Skip to main content

Full text of "Jahrbuch des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung"

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  flies  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 


atjhttp  :  //books  .  qooqle  .  com/ 


\ 


f 


Vcrcm 


Q     '. 


Jahrbuch 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


Jai        mg  1887. 


xrn. 


-«*—■--  :■;■■■: 


HÜRDE*  und  LEIPZIG. 

Verlag. 


Ausarbeitungen,  deren  Abdruck  im  Niederdeutschen  Jahrbuche 
gewünscht  wird,  sind  dem  Mitgliede  des  Redactionsausschusses  Drm 
W.  Seelmann,  Berlin  SW,  LicJUerfelderstrasse  30  zuzusenden.  Die 
Zahlung  des  Honorars  (von  32  Mark  für  den  Bogen)  erfolgt  zu 
Jahresschluss  durch  den  Kassenwart." 

Zusendungen,  deren  Abdruck  im  Korrespondenz-Blatte  erfolgen 
soll,  nimmt  Dr.  W.  H.  Mielck,  Hamburg,  Dammthorstr.  27  entgegen. 

Die  Mitgliedschaft  zum  Niederdeutschen  Sprachverein  wird  durch 
Einsendung  des  Jahresbeitrages  (5  Mark  5  Pf.)  an  den  Kassenwart 
des  Vereins  Dr.  W.  H.  Mielck  in  Hamburg  oder  durch  Anmeldung 
bei  einem  der  Vorstandsmitglieder  oder  Bezirksvorsteher  erworben. 

Die  Mitglieder  erhalten  für  den  Jahresbeitrag  die  laufenden  Jahr- 
gänge der  Vereins-Zeitschriften  (Jahrbuch  und  Korrespondenz-Blatt) 
postfrei  zugesandt.  Sie  sind  berechtigt,  die  ersten  fünf  Jahrgänge 
zur  Hälfte,  die  folgenden  Jahrgänge  sowie  alle  übrigen  Vereins- Ver- 
öffentlichungen (Denkmäler,  Drucke,  Forschungen,  Wörterbücher)  zu 
Dreiviertel  des  Ladenpreises  zu  beziehen,  wenn  die  Bestellung  unter 
Berufung  auf  die  Mitgliedschaft  direkt  bei  dem  Verleger  Diedr.  Soltau 
in  Norden  (Ostfriesland)  gemacht  wird. 

Bis  auf  weiteres  können  die  Mitglieder  von  demselben  auch  das 
'Wörterbuch  der  Ostfriesischen  Sprache  von  J.  ten  Doornkaat  Koolman* 
(3  Bände  gr.  8°  kartonirt)  für  15  Mark  (Ladenpreis  44  Mark)  post- 
frei beziehen. 

Bücher  oder  Sonderabzüge,  deren  Anzeige  oder  Besprechung 
gewünscht  wird,  sind  mit  dem  Vermerk  'Zur  Besprechung9  oder  dgl. 
dem  Verleger  oder  einem  der  beiden  anderen  genannten  Herren 
zuzusenden. 


Jahrbuch 


des 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


Jahrgang  1887. 


xm. 


NORDEN  and  LEIPZIG. 

Diedr.  Soltau's  Verlag. 
1888. 


TU  '.'    •'     "     - 

21  Uli  i  7  H 

TILDUN    f  *        ■•  #%  •  ItiNS 
R  1V^  L 


Druck  von  Diedr.  SolUu  in  Norden. 


Inhalt. 


8eite 

Einleitung  zu  einer  amrmgisch-föhringischen  Sprachlehre.    Von  0.  Bremer  1 
Über  Pommerns  Anteil  an  der  niederdeutschen  Sprachforschung.    Von  AL 

Reifferscheid 33 

Laurembergs  handschriftlicher  Xachlass.    Von  J.  Bolte 42 

Das  Liederbuch  des  Petrus  Fabricius.   (Mit  einer  Musikbeilage.)   Von  J.  B  o  1 1  e  55 

Zum  Niederdeutschen  Aesopus.    Von  R.  Sprenger 69 

Zu  Gerhard  von  Minden.    Von  Ed.  Damköhler 75 

Guido  von  Alet.    Von  H.  Brandes 81 

Kinderspiele  aus  Schleswig-Holstein.    Von  H.  Carstens 96 

Mittelniederländische  Spruchdichtungen.    Von  W.  Bäumker 104 

Kleine  mittelniederländische  Dichtungen.    Von  H.  Brandes 111 

1.  Der  Welt  Untreue 111 

2.  ABC-Spruch:  Frauenpreis 112 

3.  Ermahnung  an  Hofleute 113 

4.  Peynst  omden  ouden  hont  die  bast 115 

5.  Die  Jahreszeiten 117 

6.  Marienlied 118 

Johan  Statwech.    Von  W.  Seelmann 121 

Der  Parson  of  Kalenborow  und  seine  niederdeutsche  Quelle.    Von  Edward 

Schröder 129 

Friesische  Ortsnamen  und  deren  urkundlich  nachweisbare  oder  muthmasslich 

älteste  Form.    Von  J.  ten  Doornkaat  Koolman 153 

Nachträge 160 

Musikbeilage  zum  Liederbuche  des  Petrus  Fabricius. 


Einleitung  zn  einer  amringisch  -  föhringischen  Sprachlehre. 

Einer  ausfuhrlichen  Darstellung  der  auf  den  Inseln  Amrum  und 
Führ  gesprochnen  Sprache  schicke  ich  diese  Einleitung  voraus.  Eine 
grössre  Ausführlichkeit  schien  mir  für  diese  einfuhrenden  Bemerkungen 
notwendig  zu  sein,  weil  wissenschaftlich  für  die  Mundarten  im  west- 
lichen Schleswig  bisher  so  gut  wie  nichts  getan  und  es  daher  unbekannt 
geblieben  ist,  eine  wie  grosse  Ausbeute  die  germanische  Sprachwissen- 
schaft sich  von  der  Erforschung  dieser  Mundarten  versprechen  darf. 
Es  gilt  daher  zunächst  das  Interesse  für  diese  Erforschung  zu  wecken 
durch  eine  eingehendre  Einführung  in  die  Sprachverhältnisse  von  Amrum 
und  Föhr  sowie  der  benachbarten  Mundarten.  Ich  verweise  im  Übrigen 
auf  die  trefflichen  Bemerkungen  in  Winkler's  Algemeen  nederduitsch 
en  friesch  dialecticon  I,  s.  70—77,  81,  83  f.,  87—89,  92  f.,  97—99. 

Die  amringisch-föhringische  Mundart  kenne  ich  aus  eigner  An- 
schauung, und  ich  stehe  für  die  richtige  Wiedergabe  der  von  mir  ange- 
führten Worte  unbedingt  ein.  Die  Angaben  über  die  Nachbarmundarten 
sind  schriftlichen  oder  gedruckten  Quellen  entnommen.  Ich  war  im 
Sommer  1886  auf  Amrum  und  Föhr,  dank  einer  mir  vom  preussischen 
Ministerium  der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Medizinal- Angelegenheiten 
gewährten  Reiseunterstützung.  Indem  ich  der  preussischen  Regierung 
an  dieser  Stelle  meinen  Dank  für  jene  Beihülfe  ausspreche,  ergreife 
ich  gleichfalls  mit  Freuden  die  Gelegenheit,  die  Verwaltungen  der 
Bibliotheken  in  Hamburg,  Kiel  und  Stralsund  auch  an  dieser  Stelle 
meines  aufrichtigen  Dankes  zu  versichern  für  das  freundliche  Ent- 
gegenkommen und  die  bereitwillige  Unterstützung,  durch  welche  meine 
Arbeit  wesentlich  gefördert  wurde. 


Verzeichnis  der  wichtigsten  Abkürzungen. 


a.,  amr.  =  amringisch. 

aa.-f.  =  alt-amringisch-föhringisch. 

a.-f.  =  amringisch-führingisch. 

a.-f.-h.-s.    =   amringisch-föhringisch-hel- 

go  landisch- sil  dringis  eh. 
»engl.  =  altenglisch, 
afrs.  =  altfriesisch, 
aosdr.  =  aosdringisch. 
L  föhr.  =  föhringisch. 

KiedenUattches  Jahrbuch.    XIII. 


frs.  =  friesisch. 

Ged.  =  =  Mechlenburg's  Gedichtsammlung 
in  5  Oktavheften,  von  seiner  Hand, 
jetzt  im  Besitz  des  Lehrers  Nerong 
in  Dollerup,  südöstlich  von  Flens- 
burg. 

germ.  =  germanisch. 

h.,  neig.  =  helgolandisch. 

Hs.,  Hdschr.  —  Handschrift. 


ingw.  =  ingwaiwisch. 

J.,  Joh.  —  JohanseQ.  Job.,  Ndfrs.  Spr. 
--  Johansen,  Die  nordfriesische 
Sprache  nach  der  Führinger  und 
Amrumer  Mundart,  Kiel  1862. 

M.  =  Mechlenburg,  früher  Pastor  in  Nebel 
auf  Amrum. 

na.-f.  =  neu-amringi8ch-föhringi8ch. 


ndfrs.  =  nordfriesisch. 

s.,  sildr.  =  sildringisch. 

sat.  =  satersch. 

w.,  wehsdr.  =  wehsdringisch. 

wang.  =  wangeroogisch. 

wfrs.  =  westfriesisch. 

ws.,  wests.  =  westsächsisch. 


In  Bezug  auf  meine  Rechtschreibung  bemerke  ich,  dass  "  über 
einem  Vokalzeichen  die  offne,  "  die  geschlossne  Länge  bezeichnet; 
'  neben  einem  Konsonanten  deutet  die  Mouillierung  desselben  an;  6 
ist  die  stimmlose,  $  die  stimmhafte  interdentale  Spirans;  s  ist  stimmlos, 
z  stimmhaft;  v  ist  unser  labiodentales  w;  x  ist  die  stimmlose,  y  die 
stimmhafte,  gutturale  Spirans,  »  der  gutturale  Nasal;  y  ist  die  stimm- 
lose palatale  Spirans;  ö  ist  kurzes  geschlossnes  o.  Die  übrigen  Zeichen 
erklären  sich  vqn  selbst. 


I.  Das  amringisch-föhringische  Sprachgebiet. 

§  1.  Unter  amringisch-föhringisch  (a.-f.)  verstehn  wir  die 
Sprache  der  Bewohner  der  Inseln  Amrum  und  Föhr,  wie  sie  heute  noch 
ausser  in  Wyk  lebendig  ist.   A.-f.  wird  von  ungefähr  2500  Einheimischen 

—  gegen  ungefähr  5000  vor  100  Jahren  —  und  vielen  Hunderten  ame- 
rikanischer Auswandrer  gesprochen. 

§  2.  Die  Leute  nennen  ihre  Sprache  stets  ömraeii  und  feria, 
fer  in  wiederum  vezdreu  und  äozdria  (wester- und  osterländisch). 
Nur  die  Schriftsteller  gebrauchen  schon  seit  Jahrhunderten  in  gelehrter 
Weise  das  Wort  friesisch  auch  für  diese  Sprache.  InÄ  gleicher  Weise 
bezeichnen  sich  die  Leute  ihrem  Stamme  nach  als  Ömraeusen  und 
Ferißen  und  werden  Friesen  nur  von  den  Schriftstellern A genannt.  Das 
Land  heisst  Omrsem  (auch  wohl  Omrsem  lun,  Ümrse»  lun) 
und  Fer  (auf  Amrum  Fer);  gewöhnlich  sagt  man  aber  blos  t  lun, 
das  Land.  Föhr  und  Amrum,  einstmals  eine  zusammenhängende  Insel, 
Wessen  nach  dem  nordfriesischen  Chronisten  Heimreich  früher  Barg- 
harde.  Die  Westerharde  umfasste  Amrum  und  Westerland-Föhr,  die 
Osterharde  Osterland-Föhr.  Neben  dieser  seit  1231  belegbaren  Be- 
nennung begriff  man  gegen  Ausgang  des  Mittelalters  unter  dem  Namen 
Osterharde  auch  ganz  Föhr,  Amrum  und  Süd;  im  13.  Jhdt.  galt  nur 
Föhr  und  Amrum  als  Osterharde,  Süd  hingegen  als  Nordwesterharde. 

—  Der  liber  census  Daniae  1231  nennt  die  Inseln  Ambrum  und 
Föör,  die  designatio  der  Harden  vnd  Kercken  in  Frisia  Minori  1240 
Amromon  und  Fora;  im  15.  bis  Mitte  des  18.  Jhdts.  wird  Föhr 
gewöhnlich  Föhr  de  genannt,  daneben  auch  Föhre,  Föhr. 

§  3.  Mit  Unrecht  hat  man  die  Bezeichnung  nord friesisch  als 
gemeinsamen  Namen  für  alle  nicht-plattdeutschen  und  nicht-dänischen 
Mundarten  des  westschleswigschen  Küsten-  und  Insellands  angewandt. 


Die  Bewohner  von  Amrum,  Föhr,  Helgoland  und  Süd  heissen  und 
hiessen  nur  Amringen,  Föhringen,  Helgolander,  Sildringen.  Friesische 
nennen  sich  und  werden  von  jenen  genannt  die  Bewohner  der  Halligen 
und  des  Festlands  (Fastewallingen).  Ebenso  heisst  nur  die  Sprache 
der  letztern  friesisch,  jene  nur  amringisch  u.  s.  w.  Wir  schliessen 
daher,  wenn  wir  von  nordfriesisch  sprechen,  die  Sprache  jener  vier 
Inseln  aus.  —  Vgl.  Schlesw. -Holst.  Anzeigen  1760,  S.  8;  Schlesw.- 
Holst.  Provinzialberichte  1793,  S.  4;  Onkens  Isis  1824,  I,  S.  52; 
Falck's  Staatsbürgerliches  Magazin  V,  1826,  S.  739;  Kohl,  Die  Marschen 
und  Inseln  der  Herzogthümer  Schleswig  und  Holstein  I,  1846,  S.  180; 
Langhans,  Über  den  Ursprung  der  Nordfriesen,  1879,  S.  44;  Möller, 
Das  altenglische  Volksepos,  1883,  S.  85. 

§  4*).  A.-f.  ist  nicht  die  einzige  Sprache,  welche  auf  Amrum 
und  Föhr  gesprochen  wird.  Die  Schriftsprache,  Kirchen-,  Schul-  und 
Amtssprache  ist,  seit  von  einer  solchen  überhaupt  die  Rede  sein  kann, 
die  plattdeutsche  gewesen;  erst  seit  zwei  Jahrhunderten  ist  es  die  hoch- 
deutsche; für  Amrum  und  Westerlandföhr  galt  dänische  Amtssprache. 
Die  Volkssprache  ist  auf  Amrum  und  Westerlandföhr  ausschliesslich 
a.-f..  Osterlandföhr  ist  zweisprachig,  föhringisch  und  plattdeutsch.  Öer 
Flecken  Wyk  ist  vollständig,  Nieblum  so  gut  wie  ganz  plattdeutsch. 
Die  Wyk  zunächst  gelegnen  Dörfer  Boldixum  und  Wrixum,  vor  50 
Jahren  noch  rein  föhringisch,  sind  jetzt  plattdeutsch  geworden;  nur  in 
wenigen  Familien  wird  noch  föhringisch  gesprochen,  sonst  nur  von  altern 
Leuten;  von  Schulkindern  sprechen  nur  vier  überhaupt  noch  föhringisch. 
Auch  in  den  andern  Dörfern  des. östlichen  Föhr  macht  das  Plattdeutsche 
neuerdings  reissende  Fortschritte.  In  Oevenum,  wo  noch  zu  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  in  der  Schule  föhringisch  gesprochen  wurde,  wo  vor  wenigen 
Jahren  der  letzte  Mann  gestorben  ist,  der  absolut  kein  Deutsch  verstehn 
konnte,  spricht  heute  bereits  mehr  als  ein  Drittel  der  Schulkinder 
plattdeutsch.  Ähnlich  sind  die  Verhältnisse  in  Midlum  und  Alkersum. 
Auch  in  Borgsum  hört  man  schon  viel  Plattdeutsch. 

Die  plattdeutsche  Sprache  ist  durch  die  Fremden  eingeführt 
worden,  welche  seit  etwa  einem  Jahrhundert  Föhr  gradezu  über- 
schwemmen und  deren  Zahl  in  annähernd  dem  Maasse  zunimmt,  als 
die  der  Föhringen  durch  Auswandrung  nach  Amerika  abnimmt**).  Die 
erste  Fremdenkolonie  kam  nach  der  grossen  Flut  von  1JB34  vom  alten 
Nordstrand  und  den  Halligen.  Die  „Friesischen"  gründeten  sich  in 
Wyk  ein  neues  Heim,  und  dieser  Zuzug  der  Inselfriesen  hat  bis  heute 
fortgedauert;  nach  jeder  grössern  Flut,  besonders  aber  1717 — 1720, 
kamen  zahlreiche  Halligbewohner  und  zogen  ausser  nach  Wyk  auch 
vielfach  nach  Nieblum.  So  wurde  hier  naturgemäss  plattdeutsch  die 
herschende  Sprache  als  Vermittler  des  Verkehrs  zwischen  Friesen  und 
Föhringen.  In  Nieblum  hat  sich  die  föhringische  Sprache  lange  ge- 
halten, und  noch  heute  giebt  es  einige  alte  Leute,  welche  unter  einander 

*)  Vergl.  hierzu  Verf.,  Niederdeutsches  Jahrbuch  XII,  S.  128—126. 
**)  »Von   den   seit   1850  konfirmirten  Knaben  sind  wenigstens  40  •/•  aus- 
gewandert"    Nerong,  Fuhr  früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  42. 

1* 


'Wohl  noch  ihr  n'iblemburferiB  sprechen.  Das  Nieblumer  Platt  tragt 
daher  die  Spuren  des  vormaligen  Föhringischen  viel  deutlicher  als 
das  Wyker  und  erfreut  sich  nicht  grade  des  besten  Rufs  im  Lande. 
Weitres  s.  Niederdeutsches  Jahrbuch  XII,  S.  125 — 129.  Während 
die  Einwandrung  der  Halligfriesen  bis  auf  den  heutigen  Tag  fort- 
dauert, kam  der  zweite  Strom  fremder  Einwandrer  zu  Ausgang  des 
vorigen  Jahrhunderts.  Die  Landeinteilung  1772 — 1776  für  Oster- 
landföhr,  1801 — 1802  für  Westerlandföhr,  wandelte  da*  Gemeindeland 
in  Sondereigentum  um  und  machte  daher  mehr  Kräfte  £ur  Bearbeitung 
des  Bodens  notwendig,  um  so  mehr  als  die  föhringischen  Frauen  —  die 
Männer  waren  alle  zur  See  —  bis  dahin  allein  das  Feld  bestellt 
hatten.  So  kam  eine  Masse  von  Arbeitern  aus  Jütland  und  Nord- 
schleswig herüber,  um  sich  auf  Föhr  anzusiedeln.  Die  Einwandrung 
der  „Dänischen"  hat  jetzt  nachgelassen.  Dafür  erfolgt  in  den  letzten 
Jahrzehnten  ein  sehr  starker  Zuzug  von  Halligfriesen,  besonders  seit 
der  Sturmflut  von  1825,  aber  auch  von  Festlandsfriesen,  Bredstedtern 
und  Husumern.  Die  „  Friesischen u  sprechen  untereinander  friesisch, 
wie  die  Juten  jütisch,  mit  deir  Föhringen  aber  und  zu  ihren  Kindern 
plattdeutsch.  Jedoch  auf  Westerlandföhr  bedienen  sich  die  Kinder  aus 
friesischer  und  jütischer  Ehe  im  Verkehi\mit  den  Föhringen  ausschliesslich 
der  föhringischen  Sprache.  Die  ganze  Fremdeneinwandrung  erstreckt 
sich  vornehmlich  auf  Osterlandföhr.  Bei  weitem  die  Mehrzahl  aller  auf 
Föhr  plattdeutsch  Sprechenden  ist  fremden  Ursprungs;  in  Oevenum, 
Midlum  und  Alkersum  besteht  wohl  nahezu  ein  Drittel  der  Einwohner- 
schaft aus  Nicht-Föhringen.  Wie  das  Föhringische  das  Plattdeutsche  be- 
einflusst  hat,  so  wird  in  viel  höherm  Grade  erstres  durch  letztres  be- 
einflusst.  Nicht  nur,  dass  eine  Anzahl  plattdeutscher  Worte  von  Osten 
her  in  das  Föhringische  eindringen,  auch  die  Aussprache  der  einzelnen 
Laute,  die  Syntax  büsst  in  dem  östlichen  Föhr  in  Folge  der  Zweisprachigkeit 
von  Jahr  zu  Jahr  immer  mehr  von  ihren  altföhringischen  Eigentümlich- 
keiten ein.  Die  Sprache  von  Westerlandföhr  und  Amrum  ist  rein.  Nur 
wenige  deutsche  Wörter  haben  hier  in  neuster  Zeit  Eingang  gefunden. 
Die  hochdeutsche  Schriftsprache,  wiewohl  heute  die  einzige  amt- 
liche Sprache,  hat  nicht  viel  Eingang  gefunden.  Verstanden  wird 
hochdeutsch  jetzt  überall.  Geläufig  sprechen  können  es  ab$r,  wenigstens 
auf  Westerlandföhr  und  Amrum  fast  nur  die  Männer,  welche  in  der 
Welt  gewesen  sind.  Die  Frauen  antworten  hier  auf  hoch-  wie  platt- 
deutsche Frage  föhringisch  und  amringisch  und  bequemen  sich  erst 
dann  dazu,  ihre  hochdeutschen  Schulerinnrungen  wieder  wach  zu 
rufen,  wenn  anders  keine  Verständigung  möglich  ist;  denn  hoch- 
deutsch zu  sprechen  ist  ihnen  gradezu  eine  Anstrengung.  Doch 
verstehn  sie  und  sprechen  das  auf  der  Schule  erlernte  Hochdeutsch 
noch  besser  als  plattdeutsch,  welches  den  Wehsdringen  fast  unbekannt 
ist.  Sie  sprechen  sogar,  wenn  sie  nach  dem  rein  plattdeutschen 
Wyk  kommen,  ihr  föhringisch,  und  vielen  altern  Frauen  ist  es 
gradezu  unmöglich,  deutsch  zu  sprechen,  wenn  sie  es  auch  so  einiger- 
maassen  verstehn. 


Das  Friesische  hat,  soweit  ich  sehe,  keinen  Einfluss  auf  die  Volks- 
sprache gehabt,  mehr  das  Dänische,  das  bei  den  altern  Männern  noch 
gut  bekannt  ist.  Der  gebildete  Föhringe  und  Amringe  beherrscht 
und  spricht  5  Sprachen  vollkommen:  fohringisch  bezüglich  amringisch, 
plattdeutsch,  hochdeutsch,  dänisch  und  englisch. 


IL   Verwantschafteverhältnisse  des  Amringiseh- 
Föhringischen. 


§  5.  Seinen  Verwantschaftsverhältnissen  nach  bildet  das  Am- 
ringisch-Föhringische  einenZweig  des  sogenannten  ingwaiwiscHen  oder 
anglo-f  riesischen  (ingw.)  Sprachstamms,  d.h.  derjenigen  altern  Sprach- 
einheit, aus  welcher  später  das  Englische,  das  Sildringisch-Helgo- 
landisch-Amringisch-Föhringische,  das  Nordfriesische  und  das  Ost- 
nnd  Westfriesische  hervorgegangen  sind.  Seinen  nächsten  Verwanteh 
hat  es  im  Helgolandischen,  demnächst  im  Sildringischen. 

§  6.  Der  Unterschied  zwischen  der  Sprache  von  Helgoland  und 
der  von  Amrum  und  Föhr  ist  nicht  so  bedeutend,  dass  nicht  der 
Amringe  den  Helgolander  verstünde.  Dagegen  der  Sildringe  ver- 
ständigt sich  mit  dem  Amringen  und  Föhringen  besser  auf  plattdeutsch. 
Für  den  früher  nähern  Zusammenhang  von  Helgoland  mit  Amrum- 
Föhr,  der  jetzt  ganz  und  gar  aufgehoben  ist,  ist  es  sehr  lehrreich, 
was  Petrus  Sax,  Beschreibung  der  Insul  Helgoland  1636  (abgedruckt 
Dänische  Bibliothek  VIII,  Copenhagen  1746,  S.  505 — 564),  sagt,  dass 
die  Helgolander  mit  den  Föhringen  „sonst  gute  correspondence  ge- 
halten, und  sich  mit  ihnen  beschwägert,  inmassen  ich  solches  auch 
einem  alten  Documento,  1843.  am  Tage  Dionysii  datiret,  wahrgenommen 
habe*;  er  sagt  ferner,  in  alten  lateinischen  Testamenten  war  „von 
Wischen  und  Weyden  auf  Helgoland  gedacht  und  von  Föhr  auf  S.  Jo- 
hannis  Kirchen  und  deren  Altäre  gelautet".  —  Die  Sprache  von  Hel- 
goland, heute  vom  Plattdeutschen  bereits  durch-  und  zersetzt,  nimmt 
eine  mittlere  Stellung  ein  zwischen  amringisch-föhringisch  und  sil- 
dringisch. 

g  7.  Ein  bisher  gewöhnlich  stillschweigend  angenommner,  näherer 
ursprünglicher  Zusammenhang  der  Sprachen  von  Amrum,  Föhr,  Hel- 
goland und  Sild  mit  dem  Nordfriesischen  ist  nicht  zu  erweisen;  gleich- 
wohl hat  die  Jahrhunderte  hindurch  bestehende  Verkehrsgemeinschaft 
eine  grosse  Anzahl  sprachlicher  Übereinstimmungen  zur  Folge  gehabt. 

§  8.  Die  wichtigsten  Merkmale  aus  der  Lautlehre  des  Amr.- 
Föhr.  gegenüber  der  des  Helg.  und  Sildr.  und  der  des  Ndfrs.  mögen 
hier  zur  Sprache  kommen. 

A)  Das  A.-F.  teilt  mit  dem  Helg.  und  Sildr.  folgende  Eigen- 
tümlichkeiten, abweichend  vom  Nordfries.: 

1)  Germ,  e  ist  a.-f.-h.-s.  in  offner  Silbe  diphthongiert  worden 
zu  a.  iae,  daraus  f.  ie,  h.  ift,  s.  i.     Z.  B.  a.  sliasp  schlafen,  f.  sliep, 


6 

h.  sliftp,  s.  slip;  a.  viaet  uass,  f.  viet,  h.  viät,  s.  vit;  a.-f.  hier 
Haar,  h.  hiär,  s.  hir.  Im  Nordfries,  entspricht  e,  ei,  e:  sleipe, 
vet>,  her,  heir.  Vgl.  wangeroogisch  sleip,  veit,  her,  satersch  slepe, 
vet,  her,  westfries.  sliepe,  wiet,  hier. 

2)  Der  i-Umlaut  von  germ.  au  ist  a.-f.-h.-s.  in  offner  Silbe 
gleichfalls  zu  a.  i«,  f.  ie,  h.  ift,  s.  i  geworden.  Z.  B.  a.-f.  hier  hören, 
h.  hiär,  s.  hir;  a.  liaesi  lösen,  f.  liesi,  s.  lise.  In  diesem  Fall  ent- 
spricht ndfrs.  i,i:  hire,lise.  Vgl. jedoch wang.  her,  leiz,  sat.  here,leze. 

3)  Germ,  sowie  i-umgelautetes  ai  hat  die  gleiche  Entsprechung. 
Z.  B.  a.  sdiaen  Stein,  f.  sdien,  h.  sti&n,  s.  stin;  a.-f.  lier  Lehre, 
h.  liftr,  s.  lir.  Hier  entspricht  gleichfalls  ndfrs.  i,  i:  stin,  stin', 
lire.     Vgl.  wang.  stein,  1er,  sat.  sten,  lere,  westfrs.  stien. 

Im  A.-F.-H.-S.  sind  also  diese  3  ursprünglich  verschiednen  Laute 
in  einen  Laut  zusammengefallen,  welcher  in  geschlossner  Silbe  noch 
als  offnes  e  erhalten  ist.  Im  Ndfrs.  dagegen  trifft  dies  nur  für  Fall 
2  und  3  zu,  und  hier  ist  ein  geschlossnes  e  vorauszusetzen.  Dem 
germ.  e  entsprach  ndfrs.  zunächst  ein  offnes  e. 

4)  Germ,  au  in  offner  Silbe  wird  vor  Dentalen  und  Alveolaren 
diphthongiert  zu  s.  öa,  daraus  a.  üse,  daraus  f.  üe,  h.  uä.  Z.  B. 
8.  doaS  Tod,  a.  düaes,  f.  düeS,  h.  duäd;  s.  löan  Lohn,  a.  lüsen, 
f.  lüen,  h.  luän;  s.  röad  rot,  a.  rüsed,  f.  rüed,  h.  ruäd.  Im  Ndfrs. 
entspricht  nördlich  ü,  südlich  ü,  u,  also  düs:  dü8,  dus;  lün':  lun; 
rüd':  rud,  rud.  Vgl.  wang.  d68,  rod,  sat.  dod,  Ion,  rod,  westfrs. 
dead,  lean,  rea. 

5)  Germ,  a  -+- 1  ■+■  Kons,  hat  die  gleiche  Entsprechung.  Z.  B. 
8.  oalX  alt,  a.  üsel,  f.  üel;  s.  hoalS  halten,  a.  hüsel,  f.  huel.  Ndfrs. 
ül>:  ül,  ul;  hül'e:  hüle.  Vgl.  wang.  61,  hol,  sat.  old,  holde,  westfrs. 
oad,  hade. 

In  beiden  Fällen  ist  a.-f.-h.-s.  noch  offnes  ö  in  geschlossner  Silbe 
erhalten.     Ndfrs.  ü  aus  u  setzt  ein  geschlossnes  ö  voraus. 

6)  Germ.  6,  desgleichen  ingw.  ö  aus  germ.  e  vor  n  und  aus  germ. 
a  vor  n  +  x,  s,  8,  f  ist  a.-f.-h.-s.  zu  u,  ü  geworden  (sildr.  auch  ö). 
Z.  B.  a.-f.-h.-s.  hud  Hut;  a.-f.  luki  sehn,  h.-s.  luke;  a.-f.  brudr 
Bruder,  h.  brür,  8.  bröSer;  a.-f.-h.-s.  mün  Mond.  Im  Nordfrs.  ent- 
spricht 6,  4u,  ö,  öu,  eü:  höd',  heüd';  löke,  ljuk;  broer,  bräuzer, 
bröuda;  mön,  mäun,  möune.     Ostfrs.  6,  &u,  westfr.  oe,  oa. 

7)  Germ,  a  +  m,  n  -+•  Kons,  hat  die  gleiche  Entsprechung. 
Z.  B.  a.-f.-h.  lun  Land,  s.  lönX.     Ndfrs.  Ion,  lön',  leün';  ostfr.  6,  &u. 

8)  Germ,  o  •+-  r,  1  •+-  Kons,  hat  dieselbe  Entsprechung.  Z.  B. 
a.-f.  vurd  Wort,  h.  vur,  s.  ürd.  Ndfrs.  urd,  urd  mit  ü,  u  wegen 
des  v,  sonst  6,  äu,  ö,  z.  B.  hörn,  h&urn,  hörn  Hörn.  Ostfr.  6, 
wfrs.  oe,  oa. 

9)  Der  i-Umlaut  von  germ.  ü  ist  helg.  ü,  a.-f.-s.  i  gegenüber 
nordfrs.  e,  ei,  e.  Z.  B.  h.  brüd  Braut,  s.  brid,  a.-f.  brid';  h.  hüd 
Haut,  8.  hid,  a.-f.  hid';  h.  füst  Faust,  a.-f.  fist;  h.  skül  Schuld, 
a.-f.-s.  sgih  Ndfrs.  breid,  breid,  bred';  hed,  heid,  hed'je; 
fest;  skel',  Sei'.    Vgl.  wang.  breid,  heid,  fest,  sxil,  sat.  bred,  hed. 


fest,  syelde,  wfrs.  breid,  fest,  schild.  Während  a.-f.-s.  iaufhelg. 
ü  zurückgeht,  ist  der  Laut  im  Ndfrs.  mit  dem  e  für  germ.  e  (s.  oben  1) 
zusammengefallen.     Das  Gleiche  gilt  für 

10)  den  i-Umlaut  von  6,  vgl.  z.  B.  ndfrs.  seke,  seike  suchen, 
gren,  gren'  grün,  svet'  süss,  während  a.-f.-h.-s.  der  i-Umlaut  des  6 
mit  keinem  andern  Laut  zusammengefallen  ist:  a.-f.  s'ük,  s.  s'uk, 
a.-f.-h.  gren,  a.-f.-h.-s.  svet.  Vgl.  wang.  seik,  Yrein?  sveit,  sat. 
seke,  gren,  svet,  wfrs.  sijkje,  grien,  sviet. 

11)  Das  A.-F.-H.-S.  kennt  die  westsächs.  Diphthongierung  nach 
Palatalen,  welche  dem  Ndfrs.  fremd  ist.     S.  §  9,6. 

B)  Das  A.-F.  teilt  mit  dem  Helg.  folgende  Eigentümlich- 
keiten, abweichend  vom  Sildr.,  in  teilweiser  Übereinstimmung  mit  dem 
Nordfriesischen : 

1)  Germ,  u  ist  sildr.  als  u  erhalten,  a.-f.  und  h.  zu  o  geworden. 
Z.  B.  s.  ju»  jung,  a.-f.-h.  jo»;  s.  tua  Zunge,  a.-f.-h.  to».  Im  nörd- 
lichen Nordfriesland  sagt  man  jub,  tu»,  im  südlichem  jo«,  to».  Vgl. 
wang.  tu»,  sat.  tu«e,  wfrs.  tonge.  __ 

2)  Germ,  iu  ist  im  Auslaut  a.-f.  und  h.  zu  ei  (aosdr.  ®i),  s.  aber 
zu  i  geworden.^  Z.  B.  a.-f.-h.  nei  (aosdr.  niei)  neu,  s.  ni;  a.-f.-h. 
sei  (aosdr.  süei)  nähen,  s.  si.  Ebenso  z.  B.  a.-f.-h.  sbei  (aosdr. 
sbsei)  speien,  s.  spi.  Ndfrs.  heisst  es  nei,  seie,  speie.  Vgl.  wang. 
ni,  si,  spi,  sat.  ne,  se,  spe,  wfrs.  ny,  spie.     Ebenso  ist 

3)  Germ,  iy  a.-f.-h.  und  ndfrs.  zu  ei,  s.  zu  i  geworden.  Z.  B. 
a.-f.-h.  lei  liegen  (aosdr.  läei),  ndfrs.  lei,  leie  (neben  lede,  lade  aus 
westgerm.  ligg-),  s.  li.  Ost-  und  westfrs.  nur  lidz,  lezze,  lizze  aus 
afrs.  lidzia  aus  westgerm.  liggian. 

4)  Germ,  ay  und  ey  sind  a.-f.-h.  zu  fti  (wehsdr.  &i,  öi,  aosdr. 
äoi)  geworden,  s.  zu  ei.  Z.  B.  a.  und  h.  mäi  mag,  s.  mei;  a.  näiael 
Nagel,  h.  nftiel,  s.  neil;  a.  und  h.  vfti  Weg,  s.  vei.  Im  Ndfrs.  steht 
ei:  mei,  neil  (nejel),  vei.  Vgl.  wang.  mi,  nil,  vi,  sat.  mej,  nejl, 
vai,  wfrs.  mey,  neylle,  wey. 

5)  Anlautendes  v  vor  ü  schwindet  sildr.,  ist  aber  a.-f.  und  h. 
erhalten.  Z.  B.  a.-f.  vurd  Wort,  h.  vur,  s.  ürd.  Aber  vor  u  bleibt 
v  auch  südr.,  z.  B.  s.  vuk  weich,  a.-f.-h.  vok.  Im  Ndfrs.  schwindet 
v  in  der  Widingharde,  Bökingharde  und  Karrharde  auch  vor  u,  also 
nicht  nur  urd,  ürd,  sondern  auch  uk,  ük  =  südlicherm  vox.  Dem 
Ost-  und  Westfrs.  ist  dieser  Lautwandel  unbekannt. 

6)  Germ,  nd,  ld  ist  sildr.  als  no,  IS  erhalten,  während  es  a.-f. 
und  h.  zu  n',  n,  1',  1  geworden  ist.  Z.  B.  s.  sünX  gesund,  a.-f. 
?>ün',  h.  sün;  s.  hün&Hund,  a.-f.  hün',  h.  hün;  s.  lön&  Land,  a.-f.-h. 
lun;  s.  vilS  wollte,  a.-f.-h.  vul;  s.  jil$  Geld,  a.-f.-h.  jil.  Ndfrs. 
überall  n  und  1,  ebenso  wang.,  aber  sat.  nd,  ld,  wfrs.  n,  aber  ld. 

C)  Das  A.-F.  teilt  mit  dem  Nordfrs.  folgende  Eigentümlich- 
keiten, abweichend  vom  Helg.-Sildr. : 

1)  Germ,  i  in  geschlossner  Silbe  ist  h.-s.  zu  e,  a.-f.  zu  a  (aosdr.  as) 
geworden  (vgl.  §  15,  4),  ndfrs.  nördlich  zu  e,  südlich  zu  a.  Z.  B. 
li.-s.  skep  Schiff,  a.-f.  sgap,  (aosdr.  sgsep),  ndfrs.  skep,  skap,  §ap; 


8 

h.-s.  fesk  Fisch,  a.-f.  fask  (aosdr.  fsesk),  ndfrs.  fesk,  fask;  h.-s.  bed 
bitten,  a.-f.  bad  (aosdr.  b«d),  ndfrs.  bede,  bade.  Ost-  und  westfrs. 
sxip,  syip,  schip,  fisk,  bid,  bide,  bidde. 

2)  Germ,  au  in  offner  Silbe  ist  vor  p,  b,  v,  m,  y,  x  a.-f.  äu  ü 
geworden  wie  im  Ndfrs.,  h.-s.  aber  zu  6  (aber  helg.  duäf  taub, 
struam  Strom,  buäm  Baum).  Z.  B.  a.-f.  und  ndfrs.  üy  Auge,  h.-s. 
6y;  a.-f.  küp  Kauf,  ndfrs.  kup,  kup,  h.-s.  köp.  —  Ebenso  stimmt 
die  a.-f.  Behandlung  des  auslautenden  au  zu  der  ndfrs.:  a.-f.  und  ndfrs. 
sliu  schlagen,  aber  h.-s.  slo.  —  Wang.  u.  sat.  6y  (oyen),  kop,  slo, 
wfrs.  eag,  keap,  slaen. 

3)  Nach  langem  Vokal  werden  k,  t  und  p  in  der  Stellung  vor 
Vokal  oder  im  Auslaut  a.-f.  wie  ndfrs.  stimmhaft  und  sind  als  stimmlos 
nur  helg.  und  sildr. ^erhalten.  Z.  B.  s.  möke  machen,  h.  make:  a. 
mäyi  (wehsdr.  mäyi,  möyi,  aosdr.  mäoyi),  ndfrs.  mäye,  möye; 
s.-h.  veter  Wasser:  a.-f.  vedr,  ndfrs.  vözer,  vöder,  vöer;  s.  ipen 
offen,  h.  epen:  a.-w.  ebm,  aosdr.  eben,  ndfrs.  eben,  ebm,  em,  emen. 
Vgl.  wang.  maki,  vater,  ipin,  sat.  makje,  vater,  epen,  wfrs. 
maaikje,  wetter,  iepen. 

D)  Das  A.-F.  teilt  sowohl  mit  dem  H.-S.  als  mit  dem  Ndfrs. 
folgende  Eigentümlichkeiten,  abweichend  vom  Ost-  und  Westfrs.: 

1)  Im  Ost-  und  Westfrs.  sind  folgende  Laute  in  ein  geschlossnes 
e  (wang.  ei,  sat.  e,  wfrs.  ie)  zusammengefallen:  germ.  e  (s.  A,  1), 
ai  (s.  A,  3),  6  -+-  i  (s.  A,  10),  ü  -+-  i  (s.  A,  9),  au  -+-  i  (s.  A,  2). 
Das  A.-F.-H.-S.  setzt  dagegen  für  germ.  e,  ai  und  au  -+-  i  ein  offnes 
e  voraus,  für  6  -f-  i  und  u  •+-  i  ein  8  und  ü.  Das  Ndfrs.  setzt  für 
germ.  e,  6  •+-  i  und  ü  •+-  i  zunächst  ein  geschlossnes  e  voraus;  da 
aber  germ.  ai  und  au  +  i  zu  i  geworden  sind,  also  auch  ein  ge- 
schlossnes e  zur  Voraussetzung  haben,  so  muss,  zu  der  Zeit,  als  es 
hier  e  hiess,  es  dort  noch  kein  geschlossnes  e  gegeben  haben,  mithin 
e,  8  und  ü.  Als  dem  A.-F.-H.-S.  und  Ndfrs.  gemeinsam  gewinnen  wir 
so  e,  8  und  ü,  während  ai  und  au  -f-  i  hier  zu  e,  dort  zu  <5  ge- 
worden sind.     Vgl.  Möller,  Das  altenglische  Volksepos,  S.  85. 

2)  Von  Alters  her  gemeinsam  ist  dem  A.-F.-H.-S.  mit  dem  Ndfrs. 
die  verschiedne  Behandlung  des  germ.  au  =  afrs.  ä,  je  nachdem  ein 
Alveolar  und  Dental  oder  ein  Labial  und  Guttural  folgte,  s.  A,  4  und 
C,  2.  Dass  afrs.  ä  überall  gleich  ausgesprochen  wurde,  zeigen  die 
neufries.  Mundarten:  wfrs.  dead,  lean,  rea  wie  eag,  keap,  wang. 
und  satersch  dod  (dö6),  Ion,  rod,  6y,  kop. 

3)  Germ,  ü,  desgleichen  die  ingw.  Dehnung  des  germ.  u,  ist 
im  West-  und  Ostfrs.  erhalten  geblieben,  a.-f.-h.-s.  und  ndfrs.  aber 
zu  ü,  ü  geworden.  Z.  B.  wfrs.  huwz  Haus,  sat.  hüz,  wang.  hiis: 
a.-f.-h.-s.  hüs,  ndfrs.  hüs,  hös;  wfrs.  moerre  Mauer,  sat.  müre, 
wang.  mür:  a.-f.-h.-s.  mür,  ndfrs.  mör,  m8r;  wfrs.  bruwcke  gebrauchen, 
sat.  brüke,  wang.  brük:  a. -f. -h.-s.  brük,  ndfrs.  bröke;  afrs.  müth 
Mund:  a.-f.-h.-s.  mü6,  müs,  müt,  ndfrs.  müs,  mos;  wfrs.  huwn  Hund, 
sat.  hünd,  wang.  hün:  a.-f.-h.-s.  hünS,  hün,  hün',  ndfrs.  hün,  hon. 

4)  Germ,  eö  ist  a.-f.-h.-s.  und  ndfrs.  meist  zu  i,  ji,  i  geworden.  Z.  B. 


a.-w.  t'x'in  zehn,  aosdr.,  sildr.  und  ndfrs.  tin;  a.  sini  dienen,  f.  tini, 
h.-s.  und  ndfrs.  tine;  a.-f.-s.  8'it  schiessen,  ndfrs.  skit'je,  Sit'je. 
Die  neuost-  und  -westfrs.  Formen  beruhn  auf  afrs.  iä,  ie:  wang.  tjon, 
öjon,  sxjot,  sat.  tjon,  tjonje,  syjote,  wfrs.  tjien,  tjienje,  sjiette. 

5)  Der  i-Umlaut  von  germ.  u  ist  helg.  ö,  s.  e,  a.-f.  a  (in  ge- 
schlossner  Silbe).  Z.  B.  h.  rög  Rücken,  s.  rey,  a.-f.  ray  (aosdr.  rsey); 
h.  sön  Sonne,  s.  sen,  a.-f.  san  (aosdr.  s«n).  S.  e  und  a.-f.  a  weisen 
auf  i  zurück  (s.  C,  1);  dies  i  geht  mit  helg.  ö  auf  ü  zurück,  vgl. 
h.  ü,  a.-f.-s.  i  aus  ü  (s.  A,  9).  Ndfrs.  reg  (reg),  sen,  san  weisen 
gleichfalls  auf  i  (s.  C,  1),  das  aus  ü  zu  verstehn  ist.  Im  Ost-  und 
Westfrs.  steht  e;  nur  im  Wang.  ist  i  der  entsprechende  Laut,  z.  B. 
wang.  rig  (Cadovius-Müller  rigg):  sat.  reg,  wfrs.  reg;  wang.  slitin 
geschlossen:  sat.  slötn,  wfrs.  sletten.  Diese  Übereinstimmung  des 
Harlingischen  und  Wang.  mit  den  nordalbingischen  Mundarten  ist  be- 
sonders beachtenswert. 

6)  Das  afrs.  Lautgesetz  6a:  uä  (vgl.  oben  unter  4  afrs.  iä 
aus  ia)  ist  dem  A.-F.-H.-S.  und  Ndfrs.  unbekannt,  Wfrs.  dwaen  tun, 
sat.  dvo,  wang.  do  (aus  *dvo)  beruhn  auf  afrs.  duä.  Aber  a.-f.  du, 
s.  dö,  ndfrs.  d&ue,  döue  gehn,  wie  die  unter  A,  6  angeführten  Bei- 
spiele zeigen,  auf  *don  (aus  *döan)  zurück  =  aengl.  don. 

7)  Die  Verkürzung  des  i,  ft  und  u  in  geschlossner  Silbe  ist  dem 
West-  und  Ostfrs.  unbekannt,  aber  sowohl  im  A.-F.-H.-S.  als  im 
Ndfrs-  durchgeführt.  Z.  B.  a.-f.  tid'  Zeit,  h.-s.  tid,  ndfrs.  tid:  wang., 
sat.  tid,  wfrs.  tijd;  a.-f. -h.-s.  hüs  Haus,  ndfrs.  hüs,  hös:  wang. 
hüs,  sat.  hüz,  wfrs.  huwz.  Diese  Verkürzung  ist  im  A.-F.-H.-S. 
und  im  Ndfrs.  freilich  nur  teilweise  in  gleicher  Weise  durchgeführt, 
weil  zur  Zeit,  als  dies  Gesetz  wirkte,  die  Vokale  verschieden  verteilt 
waren.  Z.  B.  a.-f.-h.-s.  hud  Hut:  ndfrs.  höd,  heüd':  wang.  h&ud, 
sat.  höd;  h.  brüd  Braut,  s.  brid,  a.-f.  brid':  ndfrs.  bred',  breid, 
breid:  wang.  breid,  sat.  bred,  wfrs.  breid. 

8)  Nach  i  ist  auslautendes  t,  d,  1  und  n  im  A.-F.-H.-S.  und  im 
Ndfrs.  mouilliert  worden.  Z.  B.  s.  lit'  klein,  h.-a.-f.  let',  ndfrs.  let', 
lat':  wang.  litk,  sat.  litik,  wfrs.  lijts;  s.  vinX  Wind,  h.  vin,  a.-f. 
vin',  ndfrs.  vin,  ven:  wang.  vin,  sat.  vind,  wfrs.  wijn;  a.-f.-s.  sgil' 
Schuld,  h.  skül,  ndfrs.  skel',  Sei':  wang.  sxil,  sat.  syelde,  wfrs. 
schild.  Diese  Mouillierung  ist  freilich  im  A.-F.-H.-S.  grossenteils  anders 
verteilt  als  im  Ndfrs.,  weil  die  Chronologie  des  i  hier  anders  ist  als 
dort;  vgl.  z.  B.  ndfrs.  bin'  Band:  a.  biaen,  f.  bien,  h.  biftn,  s.  bjen. 
Das  Beispiel  „Wind"  und  „ Schuld u  zeigt,  dass  die  Mouillierung  nicht 
einmal  im  A.-F.-H.-S.  gleichmässig  verteilt  ist:  h.  skül  konnte  wegen 
des  ü  (s.  A,  9)  gar  nicht  von  der  Mouillierung  betroffen  werden, 
s.  vinü  nicht  wegen  des  S,  und  für  h.  vin  ist  wegen  der  mangelnden 
Mouillierung  noch  *vind  vorauszusetzen,  als  man  a.-f.  schon*  vin  sagte. 

§  9.  Über  das  Verhältnis  des  A.-F.-H.-S.  zu  den  englischen  Mund- 
arten bemerke  ich  Folgendes: 

1)  Das  Kentische  steht  in  keiner  nähern  Beziehung  zum  A.-F.-H.-S. 
oder  Ndfrs.;    denn  die  Haupteigentümlichkeit  des  Kent.,  e  und  e  für 


10 

den  i-Umlaut  von  germ.  u  und  ü,  wird,  wie  §  8  A,  9  und  D,  1  und  5 
gezeigt  ist,  hier  nicht  geteilt.  —  Auslautendes  germ.  y  igt  zwar 
a.-f.-h.-s.  und  ndfrs.  wie  ost-  und  westfrs.  zu  i  geworden,  wie  im  Ken- 
tischen und  im  spätem  Englisch  überhaupt;  für  eine  ältste  Sondrung 
der  ingw.  Mundarten  kann  diese  Erscheinung  aber  nicht  in  Betracht 
kommen. 

2)  Der  übereinstimmende  Abfall  des  auslautenden  n  im  Northum- 
brischen,  A.-F.-H.-S.,  Ndfrs.  und  Ost-  und  Westfrs.  beweist  nichts  für  eine 
nähere  Beziehung  des  Northumbrischen  zu  den  letztgenannten  Sprachen. 

3)  Die  §  8  unter  D,  1  gegebnen  Hinweise  ergeben  a.-f.-h.-s.  e  für 
germ.  e,  ai  und  au  -+•  i,  aber  ndfrs.  e  für  germ.  e  und  ndfrs.  e  für 
germ.  ai  und  au  -f-  i;  da  nun  ai:  e  die  Zwischenstufe  e  voraussetzt, 
so  ergiebt  sich  für  die  ältste  Zeit  ndfrs.  äe  für  germ.  e  und  e  für  ai 
und  au  -1-  i.  Beide  Mundarten  weichen  von  allen  englischen  Mund- 
arten in  der  Behandlung  des  ai  ab,  hier  ä,  dort  e.  Während  für  das 
A.-F.-H.-S.  nicht  auszumachen  ist,  wann  das  für  germ.  e  als  ingw.  vor- 
auszusetzende ie  mit  dem  e  aus  germ.  ai  und  au  -h  i  zusammengefallen 
ist,  so  ist  erweisbar  nur  für  das  Ndfrs.  die  Übereinstimmung  mit 
dem  westsächs.;  ndfrs.  und  westsächs.  sind  die  einzigen  ingw.  Mund- 
arten, welche  nachweislich  germ.  e  und  germ.  au  -1-  i  nicht  in  einen 
Laut  haben  zusammenfallen  lassen.  —  ö  und  ü,  ö  und  ü  bestanden  im 
ältsten  A.-F.-H.-S.  und  Ndfrs.  wie  im  ältstenEngl.  ausser  dem  Kentischen. 

4)  Alle  englischen  Mundarten  haben  germ.  au  zu  ea  gemacht. 
Dass  das  a.-f.-h.-s.  üae,  üe,  uä,  öa  und  ndfrs.  ü  für  germ.  au  (§  8, 
A,  4  und  C,  2)  auf  ä  zurückgeht,  beweist  das  Wort  „Pfahl":  a.  püael, 
f.  püel,  h.  puäl,  s.  poal,  ndfrs.  pul.  Dass  dieses  &  nicht  aus  ea  ent- 
standen sein  kann,  beweist  der  Gegensatz  von  z.  B.  a.  sgüset  Schoos 
und  s'üer  Scheere,  letztres  aus  *sjüer  aus  *skjuer  aus  *skjär 
aus  *skeär,  s.  unten  6);  geht  s'  auf  skj  zurück,  so  beweist  das  sg 
von  sgüset  ein  ursprüngliches  ä. 

5)  Die  Brechung  des  a  ist  im  A.-F.-H.-S.  und  Ndfrs.  nur  vor  r, 
nicht  vor  1  eingetreten,  wie  im  Ost-  und  Westfrs.  und  im  Anglischen. 
Z.  B.  aengl.  earm  Arm,  afrs.  erm,  wfrs.  earem,  sat.  erm,  wang. 
erem,  ndfrs.  erem,  eirm,  a.  iera*m,  f.  ierem,  h.  iärm,  s.  jerem; 
aber  westsächs.,  kent.  healdan  halten:  angl.  haldan,  afrs.  hälda, 
wfrs.  hade,  sat.  holde,  wfang.  hol,  ndfrs.  hül'e,  hüle,  hüle,  a.  hüsel, 
f.  hüel,  s.  hoalS. 

6)  Von  allen  ingw.  Mundarten  ist  nur  im  Westsächs.  und  A.-F.-H.-S. 
die  Diphthongierung  durch  Palatale  eingetreten,  z.  B.  nichtwestsächs. 
ger  Jahr,  afrs.  ier,  wfrs.  jier,  sat.  und  wang.  jer,  ndfrs.  j er,  jir,  ir: 
wests.  gear,  a.-f.  jüer,  h.  juär,  s.  jör.  Diese  Übereinstimmung  ist 
darum  von  ganz  besondrer  Wichtigkeit,  weil  wir  in  der  glücklichen 
Lage  sind  die  Zeit  dieser  Diphthongierung  bestimmen  zu  können: 
Westsächs.  ciese  Käse  kann  zur  Zeit,  als  die  Diphthongierung  ein- 
trat, noch  nicht  das  i-  Umlauts  -ae  gehabt  haben,  weil  aus  *cäese  ein 
*cease  geworden  wäre,  wie  *scäep  Schaf  zu  sceap  geworden  ist;  *casi 
kann  das  Wort  damals  auch  nicht  mehr  gelautet  haben,  weil  von  der 
Diphthongierung  nur  die  breiten  Vokale  se,  äe,  e,  e  betroffen  worden  sind; 


11 

folglich  muss  aus  westgerm.  *käsia  zunächst  *ceasia  geworden  sein, 
hieraus  erst  die  umgelautete  Form  ciese.  Dieselbe  Zeitbestimmung 
ergiebt  ein  andrer  Gesichtspunkt:  Das  aengl.  se,  welches  für  germ.  e 
steht,  wird  von  der  Diphthongierung  betroffen,  nicht  aber  das- 
jenige se,  welches  i-Umlaut  von  a  aus  germ.  ai  ist.  Es  bleibt  also 
das  se  z.  B.  von  gced  „er  geht"  unverändert.  Folglich  kann  in  letzterm 
Falle  zur  Zeit  der  Diphthongierung  noch  kein  ae  bestanden  haben,  auch 
nicht  einmal  der  zwischen  ai  und  «  etwa  mögliche  Mittellaut  sei,  see; 
denn  auch  dieses  se  hätte  sonst  diphthongiert  werden  müssen.  Es 
folgt  also,  dass  zur  Zeit  unsres  Gesetzes  ai  noch  gar  nicht  umgelautet 
gewesen  sein  kann,  sei  es  nun,  dass  es  damals  schon  ä  oder  noch 
ai  lautete.  Aengl.  gsed  lautete  also  noch  *yä8i  oder  *Yai8i,  als  die 
Diphthongierung  eintrat,  und  wir  kommen  damit  für  die  Zeitbestimmung 
der  letztern  in  eine  Zeit  hinauf,  die  wir  noch  als  westgerm.  zu  be- 
zeichnen pflegen;  denn  das  auslautende  i  von  *yai8i  fiel  bereits 
gemeinwestgermanisch  ab.  Vgl.  Sievers,  Paul  und  Braune,  Beitr.  IX, 
206  f.  und  Brate,  daselbst  X,  24  f.  Um  so  merkwürdiger  ist  es,  dass 
das  A.-F.  grade  in  dem  einen  Beispiel  mit  dem  Westsächs.  überein- 
stimmt, welches  vorläufig  nur  als  eine  Ausnahme  von  der  Regel 
betrachtet  werden  kann,  dass  der  i-Umlaut  von  germ.  ai  keine  Diph- 
thongierung erfährt:  „Die  Scheide",  germ.  *skai8iö,  heisst  nämlich 
ws.  skead,  und  auf  dieselbe  Grundform  geht  a.  s'ü&es,  f.  s'üeO, 
s'ües  zurück.  Die  Beispiele  für  germ.  a  weisen  a.-f.-h.-s.  auf  sb 
zurück,  vor  welchem  sk  erhalten  ist,  z.  B.  a.-f.  sgel  Schale  =  ws. 
scealu;  hieraus  ist  also  nicht  zu  entnehmen,  ob  eine  Diphthon- 
gierung stattgefunden  hat.  Der  i-Umlaut  dieses  se  ist  aber  s.  e,  h. 
e  (e),  a.-f.  in  offner  Silbe  e,  in  geschlossner  a,  mithin  nach  §  8  C,  1 
ursprünglich  i,  z.  B.  —  ich  führe  der  Einfachheit  wegen  nur  die  a.-f. 
Beispiele  an  —  sgal  Schale,  sedl  Kessel  =  ws.  sciell,  cietel.  Bei- 
spiele für  ingw.  äi  sind  a.-f.  jüer  Jahr,  s'üer  Scheere  —  helg.  freilich 
skiär  aus  *sker  — ;  das  s'  von  s'üer  ist  altes  sj  aus  skj,  beweist 
also  (vgl.  oben  4)  eine  Grundform  *skiär.  Hierher  gehören  auch  die 
Fälle,  in  welchen  das  aus  germ.  a  diphthongierte  ea  vor  r  -f-  stimmh. 
Kons,  gedehnt  worden  ist,  z.  B.  a.-f.  jüern  Garn,  h.  juärn,  s.  Jörn  = 
ws.  gearn;  hier  beweist  das  j  ein  altes  iä;  denn  vor  ä  steht  g*). 
Das  einzige  mir  bekannte  Beispiel  für  den  i-Umlaut  ist  ws.  ciese 
Käse.  Man  sollte,  wie  einem  ws.  ie  a.-f.-h.-s.  ursprgl.  i  entspricht, 
hier  i  für  ws.  ie  erwarten;  doch  a.-f.  sez  weist  auf  ursprgl.  *kise  mit 
kurzem  i  hin,  helg.  siz  dagegen  auf  *kise.  Beispiele  für  die  Diph- 
thongierung eines  germ.  e  sind  a.-f.  jiv  geben,  jil  Geld,  gelten,  jin 
gegen,  jistr  gestern;  das  i  geht  zunächst  auf  langes  i  zurück;  dies 
aber  ist  aus  i  erst  durch  den  Einfluss  des  voraufgehenden  j  entstanden. 
Also  i  entspricht  ws.  ie  in  Beispielen  wie  giefan**). 


*")  a.-f.  güerd  Garten,  h.  guäd  wirddän.  gaard  entlehnt  sein;  Lathgaarth 
1360  auf  Föhr  (Michelsen,  Nordfriesland  im  Mittelalter,  JS.  193). 

**)  Wenn  ich  auf  Grund  dieser  hervorragend  alten  Übereinstimmung  des  A.-F.- 
H.-S.  mit  dem  Westsächs.   beide  Sprachen  in   eine  besonders   nahe  Beziehung  zu 


12 

III.  Die  amringiseh-föhringisehen  Mundarten. 

§  10.  Das  Amringisch-Föhringische  ist  keine  ganz  einheitliche 
Sprache,  sondern  besteht  aus  den  verschiednen  Mundarten  der  ein- 
zelnen Dörfer.  Dem  genauen  Beobachter  zeigen  sich  von  jedem  Dorfe 
zum  andern  bereits  Unterschiede,  und  seien  dieselben  auch  noch  so 
geringfügig;  sie  erstrecken  sich  auf  alle  Gebiete  der  Sprache,  auf 
Mundstellung,  Lautgesetze,  Analogiebildungen,  Syntax,  Stilistik,  Fremd- 
wörter. 

Im  Allgemeinen  aber  kann  man  wenigstens  von  zwei  innerhalb 
ihres  Gebiets  einheitlichen  Mundarten  sprechen:  der  amringischen 
und  wehsdringischen.  Erstre  wird  gesprochen  in  Sdiaenöd:  Stenodde, 
bi  Sftz  (im  Süden):  Sösärap:  Süddorf,  Nebel:  Nebel,  bi  Nuad  (im 
Norden):  Nörsärop:Norddorf,  letztrein  Ödersem:Utersum,  DunOem: 
Gross-  und  Klein-Dunsum,_01ersem:  Oldsum,  Klantem:  Klintum, 
Taftem:  Toftum,  Sölerän':  Süderende  und  inHedehüzem:  Hede- 
husum,  wiewohl  in  der  Mundart  des  letztern  Dorfs  sich  schon  aosdrin- 
gische  Einflüsse  geltend  machen.  Die  wehsdringische  Mundart  hält 
die  Mitte  zwischen  der  amringischen  und  aosdringischen,  hat  mit 
erstrer  eine  Reihe  ältrer,  mit  letztrer  eine  Reihe  neuerer  Lautgesetze 
gemeinsam,  derart,  dass  man  heute  von  einer  föhringischen  Mundart 
gegenüber  der  amringischen  spricht,  früher  es  aber  nur  eine  östliche 
und  eine  Amrum  mit  einbegreifende  westliche  Mundart  gab. 

Die  Mundart  des  östlichen  Föhr  ist  keine  einheitliche.  Zunächst 
sind  die  östlichsten  Dörfer  Büeloysem:  Boldixum  und  Vraeksem: 
Wrixum  auszuscheiden,  welche  eine  Mundart  für  sich  haben.  Das 
übrige  Aosdringisch  zerfällt  in  eine  südwestliche  und  eine  nordöst- 
liche Hälfte.  Vizem:  Witsum,  Boraysem:  Borgsum  und  Giietis: 
Goting  müssen  zusammengefasst  werden,  wiewohl  in  jedem  Dorf  etwas 

einander  setze,  so  kann  ich  diese  Behauptung  durch  2  geschichtliche  Zeug- 
nisse stützen.  Ptolemaio8  kennt  die  Sa^ove;  nicht  nur  in  Holstein;  er  kennt  als 
sächsisch  auch  drei  Inseln  an  der  Eibmündung.  [Vgl.  Niederdtsch.  Jahrbuch  XII, 
S.  33.]  Dass  mit  einer  dieser  Inseln  Helgoland  gemeint  ist,  kann  nicht  zweifelhaft 
sein.  Für  die  beiden  andern  Inseln  können  von  den  heute  bestehenden  Inseln  nur 
Amrum,  Föhr  und  Süd  in  Betracht  kommen;  denn  die  heutigen  nordfriesischen 
Inseln  waren  im  13.  Jhdt.  nachweislich  noch  Festland;  Föhr  und  Amrum  bildeten 
ehemals  nur  eine  Insel.  Diese  Inselgruppe  war  also  nach  Ptolemaios  von  Saxen 
bewohnt.  Wir  haben  damit  für  die  beiden  nächstverwanten  Mundarten  in  England 
und  Deutschland  denselben  Namen  Saxen  gewonnen.  Das  zweite  Zeugnis  bietet 
Nennius  §  63.  Er  erzählt  zum  Jahre  627  von  der  Taufe  einer  englischen  Völker- 
schaft, die  er  nennt  „omne  genus  Ambronum,  id  est  Aldsaxonum".  Der  Gau  Arameri 
an  der  linken  Unterweser  wird  für  diese  Ambrones  kaum  in  Betracht  kommen, 
folglich  wohl  die  Insel  Amrum,  als  deren  ältster  Name  Ambrum  1231  überliefert  ist. 
Also  dürfen  wir  schliessen,  dass  jene  englischen  Ambrones  aus  Amrum  eingewandert 
waren,  und  dass  die  Bewohner  von  Amrum  als  Sachsen  galten.  Vgl.  Möller,  Das 
altengl.  Volksepos,  S.  91  und  89.  Ich  nehme  daher  an,  dass  die  Sildringen,  Hel- 
golander und  Amring-Föhringen  Nachkommen  desselben  Volkes  sind  wie  die  Sachsen 
in  England  und  schlage  als  gemeinsame  Bezeichnung  des  A.-F.-H.-S.  den  Ausdruck 
„nordsächsisch"  vor. 


13 

anders  gesprochen  wird.  Die  geringen  Reste  des  Föhringischen  in 
N'iblem:  Nieblum  bilden  die  zweite  Unterabteilung  dieses  südwest- 
lichem Aosdringischen.  oDas  nordöstliche  Aosdringisch  wird  fast  ganz 
gleich^  gesprochen  in  Aolkersem:  Alkersum,  M aedlem:  Midlum 
und    Övenem:  Oevenum. 

§  11.  Wenn  ich  von  Osterlandföhr  und  Westerlandföhr,  von 
aosdringisch  und  wehsdringisch  rede,  so  verstehe  ich  darunter  immer 
die  sprachliche,  nicht  die  politische  Zweiteilung.  Es  muss  dies 
darum  besonders  hervorgehoben  werden,  weil  die  politische  Grenze 
mit  der  Sprachgrenze  nicht  zusammenfällt.  Jene  durchschneidet 
Nieblum;  diese  läuft  zwischen  Witsum-Borgsum  auf  der  einen  und 
Hedehusum-Süderende  auf  der  andern  Seite.  Bis  1864  gehörte  das 
politische  Osterlandföhr  zu  Schleswig-Holstein;  Westerlandföhr  mit 
Amrum  stand  seit  dem  14.  Jhdt.  unmittelbar  unter  der  dänischen 
Krone.  Schon  1231  scheidet  Waidemars  liber  census  Daniae  Ostaer- 
und  Waestaerh«ret  auf  Föör.  Diese  politische  Hardenteilung  besteht 
in  Deich-,  Wege-  und  Landschafts-Angelegenheiten  noch  heute.  Das 
Volk  versteht  unter  Wehsdringen  nur  die  westlich  der  Sprachgrenze 
Wohnenden.  Diese  nennen  ihre  Nachbarn  jenseits  derselben  Aosdringen. 
Von  diesen  wiederum  nennen  die  südwestlichem  ihre  nordöstlichen 
Nachbarn  Aosdringen,  und  diesen  wiederum  gilt  Wrixum  und  Boldixum 
als  üest  XXT*  i£o£Y,v.  Die  Sprachgrenze  ist  zugleich  die  Grenze  zweier 
Kirchspiele,  also  jedenfalls  gleichen  Alters  mit  der  Gründung  der 
Kirchen,  die  ins  12.  Jhdt.  fällt.  Die  politische  Grenze  durchschneidet 
nicht  nur  ein  Kirchspiel,  sondern  sogar  ein  Dorf,  kann  also  durch 
Verkehrsverhältnisse  nicht  bedingt  worden  sein.  In  ihren  heutigen 
Grenzen  besteht  die  politische  Oster-  und  Westerharde  (letztre  ein- 
schliesslich Amrum)  urkundlich  nachweisbar  seit  1408  (Nerong,  Föhr 
früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  81),  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
jedoch  seit  1231.  Unter  den  jetzigen  Bewohnern  von  Hedehusum  ist 
kein  einziger,  der  sein  Haus  von  seinen  Voreltern  ererbt  hätte;  alle 
sind  erst  in  neuerer  Zeit  zugewandert.  Doch  lässt  sich  annehmen, 
dass  von  Alters  her  die  Grenze  zwischen  Hedehusum  und  Witsum  lief. 

§  12.  Wenn  ich  sage,  einem  Dorfe  ist  diese  oder  jene  Mundart 
eigen,  so  ist  tatsächlich  nur  die  Minderheit  der  Dorfbewohner  im 
Vollbesitz  aller  jener  Eigentümlichkeiten,  welche  diese  Mundart  aus- 
machen. Denn  nur  wenige  Leute  giebt  es,  deren  Eltern  und  Gross- 
eltern beiderseits  in  demselben  Dorf  geboren  sind.  Bei  der  grossen 
Mehrzahl  stammt  Vater  oder  Mutter,  Grossvater  oder  Grossmutter 
aus  einem  benachbarten  Dorf,  und  somit  sprechen  die  Kinder  und 
Enkel  die  Mundart  ihres  Geburtsorts  nicht  völlig  unverfälscht;  sie 
erben  zunächst  die  Sprache  ihrer  Eltern  und  lassen  dieselbe  dann  erst 
durch  die  Sprache  ihrer  Schulgenossen  beeinflussen.  Die  sprachliche 
Ausgleichung  der  den  einzelnen  Dörfern  eigentümlichen  Verschieden- 
heiten vollzieht  sich  wesentlich  auf  diesem  Wege.  Zudem  wohnen  in 
jedem  Dorf  sehr  viele  Leute,  die  in  einem  andern  Dorf  geboren  sind 
und   die   Mundart  ihres   neuen  Heimatsorts   sich   nur    unvollkommen 


14 

angeeignet  haben,  mit  Beibehaltung  mancher  Eigentümlichkeit  ihres 
Geburtsorts.  Das  Gesainmtergebnis  der  Individualsprachen  aller  in 
einem  Dorf  Ansässigen  für  das  jüngre  Geschlecht  ist  folglich  ein  Kom- 
promiss  der  altheimischen  Mundart  mit  der  der  Nachbardörfer.  Es 
ist  jedoch  zu  bemerken,  dass  ausgeprägt  wahrnehmbare  Abweichungen 
nur  dann  vorzukommen  pflegen,  wenn  die  Mutter  in  einem  andern 
Dorf  geboren  ist  und  dort  als  Mädchen  gelebt  hat.  Ist  die  Mutter 
schon  als  Kind  in  das  neue  Dorf  gekommen  und  hier  zur  Schule  ge- 
gangen, so  wird  man  an  der  Sprache  des  Kindes  kaum  noch  etwas 
von  dem  Geburtsdorf  der  Mutter  heraushören  können;  ebenso  ist  die 
Beeinflussung  von  Seiten  der  Sprache  des  Vaters  und  der  Grosseltern 
kaum  wahrnehmbar.  Fertig  wird  die  Sprache  des  Kindes  erst  durch 
den  Verkehr  mit  den  Schulgenossen;  dieser  ist  das  eigentlich  Bestim- 
mende für  die  Sprache.  Selbst  wenn  Eltern  und  Grosseltern  beiderseits 
aus  demselben  Dorf  stammen,  sprechen  die  Kinder,  die  in  einem  andern 
Dorf  geboren  und  zur  Schule  gegangen  sind,  letztre  Mundart  mit  nur 
geringen  Anklängen  an  die  ihrer  Vorfahren.  In  einer  jetzt  auf  Amrum 
ansässigen  Familie  spricht  z.  B.  die  auf  Föhr  geborne  Grossmutter  rein 
wehsdringisch;  die  Kinder  und  Enkel  sprechen  dagegen  rein  amringisch, 
und  es  gehört  schon  ein  feines  Ohr  dazu,  letztern  die  Herkunft  ihrer 
Grosseltern  noch  anzuhören.  Die  Schule  bestimmt  die  Sprecheinheiten, 
wie  die  jüngsten  mundartlichen  Eigentümlichkeiten  zeigen.  Darum 
gebe  ich,  namentlich  im  Hinblick  auf  die  künftige  mundartliche  Ent- 
wicklung, die  Schuleinheiten  an:  1)  Nebel,  dazu  Süddorf  und  Stenodde; 
2)  Norddorf;  3)  —  im  Kirchspiel  St.  Laurentii  hatte  bis  1809  jedes  Dorf 
seine  eigne  Schule  —  seit  1809  3)  Utersum  mit  Hedehusum  und  Gross- 
Dunsum  und  bis  1855  auch  Klein-Dunsum ;  4)  Oldsum,  dazu  Süderende 
und  seit  1855  auch  Klein-Dunsum;  5)  Toftum  mit  Klintum;  6)  Borgsuni 
mitWitsum  und  Goting,  das  bis  1834  seine  eigne  Schule  hatte;  7)  Nieblum; 
8)  Alkersum;  9)  Midlum;  10)  Oevenum;  11)  Wrixum;  12)  Boldixum. 
§  13.  Mit  demselben  Recht,  mit  welchem  man  innerhalb  des 
Aosdringischen  einzelne  Mundarten  nach  den  Dörfern  unterscheidet, 
könnte  man  dieselben  auch  nach  den  Altersstufen  unterscheiden.  Denn 
tatsächlich  sind  die  Lauterscheinungen,  welche  in  den  einzelnen  Dörfern 
des  Ostens  und  in  den  verschiednen  Altersstufen  von  einander  ab- 
weichen, —  vielleicht  von  Boldixum  und  Wrixum  abgesehen  —  alle 
Jüngern  Datums  und  sind  zur  Zeit  noch  im  lebendigen  Ringen  mit 
einander.  Wollte  man  hier  Sprachlinien  ziehen  nach  Vorbild  der 
Wenker'schen  Karten,  so  müsste  man,  um  ein  richtiges  Bild  zu  ge- 
winnen, von  den  in  Betracht  kommenden  Lautgesetzen  eine  Reihe 
verschiedner  Linien  zeichnen,  jede  für  eine  besondre  Altersstufe.  Na- 
türlich wäre  auch  dies  nur  eine  ungefähre  Bestimmung.  Denn  wenn 
man  auch  sagen  kann,  dass  in  einem  Dorf  etwa  die  Leute  über 
40  Jahre  so  sprechen,  die  unter  30  anders,  die  zwischen  30  und  40 
zum  Teil  so,  zum  Teil  anders,  so  giebt  es  doch  ebenso  gut  einzelne 
Leute  Anfang  der  vierziger  Jahre,  welche  den  Jüngern  Lautwandel 
schon  angenommen  haben,   wie   ein  Fünfundzwanzigjähriger  hier  und 


15 

da  noch  nach  der  Weise  der  Alten  spricht.  Selbst  hier  wird  sich  im 
einzelnen  Falle  die  Erklärung  aus  den  Verhältnissen  ergeben:  Wer 
verhältnismässig  jung  noch  der  altern  Sprechart  folgt,  hat  meist  im 
Elternhause  gelebt;  wer  verhältnismässig  alt  Jüngern  Lautwandel  zeigt, 
der  ist  in  späten  Jahren  auf  die  Schule  gekommen  und  hat  sehr  viel 
mit  Jüngern  verkehrt*).  —  Tatsächlich  sind  hinsichtlich  der  wesent- 
lichsten mundartlichen  Schwankungen  innerhalb  des  Aosdringischen 
überall  die  gleichen  Ansätze  zur  Ausgleichung  vorhanden;  nur  sind  die 
Altersstufen  für  die  neuere  gleichartige  Sprechweise  in  den  einzelnen 
Dörfern  verschieden.  In  einigen  Jahrzehnten  wird  die  aosdringische 
Mundart  wieder  eine  einheitliche  sein. 

§  14.  Die  wichtigsten  mundartlichen  Unterschiede  zwischen  amr., 
wehsdr.  und  aosdr.  sind  die  folgenden: 

1)  Das  Hauptkennzeichen  des  Amr.  ist  die  Vertretung  des  an- 
lautenden (ausser  vor  r)  und  auslautenden  germ.  6  durch  s.  Föhr. 
ist  das  anlautende  6  zu  einem  an  den  Zähnen  gesprochnen  t  geworden, 
und  dies  ist  im  Osten  jetzt  grösstenteils  in  alveolares  t  übergegangen; 
das  auslautende  8  ist  wehsdr.  erhalten  und  zum  Teil  auch  noch  aosdr., 
geht  hier  aber  meist  in  s  über.  Beispiele:  a.  särop  Dorf  =  f.  t&rap, 
täorap;  a.  süaet  Lärm  =  f.  tuet;  a.  säu  waschen  =  w.  tau;  a.  se»k 
denken  =  f.  te»k;  a.  düses  Tod  =  f.  düeO,  aosdr.  dües;  a.  tus 
Zahn  =  f.  tuö,  aosdr.  tus. 

2)  8j  ist  amr.  zu  s',  föhr.  zu  t'yf  (aosdr.  vor  i  zu  t)  geworden; 
als  Mittelstufe  ist  natürlich  0^'  (amr.  s^')  vorauszusetzen.  Beispiele: 
&.  s'ok  dick  =  f.  t'jr'ok;  a.  s'isk  deutsch  =  w.  t'^'isk,  aosdr.  tisk. 
Vgl.  a.-w.  t'jr'in  zehn  =  aosdr.  tin. 

3)  Germ.  8  zwischen  Vokalen  erscheint  amr.  als  z,  föhr.  als  &, 
im  Osten  in  z,  gutturales  interdentales  1,  gutturales  1,  palatales  1  und 
d  gespalten.  Beispiele:  a.  bäzi  baden  =.  f.  blXi,  aosdr.  bäozi, 
b&oli,  b&odi;  a.  liz  leiden  =  f.  li$,  aosdr.  liz,  lil,  lid;  a.  tufrez 
zufrieden  =  f.  tufreSj  aosdr.  tufrez,  tufrel,  tufred. 

4)  Inlautendes  germ.  8r  ist  amr.  dr,  föhr.  lr  (mit  gutturalem 
interdentalen  1),  das  sich  im  Osten  in  lr  (mit  teils  gutturalem,  teils 
palatalem  1)  und  dr  gespalten  hat.  Beispiele:  a.  brudr  Bruder  = 
f.  brulr,  aosdr.  brudr;  a.  vedr  wieder  =  f.  velr,  aosdr.  vedr;  a. 
3dr  andrer  =  f.  ölr,  Ölr,  aosdr.  ödr. 

5)  Föhr.  auslautendes  v  sprechen  die  Amringen  als  u  (ft).  Beispiele: 


*)  Hieraus  folgt  ein  sehr  wichtiger  methodischer  Wink  für  die  chronologische 
Bestimmung  überlieferter  Sprachdenkmäler  auf  Grund  bestimmter  Lauterscheinungen; 
denn  jeder  gesetzmässige  Lautwandel  vollzieht  sich  meines  Erachtens  nicht  in  der 
Sprache  des  Einzelnen,  sondern  nach  Generazionen.  Wenn  wir  z.  B.  in  einem  ahd. 
Sprachdenkmal  50  6  und  10  oa  finden,  in  einem  andern  10  6  und  50  oa,  so  hat 
man  bisher  gefolgert,  dass  erstres  Denkmal  in  demselben  Maasse  älter  sein  müsse, 
in  welchem  der  Lautwandel  ö:  oa  zur  Zeit  vorgeschritten  war.  Hierin  liegt  ein 
methodischer  Fehler.  Vielmehr  können  beide  Denkmäler  im  selben  Jahre  geschrieben 
sein,  vielleicht  letztres  sogar  ein  Paar  Jahre  früher  als  jenes.  Zu  folgern  ist  aus 
der  Bevorzugung  der  Schreibung  6  nur,  dass  der  Schreiber  um  so  viel  Jahre  früher 
geboren  war  als  der  o  a  -  Schreiber,  wie  die  Entwicklung  dieses  Lautwandels  geschah. 


16 

a.  bliu  bleiben  =  f.  bliv;    a.  tu  h8u  zur  Kirche,   zum  Gottesdienst 
=  f.  tuhöv;  a.  salseö  selbst  =  w._salev,  aosdr.  sselev. 

6)  Amr._ä  entspricht  wehsdr.  &,  8,  aosdr.  4o.  Beispiele:  a._däi 
Tag  =  w.  d&i,  döi,  aosdr.  däoi;  a.  mäyi__niachen  =  w.  mäyi, 
möyi,  aosdr.  mäoYi;  a.  hä  (ich)  habe  =  w.  h4,  hö,  aosdr.  h&o. 

7)  Amr.  5  entspricht  f.  6.  Beispiele:  a.  höd  Kopf  =  f.  hod; 
a.  fömen  Mädchen  =  f.  fomen;  a.  bröxt  brachte  =  f.  broxt. 

8)  Amr.  und  wehsdr.  iu  entspricht  aosdr.  iev.  Beispiele:  a.-w. 
t&u  zwei  =  aosdr.  tsevj  a.-w.  släu  schlagen  =  aosdr.  släev;  a.-w. 
trau  treu  =  aosdr.  trüev. 

9)  Amr.  und  wehsdr.  ei  entspricht  aosdr.  üi.  Beispiele:  a.-w. 
nei  neu  =  aosdr.  nSi;  a.-w.  sei  nähen  =  aosdr.  säei;  a.-w.  drei  drehen 
=  aosdr.  driei. 

10)  Das  Kennzeichen  des  Wehsdr.  ist  das  Lautgesetz  (Palatal- 
umlaut) ik  aus  iek,  if  aus  iey.  Beispiele:  a.  iaeki,  aosdr.  ieki 
Eiche,  Eichenholz  =  w.  iki;  a.  kriaek,  aosdr.  kr  iek  Krähe  =  w. 
krik;  a.  liaßy,  aosdr.  liey  niedrig  =  w.  üy. 

11)  Nur  amr.  sind  noch  die  reduplizierten  Praeterita  erhalten, 
während  sie  föhr.  in  die  schwache  Flexion  übergetreten  sind:  a.  sest 
säte,  krest  krähte,  trest  drehte  (von  Halmen  gebraucht),  blest  blies, 
rust  ruderte*)  =  f.  set,  kret,  tret,  ruid.  Das  Verbaladjektiv  ist  amr. 
und  wehsdr.  noch  stark,  f.  aber  schwach:  a.-w.  sen,  kren,  tren, 
blen,  a.  run  =  aosdr.  set,  kret,  tret,  aber  wehsdr.  wie  aosdr.  ruid. 

12)  Aosdr.  ist  die  Übertragung  des  Stammvokals  des  starken 
Verbaladjektivs  bei  den  Zeitwörtern  zweiter  und  dritter  Klasse  auf 
das  Praeteritum.  Beispiele:  a.  sgod,  w.  sgöd  schoss  =  aosdr.  sgöd 
nach  a.-f.  sgödn  geschossen;  a.  söb,  w.  söb  soff  =  aosdr.  söb  nach 
a.-w.  söbm,  aosdr.  söben  gesoffen;  a.  sbrö»,  w.  sbrö»  sprang  = 
aosdr.  sbrÜB  nach  a.  sbrüssen,  f.  sbrüsen  gesprungen;  a.  sdöraeö 
w.  sdörev  =  aosdr.  sdürev  nach  a.  sdürvsen,  f.  sdürven  gestorben. 


IV.  Alt-  und  neu-amringiseh-föhringiseh. 

§  15.  Innerhalb  der  a.-f.  Sprachgeschichte  sind  zeitlich  zwei 
Hauptabschnitte  zu  scheiden,  ein  ältrer:  altamringisch-föhringisch 
(aa.-f.)  und  ein  neuerer:  neuamringisch-föhringisch  (na.-f.).  Diese 
Scheidung  ist  aus  praktischen  Gründen  geboten.  Die  Hauptmerkmale 
des  Jüngern  Zeitraums  sind  die  Kürzung  von  i,  u  und  ü  in  geschlossner 
Silbe,  die  Dehnung  und  teilweise  Diphthongierung  der  Vokale  in  offner 
Silbe  und  das  Stimmhaftwerden  von  k,  t,  p  nach  langem  Vokal  zu  y,  d,  b ; 


*)  Die  Entstehung  dieser  altertümlichen  Formen  ist  von  dem  Praeteritum 
von  „säen"  ausgegangen.  Got.  safsö  entspräche  lautgesetzlich  a.  *ses;  das  t  ist 
von  den  schwachen  Zeitwörtern  eingeführt  worden.  Nach  dem  Muster  s  e :  sest 
bildete  man  zu  kre  ein  krest,  zu  ru  ein  rust.  Nach  se:  sest  wurde  auch 
zu  sge  „geschehn"  ein  sgest  gebildet,  f.  sget 


das  Kürzungs-  und  Dehnungsgesetz  teilt  das  Helgolandische  und  Sil- 
dringische,  bewahrt  aber  auch  nach  langem  Vokal  k,  t,  p. 

Das  Aa.-F.  reicht  noch  bis  in  die  Zeit  hinein,  als  man  das  Ein- 
zige, was  wir  als  Denkmal  ältrer  Sprache  besitzen,  die  heimischen 
Ortsnamen,  aufschrieb,  und  dies  geschah  bei  den  altern  jedenfalls  vor 
der  Mitte  des  13.  Jhdts. 

Folgende  Lautgesetze  sind  als  na.-f.  durch  die  altern  Orts-  und 
Personennamen  zu  belegen: 

1.  e  wird^zu  a.  ise,  f.  ie  (§  8,  A,  1 — 3).  Stenodde:  Sdiaenöd; 
vgl.    Elbe:    a.  Iaelaeö. 

2.  ö  wird  zu  a.  üae,  f.  üeA(§  8,  A,  4.  5).  Goting:  OüetiB,  Bol- 
dixum:  BüeldYsem,  Oland:  a.  Uselun. 

3.  6  wird  zu  u,  ü  (§  8,  A,  6 — 8).  Dontsum  (ältre  Schreibung 
fürDunsum):  DunOem,  Hooge:  «  Hüy,  Nordstrandischmoor:  Let4Mür. 
Brotherus  1360  (mehrmals,  Michelsen,  Nordfriesland  im  Mittelalter, 
Schleswig,  1828,  S.  193):  a.  brudr. 

4.  i  wird  durch  e  hindurch  zu  a,  aosdr.  «  (§  8,  C,  1).  Klintum: 
Klantem,  Midlum:  M«dlem,  Wrixum,  früherauch  Wrexum geschrieben: 
Vraeksem,  Sild  (so  die  alte  richtige,  seit  1141  belegte  Schreibung  für 
Sylt):  Sal.  Rykmer  1360  (Michelsen,  Nordfriesland  im  Mittelalter, 
S.  193):  Rakmer.    In  unbetonter  Silbe:  Goting  (GüetiB):  a.  GüsetseB. 

5.  ü  wird  durch  i  hindurch  zu  a  (§  8,  D,  5).  Tüftum  (so  die 
ältre  und  richtigre  Schreibung  für  Toftum):  Taftem,  die  Ortsnamen 
auf  -bull:  -bal. 

6.  u  wird  zu  o  (§  8,  B,  1).  Uluersum  1436  (über  censualis 
episcopi  Slesvicensis,  Langebek-Suhm,  Scriptores  rerum  Danicarum  VII, 
Haunise  1792,  S.  502):   Olersem  (jetzt  Oldsum  geschrieben). 

7.  ü  wird  zu  ö.  Uddersum  1360,  Utersum  1436,  Ütersum:Ödersem. 

8.  ü  wird  zu  ü  (§  8,  D,  3).  Hedehusum:  Hedehüzem,  Husum: 
a.  Hüzsem. 

9.  6  wird  zu  e  (§  8,  A,  10).  Föör  1231,  1240,  1336,  1360,  1388, 
1408,   1411,  1415,  Föhr:  Fer. 

10.  Unbetontes  um  wird  zu  a.  aem,  f.  em.  Alle  Ortsnamen  auf 
-um:  a.  -aem,  f.  -em. 

11.  Auslautendes  e  fällt  ab.  Stenodde:J5di»nöd,AHooge:   se  Hüy- 

12.  lv,  ry  wird  zu  lav,  ray.  Elbe:  f.  Ielov,  a.  Irolseö,  Borgsum: 
BordYsem,  Hamborg:  HamboraY- 

13.  t6  wird  zu  s  (nach  n  wehsdr.  zu  8),  nach  langem  Vokal  zu  z. 
Dontsum,  Duntzum  (ältre  Schreibungen  für  Dunsum):  DunOem  (a. 
D uns  aem),  Wy dsuin  (ältre  Schreibung  für  Witsum):  Vizem. 

14.  ld  wird  zu  1  (§  8,  B,  6).  Boldixum:  Büelaysem,  Sild  (seit 
1141):  Sal. 

15.  lw  wird  zu  1.     Uhiersum  1436  (jetzt  Oldsum):  Olersem. 

16.  t  nach  langem  Vokal  wird  zu  d  (§  8,  C,  3).    Utersum:  Ödersem. 

17.  ki  wird  zu  t'x'i.     Ketel,  Ketels:  T'x'idl,  T'x'idls. 

18.  tl  wird  zu  dl.     Ketel:  T'x'idl. 

KiedeTdenUche«  Jahrbach.    XIII.  2 


18 

19.  ars  wird  zu  as.     Karsten:  Kasn. 

20.  8 tu  wird  zu  sn.     Karsten:  Kasn. 

Anm.  Sowohl  T'v'idl  aus  Ketel  als  Kasn  aus  Karsten  verraten  spätre 
Entlehnung  aus  einer  andern  Mundart;  als  die  lautgesetzlichen  a.-f.  Formen  bestehn 
daneben  sedl  „Kessel"  und  Krasn  (aus  *Krisn  aus  *Kristn  aus  Chri- 
stian^)). —  In  Betracht  kommen  hier  noch  einige  Personennamen,  deren  der 
frühern  Aussprache  gemässe  Schreibung  zwar  nicht  beibehalten^  aber  in  richtiger 
etymologischer  Erkenntnis  wieder  eingeführt  worden  ist:  I e r k  schreibt  sich 
verdeutscht  Erich  (ise  aus  e);  Rakmer  schreibt  sich  Rickmer  (a  aus  i). 

§  16.  Den  aa.-f.  Zeitraum  rechne  ich  zurück  bis  etwa  600  n.  Chr., 
d.  h.  bis  zu  der  Zeit,  in  welcher  die  lebendige  Verbindung  mit  den 
Stammesgenossen  in  Britannien  aufhörte.  Die  Zeit  vorher,  in  der 
von  einer  besondern  a.-f.  Mundart  noch  nicht  die  Rede  sein  kann,  ist 
die  ingwaiwische.  Als  ingw.  verstehn  wir  diejenigen  Spracherschei- 
nungen, von  denen  wir  voraussetzen,  dass  sie  zur  Zeit  der  Sprech- 
gemeinschaft aller  ingwaiwischen  Stämme  sich  entwickelt  haben, 
gleichviel,  ob  diese  Erscheinungen  uringw.  sind,  d.  h.  allen  ingw. 
Mundarten  gemeinsam,  oder  ob  sie  nur  auf  einem  Teil  des  ingw. 
Sprachgebiets  durchgedrungen  sind.  Die  Bildimg  einer  ingw.  Mundart 
begann  und  vollzog  sich  grösstenteils  gleichzeitig  mit  der  Bildung  der 
westgerm.  Spracheinheit. 

Wir  unterscheiden  also  in  der  Geschichte  des  A.-F.  drei  Zeit- 
räume: 1)  ingwaiwisch  vom  3.  bis  6.  Jhdt.,  2)  altamringisch-föhringisch 
vom  7.  bis  ungefähr  12.  Jhdt.,  3)  neuamringisch-föhringisch  von 
ungefähr  dem  13.  Jhdt.  an. 


V.  Sprachdenkmäler. 

§  17.  Die  schriftliche  Überliefrung  in  der  Landessprache  reicht 
nicht  über  das  Jahr  1748  zurück,  wenn  man  von  den  wenigen  urkund- 
lichen Eigennamen  und  den  im  17.  und  18.  Jhdt.  zahlreichern  urkund- 
lichen Namen  für  Felder,  Feidmaasse  u.  dgl.  absieht,  deren  Sprachform, 
wie  sie  überliefert  ist,  durchaus  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist. 
Wir  haben  freilich  noch  ein  Lied,  welches  in  das  Mittelalter  zurück- 
weist (§  19,  V,  13);  aber  die  Sprachform,  in  der  es  überliefert  ist. 
ist,  bis  auf  einige  veraltete  Wörter,  die  heutige. 

Anm.  Die  altern  Urkunden  sind  abgedruckt  bei  Michelsen,  Nordfriesland  im 
Mittelalter,  Schleswig  1828  (auch  in  Falck's  Staatsbürgerl.  Magazin  VIII,  1828. 
S.  453—740),  S.  183  ff.  Für  die  altern  Feldnamen  ist  von  Wichtigkeit  das 
Schilling-Englisch-Buch:  1)  für  Osterlandföhr  von  1637  (erneuert  1653, 
nochmals  erneuert  1659,  1667  und  1706),  (plattdeutsch),  gedruckt  bei  Nerong,  Führ 
früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  56—58 ;  2)  für  Westerlands hr  und  Amrum  von  1664 
(plattdeutsch),  Abschrift  auf  der  Kieler  Universitätsbibliothek  Cod.  MS.  S.  H.  232,  A : 
in  einem  Anhang  (um  1800)  werden  die  vorkommenden  führ.  Wörter  besprochen: 
3)  für  Osterlandföhr  von  1706  (hochdeutsch),  gedruckt  in  Carstens'  und  Falck's 
Staatsbürgerl.  Magazin  IV,  1824,  S.  154—164  und  teilweise  bei  Nerong,  Führ  früher 
und  jetzt,  S.  59—63;  bei  Carstens  und  Falck,  S.  168—172  werden  die  fuhr.  Wörter 
besprochen. 


19 

§  18.  Ihrer  Überliefrung  nach  am  ältsten  sind  die  folgenden 
a.-f.  Sprachdenkmäler: 

1.  Der  kleine  Katechismiis  in  föhringischer  Mundart, 
handschriftlich  auf  der  Kgl.  Bibliothek  in  Kopenhagen*),  laut  Katalog 
erworben  lim  1700,  aber  nicht  mehr  vorhanden. 

2.  Amringisches  Vaterunser,  gedruckt  in  Gessner's  Oriental. 
und  Occidental.  Sprachmeister  (hrsg.  von  Fritz  und  Schulze),  Leipzig 
1748,  S.  21  und  in  demselben  Buch  unter  dem  Titel  Schulzen's 
Oriental.  und  occidentalisches  abc-Buch,  Naumburg  und  Zeitz  1769; 
wieder  abgedruckt  Adelung- Vater,  Mithridates  II,  Berlin  1809,  S.  244. 

3.  Aosdringisches  Wörterverzeichnis,  1757  geschrieben, 
mitgeteilt  vom  Organisten  Peters  in  Wrixum,  abgedruckt,  in 
Falck's  Staatsbürgerl.  Magazin  V,  1826,  S.  739—745.  (Einige  Wörter 
hiernach  nachgedruckt  bei  Paulsen,  Samlede  mindre  skrifter  (gesammelte 
kleinere  Schriften)  I,  Kopenhagen  1857,  S.  213  Anm.) 

4.  Föhringische  Wörter,  mitgeteilt  von  Z.  E.  und  G.  V., 
Schleswig-Holsteinische  Anzeigen  auf  das  Jahr  1758,  Glückstadt,  S. 
557 — 562  und  wieder  abgedruckt  in  Falck's  Sammlung  der  wichtigsten 
Abhandlungen  zur  Erläuterung  der  Vaterland.  Gesch.  II,  Toudern  1822, 
S.  151—155. 

5.  Wrixumer  Abschrift  des  wehsdringischen  Liedes  „Ohn 
ah  Hemmel  efter  ah  Dos  tu  kemmen*  (§  19,  IV,  1),  um  1800, 
im  Besitz  von  Simon  Gerrits  in  Oevenum. 

6.  (Wrixumer)  Niederschrift  des  Hochzeitsliedes  „Klüftig 
küren  wir  üb  Drüg  Seesen  bradlepsday*  (§  19,  V,  21),  ver- 
mutlich um  1800,  im  Besitz  von  Simon  Gerrits  in  Oevenum. 

7.  Die  verhältnismässig  wenigen  (teilweise  fälschlich  als  föh- 
ringisch  bezeichneten  und  grossenteils  unrichtig  wiedergegebnen)  a.-f. 
Wörter  in  Outzen's  Glossarium  der  friesischen  Sprache,  Kopenhagen 
1837  (Vorrede  1824  unterzeichnet);  Outzen,  der  selbst  auf  Föhr  gewesen 
ist,  hat  benutzt  nach  seiner  eignen  Angabe  (S.  XXIX  f.):  a)  das 
Wrixumer  Hochzeitslied  (§  19,  V,  21),  b)  eine,  und  zwar  vermutlich 
die  Peters'sche  Abschrift  des  alten  aosdringischen  Tanzliedes  (§  19, 
V,  13),  c)  eine  Hdschr.  von  Quedensen's  geistlichem  Liede  (§19,  IV,  1), 
d)  den  kleinen  Katechismus,  vom  Organisten  P.  J.  Peters  in 
Wrixum  ins  Föhringische  übersetzt  (vgl.  die  Anm.  unten),  e) 
r  sonst  manche  sehr  brauchbare  Notizen u  von  demselben. 

Anm.  Es  ist  ausdrücklich  davor  zu  warnen  scheinbar  altertümlichen  Schrei- 
bungen irgend  welches  Gewicht  beizulegen.  Wer  sich  einmal  davon  überzeugt  hat, 
wie  gradezu  unglaublich  verkehrt  die  Leute  heute  ihre  Sprache  schreiben,  wenn 
sie  einmal  in  diese  ungewohnte  Lage  gebracht  werden  —  sonst  schreiben  sie 
nur  in  hochdeutscher  Sprache,  weil  sie  dies  auf  der  Schule  gelernt  haben  — ,  der 
wird  gar  nicht  misstrauisch  genug  sein  können,  wenn  es  gilt,  aus  dem  Geschriebnen 
für  das  Gesprochne  Folgrungen  zu  ziehen. 

§  19.     Da   voraussichtlich  in   100  Jahren  ied  lebendige   Quelle 


*)  nicht  mit  de  Vries  bei  Bendsen,  Die  nordfriesische  Sprache,  Leiden  1860, 
S.  XI  f.  derselbe  wie  die  von  Outzen  benutzte  Übersetzung  des  Wrixumers  Peters. 

2* 


2* 

des  Volksinundes  nicht  mehr  sprudeln  wird,  so  ist  es  von  Wichtigkeit 
alles,  was  bisher  in  dieser  Sprache  aufgezeichnet  worden  ist,  für  die 
spätre  Forschung  au  bewahren.  Ich  gebe  deshalb  hier  eine,  wie  ich 
glaube  aussprechen  zu  dürfen,  vollständige  a.-f.  Literaturübersicht*); 
wenigstens  ist  dieselbe  so  vollständig,  wie  es  heute  nur  im  Bereich 
der  Möglichkeit  liegt  eine  solche  zu  geben.  Da  fast  alles  Gedruckte 
kaum  allgemein  zugänglich  ist,  sondre  ich  in  der  folgenden  Übersicht 
nicht  das  Gedruckte  von  dem  Geschriebnen.  Ich  habe  von  allen 
namhaft  gemachten,  weniger  zugänglichen  Sachen,  soweit  ich  sie  nicht 
erwerben  konnte,  Abschriften  genommen,  und  zwar,  soweit  möglich, 
vom  Original.  Die  folgende  Übersicht  über  die  Sprachdenkmäler  macht 
Anspruch  auf  Vollständigkeit;  nur  wo  in  Erzählungen  oder  Reise- 
schriften ein  Paar  schon  anderweitig  gedruckte  Wörter  und  Sätze 
wieder  abgedruckt  sind,  durfte  ich  mir  die  Anführung  ersparen.  Hin- 
sichtlich des  in  grammatischen  Schriften  enthaltnen  SprachstofFs  ver- 
weise ich  auf  §  20  und  21. 

Eine  Ausgabe  aller  amringisch-föhringischen  literarischen  Er- 
zeugnisse, welche  inhaltlich  von  Wert  sind,  ist  von  mir  in  Vorbereitung. 

I.  Amringisch  und  ffihrmgisch. 

Gleichmässig  Eigentum  von  Amrum  und  Föhr,  ohne  dass  der 
Ursprung  sich  feststellen  Hesse,  sind: 

1.  die  sehr  zahlreichen  a.-f.  Sprichwörter  aus  alter  und  neuer 
Zeit  sowie  die  sehr  alten  Wiegenlieder  und  Kindersprüche.  Die- 
selben sind  grösstenteils  auch  auf  Süd  und  in  Nordfriesland,  zum  Teil 
auch  in  Norddeutschland  bekannt.  Sie  sind,  mit  deutscher  Über- 
setzung, am  vollständigsten  an  drei  Stellen  zu  finden:  a)  in  der  1846 
abgeschlossen  Sammlung  des  Amrumer  Pastors  Mechlenburg,  Nr.  3a 
(Übersetzung  3b)  seines  Nachlasses  auf  der  Stadtbibliothek  zu  Hamburg, 
grösstenteils,  aber  nicht  fehlerlos,  abgedruckt  in  Haupt's  Ztschr.  VIII 
1851,  S.  350 — 374;  b)  bei  Johansen,  Nordfriesische  Sprache,  überall 
im  ganzen  Buch  verstreut;  c)  in  der  Sprichwörtersammlung  von  Nissen, 


*)  Die  Literatursprache  war  nach  der  lateinischen  die  plattdeutsche  und  ist 
jetzt  die  hochdeutsche.  Daher  ist  weitaus  das  Meiste,  was  Amringen  und  Fuhringen 
niedergeschrieben  haben,  plattdeutsch  und  hochdeutsch  abgefasst.  Hier  kommen 
nur  die  Erzeugnisse  der  Landessprache  in  Betracht.  Es  sind,  soweit  nicht  Über- 
setzungen, vielfach  Gelegenheitsgedichte.  Doch  giebt  es  immerhin  eine  ganze  Anzahl 
recht  netter  neuerer  Gedichte,  sogar  eine  Art  von  Lustspiel  (IV,  3,  c),  dazu  viele  Prosa- 
stücke, d  ü n  t'  j  i  s  (n)  (Erzählungen).  Die  bekanntern  Gedichte,  11  t'j  in,  lie  t  n,  werden 
gesungen  —  meist  beim  Punsch  — ,  und  zwar  nach  der  Weise  von  deutschen  Volks- 
und Studentenliedern,  sind  also  in  dieser  Form  amringisch-föhringische  Volkslieder 
heute  zu  nennen.  Das  meiste  Interesse  beanspruchen  zwei  ältre  Volkslieder:  Etwa 
aus  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  stammt  das  heute  nur  im  östlichen  Föhr 
noch  lebendige,  aber  auch  hier  veraltende  Lied  von  Trint'^'  «n  Driiy  S6zn  braed- 
lsepsdäoi  (V,  21).  Gänzlich  veraltet  und  so  gut  wie  völlig  unbekannt  ist  das 
hochwichtige  alte  Tanzlied  M  bäoi  se  redr  (V,  13),  welches,  nur  unvollkommen 
erhalten,  aus  dem  15.  Jhdt.  stammt.  Gedruckt  ist  von  a.-f.  Literatur  das  aller- 
wenigste, aufgeschrieben  das  meiste:  vieles  lebt  aber  auch  nur  im  Volksmund  fort. 
—  Das  meiste  literarische  Leben  herscht  auf  Föhr;  der  Amringe  lebt  einsamer. 


81 

De  freske  Findling,  Stedesand  1873 — 1883,  in  der  übrigens  so  manches 
nur  als  eine  amr.  Übersetzung  nordfriesischen  Erbguts  anzusehn  ist. 
Kinderreime  s.  besonders  zum  Schluss  der  M.'schen  Sammlung,  hei 
Johansen,  S.  3,  120,  191,  265 — 267  und  bei  Nissen  am  Schluss  der 
Sammlung.  Ferner  sind  d)  in  Clements  Lappenkorb,  Leipzig  (1847), 
S.  294—316,  238  amringische  Sprichwörter  gedruckt  und  S.  392  f. 
zwei  Sprüche  (Arebar  Lungsnar  und  Gregöri),  zum  Teil  wieder 
abgedruckt  in  Firmenich's  Völkerstimmen  III,  S.  2 — 8 ;  e)  amringische 
Reime  und  Sprüche  auf  besondre  Tage  und  Zeiten  des  Jahrs  nebst 
Wetterregeln,  mitgeteilt  von  Johansen,  Jahrhücher  f.  d.  Landeskunde 
der  Herzogthümer  Schleswig,  Holstein  und  Lauenburg  IX,  1867,  S. 
126 — 128,  grösstenteils  auch  in  desselben  Ndfrs.  Spr.  vorkommend. 
Einige  Sprichwörter  sind  auch  bei  Nerong,  Föhr  früher  und  jetzt, 
Wyk  (1885),  S.  153  f.  nachgedruckt.  Ein  alter  Reim  (Piadersdai 
as  nü  förbi)  (auch  a,  S.  370  und  e,  S.  127)  daselbst  S.  76  Anm., 
als  Wrixumisch  1859  von  Mechlenburg  aufgeschrieben  Ged.,  S.  78. 
Ein  Wiegenlied  (Sßnke,  Sönke,  D&tje  wat)  (auch  Joh.,  Ndfrs.  Spr., 
S.  266)  steht  in  Nr.  11,  9  des  M.'schen  Nachlasses  auf  der  Hamburger 
Stadtbibliothek,  ein  Kinderspiel  (Ikkräskedi)  daselbst  Nr.  3<*.  Allen 
Sammlern  entgangen  ist  ein  wenigstens  100  Jahre  altes  a.-f.  (übrigens 
auch  auf  Süd  bekanntes)  Wiegenlied  Dier  kam  sen  sgepgi  fän 
nürdn  (vgl.  Müllenhoff,  Schl.-Holst.  Sagen,  S.  501  f.),  von  mir  nach 
der  mündlichen  Überliefrung  aufgezeichnet. 

2.  „Dier  vul  sen  bür  sens  edr  apsdun",  Übersetzung  des 
deutschen  „Es  wollt'  ein  Bauer  früh  aufstehn",  sicher  älter  als  100 
Jahre,  heute  noch  bei  Jung  und  Alt  ein  sehr  beliebtes  Volkslied,  von 
mir  nach  dem  Volksmund  aufgezeichnet. 

IL  Amringisch. 

1.  Das  alte  amringische  Vaterunser,  s.  §  18,  2. 

2.  Pirlala  läi  ün  sin  käst,  Tanzlied,  wenigstens  100  Jahre 
alt,  bis  zur  Mitte  dieses  Jhdts.  noch  im  Gebrauch,  nach  der 
mündlichen  Überliefrung  von  mir  aufgezeichnet;  das  Lied  ist  von 
Holländer  Schiffern  nach  Amrum  gebracht  worden  und  wurde  von  den 
jungen  Amringen  nachgesungen. 

3.  Wat  Neis  brangst  mä  fan  Nurden?,  alter  Spruch,  von 
Clement  mitgeteilt  in  seinem  Lappenkorb,  S.  332  und  bei  Firmenich 
III  (1854),  S.  2,  auch  in  der  M.'schen  Sprichwörtersammlung,  Nr.  3», 
S.  11  des  Nachlasses  in  Hamburg. 

4.  Letj  Eelke  an  Grat  Eelke,  sehr  altes  Märchen,  in  2  ab- 
weichenden Gestalten;  die  eine  nach  Johansen,  gedruckt  in  Müllenhoff s 
SchL-Holst.  Sagen,  S.  497 — 500  und  in  den  Grenzboten,  23.  Jahrgang, 
n.  Semester,  III.  Band  1864,  S.  21  f.,  etwas  anders  in  Johansen's 
Arammud  an  Dögganhaid,  Schleswig  1855,  S.  9  f.;  die  andre  Gestalt 
teilt  Clement  mit  bei  Firmenich  111,  S.  454  f.,  Hdschr.  in  Hamburg, 
Nr.  11,  12  des  M.'schen  Nachlasses. 


22 

5.  Henk  an  Höön,  sehr  altes  Märchen  (auch  sildringisch), 
nach  der  Mitteilung  Clements  gedruckt  bei  Firmenich  III,  S.  455  f. 

6.  An  Tel  fän  di  Ris  an  an  letjen  Kühörd,  Märchen,  mit 
plattdeutscher  Übersetzung  mitgeteilt  von  Mechlenburg  in  Ehrentraut's 
Fries.  Archiv  II,  Oldenburg  1854,  S.  324—327. 

7.  Ian  Knolle,  Märchen,  Aufzeichnung  M.'s  1852,  Nr.  11,  14 
seines  Nachlasses  in  Hamburg. 

8.  H.  Kl.  ün  Duntsam,  Hexengeschichte,  1852  von  M.  auf- 
gezeichnet, Hdschr.  Nr.  11,  14  seines  Nachlasses  in  Hamburg. 

9.  Diar  komt  an  jongan  Dring  tüs,  Hexengeschichte,  1852 
von  M.  aufgezeichnet,  Hdschr.  Nr.  11,  14  seines  Nachlasses  in  Hamburg. 

10.  Gebet,  mit  deutsch  dazwischen,  gedruckt  bei  Johansen,  Die 
Seemannswittwe  auf  der  Düneninsel,  Kiel  1860,  S.  54. 

11.  An  fresk  Bleed?  und  Min  leew  Laanslidj,  zwei  Auf- 
rufe zu  der  Gründung  eines  friesischen  Wochenblatts,  Hdschr.  Nr. 
11,  17  des  M.'schen  Nachlasses  in  Hamburg. 

12.  Ein  paar  amringische  Redensarten,  mitgeteilt  von  C.  P. 
H(ansen),  Westsee-Inseln  1871,  Nr.  120,  29.  Iuli. 

13.  Das  Gleichnis  vom  verlornen  Sohn,  sehr  mangelhaft 
in  amr.  Mundart  wiedergegeben  von  Nissen  in  Winkler's  Algemeen 
nederduitsch  en  friesch  dialecticon  I,  S'Gravenhage  .1874,  S.  89 — 91 
(vgl.  dazu  die  Übersetzung  von  Johansen,  Ndfrs.  Spr.,  S.  202  f.). 

14.  A  Könnang  komt,  at  Lidj  as  bliis,  Gelegenheitsgedicht 
von  Nahmen  Nickels  Schmidt,  1845,  Abschrift  M.'s  Ged.,  S.  40. 

15.  Lunsfeeder!  Du  komst  jo  rogt  tidjelk  tu-t  Lun,  Ge- 
legenheitsgedicht von  Hinrich  Fedderse'n,  1845,  zwei  Abschriften  M.'s 
Ged.,  S.  59—61  und  108—110. 

16.  Uk  an  fresk  Steam  tu  tha  Könnang,  man  fan't  bütjenst 
Eilun,  Gedicht  von  an  Oemrangen  (K.  J.  Clement  aus  Norddorf), 
1840V,  gedruckt  bei  Firmenich  III,  S.  1  f.  und  sehr  fehlerhaft  „Am 
Nordsee-Strand*  (Volksblatt,  in  Wyk  erschienen)  Nr.  59,  2.  Dez.  1883. 

17.  Einige  amringische  Sätze  und  eine  Reihe  einzelner  Wörter 
findet  man  bei  Clement,  Reise  durch  Friesland,  Holland  und  Deutsch- 
land, Kiel  1847,  S.  64 — 78,  desgl.,  von  demselben  mitgeteilt,  bei 
Firmenich  III,  S.  450—452. 

18.  Gedichte  von  Chr.  Erichsen  (Iarken). 

a)  An  Ömrang  Li  e  dt  je,  Originalhdschr.  in  Hamburg,  Nr.  11,  6,  3  des 
M.'schen  Nachlasses.  —  b)  At  letzt  Ugenblack,  dier  an  Man  schiest  van 
sin  Wüf,  Originalhdschr.  in  Hamburg,  Nr.  11,  6,  4  des  M.'schen  Nachlasses. 

19.  Gedichte  von  Karsten  Paulsen  aus  Norddorf. 

a)  An  Ömrang  Liattie,  Originalhdschr.,  Nr.  11,  6,  1  des  M.'schen  Nach- 
lasses in  Hamburg,  reicht  nur  bis  Strophe  9  einschliesslich;  2  weitre  Strophen  besitze 
ich  nach  einer  freilich  sehr  schlechten  Norddörfer  Abschrift;  der  ganze  Text  von  13 
Strophenin  deutscher  Übersetzung  in  Clements  Lappenkorb,  Leipzig  (1847),  S.338 — 336. 
—  b)  So  Üs-t  hir  weVskal,  as-t  hir  lang  eg  müar,  1844,  Abschrift  M.'s 
in  Hamburg,  Nr.  11,  5,  1  des  Nachlasses.  —  c)eAuar  aDoas,  1845,  Original- 
hdschr. Nr.  11,  6,  2  des  M. sehen  Nachlasses.  —  d)Auer  Simon,  1845,  Abschrift  M.'s 
Nr.  3C  des  Nachlasses,  zwei  verbesserte  Abschriften  .M.'s  Ged.,  S.  62  f.  und  140  f. 


23 

20.  Gedichte  von  Jac.  Lor.  Engmann  aus  Norddorf,  hand- 
schriftlich auf  der  Hamburger  Stadtbibliothek,  a) — e)  Nr.  11,  3,  f)  Nr. 
11,  2  und  g)  Nr.  11,  5,  2  des  M.'schen  Nachlasses. 

a)  Wan  ik  slumre  ün  diSliap,  Nachdichtung  von  Klopstock's  „Sink 
ich  einst  in  jenen  Schlummer"  (Nr.  34  des  Schlesw.-Holst.  Gesangbuchs  von  1780). 
—  b)  Wan  du  nian  Halp  fän  Minskan  heest,  Nachdichtung  von  Anton 
nrich  von  Braunschweig's  „Wenn  Menschenhülfe  dir  gebricht"  (Nr.  668  des  Schlesw.- 
Holst.  Gesangbuchs  von  1780).  —  c)  Wi  Menskan  bliw  eg  üb  das  Welt, 
Nachdichtung  von  Klopstock's  „Pilger  sind  wir;  wallen  hier"  (Nr.  907  des  Schlesw.- 
Holst.  Gesangbuchs  von  1780).  —  d)  Hokter  fansam  sat  un  Kaamer.  — 
e)  Üb  Sin&i  sted.üs  Herr  God.  —  f)  Dfar  ging  an  Ganner  &uer-t 
Fial.  —  g)  Det  ÖmrangLun,  det  as  man  letj,  1849. 

21.  Gedichte  des  Pastors  Lor.  Fr.  Mechlenburg  aus  Nebel, 
alle  in  Originalhdschr. 

a)  Welkimmen,  Könnang  an  Könnangin,  Gelegenheitsgedicht,  1840?, 
Ged.,  S.  27.  36.  —  b)  1)  Könnang!  Du  komst  tu  üs,  Gelegenheitsgedicht, 
184?,  Ged.,  S.  27— 30.  2)  Dat  wi  di  wedderse,  Gelegenheitsgedicht,  184V,  Nr. 
1 1,  9  des  Nachlasses  in  Hamburg,  andre  Hdschr.  Ged.,  S.  38—40 ;  Neubearbeitung 
von  1).  —  c)  Hurraa  föör  a  K  ö  nn  a  n  g,  o Gelegenheitsgedicht,  Nr.  11,  9  des 
Nachlasses  und  Ged.,  S.  36  f.  —  d)AAuer  a  Amram,  1844,  Nr.  11,  5  des  Nach- 
lasses und  Ged.,  S.  47—53.  —  e)  Hura  f8r  a  Könnang, Gelegenheitsgedicht,  1860, 
Nr.  11,  9  des  Nachlasses  in  2  Aufzeichnungen.  —  f)  God  alla  Minsk  ans 
Fee  dar,  Vaterunser  in  Gedichtform,  Ged.,  S.  122.  —  g)  Jaa  Lidj,  diar  altidj 
snake,  Entwurf  eines  Gedichts,  184?,  Nr.  11,  10  des  Nachlasses. 

22.  Chr.  Johansen  (geboren  1820). 

A)  Gedichte,  a)  Üsh  Her  Christus  sin  Gibet,  1844,  Originalhdschr. 
in  Hamburg  Nr.  11,  8  des  M.'schen  Nachlasses.  —  b)  Wos  an  Puask,  Original- 
hdschr. Nr.  11,  8  des  M.'schen  Nachlasses.  —  c)  Grötnis  to  a  Könnang,  Ge- 
legenheitsgedicht, Originalhdschr.  M.'s  Ged.,  S.  34  f.  —  d)  Diär  as  bidrüvat 
Tishang  kiman,  Nachruf  auf  Christian  VIII,  König  von  Dänemark,  1848,  Ori- 
ginalhdschr. Nr.  11,8  des  M.'schen  Nachlasses,  in  andrer  Rechtschreibung  gedruckt 
Insel-Bote,  Nr.  9,  Wyk,  30.  Oktober  1880.  —  e)  An  deegh  feast  Bolwerk 
as  üüsh  God,  Nachdichtung  von  Luther 's  „Ein'  feste  Burg  ist  unser  Gotta,  1850, 
gedruckt  Joh.,  Arammud  an  Dögganhaid  bi-rköödar,  Schleswig  1855,  S.  14  und 
Ndfrs.  Spr.,  S.  285  f.  —  f)  Jü  üntrÄu  Bridj  Üb  Sal  ün  Eidam,  Abschrift  M/s, 
Nr.  11,  13  seines  Nachlasses. 

B)  Prosa,  a)  Hü  't  tuging,  diär  a  nei  Liär  üüb  Aamram  kam, 
1*49,  Erzählung  der  Einführung  der  Reformazion  auf  Amrum,  Originalhdschr.  Nr. 
10»  des  M.'schen  Nachlasses.  —  b)  Arammud  an  Dögganhaid  bi-rköödar, 
'»der:  Armuth  und  Tugend,  eine  Erzählung,  unter  diesem  Titel  gedruckt  Schleswig 
1 H55.  (Ein  Exemplar  auf  der  Kgl.  Bibliothek  in  Kopenhagen.)  —  c)  Erzählungen 
de s  alten  Besenbinders  Jens  Drefsen,  Ndfrs.  Sprache,  S.  218—281.  — 
d)  Übersetzungen  aus  der  Bibel:  Ev.  Matthäi  5—7  (Cap.  5  wieder  abge- 
druckt bei  Leopold,  Van  de  Scheide  tot  de  Weichsel  III,  te  Groningen  1882,  S. 
252—254;  Matth.  6,  25—32  wieder  abgedruckt  bei  Hansen,  Das  Schleswig'sche 
Wattenmeer,  Glogau  (1865),  S.  272  f.),  Ev.  Lucae  15,  Ev.  Johannis  11,  Apostel- 
geschichte 9  und  1.  Corinther  13,  Ndfrs.  Spr.,  S.  193—211.  —  e)  Übersetzung 
aus  Goethes  Faust,  der  Nachbarin  Haus,  Ndfrs.  Spr.,  S.  211 — 218. 

23.  Religiöse  Gedichte  von  dem  Lehrer  und  Küster  Bonken 
in  Nebel  (gebornem  Halligfriesen),  hdschrftl.  in  dessen  Besitz. 

24.  Üz  nftibar  vier  sens  del  sei  üzn  tu  tren,  Gedicht  einer 
Xorddorferin,  1884,  aus  ihrem  Munde  von  mir  niedergeschrieben. 

25.  Dier  sded  täÖ  sosgarn  ün  a?  säl,  Gedicht  einer  Nord- 
dorferin,  1884,  aus  ihrem  Munde  von  mir  niedergeschrieben. 


HI.  FMringucli. 

Der  kleine  Katechismus  in  föhringischer  Mundart, 
s.  §  18,  1. 

IV.  Wehsdringisch. 

1.  Uun  a  Hemmel  efter  e  Duas  tu  kemmen,  geistliches 
Lied,  1757  gedichtet  von  Christian  Carl  Quedensen,-  Pastor  zu  St. 
Laurentii.  Die  ältste,  mir  bekannte  Hdschr.  ist  im  Besitz  von  Simon 
Gerrits  in  Oevenum;  sie  ist  von  einer  Wrixumerin  um  1800  abge- 
schrieben. Besonders  gedruckt  ist  das  Lied  unter  dem  Titel:  Gesang 
in  der  westerlandf öhrer  Mundart,  verfasst  vor  130  Jahren  von  Pastor 
M.  Flor,  Nieblum  auf  Föhr,  1847  (ein  Exemplar  in  meinem  Besitz). 
Das  Lied  ist  oft  abgedruckt  worden:  von  Clement  in  amringischer 
Mundart  Firmenich  III,  453  f.;  Johansen,  Ndfrs.  Sprache,  S.  281 — 285: 
Johansen,  Die  Seemannswittwe  auf  der  Düneninsel,  Kiel  1860,  S. 
76—81;  Nerong,  Föhr  früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  138— 140. 

2.  Sock  Tochter  sann  mi  nüh  ienfalen,  Gedicht  von  Arfst 
Gerrits,  1823  oder  1824,  zum  Teil  handschriftlich  in  Norddorf. 

3.  Rewert  Knudsen  aus  Utersum  dichtete  —  die  Original- 
handschriften besitzt  Frau  Josina  Knudsen  in  Borgsum  — < 

a.)  das  Lied  En  hiälmeiken  Bradgung,  1880.  —  b)  das  Lied  JEn 
gudden  Hööb,  1880  (oder  1881),  Nachdichtung  von  „Von  allen  den  Mädchen 
so  blink  und  so  blank".  —  c)  das  Lustspiel  Hokker  feid  iäst  en  Wüff,  1881. 

4.  Nickels  Jürgens  (Neggels  Jirrins)  aus  Oldsum,  jetzt  in  Neu- 
münster, dichtete  die  folgenden  Gedichte,  deren  Originalhdschr.  ich  besitze : 

a)  A  fr£m  as  allerdöggen,  1886.  —  b)  Wann 's  mi  hirr  bütjlunn 
fragi,  1886.  —  c)  At  lewent  hirr  bütjlunn  det  haget  mi  ei,  1886.  — 
d)  Tufreth  wart  nömen  üb  a  w61t,  1886.  —  e)  A  fGrreng  sprik 
skall  lewwi,  1886.  —  f)  Sold&tenlewent  as  ei  nett,  1887.  —  g)  von 
demselben?  Huar  as  di  Fresk  sin  federlunn? 

V.  Aosdringisch. 

1.  Cnut  Cnutsen  (Cnuit)  schrieb: 

a)  Tu  min  Loonslieid,  Vorrede  zu  seinem  Buch:  Die  Unsterblichkeit, 
Kiel  1825,  S.  XIII  f.  —  b)  ühn  ah  hemmel  äfter  ah  dus  tu  kemmen, 
Gedicht  (nicht  etwa  dasselbe  wie  IV,  1),  gedruckt  ebendaselbst. 

2.  Dö  säeks  Theewüffen,  jetzt  nicht  mehr  bekanntes  Gedicht; 
eine  Abschrift  besitzt  Bernhard  Schmidt  in  Nebel. 

3.  Tu  üssens  Prinzessin  Victoria  her  Bradlebs  dai,  Ge- 
legenheitsgedicht, gedruckt  Insel-Bote,  Nr.  17,  Wyk,  26.  Februar  1881. 

4.  Hinrich  Bernhard  Jacobsen  aus  Borgsum  schrieb  zwei  Ge- 
dichte, welche  sich  im  Besitz  von  Simon  Jacobs  in  Alkersum  befinden : 

a)  En  Verschük  üb  Ferreng,  1865.  —  b)  Heimath,  Heimweh,  1865? 

Goting. 

5.  Min  eilunn  Fer,  fan  a  Närdsia  trinj  amfluddet,  Lied 
von  E.  Rolufs,  besitze  ich  in  der  Bearbeitung  von  N.  Jürgens. 

6.  En  Ball  in  Guateng,  Gelegenheitsgedicht  von  Amalie  Erichs, 
gedruckt  Insel-Bote,  Nr.  9,  Wyk,  29.  Januar  1881. 


»s 

7.  Si  so,  nü  feit  ä  Smas  et  gud,  Gedicht  von  Jens  Christian 
Ehrichs,  gedruckt  Insel-Bote,  Nr.  52,  Wyk,  2.  Juli  1881. 

Nieblum. 

8.  Mantje  Drefsen,  geb.  1754,  schrieb: 

a)  An  Uasterlunfeerang  Liidtje:  Ik  ha  di  ühs  en  Frieny  ver- 
sp  regen,  Gedicht,  1780;  sehr  fehler-  und  lückenhafte  Abschrift  M.'s  Ged.,  S. 
70—73;  der  richtige  Text  von  der  Hand  der  Enkel-Nichte  der  Dichterin  befindet 
sich  in  meinem  Besitz.  —  b)  Dieselbe  schrieb,  als  Mantje  Dick 8,  1889,  das 
Gedicht  Min  fjäever  n  tttxndeyjuer  säen  gasv  ferlepen,  nach  mündlicher 
Cberliefrung  in  Nieblum  von  mir  aufgezeichnet. 

9.  A.  J.  Arfsten,  geb.  1812,  jetzt  Gärtner  in  Husum,  schrieb 
um  die  Mitte  dieses  Jhdts.  eine  grosse  Zahl  echt  volkstümlicher  anek- 
dotenartiger Erzählungen,  meist  in  Gesprächsform,  sogen.  Düntjes. 

a)  Föhringer  Plaudereien:  Fehr,  ah  1.  Iüle  1870.  Man  gudd  Knütj!, 
Brief  von  Frödd.  Gedruckt  Die  Westsee-Inseln  Nr.  5,  Wyk,  13.  Iuli  1870.  —  b) 
Föhringer  Plaudereien:  Fehr,  ah  15.  Iüle  1870.  Man  gudd  Frödd!,  Brief 
von  Knütj.  Gedruckt  Westsee-Inseln,  Nr.  8,  Wyk,  23.  Iuli  1870.  —  c)  Föhringer 
Plaudereien:  Fehr,  ah  23.  Iüle  1870.  Man  lew  Knütjel,  Brief  von  Neggels 
Rölkenweuter.  Gedruckt  Westsee-Inseln,  Nr.  11,  Wyk,  30.  Iuli  1870.  —  d)  1) 
Föhringer  Plaudereien:  Vor  voll  Iuaren  foll  Ulke  Driewer  van't  Hüss 
dehl  üb  a  Bragg.  Gedruckt  Westsee-Inseln,  Nr.  41,  Wyck,  26.  October 
1870.  2)  Hokker  könn  plette  uan  Njeblem?,  Anekdote,  Hdschr.  im 
Besitz  des  Verf.  —  e)  Föhringer  Plaudereien:  Uha,  ik  arrem  Mensk! 
Gedruckt  Westsee-Inseln  Nr.  112,  Wyck,  1.  Iuli  1871.  —  f)  Föhringer  Plaudereien: 
Therke  an  Mantje,  Gespräch.  Gedruckt  Westsee-Inseln  Nr.  1 16,  Wyck,  15.  Iuli 
1871.—  g)  Föhringer  Plaudereien:  Man  gud  Knüdj!,  Brief  von  Frödd.  Gedruckt 
Westsee-Inseln  Nr.  156,  Wyck,  2.  December  1871.  —  h)  1)  Friesische  Plaudereien : 
An  Färring  Düntje:  Det  wir  a  triantwuntigst  Febberware  1851. 
Gedruckt  Westsee-Inseln,  Wyck,  September  1872.  2)  Det  wiar  a  trianntwun- 
tegst  Febberware  1 851,  Hdschr.  im  Besitz  des  Verfassers.  —  i)  1)  I.  M.  an  L. 
hual  an  Stack  Schnaak  maer  ödder  all.  Marts  1838,  Gespräch,  Hdschr. 
im  Besitz  des  Verf..  2)  AchtainHunnertAcht  an  Dortig  aElwenstMarz 
do  stenn  Talke  an  Jung  Mantje  ädder  me  an  Oankskrüw  un  a  Hun 
an  hell  an  Stack  Schnack  mä  an  öder  awer  det  Wasken,  Gespräch, 
erweiterte  Überarbeitung  von  1),  Originalhdschr.  in  meinem  Besitz.  —  k)  Ahn 
fahlegh  wiar  Düjntje  vaan  det  Hiar  diar  uan  I.  M.  Bödder  nimmen 
wier,  Gespräch,  Hdschr.  im  Besitz  des  Verf.  —  1)  I.  M.  vorteilt  att  L.  dett 
bör  letjet  raar  Eaat  stürawenn  wiar,  a  13.  May  1846,  Gespräch,  Hdschr. 
im  Besitz  des  Verf.  —  m)  Klüftighaiden  uan  I.  H.  Dörransk  uan  att 
Huallawjuanken,  Gespräch,  Hdschr.  im  Besitz  des  Verf.  —  n)  Det  Düjntje 
Taan  det  grattÜndiar  wat  ar  ap  üit  aMaaskkimmenwiar,  Gespräch, 
Hdschr.  im  Besitz  des  Verf.  —  o)  Düjntjessen  uan  Öwenem  bij  Asser 
ann  Tat  üas  jo  däenskSoldoten  uann  Quartiar  häed  an  do  Ministers 
ap  hing  et  ward,  Gespräch,  Hdschr.  im  Besitz  des  Verf.  —  p)  Nü  wall  ick 
jam  ans  ann  Stack  vorteil  van  Krassen  Onersen,  Gespräch,  Hdschr.  im 
Besitz  des  Verf.  —  q)  Hü  a  Lanjen  thuLups  kämm,  Gespräch,  Originalhdschr. 
in  meinem  Besitz.  —  r)  Uenprivilegiret  Färring  Kalender  för  det 
Skregeljuar  1852,  Hdschr.  im  Besitz  des  Verf. 

Wahrscheinlich  von  Arfsten  sind  zwei  Anekdoten  von  M.'s  Hand 
in  Nr.  3c  des  Nachlasses  in  Hamburg: 

s)  N.  N.  sfad  ün-t  Krughhüs.  —  t)  An  ferrang  Wüf  stänt  Üb 
aüifdik. 

10.  Un  üs  Bibel  vor  ann  beft,  Gedicht  von  Maria  Christina 
Erken  (geb.  1815),  1886,  Originalhdschr.  in  meinem  Besitz. 


26 

Alkersum. 

11.  Simon  Reinhard  Bohn,  der  beliebtste  Dichter,  schrieb  in 
den  Jahren  1859 — 1862;  die  Originalhdschr.  seiner  Gedichte  besitzt 
seine  Wittwe  in  Nieblum. 

a)A'Böod  efter  a'  Iadgreweren,  Nachdichtung  von  Schillert  „Der 
Gang  nach  dem  Eisenhammer".  —  b)  Künneng  an  Pr  äst  er,  Nachdichtung 
von  Bürgert  „Der  Kaiser  und  der  Abt".  —  c)  Büür  an  Siamaan.  —  d)  Dir 
wir  en  Tidj,  et  hä  all  loong  all  wesen.  —  e)  Täw  Lickstianer.  —  f) 
Kriak  an  Mus s  (en  Fabel).. —  g)  Riad  eis.  —  h)  Di'  Gü  hl  bück  (en  Fab  el). 
—  i)  Dir,  huar  a  Nurd3ia  her  green  skümmeg  Wagen,  Lied,  gedichtet 
nach  dem  Vorbild  von  „Dort,  wo  der  alte  Rhein  mit  seinen  Wellen",  gedruckt  bei 
Nerong,  Föhr  früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  147  f.  —  k)  A  f  j  a  w  e  r  J  u  a  r  s  t  i  d  j  e  n, 
Lied.  —  1)  E  n  L  i  a  t,  un'thSälskapp  tu  schongen  bi  'nBalePuns,  wann 
harn  nanth  Oders  witj,  Trinklied.  —  m)A  iast  Crinolin.  —  n)  Ucs  a 
Könneng  üb  Fehr  wir,  1860.  —  o)  An  ündülljegen  Bradgung.  —  p)  I)i 
Kuppmaan.  —  q)  Fröd.  —  r)  Nahmen  Sütjers  Pretjei,  1868.  —  s)  Ick 
wanske  di,  so  üs  'am  sayt,  Scherzstrophe.  —  t)  Di  Snarc  un  Hymen' s 
Bianer,  Scherzstrophe.  —  u)  Theenkt  hocker  manner,  üs  ar  sayt, 
Sinnspruch. 

12.  Gedicht  auf  S.  R.  Bohn  von  et  Jong  Maner  hualewjonken, 
1876,  Hdschr.  im  Besitz  der  Wittwe  Bohn's  in  Nieblum. 

Oevenum. 

13.  Vermutlich  aus  Oevenum  stammt  das  heute  nur  noch  in  dem 
Munde  zweier  Oevenum  er  Geschwister  lebende  Tanzlied  JK  bäoi  iv 
red  er,  das  aus  dem  15.  Jhdt.  stammt.  Es  ist  gedruckt  nach  der  Mit- 
teilung Mechlenburg's,  die  auf  einer  Wrixumer  Handschrift  beruht,  in 
Ehrentraut's  Fries.  Archiv  II,  Oldenburg  1854,  S.  328—333  und  bei 
Hansen,  Der  Sylter-Friese,  Kiel  1860,  S.  218—220.  Den  verhältnis- 
mässig besten  Text  habe  ich  nach  der  mündlichen  Überliefrung  auf- 
gezeichnet. Die  hervorragende  Bedeutung  dieses  Liedes  nötigt  zu 
einer  ausführlichem  Darlegung  der  Überliefrung.  Das  Lied  wurde  auf 
Osterlandföhr  früher  bei  Hochzeiten  gesungen.  Aber  schon  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  galt  es  selbst  den  alten  Leuten  als  veraltet  und 
nicht  mehr  ganz  verständlich.  Schon  damals  war  die  Überliefrung 
verderbt,  und  man  wusste,  dass  eine  oder  zwei  Strophen  abhanden 
gekommen  waren.  Jetzt  ist  das  Lied  so  gut  wie  unbekannt.  In  den 
zwanziger  Jahren  gab  es  nur  noch  eine  Frau  in  Oevenum,  die  Mutter 
des  weiter  unten  genannten  Knudsen,  welche  das  Lied  ganz  und  gar 
auswendig  konnte,  und  nur  in  ihrem  Hause  und  in  ihrer  Bekanntschaft 
wurde  es  gesungen.  Es  giebt  meines  Wissens  heute  nur  noch  fünf 
Menschen,  welche  mehr  davon  wissen,  als  dass  es  früher  einmal  ein 
altes  Lied  böireder  gegeben  habe.  Ein  sehr  alter  Mann  kannte 
böi reder  als  alten  föhringischen  Volkstanz,  wozu  auch  gesungen  sein 
sollte.  Möglichenfalls  liegt  noch  irgendwo  auf  Osterlandföhr  eine 
Niederschrift  des  Liedes  verborgen;  denn  ich  hörte  von  mehreren 
Leuten,  dass  sie  sich  erinnerten  das  Lied  einmal  gelesen  zu  haben: 
aber  meine  Nachforschungen  waren  vergeblich.  Der  vollständige  Text 
ist  heute  Niemandem  mehr  bekannt.  Eine  Frau  in  Oevenum  erinnerte 
sich  nur  noch,  dass  in  dem  Refrain  etwas  von  sdolt  und  sÖven  a  lik 


27 

vorkäme;  eine  andre,  jüngre,  Frau  Laura  Ketek  in  Oevenum,  wusste 
nur  noch  die  erste  Strophe  und  konnte  die  Weise  noch  so  ungefähr 
singen,  wenn  sie  sich  auch  bewusst  war  dieselbe  ^  nicht  mehr  ganz 
richtig  wiederzugeben.  Nur  einen  einzigen  alten  Ovenembür  habe 
ich  in  dem  70jährigen  Lorenz  Konrad  Knudsen  gefunden,  welcher  die 
Weise  ganz  genau  wusste  und  vom  Text  die  ersten  Strophen,  vom 
Folgenden  nur  Einzelnes.  Jedoch  gelang  es  mir  mit  Hülfe  des  Mech- 
lenbarg'schen  Textes  seinem  Gedächtnis  zu  Hülfe  zu  kommen,  so  dass 
ich  fast  überall  den  Wortlaut  genau  feststellen  konnte.  Der  Wortlaut 
war  diesem  Mann,  wo  es  überhaupt  der  Fall  war,  so  genau  in  der 
Erinnrung,  dass  er  selbst  bei  solchen  Kleinigkeiten,  wie  sie  am 
ehsten  die  Überliefrung  entstellt,  wie  Partikeln,  Wortstellung  u.  dgl., 
überall  mit  Sicherheit  angeben  konnte,  wie  in  seiner  Jugend  gesungen 
worden  war,  und  wenn  ich  die  Mechlenburg'schen  Varianten  angab, 
wusste  er  bestimmt,  was  richtig  und  was  falsch;  er  fügte  aber  immer 
hinzu,  dass  man  damals  schon  gewusst  hätte,  dass  der  so  gesungne 
Text  ein  durch  die  lange  Überliefrung  verderbter  gewesen  wäre.  Die 
Schwester  dieses  Mannes,  welche  in  Kalifornien,  der  neuen  Heimat  der 
F(5hringen,  lebt,  ist  ausser  ihrem  Bruder  die  einzige,  die  das  Lied 
noch  einigermaassen  auswendig  kann.  Sie  erzählt,  dass  ihre  Mutter 
den  fehlenden  Vers  noch  mitgesungen  habe:  „es  war  eins  ihrer  Lieb- 
lingslieder, und  hat  sie  es  eine  Zeit  sehr  oft  gesungen,  und  weiss  ich 
noch  recht  gut,  wie  es  oft  einen  recht  traurigen  Eindruck  auf  mich 
machte,  nachdem  A  .  .  .  mir  den  Sinn,  um  was  es  sich  handelte,  erklärt 
hatte.0  —  Neben  der  mündlichen  Überliefrung  dieses  Liedes  besteht 
eine  schriftliche.  Mit  dieser  verhält  es  sich  folgendermaassen:  Ein 
Brief  des  Schullehrers  Sörensen  in  Oevenum  an  den  alten  Pastor  Mech- 
lenburg  auf  Amrum  vom  30.  Oktober  1851  (Nr.  31  des  Mechlenburg'- 
schen  Nachlasses  auf  der  Hamburger  Stadtbibliothek)  spricht  von 
einem  mit  dem  Briefe  mitfolgenden  Gedicht,  das  Sörensen  „nach  einem 
Exemplar,  das  Herr  K.  B.  Knudsen  hieselbst  durch  den  vormaligen 
Organisten  P.  J.  Peters  in  Wrixum  hatte,  buchstäblich  abgeschrieben". 
Tnter  den  als  Nr.  11  bezeichneten  M.'schen  Gedichten  in  Hamburg 
befindet  sich  auf  einem  besondern  Blatt,  sauber  geschrieben,  das 
Gedicht  „Bay  an  a  Rädder",  wie  die  Vergleichung  mit  jenem  Brief 
ergiebt,  von  Sörensen's  Hand;  Tinte  und  Bruch  des  Papiers  stimmt 
dazu;  zum  Überfluss  findet  sich  auch  auf  der  Rückseite  des  Umschlags 
jener  Gedichtsammlung  eine  Bemerkung  M/s :  „B&y  Redder  v.  Sörens. 
abgsch."  Eine  Anfrage  meinerseits  bei  Sörensen  hinsichtlich  der  Her- 
kunft jener  Hs.  war  erfolglos.  So  stammte  die  ältste  schriftliche  Über- 
liefrung aus  Wrixum,  und  zwar  noch  aus  diesem  Jhdt.;  P.  J.  Peters 
lebte  1759 — 1842.  Zwei  fast  nur  in  der  Rechtschreibung  verschiedne 
Aufzeichnungen  nach  dem  Peters-Knudsen-Sörensen'schen  Text  haben 
wir  von  Mechlenburg;  die  eine  steht  in  seinen  Gedichten,  S.  129 — 131; 
die  andre  hat  er  mit  deutscher  Übersetzung  und  Anmerkungen  in  Ehren- 
trauf  s  Fries.  Archiv  II,  S.  328—333  drucken  lassen.  Der  Abdruck  bei 
Hansen  ist  ohne  Quellenangabe,  scheint  aber  auf  den  geschri ebnen 


28 

M.'schen  Text  zurückzugehn.  2  Strophen  des  Liedes  sind  in  Johansen's 
Ndfrs.  Sprache,  S.  90  und  89  abgedruckt.  Die  erste  Strophe  kommt  in 
verstümmelter  Gestalt  noch  in  dem  Liede  von  Rörd  Jappen  aus  Wrixum 
(S.  29,  22)  vor.  —  Das  hohe  Alter  des  Liedes  bekundet  der  ganze 
Inhalt:  Ritter  und  Knappe,  Meth,  Wachskerzen  bei  der  Leiche.  Die 
Reime  beweisen  teilweise  ältre  Sprachformen.  Vielfach  weist  das  Lied 
noch  Stabreim  auf.  Die  wunderbare  Weise,  moll,  dann  dur,  dann 
mit  moll  wieder  schliessend,  ist  durch  ihre  schwere,  dramatische  Tragik 
nicht  nur  allgemein  musikalisch,  sondern  auch  für  die  germanische 
Rythmik  hochinteressant.  Das  Lied  steht  innerhalb  der  deutschen 
Volksliederliteratur  ganz  vereinzelt  da  und  wird  auf  Osterland-Föhr 
entstanden  sein.  Am  ehsten  bietet  noch  Anklänge  das  alte  dithmarsche 
Tanzlied  „Her  Hinrich  und  sine  bröder  aüe  drei"  (Neocorus,  hrsg.  von 
Dahlmann  II,  569,  danach  öfter  abgedruckt,  Uhland's  Volkslieder  1. 
Nr.  128,  Böhme's  Altd.  Liederbuch,  Nr.  12). 

14.  En  Ferring  Döntje,  Gedicht,  gedruckt  in  der  Beilage  der 
„Westsee-Inseln"  Nr.  14,  Deezbüll,  15.  Februar  1879. 

15.  Frau  Wilhelmine  Petersen  schrieb  drei  im  Besitz  von  Johann 
Petersen  in  Oevenum  befindliche  Gedichte: 

a)  Efterrep  tu  üs  lew  ferstürwen  Frinj  (S.  R.  Bolin),  1879,  gedruckt 
Westsee-Inseln  Nr.  57,  Deezbüll,  1879.  —  b)  ün  Tine  S.,  vördrainj  unt  Wa- 
sterlun,  Gelegenheitsgedicht,  1882.  —  c)  An  Friedericke  S.,  Gelegenheits- 
gedicht, 1882  oder  1883. 

16.  Frau  Namine  Witt,  jetzt  in  Nieblum,  besitzt  eine  grössre. 
leider  nicht  zugängliche  Sammlung  guter  Gedichte. 

17.  Frau  Laura  K  et  eis  in  Oevenum  besitzt  mehrere  nette  Ge- 
legenheitsgedichte. 

18.  Adjis,  Lied  von  Ida  Jacobs,  um  1880,  Originalhdschr.  in 
meinem  Besitz.  Dieselbe,  Frau  Ida  Jansen  in  Oevenum,  besitzt  noch 
mehrere  nette  Gelegenheitsgedichte. 

19.  E  Fung  as  ihn,  e  Sckinnien  san  voll  Segen,  Gedicht 
von  Jacob  Martin  Jacobs,  1881.  Dies  und  noch  Andres  von  dem- 
selben befindet  sich  im  Besitz  von  Frau  Ida  Jansen  in  Oevenum. 

