jahrh.,  das  zu  Gesicht  zu  bekommen 
ich  mich  leider  bisher  vergeblich  bemüht 
habe,  auch  aus  einer  der  Schennis'schen 
Handschriften  stammt,  weiß  ich  nicht,  aber 
fälschungsverdächtig  ist  es  mir  vom  ersten 
Augenblicke,  in  dem  ich  davon  las,  durch 
seinen  Inhalt  erschienen,  denn  der  Zufall, 
daß  das  Fragment  gerade  mit  dem  Schluß 
der  vorliegenden  Überlieferung  zusammen- 
fällt und  nur  mit  ein  paar  Worten  über  den 
Schluß  unserer  Handschriften  hinausgieift, 
ist  doch  wahrlich  zu  merkwürdig  und  auf- 
fällig, um  nicht  den  obigen  Verdacht  ge- 
radezu  von   selbst   herauszufordern. 

In  allen  diesen  Fällen  ist  nun  unbedingte 
Aufklärung  über  alle  noch  ungeklärten 
Fragen  zu  verlangen,  wozu  vor  allen  Dingen 
hinsichtlich  der  beiden  Fragmente  die  Her- 
beischaffung der  Bände,  aus  denen  sie 
ausgelöst  sind,  notwendig  sein  würde, 
um  von  den  Fundumständen,  der  Pro- 
venienz und  der  Entstehung  dieser  Frag- 
mente ein  sicheres  Urteil  gewinnen  zu 
können.  M.  Mayer  als  der  erste  Ent- 
decker aller  dieser  drei  Stücke,  der  beiden 
fälschungsverdächtigen  und  des  nach- 
weislich gefälschten  dritten  Stückes  wird 
gewiß  die  Verpflichtung  anerkennen,  zu 
diesen  notwendigen  Aufklärungen  mit  allen 
seinen  Kräften  beizusteuern.  Es  muß  ver- 
sucht werden,  zu  ermitteln,  von  wem  die 
Fälschungen,  soweit  sie  festzustellen  sind 
(und  hier  könnte  man  bei  der  vorliegenden 
Sachlage  die  Untersuchung  eventuell  auch 
auf  andere  aus  Schennis'schem  Besitze 
stammende  Handschriften  ausdehnen)  her- 
rühren. Angesichts  der  oben  gekennzeich- 
neten Ungeschicklichkeiten  in  den  Ergän- 
zungen der  Handzeichnung  und  der 
ungeschickten  Nachbildung  der  Unzialschrift 
wird  man  schwerlich  dem  »Maler«  Schennis 
die  Urheberschaft  zutrauen  können,  das 
umso  weniger,  als  allgemein  die  Lauterkeit 
seines  Charakters  gerühmt  wird.  Daß 
natürlich    eine   Weltfirma   wie   die    Hierse- 


freundlich  übernoramen  hat,  nicht  vorgreifen  kann. 
Meiner  Ansicht  nach  muß  die  verwendete  Farbe 
in  dieser  Frage  die  sicherste  Entscheidung  geben, 
und  sobald  das  Resultat  vorliegt,  werde  ich  darüber 
sofort  berichten.  [Die  Untersuchung  hat  leider  zu 
keinen  sicheren  Ergebnissen  geführt.] 


mann'sche  und  ein  Gelehrter  wie  Maxi- 
milian Mayer  von  dem  Verdachte,  an  den 
Fälschungen  irgendwie  beteiligt  zu  sein, 
nicht  betroffen  werden  können,  ist  eigent- 
lich so  selbstverständlich,  daß  es  über- 
flüssig erscheinen  mag,  das  überhaupt  zu 
erwähnen. 

Berlin,    Januar  1924.        H.  Degering. 

Erwiderung. 

Durch  die  vorstehenden  Bemerkungen 
Degerings  wird  der  Inhalt  meines  Aufsatzes 
im  A.  Anz.  (s.  ob.)  größtenteils  nicht  berührt, 
also  nicht  das,  was  ich  über  die  Bildkom- 
position, über  die  zuschauenden  Figuren  und 
Personifikationen  sowie  über  Plinius  dar- 
gelegt habe.  Es  würde,  wenn  sich  das  Er- 
gebnis von  D.s  Nachforschungen  bestätigt, 
nur  der  interessante  Anknüpfungspunkt  weg- 
fallen, den  die  Kodexzeichnung  darzubieten 
schien  ■ —  die  übrigens  seither,  also  in  vier 
Jahren,  von  keiner  Seite  angezweifelt  wor- 
den ist.  Natürlich  habe  ich  —  mein  Text 
zeigt  es  —  von  vornherein  die  Frage,  wie 
die  Zeichnung  sich  zu  dem  im  18.  Jahrh. 
publizierten  Herkulanenser  Gemälde  ver- 
halte, in  Erwägung  gezogen;  ich  habe  sie 
fallen  lassen,  zumal  mir  Carl  Robert  schrieb, 
das  Herkulanenser  Bild  könne  dies  nicht  sein, 
und  Publikation  sei  dringend  erwünscht 
(18.  Sept.  1918).  Daß  die  verblaßte  Tinte 
nachgemacht  sei,  scheint  mir  auch  heute 
noch  nicht  erwiesen.  Wir  hätten  ja,  nach  D., 
als  Anfangs-  und  Fixpunkt  für  die  Datierung 
nur  das  Jahr  1780.  Ob  derjenige,  welcher 
diese  Lücke  im  Kodex  zeichnerisch  ausfüllte, 
wirklich  eine  Täuschung  beabsichtigte,  wäre 
auch  noch  zu  fragen.  Woran  ich  hauptsäch- 
lich Anstoß  nehme,  ist  die  Bezeichnung 
»moderne«  Fälschungen  und  die  Eilfertigkeit, 
womit  dieses  Prädikat  auf  das  Plautus-  und 
das  Livius-Blatt  ausgedehnt  wird. 

Also  zunächst  das  Plautus-BIatt,  als 
dessen  Entdecker  mich  bei  dieser  Gelegen- 
heit weitere  Kreise  kennen  lernen.  Über 
die  Umstände  der  Entdeckung  und  die  Her- 
kunft des  Kodex  selbst,  worin  das  Blatt 
sich  versteckte,  habe  ich  im  Hierscmann- 
schen  Katalog  aufs  genaueste  berichtet  und 
D.  hat  diese  Angaben  in  seiner  Publikation 
gebührend  verwertet.     Ich  füge  hinzu:    das 


23 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlite. 


24 


Blatt  war  innen  an  dem  Holzdeckel  des  alt- 
italienischen Einbandes-  wo  es  als  Pendant 
ein  mittelalterliches  Pergamentblatt  nicht- 
klassischen Inhalts  hatte,  so  fest  aufgeleimt, 
daß  die  Loslösung  nicht  leicht  vonstatten 
ging;  selten  hat  bei  den  vielen,  in  die  Hun- 
derte gehenden  alten  Pergament-Schriftblät- 
tern, die  ich  seitdem  abzulösen  hatte,  da- 
runter hin  und  wieder  klassisch-antike  Texte, 
die  Prozedur  so  viel  Mühe  gemacht.  Wenn 
nun  Chatelain  der  Publikation  gegenüber  den 
Verdacht  äußert,  daß  es  sich  um  eine  Nach- 
bildung alter  Schrift  handele,  die  er,  soviel 
ich  mich  erinnere,  der  Renaissance  zu- 
schreibt, so  mag  das  für  D.  als  Herausgeber, 
der  das  Original  in  Händen  hielt,  unange- 
nehm sein.  Aber  die  Untersuchung  ist  ja 
noch  nicht  abgeschlossen.  Jedenfalls  hätte 
D.  sein  vermeintliches  Mißgeschick  mit 
Würde  ertragen  sollen  und  höchstens  be- 
tonen können,  daß  sich  vor  ihm  auch  andere 
hätten  täuschen  lassen,  anstatt  den  vor- 
stehenden, nicht  gerade  glücklichen  Ab- 
wälzungsversuch zu  unternehmen.  Die  For- 
derung, daß  der  Kodex  selber  vorgelegt 
werde,  als  ob  es  sich  um  ein  Bibliotheks- 
stück, nicht  ein  durch  den  Buchhandel  ge- 
gangenes handele,  ist  nicht  nur  unstatthaft, 
sondern  auch  unhaltbar,  um  nicht  zu  sagen 
sinnlos.  Wer  beweist  uns,  wenn  der  Kodex 
wieder  auftauchte,  daß  dieses  Blatt  an  die- 
sem Deckel  angesessen,  wer  verbürgt  auch 
nur,  daß  die  unansehnlich  gewordene  Innen- 
seite des  Deckels  nicht  inzwischen  gereinigt 
worden.'  Und  wenn  das  Blatt  nun  nicht 
aus  einem  Bucheinband  stammte,  sondern 
eines  der  hunderte  loser  derartiger  Bruch- 
stücke wäre,  wie  sie  mir  vorgelegen:  welche 
Beweiskraft  würde  das  im  Sinne  D.s  haben  ? 

Degering  scheint  sich  gar  nicht  klarge- 
macht zu  haben,  welchen  ungünstigen  Ein- 
druck die  Leser  oder  viele  von  ihnen  be- 
züglich meines  Anteils  an  der  Frage  erhalten, 
ehe  sie  an  den  Schlußpassus  gelangen. 

Aber  um  einmal  darauf  einzugehen,  wie 
denkt  sich  D.  eigentlich  das  Entstehen  sol- 
cher modernen  Plautus-Fälschung.?  Das 
Blatt  wurde  für  einen  Spottpieis  an  die 
Berliner  Bibliothek  verkauft,  für  einen  Preis, 
wofür  kaum  ein  neuzeitliches  Schriftdiplom 
von  50  Zeilen  herzustellen  wäre.  Gibt  es 
in  unsern  Tagen  einen  so  täuschend  geschickt 


arbeitenden  Graphiker,  so  hätte  derselbe  zu 
welchem  Zwecke  gearbeitet?  Damit  das 
Blatt  zerschnitten,  aufgeklebt  und  großen- 
teils der  Zerstörung  preisgegeben  würde? 

Was  nun  das  zweite,  ganz  verschieden 
geartete  Pergamentblatt  betrifft,  in  schönem, 
dabei  geläufigen  Schriftcharakter  des  IV. 
Jahrh.,  ein  Blatt,  worin  ich  den  Schluß  von 
Liv.  45  erkannte,  so  machte  dasselbe,  halb 
beschrieben  wie  es  war,  den  Eindruck  — wenn 
es  nicht  eine  bloße  Schreibübung  war  — , 
als  Schlußblatt  einer  schadhaften  Livius- 
RoUe  bestimmt  gewesen  zu  sein,  ohne  dann 
aber  zur  Verwendung  zu  kommen.  Vielleicht 
war  es  dafür  zu  fehlerhaft  geschrieben.  Aber 
auch  dieser  zerrüttete,  vielleicht  schon  nach 
defekter  Vorlage  geschriebene  Text,  der  sich, 
wie  gegen  D.  zu  bemerken,  in  keiner  Zeile 
mit  dem  überlieferten  deckt,  sondern  eine 
neue  Fassung  bietet,  will  beachtet  sein  und 
läßt  sich  nicht  aus  der  Welt  schaffen.  Das 
verscheuerte,  schwer  lesbare  Blatt  bildete 
den  biegsamen,  alt  angehefteten  Umschlag 
eines  unbedeutenden  italienischen  Druckes 
von  etwa  1600,  eines  Heftchens,  das  zweifel- 
los in  diesem  Zustand  von  De  Schennis  in 
Italien,  unter  so  vielem  Wichtigeren,  erwor- 
ben war.  Man  könnte  sogar  zu  behaupten 
geneigt  sein,  daß  es  sich  seit  drei  Jahr- 
hunderten in  diesem  Zustande  befunden 
habe  —  mit  größerem  Rechte  jedenfalls,  als 
auch  hier  bloß  wegen  der  D. sehen  Plautus- 
Sorgen,  mit  dem  Wort ,, moderne  Fälschung" 
um  sich  zu  werfen.  Ich  möchte  dem  jetzigen 
Besitzer,  wer  er  auch  sei,  nicht  vorgreifen; 
denn  der  direkte  Käufer  war,  wie  ich  höre, 
nur  Mittelsmann  und  der  Name  von  dessen 
Klienten  trotz  aller  Bemühungen  nicht  zu 
erfahren.  D.s  Ansinnen,  die  seit  sechs 
Jahren  im  Buchhandel  befindliche  und  zer- 
streute Sammlung  De  Schennis  teilweis  einer 
Untersuchung  zu  unterziehen,  auch  wenn  es 
an  jemanden  gerichtet  wäre,  der  sonst  nichts 
zu  tun  hätte,  ist  etwas  so  Abenteuerliches, 
daß  dabei  zu  verweilen  sich  nicht  verlohnt. 

Leipzig,  März  1924.  M.  Mayer. 


DIE  ANTIKEN  IM  PARK  ZU  WÖRLITZ. 

(Auszug.) 
Durch    die    Staatsumwälzung    des    Jah- 
res 1918  ist  die  ehemalige  Antikensammlung 


25 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlitz. 


26 


des  Herzogs  Franz  bedauerlicherweise  in 
zwei  Teile  zerrissen  worden.  Alles  im  Schloß 
Befindliche  blieb  Eigentum  des  herzog- 
lichen Hauses  und  konnte  bis  jetzt  nicht 
neubearbeitet  werden.  Der  andere  Teil  der 
Sammlung,  welcher  hier  auszugsweise  be- 
sprochen werden  soll,  gehört  jetzt  der  Jo- 
achim-Ernst-Stiftung zu  Dessau.  Die 
meisten  der  großen  Wörlitzer  Marmorwerke 
sind  von  Arndt  in  den  Einzelaufnahmen 
394 — 403    veröffentlicht    (über   ihre    Erwer- 


Nr.  26 — 41.  Bruchstücke  von  Marmor- 
arbeiten, meist  ArchitekturteiJen,  z.  T.  der 
besten   römischen   Kaiserzeit. 

Nr.  42.  (Abb.  1).  Bruchstück  eines  Re- 
liefs. H.  40  cm,  Br.  41  cm.  Marmor.  Fund- 
ort nicht  überliefert,  doch  wohl  wie  von 
allem  anderen,    Italien. 

In  der  erhöhten  Randleiste  links  ist  der 
ursprüngliche  Abschluß  erhalten.  An  ihrer 
Außenseite  befindet  sich  ein  rechteckiger, 
nach     hinten     ausgebrochener      Einschnitt 


Abb.   I.     Opferung  der  Polyxena. 


bung  vgl.  W.  Hosäus,  Die  Wörlitzer  An- 
tiken, Dessau  1873).  Im  Jahre  1906  kamen 
aus  dem  Nachlaß  I.  K.  H.  der  Prinzessin 
Friedrich  Karl  von  Preußen  —  W.  Heibig 
hat  alles  für  sie  erworben  —  und  von  ihrer 
Hofdame,  der  Gräfin  Clementine  v.  Pückler, 
eine  größere  Anzahl  von  Architekturbruch- 
stücken und  Werken  der  Kleinkunst  hinzu. 
Von  Arndt  nicht  aufgeführt  wurde  die 
gute  Kopie  einer  Aphrodite  (H.  1,05  m), 
Nr.  25,  deren  Original  in  nächste  Nähe 
des  Vorbildes  der  Kapitolinischen  Aphro- 
dite gehört  (Helbig-Amelung,  Führers)  I  803) 


(L.  5  cm,  Br.   I  cm).     Die  Bruchstelle  über 
j  der  Randleiste  ist  unberührt,   alles  Übrige 
ringsherum    modern    geglättet,    ebenso    die 
Rückseite,   in  deren  oberem  Teil   ein  3  cm 
breiter     Eisenklammerrest     steckt.         Teil- 
weise starke  Verwitterung.  Risse  im  Marmor. 
I       Zwei    Jünglinge    helfen    eine    bekleidete 
weibliche  Gestalt  tragen.  Von  einem  dritten, 
der  offenbar  die  Hauptlast  hatte,  sind  der 
rechte    Unterarm    und    der    rechte    Unter- 
schenkel erhalten.     Diesen  hielt  er  deutlich 
aufgestellt  etwa  auf  einen   Stein  oder  eine 
j  Stufe.      Der  Oberkörper  der  Frau  war  er- 


27 


Die  Antiken  im  Park  zu  WOrlitz. 


28 


hoben.  Ihr  Obergewand  ist  herabgeglitten. 
Der  mittlere  Jüngling  ist  mit  einem  Schwert 
bewaffnet.  Die  Tragenden  müssen  sicii 
auf  ansteigendem  Gelände  (oder  Stufen .?) 
bewegt  haben,  wie  eine  Verbindung  ihrer 
Knicc  erweist.  Eine  weibliche  Gestalt  wird 
von  Kriegern  geschleppt,  zweifellos  gewalt- 
.sam  —  zur  Opferung.  Es  stehen  zwei  Deu- 
tungsmöglichkeiten offen:  Opferung  der 
Iphigenie  in  Aulis  oder  der  Polyxena.     Die 


Rilievi  delle  urne  etrusce  Tf.  33  ff.).  Der 
finster  mitleidslose  Ausdruck  in  dem 
Antlitz  auf  dem  Wörlitzer  Relief,  die  Drei- 
zahl  der  Tragenden,  die  starke  Bewegung 
zur  Opferstätte  hin  —  Momente,  die  sich  auf 
keiner  der  Iphigeniendarstellungen,  aber 
sämtlich  auf  der  tyrrhenischen  Amphora 
finden  —  machen  die  Deutung  auf  Opferung 
der  Polyxena  wahrscheinlich.  Auf  dem 
abgebrochenen  Teil  des  Reliefs  stand  dann 


Abb.  2.     Eros  als  Hahnenkämpfer. 


literarische  Überlieferung  kennt  eine  ge- 
waltsame Opferung  der  Iphigenie,  nur  in 
Aischylos'  Agamemnon  231  ff.  Opferdiener 
(aoCoi)  halten  sie  über  den  Altar.  Alle 
spätere  Dichtung  und  Erzählung  beherrscht 
die  Gestaltung  der  Sagen  durch  Euripides: 
Beide  Frauen  bieten  sich  freiwillig  dem 
Tode  dar.  In  der  bildlichen  Tradition 
sind  die  nächsten  Parallelen:  die  Opferung 
der  Poly.xena  auf  der  tyrrhenischen  Am- 
phora in  London  (abg.  Journ.  Hell.  Stud.  18  ' 
pl.  15)  und  das  Iphigenienbild  der  casa  del  j 
poeta  tragico  (abg.  Hermann -Bruckmann 
Tf.   15),     auch     die     Urnenrcliefs     (Brunn,  I 


auf  Stufen  oder  einer  Anhöhe  das  Grabmal 
des  Achill  neben  dem  Neoptolemos  der 
Jungfrau  das  Schwert  in  die  Brust  stieß. 
Die  Schlankheit  der  Gestalten  deutet  auf 
die  Mitte  des  4.  Jhdts.  als  Entstehungszeit 
des  Reliefs.  Kopfbildung  und  Prägung  der 
Muskelpartien  erinnern  entfernt  an  Attisches. 
Neben  einzelnen  Unebenheiten,  wie  z.  B. 
der  steifen  Bildung  des  linken  Oberschen- 
kels des  linken  Jünglings,  der  flüchtigen 
Wiedergabe  des  Schwertes  des  mittleren, 
steht  die  teilweis  vorzügliche  Modellierung 
der  Muskelpartien  und  Glieder,  besonders 
in  der  Bewegtheit  des  mittleren.    Die  starke 


29 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlitz. 


30 


Achsenbewegung  in  der  Körperhaltung  des 
linken  Jünglings  ohne  Gewaltsamkeit  zu 
geben,  ist  dem  Bildner  noch  nicht  geläufig. 
Ebensowenig  vermag  er  an  der  Glutäen- 
partie  des  Mittleren,  wo  drei  Körper  hinter- 
einander darzustellen  sind,  den  Eindruck 
voll -runder  Körperlichkeit  zu  erwecken. 
Wie  steht  die  Bewältigung  dieser  Aufgaben 
im  Zusammenhang  des  reliefbildnerischen 
Schaffens,  zu  datierbaren  Denkmälern.' 


Relief  so  viel  stärker  erhaben,  daß  ein  genauer 
Vergleich  nicht  angängig  ist.  Dagegen  ver- 
mittelt der  Fries  vom  Lysikratesdenkmal  in 
Athen,  der  in  ähnlich  flacher  Reliefierung  wie 
dasWörlitzer  Fragment  gehalten  ist,  den  Ein- 
druck völliger  Plastizität  bei  Höchstmaßen 
von  Bewegungen:  der  Satyr,  der  den  bitt- 
flehenden Seeräuber  am  rechten  Fußgelenk 
über  den  Boden  zerrt,  ist  z.  B.  in  stärkster 
Körperdrehung  dargestellt  (abg.  Br.-Br.  488, 


Abb.  3.     Gipsabguß  nach  dem  Relief  Abb.  2. 


Einen  frühen  Versuch,  die  Oberkörper- 
drehung an  der  nackten  Gestalt  in  flachem 
Relief  wiederzugeben,  stellt  dar  die  Bildung 
des  Heros  auf  dem  Weihrelief  in  Berlin  808 
(abg.  Kekuie-Schröder,  Griech.  Skulptur 
193).  Der  Unterkörper  aber  ist  wieder 
in  Seitenansicht  gedreht.  Auf  den  Mauso- 
leumsfriesen von  Halikarnaß  erfordern 
die  kräftigen  Bewegungen  einzelner  wild 
Kämpfender  schon  starke  Körperdrehungen, 
die  fast  bis  zu  dem  in  Frage  stehenden 
scharfen  Gegeneinander  desOberkörpers  zum 
Unterkörper  gesteigert  werden  (vgl.  J.  d.  I. 
1909,  171,  Beil.  I  29  u.  a.).  Doch  ist  hier  das 


I   4.  Reihe    am    weitesten    links).       Die    Ent- 
{   stehungszeit    des    Frieses    (334    v.  Chr.)    ist 
!   also  terminus  ante  für  das  Wörlitzer  Relief. 
Bestimmteres    wird    sich    bei    dem    provin- 
ziellen    Charakter,     der     diesem     anhaftet, 
kaum  sagen  lassen. 
!       Nr.  43.    Bärtiger  Marmorkopf.    H.  19  cm. 
Kopie    etwa    aus    der    zweiten    Hälfte    des 
2.  Jahrhs.  n.  Chr.   nach  einem  Original  um 
350  V.  Chr.     Nase  stark  beschädigt.     Kopf 
saß  mit  leichter  Neigung  nach  r.  auf  dem 
Körper.    Am  nächsten  verwandt  in  der  Ge- 
samtkonzeption ist  der  Asklepios  von  Epi- 
dauros      (abgeb.    Bulle,     Schöner    Mensch  = 


31 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlitz. 


32 


Abb.  152,  Athen,  Nat.-Mus.).  Die  reiche 
Fülle  der  Vorderansicht  steht  in  einem  ge- 
wissen Gegensatz  zur  klaren  Begrenztheit 
der  Einzelformen  im  Profil. 

Nr.  44.  Weiblicher  Kopf  aus  einem  Hoch- 
relief. Marmor.  H.  23  cm.  Nase,  Lippen, 
Kinn  modern  ergänzt.  L.  Kopfhälfte  un- 
bearbeitet. Wir  haben  es  mit  einer  ins 
Relief  übersetzten  Replik  des  Kopfes  der 
Knidierin  aus  Tralles  zu  tun  (Ant.  Denkm. 
d.  Inst.  I  41). 


dem  oberen  Hahn  ist  der  Rest  eines  zweiten, 
stark  erhabenen  Pfeilers  erhalten.  Er  war 
an  der  linken  Ecke  abgeschrägt,  vielleicht 
übereck  gestellt.  Die  Quaderung  außerhalb 
der  Pfeiler  ist  größer  gehalten  als  zwischen 
ihnen.  Sicheren  Aufschluß  über  drei  Seiten 
der  einstigen  Reliefplatte  gibt  die  Rückseite, 
die  ebenso  wie  die  Plattenränder  als  Bosse 
unregelmäßig  gerauht  ist  und  einen  rahmen- 
den glatten  Saum  trägt  (Abb.  4).  Nur  die 
obere    Begrenzung    ist   ganz   weggebrochen. 


Abb.  4.     Rückseite  des  Reliefs  Abb.  2. 


Nr.  45.  (Abb.  2—4).  Reliefbruchstück. 
Marmor.  H.  27  cm,  Br.  29  cm.  Angeblich 
aus  Pozzuoli.    Große  schwarze  Brandflecken. 

Ein  geflügelter  halbwüchsiger  Knabe  mit 
zwei  Hähnen  vor  einer  Architektur.  Der 
Kopf  des  oberen  Hahnes  und  der  Oberteil 
des  r.  Knabenflügels  waren  antikaufgestückt. 
Die  Brüche  des  1.  Unterschenkels,  des  r. 
Fußes  des  Knaben,  des  Körpers  des  am 
Boden  stehenden  Hahnes  und  des  größten 
Teiles  der  Standplatte  sind  modern  abge- 
arbeitet. Der  basenlose  Pfeiler  hinter  dem 
Standbein  des  Knaben  erscheint  über  dessen 
Kopf  wieder.    An  der  Bruchstelle  rechts  von 


Wo  rechts  die  Standplatte  aufhört,  genau 
in  der  Mitte,  steckt  ein  Rest  des  Eisenstiftes 
der  Befestigung. 

Der  dargestellte  Augenblick  des  Hahnen - 
kampfes  scheint  der  zu  sein:  der  besiegte 
Hahn  wird  von  dem  Knaben  vor  dem  sich 
nach  der  Anstrengung  des  Kampfes  strecken- 
den Sieger  schützend  aufgenommen  (vgl. 
Daremberg-Saglio  I  Abb.  213). 

Eroten  erscheinen  in  hellenistisch -römi- 
scher Zeit  in  allen  menschlichen  Tätigkeiten, 
auch  als  Hahnenkämpfer.  Doch  sind  die 
derart  symbolisch  gegebenen  Gestalten  durch- 
weg  mit   kindlichen    Körpern   ausgestattet. 


33 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlitz. 


34 


Bei  knabenhafter  Bildung  scheinen  wir  da- 
gegen auf  bestimmte  mythologische  Gestal- 
ten deuten  zu  dürfen.  Der  Liebesgott  wird 
als  Knabe  gebildet,  ebenso  Ikarus  (Schreiber  j 
Hellenist.  Reliefbilder  XI).  Die  bekannte 
Bronze  von  Mahdia  ist  nach  Wolters  'Afiuv 
zu  nennen.  Diesen  Gott  sah  de  Witte  (R6v. 
arch.  1868  I  2,77)  in  der  Flügelgestalt  mit 
dem  Hahn  auf  dem  Bronzespiegel  in  Lyon 
(vgl.  auch  Melanges  Holleaux  374  die  Per- 
sonifizierung des  Wettkampfes  auf  dem  Dio- 
nysospriestersessel in  Athen).  Dieselbe  Be- 
nennung scheint  auch  hier  die  gegebene,  zu- 
mal im  Hinblick  auf  die  Besonderheit  des 
Motivs:  der  göttliche  Knabe  vermag  beide 
Hähne  zu  dirigieren.  Auf  den  menschlichen 
Hahnenkampfdarstellungen  hat  jeder  seinen 
eigenen  Hahn.  Das  Relief  war  wohl  das 
Weihgeschenk  eines  Siegers. 

Unter  den  sog.  ,, Hellenistischen  Relief- 
bildern" nimmt  das  Stück  insofern  eine  be- 
sondere Stellung  ein,  als  es  in  völligem  Ver- 
zicht auf  die  üblichen  malerischen  Momente 
der  Naturwiedergabe  fast  nüchtern -klar  nur 
den  Ort  der  Handlung  angibt:  eine  groß- 
gequaderte  Mauer  links  (wohl  ein  Sims  als 
oberer  Abschluß  zu  ergänzen),  rechts  ein 
Eingang,  dessen  Pfeiler  durch  Bogen  oder 
Architrav  verbunden  zu  denken  sind,  mit 
dem  Durchblick  auf  eine  andere  Mauer- 
fläche. Hintergrund  und  Knabengestalt  sind 
nicht  zu  einheitlicher  Komposition  verwoben. 
Der  statuarische  Gehalt  der  Figur  spricht 
überwiegend  stark.  Der  Künstler  stand  in 
guter  griechischer  Tradition.  Ein  Vorbild 
aus  dem  Kreise  des  Lysipp  hat  ihm  vor- 
geschwebt. Die  Körpcrbildung  ist  reifer  als 
die  des  bogenspannendcn  Eros  dieses  Mei- 
sters. Die  federnde  Haltung  ist  die  des 
»labilen  Gleichgewichtes«  des  Apoxyomenos, 
ins  Schlanke,  Knabenhafte  übertragen. 
Dae  aus  gleichförmigen  Einzelfedern  ge- 
bildete, aber  doch  locker  übereinander- 
geschobene  Flaumgefieder  hat  eine  Parallele 
in  der  Flügelbildung  auf  dem  Ikarusrelief 
der  Villa  Albani  (Helbig-Amelung3  II  1879; 
Schreiber  a.  a.  O.  XI),  das  auch  in  der  Spar- 
samkeit der  Ortsangabe,  in  der  weichen  Aus- 
prägung des  Leibes  dem  Wörlitzer  nahe- 
steht').   Auffallende  Verwandtschaft  in  der 

■)  Eigene,  hiervon  abweichende  Stilisierung  der 
Fittiche  hat  f..  B.  auf  der  ara    pacis    die  Aura    mit 
Archäologfischer  Anzeiger  1923/24. 


Gestaltung  der  Flügel  zeigt  das  Londoner 
Exemplar  des  bogenspannenden  Eros  (Cat. 
sculpt.  Brit.  Mus.  III  1673,  nach  A.  Smith 
eine  Kopie  antoninischer  Zeit).  Starke  An- 
klänge hieran  weist  ferner  auch  auf  die  Ge- 
fiederdurchbildung auf  der  Basis  der  Anto- 
ninsäule  im  Vatikan  mit  der  Apotheose  des 
Antoninus  und  der  Faustina  (Amelung,  Vat. 
Mus.  I  883,  Nr.  223).  Der  Kopf  des  Knaben 
fällt  durch  seine  Lockenfülle  auf.  Zwar  ist 
derartiges  schon  im  5.  Jhdt.  denkbar  (Ma- 
drid, Prado  535,  Rev.  arch.  II  1901,  19,  20). 
Allgemein  beliebt  ist  es  erst  in  hadrianischer 
und  antoninischer  Zeit,  nach  der  großen  An- 
zahl solcher  Köpfe  auf  Reliefdarstellungen 
zu  urteilen  (vgl.  auch  Schreiber  a.  a.  O. 
XIII).  Die  fast  lineare  Einzellockenbehand- 
lung über  der  Stirn  ist  wohl  nicht  archai- 
sierend, sondern  aus  dem  Zwang  heraus  ent- 
standen, den  der  nicht  tief  genug  ausge- 
hauene Marmor  auferlegte.  Das  pausbäckige 
Gesichtchen  zeigt  unbestimmt  weiche  Züge, 
wohl  kindlich.  Doch  ist  ein  leicht  »Antinous«- 
hafter  Zug  nicht  zu  verkennen.  Wie  alle 
diese  Stilmerkmale  andeuten,  so  atmet  auch 
die  Marmorarbeit  die  elegante  Vornehmheit 
der  Kaiserzeit  um  die  Mitte  des  2.  Jhdts. 
n.  Chr.  Geb. 

Nr.  46.  Satyrmaske  aus  gelblichem  Mar- 
mor, Arbeit  etwa  des  1.  Jhdts.  n.  Chr.  H. 
15  cm.  Typus  des  jungen  Satyrn  (vgl. 
Winter-Pernice,  Hildesheimer  Silberfund  Taf. 
12,  i;  14,  2  u.  a.).  Auf  der  Rückseite  ist  ein 
1.  Unterarm  bis  zum  Ellenbogen  erhalten. 
Die  Richtung  des  Oberarms  ist  gerade  noch 
feststellbar.  Vier  Finger  einer  r.  Hand  liegen 
unter  dem  Kinn  der  Maske.  Der  Daumen  ist 
verstümmelt.  Nach  der  Gliedergröße  muß 
ein  Erot  von  etwa  30  cm  Höhe  die  Maske 
—  nach  der  Armstellung  zu  urteilen  —  links 
von  seinem  Kopf  in  Schulterhöhe  gehalten 
haben. 

Nr.  47.  Weibl.  Marmorkopf  (aus  einem 
Relieffries.?).  Aus  Kampanien.  H.  16  cm. 
Der  Block,  aus  dem  heraus  der  Kopf  wächst, 
ist  in  19  cm  Tiefe  erhalten.  Die  jetzt  schräg 
verlaufende  Rückseite  ist  Bruchfläche.  Die 
Gesichtsbehandlung  ist  stark  gewollt,  ähn- 
hch    der   Architektonik    der   Medusa    Ron- 


dera  Reiher  (Uffizien,  Petersen,  Ara  pacis  Taf.  III), 
ferner  Schreiber  a.  a.  O.  XXXV,  mit  seinen  Re- 
pliken, die  bewußt  archaisieren,   und  Br.-Br.  629  b. 


35 


Die  Autikeii  im  Park  zu  Wörlitz. 


36 


danini,  doch  in  breit-pathetischer  Aus- 
führung. Die  Deutung  auf  Medusa  scheint 
naheliegend. 

Nr.  48.  Sitzende  Fortunastatuette.  Mar- 
mor. H.  37,5  cm.  Arbeit  der  röm.  Kaiser- 
zeit etwa  des  frühen  2.  Jhdts.  n.  Chr.  Es 
felilt  die  r.  und  1.  Hand  mit  dem  unteren 
Teil  des  Füllhorns  und  seiner   Stütze,   der 


Aus  einer  Reihe  von  Terrakotten  verdienen 
Beachtung: 

Nr.  59.  Protome  eines  weibl.  Köpfchens 
mit  Perlstabdiadem.  H.  10  cm.  Aus  Tarent. 
Strenger  Stil  (vgl.  Berlin  7575). 

Nr.  61.  Weibl.  Kopf  mit  Kalathos.  H. 
15  cm.  Aus  Tarent.  Zweite  Hälfte  5.  Jhdts. 
(vgl.  Burlington    Club   1904,   F  57,   pl.  82). 


«•  b. 

Abb.   5.     Bronzene  Athena  (a)  und  bronzene  Aphrodite  (b). 


obere  Teil  des  Thronsessels.  Auf  dem  Ge- 
wand über  der  Brust  starke  Spuren  von 
kräftigem  Rot,  an  Diadem  und  Füllhorn  viel 
Gold.  Am  r.  Unterarm  ringeln  sich  die 
letzten  Windungen  einer  Schlange.  Die  For- 
tuna ist  also  eine  salubris.  Die  Form  des 
Diadems  ähnelt  auffallend  derjenigen  der  bei 
Br.-Br.  396,3.  Gestalt  des  1.  Reliefs  vom 
Trajansbogen  in  Benevent.  Verwandtschaft 
zeigt  sich  auch  in  der  Gewandfaltenbe- 
handlung. 

Nr.  49.  Gigantentorso.  Marmor.  Stark 
geglättet.  H.  36  cm.  Verwandt  dem  Gi- 
gantensarkophag im  Vatikan,  Helbig-Ame- 
lung  209. 


j  Von  »Campana« -Tonreliefs  ist  Nr.  76  bei 
Rhoden-Winnefeld  92  als  Unikum  er- 
wähnt. Die  Deutung  auf  eine  Höre  scheint 
mir  gegebener  als  die  auf  eine  Brautführerin 
(vgl.  Würzburg  30  b). 

Nr.  ^^  ist  ein  Bruchstück  (H.  21  cm, 
Br.  13  cm)  aus  einer  ähnlichen  Foim  ge- 
preßt wie  Brit.  Mus.  Cat.  of  terracottas  pl.  24 

,   mit  der  Darstellung  der  Winterhore. 

Nr.  84—119  meist  kleinere  Gefäße  ital.- 
kor.  Art,  attischen  und  hellenistischen  Ur- 
sprungs, römisches  Glas. 

Eine  kleine  Anzahl  römischer  Bronzen 
wurden    in    Italien    erworben,     nach    einer 

j   Nachricht     aus     dem     Briefwechsel     Erd- 


37 


Die  Antiken  im  Park  zu  Wörlitz. 


38 


mannsdorffs  mit  dem  Fürsten  Franz  vom 
26.  4.  1766  (Mitt.  d.  Anh.  Gesch. -Ver.  2, 
127). 

Nr.  122.  (Abb.  5  u.  6).  Bronzene  Athena. 
H.  12  cm.  Etwa  vom  Ende  des  2.  Jhdts. 
n.  Chr.  Eine  genaue  Replik,  wenn  auch 
nicht  aus  derselben  Form,  so  doch  wohl  von 
der  gleichen  Hand,  ist  in  London,  Brit.  Mus., 


Nr.  123.  (Abb.  5  u.  6).  Nackte,  bronzene 
Aphrodite.  H.  10  cm.  Römische  Arbeit 
des  späten  2.  Jhdts.  n.  Chr.  Nach  einem 
Vorbild  hellenistischer  Zeit  voll  schlanker 
Eleganz  und  Grazie. 

Nr.  135 — 154.  Bronzehenkel,  meist  von 
kleineren  Kannen. 

Nr.  42 — -154  werden  jetzt  in  das  Anhalti- 


b.  a. 

Abb.  6.     Bronzene  Aphrodite  (b)  und  bronzene  Athena  (a). 


Bronzes  1042  pl.  29,  das  Original  des  Vor- 
bildes ist  im  Kreise  der  Köre  Albani  (Br.-Br. 
285)  zu  suchen.  Das  Wörlitzer  Stück  zeigt 
die  Teile  des  Gewandes  auf  der  Vorderseite 
zwar  richtig  abgegrenzt,  aber  noch  unver- 
standener gebildet  als  das  Londoner.  Die 
Falten  der  offenen  (linken)  Peplosseite  sind 
in  ihrem  großartigen  Fluß  getreu  nachge- 
bildet. Dies  ist  zugleich  die  Hauptschau - 
Seite,  wie  die  sorgfältige  Arbeit  und  der 
Grundriß  erweisen.  Die  Figur  war  also 
wohl  für  eine  Eckaufstellung  gearbeitet, 
die  nach  innen  leicht  eingebogene  Rück- 
seite ist  dagegen  sehr  summarisch  be- 
handelt. 


sehe  Landesmuseum  im   Schloß  zu   Zerbst 
überführt  und  dort  aufgestellt"). 

Dessau.        Karl  Schulze-Wollgast. 


■)  Herrn  Geheinirat  Prof.  Dr.  Fr.  Studniczka  und 
seinem  Institut  bin  ich  zu  tiefem  Dank  verpflichtet. 
Durch  Abgießen  und  Photographieren  der  Nr.  42, 
45,  122,  123  wurde  die  Veröffentlichung  in  dieser 
Form  überhaupt  erst  möglich.  Herr  Geheimrat 
Studniczka  gab  nicht  nur  die  Deutungen  der  beiden 
Reliefs  Nr.  42  und  45,  sondern  auch  sonst  wert- 
volle und  entscheidende  Anregungen  durch  Lite- 
raturhinweise. 


39 


Eine  Ansicht  des  Septizoniums. 


40 


EINE  ANSICHT  DES  SEPTIZONIUMS. 

In  der  Cappella  S.  Ugone  der  Certosa  bei 
Pavia  befindet  sich  ein  sechsteiliges  Altar- 
werk, das  zusammengesetzt  ist  aus  zwei  je 
zwei  Evangelisten  enthaltenden  Bildern  des 
Borgognone ')  und  vier  unter  sich  zusammen- 
gehörenden Tafeln,  die  von  Macrino  d'Alba 
signiert  und  in  das  Jahr  1496  datiert  sind'), 


oberen  Teils  einnimmt,  und  einer  Madonna 
zwischen  zwei  Heiligen  im  unteren  Teil. 
Die  Heiligen  stehen  vor  einer  niedrigen 
Schranke,  über  die  man  in  eine  Landschaft 
mit  antiken  Bauten  blickt.  Abb.  I  zeigt  in 
einer  der  Staatlichen  Bildstelle  verdankten 
Vergrößerung  nach  einer  kleineren  Aufnahme 
den  Kopf  des  H.  Hugo  und  den  landschaft- 
lichen Hintergrund    der    linken  Tafel.     Wir 


Abb.    I.     Ausschnitt  aus  einem   Bilde  des  Macrino  d'Alba. 


einer      Auferstehung,      die     zwischen     den 
Evangelisten  des  Borgognone  die  Mitte  des 

■)  Thieme-Becker,    Borgognone,    Bd.  IV   359,    wo 
irrtümlich  von  vier  Tafeln  die  Rede  ist. 

2)  Magenta,  La  Certosa  di  Pavia  267  ff.,  Abb. 
S.  43';  Beltrami,  La  Certosa  di  Pavia  (1895)  96 
u.  159.  —  Über  Macrino  d'Alba  vgl.  Magenta  a.  a.  0.. 
Berenson,  TTie  North-Italian  painters  of  the  Renaiss! 
252  f->  'Jgo  Flercs,  Le  C>allerie  Nazionali  Italiane  III 
69  ff.,  L.  Ciaccio,  Rass.  d'Arte  VI  1906,  145  ff. 
(.S.  150  sind  die  vier,  dem  Macrino  gehörigen  Tafeln 
des  .Mtarwerkes  abgebildet),  Jocelyn  Ffoulkes- 
Maiocchi,   Vincenzo  Foppa  257. 


sehen  darin  zur  Linken,  hoch  emporragend 
und  oben  durch  den  Bildrand  abgeschnitten, 
das  Septizonium    des   Septimius  Severus'), 

')  Ihm  entspricht  auf  der  rechten  Tafel  neben 
dem  Kopfe  des  Heiligen  eine  vom  oberen  und  rechten 
Bildrand  abgeschnittene  Ruine,  die  sich  nicht  mit 
einem  bestimmten  Bauwerk  identifizieren  läßt. 
Ch.  Huelsen,  dem  ich  für  seine  freundliche  Stellung- 
nahme zu  den  von  dem  Bilde  angeregten  Fragen  zu 
aufrichtigem  Dank  verpflichtet  bin,  glaubt,  daß 
das  Bauwerk  seinen  Ursprung  hat  von  den  beiden 
obersten  Geschossen  des  Colosseums,  die  allerdings 
frei   behandelt   und   durch   die   aufgesetzte   Inschrift 


41 


Eine  Ansicht  des  äcptizoniums. 


42 


zur  Rechten,  tiefliegend  und  nur  in  den 
oberen  Teilen  sichtbar,  den  westlichen  und 
mittleren  Bogen  des  Seitenschiffs  der  Kon- 
stantinsbasilika, zwischen  ihnen  die  damals 
noch  stehende  Säule  des  Mittelschiffs'),  hin- 
ter ihnen  links  die  Torre  dei  Conti,  rechts 
einen  zweiten  Turm  2).  Der  Maler  hat  nicht 
einen  wirklichen  Landschaftszusammenhang 
wiedergegeben,  sondern  zwei  einzeln  aufge- 
nommene Prospekte  aneinandergesetzt,  die 
in  dieser  Weise  nicht  zusammengesehen  wer- 
den konnten;  das  Septizonium  ist  von  Nord- 
osten, die  Basilika  von  Süden  aufgenommen. 
Beide  sind  durch  den  Kopf  des  Heiligen  ge- 
trennt; ein  innerer  Zusammenhang  zwischen 
beiden  Landschaftsstücken  ist  dadurch  ge- 
schaffen, daß  sich  der  Hang,  auf  dem  sich 
das  Septizonium  erhebt,  auf  der  rechten 
Seite  fortsetzt  und  die  unteren  Teile  der 
Basilika  verdeckt.  Da  das  Altarwerk  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  in  der  Certosa  selbst 
ausgeführt  ist,  hat  Macrino  d'Alba  Skizzen 
benutzt,  die  er  früher  in  Rom  gemacht 
hatte  3). 

Soweit  ich  feststellen  kann,  ist  das  Bild 
der  Aufmerksamkeit  der  Forscher,  die  die 
Zeichnungen  des  Septizoniums  gesammelt 
habend),  bisher  entgangen.  Wie  die  meisten 
Darstellungen  jener  Zeit  ist  es  weit  davon 
entfernt,  eine  wissenschaftlich  korrekte  Auf- 
nahme des  Tatbestandes  zu  bieten,  sondern 
ein  Gemisch  von  Wiedergabe  des  Vorhande- 
nen mit  freien  Rekonstruktionen.  In  einer 
Reihe  von  Details,  z.  B.  den  Löchern  in  der 


CONDITORI  VRB  zur  Ruine  eines  Romulustempels 
(oder  einer  Casa  Romuli?)  gestempelt  sind. 

')  Vgl-  Jordan-Huelsen,  Topographie  d.  Stadt 
Rom  III   13,  Anm.  24. 

2)  Es  könnte,  wie  mir  Huelsen  mitteilt,  der  Lage 
nach  die  Torre  Cesarini-Margani  sein,  welche  noch 
heute  an  der  Westseite  der  Piazza  S.  Pietro  in  Vincoli 
existiert  (zur  Geschichte  vgl.  Adinolfi,  Roma  nell' 
etä  di  mezzo  I  104  ff.),  doch  sei  das  bei  der  wenig 
individuellen  Darstellung  nicht  ganz  sicher  zu  sagen. 

3)  Einen  römischen  Aufenthalt  des  Macrino  in 
der  ersten  Hälfte  der  neunziger  Jahre  erschließt 
Fleres  a.  a.  0.  aus  den  römischen  Prospekten  des 
Bildes  in  der  Certosa  und  eines  ihm  zugeschriebenen 
Bildes  in  der  Pinacoteca  des  Conscrvatorenpalastes 
(abgebildet  bei  L.  Ciaccio  a.  a.  0.  146),  L.  Ciaccio 
außerdem  aus  der  von  ihr  angenommenen  Beein- 
flussung durch  die  damals  in  Rom  tätigen  um- 
brischen    Meister. 

4)  Die  Literatur  bei  Th.  Dombart,  Das  Pala- 
tinische Septizonium  zu  Rom  2  u.  12. 


Quaderwand  des  Untergeschosses  und  der 
Zerstörung  des  Gebälkes  des  Mittelgcsehosses 
(vgl.  den  Stich  bei  Lafreri,  Huelsen  S.  10, 
Fig.  3,  den  Stich  Duperacs,  Huelsen  S.  30, 
Fig.  10,  Boll.  d'Artc  1909,  255,  Fig.  I,  die 
Zeichnung  Hecmskercks  Boll.  d'Arte  1909, 
264,  Taf.  n)  scheint  der  Maler  mit  ziemlicher 
Treue  den  Erhaltungszustand  wiedergegeben 
zu  haben.  Dagegen  hat  er  die  durch  die 
anderen  Zeichnungen  bezeugten  mittelalter- 
lichen Einbauten  zwischen  den  Säulen  des 
Mittelgeschosses  fortgelassen,  so  daß  sich 
diese  frei  von  dem  lichten  Himmel  abheben. 
Hat  er  in  diesem  Fall  den  ursprünglichen 
Zustand  hergestellt,  so  hat  er  in  einer  ande- 
ren Einzelheit  falsch  ergänzt.  Offenbar  waren 
in  derOrthostatenschicht  des  Mittelgeschosses 
an  der  Seitenfassade,  wie  es  zum  Teil  auch 
an  der  Front  des  Flügelbaues  der  Fall  war, 
die  Steine  der  Interkolumnien  ausgebrochen 
(vgl.  auch  die  oben  angeführte  Zeichnung 
Hecmskercks) ;  der  Maler  rekonstruiert  aus 
diesem  Zustande  irrig  unter  den  Säulen  vor- 
gekröpfte Sockel.  Unzuverlässig  wird  auch 
die  Bildung  der  Kapitelle  sein.  Die  Unter- 
schiede und  Übereinstimmungen  gegenüber 
den  schon  bekannten  Darstellungen  im  ein- 
zelnen zu  verzeichnen,  verlohnt  nicht  die 
Mühe,  da  sie  für  die  Rekonstruktion  nicht 
von  Wert  sind. 

Eine  gewisse  Bedeutung  erhält  unser  Bild 
jedoch  dadurch,  daß  es  einen  wichtigen  Teil 
des  Baues  wiedergibt,  der  in  sämtlichen 
anderen  Zeichnungen  und  Stichen  fehlt. 
Bekanntlich  bestehen  Widersprüche  in  bezug 
auf  die  Grundrißgestaltung  der  Flügel  zwi- 
schen dem  Fragment  des  antiken  Stadt- 
plans und  den  Feststellungen  der  Renais- 
sancezeichner. Daß  das  Zeugnis  des  Stadt- 
plans bezüglich  der  Zahl  der  Säulen  gegen- 
über jenen  als  das  unzuverlässigere  zutück- 
treten  muß,  haben  Huelsen  •)  und  nach  ihm 
Dombart  überzeugend  dargelegt.  Dagegen 
ist  seit  Huelsen  und  Graf  methodisch  mit 
Recht  angenommen  worden '),  daß  der  Stadt - 

')  Vgl.  außer  46.  Berliner  Winckelmannsprogr.  22 
i.  d.    Zeitschrift    f.  Gesch.  d.  Arch.  V    1911—12,    17. 

^)  Daß  Durm,  Baukunst  d.  Etrusker  u.  Römer  ' 
472  in  seiner  Rekonstruktionsskizze  zwischen  den 
seitHchen  Säulenpaaren  die  Rückwand  nicht  an- 
gibt, während  er  im  Text  in  jeder  Beziehung  dem 
Stadtplan  gegenüber  den  Renaissancezeichnungen 
Recht  gibt,  beruht  vielleicht  nur  auf  einem  Verschen. 


43 


Leipziger  Antiken  I. 


44 


plan  zuverlässig  ist,  wenn  er  an  den  rück- 
wärtigen Ecken  des  Baues  einen  Mauervor- 
sprung angibt,  während  die  Renaissance- 
zeichnungen, sofern  die  Ecke  nicht  über 
haupt  fehlt,  im  Grundriß  eine  vierte  Säule 
an  der  Ecke  gezeichnet  haben.  Der  Stadt- 
plan kann  zwar  in  Einzelheiten,  wie  in  der 
Zahl  der  Säulen  oder  in  den  Proportionen, 
ungenau  sein,  nicht  aber  ein  wichtiges  ar- 
chitektonisches Motiv  frei  erfinden.  Auch 
ästhetisch  wird  man  die  Fortsetzung  der 
eigentlichen  Wand,  vor  der  sich  die  dekora- 
tive Architektur  aufbaut,  bis  zu  den  Flügel- 
enden als  notwendig  empfinden.  Als  einzi- 
ges Zeugnis  der  neueren  Zeit  enthält  nun 
das  Bild  des  Macrino  d'Alba  in  unzwei- 
deutiger Klarheit  den  Ansatz  dieses  Mauer- 
stückes und  zwar  sowohl  im  unteren  wie  im 
mittleren  Geschoß.  Im  oberen  Geschoß 
war  es  zerstört.  Die  Ecke  selbst  ist  auch 
hier  nicht  mehr  vorhanden,  und  die  Säulen- 
architektur der  Seitenfront  ist  genau  so  weit 
erhalten  wie  auf  den  Zeichnungen  Heems- 
kcrcks  und  eines  Anonymus  des  XVI.  Jahrh. 
(Boll.  d'Arte  1909,  261,  Fig.  4  nach  Egger). 

Huelsen  hat  mit  Recht  angenommen,  daß 
die  Künstler,  die  anstatt  eines  Mauervor- 
sprunges eine  Ecksäule  gezeichnet  haben, 
dieses  Stück  der  Ruine  nicht  gesehen,  son- 
dern ergänzt  haben.  Wer  den  Mauervor- 
sprung auch  nur  soweit  erhalten  sah,  wie 
ihn  das  Bild  der  Certosa  zeigt,  konnte  nicht 
die  Fassade  der  Flügelmauer  glatt  bis  zur 
Rückfront  verlaufen  lassen  und  an  der  Ecke 
eine  Säule  ergänzen.  Fehlte  dagegen  das 
ganze  Stück,  so  lag  eine  Ergänzung  ganz 
in  der  Gewohnheit  der  Zeichner  und  Archi- 
tekten. Demnach  müssen  wir  folgern,  daß 
das  Bild  der  Certosa  oder  richtiger  die  ihm 
zugrundeliegende  Skizze  die  älteste  Dar- 
stellung der  ganzen  Reihe  ist,  und  daß  nach 
ihrer  Herstellung  die  Ecke  des  Baues  zer- 
stört wurde,  soweit  sie  über  den  Teil  des 
Baues  hinausragte,  an  dem  die  Säulenhallen 
mit  dem  Kernbau  noch  durch  die  Zwischen- 
decken fest  verbunden  waren.  Dieser  Sach- 
verhalt ist  tatsächlich  möglich. 

Für  die  Skizzen  Macrinos  ist  das  Datum 
des  vollendeten  Bildes,  1496,  ein  terminus 
ante  quem;  innerhalb  des  Jahrfünftes  von 
etwa  1490  bis  1495  lassen  sie  sich  nicht 
näher   datieren.      Von    den    übrigen   Zeich- 


nungen des  Septizoniums,  soweit  ihre  Auto- 
ren überhaupt  bekannt  sind,  braucht  nach 
den  Daten  und,  soweit  ich  sehen  kann,  auch 
nach  den  Lebensumständen  der  Künstler 
keine  vor  diesem  Zeitpunkt  entstanden  zu 
sein.  Am  geringsten  ist  die  verfügbare  Zeit- 
spanne bei  dem  am  frühesten  (1502)  von 
allen  anderen  Darstellern  Verstorbenen,  dem 
Sieneser  Maler,  Architekten  und  Festungs- 
baumeister Francesco  di  Giorgio  Martini '). 
Er  ging  1491  von  Siena  nach  Neapel,  ist 
aber  1493  wieder  in  Siena  gewesen.  1494 
kehrt  er  nach  Neapel  zurück,  wo  er  am 
22.  II.  1495  bei  der  Belagerung  Neapels 
durch  die  Franzosen  zum  erstenmal  eine 
Pulvermine  gelegt  haben  soll,  und  im  Februar 
1497  ist  sein  Aufenthalt  in  Siena  wieder 
urkundlich  2)  bezeugt.  Aufenthalte  in  Rom 
sind  für  die  Jahre  1491,  1493,  1494  und  1496 
möglich.  Seine  Aufnahme  (Huelsen,  Sep- 
tizonium  7,  Fig.  i)  kann  daher  sehr  wohl 
einige  Zeit  nach  der  Skizze  Macrinos  ge- 
macht sein. 


Berlin. 


G.    Rodenwaldt. 


LEIPZIGER  ANTIKEN  L 

ÄLTERSCHWARZFIGURIGE  VASEN  AUS  CAERE 

tJber  die  Geschichte  und  das  Wachstum 
des  Antikenmuseums  der  Universität  Leipzig 
hat  sein  Leiter  Franz  Studniczka  in  der 
Festschrift  zum  500  jährigen  Jubiläum  der 
Universität  Leipzig  1909,  Bd.  IV  l  be- 
richtet. In  den  folgenden  Jahren  bis  zum 
Kriegsausbruch  ruhte  der  Ausbau  der  Samm- 
lung nicht,  und  selbst  in  den  Kriegs-  und 
Nachkriegsjahren  waren  vereinzelte  Er- 
werbungen von  Antiken  möglich.  Den 
Hauptbestand  an  Originalen  bilden  nach 
wie  vor  die  Vasen.  Einige  Proben  davon 
ließ  Studniczka  in  der  oben  erwähnten 
Festschrift  abbilden.  Mehrere  Stücke  der 
Sammlung  Hauser,  die  1898  vollständig 
für  die  Universität  erworben  wurde,  teilte 
der  frühere  Besitzer  im  Jahrbuch  XI  1896 
mit,  einige  ihrer  besten  Stücke  hatten  in 
Hartwigs  Meisterschalen  Aufnahme  gefunden. 
Letztere,    sowie   die   von    Beazley    in    Zeit- 


')  Vgl.  Schubring  bei  Thieme-Becker  XII  303  ff. 
und  die  dort  angeführte  Literatur. 

')  Panlanelli,  Di  Francesco  di  Giorgio  Martini  140. 


45 


Leipziger  Antiken  I. 


46 


Schriftenaufsätzen  und  in  seinen  Attic  red- 
figured  Vasesin  American  Museums  einzelnen 
Meistern  zugeteilten  Leipziger  Stücke  findet 
man  am  übersichtlichsten  im  Museumsin- 
dex von  Hoppin,  Handbook  of  redfig.  Vases 
unter  Leipzig  und  unter  Stuttgart,  Hausers 
Collection  verzeichnet,  auch  von  den  unter 
»disappeared«  aufgeführten  Vasen  desselben 
Verzeichnisses  ist  Makron  Nr.  121  in  Leip- 
zig. Die  schwarzfigurigen  Vasen  mit  Meister- 
signaturen findet  man  sämtlich  in  Hoppins 
Handbook  of  blackfigured  Vases.  Einzelnes 
ist  gelegentlich  bekannt  gemacht,  so  im  J.  H. 
S.  Xn  1891,  368  Taf.  22/3  (Jones),  J.  d.  I. 
XVni  1903,  133  Taf.  9(Nils30n),  Jahreshefte 
VI  1903,  126  Abb.  75;  140  Abb.  85/6  (Stud- 
niczka),  PoUak,  Zwei  Vasen,  aus  der  Werk- 
statt Hierons  27,  Nachod,  Der  Rennwagen 
bei  den  Italikern  Taf.  2,  28,  Pagenstecher, 
Calenische  Reliefkeramik  (8.  Ergänzungsheft 
zum  Jahrb.)  Taf.  15  Nr.  113,  20  Nr.  179, 
25  Nr.  258  m,  von  Stern,  Prämykenische 
Kultur  in  Südrußland  (russisch),  Moskau  1907, 
Taf.  3,  4u.  9;  4,  411.  II,  J.  d.  I.  XXVI 191 1, 
114  Abb.  42  (Studniczka)  u.  261  Abb.  12 
(Karo),  A.  M.  XLIII  1918,  83  Abb.  14 
(Schweitzer),  A.  M.  XLVI  1921  Taf.  VI  B, 
Beil.  Abb.  7.  Als  Festblatt  zur  Winkelmanns- 
feier des  Leipziger  Seminars  waren  1919 
eine  Reihe  von  Scherben  mitgeteilt  worden, 
die  in  Caere  gefunden,  von  einem  altbewäh  rten 
Gönner  dem  Antikenmuseum  vor  13  Jahren 
geschenkt  worden  sind,  und  die  an  verschiedene 
Vasen  auswärtiger  Museen  anzupassen  ge- 
lungen war.  Diese  Scherben  sowie  solche, 
die  an  J.  H.  S.  XXXIX  1919  Taf.  2,  i  und 
an  A.  J.  A.  1916  Taf.  4  gehörten,  sind  in- 
zwischen sämtlich  auch  im  Original  ihren 
Vasen  eingefügt.  Noch  sind  nicht  alle  Scher- 
ben aus  dieser  Schenkung  zusammengesetzt. 
Da  deshalb  ein  Katalog  vorerst  verfrüht 
wäre,  sollen  hier  mit  Genehmigung  des  Di- 
rektors einige  Vasen  und  Scherben,  die  teils 
in  der  Literatur  bereits  erwähnt,  aber  noch 
nicht  abgebildet  sind,  teils  sonst  auf  Interesse 
auch  außerhalb  des  Rahmens  einer  Lehr- 
sammlung rechnen  dürfen,  bekannt  gegeben 
werden.  Den  Abbildungen  von  Nr.  4  und 
16  liegen  Aufnahmen  von  Ernst  Langlotz 
zugrunde,  deren  Platten  er  dem  Leipziger 
archäologischen  Institut  freundlichst  über- 
lassen hat,   die  zu   Nr.  2,   3,   5-8,  11-15,  1? 


wurden  von  Oberkonservator  Fr.  Hackebeil 
angefertigt. 

ALTATTISCHE  VASEN 

I.  (Abb.  l)  Bruchstück  aus  fünf  Scherben. 
Blaßroter  Ton,  schwarzer  Firnis,  kirschrote 
Deckfarbe,  Spuren  von  geschwundenem 
Weiß.  Größte  Breite:  0,18.  Erhalten  ist  der 
untere  Teil  einer  mit  kurzem  Chiton  be- 
kleideten nach  rechts  hin  im  »Knielauf- 
schema« eilenden  Flügelgestalt  bis  kurz  über 
den  Gürtel.     Rechter  Fuß  und  linkes  Knie 


Abb.  I.  Fragment  einer  altattischen  Amphora  (Nr.  i). 

fehlen,  von  den  Flügeln  sind  gerade  noch  in 
den  beiden  oberen  Ecken  je  drei  Federn  vor- 
handen,  Füllmuster  im   Raum. 

Die  erhaltenen  Reste  genügen  vollauf,  um 
in  der  Gestalt  die  genaue  Wiederholung 
einer  Gorgone  von  der  bekannten  Netosani- 
phora  (Athen,  Collignon-Couve  657)  zu  er- 
kennen, mit  der  unser  Fragment  auch  in 
Technik  und  Erhaltung  übereinstimmt,  wie 
ein  Vergleich  mit  der  Aufnahme  Alinari 
24457  (danach  Pfuhl,  Mal.  u.  Zchg  Abb.  89) 
besser  als  der  mit  der  Tafel  Antike  Denkmäler 
I  57  lehrt.  Außer  dem  allgemeinen  Bewe- 
gungsschema stimmen  die  Proportionen  und 
die  geritzte  Innenzeichnung  —  Kniescheibe, 
Wadenmuskel,   Knöchel  — ,  der  Chitonum- 


47 


Leipziger  Antiicen  I. 


48 


riß  mit  dem  cireistrichigen  Saum  und  der 
Gürtel  mit  den  beiderseits  über  ihn  hängen- 
den doppelt  umrissenen  Bäuschen  Strich 
für  Strich  üherein.  Auch  die  Füllornamente, 
die  fünfblättrigen  Punktrosetten  und  die  ge- 
reihten Z,  sind  die  gleichen.  Wir  besitzen 
also  in  dem  Bruchstück  den  Rest  eines  Wer- 
kes vom  Maler  der  Netosamphora.  Freilich 
war  es  keine  Replik,  schon  weil  statt  des 
nur  durch  drei  dünne  Streifen  vom  Haupt- 
bild getrennten  Frieses  mit  hüpfenden 
Delphinen  hier  ein  breiter  Firnisstreif  die 
Darstellung  unten  begrenzt,  von  dem  es 
unentschieden  bleiben  muß,  ob  er  der  Rest 
eines  breiten  Bandes  ist,  oder  ob  der  ganze 
untere  Teil  der  Vase  schwarz  abgedeckt 
war.  Auch  mißt  unsere  Flügelgestalt  nur 
4/5  derer  auf  der  Netosamphora,  und  der 
Durchmesser  des  Gefäßes  läßt  sich  —  so- 
weit das  der  geringe  Rest  des  Umfangs  er- 
laubt —  auf  etwa  0.35  berechnen,  also  auf 
wenig  mehr  als  die  Hälfte  der  Athener  Vase. 
Zudem  war  die  Gefäßform  sicher  verschieden; 
während  bei  der  großen  Grabvase  der  größte 
Durchmesser  in  Höhe  der  Brust  der  Gor- 
gonen  liegt,  befand  er  sich  an  unserem  Stück 
etwa  in  der  Mitte  des  rechten  Oberschenkels. 
Der  demnach  tiefliegende  Schwerpunkt  legt 
den  Gedanken  an  eine  bauchige  Amphora 
nahe,  ähnlich  den  in  Attika  gefundenen, 
z.  B.  Athen,  Collignon-Couve  652  (B.  C.  H. 
XX n  1898,  283;  Weicker,  Seelenvogel  153), 
Brit.  Mus.  A  1531  (B.  C.  H.  XXH  1898, 
285)  Berlin  1683.  Solche  Gefäße  wurden  na- 
türlich eher  exportiert  als  die  großen  eigens 
als  Grabdenkmäler  gefertigten  Amphoren, 
und  haben  sich  denn  auch  in  etruskischen 
Gräbern  gefunden,  z.  B.  Louvre  E  817  bis 
819  (Pottier,  Vas.  du  Louvre  Tf.  58,  Corpus 
vas.  ant.  fasc.  I  France  31,  Louvre  III 
H.   d.   pl.  I,  4-6  und  10-12). 

Stilistisch  bietet  das  Leipziger  Fragment 
nichts  Neues,  wohl  aber  technisch.  Gewand 
und  Beine  sind  ebenso  wie  auf  dem  Athener 
Gegenstück  in  dünnem  Firnis  mit  verstriche- 
nem Pinsel  aufgetragen,  so  daß  stellenweise 
der  Tongrund  kaum  bedeckt  ist.  Pfuhl, 
Malerei  und  Zeichnung  I  §  122  erwähnt  dies 
Verfahren  als  »teilweise  fleckigen«  Firnis. 
Genaues  Betrachten  lehrt,  daß  alle  so  be- 
handelten Teile  mit  Kirschrot  gedeckt  waren, 
das  auf  dem  Chiton  gut,  auf  den  Beinen  nur 


in  schwachen  Spuren  erhalten  ist.  Der  Fir- 
nis dient  also,  wo  er  »fleckig«  ist,  nur  zur 
Grundierung,  hingegen  ist  er  in  den  Füll- 
rosetten, dem  unteren  Bildabschluß,  dem 
Chitonsaum,  dem  Gürtel  und  den  Flügeln 
dick  aufgetragen,  schwarz  und  glänzend, 
i  Glänzend  freilich  nur  dort,  wo  nicht  das  jetzt 
J  geschwundene  Weiß  darüber  saß,  dessen 
Vorhandensein  nur  die  bekannte  matte 
Oberfläche  der  einst  von  ihm  bedeckten 
Stellen  erkennen  läßt.  Weiß  war  der  Gür- 
tel in  seiner  ganzen  Ausdehnung,  und  weiße 
Punkte  saßen  wechselständig  auf  den  drei 
I  Reihen  des  Chitonsaumes.  Diese  Spuren 
j  der  weißen  Farbe  veranlaßten  eine  erneute 
Nachprüfung  des  dritten  erhaltenen  Werkes 
unseres  Malers,  der  Schüssel  von  Aigina  in 
;  Berlin  1682  (Arch.  Ztg.  XL  1882  Taf.  9/10, 
l  Furtwängler,  Kl.  Sehr.  II  Taf.  21/22,  Perrot 
X  75  ff^.)  durch  stud.  phil.  E.  Kunze,  der  die 
Anwendung  von  Weiß  an  denselben  Stellen 
wie  auf  dem  Leipziger  Stücke  fand.  Furt- 
wänglers  Angaben  (Arch.  Ztg.  XL  1882, 
205,  Kl.  Sehr.  II  lOi,  Beschreibung  Berlin  I 
220)  sind  dementsprechend  zu  berichtigen. 
Es  mußte  darauf  besonders  hingewiesen 
werden,  weil  die  wiederholt  mit  Bestimmt- 
heit ausgesprochene  und  gedruckte  Be- 
hauptung vom  fehlenden  Weiß  in  den  eiser- 
nen Bestand  unseres  Handbuchwissens  auf- 
genommen worden  ist.  Noch  Pfuhl  (Mal.  u. 
Zchg.  I.  §  121)  hält  gegen  Graf  (Akrop.  Vas. 
I  40)  daran  fest.  Er  leugnet  den  Zusammen- 
hang des  aufgesetzten  Weiß  auf  attischen 
Vasen  des  VI.  Jahrh.  mit  der  seit  dem  geo- 
metrischen Stil  (A.  M.  XVII  1892,  215, 
Akrop.  Vas.  Nr.  283,  303)  das  ganze  VII.  Jhd. 
hindurch  in  Attika  üblichen  Verwendung 
:  dieser  Deckfarbe.  Das  neue  Aufleben  der 
Technik  sucht  er  mit  Buschor  (Gr.  Vasenm.  - 
I  68)  durch  ionischen  Einfluß  zu  erklären, 
I  obwohl  gerade  auf  östlichen  Vasen  des  VII. 
und  beginnenden  VI.  Jahrhdts.  das  Deck- 
weiß nur  eine  ganz  untergeordnete  Rolle 
spielt.  Diese  gesuchte  Erklärung  wird  durch 
den  Befund  auf  den  altattischen  Stücken 
in  Leipzig  und  Berlin  hinfällig.  Von  den 
beiden  Beispielen  aus  den  Akropolisfunden, 
die  der  Art  unseres  Meisters  zum  mindesten 
nahe  stehen,  wenn  nicht  von  seiner  Hand 
:  sind,  Graf  Nr.  390  u.  391,  hat  das  letztge- 
nannte auch  Spuren  von  Weiß.     Somit  ist 


49 


Leipziger  Antiken  I. 


50 


die  ununterbrochene  Tradition  in  der  atti- 
schen Keramik,  wie  wir  sie  stilistisch  klar 
vor  uns  sehen,  auch  technisch  gesichert. 
Auf  der  Athener  Netosvase  finden  sich, 
wie  W.  von  Massow  und  E.  Langlotz  nach 
erneuter  Prüfung  versichern,  keine  Spuren 
von  Deckweiß. 

2.  (Abb.  2)   Bruchstück  aus  7  Scherben  von 
einem  großen  Becken.  Im  oberen  Rand  Furche 


Ihm  gegenüber  stand  ein  Löwe,  von  dem 
noch  Kopf,  Brust,  Vorderbeine  und  die 
Hintertatzen  vorhanden  sind.  Im  Räume 
verstreut  sind  Punktrosetten,  deren  einzelne 
Punkte  (je  8-10)  ineinander  überlaufen, 
so  daß  ein  breiter  Kranz  mit  unregelmäßigen 
Konturen  entsteht,  in  den  ein  Kreuz  einge- 
zeichnet ist.  Unter  der  Bildzone  folgt  zwi- 
schen je   drei    Streifen   ein    Band   mit   flott 


Abb.  2.     Altattische  Schüssel   (Nr.  2). 


für  den  Deckel.  Blaßgelber  Ton  mit  leichtem 
Stich  ins  Rötliche.  Der  Firnis  ist  oben  und  in 
der  linken  Hälfte  des  Stückes  hochrot  ge- 
brannt, in  der  rechten  schwarz,  an  den  Fuß- 
strahlen braun,  keine  Deckfarben.  Erhaltene 
größte  Höhe:  0,24,  ursprünglicher  oberer 
Durchmesser:    0,44. 

Oben  ist  ein  kurzes  Stück  des  antiken 
Randes  erhalten,  sonst  an  allen  Seiten  Bruch. 
Das  Innere  des  Gefäßes  ist  tongrundig, 
der  Rand  oben  gefirnist.  Den  Hauptbild- 
streif nahm  ein  Fries  mit  großen  Tierdar- 
stellungen ein.  Erhalten  ist  von  einem  nach 
links  hin  ins  Knie  gesunkenen  Stier  der  ganze 
Vorderkörper  und  die  Hufe  der  Hinterbeine. 


gezogenen  schrägen  Treppenlinien,  darunter 
Fußstrahlen. 

Die  Gefäßform  und  -einteilung,  wie  auch 
die  Dekoration  des  unter  dem  Hauptbild - 
streif  gelegenen  Teils  der  Vase  stimmen 
durchaus  mit  dem  nur  um  ein  weniges  klei- 
neren sogenannten  Skyphos,  richtiger 
Becken,  von  Vurva  (A.  M.  XV  1890  Taf.  10, 
Athen,  Collignon-Couve  Nr.  594)  überein. 
Auch  die  seltene  Form  der  Füllrosetten  — 
sie  findet  sich  attisch  sonst  nur  noch  auf  zwei 
Fragmenten  von  der  Akropolis,  Graf  Nr.  414 
u.  550  und  der  Scherbe  aus  den  Grabungen  am 
Dipylon  Phot.  Ath.  Inst.  Keram.  282  (Bie- 
ber,  Verzeichnis  I  Nr.  1808)  —  kehrt  auf  ihm 


51 


Leipziger  Antiken  I. 


52 


I 


identisch  wieder,  so  daß  man  unbedenklich 
für  beide  Becken  die  gleiche  Werkstatt  an- 
nehmen kann.  Künstlerisch  stehen  freilich 
die  Tierbilder  des  Leipziger  Bruchstücks 
entschieden  höher  als  die  nüchtern  gezeich- 
neten Schwäne  der  Vase  aus  Vurva.  Wie  sie 
in  der  saftigen  Fülle  der  Formen  mit  den 
schwellenden  Konturen  groß  gesehen  und 
flott  hingesetzt  sind,  nehmen  sie  einen  her- 
vorragenden Platz  in  der  Tierdarstellung  der 
älterattischen  und  der  älterschwarzfigurigen 
Malerei  überhaupt  ein.  Die  Innenzeichnung 
ist  klar  und  sicher  gezogen,  die  Vorliebe  für 
geschwungene  Linien,  besonders  die  Volute 
im  Kopf  des  Stieres,  erinnert  an  die  Ranke 


dargestellt,  das  Hinterteil  des  Hnken  wird 
vom  Bildrahmen  abgeschnitten,  vom  rechten 
sind  nur  ein  Teil  des  Flügels  und  des  Hinter- 
körpers erhalten.  Die  Deckfedern  der  Flügel 
waren  als  rote  Fläche  gegeben;  flüchtige 
Füllrosetten.  Links  davon,  nur  in  ihren  unte- 
ren =/3  erhalten,  im  Raum  schwebende 
Schlingmuster.  Darunter  drei  wagerechte 
Streifen  und  ein  undeutlicher  Rest  von  der 
Füllung  der  darunterliegenden  Zone. 

Nach  Form  und  Stil  stammt  das  Frag- 
ment von  einem  Gegenstück  des  vorher- 
gehenden. Da  das  Bildfeld  rechts  nicht  bis 
zum  oberen  Rand  des  Gefäßes  reichte,  muß 
darüber    der    wagerechte    Henkel    gesessen 


Abb.  3.     Fragment  einer  altattischen  Schüssel  (Nr.  3). 


mit  Palmette  im  Löwenkopf  der  Piräusam- 
phora  (Athen,  Collignon-Couvc  651,'  EcpTj[xepls 
äpXaioXoTfixrj  1897,  Taf.  5/6,  Pfuhl,  Mal.  u. 
Zchg.  Abb.  88). 

3.  (Abb.  3)  Bruchstück  aus  zwei  Scherben 
von  einem  Becken  derselben  Form  wie  das  vor- 
hergehende. Rötlichgelber  Ton,  Firnis  rot- 
braun bis  schwarzbraun,  Spuren  roter  Deck- 
farbe. Ringsum  Bruch.  Größte  Höhe:  0,14, 
größte  Breite:  0,29,  ursprünghcher  Durch- 
messer in  der  Mitte  der  Scherben:  0,405. 

Im  Innern  läuft  ungefähr  in  der  Mitte  des 
erhaltenen  Bruchstücks  ein  etwa  ii/,cm  brei- 
tes wagerechtes  Firnisband  über  die  sonst  ton- 
grundige  Fläche.  Außen  rechts  ein  von 
einem  Firnisstreif  eingefaßtes  Bildfeld,  die 
linke  senkrechte  Begrenzung  und  die  daran 
anschließenden  Teile  der  beiden  wage- 
rechten sind  erhalten.  In  diesem  Feld  sind 
zwei    nach    rechts    gerichtete    Wasservögel 


haben  wie  über  dem  Flächenmuster  aus 
schwarzen  und  tongrundigen  Dreiecken  auf 
dem  Becken  aus  Vurva.  Den  gereihten  Vo- 
luten auf  dessen  Rückseite  entsprechen  hier 
die  lockeren  Schleifen.  Sie  sind  der  letzte, 
etwas  verwahrloste  Ausläufer  der  Schlingen- 
muster, die  in  der  frühattischen  Ornamentik 
eine  große  Rolle  spielen  (vgl.  Böhlau,  Aus 
ion.  und  ital.  Nekropolen  liof.,  Johansen, 
Vases  Sicyoniens  116  f.).  Ein  unmittel- 
barer Vorläufer  unseres  Stückes  ist  hierin 
die  große  Amphora  in  New  York  (J.  H.  S. 
XXXII  1912,  377),  wo  die  einzelnen  Schlei- 
fen aus  dem  unteren  Streif  aufwachsen  und 
durch  Halbbögen  oben  verbunden  sind;  los- 
gelöst im  Raum  schwebend,  wie  auf  unserem 
Stück,  finden  sie  sich  auf  der  Rückseite  der 
Piräusamphora  (Collignon-Couve  651,  Böh- 
lau, Nekropolen  iio  Abb.  62,  2).  Ähn- 
lich abgeschnitten  wie  der  linke  Vogel  ist 


53 


Leipziger  Antiken  I. 


54 


auch  der  letzte  der  schreitenden  Schwäne 
im    Fries   des    Beckens   von   Vurva. 

4.  (Abb.  4)  Bruchstück  einer  Baucham- 
phora. Blaßrötlicher  Ton,  schwarzer,  an  einzel- 
nen Stellen  rot  verbrannter,  Firnis,  stumpft- 
ziegelrote  Deckfarbe.  Es  fehlen  ein  Henkel 
und  der  untere  Teil  des  Gefäßes.  Größte 
erhaltene  Höhe:  0,265. 

Das  Innere  des  Halses,  der  wagerechte 
Mündungsrand,  die  Lippe  nebst  dem  darun- 
terliegenden Teil  bis  zum  oberen  Henkelan - 


Abb.  4.  Altattische  Amphora' (Nr.  4). 

satz  sind  gefirnist,  ebenso  die  runden  Hen- 
kel an  ihren  Außenseiten  und  der  unter  dem 
Bildstreif  erhaltene  Teil  des  Gefäßes.  Zwi- 
schen den  oberen  Ansatzstellen  der  Henkel 
beiderseits  je  fünf  gereihte  Rosetten  mit 
schwarzem  Zentrum  und  rot  und  schwarzen 
Blättern.  Darunter  je  ein  großer  nach  rechts 
schreitender  Löwe,  der  eine  offenbar  männ- 
lich, der  andere  weiblich.  Am  ersteren  (s. 
.^bb.)  sind  Augapfel,  Maul,  Zunge,  Mähne, 
je  drei  Streifen  auf  Weichen  und  Hinter- 
schenkel, Bauchstreif  und  Genital  rot,  bei 
dem  der  Rückseite  nur  Augapfel,  Maul,  Zun- 
ge und  Mähne. 

In  Qualität  der  Zeichnung  stehen  die  Lö- 
wen der  Bauchamphora  nicht  hinter  dem  des 


Beckens  2  zurück.      Die  gereihten  schwarz 
und  rot  gefärbten  Rosetten  begegnen  schon 
auf  der  Netosamphora,  dann  aber  besonders 
auf  der  Bauchamphora  Louvre  E  8i7(Pottier, 
Vases  du  Louvre  Taf.  58,  Corpus  Louvre  III 
H.  d.  Taf.   I,  4  u.   10,  Pfuhl,  Mal.  u.  Zchg. 
Abb.  93)  und  den  Kannen  Brit.  Mus.  B  32  (Pa- 
nofka,  Mus.   Blacas  Taf.  25,   Lenormant-De 
Witte,  filite  c^ramogr.  III  Taf.  •]^),  Brit.  Mus, 
B  33,    Coli.  Morin  3020  (Morin- Jean,   Dessin 
des  animaux  161,  Abb.  187),  Oxford  (J.  H.  S. 
XXIV  1904,  297,  Abb.  505).  Von  den  genann- 
ten Vasen  möge  man  die  Bauchamphora  auch 
für  die  Gefäßform,  die  drei  ersten  Kannen 
wegen  der  sehr  ähnlichen  Bildung  von  Tatzen 
und    Schweifquaste,    die    letzte   wegen    des 
starken    Zurücktretens     des    Füllornaments 
mit  unserer  Vase  vergleichen.     Noch  spär- 
licher ist  das  Füllornament  auf  der  Baucham- 
phora   Louvre    E    819    (Pottier   Vases    du 
Louvre  Taf.  58,   Corpus  Louvre   III  H.    d. 
Taf.    I,   6  u.    12).      Freien  Bildgrund  ohne 
raumfüllende    Muster    haben    Akrop.    Vas. 
474  (Graf.   I  Taf.  17),  478  (I  Taf.   18),    499 
(I  Taf.  20),  568  (I  Taf.  19),  ferner  der  Mün- 
chener Dreifuß  Buschor,  Griech.  Vasenm.^  122, 
Abb.  88    und    namentlich    die     Pferdekopf- 
amphoren,  die  ja  bereits  auf  dieser  Stilstufe 
beginnen  (J.  d.  L  XXII  1907,  83  ff.,  Hackl). 
Die  vier   Stücke  sind  wichtig   nicht    nur 
für  die  Kenntnis  der  attischen  Keramik   im 
Beginn    des    schwarzfigurigen  Stils,   sondern 
auch  durch  den   Fundort  Caere.      Sie  ver- 
mehren   das  Material,  das    die  Anschauung 
j    von     der     geringen     Verbreitung     attischer 
Tonwaren    aus    der    ersten    Hälfte    des    VI. 
!    Jahrh.  außerhalb  der  engeren  Heimat  (Pfuhl, 
Mal.  u.    Zchg.    I  125)    einengt.    Neben    die 
Funde  aus  Aigina  und  Naukratis,  die  Prinz, 
I    Naukratis  75  ff.  aufführt,  treten  die  Kannen 
aus  Kamiros  Louvre  A  474,  475  (Salzmann, 
Necrop.  de  Kamiros,  Taf.  36,  Pottier,  Vases 
i    du  Louvre,  Taf.  16),  aus  Nola  stammen  zwei 
'    Kannen  gleicher  Form   im   Brit.  Mus.  B  32 
(Panofka,   Mus.  Blacas  Taf.  25,   Lenormant- 
De  Witte,  Elite  ceramogr.  III,  Taf.  77)  u.  B33, 
eine  solche  befindet   sich    im    Museum    von 
j    Tarent,    zwei    weitere    nebst    einer    Pferde- 
\    kopfamphora    unter    den    Funden    Menga- 
;    rellis  aus  Caere  im  Museum  der  Villa  Giulia, 
aus    Caere    stammen    neben    unseren    vier 
i    Stücken    auch    die    Vasen    aus    Sammlung 


55 


Leipziger  Antiken  I. 


56 


Campana  im  Louvre  E  817-8T9  und  E 
874  (Potticr,  Vases  du  Louvre,  Taf.  58,  60 
bis  62,  Corpus  Louvre  III  H.  d.  Taf.  I), 
endlich  haben  sogar  die  Grabungen  in  Mar- 
seille ein  Beispiel  von  unserer  Stilstufe  ge- 
liefert (Vasseur,  Origine  de  Marseille  [Anna- 
les du  Musee  de  Marseille  XIII]  Taf.  10,  12). 

Einer  etwas  jüngeren  Stilstufe  als  die  be- 
handelten Vasen  gehört  das  folgende  Stück 
an: 

5.  (Abb.  5)  Bruchstück  aus  10  Scherben. 
Von  einer  Bauchamphora.  Oberer  Mün- 
dungsrand  erhalten,  sonst  überall  Bruch.  Röt- 


Abb.   5.     Frühattischschwarzfigurige    Bauchamphora 
(Nr.   5). 

lichbrauner  Ton,  schwarzer,   dünner  Firnis, 
aufgesetztes  mattes  Rot.  H.:  0,3. 

Hals  innen  und  wagerechter  Mündungs- 
rand  schwarz.  Außen  war  das  GefäßTmit 
Ausnahme  der  ausgesparten  Bildfelder  ganz 
gefirnißt.  Zwei  rote  Streifen  laufen  unter 
der  kantigen  Lippe  um  den  Hals,  der  Rand 
des  Bildfeldes  wird  innerhalb  und  außerhalb 
von  je  einem  roten  Streifen  begrenzt.  Im 
Bildfeld  ein  nackter  Jüngling,  der  mit 
einem  Beipferd  nach  links  reitet.  Über  der 
Kruppe  des  Pferdes  sind  noch  Schwanz  und 
ein  Flügelbug  eines  nach  links  fliegenden 
Vogels  erhalten.  Das  Haar  des  Jünglings 
und  die  Mähne  des  Pferdes  sind  rot,  aufge- 
setztes Rot  auch  auf  Brustwarze  und  Rippen 
des  Reiters  und  auf  dem  Hinterschenkel 
des  Pferdes. 


Das  Stück  gehört  zu  den  älteren  attisch - 
schwarzfigurigen  Bauchamphoren  mit  Bild- 
feld, die  die  Tradition  des  großfigurigen 
Bildes,  wie  es  schon  in  der  Löwenamphora 
oben  Nr.  4  vorgebildet  ist,  weiter  pflegen. 
Neben  den  Pferdekopfamphoren,  die  ge- 
mäß ihrem  sepulkralen  Charakter  unter  den 
erhaltenen  Grabvasen  überwiegen  (Pfuhl, 
Malerei  u.  Zchg.  I  246),  sind  auch  andere 
Darstellungen  in  großem  Maßstab  nicht 
selten.  Unter  den  Reiterbildern  dieser 
Gruppe  sind  die  der  kolossalen  Berliner 
Amphora  4823  entschieden  älter  als  unser 
Stück,  ihm  ungefähr  gleichzeitig  ist  eine 
vorzüglich  erhaltene  Amphora  im  Museum 
von  Tarquinia  (Inventarzettel  Bruschi  916, 
A:  Jüngling  auf  schreitendem  Pferd  nach 
rechts,  raumfüllender  Vogel,  B:  Jüngling 
auf  galoppierendem  Pferd  nach  rechts, 
raumfüllender  Vogel),  die  durch  Füllrosetten 
und  -kreise  noch  den  Anschluß  an  älteres 
erkennen  läßt,  aber  in  der  Zeichnung  von 
Pferden  und  Reitern  mit  dem  Leipziger 
Bruchstück  die  engste  Verwandtschaft  auf- 
weist. 

»TYRRHENISCHE»  AMPHOREN 

6.  (Abb.  6,  7)  Amphora  aus  zahlreichen 
Bruchstücken,  deren  Kanten  teilweise  bei 
einer  früheren  Zusammensetzung  beschädigt 
sind.  Orangeroter  Ton,  schwarzer  Firnis,  auf- 
gesetztes mattes  Rot  und  (häufig  geschwunde- 
nes)  Weiß.      H    (mit   ergänztem  Fuß):  0,5. 

Das  Innere  des  Halses  ist  gefirnißt,  oben 
zwei  rote  Streifen.  Wagerechter  Mündungs- 
rand  schwarz.  Am  äußeren  Mündungs- 
wulst Bogenfries  mit  Blüten  und  Knospen 
(Blüten  mit  weißem  Mittelblatt,  Knospen 
rot).  Auf  dem  Hals  gegenständiges  Lotos- 
Palmettengeschlinge  (dreispitzige  Lotos- 
blüten). Die  dreigeteilten  Henkel  außen 
schwarz  gefirnißt.  Unter  dem  Hals  um- 
laufender plastischer  roter  Ring.  Daran 
ansetzend  Stabband  mit  langen  Zungen 
als    oberer    Bildabschluß. 

A.  (Abb.  6)  Amphiaraos'  Auszug.  Amphi- 
araos  mit  Helm  und  Beinschienen,  den  Schild 
am  1.  Arm,  zwei  Speere  in  der  r.  Hand,  be- 
steigt ein  nach  rechts  gewandtes  Gespann 
(es  sind  nur  zwei  Pferde  gemalt,  die  jedoch 
acht  Vorderbeine  haben,  Hals  und  Schweif 
des  vorderen  sind  rot).     Ihn  verdeckt  groß- 


57 


Leipziger  Antiken  I. 


58 


tenteils  der  Wagenlenker  (roter  Helm,  weißer 
senkrecht  gefältelter  Chiton,  boeotischer 
Schild  auf  dem  Rücken).  Zwischen  Pferden 
und  Wagen  blickt  ein  nackter  Knabe — offen- 
bar Alkmaion  —  mit  erhobener  r.  Hand  zum 
Vater  auf.  Hinter  dem  Wagen  steht  eine 
Frau    in    schwarzem    Mantel    (oben    ist   der 


Abb.    6.       »Tyrrhenische«    Amphora, 
Auszug  (Nr.  6A). 


Amphiaraos' 


Kopf  nebst  Schulter,  unten  alles  von  den 
Knieen  abwärts  mit  Ausnahme  des  1.  Fußes 
verloren).  Ihr  folgt  eine  zweite  in  schwar- 
zem Chiton  mit  Mittelstreif  und  rotem  Man- 
tel mit  einem  Kind  auf  den  Schultern  (der 
Frau  fehlen  Kopf  und  Rücken,  vom  Kind  sind 
nur  das  eine  Bein,  das  jene  mit  der  1.  hält, 
und  der  untere  Teil  seines  kurzen  Chitons 
erhalten).  Hinter  den  Pferden  kommt  von 
rechts   eine   Frau,    im   Haar   weiße   Punkt- 


reihen, ihr  Chiton  ist  am  Oberkörper  schwarz 
mit  weißen  Punkten  unten  rot  mit  schwarzem 
Mittelstreif.  Sie  entspricht  der  Leontis 
des  korinthischen  Kraters,  nur  hält  sie  in 
der  ausgestreckten  Hand  keine  Schale.  Vor 
den  Pferden  hockt  ein  mit  kurzem  roten 
Chiton  und  schwarzem  Mantel  bekleideter 
bärtiger  Mann  mit  einem  Stab  in  der  r. 
und  weißer  Binde  im  Haar.  Hinter  ihm  steht, 
einen  großen  Ring  —  offenbar  das  Halsband 
—  in  der  erhobenen  r.  Hand,  Eriphyle 
(schwarzer  Chiton  mit  Mittelstreif,  roter 
Mantel,  ihr  Gesicht  ist  verloren).  Auf  sie  fol- 
gen zwei  Krieger.  Der  erste  Helm  und  Bein- 
schienen rot,  zwei  Speere;  auf  den  Schild 
quadratische  Felder  geritzt,  in  ihnen  flüch- 
tige Kreise,  der  zweite  Helm  und  Bein- 
schienen schwarz,  auf  dem  schwarzen  Schild 
mit  rotem  Rand  eine  weiße  gezäumte  Pfer- 
deprotome.  Ihnen  entsprach  auf  der  linken 
Seite  ein  zur  Mitte  gewendeter  Krieger,  nur 
die  Unterschenkel  in  Beinschienen  und  das 
untere  Ende  der  zwei  Speere  erhalten. 

B.  (Abb.  7)  Einführung  in  den  Olymp.  In 
der  Mitte  sitzt  Zeus  nach  rechts  hin  auf  einem 
Thron  mit  Schemel,  dessen  Lehne  in 'einen 
Schwanenkopf  endigt,  das  Sitzkissen  ist 
kreuzschraffiert  mit  weißen  Punkten  in  den 
Feldern.  Er  trägt  schwarzen  Chiton  und  roten 
Mantel,  in  der  r.  Hand  das  Blitzbündel,  die 
I.  zum  Willkomm  erhoben  gegen  Hephaistos, 
der  von  r.  herantritt.  Dieser  ist  nackt  bis  auf 
ein  rotes  Mäntelchen,  das  über  die  rechte 
Schulter  und  den  1.  Unterarm  gelegt  ist.  Er 
trägt  im  Haar  einen  Kranz,  dessen  Blätter 
weiß  waren,  schultert  mit  der  1.  das  Doppcl- 
beil, u.  erhebt  die  r.  grüßend  zu  Zeus.  Er 
schreitet  vor  einem  mit  zwei  Maultieren 
(roter  Hals,  Reihe  weißer  Punkte  am 
Zaum,  Körper  größtenteils  verloren)  be- 
spannten Sitzwagen.  In  diesem  sitzt  auf 
einem  Kissen,  das  ebenso  wie  das  des  Zeus- 
throns  gemustert  ist,  eine  Frau  im  schwar- 
zen Chiton,  die  mit  der  r.  den  über  den  Kopf 
gelegten  in  rote  und  schwarze  Bahnen  (die 
schwarzen  mit  eingeritzten  Sternen)  geteilten 
Mantel  neben  die  Wange  zieht.  Neben  dem 
Gespann  schritt  Hermes,  von  ihm  sind  nur 
das  Kerykeion,  das  das  Beil  des  Hephaistos 
schneidet,  der  Hals  nebst  der  Schulter  mit 
rotem  Mantel,  endlich  die  Flügelschuhe 
neben    den    Vorderfüßen    der   Maultiere   er- 


59 


Leipziger  Antiken  I. 


60 


halten.  Die  Gestalt  auf  dem  Wagen  wird 
begrüßt  von  einer  ihr  entgegenschreitenden 
Frau  in  schwarzem  Chiton  und  Mantel, 
letzterer  mit  geritzten  Sternen  (Oberkopf 
verloren).  Hinter  dem  Gefährt  steht  Po- 
seidon mit  dem  Dreizack  in  den  Händen 
(Chiton  schwarz,  Mantel  rot,  vom  Kopf 
nur  der  Kinnbart  erhalten).  Hinter  dem 
Thron  des  Zeus  stehen  zunächst  zwei  Frauen 
mit  erhobenen  Händen.  Die  erste  trägt 
schwarzen  Chiton  mit  Mittelstreif  und  roten 
Mantel  (Rücken  fehlt),  die  zweite  schwarzen 
Chiton  und  ebensolchen  Mantel  mit  geritzten 


breite  schwarze  Firnisbänder,  auf  die  je  ein 
roter  Streif  aufgesetzt  ist.  In  der  obersten 
tongrundigen  Zwischenzone  wechselständi  - 
ges  Lotosblüten-Falmettengeschlinge,  in  der 
untersten  eine  Blüten-Knospenreihe  wie  an 
der  Mündung.  Von  den  Fußstrahlen  sind 
nur  einige  Spitzen  erhalten,  der  Fuß  ist  er- 
gänzt. 

Die  Amphora  beansprucht  unser  Interesse 
zunächst  wegen  der  Darstellungen.  Obgleich 
die  Inschriften  sinnlos  sind,  ist  in  der  Szene  von 
A  sicher  der  Auszug  des  Amphiaraos  zu 
erkennen.    Neben  der  bekannten  Florentiner 


Abb.  7.     Schulterbild  von  »tyrrhenischer«  Amphora,  Einführung  in  den  Olymp  (Nr.  6  B). 


Sternen,  der  herabhängende  Zipfel  ihres 
Mantels  ist  rot  (Gesicht  und  1.  Hand  fehlen). 
Dann  folgen  Dionysos  in  schwarzem  Chiton 
und  Mantel  (herabhängender  Zipfel  rot) 
einen  großen  Kantharos  in  der  r.,  darauf 
wieder  eine  Frau  in  rotem  Chiton  mit  Mittel- 
streifen, die  den  schwarzen  über  den  Kopf 
gelegten   Mantel   mit   beiden   Händen   hält. 

Auf  beiden  Bildern  waren  die  Frauen 
weiß,  ebenso  die  flüchtigen  Andeutungen 
von  Fabelwesen,  die  die  Felder  der  Mittel- 
streifen auf  den  Chitonen  füllten.  Überall 
sind  im  Raum  sinnlose  Inschriften  verteilt. 

Unter  den  Bildern  auf  den  Tongrund  ge- 
setzter roter  Streif  zwischen  je  zwei  dünnen 
Firnislinien. 

Auf  dem   vmtercn   Teil   des   Gefäßes  vier 


Darstellung  (Thiersch,  Tyrrhen.  Amph.  Taf.3) 
fällt  die  Ökonomie  des  Bildes  auf,  das 
sich  auf  die  Hauptpersonen  beschränkt: 
Amphiaraos,  Alkmaion  und  Eriphyle  (letztere 
fehlt  bekanntlich  in  Florenz)  sowie  Baton, 
Leontis  und  Halimedes,  die,  weil  in  den 
archaischen  Darstellungen  ständig  vorhanden , 
eine  von  uns  nicht  mehr  im  einzelnen  zu 
erklärende  Bedeutung  in  der  Sage  gehabt 
haben  müssen.  Den  schlichten  Aufbau  des 
Ganzen  rahmen  nur  Krieger  ein,  während 
in  Florenz  die  zahlreiche  agierende  Familie 
die  Aufmerksamkeit  von  den  eigentlichen 
Trägern  der  Handlung  ablenkt. 

Zur  Darstellung  der  Rückseite  ist  mir 
keine  Parallele  bekannt.  Eine  einwand- 
freie  Deutung  wird   ohne  eine  solche  oder 


Leipzigfer  Antiken  1. 


62 


ohne  Inschriften  kaum  zu  erwarten  sein. 
Doch  erleichtern  die  Götterattribute  uns  die 
Deutung.  Hephaistos  führt  eine  Frau  in  den 
Kreis  der  olympischen  Götter  ein,  die  sie 
begrüßen.  Sehr  einleuchtend  hat  dies  W. 
von  Massow  erklärt:  Der  Gott  stellt  die  von 
ihm  erschaffene  Pandora  vor,  die  die  Götter 
aufnehmen,  um  ihr  ihre  Gaben  zu  überreichen. 

In  Form,  Einteilung  und  Größe  nimmt  un-  , 
sere  Amphora  eine  Sonderstellung  innerhalb  ■. 
der    »tyrrhenischen«    Amphoren    ein.       Be- 
sonders    eigenartig    ist     das    vollkommene  , 
F'ehlen    von    Tierstreifen.       Die    schwarzen 
Bänder  verleihen  der  Vase  ein  ernstes  Ge- 
präge, vielleicht  sind  sie  durch  Einfluß  der 
bauchigeren,  den  »tyrrhenischen«  engst  ver- 
wandten Amphoren,  deren  untere  Hälfte  ganz 
schwarz  gefirnißt  ist,  zu  erklären.  (Vgl.  Corpus 
vas.  ant.  Louvre  III  H.  d.  Taf.  6,  Taf.  gu.  10.) 

7.  (Abb.  8)  Amphora  aus  zahlreichen 
Bruchstücken.  Hals  und  Henkel  fehlen. 
Rötlichgelber    Ton.  Firnis     stellenweise 

hellbraun  bis  orangerot.  Aufgesetztes  mattes 
Rot    und   Weiß.     H.:  0,315. 

Über  den  Bildern  Stabband,  in  das  die 
Figuren   teilweise  hineinragen. 

A.  (Abb.  8)  Ein  nackter  Krieger  mit  korin- 
thischem Helm  besteigt,  den  Schild  am  1.  Arm, 
einen  Speer  in  der  r.,  nach  r.  hin  ein  Gespann 
(r.  Unterschenkel  und  Rücken  verloren). 
Auf  dem  Wagen  steht  der  bärtige  Lenker 
(auf  dem  Kopf  Fetasos  mit  hinten  aufge- 
schlagener Krempe,  das  Gesicht  verloren)  in 
langem  schwarzen  Chiton  mit  Rosetten 
(rote  Scheibe  von  weißen  Funkten  umge- 
ben) und  geritzten  Kreisen  am  unteren  Saum, 
das  Schwert  links  am  roten  Wehrgehenk. 
Von  den  vier  Pferden  hat  das  vorderste  ' 
roten  Hals  und  aufgesetztes  Rot  auf  Brust,  1 
Weichen  und  Hinterschenkeln,  das  vordere  | 
Jochpferd  ist  weiß  mit  rotem  Schweif.  Von 
den  Hinterschenkeln  der  Pferde  teilweise  ver- 
deckt, schreitet  nach  rechts  eine  Frau  in  rotem 
Chiton  mit  Mittelstreif,  auf  dessen  Feldern 
weiße  Fabeltiere  flüchtig  angedeutet  sind, 
und  dessen  Saum  unten  und  auf  den  Schultern 
ein  geritztes  Wellenband  trägt.  Sie  dreht 
sich  nach  dem  Wagenlenker  um  und  erhob 
zu  ihm  die  Rechte  (nur  der  r.  Ellenbogen  er- 
halten, das  Gesicht  verloren).  Vor  dem  Ge- 
spann hockt  auf  dem  Boden  nach  links  hin 
ein  Mann.    Sein  Haar  (darin  geritzte  Binde) 


und  Bart  scheinen  weiß  gewesen  zu  sein. 
Er  trägt  weißen  Chiton  und  schwarzen 
Mantel,  auf  diesem  Rosetten  gleich  denen 
auf  dem  Chiton  des  Wagenlenkers.  Die  Man- 
telzipfel sind  in  Zickzackfalten  angegeben. 
Die  linke  Hand  hat  er  ausgestreckt,  die  r., 
offenbar  wehklagend,  zum  Kopf  erhoben 
Hinter  ihm  schreiten  zwei  Krieger  nach 
links.  Der  Helm  des  ersten  ist  rot  mit 
schwarzem  Busch, ""der  des  zweiten  schwarz 
mit  rotem' Busch,  die  Beinschienen  bei  beiden 


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Abb.    8.       »Tyrrhenische«     Amphora,  Amphiaraos' 
Auszug  (Nr.  7). 

rot,  beide  Schilde  schwarz  mit  weißen  Punk- 
ten auf  dem  Rand  und  weiß  aufgemaltem 
Schildzeichen  (beim  ersten  Dreifuß,  beim 
zweiten  Stierkopf  von  vorn).  Beide  tragen 
einen  Speer,  sinnlose  Inschriften  im  Raum. 
B.  ObscoenerTanz  von  vier  ithyphallischen 
Silenen  und  drei  Nymphen.  Die  Silene  sind 
menschenfüßig,  haben  groteske  Gesichter, 
gesträubtes  Stirnhaar,  verhältnismäßig  kleine 
Pferdeohren  und  mächtige  Mähnen  im 
Nacken.  Zwei  von  ihnen  haben  rote  Ober- 
körper. Von  den  Nymphen  ist  die  linke 
nackt,  die  rechte  trägt  einen  schwarzen 
Chiton,  die  in  der  Mitte  einen  Chiton,  dessen 


63 


Leipziger  Antiken  I. 


64 


I 


Oberteil  rot,  dessen  Unterteil  schwarz  ist, 
darauf  aus  vier  gekreuzten  Strichen  be- 
stehende geritzte  Sterne.  In  der  gesenkten 
1.  trägt  diese  ein  Schmuckstück,  das  aus 
einem  Reif  mit  Verdickungen  besteht. 

Unter  den  Bildern  streng  symmetrischer 
Tierstreif.  Unter  der  Mitte  von  A  zwei  ge- 
geneinander sitzende  Sphingen  mit  umge- 
wandten Köpfen  (Flügeldecken  rot,  weißer 
Flügelstreif,  rot  auf  den  Hinterschenkeln). 
Es  folgen  zwei  gegen  sie  schreitende  Panther 
mit  roten  Hälsen  und  geritzten  Kreisen  auf 
den  Körpern.  Dann  jederseits  von  diesen 
fortschreitende  Panther  mit  rotem  Hals  und 
aufgesetztem  Rot  auf  Weichen  und  Hinter- 
schenkeln, endlich  zwei  zueinander  gekehrte 
weidende  Steinböcke  mit  aufgesetztem  Rot 
wie    bei    den    zuletzt   genannten    Panthern. 

Darunter  weitgestellte  Fußstrahlen. 

Der  echinusförmige  Fuß  ist  schwarz  mit 
zwei   roten   Ringen. 

Die  Darstellung  auf  A  kann  sehr  wohl 
Kriegers  Auszug  ohne  bestimmte  mytho- 
logische Beziehung  bedeuten.  Aber  mahnt 
schon  die  sich  zum  Wagenlenker  wendende 
Frau  an  die  Leontis  des  Korinthischen  Kra- 
ters, so  legt  besonders  der  am  Boden  hockende 
unheilahnende  Greis  den  Gedanken  an  einen 
besonderen  Auszug  nahe,  eben  an  den  des 
Amphiaraos.  Freilich,  fehlen  zwei  Haupt- 
personen: Alkmaion  und  Eriphyle.  Letztere 
vermissen  wir  auch  auf  der  ausführlichen 
Schilderung  der  Florentiner  Amphora 
(Thiersch  Nr.  54,  Taf.  3).  Auszüge  aus 
größeren  mythologischen  Darstellungen  sind 
aber  gerade  in  unserer  Gattung  nicht  uner- 
hört (Pottier,  Catalogue  H  569 f.),  und  man 
wird  der  Annahme  einer  abgekürzten  Dar- 
stellung von  Amphiaraos'  Auszug  vor  der 
einer  sinnlosen  »bildlichen  Tradition«  den 
Vorzug  geben.  Fast  scheint  es,  dem  Maler 
habe  bei  dem  Schmuckstück,  das  er  der 
einen  Nymphe  auf  B  in  die  Hand  gab, 
noch  der  Halsschmuck  der  Eriphyle  vorge- 
schwebt. 

Die  Amphora  gehört  zu  der  von  Thiersch 
(S.  141)  von  den  »thyrrhenischen«  im  enge- 
ren Sinne  getrennten  Sondergattung.  Zu 
den  dort  zusammengestellten  drei  Stücken 
Louvre  E  855-857  (Jetzt  Corpus  vas. 
ant.  LouvreHIH.  d.  Taf.  5;  1,4,8,9,  12,  16, 
Taf.  8;  I,  2)  kommt  noch  eine  unveröffent- 


lichte Amphora  des  Ashmolean  Museums  in 
Oxford  (A:  Amazonen kamf,  B:  Reiter), 
aus  der  gleichen  Fundgruppe  wie  unsere 
stammend.  Es  ist  wohl  möglich,  daß  aus 
einer  Vermengung  beider  Stücke  miteinander 
die  Notiz  Loeschckes  bei  Thiersch,  Tyrrhen. 
Amph.  68  Nr.  72   entstanden  ist. 

Alle  fünf  Stücke  gehören  nicht  nur  in  der 
gegenüber  den  eigentlichen  «tyrrhenischen« 
plumpen  Form  zusammen,  stimmen  nicht 
nur  in  der  Einteilung  des  Gefäßes  überein, 
indem  der  Hauptbildstreif  weit  über  den 
unteren  Henkelansatz  heruntergezogen  ist 
und  der  einzige  Tierstreif  den  gesamten 
Raum  zwischen  dem  Hauptbildstreif  und 
den  Fußstrahlen  einnimmt,  sondern  sie 
lassen  auch  deutlich  die  Hand  eines  Malers 
erkennen. 

Freilich  darf  man  seinen  Stil  nicht  aus  der 
Großaufnahme  des  Corpus  vas.  ant.  Louvre 
HI  H.  d.  Taf.  8,  i  erkennen  wollen.  Pottier 
hält  es  nicht  für  nötig  mitzuteilen,  daß  ge- 
rade der  dort  abgebildete  Teil  der  Amphora 
Louvre  E  857  durch  moderne  Überarbei- 
tungen entstellt  ist.  Übermalungen  gibt 
er  im  Text  wie  auch  Vases  du  Louvre  H 
79  nur  für  die  Rückseite  an.  Der  fade  Kopf, 
der  in  den  1.  Flügel  der  enthaupteten  Medusa 
eingeritzt  ist,  und  der  auch  im  Text  des 
Corpus  wieder  als  der  des  Chrysaor  aus- 
gegeben wird,  wird  doch  jedenfalls  einem 
Restaurator  des  Marchese  Campana  ver- 
dankt (so  schon  Dumont  in  Mon.  grecs 
1878,  22).  Ein  leider  in  dieser  Publikation 
nicht  allein  stehender  Fall,  minderwertige 
Kunst  des  XIX.  Jahrh.  als  antik  zu  ver- 
öffentlichen (Vgl.  J.  D.  B[eazley]  in  J.  H.  S. 
XLIII 1923,  199).  Täuscht  die  Photographie 
nicht,  so  sitzt  der  Kopf  dazu  noch  über  der 
Übermalung  eines  vom  Henkel  wagerecht 
nach  rechts  verlaufenden  Bruchs.  Einen 
weiteren  vom  Henkel  senkrecht  abwärts 
laufenden,  ebenfalls  übermalten  Bruch 
glaubt  man  unter  dem  seltsamen  Stern  auf 
dem  Chiton  der  Medusa  zu  erkennen,  auch 
der  seltsame  ,  an  eine  Badehose  gemahnende 
untere  Abschluß  des  Chitons  könnte  auf 
diese  Überarbeitung  zurückgeführt  werden. 
Ferner  bedürfen  die  technischen  Angaben 
zu  diesem  Stück  des  Louvre  entschieden 
einer  Berichtigung.  Pottier  gibt  Vases  du 
Louvre    II  79    kein    aufgesetztes   Weiß    an, 


65 


Leipziger  Antiken  I. 


66 


im  Text  des  Corpus  versichert  er,  daß  keines 
vorhanden  sei.  Auf  der  Photographie  Corpus 
Taf.  8,  2  erkennt  man  deutlich  die  Umrisse 
der  Fabeltiere,  die  in  jetzt  geschwundenem 
Weiß  in  den  Feldern  des  Mittelstreifens  im 
Chiton  der  laufenden  Gorgo  sitzen,  ferner 
scheint  auch  weiß  der  Wellensaum  dieses 
Chitons  gewesen  zu  sein,  und  auch  Gesicht 
Arme  und  Beine  der  Gorgo  zeigen  Spuren 
einer  Deckfarbe. 

8.  (Abb.  9,  10)  Amphora,  intakt  erhalten, 
außer  einem  Loch  im  Bildfeld  B.  Orangeroter 
Ton,  schwarzer  Firnis,  aufgesetztes  Kirschrot 
und   Weiß.    H. :  0,4. 


I    fen  auf  dem  schwarzen   Saum,   am   Unter- 
'    körper  schwarz  mit  geritzten  Kreuzen  und 
]    geritztem  Wellensaum).   Der  Kentaur  knickt 
in  den  Vorderbeinen  ein,  und  bhckt  mit  angst- 
voll erhobenem  r.  Arm   um  nach  Herakles, 
:    der  ihn    ereilt   hat.     Herakles    trägt    über 
dem  kurzen   weißen   Chiton    mit   geritztem 
Wellenband  auf  dem  schwarzen   Saum  das 
,    gegürtete   Löwenfell    (Hals  rot,    Zähne  und 
I    Krallen  weiß).     Er  schreitet  mächtig  nach 
i    rechts  aus,  hat  die  1.  auf  den  Pferdeleib  sei- 
nes Gegners  gestemmt   und  schwingt  in  der 
r.  das  für  die  kleinen  Scheide  übermächtig 
große   Schwert   (Griff  weiß    mit   schwarzen 


Abb.  9.     Schulterbild  von  »tyrrhenischer«  .\mphora,  Herakles  und  Nessos  (Nr.  8A). 


Hals  innen  in  der  oberen  Hälfte  gefirnist 
mit  einem  roten  Streifen.  Wagerechter 
Mündungsrand  schwarz  mit  je  einem  roten 
Streifen  an  den  Kanten.  Der  äußere  Mün- 
dungswulst und  die  runden  Henkel  schwarz. 

Auf  dem  Hals  wechselständiges  Lotus - 
blüten-Palmettengeschlinge  (dreispitzige  Lo- 
tosblüten). Über  den  Bildern  Stabband, 
in  das  die  Köpfe  der  Figuren  teilweise  hin- 
einragen. 

A.  (Abb.  9)  Herakles  und  Nessos.  In  der 
Mitte  Nessos  (Hals  und  Brust  rot,  aufgesetztes 
Rot  auf  dem  Hinterschenkel)  nach  rechts- 
hin.  Er  trägt  im  1.  Arm  Deianeira,  die  mit 
erhobenen  Armen  nach  links  gewendet  ist 
(Peplos  am  Oberkörper  rot  mit  weißen  Tup- 

Archäologischer  Anzeiger  1923/24 


Nägeln).  Rechts  von  dieser  Gruppe  steht,  ihr 
zugewandt,  Hermes  in  Petasos,  rotem  Mantel 
und  weißem  Chiton  mit  schwarzem  Saum 
(auf  diesem  geritzte  Striche).  Beiderseits 
je  zwei  Frauen,  zur  Mitte  gewandt  mit  er- 
hobenen Händen.  Sie  tragen  abwechselnd 
roten  Mantel  mit  schwarzem  Chiton  und 
schwarzen  Mantel  mit  rotem  Chiton.  Drei 
Chitone  haben  Mittelstreifen  mit  weißen 
Fabeltieren  in  den  Feldern,  einer  ist  ein- 
farbig, nur  mit  geritztem  Wellensaum.  Alle 
fünf  Frauen,  einschließlich  Deianeira,  tra- 
gen Kränze  im  Haar  (rote  Streifen  mit 
weißen  Punkten  beiderseits),  geritzte  wellen- 
förmige Halsbänder  und  eine  lange  dünne 
Haarsträhne  vor  dem  Ohr.    Unter  den  Hen- 


67 


Leipziger   Antiken   1. 


68 


kein  hervor  galoppiert  beiderseits  je  ein 
Kentaur  zur  Mitte,  bei  beiden  ist  der  Bauch, 
beim  linken  auch  Bart  und  Haar  rot.  Sie 
schwingen  jeder  einen  weißen  Stein. 

B."'(Abb.  lO)  Wettlauf.  Sieben  Männer,  da- 
von'dcrfünfte  und  der  siebente  unbärtig,  eilen 
nach  rechts  zu  einer  Zielsäule.  Der  erste  ist  gro- 


Abb.   lo.      »Tyrrhenische«   Amphora,   Wettläufer 
(Nr.  8  B). 

ßenteils  durch  das  oben  erwähnte  Loch  ver- 
loren. Der  erste,  dritte  und  sechste  haben 
roten  Bart  und  Haar,  der  zweite  und  fünfte 
roten  Bauch,  der  vierte  rote  Brust,  der  sie- 
bente roten  Rumpf.  Die  Zielsäule  hat  ein 
flüchtig  angedeutetes  Kapitell,  darauf  ein 
großer  weißer  Fleck  ganz  wie  die  Steine  der 
Kentauren. 

Auf  beiden    Bildern   sinnlose    Inschriften. 

Unter  den  Bildern  Punktband,  dann  weit- 


gezogenes wechselständiges  Lotosblumen - 
Palmettengeschlinge.  Darunter  zwei  symme- 
trische Tierstreifen.  Im  oberen  Bildstreif 
unter  der  Mitte  von  A  ein  Reh  nach  rechts 
zwischen  zwei  ihm  zugekehrten  Panthern, 
unter  den  Henkeln  je  ein  nach  dieser  Gruppe 
gewandter  Stier,  unter  B  zwei  von  einander 
abgekehrte  Steinböcke,  denen  je  ein  Panther 
gegenübersteht. 

Im  zweiten  Bildstreif:  Unter  A  ein  Widder 
nach  rechts,  vor  ihm  ein  Löwe,  hinter  ihm 
ein  Panther,  beide  ihm  zugekehrt,  unter 
B  ein  Panther  nach  links  und  ein  Löwe  nach 
rechts,  denen  je  ein  Eber  gegenübersteht. 

Alle  Tiere  haben  rote  Hälse  und  aufge- 
setztes Rot  auf  Brust  und  Hinterschenkeln, 
einige  auch  auf  den  Weichen.  Das  Reh  unter 
A  ist  durch  weißen  Bauchstreif  und  weiße 
Punkte     auf     der     Kruppe     ausgezeichnet. 

Unter  den   Tierstreifen   Fußstrahlen. 

Schwarzer  echinusförmiger  Fuß. 

Das  Hauptbild  ist  streng  symmetrisch 
angelegt.  Dem  Streben  nach  Symmetrie  sind 
auch  die  beiden  Kentauren  unter  den  Hen- 
keln zuzuschreiben.  Sie  stellen  eine  gedan- 
kenlose, wohl  durch  den  Typus  des  Fabel- 
wesens zu  erklärende,  Kontamination  der 
Bestrafung  des  Nessos  mit  dem  Abenteuer 
auf  der  Pholoe  dar.  Eine  Kontamination, 
die  sich  auch  auf  einigen  anderen  Vasen  der 
Gattung,  so  in  München  (Jahn  126,  Thiersch, 
Tyrrh.  Amph.  Nr.  52,  Baur,  Centaurs  Nr.  36), 
Dresden  (Thiersch  Nr.  25,  Baur  Nr.  32)  und 
im  Vatikan  (Thiersch  Nr.  28,  Baur  Nr.  33) 
findet,  ohne  dort  durch  Rücksicht  auf  die 
Komposition  entschuldigt  zu  sein. 