20.  Knud  Broder  Knudsen  hat  folgende  Gedichte  geschrieben: 

a)Allhuarik  san  uk  üb  aEerd,  Lied,  gedruckt  bei  Nerong,  Fuhr 
früher  und  jetzt,  Wyk  (1885),  S.  149.  —  b)  Mutt  ik  ball,  mutt  ik  ball 
weller  fan  di  tji,  Lied,  um  1870,  Nachdichtung  von  „Muss  i  denn,  muss  i  denn 
zum  Stadtele  'naus",  Originaltext  in  meinem  Besitz.  —  c)  Komm,  let's  üs? 
högi,  Trinklied,  Originaltext  in  meinem  Besitz.  —  d)  Von  Confermiren 
detts  doch  was,  Gelegenheitslied,  Originalhdschr.  in  meinem  Besitz.  —  e)  Bi 
Ütjbringentu  sjongen,  Gelegenheitslied,  1 884,  Originalhdschr.  in  meinem 
Besitz.  —  f)  Üs  lew  nett  Mammensprieck,  Gedicht,  1886,  Originalhdschr. 
in  meinem  Besitz.  —  g)  Det  üs  ual  ferring  Spriak  verfoll,  Gelegenheits- 
gedicht, 1886,  gedruckt  Insel-Bote,  Nr.  91,  Wyk,  20.  November  1886.  —  Noch  ver- 
schiedne  Gelegenheitsgedichte  von  demselben  sind  verstreut. 

Wrixum. 

21.  Trintj'  an  Drüg  Seesen  bradlepsday,  seiner  Zeit  ausser- 
ordentlich beliebtes  Spottlied  von  Pay  Jensen  aus  Wrixum,   Mitte 


des  18.  Jhdts.  gedichtet.  Der  Dichter  nahm  sich  das  Leben  aus  Ver- 
zweiflung darüber,  dass  das  geheim  gehaltne  Gedicht  bekannt  wurde.  Die 
ältste  Handschrift  (vermutlich  um  1800)  besitzt  Simon  Gerrits  in  Oevenum. 
Fälschlich  als  „westerlandföhrer"  Hochzeitslied  abgedruckt  mit  Über- 
setzung und  Anmerkungen  von  Mecklenburg  in  Ehrentraut's  Fries.  Archiv 
IL  Oldenburg  1854,  S.  332 — 341  auf  Grund  zweier  wehsdringischer  Ab- 
schriften. Der  ursprüngliche  Text  ist  mit  Hülfe  einer  Reihe  von  Ab- 
schriften, in  denen  das  Lied  verbreitet  ist,  und  der  mündlichen  Über- 
liefrung  sicher  festzustellen.  Inhalt,  Stil  und  Weise  sind  durchaus  originell. 
22.  Buh  Redder  tred,  Buh  Redder  Dans  oder  Ah  Redder 
träid  eh  Bar  eh  Daanz,  altes  Gedicht  von  dem  Grönlandsfahrer 
Rörd  Jappen  aus  Wrixum;  ich  besitze  es  in  zwei  abweichenden 
Niederschriften,  aus  dem  Munde  einer  alten  Boldixumerin  und  zweier 
Midlumer. 


VI.   Sprachliche  Vorarbeiten. 


§  20.  Eine  streng  wissenschaftliche  Darstellung  der  a.-f.  Sprache 
giebt  es  bisher  nicht.  Eine  vergleichende  Grammatik  sämtlicher 
friesischen,  a.-f.-h.-s.  und  ndfrs.  Mundarten  von  Möller  ist  in  Vor- 
bereitung.    Die  wichtigsten  Vorarbeiten  sind  die  folgenden: 

1.  Johansen,  Die  Nordfriesische  Sprache  nach  der  Föhringer 
und  Amrumer  Mundart,  Kiel  1862,  VIII  -+-  288  S.  (S.  193  ff.  Sprach- 
proben), ein  zwar  nicht  wissenschaftliches,  in  der  Anordnung  des  Stoffs 
völlig  verfehltes  Buch,  dazu  von  Druckfehlern  wimmelnd,  aber  dennoch 
als  Materialsammlung  sehr  schätzenswert  und  für  die  Wortbildungs- 
lehre,  Bedeutungslehre  und  Syntax  ganz  unentbehrlich.  Es  behandelt 
tatsächlich  nur  das  Amringische,  nicht  auch  das  Föhringische.  — 
Einige  Wörter  aus  Johansen  sind  aufgenommen  von  Halbertsma  in 
»einem  Lexicon  Frisicum.     A — feer.     Hagse  Comitis  1874. 

2.  Mechlenburg,  Amrum-deutsch,  nordfries.  etc.  alphabetisch 
geordnetes  Wörterbuch,  Handschrift,  2  Bände  in  4°,  735  Seiten  = 
19s  -+-  178  —  4  Doppelseiten,  vollendet  1854.  Es  ist  als  ein  Parallel- 
wörterbuch angelegt  und  enthält  nur  für  das  Amr.  vollständig  aus- 
gefüllte Spalten  für  die  Mundarten  von  Amruni  mit  deutscher  und 
/um  Teil  dänischer  Übersetzung,  von  West-  und  Ostföhr,  Süd,  Stedesand, 
Xorgoesharde  nach  Outzen,  Niebüll-Dagebüll,  Wiedingharde,  Langen- 
horn,  Nordmarsch,  Wangerooge,  das  Altfries.,  Angelsächs.,  Got.  und 
Isländische.  Die  Hdschr.  befindet  sich  auf  der  Stadtbibliothek  zu 
Hamburg,  als  Nr.  la  und  lb  des  M.'schen  Nachlasses.  Ich  bereite 
die  Herausgabe  eines  a.-f.  Wörterbuchs  auf  der  sichern  Grundlage  des 
JL'schen  für  die  Sammlung  der  Wörterbücher  des  Vereins  für  nieder- 
deutsche Sprachforschung  vor. 


so 

§  21.  Diesen  beiden  umfassendem  und  grundlegenden  Werken 
gegenüber  nehmen  die  folgenden,  zumeist  nur  einzelne  Teile  der  a.-f. 
Sprachlehre  darstellenden  Arbeiten  eine  untergeordnete  Stellung  ein: 

1.  Peters,  Beitrag  zur  Kenntnis  der  friesischen  Sprache,  ge- 
schrieben im  Jahr  1757,  Falck's  Staatsbürgerl.  Magazin  V,  1820. 
S.  739 — 745,  ist  das  §  18,  3  genannte  aosdr.  Wörterverzeichnis. 

2.  Z.  E.  und  G.  V.,  föhringisches  Wörterverzeichnis  von  1758,  s. 
§  18,  4. 

3.  Outzen,  Glossarium  der  friesischen  Sprache,  Kopenhagen 
1837  (1824  vollendet),  enthält  verhältnismässig  wenig  a.-f.  Wörter: 
vgl.  §  18,  7. 

4.  Mechlenburg,  Abschrift  von  Outzen's  Glossarium  in  Auszü- 
gen, mit  Hinzufügung  der  amr.  Formen,  Hdschr.  in  Hamburg,  Nr.  7 
des  M.'sehen  Nachlasses. 

5.  Mechlenburg,  Deutsch-friesisches  Wörterbuch,  d.  i.  deutsch- 
amr.  Vokabular;  Anhang  dazu:  a.-f.  nomina  propria,  Hdschr.  Nr.  4*> 
des  M.'schen  Nachlasses. 

6.  Mechlenburg,  Deutsch-nordfries.  Wörterbuch,  a — brettern, 
nur  für  das  Amr.  vollständig,  Hdschr.  Nr.  4c  des  Nachlasses. 

7.  Mechlenburg,  Amrumisch-Stedesandisches  Vokabular:  a,  be, 
e  und  f,  Hdschr.  Nr.  5c  des  Nachlasses.  | 

8.  Mechlenburg,  die  deutschen  Verba  alphabetisch  in  Parallel- 
spalten für  das  Afrs.,  Westfries.,  Wangeroog.,  Saterländ.,  Ags.,  Isl.j 
und  Amr.,  unvollständig,  Hdschr.  Nr.  4b  des  Nachlasses.  ! 

9.  Mechlenburg,  Neubearbeitung  des  Vokalismus  von  Minssen  s 
(so  wertvoll  sonst,  für  das  nordfries.  Material  gänzlich  unbrauchbarem) 
Aufsatz  in  Ehrentraut's  Fries.  Archiv  I,  S.  165 — 276,  für  die  nordalbin- 
gischen  Mundarten;  hier  kommen  zum  Helgol.  nicht  in  gleicher  Voll- 
ständigkeit ausgefüllte  Spalten  hinzu  für  Sild,  Amrum-Föhr,  Stedesand, 
Enge,  Dagebüll,  Wiedingharde  und  Outzen;  wie  bei  Minssen  bildet  die 
Grundlage  der  altfrs.  Vokalismus,  dessen  Quantität  freilich  oft  genug 
falsch  angesetzt  ist ;  die  Arbeit  ist,  wenn  auch  nicht  ganz  zuverlässig, 
sehr  wichtig  für  die  vergleichende  Lautlehre  des  A.-F.  Die  Hdschr. 
befindet  sich  in  Hamburg  als  Nr.  15a  des  M.'schen  Nachlasses. 

10.  Mechlenburg,  amr.  Wörterverzeichnis  nach  den  Vokalen 
der  Stammsilbe,  und  zwar  für  ü,  u,  ö,  o,  ü,  ü,  8,  ö,  Hdschr.  Nr.  4^ 
des  Nachlasses. 

11.  Mechlenburg,  Amrumsche  Vokabeln,  nach  Begriffsklassen 
geordnet:  Subst.,  Verb.,  Adj.,  Adv.,  Hdschr.  Nr.  4a  des  Nachlasses. 

12.  Mechlenburg,  Deklinazion,  Pronomina,  Adverbia,  Präposi- 
zionen  und  die  Ablautsreihen  der  amr.  Zeitwörter,  Hdschr.  Nr.  2a  des 
Nachlasses. 

13.  Mechlenburg,  Diminutiva  im  Amr.,  zur  Bestimmung  des  Ge- 
schlechts der  amr.  nom.  substant.,  über  die  amr.  Praeposizionen,  Konjunk- 
zionen,  Praefixe,  Interjekzionen  u.  s.  w.,  Hdschr,  Nr.  2c  des  Nachlasses, 


31 

14.  Viel  amr.  Sprachstoff  findet  sich  überall  in  Mechlenburg's 
nachgelassnen  Papieren;  ich  erwähne  nur  noch  das  Heft  Nr.  2b,  eine 
Vorarbeit  zu  1 1  und  eine  reiche  Beispielsammlung  für  gleichlautende, 
aber  bedeutungsverschiedne  amr.  Wörter,  Nr.  4b  des  Nachlasses. 

15.  Johansen,  Die  Seemannawittwe  auf  der  Düneninsel,  Kiel 
1860,  giebt  S.  96 — 100  ein  Paar  in  dem  Buche  vorkommende  amringer 
Wörter  in  alphabetischer  Reihenfolge  an,  grösstenteils  Fachausdrücke. 

16.  Clement*),  Reise  durch  Friesland,  Holland  und  Deutschland, 
Kiel  1847,  giebt  manche  sprachliche  Bemerkung;  vgl.  S.  22,  17. 

17.  Clement,  Heidelberger  Jahrbücher  1847,  S.  932—934,  giebt 
eine  Aufzählung  amr.  Zeitwörter  nach  den  Infinitiven  auf  in,  en  und 
an,  bei  denen  auf  an  mit  Angabe  des  Praeteritums,  S.  935  eine  Be- 
merkung über  das  schwache  Praeteritum  und  Verbaladjektiv.  Wieder 
abgedruckt  Ehrentraut,  Fries.  Archiv  I,  S.  290—294.  ' 

18.  Clement,  Das  westgermanische  Element  in  der  englischen 
Sprache,  Herrig's  Archiv  IV,  235 — 278,  giebt  einen  ausführlichen 
englisch-amringischen  vocabularius  rerum.  —  Dagegen  Greverus,  Be- 
merkungen über  die  Abhandlung  des  Dr.  Clement:  D.  wg.  Elem.  i.  d. 
engl.  Spr.,  Herrig's  Archiv  VI,  81—88. 

19.  Clement,  Über  Wesen  und  Grenzen  der  breitenglischen 
Sprache,  Herrig's  Archiv  V,  giebt  S.  39 — 63  eine  vergleichende  breit- 
engl.-amr.-engl.  Wortsammlung. 

20.  Clement,  Die  plattdeutsche  Sprache,  Herrig's  Archiv  V, 
giebt  S.  310 — 325  eine  nordhausen-amr.  Wortsammlung. 

21.  Clement,  Über  Wesen  und  Abkunft  der  breitschottischen 
Sprache,  Herrig's  Archiv  VI,  giebt  S.  54  f.,  58—60,  167—173,  297—314 
ein  breitschottisch-amr.  Wörterverzeichnis. 

22.  Clement,  Eigentümliche  Elemente  der  frisischen  (d.  i.  amr.) 
Sprache,  Herrig's  Archiv  IX,  179 — 187:  Die  Endung  ens  und  lis; 
«Üe  drei  frisischen  Infinitiv-Endungen  auf  in,  an  und  en;  die  weibliche 
Endung  ster;  die  Partikeln  at  und  eat;  die  Vorsilben  tu  (ohne  den 
Ton)  und  tu  (mit  dem  Ton);  die  Endung  lith.  Fortsetzung  Herrig's 
Archiv  X,  136. — 147:  Nachtrag  zu  der  Endung  ens;  nordfrisische  Di- 
minutiven —  der  frisische  Umlaut;  nordfrisische  Beinamen,  Spitznamen 
nüd  Schimpfworte.  Fortsetzung  Herrig's  Archiv  X,  269 — 287:  Der 
Übergang  des  f  in  w  bei  Verlängerung  des  Worts;  Ausdrücke  und 
Aasdrucksweisen  (u.  A.  Gebrauch  der  Partikel  am,  das  frisische  Haus, 
die  Collectiv-Endung  ang).     Fortsetzung  Herrig's  Archiv  XII,  71 — 81. 

*j  Bei  8ämmtlichen  Schriften  Clement's  muss  davor  gewarnt  werden,  sich 
meiner  Darstellung  wie  seinen  sprachlichen  Angaben  ohne  Weitres  anzuvertrauen.  Die 
ranze  Darstellung  dieses  friesischen  Nazionalfanatikers  ist  beeinflusst  durch  das 
Vorurteil  der  nahen  Verwantschaft  des  Amr.  mit  dem  Engl,  und  entbehrt  jeder 
'«L**n3chaftlichen  Objektivität.  Selbst  seinen  Angaben  amr.  Wörter  ist  nicht  immer 
'u  trauen;  es  kommt  ihm  unter  Umstanden  nicht  darauf  an,  seiner  Theorie  zu  Liebe 
Hb  amr.  Wort  dem  engl,  ähnlicher  zu  machen,  als  es  in  Wirklichkeit  der  Fall 
i*t    Seine  Schriften  sind  nur  mit  äusserster  Vorsicht  zu  benutzen. 


B2 

23.  Clement,  Schleswig,  das  urheimische  Land  des  nicht  däni- 
schen Volks  der  Angeln  und  Frisen  und  Englands  Mutterland,  Ham- 
burg 1862;  2.  (Titel-) Auflage:  Schleswig,  das  Urheim  der  Angeln  und 
Frisen,  Altona  1867.  S.  63 — 201  massenhafter  Stoff  zur  Vergleichung 
des  englischen  und  amringischen  Wortschatzes  (S.  115 — 119  u.  A. 
vergleichende  Übersicht  der  engl,  und  amr.  unregelmässigen  Zeitwörter, 
S.  127 — 134  engl.-friesische  Personennamen,  S.  147 — 153  amr.-engl. 
vocabularius  rerum,  S.  159 — 183  engL-nordfries.  Ortsnamen). 

24.  Bohn*)  in  Rendsburg  hat  ein  völlig  unzuverlässiges,  von 
Unrichtigkeiten  förmlich  starrendes,  amringisch-englisches  Vokabular 
1868  geschrieben,  das  jetzt  H.  Möller  in  Kopenhagen  besitzt,  3  Quart- 
hefte, 576  Seiten,  angeordnet  nach  den  Entsprechungen  der  Vokale 
in  beiden  Sprachen,  also  1)  amr.  a  =  engl,  a,  2)  amr.  ö  =  engl,  a, 
3)  amr.  a  —  engl,  i  u.  s.  w. 

25.  Bohn,  ein  ebenso  unbrauchbares  „Friesisches  Vokabularium 
in  der  Amrumer  Mundart  1884",  60  Quartseiten,  ohne  jede  alpha- 
betische oder  sachliche  Anordnung,  im  Besitz  von  H.  Möller  in 
Kopenhagen. 

26.  Bohn,  „Das  friesische  Element  in  der  englischen  Sprache. 
In  Briefen.  1885."  Quartheft,  101  Seiten,  im  Besitz  des  Verfassers, 
von  dem  gleichen  wissenschaftlichen  Wert,  wenn  auch  manche  Ein- 
zelheit brauchbar  ist. 

27.  Möller,  Das  altenglische  Volksepos  I,  Kiel  1883,  enthält 
S.  85  wichtige  Bemerkungen  über  die  Verwantschaftsverhältnisse  des 
Amr.-Föhr.-Helgol.-Sildr.,  des  Nordfries.,  des  Altfries,  und  des  Alt- 
englischen. 

28.  Siebs,  Die  Assibilirung  des  k  und  g,  Tübingen  1886,  be- 
handelt S.  37  f.  s  aus  k,  S.  40  j  aus  g  und  giebt  S.  41 — 43  eine 
Erklärung  der  Palatalerscheinungen  im  A.-F.,  S.  45  noch  Anm.  über 
das  s'  aus  fj  in  amr.  s'&ur. 

*)  Bohn  ist  ein  Schüler  von  Clement. 

HALLE  a.  S.  Otto  Bremer. 


33 


Über  Pommerns  Anteil  an  der 
niederdeutschen  Sprachforschung. 

Vortrag, 

gehalten  am  1.  Juni  1887  auf  der  13.  Jahresversammlung 

des  niederdeutschen  Sprachvereins  zu  Stettin. 

Vom  Vorstande  unseres  Vereines  zu  einem  Vortrage  für  diese 
Pfingstversammlung  aufgefordert,  konnte  ich  nicht  im  Zweifel  sein, 
worüber  ich  am  zweckmässigsten  sprechen  würde:  es  musste  ein  Ge- 
genstand sein,  der  den  Bestrebungen  des  Vereines  dienend,  zugleich 
dein  Versammlungsort,  beziehungsweise  der  Provinz,  in  der  der  Verein 
tagt,  sein  Recht  widerfahren  Hess.  Pommerns  Anteil  an  der  nieder- 
deutschen Sprachforschung  auseinanderzusetzen,  schien  mir  eine  pas- 
sende Aufgabe,  umsomehr,  da  ich  als  geborner  Rheinländer  den  Vorwurf 
partikularistischer  Schönfärberei,  eines  engherzigen  Lokalpatriotismus 
nicht  zu  befürchten  habe  und  doch  während  meiner  jetzt  schon 
21semestrigen  Wirksamkeit  in  Pommern  Land  und  Leute  kennen, 
schätzen  und  lieben  gelernt. 

Während  die  Geschichte  der  niedersächsischen  oder  sogenannten 
plattdeutschen  Sprache  schon  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  an  Kin- 
derling  einen  Bearbeiter  gefunden,  ist  bis  jetzt  eine  Geschichte  der 
niederdeutschen  Studien,  der  niederdeutschen  Philologie  noch  nicht 
einmal  als  Bedürfnis  gefühlt  worden.  Auf  diesem.  Gebiete  ist  daher 
noch  alles  zu  thun.  R.  v.  Raumer  hatte  in  seiner  Geschichte  der 
germanischen  Philologie  eine  so  gewaltige  Aufgabe  zu  lösen,  dass  er 
das  Niederdeutsche  nur  im  Vorübergehen  streifen  konnte.  Die  zufälligen 
Nekrologe  können  hier  nicht  in  Betracht  kommen:  mit  Recht  gilt  ja 
fnr  sie,  was  die  Wissenschaft  nie  zugestehen  darf:  de  mortuis  nil  nisi 
tane.  Die  Allgemeine  deutsche  Biographie  freilich  könnte  einstweilen 
aushelfen,  aber  sie  lässt  auch  hier  oft  treulos  im  Stich:  von  wenigen 
Aasnahmen  abgesehen  werden  niederdeutsche  Arbeiten  entweder  gar 
nicht,  oder  nur  unzulänglich  besprochen.  So  führten  mich  die  Vor- 
arbeiten zu  diesem  Vortrage,  unwillkürlich  auf  den  Gedanken,  selbst 
eine  Geschichte  der  niederdeutschen  Studien,  der  niederdeutschen 
Philologie  auszuarbeiten.  Schon  jetzt  bitte  ich  um  gütige  Unter- 
stützung dieses  Planes,  der  nur  bei  allseitiger  Mithülfe  ausführbar. 

Nirgendwo  zeigt  sich  ein  so  reges  Interesse  für  die  heimischen 
Mundarten  wie  in  niederdeutschen  Gegenden.  Diese  auffallende  Er- 
scheinung hat  Goethe  schein  und  treffend  zu  deuten  verstanden*):  'Zu 

*)  In  seiner  Besprechung  der  lyrischen  Gedichte  von  Joh.  H.  Voss,  Werke  32, 124. 

Niederdeutsches  Jahrbach.    XIII.  3 


34 

einem  liebevollen  Studium  der  Sprache/  sagt  er,  'scheint  der  Nieder- 
deutsche den  eigentlichsten  Anlass  zu  finden.  Von  allem,  was  undeutsch 
ist,  abgesondert,  hört  er  um  sich  her  ein  sanftes  behagliches  Urdeutsch 
und  seine  Nachbarn  reden  ähnliche  Sprachen.  Ja,  wenn  er  ans  Meer 
tritt,  wenn  Schiffer  des  Auslandes  ankommen,  tönen  ihm  die  Grund- 
silben seiner  Mundart  entgegen,  und  so  empfängt  er  manches  eigene, 
das  er  selbst  schon  aufgegeben,  von  fremden  Lippen  zurück,  und  ge- 
wöhnt sich  deshalb  mehr  als  der  Oberdeutsche,  der  an  Völkerstämme 
ganz  verschiedenen  Ursprungs  angränzt,  im  Leben  selbst  auf  die  Ab- 
stammung der  Worte  zu  merken.' 

In  der  That  lassen  sich  in  niederdeutschen  Gegenden  schon  früh 
Spuren  etymologischen,  lexikalischen  Forschens  nachweisen.  Diese 
Bemühungen  gewannen  an  innerer  Kraft,  Berechtigung  und  dement- 
sprechend an  Beachtung,  als  mit  der  Reformation  das  Hochdeutsche 
in  Niederdeutschland  eindrang,  eine  fremde  Sprache,  die  der  nieder- 
deutschen viel  gefährlicher  wurde  als  die  lateinische  Kirchen-  und 
Geschäftssprache.  Man  versuchte  freilich  den  Einfluss  des  Hochdeutschen 
zu  brechen,  indem  man  die  Bibelübersetzung  Luthers  ins  Niederdeutsche 
übertrug.  Pommern  war  bei  dieser  Arbeit  beteiligt,  wenn  es  auch 
nicht,  wie  manche  auch  heute  noch  kritiklos  annehmen,  in  Joh.  Bugen- 
hagen den  Übersetzer  stellte:  Bugenhagen  kann  höchstens  als  intel- 
lektueller Urheber  einer  der  niederdeutschen  Übersetzungen,  es  wurden 
mehrere  unternommen,  gelten,  der  später  der  von  ihm  angeregten 
durch  Vorreden  und  Summarien  ein  grösseres  Ansehen  zu  verleihen 
suchte.  Mit  dem  17.  Jahrhundert  erlahmte  der  Widerstand  gegen  das 
Hochdeutsche  immer  mehr,  das  Niederdeutsche  hatte  aufgehört  Schrift- 
sprache zu  sein  und  wurde  je  länger  je  entschiedener  zurückgedrängt. 
Die  Verehrer  der  heimischen  Mundart  suchten  sie  künstlich  zu  halten 
und  wurden  durch  dieses  Streben  immer  nachhaltiger  auf  ein  Er- 
forschen des  Niederdeutschen  gefuhrt. 

Von  solchen  ersten  Anfängen  niederdeutscher  Studien  in  Pommern 
muss  ich  absehen,  gerade  sie  verlangen  eine  eingehendere  Besprechung, 
als  die  mir  zu  Gebote  stehende  Zeit  erlaubt.  Ich  beginne  mit  dem 
18.  Jahrhundert. 

Der  eigentliche  Begründer  einer  wissenschaftlichen  Behandlung 
und  Erforschung  der  niederdeutschen  Mundarten  wie  der  deutschen 
Sprache  überhaupt,  war  G.  W.  Leibniz.  Seine  historischen  Arbeiten 
sowol  wie  seine  Untersuchungen  über  das  Wesen  der  Sprache  und  ihr 
Verhältnis  zum  Gedanken  machten  ihn  zum  Begründer  und  eifrigsten 
Beförderer  deutschgrammatischer  Studien.  Er  verlangte  ausdrücklich 
ein  glossarium  etymologicum  'vor  alte  und  Landworte'  und  regte  ver- 
schiedene Gelehrte  zur  Sammlung  des  niederdeutschen  Wortschatzes 
an.  Diesen  Anregungen  Leibnizens  verdanken  wir  die  niederdeutschen 
Idiotiken,  # welche  im  Laufe  des  18.  Jahrhunderts  in  üppiger  Fülle 
emporschössen.     Pommern  blieb  nicht  zurück. 

Den   ersten  nennenswerten  Versuch  machte  der  Kolberger  Pre- 
diger Joh.  Engelbert  Müller,  der  um  die  Mitte  des  18.  Jahrh.   die 


in  der  Kolberger  Gegend  gebräuchlichen  Wörter  und  Redensarten 
sammelte.  Die  erste  Nachricht  von  seinem  Unternehmen  gab  er  1754 
im  3.  Bande  der  Pommerschen  Bibliothek*),  indem  er  zugleich  an  einem 
ergötzlichen  Beispiel  die  Notwendigkeit  eindringender  Studien  des 
Niederdeutschen  nachwies.  Ein  Kolberger  Schulrektor,  der  Prediger 
Schumann,  ein  Eingewanderter,  hatte  sich  auch  aufs  Niederdeutsche 
rerlegt,  aber  ohne  Kenntnis  und  daher  mit  entschiedenem  Misserfolg. 
;Henric  van  dages  decanus'  hatte  dieser  biedere  Thüringer  in  einer 
Urkunde  gefunden  und  dabei  gewissenhaft  angemerkt:  eine  Familie 
van  Dages  könne  er  nicht  nachweisen.  Dass  V  gelegentlich  gleich 
V,  'wan  dages'  gleich  hochdeutschem  'weiland',  'vor  Zeiten'  sei,  hatte 
er  nicht  gewusst.  Die  Probe  des  Wb.,  welche  1756  der  letzte  Band 
der  Pommerschen  Bibliothek**)  brachte,  zeigt,  dass  Engelb.  Müller  mit 
richtigem  Verständnis  und  unter  Berücksichtigung  der  volkstümlichen 
Bräuche  gesammelt  hatte.  Sein  Werk  blieb  handschriftlich,  wohin  es 
gekommen,  ist  unbekannt. 

Erst  1781  erschien  das  erste  gedruckte  Wörterbuch  der  Pom- 
merschen Mundart:  Plattdeutsches  Wörterbuch  nach  der  alten  und 
neuen  Pommerschen  und  Rügischen  Mundart  von  Joh.  Karl  Dähnert***), 
Professor  in  Greifswald,  ein  für  seine  Zeit  in  jeder  Beziehung  ausge- 
zeichnetes Werk.  Dähnert,  ein  geborner  Stralsunder,  von  Jugend  an 
mit  der  platten  Mundart  vertraut,  hatte  sich  durch  vieljähnge  Be- 
schäftigung mit  den  alten  Urkunden,  Gesetzen  und  Ordnungen  Pommerns 
eine  genaue  Kenntnis  der  niederdeutschen  Schriftsprache  erworben. 
So  wurde  er  von  vielen  um  Erklärung  einzelner  Wörter  und  Redens- 
arten gebeten,  deren  Dunkelheit  ihnen  Unruhe  machte  oder  Verlust 
drohte.  Er  sah  bald  ein,  dass  ein  Missverstand  bei  alten  Worten  in 
Rechtssachen  einen  ganz  unrechten  Ausgang  und  in  historischen  Sätzen 
sonderbare  Unwahrheiten  veranlassen  könne.  So  entschloss  er  sich 
als  Nebenarbeit  ein  Wörterbuch  sowol  der  alten  niederdeutschen  Schrift- 
sprache als  der  gesprochenen  Mundart  in  Pommern  auszuarbeiten.  Er 
sammelte  mit  ausdauerndem  Fleisse  aus  Handschriften,  alten  Drucken 
*owol  wie  aus  dem  täglichen  Leben,  was  sich  ihm  darbot  und  suchte 
*or  allem  die  Bedeutung  der  Wörter  richtig  zu .  bestimmen  nicht  blos 
durch  Beisetzung  des  hochdeutschen  Wortes,  sondern  wo  es  Not  that, 
auch  durch  Entwicklung  des  Begriffes  selbst.  Auf  etymologische  Deu- 
tungen Hess  er  sich  kluger  Weise  gar  nicht  ein.  Im  Druck  unterschied 
er  sorgfältig  die  Wörter  der  älteren  Quellen  von  denen  der  lebenden 
Mundart,  erstere  gab  er  in  lateinischer,  letztere  in  deutscher  Schrift. 

*)  'Der  grösste  Theil  der  Pommerschen  Kinder,'  sagte  er  a.  a.  0.  375, 
Verachten  ihre  Muttersprache,  und  taugen  also  vor  sich  alleine  nicht  völlig  zu 
Lesung  der  Urkunden,  so  mit  ihrer  Muttersprache  reden.  Diese,  und  seihst  einige 
auswärtige  Gelehrte,  können  ein  Pommersches  Wörterbuch  zum  Dollmetscher 
brauchen.  Vielleicht  möchten  auch  gar  die  grossen  Sprachverständigen,  welche  die 
Ähnlichkeit  der  verschiedenen  Zungen  untersuchen,  einiges  Licht  daher  nehmen.' 
«)  V,  172  fgg. 

***)  Die  Allgemeine  deutsche  Biographie,  IV,  700  fg.,  gedenkt  des  Wörter- 
baches von  Dähnert  mit  keinem  Worte. 

3* 


% 

Dähnerts  Wörterbuch  hatte  seine  natürlichen  Lücken:  schwerlich 
wird  es1  selbst  bei  langjährigem  Sammeln  und  dem  sorgfältigsten  Auf- 
merken je  gelingen,  den  Wortschatz  einer  Gegend  zu  erschöpfen.  So 
lassen  sich  denn  auch  eine  Reihe  von  Versuchen  nachweisen,  die 
Dähnerts  Arbeit  ergänzen  und  berichtigen:  alle  nur  handschriftlich. 
Es  lohnt  nicht,  sie  einzeln  zu  besprechen.  Keiner  dieser  Versuche 
tritt  mit  solcher  Anmassung  auf  wie  das  'Wörterbuch  der  sassisch- 
niederdeutschen  od.  sogenannten  plattdeutschen  Sprache.  Ein  Idiotikon 
für  Neuvorpommern  und  Rügen.  Mit  besonderer  Rücksicht  auf  Ety- 
mologie und  Orthographie'  von  dem  Greifswalder  Theodor  Drewitz, 
aus  d.  J.  1820 — 30.  In  der  Vorrede  wird  Dähnerts  UnVollständigkeit 
gerügt,  ihm  vorgeworfen,  dass  er  auf  die  echte  rechte  sassische  Or- 
thographie u.  Etymologie  zu  wenig  Rücksicht  genommen:  das  mutet 
ganz  Schellersch  an,  und  in  der  That  ist  Karl  Scheller,  der  Nieder- 
sasse, Muster  für  Drewitz,  ja  auch  sein  rechter  Gewährsmann  für  die 
Beurteilung  Dähnerts.  Scheller  kannte  das  Dähnertsche  Wörterbuch 
blos  dem  Namen  nach,  trotzdem  nannte  er  es  unvollständig*).  Drewitz 
begnügte  sich  damit  den  geschmähten  Dähnert  einfach  abzuschreiben, 
allerdings  in  niedersassischer  Orthographie,  mit  ganz  unbedeutenden 
Zusätzen.     Er  kam  mit  dieser  Schreiberarbeit  blos  bis  cligt\ 

Dähnerts  Vorrede  schloss  mit  dem  Wunsche,  dass  die  schätzbare 
hinterpommersche  Sammlung  seines  Freundes  des  Praepositus  Chri- 
stian Wüh.  Haken  bald  erscheinen  möge,  die  vorteilhafteste  Ge- 
sellschaft für  seine  vorpommersche.  Haken,  durch  seine  Arbeiten  auf 
dem  Felde  der  Provinzialgeschichte  rühmlich  bekannt,  hatte  während 
seiner  22jährigen  Wirksamkeit  als  Prediger  in  Jamund  den  Wortschatz 
Hinterpommerns,  besonders  des  Striches  von  Cammin  bis  Rügenwalde, 
unter  steter  Berücksichtigung  der  Sprichwörtlichen  Redensarten  jnit 
hingebender  Liebe  bearbeitet.  Die  Handschrift  des  Wörterbuches, 
2  starke  Quartanten,  wurde  bald  nach  dem  Tode  Hakens,  um  1790  vom 
Minister  von  Herzberg  um  den  Preis  von  100  «f  für  die  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Berlin  gekauft,  ist  aber  nie  in  deren  Besitz  gekommen 
und  war  1832/3  trotz  eifriger  Nachfragen  nicht  mehr  auffindbar**). 


*)  Vgl.  K.  F.  A.  Scheller,  Bücherkundc  der  Sassisch-Niederdeutschen  Sprache, 
Braunschweig  1826,  401 :  'Dähnerts  Plattdeutsches  Wörterbuch  ....  Ist  mir  nur 
dem  Namen  nach  bekannt,  und,  soviel  ich  höre,  unvollständig.  Mögte  man  bei  dem 
derzeitigen  Sprachforschungseifer  ein  ganzes  allgemeines  Sassisches  Wörterbuch 
nach  den  vorhandenen  Schriftdenkmälern  bearbeitet  haben,  um  nicht  so  viele  unge- 
nügende Bruchstükke  zu  erhalten,  die,  wie  es  scheint,  keine  grosse  Aufnahme  fanden." 
**)  Vgl.  Pommcrschcs  Archiv  1784,  388  fgg.  Baltische  Studien  II,  147. 
Proben  brachten  Brfiggcmanns  Beschreibung  von  Pommern  und  Kochs  Eurynome 
(1806).  Vgl.  die  Mitteilungen  aus  Briefen  des  Superintendenten  Haken  im  achten 
und  neunten  Jahresbericht  der  Gescllsch.  für  Pommerschc  Geschichte  und  Alter- 
thumskunde,  Stettin  1836,  39  fgg.  Nach  dem  Briefe  Levezows  in  Berlin,  a.  a.  O. 
43  fg.,  war  das  Manuskript  Hakens  1833  weder  auf  der  Königlichen  Bibliothek  noch 
in  den  Archiven  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften.  Levezow  sprach  die  Ver- 
mutung aus,  es  sei  mit  den  Manuskripten  von  Oclrichs  auf  die  Bibliothek  des 
Joachimthalschen  Gymnasiums  gekommen.  Nach  einer  gütigen  Mitteilung  des  Herrn 
Dr.  Bolte  an  mich  findet  sich  auch  dort  keine  Spur  des  Hakenschen  Idiotikons. 


37 

Erhalten  ist  ein.  weniger  umfangreiches  hinterpommersches  Idio- 
tikon, welches  der  Prediger  Ho  mann,  in  den  Jahren  1822 — 32  zu 
Budow  bei  Stolp  gesammelt.  Es  sollte  1826  im  Druck  erscheinen, 
wurde  aber  auf  den  Rat  des  Prof.  Zeune  in  Berlin  vom  Verfasser 
noch  vervollständigt. 

Als  unter  dem  21.  December  1831  ein  von  Prof.  W.  Böhmer  in 
Stettin  veranlasster  Aufruf  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte 
in  Stettin  erschien*),  der  zu  allseitigen  Sammlungen  für  eine  Bear- 
beitung der  Pommerschen  Mundarten  aufforderte,  stand  Homann  hoch- 
herzig von  seinem  Unternehmen  ab,  besonders  weil  Bischof  Ritschi 
ein  Sendschreiben  3.  Januar  1832  erlassen,  wodurch  er  alle  Superin- 
tendenten Pommerns  aufgefordert,  durch  die  ihnen  zugewiesenen  Geist- 
lichen solche  mundartlichen  Sammlungen  veranstalten  zu  lassen.  Für 
ein  günstiges  Vorzeichen  des  glücklichen  Gedeihens  der  von  ihm 
angeregten  Sammlung  musste  W.  Böhmer  es  halten,  dass  bald  nach 
dem  Erlass  des  bischöflichen  Sendschreibens  Homann  sein  hinterpom- 
mersches Wörterbuch,  einen  stattlichen  Folianten,  der  Gesellschaft  zur 
freiesten  Verfügung  stellte**).  Rasch  folgten  kleinere  Beiträge  von 
'2b  Predigern,  andere  Mitglieder  der  Gesellschaft  beteiligten  sich  so 
gut  wie  gar  nicht.  Der  beste  Beweis,  dass  wir  in  Bischof  Ritschi 
einen  Förderer  niederdeutscher  Sprachforschung  in  Pommern  sehen 
dürfen,  dem  wir  Dank  schulden.  W.  Böhmer  versuchte***)  die  Ein- 
sendungen   1833   zu  verwerten,    um  Natur   und  Lage   der  Mundarten 

*)  Vgl.  Bericht  über  die  8.  Generalversammlung  der  Gesellscli.  für  Pom- 
mersche Gesch.  und  Altcrthumsk.,  Stettin  1H82,  23  fg.:  'Prof.  Böhmer  berührte  als- 
dann die  von  der  Gesellschaft  überall  in  der  Provinz  veranlasste  Sammlung  und 
Aufzeichnung  von.  Beiträgen  zur  Kenntnis  der  niederdeutschen  Mundarten  .  .  .  und 
verbreitete  sich  über  den  jetzigen  Stand  des  mit  glücklichem  Erfolg  betriebenen 
Unternehmens  .  .  .  Dem  verehrlichen  Berichterstatter  wird  es  alleiu  gedankt,  dass 
diese  lohnende  Arbeit  vorgenommen  wurde  und  auf  so  umsichtige  Weise  erfolgt, 
in  welcher  philologische  Schärfe  und  historische  Auffassung  so  glücklich  vereinigt 
?ind,  dass  sie  jedem  ähnlichen  Beginnen  durchaus  als  Muster  vorgehalten  werden  kann.7 

**)  Durch  die  Liberalität  der  Gesellschaft  steht  mir  der  B^ind  Ms.  Fol.  5  zur 
freien  Verfügung.  Er  enthält  auch  das  Schreiben  Homanns,  Budow,  5.  März  1832, 
an«  welchem  ich  zur  Ehre  des  uneigennützigen  Mannes  die  folgende  Stelle  mitteile : 
'lh  ich  seit  etwa  zehn  Jahren  schon  auf  den  Gedanken  kam,  die  verschiedenen 
Provinzialwörter  in  hiesiger  Gegend  zu  sammeln  und  dabei  besouders  auf  die  platte 
Ansprache  des  gemeinen  Mannes  zu  sehen,  so  hat  sich  nach  und  nach  unter  meinen 
Händen  ein  ziemlich  vollständiges  und  voluminöses  Wörterbuch  gebildet,  welches 
ioh  Willens  war  einem  Buchhändler  zu  übergeben,  um  solches  zum  Abdruck  zu 
Mordern.  Diesen  Entschluss  fasste  ich  schon -im  Jahre  1826,  wurde  aber  durch 
den  Herrn  Professor  Zeune  in  Berlin,  dem  ich  die  Abschrift  einiger  Buchstaben  des 
Wörterbuches  zur  Probe  eingesandt,  veranlasst,  bis  jetzt  damit  zu  zögern,  um  desto 
vollständiger  meine  Absicht  zu  vollführen. 

Indessen  will  ich  gerne  von  meinem  Vorsatz  abstehen,  da  ich  nun  ersehe, 
da*«  dieser  Gegenstand  von  der  resp.  Gesellschaft  dor  Pommerschen  Alterthums- 
kimde  berücksichtigt  werden  soll,  indem  ich  hoffe,  dass  die  gemeinsamen  Bemühungen 
derselben  etwas  weit  vollkommeneres  zu  bieten  im  Stande  sind,  vornehmlich,  dass 
die  so  sehr  verschiedenen  Dialekte  oder  Mundarten  in  Pommern  ermittelt  werden, 
fterne  will  ich  daher  das  Product  meines  zehnjährigen,  so  mühsamen  Fleisses  Ihnen 
nach  Stettin  einsenden  und  zu  Ihrer  eigenen  Disposition  überlassen.1 

***)  Baltische  Studien  II,  139  fgg. 


38 

Pommerns  in  Umrissen  anzudeuten.  Unterstützt  durch  die  Nachfor- 
schungen des  Oberlehrers  Scheibert  in  Stettin,  fand  er,  dass  in 
Pommern  zwei  gründlich  verschiedene  niederdeutsche  Mundarten  neben 
einander  bestehen,  in  der  alle  Unter-  und  Spielarten  der  Provinz  be- 
griffen, die  eine  sei  rund,  leicht,  ohne  alle  Doppellaute,  grosser  Be- 
hendigkeit fähig,  die  andere  breit  an  Lauten,  schwer  bis  zur  Trägheit 
und  Härte,  erfüllt  mit  gewissen  Diphthongen  und  nachklingenden 
Vokalen.  Richtig  erkannte  Böhmer,  dass  zum  Erreichen  seiner  Haupt- 
absicht, einen  vollständigen  Überblick  der  Mundarten  Pommerns  zu 
gewinnen,  viel  reichhaltigere,  sorgfältigere  Beiträge  aus  allen  Gegenden 
Pommerns  eingehen  müssten.  Es  ist  schwer  zu  begreifen,  wie  Böhmer 
auf  Grund  des  unbedeutenden  Materials,  welches  ihm  zur  Verfugung 
stand,  die  eben  erwähnte  Einteilung  der  Mundarten  Pommerns  be- 
haupten konnte.  Dass  er  die  mundartlichen  Forschungen  in  den  fol- 
genden Jahren  fortgeführt,  ist  nicht  bekannt.  Er  starb  1842,  ohne 
dass  er  seine  Absicht  merklich  gefördert  hatte.  Sein  Aufruf  konnte 
übrigens  leicht  irreführen,  wie  Kosegarten  gleich  warnend  hervorhob*). 
Die  Böhmerschen  Proben  der  Pommerschen  Mundarten  gaben  nicht 
die  einfache  natürliche  Gestalt  der  Sprache,  sondern  setzten  etwas 
darein,  die  gezierten  künstlichen  Ausdrücke  zu  gebrauchen,  die  nie 
als  Unterschiede  der  Mundarten  gelten  können.  Bei  Sprachforschungen 
muss  man  sich  zuvörderst  an  die  einfache  natürliche  Sprache  halten. 
Ferner  rügte  Kosegarten  mit  Recht  die  gewählte  Wortschreibung,  die 
zu  sehr  von  der  Etymologie  abweiche  und  sich  ganz  der  Aussprache 
hingebe,  keine  Schrift  thue  dies,  denn  sie  würde  in  heilloses  Schwanken 
fallen,  wenn  sie  der  unendlich  schwankenden  Aussprache  sich  ganz 
hingeben  sollte,  ohne  doch  mit  ihren  Buchstaben  den  gesprochenen 
Lauten  nachkommen  zu  können. 

Mit  ganz  anderem  Erfolge  als  Böhmer  richtete  in  den  letzten 
Jahren  Ulrich  Jahn  seine  Aufmerksamkeit  auf  das  Volkstümliche 
in  Pommern:  1886  erschien  seine  reichhaltige  Sammlung  Volkssagen 
aus  Pommern  und  Rügen,  in  demselben  Jahre  sein  Buch  über  Hexen- 
wesen und  Zauberei  in  Pommern.  Noch  ergiebiger  wird  seine  Sammlung 
Pommerscher  Märchen  sein,  die  den  reichsten  Ertrag  für  die  Wissen- 
schaft versprechen.  Dankbar  ist  seine  Absicht  anzuerkennen,  in  seinen 
Werken  über  Pommersches  Volkstum  zuverlässige  Stoffsammlungen 
für  Untersuchungen  über  die  Mundarten  Pommerns  zu  bieten. 

Während  die  bisher  besprochenen  Arbeiten,  abgesehen  von  den- 
jenigen Jahns,  nur  innerhalb  Pommerns  Anerkennung  gefunden  und 
Nacheiferung  geweckt,  aber  die  Entwicklung  der  niederdeutschen  For- 
schungen nicht  beeinflussen  konnten,  habe  ich  nunmehr  einen  pom- 
merschen Gelehrten  zu  nennen,  der  durch  seine  mustergültige  Bear- 
beitung niederdeutscher  Literaturwerke  bahnbrechend  wurde  fiir  die 
niederdeutsche  Philologie,  und  nicht  blos  für  sie,  sondern  auch  für 
die  deutsche  Rechtswissenschaft,  den  Wolgaster  Carl  Gustav  Homeyer. 


*)  Siebenter  Jahresbericht,  Stettin  1836,  64  fgg.  (==  Balt.  Studien  III,  176  feg.)- 


39 

Durch  ihn  und  seine  Ausgaben  der  sächsischen  Rechtsbücher  erhielt 
die  Beschäftigung  mit  niederdeutscher  Sprache  und  Literatur  einen 
echt  wissenschaftlichen  Charakter.  Was  J.  Grimm  und  Karl  Lachmann 
for  die  deutsche  Philologie  geleistet,  das  wurde  hier  mit  sicherer  Hand 
und  glänzenden  Erfolgen  an  den  bedeutendsten  sächsischen  Rechts- 
denkmälern verwertet.  Aus  einer  grossen  Zahl  von  Handschriften  des 
Sachsenspiegels  wurde  die  beste  und  korrekteste  ausgewählt,  die  der 
Ausgabe  zu  Grunde  gelegt  wurde,  die  übrigen  nach  ihrem  Werte  für 
die  Geschichte  und  Entwicklung  des  Rechtsbuches  untersucht.  Mit 
jeder  Ausgabe  erweiterte  sich  die  richtige  Erkenntnis.  Ebenso  wuchs 
das  Register  immer  entschiedener  zu  einem  erklärenden  Index  verborum 
et  rerum.  Seitdem  war  es  unmöglich  niederdeutsche  Literatur  und 
Sprache  anders  als  streng  wissenschaftlich  zu  behandeln. 

Von  den  Sprachforschern,  welche  seit  den  dreissiger  Jahren, 
in  der  Zeit  von  1830 — 1870,  sich  der  niederdeutschen  Philologie 
zuwandten,  erreicht  nicht  einer  die  wissenschaftliche  Bedeutung  der 
beiden  Pommern  Joh.  Gottfr.  Ludwig  Kosegarten  und  Albert 
Hoefer.  Beide  Professoren  in  Greifswald,  der  eine  für  alttestament- 
liche  Exegese  u.  Orientalia,  der  andere  für  vergleichende  Sprach- 
wissenschaft und  deutsche  Philologie.  Beiden  entsank  die  Feder,  ehe 
sie  ihre  Lieblingsarbeiten,  natürlich  niederdeutsche,  zum  Abschlüsse 
gebracht. 

Beide  wandten  schon  früh  ihre  volle  Aufmerksamkeit  dem  Nieder- 
deutschen zu  und  entschlossen  sich  jeder  für  sich  ein  pommersches 
Idiotikon  und  ein  mittelniederdeutsches  Wörterbuch  auszuarbeiten. 
Hoefer  trat  Herbst  1838  mit  dem  Plane  eines  Wörterbuches  der  pom- 
mersch-plattdeutschen  Mundart  hervor.  Der  fleissig  gearbeitete  Dähnert 
sollte  die  Grundlage  bilden,  auf  ihr  sollte  das  neue  Werk  sich  erheben, 
welches  den  im  Munde  des  Volkes  erhaltenen  Sprachschatz  in  mög- 
lichster Vollständigkeit  umfassen  und  sprachwissenschaftlich  bearbeiten 
wollte,  ein  Anhang  sollte  Volkslieder  und  Märchen  bringen.  Fast 
gleichzeitig  kündigte  Kosegarten,  der  früher  nur  eine  Neubearbeitung 
des  Dähnertschen  Wörterbuches  geplant,  ein  allgemeines  Wörterbuch 
der  niedersächsischen  oder  plattdeutschen  Sprache  älterer  und  neuerer 
Zeit  an,  welches  von  Ostern  1839  an  erscheinen  sollte.  Erst  1856 
erschien  die  1.  Lieferung  des  I.  Bandes  des  Wörterbuches  der  nieder- 
deutschen Sprache  der  älteren  und  neueren  Zeit,  1859  folgte  die  2., 
1*60  die  3.;  alle  3  440  Seiten  a — angetoget.  Mindestens  20  starke 
Quartbände  hätte  Kosegarten  gefüllt,  wenn  er  dem  Anfang  entsprechend 
fortgefahren,  1860  starb  er,  35  starke  Folianten  mit  Vorarbeiten  für 
das  Wörterbuch  hinterlassend,  aber  nicht  ein  Artikel  ist  druckfertig 
und  doch  legt  jede  Zeile  Zeugnis  ab  für  seine  ausserordentliche  Gelehr- 
samkeit, seinen  unermüdlichen  Fleiss.  Noch  weniger  gedieh  ein  anderes 
Werk  Kosegartens,  seine  Saxonia,  welche  verschiedene  mittelnieder- 
deutsche Schriften  umfassen  sollte,  Meister  Stephans  Schakspil,  das 
niederdeutsche  Hildebrandslied  nach  einem  Druck  des  16.  Jh.,  das 
niederdeutsche  Heldenbuch,   die  niederdeutschen  Volksbücher  von  den 


40 

7  Meistern,  Griseldis,  Melusina  u.  a.  Der  Druck  hatte  eben  begonnen, 
als  der  Tod  den  verdienten  Forscher  aus  einer  reichen  und  gesegneten 
Wirksamkeit  abrief*).  Er  hatte  nur  seiner  Wissenschaft  gelebt,  nie 
ehrgeizige  Ziele  verfolgt,  so  Hess  er  gerne  die  eigene  Arbeit  ruhen, 
um  für  andere  das  Material  herbeizuschaffen  und  sie  bei  ihren  Unter- 
suchungen zu  fördern.  Wie  kaum  ein  anderer  hat  Kosegarten  Mit- 
forscher durch  briefliche  Auskunft  unterstützt,  er  verpflichtete  sich  so 
zu  stetem  Danke  Jak.  Grimm,  Hasselbach,  Klempin,  K.  E.  H.  Krause, 
Karl  Regel,  Fried.  Lisch,  Carl  Michael  Wiechmann  und  viele  andere, 
und  wirkte  so  in  der  Stille  ungemein  im  Dienste  der  niederdeutschen 
Forschung. 

Hoefer  kam  gar  nicht  zur  Verwirklichung  seiner  lexikalischen 
Pläne,  zuerst  hemmte  ihn  die  Rücksicht  auf  Kosegarten,  dann  Kränk- 
lichkeit, so  dass  seine  umfassenden,  sorgfältigen  Sammlungen  sowol 
für  die  nd.  Schriftsprache  als  für  die  pommersche  Mundart  hand- 
schriftlich geblieben.  —  Um  der  unverdienten  Nichtachtung  des  Nieder- 
deutschen entgegen  zu  treten  und  sich  mit  Ernst  und  Liebe  um  eine 
gründliche  Kenntnis  desselben  zu  bemühen,  begründete  er  1830  'die 
Denkmäler  der  niederdeutschen  Sprache  und  Literatur  nach  alten 
Drucken  und  •Handschriften',  weil  er  der  Ansicht  war,  dass  es  zunächst 
auf  die  Veröffentlichung  möglichst  vieler  niederdeutscher  Denkmäler 
ankomme.  Nur  2  Bändelten  erschienen,  da  der  Verleger  keinerlei  Opfer 
zu  bringen  geneigt  war.  Um  so  mehr  wirkte  Hoefer  für  Erforschung 
des  Niederdeutschen  durch  seine  kleineren  Aufsätze  in  seiner  'Zeitschrift 
für  die  Wissenschaft  der  Sprache',  der  ersten  sprachwissenschaftlichen 
überhaupt,  und  in  der  Germania.  Nach  meiner  Ansicht  würde  eine 
besondere  Ausgabe  derselben  noch  heute  eine  wertvolle  Förderung  der 
niederdeutschen  Sprachforschung  sein**). 

Zum  Schlüsse  muss  icli  eines  Dilettanten***)  gedenken,  der  mit 
leidenschaftlicher  Begeisterung  das  Niederdeutsche  erfasst  und  der  dieser 
Leidenschaft  sein  ganzes  Vermögen,  seine  Zeit,  seine  Gesundheit  opferte, 
um  1885  unbekannt  und  arm  zu  sterben.  Der  Name  dieses  Schwärmers 
ist  Christian  Gilow,  wan  dages  Thierarzt  in  Anklam.  Seine  nieder- 
deutschen Bücher  Hess  er  auf  eigene  Kosten  drucken,  gegen  10  000  «f 
opferte  er  dafür:  er  hatte  sie  im  Selbstverlag,  fand  aber  keine  Ab- 
nehmer. Er  veröffentlichte  u.  a.  1S(>S  'Leitfaden  für  plattdeutsche  Sprache 
mit  besonderer  Rücksicht  der  südwestlich-vorpommerschen  Mundart' 
(176  Seiten),   1871  4De  Diere  as  man  to  seggt  un  wats  seggen'  (unge- 


*)  Es  ist  ein  Irrtum,  wenn  die  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XVI,  744 
behauptet,  dass  Kosegarten  eine  Reihe  niederdeutscher  Schriften  unter  dem  Titel 
'Saxonia'  herausgegeben;  nur  der  1.  Bogen,  den  Anfang  des  Stcphansohen  Schach- 
spiels enthaltend,  wurde  gedruckt,  mit  dem  Tode  Kosegartens  aber  der  Druck  ein- 
gestellt, da  kein  druckfertiges  Manuskript  vorlag. 

**)  Vgl.  meinen  Aufsatz  über  Albert  Hoefer,   Jahrbuch   des  niederdeutschen 
Sprachvereins  X,  148  fgg. 

***)  Nach  gütigen  brieflichen  Mitteilungen  des  Herrn  Konrektors  C.  H.  Oelgarte 
zu  Treptow  a.  d.  Tollense. 


41 

fähr  800  Seiten),  1878  {de  Planten,  as  man  to  seggt  un  wats 
seggen.  Botanisches  und  niederdeutsches  Wörterbuch  für  Landwirte, 
Ärzte,  Apotheker,  Theologen  und  Philologen.'  7  Bde.  (circa  3700  Seiten). 
1863  oder  bald  nachher  machte  er  der  Greifswalder  Universitäts- 
Bibliothek  sein  reichhaltiges  vorpommersch-niederdeutsches  Wörterbuch, 
17  starke  Quartbände,  zum  Geschenk:  viele  Spreu,  aber  auch  viele 
Goldkörner.  Gilow  war  fest  überzeugt,  dass  seine  Arbeiten  und  Samm- 
lungen Nutzen  stiften  würden,  für  sich  verlangte  er  nichts:  'dat  kümt 
ierst  na  minen  dode!'  pflegte  er  zu  sagen,  wenn  die  Rede  darauf  kam. 

Und  er  soll  sich  nicht  getäuscht  haben;  seine  Sammlungen  werden 
gute  Dienste  leisten,  wenn  endlich  der  Versuch  gemacht  wird,  das 
reiche  Material,  das  in  Greifewald,  Stettin  und  anderswo  aufgespeichert 
liegt,  für  ein  Wörterbuch  der  pommerschen  Mundarten  zu  verwerten. 
Ich  werde  Sorge  tragen,  dass  es  endlich  geschieht,  bitte  aber,  mir 
über  vorhandene  Sammlungen,  die  mir  unbekannt  geblieben,  Nachricht 
zu  geben. 

Unzweifelhaft  ist  mir  manche  Arbeit  pommerscher  Gelehrten, 
die  nur  handschriftlich  auf  Bibliotheken  bewahrt  wird,  entgangen. 
Das  besprochene  zeigt  aber  zur  Genüge,  dass  Pommern  sich  nicht 
blos  eifrig  zu  allen  Zeiten  an  der  niederdeutschen  Sprachforschung 
beteiligt,  sondern  wirklich  grosse  Verdienste  um  dieselbe  erworben 
hat.  Gerade  Pommerschen  Gelehrten  und  den  von  ihnen  angeregten 
Forschern  haben  wir  es  zu  danken,  dass  die  Beschäftigung  mit  nieder- 
deutscher Sprache  und  Literatur  zur  Wissenschaft  der  niederdeutschen 
Philologie  gediehen. 

Um  so  auffallender  ist  der  geringe  Anklang,  den  der  Verein  für 
niederdeutsche  Sprachforschung  während  seines  13jährigen  Bestehens 
in  Pommern  gefunden  hat,  die  Prediger  fehlen  ganz,  die  Lehrer  sind 
nur  sehr  spärlich  vertreten,  zählt  der  Verein  doch  bisher  in  dieser 
Provinz  nur  22  Mitglieder,  darunter  mehrere  Nichtpommern.  Es  ist 
nicht  leicht  zu  sagen,  wer  die  meiste  Schuld  trägt,  der  Verein  oder 
Pommern.  Ich  möchte  glauben,  dass  der  Verein  nicht  genug  Sorge 
getragen  hat,  in  Pommern  bekannt  zu  werden. 

Hoffentlich  regt  sich  bald  wieder  in  Pommern  der  alte  Eifer  für 
die  heimische  Mundart.  Der  deutsche  Unterricht  an  den  höheren 
•Schulen  in  Pommern  sollte  sich  den  Vorteil,  den  die  niederdeutsche 
Mundart  der  Schüler  bietet,  nicht  entgehen  lassen;  durch  richtiges 
\  ergleichen  hochdeutscher  und  niederdeutscher  Worte,  Wortformen 
und  Ausdrucksweisen  würde  das  Gefühl  für  die  Erkenntnis  sprachlicher 
Erscheinungen,  des  Sprachlebens  überhaupt  geschärft,  und  so  die 
Grundlage  geschaffen  für  fruchtbringende  Behandlung  des  gesammten 
Sprachunterrichtes.  Grosse  und  schwere  Aufgaben  hat  die  nieder- 
deutsche Philologie  in  Pommern  noch  zu  lösen.  Vor  allem  muss  der  mund- 
artliche Wortschatz  Pommerns  sorgfältig  gesammelt  und  wissenschaftlich 
verwertet  werden  und  durch  Vorgleichung  mit  dem  anderer  nieder- 
deutscher Gegenden  das  sprachgeschichtliche  Material  gewonnen  werden 
iur  die  Geschichte    der  Kolonisation    und   Germanisation  Pommerns. 


42 

Nicht  minder  wichtig  und  notwendig  ist  eine  Geschichte  der  nieder- 
deutschen Schriftsprache  in  Pommern,  wofür  es  noch  keine  Vorarbeiten 
gibt,  während  auf  lexikalischem  Gebiete  die  vorhandenen  Sammlungen 
einen  kräftigen  Grundstock  bilden.  Also  Arbeit  die  Fülle.  Möchten 
auch  in  Zukunft  die  Pommern  sich  um  die  niederdeutschen  Studien 
verdient  machen,  damit  sie  ihrer  Vorfahren  sich  wert  erweisen. 

GREIFSWALD.  AI.  Reifferseheid. 


Laurembergs 
handschriftlicher  Naehlass. 


Als  ich  im  Juli  des  vorigen  Jahres  die  Handschriftenverzeichnisse 
der  Königlichen  Bibliothek  zu  Kopenhagen  durchsah,  stiess  ich  zu 
meiner  Überraschung  auf  verschiedene  Werke  von  Johann  Lauremberg, 
die  weder  in  der  sorgsamen  Ausgabe,  welche  Lappenberg  1861  von 
den  niederdeutschen  Scherzgedichten  für  den  Stuttgarter  literarischen 
Verein  veranstaltete,  noch  in  der  liebevoll  eingehenden  und  manches 
neue  archivalische  Material  verwertenden  Monographie  von  L.  Daae1) 
noch  sonst  in  den  sich  mit  diesem  Dichter  und  Gelehrten  beschäfti- 
genden Arbeiten  erwähnt  worden  sind.  Sind  nun  auch  die  meisten 
dieser  Handschriften  nicht  geeignet,  durch  ihren  Inhalt  das  eingehende 
Interesse  des  Litterarhistorikers  in  Anspruch  zu  nehmen,  so  bedarf 
doch  eine  kurze  Aufzählung  an  dieser  Stelle  um  so  weniger  einer 
Rechtfertigung,  als  zwei  derselben  auch  einen  schätzenswerten  Beitrag 
zur  Geschichte  der  niederdeutschen  Dichtung  abgeben. 

Schon  von  Lappenberg  verzeichnet  ist  ein  Werk  Laurembergs, 
welches  erst  1660  nach  dem  Tode  des  Verfassers  von  Samuel  Pufen- 
dorf  in  Druck  gegeben  wurde:  31  Landkarten  des  alten  Griechenlands 
mit  lateinischem  Texte,  betitelt: 

V.  Cl.  JOANNIS  LAURENBERGI GRAECIA  ANTIQUA  Edidit  SAMU- 
EL PUFENDORF.  o.  0.  u.  J.  Quer  4°.  —  Die  Vorrede  des  Heraus- 
gebers trägt  das  Datum  „Lugd.  Bat.  prid.  Eid.  Quintil.  1660".  Auf  dem 
Titel  des  kopenhagener  Exemplars  findet  sich  der  handschriftliche  Zusatz: 
Amstelodami,  Apud  Joannem  Janssonium,  Anno  Christi  cId  IQCLX. 
Diese  Arbeit  muss  den  Soröer  Professor  lange  beschäftigt  haben; 


J)  Om  Humanisten  og  Satirikeren  Johan  Lauremberg.  Univereitetsprogram 
i  Anledning  af  Universitetets  Holbergsfest  3die  December  1884.  Christiania  1884. 
Fehlt  bei  Goedeke,  Grundriss  *  3,  236,  ebenso  wie  Erich  Schmidts  fördernder  Artikel 
in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  18,  58  f.  Einige  biographische  Nachrichten 
über  Lauremberg  bei  A.  Sach,  Joachim  Rachel  1869  S.  64—66  sind  bisher  unbe- 
achtet geblieben. 


43 

denn  die  Kopenhagener  Königliche  Bibliothek  bewahrt  nicht  weniger 
als  fünf  verschiedene  Handschriften  derselben: 

1)  Mscr.  Thott.  538  fol.  „THE  EAAAAOS  Owotuto^i;  y^YP*?130?-* 
2  Bl.  &  64  S.  Text  mit  Tafeln  4-  3  Bl.  klein  Folio.  Die  undatierte 
griechische  Widmung  von  IwavvDs  Aaupe^spyio?  'OXifapica  Po&ocre- 
oivw,  d.  h.  an  den  durch  seine  Gelehrsamkeit  berühmten  Grafen 
Holger  Rosencranz  (1574 — 1642),  liefert  uns  wenigstens  eine  ungefähre 
Zeitbestimmung  und  erklärt  zugleich  die  kostbare  Ausstattung  der 
Handschrift.  Dieselbe  ist  nämlich  sehr  zierlich  auf  Pergamentblätter 
geschrieben,  deren  Ränder  gleich  den  Initialen  reiche  Vergoldung 
zeigen.  Die  fortlaufende  Erklärung  der  Karten  und  die  Namen  auf 
diesen  sind  ebenfalls  in  griechischer  Sprache  abgefasst.  Eine  genaue, 
doch  minder  prächtig  ausgestattete  Kopie  ist 

2)  Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  449  fol.  auf  Papier.  Die 
Zeichnungen  sind  auf  gefirmstem  Papier  durchgepaust. 

3)  Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  2139  in  4Q.  „THS  EAAAAOS 
*7r/ni™<ns  EIS  ES  OINAKAS  AIHPHMENH,  oU  SiaypacovTat  EAAAS 
OAIRflS,  MAKEAOMA,  EnEIPOS,  AXAIA,  IlEAOnONlNHSOS, 
KVKAAAES  NHEOI,  Otto  *Ia>.  Aaupe[/,ßepy(ou  PoSotoACtou,  taTpo^t)iX- 
b;vo$.*  Es  sind  nur  6  kolorierte  Karten  auf  Pergament,  im  selben 
Format  wie  1  und  2,  mit  griechischen  Namen,  ohne  erklärenden  Text. 

4)  Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  448  fol.  „EAAAE.  GR^CIA 
ANTIQVA  ET  HODIERNA,  Tabulis  Geographicis  illuftrata  ac  defcripta 
ab  JOANNE  LA VRENBERGIO."  Es  sind  32  sehr  sorgfältig  gezeich- 
nete Karten  in  etwas  grösserem  Massstabe  und  mit  lateinischen  Namen. 
Ein  Text  fehlt. 

5)  Mscr.  Thott.  539  fol.  „THE  EAAAAOS  YnOTTnQSIE 
rEürPA<MKH.  Ali  Iw.  AaupefjßepYiou,  Mz^'OLTzokfcou."  30  Karten  im 
Format  von  Nr.  4,  mit  lateinischen  Namen,  ohne  Text. 

6)  Mscr.  Thott.  221  fol.  Tafeln  in  Grossfolio  zu:  „Domini  Lau- 
renbergii  Praelectiones  Geometricae  in  Academia  Sorana  elucidatae*. 

7)  Mscr.  Thott.  1073  in  4°.  „JOH:  LAURENBERGII  OTIUM 
SORANUM  ET  PROBLEMATA  AC  QUjESTIONES  ARITHMETICAE.« 
W  den  beiden  hierin  enthaltenen  Werken  ist  das  erste,  auch  „Epi- 
grammata  exercitationibus  arithmeticis  accommodata*  genannt  (1  Bl.  -+- 
116  S.  4°),  unter  dem  Titel  „Ocium  Soranum"  1640  zu  Kopenhagen 
in  4°  gedruckt  (vgl.  Lappenberg  S.  186);  doch  schliesst  der  Druck 
*chon  mit  dem  61.  Epigramm  Xepcriou  xeiparjiipiov,  während  in  der 
Handschrift  noch  fünf  weitere  Nummern  folgen;  Nr.  66  heisst  Moucrawv 
rc&xi.  Bisher  unbekannt  war  die  angehängte  Sammlung  von  62 
arithmetischen  Aufgaben  in  lateinischer  Prosa:  „PROBLEMATVM  AC 
QVAESTIONVM  ARITHMETHICARVM  LIBER.  JOAN.  LAVREM- 
BERG  propofuit  &  folvit.«  1  Bl.  -+-  39  S.  4°.  Vorreden  und  Zeit- 
angaben fehlen  beiden  Werken. 

8)  Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  2047  in  4°,  „Collectio  poe- 
matum  Latinorum  et  Gallorum  ad  historiam  saeculi  XVII, u  35  Bl.  4°, 


44 

Enthält  auf  der  letzten  Seite  ein  Gedicht  in  lateinischen  Trimetern, 
betitelt:  „Novis  Sponsis  Johanni  Georgio  Quirino  Civi  et  Oenopolo 
Hauniensi  et  Gertrudi  Ulrichiae  Conjugium  felix  et  foecundum  opto 
J.  L.  Sorae  1647."  Dass  die  Initialen  J.  L.  auf  J.  Lauremberg  zu  be- 
ziehen sind,  wird  unzweifelhaft  durch  die  Thatsache,  dass  Morhof  dies 
Hochzeitsgedicht  1684  (Kiel  BL  4b)  zusammen  mit  desselben  Satyra 
und  Querimonia  herausgab.  Vgl.  Lappenberg  a.  a.  0.  S.  193  und 
Daae  S.  29;  Anhang  S.  IV. 

9)  Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  2662  in  4°,  betitelt:  „MVSI- 
CALISCH  BALLET.  Darin  vorgestellet  werden  die  Geschichte  ARIONS. 
Dem  Durchlauchtichstem,  Großmächtigstem  Fürsten  vnd  Hern,  Hera 
FRIDERICH,  dem  Dritten  Konig  in  Dennemarck,  Norwegen  &c.  auch 
Der  Durchlauchtichsten  Hochgebornen  Furstinn  vnd  Frawen  Frawen 
Sophia  Amalia,  Koniginn  in  Dennemarck,  Norwegen,  etc.  Zur  Glück- 
wünschung  über  die  Geburt  des  Jungen  Herleins  Hertzogk  Georg, 
unterthänigst  praesentiret,  von  Joh.  Laurenberg. u  23  BL  4°.  —  Da 
der  Prinz  Georg,  welcher  als  Gemahl  der  Prinzessin  Anna,  der  Tochter 
Jakobs  IL  von  England,  in  der  Geschichte  bekannt  ist,  am  21.  April 
1653  geboren  wurde,  vermögen  wir  die  Entstehungszeit  der  Dichtung 
genau  zu  bestimmen.  Doch  muss  dieselbe  entweder  aus  unbekannten 
Gründen  nicht  dem  Könige  überreicht  oder  von  demselben  nicht  be- 
achtet worden  sein1).  Denn  zwei  Jahre  darauf  widmete  Lauremberg 
sie  in  gedruckter  Gestalt  dem  Könige  bei  einer  ähnlichen  Gelegenheit. 
Der  Titel  ist  den  Umständen  entsprechend  verändert: 

MUSICALISCH  |  Schawspiel,  |  Darimi  vorgestellet  werden  die  Ge- 
schichte |  ARIONS.  |  Dem  Durchleuchtiehstem,  GroDmächtigstem  Fürsten 
und  Herrn,  |  Herrn  FRIDERICH  dem  Drit-  |  ten,  König  in  Denmarck, 
Norwegen,  zc:  |  Auch  |  Der  Durchleuchteten,  Hochgebohrncn  Fiirstinn 
und  Frawen,  |  Frawen  SOPHIA  AMALIA,  |  Koniginn  in  Dcnmarck,  Nor- 
we-  |  gen,  ?c:  |  Zur  Glückwündschung  über  die  Huldigung  |  Des  Durch- 
leuchtigsten Printzen  |  Hertzog  CHRISTIAN,  <Sx.  j  Vnterthänigst  prtefen- 
tirt.  ||  Copenhagen,  |  Gedruckt  von  Peter  Morsing  Königl.  und  Acad. 
Buchdr.  |  Im  Jahr  1055.  |  5  Bogen  4*.  —  Die  Vorrede  ist  unterzeichnet : 
Sorae,  Nomine  Academiac  f.  Joh:  Lauremberg.  Vgl.  Lappenberg  S. 
177  f.,  191  f.  und  Daae  8.  02.     Fehlt  bei  Goedeke,    Grundrüs  ■  3,  213. 

Auf  den  Inhalt  des  Ballets,  in  welchem  sechs  Oden  (Genius, 
Neptunus,  Daphorinus  [=  Lauremberg],  Arion)  und  sechs  Chöre  (drei 
Furien,  drei  Tugenden,  vier  Schifter,  Nereiden  und  Tritonen)  mit  ein- 
ander wechseln,  hier  einzugehen  liegt  keine  Veranlassung  vor.  Die 
Handschrift  weicht  nur  darin  von  dem  späteren  Drucke  ab,  dass  sie 
am  Schlüsse  noch  eine  in  jenem  fehlende  niederdeutsche  Scene  enthält, 
ähnlich  wie  in  den  1634  zu  Kopenhagen  aufgeführten  drei  Zwischen- 
spielen Laurembergs,  welche  Jellinghaus  und  Nissen  in  diesem  Jahr- 
buche III,    91 — 100  und  XI,  145 — 150    mitgeteilt  haben,    knüpft  die 

x)  Zur  Taufe  des  Prinzen  wurde  ein  Ballet  „Die  vier  Elementen4*  Kopenhagen 
1653.  4°  gedruckt  und  aufgeführt  (Exemplar  in  Stockholm).  Die  Kopenhageuer 
Bibliothek  besitzt  nur  eine  dänische  und  eine  französische  Übersetzung:  „De  tire 
Elementer  .  .  .  forestillet  den  17.  Juli  1653,  äff  Tydskcn  paa  Dansk  udsat  af  P.  N.  M. 
(Köbenhavn  1653).tf  HS.  4°.  „Ballet  des  quatre  elemens  sur  l'heureuse  naissance 
de  Georges  Duc  de  Holstein"  (1653)  6  BL  4°. 


46 

Unterhaltung  des  kleinen  Bauernknechtes  mit  der  langen  Magd,  die 
ihm  noch  zu  klein  zum  Heiraten  ist,  an  den  eben  dargestellten  mytho- 
logischen Vorgang  an,  den  Spässen  vergleichbar,  mit  denen  der  Pickel- 
häring  die  ernsthafte  Haupthandlung  in  den  Schauspielen  der  englischen 
Komödianten  begleitete.  Statt  der  Prosa  aber  hat  diesmal  der  Dichter 
die  metrische  Form  gewählt,  und  zwar  lassen  die  überschlagenden 
Reime  vierzeilige  Strophen  erkennen,  welche  allerdings  nicht  durch 
Absätze  hervorgehoben  sind.  Da  jedoch  der  Bauerntanz  inmitten  eines 
Singspiels  erscheint,  so  ist  es  durchaus  wahrscheinlich,  dass  die  Verse 
wie  die  kleinen  Possenspiele  der  englischen  Komödianten  nach  einer 
bekannten  Melodie  abgesungen  wurden.  Somit  haben  wir,  wTenn  wir 
Ton  dem  nur  aus  dem  Hochdeutschen  herübergenommenen  Liede 
.0  Xaber  RubbertÄ1)  absehen,  das  älteste  bisher  nachgewiesene  nieder- 
deutsche Singspiel  vor  uns.     Ich  lasse  nun  den  Text  desselben  folgen. 


Bawrentantz  zum  Epilogo. 

Ein  Kurtzer  dicker  Bawer  knecht,  vnd  lange  Bawer  Magdt. 

K[necht.]    Wor  geistu  hen,  wor  bliffstu  doch, 
du  schmucke  Kiene  deerneV 
Du  weest,  dat  Ick  di  leve  noch 
vnd  mag  di  sehen  so  gerne. 
5  Wat  achte  ick,  dat  ein  Hafman 
mit  sinem  dantzen  prale? 
ein  Buer  Knecht  ock  woll  danßen  kan 
vnd  springen  up  vnd  dale. 
M[agd.]    Mi  dünckt,  dit  Volckschen  althomahl 
10  schodüvellen  löpt  hierbinnen, 

se  hebt  sick  up  dem  schönen  Sael, 
alß  weren  se  nicht  by  Sinnen. 
Wat  was  dat  vor  ein  Sküßlick  dinck*), 
dät  dar  quam  sacht  her  krupen? 
15  Ick  meend,  alß  ick  dar  nah  by  gingk, 
Dat  ick  my  scholde  bepupen. 
De  Keerle,  de  up  dem  Spoke  reet, 
de  makede  vel  vertöge; 
he  qverckede,  lyck  ein  Varcken  deit, 
20  wen  idt  söcht  na  der  Söge. 
Kfnecht.]    Ick  wolde  nicht  vor  twintig  Marck 
dar  hebben  up  geseten, 
idt  sach  mi  an  so  glüpisch  starck, 
ick  hadde  my  schier  beschetcn. 
25  Wenn  ick  up  sülcker  Söre  skold 


■)  Niederdeutsche  Volkslieder,  Hamburg   1883  S.  109  Nr.  148.    Vgl.  weiter 
unten:  'Pas  Liederbuch  des  Peter  Fabricius.' 

*)  Sie  meint  den  Delphin,  auf  welchem  der  ins  Meer  gestürzte  Arion  ritt. 


46 

van  unsem  Dörpe  wegriden 
hen  na  de  Stad,  ick  würde  woll 
tho  bringen  Jahres  tiden. 
M[agd.]    De  ruckelrey1)  so  dulken  stund, 
30  den  düße  Wiever  sprangen, 

dat  Leed  dat  waß  so  kakelbund, 
dat  Se  dar  tuschen  sungen, 
se  makeden  sick  so  scheeff  und  krum 
vnd  schüddeden  Buek  und  darmen, 
35  se  hüppeden  dörch  malkander  rum, 
alß  wenn  de  Immen  schwärmen. 
K[necht.]    Wat  frag  ick  na  sulck  Hummethey? 
ick  acht  idt  nicht  gar  väle, 
ick  hold  idt  mit  dem  Lulckendey 
40  und  mit  dem  Lierenspäle8). 
M[agd.]    Wy  hebben  nichts  tho  dohn  darmed, 
lath  unß  van  frien  schnacken; 
do  ick  di  lest  van  frien  seed, 
du  wisdest  mi  de  hacken. 
45  K[necht.]    Wat  schold  ick  dorvan  koltzen8)  mehr? 
du  bist  noch  veel  tho  kleene, 
du  schlöpst  noch  woll  ein  Jahr  edr  vehr 
by  diner  Möhme  allene. 


l)  Ein  Hochzeitstanz;  vgl.  Schiller-Lübben,  Mnd.  Wörterbuch  3,  519  f. 

')  Lulkendey,  Sackpfeife;  Liere,  Drehleier,  deren  über  einen  Resonanz - 
kästen  gespannte  Saiten  durch  ein  mit  Harz  bestrichenes  Rad  gleichzeitig  zum  Tönen 
gebracht  werden.  Beide  werden  als  „bäurische  Instrumente u  von  Rist  1653  genannt 
(Jahrbuch  7,  159).  Ebenso  erscheinen  Lulkendey  bei  J.  Burmeister,  Xokjto; 
xeoaffuivo;  1605  Bl.  D  2a,  Lüllckenpipe  (—  Lulkendey),  Dudey,  Schalmei,  Flöyte 
una  Fidel  bei  E.  Herlicius,  Musicomastix  1606  Bl.  B  ij  b.  J  j  a  u.  ö.,  Lyre  bei 
Schlu,  Isaac  1606  Bl.  42a,  Lüll'kendey  und  Schalmey  bei  D.  Friderici,  Tobias 
1637  S.  297  nur  in  den  Händen  von  Bauern.  Auch  ein  Mensch  wird  Lulkendey 
genannt;  bei  Z.  Zahn,  Tragoedia  fratricidii  1590  Bl.  E  ij  b  sagt  Cain:  „Getrost 
vnd  guter  ding  du  sey,  Sanct  Yalten  hab  der  Lilckendsy."  Gabr.  Rollenhagen, 
Amantes  amentes  1609  IU,  5:  „Wei  bistu  denn,  du  lulkendeij?"  Lyrum  Lolle- 
kendey  als  Refrain  eines  Tanzliedes  bei  Böhme,  Altdeutsches  Liederbuch  Kr.  306 
und  Eitner,  Das  deutsche  Lied  2,  251.  Vgl.  nid.  lullepijpe,  und  Grimm,  DWB  6, 
1288.  —  In  dem  Freudenspiel  „Tugend-  und  Liebes-Streit"  (Bevern  1677  III, 
5  Bl.  Eijb;  vgl.  J.  Meissner,  Die  englischen  Komödianten  in  Österreich  1884 
S.  111—126)  fragt  Pickelhäring  die  als  Knabe  verkleidete  Silla:  „Auff  was 
Instrumenten  kanstu  dann?"  —  Silla:  „Ich  verstehe  etwas  auff  der  Viol  di  gamba, 
auff  der  Laute,  auff  der  Zitter,  auff  der  Harpffe,  auff  der  Flöhte,  und  hab  auch  ein 
gut  Fundament  auff  dem  Spinet  zu  spielen. u  —  Pickelhäring:  „Was?  Seynd 
das  die  Instrument,  einen  grossen  Herrn  damit  lustig  zu  machen?  Weg  mit  diesen 
Lappereyen,  es  seyen  Bawren  Instrument,  und  gehören  in  die  Schencke  vor  die 
Bawren -Knechte.  Aber  kanstu  nicht  auff  der  Sackpfeiffen,  auff  dem  Runpelpott 
[vgl.  Korrespondenzblatt  7,  9.  8,  34],  auff  der  Strofiedel,  auff  der  Leyer,  auff  der 
Maultrommel,  auff  dem  Polnischen  Bock?  das  seynd  Instrumenta  vor  einen  grossen 
Herrn."  —  Silla:  „In  Cypern  brauchen  die  Bawren  solche  Instrumente." 

■)  k  o  1  z  e  n  braucht  G.  Rollenhagen  im  Vorwort  zum  Froschmeuseler  Bl.  A  5h 
vom  Schnattern  der  Weiber  und  Gänse:  „köddern,  kolzen,  kosen  und  kallen",  vgl. 
Grimm  DWB  5,  1624.  Bei  Gerhard  von  Minden  31,  42  steht  kolsen  vom  Gesang 
der  NachtigaL 


47 

M[agd.]    Din  Sch[n]ack  den  düvel  richten  döcht; 
50  Ick  kamer  woll  mit  thorechte, 

Ick  heb  ydt  all  so  offte  versöcht 

mit  Sivert  unsem  Knechte. 

Iß  idt  din  Ernst  und  iO  kein  tand, 

dat  du  mi  willest  habben, 
55  so  giff  mick  etwas  up  de  hand 

vnd  pype  mick  up  de  Habben1). 
K[necht.]    Sühe  dißen  dicken  dahler  dy 

Ick  up  de  habbe*)  gäve, 

und  du  skalt  nahmals  wesen  my 
60  de  allerleffste  Täve. 

CHORVS  VII. 
Mit  Trompeten  und  Heerpaucken. 


10)  Wichtiger  als  die  bisher  aufgezählten  Stücke  ist  endlich  das 
Mscr.  Gamle  kongelige  Sämling  20G9  in  4°:  „Skimpgedichte,  |  Van 
etliken  Stücken  na  der  itz  |  gebrückliken  Mode,  |  Alse,  Kleder,  Sprake, 
Poesie,  &c.  |  In  Nedderdüdisk  gerimet."  34  Bl.  4°.  —  Der  ungenannte 
Autor  ist,  wie  der  erste  Einblick  in  diese  bisher  nicht  beachtete  *)  Hand- 
schrift ergiebt,  Lauremberg;  es  ist,  um  es  kurzweg  auszusprechen,  die 
älteste  Fassung  der  vier  berühmten  Scherzgedichte,  also  vor  1652 
entstanden. 

Von  der  im  Drucke  veröffentlichten  Gestalt  (D)  unterscheidet 
sich  der  hsl.  Text  (H)  erstens  durch  seinen  Umfang;  er  enthält  *42  -h 
*1710  =  *1752  Verse,  die  Drucke  dagegen  42  -+-  456  -+-  798  -+- 
494  -f-  696  -h  138  =  2624  Verse,  also  etwa  die  Hälfte  mehr.  Ferner 
zeigt  die  Handschrift  nicht  die  Einteilung  in  vier  Bücher,  sondern 
ungehemmt  durch  Einschnitte  und  Überschriften,  in  behaglichem  Plau- 
dertone fliesst  die  Rede  des  Dichters  fort.  Nur  bei  V.  *379  bedient 
sich  derselbe  einer  andern  Einkleidung,  indem  er  einem  gleichgesinnten 
Freunde  das  Wort  erteilt  und  diesen  drei  Viertel  dessen,  was  er  selber 
auf  dem  Herzen  hat,  in  einem  Bjriefe  an  Hans  Wilmsen  aussprechen 
lässt.  Das  frische  Vorwort  in  trochäischen  Strophen  ist  beiden  Re- 
eensionen  gemeinsam;  den  Epilog  spinnt  D  zu  138  Versen  aus,  während 
H  sich  mit  22  begnügt.  Die  Plusverse  von  D  in  den  vier  Scherz- 
gedichten selber  kennzeichnen  sich  als  weitere  Ausführungen  desselben 
Grundgedankens,  veranlasst  durch  neu  auftauchende  Moden  und  Er- 
eignisse, welche  den  patriotischen  Zorn  Laurembergs  entflammten:  so 
1,  231 — 294  die  Schilderung  der  französischen  Kochkünste,  2,  563 — 590 


")  Zu  V.  53—56  vgl.  die  Parallelen  bei  Gaedertz,  Gabriel  Rollenbagen  1881 
S.  55.  66  und  Das  niederdeutsche  Schauspiel  1,  70. 

■)  Habbe,  Verlobungsgabe.    Berghaus,  Sprachschatz  der  Sassen  1,  629. 

*)  Wie  ich  während  der  Korrektur  dieses  Aufsatzes  erfahre,  hatte  Herr  Prof. 
AI.  Reifferscheid  sich  1881  Notizen  über  diese  Handschrift  gemacht,  welche  er 
gelegentlich  verwerten  wollte. 


48 

die  Sitte  der  Favorbänder,  2,  349 — 498  die  Parfüme  Philipps  von 
Varan.  Dagegen  ist  2,  57  der  Stich  auf  die  schwedischen  Röcke  weg- 
gefallen, da  diese  vielleicht  nur  kurzlebige  Mode  gegenüber  der  starken 
Einwirkung  französischer  Sitte  kaum  in  Betracht  kam.  Andere  Zusätze 
sind  durch  das  Bedürfnis  entstanden,  an  mehreren  Stellen  der  Dar- 
stellung einen  Ruhepunkt  zu  gewähren  und  sie  dann  mit  dem  Beginne 
eines  neuen  Abschnittes  von  neuem  anheben  zu  lassen.  Für  das  zeitliche 
Verhältnis  von  H  und  D  ist  es  bezeichnend,  dass  in  H  häufiger  be- 
stimmte Orts-  und  Personennamen  genannt  werdeu.  In  dem  4,  165  = 
*1209  als  nüchterner  Beurteiler  der  Poesie  auftretenden  Hans  Iver 
hat  man  sicher  einen  wirklichen  Kopenhagener  Bürger  dieses  Namens 
zu  erkennen.  Doch  in  der  für  die  Oeflentlichkeit  bestimmten  Redaktion 
D,  welche  solche  persönlichen  Anspielungen  meidet,  wird  er  zu  einem 
Anonymus;  ebenso  wird  4, 140  Kopenhagen  zu  v einer  vornehmen  Stadt", 
3,  359  Hamburg  zu  „einer  grossen  Stadt".  Und  wenn  der  Dichter 
in  einer  Zusatzstelle  2,  615  auf  Hamburg  hinzuweisen  scheint,  so  thut 
er  es  nur  andeutungsweise.  Die  2,  678,  ebenfalls  in  einer  H  noch 
fehlenden  Partie,  begegnende  Nennung  Kopenhagens  war  etwas  Un- 
verfängliches, da  er  hier  nicht  bestimmte  Personen  im  Auge  hatte. 
Die  Personennamen  aber  in  D  wie  Lenke  Bökeln,  Else  Klunds,  Aalke 
Quaks,  Matz  Pump  sind  nur  typische  Bezeichnungen  einer  ganzen 
Menschenklasse.  Alle  diese  Einzelheiten  fuhren  uns  zu  der  Überzeugung, 
dass  H  eine  Vorstufe  zu  D  und  nicht  etwa  aus  D  geflossen  ist.  Es 
ist  leicht  begreiflich,  dass  Lauremberg  eine  ältere  Dichtung,  die  er 
nach  Jahren  aus  dem  Schreibpulte  nahm,  in  der  angedeuteten  Weise 
ummodelte  und  erweiterte,  dass  er  die  etwas  ungeschickte  Fiktion  des 
Briefes  um  einer  sachgemässen  Teilung  willen  aufgab;  aber  ich  wüsste 
keinen  Grund,  weshalb  Lauremberg  oder  jemand  anders  die  seit  ihrem 
Erscheinen  äusserst  beliebten  Scherzgedichte'  hätte  umarbeiten  und 
verkürzen  sollen;  als  eine  Auswahl  in  usum  Delphini  kann  man  II, 
wie  das  Stück  * 529— * 622  =  2,  135—236  ausweist,  keineswegs 
betrachten.  Zu  einer  genaueren  chronologischen  Bestimmung  der 
Handschrift  mangelt  uns  leider  so  gut  wie  jeglicher  feste  Anhalt;  denn 
gerade  die  Angaben  von  D,  nach  welchen  man  das  Jahr  1651  mit 
Sicherheit  als  die  Abfassungszeit  bezeichnen  zu  können  meinte1)»  lassen 
hier  im  Stich.  1,  307,  wo  Lauremberg  von  seinen  vor  vierzig  Jahren 
unternommenen  Reisen  ins  Ausland  spricht,  fehlt  in  H,  und  1,  128  lautet: 

Ik  heb  in  veertein  (statt  vertich)  Jahr  vcl  Hagen  vul  geakreven. 
Von    wo    ab    diese    vierzehn  Jahre,    in    denen    man    wohl  nicht  einen 
blossen  Schreibfehler  wird  erblicken  wollen,  zu  rechnen  sind,  geht  aus  j 
dem  Zusammenhang  nicht  hervor;    vielleicht   vom  Antritt  seiner  Pro- 
fessur in  Rostock   (1618)    oder  seines  Lehramtes  in  Sorö   (1623)  ah: 
immerhin  kommen  wir  auf  ein  erheblich  früheres  Entstehungsjahr  des 
oder  der  niederdeutschen  Scherzgedichte,  welche  somit  der  1630erschie-  j 
nenen  lateinischen  Satyra  (bei  Lappenberg  S.  7!),  vgl.  190)  zeitlich  näher  j 


')  Braune  in  seiner  Ausgabe  1879  S.  VII  f. 


40 

rücken.  Auch  an  die  Bemerkung  Lappenbergs  S.  213,  dass  viele 
Stellen  der  Scherzgedichte  an  die  1633  von  dem  jüngeren  Bruder 
Laurembergs,  Peter,  veröffentlichte  Acerra  philologica  erinnern,  na- 
mentlich die  pythagoreische  Lehre  von  der  Seelenwanderung,  darf  viel- 
leicht in  diesem  Zusammenhange  erinnert  werden.  Die  grosse  Wasser- 
flut, welche  Lauremberg  3,  420  =  *1016  erwähnt,  bezieht  E.  Müller  auf 
das  Jahr  1649,  Latendorf  und  Braune  auf  1651;  doch  auch  in  früheren 
Jähren  wird  sich  wohl  ein  derartiges  Naturereignis  nachweisen  lassen. 
E<  blieben  also  von  den  von  Braune  geltend  gemachten  chronologischen 
Indicien  nur  noch  die  Anspielungen  im  Beschluss  V.  3  und  73  f.  auf 
das  hohe  Alter  des  Autors  übrig;  und  diese  gerade  fehlen  in  der 
Handschrift.  Ich  glaube  deshalb  diese  Fassung  noch  in  die  dreissiger 
Jahre  des  17.  Jahrhunderts  setzen  zu  dürfen. 

Über  die  Art  der  Entstehung  giebt  Lauremberg  V.  *1691  f., 
5l6i»S  f.  einen  wertvollen  Aufschluss,  wenn  er  erzählt,  dass  er  an  drei 
schulfreien  Mittwochen  das  Ganze  niedergeschrieben  habe.  Hierin  liegt 
zugleich  eine  Erklärung  der  nachlässigen  Komposition. 

Die  naheliegende  Frage,  ob  wir  in  H  ein  Autograph  des  Dichters 
besitzen,  muss  leider  verneint  werden.  Denn  von  zwei  sicher  von 
Lauremberg  herrührenden  Schriftstücken,  welche  ich  vergleichen  konnte, 
zeigt  das  oben  unter  Nr.  7  verzeichnete  Otium  Soranum  (vor  1640) 
schräge,  kleine  und  zierliche  Züge  ohne  Druck,  ähnlich  dem  von  Lap- 
penberg gegebenen  Faksimile  einer  Widmung  v.  J.  1619,  und  der  bei 
Iiaae  S.  79  f.  aus  der  Böllingschen  Briefsammlung  abgedruckte  ebenfalls 
lateinische  Brief  an  Johann  von  Bielke  vom  11.  Okt.  1632  ist  in  grösseren, 
aufrechtstehenden  Lettern  mit  breiter  Feder  geschrieben,  während  die 
deutschen  Buchstaben  in  H  nicht  so  glcichmässig  in  einer  Linie  laufen, 
sondern  eine  ungelenkere  Hand  verraten.  Endlich  das  Manuskript  des 
Arion  von  1653  (oben  Nr.  9)  zeigt  kleine,  aufrechte  und  krause  deutsche 
Buchstaben,  welche  vielleicht  dem  Dichter  selbst  ihren  Ursprung  ver- 
danken; der  Bauerntanz  aber  ist  wiederum  von  einem  andern  weniger 
hübten  Schreiber  in  schrägeren  Zügen  hinzugefügt. 

Da  somit  H  als  eine  Abschrift  zu  betrachten  ist,  welche  sich 
irgend  ein  guter  Freund  Laurembergs  von  seinem  handschriftlich 
kursierenden  Gedichte  nahm,  so  hat  eine  genaue  Angabe  aller  ortho- 
graphischen Abweichungen  von  der  durch  Braune  treu  wiederholten 
Originalausgabe  von  1652  kein  Interesse  für  uns.  Ich  hebe  nur  hervor, 
dass  regelmässig  sk  (skilling,  wünsken,  fleesk),  sl,  sm,  sn,  sw  (im 
Anlaut)  für  seh,  schl,  schm,  sehn,  schw  erscheinen,  und  dass  e  (vel, 
li:ven,  esel)  oft  statt  e  oder  ee  auftritt.  Sonst  wechseln  mit  einander: 
eh  —  ee,  ei  —  e  (eigen,  klenen),  i  —  y,  o  —  o,  o  —  oh  —  oe, 
&  —  u,  u  —  uh  —  ue.  Im  Auslaut  wechseln  ch  —  g,  g  —  k,  d  —  t  — 
dt  —  th,  von  der  regellosen  Verdoppelung  vieler  Konsonanten  im  In- 
and  Auslaut  abgesehen. 


Hiedcrdeutechfts  Jahrbuch.    XIII. 


50 

Abweichungen  der  Handschrift  Gamle  Kong.  Saml.  2069  in  4°  von 
Braunes  Nendrnck  der  Originalansgabe  1652. 

In  hold  V.  21  manch  —  22  mange  —  38  sick  bald  alle  —  41  Anders  skal. 

I,  7  goden  —   18  Quehm   —   19  einen   —   24  jemals  sick   —   28  weke  — 
37  ward  —  46  Vehe  —  49  wolde  dohn   —   70  Junffer   —   71  fuhlem  —  73  crem 

—  84  ane  —  91  Mine  gdancken  wil  —  93  Skold  ick  ein  Koepman  —  94  bavceren, 
u.  f.  hogen  staet  —  102  sölck  —  108  darvan  —  110  rekne  —  113  keine  —  119 
Nein  —  128  veertein  jar  —  129  övrst  (statt  man)  —  sülvcrn  —    135  underskedcn 

—  136  verleden  —  139  kan  idt  syn  —  141  kan  —  164  den  spönen  —  188  Alß 
Montaban,  le  Noir,  und  andre  dergeliken,  —  200  cirkel  runde  —  203  herum,  alß 
ging  idt  in  —  226  hüfflicheidt  —  228  mit  swerem  —  231—294  fehlen  —  300  geest 

—  302  sy  (statt  is)  —  303—312  fehlen,  statt  dessen: 

so  feit  my  achter  in  etwaß  dat  noch  iß  slimmer, 

*240  wyl  eine  fantasie  der  andern  folget  immer. 
313  off  ock  eins  —  315—319  fehlen,  statt  dessen: 

♦243  wen  he  skoen  paßlyck  wehr  tho  sinen  iahren  kamen  — 
320  ick  —   325  övr  —   327  jegn  —  329  men  —  337  geskehn  —  338.  345  gesehn 

—  346  wen  idt  —  350  Stelte  —  351  Daer  hefft  —  352  witten  —  368  men  —  377 
iß  halßgefahr  —  378  Ick  kan  jo  lichtlyck  segn  —  iß  wahr  —  385  eine  —  408 
Ewigwehrender  —  409  skal  —  411.  427  ewigwehrend  —  420  unden  würd  befinden 

—  422  Zegen  —  426  sköne  stickde  —  433  Men  —  442  idt  hülp  doch  nicht  — 
444  se  in  dat  lock  würd  —  451  werd  so  wiedt  vnd  dick  —  455 — II,  2  fehlen,  dafür 
ein  andrer  Übergang: 

idt  mach  gähn  alß  idt  geit,  alß  idt  iß  mach  idt  wesen, 
*380  doch  will  ick  juw  to  lest  ein  Breeffken  laten  lesen, 

den  my  ein  gode  fründ  vor  weinig  dagen  skreeff, 

de  iver  vnd  de  torn  en  dat  tho  skriven  dreeff. 
•    syn  Stil  iß  nicht  formeert  alß  nu  de  nien  poeten 

afftellen'  ere  Rym.    Wo  iß  he  den  gebeten? 
*385  Van  em  ick  juw  ditmahl  nichts  anders  seggen  kan, 

sine  Moder  iß  eine  Fruw,  syn  Vader  iß  ein  Man. 

syn  nahm  iß  woll  bekand  in  mangen  düdsken  Orden. 

Desulve  Man  my  skrifft  mit  nafolgenden  worden: 
Myn  gode  fründ,  Hans  Wilmsen,  gy  skölen  weten, 
*390  dat  ick  offtmalß  in  twifel  bin  geseten, 

II,  3  wo  men  sick  moet  quelen,  —  8  dar  skal  um  —  9  men  —  10  eine  — 
13  möst  —  Auf  20  folgen  sechs  in  den  Drucken  fehlende  Verse: 
Darum,  myn  gode  fründt,  dcwyl  ick  wcet, 
*410  dat  gi  van  jöget  up  sind  gewesen  ein  poet, 
und  ick  darvör  van  velen  werde  gcholden, 
twaer  nicht  vor  almodisk,  men  van  der  art  der  olden, 
so  will  ick  juw  mine  mening  apenbahren 
vnd  in  Rym  verteilen  wat  my  iß  wedder  fahren. 
23  vdtlendisken  —  24  edder  achten  —  26  gesettet  hefft  —  27  högerem  —  28  werd 
spötlyck  verachtet  —  35  syn  —  44  goet  vnd  bloet  —  47  men  enen  billich  —  4S 


51 

(Werst  —  50  Sondern  —  52  geringere  —  dem  högeren  —  63  hebben  eine  Mode 

—  55  nu  newliek  begannen  —  56  alß  Capuciner  Nunnen  —  57  und  58  lauten: 

*451  mit  langen  Swedisken  rücken  bet  up  de  waden, 
alß  went  de  Sweden  en  also  hedden  gebaden. 
66  Jens  Skreder  —  gnoech  —  69  schmucke  fehlt  —  70  altydt  laten  im  —  71  weinig 

—  74  dat  men  sehn  köne  —  87.  97  vele  —  90  int  apenbare  —  93  tovörn  hebben 

—  103  hüpsk  lyfffarvet  —  109  nicht  alto  fast  —  115  Sennepsköttel  —  125 
peluven  —  127  darby  syn  gebliven  —  132  de  bahn  —  133  skal  men  se  nicht  be- 
lachen vnd  —  134  se  wat  beters  möten  laten  —  144  van  dage  —  Statt  169—174 
stehen  zwei  andre  Verse: 

*563  so  dul  vnd  snakisk  stellestu  dy  an, 

alß  wen  du  werest  ein  junck  festeman1). 
176  ere  —  187  offtermahls  —  188  wo  my  disse  nacht  wedderüm  —  189 — 190  fehlen 
192  ick  kant  — -  194  hedde  —   195  sedder  dat  du  —   196  sölken  averlast  —  199 
gebrütet  —   200  och  nein,  sede  se,  laet  syn,  idt  deit  my  keinen  skaden,   —  201 
dewyl  —  des  ewigen  Vaders  —  202  liden  gehrn  —  204  nah  Christlikem  gebrueck 

—  206  nichts  —  207  Margrete  sede  —  208  men  des  avends  dat  —  210  hoch  van 
nöden  —  211  möge  —  216  hefft  binnen  —  217  helft  fehlt  —  235  konde  men  — 
251—305  fehlen;  dafür  ein  kurzer  Übergang: 

also  konden  se  erredden  ere  tucht  vnd  Ehr, 
wen  skoen  eine  klene  skande  darby  wehr. 
Överst  wat  skal  men  vele  dar  van  skriven, 
*640  idt  wcrd  doch  by  dem  gemenen  Sprickword  bliven, 
alß  de  olden  pipen  vnd  singen, 
also  ock  de  jungen  dantzen  vnd  springen, 
in  stede  dat  men  skolde  gewehnen  de  Jöget 
nicht  tho  üppicheidt,  men  tho  aller  döget, 
*645  findet  men  wol  Oldern,  de  sick  sulvest  rühmen 
308   heruth  moten  putzen    —   310   ummesmöltcn   —    312   skölen   dragen   —    318 
dochtern  —  321  fruwen  -—  322  idt  junge  princessen  weren  —  339—498  fehlen  — 
499   Dat  hyr  kein  raeth   tho  iß,   kan  men  lichtlyck  sluten,    —    500   wyl    —   503 
Övericheidt  ernstlike  Mandaten   —   522  wol  lichtlyck   —   523—524  fehlen  —   526 
So  fehlt  —  527—530  lauten  kürzer: 

♦705  Kleder  und  Semmel,  wo  kan  sick  dat  flasken? 
idt  kumt  darbi  alß  Sla  Botter  in  de  tasken. 
531  Idt  iß  waer;  men  —  535 — 542  lauten  kürzer: 

*711  De  gelikenissen  willen  by  my  nicht  lenger  loseren, 
se  kamen  unvermoedlyck  heruth  marseren. 
545—546  fehlen  —  563—590  fehlen,  statt  dessen  folgen  zwei  Verse  über  die  Krämer: 
♦731  ock  late  ick  gerne  verdenen  dem  Kramer, 

dar  he  düdisk  beer  vor  drincken  kan  im  Somer. 
592  so  brave  sko  mit  hörne  —  593—594  fehlen  —  599—602  fehlen  —  608  kruscn 
dubbelden  —  611  bis  III,  150  fehlen.    Als  Übergang  dienen  folgende  z.  T.  an  III, 
89—92  anklingende  Verse: 

Dit  alles  hedde  nicht  vel  tho  bedüden, 

wen  ^eme  andere  doerheit  were  by  den  lüden, 

*)  dänisch  fastemand,  Bräutigam. 


5& 

de  aller  bedröveste  und  slimmeste  sake 
*750  iß  de  nie  alemodiske  sprake, 
de  nu  vor  etliken  weinig  jähren 
iß  upgekamen  vnd  niegebahren. 

III,  151  de  düdiske  sprake  so  dull  nu  geidt,  —  154  so  moet  men  fragen  — 
159  gerömet  —  160  genömet  —  162  wolden  —  175  dat  krumme  waß  skeeff  — 
176  Möwen,  ein  groet  lepel  sleeff  —  178  Mchrkatte  —  183  plegen  —  189—196 
fehlen  —  198  keine  Dame,  kein  Monsör  —  202  vnd  en  —  206  edder  Margrete  — 
220  De  fehlt  —  kramerjungens  —  221  Stajjungens  —  225  Wen  idt  —  were  — 
231  wolde  —  247—250  lauten  kürzer: 

*841  Laet  de  Frantzosn  Monsör,  de  Engelsken  Lord  bruken, 
vnd  alle  beide  einen  densken  Lord  upsluken. 
255  steit  so  —  256  vnd  Adder  —  262  den  Böcken   —   263  Junckfrowen  —  toern 

—  264  ohrn  —  267  is  fehü  —  gebrueck  —  270  Her  fehlt  —  298  pfelgt  —  305 
und  leep  hen  —  311  dar,  so  dick  alß  mehlen  brie,  —  316  men  do  ein  nah  dem 
andern  de  —  317  Sterne  —  318  gerne  —  330  sach  men  twisken  sine  tene  herfleten 
undr  de  banck  —  343  gy  seden  io  tho  my  —  345  juwe  sprake  was  verplümpert, 
de  wörde  de  gy  spreken  —  346  weren  tho  samen  geskraept  —  354  up  juwe  — 
355  gnedige  —  Auf  356  folgen  zwei  Verse: 

wille  gy  van  den  Koken  Küß  in  Ers  maken, 
*950  se  skolden  vor  potase  juw  woll  potaske  kaken. 
358  willn  —  369  Tho  Hamborg  in  der  Stadt  —  365  müste   —   366  sick  seiden  — 
378  van  frantzöscker  —   380  an  sprake  hed  —  393  slechtem  —  406  dat  men  — 
408  ein  groff  buerknulle  —  Hinter  412  folgen  noch  zwei  später  nachgetragene  Verse: 
*1007  darmit  ertögt  men  Ehr.  vnd  kan  ock  Ehre  bekamen, 

dorch  eines  andern  rohm  krigt  men  sulffst  bogen  namen. 
427  bald  verdruncken  —  428  skyr  versuncken   —   429  tituleert  —  430  geehrt  — 
433  uth  der  lüde  gode  gunst  —  445  Oappelan  —  451  nohmen  sick  —  452  holten 

—  456  vam  Weltlikem  —  457  tröstlyck  —  466  erfrösken  —  466  drösken  — 
473—474  lauten: 

iß  he  ein  Mester,  als  wehr  he  ein  flegel, 
♦1070  so  moet  he  am  ersten  drincken  sinen  pegel. 
483— IV,  30  fehlen. 

IV,  31  mochte  —  40  were  ere  —  41  desulve  —  46  wammes  —  50  na  ambra 
roeck  —  51  smerige  —  58  latin  dat  hebb  —  59  hcbb  —  66  gern  fehlt  —  77  vele 

—  86  drept  nu  nicht  —  88  den  büdel  —  89  erde  —  97  sinen  oldfrenkisken  Kledern 

—  99—102  fehlen  —  102  her  fehlt  —  110  newlyck  vam  Parnasso  —  112  versk  — 
113—114  lauten: 

*1157  de  krigen  wol  tho  verehring  up  ein  mall 
etlike  hundert  daler  vnd  grote  pocael. 
117  armen  —  vele  —  120  darvur  —  126  helpet  —  136  dede  —   137  verbrüdeden 
fehlt  —  139—140  lauten: 

♦1183  Idt  iß  nu  ungefehr  ein  Maendt  verflagen, 
dat  ick  kam  hen  na  Copenhagen  — 
146  stücksken  —  153  under  —  154  skönste  —   160  bald  alse  —    161  wilt  my  so 
vel  to  —  166—166  lauten: 


53 

de  man  de  hyr  waent  heet  mit  nahmen  Iver, 
♦1210  de  iß  etlike  jar  gewesen  Skriver, 
168  sülffst  —   170  em  fehlt  —   172  eine  fehlt  —   177  Here  —  184  lille  fehlt  — 
186  gewißlick  —   188  jungen  fehlt  —   191  hedde  —   195  feren  —  196  Heren  — 
203  hüt  —  204  geldt  —  219  velichte  —  220  lehren  —  229  gelück  —  240  ein  — 
243  my  doch  van  andern  —  248  wor  se  men  etwas  —  252  Dat  fehlt  —  256  een 

—  258  alle  staetlike  poeten  —  268  ander  gelesen  —  272  de  er  einen  finger  — 
276  gekarment  —   287  also  köstlick  —  288  dem  —  307  So  fehlt  —  311  geldken 

—  318  gejaget  —  320  alle  —  327  helpt  —  329  men  — -  337  nehmet  —  und  fehlt 

—  339  kop  rechte  krueß  —  346.  413  ftver  —   350  my  nicht  rechte  woll  geraden 

—  352  perle  —  362  swestern  —  367  sinen  —  370  harte  —  371  sede  iß,  iß  velichte 
all  —  372  nicht  all  —  373  gemene  —  375  hil  —  384  alleen  —  389  Fruwe  —  392 
wurd  —  409  würde  —  416  simpel  —  430  So  suver  vnd  subtil  alß  hed  se  de  Bück 
pelickt  —  433  vor  kerten  dagen  —  434  Twaer  fehlt  —  435—436  lauten: 

doch  kan  ick  se  nicht  laven,  alß  de  hebben  gedahn, 
*1480  de  sick  up  de  Zierlike  poesie  nicht  verstahn. 
442  dat  iß  de  rechte  maneer  —  442  Men  fehlt  —  443  ander  iß  —  454  int  getall 

—  460  dem  Apollo  geskenckt  hefft  —  461  Ryme  —  474  könne  —  476  edr  wo  — 
477  de  tal  —  478  keden  —  485  gnawen  —  Auf  486  folgen  vier  neue  Verse: 

*1531  underdessen  heb  ick  mine  Vers  nah  Marken  geskreven, 
nah  Lübsken  vnd  Densken  Marcken  uthgegeven, 
darher  kümt,  dat  men  in  einem  Kirne  find 
eins  so  vel  silben  alß  in  dem  andern  sind. 
500  den  andern  —  510  einer  moet  —   513  de  strengen  Critici  —  514  disse  Sake 

—  525  ene  —  528  ewer  —  530  sind  —  533  was  plump  —  539  unser  —  543  noch 
licblicheitt  —  554  wyl  gy  se  —  562  was  also  iß  se  —  563  juwe  de  —  564  de  Böker 
vnd  skrifften  —  566  gedrückt  —  572  alß  were  se  —  form  gegaten  —  581  överst 
wen  men  —  582—583  lauten: 

*1630  dar  höret  men,  wo  sick  de  spraken  verandern, 
in  der  Paltz,  Switz,  Swaben,  Düringen. 
590  Kekelreme  —  600  jeder  —  601  willn  —  609—668  fehlen  —   673  Veh  —  677 
de  Rackers  moten  unse  villen  —  683  s6de  —  686  Brüde  dine  moder,  Hans.  —  687 
keke  —  690  late  —  695  sülvest  —  Auf  696  folgen  noch  vier   Verse: 
♦1685  Dit  hebb  ick,  gode  fründt,  an  juw  willen  skriven, 
ick  bidde,  gy  willen  idt  by  juw  laten  bliven, 
vnd  sydt  mit  juwen  hußgesinde  altomale 
fründtlyck  van  my  gegrötet.    Vale. 


Der  nun  ohne  Überschrift  folgende  Beschluss  hat  nur  die  beiden  ersten  und 
die  vier  letzten  Verse  mit  den  Drucken  gemeinsam;  V.  3 — 134  fehlen. 
Wol  disse  mine  Rym  werd  lesen  edder  hören, 
*1690  werd  seggen:  wo  hefft  sick  de  geck  laten  bedören, 
dat  he  dre  gantzer  daeg,  dar  tho  twe  halve  nacht 
hefft  mit  dem  lumpen werck  tho  maken  tho  gebracht! 
Ick  segge  idt  sülvest  ock.    Doch  na  der  arbeit  rüsten 
vnd,  wen  men  möde  iß,  syn  gemote  etwas  erlüsten, 
♦1695  dat  lehret  de  Natur.    Men  kan  nicht  alle  tydt 


54 


an  ernst like  dinge  anwenden  sinen  flydt, 
ein  Baeg,  de  immer  blifft  gespant,  kan  lichtlyck  breken. 
Alß  ick  skreeff  disse  Vers,  dat  wehre  dro  Middeweken, 
dat  sind  de  Rowe  daeg,  den  rowet  sick  ein  jeder, 

♦1700  den  iß  de  Skole  frie,  den  fieret  de  Cateder. 

Woll  dit  nicht  lesen  will,  de  mach  idt  bliven  laten. 
Kan  idt  dem,  de  idt  list,  nicht  anders  wor  tho  baten, 
So  kan  he  doch  darmit  verkörten  sine  tiden, 
nndr  dessen  he  dit  list,  werd  en  de  Maer  nicht  riden. 

♦1705  thom  weinigsten  werd  dit  papicr  sick  dartho  skicken, 
dat  men  nicht  nödich  hebb,  de  finge r  tho  beklicken. 
Alj}  einem  steit  de  Kop,  vnd  em  licht  in  den  Sin, 
darna  em  plegen  ock  de  Würde  fallen  in. 
Ditmahl  helft  disse  skimp  my  so  behaegt  vor  allen. 

*1710  Ein  ieder  Nar  leth  sick  syn  Kapken  woll  gefallen. 


Nur  um  den  Rest  der  Seite  zu  füllen,  hänge  ich  noch  ein  paar 
Bemerkungen  zu  Lauremberg  an. 

Scherzgedichte  I,  82:  Swaenke  begegnet  als  Hundename  auch 
bei  Petrus  Pachius,  einem  aus  Colberg  gebürtigen,  später  in  Stockholm 
ansässigen  Schulmeister,  über  den  ich  in  der  Allgem.  deutschen  Bio- 
graphie 26,  794  f.  gehandelt  habe,  in  seinem  Missus  91  (1639):  'Man 
muß  offt  auch  einen  pechschwartzen  Hund  Schwaneke  heissen.'  Diese 
Stelle  spricht  für  die  Ableitung  von  Schwan,  nicht  von  Susanna  oder 
Sven  (Lappenberg  S.  213). 

Lappenberg    glaubt   in    dem    von   ihm    S.  149    (vgl.  267)  abge- 
druckten nd.  Hochzeitsgedicht  v.  J.   1689  V.  21    eine  Anspielung    auf 
den  spanischen  Bühnenhelden  Don  Juan,  welcher  durch  Molieres  Be- 
arbeitung des  spanischen  Dramas    (1665)    bekannt   wurde,    annehmen 
zu  müssen.     Jedoch  eine  unbefangene  Betrachtung  der  Verse: 
Dat  makt  dat  lopen  dör  de  weit,  dat  reisen  mannigfalt, 
Davan  kumt,  dat  des  vaders  brook  dem  söhn  nich  mehr  gefalt: 
Den  wen  Don  Jan  ut  Spanjen  kumt,  so  het  he  hoge  reden, 
so  kent  he  use  katt  nicht  mehr,  so  geit  he  deftig  treden  .... 
lässt  in   dem   hier   geschilderten  Nachäffer  ausländischer  Moden  viel- 
mehr einen  Vorläufer  von  Holbergs  unsterblichem  Jean  de  France 
(1722)  erkennen. 

BERLIN.  Johannes  Bolte. 


55 


DasLiederbuehdesPetrusFabrieius. 

(Mit  einer  Musikbeilage  am  Schlüsse  des  Bandes.) 

Unter  den  Schätzen  der  königlichen  Bibliothek  zu  Kopenhagen 
liegt  bisher  unbeachtet1)  ein  als  Mscr.  Thott  Quart  841  bezeichnetes 
deutsches  Liederbuch  aus. dem  Beginne  des  17.  Jahrhunderts,  welches 
durch  die  grosse  Zahl  der  Texte  sowohl  als  besonders  durch  die  Fülle 
von  Lieder-  und  Tanzmelodien  sofort  meine  Aufmerksamkeit  erregte. 
Später  hatte  Herr  Bibliothekar  Justizrat  Chr.  Bruun  die  Güte,  auf 
mein  Gesuch  die  Handschrift  zu  bequemerer  Durchforschung  nach 
Berlin  zu  senden,  wofür  ich  auch  an  dieser  Stelle  meinen  Dank  aus- 
zusprechen nicht  unterlassen  will. 

Das  Liederbuch  enthält  152  von  einer  zierlichen  Hand  beschriebene 
Quartblätter  *)  und  ist  abgesehen  von  einem  nach  Bl.  25  ausgerissenen 
Blatte  und  zwei  weiteren  hinter  Bl.  139  fehlenden  wohl  erhalten,  der 
grüngefärbte  Pergamentband  ist  noch  der  ursprüngliche.  Über  Ent- 
stehungszeit und  -ort  geben  uns  mehrere  Unterschriften  der  ersten  in 
Lautentabulatur  aufgezeichneten  Melodien  hinreichenden  Aufschluss. 
BL  8a  Nr.  1  heisst  es:  'Suo  Petro  Fabritio  in  longaevam  sui  memoriam 
ponebat  Bostochi  Petrus  LaurimontiusS  —  Bl.  10a  Nr.  6:  lP.  L.  ponebat: 
—  Bl.  12a  Nr.  8:  'Amico  suo  clarissimo  Petro  F.  Ponebat.  Petrus  Lau- 
rimontius:  —  Bl.  17a  Nr.  15:  'Petrus  Petro  Ponebat.'  —  Bl.  19b 
Nr.  20:  'Atnoris  et  benivolentiae  Ergo  amico  suo  clarissimo  Petro  F. 
ponebat  hoc  P.  Laurenberg:  —  Bl.  102b:  'Praeambulum  P.  P:  — 
Dieser  musikkundige  Petrus  Laurenberg  oder  Laurimontius  ist  kein 
andrer  als  der  wohlbekannte  ältere  Bruder  Johann  Laurenbergs;  er 
wurde  1585  zu  Rostock  geboren,  im  April  1605  ebenda  immatrikuliert 
und  zog,  nachdem  er  im  Sommer  1607  zum  Magister  promoviert 
worden  war,  1608  in  die  Fremde;  1624  erhielt  er  die  Professur  der 
Poesie  in  seiner  Vaterstadt  und  starb  daselbst  1639 8).  Über  seinen 
Freund  Fabricius,  den  wir  als  den  eigentlichen  Sammler  und  Besitzer 
des  Liederbuches  ansehen  müssen,  gewährt  Mollers  treffliche  Cimbria 
litterata  1,  167  (1744)  erwünschte  Auskunft:  Petrus  Fabricius,  1587 
in  Tondern  geboren,  also  um  zwei  Jahre  älter  als  Peter  Laurenberg, 
studierte  seit  März  1603  in  Rostock  'Petri  Laurenbergii  äuctv?  Ma- 
thematik und  alsdann  Theologie;  Martini  1608  erlangte  er  die  Magister- 
würde, 1613  erhielt  er  ein  Pfarramt  in  Bulderup  bei  Tondern,  später 


*)  Uhland  benutzte  für  seine  Volksliedersammlung  von  Kopenhagener  Hand- 
schriften nur  das  Mscr.  Thott  fol.  778. 

*)  Scheinbar  nur  151 ;  aber  Bl.  8  ist  irrtümlich  zweimal  gezählt. 

•)  Allgem.  deutsche  Biographie  18,  59.  Die  Daten  aus  der  Rostocker  Ma- 
trikel über  Lauremberg  und  Fabricius  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Dr.  A. 
Hofmeister. 


56 

ein  andres  in  Warnitz  bei  Apenrade,  wo  er  1651  starb.  Obwohl  er 
'vir  ezirnie  doctus  artiumque  tnathematicarum  peritissimus'  genannt  wird, 
scheint  sich  seine  litterarische  Thätigkeit  auf  die  Herausgabe  von 
Kalendern  beschränkt  zu  haben.  Halten  wir  diese  Thatsachen  mit  den 
erwähnten  Notizen  des  Liederbuches  zusammen,  so  ergiebt  sich,  dass 
die  Handschrift  vor  1608  und  nach  1603,  wahrscheinlich  sogar  erst 
nach  1605  in  Rostock  von  den  beiden  Studenten  Fabricius  und  Lau- 
renberg angelegt  wurde:  doch  steuerte  der  letztere  nur  einige  durch 
die  abweichenden  Züge  leicht  kenntliche  Singweisen  bei.  Alles  Übrige, 
namentlich  alle  Texte,  rührt  von  Fabricius  her;  auch  ein  späterer 
Besitzer  des  Codex,  der  auf  dem  letzten  Blatte  eingetragene  „Jacobus 
Erasmi  Bipensis1)  Anno  1659  L.,tf  hat  nichts  Neues  hinzugefügt. 

Den  Inhalt  bilden:  1)  190  durchgezählte  Lieder  auf  Bl.  8a — 75b. 
85a— 95b,  ferner  6  Lieder  ohne  Nummer  auf  Bl.  98b— 100a.  141— 144b. 

—  2)  eine  ungefähr  gleiche  Anzahl  von  deutschen  und  ausländischen 
Tänzen  in  Lautentabulatur  auf  Bl.  76a— 84b.  97a— 98a.   101a— 140b. 

—  3)  26  Choralmelodien  in  Lautentabulatur  auf  Bl.  145a — 148b.  — 
4)  Verschiedene  Reime,  Rätsel  und  Scherze  auf  BL  la — 7b.  149a — 150b. 

Die  Lieder,  welche  uns  hier  allein  beschäftigen,  sind  sorgfältig 
geschrieben,  die  Strophenanfänge  durch  rote,  grüne  oder  gelbe  Tinte 
ausgezeichnet;  über  jedem  Liede  steht,  vom  Texte  getrennt1),  die  zuge- 
hörige Weise  in  Mensuralnoten  oder  in  deutscher  Lautentabulatur  oder 
auch  in  beiden;  bisweilen  aber  ist  der  hierfür  bestimmte  Raum  leer 
geblieben.  Rings  um  den  Rand  jeder  Seite  sind  Sprüche  heitren  und 
ernsten  Inhalts  eingetragen,  wie:  'Viel  geschrey  weinich  wollen,  sagt 
iener,  beschar  ein  sauw,'  'Kunst  wil  gerete  haben,  sagt  iener,  kemmt 
sich  mit  einer  mistgabell'  u.  a.  Gegen  das  Ende  der  Studienzeit 
scheint  Fabricius  eifriger  theologische  Vorlesungen  besucht  zu  haben; 
denn  aus  diesen  stammen  wohl  die  Randcitate  aus  Augustin  (Bl.  133a. 
135a),  Luther  (130a.  136b),  D.  Wolf  Scuerus  de  Luthero  (130b), 
Eobanus,  Philippus  (133b).  Die  Lieder  kann  man  scheiden  in  moderne 
Gesellschaftslieder  und  ältere  Volkslieder.  Unter  den  ersteren,  na- 
mentlich unter  Nr.  1 — 70,  mögen  sich  auch  eigene  Dichtungen  des 
Rostocker  Studenten  befinden,  der  den  jungen  Mädchen  seiner  Be- 
kanntschaft durch  akrostichische  Namenlieder  huldigte  und  sich  öfter 
dies  Geschäft  durch  wechselnde  Anordnung  derselben  Strophen  er- 
leichterte. Meist  jedoch  benutzte  er  offenbar  ältere  gedruckte  Lieder- 
sammlungen, vor  allem  wohl  die  1602  zu  Deventer  erschienene  Pauls 
von  der  Aelst:  'Blum  vnd  Außbund  Allerhandt  Außerlesener  Lieder  vnd 
Rheymen3).'  Auch  mit  dem  Frankfurter  Lieder-Büchlein  von  1582*) 
stimmen   viele   Nummern   überein.     Aus   den   beiden   niederdeutschen 


')  Ebenso  auf  Bl.  la:  „Nicolaus  Erasmi  Bip:"  und  darunter  „Jac:  Eras: 
Bip:"  Moller,  Cimbria  lit.  1,  160  nennt  einen  Theologen  Andreas  Erasmi  Ripensis, 
der  mit  diesen  offenbar  verwandt  war. 

*)  Die  Unterlegimg  des  Textes  stösst  daher  bisweilen  auf  Schwierigkeiten. 

*)  Hoffmann  von  Fallersleben,  Weimarisches  Jahrbuch  2,  320 — 356. 

4)  Das  Ambraser  Liederbuch,  hrsg.  von  J.  Bergmann  1845.  Über  andre 
Ausgaben  vgl.  Hoffmann  von  Fallersleben,  Findlinge  1,  150—152.  371—376. 


57 

Liederbüchern  Ulilands  und  deBoucks1),  -welche  dem  Anfange  des  17. 
Jahrhunderts  angehören,  finden  wir  bei  Fabricius  42  Nummern,  darunter 
35  mit  den  zugehörigen  Singweisen  versehene1),   wieder,   nämlich  Nr. 
2.   14.  17.   18*.  20.  21.  25.  33.  34.  35.  37.  38.  44.   45.    68.   70.  76*. 
82.  84.  95.   102.  112.   113.   114.   123.    126.    128.    129.    130.    132.   135. 
137.    138*.   140*.   141*.   142.   143.    144*.    145.    146.    149.    152*,    aber 
durchweg  in  hochdeutscher  Gestalt.     Nur  vier  der  angeführten  Lieder 
(Nr.   135.   140*.   143.   144*)  haben  den  nd.  Dialekt  bewahrt,   bei  den 
übrigen  verrät  hin  und  wieder  eine  vom  Hochdeutschen  abweichende 
Form  die  norddeutsche  Heimat  des  Schreibers.     Im  ganzen  kann  man 
sagen,    dass  Fabricius   uns   nicht   viele  wirklich  wertvolle  Liedertexte 
aufbewahrt  hat,  die  nicht  schon  aus  anderweitigen  Quellen  bekannt  sind. 
Anders  steht  es  mit  den  Melodien.     Diese   verleihen   durch  ihre 
grosse  Anzahl   unserm  Codex   besondre  Bedeutung   und   den  Vorrang 
vor  vielen  sonst  gleichartigen  Liederhandschriften  des  16. — 17.  Jahr- 
hundertss).    Mehrere  hat  Fabricius  offenbar  aus  den  gedruckten  Lieder- 
sammlungen gelehrter  Tonsetzer  wie  A.  Scandello,  J.  Meiland,  L.  Lechner, 
X.  Zange,  Caspar  f?J  Husmann  —   diese  nennt  er  gelegentlich  selber 
—  entnommen;  andre  finden  wir  bei  J.  Regnart4)  (1576),  H.  Dedekind 
(1588),  M.  Franck  (1602),  Val.  Haußmann  (1608),  J.  Staricius  (1609) 
wieder;    noch    öfter   werden   dem   Sammler   hsl.  Liederbücher    andrer 
Studenten   oder  der  lebendige  Volksgesang  als  Quelle  gedient  haben. 
Wo  ihm  ein  mehrstimmiger  Satz  vorlag,   schrieb   er   nur  die  Melodie 
aus    und    fugte    zu   dieser  in  der  Regel  eine  Lautenbegleitung  hinzu; 
zwei-  oder  dreimal  jedoch  giebt  er  einen  zwei-  oder  dreistimmigen  Satz. 
Es  niuss  einer  demnächst  zu  erwartenden  genaueren  Untersuchung  der 
Handschrift  nach  ihrem-  musikhistorischen  Werte   vorbehalten  bleiben 
zu   prüfen,  ob  nicht  jene  von  Böhme5)  in  seinem  höchst  verdienstlichen 
Altdeutschen  Liederbuche  1877  S.  XLIX  wenig  berücksichtigten  Kom- 
ponisten aus  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  doch  mehr  volkstüm- 
liche Melodien   enthalten,    als   man   bisher   anzunehmen  geneigt  war. 
Hier  soll  nur  eine  Lese  von  unbekannten  Singweisen  zu  weit  verbrei- 


•)  Niederdeutsche  Volkslieder,  hrsg.  vom  Vereine  für  nd.  Sprachforschung. 
I.    Hamburg  1883.    Vgl.  Korrespondenzbl.  7,  57. 

*)  Die  Lieder,  denen  bei  Fabricius  keine  Melodie  beigegeben  ist,  bezeichne 
ich  im  Folgenden  durch  ein  Sternchen.  Die  den  angeführten  Liedern  entsprechenden 
Nummern  der  Handschrift  anzuführen,  erscheint  hier  überflüssig. 

*)  Am  besten  lässt  sich  die  Kopenhagener  Handschrift  mit  dem  Lautenbuche 
des  Job.  Thvsius  vergleichen,  durch  dessen  Veröffentlichung  sich  J.  P.  N.  Land 
(Tijdschrift  der  Vereeniging  voor  Noord-Nederlands  Muziekgeschiedenis  1 — 2)  ein 
irrnsses  Verdienst  erworben  hat.  Auch  dies  ist  höchst  wahrscheinlich  von  einem 
Studenten  ums  Jahr  1600  niedergeschrieben,  nämlich  von  Adrian  Smout  (1578—1646), 
welcher  1595  bis  1601  in  Leiden  studierte. 

*)  Wenig  bekannt  scheint  zu  sein,  dass  der  rührige  F.  W.  v.  Ditfurth  in 
«einen  Einhundert  unedierten  Liedern  des  16.  u.  17.  Jahrhunderts  (Stuttg.  1876) 
eine  freilich  nicht  durchweg  befriedigende  Erneuerung  von  Regnarts  dreistimmigen 
Liedern  (Nürnberg  1578)  gegeben  hat. 

*)  Folgende  34  Lieder  aus  Böhmes  Werk  (darunter  27  mit  Melodie)  stehen 
auch  bei  Fabricius:  Nr.  23A.  27.  60*.  73*.  85.  117.  118*.  132.  135*.  136.  142. 
154*  155A.  B.  191.  194A.  197.  212.  219.  227*.  230.  243A.  244.  260.  264B.  267, 
269.  276.  334.  366.  435.  464.  491*.  501. 


58 

teten  Volksliedertexten,  besonders  zu  den  Nd.  VI.  1883,  mitgeteilt 
werden.  Bei  der  Auswahl  und  Bearbeitung  derselben  hat  mir  Herr 
Professor  Dr.  Ph.  Spitta  gütig  Rat  und  Hilfe  gewährt;  für  die  Ent- 
zifferung der  in  Lautentabulatur  geschriebenen  Stücke  bin  ich  Herrn 
Stud.  M.  Seiffert  zu  Danke  verpflichtet. 


I.  Störtenbeoker.  Fabricius  Nr.  183  bietet  die  lange  gesuchte  Weise  des 
Störtebekerliedes  (R.  v.  Liliencron,  Die  historischen  Volkslieder  der  Deutschen 
1,  210  Nr.  44)  in  Mensuralnoten,  doch  ohne  weiteren  Text.  Zur  Vergleichung  fuge 
ich  einige  wenig  abweichende  Bruchstücke  derselben  bei,  welche  sich  in  gedruckten 
Quodlibets  derselben  Zeit  erhalten  haben:  1)  aus  Melchior  Francks  Fasciculus  quod- 
libeticus,  Coburg  1611  Nr.  6;  danach  die  Oberstimme  bei  Böhme,  Altdeutsches 
Liederbuch  1877  Nr.  366,  hier  im  vollständigen  Satz  unter  Ib.  —  2)  aus  Francks 
Farrago,  Nürnberg  1602,  Altus  (~  Fascic.  quodlib.  1611  Nr.  7);  unter  Ic.  —  3) 
ebenda,  2.  Tenor;  unter  Id.  —  4)  aus  Joh.  Moller,  Ein  New  Quodlibet,  Frankfurt 
a.  M.  1610,  Cantus;  unter  Ie,  um  eine  Quinte  tiefer  gesetzt.  Die  Vermutungen 
Böhmes,  welche  sich  auf  mehrere  andre  bekannte  Singweisen  richteten,  müssen  jetzt 
wohl  als  abgethan  gelten. 

Über  die  dem  Liede  zu  Grunde  liegenden  Ereignisse  v.  J.  1401  und  ihr  Fort- 
leben in  der  Volksüberlieferung  handelt  gründlich  K.  Koppmann,  Hansische  Geschichts- 
blätter 1877,  35—58;  dazu  Mitteilungen  des  Vereins  f.  hamburg.  Geschichte  1882, 
134.  152—154.  1883,  24.  Nicht  gesehen  habe  ich  L.  Frahm  und  F.  Sundermann, 
Klaus  Störtebeker  in  Sang  und  Sage,  Hamburg  1885.  —  Der  nd.  Text  des  Störte- 
bekerliedes ist  leider  noch  nicht  zum  Vorschein  gekommen,  obwohl  seine  Auffindung 
schon  in  Freytags  Roman  'Die  verlorene  Handschrift'  (III,  Kap.  3)  eine  Rolle  spielt. 
Die  älteste  Fassung  der  hd.  Übertragung  giebt  ein  vor  1566  in  Süddeutschland, 
vielleicht  bei  Hans  Burger  in  Regensburg,  gedrucktes  fliegendes  Blatt:  'Ein  schön 
Lied,  |  Von  StörUebecher,  vnd  \  Gödiche  Michaelf  *c.  Wie  sie  so  |  sehen dtlich 
geraubt  |  haben,  it.  |  |_|  |*  4  Bl.  8°.  Zwei  Exemplare  in  Berlin.  Abdruck  in 
Möhlmanns  Archiv  für  fries.  westfäl.  Gesch.  1,  47  (1841),  danach  bei  Liliencron  (A). 
Aus  diesem  Blatte  ist  der  obige  Holzschnitt  entnommen,  welcher  die  Überwältigung 
des  gefürchteten  Seeräubers  in  wenigen,  aber  treffenden  Strichen  veranschaulicht. 
Ausser  den  andern  bei  Liliencron  aufgeführten  Quellen  sind  noch  zwei  fliegende 
Blätter  der  Berliner  Bibliothek  (Yd  8860  und  8865)  zu  nennen,  gedruckt  zu  Nürn- 
berg, durch  Valentin  Newber'  o.  J.  und  zu  'Erftbrd  bey  Jacob  Singe.  Im  Jahr  1598'. 
Für   die   weite  Verbreitung   des   Liedes  zeugt   auch  Fischart,  Geschichtklitterung 


59 

Cap.  8  fS.  146  ed.  Aisleben  1887);  ein  Citat  v.J.  1611  bei  Weiler,  Annalen  1,278 
Nr.  424.    Vgl.  Bolte,  Archiv  f.  Litgesch.  15,  228. 

IL  Brennenberger.  Fabricius  Nr.  154,  12  Str.  — -  Der  Text  Btimmt  mit  der 
n<L  Fassung  bei  Unland  Nr.  75a  =--  Nd.  VI.  1883  Nr.  44  überein  und  scheint  sogar 
erst  aus  dieser  ins  Hochdeutsche  übersetzt  zu  sein;  der  Ritter,  welcher  dort  Bru- 
nenberch  genannt  wird,  heisst  bei  Fabricius  Braunenberg.  Die  Melodie  ist  ver- 
schieden von  der  in  geradem  Takte  gehenden  Weise  bei  Böhme  Nr.  23,  welche  aus 
den  Grasliedlüi  von  1535  erschlossen  ist.  Die  Punkte  im  3.,  7.  und  8.  Takte  von 
hinten  sind  von  mir  hinzugefügt. 

Ähnlieh  beginnt  ein  sonst  in  Inhalt,  Strophenbau  und  Melodie  abweichendes 
nid.  Liebeslied :  'k  heb  veel  nachten  langh  gewaeckt,  welches  Scheltema,  Nederlandsche 
Liederen  uit  vroegeren  Tijd  1885  S.  120  aus  Starter,  Friesche  Lusthof  6  (1634)  S.  205 
mitteilt.  Die  Melodie  wird  als  eine  englische  bezeichnet:  'Y  'have  waket  the 
winters  nightf. 

III.  Dag  Schloss  in  Oesterreich.  Fabricius  Nr.  188,  17  Str.  —  Der  Text 
gleichlautend  bei  Unland  Nr.  125  und  Nd.  VI.  Nr.  84.  Die  Melodie  ist  wohl  dem 
Liede  nicht  ursprünglich  eigen;  sie  erscheint  mit  geringen  Abweichungen  im  16. 
Jahrhundert  als  Singweise  dreier  andrer  Volkslieder :  'Ich  habe  mein  Sach  zu  Gott 
gestellt,'  'Ich  weiss  ein  Blümlein  hübsch  und  fein,'  'Es  ist  auf  Erden  kein  schwerer 
Leiden'  und  des  Chorals:  'Ich  hab  mein  Sach  Gott  heimg8tellt,  (Böhme  Nr.  266. 
5s5.  Bäumker,  Das  kathol.  deutsche  Kirchenlied  2,  274  Nr.  284  und  Nr.  248). 
Alle  diese  Texte  sind  in  funfzeiiigen  Strophen  abgefasst,  während  das  'Schloss  in 
OesterreiclT  nur  vierzeilige  Strophen  enthält.  Ganz  verschieden  sind  die  älteren 
Weisen:  1)  'Es  leit  ein  schloss  in  oesterreich'  ohne  weiteren  Text,  dreistimmig,  im 
Berliner  Liederbuch  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrh.,  abgedruckt  bei  R.  Eitner,  Das 
deutsche  Lied  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  2,  157  (1880).  Ebenda  2,  155  steht 
eine  andre  Melodie  'Von  osterreich'  aus  dem  etwa  gleichzeitigen  Münchener  Lieder- 
bnche  II artmann  Schedels.  2)  'Es  ligt  ein  schloß  in  Oesterreich,'  bei  G.  Forster 
1540  2,  77,  wiederholt  von  Böhme  Nr.  27  und  R.  v.  Liliencron,  Deutsches  Leben 
im  Volkslied  um  1530  (1885)  Nr.  38,  vgl.  S.  XLVII.  Nach  Liliencron  liegt  hier 
aber  nicht  das  spätere,  bis  heut  im  Volke  lebendige  Lied  gleichen  Anfanges  vor, 
5ondern  ein  älteres,  von  welchem  nur  noch  die  bei  Forster  mitgeteilte  Eingangs- 
«trophe  erhalten  ist.  Die  Melodie  kehrt  1544  bei  J.  Ott  Nr.  8:  'Es  ligt  ein  haus 
im  Oberland'  (in  der  Ausgabe  von  Eitner,  Erk  und  Kade  1873 — 76  S.  29  =  Böhme 
Xr.  28,  Liliencron  Nr.  39,  auch  in  Hans  Gerles  Lautenbuch  von  1546)  wieder.  3) 
'In  oostenryck  daer  staet  en  stadt,'  in  den  Souterliedekens  1540,  Ps.  6,  abgedruckt 
von  Böhme  Nr.  158  mit  dem  Texte  Nd.  VI.  72,  vgl.  Antwerpener  Liederbuch  1544 
Xr.  220.  Ebenda  eine  spätre  Fassung  aus  Werlins  Liederhandschrift.  —  Ebenso 
abweichend  sind  die  neueren,  bei  Böhme  Nr.  27  aufgezählten  Volksweisen,  zu  denen 
man  die  Aufzeichnung  aus  Pommern  bei  Birlinger  und  Crecelius,  Deutsche  Lieder 
1<76  S.  7  und  eine  andre  aus  der  Niederlausitz,  die  K.  T.  Heinze  in  den  Musikbei- 
Wen  zu  Gräters  Idunna  und  Hermode  1812  Nr.  22  mitteilt,  hinzufügen  mag.  Weitere 
Litteraturnach weise  bei  0.  Böckel,  Volkslieder  aus  Oberhessen  1885  S.  111  Nr.  28. 
Im  Coburger  Gesangbüchlein  1621  wird  der  Ton  'Es  ligt  ein  schloss  in  Oesterreich' 
dreimal  (S.  82.  103.  117)  angeführt.  Eine  schwedische  Fassung  in  9  Str.  'I  öster- 
recke  ther  legher  itt  slot1  in  Broms  Gyllenmärs  Liederbuch  Nr.  12  bei  A.  Noreen 
nnd  H.  Schuck,  1500-  och  1600-talens  visböcker  2,  124  (1885)  und  nach  fl.  Blättern 
von  1642  und  1688  in  17  Str.  bei  Geijer  och  Afzelius,  Svenska  folkvisor,  utg.  af 
ßergström  och  Höijer  1880  Nr.  34.  Ebenda  3,  65  und  191  eine  schwedische  und 
eine  norwegische  Melodie. 

IV.  Bistu  des  goldtschmids  tochterlein.  Fabr.  Nr.  140  und  167.  —  Der 
unter  Nr.  167  stehende  hd.  Text  enthält  9  Strophen  und  stimmt  zu  Nd.  VI.  Nr.  145. 
Thland  Nr.  253  hat  Strophe  3 — 8  seines  nd.  Liederbuches  weggelassen,  ohne  dies 
anzumerken  (doch  vgl.  seine  Schriften  4,  232  f.);  Hoffmann  von  Fallersleben,  Ge- 
?elLschaftslieder  *  Nr.  149  und  Böhme  Nr.  194a  übersetzen  nur  die  drei  Strophen 
TTilands  ins  Hochdeutsche.  —  Die  bisher  unbekannte  Melodie  hat  Fabricius  zweimal 
in  Lautentabulatur  aufgezeichnet.    Im  8.  Takte  scheint  ein  Fehler  vorzuliegen. 

V.  Idt  is  ein  boieken  kamen.  Fabr.  Nr.  161,  10  Str.  —  Von  der  acht- 
strnphigen  Fassung  bei  Unland  Nr.  255  =  Nd.  VI.  Nr.  135  =  Böhme  Nr.  191 
weicht  der  Text  nur  durch  die  Einfügung  zweier  derber  Strophen  hinter  Str.  7  ab ; 


60 


8.  Medelein,  sed  he,  megdlin, 
gy  muten  de  tydt  vorbeiden: 
wen  de  negen  maent  vmme  sindt, 
iuw  röckiin  wert  sick  wyden. 

Eine  Melodie  war  bisher  unbekannt. 


9.  Vnd  do  de  negen  maent  vm  wem, 
dartho  de  negen  dage, 
do  sach  men  dat  fins  megdelin 
ein  schon  kindlin  dragen. 


VI.  Es  war  ein  junger  heltt.  Fabr.  Nr.  160,  2  Str.  —  Die  erste  Strophe 
des  offenbar  unvollständigen  Textes  bildet  auch  den  Eingang  eines  längeren  Liedes 
Nd.  VI.  33  (12  sechszeilige  Str.)  und  P.  v.  d.  Aelst,  Blüm  vndt  Außbundt  1602 
Nr.  188  (11  Str.). 

VII.  Hertzlich  thntt  mich  erfrenwen.  Fabr.  Nr.  75,  5  Str.  —  Der  Text 
ist  oft  gedruckt:  Unland  Nr.  57;  Böhme  Nr.  142;  R.  v.  Liliencron  (1885)  Nr.  95; 
Goedeke-Tittmann,  Liederbuch  aus  dem  16.  Jahrh.  1867  S.  159;  P.  v.  d.  Aelst 
Nr.  102;  Nd.  VI.  Nr.  17;  Berliner  Liederhandschrift  von  1568  (Mscr.  germ.  fol.  752) 
Nr.  10.  Fabricius  lässt  Str.  4  und  5  weg  und  schiebt  dieselben  in  Nr.  95 :  'Wolauff, 
gut  gsell,  von  hinnen'  (=  Böhme  Nr.  260A)  hinter  Str.  1  ein.  Schwedisch  in  Gvl- 
lenmärs  Liederbuch  Nr.  41  (A.  Noreen  och  H.  Schuck,  Visböcker  2,  174.  1885  = 
Arwidsson,  Svenska  forns&nger  3,  84.  1842) :  'Hierteligh  mtgh  nu  frögdas.'  —  Die  von 
Fabricius  in  Lautentabu latur  und  Mensuralnoten  überlieferte  Melodie,  welche  sich 
durch  ausdrucksvolle  Deklamation  auszeichnet,  ist  nicht  die  von  Böhme  wiederholte  der 
Rhawschen  Bicinia  (1545),  auch  nicht  die  Regnarts  (Neife  kurtz weilige  Teutsche 
Lieder,  Nürnberg  1586  Nr.  7),  sondern  aus  J.  Meilands  vierstimmigen  'Neuweii 
auserlesenen  Teutschen  Gesängen,'  Nürnberg  1569  Nr.  3  =  Frankf.  1575  Nr.  3 
entlehnt  (Melodie  im  Cantus).  Mit  einem  geistlichen  Texte  von  B.  Musculus  findet 
sich  derselbe  Satz  wieder  bei  G.  Körber  1597  Nr.  51,  Praetorius  1610  Nr.  236  bis 
237,  E.  Widmann  1622  Nr.  36,  Sacra  Cithara  1625  Nr.  76;  vgl.  R.  Eitner,  Biblio- 
graphie der  Musiksammelwerke  1877  S.  715.  —  Auch  sonst  hat  Fabricius  die  von 
Böhme  so  gut  wie  gar  nicht  berücksichtigten  Melodien  Meilands  aus  dessen  mehr- 
stimmigen Liedern  ausgezogen  und  mit  einer  Lautenbegleitung  versehen;  ein  Beweis, 
dass  sie  in  hohem  Grade  beliebt  und  populär  waren.  So  treffen  wir  aus  der  er- 
wähnten Sammlung  von  1569  bei  ihm  an  Nr.  1 :  'Jungfräulcin,  sol  ich  mit  euch  gähn' 
(vgl.  Böhme  Nr.  136),  Nr.  2:  'Wie  schön  bluet  uns  der  meye'  (Böhme  Nr.  264B\ 
Nr.  4:  'Wolauff,  gut  gsell,  von  hinnen'  (Böhme  Nr.  260). 

Eine  nahe  verwandte,  vielleicht  noch  ältere  Dichtung  in  neunzeiligen  Strophen 
entnehme  ich  dem  Berliner  Mscr.  germ.  qu.  1004,  S.  55.  Meusebach,  der  sorgsame 
Sammler,  hat  dieselbe  hier  samt  der  dazu  gehörigen  Melodie  von  einem  einst  Brentano 
gehörigen  Quartblatte,  welches  wahrscheinlich  aus  einer  Handschrift  des  15.  Jahr- 
hunderts herausgerissen  war,  abgeschrieben. 


1.  Mein  hercz  wil  sich  erfrewen 
Gen  diser  sumerezeit 
Vnd  all  mein  laid  zustrewen 
Dem  winter  kalt  zu  neid, 
Das  er  vns  hatt  betwungen 
Der  zarten  plumlein  vil, 
Die  vogel  schier  verdrungen, 
Das  sy  nymer  sungen 
Wis  auf  des  mayes  zil. 

2.  Seind  das  nun  ist  zergangen 
Der  reiff  vnd  auch  der  snee, 
Der  may  sich  angefangen 
Gewaltikleich  als  ee, 
Des  hört  man  voglein  singen, 
Mit  manigem  süssen  don 
Gar  lustigkleich  erklingen, 
Ir  noten  scharff  volpringen: 
Der  may  gibt  in  den  Ion. 

VIII.   Ich  weis  mir  drey  blumlein 


3.  Der  hübschen  plumlein  sind  on  zal, 
Dy  er  vns  pringen  tuet. 

Daraus  so  nym  ich  mir  dy  wal; 

Ain  krawt  haist  Wolgemut, 

Das  wil  ich  meinem  herezen 

Behalten,  ob  ich  kann;  j 

Augentrost  went  schmerezen, 

Hab  mich  lieb  yn  herezen, 

0  [?  Vnd]  frewden  mir  vergan. 

4.  Ich  hab  in  meinem  gemuete  I 
Dy  roten  roselein: 

Mich  frewt  dein  weipleich  guete, 
Sy  stillen  dein  aigen  sein,  j 

Dy  wil  ich  dir  schenkhn, 
Wann  sie  gehorent  dir  zue. 
Mein  veyal,  tut  [?  tue]  nicht  wenkchen, 
Stetleich  an  mich  gedenkchen, 
Tue  deiner  varib  genueg.  j 

Fabr.  Nr.  156,  8  Str.  —  Der  Text  ist 


schon  aus  den  Nd.  VI.   130  bekannt.    Vermutlich   dasselbe  Lied   in   hd.   Fassung 


61 

enthält  ein  1605  zu  Basel  gedrucktes  fliegendes  Blatt:  'So  weiß  ich  mir  drey 
Blümelem'  (Weller,  Annalen  1,  266  Nr.  384).  Vgl.  Coburger  Gesangb.  1621  S.  27. 
—  Die  Melodie  wiederholt  Fabricius  auf  Bl.  78b  unter  den  Tänzen  in  Lautentabulatur. 

IX.  Nun  fall,  da  reiff.  Fabricius  Bl.  109a  unter  den  Tanzmelodien,  nur 
mit  diesem  Textanfang.  —  Die  Melodie  ist  der  von  Böhme  Nr.  155  aus  M.  Francks 
Fasciculus  quodlibeticus  1611  Nr.  7  ausgezogenen  verwandt.  Der  sechsstrophige 
Text,  welchen  Uhland  Nr.  47 A  und  Böhme  Nr.  155A  aus  dem  Frankfurter  Lieder- 
buche von  1582  Nr.  62  entlehnen  (ebendaher  auch  Nd.  VI.  14),  begegnet  schon  in 
dem  niederrheinischen  Liederbuche  von  1574  (Berliner  Ms.  germ.  qu.  612 ;  Abschrift 
Ms.  gerni.  qu.  716)  Nr.  34  und  in  Yxems  Liederhandschrift  von  1575  (Ms.  germ. 
fol.  753)  Nr.  57.  —  Auch  das  nahverwandte  Lied:  4Nun  reif,  nun  reif,  du  kühler 
tau'  hat  Fabricius  in  seine  Sammlung  (Nr.  103)  aufgenommen,  und  zwar  mit  drei 
Strophen  mehr  als  bei  Uhland  47B  und  Böhme  155B  und  mit  einer  ganz  andern 
Singweise  im  Tanzrhythmus  (Galliarde). 

X.  Ach  winter  kalt,  wie  mennigfalt.  Fabr.  Nr.  152,  6  Str.  —  Der  Text 
auch  im  Frankfurter  Liederbuche  von  1582  Nr.  25 ;  Nd.  VI.  82 ;  im  Berliner  Lieder- 
bliche von  1568  (Ms.  germ.  fol.  752)  Nr.  61,  in  der  niederrheinischen  Liederhand- 
schrift  von  1574  (Berliner  Ms.  germ.  qu.  612)  Nr.  46,  in  Yxems  Liederbuch  von 
1575  (Ms.  germ.  fol.  753)  Nr.  44.  Ganz  abweichend  ist  das  gleich  anlautende  Lied  bei 
Harnisch,  Hortulus  1604  Nr.  14  —  Goedeke  und  Tittmann,  Liederbuch  aus  dem 
lt5.  Jahrh.  1867  S.  161.  Eine  nd.  geistliche  Umdichtung  4Och  vngeval,  wo  menig 
inaer  begegnet  schon  1571  bei  H.  Vespasius,  Nye  Christlike  Gesenge  vnde  Lede 
S.  15.  —  Von  der  Melodie  finde  ich  ein  Bruchstück  wieder  in  M.  Francks  Fasciculus 
quodlibeticus  1611  Nr.  2  (erste  Ausgabe  1605),  abgedruckt  bei  R.  Eitner,  Das 
deutsche  Lied  2,  280.  Derselbe  Franck  benutzte  sie  schon  1602  in  seinen  Musica- 
li-chen  Bergkreyhen  Nr.  5  (Tenor),  um  einen  vierstimmigen  Satz  daraus  zu  machen, 
doch  verschnörkelt  er  sie,  und  besonders  der  letzte  Teil  weicht  ganz  ab.  In  seinen 
I'euterliedlein  1603  Nr.  2  giebt  er  zu  demselben  Texte  eine  völlig  verschiedene  Weise. 

XL  Einiges  lieb,  getrewes  hertz.  Fabr.  Nr.  181,  7  8tr.  —  Der  Text 
«timmt  zu  Nd.  VI.  137  und  ist  auch  hd.  in  einem  1601  gedruckten  fliegenden  Blatte 
erhalten;  vgl.  Weller,  Annalen  1,  265  Nr.  373.  In  der  Melodie  erregt  der  Schluss 
Bedenken. 

XII.  tiudt  gsell,  vnd  dn  must  wandern.  Fabr.  Nr.  118,  8  Str.  —  Der  Text 
schon  im  Frankfurter  Liederbuche  1582  Nr.  250  (9  Str.)  und  nach  einer  Handschrift 
m*u  1604  teilweise  bei  Böhme  Nr.  230.     Wahrscheinlich  identisch  ist  das  nid.  Lied: 

Gheselleken,  du  most  wandelen'  in  der  Sammlung  'De  nieuwen  verbeterden  Lust- 
hof Amsterd.  1607.  —  Eine  Melodie  war  bisher  unbekannt. 

XIII.  Wie  kan  vnd  mag  ich  frölig  sein?  Fabr.  Nr.  133,  5  Str.  —  Vom 
Texte  sind  zwei  hd.  Fassungen  v.  J.  1603  und  1659  durch  Hoffmann,  Gesellschafts- 
lieder »  Nr.  146  (4  Str.)  und  147  (5  Str.)  veröffentlicht;  ferner  Nd.  VI.  113  (5  Str.). 
Andre  Lieder  mit  ähnlichem  Anfange  'Ich  kan  und  mag  nicht  frölich  sein1  oder: 
'Adi  Gott,  wie  kann  ich  frölich  sein'  bei  Weller,  Annalen  1,  271.  2,  172  f.  Mittler, 
Volkslieder  Nr.  903.  1450.  —  Die  Melodie  ist  in  der  Mitte  durch  einen  Wasserfleck 
etwa*  undeutlich  geworden ;  drei  Noten,  die  sich  dem  Rhythmus  nicht  fügen  wollten, 
habe  ich  eingeklammert  und  hinter  die  erste  Note  des  10.  Taktes  einen  Punkt  gesetzt. 

XIV.  Wie  wirdt  myr  denn  fceNchehen.  Fabr.  Nr.  138,  11  Str.  —  Der  Text 
auch  bei  Hoffmann,  Gescllschaftslieder  "  Nr.  13  nach  einem  fl.  Blatte  v.  J.  1601 
«ein  anderes  von  1609  bei  W'eller,  Annalen  1,  268  Nr.  395),  bei  Aelst, 
Blüm  vnd  Außbund  1602  Nr.  69  und  Nd.  VI.  146.  Schwedisch  in  Gyllenmärs  Lieder- 
buch Xr.  54  (Noreen  och  Schuck,  Visböcker  2,  197.  1885) :  <Huru  vill  thett  migh 
lifcka$.'  —  Zu  der  Melodie,  welche  Fabricius  in  Mcnsuralnoten  und  Lautentabulatur 
giebt,  vermag  ich  eine  Variante  aus  M.  Franck,  Fasciculus  quodlibeticus  1611  Nr.  3, 
<  antus  (frühere  Ausgabe  1605),  nachzuweisen,  die  ich  hier  um  eine  Quinte  tiefer 
setze.    Angeführt  wird  sie  auch  im  Coburger  Gesangbüchlein  1621  S.  207. 

XV.  Mein  englein  weinen.  Fabr.  Nr.  159,  14  Str.  —  Der  auch  in  nd.  Fassung 
<Kd.  VL  37  und  fl.  Blatt  o.  J.  in  Tübingen)  vorhandene  Text  ist  aus  dem  Niederlän- 
dischen übersetzt  Da  das  Original  bisher,  so  viel  ich  weiss,  nicht  gedruckt  vorliegt, 
teile  ich  es  nach  der  1609  angelegten  Sammelhandschrift  des  Wouter  Verhee  aus  Gouda 


S.   170  (Hamburger   Stadtbibliothek.     Vgl.   G.  Kalff,..  Tijdschr.   voor  ncderlandsch 
Taal-  en  Letterkunde  5,  137 — 186)  zugleich  mit  der  Übersetzung  bei  Fabricius  mit. 


[S.170]  Een  nieu  Lyedeken 
op  die  wyse:  Bedroefde'  herteken. 

1. 
Mijn  oochgens  weenen,  myn  hert  moet 

suchten, 
Dus  moet  ick  clagen  mijn  swaer  verdriet: 
Myn  liefste  lieueken  wilt  van  mij  vluchten ; 
Wist  ick  waerora,  ick  truerde  niet. 

2. 
"Wist  ick  waerom,  twas  my  begeren, 
Dat  sij  vp  mij  dus  is  gestoort, 
Si'j  gelooft  quade  tongen,  Idt  mach  my 

vbel  deren, 
die  niet  en  soeken  dan  discoort. 

3. 
Ick  bemin  haer  seere,  en  sy  mij  mede, 
Ter  werelt  en  wasser  noeyt  lieuer  paer, 
Wij  hadden  noeyt  twist,  maer  alty  t  vrede, 
Och  bitter  scheyden,  ghy  valt  mij  swaer. 

[S.  171]  4. 

In  vreemde  landen  moet  ick  gaen  reysen 
Met  groote  droeuffheyt  gaen  dolen  altijt; 
Sult  ghij,  schoon  lieff,  doer  niet  een  om 

peijnsen, 
Dat  ghij  daer  äff  een  oorsaeck  sijt? 

5. 
Reale  mondeken,  wilt  ghij  mij  vertaten, 
Söo  moet  verdwijnen  myns  hersen  [!]  bloet, 
Wilt  ghij  v  lieueken  niet  comen  to  baten, 
Noeyt  meerder  droeffheijt  en  tegenspoet. 


Had  ick  den  apel  van  rooder  goude, 
Die  Paris  Venus  schonck  voor  een  present, 
Ick  schenckste  mijn  lieueken  die  schoone 

vrouwe, 
Die  daer  veyt  was  onder  hemels  tent. 

7. 
Bedroeft  mach  ick  wel  wesen  van  sinnen, 
Beclagen  mach  ick  wel  myn  misual; 
Die  ick  met  mijnder  herte  beminne, 
Dat  daer  een  ander  byn  rüsten  sal. 

8. 
Hoe  sullenmyn  oochkens  dat  aenschouwen, 
Wat   grooter  droeffheijt    sal    mij    hert 

ontfaen, 
Als  daer  een  ander  mij  lieff  sal  trouwen 
En  met  haer  uyt  vermeyen  gaen. 

[S.  172]  9. 

Hoe  kanse  mij  dus  vergeten  [?  nu  ver- 
achten], 
daer  wy  malcander  soo  hebben  geertl 


[Bl  85b] 


Fabricius  Nr.  159.] 


1. 


Mein  Euglein  weinen,  mein   hertz  muj 

seufftzen, 
des  mus  ich  klagen  mein  schwär  vordrieß: 
mein  liebstes  liebken  will  von  myr  flihen, 
wüst  ich  worum,  ich  trurdc  nicht. 

2. 
Wust  ich  worum,  das  were  mein  begehr, 
das  sie  auff  mich  so  ist  vorstort, 
sie  geleubet  bösen  Zungen,  es  mach  mich 
wol  betrüben,! 
die  anders  nit  suchen  den  discort. 

3- 

Ich  beliebte  sie  sehre,  vnd  sie  mich  mcde, 
auff  der  Erden  war  kein  lieber  paer, 
wyr  hatten  nicht  tw yst,  man  aizeit  fricd, 
och  bitter  scheiden,  du  falst  mir  schwer. 

4-  ! 

In  fromde  lande  mus  ich  nun  reisen, 

mit  großer  traurigkeit  aizeit; 

solt  ihr  da,  schons  lieb,  nicht  eins  vrab 

dencken, 
das  ihr  dazu  ein  vrsach  seitt? 

5. 
Reale  Mundeken,  wolt  ihr  mich  vorlaßen, 
so  mus  verquinen  meins  herzen  bludt, 
wolt  ihr  mich,  schons  lieb,  nicht  kommen 
zu  zu  batheDi 
in  meiner  betrubnus  vnd  gegenspoet. 

G. 
Hett  ich  den  Apfel  von  rotem  golde, 
den  Paris  Venus  gab  für  ein  present, 
ich  schenckt  den  meinem  lieb,  der  schönsten 

frauwen, 
die  nun  lebt  vnter  des  himels  end. 

7. 
Betrübt  mach  ich  wol  sein  von  sinnen, 
beklagen  mach  ich  wol  mein  mißfall; 
die  ich  in  meinem  hertzen  beliebte, 
das  da  ein  ander  bey  ruhen  soll. 

8. 
Wie  sollen  meine  Euglein  das  anschoiiwon, 
was  betrubnus  wirt  mein  hertz  empfan, 
alß  das  ein  ander  mein  lieb  sol  trawefl 
vnd  mit  ihr  ins  grüne  gähn. 

9. 
Wie  kan  sie  mich  nun  so  verachten, 
da  wyr  vns  malckander  suß  haben  geehrt 


Z_ 


63 


Ick  mach  wel  seggen,  dat  vrouwen  ge- 
dachten 

Wanckelbaer  syn  en  haest  verkeert. 
10. 

Mocht  ick  y   Heueken   noch  selfs   eens 
spreken, 

Dat  ghij  moecht  hooren  mijn  clagcn  groot, 

Mijn  jonck  herteken  sal  moeten  brekcn, 

Dat  ghij  v  lieueken  dit  lijden  aendoet. 

11. 
Ick  bid  v  lieueken  met  smckende  tränen, 
V  oochkens  wilt  doch  vp  mij  slacn, 
Den  don  der  lieffden  lat  vp  mij  dalen, 
Ick  sal  mij  betercn,  lieff,  heb  ick  misdaen. 

12. 
Xu  is  mijn  arbeijt  doch  al  verloren, 
Mijn  singen,  mijn  springen  nacht  ende  dach : 
Sij  heeft  een  ander  lieff  uyt  vercooren, 
Daer  ick  mij  luttel  vp  hadde  gewaccht. 

13. 
Op  hoopen  moet  ick  nu  gaen  leuen, 
Ick  ben  eijlaes  een  onwaert  gast, 
AI  waert  mij  dit  van  te  vooren  geschreucn, 
Ick  betroude  haer  woordekens  veel  te  vast. 
[S.  173]  14. 

Adieu  Prinsesse  uyt  vercooren, 
Adieu  de  schoonste  de  liefste  mijn, 
Het  is  mij  een  droeuich  dinck  om  te  hooren, 
Dat  w\j  twee  gescheyden  moeten  syn. 

Die  Melodie,  welche  auch  Bl.  84a  unter  den  Tänzen  wiederholt  wird, 
stammt  gleichfalls  aus  Holland;  in  mehrfach  abweichender  Gestalt  ist  sie  in  dem 
Leidener  Lautenbuche  von  Thysius  aufbewahrt  und  von  J.  P.  N.  Land  in  der 
Tijdschrift  voor  Noord-Nederlands  Muziekgeschiedenis  1,  185  (1885)  mitgeteilt.  Wir 
finden  sie  auch,  etwas  umgemodelt  und  aus  dem  Tripeltakte  in  den  geraden  gebracht, 
1638  unter  der  Bezeichnung  'Mijn  ooghskens  weenen,  ofte:  Gcdiard*  ItaW  in  dem 
•Paradys  der  Geestelijke  en  Kerckelijcke  Lofsangen'  8.  650  wieder;  vgl.  Land  a. 
a.  O.  und  Bäumker,  Das  kathol.  deutsche  Kirchenlied  2,  289  Nr.  307. 

XVI.  Ich  solt  ein  nunlein  werden.  Fabr.  Nr.  166a,  7  Str.  —  Der  Text  ist 
«chon  aus  Unland  Nr.  329  =  Böhme  Nr.  243 A  (ohne  Melodie)  bekannt;  nur  hat 
F&bricius  am  Schlüsse  noch  zwei  Strophen  mehr: 


ich   mach   wol  sagen,   das  frawen  ge- 

dancken 
wanckelbar  sein  vnd  bald  verkert. 

10. 
Mocht  ich  euch,  liebken,  noch  selbst  eins 

sprechen, 
das  ihr  mocht  hören  mein  klagen  gros, 
eur  junges  hertz  solt  mußen  brechen, 
das  ihr  eurem  liebken  das  leiden  antutt. 

11. 
Ich  bit  euch,  liebken,  mit  sachten  Worten, 
wolt  eur  Euglein  doch  auff  mich  schlan, 
eure  reine  liebe  laßet  eins  auff  mich  nalen, 
ich  wil  mich  beßern,  hab  ich  mißgethan. 

12. 
Nun  ist  mein  arbeit  doch  all  vorlorn, 
mein  singent  vnd  springent  tag  vnd  nacht: 
sie  hat  einen  andern  außerkoren, 
dar  ich  mich  weinig  vor  hedd  gewachtt. 

13. 
Auff  hoffen  mus  ich  nun  thun  leben, 
Ich  bin  worden  ein  vnwert  gast; 
all  weres  myr  zuvor  geschrieben, 
ich  vertrawte  ihren  worten  viel  zu  fest. 

14. 
Ade  Princeße  außerkorn, 
ade  die  schönste  vnd  liebste  mein, 
Es  ist  myr  betrüblich  anzuhören, 
das  wyr  zwey  mußen  gescheiden  sein. 


5.  Mein  hertz  mit  lieb  vmfangen, 
mit  lieb  anzündet  sehr, 
nach  im  steht  mein  vorlangen, 
nach  ihm  stet  mein  beger. 
Godt  geb  dem  [klepfer  vnglück  viel, 
der  mich  armes  megdelein 
im  kloster  haben  will.J 

XVII.   Hett  ich  sieben  wünsche. 


7.  Darum,  ir  jungen  megdelein, 
wil  euch  geraten  hahn, 
das  ihr  euch  [?  eur]  leib  vnd  ehre 
vortrauwn  eim  jungen  man, 
vnd  hüten  euch  für  nunnen  lehn, 
etzlich  ihr  seel  dem  teufll  orgebn. 
Adde,  ich  far  von  hyr. 
Fabr.  Nr.  135,  9  Str.  —  Der  Text  schon 


n<L  bei  Unland  5B  =  Nd.  VI.  114,  hd.  bei  Toppen,  Altpreuss.  Monatsschrift  9,  546 
(1S73).  Eine  siebenstrophige  Fassung  bei  Uhland  5A,  Böhme  276,  in  der  Berliner 
Liederhandschrift  von  1568  (Mscr.  germ.  fol.  752)  Nr.  25  und  in  Yxems  Liederbuch 
(Berliner  Mscr.  germ.  fol.  753)  Nr.  109.  Vgl,  noch  Uhland,  Schriften  4,  13—18. 
—  Die  Melodie  bei  Fabricius  widerlegt  Böhmes  Vermutung,  das  Gedicht  sei  nie 
gesungen  worden. 

XVHL    W»ß  woln  wyr  auff  den  abendt  thun.?    Fabr.  Nr.   107,  4  Str.  — 
Text  auch  bei  Böhme  Nr.  334  nach  Hainhofers   Lautenbüchern   (1603).    Ebenda 


64 

eine  ziemlich  ähnliche  Singweise  und  ein  Fragment  aus  M.  Francks  Quodlibets 
1611  Nr.  2  (=  Eitner,  Das  deutsche  Lied  2,  281).  Vgl.  Böhme,  Geschichte  des 
Tanzes  in  Deutschland  2,  61  Nr.  135.  Andre  Aufzeichnungen  aus  einem  deutschen 
Lautenbuche  von  1580  und  aus  holländ.  Quellen  teilt  J.  P.  N.  Land  in  der  Tijd- 
schrift  der  Vcreeniging  voor  Noord-Nederlands  Muziekgeschiedenis  1,  188  f.  mit. 
Auch  eine  hsl.  Melodiensammlung  v.  J.  1593  (Berliner  Ms.  germ.  tbl.  270  Bl.  6b) 
enthält  unsre  Melodie  in  Lautentabulatur.  Der  Nachtanz  wiederholt  in  dreiteiligem 
Takte  (Proportio)  die  voraufgehende  Melodie;  vgl.  Nr.  XXI. 

XIX.  Wammb  seind  die  Studenten.  Fabr.  Nr.  155,  6  Str.  —  Den  Text 
liefert  auch  Hoffmann,  Gesellschaftslieder  *  Nr.  300  nach  einer  Hs.  von  1603.  Die 
Melodie  kehrt,  vierstimmig  gesetzt,  bei  M.  Franck,  Fasciculus  quodhbeticus  Kill 
Nr.  5  mit  dem  Texte  der  2.  Strophe  wieder.  Fabricius  hat  sie  Bl.  78b  auch  in 
Lautentabulatur  unter  den  Tanzmelodien. 

XX.  Der  Igel  und  die  Leineweber.  Fabr.  Nr.  94,  11  Str.  —  Der  Text  des 
ursprünglich  wohl  nd.  Spottiiedes  stimmt  mit  der  Fassung  im  Venus-Gärtlein  (Ham- 
burg 1659  S.  39.  Eine  Ausgabe  von  1656  besitzt  die  Stockholmer  Bibliothek; 
einen  Neudruck1  dieser  wichtigen  Sammlung  bereitet  M.  v.  Waldberg  vor)  übercin, 
welche  von  HonWnn,  Gesellsehaftsliedcr  *  Nr.  856  und  Bolte,  Archiv  f.  Litjfesch. 
14,  364 — 368  wiederholt  worden  ist;  nur  steht  die  6.  Strophe:  'Ach  lieber 
Egel,  laß  mich  leben'  voran,  ferner  lautet  Str.  3,  1 :  'Vnd  das  erhordt  die  Feldt- 
maus',  6,  5:  'se  kan  de  spolen  scheten',  9,  2:  'das  sahn  die  frawn  vnd  auch  die 
man'.  —  Von  der  Melodie  waren  bisher  nur  zwei  Bruchstücke  aus  Quodlibets  von 
Zangius  und  Franck  bei  Böhme  Nr.  501  und  Eitner,  Das  deutsche  Lied  2,  240. 
281  bekannt.  Im  Schluss  liegt  wohl  ein  Versehen  vor,  da  für  die  vorgeschriebene 
Wiederholung  der  letzten  Textzeile  nicht  Noten  genug  übrig  bleiben. 

XXI.  Es  ht  ein  baur  in  brunn  gefalln.  Fabricius  Bl.  77a  giebt  nur  die 
Melodie  in  Lautentabulatur  ohne  weiteren  Text  unter  den  Tanzweisen.  Der  Text 
hat  sich  bis  heute  in  der  mündlichen  Überlieferung  fortgepflanzt.  Bei  Fischart, 
Geschichtklitterung  C.  45  (Scheibles  Kloster  8,  477)  begegnet  er  in  folgender  Gestalt : 

Es  ist  ein  mönch  vom  bäum  gefallen, 

Ich  hab  jlm  hören  plumpen. 

Ach  daß  jhm  bring  kein  schad  das  knallen! 

Er  köndt  sonst  nicht  mehr  gumpen, 

Hibe  ha  wol  zumpen. 
Andre  Fassungen  bei  Böhme  Nr.  464.  Arnim-Brentano,  Des  Knaben  Wun- 
derhorn  2,  765  ed.  Birlingcr  und  Crecelius.  Simrock,  Das  deutsche  Kinderbuch 
1848  S.  21.  E.  Meier,  Kinderreime  und  Kinderspiele  aus  Schwaben  1851  S.  50. 
Rocholz,  Alemann.  Kinderlied  und  Kinderspiel  1857  S.  177.  II.  Frischbier,  Preus- 
sische  Volksreime  und  Volksspiele  1867  S.  43.  Firmenich,  Germaniens  Völker- 
stimmen 1,  265.  Fiedler,  Volkslieder  in  Anhalt- Dessau  1847  S.  230  u.  s.  w.  — 
(•oussemaker,  Chants  populaires  des  Flamands  1856  S.  404  Nr.  146  und  Land, 
Tijdschr.  voor  Noord-Nederlands  Muziekgeschiedenis  1,  164  veröffentlichen  auch  ver- 
wandte Melodien.  —  Über  den  Nachtanz  vgl.  Nr.  XVIII. 

XXII.  Der  engelliindiNche  Roland.  Fabricius  Nr.  9  giebt  zu  einem  sechs- 
strophigen  Namenliede  auf  Sophia :  'Schons  lieb,  ich  thue  dir  klagen'  eine  Melodie 
in  Lautentabulatur  mit  der  doppelten  Überschrift :  lJhJiusdem  Antorist,  d.  h.  Caspari 
Husmanni,  und  'Bolanl'.  Die  letztere  Bezeichnung  bezieht  sich  ohne  Zweifel  auf  das 
1597  in  Deutschland  auftauchende  und  rasch  beliebt  gewordene  Singspiel  (Jigg)  der 
englischen  Komödianten:  'Ach  Nachbar  Robert',  welches  in  derselben  achtzeiligen 
Strophe  abgefasst  ist.  Auch  das  von  Fabricius  unter  Nr.  26  aufbewahrte  dra- 
matische Lied,  welches  den  Streit  zweier  Liebhaber  um  die  Gunst  eines  Mädchens 
vorführt  (abgedruckt  in  der  Vierteljahrsschrift  für  Literaturgeschichte  1,  111 — 116. 
1888),  geht  'Auff  die  Melodei :  Ach  nachbar  Roland'.  —  Den  deutschen  Text  jenes 
Singspiels  von  Roland  findet  man  bei  A.  Keller,  Fastnachtspieie  des  15.  Jahrhunderts 
2,  1021,  Böhme  Nr.  85  und  Nd.  VI.  Nr.  148.  Zu  meinen  Notizen  über  seine  einstige 
Verbreitung  im  Korrespondenzblatt  f.  nd.  Sprachf.  10,  38  trage  ich  nach,  dass  die 
Berliner  Bibliothek  zwei  noch  nirgends  verzeichnete  fliegende  Blätter,  o.  0.  1599 


und  Magdeburgk  o.  J.  (Te  726  und  781)  besitzt;  auch  eine  1600—1603  in  Jaufen 
(Tirol)  entstandene  Liederhandschrift  enthält,  wie  mir  Herr  Dr.  M.  v.  Waldberg  mit- 
teilt, das  Stück;  eine  Abschrift  in  K.  T.  Heinz  es  Volksliedersammlung  (Mscr.  S  504  der 
Bonner  Universitätsbibliothek) ;  die  Melodie  wird  noch  citiert  1607  in  dem  bei  Lantzen- 
berger  zu  Nürnberg  erschienenen  Liederbüchlein  Nr.  68,  1609  (Weller,  Annalen  1, 268 
Nr.  396  und  409),  1627  (Birlingers  Alemannia  16,  84)  und  1632  (Ditfurth,  Volkslieder 
des  dreissigjährigen  Kriegs  1882  S.  152).  —  Der  englische  Originaltext  ist  uns  ebenso 
wie  eine  niederländische  Übersetzung:  'Soett  soet  Robbertgen'  verloren  gegangen.  Da- 
gegen vermögen  wir  die  Melodie,  welche  sich  einer  ausserordentlichen  Beliebtheit  erfreut 
haben  muss,  auf  ihrer  Wanderung  von  England  nach  Holland  und  Deutschland  zu  ver- 
folgen. In  England  erscheint  sie,  wie  W.  Chappcll  (Populär  music  of  the  olden  time 
1855 — 59  p.  1 14  f.  770)  angiebt,  in  dem  sogenannten  Virginalbuche  der  Königiu  Elisabeth ') 
unter  dem  Namen  Rowland,  von  dem  berühmten  William  Byrd  (1538—1623)  gesetzt.  In 
den  Virginalböchern  der  Lady  Neville  (1591)  Bl.  46b  und  des  William  Forster  (1624) 
S.  22  Nr.  6  und  in  Thomas  Robinsons  Sehool  of  music  (1603)  führt  sie  den  Titel  'Lord 
Willohies  welle ome  hörne3,  weil  nach  ihr  auch  eine  Ballade*)  auf  Peregrine  Bertie 
Lord  Willoughby  of  Eresby  (f  1601)  gesungen  wurde,  welcher  1587  nach  der  Ab- 
berufung Leicesters  den  Oberbefehl  über  die  in  Holland  gegen  die  Spanier  fech- 
tenden englischen  Truppen  übernahm.  Aus  Holland  bringt  Land,  Tijdschr.  voor 
Noord-Nederlands  Muziekgesch.  1,  223  f.  vgl.  28  vier  verschiedene  Aufzeichnungen 
der  hier  nur  als  'Soet  Bobbertgen'  bezeichneten  Melodie:  aus  Thysius'  Lautenbuch 
(um  1600),  aus  Pieter  Leenaerts  van  der  Goes  Druyven-Tros  der  amoureusheyt 
il«02)  S.  102,  aus  Adrian  Valerius,  Nederlandtsch  Gedenckclanck  1626  S.  83  und 
aus  dem  Paradijs  der  geestelicken  en  kerekelicken.  lofsangen  7.  Aufl.  1679  8.  695. 
Angeführt  wird  sie  auch  in  Wouter  Verhees  Liederhandschrift  (vgl.  oben  zu  Nr.  XV) 
S.  249:  'Een  nieu  liedeken  op  die  voys  van  Soet  Robbergen:  Door  lief  den  reijn 
terwonnen  ick  blijuen  moety  (6  Str.). 

Die  nabeliegende  Frage,  ob  die  Melodie  ursprünglich  dem  Willoughbyliede 
oder  dem  Singspiele  Roland  angehörte,  lässt  sich  aus  dem  vorliegenden  Materiale 
nicht  mit  ausreichender  Sicherheit  beantworten.  Wäre  jedoch  das  Letztere  der  Fall, 
so  bliebe  auffallend,  dass  die  Melodie  gerade  in  England  nur  einmal  (doch  s.  S.  68) 
und  ziemlich  spät  unter  dem  Namen  Rowland  auftaucht.  Es  ist  aber  wohl  denkbar,  dass 
die  englischen  Schauspieler,  welche  Leicesters  Gunst  genossen  und  von  ihm  1586  an 
den  Kfmig  Friedrich  II.  von  Dänemark  empfohlen  wurden  *),  auch  seinem  Nachfolger 
in  den  Niederlanden  ihre  Ergebenheit  beweisen  wollten  und  auf  die  Melodie  eines 
zu  seinem  Ruhme  gedichteten,  allgemein  beliebten  Liedes  jenes  Possenspiel  reimten, 
welches  dann  in  der  Fremde  so  ausserordentlichen  Beifall  fand.  Endlich  ist  zu 
berücksichtigen,  dass  das  Vorhandensein  der  Willoughbyballade  schon  für  1591 
durch  Lady  Nevilles  Virginalbuch  bezeugt  wird,  während  das  Possenspiel  zum  ersten 
Male  1596  in  einer  gereimten  Beschreibung  der  Frankfurter  Messe  von  Marx 
Mangold4)  als  etwas  ganz  Modernes  genannt  wird: 

Einer  sang:  Ö  Nachbawr  Ruland, 

Ein  Lied,  kommen  auß  Engelland. 

Bis  auf  weiteres  haben  wir  also  anzunehmen,  dass  die  Melodie  des  Rolands- 
liedes älter  ist  als  der  Text. 

Noch  andre  um  dieselbe  Zeit  von  England  nach  dem  Festlande  herüber- 
gebrachte Tanzweisen  lernen  wir  aus  Thysius'  Lautenbuche  keunen,  z.  B.  Tijdschr. 
2,  309  eine  Pavane  'DelighV  jenes  Richard  Machin,  welcher  1600 — 1605  als  Musiker 
und  Komödiant  im  Dienst  des  Landgrafen  Moritz  von  Hessen  stand0),  sowie  mehrere 

*)  Hs.  in  Cambridge,  wohl  erst  nach  1620  entstanden,  S.  278  Nr.  158.  Vgl. 
G.  Grovc,  Dictionary  of  music  4,  309b  (1885). 

*)  Pcrcy,  Reliques  vol.  2.  2,  19.     The  Roxburghe  Ballads  4,  8.    (12  Strophen.) 

*)  Bolte,  Jahrbuch  der  deutschen  Shakespearegesellsch.  23. 

4)  'Marckschiff,  hrsg.  von  E.  Kelchner,  Mitt.  d.  V.  f.  Gesch.  und  Alt.  in 
Frankfurt  a.  M.  6,  322  (1881). 

•)  E.  Mentzel,  Archiv  für  Frankfurts  Gesch.  N.  F.  9,  43.  45.  50.  52.  J.  Crüger, 
Archiv  f.  Litgesch.  15,  116. 

BiadardenUohos  Jahrbuch.    XIII.  5 


66 

Kompositionen  des  Robyn  Jones  und  des  berühmten,  auch  von  Shakespeare  ge- 
feierten John  Dowland  (Tydschr.  2,  287.  310.  340.  344).  Wie  viele  namhafte 
englische  Musiker  damals  in  Deutschland  Beifall  erntend  umherzogen,  ist  bisher 
kaum  beachtet  worden.  In  Rinteln  am  Hofe  des  Grafen  Ernst  III.  von  Schaumburg 
(1570 — 1622)  lebte  Thomas  Simpson,  in  Berlin  und  dann  in  Hamburg  William 
Brade-,  beide  Hessen  auch  ihre  Couranten,  Galliarden,  Paduanen  in  Deutschland 
drucken,  während  die  Kompositionen  von  Thomas  M  o  r  1  e  y  wiederholt  von  Valentiu 
Haußmann,  Michael  Praetorius,  Conrad  Hagius,  Johann  von  Steinbach  und  Daniel 
Friderici  herausgegeben  wurden1).  Morley  und  Brade  führt  auch  1627  der  letzt- 
genannte Rostocker  Cantor  in  seinem  gereimten  Verzeichnis  berühmter  Musiker 
(Amuletum  musicum  Nr.  30)  auf.  Dagegen  ist  bei  den  Melodien,  welche  den 
Sammlungen  der  'Englischen  Komödien  und  Tragödien7  von  1620  und  1630  bei- 
gegeben sind,  der  englische  Ursprung  nicht  immer  zweifellos,  gerade  wie  bei  den  Texten. 

Ich  liefre  in  der  Musikbeilage  A)  die  vollständige  Lautenmusik  nach  Fa- 
bricius  samt  dem  dort  untergelegten  Texte,  B)  die  Melodie  desselben  Stückes  mit 
dem  ursprünglichen  Texte,  C)  das  schon  von  Böhme  ermittelte  Fragment  bei  M. 
Franck,  Fasciculus  quodlibeticus  1611  Nr.  2,  Cantus  (—  Eitner,  Das  deutsche  Lied 
2,  283),  von  welchem  es  auch  einen  Druck  v.  J.  1605  giebt;  vgl.  Monatsh.  f.  Musik- 
gesch.  17,  55,  D)  die  englische  Melodie  mit  dem  Texte  der  Willoughby-ballade 
nach  Chappell  1,  115,  doch  um  einen  Ton  tiefer  gesetzt. 

Den  Originaltext  zu  der  Melodie  'Rowland'  glaubte  Chappell,  welcher  von 
dem  deutschen  Liede  nichts  wusste,  in  einem  fliegenden  Blatte  aus  den  Jahren 
1600 — 1625  in  der  berühmten  Balladensammlung  von  Samuel  Pepys,  welche  sich 
gegenwärtig  im  Magdalen  College  zu  Cambridge  befindet,  Bd.  I  S.  210  f.  ent- 
deckt zu  haben,  ging  aber  nicht  näher  auf  die  Sache  ein.  Mir  ist,  nachdem  ich 
durch  die  Freundlichkeit  der  Herren  Dr.  K.  Breul  und  Dr.  C.  Schüddekopf  eine 
Abschrift  des  genannten  Einblattdruckcs  erhalten  habe,  seine  Ansicht  zweifelhaft 
geworden.  Zwar  weist  das  englische  Gesprächslied  denselben  Strophenbau  auf  wie 
die  verschiedenen  Aufzeichnungen  der  Melodie  und  der  deutsche  Text,  auch  die 
Anfangszeile  stimmt  zu  dem  letzteren ;  aber  der  Inhalt  ist  ein  völlig  anderer :  kein 
Ehestandsdrama,  sondern  eine  Satire  auf  alle  Stände  in  Form  eines  Dialoges 
zwischen  dem  von  London  heimkehrenden  Rowland  und  seinem  zweifelsüchtigen 
Nachbar  John,  mit  derselben  direkten  Ironie  ausgeführt,  wie  sie  z.  B.  eine  Regens- 
burger Truppenliste  zum  Türkenkriege  aus  wenig  früherer  Zeit  (Birlingers  Alemannia 
16,  85 — 87)  enthält.  Ferner  geht  dies  Lied  nicht  in  seinem  eigenen  Tone  oder  in 
dem  der  Willoughbyballade,  sondern  nach  einer  sonst  nicht  bekannten  Weise: 
lTwentypoundayeere\  Man  darf  vielleicht  annehmen,  dass  das  englische  Lied  die 
erste  Anregung  zu  dem  Singspiele  der  englischen  Komödianten  hergab,  welche  aber 
ausserdem  eine  andre  Melodie  benutzten.    Ich  lasse  nun  den  Text  selber  folgen. 

[8.210]  Nevves  good  and  nevv 

To  the   tune   of   Ttcenty  pound  a  yeere. 
[Holzschnitt:   Zwei  Männer,  der  links  auf  sein  Schwert  gestützt,   der  rechts 
in  langem  Mantel,  ein  Schwert  an  der  Seite,  einherschrcitend,  reden  mit  einander.] 


1. 
John.  Now  welcome  neighbour  Rowland, 

From  London  welcome  home, 

What  newes  is  there  I  pray  you  ? 

From  thence  I  heare  you  come. 
Row.  The  best  that  ere  you  heard, 

Youle  say  't  when  I  you  shew. 
John.  I  hardly  can  beleeue  it, 

Tis  too  good  to  be  true. 
2. 
Row.  The  Lawyer  in  hiß  pleading 

to  gaine  giues  no  respect. 


Though  Clients  have  no  mony, 
he  doth  not  them  neglect: 
But  truly  pleades  their  cause, 
Of  these  there  be  not  few. 
John.  I  neuer  will  beleeue  it, 
Tis  too  good  to  be  true. 

3. 
[Row.]  In  Lords  there  's  no  ambition, 
in  Ladies  theres  no  pride, 
The  Clergie  lones  no  mouie, 
no  woman  's  wanton-eyde, 


')  Grove,  Dictionary  of  music.    Goedeke,  Grundriss.    Weller,  Annalen. 


6? 


Each  one  that  wicked  lin  'd, 
doth  staine  to  line  anew. 
John.  I  neuer  etc. 

4. 

Row.  I  there  did  know  an  Usurer, 

ith ')  hundred  tooke  three  score : 
But  he  is  now  repented 
and  gaue  all  to  the  poore, 
And  daily  fasts  and  prayes, 
and  hates  that  damned  Crew. 

John.  I  neuer  etc. 

5. 
Row.  Your  Tradesmen  hate  short 
measures 
false  lights,   and  falser  waights: 
Nor  will  they  in  their  bargaines, 
vse  oathers  as  cunning  baites 
To  fetch  the  simple  ore, 
theres  no  such  cunning  Jew. 
I  neuer  etc. 


John. 


6. 


Row.  No  Vintner  there  doth  mingle 
his  wine  with  water  pure: 


And  then  doth  sweare  tis  neatest : 
in  London  's  no  such  Brcwer. 
Of  that  they  all  are  cleare, 
they  can,  but  will  not  brew. 
John.  I  neuer  etc. 


7. 


Ro^ 


No  Ostler  there  will  rob  you, 
of  either  oates  or  hay, 
No  Tapster  nickes  the  pot  there, 
but  fils  it  as  he  may: 
No  hoast  will  there  be  drunken, 
no  hostesse  proues  vntrue. 
John.  I  neuer  etc. 

8. 
Row.  Your  Brokers  there  are  honest 
and  are  not  ranckt  with  knaues, 
They  lend  their  coine  for  con- 

science, 
Which    niakes    them    ore    their 

graues. 
To  haue  their  good  deeds  writ, 
Whose  number  is  but')  fcw. 
John.  I  neuer  etc. 


[S.2U] 


Too  good  to  be  true 

The  Second  Part. 


[Holzschnitt:  Links  ein  höfisch  gekleideter  Jüngling  mit  Halskrause  und 
Srhwert,  Handschuhe  in  der  Hand,  rechts  eine  sehr  geputzte  Dame  mit  Halskrause 
und  Fächer  oder  Blumenstrauss.] 

To  thinke  on  poore  mAis  miscries, 
their  yron  hearts  doe  weepe: 
The  poore  men  they  relieue, 
and  giue  the  rieh  their  due. 
John.  I  neuer  etc. 


9. 

Row.  A  Sergeant  late  turn'd  honest, 
and  not  abus'd  his  place: 
A  Baily  became  pitifull, 
and  wail'd  his  prisoners  rase: 
And  both  to  goodnesse  fram'd 
their  former  course  anew. 

John.  1  neuer  will  beleeue  this, 
Tis  too  good  to  be  true. 

10. 

Row.  The  Landlords  there  are  pitiful 
and  racke  not  poor  mens  rents, 
The  tenant  there  is  dutifull 
and  payes  what  he  indents. 
The  rieh  the  poore  doe  loue: 
of  these  there  are  but  few. 

John.  I  neuer  etc. 

11. 


12. 

Row.  You  there  shall  see  no  drunkards, 
in  Walking  through  the  street: 
The  Stockes  stand  euer  emptie, 
all's  sober  that  you  meet. 
He's  hated  that's  but  secne, 
amidst  a  drunken  crew. 

John.  I  neuer  etc. 


13. 


Row. 


Row.  Jailors  are  tender  hoarted, 
that  doe  their  prisons  keepe: 

*)  Breul  vermutet:  in  the. 

*)  Wohl  not.    Breul 

*)  Ein  Gefängnis  bei  Ludgate  Hill. 


Pickbatch,  and  garden  Allics, 
Turnebull,  and  Mutton  lane 
Of  truth  are  now  turn'd  honest, 
and  hate  vnlawfull  gaine. 
Bridewell8)  did  them  conuert, 
and  clad  their  backes  in  blew. 
John.  I  neuer  etc. 


5* 


«8 


that  turnes  the  night  to  day 
By  vile  disordered  life, 
wnich  age  doth  after  rue. 
John.  I  neuer  etc. 

16. 
This  newe8  doth  much  amaze  me, 
the  which  you  have  me  told, 
And  truely  to  beleeue  it, 
I  dare  not  be  too  bold. 
I  would  as  true  it  wcre, 
as  it  to  me  is  new. 
But  I  will  not  beleeue  it, 
tis  too  good  to  be  true. 

I.  Trundle. 


14. 
Row.  Fleetstreet  ha's  nere  a  cheater, 
White-fryers  ne1re  a  whorc: 
Tiburne')  is  now  deliuered 
and  bearcth  theeues  no  more. 
And  Smithfield*)  now  is  rid 
of  those  horsc-cheating  crew. 
John.  I  neuer  etc. 

15. 

Row.  Ludgate  ha's  nere  a  bankrupt 
that  can,  but  will  not  pay: 
The  Counter  nere  a  Prodigall 

Printed  for 

Nachträglich  finde  ich  noch  die  Melodie  eO  neighbour  Bobert?  angeführt  als 
Ton  für  die  vor  1600  gedruckte  Ballade  auf  Jasper  Coningham :  'It  was  a  Scotchman' 
in  The  Roxburghe  Ballads  ed.  by  Chappell  3,  104  (1880).  Dagegen  ist  ein  ähnlich 
beginnender  Dialog  Martin  Parkers  ebenda  1,  441:  'Neighbour  Roger,  woe  is  me\ 
den  eiu  eifersüchtiger  Ehemann  Simon  mit  einem  Junggesellen  Roger  hält,  in  einer 
andern  Strophe  nach  der  Melodie  'Buckle  and  Thong-a'  gereimt. 

XXIII.  Die  Schlacht  bei  Mohaez.  Anhangsweise  folgt  eine  Volksweise,  deren 
schon  einmal  in  diesem  Jahrbuche  gedacht  wurde.  Jellinghaus  hat  im  Jahrbuch  7, 
11  f.  (1881)  aus  einer  um  1540  in  Island  entstandenen  Handschrift  der  Kopenhagener 
Universitätsbibliothek  (Mscr.  Arnae  Magnaei  622  quart,  Bl.  7b)  eine  nd.  Übersetzung  des 
verbreiteten  Liedes  auf  den  Tod  König  Ludwigs  von  Ungarn  (Liliencron,  Die  hi- 
storischen Volkslieder  der  Deutschen  3,  562,  Nr.  403.  Nachtrag  S.  55  f.)  veröffent- 
licht und  dabei  bemerkt,  dass  der  ersten  Strophe  eine  Melodie  beigegeben  sei.  Da 
neuerdings  die  Frage  nach  der  Singweise  dieses  Liedes  mehrfach  erörtert  worden  ist, 
wandte  ich  mich  an  Herrn  Universitätsbibliothekar  Dr.  S.  Birket  Smith  in  Kopen- 
hagen, welcher  die  Freundlichkeit  hatte,  mir  eine  Abschrift  der  Noten  zu  übersenden. 
Es  ergiebt  sich  nun,  dass  das  Lied  vom  'König  in  Ungarn1  wirklich  seinen  eigenen 
Ton  besass ;  denn  die  vorliegende  Melodie,  bei  der  ich  nur  die  Taktstriche  hinzugefügt 
und  die  4.  und  6.  Note  (a)  aus  Vierteln  in  Achtel  verwandelt  habe,  stimmt  mit  keiner  der 
bisher  mit  dem  Texte  in  Verbindung  gesetzten  Weisen  überein,  weder  mit  der  des  älteren 
Marienliedes:  'Frülich  so  will  ich  singen'  (Böhme  Nr.  602.  Bäumker,  Das  kathol. 
deutsche  Kirchenlied  2,  104  Nr.  33a.  R.  v.  Liliencron,  Deutsches  Leben  im  Volkslied 
1885  Nr.  7),  noch  mit  dem  ähnlichen  Choral:  40  reicher  gott  im  throne'  (Böhme  Nr. 
392),  noch  mit  der  Doller  Weise  (Böhme  Nr.  374),  noch  endlich  mft  dem  Tageliede: 
'Die  sonn  die  ist  verblichen'  (Böhme  Nr.  116).  Freilich  bleibt  die  Möglichkeit,  dass 
der  'König  von  Ungarn'  später  auch  im  Tone  des  genannten  Marienliedes  gesungen 
wurde;  aber  gegen  die  ursprüngliche  Verwendung  dieser  Weise  spricht  der  Umstand, 
dass  die  älteren  Drucke  des  'Königs  von  Ungarn'  keine  Tonangabe  haben ;  und  nur  aus 
der  Gleichheit  des  Strophenbaus  und  der  typischen  Eingangsformel  'Frölich  so  will  ich 
siugeu'  auf  die  Gleichheit  der  Melodien  zu  schiiessen  ist  etwas  gewagt.  —  Das  deutsche 
Lied  samt  der  Melodie  rührt,  wie  mir  Herr  Smith  schreibt,  von  einer  andern  Hand  her 
als  der  übrige  Inhalt  der  Kopenhagener  Handschrift,  ist  aber  ohne  Zweifel  zu  derselben 
Zeit  (um  1540)  aufgezeichnet,  vermutlich  von  einem  Deutschen,  der  sich  damals  in  Island 
aufhielt.  Vgl.  noch  über  die  IIs.  W.  H.  Carpenter,  Nicoläsdräpa  Halls  prests,  Freiburger 
Diss.  1880  (Halle  1881).  —  In  Jellinghaus'  Text  haben  sich  ein  paar  kleine  Versehen  ein- 
geschlichen :  Z.  1  Lecklick  statt  Klecklick,  wille  ist  ausgefallen,  ebenso  2  Verse  hinter  Z.  4. 

')  Ein  Platz,  auf  dem  die  Hinrichtungen  von  Verbrechern  stattfanden. 
■)  Ein  Platz,  auf  dem  die  Viehmärkte  abgehalten  würden. 


BERLIN. 


Johannes  Bolte. 


69 


Zum  Niederdeutsehen  Aesopus. 

Unter  dem  Titel  'Niederdeutscher  Aesopus'  hat  Hoffmann  von 
Fallersleben  1870  20  Fabeln  und  Erzählungen  aus  einer  Wolfenbütteler 
Papierhds.  des  15.  Jahrhunderts  (997  Nov)  mitgeteilt,  nachdem  er 
schon  vorher  in  Pfeiffers  Germania,  Jahrg.  13  S.  469 — 478  Proben 
daraus  wiedergegeben  hatte.  Der  Abschreiber  der  ursprünglich  nieder- 
deutschen Gedichte  hat  Nieder-  und  Hochdeutsch  gemischt,  und  H. 
hat  sich  die  Aufgabe  gestellt  den  Text  in  das  ursprüngliche  Nieder- 
deutsch zurückzuübersetzen,  zugleich  aber  denselben  von  allen  übrigen 
Entstellungen  zu  reinigen.  Nun  hat  er  aber  den  Text  vielfach  nur 
sehr  flüchtig  gelesen.  Auch  treffen  die  eigenen  Conjekturen  des  Heraus- 
gebers an  vielen  Stellen  nicht  das  richtige.  Ich  habe  nun  in  Folgendem 
versucht  das  dem  Dichter  zukommende  herzustellen.  Ich  benutzte 
dazu  eine  Abschrift  der  Hds.  von  W.  Seelmanns  Hand.  Auch  die  ent- 
sprechenden Fabeln  Gerhards  von  Minden,  die  Hoffmann  nur  aus 
Wiggerts  Scherflein  kannte,  haben  an  einigen  Stellen  zur  Herstellung 
des  Textes  beigesteuert. 

I,  49.  mer  ein  iklik  merke  rechte, 

dat  man  den  to  vorsten  neme, 

de  sik  der  swacken  nicht  en  scheme, 

unde  dat  em  allewege  sy 

wärheit  unde  genade  by, 

de  sik  to  aÜer  doget  syre 

unde  dorch  gave  nummende  vyre. 

Weder  sik  syren  to  'zieren,  verherrlichen',  noch  vyren  'Ehre  er- 
weisen', wie  H.  angibt,  ist  zu  belegen.  Es  liegt  ein  Fehler  des 
Schreibers  vor,  der  das  alte  sik  Heren  (teren)  'Art  und  Weise  an- 
nehmen, sich  benehmen'  nicht  verstand.  Statt  vyren  ist  hoveren  mit 
Dat.  'einem  hofieren,  schmeicheln'  einzusetzen,  also  zu  schreiben: 

de  sik  to  aller  doget  tere 

unde  dorch  gave  nummende  hovere. 

V.  76  schreibt  die  Hds.  we  eventuire  hie  iummer  sij.  Vergleichen 
wir  dazu  XXIX,  30  des  saltu  iummer  vro  und  eventuir  van  myr  werden^ 
so  ergibt  sich,  dass  eventure  hier  ein  Adjectivum  ist,  ungefähr  gleich- 
bedeutend mit  vro, 

II,  13  ff.  sind  folgendennassen  zu  interpungieren : 

he  vragede  war  he  ein  helve  neme, 
dat  syner  exen  even  queme, 
dar  he  de  mede  mochte  merken 
unde  6k  synen  willen  werken. 

D.  h.  er  fragte,  woher  er  einen  Stiel  nähme,  welcher  zu  seiner  Axt 
passend  wäre,  damit  er  dieselbe  versuchen  möchte  u.  s.  w.  H.  bezieht 
de  fälschlich  auf  de  bbme^  und  fasst  merken  als  'mit  der  Märke  ver- 


70 

sehen'.     Doch  nicht  darauf  kommt  es  dem  Schmiede  an,   sondern   er 
will  die  Bäume  fällen,  vgl.  5  f.,  33  f. 

Y.  45.  dar  um  wy  hebten  graten  dult. 
Die  Hds.  hat  moieen   statt  groten,   wonach  moten  zu  schreiben 
ist:  'Darum  müssen  wir  Geduld  haben',     dult  hebben  findet  sich  noch 
LXI,  16. 

III,  33.  d&rer  is  dy  des  du  dg  nerest 

Die  Hs.  hat  duire  is  dich;  für  duire  ist  aber,  wie  die  Vergleichung 
von  Gerh.  56,  29  beweist,  diuve  'Diebstahl'  zu  schreiben.  Der  Vers 
ist  demnach  zu  lesen:  diuve  is  des  du  dy  nerest  'Diebstahl  ist  es, 
wovon  du  dich  nährst'. 

V.  105  ff.  sind  mit  der  Hds.  zu  lesen: 

doch  einen  sede  heft  dat  hert, 
dat  he  uprichtet  hoch  den  stert: 
wan  he  jenniges  anxtes  plicht, 
he  jo  nicht  vor  dem  hinder  licht. 

'Wenn  der  Hirsch  Angst  hat,  so  liegt  der  Schwanz  nicht  vor 
dem  Hinterteil.' 

V.  112  lies: 

schul  em  dat,  so  weit  ik  wol, 
dat  he  tohant  en  vluchtich  maket, 
of  he  den  rechten  wech  in  raket. 

H.  schreibt  V.  114  er  statt  o/",  bezieht  also  he  auf  den  Hirsch. 
Es  heisst  aber:  wenn  er  (der  Käfer)  den  rechten  Weg  hineintrifft. 

V.  136.  se  lopen,  of  se  hebbe  vorvert 

de  duvel  mit  eines  ddrnes  Uaven. 

In  Jclave  sieht  H.  das  lat.  dava,  erklärt  also  dörnes  Jclave  durch 
'Dornenkeule'.  Dies  gibt  jedoch  keinen  Sinn.  Das  hdsl.  dornis  dafen 
ist  entschieden  stärker  entstellt  und  in  donres  klapen  'Krach  des 
Donners'  zu  ändern.  Über  den  Reim  Idapen  :  apen  vergl.  zu  Gerhard 
von  Minden  2,  51. 

V.  162  ist  zu  lesen: 

de  eine  grep  ein  bret,  de  ander  ein  span, 
unde  weiden  vor  dem  hinder  hdn. 
de  eine  dit,  de  ander  dat 
hengen  hinden  vor  dat  gat. 

weiden  ist   =   toölde   en.     hengen   ist   die   schwache   Form   des 
Praet.,  der  Plural,  weil  sich  sowohl  auf  de  eine  als  de  ander  beziehend. 
V.  200  ist  mit  der  Hds.  zu  lesen: 

de  duvel  künde  nicht  bestryden 
dat  gen t  dar  mit  wy  sint  behaft. 

gent,  Volk  findet  sich  auch  XIX,  19: 

tom  testen  disser  wilde  gröt 
dem  armen  gente  ser  vordröt. 

Vm,  11  ff.  lauten  in  der  Hds.: 

du  sust,  das  ich  van  myner  macht 

han  aller  vögele  schone  gewracht 

an  dich  aUeyne.    nu  straffes  du  mich. 


71 

die  allen  dach  underwisen  dich, 
dal  iclich  synes  amptes  plecht . . 

Was  Hoffmann  daraus  gemacht  hat,  scheint  mir  unverständlich. 
Ich  schreibe  mit  möglichstem  Anschluss  an  die  Hds.: 
du  8U8t,  dal  ik  van  myner  macht 
han  aller  vögele  schone  gewacht 
an  dy,  alleine  du  strafest  my. 
de  alle  doch  underwisen  dy, 
dat  ÜUk  sines  amptes  plecht . . . 

Du  siehst,  dass  ich  durch  meine  Macht  aller  Vögel  Schönheit 
an  dich  gelegt  habe,  obgleich  du  mich  nun  tadelst.  Diese  (Vögel) 
alle  unterweisen  dich,  dass  jeder  seines  Amtes  pflegt  u.  s.  w. 

V.  91  ist  zu  schreiben: 

de  my  bracht  an  diesen  miströst 
unde  dy  van  anxte  heft  erlöst. 
XII,  28.  so  trat  men  den  guden  dot, 

dank  wet  he  des,  nicht  is  bewänt 

Das  ist  trotz  H.'s  Erklärung:  "bewanen,  verdächtigen,  für  falsch, 
unrichtig  halten u  unverständlich.  Die  Hs.  hat  richtig:  ind  ist  betvant 
'und  (es)  ist  wohl  angewandt',  ind  =  ende  it?  49,  61.  bewant  ist 
also  Part,  praet.  von  bewenden.  Vgl.  XLVII,  59:  tvat  man  an  den 
guden  leckt  is  toal  bewant,  de  meister  secht.  Vgl.  auch  20,  152:  vä 
wcl  he  syne  siege  bewande.  —  Nach  dridde  V.  41  ist  ein  Komma  zu 
setzen;  das  Relativpronomen  ist  ausgelassen. 

XTV,  20  muss  gelesen  werden:  de  äpen  gingen  vor  en  stan  Die 
Hs.  hat  zwar  hier  eme,  aber  auch  V.  33  u.  86  steht  em,  wo  H.  richtig 
en  gesetzt  hat.     Ebenso  ist  V.  46  en  statt  eme  zu  lesen. 

V.  51.  wat  here  dunkt  dy  dat  ik  sy 
unde  alle  de  hyr  stan  by  my. 

Die  Hs.  hat  richtig  den  Gen.  plur.  heren,  vgl.  V.  73  wat  Volkes; 
ik  ist  zu  betonen. 

V.  63  f.  do  sach  de  ander  unde  dachte 

wo  he  sik  van  dem  apen  wrachte 

sind   unverständlich,    denn   die  Übersetzung   H.'s:    'sich   frei   machte' 
ist  nicht  sprachgemäss.     Die  Hs.  hat  we  statt  wo.     Es  ist  zu  lesen: 

wes  he  sik  van  dem  apen  wrachte 
;was  er  sich  von  dem  Affen  auswirken  möchte'.     Der  Gen.  wes  steht 
als  Rel.  wie  noch  häufig  für  den  Acc;  vgl.  Mnd.  Wb.  5,  694. 

XVII,  26  hat  die  Hs.  vrunt  statt  sint.  Dies  ist  beizubehalten 
und  folgendermassen  zu  interpungieren: 

vrunt,  ik  starkers  nicht  en  vinde 
dan  du  bist,    so  mach  sik  temen, 
dat  ik  dyne  tochter  nemen 
wtl  to  wyve  na  der  echte. 

XVHI,  4  ist  nach  der  Hs.  zu  schreiben: 

he  gaf  em  wünsche  walde 
drier  hande,  wu  dat  he 
jummer  wolde  nomen  de. 


72 

Y.  22.  se  sprak:  nti  wünsche  ik,  leive  man, 
dattu  krygest  einen  mavel 
to  dieser  miner  wünsche  kavel 
von  State,  dat  ik  möge  sein 
dat  mark  hyr  üt  van  dy  myn  tein.  — 

myn  V.  26  hat  H.  aus  dem  hdsl.  mich  gemacht,  dies  gibt  aber 
keinen  Sinn;  es  ist  in  noch  zu  bessern. 

XIX,  3  ist  in  der  Hs.  nijt  statt  mit  zu  lesen.  Dies  ist  die  dem 
Schreiber  gemässe  Form  der  Negation  nicht,  mit  alt  =  mit  aJ,  'omnino, 
prorsus  valde',  was  H.  setzt,  dagegen  nicht  weiter  zu  belegen. 

Der  Anfang  dieser  Erzählung  ist  zu  lesen: 

An  meientit  sik  dat  geschach, 
dat  ein  man  syne  vrouwen  sach 
mit  einem  knapen,  de  nicht  alt 
was,  gegän  an  einen  grünen  wdlt. 

Das  Part,  praet.  nach  sen  auch  V.  66:  den  leiden  döt  hebtet  gy 
gegän  sein  mit  my. 

V.  28.  to  hant  de  vrouwe  den  man  vornam 

to  sik  komen  an  grimmiger  vdr  (:  dar) 

var  erklärt  H.  durch  dolus,  Arglist;  es  ist  aber  var  (:  dar)  zu 
lesen,  var(e)  =  mhd.  fuore,  die  Art  und  Weise,  wie  jemand  fährt, 
des  Benehmens.     Vgl.  Mnd.  Wb.  5,  199. 

V.  102  ist  nicht  dar  für  dat  zu  setzen,  sondern  letzteres  zu  streichen. 
Y.  109  lautet  in  der  Hs.:   do  dachte  der  vrouwe  an  erem  moed, 
wofür  zu  schreiben  ist:  do  duckte  der  vrouwen. 

V.  119  ist  dar  statt  der  verschrieben.     Der  Schluss  muss  lauten: 
Ein  olt  gesproken  wort  gemeine 
is,  dat,  de  waschet  teigelsteine 
unde  de  eines  wives  hat, 
seit,  de  wert  der  lüde  Spot. 

XX,  12  ff.  sind  sehr  in  Verwirrung  geraten  und  folgendermassen 
wiederherzustellen : 

doch  künde  de  sege  syn  ny  gewerden, 

so  dat  se  ene  wolde  leven. 

an  disser  var  se  lange  hieven. 

do  einer  tyt  mit  siner  plöch 

to  hüs  he  quam,  noch  gern  gevoch 

an  syner  were  mit  nichte  he  vant, 

wol  dat  dem  wyoe  wal  bekant 

was  manniges  kummers  sware  dach 

des  he  dorch  sie  beide  plach. 

Dazu  ist  folgendes  zu  bemerken:  V.  15  hat  die  Hs.  50  statt  cfö, 
vgl.  z.  XVI,  86.  einer  tit  ist  zeitlicher  Genit.  wie  'eines  Tages',  vgl. 
Leibnitz  Script,  rer.  brunsw.  3,  197.  Die  Verse  sind  zu  übersetzen: 
'Doch  konnte  der  Sieg  nie  sein  werden,  dass  sie  ihn  lieben  wollte. 
Bei  dieser  Lebensweise  blieben  sie  lange.  Da  er  zu  einer  Zeit  mit 
seinem  Pflug  heimkam,  fand  er  noch  keinerlei  Bequemlichkeit  in  seiner 
Behausung,  obgleich  dem  Weibe  wohl  bekannt  war  mancher  schwere 
Tag  der  Not,  die  er  ihrer  beider  wegen  erduldete.' 


73 

XXV  ist  der  stärker  entstellte  Schluss  folgendermassen  zu  bessern: 

Dem  unschuldigen  dicke  göt 
schut  tegen  des  bösen  tnöt: 
siege  dem  wyve  vor  ere  Ungunst, 
gut  wart  dem  bure  vor  syne  kunst. 

'Schläge  dem  Weibe  für  ihr  Übelwollen,  Gut  wurde  dem  Bauer 
für  seine  Kunst  zu  teil.'  Statt  Ungunst  hat  die  Hs.  gunst,  wie  V.  33 
gewrochen  statt  ungewrochen. 

Den  obigen  Bemerkungen  seien  schliesslich  noch  folgende  angereiht, 
die  m.  E.  keiner  ausführlichen  Erörterungen  bedürfen:  I,  68  lies  mit 
slagen  'Holzschlagen'  statt  siegen.  —  II,  42  exent&ch  ist  nicht  'Axtgerät', 
sondern  verächtlich  gesagt,  vgl.  nnd.  kröptüch.  —  IV,  28  ist  das  ne 
der  Hs.  (H.  ny)  nicht  zu  ändern.  —  IV,  30  lies  väre  'Angst,  Furcht'. 

—  IV.  41  ff.  vgl.  mein  Programm  Northeim  1879  S.  7.  —  IV,  54 
hat  die  Hs.  das  richtige  annamen,  ebenso  IV,  63  das  Part,  praet. 
unnamet,  vgl.  Mnd.  Wb.  I,  98.  —  IV,  179  f.  ist  zu  interpungieren : 
Tom  lesten  undergink  de  vane  Des  toulves  up  des  strydes  bane.  —  IV, 
185  ist  das  hsl.  eobarst  in  tobarst  (H.  tobrast)  zu  ändern.  —  IV,  196 
lies  nach  der  Hs.  bannervorer  'Bannerführer'.  —  V,  1  bietet  die  Hs. 
Eyn  (H.  De),  was  nicht  zu  ändern  war.  —  VI,  14.  22  ist  dede  sicher 
Conj.  praet.  zu  dön  'verleihen,  gewähren'.  —  VII,  6  ist  schöner  wohl 
Fehler  des  Schreibers  und  zu  lesen:  Noch  den  vogel  ich  ne  gesach  De 
ju  gelyk  an  schone  were.  —  VII,  1 1  ist  Uf  'Leben',  nicht  leif  zu  lesen, 
vgl.  Gerhard  46,  21.  —  VE,  54  hat  die  Hd.  loffen,  woraus  H.  lopenden 
gemacht  hat,  vielleicht  ist  losen  'freien'  zu  lesen,  vgl.  lösjungere.  — 
Nach  XI,  59  fehlt  ein  Vers,  der  nach  der  Hs.  zu  ergänzen  ist.  De 
lande  he  den  künden  bot.  Vgl.  auch  Gerhard  53,  76.  —  XI,  72  steht 
der  (=  de)  in  der  Hd.  fiir  unde.  Nach  Vergleichung  von  Gerhard 
53,  91  ist  zu  schreiben:  De  my  bracht  an  dissen  mistrost  Unde  dy 
van  anxte  lieft  erlöst.  —  XII,  4.  48  ist  vormanne  (Hs.  voirmanne)  nicht 
in  vermanne  zu  ändern,  vgl.  mnd.  Wb.  5,  403.  —  XI,  42  ist  vielleicht 
ü  redet  j.  u.  o.  zu  schreiben.  —  XIV,  9  ist,  nachdem  hinter  gräle  ein 
Punkt  gesetzt  ist,  so  zu  interpungieren:  Dar  na  den  apen  töch  syn  art:  Ein 
deif  he  synes  heren  toart.  —  XIV,  34  schreibt  H.  Ein  hopen  golt  he 
vor  sik  nam.  Das  hsl.  hovetgolt  'goldener  Kopfschmuck'  ist  aber  un- 
zweifelhaft richtig.  —  XIV,  61  ist  das  hsl.  gessen  wohl  als  geten 
wiederzugeben.  —  XV,  14  so,  welches  in  der  Hs.  fehlt,  ist  zu  tilgen. 

—  XV,  26  ist  mit  der  Hs.  zu  setzen  Do  he  disset  vlcent  sach.  — 
XV,  23  ist  wohl  zu  lesen :  Van  vlucht  er  gein  der  andern  warde  (warde 
Praet.  von  worden  'warten  auf,  erwarten').  —  XVI,  4  lies  vor  en,  vgl. 
zu  XIV,  20.  —  XVI,  86  lies  De  lewe  do  dein  wulve  gebot.  Die  Hs. 
hat  zo,  was  häufig  aus  do  entstellt  ist.  —  Zu  XVI,  120  plicht  vgl. 
Mnd.  Wb.  3,  347b.  —  XVII,  1  interpungiere  Ein  mül,  wolde  vryctl  ho. 
Das  Relativpronomen  ist  ausgelassen.  —  XVIII,  36  boven  raden  heisst 
nicht  'im  Rathe  übertreffen',  sondern  'herrschen  über',  es  ist  zu 
schreiben  du  boven  er  rät,  dat  rade  ik  dy.  —  XIX,  52  lies  mit  der  Hs. 
nitnant  statt  numment,  desgleichen  V.  70  dat  sy  dy  geklaget  hexe  Crist, 


74 

V.  84  utent  (so  hat  die  Hs.)  ih  sdl  nicht  lange  leven,  V.  90  he  dachte 
hijr,  he  dachte  dort,  V.  102  ist  nicht  dar  für  dat  zu  setzen,  sondern 
letzteres  zu  streichen.  —  XX,  32  ere  (eire)  bähen  der  Hs.  ist  richtig. 
—  XX,  39  gorge  'ärmlich',  vgl.  Korresp.-Blatt  12  S.  42.  —  XX,  34 
ist  got  mote  des,  meister,  an  ju  walden  zu  lesen.  —  XX,  102  lies  Se 
slogen  aver  (Hs.  over)  up  synen  bah.  —  XX,  105  kann  spil  wohl  nicht 
'Spiel'  sein,  sondern  wird  ein  dünnes  Stähchen  bedeuten,  s.  Schambach 
u.  sptle.  —  XX,  119  lies  de  vor  (vorher)  quam  gande  up  dem  slyke. 
Die  Hs.  hat  uff  oder  uff,  H.  unpassend  üt.  —  XX,  141  hat  die  Hs. 
richtig  van  em  etc.  'dem  vermeintlichen  Arzte'.  —  XX,  145  'Über 
diesen  Bauern  waren  sie  erfreut',  vgl.  XIII,  17. 

Zur  Wortlese  ist  noch  zu  bemerken:  1,  einhrygich,  eigensinnig, 
zänkisch  findet  sich  scheinbar  LXIIII,  37.  Eyn  eynhrygich  menshe  wil 
miß  sinem  wiue  winnen  vil  Da  das  Wort  nicht  weiter  belegt  ist 
dürfen  wir  wohl  eine  Dittographie  annehmen  und  auch  hier  eyn  hrigich 
mensche  schreiben. 

2,  schanthache  wird  hier  ohne  Erklärung  aufgeführt.  Das  mnd. 
Wb.  will  darin  die  schanthoihe  sehen,  den  Schandmantel,  welchen  z.  B. 
ein  auf  Ehebruch  ergriffenes  Weib  öffentlich  tragen  musste.  Dagegen 
spricht  aber  der  Zusammenhang  der  betr.  Stelle,  XXIV,  15  ff.  nach 
der  Hs.: 

Eyn  schainithache  druwet  meer 

und  zornet  uff  dm  guden  seir 

dan  die  vromen  iummer  doet 
schainithache   (die  Fliege  wird  so  bezeichnet)   ist  in   schanthache 
zu  bessern,   -hacke  wie   in  westfäl.   Kau~hacke,    Sliep-hacke  s.   Jahrb. 
III,  118. 

3,  Nicht  ein  subst.  weddersnack,  sondern  ein  Verbum  toedder- 
snachen  ergibt  sich  aus  den  beiden  citierten  Stellen. 

NORTHEIM.  R.  Sprenger. 


75 


Zu  Gerhard  von  Minden. 


Den  früheren  Bemerkungen  zu  Seelmanns  Ausgabe  der  Fabeln 
Gerhards  im  Korrespondenzblatt  XI,  68  und  XII,  5  lasse  ich  hier 
einen  dritten  Beitrag  folgen  mit  dem  Wunsche,  dass  durch  ihn  das 
Verständnis  des  Dichters  gefördert  werde,  der  in  sprachlicher  Beziehung 
von  hohem  Interesse  ist. 

3,  100.  unde  worden  vast  aldus  gebunden 
mit  enem  vaden,  den  ae  vundeti, 
daraf  geneget  was  ein  bot. 

Was  soll  geneget  heissen?  Das  Wort  fehlt  in  der  Wortlese;  das 
mnd.  Wtb.  bietet  nur  negen  oder  neigen  'neigen',  und  neien,  neigen, 
neggen,  negen  'nähen',  aber  keines  dieser  beiden  Verben  scheint  an 
unserer  Stelle  zu  passen.  Wenn,  wie  ich  annehme,  Seelmanns  Kon- 
jektur bot  'Endchen'  richtig  ist,  so  vermute  ich,  dass  1)  negen  =r:  nagen 
ist;  a  wechselt  oft  mit  e,  z.  B.  dragen  und  dregen.  2)  nagen  =  gnagen, 
Jenagen  'nagen'.  Nun  ist  freilich  nagen  für  gnagen  im  Mnd.  nicht  belegt, 
vergl.  aber  ahd.  nagan,  altn.  naga  und  ten  Doornkaat  Koolman,  ostfr. 
Wtb.  nagen  neben  gnagen.  Auch  sonst  ist  wohl  im  Nd.  anl.  g  vor  n 
abgefallen,  s.  z.  B.  Br.  Wtb.  s.  v.  gnabbeln:  „Wir  sagen  auch  gnibbeln, 
knibbeln,  nibbeln u.  —  Da  der  Frosch  die  Maus  untertauchen  will,  so 
darf  der  Faden,  mit  dem  sie  zusammengebunden  sind,  nicht  zu  lang  sein. 

3,  128.  Swe  jo  an  drogene  pinet  sik, 

van  rechte  valt  he  an  den  strik, 
dar  he  wil  seüen  sine  vrende. 

Statt  dar  in  Vers  130  hat  die  Hdsch.  dat,  welches  beizubehalten 
ist,  obgleich  den  strik  vorausgeht;  denn  strik  wird  von  Gerhard  auch 
als  Neutrum  gebraucht  in  Fabel  16,  55:  dat  starke  strik.  Vergl.  auch 
des  Herausg.  Bemerkung  zu  Fabel  5,  9.  Vielleicht  ist  auch  doch  mit 
Wiggert  viende  statt  des  hs.  vrunde  zu  schreiben,  obwohl  letzteres, 
vom  Herausg.  in  vrende  geändert,  dem  Sinne  nach  nicht  falsch  ist. 
Vergl.  94,  40,  wo  auch  hs.  vrunden  auf  enden  reimt.  Der  Sinn  ist: 
Wer  andern  eine  Grube  gräbt,  fällt  selbst  hinein.  Wegen  des  „ein 
strik  settenu  vergl.  16,  36  und  58,  67.  Wegen  des  Gedankens  vergl. 
55,  133: 

vü  mannich  sulven  daran  veUet, 

dat  he  to  valle  enem  anderen  stellet, 

wie  ich  statt  darna  und  enen  lese.  Demnach  ist  auch  in  3,  130  sinem 
statt  sine  zu  lesen.  Ich  vermute,  dass  über  dem  e  in  sine  der  Strich 
fehlt,     sine  ist  aber  =  sinen  und  sinem. 

5,  10.  6k  enen  anderen  kese  vunde  =  'noch  einen  anderen  Käse\ 
ok  kommt  bei  Gerhard  sehr  oft  vor,  entspricht  aber  nicht  immer 
unserem  „auch",     6k,  einem  Relativum  vorgesetzt,  heisst  'was  auch 


76 

immer,  wo  auch  immer9,  z.  B.  42,  20:  6k  wat  it  ome  schaden  scholde, 
50,  17:  6k  wat  de  man  sprak  efte  ret,  81,  40:  6k  wor  du  in  dem  lande 
blivest.     Das  mnd.  Wtb.  bietet  kein  Beispiel, 

7,  13.  6k  wis.  Die  Hdsch.  hat  wise.  Sprenger  im  Programm 
löst  es  auf  in  wisen  'zu  erkennen  geben'  und  vergleicht  die  noch  heute 
gebräuchliche  Formel,  „mit  Wissen  und  Willen",  die  wohl  ursprünglich 
nd.  sei:  mit  wisen  ende  willen.  Abgesehen  davon,  das  letztere  Ver- 
mutung schwerlich  richtig  sein  wird,  kann  ich  nicht  verstehen,  wie 
wisen  hier  Verbum  sein  soll.  Das  hat  der  Herausg.  sehr  wohl  erkannt 
und  darum  wis  gesetzt.  Aber  das  hs.  wise  kann  doch  richtig  sein, 
man  hat  es  vielleicht  in  wis  en  aufzulösen.  Dieses  en  'und'  scheint 
zwar  überflüssig,  wird  aber  noch  heute  in  ähnlicher  Weise  gebraucht. 
Statt  des  Infinitivs  nach  Substantiven  steht  oft  „und*  mit  einem  Verbuin 
finitum.  Als  Beispiel  führe  ich  hier  an  R.  V.  166:  Wo  gy  mit  Beinken 
maken  den  vorbunt  Unde  wolden  wesen  twe  like  gesellen. 

7,  81.  Dit  bispel  xoil  de  jene  leren, 
de  gerne  hedden  vele  heren, 
dat  8e  sik  vorwandeln  mochten 
unde  ere  der  jare  vele  besochten. 

Diese  Stelle  scheint  mir  vom  Herausg.  missverstanden  zu  sein. 
Die  Hdsch.  hat  des  jares,  das  ist  für  die  Erklärung  der  Stelle  wesentlich. 
Ist  des  jares  richtig,  so  kann  es  nicht  von  vele  abhängen,  wovon  der 
Herausg.  dir  jare  abhängig  gemacht  hat.  Ferner  erklärt  der  Herausg. 
ere  als  'die  ihrigen',  offenbar  infolge  der  Änderung  von  des  jares  in 
der  jare.  Ich  fasse  ere  nicht  als  Pronom.  possess.,  sondern  als  Gen. 
PL  des  Pronom.  pessonale  =  er  'ihrer',  und  mache  es  von  vele  ab- 
hängig. Ich  übersetze:  und  ihrer  des  Jahres  viele  versuchten.  Viel- 
leicht sind  Vers  33  und  34  umzustellen,  doch  scheint  mir  dies  nicht 
gerade  notwendig,  vergl.  Fabel  IV,  8: 

De  hunt  sprak,  dat  hea  om  wolde 
mit  tugen  vü  gut  overgän, 
Dat  he  hedde  om  ein  bröt  gedän, 
de  it  gehör  den  unde  sagen, 

wo  sich  auch  de  in  Vers  11  auf  tugen  in  Vers  9  bezieht.  Ähnlich 
Fabel  8,  44  u.  45;  25,  1  ff.  Über  das  ere  für  er  s.  Lübben,  mnd. 
Gram.  §  18. 

8,  1.  Ein  voulf  dorch  »in  girichede 

gröt  let  to  enem  male  dede, 

xoent  he  sUnden  ein  bein  begunde, 

dat  he  inbringen  nicht  ne  künde 

in  den  hals.    It  one  do  stak 

unde  dede  em  vü  gröt  ungemak. 

let  don  heisst  „Leid,  Schmerz  zufügen,  verursachen u.  Man  würde 
noch  einen  Dativ,  liier  siky  erwarten,  oder  ist  statt  dede  etwas  anderes 
zu  lesen,  vielleicht  lede  =  let? 

11 ,  20.  dat  gi  vil  arme  scolen  bewaren. 

Die  in  der  Wortlese  angegebene  Bedeutung  von  bewaren  =  ver- 
hüten passt  für  unsere  Stelle  nicht,   falls  nicht  der  Ausfall  einer  Ne- 


7? 

gation,  etwa  en,  anzunehmen  ist.  Der  Sinn  wird  vielmehr  folgender 
sein:  „das  sollt,  ihr  ärmste,  (noch)  inne  werden,  erleben u.  bewaren 
würde  dann  =  gewaren  sein,  vergl.  mnd.  Wtb.  I  p.  313,  für  das  zwar 
die  Bedeutung  „erleben,  inne  werden*  im  mnd.  Wtb.  nicht  belegt  ist, 
vergl.  aber  die  heutige  Redensart  aus  Kattenstedt  am  Harz:  dat  säst 
du  noch  jetcdr  tveren  'das  sollst  du  noch  erleben',  und  ostfr.  Wtb.: 
gewaren  'gewahren,  gewahr  werden,  erkennen'. 
11,  47.  It  were  böse,  dat  it  totsten. 

Die  Konjunktion  dat  wird  von  Gerhard  in  einigen  Bedeutungen 
gebraucht,  die  im  mnd.  Wtb.  nicht  verzeichnet  sind.  In  der  Bedeutung 
„quodsi"  steht  dat,  wie  der  Herausg.  schon  bemerkte,  14,  39  und 
76,  17.  Ferner  noch  in  Fabel  69,  70.:  De  vruntschop  lange  denne 
bestät,  Dat  se  tcol  dregen  over  ein.  —  11,  47  ist  dat  —  „wenn*  in 
irrealen  Bedingungssätzen,  ebenso  Vers  56:  dat  it  des  landes  heren 
leisten  —  se  ne  deden  is  jo  nicht  vde.  Ferner  69,  34:  Ein  man,  de 
dar  was  vorgegdn^  De  lach  dar  vor  om  up  der  erden  Unde  sprak,  he 
wolde  syn  egen  werden,  Dat  he  ome  dat  Itf  geve  enen  dach.  In  anderer 
Bedeutung  scheint  mir  dat  in  Fabel  3,  115  zu  stehen.  Die  von 
Sprenger,  nd.  Jahrb.  IV  p.  98,  für  diese  Stelle  vorgeschlagene  Inter- 
punktion halte  ich  für  zutreffend,  übersetze  aber  die  Verse :  dat  se  6k 
jenige  teere  Ijegrcp,  Vil  dicke  se  to  eme  rep  nicht:  'so  bald  sie  etc.', 
sondern  'indem  sie,  während  sie'.  Diese  Bedeutung  von  dat  folgere 
ich  aus  dem  heutigen  Gebrauch,  sie  ist  in  Kattenstedt  ganz  gewöhnlich. 
Ebenso  glaube  ich,  dass  in  Fabel  98,  5  das  hsl.  dat  „  während "  ist 
und  nicht  in  do  geändert  zu  werden  braucht;  der  Kaltenstedter  würde 
hier  nur  dat  setzen.  Auffordernd  wird  dat  stehen  in  Fabel  94,  73: 
Gi  sinnelose  det,  dat  gi  den  gek  nicht  an  en  set. 
16,  3.  to  testen  ein  up  ene  sprank. 

ein  ist  vom  Herausg.  hinzugefügt.  Sollte  nicht  to  lest  en  up  ene 
sprank  zu  lesen  sein?  to  testen  ist  in  der  ersten  Hälfte  der  Fabeln 
sehr  selten,  erst  in  der  zweiten  Hälfte  oder  dem  letzten  Drittel  findet 
es  sich  öfter. 

18,  8.  do  schude  on  so  van  rechter  scholde. 

Das  hsl.  rechte  ist  nicht  zu  verwerfen,  vergl.  43,  8:  do  schude 
om,  so  van  rechte  scholde,  auch  sonst  steht  van  rechte. 

22.  19.  so  gut  is  min  moder  de  zege, 
dat  ik  der  moder  al  vortege 
dorch  oren  willen,  den  ik  weit, 
ir  melk  is  mi  jo  so  bereit. 

In  Vers  21  hat  die  Hs.  de  statt  den  und  das  ist  richtig.  Ich 
übersetze  „dass  ich  um  ihretwillen  auf  alle  Mütter  verzichte,  die  ich 
weiss  (kenne)".  Im  Nd.  steht  oft  da  „wissen",  wo  im  Hd.  „kennen" 
gebraucht  wird. 

Fabel  27,  6.  dat  se  is  6k  mi  nicht  enwiten.  In  der  Wortlese  ist 
enwiten  als  ein  Wort  aufgeführt,  es  ist  aber  =  en  witen. 

35,  11.  He  let  sek  de  arsten  besein, 
de  aüe  des  begunden  gein, 


78 

na  orer  kunst  unde  einem  begere, 
dat  he  mit  enem  kinde  were. 

begere  in  Vers  13  wird  schwerlich  richtig  sein,  was  soll  hier 
„Verlangen,  Wunsch,  Begehr"?  Ich  lese  gebere  'Gebaren1,  vergl. 
45,  5  daran  om  duckte  an  sinem  gebere. 

39,  54.  nu  mochte  ik  eten  also  sachte 

dut  8chdp,  dat  ik  hir  hebbe  vunden, 
were  it  mit  lovede  ungebunden. 

Statt  it  in  Vers  56  ist  ik  zu  lesen.  Nicht  das  Schaf,  sondern 
der  Wolf  hat  sich  durch  das  Gelübde  gebunden,  t  und  c,  k  sind  öfter 
verschrieben,  s.  Vb.  p.   165. 

46,  26.  Im  Text  steht  ja  an  schöner  rode,  nicht  rede,  wie  Sprenger, 
Programm  S.  6  angiebt.  Eine  Schmeichelei  liegt  übrigens  in  dem, 
was  der  Fuchs  von  des  Hahnen  Vater  rühmt,  nicht  für  den  Hahn. 
an  schöner  rode  kann  meiner  Ansicht  nach  recht  wohl  heissen:  „was 
schöne  Röte  anlangt".  Hähne  haben  nicht  blos  einen  roten  Kamm, 
der  als  besonderer  Schmuck  gilt,  sondern  auch  sehr  oft  rote  Federn. 

46,  43.  De  herde  worden  sin  geware 

unde  lepen  mit  den  hunden  dare  \ 

mit  al  dem  vlite.  de  se  mochten. 

Der  letzte  Vers  findet  sich  genau  ebenso  in  Fabel  16,  62,  statt 
des  hsl.  de  hat  der  Herausg.  aber  hier  .90  gesetzt.  94,  44  steht  mit 
al  dem  vlitey  dat  se  künden.  Demnach  wird  auch  46,  45  so  oder  dat 
zu  schreiben  sein,  wenn  nicht  vielmehr  de  für  de  =  den  zu  lesen  ist; 
vergl.  65,  129,  wo  de  statt  dem;  67,  5,  wo  de  statt  des;  76,  14,  wo 
de  statt  der  in  der  Hs.  steht. 

49,  159.  De  wevele  de  quam  hergeoaren 

mit  sinen  in  den  strit  mit  macht. 

Zunächst  lese  ich  mit  Sprenger  sinnen,  wie  die  Hdsch.  hat.  Dann 
hat  der  Herausg.  wevele  als  Nomin.  Sing,  gefasst,  woraus  sich  auch 
dessen  Konjektur  in  sinen  erklärt.  Der  Sing,  lautet  aber  wevel.  Diese 
Form  findet  sich  10  Mal  in  der  Fabel.  Der  Sing,  wevele  steht  nur 
1  Mal  in  Vers  191,  wo  die  Hdsch.  aber  duvele  hat.  Auch  in  Fabel 
85  findet  sich  3  Mal  der  Sing,  wevel.  wevele  ist  Plural,  deshalb  hat 
die  Hdsch.  auch  richtig  quamen  statt  quam. 

51,  13.  Darbi  ne  dorsten  se  nicht  niesen, 
dar  de  berch  wolde  genesen. 

Dcis  hsl.  dat  war  nicht  in  dar  zu  ändern.  Diese  Konjektur  hat 
der  Herausg.  öfter  gemacht  z.  B.  10,  25;  55,  9;  86,  34;  87,  49, 
aber,  wie  mir  scheint,  ohne  Grund.  Nur  10,  25  und  84,  1  ist  bestimmt 
dar  statt  hsl.  dat  zu  setzen.     Vergl.  oben  z.  3,  128. 

56,  8.  under  der  stuken  du  den  legest.  Sprenger  im  Programm 
p.  7  liest:  under  de  stuken  du  de  entlegest  =  „unter  diesem  Baum- 
stumpfe  verbirgst  du  sie  (die  Körner)  dann",  und  meint,  die  Erklärung 
(des  Herausg.)  in  der  Anm.  sei  schon  deshalb  falsch,  weil  legen  niemals 
'liegen'  bedeute.  Letzteres  ist  irrig,  denn  nicht  blos  das  mnd.  Wtb. 
bringt   Belege   für   legen   'liegen',    sondern   auch   Gerhard   selbst   hat 


79 

88,  43  du  legest  und  46,  29  leckt.  Ferner  ist  Ughen  im  nd.  Jahrbuch 
V  p.  25  bezeugt.  —  körn  droge  heisst  'trocknes  Korn',  nicht  'Körner', 
es  ist  daher  bedenklich,  den  in  Vers  8  in  de  zu  ändern;  es  scheinen 
sich  zwar  einige  Beispiele  zu  finden,  wo  auf  einen  Singular  ein  Pron. 
im  Plur.  bezogen  wird,  s.  29,  29  und  92,  6.  Falls  nicht  ein  Femin. 
stuke  anzusetzen  ist,  möchte  ich  under  den  stuken  vorschlagen. 

57,  28.  darumme  bespottet  uns  de  lüde; 

doch  bin  ik  meist  darmede  begän, 
ah  ik  ja  schal  to  hove  slän. 

Die  Wortlese  giebt  für  begän  die  Bedeutungen  an:  begehen, 
bestehen;  bestatten.  Diese  passen  jedoch  für  unsere  Stelle  nicht.  Es 
ist  zu  übersetzen:  Darum  bespotten  uns  die  Leute;  doch  bin  ich  am 
meisten  davon  (von  dem  Spotte)  betroffen,  wenn  ich  zu  Hofe  gehen 
soll.     S.  mnd.  Wtb.  s.  v.  begän. 

59,  69.  de  bein  kun stich.  Es  ist  nicht  notwendig  mit  Sprenger 
knustich  zu  schreiben.  Die  früher  geschickten  Beine  sind  infolge  der 
Gallen  nicht  mehr  geschickt. 

61,  15.  do  wunde  dar  bi  ener  mite 

ein  ridder,  de  6k  plach  bi  wile. 

Gewöhnlich  steht  bei  Gerhard  wüen  oder  bewilen.  Der  Dativ 
teile  steht  nach  dem  unbestimmten  Artikel,  bewüe  statt  bewilen  auch 
90.  2.  Wahrscheinlich  ist  auch  an  unserer  Stelle  bewilen  zu  lesen. 
Wegen  des  Reimes  s.  Einl.  p.  40. 

Fabel  67,  17.  sint  du  mi  hevest  nicht  gedän.  Die  Ildsch.  hat 
min  statt  mt,  wie  erklärt  sich  dieser  Fehler?  Oder  könnte  min  aus 
mi  und  der  Negation  en  zusammengezogen  sein  wie  z.  B.  sone  =  so  eti, 
(J5,  19.  67,  49  men  —  men  en? 

67,  30.  Mit  stempne  6k  lüt  unde  unbehande.  Sollte  nicht  wn- 
hehande  aus  unde  behande  verschrieben  sein?  Verdoppelungen  finden 
sich  59,  63  is  is;  56,  23  du  du.  behande  würde  dann  „schnell* 
heissen,  vgl.  Seelmann  zu  Vw.  3.     Beachte  übrigens  unbevunden  74,  2. 

71,  84.  dat  wird  doch  Konjunktion  sein,  kunne  scheint  hier 
nur  zur  Umschreibung  zu  dienen,  vergl.  mhd.  Wtb.  I,  387.  Vers  86 
hat  die  Hdsch.  willen  statt  wil.  Ich  vermute  daher,  dass  eher  über 
dem  e  in  kunne  der  Strich  zur  Bezeichnung  des  n  fehlt,  als  dass  willen 
für  wü  verschrieben  ist. 

72,  23.  den  drom  wü  ek  ju  duden.  Von  einem  Traume  ist  hier 
nicht  die  Bede.  Die  Rda.  soll  nur  bedeuten:  Ich  will  euch  den  Sach- 
verhalt sagen.  Zu  vergleichen  sind  die  Redensarten,  die  am  Harz 
üblich  sind:  nü  komme  ek  üt  minen  dröme  'nun  wird  mir  die  Sache 
klar";  ek  könne  immer  nich  üt  minen  dröme  kommen  =  'ich  konnte 
die  Sache  noch  immer  nicht  begreifen,  mir  klar  machen'. 

79,  26.  Dat  sik  der  vögele  genere  ist  mir  unverständlich  ge- 
blieben. Ich  lese  dat  se  sik  der  vögele  genere.  Subjekt  ist  dann  raven, 
das  im  Mnd.  auch  Femin.  ist,  s.  mnd.  Wtb.:  eyne  wüte  rave^  ebenso 
noch  heute  am  Harz.  Es  wäre  auch  möglich,  dass  generen  zu  lesen 
ist:  Der  Lerche,  Nachtigal,  Drossel,  dem  Pyrol  und  anderen  ist  Gesang 


80 

verliehen;  Rabe,  Adler,  Falk  und  Sperber  nähren  sieb  von  anderen 
Vögeln;  die  Eule  frisst  Mäuse  und  scheut  das  Tageslicht. 
81,  57  lies  wi  statt  mi. 

81,  67.  De  egel  Jet  af,  in  sin  beholt 

quam  he,  dai  was  ein  dicke  brake. 

brake  ist  in  der  Wortlese  als  „Erdspalt*  erklärt.  Das  wird  schon 
deswegen  unrichtig  sein,  weil  sich  der  Igel  nicht  in  Erdspalten,  sondern 
in  dichtem  Gebüsch,  in  Hecken  und  Zäunen  aufzuhalten  pflegt.  Letz- 
teres muss  brake  bedeuten.  Vergl.  ten  Doornkaat  Koolman  I,  218: 
„f/räk,  Strauch,  Gestrüpp,  bz.  allerlei  wild  und  wirr  durch  einander 
wachsendes  Gesträuch  (wie  z.  B.  Brombeeren,  wilde  Rosen,  Dornen 
und  sonstiges  Unterholz),  welches  man  nur  mit  grosser  Mühe  durch- 
dringen kann".  Brem.  Wtb.:  brake:  Weidenbusch  zum  Zäunen.  Vilmar, 
Idiot. :  brake,  gewöhnlich  PI.  braken,  Dornreiser,  welche  zum  Ausbessern 
der  Zäune  benutzt  werden  (westf.  Hessen).  Woeste,  Wtb. :  br dke,  Reis, 
Busch.  Auch  das  Reisig,  welches  man  an  die  Gartenerbsen  steckt, 
nennt  man  in  Westfalen  brake.  Mnd.  Wtb. :  brake,  Zweig.  In  Katten- 
stedt  a.  Harz  ist  brake  ein  dichtes  Gebüsch  von  Brombeeren,  Him- 
beeren, Domen  etc.,  das  schwer  zu  durchdringen  ist.  Vergl.  auch 
Frisch,  Wtb.  I,  123:  Busch  —  Brake  =  ager  mellitus  arbustis  repletus. 
Auch  der  Zusatz  dicke  deutet  an,  dass  brake  nicht  Erdspalt  heissen 
kann.  Nicht  unerwähnt  will  ich  hier  lassen,  dass  in  Kattenstedt  brake 
auch  die  Bedeutung  „Menge,  Masse"  hat,  z.  B.  ne  brake  owet,  ne  brake 
kartuffdn,  ne  brake  holt  etc.,  vielleicht  ist  diese  Bedeutung  für  die 
Etymologie  des  Wortes  von  Belang. 

87,  55.  De  jene  mit  dem  krusen  hare 
de  rep  lüde  unde  openbare. 

Die  Hs.  hat  den  jene.     Kann  den  nicht  =  dann,  darauf  sein? 

92,  61.  De  vos  de  sprdk:  wen  ek  di  ütbrenge.  Statt  ütbringen 
erwartet  man  inbringen. 

102,  19.  ju  'euch1.  Die  Hdsch.  hat  gik.  Die  Form  mit  ausl. 
Konsonanten  findet  sich  noch  3,  94  juk;  16,  46  juk;  12,  20  juk;  34,  8 
gik;  40,  32  gik:  55,  64  juk;  62,  10  gik;  83,  31  gik;  93,  48,  55  juk; 
94,  70  gik;  94,  75  juk;  100,  79  gik;  101,  26  juk;  102,  23,  47  gik. 
Diese  konsonantischen  Formen  sind  von  Bedeutung.  Lübben,  mnd. 
Gram.  p.  106  fuhrt  die  Formen  ju,  juw,  gik,  juk,  juch  auf  mit  dem 
Bemerken,  dass  gik,  juk,  juch,  entsprechend  den  oberdeutschen  iuwich, 
iueh,  sich  einzeln,  besonders  gern  da  finden,  wo  sich  auch  dik  und 
mik  findet,  d.  h.  nur  landschaftlich,  um  den  Mittelpunkt  Hannover 
herum  bis  Magdeburg.  Das  trifft  im  Wesentlichen  noch  für  den  heu- 
tigen Sprachgebrauch  zu.  Das  Ditmarsche  hat  ju,  jü  (Quickborn  p. 
238);  das  Meklenburgische  jüch,ju;  in  älterer  Zeit  juw,  ju,  jw  (Nerger 
Gram.);  Ostfr.  jo,  bisw.  ju  (ten  Doornkaat  Koolman);  das  Pommersch- 
Rügische  juw,  juj  (Dähnert) ;  in  und  um  Hamburg  ju  oder  jo  oder 
auf  bäurisch  jou  (Richey);  Altmärkisch  ju  (Danneil).  Das  Brem.  Wtb. 
sagt  Jii.  Man  hört  es  bisweilen,  denn  ordentlich  sagen  wir  jou". 
Rists  Dramen   haben  yuw  (nd.  Jahrb.  VII,   101  ff.).     Westfälisch   ju 


(Woeste).  Um  Holzminden  jök;  Göttingen-Grubenhagen  jök  (Scham- 
bach); Salder  jich;  Westharz  jeich;  Mittel-  und  Ostharz  jtch;  Osterwieck 
jich;  um  Braunschweig  jöch;  Fallersleben  jich;  Helmstedt  jich ;  östlich 
von  Helmstedt  jiich;  um  Magdeburg  jich;  Irxleben  bei  Magdeburg 
jich;  Biere  juch.  Aus  obiger  Zusammenstellung  erhellt,  dass  dem  mik- 
(iebiete  die  konsonantischen,  den  übrigen  Gebieten  die  vokalischen 
Formen  eigen  sind.  Auch  das  Mnd.  kennt  diesen  Unterschied.  In 
(■erhards  Fabeln  rühren  die  konsonantischen  Formen  vom  Abschreiber 
her.  Einige  Male  hat  er  auch  ju  =  'euch'  mit  ju  =  'jemals,  immer' 
verwechselt,  z.  B.  23,  27  und  120,  47,  wo  gik  steht,  das  Pron.  aber 
unpassend  ist. 

BLANKENBURG.  Ed.  Damköhler. 


Guido  von  Alet. 


In  der  Schrift  De  anima  Guidonis  besitzen  wir  ein  wertvolles 
Zeugnis  für  die  eigentümlichen  Formen,  zu  denen  die  Visionsdichtung 
im  Ausgange  des  Mittelalters  gelangte.  Das  Interesse  an  ausge- 
schmückten Berichten  über  die  jenseitige  Welt  war  in  der  zweiten 
Hälfte  des  14.  und  im  15.  Jahrhundert,  wie  die  zahlreichen  zu  dieser 
Zeit  entstandenen  lateinischen  und  volkssprachlichen  Abschriften  der 
Fahrten  des  Tundalus,  des  Brandan,  des  Paulus,  des  Purgatorium  S. 
Patricii  beweisen,  nicht  weniger  rege  als  vordem.  An  den  alten  Bestand 
schlössen  sich  neue  Schöpfungen  an,  und  auch  diese  fanden,  obwohl 
ihre  Verfasser  durchgehends  nicht  über  die  reiche  Phantasie  ihrer 
Vorgänger  verfügten,  in  weiten  Kreisen  freundliche  Aufnahme.  Man 
hatte  Gefallen  an  der  lehrhaften  Tendenz,  die  in  den  jüngeren  Erzeug- 
nissen mehr  hervortrat  als  in  den  älteren.  Breite  Ausführungen  über 
das  letzte  Sacrament,  über  Almosen,  Selenmessen  und  die  kirchlichen 
Lehren  von  der  Busse  ersetzten  schliesslich  die  Schilderungen  der 
Höllenqualen  und  Paradiesesfreuden,  den  Kern  der  eigentlichen  Visionen. 
So  entstanden  Abarten  der  Visionsdichtung,  wie  die,  die  durch  unsere 
Schrift  repräsentiert  wird.  Aus  dem  Gleise  des  Hergebrachten  waren 
schon  ältere  Darstellungen  herausgetreten,  doch  ebenso  zwanglos,  wie 
sich  deren  Zusammenhang  mit  der  Visionsdichtung  aufweisen  lässt, 
lässt  sich  die  Beschwörung  des  Geistes  Guidos  aus  dieser  herleiten. 
In  dem  Streite  der  bösen  und  guten  Engel  um  die  Sele  eines  Ver- 
schiedenen, in  der  Schilderung  des  Fegefeuers  besitzt  unsere  Schrift 
Bestandteile,  die  fast  allen  echten  Visionen  gemeinsam  sind.  Die 
Unterweisung  in  kirchlichen  Lehren  überwiegt  allerdings,  und  wir 
müssen  daher  den  Verfasser  des  Buches  von  Guido   als   einen  ausge- 

KiedordeaUcheB  J Ährbuch.    XIII.  £ 


82 

sprochenen  Vertreter  der  neuen  Richtung  ansehen.  Gleichmässiger  sind 
Lehre  und  Schilderung  in  Amt  Buschmans  Mirakel,  einem  jüngeren 
Werke1),  verteilt. 

Die  im  12.  Jahrhundert  entstandene  Visio  Philiberti  hat  die  rein 
lehrhafte  Richtung  in  der  Visionslitteratur  wenn  nicht  begründet,  so 
doch,  da  sie  sich  in  kurzer  Zeit  über  weite  Gebiete  verbreitete, 
wesentlich  gefördert2).  Wie  erwähnt,  wird  in  den  dahin  gehörigen 
Schriften  der  Sele  Klage3): 

Quando  tc  volucram  caro  castigare 

Käme,  vel  vigiliis,  verhöre  domare, 

Mox  te  miindi  vanitas  coepit  invitare 

und  der  gleich  verständliche  Vorwurf*): 

Du  woldest  langhe  slapen, 

Du  achtedest  cleyne  up  de  papcn, 

Wat  sc  gudcs  mochten  klapen. 

To  godcs  denste  was  dy  leide, 

Metten  unde  missen  vorslepestu  heyde. 

Des  mute  wy  van  liynne  sceydcn, 

Mit  jamerliken  oglien  weyncn 

nur  weiter  ausgesponnen  und  variirt.  Dass  die  jüngeren  Darsteller 
aber  in  jeder  Beziehung  den  durch  die  älteren  Vorbilder  gewiesenen 
Wegen  folgten,  zeigt  die  Wahl  der  Gesprächsform  durch  die  Verfasser 
der  Disputation  zwischen  einem  Prior  der  Dominikaner  und  dem 
Geiste  Guidos  und  der  Offenbarungen  Amt  Buschmans.  Der  Papst 
Johann  XXII,  ein  Gegner  der  Visionen,  scheint,  nach  den  Schluss- 
worten des  erstgenannten  Werkes  zu  urteilen,  Hervorbringungen  dieser 
Art  eine  gewisse  Teilnahme  entgegengebracht  zu  haben,  sei  es  weil 
sie  die  Autorität  der  Kirche  stärkten,  sei  es  weil  die  gleichsam  unter 
seinen  Augen  entstandene  Schrift  über  Guidos  Geist  aus  den  Kreiseu 
der  von  ihm  begünstigten  Dominikaner *)  hervorgegangen  war. 


*)  Herausgegeben  von  W.  Seelmann  in  dieser  Zs.  6,  32  ff.  —  *)  Etwas  älter 
ist  die  Vision  eines  Mönches  von  Clairvaux,  welchen  ein  verstorbener  Bruder  mit 
der  Pein  bekannt  macht,  die  er  zu  erdulden  hat.  Der  Visionär  wird  an  den  be- 
kannten unermesslich  breiten  und  tiefen  puteus  geführt,  und  schaudernd  hört  er 
das  Bekenntnis  seines  aus  eigener  Erfahrung  sprechenden  Führers,  dass  er  lieber 
hundert  Mal  von  Menschen  als  ein  Mal  von  den  Teufeln  in  den  Abgrund  gestossen 
werden  wolle.  Was  er  gehört  und  gesehen,  teilt  der  Mönch  seinem  Abte,  dem  hl. 
Bernhard,  mit,  und  dieser  ermahnt  die  Brüder  unter  Hinweis  auf  die  Bosheit  der 
Teufel  und  die  Qualen  des  Verstorbenen,  sich  eines  immer  frömmeren  Wandels  zu 
befieissigen  und  nicht  nachzulassen,  für  die  gemarterte  Sele  zu  beten  und  Messe  zu 
lesen,  damit  sie  erlöst  werde.  Nach  wenigen  Tagen  erscheint  der  Verstorbene  dem 
Mönche  zum  zweiten  Male.  Jede  Spur  von  Traurigkeit  ist  aus  seinem  Antlitz  ver- 
schwunden. Auf  die  Frage  des  Visionärs  berichtet  er,  dass  es  ihm  gut  gehe,  und 
auf  die  weitere  Frage  desselben,  wie  er  seiner  Pein  lcdig  geworden  sei,  weist  er 
auf  die  Messe  lesenden  Priester  hin.  Kr  findet  nicht  genug  Worte,  die  erlösende 
Kraft  der  Hostie  zu  preisen.  Auch  diese  Offenbarung  wird  den  übrigen  Brüdern 
mitgeteilt.  Die  Vision  steht  im  Exordium  magnum  ordinis  Cisterciensis  des  Konrad 
von  Eberbach,  bei  Tissier,  Bibliothcca  patrum  Cisterc.  1,  44—45.  Sie  macht  auch 
in  formeller  Hinsicht  einen  ansprechenderen  Eindruck  als  die  verwandte  Vision  eines 
Sacristans,  Tissier  1,  177  f.  —  ■)  Visio  Philiberti  her.  von  Karajan  in  Der  Schatz- 
gräber (Leipzig  1842)  V.  158  ff.    —   «)  Nd.  Jahrb.  5,  36.   —  •)  Bei  den  Prediger- 


83 

Welcher  Beliebtheit  sich  unsere  Schrift  erfreute,  lässt  das  nach- 
stehende Handschriftenverzeichnis  erkennen. 

Lateinische  Handschriften. 

A.  Berlin,   Königl.  Bibliothek,   Ms.  Diez.  C.   in  Fol.  2.  a.  d.  J.   1455 

bis  1456.  no.  G.  Uebcrschrift:  Historia  de  anima  Guidonis  Anf.:  Sicut 
dicit  beatus  Augustinus  in  de  hMe  ad  Petmm  etc.  ...  in  civitate  Allecti  que 
distat  a  curia  apostolica  que  iam  Bayona  vocatur  per  XXX  miliaria  vj  kalendas 
decembris  obiit  quidam  civis  eiusdem  civitatis  Allecti  noraine  Owido  etc. 
Ende:  IIcc  omnia  probata  sunt  coram  domino  papa  Jobanne  XXij.  Et  in 
die  Pascha  papa  misit  ilhic  et  non  invenit  dictum  spiritum,  unde  creditur, 
quod  iam  regnat  in  celo,  ad  quod  nos  perducat  ille  qui  est  benedictus  in 
secula  seculorum.     Amen. 

B.  Kiel,    Universitäts-Bibliothek,    Miscellanhs.    38    in    4°,    Bl.    175  ff. 

Sequitur  apparicio  spiritus  Gwidonis  et  aimiracio  eiusdem  per  priorem  quendam. 
Auf.:  Sicut  dicit  Augustinus  in  libro  de  fide.  lieber  die  Hs.  vgl.  Ratjen,  Zur 
Geschichte  der  Kieler  Univcrsitäts-Bibl.  S.  65. 

C.  London,   British  Museum,   Ms.  Cotton.  Vcsp.  A.  VI,  Pergamenths. 

in  4°,  Bl.  138  ff.  Uebcrschrift:  Spiritus  Guidonis. 
I).  London,  British  Museum,  Ms.  Cotton.  Vesp.  E.  I,  Pergamenths. 
in  4°,  Bl.  219b  ff.,  nach  Wright,  St.  Patrices  Purgatory  S.  45 
älter  und  besser  als  C.  Ende:  Explicit  quedam  disputacio  mirabilis 
inter  priorem  fratrum  predicatorum  de  civitate  Alcestie  que  distat  a  curia 
apostolica  que  vocatur  Avinouia  per  XX  fci  .iiij.  miliaria  et  inter  spiritum 
cujusdara  civis  civitatis  ejusdem  nomine  Guydo,  qui  obiit  .Xvj.  kl.  Decembris 
anno  Domini  millesimo  tricentesimo  vicesimo  tcrcio. 

E.  Mühlhausen,  Ratsbibliothek,  Hs.   138.  fol.  Papier.     Ueberschrift:  De 

spiritu  gwidonis.  Ende:  Hec  omnia  probata  sunt  coram  domino  papa  Jo- 
hanne XXij  u  etc.  Anno  domini  Mccccxliij  per  me  Caspar  lewenhagen  bonum 
socium.    Vgl.  Stephan,  Neue  Stofflieferungen  (Mühlhausen  1846 — 1847)  2,  127. 

F.  München,  Cod.  lat.  18  621.  4°.  15.  Jh.  Bl.  219  ff.:  Disputatio  inter 

spiritum  defuncti  et  priorem  praedicatorum. 

G.  Osnabrück,   Bibliothek   des  Gymnasiums  Carolinum,   Papierhs.  Dy 

76.  4n.  15.  Jahrb.  no.  16:  Disputatio  inter  priorem  et  spiritum 
Gwidonis. 

H.  Wolfenbüttel,  Cod.  Heimst.  695.  14.  Jh.  (1383).  Bl.  1—2.  De 
reapparitione  spiritus  Widonis,  cuiusdam  civis  Boyonensis,  post 
mortem  eiusdem.  Bricht  nach  v.  Heinemann,  Die  Handschriften 
der  herzoglichen  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel  I  (2),  147  mitten 
in  der  Erzählung  ab. 

I.  Wolfenbüttel,  Cod.  Heimst.  730.  Papier.  15.  Jh.  Bl.  135—146.  De 
reapparitione  spiritus  Gwidonis,  civis  cuiusdam  Boyonensis,  post 
mortem  eiusdem,  anno  m°.  ccc°.  XXiij.  Schlussschrift:  Hec  omnia 
probata  sunt  coram  domino  papa  Johanne  XXII,  et  iterum  in  Pascha  papa 
misit  illuc  et  non  invenit  dictum  spiritum,   unde  igitur  creditur,    quod  iam 


manchen  war  seit  der  Zeit  der  ersten  Ausbreitung  des  Ordens  eine  merkliche  Neigung 
zu  Traumen  und  Visionen  vorhanden.  Sie  tritt  stark  in  dem  1263  geschriebenen 
Buche  des  Dominikaners  Thomas  von  Chantimpre'  vom  Bienenstaat  hervor.  Vgl. 
Wattenbacli,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Mittelalter  2,  446 — 447. 

6* 


u 

regnat  in  celis,  ad  qnos  nos  producat  qui  sine  fine  vivit  et  regnat  per  secuta 
seculorum.    Amen.    Ueber  die  Hs.  vgl.  v.  Heinemann  I  (2),  171 — 172. 

Deutsche  Handschriften. 
K.    Berlin,  Königl.  Bibliothek,  Ms.  germ.  Quart.  404,  Bl.  85a— 111h, 
in   mittelniederdeutscher   Sprache.     15.  Jh.    (1446).     Seelmanns 
Ausgabe  von  Arnt  Buschmans  Mirakel  ist  der  in  dieser  Hs.  Bl. 
1  ff.  stehende  Text  zu  Grunde  gelegt. 

L.  Darmstadt.  Hs.  IOC  fol.  Papier.  15.  Jh.  Anf.:  Hie  begynt  eyne  dis- 
putatie  tuschen  cyiue  prior  der  preitger  orden  ind  eyme  geiste  eyns  maus,  de 
gestoruen  was,  ind  gwido  heisch.  Ende:  Grate  pro  translatore.  Vgl.  Roth, 
Altdeutsche  Handschriften  der  Bibliothek  zu  Darmstadt  in  der  Germania  32,  334. 

M.  Kopenhagen,  Königl.  Bibliothek,  Gamle  Kongelige  Sämling  in  folio 
no.  82,  Ende  des  15.  Jhs.  Ueber  diese  Hs.  hat  Jellinghaus  in 
dieser  Zs.  7,  14  berichtet. 

Mittelenglische  Fassung. 
N.    London,  British  Museum,  Ms.  Cotton.  Tiberius.  E.  VII.  Bl.  90  ff. 
Nach  Wright   S.   45   schliesst   sich   diese  me.  metrische  Version 
eng  an  das  lateinische  Original  an.     Ausser  dem  Anfang: 

Saint  Michael  goddes  angel  clere, 
And  Saint  Austin  the  doctur  dere, 
And  other  maisters  raare  and  myn, 
Said  that  men  grete  mede  may  wyn, 
And  nameli  Clerkes  that  can  of  lare, 
If  thai  thaire  cunyng  will  declare, 

der  diese  Behauptung  bestätigt,  teilt  Wright  den  Abschnitt  aus 
der  Einleitung  mit,  welcher  von  der  Ankunft  des  Priors  handelt. 

Mittelniederländische  Fassung. 
0.  Berlin,  Königl.  Bibliothek,  Ms.  germ.  Quart.  1081.  Papierhs.  mit 
Pergamentbll.  des  15.  Jhs.  Bl.  158a — 174a.  Aus  der  Hand- 
schriftensammlung des  Freiherrn  August  von  Arnswaldt  (no.  3138). 
Ausführlich  beschrieben  von  AI.  Reifferscheid  in  dieser  Zs.  10, 
12 — 13.  Eine  besondere  und  bisher  nicht  bemerkte  Eigentüm- 
lichkeit dieser  Bearbeitung  ist,  dass  die  Fragen  des  Priors  mit 
Nummern  versehen  sind.     0  zählt  im  ganzen  38  Fragen. 

Französische  Fassung. 

P.  Troyes.  Cod.  1465.  Papierhs.  in  4°.  15.  Jh.  no.  13:  Cy  commence 
une  disputacion  faietc  ja  piec,a  entre  resperit  d'un  homme  trespasstf  et  ung 
prieur  des  freres  Prescheurs.  Im  Cataloguc  gencral  des  manuscrits  des 
bibliothfcques  publique*  des  äVpartements  2,  616  sind  folgende  besonders 
wegen  der  Ortsbestimmung  für  uns  wichtige  Notizen  gegeben :  Prologue :  *Mon- 
seigneur  Saint  Augustin  dist  que  miracle  ou  chose  miraculeuse  est  toute 
chose  non  usagie  et  non  aecoustumrfe  estre  faicte,  qui  naturelement  est  im- 
possiblc,  etc.  .  .'  Et  voiei  comme  le  fait  est  presentä  dix-sept  lignes  plus 
bas:  'En  Tan  de  Tlncarnation  de  nostre  Seigneur  mil  cccc  et  XxlIII,  le 
XVI0  jour  du  mois  de  decembre,  en  la  cito  de  Alesse  qui  maintenant  est 
appcllc*  Veronnc,  qui  est  ä  XXX  lieues  de  Romme,  trespassa  ung  cytoien  ou 
bourgois,  homme  notable,  de  bonne  vye  et  bonne  renommee,  que  on  appelloit 
Guy  de  Tourno.    Aprfcs  son  trepas,  environ  VIII  jours,  son  corps  mis  en 


85 

terre  en  sepulture,  comme  il  est  de  coustume,  s'aparut  et  manifeste  tant 
seulement  en  voix  ä  sa  femme  estant  et  demorant  en  sa  maison,  oü  eile 
s'estoit  tenue  simplement  depuis  le  trespas  de  son  mary;  dont  eile  fut  raoult 
espouentle  et  esbahie,  et  tant  que  pour  le  paour  et  grant  doubte  qu'elle 
eust,  eile  manda  et  assambla  ses  parens  et  amis  avec  aucuns  en  sa  compagnie, 
en  soy  complaignant  de  ce  qu'elle  avoit  oy,  et  commcnt  chascune  heure  de 
la  nuyt  eile  oyt  une  voix  complaindre  en  la  chambre  environ  le  lieu  oü  son 
mary  estoit  trespasse',  et  ne  savoit  que  ce  povoit  etre,  requerant  sur  ce  leur 
conseil  et  ayde.  Lesquelz,  apres  ce  qu'ils  eurent  oy  une  fois  ou  deux  la 
dite  voix  avec  la  dite  femme,  ils  eurent  conseil  ensamble  qu'il  seroit  bon, 
pour  savoir  la  verite'  de  celle  chose,  de  aler  par  devers  les  freres  Prescheurs, 
le  prieur  et  autres  notables  clercs  de  la  religion,  etc.  .  .'  Le  copiste  de  ce 
volume,  smon  Fauteur,  est  4Frere  Jehan  Herlut,  religieux  de  Clairvaulx,' 
ainsi  qu'il  est  not<<  ä  la  fin,  en  encre  rouge. 

Schwedische  Fassung. 
Q.    Ueber  eine  schwedische  Version  in  einer  Papierhs.  in  4°  aus  dem 
Ende  des  15.  Jhs.  (1491)  berichtet  J.  A.  Ahlstrand  in  den  Sam- 
lingar  utg.  af  Svenska  Fornskrift-Sällskapet  I  (2),  LI  f.     Ueber- 
schrift:  Guidonis  siels  openbarelse.     Ende: 

Ac  lys  ok  Tu  Guidonis  siell 

bedh  für  allom  tik  wilia  wäll 

at  the  efter  liffuets  ändha 

maghe  med  tik  i  hijmerike  lända 

Thetta  screff  broder  Jones  Räk 

uthan  at  scriften  är  allom  otbäk. 

Anno  Dni  MCDXC  primo  facta  sunt  hec. 

Die  einzelnen  Versionen,  selbst  die  metrischen,  weichen  inhaltlich 
wenig  von  einander  ab  und  schliessen  sich  eng  an  das  lateinische 
Original  an.  Erheblich  differieren  die  Namen,  die  Zeit-  und  die  Orts- 
angaben.    Wir  finden  in: 

D:    Guydo  1323    de  civitate  Alcestie   que  distat  a  curia  apo- 

stolica  que  vocatur  Avinouia  per  XX  tJ  .iiy. 

miliaria 
A:    Gwido  1323    in  civitate  Allecti  que  distat  a  curia  aposto- 

lica   que    iam  Bayona   vocatur   per  XXX 

miliaria 
K:    Gowido  1323    in   der  stad  to  Allecti,    de    gelegen   is   van 

Banonyen,  deme  hove  to  Rome,  dertich  mile 
0:    Gwydo  van  Tome      1324    in  der  stat  van  Alesten,  die  nu  heit  Bayona, 

die   van   den  have  van  Romen  gelegen  is 

bi  XXX  mylen 
M:    Gwido  van  Tennen     1325    an  der  stat  Ölesti,  de  nü  beten  wert  Bayona 

unde  liebt  van   deme  rumeschen  have  dre 

clene  mile 
P:    Guy  de  Tourno  1424    en   la   cite*    de   Alesse    qui    maintenant    est 

appellä  Veronne,  qui  est  ä  XXX  lieues  de 

Romme. 

Diese  Zusammenstellung  gestattet,  drei  Redaktionen  zu  unter- 
scheiden. Die  erste  wird  durch  D  repräsentiert.  Die  Entfernung 
zwischen  Avignon  und  der  Stadt,  in  der  Guido  lebte,  ist  hier  genauer 
angegeben  als  in  den  übrigen  Ueberlieferungen,  und  schon  deshalb 
dürfen  wir  annehmen,  dass  diese  Redaktion  der  ursprünglichen  Fassung 
sehr  nahe  steht.     Die  Formen  Allecti  A  K,  Alesten  0,  Olesti  M,  Alesse 


86 

P  lehren  Alcestie  als  Schreibfehler  für  AUestie  erkennen.  Alectum, 
Alecta,  bei  Graesse  auch  Electa,  ist  die  im  französischen  Departement 
Aude  am  Fusse  der  Pyrenäen  gelegene  Stadt  Alet.  Die  Stadt,  die 
1883 x)  1210  Einwohner  hatte  und  deren  Entfernung  von  Avignon 
ungefähr  25  Meilen  beträgt,  schloss  sich  nach  Bescherelle  um  eine 
gegen  813  gegründete  Benediktinerabtei,  die  1222  mit  der  Cathedrale 
von  Narbonne  vereinigt  wurde.  Wann  die  Niederlassung  der  Domi- 
nikaner in  Alet  erfolgte,  habe  ich  nicht  ermitteln  können.  Es  erübrigt 
noch  zu  bemerken,  dass  Wright  die  Erscheinung  des  Geistes  nach  der 
Stadt  Alost  in  Südfrankreich  verlegt.  Ein  Ort  dieses  Namens  existiert 
in  Frankreich  nicht,  wrohl  aber  in  der  belgischen  Provinz  Ostflandern. 
Dieses  Alost,  das  auch  Aalst  genannt  wird  und  1136  als  Aleste  belegt 
ist8),  kommt  indes  der  grösseren  Entfernung  von  Avignon  halber  hier 
nicht  in  Betracht.  Die  zweite  Redaktion,  der  A  und  K  angehören, 
zeigt  die  Entstellung  von  Avinonia  zu  Bayona  (K:  Banonyen).  Die 
Meilenzahl  ist  auf  30  abgerundet.  Die  dritte  Redaktion,  zu  der  ich 
0  M  P  rechne,  unterscheidet  sich  von  der  vorhergehenden  durch  die 
eigentümliche  Verbindung,  in  die  die  Namen  Aledum  und  Bayona 
(P:  noch  mehr  verstümmelt  Veronne)  gebracht  sind,  und  von  den  beiden 
ersten  Redaktionen  durch  den  Beinamen,  welchen  Guido  führt.  Ob 
dieser  ursprünglich  ist,  vermag  ich  mit  Hilfe  der  mir  zu  Gebote  ste- 
henden Hss.  nicht  zu  entscheiden.  Es  fällt  immerhin  auf,  dass  er  nur 
in  der  dritten  Redaktion  erscheint,  in  der  gerade  Namen  und  Zahlen 
bedeutendere  Veränderungen  erfahren  haben.  Wie  sich  aus  Red.  I 
und  II  ergiebt,  fand  die  Erscheinung  im  December  des  Jahres  1323 
statt.  Red.  III  scheint  1324  anzusetzen.  1424  P  ist  sicher  unrichtig, 
da  das  Ereignis  in  die  Zeit  des  Pontificats  Johanns  XXII  fällt,  und 
1325  M  ist  mit  den  übrigen  Ungenauigkeiten  der  Hs.  in  Parallele  zu 
stellen,  die  Olesti  bietet  und  die  Entfernung  dieser  Stadt  van  deme 
rumeschen  have  auf  dre  clene  mile  bemisst. 

Die  der  zweiten  Redaktion  angehörende  Hs.  K  verdankt  einem 
wenig  sorgfältigen  Schreiber  ihre  Entstehung.  Es  sind  Wörter  und 
ganze  Sätze  ausgefallen8),  und  ohne  Kenntnis  des  lateinischen  Textes 
würde  man  bei  ihr  nicht  selten  vor  Rätseln  stehen.  Eine  charak- 
teristische Eigentümlichkeit  besitzt  sie  in  der  Vorliebe  für  Appositionen. 
Ich  teile  nach  K  die  wichtigeren  Abschnitte  der  Schrift  mit.  Die 
zwischen  ihnen  liegenden  Fragen  des  Priors  und  die  Auseinander- 
setzungen des  Geistes  sind  nur  insoweit  berücksichtigt,  als  es  zur  Er- 
kennung des  Zusammenhanges  erforderlich  schien.  Gebräuchliche  Ab- 
kürzungen habe  ich  aufgelöst.  Zusätze  sind  in  eckige  Klammern  ein- 
geschlossen. 


*)  Vgl.  Ritter  s.  v.  —  •)  Oesterley,  Histor.-geogr.  Wörterb.  des  deutschen 
Mittelalters  s.  v.  Aalst.  —  •)  So  Bl.  99a:  bin  ich  Gowido  verlost  van  der  pine  des 
vegevurs  veir  jar  dan  sich  bor  de  =  A :  ego  Gwido  sunt  liberatus  a  pena  pxirgatorii 
per  qualuor  annos  et  cicius  et  festinancius  quam  debuissem;  grössere  Lücken  be- 
sonders auf  Bl.  102a,  wo  Frage  und  Antwort  mehrfach  nicht  zusammenstimmen. 


87 

( Bl.  85a)  Also  alse  sunte  Augustinus  seghet  in  deme  boke  van 
deme  geloven  to  sunte  Peter:  Eyn  wunder  is  dat  geheiten,  dat  wun- 
derliken  sch&t  boven  de  naturliken  krefften  und  boven  menslike  wunder 
und  is  unwontlich  to  eyner  meren  sterkinge  des  geloven,  wente  als  de 
apostel  sunte  Paul  betuget:  Alle  dinck,  de  gescreven  sint,  de  sint  to 
unser  lere  gescreven,  up  dat  wij  in'  gedult  und  in  den  troist  der  scrifft 
unse  hopene  setten.  Dat  sach  Jhesus  Cristus,  eyn  bekenner  aller 
dinge,  unde  wolde  sterken  den  geloven  der  tokomenden  salicheit  manck 
den  criften  und  oppenbarde  eyn  wunderwerck  den  cristenen  van  der 
besittinge  des  tokomenden  levens,  wante  also  als  dat  god  verstan  hadde 
overmyttes  siner  unsprecliker  vorsichticheit.  Na  den  jaren  unses  heren 
dusent  jar  drei  hundert  jar  unde  drei  unde  twintich  jar1)  in  der  städ 
to  Allecti,  de  gelegen  is  van  Banonyen,  deme  hove  to  Rome,  dertich 
mile,  dar  starff  eyn  borger  in  der  stad;  de  borger  hette  Gowido.  Und 
also  als  sin  licham  was  begraven,  darna  over  achte  dagen  do  oppenbar- 
(BL  8öb)  de  sich  sin  geist  siner  husfrouwen  in  unsunliker  wise  und 
pynedigede*)  se  to  male  sere.  Und  darna  in  deme  derden  dage  na 
wynachten,  alse  to  sunte  Johannes  dage,  do  ginck  de  wedewe,  sin 
husfrouwe,  to  dem  clostere  der  brodere  van  den  predikerorden,  de 
dar  wonachtich  waren  in  der  stad,  unde  eisschede  den  prior  der 
brodere.  Und  als  de  prior  bij  se  quam,  do  began  se  to  segene  van 
dem  geschichte,  dat  er  wedervaren  was,  alse  van  deme  geiste  eres 
mannes,  de  sich  er  oppenbarde,  darna  dat  he  verscheiden  was,  und 
se  en  wiste  nicht,  effte  et  icht  were  des  duvels  droch.  Unde  se  segede 
deme  prior,  se  were  darumme  to  eme  gekomen,  dat  se  gerne  wolde 
hören  sinen  raid,  wat  he  er  darto  reide  vor  dat  beste,  und  sprack, 
se  meynde  sunder  twivel,  dat  de  geist  were  in  der  stede,  dar  ere  man 
starff.  Alse  de  prior  dit  horde,  do  begunde  he  se  to  sterkene  und 
sprack:  'Du  en  salt  dij  nicht  verwunderen  van  dussem  geschichte, 
wente  got  is  wunderlich  in  sinen  wercken,  wente  he  wil  sinen  gelovygen 
wot  (Bl.  86a)  nyges  oppenbaren  to  eyner  meren  bekantnysse  eres 
geloven1,  und  sprack  to  er:  kHir  wachte  my  eyn  cleyne,  ich  wil  hören 
den  rait  myner  brodere,  wante  de  rait  veler  lüde  de  is  better  dan 
eynes  menschen  rait  allene.'  Do  ginck  he  und  ludde  de  docken  der 
capellen,  op  dat  de  brodere  des  clofters  to  hope  quemen.  Do  segede 
he  en  dat  geschichte.  Do  de  brodere  dat  horden,  do  geven  se  eme 
den  rait,  dat  de  prior  myt  eynem  mester  der  hilgen  scrifft  und  eynem 
besp recker  der  wisheit,  de  dar  weren  de  wijsesten  van  en  allen,  dat 
de  to  hope  gengen  an  de  oversten  van  der  stat  unde  beden  se,  dat 
se  en  mede  deden  eyn  deil  lüde,  dat  se  myt  en  mochten  gän  in  dat 
hüs  Gowidoni8,  de  dar  was  verstorven,  umme  merer  sekerheit  willen 
unde  eyner  oppenbaren  betuchnisse  der  dinge,  de  dar  scheen.  Und 
de  oversten  van  der  stat  de  deden  en  mede  twe  hundert  wrapender 
man,  oppe  dat  se  myt  en  gingen  und  seen  den  ende  des  geschichtes. 


•)  Es  fehlen  Monat  und  Datum.  —  •)  Wohl  Schreibfehler,  da  ein  nach  Analogie 
von  sutuUgede  gebildetes  Praet.  von  pinegen  sonst  nicht  belegt  ist. 


88 

Sunder  de  prior  de  merkede  sine  unde  der  anderen  vromen  lüde,  de 
myt  eme  gingen,  ere  nutteste  und  segede  to  (Bl.  86b)  en,  se  solden 
alle  bichten;  alse  se  deden  und  he  myt  en.  Und  darna  dede  he  mysse 
van  allen  gelovygen  seilen  und  gaff  den  luden  eyn  deil  van  en  den 
hilgen  licham  unses  heren,  dat  hilge  sacramente,  op  dat  se  de  seker 
weren  vor  des  duvels  droch.  Und  he  nam  dat  hilge  sacramente  heme- 
liken,  des  nymant  en  wiste  dan  he  allene,  und  hadde  dat  hemeliken 
in  eyner  bussen  unde  henck  et  vor  sine  borst  under  den  scheppeler 
also  erwerdeliken  *),  als  he  künde.  Und  de  prior  ginck  myt  siner 
geselschap  in  dat  hfis  Gowidonis  und  hette  er  io  drey  unde  drey  to 
hope  stan  vor  deme  huse  in  dechtnisse  der  hilgen  dryvoldicheit,  unde 
eyn  deil  hette  he  stan  oppe  den  latten  des  huses  boven  op  deme  hus 
und  hette  er  eyn  deil  ftan  in  den  vinsteren  unde  eyn  deil  in  den  doren 
und  hette  er  eyn  deil  stan  in  den  garden,  op  dat  se  wachteden  unde 
seen  den  tokomen  der  wunderliken  dinck.  Unde  darna  do  ginck  he 
selven  in  dat  hfis  myt  elven  siner  brodere  unde  myt  deme  gesinde 
des  huses.  Und  alse  he  inginck,  do  sprack  he:  'Vrede  sij  (Bl.  87a) 
dusseme  hfis.1  Und  alse  he  quam  in  de  kameren  des  huses,  do  be- 
sprengede  he  se  myt  wiewatere  unde  las  den  lovesanck  Vidi  aquam 
egredigentem.  Darna  las  he  den  lovesanck  Veni  creator  spiritus  myt 
der  collecten  Deus  qui  corda  fidelium.  Und  alse  he  besprengede  de 
kameren  myt  wiewatere,  do  sprack  he:  'Besprenge  my,  here,  myt  der 
ysopen'  etc.  Do  eisschede  [he]  to  sich  de  wedewen  des  huses,  up  dat 
se  eme  wisede  de  stede,  dar  se  den  geist  eres  mannes,  de  verscheiden 
was,  hadde  vernomen.  Do  wisede  eme  de  vrouwe  de  stede  myt  groten 
angeste  unde  sprack:  'Dijt  is  se;  gat  hen  unde  biddet  vor  en.  Wu 
lichte  openbart  (he)  sich  iw  sin  geist.'  Und  also  alse  se  gingen,  do 
sprack  de  prior  luder  stemme  dat  evangelium  In  den  anbeginne  was 
dat  wort  etc.  Do  dat  was  gelesen,  do  was  bereide  eyn  banck  vor 
dem  bedde.  Dar  gingen  se  op  sitten  unde  lesen  de  vespere  unde  de 
vigilie  der  doden  unde  de  seven  saline  myt  der  letanien.  Und  alse 
se  lesen  Agnus  dei,  do  horden  se  eyne  deine  stemme  als  eines  kindes, 
de  dar  antwerde  Amen.  Alse  de  prior  (Bl.  87b)  dat  horde,  do  beswor 
he  den  geist  und  sprack  aldus:  'Ick  beswere  dij,  eyn  creature  godes, 
overmyttes  der  macht  der  hilgen  dryvoldicheit  unde  vermittes  crafil 
alle  der  hemele,  ist  mogelich,  dat  du  spreckest,  dat  du  dan  spreckest 
unde  nicht  van  de  stede  en  wikest,  du  en  berichtest  uns  eirst  umine 
de  dinck,  dar  wij  willen  umme  vragen.  Do  sprack  de  stemme  hoger 
dan  to  voren  unde  antwerde:  '0  prior,  vraghe  endeliken,  des  du 
vraghen  wult,  und  ich  wil  dij  antwerden  na  der  mogelicheit  myner  nature 
unde  mynes  orleves.'  Do  se  de  ftemme  horden  unde  vernamen,  do 
lepen  se  alle  to  unde  menden,  se  wolden  den  geist  semeliken  seen. 
Doch  so  en  saghen  se  nicht,  sunder  se  horden  alle  de  stemme.  Darna 
do  hette  se  de  prior  alle  swighen  unde  begunde  den  geist  to  vragene 
aldus:    'Wudane    geist   bistu,   wer  gud  eder  quad?'     De  stemme  ant- 


l)  A:  reverenter  =  0:  mit  alre  werdicheit. 


89 

werde:  'Ick1)  bin  eyn  gud  geist,  wente  alle  creaturen,  in  deme  dat  se 
van  gode  sint  geschapen,  sint  se  gud,  wente  god  sach  alle  dinck,  de 
he  hadde  geschapen,  und  se  weren  gud.  Unde  na  dem  (Bl.  88a)  dat 
ich  bin  de  geist  Gowidonis,  de  nu  nesten  starff,  so  bin  ick  eyn  gud 
geist  na  myner  nature  unde  en  bin  nicht  quad,  sunder  ick  bin  eyn  quad 
geist  van  myner  pyne  willen,  de  ich  lide  unde  de  ich  verwracht  hebbe 
myt  mynen  sunden.'  Do  antwerde  de  prior:  'So  bekenne  ich  ute  dinen 
worden,  dat  du  bist  eyn  quad  geist.  Dat  mercke  also,  wante  alle  pyne, 
de  eyn  verwracht  hevet  myt  sinen  sunden,  de  is  gud,  unde  is  gud,  dat 
de  sunde  wert  gepyneget,  wante  dat  komet  van  der  rechtveirdicheit 
godes,  de  nicht  quades  en  wercket  sunder  alle  gud.  Sunder  du  en- 
kennes,  dat  du  lides  de  pine  vor  dyne  sunde,  darumme  is  dusse  pine 
gud  in  sich,  wante  du  heves  se  rechtveirdeliken  verwracht  tegen  god. 
Darumme  segestu  ovele,  dat  du  eyn  quad  geist  sijst,  darumme  dat 
du  quade  pine  lidest.'  De  stemme  antwerde:  'Alle  pine  in  deme  dat 
se  geit  van  deme  gerichte  godes,  so  is  se  gud,  sunder  de  pine  is  quad 
deme  gheme,  de  se  lidet,  wante  de  schult  is  quat,  dar  he  de  pine 
umme  lidet.  Und  de  pine,  de  ick  lide,  de  is  (Bl.  88b)  my  quad, 
wante  se  wert  my  gegheven  vor  myne  bösen  werck,  de  ick  hebbe 
gedan,  und  de  wile  ick  hebbe  de  pine,  so  en  mach  ick  nicht  heiten 
eyn  gud  geist,  er  ich  dan  vermittes  der  pine  bin  gereyneget  van  der 
bosheit,  de  ich  hebbe  gedan  in  mynem  levene.' 

Do  vragede  de  prior,  wes  geist  he  were.  De  stemme  de  sprack : 
'Ich  bin  de  geist  unde  de  seile  Gowidonis,  de  cortliken  van  hijr  scheide.' 
Do  sprack  de  prior:  'So  duncket  my,  dat  du  sijst  undancsem  dij  selven 
unde  deme  lichame  Gowidonis,  wante  in  deme  dat  du  dij  aldus  oppen- 
barst  unde  overmits  den  in  dusser  stede  diner  husfrouwen,  so  deustu 
dij  selven  eyne  schände  bij  den  luden,  also  dat  se  wenen,  dat  Gowido 
in  sinem  levene  böse  hevet  gewesen,  des  se  doch  nicht  en  wenden; 
sunder  se  menden,  he  were  gud,  und  neyn  arch  van  dij  en  was,  do 
du  levedest.'  De  stemme  sprack:  'Ick  en  bin  neyn  undancsem  geist 
noch  my  noch  neynem  anderen,  wente  ich  willet  also  setten,  dat  du, 
broder,  weme  gevest  dinen  rock  und  he  sal  den  nemen  to  sick  (Bl.  89a) 
umme  diner  leve  willen  und  he  umme  des  rockes  willen  sterven  moit 
vor  dij,  eff  des  noit  were,  duchte  dij  dat  nicht  gedancsamich  genoch 
wesen?'  Do  antwerde  de  prior:  'Werliken  ja.'  Do  antwerde  de  stemme: 
'Do  ich  was  in  deme  lichamen  Gowidonis,  do  en  nam  ich  nicht  anders 
van  deme  lichamen  dan  den  rock  siner  sterfflicheit.  Und  nu  is  de 
licham  begraven  in  der  erden  unde  en  tastet  noch  bedroffnisse  noch 
pine,  unde  ich  werde  hir  gepineget  vor  de  werck  des  lichames,  und 
de  wollust  des  lichames  en  was  my  nu  anneme,  wante  de  begerlicheit 
des  vleissches  sint  allweghe  tegen  de  seile.  Oppe  dat  nu  de  licham 
myt  der  seile  nicht  en  werde  geplaget  in  deme  daghe  des  gerichtes, 
so  bin  ich  eme  dancsamich  unde  lide  vor  de  bosheit  des  lichames, 
doch  en  heb  ich  nicht  böses  gedan,   in   deme   dat  ich  was   sin  seile. 

f)  Ick  and  ich  wechseln,  ebenso  de  und  dey,  up  und  op,  wante  und  wente. 


90 

Und  darumme  en  drafftu  nicht  segen,  dat  ich  eme  sij  undancsamich, 
und  it  en  doch  nicht,  dat  du,  prior,  seghest,  dat  ich  my  schände  do, 
in  deme  dat  de  lüde  arghen  wän  hebben  van  my,  umme  des  willen 
dat  ich  my  jw  hijr  openbare  und  (Bl.  89b)  sprecke  myt  jw,  wante  dat 
is  schände,  dat  eyn  mensche  dat  doit  myt  worden  effte  myt  wercken 
in  enen  hoen  enes  anderen  umme  eynes  quaden  eyndes  willen  to  er- 
krigene.  Darumme  is  gescreven:  We  deme  menschen,  overmyddes 
weine  schände  schfit.  Sunder  ich  geist  Gowidonis  en  do  eme  neynen 
hoen  noch  laster  in  worden  effte  in  werken,  wente  ich  do  et  umme 
eynen  guden  eyndes  willen.  Doch  wattan  dat  my  verlenet  is,  dat  ich 
myd  jw  hir  sprecke  und  wise  jw  myne  noit  unde  der  anderen,  de  dar 
liden  in  deme  vegevure,  und  dar  inne  do  ich  vil  mer  ere  Gowidoni, 
wante  hude  de  ganße  stad  is  hir  jegenwordich  umme  mynen  willen 
und  bidden  vor  my,  dat  my  got  verlose  van  den  pinen,  als  du,  prior, 
myd  dinen  broderen  lange  hevest  vor  my  gebeden.  Darumme  is  et 
openbar  genoch,  dat  ich  neyne  schände  en  do  my  noch  deme  lichamen 
Gowidonis.' 