Unter  der  Fülle  der  tyrrhenischen  Ampho- 
ren geht  besonders  eine  mit  unserer  eng  zu- 
sammen: Karlsruhe  Winnefeld  Nr.  200 
(Thiersch  Nr.  58,  Taf.  6.  Eine  Photographie 
verdanke  ich  Gabriel  Welter).  Sieistin  Form, 
Einteilung  und  Größe  ein  genaues  Gegen- 
stück der  Leipziger.  Auch  an  ihr  ist  das 
Hauptbild  streng  symmetrisch  angeordnet, 
auch  in  den  Wettkampfbildern  der  Rück- 
seite die  Zielsäule  angegeben.  Vor  allem 
fällt  das  gleichartige  Ornament  auf,  sogar 
eine  Einzelheit  wie  die  weißen  Punkte  auf 
den  Bändern,  die  die  Blätter  der  Lotos- 
blumen und  Palmetten  begrenzen,  kehren 
wieder.  Beide  Vasen  sind  ungebrochen. 
Da  die  Leipziger  Nessosvase  in  einer  tomba 


\ 


69 


Leipziger  Antiken  I. 


70 


vergine  auf  der  Banditaccia  bei  Cervetri 
gefunden  ist,  dasselbe  Grab  aber  ein  Gegen- 
stück enthielt,  das  nach  Helbigs  Beschrei- 
bung (Bull.  d.  Inst.  1881,  163,  Nr.  14  u.  15, 
vgl.  auch  Not.  scav.  1881,  167,  J.  H.  S.  XIV 
1894,  214)  genau  der  Karlsruher  Amphora 
entspricht,  dürfen  wir  die  Herkunftsangabe 
Orvieto  in  Winnefelds  Katalog  wohl  unbe- 
denkhch  in  Caere  ändern. 
Ein  drittes,  sicheres  Werk  derselben  Hand 
ist  die  Amphora  im  Haag,  Mus.  Meermanno- 
Westrenianum,  Thiersch  Nr.  48,  Phot.  Münch. 
Seminar  B.  590. 


Raum  Füllrosetten,  die  beiden  größten  haben 
weißen,  von  breitem  roten  Band  umgebenen 
Mittelpunkt.  Rechts  Teil  des  schwarz  ge- 
deckten Abschnitts  unter  den  Henkeln  er- 
halten. Unter  dem  Bildfeld  breites  schwarzes 
Band,  darauf  zwei  breitere,  oben  von  je 
einem  sehr  schmalen  weißen  Strich  beglei- 
tete rote  Streifen.  Im  Tierfries  darunter 
weidender  Bock  nach  links  (Hals,  Bauch - 
streif  und  Rippen  rot),  von  dem  Kopf,  Beine 
und  Hinterschenkel  verloren  sind,  vor  ihm 
ist  das  Ohr  eines  Panthers  erhalten. 

Nach  der  Wölbung  des  Bauches  und  dem 


Abb.   II.     Scherbe  von  korinthischem   Kraler  (Nr.  9). 


KORINTHISCHE  KR.^TERE 
9.  (Abb.  II)  Bruchstück  eines  Kraters. 
Oben  Rand  erhalten,  sonst  ringsum  Bruch. 
Bräunlichgelber  Ton,  schwarzbrauner  Firnis, 
aufgesetztes  Kirschrot  und  Weiß,  reichliche 
Ritzung.  Erhaltene  Höhe:  0,185,  ur- 
sprünglicher Durchmesser:  0,42. 

Innen:  Gefirnißt,  in  dem  kurzen  Hals 
zwei  rote  Streifen,  auf  dem  wagerechten 
Mündungsrand  nach  außen  gerichtete  Strah- 
len. 

Außen:  Lippe  und  Hals  schwarz.  Im  Bild- 
feld zwei  Hähne  nach  rechts,  vom  rechten, 
pickenden,  ist  der  Kopf  verloren  (Kamm, 
Kinnlappen,  Flügeldecke  und  einzelne 
Schwungfedern,  beim  linken  auch  Tupfen 
auf  dem  Flügelstreif  rot),  vor  ihnen  kleine 
Henne   nach   links    (Flügeldecke   rot).      Im 


erhaltenen  Rand  gehört  die  Scherbe  zweifel- 
los zu  einem  der  üblichen  korinthischen  Kra- 
tere  (vaso  a  colonette).  Und  zwar  zu  der 
engeren  Gruppe  derer,  die  auf  das  Stabband 
über  dem  Schulterbild  verzichten.  Gerade 
unter  ihnen  sind  großfigurige  Tierbilder  nicht 
selten,  mitunter  ist  der  zweite  Tierfries  durch 
eine  schwarze  Zone  ersetzt.  Als  Beispiele 
seien  angeführt:  Louvre  E  565  (Pottier, 
Vases  du  Louvre  Taf.  42),  Louvre  E  620 
(Pottier  Taf.  44,  Perrot  IX  597  Abb.  305), 
Vatikan  (Heibig,  Führers  Nr.  452,  Phot. 
Alinari  35749.  Albizzati,  Vasi  del  Vaticano 
Nr.  88,  S.  35,  Taf.  10)  und  der  Krater  aus  Ko- 
rinth  ÄJA  1898,  196  Taf.  6/7  (Perrot  IX  627 
Abb.  343).  Allen  gemeinsam  ist  das  Abdecken 
der  Henkelabschnitte,  das  Strahlenmuster 
auf  der  Lippe,  die  Füllrosetten,  die  reichliche 

3* 


71 


Leipziger  Antiken  I. 


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Ritzung  und  das  spärlich  verwendete  Weiß. 
Große  Hähne  finden  sich  auf  korinthischen 
Krateren  unter  den  Henkeln  von  Louvre  E 
629  (Pottier,  Taf.  46)  und  auf  der  Rückseite 
des  Kraters  bei  E.  A.  Gardner,  Naukratis  H 
Taf.  10  (Perrot  IX  392,  Abb.  193). 

10.  (Abb.  12)  Bruchstück  aus  zwölf  Scher- 
ben (eine  dreizehnte,  nicht  abgebildete,  paßt 
nicht  an).  Gelber  Ton,  außen  warmorangefar- 
bener Überzug,  innen  gefirnißt.  Schwarzer 
?"irnis,  aufgesetztes  Weiß  (ohne  Untermalung) 
und  Kirschrot  (mit  Firnis  untermalt),  spar- 


Flügelstreif,  Schwungfedern  rot  und  schwarz). 
Zwischen  den  Henkeln  große  weiße  Sirene 
nach  links  mit  ausgebreiteten  schwarzen 
Flügeln  (roter  Flügelstreif,  schwarze  und 
rote  Schwungfedern),  neben  ihr  schwarze 
Füllrosette.  Unter  dem  Bildfeld  ein  roter, 
ein  weißer,  ein  tongrundiger,  ein  weißer, 
ein  roter  Streif.  Im  Tierfries  darunter 
Schulter,  Teil  des  roten  Halses  und  Hörner 
eines  nach  links  weidenden  Bockes,  vor  ihm 
die  Ohren  eines  Panthers.  Auf  der  nicht 
abgebildeten  Scherbe  befindet  sich  die  Si- 


.«Kfab.    12.     Bruchstücke  eines  korinthisclicn   Kraters  (Nr.  10). 


same  Ritzung.  Größte  erhaltene  Höhe:  0,165, 
ursprünglicher  Durchmesser:  0,42. 

Oben  ist  das  Stabband  erhalten,  zwischen 
die  roten  und  schwarzen  Zungen  ist  je  eine 
weiße  eingeschoben.  Im  Bildfeld  schreiten 
vier  Männer  (Gesicht  und  Hals  rot)  im  Chi- 
ton (abwechselnd  weiß  und  tongrundig) 
und  roten  Mantel,  je  eine  Lanze  in  der  r. 
Hand  nach  links.  Links  am  Bruch  das  obere, 
nach  rechts  gekrümmte  Ende  eines  uner- 
klärbaren Gegenstands,  im  Umriß  gezeichnet 
mit  schwarzen  Punkten.  Zwischen  den 
Männern  reitet,  ebenfalls  nach  links,  ein 
Jüngling  im  roten  Wams,  eine  Lanze  in  der 
r.,  auf  weißem  Pferd  mit  schwarzem  Beipferd 
(roter  Hals).  Unter  dem  Henkelansatz  rechts 
steht  ein  Vogel  mit  erhobenen  Flügeln  nach 
links    (rote    Tupfen    auf    dem    Hals,    roter 


rene,  die  den  Raum  unter  dem  anderen  Hen- 
kel füllte.  Sie  ist  eine  genaue  Wiederholung 
ihres  Gegenstückes,  ihr  Kopf  fehlt. 

Das  Stück  stammt  ebenfalls  von  einem 
Kolonettkrater.  Es  ist  ausgezeichnet  durch 
die  vorzügliche  Erhaltung  der  Oberfläche, 
und  namentlich  geeignet,  von  dem  ursprüng- 
lichen farbigen  Eindruck  ein  gutes  Bild  zu 
geben.  Durch  eine  wohlabgewogene  Vertei  - 
lung  der  Farben  ist  bei  aller  Buntheit  des  Gan  - 
zen  eine  ruhige,  vornehme  Wirkung  erzielt. 
So  hat  das  Bestreben  die  größeren  weißen 
Flächen  nicht  überhand  nehmen  zu  lassen 
den  Maler  veranlaßt,  den  Chiton  der  beiden 
dem  Schimmel  zunächst  stehenden  Männer 
nur  im  Umriß  auf  der  rötlichen  Farbe  des 
Überzugs  zu  geben.  Klar  und  sicher  wie  die 
Verteilung  ist  auch   der  gleichmäßige  Auf- 


73 


Leipziger  Antiken  I. 


74 


trag  der  Farben  und  der  bestimmte,  flüssige 
Zug  von  Umrissen  und  Innenzeichnung. 
Dem  Kopf  unserer  Sirene  entsprechen  am 
nächsten  die  Frauenköpfe  auf  dem  Bruch- 
stück aus  Cumae  Mon.  Line.  XXII  475  Abb. 
179- 

II.  (Abb.  13)  Drei  Scherben  eines  Kraters, 
die  nicht  aneinander  passen.  Ton  hellrosa, 
außen  orangeroter  Überzug,  innen  gefirnißt, 
guter  braunschwarzer  Firnis  (innen  teilweise 


schenke!  an  fehlen,  geritztes  Haarband) 
an  den  Kopf,  neben  ihrem  zurückgeschwunge- 
nen r.  Arm  wird  der  Arm  eines  dritten  Mannes 
sichtbar. 

B.  Hals,  Brust  und  zurückgeschwungener 
r.  Arm  einer  nach  rechts  tanzenden  nackten 
F^rau.  Ihr  Ellenbogen  berührt  den  Ansatz 
des  gebrochenen  Henkels,  unter  diesem 
steht  ein  Trinkgefäß  (rot,  Fuß  und  die  mit 
flüchtigen  S-Linien  geritzte  Lippe  schwarz). 


A^OäXaS 


Abb.    13.     Korinthische   Scherben  (Nr.  11),    i  :  1,8. 


rot  verbrannt),  aufgesetztes  Kirschrot  (mit 
F'irnis  untermalt)  und  Weiß  (ohne  Unter- 
malung), sparsame  Ritzung.  Ursprünglicher 
Durchmesser  etwa    :  0,26. 

A.  Oben  Stabband  aus  schwarzen  und 
roten  Zungen.  Links  zwei  auseinanderge- 
kehrte bartlose  Tänzer  in  rotem  Wams, 
dessen  Bausch  vorn  über  den  Gürtel  über- 
hängt, mit  geritzten  Haarbinden.  Vom  linken 
ist  nur  Rumpf,  rechter  Arm  und  der  Ansatz 
beider  Oberschenkel  erhalten.  Den  nach 
rechts  gewendeten,  bis  auf  die  Unterschenkel 
ganz  erhaltenen  faßt  eine  von  rechts  nahende 
nackte   Frau    (Beine   von   Mitte   der  Ober- 


I  Zwischen  den  Henkeln  saß  ein  Vogel  mit 
!  zurückgebogenem  Kopf,  von  dem  der  rot- 
I  getupfte  Hals  und  der  Flügelbug  erhalten 
j    sind. 

C.  Stammt    offenbar   von    der   Rückseite 
desselben  Gefäßes,  rechts  oben  ist  der  Hen- 
!    kelansatz  erhalten,  darunter  ein  Vogel  nach 
rechts  mit  umgewandtem  Kopf  (Beine  ver- 
I    loren,    rote    Tupfen    auf    dem    Hals,    roter 
j    Flügelbug).     Links   davon  Teil   einer   Kline 
]    (die   Decke   darüber   hat   roten    Saum    und 
!    Fransen)  mit  weißem  Speisetisch,    auf  ihm 
teilweise  weiße  Speisen,    davor  weiße  Fuß- 
bank.    Darunter   roter  Streif.     Vom  Tier- 


75 


Leipziger  Antiken  I. 


76 


streif  unter  diesem  ist  nur  die  Schulter  eines 
nach  links  hin  weidenden  Wiederkäuers 
erhalten. 

Die  Scherben  stammen,  das  beweist  schon 
der  Henkelansatz,  sicher  von  einem  Kolo- 
nettkrater.  Sie  stehen  dem  auch  in  der  Dar- 
stellung und  den  Maßen  übereinstimmenden 
Krater  des  Dresdener  Museums  (Fränkel, 
Satyr-  und  Bakchennamen,  Taf.  l)  nahe, 
dessen  Beischriften,  da  sie  mit  chalkidischen 
Silens-  und  Nyphennamen  übereinstimmen, 
uns  belehren,  daß  wir  es  auch  wohl  bei  den 
Tänzern  auf  unseren  Scherben  mit  diony- 
sischen Daemonen  zu  tun  haben.  Ohne  diese 
Parallele  würde  man,  namentlich  da  auf  der 


gebene  Scheiben.  Der  plastische  Ring 
zwischen  Hals  und  Schulter  ist  rot.  Auf 
der  Schulter  Stabband  aus  abwechselnd  roten 
und  schwarzen  Zungen,  die  von  weißen  Bän- 
dern eingefaßt  sind. 

A.  (Abb.  14)  Auf  dem  größten  erhaltenen 
Scherben  der  Hauptseite  sind  die  Reste  eines 
nach  rechts  galoppierenden  Viergespanns.  Das 
vorderste  Pferd  (9P>OYPSOM  9pou7rioc 
linksläufig)  weiß  mit  roter  Mähne,  auf 
seinem  schwarzen  Brustband  weiße  Punkte. 
Auf  seiner  Kruppe  steht  .  .  .  /  AAM  (.  .tSif), 
wohl  das  Ende  vom  Namen  eines  Kämpfers, 
wahrscheinlich  Aä8a?.  Das  vordere  Deich- 
selpferd, dessen  Hals  über  dem  Rücken  des 


Abb.   14.     Von   korinthischem  Krater  (Nr.  12  A),   1:2. 


Rückseite  ein  Symposion  dargestellt  ge- 
wesen zu  sein  scheint,  eher  an  einen 
Komos  von  Menschen  denken.  Zur  Frage 
des  Namens  dieser  Tänzer  vgl.  Frickenhaus, 
J.  d.   I.   XXXH   1917,   4  Anm.  4. 

12.  (Abb.  14,  15)  17  Bruchstücke  eines 
Kraters  in  die  gesicherte  Ergänzung  des  Gan- 
zen eingefügt.  Ton  gelblich  weiß,  Firnis 
schwarz,  aufgesetztes  Kirschrot  (auf  Unterma- 
lung), und  Weiß  (ohneUntermalung),  rötlicher 
Überzug.     H.    (mit  ergänztem  Fuß):  0,435. 

Das  Gefäß  ist  innen  gefirnißt,  im  Hals 
drei  rote  Bänder.  Die  geschweiften  Henkel- 
platten sind  oben  gefirnißt,  an  den  Stirn- 
seiten rot  auf  Tongrund.  Auf  der  tongrundi- 
gen  Lippe  Mäander  im  Umriß  mit  weißer 
Füllung.  Auf  dem  schwarzen  Hals  jeder- 
seits  sechs  rote,  von  weißen  Punkten  um- 


9pou7rto?  sichtbar  wird,  ist  schwarz  mit 
weißer  Mähne,  das  zweite,  von  dem  nur  die 
Vorderbeine  erhalten  sind,  war  weiß,  der 
zweite  asipa^opof  schwarz.  Von  den 
Pferden  sind  auf  einer  anderen  Scherbe  noch 
die  Hinterhufe  erhalten,  und,  auf  einer  mit 
dieser  zusammenhängenden,  Reste  eines  Ge- 
fallenen, der  unter  den  Pferden  lag.  Ferner 
ist  an  den  erhaltenen  Henkel  anschließend 
ein  weißer  Helmbusch  und  eine  erhobene 
rechte  Hand,  die  die  Lanze  schwingt,  erhal- 
ten. Sie  schneiden  tief  in  das  obere  Orna- 
mentband ein,  können  also  nur  dem  Epi- 
baten  eines  Gespanns  angehören.  Durch  sie 
wird  die  Lage  unserer  Hauptscherbe  im  Ge- 
fäß bestimmt.  Auf  dieser  selbst  erkennen 
wir  noch  über  den  Pferderücken  Kopf  und 
Schulter    eines     nach      links    kämpfenden 


71 


Leipziger  Antiken  I. 


78 


Kriegers,  er  trägt  roten  Helm  mit  weißem 
Busch  und  roten  Schild,  neben  ihm  steht 
AAiPYrOM  (AaiÄoXo?  linksläufig).  Er 
schwingt  die  Lanze  gegen  einen  Gegner,  von 
dem  nur  der  Rest  eines  weißen  Helmbusches 
erhalten  ist.  Vor  den  Pferden  sinkt  ein 
nackter  Krieger,  dem  wieder  der  Namen 
AAiPYrOM  beigeschrieben  ist,  nach  links 
zurück.  Von  seinem  Gegner  ist  allein  der 
weiße  Schild  mit  einem  schwarzen  Stierkopf 
in  Vorderansicht,  und  schwarzem  Rand, 
darauf  weiße  Punkte,  erhalten. 

B.  (.Abb.  15)  Drei  Reiterpaare,  Hoplit  links 


Abb.    15.     Korinthischer   Krater  (Nr.  12   B). 

Knappe  rechts,  reiten  nach  links.  Beim  ersten 
und  dritten  Paar  ist  das  Pferd  des  Hopliten 
weiß,  das  des  Knappen  schwarz,  der  Helm 
des  Hopliten  rot  mit  schwarzem  Busch,  sein 
Schild  rot  mit  schwarzem  Rand  und  Mittel- 
punkt. Beim  Mittelpaar  ist  das  Hopliten- 
pferd  schwarz  mit  aufgesetztem  Rot  auf  dem 
Hinterschenkel,  das  des  Knappen  weiß, 
der  Helm  des  Hopliten  rot  mit  rotem  Busch, 
sein  Schild  weiß  mit  laufendem  Rad  aus 
roten  und  schwarzen  Sicheln  und  schwarzem 
Rand.  Alle  Pferdemähnen  sind  rot.  Hinter 
jedem  Reiterpaar  nach  links  fliegender  schwar- 
zer Vogel  (rote  Tupfen  auf  dem  Leib,  roter 
Flügelstreif).     Unter  dem  einen  erhaltenen 


Henkel  steht  eine  weiße  Sirene  nach  rechts. 
Nur  ihr  Hinterleib  und  Reste  eines  schwar- 
zen Flügels  mit  rotem  Flügelstreif  sind  er- 
halten. 

Unter  den  Bildern  zwei  rote  Streifen. 
Es  folgt  ein  Netzband.  Auf  den  Kreuzungs- 
stellen  der  schwarzen  Linien  sitzen  in  der 
obersten  und  der  dritten  Reihe  schwarze, 
in  der  Mittelreihe  rote  Punkte,  in  den  Fel- 
dern weiße  Punkte,  darunter  ein  breites 
schwarzes  Band  mit  drei  roten  Streifen,  dann 
Fußstrahlen.     Der  Fuß   ist   in  Gips  ergänzt. 

Auffällig  ist  die  Form.  Ein  breiter  hoher 
Hals,  schmale  Schulter,  nach  unten  stark 
sich  verjüngender  Bauch.  Diese  hat  eine 
kleine  Gruppe  korinthischer  Kratere,  die 
wohl  mit  zu  den  jüngsten  gehören,  mit  unse- 
rer Vase  gemein.  Es  sind  dies  Louvre  E 
621  u.  E  622  (Pottier,  Vases  du  Louvre 
Taf.  44),  Brit.  Mus.  B  37  (Walters,  Hist. 
Anc.  Pott.  I  Taf.  21,  2),  Dresden  (Fränkel, 
Satyr-  u.  Bakchenn.  Taf.  i),  Madrid  (Le- 
roux  Nr.  22,  Taf.  2).  Diese  Form  ist  in  der 
chalkidischen  Keramik  (Würzburg  147  u. 
315,  Furtwängler-Reichold  Taf.  101/2,  Brit. 
Mus.  B  15,  Brüssel,  Mus.  du  cinqu.  A.  135) 
wie  in  der  lakonischen  (vgl.  zuletzt  Mingazzini 
imBolletinod'arte2.ser.  nii924,496ff.  u.  508, 
3)  üblich,  in  der  attischen  (mir  ist  nur  ein 
spätschwarzfiguriges  Exemplar  im  Auktions- 
katalog Weitzinger,  München  Nr.  V  1918, 
Taf.  51,  Nr.  1515  und  ein  streng  rotfiguriges 
im  Museum  von  Girgenti  bekannt)  und  in  der 
korinthischen  eine  Ausnahmeerscheinung. 
Die  sechs  korinthischen  Kratere  dieser  Form 
stehen  auch  stilistisch  einander  nahe,  sie 
stammen  sicher  aus  einer  Werkstatt,  ob 
auch  von  derselben  Hand,  das  zu  beurteilen 
erlauben  die  kleinen  Abbildungen  nicht. 
Von  Vasen  anderer  Form  schließen  sich 
die  Halsamphora  Louvre  E  640  (Pottier 
Taf.  50,  Phot.  Alinari  23702),  die  Hydria  E 
642  (Pottier  Taf.  50,  Phot.  Alinari  23695) 
die  Kanne  und  die  Hydria  des  Vatikan  (Hel- 
big,  Führer  3  Nr.  447,  448,  Phot.  Alinari 
35742)  an.  Auffällig  in  der  Schlachtdar- 
stellung des  Leipziger  Kraters  ist  das  ga- 
loppierende Viergespann,  das  korinthisch 
in  Wettkämpfen  wie  Neapel,  Heydemann 
Nr.  685  (Phot.  Sommer  I1027  u.  11 089) 
und  Berlin  1655  (Furtwängler  -  Reichhold, 
Taf.  121),  nicht  aber  in  Schlachten  belegt  ist. 


79 


Leipziger  Antiken  1. 


80 


LAKONISCHE  SCHALEN 
13.  (Abb.  16,  17)  Fragmentierte  Schale  aus 
zahlreichcnBruchstücken.  Die  Aufnahme  zeigt 
nur  die  antiken  Teile  vor  der  Ergänzung  der 
Lücken  in  Gips,  durch  die  die  Schale,  mit  Aus 
nähme  der  Henkel,    vervollständigt    wurde 
Blasser  rötlichgelber  Ton  teilweise  mit  sahne 
farbenem   Überzug,    guter  schwarzer  Firnis, 
aufgesetztes  Kirschrot,  H. :  0,135,  D. :  0,198 
Außen  (Abb.  16):  Tongrundige,  scharf  ab- 
gesetzte  Lippe   mit  schwarzem  Streifen  am 
Rand    und  Lorbeerkranz.   Henkelstreif   ton- 
grundig    mit    sorgfältigen    Henkelpalmetten 
ohne  Kot.  Vom  Henkelstreif  abwärts  bis  zum 


deren  das  Bildrund  nebst  seinem  Rahmen 
auf  weißem  Überzug  sitzt.  Der  Rahmen 
besteht  aus  einem  beiderseits  von  je  drei 
schmalen  Firnisstreifen  begleiteten  breiten 
roten  Band.  Im  Bild  nach  rechts  galoppie- 
rendes Flügelpferd,  dessen  Schweif  den  Rah- 
men überschneidet,  aufgesetztes  Rot  auf 
Flügel  und  Hinterschenkel. 

Die  Schale  ist  in  Technik  (äußerst  dünner 
Ton)  und  Dekoration  gleich  hervorragend. 
Die  zentrale  Komposition,  ohne  abgetrenntes 
Segment  ist  auf  der  Stilstufe  Laconian  IV, 
der  wir  sie  zuteilen  müssen,  äußerst  selten. 
Der  Flügeldämon  und  der  Bock  in  München 


Abb.  16.    Lakonische   Schale,  Auüenseitc  (Nr.  i.^).        Abb.  17.    Lakonische  Schale,  Flügelpferd  (Nr.  13). 


Fußring  weißer  Überzug,  darauf  Strahlen- 
kranz, der  oben  und  unten  von  je  einem  brei- 
tenroten Band,  das  seinerseits  auf  beiden  Sei- 
ten von  je  drei  dünnen  schwarzen  Streifen 
umgeben  ist,  eingefaßt  wird.  Dann  Stab- 
band, darunter  ein  rotes  Band,  das  von  je 
einem  schwarzen  Streifen  begleitet  wird. 
Endlich  gereihte  Granatäpfel  zwischen  je 
einem  schwarzen  Streifen.  Tongrundiger, 
kantiger  Fußring.  Hoher,  schwarzer  Fuß, 
unter  der  Standfläche  zwei  schwarze  Bän- 
der auf  Tongrund. 

Innen  (Abb.  17):  Lippe  tongrundig,  auf  ihr 
unter  schwarzem  Streif  ein  Bogenfries  mit 
Granatäpfeln  zwischen  jezwei  schwarzen  Strei- 
fen. Es  folgt  eine  breite  Firniszone,  innerhalb 


(382,  386,  Sieveking-Hackl  I  Taf.  13)  wären 
dazu  zu  vergleichen.  Von  Pferdedarstellun- 
gen in  unserem  Stil  sind  die  der  Reiterbil- 
der Louvre  E  665  (Corpus  Louvre  III  D.  c. 
Taf.  3,  10),  Brit.Mus.  B  i  (Arch.Ztg.  XXXIX 
1881,  Taf.  13,  2,  Pfuhl,  Mal.  u.  Zchg.,  Abb.  194, 
wo  durch  Abdecken  der  Lippe  und  Schat- 
tieren des  Hintergrunds  der  Eindruck  her- 
vorgerufen wird,  als  handele  es  sich  um  einen 
Teller  und  nicht  um  eine  Schale)  und  Pe- 
tersburg, Stephani  183  (Micali ,  Storia 
Tf.  87,3)  in  der  Darstellung  von  Mähne  und 
Hufen  von  unserer  Schale  grundverschieden. 
In  beiden  und  auch  in  der  Wiedergabe  der 
Flügel  stimmt  Brit.  Mus.  B  2  (Bull.  Nap.  N.  S.  I 
1853,  Taf.  11,8,  Bonn.  Stud.  für  Kekule  250) 


8i 


Leipziger  Antiken  I. 


82 


vollkommen  mit  ihr  überein.  In  ihr  dürfen 
wir  ein  Werk  derselben  Hand  erkennen. 
Als  drittes  Werk  desselben  Malers  gibt  sich 
die  Schale  Louvrc  E  672  (B.  C.  H.  XVII 
1893,  237  Abb.  5)  durch  die  einzigartige 
Zeichnung  der  Henkelpalmetteu  zu  erkennen. 
In  den  Listen  der  Gattung  pflegt  die  Leip- 
ziger Schale  aufgeführt  zu  werden.  So  bei 
Loeschcke,  De  basi  quadam  prope  Spartam 
reperta  (Dorpater  Progr.  1879)  13,  Nr.  13, 
Arch.  Ztg.  XXXIX  1 881,  218,  Nr.  13  (Puch- 


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Abb.  18.  Lakonische  Fragmente,  Außenseite  (Nr.  14)- 

ztein),  Dumont-Chaplain,  Ceramiques  de  la 
Grece  propre  I  301  Nr.  17,  Rev.  arch.  1907 
II  54  Nr.  46  (Dugas  u.  Laurent). 

14.  (Abb.  18,  19)  Bruchstück  einer  Schale. 
Außer  den  acht  abgebildeten  Scherben  sind 
noch  acht  weitere  von  der  Lippe  vorhanden, 
die  zu  drei  größeren  Fragmenten  sich  verei  - 
nigen  lassen,  die  jedoch  außer  einem  kleinen 
6  mm  langen  Firnisstreif  auf  dem  Bildrand 
nichts  von  der  Darstellung  enthalten.  Orange - 
roter  Ton,  dünner  weißer  Überzug,  durch  den 
der  Ton  stellenweise  durchschimmert,  me- 
tallisch glänzender  schwarzer  Firnis,  aufge- 
setztes  Kirschrot,    das  überall,  auch  bei  den 


Schmuckbändern  der  Außenseite  auf  Firnis 
sitzt.   Ursprünglicher  Durchmesser:  0,172. 

Außen  (Abb.  18):  Lippe  tongrundig  mit 
breitem  schwarzen  Rand.  Henkelstreif  ton- 
grundig von  schwarzen  Streifen  eingefaßt, 
langgestreckte  Henkelpalmetten  (auch  Reste 
der  zweiten  linken  Palmette  sind  auf  den  nicht 
abgebildeten  Scherben  erhalten)  mit  rotem 
Palmettenherz.  Von  da  an  bis  zum  Fuß- 
ansatz weißer  Überzug.  Darauf  breites 
rotes  Band,  oben  von  zwei,  unten  von  drei 


Abb.  19.  Lakonische  Fragmente,  Innenseite  (Nr.  14.) 

schmalen  schwarzen  Streifen  begleitet, 
Strahlenkranz,  dann  breites  rotes  Band, 
oben  von  drei,  unten  von  vier  schmalen 
schwarzen   Streifen  begleitet. 

Innen  (Abb.  19):  Lippe  schwarz  mit  ton- 
grundigen  Rändern.  Das  Bildfeld  von  drei 
schmalen  Streifen  eingefaßt.  Ein  rotes  Wellen- 
band teilt  das  Hauptbild  vom  Abschnitt.  Im 
Hauptbild  sind  erhalten:  Rumpf,  1.  Arm,  r. 
Bein  und  Ansatz  des  1.  Oberschenkels  nebst 
beiden  Füßen  (vom  r.  nur  die  vordere  Hälfte) 
von  einem  nach  rechts  weit  ausschreitenden 
nackten  Mann.  Vor  seiner  r.  Schulter  fällt 
eine   Haarsträhne  bis   zur  Hüfte  herab,   in 


83 


Leipziger  Antiken  I. 


84 


der  vorgestreckten  1.  trägt  er  einen  Gegen- 
stand, der  nur  als  Blitzbündel  gedeutet 
werden  kann.  Vor  ihm  flieht  nach  rechts  ein 
Mann  im  Knielaufschema.  Erhalten  sind  von 
ihm:  von  dem  zurückgeschwungenen  r.  Arm 
die  Hand  und  der  untere  Kontur  bis  über  den 
Ellenbogen,  weiter  das  Gesäß,  der  r.  Ober- 
schenkel und  der  r.  Wadenumriß.  Er  trägt 
einen  kurzen  Chiton  mit  roten  Tupfen  und 
geritzten  Kreisen  am  Rand.  Über  den  Zehen 
des  r.  Fußes  des  nackten  Mannes  sind  die 
Reste  einer  Füllpalmette  erhalten,  die  nach 
abwärts  gerichteten  Blätter  mit  Ritzung 
setzen  an  einen  roten  Streif  an,  vom  Stiel  ist 
ein  Rest  in  der  Scherbe  darüber  erhalten,  klei- 
nere Reste  einer  ähnlichen  Palmette  auch 
vor  den  linken  Zehen.  Über  der  Wade  des 
Fliehenden  ein  formloser  roter  Gegenstand. 
Rechts  davon  eine  Inschrift,  von  der  noch 
App  (linksläufig)  deutlich  ist,  die  schwachen 
Reste  weiterer  Buchstaben  gestatten  keine 
Lesung.  Im  Abschnitt  ein  Hippokamp  nach 
rechts,  dessen  Kopf  und  Vorderbeine  fehlen. 
Seine  Mähne  ist  rot,  aufgesetztes  Rot  auch 
auf  der  Brust,  auf  dem  durch  Ritzlinien 
dreigeteilten  Fischleib  rote  Tupfen. 

Den  einzigen  Anhalt  zur  Deutung  gibt  das 
vermeintliche  Blitzbündel.  Mit  aller  Zu- 
rückhaltung, die  der  trümmerhafte  Zustand 
des  ganzen  auferlegt,  darf  wohl  Zeus  im  Gi- 
gantenkampf vermutet  werden.  Die  Buch- 
staben der  Inschrift  helfen  auch  nicht  weiter, 
wenigstens  ist  es  bisher  nicht  gelungen  eine 
Ergänzung  vorzuschlagen,  auch  ihre  Buch- 
stabenformen bieten  nichts  Neues,  so  besitzt 
sie  neben  der  der  Arkesilasschale  und  der 
verschollenen  Arch.  Ztg.  XXXIX  1881, 
217,    Nr.  3  A    nur   Zählwert. 

In  Technik  und  Stil  gehört  auch  dies  Stück 
zu  der  entwickelten  Reihe,  die  Droop  alsLa- 
conian  IV  bezeichnet.  Für  die  Füllpalmetten 
mag  man  vergleichen:  Louvre  E  671  (Corpus 
vas.  ant.  Louvre  III  t).  c.  Taf.  3,  9)  und 
München383,384(SievekingHackl.  I  Taf.13). 
Zur  Schulterlocke  des  Zeus  findet  sich  eine 
Analogie  beim  Achill  des  Deinos  Louvre 
E  662  (Corpus  Louvre  III  D.  c.  Taf.  7,  3), 
der  jedoch  in  der  Zeichnung  erheblich  roher 
ist  als  unsere  Schale.  Sorgfältiger  auch  in 
der  Zeichnung  der  Schulterlocke  des  einen 
Jägers  ist  hingegen  die  Schale  E  670  (Cor- 
pus Louvre  III  D.  c.  Taf.  3,  5  u.  Taf.  4,  i.) 


!  Diese  Jagdschale  ist  aber  auch  die  einzige, 
auf  der  wir  einer  ähnlich  sorgfältig  geritzten 
Anatomie  begegnen,  wie  auf  dem  Leipziger 
Stück.  Die  Beinmuskeln  der  Jäger  stim- 
men mit  denen  des  Zeus  Strich  für  Strich 
überein,  auch  die  konzentrischen  Kreise 
als  Saummuster  kehren  beim  ersten  Jäger 
wieder.  All  das  legt  den  Schluß  nahe,  in 
beiden  Schalen  Werke  eines  Malers  zu  sehen. 
Auch  die  sorgfältige  Füllung  des  Abschnitts 
mit  liebevoll  gezeichneten  Seewesen  spricht 
dafür.  Die  Fische  der  Jägerschale  sind  aber 
zweifellos  vom  Meister  der  Münchener 
Schale  385  (Sieveking-Hackl  I  Taf.  13),  und 
kleine  Bruchstücke  einer  Wiederholung  von 
dieser  sind  in  Leipziger  Scherben  erhalten. 
Technisch  sind  diese  drei  Vasen  freihch  vom 
Leipziger  Gigantenbruchstück  darin  ver- 
schieden, daß  sie  die  Bilder  unmittelbar 
auf  den  Tongrund  ohne  Überzug  setzen. 
Droop  hat  darum  die  Pariser  und  die  Münche- 
ner Schale  seinem  Laconian  V  zugewiesen, 
da  sie  aber  stilistisch  sich  in  nichts  Wesent- 
lichem von  den  Vasen  der  IV.  Stilgruppe 
unterscheiden,  wird  man  allein  auf  diese 
technische  Eigentümlichkeit  gestützt  die 
Trennung  nicht  aufrechterhalten.  Man  muß 
sich  damit  abfinden,  daß  derselbe  Maler  in 
beiden  Techniken  gearbeitet  hat,  ein  Fall, 
der  in  Attika  nicht  selten  ist,  wo  oft  dieselben 
Meister  bald  der  rotfigurigen,  bald  der 
schwarzfigurigen  Technik  sich  bedienen. 
Sollte  der  der  Pariser  Schale  angefügte 
Fuß  mit  weißem  Überzug  unter  der  Stand- 
fläche zugehören,  so  würde  dies  die  vorge- 
tragene Ansicht  noch  bekräftigen. 

15.  (Abb.  20)  Fragmentierte  Schale  aus 
vielen  Scherben,  außer  einigen  für  das  Bild  un  - 
wesentlichen  Teilen  fehlen  ein  Henkel  und 
der  Fuß.  Rötlicher  Ton,  teilweise  weißer 
Überzug,  schwarzer  Firnis,  aufgesetztes 
Kirschrot.  D.:  0,145. 

Außen:  Lippe  weiß  mit  schwarzem  Rand. 
Henkelstreif  tongrundig  von  schwarzen  Strei- 
fen eingefaßt,  darauf  flüchtige  Henkelpal- 
metten mit  rotem  Palmettenherz,  Henkel 
schwarz.  Es  folgt  ein  beiderseits  von  je 
einem  breiten  roten  Band  zwischen  je  zwei 
schmalen  schwarzen  Streifen  eingefaßter 
flüchtiger  Strahlenkranz.  Um  den  Ansatz 
des  Fußes  schwarze  Punkte  auf  Tongrund. 

Innen:  Lippe  schwarz  mit   tongrundigem 


85 


Leipziger  Antiken  I. 


86 


Rand.  Innenbild  auf  Überzug,  von  zwei 
schwarzen  Ringen  eingefaßt.  Um  einen 
Krater  (am  Hab  geritztes  Wellenband, 
Bauch  rot  mit  Ausnahme  zweier  Firnis - 
Zonen,  auf  denen  geritztes  Zickzackband), 
auf  dessen  Rand  ein  schwarzer  Krug  steht, 
tanzen  zwei  Jünglinge.  Der  linke  hält  den 
einen  Kraterhenkel,  er  scheint  ein  rotes 
Wams  zu  tragen,  dessen  Begrenzung  jedoch 


finden  sie  sich  auf  dem  gleichfalls  recht  rohen 
Deinos  Louvre  E  662  (Corpus  Louvre  III 
D.  c.  Taf.  8,  2,  wo  dem  tanzenden  Flöten- 
spieler rechts  des  Mischkrugs  freilich  bei 
der  modernen  Übermalung  die  Flöten  ge- 
nommen sind  —  nur  die  cpopßsioi  ist  erhalten 
—  und  ein  Vollbart  in  die  Brust  eingraviert 
ist).  Feiner  in  der  Zeichnung  ist  Brit. 
Mus.  B  3  (Pfuhl,    Mal.     u.    Zchg.  Abb.  196, 


Abb.  20.     Lakonische  Schale,   Komasten  (Nr.  1 5). 


nur  an  Hals  und  Oberarm  geritzt  ist,  der 
untere  Abschluß  ist  nicht  angegeben.  Der 
rechte  bläst  die  DoppeWöte,  auch  er  hat  über 
die  Brust  einen  Chitonsaum  geritzt,  obwohl 
er  nackt  ist  (aufgesetztes  Rot  auf  dem 
Nackenhaar  und  dem  Gesäß).  Beide  haben 
das  Haar  hinter  den  Ohren  zusammenge- 
bunden. Im  Raum  als  Füllornamente 
zwei  schwarze  Kreise  mit  Mittelpunkt  (der 
linke  fragmentiert).  Von  der  Füllung  des 
Abschnitts  ist  nur  links  eine  wagerechte 
Lotosblüte  mit  roten  Deckblättern  erhalten. 
Technik  und  Zeichnung  sind  plump  und 
flüchtig.  Das  Stück  gehört  der  Massenwarc 
der  Stilstufe  Laconian  IV  an.  Zecher 
neben  Krateren  sind  nicht  selten.     Ahnlich 


auch  hier  durch  Retouchc  des  Grundes 
entstellt)  und,  dem  Leipziger  Stück  näher- 
stehend Cab.  med.  de  Ridder  192  (Arch.  Ztg. 
XXXIX  1881,  Taf.  13,  4).  Bei  den  beiden 
Kreisen  im  Raum  auf  dem  Leipziger  Stück 
könnte  man  an  aufgehängte  Omphalos- 
schalen  denken,  doch  finden  sie  sich  auch  auf 
den  Schalen  München  383  und384(Sicveking- 
Hackl  I  Taf.  13)  und  Bryn  Mawr  (A.  J.  A. 
1916,  Taf.  11),  wo  diese  Deutung  ausge- 
schlossen ist.  Sinnvolles  Füllornament  ist 
ja  überhaupt  in  dieser  Gattung  nicht  üblich. 

CAERETANER  HVDRIA 

16.    (Abb.  21)    Sieben  Scherben,  drei  von 
der  Schulter,  vier  vom  Bauch  einer  Hydria, 


87 


Leipziger  Antiken  I. 


88 


die  nicht  aneinander  passen.  Rötlicher  Ton 
mit  wenig  Glimmer.  Schwarzer  Firnis,  auf- 
gesetztes Rot  und  Weiß  auf  Firnis. 

Vom  Hals  sind  nur  geringe  Reste  anschlie- 
ßend an  zwei  von  den  Schulterscherben  er- 
halten. Der  Hals  ist  innen  schwarz,  von 
seiner  äußeren  Dekoration  ist  nur  eine  ab- 
wärts gerichtete  Spitze  und  ein  Teil  eines  ge- 
schweiften    Palmettendeckblatts     erhalten. 


geritzt.  Der  Stierhals,  in  den  die  charakte- 
ristischen Furchen  der  Wamme  leicht  graviert 
sind,  sowie  das  Hörn  sind  rot.  Letzteres  wird 
von  einem  leuchtend  schwarzen  Birnisstreif, 
der  den  rechten  oberen  Rand  der  Scherbe  ent- 
lang läuft,  überschnitten,  der  sich  durch  den 
erhaltenen  Kontur  als  Unterarm  eines  Man- 
nes, der  den  Stiermenschen  am  Hörn  packte, 
zu  erkennen  gibt. 


Abb.  21.     Scherben  einer  Caeretaner  Hydria  (Nr.  i6),    i  :  2,25. 


Zwischen  Hals  und  Schulter  tongrundiger 
plastischer  Ring.  Auf  der  Schulter  Efeu- 
ranke mit  Korymben. 

Von  der  Vorderseite  des  Bauches  dürfte 
eine  Scherbe  stammen,  die  den  Kopf  eines 
.A.cheloos  zeigt.  Der  verstrichene  Firnis  in 
seinem  Gesicht  diente  als  Grundlage  für  das 
jetzt  geschwundene  Weiß,  das  alle  Fleisch- 
teilc  und  die  Hornhaut  des  Auges  bedeckte. 
Von  dem  stumpfen  Ton  dieser  Untermalung 
hebt  sich  der  leuchtend  schwarze  Firnis  von 
Pupille,  Vollbart  und  den  Haaren  um  die 
Wurzel  des  Horns  ab.  Der  Schnurrbart  ist  nur 


Von  der  Rückseite  stammen  offenbar  die 
drei  weiteren  Scherben.  Auf  einer  sind 
die  Köpfe  zweier  nach  links  sprengender 
Damhirsche  erhalten,  ihr  Fell  ist  schwarz 
mit  weißen  Tupfen,  das  Geweih  des  ersten 
rot,  das  des  zweiten  weiß,  am  oberen  Rand 
der  Scherbe  läuft  der  Trennungsstreifen 
von  Schulter  und  Bauchbild  (schwarz  mit 
aufgelegtem  weißen  Band  in  der  Mitte), 
links  die  Reste  von  zwei  Blättern  einer  Hen- 
kelpalmette, das  obere  mit  weißer  Füllung. 
Auf  einer  weiteren  Scherbe  sehen  wir  das 
Vorderbein  eines  Damhirsches  (Huf  rot)  und 


89 


Leipiigei  Antiken  1. 


90 


den  Kontur  eines  zweiten,  links  schwache 
Spur  eines  Palmettenblattes.  Am  unteren 
Rand  dieser  Scherbe  läuft  der  Bodenstreif 
(auch  dieser  schwarz  mit  weißer  Mitte). 
Auf  der  letzten  Scherbe  sind  die  Hinter- 
beine beider  Damhirsche  (weiße  Tupfen  auf 
dem  Fell,  rote  Hufe),  dann  der  untere  Bild- 
abschluß  (auch  hier  weißer  Mittelstreif), 
darunter  das  geschweifte  Ende  vom  Deck- 
blatt einer  Lotosblüte  erhalten. 

Unsere  Scherben  gehören  offenbar  zu  einer 
Hydria  der  besonders  durch  die  Arbeiten 
von  Dümmler  (R.  M.  HI  i888,  i66. 
Kleine  Schriften  HI  269  mit  Zusätzen  von 
Böhlau),  Pottier  (B.  C.  H.  XVI  1892,  253)  und 
Endt  (Beiträge  zur  jonischen  Vasenmalerei 
1899)  bekannten  Gattung  (Zuletzt:  Pfuhl, 
Mal.  u.  Zchg.  I  179  und  mit  guten  Photo- 
graphien Mingazzini  im  Bolletino  d'arte  2.  ser. 
in  1924,  502  ff ).  Als  solche  wurden  sie  schon 
von  Loeschcke  erkannt,  der  sie  A.  M. 
XIX  1894,  516  kurz  beschrieb.  Auf  ihn  gehen 
die  weiteren  Erwähnungen  in  der  Fach- 
literatur zurück  (Endt,  S.  i,  Nr.  IX,  Mon. 
Line.  VII  284,  Anm.  i  [Savignoni],  Fölzer, 
Hydria  73  Nr.  108,  112  N.  72,  Dümmler, 
Kl.  Schriften  III  272,  Nr.  XX,  Pfuhl,  Mal. 
u.  Zchg.  I  184).  Loeschcke  scheint  mehr 
Scherben  gesehen  zu  haben  als  sich  jetzt 
in  Leipzig  befinden,  so  namentlich  eine  mit 
dem  Kopf  eines  bartlosen  Mannes  und 
Teile  von  Pferden.  Ob  auch  von  den  Fuß- 
strahlen  und  der  Lotospalmettenkette  dar- 
über, ist  aus  seinen  Angaben  nicht  mit 
Sicherheit  zu  entnehmen.  Fußstrahlen 
müssen  natürlich  vorausgesetzt  werden,  und 
zur  Ergänzung  der  üblichen  Lotospalmetten- 
kette genügt  der  Rest  unter  den  Hirsch - 
hinterbeinen.  Sicher  irrig  ist  Loeschckes 
Annahme  eines  Tierfrieses  zwischen  Lotos- 
streif  und  Hauptbild,  eine  solche  zweite 
Zwischenzone  findet  sich  statt  der  üblichen 
einfachen,  in  der  Regel  vegetabilisch  orna- 
mentierten und  nur  auf  der  Busirisvase 
durch  den  Jagdfries  ausgezeichneten,  allein 
bei  der  auch  in  der  Form  etwas  abweichenden 
Hydria  Brit.  Mus.  B  59  (Walters,  Hist. 
Ana.  Pott.  I  Taf.  26).  Bezeichnenderweise 
ist  hier  aber  dieser  zweite  Streifen  undeko- 
riert.  Die  Tiere  eines  solchen  Schmuckstreifs 
müßten  aber  auch  bedeutend  kleiner  sein 
als    die   erhaltenen,    kleiner   namentlich    als 


der  Acheloos.  Er  nahm  nicht  nur  die  Höhe 
des  Hauptbilds  ein,  sondern  war  auch  nicht, 
wie  Loeschcke  annahm,  im  Tierfries  schrei- 
tend dargestellt,  vielmehr,  wie  der  Arm  des 
mit  ihm  kämpfenden  Mannes  beweist, 
in  die  Handlung  einbezogen. 

Wir  können  demnach  die  ganze  Hydria 
wie  folgt  rekonstruieren.  Hals:  Gegenstän- 
dige Lotosblumen  und  Sterne  (Vgl.  Louvre 
E  697-699  und  die  Busirisvase,  Masner, 
Katalog  Taf.  2,  Nr.  217).  Schulter:  Efeu- 
ranke. Bauch,  Vorderseite:  Herakles  im 
Kampf  mit  Acheloos,  Rückseite:  links  vom 
senkrechten  Henkel  zwei  nach  links  spren- 
gende Damhirsche  (die  Palmette  links  von 
ihnen  kann  nach  Stellung  der  Blätter  nur 
vom  Ansatz  eines  wagerechten  Henkels 
herrühren).  Für  die  Füllung  der  rechten 
Hälfte  könnten  die  von  Loeschcke  notier- 
ten, jetz  verschollenen  Scherben  herange- 
zogen werden.  Der  bartlose  Reiter,  den  er 
nach  Analogie  von  Endt  Nr.  VII  u.  VIII 
für  Hephaistos  hielt,  konnte  sehr  wohl 
ein  berittener  Jäger  wie  auf  der  Vorder- 
seite von  Louvre  E  697  (B.  C.  H.  XVI  1892, 
259,  Abb.  8)  gewesen  sein.  Für  die  unsym- 
metrische Füllung  von  Rückseiten  gerade 
mit  Jagdbildern  vgl.  auch  Berlin  Inv.  3345 
(Ant.  Dkm.  II  28)  und  das  Stück  der  Slg. 
Scheurleer  im  Haag  (Endt,  11  Abb.  6,  .Arch. 
Anz.  1922,  231).  Unter  dem  Hauptbild- 
streif folgte  ein  Lotospalmettenband  wie  auf 
den  meisten  Stücken  der  Gattung. 

POLYCHROME  BüCCHEROAMPHORA 
17.  (Abb.  22,  23)  Amphora  mit  Bandhen- 
keln. Fuß  gebrochen  und  angekittet.  Bucchero 
im  Bruch  dunkelgrau,  wenig  Glimmer,  an 
der  Oberfläche  teilweise  grünlichgelb  ver- 
wittert, stellenweise  mit  Sinter  bedeckt.  Auf 
den  Henkeln  gepreßte  Reliefs.  Reichliche 
Farbspuren  erhalten.  Es  sind  verwendet:  i. 
Rot,  zinnoberfarben,  im  allgemeinen  gut  er- 
halten, 2.  Himmelblau,  häufig  geschwunden, 
3.  Hellgrün,  nur  an  wenigen  Stellen  noch 
klar  kenntlich,  meist  in  ein  stumpfes  Gelb 
verwittert,  4.  Weiß,  nur  in  geringen  Spuren 
festzustellen,  meist  geschwunden  und  nur 
am  matten  Ton  der  Oberfläche  zu  erkennen. 
H.:  0,29. 

Die  Form  ist  aus  den  Abbildungen  er- 
sichtlich, die  Beschreibung  kann  sich  daher  im 


91 


Leipziger  Antiken  I. 


92 


wesentlichen  auf  die  Farbspuren  beschrän- 
ken. Im  Innern  der  Lippe  läuft  um  die 
Mündung  der  Halsöfifnung  ein  roter  Streif, 
auf  der  Wölbung  der  Lippe  selbst  sitzt  ein 
rotes  Zickzackband,  am  oberen  Ansatz  des 
einen  Henkels  gereihte  rote  Kreise.  Auf 
den  Henkeln  beiderseits  aus  derselben  Form 
gepreßte  Reliefs  (Abb.  22).    Zu  unterst  eine 


außen  ein  Muster  von  zwölf  Reihen  Schup- 
pen. Die  Umrisse  der  Schuppen  sind  rot, 
die  Mittelrippen  in  jeder  Reihe  von  einer 
anderen  Farbe,  und  zwar  in  der  I.,  3.,  5., 
7.,  9.,  II.  Reihe  von  oben  weiß,  in  der  2., 
6.,  10.  grün,  in  der  4.,  8.,  12.  blau,  so  daß 
sämtliche  Schuppen  mit  weißen  Mittel- 
rippen   senkrecht    übereinanderstehen,    die 


Abb.  22.   Polychrome  Buccheroamphora  (Nr.  17). 

Stierprotome,  Hörn  blau,  Kopf.  Brust  und  vor- 
gesetztes Bein  rot,  der  übrige  Körper  weiß. 
Darüber  Löwe,  rote  Farbspuren  am  Kopf, 
an  Brust  und  vorgesetztem  Bein  keine  Farb- 
reste, die  drei  hinteren  Beine,  und  also 
wohl  auch  der  übrige  Körper  sind  weiß,  zu 
Oberst  Panther,  am  Ohr  des  einen  etwas  rot 
erhalten,  am  Körper  des  anderen  sehr 
schwache  Spuren  von  weiß  und  blau;  die 
Beschreibung  im  Bull.  d.  Inst.  1881,  167  er- 
wähnt blaue  Tupfen.     Auf  dem   Hals  sitzt 


Abb.  23.     Polychrome  Buccheroamphora  (Nr,  17). 

blauen  und  grünen  Mittelstreifen  innerhalb 
der  senkrechten  Reihen  wechseln.  Hals 
und  Schulter  sind  farbig  nicht  getrennt. 
Auf  der  Schulter  läuft  zunächst  eine  Reihe 
von  weißen  Kreisen  mit  blauen  Mittelpunkten, 
dann,  in  Höhe  des  unteren  Henkelansatzes 
ein  roter  Streif,  dann  eine  Reihe  grüner 
Punkte,  darunter  ein  weißes  Zinnenband 
mit  roten  Punkten  in  den  durch  die  ein- 
zelnen Zinnen  gebildeten  Feldern,  darunter 
eine    Reihe   blauer   Punkte,    unter   der   ein 


93 


Leipziger  Antiken  I. 


94 


grüner  Streif,  es  folgt  ein  weißes  Zickzack- 
band,   mit    roten  Punkten    an  den    oberen, 
blauen    Punkten    an    den    unteren    Zacken. 
Unter  diesem  sitzt  ein  plastischer  Ring,  der 
oben  und  unten  von  einem  roten   Streifen 
eingefaßt  ist,  unter  ihm  ein  weißes  Wellen - 
band    mit    roten    Punkten    in    den    oberen, 
blauen    in    den    unteren    Bögen,    darunter 
wieder  ein  plastischer  Ring  mit  roten  Streifen, 
dann  ein  grünes  Zickzackband  mit  weißen 
Punkten  an  den  oberen  Zacken,  dann  zwei 
Reihen    kleiner    roter    Kreise,    unter    ihnen 
ein  Streif,  dessen  Farbe  völlig  geschwunden 
ist   (wahrscheinlich  weiß  ,   dann  ein  grüner, 
nach  diesem  ein  roter  Streif,  gereihte  grüne 
Sparren,   ein  blauer  Streif,   ein   rotes  Zick- 
zickband,  ein  grüner  Streif.     Es  folgen  die 
Fußstrahlen  immer  abwechselnd  von  rechts 
nach  links:  rot,  blau,  weiß,  grün.    Der  plasti- 
sche Ring  über  dem  Fuß  ist  farblos.    Auf 
dem  Fuß  ein  grüner  Streif,   gereihte  weiße 
Punkte,  ein  roter  Streif,  zu  unterst  endlich 
abwärts  hängende  Zungen  abwechselnd  rot 
und  blau,  in  den  Zwischenräumen  aufwärts 
gerichtete  Zungen.  Von  diesen  ist  jede  zweite 
weiß, von   denen  dazwischen  ist  jede  Farbe 
geschwunden,  sie  werden  grün  gewesen  sein. 
Die    Amphora    ist    in    derselben    »tomba 
vergine«,  aus  der  die  beiden  >>tyrrhenischen« 
Amphoren  in  Leipzig  (oben  Nr.  8)  und  Karls- 
ruhe (Winnefeld  20O)  sowie  die  Caeretaner 
Hydria  Brit.  Mus.  B  59  stammen,  gefunden. 
Sie    ist    im    Fundbericht    Helbigs    im    Bull, 
d.  Inst.    1881,  167  unter  Nr.  26  beschrieben, 
in   dem   Fiorellis   in   den   Not.    scav.    1881, 
167  erwähnt  (aus  den  beiden  Zitaten  wur- 
den   bei    Karo,    De    arte    vascularia    anti- 
quissima    quaestiones,     Diss.     Bonn     1896, 
23   Nr.  4  u.  24   Nr.  7  zwei  Vasen).    Sie  wurde 
auf  Grund  der  Beschreibung  in  den  Listen 
des  polychromen  Bucchero  geführt,  so  von 
Cecil    Smith    im    J.  H.  S.    XIV    1894,    213, 
Nr.  III,   Karo  a.  o.  a.  0.,   Prinz,  Funde  von 
Naukratis    (7.  Beiheft    zur    Klio)    60    Nr.  3. 
Von   dieser  Gattung  sind   die  einzigen  bis- 
her zureichend  veröffentlichten   Stücke  die 
angeblich  in  der  »tomba  d'Iside«  von  Vulci   | 
gefundenen    beiden    Vasen    des    Brit.    Mus.    ; 
H.  228  u.  229.    Während  man  auf  der  letzt-   | 
genannten    Schale   nichts   Ungriechisches  zu 
erkennen    vermag,    ist    die    Hydria    H.  228   , 
mit  Recht  als  mittelitalisch  bezeichnet  wor- 


den, so  zuletzt  von  Walters  im  Catalogue  of 
Vases  I  2,  254,  wo  die  ältere  Literatur  an- 
geführt   ist.      Ganz    neuerdings    ist    aller- 
dings Pfuhl,  Mal.  u.  Zchg.   I  152  ff.    wieder 
für    ihren     griechischen     Ursprung      einge- 
treten (vgl.  aber  dagegen  I  334).     Das  ein- 
zige Kriterium,  auf  das  er  sich  hierfür  gegen 
den    stilistischen    Augenschein    stützt,     ist 
der  glimmerhaltige  Ton.     Nun  ist  es  gewiß 
innerhalb    der    griechischen    Keramik    auf- 
fällig,  daß   die   »rhodischen«  Vasen  älteren 
Stils  mehr  Glimmer  im  Ton  haben  als  die 
attischen    —    die    jüngeren,    bildlosen    öst- 
lichen Gefäße  (Pfuhl   I   §  193  f.)   und  auch 
die    Fikelluravasen     sind     hierin    von    den 
attischen    kaum    verschieden    —    während 
der    »protokorinthische«    und    korinthische 
Ton  so  gut  wie  glimmerfrei  zu  sein  pflegt. 
Zutreffend  ist  auch,  daß  es  unter  den  Bucche- 
rogefäßen  solche  mit  glimmerhaltigem  und 
solche  mit  glimmerfreiem  Ton  gibt  (Prinz, 
Naukratis  61).    Erstere   deshalb    für    nicht- 
italisch zu  halten  liegt  aber  kein  Grund  vor, 
zumal   sich    im    »impasto    itahco«    reichlich 
Glimmer  findet,    und   namentlich   die  falls - 
kischen    Vasen    in    dieser    Beziehung    dem 
»rhodischen«    Ton     in     nichts     nachstehen. 
Glimmer  enthält  auch  der  Ton  arretinischer 
Gefäße      und     besonders    reich    der    arre- 
tinischer   Formstempel.       Daß    die    Form 
unserer   Amphora    im    italischen    Bucchero 
beliebt   ist,   dafür  brauchen  Beispiele  nicht 
angeführt  zu   werden.     Daß    auch    ihr  Ton 
italisch   ist,    lehrt   die  Oberfläche,    die  von 
dem   charakteristischen    matten   Glanz    des 
östlichen    »Bucchero«    deutlich    verschieden 
ist.        Gute    Gelegenheit    beide    Arten    der 
schwarzgeschmauchten  Ware  zu  vergleichen 
bieten     die     Grabfunde     des     Syrakusaner 
Museums.    Italisch  ist  auch  die  Polychromie. 
Dafür,    daß   wie   auf   den   Henkeln   unseres 
Stückes,  und  auch  in  den  Friesen  der  Lon- 
doner Hydria  die  Tiere  in  verschiedenfarbige 
Felder  zerlegt  werden,  liegen  reichlich  Bei- 
spiele  aus  der  mittelitalischen  Kunst,  keine 
aus  der  griechischen  vor  (vgl.  Rumpf,  Wand- 
malereien   in  Veii   51,    63).     Auch    die  ge- 
malten Ornamente    sind   aus   der  italischen 
Keramik  zu  belegen,  so  zeigt  die  Omphalos- 
schale     München     994     (Sieveking-Hackl  I 
Taf .  44)  das  Wellenband  wie  auf  der  Schulter, 
die  gegenständigen  Spitzblätter  wie  auf  dem 


95 


Neue  Funde  aus  Susa. 


96 


Fuß  der  Leipziger  Amphora,  für  die  Schup- 
pen vgl.  Berlin  1885  iB.  C.  H.  XVII  1893, 
434  Abb.  7,  sicher  italisch).  Nach  der  Be- 
schreibung scheinen  unserer  Vase  die  beiden 
Gegenstücke  Louvre  C  617  u.  618  am  näch- 
sten zu  stehen.  Der  Wert  unseres  Stückes 
besteht  hauptsächhch  darin;  daß  alle  vier 
Farben  in  unzweideutigen  Resten  festzu- 
stellen sind.  Ob  das  Gelb  auf  den  Amphoren 
des  Louvre  verblaßtes  Grün  ist,  wird  sich 
nur  nach  erneuter  Prüfung  der  Originale 
entscheiden  lassen.  Hingegen  scheint  es 
nach  den  klaren  Spuren,  die  auch  die  gänzlich 
geschwundenen  Farben  auf  der  Oberfläche 
hinterlassen  haben,  sicher,  daß  die  Farben 
eingebrannt  sind.  Pottiers  Vermutung  die 
meisten  Buccheri  seien  polychrom  ge- 
wesen (Catalogue  II  347),  geht  entschieden 
zu  weit. 

Die  Form  der  Leipziger  Amphora  stimmt 
mit  der  in  Attika  besonders  von  Nikosthenes 
gepflegten  (Hoppin,  Handbook  blackfig. 
Vases  178  ff.)  überein,  und  zwar  so  eng, 
daß  man,  selbst  wenn  man  die  Frage,  ob 
gegenseitige  Abhängigkeit  oder  gemeinsame 
von  Metallvorbildern  vorliegt,  offen  läßt, 
an  der  Gleichzeitigkeit  nicht  zweifeln  kann. 
Wir  kämen  damit  in  das  Jahrzehnt  530  bis 
520.  Daß  für  die  Polledrarahydria  die  Da- 
tierung ins  VII.  Jahrh.  auf  Grund  des 
Psammetichosskarabäus  nicht  verbindlich 
ist,  hat  Pinza  erwiesen  (vgl.  Karo  in  A. 
M.  XLV  1920,  II  i).  Daß  sie  die  Caere- 
taner  Hydrien  voraussetzt,  hat  Nachod, 
Rennwagen  bei  den  Italikern  67  mit  Recht 
betont. 


Leipzig. 


Andreas  Rumpf. 


NEUE  FUNDE  AUS  SUSA. 

Auch  bei  der  groß  und  breit  angelegten 
Veröffentlichung  der  Ausgrabungsfunde  von 
Susa  hat  der  Krieg  bewirkt,  daß  der  Um- 
fang zusammenschrumpft.  Wer  hätte  nicht 
die  reich  und  vornehm  ausgestatteten  Bände 
der  Delegation  en  Perse  bewundert,  in  denen 
die  Ausgrabungen  von  Susa  bisher  nieder- 
gelegt waren,  archäologische,  inschrift- 
liche, topographische,  geographische,  geo- 
logische Ergebnisse  von  teilweise  außer- 
ordentlicher  Bedeutung.      Nur   die   Bauten 


waren  immer  zu  kurz  gekommen  und  hin- 
sichtlich der  Schichtenbeobachtung  hörte 
man  alle  Benutzer  dieser  wichtigen  Quelle 
klagen.  Für  die  bildlichen  Darstellungen 
fand  man  dagegen  erste  Kräfte  am  Werke, 
klare  und  schöne  Zeichnungen  ergänzten 
die  Fülle  der  photographischen  Tafelbei- 
gaben, an  denen  nicht  gespart  war  in  Aus- 
führung und  Güte  von  Druck  und  Papier. 
Jetzt  ist  das  alles  anders  geworden.  Ein 
knapper,  ja  magerer  Bericht  soll  der  wissen- 
schaftlichen Welt  Kenntnis  geben  von 
dem,  was  kurz  vor  und  nach  dem  Kriege 
in  Susa  geschafft  worden  ist.  Und  jetzt 
hätte  sich  zeigen  müssen,  was  die  Aus- 
gräber ohne  die  Hilfe  der  reichen  Mittel 
können,  die  ihnen  früher  die  Erscheinung 
ihrer  Arbeit  in  so  günstiges  Licht  versetzen 
halfen.  Man  kann  richtige  Erkenntnisse 
mit  den  knappsten  Mitteln  wissenschaftlich 
einwandfrei  darstellen.  Das  erfordert  große 
Meisterschaft.  Ich  erinnere  da  nur  an  die 
prachtvoll  knappe  und  doch  vollständige 
Darstellung,  die  R.  Koldewey  vom  Baby- 
lonischen Turm  in  dem  doch  gewiß  beschei- 
denen Gewände  einer  Mitteilung  der  Deut- 
schen Orient-Gesellschaft  gegeben  hat. 

Schlägt  man  nun  de  Mecquenem's  Bericht  •) 
zum  ersten  Male  auf,  so  empfindet  man  die 
freudige  Überraschung,  daß  da  endlich  ein- 
mal Pläne  von  Bauwerken  erscheinen,  die 
zunächst  den  Eindruck  von  etwas  Zusam- 
menhängendem machen,  und  hat  die  Hoff- 
nung, der  achämenidischen  Baukunst  von 
Susa  näher  zu  kommen.  Aber  ich  will  gleich 
vorausschicken:  die  Hoffnung  ist  trügerisch. 
Und  das  ist  angesichts  der  Mängel  der  bisher 
erschienenen  Memoires  der  Delegation  en 
Perse  besonders  schmerzlich.  In  diesen 
forscht  man  ja  vergeblich  nach  einiger- 
maßen verständlichen,  geschweige  denn  ge- 
nauen und  zuverlässigen  Aufnahmezeich - 
nungen  der  vorgefundenen  Bauwerke.  Man 
begreift  nicht,  daß  in  diesem  ungeheuren 
,,TeU"  mit  seiner  doch  vollkommen  mesopo- 
tamischen  Struktur  trotz  der  vieljährigen, 
mit  ungeheuren  Mitteln  veranstalteten  Ab- 
tragungen, so  kümmerlich  wenig  Mauer- 
reste zu  verzeichnen  waren,   daß  nicht  ein 

')  Fouilles  de  Suse,  Campagnes  des  annees 
1914 — 1921 — 1922.  M.  R.  de  Mecquenem.  In 
Revue  d'Assyriologie  XIX   Nr.  III   1922. 


97 


Neue  Funde  aus  Susa. 


98 


einziges    einigermaßen    vollständiges   Ge- 
bäude, ja  nicht  einmal  ein  Gebäudeteil,  mit 
dem    man    architekturgeschichtlich    etwas 
anfangen    könnte,     herausgekommen     sein 
sollte.    Wie  geht  das  zu?     Bei  dem  höchst 
interessanten  Besuch,  den  die  ganze  Mission 
unter  de  Morgans  persönlicher  Leitung  im 
Jahre  1901  unserer  Ausgrabung  in  Babylon 
abstattete,  waren  wir  schon  außerordentlich 
überrascht  von  der  Schilderung,  die  uns  de 
Morgan  selber  von  seiner  Grabungsmethode 
gab.    Er  beschäftigte  fünf  mal  mehr  Arbeiter 
als  wir,  hatte  Feldbahn  von  der  fünffachen 
Länge  unserer  babylonischen  und  ging  dem 
Teil    äußerst   systematisch   in  Fünf-Meter- 
Schichten    zuleibe    in    einem   Tempo,    daß 
sich   uns   die   Haare   sträubten!      Und   die 
Memoires    bestätigen,    daß    diese    Methode 
mit    erschreckander    Energie    durchgeführt 
wurde.       Auch    de    Mecquenem's    Bericht 
läßt  sie  noch  erkennen.      Nur  eins  unter- 
scheidet die  letzte  Campagne  von  den  frü- 
heren: Hier  ist  zum  ersten  Mal  der  Versuch 
gemacht,  über  ein  Gebäude  soweit  als  nur 
irgend    möglich    Aufschluß    zu    gewinnen. 
Früher    dagegen    fielen    die  Gebäude    dem 
System  der  abzutragenden  Schichten,  man 
möchte  fast  sagen,   dem  Koordinatensystem 
zum  Opfer,  das  doch  immer  nur  Mittel  zum 
Zweck,    Ordnung   zu    stiften     und    niemals 
Selbstzweck  sein  sollte.    Kein  Mensch  kann 
heute  nachprüfen,  was  da  vorgegangen  ist, 
ob  etwa  gar  die  Luftziegelmauern  nicht  er- 
kannt   und    mit    abgetragen    worden    sind, 
wie    es   früher   vielfach   vorkam    und   z.  B. 
in  Tello    zweifellos    geschehen  ist.      Es  ist 
sicherlich  nicht  leicht,  in  mesopotamischen 
Ruinen,    zu    denen   ich    Susa    unbedenklich 
rechne.  Luftziegelmauern  zu  erkennen.    Das 
muß  man  aber  von  jedem  verlangen,   der 
sich  eine  solche  Ruine  zur  Untersuchung  — 
und  damit  zur  Zerstörung!  —  anvertrauen 
läßt.    Denn  auf  seinen  zwei  Augen  und  dem, 
was   er  der   Nachwelt  als   Geschautes   und 
Erkanntes  überliefert,   steht  das   Schicksal 
dieser  Ruine,   er  kann  sie  vernichten  oder 
erhalten,  je  nachdem,  wie  untreu  oder  wie 
treu  er  sie  behandelt  und  veröffentlicht. 

Die  Mission  wird  behaupten,  es  sei  in  der 
Tat  alles  aufgezeichnet,  was  sie  an  baulichen 
Resten  aufgedeckt  habe.  Dann  ergibt  sich 
aber   die  wunderliche  Tatsache,    daß   Susa 

Archäolog-ischer  Anzeiger  1923/24. 


der  einzige  Hügel  Mesopotamiens  ist  —  Tello, 
wie  es  in  der  französischen  Veröffentlichung 
erscheint,  vielleicht  ausgenommen  — ,  in 
dem  so  wenig  an  Bauwerken  erhalten  ge- 
blieben ist,  während  alle  anderen  von 
solchen  Resten  über  und  nebeneinander 
so  sehr  wimmeln,  daß  die  Ausgrabungs- 
architekten  kaum  aufarbeiten  können,  was 
ihnen  die  Arbeiter  täglich  an  Bauwerken 
neu  freilegen.  In  Susa  aber  war  nie  die  der 
Arbeiterzahl  entsprechende  fünffache  Zahl 
der  Architekten  anwesend,  das  würde  wohl 
auch  diese  reiche  D^ldgation  nicht  haben 
zahlen  können.  Die  wenigen  Herren,  die 
sich  mit  den  Bauwerken  beschäftigten, 
können  meines  Erachtens  garnicht  mit 
den  Bauwerken  fertig  geworden  sein, 
fertig  in  dem  Sinne,  wie  wir  es  bei  unseren 
deutschen  Ausgrabungen  immer  verlangt 
haben  und  auch  stets  wieder  verlangen 
würden. 

Nun  soll  freilich  de  Mecquenem's  Bericht 
nur  ein  vorläufiger  Bericht  sein,  somit  seine 
Pläne  wohl  auch  nur  vorläufige.  Denn  so 
wie  sie  gegeben  sind,  genügen  sie  —  ein 
jeder  für  sich  ■ —  doch  nur  als  grobe  Skizze 
zur  Erläuterung  und  Übersicht  und  würden 
auch  in  dieser  an  sich  verdienstvollen  bal- 
digen Mitteilung  an  die  gelehrte  Welt  hin- 
reichen, wenn  sie  nicht  in  sich  und  unter 
sich  verdächtig  wären.  Wer  sie  zusammen- 
stellt mit  dem  Übersichtsplänehen,  das 
der  damals  noch  junge  Diplom-Architekt 
Pillet  nach  seiner  Aufnahme  1914  als  ,, Palais 
de  Darius  L  ä  Suse"  veröffentlicht  hat, 
wird  erschrecken.  Dieser  Plan,  dem  doch, 
sollte  man  meinen,  die  genaue  Aufnahme 
an  Ort  und  Stelle  zu  Grunde  liegen  müßte, 
stimmt  durchaus  nicht  mit  dem  Übersichts- 
plan bei  de  Mecquenem  PI.  1  und  noch  viel 
weniger  mit  dessen  großem  Plan  PI.  II 
überein,  die  unsere  Abb.  i  und  2  hier  wieder- 
geben. Und  doch  sollen  alle  drei  das  gleiche 
Gebäude  vorstellen!  Wie  ist  das  möglich? 
Welcher  Plan  ist  der  richtige?  Und  zu 
welchem  Zwecke  läßt  man  sie  in  den  wich- 
tigsten Teilen  von  einander  abweichen? 
Blickt  man  in  den  Text,  so  steht  da 
nichts,  was  diese  Tatsache  irgendwie  ver- 
ständlich machen  könnte.  Mit  Sorgfalt  ist 
vermieden,  die  ganze  große  Anlage  zu  er- 
läutern.    Denn  mit  dem,  was  über  Funda- 


99 


Neue  Funde  aus  Susa. 


100 


mente  und  Pflaster  gesagt  ist  und  vor  allem 
über  das,  was  garnicht  vorhanden  ist  und 
was  man  sich  nur  hinzudenken  muß,  ver- 
mag der  Prüfende  nichts  anzufangen.  Mir 
fällt  vor  allem  auf,  daß  sich  der  Herausgeber 


Hauptplan.  Und  der  letztere  allein  hat 
jene  Übereinstimmung  mit  Babylon.  In 
Babylon  liegt  die  Gruppe  östlich  neben 
dem  Gebiet  mit  den  achämenidischen 
Resten,  in  denen  auch  jener  rötliche  Beton- 


Abb.   I.     Ubersichtsplan  des  achämenidischen  Palastes  in  Susa. 


dieser  neuen  Pläne  gar  keine  Rechenschaft 
darüber  gegeben  hat,  wie  überraschend 
ähnlich  die  linke,  westliche  Hälfte,  die 
Gruppe  um  den  Parvis  de  l'ouest  herum, 
der  westlichsten  Gruppe  von  Räumen  in 
der  Südburg  des  Kasr  in  Babylon  ist,  die 
Koldewey  schon  191 8  auf  dem  großen 
Stadtplan  von  Babylon  in  seinem  ,,Ischtar- 
Tor"  mit  veröffentlicht  hat.  Ich  füge 
zur  raschen  Orientierung  des  Lesers  eine 
kleine  Wiedergabe  des  Südburgplanes  als 
Abb.  3  hier  bei.  Es  ist  ganz  erstaunlich, 
wie  weit  die  Übereinstimmungen  gehen, 
bis  in  die  kleinsten  Maße  von  Mauer- 
dicken und  Türbreiten!  Freilich  weiß  man 
nun  nicht,  was  gilt:  Drei  breite  Haupt- 
räume an  der  Südseite  wie  im  Übersichts- 
plänehen,   oder   deren    nur    zwei,    wie   im 


Estrich  vorkommt,  der  die  Fußböden  in 
Susa  bildet,  wo  sie  nicht  mit  Ziegeln  ge- 
pflastert sind. 

Diese  Beziehungen  hätten  den  Archi- 
tekten der  Grabung  in  Susa  doch  mindestens 
zu  einem  Hinweis  und  zu  einem  Versuch 
der  Datierung  begeistern  müssen,  und  sie 
wären  vor  allem  für  die  Frage  von  Wich- 
tigkeit, ob  und  wie  der  vielräumige  Grund- 
riß mit  der  großartig  einfachen  im  Nord- 
osten vorgelagerten  Apadana  in  Zusammen- 
hang steht,  von  der  uns  schon  M.  Dieulafoy 
Bericht  gegeben  hat.  Eingezeichnete  Achs- 
linien verraten,  daß  sich  auch  Pillet  mit  der 
Frage  beschäftigt  hat,  aber  diese  Bau- 
Achsen  stimmen  nicht  zueinander  und  der 
bauliche  Zusammenhang  ist  an  Ort  und 
Stelle  nicht  mehr  erkannt  worden.     Wenn 


lOI 


Neue  Funde  aus  Susa. 


102 


er  also  in  dem  1914  erschienenen  Plänchen 
von   Pillet  erscheint,   ist  er  verdächtig  als 


wenn   nicht   mehr   davon   herausgekommen 
ist,  als  der  Plan  verzeichnet. 


FOUILLES  DE  SUSfi 
PALAIS 

Tics 

HOlS  ACHEMENIDES 


Abb.  2.     Aufnahme-Plan  des  achämenidischen   Palastes   in  Susa. 


W.H. 


Abb.  3.     Südburg  des  Kasr  in  Babylon.     W.H.  =  Westhof. 

frei    erfundene    Ergänzung.       Ebensowenig  In  dem  vielräumigen   Grundriß  wimmelt 

scheint  mir  der  auch  im  großen  Plane  er-      es   überdies  von    Unverständhchke.ten,   die 
gänzte    Zugang    von    Osten    her    erwiesen,     man  sich  vergeblich  zu  entwirren  versucht. 


I03 


Neue  Funde  aus  Susa. 


104 


Offenbar  liegt  hier  eine  nicht  beobachtete  Ver- 
schränkung verschiedener  Bauperioden  vor, 
oder  die  allein  erhaltenen  Gründungsmauern 
sind  in  unrichtiger  Weise  zur  Ergänzung 
der  Aufbauten  herangezogen.  Ganz  rätsel- 
haft bleiben  für  den  Baugeschichtier  die 
sonderbaren  Raumgruppen  südlich  des 
Parvis  central.  Türen  mit  fehlenden  Lei- 
bungen begegnen  ebenso  oft  wie  in  den 
Plänen  des  alten  Rassam,  der  doch  wenig- 
stens damit  entschuldigt  ist,  daß  er  nicht 
Architekt  war  und  sich  nicht  so  über  die 
baulichen  Erfordernisse  Rechenschaft  geben 
konnte,  wie  man  es  von  Pillet  und  einer 
modernen  Grabung  verlangen  darf. 

Hoffen  wir  also,  daß  dieser  merkwürdige 
Achämeniden -Palast  im  Stile  Nabonids  von 
Babylon  eines  Tages  doch  noch  so  veröffent- 
licht wird,  daß  man  ihn  kunstgeschichtlich 
einordnen  und  verwenden  kann  und  darüber 
aufgeklärt  wird,  wie  seine  Verwandtschaft 
mit  Babylon  zustande  gekommen  ist,  d.  h. 
wer  hier  kopiert  hat. 

Außerordentlich  besorgt  gemacht  hat  mich 
noch  ein  anderer  Abschnitt  von  de  Mecque- 
nem's  Bericht,  S.  20  ff.  mit  Tafel  VI,  wo  er 
über  drei  neue  Gruppea  von  Reliefziegeln 
schreibt,  deren  Zusammensetzung  im  Louvre 
versucht  worden  sei.  Der  Versuch  ist  auf 
der  erwähnten  Tafel  dargestellt  und  ganz 
sonderbar.  Ich  verzweifele  zunächst  als 
Architekt,  wenn  ich  sehen  muß,  daß  in 
einer  Ziegelwand  alle  Stoßfugen  senkrecht 
übereinander  gestellt  werden,  statt  wie  bei 
gewöhnlichen,  mit  Ziegeln  bauenden  Sterb- 
lichen, im  Verband,  d.  h.  mit  versetzten 
Stoßfugen.  Wie  soll  ich  mich  von  der  Rich- 
tigkeit der  Zusammensetzung  überzeugen, 
wenn  deren  Ergebnis  nun  außerdem  die 
sonderbarsten  Unglaublichkeiten  sugge- 
rieren will?  Einen  Palmbaum  sieht  man 
da  mit  entblätterten  Wedeln  und  einem 
einzigen,  aus  dem  Stamm  herauswachsenden 
menschlichen  Arm,  der  an  eine  ägyptische 
Darstellung  von  der  Segen  spendenden 
Palme  erinnert,  aber  hier  ganz  untätig  ist, 
ferner  eine  Art  Mumie  mit  fürchterlich 
verrenkten  Armstummeln  und  endlich  einen 
Stierdämon,  Lamassu,  halb  kriegsinvalid, 
halb  verkrüppelt,  denn  sein  linker  Arm 
ist  vom  Ellbogengelenk  ab  verloren  gegangen, 
während     der     rechte     Unterarm     wie     im 


Schmerz  über  diesen  Verlust  zu  einem 
Katzenpfötchen  zusammengeschwunden  ist. 
Über  die  Spitzen  dieser  Figuren  läuft  ein 
mehr  als  einfaches  Ornament  aus  diagonal 
gestellten  rechten  Winkeln  hin,  unten  da- 
gegen sind  drei  ganz  leere  Schichten  ge- 
zeichnet. Bei  den  drei  Figuren  werden  nun 
noch  die  angeblich  hineinpassenden  Ziegel - 
Inschriften  Kutir-Nachunte's  und  seines 
Bruders  Schilhak-in-Schuschinak  einge- 
zeichnet, sie  sollen  diese  Monstra  datieren 
helfen,  die  danach  im  11.  Jahrhundert  das 
Licht  der  Welt  erblickt  hätten. 

Die  Sache  hat  eine  ernste  Seite.  In 
Place's  Veröffentlichung  von  Chorsabad 
findet  sich  ein  Ziegelrelief  dargestellt,  das 
seitdem  Eingang  in  alle  Kunstgeschichten 
der  Welt  gefunden  hat,  obwohl  es  nie  im 
Original  in  ein  Museum  gelangt,  sondern 
beim  Transport  von  den  Fluten  des  Tigris 
verschlungen  worden  ist:  der  Löwe  von 
Chorsabad').  Schon  Koldewey  hat  in 
seinem  ,,Ischtar-Tor  in  Babylon"  S.  42 
empfohlen,  diesen  Löwen  mit  Vorsicht  zu 
betrachten.  Der  Löwe  von  Babylon  hat 
uns  stutzig  gemacht,  er  ist  nicht  so  kurz- 
beinig, wie  der  von  Place  zusammengesetzte', 
an  dem,  wie  Koldewey  bemerkt,  die  zweit- 
unterste Schicht  fehlt,  wodurch  das  Tier 
um  seinen  Metatarsus  am  Hinterfuß  ge- 
kommen ist  und  dementsprechend  natürlich 
auch  um  einen  Teil  der  Vorderläufe. 

In  ähnlicher  Weise  scheinen  mir  nun  auch 
die  schon  seit  langem  im  Louvre  befind- 
lichen Ziegelrelief-Tiere  aus  Susa  verge- 
waltigt zu  sein.  Es  ist  mir  von  einem  Be- 
such im  Louvre  her  namentlich  der  ge- 
flügelte Stier  in  Erinnerung»),  der  um  eine 
halbe  Ziegellänge  zu  lang  geraten  ist  und 
seine  Vorderbeine  dadurch  an  falscher 
Stelle  erhalten  hat.  Die  Bauchlinie  ist  eine 
unmögliche  Hängekurve  geworden  und  auch 
sonst  sitzen  einzelne  Stücke  an  verkehrten 
Stellen.  Als  Hörn  hat  man  ihm  z.  B.  ein 
Stück  des  Schwanzansatzes  aufgesetzt!  Und 
es  ist  mir  auch  heute  noch  nicht  ganz  glaub- 
haft, daß  nicht  nur  der  Greif,  sondern  auch 
der    Stier    mit    Flügeln    versehen    gewesen 


')   Vgl.  Perrot  II  Tafel  XV. 

')  Von  Alinari  photographiert.  Danach  z.  B.  in 
Seemanns  Kunstgeschichte  in  Bildern  I  von  C.  Frank 
64,  5  abgebildet. 


I05 


Zur  Geschichte  der  antiken  Rhyta. 


io6 


J 


sein  soll,  wie  man  es  jetzt  im  Louvre  sieht. 
Aber  ob  man  diese  nun  einmal  zusammen- 
gesetzten Tiere  je  wieder  auseinander- 
brechen und  nach  einem  eingehenden  Stu- 
dium und  namentlich  unter  Berücksichti- 
gung der  vollkommen  erhaltenen  Tiere  von 
Babylon,  ihren  Ahnen,  neu  zusammen- 
setzen wird,  scheint  mir  zweifelhaft.  Es 
wird  sicherlich  als  Blasphemie  empfunden 
werden,  wenn  man  auch  die  Zuverlässigkeit 
der  Zusammensetzung  der  berühmten  far- 
bigen Leibgarde  bezweifelt,  die  schon 
M.  Dieulafoy  aus  Susa  in  den  Louvre  über- 
führt hat.  Aber  da  ist  es  sehr  schwer  zu 
beweisen,  denn  diese  ,,suite  d'archers" 
sind  so  schön  mit  neu  dazu  gemachten 
Stücken  ergänzt  —  ,,superbement  restau- 
r^es",  sagt  de  M.  —  daß  man  nicht  mehr 
recht  sieht,  wo  das  Alte  aufhört  und  das 
Neue  anfängt.  Hier  geraten  wir  freilich  auf 
ein  leider  noch  strittiges  Gebiet  der  Muse- 
umstechnik, das  eigentlich  längst  nicht 
mehr   strittig  sein   sollte. 

Zum  Schluß  noch  ein  Wort  über  die 
zweite  Hälfte  des  Berichts  von  de  Mec- 
quenem.  Sie  betitelt  sich  ,, Exploration 
d'une  necropole  elamite"  und  behandelt 
zwei  Gruppen  von  Gräbern;  die  eine  liegt 
östlich  des  neuveröffentlichten  Palastes, 
die  andere  im  Zentralhof,  parvis  central. 
Für  die  Lagen  der  Gräber  sind,  wie  das  schon 
in  den  Mem.  D^l.  en  Perse  üblich  war, 
wesenlose  Linien-  und  Zahlendiagramme 
beigesetzt,  aus  denen  sich  sicherlich  nur 
Leute,  die  bei  dieser  Ausgrabung  zugegen 
gewesen  sind,  etwas  entnehmen  können. 
Ein  einziger  Querschnitt  würde  uns  viel 
mehr  geben  und  vor  allem  belehren,  zu 
welchen  Schichten  die  Gräber  gehören. 
Nach  den  Grabformen  und  Beigaben  er- 
geben sich  allerdings  eindeutige  Bezie- 
hungen zu  den  schichtenmäßig  gut  zu  ord- 
nenden Gräbern  in  Babylon  und  Assur, 
deren  Veröffentlichung  wenigstens  für  Ba- 
bylon nicht  mehr  lange  auf  sich  warten 
lassen  wird.  Es  wäre  dazu  sehr  erwünscht, 
bessere  Abbildungen  der  Funde  von  Susa  | 
zur  Hand  zu  haben  als  de  M.  hier  gibt.  | 
Die  an  Kinderzeichnungen  erinnernde  Un-  1 
geschicklichkeit  der  Darstellungen,  die  von 
P.  Toscanne  gezeichnet  sind,  wird  jeden  , 
.  überraschen,    der   an   die   früheren,    wenig- 


stens zeichnerisch  musterhaften  Abbil- 
dungen der  französischen  Veröffentlichungen 
gewöhnt  war.  So  sind  namentlich  Fig.  9, 
eine  höchst  interessante  Pyxis  aus  Fritte, 
und  Fig.  13,  eine  sehr  merkwürdige  Asphalt- 
schale mit  drei  rhyton-artigen  Füßen,  in 
einer  äußerst  wunderlichen  Perspektive 
wiedergegeben  und  für  eine  Veröffentlichung 
vom  Jahre  1922  recht  unzeitgemäß. 
Lichterfelde.  W.    Andrae. 


ZUR    GESCHICHTE    DER    ANTIKEN 
RHYTA. 

Georg  Karo  hat  im  J.  d.  I.  XXVI  191 1, 
249  ff.  zum  erstenmal  das  Material  über  die 
kretisch-mykenischen  Rhyta  zusammenge- 
bracht, das  dann  Stais  durch  die  Wieder- 
herstellung des  Silberrhytons  aus  dem  vierten 
Grab  in  willkommenster  Weise  vermehrt 
hat;  Karo  hat  seinen  Blick  auch  über  die 
eigentlichen  Grenzen  der  griechischen  Welt 
hinausschweiien  lassen,  ihm  konnte  damals 
aber  eine  interessante  Parallele  noch  nicht 
bekannt  sein:  das  aus  Kultepe  stammende, 
im  Besitz  der  Lehrsammlung  des  Archäo- 
logischen Seminars  der  Universität  Berlin 
befindliche  Rhyton  in  Rehgestalt,  das  Weber 
im  Orbis  pictus,  Hethitische  Kunst  Taf.  47 
abbildet  (auch  bei  E.  Meyer,  Reich  und 
Kultur  der  Chetiter  52  ff.,  Taf.  V)').  Das 
Stück,  das  wohl  in  das  erste  Viertel  des 
II.  vorchristlichen  Jahrtausends  gehört, 
zeigt  so  auffallende  Übereinstimmung  mit 
dem  Silberhirsch  von  Mykene,  daß  man 
beide  an  einem  Ort,  also  den  mykenischen 

')  Die  Form  dieses  Rhyfons  kehrt  noch  zweimal 
in  Stücken  wieder,  die  der  frühen  XVIII.  Dynastie 
angehören:  Petrie,  lUahun  Taf.  XXVI  50,  S.  22  aus 
dem  in  die  Zeit  Tuthmosis'  III.  datierten  Grab  der 
Meket :  »Curious  model  of  a  stopped  hörne  made  of 
greenpaste.«  Als  Verschluß  dient  eine  Platte  mit  einer 
Rosette.  Einen  in  gleicher  Weise  dekorierten  Ver- 
schluß zeigt  das  Petrie,  Qurneh  Taf.  XXV,  S.  7  ver- 
öffentlichte »Hörn«,  das  mit  einer  runden  Platte 
aus  Elfenbein  verschlossen  war.  »The  point  (des 
Homs)  has  as  ring  of  ivory  round  it,  and  upon  the 
end  is  a  bird's  head  with  a  spout  carved  at  the 
top  of  it.  The  beard's  beak  was  of  black  hörn.« 
In  beiden  Fällen  ist  die  Natur  dieser  Hörner  nicht 
erkannt,  ihre  Ähnlichkeit  mit  dem  Tonrhyton  lehrt 
aber,  daß  der  oben  behandelte  Typus  auf  ein  wirk- 
liches, mit  einem  Tierkopf  in  der  Regel  geschmücktes 
Hern  zurückgeht. 


107 


Zur  Geschichte  der  antiken  Rhyta. 


io8 


Hirsch  im  kleinasiatischen  Gebiet  entstanden 
denken  möchte,  der,  wie  Karo  bemerkt, 
aus  der  Reihe  der  übrigen  kretisch-myke- 
nischen  Funde  auch  naturgeschichtlich  her- 
ausfällt. Bei  den  auf  den  archaischen  Re- 
liefs von  Sendschirli  (Ausgrabungen  V 
207,  Taf.  XXXIV)  dargestellten  Hirschen 
handelt  es  sich  offenbar  um  Edelhirsche, 
weniger  sicher  scheint  das  bei  den  Hirschen 
von   Euyuk   (Meyer  a.a.O.   Fig.   64  f.). 


Abb.   I.     Altpersisches  Rhyton  aus  Armenien. 
Nach  Sarre,  Kunst  des  alten  Persiens  Taf.  47. 

Nicht  um  die  eben  aufgestellte  Parallele 
abzuschwächen,  sondern  um  zu  zeigen, 
wie  lange  sich  namentlich  in  Edelmetall 
alte  Formen  halten  können"),  und  wie  vor- 
sichtig man  mit  Vergleichen  operieren  muß, 
ehe  man  Schlüsse  zieht,  wie  sie  immer 
wieder  in  Strzygowskis  Altai- Iran  und 
Völkerwanderung  begegnen,  bilde  ich  das 
altpersische  Rhyton  aus  Armenien  (Sarre, 
Kunst  des  alten  Persiens  Taf.  47  =  Dalton, 
Treasury  of  theOxus  Taf.  XXII,  hier  Abb.  l) 

')  Für  die  Langlebigkeit  der  Formen  gerade  in 
der  Toreutik  s.  Drexel,  J.  d.   I.    XXX  191 5,  32  ff. 


neben  einem  tönernen  Rhyton  der  XVIII.  Dy- 
nastie aus  Ägypten  (Petrie,  Hyksosand  Israe- 
litecitiesTaf.XXXVIIA,  hier  Abb.2)ab.  Dal- 
ton hat  im  Text  S.  118  f.  die  entscheidenden 
Zeugnisse  für  eine  Datierung  des  arme- 
nischen Rhytons  in  das  VI. — ^V.  Jahrh.  bei- 
gebracht. Die  Grabgruppe  der  Sieben  Brüder 
zu  Kuban  enthält  die  nächsten  Parallelen 
(Minus,  Skythians  and  Greeks  210  ff.,  Ro- 
stowzeff,  Iranians  and  Greeks  Taf.  XII).  Das 
bei  Petrie  abgebildete  Gefäß  wird  von  ihm 
ohne  nähere  Gründe  der  XVIII.  Dyn.  zu- 
gewiesen; nach  der  Oberfläche  zu  urteilen 
und  dem  Stil  des  Gazellenkopfes  mit  Recht. 
Die  Vorderfüße  sind  abgebrochen,  die  Ril- 
lung des  aufsteigenden  Gefäßzylinders  ist 
im  Ton  nicht  angegeben,  übrigens  aber  ist 
die  Übereinstimmung  auch  in  der  Form 
der  Lippe  vollkommen.  Ich  wüßte  nicht, 
daß  bisher  solche  Rhyta  aus  dem  II.  Jahr- 
tausend bekannt  wären.  Am  nächsten 
kommen  ihnen  Gefäße,  die  unter  der  Asia- 
tischen   Beute    Sethos'    I.   abgebildet   sind, 


Abb.  2.     Tönernes  Gazellenrhyton  der  XVIII.  Dyn. 

aus    Ägj'pten.       Nach  Petrie,    Hyksos  and  Israelite 

cities  Taf.  XXXVII A. 

z.  B.  W.  M.  Müller,  Asien  und  Europa  308  f. 
Hier  vertritt  ein  Menschenkopf  den  Tier- 
kopf. Eine  gewisse  Verwandtschaft  hatten 
auch  die  a.  a.  O.  unter  b  aus  derselben 
Beute  wiedergegebenen  Gefäße,  wenn  es  sich 
nicht,  wie  ich  Ancient  Egypt  I  112  f.  wahr- 
scheinlich gemacht  habe,  um  Griffe  handelt. 
Im  Haag.  Fr.  W.  v.  Bissing. 

Nachschrift. 
Soeben  geht   mir   das  neueste  Heft  des 
X.  Bandes  der  Liverpool  Annais  of  Archaeo- 


109 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Januar-  und  Februar-Sitzung  1923. 


HO 


logy  zu.  In  ihm  hat  Woolley  auf  Taf.  68 
ein  Rhyton  aus  Gold  und  Silber  veröffent- 
licht, das  in  der  äußeren  Gestalt  dem  Rhy- 
ton der  Hyksos  cities  ganz  nahe  steht.  Es 
bildet  das  Mittelglied  zwischen  dem  ägypti- 
schen Stück  und  den  pontischen.  Woolley, 
in  falschem  Vertrauen  auf  die  Aussagen 
eines  Armeniers,  nimmt  an,  das  Stück  sei 
in  Marasch  gefunden  und  bemüht  sich, 
hethitische  Analogien  beizubringen.  Tat- 
sächlich handelt  es  sich  um  ein  sehr  altes 
Achaemenidisches  Stück  (vgl.  für  den  Stil 
etwa  Sarre,  Kunst  des  alten  Persiens  Taf.  21, 
28,  37  (Silberstatuette!),  in  manchem  auch 
Taf.  45).  Vielleicht  daß  das  neue  Rhyton 
noch  vor  die  Zeit  des  Dareios  gehört'). 
Durch  Woolley  werde  ich  aufmerksam  auf 
zwei  in  späten  »hethi tischen«  Gräbern  ge- 
fundene Rhy  tone,  die  mehr  dem  die  Hornform 
noch  unmittelbar  festhaltenden  ägyptischen 
Typus  von  Illahun  und  Qurna  entsprechen, 
sowie  dem  pontischen  Rhyton  bei  Sarre, 
Kunst  des  alten  Persiens,  Taf.  44 — 48.  Sie 
sind  abgebildet  Liverpool  Annais  VII  Taf.  27, 
N.  15,  17.  Das  eine  endet  in  einen  Löwen- 
kopf, das  andere  in  eine  unverzierte 
Schnauze.  Die  Datierung  des  Friedhofs 
scheint  durch  die  übrigens  sicher  echt 
ägyptische  Besvase  a.  a.  O.  N.  7  gegeben, 
die  der  späteren  saitischen  Periode  wohl 
mit  Recht  zugeschrieben  wird.  Woolley 
hat  S.  127  f.  das  Alter  des  Friedhofs  auf  das 
VI.  und  V.  Jahrhundert  auch  auf  Grund  der 
dort  gefundenen  Münzen  und  griechischen 
Vasen  bestimmt.  Endlich  sei  noch  auf 
das  Rhyton  Musee  Egyptien  II  Taf.  XXV 
hingewiesen,  das  aus  hellenistischer  Zeit 
stammt;  es  steht  Sarre  a.  a.  O.  Taf.  47  am 
nächsten  2). 


')  Man  halte  nur  den  kappadokischen  Stierkopf 
Ohnefalsch-Richter,  Kypros,  die  Bibel  usw.  Taf.  191, 
I  —  2  daneben,  um  zu  erkennen,  wie  viel  »persischer« 
unser  Stück  ist,  obwohl  man  die  »kappadokische« 
Grundlage  anerkennen  kann. 

')  Völlig  von  diesem  Typus  zu  scheiden  sind 
die  »Kopfrhyta«,  von  denen  Liverpool  Annais  VI 
Taf.  XX  ein  neues  hethitisches  abgebildet  ist. 


ARCHÄOLOGISCHE  GESELLSCHAFT 
ZU  BERLIN. 

Sitzung   vom  2.  Januar  1923. 

Herr  Wiegand  legte  das  neu  erschienene 
sechste  Heft  des  ersten  Bandes  der  Milet- 
publikation  vor;  es  behandelt  den  Nord- 
markt und  den  Hafen  an  der  Löwenbucht 
und  ist  von  A.  v.  Gerkan  bearbeitet. 

Hierauf  sprach  Herr  Rodenwaldt  über 
Eine  Episode  der  spätantiken 
Kunst.  Der  Inhalt  des  Vortrages  ist  in 
den  R.  M.  XXXVII  1922,  58  ff.  wieder- 
gegeben. 

Sitzung   vom  6.  Februar  1923. 

Herr  A.  Deißmann  sprach  über  Epigra- 
phisches zum  Neuen  Testament. 
Er  charakterisierte  zunächst  den  allge- 
meinen Wert  der  Inschriften  von  Alexander 
bis  Konstantin  für  die  Erforschung  des 
Neuen  Testaments  und  der  Anfänge  des 
Christentums.  Dieser  Wert  ist  hauptsächlich 
ein  indirekter:  sie  hellen  den  kulturgeschicht- 
lichen Hintergrund  des  Zeitalters  der  Re- 
ligionswende auf  und  lassen  uns  beides  besser 
verstehen:  den  Kontakt  und  den  Kontrast, 
der  zwischen  Evangelium  und  antiker  Welt 
besteht.  Von  besonderer  Bedeutung  sind 
die  Inschriften,  wenn  auch  nicht  in  so  hohem 
Grade  wie  die  Papyri,  für  die  Erforschung 
der  mittelmeerländischen  Koine  und  damit 
für  die  neutestamentliche  Philologie. 

Aber  sie  werfen  oft  auch  ein  direktes  Licht 
auf  chronologische,  religions-  und  kultur- 
geschichtliche Probleme  des  Neuen  Testa- 
ments. Unter  Hervorhebung  einer  noch 
nicht  genügend  erforschten  Kategorie,  der 
Ossuarien- Inschriften  aus  Palästina,  gab 
Vortragender  alsdann  eine  Anzahl  von  Bei- 
spielen direkter  Förderung  unseres  Verständ- 
nisses durch  neuere  Inschriftfunde;  die 
meisten  wurden  durch  Lichtbilder  erläutert. 

Es  seien  folgende  Inschriften  hervorge- 
hoben: die  bilingue  des  Ossuariums  des  Nika- 
nor  von  Alexandrien,  des  Stifters  der  »schö- 
nen Tür«  (Apostelgesch.  3,  2)  des  Herodiani- 
schen Tempels;  die  Quirinius-  (Luk.  2,  2) 
Inschriften  aus  dem  pisidischen  Antiochien; 
die  Lysanias-  (Luk.  3,  i)- Inschrift  von  Abila; 
die  Gallio-  (Apostelgesch.  18,  12)  Inschrift 
von  Delphi;    die   für   den    Namen  Lukas 


1 1 1 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Siteung  1923. 


112 


wertvollen  Inschriften  aus  dem  pisidischen 
Antiochien;  die  Inschrift  der  Synagoge  des 
Theodotos  zu  Jerusalem;  syrische  Becher- 
inschriften, die  das  Jesuswort  Matth.  26,  50 
l(p'  8  sa'pet;  aufhellen;  die  sprach-  und 
religionsgeschichtlich  bedeutsame  Grab- 
inschrift der  Jüdin  Regina  aus  Rom;  eine 
größere  Anzahl  von  Inschriften  und  Ostraka, 
die  für  die  Geschichte  des  Namens  Jesus 
wichtig  sind,  darunter  die  eben  entdeckte 
des  Juden  Jesus  von  Leontopolis.  Hierbei 
wurde  insbesondere  das  Problem  des  Kult- 
namens Jesus  aufgerollt:  ursprünglich  ein 
weit  verbreiteter  häufiger  Personenname, 
wird  Jesus  erst  durch  den  Christuskult  zu 
einem  nomen  sacrum,  und  von  hier  aus  sind 
eine  ganze  Anzahl  von  späteren  Eingriffen 
in  den  Text  des  Neuen  Testaments  zu  ver- 
stehen, z.  B.  die  Tilgung  des  eigentlichen 
Namens  des  aus  der  Passionsgeschichte  be- 
kannten Banditen  Barabbas  in  der  Masse 
der  Handschriften;  der  Mann  hieß  von  Hause 
aus  Jesus  Barabbas,  aber  als  Jesus  nur 
noch  als  Kultname  empfunden  wurde,  stieß 
man  sich  an  der  Überlieferung  des  Namens 
Jesus  für  den  Mörder  und  tilgte  ihn.  Die 
Hypothese,  Jesus  sei  ein  altsemitischer  Kult- 
name und  erst  später  einer  Einzelperson  als 
Name  beigelegt,  scheitert  an  dem  epigraphi- 
schen Befund. 

Die  meisten  der  vom  Vortragenden  er- 
wähnten Inschriften  sind  inzwischen  in  der 
4.  Aufl.  seines  Buches  «Licht  vom  Osten« 
(Tübingen  1923)  faksimiliert  und  erklärt 
worden. 

Dann  sprach  Herr  K.  A.  Neugebauer 
über  Neue  Beiträge  zur  Kenntnis 
und  Beurteilung  der  Mausoleums- 
skulpturen und  ihrer  Künstler"). 
Der  Vortragende  führte  die  bisherige  Un- 
stimmigkeit in  den  Versuchen,  die  Anteile 
der  überlieferten  vier  Bildhauer  an  den  erhal- 
tenen Resten  zu  bestimmen,  darauf  zurück, 
daß  jene  Arbeiten  ohne  völlige  Ausnützung 
der  vorhandenen  Hilfsmittel  unternommen 
worden  seien.  Es  gibt  im  Britischen  Museum 
zu  London  nicht  nur  eine  Menge  ansehnlicher 
Statuen-  und  Reliefreste  vom  Mausoleum, 
die  niemals  veröffentlicht  und  auf  ihren  Stil 


')  Der  hier  folgende  Bericht  ist  ein  Abdruck  des 
Referates  in  der  Kunstchronik  22,  1923  Heft  III 
43  7  ff- 


hin  untersucht  worden  sind,  sondern  es 
liegen  auch  über  zahlreiche  von  ihnen  in  den 
Berichten,  die  Newton  während  seiner  Gra- 
bung an  den  Earl  of  Clarendon  zwecks  Vor- 
legung an  die  beiden  vereinigten  Häuser  des 
Parlaments  gerichtet  hat,  sowie  in  Biliottis 
Ausgrabungstagebuch  Fundnotizen  vor,  die 
in  Newtons  beiden  Werken  nicht  Aufnahme 
gefunden  haben.  Eine  Anzahl  dieser  Frag- 
mente wurde  in  Lichtbildern  gezeigt  und 
mit  den  bereits  bekannten  Mausoleums- 
skulpturen sowie  mit  anderen  Werken  des 
Skopas,  Timotheos,  Bryaxis  und  Leochares 
verglichen.  Die  Zuweisung  der  Genueser 
Platte  (Kat.  N.  1022)  des  Amazonenfrieses 
an  Skopas  (Neugebauer,  Studien  über  Sko- 
pas 98  ff.)  erhielt  eine  neue  Stütze  durch 
einen  im  Stil  mit  ihr  übereinstimmenden 
bärtigen  Kopf,  vermutlich  vom  Kentauren - 
friese,  der  aus  zwei  Bruchstücken  zusammen- 
gesetzt ist;  der  Fundort  des  oberen  ist  un- 
bekannt, das  untere  stammt  von  der  Ost- 
seite  des  Mausoleums.  Neue  Aufnahmen  der 
Giebelskulpturen  des  Asklepiostempels  zu 
Epidauros  wurden  mit  solchen  der  drei 
aneinander  anpassenden  Amazonenfries- 
platten  verglichen,  die  Newton  in  der  Ost- 
hälfte  des  Trümmerfeldes,  aber  nicht  in 
Fallage,  fand  (Nr.  IO13 — 15),  und  die  Mög- 
lichkeit deren  Zuweisung  an  Timotheos  be- 
gründet; von  demselben  Künstler  stammt 
vielleicht  auch  die  Platte  Nr.  1006  trotz  der 
schwer  erklärbar  schlechten  Ausführung 
des  Pferdes.  Am  meisten  scheint  vom  An- 
teile des  Bryaxis  erhalten.  Vor  der  Nord- 
seite  fanden  sich  außer  den  bekannten  Ko- 
lossalstatuen des  »Mausolos«  und  der 
»Artemisia«  ein  weiterer  kolossaler  Frauen - 
torso,  ein  lebensgroßer  Torso  in  ungegür- 
tetem  Chiton,  mehrere  Köpfe,  sowie  einige 
Bruchstücke  der  Friese.  Die  Amazonen - 
friesplatten  Nr.  1018 — 21  sind  diesen  Fund- 
stücken in  mehrfacher  Hinsicht  verwandt; 
in  den  Proportionen  der  Gestalten  erscheinen 
besonders  N.  1020  bis  102 1,  desgleichen  die 
Kentaurenfriesplatte  N.  1032,  als  Vor- 
läufer hellenistischer  Kunst.  In  bezug 
auf  Leochares  schloß  sich  der  Vortragende, 
zum  Teil  auf  Grund  bisher  unbekannter 
Friesbruchstücke  von  der  Westseite,  im 
ganzen  der  Ansicht  von  Amelung  an  (Au- 
sonia  III    1908,    128  ff.),   teilte'dem  Kunst- 


H3 


Archlolo^sche  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-SiUung   tgij. 


114 


1er  aber  auch  die  übereinstimmend  weich 
gearbeitete,  in  den  Motiven  etwas  lahme 
Amazonenfriesplatte  Nr.  1009  zu.  Ein  bär- 
tiger Bildniskopf  aus  einer  der  unterirdischen 
Galerien  vor  der  Südseite  des  Mausoleums 
(N.  1055)  wurde  als  Original  einer  etwas 
älteren  Zeit  erklärt. 


Sitzung    vom    6,  März  1923. 

Als  Neuerscheinungen  legte  Herr  Wie- 
gand  den  ersten  Band  der  Ausgrabungen 
von  Sardes  vor,  bearbeitet  von  H.  C. 
Butler  1922,  sowie  H.  Schaal,  Griechische 
Vasen  aus  Frankfurter  Sammlungen,  Frankf. 
Verl.-Anst.  1923. 

Neuere  Veröffentlichungen  Athen  be- 
treffend berichtete  Herr  Brueckner  zu- 
sammenfassend über 

R.  Heberdey,  Altattische  Porosskulptur, 
Sdrschr.  d.  Österr.  Arch.  Inst.,  und  über 
des  gleichen  Verfassers  Abhandlung:  Die 
Komposition  der  Reliefs  an  der  Balustrade 
der  Athena  Nike,  Öster.  Jhsh.  XXI,  XXII. 

Auf  Heberdeys  gesicherter  Herstellung 
des  großen  Tritongiebels  fußend,  zog  Br. 
seine  A.  M.  1889  ausgesprochene  Deu- 
tung auf  den  Kampf  des  Typhon  zurück 
und  führte  zur  Bestimmung  des  Vorgangs 
aus:  An  dem  friedliebenden  Charakter  des 
Dreileibigen  ist  nicht  mehr  zu  zweifeln 
Wohl  ist  er  wie  Typhon  ein  Hekatoncheir, 
Kräfte  der  Erde,  des  Wassers  und  der  Luft 
urgewaltig  in  sich  vereinend,  aber  keiner, 
der  im  Titanenringen  gegen  die  olympischen 
Götter  Typhon  gleich  ankämpft,  sondern 
im  Gegenteil  seines  Ruhestandes  unter  ihrer 
Herrschaft  sich  freut,  mehr  z.  D.  als  a.  D., 
wie  die  <puXaxef  Triaxot  Atoj  Gyes  Kottos 
Briareos,  welche  über  die  überwundenen 
Titanen  im  Tartaros  und  lu  'ß/savoio 
{)£}i£8>.ot?  als  Aiöf  xXstToi  imxoupot  in  der 
Hcsiodeischen  Theogonie  oder  ihren  alten 
Eindichtungen  (735.  815)  wachen.  Der 
Kampf  des  Herakles  mit  dem  Triton  ist 
in  der  literarischen  Überlieferung  so  weit 
verschollen,  daß  wir  aus  ihr  nichts  über 
seine  Lösung  erfahren.  Aber  ein  Parallel- 
mythos ist  doch  aus  der  gleichen  Epoche 
erhalten  im  A  der  Ilias.  Achill  erinnert 
seine  Mutter:  als  den  Zeus  die  anderen 
Olympier    binden    wollten,    Hera    Poseidon 


und  Pallas  Athene,  da  bist  Du  gegangen 
und  hast  ihn  aus  den  Banden  gelöst,  indem 
Du  schnell  herbeiriefst  zum  langen  Olymp 
den  Hekatoncheir,  welchen  die  Götter  Bria- 
reos, die  Menschen  aber  alle  Aigaion  nennen; 
der  brauchte  sich  im  Stolz  auf  seine  Kraft 
nur  neben  den  Zeus  hinzusetzen  (oc  pa 
irapd  Kpovttuvi  xaOeCeTO  xuSei  -jaiwv  405,  vgl. 
E  906),  da  erzitterten  vor  ihm  auch  die 
seligen  Götter  und  banden  ihn  nicht.  Im 
Giebel  sehen  wir  den  Triton  dem  die  Über- 
wältigung droht,  wir  haben  die  Nereide, 
die  den  Retter  herbeiholt,  wir  haben  den 
Hekatoncheir  und  sehen  ihn  als  xuSei  fai'iov; 
daraus  erhellt  auch  die  Absicht  seines  Er- 
scheinens. Er  ist  mehr  als  ein  »einfacher 
Zuschauer«  (Heberdey  S.  74,  vgl.  S.  69) ; 
er  erscheint  als  der  xXsiib?  luixoupof,  als 
der  getreue  Eckart  des  Weltenregimentes 
des  Kroniden  und  bringt  die  Lösung  des 
Kampfes:  wie  die  olympischen  Götter  vom 
Götterkönig  beim  Auftauchen  der  ewigen 
Urgewalt,  die  ihn  schützt,  ablassen,  so  wird 
auch  der  ringende  Heros  notgedrungen  mit 
dem  vom  Regimente  bestellten  Hirten  des 
Meeres   seinen    Frieden   machen. 

Für  weitere  Verfolgung  der  Vorstellung 
von  Briareos-Aigaion  drängt  sich  eine  Frage 
auf.  Heberdey  bestätigt  (S.  56),  daß  der 
mittlere  Kopf. des  Hekatoncheir  bei  freilich 
dunklem  Barte  doch  unbemaltes,  also  weiß 
erscheinendes  Haupthaar  hatte,  während 
die  beiden  äußeren  Köpfe  dunkles  Haar 
tragen.  Ist  das  lediglich  zu  farbiger  Ab- 
wechselung geschehen,  oder  sind  die  drei 
Körper  auch  sonst  als  verschiedenen  Alters 
charakterisiert?  Mit  einem  Vogel  zu  spielen, 
an  die  Brust  ihn  zu  drücken,  ist  Knaben - 
und  Jünglingsgewohnheit  (z.  B.  Att.  Grabr. 
947-  1976  ff.).  Sollen  wir  in  den  derberen 
Formen  des  Rechten  die  Jugend,  im  mageren 
Arm  und  der  ruhigeren  Haltung  des  Mittleren 
das  höhere  Alter,  in  der  strebenden  Haltung 
des  Linken  das  Mannesalter  erkennen  .> 
Dann  spiegelte  diese  Dreieinigkeit  die  drei 
Menschenalter  wider,  und  eben  aus  dem 
Werke  dieses  gedankenreichen  Künstlers, 
der  mit  einer  über  die  Grenzen  der  Giebel- 
wand einzigartig  hinausgreifenden  Lebendig- 
keit seinen  Gegenstand  angepackt  hat, 
möchte  es  dämmern,  wie  die  Gestalten  des 
Briareos   Kottos   und   Gyes   vom   Exegeten 


HS 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1923. 


116 


Kleidemos  gleichgesetzt  werden  konnten 
mit  den  Tri topatoren,  den  Urvätern  der 
Menschengeschlechter.  Heberdeys  schöne 
Tafeln  setzen  jedermann  in  den  Stand, 
zu  dieser  der  Klärung  bedürfenden  Frage 
Stellung  zu  nehmen'). 

Herr  Brueckner  legte  ferner  die  19.  Liefe- 
rung, den  Abschluß  des  IV.  Bandes  der 
von  Alexander  Conze  im  Auftrage  der 
Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  heraus- 
gegebenen Attischen  Grabreliefs  vor. 
Die  Herausgabe,  von  Conze  vorbereitet, 
von  dem  Vorlegenden  zu  Ende  geführt,  war 
durch  die  Kriegsverhältnisse  verzögert.  Für 
die  Fortführung  des  Sammelwerkes  hat  das 
Deutsche  Archäologische  Institut  seit  Er- 
scheinen der  ersten  Lieferung  das  neu  auf- 
tauchende Material  gesammelt  und  mit 
dessen  Redaktion  Herrn  Brueckner  be- 
auftragt. 