Do  vragede  de  prior:  'Wu  mach  eyn  böse  sin  na  sime  dode,  na 
deme  dat  he  bichtede,  er  he  verscheide,  unde  nam  darna  dat  hilge 
sacrainente?'  Der  Geist  weist  auf  die  Notwendigkeit  der  Busse  hin; 
'weine,'  schliesst  er,  'de  pine  nicht  hir  en  wert  gegeven  vor  sine  sunde, 
deine  wert  dar  in  deme  vegevur  eyn  vil  heiter  baet  bereit.'  Ueber 
die,  welche,  solange  er  im  Fegefeuer  weilt}  in  den  Himmel  eingegangen 
und  welche  verdammt  sind,  vermag  er  keine  Auskunft  zu  erteilen,  da 
ein  im  Fegefeuer  befindlicher  Geist  weder  Himmel  noch  Holle  kenne 
und  Gott  zudem  nicht  wolle,  dass  über  diese  Dinge  etwas  verlaute.  Er 
sucht  dem  Prior,  welcher  ihm  wegen  der  Aufschlüsse,  die  die  Propheten 
gegeben  haben,  nicht  glauben  will,  den  Unterschied  zwischen  diesen  und 
den  Selen  im  Fegefeuer  darzulegen.  Was  die  Propheten  kündeten,  führt 
er  auf  Offeriltarungen  des  heiligen  Geistes  und  der  Engel  zurück,  die 
denen,  welche  im  Fegefeuer  gepeinigt  werden,  nicht  zu  teil  würden.  Da 
der  Prior  noch  immer  zweifelt,  beschränkt  sich  der  Geist  darauf,  zu 
wiederholen,  dass  er  nicht  die  Offenbarung  der  obersten  Engel  besitze, 
die  allein  den  Selen  im  Fegefeuer  und  den  Teufeln  nach  dem  Willen 
Gottes  Aufschluss  über  die  Vorgänge  im  Himmel  erteilen  könnten,  und 
des  weiteren  den  Unterschied  zwischen  Hölle  und  Fegefeuer  auseinander- 
zusetzen, um  darzuthun,  dass  er  auch  mit  jener  nichts  zu  schaffen  habe. 

(Bl.  92a)  Do  vragede  en  de  prior,  war  he  were.  Do  antwerde 
eme  de  geist:  'Ich  bin  hir  in  mynem  vegevure.'  Diese  Antwort  giebt 
den  Anlass  zur  Erörterung  des  Verhältnisses,  in  dem  dies  besondere  zu 
dem  allen  Verdammten  gemeinsamen  Fegefeuer  steht.  Dieses  befindet 
sich  im  Schosse  der  Erde.  Als  Grund  seiner  Pein  bezeichnet  der  Geist 
unvollkommene  Busse. 

(Bl.  93a)  Do  vragede  de  prior,  wat  deme  menschen  meist  to 
tröste  queme  in  syme  lesten.  Do  antwerde  de  geist:  'De  gedechtnisse 
des  lidens  unses  heren  Jhesu  Cristi  unde  de  woldait  der  ersamen 
juneffrowen  Marien  und  dat  gebet  der  hilgen.'     Do    segede  de  prior: 


91 

'Berichte  uns,  wu  mach  de  verdeynst  des  lichamen  Cristi  eynem  menschen 
helpen  in  sinen  lesten.'  De  geist  antwerde:  'Ja  gerne.  Is  et,  dat 
welich  mensche  stervet  in  dotliken  sunden  sunder  ruwen  und  bicht  des 
(Bl.  93b)  mundes,  so  wert  deme  menschen  geseget  dat  liden  unses 
hören  van  syme  guden  engele  in  der  wijs,  dat  he  ordelt,  dat  de 
mensche  gode  undancsam  hebbe  gewesen  in  deme,  dat  he  nicht  en 
wolde  bichten  van  sinen  sunden,  do  he  et  mochte  wol  don,  sunder  he 
hevet  versmät  de  sacramente  der  hilgen  kerken,  de  vermyddes  krafft 
unses  heren  de  sunder1)  reyniget  hevet  van  al  eren  sunden  und  brenget 
se  weder  in  den  stad  der  genade  godes.  Alse  dat  geseget  is,  so  nemet 
en  de  duvele  unde  söget  eine:  0  du  mensche,  de  dar  hevet  gode  un- 
dancsem  gewesen  siner  genade2),  kom  myd  uns  in  de  helle,  dar  der 
undancsem  erve  is.  Sunder  is  et,  dat  eyn  mensche  verscheidet  und 
hevet  gebichtet  und  dat  hilge  sacramente  entffangen,  wattan  dat  he 
nicht  en  hevet  vul  gedan  vor  de  sunde,  so  komen  de  guden  engele 
und  sterket  den  menschen  vor  de  anvechtynge  der  duvele  und  segget 
den  bösen  geist  en:  Gij  en  hebbot  neyn  deil  an  dussen  menschen,  wante 
de  verdeynst  Cristi  unde  sin  liden  is  eyn  gud  vredeschilt  tusschen  eme 
unde  jwa).  (BL  94a)  So  seggen  de  bösen  geiste:  So  en  mach  et  nicht 
wosen,  wij  willen  sine  wereke  richten  under  uns;  su,  dusse  mensche 
hevet  so  unde  so  gesundiget  vermyddes  sinen  banden,  so  vermyddes 
al  sinen  leden,  so  myd  sinen  krefften  der  seile  utwendich  unde  in- 
wendich,  darumme  hebbe  wij  wot  rechtes  to  den  menschen.  De  engel 
ant werdet  unde  seeget:  Dat  is  war,  dat  he  also  hevet  gesundiget,  sunder 
alle  de  sunde  de  hevet  he  gebichtet,  und  des  in  eyn  tuchnisse  hevet 
he  den  lichamen  unses  heren  genomen  in  de  wechreise4),  umme  des 
willen  dat  liden  unses  heren,  dat  he  hevet  geleden  an  deme  cruce, 
is  eyn  beschermynge  tusschen  eme  unde  jw.  De  dorgenegelden  hande 
Cristi  sollen  nü  myddelen  tusschen  eme  unde  jw,  de  ougon  Cristi  sollen 
nu  myddelen  tusschen  eme  unde  jw.  (juwe  ougen)  Na  dussen  tijden 
en  sole  gij  sijr  nicht  mer  seyn,  en  to  ververne.  De  ganöe  lichamen 
Cristi,  de  dar  was  in  deme  cruce  utgerecket,  sal  eme  wesen  eyn  loen 
unde  eyn  starck  schilt  tegen  juwe  drogenachticheit,  dar  gij  ene  mede 
deden  to  sundigen.  De  letmate  Cristi,  de  vor  eme  also  hebben  geleden, 
de  maken  en  rey-(Bl.  94b)ne  van  alle  sinen  sunden,  wante  Cristus 
hevet  geleden  vor  sine  letmate  alse  vor  de  cristenen,  und  he  hevet  er 
eyn  gewesen,  darumme  he  ock  geleden  hevet  vor  en,  und  alsodane 
wijs  helpet  de  verdenst  des  lidens  Cristi  in  deme  lesten  ende  deme 
menschen.  Vortmer  de  woldait  der  junevrouwen  Marien  de  helpet  ock 
eynem  menschen  in  sinem  lesten  ende  in  dusser  wise.  Is  et,  dat  eyn 
mensche  stervet  gebichtet  unde  berichtet  myd  deme  hilgen  sacramente, 
so  is  de  junevrouwe  Maria  dar  unde  seget  also:  Ich  bin  eyn  junevrowe 


*)  Hs.  sunde.  —  *)  A :  0  homo  ingrate  in  respectu  dei.  —  *)  A :  quia  merüum 
Oiristi  et  passionis  eius  est  scutum  et  remedium  contra  vos,  und  so  0:  want  die 
rerdiente  der  passien  Cristi  is  hem  een  schilt  ende  een  middel  tusschen  ons  ende  u.  — 
4)  wechreise  im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt.  Bl.  109a:  blisam,  eine  auch  im  Mnd.  Hwb. 
nicht  verzeichnete  Nebenform  zu  Mix  eme. 


92 

und  eyn  moder  unses  heren  Jhesu  Cristi  und  eyn  konyncginge  des 
hemels,  eyn  vrouwe  der  werlde  und  eyn  gebeydersche  der  helle,  und 
in  deme  dat  ich  bin  eyn  konyncginge  des  hemels,  so  mach  ich  seggen 
mynem  kinde  Jhesu  Cristo,  dat  he  den  menschen  richte  to  der  pine 
des  vegevures,  up  dat  he  dar  vul  do  vor  sine  sunde,  unde  in  deme  dat 
ich  moder  godes,  so  hebbe  ich  de  macht,  dat  alle  de  innygen  gebede 
unde  de  hilgen  mysse  und  almosen,  de  dar  scheit  van  den  cristen- 
menschen  up  ertrike,  dat  de  komen  to  bäte  dussem  menschen,  und 
ich  wil,  dat  de  guden  werck  und  de  mysse  unde  de  almosen  (Bl.  95a) 
en  verlichten  van  der  pine,  de  eme  bort  vor  sine  sunde,  und  in  deme 
dat  ich  bin  eyn  gebeidersche  der  helle,  so  gebeide  ich  jw  duvelen,  dat 
gij  nicht  mer  en  schaden  dussen  menschen,  de  myd  dem  sacramente 
mynes  kindes  is  verscheiden.  Und  ock  de  bede  der  hilgen  helpet  deme 
menschen,  in  deme  dat  he  sal  verscheiden,  wante  wan  Maria  ere  rede 
hevet  gesprocken,  to  der  stunt  so  komet  al  de  hilgen  und  biddet 
innentliken  den  heren  und  segget:  Here  Jhesu  Criste,  eyn1)  vader  der 
glorien,  eyn  here  der  gracien  unde  genade  und  eyn  mensche  der  barm- 
herticheit,  du  de  dar  bist  gekomen  van  deme  hemele,  de  sundere  salich 
to  makene,  erbarme  dij  over  de  seile  dusses  doden  menschen,  wente 
he  is  unse  vleisch  unde  unse  broder.  Und  alse  dijt  al  gesecget  is,  so 
wert  de  seile  gevort  vermyddes  eren  guden  engele  in  dat  vegevur, 
unde  de  quaden  engele  de  scheiden  van  eme  bedrovet  unde  geschant. 
So  is  dij  openbar,  wu  de  verdenst  des  lidens  Cristi,  de  woldait  Marien 
unde  dat  bet  der  hilgen  helpen  den  luden  in  erme  dode.' 

(Bl.  95a)  Do  vragede  de  prior,  efft  eyn  mensche  in  sinen  lesten 
möge  seyn  Jhesum  Cristum  unde  de  juncvrouwen  Marien  und  (BL  95b) 
de  anderen  hilgen  in  eren  eigenen  wesene.  Der  Geist  entgegnet,  dass 
ein  Mensch  dieses  Anblicks  nur  teilhaftig  werde,  wenn  ihm  die  Qualen 
des  Fegefeuers  erspart  blieben.  Christus  zu  sehen,  sei  die  höchste  Wonne, 
und  wenn  jeder  im  Augenblicke  des  Hinscheidens  Christus  erblickte,  so 
müssten  alle  Menschen  selig  werden.  Nachdem  er  darnach  bestätigt,  dass 
ein  Geist  Kenntnis  aller  Thatcn  der  Menschen  habe,  stellt  der  Prior  ihn 
auf  die  Probe.  Er  verlangt  von  ihm  zu  wissen,  wovon  er  am  selben 
Tage  Messe  gelesen  habe.  Der  Geist  nennt  das  Officium  vom  hl.  Geiste. 
Um  des  Priors  Einwand,  dass  er  das  Officium  von  allen  gläubigen  Selen 
abgehalten  habe,  zu  entkräften,  beruft  sich  der  Geist  auf  den  Satz:  Wessen 
das  Herz  voll  ist,  fliesst  der  Mund  über.  Seine  Antwort  rechtfertigte 
sich  dadurch,  dass  der  Prior  in  der  Messe  ein  Gebet  vom  hl.  Geiste 
gelesen  habe,  das  ihm  besonders  von  Nutzen  sei. 

(Bl.  98a)  Do  vragede  de  prior:  'Vor  wuvele  seile  mach  eyn  prester 
misse  don,  dat  doch  de  eyne  seile  van  der  misse  so  vele  hebbe  alse 
de  andere?'  Der  Geist  versetzt:  'Ein  Priester  kann  zugleich  für  alle 
Seien  Messe  lesen,  sowohl  für  die  der  Toten  wie  für  die  der  Lebendigen. 
Ein  Gut  wie  die  Messe  wirkt  um  so  kräftiger,   je  grösser  seine   Ver- 


*)  Ueber  ein  als  pronomen  demonstr.   vgl.  Braune  in  Paul-Braunes  Beitr. 
11,  518—527  und  Beets  in  der  Tijdschrift  voor  Nederl.  Taal-  en  Letterk.  6,  94—102. 


M 

breitung  ist.  Ehe  der  Priester  für  alle  Selen  bittet,  sott  er  aber  an  die 
denken,  welche  ihm  besonders  befohlen  sind.1  Heber  seine  eigene  Erlösung 
äussert  er  sich  folgendermassen:  (El.  99a)  overmyddes  den  beden  unde 
anderen  innegen  gebeden  bin  ich  gehulpen,  wante  ich  en  sal  nicht 
lengher  in  der  pine  wesen  dan  winte  to  paschen.  Unde  wultu  dat 
verwar  wetten,  so  kom  weder  oppe  dusse  stede,  und  horestu  myr 
hir  nicht,  so  saltu  verwar  weten,  dat  ich  bin  myd  den  seligen  seilen 
in  deme  ewighen  levene,  dat  de  prior  myt  eyn  deils  des  gesindes  war 
vant,  alse  de  geist  geseget  hadde. 

(Bl.  99b)  Do  vragede  de  prior:  'Wat  is  behulpliker  den  seilen 
in  deme  vegevure?'  Es  werden  namentlich  das  Officium  von  unserer 
lieben  Frau  und  die  sieben  Psalmen  empfohlen. 

(El.  100a)  Do  vragede  de  prior:  'Wat  batet  den  verstorvenen 
seilen,  de  in  deme  vegevure  synt,  eff  men  vor  se  lese  de  vespere  unde 
de  vigilie  der  doden?'  Der  Geist  wünscht,  dass  dieses  Officium  viel 
häufiger  gelesen  würde.  Er  erklärt  die  verborgene  Bedeutung  dessellten 
und  schliesst  seine  Auseinandersetzung  unter  Thränen  mit  der  Auf- 
forderung: Frage  schnell,  was  du  fragen  willst,  denn  die  Zeit  naht,  wo 
ich  schweigen  muss  um  der  Pein  willen,  die  mich  quält.  Den  Prior, 
der  ihm  gern  zu  Hülfe  kommen  möchte,  bittet  er,  fünf  Mal  für  ihn  die 
fünf  Freuden  unserer  lieben  Frau  zu  sprechen.  Nachdem  sein  Verlangen 
erfüllt  ist,  tritt  Erleichterung  ein,  und  die  Unterhaltung  kann  fortgesetzt 
werden.  Sie  bezieht  sich  zunächst  auf  die  Anfechtung,  die  der  die  Messe 
eeM/rirendc  Priester  durch  böse  Engel  erfahren  könne.  Schutz  soll  in 
dieser  Not  das  ambrosianische  Gebet  Summe  sacerdos  gewähren. 

(Bl.  102b)  Do  vragede  de  prior,  eff  he  nu  en  hedde  gesein  den 
lichamen  unses  heren,  synt  he  were  verscheiden  van  dusser  erden. 
Der  Geist  erklärt ^  dass  er  den  Leib  Christi  in  dem  Versteck  an  der 
Brust  des  Fragenden  erblicke  und  ihn  unausgesetzt  nach  seiner  Weise 
anbete.  Ohne  Verzug  befreit  der  Prior  den  Leib  des  Herrn  von  seiner 
HiUle  und  gelnetet  dem  Geist  kraft  des  Sacrnments,  ihm  zur  Pforte  des 
Hauses  zu  folgen.  Der  Geist  gehorcht.  (Hl.  WSa)  Do  began  de  prior 
trachliken  to  gande  vor  de  porten  myd  twen  sinen  broderen  und  velen 
anderen  luden.  Und  alse  de  prior  genck,  do  sach  he  weder  umme 
nnde  en  sa  sich  nicht  volgen,  sunder  he  horde  eyn  gelud,  rechte  effte 
dar  we  achter  eme  gynge  und  kerde  dat  hös  offte  de  dele.  Do  segede 
de  prior:  'Du  de  dar  bist  de  geist  Gowidonis,  lat  dij  uns  nu  sunliken 
seyn.'  Dar  en  antwerde  de  geist  nicht  (Bl.  103b)  up,  und  alse  de 
prior  vort  ginck  myd  deme  lichamen  Cristi  und  eme  de  lüde  also 
volgeden,  do  he  quam  op  de  stede,  dar  sin  husfrouwe  was,  up  der 
luchteren  sijden  der  kameren,  do  lach  sin  husfrouwe  in  deme  bedde 
und  began  wunderliken  to  latene  und  gelat  to  hebbene  und  reip  luder 
stemme,  recht  alse  eyn  dovendich  mensche.  Dar  na  do  lach  se  rechte, 
alse  se  doit  were.  Da  die  Hausfrau  auf  die  Erkundigungen  nach  der 
Vrsache  ihres  Zustandes  schweigt,  ruft  der  Prior  den  Geist  feierlich 
wf,  Auskunft  zu  geben.  Er  versagt  dieselbe,  da  es  sich  um  eine  Sünde 
Itundele,  die  bereits  gebeichtet  sei  und,  von  Gott  ausgelöscht,  nicht  mehr  zur 


u 

Kenntnis  der  Menschen  kommen  solle.  Sein  Weib  habe  die  Sünde1) 
noch  nicht  völlig  abyebüsst.  (BL  104b)  Und  alse  sin  husfrouwe  dijt  | 
horde,  do  begunde  se  bitterliken  to  wenende  unde  sprack:  'Leve  Gowido, 
werde  ich  dan  salich,  alse  ich  byn  gereyniget  van  den  Hunden  der  ich 
nu  denckeV  Do  antwerde  er  de  geist:  kJa.'  Do  was  se  vrolich  und 
sprack  eyn  pater  noster  unde  eyne  avemarien.  Der  Prior  weist  die 
Frau  sodann  auf  die    Wichtigkeit  und  den  Nutzen  der  Almosen  hin. 

(Bl.  105a)  Do  vragede  dey  prior,  warumme  he  sich  nicht  vil  er 
geistliken  luden  en  openbarde  dan  siner  vrouwen,  na  deine  dat  doch 
de  geistliken  lüde  vil  mer  verplichtet  sint  myd  gode  dan  de  vrouwen. 
Der  Geist  versetzt,  seine  Hausfrau  sei  ihm  teurer  als  die  geistlichen 
Leute;  darum  habe  er  den  Herrn  gebeten,  sie  zunächst  warnen  zu  dürfen, 
dass  sie  von  den  Qualen  des  Fegefeuers  befreit  bleibe.  Die  nächstfolgenden 
Fragen  des  Priors  betreffen  die  Zeit  des  Gerichts,  die  schlimmsten  Sünder, 
den  vollkommensten  Stand,  Straferhss  im  Fegefeuer  und  die  grössten 
Qualen  desselben.  Der  Geist  bezeichnet  als  unerträglich:  (BL  107a) 
de  vlamme  des  vures  unde  de  kulde  des  yses,  wante  se  gan  dar  van 
der  utersten  kulde  in  de  vlammen  des  vures  unde  ute  derae  vure  in 
de  kulde8). 

(Bl.  107b)  Do  vragede  de  prior,  wat  pine  he  beeide.  Der  Geist: 
1 Flammen  des  heissesten  Feuers  martern  mich.7  Der  Prior  will  die  Ant- 
wort nicht  gelten  lassen,  so  dass  der  Geist  genötigt  ist,  zu  zeigen,  dass 
Feuer  auf  einen  Geist  einzuwirken  vermag.  Erwähnt  wird  dabei  das 
Mirakel  von  den  drei  Kindern*),  die  ins  Feuer  geworfen  wurden  und 
ungesengt  wieder  herauslcamen.  Der  Prior  lenkt  darnach  das  Gespräch 
auf  die  Menschwerdung  Gottes. 

(Bl.  109a)  Do  vragede  de  prior,  wer  he  wiste,  welich  de  sunde 
weren,  dar  de  lüde  allermeist  mede  umraegengen.  Der  Geist  hebt  drei 
Sünden  besonders  hervor:  overspel,  dat  dar  is  tusschen  echten  luden4) 
und  de  stummen  unmensliken  sunde  (Bl.  109b)  und  den  doitslacb  unde 
meyneede.  Nach  diesen  Worten  bittet  die  Witwe  Guidos  den  Prior, 
den  Geist  aufzufordern,  von  ihr  zu  weichen.  Dieser  entspricht  dem 
Wunsche,  Guido  verlangt  aber  als  Gegenleistung,  dass  sie  sich  stets  keusch 
halte  und  im  ganzen  600  Messen  für  sich  und  ihn  lesen  lasse.  Die  zweite 
Bedingung  wird  an  demselben  Tage  erfüllt;  die  Folge  ist,  dass  die 
Witwe  vom  Geiste  ihres  Mannes  nicht  weiter  gepeinigt  wird.  Nachdem 
der  Prior  noch  eine  wenig  befriedigende  Auskunft  über  das  Erscheinen 
des  Endckerst  erliaiten,  verschwindet  der  Geist. 

(Bl.  110a)  Und  alse  dijt  allet  was  gescheyn,  do  was  et  umme 
vespertijt  dages,  und  alse  se  dar  alle  weren  versaraet,  do  segede  de 
prior  to  en  allen:    'In  deme  namen  godes,    so    gha   eyn  juwelich    in 


f)  Anscheinend  im  ehelichen  Verkehr  begangen.  —  *)  Eine  ähnliche  Qual- 
anschauung  findet  sich  Visio  S.  Pauli  (in  meiner  Ausgabe  66,  29;  vgl.  auch  die 
Anm.  zu  der  Stelle).  —  8)  Daniel  3,  12  ff.  0 :  Sydrachus,  Mysachus  en  Abdenago. 
—  *)  Deutlicher  in  A:  Sed  tria  vicia  sunt,  pro  quibus  se  deus  Hndicat  cito,  quo r um 
unum  est  matrimonium  palhatum,  quod  fit,  quando  vir  et  mulier  coeuni  sine 
sollempnüate  sacrimenti  matrimonii. 


n 

synen  wech,  und  alse  gij  werdet  gevraget  umme  dijt  geschickte,  so 
segge  eyn  juwelich  also,  alse  he  hevet  geseyn  unde  gehöret.'  Und  de 
prior  segede  siner  husfrouwen,  dat  se  sich  kusliken  heilde,  de  wile 
dat  se  levede,  und  helde  eynen  prester  in  der  stede  winte  to  paschen. 
Dat  dede  se  und  en  dorste  in  cyner  gansen  wecken  nicht  komen  in 
er  hus.  Des  anderen  dages  na  twelfften1),  do  ginck  se  weder  to  deme 
prior  und  (Bl.  110b)  bat  en,  dat  he  wolde  weder  komen  in  er  hus 
myd  anderen  broderen,  up  dat  se  mochten  seyn,  eff  sich  de  geist  icht 
anderwerff  wolde  openbaren.  Und  dat  dede  he  unde  nam  myd  sich 
wol  twintich  ander  brodere,  und  alse  [se|  quamen  in  dat  hus,  do  be- 
funden se  to  lesene  de  vigilie*),  und  alse  se  waren  komen  to  der 
stede,  dar  men  leset  Itequiescat  in  pace,  do  quam#  bij  den  prior  eyn 
dumme  wynt  unde  gaff  eyn  gelud,  recht  eff  dar  eyn  were,  de  dat  hus 
kerede  myt  eynem  besamen.  Und  alse  dat  de  prior  vernam,  do  beswor 
he  den  lut  bij  deine  blöde  unses  heren  Jhesu  Cristi,  dat  he  stille 
stende  unde  spreke  myd  eine.  Do  antwerde  de  geist  in  eyme  gelude 
eyncs  krancken  menschen  und  sprak:  'Wes  beswere  gij  my  den  dach 
ut  unde  ut?  Ich  hebbe  jw  doch  geantwert  to  allen  dingen,  de  gij 
my  vrageden!  Wat  hebbe  gij  my  dan  to  vragene?'  Do  segede  eyn 
broder,  eyn  mester  van  der  hilgen  scrifft:  'En  bistu  noch  nicht  ent- 
lisset8)  van  diner  pinc'?'  De  geist  antwerde:  '(Jod  de  sij  gebenediet, 
overmyddes  den  myssen,  de  vor  my  gelesen  synt,  bin  ich  gelost 
van  der  vlammen  des  vures  in  deme  vegevure,  also  dat  ich  mer 
sal  komen  in  dat  gemeyne  vegevur4).'  Do  vragede  he,  wat  pyne  he 
leele.  De  geist  antwerde:  'De  vlammen  des  vures.'  Do  segede  de 
broder:  'Kan  men  dij  nicht  gehelpen  (Bl.  111a)  ute  dussen  pyiien?' 
De  stemme  antwerde:  'Neyn.'  Do  segede  de  prior:  'Su,  so  sij  wij 
hir  versammet,  up  dat  wij  eyne  wäre  tuchnisse  geven  der  dinck,  de 
wij  hebbet  geseyn  und  gehört,  alse  wij  komen  bij  den  pawes ;  darumme 
so  seghe  uns  eyn  wunderwerek.'  De  stemme  de  antwerde:  'Dat  höret 
gode  allene  to,  dat  he  wunderwerck  do  und  neymande  anders.  Mer 
ich  segge  jw,  et  en  sij  dan,  dat  gij  predeken  bet,  dan  gij  dus  langhe 
liebt  gedan,  tegen  de  overswengen  sunde,  alse  tegen  dat  verkopen 
geistliker  lüde,  woker,  homot,  doitslach,  overspel,  meyneede  unde  tegen 
valsch  getuchnisse  und  vele  ander  sunde,  de  werlt  vergeit  drade  in 
erer  bosheit  und  gij  myd  en.  Und  dat  sole  gij  ock  wetten:  Endeden 
de  bede  Marien  unde  anderer  hilgen,  de  truweliken  vor  uns  bidden, 
god  de  en  leyte  nicht  ungewrocken  de  sunde,  de  dar  scheit  in  deme 
ertrike,  wante  de  warheit  und  de  wisheit  Cristi  en  is  nicht  in  der 
werlde,  sunder  overspel,  doitslach  unde  meyneede  und  alle  bosheit, 
de  se  vullenbrengen  mögen.'  Do  vragede  de  prior,  wu  vele  pawese 
dat  noch  solden  komen  vor  deme  ende  der  werlde.  De  geist  ant- 
werde: 'God  de  weit  alle  tokomene  dinge  allene,  und  my  en  is  nicht 

*)  Am  Tage  nach  dem  hl.  Dreikönigstage,  also  am  7.  Januar  1324.  —  •JA: 
ineepü  prior  dicere  Placebo  et  dirige.  —  *)  entlassen  'befreien'.  Woeste  kennt  ein 
Subst.  lisseninge  in  der  Bedeutung  von  Linderung.  —  4)  A:  ita  quod  amplius  in 
commune  purgatorium  non  veniam. 


bekant  dan  dat  my  wert  geopenbart  van  mynem  engele,  und  darumme 
en  kan  ich  dij  in  der  warheit  nicht  (BL  111b)  dij[tj  seggen1).  Gut 
hen  enwech  und  hiddet  god  vor  my  und  de  seile,  de  dar  wonen  in 
deme  vegevure.  Und  de  hilge  kereke  en  hevet  neyne  grote  achte  up 
de  seile  in  deme  vegevure  und  gij  geistliken  lüde  sint  gar  kalt  in  den 
werken  der  leyve  to  juwen  nesten  unde  to  den  seilen  in  deme  vegevure. 
Betert  jw  in  juwem  levene,  up  dat  gij  nicht  en  vergan  eweliken/  Und 
alse  he  dijt  hadde  geseget,  do  sweich  he  stille.  Dijt  geschichte  is  al 
proheret  bij  unsen  geistliken  vader,  deme  pawese  Johannese  deme 
xxij  *).  Und  to  paschen  sande  de  pawes  anderwerff  dare,  und  de  geist 
en  openbarde  sich  en  nicht.  Unde  men  lovet  des,  dat  he  eweliken 
leve  myd  gode  in  deme  hemelrike.  Dat  uns  dat  allen  besehe,  des 
helpe  uns  de  vader  und  de  sone  unde  de  hilge  geist.     Amen. 

BERLIN.  Herman  Brandes. 


Kinderspiele 
aus  Schleswig-Holstein. 

(Nachtrag  zu  Jahrb.  X  8.  52.) 

Ballspiele, 
a.  Schlagball.  Auf  einer  langen  freien  Bahn  werden  2  Male 
bestimmt.  Beide  sind  etwa  50  Schritt  von  einander  entfernt.  Die 
Spieler  teilen  sich  in  zwei  gleiche  Parteien,  indem  die  beiden  tüch- 
tigsten Spieler  mit  Zustimmung  der  Mitspieler  einander  gegenüber 
treten,  einer  dem  andern  einen  etwa  eine  Elle  langen  Stock  hinwirft, 
den  derselbe  an  irgend  einer  Stelle  angreift  und  mit  der  rechten  Hand 
umfasst.  Dann  legt  der  andere  seine  rechte  Hand  auf  die  des  ersten, 
ebenfalls  den  Stock  umfassend;  darauf  A.  seine  linke  Hand  auf  B.'s 
rechte,  B.  seine  linke  Hand  auf  A.'s  linke,  und  so  geht  es  abwechselnd 
bis  oben  hin.  Ist  von  dem  Stock  oben  auch  nur  noch  ein  solch  kleines 
Stück  übrig,  dass  der  letzte  noch  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger 
dasselbe  so  fest  halten  kann,  dass  er  den  Stock  10  Ellen  (=  10  Stock- 
längen) über  den  Kopf  werfen  kann,  so  darf  er  aus  der  Zahl  der  Mit- 
spieler zuerst  wählen.  Auch  das  Wählen  geschieht  abwechselnd.  (Vgl. 
das  Losen  beim  Kipseln,  Jahrb.  VIII  S.  104.)  Sind  alle  Spieler  gleich- 
massig  verteilt,  so  losen  A.  und  B.  nochmals,  und  zwar  darum,  welche 
von  beiden  Parteien  Schlagpartei  und  welche  Fangpartei  sein  soll. 
Von  der  Schlagpartei  heisst  es  dann,  dass  sie  die  „BSwerhaud"  (Ober- 


';  A:  et  ideo  nescio  vobis  verüatem  hu  jus  questionis  dicere.  —  •)  Hs.:  xxiij. 


97 

band  beim  Losen)  habe,  von  der  Fangpartei,  dass  sie  die  „Ünnerhand" 
(Unterhand  beim  Losen)  habe. 

Nun  stellen  sich  die  Spieler  auf.  Die  Schlag-  oder  Laufpartei 
steht  auf  dem  ersten  Mal.  Einer  von  ihnen  hat  das  „Ballholt",  einen 
ziemlich  dicken,  runden,  oft  oben  abgeplatteten  Stab  in  der  Hand. 
Der  Schlagpartei  gegenüber  steht  der  „Opgewer"  (Aufgeber)  mit  dem 
Ball.  Keiner  von  der  Schlagpartei  darf  das  Mal  überschreiten.  Thut 
einer  das,  so  darf  der  Aufgeber  ihn  werfen,  und  trifft  er  ihn,  so  ist 
die  Schlagpartei  „fül"  (faul),  und  wechselt  mit  der  Fangpartei.  Ebenso 
darf  keiner  der  Oberpartei  den  Ball  anrühren.  Geschieht  das,  so  ist 
die  Laufpartei  ebenfalls  faul.  Der  Aufgeber  wirft  den  Ball  in  die 
Höhe,  so  dass  er  nahe  vor  dem  Schläger  niederfällt,  und  dieser  schlägt 
dann,  bevor  er  den  Erdboden  berührt,  ihn  in  gerader  Richtung  möglichst 
weit  in  einem  hohen  Bogen  fort,  während  die  an  verschiedenen  Punkten 
der  Bahn  aufgestellten  Spieler  der  Fangpartei  ihn  zu  fangen  suchen. 
Wird  der  Ball  gefangen,  so  wechseln  die  Parteien.  Während  der  Ball 
fortgeschlagen  wird,  muss  einer  von  der  Schlagpartei  laufen,  was  jedoch 
geschehen  muss,  bevor  der  Ball  zum  3.  Mal  fortgeschlagen  wird. 
Geschieht  das  nicht,  so  hat  die  Schlagpartei  verloren.  Wenn  nun 
einer  läuft,  so  sucht  der  Aufgeber  oder  ein  in  der  Bahn  stehender 
Fänger,  der  dem  Läufer  zunächst  steht  und  dem  man  den  Ball  schnell 
hinwirft,  ihn  zu  werfen.  Wird  der  Läufer,  bevor  er  das  Mal  erreicht, 
Tom  Ball  getroffen,  so  wechseln  die  Parteien.  Wird  er  nicht  getroffen, 
so  sucht  er  bei  der  ersten  besten  Gelegenheit  das  Schlagmal  wieder 
zu  erreichen,  während  andere  das  Mal  wieder  verlassen.  So  laufen 
nun  alle  Spieler  der  Oberpartei  nach  und  nach,  auch  der  Ballschläger. 
Oft  läuft  einer  fort,  wenn  der  Aufgeber  den  Ball  noch  in  der  Hand 
hat.  Wirft  er  dann  nach  ihm  und  auch  noch  vorbei,  was  in  der  Er- 
regung sehr  leicht  geschieht,  so  ist  der  Jubel  der  Schlagpartei  gross. 
In  dem  schnellen  und  sichern  Werfen  zeigt  eben  der  Spieler  seine 
Gewandtheit.  Nicht  minder  zeigt  auch  der  Läufer,  der  nur  geworfen 
werden  darf,  wenn  er  in  der  Bahn  ist,  seine  Geschicklichkeit  dadurch, 
dass  er  den  Ball  nicht  aus  dem  Auge  verliert  und  sich  so  zu  drehen, 
wenden,  ducken,  nieder  zu  werfen  versteht,  dass  man  ihn  so  leicht 
nicht  trifft.  Sobald  nun  einer  vom  Ball  getroffen  wird,  so  eilen  alle 
Spieler  der  Fangpartei  an  ein  Mal;  denn  wird  einer  von  ihnen  vom 
Ball  getroffen,  während  er  noch  in  der  Bahn  ist,  so  ist  seine  Partei 
wieder  die  Fangpartei.  —  Trifft  der  Schläger  beim  Fortschnellen  den 
Ball  nicht,  so  ist  das  ein  Pudel.  Macht  einer  drei  Pudeln,  so  ist  seine 
Partei  faul.  In  dieser  und  ähnlicher  Weise  ward  vor  ca.  20  Jahren 
noch  in  Ditmarschen  und  Stapelholm  von  Kindern  (Knaben)  und  nicht 
selten  gar  von  Erwachsenen  Ball  gespielt.  Der  Ball1)  aber  musste 
tüchtig  hart  sein,  wesshalb  ein  hohler  Gummiball  verpönt  war.  Man 
machte  sich  einen  Garnball,   der  mit  buntem  Garn  hübsch  verziert*) 

')  Ditm.  KäsbaU,  ostfr.  kdtzen,  ndl.  kaatsen,  mnd.  hatten  (Fangball  spielen) 
schnellen,  treiben,  fortschleudern,  werfen,  prellen  etc.     Ostfr.  Wb.  IL  136. 
*)  Das  nannten  wir  in  Stapelholm  flamm'n,  'n  Ball  Swerflamm'n. 

Niederdeutsche«  Jahrbuch.    XIII.  7 


98 

und  ausgenäht  war.  Ward  jemand  mit  einem  solchen  Ball  getroffen, 
so  that  das  natürlich  sehr  weh,  wer  aber  weinte,  ward  verlacht  und 
verhöhnt,  und  was  noch  schlimmer  war:  er  ward  so  leicht  nicht  wieder 
in  die  Reihe  der  Spieler  aufgenommen. 

Bergenhusen  in  Stapelholm. 
Einfacher  wird  obiges  Ballspiel  hier  in  Dahrenwurt  gespielt. 
Die  beiden  Male  sind  nur  einige  Schritte  von  einander  entfernt.  Wei- 
den Ball  schlägt,  muss  laufen  und  meistens  auch  sofort  wieder  zurück- 
kehren nach  dem  Schlagmal.  3  Pudel  gelten  auch  hier  nur.  Wenn 
einer  von  der  Schlagpartei  den  Ball  anrührt,  so  hat  diese  das  Spiel 
verloren. 

Vgl.  Gutsmuths,  Spiele  zur  Übung  und  Erholung  etc.,  Schnepfenthal  1796, 
S.  52  u.  f.;  Trapp  u.  Pinzke,  Das  Bewegungsspiel,  S.  56  u.  f.;  Lier,  Turnspiele  für 
Deutschlands  Jugend,  S.  14  u.  f.;  Leitfaden  für  den  Turnunterricht  in  den  preussischen 
Volksschulen,  S.  127  u.  f. 

b.  Ballholt  in'n  Pütt.  Auf  einem  nicht  allzugrossen  quadrat- 
förmigen  Platz  stellen  sich  4  Spieler  an  den  4  Ecken  auf.  Das  sind 
die  Reinen.  In  dem  Quadrat  sind  gleichfalls  4,  die  „Fülen*  (spr.  Fü'ln). 
Die  4  Reinen  fangen  den  Ball  einmal  herum.  Erst  dann  dürfen  sie 
nach  den  Faulen,  die  im  Quadrat  laufen  können,  wohin  sie  wollen, 
werfen:  müssen  aber  stets  an  ihren  Ecken  stehen  bleiben.  Sie  dürfen 
aber  mit  dem  Ball  hin-  und  herfangen.  Wird  einer  von  den  Faulen 
mit  dem  Ball  getroffen,  so  scheidet  der  aus.  Wirft  aber  einer  von 
den  Reinen  vorbei,  so  tritt  auch  der  ab.  Und  so  geht  es  fort,  bis 
nur  2  nach  sind,  ein  Fauler  und  ein  Reiner.  Dann  beginnt  das  Jagen, 
indem  der  Reine  flink  von  einer  Ecke  zur  andern  läuft,  um  in  die 
Xähe  des  Faulen  zu  kommen  und  den  leichter  treffen  zu  können. 
Trifft  er  ihn,  so  bleibt  es  beim  Alten,  die  Reinen  bleiben  rein  und 
die  Faulen  faul.     Wirft  er  aber  vorbei,  so  tritt  das  Umgekehrte  ein. 

Schwienhusen  b.  Delve. 

c.  Ball  op'n  D&ken.  Einer  nimmt  den  Ball  in  die  Hand  und 
stellt  sich  in  die  Nähe  des  Hauses  hin.  Alle  Mitspieler  flüchten  von 
ihm  hinweg  und  zwar  so  lange,  bis  er  den  Ball  auf  den  „Düken* 
(Dach  des  Hauses)  wirft  und  ruft:  „Ball  op'n  Däk'n!  N.  X.  (Name 
eines  Mitspielers)  schall  d'  niäk'n."  Sofort  müssen  alle  still  stehen. 
Der  Gerufene  läuft  nach  dem  Ball,  muss  aber  an  dem  Platze,  wo  der 
Ball  liegt,  stehen  bleiben,  und  sucht  einen  damit  zu  werfen.  Trifft 
er  einen,  so  läuft  dieser  nach  dem  Ball,  während  alle  andern  wieder 
davon  laufen,  und  die  Mitspieler  stehen  erst  still,  wenn  er  den  Ball 
aufs  Dach  wirft  und  obigen  Ruf  wiederholt.  Selbstverständlich  ist 
der  Spielplatz  abgegrenzt. 

Dahrenwurt  b.  Lunden. 

Vgl.  Trapp  u.  Pinzke,  S.  42  u.  f.  Lier,  Turnspiele  für  Deutschlands  Jugend, 
S.  4,  führt  statt  „Ball  op'n  D&k'n",  oder  Stehball,  den  Ruf  „Vigoli"  an.  Ferner: 
Turnleitfaden  für  preuss.  Volksschulen,  S.  126  u.  f.;  Gutsmuths  S.  116  u.  f. 

Ganz  ähnlich  ist  auch  das  bei  Handelmann,  S.  88  beschriebene  „Sta  Bali", 
oder  das  „Akkarbolspiel".  Jeder  Mitspieler  bekommt  einen  Scherznamen,  welche 
in  der  Reihenfolge  nach  dem  A  B  C  an  die  Wand  geschrieben  werden;   z.  B.   auf 


den  nordfries.  InBein  Altkar,  Bol,  Cimisan,  Dol,  Echtar,  Fechtar,  Gechtar,  Hechtar 
u.  s.  w.;  in  Lauenburg  „Aap,  Bar,  Clüsener,  Hatt-eker"  u.  s.  w.;  in  Mecklenburg 
.Apenklas,  Babo,  Cikot"  u.  3.  w.  Einer  wirft  nun  den  Ball  aus,  in  die  Höhe  oder 
in  die  Ferne,  und  ruft  zugleich  jemand  bei  seinem  Scherznamen  (fries.  N.  N.  bi  a 
Bai).  Der  Genannte  muss  den  Ball  aufsammeln,  unterdess  laufen  die  Übrigen 
schnell  davon  (aus  dem  Hok  =  Stall).  Sowie  aber  jener  den  Ball  in  Händen  hat,  ruft 
er:  „Sta  Ball!"  oder  „Staet!"  (Steh  dem  Ball;  steht!);  dann  müssen  alle  augen- 
blicklich stehen  bleiben.  Der  Inhaber  des  Balls  darf  nun,  nach  wem  er  will,  zielen 
und  werfen;  trifft  er  denselben,  so  wird  diesem  neben  seinem  Namen  ein  Strich 
gemacht  und  der  Ball  zum  Auswerfen  übergeben;  wirft  er  aber  fehl,  so  bekommt 
er  selbst  einen  Strich  und  wirft  das  nächste  Mal  aus.  Zum  Beschluss  werden  die 
Striche  mit  Schlägen  abgebüsst. 

d.  Königsball.  Ein  Spieler  ist  König.  Die  Mitspieler  bilden 
eine  Frontreihe.  Der  König  steht  in  einiger  Entfernung  vor  der  Reihe, 
nimmt  den  Ball,  fangt  ihn  einmal  und  wirft  ihn  dem  obersten  Spieler 
der  Reihe  zu,  der  das  Vorgemachte  nun  genau  nachmachen  muss. 
Hat  er  das  gethan,  so  fängt  er  dem  König  den  Ball  wieder  hin,  der 
denselben  nun  Nr.  2  zuwirft,  der  ebenfalls  das  Vorgemachte  nachmachen 
muss.  Und  so  müssen  alle  Mitspieler  es  nachmachen.  Hat  nun  der 
König  den  Ball  vom  letzten  Spieler  retour  erhalten,  so  wirft  er  den 
Ball  in  die  Höhe,  fängt  ihn  aber  noch  nicht,  sondern  schnellt  ihn  mit 
der  innern  Handfläche  nochmals  in  die  Höhe  und  fängt  ihn  erst  jetzt. 
Dann  wirft  er  der  Nr.  1  den  Ball  hin,  der  das  Vorgemachte  nun 
wieder  nachzumachen  hat;  dann  der  Zweite  und  so  die  ganze  Reihe. 
Hat  der  König  den  Ball  wieder  in  Händen,  so  wirft  er  ihn  abermals 
in  die  Höhe,  schnellt  ihn  beim  Niederfallen  mit  der  äusseren  Hand- 
fläche in  die  Höhe,  fängt  ihn  dann  und  wirft  ihn  Nr.  1  hin,  der  das 
nun  wieder  nachzumachen  hat;  gleichfalls  auch  die  andern  Spieler. 
Zum  Vierten  schnellt  der  König  den  zu  ihm  zurückkehrenden  Ball 
zurück,  und  fängt  ihn  erst  dann,  wenn  Nr.  1  den  Ball  gleichfalls 
zurückschnellt.  Das  müssen  nun  auch  alle  Spieler  nachmachen.  Zum 
Fünften  wirft  der  König  den  Ball  über  Kopf  dein  ersten  Spieler  zu, 
der  ihn  ebenso  zurückwerfen  muss.  Dann  wirft  er  Nr.  2  ebenfalls 
über  Kopf  den  Ball  hin,  der  ihn  auch  ebenso  zurückwerfen  muss. 
Dann  Nr.  3  u.  s.  w.  Wer  bei  diesem  Spiel,  das  Königsball  heisst, 
einen  Fehler  macht,  muss  sich  unten  an  hinstellen. 

Mitgeteilt  von  Fräulein  E.  Brodersen  aus  Tolk  in  Angeln. 
Fast  ebeaso  wird  der  Königsball  auch  hier  in  Dahrenwurt  gespielt.     Trapp 
u.  Pinzke  beschreiben  S.   43  den  Königsball  abweichend  hiervon.    Gutsmuths  hat 
unter  seinen  13  verschiedenen  Ballspielen  den  Königsball  nicht  mit  verzeichnet. 

e.  Fangball,  a.  Ein  Spieler  wirft  den  Ball  an  die  Wand,  fängt 
ihn  mit  beiden  Händen,  mit  der  rechten  allein,  mit  der  linken  allein, 
mit  beiden  Händen,  indem  er  zuvor  in  die  Hände  klatscht,  mit  beiden 
Händen,  indem  er  die  Hände  nach  hinten  streckt  und  klatscht,  mit 
beiden  Händen,  indem  er  die  Hände  über  dem  Kopf  zusammenschlägt, 
mit  einer  Hand  rechts  und  links,  indem  er  sich  einmal  umdreht. 

^Dahrenwurt  b.  Lunden. 
ß.   Der  Spieler  hat  einen  Ball  in  der  rechten  Hand  und  einen 
in  der  linken  Hand.    Den  einen  Ball  wirft  er  in  die  Höhe.     Während 


2193 ITA 


100 

dieser  Ball  nun  steigt  oder  fällt,  wirft  er  den  2.  auch  in  die  Höhe, 
fängt  den  ersten  wieder,  wirft  denselben  aber  auch  zugleich  wieder 
in  die  Höhe  und  fängt  den  2.  u.  s.  w. 

Christiansholm  b.  Hohn. 

y.  Sogar  mit  3  Bällen  fängt  man,  und  zwar  dergestalt,  dass 
stets  ein  Ball  in  die  Höhe  steigt,  der  2.  Ball  fällt  und  der  3.  in  der 
Hand  sich  befindet. 

Kleinsee  b.  Bergenhusen  in  Stapelholm. 

X.  Eine  seltene  Geschicklichkeit  besassen  meine  Mitschülerinnen 
auf  Christiansholm  im  Fangen.  Der  fallende  Ball  ward  nämlich  mit 
dem  Unterarm  aufgefangen.  Dann  fiess  man  ihn  längs  dem  Arm  in 
die  Hand  hinabrollen  und  schnellte  ihn  wieder  in  die  Höhe.  Wenn 
ich  mich  recht  erinnere,  so  geschah  das  sogar  mit  2  Bällen. 

Christiansholm  b.  Hohn. 

e.  Oft  wird  ein  Gummiball  auf  den  Fussboden  geworfen,  und 
wenn  er  wieder  emporschnellt,  mit  der  Hand  zurückgeschlagen.  Wer 
das  am  meisten  kann,  ist  der  Beste. 

Gegend  von  Lunden. 

C  Mehrere  Mädchen  stellen  sich  in  kleinen  Abständen  von  ein- 
ander auf.  Ein  Spieler  hat  den  Ball,  wirft  ihn  einem  andern  schnell 
hin,  der  ihn  dann  fangen  muss  und  weiter  wirft. 

Gegend  von  Lunden.     . 

27.     Mutter  Maria. 

Die  Mädchen  sitzen  in  einer  Reihe  einander  auf  dem  Schooss. 
Eine  fragt  die  Reihe  entlang: 

Waneb'n  wahnt  Mutter  Marie? 
„Eb'n  acht'r  mi." 

(Bei  der  zweitletzten:) 
Waneb'n  wahnt  Mutter  Marie? 

„Eb'n  achtV  mi.u 
Kann'k  ehr  ni  mahl  to  spreck'n  krieg'n. 
„Slepp  noch!" 
Fragt  wieder  die  Reihe  entlang  und   bei  der  zweitletzten  ange- 
langt, antwortet  diese: 

„Is  eb'n  ut  d'  Bett!" 
Fragt  wieder  die  Reihe  entlang  und  erhält  von  der  nächstletzten 
als  Antwort: 

„Is  noch  nich  antrock'n!" 

Fragt  abermals  die  Reihe  entlang  und  erhält  als  Antwort: 

„Hett  noch  keen  Schört  vjr!" 
Beim  fünften  Mal  antwortet  die  zweitletzte: 
„Xu  is  se  fertig!44 

(Bei  der  letzten:) 
Kann  'k  ni  en  vun  ehr  Döchter  krieg'n? 
„Hess  ers  gestern  een  kreeg'n.44 


101 

Füll  mi  in  'e  Bott'rmelk. 

„Kunns  ja  man  prahlt  hebb'n." 
Ick  harr  en  Klump1)  in  'n  Hals. 

„Kunns  ja  man  loop'n  hebb'n." 
Ick  harr  en  Doorn  in  'n  Foot. 

„Ja,  denn  nimm  een,  awer  keen  vun  de  beBt'n.u 

Sie  nimmt  die  erste  aus  der  Reihe  und  spricht  zu  dieser: 

„Kanns  dreemaal  op  un  daal  spring'  ahn  to  lachen  un  ahn  de  Tään 
to  wies'n?"  „Kanns  Arfn  kaak'nV"  „Kanus  Klump  kaak'n?"  „Kanns 
Griitt  kaak'n?" 

Kann  sie  nun  dreimal  auf-  und  niederspringen  ohne  zu  lachen 
und  ohne  die  Zähne  zu  zeigen,  und  beantwortet  die  drei  letzten 
Fragen  mit  ja,  so  kommt  sie  in  den  Himmel,  sonst  in  die  Hölle.  Sind 
alle  Mitspieler  verteilt,  so  fassen  die,  welche  im  Himmel  sind,  Mutter 
Maria  an;  die  aber  in  der  Hölle  sind,  fassen  diejenige,  welche  fragte, 
an,  und  beide  Parteien  suchen  sich  über  einen  Strich  zu  ziehen. 
(Vgl.  Dlr'n  Hirschen  in  Jahrb.  VIII.  S.  100  u.  f.) 

Mitgeteilt  von  Fräulein  Brodersen  aus  Tolk  in  Angeln. 

Bei  Mannhardt,  der  eine  ganze  Reihe  von  Spielformeln  aus 
Deutschland,  den  Slavenländern,  Flandern,  Schweden  etc.  gesammelt 
hat,  kommen  die  Namen  Frau  Rose,  Gode,  Sole,  Sino,  Mutter  Maria, 
de  ole  Moder  Törsche  (Teppersche)  d.  i.  Zauberin,  Hexe  vor.  Sie 
stellt  nach  demselben  die  Holde  vor,  die  im  Kinderbrunnen  sitzt,  aus 
dem  die  Kinder  geholt  werden.  Die  Ungebornen  sitzen  auf  ihrem 
Schooss,  die  holende  Frau  ist  die  gebärende  Mutter.  Wer  nicht  lacht 
und  nicht  die  Zähne  zeigt,  ist  ein  Wechselbalg  und  kehrt  zur  Frau 
Holle  zurück;  lacht  er  aber  und  zeigt  die  Zähne,  so  verbleibt  er  der 
Erde  und  wird  Mensch.  Nach  Müllenhof,  S.  486  u.  f.,  wo  eine  inter- 
essante Variante  verzeichnet  steht,  giebt  die  Holle  der  holenden  Frau 
den  Rat,  den  Wechselbalg  mit  Salz  zu  bestreuen.  Salz  bricht  den 
bösen  Zauber.  Daher  rührt  auch  wohl  der  Rat,  den  man  kleinen 
Kindern  zu  geben  pflegt,  wenn  sie  Vögel  ergreifen  möchten:  „Muss 
se  Solt  op'n  Stiert  streun";  denn  die  Seelen  der  Ungebornen  laufen 
auch  in  Vogelgestalt  auf  der  Erde  umher. 

Handelmann  führt  in  seinen  Volks-  und  Kinderspielen  noch  2  andere,  aber 
sehr  verstümmelte  Formeln  auf,  wovon  die  erste  aus  Altona  stammt.  Eine  sehr 
entstellte  Formel  hörte  ich  auch  hier  in  Dahrenwurth. 

28.  Gunk. 
Ein  Spieler  wird  ausgeloost,  gewöhnlich  ut-dült  d.  i.  durch  einen 
Abzählreim  ausgewählt.  Dieser  stellt  sich  nun  mit  dem  Gesicht  gegen 
die  Mauer  eines  Hauses  und  damit  er  nicht  sehen  kann,  muss  er 
wenigstens  die  Hände  vor  das  Gesicht  halten,  während  die  anderen 
Spieler  sich  hinter  den  Ecken  des  Hauses  oder  an  sonstigen  Stellen 
in  der  Nähe  des  Males  verstecken.     Haben  alle  ein  Versteck  gefunden, 


■)  Scherzhafte'Bezeichnung  für  den  Zustand,  wo  man  so  heiser  ist,  dass  man 
keinen  Laut  von  sich  geben  kann. 


102 

so  beginnt  das  Suchen.  Kann  der  Sucher  nicht  gleich  einen  finden, 
so  ruft  er:  „Piep  mal",  welcher  Aufforderung  auch  sofort  entsprochen 
wird.  Gewahrt  er  einen,  so  sucht  dieser  das  Mal  vor  ihm  zu  er- 
reichen, was  ihm  aber  selten  gelingt.  Leichter  gelingt  es  schon  den 
andern  Versteckten,  die  auch  das  Mal  zu  erreichen  suchen,  wenn  der 
Sucher  sich  zu  weit  vom  Male  entfernt.  Wer  von  dem  Sucher  zuerst 
„aftacks"  wird,  d.  h.  wenn  der  Sucher  vor  einem  Spieler  das  Mal 
berührt  und  „tacksu  ruft,  muss  das  nächste  Mal  suchen.  Wer  aber 
vor  dem  Sucher  das  Mal  erreicht  und  „tacks"  ruft,  ist  frei.  Erst 
wenn  alle  Spieler  gefunden  sind  oder  ihren  Versteck  verlassen  haben, 
beginnt  das  Spiel  von  vorne. 

Delve. 
Vgl.  das  Versteckspiel,  Jahrb.  VIII,  S.  102;  Jahrb.  III,  S.  109;  Handelmann. 
Volks-  und  Kinderspiele,  S.  81  u.  f. 

29.     Plumpsackspiele. 

Klumpsack.  Die  Spielenden  bilden  einen  Kreis  und  fassen  sich 
an  den  Händen.  Einer  hat  ein  Taschentuch  mit  einem  Knoten  darin, 
Klumpsack  genannt,  geht  um  den  Kreis  herum  und  spricht: 
„Kiek  di  (sick)  ni  um,  de  Klumpsack  geit  'rum." 
Wer  sich  umsieht,  bekommt  Schläge.  Am  Ende  lässt  der  Umgehende 
den  Plumpsack  leise  hinter  einem  im  Kreise  stehenden  niederfallen. 
Dieser  hat  dann  rasch  denselben  aufzunehmen,  hinter  dem  Umgehenden 
herzulaufen  und  wenn  möglich,  ihm  einen  Schlag  mit  dem  Plumpsack 
zu  geben.  Gelingt  ihm  das,  bevor  der  Umgehende  den  Kreis  dreimal 
umlaufen  hat,  so  muss  der  Geschlagene  wieder  umgehen;  wenn  nicht, 
so  der  andere. 

Kleinsee  b.  Bergenhusen  i.  Stapelholm. 

Schon  bei  Gutsmuths  findet  sich  S.  230  u.  f.  dieses  Spiel  ver- 
zeichnet. Bei  Schütze  (II,  251  u.  288)  heisst  es:  Kiek  di  mg  um, 
de  Stock  sleit  um.     Eben  daselbst  S.  52: 

„De  Goos,  de  Goos,  de  leggt  dat  Ei, 
un  wenn  et  fallt,  so  fallt  et  twei." 

Andere  Formeln  zu  diesem  Spiele  finden  sich  in  Handelmann, 
Volks-  und  Kindersp.,  S.  58  u.  f.  Trapp  u.  Pinzke  nennen  8  Plump- 
sackspiele, darunter  auch  das  von  dem  verstorb.  Woeste,  Jahrb.  1877, 
S.  106  beschriebene:  „Wie  gefällt  dir  dein  Nachbar V"  Lier  beschreibt 
in  seinen  Turnsp.  S.  41  u.  f.  5  Plumpsackspiele.  Der  Leitfaden  für 
den  Turnunterricht  in  den  preuss.  Volksschulen  nennt  3  Plumpsackspiele. 

Nach  Handelmann  heisst  das  Spiel  in  Holland  „de  Vlugt  of  Sack- 
jagen", auch  wohl  „den  Sack  te  dragen".  In  der  Gegend  von  Bremen 
heisst  der  Spielspruch:  „Kiek  di  nich  um,  de  Voss  gait  rum!"  (vgl. 
auch  Dr.  Fölsing,  Erziehungsstoffe  I,  S.  182),  und  in  Westfalen:  „Dat 
Vössken  dat  kummt!"  Bemerkenswert  ist,  heisst  es  bei  Handelmann, 
die  Übereinstimmung  des  Spielreims  an  den  äussersten  Grenzen  der 
germanischen  Zunge;  in  Finnland  heisst  es:  „Lussi  laskar  om" ;  in  der 


103 

Schweiz:   „Der  Lunzi   chunt".     Was   mag   sich  unter   diesem  Namen 
Lussi  oder  Lunzi  verstecken?    (Handelmann,  S.  59.) 

30.  Den  Drütt'n  jäg'n. 
Alle  Spieler  stehen  paarweise,  einer  hinter  dem  andern,  in 
einem  grossen  Kreis  und  zwar  so,  dass  zwischen  den  einzelnen 
Paaren  ein  Zwischenraum  bleibt.  Zwei  Spieler  sind  aussen  vor.  Der 
eine  von  diesen  beiden  führt  einen  Plumpsack  und  verfolgt  den 
andern  durch  den  Kreis  herum.  Will  der  Gejagte  sich  sicher  stellen, 
so  stellt  er  sich  vor  ein  Paar.  Die  hintere  Person  dieses  Paares 
muss  nun  vor  dem  Plumpsack  Hieben,  kann  sich  aber  vor  demselben 
sicher  stellen,  indem  sie  sich  gleichfalls  vor  ein  Paar  stellt.  So  wird 
also  immer  der  Dritte  gejagt.  Kann  nun  der  mit  dem  Plumpsack 
einen  der  als  Dritter  steht  oder  läuft,  schlagen,  so  muss  der  Ge- 
schlagene ihn  ablösen. 

Eckemförde. 

Gutsmuths  Spiele,  S.  276:  Das  Drittenabschlagen.  Schütze  I,  S.  249:  Den 
Drüdden  jagen;  twee  jagt  den  Drüdden.  Leitfaden  für  preuss.  Volksschulen,  S.  124: 
Den  Dritten  abschlagen.  Trapp  u.  Pinzke,  S.  134:  Drei  Mann  hoch  oder  den  Dritten 
abschlagen.    Französ.:  Deux  c'est  assez,  trois  c'est  trop.  (Handelmann  8.  65.) 

c.    S.  Jahrb.  IX,  S.  51,  Nr.  24:  Jakob,  wo  bist  du? 

31.  Katt  un  Mus. 
Alle  Kinder  schliessen  einen  Kreis.  Zwei  Spieler  stehen  in  dem 
Kreis.  Einer  von  diesen  ist  Katze,  der  andere  Maus.  Die  den  Kreis 
bildenden  Kinder  halten  die  Arme  etwas  in  die  Höhe.  Die  Maus 
läuft  unter  den  Armen  durch.  Die  Katze  sucht  sie  zu  erhaschen,  wird 
aber  von  den  Mitspielern  daran  gehindert,  indem  sie  der  Katze  das 
Eindringen  und  Hinauslaufen  aus  dem  Kreis  mit  den  Armen  zu  ver- 
wehren suchen.  Gelingt  es  ihr  dennoch,  die  Maus  zu  erwischen,  so 
sucht  die  Maus  die  Katze  wieder  zu  erhaschen.  Gelingt  auch  das, 
so  wird  ein  anderes  Paar  gewählt. 

Dahrenwurt  b.  Lunden. 

Vgl.  Trapp  u.  Pinzke,  Bewegungsspiel,  S.  75;  Lier,  Turnspiele,  8.  66. 

DAHRENWURT  b.  Lunden.       Heinrich  Carstens. 


104 


Mittelniederländische  Spruch- 
dichtungen. 

Die  Pergamenthandschrift  7970  auf  der  k.  k.  Fideikommiss- 
bibliothek  in  Wien  (XV.  Jahrh.)  enthält  ausser  den  mittelniederlän- 
dischen  geistlichen  Liedern,  welche  ich  in  der  Vierteljahrsschrift  für 
Musikwissenschaft  1888,  Heft  2  und  3  publicirt  habe,  einen  Anhang 
mit  Prosastücken  und  Reimsprüchen. 

Da  die  letzteren  sowohl  sprachlich  als  auch  inhaltlich,  einige 
auch  als  Varianten  zu  Sprüchen  des  niederdeutschen  Reimbüchleins 
(herausg.  von  W.  Seelmann  1885)*)  von  Interesse  sind,  so  dürfte  die 
Veröffentlichung  nicht  unwillkommen  sein. 

Ich  gebe  die  Texte  in  der  urkundlichen  Schreibweise  mit  Hinzu- 
fügung einer  Interpunktion. 

Ic  bin  verraden  al  onuerdient, 
Die  my  verriet,  dat  scheen  myn  vrient; 
Dair  ic  myn  trouue  toe  verliet, 
Dat  was  den  ghenen,  die  my  verrriet. 

Ic  woude  wel,  dat  niemant  en  conste  5 

Vrienscap  togen  sonder  guede  gonste, 
Want  dair  is  gheen  quader  venyn, 
Dan  vrient  te  schinen  en  viant  te  syn. 

Die  syn  vrient  proeuen  sal, 
Die  proeue  hem  in  syn  ongeual,  10 

Want  int  geluc  is  menich  vrient, 
Die  inder  noet  niet  en  dient. 

Die  vercout  is  in  syn  mage 
Eil  al  wil  seggen,  dat  hi  weet, 

Het  waer  wel  van  node,  datmen  hem  gaue  15 

Een  cruydekyn,  dat  swigen  heet. 

Wilt  ghi  tot  enen  saugen  leuen  keren, 
Soe  pynt  dat  fundament  der  duechden, 
Dats  oetmoedicheit  van  cristo  te  leren. 

Siit  oetmoedich  van  werken,  van  woerden  ende  van  gedachten,  20 
Leert  v  seluen  vernederen  eil  niet  achten. 

Siet  dicwiil  op  v  selues  gebreclike  werken, 

Op  dat  ghy  eens  anders  gebreken  myn  moecht  merken. 

Vergadert  in  uwrer  herten  alle  die  oersaken, 

Die  iu  cleyn  en  oetmoedich  maken.  25 


*)  Vgl.  104,  7  f.  und  Reimbüchl.  2119.  2510;   104,  10—13  u.  R.  2514;   106, 
1—10  u.  R.  2101.  2150;  108,  33—36  u.  R.  2502. 


105 

Acht  des  anders  guetwerc  groet,  mer  dat  v  is  deine, 
Dicwil  biecht  en  hout  v  reyne. 

Alsmen  v  priist,  soe  bliift  gesaet, 
Mer  toent  v  bliide,  alsmen  v  versmaet. 

Siit  Heuer  bi  dien,  die  v  versmaetheit  bewisen,  6 

Dan  die  v  achten  off  priisen. 

Begeert  die  ewige  glörie  nae  deser  tut, 
Na  loff  off  priis  en  staet  hier  niet. 

Een  ygeliic  sal  hem  seluen  mishagen 

En  ouer  hem  meest  clagen;  10 

Want  dat  is  kenlic  efi  wis, 

Dat  dicwil  een  mensche  hem  seluen  scadelic  is. 

Die  inden  hemel  wil  besitten  enen  hogen  graet, 
Die  sal  nv  verkiesen  den  laechsten  staet. 

Also  veel  alstu  biste  om  goeds  willen  15 

Meer  cleyn  efl  snode  in  dyns  selfs  ogen, 

Alsoe  veel  meer  sal  di  god  namels  verbogen.    Amen. 

Van  die  mynne. 

Onse  salige  wyn  hanget  in  gods  eft  in  ons  euenkersten  myn, 
Ende  gheen  guetwerc  sonder  mynne  en  brenget  ons  saugen 

oirbair  ynne. 
Die  myn,  nae  dat  sinte  Pieter  seyt,  20 

Bedect  der  sonden  menichuoldicheit. 

Wensschet  mit  al  dat  guet, 

Datmen  ouer  al  die  werrelt  doet, 

Soe  moecht  ghy  in  corter  tut 

Van  geesteliken  guede  werden  riic.  25 

Hebt  een  meedogende  hert 
Mit  die  in  lüden  syn  off  smert. 
Siit  geestelike  blide  mitten  bliden 
Ende  mitten  droeuigen  siit  in  liden. 

Die  heer  heeft  ons  tot  hem  geroepen,  30 

Mer  tstaet  aen  ons,  wy  mögen  lopen 
Tot  hem,  van  hem,  hoe  wyt  verkiesen, 
Wy  mögen  wynnen  of  uerliesen. 

Die  dese  werrelt  aen  cleeft 

Efi  syn  god  dair  om  begeeft,  35 

Alst  comt,  dat  hy  van  hier  moet  sceiden, 

Soe  wert  hi  quyt  dier  alle  beiden. 


Hy  is  wys,  die  < 


Hi  is  geck, 


106 

Die  gode  mynt, 

Hern  seluen  kent, 

Hem  wacht  voir  sonden, 

Guet  en  quaet  kan  gronden, 

Die  doet  aensiet,  5 

Quaet  geselscap  vliet. 

Die  hem  te  vele  onderwynt, 

Die  hem  te  vaste  uerbindt, 

Die  tsyn  niet  en  genoecht, 

Die  hem  mit  gecken  voecht.  10 

Die  altoes  mitten  gueden  wandelt, 

Hoe  geckelic  dat  hi  hem  handelt, 

Hi  sal  altoes  mit  eren  leuen; 

Mer  die  volgen  wil  de  quaden 

En  plegen  oec  höre  daden,  15 

Die  moet  oec  int  eynde  sneuen. 

Die  meeste  wiisheit,  die  men  vindt, 

Die  is,  dat  elk  hem  seluen  kent, 

Ende  daer  toe  die  meeste  riicheit 

Dunket  my  wesen  genoegelicheit;  20 

Want  wien  genoech  is,  dat  hi  heeft, 

Hi  is  die  riicste,  die  daer  leeft. 

Niemant  en  is  arm  dan  hi  alleen, 

Die  syn  guet  duuct  wesen  te  cleyn, 

Laet  v  genoegen  int  genoech,  25 

Dien  tsyn  genoecht,  is  riic  genoech. 

Die  alre  meeste  eer  ist  trouue, 

Trouue  is  alre  eeren  vrouue; 

Hi  is  wiis  en  wel  geleert, 

Die  al  dinc  ten  besten  keert.  30 

Gherechtich,  barmhertich,  wetende,  milde, 
Die  dese  vier  ponten  wel  hielde, 
Hi  solde  hemmelriic  gewynnen, 
En  alle  die  werrelt  solden  mynnen. 

Hoessche  tale  en  groet  oetmoet  35 

Die  doen  sinken  oeuelen  moet, 

Efi  brengen  al  dingen  ten  besten; 

Dair  om  is  seker  swigen  guet; 

Die  wel  kan  dwingen  sinen  moet, 

Hi  verwynt  voirwaer  ten  lesten.  *° 

Oetmoedicheit  is  suet  eh  sacht 
Ende  heeft  altoes  guet  int  gedacht; 
Oetmoedicheit  brect  alle  striit 
En  si  uerledicht  alle  nyt, 


107 

Die  oetmoedicheit  willen  plegen 
God  en  salse  nymmer  begheuen. 

Des  siit  seker  efi  gewes, 

Dat  eene  mer  te  prysen  es, 

Die  synen  grammen  moet  bedwinct,  5 

Dan  die  een  borch  mit  erachte  wynt. 

Weet  ghi,  wat  ic  gescreuen  sach: 
Wiltu  verwinnen,  soe  verdrach. 

Die  kan  uerdragen,  swigen  efi  hören, 

Vele  rüsten  sal  hem  geboeren,  10 

Zwycht,  hoert,  siet,  efi  uerdraecht, 

Soe  en  weet  nyemant,  wat  ghi  iaecht. 

Soe  wien  dunet  dat  hi  genoech  kan, 

Hi  en  werdt  nymmenneer  wiis  man, 

Efi  wien  dunet,  dat  hi  is  wiis,  15 

Die  draecht  van  alre  sotheit  priis. 

Het  is  swaer  van  leuene  te  sceyden, 

Soe  ons  redene  doet  verstaen, 

Tot  steruen  laet  ons  ons  bereiden 

Want  steruen  mögen  wy  niet  ontgaen,  20 

AI  mögen  wy  een  luttel  tiits  uerbeiden, 

Nochtan  moet  ymmer  eens  syn  gedaen. 

Tot  steruen  syn  wy  alle  geboren, 

Steruen  is  ons  leuen  al, 

Steruen  is  ons  toe  behoeren;  2ö 

Mer  wel  te  steruen,  is  guet  geual. 

Die  te  steruen  is  onbereet, 

Als  hi  ymmers  steruen  moet, 

Soe  sal  hem  steruen  wesen  wreet, 

Als  hem  steruen  steruen  doet  3° 

Van  dingen,  die  hi  niet  en  weet, 

Sal  hem  steruen  dan  maken  vroet. 

Nv  want  ic  steruen  soe  edel  kyn 

Efi  alle  heiligen  dat  hebben  gedaen, 

Soe  willicic  steruen  in  mynen  syn,  35 

Want  dat  dunet  my  tbeste  voertaen. 

My  dunet  dat  hi  seer  sorchlic  leeft 

Efi  niet  wel  en  is  hi  vroet, 

Die  noch  al  te  steruen  heeft, 

Als  hi  ymmers  steruen  moet,  4° 

Tegen  die  doet  en  is  gheen  seilt, 

Leeft  soe  als  ghi  steruen  wilt. 


108 

Ic  rade  dat  ghi  v  daer  toe  keert, 
Dat  ghi  alle  dage  steruen  leert, 
God  en  heeft  ons  niet  te  weten  gegeuen, 
Hoe  lange  dat  wy  hier  sullen  leuen. 

Hi  is  wiis,  die  hier  vele  gaert  5 

Tegen  die  lange  heneuaert. 

Die  doet  comt  haestelic  mit  geweit 

Eö  neemt  beide  iong  efi  out, 

Daer  om  soe  is  ons  allen  noet 

Kennen  steruen,  eer  coemt  die  doet.  10 

Het  is  te  mael  een  swaer  uerbeiden, 

Die  op  syn  doetbedde  hem  sal  bereiden, 

Want  die  hoge  lerer  sint  Augustyn 

Sprect  alsus  inden  latyn: 

Si  vis  agere  penitenciam  dum  peccare  non  potes      15 

Peccata  te  dimiserunt  non  tu  illa. 

Alst  een  mensche  gelike  gaet, 

Hoe  mach  hi  weten  guet  eö  quaet; 

Grote  weelde  plompt  zeer  die  synne, 

Mer  sorge  die  brenct  wiisheit  ynne.  20 

Die  guet  efi  quaet  hier  heeft  geproeft, 

Die  weet,  wat  elc  mensche  behoeft. 

Gode  mynnen  efi  hem  ontsien, 

Sonden  haten  ende  die  vlien, 

Gheerne  uergheuen  en  noede  wreken,  25 

En  vanden  anderen  altiit  wel  spreken: 

Die  dat  dede,  god  solde  hem  geuen 

Nae  dese  elleynde  dat  ewich  leuen. 

Alre  bliiscap  is  een  verganc 

Dan,  daermen  hoert  der  engelen  sanc,  30 

Ende  alre  droefheit  is  een  eynde 

Sonder  der  droeuer  hellen  elleynde. 

Dyn  lyden  en  sulstu  niemant  clagen 

Dan  ihesu,  die  salt  di  helpen  dragen; 

Die  menige  seyt  syn  liden  voert  35       j 

Den  ghenen,  die  dat  gheerne  hoert,  ' 

Hem  weer  leet,  dat  anders  waer. 

Aldus  maect  hi  hem  seluen  te  maer 

En  wordt  dan  vele  te  myn  geacht. 

Het  is  een  manlike  cracht,  40 

Dat  een  syn  liden  wel  can  dragen 

Verborgen,  sonder  yemant  te  clagen 

Ende  toenen  van  butcn  alsufljk  gebaer, 

Recht  off  in  hem  gheen  liden  en  waer. 


Leert  verdragen,     Als  ghi  uerdraecht, 
Sonder  clagen,     Hoe  seer  men  v  iaecht, 
Wie  ghi  siit,     Ghi  wynt  den  striit. 

Ghi  sult  gramscap  van  v  weren, 

Want  si  plach  ziel  ende  liiff  te  verteren,  5 

Ende  wie  syn  liden  can  volharden, 

Syn  ongesien  sal  beter  warden; 

Ende  wie  can  liden,  swigen  en  sien, 

Int  eynde  sal  hem  guet  geschien; 

Ende  wie  uerbeiden  can  en  liden,  10 

Hi  sal  nerwynnen  sonder  striden. 

Soe  wye  benyt 

Eens  anders  profiit 

En  is  niet  guet, 

Hi  uerliest  syn  tut  15 

Ende  sonder  respiit 

Quelt  hy  syn  bloet. 

Die  heeft  syn  eer,  ende  onsen  heer 
Altiit  voir  ogen,  Wat  hem  geschiet 
Hi  en  sal  niet  wel  vallen  mögen.  20 

Een  corte  ioliit 

In  deser  tut, 

AI  hier  vercoren 

Voer  hemmelriic, 

Dats  sekerlick,  25 

Te  vele  uerloren. 

Ere. 
Nie  synt  soe  en  woudic  meer 
Climmen  nae  der  werrelts  eer, 
Daer  vele  menschen  seer  op  letten 
En  hoer  zielen  en  liue  voersetten,  30 

Doe  ic  merktde  op  enen  pas, 
Dat  si  also  verganclic  was. 

Ontrouue. 
Nie  synt  en  had  ic  des  rouue, 
AI  gheschiede  my  ontrouue, 

Doe  ic  my  seluen  wel  besach,  35 

Dat  ic  goede  soe  menigen  dach 
Veele  ontrouuer  hadde  geweest, 
Di  my  vrient  was  alre  meest. 

Tiitlike  guet. 
Nie  synt  en  was  my  wee  te  moede 
Om  uerlies  van  eertschen  guede,  40 


110 

Doe  ic  claerlic  sach,  dat  my 
Dit  guet  niet  dan  gelient  en  sy, 
Eö  ic  vandt,  dat  die  erue  myn 
Properlic  soude  gods  rike  syn. 

Penitencie. 
Nie  synt  soe  en  was  my  pyn  5 

Om  hier  in  penitency  te  syn, 
Hoe  zuer  si  was  off  hoe  onsochte, 
Off  hoe  si  my  uerswaren  mochte, 
Als  ic  aenmercde  die  grote  vroude, 
Die  my  god  daer  voer  gheuen  woude.  10 

Siecte. 
Nie  syn  en  vreesdic  ziecte,  die  my 
Toequam,  als  ic  mercde,  dat  zy 
Is  der  doet  een  seker  bode; 
Efi  niemant  van  hier  tot  gode 

En  mach  cornen  sonder  haer,  15 

Daer  ic  noch  alte  gheerne  waer. 

Ordell. 
Nie  synt  en  vreesde  ic  dat  ordel  myn, 
Doe  ic  dacht,  dat  die  selue  sal  syn, 
Die  oiier  my  sal  vonnys  [wiisen]  geuen, 
Die  hier  voir  my  gaff  syn  leuen,  20 

Om  myns  te  deruen  nymmermeer, 
Voerwaer  hier  op  troest  ic  my  seer. 

Nie  synt  vreesdic  der  hellen  pyn, 

Doe  ic  vandt  dat  wy  waerlic  syn 

Alleen  gescapen,  om  gods  riike  25 

Te  besittene  ewelike; 

Myn  hope  noch  te  comen  daer, 

Die  driift  van  my  den  heischen  vaer. 

Nummermeer  en  wil  ic  wanhopen, 

Want  ihesus  leert  ons  waer  efi  open:  30 

Clopt  v  sal  werden  op  gedaen, 

Efi  eyschet,  ghi  sult  ontfaen, 

Soect  en  ghi  sult  vinden  tot  dien, 

Nae  v  geloue  sal  v  geschien. 

NIEDERKRÜCHTEN.  Wilh.  Bäumker. 


111 


Kleine  mittelniederländisehe 
Dichtungen. 

Die  nachfolgenden  Dichtungen  sind  uns  bis  auf  das  Marienlied, 
welches  im  Ms.  germ.  octav.  211  steht,  indem  Ms.  germ.  quart.  557 
der  königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  erhalten.  Die  dem  15.  Jh.  ange- 
hörende Papierhs.  war  ehemals  im  Besitz  Hoffmanns  von  Fallersleben, 
der  sie  in  seiner  'Bibliotheca'  unter  Nr.  XI  kurz  beschrieben  hat. 
Hoffmann  hat  aus  ihr  in  den  Altdeutschen  Blättern  I,  75 — 78  eine 
Auswahl  von  Reimsprüchen  und  A.  Beets  in  der  Tijdschr.  v.  Ndl.  taal- 
en  letterk.  6,  79 — 80  ein  Gedicht  von  40  Versen  veröffentlicht,  dem 
er  die  Ueberschrift :  'Die  werelt  es  mit  allen  bedorven'  gegeben  hat. 
Ueber  die  erstgenannte  Publication  werde  ich  an  anderer  Stelle  zu 
sprechen  Gelegenheit  haben. 

Das  von  mir  'Der  Welt  Untreue1  betitelte  Gedicht  findet  man 
auf  Bl.  21b— 22a,  den  ABC-Spruch  auf  Bl.  23a— 23b.  Mone  ver- 
zeichnet im  ganzen  7  solcher  ABC-Sprüche,  von  denen  manche  ausser- 
ordentlich künstlich  gebaut  sind.  Einige  Dichter,  wie  der  unsrige, 
begnügen  sich  damit,  jeden  Vers  mit  einem  neuen  Buchstaben  des 
Alphabets  zu  beginnen,  andere  weisen  jedem  Buchstaben  mehrere  Verse 
zu  oder  lassen  auf  die  übliche  Reihenfolge  der  Buchstaben  die  umge- 
kehrte folgen  (Blommaert's  OV1.  Ged.  3,  143).  Eine  am  Schluss  ge- 
kürzte Uebertragung  unseres  Spruches  ins  Mittelniederdeutsche  hat 
Mone  Uebersicht»  S.  398  nach  einer  dem  16.  Jh.  entstammenden  Hs. 
des  Freiherrn  W.  von  Haxthausen  zu  Böckerhof  mitgeteilt.  Die  'Er- 
mahnung an  Hofleute'  umfasst  die  Bll.  31a — 32b,  'Peynst  om  den 
ouden  hont  die  bast'  die  Bll.  34b — 35b  und  das  von  mir  'Die  Jahres- 
zeiten" überschriebene  Gedicht  die  Bll.  66a — 66b.  Reinier  Teiles 
Dichtung  von  den  vier  Jahreszeiten1)  hat  mit  dem  letztgenannten 
Werkchen  nur  eine  geringe  inhaltliche  Gemeinschaft,  dagegen  Aehn- 
lichkeit  in  der  äusseren  Anordnung. 

Das  im  15.  Jh.  geschriebene  Ms.  germ.  octav.  211  besteht  aus 
7  Blättern.  Die  ersten  6  Blätter  der  Hs.,  welche  früher  Meusebach 
gehörte,  nimmt  das  Marienlied  in  Anspruch.  Die  Verse  sind  nicht 
abgesetzt.  Das  letzte  Blatt  enthält  auf  der  Rectoseite  einen  latei- 
nischen Osterhymnus. 

I. 

Der  Welt  Untreue. 

Mensch,  wes  op  dijn  hoede  altoes, 
Want  die  werelt  is  soe  loes: 


')  VgL  J.  te  Winkel  in  der  Tydschr.  v.  Ndl.  taal-  en  letterk.  3,  169  f. 


112 

Haer  genoecht  is  onsuverheyt, 

Haer  raet  is  hovaerde  ende  ghiericheyt, 
5  Haer  dienst  is  zoet,  haer  loen  is  cranc, 

Haer  bloem  is  scoen,  haer  vrucht  is  stanc, 

Haer  sekerheyt  is  verradenis, 

Haer  medecijn  is  verghiffenis, 

Haer  geloven  is  liegen, 
10  Haer  geleesten  dat  is  bedriegen, 

Ende  voer  bliscap  ghift  sy  rou, 

Scande  voer  eer,  boesheyt  voer  trou, 

Voer  rijcheyt  ghift  sy  armoede  groot, 

Voer  ewich  leven  ewich  doot. 
15  0  edel  mensch,  bedenct  dy  wel 

Ende  wes  ten  dienst  gods  snel. 

Qienstu  der  werelt,  du  blijfs  bedrogen, 

Alstu  mogheste  sien  mit  dijn  ogen. 

Die  werelt,  die  viant  ende  dat  vleysch, 
20  Als  dese  drie  hebben  haer  eysch, 

Soe  blijft  die  edel  ziel  verloren, 

Die  god  so  vriendelic  heeft  vercoren. 

Die  werelt  vlie,  den  viant  ontspringhe, 

Mit  besceyde  dijn  vleysch  bedwinge, 
25  Soe  bistu  behouden  in  dat  lest. 

0  edel  mensch,  dese  leere  wel  vest. 

n. 

ABC-Sprueh:  Frauenpreis. 

Abel  was  die  vrouwe  mijn, 

Blide  van  herte  ende  mit  aenschijn, 

Cläre  dan  die  dageraet, 

Duechdelic  in  hären  staet, 
5  Eersamich  tot  allen  steden, 

Frisch  gedaen  van  allen  leden, 

Guetelijc  in  hären  dinghen, 

Hoech  in  hären  wanderingen, 

Innich  inden  dienst  ons  heren, 
10  Konstich  alle  dinc  te  leren, 

Lieflic  in  hären  aenscouwen, 

Minlijc  boven  alle  vrouwen, 

Neerstich  tot  allen  goeden  werken, 

Oetmoedich  is  sy  inder  kerken, 
15  Prijs  heeft  sy,  wat  sy  doen  sal, 

Quaetheyt  scouwet  sy  over  al, 

Reyn  van  leven  ende  van  moede, 

Rechtvaerdich  in  allen  goede, 

Sedich  in  spraec  ende  in  tgelaet, 


113 

20  Stadich  wair  sy  hene  gaet, 

Trou  van  hande  ende  van  monde, 

Vroet  verstandet  tot  allen  stonden, 

Wijs  van  rade  ende  van  dade, 

Christus  dient  sy  vroe  ende  spade, 
25  Yoechdelijc  is  sy  gedaen, 

Zinnich  int  spreken  ende  int  verstaen. 

Et  sy,  drinct  sy,  dat  is  in  maet, 

Konstich  na  alle  vrouwen  staet, 

Tytel  is  sy  boven  alle  vrouwen. 
30  Ist  wonder,  dat  ic  se  mynne  mit  trouwen? 

III. 

Ermahnung  an  Hofleute. 

1.  Die  wil  der  werelt  dwalinge  verstaen 
Ende  des  hoves  rasarien, 

Int  cort  mach  hy  dat  lesende  doergaen 
Ende  dit  ghedichtkijn  wel  doersien. 

2.  AI  schijntet  in  een  droem  geschiet, 
Dat  hier  nae  volcht  in  corten  reden, 
Ten  is  geen  droem,  diet  wel  doirsiet, 
Mer  leringhe  van  salicheden. 

3.  Twie  gesellen  die  dienden  ten  hove, 
Sliepen  op  eenre  tijt  te  samen; 

In  eenre  camer,  als  ic  gelove, 
Sy  haer  nachtrust  beyde  namen. 

4.  Als  die  nacht  was  over  gegaen, 
Began  die  een  mit  herten  te  spreken 
Ende  seyde  den  anderen,  sonder  waen, 
Int  gemeen  des  hoves  ghebreken. 

5.  Ic  en  weet,  sprac  hy,  hoe  wy  seilen  comen 
Tot  gods  genaden  nae  desen  leven; 

Nae  allen  scriften,  die  ic  heb  vernomen, 
Soe  moeten  wij  an  die  verdomenis  cleven. 

6.  Wij  nement  altoes,  ist  recht,  ist  crom, 
Van  allen  canten,  nyement  gespaert, 

Hoe  dattet  comt,  wij  en  geven  niet  om; 
Dit  dient  zeer  wel  ter  hellen  waert. 

7.  Ende  dat  mijn  zeer  verwondert  boven  al: 
Onse  raetsheeren  inden  rechten  geleert 

Die  grypen  ende  grapen  sonder  getai 
Ende  willen  oyc  dair  of  zijn  gheert. 

8.  Die  scriften,  die  reden  hier  tegens  vechten, 
Die  predicaren  roepen  inder  kerken, 


II,  24:  In  der  Hs.  beginnt  der  Vers  naturlich  mit  X:  Xpüs. 

Niederdeutsches  Jahrbuoh.    XI  IL 


114 


Dat  onse  hantyeringhe  sijn  teghen  die  rechten 
Ende  der  ewigher  verdoemenis  wercken. 

9.  Alle  dit  nochtants  aengesien, 
Soe  gaen  wy  blindelic  an  die  marct, 
Sonder  voirdencken  of  sonder  verinyen, 
Die  een  den  anderen  in  quaetheyt  starct. 

10.  Wat  sei  ons  anders  hier  nae  geschien, 
Dan  dat  wij  wachten  die  ewighe  doot. 

Die  wij  niet  en  moghen  ontvlien, 
AI  schynen  wij  nu  ter  werelt  groot. 

11.  Die  ander  van  beyden,  wel  meest  geleert. 
Als  hij  dese  reden  hadde  gehoirt, 

Was  thants  ter  antwoirt  wel  gekeert 
Ende  sprac  een  onbedachtelic  woirt. 

12.  Ey  zwijch,  sprac  hij,  daer  staet  gescreven 
In  Davids  souter,  sonder  sneven: 

God  is  die  heer  vant  hemelsche  leven, 
Den  menschen  heeft  hij  die  aerde  gegeven. 

13.  Indyen  dan  dattet  soe  is  gheschyet 
Ende  ons  die  scriften  alsoe  bewisen, 

Soe  laet  ons  leven  sonder  verdriet. 
My  dunct,  men  seit  wel  mögen  prysen. 

14.  Mit  deser  antwroirde  aldus  ghedaen, 
Soe  sprac  die  ander  mit  lachenden  monde, 
Wy  moghent  soe  setten  ende  latent  staen 
Mit  lichter  herten  op  zoeten  gronde. 

15.  Een  derde  man  hier  omtrent  by  was. 
Die  dese  matery  hoerde  verslaen. 

Hy  sweech  ende  hoirdet  op  dat  pas 
Ende  dochte,  het  souder  al  anders  gaen. 

16.  Als  hy  daer  nae  bij  eenen  quam. 
Die  inder  gemeenten  dienste  oyc  stonde, 
Versloech  hijt  hem,  als  hijt  vernam, 

Doe  sij  dit  spraken  mit  nochteren  monde. 

17.  Doe  seyde  die  vierde  man  een  wairt  woirt: 
Men  vint  die  scrift  alsoe  bescreven, 

Mer  tvairskijn,  datter  meer  an  hoert. 
Als  my  dunct,  is  after  gebleven. 

18.  Daer  seyt  die  propheet  mit  claren  verteilen: 
Here,  die  doden  en  seilen  dy  niet  loven 

Noch  alle  die  geen,  die  dalen  ter  hellen, 
Mer  wij,  die  leven,  benedyen  dy  boven. 

19.  Wat  machmen  lesen  beter  bescheyt, 
Dan  ons  die  scrift  aldaer  bewijst, 

Twischen  duechd  ende  onduechd  recht  onderscheyt. 
Die  sonden  laect,  die  duechden  prijst. 

20.  Die  sondaren  sijn  byden  doden  verstaen, 


115 

Om  dat  sy  dootlijke  wercken  doen, 

Die  zekerlic  neder  ter  hellen  gaen 

Ende  nymmermeer  comen  en  mögen  te  zoen. 

21.  Wat  baet  dan  grypen  ende  grapen 
Ende  veel  goets  ter  werelt  te  garen! 

Ist  dat  wij  in  sonden  ontslapen, 
Wij  moeten  zekerlic  ter  hellen  varen. 

22.  Ende  dat  die  geleerde  inder  wet 
Gheestelic  of  wairlic  oyc  soe  leven, 
Dat  en  ontsculdicht  ons  niet  te  bet, 
Mer  tmach  ons  meerre  dwalinc  geven. 

23.  Ende  oyc  en  ist  gheen  oirbair  te  spreken 
Of  enighe  langhe  reden  te  maken 

Vander  groter  heeren  ghebreken, 
Sij  seilen  bij  hären  recht  wel  raken. 

24.  Ons  staet  mit  arnsten  altois  te  poegen, 
Hoe  wij  ter  salicheyt  moghen  comen. 
Hebben  wij  goids  vrese  altois  voir  ogen, 

Dat  sei  ons  inder  ewicheyt  vromen. 
Amen. 

IV. 

Peynst  omden  ouden  hont  die  bast. 

l. 

Als  doude  hont  bast,  soude  men  uut  sien 

Opt  avontuere,  wat  mocht  geschien 

Van  dinghen,  daer  menich  luttel  op  geloest, 

Dat  den  menighen  heeft  genoest 

Van  eren  ende  oic  van  goede  mede:  w 

Daer  goet  hoede  is,  daer  is  goet  vrede. 

Maer  als  de  dinghen  sijn  geschiet, 

Daer  men  om  doghen  moet  verdriet 

Ende  bij  comen  in  schalkernye, 

Die  te  voren  stonden  int  vrye, 

Soe  en  eest  nyet  anders  dan  druc  en  last: 

Peynst  omden  ouden  hont  die  bast. 

2. 
Men  mach  wel  seggen  over  waer 
Ende  oec  proeven  int  openbaer, 
Dat  hij  es  wijs  ende  wel  gesint. 
Die  sijns  seif  staet  bekint 
Ende  pijnt  te  levene  in  selker  mate, 
Alsoet  behoert  te  sinen  state, 
Naer  dat  hem  god  verleent  heeft. 
Die  daer  buyten  gaet,  hij  sneeft 

8* 


116 

Soe  zeere,  dat  hem  nae  berout, 
Dat  hij  sijn  hoet  daer  omme  crout. 
Hets  recht,  hij  hevet  qualijc  gepast: 
Peynst  omden  ouden  hont  die  hast. 

3. 
Die  tachter  es  ende  nyet  te  voren, 
Hem  is  van  node,  wilt  hijt  hören, 
Dat  hij  sijn  zaken  soe  bestelt, 
Dat  hij  hem  niet  en  . .  lde l)  gevelt 
Met  allen  eer  hijt  selve  weet. 
Eest  anders,  het  sal  hem  worden  leet; 
Als  hij  hem  wel  hedincken  sal. 
Alst  peert  verloren  es,  slutmen  den  stal; 
Dan  eest  te  spade  na  mijn  verstaen, 
Die  ridens  plach,  die  moet  dan  gaen. 
Beter  eest,  weert  te  sine  dan  gast: 
Peynst  omden  ouden  hont  die  hast. 

4. 
Na  dese  werelt  eest  groet  eere, 
Dat  hem  elc  alsoe  genere, 
Dat  hem  nyemant  sijns  en  beclage 
Niet*)  meer  vremde  dan  vrienden  oft  maghen. 
Oec  eest  gode  seer  wel  bequame, 
Ende  men  ghecrychter  bij  goeden  name. 
Nen  mach  wel  exponeren  siecht 
Sonder  yemande  te  doene .  onrecht. 
Van  onrechte  in  waren  saken, 
Siet  men  dicke  comen  wraken. 
Hout  u  daer  an  wel  ende  vast: 
Peynst  omden  ouden  hont  die  bast. 


Hi  dunct  my  sinde  van  sinne  blint, 

Die  niet  en  acht  upt  regiment 

Van  hem  selven  ende  sinen  lieden, 

Die  hij  mach  heten  ende  gebieden, 

Want  nyet  meer  dan  een  man  sonder  hoeft 

Leven  en  mach,  my  dies  geloeft, 

Soe  en  mach  een  mensche  staende  bliven, 

Weder  het  sijn  mannen  oft  wiven, 

Die  niet  en  ledt  up  sijn  bestier. 

Hij  vint  hem  selven  int  dangier 

Micls  den  commer  die  hem  an  wast: 

Peynst  omden  ouden  hont  die  bast. 


')  vilde?  —  *)  Hinter  Niet  ist  man  getilgt. 


117 


Ende  naer  dat  aldus  gescepen  staet, 

Laet  ons  sceppen  aisulken  raet 

Ende  soe  toe  sien  tot  onser  bederve, 

Dat  wij  behouden  lant  ende  erve, 

Ende  altoes  pinen  ende  pogen, 

Gode  te  payen  na  ons  vermoghen. 

Die  nyet  en  heeft,  men  gheeft  hem  nyet1), 

Hij  inoet  bliven  in  sijn  verdriet, 

Ten  baet  geen  bidden  noch  gheen  clagen, 

Weder  het  sijn  vriende  oft  maghen. 

Dat  weet  hij  wel,  diet  heeft  getast: 

Peynst  omden  ouden  hont  die  hast. 


Die  Jahreszeiten. 

Van  lusten  heb  ic  een  weynich  gedieht 
Ende  uwer  niynnen  dat  toe  geticht. 
Wilt  ghijt  in  goeder  mynnen  ontfaen, 
Alst  uut  mynnen  is  u  gedaen: 
5  Int  cort  geroert  den  loop  der  tijt, 
Hoe  wij  worden  dat  leven  quijt! 

Die  lenteu  is  warm,  vuehtieh  ende  soet, 
Ende  alle  dinek  lustelic  spruten  doet. 
Die  joeeht  die  is  dair  bij  verstaen, 
10  Thent  die  craften  zijn  ontfaen. 
Dat  bloet  is  werm  ende  vol  lusten 
Ende  doet  den  jongeline  seiden  rüsten. 
Die  sudenwint  die  waeyt  dan  fast 
Ende  gift  den  dieren  ende  eruden  craft. 

15  Die  somer  is  wann  ende  dair  toe  droech, 
Want  dan  climmet  die  sonne  int  hoech. 
Die  mensch  wort  man,  die  vruchten  stereken, 
Die  heete  colera  beginnt  te  wereken. 
Die  oestenwint  waeyt  schoen  ende  ciaer, 

20  Des  worden  die  dieren  ende  vruchten  ontwair. 
Wie  hem  dan  houden  can  eloec  ende  wijs, 
Die  vergadert  dan  goet  loff  ende  prijs. 

Die  herfst  is  cout  ende  dair  toe  droech, 
Want  die  sonne  loopt  uutet  hoech. 


')  nyet  steht  hinter  dem  Reimwort  des  folgenden  Verses ;  der  übliche  Haken, 
der  die  aus  Platzmangel  nötig  gewordene  Versetzung  andeutet,  fehlt.  —  V,  11 — 13 
Randglosse:  Ver.  Adolescencia.  Sanguis.  —  18—20:  Estas.  Juventus.  Colera.  — 
24—26:  Autumpnus.  Senectus.  Melancolia. 


118 

25  Dan  sijn  vijftich  jaren  geleden, 
Ende  die  craften  minren  mit  reden. 
Die  acker  ende  wijngairt  ende  alle  boemen 
Doen  alle  vruchten  ter  schueren  comen. 
Dan  soe  rijsen  die  inelancolyen, 

30  Die  synnen  die  valien  in  fantasyen. 
Die  riken  peynsen,  wair  sijt  seilen  laten, 
Die  arme  soekent  bij  wegen  ende  Straten. 
Die  noerdenwint  die  waeyt  dan, 
Tgepeyns  maect  menich  bedrucket  man. 

35  Die  winter  is  cout  ende  vuchtich  mede, 

Want  die  sonne  leyt  dan  beneden. 

Dair  is  die  ouderdom  bij  verstaen, 

Als  vijff  ende  tsestich  sijn  overgegaen. 

Dat  bloet  dat  wort  verwandelt  in  flumen, 
40  Die  en  willen  mit  arbeyt  nauwelic  rumen, 

Mit  hoesten,  mit  cochen,  mit  noesen  te  drupen, 

Doer  alle  conduten  beghinnen  sij  te  crupen. 

Die  westenwint  die  waeyt  mit  reghen, 

Het  stormt  ende  bairt,  tis  al  tondeghen. 
45  Och  hoe  wel  soe  is  hem  dan, 

Die  gedocht  heeft  upten  ouden  man, 

Dat  hem  moghen  bueren  maechden  ende  knechten, 

Die  hem  dan  zijn  gemack  berechten. 

Mer  veel  bet  heeft  hij  gewrocht, 
50  Die  zijn  ziel  dan  heeft  bedocht 
Ende  mit  oefeninge  van  duechden 
An  god  verdient  die  ewige  vruechden. 
0  alre  gemintste  mit  al  mijn  synnen, 
Die  scheynt  is  uut  grondigen  mynnen. 

VI. 

Marienlied, 
l. 

Ave  moeder,  reyne  maecht, 

Mijn  aerme  noot  zy  hu  gheclaecht, 

Hemelsche  conneghinne. 

Consciencie  heift  my  ghcvraecht, 

Hoe  verre  dat  mijn  leven  draecht 

Ten  hemelschen  ghewinne. 

Dit  vraghen  maect  my  so  versaecht, 

So  zeere  bescaemt  ende  so  verbaecht. 

Ic  en  weet,  wat  ic  beghinne. 


V,  35  Hs. :  wint.  —  39—41  Randgl. :  Yems.  Senium.  Flegma. 


119 

Dese  worm  dor  mijn  herte  cnaecht, 
Ic  bem  bedorven  en  gheplaecht. 
Ghy  en  doet,  dat  ic  bekinne 
Hu  moederlicke  minne. 


Maria,  aldersoetste  woort, 

Zoe  waer  dat  men  hu  nomen  hoort, 

Daer  van  vliet  alle  mesquame. 

Sviands  cracht  hebdi  verstoort. 

Wie  an  hu  roupt,  hy  vint  confoort, 

Wel  zoete  werde  name. 

My  dincke,  dat  mijn  herte  seuert 

Int  peisen,  dat  ic  hebbe  verbuert 

Met  sondelicker  blaine. 

Maria,  zijt  in  mijn  hulpe  voort, 

Maect  my  pays  ende  vast  acoort, 

Eer  god  up  my  vergrame, 

Want  ic  my  voor  hem  scame. 

3. 
Gratia  plena  sonder  gront 
Zidi,  vrauwe,  in  alder  stont 
Tonsen  bouf  vercoren. 
Soe  wie  van  zonden  es  ghewont, 
By  hu  mach  hy  zijn  ghesont. 
Hier  toe  zydi  gheboren. 
Mijn  aerme  noot  die  zy  hu  cont, 
Hu  bidt  mijn  herte  en  ooc  mont, 
Als  moeder  wilt  my  hooren. 
Eist  dat  ghijs  my  niet  en  jont, 
AI  ba  voor  my  de  werilt  ront. 
Nochtan  blevic  verloren. 
Dit  weetic  wel  te  vooren. 

4. 
Dominus  tecum  talder  tijt, 
Want  also  wel  ghy  met  hem  zijt, 
Hu  wille  dat  es  de  sinne. 
Hier  toe  soe  heift  hy  hu  ghewijt, 
Verheven  ende  ghebenedijt, 
Doet  ons  huwe  macht  ansehine. 
Wie  mach  onstaen  des  viands  nijt, 
Ten  zy  dat  ghy  ons  bevrijt 
Met  der  hulpe  dine. 
Maect  ons  nu  van  sonden  quijt 
In  dese  ertsche  overlijt, 


120 

Ende  emmer  tonsen  fine 
Zijt  onse  medecine. 

5. 
Benedicta  tu,  vrauwe  alleyne, 
Naest  gode  so  helich,  so  en  es  ne  gheyne, 
Versiert  in  hemelricke. 
Themelsche  beer  al  ghemeyne 
Verblijt  hem  in  hu,  groot  ende  cleyne, 
Daer  en  es  niement  dijns  ghelicke. 
0  soete  hemelsche  souvereyne, 
Ziet  neder  in  dit  dal  van  weyne. 
Up  my  die  nu  verzlcke. 
Ghy  zijt  donfarmeghe  fonteyne, 
Maect  my  nu  van  zonden  reyne, 
Dat  my  gods  vrienscap  blicke, 
Eer  by  zijn  vonnes  stricke. 

6. 
In  mulieribus  zydi  soet, 
Der  maecbden  speghel  vulder  otmoet, 
Boven  der  zonne  schone. 
Ghy  hebt  ghemaect  om  ons  behoet, 
Dine  moederlike  borsten  zoet 
Toecht  huwe  lieve  zone, 
Bit  hem,  hy  gaf  om  ons  zijn  bloet, 
Dat  hy  zijn  wonden  schauwen  doet 
Den  vader  vanden  troone. 
Wildi  dit  doen,  ic  bem  wel  vroet, 
Wy  crighen  pays  met  groter  spoet, 
Brinct  ons  ten  hooghen  loone, 
Ghy  zijter  doch  wel  ghewoone. 


Et  benedictus  so  es  hy, 

En  vui  van  zonden  staen  wy 

Allendeghe  keytiven. 

Wie  mach  ons  maken  van  zonden  vry 

Dan  alleyne  vrauwe  ghy? 

Boven  alle  wiven 

Ic  duchte,  niement  zo  helich  en  zy, 

Waer  dy  hem  niet  met  troosten  by, 

Hij  en  zoude  in  drucke  bliven. 

Ay  lacen,  hoe  zout  dan  staen  met  my! 

0  moeder,  der  zondaren  cry, 

Wilt  van  my  nu  verdriven 

Tfiands  ieghen  kiven. 


121 

8. 
Fructus  ventris  tui,  vrauwe, 
Hy  heift  ons  bevrit  van  alle  rauwe 
Met  sinen  werden  bloede. 
Ast  eomt  dat  elc  zijn  ordeel  scauwe, 
Up  rechte  moederlicke  trauwe 
Zijt  daer  in  onse  hoede. 
Ende  als  ons  aerme  herte  flauwe, 
Met  uwen  zoete  hemelsche  dauwe 
Laeft  ons,  vrauwe  goede. 
Rumt  ons  den  wech,  hy  es  te  nauwe, 
Dat  ons  den  viant  niet  en  glauwe. 
Vrijt  ons  van  zijnder  roede 
Ende  van  der  hellen  gloede. 

9. 
Amen,  dit  inoete  wcsen  waer, 
Ende  die  dit  scriven  hier  naer 
Of  met  den  wyse  lesen 
Inde  werdichede  van  hacr, 
Die  ons  inden  laesten  vaer 
Van  sonden  mach  ghenesen, 
Leist  ave  Maria  een  paer 
Voor  hu,  voor  my,  dats  mijn  begaer, 
Dats  wijs  te  beter  wesen. 
Dat  jonne  ons  god  en  bringhe  daer 
Daer  vreucht  es  zonder  jaer, 
Zy  en  mach  niet  zijn  vulpresen, 
God  zy  gheloft  van  desen. 

BERLIN.  Herman  Brandes. 


Johan  Statweeh. 

Im  Deutschen  Museum  für  1777  Bd.  2  S.  326  teilte  Anton, 
Gymnasialdirektor  in  Görlitz,  mit,  dass  sich  in  seinem  Besitze  sechs 
Pergamentblätter  mit  einem  altdeutschen  Gedichte  befänden,  welches 
die  Genealogie  Christi  behandele.  Fünfzig  Jahre  später  wies 
Spangenberg  in  seiner  wertvollen  Anzeige  von  Schellers  Biicherkunde 
in  der  Allgemeinen  Litteratur-Zeitung  1827  Bd.  I  Sp.  738  f.  auf  eine 
gereimte  Weltchronik  Job.  Statwechs  in  einer  Görlitzer  Handschrift 
hin.  Auf  Grund  dieser  Angaben  verzeichnete  Gödeke  in  seinem  Grund- 
risse 2  Afl.  Bd.  I  S.  470  n.  (>  eine  'Genealogie  Christi'  und  als  ein 
zweites  Werk   S.  462   n.  38   eine  'Weltchronik   in  ml.  Reimen'.     Wie 


122 

die  von  Anton  und  Spangenberg  mitgeteilten  Anfangsverse  zeigen,  kann 
jedoch  von  verschiedenen  Werken  nicht  die  Rede  sein,  vielmehr  handelt 
es  sich  um  dieselbe  Dichtung  und  dieselbe  Handschrift. 

Der  Verbleib  der  von  Anton  erwähnten  Pergamentblätter  ist  mir 
unbekannt,  die  Handschriftenverzeichnisse  der  Görlitzer  Bibliotheken 
geben  keine  Auskunft  über  dieselben.  Dagegen  bietet  die  Dresdener 
Handschrift  M.  178.  4°  eine  im  18.  Jahrh.  angefertigte,  aus  Gottscheds 
Bibliothek  stammende  Abschrift.  Aus  der  Dresdener  Handschrift  ist 
dann  eine  weitere  Abschrift  geflossen,  die  als  Mscr.  germ.  Quart.  Nr.  4 
die  Königliche  Bibliothek  in  Berlin  besitzt.  Die  Abschriften  bieten 
manche  Verlesungen,  vielleicht  fehlt  auch  öfter  hier  und  da  ein  ein- 
zelnes Wort,  welches  in  Anton's  Handschrift  noch  stand,  ganze  Verse 
scheinen  aber  nicht  ausgefallen  zu  sein,  da  Spangenberg  angiebt,  dass 
auch  die  Görlitzer  Handschrift  920  Zeilen  enthalten  habe. 

Das  Gedicht  ist  von  Spangenberg  richtig  als  Weltchronik  be- 
zeichnet worden.  Aus  dem  Rahmen  der  biblischen  Geschichte  im 
allgemeinen  nicht  heraustretend,  giebt  es,  meist  kurz  verzeichnend, 
selten  einzelnes  breiter  ausführend,  eine  historische  Übersicht  bis  zur 
Zeit  des  Tiberius.  Mitunter  begegnen  legendarische  u.  a.  Zusätze, 
die  wohl  schon  in  der  unmittelbaren  Quelle  des  Verfassers  sich  fanden: 
Adam  lässt  er  zu  Damascus  geschaffen  werden,  Jubal  soll  der  Erfinder 
der  Briefsegen  gegen  Feuer  und  Wassernot  sein,  Vs.  843  ff.  zeigen 
Kenntnis  der  Pilatuslegende. 

Nicht  klar  ist  die  Ursache  der  chronologischen  Verwirrung  in 
den  ersten  achtzig  Versen.  Cains  Brudermord  wird  eher  als  die  Er- 
schaffung Adams  erzählt.  Folgen  müssten  auf  Vs.  6  die  Verse  53 — 7s, 
dann  7 — 52.  Auch  scheinen  Lücken  den  Zusammenhang  zu  unter- 
brechen, vergl.  Vs.  67  ff. 

Das  Gedicht  gewinnt  einiges  Interesse  auch  dadurch,  dass  Namen 
und  Heimat  des  Dichters  nicht  zweifelhaft  sind  und  dieser  noch  als 
Verfasser  eines  anderen  Werkes  nachweisbar  ist.  LJohan  Staturch. 
ein  poppendikesch  mar!  wird  der  Verfasser  der  Weltchronik  zu  Sehlus> 
derselben  genannt.  Seine  Mundart  (mek  statt  rot,  brockte  neben  brachte, 
stidde  statt  stede)  weist  auf  den  östlichsten  Teil  des  rot/c-Gebietes,  in 
das  Flussgebiet  der  Ocker,  Bode  und  des  Oberlaufes  der  Aller,  also 
in  den  östlichen  Teil  des  Herzogtums  Braunschweig  und  des  angren- 
zenden Teiles  der  Provinz  Sachsen.  Die  Ileimgenauigkeit,  dass  er 
inlautendes  v  nur  mit  t?,  nie  mit  g,  bindet,  deutet  für  das  in  Betracht 
kommende  Gebiet  darauf,  dass  er  westlich  oder  südwestlich  von  dem 
Laufe  der  Ohre  und  der  obern  Aller,  also  in  der  Gegend  von  Oschers- 
leben,  Helmstädt  oder  Braunschweig  zu  Hause  war1).  In  der  That 
lässt  sich  wenig  nördlich  von  der  letztgenannten  Stadt,  südlich  von 
Gifhorn,  ein  Bezirk  nachweisen,  der  heute  Papenteich  genannt  wird 
und  früher  Poppendik  hiess*). 

»)  Nd.  Jahrbuch  12,  27. 

")  Vgl.  Sudendorts  Urkimdenbuch  11  S.  363;  Chroniken  d.  dtsch.  Städte  tf 
S.  3(5  n.  6. 


123 

Ausser  seiner  gereimten  Weltchronik  hat  Johan  Statwech  noch 
eine  prosaische  Weltchronik  hinterlassen,  der  ein  gereimtes  Vorwort 
vorangeht.  Dieses  und  der  letzte  Teil  der  Chronik  ist  von  Leibnitz 
in  den  Scriptores  reram  Brunsvicensium  T.  III,  263—276  mitgeteilt, 
*ie  reicht  hiernach  bis  zum  Tode  Albrechts  II.  von  Österreich.  Der 
Verfasser  scheint  darnach  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrh.  gelebt 
zu  haben. 

Statwechs  Reimchronik  enthält  nicht  einen  einzigen  unreinen 
Reim,  das  ist  aber  auch  das  einzige,  was  an  ihr  als  Dichtung  zu  loben 
ist.  Es  mag  genügen,  wenn  Anfang  und  Ende  derselben  abgedruckt 
werden. 

Godde  Marien  unde  allen  hilghen  to  eren 

Wil  ik  de  leygen  leren, 

Dat  fe  feyn  unde  lefen, 

Wo  id  vor  uns  fy  gewefen 
5  Van  Adammes  tyden  to  Cristi  bort. 

Des  merke  duffe  lere  vort: 
Cayn  fynen  broder  floych 

Van  hate,  den  he  in  fynen  herten  droych. 

Darumme  he  vluchtich  mofte  werden, 
10  Wante  he  ftorf  van  duffer  erden. 

Enoch  was  Cayns  erfte  föne, 

Eine  ftat  ome  buwede  fchone 

Unde  fynes  namen  Enoch  heyt. 

Dar  he  wonde  unde  al  fyn  deyt. 
15  Lamech,  de  erfte  breker  der  ee, 

Myt  tween  wyven  levede  alze  ve, 

De  ome  der  fmaheyt  nicht  vordroyghen, 

Beyde  roften  unde  floyghen, 

Dat  he  wart  feyk  unde  blynt. 
20  He  fchot  Cayn  unde  floych  dat  kynt 

Unde  sprak  to  fynen  wyven  do 

'Myn  herte  kan  werden  nummer  vro; 

Van  Kayn,  den  ik  hebbe  flaghen, 

Moyt  ik  feven  vloyke  draghen. 
25  Seven  unde  feventich  fynt  dem  bereit, 

De  mek  wedder  to  dode  fleyt.' 

Jabel  dat  erfte  hoyden  vant, 

Alle  deir  weren  ome  bekant 

De  he  den  luden  fcheyden  leide. 
30  Dar  van  fyn  komen  alle  beide. 


1  Die  handschriftlichen  u  und  v  sind  im  Abdrucke  nach  heutiger  Regel  gesetzt. 
Für  das  neben  vnde  sich  findende  vnd  ist  stets  unde  wiedergegeben.  —  25  den  — 
27  Dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauche  würde  erste  dat  hoyden  hier  und  erste  de 
immcam  Vs.  33  entsprechen. 


124 


Jubal  up  den  feyden  konde  fyngen 

Na  fynes  broders  hörne  klyngen; 

He  vant  de  elften  muficam; 

Unde  eynen  marmor  to  fik  nani 
35  Alzo  eyn  boyk  unde  eynen  breyff 

Teghen  vur  unde  water  dar  yn  fcreif. 

Tubalkaym  de  metalle  vant, 

Do  he  de  buffehe  hadde  braut. 

Dar  he  beide  konde  afhauwen 
40  Myt  fynen  hameren  unde  tauwen. 

Xoeina  dat  werkent  vant. 

So  nam  dat  gharne  in  de  haut 

Unde  alzo  lange  dar  up  dachte, 

Dat  fe  dat  to  wände  brachte. 
43  Dar  van  de  cleder  komen  fyn 

Dor  not  unde  des  homodes  fchyn; 

So  men  alle  daghe  fut, 

Dat  mennich  fek  fere  vortut 

Unde  dar  uinme  moyt  vorfynken 
50  Unde  in  der  helle  grünt  vordrynken, 

Alze  duffe  al  in  waternot 

Storven  ok  den  eweghen  dot. 

Adam  to  Damascene  gemaket  wart 

Van  der  erde,  de  god  hadde  vorclart, 
55  Unde  Adam  de  clarheyt  het  verlorn. 

Dar  umme  Christus  is  gheborn, 

Dat  we  inoghen  tho  godde  kommen. 

Adam  de  wart  upgenommen 

Van  der  ftede,  dar  he  maket  was, 
60  Unde  vort  in  des  paradifes  plas 

Vil  drade  bracht,  he  dar  entfleyp, 

God  in  fyne  fyden  greyp 

Unde  eyn  ribbe  dar  toch  ut, 

Dat  makede  he  ora  to  eyner  brut. 
65  Vil  drade  Adam  dat  vornam 

Unde  fprak,  'dem  wive  fchal  wefen  nemet  gram, 

Dit  is  myn  vleifch  unde  fyn  myne  knoken. 

Der  elderen  leve  wert  tobroken 

Van  den  mannen  unde  wiven, 
70  De  dar  fchollen  to  hope  bliven.' 

Drade  dit  de  duvel  vornam 

Unde  in  eyner  flangen  wife  quam. 

Behende  wort  he  one  vorloch, 

Dat  he  fe  dar  do  bevde  bedroch. 


37  Tybalkaym  —  61  bracht  fehlt.  —  Nach  67  und  70  scheinen,  worauf  der 
unterbrochene  Gedankenzusammenhang  deutet,  Lücken  zu  sein. 


125 


75  God  fprak  'du  heft  myn  bot  gebroken, 

Dat  fchal  werden  an  dy  gewroken. 

Du  fchalt  komen  yn  fodane  not, 

Myt  fwete  du  fchalt  eten  dyn  brot.' 
Seth  vor  Abel  wart  ghegeven, 
80  Up  dat  de  mynfche  mochte  leven. 

Wente  Kayns  flechte  dochte  nycht, 

Des  was  id  to  dem  dode  vorplicht. 

Enos  dat  erfte  bede  vant, 

Dar  goddes  torne  wert  midde  want, 
85  Dat  he  de  funde  wel  vorgheven 

Up  dat  de  lüde  moghen  leven. 

Caynen  tcylde  Makalehel, 

Ghuder  werke  he  dede  vel, 

He  levede  neghenhundert  iar 
90  Dar  to  teyne,  vinde  we  vorwar. 

Mahalaleel  Yarech  teylde 

Na  lxxv  jaren,  alzo  ik  meylde; 

Achtehundert  xcv  jar  he  wart  olt. 

Do  vel  he  in  goddes  wolt. 
95  Jarech  teylde  Enoch  na  hundert  jaren 

Unde  LXXII,  alzo  de  fcrifte  fyn  vorvaren. 

Enoch  goddes  denftes  plach 

Darumme  one  god  anfach, 

Dat  he  ome  de  wiflieyt  lerde, 
100  Wo  he  feck  van  den  runden  kerde, 

Der  do  was  wrorden  leyder  vel. 

Dar  umme  god  one  brachte  fnel 

In  des  paradifes  auwe, 

Dar  he  is  in  groter  rauwe 
105  Wante  to  antichristi  tyden 

Unde  en  dot  van  ome  lyden. 

He  het  gheteylt  Matufalam, 

Van  dem  vort  Lamech  quam. 

In  den  tyden  fchach  overhur, 
110  De  unkufcheyt  bernde  fo  dat  vur. 

Dar  umme  got  dachte  in  synen  moyt 

Unde  vordorf  fe  myt  des  waters  vloit. 

Noe  was  olt  D  iar, 

God  do  dede  om  openbar 
115  Dat  he  do  mit  gantzen  truwen 

Scholde  eyne  arken  buwen 

Dar  he  myt  fynen  flechte  in  trat, 


91  Malaleel  —  92  Nach  Genest*  5,  15  LXV  —  9G  Nach  der  Bibel  LXIi  — 
102  Die  Reime  erweisen  brachte  und  brochte,  vgl.  brachte  :  dachte  625.  913.  687; 
brachte  :  nachte  219.  453;  sochte  :  brochte  481.  879.  —  103  pardises  —  104  hen 
—  106  en]  den  —  117  Der  Mundart  des  Dichters  entsprechen  die  Dative  auf  -em, 


126 

God  de  gaf  ome  fulven  rat. 
De  duve  ome  de  palme  brachte, 
120  Drade  he  fek  do  bedachte, 
Dat  he  ut  der  arken  fteych, 
Unde  fek  got  to  ome  neych. 
He  fprak  'nu  is  de  ende  der  watersvloyt 
Vleyfch  moghe  gy  eten  ane  bloyt.' 
Sem  de  vrigen  het  gelaten. 


799  Johannes  Hircani  Davites  schat 

Mit  den  yoden  geopent  hat, 
Den  fe  hebben  den  hedene[n]  gheven, 
Dat  fe  myt  vrede  mochten  leven. 
Den  hedenen  bewifeden  [sej  oren  vlijt, 
Doch  ftunt  de  vrede  cleyne  tijt. 

805  Hyrcanum  Ariftobolus  beloych, 
Dar  umme  in  Arabien  vloych, 
Dar  na  to  Pompeyo  vlo, 
De  one  erde  wedder  ho. 
Craffus  was  eyn  ghyrich  man, 

810  Vele  gholdes  fek  underwan. 

De  Romere  on  hadden  utgefant, 
Unde  fcholde  wynnen  der  Syten  lant. 
He  meynde,  ome  fcholde  wol  gelingen, 
Dat  volk  he  wolde  al  vordryngen. 

815  Dar  umme  fe  to  hope  quemen 
Unde  ome  vele  ghudes  nemen, 
Syn  volk  dar  to  fe  hebben  gheflaghen. 
Des  den  Romeren  nicht  konde  behaghen, 
Vil  drade  fe  one  grypen  leyten 

820  Und  dat  golt  heyt  in  den  hals  gheyten. 
Se  fpreken:  'Na  dem  gholde  du  bift  dul, 
Des  du  nu  fchalt  drynken  vul/ 
Pomponius  de  gaf  den  rat 
Den  Romeren,  dar  he  mede  fat 

825  In  der  herfchup  unde  rade, 
Dat  fe  fcholden  fenden  drade 
In  der  bofen  Joden  lant, 
De  fek  do  hadden  van  godde  want 
Unde  myt  den  heydenen  fek  verplicht; 

830  Goddes  bot  fe  heylden  nicht, 

Scheyf  was  or  levent  unde  cruin, 
Se  [vorjkoften  do  dat  biffchopdum 
Vor  fuluerpenninge  unde  gelt, 
Des  armen  recht  dat  wart  vorfnelt, 


die  in  der  Abschrift  auftretenden  -en  wie  hier  in  synen  sind  vielleicht  irrige  Wieder- 
gabe handschriftlicher  e. 


127 


835  De  fymonye  was  rekent  nycht. 

Dar  umme  de  Romer  nennen  vorplicht. 

We  do  meyft  des  gheldes  gaff, 

Dem  gheven  fe  den  biffcoppesftaff 

In  den  tempel  to  Jherufalem 
840  Unde  fanden  dar  Coniponium  to  prefidem. 

Duffe  andern,  de  bir  na  ftan, 

Nicht  merkelkes  en  hebben  dan. 

Pylatus,  van  Mentze  des  koninges  föne, 

Teylde  fyn  vater  io  myt  hone 
845  To  Yorcheym  van  des  molres  kynde. 

Syn  levent  is  gewefen  fwynde, 

Synen  broder  he  drade  floych; 

Dat  de  konning  myt  undult  droych, 

Dar  umme  one  to  Home  fände 
850  De  keyfer  vort  in  Poncien  lande, 

Dar  he  vele  gheldes  kreych. 

Dar  na  ome  de  keyfer  leych 

Jherufalem,  der  Joden  ftat, 

Dar  he  do  dat  richte  fat 
855  Over  Jhefum,  unfen  got, 

Dem  he  dede  groten  fpot 

Unde  leyt  one  den  bofen  Yoden, 

Dat  fe  one  mochten  doden. 

Tyberius  duffe  rede  vornam, 
8G0  Yil  drade  he  wart  ome  gram. 

He  leyt  on  bynden  unde  vangen 

Unde  van  Jherufalem  to  Rome  langen. 

De  keyfer  dachte  ome  pyne  grot, 

Dar  umme  he  ftak  fek  fulves  dot. 
865  Herodes  Antypas 

To  Galilea  eyn  konning  was, 

Duffe  makede  groten  kyf 

Unde  Philippo  nam  fyn  wif. 

Dat  Johannes  gheftraffet  hat, 
870  Dar  umme  fe  wart  ome  quat 

Unde  Johannem  gripen  leyt 

Unde  fyn  hovet  afliauwen  heyt, 

Herodes  myt  den  fynen  hadde  fpot 

Over  Jhefum  Chriftum,  unfen  got, 
875  Do  Pylatus  on  ome  fände. 

Den  heren  he  vraghede  menigherhande, 

Wunder  hedde  he  gherne  feyn 

Unde  eyn  wit  cleyt  leyt  ome  anteyn. 

Herodes  Agrippa  dat  lucke  föchte 
880  Unde  Jacobum  to  dem  dode  brochte 


849  Dar  vmme  he  one   —  850  landen  —   857  Vnd  heyt  —  862  fangen 
57 ti  herren  —  878  an  reyn 


128 


Unde  Petrum  grypen  heyt. 

De  engel  on  ut  der  vengniffe  leyt. 

Julius  Pompeyum  vorwunnen  hat, 

Darumme  Rome  de  grote  ftat 
885  One  do  eyn  keyfer  heyt, 

Unde  den  namen  na  fek  den  anderen  leyt. 

Auguftus  na  ome  ghekomen  yft. 

By  fynen  tiden  wart  boren  Crift 

To  Betlehem,  Davitis  ftat. 
890  Auguftus  horde  Sibillen  rat, 

Dat  he  gaf  der  werlde  eyn  bot, 

One  fcholde  eren  nemet  vor  got. 

To  vorne  dede  he  menighen  vordreit, 

Do  he  fek  vor  eynen  god  anbeden  leyt. 
895  Duffe  ere  is  ummekart, 

Do  Chriftus  Jliefus  geboren  wart. 

Eyn  grot  wunder  do  ome  fchach, 

Eyne  iuncfrawen  he  in  der  funnen  fach, 

Up  orem  arme  eyn  kyndelyn, 
900  Unde  horde,  dit  fchal  des  hymmels  alter  fyn. 

Dar  unime  de  keyfer  wart  bekart 

Unde  vorlette  do  fyne  hovart. 

Tyberius  de  dridde  here 

Vorkofte  den  yoden  der  prefter  ere, 
905  Hysmaelem  he  afdreyf, 

Annas  in  der  stidde  bleyf, 

Darna  Eleazar  unde  Symon  was, 

To  leften  Yofippus  gebeten  Annas. 

Duffe  Jhefum  merteren  heyt, 
910  Wente  fyn  lere  dede  ome  vordreyt. 

God  de  bosheyt  wolde  vorftoren, 

Des  Annas  nicht  en  wolde  hören 

Unde  dar  fo  langhe  up  dachte, 

Dat  he  den  heren  to  dode  brachte. 
915  Des  wil  we  eren  fynen  dot, 

Dat  he  uns  helpe  ud  aller  not! 
Leve  frunt,  les  lyke! 
Van  rymen  was  ik  nicht  ryke, 
Wente  ik  byn  ut  dem  Poppendyke. 
Me  fecit  Johan 
Statwech,  eyn  poppendikefch  man. 


886  Unde  fehlt.   —  893  he  fehü.   —   896  war  —  897.  898  Diese  Verse  hal 
die  Handschrift  in  umgekehrter  Folge.  —  898  he  fehlt.  —  902  vorlette  —  912  en  fehlt    | 

BERLIN.  W.  Seelmann. 


129 


Der  Parson  of  Kalenborow 
und  seine  niederdeutsche  Quelle. 

Um  dieselbe  Zeit,  wo  der  Schalk  von  Knittlingen  sein  ursprüng- 
liches Kleid  auszog  und  von  einer  oberdeutschen  Presse  aus  seinen 
eigentlichen  Siegeszug  antrat,  ist  der  österreichische  Schelmenpfaff 
nach  Niederdeutschland  gewandert  und  hat  von  dort  aus  sogar  die 
Reise  über  den  Kanal  angetreten.  Und  während  der  ursprüngliche 
Eulenspiegel  uns  unwiderbringlich  verloren  scheint,  können  wir  die 
Wanderungen  des  Pfarrers  vom  Kaienberge  ziemlich  deutlich  verfolgen, 
ja  aus  ihren  Spuren  auch  die  Zerrüttung  der  oberdeutschen  Über- 
lieferung aufhellen.  Denn  dass  schon  der  älteste  oberdeutsche  Druck 
des  Kalenbergers,  den  die  Hamburger  Bibliothek  besitzt,  uns  einen 
verstümmelten  Text  überliefert,  war  spätestens  seit  Mantels  hübschem 
Fund  (Jahrb.  1875)  für  jeden  Leser  klar,  und  man  ist  nicht  wenig 
überrascht,  den  jüngsten  Herausgeber,  Herrn  Bobertag !),  ausdrücklich 
versichern  zu  hören,  dass  die  Überlieferung  auf  „zum  Glück  guten" 
alten  Drucken  beruhe. 

Von  einer  Übertragung  des  Kalenbergers  in  die  niederdeutsche 
Sprache  wusste  man,  seit  v.  d.  Hagen  in  Veesenmeyers  Bibliothek  zu 
Ulm  zwei  Blätter  des  alten  Druckes  gesehen  hatte  *),  dieselben,  welche 
sich  jetzt  in  der  Berliner  Bihliothek  (Yg  3921)  befinden.  Allein  noch 
Lappenberg8)  nennt  die  Fassung  eine  niederländische  und  dabei  bleibt 
auch  Bobertag,  der  nichts  davon  weiss,  dass  W.  Mantels  in  unserm 
Jahrbuch  1875,  S.  66  ff.  zwei  von  ihm  aufgefundene  Lübecker  und 
1876,  S.  145  ff.  ein  drittes,  Veesenmeyersches,  Blatt  des  niedersäch- 
sischen Druckes  publiciert  und  mit  verständigen  Bemerkungen  begleitet 
hat.  Es  trifft  sich  nehmlich  ungünstig,  dass  eines  der  Blätter  doppelt, 
in  Berlin  und  in  Lübeck,  erhalten  ist:  diesem  Nachtheil  steht  aber  die 
glückliche  Fügung  gegenüber,  die  uns,  wie  schon  Mantels  sah  und 
sich  unten  noch  deutlicher  zeigen  wird,  gerade  die  für  die  Textgeschichte 
wichtigsten  Stücke  in  die  Hände  spielt.  Die  Hoffnung,  dass  noch 
einmal  der  vollständige  „Kerckhere  van  dem  Kaienberge u  auftauchen 
werde,  ist  nicht  eben  gross  und  darum  gewinnt  die  englische  Prosa- 
fassung, der  „Parson  of  Kalenborow *,  an  Wert,  die,  wie  sich  von  vorn 
herein  voraussetzen  lässt,  aus  dem  Kerckheren  geflossen  ist. 

Auf  dieses  Werk  ist  unsere  Aufmerksamkeit  neuerdings  wieder 
durch  das  vortreffliche  Buch  von  Herford  Studies  in  the  literary  rela- 

*)  Kürschners  Deutsche  National-Litteratur  Bd.  11.  Narrenbuch  (Berlin  und 
Stuttgart  o.  J.)  S.  3;  der  oberdeutsche  Text  des  Kalenbergers  ist  hier  S.  7 — 86 
abgedruckt:  die  Lücke  des  Hamburger  Exemplars  v.  655 — 734  ist  aus  dem  Frank- 
furter Druck  von  1550  ergänzt.  ')  Briefe  in  die  Heimath  Bd.  1  (Breslau  1818) 
S.  131.     s)  üienspiegei  S.  356. 

SHedmdeutaohes  Jahrbuch.    XIII.  9 


tions  of  England  and  Germany  in  the  sixteenth  Century  (Oxford  1886) 
S.  272 — 282  hingelenkt  worden.  Von  den  englischen  Zeitschriften  und 
bibliographischen  Werken,  in  denen  es  schon  früher  Erwähnung  fand, 
war  mir  nichts  zugänglich1).  Alle,  und  so  auch  Herford,  kennen  nur 
das  eine  leider  unvollständige  Exemplar  des  Druckes,  welches  die 
Bodleiana  zu  Oxford  in  der  Douce  Collection  K.  94  besitzt.  Der 
einstige  Besitzer  hat  demselben  ein  paar  Notizen  beigegeben,  aus  denen 
ich  die  folgenden  wiedergebe,  ohne  sie  controlieren  zu  können:  'Here 
is  very  good  reason  for  supposing  that  this  most  curious  work  was 
translated  from  the  German  or  Flemish  by  Richard  Arnold  during 
his  residence  at  Antwerp.  I  think  that  he  niight  also  have  translated 
the  other  books  printed  by  John  of  Doesborowe.'  Die  sichern  Drucke 
des  Jan  van  Doesborch  gehören  zu  den  allergrössten  Seltenheiten:  in 
einer  deutschen  Bibliothek  wird  schwerlich  einer  von  ihnen  zu  finden 
sein,  Douce  aber  mag  zu  seiner  Annahme  doch  wol  den  Grund  aus 
eigener  Anschauung  geschöpft  haben.  Für  Antwerpen  und  die  Zeit 
um  1510  entscheiden  sich  auch  andere  Sachverständige:  so  schreibt 
mir  Herr  Prof.  Arthur  S.  Napier  in  Oxford,  dessen  liebenswürdigem 
Entgegenkommen  ich  eine  vollständige  und  überaus  sorgfältige  Abschritt 
verdanke. 

Das  Oxforder  Exemplar  bewahrt  noch  23  Blätter,  die  ich  unten 
mit  den  Zahlen  3  bis  25  bezeichnet  habe;  das  ganze  bestand  allem 
Anschein  nach  aus  5  Lagen  von  abwechselnd  6  und  4  Blättern,  nehmlich 
A  6,  B  4,  C  6,  D  4,  E  6.  In  der  Anwendung  der  Blattsignaturen 
ist  der  Setzer  überaus  liederlich  gewesen,  und  es  würde  nur  verwirren, 
wenn  ich  etwa  seine  Zeichen  an  den  Rand  setzen  wollte.  Das  erste 
erhaltene  Blatt  bezeichnet  er  als  C  ij,  das  nächstfolgende  in  die  rich- 
tige Chiffre  einlenkend  als  A  iij;  mit  ij  aber  ist  das  dritte  Blatt  der 
Lage  auch  bei  B  C  E  bezeichnet,  während  in  D  gar  erst  das  vierte 
Blatt  die  Signatur  D  ij  führt. 

Der  englische  Text  setzt  etwa  um  v.  230  der  oberdeutschen 
Fassung  (nach  Bobertags  Zählung  des  Hamburger  Drucks)  ein:  da 
dürften  wir  für  das  vorausgehende  immerhin  zwei  Blätter  mit  Text 
vermuten.  Es  hat  also  entweder  das  Titelblatt  (falls  der  Druck  ein 
solches  hatte)  ausserhalb  der  ersten  Lage  gestanden,  oder  der  Eng- 
länder hat  in  der  Einleitung,  wie  noch  an  einer  andern  Stelle,  stärker 
gekürzt,  indem  er  von  den  Studentenstreichen  des  spätem  Pfaffen 
einiges  fortliess.  —  Für  den  fehlenden  Schluss  (v.  2122 — 2180)  reicht 
ein  Blatt  gut  aus,  auf  dem  sehr  wol  auch  noch  ein  Holzschnitt  Platz 
gehabt  haben  kann.  Die  Zahl  der  erhaltenen  Holzschnitte  beträgt  13 
gegenüber  36  des  Hamburger  Exemplars.  Da  nun  auch  in  den  er- 
haltenen niederdeutschen  Fragmenten  (X)  nur  2  Holzschnitte  gegenüber 


*)  In  den  Typographical  Antiqnities  etc.  by  Jos  Arnes  ....  considerably  aug- 
mented  by  William  Herbert  vol.  III  (London  1790)  p.  1531  ist  das  Fragment  er- 
wähnt unä  ein  Stück  daraus  (Bl.  5b  Our  parson  —  6b  conutre  about)  abgedruckt: 
in  der  mir  allein  zugänglichen  neuen  Ausgabe  dieses  Werkes:  greatly  enlarged  by 
the  Hev.  Thomas  Frognall  Dibdin  London  1810 — 1819.  4  voll.  4°  finde  ich  keinerlei 
Mitteilung  darüber. 


131 

')  der  entsprechenden  oberdeutschen  Partien  (0)  stehn  und  von  diesen 
zweien  sich  einer  im  englischen  Druck  (E)  an  gleicher  Stelle  findet, 
der  andere  sammt  der  Geschichte  fortgefallen  ist,  so  wird  im  übrigen 
die  Verteilung  der  Holzschnitte  in  N  der  in  E  entsprochen  haben. 

Ich  halte  die  englische  Prosa  eines  vollständigen  Abdrucks  durch- 
aus für  würdig  und  schicke  sie  weiteren  Erörterungen  voraus.  Die 
Orthographie  habe  ich  dabei  nicht  geändert,  nur  die  Abkürzungen  sind 
aufgelöst,  ein  paar  ungleichmässig  gesetzte  grosse  Anfangsbuchstaben 
beseitigt,  Trennung  und  Zusammenschreibung  geregelt  und  eine  deut- 
lichere, aber  immer  noch  sparsame  Inteqninction  eingeführt  worden. 
Die  Mehrzahl  der  unter  den  Text  verwiesenen  Druckfehler  hatte  bereits 
Herr  Prof.  Napier  als  solche  bezeichnet. 

Text  des  Parson  of  Kalenborow. 

(Beginnend  0  ca.  230.) 

(3a)  come  to  it  and  all  oncouered  in  such  maner  that  it  rained  in 
at  euery  corner,  so  that  no  man  coud  stände  drye  in  it,  whan  it 
was  foule  wedder  for  lacke  of  reperacion;  the  whiche  he  with  his 
subtyll  maners  caused  to  be  amended  in  shorte  tyme  after  of 
5  the  paysans  his  parissheners,  as  herafter  shalbe  shewed.  Cl  Also 
he  called  vpon  them  for  his  offeringes  and  dymes  or  tythes,  sainge 
to  them:  4ye  must  helpe  to  mayntaygne  the  temple  of  god,  and 
dele  me  parte  of  your  goodes  or  catell,  as  shepe  or  kyne,  your 
wyfe1)  and  your  chyldren  also,  for  I  have  charge  of  all  your 
10  so  wies  and  I  must  answere  for  you  all  before  the  face  of  god  at 
the  dredfull  day  of  dorne/ 

(|  Howe  the  parson  be  his  wyles  causeth  the  ehurehe  to 
be  couered.     (0  242—296.) 

(3b)    GTJIf^han  this  parson  had  kepte  his  eure  a  lytell  whyle  and 

^jtgßj    se  that  he  coude  nat  stand  drye  to  do  the  seruyce  of 

almyghty    god,    with   a   proper   wyle    he   come  to  his 

15  parisshioners  and  sayde:  'my  frendes,  we  shal  encreas  the  seruice 
and  honoure  of  almighty  god,  and  also  the  place  whereas  the 
seruice  ought  to  be  done  in;  and  because  that  therto  we  shold 
haue  a  gode  beginninge*),  let  vs  take  a  gode  auysement  and  let 
vs  couer  our  churche,  and  I  wyll  geue  you  choys  of  two  thinges, 

20  whiche  ye  wyll  do  to  thentent  that  our  church  may  be  couered, 
so  that  ye  may  stände  drye  to  here  the  seruice  of  almighty8)  god, 
and  I  drye  to  do  it.  And  I  geue  you  choyse,  whether  ye  wyll 
couer  the  body  of  the  churche,  or  ellys  the  quere'.  And*)  without 
auysement  takynge  as   gredy   people   answered  their  parson  thus 


')  myfe  —  •)  begin-inge  —  •)  almighth  —  *)  quere  and  im  Druck  ohne  jede 
Interpunctiön:  hier  ist  vielleicht  ein  ganzer  Satz  ausgefallen,  entsprechend  0  248  bis 
260,  wo  einer  der  Bauern  seinen  Dorfgenossen  den  Vorschlag  macht,  den  Chor  (quere) 
zu  decken;  dieser  Satz  wird  wie  die  Rede  des  Pfarrers  mit  quere  geschlossen  haben, 
sodass  der  Ausfall  aus  einem  Überspringen  des  Auges  zu  erklären  ist.  Meine  Inter- 
punktion ist  daher  nur  ein  Notbehelf. 

9* 


m 

saynge:  'maister  parson,  we  thanke  you  of  your  gode  profer;  yf 
ye  be  so  content,  we  wyll  couer  the  quere,  because  we  be  nat 
able  to  couer  the  body  of  our  churche.'  The  parson  hering  this 
was  right  glad  and  saide,  he  was  content.  Thus  the  paysans  be- 
5  gan  the  quere  and  ended  it  with  all  their  dilgens,  thinkynge  that 
the  parson  sholde  couer  the  rest;  and  whan  they  had  done  and 
that  their  quere  was  couered1),  thei  asked  of  their  parson,  whan 
he  wolde  couer  the  remenant,  and  he  answered  and  saide:  'my 
frendes,  yf  ye  haue  couered  the  quere,   (&*)   ye  haue  done1)  that 

10  ye  ought  to  do,  therfore  be  content,  for  I  am  well  content.  I  se 
well  that  I  shall  stände  drye  and  out  of  the  rayne  to  do  goddes 
seruice,  and  the  best  counsell  that  I  can  geue  you  is  that  ye 
couer  vp  the  remenant,  and  than  ye  shall  stände  drye  also/  The 
paysans  hering  this  wäre  meruelously  angry  and  curssed  the  preste, 

15  and  began  to  crye  out  vpon  hyni,  the  one  with  a  mischefe,  the 
other  with  a  vengeauns,  the  third  bed  the  deuyll  bere  bim  away  etc. 
Thus  they  were  all  abasshed  of  their  parsons  subtyll  wyles  and 
yet  they  were  fayn  to  couer  their  churche  themselfe  for  any  cost 
that  the  preste  wolde  do  therto  or  cause  to  be  done,  for  he  stode 

20  drye  ynough  to  do  goddes  seruice,  and  than  he  cared  nat  for 
them,  for  they  cared  before  as  lytell  for  hym*). 

(|  Howe  the  paraon  beshote  the  Clerkes  eayes  and  the 
place  whereas  he  sholde  gytt  lu  the  churche**).    (0  399—422.) 
(^b)    JTRT   befell   vpon   a   seson    that   the   parson  was  very  seke, 
jE  so^at  he  coude  nouther  ete  uor  drynke,  and  herof  herde 
the  paryssheelerke,  and  thoughte  in  hymselfe:    ;I  faythe 

25  our  parson  is  so  wylye,  yet  I  wyll  begyle  hym  ones  nowe  if  I  can/ 
and  went  to  the  parson  and  visyted  hym,  wherof  the  parson  was 
right  gladde  and  shewed  to  the  clercke  his  disease,  and  the  clerke 
thinkynge  hymself  very  wyse,  and  answered  the  parson  saing  thus : 
'maister  parson,  be  of  gode  chere,  and  I  wyll  make  you  a  recept 

30  that  shall  be  very  gode  for  you,  for  it  hathe  holpen  many  a  gode 
body.  The  parson  this  heryng  thanked  his  clerke  with  all  his 
harte,  and  than  went  the  clerke  home  and  made  hym  a  recept 
of  lynesede,  because  the  parson  sholde  beshyte  his  bed;  and  whan 
it  was  made,   he  brought  it  to  the  parson  and  made   him   beleue 

35  that  it  was  very  costly,  and  bed  him  take  it  at  foure  a  clocke 
in  the  mornynge,  and  he  sholde  fynde  therin  great  ease.  The 
parson  dyd  be  the  Clerkes  counsell  and  toke  this  medecyne  at  the 
houre  assigned  on  the  mornynge  folowynge.  and  his  condicion  was, 
how  seke  that  he  was,  he  dyd  e  uery  daymasse,  and  shortly  after 

40  this  recept  receyuinge  his  bely  began  to  swelle.  He  thoughte  no 
härme,  but  went  to  church  and  thought  to  haue  (day)masse8),  and 

*)  coured  —  *)  done  —  *)  Hier  fehlt  die  ganze  Geschichte  von  den  'Hauenr 
O  297—398 ;  in  N  stand  sie,  wie  Fragm.  I  Nd.  Jahrh.  I  67—69  zeigt.  —  **)  Erhalten 
in  N  Fragm.  II  Nd.  Jahrb.  I  69—71.  —  8)  day  abgerissen. 