HerrE.  Aßmann  sprach  sodann  über  Die 
minoischen  und  Dipylon  -  Schiffe.  Die 
ältesten  Schiffsbilder  des  kretisch -minoisch- 
mykenischen  Kulturkreises,  hauptsächlich 
durch  Siegelsteine  und  sog.  Piktographs 
vertreten,  wurden  bisher  nur  fehlerhaft  und 
unzulänglich  behandelt.  Niemand  erkannte 
die  überraschende,  beherrschende  Rolle, 
welche  durchaus  nichteuropäische  und  zwar 
ägyptische  Technicismen  hier  spielen.  Als 
solche  entdeckte  A.  i.  Die  Rah  am  unteren 
Segelrand  (Unterrah,  Baum),  2.  das  Deck- 
haus über  der  Schiffsmitte  mit  Wänden  aus 
gemusterten  Matten  und  Tüchern,  3.  die 
zahlreichen,  einander  parallelen,  in  ver- 
schiedenen Höhen  vom  Mast  zu  den  ins 
Schiff  herabgelassenen  Rahen  laufenden 
Toppnanten,  4.  die  halbmondförmige  Rumpf- 
bildung, welche  bei  den  Nilschiffen  durch 
die  Angst  vor  dem  Stranden  auf  den 
Schlammbänken  des  Stromes  entstanden 
war.  Diese  Schiffsbildchen  waren  nicht, 
wie  so  manches  Andere,  aus  Ägypten  er- 
handelt, sondern  echtkretische  Erzeugnisse, 
sie  verschwanden  mit  den  minoischen  Zeiten, 

•)  Literatur  über  die  Tritopatoren,  die  Furtwängler 
und  neuerdings  Schweitzer  im  Giebel  erkannten,  bei 
Kern  Orph.  frg.  nr.  318.  Ihre  Gleichsetzung  mit 
den  Hekatoncheiren  beruht  auf  ihrer  Funktion  als 
tp'iXotxE«  TAS-zoi  lii;,  vgl.  Radermacher,  Berl.  Phil. 
Woch.  1922,  202.  Nachweise  von  in  Dreileibig- 
keit  ausgeprägter  Dreilebigkeit  bei  Schweitzer, 
Herakles  69.  80.  88. 


ohne  dauernde  Spuren  an  den  späteren 
Schiffen  dort  zu  hinterlassen.  Es  scheint 
also  zeitweise  auf  Kreta  ein  besonders 
starker  Anlaß  zur  Abbildung  ägyptischer 
Schiffe  bestanden  zu  haben,  und  ein  solcher 
läßt  sich  in  der  Herrschaft  des  Hyksos- 
Pharao  Chian  über  Kreta  um  1700  v.  Chr. 
finden.  Jedenfalls  darf  man  hier  nicht  von 
echtkretischen,  ächäischen,        ägäischen 

Schiffstypen  sprechen.  —  Betreffs  der  Di- 
pylon- oder  geometrischen  Schiffe  hat  Aß- 
mann schon  lange  die  Ansicht  bekämpft, 
wonach  hier  griechische  und  zwar  den  äl- 
testen attischen  Naukrarien  angehörige 
Fahrzeuge  dargestellt  sein  sollen.  Attica 
war  nicht  nur  im  9.  und  8.  Jahrhundert  v. 
Chr.  sondern  noch  viel  später  sehr  rück- 
ständig im  Schiffswesen,  in  Kriegsmarine  und 


Abb.   I.  Bugzierde  der  Dipylon-Schiffe  (a)  und 
Chamaecyparis  Lawsoniana  (b). 

Seehandel  fast  Null.  Die  Dipylonschiffe  er- 
scheinen auf  dem  Kopenhagener  Gefäß 
als  Angreifer  einer  Küste,  auf  anderen  in  der 
Flucht,  mit  ihren  eigenen  Toten  beladen 
(so  stellt  kein  Volk  des  Altertums  seine  eige- 
nen Schiffe  dar),  sie  scheinen  die  frühesten 
Kriegsschiffe  mit  zwei  Rojerreihen  überein- 
ander zu  sein.  Die  attischen  Überlieferungen 
melden  schwere  Drangsale  durch  die  Kreter 
des  Minos,  welche  sich  auch  später  noch 
wiederholt  haben  mögen,  als  Kreta  sich  von 
Hellas  zurückzog.  Vielleicht  führt  uns  ein 
zweiter  Weg  gleichfalls  nach  Kreta,  nämlich 
die  auffällige  Eigenart  der  Bugzierde  (Abb. 
la).  Im  Halbkreis  vorspringend,  dann  zarter 
nach  hinten  oben  verlaufend  konnte  sie  höch- 
stens als  natürliche  Zweigbildung  den  Er- 
schütterungen durch  Wellen  und  Wind  wider- 
stehen. Nach  erfolglosen  Umfragen  bei  Bota- 
nikern fand  A.  selbst  das  Erforderliche  bei 
der  amerikanischen  Zypressenart  Chamae- 
cyparis Lawsoniana    (Abb.   ib),  deren  un- 


117 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     April-  und  Mai-Sitzung   I9»3. 


Il8 


terste  Zweige  abgekappt,  jene  Bugzierde 
fertig  liefern  (die  Stümpfe  der  Endzweige 
liefern  die  abgebildeten,  einseitigen  Stop- 
peln). Nichts  verbietet  die  Annahme  gleicher 
Formen  in  der  alten  Welt,  wo  nach  Plinius 
Kreta  als  die  Heimat  der  Zypresse  galt. 
Freilich  würde  wohl  auch  eine  derartige 
naturwüchsige  Bugzierde,  welche  abbrechen, 
auch  das  vorgeblähte  Segel  verletzen  konnte, 
kaum  gewählt  worden  sein,  wenn  sie  nicht 
das  Symbol  einer  Gottheit,  das  Wahrzeichen 
einer  Örtlichkeit  bildete.  Die  Zypresse  war 
der  heilige  Baum  der  Göttermutter  Rhea 
im  uralten  Hain  zu  Knossos,  auch  des  Zeus- 
Berges  Ida.  Rhea  Cybele  verwandelte  die 
aus  Holz  vom  troischen  Ida  gezimmerten 
Schiffe  des  Aeneas  in  unsterbliche  Meer- 
mädchen. Die  Wurzeln  der  Rhea  und  der 
heiligen  Zypresse,  der  Korybanten  und  Ku- 
reten  sind  in  Phönizien  und  Babylonien 
nachzuweisen.  —  Neben  der  Bugzierde  ist 
eine  zweite  Eigenart  der  Dipylon- Schiffe, 
ein  8  (seltner  i6)  strahliger  Stern  am  Bug, 
der,  wie  A.  schon  früher  erkannte,  nichts 
mit  dem  später  nach  ägyptischem  Vorbilde 
dort  auftretenden  Auge  zu  tun  hat.  Auch 
er  ist  ein  Symbol  und  gleicht  dem  Wahr- 
zeichen, dem  Standartenkopf  der  Istar  auf 
altbabylonischen  Zylindern.  Merkwürdiger- 
weise erinnern  nun  auf  dem  nach  Homer 
vielsprachigen  Kreta  Stadt  Istros  und  Berg 
Cadistus  an  Istar  und  ihre  Hierodule  (Ca- 
distu),  ferner  zeugen  dort  zahlreiche  Namen, 
Sitten,  Überlieferungen  (die  vom  Grab  des 
altassyrischen  Königs  wird  einmütig  tot- 
geschwiegen) von  einer  uralten  babylo- 
nischen Kolonisation  (A.  im  Philologus  1908). 
Das  sollen  Anregungen  zur  Klärung  dunkler 
Fragen  sein,  nicht  mehr.  A.  besprach  noch 
einige  nach  Vorderasien  oder  Ägypten  deu- 
tende Punkte,  endlich  Fragen  des  wahren 
und  des  scheinbaren  Rammsporns.  ■ —  Die 
einst  kanonische  Ansicht  vom  griechischen 
Minos  ist  gefallen,  man  hat  dahin  umge- 
lernt, daß  die  minoische  Kultur,  die  alt- 
kretische Religion  sich  ohne  griechische 
Mitwirkung,  wohl  aber  unter  starker  Be- 
einflussung aus  Ägypten  und  Babylonien 
entwickelte.  Damit  erstand  Recht  und 
Pflicht,  auch  minoische  und  Dipylon -Schiffe 
mit  neuen,  morgenländischen  Mitteln  zu 
untersuchen.  — 


Sitzung   vom  3.  April  1923. 

Herr  Br.  Schröder  erläuterte  kurz  den 
von  Herrn  Nogara  der  Lehrsammlung  des 
Berliner  Archäologischen  Seminars  ge- 
schenkten Gipsabguß  einer  von  W.  Amelung 
in  den  Magazinen  des  Vatikanischen  Mu- 
seums gefundenen  Wiederholung  des  sogen. 
Pherekydeskopfes  zu  Madrid.  Nach  Treus 
Vorgang  hat  man  in  diesem  Werk  den  Kopf 
des  Aristogeiton  aus  der  Tyrannenmörder- 
gruppe zu  sehen. 

Dann  sprach  Herr  L.  Curtius  (Heidel- 
berg) als  Gast  über  die  Reliefs  Ludovisi  - 
Boston.  Der  Vortrag  wird  als  Aufsatz 
erscheinen. 

Sitzung    vom    i.  Mai   1923. 

Herr  Noack  berichtete  vor  Eintritt  in 
die  Tagesordnung  über  die  Sammlung 
Lunsingh-Scheurleer  im  Haag  und  be- 
sprach einige  Stücke  an  Hand  von  Licht- 
bildern. Ein  Bericht  über  die  Sammlung  ist 
im  Arch.  Anzeiger  1922,  202  ff.  erschienen. 

Dann  sprach  Herr  Rubensohn  über  Das 
Delion  von  Paros.  Das  Heiligtum  lag 
auf  einer  heute  Vigla  genannten  Höhe  nord- 
östlich der  antiken  Stadt,  durch  den  Hafen 
von  ihr  getrennt,  mit  weitem  Überblick 
über  das  Meer  nördlich,  westlich  und  östlich 
von  Paros. 

Baugeschichtlich  lassen  sich  zwei  Perioden 
unterscheiden.  In  der  ersten  Periode 
herrschte  tempelloser  Kult.  Der  von  einet 
sorgfältig  gebauten  Peribolosmauer  um- 
schlossene heilige  Bezirk,  von  fast  quadrati- 
scher Form,  mit  Eingang  an  der  Südseite, 
enthielt,  heute  nachweisbar,  nur  zwei  Altäre: 
einen  Felsaltar  von  gerundeter  Form  fast 
in  der  Mitte  des  Bezirks,  wahrscheinlich  der 
Altar  des  Apollo,  und  nördlich  von  diesem 
die  Reste  eines  rechtwinkligen  Fundaments 
auf  dem  gewachsenen  Fels  aufliegend,  nach 
Form  und  Größe  sicher  auch  von  einem 
Altar,  wahrscheinlich  dem  der  Artemis 
(s.  u.).  Dieser  Altar  fiel  weg  in  der  zweiten 
Periode  des  Heiligtums,  in  der  er  z.  T. 
überbaut  wurde  durch  einen  westlich  neben 
ihn,  zwischen  ihn  und  die  Peribolosmauer, 
gesetzten  kleinen  dorischen  Tempel.  Bei 
der  Errichtung  dieses  wurde  die  Peribolos- 
mauer   durchbrochen,     da    er    mit    seiner 


119 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Mai-Sitzung  1923. 


120 


Westmauer  nach  außen  vor  die  Peribolos- 
mauer  vortritt.  Der  Tempel,  ein  kleines 
templum  in  antis,  9,50  m  lang,  6  m  breit; 
Fundament  aus  Gneisblöcken,  wie  sie  im 
älteren  Asklepieion  und  bei  der  Stadtmauer 
zur  Verwendung  gekommen  sind.  Die 
Euthynteria  aus  polygonal  geschnittenen 
Marmorquadern.  Vom  Aufbau  erhalten  sind 
Teile  des  Triglyphons,  Geisonblöcke  und 
zahlreiche  Dachziegel,  alles  aus  Marmor. 
Die  Funde  unter  dem  Tempel  schneiden 
mit  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  ab.  Der 
Tempel  ist  also  wahrscheinlich  in  der 
I.  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  erbaut  worden. 

Aus  der  zweiten  Periode  des  HeiHgtums 
stammen  ferner:  a)  der  zum  Tempel  ge- 
hörige »neue  Altar«,  hart  östlich  neben  dem 
»alten  Altar«  errichtet;  b)  ein  Speisesaal 
(oOTiOTopiov),  mit  z.  T.  wohlerhaltenem 
Kieselmosaik  und  Resten  des  Tricliniums, 
und  anschließende  Wirtschaf  tsräume  (Küche, 
Priesterwohnungen)  direkt  südUch  neben 
dem  Tempel;  c)  eine  außen  an  Tempel  und 
Peribolosmauer  angebaute  Terrasse,  die 
durch    seitliche    Treppen     besteigbar    war. 

Die  Identifizierung  des  Heiligtums  ergaben 
Inschriften:  a)  Inschrift  an  Artemis  DeHe 
auf  der  Basis  einer  weiblichen  Standfigur, 
deren  Reste  (Kopf  mit  Polos)  unmittel- 
bar neben  dem  Tempel  liegend  gefunden 
wurden;  b)  Horosstein  mit  Inschrift:  '\8TivatT) 
KuvDtV;. 

Die  Gründung  des  Heiligtums  geht,  wie 
bei  den  meisten  Delien  in  vorgriechische 
Zeit  zurück,  wie  ihre  Rückführung  auf 
Herakles  (Oxyrliynch.  Pap.  III  408  v.  35) 
und  die  Auffindung  wenn  auch  nur  weniger 
prähistorischer  Scherben  und  Obsidian- 
messer,  beweist.  Der  Tempel  gehörte 
der  Artemis  wie  neben  der  erwähnten 
Inschrift  die  in  und  neben  dem  Tempel 
gemachten  Einzelfunde  beweisen.  Der 
Tempel  trat  mit  seinem  neuen  Altar  an  die 
Stelle  des  alten  Altars.  Wo  Athene  Kynthie 
und  [Zeus  Kynthios]  und  die  anderen  Gott- 
heiten eines  Delions  ihre  Kultusstätten  im 
Hieron  hatten,  läßt  sich  nicht  mehr  nach- 
weisen. 

Kultus:  Hauptstätte  des  Kultus  in  beiden 
Perioden  war  der  Felsaltar  des  Apollo.  Auf 
der  ihn  umgebenden  freien  ebenen  Fels- 
platte  fanden   die  Festtänze  statt;   in  dem 


Speisesaal,  der  dem  kaziazopiov  tö  Iv  Kuvöq) 
in  Delos  (Bullet,  hellen.  XIV  1890,  507) 
entspricht,  wurden  die  auch  für  das  Atheni- 
sche Delion  bezeugten  Festschmäuse  der 
Priesterschaft  (vgl.  Athenaeus  VI  234  kombin. 
mit  Plutarch  Solon  c.  24)  abgehalten.  Die 
Terrasse  am  Tempel  ist  der  einzige  Punkt 
auf  dieser  Höhe,  der  einen  Ausblick  auf 
Delos  gewährte,  sie  ist  eine  Parallele  zur  la^api] 
iv  Tip  xeiyei  p.eT«Su  xou  riuftiou  xal  toü  'OXuniriou 
des  Zeus  Astrapaios  in  Athen,  von  der  aus 
man  die  Blitzzeichen  für  die  Absendung  der 
Pythiasten  nach  Delphi  beobachtete.  Die 
Terrasse  ist  eine  solche  iaydpri  —  Stein- 
ummauerung,  in  der  Mitte  Erdfüllung  — 
und  Warte,  von  der  aus  man  das  Zeichen 
von  Delos  (etwa  Feuersignal  auf  dem 
Kynthosberg)  zum  Beginn  der  Delischen 
Panegyris  beobachtete. 

Einzelfunde  sind  nur  im  Inneren  des 
Tempels  und  —  in  geringer  Anzahl  —  in 
dessen  unmittelbarer  Umgebung  gemacht 
worden.  Die  im  Inneren  des  Tempels  ge- 
machten Funde  sind  fast  ausnahmslos  unter 
dem  antiken  Boden  des  Tempels  in  einer 
hier  vor  der  Errichtung  des  Tempels  vor- 
handen gewesenen  grubenartigen  Boden- 
senkung zutage  getreten.  Eine  Ausnahme 
macht  eine  größere  Anzahl  kleiner  runder 
Marmorteller  mit  Löwenfüßen,  die  in  dem 
Speisesaal  gefunden  sind. 

Marmorfunde.  Die  gefundenen  Skulp- 
turenreste sind  nur  gering  an  Zahl,  besondere 
Berücksichtigung  verdienen  einige  frag- 
mentierte Marmorköpfchen  wegen  ihrer  in 
die  Augen  springenden  Verwandtschaft 
mit  den  Olympia-Giebel-Skulpturen. 
Die  Vasenfun  de,  abgesehen  von  ein  paar 
prähistorischen  und  minyischen  Scherben, 
setzen  mit  der  reif -geometrischen  Gattung 
ein  und  umfassen  alle  im  Gebiet  des  ägäischen 
Meeres  heimischen  Gattungen  bis  zur  früh- 
korinthischen.  Sie  schHeßen  gerade  da 
an,  wo  die  Vasenfunde  auf  der  Akropolis 
vonParos  aufhören,  und  es  ergibt  sich  somit 
eine  geschlossene  historische  Reihe.  Be- 
sondere Bedeutung  haben  die  zahlreichen 
Tellerarten,  die  die  Vorstufe  bilden  zu  den 
erwähnten,  z.  T.  hellenistischen  Marmor- 
tellern, vielleicht  Weihungen  der  Teilnehmer 
an  den  öffentlichen  Festspeisungen.  Vasen- 
geschichtlich  bedeutsam   ist   das  Auftreten 


121 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juni-  und  Juli-Sitzung   1923. 


122 


der  der  melischen  Gattung  nahestehenden 
Teller  wie  sie  gleicher  Art  unter  dem  Heraion 
von  Delos  und  in  Rheneia  gefunden  sind, 
und  von  polychromen  Tellern  jener 
Gattung,  deren  Hauptstück  der  bekannte 
Teller  von  Thera  ist,  die  ebenfalls  im  Fund 
vom  Heraion  von  Delos  vertreten  sind 
(vgl.  Compt.  rend.  d.  l'Acad.  d.  Inscr.  1911, 
551). 

Unter  den  Kleinfunden  aus  verschiede- 
nen Materialien  sind  bemerkenswert  zahlreiche 
Knochen-  und  Elfenbeinplatten  von  Fibeln, 
wie  sie  vielfach  an  griechischen  Fundstätten 
der  gleichen  Epoche,  besonders  im  ephesi- 
schen  Artemistempel  unter  den  Fundament- 
beigaben der  zentralen  Basis  aufgetreten 
sind,  und  Skarabäen  und  andere  Klein- 
kunstwerke ägyptischen  Stils  der  bekannten 
Naukratischen  Fabrik  aus  der  i.  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts.  Besonders  zahlreich  unter 
den  Kleinfunden  sind  dann  schließlich  die 
figürlichen  Terrakotten;  es  sind  meist 
sitzende  und  stehende  Frauen,  sehr  häufig 
mit  dem  Polos  auf  dem  Haupt,  ferner 
Puppen  und  dergleichen  mehr,  also  offenbar 
Weihungen  von  Frauen  für  eine  weibliche 
Gottheit,  d.  h.  in  diesem  Fall  für  Artemis. 
Die  Terrakotten  sind  nicht  in  Paros  ge- 
arbeitet, sondern  im  wesentlichen  ost- 
jonische  Fabrikate,  die  sich,  völlig  gleich- 
artig, in  Samos  und  Rhodos,  aber  auch  z.  B. 
im  Eileithyia-Heiligtum  in  Paros  gefunden 
haben,  also  Schöpfungen  von  Fabriken,  die 
möglichst  allgemein  gehaltene  Typen  für 
verschiedene  weibliche  Gottheiten  als  Weih- 
gaben  herstellten.  Während  die  Vasen  und 
anderen  Kleinfunde  durchaus  der  ersten 
Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  angehören, 
reichen  die  Funde  an  figürlichen  Terrakotten 
bis  ins  4.  Jahrhundert  hinab,  bezeugen  also 
die  Pflege  des  Kultus  auch  für  diese  späteren 
Zeiten,  aus  denen  sonst  alle  Fundstücke  der 
radikalen  Verwüstung  des  Heiligtums  be- 
sonders durch  moderne  Kalkbrenner  zum 
Opfer   gefallen  sind. 

Hierauf  sprach  Herr  Wiegand  über 
Untersuchungen  in  Palmyra. 

Sitzung   vom  5.  Juni  1923. 

Herr  Noack  legte  den  vierzehnten  Bericht 
der  Römisch-Germanischen  Kommission  vor: 


Drexel,  Die  Götterverehrung  im  römischen 
Germanien,  Frankfurt  1923;  Herr  Krüger 
berichtete  über  D.  Krencker,  Das  römi- 
sche Trier,  Berlin,  Deutsch.  Kunstv.  1923. 
Dann  sprach  Herr  H.  Schäfer  über 
Grundlagen  der  ägyptischen  Rund- 
bildner ei.  Der  Inhalt  des  Vortrages  ist 
wiederholt  in  den  Grundlagen  der  ägyp- 
tischen Rundbildnerei  und  ihreVer- 
wandtschaft  mit  denen  der  Flach- 
bildnerei,  Der  alte  Orient  1923,  Leipzig, 
Hinrichssche  Buchhandlung. 

Sitzung   vom  3.  Juli  1923. 

Herr  Rodenwaldt  legte  die  während 
des  Krieges  und  nach  dem  Kriege  er- 
schienenen russischen  Publikationen  vor. 
Herr  Noack  berichtete  über  K.  Lehmann - 
Hartleben,  Die  antiken  Hafenanlagen  des 
Mittelmeeres,  Klio  Beiheft  XIV  Leipzig 
1923,  und  W.  Blümel,  Der  Fries  des 
Tempels  der  Athena  Nike,  Berlin  1923, 
J.  Altmann. 

Darauf  besprach  Herr  Hubert  Schmidt 
zunächst  das  Buch  von  A.  Schulten  (Tar- 
tessos.  Ein  Beitrag  zur  ältesten  Geschichte 
des  Westens.  Hamburg  1922),  dem  besten 
Kenner  der  alten  Überlieferung  über  die 
iberische  Halbinsel,  eine  Untersuchung,  die 
in  demselben  Geiste  gehalten  ist,  wie  des 
Verfassers  Artikel  »Hispania«  bei  Pauly- 
Wissowa  und  sein  großes  Numantiawerk. 
Die  Hauptzeit  von  Stadt  und  Reich  Tar- 
tessos  (1000 — 500  V.  Chr.)  ghedert  sich  in 
3  Abschnitte  nach  seinen  Beziehungen  zu 
den  Phönikiern,  den  Phokaiern  und  den 
Karthagern,  die  im  Westen  Europas  die 
Vorherrschaft  der  Tartessier  ablösen.  Um 
500  V.  Chr.  wird  Tartessos  zerstört  und  ist 
seitdem  in  der  geschichtlichen  Überliefe- 
rung verschwunden,  wie  der  Verfasser  klar 
zu  machen  versteht,  durch  absichtliches  Be- 
treiben der  Karthager  selbst,  die  überhaupt 
die  Schiffahrt  und  den  Verkehr  mit  West- 
europa sperren,  um  dort  die  Alleinherrschaft 
zu  behalten.  So  ist  auch  für  den  Weltkampf 
der  Karthager  mit  den  Römern  der  Hinter- 
grund gegeben.  Das  Verschwinden  von  Tar- 
tessos in  der  Erinnerung  der  Griechen  bringt 
Schulten  in  geschickter  Weise  in  Verbindung 
mit  dem  Atlantismärchen  der  Griechen  und 


123 


Archäologische  Gesellschaft  »u  Berlin.     Juli-Sitiung  1923. 


124 


identifiziert  Tartessos  geradezu  mit  dem 
sagenhaften  Atlantis.  An  diese  Hypothese 
knüpft  das  archäologische  Experiment, 
wodurch  das  Tartessosproblem  gelöst  werden 
soll.  Deswegen  hat  Schulten  an  der  Mün- 
dung des  Guadalquivir  umfangreiche  Bo- 
denuntersuchungen begonnen  und  hofft  dort 
wirklich  Tartessos  zu  finden. 

Für  die  Lösung  des  Tartessosproblems  ist 
auch  die  Vorgeschichtsforschungin  aus- 
giebigem Maße  in  Anspruch  zu  nehmen,  viel- 
leicht sogar  mit  Erfolg,  nachdem  sie  in  den 
letzten  Jahren  auf  spanischem  Boden  außer- 
ordentliche Fortschritte  gemacht  hat.  So 
zieht  Schulten  für  seine  Schlußfolgerungen 
einen  großen  Bronzedepotfund  heran, 
der  jüngst  im  Hafen  von  Huelva  gemacht 
worden  ist.  Es  ist  bei  weitem  der  umfang- 
reichste Fund,  der  je  in  Spanien  zutage  kam: 
insgesamt  fast  400  Bronzegegenstände,  die  aus 
dem  Hafen  ausgebaggert  worden  sind,  also 
wohl  eine  Schiffsladung  darstellen,  Dolche, 
Schwerter,  Lanzenspitzen,  sogen.  Lanzen - 
schuhe,  Äxte  und  andere  Geräte,  Gürtel- 
haken und  Fibeln,  hauptsächlich  westeuro- 
päische Typen  der  jüngsten  Bronzezeit, 
etwa  entsprechend  Montelius  Per.  IV,  d.  h. 
1000 — 800 v.Chr.  Die  eigenartige  Knie- 
fibel  kommt  aus  einem  fremden  Kultur- 
kreise; sie  ist  eine  jüngere  Variante  der 
Kniefibel  von  Cassibile  (Sizilien)  und  steht 
den  Vorstufen  der  italischen  Schlangen - 
fibel  in  Periode  IV  i  bei  Montelius  parallel. 
Die  T-förmigen  Gürtelhaken  dagegen  sind 
jüngeren  Ursprungs;  sie  stellen  einen  Typus 
der  Hallstattkultur  dar  und  sind  auch  in 
Westeuropa  verbreitet;  in  Spanien  wird  diese 
Form  sogar  in  der  nachhallstättischen  Kul- 
tur, die  keltischen  Ursprungs  ist,  variiert 
(Döchelette,  Manuel  II  2  S.  862,  Fig.  359). 
Jedenfalls  sind  in  diesem  Depot  von  Huelva 
Fundstücke  verschiedener  Herkunft  und  ver- 
schiedenen Alters  vereinigt.  Dazu  kommt 
der  schlechte  Erhaltungszustand  der  meisten 
Stücke.  Offenbar  haben  wir  es  mit  Altsachen 
zu  tun,  die  in  aller  Welt  gesammelt  worden 
sind  und  nach  Tartessos  gebracht  werden 
sollten,  um  in  »tartessische  Bronze«  umge- 
schmolzen zu  werden. 

Im  Anschluß  daran  hieltHerr  H.  Schmidt 
einen  Lichtbildervortrag  Zu  den  troja- 
nischen   Prachtbeilen.     Sie    gehören  zu 


einem  Depotfunde  aus  Troja  II  3,  sind  also 
dem  großen  Schatzfunde  A  aus  der  vollent- 
wickelten Bronzezeit  um  2000  v.  Chr.  gleich- 
zustellen. Trotz  des  seltenen  Materials 
(nephrit-  oder  jadeitartiger  Grünstein  und 
Lapislazuli)  und  der  vollendeten  Politur 
gehen  sie  nach  ihrer  Form  (Hammeräxte) 
und  Verzierungstechnik  (Buckelchen  mit 
dem  Hohlbohrer  hergestellt)  auf  die 
Steinzeit  zurück  und  zwar  auf  die  steinzeit- 
lichen Streitaxttypen  des  nordeuropäisch - 
baltischen  Kulturkreises.  In  Troja  II  haben 
sie  Analogien  unter  gewöhnlichen  Steinge- 
räten. Die  Prachtbeile  haben  vielleicht 
als  Herrschersymbole  besonderen  Prunk-  u. 
Zeremonialzwecken  gedient,  die  gewöhn- 
lichen Steingeräte  ähnlicher  Form  als  Streit- 
äxte, wie  ihre  nordischen  Gegenstücke. 
Die  Kultur  von  Troja  II  ist  steinbronzezeit- 
lich  charakterisiert.  Dieselben  Streitwaffen 
begegnen  nun  im  hettitischen  Kreise  als 
Götterwaffen,  besonders  in  der  Hand  des 
Blitzgottes  Teschub.  Die  Herrschersymbole 
vermitteln  zwischen  dem  gewöhnlichen 
Gebrauche  und  der  göttlichen  Bestim- 
mung. 

Die  vorauszusetzenden  bronzezeitlichen 
Beziehungen  zwischen  Vorderasien  und 
Nordeuropa  im  2.  Jährt,  v.  Chr.  finden  ihre 
Bestätigung  durch  andere  Erzeugnisse.  Sie 
sind  teils  als  orientalische  nach  dem  Nor- 
den verschlagen  worden  (hettitische  Bronzen 
im  Ostbaltikum  und  die  bis  in  die  sumerische 
Kultur  zurückreichende  Krummkeule,  fälsch  - 
lieh  »Bumerang«  genannt,  die  in  Skandina- 
vien vereinzelt  aus  Feuerstein  und  in  Säbel - 
form  aus  Bronze  auftritt),  teils  als  gemein- 
same Kulturgüter  im  Orient  sowohl  als  in 
Europa  im  Gebrauch  gewesen  (Renn-  und 
Streitwagen),  teils  als  mitteleuropäische 
Formen  auf  dem  Wege  über  den  Kaukasus 
und  den  altägäischen  Kulturkreis  bis  nach 
Vorderasien  oder  Ägypten  gelangt  (Hänge- 
spiralen, Schwerter,  Fibeln).  Die  Grundlage 
für  solche  weitreichenden  Beziehungen  bil- 
det die  Verbreitung  der  steinkupf erzeit- 
lichen Kulturen  südöstlichen  Ursprungs  um 
3000  V.  Chr.,  für  welche  die  Gefäßmalerei 
in  zwei  Stilgruppen  (Anau  I-  Susa-Chäronea 
und  Tripolje-Cucuteni-Dimini)  das  Haupt- 
merkmal darstellt.  Auch  in  Kreta  läßt  sich 
ihre  Nachwirkung  bei  der  Entwicklung  der 


125 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Oktober-  und  November-Sitzung   1923. 


126 


minoischen   Kultur  des  3.  Jahrtausends  v. 
Chr.  beobachten. 

Das  Material  des  zweiten  Vortrags  soll 
demnächst  in  einer  ausführlichen  Publika- 
tion verarbeitet  werden. 

Außerordentliche   Sitzung 
vom.  23.  Oktober  1923. 

Herr  R.  Pariben i  (Rom)  sprach  als  Gast 
unter  Vorführung  zahlreicher  Lichtbilder 
über  das  Thema  Ostia. 

Sitzung   vom  6.  November  1923. 

Herr  Wiegand  legte  den  zweiten  Band 
des  Baalbeck-Werkes  vor,  der  von  D. 
Krencker,  Th.  von  Lüpke  und  H.  Winne- 
feld  unter  Mitwirkung  von  O.  Puchstein 
und  B.  Schulz  verfaßt  ist  (Berlin  1923, 
W.  de  Gruyter  u.  Co.).  Mit  diesem  Bande 
ist  die  Darstellung  der  antiken  Bauten  be- 
endet, einschließlich  der  christlichen  Epoche, 
die  durch  die  große  Basilika  im  Hofe  des 
Heliopolitanums  repräsentiert  wird.  Der 
dritte  und  letzte  Band  wird  die  islamischen 
Altertümer  und  die  Geschichte  Baalbeks  in 
nachchristlicher  Zeit  bringen. 

Herr  Lietzmann  (Jena)  als  Gast  be- 
richtete zunächst  über  ein  Unternehmen, 
das  bestimmt  ist,  für  das  Studium  der  spät- 
antiken  Kunstentwicklung  von  einer  Seite 
her  grundlegende  Vorarbeit  zu  leisten.  In  der 
spätantiken  Abteilung  des  Jenaer  archäologi- 
schen Instituts  ist  der  Plan  eines  Corpus 
basilicarum,  d.  h.  einer  Sammlung  aller 
bisher  publizierten  altchristlichen  Basiliken 
bis  zur  Zeit  des  Arabereinfalls  in  Angriff 
genommen  und  bereits  in  ziemlich  weitem 
Umfang  durchgeführt  worden.  Herr  H.  W. 
Beyer  hat  das  gesamte  Material  nach  einem 
einheitlichen  Plan  verzettelt,  alle  veröffent- 
lichten Grundrisse  auf  den  gleichen  Maßstab 
reduziert  und  Aufrisse,  Ornamentzeichnun- 
gen, Baubefund  im  einzelnen  beigegeben. 
Es  besteht  die  Absicht,  diese  umfassende 
Stoffsammlung  später  einmal  als  Nach- 
schlagebuch herauszugeben.  Zunächst  aber 
sollen  die  verschiedenen  geographisch  deut- 
lich sich  sondernden  Gebiete  einer  Durch- 
arbeitung unterzogen  werden.  Als  vorzüglich 
geeignet    zur    Eröffnung    dieser    Reihe    von 


Studien  erwies  sich  der  syrische  Kirchen - 
bau,  über  den  Herr  Beyer  seine  Unter- 
suchung bereits  abgeschlossen  hat:  sie  wird 
in  Kürze  im  Verlag  von  Schoetz  und  Parrhy- 
sius  (Berlin)  erscheinen.  In  Syrien  fallen 
sofort  zwei  Hauptzentren  der  Bautätigkeit 
in  die  Augen.  Das  östlich  von  Antiochia 
liegende  nordsyrische  Gebiet  bis  Aleppo 
und  darüber  hinaus,  und  der  große  Bezirk 
des  Haurängebirges  in  Zentralsyrien.  Im 
Norden  steht  den  Bauleuten  ein  gut  zu  be- 
arbeitender Stein  zur  Verfügung,  und  die 
Wälder  boten  ausreichend  Holz  für  Balken, 
Decken  und  Dachkonstruktionen.  Der  Haurän 
ist  holzarm  und  liefert  dem  Bau  nur  hartes 
Basaltgestein.  Infolgedessen  hat  sich  in 
Zentralsyrien  die  Bogenkonstruktion  im 
Großen  wie  im  Kleinen  reich  entwickelt, 
derart,  daß  auch  die  Fußböden  der  Ober- 
geschosse und  die  flachen  Fächer  der  Bauten 
aus  Steinplatten  bestehen,  die  auf  Gurtbögen 
ruhen,  während  im  Norden  säulengetragene 
Archivolten  in  Verbindung  mit  Systemen 
von  Holzbalken  die  auch  anderswo  übliche 
Rolle  spielen.  Auch  in  der  Ornamentik  prägt 
sich  die  Wirkung  des  verschiedenen  Stein - 
materials  deutlich  aus.  Von  besonderer 
Bedeutung  für  Syrien  ist  nun  ein  die  Fassa- 
den gliederndes,  Fenster  und  Türen  um- 
ziehendes Bandornament,  das  in  den  ältesten 
Bauten  fehlt,  wie  sie  noch  durch  vier  ver- 
schiedene, von  demselben  Architekten  Ky- 
rillos  um  400  errichtete  Anlagen  vertreten 
sind.  Dann  aber  können  wir  das  allmähliche 
Auftreten  und  Fortschreiten  dieser  Band- 
Ornamentik  an  den  zahlreichen  datierten 
Basiliken  vortrefflich  verfolgen.  Das  Glanz- 
stück der  nordsyrischen  Architektur,  die 
Kirchen-  und  Klosterbauten  des  hl.  Symeon 
Stylites  (Dgr  Sim'än)  zeigen  diese  Orna- 
mentik voll  entwickelt,  und  man  würde 
deshalb  geneigt  sein,  diese  Anlagen  in  justi- 
nianische Zeit  zu  datieren.  Aber  die  erst 
kürzlich  publizierte  Phokaskirche  des  wenige 
Stunden  entfernten  Basufän  kopiert 
bereits  die  Ornamentik  der  Symeonskirchen 
im  Jahre  492.  Damit  ist  die  Entstehungszeit 
von  DSr  Sim'än  für  das  Menschenalter 
zwischen  459  (Symeon  f )  und  492  festgelegt, 
zugleich  aber  eine  weitere,  kunstgeschicht- 
lich recht  bedeutsame  Erkenntnis  gewonnen. 
Die     Ornamentik     der     Prachtbauten     des 


127 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     November-Sitzung  1923. 


128 


hl.  Symeon  ist  nicht  das  Ergebnis  einer 
innersyrischen  Entwicklung,  sondern  ist  fix 
und  fertig  übernommen;  sie  hat  sich  aber 
stück-  und  tropfenweise  von  dort  aus  in 
Syrien  weiter  verbreitet.  Ihren  Ursprung 
kann  man  nach  Lage  der  Dinge  nur  in  dem 
großen  Kulturzentrum  suchen,  von  dem 
Kal'at  Sim'än  nicht  weiter  als  Aleppo  ent- 
fernt ist,  in  Antiochia.  Wenn  wir  also  die 
künstlerische  Physiognomie  der  antiocheni- 
schen  Architektur  vor  dem  großen  Erdbeben 
von  526  rekonstruieren  wollen,  wird  Kal'at 
Sim'än  wesentliches  Material  zu  liefern  haben. 
Diese  und  andere  Beobachtungen  lehren  aber 
auch,  daß  das  künstlerische  Leben  im  Hinter- 
lande stagniert  und  über  die  alteinheimischen 
festen  Typen  nur  durch  Einflüsse,  die  aus 
dem  kulturellen  Vorort  oder  einem  frucht- 
baren Nachbarlande  sich  eindrängen,  hinaus- 
geführt wird.  Solche  Einflüsse  lassen  sich 
mannigfach  beobachten.  Das  künstlerisch 
bedeutsamste  Ergebnis  einer  derartigen 
Kombination  sind  die  berühmten  drei  Ka- 
thedralen mit  den  Zwei -Turm -Fassaden  in 
Ruwfiha,  Kalb-Luze  und  Turmanin.  Hier 
ist  das  jüngst  von  Oelmann  (Bonner  JB. 
1922,  189  ff.)  ausgezeichnet  behandelte 
Hilani -Motiv,  das  sonst  in  Syrien  unbekannt 
ist  (ebd.  205),  zu  einer  wundervollen  Aus- 
bildung gelangt:  daß  hier  wieder  Antiochia 
das  Vorbild  lieferte,  kann  kaum  bezweifelt 
werden,  zumal  ein  mit  ähnlicher  Fassade 
ausgestatteter  Palast  Diokletians  dort  be- 
zeugt ist  (Theodoret  h.  e.  IV  26,  i ;  Oelmann 
205,  3).  In  Kalb-Luze  und  Ruwgha  ist 
dazu  der  aus  dem  Haurän  stammende  Pfeiler- 
bau mit  mächtigen  Bögen  gefügt  worden; 
in  Kalb-Luze  begegnen  wir  ebenso  wie  in 
Kal'at  Sim'än  einer  Dekoration  der  Außen- 
seite der  Apsis  durch  doppelte  Säulchen, 
bei  der  man  das  Ringen  des  Künstlers  mit 
dem  Motiv  gut  studieren  kann. 

Aber  nicht  nur  die  Fragen  der  Entwick- 
lung, auch  das  Problem  der  Entstehung  des 
christlichen  Basilikatypus  wird  durch  solche 
Einzeluntersuchung  in  neue  Beleuchtung 
gerückt.  Daß  die  christliche  Basihka  — 
ähnlich  wie  die  jüdische  Synagoge  —  aus 
dem  hellenistisch -römischen  Saal  heraus- 
gewachsen ist  und  deshalb  von  Hause  aus 
mannigfaltige  Formen  ausgebildet  hat,  darf 
heutzutage  wohl  als  selbstverständlich  gelten. 


So  sehen  wir  auch  im  syrischen  Hinterland 
verschiedene  Kirchen  an  lokale  Profantypen 
anknüpfen  und  können  nach  dem,  was  wir 
über  die  geringe  Regsamkeit  des  Binnen- 
landes gelernt  haben,  es  leicht  begreifen, 
wenn  sich  verschiedene  altheimische  Formen 
lange  erhalten  haben.  Das  Problem  ist  viel- 
mehr dies:  woher  kommt  der  fast  eintönig 
in  Syrien  wie  überall  sonst  zur  Herrschaft 
gelangende  Typ  der  dreischiffigen  Basilika 
mit  halbrunder  Apsis  und  überhöhtem  Mittel- 
schiff.? Wie  erklärt  es  sich,  daß  er  so  schnell 
und  siegreich  die  einheimische  Mannigfaltig- 
keit zurückdrängt  ?  Die  übliche  Behauptung 
von  der  Beliebtheit  dieses  Typs  auch  für 
Profanbauten  der  früheren  Zeit  bedarf 
dringend  der  Nachprüfung  am  Material. 
Keinesfalls  darf  man  sich  dafür  auf  die  so 
gern  zitierte  Profanbasilika  von  Aspendos 
berufen,  wo  die  vortreffliche  Zeichnung  im 
Gegensatz  zum  Text  (Lanckoronski,  Pam- 
phylien  I,  97;  vgl.  Taf.  17)  deutlich  erkennen 
läßt,  daß  eine  mit  doppelgeschossigen 
Emporen  versehene  Profanbasilika  später 
in  den  Typ  einer  normalen  christlichen 
Kirche  verwandelt  wurde.  Vielmehr  drängt 
sich  jetzt  mit  Nachdruck  die  Hypothese  in 
den  Vordergrund,  daß  der  gekennzeichnete 
christliche  Basilikatyp  eine  —  natürlich 
auf  profanen  Vorgängern  beruhende  — 
Schöpfung  der  konstantinischen  Regierungs- 
baumeister  gewesen  ist,  und  daß  die  in  Rom, 
Jerusalem  und  Umgebung,  Tyrus,  Kon- 
stantinopel und  anderswo  aus  kaiserlicher 
Stiftung  errichteten  Kirchen,  die  sämtlich 
mit  leichten  Modifikationen  im  einzelnen 
die  in  Frage  stehende  Grundform  aufweisen, 
die  maßgebenden  Vorbilder  für  die  nun 
allenthalben  einsetzende  große  Kirchen - 
bautätigkeit  gewesen  sind.  Von  größter 
Bedeutung  für  dieses  Problem  wird  die 
Untersuchung  der  kleinen  (konstantinischen  ? ) 
Paulskirche  in  Rom  sein:  denn  diese  weist 
alle  Merkmale  dieses  Typs  auf,  aber  ihre 
unter  dem  Fußboden  der  heutigen  Pauls- 
basilika liegenden  Reste  harren  noch  der 
systematischen  Nachprüfung,  die  allein  auch 
die  Datierung  —  ob  unter  oder  vor  Kon- 
stantin —  festlegen  kann.  Soviel  kann  wohl 
jetzt  schon  gesagt  werden,  daß  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  das  quadratische  Atrium 
nur  im  engsten  Zusammenhang  mit  konstan- 


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Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitzung   1923. 


'30 


tinischen  Bauten  auftritt:  sein  Vorbild  ist 
noch  nicht  aufgefunden,  und  da  die  kleine 
Paulskirche  die  syrische  Besonderheit  der 
zwei  quadratischen  Sakristeien  neben  der 
.Apsis  aufweist,  so  erhebt  sich  die  Frage, 
ob  etwa  ihr  Baumeister  Syrer  war.?  — 
So  führt  die  weitere  Verfolgung  der  Probleme 
von  Land  zu  Land:  und  für  diese  Wanderung 
den  Weg  zu  bereiten,  ist  die  Aufgabe  des 
Corpus  Basilicarum  und  der  damit  zu- 
sammenhängenden   Einzelstudien. 

Sitzung    vom   9.  Dezember    1923. 

83.  Winckelmannsfest. 
Das  81.  Winckelmannsprogramm  ist  von 
K.  Zahn  verfaßt  und  tagt  den  Titel     Kl'ii 
XPß. 

Der  alte  Festsaal  der  L'niversität,  in  dem 
diesmal  —  unter  Teilnahme  der  Gesell- 
schaft der  Freunde  der  Antiken 
Kunst  —  das  Winckelmannsfest  begangen 
wurde,  war  geschmückt  mit  einer  Reihe 
neu  erworbener  Abgüsse  von  archaischen 
Skulpturen,  Koren  von  der  Akropolis, 
darunter  die  .große  Chiotin,  die  Antenor- 
figur,  die  Fragmente  der  Giebelgruppe  des 
eretrischen  Apollontempels,  die  Kolossal - 
büste  des  Kuros  von  Sunion,  —  auch  die 
Athenagruppe  der  pisistratischen  Gigan- 
tomachie  und  die  neugefundenen  Basis- 
reliefs aus  der  Stadtmauer  gehören  zu  dieser 
ohne  staatliche  Beihilfe  erfolgten  Erwerbung. 
Herr  Noack  eröffnete  die  Sitzung  mit 
einer  Begrüßung  des  an  diesem  Tage  der 
Gesellschaft  seit  50  Jahren  und  lange  schon 
als  Ehrenmitglied  angehörenden  Geh.  Rats 
Adolf  Trendelenburg,  gedachte  der  man  - 
nigfaltigen  neuen  Arbeiten  und  auch  Aus-  j 
grabungserfolge  des  athenischen  Instituts  [ 
sowie  der  nahe  bevorstehenden  Wiederher-  ' 
Stellung  normaler  Arbeitsmöglichkeit  in 
eigenem  Hause  auch  in  Rom  und  gab,  er- 
innernd an  die  tausendfältigen  Beziehungen 
deutscher  Geschichte  und  deutschen  Le- 
bens zu  Rom  und  Italien,  einen  kurzen 
Überblick  über  die  Entwicklung  der  rö- 
misch-germanischen Forschung,  die  längst 
über  das  erste  vor  33  Jahren  von  Mommsen 
eingeleitete  Stadium  einer  großzügigen  Er- 
forschung des  Limes  hinausgewachsen  ist 
zu  einer  weitgreifenden  Altertumsforschung, 
die  rückwärts  den  Anschluß  an  die  Prä- 
Archäologischer  Anzeiger  1923/24. 


historie  vollzieht  und   andererseits  bis   tief 
hinein  in  die  ausgehende  Antike  und  früh- 
christlichen Zeiten  führt.    Wenn  die  Gesell- 
schaft   zwei    Meister    auf    diesem    Gebiete 
gebeten  hat,  gerade  an  diesem  Festtage  hier 
zu  sprechen,  so  will  sie  nicht  nur  die  Zu- 
sammenhänge zwischen   den   Kulturen,   die 
sich    im    römisch-germanischen    Gebiet   ab- 
lösten,   und    dem    südlichen    Europa,    der 
klassischen  Antike,  betonen,  sie  will  damit 
heute    auch    zum    Ausdruck    bringen,    daß, 
wie  das  ganze  Land  um  Rhein  und  Mosel 
ein    unlösbarer   Teil   der   großen   deutschen 
Einheit  ist,  auch  die  geistige  .Arbeit,  die  dort 
geleistet  wird,  Arbeit  ist  deutschen  Geistes, 
deutscher  Wissenschaft,   und  daß  auch  sie 
zu  ihrem  Gedeihen  die  Freiheit  der  Betäti- 
gung, der  Forschung  auf   freiem    deutschen 
Boden  braucht  und  fordern  muß.     Die  Ge- 
sellschaft   grüßt    in    den    beiden    verehrten 
Rednern    die    Vertreter    deutscher    Wissen- 
schaft in  dem  Teile  deutschen  Landes,  das, 
von  unsrem  größten  deutschen  Strom  durch- 
zogen, deutsches  Gut  seit  fernsten  Zeiten  ist. 
Darauf  sprach  Herr  E.  Krüger(Trier)  über 
Archäologische     Bodenforschung      in 
Trier.     J.  J.  Winckelmann  hat  von  den 
rheinischen  Altertümern  schwerlich  viel  ge- 
kannt, aber  der  Mann,  der  schon  als  Schüler 
in    .Stendal     »Heidenpötte«      ausgrub      und 
sammelte,  hätte  sicherlich  auch  Sinn  gehabt 
für  unsere  rheinische  Forschung  und  für  die 
heimatliche  Note,  die  bei  ihr  mitklingt,  und 
würde  für  seine  Studien  Belege  aus  deutschem 
Boden  gewiß  nicht  abgelehnt  haben,  wie  etwa 
die   bei    uns    besonders    eifrig   gesammelten 
Ziegelstempel,     denen     auch     er     in     Rom 
Interesse    widmete,    oder    die    Basilika    in 
Trier  als  Bestätigung  seines  Satzes,  daß  in 
römischer  Zeit  die  ganz  aus  Ziegel  bestehen- 
den Bauten  die  vornehmsten  sind,  oder  den 
Hinweis    auf    das    Vorkommen    der    feinen 
Bauweise  des  opus  reticulatuni  auch  an  der 
Grenze    des    römischen    Reiches    in    Trier. 
Der  Vortrag  soll  an  einigen  Proben  zeigen, 
wie  auch  am  Rhein,  insbesondere  in  Trier, 
danach    gestrebt    wird,    die    archäologische 
Bodenforschung  auf  den  Wegen  weiter  zu 
treiben,  die  Winckelmann  ihr  gewiesen  hat. 
Der  Reiz  Triers  ist  die  Fülle  antiker  Bauten, 
die   noch   heute  im   Stadtbild  stehen.     Die 
moderne  Forschung  holt  sie  aus  der  Ver- 


«31 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitzung  1923. 


•32 


bauung  heraus  und  sucht  sie  nach  Form 
und  Bedeutung  klarzustellen.  (Diese  Reste 
über  der  Erde  im  einzelnen  waren  dem 
zweiten  Vortrag  des  Abends,  dem  des  Herrn 
Krencker,  vorbehalten).  Die  zweite,  viel- 
fach schwierigere  Seite  unserer  Arbeit  sind 
die  Reste  unter  der  Erde.  Wir  streben, 
danach,  wie  Wiegand  in  Priene  und  Milet 
das  Vorbild  gegeben  hat,  das  Gesamtbild 
des  römischen  Trier  wiederzugewinnen,  aber 
wir  können  nicht  wie  dort  einfach  das 
Leichentuch  vom  Körper  der  antiken  Stadt 
wegziehen  und  auf  den  sauber  skelettierten 
Überresten  das  Stadtbild  rekonstruieren. 
Wir  müssen  vielmehr  stets  mit  dem  blühen- 
den Leben  der  modernen  Stadt  paktieren 
und  uns  vielfach  den  Weg  unserer  Forschung 
durch  diesen  Zwang  vorschreiben  lassen. 
Der  äußere  Umkreis  der  römischen  Stadt, 
die  Stadtmauer,  konnte  systematisch  unter- 
sucht werden;  für  die  Erforschung  des 
Innern  aber  sind  wir  in  der  Regel  rein  auf 
Gelegenheiten  angewiesen.  Es  muß  eben 
bei  jeder  größeren  Ausschachtung  der  Ar- 
chäologe zur  Stelle  sein,  um  zu  beobachten 
und  zu  sammeln.  Es  ist  eine  Entwicklung 
von  fast  zwei  Jahrtausenden,  die  über  die 
römischen  Reste  hinweggegangen  ist  und 
sie  beständig  verändert  hat.  Schon  in 
den  ersten  viereinhalb  Jahrhunderten  unse- 
rer Zeitrechnung,  in  der  römischen  Zeit 
selbst,  ist  allein  die  Bodenhöhe  mindestens 
um  2  m  gewachsen.  Nach  der  Zerstörung 
und  dem  Verfall  der  Römerstadt  hat  sich 
auf  dem  Schutt  und  in  den  Ruinen  das 
mittelalterliche  Trier  eingerichtet,  dem  das 
erhaltene  römische  vielfach  nur  als  Stein- 
bruch diente.  Heute  sind  im  Boden  erhalten 
nur  noch  die  Fundamente  und  die  untersten 
Teile  der  Häuser,  mit  ihren  Kellern,  Heiz- 
anlagen und  den  vielfach  mit  Mosaiken  ge- 
schmückten Fußböden,  dazwischen  die 
Straßen  mit  Kanälen  und  Wasserleitungen. 
Diese  Reste  gilt  es  festzuhalten  auf  dem 
Papier  oder  im  Bilde;  aus  ihnen  soll  das  Bild 
der  antiken  Stadt  wieder  erwachsen. 

Die  moderne  Kanalisierung  der  heutigen 
Stadt  bedeutete  archäologisch  die  erste  zu- 
sammenhängende Rekognoszierung  der  ge- 
samten römischen  Innenstadt,  die  in  jahre- 
langer Arbeit  durch  oft  kleinlich  erschei- 
nende    Einzelbeobachtungen     durchgeführt 


wurde.  Das  erste  Hauptergebnis  war  der 
Plan  der  Stadt  mit  rechtwinklig,  in  regel- 
mäßigen Abständen  sich  kreuzenden 
Straßen.  Außer  der  Porta  nigra,  deren  ab- 
weichende Stellung  die  große  Stadterweite- 
rung der  Spätzeit  verrät,  fügen  sich  die 
großen  erhaltenen  Römerbauten  in  dieses 
Straßennetz  ein. 

Aber  diese  fortlaufende  Kanalisations- 
beobachtung war  eine  besondere  Sache, 
einzigartig  und  schwerlich  wiederkehrend. 
In  der  Regel  sind  unsere  Aufgaben  meist 
recht  überraschend  auftretende  Einzelfälle, 
die  rasches  archäologisches  Eingreifen  er- 
fordern. So  sollte  eines  Tages  die  Basilika 
mit  Bäumen  und  Gartenanlagen  umgeben 
werden.  Es  gelang,  dies  solange  aufzuhalten, 
bis  das  Gelände  in  schnellem  Tempo  durch- 
forscht war.  Es  ergab  sich  ein  außerordent- 
lich wichtiges  Wohnhaus  eines  höheren  Be- 
amten mit  vielen  Mosaiken;  ferner  auf  einer 
Straßenkreuzung  davor  ein  eigenartiger 
Achteckbau,  dessen  Grundriß  mit  dem  des 
Turms  der  Winde  in  Athen  verwandt  ist 
und  der  deshalb  als  Stadtuhrgebäude  ge- 
deutet wird. 

Große  Weinkelleranlagen,  in  denen  in  den 
ersten  Jahren  nach  dem  Krieg  die  Erträg- 
nisse der  guten  Weinjahre  angelegt  wurden, 
brachten  im  Zentrum  der  Stadt  größere 
Teile  des  Forums,  an  anderen  Stellen  aus- 
gedehnte und  wohlerhaltene  Reste  von 
Straßen  und  Wohnhäusern  zutage.  Da  alle 
römischen  Baureste  bei  solchen  modernen 
Bauten  völlig  vernichtet  zu  werden  pflegen, 
ist  eine  gründliche  Aufnahme  in  Zeichnung 
und  Bild  eine  unumgängliche  Verpflichtung. 

Der  Sommer  1921,  der  mit  seiner  Trocken- 
heit alle  früheren  übertraf,  offenbarte  im 
Bette  der  Mosel  Gruppen  von  zahlreichen 
Holzpfählen,  die  sich  durch  eiserne  Schuhe 
als  sicher  römisch  erwiesen.  Aus  ihnen  er- 
schloß S.  Loeschcke  den  Grundriß  der 
römischen  Moselbrücke,  die  schon  Tacitus 
erwähnt.  Sie  fügt  sich  in  das  Straßennetz 
und  an  die  Reste  des  Brückentors  viel  besser 
ein  als  die  heute  noch  stehende  »Römer- 
brücke«. 

Bei  der  großen  Heeresvermehrung  des 
Jahres  1913  wurde  eine  Reiterkaserne  vor 
die  Waldschlucht  des  sog.  Balduinshäus- 
chens    gelegt.       Bei    den    dabei    gemachten 


133 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitzung   1923. 


134 


Ausschachtungen  erbrachten  schöne  In- 
schriften- und  andere  Funde  volle  Auf- 
klärung über  die  Ausdehnung  und  Bedeu- 
tung einer  prachtvollen  Tempelanlage,  deren 
Ruine  dort  seit  alters  bekannt  ist.  Die 
Tempelinhaber  sind  Lenus  Mars  und  eine 
Göttin  Ancamna.  Auf  großen  Steinbänken 
werden  Gaue  der  Treverer  genannt.  Der 
Tempel  war  sicher  das  Hauptheiligtum 
dieses  Stammes.  Als  nach  dem  Kriege  in 
demselben  Gebiet  Notwohnbauten  errichtet 
wurden,  kam  daneben  der  heilige  Bezirk 
der  Quellnymphen  Xulsigiae  mit  zahlreichen 
Inschriften  und  Statuen  zum  Vorschein, 
Weihgaben  zum  Dank  für  Heilung  in 
Krankheit;  auch  diese  Quellnymphen  wieder 
im  Verein  mit  Lenus  Mars,  der  also  auch 
hier,  wie  schon  von  Pommern  an  der  Mosel 
bekannt  war,  als  Heilgott  verehrt  wurde. 
Diese  aus  der  Fülle  in  etwas  willkürlicher 
Zusammenstellung  herausgegriffenen  Bei- 
spiele mögen  zeigen,  wie  in  Trier  die  Boden - 
forschung  mit  dem  Leben  der  modernen 
Stadt  verquickt  ist.  In  der  modernen  Stadt- 
entwicklung haben  lange  Jahrzehnte  frei- 
willige Helfer,  organisiert  in  der  »Gesell- 
schaft für  nützliche  Forschungen«,  sich 
bemüht,  diese  Forschungsarbeit  nach  besten 
Kräften  zu  leisten.  Aber  erst  die  Organi- 
sation, die  der  Staat  Preußen  und  die  Rhei- 
nische Provinzialverwaltung  durch  die  ge- 
meinsame Gründung  des  Provinzialmuseums 
^in  Trier  i.  J.  1877  geschaffen  haben,  und 
^  die  seitdem  von  der  Rheinprovinz  regel- 
mäßig mit  guten  Mitteln  ausgestattet  wurde, 
erst  diese  Organisation  hat  es  ermöglicht, 
daß  die  Forschung  in  allen  wichtigen  Fällen 
wirklich  auf  ihrem  Posten  sein  kann.  Die 
Notwendigkeit  aber  dieser  Organisation  ist 
in  Berlin  zuerst  dargelegt  worden  durch 
eine  Denkschrift  von  Richard  Schöne. 
Er  hat  dadurch  die  Schaffung  der  beiden 
rheinischen  Provinzialmuseen  in  Bonn  und 
in  Trier  angeregt  und  damit  unserer  rhei- 
i  nischen  Bodenforschung  die  entscheidende 
Wendung,  die  Möglichkeit,  ihre  wissenschaft- 
liche Pflicht  wirklich  zu  erfüllen,  gegeben. 
Im  Anschluß  daran  sprach  Herr  Krencker 
über  Römische  Denkmäler  aus  Trier  und 
Umgebung').  Die  innere  Einstellung  zu  den 

')  Vgl.    Daniel    Krencker,    Das    römische  Trier, 
Berlin    1923;   ders.   Von   den   Römerbauten  Triers, 


auf  deutschem  Boden  stehenden  Römischen 
Denkmälern  ist  für  den,  der  am  eigenen 
Leibe  es  verspürt,  was  es  heißt,  wenn  Ger- 
manen und  Romanen  wieder  um  die  Seele 
deutscher  Grenzvölker  ringen,  heute  eine 
besondere.  Auf  den  Darstellungen  der 
Igeler  Säule,  der  Neumagener  Monumente 
betrachtet  er  mit  besonderer  Anteilnahme 
die  Typen  der  alten  Moselaner  und  Eifel- 
leute,  unter  den  Hermen  des  Welsch - 
billiger  Beckens  die  Germanenköpfe,  selbst 
wenn  noch  der  Halsreif  der  Barbaren  diese 
ziert.  Es  ist  ihm  kein  Zufall,  wenn  auf  dem 
berühmten  Schulrelief  von  Neumagen  die 
dargestellten  einheimischen  Personen  sich 
nicht  in  der  römischen  Toga,  sondern  in 
ihrer  Nationaltracht  ausmeißeln  lassen.  Aus 
römischen  Trümmern  steigt  gerade  auch  die 
Frage  nach  dem  alten  bodenständigen  Volk 
hoch  ! 

Das  war  einer  der  Gesichtspunkte,  unter  dem 
der  Vortrag  stand.  Es  kam  sodann  dem  Redner 
darauf  an,  dem  größeren  Berliner  Kreis 
einen  Begriff  von  der  meist  ungeahnten 
Fülle  und  Mannigfaltigkeit,  ja  auch  Größe 
antiker  Reste  auf  deutschem  Boden  zu 
geben.  Und  wenn  die  provinzielle  römisch- 
germanische  Kunst  gelegentlich  auch  etwas 
plump  und  derb  ist,  so  steht  sie  dafür  auf 
Heimatboden. 

Für  die  frühere  Einstellung  bei  römischen 
Forschungen  stand  zu  stark  das  rein  Archäo- 
logische im  Vordergrund,  und  die  architek- 
tonischen Probleme  wurden  zu  wenig  be- 
rücksichtigt. Gerade  in  Trier  ist  man  den 
räumlichen  Problemen  der  Architektur  zu 
spät  nachgegangen;  man  hat  vor  allem  den 
anschaulichen  Wert  von  Rekonstruktionen 
nicht  hoch  genug  geachtet.  So  hat  man  es 
denn  erleben  müssen,  daß  ein  ausländischer 
Künstler  auf  dem  großen  Denkmalspflegetag 
in  Trier  1909  mit  großzügig  angelegten 
Rekonstruktionen  der  Barbarathermen  und 
des  Kaiserpalastes  den  Deutschen  die  Augen 
erst  öffnete  für  die  Größe  ihrer  antiken 
Reste. 

An  Hand  von  Lichtbildern  sprach  der 
Vortragende  über  eine  Reihe  wesentlicher 
Denkmäler:  Zunächst  über  Felsdenkmäler 
von  seltener   Stimmung  in   der  Landschaft. 

in  Deutschlands  Städtebau,  Heft  Trier  1922  (neue 
erweiterte  Auflage  in  Vorbereitung). 


'35 


Archäologische  Gesellschaft  tu  Berlin.     Dezember-Sitzung   1923. 


'36 


Das  Reiterdenkmal  in  Schwein- 
schied'), das  Mithrasdenkmal  in 
Schwarzerden  -),  eine  in  eine  Felswand 
eingehauene  Mithrasdarstellung,  das  Di- 
anadenkmal zu  Bollendorf  3),  das 
heute  in  prachtvollem  Buchenwald  gelegen 
wohl  einst  ein  begeisterter  Jäger  nach  glück- 
lichem Bärenfang  der  Göttin  zu  Ehren  aus 
einem  Felsen  hauen  ließ,  und  das  Felsen- 
grab von  Serrig,  eine  aus  dem  Felsen 
herausgehauene,  von  einem  schweren  Sarko- 
phagdeckel überlagerte  Grabkammer,  ein- 
sam   inmitten    einer    Wiese  gelegen  4). 

Um  Bodenständiges  handelte  es  sich 
bei  den  Gigantensäulen  und  den  länd- 
lichen Tempelbezirken  5)  der  Treverer  mit 
ihren  schlichten  Bauerntempeln  und  den 
einheimischen  oft  so  naiven  und  plumpen 
Göttern  und  Göttinnen.  Von  römischen 
Wohnbauten  griff  der  Vortragende  die 
Villa  zu  Bollendorf  und  die  Pracht- 
villa zu  Nennig  mit  ihrem  monumentalen 
Mosaikfußboden  heraus.  Bei  ersterer  wurde 
hingewiesen  auf  die  neue  Deutung  des 
Innenraumes,  der  heute  nicht  wie  früher 
als  Hof,  sondern  als  Halle  des  darinstehenden 
Herdes  halber  angesehen  werden  muß.  Rö- 
mischen Villenbau  gilt  es  hier  mit  nordischen 
Raumgedanken  zu  verbinden.  Ein  höchst 
beachtenswertes  Beispiel  reichster  Garten- 
kunst in  dem  Park  eines  römischen  Agrariers 
in  der  antiken  Eifel  ist  das  pompöse  Was- 
serbecken mit  dem  berühmten  Hermen- 
geländer zu   Welschbillig. 

Das  Gebiet  römischer  Wandmalerei  wurde 
nur  berührt.  Wandmalereien  aus  Grab- 
kammem  wurden  vorgeführt,  eine,  die  reich- 
ste Marmorwandinkrustation  nachahmte  6)^ 
eine  andere  7),  die  vor  allem  in  der  Behand- 
lung der  Decke  zusammengeht  mit  Mo- 
tiven aus  bekannten  römischen  Kata- 
komben. Dann  wurde  jenes  »Gruten- 
häuschen«  vorgeführt,  ein  zweistöckiges  rö- 
misches Mausoleum,  das  ','4  Stunde  von  der 

■)  Germania  V  192 1.   looff. 

')  Beschreibung  mit  neuen  .\ufnahnun  in 
Vorbereitung   für    die    Germania. 

')  Ramboux  und  Wyttenbach,  Taf.  '). 

*)  .^bb.  in  Westermanns  .\lonatsh.  Juli  1S86,  449. 

5)  Hettner,  Drei  Tempelbezirke  im  Trevererlande. 

')  Grabkammer    zu    Ehrang  bei  Trier. 

7)  »Heidenkeller«  bei  Nehren  a.  d.  M.  Ver- 
öfTentlichung    in    der    Germania     in    Vorbereitung. 


i   berühmten     Igeler    Säule    entfernt   bis    1913 
'   inmitten      eines      Weinberges      ein      Dorn- 
röschendasein   führen    durfte. 

Nach  der  Besprechung  noch  anderer  Denk- 
mäler (Igeler  Säule,  Neumagener  Denk- 
mäler u.  a.)  zeigte  der  Vortragende 
in  der  2.  Hälfte  des  Vortrags  das  Bild  des 
römischen  Trier.  Die  Zuhörer  wurden  im 
Geiste  hinaufgeführt  auf  die  beherrschende 
]  Höhe  rechts  über  der  Stadt,  auf  den  Hügel, 
der  heute  noch  die  Reste  eines  monumen- 
talen, einst  von  einer  Riesenfigur  bekrönten 
Rundgrabes    faßt. 

Aus  seinen   Studien   der   erhaltenen    Reste 
gewann    der   Vortragende    ein    Bild,    das    er 
mit  folgenden  Worten  schilderte:  Wir  steigen 
den  Hügel  hinauf  und  überblicken  die  Stadt 
in   der   Zeit   der  spätesten   römischen    Herr- 
schaft.  Zu  unsern  Füßen  liegt  sie,  mit  stolzen 
Toren,    mauerumgürtet,    turmbewehrt.       Im 
rechteckigen     Straßennetz     fallen     uns     die 
Prachtstraßen  auf    mit  ihren  durchgehenden 
Säulenhallen,  ähnlich    denen    Palmyras,    mit 
;   Triumph-   und   Ehrenbögen  wie  in  Timgad, 
mit  Fontänen,   Nymphäen  und  Ehrensäulen 
geschmückt     wie     in    syrischen    und    klein - 
asiatischen  Städten.     Wir  sehen   mit  Hallen 
umgebene  Plätze,  vor  allem  das  große  Forum. 
Wir  sehen  das  stattliche  Kapitol,  den  Staats- 
tempel,   der    an    Pracht    und    Ausstattung 
:   nicht  geringer  war  als  die  Tempel  an  andern 
I   Rändern  des  römischen  Reiches.    Wir  sehen, 
I   verteilt  auf  die   Stadt,   auf  die   Höhen  jen- 
seits   der  Mosel,    flußauf-    und    abwärts    in 
den  Dörfern  und  bei  den  Villen  Tempel  und 
Kapellen    für    die    vielfachen    Götter    Roms 
und  des  Landes,  so  viel  wie  heute  Kirchen. 
Wir  sehen  von  oben  hinein  in  die  halbkreis- 
förmig   ansteigenden  Sitzreihen,  auf  die  säu- 
lengeschmückten   Bühnenwände    der    Thea- 
ter, auf  das  Amphitheater,  die  lange  Renn- 
'   bahn,   dem  Circus  maximus  in   Rom  gleich, 
I   hochragende  Basiliken,  die  Curie  und  andere 
;   Staatsgebäude.        Es    rauchen    die    Schorn- 
steine von  großen   Prachtthermen  (vgl.   Au- 
sonius)  und  ungezählten  kleineren,  wir  sehen 
einen,      vielleicht      mehrere      Kaiserpaläste, 
turmbewehrt  mit  Kasernements  und  Gärten, 
wir  schauen  hinein  in  die  inneren  Säulenhöfe 
und  die  Gärten   der  Privathäuser.      An  der 
Mosel    dehnen    sich    Magazine    und   Quaian- 
j   lagen  aus.     Der  Dunst,  der  im  S.W.  an  der 


"^^7 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitiung  1923. 


138 


inneren  Stadtmauer  hochsteigt,  kommt  von 
den  vielen  Töpferöfen.  Rechts  am  Hang 
entlang  kommt  die  große  Wasserleitung,  sie 
endigt  zu  unsern  Füßen  in  einem  großen 
Wasserkastell,  von  dem  aus  Bogenaquädukte 
das  Wasser  der  Stadt,  vor  allem  den  Ther- 
men zuführen.  An  den  Straßen  außerhalb 
der  Stadt  im  N.  und  S.  und  jenseits  der  Mosel 
dehnen  sich  endlose  Friedhöfe  aus,  bestanden 
mit  Grabdenkmälern  aller  Art,  Stelen  mit 
Altären,  Sarkophagen  und  Triclinien,  Ka- 
pellen und  Rundtumulis,  Standbildwerken, 
Grabpfeilern  und  Turmgräbern.  Mitten 
darin  erkennt  man  auch  die  Friedhöfe  für 
die  Christen  mit  besonderen  Oratorien.  Auf 
keinem  Flecken  deutscher  Erde  sind  so  viele 
christliche  Grabinschriften  gefunden  worden 
wie  in  Trier.  Und,  wenn  wir  richtig  ver- 
muten, so  sieht  man  in  der  Zeit,  in  die  wir 
uns  zurückversetzen,  in  der  Mitte  der  Stadt 
auch  schon  große  Umbauten  von  Thermen 
(Kaiserthermen)  und  eines  anderen  großen 
Römerbaues  (Dom),  die  man  umbaut  zu 
monumentalen  Kirchen  des  neuen  Christen - 
gottes  !  Ein  Blick  verlohnt  sich  noch  hinüber 
nach  dem  Ausgang  eines  stillen  Tales  auf 
die  andere  Moselseite,  wo  in  heiligem  Hain 
das  marmorne  Heiligtum  der  Treverer- 
stämme  steht,  der  Tempel  des  Mars  und  der 
Ancamna.  Und  wo  wir  hinschauen 
in  die  Ferne  sehen  wir  Villen  und 
Gutshöfe,  gesegnete  Felder,  rebbehangene 
Hügel !  Das  ist  das  Bild,  das  ich  auf  Grund 
meiner  Arbeiten  in  Trier  und  unter  dem  Ein- 
druck syrischer  und  afrikanischer  römischer 
Ruinenstätten  gewann.  Das  kaiserliche  rö- 
mische Trier  hat  man  sich  bisher  in  Deutsch- 
land nie  in  seinem  wirklichen  großstädtischen 
Glänze    vorgestellt. 

Zu  den  einzelnen  Römerbauten  Triers  gab 
Herr  Krencker  an  Hand  der  neueren  Ergeb- 
nisse kurze  Bemerkungen  und  seine  neuen 
eigenen  Rekonstruktionen  zur  Porta  Nigra, 
zum  römischen  Kern  des  Doms,  zur  Basi- 
lika, zu  den  Kaiserthermen,  zum  spätrömi- 
schen Umbau  derselben,  zum  Amphitheater 
und  zu  den  beiden  neuerdings  von  ihm  aus 
trockenen  Fundamenten  zu  räumlichem  Er- 
leben   gestalteten    Monumentaltempeln. 

Auf  das  Problem  des  römischen  Domkerns 
ging  der  Vortragende  nur  kurz  ein,  er  zeigte 
aber  einen  neuen  Grundriß.      Zu  Oelmanns 

Archäologischer  Anzeiger  1923/24. 


Polemik  in  dieser  Frage  (Bonner  Jahr- 
bücher, Heft  128)  hat  Krencker  bis  jetzt 
noch  nicht  Stellung  genommen,  er  teilt 
aber  mit,  daß  neuerdings  Fi  echt  er  ihm 
geschrieben  habe,  daß  der  neue  Vorschlag 
zum  ersten  Mal  den  richtigen  Weg  zum  Ver- 
ständnis des  Raumes  gebe. 

Die  vorgeführten  Rekonstruktionen  der 
großen  Tempel  und  der  Basilika  sind  bisher 
nur  summarisch  veröffentlicht,  die  ein- 
gehende Schilderung  des  Tatbestandes  und 
die  näheren  Begründungen  dieser  so  wich- 
tigen Dinge  hofft  Krencker  in  absehbarer 
Zeit  geben  zu  können. 

Bei  der  Deutung  des  spätrömischen  Um- 
baues der  Kaiserthermen  tritt  Krencker 
immer  stärker  trotz  aller  Bedenken  und  der 
Vorsicht  der  Historiker  und  Archäologen 
für  die  Deutung  als  Kirche  ein;  seine  Aus- 
führungen dazu  lauten:  Mit  Sicherheit 
kann  die  Erklärung  noch  nicht  gegeben 
werden.  Mangels  klarer  historischer  Über- 
lieferung bleibt  nur  eins  übrig  — •  wie  es 
auch  seinerzeit  bei  der  Deutung  des  sog. 
Kaiserpalastes  in  Trier  gemacht  werden 
mußte,  um  zum  Ziele  zu  kommen  —  wir 
müssen  den  Bau  mit  verwandten  Raum- 
gebilden vergleichen  und  daraus  bis  zum 
Beweis  des  Gegenteils  ihn  deuten. 
Der  Historiker  mag  Recht  haben,  wenn  er 
zaghafter  ist  als  wir  Architekten,  für  die 
gefühlsmäßig  der  Raum  selber  eine  starke, 
die  stärkste  Überlieferung  ist.  Ernsthaft 
kann  ich  den  Bau  bisher  nur  mit  Kirchen 
und  Klöstern  vergleichen.  So  lange  es  ein 
Badepalast  war,  war  ein  Vergleich  mit 
der  Kirche  in  Bethlehem  verfrüht.  So  es 
sich  aber  um  einen  Umbau  großzügigster 
Art  aus  dem  4. — 5.  Jahrh.  handelt,  da 
spricht  sie  mit,  ebenso  sprechen  mit  die 
Schilderungen  überlieferter  Xenodochien  und 
frühchristlicher  Klöster.  Einen  Reflex  da- 
von finden  wir  in  den  von  Butler  aus  Syrien 
uns  mitgeteilten  Klosterkirchen  aus  II  An- 
derin,  Der-il-Kahf,  vor  allem  hat  das  Kloster 
Jd  Der  (Publ.  Princ.  Univ.  Die.  H.  A.  2. 
Taf.  Vni)  trotz  des  ganz  anderen  Maßstabs 
mit  dem  Trierer  Umbau  den  gemeinsamen 
Raumgedanken:  viereckiger  hallenumgebener 
Hof  mit  Räumen  ringsum,  in  der  Mittel- 
achse die  Kirche,  rechts  und  links  davon 
waren  2  nur  von  der  Kirche  aus  zugängliche 


IjQ  Abgüsse  der  Wörliuer  Reliefe.  —  Kretisch-mykenische  Glyptik.  —  Lichtbildzentrale.  140 


Räume.  Für  die  Geschichte  des  Christen- 
tums auf  deutschem  Boden  sind  das  natür- 
lich schwerwiegende  Probleme,  vor  allem, 
wenn,  wie  ich  immer  stärker  glaube,  auch 
der  Domkern  von  Anfang  an  als  Kirche 
geplant  war.  Auch  an  das  spätere  Kloster 
zu    Tebessa    bleibt    immer    zu    denken. 


ABGÜSSE  DER  WÖRLITZER  RELIEFE. 

Nr.  42  (Polyxena)  und  45  (Agon)  der  oben 
Sp.  24  ff.  abgedruckten  Übersicht  vermag, 
dank  ihrem  Verfasser,  das  Archäologische 
Institut  der  Universität  Leipzig  zu  liefern 
(Schillerstr.  8,  Hofgebäude).  Für  deutsche 
und  deutschösterreichische  wissenschaftliche 
Anstalten  kostet  der  Agon  mit  der  beachtens- 
werten Rückseite  5  G.M.,  das  Polyxena- 
bruchstück  6  G.M.,  ohne  Verpackung.  Auch 
die  den  Abb.  i  und  2—4  des  Berichtes  zu- 
grunde liegenden  Photographien  im  Format 
9X12  cm  können  zu  0,50  G.M.  bezogen 
werden.  F.  Studniczka. 


KRETISCH-MYKENISCHE  GLYPTIK. 

Im  Auftrage  der  R.  Scuola  Archeologica 
Italiana  in  Athen  bereitet  Dr.  D.  Levi  eine 
zusammenfassende  Bearbeitung  der  kretisch- 
mykenischen  Glyptik   vor.      Das   genannte 


Institut  wäre  für  Mitteilungen  über  noch 
unveröffentlichtes  Material  in  kleinen  Mu- 
seen, Universitäts-  und  Privatsammlungen 
dankbar. 


LICHTBILDZENTRALE. 

Die  Bestände  der  Lichtbiidanstalt  E.  A. 
Seemann  in  Leipzig  sind  seit  September 
1923  um  eine  beträchtliche  Anzahl  Neu- 
aufnahmen, etwa  280  Nummern,  bereichert 
worden.  Ein  Katalog  in  Maschinenschrift 
ist  durch  das  Archäologische  Institut  des 
Deutschen  Reiches  leihweise  zu  beziehen. 
Hier  seien  folgende  Serien  hervorgehoben: 

1.  Gigantenfries  des  Pergamenischen  Al- 
tars (zusammengestellt  von  W.-H. 
Schuchhardt,    München). 

2.  Gymnasion  von  Pergamon  (zusammen- 
gestellt von  A.   v.   Gerkan,    Berlin). 

3.  Etruskische  Malerei  (zusammengestellt 
von  F.  Weege,   Breslau). 

4.  Antikes     Seewesen    (zusammengestellt 
von    A.  Köster,    Berlin). 

5.  Assur:     Keramik,     Wandmalerei     (zu- 
sammengestellt von  W.  Andrae,  Berlin). 

6.  Berliner     Bronzen     (zusammengestellt 
von  K.  A.  Neugebauer,   Berlin). 

7.  Römische    Kaiser    (zusammengestellt 
von  F.  Kredel,  Gießen). 


JAHRBUCH  DES  INSTITUTS  XXXVIII/XXXIX  1923/4 

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JAHRBUCH  DES  INSTITUTS       XXXVIII  /  XXXIX  1923/24 


TAFEL  II 


TAFEL  III 


hol.  fjruckmann 


Archäologischer  Anzeiger 

B  EIBLATT 

ZUM  Jahrbuch  des  Archäologischen  Instituts 

1923/24-  III/IV. 


DIE  PARTHENONGIEBEL. 
Ihre  Technik  und  ihr  Meister. 

In  seinem  neuerdings  erschienenen  hoch- 
gelehrten und  hochinteressanten  Werk  über 
Phidias  hat  Hans  Seh  rader  mir  die  Ehre 
erwiesen,  ein  ganzes  Kapitel  darauf  zu 
verwenden,  meine  Ansicht  über  die  Technik 
der  parthenonischen  Giebelskulpturen  zu 
widerlegen.  Sein  Hauptargument  lautet: 
»wären  die  Marmorskulpturen  nach  Ton- 
modellen in  voller  Größe  ausgeführt  worden, 
so  wäre  die  Tätigkeit  der  ausführenden  Bild- 
hauer ein  rein  mechanisches  Kopieren  gewe- 
sen, wie  es  die  Carraresen  üben«;  und  das 
scheint  ihm  ganz  undenkbar  zu  sein.  Gewiß. 
Aber  das  habe  ich  auch  nie  behaupten  wollen. 

Als  ausschlaggebenden  Beweis  zieht  Schra- 
der  die  Reliefs  des  sog.  Fuggerschen  Sarko- 
phags heran,  welche  beide  dieselbe  Kom- 
position aufweisen,  aber  sich  in  vielen  Einzel- 
heiten und  in  den  künstlerischen  Qualitäten 
voneinander  unterscheiden.  Daraus  schließt 
er,  daß  sie  »unmöglich  durch  mechanisches 
Kopieren  eines  und  desselben  Modelles  oder 
durch  Kopieren  der  schon  ausgeführten  Dar- 
stellung der  einen  Seite  auf  der  anderen,  etwa 
mit  Hilfe  eines  Abgusses,  entstanden  sein 
können«.  Wieder  hat  er  ganz  recht.  Von 
einem  mechanischen  »carraresischen«  Kopie- 
ren kann  auch  hier  nicht  die  Rede  sein.  Ich 
werde  hierauf  unten  zurückkommen. 

»In  Marmor  ist  sie  gefunden,  erträumt, 
erarbeitet«  sagt  Schradervon  den  Draperien 

Archäolo^scher  Anzeiger  1933/24, 


der  Tauschwestern,  offenbar  um  das  Ton- 
modell ablehnen  zu  können.  Aber  besser 
hätte  er  gesagt:  »Für  Marmor  erfunden, 
in  Ton  vorbereitet«. 

Hat  Schrader  insofern  recht,  daß  man  den 
Griechen  rein  mechanische  Marmorarbeit 
(Carrara)  nicht  zutrauen  darf,  so  folgt  daraus 
keineswegs,  daß  sie  nicht  vollgroße  ausge- 
führte Tonmodelle  gebraucht  haben.  Im 
Gegenteil.  Die  Sachlage  ist  ganz  einfach: 
Tonmodelle  waren,  damals  wie  jetzt,  prak- 
tisch unentbehrlich.  Beim  Bronzeguß  waren 
sie  von  altersher  üblich,  Gipsgießen  war  eben- 
so gut  bekannt;  es  ist  also  von  keinem  neuen 
Verfahren  die  Rede.  Bei  frontalen  Figuren 
hätte  man  sie  entbehren  können,  darum 
waren  auch  diese  von  dem  vierseitigen  Mar- 
morblock durchaus  abhängig.  Aber  Figuren 
mit  so  freier  dreidimensionaler  Ausdehnung 
wie  die  Parthenongiebelgruppen,  in  jeder 
Hinsicht  ganz  unabhängig  vom  Blocke  auf- 
gebaut, konnten  nicht  auf  den  Block  in  Plan- 
projektion aufgezeichnet  werden,  und  noch 
weniger  konnte  man  diese  Aufzeichnung 
während  der  Ausführung  festhalten.  Da  war 
es  einfach  technisch  unmöglich,  in  den 
Stein  zu  arbeiten,  ohne  ein  Modell  neben 
sich  zu  haben,  nachdem  man  sich  in  jedem 
Augenblick  richten  konnte.  Kein  antiker 
oder  moderner  Künstler  würde  es  vermögen, 
Figuren  wie  z.  B.  den  »Theseus«  oder  die 
Tauschwestern  in  Marmor  zu  hauen,  ohne 
sich  im  voraus  die  Form  in  allen  Teilen  klar 
gemacht  zu  haben.   Man  frage  welchen  Bild- 


143 


Die  Parthenongiebel. 


144 


hauer  man  nur  will  ,ob  er  sich  dazu  erdreiste. 
Fehlhauen,  Fehlberechnungen,  Proportions - 
fehler  würden  unvermeidlich  sein,  die  im 
Marmor  sich  nicht  redressieren  ließen. *)  Be- 
sonders bei  der  Draperiebehandlung  der  »Tau - 
Schwestern«  glaube  ich  erwiesen  zu  haben, 
daß  die  Schwierigkeiten  ohne  Modell  unüber- 
windlich wären.  Es  ist  hier  von  Ästhetik 
und  dergleichen  gar  nicht  die  Rede,  sondern 
nur  von  den  Möglichkeiten   der  Praxis. 

Wollte  man  trotzdem  annehmen,  die 
Giebelgruppen  wären  in  Marmor  ohne  Mo- 
delle gehauen,  dann  hätte  diese  Arbeitsweise 
erfordert,  daß  die  Künstler  von  Anfang  bis 
Ende  die  Arbeit  eigenhändig  ausführten, 
eben  weil  die  Figuren  erst  im  Marmor  ge- 
schaffen wurden.  Für  Unterstützung  durch 
Gehilfen  bliebe  kein  Raum  übrig.  Mitunter 
hätte  der  Künstler  die  Arbeit  wegen 
irgend  eines  Fehlers  von  vorne  anfangen 
müssen.  Und  jede  Figur  hätte  jahre- 
lange Arbeit  in  Anspruch  genommen, 
weil  man  nur  mit  äußerster  Vorsicht  vor- 
gehen durfte.  Demgegenüber  ist  im  Auge 
zu  behalten,  daß  die  Arbeit  am  Par- 
thenon schnell  von  statten  gehen  mußte, 
um  rechtzeitig  vollendet  zu  werden  —  so 
schnell,  daß  es  Plutarch  besonders  imponierte. 
Schrader  selbst  ist  ja  der  Ansicht,  daß  die 
beiden  Giebelgruppen  in  den  Jahren  447 — 42 
im  großen  und  ganzen  fertiggestellt  wurden. 
Dabei  wäre  es  notwendig  gewesen,  die  Arbeit 
unter  so  viele  Künstler  zu  verteilen,  daß  das 
einheitliche  Gepräge  eines  einzelnen  leiten- 
den Künstlers  nicht  zum  Ausdruck  kommen 
konnte.  Mit  einem  »herrschenden  Willen« 
kommt  man  nicht  aus.  Kunstwerke  werden 
mit  Händen  und  nicht  mit  einem  Willen 
allein  geschaffen.  Und  der  Marmor  läßt 
Korrektur  und   Abänderung  nicht  zu. 

Um  dieses  Nichtfachmännern  näher  zu 
verdeutlichen,  möchte  ich  daran  erinnern, 
daß  die  Arbeit  auf  der  Akropolis  wie  in 
anderen  großen  Werkstätten  vor  sich  ge- 
gangen sein  muß.  Am  Schreibtisch  setzt 
man  sich  leicht  über  Schwierigkeiten  hinweg, 
die  in  der  Werkstatt  unüberwindlich  sind. 
Modellieren  in  Ton,  Gießen  in  Gips,  Hauen 
in  Marmor,     das  war  damals  ganz  dasselbe 

')  Wie  in  mehreren  Fällen  bei  Michelangelo,  ob- 
schon  (lieser  wenigstens  bei  den  Mcdiceergräbern  Ton- 
Modelle  verwendet   hat. 


wie  heutzutage,  einfach  weil  es  nicht  anders 
sein  kann.  Das  Material  bedingt  das  Ver- 
fahren, und  das  Material  war  dasselbe. 

Zu  Anfang  hatte  der  leitende  Künstler 
die  I'vomposition  in  großen  Zügen  fest- 
zustellen, nachdem  der  Inhalt  mit  den  Be- 
stellern abgeredet  war.  Dieses  geschah 
natürlich  zuerst  in  Zeichnung  und  in  kleinen 
Bozzctten  aus  Ton  (oder  Wachs),  die  man 
nach  Belieben  umgestalten  konnte.  Danach 
mußten  die  einzelnen  Figuren  in  Angriff 
genommen  werden.  Von  jeder  wurde  ein 
Modell  in  ziemlicher  Größe  (etwa  Lebens- 
größe) gemacht,  worin  Stellung,  Körper- 
form und  Draperie  durchgearbeitet  werden 
konnte.  Bei  größeren  Aufgaben  mag  sich 
der  leitende  Meister  hauptsächlich  hierauf 
beschränkt  und  ferner  nur  korrigiert  haben. 
Dann  kam  die  Reihe  an  die  Gehilfen,  welche 
nach  dem  »Meistermodell«  die  Figur  in 
endgültiger  Größe  aufbauten  —  in  Ton  oder 
bei  so  kolossalen  Figuren  wie  etwa  dem  Zeus 
oder  der  Parthenos  sofort  in  Gips  —  unter 
Aufsicht  des  Meisters,  der  auch  eigenhändig 
hie  und  da  eingreifen  konnte.  Diese  Arbeits- 
weise setzt  ein  Material  voraus,  das  sich 
nach  Belieben  und  Erfordernis  umformen 
läßt.  Waren  die  großen  Modelle  fertig,  so 
-fing  die  Marmorarbeit  an.  Daß  die  Griechen 
das  Maßnehmen  verstanden,  wird  von  der 
von  Gardner  (Journ.  of  hell,  studies  XI  1890) 
besprochenen  halbvollendeten  Statue  aus 
Rheneia  bestätigt.  Aber  wie  Schrader  richtig 
bemerkt,  »eine  unbefangene  Betrachtung 
der  Parthenonskulpturen«  macht  genügend 
klar,  daß  von  rein  mechanischem,  »carraresi- 
schem«  Handwerk  nicht  die  Rede  sein 
kann.  Griechische  Marmorarbeiter  waren 
nicht  geistlose  Rutine-Handwerker,  sondern 
selbst  Künstler  mit  künstlerischem  Gefühl 
und  Verständnis.  Maßnehmen  war  ihnen 
unentbehrlich,  um  die  Figur  aus  dem  Block 
herauszuarbeiten  (zumal  sie  dabei  den  Bohrer 
benutzten  wie  in  der  Rheneiastatue)  und  in 
allen  wesentlichen  Teilen  festzulegen.  Aber 
gewiß  haben  sie  nie  Punkt  neben  Punkt  ge- 
setzt wie  die  Carraresen;  sie  haben  viel  nach 
Augenmaß  auf  freie  Hand  gearbeitet,  wenn 
sie  auch  dem  Modell  gewissenhaft  folgten. 
Dadurch  hat  ihre  Arbeit  das  frische  Gepräge 
»von  der  Hand«  erhalten.  Das  Modell  hat 
sie  gegen  Tasten,   Unsicherheit  und  daraus 


145 


Die  Parthenongiebel. 


146 


fließende  Fehler,  welche  die  Arbeit  verderben, 
bewahrt.  Einige  von  den  Marmorarbeitern 
hatten  feines  künstlerisches  Gefühl,  andere 
waren  von  geringerem  Geschick  und  Talent. 
In  den  Olympiagiebeln  ist  dieser  Unterschied 
mehrmals  fühlbar,  z.  B.  in  den  Gewändern. 
Ein  anderes  Beispiel  ist  das  Eleusinische 
Relief,  welches  von  einem  großen  Meister 
auf  die  Steinplatte  aufgezeichnet  sein  muß 
(Aufzeichnung  war  unter  allen  Umständen 
notwendig),  aber  in  der  Durchführung  von 
viel  geringerer  Qualität  ist.  Man  beachte 
nur  die  Augen,  deren  Form  und  Plazierung 
im  Kranium  gar  nicht  verstanden  ist,  und 
die  häufig  ziemlich  zünftige  Durchbildung 
der  Falten. 

Schon  früher  (J.  d.  I.  XXX  1915,  102) 
hat  B.  Schröder  meine  Ansicht  in  Frage 
gestellt.  Nach  seiner  Meinung  müßten  sich 
im  Marmor  deutlichere  Spuren  der  Ton- 
technik finden.  Weniger  vielleicht  bei  den 
schweren  Himationfalten,  aber  »an  dem 
dünnen  Chiton  weist  nichts  auf  die 
Technik  des  Auftragens  auf  den  Akt 
oder  Wegnehmens  mit  den  üblichen  Model- 
lierinstrumenten«. Ohne  Zweifel;  denn 
am  Marmor  muß  man  Marmorwerkzeug, 
Meißel,  Hammer  und  Bohrer  verwenden. 
Eine  ganz  andere  Frage  aber  ist  es,  ob  es 
überhaupt  möglich  ist,  ohne  Modell  den 
Marmorblock  zu  bearbeiten. 

Es  ist  eine  anscheinend  verbreitete  An- 
schauung, daß  der  leitende  Künstler  sich 
darauf  beschränkt  habe,  ziemlich  kleine 
Kompositionsbozzetten  zu  liefern,  um  danach 
alles  Übrige  den  Gehilfen  zu  überlassen. 
Damit  wird  aber  die  Bedeutung  des  leiten- 
den Künstlers  in  bedenklichstem  Grade 
herabgesetzt,  denn  dann  wurden  alle  wei- 
teren, eigentlich  künstlerischen  Werte  von 
den  Gehilfen  geschaffen.  Eine  solche 
bloße  »Direktorstellung«  steht  mit 
dem  Wesen  der  Kunst  in  stärkstem 
Widerspruch  und  kein  wirklicher  Künstler 
würde  sich  damit  begnügen.  Die 
Finger  würden  ihm  zucken,  selbst  mit 
Hand  anzulegen.  Schrader  führt  S.  148  an, 
bei  dem  Asklepiostempel  zu  Epidauros 
»lieferte  der  Bildhauer  Timotheos  tuttoi, 
Modelle  für  beide  Giebelgruppen  und  Akro- 
terien.  Die  Ausführung  in  Marmor  wird 
unter  eine  Anzahl  mit  Namen   angeführter 


Bildhauer  verteilt.  Ebenso«,  meint  er, 
»fertige  Paionios  in  Olympia  Modelle  für 
die  Marmorskulptur«.  Damit  bin  ich  ein- 
verstanden. Das  Mißverständnis  liegt  nur 
darin,  daß  man  Tiinot  ausschließlich  als 
kleine  Bozzetten  erklären  will,  wodurch 
Timotheos  und  Paionios  zu  bloßen  »Entre- 
preneurs«  herabgesetzt  werden.  Muß  man  sie 
aber  als  wirklicheKünstler  auffassen  —  was  ja 
auch  Schrader  will  —  , denen  die  künstleri- 
sche Ehre  der  fertigen  Schöpfung  mit  Recht 
zukommt,  so  muß  in  den  -tSrot  das  künst- 
lerische Ergebnis  festgelegt  und  gesichert 
worden  sein;  und  das  war  nur  bei  ausge- 
führten Modellen  möglich,  wenn  es  auch  den 
Gehilfen  zufiel,  diese  in  den  Marmor  zu  über- 
tragen. Daß  es  in  der  Römerzeit  »Skulp- 
turenfabriken« gegeben  hat,  ist  eine  andere 
Sache.  Deshalb  sind  auch  die  römischen 
Skulpturen  vielfach  so  rutiniert  ausgeführt. 
Sagt  doch  Schrader  selbst,  daß  in  Olympia 
»sowohl  in  den  Giebeln  wie  in  den  Metopen 
im  großen  und  ganzen  eine  Einheitlichkeit 
und  Durchbildung  beobachtet  wird,  die  nur 
in  einer  von  einem  herrschenden  Willen  gelei- 
teten Werkstatt  denkbar  ist.«  Ganz  richtig 
—  aber  in  der  Kunst  genügt  der  Wille  nicht, 
auch  die  Hand  muß  dabei  sein.  Sonder- 
barerweise hat  Schrader  selbst  S.  220  eine 
»treffende  Bemerkung  von  P.Wolters«  ange- 
führt, die  nur  von  meiner  Ansicht  aus  mög- 
lich ist,  nämlich  »die  Modelle  für  beide  Kom- 
positionen (Giebelgruppen)  müßten  vollendet 
gewesen  sein,  ehe  die  Giebelwände  empor- 
geführt wurden,  also  vor  442«,  so  daß  »der 
gesamte  Skulpturenschmuck  des  Parthenons, 
Metopen  und  Fries  in  der  Marmoraus- 
führung, die  Giebelgruppen  in  den  Mo- 
dellen .  .  .  zwischen  447  und  442  vollendet 
sind«.  Seiner  Motivierung  nach  kann  hier 
nicht  von  Bozzetten,  sondern  nur  von  voll- 
großen  Modellen  die  Rede  sein,  und  da  die 
Marmorarbeit  erst  gegen  432  beendigt  war, 
müssen  die  Modelle  von  Ton  (mit  Vieh- 
haaren, um  haltbar  zu  sein)  oder  besser  von 
Gips  gewesen  sein.  Eine  dritte  .Möglichkeit 
gibt  es  nicht. 

Ich  komme  jetzt  auf  die  Fuggerschen 
Sarkophagreliefs  zurück.  Wäre  die  Ansicht 
Schraders  richtig,  sie  könnten  nicht  nach 
einer  gemeinsamen  Komposition  ausgeführt 
sein,  ohne  daß  der  eine  »carraresisch«  nach 

7* 


147 


Die  Parthenongiebel. 


148 


dem  andern  kopiert  wäre,  so  wären  die 
Unterschiede  freilich  unerklärlich.  Aber 
ein  solches  Verfahren  ist  durchaus  unwahr- 
scheinlich. Viel  näher  liegt  es  anzunehmen, 
daß  beide  ausführenden  Bildhauer  ein 
jeder  für  sich  die  Komposition  nach  einer 
gemeinsamen  Vorlagezeichnung  auf  den 
Stein  übertragen  und  nachher  auf  freie 
Hand  gearbeitet  haben.  S.  282  geht  auch 
Schrader  davon  aus,  daß  die  Metopen  »nach 
einer  vermutlich  in  Tonmodell  (hier  ist  ein 
solches  also  zulässig  !)  oder  in  Zeichnung 
skizzierten  Komposition«  gearbeitet  wurden. 
Jedoch  kann  man  von  niedrigen  Reliefs, 
wo  die  Umrisse  der  Aufzeichnung  leicht 
festzuhalten  waren,  nicht  auf  freie  Rund- 
skulpturen  schließen,  wo  eine  Aufzeichnung 
auf  den  Block  sofort  nach  Beginn  der  Arbeit 
verschwinden  mußte.  Die  technischen  Mög- 
lichkeiten sind  hier  durchaus  verschieden  — 
das  weiß  jeder  Bildhauer. 

Dagegen  werfen  diese  Reliefs  Licht  auf 
eine  andere  Tatsache,  welche  man  bei  Be- 
trachtung antiker  Kunstwerke  immer  vor 
Augen  haben  sollte,  auf  die  freie  Sicher- 
heit nämlich,  mit  der  man  kopierte.  Selbst 
da,  wo  eigentliches  Kopieren  Selbstzweck 
war,  und  viel  gemessen  wurde,  hat  man  zum 
großen  Teil  auf  freie  Hand  gearbeitet; 
daher  die  wohlbekannten  Nuancen  und  Ver- 
schiedenheiten unter  Kopien  nach  demselben 
Original.  Das  bezeugt  wieder,  wie  unsicher 
es  ist,  aus  vorhandenen  Kopien  sichere 
Schlüsse  auf  verschwundene  Originale 
ziehen  zu  wollen  ').  Sicher  ist  nur 
der  Unterschied.  Phidias'  Parthenos  muß 
von  ganz  anderem  Geiste  gewesen  sein,  als 
die  pergamenische  Kopie.  Das  Verschollene 
rekonstruieren  zu  wollen,  ist  hoffnungslos. 
Eben  das,  worauf  es  ankommt,  bleibt  un- 
wiederbringlich   verloren. 

Es  seien  mir  bei  dieser  Gelegenheit  einige 
weitere  Bemerkungen  zu  Schraders  Thesen 
gestattet. 

I.  Phidias.  Schrader  will  die  Geburt  des 
Phidias  um  510  ansetzen,  weil  er  meint,  der 
Akrolith  in  Plataiai  sei  478  begonnen  worden. 
Davon  wissen  wir  aber  nichts.  Auch  wenn 
der  Tempelbau  sofort  in  Angriff  genommen 

')  Man  vergleiche  die  Kopien  nach  Leonardo,  die 
anläßlich  der  Florabüste  zusammengebracht  wurden. 


wurde,  kann  sich  die  Bestellung  der  Tempel - 
Statue  sehr  gut  verzögert  haben.  Auch 
braucht  Phidias  keineswegs  damals  schon 
ein  Dreißigjähriger  gewesen  zu  sein;  das  ist 
eine  allzu  moderne  Auffassung.  Im  Süden 
reift  man  früh,  und  Holz  und  Marmor  waren 
billiges  Material,  das  man  wohl  einem  jünge- 
ren Künstler  anvertrauen  durfte.  Ist  Phidias 
um  510  geboren,  so  wäre  er  447  über  sechzig 
Jahre  alt  gewesen,  438  zweiundsiebzig. 
Ist  es  nun  wahrscheinlich,  daß  er  mit  den 
Aeginameistern  und  Kaiamis  nahezu  gleich- 
altrig gewesen  ist?  Werden  sie  doch  ge- 
wöhnlich als  Vertreter  zweier  Generationen 
angesehen.  Plinius  setzt  die  Akme  des  Phidias 
Ol.  83  an,  was  auffallend  ist,  wäre  Phidias 
damals  in  den  sechziger  Jahren  gewesen, 
zumal  • —  wie  Schrader  meint  —  sein  Haupt- 
werk Zeus  um  ein  Jahrzehnt  älter  gewesen  ist. 
S.  220  sagt  Schrader,  daß  447 — 42,  als  die 
Modelle  der  Parthenongiebel  ausgeführt 
wurden,  Phidias  »eher  ein  Fünfziger,  als 
ein  Vierziger  war«.  Das  klingt  wahrschein- 
licher. Phidias  wäre  demnach  um  490 
geboren  worden. 

Heute,  wo  die  Originale  restlos  zugrunde 
gegangen  sind,  ist  es  künstlerisch  ohne 
Belang,  ob  der  Zeus  oder  die  Parthenos 
zuerst  ausgeführt  wurde.  Mit  Gewißheit 
läßt  es  sich  auch  nicht  feststellen.  Die 
Argumente  Fr.  Winters  (Jahresh.  XVIII 
1915,  i)  können  nicht  ausschlaggebend  sein, 
dazu  stützen  sie  sich  auf  allzu  nebensächliche 
Dinge.  Daß  die  Parthenos  von  der  Rück- 
wand des  Tempels  entfernt  war,  wird  hin- 
reichend dadurch  erklärt,  daß  sie  so  luftiger 
und  freier  im  Räume  stand,  während  es 
notwendig  war,  den  Zeus  an  die  Wand  zu 
rücken,  um  den  nötigen  Abstand  zu  ge- 
winnen. Wollte  man  in  Olympia  eine  Figur 
in  voller  Raumhöhe,  ähnlich  wie  die  Par- 
thenos, so  mußte  sie  zwischen  die  Säulen- 
reihe gedrückt  werden,  weil  der  Bau  des 
Tempels  sich  nicht  ändern  ließ.  Warum 
sollte  eigentlich  Phidias  alle  Tempelmaße 
nach  Athen  übertragen.?  Man  kann  sich 
besser  das  Umgekehrte  denken,  nachdem 
die  Maßverhältnisse  im  Parthenon  so  gut 
ausgefallen  waren.  Ist  es  ferner  wahrschein- 
lich, daß  man  in  Olympia  sofort  nach 
Vollendung  des  Tempelbaues  die  nötigen 
Mittel    für   ein    so    ungeheuer   kostspieliges 


149 


Die  Parthenongiebel. 


150 


Unternehmen  wie  die  Zeusstatue  zur  Ver- 
fügung gehabt  hat?  Daß  Künstler  wie 
die  griechischen  ein  so  stupides  Gesetz 
aufgestellt  hätten,  daß  nur  das  linke  Bein 
Standbein  sein  durfte,  klingt  gar  sonderbar. 
Führt  doch  Winter  selbst  Ausnahmen  an. 

Schrader  macht  einen  Versuch  das  Werk  des 
Phidias  zu  rekonstruieren.  Da  er  die  Par- 
thenongiebel dem  Alkamenes  und  dem 
Paionios  zuschreibt,  bleibt  ihm  als  einzige 
Grundlage  die  Varvakeionstatuette,  die  er 
selbst  mit  Recht  als  künstlerisch  minder- 
wertig bezeichnet  und  sogar  in  die  Zeit 
Hadrians  setzen  will.  Außerdem  ist  die 
Statuette  skizzenhaft  und  nur  in  den  alier- 
gröbsten  Zügen  ausgeführt.  Um  so  be- 
denklicher ist  es,  auf  sie  einen  ganzen 
Hypothesenbau  auftürmen  zu  wollen.  Be- 
seitigt man  die  Giebelgruppen,  Metopen 
und  Fries  —  welche  letztere  unzweifel- 
haft nicht  eigenhändige  Arbeiten  von 
Phidias  sind  —  so  fehlt  uns  im  Grunde 
fast  jeder  Anhalt,  eine  Anschauung  von  dem 
persönlichem  »Stil  des  Phidias«  zu  gewinnen. 
Das  wenige,  das  sich  aus  der  Varvakeion- 
statuette ersehen  läßt,  wird  auf  den  ganzen 
»Kreis  des  Phidias«  passen. 

Immerhin  will  Schrader  auf  dieser  Grund- 
lage zuerst  die  Demeter  Cherchell  und  dann 
die  Kora  Albani  als  zuverlässige  Kopien 
Phidias  zuschreiben.  Die  Ähnlichkeiten 
sind  jedoch  ziemlich  allgemein  —  die  be- 
deutendste, die  vertikale  Kniefalte  hat  auch 
die  verworfene  »Lemnia«  ')  und  »Myrons« 
Athena  in  Frankfurt,  die  Kora  Albani 
aber  nicht  —  und  die  Unterschiede  sind 
zu  groß  um  sichere  Schlüsse  zu  gestatten. 
Die  Tracht  der  Demeter  Cherchell  ist  eine 
andere,  als  die  der  Varvakeionstatuette, 
anders  ist  der  ganze  Oberkörper  mit  den 
plumpen  wulstigen  Falten.  Die  Schulter- 
falten des  Himation  kann  man  nicht  ohne 
weiteres  mit  der  Ägis  zusammenstellen.  Die 
Kora  Albani  ist  noch  weiter  von  der  Var- 
vakeionstatuette entfernt.  Eine  gewisse,  nicht 
allzu  ausgesprocheneVerwandtschaft  mit  dem 
Ostgiebel  des  Parthenon  und  den  liegenden 
Weibern  im  Westgiebel  von  Olympia  würde 


i)  Mit  dieser  Kniefalte  und  den  Schulterfalten 
bildet  die  „Lemnia"  ein  interessantes  Zwischenglied 
»wischen  der  Varvakeionstatuette  und  den  Tau- 
schwestem. 


nach  Schraders  Hypothesen  eher  auf  Alka- 
menes deuten.  Die  Chitonbehandlung  der 
Kora  Albani  hat  mit  dem  Ostgiebel  des  Par- 
thenon eine  gewisse  Verwandtschaft,  mit 
der  Varvakeionstatuette  aber  gar  keine, 
und  von  Schraders  Standpunkt  aus  müßte 
jede  Annahme  einer  solchen  Draperie- 
behandlung als  Phidiasisch  hinfällig  sein. 
Daß  das  Eleusisrelief  auf  Phidias  zurückgehe, 
dafür  hat  man  gar  keinen  Beweis;  die  Ver- 
wandtschaft mit  dem  Parthenonfries  ist 
offenbar;  aber  diesen  will  Schrader  ja  Alka- 
menes zuschreiben. 

2.  Alkamenes.  Mit  Recht  macht  Schra- 
der geltend,  daß  der  Bericht  des  Pausanias, 
in  Olympia  habe  Paionios  den  Ostgiebel 
und  Alkamenes  den  Westgiebel  ausgeführt, 
nicht  ohne  weiteres  abgelehnt  werden  kann. 
Aber  gleich  darauf  geht  er  selbst  mit  Pausa- 
nias willkürlich  um,  indem  er  Paionios  die 
beiden  Giebelgruppen  und  Alkamenes  nur 
die  liegenden  Frauen  in  den  Ecken  des  West- 
giebels zuschreibt.  Er  faßt  es  als  eine  »Un- 
genauigkeit«  des  Pausanias  auf,  daß  er 
Alkamenes  als  Meister  des  ganzen  West- 
giebels nennt.  »Solche  Vereinfachung  und 
Übertreibung  ist  namentlich  innerhalb  ört- 
licher Überlieferung  im  Munde  der  Ciceroni 
etwas  Alltägliches.«  Weiß  man  gewiß,  daß 
Pausanias  nur  aus  mündlicher  Cicerone- 
weisheit geschöpft  habe?  Daß  die  liegenden 
Frauen  von  anderer  Hand  und  vielleicht 
später  sind,  ist  augenfällig.  Aber  daß  sie 
aus  den  fünfziger  Jahren  und  während 
Phidias'  Aufenthalt  in  Olympia  herrühren, 
und  daß  Alkamenes  damals  Phidias'  Schüler 
war,  ist  nur  Hypothese.  Die  Verwandtschaft 
der  beiden  Olympiagiebel  ist  zwar  groß, 
jedoch  kaum  groß  genug,  um  zwingend 
einen  und  denselben  Meister  vorauszusetzen. 
Die  Verwandtschaft  der  liegenden  Frauen 
mit  der  »Phidiasschule«  ist  offenbar,  aber 
der  Abstand  ist  sehr  groß.  Von  der  par- 
thenonischen blendenden  Meisterschaft  ist 
in  den  liegenden  Frauen  keine  Spur  vor- 
handen. Ihre  Körperform  ist  glatt,  fast 
ein  wenig  aufgedunsen,  läßt  gänzlich  die 
Nuancen,  die  Akzente  und  namentlich  die 
genaue  Kenntnis  des  Körperbaues  vermissen, 
die  im  Parthenongiebel  zu  einem  Höhepunkt 
entwickelt  sind.  Die  Draperie  der  Olympia- 
frauen  ist   gefühl-   und   charakterlos,   grob 


151 


Die  Partheoongiebel. 


152 


und  oberflächlich  behandelt  —  welcher 
Gegensatz  zu  der  virtuosen  Meisterschaft 
an  den  Tauschwestern  !  Der  Kopf  der 
einen  liegenden  Frau  hat  allerdings  mit  der 
Kora  Albani  eine  gewisse  Ähnlichkeit,  aber 
diese  schreibt  ja  Schrader  nicht  Alkamenes 
zu,  und  von  den  Parthenongiebeln  besitzen 
wir  keinen  einzigen  weiblichen  Kopf.  Aus 
der  Verwandtschaft  späterer  Werke  des 
Alkamenes  mit  den  Parthenonskulpturen, 
läßt  sich  kein  Beweis  für  seine  Urheberschaft 
der  letzteren  herleiten.  Beiläufig  möchte 
ich  fragen,  woher  kennt  man  ,,den  Typus 
ruhig  stehender,  in  dorisches  Gewand  ge- 
kleideter Frauen,  den  Phidias  um  460  ge- 
schaffen hat"   (Schrader  S.  184).' 

Auffallend  ist  es,  daß  Schrader  S.  105 
die  beiden  Olympiagiebel  in  die  Jahre 
475 — 65  verlegt  —  wonach  Alkamenes 
unmöglich  Meister  des  Westgiebels  sein  kann 
— ,  S.  135  aber  sagt:  »Es  ist  nicht  sicher, 
aber  doch  wahrscheinlich,  daß  damals  (457) 
die  Giebelgruppen  aufgesetzt  waren.«  Zieht 
man  die  Schnelligkeit  in  Betracht,  mit  der 
offenbar  die  sehr  breit  gehaltenen  und  in 
vieler  Hinsicht  wenig  durchgebildeten  Giebel - 
Skulpturen  vollendet  wurden,  und  den 
Umstand,  daß  auch  hier  wie  üblich  mehrere 
Gehilfen  bei  der  Arbeit  beteiligt  waren,  so 
würde  es  keineswegs  Wunder  nehmen,  wenn 
der  Westgiebel  erst  in  den  Jahren  461 — 57 
ausgeführt  worden  wäre.  Als  Gehilfe  des 
Paionios  zuerst  nach  Olympia  gekommen, 
braucht  Alkamenes  461  nur  einige  zwanzig 
Jahre  alt  gewesen  zu  sein ;  er  kann  also  485  — 
80  geboren  sein  und  dabei  sehr  gut  403  als 
ein  achtziger  unter  dem  Beistand  vonSchülcrn 
und  Gehilfen  das  große  Relief  geliefert 
haben.  Dies  ist  zwar  auch  Hypothese.  Aber 
ich  möchte  daran  erinnern,  daß  Tizian  bis 
zu  einem  Alter  von  99  ,  Michelangelo  89, 
Gio.  Bellini  85  Jahren  tätig  gewesen  ist; 
der  dänische  Bildhauer  Saabye  hat  82  Jahre 
alt  ein  großes  bronzenes  Standbild  geschaffen 
und  92  Jahre  alt,  eine  lebensgroße,  frisch 
und   gut   modellierte   Prophetenstatue. 

3.  Paionios.  Undenkbar  ist  es  nicht, 
daß  ein  ganz  großer  Meister  in  den  Jahren 
457—445,  unter  Einfluß  von  Phidias' Werk- 
statt eine  Entwicklung  wie  die  vom  Olympia- 
ostgiebel bis  zum  Parthenonwestgiebel  durch- 
gemacht haben   kann,   wenn   es   auch   ver- 


wundert, daß  gerade  ein  so  tiefernster 
Meister  wie  Paionios  in  diesem  Grade 
Virtuose  geworden  wäre.  Es  ist  ein  arges 
künstlerisches  Mißverständnis,  den  Par- 
thenonwestgiebel für  altertümlicher,  als 
den  Parthenonostgiebel  zu  halten.  Ein- 
zige Grundlage  für  diese  Auffassung  ist, 
daß  Entfaltung  und  Gruppierung  von  »Ke- 
phissos«  und  »Kekrops  und  Tochter«  von 
der  »unsichtbaren  Vorfläche«  des  Giebel - 
raumes  etwas  gebunden  scheinen.  Aber 
dem  steht  entgegen,  was  viel  wesentlicher 
ist,  daß  alle  —  oder  die  meisten  • —  Figuren 
aus  dem  Westgiebel  eine  technisch  und 
ästhetisch  fortgeschrittenere  Stufe  bezeich- 
nen, als  der  Ostgiebel,  denn  die  Entwicklung 
geht  nie  von  Virtuosität  und  beginnendem 
Manierismus  zu  natürlicher  Frische,  sondern 
umgekehrt.  Bei  den  Tauschwestern  ist  das 
Verhältnis  zwischen  Körper  und  Draperie 
noch  frei  und  natürlich,  in  beiden  kommen 
Stofflichkeit  und  eigenes  Wesen  vollständig 
zu  ihrem  Recht,  aber  bei  der  »Iris«  und  be- 
sonders dem  Bruchstück  der  Athcna  aus 
dem  Westgiebel  ist  die  Draperiebehandlung 
Manier  geworden,  der  natürliche  Fall  des 
Stoffes  ist  einer  raffinierten,  aber  unwahren 
malerischen  Wirkung  gewichen  • —  Vorstufe 
der  pikanten  Wirkung  der  Aphrodite  Fr^jus 
und  des  Nereidenmonuments.  »Kephissos« 
zeigt  ein  intimeres  Verständnis  der  Anatomie 
der  Körperbewegung,  eine  virtuosere  Meister- 
schaft in  der  Behandlung  der  komplizierten 
Verschiebungen  der  Körperteile  bei  der 
Drehung  als  der  »Theseus«  im  Ostgiebel. 
»Theseus«  ist  einfacher  ■). 

Die  Schwierigkeit  betreffs  Paionios'  Ur- 
heberschaft am  Parthenonwestgiebel  liegt 
darin,  daß  sich  ein  sicheres  Zwischenglied, 
welches  die  Verbindung  sicherstellen  könnte, 
nicht  finden  läßt.  Schrader  meint  zwar  hier 
die  Nike  aus  Olympia  heranziehen  zu  können, 
und  will  sie  deshalb  etwa  in  das  Jahr  450 
setzen,  jedoch  gibt  er  selbst  zu,  daß  wir  nur 
wissen,  daß  die  Nike  zwischen  450  und  420 
entstanden  sein  muß.      Es  ist  fraglich,  ob 

')  Übrigens  sind  wohl  im  Westgiebel  mehrere 
Hände  an  der  Arbeit  beteiligt  gewesen,  wenn  sich 
auch  dieses  bei  dem  jetzigen  Zustand  schwerlich 
näher  verfolgen  läßt  —  auch  im  Ostgiebel  können  ja 
die  verschollenen  Zentralfiguren  von  anderer  Hand 
als  die  Eckfiguren  gewesen  sein. 


153 


Ein  spätrömisches  MeBgefäfi. 


154 


sie  ihren  Platz  zwischen  Olympia  und  dem 
Parthenon  finden  kann.  Mit  dem  Parthenon - 
westgiebel  ist  sie  insofern  ähnlich,  als  auch 
an  ihr  das  natürliche  und  freie  Verhältnis 
zwischen  Körperform  und  Draperie  be- 
einträchtigt ist.  Der  Stoff  klebt  wie  naß 
an  den  Oberschenkeln,  und  diese  klebenden 
Falten  zeigen  eben  denselben  Manierismus 
wie  im  Parthcnonwestgiebel,  nur  etwas 
schwerfälliger,  ohne  das  Brillante  —  wie 
bei  Nachahmern.  Sonderbar  wäre  es,  wenn 
dieser  Manierismus  vor  dem  Parthenon - 
ostgicbel  entwickelt  wäre,  in  welchem  er 
noch  nicht  spürbar  ist,  aber  aus  welchem  er 
sich  leicht  entwickelt  haben  kann.  Dann  hätte 
Paionios  diesen  Draperiestil  sofort  nach 
den  durchaus  nicht  virtuosen  Draperien  in 
Olympia  erfunden.  Klingt  das  wahrschein- 
lich.? Ist  dagegen  die  Nike  jünger  als  der 
Parthenon,  so  wird  ihr  Stil  leicht  erklärlich; 
aber  dann  versteht  man  nicht,  daß  Paionios 
die  Virtuosität  wieder  teilweise  verloren 
habe. 

In  Schradcrs  geistvollen  Hypothesen 
klaffen  also  bedenkliche  Lücken.  Durchaus 
ausgeschlossen  ist  es  nicht,  daß  er  richtig 
geahnt  haben  kann,  aber  der  Beweis  ist 
nicht  geführt,  und  bei  unserem  heutigen 
Wissen  läßt  er  sich  wohl  überhaupt  nicht 
führen. 

Kopenhagen.  P.  Johansen. 


EIN  SPÄTRÖMISCHES  MESSGEFÄSS. 

Im  Juni  1924  zeigte  mir  in  Alexandricn 
der  Altertumshändler  Mahmud  Sultan  aus 
A'leppo  ein  spätrömisches  Meßgefäß.  Auf 
meine  Bitte  erlaubte  er  auch  in  dankens- 
wertester Weise,  daß  ich  die  folgende  Be- 
schreibung davon  veröffentliche: 

Zylindrischer  Becher  aus  Metall 
(heute  grün  oxydiertes  Kupfer?),  an  dem 
der  angelötet  gewesene  Henkel  heute  fehlt. 

Erworben  bei  Antakije')  (Antiochia). 

Maße:  Äußerer  Durchm.:  102—103,5  mm. 
Äußere  Höhe^):  131  mm.  Innerer  Durchm. : 
97,5  mm.       Innere    Höhe:    128    mm.      Die 


')  So  habe  ich  den  Ortsnamen  verstanden. 

')  Der  Gefäßboden  ist  ein  wenig  nach  unten 
gewölbt.  Das  aufstehende  Gefäß  ist  131  mm  hoch, 
die  äußere  senkrechte  Wandung  nur  128  mm. 


rund  25  mm  breiten  Lötstellen  des  Hen- 
kels sitzen  übereinander  vom  Boden  aus  in 
erstens  2 — 23  mm  und  zweitens  88—1 1 1  mm 
Höhe. 

Außen  ist  der  Becher  durch  herumlaufende 
vertiefte  Linien  verziert  und  zwar  von  unten 
an  durch  1 1  Doppellinien  und  darüber,  1 1  mm 
unter  dqm  oberen  Rande,  mit  einer  einfachen 
Linie  '). 

Innen  findet  sich  keine  Linie,  die  bei  der 
dünnen  Oxydierung  sichtbar  sein  müßte, 
wenn  sie  vorhanden  wäre. 

Um  das  Gefäß  läuft  oben  die  folgende  vier- 
zeilige  eingekratzte  Inschrift,  rechts  neben 
der  oberen  Lötstelle  des  Henkels  beginnend, 
herum: 

6ITAAIKOC  THC  ACCnOTlAC  TOY  KOMHTOC 
OYAAIAA  1  AnO  KeACYCewC  TOY  APXWNTOC 

erPAfA  KAI  e|A  |  riACMeNON=)|ecTiN  Ano 

ONOMATOC  eOPTACIOY  |  AlKAlONjONKItON 
IKOCI  TeCAPWN  CTPATIWTIKW  1  N3)(Abb.  1). 

Mit  allem  Vorbehalt  möchte  ich  diese 
Inschrift   folgendermaßen   übersetzen: 

»(Ich)  Italikus  aus  der  Herrschaft  des 
Komes  Wadila  habe  auf  Geheiß  des  Be- 
fehlshabers genau  einen  Xestes,  mit  seinem 
offiziellen  Namen  einen  »richtigen«  mit  In- 
schrift versehen  und  auswiegen  (lassen) : 
(nämlich  einen  von)  24  Heeresunzen.« 


')  Da  jemand  wegen  des  Zwecks  des  Gefäßes 
auf  den  m.  A.  falschen  Gedanken  kommen  könnte, 
aus  den  Lagen  dieser  Linien  Schlüsse  zu  ziehen, 
sollen  sie  hier  von  unten  nach  oben  gegeben  werden : 
Boden  außen:  o  mm;  Linien:  1,5  u.  3;  8  u.  11,5: 
21,5  u.  24;  33  u.  35,5;  43  u.  45,5;  53,5  u.  55;  65 
u.  67,3;  76,5  u.  80;  87,3  u.  89,3;  96,3  u.  98;  105,5 
u.  108;  117  mm;  oberer  Rand;  128  mm.  Kleine 
Abweichungen  hiervon  würden  sich  bei  Messungen 
an  anderen  Stellen  ergeben,  da  die  Linien  nicht 
genau  parallel  gearbeitet  sind. 

')  Hier  scheint  ein  Fehler  des  die  Inschrift  Ein- 
ritzenden zu  stecken.     Vielleicht  ist  zu  verbessern: 

eEAlriACAMONONHeCTIN 

wonach  ich  oben  übersetzt  habe.  [Wilcken  bemerkt 
hierzu:  |xövo;  wird  in  byzantinischen  Texten  in 
der  Tat  gern  bei  Zalilen  verwendet,  um  die  Genauig- 
keit hervorzuheben;  dies  fjiovoc  steht  aber  nicht  vor, 
sondern  hinter  der  Zahl  (z.  B.  •.o^i.hy.i-za  tpia  (i'^va), 
die  zudem  bei  Jeativ  fehlt.  Im  übrigen  würde  «.ovo;, 
wenn  es  hier  angewendet  wäre,  vielleicht  hinter 
die  24  Unzen  gesetzt  sein,  deren  Feststellung  der 
Hauptzweck  der   Inschrift  ist.] 

3)  Z.  4  ist  in  IKOCI  das  K  aus  N,  in  TeCAPWN 
das  C  aus  £  alt  verbessert. 


155 


Ein  spätTömiscbes  Meflgeftfi. 


156 


Da  die  Inschrift  besagt,  daß  wir  hier  einen 
»richtigen  Xestes  von  24  Heeresunzen«  vor 
uns  haben,  so  habe  ich  den  Inhalt  des 
Bechers  so  genau  wie  möglich  ermittelt. 
Durch  Rechnung  ergibt  sich:  955,65  ccm  — 
'/!4  davon  also  39,82  com');  durch  Ausmes- 
sung mit  Wasser  bei  vollständiger  Füllung 
als  Durchschnitt  von  drei  Messungen:  955 
ccm  —   '/n  davon  also  39,80  ccm. 

Ob  diese  Bestimmung  des  Xestes  und  der 
»Heeres«-Unze  mit  früher  dafür  festge- 
stellten oder  angenommenen  Größen  in 
Einklang  zu  bringen  ist,  wer  der  Komes 
Wadila  war,  den  ich  für  einen  Goten  oder 
sonstigen  Germanen  halte,  wie  die  Zeit  des 
Bechers  nach  den  Schriftformen  seiner  In- 
schrift anzusetzen  ist,  und  wie  endlich  die 
wohl  nicht  ganz  fehlerfreie  Inschrift  selbst 
richtig  aufzufassen  ist,  das  sind  alles  Fragen, 
die  zu  beantworten  ich  keine  Schulung  habe. 


Kairo,  6.  7.   1924. 


Ludwig    Borchardt. 


sehen  Xestes  möge  es  die  metrologische  Wis- 
senschaft zum  Danke  heißen  • —  und  weil 
ich  Ludwig  Borchardt  selbst  zu  jenen 
meinen  Wohltätern  zähle,  die  mich  durch 
ihre  Kritik  vor  Jahren  aus  dem  blühenden 
Irrgarten  der  »älteren  metrologischen  Schule« 
zu  meinem  Heile  noch  rechtzeitig  zurück- 
gerufen haben. 

I.  Die  Inschrift  bietet  trotz  ihrer  Kürze 
mehr  als  eine  Schwierigkeit.  Ihrer  zwei 
wenigstens  seien  herausgehoben.  Z.  2/3 
steht  ErPAYA  KAI  eHAHACMeNON  E€CTIN. 
Darin  vermißt  man  nach  KAI  ein  zweites 
Prädikat,  und  dieses  zu  gewinnen,  möchte 
Borchardt,  nicht  ohne  selbst  gelinden  Zwei- 
fel anzudeuten,  xat  iSaift«(j[a]  jjiovov  SedTiv 
lesen:  »ich  habe  genau  einen  xestis  oder 
genau  ein  xesti(o)n  .  .  .«  (Wilcken  oben 
Sp.  154  Anm.  2).  Allein  das  — MeNON,  dessen 
e  nach  dem  Abklatsch  sicher  ist,  deutet  doch 
wohl  eher  auf  ein  Participium  perfecti  pas- 
sivi  hin,  und  darum  verdient  m.  E.  Hiller 
v.    Gaertringens  Vorschlag     i-(pa'^a.     xareS- 


&ITAAI  KQCTH  C  A&CnQ , 


UCTQYKOMHTQCOY;, 


TüTT 


H 


Abb.  I.     Inschrift  des  spätrömischen  Meßgefäßes. 


Herr  Geheimrat  Borchardt  hat  den  Wunsch 
geäußert,  daß  ich  dem  von  ihm  publizierten 
Maßgefäß  von  Antiocheia  sofort  ein  paar 
Beobachtungen  beifügen  möchte.  Dem 
komme  ich  gern  nach,  aus  einem  sachlichen 
und  einem  persönlichen  Grunde:  um  die 
große  Bedeutung  des  Monuments  als  metro- 
logischer Quelle  darzutun*) —  den  Borchardt- 

')  Will  jemand  die  1 1  mm  außen  (!)  unter  dem 
oberen  Rande  befindliche  Linie  als  Aichstrich  an- 
sehen, so  ergäbe  seine  Rechnung  873,54  ccm;  V24 
davon  also  36,38  ccm. 

')  In  welchem  Ausmaße  der  neues  Xestes  die 
metrologische  Forschung  noch  befruchten  wird, 
läßt  sich  im  voraus  nicht  sagen,  daß  er  es  tun  wird, 
ist  gewiß.  Und  so  fühle  ich  mich  berechtigt,  den 
Wunsch  auszusprechen,  daß  dem  guten  Beispiel  des 
verdienstvollen  Leiters  des  deutschen  archäologi- 
schen Instituts  in  Kairo  auch  anderwärts,  vor  allem 
in  Griechenland  und  Kleinasien,  recht  viele  Archäo- 
logen folgen  möchten.  Denn  auch  der  Metrologe 
darf  hoffen,  daß  ihm  zugänglich  gemacht  werde, 
was  der  Boden  für  seine  Wissenschaft  hergibt,  und 


'  a7ta3(iEvov  Ssottv),  bei  dem  lediglich  ein  I 
zu  T  geändert  wird,  unbedingt  den  Vor- 
zug*). Die  unter  Vespasian  hergestellten 
und  auf  dem  Capitol  aufbewahrten  römi- 
schen Normalmaße  trugen  die  Bezeichnung 


daß  seiner  Arbeit  gedenke,  wer  immer  den  Vorzug 
hat.  Schätze  zu  heben  oder  Schätze  zu  bewahren. 

')  Brief  d.  29.  9.  24. 

')  Ich  selbst  hatte  an  xal  iiafla(s[(z  au[jiߣ- 
ßX7)](iivov  oder  (jE(j7jx«)]|jiiv&v  Ssarfv  (vgl.  e07)x<ii8ir] 
auf  dem  Gewichtstück  aus  demselben  Antiocheia, 
unten  Sp.  162)  gedacht.  Denn  die  amtliche  Aus- 
messung und  Auswiegung  metrischer  Instrumente 
geschah  an  Hand  von  normalen  Mustermaßen  (sog. 
oO|jißo>,«)  Jti  Toü  ou(jißäXXe!j3oi,  und  ein  dergestalt 
geprüftes  Instrument  trug  die  Bezeichnung  cü^xcofin 
(vgl.  RE  sub  oi^x(u(ia  u.  S'VßoXov;.  Allein  da  die 
Schreibung  xaTecaytaaii^vov  ungleich  leichter  ist  als 
diese  Ergänzung  und  in  einer  kurzen  Inschrift  die  An- 
nahme einer  Lücke  immer  etwas  Mißliches  hat,  so  bleibt 
auch  dieser  an  und  für  sich  mögliche  Vorschlag 
natürlich  hinter  v.  Hillers  Emendation  an  Glaub- 
würdigkeit zurück. 


157 


Ein  spätrömisches  MeBgefifi. 


158 


mensurae  exactae  ■),  und  so  wird  man  in 
der  Annahme  nicht  fehlgehen,  daß  d^oYiaa- 
[xevov  das  gräzisierte  exactum  ist=),  und 
daß  xdTsSaYiatjjievov  3)  dieses  verstärkt: 
perexactum.  —  Die  andere  Schwierigkeit 
liegt  in  dem  «Ttb  ivofjiaTo;  lopTaatou ■•) 
(Z.  3),  das  sich  verschieden  erklären 
läßt.  Ich  kann  mich  der  Vermutung 
nicht  erwehren,  daß  auch  in  diesem 
Begriff  eine  Gräzisierung  vorliegt.  Aber 
jestivus  oder  sollemnis}  ciiius  sollemne 
nomen  interpretiert  v.  Hiller,  und  Borchardt, 
wie  ich  aus  seiner  Übersetzung  entnehme, 
offenbar  nicht  anders,  und  dem  stimme  ich 
auch  zu.  Sollemnüas  war  in  der  Sprache 
der  römischen  Juristen  offenbar  die  Rechts- 
feierlichkeit mit  all  ihrer  Rechtsformalität 
oder  umgekehrt  die  Rechtsformalität  mit 
all  ihrer  Rechtsfeierlichkeit');  und  so  ist 
vermutlich  äito  Äv6|xaxos  eopTaat'ou  Sixatov 
zusammen  zu  nehmen  und  zu  erklären: 
».  .  .  .  ein  xestion,  das  rechtlich-förmlich 
gesprochen,  richtig  ist.«  Demnach  inter- 
pretiere ich  die  ganze  Inschrift  so:  >>(Ich) 
Italicus  von  der  Herrschaft  des  Comes  Va- 


')  Vgl.  Hultsch,  Metrologie^  123.  Das  exactae  ist 
hier  allerdings  zunächst  wohl  schlechthin  als  ein- 
faches Prädikat  zu  nehmen,  das  die  (amtliche)  An- 
fertigung der  Maße  als  solche  feststellt:  mensurae 
exactae  (sunt)  =  sind  hergestellt  worden.  Aber  gleich- 
zeitig umschließt  exigere  den  Begriff  der  normalen 
Richtigkeit  (vgl.  coltminas  ad  perpendiculum  e.  Cic. ; 
pondtis  margaritarum  manu  e.  Plin. ;  materiam  ad 
regulam  et  libellam  e.  ders.).  Also  mensurae  exactae  = 
genaue  Maße.  Wenn  dabei  im  übrigen  der  von 
Hultsch  an  der  angegebenen  Stelle  beschriebene 
Dresdner  Congius  nicht  normal  genau  ist  —  er  ist 
beträchtlich  zu  groß  — ,  so  liegt  das  daran,  daß  er, 
wie  Dressel  an  Hand  seiner  Inschrift  festgestellt 
hat,  gefälscht  ist.  Echt  dagegen  ist  sein  von  Pernice 
sehr  sorgfältig  ausgemessener  Neapoütaner  Bruder, 
und  er  ist  denn  auch  im  Volumen  (unten  Sp.161  Anm.3) 
genau.     Vgl.  Dessau,  Inscr.  Lat.  sei.  II  2  Nr.  862S. 

')  Vgl.  ^T)7Xrjaat  und  ^Tj^Xtäcjai  vom  lateini- 
schen reguläre  (Du  Gange  1294)  in  meinen  Quaesti- 
ones  Epiphanianae,  Leipzig  191 1,  52,  10  und  xaarp:^- 
<3i'j;  (-/aiTptato?)  aus  lat.  castretisis  unten  Sp.  159 
mit  Anm.  4. 

3)  Vgl.  xaTeSexa^Eiv  im  späten  Griechisch. 

4)  Oder  'Kopiaatou  als  Name?? 

5)  Vgl.  Ulpian  Dig.  I  7,25:  neque  adoptare  qiiis 
absens  nee  per  alium  eiusmodi  solemnitatem  peragere 
polest;  ebd.  XLV  1,50:  si  quis  scripserit  se  fidei 
iussisse,  videntur  omnia  solemniter  acta.  An  Hand 
dessen:  »apud  ICtos  solemniter  fieri  dicuntur,  quae 
ex  praescripto  iuris  et  recepto  forensi  more  fiunt«, 
Forcelhni,  tot.  Lat.  lex.  V  553. 


dila  habe  auf  Befehl  des  Befehlsherrn  ■) 
mit  Inschrift  verschen  ein  auf  unbedingte 
normale  Genauigkeit  ausgewogenes  xestion; 
es  ist  rechtlich-förmlich  gesagt,  richtig: 
wiegt  vierundzwanzig  Soldatenunzen.« 

2.  Wer  der  Comes  Vadila  oder  Wadila 
war,  der  seinem  Untergebenen  (.?)  Italicus 
die  Herstellung  und  Beurkundung  des 
Maßes  anbefohlen  hat,  weiß  ich  nicht.  Daß 
er  ein  Germane,  und  zwar  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  ein  Gote  war,  hat  schon 
Borchardt  ausgesprochen.  Der  bekannte 
Ostgotenkönig  Totila  hieß  auch  Baduila, 
das  steht  auf  seinen  Münzen »)  und  bei 
Jordanes  (Rom.  379  f.).  Theoderich  d.  Gr. 
wendet  sich  508  n.  Chr.  in  einem  seiner 
Briefe  an  einen  gewissen  Vvandil  (hand- 
schriftl.  Variante  Vvadel  u.  a.)  in  Avignon 
(Cassiod.  Var.  III  38);  und  wenn  denn  ein 
anderer  Brief  desselben  Königs  aus  den 
Jahren  507 — II  gar  die  Adresse  trägt 
Adüae  v[iro)  s{pectabüt)  comiti  (ebd.  II  29), 
so  möchten  wir  fast  meinen,  unsern  Comes 
Vadila  3)  unmittelbar  wieder  vor  uns  zu 
hüben  1).  —  Der  Comes  >)  war  ein  hoher 
Würdenträger,  sei  es  militärischen,  sei  es 
zivilen  Ranges,  und  unser  Vadila  war  ge- 
wiß Militär,  als  äpyriav  einer  SsoitoTict  (vor- 
ausgesetzt, daß  Vadila  selbst  mit  dem 
äpxiuv  gemeint  ist,  was  ich  nicht  weiß) 
vielleicht  comes  prmiinciae,  Provinzialstatt- 
halter;  wie  denn  Adila,  der  Empfänger  des 
Theoderichbriefes,  sehr  wahrscheinlich  in 
Sizilien   residiert   hat,    das   tatsächlich   eine 


')  Ist  comes  Vadila  dieser  i'pyiov?  Oder  ist  das 
i.T.h  xeXe'Joeu);  toO  oip^tovxo;  etwa  gleich  iussu 
domini  (vgl.  iussu  Richiari  reges  bei  [v.  Sallet-]  Reg- 
ling.  Die  antiken  Münzen'  127  und  T>{ominiis) 
N(osfcr)  auf  den  Münzen  germanischer  Könige  ebd. 
124  ff.")?  Übrigens  soll  vor  einigen  Jahren  in  einer 
spanischen  Zeitschrift  ein  Maßgefäß  publiziert 
worden  sein,  dessen  Inschrift  beginnt  iitssione  do- 
mini.    Für  den  Nachweis   wäre  ich  dankbar.  ■ 

')  D.  N.  BADVILA  REX.  Vgl.  Friedländer, 
Münzen  der    Ostgoten  46  f. 

3)  Vgl.  Vulfila  neben  Ulfila. 

4)  Auf  Valila  bei  Fiebiger- Schmidt,  Inschriften- 
sammlung zur  Geschichte  der  Ostgermanen  Nr.  297-8 
weist    noch    v.  Hiller    hin. 

5)  Vgl.  Mommsen,  Neues  Archiv  d.  Gesellsch.  f. 
ältere  deutsche  Geschichtsk.  XIV  1899,  225  ff.; 
453  ff.  (=  Ges.  Schriften  VI  362  fl.).  Grossi-Gondi 
bei  Ruggiero,  Dizionario  epigrafico  II  1,468  ff.  Seeck 
RE.  IV  622  ff. 


^•^ 


A 


s^>-'' 


159 


Ein  spätrömisches  MeBgefäS. 


i6o 


solche  Provinz  war').  Trotzdem  soll  damit 
natürlich  nicht  gesagt  sein,  daß  der  theo- 
derizianische  Comes  mit  dem  Comcs  des 
Borchardtschen  Xestes  identisch  wäre;  denn 
dieser  ist  trotz  des  »westlichen«  Namens 
seines  domesticus,  nach  dem  Fundort  (?) 
des  Gefäßes  zu  schließen,  gewißlich  ein 
Statthalter-Kommandant  im  Dienste  eines 
oströmischen  Kaisers  gewesen. 

3.  Jetzt  zur  Metrologie.  Borchardt  wirft 
die  Frage  auf,  ob  sein  Xestes  und  die  durch 
ihn  bezeugte  Soldatenunze  mit  anderen 
metrischen  Größen  in  Einklang  zu  bringen 
sei.  Dies  ist  der  Fall,  wenngleich  die  exakte 
metrologische  Interpretation  des  Gefäßes 
zur  Zeit  noch  nicht  mit  absoluter  Eindeutig- 
keit zu  geben  ist. 

4.  Wir  gehen  aus  von  der  Feststellung, 
daß  das  Maß  offenbar  auch  dem  kyprischen 
Bischof  Epiphanios  bekannt  gewesen  ist. 
Denn  in  dessen  392  n.  Chr.  geschriebenem 
Maß-  und  Gewichtsbüchlein >)  findet  sich 
der  Satz:  der  castrensische  (Seutjj;)  aber  ist 
ebenfalls  gleichmäßig  24  unzen,  ivenig  darüber 
und  wenig  darunter  t).  Ein  castrensischer 
SetJTr^j  ist  natürlich  ein  im  Lager  benutzter, 
kurz  gesagt,  ein  Lagerxestes  •<),  und  wie 
trefflich  zu  dieser  Benennung  die  —  es 
sind  ihrer  ebenfalls  24  —  Soldatenunzen 
des  Borchardtschen  Gefäßes  passen,  bedarf 
keines    Wortes. 

5.  Die  Reduktion  des  Maßes  auf  Unzen 
macht  es  von  vornherein  so  gut  wie  sicher, 
daß  es  sich  dabei  um  eine  Bestimmung 
nach  dem  Gewicht,  d.  h.  natürlich  nach 
dem  Nettogewicht  der  Füllungsmasse  han- 
delt.    Denn    ob    es  zwar  auch  eine  ouyxi'» 

')  Vgl.  Comes  civitatis  Syracusae,  Cass.  VI  22; 
IX  II,  14. 

')  Vgl.  meine  Quaestiones  Epiphanianae,  Leipzig 
1911. 

3)  So  die  syrische  Übersetzung,  die  nach  zwei 
Londoner  Handschriften  aus  dem  7.  u.  9.  Jahrb. 
von  Paul  de  Lagarde  (Symmikta  II,  Göttingen 
1880,  149  ff.)  mustergültig  ediert  worden  ist.  Dieser 
syrische  Text  ist  vollständiger  als  die  griechischen 
Exzerpte,  in  denen  denn  auch  die  oben  ausgeschrie- 
bene Stelle  (Sym.  II  193,  73  ff.)  leider  fortgefallen  ist. 

•t)  Selbstverständlich  handelt  es  sich  von  Haus 
aus  um  eine  lateinische  Bezeichnung:  sextarius 
caslrensis,  wie  modius  castrensis  (Metrol.  Script.  II 
'26,  3;  vgl.  Ind.  sub  modüis),  die  dann  zu  j^arrj; 
xacTpTjUioc  oder  x«(3Tp(aio;  (Epiphanios  1.  c.  193,  67 
und  Metrol.  Script.  Ind.  sub  [xii^to;  5)  gräzisiert 
wurde. 


(iSTptxTj  gegeben  hat,  so  war  diese  doch 
ein  epichorisches,  nämlich  stadtrömisches 
Medizinermaß '),  für  das  in  der  übrigen 
Welt  keinerlei  Spuren  vorhanden  sind, 
während  die  067x1a  OTaOjxui^  d.  i. 
das  Zwölftel  des  im  ganzen  römischen 
Imperium  gangbaren  römischen  Pfundes 
für  die  Bestimmung  aller  anderen  Gewichte 
im  weitesten  Umfange  gleichmäßig  die 
bevorzugte  Einheit  gebildet  hat.  Und  die 
Bestätigung  gibt  in  unserm  Falle  die  Be- 
merkung des  Epiphanios,  der  Lagerxestes 
habe  gleichmäßig  24  unzen  gehabt,  wenig 
darüber  und  wenig  darunter.  Denn  wie  diese 
Worte  ganz  offenbar  nichts  anderes  besagen, 
denn  das  Maß  habe  im  Durchschnitt  24 
Unzen,  manchmal  eine  Kleinigkeit  mehr 
und  manchmal  etwas  weniger  gehabt,  so  ist 
es  auch  gewiß,  daß  eben  dieses  Schwanken 
des  Definitionswerts  nur  dann  einen  Sinn 
haben  kann,  wenn  die  Bestimmung  auf 
Wägung  geht  und  nicht  auf  Messung.  Denn 
das  Volumen  eines  Hohlmaßes  bleibt  bei 
jeder  Füllung  dasselbe,  das  Gewicht  dieser 
Füllung  aber  ändert  sich,  je  nachdem  man 
eine  schwerere  oder  leichtere  Ingredienz,  je 
nachdem  man  beispielsweise  Getreidekörner 
geringerer  oder  größerer  Schwere  einfüllt. 
6.  Eine  Frage  ist  es  und  wird  es,  wie  wir 
sehen  werden,  zunächst  auch  bleiben,  wie 
das  Maßvolumen  in  dem  Borchardtschen 
Gefäße  abzugrenzen  ist.  Über  die  attischen 
Maßgefäße  weiß  Pollux  (IV  170)  zu  er- 
zählen :  imys.dri,  imys,ikrf,  im^izs-zi '  eaxt  ok 
hoyeiKTi  (isv  ri  ?r>.T]pr).  iiri^feiXr/  Sk  TixotTu)- 
Tspu)  Toiji  xsi^^»"»,  iTciasaxa  8s  xi  uÄepirXea,  eirt 
8k  xiüv  $7)p<öv  (isxpcuv  TÄ  oux  ctTtg'J^ijjxsva,  und 
im  attischen  Psephisma  über  Maß  und  Ge- 
wicht (I.G.  II2  1013  Z.  23  =  Hermes  LI 
1916,  123  Z.  25)  wird  eine  jfoivt;  bestimmt 
als  kyoön-q  xo  [i.kv  ßa'öos  SaxxuXtuv  zlvxs,  xo 
8k  irXctxo?  xoü  j^ctwuj  SaxxuXo'j.  Danach 
war  an  den  attischen  Maßgefäßen  oben 
durch  eine  umlaufende  Linie  ein  Kragen 
()(ctXoj,  Lippe)  abgegrenzt,  und  je  nachdem 
man    die     Füllung     bis    zum    obern    oder 


■)  Vgl.  Galen  nspt  3jv9.  »apji.  fh.  III  u.  VI 
Kühn  XIII  616;  894=  Metroi.  Script.  I  213,  i  ff.; 
217,  13  ff.  u.  a.  Dazu  Pernice,  Galeni  de  pond.  et 
mens,  testimonia,  Diss.  Bonn  1888,  36  ff.  Viedebantt, 
Forschungen  z.  Metrologie  d.  Altertums,  Leipzig 
1917-  130- 


i6i 


Ein  spttTömisches  MeBgeftB. 


162 


untern  Rand  des  Kragens  gehen  ließ,  sprach 
man  vom  hoy^sikki  oder  litij(si>.e«  [isipov»). 
—  Daß  diese  Linie  im  Innern  des 
Gefäßes  angebracht  sei,  erscheint  uns  Mo- 
dernen selbstverständlich.  Allein  ob  uns 
damit  zugleich  das  Recht  gegeben  ist,  dies 
auch  für  das  Altertum  als  selbstverständlich 
vorauszusetzen,  will  mir  einigermaßen  zwei- 
felhaft erscheinen;  und  wenn  daher  das 
Borchardtsche  Gefäß  (11  mm  unterhalb  des 
obern  Randes)  eine  solche  umlaufende 
Linie  auf  der  Außenwand  zeigt,  so  ist  es 
uns  angesichts  dessen,  wie  ich  meine,  nicht 
erlaubt,  das  Maßvolumen  des  Gefäßes  a  pri- 
ori bis  zum  obern  Rand  gehen  zu  lassen, 
vielmehr  haben  wir  auch  die  andere  Mög- 
lichkeit ins  Auge  zu  fassen,  daß  das  Maß 
normalerweise  als  litij^eds;  und  nicht  als 
laoytikki  fisTpov,  d.  h.  daß  es  in  seinem 
regulären  Maiivolumen  nicht  zu  0,955(65], 
sondern  zu  0,873 [54]  1  genommen  worden 
ist. 

7.  Was  mag  mit  dem  {Lager-)Xestes  ver- 
messen worden  sein?  Aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  das,  was  das  wichtigste  Unterhalts- 
mittel für  die  Mannschaft  war:  das  Brot- 
getreide, also  der  Weizen.  Der  nun  hat  je 
nach  dem  Boden,  auf  dem  er  gewachsen  ist, 
ein  verschiedenes  Gewicht.  Der  leichteste 
Weizen,  der  in  Rom  auf  den  Markt  kam, 
war  nach  Plinius  der  gallische  und  eher- 
sonnesische,  während  der  schwerste  aus 
Afrika  kam.  Jener  wog  20,  dieser  213/4 
röm.  Pfund  [librae)  im  römischen  Modius  *). 
Dieser  Modius  hatte  ca.  8,7o[66]  1  '),    mit- 


')  Vgl.  übrigens  Bruno  Keil  zu  Aristoph.  Rittern 
814,  Herrn.  LI  1916,  314. 

')  Ich  setze  die  ganze  Stelle  (Plin.  NH.  XVIII 
66)  her:  tiunc  ex  his  generibiis,  quae  Romam  invehun- 
lur,  levissimum  est  Gallinim  atque  Chersonneso  ad- 
vectuvi,  quippe  non  excedunt  modii  vicenas  Hbras,  si 
quis  granum  ipsiiin  ponderet.  Sardinn  adicil  seli- 
bram,  Alexandrittum  et  trientem  —  hoc  et  Siculi 
pondus  — ,  Baeticum  totam  libram  addit,  Africum  ei 
dodrantem. 

3)  Der  von  Pernice  ausgemessene  römische 
Congius  in  Neapel  (oben  Sp.  157  Anm.  i),  den  ich 
bei  Gelegenheit  des  näheren  zu  besprechen  gedenke, 
faßt  3,265  1.  Laut  Inschrift  war  das  Nettogewicht 
der  Füllung  P(o«rfo)X,  also  10  röm.  Pfund,  und  da 
diese  Bestimmung  auf  Wein-  oder  Wassergewicht 
zu  beziehen  ist  (Hultsch,  Metrologie^  124;  116),  so 
läßt  dieser  Congius  für  das  römische  Pfund  den 
Betrag  von  ca.  326,5  g  errechnen.  (Nebenbei :  daß 
aus  den  Münzen  für  gewisse  Perioden  ein  geringerer 


hin  so  gut  wie  genau  das  Zehnfache  des 
Borchardtschen  Xestes,  wenn  man  diesen 
als  iiti}(ei),k;  (letpov  nimmt.  Und  wenn 
daher  der  Modius  Weizen  20  röm.  Pfund 
wiegt,  so  wiegt  der  Xestes  als  '/.o  Modius, 
2  Pfund  auf,  und  dies  sind  24  Unzen,  wie 
die    Inschrift  angibt. 

8.  So  die  mögliche  Lösung,  wenn  man 
das  Maß  als  lirtj^eiXk«  ptsTpov  nimmt. 
Anders  wenn  man  die  Füllung  bis  zum 
äußersten  Rande  gehen  läßt.  Der  schwerste 
in  Rom  gehandelte  Weizen,  der  aus  Afrika, 
wog,  wie  gesagt,  21 3/^  röm.  Pfund  oder 
(326,5  .  21,75  =)  7101,375  g')  im  römischen 
Modius  von  ca.  8,7o[66]  1.  Demnach 
wog  er  in  einem  Gefäß     von     0,955(65]    1 

f7Wi,Z7S  .  0,955^  .,0 

[ ^ J  =    779,518    g.    Auch 

dieses  Gewicht  läßt  sich  auf  den  durch  die 
Inschrift  des  Borchardtschen  Xestes  gefor- 
derten Gewichtsbetrag  von  24  Unzen  redu- 
zieren. Die  Handhabe  dazu  bietet  ein  Ge- 
wichtstück aus  Antiocheia,  das  ich  in 
meiner  Liste  der  hebräischen,  phönizischcn 
und  syrischen  Gewichtstücke  (Zeitschrift 
Deutsch.  Palästina-Vereins  XLV  1922,  2  ff.) 
unter  Nr.  94  aufgeführt  habe.  Es  wiegt 
340  g  und  trägt  die  Inschrift  ETOYC  FIT 
MH|NOCZANAIK|OYEniMAPKOiY-AYPHAIOY. 
lElPAKOC  XEIAIAiPXOY  eCHKw|0H  HMIAI- 
TPlN|ONKIWN  .|<.  Es  ist  also,  da  die  Ära 
von  .■\ntiocheia  auf  dem  Jahre  49  v.  Chr. 
steht  2),  im  Jahre  263  n.  Chr.  -geeicht 
worden.  Die  Gewichtsdefinition  habe  ich 
früher  (a.  a.  0.  22)  zu  I  [B]  <  ergänzen 
wollen,   in  der  Erwägung,  daß  340  g  =  i2'/2 


Pfundwert  von  rund  320  g  oder  wenig  mehr  ge- 
wonnen wird  [vgl.  L.  Naville,  Revue  suisse  de  Nu- 
mismatique  XXII  1920-22,  42  ff.;  257  ff.  und  meine 
Antiken  Gewichtsnormen  und  Münzfüße,  Berlin  1923, 
6  ff.;  119  fl.],  kann  hier  außer  Betracht  bleiben. 
Das  römische  Pfund  hatte  seine  Geschichte,  und 
diese  harrt  noch  der  Aufklärung).  —  Für  das  Qua- 
drantal  oder  die  Amphora  (=  8  Congii)  ergibt  sich 
an  Hand  jenes  Neapolitaner  Congius  ein  Volumen 
von  (3,265  . 8  =)  26,12  1  und  für  den  Modius 
(=  V3  Amphora)    8,7066  I. 

')  Das  römische  Pfund  hatte  ca.  326,5  g.  Vgl. 
die  vorige  Anmerkung. 

')  Vgl.  Kubitschek,  RE.  I  650.  —  Der  Monat 
Zandikos  oder  (makedonisch)  Xanthikos  ist  der 
jüdische  Frühjahrsmonat  Nisan,  der  babylonische 
Nisannu.  Vgl.  Ginzel,  Handb.  d.  Chronol.  I  137; 
II  68. 


i63 


Zur  Delphischen  Rinderraubmetope. 


164 


röm.  Unzen  sind '),  und  in  der  Meinung, 
die  Konjektur  erhalte  dadurch  eine  gewisse 
Stütze,  daß  auch  in  dem  vorangehenden 
Wort  HMIAITPI(0)N  das  O  ausgefallen 
sei.  Allein  dies  war  jedenfalls  ein  Irr- 
tum, da,  wie  U.  Wilcken  mich  belehrt, 
das  f/fiiXiTpiv  vielmehr  junge  Form  ist 2). 
Demnach  wird  man  die  überlieferte 
Zahl  |<  -=  10 'A  also  für  richtig  halten 
müssen,  und  damit  legt  das  Gewichtstück 
denn  offenbar  Zeugnis  ab  für  eine  (von  der 
vulgären  römischen  abweichende)  Unze  von 
(340  :  10,5  — )  32,380  g;  und  24  dieser  Unzen 
wiegen  777,120  g,  d.  h.  bis  auf  etwa  2 — 3  g 
ebensoviel  wie  der  bis  zum  Rand  gefüllte 
Borchardtsche  Xestes  an  (afrikanischem) 
Weizen  aufgewogen  hat. 

9.  Zugunsten  dieser  Lösung  läßt  sich  ein 
Doppeltes  ins  Feld  führen.  Zum  einen, 
daß  die  ausdrückliche  Benennung  der  der 
metrischen  Definition  des  Borchardtschen 
Xestes  zugrunde  liegenden  Unze  als  6vxwt 
atpsTituTixT^  darauf  schließen  lasse,  daß  es 
sich  hier  gewißlich  um  ein  von  der  vulgären 
römischen  Unze  verschiedenes  Gewicht 
handle  3).  Und  zum  andern  spricht  für  diese 
Lösungsmöglichkeit,  bei  der  also  das  Maß 
als  latysikki  [letpov,  d.  h.  zum  vollen  Vo- 
lumen von  0,955  1  zu  nehmen  ist,  der  nicht 
zu  unterschätzende  Umstand,  daß  das  Ge- 
fäß, wie  es  scheint,  in  demselben  Lokal 
(Antiocheia  am  Orontes)  ans  Licht  getreten 
ist  wie  das  für  diese  Lösung  die  Unterlage 
abgebende  Gewichtstück  4). 

')  Das  röm.  Pfund  hat  326,5  g  (oben  Sp.  161 
Anm.  3),  sein  Zwölftel,  die  Unze,  mithin  27,208  g, 
und   27,208  .  12,  5  =  340,  I. 

')  Wie  übrigens  analog  auch  in  unserer  Inschrift 
Eeativ  statt  ^iinioi  stehe,  also  nicht  itazistisch 
statt  5iiTT)v. 

3)  Wiewohl  dem  freilich  auch  entgegengehalten 
werden  kann,  daß  dieser  .Ausdruck  möglicherweise 
nichts  anderes  als  die  urkundliche  Feststellung 
geben  will,  wo  und  mit  welchen  Gewichtsteinen  die 
Auswiegung  des  Gefäßes  vorgenommen  worden  war: 
mit  den  a7)X(o[ji7Ta  oder  mit  den  3'i(Jißo>,a  des  Lagers. 

4)  Für  die  andere  Möglichkeit,  nach  der  das 
Maß  als  ^jttyeiXh  nsTpov  zu  nehmen  wäre,  ließe 
sich  gegebenenfalls  seine  Benennung  als  sopxcijiov 
[jirpov  ins  Feld  führen,  wenn  man  nämlich  JopTcijto; 
=  festivus  nimmt.  Denn  in  diesem  Falle  könnte 
man  annehmen,  daß  der  Xestes  als  solcher  und  für 
gewöhnlich  zu  0,87  1  genommen  worden  wäre,  daß 
aber  an  festlichen  Tagen  der  Mannschaft  '/>o  (0,87 
+  Vio  =  ">957)  oder  '/u  bzw.  I  Unze  (0,87  +  Vu 
=  o?9425)  mehr  an  Weizen  verabreicht  worden  wäre, 


10.  Wie  man  sich  in  der  dargelegten 
Alternative  auch  entscheiden  möge:  ob 
man  den  Borchardtschen  (Lager-)Xestes 
als  Itcij^siXs?  [iSTpov  nehmen  will,  oder,  was 
ich  vorziehen  möchte,  als  ?or))(siXs?  [xsTpov: 
so  oder  so  gesehen,  stellt  er  das  Hohlmaß 
für  ein  Gewichtsquantum  von  24  (römi- 
schen oder  anderen)  Unzen  (leichtern  oder 
schwereren)  Weizens  dar. 

Charlottenburg. 

Oskar  Viedebantt. 


ZUR    DELPHISCHEN    RINDERRAUB- 
METOPE. 

An  der  Delphischen  Rinderraubmetope 
ist  meines  Wissens  bis  jetzt  ein  hübscher 
Zug  übersehen  worden.  Da  auch  die  pu- 
blizierten Aufnahmen  ihn  nicht  geben,  setze 
ich  hier  Photographie  (Abb.  l)  und  Notizen, 
die  ich  1914  nahm,  her. 

Über  die  Rinderbeine  rechts  vom  linken 
Bein  des  zweiten  Mannes  läuft  in  10  cm 
Höhe  über  der  Standfläche  deutlich  sicht- 
bar eine  annähernd  horizontale  Linie.  Sie 
ist  auf  allen  5  Beinen  zu  konstatieren  und 
geht  noch  2^/j  cm  weiter  nach  r.  auf  dem 
Grunde,  dann  verliert  sie  sich,  im  ganzen 
steigt  sie  von  1.  nach  r.  ein  wenig.  Sie  scheint 
mit  demselben  Rotbraun  gezogen,  das  zur 
Bemalung  der  Haare  gebraucht  ist.  Auch 
bei  den  Rinderbeinen  1.  vom  linken  Bein  des- 
selben Mannes  ist  eine  ganz  schwache  Spur 
1 1  cm  über  der  Standfläche  auf  dem  vor- 
dersten Rindcrbcin,  von  1.  nach  r.  ein  wenig 
absteigend  wahrzunehmen.  So  wenig  man 
in  der  Lage  ist,  die  einzelnen  Rinderbeine 
zu  verifizieren'),  so  wenig  wird  man  auch 
über  den  genauen  Verlauf  des  Strickes 
etwas  ausmachen  können.  So  viel  ist  klar: 
Die  Rinder  sind,  damit  sie  nicht  davonlaufen, 
an  den  Beinen  gefesselt,  wie  man  es  noch 
heute  beim  Weidevieh  sieht.  Daß  der  Strick 
in  den  Grund  läuft,  spricht  dafür,  daß  es  dem 


mit  anderen  Worten,  daß  dem  Mann  gewöhnlich  ein 
^Tti/eiX^;,  bei  besonderen  Anlässen  ein  i(joj(EtX4{ 
oder  lopxiatov  (i^tpov  zugemessen  worden  wäre. 
Indes  (wohlgemerkt I)  dies  ist  eine  Möglichkeit,  nicht 
meine  Meinung. 

')  Schema  bei  Katterfeld,    Die  griechischen  Me- 
topenbilder  4. 


165 


Fragment  des  Hermaios  in  Heidelberg. 


166 


Abb.  I.     Ausschnitt  der  Delphischen  Rinderraubraetope. 


Künstler  gewohnt  war,  das  Vieh  an  einem 
Hinter-  und  einem  Vorderbein  gebunden 
zu  sehen  '). 

Eine  sichere  Linie  der  gleichen  Farbe  ver- 
läuft 8  cm  weit  zu  verfolgen  am  1.  Bein  des 
zweiten  Mannes,  ansetzend  unterhalb  der 
Kniekehle  und  dann  ungefähr  der  rückwärti- 
gen  Grenze    des  Wadenmuskels    folgend  2). 

')  Wie  nach  Aussage  des  Herrn  Kontoleon  z.  B. 
die  Bauern  in  Arachowaund  anderswo  das  Weidevieh 
koppeln,  während  die  Bauern  in  Kastri  nur  die 
Vorderfüße  zu  koppeln  pflegen.  —  Fesselung  der 
Vorderfüße  auch  bei  dem  einen  Pferd  der  Silber- 
vase von  Nikopol  (CR  1864,  Taf.  H  vgl.  Text  S.  18) 
und  Imhoof-Blumer-Keller,  Tier-  und  Pflanzen- 
bilder auf  Münzen  und  Gemmen  Taf.  II  20.  Vgl. 
auch  V.  Moltke,  Briefe  über  Zustände  und  Begeben- 
heiten in  der  Türkei,  3.  Aufl.,  Berl.  1877,  248/9: 
»Die  Pferde  (der  Araber)  aber  stehen  gefesselt  an 
den  Füßen,  ein  Strick  aus  Ziegenhaar  vereint  mittelst 
zwei  wattierter  Schleifen  den  rechten  Vorder-  und 
Hinterfuß,  und  wird  rückwärts  mittelst  eines  Pflockes 
an  der  Erde  befestigt. 

')  KenntUch  auf  einer  Aufnahme  des  Kunst- 
historischen  Seminars  Marburg   Serie  Griechenland 


Schwerlich    Seilende:  das    würde    lotrecht 

hängen.      Beinschiene  wahrscheinlicher   als 
Muskulaturangabe. 

Marburg.  P.  Jacobsthal. 


FRAGMENT     DES     HERMAIOS     IN 
HEIDELBERG. 

Fragment  Heidelberg  B  62,  aus  Athen, 
Abb.   I. 

Größte  Breite:  5,6  cm,  Länge:  5,8  cm. 

Erhalten  ist  vom  Innenbild  (Durchmesser 
ca.  8  cm)  einer  rotfigurigen  Schale:  Glutäen 
und  rechtes  im  Knie  scharf  abgebogenes 
Bein  eines  nach  links  laufenden  Mannes,  der 
mit  den  Zehen  leicht  und  federnd  auf  dem 
tongrundigen,  das  Bild  einfassenden  Rand- 
streifen steht.  Reiche  in  Relieflinien  aus- 
geführte Innenzeichnung,  bei  der  besonders 
auffallen  das  mit  einem  Doppelstrich  wieder- 


Nr.  200,  auf  der  auch  das  Seil  an  den  Rinderbeinen 
einigermaßen  deutlich  ist. 


i67 


Fragment  des  Hermaios  in  Heidelberg. 


i68 


gegebene  Schienbein,  die  mit  je  zwei  kleinen 
Strichen  angegebenen  Fältchen  über  uhd 
unter  dem  Knie  und  der  durch  zwei  ausein- 
anderstrebende bogenartige  Striche  bezeich- 
nete Übergang  der  inwendigen  Muskelzüge 
vom  Ober- zum  Unterschenkel.  Die  Vorzeich- 
nung ist  noch  deutlich  sichtbar.  Hinter  dem 
Fuße  ein  schräg  im  Schwünge  des  Rundes 
hereinhängender  Gewandzipfel  mit  Blei- 
kügelchen.  Ein  zweiter  hinter  Rücken  und 
Cilutäen  schräg  herabhängend  mit  eigentüm- 
lich schematisch  wiedergegebenem  wellig 
gefälteltem    Rand,    Saum    und   Kügelchen. 


Rund  hineinkomponierten  laufenden  Mannes 
geht  auf  Epiktet  zurück  (vgl.  die  signierte 
Schale  in  Ferrara,  Hoppin,  Handbook  I  307. 
Hier  Abb.  2),  wie  überhaupt  das  rot- 
figurige  Innenbild  von  ihm  eingeführt, 
kompositionell  entwickelt  und  zur  ersten 
Blüte  gebracht  wurde.  Danach  läßt 
sich  die  Darstellung  zu  einem  Komasten 
ergänzen,  der  wie  auf  dem  Fragment  einer 
Panaitios- Schale  im  Louvre  (Abb.  3  nach 
Pottier,  Vases  ant.  du  Louvre  HI  Taf.  112 
G  130)  die  kurze  Chlamys  mit  zwei  Zipfeln 
über  seinen  rechten   Arm   gehängt  hat. 


Abb.   I.     Vasenscherbe  B  62  in  Heidelberg. 


Dahinter  ein  anderer  groß  und  rund  sich 
bauschender  Teil  des  Gewandes.  Links 
Ferse  des  linken  Fußes,  der  ebenso  auf  den 
Randstreifen  aufgesetzt  ist.  Zwischen  bei- 
den Füßen,  von  der  Schalenmitte  aus  zu 
lesen,  die  Aufschrift  ESEN  in  roter  Farbe. 
(Darunter  zum  Rande  hin  einige  Sprünge 
im  Firnis.)  Auf  der  gefirnißten  Außenseite 
keine  Zeichnung.  Der  Fußansatz  ist  weg- 
gebrochen. 

Das  Motiv  des  mit  Hilfe  des  weiterge- 
bildeten   alten    Knielaufschemas')     in    das 

')  Vgl.  Ed.  Schmidt,  Der  Knielauf.     Münchener 
Arch.  Stud.  345  f.,  394  f. 


Die  Zeichnung  ist  sehr  sicher  und  leicht 
in  sehr  feiner,  haardünner  Relieflinie  aus- 
geführt. Der  mit  hart  aufstoßenden  halben 
und  darinliegenden  Viertelbogen  wieder- 
gegebene, demnach  wellenförmig  gefältelte 
Rand  jedoch  bleibt  in  seiner  abkürzenden 
Schematisierung  ohne  seine  entwicklungs- 
mäßige Vorstufe  unverständlich.  Sie  findet 
sich  bei  Euthymides').  Die  erwähnten 
Besonderheiten    der    Innenzeichnung    aber 

')  Vgl.  unterer  Chitonrand  der  Korone  und  herbei- 
eilender Mädchen  auf  der  Thes'eusamphora  Abb. 
Pfuhl,  Malerei  und  Zeichnung  der  Griechen  IIl 
108 — 9. 


lÖQ 


Fragment  des.  Hennaios  in  Heidelberg. 


170 


treten  auch  bei  einigen  Vasen  aus  der  Werk- 
statt des  Kachrylion  auf').  Doch  ist  dort 
die  Zeichnung  organischer,  den  Körper- 
formen auch  im  Schwu-nge  der  kleinsten 
Linie  noch  nachgehend  und  überhaupt  be- 
weghchcr  (was  ebenso  an  dem  Randge- 
fältel   des    Gewandes    deuthch   wird). 

Die  Zuweisung  führt  auf  Grund  dieser 
Einzelheiten  und  Eigenheiten  der  Zeichnung 
vollkommen  sicher  zu  dem  .Maler  der  mit 
HEPMAIOS  [EnOIE-^lEN  gezeichneten  Schale 


dem  Bleikügelchen  kehrt  am  Gewandzipfel 
vor  dem  linken  Knie  wieder.  Ebenso  wird 
die  Zuweisung  gesichert  durch  die  beiden 
Stücken  eigentümliche  Sprödigkeit  der  For- 
men (Wade,  Einbiegung  der  Kniekehle, 
Glutäeni). 

Die  Schale  des  Britischen  Museums  ist 
augenscheinlich  älter  als  das  vorliegende 
Fragment.  Das  zeigt  die  im  Vergleich  zu 
diesem  hilflosere  und  noch  unsichere  Zeich- 
nung, die  bis  zum  Hölzernen  und   Starren 


Abb.  2. 


Innenbild  der  Schale  des  Epiktet 
in  Ferrara. 


Abb.  3. 


Fragment  einer  Panaitiosschale 
im  Louvre. 


im  Britischen  Museum  (Abb.  4  nach  Hoppin 
II  17).  Auch  bei  dem  Hermes  dieses  Innen- 
bildes ist  das  von  innen  gesehene  Schienbein 
mit  einem  solchen  Doppelstrich,  die  Falten 
um  das  Knie  ebenso  mit  zwei  kleinen  (hier 
etwas  größeren,  in  ihrer  geraden  Führung 
unbeholfeneren)  und  der  Übergang  zu  Knie 
und  Unterschenkel  wiederum  mit  den  bogen - 
artig  ausgespreiteten  Strichen  angegeben. 
Evident  dieselbe  Hand  zeigt  aber  das  Gefältel 
des  Gewandrandes,  das  in  dieser  Abbreviatur 
der  Wiedergabe  einzigartig  und  nur  einer 
einzigen  Hand  möglich  ist.  Auch  der  kleine 
Zug  des  deutlich  angegebenen  Saumes  mit 

')  Vgl.  signierte  Schale  in  Berlin,  Abb.  Hoppin  I 
149,  ebenso  in   Cambridge,   Hoppin    I  151. 


gehende  Sprödigkeit  der  Formen,  der  wenig 
sichere  Stand  der  ganzen  Figur  im  Vergleich 
zu  dem  sicheren  und  elastischen  Aufsetzen 
des  rechten  Fußes  auf  dem  Fragment,  dessen 
leicht  zu  erschließende,  spannungs-  und  be- 
ziehungsreiche Komposition  in  das  Rund 
es  in  die  Mitte  stellt  zwischen  der  epikte- 
tischen  Schale  und  dem  Fragment  im  Louvre. 
Damit  ist  ein  Anhalt  für  die  Datierung 
gegeben.  Einen  weiteren  gewinnen  wir  für 
die  Zeit,  in  der  der  Töpfer  Hermaios  tätig 
war,  durch  seine  signierte  Schale  zu  Peters- 
burg'). Diese  hat  schon  Beazley')  mit  Recht 

■)  Abb.  Hoppin  H  18. 

')  Beaziey,   Att.   Redfig.  Vases  in  Am.  Mus.    14: 
»Closely  akin  and   perhaps  by  the  same  band.« 


171 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


172 


Abb.  4.    Innenbild  der  Hermaiosschale  im  Brit.  Museum. 


dem  Maler  der  Chelisschale  in  München') 
zuzuteilen  versucht,  die  gleichzeitig  mit  der 
reifen  epiktetischen  Schale  im  Britischen 
Museum ')  anzusetzen  ist  auf  Grund  des 
im  wesentlichen  übereinstimmenden  Pal- 
mettenornaments,  das  die  Veränderungen 
der  fortschreitenden  allgemeinen  Entwick- 
lung ja  durchweg  am  empfindlichsten  re- 
gistriert. Im  Verein  damit  spricht  auch  die 
oben  festgestellte  Vorläuferschaft  des  Eu- 
thymides  und  Kachrylion  für  die  Datierung 
des  Fragmentes  in  die  letzten  Jahre  des 
VI.  Jahrhunderts.  Für  eine  späte  zeit- 
liche Ansetzung  spricht  die  Tatsache,  daß 
es  nicht  nur  aus  einer  geringeren  Werkstatt 
(wie  die  drei  anderen  bei  Hoppin,  Hand- 
book angeführten  signierten  Schalen  zeigen), 
sondern  auch  von  einem  Maler  stammt, 
dessen  Formen  der  zeichnerischen  Dar- 
stellung in  einem  feinen  Manierismus  liegen. 
Heidelberg.  W.   Kraiker. 


')  Abb.  Hoppin  I  185;  Furtw.  -  Reichh., 
Griech.    Vasenmalerei    Taf.  43. 

')  Abb.  Hoppin  H  313;  Furtw.-Reichh.  a.  a.  O. 
Tafel  73. 


DIE    NEUESTE    ARCHÄOLOGISCHE 
TÄTIGKEIT  IN  SPANIEN. 

Seit  191 5  hat  sich  in  Spanien  eine  außer- 
ordentlich rege  archäologische  Tätigkeit  ent- 
wickelt, die  nicht  nur  Privatunternehmun- 
gen zählt,  wie  es  früher  üblich  war  (Aus- 
grabungen Schulten  in  und  um  Numantia, 
Ausgrabungen  des  Marques  de  Cerralbo  in 
den  keltischen  castilischen  Nekropolen, 
Forschungen  P.  Paris,  Albertini,  Engel, 
Siret,  Bonsor  in  den  iberischen  Städten), 
sondern  die  Frucht  festorganisierter  Unter- 
nehmungen von  wissenschaftlichen  Insti- 
tuten oder  vom  Staate  selbst  ist.  Schon 
früher  hatte  der  Staat  für  Numantia  eine 
Forschungskommission  unter  der  Leitung  von 
Prof.  J.  R.  M61ida  ernannt,  welche  die  Aus- 
grabungen ven  Prof.  Schulten  in  Numantia 
fortsetzen  sollte.  Auch  in  Catalonien  hatte 
das  Museum  unter  der  Leitung  von  J. 
Puig  i  Cadafalch,  Architekt  u.  Präsident  des 
Instituts  d'EstudisCatalans,  die  methodische 
Ausgrabung  der  griechischen  Kolonie  Em- 
porion veranstaltet,  bei  welcher  er  durch 
die   Mitarbeit   von   Prof.   M.   Cazurro,   dem 


173 


Die  neueste  archäolog-ische  Tätigkeit  in  Spanien, 


174 


ehemaligen  Direktor  in  Gerona,  und  von 
E.  Gandia,  dem  Konservator  am  Museum 
zu  Barcelona,  unterstützt  wurde.  Sonst 
hatte  das  Institut  d'  Estudis  Catalans  in 
Barcelona  einige  prähistorische  Ausgrabun- 
gen veranstaltet. 

Im  Jahre  1915  beginnt  die  Tätigkeit  der 
Junta  Superior  de  Excavaciones  y  Antigüe- 
dades,  einer  staatlichen  Einrichtung  zur 
Unterstützung  des  im  Jahre  191 1  eingebrach- 
ten Gesetzes  zum  Schutz  der  Altertümer 
und  zur  Kontrolle  der  Ausgrabungen.  Die 
Junta  de  Excavaciones  hat  seitdem  eine 
große  Anzahl  von  archäologischen  Unter- 
nehmungen in  iberischen  und  römischen 
Plätzen  veranstaltet  (im  Heiligtum  von  Des 
Peiiaperros,  M6rida,  Itdlica  und  a.  m.)  und 
in  ihren  Berichten  (Memorias)  ein  ständiges 
Organ  für  die  Veröffentlichung  nicht  nur 
der  Ausgrabungen  der  Junta  selbst,  sondern 
auch  vieler  Privatforscher  gebildet.  Auch 
sind  den  Memorias  die  vorläufigen  Be- 
richte der  Numantia-Erforschung  einverleibt 
worden.  Das  Verdienst,  die  wissenschaft- 
liche Arbeit  der  Junta  organisiert  zu  haben, 
gebührt  besonders  den  Herren  Marques  de 
Cerralbo,  Professor  Gömez-Moreno,  Herzog 
von  Alba,  Dr.  F.  Alvarez-Ossorio.  Die 
wichtigsten  Ausgrabungen  der  Junta  sind 
unter  andern  von  Professor  Melida,  Dr.  B. 
Taracena,  J.  Cabre,  J.  Scrra  Vilarö  geleitet 
worden. 

Neben  der  Junta  de  Excavaciones  hat 
der  Staat  eine  Comisiön  de  Investigacio- 
nes  paleontolögicas  y  prehistöricas  gegrün- 
det, die  sich  besonders  der  Erforschung  der 
ältesten  Perioden  der  Vorgeschichte  gewid- 
met hat.  Unter  dem  Vorsitz  des  Marques  de 
Cerralbo  und  der  Leitung  von  Professor 
Herndndez -Pachcco  zählte  sie  als  Mit- 
arbeiter besonders  Professor  H.  Obermaier, 
Graf  Vega  del  Sella,  P.  Wernert  und  J. 
Cabr6. 

Das  Institut  d'Estudis  Catalans  in  Barce- 
lona hat  im  Jahre  191 5  einen  ständigen 
Ausgrabungsdienst  für  Katalonien  unter  der 
Leitung  von  Professor  P.  Bosch -Gimpera 
organisiert  (Servei  d'Investigacions  arqueo- 
lögiques  del  Institut  d'  E.  C).  Das  Ver- 
dienst der  Gründung  hat  besonders  der 
Vorsitzende  des  Instituts  J.  Puig  i  Cada- 
falch.     Auch  auf  nichtkatalonisches  Gebiet 

Ar(*häo!of  isrher  Anzeiger  1921/24. 


wie  Aragonien,  Valencia  und  Mallorca  hat 
sich  der  Ausgrabungsdienst  erstreckt.  Als 
ständige  Mitarbeiter  waren  die  Herren 
Colominas,  Duran,  Pallarfe,  Pericot  und 
Serra-Räfols   beim  Ausgrabungsdienst  tätig. 

Sonst  wären,  von  reinen  Privatunterneh- 
mungen abgesehen,  die  besonders  auf  das 
Gebiet  der  Prähistorie  sich  erstreckende  Tä- 
tigkeit der  Museen  Solsona  und  Vieh  in 
Catalonien  unter  der  respektiven  Leitung 
von  J.  Serra-Vilaro  und  J.  Gudiol  so- 
wie die  der  Sociedad  de  Estudios  Vascos, 
geleitet  von  Prof.  T.  de  Aranzadi,  für  das 
Baskenland  zu  nennen. 

Die  Tätigkeit  der  Museen  hat  seit  1915 
außerordentlich  zugenommen.  Das  Museum 
in  Madrid  ist  unter  der  Leitung  von  Pro- 
fessor Melida  und  Dr.  Alvarez-Ossorio 
völlig  neu  geordnet  worden;  viele  Neuer- 
werbungen wurden  ihm  einverleibt.  Das 
gleiche  gilt  für  die  archäologische  Abteilung 
des  Museums  in  Barcelona  (Museu  d'Art  i 
Arqueologia)  unter  der  Leitung  von  Pro- 
fessor Bosch-Gimpera,  wo  die  Funde  des 
Ausgrabungsdienstes  gesammelt  werden.  Als 
neue,  wissenschaftlich  organisierte  Lo- 
kalmuseen sind  in  erster  Reihe  die,  meisten- 
teils prähistorische  Sammlungen  enthalten- 
den, Museen  von  Solsona  und  Vieh  und  das 
Numantia  -  Museum  in  Soria  zu  nennen. 
Wichtiges  prähistorisches  Material  findet 
man  auch  in  folgenden  Museen  und  Privat - 
Sammlungen: 

Zaragoza,  Pamplona,  S.  Sebastian,  Bilbao, 
Orense,  La  Guardia  (Prov.  Pontevedra), 
C'ördoba,  Mairena  del  Alcor  (Prov.  Sevilla, 
Sammlung  Bonsor),  Granada,  Herrerias 
(Prov.  Almeria,  Sammlung  Siret),  Orihucla 
(Prov.  Alicante),  Yecla  (Prov.  Albacete) 
und  in  Madrid  im  Museo  de  Ciencias  Natu- 
rales und  Museo  Antropolögico.  Wichtige 
römische  Materialien  werden  außer  in  Ma- 
drid (Museo  Arqueolögico)  und  Barcelona 
(Museu  d'Art  i  Arqueologia  und  Museo  Ar- 
queolögico Provincial)  in  den  Museen  Tarra- 
gona  (Funde  aus  der  Stadt),  Sevilla  (Fun- 
de aus  Italica  im  Museo  Provincial  und  in 
der  Sammlung  der  Marquesa  de  Lebrija) 
aufbewahrt. 

Die  reichen  Funde  von  Merida  werden 
in  dem  noch  nicht  eingerichteten  Museum 
der  Stadt  untergebracht.   Die  Funde  aus  der 


175 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


176 


griechischen  Kolonie  Emporion  befinden  sich 
in  den  Museen  in  Barcelona  und  Gerona  und 
in  der  Sammlung  Cazurro  (Barcelona),  die 
aus  der  phönikischen  Nekropole  von  Cadiz 
in  dem  dortigen  Museum.  Ferner  besitzt  das 
Museo  Arqueolögico  in  Madrid  den  phöni- 
kischen Schatzfund  von  La  Aliseda  (Caceres). 
Die  karthagischen  Funde  aus  Ibiza  befin- 
den sich  in  dem  Museo  Arqueolögico  in  Ma- 
drid, im  Museum  von  Barcelona  (Museu  d* 
Art  i  Arqueologia)  und  dem  Museum  von 
Ibiza. 

Der  laufenden  Information  über  die  archäo  - 
logische  Tätigkeit  Spaniens  dienen  beson- 
ders folgende  Veröffentlichungen: 

Memorias  de  la  Junta  Superior  de  Exca- 
vaciones  y  Antigüedades  (seit  1916),  Anuari 
del  Institut  d'Estudis  Catalans  (seit  1907)  und 
hauptsächlich  für  die  Prähistorie  die  Memo- 
rias delaComisiön  de  Investigacion es  Paleon - 
tologicas  y  Prehistöricas  (seit  1914),  Actas  y 
Memorias  de  la  Sociedad  espanola  de  An- 
tropologia,  Etnografia  y  Prehistoria,  Madrid 
(seit  1922),  Butlleti  de  laAssociaciö  Catalana 
d'Antropologia,  Etnologia  i  Prehistoria, 
Barcelona  (seit  1923),  wo  eine  vollständige 
Literatur  erscheinen  soll,  auch  die  nicht 
prähistorische  Perioden  des  Altertums  be- 
treffend. 

Die  folgende  Darstellung  bezieht  sich 
auf  das  Gebiet  der  sogenannten  iberischen 
Kultur  und  Verwandtes.  Eine  Übersicht 
über  den  jetzigen  Stand  der  Forschung  für 
die  vorhergehenden  Perioden  findet  man: 
Prähistorische  Zeitschrift  XIII  bis  XIV 
1921/22,  I77ff.  (Obermaier,  Paläolithikum 
und  steinzeitliche  Felsenkunst  in  Spanien), 
XV  1923,  81  ff.  (Bosch,  Die  Vorgeschichte 
der  iberischen  Halbinsel  seit  dem  Neoli- 
thikum). 

DER      GEGENWÄRTIGE      STAND     UNSERER 
KENNTNIS  DER  IBERISCHEN  KULTUR. 

I.  Die  einzelnen  Gruppen  der  iberi- 
schen Kultur  und  die  benachbarten 
Kulturen. 
In  den  letzten  Jahren  hat  die  Erforschung 
der  iberischen  Kultur  bemerkenswerte 
Fortschritte  gemacht.  Die  Funde  haben  sich 
nicht  nur  sehr  vermehrt,  sondern  sie  sind 
so  beschafl'en,  daß  sie  den  Problemen  der 
Chronologie  und  der  Systematisierung,  wie 


man  sie,  den  jetzigen  Kenntnissen  nach, 
in  besagter  Kultur  aufstellt,  eine  feste  Basis 
geben. 

Man  hat  außerdem  eine  interessante  Tat- 
sache beobachtet:  Die  archäologische  For- 
schung, die  unabhängig  von  den  historischen 
Texten  arbeitet,  ist  zu  Resultaten  gekom- 
men, die  in  den  Hauptzügen  mit  denjenigen 
übereinstimmen,  die  man  durch  das  Stu- 
dium der  literarischen  Quellen  erhalten  hat. 
Dieser  Umstand  läßt  die  Punkte,  in  denen 
sich  beide  Methoden  treffen,  so  gesichert 
erscheinen,  daß  man  diese  wohl  als  definitiv 
gelöst  betrachten  darf. 

Schon  1915  glaubte  man  die  iberischen 
Funde  nach  geographischen  Gesichtspunk- 
ten') gruppieren  zu  können,  um  auf  diese 
Weise  lokale  Evolutionen  der  iberischen 
Kunst  und  mögliche  Beziehungen  der  ein- 
zelnen Gruppen  untereinander  aufzudecken. 
Die  bemalte  Keramik  gab  für  diese  Gruppen 
die  Basis.  Heute  muß  man  noch  die 
übrigen  Materialien  den  durch  die  Kera- 
mik gefundenen  Gruppen  einfügen  und  die 
Existenz  neuer  Gruppen  anerkennen. 

Schon  damals  begann  man  die  äußersten 
Daten  für  jede  lokale  Evolution  aufzu- 
stellen und  die  Aufmerksamkeit  darauf  zu 
richten,  daß  griechische  Keramik  in  ibe- 
rischen Stationen  vorkam,  und  andererseits 
iberische  Keramik  in  den  verschiedenen 
Schichten  von  Emporion  auftrat.  Letzterer 
Umstand  gab  vor  allem  ein  sicheres  Ver- 
gleichsmoment und  einen  festen  Anhalts- 
punkt für  die  iberische  Evolution. 

Nachdem  die  Methode  einmal  feststand, 
zeigte  sie  sich  ergiebig  in  den  Resultaten.  Der 
Weg,  der  zur  Lösung  der  mit  der  iberischen 
Kultur  zusammenhängenden  Probleme 
führt,  scheint  nun  klar  vorgezeichnet. 

Die  letzten  Funde  *)  haben  das  Material 
vermehrt  und  die  Existenz  der  vorher  auf- 
gestellten Regionalgruppen,  nämlich:  i.  An- 
dalusien; 2.  der  Südosten;  3.  die  Küste  von 


")  Vgl.  Bosch,  El  problema  de  la  ceramica  ib^rica 
(Memorias  de  la  Comisidn  de  Investigaciones  pa- 
leontolögicas  y  prehistöricas,  Madrid  1915). 

')  Vgl.  die  Bibliographie  bis  1920  bei  Bosch, 
La  Arqueologia  Pre-Romana  hispänica  (Appendix 
zu  der  Übersetzung  von  Hispania  von  Schulten, 
Barcelona  »La  Acadimica«  1920)  und  Bosch,  Pre- 
historia Catalana  (Enciclopedia  Catalana,  Barce- 
lona 19:9). 


177 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


1/8 


Valencia  und  Katalonien  mit  dem  Süden  von 
Frankreich;  4.  das  Ebrogebiet;  5.  die  Mitte 
Spaniens,  bestätigt.  Sie  haben  auch  die  Be- 
ziehungen der  Gruppen  untereinander  prä- 
zisiert und  die  Existenz  einer  neuen 
Gruppe  in  Portugal  aufgedeckt.  Mit  den 
Forschungen  im  Heiligtum  vom  CoUado 
de  los  Jardines  in  Despefiaperros  und  der 
Nekropole  von  Galera  in  Andalusien  durch 
Cabr4  Calvo  und  Motos  und  denen  des 
Instituts  d'Estudis  Catalans  im  Ebrogebiet 
und  Katalonien  durch  Bosch,  Colominas, 
Durän,  Serra-Räfols  ist  die  1915  aufgestellte 
Chronologie  (die  sich  besonders  auf  die  von 
denvonPuigi  Cadafalch,  Cazurro  und  Gandia 
bei  den  Ausgrabungen  von  Emporion  und 
ganz  besonders  bei  dem  Studium  der  Schich- 
tenbildung erhaltenen  Resultate  stützte, 
die  mit  den  Daten  der  französischen 
Stationen,  wie  sie  zuletzt  Herr  Mouret  in 
Ensörune  erhielt,  übereinstimmten)  vollauf 
bestätigt  worden.  Die  Forschungen  des 
Verfassers  in  den  iberischen  Ortschaften  von 
Niederaragon  haben  sehr  deutlich  gezeigt, 
daß  die  iberische  Kultur  vom  5.  Jahrhun- 
dert ab  sich  entwickelt  und  bis  zur  Roma- 
nisierung  dauert.  Man  könnte  an  eine  neue 
chronologische  Unterteilung  denken,  be- 
sonders für  das  Ebrogebiet  und  Katalonien 
aber  auch  teilweise  für  die  anderen  Gebiete. 
Andrerseits  erscheint  der  wesentliche 
Unterschied,  der  schon  191 5  zwischen  der 
iberischen  Küstenkultur  und  der  des  Innern, 
die  man  vor  der  Entwicklung  der  iberischen 
Kultur  von  Numancia')  in  Kastilien  als 
keltisch  bezeichnen  muß,  hervortrat,  heut 
endgültig  festgelegt^),  und  damit  scheint 
das  chronologische  Problem  des  Beginnes 
der  numantinischen  Zivilisation  in  dem 
Sinne  gelöst,  daß  diese  nicht  das  3.  Jahr- 
hundert überschreite.  Daraus  ergibt  sich, 
wie  wir  schon  1915  vermuteten,  daß  die 
iberische   Kultur  um  so  älter  erscheint,   je 

')  Man  vergleiche  die  genannte  Arbeit  über  die 
iberische  Keramik  und  die  Berichte  über  die  Ar- 
beiten des  Marques  von  Cerralbo,  D^chelette  und 
Sandars  in  dem  Anuari  de  l'Institut  d'Estudis  Cata- 
lans V    1913—15,    940 — 952     und     besonders    943. 

2)  Bosch,  Los  Celtas  y  la  civilizaci6n  c^ltica  en 
la  peninsula  ib^rica  (abgedruckt  im  Boletin  de  la 
Sociedad  Espanola  de  Excursiones  1921,  letztes 
Vierteljahrsheft);  Deutsches  Resum^:  Die  Kelten 
und  die  keltische  Kultur  in  Spanien  (Mannusbiblio- 
thek,  Nr.  22,  53  ff.). 


mehr  sie  sich  der  Küste  des  Südostens  und 
Südens  von  Spanien  nähert.  Auf  dieseWeise 
ist  man  zu  ähnlichen  Resultaten  gelangt  wie 
Professor  Schulten  ■)  durch  das  Studium  der 
Texte.  Er  beobachtete  den  Unterschied  zwi- 
schen den  Iberern  der  Küste  und  den  Kelten 
des  Innern  auf  Grund  der  Quellen  vom  6.  bis 
3.  Jahrhundert  und  ebenso  die  Existenz  von 
iberischen  Stämmen  im  Innern  erst  vom 
3.  Jahrhundert  ab.  Er  schloß  aus  allem 
diesen  auf  eine  Bewegung  der  Iberer  nach 
dem  Innern  zu,  die  sie  schließlich  im  3.  Jahr- 
hundert zu  Herren  des  größten  Teiles  der 
Halbinsel  macht. 

A.     Die    Kultur     des    Südostens    und 
Andalusiens. 

Man  erkennt  jeden  Tag  deutlicher,  daß 
von  den  regionalen  Gruppen  der  iberischen 
Kultur  die  des  Südostens  und  Verwandtes 
und  die  von  Andalusien  die  blühendsten 
sind.     Man  kann  schon  eine  geographische' 


')  Schulten:  Numantia,  Begebnisse  der  Ausgra- 
grabungen  I,  Die  Keltiberer  und  ihre  Kriege  mit 
Rom  (München,  Bruckmann  1914).  In  Betracht 
kommt  besonders  der  I.  Teil  von  Schultens  Hispania 
(Pauly  Wissowas  Realencyclopädie ;  spanische  Über- 
setzung in  La  Acadömica,  Barcelona  1920,  mit  Be- 
richtigungen). Man  vergleiche  auch  die  andern 
Schriften  von  Schulten  über  den  alten  Peri- 
plus  (Fontes  Hispaniae  antiquae,  veröffentlicht 
von  Schulten  -  Bosch,  Barcelona  -  Berlin  1922), 
und  Tartessos  (Hamburg,  Friedrichsen  1922). 
Die  archäologischen  Resultate  sind  von  Bosch 
zusammengefaßt  worden  in:  La  arqueologia 
prcromana  hispanica,  Barcelona  1920;  Bosch,  Los 
Celtas  usw.,  Bosch,  L'estat  actual  de  la  investi- 
gacio  de  la  cultura  iberica  (Anuari  del  Institut 
d'Estudis  Catalans  VI  1915—20,  671  ff.)  (das  We- 
sentliche dieser  Arbeit  wird  hier  wiedergegeben). 
Bosch,  Ensayo  de  ima  reconstruccion  de  la  etno- 
logia  prchistorica  de  la  peninsula  iberica  (Boletin 
de  la  Biblioteca  Menendez  y  Pelayo,  Satander  1922). 
Bosch,  Assaig  de  reconstitucio  de  la  etnologia  de 
Catalunya  (Discurso  de  la  R,  Academia  de  Buenas 
Letras  de  Barcelona  1922).  Für  die  verschiedenen  Re- 
gionen vergleiche  man  die  folgenden  Arbeiten:  Bosch, 
Prehistoria  Catalana  (Barcelona  1919).  Bosch,  L'estat 
actual  del  coneixement  de  la  civilitzaciö  iberica  del 
Regne  de  Valencia  (Anuari  Inst.  E.  C.  VI  1915-20, 
624  ff.).  Bosch,  Eis  proplemes  arqueolögics  de  la 
provincia  de  Castello  (abgedruckt  im  Boletin  de  la 
Sociedad  Castellonense  de  Cultura  1924).  Bosch, 
Les  investigacions  de  la  cultura  iberica  al  Baix  Aragö 
(Anuari  Inst.  E.  C.  1919—20,  641  ff.).  Bosch,  Notes 
de  prehistoria  aragonesa  (BuUeti  de  la  Associaciö 
catalana  d'  Antropologia  etnologia  i  Prehistoria 
I  1923,  15  ff.) 

8» 


179 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


i8o 


Grenzlinie  zwischen  beiden  Gruppen  fest- 
stellen, und  ebenso  wie  zwischen  dem  Süd- 
osten und  seinen  nördlichen  Nachbarn  be- 
stehen zwischen  dem  Südosten  und  Anda- 
lusien Beziehungen  und  Verschiedenheiten. 

a)  Grenzen  und  Beziehungen  der 
Kultur  des  Südostens  und  der  von 
Andalusien.  Die  Gruppe  des  Süd- 
ostens. 

Die  typische  Kultur  des  Südostens  scheint 
sich  nach  Norden  hin  nicht  über  die  Berge 
zu  erstrecken,  die  die  Ebene  von  Valencia  von 
der  von  Alicante  trennen,  in  deren  Grenzlinie 
sich  Denia,  der  Ort  der  alten  Griechenkolonie 
Hemeroscopion,  findet.  Am  Fuß  jener 
Berge,  und  zwar  auf  der  Seite  nach  Alicante 
hin,  finden  sich  die  Orte,  die  durch  die  Ent- 
deckungen der  Löwen  und  Sphingen  von 
Bocairente  und  Agost  ebenso  berühmt 
wurden  wie  durch  Keramik  mit  Vogel-  und 
»Carnassiers« -Darstellungen,  wie  sie  sehr 
häufig  in  Elche  vorkommen.  Diese  Funde 
aber  dringen  anscheinend  nicht  in  die  Ebene 
von  Valencia  vor,  wo  eine  neue  Region  be- 
ginnt, die  zwar  ganz  tief  den  Einfluß  der 
südöstlichen  Kultur  erfahren  hat,  aber  viel 
ärmer  und  wesentlich  anders  erscheint. 

Die  gebirgige  Gegend  zwischen  den  Pro- 
vinzen Valencia  und  Alicante  stellt  ein  inter- 
essantes Problem  dar:  sie  erscheint  in  einer 
Hinsicht  mehr  mit  Valencia  als  mit  Ali- 
cante verbunden.  Die  Grenzen  der  südöst- 
lichen Kultur  nach  der  Mitte  von  Spanien, 
d.h.  nach  der  Mancha  und  den  Bergen  der  Pro- 
vinz Cuenca  zu,  sind  noch  schwer  zu  präzi- 
sieren; sicher  ist  nur,  daß  bis  weit  in  die 
Provinz  Albacete  hinein  sich  einer  der 
wichtigsten  Mittelpunkte  jener  Zivilisation 
findet  (Balazote  und  Salobral :  Orte,  in  denen 
der  Stier  und  die  Sphingen  gefunden  wurden, 
Montealegre  mit  dem  Cerro  de  los  Santos 
und  das  Llano  de  la  Consolaciön  etc.).  Nach 
.Süden  endet,  sobald  das  Gebiet  betreten  wird, 
das  von  dem  orographischen  System  der 
Sierra  Nevada  abhängt,  d.  h-  beim  Verlassen 
des  Flußbettes  des  Segura  und  beim  Betreten 
des  Flußbettes  des  Almanzora  in  der  Provinz 
Almeria,  die  Kultur  des  Südostens,  und 
die  von  Andalusien  beginnt.  Das  ist  bei 
Villaricos  der  Fall,  das  trotz  eines  Keramik- 
fundes mit  der  Vogeldekoration  von  Elche 
doch  völlig  zur  andalusischen  Kultur  gehört. 


b)  Andalusien.  Dieses  scheint  schon 
in  dem  Berggebiet  des  Flußbettes  vom  obe- 
ren Guadalquivir  anzufangen,  in  dem  Teil 
der  das  Flußbett  des  oberen  Segura  berührt 
(Castellar  de  Santisteban);  die  Nordgrenze 
folgt  der  Sierra  Morena,  aber  die  Orte,  die 
man  bisher  kennt,  entfernen  sich  nicht  von 
den  Abhängen  zum  Flußbett  des  Guadal- 
quivir (das  Heiligtum  von  Despeftaperros  in 
Santa  Elena).  Das  ganze  Flußtal  des 
Guadalquivir  gehört  völlig  zu  der  iberisch- 
andalusischen  Kultur  (Osuna,  Carmona, 
Niebla);  die  Grenze  nach  Nordwesten, 
d.  h.  nach  dem  östlichen  Teil  der  Sierra 
Morena  (die  Berge  von  Cordoba,  Huelva 
und  Algarve),  läßt  sich  aber  noch  nicht 
genau  festsetzen.  Man  kann  nur  sagen, 
daß  eine  Einfuhr  oder  ein  Einfluß  von  anda- 
lusischen Typen  in  Portugal  ')  sehr  stark 
gewesen  ist  (die  Funde  von  Faro  in  Algarve, 
von  der  Nekropole,  von  Alcacer  do  Sal  und 
von  den  »Castros«  von  Santa  Olalla  und 
anderen).  Trotzdem  erscheinen  von  Algarve 
an  andere  nicht-iberische  Zivilisationen. 

c)       Beziehungen     und     Verschieden- 
heiten  zwischen    dem    Südosten    und 
Andalusien. 

Von  den  beiden  Kulturen,  der  südöst- 
lichen und  der  andalusischen,  steht  un- 
zweifelhaft fest,  daß  die  erstere  einen  höheren 
Grad  erreichte;  die  größere  Vollendung 
und  Mannigfaltigkeit  der  Typen  in  den 
Stein-  und  Bronzesklupturen  beweist  dies, 
wie  auch  der  größere  Reichtum  in  den  Typen 
der  Keramik.  Man"  sieht  dies  deutlich, 
wenn  man  die  Steinskulpturcn  des  Süd- 
ostens, d.  h.  die  Dame  von  Elche,  die  Fi- 
guren des  Cerro  de  los  Santos,  den  Krieger 
von  Elche,  die  Sphingen  von  Salobral  und 
von  Agost,  die  Tiere  und  Löwen  von  Bala- 
zote und  von  Bocairente,  mit  denen  von 
Andalusien  vergleicht,  z.  B.  den  Reliefs 
von  Osuna,  den  Löwen  von  Baena  und  Cor- 
doba, den  Sphingen  von  Villacarrillo,  dem 
Relief  von  Alcalä  la  Real.  Gerade  so  zeigen 
die  Bronzen  des  Ortes  la  Luz  bei  San  An- 
tonio el  Pobre  in  Marcia,  der  vielleicht  ein 
Sanktuarium  darstellt,  eine  vorgeschritte- 
nere Kunst  als  die  Statuetten  der  anda- 
lusischen   Sanktuarien    von    Despefiaperros 

')  Vgl.  Bosch,  Los  Celtas. 


i8i 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


182 


und  Castellar  de  Santisteban.  Bei  der  Kera- 
mik herrscht  in  Andalusien  ausschließlich 
die  geometrische  Dekoration,  während  der 
Südosten  einen  großen  Reichtum  an  Tier- 
motiven (die  Vögel  und  die  Carnassiers 
von  Elche  und  Archena),  an  Pflanzen - 
mustern  (Epheublätter,  stilisierte  Blumen 
und  Palmetten)  und  geometrischen  Mustern 
(Spiralen  und  anderen  Motiven,  die  häufig 
mit  Blumenmotiven  kombiniert  sind)  auf- 
weist; bei  den  geometrischen  Mustern  haben 
die  Wellenlinien  und  die  konzentrischen 
Kreise,  die  in  Andalusien  das  typische  und 
beinahe  einzige  Muster  sind,  kaum  IBedeutung. 
Es  ist  möglich,  daß  diese  Beziehungen  und 
gleichzeitigen  Verschiedenheiten,  die  die 
Überlegenheit  der  südöstlichen  Gruppe  be- 
weisen, sich  auch  in  der  Architektur  spie- 
geln. Diese  ist  zwar  im  Südosten  noch  sehr 
unvollkommen  bekannt,  aber  sie  bietet  doch 
eine  Fülle  von  monumentalen  Resten,  be- 
sonders von  Kapitalen,  die  in  so  großen 
Mengen  nicht  in  Andalusien  auftreten,  wo 
die  Reste  von  Schmuckarchitektur  (Osuna) 
ärmer  sind. 

d)  Mögliche    Untergruppen     im    Süd- 
osten. 

Vielleicht  besteht  die  Möglichkeit,  innerhalb 
der  südöstlichen  Gruppe  eine  gewisse  Ver- 
schiedenheit zwischen  dem  Teil  an  der  Küste 
(Elche  und  Archena  oder  den  südlichsten 
und  östlichsten  Teilen  der  Sierras  von  Sa- 
linas,  la  Pila,  las  Cabras  und  von  Tarbella) 
und  dem  Teil  des  Innern,  der  geographisch 
mit  der  Mancha  zusammenhängt,  und  dem 
südlichen  Teil  der  kastilischen  Randgebirge 
(die  Gruppe  des  Cerro  de  los  .Santos,  Meca 
etc.)  zu  konstatieren.  Der  Unterschied  tritt 
besonders  in  der  Keramik  hervor,  wo  man 
in  Elche  und  Archena  eine  Fülle  von  Tier- 
motiven findet,  die  sich  elegant  mit  pflanz- 
lichen Stilisierungen  und  Spiralen  ver- 
binden, während  die  vorige  Gruppe  aus- 
schließlich geometrische  und  vegetabile  Mo- 
tive aufweist,  die  weniger  elegant  und  mit 
gewisser  Unabhängigkeit  entwickelt  sind. 
Man  muß  schließlich  in  der  Skulptur  eine 
größere  Vollendung  der  Dame  von  Elche, 
der  Statue  des  Kriegers  von  Elche,  der 
Sphingen  von  Agost  und  der  Bronzen  von 
Murcia  anerkennen,  gegenüber  den  Figuren 


des  Cerro  de  los  Santos,  dem  Stier  von  Ba- 
lazote  und  den  wenigen  Bronzen,  die  man 
aus  demselben  Cerro  kennt,  und  die  schon 
sehr  denen  von  Andalusien  gleichen. 

e)  Die    neuen    Funde    des    Südostens. 

Die  Kenntnis  des  Materials  hat  sich  in 
den  letzten  Jahren  sehr  vermehrt. 

Der  Cerro  de  los  Santos  und  die 
Nekropolis  von  Montealegre  und 
Meca.  Herr  Zuazo  y  Palacios  hat  aufs 
neue  die  Skulpturen  des  Cerro  de  los  San- 
tos studiert,  er  will  die  Echtheit  von  einigen, 
die  man  als  falsch  bezeichnete,  beweisen 
und  besonders  darlegen,  daß  viele,  die  man 
mit  denen  des  Cerro  zusammengebracht 
hat,  aus  dem  Llano  de  la  Consolaciön  kom- 
men, das  anscheinend  ein  ähnliches  Sanktu- 
arium enthielt. 

Herr  Zuazo  erforschte  auch  eine  Nekro- 
pole  in  Montealegre  bei  den  erwähnten  Sank- 
tuarien, ohne  daß  aber  die  Art  der  Gräber 
von  ihm  genau  angegeben  wird,  in  denen  er 
Urnen  gefunden  zu  haben  scheint,  die  ein- 
geäscherte Knochen  enthielten.  Die  frag- 
lichen Urnen  waren  mit  Tontellern  geschlos- 
sen und  mit  einfachen  gemalten  Streifen 
geschmückt.  Zu  diesen  Gräbern  gehört  auch 
das    Stück    einer    »falcata«    (Krummsäbel). 

Andrerseits  untersuchte  er  aufs  neue  die 
Station  Meca  ^),  ohne  aber  wesentlich  Neues 
zu  bringen. 

Das  Heiligtum  von  La  Luz  bei 
Murcia.  Zu  dem  bekannten  Material  von 
der  Gruppe  an  der  Küste  ist  heute  eine  Fülle 
von  Bronzen  gekommen,  die  das  Museum 
von  Barcelona  erworben  hat,  und  die  von 
alten  Ausgrabungen  aus  dem  Ort  namens 
la  Luz  nahe  der  Einsiedelei  von  San  An- 
tonio el  Pobre  im  Palmenwald  bei  der  Stadt 
Murcia  stammen,  die  aber  unbekannt  ge- 
blieben waren.  Man  hat  nur  wenig  Posi- 
tives über  die  näheren  Umstände  der  Ent- 
deckung erforschen  können,  man  weiß  nur, 
daß  alle  Bronzen  zusammen  gefunden  wur- 
den, was  auf  ein  Heiligtum  schließen  läßt, 
und  dies  macht  auch  die  Natur  der  Dar- 
stellungen   wahrscheinlich,    die    denen    aus 

')  J.  Zuazo,  La  villa  de  Montealegre  y  su  Cerro 
de  los  Santos  (Madrid  Hijos  de  Gömez  Fuentenebro 

i9>5). 

')  J.  Zuazo,  Contribuciön  al  estudio  Ics  ciudades 
ibericas.  Meca  (Madrid  1916). 


i83 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


184 


Abb.   I.     La  Luj  (Murcia).     Reiter  aus  Bronze 
(etwa  '/»).     Museum  Barcelona. 


Abb.   2.     La   Lui  (Murcia).     Votivstatucttc  aus 
Bronze  (etwa  Vs)-     Mus.  Barcelona. 


den  andalusischen    Sanktuarien  sehr    ähn- 
lich sind. 

Kürzlich  haben  die  Ausgrabungen  von  C.  de 
Mergelina  in  La  Luz  die  Bestimmung  des  Ortes 
als  Heiligtum  bestätigt  und  neue  Bronze - 
funde  hervorgebracht.  Die  Bronzen  zeigen 
Krieger  zu  Pferde  mit  interessanten  Rüs- 
tungsdetails, wie  Krummsäbeln,  Sporen, 
Helmen,  Schilden  etc.,  verschiedene  weibliche 


Abb.  3.     La  Luz  (Murcia).     Votivstatuette    aus 
Bronze  (etwa  Vs).     Mus.  Barcelona. 

Figuren  mit  Mänteln  und  Schmuck,  von 
dem  Typ  der  Figuren  aus  dem  Cerro  de 
los  Santos  und  der  Dame  von  Elche  (eine 
hat  ein  Gefäß  in  der  Hand,  das  sie  wie  eine 
Spende  vorstreckt),  verschiedene  männliche 
Figuren  (darunter  eine  ityphallische),  eine 
nackte  Frauenstatue  von  korrekter  Aus- 
führung und  Form,  eine  Hand,  die  zu  einer 
Figur  von  normalen  Dimensionen  gehört  und 
außerordentlich  gut  ausgeführt  ist. 

Die  Kunst,  die  sich   in  den  Bronzen  aus 
Murcia  zeigt,  ist  im  allgemeinen  die  gleiche 


i85 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


[86 


'  -rsr 


^' 


a  b  c  d  e 

Abb.  4.     La  Luz.     Votivstatuettcn  aus  Bronze  (a  und  d  etwa  '/s!  ^^i  c,  c  etwa  Vs)-     Mus.  Barcelona. 


wie  bei  den  anclalusischen;  in  einigen  Fällen 
würden  wir  sie  für  vollkommener,  reicher 
an  Beobachtung  der  natürlichen  Formen, 
sowie  feiner  in  der  Ausführung  halten 
(Abb.   1—4). 

Die  Serreta  von  Alcoy.  Einen  wich- 
tigen Beitrag  zu  der  Kultur  des  Südostens, 
der  die  Beobachtung  erlaubt,  wie  diese  in 
der  Zone  zwischen  Valencia  und  Alicante  bis 
zum  3.  Jahrhundert  lebt,  bietet  die  Station 
La  Serreta  in  Alcoy  .  Hier  hat  sich  neben 
hellenistischer  Keramik,  solche  vom  Typus 
der  südöstlichen  Kultur  mit  stilisierten 
Pflanzen,  ja  sogar  mit  Reitern  dekoriert  ge- 
funden, alles  jedoch  in  weniger  korrektem 
und  elegantem  Stil  als  bei  der  Keramik  von 
Elche  etc.  Außerdem  fand  man  eine  Blei- 
tafel  •)    mit    iberischen    Schriftzeichen,    die 


")  C.  Visedo,  Excavaciones  en  el  monte  »La 
Screta«  pröximo  a  Alcoy  (Alicante)  (Memorias  de 
la  Junta  Superior  de  Excavaciones  nums.  41, 
1920—21;  45,  1921—22;  56,  1922— 1923).  Auch  R. 
Vicedo,  Historia  de  Alcoy  y  de  su  regiön  (I,  Alcoy, 


allerdings  den  gebräuchlichen  gegenüber 
einige  Varianten  aufweisen.  Auch  ist  diese 
Schrift  als  ionisch  angenommen  worden. 

f)  Die  neuen  F'unde  in  Andalusien. 
Die  neuen  Beiträge  für  die  Kultur  von 
Andalusien  waren  gleichfalls  von  Bedeutung, 
besonders  in  allem,  was  mit  der  Steinplastik 
zusammenhängt.  In  Villacarrillo  (Jaen) 
fand  man  eine  neue  Sphinx  von  dem  Typus 
derer  von  Agost').     Neue  Steinlöwen  vom 

Impr.  El  Serpis  1920 — 1922).  Über  die  Inschrift 
haben  gehandelt  H.  Schuchardt,  Die  Inschrift  von 
Alcoy  (Sitzungsberichte  der  pr.  Akad.  der  Wissen- 
schaften 1922,  Phil.-hist.  Kl.  83  fl.);  M.  Gömez 
Moreno,  De  epigrafia  ib^rica.  El  plomo  de  Alcoy 
(Revista  de  Filologia  espanola  IX  1922,  341  ff.) 
und  H.  Schuchardt's  Besprechung  von  G.  M. 
Schrift  in  Revista  internacional  de  los  estudios 
vascos,  S.  Sebastian  1923.  Eine  Lesung  von 
Schulten  Hegt  vor  S.  170 — 71  der  Historia  de 
Alcoy  II  von  R.  Vicedo.  Während  von  Schuchardt 
die  Schrift  als  iberisch  angeschen  wird,  halten 
Schulten  und  Gomez  Moreno  sie  für  ionisch. 
■)  M61ida,    Musco  Arqucologico  Nacional.      Ad 


i87 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


188 


Typus  Bacna  kamen  bei  Montilla')  zum 
Vorschein.  In  Aicala  la  Real  fand  man 
ein  leider  unvollständiges  Reliefe),  das 
einen  Mann  im  Profil  gesehen  darstellt, 
der  etwas  hält,  das  man  als  Ähre  interpre- 
tiert hat.  Auffallend  ist  an  diesem  Relief  der 
ausgesprochen  griechisch  -  archaische  Ge- 
schmack. 

Das  Heiligtum.  Weitere  interessante 
Funde  sind  die  der  Sanktuarien  von  Castellar 
de  Santisteban  und  Despenaperros.  Das 
Material  des  ersteren,  dessen  größter  Teil, 
d.  h.  alles,  was  Herr  Cabre  besaß,  in  das 
Museum  von  Barcelona  gelangt  ist,  ist  sehr 
gut  von  Herrn  Raymond  Lantier  in  Zu- 
sammenarbeit mit  Herrn  Cabr6  3)  ver- 
öffentlicht worden.  Das  Heiligtum  von 
Despenaperros  war  nur  durch  einige  Bronze- 
funde bekannt,  die  von  Bauern  gemacht 
und  Herrn  Horace  Sandars  gegeben  wurden. 
Die  Junta  Superior  de  Excavaciones  und 
Antigüedades  hat  methodische  Ausgrabun- 
gen veranstaltet,  deren  Arbeiten  Juan 
Cabre  und  Ignacio  Calvo  4)  anvertraut 
wurden. 

Von  dem  ersten  Heligtum,  d.  h.  dem  von 
Castellar,  kennt  man  leider  nicht  die  nähe- 
ren Umstände  der  Auffindung  der  ersten 
Gegenstände,  da  sie  von  den  Landleuten  ge- 
macht wurden,  die  sich  nur  von  dem  Wunsch, 
Schätze  zu  finden,  leiten  ließen.  Man  hat 
nur  klarstellen  können,  daß  sich  die  Gegen- 
stände ganz  unordentlich  bei  einer  Höhle 
fanden,  die  wohl  der  Ort  für  den  Kult  ge- 
wesen  ist. 

In  Despenaperros  scheint  dagegen  keine 
Höhle  bestanden  zu  haben,  sondern  ein  Ge- 
bäude,  von  dem  einige  Reste  existieren,  die 


quisiciones  en  1916  (Revista  de  Archivos,  Biblio- 
tecas  y  Museos  1912  I   num.  3). 

')  Diese  Nachricht  verdanken  wir  Herrn  Jos^  de 
la  Torre,  dem  Archivar  von  Cördoba,  durch  Ver- 
mittlung seines  Bruders  Dr.  Antonio  de  la  Torre, 
Professor  an  der  Universität    Barcelona. 

^)  E.  Romero  de  Torres  464  mit  Abb.  im 
Boletin  de  la  RealAcademia  de  la  Historia  LXVII, 
Madrid  191 5. 

3)  Lantier,  El  santuario  ib^rico  de  Castellar  de 
Santisteban  (Memorias  de  la  Comisiön  de  Investiga- 
ciones  paleontolögicas  y  prehistöricas,  Madrid  1917). 

4)  Calvo-Cabr^,  Excavaciones  en  la  cueva  y 
coUado  de  los  Jardines  (Sta  Elena,  Jaen)  (Memorias 
de  la  Junta  Superior  de  excavaciones  y  antigüedades 
1917 — 1918 — 1919). 


eine  primitive  Konstruktion  verraten,  die 
später  zu  einer  Rekonstruktion  verwandt 
sind.  Die  Schlüsse,  die  man  auf  die  Da- 
tierung .  der  gefundenen  Exvotos  ziehen 
kann,  sind  im  allgemeinen  außer  dem  frag- 
lichen Gebäude,  das  ganz  in  Trümmern 
liegt,  nicht  sehr  klar.  Auf  dem  oberen  Teil 
des  Berges,  wo  man  das  Sanktuarium  fand, 
entdeckte  man  auch  Reste  von  Wohnungen 
von  rechteckiger  Form  und  eine  Mauer, 
die  offenbar  zur  Verteidigung  diente. 
Die  Ausgrabenden  haben  keine  Keramik 
gefunden,  die  im  ganzen  Heiligtum  sehr 
spärlich  auftritt,  im  Gegensatz  zu  Castellar 
de  Santisteban,  aus  dem  schöne  iberische 
Gefäße  stammen,  mit  den  in  Andalusien 
üblichen  geometrischen  Verzierungen  be- 
malt. 

Dafür  erschienen  in  den  erwähnten  Woh- 
nungen von  Despeflaperros  zahlreiche  Reste 
von  Dreifüßen,  die  vermutlich  dazu  dien- 
ten, die  Schmelztiegel  zu  tragen,  in  denen 
die  Exvota  gegossen  wurden.  Man  hat 
aber  ebensowenig  Reste  an  diesen  Tiegeln 
entdecken  können. 

In  der  Nähe  der  fraglichen  Ortschaft, 
zwischen  den  Fundamenten  der  Wände  ver- 
muten die  Herren  Cabre  und  Calvo  die 
Existenz  einer  Nekropolis,  da  sie  in  einer 
Aschenschicht  stark  zerbrochene  Keramik - 
reste,  kleine  Eisenwaffen  und  Exvota, 
wie  die  aus  dem  Sanktuarium,  fanden. 
Wir  wissen  nicht,  ob  man  tatsächlich  an 
die  Existenz  dieser  Nekropolis  glauben  soll. 
Die  Funde  gleichen  sich  in  beiden  Heilig- 
tümern. In  Despenaperros  sind  sie,  obgleich 
man  sie  nicht  genau  datieren  kann,  sehr  inter- 
essant, der  Zahl  und  der  Typen  wegen.  Die 
menschlichen  Votivfigürchen  sind  stark 
stilisiert,  so  daß  einzelne  wie  eine  Nadel  er- 
scheinen, andere  aber  verraten  gute  Kunst 
und  erinnern  an  gewisse  griechisch -archai- 
sche Typen.  Einige  Tierfiguren  kommen 
vor,  ebenso  wie  Exvota  von  Gliedern  (Ar- 
me, Beine,  Hände,  Gebisse,  phalli,  etc.),' 
am  gebräuchlichsten  aber  ist  das  mensch- 
liche Figürchen.  Die  männlichen  Figuren 
stellen  Krieger  zu  Pferde  dar,  die  oft  mit 
falcata  (Krummsäbel),  Lanze  oder  rundem 
Schild  bewaffnet  sind,  nackte  Männer  oft 
ityphallisch  oder  mit  einer  kurzen  Tunika 
bekleidet.      Die   Frauen  gehen   nackt  oder 


i89 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien, 


190 


tragen  einen  großen  Mantel,  der  vom  Kopf 
herabfällt  und  durch  einen  Gegenstand 
gehalten  wird,  der  ihn  in  eine  Spitze  en- 
digen läßt,  sodaß  das  Ganze  eine  Glocken - 
form  ergibt;  er  paßt  sich  aber  auch  der  na- 


türlichen Form  des  Kopfes  an.  Schmuck 
kommt  häufig  vor,  z.  B.  die  Scheiben  an 
den  Ohren  wie  bei  der  Dame  von  Elche  (Abb. 
5,  6).  Die  Exvota  sind  massiv,  in  einer  Form 
gegossen,  oder  auch  aus  Bronzeplättchcn  ge- 


Abb.   5.     Volive   Kriegerstatue Iten  aus  Castellar  de  Santistcban  (Prov.  Jacn).      Bronze  (etwa  S/s)- 

(Mus.   Barcelona.) 


Abb.  6.     Weibliche  Votivstatuetten  aus  Castellar  de  Santisteban  (Prov.  Jaen).     Bronze  (etwa  Vs)- 

Mus.  Barcelona. 


hämmert.  Von  letzterer  Art,  allerdings  aus 
Goldplättchen,  gibt  es  ein  Paar  in  Castellar. 
Unter  den  kleinen  Gegenständen  finden 
sich  in  beiden  Sanktuarien  außerordenlich 
viele  Ringfibeln  und  Latenefibeln,  gewöhn- 
lich aus  der  2.  Periode  stammend.  In  Des- 
peflaperros  hat  man  verschiedene  Gürtel- 
schnallen gefunden  von  dem  Typus,  der  der 
iberischen   Kultur  des   Südens   und   Südos- 


tens anzugehören  scheint,  und  von  dem  man 
andere  Beispiele  aus  Elche  im  Museo  Arqueo- 
lögico  Nacional  kennt,  ebenso  eins  aus  dem 
Grab  von   Salzadclla  in  Castellön').       Aus 

•)  J.  Colorainas,  Eis  enterraments  iberics  dels 
Espleters  a  Salzadella  (Anuari  Inst.  E.  C.  191 5 — 
1920,  617).  Für  die  von  Despefiaperros  vgl.  Calvo- 
Cabre,  Exe.  en  la  cueva  y  collado  de  los  Jardincs 
(Memorias  Junt.  Sup.  Exe.  1918,  memoria  de  la 
campana  de  1917  Taf.  XXVIII). 


ipl 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


192 


Castellar  stammen  einige  ungeschickte  Fi- 
gürchen  aus  gebranntem  Ton,  wahrschein- 
lich iberisch,  und  eine  kleine  sehr  bedeutende 


Abb.  7.     Greif  aus  Castellar  de  Santisteban 
(Prov.   Jacn).     Bronze    (etwa  '/O-     Mus.  Barcelona, 

Bronze,  ein  Greif,  der  griechische  Arbeit, 
und  zwar  archaisch-griechische  Arbeit,  zu 
sein  scheint  (Abb.  7).    Allem  Anschein  nach 


mit  einem  glänzenden  Schwarz  lackiert  sind 
(hellenistische  Art). 

Es  scheint,   daß  beide  Sanktuarien  auch 
noch  während  der  römischen  Zeit  benutzt 


Abb.  8.     Gräbertypen  von  Galera  (Prov.  Granada). 
Nach  Cabrc. 


hat  man  in  Despenaperros  keine  griechische 
Keramik  gefunden.  Dafür  kennt  man  aus 
Castellar  einige  Gefäße  und  Fragmente,  die 


Abb.  9.     Gräbertypen  von  Galera  (Prov.  Granada). 
Nach  Cabri. 


wurden;  aus  dieser  Epoche  stammen  die 
meisten  der  geschnittenen  Steine,  die  man 
gefunden  hat,  und  außerdem  lumpen,  Ke- 
ramik, und  sogar  gebrannter  Ton,  letzterer 
besonders  in  Castellar. 


193 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


194 


Die  Nekropole  von  Galera  ■).  Ein 
anderer  Fund  von  kapitaler  Wichtigkeit, 
besonders  um  unsere  Kenntnisse  über  die 
Datierung  und  die  andalusische  Kultur  zu 
erweitern,  ist  die  Nekropolis  von  Galera, 
die  leider  zum  größten  Teil  ausgeplündert 
wurde.  Von  den  Ausgrabungen  des  Herrn 
Cabre,  der  dorthin  von  der  Junta  Superior 
de  Excavaciones  geschickt  wurde,  nachdem 
an  Ort  und  Stelle  schon  durch  Herrn  Motos- 
Velez  Blanco  und  durch  die  Bauern  Nach- 
forschungen angestellt  worden  waren,  kennen 
wir  folgende  Resultate. 


bemaltem  Stuck.  Die  Keramik  kommt 
hier  in  Fülle  vor,  und  zwar  von  dem  ge- 
bräuchlichen Typus  mit  den  andalusischcn 
geometrischen  Verzierungen.  Es  gibt  außer- 
dem große  eiförmige  Gefäße  mit  reicherem 
Schmuck,  unter  dem  man  auch  Pferde  sieht, 
und  die  nach  Herrn  Cabre  ibero-punisch 
sind.  Leider  genügen  die  veröffentlichten 
Photographien  nicht,  um  sich  ein  Bild  von 
diesen  Gefäßen  zu  machen.  Griechische  Ge- 
fäße sind  reichlich  da,  im  allgemeinen  sind 
es  italische  Kratere  aus  dem  4.  Jahrhundert, 
ebenso  wie   die  ländliche  Keramik  und  die 


Abb. 


10.     Neue  Nekropole  von'Galera  (Prov.  Granada).    Alabasterstatuette  (etwa  '/»)•     Museum   Sirct 
in  Herrerias.     Aufnahme  des  Herrn  G.  Gosse. 


Neben  den  armen'Gräbern,  die  nur  aus 
Steinkisten  bestehen,  die  in  der  Erde  oder 
unter  Steinen  begraben  sind  (Abb.  8)  und  nur 
Urnen  und  einige  kleine  Gegenstände  enthal- 
ten (z.  B.  Fibeln  aus  dem  Ende  der  ersten 
Epoche  von  La  Ttee),  gibt  es  reichere  Grä- 
ber mit  Tumuli,  die  aus  einer  viereckigen 
Kammer  bestehen  und  aus  Gewölben,  deren 
Schlußstein  durch  einen  Pfeiler  gehalten 
wird,  und  einem  Eingangskorridor  (Abb.  9). 
Diese  Gräber  pflegen  reicheres  Material  zu 
enthalten.  Man  findet  oft  an  den  Wänden  der 
Kammer  oder  auf  dem   Boden   Reste  von 


I)  J.  Cabre,  F.  de  Motos,  La  necröpolis  de  Tiitugi 
(Meni.  de  la  Junt.  Sup.  de  Excav.  1920)  und  Cabre, 
Objetos  exöticos  y  de  procedencia  oriental  cn  las 
necröpolis  turdetanas  (Boletin  de  la  Sociedad 
Espanola  de  e.xecursioncs  1920  IV  trimcstre). 


Gegenstände  karthagischer  Einfuhr,'  die  man 
schon  aus  Villaricos  kennt:  kleine  gläserne 
Amphoren,  Amulette,  Karneole  mit  orien- 
talischen Motiven,  Schmuckstücke,  die 
manchmal  granuliert  sind.  Man  findet 
auch  viele  Krummsäbel,  Soliferrea,  Zäume 
für  Pferde,  kleine  weniger  wichtige  Bronzen 
und  außerdem  viele  Kisten  aus  Kalkstein, 
die  oft  als  Graburnen    dienten. 

Ein  bemerkenswerter  Gegenstand,  der  in 
der  allgemeinen  Gruppe  der  Funde  seinen 
besonderen  Platz  einnimmt,  ist  ein  Ala- 
basterstatuettchcn  (Abb.  lo),  etwa  10  cm 
hoch,  eine  Frauenfigur,  die  in  den  Händen 
eine  Schale  hält,  in  der  sie  die  Flüssigkeit  auf- 
fing, die  ihren  Brüsten  entquoll.  Die 
Figur  sitzt  auf  einem  Sitz,  dessen  Armlehnen 
zwei  geflügelte  Sphinge  darstellen.  Herr 
G.    Gosse    erwarb    den    Gegenstand    durch 


'95 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien, 


196 


Kauf  von  einem  Bauern  und  übergab  ihn 
dem  Museum  Siret  in  Herrerias.  Das  Fi- 
gürchen  scheint,  wenn  nicht  selbst  griechi- 
sches Erzeugnis,  zum  mindesten  seiner  Art 
nach  von  der  archischen  griechischen  Pla- 
stik abzuhängen,  die  orientalische  Erinne- 
rungen aufweist.  Leider  kennt  man  die  nähe- 
ren F"undumstände  nicht.  Die  Figur  scheint 
etwas  älter  als  die  Einrichtung  der  Nekro- 
polis,  die  nach  allgemeiner  Regel  dem  4.-3. 
Jahrhundert  v.  Chr.  angehört. 

Bei  besagter  Nekropolis  scheinen  ver- 
schiedene Keramiköfen  existiert  zu  haben. 
Die  Herren  Cabre  u.  Motos  sprechen  von 
Trümmern,  aber  erwähnen  keine  Einzel- 
heit der  Form  oder  Konstruktion. 

Die  Nekropolis  von  Illora').  Teile 
des  Materials  von  einer  Nekropolis  bei 
Illora  sind  in  die  Sammlung  des  Marquis 
von  Cerralbo  gekommen.  Sie  bestehen  außer 
anderen  Dingen  in  einigen  falcatas,  Schwer- 
tern mit  degeneriertem  Hufeisengriff,  Soli- 
ferrea  und  einem  Schwert  mit  breiter  Klinge, 
dessen  Griff  in  einen  Metallring  endet,  der 
sicher  den  Schwertknopf  in  Kugelform  um- 
schloß. 

Die  Nekropole  von  Peal  de  Be- 
cerro.  Das  Museo  Arqueolögico  Nacional 
hat  gleichfalls  seine  Sammlungen  durch 
Funde  aus  Andalusien  vermehrt,  besonders 
durch  zahlreiche  Gefäße,  die  aus  der  Nekro- 
polis von  Peal  de  Becerro  (Provinz  Jaen) 
stammen,  und  von  der  man  schon  einige 
Gefäße  in  den  Sammlungen  Vives  u.  Gö- 
mez  Moreno  in  Madrid  kannte. 

Der  Schatz  von  Mogon»).  Dank  der 
großmütigen  Schenkung  von  Herrn  Sandars 
ist  der  Schatz  von  Mogön  in  das  Museum 
von  Madrid  gelangt.  Zwischen  einem  Stein- 
haufen fand  man  ein  Gefäß,  das  mit  einem 
silbernen  Halsring  (torque)  verschlossen 
war,  und  das  viele  Münzen  und  silberne 
Schmuckstücke  enthielt.  Das  Gefäß  ist 
kreisförmig  mit  einfach  gemalten  Streifen, 
wie  sie   in   der  andalusischen   Keramik  ge- 


')  Artlnano,  Catälogo  de  la  exposiciön  de  hierros 
artisicos  espafioles  (Publ.  de  la  Sociedad  espafiola  de 
Araigos  del  Arte,  Madrid  1920)  Num.  9  (Abb. 
Seite  ())  und  Nunim.  94 — 106  (Abb.   Seite  20). 

')  H.  Sandars,  Joyas  ibero-romanas  halladas  cn 
Mogon  cerca  de  Villacarillo  en  la  provincia  de  Jaen 
(Ja6n  Inipr.,  Murales,  ohne  Datum). 


bräuchlich  sind.  Im  ganzen  waren  es  1258 
Münzen  republikanischer  Zeit.  Unter  den 
Schmucksachen  verdienen  erwähnt  zu  wer- 
den Halsringe  (torques),  Armbänder,  eine 
Platte  aus  vergoldetem  Silber,  die  etwa 
5  cm  breit  und  mit  sehr  fein  ziselierten 
Zeichnungen  von  Blumen  und  Früchten 
dekoriert  ist,  eine  andere  Platte,  die  wahr- 
scheinlich dazu  diente,  die  Scheide  eines 
Dolches  zu  schmücken,  sie  hat  ziselierte 
Vierfüßler  und  Fische,  jedoch  in  viel  grö- 
berer Ausführung  als  bei  dem  vorigen  Stück, 
ein  Medaillon  mit  dem  Haupt  einer  Medusa, 
und  eine  Schnalle,  die  einen  Vogel  mit  ge- 
öffneten Flügeln  darstellt,  die  er  nach  dem 
Bogen  wendet,  der  die  Schnalle  bildet.  In 
der  Nähe  des  Fundortes  gab  es  eine  iberische 
Station  mit  Scheibenkeramik,  die  mit  ein- 
fachen geometrischen  Motiven  bemalt  war. 
Die  Münzen  des  Schatzes  stammen  vom 
Anfang  des  i.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Die 
jüngste  Prägung  ist  die  vom  Jahr  89  v. 
Chr.  Dies  Jahr  kann  man  ungefähr  als  Da- 
tum für  das  Vergraben  des  Schatzes  anneh- 
men. Die  Gegenstände  des  Schatzes  wird 
man  sicher  auch  nicht  viel  früher  datieren 
dürfen,  d.  h.  also  um  das  Ende  des  2.  und 
Anfang  des  i.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Wenn 
man  die  dreieckige  Platte  oder  die  Schnalle 
mit  dem  Vogel  ausnimmt,  so  erscheinen  alle 
Gegenstände  römisch  oder  griechisch-rö- 
misch. Die  beiden  erwähnten  Stücke  sind 
nach  Herrn  Sandars  iberische  Arbeit. 


g)   Mögliche     Untergruppen     in      An- 
dalusien. 

Wie  im  Südosten  darf  man  auch  in  An- 
dalusien mit  geographischen  Untergruppen 
rechnen.  Eine  solche  wäre  in  der  Provinz 
Jaen  (Oberlauf  des  Guadalquivir,  Berg- 
werkdistrikte) zu  suchen.  Nach  den  Heilig- 
tümern von  Despeüaperros  und  Castellar 
und  der  reich  entwickelten  Bronze  und 
Stierplastik  (Sphinx  von  Villacarrillo)  zu 
urteilen  lehnt  sie  sich  an  diejenige  Gruppe 
des  Südosten  an,  die  durch  den  Oberlauf 
des  Seguraflusses  mit  der  Gruppe  von  Ar- 
chena-Elche  im  Südosten  in  Verbindung 
treten  konnte.  Südlich  davon,  durch  den 
Bergknoten  von  La  Sagra  geschieden,  wäre 
eine     andere     Gruppe     in     den     Provinzen 


197 


Die  neueste  archäologische  Täiiglceit  in  Spanien. 


198 


Granada   (Nord-    und   Ostgegend)    und  AI- 
meria  zu  finden,  welche  durch  einen  starken 
karthagischen     Import    (Nekropolen    Villa- 
ricos   in   Almeria   und   Galera   in   Granada, 
mit  Kammergräbern  unter  großen  TumuH) 
bezeichnet  wird.    Die  Gruppe,  die  die  west- 
hchen   Teile   der   Provinz   Granada   umfaßt 
(Nekropolen   Iznalloz  und  Illora,  ohne  kar- 
thagischen    Import     und     ohne     Kammer- 
gräber),  mündet  allmähhch  durch  das  Tal 
des  Genil  in  die  Gruppe  der  Provinz  Cör- 
doba   ein    (Nekropolen    Cabra,   Almedinilla, 
Fuente  Töjar),   welche  ebenfalls  durch  den 
Guadalquivir    mit    Jaön    verbunden    wird. 
Dazu  kommt  die  Steinplastik   (Löwen  von 
Montilla,  Relief  von  Alcalä  la  Real),  welche 
allen   Guadalquivirgruppen   gemein  zu   sein 
•scheint,  was  die  Funde  von  Osuna  und  die 
Tierfigur  von  Las  Cabezas  de  S.   Juan   in 
der  Provinz  Sevilla  (in  einer  neuen  Gruppe) 
bestätigen.    Der  Gruppe  der  Provinz  Sevilla 
gehören    auch    die    Gräber    des  Acebuchal 
mit  ziemlich  frühen  karthagischen   Import- 
stücken   (den    Funden    der   Nekropole   von 
Gades  entsprechend)  und  die  aus  den  Cer- 
tosatypen  entwickelten  Silberfibeln  an,  die 
wohl  eine  Besonderheit  dieser  Gruppe  dar- 
stellen. 