133 

such  a  laske  come  vpon  hym  that  (5a)  he  coude  nat  go  home, 
and  incontyneiit  he  perceyued  wel  that  it  come  of  the  Clerkes 
falshode,  and  by  and  by  he  loked  for  the  clerkes  kayes  and  founde 
them  and  all  to  beshote  theyni,  and  by  and  by  to  it  he  must1) 
5  agayn,  and  than  he  went  to  the  clerkes  seat  and  all  to  beshote  it 
bothe  vnder  his  fete  and  whereas  he  säte,  and  than  for  gladnes  that 
he  had  yelded  the  clerke  of  all  his  gode  wyl  he  was  euyn  hole 
and  prepared  hymselfe  to  go  to  masse  (and  dyd  masse),  and 
whan  the  masse  was  done,   the   clerke   sought  the  kayes  to  shyt 

10  the  churchdore  agayn  be  the  place  whereas  he  was  wont  to  syt, 
and  in  reching  of  his  kayes  he  set  his  fote  in  a  torde  and  slyppered 
with  his  elbowe  in  the  other  and  all  to  arayd  his  handes  and  his 
one  syde  as  yf  xx.  men  had  shytten  vpon  hym,  and  durst  say 
nothinge  for  fere  lest  that  he  sholde  be  mocked,  but  gate  a  brome 

15  and  water  for  to  make  hym  and  his  seat  clene  and  to  wasshe 
his  kayes.  All  this  whyle  the  parson  stode  in  a  corner  beholdynge 
the  clerke  that  was  so  besy  to  clense  away  another  mannes  torde 
and  loughe  saynge  to  the  clerke:  'nowe  thou  arte  serued  aright, 
for  thou  thoughtest  to  begyle  me  and  I  haue  begyled  the,  and  so 

20  be  al  they  worthy  that  thynke  to  begyle  another.1 

(|  Howe  the  parson  wolde  fle  ouer  the  ryner  ofTonowa.  (0  423 — 594.) 
(ob)  [Bild.] 

für  parson  of  Kalenborow  had  wyne  in  his  seier  whiche  was 
marred,  and  because  he  wold  haue  no  losse  be  it,  he  practysed 
a  wyle  to  be  ridde  of  it,  and  caused  it  to  be  publyshed  in 
many  parysshens  there  about,  that  the  parson  of  Kalenborow  at  a 

23  daye  assigned  wolde  fle  ouer  the  reuer  of  Tonowa  froine  the  stepyll 
of  his  churche,  and  this  he  proclaymed  in  his  owne  parisshe  also, 
and  than  he  caused  .ij.  wynges  of  pecockes  iedders  to  be  made, 
and  also  he  caused  his  noughty  wynes  to  be  brought  vnder  the 
churche  stepyll  whereas  he  sholde  stände  for  to  fle  ouer  the  reuer, 

30  and  he  gaue  the  clerke  charge  of  his  wyne,  because  he  sholde 
seil  it  well  and  dere  to  the  moste  profyte.  Cl  And  whan  the  day 
was  come  that  the  parson  (G*)  sholde  fle,  many  one  come  theder 
to  se  the  maruayle,  frome  farre  contrees,  and  than  the  parson 
went  vpon  the  stepyll  arayed  lyke  an  angell  redy  for  to  fle,   and 

35  there  he  flickered  oftentymes  with  his  wynges,  but  he  stode  styll. 
In  the  meanwhyle  that  the  people  stode  so  to  beholde  hym, 
the  sonne  shone  hote  and  they  had  great  thurste,  for  the  preste 
dyd  nat  fle,  and  he  se  that  and  beckened  to  them  saynge:  'ye 
good  people,  my  tyme  is  nat  yet  to  fle,  but  tary  a  whyle  and  ye 

±0  shall  se  what  I  shall  do;'  and  than.  the  people  went  and  dronke 
apace  of  this  wyn  that  they  se  ther  for  to  seil,  and  they  dronke 
so  longe,  that  they  coude  gete  nomore  wyne  for  money  and  cryed 
out  for  drynke  and  made  great  preas;   and  within  a  lytell  whyle 

')  mnst 


134 

after  the  clerke  come  to  the  parson  and  sayde:  'sir,  your  wyne  is 
all  solde  and  well  payde  for  though  there  had  ben  more.'  The 
parson  beinge  very  gladde  of  this  tydinges  began  to  flicker  with 
his  wynges  agayne,  and  called  with  a  lowde  voyce  vnto  the  peple, 
5  saing:  'harke,  harke,  harke,  is  there  any  amonge  von  all  that  ever 
se  man  haue  winges  or  fle?'  There  stepped  one  furth  and  sayd: 
'nay  sir,  nay.'  The  parson  answered !)  agayn  and  sayd:  'nor  neuer 
shall  be  my  fay.  Therfor  go  your  wayes  home  euerychone  and 
say  that  ye  haue  dronke  vp  the  parson  of  Kalenborows  euyll  wynes 

10  and  payd  for  it  well  and  truly  more  than  euer  it  cost  hym.'  Than 
wäre  the  vilayns  or  (6b)  paysauns  meruelously  angry,  and  in  their 
language  curssed  the  parson  perillously,  some  with  a  myscheue 
and  vengeaunce,  and  some  sayd:  'god  geue  hym  an  hondred  drouse, 
for  he  hathe  made  amonge  vs  many  a  fole  and  totynge  ape.'     But 

15  the  parson  cared  nat  for  all  theyr  cursses.  And  this  subtyle  dede 
was  spred  all  the  countre*)  about.  Cl  Nat  far  thens  there  dwelled 
an  olde  preste  that  enuyed  this  parson  of  Kalenborowe  and  that 
wolde  come  to  hym  and  se  hym,  and  thought  howe  he  myght 
begyle  hym  mith  a  proper  wyle,  for  the  olde  preste  was  very  wyse 

20  and  wolde  haue  argued  with  hym,  and  the  parson  herde  of  the 
olde  prestes  intencyon,  bed  hym  welcome,  and  in  shorte  conclusyon 
they  argued  sore,  but  the  parson  helde  the  ouerhande,  wherof 
he  had  great  honoure.  Than  sayd  he  to  the  olde  preste:  'thou 
grayheded   fole,   thou  hadest  ben  better  nat  to  haue  argued,    for 

25  thou  art  ouercome  to  thy  dishonoure,  for  thy  clargye  fayleth. 
Nowe  nomore  of  this,'  sayde' the  parson,  'but  let  vs  go  togeder 
and  make  gode  chere,'  and  the  other  desyred  also  to  assay  of 
the  parsons  wyne. 

(|  Howe  the  parson  gaue  shillynges  to  enery  one  in  his  parysshe 
to  thentent  that  they  sholde  offer  it  the  nezt  daye  at  the  olde 
prestis  mmse  Tor  to  begyle  hym  to  cause  him  chaunge  henellces. 

(0  595—711.) 
(7a)  [Bild.J 

tMTan  the  parson  of  Kalenborowe  parceiued  that  tholde  preste 
v    wolde  abvde  with  hym  the  next  day,  he  ymagined  how  to 
begyle  the  olde  preste  by  some  subtyll  maner  and  wyle,  and 
went  to  his  paryssheners  and  commaunded  them  all  to  come  the 
next  daye  to  the  hye  masse  vpon   payn   of  that  that  may  befall, 
for  a  straunge  parson  sholde  do  the  masse,  and  gaue  to  eche  of 
35  theym  a  shelynge  for  to  offer  at   that   masse    and   bed   them    be 
styll  and  say  nothynge  therof.     And  the  people  offered  shillynges. 
wherof  the  olde  preste  maruayled  sore,    and   this   seynge   he  was 
strycken  with  auaryce  and  thought:  'offer  they  (7b)  nowe  so  mocho. 
what  offer  they  than  on  highe  festefull  dayesV  and  sayde  to  bym- 
40  seife:  'gode  lorde,  yf  I  had  this  benefice  for  myn!'     And  whan   the 

')  ansered  —  *)  conutre. 


135 

masse  was  done,  the  parson  led  the  olde  preste  to  his  parsonage 
with  great  reuerence,  and  there  made  hym  gode  chere,  so  that 
they  were  all  mery  and  gladde  and  dronke  the  wyne  right  plen- 
teously,  and  alter  dyner  the  parson  asked  the  olde  preste,  what 
5  game  he  wolde  go  to,  and  he  answered  agayne  sainge  thus:  'maister 
parson,  we  be  well  here,  take  no  displesurc,  but  what  say  ye  to 
this:  wyll  ye  chaunge  benefyce  with  me,  your  churche  for  myne 
and  late  vs  passe  the  tyme  with  suche  communyeacion,  incontynent?1 
The   parson   of  Kalenborowe  was  well   content   and   therof  they 

10  made  a  bargayn  and  it  abode  a  bargain.  Cl  Thus1)  whan  they 
had  made  gode  chere  togeder  thre  or  foure  dayes  and  dronke  the 
wyne  as  merely  and  plenteously  as  it  had  bene  water,  and  after 
all  gode  oberes  made  and  gode  pastymes  done,  than  thei  began 
to  comon  of  their  departynge,  and  so  the  parson  of  Kalenborowe 

15  departed  from  thens  to  his  newe  parsonage,  that  was  moche  better 
than  his,  and  the  olde  preste  abode  at  Kalenborowe,  whereas  he 
was  lightely  wery,  for  he  se  nomore  the  gode  offerynges  that  he 
had  sene  be  the  other  parsons  tyme  before  his  dayes,  wherfore 
he  was  right  sory  and  (Sa)  sad  that  he  had  made  suche  a  folysshe 

20  bargayne,  and  went1)  to  his  people8)  and  demaunded  of  them,  what 
it  ment  that  they  had  offered  so  moche  in  their  other  parsons4) 
tyme,  and  that  they  as  now  in  his  tyme  offred  so  lytell.  They 
answerd  agayn  and  sayd:  4sir,  the  shelynges  that  we  offered  here 
at  your  tirst  commynge  hether  was  to  your  abusion,  for  he  gaue 

25  to  eche  of  vs  within  this  parissh  twelue  pens  to  thentent  that  we 
sholde  offer5)  that  in  presence  ofyou.'  And  whan  the  olde  preste 
herde  this,  he  cryed  out:  4alas!  this  fals  preste  hathe  desceyued 
me!  I  wyll  go  to  him  agayne  and  se  yf  I  can  gete  myn  olde 
benetiee  agayne  and  geue  hym   some    lytell    parcell    of  money  to 

30  böte.1  Whan  he  come  to  the  other,  he  made  a  piteous  complaint 
and  sayd  that  he  was  foully  desceyued,  whiche  was  for  faut  of  a 
lytell  gode  ouersight,  and  prayed  hym  to  do  so  moche  for  hym 
as  to  chaunge6)  benefyce  agayn  with  hym  vpon  as  gode  a  tourne 
another  tyme.     The   parson    answered    agayne   and    sayde:    'what 

35  say  ye?  I  had  went  that  ye  had  bene  the  wysest  and  moste 
subtyll  and  worste  to  desceyue  of  any  olde  man  in  all  this  londe 
rownde  about,  but  wel  I  perceyue  the  contrarye  in  this  cause,  for 
ye  thought  to  haue  begyled  me  with  your  olde  subtyll  wyles,  but 
therof  I  had  perseuerans  longe  before  hande.     Therfor  yf  ye  wyl 

40  haue  your  benefyce  agayne,  laye  downe  .xl.  li.  to  a  (&b)  repentaunce, 
and  I  wyll  tourne  to  myn  olde  home  agayne  with  that  money 
and  ellys  nat.'  Cl  The  olde  preste  beynge  very  angry  sayd:  4t  is 
to  moche,  but  rather  than  I  wold  abyde  lenger  at  Kalenborowe 
amonge  those  vylaynes,  I  had  leuer  geue  this  money  than  to  lyue 

43  in  pouertye  and  penury,   for   they   neuer   brought  me  fardinge  to 


')  Tuhs  —  •)  ment  —  a)  peole  —  4)  parsous  —  6)  öfter  —  •)  chaunge. 


offerynge  yet,'  and  with  an  angry  wyll  curssed  hym  and  bände 
hym  and  gaue  hym  the  .xl.  pounde  with  many  a  thousande  drouse 
saynge  in  Eis  language:  'be  goddes  leuer  hans  (!),  nowe  may  I  cursse 
the  tyme  that  euer  I  met  with  the'  and  so  departed.  And  anone 
5  thys  was  knowen  thrughout  all  the  contre,  so  farre  that  it  come 
to  the  bysshopes  eare;  of  these  mad  toyes  the  bysshope  maruayled 
sore,  and  sent  for  this  parson  of  Kalenborowe  for  to  se  yf  the 
reportis  of  hym  wäre  trewe. 

(|  Howe  the  parson  of  Kalenborowe  come  to  the  bissbope 

and  obeyed  bis  eommaundement1).    (0  712—766.) 
&a)   ^ff^Onuenytly   be   the   eommaundement    of  the  bysshope  the 

10  Ifß  which   the   parson   wolde    obey,    incontynent    after    the 

messagers  departynge  he  sadeled  a  lowe  lytell  mare  som- 

whate  hyer  than  thre  horseloues,    and  so  lepte  he  into  the  sadell 

and  set  hym  on  his  joumey  with  his   one   fote  hanginge  on   the 

grounde  and  the  other  as  yf  it  had  ben  east  ouer  the  sadell,  and 

15  so*)  come  to  the  bysshopes  courte,  whereas  the  bysshope  lened 
before  the  gate.  And  the  bysshope  this  seynge  laughed  hartely 
and  asked  of  the  parson  howe  he  come  so  rydinge.  The  parson 
answered  and  sayde:  'my  lorde,  I  ryde  nat.'  The  bisshope  asked 
hym:  'howe  than?  goest  thou  onfote?'     He  sayde  'nay,  my  lorde. 

20  I  come  hangynge  on  my  mare  vnto  your  grace,  the  whiche  shall 
auantage  me  but  lytell  saue,  only  that  I  shall  gete  a  wyde  arse 
for  my  labour.'  The  bisshope  herynge  this  went  his  way  and 
thought  he  had  bene  folysshe.  Than  sayde  the  gentyhnen  to  the 
parson:  'how  spekest  thou  so  to  my  lorde?'     The  parson  answered: 

25  'be  content,  my  gode  frendes,  but  howe  gothe  my  lorde  thus  away? 
dothe  he  se  me  for  a  fole?  I  trowe  my  lorde  be  blynde.'  Than 
sayd  one  to  hym:  'he  seeth  nat  very  well.'  'Aha!'  quod  the  parson 
'gothe  the  game  so,  and  my  lorde  wyll  do  be  my  counsayl,  (9b) 
I  wyll  cause  hym  to  se   twyse    better  be   the  morninge  than   he 

30  dothe  nowe.'  Cl  This  was  shewed  vnto  the  bysshope,  and  the 
bysshope2)  asked  hym  yf  he  coude  helpe  hym,  thinkynge  to  assay 
his  connynge.  The  parson  sayd:  'yes*),  my  lorde,  and  ye  wyll  do 
be  my  counsell  and  ye  shall  nat  leue  all  your  olde  vses,  but. 
reuerend4)  fader,  you  shall  get  som  fayre  creatur  and  lighten  your 

35  nature  oftentymes  on  her,  labouringe  with  your  plowghe  in  Venus 
aker,  and  than  ye  shall  well  pereeiue  that  your  sight  shalbe  greatly 
amendyd  or  it  be  to  morowe  daye.'  The  bisshope  had  wende 
it  had  bene  trewe  and  beleued  hym  well,  saing:  'it  is  an  hap  what 
may  helpe  me.'     Thus  he  caused  a  faire  creature   to    be  brought 

40  to  his  bedde,  and  dyd  with  hir  after  the  counsell  of  the  parson 
oftentymes  or  day  and  laboured  sore,  but  or  the  day  dyd  springe 
the  bysshope  had  laboured  so   sore   with  his  fayr  gentyll  woman 


*)  cömanndement.    *)  Von  hier  an  bis  137,  5  ist  die  Geschichte  in  N  Fragin.  III 
erhalten:  Nd.  Jahrb.  II  146—148.  —  •)  byssope  —  •)  ye  —  4)  reuernde. 


137 

that  his  braynes  were  as  dasy  as  a  gose,  and  sayde  to  her:  'my 
fayre  doughter,  let  vs  leue  this  medecyne,  for  it  is  somwhate  to 
dangerus  for  me  to  dele  with,  for  ye  sbolde  make  me  starke 
blynde,  yf  I  sholde  vse  this  medecyne  longe,1  and  than  he  turned 
5  hym  about  and  so  toke  his  ease  and1)  slept  tyll  it  was  daye. 

(10a)  [Bild.] 

C|  Howe  the  parson  dyd  lede  the  bisshope  on  the  mornynge  about 
the  ehnreheyerde  and  thrugh  hin  gode  medecyne  the  bisshope  se 
•U.  steples  whereas  stode  but  one.    (0  707—821.) 

fX  the  mornynge  after  that  the  bysshope  was  rysen  the  parson 
yode  vnto  hym  and  sayd:  :reuerend  fader,  lat  vs  go  into  the 
ayre  and  that  shall  refresshe  you  well  after  your  medecyne, 
for  it  shal  quicken  your  sightes,  and  than  ye  shall  se  whether  it 

10  be  amendyd  or  not/  Cl  The  bisshope  therwith  beinge  content 
they  went  togeder  about  the  ehurchyerde.  Than  sayd  the  bisshop: 
'your  conninge  00b)  hathe  holpen  me  well,  for  yesterdaye  I  se  here 
but  one  churche  and  one  steple,  and  nowe  I  do  se  .ij.  churches 
and  .ij.  steples.'     'Well,  reuerend  fader,  wene  ye  that  I  am  a  foleV 

15  ye  raay  nowe  for  my  connynge*)  geue  me  a  gode  benetice,  for  I 
haue  well  deserued  it/  Therwith  the  bysshope  laughed  hartely 
for  to  se  howe  couertly  the  parson  coude  vtter  his  wyles  and 
falshod  with  folisshe  fantasyes,  he  sholde  haue  holpen  hym  of  his 
disease,  and  he  brought  hym  to  that  poynte  that  he  coude  scant 

20  stände  vpon  his  fete,  for  the  dasynes  of  his  hede.  Than  the 
parson  was  bed  to  dyner  with  the  bisshope,  and  after  dyner  toke 
his  leue  of  the  bisshope  and  wolde  haue  bene  gone.  The  bisshope 
seynge  that,  because  he  was  mery  and  füll  of  madde  toyse,  he 
wolde  nat  let  hym  go,    but  sayde   to   hym:    'ye  must  abyde  with 

25  me  and  ryde  with  me  to  all  churcheholowynges  and  chapellis,' 
of  the  which  wordes  the  parson  was  nothynge  gladde  nor  well 
apayde,  but  thought  howe  that  he  myght  brynge  vnto  purpose 
that  he  myght  abyde  at  home. 

(|  Howe  the  parson  of  Kaien  bor  owe  gaiie  money  vnto  the  bisshope« 

lady  paranionrs  and   prayed   her   to    helpe   hym   that  be  myght 

byde  at  home.     (0  822—875.) 

[IIa)  [Bild.] 

fHe  parson  of  Kalenborowe  perceyuynge  that  the  bysshope 
wolde  haue  hym  with  hym  to  euery  churcheholowynge8), 
he  sought  a  wyle  to  byde  at  home  and  kepe  howse  with  his 
seruant  or  wenche,  for  it  was  moste  his  ease,  and  incontynent 
he  went  to  the  bysshopes  souerayne  lady  and  prayed  her,  that  she 
wolde  helpe  hym  that  he  myght  byde  at  home,  and  nat  go  to  no 
•>')  churchehalowynge :  'and  I  wyll  gyue  you  a  gode  rewar-  (M)  de.' 
She  answered  agayne  and  sayd:   'that  is  nat  in  my  power/     The 

l)  aud  —  ")  cömynge  —  ■)  -holownnge. 


138 

parson  sayd:  'yes,'  and  sayd:  'holde  here  a  pursse  with  money  for 
your  labour,  for  I  knowe  well,  the  bysshope  wyll  lay  with  you  to 
night,  thus  I  pray  you  to  shewe  nie  the  hour  of  his  commyng, 
that  I  than  may  lay  vnder  the  bed.'  She  answered  and  saide: 
5  'than  come  at  seuen  of  the  clocke,  for  eight  of  the  clocke  is  hi* 
houre,'  and  in  the  uieane  season  she  prepared  the  Chamber  lyke 
an  erthely  paradyse  and  sett  rownde  about  the  wallis  of  it  can- 
dellis  burnynge  bright  against  the  bisshopes  commyng,  and  at 
the  houre  assigned  the  parson  come  and  crepte  vnder  the  bedde 

10  in  her  Chamber.  Whan  the  bisshope  com,  he  merueyled  sore  to 
se  this  sight  and  asked  her  what  it  ment.  'My  lorde',  she  saide. 
'this  is  for  the  honoure  of  you,  for  this  nyght  I  hope  ye  wyll 
halowe  my  lytell  chapel  standyng  benethe  my  nauyll  in  Venus 
valaye  and  that  by  and  by,  or  ellys  from  hens  forth  I  wyll  shewe 

15  you  no  point  of  loue  whylst  I  leue.' 

(|  Howe  the  bisshope  holowed  the  chapell  whereas 
the  parson  lay  vnder  the  bedde.    (0  876—939.) 
(12a)  [Bild.] 

fHe  bysshope   went   to   bedde   with   his  souerayn  lady  and  he 
fulfylled  al  her  desyre  and   began   to  holowe  her  chapell  to 
the  best  of  his  power.     The  parson  laynge  vnder  the  bedde 
herd  this  right  well  and  began  for  to  singe  with  a  hye  voyce  Iyke 

20  as  they  do  at  euery  churchholowynge  in  this  maner:  'terribilis 
est  locus  iste  etc.,'  wherof  the  bisshop  maruayled  and  was  abasshed 
and  blessed  hym  f^V  with  the  signe  of  the  holy  Crosse,  and 
wenynge  to  hym  that  the  deuyll  had  bene  in  the  Chamber  and 
wolde  haue  coniured  hym.     Than  spake  the  parson  laynge  vnder 

25  the  bedde  with  grete  haste  saynge  thus  (and  with  that  he  crepte 
out):  'reuerende  fader,  I  feie  so  sore  to  breke  your  conimaun- 
dement l),  that  I  had  leuer  crepe  on  hande  and  fote  to  fulfyll  your 
mynde  and  wyll  than  to  be  absent  at  any  of  all .  your  churche- 
holowinges,   and   for  that  cause  I  wolde  be  at  this  chapell  also.' 

30  The  bysshope  sayde:  'I  had  nat  called  the  to  be  at  the  holowynge 
hereof,  I  trowe  the  deuyll  brought  the  hether,  get  the  hens  out 
of  my  sight  and  come  nomore  to  nie.'  'My  lorde,  I  thanke  you 
and  also  your  lady  paramours.'  Thus  went  the  preste  on  his  way 
and  thanked  god  that  he  was  so  rydde  frome  the  bysshope,   and 

35  so  come  home  and  kepte  house  with  his  fayr  wenche  as  he  was 
wont  to  do,  the  whiche  was  glad  of  his  commynge  home,  for  she 
had  great  disease  of  suche  thynges  as  he  was  wonte  to  helpe  her 
of.  And  some  that  enuyed  the  preste  shewed  the  bysshop  that 
he  had  suche  a  fayre  wenche.     And   because   he  had  layde  vnder 

40  the  bysshops  bedde  and  playde  hym  that  false  touche,  the  bisshope 
sent  a  commyssion  vnto  hym,  that  vpon  payne  of  curssinge  he 
shold  put  awaye  frome  hym  his  yonge*  lusty  wenche,  and  to  kepe 

')  comaiidement. 


13» 

his  house  that  he  shold  take  an  olde  wo-  (13a)  man  of  .xl.  yere 
of  age,  or  ellys  he  sholde  be  put  in  pryson.  The  parson  hering 
this  made  a  gret  inournynge  eomplaynt  to  his  wenche  and  said: 
;now  must  I  wasshe  and  plasshe,  wringe  and  singe  and  do  al  my 

5  besines  myselfe,'  wherof  she  gaue  hym  gode  comforte  and  said: 
;the  whele  of  fortune  shall  turne  ones  againe,'  and  so  departed 
tbr  a  seson,  and  than  he  toke  gode  hert  a  grece  and  said  to  him- 
selfe:  'noforce,  yet  shall  I  begyle  hym,  for  I  wyll  kepe  .ij.  wentches 
of  .xx.  yere  of  age,  and  twise  .xx.  maketh  .xl.,  holde  thyne  owne, 

10  parson!' 

(|  Here  rydeth  (he  fornamed  duehes  alonge  the  w«ter  of  Kalen- 
borowe, whereas  she  se  the  parson  stände  shamfully  wasshlnge 
with  his  arse  totynge  into  the  ayre,  whereofshe  was  hälfe  ashamed. 

(O  940—994.) 
[Bild.] 

(I3b)  {KOftPon  a  season  it  fortuned  that  the  duches   rode  a  spor- 

j  Wj   tynge  alonge   the    ryuer  of  Kalenborowe,   whereas  she 

se  the  parson  stände  wasshynge,  and  she  wyst  nat  what 

it  was,   and  because  that  she   wold  knowe   she   sent  a  gentylman 

15  of  hers  to  se  what  it  was,  and  he  perceyued  well  that  it  was  the 
parson  that  stode  there  wasshing  in  the  moste  shamfullest  maner 
that  euer  he  sawe,  and  he  himself  was  a  mery  gester  and  laughed 
apace  therat  and  so  come  with  a  mery  countenaunce  to  the  duches 
desyringe  her  to  come  and  se  what  it  was,  and  she  sholde  laughe 

20  at  it  as  well  as  he,  for  the  parson  was  than  more  lyker  a.  monster 
than  a  cristen  body.  The  lady  whiche  lysted  well  for  to  be  mery 
rode  towarde  the  wassher,  and  whan  she  come  nye  hande  hym, 
she  knewe  hym  well.  The  parson  perceiuinge  well  that  the  duches 
crom  to  beholde  hym    as    a  man   without  shame,   he   stoped   lowe 

25  with  his  hed  for  to  wasshe1),  and  his  bare  ars  toted  vp  toward 
the  ayre,  and  his  frappinge  galand  hanged  betwene  his  legges 
wagginge  frome  one  syde  to  another,  and  abode  styll  wasshinge 
withouten  shame.  The  lady  beholdynge  hym  well  sayde:  'fye  on 
the,  lewde  preste!   arte  nat  thou  ashamed  to  stand  thus  here  and 

:">0  wasshe  in  this  maner V  haste  thou  behaued  thyselfe  so  that  thou 
canst  nat  gete  a  woman  seruand  to  kepe1)  thy  (Mo)  house  and 
wasshe  thy  clothes?  than  arte  thou  very  lewde  of  thy  condicions 
that  none  wyll  byde  with  the,  than  it  is  pyte  that  thou  leuest.' 
And  so  she  departed.     Whan  she  was  come  home,  her  lorde  asked 

35  her  what  tydinges,  and  she  vp  and  told  hym  all  that  she  had  sene 
of  the  parson  of  Kalenborowe,  wherat  they  laughed  meruelously 
sore  and  had  great  game  and  sporte  all  that  day,  and  the  duke 
*ayde:  'forsothe,  my  parson  is  a  gode  honest  man,'  and  thus 
was  the  parson  cause  of  all  their  gode  myrth  and  pastyme. 


*)  wasse  —  ■)  hepe. 


140 

(|  Howe  the  dache»  denyred  ljceiice  of  her  lorde  ftor  to  ride  to 

the  parson  of  Kalenberowes  place,   that  she  myght  haue    some 

pastyme,  whiehe  wu  graunted  her.    (0  997—1217.) 

(Üb)  (jr^He  beinge  glad  gate  her  quickely  on  horsbacke  and1)  sett 

Jgj  her  forward  on  her  iourney;  the  duke  seing  this  laughed 

apace  and  sayd:    'our   lorde   be   with   you,    I   trust  my 

parson  wyll  receyue  you  worthely  and  entreat  you  very  well,1  the 

5  whiehe   he   had    great    desyre    to    here  of.     The  parson  herd  say 

that  the  lady  was  come  to  visite  him,    wherof  he  was  right  glad 

and  went  with  all  his  diligence  for  to    niete   her,    and   weleomed 

her  right  louyngly  and  dyd  brynge  her  hoine  vnto  his  parsonage, 

and  by  and  by  made  a  gret  fyre  and  set  a  grete  many  of  pottes 

10  about  it  füll  of  water.  The  duches  beneide  hym  well  and  sayd: 
'sir,  must  ye  be  your  owne  coke  to?  I  se  you  the  last  day  wasche 
your  clothis  yourselfe  in  a  right  sharnful  maner  also,  I  haue 
maruayle  that  ye  haue  nat  one  to  tende  you.  I  pray  you,  teil 
me  now  be  your  fayth:  haue  ye  no  woman  pärsone  in  this  howse 

15  to  do  your  besynes?'  The  parson  answered  and  sayd:  'gracion* 
lady,  it  is  nat  longe  agone  that  I  was  commaunded  by  the  bysshope 
that  I  sholde  put  awaye  fro  me  my  yonge  mayden  seruant  and 
take  an  olde  woman  of  .xl.  yere  of  age,  whiehe  lyked  me  right 
shrodly,   and  I  surmysed  in  myselfe,   that  it   wäre    better   for  me 

20  to  take  two  yonge  women  eehe  of  .xx.  yere  of  age,  for  twyse  .xx. 
maketh  .xl.,  than  to  take  an  olde  one  that  wold  go  coghing  and 
spetting,  05a)  chydinge  and  braulinge  alwaye  about  the  house,  and 
I  desyre  nothinge  but  myrthe  and  sporte,  for  a  yonge  wenche 
with   a   mery   countenaunce   is   a  mannes  erthely  paradyse  and  a 

25  worlde  füll  of  plesure,  and  an  olde  woman  is  a  yonge  manne* 
dethe,  therfore  I  had  leuer  the  yonge  wenches.  But  alwaye  whau 
there  come  anybody,  he  (!)  caused  the  wenches  to  go  out  of  the 
way  for  because  that  the  bysshope  shold  nat  (!)  knowe  that  he  did 
his  worke  himselfe.*     'Gode  sir,  I  pray  you,  let  me  se  your  wenches 

30  or  seruantes,  and  I  geue  you  leue  to  kepe  them,  and  I  wyll  answere 
for  you  before  the  bisshope.'  Cl  Than  he  called  forthe  his  fayre 
seruantes,  and  through  his  fayre  pratynges  he  was  consented  to 
kepe  them,  and  the  gode  lady  gaue  eche  of  them  a  pece  of  golde 
to  drink,  wherof  the  parson  thanked  her.     After  this  the  duches 

35  went  towarde  the  herth  to  se  what  gode  mete  the  parson  had  to 
dyner,  whereas  she  se  a  grete  many  of  pottis  füll  of  water  and 
no  mete  therin.  Than  she  sayd:  'here  is  shrode  puruoyans  towarde> 
dyner  to  make  gode  chere,  me  think  ye  forgete  vs.'  'Madame.* 
he  sayde,  'I  had  went  yehad  ben  so  wyse  to  haue  brought  mete 

40  with  you  and  therfore  I  ordeyned  water  to  dresse  it  with,  and 
also  I  fered  that  your  ladisshep  wolde  haue  bene  angry  and 
disdayned  my  metys,  yf  I  had  brought  it  forthe,  and  that  ye  wolde 

»)  an. 


; 
i 

141 

haue  asked  (Mb)  me,   if  ye   had   nede   of  my  mete.     Tims  for  to 
kepe  peas  and  to  spare  the  cost  I  haue   left   all   thinge   vndone,  | 

ibr  it  wolde  haue  cost  me  as  uioche  as  I  wolde  haue  spente  in  a  | 

yere.'     The  gentyll  lady  was  noble  of  condicyons  and  toke  all  these  ] 

5  toyse  in  gode  worth  and  sayd:  'maister  parson,  syt  downe  by  me  | 

and  let  vs  talke  togeder.'     Than  sayd  he:  'gracious  lady,  it  is  here  I 

to  colde,  I  wyll  warme  you  the  hote  chamber  and  put  fyre  in  the  ' 

stewe,   than  may  ye  sitt  warme;'   and  by  and  by  he  went  to  the 
churche  and  fetched  the  twelue  apostels  and  put  thein  in  the  ouen 

10  of  the  stewe  and  brent  them.  Cl  The  noble  lady  perceiuynge  this 
was  meruelously  angry  and  blamed  the  parson  sore  geuynge  hym 
many  a  shrode  wo  nie,  and  sayde:  'fy  on  the  that  mocketh  thus 
with  almighty  god!  I  maruayl  that  god  taketh  nat  vengeaunce  on 
the/     Than  saide  the  parson:  'nay,  gracyous  lady,  I  do  it  for  your 

15  sake  because  that  ye  sholde  warme  you  be  these  olde  apostels, 
for  I  thynke  you  so  gode  and  gracious  that  ye  wyll  for  these  olde 
rotten  peces  geue  vs  goodly  newe  ymages  for  to  chere  our  pore 
churche  with.'  The  gracyous  lady  perceiuynge  his  mynde  very  well, 
graunted  hym  that  he  sholde  cause  newe  ymages  for  to  be  made, 

20  and  she  wolde  pay  for  them,  and  because  he  had  practised  that 
so  properly,  she  gaue  hym  a  gode  rewarde  for  his  laboure  besydes, 
(16a)  and  thanked  hym  hartely  of  his  gode  plesaunt  pastyme,  and 
so  she  departed  and  at  her  comminge  home  she  rehersed  her 
noble  lorde  of  the  parson  and  his  madde  toyes,  wherate  he  loughe 

25  right  hartely  and  had  grete  game  and  sporte. 

[Bild.] 

()  Bowe  the  parnon  bronght  *U*  paysauns ')  ofhis  parisshe  nalced 

Ut*  the  duke*  hall  before  the  duke  and  his  gentls  all»  wherwlth 

they  laghed  all  rlght  hartely.     (0  1271—1371.) 

(töi>)  JJßT  befell  vpon  a  sondaye  that  the  parson  went  out  of  the 

*4g  dukes  courte  and  founde   .ij.   of  his  paryssheoners  stan- 

dynge  at  the  gate,  and  he  asked  them  what  their  desire 

were,  and  they  answered  and  sayde:   'we  wolde  fayne  speke  with 

30  my  lorde  the  duke,  if  ye  wyll  helpe  vs  that  we  maye  speke  with 
hym,  we  wyll  deserue*)  it  vnto  you.'  The  parson  sayd:  'tary  me 
here  a  lytell  whyle  and  I  wyll  go  loke  yf  the  duke  be  within,' 
and  incontynent  he  come  ronnynge  to  them  agayn  in  grete  haste 
and  sayd:   'hye   you    apase  and  put  of  your  clothes  quickely,  for 

35  ye  come  neuer  in  better  tyme,  for  my  lorde  is  nowe  alone  in  the 
hotehowse,  and  ye  shall  speke  with  hym  or  euer  there  come  more 
Company,'  wherof  they  were  right  glade ;  and  the  parson  told  them 
that  the  duke  was  mylde  and  überall,  and  that  they  shold  aske 
of  hym  what  bowne  they  wolde,   and  he   sholde    graunt   it  them. 

40  Than  sayd  they  to   eche    other:    'we   wyll   auenture   it,   för   it   is 


*)  paysanus  —  *)  derserue. 


142 

nouther  felonye  nor  treason,'  and  the  parson  went  into  the  hall 
before  them,  and  led  them  with  hym  holdinge  his  peas  as  yf  he 
had  bene  domme,  and  thus  come  they  into  the  halle  whereas  the 
duke  with  many  noble  gentylmen  säte  at  dyuer,  wherof  the  pay- 
5  sauns  were  sore  ashamed  and  sayd  to  their  parson:  'helpe  vs  out 
agayne,  for  this  is  no  hotehowse,  auengeauns  on  07a)  the!'  and 
began  to  swet  for  very  pure  anger  and  fere,  whan  they  se  theym- 
selfe  naked  bofore  all  those  states  and  cowd  nat  hyde  their  geni- 
tories.     The  lordes  and  states  laghed  a  gret  pace  to  se  the  falshode 

10  of  the  parson  and  asked  of  hym  what  he  ment,  but  what  they 
sayde  the  parson  was  bothe  domme  and  defe.  Than  saide  the 
duke:  'the  parson  must  be  to  daye  my  geste,  for  now  the  deuyll 
hathe  bome  away  his  tonge.'  'Graeyous  lorde,'  said  one  of  the 
paysans  than,    'we   had  nat  went  that  he  wolde  haue  serued  v> 

15  thus,  for  we  desyred  hym  that  he  wolde  helpe  vs  to  come  to  your 
presens  and  speche  for  suche  maters  as  we  had  a  do,  and  nat- 
thinkynge  that  he  wolde  make  foles  of  vs,  wherfore,  as  your 
lordship  may  se,  god  taketh  vengeauns  vpon  hym  for  this  shanifull 
dede  that  you  here  se.'     'Be  content,  my  frendes,'  said  the  duke. 

20  4for  what  so  euer  ye  desyre  of  me  it  shal  fortune  you.'  Than 
saide  the  parson  'ye  vilayne  paysans,  I  tolde  you  before  my  lorde 
sholde  shewe  his  grace  vnto  you,  therfore  nouther  cursse  me  nor 
ban  me,  for  ye  fynde  my  wordes  trewe,  and  ye  haue  swette  as  well 
as  yf  ye  had  bene  in  a  hotehouse.,     Than  saide  the  duke:  'thanked 

25  be  god  that  the  parson  can  speke  agayne,  for  thorugh  his  gotle 
predicacyon  many  a  sowie  shalbe  broughte  to  heuen.  The  noble 
duke  behelde  the  parson  wel  and  loked  on  his  fete,  and  spied 
that  the  (IM)  soles  feil  of  frome  his  shone  all  dirtye  and  ful  of 
myre  raynge  the  house  therwith  to  shamfully;   wherfore  the  duke 

30  sayd  to  him:  'thou  arte  a  foule  slouthful  man,'  and  than  called 
to  him  his  stewarde1)  and  commaunded  hym  to  bye  hym  a  payre 
of  newe  shone.  The  parson1)  answered:  'my  lorde,  I  wyl  no  newe 
shone  haue,  but  I  pray  you  to  geue  him  as  moche  as  to  pay  for 
the  clouting  of  these,'  the  whiche  was  graunted  him  with  gode  wyll. 

(|  Howe  the  parson  b  ringeln  hl»  shone  to  the  goldsmjrth 
to  elout  them  with  ailuer.    (0  1372—1581.) 

35   (g^oFter  that  the  duke  had  consented  him  to  pay  for  the  cloutinge 

^y  of  his  shose,  he  went  streght  to  the  goldsmith  and  bargayned 

with  him  that  he  sholde  ouerlay  them  with  siluerplates  and 

nayle   them   with  siluerpynnes,    and  the  goldsmith  bed  him  come 

the  fourthe  daye  after  and  feche  them,   for  than   they   sholde  be 

40  done,  and  that  he  sholde  as  than  nat  fayle  to  brynge  with  him 
for  the  cloutinge  of  his  shose  .xx.  golde  gyldons,  which  mouuteth 
in  siluer  to  .xx.  ounces.  The  preste  went  to  the  steward  and 
asked  him  if  he  wold  go  with  him  to  fet  (18<*)  out  his  shone,  and 

*)  steward-de  —  *)  parsou. 


143 

the  steward  said  nay,  but  went  to  his  pursse  and  wolde  haue 
geuen  the  parson  the  worthe  of  a  grote  or  .vi.  pens  to  haue 
feched  out  his  shone,  and  the  parson  sayd:  'nay,  I  wyl  nat  haue 
that  money,  for  it  shall  coste  moche  more,  therfore  come  with 
5  ine  yourselfe  and  ye  shal  se  how  they  be  clouted,  and  lowse  them 
than  with  a  peny  if  ye  can/  Thus  went  the  stewarde  with  the 
parson,  that  led  hini  to  the  goldsmithis  hous  and  saide:  'maister 
stewarde,  here  be  my  shose  a  cloutinge.'  The  steward  was  angry 
and  saide:   'wenest  thou  that  I  am  blynde?   here  dwelleth  a  gold- 

10  sniith/  'What  ist  than/  said  the  parson,  'he  hath  clowted  my 
shone,  and  my  lorde  sent  me  to  hym  because  they  shold  be  clenly 
done  to  thentent  that  I  sholde  make  his  hall  nomore  fowle  with 
my  noughty  shone;1  and  so  they  went  into  the  house  to  se  the 
shone.    the   which   were   done   accordinge   to  the  parsons  mynde, 

15  wherwith  the  stewarde  was  right  sore  abasshed,  and  sayde:  'nay, 
parson,  my  lorde  wyll  nat  alowe  me  this,  thou  getest  no  money 
of  me,  for  of  suehe  shose  haue  I  no  commaundement,'  and  so  went 
they  chydinge  away  tili  they  com  to  the  duke,  which  maruayled 
sore    what    they    ment   and   said:    'why   come  ye   thus  chidinge?, 

20  The  stewarde  answered  and  sayde:  'my  lorde,  ye  haue  promysed 
this  preste  to  paye  for  the  cloutynge  of  his  shone,  and  ye  had 
bene  better  (18b)  to  haue  geuen  hym  .vi.  payre  of  newe  shone, 
for1)  the  shoecloutes  alone  besyde  the  platis  aboue  wayed  .x. 
ounces  of  syluer.    The  parson  sayd:  'my  lorde,  your  stewarde  coude 

25  do  nothynge  but  chide,  what  wyll  he  say  so  moche  to  it?  it  coste 
hym  nought,  and  it  pleseth  your  lordship  well  ynough,  and  I  am 
sure,  ye  be  so  gode  and  gracyous  that  ye  wyll  geue  me  of  your 
olde  caste  gere  a  payre  of  hosen  a  doublet  and  a  newe  payre  of 
shone  to,   for  I  pray   dayly   for  your  longe  lyfe/     Than  said  the 

30  duke:  'it  is  reson  that  I  paye  for  the  cloutinge  of  your  shone, 
and  ye  shall  haue  them  feched  vnto  you,  but  ye  inust  dyne  with 
me  at  nonef  wherof  the  parson  was  content  and  gladde,  and 
thought  to  make  gode  chere.  tl  Thus  against  dener  the  duke 
commaunded   that   euery   body   shold   beinge  at  his  table  haue  a 

35  trencheour  layd  before  him  saue  only  the  parson,  and  that  there 
shold  be  no  more  peces  of  mete  in  the  dysshe  than  there  were 
trencheours  on  the  borde,  and  that  euery  one  sittynge  at  the  borde 
sholde  take  his  porsyon  of  mete  vpon  his  trencheour,  the  whiche 
commaundement  was    fulfylled    and  obeyd,    and   whan  it  came  to 

40  the  tynie  of  dener,  euery  man  was  commaunded  be  the  vssher 
for  to  sit  downe,  and  they  were  serued  all,  but  the  preste  gate 
nothing  before  hym,  wherat  the  lorde  laughed  and  bed  hiin  ete 
and  be  of  gode  chere.  The  preste  saide  agayne:  O^a)  <I  ete  and 
I  fast,    I    spare   my   mouth   and  rest  my   teth.'     The  duke  spake 

45  agayne  and  saide:  'it  is  a  maner  in  our  courte  that  no  man  take 

«)  foe. 


144 

mete  frome  others  trencheours,  for  that  a  man  hath  on  Ins  tren- 
cheour  it  is  his;  I  promyse  you  be  my  faith.'  Thus  wäre  the 
disshes  emtye  and  euery ')  one  had  mete  ynoughe  saue  only  the  preste, 
whiche  säte  and  loked  on  euery  syde  lyke  a  fole  and  saide:  'I  wolde 
5  I  wäre  at  home  be  my  wenche  now,  for  she  sholde  fyll  my  bely 
with  some  gode  metis;  I  se  well  here:  the  füll  bely  knoweth  nat 
what  the  hongry  ayleth.'  The  duches  seinge  this  laughed  a  grete 
pace  and  said  to  him:  'sir  parson,  as  ye  serue  other  so  be  ye 
serued2).     Cl  And  thus  they  passed  their  dener  with  moche  gode 

10  laughinges  and  sportis.  Cl  With  that  come  in  the  goldesmythe 
and  brought  with  hym  the  shone.  Than  saide  the  duke  to  him: 
'maister,  who  lerned  you  forto  clowte  shone  in  this  maner?'  He 
answered  and  saide:  4the  preste,  my  lorde/  'Well,  geue  them  him, 
ye  shalbe  payde/     Than  he  dyd  them  on  and  went  galantly  and 

15  loked  on  his  shone;  than  saide  the  lady:  'the  parson  is  nowe  a 
gaye  man  with  his  shoes.'  The  parson  answered  and  sayde:  'gode 
lady,  it  was  great  nede,  for  I  go  oftentymes8)  betwene  Kalenborowe 
and  your  court  and  were  many  shone.1  But  sportinge  and  gestinge 
the  preste  gate  what  he  wolde  and  so  toke  his  leue  and  thought 

20  alwaye  (19b)  howe  the  duke  had  sayde:  'what  a  man  hathe  on  Ins 
trencheour  is  his  owne'  and  here  vpon  ymagined  a  wyle  and  caused 
a  trencheour  to  be  made,  brode  ynough  to  set  an  horse  with  his 
foure  fete  vpon  it  standynge. 

(|  Howe  the  parson  brought  the  dukes  horse  vpon  bis 
trencheour.     (0  1582—1672.) 
[Bild.] 
(20a)  ftTifK'Pon  a  season  it  befeil  that  the  duke  wolde  ryde  a  spor- 

25  1  W  I  tynge,  and  caused  his  Company  to  make  them  redy  and 

his  hors  for  to  be  sadeled,  wherof  the  parson  had 
knowlege  lightely  and  brought  with  him  to  courte  his  brode  tren- 
cheour and  layde  it  downe  vpon  the  grounde  and  shyfted  so  that 
he  gate  the  dukes  horse  vpon  it.     And  whan  the  duke  come  fortlie. 

30  he  salewed  hym,  and  the  duke  bed  him  welcome  and  asked  hym 
what  tydinges,  and  he  saide  againe:  'I  knowe  nothing  but  gode. 
but  my  lorde,  remember  ye  well,  whan  I  was  your  geste,  that  ye 
saide:  what  a  man  had  on  his  trencheour  that  was  his  owneV* 
and  the  duke  saide:   'ye,  what  I  saide  shall  stände/     Than  saide 

35  the  parson:  'o  noble  lorde,  alwaye  must  your  worde  stände  in  suche 
eftect;  nowe,  gracious  lorde,  loke  what  Fortune  hathe  geuen  nie 
vpon  my  trencheour.  I  trust  no  man  shall  drawe  it  nor  take  it 
frome  me.1  ;Xo'  saide  the  lorde  and  therwith  he  laughed,  'but  ye 
must  nedis  lende  it  me  teil  I  come  home  againe  frome  huntynge. 

40  and  than  I  wyll  geue  you  another  that  shall  be  more  prestelyer 
than  this,  for  this  is  not  for  no  prestes  flesshe  to  sit  on,  and 
specially  whan  the  wyne  is  in  your4)  brayne,  for  if  ye  sholde  sit 


pcuiaiij    wuuii    tue    wjriitr    i»   in   jruui    )    umy 
*)  eury  —  ■)  seraed  —  ■)  ofentimes  —  4)  you. 


145 

than  vpon  hym,  without  dout  ye  shold  fall/  Thus  he  gat  an  esy 
hors  of  the  duke  to  ryde  vpon  as  it  semed,  for  he  com  after  that 
(20b)  rydinge  in  a  dongecarte  vpon  it,  as  hereafter  is  shewed, 
and  than  caused  he  his  trencheour  to  be  borne  home  agayne,  and 
5  by  and  by  he  come  to  the  duke  and  desyred  hym  to  geue  hym 
forage  for  his  horse.  The  noble  duke  saide:  'bring  a  sacke  and 
feche  otes  for  thy  horse,  and  lat  nat  thy  sack  be  to  smal.'  The 
parson  was  wyly  and  fisshed  on  his  praye,  and  come  home  and 
toke  a  gret  hopsacke  and  layd  it  on  his  cart  and  come  so  rydinge 

10  to  the  court  that  all  the  people  wondred  to  se  him  so.  Than  he 
lighted  frome  the  carte  and  toke  his  sacke  in  his  armes  and  went 
streight  to  the  dukes  prouydour  and  bed  him  in  the  dukes  name 
to  fyll  his  sacke  with  otes.  The  prouydour  beholdinge  this  grete 
sacke  said  vnto  him:  'thou  mad  preste,  wenest  thou  that  my  lorde 

15  wyll  alow  the  that?  nay,  hardely  nor  nought  getest  of  me,  but 
if  thou  wylt  haue  it  füll  of  haye,  that  wyll  I  geue  the.  The  preste 
saide:  'naye,  I  am  no  fole,  geue  nat  me  no  chaffe  for  cheshe,  for 
my  lorde  promysed  me  otes.'  Than  thought  the  prouidour:  this 
preste  wyll  begyle  me,  and  so  he  went  to  the  duke  and  tolde  hym 

20  of  the  prestes  subtill  wyle,  wherwith  the  duke  laghed  füll  hartely, 
and  sayd :  'god  geue  hym  sorowe,  fyll  hym  his  sacke  and  let  hym 
go,  for  he  is  to  false l)  for  vs  all.'  And  thus  gate  he  bothe  horse 
and  horsmete  and  so  went  home  agayne. 

(21a)  [Bild.] 

(|  Howe  the  parson  come  to  court  In  m  dongeeart 
rydinge  on  hl»  horse.    (0  1673—1766.) 

fT  befeil  vpon  a  shroftyde  that  the  noble  duke  wold  be  mery 
to  reioyce  his  lordes  and  ladyes  and  all  his  housholde,  and 
because  they  sholde  be  the  more  meryer,  he  sent  for  the 
parson  of  Kalenborowe  that  he  shold  come  in  his  courtliest  maner 
vnto  the  courte.  He  heringe  this  obeyed  the  dukes  commaun- 
dement  and  made  hym  redy  in  this  maner.     He  caused  a  donge- 

30  carte  for  to  be  broughte  forthe  and  horses  for  to  drawe  it,  and 
his  owne  hors  aboue  in  the  carte,  and  he  himselfe  vpon  his  hors 
backe  and  come  to  the  court  in  presence  (21b)  of  the  duke  and 
al  the  states  which  bad  him  hartely  welcome,  and  all  the  people 
had  gret  maruayle   of  the  parsons  mad   toyes   and   his   folisshe 

35  fantasies.  Than  rode  the  duke  a  huntinge  with  all  his  lordes  and 
ladyes,  and  the  parson  folowed  after  in  his  dongecart,  wherat 
they  had  all  grete  game  and  sporte.  Than  came  the  duches  and 
she  bed  him  welcome  also,  and  he  thanked  her  right  hartely.  She 
saide  again:   'ye  be  verely  a  wonders  courtyer,   as   euer  we  se  in 

40  our  dayes.'  The  parson  said:  'gracious  lady,  I  can  no  skyll  of 
your  courte  nor  courtmaners,  but  this  is  the  maner  of  my  court, 


»)  falce. 

Hi4d«rde«techei  Jahrbuch,    im.  10 


146 

tlierfore  take  my  gode  w'yll  a  worthe.'  Than  laghed  the  lady  and 
said:  'ye  haue  done  very  well;'  and  thus  in  the  chase  they  had 
right  gode  game  and  amonge  them  there  was  slayne  .ij.  hertes 
that  day,  wherof  the  duke  and  his  nohle  Company  were  glad  and 
5  so  they  sped  them  homwarde  agayn.  And  than  the  duke  thanked 
the  parson  and  saide  vnto  him:  'thus,  my  parson,  it  shall  auayle 
you  and  be  to  your  grete  profyte  that  ye  come  to  our  court  so 
manerly  after  your  courtfacyon,  if  that  I  lyue. 

(|  Hone.  üfj.  of  the  duke«  eourte  rode  to  the  parson«  place  where- 
a«  they  were  shanifully  dlacejued.    (0  1767—1908.) 
(22a)  [Bild.] 

PPW?Pon  a  tyme  it  befel  that  the  duke  sent  out  .iiij.  of  his  gen- 

10    nVi  tylmen  on  his  besines,   and   in  their  retourne  as  they  come 

homwardes,   they  wold  visyte    the    parson   of   Kalenborow, 

and    so    com    to  his   house   somwhat  late   in  the  night   and   the 

parson  receyued  them  right  well  and  sayde:  'gode  gentylmen,  fro 

whens  come  ye  thus  late?'     They  answered  and  sayd,   vpon   their 

15  lordes  besynes:  'and  our  horses  be  very  wery,  wherfore  nowe  we 
entende  for  to  tary  with  you  all  this  night;'  and  the  parson  said 
to  them:  'ye  be  welcom'  and  made  them  gode  ehere,  and  made 
them  so  dronke  that  thei  knew  nat  themselfe  and  than  he  tolde 
them  that  he   wold    (22b)   go    to    bed   and   bad   theim   take    their 

20  plesure  and  sit  as  longe  as  they  lyst,  and  shewed  them  their  beddis 
and  bad  them  gode  night,  for  he  must  nedis  do  masse  on  the 
morowre.  And  so  departed  from  them  and  wayted  his  tyme  tyll 
they  were  abed  for  to  do  them  a  shrode  turne,  and  within  a  whi- 
te they  went  to  bed  and  slept  lyke  dronken  swine,  and  than  the 

25  preste  com  to  loke  yf  they  were  aslepe,  and  spyed  that  they 
slept  so  fast  that  it  was  nat  well  possible  to  waken  them,  and 
he  se  that  and  to  go  as  fast  as  he  coud  and  warmed  a  gret  dele 
of  thicke  wynelyes  and  went  therwith  vnto  their  bed  and  lifted 
vp  the  couering  and  flapped  their  arses  füll  of  those  lyes  or  dregges. 

30  as  if  they  had  shytten  in  their  bed,  and  so  went  fro  thens  into 
the  stable  and  toke  out  their  horses  that  were  goodly  and  lusty 
to  ride  vpon,  and  in  stede  of  them  he  set  in  .iiij.  lene  trottynge 
maris,  and  than  he  went  to  bedde  as  of  nothinge  knowing.  And 
within  a  white  after  one  of  them   wakened   and   feit   his   felowes 

35  arse  in  his  läppe  all  beshitten,  wherwith  he  cryed  out  and  saide: 
'fye  for  shame!  man  knowest  thou  nat  the  mesure  of  thy  bely 
but  that  thou  must  shyte  in  thy  bedde?  awake  for  shame!'  And 
therwith  he  wakened  and  turned  hym  about  and  so  cast  his  arme 
ouer  his  felow  and  founde  him  so  beshitten   to,   that   all  the  bed 

40  was  arayd  with  shere  dirt  so  shamfully  that  all  (23a)  they  wondred 
on  eche  other  and  made  a  fowle  noyse,  wherwith  they  in  the  other 
bedde  awakened  and  founde  themselfe  bothe  so  shamfully  beshitten 


147 

that  they  were  ashamed  eche  of  other  and  cryed  out  vpon  eche 
other,  sainge :  'this  is  a  shamfull  rebuke  for  vs  all  as  euer  fortuned 
vs,  that  we  haue  bene  so  well  entreted  and  through  our  dronkenes 
that  we  haue  done  so  vilanously  more  lyker  caytifs  than  gentylinen, 
5  whiche  is  to  our  great  rebuke  and  dishonour.'  'But  what  remedy?' 
saide  the  one.  'I  can  nat1)  teil'  said  the  other.  'Nor  V  saide 
the  thirde.  'I  wolde  we  were  frome  hens'  said  the  fourth  'with 
hälfe  our  onestye,  but  the  best  therof  is  this:  we  come  hether  be 
darke  night  and  it  is  best  that  we  departe  or  it  be  day,  for  than 

10  the  preste  shall  haue  no  parfyte  kno wiege  what  we  be,  for  without 
dout,  if  he  know  vs,  we  be  shamed  for  euer,  for  the  deuyll  brought 
vs  to  this  shame;  lat  vs  aray  vs  quickely  and  gete  vs  out  be  the 
darke  or  euer  the  parson  be  vp,  and  let  vs  chyde  nomore  for  this 
beshitten  mater.'     And  incontinent  they  rose  vp  in  haste  withouten 

15  lyght  and  went  darklonge  into  the  stable  and  sadeled  their  horses 
and  went  to  the  parsons  chamberdore  and  toke  leue  of  him,  and 
so  they  rode  a  grete  whyle  or  it  was  day,  and  whan  the  day 
apered,  one  of  them  spyed  and  saide  to  his  felowe:  'what  me 
thinke  ye  ryde  on  an  olde  scald  mare  that  ha-  (23b)  the  drawen 

20  .vij.  yere  in  the  plough.'  The  other  said  agayne:  'thou  lyest  be 
goddes  blest,  thou  haste  beshit  thy  bed  as  well  as  I  and  yet  thou 
wylt  mocke  and  scorne  with  me.1  Another  saide:  'thou  haste 
stolen  the  parsons  horse,'  and  with  that  they  loked  eche  vpon 
other:   'my  frendes,   let  vs  stände  styll  a  whyle  and  beholde  eche 

25  others  hors  wel,  for  me  thinke  we  be  begyled;'  and  so  they  percei- 
ued  all  that  they  rode  vpon  plowemares  and  said  to  eche  other: 
'the  deuyl  brought  vs  on  the  preste,  for  because  we  haue  beshit 
his  beddes  we  must  ryde  vpon  these  rotten  iadis.'  And  thus  thei 
rode  complayninge   eche  to   other,   but  to  nobody   ellis   for  very 

30  pure  shame. 

(|  Howe  that  the  paiaans  wolde  bye  no  erossebaner,  and 
therfor  they  folowed  the  par»on»  breche.    (0  1909—1974.) 

[BML] 

(24a)  j|ryr  fortuned  in  the  rogacion  dayes  that  the  parson  wolde 

*4ß  that  all  the  crosses  sholde  haue  baners,  and  there  wäre 

none  in  his  churche.     Than  hanged  he  one  of  his  olde 

breches   vpon   a  crossestaffe  and  his   parissheners   folowed  it,   of 

35  the  which  thei  were  sore  abasshed  and  went  to  theyr  parson  and 

sayde:  'ye  do  vs  grete  shame,  if  ye  lacke  ought  speke  to  vs  and 

it  shalbe  prouyded,'   and  than  they  caused   baners   to   be  made 

and  vestimentis,    copes,    chalices,   bokes,  and  al  other  ornamentis 

to  the  churche  belonginge,  wherof  the  parson  praysed  them  sore, 

40  and  saide,  so  doinge  they  sholde  be  beloued  of  almighty  god,  and 

euer  after  thei  dyd  the  commaundeinent  of  their  gode  parson. 

*)  uat 

10* 


148 

C]  Howe  the  parson  kept  kyne  in  the  felde.    (0  1975—2039.) 

[Bild.] 

(24b)  '  ÄDffilY  welbeloued   bretheren   and   sistren,   in  many  vilages 

ffljjlfj'l   here  about  it  is  a  costomable   vse   that  they  haue  a 

common  herdman  to  kepe  their  bestes,  the  whiche  is 

rewarded  of  them  all  in  generali,   but   we   in   our  parisshe   must 

5  kepe  our  bestes  be  course,   as  nowe   one   and  than  another  and 

no  man  fauoured,  wherfor  I  wolde  we  sholde  hire  one  amonge  vs 

al  and  that  euery  man  payd  alike  moche  towardes  bis  hyre.'     But 

for  all  the  parsons  counsell  the  vilains  wolde   none   of  that,    and 

at  the  last  it  feil  to  the  parsons   lotte  that   he   sholde  kepe  the 

10  bestes  afelde,  and  was  warned  of  the  baylif  ouer  night,  that  he 
sholde  kepe  the  bestes  on  the  morow,  wherwith  the  parson  was 
rery  angry  in  himselfe,  that  they  wolde  nat  honoure  the  sacrament 
of  presthode,  but  made  of  a  preste  a  kowherde.  He  commaunded 
his  seruant  to  gader  and   assemble   all   the  kyne  of  the  parisshe 

15  and  to  leue  none  at  home,  but  to  bring  them  all  on  the  churche- 
yarde  syde  against  that  the  masse  wäre  done.  And  his  commaun- 
dement  was  obeyed,  and  thus  whan  his  masse  was  done,  in  the 
same  and  seife  ornamentis  and  in  the  same  maner  as  he  did  masse 
in,    so   come  he   streght  frome  the  auter  and  went  to  dryue  the 

20  kyne  and  bestes  afelde  with  a  litell  bell  hanginge  on  his  backe 
and  a  staffe  in  his  one  hande,  and  a  whippe  in  the  other  band 
(2oa)  singynge  with  a  lowde  voyce:  4ego  suni  pastor  bonus,'  that 
is  to  say  'I  am  a  gode  herder/  Whan  the  paysans  herde  hym 
thus  come  singynge,  and  the  lytell  bell  thus  ringinge,  all  that  was 

25  in  the  village  come  ronninge  out,  wenynge  that  it  had  bene  the 
sacrament  coming,  but  it  was  their  parson  that  went  thorugh 
thicke  and  thinne  with  the  ornamentis  on  his  backe,  wherwith  his 
parissheners  were  angry  and  sayde:  'our  parson  is  madde,  wher- 
fore  destroyeth  he  our  churcheornamentis  thus?' 

(|  Howe  the  baylif  com  with  the  charehewardens  iiito  the  felde 

whereas  the  parson  kept  the  bestes«   and   there  they  asked  hint 

why  he  marred  the  ehnrehiewellis.    (0  2040—2121.) 

[Bild] 

30  (25b)  Qjnijf^Han  the  parissheners  se  in  the   felde  this  onresonable 

cjtwj    dede  of  their  parson,  thei  made  a  grete  complaint  to 

the  baylif  and  iustice,  sainge  that  the  parson  did  gret 

outrage,  wherwith  they  were  all  right  wroth,  and  the  baylif,  iustice 

and  comons  went  all  to  the  parson  in  the  feldes,  whereas  he  was 

35  kepynge  of  theyr  kyne.  And  whan  they  come  at  him,  they  asked 
hym  why  he  destroyed  their  ornamentis  so  lewdly.  He  answered 
and  saide:  'is  it  against  your  wyll?  and  doth  it  nat  plese  youV* 
They  saide  againe:  'no,  we  be  nat  content  therwith/  Than  saide 
the  parson  to  theym  thus:  'my  dere  frendes,  ye  shal  vnderstande 

40  one  thinge,  that  I  am  and  must  be  a  gostly  herdman  and  keper 


149 

of  your  pore  soules,  and  I  ought  for  to  be  in  my  churche  and 
say  my  seruice,  and  nat  to  be  in  the  fclde  kepinge  of  your  bestes, 
and  I  wyll  vse  you  to  knowe  me  for  a  presto,  and  that  you  and 
all  they  that  go  be  the  waye  shall  se  that  I  arae  a  preste  be 
5  myn  araye,  to  thentent  that  the  sacrament  of  presteliod  shold  be 
honoured.'  Than  saide  they  euerichone:  'sir,  for  the  loue  of  god 
forgeue  it  vs  and  from  hensforth  there  shall  neuer  preste  be  put 
to  so  disonest  an  office  in  this  parisshe,1  and  prayed  hym  that 
they  might  lyue  togeder  with  eche  other  in  loue  and  pece,  as  they 
10  did  many  yeres  under  the  lawes  of  almyghty  god  and  after  that 
he  changed  benetice  for  another. 

[Der  Schluss  =  O  2122—2180  fehlt  im  Oxforder  Exemplar.] 


Ich  gebe  nun  einen  Überblick  über  das,  was  wir  unter  Heran- 
ziehung der  englischen  Prosa  für  die  Textgeschichte  der  deutschen 
Dichtung  ermitteln  können. 

Gleich  das  erste,  was  von  E  erhalten  ist,  scheint  eine  vollstän- 
digere Darstellung  vorauszusetzen,  als  in  0  bewahrt  erscheint.  In  E 
wird  erzählt,  wie  der  Pfarrer  beim  Antritt  seiner  Stelle  die  Kirche 
verwahrlost,  mit  schadhaftem  Dache  vorfindet,  wie  er  sich  seine  Bauern 
nutzbar  macht  und  sie  schliesslich  auch  durch  List  dazu  bringt,  den 
Chor  zu  decken.  Für  die  Zeilen  131,  1 — 5  findet  sich  in  0  nichts 
entsprechendes,  und  eben  so  wenig  für  12 — 15;  wir  erfahren  hier  von 
dem  übelen  Zustand  des  Gotteshauses  erst  aus  einer  Predigt  des 
Pfarrers  (v.  242  ff.  das  man  das  gotzhauß  decken  sd),  und  zwar  ist 
diese  erste  Erwähnung  so  ungeschickt  wie  möglich.  Wenn  wir  nun 
bei  E  sonst  das  durchgängige  Bestreben  wahrnehmen,  zu  kürzen  und 
zusammenzuziehen,  wenn  es  140,  1  die  Überschrift  als  zum  Faden  der 
Erzählung  gehörig  auffasst,  148,  1  auf  eine  erzählende  Einleitung  ver- 
zichtet und  uns  überlässt,  die  Situation  aus  den  Worten  des  Pfarrers 
zu  erkennen,  so  ist  es  völlig  unglaublich,  dass  der  Engländer  hier 
selbständig  die  Darstellung  erweitert  habe.  Wir  werden  vielmehr  die 
Fassung  von  0  als  das  Resultat  einer  Kürzung  ansehen. 

Dass  0  zu  Kürzungen  hinneigte  und  auch  vor  ziemlich  gewalt- 
samen nicht  zurückschreckte,  das  zeigt  am  deutlichsten  die  erste  Be- 
gegnung des  Pfarrers  mit  dem  Bischof  0  712 — 718  gegenüber  E  136, 
9 — 26.  Die  Situation  ist  hier  in  0  völlig  unverständlich:  alles,  wras 
E  136,  10 — 22  erzählt  wird,  ist  in  dem  Vers  713  er  lcam  geritten  und 
gegangen  zusammengefasst,  und  ebenso  rätselhaft  kommen  dann  die 
Worte  des  Pfarrers  heraus:  ich  mein,  mein  herr  sei  plindt  v.  716.  In 
E  dagegen  ist  alles  klar:  der  Pfarrer  kommt  'geritten',  indem  er  auf 
einem  kleinen  Pferde  sitzt  und  den  einen  Fuss  cast  over  the  sadell  hält, 
gegangen',  indem  er  den  andern  Fuss  die  Erde  berühren  lässt.  Und 
nun  entspinnt  sich  das  Gespräch  17  ff.,  welches  uns  auch  in  N  Fragm.  III 
erhalten  ist,  in  0  aber  gänzlich  fehlt,  und  an  dessen  Schluss  der 
Pfarrer  ein  scheinbares  Recht  zu  der  Frage  hat:  'ist  denn  der  Bischof 


150 

blind?'  —  Es  ist  durchaus  nicht  zu  erkennen,  was  anders  als  Raum- 
ersparnis 0  veranlasst  haben  kann,  mit  dem  überlieferten  Texte  so 
rücksichtslos  umzugehn. 

Aber  freilich,  0  hat  ein  merkwürdiges  Talent,  die  Pointen  zu 
verwischen.  Ein  zweites  Beispiel  dafür  ist  der  Schwank  mit  dem 
Mistwagen  v.  1680  ff.  Nach  0  lässt  hier  der  Herzog  dem  Pfarrer 
sagen:  es  wer  im  lieb  do  oder  leidt,  das  er  mit  im  rit  an  das  jeidt  gar 
balde  do  in  dreien  tagen.  Darauf  belädt  der  Pfarrer  einen  Wagen  mit 
Mist  und  lässt  sich  hoch  zu  Ross  auf  diesem  Mistwagen  zu  Hofe 
fahren,  wo  er  die  grösste  Heiterkeit  erregt.  Worin  liegt  hier  der 
Witz?  Der  Text  E  hilft  uns  auf  die  Spur:  hier  145,  27  entbietet  der 
Herzog  dem  Pfaffen:  that  he  shold  come  in  his  courtliest  maner,  und 
darauf  liegt  der  Nachdruck.  Der  Herzog  hat  befohlen,  der  Pfarrer 
soll  nach  seiner  'besten  hoffweis'  kommen,  und  darauf  erscheint  dieser 
auf  einem  Misthaufen:  das  ist  seine  'HofweiseM  Es  ist  denn  auch  in 
0  wiederholt  die  Anspielung  auf  jene  von  uns  erschlossene  Fassung 
der  Botschaft  bewahrt:  v.  1695  f.  des  wil  ich  im  gehorsam  sein  und 
sehen  lan  die  hoffweiß  mein,  v.  1716  f.  dort  kumpt  der  pfarrer  fnein 
mit  seiner  hoffweiß  her  geritten  u.  s.  w.  Nur  gerade  an  der  entschei- 
denden Stelle,  in  der  Aufforderung  selbst,  ist  die  'hoffweis'  fortgeblieben. 

Ähnlichen  Unklarheiten  begegnen  wir  in  0  noch  mehrfach,  aber 
bei  der  knappen  Fassung  von  E  lassen  sich  nicht  alle  Schwierigkeiten 
von  hier  aus  lösen;  die  Erörterung  jeder  einzelnen  würde  zu  weit 
fuhren  und  in  den  Rahmen  dieses  Jahrbuchs  nicht  hineinpassen. 

Im  grossen  und  ganzen  gewinnen  wir  aus  E  unter  Vergleichung 
der  Fragmente  von  N  die  Überzeugung,  dass  der  niederdeutsche 
Text  nach  einer  bessern  hochdeutschen  Fassung,  als  sie  uns  überliefert 
ist,  treu  und  gewissenhaft  übertragen  wurde.  Selbständig  verfuhr  der 
Bearbeiter  N  nur  einer  Geschichte  gegenüber,  dem  schmutzigen  Schwank 
von  der  Verunreinigung  der  Kirche:  0  399 — 422  — -  N  Fragm.  II  = 
E  132,  22—133,  20.  Freilich  wollte  Mantels  Jahrb.  I  69  gerade  hier 
dem  nd.  Texte  die  Ursprünglichkeit  zusprechen,  aber  aus  N  selbst  lässt 
sich  das  Gegenteil  beweisen.  Zunächst  trifft  M.'s  Vermutung,  dass 
der  schnöde  Streich  des  Küsters  in  N  nur  Revanche  für  eine  voraus- 
gegangene 'Schalkheit'  des  Pfarrers  und  dass  mithin  zwischen  den 
Fragmenten  N  I  und  II  nicht  1,  sondern  2  Blätter  ausgefallen  seien, 
nicht  zu:  E,  welches  im  ganzen  auch  hier  durchaus  N  folgt,  zeigt  im 
Eingang  des  Schwanks  nichts,  was  über  0  hinausweist,  folglich  können 
auch*  in  N  nur  wenige  Verse,  entsprechend  E  132,  22 — 25,  unserm 
Fragment  II  vorausgegangen  sein. 

Wir  haben  nun  in  N  (E)  einerseits  und  0  anderseits  zwei  ganz 
verschiedene  Geschichten:  in  0  entleert  sich  der  Pfarrer  während  der 
Predigt  eines  Linsengerichts,  das  er  am  Abend  vorher  gegessen  und 
weiss  dies  Misgeschick  mit  viel  Humor  zu  ertragen;  in  N  ist  ihm 
dieser  Linsenbrei  von  dem  Küster  boshafter  Weise  als  ein  Abfuhrmittel 
beigebracht  und  der  Pfarrer,  der  dies  merkt,  nimmt  eine  entsprechende 
Rache.     Ein  Linsenbrei  abführend?!     Ja,  so  steht  es  in  N,  und  zwar 


151 

obwol  vorher  ein  wyt  ptdment  van  manddn  und  van  anderen  kruden 
angekündigt  war!  Hier  sieht  man  deutlich,  wie  N  geändert  hat,  aber 
so  oberflächlich,  dass  er  einen  Widerspruch  und  eine  Unwahrschein- 
lichkeit  hineinbrachte,  die  erst  E  durch  eine  glückliche  Besserung 
(;Conjectur'j  beseitigte:  bei  ihm  handelt  es  sich  um  a  recept  oflynesede. 

Diese  Geschichte  also  ist  von  N  nicht  ins  niederdeutsche  umge- 
schrieben, sondern  so  gut  wie  vollständig  neu  gereimt  worden:  das 
beweisen  evident  auch  die  Reime.  Während  das  Fragment  I  eine  grosse 
Anzahl  oberdeutscher  Reime  sprachwidrig  beibehält,  ist  in  unserm 
Fragm.  II  erstens  nur  ein  einziger  Reim  mit  einem  der  oberdeutschen 
Fassung  identisch  (lanck  :  sanck)  und  zweitens  ist  fast  die  Hälfte  der 
Reime,  sei  es  rein  niederdeutschen  Charakters,  sei  es  derart,  dass  sie 
wenigstens  für  den  bairischen  Kalenberger  unmöglich  sind.  Wir  haben 
da:  my  im  Reime  st.  mir,  vro  :  thö  (eü),  raken : maken,  2  mal  doen : 
loen  (thün  :  Ion),  Maßen  :  hoßen  (blasen  :  hosen),  dö  :  thö  (zu),  van:staen, 
nicht  :  dicht  (Kai.  stets  nü)9  ghevlegen  :  dreghen,  aldär  :  apenbaer.  Dazu 
kommen  noch  die  im  Reime  stehenden  nd.  Wörter  und  Wendungen, 
welche  nicht  nur  unserer  Fassung  0,  sondern  dem  obd.  Werke  über- 
haupt abgesprochen  werden  dürfen:  ghebreken  (st.  gebrest),  wellen  (st. 
wallen),  arstedye  :  mangelye,  glijden,  sunder  wän.  Ein  oberdeutscher 
Reim  findet  sich  nicht. 

Ist  nun  der  niederdeutsche  Schwank  sicher  nicht  ursprünglich, 
so  bleiben  doch  gleichwol  auch  gegen  die  Fassung  von  0  entschiedene 
Bedenken,  die  sich  aber  lediglich  auö  Kürzungen  erklären  lassen.  Die 
Verse  405 — 407  Indem  erlengt  sich  die  predig,  do  wurden  linßen  in  im 
ledig,  czu  den  er  sprach:  ^get  seinsing  auß'  sind  zwar  wolverständlich, 
aber  von  einer  Knappheit,  die  einer  Überschrift  würdig  wäre. 

Diese  Beispiele  mögen  genügen,  um  das  Verhältnis  der  einzelnen 
Fassungen  zu  erläutern  und  den  Nutzen  von  E  zur  Beurteilung  dieses 
Verhältnisses  ins  Licht  zu  stellen.  Überall,  wo  N  von  0  abweicht, 
tritt  ihm  E  zur  Seite,  und  da  dies  auch  in  der  letztbehandelten  Ge- 
schichte, einer  Neudichtung  von  N,  der  Fall  ist,  so  schwindet  damit 
jeder  Zweifel,  dass  wir  in  E  wirklich  eine  Bearbeitung  von  N,  nicht 
etwa  eine  Ableitung  aus  der  gleichen  Quelle,  vor  uns  haben. 

Was  hatte  nun  N  für  eine  Vorlage?  Die  gesammte  uns  zugäng- 
liche oberdeutsche  Überlieferung  scheint  auf  jenen  Druck  zurückzugehn, 
den  wir  eben  nur  aus  dem  Hamburger  Exemplar  kennen.  Ihm  folgt 
mit  kleinen  Freiheiten  die  Frankfurter  Ausgabe  von  1550  und  diese 
wieder  scheint  die  Vorlage  aller  späteren  zu  sein:  jedesfalls  geht  die 
Augsbiirger  von  1602  auf  sie  zurück  und  ebenso  die  o.  0.  1620  er- 
schienene, welche  v.  d.  Hagen  in  seinem  Narrenbuch  abdruckte. 

Jener  älteste  Druck  ist  ein  Nürnberger  Presserzeugnis,  das  zeigt 
schon  die  bairische  Orthographie  deutlich  an.  Den  Drucker  namentlich 
zu  bestimmen  ist  mir  trotz  vielen  Bemühungen  nicht  möglich  gewesen, 
immerhin  kann  ich  ein  zweites,  datiertes  Werk  nachweisen,  das  aus 
derselben  Druckerei  hervorgegangen  ist.  Es  ist  dies  das  bei  Panzer 
Annalen  I  190   als  Nr.  318  besprochene  Buch   Mobilia  Rome  urbis, 


152 

dem  leider  im  Berliner  Exemplar  (Rr  4388)  der  Titel  fehlt.  Der  be- 
druckte Raum  des  auffallend  kleinen,  sehr  selten  vorkommenden  Octav- 
formats  ist  aufs  Haar  der  gleiche,  das  Papier  und  die  Letternformen 
sind  dieselben,  und  da  dies  Buch  laut  Schlussschrift  zu  Nürnberg  1491 
gedruckt  ist,  so  wird  man  auch  dem  Hamburger  Exemplar  unseres 
Kalenbergers  in  Klammer  künftig  beifügen  dürfen  (Nürnberg  ca.  1490). 

Von  diesem  Druck  und  seiner  ganzen  Familie  unterschied  sich 
also  die  Vorlage  von  N  zu  ihrem  unleugbaren  Vorteil.  War  diese 
Vorlage  deshalb  eine  Handschrift?  Wahrscheinlich  ist  dies  von  vorn 
herein  nicht,  und  nötig  ist  es  auch  nicht.  Gödeke  Grundr.  I1  344 
hat  nehmlich  auf  das  einstige  Vorhandensein  einer  Strassburger  Aus- 
gabe des  Pfarrers  hingewiesen.  Die  Strassburger  Eulenspiegel-Aus- 
gaben von  1515  und  1519,  die  auf  eine  ältere  des  gleichen,  Griininger- 
schen  Verlags  (ca.  1510)  zurückgehn,  weisen  zur  12.  Historie  eine 
Blustration  auf,  welche  gar  nicht  zu  dem  betr.  Schwank  passt,  wol 
aber  zu  der  Geschichte  des  Kalenbergers  0  399—422  (E  132,  21  bis 
133,  20;  N  Fragm.  H):  der  Küster  ist  beschäftigt,  ein  Häuflein  Unrat 
aus  der  Nähe  des  Altars  hinwegzufegen.  Die  Vergleichung  dieser 
Strassburger  Eulenspiegelillustration  mit  dem  entsprechenden  Bilde 
des  Nürnberger  Kalenbergers  ergibt  in  der  Auffassung  der  Situation 
eine  unleugbare  Verwandtschaft.  Es  ist  nun  viel  wahrscheinlicher, 
dass  hier  ein  Holzstock  des  gleichen  oder  eines  befreundeten  Strass- 
burger Verlages  bequeme  Verwendung  fand,  als  dass  man  einen  un- 
passenden Holzschnitt  eines  auswärtigen  Verlagswerks  gedankenlos 
nachgeahmt  habe:  die  Ausführung  ist  durchaus  selbständig. 

In  Strassburg  treffen  wir  ja  auch  die  frühste  litterarische  Er- 
wähnung des  Kalenbergers  im  Narrenschiff  Seb.  Brants  (1494)  c.  72, 
v.  24;  hier  liebt  es  Thom.  Murner,  auf  ihn  hinzuweisen  (Narren- 
beschwörung 19,  128.  38a)  und  aus  ihm  zu  citieren  (5,  191),  ohne  dass 
er  ihn  nennt;  hier  hat  der  Bearbeiter  des  Eulenspiegel  schliesslich  ihn 
zur  Erweiterung  seiner  Vorlage  benutzt. 

Gab  es  also  (wie  vom  Bruder  Rausch)  neben  der  Nürnberger 
noch  eine  Strassburger  Druckversion,  so  mag  es  diese  gewesen  sein, 
welche  dem  niederdeutschen  Bearbeiter  vorlag. 

BERLIN.  Edward  Schröder. 


15S 


Friesische  Ortsnamen  und  deren  urkundlich  nachweisbare 
oder  muthmasslich  älteste  Form. 

Bern.:   Im  Chronicoii  Moissiacensc   und  in  der  Vita  AVillchadi  (s.  MG.   1,  298; 

2,  383)  ist  berichtet,   dass  der  Bremer  Diöce&e  von  König  Karl  übergeben  seien 

die  Pagi  Wigmodia  Riustri,  Asterga,  Lara  (d.  i.  Leer),  sowie  Nordendi  (Norden  und 

Harlingerland)  und  Wanga*). 

I.  im  alten  Gau  Rttstringen. 

Anm.  8.  v.  Richthof en' 8  Untersuchungen  II,  1239  seq.,  Einhards  Jahrb.  anno 
793  und  826  Hriustri-Gau,  sodann  auch  Laurent  zu  Anskar's  Leben  des  heil  Willchad 
Seite  9  und  10  wegen  Ut-  und  Up-riustri.  Zum  Namen  Rüstringen  cf.  an.  hriostr 
faspretum)  und  Weiteres  bei  mir  unter  hörst,  sowie  bei  Ehrentr.  fries.  Archiv,  II, 
268  in  der  Note. 

1.  Lanrtvarden,  älter  Lougoworthe,  bz.  Langonwurdh.    (Fr.  Nr.  171.) 

2.  Bnrhave,  älter  Bir-,  bz.  Byrhove,  d.  i.  Hof  zu  Byre  oder  Bure,  cf.  Bur  (Dorf, 

Ansiedelung  etc.)  in  Ortsn.  Vietorbur  etc. 

3.  Waddens,  früher  Waddensze,  älter  Waddinke  und  Waddiuge. 

4.  Blextn,  früher  Blckkcce,  älter  Pletcates-hem. 

5.  Abbehansen,  früher  Ubbahuscn  (v.  Ubba,  bz.  Ubbo?). 

6.  ToKHens,  früher  Toszenzen,  Toscnsen,  Tosinse,  Tosinsze  etc.,  alter  Tosinge. 

7.  Eekwarden,  früher  Egwort,  d.  i.  wohl  =  älterm  Eggc-wurdh. 

8.  Heppens,  früher  Heppensze  =  älterm  Heppingc  (v.  Heppo  V). 

9.  Atens,  früher  Atensze  =  älterm  Atinge  (v.  Ate  V). 

10.  Inte,  früher  Innede. 

II.  Rodden«,  früher  Rodense,  älter  Rodinge. 

12.  Esenshamm,  früher  Esemessam,  älter  Esraundeshem. 

11.  im  Lande  Wursten  od.  dem  alten  Wurthsetena-lond.    (Richth.  II,  1256.) 
Misselwarden,  früher  Mvsszelwurden,  älter  Midlistanwurth  und  Midlistanfadhar- 

uurde.    S.   Vita  WiUehadi  MG.  2,  388. 

III«  im  Lande  Wtthrden  oder  der  terra  Wordensis. 
Dedesdorf,  früher  Thedesdorpe  und  Thedestorpe. 

IV.  im  alten  Aster-ga  und  Wanga  (bz.  Wan-ga),  dem  spätem  Ostringen  (wegen 
des  dazu  gehörenden  Auricherlandes  s.  unt.  sub  VII.)  und  Wangerland.    (Richth. 

II,  1222.) 
L  Jever,  früher  Jevere,  Gevcre  etc.,  älter  Gaveria. 

2.  Cleverns,  früher  Clevercns,  Cleverensze,  älter  Cleverenge  oder  Cleveringe. 

3.  Sc  horten»  früher  Schortensze,  Schortinse,  älter  Scortinge  oder  Scrotinge,  da  es 

wohl  als  solches  in  der  Bulle  des  Papstes  Clemens  III.    von  1190  vorkömmt. 

4.  Fedderwarden,  früher  Vederwert,  Fedderwurden,  älter  Federwurdk  od.  Feder- 

wurth  (cf.  Feerwert  in  Groningen  etc.). 

5.  Sengwarden,  früher  Sen-,  Synn-wert,  Sevewerde,  älter  Sevenwurtk  und  Seven- 

wurden. 

6.  Waddewarden,  früher  Wadwerdeu,  Wadwurden,  älter  Waddewurth. 

7.  Pakens,  früher  Packensze,  älter  Pakinge. 

8.  flogkarken  oder  Hohenkirchen,  früher  Hockerken  statt  älterm  Go-Kerken  oder 

G  o-,  G  a-Kerke,  d.  i.  G  a  u*Kirche,  weil  es  die  erste  bz.  älteste  Kirche  des  pagus 
„Wanga"  war. 

*)  Die  urkundlichen  Formen  sind  grösstenteils  v.  Richthofen's  Untersuchungen 
über  Friesische  Rechtsgeschichte  Th.  II  (Berlin  1882)  und  dem  (mit  Fr.  und  Nummer 
angeführten)  Ostfriesischen  Urkundenbuch,  her.  von  E.  Friedländer,  Bd.  1.  Emden 
1Ö7Ö.  4.  entnommen. 


154 

9.  Mederns,  früher  Medensze  statt  cüterm  Medcnge  oder  Medinge  (v.  Mede  ?). 

10.  Minsen  oder  Mynsen,  früher  Minnensze,  älter  Miimiiige? 

11.  Wiarden,  früher  Wiger^n  oder  Wigerdeu,  älter  Wichardhera  ? 

12.  Wiippels.  früher  Wyppensc,  Weplensen,  Woppelensze,  älter  Woppelenge  oder 

Wcpelingc?  cf.  afries.  wapel,  wepel  (Lache,  Sumpf  etc.  oder  kleiner  Land- 
see, Moor  etc.)  und  den  in  die  Jade  mündenden  kleinen  Fluss  oder  Bach 
Wapel  =  älterm  Wepilingc. 

13.  TeUens,  früher  Tcttcnsc,  Tettensze,  älter  Tettengc  oder  Tcttiuge? 

14.  Reepsholt,  früher  Ripesholt,  alter  Hripesholte. 

15.  Marx,  früher  Marckes,  Markcse,  älter  MarkiugeV 

16.  Etzel,  früher  Etzele,  älter  Ekelo?  cf.  Eke  (Eiche)  und  lo  oder  loh  (Wald  etc.). 

17.  (Jüdens,  früher  Godensc,  älter  OodingeV 

18.  Zetel,  früher  Tzetele,  älter  Ketele  V  cf.  tzetel  =  ketel. 

19.  Wiesede,  früher  Wickede  V  cf.  v.  Richth.  II,  1232  seq. 

V.  im  Harltngerland,  cf.  v.  Richth.  Ilt  1213  seq. 

1.  Stedendorf,  früher  Stedesthorpe. 

2.  But forde,  früher  Butcfcrde,  Butetbrde,  cf  uns.  forde  und  nhd.  Fürth. 

3.  Esens,  früher  Esensze,  Esinghe,  älter  Eseliuge,  Oslingc  etc.,  cf.  Es,  As,  Os  (deus). 

4.  Beuge,  früher  Bensze,  älter  Bengc,  Binge,  bz.  Beuinge  und  BiiiuingeV 

5.  Wester-Accuni,  früher  Wester-Aghcim. 

6.  Otznm  (nur  noch  in  Otzumer-Balge),  früher  Ortzsura. 

7.  Wittmund,  früher  Wit-,  Wyt-,  Wythmunde. 

8.  Middels,  früher  Myddclszen,  älter  Midlesthem  oder  Midlisthem  ? 

9.  Bleersum,  früher  Pledderszeu. 

10.  Eggelingen,  früher  Ickelynck,  Eckgel  in,  älter  Eucelinghe,  Anaclingun. 

11.  Asel,  früher  Aszele,  älter  Askele  oder  AskelohV  cf.  Ekel  i*.  s.  Nr.  16  sub  IV. 

VI.  im  alten  Norderland   oder  dem  pagus  Nordendi,   wozu  früher   auch  Har- 

lingerland  gehörte,  cf.  v.  Richth.  II,  1208  seq. 

1.  Norden,  früher  Norda,  Nordi  etc.,  älter  Xordwidu,   Nordwidi,  Nordwich,   Xor- 

dendi,  Nordcdi,  Norditi. 

2.  Hase,  früher  Hagha. 

3.  Arie,  früher  Erle,  Erla,  älter  Erila  oder  Arila  V 

VII.  im  alten  Auricherland,  als  dem  westlichsten  Ende  des  aüen  Pagus 
Ostringen,  s.  sub  IV.  Die  Kirchen  gehörten  zur  Bremer  Diöcese. 
(Richth.  II,  1201) 

1.  Aarich,  b.  Fr.  zuerst  1302  in  Urk.  161  als  Aurik. 

2.  Weene.    (Fr.  Nr.  493.) 

3.  Wiesens,  früher  Wyszcde,  älter  WiskedcV 

4.  Barstede,  früher  Berstede. 

5.  BangMtede,  früher  Bangkstede,  Bonxtum. 

Bern.    Die  kleine  Ortschaft  Rahe  hiess  früher  Rade,  bz.  Rode,  cf.  Rode  i » 
Oster-Rode  etc. 

VIII*  im  alten  pagus  Fedirga  oder  Feder-ga,  dem  früheren  Amte  Oreetsiel. 
(Richth.  II,  1139.) 

1.  Uttum,  früher  Uthym,   Utthum,   Huttum  etc.,   älter  Ut-hem   oder   Ut-heim   im 

Fuldaer  Güterverz.  sub  Nr.  66. 

2.  Midelsum.  früher  Mydlistum. 

3.  Eilsuni,  früher  Edelsum,  Edelsem,  Ethilsum  etc.,  älter  Ethelshem? 

4.  Jennelt,  früher  Yenlcd,   Genlede,  Genlete   ete.,   älter  (cf.  Güterverzeichniss  des 

Klosters  Fulda  aus  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts)  Geinleto  oder  Genlete 
(in  marcha  Nortwaldo  u.  pago  Fetergewe  oder  Federgewe). 
o.  Visquard,  früher  Fisqnwart,  Viscwert,  cf.  v.  Richth.  I,  135  Fiskwert. 

6.  Pilsum,  früher  Pyleshom. 

7.  Öamhusen.    Im   Güterverzeichniss   des  Klosters  Fulda  (s.  unt.  Jennclt)   wird 

erwähnt,  dass  ein  Albricus  in  Damhuscn  in  duobis  locis  virgam  uiiam  schenkte. 


155 

Desgl.  wird  in  demselben  erwähnt,  dass  ein  gewisser  Albericus  dem  heü.  Boni- 
facius  seine  Güter  in  villa  Frisgana  et  iu  villa  Donehusen  übertrug,  welches 
Letztere  auch  unt.  Nr.  120  als  Duonhusen  vorkommt  und  wohl  mit  Damhusen 
eins  ist.  Damhusen  kömmt  auch  schon  im  Qüterverzeichniss  des  Klosters 
Werden  vor. 

8.  Grimersnm,  früher  Grimissum. 

9.  Wirdum.    Dabei  die  von  der  alten   Oster-Ems  gebildete  Insel  Aland  (d.  h. 

Wasserland),  worauf  das  Prämonstratenser- Kloster  Aland  oder  Insula,  dessen 
Probst  Focco  in  einer  Urkunde  von  1255  erwähnt  wird. 

10.  Cirkwerum,  früher  Syrcweren. 

11.  Canhnsen,  früher  Cannyngehusum. 

12.  Apping  bei   Greetsiel,  'früher    Kloster  Apyngum  oder  Appinge.    Es  ist  wahr- 

scheinlich dasselbe,  wie  die  im  Fedcrgewe  belegene  alte  villa  Avinge,  s.  Nr.  99 
im  Güterverzeichniss  des  Klosters  Fulda  v.  Ende  des  8.  Jahrhunderts. 

B  e  m.     Wegen  Siegelsnni  s.  Bern,  zu  X.  am  Schlüsse  u.  Fr.  Urk.-B.,  wo 
es  zuerst  in  1450  als  Svgildsum  in  Nr.  630  erscheint. 

IX.  im  alten  Emsgan  (Richth.  II,  1149)  und  zwar: 

a.  im  spätem  Amt  PewNim  vor  destien  Vereinigung  mit  Greetsiel: 

1.  Groothüsen,  früher  Husum,  älter  Hunun  (im  Werdener  Heberegister  pag.  20  u.  24). 

2.  Bettewehr  (1720  ausgedeicht  und  überfluthet),  früher  Betawere,  Bethewere. 

3.  Knoek  ( Vorwerk),  cf.  v.  Bichth.  II,  1146  seq.    Die  Notiz  v.  Continuator  Menco 

z.  J.  1285  „trän s  Emesam  prope  Oterthom,  Longene  et  Knocka  cum  equis 
etc.  in  glacie  solidum  iter  carpebant". 

4.  Drewert  (um  ungefähr  1540  ausgedeicht  und  überfluthet). 

5.  Rysnm,  früher  Rvsingum,  älter  Hrisinghem. 

6.  Loquard,  früher  Laquart,  Laquerth,  älter  Lacwurdh. 

7.  Campen,  früher  Campum  (schon  im  Werdener  Heberegister). 

8.  Upleward,  früher  Plegewert,  älter  Plen-,  Pleon-wurdh. 

9.  M  anklagt,  früher  Manslat,  Manslach,  Mansliacbt. 
10.  Woqnard,  früher  Wachwert,  älter  Wahcwurdh? 

IL  Call  im,  früher  Canagum,  Canynge,  älter  Caninghem. 

12.  Pewsum,  früher  Pawesum,  Pewesum,  älter  Peweshem. 

13.  Woltaeten,  früher  Walsecum  statt  Waltsetum,  älter  Waltsation. 

b.  im  Emder  Amt: 

1.  Emden,  früher  Emeda,  Emctha,  Emeden  etc.,  älter  Emu t ha,  Emuthon,  Amuthon. 

2.  Folkersweer  (Ende  des  15.  Jahrh.  überfluthet),  früher  Volkardawera. 

3.  Langen  mit  dem  Kloster  Langen,  jetzt  Logumer  Vorwerk  mit  dem  Hook  van 

Logum,  früher  Langene,  Longene,  Langhena,  älter  Langonha  (Werdener 
Register)  und  Langenhoh,  Langenhouh  (Fuldaer). 

4.  Gwrdsweer  (1720  überfluthet),  früher  Gerleswere,  Gherkiswere,   Gheerdswere. 

5.  Twixlnm,  cf.  v.  Richth.  I,  135  Twixlum. 

6'.  Larrelt,  früher  Leerlt,  Hlerlt,  Lerlethe,  Hlerlete,  älter  Hlar-  oder  Hlara-fhata. 

7.  Wibelsnm,  früher  Wivelsum. 

8.  Woltknsen,  früher  Walthusum. 

9.  Uphnsen,  früher  Uphusum  (Fr.  Nr.  109.) 

10.  Harsweg,  früher  Hersweghe,  Herseweg.    (Fr.  Nr.  509.) 

11.  Hinte,  früher  Hynte,  älter  Hinuti. 

12.  Snarhusen,  älter  Suderhusum. 

13.  Marienweer  (früher  Kirchdorf,    da  das  Münster" sehe   Dec&n&ts- Register  von 

1475  eine  Kirche  zu  Area  sanete  Maria,  bz.  zu  Area  erwähnt). 

14.  Lopnersnm,  Lopsum. 

15.  Abbingweer  (früher  Kloster),  früher  Abingwere. 

16.  Eisingnnsen  (früher  Kirchdorf),  früher  Esing-,  Esiuga-,  Hesinge-husen  bz.  husum. 

17.  Osternnsen,   cf.  Osta-husun  im  Werdener  Heberegister  p.  22.    cf.  auch  Fr.  98 

wegen  des  Vorwerks  Osterhusen  bei  Borssum,  was  vielleicht  mit  dem  Osta- 
husun  des  Werdener  Güterverzeichnisses  identisch  ist. 

18.  Westerhnsen,  Westerhusum. 


156 

19.  Albringsweer,  früher  Albrunsweer.  Awraudeswere,  Albrandeswere. 

20.  Midlum,  früher  Middeltira. 

21.  Freepsnm,  früher  Frebescum,  Frebestum  etc.,  älter  Fresbrahteshem. 

22.  Sielmtinken  oder  Sylinonniken,   altes  Kloster  im  Kirchspiel  Freepsum,  früher 

Kloster  Silo  (nach  einem  daselbst  belegenen  Siel)  genannt. 

23.  Fahlem  (Oross-   und  Klein-,  jetzt  Theile  der  Stadt  Emden,   s.  oben  sub  1), 

früher  Fallcrn,  Fairen,  Phalerna,  (1255)  Felerne. 

24.  Hamkusen   (jetzt   weg,   s.   alte   Dollart -Karte   von   Emmitis),    alt  Hamhusum. 

s.   Werdener  Heberegister. 

25.  Borsuiu  (Opohs-  und  Klein-),  früher  Bursum,  älter  Borshem,  Borzhem,  Bruzem. 

26.  Jarsum.  früher  Jersum,  älter  Jcrzcm,  Gerzhem. 

27.  Widdelsweer  (hatte  fmher  eine  Capelle),  früher  Widliswerc. 

28.  Petkum  (Petjum),  früher  Pettum  für  Petcum,  alter  Pcttinghem. 

29.  (iandersnin,  früher  Gondorsum,  älter  Gondrikeshem. 

30.  Öldersnni.  früher  Uldersum,  älter  Olders-  oder  Alders-hem. 

X.  im  alten  Brokmer-   oder  Brokmoiiua-land,  was  früher  ein   Theil  des 

alten  Emis-ga  (Emsgatt)  war.     (liichth.  II,  1167.) 

1.  Marienhafe,  früher  Marienhove  oder  curia  sancte  Marie  und  (anno  1362)  curia 

virginis  gloriose.  Sie  ist  bald  nachher  durch  Feuer  zerstört,  wie  aus  einer 
Urkunde  von  1387  erhellt,  cf  Notiz  zu  Nr.  3. 

2.  Osteel,  früher  Oost-deel,  älter  Astc-delc. 

3.  Westeel  oder  vrspr.  Weste-dele.    Es  lag  mit  dem  vorigen  Dorf  auf  demselben 

Sandrücken,  jedoch  näher  dem  Meere  und  wurde  1277  oder  etwas  später 
überfluthet,  da  nach  einer  Urkunde  von  1387  die  dortige  Kirche  zum  Wieder- 
aufbau der  durch  Feuer  zerstörten  Kirche  zu  Marienhafe  verwandt  wurde. 

4.  Enger  liafe,  früher  Ut-enger-  oder  Ut-eugra-hove,  und  auch  (1250)  Buta-e,  weil 

es  nördlich  von  oder  ausserhalb  der  zwischen  Engerhafc  und  Victorbur 
fliessenden  Ehe  lag.  Aus  Buta-ce  oder  Uta-ec  entstand  dann  weiter  die 
Vorsilbe  Ut-enger-. 

5.  Victorbnr.  früher  Victorishove   (curia  saueti  Victoris).    B.  Fr.  zuerst  in  Urk. 

914  (1473)  als  Fittersburcn. 

6.  Wiegboldsbur,  früher  (bis  1455)  Wibclsbur   und  (1250  und  1475  urkundlich) 

Wibboldes-  oder  Wibaldeshof.  Der  Brokmerbrief  aus  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts spricht  von  „binna  Wibaldinga  szerspele".  Das  Werdener  Hebe- 
register hat  neben  einer  Wibades  kerikou  auch  ein  Wiboda  holta  und  \Yi- 
bodi  silva,  deren  Lage  indessen  nicht  sicher  anzugeben  ist. 

7.  Bedekaspel  (Bade- Kirchspiel),  früher  Bete-,  Bede-Kerke,  wohl  soviel  als  Bet e- 

Kir  che. 

8.  Forlitz,  früher  Vorletz  oder  For-letze.    In  Urkunde  von  1250  wird  die  Kirche 

Godeka-kirk  (nach  ihrem  Stifter)  genannt.  Der  Name  Forlitz  oder  Forletze 
ist  wohl  eine  Composition  von  For-  und  letze  =  afries.  lege,  läge,  wie  neben 
afries.  lega  (legen)  auch  die  Formen  ledsa,  lidsia,  litzia  und  für  liga  (liegen) 
auch  die  Formen  lidsa,  litza  etc.  vorkommen. 

9.  Blaukirchen,   auch  Südwolde  genannt  und  in  einer  Urkunde  von  1475  „Suda- 

woldau.  Es  ist  wahrscheinlich  dasselbe  Kirchdorf,  welches  in  Urkunde  von 
1250  „Loppessumwalde"  genannt  wird,  weil  „Blaukirckeu"  östlich  des 
Grossen  Meeres.  „Loppersum"  gegenüber  liegt. 

10.  Burhave  (tiross-  und  Klein-),  jetzt  2  Plätze,  wovon  der  erste  Domänenplatz. 

Es  war  früher  ein  Kirchdorf  und  kömmt  im  Decanatsregister  von  1475  als 
Burhoff  vor. 

11.  Ochtelbur.    Im  Decanats-Eegister  von  1475  Uterla-bur,   indessen  in    Urkunde 

von  1431  Ochtleburcn  und  1401  Ochtelbur. 

12.  Riepe.    1431  und  1435  Rype. 

*1.  Bern.  Neben  Loppessumwalde  (s.  sub  9)  wird  in  Urkunde  von  1250 
auch  noch  eine  Kirche  in  Aldeguudeswalde  genannt,  was  vielleicht  dieselbe 
Kirche  war,  die  später  Bete-kerke  (s.  sub  7)  hiess,  zumal  Bedekaspel  ebenso 
wie  Blaukirchen  nicht  am  Grossen  Meer  liegt.  Sodann  ist  zu  diesen  im 
spätem   Brokmer land    liegenden   Ortschaften   noch  zu  bemerken,   dass   das 


157 

Decanatsregister  von  1475  auch  die  Kirche  zu  Siegelsum  oder  Sigelum  auf- 
führt, welches  indessen  auch  im  Decanat  Uttum,  als  zu  diesem  gehörend, 
mit  genannt  wird  und  weil  Siegelsum  jedenfalls  nicht  im  alten  Brokmerland 
liegt,  auch  jedenfalls  wohl  früher  zum  Decanat  Uttum  gehört  hat,  wonach 
dann  auch  anzunehmen  ist,  dass  Sigelsum  (älter  Sygildsum)  in  alten  Zeiten 
ebenso  wie  Wirdum  im  östlichsten  Theil  des  Feder-Gauea  lag. 

2.  Bern.  Die  ältesten  6  Kirchen  (nämlich:  Curia  sancte  Marie,  Buta-0, 
Wibadeshof,  Lopessumwalde,  Godekakirk,  Aldegundeswald)  gehörten  bis  1250 
zum  Decanat  II inte  und  wurden  dann  wegen  Streitigkeiten  mit  dem  Decan 
Lutward  davon  getrennt  und  dem  Consulatus  Brokmaunorum  unterstellt  Cf. 
v.  Richth.  1,  322  seq. 

3.  Bern.  Der  südlichste  Theil  des  alten  Brokmcr-Landes  (bz.  Bruch- 
Landes)  hiess  früher  Suthor-lond  und  gehörten  die  darin  liegenden  Orte 
Simonswolde,  Holttrup  und  Aurich  -  Oldendorf  zum  früheren  Decanat  Leer, 
s.  weiter  sub  XL,  dann  b.  Friedl.  Urk.-Buch,  wo  das  Suderland  zum  ersten 
Mal  in  Urk.  Nr.  398  erscheint  und  darin  Simiswalde,  Rype,  Ochtleburen 
und  Bon x tum  als  im  Süder laud  liegend  angegeben  werden. 

XI*    im    alten    Decanat    Leer,    bestehend    aus    dem    Moormer-,    Lengener-    und 

Overledinger-Land,   sowie  aus  dem  südlichsten    Theil  des  alten  Brokmer  -  Landes, 

der  spec.  Sutherlond  hiess.     (Richth.  II,  1175.) 

1.  Leer,  früher  Lere,  Lare,  älter  Hlcri  (an  der  Leda,  alt  Latha). 

2.  Nüttermoor,  früher  Uetter-,   Utter-moor,   älter  Uttera-mora.     Urk.  zuerst  1427 

als  Uttermoer  b.  Fr.  345. 

3.  Yeenhosen,  früher  Vennehusen,  älter  Torta-  (amend.  Torfa?)   mora.      Urk.  als 

Feenhusen  zuerst  1430  b.  Fr.  509. 

4.  .Vermoor,  früher  Edermocr,  älter  Nedcra-mora.    Urk.  zuerst  1428  als  Eramoere 

b.  Fr.  371. 

5.  Roriehnni,  früher  Rarchum,  Rarichum,  Raerchem,  urk.  zuerst  1357  b.  Fr.  80. 

6.  Ayenwolde,    früher   Alingewolde,   älter   Aldingawalde.     Urk.    zuerst   1459   als 

Avlingkwolde  b.  Fr.  509. 

7.  Hatshnsen,  früher  Harsta-  bz.  Hasta-busum.     Urk.  zuerst  1438  b.   Fr.  in  487 

und  dann  1439  b.  dems.  in  509  als  Hatzehusen. 

8.  Boeksetel.  früher  Bookscde.     Urk.  zuerst  1319  als  Bowkesete  b.  Fr.  48. 

9.  Simonswolde,  ^  *•  /  b.  v.  Richth.  Sonneswolde  und  früher  (cf.  Bartels 
t»  l  über  d.  Dollart,  Jahrb.  d.  Gesellsch.  f.  bildende 
3   )  Kunst  1872,  Heft  I,  p.  12  d.  Anm.)   Sunedes- 

walda.    Als  Simiswalde  urk.  zuerst  in  1431,  cf. 


|  I  Fr.  Nr.  398. 

ö*  f  urk.  zuerst  als 

KJ    1      _I„     11.1.    il 


10.  Holtrup.  J   o-  f  urk.  zuerst  als  Holdorpc  in  1451  b.  Fr.  in  398. 

11.  Aurifh-Öldendorp,        >\  y  als  Alda-thorp  urk.  zuerst  1307  in  Nr.  105  b.  Fr. 

12.  Timme].     In  Fr.  Urk.  zuerst  1438,  jedoch  im  Werdener  Heberegister  pag.  22 

schon  als  Timberlae  verzeichnet. 
IX  Strakbolt.  b.  Fr.  Nr.  072  (1454)  Stracholtc. 
li.  Backband,  b.  Fr.  Nr.  672  (1454)  Bacbaude. 
15.  Hesel,  Fr.  961  (1475)  Hcssele. 
10.  Barthe   (Kloster),  früher  Bertbe,   Beretbe   (1288  als  Porta  friesiae   orientalis 

erwähnt),  b.  Fr.  Nr.  140  (1380)  Bertba. 
17.  Loga,  b.  Fr.  210  (1408)  Laghe  und  im  Werdener  Heberegister  Lage,  Lagi  und 

Loge.     Ob  eins  mit  loog  (locus)? 
1*.  Ugabirnm,  Fr.  509  (1439)  Loghebeerne. 

19.  Xortmoor,  1439  Nortermor,  1475  Nortmora. 

20.  Filsam.    So  bereits  1475,  s.  Richth.  II,  1181. 
M.  Hollen,  Fr.  509  (1439)  Holne. 

2'i.  Ammersum.     (Bertram,  Geographie,  pag.  207.) 
23.  Detern,  Fr.  351  (1424)  Detheren. 
2i.  Holtgaste.    (Fr.,  961,  bz.  1127.) 

25.  Remel*.  früher  Lengen,  bz.  Lanzene  (statt  Langene). 

26.  MnJide,  bz.  ter  Muhde,  Muda,  älter  Lethe-niuda,  bz.  Latha-muthon. 


158 

«07.  Driever,  früher  Driwer,  bz.  Driwere. 

28.  Coldeinüntje,  bz.  Coldemüiikeu. 

29.  Midling,  Fr.  460  (1436)  Mvdlinghe. 

30.  Völlen,  Fr.  730  (1458)  Vollen. 

31.  Hampoel,  Fr.  677  (1454)  Hempoel. 

32.  Esclnm,  Fr.  961  (1475)  Eskelum. 

33.  Ihrhove,  das.  Yderahave. 

34.  Stecnfelde  (früher  Steenwoldc),  Fr.  460  (1436)  Steenvelde. 

35.  Neuburg,  früher  Nicnborg,  Fr.  509  (1439)  Nigenborch. 

36.  Amdorf,  Fr.  389  (1430)  Amdorpe. 

37.  CoUinghorst.    (Fr.  1753.) 

38.  Bakemoor,  Fr.  II,  460  (1436)  Boecraora. 

39.  Rhaude,  Fr.  508  (1439)  Rawedc  (ist  der  zweite    Theil  wede  ident.  mit  wede 

=  altem  widu  ?). 

40.  Potshauften,  Fr.  509  (1439)  Poptishusen. 

XII.  im  alten  Retderalond  (Rheiderland),  soweit  es  zum  Münster* sehen  Bisthum 
gehörte.    (Richth.  II,  1183.) 

1.  Nesse,  Fr.  I,  119  (1372),  cf.  Nas  und  Nasse  b.  Crec.  pag.  20  und  23. 

2.  Herum,  (Fr.  I,  270)  überflutet.     Cf.  b.  Crec.  pag.  11  Burion,  was  doch  sicher 

im  Rheiderland  e  lag. 

3.  Wilgum,  Fr.  I,  119  (1372)  Wilinggum,  überflutet. 

4.  Fletum,  Fr.  I,  119  (1372)  Flyatum,  überflutet,  cf.  Wig-Fliata. 

5.  Jarssum,  (1277)  cf.  v.  Richth.  II%  1185. 

6.  Torum,  Fr.  I,  119  (1372)  Tordinggum,  überflutet. 

7.  Pogum,  cf.  Fr.  7,  105  (1367)  Citera-sura  (Ovira?)  -peum  oder  Pawingum,  älter 

Pawinghem.     Cf.  v.  Richth.  II,  1187. 

8.  Ditziim,  Fr.  I,  509  (1439)  Dytsum,  desgl.  II,  763  (1460)  Ditsuin.    1475  Derzum 

oder  Dertzum  s.  v.  Richth.  II,  1187. 

9.  Oldendorf.  Oldendorp  und  Aldatborp,  s.  v.  Richth.  II,  1187. 

10.  Hatznm,  Fr.  I,  221  (1409)  Hardsum,   das.   461  (1436)  Hartzum,  später  Fr.  II, 

609  (1449)  Hatsum. 

11.  Coldeborg,  1475  Galdeborch,  s.  v.  Richth.  11,  1188. 

12.  Kritzum,  Fr.  I,  409  (1432)  Krytzum  mit  Krvtzamewalt. 

13.  Midlum,  Fr.  I,  609  (1449)  Mydlum. 

14.  Jemguni,  JFV.  I,  35  etc.  (1284  etc.)  Gemmczum,  Gemmynzum,  Jemingben  etc. 

15.  Marienchor,  cf.  v.  Richth.  II,  1187. 

16.  Böinerwold,  früher  Bimerwolt  oder  Bedamewalt  (cf.  Bartels  pag.  15),  cf.  Bedma- 

wertha  b.  Fr.  I,  221  und  das.  (Ürk.  584  und  818)  Bedma-,  Bedraer  hamryck. 
Wegen  Bedum  aus  Bedgum,  bz.  Beddinghem  (cf.  Crec.  pag.  22  etc.),  cf.  Petk. 

17.  Holtgast,  früher  Holtgcst,  Fr.  I,  34  (1282),  Diöcesan-Reg.  v.  1435  Holtgeist. 

18.  Binzuin,  früher  Bvnnvngum. 

19.  Kark-Borgum  mit  Midäelste-  und  Feersten-Borgum.  (cf.  Fr.  Nr.  57  Bergbum,  od. 

besser  vielleicht  Burchum  in  Nr.  80  u.  81  u.  ferner:  Bertram,  Geogr.,  pag.  197.) 

20.  Georgi-  oder  Swarte-wold. 

21.  Weener,  früher  Wyancre,  Weyner,  Weningera. 

22.  Weniger-  oder  Weener-moor,  früher  Wenighermoer,  Wengramor. 

23.  Boene,  cf.  Bonewerda  b.  v.  Richth.  II,  1190. 

24.  Poel,  cf.  pöl  (palus)   und  Bartels  über  den  Dollart  im  Jahrb.  f.  Kunst  etc. 

(1872)  p.  21. 

25.  Bunde,  Fr.  I,  366  (1428)  und  Bunde  (1391),  s.  v.  Richth.  II,  1190. 

26.  Linda.    (Fr.  Nr.  270) 

27.  Wymeer,    Fr.   I,  48  Wvmaria  (1319).     Ob   =    Winna-  oder  Wynnamar?  cf 

v.  Richth.  II,  1190. 

28.  Haxne,  überfl.,  s.  v.  Richth.  II,  1190,  cf.  Saxum  und  Saxumerwold.    Ein  Haxn 

oder  Haxne  kömmt  übrigens  auch  schon  im  Werdener  Heberegister,  Seite  22. 
mit  Scagastborpe  (s.  Stockdorp),  Wilinghem  (s.  Wilgum)  etc.  vor. 

29.  Oekeweer,  Fr.  I,  270  Ockeweir. 

30.  Huweghenborch,  früher  Huwingaborg,  *.  v.  Richth.  II,  1190. 

31.  Palmar,  Fr.  I,  57  (1338)  Pallemar. 

32.  Reiderwolde,  cf.  Redi  in  walda  b.  Crec.  pag.  19. 


159 

33.  Westerwolda. 

34.  Saxnm  =  Haxne,  s.  v.  Bichth.  II,  1190  und  cf.  unter  Saxumerwalt  =  Haxene- 

walt.    S.  indessen  Weiteres  unt.  Haxne. 

35.  Berde,  cf.  Uitcrbeerte  und  Osterbeerte  oberhalb  Winemecr  auf  der  Karte  des 

Dollarts  b.  Straiingh. 

36.  Santdorp.  s.  Zentorp  b.  v.  Bichth.  II,  1190. 

37.  Saxummerwolt  oder  Saxunierwolde,  s.  v.  Richth.  II,  1190,  wo  er  Haxenewalt 

damit  identifieirt,  8.  indessen  unt»  Haxne. 

38.  Tysweer  oder  Siweteswere.   s.  do.  und  dazu  Bartels  (Jahrb.  d.  Ges.  f.  Kunst 

"  etc.  von  1872,  pag.  15)  der  Siweteswere  mit  dem  auf  der  Emtnius 'sehen  Karte 
vorkommenden  Ewitwcer  identifieirt.  Zu  Siweteswere  cf.  b.  Crec.  p.  11 
Siwataras  hwervia. 

39.  Stockdorp,  cf.  Steges-  und  steghesdorp  in  Urk.  302  (1422),  b.  Friedl.  I,  früher 

Stagestorp,  *.  t?.  Bichth.  II,  1190,  cf.  b.  Crec,  pag  11  Scagasthorpa. 

40.  Beide  (Oster-  und  Wester-).  (1282, 1377,  Fr.  I.  34  und  131)  Asterreyde,  Astie- 

rheide,  Abt  Enno  (1211)  Villa  Hreidcnsis,  cf.  Hredi,  Hriedi,  Hriadi  b.  Crec. 
pag.  11  etc. 

41.  Wiiie-  oder  Wynedaham  (cf.  1391  bz.  1420  Wiveldaham  s.  Fr.  I,  270)  nebst  Wy- 

nedaboreb,  s.  v.  Bichth.  II,  1191. 

42.  Megenfcam  (Fr.  I,  270,  1391  bz.  1420  Megham),  auch  Meggeham,  s.  v.  Bichth.  II, 

1191  Megalzem. 

43.  (Jothorne  bz.  «olthorne ,  s.  v.  Bichth.  II,  1191. 

XIII.  im  alten  Relderalond,   bz.   dem  südlich  von  Weener  liegenden    Theil, 

soweit  es  zum  Bisthum  Osnabrück  gehörte.     (Bichth.  II,  1292.) 

1.  Stapelmoor  (1424)  Stapelmor. 

2.  Vellage.    Nach  v.  Bichth.  (II,  1189)  Village,  cf.  Veldlagi  b.  Crec.  pag.  23. 

3.  Diele  oder  Dyle,  cf.  Dilon  b.  Crec.  pag.  23  etc. 

4.  Dünebrook. 

5.  Bellingwolde.    (1498)  Bellinckwolde. 

6.  Winschoten,  (1467)  Wynschottcn. 

7.  Blvhaw.     (1498)  Bleichhammc. 

8.  de"  Beerta.    (1656)  Berde. 

9.  Hilliger-lee.    (1656)  Hilligerlobc. 
10.  Wester-lee.    So  MG.  23,  597. 

XIV.  Die  Inseln  von  der  Ems  bis  zur  Weser. 

1.  Borktn,   Fr.  167  (1398.   copie.)   Borkyn.     Bei   Strabo    VIT  e.   1   B'jpyavC; 

(Bo»ip5£avi£  Stephanus  Byz.  183,  8  Meineke),  bei  Plinius  IV,  97  Burcana, 
bei  Emo  (MG.  Scr.  23,  511)  Borkna. 

2.  Baut.     Schon  Ende  des  8.  Jahrh.  (785?)  dem  Bisthum   Münster  (d.   Bischof 

Liudger)  zugelegt  und  jetzt  nur  noch  eine  Sandplate  zwischen  Norddeich  und 
Juist,  cf.  v.  Bichth.  II,  396  seq.  und  bei  mir  unter  Bant.  in  Bante  Oorkon- 
denboek  van  Holland  en  Seeland  I  n.  33  (a.  960);  Bant  MG.  2,  410;  9,  289. 

3.  Juist,  Fr.  167  (1398)  Just.    Nach  der  alten  grossen,  mit  einem  Kreuzgewölbe' 

versehenen  Kirche  muss  sie  früher  viel  bedeutender  gewesen  sein  als  jetzt. 

4.  Buxe,  Fr.  ebd.  Burse.    Fr.  203  (1406)  Buyze. 
">.  Xorderney,  Fr.  ebd.  Oestercnde. 

6.  Baltram,   Fr.  ebd.   Balteringe.     Der  Form  wegen  cf.   Baldratinge   oder  Bal- 

tratingen im  Fuldaer  Begister  auf  Texel?  —  Muss  sehr  alt  sein,  weil  es 
eine  Insel  für  sich  war  und  so  im  Gegensatz  zu  Norderney  etc.  etc.  stand. 

7.  Langeoog,  Fr.  ebd.  Langoch. 

8.  Spikeroog,  Fr.  ebd.  Spickeroch. 

9.  Waogeroog,  Fr.  ebd.  Wangeroch. 

10.  Helgolaad  oder  wie  wir  sagen :  dat  lli\geU'(Heüigen-)La.u&.  Diese,  schon  von 
Willebrord  und  Liudger  besuchte  Insel  hiess  damals  Fosetesland,  «.  MG. 
2,  410.  9,  869;  und  daneben  (bei  Adam  Brem.)  Halagland  s.  MG.  9,  282. 

NORDEN.  J.  ten  Doornkaat  Koolman. 


160 


Nachträge. 

Nachdem  meine  „Einleitung  zu  einer  amringisch  -  föhringischen 
Sprachlehre"  bereits  fertig  gedruckt  war,  ist  es  mir  endlich  gelungen 
eines  Exemplars  der  Schrift  von  Möller,  Die  Palatalreihe  der  indo- 
germanischen Grundsprache  im  Germanischen,  Leipzig  1875,  habhaft 
zu  werden.  Da  diese  Schrift  nicht  im  Buchhandel  erschienen  ist,  möge 
man  es  mir  nachsehn,  dass  ich  die  folgenden  Verweisungen  auf  die- 
selbe erst  nachträglich  zu  geben  im  Stande  bin: 

S.  11,  Z.  IG:  Vgl.  Möller,  S.  30. 

S.  11,  letzte  Zeile:  Vgl.  Möller,  S.  31— 4G,  53  Anm.  und  59  f. 

S.  32  ist  als  25.  der  Titel  von  Möllers  Schrift  nachzutragen 
mit  dem  Zusatz:  „behandelt  S.  28 — 48,  53  Anm.  und  59  f.  s  aus  k, 
S'  aus  kj  und  die  Diphthongierung  nach  Palatalen."  —  25.  26.  27. 
28  sind  in  26.  27.  28.  29  zu  ändern. 

Ausserdem  bitte  ich  zu  verbessern: 

S.  2,  §  2,  Z.  1  u.  2  ferea  (feria),  ferei»  statt  feri»,  feria. 

S.  5,  §  6,  Z.  7  v.  u.   1483  statt  1843. 

S.  6,  Z.  3.  4,  S.  7,  10),  Z.  4.  5,  4),  Z.  4.  5  und  S.  8,  3), 
Z.  2  v.  u.  ist  in  den  wang.,  sat.  und  westfrs.  Wörtern  w  statt  v  ein- 
zusetzen. 

S.  6,  Z.  3.  8.  12.  1  v.  u.,  S.  7,  Z.  7  und  S.  9,  7),  Z.  1  v.  u. 
wäre  in  den  wang.  Wörtern  besser  sei  für  ei  zu  schreiben. 

S.  19,  Z.  3  v.  u.  die  statt  ied. 

S.  23,  Z.  2  v.  u.  sosgorn  statt  sösgarn. 

Halle  a.  S.  Otto  Bremer. 


Zu  dem  Aufsatze:  Das  Liederbuch  des  Petrus  Fabricius. 

Zu  S.  60,  Nr.  6.  Eine  nid.  Fassung  in  11  Str.  enthält  'Het  oudt  Amsterdams 
Liedt-Boeck'  (Amsterdam,  I.  I.  Bouman  o.  J.,  Exemplar  in  Berlin,  Zf.  7788)  S.  32. 

Zu  S.  61,  Nr.  XII,  XV,  XXII.  In  der  Sammlung  4Den  nieuwen  Lust-hof 
(Amsterdam,  H.  Mathyss.  1602)  findet  sich  S.  1  die  Weise  'GheseUeken,  du  tnost 
wandele*,  S.  40  und  52  die  Melodie  'Galiard'  Itali  oft  Bedroeft  hertekeri,  S.  43 
und  69  'Soet  Robbertgien'  und  S.  26  'Nabuer  Roelanf  angeführt. 

In  der  S.  66  f.  abgedruckten  englischen  Ballade  bitte  ich  einige  Druckfehler 
nachträglich  zu  verbessern :  3,i  loues  —  3,i  liu'd  —  3,6  striue  to  liue  —  5,«  sathes 
—  7,i  drunke  —  16,i  haue. 

Berlin.  J.  Bolte. 


Zu  S.  111.  Mit  der  von  C.  Schröder  Jahrb.  2,  52  veröffentlichten  Fassung 
des  Spruches  von  der  Welt  Untreue  sind  mehrere  Sprüche  vom  Tode  verbunden 
(=  No.  41—44  der  oben  S.  104  ff.  von  Bäumker  herausgegebenen  Wiener  Samm- 
lung.) Eine  stark  gekürzte  Redaktion  desselben  hat  Birlinger  aus  dem  'Schatz- 
boechlin  der  gotlicher  lieffden'  Germania  19,  98  mitgeteilt. 

Berlin.  Hermann  Brandes. 


Musikbeilage. 

Zu  S.  58-68. 


Ia.    Störtenbecker.    (P.  Fabricius  Nr.  183.  M.) 


$ 


QE 


-# — # — « 


5=fe£ 


^=3=^=^3 


=,3=3f=£ 


Stör  -  ten  -  be  -  cker  [vnd     Go  -  de    Mi  -  chel,      de      ro  -  ve  -  den    beide  tho 


P=F+&^g=^2 


=3=3 


* 


:*-^F^ 


de,    so   lang  datidt 


gott    van  hem-mel  vor-droth,  do      mos-ten     so      li-den    gro  -  te      seban  -   de.] 
Ib.    Fragment  bei  M.  Franck,  Fase.  quodL  1611,  Nr.  6. 


AAAAiiii. 


^:    .ö. 


=*=*: 


— r- 


-t~ 


-•—¥- 


--£ 


=£ 


1 — i- 


=fc 


Stör-tze  -  be  -  eher  vnd  Gö-de    Mi-cha-el,        die  raub  tu  mit  ein  -an  -  der    auff 


glei  •    -  chen  theil,  zu  wasser  vnd       auch         zu      lan    ------    de. 

Ia     M.  Franck,  Farrago  1602,  Ali         Id.    Ebenda,  2.  Tenor. 


m 


i 


i  1 1 


*=3= 


$=3=3=1 


*9 < H 1 ) Y 


^33 


3=3- 


-xrti 


^^ 


Stortze  -  be-cher  vnd  Go-de  Mi-cba  -  el. 


Die  raubtn  mitnan-der  auff  glei  -   chen  theil. 

1 


Ie.    J.  Moller,  Quodlibet  1610,  Cantus. 


=t=l= 


t=t 


3=3z 


=*=3=Q 


:et 


Stör  -  tzen  -  be  -  eher    vnd  Göt  -  te    Mi  -  cha  -  el. 


II.    Brennenberger.    (Nr.  154.  M.) 


ü 


&3EEE^E 


3HEE*; 


:«= 


Ich     ha  -  be    ge  -  wacht  ein    win  -  ter-lange  nacht,  dar  -  zu     hatt 


E3S 


t=tz 


SEE 


rozis 


schon  jung  -  freu  -   lein  ge- bracht         mit    ih  -  ren  schne-weis- 

+  +  +    /IS 


jSSZ 


t=* 


ÄEÜE 


sten:   dass   mu-ste  dem    hei  -  de       ge    -    lu  -  sten. 


HL    Das  Schloss  in  OesterreicL    (Nr.  188.  M.) 


fp== 


JpEEE 


In      0  -  eter- reich  da     ligt  ein  schloss,      das     ist  gantz  woll    ge  -  baa- 


d: 


-1— tt— r 


3=3= 


gJfaLj=-jJ 


:g=zg— efl_  ~ö 


wet,        von     sil  -  her    vndT        von    ro  -  tem   gold,       [von    ro  -  tem  gold,]       mit 


m 


t=t 


ps 


mar  -  mel  -  stein     ge  •  mau  -  ret. 


IV.    Des  Goldschmieds  Töchterlein.    (Nr.  140  und  167.  L.) 


i 


3£ 


3=t 


wm 


7t*-~tr 


3===* 


3=±* 


•      4 


Bi-gta   des  goldtechmids  tochter- lein,  bin  ich  des  baw- ren  söhn,  ja     söhn:    so 


i 


* 


5==* 


-t—P-. 


■x. 


=fc 


±3t=£±3. 


zeuch  dein    be  -  ste    klei-der    an      vnd    sprich,  du    wilt  zum     tan-ze   gähn,  vnd 


zeuch  mit  mir  da  -  von,    [vnd  zeuch]  mitt  myr  da  -  von. 


V.    Kornschneiden.    (Nr.  161.  M.  und  L.) 


Idt     iß    ein     boicken  kamen  int  landt,  datt  wold  bo     ger-ne     de 


nen;     de    mo-der    tho  der  dochter  sprack :  Wat  wille  wy    Hen-se-lin     ge  -  nen? 


Vi.    Der  junge  Held.    (Nr.  160.  M.  und  L.) 


ff^E* 


:t=t 


=t=C 


:*=*=*: 


i     » 


-ß — •- 


*     »   ff 


:! L..-|_ 


=EE|BE^ 


1.  Es   war  ein   jun-ger  heltt, sein hertz  war  ihm  ge-  stelt  nach   ei  -  ner    jung- 

2.  Er  dient  ihr   tag  und  nacht,  dass  sie  doch  wei-nig  ach tt,  gab  ihm  doch  gar 


J   1    :\    J- 


frauwe  scho   -  ne. 

kein  loh    -    ne. 


VII.    Sommerlied.    (Nr.  75.  U.  und  L.) 


m 


X 


m 


^^ 


=5-J      I     .' 


-^ *~ 


:£=£= 


*=zrfc:öi 


Hertzlich,  thnttmich  er -freu -wen  die  frö-lig  sommer-zeidt,     all  mein  ge-blutt 


i 


=t 


■j=t 


fe=»  p  j 


s 


T — t — r-ztz 


t— ^L=t=t=n=t= 


-g *-. 


ver-neu-wen  der  mey  viell  wollost  geitt.        Die  lerch  thutt  sich  er-schwingen   mit 


$ 


=E 


^ 


=t=t 


^=? 


=t 


t: 


^=f.— s 


3=3==c 


ih-rem  hellen  schall,     lieb -lieh  die  vog-lein   sin -gen,  dar -zu    die  nach-ti  -  gall. 


VIIL    Drei  Blümlein.    (Nr.  156  in  M.  und  BL  78b  in  L.) 


$ 


m 


rft=^*=* 


z      |      |      I  :— I     ,     J     Jz 
-b-^      *      »— rr* — F— * — *^ 


Ich    weis  mirdrey  blom-lein  in      ei-nem  gar     -     ten,  j 
die     hab    ich  mir     erst- lieh  aus -er-  ko     -     reo.  j 


ten>  «  Sie 


^ 


S 


£ 


±3:— t 


3=*: 


=t 


~p — r 


:t=q= 


seind  lieb-lich  and  schon,  viel     ta-gend   an  sich    hahn.        Es     ist  nun  got-tes 


i 


%=m 


:q= 


^=1 


3BE 


3t=fc 


:*=^ 


:£=£: 


3r^t±trzt 


:t^4= 


gab   al  -  lein  bey     die  -  sen  scho-nen    blu  -  me  -  lein,  sie  müssen  ge  -  bro-chen      sein. 


IX.    Reif  und  Schnee.    (Bl.  109  a.  L.) 


=t 


£ 


e8*ee£ 


Nun    fall,   du      reiff,  [du      kal  -  ter  sehne,  fall    mir    auf     mei  -  nen    fuss ! 


SE 


:£ 


m 


=t 


Das     megd-lein     ist  nicht  vbrhun-dert  meü,  vnd    das    mir    wer -den   muss]. 
Xa.    Wintersnot.    (Nr.  152.  M.) 


^^ 


=t=t 


=t 


ntziö 


X tz: 


** 


1 


-cd — cd-  ^ 

Ach   win  -  ter     kalt,      wie   men  -  nie  -  falt krenckstu    hertz,  mutt 

grauw  vnd   auch    alt      machstu     mich    haldt  — ,  des   hin    ich      wor  - 


i 


^gg 


ü^is 


m 


zjai: 


-I— J— 3: 


1 C- 


m 


den    h^'ne'  I       Mein  glück  ist   klei"ner    als       ein  haaT'  dar"zu    ist  mir  mem 

i__ 


^g^-E^g 


*=t 


=3rr^ 


|Ü 


beu  -  tel  klar :    dis         jar    ist    von   Idei-nem  ge  -  win  -    -    ne,  [dis    jar    ist  von 
Xb.  Fragment  bei  M.  Franck  161 1,  Nr.  2. 


^=1=5*3 


3=tz 


i 


klei-nem    ge  -  winne.]         Ach  win -ter  kalt,  wie  ma-nig-falt. 

XL    Liebesklage.    (Nr.  181.  M.) 


!E5SE^^^^^^^^^^^^ 


Ei  -  ni  -  ges    lieh,    ge  -  trew    -     es     hertz,       J    J  so    ich    er  -   lei  -  den 
dyr    ist    ver  -  hör  -  gen    nicht      mein  schmertz,  j    J  von   we  -  gen    dein,     o 


Sund6-  lein   ff  |         Be  -  we  -  ge     doch    meine  nodt! 


XU.    Schab  ab.    (Nr.  118.  L.) 


Gudt  gesell,  vnd  du  must  wan 


dern,  das  megd-lein  liebt  ein    an     -     dem:  die 


Ijl^gsi^gsi^^iil^ 


ich     ge-lie-bet      hah ,  bey    der  bin  ich   schab -ah.         Kann  dirs  nit 


r~T-T 


4=4 


4: 


===ftE 


4: 


J=3=t 


SEM 


3 J- 


ü 


gnogsam    kla-gen —  mein  schmerz,  e  -  lend  Ynd  pein;      je  -   doch     ich      hoff,    os 


* 


a=t 


dz 


wird      sich     noch    an      ir     selbst  re  -  chen     fein. 


XIII.    Nach  dem  Regen  Sonnenschein.    (Nr.  133.  M.) 


\pa-n 


-i — t- 


:i=±=±=± 


ÖS^^ 


3=4: 


g  .  • 


-1 — •- 


i 


Wie  kan  vnd  mag      ich    frö-lig    sein?  In  mei-nem  her  -  tzen  trag  ich  groüs 

+ 


*=t 


-#±- 


w^gm 


3=3: 


*= 


schmer  -  tzen  vnd  schwere  pein.        E  -  lend  bin 


w 


v i  ■    'TP 


ich,  doch  tröst  ich  mich, 

/TN 


d=qz 


*-  •     1    l-^y- rr 


atz^r-ri-*—  X 


das  nach  dem  re    -     gen  gott  giebt  sein  se    -     gen  vnd  son-nen-schein. 


XlVa.    Ich  kann  nicht  abelan.    (Nr.  138.  M.  und  L.) 


jpy^^=?^ 


=1= 


m 


:»=*= 


zn=t 


Wie 
vnd 


wirdtmyrden  ge-schehen,  wen  ich  dich  mei-den  Bollt  {         Schön 
ich  dich nim-mer    sehe?    viel  liebr  ich  ster-ben  wolt.  \  ' 


^^3 


3= 


a  -  do  -  lieb  vnd  firom,  mein«  her-tzen  ei  •  ne  krön, 


du  hast  mein  hertz  vmb- 


m 


^^fegS^ 


-P=#= 


^3= 


fan  -  gen,  ich    kan   nicht    a  -  be  -  lahn. 
XIVb.    Variante  bei  M.  Franck  1611,  Nr.  3. 


m 


3= 


± 


4:: 


Sz 


Wie    sol     mir   dann    ge  -  sehe  -  hen,  wenn  ich  dich    moi  •  den     sol. 
XV.    Abschiedsthränen.    (Nr.  159  und  Bl.  84a.  L.) 


i 


&t 


=fc 


4=4 


4=4=4: 


■I       J — o: 


^EE2fi 


ä=*s 


Mein  eug  -  lein     wei     -     nen,  mein  hertz  muBs    seuff    -    tzen,   des  mus  ich 


kla     -     gen  mein  schwär  vor-driees:  mein  lieb-stes  lieb  -  ken    will  von  mir 


fli     -     hen;    wüßt  ich  wo  -  nun ,     ich       trur    -    de    nicht 


XVI.    Klosterliass.    (Nr.  166a.  M.) 


Ich  solt    ein  nun -lein  wer -den,  ich  hett  kein  lost  dar -zu:    ) 
ich  schlaff  nit  gern  al-lei  -  ne,  vnd  ess  des  mor-gens  frue.  | 


Gott 


i 


^rp=t 


l^ÖE^E» 


-*-4-#- 


rz=t: 


dcztt 


:t-fc=£±t 


geb  dem  kle-pfer  vn-glfick  viel,  der  mich  ar-mes  megde4ein  im  kloeter  hvben  will. 


XVIL    Sieben  Wünsche.    (Nr.  135.  M.) 


ipfe 


m 


i— r 


£ 


:E3Eä 


-i — r 


* 


rztzozzst 


X: 


$ 


Hett  ich  sie -ben  wünsche  in mei-ner  gewaltt,  8ag  mir,  hab  ich  recht?    so 


p^z 


=t=3 


^C— tirt 


rcsr 


— »_  r     #  ■  ,— ^       i 

wolt  ich  mich  wünschen  jung  vnd  nim-mer    alt Sag  mir,  hab  ich    vn- recht? 


^pi^i^^g; 


3=i 


&=fc 


Sag  mir,  hab  ich    recht     o 


der 


vn  -  recht? 


XVffl.    Abendlust.    (Nr.  107.  L.) 


Wass  woln  wyr   aoff    den    a   -  bendt  thon  ?  Schlaffen  wol  -  len  wyr  gähn. 


Schlaffen  gähn  ist    wol  ge  -  than.  Bchö-ne  Jungfrau w,  wolt    ihr    mit     vns    gähn? 


* 


X 


t^fc 


* 


£ 


Ä=*r 


3=^=3 


Schlauen  wol-len  wyr  gähn. 


XIX.    Studentenlob.    (Nr.  155.  M.) 


Wa-rumb  seind  die         stu  -  den-ten  so      lei- den  voll    ge  -  hordt? 


^^ 

= 

"I      ' Ä            "^.    -      ^ 

Jtifr — ü — ^ — 

*"*•>          | 

ö*       B 

1             1           |             ^ 

VLt 

Ja,       ja, 


ja,       ja,         ja.       Sie       habn    des    wirdt    sein 


toch  -  ter  -  lein    wol       zu     dem  tanz    ge  -  furdt. 

XX.    Der  Igel  und  die  Leineweber.    (Nr.  94.  L.) 


Ein  Schneider  und  ein     zie-gen-bock,  ein    lein-we-ber  vnd    i  -  gel-kopff,  ein 


kurschner  vnd  ein     ka-tze.     Nun    woT  -  an!  Die  tantztenaoff  ei  -  nem    pla-tze. 


So,    mein    i  -   gel,      so. 

XXI.    Spottreim.    (Bl.  77a.  L.) 


$ 


« 


z=t 


=c 


£ 


rrf  rT 


3= 


Tnirr-L 


=t 


=5=P 


Es      i«t  ein  bawr  in    braun  ge  -  fallen,  [ich    hab  ihn  hö  -  ren   plum-pen.     Hätt' 


i 


^ 


3: 


^^3XZ^E5 


I 


=0=0= 


ich     ihn  nicht  bem  haaren  er  «wischt,  so      wir    der  Schelm  er  -   tron-ken.] 
Proportio. 


pm=j}-j  rfyffYrfeqp-^TT^ 


8 


XXIIa.    Der  englische  Rolandston.    (P.  Fabricius,  Nr.  9.  L.) 


Sehons  lieb,  ich  thue  dir  kla  -  gen         die        schwe-re    angst     vnd  pein,    ) 
welch  ich  muas  heimlich  tra  -  gen         im         jun  -  gen  her  -   tzen  mein :  ( 


das 


pein  werdich  nicht  ohne,  dan    du  wirst  mei-ne 


gar. 


XXII  b.    Dieselbe  Melodie  mit  dem  ursprünglichen  Text. 


% 


EEE 


£ 


s 


3^3 


Hol.;    0      nach -bar,    lie  •  ber       Bo  -  bert,  mein    herz    ist     vol  -  1er      pein!    I 
Rob. :   0       nach  -  bar,    lie  -  ber       Bo  -  land,  um      was   mag  das    wol      sein  ?    ( 


Hol.:  Johann  Glöck-ner    liebt  mein      Gre  -  ta,    das  -  sei  -  big  bringt  mir     schmerz. 


-3=3Z 


S 


z*n=afc 


« 


-# — #- 


-J-U^ 


Bob.:  Sei  zfrie-den,  lie 'ber     Ko-land,  das    ist  noch  wol  ein    scherz. 


XXUc.    Bruchstück  bei  M.  Franck  1611,  Nr.  2,  Cantus. 


wmms 


$& 


-0 0- 


£: 


0     Nach-bar  Bo  -  land,  mein  Hertz  ist    vol  -  1er  Pein ! 


XXnd.    Chappell  1,  115. 


i 


i==^=3= 


r-^F 


*=* 


zssn 


The    fifteenth  day  of     ju     -     ly    with    glist'ring  sword  and  shield,  {      m> 
a       fa-mous  figth  in    Man   -  dere  was  fough-ten      in      the    field.    { 


|S 


5=3= 


JPKC3= 


3E 


ü=t 


=t 


£ 


moflt  cou-ra-geous  of  -  fi-cers  were  english  captains  three,  but  tho  bra-vest   in   tho 


Ü 


3=£ 


bat-tle    was     brave  lord    Wil-longh-by. 


XXIH.    Die  Schlacht  bei  Mohacs  (1526). 


i 


=JJ= 


=5t 


SS 


4= 


I     I    *    r- 


3=t 


■*—. i 


5=fc 


Kleck-lick  so    wil-le    wy  heu-en    an    vn-de    syn-gen  tho  des-aer  frist    all 


* 


5t 


5=5: 


I     !    * 


-"5=1= 


*^-^- 


-*-*- 


Tan  den  ko-ninck  vth  Vngern,  de   vnschul-dich  ge-stor-uen  ys.   He  was  by      XV 


i 


5t 


5ti 


3=5: 


:£ 


5= 


:£ 


3E 


5: 


^^ 


-* — # 


ja  -  rei.    eyn     ko  -  ninck  yn  Vn  -  ger  -  land,    he    w[a]s  van     e  -  dlem  atam    - 


m 


=tt 


i  i  H 


£0^03 


5= 


33 


5=? 


men,  ko-ninck  Lo  -  de-vick  was  sin    na-me,    eyn  ko-ninck  tho  Be - mer landth. 


DRUCK  VON  H.W.  SCHMIDT  D*  HALLE. 


In  unserra  Verlage  sind  erschienen: 

Drücke  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

i. 

JMttelniederdeutsehe  Fastnachtspiele.  Mit  Einleitung  und 
Anmerkungen  herausgegeben  von  W.  Seelmann.  2J.LVII.  und 
86  S.     Preis  2  Mk. 

Inhalt:  Böse  Frauen.  —  Bauerobetrtlgerei.  —  N.  Mercatoria  Fastnachtspiel.  —  Zwie- 
gespräch swisohen  dem  Leben  und  dem  Tode.  —  Der  Schere  Klot.  —  Röbeler  Spiel. 
—  Das  Glücksrad. 

Dieser  Neudruck  mit  Reproduction  der  Original-Holzschnitte  entfallt  eine 
Sammlung  alter  volkslhümlichcr  Lustspiele  in  mittelniederdeutsclier  Mundart. 
Die  ausführliche  Einleitung,  welche  der  Herausgeber  beigefügt  hat,  bereichert  die 
Geschichte  des  deutschen  Dramas  um  eine  ReiJie  interessanter  Thatsachen  und 
fuhrt  u.  a.  den  Nachweis,  dass  dem  Fastnachtspiele,  wie  man  böse  Frauen  fromm 
machen  kann,  derselbe  Stoff  und  dieselbe  Quelle  zu  Grunde  liegt,  wie  einer  eng- 
lischen, auch  Shakespeare,  wie  seine  Zähmung  der  Widerspenstigen  zeigt,  be- 
kannten Dichtung, 

II. 

Das  niederdeutsche  Reimbüchleiii.  Eine  Spruchsamnilung 
des  16.  Jahrk.  Herausgegeben  von  W.  Seelmann.  XXVIII.  und 
122   S.     Preis  2  Mk. 

Das  um  die  Mitte  des  IG.  Jahrh.  gedruckte  und  nur  in  einem  einzigen 
Exemplare  erhaltene  Reimbüchlein  ist  eine  in  ihrer  Art  einzig  dastehende  Antho- 
logie gnomischer  und  Igrischer  Poesie,  die  aus  z.  77*.  jetzt  verschollenen  Dich- 
tungen, x.  Th.  auch  aus  dem  Volksmunde  gesammelt  ist. 