Bemerkenswert  ist,  daß  die  mit  dem  Süd- 
osten in  näherem  Kontakt  stehenden 
Gruppen  im  Guadalquivirtale,  also  in  Inncr- 
andalusien,  angetroffen  werden;  das  deutet 
auf  gegenseitige  Beziehungen  auf  dem  Wege 
Guadalquivir— Segura.  Außerdem  scheint 
sich  der  karthagische  Import  auf  das  Hinter- 
land von  Gades  und  von  Villaricos  (wo 
Siret  die  Lage  der  karthagischen  Kolonie 
Baria  vermutet  hat)  zu  beschränken.  Die 
Gruppen  des  Inlandes  scheinen  frei  von 
karthagischem  Import  zu  sein.  Auch  ließ 
sich  griechischer  Import  (Vasen)  nur  in  den 
östlichen  Gruppen  (Granada — Almeria)  fest- 
stellen. Da  diese  Zone,  deren  Verbindungen 
nach  der  Küste  hinführen,  vollständig  in 
karthagischem  Einflußgebiet  lag  (westlich 
von  Mastia — Cartagena),  hängt  der  grie- 
chische Import  zweifellos  mit  den  Kartha- 
gern zusammen.  In  den  innerandalusischen 
Gruppen  gibt  es, abgesehen  von  dem  Greifen- 
kopf aus  Bronze  von  Castellar  de  Santiste- 
ban,  so  gut  wie  garnichts  an  griechischer 
Importware. 


h)  Chronologie    von    Andalusien. 

Mit   diesem   neuen    Material    können    wir 
weiter    beweisen,    daß    die    Blüte    der    ibe- 
rischen   Keramik    in    Andalusien    in    allen 
Teilen   dem   5.  u.  4.  Jahrhundert   entspricht 
(Galera)  und  daß  man  sie  sich  vielleicht  bis 
zur     römischen     Zivilisation     denken     darf 
(Schatz  von  Mogön),  aber  wir  erhalten  kein 
neues    Datum     für    die     Evolution    dieser 
Kultur.       Die    stilistischen    Parallelen,    die 
man  zwischen  den  Brozefigürchen  der  ibe- 
rischen   Sanktuarien    und    der  archaischen 
griechischen  Kultur  aufgestellt  hat,  können 
wohl   den   Ursprung  der  iberischen   Kultur 
aufhellen,  aber  sie  geben  keine  feste  Chrono- 
logie.    Man  kann  dasselbe  von  den  archai- 
schen griechischen  Funden  sagen,  die  man 
schon  kannte,  wie  z.  B.  den  Satyr  aus  dem 
Llano  de  la  Consolaciön '),   dem  Greifen  von 
Castellar  '),    und    vielleicht    ist    auch    das 
Figürchen  von  Galera  hellenisch,  wenn  auch 
die    Beziehung    zum    Material    ganz    unbe- 
kannt ist.     Die  Becher,  die  dem  Anschein 
nach      in      Castellar       gefunden      wurden, 
bringen  nicht  viel  Aufklärung.      Im   Süden 
der  Halbinsel  ist  es  genau  so.    Wir  müssen 
uns  damit    begnügen,  festzustellen,  daß   die 
Kultur  des  Ostens  und  die  von    Andalusien 
von  500  ab  blühte. 

B.  Valencia,  Niederaragon,  Katalo- 
nien  und  der  Süden  von   Frankreich. 

a)  Die  erste  Periode  von  Nieder- 
aragon und  den  benachbarten  Ge- 
bieten  Valencia  und  dem  Innern  von 
Katalonien. 

Sobald  man  an  die  anderen  Gebiete 
geht,  erhellt  sich  das  Problem  der 
Chronologie  durch  die  neuen  Funde  bedeu- 
tend. Man  verdankt  dies  besonders  den 
methodischen  Ausgrabungen,  die  man  in 
Aragon  und  Katalonien  und  auch  in  den 
neu  entdeckten  Stellen  von  Valencia  ge- 
macht hat.  Man  kann  sowohl  fürdie  Küste 
wie  für  das  Innere  zwei  gut  definierte  Peri- 
oden als  gesichert  erachten,  zwischen  die  sich 
in    Niederaragon    eine    Übergangszeit    ein- 

')  P.  Paris,  Essai  sur  l'art  et  l'industrie  d'Es- 
pagne  primitive  (Paris,  Leroux  1909,  116,  fig.  90). 

>)  Lantier  op.  cit.  Taf.  XXVIII  Nr.  22  u.  S.  114, 
Fig.  II. 


199 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


200 


Abb. 


Modell  der  Ansiedlung  »Tossal  Redo«  bei  Calaceite  (Prov.  Teruel). 

del  Inst.  Est.  Cat. 


Nach  Bosch,  Anuari 


schiebt.  Die  erste  Periode  umfaßt  'das  5. 
und  4.  Jahrhundert  und  zeigt  große  lokale 
Verschiedenheiten. 


Aragonien  und  Valencia  ').  Es 
scheint  als  ob  sich  eine  gleiche  Kultur  an 
der  Küste  des  Reiches  von  Valencia  und  in 


Abb.   12.     Straße  in  der  Ansiedlung  »Tossal  Redo«.     Nach  Bosch,  Anuari, 


Abb.   13.     Haus  in  der  Ansiedlung  »Tossal  Redö«.     Nach  Bosch,  Anuari. 


')  Über  Aragonien  vgl.  Bosch,  Notes  de  Pre- 
historia  aragonesa  (Butlleti  de  la  Associaciö  catalana 
d'Antropologia,  Etnologia  i  Prchistoria,  I  1923), 
besonders  S.  49  ff.  Bosch,  La  investigaciö  de  la 
cultura  ib^rica  al  Baix-Aragö  (Anuari  Inst.  E.  C. 
VI  191 5 — 20,  641  ff.).  Bosch,  Campanya  arqueolo- 
gica  del  Institut  d'Estudis  Catalans  al  limit  de  Cata- 
lunya  y  Aragö  (Cascres  Calaceit  i  Macaliö)  (Anuari 
del     Inst.    E.     C.    Cronica    V   1913— 14,     819  ff.). 


Über  Valencia  vgl.  Bosch,  L'estat  actual  del  coneixe- 
ment  de  la  civilitzaci6  iberica  del  regne  de  Valencia 
(Anuari  Inst.  E.  C.  VI  1915—20,  625  ß.).  J. 
Colominas.,  Eis  enterraments  iberics  dels  Espleters  ä 
Salzadella(a.  a.  0.  1915 — 20,  616  ff.).  J.  J.  Senent, 
Estaciöns  iberiques  entre  el  riu  Ccnia  i  el  Millars 
(Castellö)  (a.a.O.  1915 — 20,  619  ff.).  Bosch,  Elspro- 
blemes  argueolögics  de  la  provincia  de  Castellö  (Boletin 
del  Centro  Castellonense  de  Cultura  1924). 


201 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


202 


Abb.   14.     Plan   eines  Grabes  bei   der  Ansiedlung  »Vilallonc«  bei  Calaceite  (Prov.  Teruel). 

Nach   Bosch,  Anuari. 


einem  großen  Teil  von  Aragon  ausgebreitet 
hat.  Diese  Kultur,  die  in  dem  zweiten  Ge- 
biet durch  die  Stationen  Las  Kscodinas, 
Sant  Cristofol,  El  Tossal  Redo  und  el  Vi- 
lallonc in  der  Provinz  Teruel  und  durch  las 
Valletas  und  andere  Stationen  von  Scna 
(Prov.  Huesca)  vertreten  wird  (Abb.  1 1  — 14), 
wird  durch  ihre  geringe  Beziehung  zu  der 
Kultur  des  .Südostens  charakterisiert,  die 
man  erst  am  Ende  der  Periode  findet,  wo  die 
Funde  an  Scheibenkeramik  mit  gemalten, 
wenn  auch  einfachen  Motiven  zunehmen. 
Was  dieser  Gegend  in  jener  Zeit  eigent- 
tümlich  ist,  ist  grobe  Handkeramik  mit 
reichem  Reliefschmuck,  welche  eine  alter- 
tümliche Tradition  aus  der  Höhlen - 
kultur  der  Stein-  und  Kupferzeit  zu 
bewahren  scheint  (Abb.  15 — 17).  Außer- 
dem findet  man  die  glatte  Keramik  hall- 
stättischer  Tradition,  die  ursprünglich  von 
den  Formen  der  Eisenzeit  der  katalanischen 
Küste  abzuhängen  scheint.  Andrerseits 
muß  man  einen  großen  Einfluß  der  be- 
nachbarten   keltischen,    nachhallslättischen 


Kultur  aus  dem  Innern  der  Halbinsel 
konstatieren,  einen  liinfluß,  den  man 
besonders  in  den  Bronzestücken  bemerkt 
(Abb.  18).  Von  der  Keramik  hallstätti- 
scher  Tradition  (Abb.  19,  20)  finden  wir 
in  allen  Ortschaften  und  Gräbern  Nie- 
deraragons  ein  Gefäß  mit  hohem  Fuß,  in 
I'^orm  eines  doppelten  Kegels,  mit  hohen 
vorspringenden  Rändern,  und  weiter  ein 
kugelförmiges  Gefäß  mit  vorspringendem 
I'iand.  Nachhallstättischen  Einfluß  der 
Kelten  aus  dem  hinern  der  Halbinsel  zei- 
gen in  denselben  Ortschaften  verschiedene 
Formen  von  Fibeln,  Gürtelschließen  und 
sehr  dünnen  Armreifen  von  viereckigem 
Schnitt.  An  der  Küste  des  Reiches  Valen- 
cia fängt  man  jetzt  an,  dank  der 
Forschungen  von  Herrn  Senent,  denen  man 
das  Material  einiger  Privatsammlungen  und 
das  Grab  von  Salzadella  anschließen  könnte, 
mit  dieser  Kultur  gut  bekannt  zu  werden 
(Abb.  21 — 26).  Das  gemeinsame  Merkmal 
ist  gleichfalls  das  Vorherrschen  von  gro- 
ber Handkeramik,  mit   Rcliefschnürcn  und 


203 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


204 


Abb.  15.  Handgemachte  Vase  aus  dem  Ansiedlungs- 

platz    >S.   Cristofol«    bei   Mazaleon   (Prov.  Teruel) 

mit    Reliefornamentik    (etwa  '/g).     Mus.    Barcelona. 

Nach  Bosch,  Anuari. 


Abb.    16.     Handgemachte    Vase    aus  »S.   Cristofol« 

bei  Mazaleon  mit  Reliefomamentik  (etwa  '/4).    Mus. 

Barcelona.     Nach  Bosch,  Anuari. 

Fingereindriicken  verziert,  in  Salzadella 
kommt  außerdem  das  Gefäß  mit  dem 
hohen  Fuß  aus  der  nachhallstättischen 
Tradition  vor.  Bronzen,  die  den  nachhall- 
stättischen kehischen  ähneln,  finden  sich 
anscheinend  auch  reichlich  in  der  Provinz 
Castellön.  Die  dünnen  Armreifen  aus  Salza- 
della kamen  auch  in  einem  andern  Grab 
von  Cabanes  zum  Vorschein  (hier  mit  ibe- 
rischer Scheibenkeramik).  In  Salzadella 
war  bei  den  Armreifen  eine  bronzene  Hals- 
kette und  eine  Gürtelschließe,  letztere  von 


J 


Abb.  17.  Handgemachte  Vase  mit  Reliefornamentik 
aus  dem  Ansiedelungsplatz  »Vilalloncc  bei  Cala- 
ceite  (etwa  Vs)-  Mus.  Barcelona.  Nach  Bosch,  Anuari. 

einem  Typ,  wie  er  in  der  Kultur  des 
Innern  der  Halbinsel  nicht  vorkommt,  wie 
er  aber  seine  Parallelen  im  iberischen  Ge- 
biet des  Südostens  und  des  Südens  (Elche, 
Castellar     de     Santisteban)     hat.       Unter 


d  e  f 

Abb.   18.     Bronzegegenstände    aus    den    Fundorten 

der  ersten  Periode  Niederaragoniens. 

a — c  Fibeln  aus  »Tossal  Redö«  (etwa  "/a).    d  GUrtel- 

verschlufi  aus  »Tossal  Redö«  (etwa  '/s)-     ^  Knopf 

aus    »Tossal  Redo«    (etwa  '/s)-     f    Gürtelverschluß 

aus  La  Gessera  (Caseres)  (etwa  '/s)- 


205 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien, 


206 


den  Eisengeräten  finden  wir  wieder  Dinge, 
die  denen  aus  der  Mitte  Spaniens  gleichen, 
z.  B.  die  krummen  Messer  aus  der  Familie 
der  Falcata,  und  dasselbe  ist  bei  den  Ein- 
äscherungsnekropolen  mit  kugelförmigen 
Urnen  der  Fall,  die  so  geformt  sind  wie  die 
aus  der  Mitte  Spaniens,  die  sich  oben  von  den 
Provinzen  Castellon  (Arafluelo)  u.  Valencia 
(Requena,  Turis)  bis  hinunter  zum  Südosten 
der  Provinz  (Oliva)  und  dem  Norden  von 
Alicante  (Altea)  erstrecken.  Der  Fund  von 
Oliva    bietet    eine    merkwürdige    Vergesell- 


hat  man  Spuren  einer  tieferen  Schicht  ge- 
funden, die  ungeschicktere  Wände  und 
eine  Keramik  aufweist,  die  sehr  der  aus 
der  I.  Periode  von  Niederaragon')  gleicht. 
Ähnliche  Funde  bietet  die  Ortschaft  An- 
seresa  (Olius),  die  Dir.  Juan  Serra  y  Vilaiö 
erforscht  hat*). 

Trotz  des  starken  nachhallstättischen 
Einflusses  aber  ist  es  nicht  möglich, 
diese  Kulturen  mit  der  Zivilisation  der 
Kelten  zu  vermischen,  da  sich  einerseits 
in  ihr  nicht  speziell  keltische  Typen   zeigen 


Abb.  19.    Handgemachte  Vase  aus  dem  Ansicd- 
lungsplatz  »Les  Escodines  Alles«  bei  Mazaleon 
mit  eingeritzten  Ornamenten  (etwa  '/i)-     Mus- 
Barcelona.     Nach  Bosch,   Annuari. 


Abb.     20.       Handgemachte     Vase     aus     der    Ansiedlung 

»Tossal  Redo«   bei   Calaceite  mit  bemalten  geometrischen 

Ornamenten    (etwa   ^1^.     Mus.    Barcelona.    Nach    Bosch, 

Annuari. 


schaf tung  nordvalenzianisch  -nachhallstätti - 
scher  Erscheinungen  mit  feinen  bemalten 
Vasen  südöstlicher  Typen  (Blumen,  Spiralen, 
Kriegerdarstellungenj,  alle  auf  das  Ende  des 
IV.  oder  den  Anfang  des  III.  Jahrhunderts 
durch  frühhellenistische  Keramik  datiert. 
Das  Innere  von  Katalonien.  In  dem 
bergigen  Teil  von  Katalonien,  im  Gebiet 
von  Solsona,  gibt  es  auch  eine  ähnlich 
arme  Kultur,  die  der  iberischen  Kultur 
des  Südostens  gleicht.  An  einigen  Stellen 
der  Ortschaft  Castell  Vell  von  Solsona,  die 
fast  ganz  und  gar  der  2.  Periode  angehört. 

Archäologischer  Anieiirer  1913/24. 


(wie  die  •  Schwerter  mit  degeneriertem 
Hufeisengriffe,  gewisse  Formen  von  Bronze- 
schmuck), und  andrerseits  die  Keramik 
völlig  von  der  keltischen  verschieden  ist 
(ausgenommen  nur  die  der  Nekropolen  mit 
kugelförmigen  Urnen    aus    dem   Reich  Va- 

')  J.  Serra  y'Vilarö,  Excavaciones  en  el  poblado 
iberico  del  Castell  Vell  de  Solsona  (Memorias  de  la 
Junta  Superior  de  Excavaciones  y  Antigüedades 
1920). 

»)  Veröffentlichung  gedruckt  in  Memorias  de  la 
Junta  Superior  de  Excavaciones  y  Antigüedades 
1921  (Excavaciones  en  el  poblado  ib(;nco  de  Anseresa, 
Olius). 


207 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


208 


•V-."«; ."::-.  ■'■; 


/i'^jv:- 


^^'»»> 


Abb.  21.     Grabbauten  bei  Salzadella  (CasteUön). 
Nach  Colominas,  Anuari. 


Abb.  22.     Vase  aus  dem  Grabe  bei     Salzadella 
(Prov.  Castellön).      Mus.   Barcelona.     Etwa  ^|^. 


'^ 


Abb.  24.    Gürtelverschluß  aus  Bronze  mit  Silber- 
einlage aus  dem  Grabe  bei  Salzadella  (»/»)• 


Abb.  23.     Bronzekollier  aus  dem  Grabe  von 
Salzadella  ('/»).     Mus.  Barcelona. 

lencia).  Außerdem  beginnen  während  dieser 
Periode  die  Webstuhlgewichte  ihre  Ent- 
wicklung,   die    sich    in    die  zweite  Periode 


Abb.  25.    Bronzene  Armbänder  aus  dem  Grabe  bei 
Salzadella  ("/i).     Nach  Colominas,  Anuari. 

gon  und  Valencia  als  nichtkeltisch  ansehen 
muß.  Das  Aufkommen  der  Scheibenkeramik 
geht  ebenso  ohne  Gewalt  vor  sich,  denn  in  der 


fortsetzt,  woraus  hervorgeht,  daß  man  Ära-      folgenden   Periode  verschwindet  allmählich 


209 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


2IO 


Abb.  26.    Eisenwaffen    aus  einem  Grabe  bei  Torre-Endomenech  (Prov.  Castellön).    In  Privatbesitz. 

Etwa  V;-     Nach   Senent,  Anuari. 


die  handgefertigte  Keramii<;  man  sieht  also 
deutHch,  daß  es  sicli  um  eine  progressive  imd 
langsame  Entwicklung  einer  und  derselben 
Kultur  handelt,  die  später  in  der  zweiten 
Periode  in  Aragon  und  Valencia  keinen 
Zweifel  über  ihren  durchaus  iberischen 
Charakter  läßt. 

Chronologie.  Die  Chronologie  dieser 
ersten  Periode  erhält  man  hauptsächlich 
durch  den  Parallelismus  zu  Zentral-Spa- 
nien,  wo  während  der  ersten  Periode  (d.  h. 
während  des  5.  und  4.  Jahrl;iunderts)  sich 
dieselben  Fibeltypen  finden  wie  in  Nieder- 
aragon, ohne  daß  neben  ihnen  Typen  aus 
der  2.  T^neperiode  stehen,  die  dafür  in  der 
2.  Periode  in  beiden  Regionen  reichlich  vor- 
handen sind.  An  der  Küste  ist  es  gerade  so, 
und  in  allen  Teilen  gibt  die  2.  Periode,  die 
chronologisch  durch  besagte  Stücke  der 
2.  Tteeperiode  und  durch  die  hellenistische 
Keramik  festgelegt  wird,  den  terminus 
ante    quem. 

b)  Die  katalanische  Küste.  Ihre 
erste  Periode  ist  vorläufig  wenig  bekannt. 


Die  einzigen  Funde')  die  man  bisher  ge- 
macht hat,  sind  das  Gefäß  von  l'Aigueta  bei 
Figueras,  die  gemalte  Keramik  der  griechi- 
schen Schicht  von  Emporion,  und  was  aus 
jener  Zeit  in  Tarragona  dazu  gehören  könnte. 
Die  Keramik  von  l'Aigueta  bei  Figueras  und 
Emporion  steht  der  des  Südostens,  der 
Gruppe  von  Elche  sehr  nahe.  Sie  hat  die- 
selben Vögel,  Kombinationen  von  Spiralen 
und  stilisierten  Pflanzen,  was  beweist,  daß  der 
Einfluß  des  Südostens  im  Nordosten  von 
Catalonien  stärker  war  als  in  dem  benach- 
barten Reich  von  Valencia.  Daß  die  hand- 
gefertigte    Keramik   in   Wülsten    und    Fin- 


')  Bosch,  Prehistoria  Catalana  (Barcelona  1919), 
das  Gefäß  von  Aigueta  bei  P.  Paris,  Quelques  va- 
ses  ib^riques  in^dits  (Anuari  del  Inst.  E.  C.  I  1907, 
76  S.).  Über  Ampurias  vgl.  Cazurro-Gandia, 
La  estratificacidn  de  la  ceramica  de  Ampurias  y  la 
Äpoca  de  sus  restos  (Anuari  Inst.  E.  C.  V  1913 — 1914, 
657  £f.).  Die  übrige  Bibliographie  zitiert  Bosch  in 
Prehist.  Cat.  Über  Tarragona,  den  Vergleich  der 
sogenannten  kyklopischen  Mauern  mit  denen  von 
Ainpurias  und  die  Schichtbildung  vgl.  Bosch, 
Prehist.  Cat.  252  ff. 

9* 


211 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


212 


gereindrücken  auch  in  Catalonien  für  die 
erste  iberische  Periode  die  charakteristische 
ist,  wird  von  Tag  zu  Tag  mehr  bestätigt.  Kürz- 
lich fand  man  in  Tivisa  eine  Ortschaft,  die 
kein  anderes  Material  aufwies  als  besagte 
Keramik.  Heute  kann  man  ganz  anders  als 
noch  vor  einigen  Jahren  das  Problem  des 
iberisclien  Tarragona  betrachten.  Wenn 
man  ohne  irgend  ein  Vorurteil  die  soge- 
nannten kyklopischen  Mauern  ansieht, 
kommt  es  einem  sofort  in  den  Sinn,  sie  mit 
denen  von  Emporion  zu  vergleichen.  Man 
sieht  die  gleiche  Anordnung  der  quadra- 
tischen Türme,  die  aus  der  Mauerlinie  her- 
ausspringen, wie  die  Verwendung  desselben 
groben  Materials,  das  die  nicht  immer  be- 
folgte Tendenz  hat,  horizontale  Reihen  zu 
bilden.  Heute,  wo  wir  wissen,  daß  an  der 
ganzen  Küste  und  dem  Flußbett  des  Ebro 
die  iberische  Kultur  zwei  sehr  verschiedene 
Perioden  aufweist,  ist  es  möglich,  dasselbe 
für  Tarragona  für  die  wenigen  Male  zu 
beweisen,  wo  man  in  Tarragona  Schicht - 
bildungen  gefunden  hat.  Unter  einer  rö- 
mischen Schicht  fand  man  stets  eine  mit 
hellenistischer  Keramik  und  iberischen 
Fragmenten  (unter  ihnen  die  von  P.  Paris 
veröffentlichten),  und  unter  dieser  eine 
Schicht  mit  sehr  spärlichem  und  atypischem 
Material,  worunter  die  handgefertigte  Kera- 
mik figuriert. 

c)  Südfrankreich  ■).  Man  kann  den 
gleichen  Reichtum  der  Kultur  für  das  5. 
unrl  4.  Jahrhundert  wie  für  den  Nordosten 
von  Katalonien  auch  für  den  Süden  von 
l'rankreich  nachweisen,  wo  man  zu  den  be- 
kannten Stationen  von  Montlaurös,  Ba- 
oux-Rou.x  etc.,  heut  die  wichtige  Nekro- 
polis  von  Enserume,  die  Herr  Mourct  aus- 
gegraben hat,  und  die  bei  Beziers  liegt,  fü- 
gen kann.  Sie  wird  aus  Einäscherungs- 
gruben gebildet,  die  denen  gleichen,  wie 
man  sie  während  der  2.  Epoche  reichlich  in 
Katalonien  findet.      Sie  sind   so  gruppiert. 


')  Die  Bibliographie  vor  191 5  über  den  Süden 
von  Frankreich  bei  Bosch,  El  problema  de  la  c^- 
räraica  iberica  (Madrid  1915).  Über  die  jüngsten 
Funde  von  Ens&une  bei  Bfaiers:  Mouret,  Pottier, 
Reinach,  Notice  sur  Ens6rune  (Comptes  rendus  de 
l'Academie  des  Inscriptions  et  Beiles  Lettres,  Paris 
1916)  Pottier  a.a.O.  1920,  Rouzaud,  L'oppidum  pre- 
romain  d'Ens^rune  (Bulletin  de  la  Commission  ar- 
chfelogique  de  Narbonne   1923). 


daß  sie  zwei  Perioden  bilden,  eine  mit 
einem  großen  Reichtum  iberischer  bemalter 
Keramik,  gewöhnlich  mit  geometrischen 
Motiven,  und  eine  andere  ohne  iberische, 
aber  mit  reichlicher  hellenistischer  Kera- 
mik. Die  iberische  Keramik  der  ersten  Pe- 
riode spricht  für  eine  Lokalgruppe,  die  sich 
von  der  spanischen  unterscheidet. 

d)  Die  zweite  Periode  der  katala- 
nischen Küste  und  die  der  Ebene 
von  Castellön.  Man  kennt  im  allgemeinen 
die  zweite  Periode  in  Katalonien  sehr  gut. 
Es  kann  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  daß  an 
der  Küste  die  alten  Stationen')  von  Puig 
Castellar  (Oftschaft),  Cabrera  de  Matarö 
(Nekropole)  und  die  Gruben  von  San 
Feliu  de  Guixols,  La  Plana  Basarda  und 
Caldetes  dieser  Periode  angehören.  Heute 
kann  man  die  bei  Rubi  (Abb.  27,  28)  und  Vieh 
hinzufügen,  die  beweisen,  wie  die  Kultur  der 
zweiten  Periode  an  der  katalanischen  Küste 
bis  zur  römischen  Epoche  dauert,  dann 
weiter  den  befestigten  Platz  bei  Olerdola,  die 
Ansiedlung  bei  Valls  und  die  Töpferei  bei 
Fontscaldes. 

Die  Kultur  der  Küste,  die  jetzt  sehr  ver- 
schieden ist  von  der  des  Innern,  wird  be- 
grenzt durch  das  Ende  des  4.  und  des  3.  Jahr- 
hunderts. Aus  den  Funden  von  Puig  Cas- 
tellar und  Cabrera  de  Matarö  kann  man 
schließen,  daß  das  Anfangsdatum  nach  den 
dekadenten  wenigen  rotfigurigen  Gefäßen 
und  nach  den  Fibeln  aus  dem  Ende  der  ersten 
T^neperiode  das  Ende  des  4.  Jahrhunderts 
ist,  während  der  große  Reichtum  an  helle- 
nistischer Keramik  mit  den  Funden  (Schwer- 
tern und  Fibeln)  der  zweiten  Tfenezeit  als 
allgemeines  Datum  das  3.  Jahrhundert  be- 
zeichnet. 


')  Das  alte  Material  wird  ausführlich  bei  Bosch, 
Prehistoria  Catalana  zitiert.  Neue  Publikationen: 
Bosch,  El  donatiu  de  Puig  Castellar  per  D.  Ferran  de 
Sagarra  al  Inst.  d'Estudis  Catalans  (Anuari  del  Inst. 
E.  C.  191 5 — 20,  593  ff.).  M.  Pallares,  Excavacions 
a  Olerdola  a.  a.  O.  1915 — 20,  598  ff.  J.  Colorainas, 
NekropoKs  de  Can  Fatjö  (Rabi  a.a.O.  1915 — 20, 
599  ff)-  J-  Colominasu.  J.  Puig  i  Cadafalch,  El  forn 
lb6ric  de  Fontscaldes  (a.  a.  0.  602  ff.).  J.  Colo- 
minas,  Necröpoüs  ibero-romana  del  Puig  d'En 
Planes  (Vieh)  (a.  a.  0.  720  ff.).  J.  Serra 
Vilarö,  Excavaciones  en  el  poblado  ib^rico  del 
Castellvell  (Solsona)  (Memorias  de  la  Junta  Sup.  de 
Excav.  1920).  J.  Serra  Vilar(5,  Excavaciones  en  el 
poblado  ibörico  de   Sorba  (a.  a.  0.   1920 — 21). 


213 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


214 


Abb.  27.     Vertikaler  Sclinitt  der  Gruben  bei  Rubi  (Brandgräber).    Prov.  Barcelona. 
Nach  Colominas,  Anuari. 


Innerhalb  des  Parallelismus,  der  in  all 
diesen  Kulturen  besteht,  fällt  die  Kultur 
der  zweiten  Periode  mit  der  hellenistischen 
Schicht  von  Ampurias  zusammen.  Die 
charakteristische  Note  für  diese  Kultur  ist 
die  Armut  der  iberischen  Keramik,  die  ent- 
weder undekoricrt  ist  und  an  der  Oberfläche 
eine  eigentümliche  Bleifarbe  hat  (Abb.  29) 
oder,  wenn  sie  dekoriert  auftritt,  sich  mit  kon- 
zentrischen Kreisen  und  einfachen  Wellen- 
linien begnügt.  Eine  Kultur,  die  der  der  kata- 
lanischen Küste  sehr  ähnlich  ist,  findet  man 
in  der  Ebene  von  Castellön  bis  zu  dem  Ni- 
veau der  Sierra  von  Almenara  und  dem 
Fluß  Palancia,  wie  in  dem  bergigen  Teil  des 
inneren  Kataloniens,  d.  h.  in  Manresa,  in 
dem  Gebiet  von  Solsona  (in  zahlreichen  Sta- 
tionen besonders  in  den  Ortschaften,  die 
J.  Serra  y  Vilarö  ausgegraben  hat:  das 
Castell  Vell  von  Solsona  und  San  Miguel  de 
Sorba);  hier  unterscheidet  man  deutlich  zwei 
große  Gruppen,  von  denen  jede  einen  sehr 
ausgesprochenen  Charakter  hat. 

d)  Die  Gruppe  von  Urgel  und  an- 
grenzenden   Gebieten,    Niederaragon 


und  die  verwandten  Regionen  des 
Reichs  Valencia  (I I.  Periode).  In 
der  Ebene  des  Urgel,     in  Niederaragon,  in 


Abb.  28.    Grube  bei  Rubi.    Nach  Colominas,  Anuari. 

dem  gebirgigen  Teil  der  Provinz  Castellön, 
sowie  in  der  Ebene  von  dem  Niveau  der 
Sierra  von  Almenara  bis  südlich  von  Valencia 
findet  man  eine  sehr  verschiedene  Kultur, 
die  bäurischer  ist  und  sehr  an  die  erinnert. 


Abb.  29.    Keramik  (mit  der  Scheibe  hergesteUt)  aus  der  Ansiedlung  Puig  Castellar  (Prov.  Barcelona). 
Mus.  Barcelona.     Etwa  '/s-   Nach  Boschs,  Anuari. 


215 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


216 


Abb.  30.    Bemalte  Vase  aus  der  Ansiedlung  im  »Tossal  de  les  Tenalles«  bei  Sidamunl  (Prov.  Le'rida). 
Mus.  Barcelona.     Etwa  74-     Nach  Colominas. 


die  während  des  5.  und  4.  Jahrhunderts  im 
Südosten  von  Spanien  blühte.  Nach  dem, 
was  wir  von  Niederaragon  wissen,  stellt  sie 
die  Zeit  dar,  in  der  mit  der  Einführung  der 
gemalten  Keramik  die  meisten  Einflüsse  in 
die  Kultur  der  ersten  Periode  dieser  Gegen- 
den eindrangen. 

Die  Urgelgruppc  ').   Die  erste  Gruppe 


ist  die  von  Urgel,  die  :  besonders  durch 
die  Ortschaft  Tossal  de  las  Tenalles  de  Sida- 
munt  dargestellt  wird,  und  von  deren  Ein- 
fluß bis  zur  Küste  man  die  Keramik 
der  Töpferöfen  von  Fonscaldes  bei  Valls 
kennt,  was  wahrscheinlich  als  Schnittpunkt 
zwischen  den  Kulturen   von  Urgel    und  der 


')  J.  Colominas,  A.  Duran,  Reste  de  poblats  ib^rics 


al  pla  d'Urgell  i  Segarra  (Anuari  Inst.  E.  C.  V  191 5 
— 20,  606  ff.). 


&m 


Abb.  31.     Dekoration  der  Vase  Abb.  30. 


217 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


2l8 


Abb.  32.    Bemalte  Vase  aus  dem  »Tossal  de  les  Tenalles«  (Sidamunt).    Mus.  Barcelona.     Etwa  '/^. 

Nach  Colominas-Durän,  Anuari. 

Küste  gelten  darf.  In  dieser  Gruppe  be- 
weist das  Vorkommen  von  hellenistischer 
Keramik    und    Gegenständen    der    zweiten 


Abb. 


Bemalte   Vase   aus    dem    »Toasal   ile   les 


Tenalles«    (Sidamunt).    Mus.   Barcelona.     Etwa  '/♦• 
Nach  Colominas-Durän,  Anuari, 


F" 


Abb.  34.    Eingang  der  Stadt  und  turmartige  Mauer 
in  San  Antoni   bei  Calaceite.    Nach  Bosch,    Anuari. 


Teneperiode  den  Parallelismus  mit  der 
Küste.  Die  Schniuckformen  der  Keramik 
aber   zeugen,    obgleich   auch   sie   Analogien 


219 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


220 


Abb.  35.    Straße  und  Häuser  in  San  Antoni  bei  Calaceite.    Nach  Bosch,  Anuari. 


aufweisen,     für    eine    sehr    ausgesprochene 
Lokalkunst,  in  welcher  sich  große  Korrekt- 


heit der  geometrischen  Ornamente  mit  der 
häufigen  Anwendung  von  Spiralen  und  stili- 


Abb.  36.    Untere  Kammer  eines  Hauses  und  Treppe  in  S.  Antoni  bei  Calaceite.    Nacli  Bosch,  Anuari. 

sicrten  Pflanzen  (Efeublättern)  und  Vögeln  In  naher  Beziehung  zu  der  Gruppe  von 

verbindet  (Abb.  30—33).  I   Urgel  entwickelt  sich  in  der  Ebene  des  süd- 


Abb.  37.   VVandtechnik  in  San  Antoni  bei  Calaceite.    Nach  Bosch,  Anuari. 


liehen  Teiles  der  Provinz  Huesca  ')  eine  inter- 
essante Lokalgruppe:  es  sind  dies  die  Statio- 

')  Bosch,  Notes  de  Prehistoria  aragonesa  (Butlleti 
de  la  Associaciö  Catalana  d'Antropologia  I  1923 
55  ff-)- 


nen  bei  Sena  (El  Escobizal  bei  Sena,  El  Pun- 
tal  bei  Ontifiena),  die  R.  Gudel  erforscht  hat. 
Auch  hier  gibt  es  hellenistische  Keramik  und 
bemalte  Scheibenkeramik,  die  aber  viel 
ärmer  ist  als  die  von  Urgel. 


221 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


222 


Abb.  38.    Dekoration  einer  bemalten  Vase  aus  S.  Antoni  (Calaceite).    Mus.  Barcelona.    V,o  der  nat.  Größe. 

Nach  Bosch,  Anuari. 


Niederaragon    und    der    verwandte 

Teil    des    Reiches   von  Valencia.     Die 

.  andere    Gruppe    ist    die   von  Niederaragon 


Abb.  39.     Bemalte  Scherbe  aus  S.  Antoni  bei 

Calaceite.     Mus.    Barcelona.     Etwa  •/>•     N^ch 

Bosch,  Anuari. 


Abb.  40.  Stele  aus  Palermo  bei  Caspe  (Prov.  Zaragoza). 
Stein.  Mus.  Barcelona.  Etwa  '/«■  Nach  Bosch,  Anuari. 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


Abb.  41.    Plan  und  Schnitt  des  Turmes  in  der  Mitte  der  Ansiedlung  »Los  Foyos  «   bei  Lucena  del  Cid 
(Prov.  Castellön).     Nach  Bosch-Senent,  Anuari. 


Abb.  42.    Eingang  des  Turmes  von   »Los  Foyos«  (Lucena  del  Cid).      Nach  Bosch-Senent,  Anuari. 


(Calaceitc)  ')  (Abb.  34 — 40)  und  von  den 
erwähnten  Teilen  der  Provinzen  Castellön 
und  Valencia^). 

■)  Für  Niederaragon  vf;l.  Bosch,  La  invcsti- 
gacio  de  la  cultura  iberica  del  Baix  Aragö  (Anuari 
Inst.    E.  C.   1915—20,   641   ff.).     J.   Cabre,    Esteies 


iberiques  ornamentades  del  Baix  Aragö  (a.  a.  O.  191 5 
— 20,  629  ff.). 

')  Bosch,  Estat  actual  del  coneixement  de  la  ci- 
viUlzacio  iberica  del  regne  de  Valencia  (Anuari  Inst, 
li.  C.  1915 — 20,  625  ff.).  J.  J.  Senent,  Estacions 
iberiques  entre  el  riu  Cenia  i  el  Millars  (id.  id.  1915 
— -20,     620  ff.).     Bosch-Senent,  _^La   torre  iberica  de 


225 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


226 


Dank  den  Übergangsortschaften  von  der 
ersten  zur  zweiten  Periode  (ElPiuro,  LaGes- 
sera,  Los  Ombries)  kann  man  die  Evolution 
der  Gruppe  von  Calaceite  gut  verfolgen. 
Man  beobachtet  den  wachsenden  Gebrauch 
der  Scheibenkeramik,  die  mit  geometrischen 
Motiven  bemalt  ist.  In  der  vollen  zweiten 
Periode  (San  Antonio  de  Calaceite,  und  wahr- 
scheinlich innerhalb  derselben  Lokalgruppe 
noch  die  Ansiedlungen  bei  Alcafiiz,  Caspe  und 
Chiprana)  erreicht  die  Anwendung  der  be- 
malten Scheibenkeramik  ihren  Höhepunkt, 
trotz  größeren  Reichtums  aber  hält  sich  die 
Dekoration  in  einer  gewissen  Beschränkung 
der  Motive.  Diese  sind  weiter  geometrische 
und  bieten  einen  sehr  typischen  Anblick 
(Rhomben,  konzentrische  Kreise,  ziemlich 
inkorrekte  Wellenlinien,  Viertelkreise),  und 
wenn  auch  einige  Pflanzenmotive  vorkom- 
men (Kombination  von  Efeublättern  mit 
Kreuzern)  und  endlich  Tiere  und  Menschen 
(Pferde  und  Männer  sehr  barbarischen  Stils), 
welche  diese  Keramik  mit  der  von  Azaila 
und  noch  mehr  von  Urgel  verbinden,  so  be- 
merkt man  doch  für  die  Gruppe  als  charakte- 
ristische Dekoration  das  einfache  geome- 
trische Ornament,  das  wir  als  stationarisch 
bezeichnen  könnten.  Die  gleiche  Kunst  der 
gravierten  Stelen  mit  Kriegern  und  Pferden, 
denen  man  heute  die  von  Caspe  hinzufügen 
muß,  bietet  denselben  bäurischen  Anblick. 
Die  chronologischen  Elemente  sind  für  diese 
Gruppe  die  gleichen  wie  für  Urgel;  d.h.  die 
hellenistische  Keramik  und  die  Schwerter 
und  Fibeln  der  zweiten  La  Teneperiode, 
die    sie    ins  3.  Jahrhundert  setzen. 

Im  Norden  der  Provinz  Castellon  dauert 
ganz  homogen  die  Kultur  von  Calaceite  fort. 
Neben  andern  beweist  dies  die  Station  Lu- 
cena  del  Cid.  Ihre  Keramik  besitzt  die 
gleichen  geometrischen  Motive  wie  die  von 
Calaceite,  sowie  gewisse  ärmliche  Deko- 
rationen   von    Efeublättern.       Noch    klarer 


tritt  der  Parallelismus  in  den  Ähnlichkeiten 
der  Bautechnik  hervor,  in  dem  ovalen 
Turm  von  Lucena  und  dem  turmartigen 
Vorsprung  der  Mauer  von  San  Antonio  de 
Calaceite  sowie  dem  Turm  La  Torre  Cremada 
in  Valdeltoimo  (Prov.  Teruel),  letzter  in  der 
Mitte  der  Ansiedlung  gelegen,  wie  der  von 
Lucena  (Abb.  41,  42). 

Weiter  im  Süden  besteht  eine  andere 
Gruppe  von  äquivalenten  Stationen  z.  B. 
bei  Sagunt:  Castell  d'Asens,  la  Arpillera  und 
Casalets  bei  Carcer  und  diejenigen,  die  den 
Süden  der  Provinz  Valencia  erreichen  (Cu- 
llera,  Albaida),  wo  man  schon  in  die  Gebirgs- 
gegend kommt,  die  besagte  Provinz  von  der 
von  Alicante  trennt,  in  deren  der  Ebene  von 
Castellon  am  nächsten  liegenden  Teil  man 
eine  verschiedene  Kultur  kennt,  die  das 
Überleben  der  Civilisation  des  Südostens 
aus  der  ersten  Periode  in  abgelegener  Ge- 
gend darstellt  (La  Serreta  de  Alcoy);  von 
ihr  ist  schon  die  Rede  gewesen. 

C.    Der  Ebro  und  Innerspanien. 

Die  Gruppe  von  Azailaund  Kasti- 
lien:   Numantia. 

a)  Azaila.  In  der  Gruppe  von  La  Zaida, 
wie  man  früher  sagte,  oder  Azaila,  wie  es 
richtiger  scheint  '),  ist  die  Dekoration  im 
allgemeinen  viel  reicher.  Am  wenigsten 
wichtig  erscheinen  hier  die  erwähnten  ein- 
fachen geometrischen  Motive.  Die  geläu- 
figsten Typen  sind  kompliziertere  geome- 
trische Muster:  Kombinationen  von 
Spiralen  (die  oft  mit  stilisierten  Efeublättern 
zusammengehen),  Damenbretter  etc.,  alles 
wird  jedoch  auf  sehr  originelle  und  elegante 
Weise  interpretiert.  Wenn  man  genau  die 
charakteristischen  Ähnlichkeiten  der  ver- 
schiedenen Gruppen  des  Ebro  studiert, 
scheint  es,  daß  sich  die  meisten  Analogien 
zwischen   der  Gruppe   von  Azaila   und    der 


Llucena  del  Gd  (a.a.O.  1915—20,  620  ff.).  Über 
die  Serreta  von  Alcoy  vgl.  man  die  vorher  genannte 
Bibliographie.  Man  sehe  auch:  Almarche,  La  civili- 
zaciön  iberica  en  el  antiguo  reino  de  Valencia  (Va- 
lencia, Tipografiamoderna  1918).  J.  Sanchis  Sivera, 
La  diocesis  valenlina.  Estudios  historicos  (Anales 
del  Inslitulo  general  y  t^cnico  de  Valencia  1920). 
Bosch,  Eis  problemes  arqueolögics  de  la  provincia 
de  Castellö  (im  Boletin  de  la  Sociedad  castellonense 
de  cultura  1924). 


')  Vgl.  die  alte  Bibliographie  bei  Bosch,  El 
problema  de  la  cerämica  iberica  (Madrid  1915). 
Über  die  neuen  Arbeiten  von  Cabr^  und  P^rez  siehe 
Cabri,  Dos  tesoros  de  monedas  de  bronce  autönomas 
de  Azaila  (Teruel)  (Memorial  numismätico  espaüol 
1 921,  Juni).  Bosch,  Rezension  der  vorigen  Arbeit  in 
ButUeti  de  la  Associaciö  catalana  d'Antropologia 
Etnologia  i  Prehistoria  I  1923,  185  ff.  und  Note» 
de  prehistoria  aragonesa  a.  a.  0.  66.  Ein  regel- 
rechter vorlaufiger  Bericht  der  Ausgrabungen  von 
Azaila  ist  noch  nicht  erschienen. 


227 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


228 


von  Urgel  finden  (die  Spiralen  sind  ihnen 
gemeinsam).  Zwischen  Azaila  und  Calaceite 
besteht  die  gemeinsame  Anwendung  ge- 
wisser Spiralen  und  Efeublätter,  obgleich 
letztere  in  Calaceite  sehr  selten  sind. 
Dafür  ist  zwischen  Calaceite  und  Urgel  der 
Kontakt  sehr  gering. 

Wenn  wir  den  Ebro  verlassen,  bemerken 
wir,  daß  die  unmittelbare  Parallele  im  Süd- 
osten nicht  grade  die  Gruppe  von  Elche- 
Archena  ist,  sondern  die  von  Meca-Amarejo. 
In  dieser  Gruppe  scheint  man  die  Grundlage 
für  die  verschiedenen  Dekorationen  des 
Ebrogebietes  zu  finden.  Hier  treffen  wir 
einerseits  in  Fülle  die  einfachen  geome- 
trischen Motive  der  Gruppe  von  Calaceite 
und  des  Reiches  von  Valencia,  und  andrer- 
seits herrscht  dort  auch  Überfluß  an  Spi- 
ralen, die  sich  dort  an  Linien  anschließen  oder 
von  einer  Vertikallinie  ausgehen,  an  die  sich 
zwei  im  Scheitelpunkt  vereinte  Dreiecke  an- 
lehnen, an  Schachbrettern  und  Efeublättern, 
Motive,  die  in  die  Gruppe  von  Azaila  und 
in  die  von  Urgel  übergangen  sind. 

Man  könnte  annehmen,  daß  auf  dieser 
Basis  der  Gruppe  von  Meca-Amarejo  jede 
einzelne  der  Gruppen  des  Innern  sich  unab- 
hängig ihre  besonderen  Schmuckmotive 
sucht. 

b)  Numantia.  Weiter  im  Innern  der 
Halbinsel  ist  die  letzte  klar  bestimmte  Lo- 
kalgruppe der  iberischen  Kultur  die  von 
Ketiberien,  die  besonders  durch  Numantia 
bekannt  ist.  Die  Ausgrabungen  der  letzten 
Jahre  haben  weiter  die  gleichen  schon  be- 
kannten Dekorationsclemente  ergeben,  aber 
die  Frage  der  Chronologie  und  endlich  auch 
der  Beziehungen  zu  Aragon  hellt  sich  jeden 
Tag  mehr  auf  '). 

Die  frühere  nachhallstättische 
Kultur.  Heute  wissen  wir,  daß  der  ibe- 
rischen Kultur  von  Numantia  in  Kastilien 
eine  nachhallstättische  Kultur,  die  man  den 
Kelten  verdankte,  vorausging;  sie  dauert 
bis  zum  3.  Jahrhundert  und  entwickelt  sich 
ganz  unabhängig  von  der  iberischen  Kultur. 

')  Über  Numantia  vgl.  Mölida,  Excavaciones  de 
Numancia,  Madrid  1912,  und  später  die  jährlichen 
Berichte  in  Memoria  de  la  Junta  Supcrior  de  excava- 
ciones y  antigüedades  (von  Melida  und  Tara- 
cena).  Siehe  auch  B.  Taracena,  La  ccranjica  iberica 
de  Numancia  (Madrid,  Biblioteca  de  Coleccionismo 
1924). 


Im  3.  Jahrhundert  (während  der  zweiten 
Periode  der  nachhallstättischen  Zivilisation), 
als  das  Ebrogebiet  auf  seiner  Höhe  stand, 
fängt  ein  wichtiger  Austausch  an.  Gewisse, 
iberische  Einflüsse,  die  durch  die  bemalte 
Keramik  repräsentiert  werden,  dringen  in 
Castilien  ein.  So  finden  wir  in  den  Nekro- 
polen  von  Luzaga,  Molino  de  Benjamin  Ar- 
cobriga,  Osma  und  Gormaz  einige  konzen- 
trische Kreise,  Kreuze  und  endlich  stili- 
sierte Vögel,  die  auf  eine  Keramik  gemalt 
sind,  die  schon  Scheibenkeramik  ist,  ob- 
gleich sie  nach  ihren  Formen  und  dem  Ton- 
material  sich  stark  von  der  iberischen  un- 
terscheidet'). 

Die  iberische  Kultur  von  Numan- 
tia und  ihre  Chronologie.  Jene  Kul- 
tur verschwindet  sogleich  und  wird  durch 
die  von  Numantia  ersetzt,  die  gewisse  Eigen- 
tümlichkeiten der  früheren  erbt,  wie  die 
Dolche  mit  den  Scheiben  im  Griff  und  ge- 
wisse Gefäßformen,  die  aber  trotzdem  in 
jeder  Hinsicht  eine  neue  Phase  iberischer 
Kultur  bedeuten.  Im  Jahre  133  endet  mit 
der  Einnahme  von  Numantia  seine  Kultur. 
Da  sie  noch  nicht  zur  Zeit  der  nachhall- 
stättischen Nekropolen  oder  nur  in  der  Form 
leichter  Einflüsse  existierte,  so  erhalten  wir 
als  Daten  für  den  Beginn  der  iberischen 
Kultur  von  Numantia  die  Zwischenzeit,  die 
sicher  nicht  über  die  zweite  Hälfte  des  3. 
Jahrhunderts  hinausgeht. 

Die  Beziehungen  von  Numantia 
zu  anderen  iberischen  Gruppen.  Die 
iberische  Kunst  in  Numantia  ist  sehr  ori- 
ginell trotz  aller  Kontakte  mit  Aragon,  die 
täglich  mehr  erkannt  werden.  Diese  be- 
ziehen sich  auf  die  Spiralen,  Hakenkreuze, 
Schachbretter.  Aber  die  Beschränkung 
auf  ein  Minimum  von  konzentrischen  Krei- 
sen und  Wellenlinien,  sowie  die  typischen 
Motive  von  Numantia  wie  die  Stilisierungen 
von    Pferden,    die    persönliche    Art    Vögel, 


')  Vgl.  Bosch,  El  problema  de  la  cerämica  ibe- 
rica (Memorias  de  la  Comisiön  de  inv.  pal.  y  preh. 
Madrid  1915,  33  ff).  Cabre,  Urna  cineraria  de 
la  necropohs  de  Uxama  (Coleccionismo  num.  62,  1918) 
und  besonders  Bosch,  Los  Celtas  y  la  civilizaciön 
celtica  en  la  peninsula  iberica  (Boletin  de  la  So- 
ciedad  Espanola  d'Excursioncs  1921  H.  A.  VL; 
davon  ein  Auszug:  Die  Kelten  und  die  keltische 
Kultur  in  Spanien,  Mannusbibliothck  Nr.  22, 
Leipzig,  Kabitsch,  1922). 


229 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


230 


Fische,  menschliche  Figuren  wiederzugeben, 
verleihen  der  Kultur  von  Numantia  ein 
besonderes  Gepräge.  Es  war  indessen  eine 
Überraschung,  in  San  Antonio  de  Cala- 
ceite  ein  Fragment  zu  finden,  auf  dem  nach 
der  Technik  von  Numantia  eine  mensch- 
liche Figur  gemalt  war,  eine  Tatsache,  die 
wiederum  den  Connex  zwischen  beiden  Re- 
gionen erweist. 

c)  Die  Zwischengruppe  zwischen 
Numantia  und  dem  Ebro.  Die  Kultur 
des  Gebietes  zwischen  der  Mitte  des  Ebro, 
Azaila  und  Numantia  ist  immer  noch  we- 
nig bekannt,  die  Nekropole  von  Belmonte 
hilft  kaum  die  Leere  auszufüllen  ').  Be- 
sagte Nekropole  ist  indessen  sehr  wichtig 
und  gibt  uns  vielleicht  den  Verbindungs- 
punkt der  Zivilisation  der  Gruppe  von 
Azaila  und  der  von  Numantia  und  erklärt 
dadurch  wenigstens  zum  Teil  das  Ein- 
dringen der  iberischen  Kultur  in  Kastilien. 

Das  Material.  In  Belmonte  gibt  es 
eine  Fülle  von  bemalten  Gefäßen  mit  deut- 
lich iberischen  Formen  (Zylinderhüte),  aber 
es  gibt  auch  Formen,  die  man  als  mit  denen 
der  nachhallstättischen  Periode  in  Kasti- 
lien verwandt  ansehen  kann,  wie  die  kugel- 
förmigen Urnen  mit  konischen  Deckeln, 
ein  Gefäß  mit  hohem  mehr  oder  weniger 
zylindrischen  Hals  und  halbkugelförmigem 
Bauch  mit  Henkeln,  die  von  dem  Rand 
des  Gefäßes  bis  zu  dem  Anfang  des  Bauches 
reichen,  oder  auch  Gefäße  der  gleichen  Form, 
aber  ohne  Henkel,  manchmal  mit  einem 
Fuß  2).  Solche  Formen  finden  sich  nicht 
allein  in  der  nachhallstättischen  kastili- 
schen  Kultur,  sondern  auch  manchmal  in 
der  iberischen  Kultur  der  Gruppe  von 
Azaila  3),  und  in  Niederaragon  und  scheinen 
mit      einigen      Gefäßen      aus     Numantia  <) 


•)  Man  vgl.  das  Anuari  de  l'Inst.  E.  C.  (Crönica) 
I  1907,  570  u.  Bosch,  Notes  de  prehistöria  ara- 
gonesa  (ButUeti  de  1'  Associaciö  Catalana  d'Antrop. 
Etnol.   y  Prehist.   I   1923.  60  ff. 

2)  Man  vergleiche  die  in  der  vorigen  Anmerkung 
erwähnte  Literatur.  Zu  den  ähnHchen  nachhallstätti- 
schen siehe  Bosch,  Celtas  Abb.  7  Typus  a  und  Typus 
d  und  i. 

3)  Pijoan,  La  ceramica  iberica  a  l'Arago  (Anuari 
de   l'Inst.   I   1908,  261,  Abb.   25,  Nr.   16). 

4)  Man  vgl.  Excavaciones  de  Numancia  (Memo- 
ria de  la  Comisiön  ejecutiva,  Madrid  1912),  Taf. 
XXXIII  A  (ohne  den  Fuß,  der  für  die  Gefäße  von 
Belmonte  charakteristisch  ist). 


verwandt  zu  sein.  Was  die  Dekoration  an- 
belangt, so  finden  sich  in  Belmonte  die 
Wellenlinien  und  die  konzentrischen  Kreise, 
d.  h.  also  die  allgemeinen  iberischen  Motive. 
Daneben  hat  man  Motive,  die  eine  wohlent- 
wickelte Lokalgruppe  anzeigen,  z.  B.  die 
besondere  Form  der  Wellenlinien,  die  eine 
Reihe  von  S  bildete,  eine  Reihe  von  Spira- 
len, die  an  einer  horizontalen  Linie  hängen 
(die  sogenannten  stilisierten  Pferdeköpfe 
von  Azaila  und  Numantia),  besonders  aber 
ein  Motiv,  das  seine  unmittelbaren  Parallelen 
in  Numantia  hat:  eine  Reihe  paralleler 
Vertikallinien,  die  unten  am  Rand  des  Ge- 
fäßes anfangen,  und  die  in  eine  Reihe  von 
konzentrischen  Halbkreisen  endigen,  die 
nach  einer  Seite  offen  sind'). 

Eine  andere  Besonderheit  der  Dekoration 
von  Belmonte  zeigt  ein  Fragment  mit  zwei 
Vögeln,  die  eine  neue  Parallele  zur  Gruppe 
von  Azaila  bilden. 

Chronologie  und  Beziehungen.  Was 
die  Chronologie  von  Belmonte  anlangt,  so 
spricht,  obgleich  das  Material  nichts  für  eine 
feste  Datierung  bietet,  nichts  dagegen,  sie 
in  das  3.  Jahrhundert  zusetzen,  d.h.  in  die 
Zeit  der  Gruppe  von  Azaila,  der  zweiten  Pe- 
riode von  Niederaragon  und  der  letzten  Ne- 
kropolen  aus  der  nachhallstättischen  Kul- 
tur (Osma,  Arcöbriga),  in  welchen  sich  die 
für  Belmonte  erwähnten  keltischen  Formen 
häufig  finden,  ebenso  wie  gemalte  einfache 
ausgesprochen  iberische  Dekorationen  (Os- 
ma, Arcöbriga,  CJormaz,  Molino  de  Benja- 
min,   Luzaga)^). 

Es  scheint,  als  ob  Belmonte  das  Verbin- 
dungsglied ist,  zwischen  dem  Ebro  und 
Kastilien;  so  erklärt  sich  das  Vorkommen 
von  iberischen  Einflüssen  in  den  nachhall- 
stättischen Nekropolen,  und  zu  gleicher 
Zeit  hat  man  einen  Weg  zur  Erklärung  der 
Kultur  von  Numantia. 

Für  eine  solche  Erklärung  muß  man  aller- 
dings bedenken,  daß  gewisse  nachhallstätti- 
sche  Typen  in  Numantia  sich  lange  erhiel- 
ten (der  Dolch  mit  Doppelkugel  im  Griff, 
gewisse    keltische    Formen    der    Keramik) 


■)  Man  vgl.  als  Parallele  für  dieses  Motiv  ein 
Fragment  aus  Numantia  (Excavaciones  de  Nu- 
mancia Taf.  XXXII  B).  ^    _ 

»)  Bosch,  Celtas  und  El  Problema  de  la  ceramica 
ibWca,  Madrid  191 5,  33—39- 


231 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


232 


wie  auch  der  Name  von  Keltiberern,  der  be- 
weist, daß  eine  Mischung  mit  den  Kelten 
stattfand.  In  diesem  Fall  hätte  Numan- 
tia  in  gewisser  Weise  die  nachhallstättische 
kastilische  Kultur  geerbt.  Aber  zu  gleicher 
Zeit  spricht  sowohl  der  Name  Keltiberer') 
wie  der  allgemeine  Eindruck  der  Kultur 
von  einem  herrschenden  iberischen  Element. 
Die  Gruppe  von  Belmonte  scheint  zu  zeigen, 
daß  der  Weg  der  Iberisierung  Kastiliens  vom 
oberen  Ebro  ausgeht  und  der  Straße  des  Jalön 
folgt.  Aber  die  Art,  wie  die  keltiberischen 
Stämme  verteilt  sind,  die  von  dem  Duero  bis 
zu  den  äußersten  iberischen  Gebirgen  reichen, 
die  an  Valencia  stoßen,  läßt  vermuten,  daß 
die  Iberisierung  des  fraglichen  Territori- 
ums in  einer  komplizierten  Weise  vor  sich 
ging.  Es  ist  möglich,  daß  sie  auf  zwei  We- 
gen zugleich  stattfand,  da  sie  von  zwei  ver- 
schiedenen Orten  kam:  durch  den  Jalön 
vom  Ebro  aus,  und  von  der  valencianischen 
Küste  aus  durch  die  Flußtäler  der  Flüsse, 
die  von  der  Hochebene  hinunterfließen  und 
die  sich  in  dem  des  Jiloca  vereinen,  wo  ein 
guter  Teil  der  Keltiberer  wohnte. 

D.   Die  östliche  Ausdehnung  der  ibe- 
rischen   Kultur.     Portugal. 

a)  Die  Kultur  der  Castros  (keltisch) 
und  die  Kultur  des  Algarve.  Nach 
den  Studien  von  Santos  Rocha  in  den 
Castros  der  Umgebung  von  Figueira  da  Foz 
(Santa  Olalla,  0  Crasto,  Chöes)  und  von 
Vergilio  Correia  in  Conimbriga  (Condeixa 
a  Velha)  und  von  andern  in  verschiedenen 
Castros^),  besonders  nach  den  alten  Ar- 
beiten von  Martins  Sarmento  in  dem  Mi- 
nhogebiet(Briteiros,  Sabroso),  kann  man  sa- 
gen, daß  es  im  5. — 4.  Jahrhundert  zwei 
Typen  einer  nicht  iberischen  Kultur  gibt, 
von  denen  dernördliche  Typus  (Minho,  Du- 
ero) sich  sehr  rein,  ohne  iberische  Einflüsse 
erhält,  während  der  der  Mitte  von  Portugal 
(Santa  Olalla  und  andere  bei  Figueira,  Co- 

')  Vgl.  Schulten,  Numantia,  und  über  die  Bedeu- 
tung des  Namens  »Keltiberer«,  daß  bei  ihm  das 
herrschende  Element  »Iberer«  ist. 

>)  Für  die  Kultur  der  Castros  vgl.  man  die  bei 
Bosch  zitierte  Literatur:  La  arqueologia  pre-romana 
hispdnica  und  Bosch,  Celtas.  Für  Conimbriga  siehe 
V.  Correia,  Conimbriga,  a  camada  preromana 
da  cidade  (O  Archeologo  Portugues  XXI  1916, 
1—2). 


nimbriga  bis  zu  der  Nekropole  von  Alcacer 
do  Sal)  einen  aus  Andalusien  stammenden 
iberischen  Einfluß  zeigt.  Man  kann  letzteres 
auch  für  das  Algarvegebiet  nachweisen 
(Fund  eines  iberischen  Gefäßes  aus  Faro, 
Ethnologisches  Museum  von  Lissabon),  wo 
außerdem  noch  eine  andere  Kultur  existiert, 
die  sich  sowohl  von  der  iberischen  als  der 
keltischen  unterscheidet,  die  wir  aber  noch 
wenig  kennen"). 

b)  Die  iberische  Kultur  des  Nor- 
dens von  Portugal.  J.Fontes')  hat  die 
Funde  der  Ortschaft  San  Juliäo  in  Cal- 
dellas  im  Norden  von  Portugal  veröffent- 
licht, und  im  Museum  von  Oporto  gibt  es 
unveröffentlichte  Fragmente  von  Keramik 
aus  Guifföes.  Diese  scheinen  anzuzeigen, 
daß  hier  ein  Typ  von  dekadenter  iberischer 
Kultur  besteht,  der  wahrscheinlich  mit  dem 
nördlichen  Teil  des  kastilischen  Tafellandes 
zusammenhängt.  Die  Fragmente  von  Guif- 
föes (Fragmente  eines  Kruges  mit 
flachem  Rand  und  doppelten  Henkeln,  nicht 
gemalt,  aber  aus  rötlichem  Ton  mit  der 
Scheibe  verfertigt)  haben  zum  mindesten 
einen  iberischen  Charakter.  Die  Funde  von 
S.  Juliäo  unterscheiden  sich  schon  etwas 
von  dem  gewöhnlichen  iberischen  Typ. 

Die  Ethnologie  dieser  Kulturen  in  Por- 
tugal scheint  klar  zu  werden,  wenn  man 
annimmt,  daß  die  beiden  Gruppen  der  Kul- 
tur der  Castros  keltisch  scheinen,  die  Kul- 
tur des  Algarve,  die  trotz  ihrer  Beziehungen 
zu  der  iberischen  Kultur  von  Andalusien 
dieser  so  fern  wie  der  der  Castros  steht, 
muß  den  Kyneten  oder  Koniern  gehö- 
ren, die  die  Quellen  in  den  Süden  von 
Portugal  verlegen,  während  die  ärmliche 
iberische  Kultur  im  Norden  von  Portugal  in 
Beziehung  mit  der  von  den  Lusitanern  zu 
stehen  scheint. 

E.    Die    südliche    Hälfte    der    Hoch- 
fläche   (meseta). 
Die     Stiere     und    Eber    (bichas    u. 
verracos).     Wir  wissen  immer  noch  sehr 
wenig  von  dem  Süden  der  Hochfläche.    Wir 


' ')  Für     das    Gebiet    des    Algarve    vgl.     Bosch, 
Celtas. 

')  La  Station'  de  S.  Juliäo  aux  environs  de 
Caldellas  (Bulletin  de  la  Society  Portugaise  de 
Sciences  Naturelles  VII  1916). 


233 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


234 


bleiben  auf  einzelne  Funde  von  Stein - 
(Eber)  oder  Bronzetieren  beschränkt.  Über 
diese  kann  man  nach  ihrer  geographischen 
Verteilung,  ihren  Typen  und  ihrer  Technik 
etwas  Neues  sagen. 

a)  Topographie.  Allem  Anschein  nach 
liegen  die  hauptsächlichsten  Mittelpunkte  für 
die  Funde  der  Eber  in  dem  oberen  Tajo- 
gebiet').  Von  hier  gelangten  sie  zu  ande- 
ren Orten,  da  sie  sich  auch  am  Nordabhang 
des  Guadarrama  (Provinz  Salamanca,  Avi- 
la,  Segovia)  finden,  natürlich  nur  verein- 
zelt. Ganz  ausnahmsweise  erscheinen  sie  in 
Portugal,  ja  sogar  in  den  baskischen  Pro- 
vinzen. Ihre  Typen  beschränken  sich  auf 
zwei:  auf  einen,  der  mehr  oder  weniger 
einem  Stier  oder  Löwen  gleicht,  und  einen 
anderen  mit  breiter  Schnauze,  der  einem 
Schwein  ähnlich  sieht'  (daher  der  Name  Eber, 
den  man  ihnen  gegeben  hat).  Die  Ausfüh- 
rung ist  aber  bei  allen  so  roh,  daß  es  schwer 
ist,  mit  Sicherheit  festzustellen,  welches  Tier 
sie  wiedergeben  sollen. 

b)  Beziehungen  zum  Südosten  und 
zu  Anda  lusien.  Ihre  Bestimmung  und  ihre 
Datierung  bleibt  vorläufig  noch  ein  Geheim- 
nis. Die  Umstände  ihres  Auffindens  klären 
das  Problem  nicht,  man  findet  sie  einzeln 
oder  auf  dem  Felde  eine  Reihe  bildend  (wie 
in  Guisando).  Man  nimmt  an,  daß  sie  zu 
Grabstätten  gehörten,  und  man  hat  in  dem 
Schwein  ein  Tier  sehen  wollen,  das  mit  der 
Welt  der  Toten  verknüpft  ist,  aber  alles  dieses 
kommt  nicht  über  bloße  Hypothese  hinaus. 
Was  ihre  Datierung  anbelangt,  so  haben  wir 
im  Innern  von  Spanien  keine  andern  Indi- 
zien als  die  römischen  Inschriften,  die  man 
auf  einigen  liest,  und  zwar  grade  auf  den 
rohesten  von  ihnen  (Torralba  de  Oropesa  in 
Toledo,  Miqueldi  u.  a.);  man  hat  häufig 
schon  vermutet,  daß  diese  Inschriften  später 
sind  als  die  fraglichen  Skulpturen. 

Wenn  man  andere  Orte  sucht,  die  für 
diese  Tierfiguren  Parallelen  bilden,  so  denkt 
man  sofort  an  Andalusien  und  an  den  Süd- 
osten; die  Gruppe  von  Tieren  des  Innern,  die 
Stiere  oder  Löwen  scheinen,  kann  man  sich 


dem  Typus  nach  mit  den  andalusischen  Lö- 
wen verwandt  denken,  z.B.  diejenige  des  Mu- 
seums von  Segovia  und  des  Palastes  der  Her- 
zöge von  Abrantes  in  Avila.  So  kommen  wir 
ohne  zu  große  Gewalt  zu  den  Köpfen  von 
Cabezas  de  San  Juan  (in  Sevilla),  und  damit 
haben  wir  etwas,  was  sich  mit  den  Löwen 
von  Baena  oder  Bocairente,  die  den  vollen- 
deten Typus  darstellen,  vergleichen  läßt. 
W'enn  man  weiß,  daß  die  iberische  Kul- 
tur, je  weiter  sie  sich  von  der  Küste  ent- 
fernt, um  so  später  auftritt,  und  wenn  man 
keine  anderen  Analogien  als  im  Süden  und 
Südosten  (den  Gebieten  der  ältesten  ibe- 
rischen Zivilisation)  findet,  so  muß  sich 
notwendig  als  einzige  wahrscheinliche 
Hypothese  aufdrängen,  daß  diese  Tiere 
des  Innern  eine  Degeneration  der  in 
Andalusien  und  im  Südosten  häufig  vor- 
kommenden Löwen  darstellen,  mit  denen 
sie  typologische  Beziehungen  haben,  und 
daß  ihr  Alter  nicht  die  letzten  Zeiten  der 
iberischen  Freiheit  des  Innern,  d.  h.  des 
3.  und  2.  Jahrhunderts  überschreitet.  So 
können  die  Eber  mit  den  römischen 
Inschriften,  die  gerade  die  degenerierte- 
sten Typen,  die  sich  am  meisten  von  den 
vorhergehenden  des  Südens  scheiden,  dar- 
stellen, sehr  wohl  die  Fortsetzung  jener  Kul- 
tur zu  Zeiten  der  Romanisierung  sein;  sie 
zeugten  dann  von  einem  Überleben  der  ibe- 
rischen Kultur  in  Gegenden  von  Spanien, 
in  die  die  römische  Kultur  am  langsamsten 
eindrang,  um  die  heimische  zu  verdrängen'). 

11.     VERGLEICH      DER      ARCHÄOLOGISCHEN 

RESULTATE     Mir       DEN       LITERARISCHEN 

QUELLEN. 

Nach  dem  vorhergehenden  allgemeinen 
Überblick  über  die  archäologischen  Re- 
sultate soll  jetzt  ein  Vergleich  versucht  wer- 
den mit  den  Ergebnissen,  die  wir  aus  den 
Texten  der  zeitgenössischen  Geschichte 
gewinnen. 


')  Man  vergleiche  Bosch,  Las  Bichas  y  verracos 
ibericos  (Hejas  Selectas,  Barcelona  1919,  8).  Für  die 
Aufzählung  der  bis  1903  bekannten  vgl.  P.  Paris, 
Essai  1  58  ff. 


')  Ein  vielleicht  sehr  ähnliches  Problem  stellen 
die  andern  bekannten  Skulpturen  des  Innern  und 
des  Westens  der  Halbinsel  dar,  wie  die  erwähnten 
lusitanischen  Krieger  und  die  Stelen  mit  den  Kriegern 
von  Clunia,  wenn  ihre  Epoche  wirklich  vorrömisch 
ist;  sie  wären  dann  weiter  nichts  als  eine  Barbari- 
sierung  der  Kunst  des  Südens. 


235 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


236 


A.    Die  Völker   der    i.    Periode  (6.  bis 
4.  Jahrhundert)  ■). 

Schulten  hat  vermittels  der  Texte  wich- 
tige Verschiedenheiten  in  dem  Bild  der  Völ- 
ker der  Halbinsel  nachgewiesen,  je  nach  den 
Zeiten,  denen  diese  Texte  artgehören.  So 
gibt  die  Gruppe  der  ältesten  Autoren  (Peri- 
plus,  der  in  der  Ora  maritima  von  Avienus 
erhalten  ist,  Hekataios,  Herodot,  Aischylos, 
Herodoros,  Ephoros,  der  Pseudo-Skylax 
usw.)  ein  Bild  von  Völkern,  da««  anders  ist 
als  das,  welches  die  Autoren  vom  3.  Jahr- 
hundert an  zu  rekonstruieren  erlauben  (Era- 
tosthenes,  Polybios,  die  zeitgenössischen 
Quellen  aus  dem  zweiten  punischen  Krieg 
und  der  Romanisierung,  besonders  die 
Quellen  von  Strabo,  darunter  Poseido- 
nios  und  Artemidoros,  Livius,  Diodor,  Pto- 
lemaios    und    die    Itinerarien    usw.). 

In  den  ältesten  Autoren  hat  Schulten  drei 
verschiedene  ethnologische  Schichten  er- 
kannt. Vor  allem  die  Reste  von  einheimi- 
scher vorkeltischer  und  voriberischer  Be- 
völkerung, die  er  als  ligurisch  betrachtet 
nach  dem  Vorgehen  von  C.  JuUian,  der 
sich  auf  den  berühmten  Text  von  Hesiod 
stützt,  welcher  die  Ligurer  als  das  typische 
Volk  des  Westens  ansieht.  Schulten  schließt 
in  diese  die  Draganerim  Norden  von  Spanien 
ein,  ferner  die  Oestrymnier  der  Küste  von 
Portugal  (die,  nach  dem  was  der  Periplus 
zu  verstehen  gibt,  durch  die  Invasion  der 
Kelten  vertrieben  wurden),  die  Kyneter  oder 
Conier  des  Algarve,  und  rechnet  vielleicht 
noch  einige  Völkerschaften  im  Norden  des 
Guadalquivirtales  (die  Gletcn  oder  Ilcaten, 
Elmaneer)     hinzu.      Wir     möchten      nicht 


')  Schulten,  Numantia.  Ergebnis  der  Ausgra- 
bungen I,  München,  Bruckmann  1914.  Schulten- 
Bosch,  Fontes  Hispaniae  Antiquac,  Barcelona- 
Berlin  1922.  Schulten,  Tartessos.  Ein  Beitrag 
zur  ältesten  Geographie  des  Westens,  Hamburg 
Friedrichsen  1922.  Bosch,  Ensayo  de  una 
reconstrucciön  de  la  etnologia  preliistörica  de  la 
peninsula  ib^rica  (Boletin  de  la  Biblioteca  Menen- 
dez  y  Pelayo  Santander  1922).  Bosch,  Assaig  de 
reconstitucid  de  la  etnologia  de  Catalanya  (Dis- 
curso  de  la  R.  Academia  de  Buenas  Letras,  Barce- 
lona 1922).  Bosch,  El  probleraa  etnolögico  vasco 
y  la  arqueologia  (Revista  internacional  de  los  estudios 
vascos  1923).  Die  Hauptresultate  davon  siehe  in 
»Die  baskische  Ethnologie  im  Lichte  der  neuesten 
archäologischen  Forschung«  in  Zeitschrift  für  Eth- 
nologie 1923,  87  ff.). 


glauben,  daß  alle  vorkeltischen  und  vor- 
iberischen Völker  der  Halbinesl  sich  auf 
eine  einzige  ethnische  Familie  zurückführen 
lassen,  obgleich  gewisse  Verwandtschaft 
unter  ihnen  besteht  und  auch  gewisse 
Ähnlichkeit  mit  den  Liguren  in  Südost - 
frankreich  da  ist.  Wir  nehmen  an,  daß  sie 
ein  Ergebnis  der  Mischung  der  verschiedenen 
Völker  sind,  die,  wie  wir  in  andern  Arbeiten 
auseinandergesetzt  haben,  von  altersher  die 
Halbinsel  einnahmen.  Wir  glauben  jedenfalls 
bewiesen  zu  haben,  daß  man  solchen  Völ- 
kern mit  heimischen  Wurzeln  gewisse  Volks- 
stämme im  Norden  von  Katalonien  (Indi- 
geten,  Cereten,  Ausocereten,  Ausetaner) ') 
einverleiben  muß,  die  in  den  Quellen  erwähnt 
werden,  und  ganz  besonders  die  Völker  der 
Pyrenäengebiete,  die  in  den  Texten  des 
6.  und  4.  Jahrhunderts  noch  nicht  erwähnt 
werden,  von  denen  aber  später  die  Basken 
und  andere  mit  ihnen  verwandte  Völker 
große  Bedeutung  erlangen  ^).  Man  kann 
diese  weder  als  iberisch  ansehen,  wie  es 
die  klassische  Theorie  verlangt,  noch  als 
ligurisch,  wie  es  Schulten  will,  sondern  muß 
zugeben,  daß  sie  etwas  Besonderes  für  sich 
in  der  ganzen  Ethnologie  des  Westens  von 
Europa  darstellen;  sie  haben  ihre  Wurzeln  in 
einem  gewissen  Volksstamm,  der  schon  zur 
Kupferzeit  eines  der  ethnischen  Elemente  der 
Halbinsel  bildet  (Pyrenäische  Völker). 

Die  zweite  ethnisciie  Schicht  Spaniens  bil- 
den die  Kelten.  Schulten  hat  als  solche  die 
Sefes,  Cempsi  und  Berybraces  identifiziert, 
die  ims  der  Periplus  überliefert.  Von 
diesen  Kelten  wissen  wir  durch  die  Quellen, 
daß  sie  nicht  nur  die  Küste  von  Portugal  und 
die  Hochfläche  von  Castilien  besaßen,  son- 
dern daß  sie  »raids«  an  die  Küste  von  Anda- 
lusien machten  (die  Insel  Cartarö  an  der 
tartessischen  Küste,  die  die  Kelten  nach 
dem  Periplus  in  Besitz  nehmen).  Die  Orts- 
namen an  der  Küste  von  Valencia  verraten 
gewissen  keltischen  Einfluß,  Segorbe  = 
Segobriga),  was  die  Archäologie  bestä- 
tigt, und  die  Archäologie  gibt  uns  auch 
Kunde,  daß  vor  der  großen  Bewegung,  die 
die  Kelten  nach  der  Hochfläche  und  nach 


')  Siehe  meine  oben   angegebene  Arbeit  über  die 
Ethnologie   Kataloniens. 
1         ')  Siehe  meine  oben  angegebene  Arbeiten   über 
j  die  Basken. 


237 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


238 


Portugal  brachte,  und  die  man  ins  6.  Jahr- 
hundert verlegen  muß,  eine  Infiltration 
von  Kelten  an  der  Nordküste  von  Katalo- 
nien vom  Süden  Frankreichs  aus  stattge- 
funden hat,  und  zwar  schon  im  Anfang  der 
Eisenzeit  (gegen  900  v.  Chr.:  die  katala- 
nische hallstättische  Küstenkultur).  End- 
lich muß  man  vermuten,  obgleich  uns  dies 
nur  aus  späteren  Quellen  bekannt  ist,  daß 
mit  den  Kelten  ein  germanischer  Stamm  kam, 
der  später  in  der  Sierra  Morena  erscheint 
und  den  Schulten  als  keltisch  ansah,  der 
aber,  wie  man  aus  den  Arbeiten  von  E.  Nor- 
den erkennt,  sehr  gut  ein  germanischer 
Stamm  sein  könnte,  der,  vermischt  mit  den 
Kelten,  in  der  großen  Bewegung  des  6.  Jahr- 
hunderts nach  der  Halbinsel  gelangte'). 

Die  dritte  ethnische  Schicht  ist  die  der 
iberischen  Völker.  Die  Quellen  bezeichnen 
sie  von  Herodoros  an  alle  mit  dem  gleichen 
Namen.  Trotzdem  unterscheidet  man  vor- 
her (Periplus,  Hekataios,  Herodot)  zwischen 
den  Iberern  im  engeren  Sinne  (an  den 
Küsten  von  Valencia  und  Katalonien)  und 
denen,  die  man  mit  dem  Namen  Tartessier 
bezeichnet,  unter  denen  sich  vielleicht  wich- 
tige Reste  voriberischer  Völker  verbergen. 
Es  ist  zwar  hier  nicht  der  geeignete  Ort, 
über  die  Ursprünge  beider  Gruppen  zu  dis- 
kutieren, aber  aus  archäologischen  Gründen 
glauben  wir,  daß  sie  zwei  verschiedenen 
Wellen  entsprechen,  die  zu  verschiedenen 
Epochen  in  die  Halbinsel  kamen.  Was  die 
Iberer  anbelangt,  so  ist  ihre  Anwesenheit 
fast  schon  von  dem  Ende  des  Neolithikums 
an  erwiesen,  während  die  Tartessier  eine 
spätere  Invasion  darstellen  könnten,  je- 
denfalls vor  dem  Jahre  lOOO  v.  Chr.  liegend, 
wo  sie  schon  die  biblischen  Texte  zitieren. 

Von  den  iberischen  Völkerschaften  im 
eigentlichen  Sinne  kennen  die  alten  Quellen 
außer  den  Gymneten  aus  den  Grenzen  der 
Provinzen  Valencia  und  Alicante,  die  ihnen 
wahrscheinlich  analog  sind,  die  Edetaner 
(vom  Jucargebiet  bis  zum  Ebro?),  die  Uer- 
geten  (vom  Ebro  bis  zu  den  Garrafküsten  in 
der  Prov.  Barcelona)  und  diejenigen,  die  nach 
dem  Periplus  die  iberische  Herrschaft  bis 
zu  den  Pyrenäen  über  verschiedene  Völker- 
schaften   ausdehnten    (besonders    über    die 

')  E.  Norden,  Die  Germanische  Urgeschichte 
in  Tacitus  Germania,  Berlin-Leipzig  1920. 

Archäologischer  Anzeiger  1933/34. 


Indiketen),  und  die  sich  den  Süden  von 
Frankreich  bis  zur  Rhone  (Aischylos)  un- 
terwarfen, und  ligurische  Stämme  (Sordo- 
nen,  Elysiker)  beherrschten.  Solche  äu- 
ßersten Gruppen  der  Iberer  haben  wir  mit 
den  Mysgeten  von  Hekataios  identifiziert  '), 
deren  genaue  Lage  aus  den  Hekataios - 
fragmenten  nicht  zu  ermitteln  ist,  und  mit 
den  »mit  Iberern  gemischten  Ligurern«,  die 
der  Pseudo-Skylax  an  der  französischen 
Küste  zitiert. 

Die  Gruppe  der  tartessischen  Völker  um- 
faßt folgende  Stämme,  die,  wenn  man  nach 
dem  Periplus  geht,  eine  Konföderation  unter 
der  Hegemonie  der  Tartesser  darstellten. 
Im  Südosten  und  im  östlichen  Teil  von 
Andalusien  (etwas  oberhalb  von  Mastia- 
Cartagena  bis  zu  dem  Fluß  Chrysus-Guadi- 
aro)  die  Mastiener,  unter  denen  es  fremde 
Elemente,  sicher  afrikanische  Kolonisatoren, 
die  der  Periplus  Libyphöniker  nennt,  gegeben 
hat,  im  Süden  der  Provinz  von  Cadiz,  vom 
Chrysus-Guadiaro  zum  Cilbus  -Salado  deConil, 
die  Cilbicener  (f ür  Herodor  Kelkianer),  an  der 
Mündung  des  Quadalquivir  und  in  seinem  Tal 
die  eigentlichen  Tartessier,  die  vielleicht  in 
dem  Gebiet  des  Rio  Tinto  und  des  Odiel 
(Huelva)  einen  andern  Stamm  bildeten: 
die  Elbysinier  (Herodoros)  oder  Olbysier 
(wie  Stephan  von  Byzanz  schreibt),  welche 
vielleicht  die  Elbestier  des  Hekataios  sind. 
Der  Periplus  spricht  für  den  Norden  des 
Quadalquivirgebietes  noch  von  andern  Völ- 
kerschaften, die  den  Tartessie.  n  angegliedert 
waren.  Schulten  hält  sie,  besonders  ihres 
Namens  wegens  nicht  für  iberisch;  es  han- 
delt sich  um  die  Ileaten  (oder  Gleten  nach 
Herodoros)  und  die  Etmaneer,  deren  Ge- 
biet   schwer   zu    präzisieren    ist. 

B.   Die    Völker    der    zweiten    Periode 
(3.    Jahrhundert    bis    zur    Romani- 
sierung). 

Das  Bild,  das  wir  eben  entworfen  haben, 
verändert  sich  gegen  das  3.  Jahrundert  zu 
(Eratosthenes,  Polybios  und  andere  Auto- 
ren,   die  Strabo  und  Diodor  benutzt  haben. 


')  Bosch,  Prehistoria  catalana  Barcelona  1919. 
Schulten  hat  dann  (Fontes  Hispaniae  antiquae  i 
22,  Commentar  zu  Hekataios)  die  Identifizierung  an- 
genommen. 

10 


239 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


240 


darunter  Poseidonios,  Artemidor  u.  a.). 
Im  Süden  gibt  es  jetzt  Völker,  die  wie  eine 
Transformation  der  früheren  Tartessier,  Cil- 
bicener  und  Mastiener  erscheinen;  es  sind 
die  Turdetaner,  Bastetaner  und  vielleicht 
auch  Contestaner. 

An  der  Ostküste  haben  sich  die  Stämme 
der  alten  Iberer  sehr  geändert.  Die  Ede- 
taner  kommen  nur  bis  zum  Palancia  (mit 
Sagunt),  dafür  breiten  sie  sich  im  Innern  aus, 
sie  steigen  in  den  Bergen  der  Provinz  Cas- 
tellön  in  Richtung  auf  Niederaragon  und 
das  Ebrogebiet  zu  und  erreichen  Zaragoza. 
Die  Ilercavoner  breiten  sich  vom  Pa- 
lancia durch  die  Ebene  der  Provinz  Caste- 
llon  bis  zur  Ebromündung  (Tortosa)  und 
bis  zu  den  Bergen  des  Coli  de  Balaguer  aus. 
Mit  sehr  schlecht  zu  bestimmenden  Gren- 
zen gibt  es  im  Innern  der  Ebenen  von  Urgell 
die  alten  Ilergeten,  die  früher  vom  Ebro  ab 
an  der  Küste  erwähnt  wurden,  und  die  man 
stets  als  Abzweigung  der  alten  Ilergeten  be- 
trachtet hat  und  die  Ilercavoner,  die  jetzt, 
wie  gesagt,  weiter  unterhalb  der  alten 
Grenzen  der  Ilergeten  leben.  Von  der 
Küste  von  Coli  von  Balaguer  an  im  Gebiet 
von  Tarragona  wohnen  bis  zu  der  Küste 
von  Garraf  die  Cossetaner;  von  hier  nach 
Norden  bis  Tordera  oder  bis  Blanes  die 
Laietaner,  die  in  ihrem  Rücken  die  Lace- 
taner  haben,  welche  mit  den  vorigen  iden- 
tisch scheinen  und  die  das  ganze  Flußge- 
biet des  Llobregat,  des  Cardoner,  mit  dem 
an  den  Bergen  liegenden  Teil  einnehmen  '). 
Das  Gebiet  des  Ter  m't  Vieh  und  Gerona  ge- 
hört den  Ausetanern,  und  das  Ampurdan  den 
Indiketen.  In  der  Cerdagne  leben  die  Cere- 
taner,  weiter  südlicher  findet  man  die 
Castellani,  die  die  Ausocereten  der  frühe- 
ren Quellen  scheinen.  Zwischen  den  Ause- 
tanern und  Lacetanern  wird  ein  unbekann- 
ter Volksstamm  jetzt  aufgesogen,  der  früher 
Bergistaner  oder  Bargusier  von  Berga  hieß. 
Im  Südosten  von  Frankreich  waren  die  Ibe- 
rer vor  der  Eroberung  der  Gallier  (Völker 
Tektosages)  verschwunden. 

Im    Innern   der   Halbinsel,     im    Tal    des 
Ebro,   erscheinen  jetzt  nach  den    Ilergeten 


die  Jacetaner  (Jaca),  die  mit  den  Aquita- 
nern  identisch  scheinen,  den  einzigen  Ibe- 
rern, die  man  in  Frankreich  erwähnt,  im 
Südwesten  grenzen  die  Jacetaner  an  die 
Vasconen  vonNavarra  und  aus  den  baskischen 
Provinzen,  welche  voriberisch  und  vorkel- 
tisch sind  ').  Im  Norden  von  Spanien  leben 
die  Kantabrer,  die  einen  ausgesprochen 
iberischen  Charakter  haben,  und  die  in  leb- 
haften Beziehungen  mit  den  Aquitanern 
stehen,  dagegen  nichts  mit  den  voriberischen 
und  vorkeltischen  Asturern  (vielleicht  ist 
letzterer  ein  anderer  Name  für  die  alten 
Draganer)   gemeinsam  haben. 

Im  Innern  und  nach  Westen  hin  leben 
jetzt  in  allen  Teilen  iberische  Stämme,  die 
Keltiberer  auf  dem  iberischen  Tafellande  und 
im  oberen  Gebiet  des  Duero,  die  Vaccäer  in 
dem  mittleren  Gebiet  des  Duero,  und  die  Lu- 
sitaner  zwischen  den  Stromgebieten  des 
Duero  und  Tajo,  an  der  Küste  von  Portu- 
gal. Diese  drei  Völker  scheinen  mehr  Be- 
ziehungen unter  sich  als  mit  den  andern 
Iberern  der  südlichen  Hochfläche  zu  haben, 
wo  die  Carpetaner  (in  der  Mancha),  die 
Oretaner  (im  südlichen  Neukastilien),  die 
Vettoner  (Extremadura  und  z.  T.  auch  auf 
der  andern  Seite  der  Pässe  der  Sierra  von 
Gredos  in  der  Provinz  Salamanca)  leben. 
Von  den  Kelten  haben  sich  nur  Reste  im 
äußersten  Nordwesten  und  Südwesten  der 
Halbinsel  erhalten,  die  Celtici,  die  dann 
in  Galizien  die  Callaeci  werden,  und  dann  in 
den  nördlichen  Ecken  der  iberischen  Rand- 
gebirge und  in  la  Rioja  die  Beroner.  Wir 
wissen  nicht,  ob  die  Turmodiger  vom  Tal 
»La  Bureba«  nicht  auch  keltisch  sind,  die 
sich  zwischen  den  Beronen,  Cantabrern 
und  Keltiberern  finden.  Und  wenn  man  sie 
auch  nicht  als  keltisch  betrachtet,  sondern 
als  einzelnen  Rest  der  mit  ihnen  in  Verbin- 
dung stehenden  Völkerschaften,  muß  man 
in  der  Sierra  Morena,  vermischt  mit  den 
Oretanern,  die  Germanen  erwähnen,  von 
denen  schon  gesprochen  wurde. 

Das  bedeutet  nach  der  Hypothese  von 
Schulten  eine  Eroberung  des  Innern  und 
Westens  auf  Kosten  der  Kelten,  die  in  die 


.  i         ')  ^*"  Vasconen  muß  man  sich  andere  analoge 

■)  Die  Schriftsteller  haben  oft  die  Laietaner  u.  Völkerschaften    einverleibt    denken,    die    mehrmals 

Lacetaner  mit  den  Jacetanern  von  Jaca,  der  Ahn-  i  erwähnt  werden,  die  aber  Ptolemaios  als  erster  ge- 

hchkeit  der  Namen  wegen,  verwechselt.  nau  begrenzt :  Varduler,  Carystier,  Autrigonen. 


241 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


242 


Ecke  gedrängt  werden,  wie  sie  vorher  die 
früheren  Völkerschaften  in  die  Ecke  dräng- 
ten, und  die  jetzt  nur  in  abgelegenen  Orten 
weiter  fortdauern.  Schulten  sieht  die  Ur- 
sache dieser  Eroberung  in  dem  Druck,  den 
die  Gallier  von  Frankreich  auf  die  Stäm- 
me von  Katalonien  und  auf  die  des  Ebro 
ausübten,  und  er  äußert  den  Gedanken, 
daß  in  den  Stämmen  aus  dem  Süden  von 
Frankreich  der  Ursprung  der  Stämme 
Zentralspaniens  zu  suchen  ist,  und  daß  sie 
den  Ebro  und  Jalon  entlang  hereinkamen. 
Die  Archäologie  gewährt  andere  Möglich- 
keiten. 


a)  Die  Gruppe  der  Iberer  und  die 
Gruppe  der  Tartessier.  Die  Unterschei- 
dung zwischen  den  beiden  Gruppen  der 
Iberer  aus  dem  6. — -4.  Jahrhundert,  d.  h. 
der  Völkerstämme,  die  man  sich  unter  den 
Tartessiern  und  den  eigentlichen  Iberern 
vereinigt  denkt,  spiegelt  klar  die  kulturellen 
Unterschiede  zwischen  dem  Südosten  (Mas- 
tiener)  und  Andalusien  (eigentliche  Tar- 
tessier) einerseits,  und  der  Küste  des  Reiches 
von  Valencia  und  Katalonien  andrerseits. 
Der  Eintritt  der  Iberer  in  Frankreich  wird 
durch  die  iberischen  Stationen  bewiesen, 
die  sich  bis  zur  Rhone  erstrecken,  welche  die 


Abb.    43.     Die  Iberische  Halbinsel  im  V. — IV.  Jahrh.  v.   Chr.      Fundkarte.      (Bosch.) 


C.  Die  Gruppen  der  iberischen  Kul- 
tur und  die  iberischen  Völkerschaf- 
ten. 
Man  kann  heute  sagen,  daß  das,  was  wir 
eben  auseinandergesetzt  haben,  sich  im  allge- 
meinen mit  den  Resultaten  der  archäolo- 
gischen Forschungen  deckt.  (Vgl.  die 
Karten  Abb.  43,  44).  Es  ist  möglich 
einige  Punkte  aufzuklären,  die  aus  Mangel 
an  literarischen  Nachrichten  zweifelhaft 
blieben  und  wieder  andere  Punkte  zu  modi- 
fizieren, die  durch  die  archäologischen 
Forschungen  helles  Licht  erhalten. 


äußerste  Grenze  zu  sein  scheint,  die  die 
Iberer  erreichten.  Die  Archäologie  lehrt 
uns  eine  weitere  interessante  Tatsache:  näm- 
lich daß  es  in  Niederaragön  schon  eine  ibe- 
rische Kultur  gab,  die  mit  der  Küste  der 
Provinz  Castellön  in  Beziehung  stand,  die 
von  den  Edetanern  besetzt  war.  Dies  läßt 
vermuten,  daß  die  iberische  Kultur  der  ersten 
Periode  von  Niederaragon,  deren  Grenze 
nach  dem  Innern  man  nicht  bestimmen 
kann,  den  Edetanern  entspricht,  die  schon 
damals  durch  die  Pässe  von  Morella  in  Rich- 
tung auf  die  Flußgebiete  vom  Matarrana  und 


243 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


244 


andern  Nebenflüssen  des  Ebro  vorgedrungen 
waren,  oder  wenigstens  iberischen  Stämmen, 
die  mit    ihnen  verwandt  waren. 

Diese  iberische  Kultur  der  Küste  von  Va- 
lencia und  von  Niederaragön  ist  andrerseits 
äußerst  wichtig,  da  sie  mit  ihrem  ärmlichen 
Charakter,  der  so  abweichend  von  der  reichen 
Kultur  des  Südostens  ist,  und  mit  den  über- 
lebenden prähistorischen  Dingen,  die  sie 
enthält,  die  bis  zur  Almeria-  und  Grotten- 
kultur der  Kupferzeit  hinaufsteigen,  vor 
allem     einen     starken     ethnischen     Unter- 


rung  der  Kultur  von  Valencia  und  Aragon, 
die  sich  der  des  Südostens  angleicht,  die 
ethnische  Verwandtschaft  zwischen  Iberern 
und  Tartessiern,  die,  wenn  sie  auch  zu  ver- 
schiedenen Epochen  nach  Spanien  kamen, 
doch  einem  gemeinsamen  Stamme  ent- 
sprossen sein   könnten. 

b)  Die  Kultur  von  Katalonien.  Man 
hat  gesehen,  daß  in  Katalonien  nur  die 
Südzone  rein  iberisch  gewesen  sein  dürfte, 
die  dann  die  Küstenzone  iberisiert  hat,  bis 
schließlich   die    Iberer   bis    zur    Rhone   und 


Abb.  44.     Die  Iberische  Halbinsel  im  lll.— II.  Jahrh.  vor  Chr.     Fundkarte.     (Bosch.) 


schied  zu  den  Völkerschaften  Südost - 
Spaniens  verrät,  der  sehr  gut  zusammen- 
geht mit  der  radikalen  Trennung  zwischen 
den  Tartessiern  und  eigentlichen  Iberern, 
und  andererseits  das  Alter  der  eigentlichen 
Iberer  an  der  Ostküste  von  Spanien  und  in 
Aragon  beweist.  Nur  so  erklärt  sich,  daß 
die  Iberer,  die  wahrscheinlichen  Nachkom- 
men des  alten  Volkes  der  Almeriakultur 
aus  der  Kupferzeit  sind,  das  in  seinem  Gebiet 
geblieben  ist,  ohne  sich  fortzubewegen,  und 
das  seine  Kultur  entwickelt  und  sie  erst 
nach  und  nach  auf  das  Niveau  der  Kultur 
bringt,  welches  die  Völker  der  tartessischen 
Gruppe  im  Südosten  von  Spanien  bilden,  und 
das,  trotzdem  es  von  dieser  entlehnt,  doch 
lange  Erinnerungen  der  einheimischen  Art 
behält.     Außerdem  erläutert    die  Verände- 


nach  der  inneren  Zone  kamen,  die  Sitz  von 
einheimischen,  nicht  iberischen  Völkern  war. 
Die  Archäologie  scheint,  trotzdem  man 
sie  für  das  5. — 4.  Jahrhundert  noch  schlecht 
kennt,  diese  Unterschiede  zu  erläutern. 
Im  Nordosten  von  Katalonien  gibt  es  einige 
Funde,  wie  das  Gefäß  von  La  Aigueta  und 
die  iberische  bemalte  Keramik  aus  der  un- 
teren Schicht  von  Emporion,  die  man  direkt 
als  vom  Südosten  eingeführt  betrachten 
könnte.  Die  iberische  Keramik  des  Südens 
von  Frankreich  verrät  trotz  ihres  ausge- 
sprochenen Lokalcharakters  auch  Bezie- 
hung zum  Südosten,  was  eine  Parallele  zu 
der  Annahme  der  Kultur  des  Südostens 
durch  die  iberischen  Stämme  von  Aragon 
und  Valencia  darstellt. 

Das  Wenige,  was  wir  dagegen  aus  dem 


245 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


246 


Innern  von  Katalonien  kennen,  verrät  nicht 
nur  eine  archaische  Zivilisation,  die  den 
prähistorischen  Traditionen  folgt,  die  von 
den  Zeiten  der  alten  Höhlenkultur  aus  der 
Kupferzeit  an  durch  die  verschiedenen  Peri- 
oden hindurch  bestanden  hat  (dies  wird 
durch  verschiedene  Funde  bewiesen),  son- 
dern eine  sehr  typische  ethnische  Indivi- 
dualität. Dies  ist  z.  B.  der  Fall  bei  den  Fund- 
orten Castell  Vell,  von  Solsona  (die  untere 
Schicht)  und  von  dem  Dorf  Anseresa  (Olius). 
Alles  dieses  verträgt  sich  sehr  gut  mit  der 
Existenz  von  einheimischen,  nicht  iberischen 
Völkern  in  diesen  Gegenden,  Völkern,  wie 
wir  sie  schon  so  nach  den  Nachrichten  der 
Quellen  vermutet  hatten  (Cereter,  Auso- 
cereter,  Ausetaner). 

c)  Die  Kelten  und  die  Iberer.  Daß 
es  weiter  im  Innern  der  Halbinsel  im  5.  und 
4.  Jahrhundert  noch  keine  Iberer  gab,  zeigt 
die  nachhallstättische  Kultur,  die  man  den 
Kelten  in  ihren  verschiedenen  Lokalgruppen 
zuschreiben  kann.  Die  Castros  von  Portugal 
und  Galizien  stammen  wahrscheinlich  von 
den  Cempsern  und  Sefen  und  die  kastilischen 
Nekropolen  können  den  Berybraces  ange- 
hören. Die  geographische  Einheit,  die  das 
Territorium  der  letzteren  bildet  mit  den 
Ausläufern  des  iberischen  orographischen  Sy- 
stems in  der  Provinz  Cuenca,  die  an  die 
von  Valencia  grenzt,  und  wohin  sich  grade  die 
nachhallstättische  Kultur  erstreckt,  läßtdaran 
denken,  daß,  da  ihr  Ende  notwendig  die  der 
Berybracer  ist,  sie  auch  die  kastilische 
Gruppe  sein  oder  wenigstens  zu  verwandten 
keltischen  Stämmen  gehören  könnte.  Die 
Nähe  der  keltischen  Kultur  von  Cuenca  und 
der  iberischen  Kultur  von  Valencia,  Caste- 
llön  und  Niederaragön  erklärt  in  rationeller 
Weise  die  keltischen  Einflüsse,  die  sich  in 
der  ersten  Periode  von  Niederaragön  und 
Valencia  so  reichlich  finden,  und  die  in  der 
zweiten  Periode  verschwinden. 

d)  Die  Veränderungen  im  3.  Jahr- 
hundert auf  der  unteren  Hochfläche 
(»meseta«).  Der  Stand  der  Dinge,  wie 
Schulten  ihn  vom  3.  Jahrhundert  ab  in 
den  Quellen  erkennt,  findet  volle  Ent- 
sprechung in  den  allgemeinen  Zügen  im 
Süden  und  Südosten  trotz  gewisser  Schwie- 
rigkeiten, die  von  den  ungenügenden  Mate- 
rialien und  ihrer  Datierung  herrühren;   für 


den  Nordosten  hat  man  einige  Berichtigun- 
gen vorzunehmen.  Von  der  Evolution  der 
Kultur  im  Südosten  und  Süden  in  der  Zeit,  für 
die  die  Quellen  dort  die  Contestaner,  die  Baste- 
taner  und  Turdetaner  erwähnen,  weiß  man 
nur,  daß  besagte  Kultur,  wenn  auch  ärmer 
und  dekadent,  bis  zur  römischen  Zeit  fort- 
dauert. Die  große  Blüte  fällt  ganz  und  gar 
in  die  Zeit  vor  dem  3.  Jahrhundert.  Viel- 
leicht kann  man  aus  den  Beziehungen,  die 
die  Stämme  der  unteren  Meseta  (Oretaner, 
Carpetaner,  Vettoner)  immer  mit  denen  aus 
dem  Südosten  und  aus  Andalusien  hatten, 
aus  ihrer  Opposition  gegen  Stämme  des 
Ostens,  Nordens  und  Westens  (die  Iberer  in 
Valencia,  Keltiberer,  Vaccäer  und  Lu- 
sitaner),  was  sich  einerseits  in  der  Leichtig- 
keit zeigt,  mit  der  sie  sich  romanisieren 
lassen,  sowie  in  den  »raids«  von  Viriat 
und  von  den  Keltiberern  in  Andalusien  und 
der  unteren  Meseta,  schließen,  daß  die  Stäm- 
me der  unteren  Meseta  mit  denen  des  Süd- 
ostens und  Südens  aus  dem  6.  —  4.  Jahr- 
hundert  zusammenhängen. 

Dafür  spricht  auch  der  archäologische  Nach- 
weis, daß  die  Fundorte  der  Tierskulpturen, 
deren  Beziehungen  zum  Südosten  und  zu 
Andalusien  wir  erwähnt  haben,  sich  im  Innern 
der  Halbinsel  und  grade  in  der  unteren  Me- 
seta finden,  mit  Ausbreitungen  nach  Sala- 
manca,  Avila  und  Segovia,  also  grade  den 
Orten  der  oberen  Meseta,  die  den  Pässen  der 
Sierra  Carpetana  am  nächsten  liegen,  an 
deren  anderer  Seite  sich  gleichfalls  die  Vetoner 
ausbreiteten.  Wenn  dies  gewiß  ist,  könnten 
wir  vermuten,  daß  die  Iberisierung  dieser 
Südhälfte  von'  Mittelspanien  auf-  den  na- 
türlichen Wegen  vom  Süden  her  stattfand, 
auf  dem  der  Mancha,  den  die  Carpetaner 
nahmen  (wahrscheinliche  Abzweigung  der 
Stämme  des  Südostens,  wie  es  auch  der 
Stamm  der  Oretaner  sein  kann),  und  dem 
Wege,  der  durch  den  östlichen  Teil  der 
Sierra  Morena  von  Niederandalusien  nach 
Estremadura  und  Salamanca  führt  (die  Ve- 
toner wahrscheinliche  Abzweigung  der  Tar- 
tessier). 

e)Die  Bewegungen  auf  der  Nord- 
hälfte der  Halbinsel.  Die  Bewegung  und 
Identifizierung  der  Kultur  der  Stämme  im 
Norden  und  Nordosten  der  Halbinsel  scheint 
viel  sicherer  zu  sein.  Schulten  nahm  an,  daß  die 


247 


Die  neueste  archSologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


248 


Iberisierung  der  Meseta  (wir  können 
hinzufügen  des  nördlichen  Teiles  derselben) 
und  von  Portugal  als  weitere  Konsequenz  des 
Druckes  der  Gallier  auf  den  Süden  von 
Frankreich  erfolgte,  der  die  iberischen  Völker 
des  Nordostens  ")  in  Bewegung  bringt,  aber 
die  Archäologie  gibt  uns  dafür  Details.  Sie 
beweist  vor  allem  die  Existenz  von  zwei  Pe- 
rioden, die  mit  den  Verschiedenheiten  der 
Völker,  wie  sie  die  Quellen  vor  dem  3.  Jahr- 
hundert verglichen  mit  den  späteren  Be- 
richten erkennen  lassen,  übereinstimmen. 
Mit  Hilfe  der  Archäologie  erklären  wir  uns, 
warum  die  Quellen  die  Ilergeten  im  Innern, 
in  Urgell,  getrennt  von  den  Ilercavonen 
(ihrer  Abzweigung)  zitieren,  während  an 
verschiedenen  Orten  der  katalonischen 
Küste  oberhalb  des  Ebro  die  Cosetaner 
erscheinen,  die  man  nicht  vorher  kann- 
te, und  warum  sich  die  Ilercavonen  seitdem 
gezwungen  sahen,  sich  Wohnsitze  an  der 
Mündung  des  Ebro  zu  suchen,  und  bis 
in  die  Nachbarschaft  von  Sagunt  kommen, 
in  das  Gebiet  der  alten  Edetaner.  Diese 
Tatsachen  spiegeln  sich  in  den  kulturellen 
Unterschieden,  die  wir  weiter  oben  ausein- 
andergesetzt haben,  zwischen  der  Gruppe 
von  Sidamunt  (der  Ilergeten),  der  Gruppe 
von  Niederaragön,  dem  oberen  Teil  von 
Castellön -Valencia  (Edetaner)  und  der  Ebene 
von  der  Mündung  des  Ebro  und  der  Provinz 
von  Castellön  (Ilercavonen);  sie  scheinen  mit 
der  Erscheinung  neuer  Stämme  verbunden 
zu  sein,  die  sich  zwischen  die  Ilerget^n-Iler- 
cavonen  und  die  Indigeten  schieben,  d.  h. 
der  Cosetaner  und  Laietaner,  sie  alle  mit  der 
gleichen  Kultur  der  Küste  aus  dem  3.  Jahr- 
hundert, die  auch  die  Ilercavonen  beein- 
flußte. Diese  nahmen,  entfernt  von  ihren 
Brüdern  im  Innern,  die  Einflüsse  ihrer  Nach- 
barn, der  Cosetaner  auf.  Alles  dieses  ist  letzten 
Endes  ein  Resultat  des  Druckes  der  Gallier 
auf  die  ligurischen  und  iberischen  Stämme  im 
Süden  von  Frankreich,  der  seinen  Ge- 
genstoß in  Katalonien  fand,  wo  die  Völker, 


')  Es  ist  unmöglich,  daß  die  Iberer  aus  der  Meseta 
die  sind,  die  vorher  im  Süden  von  Frankreich  leb- 
ten, da  die  Ausdehnung  der  Iberer  viel  mehr  durch 
Teilbewegung  und  successiven  Druck  erfolgt  zu  sein 
scheint  als  durch  große  Expeditionen  von  Abenteu- 
rern. Der  archäologische  Augenschein  lehrt  dieses 
gleichfalls. 


die  den  Indigeten  verwandt  sind,  sich  teil- 
ten ■).  Die  Cossetaner  nehmen  das  alte  Ge- 
biet der  Ilergeten  und  lassen  diese  im 
Gebiete  von  Urgell  isoliert,  die  Ilercavonen 
sehen  sich  zur  Auswanderung,  die  Küste 
abwärts,  gezwungen,  während  die  Gruppe 
der  Lacetaner  den  Llobregat  und  den  Car- 
doner  heraufwandert  auf  Kosten  der  früheren 
Völker  ').  Der  Eintritt  der  Ilercavonen  in 
die  Ebene  von  Castellön,  auf  Kosten  der 
Edetaner,  zwingt  diese,  sich  auf  die  Berge  zu- 
rückzuziehen und  in  das  Innern  einzudrin- 
gen. Vielleicht  trugen  hierzu  auch  mögliche 
Bewegungen  der  iberischen  Gruppen  im 
Südosten  bei,  die  das  Eindringen  des  ibe- 
rischen Elementes  in  die  Mancha  nach  der 
Mitte  der  Halbinsel  hin,  verursachten.  Der 
Druck  wurde  erstickt  durch  die  kartha- 
gische Eroberung  des  Südostens,  die  nun  eine 
schwierig  zu  überschreitende  Schranke  bil- 
det. So  fanden  die  Edetaner,  die  von  Norden 
und  von  Süden  gedrängt  werden,  keinen 
andern  Ausweg,  als  sich  in  die  Berge  zu 
flüchten. 

In  dieser  Bewegung  der  Edetaner  kann 
man  den  Ursprung  des  Eintrittes  der  ibe- 
rischen Elemente  in  das  vorher  von  den 
keltischen  Berybracern  und  jetzt  von  den 
Keltiberern  besetzte  Gebiet  erblicken.  Es 
konnte  dieses  auf  zwei  Wegen  geschehen: 
auf  dem  Wege  des  Jiloca  und  des  Jalon,  die 
die  Meseta  begrenzen,  oder  vomEbro  ab  durch 
den  Jalon  und  dem  Hochlande  von  Almazan- 
Duero,  und  nachdem  die  Vertreibung  der 
Keltiberer,  Vaccäer  und  Lusitaner  vollendet 
war,  durch  deren  Gebiete.  Die  Beziehung 
der  Edetaner  zu  den  Keltiberern  erklärt  sich 
sehr  gut  aus  der  Beziehung,  die  zwischen 
der  iberischen  Kultur  des  Ebro  und  Numan- 


■)  Die  Analogie  für  das  erwähnte  Volk  der  Indi- 
geten, bestärkt  durch  die  Identität  der  Kultur,  die 
zwischen  ihnen  besteht  und  sie  von  der  Ilergeten 
von  Sidamunt  scheidet,  wird  durch  den  Text  von 
StraboIIl4,  i  (S.  156)  bewiesen,  der  besagt,  daß  die 
Indigeten  mehr  nach  dem  Norden  des  Ebro  wohnten, 
und  daß  sie  in  4  Teile  geteilt  waren. 

')  Diese  Substitution  von  Völkerschaften  macht 
den  plötzlichen  Wechsel  verständlich,  den  man  in 
der  oberen  Schicht  der  Ortschaft  Castellvell  de  Solsona, 
die  dem  III.  Jahrh.  angehört,  trifft;  sie  zeigt  eine 
der  Küste  identische  Kultur,  die  ganz  von  der  der 
unteren  Schicht  desselben  Ortes  und  von  der  durch 
die  Ortschaft  Anseresa  (Olius)  bekannten  verschie- 
den ist. 


249 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


250 


tia  besteht,  einer  Beziehung,  die  heut  klarer 
ist  durch  das  Fragment  mit  figürlicher  Deko- 
ration von  einer  Numantia  verwandten  Tech- 
nik, das  man  in  San  Antonio  von  Calaceite 
fand,  und  durch  das,  was  wir  bezüglich  der 
Gruppe  von  Belmonte  sagten.  Wahrscheinlich 
erklären  sich  die  beobachteten  Verschieden- 
heiten durch  die  Isolierung  der  Kel tiberer,  die 
bis  in  späte  Zeiten  (133  v.  Chr.)  reicht,  und 
durch  die  Absorbierung  von  vielen  keltischen 
Elementen,  die  man  durch  die  Fülle  von  kel- 
tischen Eigennamen  zwischen  den  numan- 
tinischen,  ja  durch  dem  Namen  Celtiberer 
selbst  beweisen  kann,  sowie  durch  die  kel- 
tischen Formen  der  Keramik  von  Numan- 
tia, die  denen  der  nachhallstättischen  Ne- 
kropolen  gleichen,  und  durch  den  Dolch  mit 
zwei  Scheiben  am  Griff,  der  sich  in  Numan- 
tia befindet.  Die  zahlreichen  Beziehungen 
der  Keltiberer,  Vaccäer  und  Lusitaner  stehen 
im  Gegensatz  zu  der  Opposition  zu  anderen 
Stämmen;  anstelle  anderer  fehlender  archäo- 
logischer Indizien  beweisen  sie,  daß  die  Ibe- 
risierung  der  nördlichen  Meseta  und  Portu- 
gals die  Fortsetzung  der  Bewegung  ist,  die 
die  iberischen  Elemente  der  Keltiberer  nach 
Celtiberien   brachte. 

f)  Der  äußerste  Norden  ').  Im  allge- 
meinen ist  der  ganze  Norden  der  Halbinsel 
bis  in  späte  Epochen  hinein  sehr  wenig 
bekannt.  Das  Wenige,  was  man  weiß,  aber 
erlaubt,  die  Filiation  der  verschiedenen  Völ- 
kerschaften aufzustellen,  die  ihn  einnehmen, 
sowie  ihre  Itinerarien  zu  rekonstruieren. 
Wenn  wir  von  Gegenden  absehen,  von  denen 
die  Texte  absolut  nichts  sagen,  und  für  die 
es  auch  zur  Kompensierung  keinerlei  archäo- 
logische Funde  gibt,  wie  die  obere  Provinz 
von  L^rida,  so  erwähnen  die  Texte  dann  die 
Jacetaner  in  der  oberen  Provinz  von  Hues- 
ca  (Jaca);  sie  folgen  dann  den  verschiede- 
nen Stämmen,  die  mit  den  Basken  eine  Ein- 
heit zu  bilden  scheinen,  und  zwar  in  den  Pyre- 
näen von  Navarra  und  Guipuzcoa,  bis  zum 
Ebro  hin,  und  erwähnen  ferner  in  dem  übri- 
gen baskischen  Land  die  Varduler,  Carystier 
und  Autrigonen.  Den  Rest  der  Küste  von 
Nordspanien  bis  zu  dem  keltischen  Gebiet 
von    Galicien    nahmen    die    Kantabrer    ein 


')  Bosch,  El  problema  etnolögico  vasco  y  la 
Arqueologia  (Revista  Internacional  de  los  Estudios 
Vascos,  San  Sebastian  1923). 


(Santander  und  den  östlichen  Teil  von 
Asturien),  die  Asturer  den  übrigen  Teil 
von  Asturien  und  den  Norden  der  Pro- 
vinz Leon.  Zwischen  den  Kantabrern  und 
den  Asturern  einerseits  und  den  Kelti- 
berern  des  Duerogebietes  andrerseits  schieben 
sich  die  Beroner  (in  der  Rioja  und  der  ibe- 
rischen Gebirgskette)  und  die  Turmodiger 
(in  der  Bureva  d.  h.  in  der  oberen  Provinz 
Burgos)  ein. 

Von  diesen  Völkerschaften  weiß  man,  daß 
die  Kantabrer  iberisch  und  in  lebhafter 
Verbindung  mit  den  Aquitanern  aus  Frank- 
reich waren;  ja  sie  könnten  ähnlichen  Ur- 
sprungs wie  die  Aquitaner  sein.  Dafür 
waren  die  Beziehungen  der  Kantabrer 
und  Autrigoner  (d.  h.  die  Gruppe  der  Bas- 
ken) immer  wenig  freundschaftlich  und  der 
Krieg  mit  den  Römern  wurde  durch  diese 
Feindschaft  geweckt.  Das  gleiche  ist  der 
Fall  bei  den  Turmodigern  und  den  Beronen, 
die  von  den  Kantabrern  verschieden  und 
auf  alle  Fälle  nicht  iberisch  scheinen.  Die 
Beroner  scheinen  zu  den  keltischen  Stäm- 
men zu  gehören,  welche  die  Eroberung  des 
Duerogebietes  durch  die  Keltiberer  zurück- 
ließ. Von  den  Turmodigern  ist  schwer  zu 
sagen,  ob  es  sich  um  Kelten  oder  um  andere 
einheimische  Stämme  handelt.  Die  Asturer 
scheinen  nicht  iberisch,  nach  ihren  Volks- 
und Ortsnamen  hat  man  sie  als  Ligurer  an- 
gesehen. Wenn  dem  so  ist,  so  bilden  die 
Kantabrer  eine  iberische  Enklave  zwischen 
Stämmen  anderer  Herkunft;  es  ist  bemer- 
kenswert, daß  sie  nicht  an  den  keltiberischen 
Kriegen  teilnahmen,  weswegen  man  sie  nur 
schwer  als  äußerste  Erstreckung  der  ibe- 
rischen Völker  der  Meseta  bezeichnen  könnte. 
Zu  gleicher  Zeit  berührt  ihre  Verbindung  mit 
den  Aquitanern  aus  Frankreich  eigenartig. 

Wir  haben  eine  Zeit  lang  geglaubt,  daß 
man  die  Bewegung  der  Kantabrer  rekon- 
struieren könnte,  wenn  man  annimmt,  daß 
die  keltischen  Bewegungen  von  Frankreich, 
die  einen  Druck  auf  die  Linie  der  Garonne 
ausüben,  das  Eindringen  einer  Gruppe  von 
Aquitanern  von  Jaca  her  veranlassen  und 
an  dem  Südabhang  der  Pyrenäen  die  Bil- 
dung der  iacetanischen  Gruppe  bewirken. 
Eine  Gruppe  von  dieser  hätte  beim  Sichaus- 
breiten sich  in  dem  Ebrogebiet  verlieren  und 
über  Reinosa  nach  der  Provinz  Santander 


251 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


252 


gelangen  können.  Heut  halten  wir  aber  auch 
etwas  anderes  für  möglich.  Die  Bewegung 
der  Aquitaner- Jacetaner  könnte  unabhängig 
von  der  der  Kantabrer  sein,  diese  könnten 
aus  den  alten  iberischen  Gruppen  am  Ebro 
hervorgehen,  die,  als  die  große  Bewegung 
des  Eindringens  in  die  Meseta  vor  sich  ging, 
ebroaufwärts  gingen  und  bis  zum  Meer 
kamen,  und  die  als  sie  sich  von  ihren  Verwand  - 
ten  durch  die  benachbarten  Völker  (die  bas- 
kische Gruppe,  die  Beroner  und  Turmodiger), 
die  ihnen  den  Verkehr  mit  den  iberischen 
Zentren  am  Ebro  und  mit  den  Celtiberern 
des  Duero  abschnitten,  isoliert  sahen,  all- 
mählich die  Beziehungen  zu  ihnen  ver- 
loren und  dafür  neue  mit  den  ihnen  am 
nächsten  Verwandten  (den  Aquitanern  der 
Küsten  des  Golfes  von  Gascogne)  an- 
knüpften. 