Unter  der  Presse  befindet  sich  und  erscheint  in  Kurzem: 

III. 

De  diidesche  Sehlftmer  von  Johannes  Stricerius.  1584.  Her- 
ausgegeben von  Joh.  Bolte. 

Ein  Neudruck  des  Scßüämers,  welcher  neben  dem  verlorenen  Sohne  des 
Burkard  Waldis  als  das  bedeutendste  niederdeutsche  Drama  des  16.  Jahrhunderts 
bezeichnet  werden  muss,  ist  schon  oft  als  ein  Bedürfnis  empfunden  worden. 
Stricer  enttvirft  darin  in  lebendigen  Zügen  ein  getreues  und  anschauliclies  Bild 
von  dem  wüsten  und  schwelgerischen  Leben  des  Adels  in  seiner  Heimath  Holstein. 
Seinem  Stücke  liegt  zu  Grunde  eine  scJwn  zuvor  in  England,  Holland,  Frank- 
reich und  Deutschland  dramatisch  bearbeitete  Fabel,  die,  wie  Goedeke  nachgewiesen 
hat,  aus  einer  budhistisclien  Parabel  fiervorgegangen,  zuletzt  zu  einer  Darstellung 
der  Bekehrung  eines  verstockten  Sünders  im  Sinne  der  Protestant  isclien  Recht- 
fertigungslehre  geworden  ist. 


Wörterbücher  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachfarscliang. 

lVort<  rhu«  h    der  WeftfAlI  fielt  eil   H  mitfürt 
ftitlelnfrderdcutiirlie*  Hameln  ört<'H>ii<li 


i 
Chriatopli  Waltlier. 


II.  IL. Hi 


Woordenbock  der  €«r»iiiiig*rhe  VolliNfaal 


Forschungen. 

Herausgegeben  vom  Verein  für  niederdentsclie  Spracliforsclmng. 

i 

lllc    Hoenter   Hiiiitfiirf.      Laut-    und    I 
rdinand  Hol! 


.Nonlcn. 


Diedi\  Sollaifs  Verlag* 


Jahrbuch 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


1888. 


XIV. 


HORDEN  ucil 

IB.Q. 


Ausarbeitungen,  deren  Abdruck  im  Niederdeutschen  Jahrbuche 
gewünscht  wird,  sind  dem  Mitgliede  des  Redactionsausschusses  Dr. 
TP.  Seelmann,  Berlin  SW,  Lichterfelderstrasse  30  zuzusenden.  Die 
Zahlung  des  Honorars  (von  32  Mark  für  den  Bogen)  erfolgt  zu 
Jahresschluss  durch  den  Kassenwart. 

Zusendungen,  deren  Abdruck  im  Korrespondenz-Blatte  erfolgen 
soll,  nimmt  Dr.   W.  H.  Mielck,  Hamburg,  Dammthorstr.  27  entgegen. 

Die  Mitgliedschaft  zum  Niederdeutschen  Sprachverein  wird  durch 
Einsendung  des  Jahresbeitrages  (5  Mark  5  Pf.)^an  den  Kassenwart 
des  Vereins  Dr.  W.  H.  Mielck  in  Hamburg  oder  durch  Anmeldung 
bei  einem  der  Vorstandsmitglieder  oder  Bezirksvorsteher  erworben. 

Die  Mitglieder  erhalten  für  den  Jahresbeitrag  die  laufenden  Jahr- 
gänge der  Vereins-Zeitschriften  (Jahrbuch  und  Korrespondenz-Blatt) 
postfrei  zugesandt.  Sie  sind  berechtigt,  die  ersten  fünf  Jahrgänge 
zur  Hälfte,  die  folgenden  Jahrgänge  sowie  alle  übrigen  Vereins- Ver- 
öffentlichungen (Denkmäler,  Drucke,  Forschungen,  Wörterbücher)  zu 
Dreiviertel  des  Ladenpreises  zu  beziehen,  wenn  die  Bestellung  unter 
Berufung  auf  die  Mitgliedschaft  direkt  bei  dem  Verleger  Diedr.  Soltau 
in  Norden  (Ostfriesland)  gemacht  wird. 

Bis  auf  weiteres  können  die  Mitglieder  von  demselben  auch  das 
'Wörterbuch  der  Ostfriesischen  Sprache  von  J.  ten  Doornkaat  Koolman' 
(3  Bände  gr.  8°  kartonirt)  für  15  Mark  (Ladenpreis  44  Mark)  post- 
frei beziehen. 

Bücher  oder  Sonderabzüge,  deren  Anzeige  oder  Besprechung 
gewünscht  wird,  sind  mit  dem  Vermerk  kZur  Besprechung9  oder  dgl. 
dem  Verleger  oder  einem  der  beiden  anderen  genannten  Herren 
zuzusenden. 


Jahrbuch 


des 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


Jahrgang  1888. 


XIV. 


KORDEN  und  LEIPZIG. 

Diedr.  Soltau's  Verlag. 
1889. 


Druck  Ton  Diedr.  8oltau  in  Norden. 


Inhalt. 


Seit« 

Rollenhagens  Froschmeuseler  und  die  protestantische  Glosse  zum  Reinke  Vos. 

Von  Herrn.  Brandes 1 

Der  Jesusknabe  in  der  Schule.    Bruchstück  eines   niederrheinischen  Schau- 
spiels.   Von  Joh.  Bolte 4 

Weiteres  über  Dialekt-  und  Gaugrenzen.    Von  Heinr.  Babucke.    .    .    .  9 
Die  Dialektmischung  im  Magdeburgischen  Gebiete.    (Mit  Karte.)    Von  Rieh. 

Löwe 14 

Einleitung 14 

Geschichte  der  Sprache  Magdeburgs 15 

Geschichte  der  Sprache  des  Magdeburger  Landes 22 

Abstufung  des  hochdeutschen  Einflusses 24 

Das  Hochdeutsch  im  Magdeburger  Lande 35 

Jüngere  Beeinflussungen  durch  das  Mitteldeutsche 44 

Beeinflussungen  der  kleinen  Städte  durch  Magdeburg 46 

Abstufungen  der  Lokaldialekte  nach  Ständen 50 

Mundart  des  Dorfes  Fahrenkrug  in  Holstein.    Von  H.  Jellinghaus.    .    .  53 

Syderak.    Von  H.  Jellinghaus 59 

SV  erdener  Liederbuch.    Von  Franz  Jos  t«s 60 

)ie  Weinprobe.    Aus  einem  alten  Revaler  Liederbuche.    Von  Joh.  Bolte.  90 

Cur  Geschichte  der  Leberreime.    Von  Herrn.  Brandes 92 

Zur  Geschichte  der  Leberreime.    Von  L.  H.  Fischer 95 

Niederdeutsche  Rechenbücher.    Von  W.  Crecelius 98 

>ie  Vogelsprachen  (Vogelparlamente)  der  mittelalterlichen  Litteratur.    Von 

W.  Seelmann       101 

Niederdeutsche  Vogelspraghe.    (Aus  einer  Stockholmer  Handschrift.)   .  126 

Niederdeutsche  Vogelsprache.    (Aus  einem  Wiegendrucke.)      ....  138 

Hochdeutsche  Vogelsprache.    (Aus  einer  Wiener  Handschrift.)     .    .     .  146 

am  Sündenfall.    Von  Rob.  Sprenger 148 

n  Meister  Stephans  Schachbuch.    Von  Rob.  Sprenger 153 

um  Amringisch-föhringischen.    Von  0.  Bremer 155 

uzeige  (Niederländische  geistliche  Lieder,  herausgegeben  von  W.  Bäumker). 

Von  G.  Kalff 158 


Rollenhagens  Froschmeuseler  und 
die  protestantische  Glosse  zum  Reinke  Vos. 


Goedeke  hat  S.  XXXIX  seiner  Ausgabe  von  Rollenhagens  Frosch- 
meuseler bemerkt,  dass  Manches  in  der  Dichtung  den  Eindruck  er- 
wecke, als  ob  es  aus  dem  Volksmunde  geschöpft  sei,  dass  man  diese 
Abschnitte  aber  dennoch  als  des  Dichters  Eigentum  anerkennen  müsse, 
der  es  trefflich  verstanden  habe,  „den  Gedanken  in  treffende  schlagende 
Worte  zu  kleiden*.  Dieser  Ansicht  Goedekes  ist  Seelmann  in  seinem 
in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie  veröffentlichten  Artikel  über 
Georg  Bollenhagen  entgegengetreten,  mit  allem  Rechte,  da  für  jeden 
Kenner  der  mittelalterlichen  Spruchpoesie  die  Unrichtigkeit  der  Be- 
hauptung Goedekes  hinsichtlich  des  Besitzrechts  Rollenhagens  an  den 
meisten  der  in  den  Froschmeuseler  verpflochtenen  Sprüche  auf  der 
Hand  liegt.  Rollenhagens  Verdienst  an  dem  Spruchreichtum  seines 
Werkes  besteht  allein  darin,  dass  er  es  nicht  verschmäht  hat,  edles 
Gestein  zu  brechen,  wo  er  es  fand;  selbst  Fassung  und  Form  rühren 
nur  in  einzelnen  Fällen  von  ihm  her.  Eine  reiche  Fundgrube  bot  ihm 
wie  anderen  seiner  Zeitgenossen  die  protestantische  Glosse  zum  Reinke. 
Er  schreibt  die  Glosse  wörtlich  aus,  mit  allen  ihren  kleinen  Zuthaten 
und  Veränderungen  am  Wortlaut,  der  beste  Beweis,  dass  er  ebenso 
wenig  auf  die  Quellen,  aus  denen  der  Glossator  schöpfte,  zurück- 
gegangen ist  wie  der  Compilator  des  Reimbüchleins,  der  ihr,  wie  ich 
in  der  Einleitung  zu  meiner  demnächst  erscheinenden  Ausgabe  der 
Glosse  ausführlicher  darlegen  werde,  einen  nicht  kleinen  Teil  seiner 
Sammlung  entlehnte. 

Goedeke  hat  gleichsam  als  Belege  seiner  Ansicht  mehrere  Sprüche 
besonders  herausgehoben.  Gleich  den  ersten  Spruch  dieser  Auswahl 
Froschin.  I,  1,  9  (=  Goed.  S.  51  V.  287—288),  der  aus  dem  Freid. 
(61,  21—22)  stammt: 

Gnüge  ist  besser  denn  zuuiel, 
Wenn  mans  nur  recht  bedencken  wil. 

findet  man  in  der  protestantischen  Glosse  zum  RV  als  Randglosse  zu 

I,  8  wieder: 

Genoghe  ys  beter  alse  tbo  vyll, 

So  men  ydt  recht  vorstan  und  mercken  wylL 

Derselben  Glosse  IV,  2  Randgl.  (RB  193—196  =  Weltsprüche  8): 
Eyn  yder  lathe  syck  an  dem  benögen, 
Dat  syck  tho  synem  handel  wyl  vogen; 
Wert  he  darbaven  tho  vele  begeren, 
So  moth  he  groth  unnd  kleine  entberen. 

Niederdeutsches  Jahrbach.    XTY.  1 


ist  der  zweite  der  von  Goedeke  angeführten  Sprüche  Froschm.  I,  1,  lö 
(Goed.  S.  57  V.  184—187)  entnommen: 

Ein  jeder  laß  sich  an  dem  gnugen, 
Was  sich  zu  seim  handel  wil  fugen; 
Wird  er  drüber  zu  viel  begeren, 
So  mus  er  groß  vnd  kleins  entberen. 

Nebenbei  bemerke  ich,  dass  man  in  dem  Umstände,  dass  sich  V.  4 
dieses  Reimspruches  in  den  Weltsprüchen  (So  moth  he  dat  groth  und 
Idein  mtbern)  enger  an  den  RV  als  an  das  RB  (So  moth  he  dat  grate 
mit  dem  Jclenen  entberen)  anschliesst,  vielleicht  einen  Beweis  dafür  zu 
sehen  hat,  dass  ein  Druck  des  Reimbüchleins  existierte,  älter  als  der, 
den  Seelmann  seiner  Ausgabe  zu  Grunde  legen  konnte. 

Froschm.  I,  1,  9  (Goed.  S.  52  V.  297—298),  Goedekes  drittes  Citat: 

Das  best  man  billig  wehlen  sol, 
Das  böß  kömpt  von  ihm  selber  wol. 

lehnt  sich  an  RV  I,  1,  9  Randgl.  (RB  1327—1328  =  KW  33)  an: 

Ein  wyß  man  dat  gude  uthkesen  schal, 
Dath  ergeste  kumpt  noch  alle  dage  wol. 

Zu  den  Sprüchen,  die  neben  wörtlicher  Entlehnung  Abweichungen  im 
Einzelnen  zeigen,  zählen  Froschm.  I,  1,  9  (Goedeke  S.  51  V.  265 — 270): 

All  freundschafft  auch  weyt  vbertrifft 
Ein  from  Weib,  das  nichts  böses  stifft. 
Wenn  alle  freunde  von  dir  gehen, 
Wird  sie  getrewlich  bey  dir  stehen. 
Alles  mit  wagen,  freud  vnd  leid, 
Zu  deinem  dienst  alzeit  bereit. 

und  Froschm.  I,  1,  10  (Goed.  S.  54  V.  59—66): 

Denn  wer  lobet  des  Kuckucks  singen 
Vnd  der  Schnecken  meisterlich  springen, 
Der  Bawren  tantz  vnd  Betler  zehren, 
Von  dem  sagt  man  mit  allen  Ehren, 
Das  er  die  Nachtgal  nie  hört  singen, 
Sähe  auch  kein  Leoparden  springen, 
Kein  Welschen  tantz  vnd  Kauffleutessen, 
Oder  hatt  aller  sinn  vergessen. 

Der  erstere  entspricht  RV  I,  35  Randgl.  (RB  761—768): 

Alle  geselschop  und  frftnde  avertrefft 
Ein  fram  wyff,  de  nicht  quades  stifft. 
So  dy  alle  geselschop  wert  vorlan, 
Wert  se  dy  alle  tydt  doch  bystan. 
In  sorgen  steit  by  dy  dyn  wyff, 
Se  waget  by  dy  eere,  gudt  und  lyff, 
Se  truret  mit  ay  in  dynem  leydt 
Und  ys  tho  denen  dy  stedes  bereyt. 

und  der  zweite  ist  die  weitere  Ausfuhrung  von  RV  III,  9  Randgl.  (aus 
Freid.  139,  19—22;  =  RB  280—283): 

Wol  dar  lavet  der  sniggen  springent 
Und  des  Esels  uthbundige  syngent, 
De  quam  nicht,  dar  de  Leopardt  spranck, 
Noch  dar  de  Nachtegale  sanck. 


Diejenigen  Sprüche,  die  ausser  den  genannten  einerseits  im  Frosch- 
meuseler,  andrerseits  in  der  Glosse  vorkommen,  stelle  ich  in  der  nach- 
folgenden Uebersicht  zusammen.    Rollenhagens  Dichtung  ist  nach  Buch, 
Teil  und  Capitel  citiert,  in  Parenthese  ist  auch  die  Seiten-  und  Vers- 
zahl von  Goedekes  Ausgabe  beigefügt. 
Froschm.  I,  2,  2  (Goed.  S.  64  V.  7 — 8):   Dieweil  ein  heymgeeogen 
Kind  =  RV  I,  35  Gl.  (Freid.  her.  von  Sandvoss  139,  14  ab  = 
RB  759—760;  vgl.  auch  Altdeutsche  Blätter  1,  11:  Est  puer  in 
patria  bos  qui  nutrüur  in  atüa  aus  einer  dem  12.  Jh.  angehörenden 
Wiener  Hs.  mit  dem  Hinweise  Haupts   auf  Gruter  Floril.  1,  47: 
haimgesogen  kindt  ist  bey  leuten  wie  ein  rindt):  Ein  yngetagen  und 
unerfaren  kindt. 
Froschm.  I,  2,  6   (Goed.  S.  83  V.  117—120):   Denn  wer  alles  ver- 
meint eu  rechen  =  RV  I,  13  Randgl.  (RB  1225—1228):  De  alle 
dat  vorment  tho  wreken. 
Froschm.   I,   2,   7    (Goed.   S.   86  V.  63—66):    Gedenck,   man  sagt: 
Grawrock  reiß  nicht   =   RV  I,  31   Randgl.    (RB  808—810;    vgl. 
Findlinge  1,  458  Nr.  199: 

Lieber  Kittel,  reiß  nicht! 
Herrendienst  erbet  nicht. 

Hoffmann  von  Fallersieben  Spenden  1,  54):  Grawe  rock  ryth  nicht. 
Froschm.  I,  2,  8  (Goed.  S.  88  V.  27—28):  Denn  wo  man  findt  viel 

blinder  geste  =  RV  1,  14  Randgl.  (RB  1215—1216):   Wor  menn 

vele  vyndet  der  Uynden  geste. 
Froschm.  I,  2,  12  (Goed.  S.  104  V.  79—80):  Denn  geld,  gewalt  vnd 

Herrengunst   =   RV  H,   9   Gl.    (aus  dem  Narrensch.  46,  61 — 62 

=  RB  454—455;   vgl.  Findlinge  1,  458  Nr.  200,  Hoffmann  von 

Fallersleben  Spenden  1,  50   und   bei  Mone  im  Anz.  f.  Kunde  d. 

deutschen  Vorzeit  5  (1836),  342   aus  einem  in  Gent  befindlichen 

Stammbuch  des  17.  Jhs.):  Gelt,  nydt,  Fr&ndtschop,  Gewalt  undgunst. 
Froschm.  I,  2,  23  (Goed.  S.  171  V.  81—84):  0  trewer  Freund,  ein 

seltsam  Gast  =  RV  I,  34  Randgl. :  0  untruwe  /V&mft,  ein  seltsam 

gast.     Nahe  steht  RB  2506—2509. 
Froschm.  II,  2,  2  (Goed.  S.  233  V.  439—440):  Es  ward  auff  Erden 

nie  so  schlecht  —  RV  IH,  13  Randgl.  (RB  10—13):  Idt  wart  up 

erden  nehe  so  siecht. 

Zwei  der  verzeichneten  Sprüche  lassen  sich  im  RB  nicht  nach- 
weisen. Da  sich  ausserdem  bei  Rollenhagen  keiner  von  den  Sprüchen 
wiederzufinden  scheint,  die  nicht  aus  der  RV-Glosse  in  das  RB  gelangt 
sind,  so  ergiebt  sich  mit  Sicherheit,  dass  jene  Glosse  eine  Quelle  für 
Rollenhagen  gewesen  ist,  aus  der  er  unmittelbar  und  im  Wesentlichen 
wörtlich  entlehnt  hat.  Bei  den  Zeitgenossen  Rollenhagens  fanden  die 
von  ihm  in  seine  Dichtung  verpflochtenen  Sentenzen  und  Reimsprüche 
besonderen  Beifall,  wohl  nicht  zum  mindesten  deshalb,  weil  sie  ihnen 
aus  der  Jugendzeit  her  bekannt  und  vertraut  waren.  Goedeke  hat 
schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  man  aus  der  Thatsache,  dass 
iu  vielen  Exemplaren  der  alten  Drucke  solche  Bemerkungen  und  Lehren 

1* 


unterstrichen  oder  in  anderer  Weise  handschriftlich  hervorgehoben  sind, 
auf  das  Interesse  schliessen  darf,  welches  die  Leser  ihnen  zuwandten. 

Da  jene  Sprüche  in  keiner  der  zahlreichen  hd.  Uebersetzungen 
der  protestantischen  Glosse  —  auch  nicht  in  der  ältesten  von  1544 
—  stehen,  so  müssen  wir  weiter  folgern,  dass  Rollenhagen  den  RV 
in  einer  niederdeutschen  mit  der  protestantischen  Glosse  versehenen 
Ausgabe  benutzt  hat.  Erwähnenswert  ist,  dass  die  Entlehnungen 
wenig  über  das  erste  Buch  hinausgehen. 

Zur  Entscheidung  der  mehrfach  erörterten  Frage  (vgl.  Zamcke 
in  der  Zs.  f.  d.  A.  9,  378  und  Reinke  de  vos  her.  von  Prien  S.  XXVII), 
ob  die  von  Rollenhagen  in  seiner  Vorrede  bezeichnete  glossierte  Aus- 
gabe des  RV  von  1522  wirklich  vorhanden  gewesen  ist,  vermag  die 
obige  Zusammenstellung  nichts  beizutragen.  Da  die  nd.  Bearbeitungen 
des  Narrenschiffs  ebenso  wie  der  Freidank,  die  als  Quellen  des  Glossators 
genannt  sind,  vor  1522  liegen,  so  bleibt  die  Möglichkeit  ihrer  Existenz 
bestehen.  Lässt  man  aber  Rollenhagens  Zeugnis  gelten,  so  ist  man 
nach  dem  Vorstehenden  wenigstens  in  der  Lage  zu  behaupten,  dass 
die  protestantische  Glosse  von  1539  wesentliche  Bestandteile  der  ver- 
loren gegangenen  Glosse  aufgenommen  hat  und  sich  abgesehen  von 
Zusätzen  aus  Schriften,  die  zwischen  1522  und  1539  erschienen  sind, 
kaum  von  dieser  unterschieden  haben  wird. 

BERLIN.  H.  Brandes. 


Der  Jesusknabe  in  der  Schule. 

Bruchstück  eines  niederrheinischen  Schauspiels. 

Das  folgende  Fragment  entstammt  einem  Sammelbande  von  Köl- 
nischen Drucken,  welcher  einst  dem  Minoritenkonvent  zu  Fritzlar  ge- 
hörte, dann  in  J.  Grimms  Besitz  gelangte  und  sich  jetzt,  in  vier  Teile !) 
zerlegt,  auf  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  befindet.  Er  enthielt 
zumeist  gereimte  Heiligenlegenden,  wie  sie  in  den  Jahren  1500 — 1520 
zahlreich  in  dünnen  Quartheften,  mit  einigen  Holzschnitten  geziert,  am 
Niederrheine  verbreitet  und  vom  Volke  gern  gekauft  wurden,  nämlich: 

1.  Cato.  2.  Marienklage.  3.  Barbara.  4.  Katharina.  5.  Margarets, 
6.  Ursula.  7.  Salonion.  8.  Amt  Buschmann.  9.  (ungewiss,  an  welcher  Stelle) 
unser  Fragment,  2  Quartblätter  mit  den  Signaturen  Ay  und  (jetzt  weggerissen)  Aiij. 

Die  Nummern  2,  3,  6  und  8  sind  mit  der  Bezeichnung  'Gedruckt  hy 
Seruais  Kruffter'  oder  'vfF  sant  Marcellen  straissen'  versehen,  und 
allem  Anscheine  nach  sind  auch  die  übrigen,  denen  ein  Druckervermerk 
fehlt,  aus  derselben  Officin  hervorgegangen.  Als  Druckjahr  müssen 
wir  nach  dem  Wenigen,   was  wir  über  Kruffter  wissen*),   etwa  1520 

«)  Sie  tragen  die  Signaturen  Wi  9358,  Yg  6377,  N  5162,  Yp  7150. 
*)  J.  Franck,  Allgem.  deutsche  Biographie  17,  212. 


ansetzen.  Schon  1826  gab  J.  Grimm1)  eine  kurze  Nachricht  über  den 
Inhalt  des  Bandes,  doch  gerade  ohne  des  letzten  Stückes  zu  gedenken; 
dass  dies  aber  wirklich  daher  stammt,  ist  durch  eine  handschrift- 
liche Notiz  des  hochverdienten  Custos  J.  Schrader  sichergestellt. 

Ein  besondres  Interesse  darf  dies  Fragment  deshalb  beanspruchen, 
weil  uns  in  ihm  nicht  eine  epische  Darstellung,  sondern  der  Rest  eines 
geistlichen  Dramas  vorliegt.  Freilich  scheint  es  noch  teilweise  im 
Banne  des  Epos  zu  stehen,  da  zwischen  den  einzelnen  Reden,  deren 
Überschriften  durch  doppelt  grosse  Schrift  hervorgehoben  werden,  in 
V.  48  f.  66  f.  72  noch  Spuren  einer  verbindenden  Erzählung  erhalten 
sind,  die  ich  durch  Klammern  angedeutet  habe,  und  man  könnte  deshalb 
das  Stück  auch  nach  dem  Muster  der  in  einem  gleichzeitigen  Kölner 
Drucke  erhaltenen  'Historie  van  Lanslot  vnd  van  die  schone  Sandrijn\ 
welche  aus  einem  älteren  niederländischen  Schauspiele  hervorgegangen 
ist*),  als  eine  dialogische  Erzählung  bezeichnen.  Doch  auch  im  Wol- 
fenbütteler  Theophilus,  dessen  dramatische  Gestalt  daher  noch  von 
dem  ersten  Herausgeber  Bruns  verkannt  wurde,  nehmen  öfter  die 
Bühnenanweisungen  an  der  Reimform  des  Textes  teil,  z.  B.:  kDo  sprah 
Theophilus  \  jamerliken  alsus'.  Dass  in  unserm  Falle  die  dramatische 
Form  aus  den  erläuternden  Beischriften  von  erbaulichen  Bildern  her- 
vorging, wie  z.  B.  beim  Spiegelbuch8),  ist  durchaus  unwahrscheinlich. 

Der  Stoff  ist  dem  grossen  Legendenschatze  entlehnt,  mit  welchem 
das  Mittelalter  die  Jugendgeschichte  des  Erlösers  ausgeschmückt  hatte. 
Das  Jesuskind  wird  in  Nazareth  von  seiner  Mutter  in  die  Schule  ge- 
bracht, um  lesen  zu  lernen.  Das  Alphabet  begreift  es  so  schnell  und 
treibt  durch  seine  Lernbegierde  den  Schulmeister  so  in  die  Enge,  dass 
dieser  zum  Stocke  greift.  Kaum  aber  hat  er  ihn  gegen  den  unbe- 
quemen Frager  gehoben,  als  er  wehklagend  zu  Boden  sinkt  und  stirbt. 
Joseph  und  Maria  finden  den  Toten  und  wollen  schon  aus  dem  Lande 
fliehen,  da  sie  ihn  von  Jesus  erschlagen  glauben;  aber  dieser  belehrt 
sie,  der  Tote  schlafe  nur,  und  erweckt  ihn.  —  Eine  ähnliche  Erzählung 
finden  wir  in  den  apokryphen  Evangelien,  welche  den  Lehrer  Zachäus, 


')  Kleine  Schriften  4,  414;  vgl.  J.  M.  Wagner,  Archiv  f.  d.  Gesch.  deutscher 
Sprache  u.  Dichtung  1,  558  (1874).  Sonst  sind  diese  Ausgaben  mit  Ausnahme  der 
von  W.  Seelmann  im  Jahrbuch  6,  37,  Q  verzeichneten  Nr.  8  nirgends  genannt,  wo 
von  den  darin  enthaltenen  Werken  die  Rede  ist:  bei  E.  Weller,  Repertorium  typo- 
graphicum,  bei  P.  Norrenberg,  Kölnisches  Literaturleben  (1873),  0.  Schade,  Geist- 
liche Gedichte  vom  Niederrhein  (1854),  F.  Zarncke,  Der  deutsche  Cato  (1852):  — 
Ich  mache  hierbei  darauf  aufmerksam,  dass  ein  ähnlicher  Sammelband  nieder- 
rheinischer  Legenden  aus  den  Druckereien  von  Lijskirchen,  Heinrich  von  Neuss, 
Jan  van  Landen  zu  Köln  und  Grüneck  kürzlich  von  der  Berliner  Bibliothek  er- 
worben worden  ist:  1.  Margareta.  2.  Dorothea.  3.  Katharina.  4.  Ursula.  5. 
Anseimus.  6.  Unser  liever  vroutcen  clage.  7.  Begynchyn  van  Parijs.  8.  Cato. 
9.  Eucharius,  Valerius  und  Matemus.  10.  Tundalus.  11.  Amt  Bosman  (1506). 
Der  Band  gehörte  früher  dem  Freiherrn  von  Arnswaldt;  vgl.  den  144.  Antiquariats- 
katalog von  0.  Harrassowitz  in  Leipzig  (1888)  Nr.  1215. 

*)  Norrenberg,  Kölnisches  Literaturleben  S.  34  f.  60—86.  Zwei  ältere  nid. 
Text«  bei  Hoffmann  von  Fallersleben,  Horae  Belgicae  5,  1— -32.  6,  158—166.  Moltzer, 
De  middelnederlandsche  dramatische  poezie  1875  S.  141 — 182,  vgl.  LX. 

■)  Vgl.  meine  Einleitung  zu  Strickers  Düdeschem  Schlömer  (1889)  S.  *15. 


Zacharias  oder  Levi  nennen  *),  und  daraus  abgeleitet  in  verschiedenen 
deutschen  Dichtungen  des  Mittelalters,  im  grossen  Passional  S.  55,  1 — 56, 
19  ed.  Hahn,  in  Bruder  Philipps  Marienleben  V.  3985 — 4051  ed. 
Rückert,  vgl.  S.  362  u.  a. 

Wir  fragen  endlich  nach  dem  Inhalte  des  ganzen  Stückes,  dem 
das  Bruchstück  angehörte.  Aus  der  glücklicherweise  noch  vorhandenen 
Signatur  ergiebt  sich,  dass  nur  ein  Blatt  voraufging;  dieses  wird  auf 
der  Vorderseite  den  Titel  nebst  einem  Holzschnitte,  und  auf  der  Rück- 
seite höchstens  20  Verse  enthalten  haben,  in  denen  geschildert  war, 
wie  Maria  ihren  Sohn  dem  Schulmeister  übergiebt.  Wie  gross  der 
Umfang  der  ganzen  Dichtung  war  und  welche  weiteren  Begebenheiten 
in  ihr  zur  Darstellung  kamen,  entzieht  sich  der  genaueren  Berechnung. 
Sicher  aber  beschäftigte  sie  sich  nicht  mit  dem  ganzen  Leben  und 
Leiden  Christi,  —  eine  solche  Dichtung  hätte  mit  der  Geburt  zu 
Bethlehem  anheben  müssen  —  sondern  umfasste  nur  eine  beschränkte 
Anzahl  von  Wunderthaten  des  Herrn,  vielleicht  lediglich  aus  seiner 
Kindheit  und  nach  apokryphen,  dem  Geschmacke  der  Zeit  besonders 
zusagenden  Quellen. 


[Jesus  sprach:] 


[Ay  a]      Ich  wil  dat  yr  mich  lert  vnd  twinckt? 
Der  meister  sprach: 
Jesus  du  en  darffs  dich  niet  veruieren 
Ich  hoffen  ich  sül  dich  wail  leren. 
Nu  sprich  mir  na,  A  b  c  d  e  f  g  h§). 
Jesus  zo  dem  meister. 
5  Meister  en  sal  ich  hauen  nümme? 
Der  meister  zo  Jesu  sacht 
Jesus  ich  en  wyl  dich  niet  verladenn 
Du  bist  noch  junck,  nu  lais  dir  raden. 
Du  mochtz  yd  licht  vergessen  also, 

Jesus  sprach: 

Ja  Meister  is  dat  van  dem  Credo? 
Der  meister  sprach: 
10  Jesus  wiltu  van  dem  Credo  sprechen 
Du  mochts  mich  buissen  keren  stechen. 
Jesus  sage  mir  na,  hiklmnop, 
Des  haistu  genoich  tzo  leren  hude. 

Jesus  zo  dem  meister 
Meister  ich  en  hain  niet  genoich, 
15  Myn  moder  was  arm  die  mich  droig. 


*)  Rud.  Hofmann,  Das  Leben  Jesu  nach  den  Apokryphen  (1851)  S.  213—227. 
R.  Reinsch,  Die  Pseudoevangelien  von  Jesu  und  Marias  Kindheit  in  der  romanischen 
und  germanischen  Litteratur  (1879)  S.  97.  113.  119  u.  a. 

*)  Wie  der  Beim  lehrt,  ist  he  zu  lesen,  nicht  ha. 


Der  meister  sprach 

Dyn  moder  bat  mich  die  frawe  fyn, 
Dat  ich  dir  eyn  gut  schoilmeister  wold  syn. 
[AiJt>]  Jesus  sprach: 

Meister  ich  sagen  vch  geynen  danck, 
Dat  yr  mich  sparen  kurtz  off  lanck. 
20  En  kan  ich  myn  letze  iriet  lesen, 
So  wil  ich  van  vch  geschlagen  wesen. 

Der  meister  sprach: 
Nu  sage  mir  na,  p  q  r  s  t, 
Haistu  genoich,  off  wiltu  me. 

Jesus  sprach 

Meister  ich  wil  dat  yr  mich  hört, 
25  Kan  ich  myn  letze,  so  geuet  mir  vort. 

Der  meister  zo  Jesu  sacht 

Nu  sag  vp  dyn  letze  van  anbegynne 

Ich  en  sach  nye  kynt  van  sulchem  synne 

Haistu  yd  so  bald  vernomen, 

So  en  darfstu  niet  me  tzo  scholen  komen. 
30  Du  salt  vorder  komen  dan  ich 

Myt  all  miner  lerung  duncket  mich. 

Van  wafi  kumpt  dir  dese  wijßheit, 

Du  dunckes  mich  syn  ein  propheit. 

Want  du  sprichs  viß  Godes  mond, 
35  Des  gifft  dir  der  hilge  geist  vrkond, 

Ader  du  bist  der  wäre  Messias. 

Dair  Moses  van  spricht  vnd  laß 

Jesus  sprach: 

Süesse  meister  wilt  yr  mich  h5ren, 
[Aiij  a]     Laist  mich  dafi  dat  blat  vmkeren. 
40  Want  dese  syde  kan  ich  wae1), 

Der  meister  sprach 

Jesus  du  bist  mir  vil  tzo  schnei 
Du  drijffs  mich  me  dan  ich  vermach 
Sal  ich  dan  desen  gantzen  dach 
Oeuer  dir  tzo  brengen  myn  zyt 

45  Als  wer  ich  in  einem  strijt. 

Ich  en  vörten  mich  niet  also  sere 
Vur  dem  doid  sprechen  ich  vp  myn  ere. 
(Der  meister  wold  yd  Jesus  v'dragen  niet 
Vnd  schloig  jn,  vnd  schalt  jn  do  quijt.) 
Jesus  sprach: 

50  Meister  warumb  schlaidt  yr  mich, 
Des  ich  mich  entsyen  vur  euch. 

')  l  waü. 


8 

Myn  letz  ich  besser  kan  dan  yr 
Dat  bewysen  ich  al  hyr. 
Bericht  mich  wat  bedüdet  dat  A, 
55  Vnd  warumb  dat  B  steit  darna. 

Vnd  wat  sy  bedüden  in  dem  Abcd, 
Des  fragen  ich  vch  myn  off  me. 

Der  meister  sprach: 

Eyn  kynt  mir  tzo  der  scholen  quam 

Dat  ich  tzo  leren  ane  nam 
60  Hait  mich  ouerwonnen  ym  A  b  c, 

Ich  weiß  niet  wat  ich  sal  sagen  me. 

seluer  schaden  gedain, 

hain  bestain. 

[Aij  b]      Myr  is  so  wee  ich  kan  niet  gedüren 
65  Ich  mois  steruen  in  kurtzer  vren. 

(Rechte  vort  was  der  meister  doit. 

Des  qua  Maria  vfi  Joseph  in  groisse  noit.) 

Joseph  zo  Marien  sprach 

Maria  mir  moissen  rumen  dyt  lant, 

Want  wir  hain  so  manchen  vyant 
70  Jesus  hait  synen  meister  doit  geschlagen, 

Dair  moissen  wir  scholt  an  hauen 

(Maria  sprach,)  Höre  lieue  kynt  myn, 

Dat  men  van  dir  saget,  is  mir  pijn. 

Ich  en  kans  niet  langer  verdragen 
75  Dat  men  ouer  dich  sal  clagen. 

Dattu  dinen  meister  hais  doit  geschlagen 

Dat  schent  vns  vnd  alle  vnse  magen. 

Jesus  sprach: 

Lieue  moder  dat  wil  ich  vch  sagen, 

Dattu  niet  en  darffes  fragen. 
80  Vnd  wil  des  bescheyden  dich, 

Sage  warumb  schloig  he  mich 

Ich  kond  myn  letz  besser  dan  he, 

Wan  ich  jn  fraegde  was  ader  wie. 

Des  en  kond  he  mir  niet  gesagen 
85  Darumb  han  ich  jn  doit  geschlagen. 

Sijt  tzo  freden  ich  sal  dair  gain, 

Dat  sal  jm  tzo  freuden  ergain. 

He  schleefft,  ich  doin  jn  weder  vpstain. 

Hie  weckt  Jesu[s  .  .  . 
BERLIN.  Johannes  Bolte. 


Weiteres  über 
Dialekt-  und  Gaugrenzen. 

F.  Jostes  in  Münster  hat  meinen  Aufsatz  „Über  Sprach-  und 
Gaugrenzen  zwischen  Elbe  und  Weser"  (Jahrbuch  Jahrgang  1881  [1882]) 
im  Jahrbuch  1885  XI  p.  95  einer  Besprechung  unterzogen,  welche  den 
in  Rede  stehenden  Gegenstand  in  dankenswerter  Weise  fördert. 

Ich  hatte  im  Jahrbuch  1881  p.  74  behauptet:  „1)  Lebhafter 
Verkehr  ver schleift  die  gesonderten  Dialektformen,  und  2)  er- 
hebliche Hindernisse  desselben  erhalten  die  Besonderheiten  der 
Aussprache  auch  in  räumlich  ganz  nahe  gelegenen  Ortschaften. u  In 
Beziehung  auf  den  ersten  Punkt  ist  Herr  Jostes  —  wie  natürlich  bei 
einer  fast  selbstverständlichen  Sache  —  mit  mir  einer  Meinung  und 
führt  aus  der  Südspitze  der  jetzigen  Landdrostei  Osnabrück  einige 
Beweise  dafür  an.  Ich  kann  auch  meinerseits  noch  weitere  bestätigende 
Zeugnisse  dazu  anfuhren.  R.  Rackwitz  sagt  in  seiner  Schrift  „Zur 
Volkskunde  von  Thüringen. u  Halle.  1884.  p.  25:  „Interessant  ist  es  zu 
beobachten,  dass  sich  die  Bergdörfer  eine  Anzahl  eigentümlicher  Wort- 
formen bewahrt  haben,  während  die  Flachlanddörfer,  zumal  die 
Bahnstationen,  zum  grossen  Teil  schon  Schriftdeutsch  sprechen." 
Professor  L.  Tobler  drückt  sich  in  demselben  Sinne  so  aus:  „Die 
mundartlichen  Besonderheiten  sind  heute  geringer,  als  sie  noch  vor 
100  Jahren  gewesen  sein  müssen,  weil  seither  fortschreitende  Verbreitung 
der  Schriftsprache,  Erleichterung  des  Verkehrs  und  die  Nieder- 
lassung ausgleichend  gewirkt  haben. u  („Ethnographische  Gesichts- 
punkte der  Schweizerdeutschen  Dialektforschung u  im  12.  Bande  des 
Jahrbuchs  für  Schweizerische  Geschichte.    Zürich.    1887.    p.  183  ff.) 

Zur  Ausführung  des  zweiten  Punktes  hatte  ich  gesagt:  „Wenn 
man  sich  in  eine  Zeit  zurückversetzt,  wo  noch  nicht  Brücken  über 
jeden  Fluss,  Wege  durch  jeden  Wald,  Fusspfade  über  jeden  bewaldeten 
Bergrücken,  Steege  durch  jedes  Moor  vorhanden  waren,  so  erkennt 
man  schon  in  Flüssen,  Wäldern,  bewaldeten  Bergrücken,  Mooren  die 
trennenden  Scheidewände  zwischen  dialektischen  Besonderheiten.  Und 
die  Wirksamkeit  dieser  natürlichen  Scheidungen  musste  durch  die 
wiederum  von  ihnen  bewirkten  politischen  Verschiedenheiten  nur  noch 
stärker  werden."  Jostes  sagt  nun  hierauf,  ich  sei  der  Ansicht,  dass 
die  Differenzierungen  sich  erst  gebildet  hätten,  als  die  Bewohner  zu 
beiden  Seiten  der  Grenze  schon  so  sassen,  wie  sie  jetzt  sitzen. 
Er  hält  das  für  unrichtig  und  fährt  dann  fort:  „Es  ist  ja  richtig,  dass 
Flüsse,  Bergketten  u.  s.  w.  Dialektgrenzen  bilden,  aber  sollte  das  nicht 
deshalb  so  sein,  weil  die  Kolonisten  (nämlich  beim  Einrücken  in 
diese  Gebiete)  vor  diesen  Grenzen  Halt  machten?"  Gewiss,  das 
ist  auch  meine  Meinung,  und  wenn  ich  sagte,  erhebliche  Verkehrs- 
hindernisse hätten  die  Besonderheiten  der  Dialekte  erhalten,  so  liegt  doch 


10 

darin  zunächst  ( —  wenn  auch  nicht  ausschliesslich,  worüber  später 
ein  Wort  — )  dass  ich  gemeint  habe,  die  Besonderheiten  wären  schon 
vor  dem  Einrücken  in  die  neuen  Wohnsitze  vorhanden  gewesen. 

In  der  Urzeit  ist  nämlich  der  Gau  diejenige  politische  Einheit, 
welche  sich  durch  Einwanderung  eines  in  sich  geschlossenen  Volks- 
teils in  ein  noch  unbesiedeltes  oder  einer  dort  schon  vorhandenen 
Völkerschaft  entrissenes  Gebiet  innerhalb  gewisser  natürlicher 
Schutz-  und  Trennungsgrenzen  bildete.  Vergegenwärtigen  wir  uns 
an  der  Hand  eines  bewährten  Forschers  den  Vorgang  bei  der  Begründung 
eines  germanischen  Gaues !) :  „Der  wandernde  Gau,  welcher  einen  Teil 
der  Völkerschaft  bildete,  erhielt  wohl  durch  gemeinsamen  Beschluss  der 
Versammlung  der  Völkerschaft  (z.  B.  der  Cherusker)  seinen  Teil  des 
eroberten  oder  ohne  Kampf  besetzten  Landes  zugewiesen,  welchen  er 
dann  unter  die  Hundertschaften,  die  Dorf-  und  Hofgemeinden,  selbst 
weiter  zu  verteilen  hatte."  „Das  gesamte,  dermassen  dem  Gau  zuge- 
teilte Land  ward  nun  in  drei  Gruppen  gegliedert,  Grenzwald,  Allmännde, 
und  Sonder-Eigen.  Der  Grenzwald  bestand  aus  schwer  durchdringbarem 
Urwalde,  der  oft  Sümpfe,  Seeen,  Gebirge  einschloss  und  die  beste  natür- 
liche Schutzwehr  bildete  gegen  Einfälle  feindlicher  Nachbarn*)."  — 

Also  wir  beide,  Jostes  und  ich,  sind  der  Ansicht,  dass  die  ur- 
sprünglichen Gaugrenzen  dadurch  entstanden,  dass  die  Kolonisten  beim 
Einrücken  vor  natürlichen  Verkehrshindernissen  Halt  machten  und  dass 
durch  eben  diese  Hindernisse  eine  unmittelbare  Berührung  von  Völker- 
stämmen, die  einander  entgegenrückten,  verhindert  wurde. 

Von  hier  ab  beginnt  jedoch  in  zweifacher  Hinsicht  eine  Differenz 
unserer  Anschauungen. 

1)  Jostes  meint,  dass  die  auf  einander  zurückenden  Völkerstämme 
oder  Volksteile  ihre  dialektischen  Besonderheiten  schon  mit- 
brachten, wodurch  es  sich  auch  erkläre,  dass  manchmal  (J.  fuhrt  aus 
dem  südlichen  Westfalen  einen  vermeintlichen  solchen  Fall  an)  die 
Dialekt  grenze  nur  durch  eine  geographische  Linie,  gar  nicht  durch 
Bodenhindernisse  gebildet  werde.  Ich  läugne  zunächst  dieses  ursprüng- 
liche Vorhandensein  dialektischer  Besonderheiten  durchaus  nicht,  im 
Gegenteil  glaube  auch  ich,  dass  in  jedem  in  sich  geschlossenen,  auf 
der  Wanderung  begriffenen  Volksstamm  schon  besondere  Gruppen  mit 
gesonderter  Färbung  der  Aussprache  vorhanden  gewesen  sein  werden3). 
Dass  jedoch  in  der  Urzeit  dieser  wandernde  Stamm  bis  unmittelbar 

*)  Felix  Dahn,  Bausteine.    VI.    Berlin.    1885.    p.  95  f. 

')  Vergl.  meinen  Aufsatz  im  Oster-Programm  des  Altstädtischen  Gymnasiums 
zu  Königsberg.    Pr.  1886. 

")  Vergl.  Tobler  a.  a.  0. :  „Aus  der  altgermanischen  Volksverfassung  ist  zu  ver- 
muten, dass  innerhalb  der  Gesamtmasse  der  Alamannen  kleinere  Stämme  bestanden 
und  bei  der  Einteilung  der  einzelnen  Gaue  irgendwie  mitbestimmend  waren."  —  „So 
werden  auch  innerhalb  eines  einzelnen  Dialekts  wie  des  alamannischen  seit  alter  Zeit 
wieder  mundartliche  Besonderheiten  als  Anfänge  der  späteren  bestanden  haben."  — 
Derselbe  („Die  lexikalischen  Unterschiede  der  deutschen  Dialekte"  in  der  Festschrift 
zur  Begrössung  der  1887  in  Zürich  tagenden  39.  Versammlung  deutscher  Philologen 
und  Schulmänner.  Zürich.  1887.  p.  91  ff.):  „Strenge  Einheit  der  Sprache  hat  auch 
in  ältester  Zeit  und  in  verhältnismässig  engem  Volkskreise  nirgends  bestanden. 
Ansätze  zu  dialektischer  Spaltung  haben  sich  schon  früh  und  überall  gebildet" 


11 

an  einen  andern  sesshaften  Stamm  herangewandert  sein  sollte,  ohne 
irgendwelche  natürliche  Schutzwehr  aufzusuchen,  so  dass  sich  gewisser- 
maßen beide  Stämme,  nur  durch  jene  „geographische  Linie"  geschieden, 
auf  offenem  Blachfelde  die  Hand  gereicht  hätten,  das  scheint  mir  den 
Bedingungen  unsers  frühesten  Volkslebens  zu  widersprechen,  und  die 
Annahme  einer  rein  geographischen  Linie  als  Stammes-  oder  Dialekt- 
grenze trifft  auf  mein  entschiedenes  Misstrauen.  Es  ist  ganz  richtig,  wie 
Jostes  sagt,  es  kommt  hier  alles  auf  Einzelbeobachtung  an.  Sehen  wir 
also  zu,  was  J.  für  seine  Ansicht  anführt.  „Die  Südspitze  der  jetzigen 
Landdrostei  Osnabrück  stösst  an  drei  verschiedene  Länder,  nach  keiner 
Seite  hin  ist  eine  Naturgrenze  vorhanden,  ja,  der  Teutoburger 
Wald  schneidet  die  osnabrückischen  Dörfer  Iburg,  Glane,  Glandorf,  Laer 
u.  s.  w.  ganz  von  dem  übrigen  Osnabrücker  Lande  ab,  und  doch 
sprechen  ihre  Bewohner  denselben  Dialekt,  der  in  den  Dörfern  nördlich 
des  Gebirges  gesprochen  wird,  und  zwar  hebt  sich  dieser  Dialekt  von 
dem  münsterländischen  scharf  genug  ab.  Die  Grenze  wird  nicht 
einmal  durch  die  zwischen  zwei  Dörfern  liegenden  Fluren  gebildet, 
sondern  ist,  wie  gesagt,  bloss  eine  geographische  Linie." 

Dies  ist  freilich  sehr  merkwürdig  und  könnte,  wie  es  scheint,  meine 
Ansicht  von  dem  Zusammenfallen  von  Dialektgrenzen  mit  natürlichen 
Verkehrshindernissen  sehr  erschüttern.  Aber  hat  denn  dieses  unmittel- 
bare Nebeneinanderwohnen  der  osnabrückischen  und  der  münsterlän- 
dischen Bauern  schon  von  jeher  und  schon  seit  der  Urzeit  statt- 
gefunden? Gab  es  denn  dort  gar  keine  natürlichen  Verkehrshindernisse? 
Hören  wir  Jostes  selbst.  „In  Urkunden  des  9.  (10.)  Jahrhunderts,  welche 
die  Grenzen  des  Bistums  Osnabrück  angeben,  erscheint  das  jetzige 
Amt  Iburg  als  ein  grosser  Wald."  „Nach  der  Volkssage  sind 
die  südlichsten  osnabrückischen  Dörfer  die  jüngsten  und  aus 
den  Urkunden  lässt  sich  die  Richtigkeit  der  Sage  nachweisen." 

Bessere  Zeugnisse  für  meine  Ansicht  kann  ich  mir  gar  nicht 
wünschen.  Also  hat  ursprünglich  kein  unmittelbares  Nebeneinander- 
wohnen stattgefunden,  jene  genannten  südwärts  über  den  Teutoburger 
Wald  hinausreichenden  Dörfer  sind  erst  später  entstanden,  nachdem 
der  ursprünglich  trennende  „grosse  Wald"  durch  fortgesetzte 
Rodungen  so  gänzlich  beseitigt  war,  dass  dort  Iburg  angelegt  werden 
konnte,  so  dass  ich  als  Bestätigung  meiner  Ansicht  nichts  besseres  und 
überzeugenderes  zu  sagen  wüsste,  als  was  J.  selbst  folgendermassen  sagt: 
,,Die  von  der  Hase  kommenden  Kolonisten  drangen  mit  ihren  Rodungen 
immer  weiter  vor,  bis  sie  zur  Grenze  kamen,  an  der  auch  die  von  der 
andern  Seite  kommenden  Kolonisten  Halt  machen  mussten."  Natürlich, 
aber  erst,  nachdem  bereits  Jahrhunderte  lang  Trennung  bestanden 
hatte.  So  werden  sich  wohl  noch  viele,  scheinbar  nur  durch  „geogra- 
phische Linien"  gebildete  Dialektgrenzen  bei  genauer  historischer  Unter- 
suchung als  ursprünglich  durch  natürliche  Bodenbeschaffenheit  bedingt 
herausstellen. 

2)  Nun  wende  ich  mich  zu  dem  zweiten  Punkte,  in  dem  ich  von 
Jostes  abweiche.  Derselbe  sagt:  „Babucke  stellt  sich  die  Sache  offenbar 
so  vor,  dass  die  Differenzierungen  (der  Dialekte)  sich  gebildet  hätten, 


12 

als  die  Bewohner  zu  beiden  Seiten  der  Grenze  schon  so  sassen,  wie  sie 
jetzt  sitzen."  Er  hält  diese  Ansicht  für  falsch  und  will  nur  ursprünglich, 
d.  h.  vor  dem  Einrücken  in  die  späteren  Wohnsitze  schon  vorhandene 
Dialektunterschiede  gelten  lassen.  Ich  habe  eben  gesagt,  dass  auch  ich 
der  Ansicht  bin,  dies  sei  meistenteils  wirklich  der  Fall  gewesen;  dass 
dies  jedoch  immer  und  überall  der  Fall  gewesen,  möchte  ich*  doch 
nicht  so  ohne  weiteres  annehmen.  Stellen  wir  uns  mit  Felix  Dahn  eine 
wandernde  Gaugemeinschaft  vor.  Gewöhnlich  wird  dieselbe,  um  feste 
Wohnsitze  zu  erlangen,  bemüht  gewesen  sein,  entweder  mit  Güte  oder 
mit  Gewalt  ein  Gebiet  zu  gewinnen,  welches  innerhalb  gewisser  natür- 
licher Schutzgrenzen  für  die  ganze  Gaugenossenschaft  genügte.  Gar 
nicht  selten  jedoch  werden  sich,  wenn  das  Land  hiezu  nicht  ausreichte, 
kleinere  Teile  der  Gemeinschaft  genötigt  gesehen  haben,  weiter  zu 
wandern,  bis  auch  sie  ein  ihnen  zusagendes  Gebiet  erlangten;  oder  das 
ganze  Gaugebiet  konnte  sich  auch  aus  kleineren  Abschnitten  zusammen- 
setzen, von  denen  jeder  für  sich  von  natürlichen  Schutzwehren  eingehegt 
war,  so  dass  dann  der  sesshaft  gewordene  Gau  sich  aus  einer  Anzahl 
von  kleineren  „Kantonen",  um  diesen  modernen  Ausdruck  hier  anzu- 
wenden, zusammensetzte.  Wir  wissen  aber,  dass  unter  solchen  Ver- 
hältnissen noch  jetzt  regelmässig  Differenzierung  des  ursprünglich  ein- 
heitlichen Dialekts  einzutreten  pflegt.  Tobler  sagt  (im  Jahrbuch  für 
schweizerische  Geschichte.  Zürich.  1887.  p.  1S5),  nachdem  er  von  der 
grossen  Mannigfaltigkeit  der  Dialekte  im  Schweizergebiet  gesprochen 
hat:  „Freilich  brauchen  diese  Verschiedenheiten  nicht  alle  auf  alte 
Grundlage  zu  ruhen.  Wenn  nach  Grimms  Ansicht  (Geschichte  der 
deutschen  Sprache.  3.  Aufl.  p.  578)  Dialekte  und  Mundarten  sich  „vor- 
schreitend"  entfalten,  d.  h.  aus  einer  ursprünglich  einheitlichen  Sprache 
erst  im  Laufe  der  Zeit  durch  zunehmende  Spaltung  hervorgehen,  so  könnte 
auch  alle  sprachliche  und  die  mit  ihr  zusammenhängende  übrige  Beson- 
derung  erst  ein  Produkt  späterer  Entwickelung  sein."  Dass  nun  gerade 
„alle"  heutzutage  beobachtete  Besonderung  durch  natürliche  Abge- 
schlossenheit des  Wohnorts,  durch  politische  strenge  Absonderung 
u.  s.  w.  entstanden  sei,  ist  freilich  nicht  meine  Ansicht,  wohl  aber 
die,  dass  eine  solche  Möglichkeit  keineswegs  auszuschliessen  sei. 

Heutige  Dialektverschiedenheiten  können  also  entweder  schon 
ursprünglich  in  die  jetzigen  Wohnsitze  mitgebracht  sein  ( —  dies  ist 
die  alleinige  Möglichkeit,  die  Jostes  zulässt  — )  oder  sie  können  auch 
daselbst  erst  entstanden  sein. 

Für  beides  bietet  die  Provinz  Preussen  Beweise. 

Es  strömten  hierher  zur  Zeit  der  Herrschaft  des  deutschen  Ritter- 
ordens die  Kolonisten  aus  allen  deutschen  Gauen  zusammen  und  zerstreuten 
sich  über  die  ganzen  ihnen  zur  Besiedelung  überlassenen  Landgebiete,  so 
dass  die  Sprache  der  deutschen  Bevölkerung  in  der  heutigen  Provinz 
Preussen  ursprünglich  ein  Gemisch  fast  sämtlicher  deutschen  Dialekte  war. 
Keineswegs  wurde  etwa  die  Gegend  um  Insterburg  ausschliesslich  mit 
Westfalen,  die  Stadt  Königsberg  mit  Thüringern  u.  s.  w.  besetzt.  Und 
doch  spricht  heute  der  Insterburger  einen  einheitlichen,  besonders  ge- 
arteten Dialekt,  ebenso  der  Königsberger,  der  Elbinger  u.  s.  f.     Durch 


enges  Zusammenwohnen  und  durch  relative  Absonderung  von  den  übrigen 
Städten  hat  sich  hier  eben  an  allen  diesen  Orten  ein  neuer,  besonderer 
Dialekt  erzeugt.  Wie  viel  mehr  musste  dieses  in  der  urgermanischen 
Zeit  der  Fall  sein,  wo  Abgeschlossenheit  und  Schutz  nach  aussen  hin 
gesucht  wurden. 

Andrerseits  giebt  es  aber  in  unsrer  Provinz  auch  einzelne  Ge- 
genden, welche  fast  ausschliesslich  durch  Kolonisten  aus  einem  einzelnen 
deutschen  Gebiete  besetzt  wurden.  So  glaubt  man  in  den  Ermländern 
(das  Ermland  umfasst  die  Kreise  Braunsberg,  Heilsberg,  Rössel  und 
Alienstein)  hauptsächlich  schlesische  Kolonisten  zu  erkennen*).  Das  Erm- 
land war  eins  der  vier  Bistümer  des  Ordenslandes,  kam  1466  unter  pol- 
nische Herrschaft,  während  der  übrige  Teil  des  heutigen  Ostpreussens 
unter  der  Herrschaft  des  Hochmeisters  verblieb,  erhielt  sich  rein  katho- 
lisch, während  sonst  ganz  Ostpreussen  zur  Zeit  Luthers  evangelisch  wurde, 
und  kam  erst  1772  wieder  zu  Preussen  zurück.  Infolge  dieser  drei  Jahr- 
hunderte währenden  scharfen  Absonderung  hat  sich  der  ursprüngliche 
Dialekt  der  Ermländer  so  kräftig  erhalten,  dass  man  denselben  sofort 
heraushört,  so  wie  man  über  die  ermländische  Grenze  tritt. 

Die  letzten  Worte  des  betr.  Aufsatzes  von  Jostes:  „Wollen  wir 
nicht  den  festen  Boden  unter  den  Füssen  verlieren,  so  müssen  wir 
Schritt  vor  Schritt  in  die  Vorzeit  zurückgehen  und  zusehen,  ob  die 
jetzige  Dialektgrenze  nicht  auch  die  Rodungsgrenze  eines  Stammes 
gebildet  hat,*  haben  meinen  vollen  Beifall. 

Ich  bin  Jostes  für  die  Anregung,  welche  er  mir  zu  erneuter 
Prüfung  dieser  so  interessanten  Frage  gegeben  hat  und  für  mancherlei 
Förderndes  und  Belehrendes,  welches  der  Aufsatz  enthält,  zu  aufrich- 
tigem Danke  verpflichtet. 

Schliesslich  kann  ich  nicht  umhin,  meiner  Genugthuung  darüber 
Ausdruck  zu  geben,  dass  die  meines  Wissens  von  mir  zuerst  gemachte 
Beobachtung  von  dem  Zusammenfallen  heutiger  Dialekt-  mit  alten  Gau- 
grenzen jetzt  auch  von  andern  Seiten  Bestätigung  findet.  Tobler  sagt 
(im  Jahrbuch  für  schweizerische  Geschichte.  Zürich.  1887.  p.  185):  „Noch 
heute  bestehen  in  der  Schweiz  neben  der  halb  eingeführten  politischen 
Einheit  eine  Menge  Besonderheiten  in  der  Bevölkerung,  nicht  sowohl  der 
einzelnen  Kantone  (deren  Grenzen  ja  meistens  später  und  künstlich  her- 
gestellt worden  sind),  als  einzelner  grösserer  Gebiete,  welche  alten 
Gauen  entsprechen  mögen,  und  zwar  nicht  nur  in  der  Sprache, 
sondern  auch  in  der  leiblichen  und  geistigen  Anlage  der  Bewohner  und 
den  davon  abhängigen  Sitten. u  —  Derselbe  (a.  a.  0.):  „Merkliche  Unter- 
schiede (in  der  Sprache)  treten  erst  hervor,  wenn  wir  das  Gesamtgebiet 
in  zwei  grössere  Hauptmassen  teilen.  Der  Durchschnitt  zwischen  Ost 
und  West  scheint  am  ergiebigsten  auszufallen,  und  zwar  dort,  wo  etwa 
um  das  Jahr  900  die  Grenze  des  späteren  kleinburgundischen 
Reiches  (gegen  die  alamannische  Bevölkerung)  verlief." 

*)  Noch  heute  sagt  man  von  einzelnen  Strichen  im  Ermlande:  Die  Leute 
sprechen  dort  „Breslauisch". 

KÖNIGSBERG  i.  Pr.  Heinrich  Babueke. 


14 


Die  Dialektmisehung 
im  Magdeburgisehen  Gebiete. 

Einleitung. 

Das  in  der  vorliegenden  Arbeit  zu  behandelnde  Gebiet  habe  ich 
so  abgegrenzt,  dass  es  eine  möglichst  grosse  Abstufung  des  mittel- 
deutschen Einflusses  auf  das  Niederdeutsche  darbietet.  Die  Umgrenzung 
wird  durch  Magdeburg,  Rothensee,  Ebendorf,  Ochtmersleben,  Drux- 
berge,  Schermke,  Oschersleben,  Hadmersleben,  Egeln,  Schneidlingen. 
Wolmirsleben,  Altenweddingen,  Welsleben,  Westerhüsen,  Fermersleben 
gegeben;  historisch  genommen  macht  das  Gebiet  etwas  mehr  als  das 
mittlere  Drittel  des  Nordthüringgaues  nebst  einem  schmalen  Nordost- 
strich des  durch  die  Bode  von  demselben  getrennten  Schwabengaues  aus. 

Die  Mischung  in  unserem  Gebiete  steht  in  Zusammenhang  mit 
derjenigen  Dialektmischung,  die  das  westlich  wie  östlich  sich  an- 
schliessende Niederdeutsch  erfahren,  sowie  mit  derjenigen  Dialektver- 
schiebung, die  zu  beiden  Seiten  der  Saale  stattgefunden  hat. 

Für  diese  Striche  dienten  mir  ausser  Firmenich  als  Quellen: 
H.  Waeschke,  Über  anhaltische  Volksmundarten  in  „Mittheilungen 
des  Vereins  für  Anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde *,  Bd.  II 
(1880),  S.  304  ff.  u.  S.  389  ff.,  Damköhler,  Zur  Charakteristik  des 
niederdeutschen  Harzes,  Halle  1886,  ferner  „Der  richtige  Berliner  in 
Wörtern  und  Redensarten",  4.  Aufl.,  Berlin  1882,  Bruno  Graupe: 
De  dialecto  Marchica,  Berolini  1879.  Für  das  angrenzende  Gebiet 
benutzte  ich:  Albrecht,  Leipziger  Mundart,  Leipzig  1881. 

In  den  Fragen  über  die  Dialektverschiebung  verwertete  ich  ferner 
das  hierfür  grundlegende  Werk  „Monumenta  inedita  rerum  Germa- 
nicarum  praecipue  Magdeburgicarum  et  Halberstadensium,  Tomus  I, 
qui  Georgii  Torquati  annales  continet*,  1760  vonBoysen  heraus- 
gegeben. Torquatus  schrieb  sein  Buch  1567 — 1574  und  war  nach 
seiner  eigenen  Angabe  praefatio  S.  9  geborener  Sudenburger  und 
Geistlicher  in  Neustadt-Magdeburg. 

Vorbemerkungen  zur  Transskription. 

In  meiner  Transskription  habe  ich  mich  möglichst  an  die  herkömmlichen 
Zeichen  angeschlossen.  Im  übrigen  habe  ich  alveolares  r  durch  r,  uvulares  durch  R 
ausgedrückt,  w  ist  bilabialer,  v  labiodentaler  stimmhafter  Spirant.  Die  langen 
offenen  Vokale  sind  durch  ein  übergesetztes  ~,  die  langen  geschlossenen  durch  ein 
übergesetztes  A  gekennzeichnet  worden. 

Alle  feineren  phonetischen  Unterschiede  durften  als  für  den  Zweck  meiner 
Arbeit  unwesentlich  unbezeichnet  bleiben.  So  sind  z.  B.  alle  secundaren  Stärke- 
unterschiede der  einzelnen  Laute  (vgl.  Sievers,  Phon.  §  9),  z.  B.  das  stete  Eintreten 
der  Fortis  im  Inneren  des  Wortes   nach  kurzem  Vokale  nicht  bezeichnet  worden. 


15 


Auch  habe  ich  die  diphthongischen  Vertretungen  des  aa.  e  aas  urgerm.  ai,  des  aa. 
o  aus  urgerm.  an  sowie  die  übrigen  ihnen  phonetisch  gleichen  Diphthonge  nach 
gewöhnlicher  Wiedergabe  als  ai  und  an  belassen,  obwohl  hier  die  zweiten  Kom- 
ponenten kurzes  geschlossenes  e  und  kurzes  geschlossenes  o  repräsentieren  und 
auch  ihre  sonantischen  Bestandteile  kein  reines  a  auszumachen  scheinen.  Ich  be- 
merke noch,  dass  mein  Zeichen  ö  (lautgesetzlich  für  gemeindeutsches  &  und  ton- 
langes urgerm.  a)  nicht  die  organische  Länge  des  von  mir  mit  o  bezeichneten  Lautes 
darstellt  wie  e  die  des  e,  sondern  einen  etwa  in  der  Mitte  zwischen  reinem  offenem 
ä  und  der  organischen  Länge  dieses  o  liegenden  Vokal. 


Abkürzungen 

Aid.  =  Alikendorf. 

Apf.  =  Ampfurth. 

Awd.  =  Altenweddingen. 

Bck.  =  Buckau. 

Bckd.  =  Bleckendorf. 

Bed.  =  Beiendorf. 

Bltz.  =  Brelitz  (Buch). 

Bmb.  =  Blumenberg. 

Bmd.  =  Bottmersdorf. 

Brd.  =  Bahrendorf. 

Dbg.  =r  Druxberge. 

Ddd.  =  Dodendorf. 

Dks.  =  Drakenstedt. 

Dl.  =  Dreileben. 

Dml.  =  Domersleben. 

Dsd.  =  Diesdorf. 

Ebd.  =  Ebendorf. 

Eg.  =r  Egeln. 

Etgl.  =  Etgersleben. 

FmL  sss  Fermersleben. 

Gr.  6ml.  =  Gross  Germersleben. 

Kl.  Gml.  =  Klein  Germersleben. 

Gthd.  =  Gunthersdorf. 

Hdd.  =  Hohendodeleben. 

Hmd.  =ä  Hemsdorf. 

Hml.  ss  Hadmersleben. 

Lmd.  =  Lemsdorf. 

Lwd.  =  Langenweddingen. 

Mb.  =  Magdeburg. 

(St-Mb.  =  Stadtmagdeburgisch.) 

(Sch.-Mb.  =  Schiffermagdeburgisch.) 

Kl.  Med.  =  Kloster  Meiendorf. 


der  Ortsnamen. 

Ndd.  =  Niederndodeleben. 

Ns.  «  Neustadt. 

Oml.  =  Ochtmersleben. 

Oschl.  =  Oschcrsleben. 

Kl.  Oschl.  =  Klein  Oschersleben. 

Gr.  Otl.  =r  Gross  Ottersleben. 

KL  Otl.  =  Klein  Ottersleben. 

Ovs.  *  Olvenstedt. 

Owd.  =  Osterweddingen. 

Psd.  =  Pesekendorf. 

Gr.  Rdl.  =  Gross  Rodensieben. 

Kl.  Rdl.  =  Klein  Rodensieben. 

Rkl.  =  Remkersleben. 

Rths.  =  Rothensee. 

Schk.  =  Schermke. 

Seh  lg.  =  Schneidlingen. 

Schnb.  =  Schwaneberg. 

Schntz.  s=  Schleibnitz. 

Sdb.  as  Sudenburg. 

Sdf.  ==  Sülldorf. 

Sh.  =  Seehausen. 

Sk.  =  Salbke. 

Sl.  =  Sohlen. 

Stm.  =  Stemmern. 

Tth.  =  Tarthun. 

Wh.  ==  Westerhüsen. 

Win.  =  Wellen. 

Wml.  =  Wolmir8leben. 

Wseg.  =  Westeregeln. 

Wsl.  =  Welsleben. 

Wzl.  =  Wanzleben. 

Kl.  Wzl.  =  Klein  Wanzleben. 


Geschichte  der  Sprache  Magdeburgs. 

Nach  Winter,  Forsch,  z.  d.  G.  XIV,  S.  344  schrieben  die  Erzbischöfe 
seit  1327  ihre  Urkunden  hochdeutsch,  während  das  Domcapitel  die  seinigen 
noch  lange  Zeit  mit  Vorliebe  in  niederdeutscher  Sprache  ausstellte.  Auch 
die  beiden  ältesten  erhaltenen  deutschen  Urkunden  der  Magdeburger 
Erzbischöfe  aus  den  Jahren  1299  und  1305  sind  niederdeutsch  abgefasst. 
Winter  erklärt  dies  folgendennassen:  „Die  Kirchenfursten  waren  bis 
auf  Erzbischof  Otto,  der  im  Jahre  1327  die  Würde  erhielt,  fast  aus- 
nahmslos aus  dem  eigenen  Domcapitel  hervorgegangen  und,  wenn  auch 
vielfach  mitteldeutschen  Familien  entsprossen,   doch  so  in  die  nieder- 


16 

sächsischen  Traditionen  eingeweiht,  dass  das  Niedersächsische,  für  sie 
und  ihre  Kanzlei  Amt-  und  Verkehrssprache  bildete.  Seit  dem  Jahre 
1327  aber  wurde  den  Magdeburgern  eine  fortlaufende  Reihe  von  Erz- 
bischöfen aus  dem  Süden,  die  ihre  Schreiber  aus  ihrer  Heimat  mit- 
brachten und  das  Mitteldeutsche  als  Kanzleisprache  einführten,  von 
Papst  und  Kaiser  aufgezwungen. u 

Die  eigentliche  Einfuhrung  des  Mitteldeutschen  in  Magdeburg 
begann  jedoch  erst  zur  Zeit  der  Reformation,  wie  sie  Hülsse,  Ge- 
schichtsblätter f.  Stadt  u.  Land  Magdeb.  Bd.  XIII,  S.  150  ff.  aus- 
führlich geschildert  hat.  Mit  Recht  hebt  derselbe  S.  155  hervor,  dass 
dort  die  Reformation  fast  alleinige  Ursache  zur  vollständigen  Annahme 
der  gemeinen  Schriftsprache  und  damit  indirekt  einer  hochdeutschen 
Volkssprache  geworden  ist:  wie  Magdeburg  wohl  zuerst  die  evangelische 
Lehre  öffentlich  eingeführt,  so  habe  es  auch  in  Bezug  auf  die  Sprache 
ihr  zuerst  die  volle  Herrschaft  eingeräumt. 

Und  so  müssen  denn  auch  mit  den  studiosi  adolescentes,  welche 
die  Akademieen  Leipzig  und  Wittenberg  besucht  hatten  und  zur  Ein- 
führung des  Meissnischen  in  ihrer  Heimat  beitrugen,  an  jener  Stelle 
des  Torquatos*)  auch  Angehörige  der  Stadt  Magdeburg  gemeint  sein. 
Dem  entsprechend  wurden  p,uch  nach  Hülsse  a.  a.  0.  S.  157  alle 
Magdeb.  Bücher,  die  einen  mehr  wissenschaftlichen  Inhalt  hatten,  z.  B. 
die  während  des  ersten  Magdeb.  Krieges  von  Magdeburg  ausgegangenen 
Streitschriften,  von  Anfang  an  seit  Einführung  der  Reformation  hoch- 
deutsch gedruckt;  nur  Bibeln  und  die  meisten  Gesangbücher,  die  für 
die  niederen  Stände,  besonders  auch  für  das  Landvolk  berechnet  waren, 
erschienen  noch  in  niederdeutscher  Sprache.  Die  jungen  Gelehrten, 
insbesondere  die  jungen  Theologen,  waren  es  also,  welche  der  als 
Gemeinsprache  auftretenden  Mundart  zuerst  Eingang  in  Mb.  verschafft 
hatten.  Damit  stimmt  es  auch  überein,  wenn  Torquatus  S.  107  die 
unausgesetzte  Pflege  des  Meissnischen  geradezu  als  Aufgabe  der  Diener 
des  Staates  und  der  Kirche  bezeichnet:  'Nos  etiam,  qui  aliquando 
causas  publice  acturi  sumus  aut  ad  Ecclesiam  dicturi,  suscipiamus 
aliquam  saltem  Saxonicae  linguae  excolendae  curam,  et  ad  Misnicam 
dicendi  venustatem  nos  a  primis  statim  annis  adsuefaciainus.' 

Da  Torquatus  ferner  bemerkt  hatte,  dass  sich  auch  die  übrigen 
deutschen  Stämme  der  von  Luther  angewandten  ostmitteldeutschen 
Mundart,  die  man  kurzweg  „Meissnisch"  nannte,  befleissigten,  so  hielt 
er  bereits  diesen  Dialekt  fiir  den  reinsten  und  gewähltesten  von  ganz 
Deutschland.     Er  sagt  demgemäss  S.  93: 


*)  S.  98.  Accedit  huc,  quod  in  vicinis  Academiis  Lipsica  et  Wlttebergenst 
cum  studiis  politioribus  simul  Misnicam  linguam  (Luthero  potissimum  autore)  addis- 
cerent  studiosi  adolescentes,  qui  deinde  assumti  ad  Reipublicae,  Ecclesiae  et  scholarum 
functiones  in  his  locis  domestica  antiquata,  novam  illam  introduxere  linguam,  quae 
nunc  etiam  in  urbe  Magdeburgensi  usu  adeo  invaluit,  ac  temporis  progressu  tantum 
roboris  collegit,  ut  et  litterati  et  peregrinationibus  nonnihil  exculti  cives,  non  sine 
summa  difficultate  Saxonice  scribant  et  loquantur  ipsi,  ac  publice  privatimqoe 
dicentes  ingenti  cum  fastidio  audiant. 


'QaemaAmodum  aliarum  gentium  seu  nationum  linguae  auas  quasdam  sive 
in  singulis  ßive  in  pluribns  verbis  proprietates  habent,  quibus  a  communi  loquendi 
ratione  differunt,  idiomata  vel  dialectos  Graeci  vocant,  inter  quas  tarnen  alia  aliis 
pnrior  est  et  elegantior.  Nam  Attica  olim,  hodie  yero  Peloponnensis  dialectns 
apud  Graecos  praefertur  ceteris.  In  Hispaniis  Castellana.  In  Galliis  Parisiensis 
et  Aureliana.  Inter  Sclavos  Bohemica.  Apud  Beigas  Flandrica  cnltior  existimatur: 
Ita  una  idemque  lingua  qnidem  est  Suevis,  Bavaris,  Francis,  Thuringis,  Misnensibns 
et  Saxonibus.  Verum  singnli  horum  suos  habent  Idiotismos,  qnibus  a  communi 
sermone  differunt.  Inter  quos  omnium  assensu  et  comprobatione  prae  caeteris 
bomines  Misnenses  pure  et  eleganter,  cum  mirifica  quadam  gravitate,  coniuncta 
(tum  comitate,  seu  vere  Attica  gratia  loqunntur.' 

Aus  diesen  Worten,  besonders  aus  der  Parallelisierung  mit  an- 
deren Sprachen,  geht  deutlich  hervor,  dass  Torquatus  eine  klare  Vor- 
stellung von  der  Erhebung  eines  Dialektes  zur  Gemeinsprache  hatte, 
dass  sich  aber  unmittelbar  daran  bei  ihm  die  Vorstellung  geschlossen, 
dass  dieser  Dialekt  wegen  seiner  Reinheit  und  Eleganz  zur  Schrift- 
sprache und  zur  Umgangssprache  der  Gebildeten  geworden  sei.  In 
diesem  Gedanken  lebte  also  bereits  ein  Mann,  der  das  Mitteldeutsche 
während  seines  Studiums  in  Wittenberg  selbst  erst  erlernt  hatte! 

Konsequent  verfahr  Torquatus  nur,  wenn  er  jede  andere  deutsche 
Mundart  als  die  Meissnische  ausdrücklich  von  jeder  Mustergiltigkeit 
ausgeschlossen  wissen  wollte.     So  sagt  er  weiter  S.  107: 

(Et  in  discenda  illa  (sc.  Misnica  lingua)  illos  studiose  imitemur,  qui  proprio, 
eleganter  et  sine  affectatione  scribunt  et  loquuntur  Germanice.  Boiarismos, 
Suavismos  et  si  qna  alia  est  affectata  sen  barbarica  grandüoquentia,  relinqnamus 
Ulis,  qui  ubi  quid  quemque  maxime  deceat  et  ornet,  minime  observant' 

Die  Hochschätzung  des  Meissnischen  musste  eine  Verachtung  des 
Niederdeutschen  zur  Folge  haben,  wie  denn  Torquatus  demselben 
bereits  sogar  eine  barbarica  et  incondita  pronunciatio  zuschreibt. 

Übrigens  ist  neben  dem  religiösen  und  dem  sich  daran  schliessenden 
wissenschaftlichen  Verkehr  auch  der  merkantile  für  Ausbreitung  des 
Mitteldeutschen  in  Magdeburg  noch  besonders  wirksam  gewesen,  wie 
sich  aus  folgenden  Worten,  die  Torquatus  S.  107  seiner  Aufforderung 
an  die  Staats-  und  Kirchenbeamten  zur  Pflege  des  Meissnischen  bei- 
fügt, ergiebt:  'praesertim  cum  id  Mercurio,  ut  dicitur,  felici  non  male 
succedere  apud  nostrates  comperimus.'  Gemünzt  ist  diese  Stelle 
sicherlich  auf  die  vornehmen  Magdeburger  Kaufleute,  die  jährlich  zur 
Leipziger  Messe  ziehend  im  Interesse  ihrer  Geschäfte  dort  meissnisch 
sprechen  mussten.  Aber  auch  sie  —  denn  nur  diese  können  mit  den 
neben  den  literati  genannten  peregrinationibus  exculti  gemeint  sein 
—  hörten  ja  nur  noch  mit  grossem  Widerwillen  niederdeutsch  reden, 
so  dass  also  die  Wertschätzung  der  Sprachen  von  der  Gelehrten- 
aristokratie auf  die  kaufmännische  Aristokratie,  welche  den  Dialekt 
zu  anderen  Zwecken  erlernt  hatte,  direkt  übergegangen  war. 

Dass  die  lücrati  et  peregrinationibus  exculti  das  Plattdeutsche 
nur  noch  mit  der  grössten  Schwierigkeit  geredet  hätten,  muss  aller- 
dings in  dieser  Allgemeinheit  eine  Übertreibung  sein  und  kann  sich  nur 
auf  in  Magdeburg  lebende  geborene  Mitteldeutsche  beziehen,  die  ja  zur 

Ni«derdauUeh«s  Jahrbuch.    XIV.  2 


18 

Reformationszeit  dort  vielfach  aufgenommen  waren  und  das  Meissnische 
ganz  besonders  verbreitet  haben  werden. 

Wie  das  Mitteldeutsche  zunächst  sogar  nur  für  den  wissenschaft- 
lichen Verkehr,  das  Niederdeutsche  noch  für  den  Privatverkehr  auch 
der  Gebildeten  angewandt  wurde,  ersehen  wir  am  deutlichsten  aus 
dem  Umstände,  dass  Torquatus  selbst,  soweit  er  die  am  Rande  ge- 
machten Inhaltsangaben  seiner  1567 — 1574  lateinisch  geschriebenen 
Annalen  in  deutscher  Sprache  giebt,  fast  durchweg  rein  hochdeutsch 
geschrieben  hat,  während  er  nach  Boyseu  d  3,  S.  3  seine  Selbst- 
biographie, die  er  unter  dem  Titel  „Huss-Bock  M.  Georgii  Torquati 
Sudenburg  Magdeburg  1569"  nur  für  sich  selbst  und  seine  Nachkommen 
verfasste,  sich  des  Niederdeutschen  bediente.  Allerdings  ist  von  den 
beiden  Stellen,  die  Boysen  d  3  S.  4  u.  e  3  S.  1  aus  dem  jetzt  ver- 
lorenen Manuskripte  anführt,  nur  die  erste  ziemlich  rein  niederdeutsch, 
die  zweite  dagegen  mit  hochdeutschen  Wörtern  und  Sätzen  vermischt; 
letzteres  erklärt  sich  jedoch  wohl  dadurch,  dass  diese  Stelle,  die  am 
Schlüsse  des  ganzen  Buches  stand,  eine  Anrufung  Gottes  enthält, 
infolgedessen  der  Verfasser  mit  dem  Predigtstile  zum  Teil  auch  un- 
willkürlich in  die  Predigtsprache  verfiel.     Die  beiden  Stellen  lauten: 

1)  De  öffentlicke  Schole  hebbe  ick  wol  besocht.  Aber  nicht  nützlieken. 
Under  Mynes  Gucken  was  eck  höcher  an  Wissenschopp;  aber  eck  was  öuen  vare, 
an  mathwelligen  Stückchen;  und  bösen  Daten,  woran  dei  Jagend  Öhr  Speel  hett 
Aber  dei  leibe  Herre  Gott,  hat  meck  dorch  Kranckheiten  so  schwach  hemakt,  dat 
eck  nicht  stark  genaug  was,  grötere  Sünne  tho  dohn. 

2)  Dein  Wille  o  Heere  Gott  geschehe!  vollbringe  das  gute  Werk,  das  da 
in  mir  angefangen  hast;  gif  meck  ock  diene  Gnad,  dat  eck  dorch  dines  hilligen 
Geistes  Hylpp,  de  Sünne  and  meck,  war  eck  dien  find  bin,  hasse,  angriepe,  und 
betwinge,  und  dir  lebe  mit  Mund,  Herz,  und  That,  und  in  dir  lieber  Herre  Gott 
sterbe.     Da  bist  mynes  Lebens  Quell,  and  mynes  Todes  Here.     Amen. 

Während  sich  also  die  das  Hochdeutsche  verbreitenden  literati 
selbst  noch  Ende  der  1560er  Jahre  in  der  Regel  des  Niederdeutschen 
bedienten,  hatten  sie  ersteres  wenigstens  schon  früher  vom  religiös- 
wissenschaftlichen Verkehre  auch  auf  den  amtlichen  Verkehr  über- 
tragen, dessen  Sprache  man  gleichfalls  als  feierlicher  und  edler  als 
die  Umgangssprache  empfand.  Die  Einführung  des  Mitteldeutschen 
in  die  Urkunden  begann  nach  Hülsse  um  1550.  Besonders  interessant 
ist  das  von  Hülsse  S.  160  ff.  beschriebene  Ringen  beider  Mundarten 
in  den  von  den  jährlich  wechselnden  Kirchmeistern,  die  nicht  immer 
den  vornehmsten  Familien  entsprossen  waren,  geführten  Rechnungs- 
büchern der  St.  Jacobikirche;  hier  folgen  z.  B.  auf  Urkunden,  die  in 
einer  Art  Mischdialekt  abgefasst  sind,  wieder  rein  niederdeutsche, 
während  sich  bei  dem  Kirchmeister  Jochim  Sedeier,  der  das  Amt  zwei 
Jahre  hinter  einander  bekleidete,  im  Register  von  1557  schon  viel 
weniger  niederdeutsche  Elemente  als  in  dem  von  1556  finden.  Wir 
sehen  hier  also,  wie  das  Hochdeutsche  wie  eine  fremde  Sprache  mühsam 
und  allmählich  erlernt  werden  musste.  Aber  schon  von  1560  an  weisen 
nach  Hülsse  S.  163   die   erwähnten  Rechnungsbücher  nur  noch   ver- 


19 

einzelte  niederdeutsche  Formen  auf,  und  nach  S.  158  findet  sich  schon 
im  Jahre  1570  die  letzte  niederdeutsche  Urkunde,  eine  Ratsordnung. 
Um  diese  Zeit  muss  das  Mitteldeutsche  auch  für  den  mündlichen 
Verkehr  der  Gebildeten  unter  sich  einen  breiteren  Boden  gewonnen 
haben,  da  sonst  jene  Worte  des  Torquatus  von  den  literati  und  den 
peregrinationibus  exculti  wohl  überhaupt  unmöglich  gewesen  wären; 
das  betreffende  Capitel  wird  sicherlich  erst  in  den  1570er  Jahren  ge- 
schrieben sein,  da  ja  Torquatus  noch  1569  seine  Biographie  nieder- 
deutsch abfasste;  wie  aber  das  Hochdeutsche  von  Jahr  zu  Jahr  mäch- 
tiger wurde,  haben  wir  an  der  Urkundensprache  ersehen. 

Bei  der  Verachtung,  die  sich  das  Niederd.  gerade  in  Magdeburg 
sehr  früh  zugezogen  hatte,  ist  es  begreiflich,  wenn  hier  bereits  sehr 
früh  und  zweifellos  zuerst  in  ganz  Norddeutschland  auch  die  mittleren 
und  niederen  Volksschichten  Gebildeten  gegenüber  sich  ihrer  Sprache 
schämten  und  das  Hochdeutsche  anzuwenden  begannen.  Die  Folge 
war,  dass  die  Gebildeten,  die  wenigstens  bisher  das  Niederdeutsche 
noch  im  Verkehre  mit  den  Ungebildeten  zu  gebrauchen  sich  genötigt 
gesehen  hatten,  dies  nunmehr  überhaupt  abstreiften. 

Das  schliessliche  Resultat  des  Prozesses  war  das  vollständige 
Aufgeben  des  Niederd.  zu  Gunsten  des  Hochd.  von  Seiten  der  ganzen 
Bevölkerung  in  den  1830er  Jahren.  Die  Zeit,  in  der  in  Magdeburg  noch 
plattdeutsch  gesprochen  wurde,  ist  noch  jetzt  in  Erinnerung  alter 
eingeborener  Magdeburger. 

Nur  ein  kleiner  Teil  der  Bevölkerung,  die  Schiffer  und  Fischer, 
hat  bis  heute  das  Niederdeutsche  gewahrt.  Begründet  ist  diese  Er- 
scheinung darin,  dass  diese  Leute  erstens  einen  besonderen  Teil  der 
Stadt  bewohnen,  zweitens  aber  infolge  ihres  Handwerkes  eine  relativ 
in  sich  geschlossene  Verkehrsgemeinschaft  bilden.  Dazu  werden  sie 
auf  ihren  Eibfahrten,  die  sie  weit  häufiger  stromabwärts  als  strom- 
aufwärts von  Magdeburg  aus  unternehmen,  bis  nach  Hamburg  geführt 
und  so  in  fortwährenden  lebhaften  Verkehr  mit  anderen  niederd. 
sprechenden  Personen  gebracht.  Wie  sehr  sie  sich  selbst  als  eine 
geschlossene  Verkehrsgruppe,  die  von  ihnen  bewohnten  Strassen  ge- 
wissermassen  als  einen  besonderen  Ort  betrachten,  geht  aus  ihrer 
Redensart  „nö  §tat  jön  (in  die  Stadt  gehn)"  hervor,  womit  sie  sagen 
wollen  „sich  aus  dem  Schifferviertel  in  das  Innere  von  Magdeburg 
begeben";  die  gleiche  Redensart  gebrauchen  auch  die  Dörfler,  wenn 
sie  sagen  wollen  „nach  Magdeburg  gehen".  Die  Arbeiter  und  Hand- 
werker in  Magdeburg  nennen  die  Schiffermundart  FedRäpRöxa,  weil 
sie  am  meisten  an  den  sogenannten  „Fördern"  (niederd.  FedR),  den 
Plätzen,  von  denen  aus  Personen  über  die  Elbe  gefördert  werden, 
gehört  wird;  auch  die  Schiffer  selbst  haben  diese  Bezeichnungsweise 
für  ihre  Mundart  angenommen.  Da  jetzt  viele  das  Schiffer-  oder 
Fischerhandwerk  nicht  treibenden  Personen  in  die  beiden  früher  von 
den  Schiffern  und  Fischern  allein  bewohnten  Strassen  „Altes  Fischer- 
ufer" und  „Neues  Fischerufer"  ganz  im  Südosten  der  Stadt,  da  ferner 
viele  Schiffer  und  Fischer  selbst  auf  das  rechte  Eibufer  oder  die  Elb- 

2* 


20 

Werder  gezogen  sind,  so  ist  auch  das  Schifferniederdeutsch  bereits  arg 
in  seiner  Existenz  bedroht.  Doch  reden  auch  die  Kinder  der  Schiffer 
und  Fischer  meistens  noch  niederdeutsch.  Im  Verkehre  mit  jedem 
anderen  Magdeburger,  auch  mit  jedem  Arbeiter,  spricht  der  Mag- 
deburger Schiffer  übrigens  regelmässig  hochdeutsch.  Ich  habe  im 
folgenden  das  Schifferniederd.  mit  „Schiffermagdeburgisch"  (Sch.-Mb.), 
das  von  den  Ungebildeten  in  Mb.  gesprochene  Hochdeutsch  mit 
„Stadtmagdeburgisch"  (St.-Mb.)  bezeichnet. 

Von  Magdeburg  aus  verbreitete  sich  der  Prozess  der  Ablösung 
des  Niederdeutschen  auch  auf  seine  Vorstädte.  In  Buckau,  das  erst 
vor  etwa  25  Jahren  zur  Stadt  erhoben  wurde  und  seitdem  von  allen 
Seiten,  auch  von  Magdeburg  selbst,  Zuzug  insbesondere  von  Arbeitern 
erhielt,  musste  das  Hochdeutsche  deshalb  dominieren,  weil  es  unter  den 
sich  begegnenden  Mundarten  diejenige  war,  die  für  die  vornehmste  galt. 
Heutzutage  sprechen  auch  in  dem  jetzt  mehr  als  20  000  Einwohner 
zählenden  Buckau,  wenigstens  so  weit  ich  habe  erfahren  können,  nur 
noch  die  gleichfalls  unmittelbar  an  der  Elbe  wohnenden,  mit  den 
Berufsgenossen  in  Magdeburg  in  Verkehr  stehenden  Schiffer  und  Fischer 
niederdeutsch. 

In  der  südwestlichen  Vorstadt  dagegen,  der  gegen  20  000  Ein- 
wohner zählenden  Sudenburg,  wo  es  keine  Schifferbevölkerung  giebt, 
ist  es  einzig  eine  kleine  Anzahl  von  Ackerbürgern,  etwa  10  Familien, 
die  das  Niederd.  bis  heute  gewahrt  haben.  Dieselben  wohnen  etwas 
zerstreut  ganz  im  Süden  der  sich  lang  hinziehenden  Vorstadt,  also 
am  entferntesten  von  Magdeburg  und  weit  näher  den  noch  niederd. 
redenden  Dörfern.  Auch  verkehren  sie  vorwiegend  unter  sich  und 
sonst  wohl  mehr  mit  den  Bauern  der  Dörfer  als  mit  ihren  Mitbürgern. 
Jedoch  sprechen  die  jüngeren  Leute  unter  ihnen  meist  nur  noch  mit 
ihren  Eltern  niederd.,  so  dass  diese  Mundart  auch  in  Sudenburg 
bereits  in  den  allerletzten  Zügen  liegt. 

Weit  verbreiteter  ist  das  Niederd.  noch  in  der  nördlichen  Vorstadt 
Neustadt.  Ursache  dafür  ist  einfach  weitere  Entfernung  vom  eigent- 
lichen mitteldeutschen  Sprachgebiet.  In  Sudenburg  begegneten  sich 
die  beiden  mitteldeutschen  Strömungen,  von  denen  die  eine  aus  Mag- 
deburg, die  andere  direkt  von  Mitteldeutschland  kam;  in  der  Neustadt 
dagegen  ist  die  letztere  Strömung  überhaupt  kaum  noch  vorhanden. 
Ns.  selbst  besteht  aus  zwei  nicht  unmittelbar  zusammenhängenden 
Teilen,  von  denen  der  südliche  „Alte  Neustadt",  der  nördliche  „Neue 
Neustadt"  heisst.  Trotz  dieser  Lage  ist  das  Hochdeutsche  in  der 
alten  Neustadt  minder  als  in  der  neuen  verbreitet,  da  ersteres  wiederum 
eine  zahlreiche  Schiffer-  und  Fischerbevölkerung  besitzt,  letzteres  aber 
wegen  seiner  Industrie  und  seiner  Fabriken  einen  weit  lebhafteren 
Verkehr  mit  Magdeburg  unterhält.  Neben  den  Schiffern  und  Fischern 
halten  auch  wiederum  die  Ackerbürger  beider  Teile  der  Vorstadt  am 
zähesten  am  Niederd.  fest;  bei  diesen  Leuten  reden  auch  die  Kinder 
überall  noch  niederd.,  was  bei  der  übrigen  Bevölkerung  wohl  garaicht 
mehr  der  Fall  ist.     Wie  viele  Personen   unter  den  Handwerkern  und 


21 

Arbeitern  der  Neustadt  noch  niederd.  sprechen,  lässt  sich  nicht  genau 
angeben;  nach  der  mir  als  am  zuverlässigsten  erscheinenden  Schätzung 
haben  in  der  etwa  10  000  Einwohner  zählenden  alten  Neustadt  noch 
etwa  Vb,  in  der  ungefähr  20  000  Einwohner  zählenden  neuen  Neustadt 
noch  etwa  7s  der  Gesammtbevölkerung  das  Niederd.  erhalten.  Also  ein 
eigentlicher  Umschlag  in  das  Hochd.,  wie  er  auch  in  Sudenburg  einge- 
treten sein  muss,  wo  er  nur  die  Ackerbürgerbevölkerung  nicht  getroffen, 
hat  in  Neustadt  noch  nicht  stattgefunden:  wenn  in  der  neuen  Neu- 
stadt bereits  die  Majorität  nur  noch  hochdeutsch  spricht,  so  erklärt 
sich  dies  auch  aus  der  Fluktuation  ihrer  Einwohnerschaft.  Da  jedoch 
in  einigen  Jahren  die  Vereinigung  von  Magdeburg  und  Neustadt  zu 
einer  Stadt  durch  Anbau  des  dazwischen  liegenden  Terrains  anheben 
wird,  so  ist  dem  Niederd.  in  Neustadt  nur  noch  eine  sehr  kurze 
Zukunft  gesichert. 


22 

Geschichte  der. Sprache  des  Magdeburger  Landes. 

Während  Magdeburg  nebst  seinen  Vorstädten  so  das  Niederd.  all- 
mählich immer  mehr  einschränkte,  hatte  das  umgebende  Gebiet  den 
gleichen  Weg  eingeschlagen,  war  aber  weit  langsamer  nachgefolgt.  Schon 
jene  das  citierte  Capitel  des  Torquatus  einleitende  Äusserung  über  das 
Niederd.  im  Erzbistum  und  der  benachbarten  Mark  im  Gegensatze 
zu  dem  früher  eben  dort  und  zu  gleicher  Zeit  in  den  weiter  nördlich 
und  westlich  gelegenen  Gegenden  Norddeutschlands  gesprochenen 
Niederd.  zeigt  hinlänglich,  dass  man  in  diesem  ganzen  Gebiete  bemüht 
war,  den  angestammten  Dialekt  möglichst  zu  Gunsten  des  Mitteid. 
einzuschränken.  Dass  auch  die  Ungebildeten  auf  dem  Lande  das 
Mitteid.  im  Verkehre  mit  Gebildeten,  Städtern  und  Mitteldeutschen 
selbst  bei  uns  schon  seit  geraumer  Zeit  sprechen,  ergiebt  sich  aus 
der  grossen  Anzahl  von  mitteld.  Elementen,  die  in  dies  Niederd.  auf- 
genommen worden  sind.  Auch  Damköhlers  Betrachtung,  der  die  starke 
Durchsetzung  mit  mitteldeutschen  Elementen  als  das  Hauptcharakteri- 
stikum  des  oberharzischen  Niederd.  im  Gegensatze  zu  dem  weiter 
nördlich,  aber  auch  weiter  westlich  gesprochenen  ansieht,  gipfelt  in 
dem  Satze,  dass  die  Aufnahme  dieser  Elemente  wohl  nicht  erst  in 
jüngster  Zeit  erfolgt  sein  könne.  War  das  frühe  Sichfestsetzen  de* 
Mitteld.  als  Gemeinsprache  auch  der  niederen  Stände  im  Magdeburger 
Lande  eine  Folge  an  der  lebhaften  Beteiligung  an  der  Reformation 
gewesen,  und  haben  wir  somit  diesen  Prozess  als  die  direkte  Fort- 
setzung der  vollständigen  Verdrängung  des  Niederd.  im  Saalgebiete 
zu  betrachten,  so  müssen  wir  auch  analog  die  Aufnahme  mitteld. 
Elemente  in  das  Niederd.  des  Oberharzes  als  die  Folge  eines  langen 
Nebengebrauches  des  Mitteld.,  diese  aber  gleichfalls  als  die  Fortsetzung 
der  Verdrängung  des  Niederd.  im  Unterharze  betrachten.  Und  wenn 
östlich  der  Elbe  sich  gleichfalls  die  Dialektgrenze  verschoben  hat, 
Torquatus  aber  für  die  Mark  Brandenburg  die  gleichen  sprachlichen 
Verhältnisse  wie  für  das  Erzbistum  Magdeburg  angiebt,  so  dürfen  wir  als 
sehr  wahrscheinlich  annehmen,  dass  auch  der  südliche  Strich  des  heute 
noch  niederdeutschen  ostelbischen  Landes  ein  gleichfalls  von  mitteld. 
Elementen  durchsetztes  Niederd.  redet,  so  dass  an  das  mitteld.  ge- 
wordene Gebiet  in  seiner  ganzen  Länge  sich  ein  vom  Mitteld.  stark 
beeinflus8ter  Distrikt  anlehnt. 

Nächst  den  Vorstädten  sind  es  die  kleinen  Städte  im  Magdeburger 
Lande,  in  denen  das  Hochdeutsch  am  meisten  an  Terrain  gewonnen 
hat.  Wanzleben  hat  sich  in  seiner  Urkundensprache  schon  sehr  früh 
an  Magdeburg  angeschlossen;  die  dort  von  mir  im  Magistratsarchive 
durchgesehenen  Urkunden  schlagen  um  1560  aus  dem  Niederd.  in  das 
Mitteld.  um.  Seit  20 — 30  Jahren  hat  die  jüngere  Generation  der 
Ökonomen  und  der  besser  situierten  Handwerker  das  Niederd.  grössten- 
teils gänzlich  abgestreift.  Ganz  analog  wie*  in  Wanzleben  scheinen 
die  letzteren  Verhältnisse  in  Egeln  zu  liegen.  Während  also  in  den 
Magdeburger  Vorstädten  die  ackerbürgerlichen,  dem  grossstädtischen 


23 

Treiben  am  fernsten  stehenden  Kreise  am  zähesten  an  Sprache  wie 
an  Lebensweise  der  Vorfahren  festgehalten  haben,  ist  es  in  den  kleinen 
Städten  gerade  die  wohlhabende  ackerbautreibende  Bevölkerung,  die 
meist  von  einem  gewissen  Geld-  und  Bildungsdünkel  beherrscht  am 
meisten  den  Gebrauch  des  Niederdeutschen  zu  meiden  sucht.  Bei 
Wanzleben  kommt  übrigens  für  die  häufige  Anwendung  des  Hochd. 
auch  der  starke  Verkehr  dieses  Punktes  mit  Magdeburg,  für  Egeln 
die  Nähe  des  mitteld.  Sprachgebietes  in  Betracht.  Ein  verhältnis- 
mässig kleineres  Terrain  scheint  die  alleinige  Anwendung  des  Hochd. 
in  dem  zwar  beträchtlich  grösseren,  aber  weiter  sowohl  von  Magdeburg 
als  auch  von  der  Sprachgrenze  entfernten  Oschersleben  zu  besitzen; 
jedenfalls  war  seine  Anwendung  in  früherer  Zeit  dort  eine  geringere 
als  in  Wanzleben  und  Egeln,  da  sein  Niederd.  weit  minder  vom  Hochd. 
als  in  diesen  Städten  beeinflusst  ist.  Noch  geringer  ist  der  Gebrauch 
des  Hochd.  in  dem  Wanzleben  an  Grösse  fast  gleichkommenden  See- 
hausen und  dem  bedeutend  kleineren  Hadmersleben,  Punkten,  die  weder 
von  Magdeburg  noch  vom  mitteld.  Gebiete  her  beträchtlich  hätten 
beeinflusst  werden  können. 

Aber  nicht  nur  in  den  kleinen  Städten,  sondern  auch  auf  den 
Dörfern  hat  die  Bildungssucht  wenigstens  bei  einer  Reihe  einzelner 
Personen  das  gänzliche  Aufgeben  des  Niederd.  als  Eigensprache  zur 
Folge  gehabt.  Winter  hat  in  seinem  kulturhistorisch  interessanten 
Aufsatze  „Über  die  Sprache  am  Zusammenflusse  der  Bode,  Saale  und 
Elbe",  Geschichtsbl.  f.  Stadt  u.  Land  Magdeb.,  Bd.  IX,  S.  98  ff.  aus- 
geführt, in  welcher  Weise  die  Verdrängung  des  Niederd.  bei  den  reichen 
Bördebauern  geschieht,  und  wie  die  Bildungssucht  derselben  in  dem 
sichtlichen  Wachstume  ihres  Wohlstandes,  der  hauptsächlich  einer 
agrarischen  Umwälzung,  der  seit  etwa  1830  erfolgten  Separation  des 
Gemeindebesitzes,  seinen  Ursprung  verdankt,  ihre  Quelle  hat. 

Durch  den  letzteren  Umstand  erhält  die  Magdeburger  Börde  in 
der  Häufigkeit  der  Anwendung  des  Hochd.  sogar  ein  Übergewicht  über 
die  sich  östlich  und  die  sich  zunächst  westlich  anschliessenden  niederd. 
Landstriche.  Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  ja  einstens, 
wenn  auch  in  ganz  unabsehbarer  Zeit,  ohne  das  Eintreten  unerwarteter 
störender  Umstände  sicherlich  erfolgende  vollständige  Ablösung  des 
Niederd.  durch  das  Hochd.  im  Magdeburger  Gebiete  am  frühesten  ein- 
treten und  von  dort  ihren  Zug  durch  ganz  Norddeutschland  nehmen  wird. 


24 


Abstufung  des  hochdeutschen  Einflusses. 

Im  einzelnen  ist  jedoch  im  Magdeburger  Lande  der  grössere 
oder  geringere  Gebrauch  des  Hochdeutschen  und  der  höhere  oder 
niedrigere  Grad  der  daraus  resultierenden  Dialektmischung  noch  ein 
sehr  verschiedener.  Drei  Arten  von  Strömungen  sind  es,  die  sich  auf 
das  Gebiet  von  verschiedenen  Seiten  her  geltend  machen  und  durch 
ihre  vielfachen  Kreuzungen  das  Bild  der  Abstufung  des  hochdeutschen 
Einflusses  zu  einem  sehr  komplizierten  gestalten.  Die  stärkste  dieser 
Strömungen  geht  vom  mitteldeutschen  Gebiete  selbst,  eine  minder 
starke  von  Magdeburg  aus;  bedeutend  schwächer  sind  diejenigen,  die  in 
den  kleinen  Städten  Wanzleben,  Egeln,  Oschersleben  ihre  Quellen  haben. 

Magdeburg  hat  erstens  nicht  nur  seinen  Vorstädten,  sondern 
auch  den  nächst  gelegenen  Dörfern  eine  grosse  Menge  hochdeutscher 
Elemente  zugeführt,  zweitens  aber  dem  vom  mitteldeutschen  Gebiete 
ausgehenden  Strome  eine  Grenze  gesetzt  d.  h.  durch  seinen  Verkehr 
mit  Mitteldeutschland  und  durch  den  Vorzug,  den  es  der  hochdeutschen 
Sprache  von  jeher  gab,  überhaupt  möglich  gemacht,  dass  diese  Strömung 
ununterbrochen  bis  zu  ihm  selbst  dringen  oder  vielmehr  mit  der  von 
ihm  selbst  ausgehenden  zusammenfliessen  konnte.  Denn  westlich  von 
Magdeburg  ist  der  mitteldeutsche  Einfluss  viel  weniger  weit  oder  doch 
in  weit  geringerem  Masse  nach  Norden  gedrungen.  Man  ersieht  die 
Kreuzung  der  beiden  Strömungen  aus  dem  Umstände  am  deutlichsten, 
dass  sich  das  Mass  des  hochd.  Einflusses  in  dem  Niederd.  der  Mag- 
deburg nächst  umgebenden  Dörfer  zugleich  nach  der  Entfernung  und 
nach  der  Himmelsrichtung  von  Magdeburg  aus  bestimmt.  Am  stärksten 
ist  das  Niederd.  in  dem  nächstgelegenen  Lemsdorf,  ein  wenig  schwächer 
in  Fermersleben,  fast  ebenso  in  den  doch  weiter  von  Magdeburg  ent- 
fernt gelegenen  Salbke  und  Westerhüsen,  wieder  ein  wenig  schwächer 
in  Kl.  Ottersleben  und  noch  etwas  schwächer  in  Gr.  Ottersleben  vom 
Hochd.  durchsetzt.  Demnächst  ist  der  betreifende  Einfluss  in  Diesdorf 
am  stärksten,  dem  jedoch  derjenige  in  den  viel  weiter  entfernten,  aber 
auf  der  Kreuzungslinie  gelegenen  Beiendorf,  Sohlen  und  Dodendorf 
nur  wenig  nachsteht.  Dass  die  von  Mitteldeutschland  ausgehende 
Strömung  nicht  weiter  nördlich  als  höchstens  bis  Diesdorf  gelangt  ist, 
zeigt  sich  an  dem  Umstände,  dass  Rothensee,  direkt  nördlich  von 
Magdeburg  und  nur  der  Neustadt  näher  gelegen,  das  westlich  liegende, 
aber  der  Stadt  als  Gesammtkomplex,  d.  h.  die  Vorstädte  eingerechnet, 
ferner  gelegene  Olvenstedt  an  Durchsetzung  seines  Dialektes  mit  hochd. 
Elementen  übertrifft,  während  es  Diesdorf  darin  noch  nachsteht.  Der 
Abstand  zwischen  Ebendorf  und  Olvenstedt  in  dem  betreffenden  Punkte 
ist  sodann  ein  ganz  bedeutend  grösserer  als  selbst  derjenige  zwischen 
Olvenstedt  und  Diesdorf.  Mit  Olvenstedt  etwa  gleich  mögen  die  unter 
sich  kaum  verschiedenen  Osterweddingen,  Sülldorf,  Welsleben  stehen. 
Gering  ist  der  Abstand  des  Dialektes  dieser  Dörfer  in  dem  betreffenden 
Punkte  von  demjenigen  von  Langenweddingen,  Bahrendorf,  Stemmern, 


25 

Altenweddingen,    hinter    denen    wieder    Schwaneberg,    Wolmirsleben, 
Tarthun  ein  wenig  zurückstehen. 

Wir  sehen  also  in  der  Abnahme  des  hochdeutschen  Einflusses 
neben  der  Richtung  von  Süden  nach  Norden  deutlich  eine  solche  von 
Osten  nach  Westen  gehen.  Ursache  ist  freilich  nicht  allein  Magdeburg, 
sondern  auch  die  nach  Westen  hin  zunehmende  Neigung  der  Dialekt- 
grenze nach  Süden. 

In  analoger  Weise  haben  Egeln  und  Wanzleben  das  besprochene 
Kreuzungsgebiet  wieder  durch  kleinere  Strömungen,  die  von  ihnen  aus- 
gingen, in  bestimmte  Grenzen  gewiesen.  Zwar  haben  beide  Punkte 
nicht  vermocht,  wie  Magdeburg  in  der  Weise  Einfluss  zu  üben,  dass 
die  Mundarten  der  ihnen  nächstgelegenen  Dörfer  sich  ganz  beträchtlich 
von  denen  der  ihnen  weiter  entfernten  abheben;  wohl  aber  haben  sie 
es  wiederum  ermöglicht,  dass  die  Hauptmasse  der  von  der  mittel- 
deutsch-magdeburgischen Strömung  getragenen  hochdeutschen  Elemente 
bis  zu  den  Linien  Magdeburg — Wanzleben  und  Wanzleben — Egeln  fort- 
geschwemmt wurde.  Nordöstlich  der  erstem  Linie  wird  die  Zahl  dieser 
Elemente  plötzlich  eine  ganz  bedeutend  geringere.  Etwas  weniger 
scharf  prägt  sich  dieser  Unterschied  zwischen  den  Distrikten  westlich 
und  östlich  der  zweiten  Linie  aus,  eine  Eigentümlichkeit,  die  wohl  in 
der  Hauptsache  dadurch  veranlasst  ist,  dass  westlich  dieser  Linie  der 
von  Mitteldeutschland  ausgehende  Einfluss  an  sich  noch  wirken  konnte. 
Dazu  kommt  auch  wohl,  dass  der  Verkehr  zwischen  den  Gebieten 
nordwestlich  und  südöstlich  der  Linie  Wanzleben — Magdeburg  bei  dem 
leeren  Zwischenräume  zwischen  den  Dörfern  Gr.  Ottersleben,  Oster- 
weddingen,  Langenweddingen,  Schleibnitz  ein  etwas  eingeschränkterer 
sein  muss.  Das  Dorf  Schleibnitz,  welches  gerade  auf  jener  Linie  liegt, 
bildet  eine  Art  Übergangsstufe.  Östlich  der  Linie  Wanzleben — Egeln 
ist  ein  derartiges  leeres  Gebiet  nicht  vorhanden,  da  die  noch  streng 
zum  Kreuzungsgebiete  gehörigen  Schwaneberg  und  Wolmirsleben  jener 
Linie  ganz  nahe,  Bottmersdorf  und  Bleckendorf  fast  auf  derselben  liegen. 

Am  deutlichsten  zeigt  sich  die  Abgrenzung  des  Kreuzungsgebietes 
in  dem  Laufe  der  Grenze  zwischen  anlautenden  äp,  §t  und  sp,  st. 
Dieselbe  geht  zunächst  im  ganzen  südwestlich,  indem  sie  Rothensee, 
Diesdorf,  Kl.  und  Gr.  Ottersleben,  Osterweddingen,  Brelitz  als  die 
nordöstlichsten  Punkte  mit  §p,  §t  erscheinen  lässt,  macht  aber  sodann 
um  Wanzleben  eine  scharfe  Biegung  nach  Süden  und  läuft  so  direkt 
bis  Egeln.  Nur  in  dem  fast  auf  jener  Linie  gelegenen  Bottmersdorf 
sprechen  heute  die  Kinder  meistens  auch  schon  §p  und  ät.  Zwar  hat 
man  nun  im  allgemeinen  zuzugeben,  dass  jene  Grenze  überhaupt  in 
ganz  Norddeutschland  in  einem  fortwährenden  Vordringen  nach  Osten 
und  Norden  begriffen  ist;  aber  die  Thatsache,  dass  in  allen  Ortschaften, 
die  einmal  äp  und  §t  angenommen  haben,  auch  die  ältesten  Leute 
dasselbe  sprechen,  in  den  übrigen  aber  grösstenteils  noch  nicht  einmal 
die  Kinder,  macht  es  doch  zur  Gewissheit,  dass  dieser  Grenze  an 
jenen  nicht  zufälligen  Linien  wenigstens  für  eine  Zeit  lang  Halt  ge- 
boten wurde. 


26 

Etwas  weiter  ist  die  Grenze  von  niederd.  anl.  Sl,  Sm,  Sn,  §r  für 
ursprüngliches  sl,  sm,  sn,  sv  verschoben.  In  der  Nordhälfte  unseres 
Gebietes  haben  es  jenseits  der  eben  besprochenen  Grenze  nur  noch 
das  nicht  mehr  zum  Kreuzungsgebiete  gehörige,  aber  von  Magdeburg 
aus  direkt  beeinflusste  Olvenstedt  und  das  auf  der  Linie  Magdeburg — 
Wanzleben  gelegene  Schleibnitz.  Südlich  von  Wanzleben  macht  aber 
diese  Linie  eine  Biegung  nach  Westen,  die  offenbar  durch  den  EinHuss 
der  Stadt  Oschersleben  veranlasst  worden  ist.  Die  gesammten  in  dem 
Dreieck  Wanzleben — Oschersleben — Egeln  gelegenen  Dörfer  haben  anl. 
sl,  Sm,  Sn,  Sv  in  ihr  Niederdeutsch  aufgenommen,  auch  das  auf  der 
Linie  Oschersleben — Egeln  gelegene  Westeregeln.  In  dem  aus  einer 
Dorf-  und  einer  sehr  kleinen  Stadtgemeinde  bestehenden  Hadmersleben 
wird  noch  von  der  mittleren  Generation  sl,  sm,  sn,  sv,  von  den  Kindern 
dagegen  bereits  Sl,  Sm,  Sn,  Sv  im  Niederd.  gesprochen.  Hier  hat  sich 
also  die  Grenze  des  Gebietes  mit  Sl  u.  s.  w.  nicht  wie  sonst  nach 
Nordwesten,  sondern  direkt  nach  Südwesten  vorgeschoben.  So  sehr 
kann  auch  die  Richtung  des  Vordringens  einer  Sprachneuerung  unter 
dem  Einflüsse  bestimmter  kultureller  Faktoren  in  eine  andere  Bahn 
als  die  ursprüngliche  gelenkt  werden. 

Innerhalb  des  von  Wanzleben,  Egeln  und  Oschersleben  um- 
schlossenen Dreiecks  macht  sich  eine  schwache  Abnahme  der  hoch- 
deutschen Elemente  im  Niederd.  nach  Norden  sowohl  wie  nach  Westen 
bemerklich.  In  der  letzteren  Richtung  haben  wir  noch  einen  Einfluss 
der  beiden  ersteren  Städte  zu  sehen,  die  ja  auch  selbst,  wie  gesagt, 
ein  weit  mehr  vom  Hochd.  durchsetztes  Niederd.  als  Oschersleben  reden. 

Nördlich  der  Linie  Wanzleben — Oschersleben  wird  die  Abnahme 
der  hochdeutschen  Elemente  wieder  eine  bedeutendere.  Ursache  ist 
ausser  dem  Aufhören  der  Wirksamkeit  von  Egeln  und  der  grösseren 
Entfernung  von  der  mitteldeutschen  Grenze  wiederum  das  Bestehen 
eines  grösseren  leeren  Vierecks  zwischen  Bottmersdorf,  Pesekendorf, 
Ampfurth,  Kl.  Wanzleben  und  infolgedessen  ein  verhältnismässig 
schwächerer  Verkehr. 

Jenseit  der  Linie  Magdeburg — Wanzleben — Oschersleben  sind 
sodann  die  hochdeutschen  Elemente  überhaupt  nur  noch  schwach  ver- 
treten und  in  einer  ganz  allmählichen  leisen  Abnahme  nach  Westen 
und  Norden  begriffen.  Auch  die  Grenze  des  Gebietes  der  labial- 
palatalen  Vokale  ft,  5,  fi,  8,  die  im  grössten  Teile  unseres  Bezirkes 
durch  Lippenentrundung  in  l,  e,  i,  e  infolge  mitteldeutschen  Einflusses 
übergegangen  sind,  zieht  sich  im  ganzen  von  Nordosten  nach  Süd- 
westen, ist  also  nach  Nordwesten  im  Vordringen  begriffen.  Auffallend 
ist  nur  die  Ausbuchtung  um  Olvenstedt.  Wenn  das  fast  direkt  nördlich 
von  Gr.  Rodensieben  gelegene  Hemsdorf  jene  Vokale  gleichfalls  ent- 
rundet hat,  so  ist  diese  Erscheinung  dadurch  erklärlich,  dass  Hemsdorf 
erst  unter  Friedrich  d.  Gr.  von  Pfälzern  angelegt  wurde,  die,  wie  noch 
heute  ältere  Eingeborene  dort  in  Erinnerung  haben,  noch  lange  ihren 
Heimatsdialekt   neben   dem   Niederd.    sprachen.     Dass  Seehausen   als 


27 

Stadt  sich  der  von  Mitteldeutschlund  kommenden  Strömung  ange- 
schlossen hat,  ist  hegreiflich. 

Am  wenigsten  in  unserem  Gebiete  ist  der  Dialekt  seines  nord- 
westlichsten Punktes,  Druxberge,  vom  Hochd.  beeinflusst.  Hier  haben 
einzig  noch  die  Kinder  die  nd.  Formen  der  Zahlwörter  beibehalten, 
die  fast  überall  durch  die  hochd.  ersetzt  worden  sind.  Es  heisst  hier 
also :  ains,  tve,  drai,  fair,  fif,  zes,  zemm,  axt,  nejii,  tain  u.  s.  w.  gegen- 
über ains  oder  ens,  tsvai  oder  tsve,  drai,  fir,  flmf,  zeks,  zimm,  axt, 
noin  oder  nain,  tsen  im  ganzen  übrigen  Gebiete.  Nur  in  Drakenstedt, 
Dreileben  und  auch  in  Oschersleben  sind  die  ursprünglich  niederd. 
Zahlformen  wenigstens  noch  bei  den  meisten  Erwachsenen  im  Gebrauch. 

Nachdem  ich  im  Vorstehenden  bereits  die  Belege  für  meine  Be- 
hauptungen hinsichtlich  der  Abstufung  des  mitteldeutschen  Einflusses 
soweit  gegeben  habe,  als  sie  abgesehen  von  der  Veränderung  der 
Zahlformen  rein  lautliche  Neuerungen  betreffen,  stelle  ich  nunmehr 
zur  Veranschaulichung  jener  Abstufung  auch  im  kleinen  eine  Reihe 
lautlich- funktioneller  Neuerungen  zusammen.  Zu  bemerken  ist  nur 
noch,  dass  Striche,  die  im  ganzen  weniger  mitteldeutsche  Elemente 
als  andere  entlehnt  haben,  in  einzelnen  Fällen  zu  diesen  sehr  wohl 
im  umgekehrten  Verhältnisse  stehen  können.  Wo  jedoch  unter  den 
folgenden  Beispielen  Domersleben  und  Hohendodeleben  die  nd.  Formen 
erhalten,  gilt  das  Gleiche  auch  für  sämmtliche  nordwestlich  gelegenen 
Punkte;  wo  hingegen  Langenweddingen  und  Osterweddingen  die  nd. 
Formen  durch  eine  mitteldeutsche  ersetzt  haben,  beansprucht  dasselbe 
Verhältnis  auch  für  das  ganze  südöstlich  gelegene  Gebiet  Geltung. 
Ich  habe  die  folgenden  Formen  meist  aus  dem  Munde  von  Kindern 
im  Alter  von  12 — 14  Jahren  gesammelt;  für  das  Schiffer-Magdeburgisch 
sowie  für  die  Neustadt  und  Sudenburg  standen  mir  jedoch  nur  ältere 
Leute  von  mindestens  50  Jahren  zu  Gebote.  Dennoch  zeigt  sich  hier 
eine  noch  grössere  Zersetzung  der  ursprünglichen  Mundart  durch 
fremde  Elemente  als  selbst  bei  den  Kindern  in  den  Magdeburg  nächst- 
gelegenen Dörfern. 

1)  Aufnahme  stofflicher  Elemente. 

a)   ts  für  t. 

Dbg.,  OsM.:  harta  (Herz).  Gr.  Bdl.:  harta  =  hartsa.  SÄ.,  KL  Wzl,  Kl. 
GmL,  Bmd.,  Wzl,  Dml,  Hdd.,  Ndd.t  Ovs.,  Kl.  (Ml,  Gr.  Oll  nebst  allen  südöstlich 
von  diesen  Punkten  gelegenen  Dörfern:  hartsa. 

Gr.  BdL,  8h.,  KL  Oschl,  KL  Gml,  Wseg.,  Eg.,  Tth.,  Wtnl.,  Schnb.,  Bmd.. 
Wzl.,  Schutz.,  Lwd.,  Owd.,  Gr.  Otl:  holt  (Holz).  Ebd.:  olt  (h  lautgesetzl.  ge- 
schwunden). Lmd.:  holt  =  holts.  Seh.- Mb.:  holts.  Gr.  Bdt.:  höltn.  Sh.,  Kl. 
OscM.,  Kl.  Gml,  Dml,  Hdd.:  heltn  (hölzern).  Gr.  OH.:  heltn  =  heltsrn.  Ovs., 
Dsd\:  heltsrn.    Sch.-Mb.:  heltsRn. 

Dbg.,  Dks.,  Dl,  Gr.  BdX.:  hita  (Hitze).  Dml.,  Wzl,  Lwd.,  Owd.,  Ddd.,  Gr. 
OÜ.,  Imd.,  Fml,  Wh.  und  alle  südlich  von  diesen  Punkten  gelegene  Dörfer:  hitsa 
(so  auch  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.). 

Dbg.,  Gr.  BdL:  net  (Netz).  Wzl,  Dml,  Hdd.,  Ovs.,  Ns.  und  weiter  süd- 
östlich: nets. 


28 

Dbg.:  frtSrn  (verzehren).  Ebd.;  frtsem.  Ns.,  Sch.-Mb.,  Sdb.:  frtseRn.  ÄAi., 
Wh.,  Sk.,  Fml:  frtsern. 

Dbg.,  Oschl:  tvern  (Zwirn).     Sh.:  tsvern.     Kl.  Oschl.,  Wzl,  Gr.  Oti.,  Wh.    • 
und  von  diesen  südöstlich:  tsvern.    Sch.-Mb.,  Ns.,  Sdb.:  tsveRn  (Kontaminationen).    | 

Gr.  Bdl,  Ebd.:  boltn  (Bolzen).    Sch.-Mb.:  boltsn.  » 

Dbg.,  Sh.t  Gr.  Bdl,  Oschl.,  Kl.  Oschl.,  Aid.,  Psd.,  Kl.  Gml,  Bmd., 
Kl.  Wzl.,  Wzl,  Schntz.,  Dml,  Hdd.:  kata  (Katze).  Wseg.:  kata,  selten  katsa. 
Etgl,  Bckd.:  kata  =  katsa.  Eg.,  Tth.,  Wml,  Äwd.,  Stm.,  Brd.t  Wsl.,  Sdf.,  Ddd, 
Sl.,  Bed.,  Lmd.,  Wh,  Sk.y  Fml,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.:  katsa.    Bihs.:  kata  =  katsa. 

Gr.  Bdl.,  Dml,  Wzl,  Schntz.,  Lu>d.,  Owd.,  Ddd.,  Sl,  Bed.,  Lmd.,  Wh.,  Bths.: 
frata  (Warze).    Sch.-Mb.:  fRatsa  (Kontamination).    Kl  Oschl,  Etgl,  Bckd.,  Eg.:    \ 
frata  =--  vörtsa  (vörtsa  stets  im  Hochdeutschen).    Sdb.:  fRata  =  fRatsa   (vöRtsa 
*Bru  st  warze'^ 

Gr.  Bdl.,  Wzl,  Dmlt  Bths.:  vaitn  (Weizen).    Sch.-Mb.:  v6tsn. 

Gr.  Bdl,  Wzl,  Dml:  milta  (Milz).    Sch.-Mb.:  miltsa. 

Gr.  Bdl.,  Oschl.,  Kl  Oschl,  Sh.,  Schk.,  Äpf.,  Bkl.,  Kl  Wzl,  Kl  Gml.9  Dml., 
Hdd.,  Ovs.,  Ebd.:  timrn  (zimmern).  Ddd.,  Lmd.,  Fml,  Sk.,  Wh.:  tsimra.  Sdb., 
Sch.-Mb.:  tsimRn. 

Gr.  Bdl.:  töjl  (Zügel).  Kl.  Gml,  Hdd.,  Dml:  tejl.  Ovs.:  töjl  =  tsüjL 
Wzl,  Sch.-Mb.:  tsljl. 

Sh.,  Gr.  Bdl.,  Kl  Gml:  taila  (Ziegel).  Wzl,  Owd.,  Gr.  OH,  Kl  OÜ.,  Ebd.: 
taijl.  Bths.:  tejl  (lautges.).  Wh.:  tsijl  (bei  alten  Leuten  töjl).  Sch.-Mb.:  tsejl 
(Kontam.). 

Gr.  Bdl:  grüta  (Grütze).     Wzl:  jritsa.    Sch.-Mb.:  jRitsa. 

Dbg.,  Gr.  Bdl:  tvispalt  (Zwiespalt).    Kl.  Bdl.,  Dml,  Hdd.,  Ndd.:  tevispalt. 

Gr.  Bdl.,  Dml.,  Wzl:  tön  (Zahn).    Sch.-Mb.:  tsön. 

Gr.  Bdl.,  Dml.,  Wzl:  tön  (Zeh).    Sch.-Mb.:  tsön  (Kontam.). 

Gr.  Bdl.,  Wzl,  Dml,  Bths.:  taikn  (Zeichen).    Sch.-Mb.:  ts6xn. 

Oschl,  Sh.t  Gr.  Bdl,,  Dml.,  Hdd.,  Ndd.,  Ovs.,  Dsd.,  Lwd.,  Kl  Gml,  Bmd.: 
Bvet  (Schweiss)  (Svet),  svetn  (schwitzen)  (§vetn).  Wzl,  Eg.,  Ddd.,  Bed.,  SL,  Kl 
OU.,  Lmd.,  Sk.,  Wh.,  Fml,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.:  Svits  (Kontam.),  Svitsn. 

b)  s  für  t. 

Gr.  Bdl.,  Dml,  Hdd.,  Ovs.,  Schk.,  Äpf.,  Kl.  Wzl:  grötfodr  (Grossvater), 
grötmutr  (Grossmutter).  Oschl,  Kl.  Oschl.,  Gr.  Chnl,  Kl  Gml:  grösfodr,  grösmutr. 
Wzl,  Lwd.,  Owd.,  Ddd.,  Lmd.,  Wh.  u.  s.  w.:  jrösfodr,  jrösmutr. 

Gr.  Bdl.,  Hml.,  Wzl,  Lwd.,  Owd.,  Ovs.:  öwat  (Obst).  Sdf.,  Bed.,  Fml: 
öwast  (Kontam.).    Eg.:  öpst. 

Gr.  Bdl,  Sh.,  Kl.  Oschl.,  Etgl,  Schnb.,  Owd.,  Bths.:  barwat  (barfuss).  Wsl: 
barftix  (Weiterbildung  von  der  nd.  Form).  Oschl:  barwat  =  barwas  (miUeUL). 
Ns.:  baRwast  (Kontam.). 

Gr.  Bdl.,  Sh.,  Oschl,  Kl.  Oschl,  Psd.,  Kl.  Wzl,  Hml,  Wzl,  Eg.,  Lwd., 
Stm.,  Bed.,  Wsl,  Fml,  Lmd.,  Kl  OÜ.:  vit  (weiss).     Sch.-Mb.,  Ns.:  vais. 

Gr.  Bdl.,  Sh.,  Dml,  Hdd.,  Kl.  Gml,  Bmd.,  Wzl,  Lwd.,  Ovs.,  Ndd.:  jota 
(Gosse).     Owd.,  Ddd.,  Bed.,  Fml,  Lmd.,  Sch.-Mb.,  Ns.:  josa. 

Dbg.:  krewat  (Krebs).  Dl,  Gr.  Bdl.:  kreps  (doch  krewat  noch  Name  der 
Krankheit).  Ebd.:  kreps  (krewat  noch:  schmerzende  Stelle,  wo  man  jemanden  ge- 
kniffen hat).  Wzl,  Kl.  Oschl,  Wseg.,  Tth.,  Eg.,  Lwd.,  Owd.  u.  s.  w.:  kreps. 
Ns.:  kReps. 

c)  f  für  p. 

Gr.  Bdl,  Dml,  Hdd.:  plöstr  (1.  Wundpflaster,  2.  Strassenpflaster).  Sh., 
Wzl,  Bmd.,  Ddd.:  plöstr  (Wundpflaster),  plastr  (Strassenpflaster;  wohl  Kontami- 
nation mit  hochd.  flastr).  Ndd.,  Dsd.,  Ovs.,  Lmd.:  plöstr  (Wundpflaster),  flastr 
(Strassenpflaster).  Ebenso  Ns.,  Sch.-Mb.,  Sdb.:  plöstR  (Wundpflaster),  flastR 
(Strassenpflaster). 

Gr.  Bdl,  Dml,  Hdd.:  laif  (heb).  Ovs.,  Dsd.,  Wh.,  Sk.9  Fml,  Lmd.,  Sch.- 
Mb.:  lip. 

Gr.  Bdl.,  Dml,  Hdd.,  Ndd.:  hemp  (Hanf).    Kl  Gml.:  henap.     Ovs.:  hemf 


2» 

(Kontam.)  =  hamf.  Ddd.,  Bed.f  Kl.  OÜ.,  Lmd,  Wh.,  Sdb.,  Sek.- Mb.,  Dsd, 
Bths.:  hamf. 

Gr.  BcU.,  Dml,  Hdd.,  Ndd.,  Wzl:  zemp  (Senf).  Kl  Gml:  zenap.  Ovs.: 
zemp  =  zemf.    Ddd.,  Bed,  KL  Otl,  Lmd,  Wh,  Sdb.,  Sch.-Mb.f  Dsd.,  Bths.:  zemf. 

Gr.  Bdl,  Dml.  Hdd.,  Wzl,  Bmd.,  Bckd.,  Eg.,  Tth ,  Wml,  Schub.,  Ebd.: 
köpman  (Kaufmann).  Stm.:  köpman  =  köfman.  Brd.,  Wal,  Gr.  Otl.,  Lmd ,  Wh., 
Sch.-Mb.,  Ns.,  Bths.:  köfman. 

Gr.  Bdl.,  Dbg.:  hcmprliuk  (Hänfling).  Wzl:  hemfrliBk  (Kontam.).  Ovs.: 
hemprliak  =  hemflisk.     Lmd.:  hemtüßk. 

d)   y  oder  x  für  k. 

Dbg.,  Dks.,  Gr.  BcU.:  höwik  (Habicht).  Ndd.:  höwix  (Kontam.).  Sh.:  höwix 
=  höwixt.  Oschl,  Kl  Oschl.,  Kl  Gml.,  Kl  Bdl,  Wzl,  Eg.,  Tth.,  Lwd.,  Owd., 
Ddd.,  Kl  OÜ.,  lmd.:  höwixt. 

Gr.  Bdl.,  Ovs.,  Ebd.:  dröka  (femin.;  Papierdrachen).    Wzl:  draxn  (mascul.). 

Gr.  Bdl.,  Wzl,  Dml:  dirik  (Dietrich).  Ddd.,  Fml.:  didarix  (Kontam.). 
Sch.-Mb.:  didaRix- 

Dbg.:  aikr  (Eichhörnchen).  Dl,  Gr.  Bdl:  aikr  =  aixörnxn.  Wzl,  Ebd., 
Ovs.:  aixorn  (doch  in  Wzl  aikr  noch:  1)  Rotkopf,  2)  Hund  von  rotgelber  Farbe). 
Eg.,  Tth.:  aixernxn.  Ld.:  aikornxn  (Kontam.).  Bths.:  aiketsxn  (d.  i.  „Eichkätzchen"; 
Kontam.). 

Gr.  Bdl.,  Dml.,  Hdd.,  Ndd.,  Kl  Gml,  Bmd.,  Wzl,  Eg.,  Gr.  Otl,  Fml, 
Dsd.,  Ovs.:  ISraka  (Lerche).    Lmd.:  leraka  =  larx».     Na.:  leRaka  =  laRxa. 

Gr.  BcU.:  flaukB  (fluchen).    Sch.-Mb.:  flüxn. 

Gr.  Bdl.:  fök  (Fach).    Sch.-Mb.,  Bths.:  fax. 

e)   t  für  d. 
Dl,  Gr.  Bdl.,  Oschl.,  Kl.  Gml,  Bmd,  Wzlt  Dml.,  Hdd.,  Ndd,  Stm.,  Brd., 
Bckd.:  dtr  (Kontam.;  doch  meist  noch  dairt  als  Schelte).    Ebd.:  tfr  (doch  olas  dir 
und   olas  dair  (altes  Tier)  als  Schelte).     Sdf.,    Wsl,    Wh.,  Sk.,  Fml,   Lmd.:  tfr. 
Sch.-Mb.:  tlR. 

f)  Vereinzelte  konsonantische  Ersetzungen. 

Gr.  Jß<M.:Ahenx  (Hering)  (-ing  aus  -ix  für  das  ganze  Gebiet  lautges.,  da  es 
überall  heisst  Ostrvedix  u.  s.  w.  =  Osterweddingen).  Oschl.:  herix-  Ovs.:  6rija 
(ursprüngl.  Plural;  h  im  Anl.  lautges.  geschwunden).  Ebd.:  £rix,  doch  plur.  erina. 
Sh.,  Kl.  Oschl:  herix  =  herink.  Dml,  Hdd.:  h£rix  =  heriak.  Wzl,  Awd.,  Gr. 
OÜ.,  Lmd.,  Wh.,  Fml,  Bths.:  heri»k.     Ns.,  Sch.-Mb.,  Sdb.:  heRiak. 

Dbg.,  Gr.  Bdl:  büsa  (Büchse).    Oschl,  Bths.:  bisa  =  biksa.    Wzl,  Ns.:  biksa. 

Gr.  Bdl.,  Wzl:  flas  (Flachs).     Lmd.:  flaks  (ober  z.  B.  osa  Ochse). 

Gr.  Bdl,  Oschl.,  Kl  Gml.,  Wzl,  Owd:  dfsl  (Distel).  Ddd.,  Ovs.:  dfsl  = 
distl.      Wh.:  dfstl. 

Dbg.,  Gr.  Bdl,  Dml,  Hdd:  mön  (Mond).  Oschl.,  Sh.,  Owd.,  Ddd.,  Lmd, 
Fml.,  Sch.-Mb.:  mönt  (doch  in  letzteren  Ortschaften  meist  noch:  möngfn  Mondschein). 

Dbg.,  Gr.  Bdl.:  ern  (Ernte).  Kl.  Oschl,  Etgl,  Tth.,  Sdb.:  ern  (lautgesetzlich 
unterschieden).  Sh.:  6rn  =  6rnda  (Kontam.  und  Lautübertragung).  Oschl:  ernt 
(Kontam.).  Ebd.:  £rn  =  arnta.  Ns.:  eRn  =  eRnta  (Kontam.).  Sch.-Mb.:  aRnta 
(im  Hochd.  allgemein  übliche  Form). 

Dbg.,  Sh.,  Senk.,  Apf.,  Gr.  BcU.,  Dml:  gaus  (Gans).  Hdd.:  gans.  Kl  Gml, 
Etgl,  Wseg.,  Eg.,  Tth.,  Wml,  Schnb.,  Bmd.,  Wzl,  Schutz.,  Lwd.,  Awd,  Owd., 
Ddd.,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns ,  Ebd.:  jans  (in  Wzl  noch  scherzhaft:  jaus). 

Kl  Gml,  Kl  Wzl,  Gr.  Bdl,  Dml,  Hdd,  Ovs.,  Owd.:  svöleka  (Schwalbe). 
Wzl,  Eg.,  Tth,  Sch.-Mb.:  Svalwa.    Bths.:  ävelaka  (umgelautet)  =  Svalwa. 

Sh.,  Gr.  BcU.,  Dml.,  Hdd.,  Ndd.,  Ovs.,  Dsd.,  Lmd,  Kl  Otl,  Gr.  Otl,  Ddd., 
Owd.,  Lwd.,  Awd.,  Schntz.,  Bmd.,  Kl  Gml.,  Kl  Wzl:  born  (Brunnen).  Ns.,  Sch.- 
Mb.,  Sdb.:  bRunn.    Bths.,  Fml,  Sk.,  Wh.,  aber  auch  Wzl  u.  Oschl:  brunn. 

g)   Tonlängung  aufgehoben. 

Sh.,  Gr.  Bdl.,  Kl.  Oschl.,  Kl  Gml,  Wzl,  Dml,  Hdd.,  Ndd,  Bths.,  Ddd., 
Owd.,  Lwd.,  Wh.:  dorn  (Dorn).  Eg.:  dorn  =  dorn.  Dsd.,  Kl.  Otl,  Gr.  Otl:  dorn, 


Gr.  Udl,  Kl.  Gml.,  Dml,  Edd.:  körn  (Korn).  WzL,  Ddd.,  Kl.  OtL,  Lmd., 
Fml.,  Wh.,  Rths.:  körn.  Sdb.:  koRn.  Oos.:  körn  (Kollektivbegriff)  u.  körn  (ein- 
zelnes Korn).  Die  Verbreitung  von  dorn  zeigt,  dass  auch  die  lautlich  parallel 
gehende  Form  körn  einst  weiter  als  jetzt  geherrscht  haben  u.  körn  aus  dem  Hochd. 
aufgenommen  sein  muss.   Analog  kann  es  sich  nur  mit  dem  folgenden  Worte  verhalten. 

Gr.  Bdl.:  hörn  (Hörn;  urspr.  umgelauteter  Plural).  KL  Gml.,  Hdd.,  Dml: 
hern  (lautges.  =  hörn).  Ovs. :  hörn  =  hörn.  Oschl. :  hern  =  hörn  (urspr.  niederd. 
Sing.).  WzL,  Ddd.,  Kl.  OtL,  Gr.  OU.,  Lmd.,  Fml.,  Rths.,  doch  auch  Sh.:  hörn. 
Sdb.:  hoRn. 

Gr.  Bdl.,  Kl.  Gml.,  Rths.:  hömr  (Hammer).  Wh.:  hömr  =  hamr.  WzL:  hamr. 

Gr.  Rdl.,  Kl.  Gml.,  WzL:  höml  (Hammel).  Rths.,  Fml.,  Wh.:  höml  =  haml. 
Besonders  die  allgemeine  Verbreitung  der  Form  kömr  (Kammer)  über  das  ganze 
Gebiet  zeigt,  dass  die  lautlich  sich  entsprechend  verhaltenden  Formen  höml  und 
hömr  einst  gleichfalls  über  unser  ganzes  Gebiet  verbreitet  waren. 

h)   i  für  e  oder  ai  aus  westgerm.  eo. 

Gr.  Rdl.,  Oschl.,  Tth.,  Schnb.,  Owd.,  Gr.  OtL:  naira  (Niere).  Rths.:  nera 
(lautges.).     Ns.:  n£Ra  (lautges.).    Bed.,  Sh.,  WzL:  nfra. 

Gr.  Rdl.,  Oschl.,  KL  Gml.,  Dml.,  Hdd.,  Ovs.,  Tth.:  frairn  (frieren).  Rths.: 
frern.  Ns.:  fRIRn.  Sh.,  Gr.  OU.:  frairn  =  frlrn.  WzL,  Ddd.,  KL  OtL,  Lmd.. 
Wh.:  frlrn. 

Gr.  RdL,  Oschl.,  KL  Gml.,  Dml.,  Hdd.,  Ovs.,  Schnb.,  Tth.:  frlairn.  Bths.: 
frlern.  Ns.:  fRURn.  Sh.,  Gr.  OtL:  frlairn  =  frlirn.  Wzl,  Ddd.,  KL  OU.,  Lmd., 
Wh.,  Dsd.:  frlirn. 

Gr.  Rdl,  Oschl.,  Sh.,  Dml.,  Hdd.,  Ndd.,  Ovs.,  Dsd.:  bair  (Bier)  (doch  überall 
schon:  zaidl  bir  Seidel  Bier,  bairs  bir  bairisch  Bier).  Rths.:  b£r.  WzL,  Lmd., 
KL  OtL,  Fml.,  Wh.:  bir.    Sch.-Mb.:  biR. 

Gr.  Bdl.,  Sh.,  Ebd.:  dainn  (dienen).  Bths.:  de*nn.  Kl.  OU.,  Lmd.,  FmL, 
Wh.:  dinn. 

i)  i  für  e  oder  e  =  tonlang  i. 

OsM.,  Gr.  Bdl.,  Kl.  Gml.,  Bmd.,  Dml,  Hdd.,  Ndd.,  Lad.:  tafren  (zufrieden). 
WzL,  Ddd.:  tafrSdn.  Gr.  Otl.,  KL  OtL,  Lmd.,  Fml.,  Wh.,  Dsd.,  Oos.,  Sdb.,  Seh- 
Mb.,  Ns.:  tafrtdn  (Kontam.).  6  ist  lautgesetzliche  Vertretung  des  tonlangen  ur- 
germ.  i  z.  B.  st£l  oder  8t61  (Stiel;  vgl.  ahd.  Stil),  spei  oder  £p£l  (Spiel;  vgl.  ahd. 
spil),  föl  (viel;  vgl.  ahd.  filu),  bera  (Birne;  vgl.  ahd.  bira);  nur  unmittelbar  an  der 
Elbe  herrscht  dafür  teilweis  e  z.  B.  FmL:  Speln,  Stel,  föl,  b6ra,  Sch.-Mb.:  Speln, 
Stel,  fei,  beRa,  nirgends  f. 

k)   au  oder  Umlaute  ai,  oi  für  ü  oder  Umlaute  ü,  L 

Gr.  Bdl.,  Kl.  Gml.,  WzL:  alün  (Alaun).  Sch.-Mb.:  alauna  (femin.;  hochd. 
Diphthongierung). 

Gr.  Bdl:  kapünn  (Kapaun)  (vgl.  mhd.  kappün).     WzL:  kapaun. 

Gr.  Bdl,  KL  Gml.,  WzL,  Bths.,  Lmd.:  üla  (Eule).  Sch.-Mb.:  aila  (ai  für 
oi  volksmitteldeut8ch). 

Gr.  Bdl,  KL  Gml.,  WzL:  bule  (Beule).    Sch.-Mb.:  baila. 

Gr.  Bdl.:  trü,  jatrü  (treu).  Dml,  Hdd.:  tri  (aus  trÜ)  =  troi.  Kl.  Gml: 
jatrf  =  troi.    Bmd.:  trfa  =  trü  =  troi.     WzL,  Ndd.,  Dsd.,  Ovs.:  troi. 

1)   Verschiedene  vokalisehe  Ersetzungen. 

Chr.  Bdl.,  Ebd.,  Ddd.:  kaula  (kühl;  au  aus  urgerm.  6;  vgl.  Staul  Stuhl,  faut 
Fuss  u.  s.  w.).     Gr.  OH.:  kaula  =  kila  (1  aus  ü).     Wh.,  Lmd.,  Sch.-Mb.,  Ns.:  kila. 

Gr.  Bdl,  Sh.,  Gthd.,  Aid.,  Kl.  Oschl.,  Hml.,  Gr.  Gml,  Dml.,  Hdd.:  ezl 
(Esel;  doch  ezl  meist  schon  als  Schelte).  Wseg.,  EtgL,  Tth.,  Bckd,  Eg.,  Wzl, 
Lwd.,  Owd.,  Ddd.,  Lmd.,  KL  OtL,  Gr.  OtL,  Wh.,  Fml.,  Sdb.,  Sch.-Mb„  N$.,  Ovs., 
Ebd.:  ezl.  Die  letztere  Form  kann  deshalb  nicht  der  Eigenentwickelung  unseres 
Niederd.  entstammen,  da  in  dem  Gebiete,  in  dem  es  allein  gesprochen  wird,  ton- 
langes umgelautetes  urgerm.  a  durch  e  vertreten  ist  z.  B.  redr  (Rader),  §emm 
(schämen),  mena  (Mähne). 