Was  die  Gruppe  der  Basken  anbelangt, 
die  man  lange  Zeit  für  iberische  Reste  an- 
sah, die  ihre  Sprache,  die  man  für  eine  Fort- 
entwicklung der  iberischen  hielt,  bis  zur 
Gegenwart  erhalten  hätten,  so  scheint  es 
heute  sicher,  daß  man  sie  nicht  als  iberisch 
gelten  können  •).  Die  Bewegungen  der 
Iberer  scheinen  in  das  obere  Ebrogebiet 
und  das  Innere  von  Spanien  nicht  vor  dem 
3.  Jahrhundert  zu  gelangen,  und  wenn  wir 
Iberer  an  der  Nordküste  der  Halbinsel  (die 
Kantaber)  nachweisen  können,  macht  die 
Opposition  zwischen  ihnen  und  der  bas- 
kischen Gruppe  schwer  verständlich,  daß 
sie  dem  gleichen  Stamm  angehören  sollten. 
Die  archäologischen  Forschungen  der  letzten 
Jahre  haben  für  das  Baskenland  für  die 
Zeiten  der  pyrenäischen  Kultur  der  Kupfer- 
zeit menschliche  Reste  ergeben,  die  nach  den 
anthropologischen  Untersuchungen  von  Pro- 
fessor Aranzadi  den  jetzigen  Basken  glei- 
chen. Dies  setzt  die  Existenz  dieses  ethni- 
schen Elementes  schon  für  die  Kupferzeit 
voraus,  wo  es  kaum  Iberer  in  dieser  Region 
geben  konnte.  Wir  müssen  heut  die  Basken 
als  eine  der  einheimischen,  voriberischen  Völ- 
kerschaften von  Spanien  ansehen. 

Was  die  baskische  Sprache  und  die  Mög- 
lichkeit anbelangt,  daß  sie  iberisch  sein 
könnte,  so  muß  man,  selbst  da  es  möglich 

')  Bosch,  El  problema  etnolögico  vasco.  S.  auch: 
Bosch,  Zeitschrift  für  Ethnologie,  1923,  87  ff.  und 
Artikel  „Basken"  in  Eberts  Reallexikon  der  Vor- 
geschichte. 


ist,  daß  zahlreiche  iberische  Überflutungen 
der  Sprache  stattgefunden  haben,  sich  hüten, 
das  Problem  zu  einfach  zu  nehmen.  Es 
könnte  sein,  daß  ältere  Elemente  in  der 
Sprache  existieren,  die  einen  andern  Ur- 
sprung haben  als  die  iberischen  Elemente, 
und  die  mehr  in  Beziehung  zu  der  wahren 
ethnischen  Natur  des  Volkes  stehen.  Schul- 
ten wollte  die  baskische  Sprache  als  li- 
gurisch  ansehen,  was  aber  von  H.  Schuchardt 
energisch  bestritten  wurde  '). 

Auf  alle  Fälle  ist  der  heutige  Stand  der 
Frage  der,  daß  die  Basken  als  Abkömmlinge 
des  alten  pyrenäischen  Volkes  der  Kupfer- 
zeit gelten,  das  damals  die  ganzen  Pyrenäen 
einnahm  (es  scheint  daß  die  Ortsnamen- 
kunde dies  in  gewisser  Weise  bezeugt),  und 
daß  sie  das  in  dieser  Region  wirklich  ein- 
geborene Volk  darstellen  =). 

g)  Der  historische  Rahmen  für  die 
iberische  Ethnologie  und  Kultur. 
Eis  scheint  klar,  daß  besagte  Bewegungen 
ihre  Basis  an  der  Küste  hatten.  Die  Ost- 
küste iberisiert  die  Meseta  und  den  Norden 
von  Portugal;  Andalusien  und  der  Süd- 
osten schickt  die  Iberer  nach  der  unteren 
Meseta.  Der  fernere  Ursprung  der  ersten 
Bewegung  ist  wahrscheinlich  der  Eintritt 
der  Gallier  in  den  Süden  von  Frankreich. 
Der  letzte  Ursprung  der  zweiten  bleibt  zu 
erklären,  aber  vielleicht  kann  man  auch 
dieses  heute  tun.  Trotz  Mangel  an  ausführ- 
lichen Nachrichten  scheint  es,  daß  die  Ur- 
sache hierfür  in  der  Eroberung  des  Süd- 
ostens und  Südens  durch  Karthago  liegt. 
Während  des  5.  und  eines  Teils  des 4.  Jahr- 
hunderts beschränkte  sich  diese  Eroberung 
auf  den  Besitz  der  alten  phönizischen  Kolo- 
nien und  auf  die  Zerstörung  der  griechischen 
Kolonie  Mainake,  die  eine  gefährliche 
Rivalin  war  nach  der  Schlacht  von  Alalia 
(535  V.  Chr.).  Aber  gegen  das  Ende  des 
4.  Jahrhunderts  und  besonders  während  des 
3.  Jahrhunderts  organisierten  die  Karthager 


')  H.  Schuchardt,  Baskisch-  iberisch  oder  -li- 
gurisch?  Mitteilungen  der  Anthropolog.  Gesellsch. 
in  Wien  XVIII  N.F.  1915,  109. 

')  Über  alte  prähistorische  Beziehungen  der  Ur- 
basken  zu  den  Uriberern,  welche  eine  starke  sprach- 
liche Beeinflussung  hervorrufen  könnten,  s.  meine 
Arbeit  »Die  Vorgeschichte  der  Iberer«  im  Druck  zu 
den  Mitteilungen  der  Anthropologischen  Gesellschaft 
in  Wien. 


253 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


254 


eine  wahre  Beherrschung  des  ganzen  Tales 
des  Guadalquivirs  und  des  Südostens.  Die 
Haupttatsache  der  karthagischen  Erobe- 
rung scheint  die  Zerstörung  der  beiden  gro- 
ßen iberischen  Metropolen  zu  sein,  der  der 
Tartessier  und  der  der  Mastiener,  d.  h.  von 
Tartessos  an  der  Mündung  des  Guadal- 
quivir,  das  nach  Schulten  schon  kurz  nach 
Alalia  gegen  500  zerstört  wurde,  und  das 
niemals  wieder  erstand,  und  von  Mastia,  das 
die  Barkiden  zerstörten  und  unter  dem 
Namen  Cartago  Nova  (Cartagena)  wieder 
aufbauten.  Beide  Umstände,  besonders 
letzterer,  verursachten  sicher  die  Flucht 
nach  dem  Innern  von  denen,  die  sich  der 
fremden  Eroberung  nicht  fügten.  Die  Er- 
oberung von  Andalusien  und  die  damit  zu- 
sammenhängenden Kriege  mußten  die  Aus- 
wanderung der  Vetonen,  die  von  Mastia  mit 
der  Einnahme  des  Südostens  die  derOreta- 
ner  und  Carpetaner  veranlassen.  Diese 
Bewegungen  mußten  in  der  Zeit  zwischen 
dem  ersten  und  zweiten  punischen  Krieg 
beendet  sein,  da  ja  die  Karthager  Anläufe 
unternahmen,  um  zum  mindestens  in  nomi- 
neller Weise  die  Beherrschung  der  besagten 
iberischen  Stämme  des  Innern  vorzunehmen, 
außerdem  veranstalteten  sie  dort  während 
des  zweiten  punischen  Krieges  Aushebungen. 

III.    DAS  URSPRUNGSPROBLEM    DER    IBE- 
RISCHEN KULTUR. 

a)  Die  alten  Hypothesen.  Zum 
Schluß  muß  ein  anderes  Problem  von  neuem 
gestellt  werden,  für  das  die  jüngsten  For- 
schungen neue  Anhalte  geben:  es  handelt 
sich  um  die  große  Frage  des  Ursprunges 
und  der  Bildung  der  iberischen  Kultur.  P. 
Paris  suchte  sie  in  der  heroischen  Zeit  der 
iberischen  Archäologie  in  dem  mykenischen 
Einfluß.  In  Polemik  zu  ihm  stellte  H.  Siret 
die  Hypothese  von  dem  punischen  Einfluß 
auf.  Man  fing  dann  nach  und  nach  an,  von 
dem  geometrischen  und  dem  archaischen 
Griechenland  zu  sprechen.  Jetzt  wird  das 
Problem  kompliziert,  aber  wir  haben  heute 
einen  Rahmen,  um  es  viel  klarer  als  früher 
zu  begrenzen. 

b)  Die  chronologische  Basis.  Vor 
allem    die    Chronologie.       Schon    Pottier') 


■)  La  Probleme  de  la  c^ramique  iWrique  (Journal 
des  Savants  1905,  58). 


begriff,  als  er  die  Rezension  des  Buches 
von  P.  Paris  schrieb,  daß  für  die  Annahme 
belegter  mykenischer  Einflüsse  ein  Hinder- 
nis bestand,  und  daß  die  Ähnlichkeiten  sich 
aus  dem  Fortleben  gewisser  mykenischer 
Motive  in  der  jonischen  Keramik  erklären 
könnten.  Heut  steht  dies  fest,  wie  es  Paris  ') 
selbst,  Pottier'),  Lantier?)  und  andere  aner- 
kannten, daß  es  nicht  möglich  ist,  die  Frage 
in  eine  Epoche  zu  verschieben,  die  dem 
5.  Jahrhundert  sehr  ferne  liegt,  da  keiner 
der  iberischen  Funde  als  vor  dieser  Zeit 
liegend  angesehen  werden  darf.  Außerdem 
zeigen  Funde  aus  der  ersten  Eisenzeit  im 
Südosten  (die  Gräber  der  Provinz  Almeria) 
eine  sehr  arme  und  keine  mit  der  iberischen 
vergleichbare  Kultur.  Etwas  Ähnliches 
kann  man  von  der  hallstättischen  Kultur  in 
Katalonien  sagen. 

c)  DerOrtderBildung  unddiemög- 
lichen  fremden  Einflüsse.  Andrerseits 
besteht  kein  Zweifel,  daß  man  die  Bildung 
der  iberischen  Kultur  weder  in  Katalonien, 
noch  oberhalb  der  Küste  von  Valencia 
suchen  darf,  da  sich  in  keiner  der  beiden  Ge- 
genden im  5.  Jahrhundert  die  Hauptheim- 
stätten der  iberischen  Kultur  finden,  die 
hier  vom  Südosten  abhängen.  Man  muß  sie 
also  im  Südosten  oder  in  Andalusien  suchen. 
Es  ist  auch  selbstverständlich,  daß  man 
einen  bemerkenswerten  Teil  an  dieser  Bil- 
dung fremden  Einflüssen  zuschreiben  muß, 
und  diese  können  nur  den  Phöniziern, 
Karthagern  und  den  Griechen  zuerteilt 
werden,  die  durch  ihre  respektiven  Kolo- 
nien diese  Einflüsse  einströmen  ließen. 
Niemand  diskutiert  das  Bestehen  von  phöni- 
zisch-karthagischen  Kolonien.  Das  Bestehen 
der  griechischen  ist  dagegen  noch  dunkel, 
und  viele,  die  beeinflußt  werden  durch 
den  metropolen  Charakter,  den  Emporion 
schließlich  für  die  griechische  Kolonisie- 
rung in  Spanien  erwirbt,  bedenken  nicht  ge- 
nügend, welchen  Einfluß  die  Kolonien  des 
Südens  z.  B.  Mainake  und  Hemeroscopeion 
haben  konnten,  deren  Existenz  und  Priori- 
tät vor  Emporion  aufrecht  erhalten  werden 
muß.  Der  Periplus,  der  durch  Avien  erhalten 


')  Revue  Archeologique   1917  II,  81. 
')  Pottier,  Le  probleme  de  la  c^ramique  ib^riquc 
(Journal  des  Savants  1908,  28:). 
3)  Journal  des  Savants  1917,  185. 


255 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


256 


ist,  spricht  mit  seiner  Basis  des  6.  Jahrhun- 
derts von  Mainake  und  Hemeroscopeion, 
zitiert  aber  Emporion  nicht.  Andrerseits 
führt  alles  auf  die  Annahme,  daß  die 
Kolonien  des  Südens  und  Südostens  in  ihren 
Anfängen  direkt  von  Phokaia  und  nicht 
von  Massilia  abhängen  wie  Emporion,  das 
eine  andere  kolonisatorische  Bewegung  re- 
präsentiert '). 

Wir  glauben,  daß  der  einzuschlagende  Weg 
nicht  im  Vergleich  mit  den  Phöniziern  oder 
Karthagern,  sondern  mit  den  Griechen  be- 
steht. Die  karthagische  Kultur  im  allge- 
meinen, und  besonders  die  von  Spanien,  ist 
sehr  arm  und  kann  nur  vereinzelte  Elemen- 
te der  iberischen  Kunst ')  ergeben.  Vielleicht 
beschränken  diese  sich  auf  den  hartnäckigen 
Gebrauch  der  geometrischen  Verzierung  in  An- 
dalusien, die  sich  oft  auf  parallele  Zonen  ohne 
andere  Motive  beschränkt,  oder  auf  eine  kleine 
Zahl  von  Gefäßformen  aus  jener  Gegend. 
Die  orientalischen  Elemente  der  Kunst  des 
Südostens  brauchen  nicht  notwendig  durch 
Karthago  oder  durch  die  phönizischen  Kolo- 
nien gegangen  zu  sein,  sie  sind  besser  durch 
griechische  Intervention  zu  erklären,  die 
jene  orientalischen  Elemente  mitgebracht 
haben  kann,  da  die  archaische  Kunst  der 
Griechen  noch  viele  Eigentümlichkeiten  der 
Zeit  besaß,  in  der  das  orientalisierende  Ge- 
präge ihre  vorherrschende  Note  war. 

Wir  könnten  den  Weg  vielleicht  auf  zweier- 
lei Art  finden.  Wir  könnten  einerseits  sehen, 
ob  die  griechischen  Funde  aus  Spanien  uns 
die  Lösung  bringen,  oder,  wenn  diese  fehlen, 
in  Griechenland  die  Dinge  studieren,  die  sich 
mit  denen  der  ersten  Zeiten  des  Kontaktes 
mit  der  Halbinsel  vergleichen  lassen,  vor 
allem    die  der  Gegenden,  die  mit  Phokaia, 


■)  Man  vergleiche  besonders  für  die  Kolonisierung 
des  Südens  und  Südostens  Clerc,  Les  premieres  colo- 
nisations  phoceennes  dans  la  M^ditarran^e  occi- 
dentale  (Revue  des  etudes  anciennes  VII  1905, 
329  ff.).  Daß  Herodot  nicht  Mainake  erwähnt, 
sondern  nur  die  ersten  Expeditionen  der  Phokäer  in 
Andalusien,  kann  man  durch  die  Zerstörung  von 
Mainake  durch  die  Karthager  bald  nach  Alalia  (535) 
erklären;  es  ist  wahrscheinlich,  daß  der  Periplus,  der 
früher  ist,  es  kannte.  Aber  daß  Hekataios  nichts 
von  ihm  weiß,  ist  recht  merkwürdig,  da  in  seiner 
Zeit,  wie  die  Ausgrabungen  gelehrt  haben,  Emporion 
schon  bestand. 

')  Man  erkennt  dies  deutHch  in  der  Polemik 
zwischen  P.  Paris  und  Siret. 


der  Metropole  unserer  Kolonien,  in  Verbin- 
dung stehen.  Wenn  wir  in  der  jonischen 
Kunst  und  im  allgemeinen  in  der  Kunst  des 
orientalischen  Griechenlands  vom  7.  Jahr- 
hundert an  bis  zu  dem  Ende  des  Archaismus 
Vergleichspunkte  für  die  noch  dunklen 
Reste  der  iberischen  Kunst  des  Südostens 
und  Südens  fänden,  hätten  wir  zweifellos 
einen  großen  Schritt  nach  vorwärts  getan, 
dann  könnten  wir  eine  Hypothese  auf 
sicherer  Basis  aufbauen. 

d)  Die  griechischen  Funde  auf  der 
Halbinsel.  Die  wenigen  griechischen  Ge- 
genstände, die  man  im  Südosten  und  Süden 
von  Spanien  gefunden  hat,  sind  einige 
archaische  Bronzen  (der  Satyr  aus  dem 
Llano  de  la  Consolacion,  der  Greif  von 
Castellar  de  Santisteban,  die  Athena  aus 
dem  Museum  von  Granada)  und  dann  rot- 
figurige    und     schwarzgefirnißte    Keramik. 

Um  uns  über  die  Phänomene  der  grie- 
chischen Kunst  von  Griechenland  zu  orien- 
tieren, die  wir  nötig  haben,  können  uns  auch 
die  Keramikarten,  die  man  in  der  Nekropole 
von  Emporion  gefunden  hat,  gute  Dienste 
leisten.  Die  ältesten  von  ihnen  sind  sicher 
Zeitgenossen  der  Palaiopolis  aus  dem  6.  Jahr- 
hundert und  gehören  mit  wenig  Ausnahmen 
dem  orientalischen  Griechenland  an,  das  not- 
wendig die  hellenische  Region  sein  mußte,  die 
am  meisten  mit  Phokaia,  der  gemeinsamen 
Hauptstadt,  in  Verbindung  stand.  Diese 
Arten  sind  die  folgenden:  gewöhnliche 
Keramik  des  griechischen  Orients  mit  ein- 
fachen farbigen  Linien,  die  das  Gefäß  in 
Zonen  teilen ;  chalkidische  Keramik  (Oinochoe 
mit  einem  Fries,  auf  dem  ein  Panther  und 
Füllmotive  zu  sehen  sind,  z.  B.  eine  Art 
Palmette  und  andere  Blumenmotive),  ko- 
rinthische und  italo-korinthische  Gattungen. 

Schon  hieraus  lernen  wir  etwas  Wichti- 
ges, nämlich  daß  durch  Vermittlung  der 
Griechen  die  Figuren  von  Ungeheuern  zu  den 
Iberern  kamen  oder  kommen  konnten,  und 
zwar  aus  der  orientalisierenden  griechischen 
Kunst,  die  in  dem  vorgeschrittenen  grie- 
chischen Archaismus  noch  nicht  verschwun- 
den waren:  der  Greif  von  Castellar  de  San- 
tisteban und  die  Darstellung  der  kleinen 
chalkidischen  Oinochoe  von  Ampurias  (in 
dem  Museum  von  Gerona)  •).    Diese  beiden 

")  A.  Frickenhaus,  Griechische  Vasen  aus  Em- 


257  ^>'  neueste  aTchiologfiscbe  Tfttigkeit  in  Spanien. 


258 


Funde  lassen  uns  das  Problem  der  Tierdar- 
stellungen aus  der  Keramik  des  Südostens 
(Canassiers  und  Vögel)  in  neuem  Lichte 
sehen,  ja  auch  die  Ungeheuer  der  Skulpturen. 
Aber  weiter:  der  kürzliche  Fund  eines  Frag- 
mentes eines  Reliefs  mit  zwei  Sphingen  ■)  aus 
Ampurias  an  der  Stelle  der  Palaiopolis  (Sant 
Martin)  und  der  eines  jonischen  Löwens, 
der  in  Phokaia  »),  der  Mutterstadt  aller 
griechischen  Kolonien  auf  der  Halbinsel, 
zutage  kam,  geben  den  richtigen  Schlüssel 
zu  dem  Problem. 

e)  Die  griechische  Kunst  in  Bezie- 
hung zu  der  iberischen.  Der  Löwe  von 
Phokaia  hat  bemerkenswerte  Ähnlichkeit,  so  - 
wohl  was  Form  als  Technik  anbelangt,  mit 
dem  Löwen  von  Bocairente,  und  damit  er- 
klärt sich  die  ganze  Gruppe  der  mit  dem 
von  Bocairente  verwandten  Löwen  als  jo- 
nischen Ursprungs,  und  in  gleicherweise  zei- 
gen uns  die  Sphingen  des  Frieses  der  Palaio- 
polis von  Emporion  auch  den  Ursprung  der 
Sphingen  des  Südostens  und  des  Südens 
in  der  jonischen  Kunst,  da  die  Tatsache  be- 
wiesen ist,  daß  sowohl  der  Löwe  wie  die 
Sphingen  häufige  Motive  in  der  archaischen 
jonischen  Kunst  sind,  die  grade  zeitlich  mit 
der  Gründung  der  spanischen  Kolonien  zu- 
sammenfällt. Ein  genauer  Vergleich  der 
schönen  Statuen  des  Cerro  de  los  Santos  mit 
der  archaischen  griechischen  Skulptur,  be- 
sonders mit  den  Kleidern  der  Koren  von  der 
Akropolis  von  Athen  wäre  sicher  sehr  nütz- 
lich, und  sicher  ließen  sich  auch  in  der  Aus- 
führung gewisser  männlicher  Gesichter  des- 
selben Cerro  Ähnlichkeiten  mit  den  archa- 
ischen griechischen  Gesichtern  finden.  Lau- 
tier wollte  schon  die  Bronzen  von  Castellar 
mit  der  griechischen  Plastik '  vergleichen, 
und  wir  sehen  unsererseits  diese  Erkenntnis 
bekräftigt  durch  die  Bronzen  von  Murcia, 
besonders  durch  die  große  Figur  des  Kriegers 
und  die  nackte  Frau.  Den  augenscheinlichen 
Einfluß  der  griechischen  Kunst  auf  die  Dame 


porion  (Anuari  de  l'Institut  d'Estudis  Catalans  II 
1908,  198  u.  ff.). 

')  Cronica  de  les  excavacions  d'Empuries  in 
dem  Anuari  del  Inst.  E.  C.  V  1915—20,  707 
fig.  546. 

»)  F.  Sartiaux,  R^cherches  sur  le  site  de  l'an- 
cienne  Phoc^e  (CR.  des  sc^ancesdel'Acad.des  Inscr. 
et  Beiles  Lettres  1914)  6  ff.  Abb.  2. 


von  Elche,  den  Krieger  mit  der  falcata,  auch 
aus  Elche,  die  Skulpturen  von  Osuna,  wel- 
che Hypothese  man  auch  immer  aufstellt, 
um  ihn  zu  erklären,  braucht  man  hier  nicht 
besonders  zu  betonen,  und  ebensowenig  die 
Übertragung  griechischer  Bauformen,  wie  in 
den  iberisch  jonischen  Kapitalen  von  Elche, 
den  Dekorationen  von  Osuna,  dem  System 
der  Verteidigung  und  der  Anlage  der  Städte 
(Türme  und  Mauern  von  Tarragona  und 
Osuna  etc.).  Die  wenigen  sepulkralen  Mo- 
numentalformen, die  wir  kennen,  wie  die 
großen  Tumuli  mit  innerer  Kammer  von 
Galera,  haben  auch  ihre  griechischen  Vor- 
bilder im  orientalischen  Griechenland,  und 
dies  macht  eine  direkte  Erklärung  aus  dem 
Orient  überflüssig. 

f)  Die  archaischen  griechischen 
Elemente  der  iberischen  Kunst."  Es 
ist  interessant  zu  beweisen,  daß  die  große 
iberische  Kunst  stark  mit  griechischen  Ele- 
menten durchsetzt  ist,  die  schon  im  6.  Jahr- 
hundert anfangen,  und  zu  sehen,  daß  der 
Weg  zur  Erklärung  der  alten  iberischen 
Kunst  ihr  Vergleich  mit  der  archaischen 
griechischen  Kunst  ist  und  besonders  mit 
der  des  orientalischen  Griechenlands,  dem 
die  jonische  Metropolis  der  Kolonien  von 
Spanien  angehörte.  Diese  griechische  Ba- 
sis erklärt  uns  auch  sicher  die  Genesis  von 
vielen  Motiven  der  iberischen  Keramik.  Hier 
muß  man  allerdings  immer  bedenken,  daß 
man  logischerweise  annehmen  darf,  daß  einer- 
seits die  Originalitätssucht  und  die  persön- 
liche Interpretation  der  Iberer  eine  große 
Rolle  spielen,  ein  Punkt,  den  E.  Pottier 
besonders  betont,  und  daß  andrerseits 
beim  Auswählen  der  griechischen  Motive 
für  die  Keramik  sie  selten  solche  wählten, 
die  ein  tiefes  schwieriges  Studium  der 
menschlichen  Figur  oder  anderer  Dinge 
voraussetzten  (man  sehe  als  Ausnahme  die 
laufenden  Männer  des  Gefäßes  von  Em- 
porion aus  der  Sammlung  Cazurro  ').  Es 
wurden  im  Gegenteil  Motive  leichter  Aus- 
führung vorgezogen  oder  solche,  die  leicht 
zu  assimilieren  waren,  man  verband  sie 
frei  und  entfernte  sich  so,  was  die  Kom- 
bination   betrifft,    weit  von    dem  Original. 


')  Anuari  Inst.    E.  C.   1908,    561  ff.    wiederabge- 
druckt in  dem  Bulletin  hispanique  1911. 


259 


Die  neueste  archäologische  Tätigkeit  in  Spanien. 


260 


Aus  diesen  Gründen  beeinflußte  die 
griechische  Figurenkeramik  nur  wenig  die 
iberische,  und  wir  finden  dafür  die  größten 
Ähnlichkeiten  in  den  rein  ornamentalen 
Motiven,  die  die  Figuren  der  griechischen 
Vasen  begleiteten  oder  in  vielen,  die 
die  jonische  Keramik  des  6.  Jahrhunderts 
aufweist.  Das  ist  bei  der  Mehrzahl  der  stili- 
sierten Blumen  und  geometrischen  Motive 
der  Fall,  ja  sogar  bei  den  carnassiers  und 
Vögeln  von  Elche.  Ein  ausführlicher  Ver- 
gleich der  jonischen  Keramik  aus  dem  Ende 
des  7.  Jahrhunderts  und  besonders  aus  dem 
6.  bis  4.  Jahrhundert  (für  letzteres  ist  dies 
schwierig  wegen  Mangels  an  Material  aus 
Griechenland  selbst)  wäre  sehr  fruchtbar 
und  müßte  unbedingt  gemacht  werden.  Hier 
können  wir  nur  auf  einige  Vergleichspunkte 
hinweisen,  die  von  selbst  in  die  Augen 
springen. 

Besonders  ist  das  Einteilen  der  Gefäße 
in  Zonen  durch  breite  Streifen  oder  farbige 
Linien  in  den  gewöhnlichen  jonischen  Ge- 
fäßen, die  wir  schon  in  Emporion  finden,  ganz 
gebräuchlich. 

Die  einfachsten  und  allgemeinsten  Mo- 
tive in  der  ganzen  iberischen  Keramik,  d.  h. 
die  Kreise  und  Segmente  von  konzentrischen 
Kreisen,  die  parallelen  Wellenlinien,  auf 
welche  sich  mit  besonderem  Nachdruck 
die  Hypothese  des  mykenischen  Ursprunges 
stützte,  werden  in  der  griechischen  geome- 
trischen Keramik  (bis  zum  8.  Jahrhundert) 
gebraucht,  und  während  der  orientalisie- 
renden  Periode  (7.  Jahrhundert)  als  Motive, 
um  leere  Räume  zu  füllen.  Es  würde  nicht 
unmöglich  sein,  Analoges  noch  in  den  jo- 
nischen Arten  zu  finden.  Was  aber  in  der  ibe- 
rischen Keramik  etwas  Originelles  darstellt, 
ist  ihre  Kombination  und  die  Tat- 
sache, daß  dadurch  ein  ornamentales  System 
geschaffen  wurde. 

Das  Motiv  der  Halbkreise,  der  Sekanten, 
das  man  im  Südosten,  der  ganzen  Ostküste 
und  in  Frankreich  findet,  und  das  dann  nach 
Aragon  übergeht,  ist  typisch  für  die  Ge- 
fäße der  griechischen  sogenannten  äolischen 
Gattung;  wenn  man  diese  Gefäße  auch 
nicht  auf  unserer  Halbinsel  gefunden  hat, 
so  begleiten  sie  in  Italien  viele  der  ersten 
Arten,  die  in  Emporion  gefunden  wurden, d.  h. 
solche  aus  dem  Ende  der  orientalisierenden 


Periode  ').  Es  ist  bekannt,  wie  sehr  in  der 
griechischen  Keramik  aller  Arten  und  in 
der  iberischen  aller  Regionen,  die  Schach- 
bretter, die  Hakenkreuze,  Mäander,  Wolfs - 
Zähne,  S-Reihen  herrschen.  Das  Motiv  der 
Spiralen  in  einer  Reihe  oder  das  der  vonein- 
ander getrennten  Spiralen,  die  aber  von 
einer  gemeinsamen  Linie  ausgehen,  ist  in 
der  ganzen  griechischen  Keramik  sehr  häu- 
fig, besonders  in  der  orientalisierenden  Pe- 
riode und  in  den  jonischen  Arten. 

Das  gemischte  Motiv  der  Rosette  oder 
Palmette  mit  der  Spirale  hat  eine  lange 
griechische  Tradition  in  allen  Regionen 
Griechenlands  und  besonders  in  Jonien,  von 
den  rein  orientalisierenden  Vasen  und  den 
Vasen  der  Fikelluragattung  an  bis  zu 
den  vorgeschrittenen,  bis  zu  den  atti- 
schen Arten  des  6.  und  5.  Jahrhunderts,  bei 
denen  man  zum  Schmuck  und  Füllen  den 
Raum  unter  den  Henkeln  oder  andere  Orte 
verwendet.  In  der  iberischen  Keramik 
des  Südostens  hat  es  eine  reichere  und  man- 
nigfaltigere Entwicklung  genommen,  und 
von  hier  aus  scheint  es  sich  über  die  ganze 
Ostküste  zu  verbreiten  (bis  zu  dem  Gefäß 
von  l'Aigueta  und  Emporion)  und  eben- 
so bis  zu  den  Gruppen  des  3.  Jahrhunderts: 
Urgel,  Azaila  und  San  Antonio  de 
Calaceite. 

Die  Efeublätter,  die  von  beiden  Seiten 
eines  horizontalen  Stammes  ausgehen  (ty- 
pisch in  Spanien  im  Südosten  und  in  Em- 
porion), findet  man  in  Griechenland  wäh- 
rend der  ganzen  Zeit,  in  der  die  jonische 
Keramik  ')  blühte.  Die  verschiedenen  Kom- 
binationen der  Efeublätter  für  Guirlanden 
sind  häufig  und  mannigfaltig  in  der  jo- 
nischen Keramik  des  6.  Jahrhunderts,  die 
sich  dann  fortsetzt  3) .  Die  Kombinationen  von 
Efeuguirlanden  von  Azaila  haben  eine  über- 
raschende Ähnlichkeit  mit  einem  Teller,  der 


')  Der  zitierte  Katalog  von  Friclienhaus  in  dem 
.\nuari  von  1908.  Man  sehe  zahlreiche  jonische 
Parallelen  bei  Böhlau,  Aus  jonischen  und  italischen 
Nekropolen,     Leipzig  Teubner  1898. 

')  Böhlau,  das  zitierte  Werk. 

3)  Böhlau,  Zitiertes  Werk.  Sieveking-Hackl, 
Die  königliche  Vasensammlung  zu  München  I.  Die 
älteren  nicht  attischen  Vasen  (München,  Obernetter 
1912)  unter  vielen  andern  Dingen:  Abb.  18  num. 
522 — 23,  Abb.  21  num.  585,  586.  595,  Abb.  42  num. 
159,  S.  151  fig.  196. 


26 1 


Die  neueste  archäologische  T&tigkeit  in  Spanien. 


262 


in  Cypern  gefunden  wurde  '),  dem  man  ein 
viel  späteres  Datum  geben  muß  (4. — 3.  Jahr- 
hundert?), der  bis  auf  gewisse  Punkte  mit 
den  Gefäßen  von  Azaila  zusammengeht. 

Eine  gründliche  Revision  des  griechischen 
Materials  der  ganzen  orientalisierenden 
Epoche  und  der  Zwischenzeit  von  dieser  zu 
den  schwarzen  Figuren,  z.  B.  den  letzten 
jonischen  Arten  und  der  korinthischen  Ke- 
ramik, würde  Carnassiers  und  Vögel 
finden  lassen  wie  die  der  Gruppe  Elche, 
Archena.  In  Spanien  besitzen  wir  außer- 
dem die  kleine  chalkidische  Oinochoe  von 
Emporion  mit  einem  Ungeheuer  '),  das  in 
gewisser  Weise  der  Art  der  Carnassiers 
verwandt  ist. 

Dagegen  haben  die  menschlichen  Motive 
wenig  Vergleichspunkte  mit  denen  aus  Grie- 
chenland, ausgenommen  das  schon  zitierte 
Beispiel  aus  Emporion. 

g)  Die  griechischen  Kolonien  und 
die  iberische  Kultur.  Nach  dem  bisher 
Gesagten  mußte  die  Errichtung  der  Kolo- 
nien von  Mainake  und  Hemeroscopeion  im 
Süden  und  Südosten  von  kapitaler  Wichtig- 
keit für  die  Bildung  der  iberischen  Kultur 
sein,  die  heute  den  Eindruck  macht,  daß  sie 
von  einem  Volke  hervorgebracht  ist,  das 
große  rezeptive  Fähigkeiten  besitzt  und  zahl- 
reiche griechische  Elemente,  die  ihm  aus 
jenen  Kolonien  zuströmen,  assimiliert,  diese 
Einflüsse  mit  anderen  weniger  starken  3) 
kreuzt,  alles  zusammenzuschmelzen  weiß 
und  seinen  Schöpfungen  ausgesprochen  per- 
sönlichen Charakter  gibt.  Es  ist  unzweifel- 
haft, daß  von  allen  barbarischen  Zivilisa- 
tionen des  barbarischen  Europas,  auf  die  die 

■)  P.  Hermann,  Das  Gräberfeld  von  Marion  auf 
Cypern  (48.  Winckelmannsprcgramm.  Berlin,  Reimer, 
1888)  Abb.  32,  S.  51   u.   Abb.  42,  S.  58. 

')  Frickenhaus.  Zitiertes  Werk  Nr.  B.  a  (Abb.  16 
der  S.  208). 

3)  Z.  B.  der  geringe  E^nfluB,  den  das  phönizisch 
karthagische  Element  gehabt  haben  kann,  das  man 
vielleicht  in  einigen  Gefäßformen  erkennt  ,dem  großen 
Weinkrug  mit  eiförmigem  Bauch,  dem  andalusischen 
Gefäß  mit  hohem  zylindrischem  Hals,  der  in  einen 
ebenen  vorspringenden  Rand  endigt  (Bosch,  Cerä- 
mica  ib^r.  Abb.  Vi).  Die  nachhallstättische  Civili- 
sation  des  Zentrums  scheint  auch  viele  Gefäßformen 
beeinflußt  zu  haben,  nicht  nur  die  der  Keramik  von 
Numantia,sondern  auch  die  der  anderen  Gebiete.  Der 
griechische  Einfluß  in  dem  Typus  des  sog.  »carnas- 
sier<  ist  schon  eine  feststehende  Tatsache. 


klassischen  Kulturen  Einfluß  ausübten,  die 
iberische  zu  größter  Vollendung  kam.  Viel- 
leicht ist  letzteres  und  die  Treue,  mit  der 
die  griechischen  Einflüsse  hier  aufgenom- 
men wurden,  dem  Umstand  zu  verdanken, 
daß  in  Spanien  im  Gegensatz  zu  andern  Län- 
dern (zu  Frankreich  z.  B.  bei  den  keltischen 
Stämmen,  die  die  La  T^nekultur  auf  der 
hallstättischen  Basis  entwickelten),  die  grie- 
chischen Einflüsse  fast  auf  jungfräulichen 
Boden  fielen,  ohne  dort  irgend  eine  Zivi- 
lisation von  irgendwie  nennenswertem  Ni- 
veau vorzufinden,  weswegen  der  griechische 
Same  dort  ohne  irgend  ein  Hindernis  auf- 
gehen konnte. 

So  ist  es  ganz  natürlich,  daß  wir  die  erste 
Heimstätte  für  die  iberische  Kultur  im 
Süden  und  Südosten  finden,  Stätten,  die 
schon  seit  alter  Zeit  in  Verbindung  mit  den 
Fremden  stehen,  die  nie  den  Kontakt  mit  dem 
eigenen  Volke  verloren,  und  andrerseits  in 
den  Zeiten  der  griechischen  Kolonisation 
mit  Stämmen  besetzt  waren,  die  sich  zu- 
gänglicher zeigten,  als  jene,  die  das  Hinter- 
land von  Emporion  einnahmen,  die, 
wie  wir  wissen,  lange  zögerten  einen  inti- 
men Kontakt  mit  den  Griechen  einzugehn. 
Wenn  wir  durch  Emporion  den  sicheren 
chronologischen  Rahmen  für  die  Syste- 
matisierung der  iberischen  Kultur  erhalten 
haben,  so  werden  wir  an  dem  Tage,  an  dem 
wir,  durch  methodische  Ausgrabungen,  die 
Kolonien  Mainake  und  Hemeroscopion  ken- 
nen, den  endgültigen  Schritt  getan  haben, 
um  das  große  Problem  des  Ursprungs  und 
der  Bildung  der  iberischen  Kultur  zu  lösen '). 

Barcelona.  P.  Bosch- Gimpera. 

(Deutsche  Übersetzung  von  Frl.  Dr.  G. 
Richert.) 


')  Eine  wichtige  Frage,  die  hier  nicht  erörtert 
werden  kann,  betrifft  die  Möglichkeit  der  Vermitt- 
lung der  griechischen  Einflüsse  auf  die  iberischen 
Kultur  durch  die  iberischen  Söldner,  welche  öfters 
in  karthagischen  und  griechischen  Heeren  gekämpft 
und  sogar  Athen  selbst  besucht  haben.  Die  lite- 
rarischen Belege  darüber  werden  im  II.  Heft  der 
Fontes  Hispaniae  antiquae  (im  Druck)  von  Prof. 
Schulten  und  von  mir  herausgegeben. 


263 


Scheuklappen. 


264 


SCHEUKLAPPEN. 

Die  Römer  kennen  wohl  metallene  Augen - 
schutzkörbe  bei  den  schwergepanzerten 
Pferden  der  catafractarii  (Lindenschmidt, 
Altert,  unserer  heidn.  Vorzeit  V  Taf.  17, 
Text  S.  87)    und  die    brillenartige  Vollban- 


Abb.   I.      Pferdekopf    von    einem    Sarkophagrelief. 
Museo  Chiaramonti. 


dage  beider  Augen  beim  Arbeitstier:  Sar- 
kophagrelief des  Museo  Chiaramonti  Ame- 
lung,  Vatikan  I  Nr.  497  Taf.  68 ;  Blümner, 
Technologie  I'4i  Fig.  16  (undeutlich), 
entstellt  bei  Baumeister,  Denkmäler  II  933 
Fig.  1005  und  Mau,  Pompeji  383  Fig.  224. 
Hier  als  Abb.  I  nach  A.  Rumpf  verdankter 
getreuerer  Skizze.  Die  literarischen  Stellen 
bei  Blümner  a.  a.  O.  35  Anm.  5. 
Aber   der   Gebrauch   eigentlicher   Scheu- 


klappen des  Wagenpferdes  ist  Griechen 
und  Römern  fremd.  Meines  Wissens  gibt 
es  weder  Monumente,  auf  denen  sie  erschei- 
nen, noch  eine  literarische  Erwähnung 
ihrer.  Hingegen  sind  Scheuklappen  im 
Fahrwesen  des  kyprisch-  phönikischen  Be- 
reiches üblich.  Unsere  Abb.  2  zeigt  ein  in 
deutschem  Privatbesitz  befindliches  ky- 
prisches  Terrakottapferd.  Länge  O,  li  m, 
Höhe  des  erhaltenen  0,075  "i-  Brandspuren. 
Sehr  heller  weißlicher  Ton;  viele  Reste 
roter  Farbe  am  Zaumzeug,  ebenso  ist  die 
Satteldecke  mit  Rot  aufgemalt.  Links  an 
der  Schulter  Bruchstelle  des  Verbindungs- 
stücks zum  Nachbarpferd  —  das  vollständige 
Monument  war  ein  vier-  oder  zweispänniger 
Wagen,  wie  wir  deren  sogleich  mehrere 
aufführen  werden.  Unser  Pferd  zeichnet 
sich  vor  jenen  zumeist  sehr  summarisch 
ausgeführten  durch  verhältnismäßig  gute 
Arbeit  aus.  Zeit  wohl  V.  Jahrhundert, 
erste  Hälfte.  Die  Scheuklappen  stehen 
deutlich  erkennbar  in  dem  Winkel  zwischen 
Stirnriemen  und  Backenstück,  an  denen  sie 
befestigt  zu  denken  sind,  neben  den  Augen. 
Scheuklappen  finden  sich  auf  folgenden 
sonstigen  kyprischen  Denkmälern:  i.  Sar- 
kophag von  Amathus,  auf  beiden  Längs- 
seiten. Am  deutlichsten  AD  III  Taf.  3. 
Sonstige  Bibliographie  bei  Studniczka  J.  d.  I. 
XXII  1907,  182;  Myres,  handbook  of  the 
Cesnola  Collection  228  nr.  1365.  2.  Sar- 
kophag von  Golgoi,  auf  der  einen  Schmal - 


Abb.   2.     Kyprisches  Terrakottapferd. 


265 


Scheuklappen. 


266 


Seite.  AD  III  Taf.  6.  Vgl.  wiederum  Stud- 
niczka  a.a.O.  183;  Myres  a.a.O.  226, 
nr.  1364.  Die  Klappen  sind  von  spitziger 
Form.  3.  Kalksteinbiga  aus  Kurion,  New 
York,  Cesnola  coli,  of  Cypr.  antiquities 
atlas  I  pl.  LXXX  520;  Myres  a.  a.  O.  145, 
nr.  1017 ;  Cesnola  und  Stern,  Cypern  Taf.  67, 
danach  Studniczka  a.  a.  0.  186.  4.  Kalk- 
steinquadriga aus  Dali,  British  Museum 
Nr.  73.  3. — 20.  93.  5.  Tonquadriga  aus 
Tamassos,  BritishMuseum  Nr.1910. 6. — 20.20 
(Nr.  4  und  5  weist  mir  Herr  Pryce  nach). 
6.  Fragment  eines  Pferdekopfes,  Ton,  Ces- 
nola coli.  II  pl.  LXXIV  670.  7.  Terra- 
kottapferd Louvre,  Heuzey,  cat.  nr.  39; 
unsere  Abb.  3  nach  einer  Photograpie, 
die  ich  nebst  anderer  Belehrung  Herrn  Pottier 
verdanke.  DasStück  ist  primitiver,  aber  auch 
archaischer  als  Abb.  2. 

Von  phönikischen  Monumenten  kommt 
in  Betracht  die  bekannte  kleine  Terrakotta- 
quadriga aus  Marathus  (Amrith)  im  Louvre: 
Heuzey,  figurines  de  terre  cuite  du  Louvre 
pl.  5  Mitte;  Studniczka  a.  a.  O.  169;  Poulsen, 
Der  Orient  und  die  frühgriech.  Kunst  63. 
Studniczka  hat  die  Datierung  ins  9.  Jahr- 
hundert begründet.  Daß  die  Pferde  wirk- 
lich Scheuklappen  tragen,  hat  Herr  Pottier 
noch  einmal  ausdrücklich  festgestellt.  Eben- 
so —  nach  freundlicher  Auskunft  des  Herrn 
Jean  Babelon  —  die  Pferde  der  beiden 
phönikischen  Terrakottagespanne  des  Ca- 
binet    des    m^dailles    Nr.  5912,    5913,    abg. 


Poulsen  a.  a.  O.  Fig.  60 — 62.  Vgl.  zu  ihnen 
noch  Undset,  Ztsch.  f.  Ethnologie  1890,  69. 
Weist  der  Brustbehang  der  Pferde  auf 
Assyrien,  so  gehören  die  Scheuklappen  zu 
den  ägyptischen  Elementen  des  phöni- 
kisch-kyprischen  Fahrwesens.     Vgl.  dazu  im 


Abb.   3.     Terrakottapferd.     Louvre. 

allgemeinen  Studniczka  a.  a.  0.  161.  Die 
Scheuklappen,  die  wir  auf  den  aufgeführten 
Denkmälern  fanden,  stimmen  nach  Form 
und  Befestigungsart  genau  mit  den  ägyp- 
tischen überein.  Die  Darstellungen  auf  den 
Reliefs  der  18. — 20.  Dynastie  sind  so  zahl- 
reich, daß  es  genügt,  auf  die  Werke  von  Da- 
vis   (El  Amarna),    Rosellini,     Champollion, 


Abb.  4.     Scheuklappen  aus  dem  Tut-ench-Amun-grabe. 


267 


Rekonstruktionen  der  Stuckreliefs  aus  Pseira. 


268 


Prisse  d' Avenues  zu  verweisen,  um  so  mehr, 
als  jetzt  originale  Scheuklappen  aus  dem 
Tut-ench-Amun -grabe  vorhanden  sind.  Wir 
bilden  eine  derselben  in  Abb.  4  nach  Phot. 
(geliehen  vom  Verlag  A,  Scherl)  ab.  Für 
die  Dekoration  des  Basisstückes  mit  Lotos- 
blüte ist  ChampoUion  I  Taf.  XIII  und,  bei 
flüchtiger  Zeichnung  weniger  klar  erkenn- 
bar, wohl  auch  Rosellini  II  Taf.  LXXXIX, 
XCV  zu  vergleichen.  Für  die  Setzung  des 
apotropäischen  Auges  weiß  ich  keine  Paral- 
lele; figürlicher  Schmuck  auf  Scheuklappen 
findet  sich  ChampoUion  I  Taf.  XV,  Rosel- 
lini II  Taf.  LXXXIV  (Löwen). 

Es  haben  sich  also  die  im  Aegypten  der 
18. — 20.  Dynastie  erfundenen  Scheuklappen 
mit  dem  Streitwagen  nach  Phönikien  und 
Kypros  ausgebreitet.  Unsere  dem  9.  und  6./5. 
Jahrhundert  entstammenden  Denkmäler 
sind  ein  zufälliger  Ausschnitt  des  erhaltenen 
und  geben  keinen  Hinweis  auf  das  Datum 
der  Übernahme. 

Daß,  wie  wir  bei  der  Art  unserer  Über- 
lieferung aus  dem  negativen  TatDestand 
mit  Sicherheit  schließen  dürfen,  die  Griechen 
und  Römer  von  dieser  orientalischen  Er- 
findung keinen  Gebrauch  machten,  hat, 
wie  mich  Herr  Major  Dr.  A.  Diehl  belehrt, 
seinen  Grund  darin,  daß  »ihre  Reit-  und 
Fahrkunst  hochentwickelt  war,  während 
dem  Pferdegebrauch  der  Ägypter  Primitivi- 
tät und  ein  sozusagen  barbarischer  Ein- 
schlag anhaftete,  erkennbar  beispielsweise 
an  der  unendlich  harten  Beizäumung  und 
dem  Gebrauch  schroffer  Hilfszügel«. 

Auf  die  naheliegende  Frage,  ob  die  Scheu- 
klappen später  zum  zweiten  Male  und  un- 
abhängig wiedererfunden  wurden  oder  — 
was  bei  der  Ökonomie  der  Kulturgeschichte 
wahrscheinlicher  ist  —  irgendwann  aus  dem 
Orient  ins  Abendland  übergingen,  habe  ich 
mich  vergeblich  bemüht,  eine  Antwort 
von  Hippologen  und  Kulturhistorikern  des 
Mittelalters  zu  erhalten.  ') 

Marburg.  P.  Jacobsthal. 


')  Der  früheste  bildliche  Beleg  für  Scheuklappen 
aus  dem  Mittelalter  und  der  Neuzeit  erst  14.  Jahr- 
hundert, wie  mirL.  v.  Schlözer  nachweist :  Flämische 
Chronik  (Flucht  Ermengadas,  der  Gattin  Salvards, 
Lord  of  Rouissilion)  im  British  Museum,  wozu  er 
V.  Achenbach,    Anspannen    und    Fahren     126  (mir 


REKONSTRUKTIOiNEN  DER  STUCK- 
RELIEFS AUS  PSEIRA. 

Als  ich  im  Frühjahr  1914  zum  letzten 
Male  mit  Emile  Gilli^ron  in  Herakleion 
auf  Kreta  zusammen  sein  und  arbeiten 
konnte,  beschäftigte  ihn  neben  den  Re- 
konstruktionen knossischer  Gemälde,  die  er 
im  Auftrage  von  Evans  ausführte,  in  seiner 
Mußezeit  eine  Aufgabe,  die  er  sich  selbst 
gestellt  hatte  "und  mit  besonderer  Liebe 
verfolgte,  nämlich  die  Zusammensetzung 
und  Ergänzung  der  von  R.  B.  Seager  in 
Pseira  gefundenen  Fragmente  von  Stuck- 
reliefs sitzender  Frauen.  Es  erscheint  mir 
als  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit,  das  Er- 
gebnis seiner  Versuche  hier  nach  den  mir 
von  seinem  Sohne  und  Erben  seiner  Kunst, 
Herrn  Emile  Gilli^ron  fils,  freundlichst  zur 
Verfügung  gestellten  Photographien  be- 
kanntzugeben, obwohl  ich  ohne  erneute 
Anschauung  nicht  die  genauen  wissenschaft- 
lichen Nachweisungen,  die  zur  Ergänzung 
vielleicht  wünschenswert  wären,  zu  geben 
vermag. 

Halvor  Bagge  hatte  in  der  Zeichnung  für 
Seagers  Veröffentlichung  (Excavat.  on  the 
Island  of  Pseira,  Crete;  Univ.  of  Pennsyl- 
vania, The  Museum,  Anthrop.  Publ.  Vol.  III 
Nr.  I,  Plate  V'))  die  besterhaltenen  Stücke 
zu  dem  Bilde  einer  sitzenden  Frau  zusam- 
mengestellt; Seager  hatte  im  Text  S.  32 
schon  bemerkt,  daß  der  linke  Arm  zu  einer 
zweiten  Figur  gehört  haben  könne,  von  der 
indessen  keine  weiteren  Fragmente  Zeugnis 
ablegten.  Da  die  überaus  zahlreichen  Reste 
von  Frauendarstellungen  aus  Knossos,  Hagia 
Triada,  Theben,  Mykenai  und  Tiryns  die 
ausnahmslos  innegehaltene  Regel  ergeben, 
daß  das  Stoffmuster  an  dem  Ärmeljäck- 
chen in  sich  einheitlich  ist,  konnte  aus  der 
Verschiedenheit   der    Ärmelmuster   mit    Si- 


unzugänglich)  zitiert.  Der  älteste  deutsche  sprach- 
liche Beleg  (nach  freundlicher  Mitteilung  der  Direk- 
tion des  Germanischen  Museums)  bei  Geiler  von 
Kaysersberg.  S.  Charles  Schmidt,  Historisches  Wör- 
terbuch der  Elsässischen  Mundart,  Strassburg  1901 
314   „Schuechleder" 

-)  K.  Müller,  J.  d.  I.  XXX  igis,  270  A.  3  (dort 
weitere  Literatur);  Karo,  R.  E.  s.  v.  Kreta  1778; 
Rodenwaldt,  J.  d.  I.  XXXIV  1919,  98,  Abb.  5  u. 
Fries  des  Megarons  von  Mykenai  9  u.   63  A.  21. 


269 


Rekonstruktionen  der  Stuckreliefs  aus  Pseira. 


270 


cherheit  gefolgert  werden,  daß  es  sich  um 
Reste  von  mindestens  zwei  Figuren  handle'). 

Die  Untersuchung  der  in  der  Baggeschen 
Rekonstruktion  nicht  verwandten  Stücke 
bestätigte  diese  Annahme  und  ergab  an- 
dererseits, daß  es  sich  bei  beiden  Gestalten, 
wie  Seager  und  Bagge  schon  mit  Recht  für 
die  eine  angenommen  hatten,  um  sitzende 
Figuren  handelt.  Außer  der  Einbeziehung 
der  weiteren  Fragmente  galt  es  für  die 
neuen  Rekonstruktionen,  die  Reste  auf  zwei 
Figuren  aufzuteilen,  sie  richtig  zu  rücken 
und  endlich  die  Stoffmuster  genauer  wieder- 
zugeben, als  es  in  der  ersten  Publikation 
geschehen  war,  kurz  die  Erfahrungen  zu 
verwerten,  die  bei  der  ersten  Publikation 
noch  nicht  zur  Verfügung  standen. 

Die  Erwägungen,  von  denen  sich  Gilli^ron 
hat  leiten  lassen,  ergeben  sich  unmittelbar 
aus  der  Anschauung  der  beiden  Abb.  I  und  2 
wiedergegebenen  Rekonstruktionen,  in  de- 
nen er  mit  gewohnter  Meisterschaft  ein 
plastisches  Faksimile  der  erhaltenen  Relief- 
teile geschaffen  hat.  Welche  Unterkörper- 
und  welche  Oberkörperfragmente  zusammen- 
gehören, bleibt  hypothetisch.  Auch  muß 
man  mit  einem  Spielraum  für  die  richtige 
Stellung  einzelner  Fragmente  rechnen;  z.  B. 
fragt  es  sich,  ob  man  bei  der  Figur  Abb.  2 
das  Muster  des  Rockes  nicht  noch  mehr 
in  die  Horizontale  drehen  und  das  Haupt - 
fragment  etwas  nach  links  verschieben  solle. 
Nicht  ganz  gesichert  ist  vielleicht  auch  die 
Deutung  des  Fußrestes  auf  Abb.  i.  Aber 
im  wesentlichen  wird  uns  der  richtige  Ein- 
druck von  der  Ergänzung  der  Fragmente 
vermittelt.  Die  beiden  kleinen  Fragmente, 
die  Gillieron  Abb.  2  für  den  Rock  verwandt 
hat,  beweisen  zusammen  mit  der  plastischen 
Rundung  des  Hauptfragments,  daß  dil  Ge- 
stalt saß.  Von  dem  Sitz  hat  sich  kein  Rest 
erhalten.  Entsprechende  Stücke  sind  von 
der  zweiten  Figur  erhalten,  doch  ist  bei 
ihnen  ebenso  wie  am  Ober-  und  Unterarm 
die  feine  oberste,  die  Bemalung  tragende 
Schicht  abgeblättert  in  derselben  Weise, 
wie  es  bei  einigen  für  die  technische  Her- 
stellung dieser  Reliefs  lehrreichen  Frag- 
menten aus  Knossos  der  Fall  ist,  die  Evans, 
The  palace  of  Minos  531,  Fig.  387  abgebil- 

I)   Rodenwaldt,  Tiryns  11  77  u.   195- 
Archäologischer  Anzeiger  tgi^/^^. 


det  und  besprochen  hat.  Die  Haltung  und 
Bewegung  der  gesamten  Gestalt  hat  Gil- 
liöron  dem  Vorbilde  der  sitzenden  Frau 
auf  dem  großen  Goldring  und  auf  einem 
Elfenbeinrelief  aus  Mykenai')  nachgebildet, 
dem  er   auch  den  Felssitz  entnommen  hat. 

Wesentlich  verändert  erscheint  in  Gil- 
lierons  Aufnahmen  gegenüber  der  alten  Pu- 
blikation das  Stoffmuster  des  Rockes  auf 
Abb.  2.  An  den  Kreuzungspunkten  der  in 
kleinen  Schwingungen  verlaufenden  Wellen- 
linien sitzen  zierliche  Rosetten.  Die  Spi- 
ralen sind  untereinander  verbunden  und 
bilden  mit  den  umrahmenden  Kreisreihen 
und  den  die  Ecken  verbindenden  Rosetten 
ein  Ornament,  das  äußerlich  an  die  rauten- 
förmigen Plättchen  aus  dem  vierten  Schacht- 
grabe von  Mykenai  =)  erinnert.  Auf  den 
übrigen  Feldern  sitzt  ein  einfaches  Zick- 
zackmuster. Das  Ärmelmuster  auf  Abb.  2 
ist  in  bezug  auf  die  Details  der  Ornamentik 
nicht  ganz  vollständig  3).  Eine  Erörterung 
der  Stoffmuster  mit  Hilfe  von  größeren 
Zeichnungen  könnte  nur  im  Rahmen  einer 
Behandlung  der  kretischen  Textilornamentik 
erfolgen. 

Die  Reliefs  sind  vermutlich  ebenso  wie 
die  Fresken  von  Phylakopi*)  von  einem 
knossischen  Künstler  ausgeführt.  Ihre 
Qualität  steht  dem  »Jewel  fresco«  (Evans 
a.  a.  O.  526,  Fig.  383),  den  »Ladies  in  blue« 
(a.a.O.  545  ff.,  Fig.  397)5)  und  verwandten 


')  Stai's,  Journ.  Int.  d'  Arch.  Nuin.  XIV  19 12, 
181  ff.,  Tf.  12,  2;  Bessert,  Altkreta'  168  Nr.  224 
nach  Phot.  d.  Inst.  (Bieber   194  Nr.  3428). 

2)  Schlieraann,  Mykenae  298  f. ;  Schuchhardt, 
Schliemanns  Ausgrab.  269  f.;  Stais,  Coli.  Myc.  35  f., 
Gotsmich,  Entwicklung  der  kretischen  Ornamentik 
16  f.  hat  für  das  Gesamtmuster  in  Pseira  wohl 
richtig  an  das  einzige  verwandte  Ornament  auf 
einem  Stierrhyton  aus  Pseira  erinnert  und  das 
Ornament  zu  den  Netzmustern  gestellt.  Ob  aber 
die  Erklärung  des  reichen  Rockmusters  so  einfach 
ist,  wie  er  annimmt,  ist  mir  fragUch. 

3)  Vgl.  J.  d.  I.  XXXIV  1919,  99. 

4)  Zu  dem  seltsamen,  noch  von  Evans,  The  Pa- 
lace of  Minos  542  erwähnten  Einfall  von  Bosanquet, 
daß  fertige  Fresken  in  Holzrahmen  exportiert 
worden  seien,  vgl.  Tiryns  II  208. 

5)  In  Ergänzung  zu  den  Bemerkungen  von  Evans 
a.  a.  O.  A.  3  über  die  frei  ergänzten  Haarfrisuren 
kann  ich  anführen,  daß  Gillieron  dazu  außer  dem 
Tiryns  II  85  erwähnten  Fragment  aus  dem  Queens 
Megaron  ein  stark  verbranntes  Fragment  in  Ma- 
gazin   14   des   Museums   von   Candia  benutzt   hat, 


271 


Rekonstruktionen  der  Stuckreliefs  aus  Pseira. 


272 


Abb.   I.     Stuckrelief 
Stücken  aus  Knossos  (a.  a.  O.  546  f.  A.)  und 

das  auf  dem  Rest  der  Schulter  oder  des  Ärmels 
einer  weiblichen  Figur  dicke  schwarze  Haarlocken 
zeigt,  durch  die  rote  Perlketten  und  rote  Ketten 
von  Gliedern  in  Papyrusblütenform  in  ähnlichen 
Schwingungen  und  Kombinationen  geflochten  sind, 
wie  Gilliöron   sie   bei   der   problematischen   Rekon- 


einer  sitzenden  Frau. 

Hagia    Triada'j,    die    sämtlich    von  Evans 
in  M.  M.  III  datiert  werden,   so  nahe,   daß 

struktion  der   Frisuren  gezeichnet  hat.      Vgl.   dazu 
Tiryns  II  85  A.  3. 

■)  Im  Magazin  des  Museums  von  Herakleion 
befinden  sich  aus  Hagia  Triada  zwei  außerordentlich 
feine,    allerdings    stark     verbrannte  Fragmente  von 


273 


Rekonstruktionen  der  Stuckreliefs  aus  Pseira. 


274 


Abb.  2.     Stuckrelief  einer  sitzenden  Frau. 


man  sie  ungern  sehr  viel  später  ansetzen 
wird  (vgl.  K.Müller,  J.  d.  I.  XXX  1915, 
273).  Unter  den  Funden  aus  Knossos  sind 
mir  drei  Fragmente  von  Gürtel  und  Rock- 

dem  Oberkörper  einer  Frau,  die  wohl  zu  dem 
großen  Friese  gehören. 


ansatz  verschiedener  weiblicher  Relief figu- 
ren  bekannt,  deren  eines  von  Gilli^ron  in 
eine  Rekonstruktion  eingesetzt  worden  ist 
und  hoffentlich  bald  von  Evans  veröffentlicht 
wird.  Die  Elfenbeinschnitzer,  die  in  My- 
kenai   das   Motiv   sitzender   Frauen   kunst- 


275 


Archäologische  'Gesellschaft  ku  Berlinj     Jantiar-Sitzung  1924. 


276 


Abb.  3.     Fragment  eines  Stuckreliefs  aus  Mykenai. 


gewerblich  verwandten,  und  die  Gemmen- 
sciineider  hatten  offenbar  Vorbilder  in 
bemaltem  Relief  vor  Augen,  die  keine  Sel- 
tenheit waren. 

Wahrscheinlich  hat  es  in  Mykenai  selbst 
ein  solches  Relief  gegeben.  Unter  den 
Funden  Schliemanns,  die  in  das  Museum 
von  Nauplia  gelangt  sind,  befindet  sich  das 
in  Abb.  3  wiedergegebene  unscheinbare  und 
schlecht  erhaltene  Fragment,  das  als  ein- 
ziger Rest  eines  festländischen  Stuckreliefs 
von  Bedeutung  ist  (größte  Höhe  etwa 
8,5  cm.;  erwähnt  von  K.Müller,  J.  d.  I. 
XXX  191 5,  273  A.  i;  Rodenwaldt,  Fries 
des  Megarons  69  A.  152  u.  154,  15;  Karo, 
R.  E.  s.v.  Kreta  1778).  Es  scheint  vom 
Gürtel  und  Rockansatz  einer  nach  rechts 
sitzenden  Frau  zu  stammen.  Links  ist  der 
Umriß  der  Hüfte  erhalten,  am  rechten 
oberen  Rande  die  im  Relief  eingezogene 
geschwungene  Kurve  des  Gürtels,  der  auf 
blauem     Grunde     breite     schwarze     Quer- 


striche zeigt,  ein  in  der  Textilornamentik 
gebräuchliches  Motiv,  das  auch  an  dem  Gür- 
tel eines  der  unveröffentlichten  Relief- 
figurenfragmente aus  Knossos  wiederkehrt. 
Die  Oberfläche  des  Rockteils  ist  nicht  gut 
erhalten;  man  erkennt  Reste  schwarzer 
Färbung  und  roter  Striche. 

Berlin.  G.  Rodenwaldt. 


ARCHÄOLOGISCHE  GESELLSCHAFT 
ZU  BERLIN. 

Sitzung  vom  8.  Januar  1924. 

Nach  Erstattung  des  Jahres-  und  Kassen- 
berichtes legte  der  Schriftführer  und  Schatz - 
nieister  Herr  Schiff  seine  Ämter  nieder. 
Herr  Noack  sprach  ihm  im  Namen  des 
Vorstandes  für  seine  siebzehnjährige  Füh- 
rung der  Geschäfte  den  bleibenden  Dank 
der  Gesellschaft  aus  und  bat  ihn,  dem  Vor- 
stande   weiter    als    Mitglied    anzugehören. 


277 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Beilin.     Februar-Sitzung  1924. 


278 


An  die  Stelle  von  Herrn  Schiff  wurde  Herr 
Neugebauer  gewählt. 

Sodann  erbat  Herr  Trendelenburg  das 
Wort,  um  der  Gesellschaft  seinen  Dank  für 
die  ehrenvolle  Begrüßung  abzustatten,  mit 
der  ihn  der  Vorsitzende  aus  Anlaß  seines 
vor  50  Jahren  erfolgten  Eintrittes  in  die 
Gesellschaft  zu  Beginn  des  Winckelmanns- 
festes  überraschte.  Um  es  nicht  bloß  bei 
dem  Danke  mit  Worten  bewenden  zu  lassen, 
führte  er  der  Versammlung  drei  Stuck - 
reliefs  eines  Grabes  bei  Cumae  in  Licht- 
bildern vor,  die  bei  ihrem  ersten  Bekannt- 
werden in  den  Weimarer  »Curiositäten« 
1812  Goethe  lebhaft  beschäftigten,  weil  er, 
der  Vorkämpfer  der  Pflanzen-  und  Tier- 
metamorphose, darin  ein  Beispiel  der  drei- 
maligen Umbildung  eines  und  desselben 
künstlerischen  Motives  sah,  die  Gestalt 
einer  Tänzerin,  die  »zuerst  in  ihrem  leib- 
lichen Zustande  durch  ihre  Kunst  die  Ver- 
ehrer unterhielt  und  entzückte,  sogar  im 
zweiten  Bilde  in  schauerlicher  Lemuren- 
gestalt  noch  ihre  beifälligen  Verehrer  neben 
sich  versammelt,  sodann  aber  im  dritten 
geistig  erhoben  und  dargestellt,  ihre  Anmut 
vollendet«.  Von  den  drei  Bildern  hat  die 
Lemurendarstellung  durch  die  Veröffent- 
hchung  eines  Tonbechers  im  Berliner  Anti- 
quarium  in  Robert  Zahns  Winckelmanns- 
programm  eine  besondere  Bedeutung  da- 
durch gewonnen,  daß  sie  die  bisher  einzige 
Parallele  zu  den  grotesken  Gestalten  bildet, 
die  auf  dem  Becher  das  Menschengerippe 
umtanzen. 

Darauf  sprach  Herr  C.  Lehmann - 
Hartleben  über  Untersuchungen  in 
der  Cella  des  Zeustempels  zu  Olym- 
pia. Der  Inhalt  des  Vortrages,  an  den  sich 
eine  Diskussion  zwischen  Herrn  von 
Gerkan  und  dem  Redner  anschloß,  ist  irti 
J.  d.  L  des  laufenden  Jahrganges  2,7  ff. 
bereits  veröffentlicht  worden. 

Zum  Schluß  sprach  Herr  A.  Köster 
über  Neues  aus  dem  Gebiete  des 
antiken  Seewesens  (zu  Herodot  H 
p6^  4 — 5).  Im  Gegensatze  zu  Herrn  Aßmann, 
der  zuletzt  ausführlich  hierüber  gehandelt 
hat  (Hermes  1896,  183  f.),  kommt  der  Vor- 
tragende zu  der  Ansicht,  daß  die  Stelle, 
die  philologisch  keine  Schwierigkeit  bietet, 
so  wie  sie  uns  vorliegt,  durchaus  verständlich 


ist  und  daß  die  merkwürdige  Art  der  Fort- 
bewegung, die  Herodot  bei  den  Nilschiffen 
beobachtete,  nicht  unwahrscheinlich  oder  gar 
unmöglich  erscheint,  wenn  man  die  Eigen- 
art der  Strom-  und  Windverhältnisse  des 
Nils  in  Rechnung  setzt. 

Eine  ausführliche  Darlegung  wird  in 
einer  Sonderschrift  des  Vortragenden  er- 
folgen: Nautica,  Gesammelte  Abhandlungen 
a.  d.  Gebiete  des  antiken   Seewesens. 

Sitzung    vom    5.  Februar  1924. 

Herr  Wiegan d  berichtete  über  Aus- 
grabungen, die  Prof.  Montet  aus  Straßburg 
neuerdings  in  Byblos  gemacht  hat.  Vgl. 
Beaux-arts    1924,    50  f. 

Den  ersten  Vortrag  des  Abends  hielt 
Herr  Rubensohn  über  den  Ionischen 
Burgtempel    auf    Faros. 

Bei  den  Grabungen  auf  dem  Phrurion 
von  Paroikia,  über  die  in  den  A.M,  XXXXII 
191 7,  I  ff.  berichtet  worden  ist,  wurde  auch 
den  Überresten  eines  Tempels  nachge- 
gangen, von  dessen  Fundamenten  Reste 
über  dem  gegenüber  der  antiken  Zeit 
niedriger  gewordenen  Boden  sichtbar  waren. 
Durch  die  vielfachen  modernen  Überbau- 
ungen, deren  Beseitigung  sich  nicht  er- 
möglichen läßt,  und  durch  den  Absturz  von 
ungefähr  der  Hälfte  des  ganzen  Baus  ins 
Meer  ist  eine  vollständige  Aufklärung  über 
den  Bau  nicht  möglich.  Bei  der  klaren 
Verwandtschaft  des  Baues  mit  dem  Tempel 
auf  Palati  bei  Naxos,  die  sich  sofort  aus  der 
Übereinstimmung  der  Portale  ergab,  mögen 
jetzt,  wo  der  Naxos-Tempel  genau  unter- 
sucht worden  ist,  die  von  uns  gewonnenen 
Resultate  vorgelegt  werden,  da  sich  so 
vielleicht  für  die  Reconstruction  beide: 
Tempel  verwertbare  Beobachtungen  ergeben'). 

I.  Tempelfundament. 
I.  Der  Absturz  des  Akropolisfelsens  hat 
ungefähr  die  Hälfte  des  Tempels,  die  west- 
liche, mit  in  die  Tiefe  gerissen.  Erhalten 
sind  vom  Fundament:  der  östliche  Teil  der 
beiden  Längsmauern,  die  Türwand  der 
Cella  und  die  Frontwand  der  östlichen  Vor- 
halle   (vgl.   den    Plan   Abb.   i).      Von    den 

')  Nach  Drucklegung  dieses  Berichtes  erhalte  ich 
durch  Vermittlung  der  Redaktion  des  Jahrbuches 
die    Fahnen    von    dem    Bericht    des    Herrn  Welter 


279 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1934. 


280 


Abb. 


Grundriß  des  Tempels    und  der  Kirche  des  Hag.  Konstantinos. 


Längsmauerstücken  ist  das  nördliche  in 
einer  Länge  von  rund  13  m  von  der  Ost- 
ecke  ab  in  unseren  Grabungen  zutage  ge- 
treten. Ihre  allein  freigelegte  Noidseite 
zeigt  Abb.  2. 

Das  entsprechende  Stück  der  südlichen 
Längsmauer  ist  unter  der  Nordwand  der 
auf  dem  Phrurion  sich  erhebenden  Kirche 
des  Hag.  Konstantinos  (vgl.  den  Plan  und 
A.  M.  XXXXII  T.  I)  erhalten.  Ein  Stück 
von  yli  m  Länge  tritt  vor  die  Front  dieser 
Kirche  vor  und  trägt  noch  in  situ  die  drei 
Marmorstufen  des  Tempels  (Abb.   3).      Die 


über  seine  Untersuchungen  .in  den  Temjjeln  von 
Naxos  und  Paros  in  den  A.  M.  1924.  Ich  ver- 
weise auf  diesen  Bericht,  der  einige  Ergänzungen 
zu  meinen  Ausführungen  bringt. 


östliche  Fortsetzung  dieser  Stufen  ist  in 
die  Nordwand  der  Konstantinoskirche  ein- 
gebaut und  entzieht  sich  hier  unter  dem 
Pflaster  der  Kirche  und  äußeren  Anbauten 
der  näheren  Untersuchung.  Das  Fundament 
der  Frontmauer  der  östlichen  Vorhalle  ist 
in  ganzer  Ausdehnung  erhalten.  Zutage 
liegt  aber  nur  ein  Stück  von  5  m  Länge 
von  der  Nordecke  ab,  der  weitere  Verlauf 
der  Mauer  verbirgt  sich  unter  und  in  mo- 
dernen Privathäusern  und  ist  hier  in  einigen 
Kellerräumen  von  uns  festgestellt  worden. 
Von  der  Türwand  der  Cella  ist  der  Ansatz 
an  die  nördliche  Längsmauer  und  etwa 
3'/i  m  der  Mauer  von  diesem  Punkt  aus 
durch  unsere  Grabungen  freigelegt  worden 
(vgl.   Plan  und  Abb.  2),  ebenso  ein  Stück 


28 1 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung   1924. 


282 


des  Fundaments  nahe  der  Südmauer.  Der 
mittlere  Teil  der  Grundmauer  mit  der 
vielleicht  noch  erhaltenen  Türschwelle')  ist 
durch  ein   Privathaus  überbaut. 

2.  Struktur  der  Mauern.  Das  Material 
des  Fundaments  ist  Gneis,  wie  er  beim 
Fundament  des  Asklepieion  und  bei  der 
Stadtmauer  zur  Verwendung  gekommen  ist. 
Es    sind    ziemlich    regelmäßig    gebrochene 


mit  ihrer  größten  Ausdehnung  quer  zur 
Mauerrichtung,  die  Breite  der  Mauern  be- 
trägt also  1,80  m. 

Der  Treffpunkt  der  verschieden  breiten 
Teile  der  Nordmauer  liegt  da,  wo  die  Cella- 
türwand  einbindet.  Hier  endet  der  zum 
Pronaos  gehörige  Teil  der  Nordmauer 
treppenartig,  aber  nur  in  seinen  unteren 
Schichten,    die    auch    seitlich    hier    bis    zu 


Abb.  2.     Ansicht  des  Fundaments  der  nördlichen  Mauer. 


Platten,  die,  wo  sie  meßbar  waren,  einheit- 
liche Maße  von  durchschnittlich  1,80  m 
Länge  und  1,20  m  Breite  aufwiesen.  An 
den  die  Cella  umschließenden  Teilen  der 
Längswände  und  der  Türwand  sind  diese 
Platten  als  Läufer  gelegt,  die  Mauern  haben 
also  1,20  m  Breite.  Beim  Pronaos,  also 
in  der  östlichen  Fortsetzung  der  Nordmauer 
(Südmauer  konnte  nicht  untersucht  werden), 
und  an  der  Frontmauer  liegen  die  Platten 


■)  Doch  vgl.  jeUt  Weher  A.  M.  XXXXIX  1924, 
23  Nr.  4. 


17  cm  vor  die  Front  der  Nordmauer  vor- 
springen (vgl.  Abb.  2).  Dieser  Teil  der 
Mauer  hatte  also  eine  etwas  andere  Flucht 
als  das  westlich  ansetzende  Stück.  Die 
entsprechenden  Schichten  dieses  schmaleren 
Mauerteils  stoßen  deutlich  gegen  die  treppen - 
artigen  Endigungen  der  Pronaosmauer, 
binden  nicht  ein.  Die  gleichzeitige  Ent 
stehung  beider  Mauerstücke  wird  gewähr- 
leistet durch  die  Gleichartigkeit  des  Materials, 
auch  in  den  Maßen,  und  durch  die  Über- 
bauung der  Differenz  in  den  oberen  Schich- 
ten.     Vielleicht  ist  die  Mauer  von   beiden 


283 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Beilin.     Februar-Sitzung  1924. 


284 


Ecken    gleichzeitig    zu    bauen    angefangen 
worden'). 

Das  Fundament  des  Pronaos  besteht  aus 
14,  das  der  Cellawände  aus  II  Schichten. 
Die  Schichtenzahl  nimmt  nach  Westen  hin 
ab,  da  der  Akropolisfels  von  Osten  nach 
Westen  stark  ansteigt.  Die  unteren  Schichten 
sind  durchschnittlich  10 — 14  cm  hoch,  die 
beiden  obersten  Schichten  bestehen  aus  be- 


Schuttschicht    eine    Höhe   von   1,55  m    bis 
zum  gewachsenen   Fels. 

Auf  der  obersten  Schicht  ist,  wo  die 
Oberfläche  der  Steine  gut  erhalten  ist,  die 
Aufschnürungslinie  für  die  Tempelstufen 
verfolgbar.  Die  Stufen  bestehen  aus  Marmor. 
Abbildung  3  zeigt  die  rauh  gestockte  Innen- 
seite, die  also  unter  dem  Fußboden  des 
Tempels  verschwand.      An   der  Außenseite 


Aljb..  3.     S^dfundament  mit.  den  Marmorstufen. 


sonders  ausgewählten  24  resp.  25  cm  dicken' 
Platten.  Gesamthöhe  des  Fundaments  im 
östlichen  Teil  der  Nordmauer  2,23  m.  In 
dem  ausgegrabenen  Teil  sitzt  diese  Stein - 
last  durchaus  auf  dem  Schutt,  weniger  auf 
den  Mauern  der  prähistorischen  Ansiede- 
lung   auf.      Unter    der    Ostecke    hat     die 


')  Vgl.  den  verwandten  Befund  beim  Megarcr- 
Schatzhaus  in  Olympia  (Olympia  II  51)  und  beim 
Fundament  der  äußeren  Säulenreihe  des  .Tempels 
von  Samos,  worauf  v.  Gerkan  aufmerksam  macht 
(vgl.  Th.  Wiegand  Erster  vorläufig.  Bericht . . .  Samos 
Berl.  Abhandig.  191 1,   17. 


sind    die    Stufen    ganz    glatt,    ohne    Ablauf 
oder   Ähnliches. 

Breite  der  untersten  Stufe  1,01  m,  Rück- 
sprung gegen  das  Fundament  beiderseits 
9  cm',  Rücksprung  der  oberen  Stufen  je 
3,5  cm  gegen  die  Unterstufe.  Höhe  der 
beiden  untersten  Stufen  29  cm,  der  obersten 
25  cm,  die  oberste  Stufe  hat  eine  Breite 
von  0,81  m.  Die  Stufenquadern  zeigen  an 
Stoß-  und  Lagerflächen  sorgfältige,  regel- 
mäßige Anathyrosis  mit  glattem  Rand  und 
versenkter  Innenfläche.  Verklammerungen 
sind    nicht    mehr    erkennbar    an    den    frei- 


285 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1924. 


286 


liegenden  Stellen,  nur  ein  Dollenloch  ist 
noch  erhalten,  an  regelmäßiger  Verbindung 
der  Steine  durch  Klammern  und  Dollen 
kann  aber  kein  Zweifel  sein. 

II.  Orientierung,  Maße  undGrundriß. 

Die  Längsachse  des  Tempels  verläuft 
nicht  genau  von  SO — NW,  sondern  mit 
60°  westlicher  Abweichung  von  der  magne- 
tischen Nordlinie.  Die  Lage  ist  zweifelsohne 
durch  die  beschränkten  Raumverhältnisse 
auf   der    Höhe   des    Phrurion   bestimmt. 

Die  Breite  des  Fundaments  beträgt,  von 
Außenkante  zu  Außenkante  gemessen, 
16,75  m,  es  ergibt  sich  also  für  die  Cella 
selbst,  außen  gemessen,  eine  Breite  von 
rund  16  m.  Die  Tiefe  der  Vorhalle  zwischen 
Frontmauer  Außenkante  und  Türwand  Ost- 
kante ist  7,10  m.  Über  die  Länge  des 
Tempels  lassen  sich  nicht  einmal  Ver- 
mutungen aufstellen.  Schlüsse  aus  der 
Tiefe  der  Vorhalle  auf  die  Länge  der  Cella 
ergeben  keine  sicheren  Resultate.  Eine  um- 
laufende Säulenhalle  hatte  der  Tempel  nicht. 
Wie  die  Vorhalle  gestaltet  war,  ob  als 
templum  in  antis  oder  als  prostyle  Anlage, 
muß  unsicher  bleiben.  Bei  der  starken 
Verbreiterung  der  Fundamentmauern  gegen- 
über denen  der  Cella  möchte  man  vielleicht 
eher  an  eine  letztere  denken.  Dg,  aber  die 
schmalen,  die  Cella  umgebenden  Stufen 
sich  nur  an  der  Eingangsseite  zu  richtigen 
Auftrittstufen  erweitert  haben  können,  nicht 
auch  an  den  Seiten  der  Vorhalle  vorgetreten 
sind,  wie  z.  B.  bei  dem  Tempel  von  Lykosura, 
dem  jüngeren  Dionysostempel  in  Athen,  dem 
Zeustempel  von  Aigeira,  dem  neuen  Tempel 
von  Samothrake,  so  dürfte  wohl  eher  die 
Ergänzung  zu  einem  Antentempel  in  Frage 
kommen. 

IIL  Aufbau. 
Bauteile  des  Tempels  sind  bei  den  Gra- 
bungen nicht  gefunden  worden,  das  hat 
seinen  guten  Grund.  Dem  Tempel  ist  schon 
früh  übel  mitgespielt  worden.  In  byzantini- 
scher Zeit  ist  inmitten  der  Cella  eine  große 
Cisterne  angelegt  worden  (vgl.  den  Plan 
Abb.  l),  deren  Wände  noch  aufrecht  stehen 
bis  auf  die  Westwand,  die  beim  Absturz 
des  Akropolisfelsens  mitgerissen  wurde  und 
heute  am  Abhang  der  Akropolis  in  Fallage 


steht.  Der  ganze  Aufbau  des  Tempels  ist 
dann  in  das  Schloß  gewandert,  das  die 
Herzöge  aus  dem  Geschlecht  des  Marco 
Sanudo  hier  auf  dem  Phiurion  errichteten 
und  dessen  der  Stadt  zugewandte  Seite  heute 
noch  als  imposante  Ruine  auf  dem  Phrurion 
steht  (A.  M.  XXVI  1901,  195);  die  dem  Meer 
zugewandten  Mauern  des  Schlosses  sind  bei 
der  Katastrophe  des  Akropolisfelsens  zer- 
stört worden.  Wichtige  Bauglieder  des 
Tempels  sind  uns  nun  in  der  noch  stehenden 
Schloßmauer  erhalten  worden.  Genau  vor 
der  Front  des  Burgtempels  sitzen  in  ihr 
die  drei  gewaltigen  Blöcke  von  der 
Türumrahmung  des  Tempels  (Abb.  4). 

a)  Türsturz.  (Abb.  4  in  der  Mitte,  Abb.  5 
Schnitt  und  Ansicht).  Länge  5,97  m,  Höhe 
95,5  m.  Von  dem  Längenmaß  kommen 
für  das  eigentliche  Türgewände  nur  5,65  m 
in  Anrechnung;  15  bzw.  17  cm  sind  die 
beiden  Quaderstücke  breit,  die  beiderseits 
an  den  Türsturz  angearbeitet  mit  ihrer  auf 
64  bzw.  61  cm  verringerten  Höhe  bereits 
im  Verband  der  anschließenden  Quader- 
wand saßen. 

Die  Front  des  Türsturzes  ist  durch  drei 
kräftig  vorspringende  Fascien  gegliedert, 
deren  -Breite  von  innert  nach  außen  zu- 
nimmt. Den  umrahmenden  Abschluß  bildet 
ein  10,5  cm  breiter  doppelter  'Perlstab  von 
sorgfältigster  Arbeit.  Der  äußere,  aus  rund- 
lichen Perlen  und  scharf  profilierten  linsen- 
förmigen Scheiben  nach  dem  im  reif  ar- 
chaischen Stil  gebräuchlichen  Schema  zu- 
sammengesetzt, dem  Astragal  des  Türsturzes 
vom  Siphnierschatzhaus  aufs  nächste  ver- 
wandt, der  innere  aus  länglich  ovalen  Perlen 
ohne  Scheiben  gebildet:  wie  die  Verdopplung 
des  Perlstabs,  so  ist  auch  dieser  scheibenlose 
Astragal  ein  in  der  großen  Architektur 
singuläres  Motiv"). 

Fascien  und  Perlstäbe  biegen  auf  die 
Schmalseiten  um,  um  _  an  den  Türpfeilern 
niedergeführt  zu  werden.  29  cm  oberhalb 
Unterkante  hört  die  Ausarbeitung  des  Perl- 
stabs  auf  und  ein  doppelter  Rundstab,  die 
Vorstufe  für  die  letzte  Ausführung,  bildet 
die    Fortsetzung.       Die    Fertigstellung    hier 


')  Die  Türleibung  des  Tempels  von  Labranda 
(Antiqu.  of  lonia  P  cap.  IV  T.  4  fig.  5)  zeigt  drei 
Perlstäbe  neben  Eierstab,  für  den  Tempel  von 
Naxos  vgl.  jetzt  Welter  a.  a.  O.  19. 


28; 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung   1924. 


288 


Abb.  4.     TUrumrahmungssteine    der  Cella-Tür,  verbaut  in  der  SchloBraauer. 


sollte    offenbar    nach    der    Versetzung    des 

Steines  erfolgen  und  ist  dann  unterblieben. 

Die  Unfertigkeit  der  Türe  tritt  noch  schärfer 

in  die  Erscheinung  bei    den  Türpfeilern 


(Abb.  6),  Abmessungen  6  m  x  0,95  m. 
Die  dekorative  Ausgestaltung  sollte  der 
des  Türsturzes  entsprechen,  aber  bei  beiden 
Türpfeilern  sind  die  Perlstäbe  durchgehends 


•10    O  ,50  I,OOM. 

Abb.  5.     Ansicht  und  .Schnitt  des  Türslurzcs,  gez.  von  P.  Sursos. 


289 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1924. 


290 


Abb.  6.     Rechter  Türpfosten  der  Cella-Tür. 


in  der  Vorstufe  des  doppelten  Rundstabs, 
am  einen  Ende  sogar  in  der  noch  ursprüng- 
licheren Form  einer  dicken  Leiste  stecken 
geblieben;  an  beiden  Enden  trägt  die  Ober- 
fläche der  Fascien  noch  den  Werkzoll  und 
am  Kopfende  steht  quer  über  die  ganze 
Breite  der  Steine  reichend  eine  ungefüge 
Versatzbosse. 

Während  die  beiden  an  den  Türsturz 
angearbeiteten  Quadern  vertikale  Kanten 
zeigen,  weisen  alle  Vertikallinien  des  Tür- 
sturzes selbst  eine  Neigung  nach  außen 
auf  —  in  der  Aufnahme  (Abb.  5)  von  Herrn 
Sursos  übersehen  — ,  die  etwa  3  cm  auf 
I  m  beträgt.  Diese  Neigung  setzte  sich 
natürlich  auf  den  Türpfeilern  fort.  Die 
Tür  hatte  also  trapezoide  Form.  Maße: 
Lichte  Weite  oben  etwa  3,68  m,  lichte  Weite 
unten  etwa  4,07  m,  lichte  Höhe  der  Türe  , 
6,00  m.  Nächste  Parallele  ist  das  Portal 
auf  Palati,  Maße  nach  Welter.  Lichte  Höhe 
5,95  m.  Breite  3,65  m.    Beim  Siphniefschatz-  j 


haus  betragen  die  Maße  (nach  Dinsnioore): 
Höhe  3,227  m,  lichte  Weite  oben  2,233  ni, 
lichte  Weite  unten  2,410  m,  die  Verjüngung 
i  beträgt  0,028  m  auf  l  m,  also  ungefähr 
wie  bei  unserem  Portal  (vgl.  auch  die  Türe 
vom  Nymphenrelief  von  Thasos,  das  ja 
in  parischer  Kunsttradition  steht).  Die 
Dicke  des  Türsturzes  beträgt  an  der  Unter- 
seite 1,12  m.  Am  vorderen  Rand  ist  — ■ 
vgl.  Schnitt  —  eine  niedere  Fascie  von 
9  cm  angearbeitet.  Die  Türschwelle  kann 
wie  bei  den  jonischen  Schatzhäusern  in 
Delphi  aus  einem  Block  oder  wie  in  Naxos 
aus  mehreren  Blöcken  bestanden  haben. 
Die  Türe  paßt  vortrefflich  auf  das  1,20  m 
breite  Türwandfundament  des  Tempels,  auch 
die  Weitenmaße  ordnen  sich  gut  ein:  Länge 
der  Türwand  zwischen  den  Längsmauern 
=  13,30  m.  Breite  der  Türe  mit  Türgewände 
5,98  m.  Jederseits  des  Türpfeilers  ver- 
bleiben 3,65  m  aufgehende  Wand.  An  Zu- 
gehörigkeit   kann    also    kein    Zweifel    sein, 


igi 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1924. 


292 


zumal  die  Türsteine  unmittelbar  vor  der 
Tempelfront  in  der  Schloßmauer 
mit  Beibehaltung  der  bei  der  Nie- 
derlegung sich  ergebenden  Anord- 
nung sitzen.  Der  Tempel  war  also  jonisch. 
Die  Abarbeitung  zu  beiden  Seiten  des  Tür- 
sturzes läßt  die  Annahme  zu,  daß  rechts 
und  links  des  Türsturzes  Konsolen  angeord- 
net waren,  wie  beim  Siphnierschatzhaus  und 


Eine  Konsole  mit  Voluten  ist  in  der 
Nordseite  des  Turmes  des  venetianischen 
Schlosses  eingebaut,  leider  so,  daß  wir  sie 
nicht  herausnehmen  und  nicht  genau  ver- 
messen konnten,  sie  scheint  aber  gut  zu 
den  Abmessungen  der  Türe  zu  passen.  Ge- 
naueres über  diese  Konsole  jetzt  bei  Welter 
a.  a.  O.  23. 

Ein  weiteres  Dekorationsglied  des  Tempels 


Abb.  7.     Ionisches  Kymation  des  Tempels,    verbaut  in  der  Apsis  der  venetianischen  Schlofikapelle. 


wahrscheinlich  auch  bei  den  Schatzhäusern 
von  Klazomenae  und  Massilia  und  wie  beim 
Nymphenrelief  in  Thasos.  Die  Konsolen 
wären  mit  dem  vollen  Block  oberhalb 
der  angearbeiteten  Quaderstücke  eingebaut 
gewesen  und  scheinen  mit  ihrer  frei  herab- 
hängenden Endigung  über  die  angearbei- 
teten glatten  Quaderstücke  bis  dahin  hinab - 
gereicht  zu  haben,  wo  die  fein  eingerissene 
Rille  (s.  Abb.  5),  die  die  Quadern  vom 
Türgewände  durch  Schattenwirkung  loslöst, 
aufhört.  Über  den  Konsolen  mag  dann 
ein  Dachgebälk  für  die  Tür  geruht  haben. 


ist  der  großzügige  Eierstab  Abb.  7.  Je 
zwei  Platten  mit  diesem  Ornament  sind 
in  der  Schloßkapelle  des  venetianischen 
Schlosses  links  und  rechts  von  der  Apsis 
angeordnet,  die  hier  mit  den  Steinen 
eines  zierlichen  antiken  Rundbaus  er- 
richtet ist  (vgl.  A.  M.  XXVI  1901,  196), 
drei  davon  bis  zur  Unkenntlichkeit  zerstört. 
Eine  fünfte  Platte  wundervoll  in  Erhaltung 
und  Ausführung  dient  als  Altarplatte  am 
Hauptaltar  der  großen  Panagiakirche  von 
Paros  (genaue  Aufnahme  bei  Bühlmann, 
Die     Entstehung     der     Krcuzkuppclkirche, 


293 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1984. 


294 


Beiheft  10  zur  Zeitschrift  für  Geschichte 
der  Architektur  83,  Abb.  43).  Zugehörig- 
keit zum  Tempel  ergibt  sich  aus  der  auf 
MilHmeter  genauen  Übereinstimmung  der 
Maße  von  Eierstab  und  Tür-Perlstab  (Ent- 
fernung von  Spitze  zu  Spitze  im  Eierstab 
=  18  cm,  Breite  der  Perlen  6  cm,  Breite 
des  Scheibenpaares  3  cm).  Länge  der 
Platten  durchschnittlich  2,16 — 2,25  m.  Der 
Eierstab  wird  also  als  Wandbekrönung  oder 
als  Zierglied  des  Architravs  Verwendung 
gefunden  haben. 

Wahrscheinlich  zugehörig  zum  Tempel 
ist  auch  das  Antenkapitell,  das  als 
Türsturz  über  der  Haupttüre  des  Bapti- 
steriums  der  Hekatontapyliani  eingebaut 
ist  (vgl.  Bühlmann  a.  a.  O.  82  f.,  Abb. 
41  u.  42).  Der  Block  trägt  an  seiner  Front 
zwei  Eierstäbe  übereinander  und  Perlstab 
darunter.  Die  Verwandtschaft  der  Eier- 
stäbe mit  dem  großen  Eierstab  und  ebenso 
die  der  beiden  Perlstäbe  ist  in  die  Augen 
springend  und  von  Bühlmann  a.  a.  0.  auch 
schon  gebührend  gewürdigt  worden.  Der 
Block  ist  beiderseits  auf  Gehrung  geschnitten 
und  hat  zweifelsohne  im  Altertum  als 
Antenkapitell  gedient,  er  kann  bei  seiner 
Breite  von  etwa  2,03  m  Breite  an  der  Ober- 
kante sehr  wohl  die  Bekrönung  der  auf  dem 
Fundament  von  1,80  m  Breite  stehenden 
Ante  der  Tempelwand  gebildet  haben.  Der 
über  dem  Kapitell  in  der  Baptisterionstür 
angeordnete  Zahnschnittbiock  scheint  nicht 
von   unserem   Tempel   herzurühren. 

Weitere  Bausteine  des  Tempels  kann  ich 
nicht  nachweisen,  es  kann  aber  kein  Zweifel 
sein,  daß  sowohl  in  der  Konstantinoskirche 
wie  im  Venetianischen  Schloß  sich  noch 
zahlreiche  Teile  des  Tempels  verbaut  finden. 
Eine  Untersuchung  beider  Bauten  mit  ge- 
nügenden Mitteln  wird  wohl  die  Rekon- 
struktion des  ganzen  Tempels  ermöglichen. 

Die  Zeit  des  Tempels  wird  durch  die  Be- 
ziehungen der  nachgewiesenen  Bauglieder 
zu  den  uns  an  den  delphischen  Schatz- 
häusern bekannt  gewordenen  Formen  am 
besten  beleuchtet.  Mit  den  dem  entwickelten 
Stil  angehörigen  Formen  von  Astragal  und 
Kymation  dürfte  ein  Ansatz  Ende  des 
6.  Jahrh.  der  Wahrscheinlichkeit  nahe 
kommen,  der  Tempel  also  in  der  Blütezeit 
von  Paros  entstanden  sein.      Als  Gottheit 


des  Tempels  kommt  am  ehesten  Athena  in 
Betracht,  die  als  ■Koh.oöyot  in  Paros  ver- 
ehrt, den  größten  Anspruch  auf  den  Burg- 
tempel haben  dürfte. 

Danach  sprach  Herr  Fr.  Matz  über 
Kretisch -mykenische  Bildkompo- 
sition. 

Die  ältesten  Bilder  in  der  kretischen 
Kunst  bieten  die  f.  m.  Siegel.  Altertüm- 
liche und  jüngere  Stücke  sind  leicht  zu 
bestimmen,  eine  Verteilung  auf  die  drei 
üblichen  f.  m.  Epochen  ist  aber  nicht 
möglich.  Die  Gruppierung  kann  sich  nur 
an  die  Motive  halten. 

Auf  dem  Elfenbeinwürfel  aus  der  Tholos 
von  HaghiaTriada  (Rendic.  1905,  395.  Mosso, 
Preistoria  I  192,  102)  ist  ein  Versuch  zu 
räumlicher  Klärung  der  einzelnen  dar- 
gestellten Erscheinungen  nicht  zu  verkennen. 
Die  Beine  der  Tiere  sind  nach  ihrer  Zu- 
gehörigkeit zu  den  beiden  Körperseiten 
differenziert.  So  entsteht  der  Eindruck 
einer  wenn  auch  noch  ganz  flachen  räum- 
lichen Schicht  wenigstens  für  die  einzelnen 
Figuren.  Als  Ganzes  aber  bieten  diese 
Bilder  noch  keine  räumliche  Einheit,  viel- 
mehr werden  ihre  Bestandteile  in  der  üb- 
lichen primitiven  Weise  einfach  addiert: 
die  Bäume  und  Zweige,  die  Schlange  über 
dem  Rücken  des  Schafes  und  das  wohl  als 
Gehöft  zu  erklärende  eckige  Gebilde  unter 
dem  Eber.  Den  bildlichen  Zusammen- 
schluß schafft  vor  allem  der  Rahmen.  Die 
Tiere  stehen  genau  in  seiner  Mitte  und  die 
Zweige  folgen  seiner  Kurve. 

Eine  Gruppe  f.  m.  Siegel,  die  den  Kin- 
druck einer  flachen  körperräumlichen  Schicht 
nicht  bietet,  erscheint  als  stilistisch  älter, 
wenn  sich  auch  ihre  Verwendung  noch  bis 
ins  frühe  M.  M.  hinein  nachweisen  läßt. 
Es  sind  die  frühen  Prismen  mit  piktographi- 
schen  Zeichen.  Die  Addition  der  räumlichen 
Elemente  wird  hier  noch  unbedenklicher 
vorgenommen.  Trotzdem  zeigen  auch  diese 
Steine  schon  Versuche,  die  Darstellungen 
zu  einem  Ganzen  zusammenzuschließen. 
Häufig  findet  sich  der  Rahmen;  einmal 
ist  die  Fläche  durch  ein  größeres  T-förmiges 
Gebilde  aufgeteilt,  und  überhaupt  spielt 
die  Symmetrie  bei  der  Gruppierung  eine 
große  Rolle.  Der  Sinn  für  das  Bildganze  ist 
also  auch  hier  lebendig  (Scr.  Min.  I  130 ff.). 


295 


Archäologische  Gesellschaft  lu  Berlin.     Februar-Sitiung  1924. 


296 


Das  gilt  ebenfalls  für  die  Gruppe  der  mit 
ornamental  verwandten  Tieren  verzierten 
Siegel.  Addition  der  einzelnen  Tiere  kommt 
vor.  Das  Gewöhnliche  ist  aber  hier  der  Zu- 
sammenschluß zu  einem  einheitlich  das 
Ganze  füllenden  und  auf  den  runden  Stücken 
die  Peripherie  an  das  Zentrum  knüpfenden 
Ornament  (Delt.  IV  1918,  4.  Evans,  Palace 
I  118,  87,  I.e.). 

Unter  den  rein  ornamental  behandelten 
Stücken  sondern  sich  solche  mit  einheitlich 
auf  das  Rund  berechneter  Füllung  und  solche 
von  zusammengesetztem  Charakter  (Mem. 
Inst.  Lomb.  XXI  Taf.  lo/ii).  Bei  den 
ersteren  ist  das  beliebteste  Motiv  das  Haken- 
kreuz in  verschiedenen  Abwandlungen,  in 
eckiger  und  runder,  mäanderartiger  und 
spiraliger  Form.  Bei  den  letzteren  handelt 
es  sich  um  Muster  von  unendlichem  Rapport, 
die  mit  der  Füllung  des  Rundes  ursprüng- 
lich nichts  zu  tun  haben. 

Dasselbe  Bild  bietet  die  f.  m.  Gefäß- 
dekoration. Gern  wird  die  ganze  Wandung 
mit  großen  regellosen  Farbfiecken  bedeckt, 
wie  es  bei  der  mottled  wäre  (Gournia  Taf.  B) 
und  bei  den  Steingefäßen  aus  Breccia 
(Mochlos  Taf.  III  f.  IX)  der  Fall  ist.  Dann 
bleibt  das  Auge  an  keiner  Einzelform  haften 
und  erfaßt  die  ganz  einfache  und  regel- 
mäßige Gefäßform  im  Kontrast  zu  den 
irrationalen  Flecken  um  so  eindringlicher. 
Oder  es  überspinnen  Oberflächenlinien  ein- 
heitlich das  ganze  Gefäß;  so  bei  der  dunklen 
Malerei  auf  hellem  Grunde  (Mon.  Ant.  XIX 
Taf.  2)  sowie  bei  den  Gefäßen  aus  Marmor 
und  Alabaster,  bei  denen  mit  Vorliebe  die 
Schichtung  des  Steines  in  schiefem  Winkel 
zur  senkrechten  Achse  liegt  (Mochlos 
Taf.  IV  f.).  Als  Erbe  aus  dem  Neolithischen 
wird  daneben  die  Streifendekoration,  wenn 
auch  in  vervollkommneter  Form,  beibehalten. 
Auch  hier  sind  in  dieser  Periode  des  Neu- 
schaffens  eines  Stiles  Tradition  und  Kunst- 
wollen  nebeneinander  zu   greifen. 

Charakteristische  Beispiele  der  f.  m. 
Kleinplastik  sind  der  Hund  auf  einem 
Steatitdeckel  aus  Mochlos  (Mochlos  21,5) 
und  der  Stier  auf  einem  Elfenbeinsiegel  aus 
Platanos  (Evans,  Plaace  I  118,  87,  2  a). 
Sie  unterscheiden  sich  von  allen  gleich- 
zeitigen und  älteren  liegenden  Tieren  in 
Ägypten  und  Vorderasien  durch  die  Anlage 


in  einem  nach  der  einen  Langseite  hin 
ofi^enen  Winkel  bzw.  Bogen.  Die  strenge 
zylindrische  bzw.  kubische  Körperform  ist 
gelockert,  um  dem  Ganzen  einen  einheit- 
lichen Zug  zu  geben.  Zäsuren  sind  ver- 
mieden. 

Die  eigenartige  stilistische  Natur  der 
kretischen  Kunst  schärfer  zu  beleuchten, 
ist  ein  Überblick  über  die  Ausschmückung 
der  Kreisfläche  in  Ägypten  und  Vorderasien 
besonders  geeignet.  Bei  den  ägyptischen 
Steintellern  und  -näpfen  des  AR  fällt  auf, 
daß  sich  sehr  oft  Standfläche  und  Stein- 
schichten in  rechtem  Winkel  schneiden, 
während  es  für  Kreta  charakteristisch  ist, 
daß  beide  schiefwinklig  zueinander  liegen. 
So  ergibt  sich  bei  den  ägyptischen  Gefäßen 
vielfach  eine  scharfe  Teilung  in  zwei  gleiche 
Hälften.  Die  runde  Form  wird  ins  Kubische 
umstilisiert  (Berlin  20520).  Auf  den  Skara- 
bäen  des  MR  klammern  sich  die  Ornamente, 
auch  wo  statt  des  Ovals  nahezu  ein  Kreis 
vorliegt  (Newberry,  Scarabs  Taf.  XIX  33), 
an  die  Achse.  Nirgends  findet  man  einen 
einheitlichen  Zusammenschluß  der  Kräfte 
im  Zentrum.  Das  beliebteste  Motiv  für  den 
Schmuck  der  Fayenceschalen  des  N.  R. 
ist  das  Lotosblütenkreuz,  das  zentrifugale 
Tendenz  hat  (El  Arabah  12.  19.  Kunstgesch. 
in  Bildern  30,  5).  Die  Kreuzform  verschaß't 
dem  geschmückten  Rund  verschiedene  feste 
Stellungen  dem  Auge  des  Beschauers  gegen- 
über. 

Die  Rundkomposition  in  Vorderasien  läßt 
ein  anderes  Dekorationsprinzip  erkennen. 
Die  Schalen  des  ersten  susischen  Stils  haben 
als  beliebtesten  Schmuck  die  abgestufte 
Borte,  die  die  Parallelkreise  und  Meridiane 
der  Oberflächenlinien  in  sich  vereinigt  (Dele- 
gation en  Perse  XIII  16).  Die  größere 
Ausdruckskraft  ist  den  konzentrischen 
Kurven  eigen.  Die  Randzäsuren  haben  für 
sie  nur  den  Sinn  einer  rhythmischen  Festi- 
gung und  Belebung.  Das  Zentrum  selbst 
besitzt  oft  zwei  feste  Achsen,  doch  sind  diese 
in  der  Regel  ohne  Bindung  mit  dem  übrigen 
Ornamentsystem  angelegt. 

In  Ägypten  also:  Quadratur  des  Zirkels, 
Krystallisation  des  Zylinders  sowie  der 
Halbkugel,  in  der  dekorativen  Kunst  ganz 
entsprechend  wie  in  der  Plastik.  In  Vorder- 
asien:   Zerlegung    der    runden    Form    nach 


297 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Februar-Sitzung  1924. 


298 


ihren  Elementen:  Peripherie,  Radius,  Zen- 
trum, wozu  bei  den  dreimidensionalen  Ge- 
bilden noch  deren  Projektion  auf  die  Außen- 
fläche kommt   (stehende  Gudeastatuen). 

Den  Unterschied  der  kretischen  Rund- 
komposition  von  der  vorderasiatischen  kann 
besonders  gut  das  Nebeneinanderstellen  des 
Keulenknaufs  König  Mesilims  von  Kiä 
(D6couvertes  I  Nr.  2)  mit  einem  von  Gil- 
li6ron  rekonstruierten  Schwertknauf  aus 
einem  der  mykenischen  Schachtgräber  er- 
läutern (Geislinger  Katalog  19,  21;  A  Z 
191 1,  257,  9).  Auf  der  Keule  besteht  keine 
Verbindung  zwischen  dem  Zentrum  (Adler) 
und  der  Peripherie  (Löwen).  Die  Löwen - 
köpfe  sind  Projektionen  der  Radien,  das 
Ganze  ist  zentrifugal.  Umgekehrt  beim 
Schwertknauf:  die  Elemente  schließen  sich 
zentripetal  zu  einer  erstaunlichen  Einheit 
zusammen.  Die  Löwenleiber  betonen  das 
horizontale  Rund  und  sind  dementsprechend 
von  der  Seite  gesehen.  Aber  die  in  der 
Oberaufsicht  gegebenen  Köpfe  vermitteln 
nicht  nur  zwischen  der  Peripherie  und  dem 
Zentrum,  sondern  auch  zwischen  der  Kreis- 
linie und  der  Kurve  der  Kugeloberfläche. 
Das  ägyptische  Gegenbeispiel  ist  der  Dolch 
des  Amosis  (Kunstg.  i.  Bild.  H.  3,  Farben- 
tafel), wo  die  in  der  Art  des  Hathorkapitells 
angeordneten  vier  Köpfe  ein  stückweises 
Absetzen    beim    Betrachten    verlangen. 

Nach  welchen  Kompositioiisprinzipien  sind 
nun  die  eigentlichen  Bilder  der  Blütezeit 
angelegt.?  —  ^"f  fh''^  Bechern  von  Vaphio 
ist  die  Einheit  der  Komposition  ganz  deut- 
lich nach  einer  Richtung.  Die  drei  Wild- 
stiere bilden,  rein  ornamental  angesehen, 
ein  Spiralmuster;  aus  einer  großen  Mittel - 
Spirale  rollt  sich  links  von  unten  nach  oben 
und  rechts  von  oben  nach  unten  je  eine 
Seitenspirale  heraus.  Auf  dem  andern 
Becher  bieten  sich  trotz  der  Reihung  ein 
Zentrum  und  zwei  unvertauschbare  Flügel. 
Aber  wie  ist  die  Zusammensetzung  der 
Raumelemente  zu  beurteilen.?  Ist  der  Ein- 
druck einer  räumlichen  Einheit  beabsich- 
tigt, oder  sind  die  Teile  ohne  Rücksicht 
darauf  einfach  addiert?  Eine  Erklärung 
wird  durch  die  Glyptik  der  Blütezeit  möglich. 

Der  Tonabdruck  aus  dem  5.  Magazin 
in  Knossos  mit  dem  Bilde  eines  Stiersprin- 
gers (Scr.  Min.  I  43,  20,  bl)  ist  als  Bildganzes 


in  rein  ornamentalem  Sinne  wieder  völlig 
einheitlich:  eine  Doppelvolute  mit  Mittel- 
füllung. Aber  auch  hier  sind  nach  der 
räumlichen  Seite  hin  einzelne  Elemente 
höchst  auffallend:  die  Vorder-  und  Hinter- 
beine sind  nach  innen  gewandt,  und  der 
Stierhals  hat  einen  sehr  eigenartigen  S- 
förmigen  Schwung. 

Im  Unterschied  zu  allen  andern  Bildern 
zeichnen  sich  die  auf  den  kleinen  Juwelen, 
die  man  in  die  Hand  nimmt,  durch  ihre 
leichte  Beweglichkeit  und  Drehbarkeit  nach 
allen  Richtungen  aus.  Ihr  Verhältnis  zur 
Blick-  und  Körperachse  des  Betrachters 
ist  nicht  von  vornherein  fest  bestimmt 
und  bei  einer  gewissen  Haltung  und  Blick- 
richtung ergibt  sich  die  sonst  so  proble- 
matische dritte  Dimension  ganz  von  selbst. 
Andererseits  soll  in  erster  Linie  doch  aber 
die  vertikale  Ausdehnung  der  dargestellten 
Objekte  gemacht  werden.  Für  die  Bild- 
elemente  liegen  also  die  ersten  beiden 
Dimensionen  fest,  nicht  für  das  Bildganze. 
Für  dieses  kommt  aus  den  allgemeinen 
Bedingungen  seiner  Gestalt  und  aus  den 
besondern  seines  Inhalts  unter  Umständen 
ein  sehr  sonderbares  Zusammenfließen  von 
Vorn  und  Unten  sowie  von  Hinten  und 
Oben  zustande.  Die  Randlinie  vermittelt 
zwischen  allen  drei  Dimensionen  und  faßt 
sie  sozusagen  in  einer  zusammen.  Auf  dem 
Siegel  mit  dem  Stierspringer  ist  es  für  den 
Kreter  also  nicht  auf  Rechts  und  Links 
angekommen,  sondern  darauf,  daß  die 
Beine  in  der  einheitlichen  Bewegungslinie 
der  Peripherie  liegen.  Es  handelt  sich  um 
eine  spezifisch  glyptische  Raumdarstellung. 
Die  räumliche  Lage  eines  jeden  Punktes 
ist  nicht  nach  seinem  Verhältnis  zu  unserm 
Blickfeld  bestimmt,  sondern  nach  seinem 
Verhältnis  zu  dem  einzigen  relativ  fest- 
liegenden Punkte,  d.  h.  zu  dem  Zentrum 
der  Bildfläche.  Der  Baum  auf  einem  Ab- 
druck aus  dem  Hieroglyphic  Deposit  (Scr. 
Min.  I  22,  II  a)  steht,  sobald  man  nach 
unsrer  Gewohnheit  ein  festes  Achsensystem 
annimmt,  auf  einer  Erhöhung  und  schief. 
Sobald  man  aber  nur  nach  seinem  Verhältnis 
zum  Zentrum  fragt,  wird  er  gerade;  denn 
wir  dürfen  dann  den  Stein  ja  drehen.  Es 
kann  also  jeder  Punkt  der  Peripherie  den 
Grund,  jeder  Radius  die  Vertikale  bedeuten. 


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Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung   1924. 


300 


Aus  diesen  Verhältnissen  erklären  sich 
die  zackigen  Geländeangaben  am  Bildrand. 
An  der  Peripherie  des  glyptischen  Rundes 
haben  sie  ihren  guten  Sinn. 

Auch  die  Kleinplastik  der  Blütezeit  läßt 
ein  der  Tiefenräumlichkeit  gegenüber  keines- 
wegs gleichgültiges  Kunstwollen  erkennen. 
Trotz  aller  orientalischen  Einzelzüge  ist 
bei  der  Sphinx  aus  Haghia  Triada  (Karo- 
Maraghiannis  I  24)  die  Anlage  des  Ganzen 
in  einem  nach  der  einen  Körperseite  hin 
offenen  Bogen  spezifisch  kretisch.  Ein 
Absetzen  der  Tiefendimension  wird  so  ver- 
mieden, die  Körperlichkeit  des  Ganzen 
erschließt    sich    auf    einen    Blick. 

Die  Auffassung,  es  sei  auf  den  kretischen 
Bildern  die  Tiefenräumlichkeit  rein  flächig 
behandelt,  muß  daher  abgelehnt  werden. 
Aber  ebensowenig  kommt  auch  der  Eindruck 
eines  einheitlichen  Raumes  zustande,  zu- 
mal auf  den  Fresken.  Denn  wenn  auch 
i.  a.  die  schräge  Ansicht  von  oben  (Kavalier- 
perspektive) gilt,  so  würden  sich  doch  so 
stattliche  Bildbänder,  die  durch  eine  ganze 
Halle  laufen  können,  selbst  mit  den  Mitteln 
unserer  Perspektive  kaum  einer  einheit- 
lichen Raumansicht  fügen.  Die  Lage  der 
einzelnen  Figuren  im  Raum  muß  für  sich 
abgelesen  werden.  Die  aus  der  Glyptik 
übertragenen  Verhältnisse  führen  in  der 
Malerei  und  im  Relief  zu  räumlicher  Addition. 

Als  ein  kräftiges  Mittel  rhythmischen 
Zusammenschlusses  wirken  dagegen  die 
rahmenden  Ornamentstreifen  oben  und  unten. 
Entsprechendes  kennt  auch  die  ägyptische 
Wanddekoration.  Aber  während  in  Kreta 
die  Eckzäsuren  konsequent  negiert  sind, 
werden  sie  in  Ägypten  betont.  Die  recht- 
eckigen Flächen  werden  hier  voneinander 
abgehoben,  und  die  kubische  Natur  des 
Raumganzen  wird  deutlich  zum  Ausdruck 
gebracht  (Wreszinski,  Atlas  zur  äg.  Kultur- 
geschichte Taf.  40).  In  Vorderasien  laufen 
die  Bildfriese  über  Ecken  und  Türlücken 
hinweg.  Der  Blick  wird  an  den  Wänden 
schrittweise  entlanggeführt  und  tastet  das 
Raumvolumen  in  einer  kontinuierlichen  Be- 
wegung ab.  Aber  die  horizontale  Rahmung 
scheint  zu  fehlen,  und  die  einzelnen  Figuren 
sind  viel  schärfer  als  in  Kreta  voneinander 
gesondert. 

Höchst  charakteristisch  für  Kreta  ist  es. 


wie  auf  dem  Prozessionsfresko  in  Knossos 
(Bessert,  Altkreta*  58)  ein  so  hervorragend 
addierendes  Thema  behandelt  ist.  In  der 
durch  die  Schurze  der  Männer  gegebenen 
Zone  ist  der  gelbe  Grund  durch  einen  blauen 
Horizontalstreifen  unterbrochen,  der  den 
Vertikalzäsuren  entgegenwirkt;  dadurch,  daß 
die  Schurze  abwechselnd  gelb  und  blau  sind, 
ist  dieser  Streifen  außerdem  noch  mit  dem 
übrigen  Grunde  nach  oben  und  unten  ver- 
zahnt. Also  nicht  durch  die  Behandlung 
des  Räumlichen,  sondern  durch  rhythmisch 
dekorative  Mittel  wird  das  Ganze  zusammen- 
gehalten. 

In  Ägypten  und  Vorderasien  ist  das 
Wesentliche  der  Bildkomposition  die  Zu- 
sammenordnung gleichwertiger  Teile,  die 
Addition  nicht  nur  auf  dem  Gebiete  der 
Naturwiedergabe,  sondern  auch  auf  dem 
rhythmisch-dekorativen.  Das  Ganze  be- 
steht daneben  als  elementare  übergreifende 
Ordnung  (Kubus  bzw.  Zylinder  oder  Halb- 
kugel) von  gleichfalls  völlig  selbständiger 
Natur. 

Dem  kretischen  Künstler  kommt  es  wesent- 
lich auf  die  Einheit,  auf  das  Ganze  an.  Bei 
größeren  Bildern  sind  es  allein  die  rhyth- 
mischen Mittel,  durch  die  er  sie  zum  Aus- 
druck bringen  kann.  Die  Raumwiedergabe 
bleibt  hier  primitiv  und  addierend.  Aber 
in  der  Glyptik  hat  die  auf  die  Einheit  ge- 
richtete Natur  des  kretischen  Kunstwollens 
nach  beiden  Seiten  hin  ihre  Erfüllung 
gefunden. 

Sitzung   vom  4.  März  1924. 

Ausgestellt  waren  die  Abgüsse  der  beiden 
iberischen  Grabstelen  Institut  d'Estudis 
Catalans,  Annari  VI  1915— 20,  630  Abb.  438 
und  654  Abb.  493,  die  sich  als  Geschenk  des 
Museums  in  Barcelona  in  der  Abgußsamm- 
lung des  Archäologischen  Seminars  befinden. 

Der  Vorsitzende,  Herr  Wieg  and,  wid- 
mete dem  verstorbenen  Mitglied  Herrn 
Felix  von  Luschan  Worte  des  Nachrufes. 
Nachdem  er  der  Verdienste  Luschans  als 
des  Direktors  der  anthropologischen  und 
afrikanischen  Sammlungen  der  Staat- 
lichen Museen  kurz  gedacht  hatte,  schil- 
derte er  die  besonderen  Verdienste  des 
Entschlafenen  um  die  archäologische  Wissen- 
schaft.     Luschan    kam    1885    nach    Berlin. 


30I 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Märi-Sitzung  1924. 


302 


Er  hatte  sich  schon  zuvor  während  des 
Krieges  in  Bosnien  archäologischen  Studien 
gewidmet  und  begleitete  1889  Eugen  Petersen 
auf  der  Forschungsreise  durch  Lykien. 
Auf  das  Engste  wurde  er  mit  der  Archäologie 
verknüpft  seit  seiner  erfolgreichen  Tätig- 
keit bei  der  Freilegung  der  Burg  von  Send- 
schirli  in  Nordsyrien,  die  den  ersten  Anstoß 
zu  größerer  Beachtung  des  Hethiterpro- 
blems und  seines  Verhältnisses  zu  den 
Aramäern  gegeben  hat.  Seinem  lang- 
jährigen Freunde  Otto  Puchstein  setzte  er 
ein  Denkmal  in  der  Schrift  über  das  jonische 
Kapitell,  das  er  mit  den  Augen  des  Eth- 
nologen betrachtete  und  aus  der  natura- 
listischen Darstellung  der  Dattelpalme  er- 
klärte. Luschan  hat  mit  seiner  unterneh- 
mungsfreudigen Persönlichkeit  u.  a.  dem 
einst  so  erfolgreich  wirkenden  Orient- 
komitee vorgestanden,  dessen  Wirksamkeit 
sich  hoffentlich  ebenso  wiederbeleben  wird, 
wie  die  der  Deutschen  Orient-Gesellschaft. 
Besonders  erwähnenswert  sind  auch  die 
Arbeiten  Luschans  über  die  Konstruktion 
des  Bogens,  über  die  er  in  der  Festschrift 
für  Otto  Benndorf  und  in  einem  Vortrag 
unserer  Gesellschaft  gehandelt  hat. 
Herr  Krüger  (Trier)  legte  vor: 
Josef  Hagen,  Römerstraßen  der 
Rheinprovinz  (Erläuterungen  zum  ge- 
schichtlichen Atlas  der  Rheinprovinz,  Band  8), 
Bonn,   Schröder,    1923. 

Das  Buch  dürfte  den  Titel  tragen:  Die 
Römerstraßen  der  Rheinprovinz,  denn  es 
ist  bestrebt,  unser  ganzes  derzeitiges  Wissen 
über  diese  Römerstraßen  zusammengefaßt 
darzulegen,  eine  Fülle  von  Arbeit,  die  in 
langen  Jahren  von  der  Lokalforschung  auf 
diesem  Gebiet  geleistet  ist.  Dargestellt  von 
einem  im  Gelände  geschulten  Mitarbeiter, 
der  als  Assistent  am  Bonner  Provinzial- 
museum  vieles  selbst  aufgenommen  hat 
und  mit  allen  Einzelheiten  dieser  Art  der 
Forschung  vertraut  ist.  Dem  Bearbeiter 
haben  die  römisch-germanische  Kommission 
in  Frankfurt  und  das  Frovinzialmuseum  in 
Trier  außerdem  ihre  reichen  Vorarbeiten 
zur  Verfügung  gestellt. 

Von  Siedlungen  sind  nur  die  wichtigsten 
Dinge,  die  unmittelbar  an  den  Straßen 
liegen,  eingetragen.  Die  vollständige  Dar- 
stellung aller   Siedlungen  wird  erst   die  in 

Archäologischer  Anzeigrer  1933/34. 


Arbeit  befindliche  archäologische  Karte  der 
Rheinprovinz  zu  bringen  haben.  Mehrfach 
ist  notiert,  daß  die  römische  auf  einer 
schon  älteren,  voi  geschichtlichen  Straße 
beruht;  aber  dieses  ältere  Straßennetz  läßt 
sich  heute  noch  nicht  darstellen. 

Man  bedauert  in  dem  Buch  das  Fehlen 
eines  Kapitels,  das  die  Hauptstraßen,  die 
großen  Verkehrsadern,  heraushebt  und  das 
am  Schluß  der  Arbeit  den  Stand  der  Haupt- 
probleme der  rheinischen  Straßenforschung 
kurz  umreißt.  Aber  das  Ganze  ist  eine 
vortreffliche,  sehr  verdienstliche  Arbeit,  die 
jeder  Anerkennung  wert  ist.  Wer  die  auf 
drei  Blättern  in  i  :  200  000  anschaulich 
dargestellten  Straßen  studiert,  bekommt 
vielleicht  doch  einmal  Lust,  auch  diese 
römischen  Anlagen  im  Gelände  selbst  kennen 
zu  lernen.  Es  gibt  noch  heute  nicht  wenige 
Strecken  dieser  Straßen,  auf  denen  man 
einen  starken  Eindruck  bekommt,  wie 
diese  römischen  Heerstraßen,  nach  größten 
Gesichtspunkten  angelegt,  beherrschend  die 
Landschaft  durchziehen. 

Herr  Neugebauer  sprach  über  die 
Bronzeindustrie   von   Vulci. 

Der  bisher  nicht  unternommene  Versych, 
für  die  fast  unübersehbare  Fülle  etruskischer 
Bronzen  nach  Fabrikationsorten  zu  suchen, 
kann  nur  Aussicht  auf  Erfolg  haben,  wenn 
er  von  geschlossenen  Gerätegruppen  aus- 
geht. Eine  solche  besitzen  wir  in  den  neun 
Stabdreifüßen,  die  sich  angeblich  mit  zahl- 
reichen anderen,  verschollenen  in  den  Grä- 
bern von  Vulci  gefunden  haben  »).  Denn 
ein  gleichartiger  Dreifuß  ist  sonst  nur,  wie 
so  manche  unteritalische  und.  etruskische 
Bronze,  im  Rheinlande  zutage  gekommen  ^), 
Bruchstücke  von  zwei  weiteren  in  Todi  und 
Falerii  3),  eines  auf  der  Akropolis  zu  Athen  4). 
Unbekannt  ist  der  Fundort  einer  hierher 
gehörigen  Statuette  in  München  5). 


')  Mon.  dei  Lincei  VII  1897,  277  ff.  (Savignoni). 
Diese  Arbeit  wird  weiterhin  nur  mit  Sav.  und  der 
Seitenzahl   angeführt. 

')  Dreifuß  aus  Dürkheim  zu  Speyer:  Sav.  299 
VIII;  Sieveking,  Antike  Metallgeräte  Taf.  16. 

3)  Sav.  292  II  und  301  XI;  362  Abb.  27. 

4)  Sav.  277  £F.  mit  Textvignette,  302  XII  und 
Taf.  9. 

5)  Statuette  in  München  unten  Abb.  i.  —  Ein 
Herakles  in  New  York,  den  G.  Richter,  Greek, 
Etr.   and   Rom.   bronzes  Metr.   Mus.  43  f.,  Nr.  62, 


303 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


304 


Im  Folgenden  wird  zunächst  versucht, 
eine  entwicklungsgeschichtliche  Anordnung 
der  erhaltenen  Beispiele  zu  geben.  Für 
alle  nicht  berührten  Einzelheiten  sei  auf 
Savignonis  grundlegende  Arbeit  und  die 
von    ihm    angeführte    Literatur    verwiesen. 

Drei  Gruppen  lassen  sich  unterscheiden. 

Der  schlichteste  Dreifuß  ist  der  Berliner  '). 
Die  Stäbe  sind  nicht  kanneliert;  die  drei 
einzelnen  werden  von  einer  schwerfälligen 
Blüte  bekrönt,  die  Bögen  der  anderen  ge- 
füllt von   einem   einfachen   durchbiochenen 


Abb.   I.     München,  Mus.  f.  ant.  Kleinkunst. 

Lyramuster.  Auf  diesen  erscheinen,  drei- 
mal gleich  wiederholt,  Tierkampfgruppen, 
auf  jenen  nur  je  eine  Gestalt  in  Knielauf. 
Das  faltenlose  Gewand  der  Gorgo  darf  nicht 
zu  einem  zu  hohen  Zeitansatz  des  Dreifußes 
verleiten,  denn  die  abstehenden  Zipfel  der 


als  Rest  eines  Vulcenter  Dreifußes  (versehentlich 
spricht  sie  von  Chiusi)  anspricht,  gehört  nach  dem 
seltsamen  Stützrest  unter  seinem  rechten  Knie, 
für  den  die  Dreifüße  nichts  Entsprechendes  bieten, 
kaum  hierher. 

»)  Sav.  294  IV  Taf.  9,  3;  351  Abb.  24.  Führer 
d.  d.  Antiquarium  I  77  f.,  Fr.  767,  Taf.  19;  Licht- 
bild Seemann  81 196. 


Scheinärmel  lassen  sich  in  Attika  erst  auf 
streng    rotfigurigen    Vasen    belegen '). 

Die  unkannelierten  Stäbe  und  die  Be- 
krönungsblüten  hat  auch  das  Petersburger 
Exemplar»).  Doch  sind  hier  die  Bogen- 
füUungen  von  einer  Form,  die  sonst  an  diesen 
Dreifüßen  nicht  wiederkehrt,  in  den  figür- 
lichen Aufsätzen  begegnen  mannigfaltigere 
und  schwierigere  Gruppierungen.  Der  Ein- 
bau eines  Untersatzes  für  den  Kessel,  falls 
antik,  entspricht  dem  ursprünglichen  Zu- 
stande der  Stabdreifüße  aus  Olympia  und 
MetapontS). 

Weiter  schließt  sich  an  den  Berliner 
Dreifuß  der  aus  Sammlung  Feoli  verschol- 
lene an  4)  .  Eine  leichte  Bereicherung  be- 
deuten die  Palmetten  und  Blütenleisten 
auf  den  Raubtierklauen,  falls  sie  ursprüng- 
lich zugehören,  denn  in  der  ältesten  Ab- 
bildung des  Dreifußes  fehlen  sie.  Unwesent- 
lich weiter  gebildet  erscheinen  auch  die  Lyra- 
muster in  den  Bögen.  In  dem  Figuren - 
schmuck  fallen  die  antithetischen  Pferde- 
protomen  als  ein  Motiv  von  langer  Vorge- 
schichte auf  5).  Die  Blüten  unter  den 
Einzelgestalten  auf  den  Stäben  zeigen, 
wie  auch  in  St.  Petersburg,  das  Mittelblatt 
nach  vorn  herausgebogen,  hier  aber  vorn 
in  der  Art  eines  Schlangenkopfes  verdickt. 
Das  kehrt  nicht  nur  an  der  Wiederholung 
einer  jener  Figuren,  einer  im  Knielauf  be- 
wegten Frau,  deren  Mantel  kapuzenartig 
über  den  Kopf  gelegt  ist,  aus  Todi  6),  son- 
dern auch  an  einem  mit  dem  Schurz  be- 
kleideten Jüngling  ähnlicher  Haltung  in 
München  wieder  (Abb.  i)  7);  beidemale 
ist  auch  der  Knauf  unter  der  Blüte  nahezu 
derselbe.  Der  Jüngling  stammt  also  von 
einem    Dreifuß    desselben    engeren    Kunst- 

')  Berliner  Museum  1924,  32  (Neugebauer). 
')  Sav.  299  IX,  297  Abb.  3.     Fouilles  de  Delphes 
V  125  zu  Nr.  679  Abb.  468  (Perdrizet). 

3)  Olympia  IV  131  (Furtwängler).  Zum  Dreifuß 
aus  Metapont  zuletzt  R.  M.  XXXVIII/XXXIX 
1923/1924,  403  u.  414  (Neugebauer). 

4)  Sav.  292  I;  Mon.dell'  Inst.  VI— VII,  Taf.  69,  3. 

5)  Vgl.  Anatolian  Studies  presented  to  Sir  Wil- 
liam  Ramsay  442  ff.  (Zahn). 

')  Sav.  292  II;  Not.  d.  scavi  1879,  260  mit  Abb. 
(Fiorelli). 

7)  München,  Mus.  f.  ant.  Kleinkunst  3707.  Früher 
in  einer  englischen  Privatsammlung,  später  in 
Sammlung  Arndt.  Höhe  0,10  m.  Die  Erlaubnis  zur 
Veröffentlichung  verdanke  ich  Herrn  Dir.  Sieveking. 


305 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Märi-Sitzung  I9a4. 


306 


kreises  wie  jene  Frau  und  das  Exemplar 
Feoli.  An  diesem  läßt  sich  ihm  auch  der 
nackte  »Hermes«  nahe  vergleichen. 

Von  sehr  ähnlichem  Körperbau  wie  die 
Münchener  Statuette  ist  das  Jünglingspaar 
aus  Falerii  in  Villa  Giulia  ').  Doch  fallen 
hier  an  den  Schurzen  die  unter  dem  Hüft- 
bausch  hindurchgezogenen  Zipfel  faltenlos 
herab.  Schwerer  wiegt  der  Unterschied, 
daß  über  die  in  Resten  erhaltenen  Blüten- 
blätter eine  Plinthe  mit  vertieftem  Zungen- 
muster gelegt  ist.  Denn  eine  Plinthe  wird 
von  jetzt  ab  die  Regel.  So  leitet  das  Bruch- 
stück aus  Falerii  über  zu  der  zweiten  Gruppe, 
die  mit  dem  Vulcenter  Dreifuß  des  Britischen 
Museums   Nr.  587   beginnt  2). 

Er  geht  an  Reichtum  des  Schmuckes 
über  die  bisher  aufgezählten  Denkmäler 
hinaus.  Die  Raubtierklauen  ruhen  auf 
Fröschen;  die  Stäbe  sind  kanneliert.  An 
Stelle  der  Abschlußblüten  sehen  wir  kapitell- 
ähnliche  Gebilde,  die  aus  zweireihigen 
Kelchblättern  bestehen.  Die  Bögen  sind 
mit  sorgfältigem  Zungenornament  verziert. 
Das  sie  füllende  Lyramuster  wird  unten  ab- 
geschlossen durch  Eicheln  und  Palmetten, 
von  denen  jene  an  kreisförmig  geboge- 
nen Stengeln  herabhängen,  diese  daneben 
aus  den  Zwickeln  der  Kreise  heraus- 
kommen. Andererseits  klingen  die  Tier- 
kampfgruppen auf  den  Bögen  an  die  des 
Dreifußes  zu  St.  Petersburg  an,  und  das 
Bewegungsschema  in  der  Gruppe  des  He- 
rakles und  einer  Frau  gleicht  dem  des 
Jünglingspaares  aus  Falerii.  Zeitlich  scheint 
daher  London  587  nicht  weit  von  den  zuerst 
genannten  Bronzen  abzustehen.  Die  nur 
in  geringfügigen  Einzelheiten  einfachere 
Wiederholung  dieses  Dreifußes  aus  Dürk- 
heim  (oben  302  Anm.  2)  zeichnet  sich 
dadurch  aus,  daß  ihr  Aufsatz  einen  Rost 
erhalten  zeigt;  sie  diente  also  zweifellos 
als  Kohlenbecken. 

Auch  das  Exemplar  im  Museo  Gregoriano 
gehört  nach  den  Fröschen  unter  den  Raub- 


")  Sav.  301   XI,   362  Abb.  27. 

«)  Sav.  298  f.  VII;  Mon.  dell'  Inst.  III  Taf  43; 
Walters,  Cat.  of  bronzes  Brit.  Mus.  85  (wo  irrtümlich 
auch  die  Abbildung  des  Dreifußes  Feoli  M.  d.  Inst.  II 
Taf.  42  B  angeführt  wird,  was  Savignoni  über- 
nommen hat);  Phot.  Mansell  2262;  Uchtbild 
Seemann  81 198. 


tierklauen  der  kannelierten  Stäbe,  nach 
den  BogenfüUungen  und  nach  dem  Statu- 
ettenschmuck eng  neben  die  beiden  letzt- 
genannten ').  Nur  in  den  Kapitellen  der 
Stäbe  geht  er  über  diese  hinaus.  Denn  hier 
sind  zwischen  die  zu  Halbbögen  mit  daran 
hängenden  blattähnlichen  Palmetten  um- 
gebildeten Kelchblätter  und  die  Plinthen 
des  figürlichen  Aufsatzes  zwei  Glieder  ein- 
geschoben worden,  deren  oberes  einer  Um- 
kehrung jener  uns  bekannten  Kelchblätter 
ähnelt,  während  das  untere  aus  zwei  nach 
der  Mitte  zu  aufgerollten  Blattstengeln 
besteht. 

Damit  ist  ein  Motiv  gegeben,  das  bereits 
für  die  dritte  Gruppe  unserer  Dreifüße  be- 
zeichnend ist.  Keineswegs  aber  verläuft 
darum  die  Entwicklung  dieser  Denkmäler- 
gattung ganz  geradlinig.  Nicht  alle  Toreuten 
beteiligen  sich  an  jedem  Fortschritt,  son- 
dern ältere  Vorlagen  werden  neben  jüngeren 
weiterbenutzt.  Der  zweite  Dreifuß  in 
London,  Brit.  Mus.  588  2),  veranschaulicht 
dies  aufs  Deutlichste  dadurch,  daß  er  in 
manchen  Zügen  an  das  Exemplar  Feoli 
erinnert.  Wie  dort  sehen  wir  antithetische 
Pferdevorderteile  über  den  Bögen;  die 
Knielaufbewegung  der  Einzelfiguren  auf 
den  Stäben  gleicht  der  an  jenem  durchaus; 
die  Stäbe  selber  sind  unkanneliert  geblieben. 
Dagegen  strebt  die  Ornamentierung  trotz 
etwas  derber  und  oberflächlicher  Ausführung 
nach  Reichtum.  Unter  dem  Lyramuster 
hängen  eng  zusammengedrängte  Knospen(?), 
und  die  Kapitelle  zeigen  ein  noch  etwas 
mannigfaltigeres  Schlingwerk  als  die  des 
Dreifußes  in  Rom. 

Viele  Züge  verbinden  auch  den  Karls- 
ruher Dreifuß  (Abb.  2)  3)  mit  jenem;  die 
Füße  und  die  BogenfüUungen  kopieren  das- 
selbe Muster.  Daß  den  Stäben  die  Kannelur 
fehlt,  durfte  bei  sonst  so  üppigem  Schmuck 
kaum  erwartet  werden.  Die  Kapitelle  vor 
allem  sind  ja  um  noch  eine  Schicht  Schling- 
werk höher  als  die  an  London   588.      Der 


')  Sav.  296  VI,  Abb.  2;  Heibig  3  I  Nr.  626  (Reisch); 
Lichtbild  Seemann  81199. 

»)  Sav.  293  III,  353,  Abb.  25,  Taf.  9,  2;  Walters 
a.  a.  0.  86;  Phot.  Mansell  2263;  Lichtbild  Seemann 

81197- 

3)  Sav.  294  f.  V.  Unsere  Abbildung  nach  neuer, 
durch  die  Leitung  des  Badischen  Landesmuseums 
gütigst  vermittelter  Photographie. 


307 


ArchSologiscbe  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


308 


Statuettenschmuck  bietet  wenig  Abwechs- 
lung; drei  nach  links  gelagerte  Frauen  und 
drei  nach  rechts  eilende  Flügeldämonen, 
Gestalten  von  etwas  unbestimmtem,  breitem 
Körperbau,   wiederholen   sich    gleichförmig. 


Enten,  gefüllt.  In  gleicher  Höhe  wie  diese 
Plinthen  befinden  sich  die  auf  den  Einzel - 
stützen.  Die  Statuetten  auf  diesen  begannen 
an  den  bisher  betrachteten  Dreifüßen  meist 
tiefer  als  die  der  Bögen;  doch  bildete  hiervon 


Abb.  2,     Karlsruhe,  Badisches  Landesmuseum. 


Die   KJinen   stehen   noch   ohne   Bodenleiste 
auf  den   Bögen. 

Dagegen  zeigt  der  Dreifuß  der  National - 
bibliothek  zu  Paris  (Abb.  3)  »)  Plinthen 
auch  auf  diesen;  die  Zwickel  werden  mit 
den    Statuetten    von    Wasservögeln,    wohl 

-)  Sav.  302  XII,    278  ff.    mit   Abb.,    Taf.  9.    i ; 
Lichtbild  Seemann  38642. 


schon  der  Dreifuß  zu  St.  Petersburg  eine 
Ausnahme  dadurch,  daß  die  Einzelstäbe 
höher  herauf  reichten  als  gewöhnlich.  Näher 
steht  dem  Pariser  der  zu  Karlsruhe,  an  dem 
die  Höhengleichheit  des  Figurenschmuckes 
durch  Streckung  der  Kapitelle  erreicht 
worden  ist.  Diese  erscheint  an  dem  Dreifuß 
der    Nationalbibliothek    derart    fortgeführt, 


309 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung   1924. 


310 


daß  das  Kapitell  sich  gar  nicht  mehr  als 
gerade  Weiterbildung  der  uns  bekannt  ge- 
wordenen Form  auffassen  läßt,  in  der 
Vorliebe  für  Kombinationen  aus  aufgerollten 
Ranken  sich  aber  doch  aus  demselben  Geiste 


Aufbaues;  die  Abklärung  des  tektonischen 
Sinnes,  die  sich  hierin  kundgibt,  verweist 
noch  entschiedener  als  der  Überschwang 
im  Ornament  das  Exemplar  an  das  Ende 
der  ganzen  Entwicklung.  Ob  das  Ruhen  der 


Abb.  3.     Paris,  Nationalbibliothek. 


wie  jene  hervorgegangen  erweist.  Vögel 
sitzen  in  zwei  Zwickeln  dieser  Ranken  und 
ähnlich  in  der  nahezu  hybriden  Fülle  kreis- 
förmig zusammengerollter  Ranken  unter 
den  Bögen.  Die  sechs  Plinthen  mit  den 
abwechselnd  aus  zwei  und  drei  nebeneinander 
stehenden  Gestalten  gebildeten  Gruppen 
darauf  beruhigen  den  oberen  Abschluß  des 


Raubtierklauen  auf  Schildkröten  statt  auf 
Fröschen  ähnlich  bewertet  werden  kann  •), 
scheint  mir  fraglich.  Wie  Savignoni  nicht 
entgangen  ist,  darf  das  Bruchstück  von  der 
Akropolis  zu  Athen  ^)  als  Rest  eines  nahe 
verwandten    Dreifußes    angesehen    werden. 

■)  Mainzer  Zeitschrift  VI  191 1,  6  (Behn). 
')  Vgl.  oben  Sp.  302  Anm.  4. 


3H 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin,     März-Sitzung  1934. 


312 


Abb.  4.     Mainz,  Röm.-german.  Zentralmuseum. 

Die  Übereinstimmung  aller  dieser  Drei- 
füße im  Typus  und  in  zahlreichen  Einzel- 
heiten läßt  sich  nur  durch  die  Annahme 
erklären,  sie  seien  Erzeugnisse  eines  geo- 
graphisch eng  begrenzten  Industriegebietes. 


Die  Ansetzung  dieser  Industrie  in  Vulci 
selber  liegt  gewiß  am  nächsten.  Anderer- 
seits aber  hat  Savignoni  die  von  Behn 
geteilte  Auffassung  jener  Dreifüße  als  Ar- 
beit jonischer  Griechen  begründet  ').  In- 
dessen konnte  Savignoni  keine  einzige  ge- 
sichert jonische  oder  chalkidische  Bronze 
als  aus  demselben  Kunstkreise  stammend 
beibringen  ^),  sondern  er  hat  nur  für  den 
Stabdreifuß  als  Ganzes  wie  für  bestimmte 
Einzelformen  die  Vorstufen  in  der  griechischen 
Kunst  aufgezeigt.  Der  etruskische  Ur- 
sprung der  Vulcenter  Dreifüße  folgt  dem- 
gegenüber aus  ihrer  Verwandtschaft  in 
Technik  und  Stil  mit  anderen  Bronzewerken 
Etruriens;  er  ist  denn  auch  meistens  aner- 
kannt   worden  3). 

Die  besprochenen  Beispiele  gehören  sämt- 
lich der  archaischen  Kunst  an.  Da  nun 
aber  schon  der  einfachste  Dreifuß,  der  zu 
Berlin,  nicht  lange  vor  dem  Ende  des 
6.  Jahrh.  v.  Chr.  gearbeitet  sein  kann,  haben 
wir  offenbar  die  Erzeugnisse  einer  nur  kurze 
Zeit  hindurch  tätigen  Industrie  vor  uns. 
Dieser  noch  weitere  Bronzen  zuzuweisen, 
wird  durch  entscheidende  Zierformen  an 
den    Dreifüßen   ermöglicht. 

So  hat  bereits  Behn,  ohne  aber  hieraus 
die  letzte  Folgerung  zu  ziehen,  auf  zahl- 
reiche Übereinstimmungen  an  dem  von 
ihm  besprochenen  Thymiaterion  in  Mainz 
hingewiesen  (Abb.  4)  ■<).  Zu  nennen  sind 
vor  allem  die  Gruppen  in  ausgeschnittenem 
Relief  und  die  beiden  S-förmigen  Ranken, 
auf  denen  sie  sich  bewegen.  Diese  sind  von 
derselben  Art  wie  das  Rankenschlingwerk 
unter  den  Bögen  der  Dreifüße.  Von  jenen 
stimmt  das  Paar  der  Silene  mit  einer  Be- 
krönungsgruppe     des     vatikanischen     Drei- 


')  Vgl.  die  Zusatpmenfassung  Sav.  369!!.;  Mainzer 
Zeitschrift  VI  1911,  6  ff.  (Behn). 

')  ZuT  Kritik  neuerer  Anschauungen  über  eine 
chalkidische  Bronzeindustrie  vgl.  R.  M.  XXXVIII/ 
XXXIX  1923/1924,  394  ff.  (Neugebauer). 

3)  Ich  nenne  nur  Friederichs,  Berlins  Antike  Bild- 
werke II  191  f.;  Martha,  L'art  ^trusque  526;  Heibig, 
Führers  I  367  (Reisch);  Sieveking,  Antike  Metallge- 
räte 9  zu  Taf.  16. 

4)  Behn  a.a.O.  4  ff.  Taf.  i;  ders.,  Kataloge  des 
Röm.-Germ.  Zentralmuseums  Nr.  8  (Italische  Alter- 
tümer vorhellenistischer  Zeit)  lii  Nr.  877  Taf.  10; 
Bonner  Jahrbücher  CXXII  1912,  33  u.  51  f.  (K. 
Wigand);  Berliner  Museen  XLV  1924,  30  (Neu- 
gebauer). 


313 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


314 


fußes  nahezu  völlig  überein;  die  Jünglinge 
im  Schurz  lassen  sich  der  allerdings  nach 
rechts  gewandten  Gruppe  aus  Falerii  nahe 
vergleichen.  Die  Palmetten,  die  über  den 
Gruppen  herabhängen,   ähneln   am  meisten 


Das  Paar  laufender  Silene  findet  sich 
außerdem  als  Schmuck  der  Wandung  eines 
Kronleuchtes  im  Louvre  (Abb.  5)  ').  Die 
Abbildung  bietet  keinen  Grund,  dieses 
Gerät  als  Pasticcio  zu  verdächtigen.     Denn 


Abb.  5.     Paris,  Louvre. 


denen  an  den  Kapitellen  des  römischen 
Exemplars.  Bestätigend  kommen  Motive 
wie  die  Schildkröten  unter  den  Raubtier- 
klauen, die  am  Pariser  Dreifuß  begegneten, 
oder  die  Acheloosmasken,  die  an  das  Bruch- 
stück in  Athen  erinnern,  hinzu. 


von  gleichem  Stil  wie  die  laufenden  Silene 
sind  offensichtlich  ihre  gelagerten  Gefährten 
auf  dem  Rande;  die  Löwenmähnen  scheinen 
ganz  gleichartig  graviert  wie  Haar  und  Barte 

')  De   Ridder,   Bronzes  antiques   du  Louvre    II 
150    Nr.  3142,    Taf.  ill. 


315 


Archäologische  Gesellschaft  za  Berlin.     Mäiz-Sitzung  1924. 


316 


an  jenen.  Silene  und  andere  Wesen  liegend 
sehen  wir  aber  an  den  Vulcenter  Dreifüßen 
mehrmals  als  Aufsatz  des  Ringes  über  den 
diagonalen  Streben,  die  von  den  Raubtier - 
klauen  ausgehen.  Das  Exemplar  Feoli  zeigt 
einen  Silen  vermutlich  willkürlich  zu- 
sammengestoppelt mit  einem  liegenden 
Mädchen  und  einem  Vogel.  In  Karlsruhe 
sind  es  drei  nackte  Männer  an  gleicher 
Stelle.  An  London  587  fehlt  eine  Gestalt, 
erhalten  sind  zwei  Rücken  an  Rücken 
liegende  Silene;  derselbe  Dreifuß  bietet 
in  einer  der  Gruppen  auf  den  Einzelstäben 
ein  etwas  lahmes  Gegenstück  zu  dem  Paare 
an  der  Wandung  des  Kronleuchters  und  des 


Abb.  6.     Berlin,  Antiquarium. 

Dreifußes  im  Musco  Gregoriano.  An  dem 
letztgenannten  aber  ist  der  untere  Ring 
mit  drei  Silenen  besetzt,  von  denen  zwei 
dieselbe  Haltung  wie  die  an  dem  Kron- 
leuchter haben.  Diesen  derselben  Industrie 
zuzusprechen,  wie  die  Dreifüße,  liegt 
somit  nahe.  Allerdings  könnten  die  figür- 
lichen Muster  auch  in  die  Manufaktur  eines 
anderen  Ortes  übertragen  worden  sein. 
Der  Umstand  indessen,  daß  sie  sich  sonst 
nur  an  den  vorhergenannten,  eng  mitein- 
ander verbundenen  Denkmälern  wieder- 
finden, läßt  auf  alle  Fälle  den  Verfertiger  des 
Kronleuchters  in  enger  Abhängigkeit  von 
der  durch  jene  bezeugten  Industrie  erscheinen. 
Ahnliche  liegende  Silene  als  Einzel- 
statuetten befinden  sich  in  verschiedenen 
Sammlungen.  Einander  nächst  verwandt 
scheinen  mir  zwei  in  Berlin  (Abb.  6  und  7)  '), 

')  Friederichs,  Berlins  Antike  Kunstwerke  II  314, 
Nr.  1490  pq;  Olympia  IV  24  Anm.  2  (Furt wängler) ; 
de  Ridder,  Br.  ant.  du  Louvre  II  150  zu  Nr.  3142. 


einer  in  Wien  ')  und  einer,  auf  der  Akro- 
polis  gefunden,  im  Athener  National - 
museum  2) ;  nur  wenig  ferner  steht  einer 
in  der  Pariser  Nationalbibliothek  3).  Nach 
ihrer  Größe  dürften  diese  Statuetten  am 
ehesten  von  Fußringen  Vulcenter  Dreifüße 
stammen,  deren  einer  auf  der  Akropolis 
ja  einen  sicheren  Rest  hinterlassen  hat. 
Für  den  Versuch,  an  diese  Bronzen  auch 
Gefäße  anzuschließen,  hat  wiederum  Behn 
den  Weg  gewiesen,  als  er  für  das  Stehen 
ausgeschnittener  Reliefgestalten  auf  Spiral - 
bändern  am  Thymiaterion  in  Mainz  die 
Henkelattasche  der  Trierer  Schnabelkanne 
aus   Schwarzenbach   als  verwandt  bezeich - 


Abb.  7.     Berlin,  Antiquarium. 

nete  (Abb.  8)  ■<).  Zwei  leichte  Varianten 
desselben  Henkeltypus,  dessen  Handgriff 
aus  einem  rücklings  gebeugten  Jüngling  ge- 
bildet wird,  sind  in  neuerer  Zeit  einem 
Krater  des  Museo  Gregoriano  angefügt 
worden  5) ,  zwei  weitere  befanden  sich  früher 


Fr.  1490  p:  Länge  0,04  m,  Höhe  0,03  m;  Fr.  1490  q: 
Länge  0,045  ">>  Höhe  0,031  m. 

')  V.  Sacken,  Bronzen  Taf.  26,  11;  Reinach, 
R^p.  d.  1.  stat.  II  6i,2.  »5  cm  groß«. 

')  J.  H.  St.  XIII  1892— 1893,  240  Abb.  12 
(Bather);  de  Ridder,  Cat.  des  bronzes  trouv&  sur 
r  Acropole  Nr.  763  Abb.  272.  Länge  0,069  mi 
Höhe  0,03  m. 

3)  Babelon-Blanchet  182  Nr.  412.  Länge  0,055  ™; 
Höhe  0,035  "i- 

4)  Behn  a.  a.  O.  6.  Hettner,  111.  Führer  d.  d. 
Prov.  Mus.  Trier  125  Abb.  8,  127;  Baldes  u.  Behrens, 
Birkenfeld  52  Taf.  VII  u.  VIII  C,  nach  derselben 
Vorlage  unsere  Abbildung.  Lichtbild  Seemann 
81203. 

5)  Mus.  Greg.  B  I  Taf.  VI  3  a;  Martha,  L'art 
etrusque  521  Abb.  348;  Heibig  3  I  360  f.  Nr.  598. 


317 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


318 


in  der  Sammlung  Fejerwary  zu  Eperies '), 
Wiederholungen  der  Attaschen  allein  be- 
wahrt der  Louvre  auf'),  eine  einzelne  der- 
selben Art  das  Britische  Museum  3).  Die 
wesentlichsten  Unterschiede  der  beiden 
Henkelpaare    von    dem    Griff    der    Trierer 


ihr  lagen').  Mit  Ausnahme  des  Florentiner 
Stückes  rollen  sich  nun  aber  übei  den  an 
allen  miteinander  übereinstimmenden  Atta- 
schenpalmetten  zwei  Doppelspiralen  zur 
Seite,  aus  deren  involutierten  Enden  kleine 
Palmetten  herauswachsen,   um  sich,   etwas 


Abb.  8.     Trier,  Provinzialmuseum. 


Kanne  bestehen  darin,  daß  an  ihnen  die 
Raubtiere  oben  unterhalb  der  Mündung  be- 
festigt waren,  während  sie  an  diesem  auf 
der  Mündung  sitzen,  so  wie  an  Henkeln 
zu    Florenz    und    Berlin    zwei    Männer    auf 


■)  Mon.  dell'  Inst.  V  Taf.  52  links;  annali  XXV 
1853,    126  f.    (Braun). 

»)  DeRidder,  Br.  ant.  du  Louvre  II  118  Nr.  2788 
u.     2789    Taf.  100. 

3)  Walters,  Cat.  of  bronzes  Brit.  Mus.  65  Nr.  467. 


einwärts  gerichtet,  über  die  obersten  Blatt- 
spitzen jener  größeren  herüberzulegen.  Nicht 
unverwandt  scheint  mir  die  Anordnung  der 
Knospen  in  der  Mittelschicht  der  Kapitelle 
an  dem  Dreifuß  zu  Rom. 

Eine    ähnliche    Attasche    hat    ein    nicht 


')  Henkel  in  Florenz:  Mon.  dei  Lincei  VII  1897, 
348  Abb.  23  (Savignoni);  Milani,  II  R.  Museo  Ar- 
cheologico  di  Firenze  I  131,  II  Taf.  22,  3.  —  Henkel 
in  Berlin:  Führer  d.  d.  Antiquarium  I  lOO  Fr.  602, 
an  unzugehöriger  Kanne  befestigt. 


319 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1934. 


320 


figürlicher  Schnabelkannenhenkel  zu  Berlin 
(Abb.  9) ').  Hier  sehen  wir  zwei  nach  den 
Seiten  auseinander  strebende  Sirenen  an 
der  Stelle  des  Kämpferpaares  an  der  Trierer 
Kanne  und  ihresgleichen.  Mit  sehr  auf- 
fälligen Lücken  zwischen  den  Spiralen,  den 
Leibern,  Gliedmaßen  und  Flügeln  der  Fabel - 


Abb.  9.      Berlin,  Antiquarium. 

Wesen  bezeugen  sie  dieselbe  Vorliebe  für 
durchbrochene  Arbeit,  wie  an  den  Drei- 
füßen die  Kapitelle  der  dritten  Gruppe 
oder  die  Bogenfüllungen  vor  allem  des 
Pariser  Exemplars.  Der  obere  Bügel,  der 
einst  der  Mündung  auflag,  läuft  ohne 
scharfen  Absatz  in  Gestalten  liegender 
Löwen  aus.  Der  Rücken  des  hochge- 
schwungenen  Handgriffes   ist  in   der   Mitte 


')  Mise.  Inv.    8477.   Geschenk    1894.      Höhe    bis 
zu  den  Scheiteln  der  Löwen  rund  0,24  m. 


mit  drei  kleinlichen  und  flachen  Perlreihen 
verziert,  offenbar  der  Nachahmung  einer 
in  der  unteritalischen  Toreutik  oft  ver- 
wandten Schmuckform').  Auf  dem  Scheitel- 
punkte befindet  sich  in  flachem  Relief  eine 
blattähnliche  Auflagefläche  für  den  Daumen 
der  die  Kanne  tragenden  Hand. 

Diese  Grifform  begegnet  an  einer  kleinen 
Gruppe  etruskischer  Schnabelkannenhenkel 


Abb.    10.     Berlin,  Antiquarium. 

wieder.  Nahe  steht  dem  Berliner  Henkel 
ein  zweiter  ebendort  (Abb.  10),  mit  dem 
zusammen  sich  Mündung,  Hals  und  Schulter- 
ansatz der  Kanne  erhalten  haben;  der 
größere  Teil  der  Gefäßwandung  ist  ergänzt*). 
Die  feinere  Ornamentierung  erstreckt  sich 
bis  auf  die  Auflagefläche  für  den  Daumen. 
So  sind  denn  auch  die  Spiralbänder  breiter 

■)  R.  M.  XXXVIII/XXXIX  1923/1924,  422 
(Neugebauer). 

^)  Führer  d.  d.  Antiquarium  I  97  Nr.  10554; 
Lichtbild  Seemann  S1205. 


321 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1934. 


322 


als  gewöhnlich,  leicht  gehöhlt  und  mit  feiner 
Randstrichelung  verziert.  Um  eine  Windung 
bereichert,  weichen  sie  soweit  zur  Seite, 
daß  die  zierlichen  Nebenpalmetten  nicht 
über  die  Blattspitzen  des  unteren  Attaschen- 
abschlusses herüberfallen  können.  Zarte 
Gravierung  belebt  auch  Haare,  Gefieder  und 
Gewänder  der  Sirenen;  wenigstens  rechts 
erscheint  wieder  ein  abstehender  Chiton - 
zipfel  am  Ellenbogen.  Indessen  weicht  die 
Attasche  von  den  zuvor  zusammengestellten 
durch  stärkere  Zusammenfassung  der  ein- 
zelnen Teile  ab;  die  Schleifen  der  Spiralen 
sind  gefüllt,  und  im  übrigen  erscheint  so 
wenig  Durchbrechung  wie  möglich.  So 
macht  die  ganze  Arbeit  doch  den  Eindruck, 
aus  einer  anderen  Manufaktur  zu  stammen, 
diese  muß  aber  mit  den  bisher  erkannten 
in   naher  Verbindung  gestanden   haben. 

Die  Spiralen  fehlen  an  einem  Henkel  von 
sonst  gleichem  Typus  in  der  National - 
bibliothek  zu  Paris").  Die  etwas  preziöse 
Formgebung  der  Sirenen  erlaubt  nicht,  ihn 
demselben  Künstler  wie  die  Bronze  Abb.  10 
zuzuschreiben,  aber  es  kann  nur  von  leichten 
Abwandelungen  desselben  Musters  ge- 
sprochen werden.  Dieser  Henkel  nun  leitet 
über  zu  drei  weiteren,  an  denen  nur  eine 
Sirene  ohne  Palmette  die  Attasche  bildet. 
Das  Exemplar  der  Nationalbibliothek  steht 
mit  seiner  strengen  und  sorgfältigen  Gra- 
vierung an  den  figürlichen  Teilen  und  mit 
der  glatten  Mittelrippe  des  Handgriffes  an 
Stelle  von  Perlreihen  etwas  abseits 2),  zwei 
verschieden  große  Henkel  zu  Berlin  dagegen, 
auf  die  vor  Jahren  bereits  Pernice  hin- 
gewiesen hat,  zeigen  im  Typus  und  im  Stil 
nicht  nur  zahlreiche  Übereinstimmungen 
untereinander,  sondern  auch,  bis  auf  die 
Attasche,  mit  dem  in  Abb.  9  wieder- 
gegebenen 3).  Gewiß  entfernen  wir  uns  mit 
den  letztgenannten  Bronzen  soweit  von 
unserem  Ausgangspunkte,  daß  ihre  Zu- 
weisung an  die  Vulcenter  Werkstätten,  in 
denen  wir  die  Dreifüße  entstanden  denken, 
unbegründet  erschiene.    Es  sind  Erzeugnisse 


von  etwas  provinzieller  Art;  daß  wir  aber 
auch  mit  ihnen  in  derselben  Südwesteckc 
Etruriens  bleiben,  lehrt  eine  Wiederholuns 
der  Attasche  des  von  Pernice  Abb.  78  ver- 
öffentlichen Henkels,  denn  sie  stammt  aus 
Corneto'). 

Nach  Vulci  führt  uns  dagegen  ein  in  der- 
dortigen  Gräbern  gefundener  wagerechten 
Gefäßhenkel  des  Museo  Gregoriano  zurück*). 
Ihm  nahe  verwandt  ist  ein  Henkel  unbe- 
kannter Herkunft  in  der  Pariser  National - 
bibliothek  3).  Dieser  wiederholt  in  der 
Palmette  seiner  Attasche  die  zu  Abb.  8 
besprochene  Form;  die  geflügelten  Pferde - 
protomen  darüber  erinnern  an  den  Henkel 
zu  Florenz  (oben  318  Anm.  l).  Der 
Vulcenter  Henkel  läßt  am  Handgriff  die 
Kannelierung  des  Vergleichsstückes  in  Paris 
vermissen  und  zeigt  ihn  dafür  mit  einer 
Perlreihe  besetzt.  Die  Palmetten  fügen 
sich   in   den   Hauptzügen   den   eben   bereits 


Abb.    II.     Paris,  Nationalbibliothek. 

erwähnten  an,  und  die  Reiter  auf  den  Pferde- 
vorderteilen mit  wiederum  untergeschlagenen 
Beinen  scheinen  von  gleichem  Stil  wie  die 
Kampfgruppen  oben  3i6f.  Anm.  4 — 3.    Die- 

i  selben  Kampfgruppen  begegnen  auch  an 
zwei  Appliken  zu  Paris  4).  Ist  es  nun  aber 
ein  Zufall,  daß  von  der  Plinthe  der  zweiten 
(Abb.  11)  an  Spiralen  Eicheln  (oder  Knospen) 

■  und  Palmetten  herabhängen,  wie  wir  sie 
in  den  BogenfüUungen  des  Dreifußes  London 
587  zuerst  vermerkt  hatten.^     Mir  scheint 


')  Babelon-Blanchet  739  Nr.  1449  bis. 

»)  Ebenda  584  Nr.  1449. 

3)  Weicker,  Der  Seelenvogel  187;  Österr.  Jahres- 
hefte VII  1904,  166  f.  Abb.  78  u.  77  (Pernice); 
Führer  d.  d.  Antiquarium  I  loi  Fr.  1409  u.  Inv.  8558; 
Lichtbild  Seemann  81206. 


")  Friederichs,  Berlins  antike  Bildwerke  11  475 
Nr.  2172  a;  Weicker  a.a.O.  Die  bei  Friederichs 
versehentlich  fortgelassene  Herkunftsangabe  findet 
sich  in  dem  handschriftlichen  Verzeichnis  der  Samm- 
lung Dorow,  mit  der  die  Bronze  erworben  wurde. 
')  Mus.  Greg.  B  I  Taf.  60  f. 

3)  Babelon-Blanchet   586  Nr.  1458. 

4)  Ebenda  240  f.  Nr.  579  u.  580. 


323 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     M&rz-Sitzung  1934. 


324 


vielmehr,  daß  hierdurch  die  Zurückführung 
unserer  Bronzen  auf  einen  und  denselben 
Mittelpunkt  toreutischer  Tätigkeit  eine 
weitere  Bestätigung  erfährt. 

Zahlreiche  Fäden  verbinden  die  be- 
sprochenen Kunstwerke  auch  mit  einem 
Volutenkraterhenkel  im  Louvre  (Abb.  12)'). 
Manteltracht  und  Faltengebung  des  »Dios- 
kuren«  links  erinnern  an  eine  der  in  Buda- 
pest befindlichen  Bekrönungsgruppen  vom 
Dürkheimer  Dreifuß  2).     Die  Spiralen  unter 


Die  kleinlichen  Strichelungen  der  mittleren 
Henkelprofile  sind  durchaus  gleichartig  denen 
zu  Abb.  9  und  lO  erwähnten.  Wichtig  wäre 
eine  Abbildung  der  Rückseite,  auf  der  nach 
de  Ridders  Beschreibung  zwischen  den  an- 
springenden Löwen  in  rechteckigem  Felde 
das  Relief  einer  Hirschkuh  erscheint,  denn 
um  ein  Tier  derselben  Art  geht  ja  der  Kampf 
der  Attaschenfiguren  an  je  einem  der  zu 
Abb.  8  genannten  Henkel  im  Vatikan,  in 
Sammlung  Fejerwary  und  im  Louvre. 


Abb.    12.     Paris,  Louvre. 


der  Mittelpalmette  sind  in  der  etwas 
schlaffen,  wulstigen  Form  denen  über  den 
Figurengruppen  des  Thymiaterions  in  Mainz 
(Abb.  4)  verwandt.  Mit  den  Voluten  unter 
den  Seitenpalmetten  zeigt  Abb.  8,  mit  der 
Palmettenform  selber  zeigen  die  Leisten 
auf  den  Raubtierklauen  am  Dreifuß  in  Rom 
und  Abb.  10  wesentliche  Übereinstimmungen. 


')  De  Ridder,  Br.  ant.  du  Louvre  II  105  Nr.  2635 
Tai.  96.  Unsere  Abbildung  nach  Phot.  Alinari  23956. 
Lichtbild  Seemann  81204. 

')  Westdeutsche  Zeitschrift  V  1886,  234  f.  Taf.  n, 
3  (Undset). 


Um  eine  Hirschkuh  kämpft  auch  Herakles 
mit  Apollon  in  dem  Relief  eines  Helmes  zu 
Paris,  der  sich  in  demselben  Kammergrabe 
gefunden  hat,  wie  der  Dreifuß  des  Museo 
Gregoriano").  Der  hierdurch  nahegelegte 
Gedanke,  auch  er  sei  ein  Werk  der  Bronze - 
Industrie  von  Vulci,  erfährt  indessen  kaum 
eine  Stütze  durch  den  Vergleich  in  den 
Gesichtstypen,  der  Körperbildung  und  der 
Gewandbehandlung    mit    dem    Statuetten- 


')  Babelon-Blanchet  659Nr.  2013;  Sav.  29oAnm. 
3;  Phot.  Giraudon  B  379. 


325 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


326 


schmuck  der  Dreifüße.  Man  möchte  den 
Helm  um  so  lieber  im  südwestlichen  Etrurien 
ansetzen,  als  für  seinen  Reliefschmuck  zu 
den  etwas  ferneren  Analogien  jener  Henkel - 
attaschen  mit  Kampfgruppen  nun  noch  die 
inhaltlich  so  nahe  der  Terrakottastatuen  aus 
Veji  kommt').  Die  Frage  könnte  indessen 
nur  durch  eine  möglichst  vollständige  Samm- 
lung der  Bronzen  aus  Südetrurien  geklärt 
werden. 

Als  Fundstück  aus  Vulci  lehrt  der  Helm 
nun  aber  doch  etwas  Wichtiges.  Die  Scheitel - 
kappe  schließt  mit  einem  Zungenmuster  ab, 
unter  dem  in  zartem  Relief  eine  Reihe  von 
Doppelspiralen  sich  hinzieht.  Hierfür  aber 
darf  an  Mündung  und  Henkel  unteritalischer 
Bronzekratere,  wie  des  Müncheners,  erinnert 
werden').  Läßt  sich  mithin  an  dem  Helm 
ein  Eindringen  großgriechischer  Kunst- 
formen in  Vulci  beobachten,  so  fanden  wir 
ja  auch  mehr  oder  weniger  geglückte  Nach- 
bildungen der  unteritalischen  Perlreihen 3) 
an  Gefäßhenkeln;  ja,  vielleicht  darf  sogar 
in  der  Vorliebe  für  durchbrochene  Reliefs 
die  Einwirkung  einer  vermutlich  in  Tarent 
seit  alters  geübten  Technik  gesehen  werden  1). 
Auch  der  Dreifußtypus  im  ganzen  wird 
doch  wohl  unmittelbar  von  Unteritalien 
beeinflußt  worden  sein,  wo  im  achäischen 
Metapont  ein  älteres  Gerät  der  Art  von 
wahrscheinlich  einheimischer  Arbeit  ge- 
funden wurde  5). 

Keine  südetruskische  Stadt  läßt  m.  E. 
so  deutlich  das  Eindringen  großgriechischer 
Einflüsse  in  die  einheimische  Toreutik  er- 
kennen, wie  Vulci.  Aus  der  ganzen  Gegend 
und  so  auch  aus  Vulci  stammen  Bronzen, 
die  mit  Zuversicht  als  unteritalische  Ein- 
fuhr bezeichnet  werden  dürfen.  Vulci  oder 
Bomarzo  wird  als  Fundort  einer  Amphora 
im  Museo  Gregoriano  angegeben,  über  die 
ich  an  anderer  Stelle  handele^.  Aus  Vulci 
ist  die  prachtvolle  Amphora  Pourtal^s  ge- 

')  Zu  der  Arch.  Anz.  1921,  237  zusammengestellten 
Literatur  ist  nachzutragen  vor  allem  Springer, 
Michaelis,   Wolters   I "  460  mit  Abb.  885  u.   886. 

»)  R.  M.  XXXVIII/XXXIX  1923/1924,  3840. 
Abb.  i8  (Neugebauer) ;  Sieveking,  Antike  Metall- 
geräte Taf.  2  und  3. 

3)  R.  M.  ebenda  422. 

4)  Ebenda  402  f. 

5)  Ebenda  403. 

')  Ebenda  365  ff.  Nr.  17;  Mus.  Greg.  B  I  Taf.  8,  2. 


kommen'),  in  der  ich  nach  Einzelformen 
der  Attasche,  wie  der  Spiralen  und  der 
Zwickelpalmetten,  des  Gefieders  und  des 
Haarschmuckes  der  Sirene,  und  nach  dem 
Ornament  der  Mündung  eine  typisch  unter- 
italische, vermutlich  tarentinische  Arbeit 
erblicke*).  Auch  das  schönste  Thymiaterion 
des  Museo  Gregoriano,  aus  Cervetri,  Vulci, 
Bomarzo  oder  Orte  3),  zeigt  an  den)  pyra- 
midenförmigen Unterständer  —  der  Schaft 
wird  als  stark  ergänzt  bezeichnet  —  in  dem 
Lyramuster,  dessen  untere  Spiralen  durch 
ein  schachbrettartig  gemustertes  Band  mit- 
einander verschnürt  sind,  in  den  Palmetten 
mit  vorgelegten  Knöpfen,  in  den  Plinthen 
unter  den  Löwenfüßen,  in  dem  Haarschmuck 
der  Jünglinge,  so  schön  und  sicher  wieder- 
gegebene Formen  desselben  Kunstkreises, 
daß  die  Annahme  einer  etruskischen  Nach- 
ahmung unbegründet  erscheint  ■•).  Eine 
solche  liegt  für  das  Motiv  der  von  den  Raub- 
tierbeinen  ausgehenden  Flügel  vielmehr  an 
dem  Mainzer  Thymiaterion  Abb.  4  vor. 
Die  jugendlichen  Reiter  auf  den  geflügelten 
Raubtierbeinen  aber  kommen  in  den  Haupt- 
zügen übereinstimmend  mit  dem  Weih- 
rauchständer  in  Rom,  in  der  Ausführung 
indessen  wesentlich  gröber  als  dort  an  einem 
Kandelaber  aus  Vulci  in  Berlin  vor,  dessen 
Gesamtaufbau  den  Typus  tarentinischer 
Kandelaber  nachbildet  5). 

Ob  auch  gravierte  Spiegel  eines  jüngeren 
Stils,  von  denen  eine  ganze  Anzahl  in  Vulci 
gefunden  wurde,  sich  als  Arbeiten  dortiger 
Werkstätten  erkennen  lassen,  wird  noch  zu 
untersuchen  sein. 


•)  Walters,  Cat.  of  bronz.  79  Nr.  557;  A.  H. 
Smith,  Marbles  and  bronzes  Taf.  43;  Walters, 
Select  bronzes  Taf.  1 1 ;  nach  Phot.  Mansell  2256 
Lichtbild  Seemann. 

»)  Vgl.  die  R.  M.  a.  a.  0.  zusammengestellten 
Bronzen. 

3)  Mus.  Greg.  B  I  Taf.  51,  3;  Phot.  Alinari  35526; 
Heibig  3   I   378  Nr.  672. 

4)  Zum  Verschnürungsband  mit  Schachbrett- 
muster vgl.  Schumacher,  Beschr.  d.  ant.  Bronzen 
Karlsruhe  49  Nr.  272  Taf.  VI  4  u.  5 ;  R.  M.  a.  a.  O.  422 
(Neugebauer).  Zu  den  Knöpfen  vor  den  Palmetten 
Neugebauer  a.  a.  0.  381  f.  Abb.  17,  sowie  vor  allem 
aber  Pernice,  Die  hellenistische  Kunst  in  Pompeji  IV. 
Zu  den  Plinthen  Pernice  ebenda;  zum  Haar- 
schmuck Neugebauer  423  ff. 

5)  Führer  d.  d.  Antiquarium  I,  Bronzen,  103  Fr. 
697  Taf.  30. 


327 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


328 


Darauf  berichtete  Herr  Rubens  oh  n  über 
neue  griechisch-römische  Fundstücke 
im  Kairener  Museum.  Dank  der 
Wiedereröffnung  unseres  Deut- 
schen     Instituts       für       ägyptische 


Abb.   I.     Statue  aus  Ehnassje  el  Medine. 

Altertumskunde  sind  wir  wieder  in 
der  Lage,  hier  einen  solchen  Bericht  zu 
erstatten,  für  den  der  Direktor  des  Instituts, 
Herr  Geh.  Rat  Dr.  Borchardt,  uns 
das  Material  vermittelt  hat.  Herr  Edgar 
vom  Kairener  Museum  hat  bereitwillig 
die  photographischen  Aufnahmen  und  nähe- 
ren Angaben  über  die  hierunter  veröffent- 


lichten Denkmäler  zur  Verfügung  gestellt 
und  die  Veröffentlichung  der  Abbildungen 
gestattet.  Wir  sind  ihm  dafür  zu  wärmstem 
Danke  verpflichtet. 

Nur  kurz  erwähnt  sei  i.  ein  Kalkstein - 
relief  der  Isis  mit  Harpokrates  aus 
Theadelphia-Batn  Harit  im  Fayum,  der 
Fundstätte  zahlreicher  Papyri  hauptsächlich 
aus  den  ersten  Jahrhunderten  der  römischen 
Kaiserzeit.  In  einer  einfachen,  von  Säulen 
mit  Blütenkapitellen  flankierten  flachen 
Ädicula  steht  die  Büste  der  Isis,  schräg 
von  vorn  gesehen,  mit  leichter  Wendung 
nach  links.  Schlichte  Gewandung  (Chiton 
und  Mantel);  r.  Arm  tritt  nackt  aus  der 
Gewandung  heraus;  die  r.  Hand  hält  Mohn- 
blumen vor  der  Brust.  L.  Arm  und  Schulter 
verschwinden  im  Hintergrund.  Das  Haar 
auf  der  Mitte  des  Kopfes  gescheitelt,  fällt 
in  glatten,  feinen  Strähnen  gekämmt  auf 
Schulter  und  Brust  herab.  Zwei  ebenfalls 
in  feine  einzelne  Strähnen  geteilte  breite 
Haarwellen  sind  von  der  Stirn  aus  über 
diese  herabfallenden  Haare  hin  zum  Haar- 
knoten zurückgenommen.  Auf  dieser  schlicht- 
natürlichen Frisur,  einer  Umbildung  der  uns 
besonders  von  Terrakotten  bekannten  stereo- 
typen Isisfrisur,  sitzt  unvermittelt  — wie  eine 
große  Haarnadel  • — •  das  Isisdiadem,  dessen 
obere  Endigungen  auf  die  Abschlußleiste  der 
Nische  übergreifen.  Schräg  über  die  rechte 
Schulter  der  Isis  blickt  der  hinter  der  Isis 
stehend  gedachte  Harpokrates,  nur  mit  dem 
Kopf  sichtbar,  dieser  in  der  gewohnten 
Erscheinung  mit  reichen  Locken  und  Diadem, 
der  Zeigefinger  der  rechten  Hand  liegt  am 
Mund.  Reste  von  Bemalung  sollen  erhalten 
sein.  Im  r.  Ohr  der  Isis  ein  Gehänge,  um 
ihren  Hals  ein  Halsschmuck.  Das  leere 
Gesicht  erinnert  an  die  Typen  der  Fayum - 
porträts  und  an  das  mit  diesen  gleichzeitige 
Isisbild  Jahrbuch  d.  Inst.  1905,  T.  I.  Ein 
geradlinig  umgrenzter  Gegenstand  in  der 
rechten  unteren  Ecke  des  Reliefs  ist  viel- 
leicht ein  Kästchen,  eine  schräg  aufsteigende 
Stange  hinter  der  1.  Schulter  der  Isis  ist 
für  ein  Szepter  zu  breit  und  soll  vielleicht 
eine  Thronlehne  andeuten. 

2.  Grabrelief  eines  Isidoros;  hier 
nur  kurz  behandelt,  weil  es  nächstens  von 
Herrn  Edgar  publiziert  werden  wird.  Stele 
mit  flachem  Giebel,  in  dem  ein  eingeritzter 


329 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Betlin.     März-Sitzung  1924. 


330 


Kreis  die  Sonnenscheibe  andeutet.  In  dem 
Relieffelde  darunter  steht  ganz  frontal, 
in  der  Haltung  des  Körpers  und  der  Bein- 
stellung Skopasischen  Figuren  wie  dem 
Herakles  Lansdowne  nachgebildet,  der  Tote, 
nackt  bis  auf  einen  auf  der  rechten  Schulter 
mit  einem  runden  Knopf  geknöpften  Mantel, 
der  im  Rücken  herunterfällt,  mit  wollig 
gelocktem  Haupthaar,     kurz    geschnittenem 


linke  Vorderpfote  zu  dem  Toten  erhebt.  Der 
Tote  ist  danach  als  Dionysos  charakteri- 
siert '),  auf  dem  Haupt  aber  trägt  er  zu- 
gleich ein  ägyptisches  Diadem,  das  aus 
Ziegenhörnern  und  drei  auf  sie  aufgesetzten 
Schilfbündeln  mit  Sonnenscheiben  gebildet 
wird,  die  Krone  Hem-Hem;  er  wird  also 
gleichzeitig  in  synkretistischer  Form  einem 
ägyptischen  Gott  gleichgestellt.     Welchem  } 


Abb.  2.     Marmorbüste  einer  Frau. 


Backen-,  Kinn-  und  etwas  länger  gehaltenem 
Schnurrbart,  mit  der  hoch  erhobenen  Linken 
einen  Thyrsos  dicht  unter  dem  Pinienzapfen 
fassend,  in  der  gesenkten  Rechten  ein  Füll- 
horn haltend.  An  den  Füßen  Jagdstiefel, 
deren  geschnürte  Schäfte  bis  zur  halben 
Höhe  des  Unterschenkels  reichen.  Auf 
einer  Erhöhung  neben  seinem  rechten  Fuß, 
zu  der  von  der  Standfläche  der  Figur  zwei 
Stufen  hinaufführen,  sitzt  nach  rechts  ge- 
wandt  ein  Fanther  mit  Halsband,   der  die 


—  das  ist  schwer  zu  sagen;  Osiris,  mit  dem 
Dionysos  so  oft  ausgeglichen  ist,  und  an  den 
wir  bei  einem  vergöttlichten  Toten  zuerst 
denken  würden,  trägt  für  gewöhnlich  nicht 
dies  Diadem;  am  häufigsten  erscheint  es  bei 
Horus.  Unter  dem  Toten  steht  die  Jnschrift: 
ICIAOPOC  LKe  MHA'OC  Ä  HMePflN  H  eVYYXI 


')  Vgl.  das  sehr  verwandte  Relief  des  Louvre, 
Reinach  Repertoire  de  la  statuaire  I  S.  23,  Nr.  3 
vgl.  auch  S.  32,  I. 


331 


Archäologfische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung   1924. 


332 


=  Isidoros  25  Jahre  i   Monat  8  Tage  alt, 
sei  »guten  Mutes«. 

3.  Porträtstatue  eines  Mannes  in 
Lebensgröße,  gefunden  in  Ehnassje  el  Me- 
dine.  Marmor.  Ergänzt  nur  die  Nasen- 
spitze, abgebrochen  der  Daumen  der  r.  Hand, 
der  von  dieser  gehaltene  Gewandzipfel  und 
der  diesen  stützende  Steg  (Abb.  i).  Der 
Kopf  sitzt,  wie  es  scheint,  ungebrochen  auf 


I  Charakters   in   das   Museum    von    Minie 

in  Oberägypten  gekommen  sein. 

4.    Von  anderen  Bildnissen  sei  hier  nur 

I  noch  die  umstehend  (Abb.  2)    abgebildete 

;  Marmor  büste  einer  Frau  erwähnt,  eine 

flaue  Arbeit,  die  aber  Interesse  verdient  wegen 

der    Haartracht    und    des    eigentümlichen 

i  Schmuckes,    der   unter   den    auf   die    Stirn 

■  herabhängenden   Locken   • —   einer   bei   den 


Abb.  3.     DreifuB  aus  Doudit  im  Delta. 


der  Statue.  Sorgfältige  Arbeit  des  2.-  Jahrh. 
n.  Chr.  Der  gut  modellierte  Kopf  mit  dem 
gelockten  kurzen  Haar,  den  straffen  Wangen 
und  dem  ausdrucksvollen  Mund  und  Kinn 
findet  seine  nächste  Parallele  in  Stuck- 
köpfen von  Sarkophagen,  die  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  2.  nachchristlichen  Jahr- 
hunderts stammen,  wie  etwa  der  Stuck- 
kopf des  Pelizaeus-Museums  in  Hildesheim 
(Die  Denkmäler  des  Peliz.  Mus.  S.  105). 
Aus    Ehnassje    soll    eine    Statue    ähnlichen 


Stuckmasken  sehr  beliebten  Frisur  —  hervor- 
kommt. R.  Zahn  erkennt  darin  einen  z.  B.  bei 
Jesaia  3,  20  erwähnten  Haarschmuck,  das 
discriminale,  einen  gewöhnlich  auf  dem 
Haar  aufliegenden  Scheitelschmuck,  der  mit 
solchen  auf  die  Stirn  herabhängenden 
Bommeln  endigt'). 

5.    Bronze  drei  fuß,  66  cm  hoch,  gefunden 

')  Vgl.  Gallerie  Bachstitz,  Zahn,  Die  Sammlung 
Friedrich  L.  v.  Gans,  S.  43,  Nr.  100,  Taf.  19;  Nach- 
trag S.  82. 


333 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Mätx-Sitzunf;  1924. 


334 


inDoudit  bei  Leontonpolis  im  Delta  (Abb.  3). 
Die  drei  Füße  stehen  auf  drei  kleinen  ge- 
gossenen runden  Basen,  wie  wir  sie  ähnlich 
unter  dem  kleinen  Dreifuß  des  Hildesheimer 
Silberfundes  und  unter  den  kleinen  Marmor- 
tischchen mit  Löwenfüßen  aus  dem  Delium 
von  Faros  kennen,  nur  daß  diese  Basen  von 
Hildesheim  und  Faros  als  besondere  Stücke 
gearbeitet  sind.  Die  drei  Beine  sind  in  der 
gleichen  Form  einheitlich  gegossen;  der 
untere  Teil  gleicht  dem  schlanken  Vorderfuß 
eines  Hundes  und  endigt  oben  in  einer 
keulenartigen  Rundung;  darüber  erhebt  sich 
ein  S-förmiges,  schlankes  Glied  mit  einer 
tiefen  Rille  auf  der  Innenseite;  auf  der 
oberen  Biegung  dieses  Gliedes  sitzt,  ganz 
unvermittelt,  eine  Stierprotome,  deren 
Homer  die  Tischplatte  getragen  haben.  Die 
Verbindung  der  drei  Beine  wird  hergestellt 
durch  ein  einfaches  rechteckiges  Rahmen - 
gesteil,  das  sich  aus  zwei  an  jeden  Fuß  an- 
gelöteten oder  angegossenen  horizontalen 
Streben  und  einer  diese  verbindenden  verti- 
kalen Strebe  zusammensetzt.  An  der 
vertikalen  Strebe  eines  jeden  der  drei 
Rahmen  sitzen  auf  der  einen  Seite  zwei, 
auf  der  anderen  Seite  drei  Schamierösen 
so  verteilt,  daß  sie,  wie  aus  der  Abbildung 
ersichtlich,  ineinandergreifen  und  so  drei 
Scharniere  bilden.  In  diese  Scharniere 
griffen  ehemals  Stifte  ein,  die  heute  ver- 
loren (und  durch  drei  moderne  Schrauben 
ersetzt)  sind.  Wie  L.  Borchardt  bemerkt, 
waren  entweder  alle  drei  Stifte  zum  Hei  aus- 
nehmen hergerichtet,  dann  wurde  der  Tbch, 
wenn  er  nicht  gebraucht  wurde,  einfach 
auseinandergenommen  und  die  drei  Beine 
konnten  lose  aufeinandergelegt  werden,  oder 
es  war  nur  ein  Stift  herausnehmbar;  dann 
wurden  beim  Auseinandernehmen  des  Tisches 
zwei    Füße   auf  den   dritten   geklappt. 

Schlanke  Ranken,  deren  Anfänge  sich 
um  jedes  der  drei  Hundebeine  winden, 
füllten  den  Winkel  zwischen  jedem  Rahmen - 
gestell  und  dem  zugehörigen  Hundebein  aus. 
Die  Ranken  sind  heute  bis  auf  geringe 
Reste  zerstört ;  daß  sie  aber  nicht  so  schmuck- 
los verliefen  wie  die  Bogenstäbe  an  den 
Stabdreifüßen  (vgl.  z.  B.  A.  M.  XVIII 
1883  Taf.  XIV),  das  beweist  der  kleine 
Ansatz,  der  an  dem  Rest  der  Ranke  links 
unter    der    Horizontalstrebe    erhalten    ist. 

Archäolo^schcr  Ajnci|^r  1933/34. 


Sie  waren  also  ornamental  ausgestaltet, 
wenn  sie  natürlich  auch  nicht  so  prunkvoll 
verliefen  wie  beim  Dreifuß  aus  dem  Isis- 
tempel von  Fompeji.  Daß  die  Ranken  der 
drei  Beine  miteinander  in  irgendwelche 
technische  Verbindung  (durch  Ringe  oder 
Ösen)  gebracht  waren,  ist  kaum  anzunehmen. 

Mit  den  uns  bekannten  Tischdreifüßen 
gemein  ist  unserem  Dreifuß  die  Zusammen- 
setzung der  Beine  aus  verschiedenartigen 
Tiergliedern.  Schon  die  archaischen  Stab- 
dreifüße neigen  zu  dieser  Art  ornamentaler 
Ausgestaltung,  und  ganz  bekannt  ist  sie 
bei  den  hellenistischen  und  römischen  Tisch - 
dreifüßen,  die  man  jetzt  am  besten  bei 
Schwendemann  J.  d.  I.  XXXVI  1921,  107  ff. 
zusammengestellt  findet.  Die  Beliebtheit  des 
Hundebeins  in  dieser  Denkmälergattung  ist 
bekannt.  Das  schlanke  S-förmige  Glied  bei 
unserem  Stück  könnte  aus  einer  tierischen 
Form  entwickelt  sein,  nämlich  aus  dem 
Uräus,  wie  ein  Vergleich  mit  Catalogue 
G^n^rale  Cairo  Greek  Bronzes  t.  XV 
No.  27813  lehren  kann.  Die  Stierprotome 
ist  bei  diesen  jüngeren  Dreifüßen  eine 
seltene  Erscheinung,  es  mag  hier  eine  Er- 
innerung oder  direkte  Anknüpfung  an  die 
archaischen  Stabdreifüße  vorliegen,  bei  denen 
Protomen  gerade  an  dieser  Stelle  des  Drei- 
fußes häufig  sind,  vgl.  z.  B.  den  Stabdreifuß 
von  Vulci,  Schwendemann,  J  d.  I.  XXXVI 
1921  Beil.  zu  S.  98  Nr.  14  und  bes.  Nr.  13, 
wo  ein  ganzer  Stier  an  ähnlicher  Stelle 
erscheint.  Auch  auf  den  altjonischen 
Bronzekandelaber  des  Mainzer  Zentral - 
museums  (Mainzer  Zeitschrift  VI  1911 
Tafel  I  [Behn])  sei  in  diesem  Zusammen- 
hang hingewiesen,  an  dessen  Dreifußunter- 
satz als  Bekrönung  an  der  gleichen  Stelle 
wie  bei  unserem  Dreifuß  das  mit  Stier- 
hörnern  versehene  Haupt  des  Acheloos  an- 
gebracht ist  (vgl.  auch  den  Text  von  Behn). 

Das  Besondere  bei  unserem  Dreifuß  gegen- 
über allen  anderen  bekannten  Tischunter- 
sätzen besteht  in  der  technischen  Her- 
richtung. Die  uns  sonst  bekannten  ver- 
stellbaren Dreifüße  sind  mit  einem  in  sich 
verschiebbaren  Strebengestell  zwischen  den 
Beinen  versehen  und  lassen  sich  mit  Hilfe 
dieser  Streben  zusammenschieben  und 
auseinander  ziehen.  Die      Bezeichnung 

»Klappdreifüße«,  die  Schwendemann  a.  a.O. 

'3 


335 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


336 


diesen  beweglichen  Gestellen  gibt,  trifft  nicht 
ganz  zu.  Ein  Klappdreifuß  wäre  nur 
unser  Exemplar,  wenn  nur  einer 
der  drei  Stifte  in  den  Scharnieren 
herauszunehmen  war.    Wahrscheinlicher 


Daremberg-Saglio  I  879  Abb.  1096); 
bei  dem  ersteren  ermöglichten  durch  die 
Ösen  gesteckte  Stifte  wie  bei  unserem 
Dreifuß  die  Zusammenfügung  bzw.  die  Aus- 
einanderlegung des  Kandelaberuntergestells, 


Abb,   4.     Ammon  von  el  Qes 


ist  es  aber,  daß  alle  drei  Stifte  heraus- 
nehmbar waren  und  so  der  ganze  Dreifuß 
jedesmal  nach  Gebrauch  auseinanderge- 
nommen wurde,  denn  dieselbe  technische 
Herrichtung  findet  sich,  worauf  mich  R. 
Zahn  hinweist,  bei  den  Kandelaber-Unter- 
sätzen Roux  et  Barre,  Herculanum  et  Pom- 
peji, Bronzes  B.  VI  t.  3  u.  t.  25  (vgl.  auch 


während  bei  dem  anderen  der  verlängerte 
Schaft  des  Kandelabers  selbst  jedesmal 
durch  die  Ösen  der  drei  Füße  des  Unter- 
gestells gesteckt  wurde.  Die  Konstruktion 
unseres  Dreifußes  ist  altertümlicher  als  die 
der  verschiebbaren  Gestelle;  die  in  ihr 
liegenden  Entwicklungsmöglichkeiten  schei- 
nen nach  Erfindung  der  verschiebbaren  Ge- 


337 


Arcliäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-Sitzung  1924. 


338 


stelle  nicht  weiter  ausgebaut  worden  zu 
sein,  jedenfalls  fehlt  es  uns  an  antiken 
Zwischengliedern,  die  von  unserem  Dreifuß 
zu  seinen  Nachkommen  führen,  den  noch 
heute  im  Orient  gebräuchlichen  Klapp- 
dreifüßen, den  Untergestellen  zu  den  be- 
kannten runden  Messingtischplatten  (Saniji). 
Auch  die  Schlichtheit  der  Ausführung  und 
die  angedeuteten  ornamentalen  Zusammen- 
hänge mit  den  altjonischen  Stabdreifüßen 
scheinen  unserem  Dreifuß  ein  etwas  höheres 
Alter  gegenüber  der  Gesamtgruppe  der  ver- 
schiebbaren Tischuntergestelle  zu  verleihen. 
Auch  die  Herleitung  seiner  Entstehung  wird 
durch  diese  Zusammenhänge  deutlich  ge- 
macht. Denn  das  sei  zum  Schluß  noch 
hervorgehoben:  diese  Art  verstellbarer  Drei- 
füße hat  ihre  Heimat  nicht  in  ägyptischem, 
sondern  in  griechischem  Kulturgebiet.  In 
Ägypten  kennt  man  nur  die  leichten  unver- 
stellbaren Untersätze  aus  Ton  oder  Holz, 
wie  sie  uns  in  unzähligen  Beispielen  in 
Original  und  auf  den  Denkmälern  erhalten 
sind. 

6.  Das  wichtigste  Stück  unter  den  neuen 
Funden  ist  der  Kopf  und  Oberkörper  einer 
etwas  überlebensgroßen  Sitzfigur  des 
Ammon  (Abb.  4 — 6).  Gefunden  in  El  Qes 
bei  Behnessa  (Oxyrynchos).  Marmor.  Kopf 
und  Rumpf  aus  besonderen  Stücken  ge- 
arbeitet und  getrennt  voneinander  gefunden. 
Zusammengehörigkeit  und  Zusammensetzung 
sind  gesichert.  Gesamthöhe  des  Erhaltenen 
1,20  m.  Breite  unten  58  cm,  also  über- 
lebensgroß. Arme,  Unterkörper  und  Thron 
waren  aus  besonderen  Stücken  gearbeitet 
und  angesetzt.  Der  erhaltene  Oberkörper 
gehörte,  wie  die  Ansatzfläche  und  die 
Haltung  zeigen,  zu  einer  Sitzstatue.  Wie 
die  Haltung  der  rechten  Schulter,  der  Zug 
der  Gewandfalten  und  die  Ansatzfläche  mit 
dem  hoch  sitzenden  Zapfenloch  klar  machen, 
war  der  r.  Arm  bis  zur  Schulterhöhe  gehoben. 
Der  1.  Arm  war  gesenkt.  Wäre  der  Rumpf 
allein  erhalten,  so  würden  wir  annehmen, 
er  gehöre  zu  einer  in  der  Haltung  der  Arme 
im  Gegensinn  bewegten  Wiederholung  der 
großen  Sarapisstatue  von  Alexandria,  so 
genau  stimmt  die  Gewandung  unserer  Figur 
mit  der  des  Sarapis  überein,  nur  hat  der 
Kopist  —  daß  es  sich  um  eine  Kopie  römi- 
scher  Zeit   handelt,    beweist   die   reichliche 


Verwendung    des    Bohrers    beim    Haar    — 
die  Gewandung  flüchtig  und  flau  behandelt. 
Der  Kopf  ist  vortrefflich  erhalten  bis  auf 
den    unteren    Teil    der  Nase    mit    der  Um- 
gebung   der  Nasenlöcher    und    bis    auf    die 
Hörner,  die  abgebrochen,  deren  Ansatzstellen 
aber    in   den   Seitenansichten  ganz  deutlich 
sind.      Das    von    dem    reichen    Haargelock 
umwallte  Gesicht    erhält    seinen    Charakter 
durch    die    scharf  unterschnittenen   Augen- 
brauen   und    die    hierdurch    bewirkte    Tief- 
legung  der  Augen  unter  die  leicht  vorgewölb- 
te  Stirn,   durch  die  kräftige   Betonung  der 
Backenknochen     und    die    Einbettung    des 
leise  geöffneten  Mundes  in  das  von  Schnurr- 
bart   und    stark    vortretendem    buschigem 
Vollbart   gebildete    Rund.       In    der   Profil - 
ansieht  von  links  wird   das   Vortreten  deS 
Kinns  mit  dem  Vollbart  besonders  anschau- 
lich; es  tritt  in  deutlich  betonten  Gegensatz 
zu     der     beinahe     senkrecht     verlaufenden 
Profillinie    von    Nase    und    Stirn,    die    fast 
wie   flach   gedrückt   erscheint.      Der  durch 
diese  Einzelzüge  bewirkte  Wechsel  von  Licht 
und  Schatten,  der  dem  Gesicht  ein  kräftiges 
Leben  verleiht,  wird  noch  verstärkt  durch 
die  Haarbehandlung.    Tiefe  Schatten  liegen 
unter  den  in  zwei  Bögen  übereinander  über 
der   Stirn   emporsteigenden   Locken   und   in 
der  reichen  Fülle  der  die  Wangen  begrenzen- 
den,    durch     kräftige     Rillen     gegliederten 
Haarwellen.      In  der  Profilansicht  wird  die 
Großzügigkeit   der   Haarbehandlung   beson- 
ders anschaulich,  die  in  scharfem  Gegensatz 
steht   zu    dem   wirren    Wuchs    der    Haare, 
den  wir  von  den  meisten  der  uns  erhaltenen 
Ammonsköpfe,    ganz    besonders    von    dem 
Ammon  der  ptolemäischen  Münzen  kennen. 
Hinzu  treten  als  wichtiger  Formbestandteil 
noch  die  Hörner,die,  so  weit  sich  aus  den  An- 
satzresten nach  der  Photographie  schließen 
läßt,   kräftig  aus  dem  Haar  heraus  traten. 
Hinter    den    Hörnern,    am    ganzen    Hintei- 
kopf   und    auch    auf   dem    Scheitel    ist   das 
Haar    nur   ganz    oberflächlich    angelegt,    so 
daß   die   reiche    Fülle   der   vorderen    Haare 
ohne  Übergang  an  die  nur  ganz  oberflächlich 
behandelten,      abwärts     fließenden      Haare 
des  Hinterhauptes  stößt.     Dadurch  erinnert 
der  Kopf  an  die  Technik  der  mit  Gipsan- 
stücklungen arbeitenden  Schule,  die  häufig 
die    hinteren    Partieen    ganz  vernachlässigt 

>3* 


339 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     März-SiUung   1924. 


340 


und  die  genauere  Ausführung  auf  die  nähere 
Umgebung  des  Gesichtes  beschränkt.  Be- 
kanntlich ist  die  Schule  in  Ägypten  heimisch. 
Mit  dieser  Eigenart  und  seinem  ganzen 
Stil  reiht  sich  der  Kopf  in  die  Gruppe  der 
besonders  von  Amelung  (Ausonia  1908, 
115  ff.)     in     die   Nähe    des    Bryaxes     ge- 


Kopf noch  verstärkt  und  bei  dem  Beschauer 
die  Vorstellung  einer  inneren  Erregung 
des  Gottes  hervorgerufen.  Das  paßt  vor- 
trefflich zu  dem  Charakter  des  Ammon, 
bei  dessen  Darstellung  die  griechischen 
Künstler  häufig  —  ein  Blick  durch  die 
Typen  der  ptolemäischen  Münzen  kann  das 


Abb.  5.     Ammon  von  el  Qes. 


wiesenen  Werke  ein,  wohin  ihn  ja  auch 
die  nahe  Verwandtschaft  mit  dem  Serapis 
von  Alexandrien  weist.  Nur  scheint  mir 
der  Kopf  in  mancher  Beziehung  besonders 
in  der  Behandlung  von  Haar  und  Bart 
stilistisch  weiter  entwickelt  zu  sein  als  die 
direkt  auf  Bryaxis  zurückgeführten  Werke. 
Der  Kopf  ist  leicht  nach  rechts  gedreht 
und  der  Blick  der  Augen  geht  nach  oben. 
Dadurch    wird    die    Lebendigkeit    bei    dem 


!  jedem  zeigen  —  eine  fast  zur  Wildheit  ge- 
]  steigerte  Erregung  zum  Ausdruck  gebracht 

haben.      Aber    zu    Grunde    liegt    hier    ein 

hoheitvoller  Typus,  in  dem  abgesehen 
1  von     den    Hörnern     jede    Erinnerung     an 

den  tierischen  Ursprung  des  Gottes  ge- 
I  schwunden  ist.     Zweifellos  ist  das  Erhalten 

der  Rest  eines  Kultbildes,  das  in  einem 
!  Heiligtum  in  einer  von  Griechen  bewohnten 
•   Stadt    Oberägyptens,     vielleicht     in    Oxy- 


341 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     April-Mai-Sitzung  1924. 


342 


rynchos  selbst,  aufgestellt  woi'den  ist,  in 
jener  Epoche  der  Neubelebung  der  ägyp- 
tisch-griechischen Religion,  die  unter  Do- 
mitian  anhebt  und  sich  bis  in  die  2.  Hälfte 
des  2.  Jahrhunderts  hinein  erstreckt  (vgl. 
Vogt,  Römische  Politik  in  Ägypten  24  f.). 
Das    Original    zu    unserem    Kultbild    wird 


Sitzung  vom  i.  April  1924. 
Herr  Wiegand  sprach  über  die  innere 
Einrichtung  des  Didymaions.  Der 
Inhalt  ist  erschienen  als  Achter  vorläufiger 
Bericht  über  die  von  den  Staatlichen  Museen 
in  Milet  und  Didyma  unternommenen  Aus- 
grabungen in  den  Abhandlungen  der  Preu- 


Abb.  6.     Ammon  von  el  Qes. 


wohl    in   der    Nähe   der    Sarapisstatue   von 
Alexandrien    gesucht    werden    müssen. 

Zum  Schluß  legte  der  Vortragende  die 
von  Herrn  Direktor  Dr.  E.  Breccia,  Alexan- 
drien, freundlichst  übersandten  neuen  Hefte 
des  Bulletin  de  la  Soci6t6  Archeologique 
d'Alexandrie  vor  und  sprach  eingehender 
über  die  darin  veröffentlichten  neu  gefun- 
denen Gräber  von  der  Anfuschibucht. 


ßischen  Akademie  der  Wissenschaften  1924, 
phil.-hist.    Klasse    Nr.  i. 

Sitzung    vom    6.    Mai   1924. 

Herr  Rodenwaldt  besprach  eine  An- 
sicht des  Septizoniums  auf  einer  der 
vier  Altartafeln  des  Macrino  d'Alba  vom 
Jahre  1496,  die  sich  in  der  Certosa  zu  Pavia 
befinden    (oben   39  ff.). 


343 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Mai-Sitzung  1924. 


344 


Herr  Wiegand  legte  die  von  der  Mar6es- 
Gesellschaft  in  farbigen  Lichtdrucken  ver- 
vielfältigten Kopien  Eugen  Spiros  von 
Wandgemälden  aus  Pompeji  und  Rom 
vor  und  wies  darauf  hin,  daß  die  Unterschiede 
von  den  Kopien  Ternites,  deren  eine  im 
Original  ausgestellt  war,  in  dem  Wandel 
der  malerischen  Anschauungen  während 
eines  Jahrhunderts  begründet  sind. 

Herr  Neu  geb  au  er  erklärte  mehrere  Neu- 
erwerbungen der  •  Abgußsammlung  der  Uni- 


Dugas,  Berchmans  u.  Clemmensen,  Le 
sanctuaire  d'Alea  Athdna  ä  Tegee  au  IVe 
sifecle  88  Nr.  8  Taf.  99  B,  loi  A  u.  B). 

Den  Vortrag  des  Abends  hielt  Herr 
von  Gerkan:  Der  Altar  des  Artemis- 
tcmpels  zu   Magnesia  a.  M. 

W.  Dörpfelds  Vorarbeiten  zur  Wiedcr- 
aufstellung  des  Altars  von  Pergamon,  die 
er  1918 — -19  für  die  Staatlichen  Museen 
vornahm,  hatten  bei  allseitiger  Betrachtung 
des  Materials  ergeben,  daß  auch  die  beiden 


.  -f3.-»j»»2.   toja       /o 


-^•♦'f 


B 


1^1       l»l       l»l       \m 


1  a  B  ■  11  1 

W    1*1    W    W   [81    |»1 


Abb.   I.     Altar  des  Artemistempels  zu  Magnesia  a.  M. 


versität.  Als  Geschenk  der  Generaldircktion 
der  Vatikanischen  Museen  waren  aufge- 
stellt die  Abgüsse  mehrerer  Köpfe,  die  zu 
den  von  Amelung  in  den  Magazinen  des 
Vatikans  gefundenen  Antiken  gehören,  so 
der  myronischen  Athene,  der  Wiederholung 
des  Dresdener  Athletenkopfcs  aus  Perinth 
mit  Satyrohren,  der  Hermenreplik  des  sog. 
Hertzschen  Kopfes  (vgl.  Amelung  im  A. 
A.  1921,  262);  ferner  wurde  der  zweite 
behelmte  Kopf  aus  den  Giebeln  des  Athena- 
tempels    zu    Tegea    besprochen    (vgl.    jetzt 


Monumentalaltäre  in  Priene  und  in  Magnesia 
eine  ähnliche  Gestalt,  Säulenhöfe  auf 
Podien  mit  breiten  Freitreppen,  hatten. 
Für  diese  beiden  Bauten  kam  Dörpfeld  zu 
Ergebnissen,  die  er  selbst  nur  als  vorläufige 
bezeichnete,  als  Problemstellung,  die  ich 
weiter  zu  entwickeln  versucht  habe.  Für 
Priene  konnte  eine  endgiltige  Gestalt  durch 
den  Nachweis  gewonnen  werden,  daß  die 
Gigantomachiereliefs  zum  Schmuck  des 
Sockels  gehörten  (Bonn.  Jahrb.  CXXIX 
1925,   15  ff.).     Der   Altar  zu  Magnesia  aber 


345 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Mai-Sitzung  1924. 


346 


erhielt  eine  Form,  die  schon  C.  Humann 
und  R.  Heyne  voraussetzten,  ohne  daß 
damals  eine  Rekonstruktion  gelungen  war; 
die  Ergänzung  in  der  Publikation  ist  da- 
gegen als  ein  Rückschritt  zu  bezeichnen, 
da  sie  weder  sämtliche  bekannte  Werkstücke 
berücksichtigt,  noch  allen  Eigenschaften 
der  verwendeten  gerecht  wird.  Heynes  Auf- 
nahmen ermöglichen  jedoch  eine  zuverlässige 
Wiederherstellung  (Abb.  l),  deren  ein- 
gehendere Begründung  an  anderer  Stelle 
erfolgen  muß. 

Das  Fundament  hat  die  Gestalt  eines 
Rechtecks  von  23,07  X  I5|62  m,  an  dessen 
westlicher  Hälfte  die  Reste  einer  Konstruk- 
tion aus  quergerichteten  Schwellen,  die 
einst  mit  Platten  überdeckt  waren,  erhalten 
sind;  sie  lag  zwischen  zwei  Fundament - 
massiven  an  den  Schmalseiten  von  je  5,40  m 
Breite.  Daraus  ergibt  sich,  daß  der  Aufgang 
an  der  Ostseite  lag,  denn  solche  Schwellen - 
roste  kennen  wir  am  Tempel  nur  von 
Stellen,  die  nicht  unter  Stufen  lagen, 
ferner  war  nur  hier,  an  der  Rückseite,  ein 
30  cm  breiter  Streif  des  Kalksteinfunda- 
ments sichtbar,  und  hier  befanden  sich  die 
Ringe  zum  Anbinden  der  Opfertiere.  Die 
schon  von  Heyne  ungefähr  ermittelten 
Jochweiten  der  Säulenstellung  sind  ver- 
schieden: an  der  Langseite  betrug  sie 
1,592  m,  an  der  Schmalseite  1,663  ni; 
daraus  ergeben  sich  für  die  Langseite 
12  Joche  =  20,70  m  =  70  Fuß  attisch, 
für  die  Schmalseite  8  Joche  =  13,31  m  = 
45  Fuß  attisch,  und  für  alle  vier  Seiten  ein 
Überstand  der  Sockelstufe  von  1,183  m  = 
4  Fuß,  so  daß  das  Grundmaß  78  X  53  Fuß 
entspricht.  Die  Abmessungen  des  Zahn- 
schnittes  bestätigen  die  Jochweiten  und 
weisen  die  Gesimsplatten  den  verschiedenen 
Seiten  zu.  Diese  gehören  teilweise  einer 
geschlossenen  Wand  mit  Halbsäulen  an, 
die  den  Hof  selbst  umgab,  zum  Teil  aber 
einer  offenen  Säulenstellung  an  der  Ein- 
gangseite.  Eine  andere  Platte  mit  einem 
Wandabschlußprofil  nach  innen  gehört  zur 
Halle  oberhalb  der  Freitreppe.  Die  Einzel- 
heiten gestatten,  die  Breite  der  Zungen- 
mauer auf  den  Flügeln  zu  berechnen, 
die  zwischen  0,60  m  (2  Fuß)  starken  Wänden 
je  einen  schmalen  Treppenraum  enthalten: 
das  bestätigen  der  einspringende  Eckblock 


des  Wandfrieses  als  Übergang  der  Schein - 
halle  zur  wirklichen  Säulcnstcllung  und  die 
großen  3,15  m  hohen  Reliefs,  die  nicht  zum 
Sockel  gehören  können,  da  gegen  ihre  Rück- 
seiten Stufen  gestoßen  haben,  welche  auch 
eine  andere  Höhe  hatten  als  die  aus  Resten 
bekannte  Freitreppe.  Die  Stellung  der 
Reliefs  an  den  Zungen  entspricht  also  den 
Mädchenrelicfs  am  Altar  in  Priene  und  dem 
Bankpodium  in  den  Flügeln  des  pergameni- 
schcn  Altars,  das  demnach  ebenfalls  P'iguren- 
schmuck  getragen  hat. 

Da  die  in  Pfeiler  aufgelöste  Ostwand  des 
Hofes  nicht  in  der  Flucht  der  NO-  und 
SO-Ecken  liegt,  ist  zur  Vermittlung  je  eine 
Pfeilerstellung  an  beiden  Enden  des  Hofes 
rekonstruiert,  in  Übereinstimmung  mit  der 
Breite  der  erwähnten  Fundamentmassive 
und  mit  dem  Bruchstück  einer  Gesimsplatte 
von  der  NO-Ecke  des  Hofes,  die  hier  an 
dieser  Stelle  das  innere  Wandsims  nach 
Westen  umbiegen  läßt.  Auch  beweisen  die 
Gesimsplatten  vom  Ende  des  Hofes,  daß 
hier  überdeckte  Räume  lagen,  wodurch  die. 
gegebene  Grundrißgcstaltung  bestätigt  wird. 
—  Vom  Opferherde,  dem  nur  ein  Eckstück 
der  Bekrönung  zuzuweisen  ist,  läßt  sich 
nur  sagen,  daß  er  wahrscheinlich  die  Gestalt 
eines  rechteckigen  Tisches  mit  einem  Wind- 
schutz an  drei  Seiten  hatte. 

Da  Dörpfeld  das  große  Relief  für  den 
Unterbau  in  Anspruch  genommen  hatte, 
erhielt  er  einen  Sockel  von  gleicher  Höhe, 
wie  der  Oberbau,  und  eine  Freitreppe  bis 
zur  Mitte  des  Altars.  Die  Fronthalle  würde 
den  Hof  bis  auf  einen  schmalen  Gang  ein- 
geengt haben.  Nun  gibt  es  eine  unaus- 
gearbeitete  Reliefplatte,  die  Dörpfeld  für 
einen  dem  pergamenischen  Telephosfries 
entsprechenden  Innenfries  ansah,  doch  be- 
zeugt auch  deren  Rückseite  eine  Schichtung 
des  Kernmauerwerks  in  Stufenhöhe.  Ver- 
wenden wir  ihn  für  den  Sockel,  so  haben 
wir  die  Möglichkeit,  die  Freitreppe  in  der 
Flucht  der  dritten  Säulenreihe  aufhören 
zu  lassen  und  ein  metrologisch  einwand- 
freies Höhenverhältnis  zu  erhalten,  wenn 
die  beiden  obersten  Stufen  als  Stylobat 
der  Halle  gelten,  die  erste  aber  als  Platt- 
form des  Ganzen,  ebenso  wie  in  Priene, 
nicht  mitgezählt  wird;  der  Oberbau  wird 
5,32  m  =  18  Fuß,  der  Sockel  aber  2,66  = 


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Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juni-Sitzung  1924. 


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9  Fuß  hoch,  wobei  die  Stufenzahl  15  be- 
trägt. 

Sowohl  dieser,  wie  auch  der  Altar  in 
Priene  können  nicht  als  Vorbilder  des 
pergamenischen  Altars  gelten,  sie  sind  viel- 
mehr Nachahmungen,  deren  geringere  Größe 
zu  Einschränkungen  des  Vorbildes,  be- 
sonders in  bezug  auf  die  Säulenhallen  zwang. 
Für  Priene  wird  das  durch  die  späten  Bau- 
formen  und  die  von  Pergamon  abhängige 
Komposition  der  Gigantomachie  unmittel- 
bar bewiesen;  für  Magnesia  jedoch  steht 
die  bisher  übliche  Datierung  des  Tempels 
diesem  Resultat  entgegen.  Sie  ist  aber  nicht 
aufrecht  zu  erhalten.  Heyne  hat  aus  den 
Anschlüssen  des  Hofpflasters  richtig  ge- 
folgert, daß  der  Altar  bereits  stand,  als  der 
Stylobat  des  Tempels  gebaut  wurde,  ferner 
wissen  wir  aus  der  Inschrift  Milet  I  3,  Nr.  148, 
daß  der  Tempel  des  Zeus  Sosipolis  nach 
196  V.  Chr.  begonnen  wurde,  er  ist  aber 
nach  seiner  noch  jonischen  Basisform  älter 
als  der  Artemistempel.  Dessen  Datierung 
beruhte  auf  der  unbegründeten  Annahme, 
daß  sein  Bau  an  die  Epiphanie  der  Göttin 
im  Jahre  221/10  knüpfte  und  im  Jahre 
206,  als  die  Stadt  alle  griechischen  Ge- 
meinden zur  Teilnahme  an  das  neube- 
gründete Artemisfest  einlud,  beendet  ge- 
wesen sein  müßte  (Inschr.  v.  Magnesia 
Nr.  16 — 84).  Allein  ein  Zusammenhang 
dieser  Vorgänge,  in  der  Überlieferung  nur 
zur  Stiftung  der  Leukophryena  verwendet, 
mit  dem  Tempelbau  ist  sogar  unwahr- 
scheinlich und  widerspricht  der  Inschrift 
Nr.  100,  welche  von  der  feierlichen  Über- 
führung des  alten  Kultbildes  in  den  eben 
(vüv)  fertiggestellten  Kultraum  handelt: 
aus  paläographischen  wie  aus  historischen 
Gründen  (Ditt.  Syll.  Il3  Nr.  695)  wird  sie 
in  die  Zeit  um  129  v.  Chr.  datiert.  Die 
Weihung  des  Tempels  konnte  also  nicht 
75  Jahre  früher  erfolgt  sein,  und  die  An- 
nahme, die  Inschrift  sei  erst  jetzt  auf- 
gestellt worden,  ist  offensichtlich  gemacht 
worden,  um  jene  Datierung  aufrecht  er- 
halten zu  können.  Da  sie  aber  dem  Bau- 
charakter  des  Altars  und  des  Zeustempels 
widerspricht,  können  wir  sie  unbedenklich 
fallen  lassen. 

Ebensowenig  braucht  die  Datierung  des 
Hermogenestempels  in  Teos  um  195  v.  Chr. 


aufrecht  erhalten  zu  werden,  da  auch  sie 
nur  auf  einer  unbegründeten  Verknüpfung 
des  Neubaues  mit  dem  Auftreten  der 
dionysischen  Techniten  in  jener  Stadt  be- 
ruht. Auch  die  Weihung  eines  Hermogenes 
in  Priene  (Inschr.  Nr.  207),  die  vorläufig  allen 
Ergänzungsversuchen  spottet,  würde  der 
bisherigen  Datierung  widersprechen,  da  sie 
etwa  um  180 v.Chr.  entstanden  ist,  allein  die 
Identität  ihres  Stifters  mit  dem  Baumeister 
Hermogenes  ist  nicht  zu  erweisen.  —  Wir 
werden  nicht  umhin  können,  den  Altar  in 
Magnesia  frühestens  um  150  v.  Chr.  datieren 
zu  müssen,  und  dürfen  angesichts  der  Über- 
einstimmung seiner  Bauformen  mit  denen 
des  Tempels  voraussetzen,  daß  Hermogenes 
ihn  baute  und  im  Anschluß  daran  den 
Auftrag  erhielt,  den  Artemistempel  zu  er- 
neuern. Um  140,  kurz  vor  dem  Beginn  der 
römischen  Herrschaft,  ist  der  Tempel  ge- 
baut und  um  129  beendet  worden,  ob  noch 
bei  Lebzeiten  und  unter  der  Leitung  des 
Hermogenes,  steht  dahin.  Vitruv  zitiert 
ihn  daher  nicht  als  Größe  einer  vergangenen 
Zeit,  sondern  als  eine  Autorität,  die  knapp 
zwei  Generationen  vor  ihm  gelebt  hat,  und 
damit  stimmt  aufs  beste  überein,  daß  im 
jonischen  Stil  damals  hermogenische  Formen 
modern  waren  und  von  Vitruv  selbst  gelehrt 
wurden. 

Sitzung   vom   3.  Juni   1924. 

Herr  Hubert   Schmidt  sprach  über  die 
Ausgrabungen  von  Cucuteni  undSara- 
ta-M[onteoru    (Rumänien)    im    Lichte 
der     ägäischen     Vorgeschichte.        Im 
ägäischen  Kreise,  dem  Grenzgebiete  oder  der 
Brücke    zwischen  Europa  und  dem  Orient 
ist,    wie    in    keinem    anderen     Forschungs 
gebiete  der  drei  benachbarten   Kontinente, 
durch    exakte     Bodenforschung    die    Auf 
einanderfolge  der  Kulturablagerungen  (Stra 
tigraphie)  in  umfassender  Weise  klargestellt 
worden.     Darauf  beruht  die  Bedeutung  des 
ägäischen    Kreises   für   die   Chronologie   der 
Vorgeschichte  von  ganz   Europa,  sofern  es 
möglich    ist,    diese    in    Beziehung    zu    den 
ägäischen  Kulturschichten  zu  bringen.  Dann 
ist    eine    Parallelisierung    der    europäischen 
Kulturentwicklung  sowohl  mit  Ägypten  als 
mit    den    vorderasiatischen    Kulturzentren 
(Babylonien,    Assyrien,    Hettitien)    möglich 


i 

J 


349 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juni-Sitzung. 


350 


und  durch  die  Stratigraphie  auch  gesichert. 
Diese  Aussicht  gewähren  uns  gerade  die 
Ergebnisse  der  Ausgrabungen  des  Vor- 
tragenden in  Cucuteni  bei  Jassy  (zwei 
Kampagnen  1909/10)  in  der  östlichen  Moldau 
und  in  Sarata-Monteoru  (zwei  Kampagnen 
1917/18)  bei  Station  Monteoru,  Bezirk 
Buzöu-Mizil,  in  den  Vorbergen  der  trans- 
silvanischen  Alpen,  nördlich  der  Wallachei. 

Die  Cucuteni-Kultur  gehört  zum  Bereiche 
der  jungsteinzeitlichen  oder  besser  stein- 
kupferzeitlichen  bemalten  Keramik  innerhalb 
des  bandkeramischen  Kulturkreises  im  Do- 
nau-Balkangebiete und  weist  als  haupt- 
sächliches Kulturmerkmal  die  Gefäßmalerei 
im  Spiral-Mäander-Stile  auf.  Über  die 
vorgeschichtliche  Siedlung  von  Cucuteni  und 
die  Ausgrabungen  liegt  ein  vorläufiger  Be- 
richt vor:  Ztschr.  f.  Ethnol.  191 1,  582 — 601. 
Bei  der  Keramik  lassen  sich  zwei  ver- 
schiedene Stilgruppen  unterscheiden  so- 
wohl auf  Grund  der  Gefäßformen  als  nach 
den  aufgemalten  Mustern:  eine  polychrome 
A  (weiß -schwarz -rote)  und  eine  einfarbig 
bemalte  B  (schwarze)  Gruppe.  Formen 
und  Muster  beweisen  auch,  daß  sich  B 
aus  A  allmählich  entwickelt  hat.  Daher 
ist  eine  Zwischenstufe  A — B  durch  eine 
Reihe  von  Zwischenstilen  ausgezeichnet, 
die  die  Übergänge  von  A  zu  B  aufweisen. 
Analoge  Unterschiede  lassen  sich  bei  den 
Tonfiguren,  den  sogen.  Idolen  machen. 
Stein-  und  Knochengeräte  geben  der  Kultur 
ihren  Steinzeitcharakter;  doch  beginnt  zu- 
gleich die  Metallverarbeitung,  meist  von 
Kupfer;   vereinzelt  steht  zinnarme  Bronze. 

Alter  und  Dauer  der  Cucuteni-Kultur 
lassen  sich  bestimmen,  wenn  wir  Cucuteni 
als  Vertreter  eines  großen  Kulturkreises  auf- 
fassen. Er  dehnt  sich  westlich  über  Sieben- 
bürgen (besonders  Tal  des  Altflusses)  bis 
an  die  Donau  (Lengyel,  Kom.  Tolna),  nord- 
westlich über  die  Bukowina  und  Ostgalizien 
bis  in  die  Gegend  von  Lemberg  und  noch 
darüber  hinaus,  östlich  über  Bessarabien  bis 
in  die  Gegend  von  Kijew  (Tripolje),  südlich 
über  den  Balkan  bis  an  das  ägäische  Meer 
aus.  Hier  in  Thessalien  schneidet  die  Peri- 
pherie dieses  Kulturkreises  einen  anderen 
mit  ganz  anderen  Kulturmerkmalen,  der 
sich  nach  einigen  Hauptzentren  umschreiben 
läßt:    An  au    I    (Transkaspien)   —   Susa    I 


(Persien)  —  Sesklo-Chaeronea  (Nord- 
griechenland). Sein  Hauptmerkmal  ist 
gleichfalls  Gefäßmalerei,  aber  in  einem 
Textilstil.  Der  Vergleich  der  Gefäßmalerei 
in  den  verschiedenen  Kulturzentren  beweist, 
daß  dieser  Stil  eine  Entwicklung  durch- 
macht, wobei  Anau  die  älteste  Stufe  dar- 
stellt, in  Sesklo-Chaeronea  eine  schlagende 
Parallele  dazu  vorliegt,  während  in  Persien 
verschiedene  Übergangsstufen  sich  bemerk- 
bar machen  und  schließlich  in  Susa  I  der 
Stil  seinen  Kulminationspunkt  erlebt  und 
zugleich  von  Tierdarstellungen  überwuchert 
wird.  Mit  diesem  Kulturkreise,  der  östlich 
gerichtet  ist,  tritt  die  westlich  benachbarte 
Cucuteni-Tripoljc-Kultur  in  Berührung. 
Denn  in  Thessaliens  H.  neolithischer  Periode 
taucht  die  Spiral -Mäander-Keramik 
auf,  unter  ihren  Formen  im  besonderen  die 
Schale  mit  hohem  Zylinderfuß,  die  ihre 
Herkunft  aus  dem  Donau-Balkan-Kreise 
beweist.  Sie  greift  in  die  einheimische  Ent- 
wicklung fruchtbringend  ein;  denn  offen- 
sichtlich entsteht  aus  der  Verbindung  des 
Spiralmäanderstils  mit  dem  Textilstil  ein 
neuer  Mischstil,  der  am  klarsten  in  der 
sogen.  Diminiware  sich  ausprägt. 

Solche  Beziehungen  zwischen  Nord  und 
Süd  lassen  sich  nur  erklären  bei  der  An- 
nahme, daß  die  Träger  der  bandkeramischen 
Kultur  des  Donau -Balkangebietes  an  den 
Nordrand  des  ägäischen  Meeres  gelangt  sind 
und  mit  den  Trägern  der  Sesklo-Chaeronea- 
Kultur  sich  vermischt  haben. 

Auf  das  Cucuteni-Problem  fällt  nun  ein 
neues  Licht  durch  die  Ergebnisse  der  Aus- 
grabungen in  Sarata-Monteoru.  Da, 
wo  in  den  südöstlichen  Vorbergen  der  trans- 
silvanischen  Alpen  der  Sarata-Fluß  aus 
engen  Tälern  heraustritt  und  einen  scharfen 
Knick  macht,  um  in  einem  breiteren  Tale 
direkt  nach  Süden  zu  laufen,  liegen  am 
linken  Ufer  an  den  Hängen  der  Berge  die 
Spuren  der  vorgeschichtlichen  Hütten  zer- 
streut; auf  einem  besonders  hervorragenden 
Berge  dagegen  eine  durch  Steinwall  und 
Graben  befestigte  Siedlung,  die  als  die 
Akropolis  zu  gelten  hat.  Der  Kultur- 
charakter von  M.  ist  grundverschieden  von 
der  Cucuteni-Kultur:  steinbronzezeitlich  mit 
schwarz-monochromer,  polierter  Keramik 
von    durchaus    eigenartigen     Formen    und 


351 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juni-SiUung. 


352 


Verzierungen,  neben  den  Siedlungsfunden 
Hockergräber  mit  bronzenen  Schmuck- 
sachen, zu  denen  noch  Steinwaffen  (Kugel - 
keule  und  Axthammer)  kommen,  unter  dem 
Schmuckwerk  Typen  der  mitteleuropäischen 
Hängespiralen,  die  sich  über  den  Balkan 
nach  Griechenland  (myken.  Schachtgräber) 
und  über  den  Kaukasus  nach  Kleinasien 
(Troja  n  3  und  lortan  Kelembo  bei  Smyrna) 
und  Mesopotamien  verfolgen  lassen.  In 
welchem  Verhältnis  steht  die  Monteoru- 
Kultur  zur  Cucuteni-Kultur,  die  ihr  benach- 
bart ist,  aber  eine  viel  ältere  Entwicklung 
aufzuweisen  hat?     Die  Ausgrabungen  1918 


teni-Fund,  der  sonst  vielleicht  unter- 
schätzt werden  würde,  zur  vollen  Geltung: 
das  Bruchstück  einer  auf  der  Scheibe  ge- 
drehten, hellgrautonigen  Schale  mit  hohem 
Zylinderfuß,  der  typische  Vertreter  einer 
Gefäßgattung,  die  in  Griechenland  als 
Orchomenos  HI  -  Ware  bekannt  ist,  in 
die  älter-mykenische  Zeit  gehört  und  in 
den  Schachtgräbern  von  Mykenä  die  ein- 
heimische und  bodenständige  Topfware  dar- 
stellt und  — •  was  noch  hinzuzufügen  wäre  — 
jetzt  als  »älteste-griechische«  bezeichnet 
werden  muß.  (Abb.  i,  2.)  Diese  Schale  muß 
also  aus  Griechenland  auf  noch  unbekannten 


Abb.  I.     Bruchstück   einer   grautonigen  Fußschale   von  der  Art  der  Orchomenos  Ill-Warc,    gefunden  in 
der  vorgeschichtlichen  Siedlung  von  Cucuteni  bei  Jassy  (Rumänien).     Etwra  V»  n.  Gr. 


haben  erwiesen,  daß  die  jüngere  Cucuteni - 
wäre  B,  und  zwar  eine  Stilvariante  der 
Schwarzmalerei  mit  Rot  in  Monteoru  im- 
portiert wurde.  Aber  nur  auf  der  Burg 
von  Monteoru  findet  sich  solche  Keramik 
in  Verbindung  mit  anderen  Erzeugnissen 
der  Cucuteni-Kultur,  und  zwar  in  einer 
jüngeren  Ablagerung,  so  daß  die  Annahme 
berechtigt  erscheint,  daß  Träger  der  Cucu- 
teni-Kultur von  der  Burg  von  Monteoru  Besitz 
ergriffen  haben.  Durch  diese  Fundtatsache 
ist  erwiesen,  daß  die  jüngere  Stufe  der 
Cucuteni -Keramik  (B),  und  zwar  davon 
wieder  eine  jüngere  Variante  in  die  voll- 
entwickelte  Bronzezeit  hinabreicht.  In 
diesem  Zusammenhange  kommt  ein  Cucu- 


Wegen  in  das  Hinterland  der  Balkanhalb- 
insel  gelangt  sein.  Es  fragt  sich  nur,  mit 
welcher  Stufe  der  Gefäßmalerei  von  Cucuteni 
das  Auftreten  dieses  Importstückes  zu- 
sammenfällt. Es  ist  im  Jahre  1910  in  einer 
mittleren  Ablagerungsschicht  oberhalb  eines 
großen  Brandschutthaufens  gefunden  wor- 
den, der  der  untersten  Schicht  angehörte 
und  ausschließlich  Topfscherben  des  älteren 
Stils  (A)  ergab,  ist  also  der  Zeit  des  jüngeren 
Stils  B  zuzuweisen,  der  hauptsächlich  in  der 
mittleren  und  oberen  Schicht  der  Ab- 
lagerungen vorkommt. 

So  steht  die  Cucuteni-Kultur  zu  ver- 
schiedenen Kulturschichten  des  ägäischen 
Kreises  ebenso  wie  zur  Anau-Susa-Kultur 


35i 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juni-Sitzung  1924. 


354 


in  festen,  durch  die  Stratigraphie  begründeten 
Beziehungen.  Daraus  gewinnen  wir  für 
mehrschichtige  Synchronismen  chronologi- 
sche Fixpunkte.  Zunächst  durch  die 
Susakultur  nach  dem  sghematischen  Schich- 
tenprofil von  Susa  bei  Pottier  (Delegation 
cn  Perse.  Memoires  XIII  23  Fig.  1 13).  Hier- 
nach liegt  die  jüngere,  bemalte  Keramik 
von  Susa  (=  Susa  II)  in  einer  Schicht,  die 
durch  Funde  zwischen  Naramsin  und  Ham- 
murapi  von  Babylon  bestimmt  ist,  d.  h. 
etwa  2500 — 190x3  v.  Chr.  sich  datieren 
läßt.  Für  die  ältere  Gefäßmalerei  von  Susa 
(=  Susa  I),  die  sich  an  den  Anau-Chaeronea- 
Stil  anschließt,  wählt  Pottier  a.  a.  O.  das 


entwickelte  Bronzezeit  der  unteren  Donau - 
und  Balkanländer,  wie  aus  der  in  Sarata- 
Monteoru  gefundenen  bemalten  Keramik 
sich  ohne  weiteres  ergibt.  Dafür  liefert 
die  in  Cucuteni  gefundene  Schale  der 
Orchomenos  III  -  Gattung  den  chronologi- 
schen Fixpunkt:  die  Stufe  der  Schacht- 
gräber von  Mykcnä  =  rund  1500  v.  Chr.  Geb. 
Die  Cucutenifunde  sind  also  in  ihrer  aus- 
geprägten Eigenart  rund  3000 — 1500  v.  Chr. 
zu  datieren.  Für  die  Monteoru-Kultur  ist 
zunächst  nur  das  Datum  1500  v.  Chr.  zu 
verwerten;  aber  ihr  Höhepunkt  ist  damit 
schon  überschritten,  so  daß  für  ihren  Verlauf 
die  erste  Hälfte  des  2.  Jahrtausend  v.  Chr. 


Abb.  2.     Innenfläche  der  Schale  von  Abb.   i   mit  den  Spuren  der  Töpferscheibe. 


Datum  3000 — 2800  v.  Chr.,  was  man  an- 
nehmen kann.  Die  Anfänge  dieser  Kultur- 
entwicklung, die  in  Anau  I  liegen,  werden 
also  ins  4.  Jahrtausend  v.  Chr.  hinauf- 
reichen; wieweit  hinauf,  muß  freilich  noch 
unbestimmt  bleiben. 

Nach  diesem  Fixpunkt  hat  sich  auch  die 
Datierung  der  Tripolje-Cucuteni-Kultur  zu 
richten.  Da  sich  ihr  Kreis  in  Nordgriechen- 
land mit  der  Anau-Chaeronea-Susa-Kultur 
schneidet,  müssen  ihre  Entwicklungen  pa- 
rallel laufen,  d.  h.  die  Anfänge  der  Cucuteni - 
Kultur,  die  in  Cucuteni  A  schon  in  einer 
voll  entwickelten  Phase  vorliegt,  müssen 
gleichfalls  ins  4.  Jahrtausend  zurückreichen. 
Ihre  weitere  Entwicklung  ist  ununterbrochen 
fortlaufend  und  reicht  mit  ihren  jüngeren 
Stilstufen    (als    B   bezeichnet)    in    die   voll- 


in  Betracht  kommt.  Ebendahin  gehört  die 
südwestliche  Nachbarkultur,  die  im  jetzigen 
serbischen  Ungarn  ein  bemerkenswertes 
Zentrum  hat,  die  Vattinakultur  in  der 
Gegend  von  Werschetz  (Banat),  wie  genau 
entsprechende  Parallelfunde  zu  den  Gräbern 
von  Monteoru  beweisen.  Ihr  Hauptmerkmal 
ist  die  Buckelkeramik;  ihr  hat  die  feiner 
geartete  Monteorukeramik  die  ihr  fremde 
Buckelverzierung  zu  verdanken').  Die  nor- 
disch-ägäischen  Beziehungen  lassen  sich  nun 
weiter  auf  den  südägäischen  Kreis  aus- 
dehnen: Kreta  wird  hier  eingezogen.  Zu 
dieser  wichtigen  Frage  des  Zusammenhanges 
zwischen    Kreta    und    dem    Donau -Balkan - 


')  Vgl.  die  Chronologietabelle  in  meiner  ,, Vor- 
geschichte Europas."  Natur- u.  Geisteswelt  Nr.  571, 
42. 


355 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Juli-Sitzung  1924. 


356 


gebiete  hat  der  Vortragende  schon  gelegent- 
lich seines  ersten  Berichtes  über  Cucuteni 
(Ztschr.  f.  Ethnol.  1911,  598)  einzelne 
Punkte  hervorgehoben.  Sie  betreffen  Tech- 
nik und  Formen  der  Gefäßbildnerei  und 
Metallindustrie.  Sie  erklären  sich  nicht  aus 
dem  bodenständigen  Neolithikum,  wenn 
man  nicht  annimmt,  daß  fremde  Kultur- 
demente  in  die  Entwicklung  eingegriffen 
haben.  Folgendes  mag  hier  zusammen- 
gestellt werden:  für  die  Gefäßfabrikation 
hochgradiger  Brand  bei  vollendeter  Ton- 
technik, aufgemalte  Spiralverzierung  ent- 
wickelter Stilbildung,  unter  den  Formen 
Schalen  auf  hohem  Fuß  (»Fruchtständer«) 
und  birnförmige  Töpfe  ohne  Randbildung 
mit  enger  Öffnung  (in  Kreta  durch  Ausguß- 
rinne und  Bügelhenkel  ausgezeichnet)  — • 
für  die  Metallindustrie:  kreuzschneidige 
Axthacken  und  Axtpickel,  Weiterbildungen 
von  Urtypen  aus  der  sogen.  »Kupferzeit 
Ungarns«,  die  im  Donau-Balkangebiete  ver- 
breitet sind;  Nachkommen  dieser  Urtypen 
lassen  sich  auch  in  Troja  II  nachweisen 
und  stehen  den  steinernen  Axthämmern 
parallel,  die  in  den  Prachtbeilen  von  Troja 
II  3  glänzend  vertreten  sind.  Vgl.  Präh. 
Ztschr.  IV  1912,  20  ff.,  wo  auch  die  kreti- 
schen Formen  S.  24  behandelt  sind;  — • 
für  die  Siegelfabrikation:  Knopfsiegel 
und  Stempel  aus  Stein  mit  Spiralver- 
zierungen; sie  kommen  in  Kreta  in  früh- 
minoischer  Zeit  vor  und  spielen  überhaupt 
im  ägäischen  Kreise  und  Vorderasien  eine 
besondere  Rolle,  gehen  aber  zurück  auf 
einfache  Tonstempel  mit  Spiralmustern,  die 
in  Erösd  (Siebenbürgen)  zur  steinkupfer- 
zcitlichen  Kultur  mit  bemalter  Keramik 
(  =  Tripolje-Cucuteni-Kultur)  gehören.  Eben- 
daher stammen  in  Italiens  epoca  eneolitica 
die  pintaderas. 