31 

Gr.  &dl.,  Kl.  Wzl.,  Kl.  Gml,  Bmd.,  Schntz.,  Dml,  Hdd,  Ndd.t  Ovs.,  Dsd., 
KL  Oti.,  Lmd.,  Fml,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.:  kikn  (gucken)  (vgl.  nind.  kiken).  Uschi, 
Aid.,  Gthd.,  Hml,  doch  auch  Wzl.:  kukn  (in  Oschl.  kikn  noch  im  Munde  alter  Leute). 

m)   Einsetzung  einer  anderen  Bildung. 

Dbg.,  Gr.  BcU.,  Bkl:  njaulo  (Veilchen).  Oschl.:  failxn  =  njöla.  Sh.,  Aid.: 
failxn  =  njaulo.  Hml,  Oml:  failxn,  bei  älteren  Leuten  fijaula.  Dml,  Hdd.,  Ndd., 
Wseg.,  Kl  Gml.,  Bmd.,  Wzl,  Schntz.,  Ovs.,  Rths.  und  überall  weiter  südösil:  failxn. 

2)  Aufnahme  formeller  Elemente. 

1.  Die  schwachen  Präterita  endigten  in  unserem  Gebiete  ur- 
sprünglich auf  -d  z.  B.  h$r9  (er  hörte),  eine  Bildung,  die  von  den  auf 
d  oder  t  auslautenden  Wurzeln  ausgegangen  ist;  vgl.  mnd.  antworde 
aus  antwordede,  sette  aus  settede  u.  s.  w.  (Silbendissimilation),  ver- 
einzelt danach  auch  schon  leve  für  levede  u.  a.  Diese  Formen  wie 
hftra  sind  jedoch  ziemlich  ausnahmslos  nur  noch  etwa  in  dem  gleichen 
Gebiete  in  Gebrauch,  das  die  labial-palatalen  Vokale  erhalten  hat; 
das  ganze  übrige  Land  nordwestlich  und  westlich  der  Linie  Mb. — 
Wzl. — Eg.  hat  hera  neben  herfo,  Ovs.  hftra  neben  hörte,  Dsd.  und 
Rths.  jedoch  nur  noch  herto,  ebenso  das  gesammte  Kreuzungsgebiet 
der  mitteldeutschen  Einflüsse.  Die  Endung  -to  ist  hochdeutschen 
Ursprungs. 

2.  Im  nom.-accus.  neutr.  sing,  haben  die  Adjektiva  in  starker 
Flexion  die  endungslosen  Formen  wie  grSt  (gross)  ohne  Nebenformen 
nur  noch  in  Dbg.,  Dks.,  Dl.  erhalten,  während  in  den  weiter  südlich 
und  östlich  gelegenen  Punkten  bereits  die  aus  dem  Hochd.  entlehnten 
Formen  auf  -98  z.  B.  grotas  neben  gröt  schon  vorhanden  sind.  In 
Gthd.,  Oschl.,  Schk.,  Apf.,  Kl.  Med.,  KL  Wzl.,  Dml.,  Hdd.  mögen 
beide  Formationen  etwa  gleich  gebräuchlich  sein;  in  dem  von  Oschl., 
Wzl.,  Eg.  umschlossenen  Dreieck  und  in  Aid.  überwiegen  bereits  die 
Formen  auf  -98.  Selten  sind  die  älteren  Formen  bereits  in  Ovs.  und 
Rths.,  ganz  ausgestorben  in  Dsd.  und  im  Gebiete  südöstlich  und 
östlich  der  Linie  Mb. — Wzl. — Eg. 

3.  Etwas  minder  weit  ist  die  Endung  -r  z.  B.  grötr  für  grötn 
für  den  nom.  sing.  masc.  der  starken  Flexion  der  Adjektiva  vorgedrungen. 
In  Sh.,  Rkl.,  Kl.  Rdl.  sind  die  Formen  auf  -n  noch  die  überwiegenden, 
die  weiter  nördlich  allein  gebräuchlich  sind.  Ziemlich  gleichmässig 
scheinen  auch  beide  Formen  noch  in  Oschl.,  Psd.,  KL  Oschl.,  Gr.  Gml., 
HmL,  Aid.,  Gthd.  in  Gebrauch  zu  sein;  erst  in  Wseg.,  Etgl.,  Kl.  Gml. 
fangen  die  jüngeren  Formen  an  zu  überwiegen.  Etwa  gleichmässig 
werden  beide  Formen  auch  in  Dml.,  Hdd.,  Ndd.,  Ebd.  gebraucht. 
In  Ovs.,  Rths.,  Dsd.  sowie  in  Bmd.,  Bckd.  und  im  ganzen  übrigen 
Gebiete  sind  die  Formen  auf  -r  die  durchaus  normalen  und  diejenigen 
auf  -n  fast  überall  nur  noch  im  Affekte  gebräuchlich  (z.  B.  dat  is  n 
jrotr  man  'das  ist  ein  grosser  Mann9,  aber  is  dat  möl  n  jrotn  man 
4st  das  ein  grosser  Mann!'). 

4.  Wieder  minder  weit  sind  die  Artikelformen  dr  für  da  (nom. 
sg.  masc.)   in   eigentlicher  Funktion   als  Artikel   und  der   für   dfe   in 


Sä 

deiktischer  Funktion  vorgedrungen.  Sh.,  Rkl.,  Gr.  Rdl.,  Hmd.,  Win. 
haben  bisher  nur  da  und  de,  Kl.  Med.,  Kl.  WzL,  Apf.,  Schk.  häufiger 
da  und  de  als  dr  und  dör,  ebenso  DmL,  Hdd.,  Ndd.,  Kl.  Rdl.  Dagegen 
mögen  in  Ebd.,  in  Schntz.  und  im  westlichen  Teile  des  Dreiecks  WzL — 
Oschl. — Eg.  beide  Formen  etwa  gleich  häufig  sein,  während  in  Kl.  GmL, 
Bmd.,  Etgl.,  Bckd.  sowie  in  Rths.  und  Ovs.  die  Formen  mit  P  bereits 
überwiegen.  In  Dsd.  sowie  im  gesammten  von  der  Linie  Mb. — Wzl. — 
Eg.  nach  Südosten  eingeschlossenen  Gebiete  sind  der  und  dr  allein 
im  Gebrauche. 

5.  Im  gleichen  Gebiete  wird  auch  die  Pronominalform  dizr  aus- 
schliesslich für  älteres  diza  gebraucht.  Im  Gebiete  westlich  Wzl. — Eg. 
sind  beide  Formen  neben  einander  üblich;  doch  wird  dizr  nach  Norden 
und  Westen  hin  seltener.  In  Schntz.  sind  beide  Formen  in  Gebrauch: 
in  DmL,  Hdd.,  Ndd.  ist  diza  noch  üblicher.  In  Rkl.,  Kl.  Med., 
Schk.,  Apf.,  Kl.  WzL,  Kl.  Rdl.  existiert  bisher  nur  diza,  weiter 
nördlich  dflza. 

6.  Etwa  die  gleiche  Verteilung  zeigt  sich  zwischen  den  Formen 
des  Reflexivs  zik  und  zfy.  Ersteres  ist  in  Rkl.,  KL  Med.,  Apf.,  auch 
noch  in  Oschl.  allein  im  Gebrauche,  steht  neben  zij£  in  Aid.,  HmL. 
KL  Oschl.  u.  s.  w.,  auch  in  DmL  etc.  und  ist  nur  in  dem  von  Mb., 
WzL,  Eg.  eingeschlossenen  Gebiete  gänzlich  verdrängt. 

7.  Die  Form  er  für  he  (hai)  findet  sich  nur  und  auch  dort 
hauptsächlich  nur  bei  der  jüngeren  Generation  in  Lind.,  FmL,  Sk., 
Wh.,  neben  hai  auch  in  Kl.  Ott.  und  Gr.  Ott.,  ebenso  SR  in  Ns., 
Sch.-Mb.,  Sdb. 

Dass  die  Zweisprachigkeit  nicht  allein  in  Mb.,  sondern  auch  in 
WzL  und  Eg.  schon  seit  längerer  Zeit  viel  weiter  ausgebildet  als  auf 
den  der  mitteldeutschen  Grenze  näher  gelegenen  Dörfern  gewesen  sein 
muss,  zeigt  sich  vor  allem  an  dem  Gegensatze  derjenigen  Art  und 
Weise,  in  welcher  hier  noch  abweichend  von  sämmtlichen  umliegeuden 
Dörfern  Elemente  aus  dem  Hochdeutschen  in  das  Niederdeutsche  auf- 
genommen wurden,  zu  derjenigen,  in  welcher  sich  derartige  Neuerungen 
über  zusammenhängende  Striche  verbreiteten.  In  den  meisten  Punkten, 
in  denen  einzelne  hochdeutsche  Formen,  auch  hochdeutsche  Flexions- 
endungen, in  das  Niederdeutsche  entlehnt  wurden,  stammen  dieselben 
nicht  nur  direkt  aus  dem  von  den  Bewohnern  dieser  Punkte  gespro- 
chenen Hochdeutsch,  sondern  auch  aus  dem  Niederdeutsch  derjenigen 
Nachbardörfer,  die  dem  Ausgangsgebiete  des  Hochdeutschen  näher 
gelegen  diese  Elemente  bereits  in  ihr  Niederdeutsch  aufgenommen 
hatten.  Welches  Gewicht  der  letztere  Faktor  bei  diesem  Prozesse 
gehabt  hat,  zeigt  sich  weniger  darin,  dass  überhaupt  nur  die  Städte 
noch  isolierte  Entlehnungen  aus  ihrem  Hochdeutsch  in  ihr  Niederdeutsch 
aufgenommen  haben,  als  in  dem  Umstände,  dass  speciell  diese  Ent- 
lehnungen zum  grossen  Teile  in  der  Aufnahme  ganzer  Reihen  von 
Wörtern,  die  durch  lautliche  Eigentümlichkeiten  mit  einander  verknüpft 
sind,  bestehen.  Über  weitere  Striche  hin  sind  dagegen  erstens  einzelne 
stoffliche   Elemente   deshalb    aus    dem   Hochdeutschen    aufgenommen 


83 

Worden,  weil  sie  vermöge  ihrer  Bedeutung  häufiger  hier  als  im  Nieder- 
deutschen vorkamen  —  derartige  Wörter  könnten  sogar  von  solchen 
Dörflern  in  ihre  Sprache  entlehnt  worden  sein,  die  sich  auch  den  nur 
hochdeutsch  sprechenden  Personen  gegenüber  nur  ihres  Niederdeutsch 
bedienten  — ,  zweitens  aber  Flexionsfonnen  deshalb  entlehnt,  weil  hier 
fast  überall  zwingende  Gründe  psychologischer  Art  massgebend  ge- 
wesen sind,  worüber  näheres  später.  Derartige  zwingende  Gründe 
sind  jedoch  für  die  Reihenentlehnungen  stofflicher  Elemente  nicht  auf- 
findbar.    Die  Beispiele  sind  folgende: 

1.  Im  Sch.-Mb.  ist,  von  wenigen  durch  lautliche  Verhältnisse 
bedingten  Ausnahmen  abgesehen,  jedes  t  in  ts  verwandelt  worden,  wenn 
das  Hochdeutsche  an  entsprechender  Stelle  ts  hatte;  vgl.  oben  tsapm 
für  tapm,  tsön  für  tön  u.  s.  w.  Dass  dieser  Prozess  keineswegs  mit 
den  „  Lautgesetz u  genannten  Erscheinungen  auf  gleiche  Linie  zu  stellen 
ist,  ergiebt  sich  einfach  aus  der  Thatsache,  dass  alle  nach  Eintreten 
der  zweiten  Lautverschiebung  sowohl  in  das  Hochdeutsche  wie  Nieder- 
deutsche aufgenommenen,  ein  t  enthaltenden  Lehnwörter  dies  t  im 
Sch.-Mb.  erhalten  haben,  weil  auch  im  Hochd.  t,  nicht  ts  daneben 
stand.  So  heisst  es  Sch.-Mb.  stets  telR  (Teller),  tuRm  (Turm),  tun» 
(Tonne),  tuRnn  (turnen),  tanfo  (Tante). 

2.  Intervokalisches  d  ist  sowohl  als  Vertretung  des  urgerm.  P 
wie  des  urgerm.  8  im  Striche  an  der  Elbe,  in  Wsl.,  Sdf.,  Ddd.,  SL, 
Bed.,  "Wh.,  Sk.,  Fml.,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.,  Rths.,  erhalten,  im  übrigen 
Gebiete  aber  überall  geschwunden,  wo  es  nicht  ursprüngliche  Geminata 
war.  Es  heisst  z.  B.  im  Eibniederdeutsch  löda  (lade),  böda  (bade), 
röda  (rate),  rida  (reite)  u.  s.  w.  gegenüber  löd,  böa,  röd,  ri9  im  übrigen 
Lande.  Ebenso  ist  an  der  Elbe,  ausserdem  nur  teilweis  im  Norden 
des  Gebietes,  intervokalisches  y  und  j  erhalten,  während  es  sonst 
wiederum  geschwunden  ist;  dem  fröya  (frage),  dröya  (trage),  ätija 
(steige)  stehen  im  grössten  Teile  des  Westens,  auch  noch  in  Schntz., 
DmL,  Kl.  Wzl.,  Apf.  die  Formen  fröa,  dröa,  §tia  (stfo)  gegenüber. 
Innerhalb  dieses  Gebietes  jedoch  haben  nun  Wzl.  und  Eg.  intervo- 
kalisches y  und  j  überall  wiederhergestellt,  weil  die  hochdeutschen 
Formen  diese  Laute  enthielten;  ebenso  hat  der  grösste  Teil  der  Be- 
völkerung beider  Städte  auch  intervokalisches  d  wiedereingesetzt,  sei 
es  dass  demselben  hochd.  d  oder  t  gegenüberstand.  Es  heisst  daher 
in  beiden  kleinen  Städten  fröyd,  dröya,  §tija  u.  s.  w.  und  meistens 
auch  lödd,  böd»,  röda,  rida  etc.,  während  sämmtliche  unmittelbar  um 
und  zwischen  Wzl.  und  Eg.  gelegenen  Dörfer  nur  die  Formen  ohne 
intervokalische  y,  j  und  d  kennen.  Dass  z.  B.  in  dröa  ein  y,  in  dem 
lautlich  parallel  geformten  loa  ein  d  eingeschoben  wurde,  zeigt  hin- 
länglich, dass  wir  es  nicht  mit  einem  Lautgesetze  zu  thun  haben. 

3.  Im  Niederdeutsch  unseres  ganzen  Gebietes  mit  Ausnahme  des 
Striches  unmittelbar  an  der  Elbe  hat  in  den  einsilbigen  Substantiven 
mit  inlautendem  a  auch  bei  folgendem  Geräuschlaut  der  Nominativ 
nach  Analogie  der  übrigen  Casus  ö  angenommen:  es  heisst  daher  z.  B. 
niederd.  jlös  (Glas),  jrös  (Gras),   rot  (Rad),  bot  (Bad),  jröf  (Grab), 

KledeideufcMhts  Jahrbuch.    XIV.  3 


34 

föt  (Fass),  dök  (Dach).  In  unserem  Hochdeutsch  wird  jedoch  allgemein 
jlas  (glas),  jras  (gras),  rat,  bat,  jrap  (grap),  fas,  dax  gesprochen. 
Nun  hat  jedoch  Wzl.  nebst  seinen  beiden  Domänenvorwerken  Bmb. 
und  Bltz.,  aber  abweichend  von  allen  umgebenden  Dörfern  die  Formen 
mit  kurzem  Vokal  überall  da  auch  in  das  Niederdeutsche  eingeführt 
wo  beide  Dialekte  den  gleichen  Konsonantismus  boten,  so  dass  es  hier 
jlas,  jras,  rat,  bat,  aber  jröf,  fot,  dök  im  Niederdeutschen  lautet.  Da 
nun  nach  Friedr.  Hoflfmann,  Geschichte  des  Königlichen  Domainen-Amts 
und  der  Kreis-Stadt  Gross-Wanzleben,  Berlin  1863  Bmb.  und  Bltz. 
im  Jahre  1790  und  in  den  folgenden  Jahren  von  Wzl.  aus  angelegt 
wurden,  so  muss  diese  Übernahme  aus  dem  Hochd.  in  das  Niederd. 
höchstwahrscheinlich  vor  1790  erfolgt  sein,  weil  es  doch  merkwürdig 
wäre,  wie  eine  von  Wzl.  aus  wellenförmig  sich  ausbreitende  Sprach- 
neuerung gerade  nur  dessen  Domänenvorwerke,  nicht  aber  auch  eins 
der  umgebenden  Dörfer  erreicht  hätte. 

Welche  Rolle  hingegen  bei  der  Übernahme  einzelner  Wörter 
die  Kultur-  und  Verkehrsverhältnisse  zuweilen  selbst  so  gut  wie  unab- 
hängig von  der  Häufigkeit  der  Anwendung  der  Kontaktmundart  für 
die  Aufnahme  von  Wortformen  derselben  in  die  Eigensprache  spielen, 
ergiebt  sich  aus  folgenden  Beispielen: 

1.  Die  jüngere  Generation  in  Dbg.  hat  niederd.  jdte  durch  josa 
ersetzt,  weil  dies  Dorf,  wie  mir  versichert  wurde,  bis  vor  kurzer  Zeit 
noch  nicht  gepflastert  war  und  daher  überhaupt  keine  Rinnsteine  hatte. 
Alle  südlich  und  östlich  gelegenen  Dörfer  bis  Lwd.  kennen  niederd. 
nur  jöte,  wofür  josa  erst  in  Owd.  auftaucht  (vgl.  oben). 

2.  Das  sonst  am  meisten  vom  Hochd.  durchsetzte  Sch.-Mb.  hat 
eine  niederd.  Wortform  eben  nur  in  Übereinstimmung  mit  dem  sonst 
von  dieser  Durchsetzung  noch  am  meisten  verschonten  Dbg.  erhalten. 
Es  ist  dies  Sch.-Mb.  kReft  für  „Krebs",  wofür  Dbg.  noch  „krewat4' 
bietet,  eine  Form,  die  südlich  und  östlich  von  diesen  Dörfern  entweder 
gänzlich  verdrängt  oder  doch  nur  in  übertragenen  Bedeutungen  er- 
halten, sonst  aber  durch  kreps  (Ns.,  Sdb.  kReps)  ersetzt  worden  ist 
(vgl.  oben).  Die  Erhaltung  der  niederd.  Wortform  gerade  im  Sch.-Mb. 
erklärt  sich  aus  der  Identität  des  Aufenthaltsortes  des  durch  dieselbe 
bezeichneten  Tieres  mit  dem  Lebenselemente  der  Schiffer  und  Fischer. 


85 


Das  Hochdeutsch  im  Magdeburger  Lande. 

Das  in  so  beträchtlichem  Masse  in  der  Magdeburger  Börde  und 
in  den  sich  westlich  wie  östlich  anschliessenden  Distrikten  von  den 
Ungebildeten  im  Verkehre  mit  Gebildeten  und  Städtern  angewandte 
Hochdeutsch  gleicht  natürlich  nicht  der  mustergiltigen  Gemeinsprache. 
Es  hat  erstens  zahlreiche  niederdeutsche  Elemente  beibehalten,  zweitens 
sich  an  die  benachbarten  mitteldeutschen  Volksdialekte  angelehnt. 
In  dieser  Gestalt  ist  es  eine  bei  den  verschiedenen  Individuen  unseres 
Gebietes  und  der  betreifenden  Nachbargebiete  relativ  einheitliche  und 
neben  dem  Niederdeutschen  traditionelle  Sprache  geworden,  wiewohl 
es  infolge  von  Schuleinflüssen  mannigfachen  Schwankungen  unterworfen 
ist.  Diejenigen  Landleute,  die  das  Niederdeutsch  nur  aus  Vornehm- 
thuerei  völlig  abgestreift,  aber  keine  höhere  Schule  besucht  haben, 
sprechen  in  der  Regel  das  schlechteste  Hochdeutsch,  das  eben,  weil 
es  als  alleinige  Sprache  weit  geläufiger  geworden,  am  wenigsten  den 
paralysierenden  Einflüssen  der  Schule  unterliegt.  Das  Gleiche  hat 
für  die  Bewohner  der  Stadt  Magdeburg  überhaupt  zu  gelten,  gerade 
wie  für  die  Berliner. 

Aus  dem  Niederd.  hat  unser  Hochdeutsch,  am  ausgeprägtesten 
das  St.-Mb.  der  niederen  Stände,  die  neutralen  Pronominalformen  wie 
vat,  dat  beibehalten,  also  analog  dem  Berlinischen,  das  nur  in  seinem 
det  von  unserem  Hochdeutsch  ähnlich  dialektisch  differenziert  ist  wie 
das  in  jener  Gegend  gesprochene  Niederdeutsch  von  dem  unsrigen. 

Besonders  eklatant  beweist  folgender  Fall  die  Einheitlichkeit  und 
traditionelle  Fortpflanzung  der  hochdeutschen  Kontaktsprache  in  dem 
ganzen  hier  in  Betracht  kommenden  Gebiete: 

Niederd.  d  aus  urgerm.  X  =  hochd.  t  ist  im  Volkshochdeutsch 
des  Magdeburger  Landes,  insbesondere  regelmässig  im  St.-Mb.,  in- 
lautend nach  langen  Vokalen  stets,  nach  kurzen  meistens  durch  t 
ersetzt  (z.  B.  fotr  Vater,  rötn  raten,  ärotn  schroten,  raitn  reiten, 
röte  rote,  braita  breite  u.  s.  w. ;  kete  Kette,  vete  Wette,  vetr  Wetter, 
retn  retten,  bete  Bett  u.  s.  w.),  anlautend  dagegen  erhalten  worden 
(z.  B.  doxtr  Tochter,  dauznt  tausend,  dauwa  Taube,  dölr  Thaler,  dan» 
Tanne,  drisk»  trinken,  dröyn  tragen,  dol  toll,  dir»  Thür,  dör  Thor 
u.  s.  w.).  Genau  die  gleiche  Verteilung  hat  das  Berlinische  (vgl.  D. 
richtige  Berliner  S.  VI,  Graupe  S.  43).  Diese  Übereinstimmung  setzt 
auch  die  gleiche  Verteilung  von  d  und  t  des  ganzen  zwischen  Berlin  u. 
Mb.  gelegenen  Gebietes  in  dem  von  den  Ungebildeten  gesprochenen  Hoch- 
deutsch voraus.  Wenn  nun  auch,  wie  später  gezeigt  werden  soll,  der 
ganze  Wechsel  von  d  und  t  in  diesem  Dialekte  auf  der  Wirksamkeit  ganz 
bestimmter  Faktoren,  vor  allem  des  Bequemlichkeitstriebes,  beruht, 
so  würde  es  doch  sehr  merkwürdig  sein,  wenn  bei  jedem  einzelnen 
Individuum  genau  dieselben  Faktoren  in  Wirksamkeit  getreten  wären. 
Von  Kindern,  die  ihre  Muttersprache  lernen,  fällt  ja  auch  dem  einen 

3* 


diese,  dem  anderen  jene  Lautverbindung  schwerer.  Auch  wo  Laut- 
wandlungen sichtlich  aus  Bequemlichkeitsgründen  hervorgegangen  sind, 
brauchen  sie  sich  nicht  über  das  ganze  Gebiet  zu  verbreiten,  auf  dem 
die  gleichen  Lautverbindungen,  die  vom  Wandel  getroffen  sind,  vor- 
liegen. Auch  solche  Lautwandlungen  setzen  sich  ja  durch  Übertragung 
von  einem  Individuum  auf  andere  fort.  So  wäre  gewiss  auch  nicht 
überall  dort,  wo  die  im  Verkehre  mit  Gebildeten  gebrauchte  Kontakt- 
sprache zu  einer  häufigeren  Anwendung  gelangt  ist,  d  und  t  nach 
demselben  Gesetze  verteilt  worden,  wenn  hier  nicht  der  Einfluss  der 
einzelnen  sonst  niederdeutsch  sprechenden  Personen  auf  einander,  auch 
die  Tradition  von  Eltern  zu  Kindern  bereits  mitgewirkt  hätte.  Am 
auffallendsten  ist  jedoch  der  Umstand,  dass  die  von  den  ungebildeten 
Magdeburgern  gesprochene  Mundart  und  die  hochdeutsche  Kontakt- 
sprache im  Magdeburger  Gebiete  mit  dem  Berlinischen  in  der  einzigen 
Ausnahme  von  dem  Gesetze,  dass  niederd.  d  im  Anlaut  erhalten  bleibt, 
übereinstimmt.  Es  ist  dies  das  Wort  tir  (niederd.  dairt  aus  mnd. 
dert,  dfer  =  andfrk.  Ps.  dier  =  ags.  deor  =  anord.  dyr;  dairt  im 
grössten  Teile  unseres  Gebietes  nur  noch  als  Schelte  üblich,  sonst  die 
Kontaminationsform  dir  [aus  dairt  -f-  nhd.  tir];  in  einigen  Dörfern 
im  Süden  Magdeburgs  wie  in  Wh.,  Wsl.  tir  auch  schon  im  Niederd.). 
Vgl.  D.  rieht.  Berl.  S.  100:  Thier,  Firmenich  I,  148  ff.  stets:  Thier; 
bei  allen  anderen  Wörtern  schreiben  beide  Bücher  stets  d  für  anl. 
urgerm.  X  (vgl.  das  Wörterverzeichnis  in  „D.  rieht.  Berl.Ä  unter  den 
Buchstaben  d  und  t).  Ich  habe  keine  Ursache  ausfindig  machen 
können,  weshalb  einzig  bei  diesem  Worte  anl.  niederd.  d  durch  hochd. 
t  ersetzt  worden  ist;  die  abweichende  Behandlung  desselben  kann  ich 
mir  nur  so  erklären,  dass  gerade  unter  denjenigen  Personen,  die  das 
Wort  infolge  ihres  Berufes  oder  aus  unberechenbaren  Ursachen  am 
häufigsten  im  Hochdeutschen  anwandten,  die  Mehrzahl  zufällig  psychisch 
und  physisch  so  organisiert  war,  dass  sie  Bequemlichkeitstrieben  weniger 
nachgebend  für  jedes  anlautende  d  ein  t  einsetzte. 

Wie  sich  unser  Volkshochdeutsch  an  das  benachbarte  Volks- 
mitteldeutsch gelehnt  hat,  so  hatte  dies  selbst  in  Anlehnung  an  die 
benachbarten  Volksdialekte  Obersachsens  und  Thüringens  das  dortige 
Niederdeutsch  verdrängt.  Denn  während  sich  die  Mundart  der  Ge- 
bildeten dieses  Distriktes  genau  der  Lutherschen  Sprache  anpasste, 
wie  denn  auch  später  neben  Dresden  und  Leipzig  Merseburg  und 
Wittenberg  (über  die  ursprüngliche  Zugehörigkeit  des  letzteren  zum 
Mitteldeutschen  vgl.  Winter,  Forsch,  z.  deutschen  Gesch.,  Bd.  XIV, 
S.  337)  als  diejenigen  Punkte  genannt  zu  werden  pflegten,  welche  das 
beste  Deutsch  sprächen,  unterschied  der  Ungebildete  desselben  Gebietes 
nicht  zwischen  den  verschiedenen  Nuancen  des  Mitteldeutsch  und 
nahm  bei  dem  Bestreben,  sich  die  Luthersehe  Sprache  anzueignen, 
den  im  Verhältnis  zum  Niederdeutschen  dieser  Sprache  ungemein 
nahe  stehenden,  weit  häufiger  aber  als  diese  selbst  gehörten  ober- 
sächsisch-thüringischen Volksdialekt  an.     Ich  gebe  die  Beispiele: 


37 

A)  Reihenentlehnungen  nach  lautlichen  Eigentümlichkeiten. 
a)  Konsonantismus. 

Die  Gemeinsprache  steht  hinsichtlich  der  Lautverschiebung  be- 
kanntlich auf  ostfränkischer  Lautstufe.  Nach  Paul,  Mhd.  (Ir.  §  94 
weichen  das  Thüringische,  Obersächsische  und  Schlesische  insofern 
vom  Ostfränk.  ab,  als  sie  pp  und  mp  unverschoben  lassen.  Das  gleiche 
Verhalten  zeigt  nun  das  vom  Mitteldeutschen  eroberte  Gebiet.  So 
nach  Haushalter,  Die  Mundarten  des  Harzgebietes  S.  11  das  Unter- 
harzische,  nach  S.  18  das  Mansfeldische  und  Anhaltische.  Vgl.  ferner 
folgende  Stellen  bei  Firmenich  II:  S.  217:  Appel  (Unterharz),  224: 
Toppchen,  Tröppchen,  Damp,  Mistsump  (Bernburg),  231:  Kopp  (Dessau), 
238:  Stampe  (gestampfte  Rüben;  Merseburg).  So  ist  nun  auch  in  der 
hochdeutschen  Rede  des  Niederdeutschen  im  Magdeburger  Lande  sowie 
im  St.-Mb.  alte  Geminata  p  und  mp  unverschoben  geblieben  z.  B.  kop 
(Kopf),  krop  (Kropf),  nap  (Napf),  tsop  (Zopf),  tsapm  (Zapfen),  dropm 
(Tropfen),  hopm  (Hopfen),  propm  (Pfropfen),  apl  (Apfel),  kupr  (Kupfer), 
damp  (Dampf),  zump  (Sumpf),  ätrump  (Strumpf).  Analog  muss  sich 
auch  das  Berlinische  verhalten.  Vgl.  D.  rieht.  Berl.  S.  VI:  Strump, 
knippern,  S.  VIII:  Droppe,  Firmenich  I,  S.  151  wiederholt:  Kopp,  S. 
153,  Sp.  1,  Z.  36:  Wiedehopp.     Vgl.  auch  Graupe  S.  4L 

Dass  hier  alte  Geminata  p  und  mp  weniger  aus  dem  Bequem- 
lichkeitstriebe als  deshalb  beibehalten  wurden,  weil  man  diese  Laut- 
verbindungen auch  als  hochdeutsch  empfand,  ergiebt  sich  aus  einem 
Worte  wie  dem  St.-Mb.  und  von  unseren  Niederdeutschen  in  hoch- 
deutscher Rede  angewandten  top  (Topf),  das  im  Niederd.  nur  als  dop 
in  den  Bedeutungen  „Eierschale,  Tassenkopf  (mnd.  „hohle  Rundung") 
erscheint,  in  der  Bedeutung  „Topf"  aber  niemals  dort  vorkommt, 
wofür  vielmehr  das  Wort  pot  allein  herrschend  ist,  abgesehen  davon, 
dass  in  einigen  Dörfern  dicht  um  Mb.  top  auch  in  das  Niederdeutsche 
übernommen  worden,  woneben  aber  dop  in  seiner  Bedeutung  fortbesteht. 
Wir  sehen  also,  dass  ein  hochdeutsches  Wort,  zu  dem  man  im  Niederd., 
da  pot  nicht  lautlich,  dop  nicht  funktionell  entsprach,  nichts  als 
Analogen  fühlen  konnte,  in  volksmitteldeutscher,  nicht  in  eigentlich 
gemeinsprachlicher  Gestalt  in  den  bei  den  Ungebildeten  als  Gemein- 
sprache fungierenden  Dialekt  eingesetzt  wurde. 

Die  Formen  mit  unverschobenem  p  in  den  betreffenden  Fällen  sind 
besonders  im  St.-Mb.  bei  den  niederen  Ständen  allein  gebräuchlich,  da  sie 
hier  eigensprachlich  geworden  sind.  Im  Magdeburger  Lande  hört  man 
in  hochdeutscher  Rede  der  Ungebildeten  wenigstens  zuweilen  daneben 
die  echt  gemeinsprachlichen  Formen  mit  f;  doch  wirkt  auch  hier  die 
Übereinstimmung  der  ursprünglich  volksmitteldeutschen  Formen  mit  den 
eigensprachlichen  niederdeutschen  dem  Schuleinflusse  mächtig  entgegen. 

b)   Vokalismus. 

Im  Vokalismus  zeigt  sich  die  Abhängigkeit  des  betreffenden  Ge- 
bietes in  seinem  Hochdeutsch  vom  benachbarten  Volksmitteldeutsch 
noch  weit  deutlicher.     Ich  gebe  zunächst  den  Thatbcstand: 


38 

Nach  Haushalter,  Mundarten  des  Harzgebietes  S.  11,  hat  das 
Unterharzische,  ehemals  niederdeutsches  Gebiet,  urgerm.  !  und  ü  noch 
durch  t  und  ft  vertreten.  Vgl.  auch  Firmenich  II,  S.  217  u.  218: 
sihnen  (seinen),  mihn  (mein),  glihch  (gleich),  schriben  (schreiben), 
wiht  (weit),  blieb  (bleib!),  uhs  (aus).  Aus  Firmenich  ist  auch  die 
Vertretung  des  urgerm.  in  durch  i  ersichtlich:  vgl.  Lihte  (Leute), 
dihtlich  (deutlich),  hilite  (heute).  Nach  Haushalter,  S.  12  Fussnote  1 
wird  im  westlichen  Teile  des  Unterharzischen  minn  huss  (mein  Haus) 
gesprochen;  es  steht  also,  mindestens  teilweis,  i  für  urgerm.  I,  u  für 
urgerm.  fi.  Die  urgerm.  Diphthonge  ai  und  an  scheinen  im  Unterharze 
überall  dort  durch  ai  und  an  vertreten  zu  sein,  wo  das  Ahd.  die 
Diphthonge  gewahrt  hat.  Vgl.  Firmenich  a.  a.  0. :  Falkensteine,  kein, 
gemeine,  heime  (daheim),  an  (auch). 

Das  Mansfeldische  hat  nach  Haushalter  S.  12  für  urgerm.  l  und 
ft  diphthongische  Vertretung  eingeführt  (z.  B.  mein  haus).  Ebenso 
nach  Wäschke  a.  a.  0.  S.  314  das  Anhaltische  z.  B.  mein,  Eis,  Eile, 
Seite  (latus),  bleiben,  schreiben,  Weite,  eisern,  Pflaume,  faul,  bauen, 
Braut,  brauchen,  Raum,  Taube.  Weitere  Beispiele  für  Bernburg  und 
Dessau  bei  Firmenich  II,  S.  218.  Analoge  Vertretung  in  Halle  ist 
aus  Firmenich  II,  S.  235  ff.  zu  ersehen:  deinetwegen,  Pfeiffe,  greifen, 
Schneider.  Vertretung  des  u  durch  an  ist  aus  dem  umgelauteten 
Fäuste  zu  folgern.  So  verhält  es  sich  auch  mit  Merseburg;  vgl.  Fir- 
menich II,  236  ff.:  fein,  Reiter,  meine,  weiss,  Reich,  reich,  ans,  Haus. 
Dagegen  ist  urgerm.  ai  durch  e,  an  durch  6  im  Anhaltischen,  in  Halle 
und  in  Merseburg  vertreten.  So  nach  Wäschke  S.  314  u.  315;  vgl. 
anhält,  rene,  allene,  hele,  bret,  hSss,  Schwess,  Stfcn,  SSI  (Seil),  Sete 
(Saite;  mhd.  seite).  Vgl.  für  Halle  Firmenich  a.  a.  0.:  keene,  kleen, 
alleen,  Trom,  für  Merseburg:  Leed,  heemlich,  keener,  oh  (auch). 

Ganz  die  gleichen  Verhältnisse  gelten  für  das  St.-Mb.,  in  dem 
urgerm.  ai  gleichfalls  regelmässig  durch  e,  urgerm.  au  regelmässig 
durch  6  vertreten  ist,  während  sich  an  Stelle  von  urgerm.  i  und  ü  die 
Diphthonge  ai  und  an  gestellt  haben.  Beispiele:  enR,  kenR,  aRwet 
(Arbeit),  Sten,  klen,  ben,  bret,  hesn,  hfes,  vStsn,  dfy  (Teig),  wejr,  del, 
menn,  lesta  (Laiste),  let,  zefa,  klet,  venn;  öx,  h6x,  löfn,  bdm;  haitn, 
iRaifn,  bail,  fain,  Raix,  §maisn,  tsait,  vait;  baux,  faul,  danwa  (Taube), 
bann,  haus  u.  s.  w. 

Der  Umlaut  des  6  aus  urgerm.  au  ist  im  St.-Mb.  durch  6  gegen- 
über gemeinsprachlichem  oi  vertreten  z.  B.  fRzefn  (ersäufen),  dRemm 
(träumen),  zemm  (säumen),  bfeme  (Bäume),  left  (er  läuft),  SnelefR 
(Schnellläufer). 

Auch  das  Berlinische  hat  die  gleichen  Vertretungen.  Vgl.  D. 
rieht.  Berl.  S.  VII:  „Dem  hochdeutschen  ei  und  an  entspricht  wie  im 
Plattdeutschen  zweierlei:  ee  und  oo:  vgl.  een,  Arbeet,  Boom,  Droom, 
koofen;  dagegen  ai  und  an,  wo  das  Plattdeutsche  langes  i  und  n  hat 
z.  B.  Wein,  Haus.  Wenn  an  Umlaut  von  an  =  oo  ist,  entspricht  ihm 
ö  (spr.  e)  z.  B.  drSmerig  (träumerisch),  aber  Häuser  (spr.  Heiser)." 
Weitere  Beisp.  bei  Firmenich  a.  a.  0.,  Graupe  S.  38  ff. 


39 

In  fast  sämmtlichen  angeführten  Fällen,  in  denen  hier  das  auf 
ehemals  niederdeutschem  Gebiete  gesprochene  Volkshochdeutsch  einen 
von  der  Gemeinsprache  abweichenden,  mit  dem  thüringischen  oder 
obersächsischen  Volksdialekte  übereinstimmenden  Lautstand  zeigt,  hat 
es  allerdings  den  niederdeutschen  Vokalismus,  der  hier  mit  dem  des 
benachbarten  Mitteldeutsch  übereinstimmte,  festgehalten.  Dass  jedoch 
die  niederdeutschen  Laute  hier  nicht  etwa  aus  dem  Bequemlichkeits- 
triebe, sondern  deshalb  beibehalten  wurden,  weil  sie  mit  den  Ver- 
tretungen im  benachbarten  Volksmitteldeutsch  übereinstimmten,  dafür 
lässt  sich  ein  doppelter  Beweis  fuhren: 

1.  Das  Obersächsische  z.  B.  Leipzig  bietet  nach  Albrecht,  S.  8 
u.  9  ai  für  urgerm.  i,  an  für  fl,  6  für  jedes  urgerm.  au,  $  für  jedes 
urgerm.  ai.  Das  nördliche  Thüringisch  hat  nach  Martin  Schultze, 
Idiotikon  der  Nord-Thüringischen  Mundart  S.  3  urgerm.  1  und  ü  er- 
halten, ahd.  in  durch  ii  (i)  vertreten,  z.  B.  tiier  (teuer),  f iier  (Feuer) ; 
ein  Teil  des  nördlichen  Thüringens  z.  B.  die  Gegend  von  Nordhausen 
hat  für  i  und  ü  in  gewissen  Fällen  die  Kürzen  i  und  u  eintreten  lassen; 
nach  Haushalter  a.  a.  0.  S.  1 1  wird  „minn  huss"  ausser  im  westlichen 
Unterharze  auch  in  einem  Teile  Nordthüringens,  einschliesslich  Nord- 
hausen, gesprochen.  Dagegen  hat  das  Thüringische  nach  Mart.  Schultze 
a.  a.  0.  urgerm.  ai  und  au  wie  im  Ahd.  vertreten.  Nunmehr  ist  ohne 
weiteres  klar,  weshalb  das  Unterharzische  aus  seinem  Niederdeutsch 
i  und  U,  das  weiter  östlich  gelegene,  ehemals  niederdeutsche  Gebiet 
aus  dem  seinigen  e  und  6  beibehalten  hat:  die  Niederdeutschen  haben 
überall  den  Dialekt  ihres  südlichen  Nachbars  als  den  „  hochdeutschen u 
aufgefasst,  so  dass  sich  die  mitteldeutschen  Volksmundarten  in  gerader 
Linie  von  Süden  nach  Norden  vorgeschoben  haben.  In  einem  Falle, 
in  der  partiellen  Vertretung  des  urgerm.  1  und  ü  durch  i  und  u  im 
westlichen  Unterharze  hat  sich  der  Dialekt  abweichend  sowohl  von 
der  Gemeinsprache  wie  vom  ursprünglichen  Niederdeutschen  an  das 
benachbarte  Thüringisch  angeschlossen,  falls  wir  hier  nicht  etwa  eine 
jüngere  sich  wellenförmig  ausbreitende  Secundärentwickelung  vor 
uns  haben. 

2.  Das  St.-Mb.  —  und  gewiss  auch  so  das  übrige  ehemals  nieder- 
deutsche Gebiet  —  hat  auch  da  e  und  6  eingesetzt,  wo  die  Gemein- 
sprache ai  und  au,  das  Obersächsisch- Volksmitteldeutsche  e  und  ö, 
das  Niederdeutsche  im  Magdeburgischen  in  seiner  Eigenentwickelung 
weder  e  noch  ai,  weder  6  noch  au  bietet.  So  ves  (ich  weiss)  = 
obers.  ves  gegenüber  niederd.-Magdeb.  vet  (nach  dem  Plur.  vetn), 
abweichend  von  gemeinspr.  vais,  mestR  =  obers.  mestR  gegenüber 
gemeinspr.  maistr  und  niederd.-Magdeb.  mestr  (z.  B.  Wzl.,  Ovs.  etc., 
mestR  im  Sch.-Mb.  u.  s.  w.  beruht  höchstwahrscheinlich  auf  Entlehnung 
aus  dem  Hochdeutschen),  dftfh  =  obers.  ddfli  (mit  anderem  d)  gegen- 
über gemeinspr.  tanfn  u.  niederd.-Magdeb.  depm  (aus  döpm),  köfn  = 
obers.  köfn  gegenüber  gemeinspr.  kaufn  u.  niederd.-Magdeb.  kepm 
(aus  köpm).  Im  Prinzipe  verhält  es  sich  auch  analog  mit  St.-Mb. 
lefst  (du  läufst)  =  obers.  lefst  gegenüber  gemeinspr.  loiist  u.  niederd.- 


40 

Magdeb.  lepst  (aus  lOpst).  Am  auffallendsten  ist  folgendes  Beispiel: 
Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.  haben  zwar  urgerm.  ai  durch  Ä  vertreten,  aber 
das  Wort  aika  (Eiche)  aus  dem  westlich  angrenzenden  Niederd.  ent- 
lehnt; trotzdem  heisst  es  St.-Mb.  ejd  =  obers.  typ  gegenüber 
gemeinspr.  afya  u.  diesem  aika. 

In  dem  Hochdeutsch  der  Dörfer  des  Magdeburger  Landes  ist 
infolge  des  Schuleinflusses  urgerm.  ai  und  au  in  der  Regel  durch  ai 
und  au  vertreten,  sobald  es  die  mustergiltige  Gemeinsprache  erfordert. 
Doch  findet  sich  besonders  in  den  in  unmittelbarer  Nähe  von  Mag- 
deburg gelegenen  Dörfern  e  allgemein  für  urgerm.  ai  und  6  allgemein 
für  urgerm.  au  recht  häufig,  obwohl  wenigstens  im  ganzen  Gebiete 
westlich  von  Magdeburg  ersteres  in  den  meisten  Wörtern  im  Niederd. 
durch  ai  vertreten  ist.  So  insbesondere  bei  den  in  Magdeburg  viel 
beschäftigten  Arbeitern  aus  Diesdorf  und  Olvenstedt,  die  also  im 
Niederd.  kain  (kein),  hait  (heiss),  brait  (breit)  u.  s.  w.,  im  Hochd. 
kfcn,  hfcs,  bröt  etc.  sagen.  Auch  bilden  e  und  6  in  den  weiter  westlich 
gelegenen  Dörfern  die  regelmässigen  Vertretungen  für  urgerm.  ai  und 
au  bei  vielen  einzelnen  Individuen,  die  viel  in  Magdeburg  verkehren, 
insbesondere  bei  solchen,  die  das  Niederd.  gänzlich  aufgegeben  haben. 

B)  Einzelentlehnungen*). 

St.-Mb.  uf  (auf)  =  obers.  uf  gegenüber  gemeinspr.  auf  und 
niederd.-Magdeb.  op. 

St.-Mb.  nidR  =  obers.  nidR  gegenüber  gemeinspr.  ntdR  und 
niederd.-Magdeb.  nedr  (Sch.-Mb.  nedR). 

St.-Mb.  vidR  =  obers.  vidR  gegenüber  gemeinspr.  vtdR  und 
niederd.-Magdeb.  vedr  (Sch.-Mb.  vedR). 

St. -Mb.  iwR  (über)  =  obers.  iwR  gegenüber  gemeinspr.  ftbR  und 
niederd.-Magdeb.  ewr  (aus  öwr;  Sch.-Mb.  ewR). 

St.-Mb.  fite  =  obers.  fite  gegenüber  gemeinspr.  fil  und  niederd.- 
Magdeb.  fSl  oder  fei  (letzteres  Sch.-Mb.). 

Die  gleichen  Formen  wie  im  St.-Mb.  und  im  Obers,  sind  auch 
aus  Berlin  bekannt. 

Mit  der  Verteilung  der  Formen  auf  und  uf,  nidr  und  nidr  u.  s.  w. 
im  Hochdeutsch  des  Magdeburger  Landes  verhält  es  sich  ganz  analog 
wie  mit  derjenigen  der  Vokalvertretungen  ai  und  8,  an  und  6. 

Aber  nicht  nur  das  Hochdeutsch  der  mittleren  und  unteren  Stände 
im  Magdeburger  Lande,  sondern  auch  dasjenige  der  Gebildeten  weist 
Abweichungen  von  der  mustergiltigen  Gemeinsprache  auf.  In  den 
betreffenden  Formen  weicht  die  Sprache  der  gesammten  Volksmasse 
unseres  Gebietes  zugleich  auch  vom  obersächsisch-thüringischen  Volks- 
dialekte ab.     Die  Beispiele  sind: 

1.  Tonlanges  westgerm.  e  ist  sowohl  in  Obersachsen  wie  in  der 
Hauptmasse  des  Niederdeutschen  im  Magdeburger  Lande  durch  e  ver- 
treten.    Es  heisst  z.  B.  in  Leipzig   lewa,  klewd,  trete,  knete,  wofür 

*)  Die  obers.  Formen  kenne  ich  aus  Leipzig. 


41 

im  Magdeb.  Niederdeutsch  lewa,  klewd,  trea,  kned  (resp.  treda,  kneda). 
Naturgemäss  lautet  es  auch  im  Magdeb.  Hochdeutsch  lewa,  klewd, 
trete,  knefo.  Tonlanges  umgelautetes  a  ist  jedoch  in  Sachsen  z.  B. 
in  Leipzig  durch  ä  z.  B.  in  hewe  (ich  hebe),  dies  aber  in  dem  gleichen 
Teile  des  Magdeb.  Landes  im  Niederd.  durch  e  z.  B.  in  hewd  vertreten. 
Der  Unterschied  zwischen  e  in  lewa  u.  s.  w.  und  dem  e  in  hewd  ist 
mir  innerhalb  des  vom  Mitteldeutschen  eroberten  Gebietes  wenigstens 
aus  Halle  bekannt.  Die  hauptsächlich  durch  den  mündlichen  Verkehr 
vermittelten  Formen  erscheinen  hier  in  obersächsischer  Gestalt.  Der 
betreffende  grössere  Teil  des  Magdeb.  Gebietes  hat  auch  tonlanges 
umgelautetes  a  durch  e  z.  B.  in  hewd  vertreten.  Da  nun  die  Ein- 
fuhrung des  Hochdeutschen  im  Magdeburgischen  in  der  Hauptsache 
auf  schriftlichem  Wege  geschah,  das  Schriftbild  e  aber  eine  Zwei- 
deutigkeit zuliess,  so  behielt  man  auch  hier  nach  Analogie  der  Verba 
lewe,  trete  u.  s.  w.  die  niederd.  Form  höwa  auch  im  Hochd.  bei. 
Wo  hingegen  das  Obersächsische  ein  e  für  tonlanges  umgelautetes  a 
gegenüber  einem  anderen  niederd.  Laute  als  e  oder  e  bot  und  wo 
keine  ähnliche  Analogiebildung  wie  hewa  nach  trete  möglich  war,  da 
entschied  die  obersächsische  Aussprache  für  die  unseres  Hochdeutsch 
auch  da,  wo  das  Schriftzeichen  gleichfalls  zweideutig  erschien.  Obers, 
ezl  (Esel)  =  niederd.  ezl  erscheint  auch  in  unserem  Hochd.  als  ezi. 

Der  kleinere  nordwestliche  Teil  unseres  Gebietes  hat  sowohl  ton- 
langes westgerm.  e  als  auch  tonlanges  umgelautetes  a  im  Niederd. 
durch  e  vertreten  z.  B.  !Sw9,  hftwa.  Die  östlichsten  und  südlichsten 
Punkte  dieses  Bezirkes  sind:  Ebendorf,  Olvenstedt,  Diesdorf,  Gr.  Otters- 
leben, Schleibnitz,  Domersleben,  Remkersleben,  Seehausen  (doch  hat 
Kl.  Ottersleben  noch  e).  Aber  auch  in  diesem  Gebiete  wird  für  ton- 
langes westgerm.  e  stets  z.  B.  in  lewa  e,  für  tonlanges  umgelautetes 
a  in  hewd  e  im  Hochd.  gesprochen.  Offenbar  ist  hier  die  hochd. 
Aussprache  des  dem  Ausgangslande  der  Gemeinsprache  näher  liegenden 
Gebietes,  vor  allem  aber  wohl  diejenige  der  Stadt  Magdeburg  für  das 
Hochdeutsche  massgebend  gewesen.  Es  heisst  auch  hier  hochd.  6zl 
gegenüber  niederd.  ezl.  Was  hewa  und  hewa  betrifft,  so  ist  hier  durch 
eine  eigentümliche  Verkettung  von  Umständen  das  mit  der  gemein- 
sprachlich-obersächsischen Form  zufällig  übereinstimmende  volksdia- 
lektische hSwo  durch  die  ursprünglich  dem  benachbarten  Volksdialekte 
angehörige  Form  in  gemeinsprachlicher  Funktion  verdrängt  worden. 

2.  Weiteren  Umfang  hat  eine  ganz  analoge  Verdrängung  wie 
die  letzte  in  folgendem  Falle,  nur  dass  hier  die  Übereinstimmung  der 
verdrängten  Formen  mit  den  eigentlich  gemeinsprachlichen  nicht  einmal 
eine  zufällige  war: 

Im  Niederd.  fast  des  gesammten  Magdeb.  ist  bei  den  einsilbigen 
auf  einen  Geräuschlaut  auslautenden  Substantiven  mit  inlautendem  a 
eine  Angleichung  des  nom.-acc.  sg.  an  die  übrigen  Casus  in  Bezug 
auf  die  Tondehnung  übereinstimmend  mit  dem  Mittel-  und  Oberdeutschen 
and  abweichend  vom  übrigen  Niederd.  erfolgt:  also  jlös,  jrös,  bot, 
Pöt,  fijt  (Fass),    dök  (Dach),  jröf  (Grab),   köf  (Spreu).     Der  Prozess 


42 

dieser  Angleichung  ist  vom  hochd.  Sprachgebiete  ausgegangen  und  bat 
von  da  den  angrenzenden  Teil  des  Niederd.  ergriffen.  Denn  Schneit- 
lingen,  Egeln,  Bleckendorf,  Westeregeln  haben  auch  die  Adjektivform 
not  (nass),  Schneitlingen,  Egeln  und  überwiegend  auch  Westeregeln 
die  Adverbialformen  öf  (ab),  ön  (an),  die  an  die  ursprünglichen  Neben- 
formen *öwa,  *öM9  aus  abe,  ane  angeglichen  sind  (vgl.  Leipzig  an), 
wofür  Bleckendorf  bereits  stets  af  und  an  zeigt.  Weiter  nördlich 
heisst  es  auch  überall  nat.  Neben  blöt  findet  sich  in  Kl.  Germersleben 
bereits  blat;  in  Gr.  Rodensieben  ist  blat  allein  üblich,  in  Druxberge 
heisst  es  auch  bat,  dagegen  immer  noch  gros,  glös,  rot,  föt,  dök,  jröf, 
köf.  Dass  sich  die  Formen  allmählich  nach  Norden  hin  verlieren, 
beweist  eben,  dass  sie  aus  dem  mitteldeutschen  Nachbarlande  stammen. 

Da  die  von  Mitteldeutschland  aus  später  vordringenden  gemein- 
sprachlichen Formen  ganz  vorzugsweise  durch  das  Mittel  der  Schrift 
verbreitet  wurden,  das  hochdeutsche  die  Quantität  nicht  bezeichnende 
Schriftbild  sich  aber  gerade  in  unserem  Falle  vom  Niederdeutschen 
im  Vokale  nicht  unterschied,  so  behielten  die  übrigen  Norddeutschen 
die  ihnen  aus  dem  Niederdeutschen  geläufige  Aussprache  des  a  als 
kurzen  Vokales  im  nom.-aec.  sg.  bei.  So  giebt  z.  B.  schon  C.  F. 
Weichmann  in  seiner  „Poesie  der  Nieder-Sachsen",  I.  Teil,  Hamburg 
1725,  S.  12  „Pfad,  Bad,  Rad"  mit  kurzem  a  als  niedersächsische  vom 
Obersächsischen  abweichende  Aussprache  des  Hochdeutschen  an.  Die 
Aussprache  jras  (gras),  jlas  (glas),  bat,  rat,  fas,  dax,  jrap  (grap)  ist 
nun  auch  die  im  heutigen  Hochdeutsch  des  Magdeb.  Gebietes  allein 
herrschende,  obwohl  man  doch  hier  gemäss  der  hier  geltenden  niederd. 
Aussprache  jlös,  jrös  u.  s.  w.  auch  im  Hochdeutschen  erwarten  sollte. 
Ganz  die  gleichen  Verhältnisse  gelten  für  das  Hochdeutsch  und  Nieder- 
deutsch des  Oberharzes  (vgl.  Damköhler  S.  16). 

Wie  das  ursprüngliche  Niederd.  der  Stadt  Mb.  hier  gelautet  hat, 
lässt  sich  leider  nicht  mit  voller  Sicherheit  bestimmen.  Das  Schifter- 
Magdeburgische,  Neustadt  und  Sudenburg  können  ihr  jlas,  jRas,  bat, 
Rat,  blat  sehr  wohl  aus  dem  daneben  gesprochenen  Hochdeutsch  über- 
nommen haben,  so  gut  wie  ihr  dax  (Dach)  und  fas  aus  dem  Hoch- 
deutschen entlehnt  sein  müssen.  Da  nun  das  Schiffer-Magdeburgische 
die  Form  jRöf  noch  erhalten  hat,  so  ist  es  wenigstens  recht  wahr- 
scheinlich, dass  jlas  u.  s.  w.  wirklich  dem  Magdeb.  Hochdeutsch  ent- 
stammen und  auch  jlös  etc.  die  ursprünglichen  niederd.  Formen  für 
Mb.  sind.  Allerdings  kennt  bereits  Rothensee  vor  folgendem  Dental 
hier  nur  Formen  mit  a  z.  B.  fat  (Fass).  Nimmt  man  jedoch  an,  dass 
auch  das  Niederd.  der  Stadt  Magdeburg  ursprünglich  jlös  u.  s.  w. 
bildete,  wie  es  bei  weitem  das  Wahrscheinlichere  ist,  so  hat  Mag- 
deburg, indem  es  der  Gemeinsprache  als  Brücke  dienend  dieselbe,  dem 
übrigen  Norddeutschland  vermittelte  und  in  Gemeinschaft  mit  diesem 
an  der  Herstellung  eines  norddeutschen  Hochdeutsch  arbeitete,  infolge 
des  Strebens  nach  möglichster  Einheitlichkeit  dieser  Sprache  sich  iu 
dem  Punkte,  in  welchem  es  von  der  Majorität  der  norddeutschen 
Städte  abwich,  sich  derselben  gefugt  und  die  dort  im  Hochdeutschen 


43 

geltende  Aussprache  angenommen.  Mindestens  ist  aber  dann  die  Aus- 
sprache dieser  Wörter  im  Hochdeutschen  der  Stadt  Magdeburg  für 
diejenige  im  Hochdeutschen  des  Magdeburger  Landes  massgebend  ge- 
worden, die  mit  den  Formen  des  Stammlandes  der  Gemeinsprache  in 
der  Länge  des  Vokals  übereinstimmendes  und  sogar  dorther  stam- 
mendes jlög  u.  s.  w.  nur  in  ihrem  Volksdialekte  beibehielt,  in  ihren 
als  Gemeinsprache  fungierenden  Dialekt  die  der  Hauptmasse  des  Nie- 
derdeutsch angehörigen  und  dort  zuerst  gemeinsprachlich  gewordenen 
Formen  jlas  u.  s.  w.  einführte.  Das  analoge  Verhältnis  hat  natürlich 
auch  für  die  Sprache  des  Oberharzes  zu  gelten. 

Die  Dörfer  Fermersleben,  Salbke,  Westerhüsen  haben  ihre  niederd. 
Formen  jlas,  jras  u.  s.  w.  so  gut  wie  fas  u.  s.  w.  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  aus  dem  Hochd.  entlehnt;  möglichenfalls  finden  sich  auch 
dort  die  Formen  mit  langem  Vokal  noch  bei  den  älteren  Leuten;  ich 
habe  die  kurzen  Formen  nur  aus  dem  Munde  von  Kindern  aufgezeichnet. 
Auch  die  Form  bat  ist  westlich  von  Magdeburg  z.  B.  in  Olvenstedt, 
Xiederndodeleben  auch  in  das  Niederdeutsche  gedrungen.  Wenn  Wanz- 
leben einen  Teil  der  kurzen  Formen  in  sein  Niederd.  übergeführt  hat, 
das  ihm  sonst  fast  überall  parallel  gehende  Egeln  jedoch  nicht,  so 
hat  man  den  Grund  dafür  in  dem  grösseren  Verkehre  des  ersteren 
Punktes  mit  Magdeburg  und  der  geringeren  Entfernung  des  letzteren 
von  der  mitteldeutschen  Grenze  zu  suchen. 

Zum  Schluss  des  Kapitels  sei  noch  eine  Bemerkung  über  die 
Anschauung  des  Volkes  hinsichtlich  des  Ursprungsverhältnisses  von 
Hochd.  und  Niederd.  gestattet.  Bei  den  Personen,  die  das  Niederd. 
überhaupt  abgestreift  haben,  ist  die  Vorstellung  ziemlich  allgemein, 
dass  dasselbe  nur  ein  arg  entstelltes  Hochd.  sei.  Bei  den  noch  niederd. 
redenden  Individuen  hingegen  scheint  die  Anschauung  verbreiteter, 
dass  das  Niederd.  den  älteren  Dialekt,  das  Hochd.  eine  jüngere  Ver- 
feinerung desselben  repräsentiere;  vgl.  den  Namen  Oltdifö  für  „ Niederd. u 
in  Ns.  Der  ersteren  Vorstellung  bin  ich  wiederum  da  begegnet,  wo 
wie  z.  B.  in  Leipzig  der  Volksdialekt  nur  verhältnismässig  geringe 
Abweichungen  vom  gemeinsprachlichen  Muster  aufweist. 


44 

Jüngere  Beeinflussungen  durch  das  Mitteldeutsche. 

Mit  der  Aufnahme  der  Gemeinsprache  war  die  von  Obersachsen 
ausgehende  Beeinflussung  unseres  Sprachgebietes  nicht  abgeschlossen. 
Die  Niederdeutschen  unseres  Landes  bedienten  sich  im  Verkehre  mit 
den  mitteldeutschen  Nachbaren  stets  ihres  Hochdeutsch,  um  nicht 
ungebildeter  zu  erscheinen,  und  so  konnten  bei  dem  regen  Verkehre, 
der  zwischen  beiden  Stämmen  herrschte,  lautliche  Neuerungen  im  Mit- 
teldeutschen auch  das  ihm  im  wesentlichen  gleiche  Hochd.  der  niederd. 
Nachbaren  ergreifen,  wo  sie  die  gleichen  Lautwandlungen  im  Niederd. 
in  sich  schliessen  mussten.     Ich  gebe  die  Beispiele: 

1.  Aus  dem  Volksmitteid.  stammt  die  Entrundung  der  labial- 
palatalen  Vokale  im  Hochd.  unseres  Gebietes,  in  dem  es  z.  B.  hite 
(Hüte),  jresr  (grösser),  slisl  (Schlüssel),  knepa  (Knöpfe)  lautet.  Über 
den  Lautwandel  im  Obersächsischen  vgl.  Albrecht  S.  7  u.  8,  über 
denselben  im  Anhaltinischen  Wäschke  S.  408.  Dass  dieser  Prozess 
überhaupt  vom  Volksmitteldeutschen  ausgeht,  wird  durch  das  allmäh- 
liche Vorrücken  desselben  nach  Norden  und  teilweis  nach  Westen 
bewiesen.  In  Olvenstedt,  das  im  Gebiete  der  labial-palatalen  Vokale 
am  meisten  vom  Hochdeutschen  beeinflusst  ist,  spricht,  worauf  Wegener, 
Ztschr.  f.  d.  Gymnasialw.,  Jahrg.  XXXVI  S.  301  aufmerksam 
macht,  die  jüngere  Generation  die  betreffenden  Laute  bereits  mit 
bedeutend  geringerer  Lippenrundung  als  die  ältere.  Dass  ferner 
die  betreffenden  Vokale  nicht  schon  in  der  entrundeten  Form  aus 
dem  mitteldeutschen  Volksdialekte  in  unsere  hochdeutsche  Kontakt- 
sprache übernommen  wurden,  geht  aus  dem  Umstände  hervor, 
dass  auch  die  labial-palatalen  Vokale  des  Niederdeutschen  genau  auf 
dem  gleichen  Gebiete  wie  die  des  Hochdeutschen,  aber  nirgends  über 
dasselbe  hinaus,  die  gleiche  Entrundung  erlitten,  eine  Thatsache,  die 
nur  darin  ihre  Erklärung  findet,  dass  die  infolge  der  Berührung  mit 
einer  anderen  Sprachgemeinschaft  entstandene  Artikulationsveränderung 
der  einen  Mundart  unserer  zweisprachigen  Individuen  die  gleiche 
Artikulationsveränderung  in  der  zweiten  von  ihnen  gesprochenen  Mundart 
unmittelbar  in  sich  schliessen  musste,  wiewohl  die  labial-palatalen 
Vokale  beider  Mundarten  zum  grossen  Teile  auf  ganz  verschiedene 
Wörter  verteilt  sind.  So  weit  also  im  Hochd.  Mte  (Hüte),  jresr 
(gresr)  (grösser),  glisl  (Schlüssel),  knepe  (Knöpfe)  angewandt  werden, 
heisst  es  auch  niederd.  liizr  (Häuser),  bema  (Bäume),  litjr  (klein), 
jretr  (gretr)  (grösser);  wo  im  Hochd.  die  Aussprache  hfifo,  grftsr, 
slüsl,  knöpa  beginnt,  erscheinen  auch  die  niederd.  Formen  hftzr,  bSrnj, 
liity,  grötr  u.  s.  w. 

2.  Auch  ai  des  Stadt-Magdeburgischen  an  Stelle  des  nhd.  oi,  das 
einem  ahd.  iu  oder  dem  Umlaut  des  germ.  ft  entspricht,  ist  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  nicht  gleich  als  ai  entlehnt,  sondern  erst  später 
durch  Anschluss  an  das  angrenzende  Volksmitteldeutsch  aus  oi  umge- 
wandelt worden,  da  es  sich  im  Beginne  der  neuhochdeutschen  Periode 
nirgends  im  obersächsischen  Dialekte  nachweisen  lässt.     Es  heisst  also 


45 

im  Stadt-Magdeburgischen  laito  (Leute),  haito  (heute),  haizR  (Häuser), 
maiza  (Mäuse)  u.  s.  w.  Ebenso  lauten  auch  die  hochd.  Formen  in 
Westerhüsen,  Fermersleben,  sowie  in  Rothensee,  soweit  sie  nicht  durch 
Schuleinfliiss  wieder  aufgehoben  worden  sind.  Aber  auch  nach  Beien- 
dorf,  Sohlen,  Dodendorf  ist  hochd.  ai  aus  oi  auf  dem  Wege  der  laut- 
lichen Entlehnung  gedrungen  und  hat  dort  die  analoge  Verwandlung 
des  niederd.  oi,  des  Umlautes  von  an  aus  nrgerm.  6,  in  ai  veranlasst. 
Es  heisst  hier  also  nicht  nur  im  Hochd.  laito  (Leute),  haizr  (Häuser) 
etc.,  sondern  auch  im  Niederd.  baikr  (Bücher),  faita  (Küsse),  piain 
(pflügen)  u.  s.  w.;  analog  verhält  es  sich  auch  mit  Ebendorf.  Nur 
sind  gerade  die  hochd.  Formen  in  diesen  Dörfern  infolge  des  Schul- 
einflusses vielfach  durch  solche  mit  oi  wieder  verdrängt.  Im  übrigen 
Gebiete  ist,  abgesehen  von  Wanzleben  und  Egeln,  hochd.  und  niederd. 
oi  stets  erhalten,  so  dass  hier  die  betreffenden  hochd.  Worter  loifo, 
hoizr,  die  betreffenden  niederd.  boikr,  foita,  ploin  lauten.  Die  Formen 
mit  ai  für  ursprüngliches  oi  sind  nach  Winter,  Geschichtsblätter  für 
Stadt  und  Land  Magdeburg  Bd.  IX,  S.  109  im  ganzen  südöstlichen 
Teile  des  Nordthüringgaues,  den  ich  nicht  mehr  durchforscht  habe, 
üblich;  auch  Biere  hat  noch  ai  (vgl.  die  Karte).  Wir  dürfen  mit 
ziemlicher  Gewissheit  annehmen,  dass  auch  hier  und  zwar  hier  zunächst 
der  Lautwandel  oi  aus  ai  im  Niederd.  der  Reflex  des  gleichen  Laut- 
wandels im  Hochd.  gewesen  ist.  Über  oi  aus  ai  in  dem  ehemals 
niederd.  Gebiet  vgl.  Wäschke  S.  405  für  Anhalt:  haire,  haite,  Laite, 
Taivel.  Für  das  Obersächsische  vgl.  Albrecht  S.  10,  für  den  analogen 
Lautwandel  im  Berlinischen  D.  rieht.  Berl.  S.  VII. 

3.  Bei  dem  besonders  lebhaften  Verkehr,  den  Magdeburg  mit  dem 
mitteldeutschen  Lande  hat,  hat  es  sich  in  einem  Punkte  an  die  dort 
herrschende  Aussprache  angeschlossen,  ohne  dass  der  dazwischen 
liegende  Strich  von  diesem  Lautwandel  betroffen  wurde.  Denn  während 
in  diesem  Striche  r  in  niederdeutscher  wie  hochdeutscher  Rede  ge- 
sprochen wird,  zeigt  das  Stadt-Magdeburgische  und  das  in  den  Vor- 
städten von  Magdeburg  gesprochene  Hochdeutsch,  aber  auch  das 
Schiffer-Magdeburgische  und  das  Niederdeutsch  der  Vorstädte  R  in 
Übereinstimmung  mit  dem  mittel-  und  oberdeutschen  Sprachgebiet. 
Nach  Winter,  Geschichtsbl.  f.  Stadt  u.  Land  Magdeb.  Bd.  IX,  S.  110 
ist  überhaupt  das  Kehl-r  das  P  der  Städter  im  Gebiete  am  Zusammen- 
flusse der  Elbe,  Saale  und  Bode,  gilt  also  auch  für  Schönebeck,  Gross- 
Salze.  Barby,  Kalbe,  Stassfurt,  das  Zungen-r  das  P  der  Dörfler  im 
gleichen  Gebiete.  Das  r  ist  in  R  verwandelt  worden,  indem  eine 
Anlehnung  an  eine  durch  die  Schrift  nicht  zu  vermittelnde,  in  dem 
Gebiete,  von  dem  die  Gemeinsprache  ausgegangen  war,  zunächst 
herrschend  gewordene  Aussprache  stattgefunden  hat.  Bekanntlich 
dringt  R  überhaupt  heutzutage  in  den  Städten  Norddeutschlands  immer 
weiter  vor,  eine  Erscheinung,  die  doch  mindestens  zum  Teil  durch 
mitteldeutschen  Einfluss  bedingt  sein  wird. 


46 

Beeinflussungen  der  kleinen  Städte  dnrek  Magdeburg. 

Wie  in  dieser  Weise  Mb.  und  andere  Städte  isoliert  dem  Ein- 
flüsse Mitteldeutschlands  unterlagen,  so  beeinflusste  das  Hochdeutsch 
von  Mb.  wiederum  direkt  dasjenige  der  mit  ihm  viel  verkehrenden 
kleinen  Städte  Wanzleben  und  Egeln,  ohne  dass  die  in  der  Mitte 
liegenden  Dörfer  in  ihrem  Hochdeutsch  die  gleichen  Veränderungen 
erfuhren.  So  hat  sich  denn  hochd.  oi  in  der  Sprache  der  am  meisten 
in  Mb.  verkehrenden  Ökonomen  und  besser  situierten  Handwerker  in 
Wanzleben  im  Anschluss  an  das  Stadt-Magdeb.  verschoben,  wo  gemein- 
sprachliches oi  bei  den  niederen  und  vielfach  auch  jetzt  noch  bei  den 
mittleren  Ständen  durch  ai  vertreten  ist.  Die  Art,  in  der  dies  ai  in 
die  Lokalmundart  von  Wanzleben  aufgenommen  wurde,  zeigt,  dass 
zur  Zeit  seiner  Aufnahme  die  Anwendung  des  Hochdeutschen  als  eines 
völlig  geläufigen  Dialektes  in  jedem  Augenblicke  ohne  jede  Reflexion 
erfolgen  konnte.  Nur  so  ist  es  erklärlich,  dass  sich  bei  denselben 
Personen,  bei  denen  hochd.  oi  in  ai  überging,  nach  dem  Gesetze,  dass 
jede  sich  unbewusst  vollziehende  Veränderung  eines  zwei  von  denselben 
Individuen  geredeten  Sprachen  gemeinsamen  Elementes  in  einer  dieser 
Sprachen  die  gleiche  Veränderung  in  der  anderen  in  sich  schliesst, 
auch  niederd.  oi  lautgesetzlich  in  ai  verwandelte.  Es  heisst  also  bei 
der  älteren  Generation  der  social  höher  Stehenden  nicht  nur  im  Hoch- 
deutschen haito  (heute),  naino  (neun),  nai  (neu),  laitn  (läuten),  haizr 
(Häuser)  u.  s.  w.  sondern  auch  im  Niederd.  kaid  (Kühe),  piain  (pflügen ), 
baikr  (Bücher),  faito  (Füsse),  zaito  (süss)  u.  s.  w.  für  hochd.  hoito, 
noin»,  noi,  loitn,  hoizr  und  niederd.  koia,  ploin,  boikr,  foifo,  zoifo  bei 
den  niederen  Ständen  in  Wanzleben  und  durchweg  auf  sämmtlichen 
umliegenden  Dörfern.  Freilich  spricht  die  jüngere  Generation  auch 
der  Ökonomen  und  wohlhabenderen  Handwerker,  etwa  schon  von  50 
Jahren  abwärts,  heute  im  Hochd.  oi  z.  B.  hoito,  noino,  im  Niederd., 
soweit  sie  überhaupt  noch  niederd.  redet,  ai  z.  B.  kaia,  piain;  Ursache 
ist,  dass  diese  Leute  das  Niederd.  im  Elternhause,  das  Hochd.  aber 
im  wesentlichen  erst  in  der  Schule  erlernt  haben.  Letzteres  hatte 
sich  bei  ihnen  vor  dem  Schulbesuche  wenigstens  noch  nicht  befestigt, 
und,  wo  es  etwa  befestigt  war,  wurde  der  Diphthong  ai  in  oi  in  jedem 
einzelnen  Worte  bewusst  korrigiert,  wodurch  niederd.  ai  natürlich 
nicht  getroffen  wurde. 

Bei  derselben  älteren  Generation  der  social  höher  Stehenden  in 
Wanzleben  findet  sich  auch  urgerm.  ai  im  Hochd.  durch  e,  urgerm. 
an  durch  6  überall  vertreten,  während  ein  Teil  der  jüngeren  Generation 
auch  hier  ai  und  an  wieder  eingesetzt  hat.  Bemerkenswert  ist,  dass 
wir  es  hier  nicht  mit  Verpflanzung  eines  Lautwandels  zu  thun  haben, 
da  sonst  erstens  auch  niederd.  ai,  die  gewöhnliche  Vertretung  des 
urgerm.  ai,  zweitens  aber  auch  hochd.  ai  aus  urgerm.  i  —  denn  beide 
ai  werden  in  unserem  Gebiete  ohne  jeden  Unterschied  gesprochen  — 
gleichfalls  in  fe  übergegangen  sein  müsste,  analog  auch  hochd.  an  aus 
urgerm.  ü  in  6.    Vielmehr  haben  wir  hier  eine  Reihenentlehnung  von 


4? 

Wortern,  die  durch  ein  gemeinsames  lautliches  Band  zusammengehalten 
werden,  vor  uns:  in  allen  Formen,  in  denen  man  hochd.  ai,  wie  man 
es  in  der  Schule  erlernt,  neben  niederd.  ai  oder  e  gesprochen  hatte, 
setzte  man  im  Hochd.  e  speciell  für  dies  ai  nach  dem  Muster  des 
Stadt-Magdeb.  ein,  analog  6  in  allen  Wörtern  für  au,  in  denen  dies 
neben  niederd.  6  und  Stadt-Magdeb.  6  stand.  Es  heisst  demnach  in 
diesem  Kreise  hochd.  ben  =  niederd.  bain  (Bein),  hochd.  hes  = 
niederd.  hais  (heiss),  hochd.  venu  =  niederd.  venu  (weinen),  hochd. 
smaisn  =  niederd.  ämitn  (schmeissen),  hochd.  faifo  =  niederd.  pipa 
(Pfeife),  hochd.  böm  =  niederd.  böm  (Baum),  hochd.  öx  =  niederd. 
ok  (auch),  hochd.  baux  —  niederd.  buk  (Bauch),  hochd.  haus  = 
niederd.  hfis  (Haus);  die  jüngere  Generation  der  oberen  Schicht  und 
die  untere  Schicht  überhaupt  haben  in  der  Regel  hochd.  bain,  hais, 
vainn,  bäum,  aux.  Auch  einzelne  dem  St.-Magdeb.  entlehnte  Formen 
wie  uf,  nidr,  fifo  finden  sich  insbesondere  in  ersterem  Kreise. 

Übrigens  kommt  der  Lautwandel  oi  aus  ai  auch  im  Niederd.  der 
Ökonomen  und  besser  situierten  Handwerker  von  Egeln  vor,  während 
auch  dort  die  niederen  Stände  gleich  den  Bewohnern  sämmtlicher 
umliegenden  Dörfer  stets  oi  sprechen.  Ich  hatte  zwar  keine  Gelegenheit, 
das  Hochdeutsche  der  älteren  Generation  der  im  Niederd.  ai  sprechenden 
Bewohner  von  Egeln  zu  beobachten,  halte  es  jedoch  für  sicher,  dass 
auch  bei  ihnen  ai  für  oi  gesprochen  wird.  Denn  nur  so  begreift  es 
sich,  warum  dieser  Lautwandel  gerade  auf  die  am  häufigsten  in  Mag- 
deburg yerkehrenden  Personen  eines  isolierten  Punktes  beschränkt  ge- 
blieben ist.  Doch  mag  bei  Egeln  auch  der  Verkehr  mit  dem  eigentlich 
mitteldeutschen  Gebiete  mitgewirkt  haben.  Vermutlich  wird  auch  die 
Vertretung  des  urgerm.  ai  und  an  im  Hochd.  von  Egeln  eine  der  in 
Wanzleben  analoge  sein. 

Aber  nicht  nur  das  Hochdeutsche  von  Magdeburg  hat  dasjenige 
der  kleinen  Städte  und  der  in  der  unmittelbaren  Nähe  liegenden 
Dörfer  beeinflusst,  sondern  auch  das  ehemals  in  Magdeburg  gesprochene 
Niederdeutsch  hat  auf  das  Niederd.  derselben  Punkte  analoge  Wir- 
kungen ausgeübt.  Sicherlich  hängt  diese  Beeinflussung  mit  dem  Um- 
stände zusammen,  dass  man  auch  den  Volksdialekt  des  die  Gemein- 
sprache ganz  besonders  pflegenden  Magdeburg  als  vornehmer  als  den 
eigenen  Volksdialekt  empfand. 

Die  Verba  der  Reduplikationsklasse  bilden  ihr  Präteritum  in  dem 
Striche  an  der  Elbe  (Wh.,  Sk.,  Fml.,  Sdb.,  Sch.-Mb.,  Ns.,  Rths.),  der 
nicht  nur  urgerm.  ai,  sondern  auch  westgerm.  eo  u.  westgerm.  e  durch 
e  vertreten  hat  (z.  B.  dep  (tief),  spejl  (Spiegel),  regelrecht  mit  in- 
lautendem e  z.  B.  rep  (rief),  lep  (lief),  hei  (hielt),  älep  (schlief).  Im 
übrigen  Gebiete  sind  sowohl  westgerm.  eo  wie  e  durch  ai  vertreten, 
ho  dass  es  dort  z.  B.  daip,  gpaijl  (resp.  spaijl)  lautet.  Demgemäss 
bildet  auch  der  grösste  Teil  dieses  Gebietes  die  Präterita  der  Re- 
duplikationsklasse mit  inlautendem  ai  z.  B.  raip,  laip,  hau,  §laip  (resp. 
slaip)  u.  s.  w.  Nur  Lemsdorf  hat  ausschliesslich  in  den  Formen  dieser 
Reihe  e,  Beiendorf,  Sohlen,  Dodendorf,  Kl.  Ottersleben  ganz  überwiegend 


4& 

e  neben  ai,  Gr.  Ottersleben  beides  etwa  gleich  häufig.  Zweifellos  sind 
hier,  zumal  da  Magdeburg  seinen  hauptsächlichsten  Einfluss  nach  Süd- 
westen hin  geübt  hat,  die  Formen  wie  lep  aus  dem  Eibniederdeutschen, 
spcciell  aus  dem  ehemaligen  Niederdeutsch  der  Stadt  Magdeburg  und 
dem  seiner  Vorstädte  entlehnt  worden.  Die  älteren  Formen  sind  ja 
auch  noch  teilweis  erhalten ;  nirgends  aber  existieren  im  Dialekte  von 
Lemsdorf  selbst  u.  s.  w.  Formen,  nach  denen  etwa  zu  raup»  ein  rep 
auf  dem  Wege  der  Analogiehildung  hätte  entstehen  können. 

Aber  auch  diejenigen  Einwohner  von  Wanzleben,  die  hochd.- 
niederd.  oi  infolge  ihres  starken  Verkehrs  mit  Mb.  zu  ai  verschoben 
haben,  bilden  im  Niederd.  die  Präterita  rep,  lep,  §lep  u.  s.  w.  gegen- 
über raip,  laip,  §laip  etc.  bei  der  grösseren  Volksmasse  und  auf  sämmt- 
lichen  umliegenden  Dörfern.  Wir  haben  in  dieser  Eigentümlichkeit 
zweifellos  eine  Beeinflussung  durch  das  in  Magdeb.  gesprochene  Niederd. 
zu  sehen,  wobei  die  allgemein  im  Hochdeutschen  üblichen  Formen  mit 
inlautendem  i  wie  Rif,  lif,  §lif  garnicht  haben  mitwirken  können.  Ob 
auch  in  Egeln  bei  der  oberen  Schicht  der  niederd.  sprechenden  Be- 
völkerung die  gleichen  Formen  üblich  sind,  ist  mir  unbekannt  geblieben. 

Fast  ebenso  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Verben  der  a  —  ä- 
Reihe.  Das  gleiche  Gebiet,  welches  für  westgerm.  e©  und  e  monoph- 
thongische Vertretung  hat,  zeigt  auch  6  an  Stelle  des  urgerm.  6  z.  B. 
hon  (Huhn),  §töl  (Stuhl),  hot  (Hut)  u.  s.  w.,  das  übrige  Gebiet  au 
z.  B.  haun,  ätaul  (staul),  haut.  Für  das  Eibniederdeutsche  sind  daher 
die  Präteritalformen  §lox,  drdx  (dRöx),  frdx  (fRdx)  regelrecht,  im 
übrigen  Gebiete  älaux  (slaux),  draux,  fraux.  Doch  hat  auch  Lemsdorf 
ausschliesslich  slöx,  drdx,  frdx,  während  Kl.  Ottersleben,  Beiendorf, 
Dodendorf,  Sohlen  diese  Formen  wiederum  überwiegend  bieten,  Gr. 
Ottersleben  sie  etwa  gleich  häufig  wie  älanx,  draux,  fraux  aufweist. 
Auch  hier  können  die  Formen  mit  6  weder  auf  dem  Wege  der  pro- 
portionellen  Analogiebildung  noch  auf  irgend  einem  anderen  Wege 
in  der  Eigenentwickelung  des  Dialektes  ihre  Entstehung  genommen 
haben. 

Wanzleben  bietet  hier  jedoch  allgemein  nur  Slanx,  draux,  fraux. 

Diese  Thatsache  giebt  uns  einen  Fingerzeig  dafür,  dass  es  be- 
günstigende Faktoren  psychologischer  Art  gewesen  sind,  welche  die 
Entlehnung  möglich  machten.  Sowohl  Lemsdorf,  Kl.  Ottersleben  u.  s.  w. 
als  auch  Wanz leben  bilden  in  Übereinstimmung  mit  sämmtlichen 
nächstgelegenen  Dörfern  die  Präterita  der  Verba  der  ei -Reihe  mit 
inlautendem  e,  das  ja  teilweise  Vertretung  des  urgerm.  ai  ist,  z.  B. 
jrep  von  jripm,  §met  von  smitn  u.  s.  w.  Offenbar  haben  die  neu 
aufgenommenen  let,  r8p  u.  s.  w.  an  diesen  den  gleichen  Vokal  bietenden 
Formen  einen  Halt  im  Gedächtnis  gefunden.  Nirgends  aber  gab  es 
bereits  Präterita  mit  inlautendem  6,  an  die  sich  §16x  u.  s.  w.  hätten 
lehnen  können.  Die  Dörfer  bei  Magdeburg,  die  seinem  Einflüsse  stetiger 
unterlagen,  sind  freilich  einen  Schritt  weiter  gegangen.  Sie  haben 
auch  in  der  a  —  ä-Reihe,  die  wegen  der  Gleichheit  des  Vokales  in 
ihrem  Präsens   und   in   ihrem  Participium  Präteriti   zu   der   dieselbe 


49 

Eigentümlichkeit  aufweisenden  Reduplikationsklasse  in  näherer  Be- 
ziehung empfunden  wurde,  die  Form  aus  dem*  Eibniederdeutschen  ent- 
lehnt. Dazu  kam  wohl,  dass  sich  den  Sprechenden  die  ererbten  Formen 
mit  ai  zu  den  eibniederdeutschen  mit  e  wie  die  ererbten  mit  au  zu 
den  elbniederd.  mit  6  lautlich  zu  verhalten  schienen. 

Nach  obiger  Darlegung  haben  wir  auch  als  wahrscheinlich  anzu- 
nehmen, dass  bei  der  besprochenen  Wiederherstellung  des  inter- 
vokalischen  d,  y,  j  in  Wanzleben  und  Egeln  neben  dem  dort  selbst 
gesprochenen  Hochdeutsch  auch  das  Eibniederdeutsche  gewirkt  hat. 
Hätte  nur  das  Hochdeutsche  seine  Einflüsse  geübt,  so  wäre  doch  wohl 
t  aus  urgerm.  $  so  gut  wie  y,  j  und  d  aus  urgerm.  !>  in  die  nieder- 
deutschen Formen  einfach  eingefugt:  der  kompliziertere  Prozess,  die 
lautliche  Übertragung  desselben  in  niederd.  d  nach  Mustern  wie 
niederd.  kedd  =  hochd.  kete  (Kette),  ist  wahrscheinlich  durch  das 
Vorschweben  der  als  vornehmer  empfundenen  elbniederd.  Formen  mit 
erhaltenem  d  veranlasst  oder  mindestens  begünstigt  worden. 


Hfotordevteohtt  Jahiteoh.    XIV. 


50 


Abstufungen  der  Lokaldialekte  nach  Stünden. 

Obwohl  nun  das  ehemalige  Niederdeutsch  der  Stadt  Magdeburg, 
jetzt  nur  noch  durch  das  Schiffer-Magdeburgisch  repräsentiert,  der- 
artige Beeinflussungen  geübt  hat,  so  ist  es  doch  durch  eine  scharfe 
Kluft  vom  Stadt-Magdeburgischen  geschieden,  in  dem  sich  selbst 
eine  kontinuierliche  Reihe  von  Übergangsstufen  von  der  Sprache  der 
Gebildeten  bis  zur  Mundart  der  Arbeiter  verfolgen  lässt. 

Im  einzelnen  lassen  sich  die  Abstufungen  wegen  der  steten  Ab- 
weichungen bei  den  verschiedenen  Individuen  schwer  ersehen,  so  dass 
ich  mich  hier  begnügen  muss,  nur  einige  Beispiele  anzuführen,  bei 
denen  die  Abstufung  etwas  deutlicher  hervortritt.  Der  Magdeburger 
Arbeiter  hat  als  dat.-acc.  sg.  des  Personalpronomens  der  1.  und  2. 
Person  meistens  noch  die  ursprünglich  niederd.  Formen  mik  und  dik 
beibehalten.  Eine  etwas  höher  stehende,  sehr  umfangreiche  Gesell- 
schaftsklasse, auch  schon  viele  Arbeiter,  gebrauchen  die  diesen  nieder- 
deutschen Formen  lautlich  entsprechenden  mitteldeutschen  Formen 
mix  un<*  ^X  a^8  dat.-acc.  sg.  Eine  wieder  etwas  höher  stehende 
Klasse  kennt  zwar  auch  miR  und  diR,  doch  ohne  diese  Formen  überall 
von  mi^  un<^  ^X  funktionell  richtig  zu  scheiden,  und  nur  die  oberste 
Klasse  wird  hier  den  Anforderungen  der  Norm  gerecht.  (Vgl.  Graupe 
S.   50.) 

Ähnlich  stuft  sich  der  Gebrauch  der  aus  dem  Niederd.  beibe- 
haltenen Form  dr$x  (trocken),  der  Kontaminationsform  droki  und  der 
rein  gemeinsprachlichen  Form  trok)  nach  den  gesellschaftlichen  Klassen 
im  Stadt-Magdeb.  ab.  Ganz  analog  werden  nach  „D.  rieht.  Berl. 
S.  VI.*  im  Berlinischen  in  den  neutr.  der  pron.  die  noch  nieder- 
deutschen Lautstand  zeigenden  Formen  et,  det  gebraucht,  wofür  nur 
„  Gebildetere u  es,  des  sagten. 

Der  Umlaut  des  urgerm.  au  ist  im  Stadt-Magdeb.  allgemein 
durch  e  nur  bei  den  niederen  Ständen  vertreten.  Sobald  die  muster- 
giltige  Gemeinsprache  diphthongische  Vertretung  erfordert,  erscheint 
dafür  ai  bei  den  mittleren,  oi  durchgängig  fast  nur  bei  den  oberen 
Ständen.  So  liegen  hier  immer  drei  Formen,  z.  B.  bema,  baima  und 
boima,  lefst,  laifst  und  loifst,  zemm,  zaimm  und  zoimm  neben  einander. 
Die  mittleren  Formen  sind  nach  dem  Gefühle  gebildet,  dass  dem  oi 
der  Gebildeten  in  weitaus  den  meisten  Fällen,  nämlich  so  oft  es  Umlaut 
des  au  aus  urgerm.  ü  oder  Vertretung  des  westgerm.  iu  ist,  ai  in 
der  eigenen  Sprache  gegenübersteht. 

Diese  Abstufung  ist  besonders  eine  Folge  des  Strebens,  sich  dem 
Idealbilde  der  hochdeutschen  Normalsprache  möglichst  anzunähern. 
Dies  Streben  tritt  auch  besonders  in  dem  Umstände  hervor,  dass  man 
den  eigenen  Kindern  gegenüber  vielfach  in  einer  vornehmeren  Sprache 
zu  reden  sucht,  als  sie  einem  selbst  geläufig  ist.  So  sprechen  viele 
der  unter  sich  noch  niederdeutsch  redenden  reichen  Bauern  der  Mag- 
deburger Börde  zu  ihreh  Kindern  regelmässig  hochdeutsch.  Ebenso 
bedienen  sich   viele   Magdeb.    Schiffer,   wenn   sie    zu   ihren    Kindern 


61 

sprechen,  ausschliesslich  oder  vorzugsweise  des  ihnen  geläufigen  Hoch- 
deutsch, d.  h.  des  Dialektes  der  Magdeb.  Arbeiter.  Die  Magdeb. 
Arbeiter  selbst  bemühen  sich  teilweis,  mit  ihren  Kindern  wenigstens 
ein  besseres  Hochdeutsch  zu  sprechen,  als  sie  es  im  Verkehre  unter 
sich  selbst  anwenden. 

Auf  der  anderen  Seite  wird  diese  Annäherung  an  das  muster- 
giltige  Hochdeutsch  dadurch  gestört,  dass  die  geringere  Anzahl  der 
vornehmer  Sprechenden  der  weitaus  grösseren  der  minder  vornehm 
Sprechenden  nachgiebt,  infolgedessen  recht  häufige  Wörter  auch  in 
die  Sprache  der  Gebildeten  dringen.  So  gebrauchen  diese  in  Magde- 
burg insbesondere  die  Formen  ken  (kein),  öx  (auch)  sehr  häufig,  aber 
auch  an  anderen  Punkten,  wo  jene  Formen  nur  dem  für  die  Mundart 
der  mittleren  und  niederen  Stände  geforderten  Lautstand  entsprechen, 
z.  B.  in  Leipzig,  habe  ich  dieselben  oft  von  Gebildeten  gehört. 

Der  verschieden  starke   Gebrauch   des   Hochdeutschen   bei   den 
einzelnen  Ständen  hat  auch  im  Niederdeutschen  ähnliche  Abstufungen 
hervorgerufen.     So  sprechen  in  Wzl.,  wie  erwähnt,  nur  die  Ökonomen 
und  besser  situierten  Handwerker   niederd.   ai   für  ursprüngliches  oi, 
während  weitaus   auch   die   grösste   Anzahl    der   Handwerker    inter- 
vokalisches  d,  y,  j  fast  überall  wiederhergestellt  hat.     Nur   bei  dem 
kleineren  Teile  der  Handwerker   und   bei   sämmtlichen   Arbeitern  ist 
intervokalisches  d,  y,  j  nicht  fast  allgemein  wiederhergestellt  worden, 
so  dass   z.   B.   der  Unterschied  von  maida,  moida,  moto   (müde)  die 
nach  Ständen  abgegrenzten  Hauptnüancen  des  Wzl.  Niederd.  am  besten 
kennzeichnet.    Indessen  hat  auch  schon  die  jüngere  Generation   des 
untersten  Standes  in  einer  Reihe  einzelner  Formen  das  d,  y,  j  wieder- 
eingesetzt, doch  in  der  Weise,  dass  die  einen  diese,  die  anderen  jene 
Form  mehr  bevorzugen,  indem  sich  z.  B.  bei  einem  Individuum  bröe 
(ich  brate)  neben  loa   (1.  lade  ein,   2.   lade   auf),   bei   einem   andern 
brödd  neben  109   findet.     Allerdings   wird   in   gewissen   Wörtern   der 
Konsonant  ganz  besonders  gern  hergestellt,  z.  B.  in  lida  (die  Leute), 
lidd  (ich  läute),  flaija  (die  Fliege).     Doch  auch  hier  lässt  sich  insofern 
noch  eine  vierte  nur  aus  Arbeitern  bestehende  Schicht  von  der  dritten 
absondern,  als  sich  auch  bei  der  jüngeren  Generation   derselben   nur 
sehr  wenig  Formen  mit  wiederhergestelltem  Konsonannten  finden  (so 
meist  lfo  Leute,  \id  ich  läute,  aber  flaijd  die  Fliege).     Mit  Bestimmt- 
heit indessen  kann  man   voraussagen,   dass   sämmtliche   Formen   mit 
hergestelltem  d,  y  oder  j  schliesslich  bei  allen  in  Wanzleben  wohnenden 
Niederdeutschen  wegen  ihrer  Fühlung  mit  den  hochdeutschen  Formen 
werden  durchgeführt  werden.     Dagegen  sind  die  niederd.  Formen  mit 
ai  schon  sehr  im  Verschwinden  begriffen.     Abgesehen  davon,  dass  die 
meisten  Personen,  die  in  ihrem  Niederd.  ai  sprechen,   dasselbe   heut- 
zutage teils  ganz   abgelegt,   teils   auf  den  Verkehr  mit  ihren  Unter- 
gebenen beschränkt  haben,  müssten  diese  Formen  wie  faifo,  baikr,  die 
ja   keinerlei  Halt   an   hochdeutschen   Formen   haben,    den    von    der 
Majorität  gesprochenen  foite,  boikr  u.  s.  w.   doch  wohl  unterliegen. 
In  Egeln  findet  eine  sehr  ähnliche  Abstufung  im  Niederd.  statt ; 
doch  habe  ich  sie  im  einzelnen  nicht  verfolgen  können. 


52 

Wie  sich  zuweilen  in  dem  vom  Hochd.  beeinflussten  Niederd. 
die  analogen  Abstufungen  wie  in  dem  von  Niederdeutschen  oder  auf 
ehemals  niederdeutschem  Boden  gesprochenen  Hochdeutsch  finden, 
geht  aus  dem  von  Wäschke  S.  ICH»  aus  dem  Niederd.  der  Zerbster 
Gegend  angeführten  Beispiel  hervor,  wonach  neben  det .  dort  auch 
des  vorkommt,  das  nur  Angleichung  an  hochd.  das  im  Munde  Halb- 
gebildeter sei ;  vgl.  das  oben  über  jene  Formen  im  Berlinischen  Gesagte. 

Auch  dafür,  dass  es  auch  innerhalb  des  Niederd.  Abstufungen 
nach  Vornehmheit  giebt,  fehlt  im  Volke  das  Bewusstsein  nicht.  So 
begegnet  man  öfters  der  Vorstellung,  dass  ein  Nachbardorf,  das  mehr 
hochd.  Elemente  in  sein  Niederd.  aufgenommen,  vornehmer,  ein  an- 
deres, das  weniger  aufgenommen,  „platter"  rede.  Der  Bewohner  der 
Neustadt  unterscheidet  drei  Arten  des  Ditä  oder  Oltdffö,  erstens  seine 
eigene  Sprache,  das  Ni§t3t§,  zweitens  das  Schiffer-Magdeburgisch,  das 
FedRS,  drittens  die  Mundarten  der  Dörfer,  die  er  unter  dem  ver- 
ächtlichen Namen  BÜR§  (btäurisch)  zusammenfasst.  Die  wohlhabenden 
Handwerker  und  die  Ökonomen  in  Wanzleben  halten  oder  hielten 
die  Aussprache  foita,  boikr  für  grob,  die  untere  Klasse  deren  Aus- 
sprache faito,  baikr  für  affektiert ;  allerdings  hat  hier  auch  wohl  neben 
dem  Klassenunterschiede  die  sehr  in  das  Gehör  fallende  Differenz 
zwischen  tieferem  und  höherem  Eigenton  des  jeweilig  sonantisch  fun- 
gierenden Vokals  die  eine  Aussprache  als  grob,  die  andere  als  fein 
erscheinen  lassen. 

HALLE  a.  S.  Riehard  Loewe. 


53 


Mundart  des  Dorfes  Fahrenkrug 
in  Holstein. 

In  dem  holsteinischen  Kreise  Segeberg  sitzt  keine  Bevölkerung 
von  einheitlicher  Abstammung.  Um  1137  nahmen  von  Westen  her 
Holsten  das  wendische  Land  ein,  die  Gegend  von  Bornhöved  als  Mittel- 
punkt wählend.  Zu  ihrem  Besitze  gehören  die  dem  Kloster  Segeberg 
bei  seiner  Gründung  (1137)  geschenkten  Dörfer,  wie  Wittenborn,  Mözen, 
Högersdorf,  Schwissel  am  rechten  Traveufer  und  überhaupt  alle  west- 
lieh von  ihrem  Oberlaufe  liegenden  Ansiedlungen,  unter  ihnen  auch 
das  Vi  Stunde  von  Segeberg  liegende  Fahrenkrug.  Östlich  von 
Segeberg,  in  dem  Dreieck  Segeberg — Ahrensbök — Oldesloe  muss  die 
westfälische  Kolonie  gelegen  haben,  welche  Graf  Adolf  IL  im  Jahre 
1142  in  der  slavischen  Landschaft  Dargun  anlegte  (Helmold,  Chronica 
Slavorum  I,  57  u.  63).  Da  dieselbe  bereits  1147  von  den  Wenden 
zerstört  wurde,  so  wird  man  die  Bevölkerung  im  Amte  Ahrensbök,  um 
Warder  und  im  Amte  Traventhal  als  eine  Mischung  aus  später  heran- 
gezogenen Kolonisten,  zurückgebliebenen  Slaven  und  holsteinischen 
Sachsen  ansehen  müssen.  Einheimische  versichern,  dass  sie  sich  durch 
ihre  Aussprache,  noch  mehr  durch  einen  im  Vergleich  zu  den  Holsten 
am  rechten  Traveufer  weichen,  empfindlichen  Charakter  unterscheiden. 
Doch  kann  letzteres  auch  die  durch  den  fruchtbareren  Boden  be- 
dingte bequemere  wirtschaftliche  Lage  zur  Ursache  haben.  Von  Süd- 
westen her  werden  sich  damals  auch  die  Stormarn  gegen  die  Trave 
vorgeschoben  haben,  zu  deren  alter  Heimat  die  Gegend  von  Bramstedt 
und  Kaltenkirchen  sicher  gehört.  Zweifellos  ist,  dass  Wenden  genug 
zurückblieben,  um  dem  Volkstum  eine  Beimischung  ihres  Blutes  zu 
geben.  Andernfalls  wären  die  zahlreichen  wendischen  Orts-  und  Fluss- 
namen nicht  erhalten  geblieben*).  Mehr  als  das  ziemlich  verbreitete, 
dunkle  Haar  weist  häufig  Bildung  und  Blick  der  Augen  auf  slavische 
Abstammung  hin. 

*)  Wendische  Namen  im  Kreise  Segeberg  sind:  Barck,  Berlin  (in  Urkunden 
Bralin),  Blomnath,  Blunk  (Bulilunkin),  Dreggers  (Dregherze),  Gisskau,  Garbeck 
(Gorbeke),  Göls  (Golevitz),  Görs  (Gyritz,  Gurtze),  Hüls,  Kahlin,  Flur  bei 
Fehrenbötel,  Kellerblick,  Flur  bei  Bark,  Kembs  (Kempeze),  zwei  Krems  (Krem- . 
pifze),  Krebitz,  Kückels  (Kukeltze),  Leetzen  (Letzinge,  Lescinghe),  Mözen 
(Moitzing),  Nehms  (Nemizze),  Pahlast,  Flur  bei  Pronstorf,  Parlblik,  Flur  bei  Wit- 
tenborn, Petluis  (Putluse),  Putatz,  Flur  bei  Kückels,  Quaal,  V  Könnau  (Rennouwe), 
Rösing  (Rosen),  Rosau  (Flur  bei  Glashütte),  Selitzkamp  bei  Schwissel,  Sarau, 
Strcnglin,  Schwissel,  Zwisfelbeck  bei  Negernbötel,  Wensin,  Wietzig,  eine  Flur  bei 
Gönnebeck,  Wustroh,  eine  Flur  bei  Bevensee.  Auch  die  Flussnamen  Trabena, 
Bisence,  Bestene  (Trave,  Bisnitz,  Beste)  sind  wohl  slavisch.  Bei  Helmold  kommt 
noch  Cuzalina,  das  spätere  Högersdorf,  eine  Burg  in  Nizenna  und  das  Zventineveld, 
Sventipole,  d.  h.  die  Gegend  um  Bornhöved  vor. 


54 

Ich  habe  mich  auf  die  Mitteilung  solcher  Spracherscheinungen 
beschränkt,  welche  mir  gegenüber  andern  Mundarten  eine  Bedeutung 
zu  haben  schienen,  indem  ich  die  Kenntnis  des  überall  ziemlich  gleich- 
förmigen Seeniederdeutschen  voraussetze. 

1.  Vokale.  Kurzesa  hält  sich  in  de  tal,  pl.  de  talgen.  Wie 
im  R.  Voss  erscheint  ammer  (Eimer).  Es  steht  auch  fest  in  gras, 
man  (nur)  und  (=  mnd.  -ers)  in  hassen  (bersten),  gassen  (Gerste), 
kasbern  (Kirschen),  dwas  (quer). 

Gedehntes  a  vor  r  -t-  Konsonant  (=  mnd.  -er  u.  -ar)  in 
margel  (Mergel),  marken,  farken,  stark  (junge  Kuh),  kark,  ik 
starw  (ich  sterbe). 

Kurzes  &  steht  in  einigen  Fällen,  wo  andere  ndd.  Mundarten 
a  haben,  wie  in  ütfl Addern  (ausplaudern),  äddel  (Jauche),  ädebär 
(Storch).  Von  Wörtern  mit  langem  &  ^=  altem  ä  sind  Hfich  (schmutzig), 
r&m  (Sahne),  r&w  (Borke),  de  gr&pen  (der  dreibeinige  Topf),  ir 
(Ähre)  zu  beachten.  Unter  Einfluss  von  Konsonanten  entstand  &  in 
tag  (zähe),  bl&g  (blau),  fo  dri  as  (sobald  als),  ni  (nach),  ji  (ja), 
[jedoch  auf  der  Haide  j au],  woart  (Enterich),  ädebär  (Storch).  Ein 
Umlaut  dazu  ist  nicht  beliebt.  Man  hört  zwar  de  n&'  (die  Näthe), 
gr&len  (schreien),  aber  de  schilp  (die  Schafe),  du  bl&s  (du  blasest). 
Gedehntes  ä  steht  dann  auch  =  altem  a  in  hochtoniger  Silbe  vor 
einfachem  Konsonanten:  de  häf  (der  Hase),  von  däg  (heute),  drägen 
(getragen),  de  fäg  (die  Säge),  wäter  (Wasser),  häf  (Habicht),  de 
wäd  (Molken),  wäk  (Eiswake).  Es  erleidet  keinen  Umlaut  z.  B.  de 
nägels  (die  Nägel).  Endlich  steht  tonlanges  ä  da,  wo  das  späte 
Mittelniederdeutsch  statt  älterem  o  in  hochtoniger  Silbe  a  schreibt, 
in  hochtoniger  Silbe  und  vor  r  -t-  Konsonanten:  äpen  (offen),  de 
bäl  (die Bohle),  de  fäl  (das  Füllen),  guten  (gegossen),  häfen  (Strümpfe), 
de  k&t  (die  Käthe),  käl  (Kohle),  käben  (Stallung),  päten  (Setzlinge), 
t&gel  (Zügel),  barg  (Eber),  bärn  (Quelle).  Im  Plural  von  Substantiven 
erleidet  dies  ä  keinen  Umlaut:  tag  eis  (Schläge),  füg  eis  (Vögel).  Da- 
gegen erscheint  ein  solcher  in  iwer  (über),  de  ifel  (die  Dachtraufe), 
bin  (Hausboden),  de  bäwels  (der  oberste),  difig  (dumm),  grlwer 
'(gröber),  fik  hägen  (sich  freuen),  käk  (Küche),  de  mal  (die  Mühle), 
nit  (Nüsse),  fän,  pl.  fäns  (Sohn),  falen  (schmutzen),  winwirp  (Maul- 
wurf), ürgel  (Orgel). 

Selten  ist  kurzes  ä:  fäs  (sechs),  jedoch  auf  der  Haide  fös, 
tw41f  (zwölf),  de  r&t  (die  Ratte),  d&schen  (dreschen). 

Kurzes  ä  steht  ausser  als  Umlaut  von  a  in  der  Deklination  und 
Komparation  statt  H  in  was  (gewesen),  de  wässel  (das  Wiesel), 
äscher  (Grabscheit),  rädr  (Feldweg  zwischen  zwei  Knicken),  de  mät, 
pl.  de  matten  (der  Regenwurm),  de  fäss  (der  First). 

Langes  ä  ist  der  regelmässige  Vertreter  von  mnd.  e.  So  in  den 
Infinitiven  läsen,  gäben,  in  den  Participien  läfen,  bläben;  äfel(Esel), 
tofräden  (zufrieden),  gäl  (gelb),  spälen  (spielen),  de  fän  (die  Sehne), 
swinägel  (Igel). 

Kurzes   e   bewahren  wie  in  einzelnen  andern  ndd.  Mundarten: 


55 

nettel  (Nessel),  schell  (Schale),  fewwer  (Maikäfer).  Auch  steht  es 
statt  ä  vor  in  linguales  r  übergegangenem  d:  ferrer  (Feder),  lerrer 
(Leder),  werrer  (Wetter),  lerrig  (ledig). 

Langes  e  steht  in  ik  de  (ich  that)  neben  ik  dö,  het  (hiefs), 
wet  (weifs);  befen  (Binsen),  kateker  (Eichhorn),  leg  (schlecht), 
kl e wer  (Klee),  ment  (gemeint),  red  (Ried),  quefen  (nergeln),  quefen 
(Blasen),  meden  (mieten),  weden  (jäten),  wenig  (wenig)  und  vor  r: 
kerl,  dern,  gern,  stern,  kouher  (Kuhhirte).  Dann  in  den  Plur. 
Praet.:  wi  eten  (wir  afsen)  und  daher  auch  in  den  nach  Analogie 
derselben  gebildeten  Sing.  Praet.:  ik  gef,  les,  et,  fech  (sah)  u.  s.  w. 
Aber  wi  ge*wen,  le*gen,  ste*ken,  feHen,  le!fen. 

Kurzes  i  bietet  wenig  Besonderes:  finster  (Fenster),  mis  (Mist), 
minsch  (Mensch),  schipper  (Schiffer). 

Kurzes  o  in  nommen  (genommen),  kommen  (kommen),  fon 
(von)  entstand  wohl  durch  hd.  Einfluss. 

Kurzes  ö  steht  in  einigen  Fällen,  wo  andere  Mundarten  Formen 
mit  e  haben:  Woltern  (wälzen),  rönnen  (rennen),  ölben(elf).  Wie 
überall  in  Nordalbingien  föftig  (fünfzig),  dörp  (Dorf). 

Langes  6  steht  =  got.  au.  Dann  auch  in  gös  (Gans),  dön 
(thun),  tonebank  (Schenktisch);  vor  1,  m  und  r  in:  61t  (alt),  kolt 
(kalt),  körrn,  hörn,  torn  (Turm).  Aber  auch  statt  4:  görn 
(Garten),  bör  (Bär),  Körl  (Karl). 

Langes  8  =  got.  au  und  ö-Umlaut  wechselt  fast  in  allen  Bei- 
spielen mit  öi:  de  fßt  oder  föit  (die  Füfse).  Das  auffallige  höpen 
(hoffen)  wohl  zur  Unterscheidung  von  hopen  (Haufen). 

Kurzes  u  geht  nicht  in  o  über  in  Wörtern  wie  hungern, 
brummen,  spunnen  (gesponnen).  Auffällig  sind:  he  mutt  (er  mufs), 
wussen  (gewachsen),  pluddern  (plaudern),  tubben  (Pflock  in  der 
Wand),  muss  (Moos). 

Unter  den  kurzen  ü  fallen  im  Vergleich  mit  andern  Mundarten 
auf:  ünner  (unter),  bült  (Haufen),  nückernäm  neben  öckern&m 
(Spottname),  pük  (ausnehmend  fein),  de  fün  (die  Sonne),  snückern 
(schluchzen).  Dann  mütten  (müssen),  wi  müt,  auch  wi  schult, 
wült,  fünt,  ik  bün. 

Langes  ü  bietet  nichts  Bemerkenswerthes. 

DerLaut  ei,  mit  halblangem  e,  welches  den  Ton  hat,  und  nach- 
klingendem i,  steht  an  der  Stelle  von  mnd.  e,  soweit  es  =  got.  ai 
und  iu  ist:  reip,  deil;  deif,  fleigen,  snei.  Etwas  länger  ist  das 
e  des  Lautes  in  den  Praet.  Sing,  der  i-Reihe:  ik  bleif,  steig  etc. 
sowie  in  rpim,  breif,  keis  (Käse),  hei  (Hede),  weig  (Wiege). 

Ein  ai  entsteht  nur  aus  agi,  ahi  in  aisch  (unartig),  tain  (zehn), 
haister  (Elster),  sik  stauen  (sich  aufrichten),  n&mait  (Nachmaht); 
de  wai  (das  Eingeweide)  ist  wohl  Fremdwort. 

Genau  germanischem  ö  entsprechend  steht  ou  mit  sehr  kurzem  o: 
fout,  bloum,  houd,  plougsik  (Pflugmesser). 

In  allen  Wörtern,  die  8  haben,  hört  man  ebenso  häufig  öü  mit 
kurzem  gestofsenen  ö:  gröün  (grün),  dröüg  (trocken),  spöün  (Späne). 


56 

Es  scheint,  als  ob  der  Umlaut  zu  got.  au  mehr  8,  der  zu  got.  6  mehr 
öii  wäre. 

Gestofsene  Vokale.  Die  Laute  &r,  &,  &,  ü;  ü,  fi,  8,  i  werden 
oft  in  so  schnellem,  abspringenden  Tone  gesprochen,  dass  sie  aufhören 
Längen  zu  sein  und  gleichzeitig  eine  andere  Klangfärbung  annehmen. 
Grade  für  die  mittelholsteinsche  Mundart  hat  Mielck  bereits  im  Kor- 
respondenzblatt des  Vereins  III,  27  auf  die  Laute,  wie  sie  in  hOner 
(Hühner),  tö'läg  (Zulage),  nü  (nun),  Mlaten,  hösn  (Husten),  wösl 
(Wiesel)  vorkommen,  aufmerksam  gemacht. 

So  hört  man  närf  (Narbe),  arder  (Kreuzotter),  4'pen  (offen), 
kä'kn  (kochen).  Das  ä  =  mnd.  e  bekommt  durch  diese  gestofsene 
Betonung  fast  den  Klang  des  e:  negen  (neun),  smeten  (geschmissen), 
spinwewer  (Spinne),  p ekeln  (pökeln),  de  nes  (die  Nase).  Aber 
nur  de  bek  (Bach),  mel  (Mehl),  de  le  (Schwelle),  dagegen  de 
ISi  (die  Sense),  ferner  düfend,,  brüd,  krüpen,  füpen.  Seltener 
ist  das ,  gestofsene  ö  statt  8:  de  löper..  Auch  i  statt  i:  wi  habt 
keenttd  had   (Zeit   gehabt);    äwer't  Ts  (Eis)  gän. 

2.  Konsonanten.  Inlautendes  d  zwischen  Vokalen  geht  in  r. 
seltener  in  1  über:  arder  (Kreuzotter),  ik  bör  (ich  heizte),  bäru 
(Boden),  ferrer  (Feder),  mern  (mitten),  smorn  (schmunzeln);  jiller 
(Euter),  rälr  (Weg  zwischen  Knicken). 

Anlautendes  g  durchaus  wie  im  Hochdeutschen,  während  man 
sonst  in  der  Landschaft  noch  häufig  dafür  £  hört. 

Anlautendes  r  wird,  wie  im  ganzen  Kreise,  stets  mit  der  Zungen- 
spitze hervorgebracht. 

3.  Die  Deklination  bietet  wenig  Charakteristisches.  Bei  den 
Substantiven  lässt  sich  eine  Vorliebe  für  schwache  Pluralformen  auf 
-en  erkennen:  dat  licht  :  de  lichten,  de  fäg  :  de  f&gen,  de  elk 
(Iltis):  de  elken,  de  mät  (Wurm):  de  mäten.  Bisweilen  noch  de 
hüf  (Häuser),  gläf  (Gläser). 

4.  Die  Konjugation.  Eine  beträchtliche  Anzahl  von  Verben, 
welche  in  den  südlicheren  niederdeutschen  Mundarten  noch  stark 
flectieren,  sind  zu  schwachen  geworden:  däscht  (gedroschen),  gr&fd 
(gegraben),  bögd  (gebogen),  lad  (geladen). 

Nur  in  der  i-Reihe  der  starken  Verben  hat  das  Praet.  Sing, 
seinen  eigenen  Vokal  behalten,  in  allen  übrigen  tritt  der  Vokal  des 
Konjunktivs  auf.     Die  Ablautreihen  sind: 

1.  i  —  e  (e1)  —  ä  (bliben). 

2.  a.  fi  —  8  —  ä  (lügen), 
b.  ei  —  8  —  ä  (geiten). 

3.  i  —  ü  —  u  (spinnen). 

4.  ä  —  6"  —  1  (stälen). 

5.  ä  —  e  —  ä  (gäben). 

6.  ä  (ä)  —  8  —  k  (drägen). 

In  der  3.  Reihe  jedoch:  swillen  —  swöll  —  swollen,  hälpe 
—  hölp  —  holpen,  stärw  —  stärw  —  starben,  trecken  — 
trök  —  trocken. 


57 

In  der  4.  Reihe:  n&men  —  n8m  —  nommen;  befälen  — 
befüll  —  bef&len. 

In  der  6.  Reihe:  waschen  —  wusch  —  wuschen,  wassen  — 
wüs  —  wussen,  swören  ptc.  swörn. 

Ik  füll  (fiel),  höll  (hielt),  füng  (fing),  hüng  (hing),  hSt  (hiefs), 
löp  (lief),  slöp  (schlief),  röp  (rief),  güng  (ging),  stünn  (stand),  de, 
dÖ  (that). 

Ik  bün  (ich  bin),  du  büs,  he  es,  wi  fünt  (Brainstedt — Kai- 
tenkirchen:  wi  bunt);  ik  wör,  fe  wörn,  wäss  (gewesen). 

Schwache  Verben,  die  in  der  3.  Pers.  Praes.,  im  Praet.  und  im 
Part.  Praet.  ihren  Stammvokal  kürzen,  giebt  es  nicht:  töwd  (ge- 
wartet), he  töwd9  (er  wartete).  Eine  Ausnahme  machen  he  söch 
(er  suchte),  bot  (geheizt). 

5.  Nach  der  syntaktischen  Seite  besitzt  die  Mundart  lange  nicht 
die  Feinheiten  und  Mannigfaltigkeiten,  die  den  Mundarten  zwischen 
Ems  und  Weser  eigen  sind.  So  viel  ich  beobachten  konnte,  beschränkt 
sich  der  Satzbau  immer  auf  das  Notwendige.  Je  schlichter  und 
simpler,  desto  besser,  scheint  die  Regel  zu  lauten. 

Auffällig  ist,  wie  gänzlich  der  Konjunktiv  beseitigt  ist  —  wohl 
unter  dem  Einflüsse  der  Ersetzung  der  indicativischen  Formen  durch 
die  konjunktivischen. 

Die  Zusammensetzung  des  Praesens  von  werden  mit  dem  Infinitiv 
drückt  in  der  Mundart,  wie  im  Seeniederdeutschen  überhaupt,  nicht 
die  Zukunft  im  Allgemeinen,  sondern  die  unmittelbar  eintretende 
Handlung  aus:  he  ward  kämen,  er  ist  im  Begriff  zu  kommen.  Aus 
dem  Praeteritum  dieser  Form  entstand,  wie  es  scheint,  im  15. — 16.  Jh. 
unser  hd.  „ich  würde  lieben*.  Vgl.  die  Beispiele  in  „Teweschen 
Hochtiedt*  Bauernkoinödien  S.  262  u.  271. 

6.  Der  Wortvorrat  der  holsteinschen  Mundarten  verdiente  wohl 
einmal  eine  neue  Darstellung.  Schütze  und  Richey  sind  doch  zu  ver- 
altet und,  was  schlimmer  ist,  ohne  lebendige  Kenntnis  des  Arbeitslebens 
geschrieben.  Ich  stelle  einige  Wörter  zusammen,  die  mir  mein  Kollege 
Teege  angegeben  hat.  äs  eher,  Grabscheit.  Vgl.  Korrbl.  9,  14.  — 
äfel,  8 fei.  1)  überstehender  Teil  des  Strohdachs.  Mnd.  ovese.  2) 
Eiszapfen.  Bei  Gilow,  Leitfaden  der  vorpomm.  Ma.  „Schnuppen".  — 
äks!  Ausdruck  des  Ekels.  —  bäk,  f.,  Bach,  gewöhnlicher  au.  —  b&rg, 
Schwein.  —  bannig,  sehr.  —  born,  Feldbrunnen  für  das  Vieh,  Quelle; 
börnen,  tränken.  —  brammen,  wiehern.  —  br&gen,  Gehirn.  — 
britsen,  prügeln.  —  brüen,  necken.  —  brot,  leicht  verletzlich.  — 
bot,  stumpf  (von  Werkzeugen).  —  dim,  der  Diemen.  —  döns,  f., 
Stube  (schon  selten).   —   don,  da,  dann.   —   drach,  f.,  Achselholz. 

—  dflfich,  schwindelig;  d&fich,  dumm.   —   de  dünnen,  f.,  Schläfe. 

—  dut,  m.,  Haufen.  —  elhorn,  Holunder.  —  elk,  Iltis.  —  nich  et, 
nicht  geniefsbar,  von  Heu,  welches  die  Kühe  verschmähen.  — 
fearkou,  unfruchtbare  Kuh.  —  feudel,  Aufnehmelappen.  Nach 
Halbertsma  in  Overijssel  feitel,  f.  =  Nachthalstuch  für  Frauen,  Wisch- 
tuch.   In  Sliedrecht:  fijtel  =  Geifertuch  für  kleine  Kinder.  —  ganner, 


58 

Gänserich.  —  gripen,  dreibeiniger  eiserner  Topf.  —  grinen,  lächeln. 

—  haben,  Himmel.  —  hänbalken,  Querbalken  zwischen  zwei  Sparern 
sik  h&gen,  sich  freuen.  —  häfen,  Strümpfe  (nur  noch  von  alten 
Leuten  gebraucht).  —  hek,  n.,  Feldthor.  —  hilg,  die  Hilde.  — 
hot  u.  n&  di,  rechts  und  links,  beim  Fuhrmann.  —   httren,  mieten. 

—  jiller,  Euter.  —  jit,  n.,  Schaf.  (Nach  Schütze:  Ziege.)  —  kamp, 
eine  grofse  Koppel.  —  kateiker,  m.,  Eichhorn.  —  klben,  m.,  Stall. 

—  kiewer,  Klee.  —  kliben,  Kletten.  —  klüftig,  klug.  —  knei, 
m.,  Knie.  —  knütten,  stricken.  —  krous,  Krug.  —  kr  fisch, 
wählerisch.  —  küfel,  Kreisel.  —  küf,  Backenzahn.  —  kwanswis, 
zum  Schein.  Ik  frög  em  fo  kwanswis.  —  kwßfen,  nergeln.  — 
läfig,  schwach.  —  16,  18i,  f.,  Sense.  —  le,  lä,  f.,  Schwelle.  —  leg, 
schlecht.  —  mal,  närrisch,  verrückt.  —  mät,  Regenwurm.  — m&den, 
mieten.  —  mes,  n.,  Messer.  —  möten,  zum  Stillstehen  bringen.  — 
middewäken,  Mittwoch,  wonsdag  ist  unbekannt.  —  mit,  f.,  Heu- 
miete. —  möischen,  m.,  Waldmeister.  —  nas,  m.,  Schachtel.  — 
nip,  genau.  —  nef,  Nase.  —  nücken,  Tücke.  —  olmich,  faul  (von 
Holz).  —  ftmer,  Oheim;  Hans-Öm,  Onkel  Hans.  —  p&ge,  Pferd, 
besonders  Wallach.  —  park,  Mark.  —  p&fel,  m.,  Ochsenziemer.  — 
päten,  Setzlinge.  —  peik,  f.,  Pieke.  —  pi,  f.^ Nachtrock  der  Kinder. 

—  plärtschen,  plätschern.  —  plougsik,  Pflugmesser.  —  poggen- 
stoul,  Pilz.  —  poggenkoller,  m.,  Froschlaich.  —  prünen,  schlecht 
nähen.  —  pük,  extra  fein.  —  r&w,  f.,  Kruste,  Schorf.  —  rädr, 
rällr,  n.,  Weg  zwischen  zwei  Koppeln.  —  r&m,  m.,  Sahne.  —  rank, 
schlank.  —  rölk,  Schafgarbe.  —  röster,  n.,  Teil  des  alten  Holzpfluges. 

—  rüffel,  m.,  Spaten  ohne  Griff.  —  rüfich,  rauh  (vom  Wetter).  — 
fewwer,  Maikäfer,  fewer,  Geifer.  —  fid,  niedrig.  —  fil,  Siel, 
Kanal.  —  fipen,  sickern.  —  sl6t,  junge  Fichtenstämme.  —  siengel, 
Brunnenhebel.  —  smörn,  schmunzeln.  —  filen,  schmutzen.  —  foot, 
Brunnen.  —  stackel,  m.,  ein  Mitleid  erregendes  Geschöpf.  — 
stur,  grade,  straff,  ablehnend  von  Wesen.  —  füster,  Schwester,  nur 
noch  scherzend,  sonst  swester.  —  swäp,  f.,  Peitsche.  —  swinplitsch, 
lauernd  klug.  —  tau,  m.,  Webstuhl.  —  t&t,  Stute.  —  täw,  tiff, 
Hündin.  —  t&gels,  Schläge.  —  tokum  wäk,  künftige/  Woche.  — 
1 6  neb  ank,  Schenktisch.  —  trünneln,  wälzen,  rollen.  —  tüdr,m., Bind- 
seil nebst  Pflock  für  grasendes  Vieh.  —  twälfen,  Zwillinge.  —  et 
twält  sik,  es  teilt  sich  in  zwei.  —  ul,  f.,  Haarbesen.  —  unnasch, 
unreinlich,  unsanft,  naschhaft.  —  unnoug,  ungern.  —  wid,  f.,  Molken. 

—  wäk,  f.,  Eiswake.  —  woart,  Enterich.  —  weden,  jäten.  —  willnbom, 
der  Wiesbaum.  —  winwirp,  Maulwurf.  —  wiern,  Metalldräte.  — 
wrlben,  reiben.  —  writen,  wuchern. 

SEGEBERG.  H.  Jellinghaus. 


59 


Syderak. 


Eine  der  wichtigsten  mnd.  Handschriften,  welche  noch  einer  Be- 
sprechung, vielleicht  einer  Herausgabe  harren,  ist  der  Kopenhagener 
Sidrac.  Dieses  berühmte  Buch  ist  im  14.  und  15.  Jh.  in  viele  Sprachen 
übertragen  worden.  Über  die  französische  Bearbeitung  berichtete 
Fl.  Frocheur  im  Messager  des  sciences  hist.  de  Belgique  1842  S.  79 — 86. 
Das  italiänische  „libro  de  Sidrach*  veröffentlichte  A.  Bartoli,  Bologna 
1868.  In  niederländischer  Sprache  sind  7  Handschriften,  welche  sich 
in  Hamburg,  Königsberg,  Stuttgart,  Brüssel,  Delft,  London  und  Oxford 
befinden,  und  aufserdem  zwei  Drucke,  Deventer  1496  und  Antwerpen 
1564  bekannt.  Vgl.  Mone,  Übersicht  der  niederländischen  Volksliteratur 
352  f.,  Graesse,  Allg.  Litterargeschichte  II,  Abt.  2,  708,  Zeitschrift 
für  d.  Alterthum  13,  528,  Germania  31,  342.  Die  poetische  Einleitung 
und  den  Epilog  der  Hamburger  Hs.  hat  M.  de  Vries  in  De  Taal-  en 
Letterbode  HI  (1872),  65 — 70  veröffentlicht.  Der  einzige  ndd.  Sidrac 
befindet  sich  unter  den  Roostgaardschen  Manuscripten  der  Universitäts- 
bibliothek in  Kopenhagen.  Er  stammt  aus  dem  Anfange  des  15.  Jahr- 
hunderts. Im  Kataloge  Nr.  807  „Des  Wysen  Syderachs  bock  von  unter- 
schiedlichen Fragen  verfasset  in  388  Kapiteln  mit  einem  Register". 

Vorn  auf  den  ersten  12  Blättern  sieht  das  Register:  „Dit  is  dat  register  ouer 
des  wysen  astronimus  bock  gheheyten  syderack.  Dar  ghi  moghen  inne  vinden  vele 
wonders  vnde  mennygherhande  vraghc.  Nw  begynnet  de  erste  vraghe  aldus:  Was 
god  alle  tyt  vnde  schal  alle  tyt  vort  alfo  blyuen." 

Bl.  12:  „Wat  sprak  adam  erst  vth  synen  monde.  Also  de  moder  der  waren 
Propheten  steinen  schal  schal  se  ghedraghen  werden  in  dat  paradys  myd  vleisch 
vnde  myd  knoken." 

Bl.  A  1,  Z.  10  des  Buches  selber:  „Vnde  god  dorch  syne  grote  barmherticheyt 
wolde  openbaren  de  leue  de  he  hadde  to  deme  siechte  Japhet  noes  sones  vnde 
ghewaer  werden  eynem  van  dem  suluen  gesiechte  de  hete  syderak.  Den  he  vor- 
nullede  vul  alre  wisheit  vnde  leet  eme  to  wetende  werden  alle  dink  de  gescheen 
weren  van  anbeghynne  der  werlt  wente  to  synen  tyden." 

A  4:  „In  dem  jaer  na  godes  ghebort  dusent  twe  hundert  vnde  vierunvertich 
Do  weren  dar  vorredere  to  vnde  vragheden  na  dessen  boke.u 

B  4:  „Nw  beghynnet  hyr  de  eerste  vraghe  van  dessen  boke.  De  konningh 
boctu8  vraghede  den  wysen  philosophus  syderak." 

Dl:  „Dar  na  eyne  tyt  scholen  komen  twe  sulen  De  eyne  schal  gheheten 
gyn  de  mynre  brodere  vnde  de  andere  de  predikere." 

M  8:  „Hyr  nemet  dit  bock  synen  ende  des  wysen  Philosophen  vnde  astro* 
nomus  meisten  syderacks  de  dar  vele  gheleert  heft 

Der  Epilog  (vgl.  De  Taal-  en  Letterbode  3.  69)  beginnt:  „God  sy  ghelouet 

van  hemelryke God  unfe  lyff  vnde  feie  bewaer  nw  vnde  to  alre  tyt  Vnde 

make  vns  van  allen  sunden  vry  vnde  quyt. 

Amen  segghet  alle  tosamen 
In  Godes  namen.u 

SEGEBERG.  H.  Jellinghaus. 


60 


Eine  Werdener  Liederhandsehrift 
aus  der  Zeit  um  1500. 


Bei  seinen  Untersuchungen  der  Abteikirche  in  Werden  fand  mein 
Freund  W.  Effmann  vor  einigen  Jahren  unter  altem  Gerumpel  eine 
stark  verrissene  Papierhandschrift  im  Formate  eines  kleinen  Gebet- 
buches (13Vt  cm  lang,  10  cm  breit).  Die  Bruchstücke  sind  vom  Buch- 
binder nicht  ganz  richtig  wieder  zusammengebunden  und  befinden  sich 
jetzt  im  Pfarrarchive  zu  Werden.  Der  Inhalt  besteht  aus  drei  verschie- 
denen Teilen,  die  auch  von  drei  verschiedenen  Händen  herrühren :  die 
Betrachtungen  der  sieben  Schmerzen  Mariens  und  die  Beschreibung  der 
heiligen  Örter  in  Rom  und  Jerusalem  zeigen  in  den  Schriftzügen  schon 
merkliche  Hinneigung  zur  Cursive  und  weisen  dadurch  wol  in  das  2. 
oder  3.  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhundert.  Der  erste  Teil,  der  geistliche 
Lieder  enthält  und  uns  hier  allein  beschäftigen  soll,  ist  von  einer 
älteren  Hand  aufgezeichnet;  die  Schreibweise  ist  noch  ganz  die  des 
15.  Jahrhunderts,  wodurch  jedoch  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  die 
Niederschrift  im  Anfang  des  folgenden  durch  einen  älteren  Schreiber 
stattfand;  das  Lied  Nr.  5  verlangt  mögliche  Herabdrückung  des  Alters. 

Für  den  niederrheinisch-niederdeutschen  Liederschatz  des  15.  Jahr- 
hundert ist  diese  Sammlung  nicht  ohne  Interesse.  Sie  zeigt  uns  nicht 
nur  die  allgemeine  Verbreitung  vieler  Lieder,  sondern  bringt  auch 
manche  ganz  unbekannte,  bei  anderen  bietet  sie  uns  eine  Handhabe 
für  die  Wiederherstellung  des  ursprünglichen  Textes.  Ich  will  von 
der  argen  Verderbtheit  des  Textes  in  dem  von  Hölscher  heraus- 
gegebenen Liederbuche  der  Katharina  Tyrs l)  gar  nicht  reden  —  man 
vergleiche  nur  einmal  die  nur  aus  jener  und  dieser  Sammlung  be- 
kannten Gedichte  oberflächlich  mit  einander  —  auch  die  Texte  der 
Hoffmann'schen  Handschriften2)  sind  keineswegs  fehlerfrei,  und  es  ist 
dem  Herausgeber  keineswegs  überall  gelungen,  die  Fehler  zu  beseitigen. 
Freilich  sind  auch  die  vorliegenden  Texte  nicht  tadellos,  einige  sind 
sogar  im  Ganzen  genommen  schlechter  als  bisher  veröffentlichte,  aber 
im  Einzelnen  bieten  sie  auch  dann  nicht  selten  die  ursprünglichen 
Lesarten  und  sind  daher  für  eine  kritische  Herstellung  der  Texte  nicht 
unwichtig.  Es  scheint,  dass  die  Niederländer  dem  mittelalterlichen 
Kirchenliede  die  lange  entzogene  Gunst  wieder  zuwenden  wollen ;  Acquoy 
hat  bereits  einen  Anlauf  gemacht,   um  das  Versäumte  nachzuholen8). 

')  Niederdeutsche  geistliche  Lieder  und  Sprüche  aus  dem  Münsterlande 
Berlin  1854. 

*)  Horae  Belgicae  Bd.  10  Hannover  1854. 

•)  Het  geestelyke  lied  in  de  Kederlanden  voor  de  hervorming.  (Separat- 
abdruck aus  dem  2.  Bande  vom  Archief  voor  Nederlandsche  kerkgeschiedenis  onder 


«i 


Bei  einer  Reihe  von  Liedern  wird  sich  auch  jetzt  schon  durch  eine 
Prüfung  der  Reime  feststellen  lassen,  in  welcher  Gegend  sie  entstanden 
sind.  Wenn  auch  vieles,  so  ist  doch  nicht  alles  jenseits  der  jetzigeh 
Grenze  entstanden.  Ich  will  hier  nur  auf  das  Lied  Nr.  21  verweisen, 
das  bereits  bei  Hoffmann  unter  Nr.  118  abgedruckt  ist;  dort  fehlt 
aber  jede  örtliche  und  persönliche  Beziehung;  diese  hat  man  in  deh 
Niederlanden  verwischt  und  so  aus  dem  ursprünglich  historischen 
Liede  des  Antisemiten  Jakob  von  Ratingen  (zwischen  Werden  und 
Düsseldorf)  ein  geistliches  Lied  gemacht. 

Ob  die  vorliegende  Sammlung  in  Werden  veranstaltet  ist,  lässt 
sich  nicht  mit  Bestimmtheit  behaupten;  soviel  lässt  sich  nur  sagen, 
dass  der  Sammler  selbst  von  der  westfälisch-niederrheinischen  Grenze 
gebürtig  war,  und  zwar  wol  aus  einer  Gegend  westlich  von  Werden. 
Er  hat  den  Dialect  nicht  gleichmässig  geändert;  man  sieht,  dass  nicht 
alles  einer  Vorlage  entnommen  ist,  manches  mag  auch  aus  dem  Ge- 
dächtnisse aufgezeichnet  sein.  Aber  das  ist  wol  zu  sehen,  dass  man 
in  seiner  Heimat  bekieren  st.  bekeren,  behueder  st.  behoder  usw.  sprach. 
Ich  habe  diese  Eigentümlichkeiten  nur  dort  beseitigt  und  einen  an- 
nehmbaren Text  herzustellen  gesucht,  wo  unsere  Sammlung  die  alleinige 
Grundlage  für  die  Herstellung  des  Textes  bilden  muss;  sonst  habe  ich 
nur  offenbare  grobe  Versehen  berichtigt  und  dabei  diese  in  die  An- 
merkungen verwiesen. 

Die  Lieder  Nr.  1 — 22  schliessen  unmittelbar  an  einander;  Nr.  23, 
das  grade  2  Blätter  umfasst,  ist  ein  Rest  aus  dem  fehlenden  Schlüsse. 
Es  lässt  sich  nicht  bestimmen,  wie  viele  Lieder  verloren  sind,  der 
Umstand,  dass  sie  mit  den  Weihnachtsliedern  beginnen,  lässt  auf  eine 
Anordnung  nach  den  kirchlichen  Festen  und  damit  auf  einen  grossen 
Verlust  schliessen. 

Bei  dem  Abdrucke  habe  ich  die  Strophenabsätze  det  Handschrift 
beibehalten;  man  kann  daraus  ersehen,  dass  sich  Melodie  und  Strophe 
nicht  immer  deckten. 

Nr.  1. 
To  kerssmtese  een  suverlicke  loysse. 


Het  is  een  dach  der  vroelicheit 
all  yn  des  connynges  have, 
dat  heeft  gewonnen  in  wonderheit 
een  maeget  tot  onsen  lave; 
dat  kindekyn  is  seer  wonderlick, 
syn  aensicht  is  genuechgeück 
na  syner  minschelicheiden, 
syn  wesen  dat  is  onbegrypelick 
ende  daer  to  seer  onsprekelick 
na  synre  gotlicheiden. 


2. 

Die  moder  is  dochter  wonderlick 
oers  soens  ende  hy  oer  vader; 
waer  hoert  ymant  des  gelyc? 
hy  is  god  ende  mynsch  to  gader; 
hy  is  cnecht  ende  daer  to  heer, 
hy  is  aver  alle,  dat  is  meer 
onbegrypelic  to  vynden, 
teghenwordich  ende  veer; 
alsulkes  wonder  des  groten  heer 
ten  kan  geen  man  besynnen. 


redactie  Tan  J.  G.  R.  Acquoy  en  H.  G.  Kogge.    's-Gravenhage  1867.)    Dort  findet 
man  auch  eine  Übersicht  über  die  vorhandene  Litteratur. 


to 


Doe  was  gebaren  die  gades  soen 
van  eenre  maeget  puren, 
als  van  lelyen,  rosen  schoen, 
verwondert  der  naturen, 
dat  een  maeget  een  soen  gewan, 
die  was  eer  ye  dynck  began; 
sy  was  yn  synen  behagen, 
dat  die  borst  der  reinicheit 
gaven  melc  der  kyntlicheit, 
die  Beer  alt  was  van  dagen. 


6. 

Ut  vitrum  non  leditnr. 

Een  glas  alheel  dat  schynt  daer  doer, 

ten  briet  niet  van  der  sonnen: 

so  heeft  een  maeget  na  ende  voer1) 

ionefron  een  kynt  gewonnen. 

selich  is  die  moder  dan, 

die  gades  soen  ter  werlt  gewan, 

god  ende  mynscb  gebaren! 

die  borsten  oec  wael  selich  waren, 

die  god  in  synen  jongen  jaren 

to  sngen  had  verkaren. 


4. 

In  den  donckeren  wart  hy  gebaren 

die  son  der  sonnen  verliebter ; 

dat  kynt  wart  yn  den  stal  gelecht, 

all  der  werlt  stichter; 

die  moder  selver  yn  den  doekeren  want 

des  sternemeckers  rechterhant, 

do  he  den  hemel  wrachte; 

hy  Bchreyde,  als  een  kyndekyn  doet, 

die  wölken  dienden  om  onder  synen  voet, 

doe  he  opvoer  mit  erachten. 


6. 

Angelas  pastoribus. 

Den  waekenden  hierden  god  ontboed 

des  nachts  by  oeren  beesten 

myt  synen  engelen  blytschap  groot: 

gebaren  een  konnynck  mit  festen, 

den  gewonnen  heeft  een  maget 

ende  hebben  on  yn  die  kribbe  gelacht 

ende  yn  den  doeken  gewonden; 

dat  kynt  dat  is  der  engele  heer 

van  gedaenten  schoon  voel  meer, 

dan  ye  kynt  wart  gevonden. 


Doe  men  alle  die  werlt  beschreef, 

doe  gynck  die  maget  sware 

to  Betlehem,  al  daer  sy  bleef, 

dat  kynt  wart  daer  gebaren, 

dat  he  ons  wil  schryven  ynden  hof, 

daer  die  engele  syngen  lof 

van  nyer  werdicheiden. 

god  hyr  baven  ynden  hemelryck 

die  gheve  den  mynschen  op  ertryck 

van  gnden  willen  vrede! 


Das  Lied  ist  bereits  abgedruckt  bei  Hoffmann  a.  a.  0.  in  zwei  Fassungen 
(ffr.  21  u.  22)  und  von  Hölscher  a.  a.  0.  Nr.  VIII.  Es  steht  auch  in  dem  Lieder- 
buche der  Anna  von  Köln  unter  Nr.  19;  vgl.  Bolte,  Das  Liederbuch  der  Anna  von 
Köln  (in  der  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  Bd.  XXI  S.  129  ff.)  S.  134,  wo  die 
weitere  Litteratur  angeführt  ist.  Unser  Text  ist  eine  Mischung  von  den  beiden  bei 
Hoffmann.  Str.  4  zeigt,  wie  sehr  die  Texte  bei  der  Überlieferung  litten  und  wie 
man  vergeblich  bemüht  war  doch  wieder  Sinn  hineinzubringen,  unbekümmert  um 
das  lat.  Original  (Dies  est  laetitiae). 


*)  hs.  voer  ende  na. 


ft& 


Nr.  2. 
Ben  Ander  up  die  selve  wijse. 


Een  yeghers  hoern  mit  rijcker  schall, 
dat  dorch  die  oren  dynnet, 
datlnydtso  veern  doer  berch  eü  dael; 
wat  isset  dat  daer  grymmet? 
och,  wechter  van  Jherusalem, 
na  hoert  na  deser  yacht  beqneem, 
luert  nnt  den  bogen  tynnen! 
verneem  dy  ijt?  dat  doet  ans  schijn, 
dat  moet  een  vremde  wonder  sijn, 
verwaerd  n  stat  van  bynnen! 

2. 
Ick  sie  in  deser  dnyster  nacht 
mit  also  heymelicker  wonne 
een  yoncfrou  herden  yn  der  yacht, 
se  is  claerre  dan  die  sonne; 
se  vuert  twe  wynd  aen  oerre  haut, 
knysheit,  oetmoet  synt  sy  genant, 
to  Nazareth  geneket; 
ic  sie  den  hemel  apen  staen, 
die  dryvold  daer  to  rade  gaen1), 
gades  toern  is  nu  geweken. 

3. 
Ick  sie  den  rait  geslaten  gaus, 
die  bade  is  nnt  geseyndet, 
noch  claerre  dan  een  carbunkel  glans; 
daer  hy  die  yoncfron  vyndet, 
by  grneten  se:  genaden  voll, 
het  sprynget  na  oer,  dat  sien  ic  wall, 
een  eenhorn  stark  van  krechten; 
he[t]  gaff  der  maeget  gevangen  sich 
yn  oeren  schoet  seer  mynnentlich, 
seer  meisterlic  van  scheften. 


4. 


Dat  is  die  dochter  van  Syon, 

die  ons  duck  heeft  besweret; 

kendy  oeren  brndegom? 

woe  snell  hy  oer  vercleret? 

se  heft  gevonden,  den  se  sockt 

na  edel  ioncferlicker  tocht: 

oer  vronde  was  ongemeten; 

oer  lichain  was  swanger  sonder  man, 

die  heilige  geest  dat  vnegen  kan, 

god  heeft  oer  hert  beseten. 

6. 
Do  sich  dat  neecte  ter  geboert*), 
die  vorst  wold  sijn  onslaten, 
oer  ionferscap  bleef  (oer)  onberaert 
god  is  doer  oer  gevlaten. 
vervronwe  dy,  moder  ende  maeget, 
het  heeft  den  heren  aldus  behaeget, 
anschouwe  voer  dynen  ogen 
een  kijnt,  een  schepper  uutverkaren, 
god  ende  mensche  van  dy  gebaren, 
geswongen  nutten  hogen. 

6. 
Se  droecht  oec  niet  der  vrouwen  stuer"), 
die  engelen  oer  plegen, 
die  werlt  scheen  ciaer  recht  als  een  vner, 
vol  engelscher  schaer  belegen; 
se  vervrouden  sich  der  nyer  vrncht, 
se  songen  vroelic  ynder  Incht: 
eer  sie  gade  ynden  bogen4), 
den  mynschen  vrede  op  erden  hier 
van  guden  willen!  reeden  wijr, 
wen  en  solt  des  niet  genogen*)? 


7. 
Die  connync  ynder  cribben  leecht, 
seer  cleyn  ind  nochtant  almechtich, 
wie  des  yn  synen  herten  niet  en  dreecht, 
die  is  gades  ongedechtich. 
Die  oss  ind  die  ezel  bekanden  on, 
dat  hy  weer  die  rechtverdige  son, 
die  all  die  werlt  verlucbtet. 
nu  laet  ons  mitten  herdekijn 
aenbeden  dat  snete  kyndekijn, 
dat  hemel  ind  erde  ontfrnchtenl 


')  die  heilige  dryvoldicheit  to.  *)  hs.  Dat  neecten  sich  ter  geboerten  wart. 
')  hs.  stoer.  Die  folgende  Zeile  lautet:  die  engelen  oerre  pleechden.  4)  hs.  yn  der 
hoechden.    •)  hs.  genuegen. 