So  sehen  wir  schließlich  umgekehrt  aus 
dem  Donau -Balkangebiete  einige  Licht- 
strahlen auf  die  ägäische  Kultur  fallen.  — 
Über  den  Inhalt  des  Vortrages  soll  aus- 
führlicher an  anderer  Stelle  gehandelt 
werden. 

Darauf  sprach  Herr  Köster  über  die 
Taktik  des  Herakleides,  über  die  ein 
von  U.  Wilcken,  Hermes  XLI  103  ff., 
veröffentlichter  Papyrus  der  Würzburger 
Universität    berichtet.       Der    Vortragende 


entwickelte  die  Ansicht,  daß  durch  den 
eigenartigen  Verlauf  der  Schlacht  bei  Arte- 
mision sich  in  der  griechischen  Flotte  eine 
besondere  Defensivtaktik  herausgebildet 
habe,  die  wir  eingehender  in  der  Schilderung 
der  Schlacht  bei  Naupaktos  kennenlernen. 
Der  Vortrag  erscheint  demnächst  in:  Köster, 
Nautica,  Gesammelte  Abhandlungen  auf 
dem   Gebiete   des  antiken   Seewesens. 

Sitzung  vom    i.  Juli  1924. 

Herr  Kurt  Müller  (Göttingen)  sprach 
über  das  Thema  Erechtheion  und  Pro- 
pyläen. Der  Vortrag  stellte  die  Frage,  wie 
sich  die  beiden  Bauten  des  5.  Jahrhunderts 
zu  dem  verhalten,  was  vorher  an  ihrem 
Platze  stand.  Bei  Errichtung  des  Erech- 
theionssind  nicht  nur,  wie  selbstverständlich, 
die  Kultmale  geschont  worden,  sondern  nach 
den  eben  veröffentlichten  Untersuchungen 
der  Amerikaner  (L.  B.  Holland,  Am.  J. 
Arch.  XXVIII  1924,  i)  auch  ältere  Bauten, 
so  eine  Temenoseinfassung  unter  der  spä- 
teren Ostcella  und  die  Marmoranlage  des 
früheren  5.  Jahrhunderts,  die  in  der  Rich- 
tung der  Pandroseionnordmauer  unter  der 
Südseite  der  Nordhalle  verschwindet,  ja 
sogar  noch  tiefer  liegende  Mauerreste,  die 
erst  beim  Graben  der  Fundamentgrube  zu- 
tage getreten  sein  können.  Das  war  bereits 
für  das  Kekropsgrab  anzunehmen,  dessen 
sicher  einst  nicht  freiliegender  Kern  die 
Lage  der  Westwand  des  Erechtheions  be- 
stimmt. Bei  dieser  außerordentlichen  Be- 
dingtheit war  der  Architekt  gezwungen, 
seinen  ursprünglichen  Bauplan  während 
der  Fundamentierung  den  Verhältnissen 
anzupassen. 

Bei  den  Propyläen  liegen  die  Verhält- 
nisse anders.  Die  Betrachtung  kann  von 
dem  Dörpfelds  Scharfsinn  verdankten  ur- 
sprünglichen Plan  des  Mnesikles  ausgehen. 
Der  Mittelbau  enthält  bereits  alle  Elemente 
der  alten  Propyläen  und  verdient  diesen 
Namen  schon  allein.  Der  ältere  Bau  ist  teil- 
weise abgetragen,  die  Achse  verändert.  Der 
südöstliche  Flügel  wäre  fast  ganz  auf  das 
Heiligtum  der  Brauronia  zu  stehen  ge- 
kommen. Für  ihn  hätte  der  Fels  beträcht- 
lich abgearbeitet  werden  müssen,  in  weit 
größerer  Ausdehnung,  als  die  Halle  selbst 
erforderte,  da  östlich  von  ihr  ein  genügend 


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Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     November-Sitzung  1924. 


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breiter  freier  Raum  in  gleicher  Höhenlage 
geschaffen  werden  mußte.  So  wäre  der 
Artemis  Brauronia  etwa  die  Hälfte  ihres 
Bezirks  genommen  worden.  Das  wäre  ein 
schwerer  Frevel  gewesen,  den  wir  Perikles 
und  seinem  Architekten  nicht  zutrauen 
dürfen.  Vielmehr  muß  das  Projekt  die  Zu- 
stimmung der  Priesterschaft  gefunden  haben; 
das  setzt  voraus,  daß  die  Halle  für  den 
Kult  der  Brauronia  bestimmt  war.  Gewiß 
sollte  ihr  ganzer  Bezirk  tiefer  gelegt  werden. 
Die  Ausführung  ist  also  auch  nicht  durch 
den  Einspruch  der  Priesterschaft  der  Brau- 
ronia verhindert  worden,  sondern  offenbar 
dadurch,  daß  die  »pelasgische«  Burgmauer 
für  unantastbar  erklärt   wurde. 

Auch  das  nördliche  Gegenstück  des  be- 
sprochenen Flügels  sollte  keine  reine 
Schmuckhalle  werden.  In  sein  Gebiet,  die 
tiefste  Stelle  der  Burgfläche,  fiel  seit  alten 
Zeiten  wenigstens  ein  Teil  der  Burgzisterne; 
später  lag  sie  ganz  dort.  Er  sollte  also 
über  der  Zisterne  errichtet  werden  und 
als    eine    Art    Brunnenhaus    dienen. 

Für  die  Pinakothek  hat  schon  Dörpfeld 
auf  den  tempelähnlichen  Grundriß  hin- 
gewiesen; wem  der  später  abgestorbene 
Kult  galt,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls 
ist  hier  nichts  von  Schonung  älterer  Reste 
zu  bemerken.  Am  schwierigsten  ist  der 
Südwestflügel  zu  beurteilen.  Wahrschein- 
lich war  er,  bevor  die  von  Dörpfeld  ermit- 
telte westliche  Säulenstellung  geplant 
wurde,  der  Pinakothek  entsprechend  nach 
Westen  geschlossen  erdacht  und  gleichfalls 
für  Kultzwecke  bestimmt;  den  Pyrgos 
scheint  Mnesikles  tiefer  zu  legen  beabsich- 
tigt zu  haben,  gewiß  nicht  gegen  den  Willen 
der  Priesterschaft.  Er  mußte  aber  auch 
hier  auf  eine  alte  Mauer,  die  Nordmauer 
des  älteren  Pyrgos,  Rücksicht  nehmen, 
die  sorgfältig  umbaut  ist.  Diese  und  die 
pelasgische  Ringmauer  brachten  den  Plan 
zu  Fall,  und  seinen  verkümmerten  Rest 
deckt  nun,  auf  erhöhtem  Boden,  der  Nike- 
tempel   wenigstens     einigermaßen. 

Der  Architekt  des  Erechtheions  war  also 
von  Anfang  an  auf  Schonung  der  alten 
Reste  bedacht,  Mnesikles  zunächst  nicht, 
aber  er  mußte  sich  schließlich  doch  dazu  be- 
quemen. Das  heißt,  das  alte  Verbot  to 
ll£Xa(>7ix6v  dp'i'jv  ajisivov   ist    während    der 


Bauzeit  der  Propyläen  erneuert  und  ver- 
schärft worden;  die  erste  Bauperiode  des 
Erechtheions  setzt  später  ein.  Darum  ist 
hier  der  ursprüngliche  Baugedanke  nicht 
mehr  so  sicher  zu  ermitteln,  wie  bei  den 
Propyläen.  Es  liegt  etwas  Gewaltsames 
darin,  daß  Mnesikles  seinem  prächtigen 
Torbau  als  Flügel  Bauwerke  angegliedert 
hat,  die  ganz  anderen  Zwecken  dienen 
sollten.  Er  hat  sie  dazu  in  ein  gemeinsames 
Achsensystem  gezwungen  und  durch  strenge 
Symmetrie  die  Baugruppe  zusammenge- 
bunden. Aber  gerade  die  kühne  Unterord- 
nung der  verschiedenartigen  Elemente  unter 
den  Gedanken  des  Torbaues,  der  nach  außen 
abweisend  geschlossen  nur  den  Zugangsweg 
feierlich  einladend  aufnimmt,  während  die 
breite  Innenseite  sich  frei  öffnet,  sichert 
dem  genialen  Projekt  immer  neue  Bewun- 
derung. 

Sitzung     vom   4.    November    1924. 

Herr  Rodenwaldt  gedachte  des  acht- 
zigsten Geburtstages  (lO.  August  1924)  von 
Herrn  Trendelenburg  und  des  sechzigsten 
Gebuitstages  (31.  Oktober  1924)  von  Herrn 
Wiegand  und  berichtete  über  die  Wieder- 
aufstellung und  Eröffnung  der  Bibliothek 
des  Deutschen  Archäologischen  Instituts 
in  Rom. 

Er  teilte  sodann  die  aus  Athen  einge- 
troffene Nachricht  von  dem  Hinscheiden 
des  Malers  Emile  Gillieron  mit.  Ein  arbeits- 
reiches Leben,  dessen  Tätigkeit  für  die 
archäologische  Wissenschaft  in  Griechen- 
land während  der  letzten  45  Jahre  eine 
hohe  Bedeutung  gehabt  hat,  ist  damit  zu 
Ende  gegangen.  Aufgewachsen  teils  in 
seiner  Heimat  am  Genfer  See,  teils  in  Basel 
hat  Gillieron  in  Paris  Malerei  studiert, 
nachdem  er  in  der  Schweiz  eine  Ausbildung 
als  Graveur  durchgemacht  hatte.  Dieser 
letzteren  hat  er  selbst  eine  besondere  Be- 
deutung zugemessen,  weil  sie  ihm  die  un- 
gewöhnliche Sicherheit  der  Hand  verliehen 
hat,  die  es  ihm  ermöglichte,  die  Strich- 
führung griechischer  Vasenbilder  und  die 
Miniaturkunst  kretisch-mykenischer  Glyptik 
nachzubilden.  Eine  früh  erwachte  Neigung 
zu  wissenschaftlicher  Erkenntnis  ließ  ihn 
schon  in  Paris  die  Technik  Rubensscher 
Gemälde   eingehend    untersuchen. 


359 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     November-Sitzung  1924. 


360 


Nach  Athen  kam  er  als  Maler  und  Lehrer 
der  Malerei.  Seine  künstlerische  Originalität 
war  wohl  nicht  groß  genug,  dazu  die  da- 
maligen athenischen  Verhältnisse  zu  un- 
günstig, um  ihm  einen  Erfolg  zu  sichern; 
seit  Ende  der  siebziger  Jahre  war  er  mehr 
und  mehr  dazu  gezwungen,  seine  Tätigkeit 
in  den  Dienst  der  Archäologie  für  wissen- 
schaftliche Reproduktionen  zu  stellen.  In 
besonders  hohem  Maße  zog  ihn  das  deutsche 
Institut  für  diese  Zwecke  heran.  Er  wid- 
mete dieser  Aufgabe  die  ganze  Intensität 
seiner  temperamentvollen  Veranlagung,  wenn 
er  auch  die  Tragik  des  Verzichtes  auf  eigene 
Schöpfungen  nie  ganz  verwunden  hat;  sie 
war  der  Grund,  aus  dem  er  nie  eine  Repro- 
duktion signiert  hat.  Mit  der  Veröffent- 
lichung der  Funde  des  Kuppelgrabes  von 
Menidi  und  dem  Jahrgang  1880  der  Athe- 
nischen Mitteilungen  beginnt  die  ununter- 
brochene Reihe  seiner  Zeichnungen  für 
wissenschaftliche  Publikationen.  Wenn 
auch  die  Mannigfaltigkeit  der  Aufgaben  all- 
mählich durch  die  Photographie  beschränkt 
wurde,  so  gab  es  doch  immei  Objekte,  wie 
es  sie  stets  geben  wird,  bei  denen  der  Er- 
haltungszustand die  interpretierende  und 
verdeutlichende  Zeichnung  unentbehrlich 
macht.  Ganz  besonders  bedeutungsvoll 
wurde  seine  Tätigkeit  für  die  Festhaltung 
der  Reste  antiker  Malerei  und  der  Farb- 
.spuren  an  Skulpturen.  Es  sei  an  seine 
Mitarbeit  bei  Wiegands  Untersuchung  der 
Porosskulpturen,  seine  farbigen  Aufnahmen 
der  Koren,  an  seine  dokumentarischen 
Wert  behaltenden  Wiedergaben  der  Grab- 
stelen von  Pagasai  und  seine  Aufnahme 
der  Lyseasstele  erinnert.  Meisterhaft  sind 
seine  Kopien  der  Marmorbilder  von  Hercu- 
lanum  und  pompeianischer  Wandgemälde, 
die  einen  wertvollen  Besitz  des  Hallischen 
Robertinums  bilden.  Sein  Gefühl  für  die 
Farbe  war  weniger  sicher  als  das  für  die 
Zeichnung;  aber  dieser  gewisse  Mangel 
wurde  durch  die  unermüdliche  Gewissen- 
haftigkeit meist  ausgeglichen. 

Das  Hauptfeld  seiner  Tätigkeit  und  das- 
jenige, das  ohne  seine  Hilfe  nie  so  hätte 
bearbeitet  werden  können,  wurde  die  kre- 
tisch-mykenische  Kunst.  Neben  seine 
Aufnahmen  der  Funde  von  Menidi  traten 
alsbald  die  noch  heute  nicht  übertroffcncn 


zeichnerischen  Wiedergaben  des  Enten- 
dolches und  des  Löwendolches  aus  My- 
kenai  in  A.  M.  VII  1882,  Taf.  8  und  im 
'AOvjvatov  X  1881.  Eine  besonders  glückliche 
Idee  war  die  Herstellung  der  galvano- 
plastischen Nachbildungen  von  Gegenstän- 
den der  mykenischen  Kunst,  die  zugleich  eine 
Reihe  wertvoller  Erkenntnisse  für  die  Technik 
ihrer  Herstellung  zeitigte  (Arch.  Anz.  1903, 
157  ff.).  Sie  haben  weithin  befruchtend  und 
anregend  auf  den  archäologischen  Unter- 
richt und  die  Verbreitung  der  Anschauung 
dieser    Kunst   gewirkt. 

Durch  diese  innige  Vertrautheit  mit  dem 
mykenischen  Stil  war  er  der  prädestinierte 
Mitarbeiter  für  die  wissenschaftliche  Ver- 
wertung der  gewaltigen  Funde  von  Knossos 
und  der  sich  daran  anschließenden  Aus- 
grabungen in  Kreta  und  auf  dem  griechischen 
Festlande.  Während  der  beiden  letzten 
Jahrzehnte  ist  Gilli^ron  von  dieser  Arbeit, 
bei  der  ihn  kein  anderer  hätte  ersetzen 
können,  fast  ausschließlich  in  Anspruch 
genommen  worden.  Die  Fresken  von 
Knossos,  Orchomenos,  Tiryns  und  My- 
kenai  verdanken  ihm  eine  wahrhafte  Auf- 
erstehung. Aus  eigener  Initiative  machte 
er  eine  neue,  bisher  nur  zum  kleineren  Teil 
veröffentlichte  Aufnahme  der  Fresken  von 
Hagia  Triada,  die  die  erste  Veröffentlichung 
wesentlich  überragt,  und  rekonstruierte  die 
Stuckreliefs  von  Pseira  (s.  oben  Sp.  268  ff.). 
Seine  Rekonstruktionen  bilden  die  Grund- 
lage unserer  Kenntnis  der  kretischen  Malerei; 
die  Anregungen,  die  von  den  Sammlungen 
dieser  Kopien  in  amerikanischen  Museen, 
in  Oxford  und  in  Berlin  (Arch.  Anz.  1921, 
34)  ausgegangen  sind,  können  nicht  hoch 
genug  eingeschätzt  werden.  Nebenher 
gingen  Zeichnungen  von  Werken  der  Klein- 
kunst, namentlich  der  Glyptik.  Ein  großer 
Teil  von  Gillierons  Lebensarbeit  ist  noch 
nicht  veröffentlicht  und  wird  erst  in  den 
großen  Publikationen  der  Funde  von  Knossos, 
der  Schachtgräber  von  Mykenai  und  der 
Stelen  von  Pagasai  der  Allgemeinheit  zu- 
gänglich   werden. 

Gillieron  hatte  sich  so  in  den  kretisch- 
mykenischen  Stil  eingefühlt,  daß  er  auch 
ohne  direkte  Vorlage  in  ihm  zu  zeichnen 
und  zuletzt  nur  mit  Mühe  ein  griechisches 
Werk   zu    kopieren    vermochte.      Trotzdem 


36i 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     November-Sitzung  1924. 


362 


bleibt  auch  in  seinen  Kopien  ein  nie  auszu- 
schaltendes subjektives  Element,  dessen  er 
sich  mit  einem  gewissen  Stolz  bewußt  war. 
Daß  er  es  in  einem  besonderem  Maße  zu- 
•  rückzudrängen  vermochte,  beruhte  wohl 
auf  der  ganz  eigentümlichen  Verbindung, 
die  in  ihm  eine  starke  rein  imitative  Veran- 
lagung, ein  Mangel  an  eigentlich  schöpfe- 
rischer Begabung,  die  Sicherheit  der  Hand 
und  ein  ausgesprochen  wissenschaftlicher 
Erkenntnisdrang  eingegangen  waren.  Dieser 
letztere  hatte  ihn  auch  zu  der  Überzeu- 
gung geführt,  daß  eine  wirklich  zulängliche 
Kopie  nur  durch  das  ständige  Zusammen- 
arbeiten zweier  Persönlichkeiten,  eines  aus- 
führenden Künstlers  und  eines  verglei- 
chenden und  korrigierenden  Kritikers,  zu 
erreichen  sei.  Er  suchte  gern  die  Beratung 
durch  Gelehrte,  die  ihm  kompetent  schienen, 
und  fühlte  sich  nie  bei  Arbeiten  ganz  wohl, 
bei  denen  er  eine  solche  ständige  Mitarbeit 
entbehren    mußte. 

Die  archäologische  Wissenschaft  hat  allen 
Grund,  Gilliöron  ein  dankbares  Angedenken 
zu  bewahren.  Wer  ihn  näher  kannte,  wird 
seine  originelle,  leidenschaftliche,  geist- 
reiche und  humorvolle  Persönlichkeit  schwer 
vermissen. 

Herr   Trendelenburg  sagte  darauf  der 
Gesellschaft    Dank    für    die    Begrüßung    zu 
seinem    80.  Geburtstag    und    übergab    seine 
Verdeutschung  von  Euripides' Alkest  is,  in 
der  zum   ersten   Mal   der  Versuch   gemacht 
worden   ist,    den   heiteren   Charakter   dieses 
»Satyrspiels  ohne  Satyrn«  möglichst  getreu 
wiederzugeben.    Sie  kam  als  viertes  Drama, 
also    an    der    Stelle    zur    Ausführung,    die 
sonst     den     Satyrspielen     vorbehalten     ist. 
Die    darin    auftretende  Figur  des  Thanatos 
führte  den  Verfasser  zu  einer  Prüfung  der 
Ergebnisse,  zu  denen  Carl  Robert  in  seinem 
Thanatos  (39.  Winckelmannsprogramm)  ge- 
kommen ist.    Robert  erkennt  in  der  nackten, 
mit  mächtigen  Flügeln  und  einem  Schwerte 
ausgestatteten  Figur  von  fast  knabenhafter 
Bildung,    die    der    Reliefstreifen    einer    der 
jüngeren    columnae    caelatae    das   Artemis- 
tempels   von  Ephesos  zeigt,    den  Thanatos 
und  beruft  sich  für  dessen  Bewaffnung  und 
Beflügelung  auf  den  Thanatos  der  Alkestis. 
Daß  dieser  ein  Schwert  trug,  ist  sicher,  daß 
er  geflügelt  war,  kann  aus  keiner  Stelle  des 


Dramas  gefolgert  werden  und  widerspricht 
völlig  seinem  burlesk  täppischen  Gebaren. 
Das  irtspioTÖ?  {>beschwingt«)  V.  262  geht 
nicht  auf  Thanatos,  sondern  auf  Hades 
und  ist,  wie  so  häufig,  in  übertragenem 
Sinne  gebraucht  zum  Ausdruck  der  Eile, 
mit  der  die  jugendliche  Alkestis  von  Hades 
■abberufen  wird.  »Den  Dämonen  der  Erd- 
tiefe  gebühren  keine  Flügel«  (v.  Wilamo- 
witz,   Einleit.  zu  den  Eumeniden  232). 

Herr  A.  von  Lecoq  sprach  als  Gast  über 
Kulturströmungen  durch  Mittel- 
asien. Vier  große  Kulturströmungen  sind 
leicht  in  Mittelasien  nachzuweisen.  Zwei 
von  ihnen  verlaufen  in  der  Richtung  von 
Westen  nach  Osten,  zwei  in  der  von  Osten 
nach   Westen. 

Die  erste  dieser  Strömungen  ist  das  im 
unsicheren  Lichte  der  letzten  vorchrist- 
lichen Jahrhunderte  wahrnehmbare  Vor- 
dringen iranischer  und  europäischer  No- 
maden aus  Südrußland  nach  China  —  diese 
Strömung  erreicht  im  3.  Jhdt.  v.  Chr.  das 
Knie  des  Hoang-ho  und  wird  dann  nach 
den  hellenistischen  Ländern  Baktriens  und 
NW-Lidicns  zurückgedrängt;  die  Träger 
dieser  Strömung  hellenisieren  sich  dort 
und  werden  eifrige  Förderer  des  Buddhis- 
mus. Der  Anfang  dieser  Bewegung  läßt 
sich  nicht  feststellen,  dürfte  aber  in  alt- 
achämenidische  Zeiten    hinaufreichen '). 

Die  zweite  Strömung  beginnt  mit  dem 
Alexanderzug,  durch  den  hellenistische 
Staaten  in  Baktrien  und  NW- Indien  be- 
gründet werden,  um,  in  Indien  wenigstens, 
bis  etwa  50  n.  Chr.  zu  bestehen.  Besonders 
die  an  den  Pforten  Indiens,  dem  Khaibarpaß, 
gelegenen  Gebiete,  die  wir  nach  der  wich- 
tigsten Landschaft  unter  dem  Namen 
Gandhära  zusammenfassen,  spielen  unter 
ihren  griechischen  Fürsten  eine  wichtige 
Rolle.  Hier  mischte  sich  hellenisches  und  in- 
disches Wesen,  und  hier  bemächtigte  sich 
der  indische  Buddhaglauben  des  Formen - 
Schatzes  der  griechischen  Mythologie,  um 
sich  ein  Pantheon  zu  schaffen.  So  wurde 
hier,    von    griechischen    oder   mischblütigen 


■)  Diese  Strömung  kam  unter  die  persönliche 
Beobachtung  des  Vortragenden  auf  seinem  Weg 
durch  Südsibirien  und  die  Dsungarei.  Einiges 
darüber  bei  F.  W.  K.  Müller,  To/ri  und  Küisän, 
Sitzber.    XXXII    191S. 


363 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezembei-SiUuDg   1924. 


364 


Künstlern,  zum  erstenmal  die  Gestalt 
des  Buddha  geschaffen,  und  zwar  nach 
dem  Vorbild  des  Apollo  oder  Dionysos; 
Zeus,  Hera,  Herakles,  die  Satyrn  usw. 
wurden  umgedeutet  zu  Gestalten  der  bud- 
dhistischen Mythologie,  und  Palmetten,  Mä- 
ander, Rankenwerk  aller  Art  wurde  körper- 
lich in  die  neue  buddhistische  Kunst  hin- 
übergenommen.  Mit  anderen  Worten: 
wie  im  Westen  die  Berührung  des  Christen- 
tums mit  der  ausgehenden  Antike  die 
frühchristliche  Kunst,  die  »christliche  An- 
tike«, entstehen  ließ,  so  erwuchs  im  Osten 
aus  der  Berührung  der  hellenistischen  Kunst 
mit  dem  Buddhatum  die  »buddhistische 
Antike«  —  die  beiden  neuen  Kunstübungen 
überraschen  häufig  durch  die  Überein- 
stimmung der  übernommenen  Elemente. 
Als  der  Buddhismus  begann  sich  auszu- 
breiten, fand  er  im  Westen  bald  seine 
Grenzen,  nach  Osten  aber  begegnete  seinem 
Vordringen  keinerlei  Hindernis,  und  so 
brachte  er  seine  indo-hellenistische  Kunst 
einerseits  von  Baktrien  durch  Mittelasien 
nach  China,  Korea  und  Japan,  andererseits 
von  Baktrien  durch  die  indische  Halbinsel 
in    den    Archipel    und    nach    Hinterindien. 

So  gelangten  auch  alle  Arten  der  Technik 
e.  g.  die  Kunst,  in  großem  Maßstabe  in  Stein 
zu  arbeiten,  nach  Indien  und  nach  China. 
Begleitet  wurde  dieser  Zug  des  Buddhismus 
von  mancherlei  Bauformen,  die  sich  in 
Iran  (Kuppelbau,  Laternendach),  und  an 
anderen,  die  sich  in  Indien  (Stüpa)  ent- 
wickelt   hatten'). 

Die  dritte  Strömung  setzt  ein,  als  die 
Völkerwanderung    die    Reste    der    antiken 


')  Die  für  die  Kunstgeschichte  Ostasiens  wich- 
tigste Strömung  ist  die  mit  dem  Alexanderzug 
beginnende  Einwirkung  hellenistischer  Kunst  auf 
die  Bevölkerung  Asiens.  Zur  Beleuchtung  dieser 
Einwirkung  gab  der  Vortragende  eine  Anzahl  von 
Bilderserien,  die  die  Entwicklung  gewisser  klas- 
sischer Typen  in  Asien  von  Stufe  zu  Stufe  zeigen. 
Wir  erwähnen  u.  a.  die  Serie  von  fünf  Bildern  der 
Ganymedes-Legende,  die  die  Gruppe  des  Leochares 
in  ihren  Wandlungen  in  Gandhära,  bei  den  Sassa- 
niden,  in  den  Wandgemälden  von  Kutscha  und 
Turfan  bringt.  Auch  die  Wandlungen,  die  die  Ge- 
stalten der  Nike,  der  Gaea,  des  Helios,  sowie  die 
Cornucopia  und  der  Drache  auf  dem  Weg  zwischen 
Gandhära  und  China  durchmachen,  waren  in  Serien 
vertreten.  Daneben  wurde  das  Vordringen  ira- 
nischer und  indischer  Bautormen  demonstriert. 


Kultur  in  Europa  zerschlug.  Die  Hunnen 
und  die  iranischen  Alanen  überrannten 
weite  Gebiete  Europas.  Sie  werden  manche 
Kulturgüter  aus  Mittelasien,  besonders 
Waffen,  Kleidungsstücke,  vielleicht  auch 
Begräbnissitten,  in  Europa  eingeführt 
haben. 

Die  vierte  Strömung  endlich  ist  der  Zug 
der  Mongolen  nach  Europa,  der  für  kurze 
Zeit  wenigstens,  durch  die  an  die  Post  der 
Achämeniden  erinnernde  Nachrichtenbe- 
förderung, zum  ersten  Male  Ostasien  und 
Europa  einander  nahe  brachte  und  der 
sicherlich  einen  gewaltigen  Einfluß  auf  den 
Austausch  von    Kulturgütern    gehabt    hat. 

Sitzung    vom    9.    Dezember    1924. 
84.   Winckelmannsfest. 

Das  82.  Winckelmannsprogramm  ist  von 
Herrn  Franz  Winter  verfaßt  und  trägt 
den   Titel    Der    Tod    des    Archimedes. 

Herr  Rodenwaldt  begrüßte  die  Ver- 
sammlung, zu  der  auch  der  Kgl.  Italienische 
Botschafter  und  der  griechische  Gesandte 
erschienen  waren,  und  sprach  zunächst 
über  die  Bedeutung  Winckelmanns  für  die 
Gegenwart  als  eines  alle  nebeneinander 
gehenden  oder  sich  widerstrebenden  Rich- 
tungen der  Auseinandersetzung  mit  der 
Antike  einigenden  Symbols.  Er  gedachte 
sodann  der  Bedeutung  des  diesjährigen 
Winckelmannstages  für  die  Altertums- 
wissenschaft durch  die  Feier  des  fünfzig- 
jährigen Bestehens  des  Deutschen  Archäo- 
logischen Instituts  in  Athen  und  versuchte 
in  knappen  Zügen  ein  Bild  von  der  Rolle, 
die  das  athenische  Institut  für  die  Geschichte 
und  Entwicklung  der  archäologischen  Wis- 
senschaft gespielt  hat,  und  von  der  Bedeu- 
tung der  Persönlichkeiten  zu  geben,  die 
das  Wesen  und  die  Leistungen  des  Instituts 
entscheidend  bestimmt  haben.  Trotz  aller 
Nöte  und  Einschränkungen  sind  Geist  und 
Wille  des  Instituts  ungebrochen,  und  zu- 
versichtlich tritt  es  in  die  zweite  Jahrhun- 
derthälfte ein.  Auch  für  das  deutsche 
Archäologische  Institut  in  Rom  war  das 
diesjährige  Winckelmannsfest  ein  bedeu- 
tungsvoller Tag,  da  an  ihm  nach  über 
zehnjähriger  Pause  zum  ersten  Male  wieder 
eine   Adunanz    mit   internationaler    Beteili- 


365 


Archäologische  Gesellschaft  lu  Berlin.     Dezember-SiUimgr  1924. 


366 


gung  stattfand.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  die 
alten  capitolinischen  Traditionen  in  dem 
neuen  Heim  des  Instituts  auf  dem  Mons 
Pincius  lebendig  bleiben. 

Herr  v.  Wilamowitz-MöUendorff  sprach 
anknüpfend  an  persönliche  Erinnerungen 
aus  der  Gründungszeit  des  athenischen  In- 
stituts und  aus  dem  römischen  Institut  der 
siebziger  Jahre  im  Namen  der  gesamten 
Altertumswissenschaft  Glückwünsche  für  die 
Zukunft  beider  Institute  aus. 

Den  Festvortrag  hielt  Herr  Rodenwaldt 
über  das  Thema  »Römisches  in  der  antiken 
Kunst«.  Der  Inhalt  des  von  zahlreichen 
Lichtbildern  begleiteten  Vortrages  wird 
im   folgenden   kurz   skizziert. 

Auf  die  in  sich  geschlossene,  organische 
Entwicklung,  die  von  der  archaischen  Kunst 
der  Griechen  durch  die  klassische  Epoche 
zu  den  Barock-  und  Rokokoerscheinungen 
und  zum  Klassizismus  der  hellenistischen 
Zeit  führt,  folgt,  beginnend  mit  dem  Über- 
gang des  politischen  und  kulturellen  Zen- 
trums der  Mittelmeerländer  nach  Rom, 
eine  Epoche,  die  von  wechselnden  und 
widerstreitenden  Bewegungen  erfüllt  ist  und 
mit  der  Zersetzung  der  Antike  endet. 
Wir  haben  zunächst  einen  auch  sonst  in 
der  Kunstgeschichte  wirksamen  Wechsel 
von  mehr  naturalistischen,  unruhigen  und 
malerischen  mit  mehr  stilisierenden,  be- 
ruhigten und  plastischen  Stilen.  Dazu 
kommen  Erscheinungen  wie  Impressionis- 
mus und  Expressionismus,  letzterer  sowohl 
im  Sinne  kunstgeschichtlicher  Altetser- 
scheinungen  wie  des  Umschlagens  in  Pri- 
mitivität, die  Ausdrucksformen  allgemeiner, 
nicht  an  Länder  und  Nationen  gebundener 
geistiger  Bewegungen  sind  oder  sein  können. 
Endlich  ringen  miteinander  die  geistigen 
Wesensformen  der  verschiedenen  an  dem 
Entwicklungsprozeß  der  Kaiserzeit  betei- 
ligten Völker  oder  Kulturen,  des  Griechen- 
tums, des  Römertums,  des  Orients  und  der 
primitiven  Völker.  Angesichts  dieser  Ver- 
worrenheit, geht  es  nicht  an,  von  dem  Geist 
der  Kunst  der  römischen  Kaiserzeit  zu 
sprechen  und  zu  versuchen,  ihn  durch  eine 
einfache  und  einheitliche  Formel  zu  erfassen. 
Vielmehr  ist  es  zunächst  erforderlich,  mit 
bewußter  Einseitigkeit  jeder  einzelnen  dieser 
verschiedenen   Erscheinungen  nachzugehen, 

Archäologischer  Anzeiger  1923/24. 


Wie  es  in  diesem  Falle  mit  dem  Römischen 
in    der    antiken    Kunst    geschieht. 

Römisch  ist  der  Gehalt  der  historischen 
Darstellungen    und    der    Bilder    aus    dem 
römischen   Leben.      Die   Bedeutung   dieser 
Tatsache    geht    weit    über    das    eigentlich 
Inhaltliche    hinaus.        Der    Parthenonfries 
stellt  nicht  einen  bestimmten  Panathenäen- 
zug,  sondern  gewissermaßen  die   Idee  des- 
selben dar.      In  dem  Alexandermosaik  ist 
aus    zeitlichem    und    geistigem    Abstände 
heraus    das    Wesen    des    Sieges    des    helle- 
nistischen   Heerführers    über    den    orienta- 
lischen   Herrscher    unter   Abstreifung   alles 
Akzidentellen  zum  Ausdruck  gebracht.    Da- 
gegen  geben   römische   geschichtliche   Dar- 
stellungen   die    zufällige,    einmalige    Wirk- 
lichkeit, wie  sie  -gewesen  ist,  wieder,  z.  B. 
die  Ära  Pacis  den  Prozessionszug  bestimmter 
Persönlichkeiten  in  der  Form,  wie  er  sich 
an  einem  bestimmten  Tage  vollzogen  hat. 
Ein    ähnlicher    Gegensatz    zeigt    sich    bei 
einem  anderen  Thema,  der  Darstellung  der 
ehelichen  Zusammengehörigkeit  auf  attischen 
Grabstelen    und    römischen    Sarkophagen; 
dort    der    Gestus    der    Handreichung    ohne 
Bezugnahme  auf  eine  bestimmte  Zeremonie, 
hier  der  Akt  der  Eheschließung.    Man  wird 
der  römischen   Darstellung  nicht  mit  dem 
Begriff    des    Naturalismus    gerecht;    denn 
wir  finden  hier  nicht  nur  symbolische  Be- 
deutung,    sondern     auch     die    Einfügung 
göttlicher  Gestalten  in  die  irdische  Handlung. 
Vielmehr  strebt  der  Grieche  zui   Formung 
der  Idee,  während  der  Römer  die  Bedeutung 
des  Geschichtlichen  in  seiner  einmaligen 
zufälligen  Wirklichkeit  empfindet  und  dieser 
Empfindung    Ausdruck    verleiht.         Diese 
Empfindung  ist  eine  Folge  des  positivisti- 
schen   Verhältnisses    der    Römer    zur    ört- 
lichen und  zeitlichen  Wirklichkeit,   das  in 
einem    tiefen    Wesensgegensatz    zum    grie- 
chischen Geiste  steht.     In  diesem  Sinne  ist 
die   historische    Kunst   der   römischen    Re- 
publik  und   der    Kaiserzeit   ein    adäquater 
Ausdruck  des  römischen  Geistes  und  kann 
recht   eigentlich    römisch    genannt   werden. 
Dieser    Tatsache    gegenüber    ist    es    ganz 
unwesentlich,  ob  die  Einzelformen  griechisch 
sind    oder    griechische    Meister    die    Werke 
ausgeführt  haben.     Wahrscheinlich  ist  dies 
in    hohem    Maße    der    Fall    gewesen;    aber 

«4 


367 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitzung  1924. 


368 


die  griechischen  Meister  haben  sich  ihrer 
IndividuaHtät  entäußert  und  die  Formen 
zum  Ausdruck  römischen  Wesens  geliefert. 
Die  griechische  Kunst  ist  hier  zur  Dienerin 
der  Römer  geworden. 

In  einem  merkwürdigen  Gegensatz  zu 
allen  anderen  Völkern  verwandter  Kultur- 
stufen haben  die  Griechen  eine  innere  Ab- 
neigung gegen  das  Porträt  gehabt.  Auf 
die  instinktive  Ablehnung  während  der 
archaischen  Epoche  folgte  die  bewußte 
Polemik  gegen  die  Anfänge  des  Porträts 
in  der  klassischen  Kunst.  Wesentlich  anders 
ist  bekanntlich  von  vornherein  das  Ver- 
hältnis der  Römer  zum  Porträt  gewesen. 
Vergleichen  wir  griechische  oder  helle- 
nistische Porträts  mit  typisch  römischen, 
so  ist  auch  hier  nicht  entscheidend  der 
größere  oder  geringere  Verismus  in  der 
Wiedergabe  der  Naturformen ;  vielmehr  stellt 
der  Grieche  alle  Formen  bis  zum  geringsten 
Detail  in  den  Dienst  des  Ausdrucks  des 
Charakteristischen,  des  Wesens  der  Persön- 
lichkeit, während  der  Römer  einen  zu- 
fälligen, einmaligen  Zustand  wiedergibt. 
Beide  Darstellungsarten  gehen  im  Laufe 
der  Kaiserzeit  die  verschiedensten  Verbin- 
dungen ein.  Während  uns  die  Gestalt 
Alexanders  des  Großen  sich  stets  ins  Gött- 
liche auflöst,  ist  Augustus  die  erste  Per- 
sönlichkeit, dessen  menschliche  Entwicklung 
wir  an  seinem  Porträt  trotz  der  auch  hier 
vorhandenen  merkwürdigen  Konventionen 
verfolgen  können.  Der  Grieche  sucht  auch 
im  Porträt  das  Zufällige  und  Veränderliche 
abzustreifen,  während  der  Römer  es  festhält. 

Das  Verhältnis  der  griechischen  Kunst 
zum  Porträt  von  Ereignissen  und  Menschen 
entspringt  ihrem  normhaften  Wesen.  Es 
ist  ein  von  der  Archäologie  noch  nicht 
genügend  gewürdigtes  Verdienst  Max  Dvor- 
öaks,  klarer  als  je  vorher  den  tiefen  Gegen- 
satz zwischen  der  Antike  und  aller  neueren 
Kunst  dargestellt  zu  haben,  die  nicht  »die 
zur  begrifflichen  Norm  und  Formenvollen- 
dung erhobene  Naturkenntnis,  sondern  das 
einmal  Beobachtete  und  individuell  Cha- 
rakteristische als  Naturtreue  empfindet«. 
Größe  und  Grenzen  der  griechischen  Kunst 
beruhen  auf  ihrem  Streben  zur  Norm.  Sie 
ermöglicht  die  Vermenschlichung  der  griechi- 
schen Götter,  ohne  sie  zu  entgöttlichen,  und 


die  Innigkeit  attischer  Grabstelen,  ohne 
indiskret  zu  werden.  Sie  bildet  aber  auch 
für  uns  die  Schranke,  die  die  scheinbare 
Kühle  der  Antike  erzeugt,  und  stellt  ihre 
Werke  auf  die  Höhe,  zu  der  wir  empor- 
steigen müssen.  Sie  erzeugt  die  absolute 
Vollendung,  aber  auch  die  Unnachahmlich - 
keit  ihrer  Schöpfungen.  Die  Macht  dieser 
klassischen  Kunst  war  so  groß,  daß  das 
römische  Empfinden,  auch  wenn  wir  es  als 
abweichend  voraussetzen,  sich  ihm  fügen 
mußte.  Auf  dem  Gebiete  der  Idealplastik 
und  weiter  in  der  Darstellung  des  Menschen 
und  der  Bildung  des  Gewandes  erhält  sich 
die  griechische  Tradition  bis  zur  Um- 
formung ins  Mittelalter.  In  diesem  Sinne 
haben  wir  es  nur  mit  einer  einheitlichen 
Antike  zu  tun.  Nur  dort,  wo  überformale 
Ausdrucksbedürfnisse  die  Oberhand  ge- 
wannen, bei  der  historischen  Darstellung 
und  beim  Porträt,  siegte  das  der  neueren 
Zeit  verwandte  Empfinden  für  die  Be- 
deutung des  Einmaligen,  Wechselnden  und 
Zufälligen  und  bediente  sich  der  griechischen 
Form  als  eines   Mittels   der  Darstellung. 

Die  Reliefs  der  Traianssäule  und  der 
Marcussäule  sowie  andere  Reliefs  mit  Szenen 
aus  dem  wirklichen  Leben  zeigen  eine  Dar- 
stellung der  Landschaft,  die  weit  über  die 
Einbeziehung  landschaftlicher  Elemente  in 
die  Kunst  des  Hellenismus  hinausgeht.  Sie 
spiegeln  eine  Malerei  wider,  von  der 
uns  wenige  Reste  und  eine  reiche  literarische 
Überlieferung  Zeugnis  ablegen.  E^  geht 
daraus  hervor,  daß  mindestens  seit  dem 
dritten  vorchristlichen  Jahrhundert,  wahr- 
scheinlich aber  zurückreichend  bis  in  die 
Epoche  der  in  ihrem  Wesen  ebenfalls 
italischen  etruskischen  Kunst  die  eigentlich 
volkstümliche,  herrschende  und  den  Cha- 
rakter Roms  bestimmende  Kunst  die  Malerei 
gewesen  ist.  Sie  umfaßte  ein  Stoffgebiet 
und  hatte  eine  Bedeutung  im  öffentlichen 
Leben,  für  die  wir  in  der  griechischen  Kultur 
auch  nichts  annähernd  Vergleichbares  finden. 
Nichts  beleuchtet  ihre  Bedeutung  schärfer 
als  die  Tatsache,  daß  die  Malerei  in  Rom 
auch  von  Angehörigen  der  Nobilität  aus- 
geübt wurde.  Als  Volkskunst  von  gar 
nicht  hoch  genug  zu  schätzender  Bedeutung 
hielt  sich  diese  realistische  und  den  Menschen 
im    Zusammenhange    der    Umgebung    dar- 


369 


Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin.     Dezember-Sitzung  1934. 


370 


stellende  Malerei  bis  zum  Ausgang  der 
römischen  Antike  lebendig.  Innerlich  ver- 
bunden scheint  sie  mit  dem  historischen 
Gehalt  ihrer  Themata.  Zeigt  sich  hierin 
die  positive  Neigung  zur  Malerei,  so  be- 
gegnen wir  entsprechend  einem  Mangel 
plastischen  Empfindens,  z.  B.  in  der  Be- 
schränkung des  Porträts  auf  den  Kopf, 
während  der  Grieche  ursprünglich  und  über- 
wiegend die  Ganzheit  der  Gestalt  für  not- 
wendig hält.  Im  Gegensatz  dazu  ist  die 
griechische  Kunst  plastischen  Wesens,  auch 
in  der  Malerei,  einschließlich  des  Hellenis- 
mus. Da  die  Plastik  grundsätzlich  nach 
dem  Bleibenden  und  Ruhenden  strebt  unter 
Ablösung  des  zufälligen  örtlichen  und  zeit- 
lichen Zusammenhanges,  während  die  Ma- 
lerei den  Augenblick  und  die  räumliche 
Erscheinung  festhält,  sind  die  von  uns  fest- 
gestellten gegensätzlichen  Kategorien  des 
Normativen  und  Plastischen  für  die  Griechen 
und  des  Positivistischen  und  Malerischen 
für  die  Römer  auch  innerlich  unter  sich 
zusammenhängend. 

Aus  der  Schwäche  des  plastischen  Emp- 
findens und  der  eingewurzelten  Neigung  zur 
Malerei  würde  noch  nicht  mit  Notwendig- 
keit folgen,  daß  die  Römer  auch  den  eigent- 
lich malerischen  Stil  in  der  Malerei  zur 
Entwicklung  gebracht  haben.  Im  vierten 
pompeianischen  Stil  sind  uns  Zeugnisse 
eines  malerischen  Stils  erhalten,  dessen 
Geist  und  Phantasie,  Grazie  und  Tempera- 
ment noch  nie  die  gebührende  Würdigung 
gefunden  haben.  Freilich  darf  man  seine 
Vorzüge  nicht  in  den  Figurenbildern,  son- 
dern in  den  dekorativen  Bildchen,  Gestalten 
und  Ornamenten  suchen.  Entspringt  dieser 
Stil,  dessen  malerische  Eigenschaften  weit 
über  impressionistische  Züge  des  Hellenis- 
mus hinausgehen,  einer  allgemeinen  geistigen 
Bewegung,  die  nicht  an  die  Materie  einer 
Volksindividualität  gebunden  ist,  oder  ge- 
winnt in  ihm  eigentümlich  römisches  Kunst- 
empfinden eine  zu  hoher  dekorativer  Form 
gesteigerte  Gestalt?  Betrachtet  man  den 
Stil,  der  sich  um  die  Mitte  des  ersten  Jahr- 
hunderts entwickelt  und  den  man  wenig 
treffend  meist  als  fiavisch  bezeichnet,  als 
Ganzes,  so  wird  man  zu  der  zweiten  Deu- 
tung neigen.  Denn  auch  in  der  Plastik 
und  Architektur  kommt  in  ihm  nach  dem 


Klassizismus  der  augusteischen  Kunst  das 
eigentlich  schöpferische  Römische  wieder 
zum  Durchbruch.  Das  gilt  für  Relief  und 
Porträt,  vor  allem  aber  für  die  Schaffung 
kunstgeschichtlich  entscheidender  Bau- 
formen,  wie  des  Typus  der  Kaiserthermen 
durch  die  Thermen  des  Nero,  des  Kreuz- 
gewölbes und  der  Fassadenbildung.  In  der 
Überwindung  der  plastischen  Form  und 
des  organischen  Aufbaues  in  der  dekorativen 
Malerei  dieses  Stils  scheint  daher  römisches 
Empfinden  zu  walten. 

In  der  dekorativen  römischen  Kunst, 
sowohl  in  der  Wandmalerei  wie  in  der 
Architekturornamentik,  z.  B.  bei  den  Kom- 
posit-  und  Mischbildungen  der  Kapitelle 
oder  auch  bei  dem  Variationsspiel  der 
Säulensarkophagfronten,  offenbart  sich  ein 
Gegensatz  zum  Griechentum,  der  in  erster 
Linie  als  ein  Mangel  erscheint.  Es  fehlt 
der  römischen  Kunst  die  Notwendigkeit 
der  Einheit  und  des  organischen  Aufbaues 
dekorativer  Gebilde.  Dieser  Gegensatz 
erstreckt  sich  nicht  nur  auf  die  ältere, 
sondern  auch  auf  die  gleichzeitige  griechische 
Kunst,  die  den  dekorativen  Schöpfungen 
der  römischen  Architekturornamentik  gegen- 
über eine  große  Zurückhaltung  bewahrt. 
Wenn  wir  sie  nun  aber  auch  als  absolut 
schwächer  erkennen,  so  dürfen  wir  anderer- 
seits auch  nicht  übersehen,  daß  der  Mangel 
an  jenen  Bindungen,  die  das  griechische 
Kunstwollen  erfordert,  den  Römern  eine 
Beweglichkeit  verleiht  und  ihnen  im  Spiel 
der  Phantasie  eine  Freude  an  der  Kon- 
tamination erlaubt,  die  diesen  ganzen 
Formenreichtum  als  ejn  Vorspiel  innerlich 
verwandter  Formen  der  mittelalterlichen 
Kunst  erscheinen  läßt. 

Die  Originalität  der  römischen  Archi- 
tektur und  ihre  Gegensätzlichkeit  zur 
griechischen  bedürfen  keines  Beweises  und 
keiner  These.  Im  Grunde  steht  uns  die 
griechische  Architektur  als  Bauform  und 
Raumgestaltung  innerlich  viel  ferner  als 
die  römische  und  bedarf  viel  mehr  der  Er- 
läuterung. Sie  beruht  wiederum  auf  dem 
Extrem  plastischer  Veranlagung,  deren 
idealer  Ausdruck  die  plastische,  ruhende 
Gestalt  des  griechischen  Tempels  ist.  Der 
italische  Tempel  bewahrt  den  alteuropäi- 
schen   Richtungsgehalt,    das    Haus    weitet 


371 


Neue  Photographien  spätantiker  Denkmäler. 


372 


und  gliedert  sich  von  innen  heraus.  Bauten 
schließen  sich  zu  Komplexen  zusammen.  Die 
Gewölbebauten  erfüllen  sich  mit  einer  kon- 
struktiven Belebung  und  Bewegung,  die  im 
Keim  Gotisches  enthält,  das  aber  nicht  zum 
vollen  Ausdruck  gelangt,  weil  im  Kampfe 
zwischen  Konstruktion  und  Dekoration  mit 
der  letzteren  die  griechische  Tradition  siegt. 
Auch  für  die  römische  Architektur  ist 
entscheidend  die  Freiheit  von  den  griechi- 
schen Bindungen.  Wo  der  griechische  Ein- 
fluß wirksam  ist,  wirkt  er  hemmend.  Wir 
empfinden  auf  der  anderen  Seite  die  innere 
Verwandtschaft  zu  den  malerischen  Eigen - 
■tümlichkeiten  der  bildenden  Kunst  und  zur 
Phantasie  dekorativer  Elemente,  wenn  sie 
sich  auch  schwer  begrifflich  fassen  läßt. 
Betrachten  wir  die  antike  Kunst  im 
Gegensatz  zu  der  des  Orients  oder  des 
Mittelalters,  so  gibt  es  nur  eine  einige  antike 
Kunst.  Erst  wenn  wir  näher  herantreten, 
erkennen  wir  die  römischen  Züge,  die  aber 
nicht  stark  genug  sind,  um  eine  in  sich  ge- 
schlossene neue  und  andere  Kunst  zu 
schaffen,  die  sich  der  griechischen  gegen- 
überstellt. Das  römische  Kunstempfinden 
reicht  an  Stärke  und  Ausdruckskraft  nicht 
entfernt  an  das  unvergleichliche  der  Griechen 
heran.  Wohl  aber  sehen  wir,  daß  es  seinem 
Wesen  nach  von  dem  griechischen  grund- 
verschieden ist  und  daß  seine  verschiedenen 
Äußerungen  diesem  einheitlichen  Wesen 
entspringen.  So  überragend  in  der  Gesamt - 
erscheinung  der  Kunst  der  Kaiserzeit  die 
griechische  Tradition  ist,  so  sehr  ist  doch 
das  Römische  das  eigentlich  Lebendige. 
Jene  gleicht  einem  mächtigen  schattenden 
Baume,  der  weder  Blüten  noch  Früchte 
mehr  trägt,  in  dessen  Zweigen  vielmehr 
■Schlinggewächse  Blumen  entfalten.  Erst 
als  der  Stamm  gefallen  war,  vermochte  sich 
ein  neuer  Baum  zu  entwickeln.  In  dem, 
was  uns  als  römisch  erscheint,  erkennen  wir 
etwas,  das  in  seinen  positiven  Eigenschaften, 
aber  vielleicht  stärker  noch  durch  das  Fehlen 
des  Griechischen  der  neueren  Zeit  innerlich 
näher  steht  als  die  griechische  Kunst.  Es  ist 
eine  irdische  Kunst  im  Gegensatz  zu  der 
göttlichen  der  Griechen. 


NEUE  PHOTOGRAPHIEN  SPÄT- 
ANTIKER DENKMÄLER. 

Brescia,  Langobardisches  Prozessionskreuz, 
einzelne  Teilaufnahmen  mit  Gemmen. 
13   X    18. 

Brescia,  Museo  civico,  Bronzebüsten  (Julia 
Titi,  Septimius  Severus,  Probus?). 
13   X  18. 

Florenz,  Bargello,  Elfenbeinrelief,  Kaise- 
rin, nat.  Größe. 

Madrid,  Silberschild  des  Theodosius,  Ge- 
samtansicht und  Teilaufnahmen. 
24   X   30  und  13   X    18. 

Mailand,  Silberkasten  von  San  Nazaro,  von 
allen  Seiten.     24   X   30. 

Mailand,  Theodora,  von  allen  Seiten. 
24  X  30. 

Mailand,  Domschatz,  Diptychon  5.  bis 
6.  Jahrh.     30  X  40. 

Mailand,  ebenda,  Diptychon,  9.  Jahrh. 
30  X  40. 

Mailand,  ebenda,  Zwei  Buchdeckel.  30  X  40. 

Monza,  Diptychon,  Dichter  und  Muse. 
30  X   40. 

Monza,  Diptychon,  sogenannter  Stilicho. 
30  X   40. 

Monza,  Diptychon,  David  und  Gregor. 
30  X   40. 

München,  Glyptothek,  Porträtkopf  Nr.  266, 
mehrere  Aufnahmen.     18  X   24. 

Ravenna,  Porphyrtorso,  verschiedene  Auf« 
nahmen.    18  X   24. 

Rom,  Villa  Borghese,  »Crispus«,  Gesamt- 
ansicht und  Teilaufnahmen.    24  X  30. 

Rom,  Conservatorenpalast,  Kolossaler  Bronze- 
kopf und  zugehörige  Hand.    18   X   24. 

Rom,  ebenda,  Marmorkoloß  des  Constan- 
tin,  Kopf.  24  X  30.  Teilaufnahmen 
der  Gliedmaßen. 

Rom,  Lateran,  sog.  Dogmatius,  Kopf. 
24  X  30. 

Rom,  ebenda,  Panzerstatue  des  Constantin, 
Kopf.    24  X  30. 

Rom,  Thermenmuseum,  sog.  Julianus 
Apostata,  Gesamtansicht  und  Teilauf- 
nahmen des  Kopfes. 

Rom,  Museo  Torlonia,  Spätantike  Por- 
träts, ferner  Caesar  v.  Bovillae,  Galba. 

Rom,  Vatikanische  Bibliothek,  Porphyrsäu- 
len mit  Kaiserpaaren,  Gesamtansichten 
und  Einzelaufnahmen  der  Köpfe. 


373  Die  Antiken  der  evangelischen  Schule  in  Smyrna.  —  Archäologische  Dissertationen.  374 


Tivoli,    Villa    d'Este,    Kaiserkopf,    mehrere 

Aufnahmen.     13   X    18. 
Turin,  Porphyrtorso.     18   X   24. 
Venedig,  Porphyrgruppen,  mehrere  Gesamt- 
ansichten,    Teilaufnahmen    der    Köpfe 
und  Füße.  ^ 

Wien,  Elfenbeinrelief,  Kaiserin,  nat.  Größe. 
Der  Unterzeichnete  (Gießen,  Universität, 
archäologisches  Institut)  ist  bereit,  Abzüge 
der  angeführten  Photographien  zu  Studien- 
zwecken zu  vermitteln.  Die  Veröffent- 
lichung bleibt  vorbehalten. 

R.  Delbrueck. 


DIE  ANTIKEN  DER  EVANGELISCHEN 
SCHULE  IN  SMYRNA. 
Bei  dem  Brande  von  Smyrna  sind  die 
Antiken  der  evangelischen  Schule  zugrunde 
gegangen.  Eine  vollständige  Beschreibung 
oder  ein  brauchbarer  Katalog  ist  nicht  vor- 
handen. Da  aber  gewiß  zahlreiche  Fach- 
genossen  Notizen,  Zeichnungen,  Photo- 
graphien und  Negative  dieser  Sammlung 
besitzen,  liegt  es  im  Interesse  der  Wissen- 
schaft, dieses  Material  zu  sammeln  und  all- 
gemein zugänglich  zu  machen.  Es  besteht 
die  Absicht,  als  Beiheft  zu  den  »Einzel - 
aufnahmen  antiker  Skulpturen«  eine  mög- 
lichst vollständige  Beschreibung  mit  Ab- 
bildungen zu  geben.  Ich  bitte  diesen  Plan 
zu  unterstützen;  bei  der  Publikation  wer- 
den die  wissenschaftlichen  Rechte  des  Ein- 
zelnen  selbstverständlich    gewahrt   werden. 

Erlangen.  Georg   Lippold. 

Löwenichstraße  18. 


ARCHAEOLOGISCHE  DISSER- 
TATIONEN. 

Elisabeth   Franck,  Griechische  Standspiegel  mit 
menschlicher    Stützfigur.       Ludwig   Maximilians- 
Universität  München  1923.    Referent:  Prof.  Paul 
Wolters. 
I.   Analyse  der  tektonischen  Formen  des  Stand- 
spiegels. —  Die   ägyptischen   Spiegel  mit  mensch- 
lich gestaltetem  Griff  waren  sämtlich  Handspiegel, 
erforderten    also    im    Gegensatz   zu    den   in    dieser 
Arbeit  behandelten  griechischen  keine   Standfestig- 
keit.   Trotzdem  kann  Abhängigkeit  der  griechischen 
Exemplare    mit    nackter  weiblicher   Stützfigur  von 
jenen   ägyptischen   angenommen   werden.     (Prasch- 
niker  ö.  J.  1912,  245  ff.,  Furtwänger,  MW  633  ff.). 


Der  Scheibenträger,  das  vermittelnde  Glied  zwischen 
Figur  und  Spiegelscheibe,  zeigt  in  Ägypten  2  Haupt- 
formen: I.  rundes,  kalatosartiges  Gebilde,  in  das 
die  Scheibe  eingelassen  ist,  wie  Cat.  du  Caire,  Bi- 
n^dite,  Miroirs  44043  —  entsprechende  griechische 
Spiegel  Athen,  de  Ridder,  Bronzes  Soc.  Arch.  151 
und  München,  Praschniker  a.  a.  0.  230.  —  2.  Hori- 
zontal ausladendes  Glied  in  Form  der  Papyrusdolde 
wie  Fechheimer,  Kleinplastik  der  Ägypter,  Taf.  128. 
Bei  griechischen  Spiegeln  ist  die  entsprechende 
Form  nicht  erhalten;  im  Gegensatz  zur  rundplasti- 
schen Dolde  erscheint  hier  der  horizontal  ausladende 
scheibenförmig  platte  »Träger«,  dessen  verschiedene 
Formen  sich  aus  dem  Volutenkapitell  ableiten  lassen, 
wie  es  sich  an  dem  archaischen  Griffspiegel  aus 
Ägina  (schurzbekleidetes  Mädchen,  Ephem.  arch. 
1895,  Taf.  7)  findet.  Am  reinsten  ist  diese  Form  bei 
unteritalischen,  lokrischen  Exemplaren  erhalten 
(Syrakus,  Notizie  d.  Scavi  1912  Suppl.  Fig.  4). 
Bei  Athen,  Arch.  Ztg.  1875  ,Taf.  14,  1  läßt  sich  der 
Träger  als  in  die  Breite  auseinandergezogenes  Vo- 
lutenkapitell auffassen,  und  fast  alle  mutterlän- 
dischen Exemplare  lassen  sich  als  bereicherte  Aus- 
gestaltungen dieser  Grundform  verstehen  mit  der 
Tendenz,  der  breit  ausladenden  Scheibe  im  »Träger« 
ein  Gegengewicht  zu  schaffen.  Sie  erweisen  sich 
schon  dadurch  als  geschlossene  Reihe,  deren  Spitze 
jener  athenische  Spiegel  bildet.  Auf  dieselbe  ge- 
schlossene Stetigkeit  der  Entwicklung  weisen  ihre 
übrigen  tektonischen  Formen  hin.  Die  Basen  haben 
fast  durchgängig  Glockenform;  bei  den  italischen 
Exemplaren  ist  die   Stufenbasis  beliebt. 

Als  Raumfüllung  zwischen  den  Schultern  der 
Stützfigur  und  dem  Scheibenträger  dienen  in  ar- 
chaischer Zeit  Sphingen  (Arch.  Ztg.  1875,  14,  i; 
Athen,  Spec.  Anc.  Sculpt.  H  Taf.  6,  London)  oder 
Panther  (unteritalische  Exemplare,  Sieveking, 
Bronzen  der  S.  Loeb,  Taf.  6 — 8),  im  Mutterland 
seit  etwa  480  Eroten  (früheste  Beispiele:  Peters- 
burg, Schebelew,  Mat.  z.  Archäologie  Rußlands 
1907,  Taf.  2  und  Boston,  Forman  Coli.  66,  Taf.  3,  :), 
die  dann  dauernd  bleiben.  Die  Deutung  der  be- 
kleideten, weiblichen  Stützfiguren  auf  Aphrodite 
ist  nicht  wahrscheinlich.  Die  nackten  Stützfiguren 
faßt  man  allgemein  als  Hetären  oder  Hierodulen 
auf;  die  auch  rein  ornamental  verwendeten  beklei- 
deten weiblichen  sollte  man  von  jenen  nicht  prinzi- 
piell trennen  und  sie  einfach  als  schöne  Mädchen 
in  der  Tracht  des  Alltags  auffassen. 

n.  Stilistische  Analyse  der  Stützfiguren.  —  Die 
Betrachtung  der  tektonischen  Grundformen  machte 
schon  für  die  große  Masse  der  mutterländischen 
Spiegel  Entstehung  in  einem  nicht  weit  ausgedehnten 
Bezirk  wahrscheinlich.  Dies  Resultat  wird  durch 
die  stilistische  Analyse  vollauf  bestätigt,  weil  sie 
eine  durchaus  stetige  Entwicklung  des  statuarischen 
und    der    Gewandstilisierung    erkennen   läßt.      Das 


375 


Archäologische  Dissertationen. 


376 


ganze  Material  läßt  sich  in  11  Gruppen  ordnen,  von 
denen  Gruppe  2  italische  archaische  Figuren,  8  ver- 
einzelt stehende  Peplosfiguren,  9  kalabrische,  be- 
kleidete Figuren,  10  nackte,  männliche  Figuren, 
II  die  von  Praschniker  schon  behandelten  nackten, 
weiblichen  Figuren  umfaßt.  Die  übrigen  Gruppen 
enthalten  die  in  ununterbrochener  stilistischer  Ent- 
wicklung aufeinanderfolgenden  mutterländischen, 
bekleideten  Figuren.  —  Innerhalb  dieser  mutter- 
ländischen Gruppen  und  beim  Übergang  von  der 
einen  zur  anderen  tritt  die  Zähigkeit  hervor,  mit  der 
die  einzelnen  Stilisierungsmotive  (Gewandraffung, 
Mittelfalten  am  Unterteil)  festgehalten  und  nur 
ganz  langsam  in  eleganterer  und  freierer  Manier  um- 
gebildet werden.  Nur  einzelne  Stücke  von  besonders 
hoher  Qualität  zeigen  originelle  und  fortschrittliche 
Elemente.  Die  Gruppen  2,  9  und  10  lassen  sich  im 
griechischen  Westen  lokalisieren,  als  etrusldsch 
erweisen  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  Walters,  Cat. 
Bronzes,  Brit.  Mus.  548  und  551,  als  unteritalisch, 
vielleicht  kalabrisch  der  Rest  der  Gruppe  2.  Gruppe  9, 
aus  den  jüngsten  Ausgrabungen  der  Italiener  in 
Kalabrien  stammend,  läßt  sich  sicher  lokalisieren, 
entweder  dort  selbst  oder  doch  in  einem  westgrie- 
chischen Fabrikationsorte,  da  sowohl  die  tekto- 
nischen  und  ornamentalen,  wie  die  statuarischen 
Formen  sich  deutlich  von  denen  der  mutterländischen 
Gruppen  abheben.  —  Gruppe  8  ist  nicht  mit  voller 
Sicherheit  zu  lokalisieren;  nur  bei  dem  Exemplar 
der  Sammlung  Lambros  (Cat.  Lambros  u.  Dattari, 
Taf.  17,  212)  ist  Locri  als  Fundort  gesichert  und 
danach  für  sie  wie  für  andere,  ihr  ähnliche  Exem- 
plare derselben  Gruppe  die  westgriechische  Heimat 
wahrscheinlich.  Das  gleiche  gilt  für  die  nackten 
männlichen  Stützfiguren  (Gruppe  10)  mit  Aus- 
nahme von  Walters,  Cat.  of  Bronzes,  Brit.  Mus.  224, 
Taf.  3  (aus  Theben)  und  Coli.  Somz&,  Taf.  32, 
Brüssel  (aus  dem  Peloponnes).  Letztere,  gegen 
Ende  des  5.  Jahrh.  zu  datieren,  stellt  überhaupt 
den  letzten  Ausläufer  eines  schon  degenerierten 
Fabrikbetriebes  dar,  den  wir  für  die  große  Masse 
der  mutterländischen  Standspiegel  anzunehmen 
haben,  und  der  in  der  Zeit  seiner  Blüte  anscheinend 
keine  nackten  männlichen  Figuren  verwendete.  — 
Seine  zeitliche  untere  Grenze  bildet  also  die  Brüsseler 
Bronze,  die  obere  gewinnen  wir  durch  die  ziemlich 
sichere  Datierung  des  Athener  Spiegels  mit  Sphingen, 


der  den  Anfangspunkt  der  mutterländischen  Reihe 
bildet;  er  ist  um  525  zu  datieren  (vgl.  Schrader, 
Auswahl,  Fig.  5).  Der  Fabrikbetrieb  bleibt  etwa 
75  Jahre  auf  gleicher  Höhe;  seine  höchste  Blüte 
fällt  ungefähr  490 — 470  (Gruppe  2),  also  nicht  weit 
entfernt  von  der  höchsten  Blüte  des  rotfigur.  Stils. 
Nach  ^o  scheint  eine  Stagnation  einzutreten, 
deren  innere,  kunsthistorische  Ursache  darin  zu 
sehen  ist,  daß  diese  Kleinkunst  das  Problem  der 
Ponderation  des  menschlichen  Körpers  mit  dem 
der  Stützfigur  vereinte,  diese  Vereinigung  mit  der 
ganzen  Energie  jener  Kleinkunst  des  ausgehenden 
Archaismus  und  des  strengen  Stils  anpackte  und 
löste,  dann  aber  liegen  ließ.  Die  äui3eren  historischen 
Gründe  sind  wohl  in  der  Lahmlegung  des  korin- 
thischen Handels  um  die  Mitte  des  5.  Jahrh.  durch 
die  Operationen  der  Athener  (Ed.  Meyer,  Gesch. 
des  Altert.»  III  599  ff.)  zu  sehen.  Auf  eine  pelo- 
ponnesische  Fabrik  weist  nämlich  der  allgemeine 
Charakter  der  mutterländischen  Spiegelstützen  hin, 
ihr  verschlossenes,  trübes  Wesen,  ihre  Tracht,  auf 
Korinth  speziell  weist  dessen  Rolle  in  der  Metall- 
industrie und  zahlreiche  Provenienzen  hin,  vor  allem 
aber  die  Ähnlichkeit  von  Gruppe  6  mit  Statuen  wie 
Kreta  (Bull.  Com.  1897,  Taf.  12,  13  —  Thermen- 
museum Br.  Br.  337,  Helbig^  1289  — ,  Athena  im 
Thermenmuseum  Br.  Br.  502,  Heibig'  1338.  Die 
Bronzen  sowohl  als  die  Marmorstatuen  zeigen  einen 
besonders  herben  und  schematischen  Typus  der 
Peplosfigur,  der  sich  gleichfalls  bei  Terrakotten  aus 
Tiryns  findet:  Tiryns  I  Taf.  12,  3  (von  Frickenhaus 
nach  Argos  gesetzt).  Nach  Herodot  V  87  ff.  wurde  in 
Argos,  Sikyon  u.  Ägina,  den  Städten,  die  für  die 
Fabrik  der  Standspiegel  in  Betracht  kämen,  Ende 
des  6.  und  Anfang  des  5.  Jahrhunderts  ausschließlich 
der  Peplos  getragen;  das  Vorkommen  des  Chiton 
bei  den  Spiegelstützen  erklärt  sich  bei  Ansetzung 
der  Fabrik  in  Korinth.  Eine  oder  mehrere  Ab- 
zweigungen sind  im  griechischen  Westen  anzunehmen. 
Besonders  wichtig  ist  die  gewonnene  Möglichkeit, 
die  wichtigsten  Probleme  der  Epoche  vom  Ende 
des  Archaismus  bis  zum  Ende  des  strengen  Stils  an 
griechischen  Originalen  beinahe  von  Jahr  zu  Jahr 
in  ihrer  Entwicklung  zu  verfolgen:  das  Problem  der 
Tektonik,  das  der  Ponderation  und  das  der  Gewand- 
stilisierung. 


REGISTER. 


I.  SACHREGISTER. 

Die  Spaltenzahlen  des  Archäolo^schen  Anzeigers  sind  kursiv  gedruc1<t. 

Abkürzun?en:    Br(n)  «  Bronze(n).    G(n)  ■»  Gemme(n).     Gr  =  Gruppe.    L  =  Lampe.    M*»  Marmor.    Mos(en}  ■>  Mosaik(en). 

Mze(n)  _  Münze(n).       Rel(s)  =  Relief(s).      Sk(e)  —  Sarkophag(e).      Sp  =  Spiegel.      Sta(n)  =  Statue(n).       Stte(n)  =  Statuette{nl. 

T(n)  =  Terrakotten.    V(n)  ■•  Vase(n).     Vb  —  Vasenbild.    Wgm  —  Wandgemälde. 


Abu   Simbel,  Gefallenendarstellung  in  —  26 

Ägyptische  Kunst:  Motiv  des  Gefallenen  i  ff.; 
Behandlung  des  Nabels  5,  24;  Darstellung  des 
Segels  im  AR  7 ;  —  Nachbildungen  'phoinildscher' 
Metallschalen  189  ff.;  —  Motive  auf  der  Caere- 
taner  Busirisvase  II  ff. 

Akroterfragment  (Nike)  aus  Kos  248 

Alabastra,  ägyptische  191 

Alexander-Mos  69,  71 

'Alexandrinische'  Bildwerke  249,  2545. 

Alkamenes  150  f. 

Altar  des  Artemistempels  zu  Magnesia  3^ ;?. 

A  mar  na,  Ringerdarstellung  im  Grab  des  Meryre  zu 

—  25' 

Amenophis,  Barkenmodell  aus  dem  Grabe  —  II. 
17,  19;  Siegesstele  —  III.  26 

Amulett,  Dekoration  eines  ägypt.  — s  in  Berlin  18 

Anaukultur  349  ff. 

Anti,  Darstellung  im  Grab  des  —  10  ff.,  15,  20 

Antigonos  Gonatas  auf  einem  Wgm  von  Boscoreale 
68  ff. 

Antiphanes  Hydria  frg.  212:  93 

Archäologische   Dissertationen  373ff. 

Archäologische  Gesellschaft  zu  Berlin,  Sit- 
zungen 1923:  Februar  HO  ff.;  März  Iljff.;  April 
118;  Mai  118  ff.;  Juni  I2I  f.;  Juli  122  ff.;  Oktober 
(außerordentlich)  J25;  November  J25  //.i  Dezember 
12$  ff.;  Sitzungen  1924:  Januar  2y6ff.;  Februar 
278  ff.;  JAäiz  300  ff.;  April  342;  Mai  342  ff.;  Juni 
348  ff.;  Juli  356  ff-;  November  35^  ff-;  Dezember 

364  ff- 
Archäologisches    Institut,   Jahresbericht   1922 

und  1923:  1  ff. 
Archelaos,  Apotheose  Homers  120 
Architektur,  römische  370  f. 
Aristonautes,  Grabmal  des  —  51  ff. 
Aristophanes,  Grundmotiv  der  Ekklesiazusen 

128  ff. 


Aryballoi,  ägyptische  191,  195,  202 

Asaphsiegel  185 

Asien,  Kulturströmungen  in  Mittel — 362  ff, 

Athen,  Erechtheion  und  Propyläen  J56  ff. ;  Triton- 
giebel vom  alten  Athenatempel  113  ff.;  Parthenon 
48;  Aphrodite  des  Parthenonostgiebels  121;  Fig.  8 
vom  Westfries  des  Parthenon  62;  Fries  des  Tem- 
pels am  Ilissos  116;  Fries  des  Lysikratesdenkmals 
30;  weiblicher  Kopf  von  der  Akropolis  51;  'phoi- 
nikische'  Schale  von  der  Akropolis  214;  Grab- 
stele der  Erato  im  Nat.-Museum  62;  Grabstein 
der  Serapias  im  Nat.-Museum  94 

Attalos  I,  Bildnis  des  —  aus  Pergamon  126 

Babylon,  Südburg  des  Kasr  in  —  ^  f. 
Baebia,  Sta  der  —  aus  Magnesia  120 
paxTr|p(a  80,  100 
Barken,  gemalte  —  aus  Gräbern  zu  Biban  el  Moluk 

19 

Basilika  Konstantins  auf  einem  Altarbild  des 
Macrino  d'Alha.  41;  altchristliche  — enl2Sff. 

Basis  von  Sorrent  252  f.,  266;  Rel  einer  —  im 
Tempel  zu  Gebel  Barkai  18;  — en  von  Sitzstten 
des  Königs  Chasechem  3  f.,  9,  13,  15,  20,  26  f. 

Begerawije,  Rel  einer  Pyramide  zu  —  18 

Benihassan,  Darstellungen  in  den  Gräbern  von  — 
14  ff. 

Berlin,  Reibruchstück  der  18.  Dynastie  25;  Frauen- 
kopf 88;  Grabstein  des  Metrodoros  aus  Chios  92, 
105;  Skyphos  2589  :  129 

Bernsteinschnitzereien,  archaische  —  in  New- 
York  und  London  169  ff.,  178  ff. 

Bet   el   Wali,  Gefallenendarstellung  in  —  26 

Biban  el  Moluk,  gemalte  Nilbarken  aus  Gräbern 
zu  —  19;  gemalte  Schemel  aus  den  Königsgrä- 
bern zu  —  18 

Bocchorisgefäß  aus  Corneto  197 

Boghazkoi,  Tempelanlagen  von  —  162  f. 


379 


Register. 


380 


Bologna,  Kolonettenkratere  in  —  130 

Boscoreale,  Wgm  2.  Stiles  in  der  Villa  von  —  65  £f. 

Boston,  Stamnos  132 

Bronzen:  Amphora  Pourtalis  525/.;  Dreifuß  in 
Kairo  332  f.;  Dreifüße  aus  Vulci  302  ff-;  Geiäü- 
henkel  376/7.;  Helm  in  Paris  524/.;  Kronleuchter 
im  Louvre  3I4f-;  Schalen  aus  Nimrud  180  £f.;  Sp 
in  Lyon  33;  griechische  Spstützen  374  ff -'i  Thymi- 
aterion  in  Mainz  312  f.;  — Industrie  von  Vulci 
302  ff. ;  — stten  aus  Spanien  183  ff.,  l8y  ff. ;  — si ten 
aus  Wörlitz  57/.,  liegende  Silene  315  i-\  Ver- 
wundeter von  Bavai  70 

Bryaxes  339;  Anteil  des  —  am  Mausoleum  von 
Halikarnaß  III  ff. 

Bubastis,  Bilder  aus  der  Festhalle  Osorkons  II. 
in  —  25 

Büchse,  Jagdbild  auf  einer  Holz —  aus  Kahun 
24  f.;  Holz —  Hoffmann  192  f. 

Büste  einer  Frau  in  Kairo  332 

Castellar   de    Santis   teban,  Heiligtum  von  — 

187  ff. 
Chasechem,  Basen  von  Sitzstten  des  Königs  — 

3f-.  9.  13.  15.  20.  26  f. 

Chios,  Grabstein  aus  —  91  S.,  116;  Kopf  des  Mäd- 
chens von  —  249 

Chrysipp,  Kopf  des  —  59' 

Cucuteni,  Ausgrabungen  und  Kultur  von  —  348  ff. 

Dahshur,  Pektorale  Sesostris'  III.  aus  —  16 

Damatrios,  Grabtürfries  des  Hieronymos  118, 123 

Deir    el    Gebrawi,   Bastonnadesszene  aus  —  12 

Dekorative  römische  Kunst  3yo 

Della  Setas  Deutung  der  ägypt.  Körperdarstel- 
lung 4  f. 

Delphi,  'phoinikische'  Schale  von  —  214;  Rinder- 
raubmetope  164  /. ;  Rel  vom  Denkmal  des  Aemilius 
Paulus  71 

Demetrios  Poliorketes  auf  einem  Wgm  \on 
Boscoreale  107  fE. 

Der   el-bahri,  Reis  aus  dem  Tempel  zu  —  18  ff. 

Deshashe,  Darstellung  im  Grab  des  Anti  zu  — 
10  ff.,  15,  20 

Despe  naperros,  Heiligtum  von  —  187  ff. 

Didymaion,  Innere  Einrichtung  342 

Dioskurides,  Mos  des  —  in  Neapel  112,  114,  123 

Dreifuß,  Br.  — in  Kairo  JJ2  /.;  — e  aus  Vulci  302  ff. 

Ephesos,  Baugeschichte  des  Theaters  276  ff.;  rö- 
mische Bühnenfront  2758.;  bisherige  Rekon- 
struktionen 2830.;  neue  Rekonstruktion  288  ff.; 
Einbauten    im    Erdgeschoß    300 ff.,    310 f.;    die 


Weihinschrift  3046.;  zweites  Geschoß  311  ff.; 
drittes  Geschoß  3240.;  Einordnung  in  die  zeit- 
genössische Fassadenarchitektur  335  S. 

Epidauros,  Asklepiostempel  46  f.;  Nikenakrotere 
248,  250;  Skulpturen  des  Timotheos  50  ff. 

Erato,  Grabstein  der  —  62 

Erechtheion  35^  ff- 

Ermans  Deutung  der  ägypt.  Körperdarstellung  4 

Eroten  als  Spdekoration  yj4 

Euripides'  Alkestis  361  f. 

Eurydike,  Tochter  Antipaters,  auf  einem  Wgm 
von  Boscoreale  107  f. 

Eutychides  119 

Fälschungen,  moderne  13  ff. 

Faiencebecher  und  -flasche,  ägyptische  197  ff.; 
ägyptische  — nachbildungen  'phoinildscher'  Scha- 
len 189  ff. 

Fibelschmuck,  archaischer  —  aus  Bernstein  169  ff. 

Fikoronische  Ciste  70,  118 

Flechtbänder  auf  phoinildschen'  Schalen  233  f. 

Florenz,  Pelike  Mus.  arch.  3987:  129;  Apollino 
258,  260 

Gebälk,  dorisches  —  auf  dem  Wgm  von  Boscoreale 
110;  —  aus  dem  Fortunabezirk  zu  Präneste  110 

Gebel   el  Arak,  Messergriff  aus  —  im  Louvre  27 

Gebel  Barkai,  Rel  einer  Basis  im  Tempel  zu  —  18 

Gebel  Silsile,  Bild  im  Hemispeos  des  Haremheb 
zu  —  17  f. 

Gefäße  italisch-korinthischer  Art  in  Wörlitz  ^ 

Gefallener  als  Motiv  i  ff. 

Gilli^ron,  Nekrolog  auf  —  35^  ff. 

Grab,  Bilder  von  Barkenmodellen  aus  dem  — 
Amenophis'  II.  17,  19;  Darstellung  im  —  des 
Anti  10  ff.,  15,  20;  Rel  aus  dem  —  des  Haremheb 
in  Leyden  23  ff.;  —  des  Meryre  zu  el  Amarna  25; 
Thron  und  Streitwagen  aus  dem  —  Thutmosis'  IV. 
19  f.,  26;  Wandbilder  im  —  bei  Kom-el-ahmar  2; 
Wandbild  eines  — es  der  18.  Dynastie  in  Theben 
18;  Darstellung  in  einem  Privat —  in  Theben  25; 
Darstellungen  in  — ern  des  AR  1 1  f . ;  Darstellungen 
in  den  — ern  von  Benihassan  14  ff.;  gemalte 
Schemel  aus  den  Königs — ern  zu  Biban  el  Moluk 
18;  gemalte  Nilbarken  aus  — ern  zu  Biban  el  Moluk 
19;  Reis  in  Privat — ern  zu  Theben  19  f.;  Liege- 
motive in  Darstellungen  der  — er  von  Theben 
und  Sakkara  22  f. ;  — er  in  der  römischen  Sied  lung 
an  der  Guadalquivirmündung  6;  — rel  des  Ari- 
stonautes  51  ff.;  — ^rel  vom  Ilissos  54;  — rel  des 
Isidoros  zu  Kairo  328  ff.;  — rel  eines  Makedonen 
72;  — stein  der  Erato  62;  kaiserzeitlicher  — stein 


38i 


Register. 


382 


der  Serapias  94;  alexandrinische  Kalksteinstele 
93)  115;  — stein  aus  Chios  91  ff.,  Ii6;  —stein  des 
Metrodoros  aus  Chios  92,  105;  — Stelen  aus  Pa- 
gasai  114,  n6,  121 ;  — stelen  aus  Sidon  104;  — stele 
von  Syros  123 

Hagia    Triada,    Stuckxel  mit  sitzender   Frau  aus 

—  272* 

Halikarnass,  Fries  des  Mausoleums  51  ff.,  2gf.\ 

Mausoleumskulpturen  lll  fj. 
Haremheb,  Bild  im  Hemispeos  des  —  zu  Gebel 

Silsile  17  f.;  Rel  aus  dem  Grab  des  —  in  Leyden 

23  ff. 
Hatschepsut,    Rel   der  —   aus   dem  Tempel   zu 

Der  el-bahri  18 
Herakleides,  Taktik  des  —  355  f- 
Herkulanum,   Marmorherme  aus  —  68  f.;  Wgm 

Herakles-Telephos  1 1 6  ff . ;  Wgm  des  Marsyas  99 ; 

Wgm  mit  Mädchen  bei  Festvorbereitung  102 
Hermaios,  Schalenfrg.  des  —  in  Heidelberg  166 ;7- 
Hermogenes,    Rel    des   Asklepios   am   Altar   der 

Artemis  Leukophryene  123;  Tempel  zu  Teos  34y  f. 
Herodas,  4.  Mimiamb  242  ff. 
Hesire,  Holzrel  des  —  4 
Hieronymos,  rhodischer  Grabtürfries  des  —  von 

Damatrios  118,  123 
Holzbüchse  Hoffmann  192  f.;  — kästchen  des  NR 

mit  Lederbespannung  193; — büchse  aus  Kahun  24f. 

Iberische  Kultur  und  ihre  Gruppen  JJSif- 
Ionische  Elemente  in  der  iberischen  Kunst  257 //. 
Isidoros,  Grabrel  des  —  zu  Kairo  328  ff. 
Italien,    'phoinikische'  Metallgefäße   aus  —  219, 
221  ff. 

Kahun,  Jagddarstellung  auf  einer  Holzbüchse  aus 

—  24  f. 

Kairo,  Basis  einer  Sitzstte  des  Königs  Chasechem 
3f-)  9)  I3i  '5'  20>  26  f.;  neue  grch.-röm.  Funde 
im  Museum  zu  —  32y  ff. 

Kaiamis,  Sosandra  des  —  88 

Karnak,    Gefallenendarstellungen  in  —  26 

xauafa  71  ff.,  105 

Keb,  Darstellung  des  liegenden  —  im  NR  21  f. 

Kephisodot,  Eirene  des —  252  f.;  Leto  des  jün- 
geren —  auf  der  Basis  von  Sorrent  252  f.,  266; 
Stan  des  jüngeren  —  in  Kos  2423.;  literarisch 
bezeugte  Werke  des  jüngeren  —  263  ff. 

Kitharspielerinnen,  antike  —  in  Literatur  und 
Kunst  89  ff. 

Knossos,   Stuckrel  einer  sitzenden   Frau  aus  — 

273  f- 


Kom-el-ahmar,  Wandbilder  im  Grab  von  —  2 
Komos  auf  'phoinikischen'  Schalen  227  ff. 
Konstantinopel,   gemalte   Grabstelen  aus   Sidon 

in  —  104 
Korinthische  Standspiegelindustrie  3j6 
Kos,  Altar  und  Skulpturen  des  Asklepieions  242  ff.; 

sonstige  Skulpturenfunde  aus  —  251  ff. 
Kopf,  Br. —  des  'Archytas'  aus  Herkulanum  105; 

—  Attalos'  L  aus  Pergamon  126;  —  des  Chrysipp 
59';  —  des  Epikur  266;  —  der  Hygieia  im  Ther- 
menmuseum 88;  —  des  Menander  58,  68,  266; 

-  —  der  'Methe'  in  München  263,  266;  —  des  sogen. 
Pherekydes  Ii8\  Doppelherme  Phryne  -  Hyper- 
eides  von  CompiegneSS;  weiblicher  —  vom  Südab- 
hang der  Akropolis  51 ;  —  einer  Frau  in  Berlin  88; 
weiblicher  —  aus  Smyrna  in  Budapest  260,  262; 

—  des  chüschen  Mädchens  249;  weiblicher  —  aus 
Kyzikos  in  Dresden  262  f.,  266;  männlicher  — 
aus  Rom  in  Kassel  259  ff.;  weibliche  — e  aus  Kos 
244 f.,  2548..;  —  eines  Epheben  aus  Kos  251,  263; 
M  —  in  Madrid  64;  Frauen —  von  Neapel 
249;  weiblicher  —  aus  Olympia  262;  M  — 
aus  Smyrna  in  Paris  69';  — e  aus  dem  Delion  von 
Faros  120 ;  weiblicher  —  in  Rom  .(Lateran)  263, 
266;  —  des  Museo  Torlonia  in  Rom  72'';  weib- 
licher —  aus  Tarent  261  f.,  266;  bärtiger  M  — 
aus  Wörlitz  30  f.;  weiblicher  —  (Medusa?)  aus 
Wörlitz  34  f. 

Kreta,   Funde   'phoinikischen'   Stiles  aus  —  183, 

187,  211  ff.,  224  ff. 
Kretisch-mykenische    Bildkomposition    2g4ff.; 

—  Glyptik  139  /.;  —  Kultur  354  f. 
Kypros,  'phoinikische'  Metallschalen  aus  —  189, 

2  4  ff.,  221  ff. 

Lagina,    Fries    des  Hekatetempels    von    —    120 

Lakonische  Keramik  28  ff. 

La   Luz,  Heiligtum  von  — 182  f. 

Lamia,    Hetäre    des    Demetrios    Poliorketes    94 f. 

Lampron,  Grabstein  der  —  93 

Leaina,   Hetäre  des  Demetrios  Poliorketes  95 

Leipzig,  Vn  des  Antikenmuseums  der  Universität 

—  44ft- 

Leocharis,  Anteil   am  Mausoleum  zu  Halikarnafi 

III  ff. 
Leyden,  Rel  aus  dem  Grab  des  Haremheb  23  ff. 
Libon  37  ff.,  277 

Lichtbildzentrale  E.  A.  Seemann    Leipzig    140 
Liviushandschrift,  angeblich  gefälschte  —  aus 

der   Bibliothek   Schennis  20  ff. 
Löwe,  iberischer  steinerner  —  10 ;  Darstellimg  des 

— en  in  der  orientalischen  Kunst  183  f. 


383 


Register. 


384 


London,  ägypt.  Schnünkpaletten  im  Brit.  Mu- 
seum 2  f.,  10,  26;  archaische  Bernsteinschnitze- 
reien 169  ff.,  178  ff.;  Mscheibe  mit  Niobiden- 
darstellung  55;  Nolanische  Amphora  E308:  129 

Lysipp  nSff.,  33  f. 

Madrid,  Mkopf  in  —  64;  Stamnos  155:  129;  'Joven 
orador'   267 

Magnesia,  Altar  des  Artemistempels  344ff-;  Stan 
der  Baebia  und  Saufeia  aus  dem  Athenaheilig- 
tum  120 

Malerei:  gemalte  Grabstelen  aus  Pagasai-De- 
metrias  I14,  116;  dgl.  aus  Sidon  104;  —  in  einem 
Felsgrab  von  Marissa  Sandahanna  62;  angeblich 
antikes  Wgm  in  einer  Serviushandschrift  13  ff. ; 
FamiUenbilder  der  klassischen  und  hellenistischen 
Zeit  64  S.;  Bilder  hellenistischer  Hetären  94; 
Bildnis  des  Theokrit  $8  5.;  Sikyonische  Schule 
119;  Bedeutung  der  ■ —  für  die  römische  Kunst 
368  ff.;  Beleuchtung  der  Wgm  iio;  vierter  pom- 
peianischer  Stil  36g ;  Wgm  zweiten  Stiles  aus  Bos- 
coreale  65  ff.    S.  a.  Herkulanum  und  Pompeji 

Marissa  Sandahanna,  Malerei  in  einem  Felsgrab 
von  —  (2 

Maske  eines  Satyrn  aus  Wörlitz  34 

Mastaba,  Darstellung  von  der  —  des  Ti  14;  — reis 
von  Sakkara  13  f. 

Medinet   Habu,  Reis  in  —  18,  26 

Menander,  Kopf  des  —  58,  68,  266 

Menedemosvon  Eretria  auf  einem  Wgm  von  Bosco- 
reale  f     80  f. 

Meröe,  Rel  einer  Pyramide  zu  —  18 

Meryre,  Grab  des  —  zu  el  Amarna  25 

Messergriff  aus  Gebel  el  Arak  im  Louvre  27 

Meßgefäß,  spätrömisches  J53 ;/. 

Metallschalen,  ägyptische  189  ff. 

Mnesikles  356  ff. 

Mogön,  Schatz  von  —  195  f- 

Mosaik,  Alexander  —  112,  114;  —  des  Dioskurides 
in  Neapel  112,  114,  123;  —  im  Fortunaheiligtum 
zu  Praeneste  104 

München,  Barberinischer  Satyr  75;  Nolanische 
Amphora  2326:  129 

Münzen,  hellenistische:  makedonische  mit  Schild- 
darstellung 70  f.;  aetolische  72;  baktrische  72; 
illyrische  72' ;  —  des  Antigonos  III.  Doson  74  ff. ; 
lykische  und  chalkedonische  —  mit  Kitharadarstel- 
lung  87;  Kupfer  —  des  3.-4.  Jhdt.  n.  Chr.  aus 
der  römischen  Siedelung  an  der  Guadalquivir- 
mündung  6 

Mykenai,  Stuckrel  aus  —  ^75  ff. 

Mykenische  Kultur,  Orchomenos  III.  -  Ware  J52 


Myrine,  Hetäre  des  Demetrios  Polio:ketes  95 
Myron  von  Theben,   Trunkene  Alte   des  —   121 

Nägel,  Kupferne  Zauber(?)  —  aus  der  römischen 
Siedelung  an  der  Guadalquivirmündimg  8 

Narmer,  Schminktafel  des  Königs  —  3 

Neapel,  Frauenkopf  in  —  249;  Mosaik  des  Diosku- 
rides 112,  114,  123;  Orestesamphora  100,  Il8 

Nekropolen,  spanische  182,  193 f. 

Neues  Testament,  Epigraphisches  zum  —  lio  f. 

Neveserre,  Darstellung  im  Totentempel  des  Königs 

—  9f-,  12  f.,  19  f- 

New-York,    archaische    Bernsteinschnitzereien   in 

—  169  ff.,  1780. 

Nike  von  Epidauros  248,  250;  —  von  Kos  248;  — 

von  Samothrake  250 
Nikes 0,  Stele  der  Demeterpriesterin  —  aus  Priene 

124 
Niko,  Grabstele  der  —  93,  115 
Nimrud,  Br. -Schalen  aus  dem  Palast  von  —  180  ff.; 

Datierung  des  Fundes  von  —  180  ff.;  Verzeichnis 

der  'phoinikischen'  Gefäße  aus  —  204  ff. 
Ninive,    Schatzkammer  im   Südwestpalast  Assar- 

haddons  188 
Niobe  in  der  griechischen  Kunst  49  f.,  78 
Numantia,  Kulturgruppe  von  —  227  ff. 

Olympia,  Heraion  47  f.,  Zeustempel  37  ff.;  Giebel- 
stan  vom  Zeustempel  150  f. ;  'phoinikische'  Schalen 
aus  —  214;  Relsockel  der  Siegersta  des  Puly- 
damas  121 

Osiris,  Darstellung  des  liegenden —  im  NR  20  ff 

Osorkon   II.,   Bilder  aus  der  Festhalle  —  in  Bu 
bastis  25 

Oxford,  Basis  einer  Sitzstte  des  Königs  Chasechem 
in  —  3  f.,  9,  15,  20,  26  f. 

Pagasai,  Grabstelen  von  —  114,  116,  121 
Paionios  J5J;7-i  Hertzsche  Kopie    der    Nike    des 

—  88 

Palmetten  in  der  orientalischen  Kunst  184  f.;  — 
auf  'phoinikischen'  Schalen  235  ff. 

Panainos  150  ff. 

Panther  als  Spdekoration  374 

Paris,  ägypt.  Schminktafeln  im  Louvre  2  f.,  9,  27; 
Messergriff  aus  Gebel  el  Arak  27 ;  Mkopf  aus  Smyr- 
na  69  ;  Sta  Eros-Aphrodite  247;  weißgrundige 
Schale  87,  91 ;  Amphora  Louvre  G  220  und  Schale 
Louvre  G  285:  129;  Stamnos  Louvre  G  408:  132 

Paros,  Delion  von  — I18  ff.;  ionischer  Burgtempel 
auf  —  278 

Pektorale  Sesostris'  III.  aus  Dahsbur  16,  19 


385 


Register. 


386 


Pergamon,  Telephosfries  loi,  103,  116  f.  120; 
Giganttnfries  104;  Waffenrel  aus  —  72;  Bildnis 
Attalos'  I.  :26;  Mbild  eines  sitzenden  Mannes  118, 
126;  Göttin  mit  Schwert  120  ff. 

Phidias  37  B.,147  ff.,  277;  Ende  des  —  152  ff.;  Ent- 
stehung der  Zeusstatue  152,  1545. 

Phila,  Tochter  Antipaters,  auf  einem  Wgm  von 
Boscoreale  77  ff. 

Philae,  ptolemäische  Reis  in  —  17 

'Phoinikische'  Metallschalen  180  ff.;  Datierung 
des  Fundes  von  Nimrud  180  ff.;  ägyptische  Nach- 
bildungen 189  ff.;  einzelne  Fundgruppen  204  ff. ; 
Typenschatz  und  Komposition  220  ff. 

Photographien  spätantiker  Denkmäler  372  f. 

Plautushandschrift,  angeblich  gefälschte  — 
der  preußischen  Staatsbibliothek  20  ff. 

Pleistai  netos,  Bruder  des  Phidias  150  ff. 

Pompeji,  Mbüste  Pyrrhos  des  Kolossers  69;  Wgm: 
Kaiydonische  Eberjagd  in  der  Casa  del  centauro 
72;  Opferung  Iphigenias  in  der  Casa  del  poeta 
tragico  123;  Sappho  und  Alkaios  im  Vettierhaus 
118  ff.;  Wgm  aus  Villa  Item  69,  ni  f.;  Aphrodite 
und  Eros  (?)  99 ;  Darstellung  eines  Bramarbas  7 1  f . ; 
Herakles  99,  loi;  Opferung  Iphigenias  103,  106; 
stimmende  Kitharspielerin  86;  Minos  und  Skylla 
loi;  Orest  und  Pylades  vor  Thoas  100,  118;  Bild 
eines  Tropaions  116 

Porosskulptur:  Tritongiebel  vom  alten  Athena- 
tempel  II3  ff. 

Praeneste,  dorisches  Gebälk  aus  dem  Fortuna- 
bezirk iio;  Mos  ebendaher  104 

Praxiteles,  Bildwerke  vom  Artemisionaltar  in 
Ephesos  272;  koische  Aphrodite  246  f.;  knidische 
Aphrodite  249,  258;  Gruppe  in  Mantinea  272; 
Sta  der  Phryne  155  ff.;  Verhältnis  zum  Maler 
Nikias  274;  Verhältnis  zu  Phryne  273  f.;  Lebens- 
zeit des  —  272  ff.;  die  Söhne  des  —  242  ff.;  Musen 
des  jüngeren  —  88;  mandolinenspielende  Muse 
des  jüngeren  —  87,  118,  120  f.;  Eros  und  Aphro- 
dite eines  jüngeren  ■ —  247 

Priene,  hellenistisches  Gymnasion  von  —  133  ff.; 
Stele  der  Demeterpriesterin  Nikeso  124;  helle- 
nistische Stten  von  —  247,  249 

Pseira,  Stuckreis  aus  — 268  ff. 

Ptolemais,  Gattin  des  Demetrios  Poliorketes, 
auf  einem  Wgm  von  Boscoreale  107  f. 

Pulydamas,  Relsockel  der  olympischen  Siegersta 
des  —  121 

Pyramide,  Rel  einer  —  zu  Begerawije  (Meröe)  18 

Pyrrhos    der   Molosser,   Mbüste   aus   Pompeji   69 

Ramesseum,  Gefallenendarstellung  im  —  26 


Ramses  IV.,  gemalte  Barke  aus  dem  Grabe  —  19 

Relief  einer  Pyramide  zu  Begerawije  (Meröe)  18; 
— s  aus  dem  Tempel  zu  Der  el-bahri  18  ff.; — einer 
Basis  im  Tempel  zu  Gebel  Barkai  18;  — in  Medinet 
Habu  18;  ptolemäische  — s  in  Philae  17;  — s  einer 
Mastaba  bei  Sakkara  13  f.;  — s  in  thebanischen 
Privatgräbern  19  f.;  — s  in  Wadi  E  Sofra  ig;  — 
aus  dem  Grab  des  Haremheb  in  Leyden  23  ff.; 
Holz  —  des  Hesire  4;  Bruchstück  eines  — s  der 
18.  Dynastie  zu  Berlin  25;  achämenidische  Ziegel — s 
aus  Susa  I04f.;  Stuck — s  aus  Hagia  Triada, 
Knossos,  Mykenai,  Pseira  268  ff. ;  Fig.  8  im  Parthe- 
nonwestfries 62;  Fries  des  Tempels  am  Uissos  116; 
Fries  des  Lysikratesdenkmals  30 ;  Fries  des  Mauso- 
leums vonHalikarnaß  51  ff., 29  ff., iii  ff. ;  —  des  As- 
klepios  am  Altar  derArtemis  Leukophryene  des  Her- 
mogenes  123;  pergamenischer  Telephosfries,  loi, 
103,  116  f.,  120;  pergamenischer  Gigantenfries  104; 
Waffen —  aus  Pergamon  72;  Fries  des  Hekate- 
tempels  in  Lagina  120;  ^iobiden —  am  palatini- 
schen  Apollotempel  55;  —  vom  Trajansbogen 
in  Benevent  35;  —  vom  Denkmal  des  Aemilius 
Paulus  in  Delphi  71 ;  Kalkstein —  der  Isin  mit  Har- 
pokrates  in  Kairo  328;  Grab —  des  Isidoros  zu 
Kairo  328  ff. ;  Basis  der  Antoninsäule  im  Vatikan 
34;  Ikaros —  der  Villa  Albani  33;  Opferung  Po- 
lyxenas  aus  Wörlitz  26  ff. ;  Eros  als  Hahnen- 
kämpfer aus  Wörlitz  31  ff.;  weiblicher  Kopf  eines 
Hoch — s  aus  Wörlitz  31;  Mscheibe  des  Brit.  Mu- 
seums mit  Niobiden —  55;  spätantiker  Silberteller 
aus  Südrußland  62;  Rundteller  aus  Gouv.  Perm 
mit  heroischer  Jagdgesellschaft  64;  Silberplatte 
aus  Corbridge-on-Tyne  mit  Vorbereitung  zum 
Parisurteil  64;  Grab —  des  Aristonautes  51  ff.; 
Grab —  vom  Ilissos  54;  rhodischer  Grabtürfries 
des  Hieronymos  von  Damatrios  118,  123;  alex- 
andrinische  Kalksteinstele  93,  115;  Grab  —  der 
Erato  62;  Grab —  eines  Makedonen  72;  Weih — 
in  Berlin  808 :  2g ;  Asklepios  auf  athenischen  Weih-s 
des  4.  Jhdt.  123;  Weih —  aus  Larissa  in  Athen 
253;  Brbeschläge  vom  Streitwagen  von  Monteleone 
177;  Br — s  von  Perugia  177;  Ludovisischer  Thron 
und  Boston —  118;  hellenistische  — s  33  f.;  —  am 
Sockel  der  Siegersta  des  Pulydamas  J2l;  mes- 
senische Rundbasis  mit  Löwenjagd: — 72 ;  Archelaos' 
Apotheose  Homers  120 

Rhyta,  mykenische,  altpersische  und  ägyptische 
106  ff. 

Ring  aus  der  römischen  Siedelung  an  der  Guadal- 
quivirmündung  7  /. 

Römisches  in  der  antiken  Kunst  365  ff. 

Rom,    Septizonium   und   Konstantinsbasilika  41; 


387 


Register. 


388 


Sta  einer  Göttin  auf  dem  Kapitol  120;  Gigantensk 
im  Vatikan  35;  Basis  der  Antoninsäule  im  Vatikan 
34;  Hygieiakopf  im  Thermenmuseum  88;  weib- 
licher Kopf  im  Lateran  263,  266;  Kopf  des  Museo 
Torlonia  72  ;  Ikarosrel  der  Villa  Albani  33 

Säulen  als  Staträger  im  Theater  zu  Ephesos  279  f. 

Sahure,  Darstellung  im  Totentempel  des  —  8  f., 
10,  19 

Sakkara,  Liegemotive  in  Darstellungen  eines  Grabes 
von  —  22  f.;  Mastabarels  13  f. 

Samothrake,  Giebelfiguren  vom  neuen  Mysterien- 
tempel 122  ff.;  Nike  von  —  1243.,  250 

Sandalen,  Dekoration  auf  ägyptischen  —  18 

Sanlucar,  Lucifertempel  in  —  10 

Sarata-Monteoru,   Ausgrabungen   zu   —  348 ff- 

Sarkophag,  Giganten —  im  Vatikan  55;  —  von 
Sidon  69,  71 

Saufeia,  Sta  der  —  aus  Magnesia  120 

Schäfer,  Deutung  der  ägypt.  Körperdarstellung 
durch  Heinrich —    4  ff. 

Scheuklappen  263  ff. 

Schiffe,  minoische  und  Dipylon —  HS  ff. 

Schild,  armenische  — e  aus  Van  188  f.;    keltischer 

—  103  f.;  makedonische  — e  70  ff. 
Schminktafel, ägyptische   — n2f.,    9  f.,   26 f.;   — 

des  Königs  Narmer  3 

Segel,  ägypt.  Darstellung  des  — s  7 

Sendschirli,  Baugeschichte  von  —  158  ff. 

Septizonium,  Ansicht  des  ^s  auf  einem  Altar- 
bild des  Macrino  d'Alba  39  ff.,  342 

Serapias,  Grabstein  der  —  94 

Serreta  von  Alcoy  in  Spanien  185  f. 

Sesklo-Chaeroneakultur  350  ff. 

SesostrisIII.,  Pektorale  des  —  aus  Dahshur  16, 
19 

Si  egesstele  Amenophis'  III.  26 

Sikyonische  Malerschule  119 

Skarabäus    auf  'phoinikischen'  Schalen  226 

Skirophorien  128  ff. 

Skopas,  Anteil  des  —  an  den  Mausoleumskulptüren 
IJI  ff. ;  Fries  des  Mausoleums  53  f. 

Smyrna,  Antiken  der  ev.  Schule  zu  —  J73 

Sorrent,  Basis  von  —  252  f.,  266 

Spanien,   neueste   archäologische   Forschungen  in 

—  172  ff. ;  Kulturgruppen  und  neueste  Funde 
175  ft\  archäologische  Resultate  und  literarische 
Quellen  234  ff. \  Forschungen  nach  Tartessos  l  ff.; 
römische  Siedelung  an  der  Guadalquivirmündung 
4ff.\  Tempel  des  Lucifer  in  Sanlucar  10 

Sphinxe  als  Spdekoration  374 

Spiegel,    ägyptische   373 1-\    griechische    Stand— 


mit  menschlicher  Stützfigiu-  373  ff.;  Br —  in  Lyon 

33 

Spiegelstützen,  griechische  374  ff- 

Statue:  Giebel — n  vom  neuen  Mysterientempel 
in  Samothrake  122  ff.;  — n  vom  Mausoleum  zu 
Halikarnaß  III  ff. ;  Fragmente  von  — n  vom  Askle- 
piosaltar  in  Kos  244 ff.;  Epidaurosskulpturen  des 
Thimotheos  50  ff. ;  Sitz —  des  Ammon  in  Kairo 
337  ff- \  Apollino  in  Florenz  258,  260;  Ares  Ludo- 
visi  118,  126;  Asklepios  von  Melos  263,  266;  bogen- 
spannender  Eros  269;  Gigantentorso  aus  Wörlitz 
35\  'Joven  orador'  in  Madrid  267;  —  des  Epiku- 
reers Metrodor  122;  Satyr  mit  der  Querflöte  269; 
Barberinischer  Satyr  75;  Verwundeter  von  Bavai 
70;  sitzender  Mann  aus  Pergamon  118,  126;  Porträt 

—  eines  Mannes  in  Kairo  331  f. ;  Trunkene  Alte 
Myrons  von  Theben  121;  Amazone  Mattei  70; 
Mädchen  von  Antium  249,  269;  Aphrodite  von 
Arles  249,  257  f.;  Kapitolinische  Aphrodite  88; 
Knidische  Aphrodite  88,  249;  Replik  aus  Tralles 
31 ;  Aphrodite  von  Medici  267  f. ;  Münchener  Aphro- 
dite 258, 266;  Aphrodite  von  Ostia  257f.,  266;  Aphro- 
dite von  Petworth  249,  267 ;  Aphrodite  aus  Wörlitz 
25;  Aphrodite — n  mit  umgeschlagenem  Mantel 
246;  Artemis  von  Larnaka  in  Wien  257,  266;  — n 
der  Baebia  und  Saufeia  aus  Magnesia  120;  Demeter 
Cherchell  14g  f.;  große  Herkulanerin  120,  127; 
Köre  Albani  14g  f. ;  —  der  Leto  (?)  aus  dem  Theater 
von  Delos  253;  mandolinenspielende  Muse  des 
jüngeren  Praxiteles  87,  118,  120  f.;  Nemesis-Tyche 
von  Olympia  253;  Nike  des  Paionios  88;  Nike  von 
Samothrake  124  ff.;  —  der  Demeterpriesterin  Ni- 
keso  aus  Priene  124;  'Phryne'  von  Ostia  157';  So- 
sandra  des  Kaiamis  88;  Tyche  von  Antiocheia  118, 
123;  Frau  mit  Kind  in  Athen  253;  —  einer  Göttin 
auf  dem  Kapitol  120;  Göttin  mit  Schwert  aus 
Pergamon  120  ff.;  Peplos  —  aus  Halikarnaß  253; 
Peplos — n  aus  Kreta  und  dem  Thermenmuseum 
376;  Eros  und  Aphrodite  eines  jüngeren  Praxiteles 
247;  Farnesischer  Stier  57;  Leda  mit  dem  Schwan 
50  f.;  Menelaosgruppe  120;  Florentiner  Niobe- 
gruppe  49ff. ;  78,  115;  Silen  mit  Dionysos  267; 
Silen  und  Hermaphrodit  268;  Kopf  des  Aristo- 
geiton  aus  der  Tyrannenmördergruppe  118 

Statuette:  Basen  von  Sitzen  des  Königs  Cha- 
sechem  3  f.,  9,  13,  15,  20,  26  f.;  Torso  aus  Milet 
in  Berlin  253;  — n  von  der  Agora  in  Thera  253; 
Alabaster —  aus  der  Nekropole  von  Galera  ig4  f. ; 

—  einer  Frau  aus  Kos  251  f.;  hellenistische  — n 
aus  Priene  247,  249;  Br — n  aus  Spanien  183  ff. ^ 
Br — n  aus  Wörlitz  37  f. ;  sitzende  Fortuna —  aus 
Wörlitz  35 


389 


Register. 


390 


Stele,  Sieges —  Amenophis'  III.  26;  —  in  Theben 
19;  alexandrinische  Grab —  93,  115;  Grab — n  aus 
Pagasai  114,  116,  121;  Grab — n  aus  Sidon  104; 
Grab —  von  Syros  123 

Streifenkomposition,  Einführung  der  —  in 
der  ägypt.  Kunst  6 

Streitwagen  aus  .dem  Grab  Thutmosis'  IV.  19  £., 
26;  Brbeschläge  vom  —  von  Monteleone  177 

Susa,  achämenidische  Bauten  in  —  95 ff-i  Greif 
und  Stier  in  Ziegelrel  aus  —  104  f. ;  'Leibgarde' 
in  Ziegelrel  J05 ;  Gräberfelder  bei  — 105 ;  —  Kultur 
350  ff. 

Taitessos  I  ff.;  122  f. 

Tempel,  Reis  aus  dem  —  zu  Der  el-bahri  18  ff.;  Rel 
einer  Basis  im  —  zu  Gebel  Barkai  18;  Darstellung 
im  Toten — des  Sahure  8  f.,  10,  19;  dgl.  im  Toten  — 
des  Neveserre  9  f.,  12  f.,  19  f.;  Parthenon  48,  62, 
121;  Fries  des  Ilissos — s  116;  Asklepios —  in  Epi- 
dauros  46  f.;  Fries  des  Hekate — s  in  Lagina  1 20; 
Heraion  von  Olympia  47  f. ;  Zeus —  von  Olympia 
37  ff. ;  Delion  von  Faros  I18  ff. ;  ionischer  Burg — 
von  Faros  2^8 ;  Giebelfiguren  vom  neuen  Mysterien 
—  in  Samothrake  122  ff.;  Niobidenrel  am  palatini- 
schen  ApoUo —  55;  —  des  Lucifer  in  Sanlucar  10 

Teos,    Datierung    des    Hermogenestempels    in    — 

347  f- 
Terrakotten,   südrussisehe  —  aus   Kertsch   104; 

figürUche  —  aus  dem  Dehon  von  Faros  121;  Peplos- 
figur  aus  Tiryns  376;  —  aus  Wörlitz  j6;  frühhelle- 
nistische Tanagräerinnen  102;  helladische  —  der 
tanagräischen  Richtung  121 

Theben,  Liegemotiv  in  Darstellungen  von  Gräbern 
in  —  22  f. ;  Wandbild  eines  Grabes  der  18.  Dynastie 
in  —  18;  Reis  in  Frivatgräbern  zu  —  19  f.,  25; 
Kalksteinstele  in  —  19 

Theokrit,  Bildnis  des  —  58  ff. 

Thron  aus  dem  Grabe  Thutmosis'  IV.  19 

8  p  ö  V  0  {  auf  Wgm  von  Boscoreale  83  ff. ;  96  ff.,  127; 
sonstige  —  Darstellimgen  in  der  griechischen 
Kunst  84  f.,  97  f. 

Thutmosis  IV.,  Thron  und  Streitwagen  aus  dem 
Grabe  —  19  f.  26 

Ti,  Darstellung  von  der  Mastaba  des  —  14 

Timarchos,  Stan  des  —  in  Kos  242  ff.;  verwandte 
Werke  257  ff.;  literarisch  bezeugte  Werke  263  ff. 

Timotheos,  Ledamit  dem  Schwan  50  f . ;  Epidauros- 
skulpturen  50  ff.;  Mausoleumfries  51  ff.,  Ill  ff.; 
Niobegruppe  49  ff. 

Tonform,  ägyptische  201 

Totentempel,  Darstellung  im  —  des  Neveserre 
9  f.,  12  f.,  19  f.;  dgl.  im  —  des  Sahure  8  f.,  10,  19 


Trier,  archäologische  Bodenforschung  in  — I3off.; 
römische  Denkmäler  aus  —  und  Umgebung  133  ff. 
Triumphalbilder  des  NR  17  ff. 
Troja,  Prachtbeile  aus  —  123  ff. 

Vasen:Kamares  —  30;  minysche  —  30;  theräische  — 
30;  Caeretaner  Hydria  35;  Caeretaner  Busiris- 
vase II  ff.;  Caeretaner  —  des  Antikenmuseums 
der  Univ.  Leipzig  44  ff.;  Europav  Castellani  12  /.; 
Korinthische  sf.  Kolonettkratere  in  Leipzig  69 /f. ; 
lakonische  —  28  ff. ;  malerische  Züge  auf  lakoni- 
schen —  36  f. ;  lakonische  sf .  Schalen  in  Leipzig 
79  ff.;  samische  —  30  f.,  37;  'tyrrhenische'  Am- 
phoren in  Leipzig  56  ff.;  ostionische  —  35;  Ar- 
kesilasschale  33;  polychrome  sf.  Buccheroamphora 
in  Leipzig  90  ff. ;  altattische  Amphora  in  New  York 
52;  Piräusamphora  52 ;  Skyphos  von  Vurva  50 /. ; 
Netosamphora  46  ff. ;  Schüssel  von  Aigina  inBerlin 
1682:  48;  sf.  Scherbe  Akrop.  682:  131;  rf.  Scherbe 
Micali  131;  Erzgießereischale  103;  weißgrundige 
Schale  des  Louvre  87,  91;  Orpheuskrater  70; 
Gigantenv  aus  Melos  55  f.;  Kertscher  Triptolemosv 
in  Petersburg  77,  115;  apulische  —  mit  Pelops 
und  Oinomaos  106;  Neapler  Orestesamphora  lOO, 
iiS;  Gefäß  aus  Chiusi  131;  Amphora  in  Mykonos 
131;  Kolonettkrater  Bologna  Necr.  Fels.  239  und 
234:  130;  Kolonettkrater  in  Wien,  aus  Akrae, 
früher  in  Athen  130  f.;  FeUke  Florenz  Mus.  arch. 
3987:  129;  Stamnos  Madrid  155:  129;  Skyphos 
2589  Berlin  129;  Stamnoi  der  Forman  CoUection, 
aus  Boston  und  dem  Louvre  (G  408)  132;  Am- 
phora Louvre  G  220  und  Schale  Louvre 
G  285:  129;  Hermaiosfragment  in  Heidelberg 
166  ff. ;  nolanische  Amphoren  London  E  308  und 
München  2326:  129;  —  aus  dem  Delion  von  Faros 
120  f.;  griechische  sf.und  rf.  —  funde  aus  Spanien 
256 ff.;   iberische   —  258 ff. 

Vattinakultur  354 

Vulci,  Brindustrie  von  —  3^2  ff. 

Wadi    E    Sofra,    Reis  in  —   19 

Wagenrad,  Darstellung  des  — es  in  der  orientali- 
schen Kunst  182  f. 

Wien,  Artemis  von  Larnaka  257,  266;  Kolonett- 
krater 130 

Wörlitz,  Antikensammlung  im  Park  zu  —  24  ff.; 
Abgüsse  der  — er  Reis  J39 


Xestes,  Borchardtscher  J5J ;?. 

Zackenstern    auf    'phoinildschen'    Schalen    234  f. 
Zagazig,  ägyptischer  Krug  von  —  184,  189 


391 


Register. 


392 


II.  INSCHRIFTENREGISTER. 

Die  Spaltenzahlen  des  Archäoloj^ischen  Anzeigers  sind  kurtiv  gredruckt. 


Griechische  Inschriften:  auf  einer  alexandrini- 
schen  Stele  93;  auf  einem  chiischen  Grabstein  93; 
auf  einem  kaiserzeitUchen  Grabstein  aus  Athen 
94;  auf  dem  Grabrel  des  Isidoros  in  Kairo  JJO; 


von  einem  spätrömischen  Meßgefäß  154  ff. ;  Weih — 

vom  Theater  zu  Ephesos  304  ff. 
Lateinische  Inschrift  auf  einem  Dachziegel  6 
Tartessische  (?)  Inschrift  auf  einem  Fingerring  7  /. 


Griechische  Inschriften. 


Seanorfo  I54 
EitaXixii«  154 


eopTäaiO!  154 
'l3i5opo{  330 
xaTE^aYici^iu  1^4 


x(J(iri{  IS4 
Aa(ji]iTpo[v  93 
$eST((o)v  IS4 


öyxt'a  154 
Oia8aa  154 


Lateinische  Inschriften. 
PAT(erni?)  6 


JAHRBUCH  DES  INSTITUTS  XXXVIII/XXXIX  1923  24 


TAFEL  IV 


JONISCHES  SCHMUCKSTÜCK  AUS  FALCONARA 


i 


JAHRBUCH  DES  INSTITUTS  XXXVIII  XXXIX  1923/24 


TAFEL  V 


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JAHRBUCH  DES  INSTITUTS  XXXVIII/IX  1923/24 


TAFEL  VI 


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JAHRBUCH  DES  INSTITUTS  XXXVIII/IX  1923/24 


TAFEL  VII 


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