14 

Vgl.  Hölscher  Nr.  9;  es  fehlen  dort  xwei  halbe  Strophen,  wie  überhaupt  sein 
Text  sehr  verderbt  ist.  Str.  2,  Z.  9  und  Str.  6  Z.  2  findet  sich  dort  indes  die  richtige 
Lesart,  die  ich  infolgedessen  aufgenommen  habe,  wie  noch  einige  andere  kleinere  Abwei- 
chungen Str.  6  Z.  9  (wir)  spricht  für  rheinländischen  Ursprung,  falls  der  Vers  nicht 
verderbt  ist.  Str.  7  Z.  10  (ontfruchtet)  würde  indes  nach  Westafen  weisen,  wenn  wir 
so  genaue  Reime  von  dem  Verf.  verlangen  dürften.  Zu  Str.  1  und  2  vgl.  W.  Wacker- 
nagel, Kleine  Schriften  Bd.  III  S.  83.  Die  Betonung  Siöoi  und  Jerusalem  hat  ihren 
Grund  im  lateinischen  Kirchengesange. 


Nr.  3. 
Eeen  nyenyaersdaeh  (een)  loyssehen. 


Mit  desen  nyen  yare 

so  word  ons  apenbare, 

-woe  dat  een  maeget  vruchtbare 

die  werlt  heeft  verblijt. 

Gelavet  moet  sijn  dat  kyndekyn, 

geeret  moet  sijn  dat  meechdekijn 

nn  inde  ewelick  yn  alre  tijt. 


Se  gebeerden  al  sonder  pijne 
ende  bleef  een  maeget  fijne, 
des  sunders  medicijne, 
des  hebben  die  yoeden  spijt. 
Gelavet  etc. 


Woe  wal  was  oer  to  moide, 
do  se  in  vleysch  ende  yn  bloyde 
aensach  oers  horten  hoede, 
den  heren  der  werlt  wijt. 
Gelavet  etc. 


6. 

Des  dartyenden  dages,  sijdt  vroeder, 
vonden  sijt  by  sijnre  moeder, 
Joseph  was  oer  behoeder, 
so  ons  die  scrift  belijdt. 
Gelavet  etc. 


7. 

Dat  kynt  van  doechden  rijcke 
bracht  ons  in  all  ertrijcke 
den  vrede  gewarichlike, 
des  hadden  die  herden  jolijt. 
Gelavet  etc. 

8. 

Drye  connynghen  onbekande 
quamen  (te  doen)  om  offerhande 
veer  uut  Orientenlande, 
god  sy  gebenedijt. 
Gelavet  etc. 


Die  engele  songen  schone 
gloria  ynden  throne 
to  eeren  ende  oec  to  lave 
dem  kynde,  des  seker  sijdt. 
Gelavet  etc. 


9. 

Myrre  offerden  Jaspar, 
wyroick  connynck  Melchior 
ende  daer  na  polt  Baltasar, 
dies  niet  en  geloeft,  vertijt 
Gelavet  etc. 


5. 

Als  acht  daeghe  waren  geleiten, 
doe  waert  Jhesns  besneden 
al  na  der  yoeden  seeden, 
-welc  ons  van  sunden  vrijet 
Gelavet  etc. 


10. 

Als  ses  wecken  omme  quamen, 
stont  se  op  na  betamen, 
gevrijet  van  allen  vlamen, 
om  na  toe  volgen  die  wyt 
Gelavet  etc. 


65 


n. 

Doe  gynck  die  maeget  al  sympel 
ende  bracht  oer  kijnt  teil  tempel 
alle  Trouwen  tot  een  exempel', 
dies  oer  niet  en  vermyt. 
Gelavet  etc. 

12. 
Doe  Symeon  die  aide 
sach  dat  kint,  8yn  herte  vervroude; 
he  voersprack,  dattet  noch  solde 
ons  van  sunden  maken  vrij. 
Gelavet  etc. 


13. 
Elc  vrolick  sich  hier  (?)  aene, 
bidde  oer  ende  vermane, 
om  ons  by  oer  to  ontfane, 
als  ons  die  doot  verwijst 
Gelavet  etc. 

14. 
Noch  liet  hy  aver  drij  ende  dertich  jaer 
sich  selven  an  een  cruce  siaen, 
om  ons  to  verlosen  van  den  doot. 
Nn  help  ons  god  nnt  alre  noot! 
Gelavet  etc. 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  1  und  2,  Hölscher  Nr.  12.  Bei  Hoffmann  zählt  das  Ge- 
dicht einmal  6  und  einmal  10  Strophen;  die  letztere  Anzahl  hat  es  auch  bei 
Holscher.  Keiner  der  Texte  ist  korrekt.  Str.  6  u.  14  sind  wol  sicher  spätere  Er- 
weiterungen.   Die  Reime  in  Str.  12  beweisen  den  niederländischen  Ursprung. 


Nr.  4. 
Dertijndaeh  een  ander  loysse. 


1. 


Drij  konnyngen  nut  Orienten 

qnamen  toe  Jhernsalem; 

By  vraechden,  waer  is  hy  gebaren 

die  connynck  der  Joeden? 

sy  saghen  in  Orienten 

een  sterne  fijn, 

sy  quamen  om  aen  to  beden 

dat  kijndekijn. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren 

in  Bethleem, 

des  had  Herodes  toorne, 

dat  scheen  aen  em. 


Als  Herodes  dat  vernam, 

dat  een  konnynck  gebaren  was, 

so  was  hy  toornich  ende  gram 

ende  hy  vergan  on  des, 

dat  hy  Verliesen  solde 

sijn  rijc  seer  groot, 

hy  dacht,  woe  hy  mocht  brengen 

dat  kijndekijn  ter  doot. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 

3. 
Herodes  sprack  den  konnyngen  toe: 
gaet  hyn  ende  sueckt  dat  kijnt 

NiederdeuUchei  Jahrbuch.    XIV. 


mit  also  groter  werdicheit, 

ende,  so  men  van  on  seget,  hij  is  konnynck 

baven  allen  konnyngen; 

hy  is  so  fijn, 

men  seget,  hij  sal  besitten 

dat  rijcke  mijn. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 

4. 
Als  gy  dat  kyndekijn  hebt  gevonden, 
so  komt  weder  om  tot  my, 
dat  ick  in  körten  stonden 
mach  weten,  waer  et  sy, 
dat  ick  oeck  aen  mach  beden 
dat  kijndekijn, 
dat  heft  so  seer  doersneden 
dat  herte  mijn. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 

5. 
Herodes  vraechden  de  vroden, 
waer  dat  kijndekijn  gebaren  was; 
sy  seyden:  heer,  in  Bethlehem, 
als  die  propheet  ons  las, 
dat  daeruut  solde  komen 
een  here  fijn, 
die  noch  besitten  solde 
dat  rijcke  dijn. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 

5 


66 


6. 
Als  die  drije  konnyngen  quamen 
baten  Jherusalem, 
mit  vrouden  sy  vernamen 
die  sterne  staen  voer  om 
ter  steden  dat  sy  vonden 
dat  kijndekijn, 
yn  dnekeren  gewonden 
by  der  moder  syn. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 


Die  konyngen  aenbeden  dat  kijndekijn 

van  dertien  daegen  alt, 

sy  offerden  on  ter  stonden 

wijrroick,  mijrre  ende  golt 

mit  groter  werdicheiden, 

des  was  wal  noot, 

sy  vonden  on  ter  steden 

van  haeven  bloot. 

Een  kijndekijn  in  ons  geboren  etc. 


8. 
Als  die  konnyngen  slapen  wolden, 
sprac  die  engel  tot  om, 
dat  sy  niet  (weder)  kijren  en  solden 
al  to  Jherusalem. 
to  een  anderen  paeden 
sijn  sy  gekijrt, 
al  na  des  engeis  rade, 
als  men  ons  leert. 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 

9. 
Nu  laet  ons  laven  dat  kijndekijn, 
dat  Jhesus  is  genant, 
dat  hij  ons  wil  bekijren 
al  in  dat  suete  land, 
daer  die  engelen  god  laven 
tot  alre  tijt: 

dat  gnn  ons  god  hijr  baven 
van  hemelrijck! 

Een  kijndekijn  is  ons  gebaren  etc. 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  7.  Der  Text  seiner  Vorlage  ist  sehr  entstellt,  und  seine 
Conjekturen  haben  das  Verderben  nicht  durchweg  beseitigt.  Dieser  Text  ist  besser, 
einige  grobe  Fehler  lassen  sich  leicht  beseitigen:  Str.  3,  Z.  4:  men  seget,  he  is 
konnynck;  Str.  5,  Z.  3:  sy  seiden  :  yn  Bethlehem  Joden  (nach  der  landläufigen 
mittelalterlichen  Übersetzung  von  B.  Judae  [Matth.  II  1,  5  etc.]);  Str.  5,  Z.  4: 
komen  woldc  oder  solde;  Str.  7,  Z.  1:  Do  sy  dat  kindekijn  vonden  (nach  Hoffmann); 
Str.  9,  Z.  1 :  Nu  laet  ons  loven  den  heren,  die  .  .  .  Hier  und  dort  hat  wol  ur- 
sprünglich kint  statt  kindekijn  gestanden. 

Strophe  5  gehört  vor  Str.  3. 


Merc  wail! 


Siet  om  tergelt,  o  kerstenbloet, 
Dat  dijn  siele  mit  oer  hebben  moet, 
Want  du  en  heves  hijr  geen  blyvende  stat, 
Daer  om  stroye  mit  doechden  dynre  zielen  pat. 


Het  is  geschiedt,  dat  eens  rijcken  mans  soen  is  kranck  geworden  van  den 
quaden  pocken,  so  dat  alle  die  doctoren  on  dat  leven  ontsachten.  Oeck  en  had 
hy  sijn  daege  niet  voel  gnets  gedaen,  mer  synen  vlijt  gesät  op  lijder  to  dichten, 
gnet  ende  quaet.  So  is  on  yn  den  synne  gevallen  wat  to  maecken  van  der 
kuysscher  ionefrouwe  Maria  ende  heft  gemaect  dese  nageschreven  gesette,  ende 
daer  na  yn  der  nacht  wart  hy  also  gesont,  dat  men  aen  synen  lijve  niet  merken 
en  mochte,  dat  hy  die  pocken  had  gehadt.  Dit  heft  hy  verkündiget  den  bisschop, 
die  groot  afflaet  heft  gegeven  den  genen  die  dit  lijtgen  bij  sich  draegen,  lesen 
of  syngen,  hoeren  lesen  of  syngen.  Oeck  sullen  sy  seker  sijn  voer  der  quader 
snecten  der  pocken. 


«7 


Hr.  5. 


l. 

Maria  zart, 

van  edeler  art, 

een  rooss  aen  allen  doernen, 

da  hefs  mit  macht 

hijr  wederbracht, 

dat  voerlanghs  was  verlaren 

doer  Adams  val; 

dy  heft  den  gewalt 

snnt  Gabriel  voerspraken; 

help  dat  niet  wordt  gewraken 

mijn  sund  ind  schuld, 

verwerf  my  huld, 

want  geen  troost  is, 

waer  du  niet  bist, 

barmhertichkit  to  verwerven. 

aen  leisten  eynd, 

byd  ic,  dy  niet  weynd 

van  my  in  mynen  sterven. 

• 

2. 

Maria  mild, 

du  hefs  gestilt 

der  altvaeder  verlangen, 

die  iair  ind  dach 

yn  wee  inde  klaech 

die  voerhell  hield  gevangen. 

to  alre  tijt 

wonaten  sij  den  strijt, 

daer  doer  des  hemels  poorten 

to  reten  aen  allen  oerden, 

ind  daer  af  queem 

ind  on  beneem 

oer  sware  pijn; 

dat  all  doer  dijn 

knysch  ioncfroulick  geberen 

is  afgestelt, 

daer  om  dy  helt 

all  werlt  een  kroon  der  eren. 

3. 
Maria  reyn, 
dn  bist  alleyn 
der  sunder  troost  up  erden; 
daer  om  dy  haet 
die  ewige  rait 
een  moder  laten  werden; 
des  hoochsten  heil 
doer  groot  ordel 
ten  ionxten  dach  sal  richten. 


haldt  my  aen  dynen  plichten, 

du  werde  vrucht, 

all  mijn  tovlncht 

heb  ic  tot  dy, 

aent  cruess  bistu  my 

mit  snnt  Johan  gegeven, 

dattu  oec  mijn 

moder  wilst  sijn, 

vrijet  hijr  ind  dair  mijn  leven. 


Maria  clair, 

da  bist  vorwair 

mit  groten  smert  gegangen 

mit  dgnre  vrucht 

yn  eren  ind  tucht 

onschuldelic  wart  gevangen. 

doer  synen  doot 

verwerft  my  rait, 

to  beteren  hijr  mijn  leven. 

terstont  bin  ic  om  begeven 

mit  snlker  pijn, 

dat  all  doer  mijn 

sund  inde  scholt 

bin  ic  gedolt 

aen  lijf  ind  allen  eynden. 

o  edele  rooss, 

mijn  krancheit  groot 

yn  korts  van  my  wilt  weynden. 

5. 
Maria  zart, 
gemeeret  wart 

yn  dy  groot  leet  ind  smerte, 
doe  dijn  kijnt  doot. 
een  speer  mit  noot 
doerstack  sijn  sachte  herte. 
des  blödes  sacht 
sweecht  dy  dyn  kracht, 
om  leet  dedet  dy  syncken, 
Johannes  was  men  wynken; 
die  liep  bald  dair 
ind  dy  npboer, 
daer  dy  dat  sweert 
dijn  hert  verteert, 
daer  van  snnt  Symeon  saeget. 
och  vrou  so  werd, 
son,  lacht  ind  erd 
des  levens  doot  beclaeget. 

5* 


68 


6. 

Maria  weerd, 

so  mijn  siel  kort 

van  deser  erden  moet  scheiden, 

so  kom  tot  my 

ind  beschermt  my, 

dat  my  doch  niet  verleide 

die  valsch  sathan, 

wan  ic  niet  kan 

syn  dieflick  lijst  bekennen; 

Maria,  doet  my  weynen, 

werpt  om  my  bald 

dijns  mantels  vald, 

ind  so  dijn  kijnt 

my  rück1),  geswynt 

toen,  yrou,  dijn  hert  ind  börste: 

dijn  soen  Jhesu, 

spreckt:  geeft  mij  nu 

den  snnder  ewige  roste. 

7. 
Maria  gnet, 
wan  yn  onmnet 
die  vader  van  my  weyndet, 
so  bid  dair  voer, 
dijn  kijnt  schick  dair, 
sijn  syde,  voet  ind  hende, 
dan  en  mach  niet  seer 
die  vader  meer 
tegen  my  ordel  sprecken; 
yd  en  mach  sich  oec  niet  recken 
god  die  heilige  geest, 
die  vast  to  bleest  (so!) 
syn  gndicheit 
yrst  is  bereit, 
sett  wysselike  guede, 
also  ward  ich 
selich  doer  dich, 
voer  snnden  my  behuede. 

8. 
Maria  fijn, 
dijn  clare  schijn 
lacht  in  den  hoochsten  throne, 
doe  dy  mit  eeren 
van  twelf  Sternen 
wart  npgesat  een  crone; 
die  dryvoldicheit 
heeft  dy  bereit 
mit  hoger  gnaden  ombegeven. 


Maria,  vrijt  my  my  leven 

so  lang  ind  voel 

bis  np  den  soel. 

o  ioncfron  suet, 

help,  dat  ic  bnet 

mijn  snnden  voer  mynen  eynden: 

ind  als  mij  briet 

mijn  hert  ind  gesicht, 

biet  mijnre  ziel  dyn  hende. 

9. 
Maria  vron, 
help,  dat  ic  schon 
dijn  kijnt  voer  mynen  eynde, 
schickt  mijnre  ziel 
snnt  Michaeel, 
dat  hy  sy  vner  beheynde 
ijnt  hemelrijck, 
dair  al  gelijck 
die  engele  vroelick  syngen; 
oer  stemmen  doen  hei  verklyngen: 
„heilich,  heilich, 
heilich  bistn, 
o  stereke  got 
van  Sabaoth, 

du  regnijrst  geweldelicken.* 
so  heeft  eyn  eynd 
al  mijn  eilend, 
ic  vervronwe  my  ewelicken. 

10. 
Maria  dair, 
dn  bist  voerwair 
fignerlick  waill  to  bedneden 
by  des  weers  vel  vncht, 
dat  Gedeon  socht 
van  gades  segel  to  strijden 
beteykent  wort; 
dn  bist  dy  poert, 
die  ewich  blijft  geslaten; 
van  dy  is  nntgevlaten 
dat  ewige  woerd; 
dn  bist  die  gaerd, 
die  geteickende  born, 
clair  erd  ind  tuyn, 
beduyt  voer  langen  iaren: 
van  my  niet  tny 
dijn  hnlp  ind  tron, 
als  ic  van  hen  sal  varen. 


*)  Der  hochdeutsche  Text  hat  rieht. 


69 

n. 


Maria  meyd, 

sonder  alle  leid, 

yn  dy  en  is  geen  gebreken; 

ten  leeft  geen  man, 

die  mach  of  kan 

dijn  glorie  groot  nutsprecken; 

dijn  hoge  lof 

vloyet  ewich  af 

yn  hemel  ind  np  der  erden, 


dy  gelijck  en  mach  nummer  werden 

geen  creatuer. 

o  ioncfron  puer, 

wan  dairto  kumpt, 

dat  mijn  mont  stumpt, 

mijn  siel  van  den  lijf  sal  kijren, 

so  gedenck  dair  ain, 

dat  ic  dy  hain 

gedacht  hier  mede  to  eren. 


Vgl.  Wackernagel,  Das  deutsche  Kirchenlied  II  8.  804  ff.  Hoffmann,  Ge- 
schichte des  deutschen  Kirchenliedes  S.  264  f.  Die  auch  dort  aus  Handschriften 
u.  Drucken  mitgeteilten  Verheissungen  von  Ablässen  für  das  Lesen  oder  Singen  des 
Liedes  scheinen  von  den  Vertreibern  erfunden  zu  sein.  Dieselben  bedienten  sich 
des  Mittels  mit  Vorliebe,  wie  wir  aus  päpstlichen  Erlassen  sehen.  Diederich  Kolde 
(Coeldc)  zählt  dieses  Kunststück  ausdrücklich  als  Sünde  in  seinem  Beichtspiegel 
auf,  ein  Beweis,  dass  es  auch  in  Westfalen  oft  vorkam. 

Vgl.  auch  noch  Bäumker,  Das  kathol.  deutsche  Kirchenlied  in  seinen  Sing- 
weisen I  S.  ßO. 

Der  Übersetzer  hat  das  hochdeutsche  Original  stellenweise  gar  nicht  ver- 
standen. 


Np.  6. 
Item  hijr  na  volget  een  ander  devoet  gesengh  van  onser  lever  vronwen. 


l. 

Ic  heb  die  schoenste  autverkaren, 
oer  liefd  is  vast  in  stedicheit; 
hed  sijt  gedain,  ic  weer  verlaren, 
verlaren  oick  in  ewicheit. 
Maria,  dn  bust  all  die  ic  meyn, 
baven  allen  vronwen  schoon  alleyn, 
lait  syn  tot  my  dijn  troost  bereit! 

Ic  bidde  dy, 

och  staet  my  by, 

ic  bidde  dy, 

och  staet  my  trouwelic  by! 

2. 

God  grnet  dy,  werde  maget  reyn, 
een  moder  der  barmherticheit, 
der  genaden  oick  een  eewich  fonteyn, 
bewijst  den  snnders  mildicheit; 
dijn  macht  is  groot  by  god  den  here, 
seer  ghern  volbrenct  hy  dijn  beghere, 
sijn  moder  en  mach  hy  weygeren  niet. 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 


Der  werlt  vrond  en  mach  niet  duren, 
oer  arch  hef  mennich  mynsche  bedragen, 
dat  eynd  der  vroud  is  niet  dan  truren, 
oer  dyenres  heft  sy  vaick  gelagen. 
Maria,  gy  sydt  die  stedich  blijft, 
daer  om  kier  ic  tot  dy  mijn  lieft, 
dijn  dienre  wil  ic  gerne  syn. 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 


Dijn  doechden  kond  ic  niet  nntspreken, 
all  hed  ic  aller  tonghen  gewalt, 
aen  mijnre  macht  soldt  my  ontbreken. 
woe  znetlick  is  dijn  wesen  gestalt! 
da  bust  des  hemels  een  connyngyn, 
der  werlt  wydt  een  keyseryn, 
in  dynen  handen  steet  et  al. 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 


70 


Mijn  ziell  is  duck  in  swaren  noden, 
bangh  is  dat  fijre  herte  mijn, 
ick  sorgh,  die  duvel  wil  my  doeden, 
oick  vreess  ic  seer  die  heiische  pijn. 
ic  bid,  dat  gy  alltijt  wilt  sijn 
tegen  alle  quait  een  medicijn 
ind  my  verbinden  in  allen  lijden. 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 

6. 
Maickt  my  van  allen  sunden  vrij, 
behuet  mijn  hert  ind  alle  mijn  syn, 
mit  edel  doechden  vercijret  my, 
dat  bid  ic  dorch  dijn  reyne  myn! 
ghy  sijd  der  sunders  troesteryn, 
ic  belijd,  dat  ic  een  snnder  byn, 
dair  om  sneck  ic  genade  van  dy. 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 


Och  werde  vrou,  mijna  herten  lost, 
genaid  ger  ic  van  dy  tontfangen; 
ghy  sijd  mijn  haip  ind  alle  mijn  troost: 
deed  dijet,  het  weer  all  mit  my  gedain! 
ontfermt  n  mijnre,  all  kom  ic  spade, 
ic  heb  mg  dncwijl  quellic  beraden, 
och  moder  mylde,  ic  gher  genade! 
Ic  bidde  dy,  och  staet  etc. 

8. 
Teghen  dat  wy  van  hier  nn  scheiden, 
als  wy  dit  leven  snllen  laten 
so  wilt  ons  hemels  vroud  bereiden, 
dair  vrond  is  alltijt  sonder  maten, 
in  hemels  throon,   dair  ghy  syt  schoon 
verheven  by  uwen  enyghen  soon, 
dair  n  die  engelschen  choren  laven. 

Ic  bidde  dy, 

och  staet  my  by, 

ic  bidde  dy, 

och  staet  my  troulick  by! 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  32.    Str.  7  Z.  4  deed  dijet  =  deed  ghy  et. 


Nr.  7. 
Een  ander. 


Help,  rjjcker  god  van  baven, 
kranck  is  die  machte  mijn, 
mocht  ick  dy  dienen  ind  laven 
all  na  den  wille  mijn, 
heyll  sold  ic  dan  verwerven 
ind  loon  ontfangen  groot, 
oick  lijden  sold  ick  derven 
ind  hebben  all  ewich  gnyt. 


Mijn  krancheit  is  my  knndich, 
mijn  moet  en  is  niet  groot 
die  viant  is  seer  lystich, 
voel  heft  hy  gebracht  ter  doot; 
Mijn  snnden  die  ic  laide 
sy  doen  my  swair  verdriet, 
o  heer,  ic  bid  genade, 
laet  my  verlaren  nietl 


3. 


Och  gndertyren  here, 
vergeeft  my  myn  mysdaet, 
dat  is  mijn  gantz  begheren, 
ic  wil  nn  schnwen  dat  qnaet. 
Ghij  knnd  mijn  wonden  genesen, 
ghy  weet  wail,  wat  my  deert, 
och  wilt  mijn  arster  wesen, 
eert  mit  my  qnader  wert1). 

4. 
Die  noot  die  duet  my  klaigen, 
verhoert  dijn  arme  knecht! 
mocht  ic  dy  noch  behagen, 
so  weert  al  mit  my  recht 
Drije  viande  die  my  quellen, 
sy  doen  my  grote  last: 
vleysch,  werlt,  duvel  feile, 
helpt  my,  so  sta  ic  vast! 


*)  hs.  wort. 


71 


5. 
Droch  werlt,  ic  wil  dy  mijdeu 
ind  dienen  dy  uiet  ineer, 
da  en  brengst  my  niet  dan  lijden 
ind  mennich  groot  hertenseer; 
Ic  wil  my  van  dy  scheiden, 
du  liefst  my  leet  gedain, 
niet  langher  en  will  ick  beiden, 
een  oirden  will  ic  ontfain! 

6. 
Hy  is  gekomen  van  koger  airt, 
die  my  leecht  in  den  synne, 
edel,  mynlick,  getronwe 
in  alle  eijnre  mynne; 
In  alre  schoonheit  seer  volmackt 
so  is  die  liefste  mijn, 
by  om  wordt  alle  schemd  gelacht, 
die  yn  deser  erden  mach  sijn. 

7. 
Die  werlt: 
Wilstn  dan  lijden  annemen 
ind  willes  van  my  gain, 
yn  een  oirden  dy  begeven, 
so  is  dyn  vrond  gedain; 
Wolstu  noch  by  my  blyven, 
dat  weer  dy  wille  myn, 
dy  sold  noch  heyl  beclyven, 
mijn  dienre  solstn  sijn. 

8. 
Die  jongherlingh: 
Ick  heb  dy  langbe  gedyenet, 
mijn  loon  is  also  smal, 
ic  wil  enen  anderen  dyenen, 
die  my  wail  Ionen  sal; 
Ic  wil  gantz  van  dy  tijden, 
dijn  dyenre  wil  ic  niet  sijn, 
du  lonest  al  mit  lijden, 
hier  na  mit  der  hellen  pijn. 

9. 
Die  werlt: 
Laet  dese  rede  varen 
ind  heb  enen  rysschen  moet 
ind  wil  die  reyse  sparen, 
dat  dnnckt  my  wesen  goet. 
Dn  bnst  seer  wilt  van  synnen, 
die  vrond  is  yn  dy  breyt, 
woe  solstn  dy  bedwyngen 
yn  sulker  strengicheit? 


10. 
Die  jongerlyng: 
Het  is  seer  snoed  van  weerden, 
dat  haistelick  moit  vergain, 
die  vroud  is  cort  up  eerden 
ind  mach  niet  langhe  stain, 
Ind  sold  hijr  na  besuren 
al  yn  der  hellen  stanck, 
mit  mennich  sold  ick  trnren, 
des  nnmmer  en  is  verganck. 

11. 
Die  werlt: 
Dn  bnst  noch  yong  van  yaren, 
gebrnict  dijn  yonge  yoecht 
ind  laet  dijn  trnren  varen, 
daervan  wortstn  verhoecht; 
Dn  machst  noch  lange  leven, 
daer  to  voel  vronden  haen, 
ynt  alder  dy  begeven 
ind  so  der  hellen  ontgaen. 

12. 
Die  jongherlyngh: 
All  byn  ic  yong  van  jaren, 
die  doot  komt  alltohant, 
die  nyemant  en  wil  sparen, 
dat  is  my  wael  bekant; 
Sy  sijn  dair  hein  gevaren, 
sy  waren  oers  modes  vry, 
oer  daeghe  hebn  sy  verlaren, 
oer  vrond  is  nn  voerby. 

13. 
Die  werlt: 
Dn  en  kanst  des  niet  besynnen, 
wes  eenre  oirden  toe  hoert: 
dijn  natner  moestn  bedwyngen, 
dijn  vroud  wort  dy  verstoert; 
Een  arm  ellendich  leven 
dat  wort  dy  dan  bekant, 
dn  en  kanst  niet  äff  gewesen, 
so  swaer  is  daer  die  bant. 

14. 
Die  Jongerlyngh. 
Die  konnynck  van  hijr  baven 
die  sal  mijn  hulper  sijn, 
ya  den  die  engelen  laven 
yn  blydelicken  schijn; 
In  on  so  wil  ic  hapen, 
sijn  genade  is  seer  groot, 
hy  en  sal  my  niet  verlaten, 
hy  help  my  nnt  der  nootl 


72 


16. 
Die  werlt: 
Wie  heft  dy  dat  geraden? 
des  doet  my  doch  gewach, 
waiit  da  yn  körten  daigen 
so  niet  en  waerst  bedacht; 
Op  miamoet1)  wilstn  bouwen 
ind  wüst  niet  volghen  my! 
dat  sal  dy  noch  wal  rouweii, 
daer  voer  so  warn  ic  dy. 


16. 
Die  werlt: 
Dn  solst  my  gern  bedrijgen, 
ic  heb  dy  wal  verstain, 
ya  doch  solstu  my  lijghen, 
als  du  mennich  hebst  gedain; 
Dijn  listen  en  mögen  niet  baeten, 
dijn  reden  machsta  wol  lain*), 
ic  wil  my  van  dy  säten, 
een  anderen  wech  bestain. 


17. 


Hy  heft  des  recht  versonnen, 
die  dit  lijdt  ijrsten  sang, 
den  strijt  heft  hij  gewonnen, 
gegain  ter  oirdenwart  an, 
Der  werlt  is  hij  gescheyden, 
dat  is  seer  apenbair. 
onser  god  moet  on  geleyden 
yn  syn  beschon  wen  clair! 


Vgl.  Kölscher  Nr.  XXVIII,  wo   die  Strophen  1—5,  6  und  17  ganz  fehlen. 
Str.  15,  Z.  5  habe  ich  nach  jenem  Texte  geändert. 


Nr.  8. 
Item  noch  een  ander. 


l. 


Ic  sach  den  dach  upstijgen, 

die  wölken  scheyden  sich, 

ic  en  kans  niet  langher  geswijgen, 

ic  warschon  v  alle  gelijck: 

wail  np  wal,  liever  gesellen! 

en  laet  v  niet  versnellen, 

die  doot  is  bitterlic! 

2. 

Die  doot  is  onbestuere 

ind  onversiens  daerbij; 

o  mynsche  creatnre, 

maickt  dy  van  sunden  vrij! 

hy  komt  al  hyr  gerynge, 

wy  en  können  on  niet  ontspryngen 

wo  yongh,  wo  sterck  wy  sijn. 

3. 
Wo  yong,  wo  sterck,  wo  schone, 
die  doot  en  spaert  onser  gheen; 
wat  ghevet  men  ons  to  lone 


np  deser  werlt  gemeyn? 
men  laet  ons  snellic  verwijsen 
den  wormen  tot  eenre  spijsen, 
daer  na  denckt  men  ons  cleyn! 

4. 
Nu  waickt  ind  niet  en  slapet, 
van  snnden,  yong  ind  alt, 
hg  komt  hijr  her  gestrafet 
mit  krechtelicke  gewalt; 
Wie  ye  ontfijnck  dat  leven, 
sy  moten  hem  reden  geven, 
sijn  cracht  is  mennichfolt 

5. 
Nu  laet  ons  aeneschryen*) 
die  moder  der  myldicheit, 
die  reyne  maighet  Marien, 
dair  all  ons  troost  an  steet, 
dat  sy  sich  will  ontbarmen4) 
aver  ons  wail  sundigen  armen, 
alst  an  een  sterven  geet. 


*)   hs.   wat  maten.    *)   ha.   laten.    •)   hs.   schreyen.    4)   hs.  ontfermen;   vgl. 
Str.  7  Z.  3. 


73 


6. 
Maria,  maiget  reyne, 
na  staet  my  tronwelic  by, 
du  büst  al  die  ic  meyne, 
des  bid  ic  vrijntelicke  dy, 
in  mynen  swaren  noeden: 
die  duvel  wil  my  doeden, 
dair  voer  behoedet  my! 


„Nu  komt  in  mynen  armen, 
die  alreliefste  mijn, 
ic  wil  mij  dijns  ontbarmen, 
woe  sondich  dat  gy  sijn1); 
want  ghy  hebt  rechten  ronwen, 
dair  om  snlt  dy  my  schouwen 
ind  altijt  vroelick  sijn." 


8. 
Ick  danck  dy,  edel  maiget, 
voer  all  dijn  grote  goet, 
dat  my  so  wail  behaeget, 
ic  kriege  een  vryssen  moet; 
hijrom  wil  ic  my  vervrouwen 
ind  leven  sonder  ronwen"), 
want  ic  nu  sij  behoet. 

9. 
Hijr  aen  denckt  all  gemeyne 
ind  eert  Marien  altijt, 
sy  kan  ons  maicken  reyne 
ind  scheiden  ons  sundeu  qurjt; 
hijrom  so  willen  wij  se  laven, 
dat  sij  ons  help  hijr  baven, 
daer  liefd  is  sonder  nijt. 


Nr.  9. 
Een  ander. 


Waill  np,  ic  moet  van  heenen, 
mijns  blyvens  en  is  niet  hijr, 
ter  doecht  wil  ic  my  weenen, 
die  doot  die  komt  ons  schijr! 
Int  hemelrijck  hoert  men  synghen 
der  sneter  engelen  sanck, 
die  snaren  ind  (die)  herpen  klynghen 
ind  blijtschap  sonder  verganck. 

2. 
Nu  mach  ic  niet  meer  synghen 
mit  vroelicken  herte  mijn, 
my  moet  noch  anders  gelinghen, 
8al  ic  verblydet  sijn; 
Och,  trneren  heft  my  bevangen 
inde  brengt  mijnen  herten  pijn, 
na  god  steet  mijn  verlangen 
gern  sold  ic  by  on  sijn. 


Dat  ratt  van  aventueren 
loept  in  der  werlt  seer, 
die  vroud  en  mach  niet  dneren, 
dat  gelnck  geet  np  ind  neer; 


Ic  sie  den  goenen  onder, 
den  ic  te  hant  baven  sach, 
verheven  is  hy  mit  wonder, 
die  kortelick  onder  lach. 


Noch  snellre  dan  dat8)  weder, 
so  is  die  vrond  gewant, 
noch  lichter  dan  een  veder, 
so  wordt  die  truwe  bekant; 
Och,  wat  hebben  sy  verlaeren 
in  vronden  ewentlick, 
die  daer  hebben  na  verkaren 
np  erden  oer  hemelrijck! 


Van  lijden  gaen  sy  tot  lijden, 
van  trnren  tot  ronwen  groot: 
wolden  sij  die  snnden  mijden, 
des  en  dede  on  gheen  noot; 
Seer  hooch  waren  sy  gevlagen, 
die  nn  sijnt  syde  gedailt, 
die  werlt  heeft  sy  bedragen, 
mit  der  doot  sijn  sy  betaut. 


*)  hs.  sydt.    *)  hs.  sonder  sorghen.    ■)  hs.  noch  suecken  sy  dan  dat  weder. 


74 


6. 
Wfter  om  sijn  onse  gedachten 
yn  ydelheit  gekeert? 
wille  wy  die  werlt  verachten, 
wy  werden  myt  oer  geleert! 
Laet  ons  den  wech  averdencken, 
den  wy  moten  wanderen  all, 
so  en  sali  ons  yo  niet  krenken 
ennich  lijden  of  ongevall. 


7. 
Den  strijt  wil  ic  beghynnen 
all  teghen  die  synnen  myn, 
myn  vyanden  sal  ic  verwynnen, 
wil  du  mijn  holper  sijn! 
Doer  dijn  heilige  vijff  wonden 
ind  doer  dyn  sware  pijn 
sal  ic  verslaen  ter  stonde 
al  die  mijn  vyande  sijn. 


8. 


Wut  hyr  in  gnden  werken 
dyn  gracie  geven  my, 
in  allen  doechden  Sterken, 
nnt  herten  bid  ic  dy, 
Na  desen  leven  geven 
des  hemels  ewige  vrond, 
dair  is  dat  salige  leven. 
ind  vrond  al  sonder  ron. 


Aus  dem  Liederbuche  der  Anna  von  Coeln  abgedruckt  von  Bolte  a.  a. 
145.    Dort  fehlen  die  beiden  letzten  Strophen. 


Nr.  10. 

Ein  schoon  gedieht,  seer  nutte  ende  profltelick  averdacht  ende  gesongen 
tot  salieheit  allen  menschen  np  die  wijse:  „Die  dach  al  doer  die 

wölken  drang*'. 


Och,  edel  mensch,  bedenck  die  tijt, 
die  dy  god  heft  gegeven, 
maick  dy  der  loeser  werlt  quijt 
ende  bedenck  dijn  snndighe  leven! 


Der  werlt  Inst  en  mach  niet  staen, 
daer  voer  saltn  dy  hoeden; 
der  werlt  Inst  brengt  hertelick  leit, 
och  die  dat  bekennen  konde! 

3. 
So  wie  sich  hijr  to  gade  geeft, 
dat  en  darf  [on]  oec  niet  rouwen: 
Jhesns  en  steet  on  nnmmer  äff, 
dat  lave  ick  on  in  (rechter  gnder)  tronwen. 


4. 

Hartich,  greven  ende  konnyncs  kijnt, 
seer  mechtich  ind  avermeten, 
bedenc,  wo  sy  gevaeren  synt: 
die  wormen  die  hebben  se  gegheten. 

5. 
Gedenck  an  den  wijsen  Salomon 
ind  an  den  rijken  Alexander 
ind  an  den  schonen  Absalon 
mit  mennigen  stolten  mannen 

6. 
Voer  al  so  mennich  ewich  iaer; 
dat  seifte  sal  dy  dyenen, 
mer  wiltn  leven  sonder  vaer1), 
so  diene  der  maiget  Marie 


')  ha.  waen. 


75 


Ende  oeren  cleynen  kyndekijn  zaert, 
to  den  saltu  dy  keren1), 
gedenck  do  hy  gebaren  wart 
een  vorst  van  allen  heren. 

8. 
Geen  kamer  en  was  hem  daer  vercijrt, 
een  stalleken  was  gemeyne, 
die  hemel  ind  erd  ind  al  dynck  regijrt 
gebeert  (Maria)  die  maiget  reyne. 


9. 
Drij  konnyngen  quemen  trat  vremden  land 
tot  gade  ind  onser  vronwen, 
dat  kijndekijn  gewonden  in  doeckeren 
sy  begheerden  vroelick  to  schouwen. 

10. 
Sy  brochten  oeren  offer  daer, 
des  sijn  sy  wail  to  prijsen, 
oec  syn  sy  mitter  engelen  schaer: 
god  wil  uns  alle  daer  wijsen! 


Str.  9  Z.  3  ist  wol  zu  lesen: 
snodem  gewant. 


dat  kijndekijn  mit  doekeren  bewant,   oder   in 


Wat  is  in  der  werlt  nuwe? 
Schone  worde  ind  valsche  trnwe! 


Np.  11. 


l. 
Ons  kompt  een  schep,  geladen 
hent  an  dat  hoochste  boirt; 
id  brengt  den  soon  des  vaders, 
dat  ewentlike  wort. 

2. 
Maria,  gades  moder, 
gelavet  moet  dy  sijn, 
dat  dn  ye  gedrogest 
dat  werde  kyndekijn. 


Doe  spraken  die  propheten: 
dat  hebn  wy  langh  begheert, 
dat  got  den  hemel  ontoloete 
ind  queein  hijr  nederwert 

6. 
Hij  leecht  daer  yn  der  cribben, 
dat  snete  kijndekijn, 
id  Incht  recht  als  die  sonne, 
root  is  sijn  mondekijn. 
Maria  etc. 


3. 
Dat  schepken  dat  kompt  gestreken, 
id  brengt  ons  rijken  last, 
die  mynne  is  dat  seyle, 
die  heilige  geest  die  mast. 


Die  dat  kyndeken  mocht  küssen 
yoer  syner  roder  mont, 
dat  brocht  hem  grote  laste 
all  yn  sijns  hertens  gront. 
Maria  etc. 


Die  ancker  is  uutgeschaten, 
dat  schep  moet  an  dat  lant, 
Die  hemel  is  opgeslaten, 
gaids  soon  is  ons  gesant. 


8. 
Die  herdkens  op  den  velde 
den  deden  die  engele  kont, 
woe  god  gebaren  were 
van  eenre  maiget  yonck. 
Maria  gades  etc. 


')  hs.  kijren. 


76 


9. 
Sy  droech  on  yn  den  tempel 
dat  snte  kijndeken, 
sy  offerde  op  den  alter 
twee  tortelduveken. 

Maria,  gades  moder  etc. 

10. 
Wij  is  des  kijiides  moder? 
die  dochter  van  Jesse! 
sy  wordt  een  krefflike  roder1), 
sy  vuert  ons  aver  see. 
Maria  gades  etc. 

11. 
Men  sal  Marien  dyenen, 
oer  loff  is  also  breet, 
ten  kan  gheen  mynsch  volschryven 
oer  grote  eerwerdicheit. 


12. 
In  den  hogen  hemel 
daer  schyncket  men  guden  wijn, 
daer  sullen  die  edele  sielen 
van  mynnen  droncken  sijn. 
Maria  etc. 

13. 
Weer  ic  nu  een  voegeler, 
een  netken  wold  ic  slaen 
al  voer  die  hemelsche  poorten, 
beer  Jhesns  wold  ic  vaen. 
Maria  etc. 

14. 
Als  ic  Jhesum  hedde, 
wat  wold  ic  mit  on  doen? 
ic  sloet  on  yn  mijn  herte 
ende  deed  id  vaste  toe. 
Maria  etc. 


Ein  Gedicht  mit  gleicher  oder  ähnlicher  Anfangsstrophe  wird  Tauler  zuge- 
schrieben; vgl.  Wackernagel  II  S.  302  ff.,  Bäumker  II  Nr.  85,  Hoffmann,  Geschichte 
des  deutschen  Kirchenliedes  S.  107  ff.,  Hoffmann,  Horae  Belgicae  X  Nr.  26,  wo  das 
Lied  8  Strophen  umfasst.    Die  Verwandtschaft  der  Texte  ist  eine  sehr  geringe. 


Nr.  12. 
Een  ander  lijtgen  np  die  wijse:  „Ic  vrouwe  my  der  aventstont". 


Ic  vrouwe  my  toe  deser  stont, 
god  weet  wail,  wen  ic  meyne: 
den  vader  den  is  worden  kont, 
die  ioncfrou  was  alleyne. 
die  soon  die  gaff  den  rait  also, 
die  engel  was  der  baitschap  vro. 

Och  yoncfrou  geraeyt, 

een  Sterne  breyt, 
du  luchtes  yn  des  heraeis  throon. 

2. 

Die  engel  trat  in  dat  kemerken, 
hy  vont  dy  yoncfrou  alleyne, 
sy  las  in  oeren  boeckelken 
die  uutvercaren  fonteyne: 


„Ic  gruet  dy,  genadeschryn, 

des  vaders  cracht  sal  by  dy  syn.a 

Och  yoncfrou  zairt, 

van  hoger  airt, 
du  werst  een  moder  des  heren. 

3. 

die  yoncfrou  wort  verschricket  seer 
van  deser  hoger  baitschap: 
„och  engel,  woe  mach  dat  geschyen, 
want  ic  doch  genen  man  en  bekenne? 
gelavet  heb  ic  mijn  reynicheit 
den  vader  in  der  ewicheit." 

Och  yoncfrou  goet, 

van  bogen  moet, 
Du  draeges  der  doechden  een  crone. 


')  hs.  rode. 


I 


77 


Die  engel  sprack  uut  doechtliken  synne: 
ryoncfrou,  ontfrucht  v  niet  so  seer, 
die  baitschap  die  ic  to  dy  brenghe, 
dat  is  des  vaders  wille; 
da  salst  ontfangen  een  kijndekijn, 
die  overste  sal  sijn  vader  sijn, 

cherubin 

ende  seraphin, 
die  engelen  hem  alle  dyenen." 


6. 

Doe  antworden  on  die  yoncfron  zaert, 

uut  vrouderijcken  moede: 

„bereyt  bijn  ick  to  deser  vart, 

ray  geschie  na  dynen  worde, 

den  heiligen  geest  wil  ick  my  waren 

dat  hy  myn  reynicbeit  wil  be waren; 

na  dynen  woirde  my  geschije, 

een  gades  deerne, 
god  die  wil  sijn  mijn  behoeder." 
Amen. 


Merck  dit  aen: 

Vry,  vro  to  leven  ind  god  niet  bekant, 
Sterck,  gesont  ind  god  niet  gedanct, 
Rijck,  weeldich  ind  die  armen  niet  bedacht, 
Wittich,  sijnuicb  ind  gaids  gebaden  niet  gedacht: 
Die  mach  sich  vrnchten  nacht  ind  dach, 
Want  on  is  bereit  dat  ewich  ongemack. 


Jesus  sprect  aldus  tot  den  menschen: 

0  mynsche,  denck  aen  mijn  lijden, 
Sunden  salstu  altijt  mijden, 
En  sündigte  niet  up  den  troist, 
Dat  die  scheker  wardt  verloist, 
Want  onversien  so  komt  die  doot, 
Die  dan  rou  hed,  des  weer  on  noot. 


Nr.  13. 
Eeen  ynnich  lijdgen  to  kersmysst. 


Een  vroelic  nye  liet, 

tis  beter  wat  dem  niet, 

to  Bethleem  ist  geschiet 

van  een  kijnt  dat  Jhesus  biet: 

yn  armoed  ende  verdriet 

so  mach  men  hem  daer  anschouwen 

by  die  vrou  baven  allen  vrouwen. 

2. 

Den  connynck  van  groter  macht, 
gespraten  uut  Davids  geslacht, 
wy  hebben  hem  lange  verwacht, 
nu  leecht  hy  daer  so  nact,  so  ongeacht 
in  enen  duysteren  nacht, 
van  een  arm  moder  gebaren, 
daer  men  der  engelen  sanc  mach  hoeren. 


3. 
Dat  costelike  kijndekijn  cleyn 
leecht  voer  allen  mynschen  gemeyn 
yn  enen  vuylen  pleyn, 
nochtans  is  hy  der  werlt  beer  alleyn, 
sijn  moeder  is  maget  reyn; 
hy  moet  daer  kalde  gedogen 
ende  mit  tränen  wasschen  syn  ogen. 

4. 
Daer  was  mennich  windestoot, 
rijp,  haegel,  drijfsnee  groot, 
dat  kijnkijn  lach  daer  bloot, 
sijnledekens  mochten  sijn  van  kalde  root; 
peynst,  hoet  die  moeder  verdroot, 
dat  sy  hem  niet  en  mocht  winden, 
sy  en  hadde  noch  wullen.  noch  lijnen. 


78 


Wat  armoed  mocht  daer  sijn! 

dat  suete  kijndekijn 

Tan  kalde  most  lijden  pyn 

mit  sijn  moder  (Maria)  die  maeget  fijn; 

daer  en  was  geen  sonnenschijn 

noch  vner,  hem  by  to  wermen, 

mynsch,  laet  u  dit  ontfermen! 

6. 

Joseph,  o  reyne  Tat, 

ghy  hebt  groot  verdriet  gehadt, 

als  ghy  most  lieden  dat, 

hoe  daer  Maria  opter  erden  sat 

mit  also  kosteten  schat 

yn  sulken  kalden  weder 

by  twe  stommen  beesten  neder. 


Uut  vrienden  ende  unt  magen 

yn  die  kaldestrengen  dagen 

ghy  en  mocht  niemant  clagen, 

ghy  hebt  alleen  die  sorch  moten  dragen 

voer  die  in  Bethleem  lagen: 

dat  kijndekijn  mit  synre  moeder, 

ghy  waert  hem  en  trou  behoeder! 

8. 

Dat  weder  was  also  kolt, 

dat  kijndekijn  en  was  niet  olt, 

daer  en  was  geen  torf  noch  holt, 

dns  was  n  aorch  also  mennichvolt; 

cleyn  was  u  silver  off  golt, 

daer  gijt  mede  mochten  betaelen, 

als  ghij  spijs  of  dranck  soldt  haelen. 


Np.  14. 
Op  die  wijse:  „Ic  sach  die  uorgensterne". 


l. 

Ic  sach  die  av entsteine, 
oeren  lichten  claren  schijn, 
die  engele  laven  gade, 
woe  guet  is  daer  by  sijn! 

2.    • 

Wat  isset  dat  daer  synget 
ende  my  niet  slapen  en  laet, 
dat  ic  die  werlt  sal  laten, 
ind  all  oer  toeverlaet? 

3. 

Dat  is  die  geest  Tan  bynnen! 
wat  dnet  hy  ons  verstaen? 
so  wie  dat  die  doechden  wercket, 
die  sal  groot  loon  ontfaen. 


Ick  wolde  gern  doechden  wercken, 
och,  geve  hy  my  die  macht, 
die  mynnentlicke  here, 
die  alle  dynck  vermach! 


o. 

Ick  sal  dy  die  erachte  geven, 
mer  dn  moet  dy  kyeren  äff 
van  allen  ertschen  dyngen, 
dat  dy  een  hynder  maect. 

6. 

Ick  wil  alle  ertschen  dyngen, 

om  dynen  will  untgaen, 

och,  mynnentlicke  Jhesus, 

wat  loens  sal  ic  (daer  voer)  ontfaen? 


Vroude  ind  dat  ewige  leven 
sal  dijn  vrij  eygen  sijn, 
all  mitten  seraphynnen 
salstn  verheven  sijn. 

8. 

Sal  ick  mit  allen  engelen 
dns  hoghe  verheven  sijn, 
och,  mynnentlicke  here, 
so  doe  dijn  genade  mit  my. 


7» 


9. 

Anders  niet  daii  got  alleyne, 
die  alle  dynck  vermach, 
der  mynschen  troost  is  cleyne, 
dat  pruef  ick  all  den  dach. 


10. 

Ick  will  den  here  alleyne 
to  maell  getrouwe  sijn, 
ick  mynne  on  all  toe  cleyne, 
dat  is  die  schade  mijn. 


11. 


Nu  wil  ick  my  gaen  voegen 
in  rechter  enicheit 
ind  ick  wil  niet  meer  prneven 
der  mynschen  onstedicheit 


Das  weltliche  Tagelied  steht  bei  Unland,  Alte  hoch-  und  niederdeutsche 
Volkslieder  Nr.  76  ff.,  Böhme,  Altdeutsches  Liederbuch  Nr.  109  f.  Die  geistlichen 
Nachdichtungen,  die  bei  Hoffmann  Nr.  86,  Hölscher  Nr.  49  abgedruckt  sind,  stimmen 
unter  sich  mehr  als  mit  unserm  Texte  überein;  dieser  ist  eine  selbständige  Dichtung. 
Vgl.  auch  Bolte  Nr.  76  und  Nr.  33. 


Nr.  15. 
0p  die  wijse:  „Ic  sach  den  heren  van  Valkensteen". 


l. 

Ic  sach  den  here  van  Nazareth 

op  enen  ezel  rijden, 

die  clederkens  worden  on  ondergespreyt 

ind  oec  die  groene  twijger. 


4. 

Ick  had  een  gotlick  vonckelkijn 
in  mynre  sielen  ontfangen, 
ind  dat  doerschoot  dat  herte  mijn, 
dat  quam  nnt  Jhesns  wonden. 


Nu  wael  heyn  ind  nn  wal  heyn, 
van  deser  werlt  wil  ic  scheyden, 
heer  Jhesns  is  die  liefste  mijn, 
na  on  so  wil  ic  beyden! 

3. 

Ick  bidde  dy,  here  van  hemelrijck, 
vergeeft  ons  onse  misdaden 
ind  maect  ons  onser  sonden  quijt, 
ind  ontfanct  ons  tot  genaden. 


Nn  wail  heenne,  siele  mijn, 

ind  gy  moet  ommers  lijden: 

ick  leedt  wail  dryendertich  iaer  pijn 

al  om  n  to  verbinden. 

6. 

Nn  wille  wy  onder  dat  crnce  gaen  staen 
ind  helpen  Jhesns  trnren, 
hy  heeft  om  onsen  will  geladen, 
dat  wart  on  all  to  sure. 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  45,  wo  der  Text  10  Strophen  umfasst.    Str.  4  Z.  2  ist 
(nach  Hoffmann)  im  Keime  gevonden,  Str.  6  Z.  3  gedaen  zu  lesen. 


80 

Nr.  16. 
Item  noch  een  ander  lijd. 


l. 


Mit  vrouden  willen  wy  syngen 
ind  laven  die  drievoldicheit, 
op  dat  sy  ons  wil  brengen 
ter  ewiger  salicheit, 
die  ewelick  sal  dueren 
al  sonder  enicfa  verganck: 
och  mocht  ons  dat  geboeren, 
och  ewelick  is  so  lanck! 


Leefden  wij  na  den  gebaden, 
recht  als  wij  leven  solden, 
and  dienden  altijt  gade 
ind  onser  liever  vronwen, 
und  lieten  averglijden 
die  werlt  mit  oeren  verganck, 
so  weren  wij  altijt  blijde: 
och  ewelick  is  so  lanck! 

3. 

Die  blijischap  is  sonder  eynde 
hier  baven  int  hemelrijck, 
die  wij  daer  sollen  vynden, 
die  en  heeft  oec  gheen  gelijck: 
dat  is  dat  gotlicke  wesen, 
dat  schynct  ons  sueten  dranck, 
als  ic  heb  hoeren  lesen: 
och  ewelick  is  so  lanck! 


Maria,  die  moder  ons  heren, 
die  wort  van  ons  verbiet, 
wanneer  wij  ons  bekijren 
in  desser  armer  tijt; 


Maria,  maghet  reyne, 
och  edel  wijngarts  ranck, 
bid  voer  ons  all  gemeyne! 
och  ewelic  is  so  lanck! 


Die  engelen  ynbilijren 
ind  sijn  so  rechte  vro, 
wanneer  wy  ons  bekijren; 
sy  helpen  ons  daerto, 
dat  wij  ons  moegen  verblijden 
ind  singen  der  engelen  sanc 
yn  ewelicken  tijden: 
och  ewelick  is  so  lanck! 

6. 

Die  heiligen  alle  gaeder 
die  maecken  grote  feest 
ind  laven  god  den  vaeder, 
den  soen,  den  heiligen  geest; 
als  wy  die  snnde  laten, 
sy  weten  ons  groten  danck 
ind  sy  laven  ons  baven  maten: 
och  ewelic  is  so  lanck! 

7. 

Nn  laet  ons  dienen  gade, 
dat  rade  ick  yonck  ind  alt, 
ind  halden  syne  gebade 
ind  bidden  on  mennichfalt, 
dat  hg  ons  wil  beschermen 
al  voer  der  hellen  stanc 
ind  voer  dat  ewige  kennen: 
och  ewelic  is  so  lanc! 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  107  und  108.  Als  Verfasser  des  Gedichtes  wird  der  be- 
rühmteste niederdeutsche  Prediger  Johannes  Brugman  (geboren  zu  Kempen  im  Rhein- 
lande c.  1400,  gest.  zu  Nymwegen  1473)  angesehen.  Spricht  indes  nicht  Str.  3  Z.  7 
gegen  seine  Verfasserschaft?  Über  Brugman  vgl.  Moll,  Job.  Brugman  en  het  god- 
dienstige  leven  onzer  vaderen  in  de  vijftiende  eeuw.  2  Bde.  Amsterdam  1854. 
Dort  hat  Moli  S.  207  ff.  den  Versuch  zur  Wiederherstellung  des  ursprünglichen 
Textes  gemacht.  Unser  Text  hat  mit  Hoffmann  Nr.  108  die  meiste  Verwandtschaft, 
weicht  aber  im  Einzelnen  vielfach  ab  und  bestätigt  einige  Conjecturen  Mölls. 


81 

Nr.  17. 
Noch  een  ander. 


l. 


Woe  luede  so  sanck  de  leerrer  up  der 
tynnen: 
wie  yn  swaren  sunden  leecht, 
die  mach  sich  wal  besynnen, 
dat  hy  eentijt  van  snnden  laet, 
eer  on  die  doot  den  wech  ondergaet, 
des  warn  ic  on  mit  sanghe. 


Ende  dat  yerhoerd  een  yongeling  yonc 
van  iaren 
hy  gprack:  o  meister  onversaecht, 
woe  moechdy  das  geberen? 
ick  mach  noch  leven  mennighen  dach 
ind  hebben  blijtscap  ind  gemack 
ind  my  nochtant  to  gade  wart  kijren. 

3. 

Die  leerrer  gprack:  dijn  woirden  sijn  seer 
vermeten 
ind  waer  syn  dijn  gesellen  gevaeren? 
hefstu  des  all  vergeten? 
sy  waren  oers  müdes  also  rijck, 
van  yaren  yonck  als  dijns  gelijck  — 
die  wormen  die  hebben  sy  geten! 


Die  yongelyng  sprack :  ick  en  kan  my  niet 
bedwyngen, 
ick  moet  gebrnken  mijiire  yoecht 
mit  dansen  inde  mit  spryngen, 
die  veygen  moten  alle  sterven; 
waell  up,  laet  ons  na  vroude  werven, 
ons  mach  noch  heyll  erlyngen! 


Die  leerre  sprack:  dijn  vroud  en  mach 
niet  duren, 
dat  lijden  komt  also  mennichvolt 
bynnen  eenre  korter  uren; 
och  weersta  by  den  synnen  dyn, 
dat  dy  na  dnncket  yroude  sijn, 
ten  weer  dy  niet  dan  trnrenl 

6. 

Die  yongelyng  sprac:  sijn  my  myn  synnen 
vererret, 
so  is  daer  also  mennich  bedragen 
ind  des  rechten  weges  ontverret; 
ick  hebbe  gemist  den  rechten  pat, 
my  is  geworden  ick  en  weet  niet  wat, 
wat  isset  dat  my  deeret? 


Die  leerre  sprack:   woltn  dijn  hert  be- 
kijren, 
den  rechten  wech  to  gade  wert, 
wold  ick  dy  gerne  leren; 
der  werlt  loff  is  als  een  kaff, 
woltn  dy  daer  niet  kieren  äff, 
die  helle  die  is  dyn  eijgen. 

8. 

Die  yongeling  sprack:  dijn  woirden  sijn 
seer  gehuere, 
god  selyer  heeft  dy  her  gesaut 
to  troost  ind  oec  to  stnere; 
nn  brenct  my  op  den  rechten  wech, 
dat  ick  die  waerheit  lere  bet, 
sy  is  my  noch  seer  dnere. 


9. 

Die  leerre  sprack :  ick  danck  des  gades 
gnede, 
dat  hy  in  also  korter  tijt 
gewandelt  heeft  dijn  gemuede; 
nn  hald  dy  an  die  tien  gebot, 
so  en  wortstu  niet  des  duvels  spot, 
got  moet  ons  alle  behueden! 


Niederdeutsche»  Jahrbuch.    XIV. 


82 

Abweichende  Fassungen  bei  Hoffmann  Nr.  122  und  Nr.  123,  Reifferscheü 
Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  IX  190  f.,  Jellinghaus  in  diesem  Jahrbuche  1881 
S.  6  ff.,  wo  die  weiteren  Nachweise  gegeben  sind.  Übersehen  hat  er  den  Abdruck 
bei  Moll  a.  a.  0.  II  S.  189  ff.  nach  einer  Handschrift  aus  dem  Anfange  des  16. 
Jahrhunderts.    Vgl.  auch  Acquoy  a.  a.  0.  S.  47  ff. 


Nr.  18. 
Noch  een  ander. 


Ten  ewigen  leven  weer  ick  ghern,  al 

velt  et  lanck 
van  heer  Jhesu  willen  wy  singhen  enen 
nyen  sanck, 
wat  in  der  yrsten  kerstnacht  geschach, 
doe  hy  in  der  crybben  lach 

all  onyerborgen; 
die  een  reyne  hertken  heeft, 
die  en  darf  niet  sorgen. 


Van  den  oversten  throne  wart  een  bade 

gesant, 
een  heilich  engel  Gabriel  is  hy  genant1), 
die  quam  all  daer  die  maget  was 
yn  oerre  kamere,  daer  sy  lass; 

hy  sprack  mit  tnchten: 
gegruet  sijstn,  Maria, 
du  en  darffs  niet  vruchten! 

Tot  elkeren  vers: 

Dat  kijndeken  dat  was  suverlick, 
dat  moderken  dat  was  vronden  rijck, 

all  onyerborgen, 
die  een  reyne  hertken  heeft, 
die  en  darff  niet  sorghen. 

3. 

Du  bist  alre  genaden  voll,  god  is  mit  dy, 
dynes  heiligen  lijves  vrucht  gebenediet  sy ; 
god  wii  van  dy  gebaren  wesen, 
des  salstu  yonfer  wael  genesen 
yan  alle  swere, 


want  wat  god  wil,  dat  moet  geschijn, 
die  werde  here. 

Dat  kyndeken  etc. 


Ghebenediet  sijstn,  her  Jhesu  Christ 
wan  dn  myn  troist,  myn  toverlaet,  myn 
hape  bist, 
noch  claerre  dan  der  sonnen  schijn, 
na  sluyt  op  dat  herte  mijn 

ende  myne  synne 
ende  seynd  daer  yn  den  heiligen  geest 
myt  synre  mynnen. 
Dat  kyndeken  etc. 

5. 
Doe  sich  des  die  maeget  Maria  versan, 
dat  die  tijt  der  geboerten  wold  treden  an. 
sy  sprack  to  Joseph :  my  steet  die  syn 
to  Bethleem,  daer  will  ick  hyn, 

ick  heb  vernomen, 
dat  Cristus  wil  gebaren  syn  | 

der  werlt  to  vromen. 
Dat  kyndeken  etc. 

6. 
Joseph  tradt  mit  Maria  vort  hent  aen 

die  stat, 
dat  yrste   huyss,   daer  hy  mit  oer  die 
herberen  badt, 
daer  stont  een  ezel  ende  een  rint'); 
daer  wart  gebaren  dat  znete  kijnt, 

der  werlt  to  troeste; 
wij  mosten  alle  yerlaren  sijn, 
hent  hij  ons  loeste. 
Dat  kyndeken  etc. 


')  hs.  genamt.    ')  hs.  runt. 


83 


Doe  achte  dage  om  quemen,  noch  myn 

noch  mee1), 
doe   wart  dat   kijnt   besneden  na  der 
yoedscher  ee, 
des  twelften  daechs  een  offer  gebracht 
van  drijen  connyngen  waill  bedacht, 


een  offer  schone, 
die  rijke  god,  die  gebaren  is, 
sij  od8  to  lone. 

Dat  kijndeken  dat  was   suver- 
lick  etc. 


Dasselbe  Lied  scheint  sich  auch  in  der  Sammlung  der  Anna  von  Köln  zu 
befinden  (8  Str.);  vgl.  Bolte  Nr.  18. 


Nr.  19. 
Das  Mtihlenlied. 


Een  moelen  den  ick  bonwen  wil, 

here  god,  wnst  ick  waer  mede; 

hed  ic  hantgereide 

ende  wnst  waervan, 

tohant  so  wold  ick  bonwen  an. 


To  holte  wil  ick  vaeren  heen, 
dat  walt  en  is  niet  veerne, 
hnlpe  neem  ic  also  gerne, 
woe  men  hoge  bome  vellen  sal. 

3. 
Dat  walt  dat  heitet  Lybanus, 
daer  wassen  cederbomen, 
cypressen  np  die  ryvijren 
ende  palmen  stolt, 
olyven  dat  wael  nntte  holt 

4. 
Meyster  hoge,  van  knnsten  rijck, 
woldy  my  synne  gheven, 
honwen,  snijen,  even 
ende  maken  siecht, 
so  word  die  moelen  wal  gerecht. 


Moyses  heer,  nn  komt  daer  by, 

den  ondersten  steen  berichte, 

dat  hy  ligge  also  dichte, 

so  dreecht  hy  swair: 

die  aide  een  die  meen  ick  dair. 

')  hs.  meer. 


Die  nye  een,  den  oversten  steen, 

den  legge  ic  op  den  alden, 

dat  hy  lope  also  balde 

na  meysters  konst, 

den  wert  des  heiligen  geistes  gonst 

7. 
Ghy  martelers  comt  oec  all  hijr  by, 
helpt  ghy  die  molen  stellen; 
ghy  ry vyren  schone  geeft  waters  genoech 
ende  schaffet  der  molen  er  gevoech. 

8. 
Gregorins,  Ambrosins, 
Jheronymns,  Augustinus, 
bewaret  ghy  dat  dryven 
ende  dat  kammerat, 
so  geet  die  molen  desto  bet. 

9. 
Ghy  twelf  apostelen,  comt  hijr  voer 
ende  maict  die  moelen  gaende, 
dat  sy  niet  en  blief  staende, 
ghy  sijdt  uutgesant 
to  mailen  over  alle  lant. 

10. 
Een  yoncfron  bracht  een  seckelkijn 
myt  weite,  wael  gebonden, 
to  der  selver  stonden 
ter  moelen  quam, 
een  prophete  dat  vernam. 


6* 


84 


iL 

Jsaias  had  also  lang 

tovoeren  daeraf  geschreven: 

„siet  ons  is  ghegeven 

een  yoncfrou  weert, 

die  ons  heeft  enen  soon  gebeert. 

12. 
Sijn  naem  die  faeit  Emanuel, 
den  snllen  wy  alle  laven! 
genadelicke  van  baven 
hy  tot  ons  quam, 
des  vervrouwen  sich  beide  vrou  ende  man. 

13. 
Der  propheten  is  so  voel, 
die  daer  af  hebben  gesongen; 
ons  is  so  wal  gelongen, 
het  is  volbracht, 
dat  geschach  tot  eenre  middernacht. 

14. 
Do  die  nacht  dat  licht  ontfienck, 
doe  nam  die  dach  die  lengde, 
die  dnysternisse  oer  weynde 
ind  orloff  nam, 
des  systu,  here,  lavesam. 

15. 
Die  sijnre  so  lang  verbeidet  hadden 
die  riepen  all:  wy  wachten, 
wy  nu  niet  meer  betrachten: 
wy  syn  des  wiss, 
dat  ons  god  gebaren  is. 

16. 
Ghij  evangelisten  alle  vijr, 
ghij  kunt  dat  wal  betrachten, 
woe  wy  sullen  achten 
dat  seckelkijn, 
dat  ons  bracht  een  meechdekijn. 

17. 
Mathens  nemt  ind  bynd  op  den  sack, 
giet  op  die  moelen,  laet  schraden 
ende  leer  ons  alto  gader, 
want  dn  bist  wal  geleert, 
woe  gades  sone  mensche  wert1). 


18. 
Lncas  rijt  den  sac  ontwee, 
giet  op  die  moelen,  laet  wrywen: 
da  kanst  ons  wal  beschryven 
dat  offer  groot, 
woe  gades  sone  leedt  den  doot 

19. 
Marens,  sterke  lewe  njn, 
giet  op  die  moelen,  laet  maelen, 
woe  god  opstont  van  den  doden, 
doe  dat  geschach, 
dat  riepstn  an  den  oesterdach. 

20. 
Johannes,  arn  van  hoger  vlncht, 
dn  kanst  ons  wal  geleren 
die  hemelvart  ons  hören 
all  apenbaer: 
help  ons,  dat  wij  komen  daer. 

21. 
Die  moelen  geet  ind  is  wal  bereit, 
all  die  na  willen  maelen, 
die  snllen  daer  na  halen 
oer  koerntgen  reyn, 
so  wordt  on  dat  gemailen  cleyn. 

22. 

Pawes,  keyser,  predicker, 
bewaert  ghy  die  moelen  even, 
dat  sy  ons  moet  geven 
gescroot  dat  molt') 
daer  van  so  word  u  rijken  solt. 

23. 
Die  sijn  siele  spijsen  will, 
die  sal  sich  hijr  na  stellen, 
hy  wort  wael  bericht, 
hy  meelt  ind  neemt  des  molfters  nicht 


24. 

Die  dese  moelen  gebonwet  heeft, 

den  moet  god  geleiden! 

woneer  wy  van  hijr  snllen  scheyden: 

een  engel  wijs 

die  vnyr  ons  in  dat  paradijs!     Amen. 


Vgl.  in  diesem  Jahrbuche  Jelliughaus  III  86  ff.,  Jahresbericht  der  german. 
Philol.  I  S.  184,  Brandes  Jahrb.  IX  49  ff.,  Korrespondenzblatt  1885  Nr.  4  und  Nr.  6. 


*)  hs.  wart.    *)  hs.  dat  molfter  gescroot. 


85 

Nr.  20. 
Een  ander  lijd. 


Nu  sterck  ons  god  yn  onser  noot, 

beveel  my,  heer,  yn  dyn  gebot, 

laet  ons  den  dach  genedelicken  schijnen. 

2. 
Der  naraen  drij  beveel  ick  mij 
in  allen  noeden  waer  dat  ick  sy, 
des  crnces  cracht  stae  my  voer  alle  pijne. 

3. 
Nu  staet  my  hneden  an  mijnre  hant, 
beschermt  my,   beer,   voer  hoeftsnnden 

baut, 
seer  ongestedich  byn  ick,   waer  ic  my 
henne  kijre. 

4. 
Dat  sweert,  daer  Symeon  äff  sprack, 
dat  Marien  oer  reyne  berte  doerstack, 
do  sy  ansach,  dat  Cristns  stond  yn  lijden. 

ns. 

Maria,  een  wonschelgairden 
des  Btammes  van  Jesse, 
die  Tbeofilns  werf  gnade 
doer  oer  yonferlick  anesien, 
strijdt,  vron,  voer  onse  schulde 
ende  werfft  ons  gades  hulde, 
0  mater  gracie! 

6. 
Den  anxt  seer  groot,  des  lijdens  noot, 
dat  cruyss,  daer  god  aen  leed  den  doot, 
der  naegelen  drij,  die  speer  ende  oec  die 

crone, 

7. 

Der  besseme  swanc,  der  gallen  dranc, 

die  daer  myt  der  mynscheit  hennen  sanck, 

doe  Cristns  riep   mit  also  bermelicken 

done1): 
8. 
Hely,  heiy,  lamazabatbani, 
myn  god,  myn  god,  waer  om  heffstu  ver- 

laten  my? 
des  yamers  schreye  ind  oec  die  martely 

sere. 


Nu  staet  my  hneden  voer  alle  mysdaet, 
dat  ick  voer  dootsnnden  moet  sijn  bewaert, 
tot  my  gekijrt  laet  sijn  dijns  heilighen 
geestes  lere. 

II  10. 
Maria,  maeget  reyne, 
nwer  bnlpen  doet  uns  schijn, 
doer  nwe  wäre  mynne 
laet  my  n  diener  sijn! 
laet  my  der  trnwen  genieten, 
nwen  hemelsthroon  opslnten, 
ende  neem  ons  daer  tot  n  yn! 

11. 

Och  werde  heer  vorst  van  bemelrijck, 

doer  dynre  moder  eer  ontfermt  n  aver  my 

ende  gevet  my  tijt,  n  toorn  is  mij  to 

sware. 

12. 
Och  werde  heer  Chryst,  laet  my  der  list 
genieten,  des  my  knndich  is, 
dat  ick   dy   levendich   kenne   yn  enen 
cleynen  brode. 

13. 
Ghevet  ons  also,  dat  het  yo") 
hyr  sy  myn  leste  spyse, 
so  werde  ick  vrij  ende  schreye  luede  uut 
bermelicken  noeden. 

14. 
Ghevet  myuen  horten  enen  ronwigen  vloet 
ende  laets  my  niet  mysgelden  doer  dynen 

bytteren  doot 
ende  weest  my  guet  doer  dijnre  moder 

eere! 
Ü15. 
Mijns  levens  een  gnet  eynde, 
o  heer,  des  bid  ick  dy 
ende  laet  my  niet  verslynden, 
die  dnvel  is  so  ghijr, 
ende  laet  my  nummer  sterven, 
ick  en  moet  u  hulde  werven 
daer  to  dat  hemelrijck!     Amen. 


f)  hs.  stemmen.    ")  het  hyr  yo. 


86 

Vgl.  Uhland  Nr.  312,  wo  das  Lied  7  Strophen  hat  (nach  dem  Liederbnche 
der  Herzogin  Ammelia  von  Cleve).  Wackernagel  II  330.  Bäumker  II  452  f.  (nach 
einer  Trierer  Handschrift.  Die  dort  mitgeteilte  Melodie  liegt  auch  diesem  Texte 
zu  Grunde,  derselbe  ist  wol  erweitert).  Reifferscheid  a.  a.  0.  S.  187  f.  Bartsch, 
Germania  XXV  (1880)  210  ff. 


Nr.  21. 

Dit  lijd  is  van  den  myrakel  des  heiigen  sacraments 
dat  te  Bresselouwen  is  geschijt. 


In  den  tijden  van  den  yaren, 
doe  god  all  dinck  volbracht, 
van  Judas  wart  hy  verraden, 
den  valschen  yoeden  verkocht; 
van  der  doot  is  hy  opverstanden 
ind  gevaren  tot  der  ewicheit, 
allen  yoeden  tot  eenre  schänden, 
to  trooste  der  cristenheit. 


Wat  heft  hy  ons  gelaten, 

dat  hy  ons  ter  letsen  gaff? 

die  schat  is  baven  maten, 

want  des  geen  tong  volspreken  en  mach : 

dat  heilige  sacramente, 

gaits  licham  ind  oeck  sijn  bloit, 

dat  hy  ons  ter  letsen  schencten, 

doe  hy  an  den  cruce  stont. 

3. 

Die  valschen  yoeden  gemeyne, 
die  en  willens  geloven  niet, 
dat  men  yn  die  hostie  reyne 
gaids  licham  consecrijrt 
tusschen  des  priesters  handen, 
daer  die  kersten  gelove  an  steet. 
god  moit  die  yoeden  sehenden 
doer  alle  dese  werlt  breet! 

4. 
Mit  recht  wil  ic  sy  straeffen, 
men  sold  sy  al  verslaen, 
over  die  yoeden  roep  ic  wapen! 
groot  mort  hebben  sy  gedaen: 
dat  heilige  sacramente 
hebn  sy  Judas  brueder  afgekocht 
all  in  der  quatertemper 
voer  sunte  Michaels  dach. 


5. 
Sy  wolden  dy  wairheit  schouwen, 
(offt  en  sy?)  gewaer  vleysch  ind  bloit, 
die  yoeden  mit  eren  vrouwen 
Melden  enen  valschen  rait. 
groit  wonder  saltdy  mereken, 
Judas  brueder  wart  bade  gesaut, 
die  koster  van  der  kerken, 
woe  seer  wart  hy  geschaut! 

6. 
Die  clock  sold  ylf  uren  slaen 
ynt  wüste  (?)  van  der  nacht, 
die  koster  quam  to  den  yoeden  gegaen, 
sijn  vrouwe  had  hy  mit  om  bracht: 
hy  sprack:  gy  Joden  gemeyne 
wat  is  nu  u  beger? 
doe  sprack  die  oeverste  alleyne: 
och  koster,  kom  dy  her! 

7. 
Die  wijste  yoede  van  all  den  hoop 
gynck  bij  den  koster  stain: 
och,  wold  die  ons  die  hostie  verkopen, 
die  die  kersten  hebn  omgedraegen 
all  yn  der  gülden  monstrancie, 
die  die  priester  selver  droych? 
daer  voer  en  willen  wij  v  niet  dancken, 
du  salst  hebn  geldes  genoieh. 

8. 
Die  koster  mit  synem  wyve 
en  berieden  sich  niet  lang: 
och,  mocht  verborgen  blyven, 
onsen  god  den  suld  dy  haen; 
wat  wil  dy  my  daer  om  geven? 
ick  sal  en  u  leveren  to  myddernacht; 
id  sal  ons  kosten  all  ons  leven, 
wordet  voer  den  heren  bracht. 


87 


9. 
Wy  willent  waell  verswygen, 
spraken  die  yoeden  all  gemeyn, 
dertich  golden  mocht  dy  krygen 
all  voer  die  hostie  cleyn. 
die  koster  mit  synem  wyye 
die  waren  der  meren  vro, 
dat  sy  dat  gelt  solden  krygen, 
sy  gyngen  ter  korken  to. 

10. 
Sy  wolden  den  heren  hailen, 
den  Pylatus  aent  cruess  deed  slaen, 
sy  hebn  on  dieflick  gestalen 
den  oversten  van  den  throon. 
die  yoed  mit  synen  ynylen  banden 
tasten  yn  dat  schoon  crystal, 
hy  nam  den  connynck  der  engelen, 
hy  droich  om  mit  sich  van  dan. 

11. 
Doe  sy  gaids  lichara  brachten, 
daer  die  yoeden  waren  by  een, 
sy  spotten  ende  sy  lachten, 
sy  schympten  alle  gheweyn; 
sy  bespegen  dat  licham  ons  heren, 
sy  deden  on  smaebeit  groit: 
die  oeverste  van  hoger  eren 
die  dede  myrakel  groit. 

12. 
Een  tafel  wort  doe  voertgebracht, 
daer  gyngen  die  yoeden  om  staen, 
gaids  licbam  wart  daer  op  gelacht, 
dat  sacramente  schoen; 
sy   woldent  bynnen  ende  bnten  be- 

schonwen, 
offt  weer  gewaer  vleiss  ind  bloyt, 
sy  hebbent  to  stucken  gehonwen, 
o  wee  der  bitterre  noit! 

13. 
Dat  bloet  dat  quam  gelopen 
al  aver  die  tafel  breet, 
uut  gades  licham  gevlaten, 
daert  noch  huede  to  dage  op  steet. 
die  yoeden  worden  seer  verschriet, 
on  ward  so  bang  to  moyd1), 
woe  god  an  den  cruce  ward  gerecket, 
so  störten  hy  daer  syn  bloyt. 


14. 
Die  wechters  up  der  muren 
die  worden  des  yamers  wijss, 
bynnen  eenre  korter  uren 
quam  daer  mennich  schoen  tortijss, 
processien,  crucen  ind  vaenen, 
all  dat  volck  dreef  yamer  groit, 
sy  wolden  gaids  licham  hailen, 
dairt  lach  yn  synen  bloid. 

15. 
Groit  volck  <Juam  daer  gedryngen, 
beid  vrouwen  ende  man, 
die  priesters  konden  niet  gesyngen, 
id  schreiden  allet  dat  daer  quam; 
sy  vielen  op  oeren  knyen 
cruesgewijss  al  op  die  erde: 
o  werde  gades  licham,  woe  ligstu  hier 
doerhouwen  mitten  swerd. 

16. 
Die  priesters  mit  den  clereken, 
al  dat  volck  dreeff  yamer  gToit, 
men  droich  die  tafel  to  der  kerken 
mit  dem  werden  duerberen  bloide. 
hoert,  gy  mannen  ende  vrouwen, 
waer  dit  groit  yamer  is  geschiet: 
in  der  stat,  heit  Bresselouwen, 
daer  men  dit  myrakel  siet. 

17. 
Die  yoeden  worden  gevangen, 
sestich  ende  hondert  wart  oerre  ver- 

brant, 
die  coster  heft  sich  seif  gehangen, 
als  Judas  wart  hy  geschant. 
hy  riep  mit  luder  stemmen: 
nu  en  wort  my  nummer  vroud  kont, 
ewelick  moit  ic  verbernen 
al  yn  der  helle  gront. 

18. 
Dit  gedieht  heft  Jacob  van  Raetyngen 

gemaict 
van  den  yoeden  sehnet  nummer  [goit  ?] 

slach  ende  ramspoit 

also  ....  swass  orlich  yn  den  lande 
daer  die  yoeden  verheven  sjjnt, 
op  Marie  sprecken  sy  schände 
ind  op  oer  gebenedijde  kynt. 


')  hs.  so  moyd. 


88 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  118  und  die  Vorbemerkungen.  Str.  9  ist  nicht  mehr  ganz 
zu  entziffern,  die  Stelle  ist  völlig  zerfressen.  Das  Ereignis  fand  wol  im  Jahre  1453 
statt;  vgl.  Grünhagen  Geschichte  Schlesiens  I  282,  wo  die  Zahl  der  verbrannten 
Juden  auf  43  angegeben  wird. 


Nr.  22. 


l. 
Criste,  du  bust  dach  ende  licht, 
voer  dy  en  is  verborgen  nicht1), 
du  bust  des  vaders  lichte  glans, 
leer  ons  den  wech  der  waerheit  gans. 


Nu  slape,  oghe,  all  sonder  leit 
ende  waecke,  herte,  yn  stedicheit, 
nu  bescherm  ons  godes  rechterhant 
ende  behoede  ons  voer  hoeftaunden  baut 


Wy  bidden,  heilige  here,  dy, 
in  deser  nacht  behuede  my, 
yn  dy  so  sy  die  roste  myn, 
laet  ons  dese  nacht  in  vrede  sijn. 

3. 
Verdrijf  des  swaren  slapes  vrist, 
dat  ons  niet  en  bedrijge  des  viants  iist, 
geeft,  dat  ons  vleysch  in  tuchten  reyne  sy, 
so  staen  wy  van  allen  sunden  vrij. 


Beschermer  all  der  cristenheit, 
dyn  hulpe  sterck  sy  ons  bereit, 
nu  help  ons  here  uut  alre  noit 
doer  dyne  heilige  vijf  wonden  roit 

6. 
Gedencke,  here,  der  swaerre  tijt, 
daer  aen  die  ziell  gevangen  lijdt, 
die  zielen,  die  du  heves  verloost, 
den  gevet,  heer,  dynen  ewigen  troist! 


Vgl.  Hoffmann  Nr.  113,  Wackernagel  II  564,  Bolte  Nr.  65. 


Nr.  23. 
Jhesns  sprect  tot  die  kersten  ziel. 


Heffopmijncruyss,  mijn  alreliefste  bruyt, 
ind  volge  my  na,  ind  gae  dijns  selves  uut, 
want  ict  gedraegen  heb  voer  dy, 
heefstu  my  lieff,  so  volge  my! 

Die  ziel  antwoird: 

0  Jhesus,  alreliefste  heer, 
Ick  byn  noch  yonck  ind  all  to  teer, 
Ick  heb  dy  lieff,  dat  is  ummer  waer, 
Mer  dijn  cruyss  is  my  voel  to  swaer. 

Jhesns  sprect: 

Ick  was  noch  yonc,  doe  ic  dat  droech, 
En  klage  du  niet,  du  bist  sterc  genoech, 
Wanneer  du  bist  alt  ende  kalt, 
So  en  heefstu  des  cruces  geen  gewalt. 


Die  siel  antwoird: 

Woe  mocht  ic  lyden  dit  gedwanck? 
Der  daege  is  voel,  dat  iaer  is  lanck, 
Ick  byn  des  cruces  onghewoen, 
Och  schoend  my,  mijn  alreliefste  schoon! 

Jhesus  sprect: 

Woe  bistu,  liefst«,  so  balde  verlegen, 
Du  moyts  noch  strijden  als  een  deghen! 
Ic  wil  castyen  dyn  yonghe  lijf, 
Du  wordes  my  anders  voel  to  stijf. 

Die  siel  antwoird: 

Heer,  dattu  wilt,  dat  moet  ommer  wesen, 
Mer  des  cruces  en  mach  ick  niet  genesen, 
Mer  motet  sijn  ende  aal  ict  draegen. 
So  moet  ic  krencken  ende  versaegen. 


')  h8.  niet. 


89 


Jhesus  aprect: 

Meynstu  in  den  rosen  to  baeden? 
Dn  moytst  noch  doer  die  doernen  waeden! 
Siet  aen  dat  cruce  ende  oec  dat  mijn, 
Woe  ongelijc  swaer  dat  sy  sijn. 

Die  liel  antwoird: 

Wy  lesen  in  der  heiligher  schrift: 
Dyn  ynck  is  suet,  dyn  borden  is  licht, 
Woe  bistu  my  dns  anxtelicke  hart, 
Myn  alreliefste  brudegom  zart. 

Jhesas  spreot: 

Onghewoen  besweert  den  moet, 
Her  lydt  ende  swijcht,  et  word  noch  goet 
Mijn  crnes  is  allso  costele  pant, 
Dat  ic  des  nymant  dan  mynen  vrienden 
en  gan. 

Die  siel  antwoird: 

Den  vrienden  gheefstn  weenich  rast, 
My  gruwelt  voer  den  swaren  last, 
Ie  sorge,  ic  en  sals  niet  moegen  herden, 
Och,  here,  wat  sal  mijns  ghewerden? 

Jhesus  aprect: 

Dat  bemelrijck  dat  Hjdt  gewalt, 
Mer  dn  bist  noch  van  mynnen  kalt, 
Hedstn  my  lief,  het  worde  noch  gnet, 
Want  mynne  die  maect  all  arbeit  snet. 

Die  aiel  antwoird: 

0  here,  geeft  my  der  mynnen  brant, 
ilijn  crancheit  is  dy  wael  bekant, 
Leetstn  my  op  my  selver  staen, 
So  weetatn  wael,  ick  moet  vergaen. 


Jhesus  aprect: 

Ick  byn  brnyn  ende  suverlick, 
Ick  byn  sner  ende  mynnentlick, 
Ick  gheve  arbeit  ende  rast, 
Betrouwe  op  mij,  so  steetstn  vast. 

Die  siel  antwoird: 

0  here,  offt  nmmer  wesen  mach, 
Des  crnces  neem  ic  gerne  verdrach, 
Mer  wildijt  hebben  ende  motet  sijn, 
Dijn  will  geschie  ende  niet  die  mijn! 

Jhesas  ipreot: 

Ten  hemelrijck  gheet  een  wech  alleen, 
Dats  des  cruyss  wech  ende  anders  geeu, 
Alle  dyn  waelvaert  ende  ewich  heyii 
Steet  aen  den  cruyss,  nn  kijss  ende  deyll! 

Die  liel  antwoird: 

Sold  ic  dyn  hnld  ende  dijn  rijck  Verliesen, 
Eer  hondert  cruce  wold  ic  verkiesen! 
Here,  geeft  my  macht  ende  lydsamheit 
Ende  cruyst  my  wael,  et  sy  my  lief  of  leit. 

Jhesua  spreot: 

Als  dy  dat  cruess  ten  herten  gheit, 
So  denct,  wat  ic  dy  hebbe  bereit: 
My  selver  gheve  ic  dy  to  loon, 
All  mitten  engelen  die  ewighe  croon. 

Die  liel  aprect  tot  oer  selven: 

0  mijn  alreliefste  siel, 
Mynt  god  ende  laet  die  werlt  geheel, 
Siet  aen  dat  guet,  dat  Jhesns  is, 
Des  hemelrijcks  wartstu  dan  gewis. 
Amen. 


Über  dieses  sehr  verbreitete  Lied  vgl.  Jellinghaus  in  diesem  Jahrbuche  VII 
S.  3  ff.  Moll  II  408  ff.  Acquoy  S.  59  ff.  Bolte  Nr.  39.  Berlage,  Programm  der 
Realschule  zu  Osnabrück  1876  S.  10. 


MÜNSTER  i.  Westf. 


Franz  Jostes. 


Die  W einprobe. 

Aus  einem  alten  Revaler  Liederbuche. 


Et  was  een  Schipken  angekam 
To  Köllen  an  den  Rien, 
Da[t]  war  ock  so  beladen 
Met  idel  rienschen  Wien, 
Met  idel  rienschen  Wien. 

Un  da  de  Stop1)  een  Schilling  galt, 
Da  weren  de  Wiewer  fro: 
'Ach  Fru  Gefadderin  Margreteken, 
Will  wir  een  Stopken  prowen 
Un  schmecken,  wo  dat  schmeck?4 

Un  da  dee  Mann  in  de  Kareken  ginck, 
Do  hengdt  de  Tasch  an  de  Want, 
Da  weren  twe  witte  Schilling  darin, 
De  weren  er  woll  bekandt, 
De  weren  er  woll  bekandt. 

Als  dee  Mann  ut  de  Kareken  kam, 
Sprach  [he] :  'Magt,  wo  ist  mien  Wieff?4 
'Se  ligt  woll  in  er  egen  Bed, 
So  we  deit  er  dat  Lieff, 
So  we  deit  er  dat  Lieff.4 

De  Mann  dee  lept  de  Treppen  up 
Un  set  sick  up  de  Banck: 
'Ach  ach,  mien  seelentruten  Fru, 
Wo  fan  biß  du  so  kranck, 
Wo  van  biß  du  so  kranck?4 

'Ick  heb  dat  slijmme  Dünebeer  sapen, 

Dat  kribbelt  mie  im  Liew, 

Dat  deit  mie  ock  so  schmartlich  wee, 

Dat  ick  weet  keen  Verblieff, 

Dat  ick  weet  keen  Verblieff.4 

Dee  Mann  de  lep  dee  Treppen  äff, 
Sprach:  'Magd,  spööl  us  de  Flasch, 
Holl  mie  dat  beste  rienschen  Wien, 
Dat  in  de  Keller  iß, 
Dat  in  de  Keller  iß! 


')  Stoof,  ein  noch  heut  in  Reval  übliches  Mass,  etwa  Vs  Liter. 


91 


8.  'Un  set  de  Pötken  an  de  Füer 
Un  mack  dat  nich  to  heet! 

Un  iß  se  den  van  Harten  kranck, 
So  breckt  er  uht  de  Schweet, 
So  breckt  er  uht  de  Schweet. 

9.  'Un  do  ock  een  Stück  Sucker  darin, 
All  weer  et  ock  een  Punt! 

Un  iße  den  van  Harten  kranck, 
So  wert  sec  wedder  gesund, 
So  wert  see  wedder  gesund.' 

10.  So  don  alle  böße  Wiewer, 
De  in  de  Keller  sind. 
Se  macken  ock  er  egen  Mcnner 
Met  seenden  Ogen  blint, 
Met  seenden  Ogen  blint. 


Auf  der  Bibliothek  der  Petersburger  Akademie  der  Wissenschaften 
fand  ich  in  einem  XX.  J.  38  signierten  handschriftlichen  Liederbuche 
auf  S.  68 — 72  das  vorstehende  nd.  Lied.  Die  Sammlung  ist  dem 
Schriftcharakter  nach  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  von 
verschiedenen  Händen  angelegt  und  enthält  auf  309  Queroktavseiten !) 
+  Register  eine  Anzahl  hochdeutscher  Liebesgedichte,  darunter  ver- 
schiedene längst  bekannte:  S.  21  Dachs")  '0  du  vormahls  grünes  Feldt', 
S.  57  'So  hast  du,  liebes  Kind'3),  S.  141  'Du  Beherrscher  unsrer 
Sinnen'4),  S.  259  An  die  schöne  Margaris:  'Soli  es  dan  geschieden 
sein',  S.  47  'Flora  stutzt  in  Seid  und  Sammet',  S.  52  'Dorintgen, 
weine  nicht',  S.  60  'Fragt  ihr  noch  warum  ich  klage',  S.  63  ,Warumb 
fleuchstu,  Halbgöttinne'  u.  a.  Niederdeutsche  Stücke  begegnen  ausser 
der  mitgeteilten  'Weinprobe'  nicht;  volkstümlichen  Charakter  trägt, 
abgesehen  von  einigen  Leberreimen  und  Rätseln,  nur  S.  118  Klag 
und  Traurgesang  des  Märten  Jennissons6):  'Ich  armer  Haaß  im  weiten 
Feldt'8).  Bemerkenswert  ist  noch  ein  auf  S.  255 — 259  stehendes 
estnisches  Lied:  'Armaß  kalliß  kuldene  Wend'  in  10  vierzeiligen 
Strophen,  da  es,  wie  mir  Herr  Professor  Leo  Meyer  in  Dorpat  gütigst 
mitteilte,    als   die   älteste  Aufzeichnung   estnischer   Poesie   angesehen 

')  S.  1-4  fehlen. 

•)  S.  414  ed.  Oesterley  1876.    IL  Albert,  Arien  4,  15. 

•)  A.  Krieger,  Arien  4,  6  (1667).  Chr.  Clodius'  Liederbuch  von  1669  Nr.  65 
(Berliner  Mscr.  germ.  oct  231). 

4)  Nach  Meusebach,  Serapeum  1870,  141  aus  dem  Schäferroman  von  Amoena 
und  Amandus  (1632);  vgl.  Bolte,  Altpreussische  Monatsschrift  23,  444  f.  Eine 
schwedische  Übersetzung  vom  J.  1712  durch  IL  B.   liegt   hsl.   in   Upsala  (V  146). 

*)  Jennis  estnisch  =  Hase. 

•)  Erk,  Deutscher  Liederhort  (1856)  Nr.  57.  Mittler,  Deutsche  Volkslieder 
Nr.  610—612.  Hoffmann  von  Fallersleben,  Niederländische  Volkslieder  •  Nr.  163 
(1856).    Uhland,  Schriften  3,  70  f.  157  f. 


92 

werden  muss  und  un8  zugleich  über  die  Heimat  der  Sammlung  Auf- 
schluss  gewährt.  Wir  werden  danach  kaum  fehl  gehen,  wenn  wir 
dieselbe  in  Reval  suchen.  Denn  hierhin  fuhrt  uns  auch  ein  S.  104 
aufgezeichnetes  Gedicht  auf  die  Hochzeit  Thomas  Knipers:  eine  Familie 
Kniper1)  war  in  Reval  während  des  17.  Jahrhunderts  ansässig,  und 
Herr  Oberlehrer  G.  von  Hansen  wies  mir  sogar  einen  Thomas  Kniper 
in  Akten  des  Revaler  Stadtarchivs  v.  J.  1649  nach.  Eine  genauere 
Zeitangabe  findet  sich  auf  S.  95  einem  nach  der  Melodie:  '0  grau- 
sahmes  Hertz'  gehenden  Gedichte:  'Mein  Geist,  emphor!  komm,  säume 
nicht  zu  gehen'  beigeschrieben:  'Von  J.  Rf?].  H.  gemacht  8.  Sept.  1680;. 
Einer  der  Besitzer  des  Büchleins  wird  der  J.  P.  ß anner  gewesen 
sein,  welcher  auf  dem  Vorsatzblatte  seinen  Namen  unter  einem  Denk- 
spruche verewigt  hat:  'A  dieu  complaire  |  A  tous  seruir  |  Jamais 
mal  faire  |  Ces[t]  mon  desir.  |  Got  zu  lieben  |  Niemant  verachten 
|  Und  nicht  ybel  zu  thun  |  Ist  alle  mein  Trachten'. 

BERLIN.  Johannes  Bolte. 


Zur  Geschichte  der  Leberreime. 

Therander  ist  nicht  der  einzige  gewesen,  der  die  Rhytmi  mensales 
des  Johannes  Junior  in  der  Absicht  durchmustert  hat,  sie  ins  Hoch- 
deutsche zu  übertragen.  Im  Jahre  1629,  bald  nach  ihrem  Erscheinen, 
legte  ein  Danziger,  Michael  Hancke  der  Jüngere,  Schreiber  des  bürger- 
meisterlich Höheschen  Amtes,  eine  Sammlung  von  Reimsprüchen, 
historischen  Liedern,  Rätseln  u.  dergl.  an,  die  bis  1644  mit  Zusätzen 
versehen  wurde.  Aus  diesem  Sammelbuche  hat  Toppen,  Volkstümliche 
Dichtungen,  zumeist  aus  Handschriften  des  15.,  16.  und  17.  Jhs. 
gesammelt.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  schönen  Litteratur  der 
Provinz  Preussen.  Königsberg  1873  (Sonderabdruck  aus  der  Altpreuss. 
Monatsschrift  Band  9)  S.  83 — 86  Etdichc  leberreime  zum  Abdruck 
gebracht.  Es  sind  im  Ganzen  18  Sprüche.  Da  sie  der  Herausgeber 
in  der  Reihe  der  von  ihm  mitgeteilten  Reimsprüche  als  Nr.  61 — 78 
mitzählt,  so  muss  er  eine  engere  Zusammengehörigkeit  derselben  nicht 
angenommen  haben.  Hinsichtlich  des  Entstehungsortes  und  der  Ent- 
stehungszeit neigt  er  der  Meinung  zu,  dass  sie  in  Preussen  und  in  der 
Zeit  Hanckes  entstanden  seien.  Prüfen  wir  die  Aufstellungen  Töppcns 
auf  ihre  Berechtigung,  so  haben  wir  zunächst  zu  bemerken,  dass  die 
in  Rede  stehenden  Sprüche,  wie  aus  den  Reimen  uberaU:  sott  (Nr.  62), 


')  Die  Bibliothek  der  Petersburger  Akademie  der  Wissenschaften  besitzt  ein 
1636—1641  geführtes  Stammbuch  des  Stud.  theol.  Johannes  Kniper  aus  Reval 
(XX.  C.  a.  10);  vgl.  über  ihn  auch  Lappenbergs  Ausgabe  von  Flemings  Deutschen 
Gedichten  1865  S.  820. 


M 


schon:  thun  (ebd.),  bock:  glück  (Nr.  70),  ehr:  vier  (Nr.  72)  erhellt, 
aus  dem  Niederdeutschen  übersetzt  sind.  Sie  stellen  entweder  den 
Überrest  einer  vollständigen  hd.  Bearbeitung  des  von  Hofmeister  in 
dieser  Zs.  10,  59 — 89  behandelten  Werkes  des  Johannes  Junior  dar 
oder,  was  mir  wahrscheinlicher  erscheint,  eine  wohl  von  Hancke  selbst 
veranstaltete  und  ins  Hochdeutsche  umgeschriebene  Auswahl  aus  dem- 
selben. Was  sodann  Töppens  Zeitbestimmung  angeht,  so  kann  sich 
diese  nur  auf  die  Form  des  Leberreims  beziehen ;  die  in  sie  gebrachten 
Sprüche  dürfen  auf  ein  erheblich  höheres  Alter  Anspruch  erheben. 
Auf  die  Bedeutung  der  Sammlung  des  Johannes  Junior  als  Fundgrube 
nd.  Sprichwörter  und  Spruchgedichte  hat  schon  Hofmeister  1.  c.  S.  63 
aufmerksam  gemacht,  aber  Hofmeister  hat  ebenso  wenig  wie  Toppen 
erkannt,  dass  wir  für  eine  grosse  Anzahl  der  Reime  in  der  unter  dem 
Namen  Schone  KÄnstlike  Werldtsproke  gehenden  Bearbeitung  dos  Nd. 
Reimbüchleins  die  direkte  Vorlage  besitzen.  Sieht  man  von  den  durch 
die  Form  des  Leberreims  bedingten  Abweichungen  ab,  so  ist  der  An- 
schluss  an  die  Quelle  in  den  meisten  Fällen  eine  sehr  enge.  Ein 
Beispiel  möge  genügen,  um  dieses  Verhältnis  zwischen  Rhytmi  mensales 
und  Weltsprüchen  zu  illustrieren.     Junior  Nr.  11: 

Diß  Lever  genamen  uth  dem  Lyff, 
Moth  men  nicht  ethen  gar  tho  ryff. 
Merck,  welcker  nicht  vorderven  wil, 
Höd  sick  vor  Lögn  und  Kartenspir, 
Vor  Küpen  und  vor  Börgerschop, 
Vor  Hören  und  böser  gselschop. 

und  Werldtsproke  9  (Nd.  Reimbüchlein  S.  XIV.)  heisst  es: 

Welcker  nicht  vorderven  wil, 

De  höde  sick  vor  Lögen  und  Spil, 

Vor  Kopen  und  Bftrgeschop, 

Vor  Wyver  und  böser  Geselschop. 

Welche  Reime  des  Johannes  Junior  sich  bei  Hancke  wiederfinden, 
ergiebt  sich  aus  nachstehender  Uebersicht. 


Junior  4  = 

Toppen 

S.  86  Nr.  69 

Junior  110  =  Toppen  S.  84  Nr.  62 

13  = 

S.  85  Nr.  70 

111  =       S.  83  Nr.  61 

14  = 

S.  85  Nr.  71 

112  =       S.  84  Nr.  65 

17  = 

S.  85  Nr.  72 

113  =       S.  84  Nr.  64 

19  = 

S.  85  Nr.  73 

123  =       S.  84  Nr.  63 

78  = 

S.  86  Nr.  74 

Die  Nummern  75 — 78  bei  Toppen  sowie  auch  wohl  Nr.  66 
gehören  vermutlich  zu  den  bisher  nicht  wiedergedruckten  geistlichen 
Leberreimen  des  Johannes  Junior,  von  denen  Hofmeister  einige  Proben 
mitteilt,  Nr.  67  dagegen,  mit  schwacher  Anlehnung  an  Nr.  42  der 
'Rhytmi  mensales',  Nr.  68  und  die  in  Hanckes  Sammelbuche  getrennt 
von  der  Eteliche  leberreime  überschriebenen  Sammlung  stehenden  Num- 
mern 108 — 111  scheinen  aus  anderer  Quelle  zu  stammen. 

Da  der  Herausgeber  der  'Werldtliken  Ryme  van  der  Levern'  nur 
gelegentlich  auf  Parallelstellen  verwiesen  hat  und  zur  Rechtfertigung 
der    vorhin    aufgestellten   Behauptung,    dass    Johannes    Junior    eine 


94 

Bearbeitung  des  Reimbüchleins  gekannt  und  benutzt  habe,   schliesse 
ich  Bemerkungen  zu  einer  grösseren  Anzahl  der  Reime  an. 

Nr.  4:  jungen  statt  sungen  bei  Toppen  Nr.  69  V.  3  wird  Druck-  oder  Lese- 
fehler sein.  Der  aus  Freid.  52,  16—17  stammende  Spruch  ist  aus  der  jüngeren 
Glosse  zum  RV  I,  11  in  das  RB  1281—1282  gekommen.    KW  30. 

Nr.  8  V.  2—3:  Im  RB  an  verschiedenen  Stellen:  V.  2119—2120,  worauf  der 
Herausgeber  verweist,  ferner  1913—1914  und  2510—2511.  Nl. :  Wien  2  (Nd.  Jahrb. 
13,  104  V.  7—8)  und  1.  Hulth.  26  (Belg.  Mus.  1,  102  V.  5-6).  —  V.  4—6: 
RB  2142-2143. 

Nr.  11 :  KW  9. 

Nr.  12:  RB  205—210. 

Nr.  17:  Die  Mewe  ist  bei  Toppen  Nr.  72  zur  mucke  geworden;  der  Wechsel 
im  Reimwort  hat  die  Ausstossung  des  aus  dem  RV  I,  2  Randgl.  in  das  RB  1437 
bis  1438  übernommenen  Spruches  von  den  Räubern  und  Dieben  zur  Folge  gehabt 

Nr.  18:  KW  48.  Aus  einer  Halberstädter  Hs.  im  Nd.  Jahrb.  3,  62  Nr.  22 
mit  einer  Notiz  Walthers  ebd.  S.  67. 

Nr.  20:  KW  2. 

Nr.  22:  Aus  dem  Narrenschiff  6,  57—62  durch  Vermittelung  von  RV  II, 
6  Gl.  in  das  RB  565-570  gelangt. 

Nr.  23:  Aus  Freid.  32,  7-10.    RB  559—562,  entlehnt  aus  RV  n,  7  Randgl. 

Nr.  48:  RB  713-714  aus  RV  I,  39  Randgl. 

Nr.  49:  Der  Spruch  ist  am  Ende  gekürzt.  RB  755-758  aus  RV  I,  37  Randgl. 
Vgl.  Hoffmann  von  Fallersieben,  Findlinge  1,  452  Nr.  143. 

Nr.  53:  KW  20  =  RB  2405—2406  und  in  weiterer  Ausführung  Hoffmami 
von  Fallersleben,  Findlinge  1,  351: 

Quter  Muth,  gesunder  Leib, 
Altes  Geld,  ein  junges  Weib, 
Gottes  Huldt  und  Glück  dabei, 
Was  meinstu  wol,  das  besser  sei? 
Vgl.  auch  RB  2435— 2437,  hd.  in  Hoffmann  von  Fallersleben,  Spenden  1,  16;  1,  20: 
1,  23,   in  Eschenburgs  Denkmälern  S.  397  Nr.  5  und  nl.  in   der  Berliner  Samm- 
lung 12  (Altd.  Blätter  1,  75). 

Nr.  57 :  Aus  Freid.  96,  18-19.  RB  1415—1416  aus  RVI,  3  Randgl.  Vgl. 
Nd.  Jahrb.  3,  62  Nr.  17.  HcL  auch  in  Johannis  Fabri  de  Werdea  Proverbia 
(Weimar.  Jahrb.  2,  184). 

Nr.  58:  Vgl.  RB  2628-2629. 

Nr.  59:  RB  2632—2633. 

Nr.  62:  Vgl.  Narrensch.  1,  103—104: 

Mannich  leret  nu  dat  heym  tho  hus, 
Dat  he  ne  lerede  to  Farus. 

Nr.  80  V.  3-8:  RB  2479—2484  aus  Freid.  170,  14-17  und  20-21.  Nl.  in 
der  2.  Hulth.  Sammlung  56  (Belg.  Mus.  6,  199-200  V.  443-448).  —  V.  9-10: 
RB  2485-2486  aus  Freid.  170,  18-19. 

Nr.  81:  RB  2487-2490  aus  Freid.  170,  22-25.  Vgl.  auch  Hoffmann  von 
Fallersleben,  Spenden  1,  30. 

Nr.  84  V.  2-4:  RB  2292-2293.    Vgl.  auch  Nd.  Jahrb.  3,  61  Nr.  10  V.  5-6. 

Nr.  85:  RB  2315-2320.  Vgl.  Nd.  Jahrb.  3,  61  Nr.  9,  ferner  Germania  19, 
303.  Nl.  in  der  1.  Hulth.  Sammlung  18  (Tijdschr.  voor  Nederl.  Taal-  en  Letterk. 
3,  178). 

Nr.  86  V.  5-6:  RB  2301-2302. 

Nr.  95:  RV  I,  22  Randgl.  Vgl.  Hoffmann  von  Fallersleben,  Findlinge  1,  442 
Nr.  69,  ferner  Keller,  Alte  gute  Schwanke  2.  Aufl.  Nr.  26.  Albert  Hoefer  verweist 
hinsichtlich  dieses  weit  verbreiteten  Reimspruches  am  Schluss  seines  Aufsatzes  über 
apologische  oder  Beispiels-Sprichwörter  im  Niederdeutschen  in  v.  d.  Hagens  Germania 
6,  106  ausser  auf  Wackernagel  A.  L.  8p.  1027  auf  J.  W.  Wolfs  Wodana  2,  206. 
Man  findet  ihn  auch  gegen  Ausgang  von  Hans  Rosenbluts  Spruch  von  dem  Pfennig 
(Keller,  Fastnachtspiele  1184): 


95 

Man  spricht:  lieb  gee  für  alle  ding. 
Neyn,  sprich  ich  pfennig, 
Wo  ich  pfennig  wennt, 
Da  hot  die  lieb  ein  endt. 
Dass  Rosenblut  nicht  der  Verfasser  desselben   ist,   erhellt   aus   den   einleitenden 
Worten:   'Man  spricht4,   die  sonst  nicht  vorkommen.    In  das  RB  925—928  ist  er 
aus  dem  RYI,  24  Gl.  in  nachstehender  Form  übergegangen: 
Frflndtschop  geit  vor  alle  dinck, 
Dat  straffe  ick,  sprack  de  penninck, 
Den  wor  ick  keer  und  wende, 
Dar  helft  de  Frundtschop  ein  ende. 
Es  muss  dahingestellt  bleiben,   ob  die  Bearbeitung  des  RB,   die  Johannes 
Junior  zur  Verfugung  hatte,   die  Aenderung  von  'Freundschaft'  in  'Liebe4  enthielt 
oder  ob  dieser  die  Fassung:  De  Lefft  öoerwindt  alle  ding,  weil  sie  ihm  geläufiger 
war,  einsetzte.    An  eine  gleichzeitige  Benutzung  der  jüngeren  Glosse  zum  RV,  die 
auch  die  letztere  Lesart  kennt,  braucht  man  deshalb  noch  nicht  zu  deuken.    Auf  die 
Freundschaft  bezogen  steht  der  Spruch  auch  im  Buche  Weinsberg  71a  (vgl.  Bir- 
lingers  Mitteilungen  aus  demselben  in  der  Germania  19,  83)  und  um  die  ersten 
beiden  Verse   verkürzt   in  Hoffmann   von  Fallersieben,   Findlinge   1,  444  Nr.  82 
V.  3 — 4.   Weitere  Belege  giebt  Sandvoss  in  seinen  Bemerkungen  zu  den  Inschriften 
von  Lund,  unter  denen  unser  Reim  ebenfalls  begegnet,  im  Nd.  Korrespondenzblatt 
9,  53—54. 

Nr.   99:   RB   2107—2112   (s.   auch   RB  663-664).    Hd.   bei  Toppen  S.  76 

Nr.  18  V.  1—4  und  erheblich  gekürzt  in  Hoffmann  von  Fallersieben,  Spenden  1,  73. 

Nr.  112:  Bei  Hancke  gehört  die  Leber  einem  'einhorn',   nicht  einem  'Barn'; 

V.  5  ist,  wie  folgt,  umgestaltet :  Ich  toils  noch  ein  zeit  lang  (wil  myn  Fryent  wat) 

ansehen. 

Nr.  121 :  RB  292—299  aus  RV  III,  7  Gl. 

Nr.  128:  Vgl.  RB  2325-2331,  ebd.  100—108  und  2512-2513.  Hd.  bei  Toppen 
S.  77  Nr.  24  und  bei  Hoffmann  von  Fallersieben,  Spenden  1,  19. 

Unangemerkt  ist  bisher  geblieben,  dass  sich  Johannes  Junior  öfters  wiederholt. 
Nr.  1  steht  Nr.  123  nahe,  Nr.  2  V.  2—4  =  Nr.  99  V.  2—3,  Nr.  4  V.  3—4  = 
Nr.  77  V.  1-2,  Nr.  10  V.  6-7  =  Nr.  84  V.  5—6,  Nr.  74  V.  4—6  =  Nr.  87  V.  5-6. 

BERLIN.  Herman  Brandes. 


Zur  Geschichte  der  Leberreime. 


Die  Rhytmi  mensales  des  Johannes  Junior  sind  auch  nach  Mi- 
chael Hancke  noch  ins  Hochdeutsche  übertragen.  Im  Jahre  1649 
erschien: 

JOOSERIA  (!)  MENSALI A,  I  Das  ift:  |  <Htlid?e  fjunbert  fdjine  Qrift* 
tmb  |  weltliche  fd)erg  onb  ernfthaffte  |  £eber  Heimen,  |  gufampt  |  (Etlichen  luftigen, 
fdj&i  nnb  3&djtt*  |  gen  Heimn>eif$  gesellten  |  Hinein.  |  Vov  btefem  niematyen  fo 
orbentltdj,  |  nebenfk  fo  fdfinen  tmb  luftigen  Heimen  tmb  |  Hinein  ©erbeffert,  in 
teutfd?  an§»  |  gangen.    [Druckerstock.]    (Sebrucft  im  3at}r,  |  \6ty. 

Als  Motto  steht  auf  der  Rückseite  des  Titels: 
21  n  ben  £efer. 
Wer  roxi  bie  £ebr  bereimen  fdfledjt, 
Der  reb  was  Ojrtftlid}  ift  wib  redjt. 


96 

Es  folgen  auf  Seite  3 — 19  nach  der  Überschrift  „Zrtandierlev 
tüeifc  über  (Eifdf  Cfyriftüdf  bie  Ober  3U  bereimen"  110  geistliche  Leber- 
reime, dann  kommen  S.  20 — 54  176  weltliche  Leberreime,  an  die  sich 
71  Rätsel  schliessen.  Ein  grosser  Teil  der  weltlichen  Reime  dieser 
Sammlung  nun  ist  aus  den  Rhytmi  mensales  des  Johann  Junior  über- 
tragen. Es  finden  sich  von  den  niederdeutschen  Reimen  folgende  in 
den  Jocoseria  mensalia  übersetzt: 


Rhytmi  mens 

2—5 

= 

Jocor.  mens 

51—54 

» 

7 

= 

n 

55 

n 

9 

= 

n 

56 

n 

11—14 

= 

n 

57—60 

n 

16—17 

= 

r» 

61—62 

n 

19—25 

= 

n 

63—69 

n 

28—46 

= 

n 

70—88 

j) 

47—91 

= 

j) 

104—148 

T) 

93-94 

= 

r» 

149—150 

J7 

97—102 

= 

n 

151—156 

J7 

105 

= 

jj 

157 

n 

109 

= 

n 

158 

J7 

110 

= 

n 

101 

n 

111 

= 

n 

99 

Jl 

113—114 

= 

jy 

159—160 

1) 

116 

= 

jj 

176 

1) 

116 

= 

n 

161 

» 

117 

= 

jj 

97 

n 

119 

== 

n 

100 

n 

123 

3= 

n 

162 

»» 

125 

= 

jj 

14 

» 

128 

= 

» 

173 

Dass  die  Leberreime  der  Jocoseria  Übersetzungen  aus  den  nieder- 
deutschen Reimen  des  Junior  sind,  beweisen  die  zahlreichen  nd.  Reim- 
formen, welche  in  der  hd.  Übersetzung  beibehalten  sind.  Ein  Beispiel 
möge  genügen: 

Rhytmi  mensales  40.  Jocoseria  mensalia  82. 

Difz  Leuer  vam  Hoen  ick  ethen  wil,  Die  £ebr  t>om  fjuljn  idj  effen  wtl, 

Wol  ümmer  sitt  vnd  schwicht  ock  still  EDer  jmmer  fifet  onb  fdjroetget  ßitt, 

Vnd  steds  duncker  vnd  suer  vthsicht  Dnb  jicts  bundfcl  onb  faror  augjtdjt 

Höd  dy  ydt  ys  ein  Schalck  vellicht.  ßfit  fcidj,  er  tft  ein  Sdjaltf  pieflctdjt, 

Ein  oldt  Sprickwordt  mereke  thor  stundt  (Ein  alt  fpridjtport,  mertf  3ur  flunb. 

Jo  stiller  Watr,  jo  deper  grundt.  3C  fMUer  Ȋff er,  je  tteffer  grunb. 

Der  erste  Teil  der  Joöoseria  wird  wahrscheinlich  in  ähnlicher 
Weise  aus  den  geistlichen  Leberreimen  des  Johannes  Junior  umge- 
dichtet sein. 

Den  Ruf,  der  Erfinder  der  Leberreime  gewesen  zu  sein,  hat 
Heinrich  Schaeve  schon  durch  Hoffmanns  Hinweis  (Monatsschrift  von 
und  für  Schlesien  (1829)  I  S.  229  ff.)  auf  Johann  Sommer  verloren; 
nun  lässt  sich  sogar  wahrscheinlich  machen,  dass  der  gelehrte  Rector 
Schaevius  überhaupt  keine  Leberreime  verfasst  hat.  Freilich  werden 
in  dem  Schulspiel  von  Johann  Leonhard  Frisch  Die  entöecfte  un& 
penoorffene    Unfauberfctt    öcr    falfdjen    t>idt\U     unb    Heimfunfl    (Berlin 


97 

1700)  drei  recht  abgeschmackte  Leberreime  ausdrücklich  dem  Schaeve 
zugeschrieben,  nämlich: 

Die  Leber  ist  vom  Hecht  und  nicht  von  einem  Hahn. 
Heut  will  ich  wohl  gemuth  zu  mein'r  Hertzliebsten  gähn. 
Die  Leber  ist  vom  Hecht  und  nicht  von  einer  Elster. 
Mein  Bruder  ist  mir  lieb,  und  lieber  noch  die  8chwester. 
Die  Leber  ist  vom  Hecht  und  nicht  von  einer  Gans. 
Die  Magd  hebst  Ursula,  der  Haufsknecht  aber  Hans. 

Ja  aus  der  Fassung  der  Worte  an  jener  Stelle  Hesse  sich  herauslesen, 
dass  Frisch  eine  Sammlung  des  Schaevius  in  der  Hand  gehabt  habe. 
Ein  derartiges  Werk  des  Schaeve  hat  sich  aber  trotz  meiner  sorg- 
fältigsten Bemühungen  nicht  auftreiben,  ja  nicht  einmal  der  genauere 
Titel  desselben  auffinden  lassen.  Dagegen  kann  man  die  Quelle,  aus 
der  Frisch  und  andere  ihre  Nachrichten  über  Schaeve  als  Leberreim- 
dichter schöpften,  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  nachweisen.  Ich 
meine,  es  war  Neumeister,  der  in  seinem  Specimen  dissertationis 
historico-criticae  (1685.  4*)  p.  91  von  Schaeve  sagt:  Schaevius  (Henr.) 
Kilon.  Rector  tandem  Thoruni.  Vir  in  ceteris  longe  doctissimus,  in 
Poesi  vero  patria  parum  praestans  excogitavit  notos  illos  Rythmos 
Hepaticos,  Ceber'Heime,  qui  ridicule  ac  minus  congrue  consui  solent. 
E.  g.  „Die  Leber  ist  vom  Hecht"  u.  s.  w.  Es  folgen  dann  6  Leber- 
reime. Von  diesen  finden  sich  nun  drei  im  Frischschen  Schulspiel 
wieder,  und  zwar  diejenigen  drei,  die  man,  ohne  Ärgernis  zu  nehmen, 
aus  dem  Munde  von  Schülern  hören  konnte.  Die  anderen  drei  sind 
erotischen  Inhalts.  Dieser  Umstand  zusammen  mit  der  Unmöglichkeit, 
eine  derartige  Sammlung  Schaeves  nachzuweisen,  macht  es  mir  wahr- 
scheinlich, dass  Frisch  seine  Kenntnis  über  Schaeves  Leberreime  aus 
Neumeister  geschöpft  hat.  Neumeisters  Worte  aber  sind  m.  E.  von 
ihm  und  anderen  seiner  Zeitgenossen  missverstanden.  Sein  Urteil  „qui 
minus  congrue  consui  solent"  bezieht  sich  nicht  auf  Schaeves  Verse, 
sondern  auf  die  Leberreime  überhaupt,  und  um  diese  Ansicht  zu  be- 
kräftigen, führt  er  als  Beispiele  einige  recht  abgeschmackte  Leberreime 
an,  die  er  aber  keineswegs  für  Schaevesche  ausgeben  wollte.  Diese 
Auffassung  der  Worte  bei  Neumeister  teilt  Joh.  Friedr.  Rottmanns 
Lustiger  Poete  (o.  0.  1718)  S.  393  Capitel  22  §  4  u.  5:  „Ferner  ge- 
hören hier  her  die  Leber-Reime,  welche  Weiland  Henricus  Schaevius, 
ein  gelehrter  Rector  zu  Thorn  und  zwar  unter  dem  Namen  cter  Eu- 
phrosynen  von  Sittenbach  erdacht  und  heraufs  gegeben.  Es  erfordert 
aber  derselben  Verfertigung  gar  keine  Kunst,  und  kan  ein  jedweder 
nach  seinen  Gefallen  die  Leber  bereimen  wie  solches  aus  einigen 
Exempeln  wird  erhellen."  Nun  folgen  zwei  von  den  bei  Neumeister 
befindlichen  Reimen.  Nach  diesen  Ausführungen  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  die  von  Neumeister  mitgeteilten  Leberreime  nicht  von  Schaevius 
herrühren.  Woher  stammt  nun  aber  Neumeisters  Nachricht,  dass 
Schaeve  der  Erfinder  der  Leberreime  sei?  Für  diesen  Irrtum  scheint 
Morhof  verantwortlich  zu  sein.  Derselbe,  obwohl  ein  Schüler  des 
Schaeve,    sagt  in   seinem  Unterricht  von  der  Teutschen  Sprache  und 

Niederdeutsche«  Jabibneh.    XTV.  7 


9S 

Poesie  (Kiel  1682.  8°)  S.  768:  „Wohin  (zu  den  Epigrammatibus)  man   i 
auch  die  bey  den  Teutschen  gebräuchliche  Leber-Reime  bringen  kan,   '. 
von  welchen  Henricus  Schaevius  ein  Büchlein  unter  dem  Nahmen  der 
Euphrosinen  von  Sittenbach  heraufsgegeben,  deren  Autor  sonst  niemand   j 
leicht  bekannt  ist."     Welche  Gründe  ihn  veranlasst  haben,  die  Grell-   j 
lingersche  Sammlung,   deren  Verfasser  er  nicht  kannte,   dem  Schaeve    , 
zuzuschreiben,   ist   nicht   mehr   ersichtlich.     Grefflingers   Reime   sind    1 
ohne  Nennung   des  Verfassers   häufig   nachgedruckt    u.   a.    in  Alberti 
Sommers  neu  vermehrten  anmutigen  Conversationsgesprächen   (1673), 
so  dass  die  Verwechslung  wohl  möglich  war. 

Durch   dieselbe   allein   aber   ist   wahrscheinlich  Schaeve   in  den 
unverdienten  Verdacht,  Leberreime  verfasst  zu  haben,  geraten.  i 


Nicht  auf  die  Rhytmi  mensaies,   sondern  wahrscheinlich  auf  die 
Jocoseria  mensalia  gehen  die  Leberreime  zurück,  welche  im 

Sdjauplafc  |  ber  Derltebten,  I  Das  ifi  |  3üngj!*erbauete  |  SdfSfferey,  |  (Dfcer 
feufdje  £tcbcs-8e*  |  fd^reibung,  |  Der  ZTiinpfen  |  Amoena  unb  Amandas,  j  Cratus 
nnb  Phoebea,  |  Romeo  unb  Julietta:  |  Wie  audf  |  Des  jreyers  in  allen 
(Saffen,  |  Sampt  |  Anfügung  fyöfffidjer  Säuret-  |  beti  uadj  ifcigcr  Seit  an  bas 
löblidje  |  tfrauen=§immer.  |  Hamburg,  |  3n  Derlegung  3°^ann  Hanmanns,  (669. 

enthalten  sind.  Es  ist  dies  eine  Erweiterung  des  1632  zuerst  unter 
dem  Titel:  Jüngst  erbauete  Schäfferey  u.  s.  w.  erschienenen  Schäfer- 
romans. (Vgl.  J.  Bolte,  Nachträge  zu  Alberts  und  Dachs  Gedichten. 
Altpreuss.  Monatsschrift.  XXIII.  1886.  S.  444.)  Die  dort  auf  S. 
261 — 273  mitgeteilten  Leberreime  finden  sich  bis  auf  2  geistliche 
sämtlich  in  den  Jocoseria  mensalia.  Dass  die  Rhytmi  mensaies  die 
direkte  Quelle  für  diese  Reime  nicht  sein  können,  zeigt  deutlich  fol- 
gende Übersicht: 


ytmi  mens. 

2—5 

Joe. 

mens. 

51—54 

Schaupl. 

d. 

V. 

1—4 

n 

7 

» 

55 

ii 

5 

» 

9 

5> 

56 

6 

n 

11—14 

11 

57—60 

ii 

7—10 

n 

16-17 

11 

61—62 

ii 

11—12 

» 

19—25 

11 

63—69 

ii 

13—19 

» 

28—38 

11 

70—80 

ii 

20—30 

Es  finden  sich  eben  in  der  letztgenannten  Sammlung  genau  die- 
selben Reime  und  in  derselben  Reihenfolge,  wie  sie  der  Verfasser  der 
Jocoseria  mensalia  in  freier  Wahl  und  ohne  sich  an  die  Reihenfolge 
zu  kehren  aus  den  Rhytmi  mensaies  herübergenommen  hat.  Von  den 
geistlichen  Leberreimen  im  Schauplatz  der  Verliebten  entspricht  der 
3.  dem  63.  aus  dem  ersten  Teile  der  Jocos.  mens.,  der  4.  dem  64., 
der  5.  dem  darauf  folgenden  ebenfalls  mit  64  bezeichneten,  der  7. 
dem  70.,  der  8.  dem  74.  und  der  1).  dem  75.  Die  Übereinstimmung 
ist  fast  wörtlich.  Auffallend  ist  bei  der  Vergleiohung  beider  Samm- 
lungen, dass  die  Leberreime  im  Schauplatz  der  Verliebten  gerade  mit 


»9 

dem  ersten  Reime  der  Jocoseria  mens,  beginnen,  welcher  aus  den 
Rhytmi  mensales  entlehnt  ist:  sollte  der  Verfasser  des  Schauplatzes 
eine  vollständige  hochdeutsche  Übersetzung  der  Rhytmi  mensales,  die 
älter  war  als  die  Jocoseria  mensalia  und  die  der  Herausgeber  der 
Jocoseria  ebenfalls  benutzte,  in  Händen  gehabt  haben? 

BERLIN.  L.  H.  Fischer. 


Niederdeutsehe  Rechenbücher. 

Vor  einiger  Zeit  erwarb  ich  ein  Rechenbuch  in  niederdeutscher 
Sprache  von  Rembert  Friese  in  Emden,  welches  selten  zu  sein  scheint, 
weshalb  ich  es  hier  beschreibe: 

Titel:  „Arithmetica  |  bat  i&:  |  De  Hefen  ffinjt.  |  TXlit  aller- 
ley*  nibige  Regulen,  fetjoue  |  ^empelen,  pnb  buYtlyfe  Inftructien 
ge3vret:  |  So  tfyo  befer  tvbt  im  Koop«rjanbel  am  gebruecflycfflen. 
|  Sampt  einen  KunjUvfen  Appendix,  |  De  leepe  35get  unb  atte 
Ceefffyebberen  befer  |  fünft  tf>o  f  Silbernen  niitte  im  |  Drficf  pir- 
fertiget  |  7>Sxd\:  |  Rembertum5nefe,lX>olp6rorbneteu  |  Sd^ryff' 
unb  Hefenmeifter  ber  töfflvfen  |  Stabt  £mbben.  |  ißebrueft  ttjo 
<£mbben,  |  Sy  Daoib  fjinbriefs  pan  Sorcfum,  |  Door  3ann 
Sippen  fdjuirman  Soecfperfoper  in  be  |  29rugge  (irate  int  gelben 
21  S.    |    im  yxty*  j658."     8°. 

Unter  denjenigen,  welchen  das  Buch  gewidmet  ist,  befinden  sich 
auch  die  „ScfjrYff*  pnb  Hefen*meijtern  ber  CSfilvTen  Stabt  £mbben." 
Es  waren  die  „Qeren  Conrad  Schröder.  Gerdt  Friesenborch.  Adam 
van  Karfzenbroeck.  Jacob  Oldepott.  Augustus  Sagittarius.  Hindrick 
Janfzen  B.     Dirck  de  Ahna". 

In  Hamburg  waren  die  Rechenbücher  von  Brandanus  Daetri 
während  des  17.  Jahrh.  in  Gebrauch.  Der  Genannte  gab  sie  dreimal 
heraus.  Nach  seinem  Tode  besorgte  sein  Sohn  Nicolaus  Daetri 
eine  neue  Ausgabe,  welche  ich  besitze  (£jambordj,  ißebruefet  pnb  por* 
led|t  bStdi  |  ffiidtael  £}ermcf  Soecff.  j630.).  Aus  der  Vorrede  ersehen 
wir,  dass  Nicolaus  der  Nachfolger  seines  Vaters  im  Schul-  und  Kirchen- 
dienst an  S.  Maria-Magdalena  wurde.  Ein  anderer  Sohn,  welcher  den 
Vornamen  Brandanus  führte,  hat  der  Ausgabe  von  1630  ein  hoch- 
deutsches Gedicht  auf  seinen  Vater  vorausgeschickt,  worin  es  u.  a.  heisst: 

§a>ar,  Pater,  311  oem  idj  mein  Hoffnung  nefyji  (Sott 
2tÜ3ett  aufteilet  \\att\  3^r  fevo  lingft  oura>  oen  CoM 

gufrue,  ad)  gar  3U  frfie  uon  »ns  tympeg  geriffen: 

—  3*tr  feY&  oatjin,  begraben 

7* 


100 

3"  aller  ntutterfdjoefj,  bodj  nur  ber  £eib,  bie  <5aben 
So  (Sott  in  eudj  gelegt,  bie  fonnen  nidjt  oergettn, 
Sonbem  fo  lauge  n)trb  bie  ^Iritr^metic  fter/n 
3n  rechtem  Ku^m'  vnb  IPertt],  n)irb  audj  ber  Ztafyme  bleiben 
Pen  jf^r  befommen  rjabt  burdj  croer  Budjer  fajreiben. 
Dnb  off t  als  biefes  8udj,  u>ie  Mein  es  von  papier 
So  groß  oon  IZutjen  bodj,  wirb  mm  gebruefet  tyer, 
EDerb1  idj  endj  lieber  fet|n  als  u>ie  oon  nen>en  (eben 
Wann  eudj  big  Büchlein  giebt,  u>as  jtjr  ftm  rjabt  gegeben. 

Von  den  früheren  Ausgaben  befindet  sich  die  von  1602  in  der 
Stadtbibliothek  zu  Hamburg. 

In  Lübeck  druckte  Johan  Balhorn  1547  das  Rechenbuch  des 
Caspar  Hützier  von  Nürnberg  in  niederdeutscher  Sprache,  der  Titel 
ist:  „<£yn  be<  |  tjeiibe  vnb  fimft  |  rife  Hefensbocf,  pp  |  aüerley  foep- 
tyanMe,  ym  \  taue,  mate  vnb  tjeandjte,  pp  |  5er  Ciiüen  ph&  t3yfern,  aanti 
|  gruntUef  gemafet  pnb  tofa«  |  menbe  gelefen,  öirdj  <£a(per  |  £}ufeler  van 
Zl&venbetdt,  |  Ctjom  anfarti  male  auer*  |  feen,  pti  mit  flyte  fcScd}  |  3or/an 
29alt}orn  geör&cfet."     Am  Schluss  steht  folgendes  Gedicht: 

gramer  fnab,  fop  oiib  leg  my  mit  truroen, 
X>yn  gelbt  fdjal  by  nid^t  rutuen. 
So  irf  ben  mdjt  fry  be  n>arljeyt  \>o  fagen, 
So  madjfttt  my  cor  bem  patofte  Dorflagen. 

Darauf:    „tDecr  roets   |   rr/tes  fumpt.    |    3n  bet  Keyfferlifen  Stabt 
Cübccf,  bSvd\  3or]an  |  öaltjorn  mit  flitc  |  gebruefet.  |  M.  D.  XL VII. * 

Ob  Caspar  Hutzier  sein  Rechenbuch  ursprünglich  niederdeutsch 
geschrieben,  oder  ob  es  erst  in  Lübeck  übertragen  wurde,  kann  ich 
nicht  angeben. 

Ein  dem  obigen  inhaltlich  verwandter  Reim  findet  sich  auch  auf 
der  Rückseite  des  Titelblatts  in  dem  Rechenbuch  von  Rembert  Friese. 
Er  lautet: 

Dat  öoeef  tfyom  Cefer. 

teere  £efer  garj  nidjt  porby 

Seife  erft  n>artljo  irf  nnttc  fy. 
£e§,  porftal],  pnb  berjolb'  Peel  meljr, 

H?at  icf  ran  befer  fünft  by  €etn\ 
Hidjt  in  bc  Z>od?t  ooef  alles  garjr, 

€er  bu  ibt  Dabelft  (Dpenbal^r. 
33efiimfiu  nenen  fromen  ban 

Dorflag  my  Por  ein  3eberman. 

ELBERFELD.  W.  Crecelius. 


101 


Die  Vogelspraehen 

(Vogelparlamente)  der  mittelalterlichen  Litteratur. 

In  der  ehemaligen  Herrenstube  des  Lübecker  Ratsweinkellers 
findet  sich  auf  dem  Sims  des  altertümlichen  Kamins  neben  der  bild- 
lichen Darstellung  eines  Hahnes  und  einer  Hernie  die  alte  Inschrift1): 

OTennidf  man  lube  fandet 
Wen  mett  em  fre  brut  bringet 
Wcfte  tje  wat  men  em  brodjte 
Dat  t^e  wol  menen  modjte.    J575. 

Wir  wissen  nicht,  aus  welchem  Grunde  gerade  diesen  Spruch 
voll  herber  Lebenserfahrung  die  beiden  Ratmänner  Franz  und  Hinrich 
von  Stiten,  welche  i.  J.  1575  den  Kamin  gestiftet  haben,  auf  seinen 
Sims  setzen  Hessen.  Aber  wie  einem  alten  Steingerät  der  kundige 
Forscher  wohl  ansieht,  aus  welchem  fernen  Gebirge  der  Stein  dazu 
gebrochen  ist,  und  er,  Fund  zu  Fund  fügend,  die  Richtung  eines  alten, 
vorgeschichtlichen  Handelsweges  erkennt,  so  wird  auch  jener  merk- 
würdige Spruch  des  Ratskellers  in  Lübeck  im  Lichte  vergleichender 
Litteraturforschung  uns  auf  Wege  weisen,  auf  denen  einst  alte  Spruch- 
weisheit  von  West  nach  Ost,  von  Nord  nach  Süd  zog,  die  Schranken 
der  nationalen  Litteraturen  durchbrechend. 

Es  ist  von  Ch.  Walther2)  darauf  hingewiesen  worden,  dass 
derselbe  Spruch  sich  in  zwei  englischen  Spruchdichtungen  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  wiederfindet,  in  den  sogenannten  Proverbs  of  hing 
Alfred*)  und  den  Proverbs  of  Hendhig*).     In  jenen  lautet  er: 

Monymon  singeth,  Mancher  Mann  singt, 

That  wif  hom  bryngeth.  Der  sein  Weib  heimfuhrt. 

Wiste  hc  hwat  he  brouhte,  WüssU  er  was  er  brächte, 

Wepeu  he  myhte.  Weinen  er  möchte. 

Der  Alfredsspruch  und  der  Spruch  des  Ratskellers  sind  die  Enden 
eines  Fadens,  der  einst  die  englische  und  die  deutsche  Spruchdichtung 
verknüpfte. 

Dass  der  englische  Spruch  in  dem  alten  Vororte  der  Hansa 
wiederkehrt,  würde  sich  freilich  leicht  und  einfach  erklären,  wenn  man 
annehmen  dürfte,  dass  dieser  Spruch  in  dem  Weinstübchen  des  Stahl- 
hofes,  des  alten  Contors  der  deutschen  Hansa  in  London,    gleichfalls 

')  Zeitschrift  des  Vereins  für  Lübeckische  Geschichte  2  (1867),  120  ff. 

*)  Von  Nah  uiid  Fern.  Festgabe  für  C.  F.  Wehrmann.  Hamburg  (1879) 
S.  7—11. 

•)  An  old  engl,  misccllany,  ed.  by  Morris  (1872)  S.  118. 

*)  'Monimon  synghet  When  he  hom  bringeth  Is  jonge  wyf ;  Wyste  whet  he 
brojte  Wepen  he  mohte  Er  syth  his  lyf.*  Böddeker,  Altengl.  Dichtungen  (1878) 
S.  293. 


102 

zu  lesen  war  und  der  lübische  Ratskeller  nur  eine  Copie  davon  böte. 
Die  Kaufmannsgesellen  des  Stahlhofes,  welche  die  Geschäfte  der 
deutschen  Häuser  in  London  besorgten  und  ebenso  wie  ihre  Genossen 
in  den  übrigen  ausländischen  Contoren  der  Hansa  auf  die  Ehe  ver- 
zichten mussten,  so  lange  sie  von  der  Heimat  fort  waren,  jene  Lon- 
doner Hanseaten  konnte  der  Spruch,  der  in  Lübeck  so  herbe  warnend 
in  lustige  Hochzeitsgelage  hineinschaut,  humorvoll  über  den  ihnen 
aufgezwungenen  Coelibat  trösten.  Und  wenn  man  dann  weiter  an- 
nimmt, dass  der  Erbauer  des  Kamins,  einer  jener  Stiten,  nach  zeit- 
genössischem Brauch  die  Kaufmannschaft  in  einem  hansischen  Contor 
erlernend  einst  in  London  einen  Teil  seines  Lebens  verbracht  hat  und 
nach  Lübeck  zurückgekehrt  als  alter  Junggesell  den  Spruch,  mit  dem 
er  sich  in  London  getröstet  hatte,  auf  dem  Kamin  anbringen  liess, 
so  mutet  diese  Annahme  wie  die  getroffene  Lösung  eines  Rätsels  an. 
Der  alte  Stahlhof,  in  dem  auch  Shakespeare  am  rheinischen 
Weine  sich  erfreut  haben  soll,  ist  vor  zwei  Jahrhunderten  nieder- 
gebrannt, ohne  dass  eine  achtsame  Hand  die  Sprüche,  die  ohne 
Zweifel  seine  Weinstuben  zierten,  aufgezeichnet  und  uns  überliefert 
hat.  Befand  sich  der  Lübecker  Spruch  in  der  Tat  unter  ihnen,  so 
ist  er  doch  jedesfalls  nicht  erst  i.  J.  1575  in  Deutschland  bekannt 
geworden.  Es  lässt  sich  vielmehr  erweisen,  dass  er  viele  Jahre  früher 
in  Lübeck  bekannt  gewesen  sein  niuss,  als  Spruch  einer  Vogelsprache. 

Die  Vogelsprachen '),  oder  wie  man  heute  sagen  würde  und  auch 
schon  im  Mittelalter  gesagt  hat  die  Vogelparlamente,  waren,  wie  die 
Zahl  der  erhaltenen  Fassungen  und  die  Anwendung  ihrer  Form  zu 
Nachahmungen  beweist,  im  Ausgange  des  Mittelalters  eine  sehr  volks- 
tümliche Dichtungsart.  Heute  wird  angesichts  des  Umstandes,  dass 
auch  nicht  ein  einziger  von  denen,  welche  die  eine  oder  andere  zum 
Abdruck  brachte,  ihre  ungemeine  Verbreitung  übersah  oder  eine  An- 
deutung giebt,  dass  sie  einen  besonderen  Typus  darstellen,  eine  kurze 
Darlegung  desselben  einer  ausführlichen  Untersuchung  über  sie  voraus- 
zugehen haben.  Es  ist  bekannt,  dass  im  späteren  Mittelalter  die 
sogenannten  Bildersprüche  sehr  beliebt  waren,  d.  h.  lehrhafte  Sprüche, 
die  allegorischen  Figuren  oder  anderen  bildlichen  Darstellungen  bei- 
gefugt waren.  Diese  Sprüche  wurden  dann  auch  wohl  abgeschrieben, 
ohne  dass  die  Bilder  mit  copirt  wurden.  Als  solche  Bildersprüche 
könnten  auf  den  ersten  Blick  die  Vogelsprachen  um  so  eher  aufgefasst 
werden,  als  viele  nur  Sammlungen  von  Sprüchen  scheinen,  die  Vögeln 
in  den  Mund  gelegt  sind,  und  Abbildungen  der  einzelnen  Vögel  oft 
die  Sprüche  begleiten.  Die  Bilder  sind  jedoch  bei  den  Vogelsprachen 
nebensächlich,  die  Dichtungen  sollen  ursprünglich  vielmehr  das  Abbild 
eines  Reichstages  oder  Parlamentes  vorstellen,  in  welchem  dem  Könige, 
der  die  Versammlung   berufen   hat,   von   den  Grossen  seines  Reiches 


')  Über  mnd.  sprake   (lat.  colloquium  concilium  synodus;   franz.  parlement). 


Vgl.  Ndd.  Jahrbuch  12,  78. 


103 

für  seine  Regierung  gute  oder  schlechte  Ratschläge  gegeben  werden. 
Nach  Art  der  Fabel  treten  an  die  Stelle  der  Menschen  jedoch  tierische 
Wesen,  und  zwar  überwiegend  Vögel,  als  König  erscheint  gewöhnlich 
der  Zaunkönig  oder  Adler,  als  seine  Räte  der  Falke,  Habicht,  Pfau, 
der  Fuchs,  das  Einhorn  usw. 

Das  nachfolgende  Verzeichnis  stellt  zum  ersten  mal  diejenigen 
Vogelsprachen  oder  deren  Nachahmungen,  welche  in  neueren  Abdrücken 
vorliegen  oder  mir  sonst  bekannt  geworden  sind,  möglichst  vollständig 
zusammen.  Die  beigefügten  Nummern  sollen  keine  chronologische 
oder  sonstige  Ordnung  andeuten,  sondern  zur  Vermeidung  gehäufter 
Citate  die  Bezugnahme  auf  einzelne  Fassungen  erleichtern. 

Nr.  1.    Niederdeutsch. 
Stockholmer  Hs.    (16.  Jh.)    Gedruckt  weiter  unten  S.  126.  —  84  Vögel,  die 
Spruche  haben  auch  bei  den  Vögeln,   deren  Eigenschaft  als  nicht  gut  hingestellt 
wird,  eine  moralische  Wendung.    Vierzeilige  Sprüche. 

Nr.  2.    Niederdeutsch. 
Druck  o.  0.  u.  J.  (circa  1500)  der  Münchener  Bibliothek.    Gedruckt  weiter 
unten  S.  138.  —  62  Vögel,  von  deren  Sprüchen  dasselbe  gilt,  was  zu  Nr.  1  bemerkt 
ist.    Die  Sprüche  sind  meist  vierzeilig. 

Nr.  3.    Niederdeutsch. 
Utrechter  Hs.     (15.  J.)    Bruchstück.    Herausg.   von  F.   Buitenrust  Hettema 
im  Ndd.  Jahrbuch  11  S.  171  ff.  —  Erhalten  sind  10  vierzeilige  Sprüche. 

Nr.  4.    Niederdeutsch  (Auslese). 
„Niederdeutsches  Reimbüchlein.   Eine  Spruchsammlung  des  16.  Jahrh.  (1885)." 
Vs.  1939—1991.    Vgl.  weiter  unten  S.  107.  —  13  bezw.  14  vierzeilige  Sprüche. 

Nr.  5.    Hochdeutsch-Niederländisch. 
Haag'er   (Hulthem'-eche)   Hs.     (14.   Jh.)    „Van   den   voghelen."     Herausgeg. 
yon  Massmann   in  Pfeiffers  Germania  6  (1861)   231  f.    Vgl.    ferner   weiter   hinten 
S.  113.  —  Ausser  dem  Winterkoninc  14  Vögel,  die  abwechselnd  gute  und  schlechte 
Lehren  geben.    Zweizeilige  Sprüche. 

Nr.  6.  Niederdeutsch. 
Wolfenbüttler  Hs.  (15.  Jh.)  Gedruckt  als  „Raths Versammlung  der  Thiere" 
bei  P.  J.  Bruns,  Romantische  Gedichte  in  Altplattdeutscher  Sprache  (1793)  S.  135  ff. 
und  Wizlaw  IV  von  Rügen  hrsg.  von  Ettmüller  S.  64  ff.  —  40  Tiere  (bis  auf  Ein- 
horn, Wolf  und  Fuchs  sämmtlich  Vögel),  von  denen  die  erste  Reihe  gute,  die  andere 
(von  Vs.  53  ab)  schlechte  Lehren  gibt.    Zweizeilige  Sprüche. 

Nr.  7.  Niederländisch. 
Haag'er  (Hulthem'sche)  Hs.  (14.  Jh.)  „Dit  sijn  Voghel  Sproexkene."  Ge- 
druckt in  Vaderlandsch  Museum  voor  nederduitsche  Letterkunde,  uitgeg.  door 
Serrure.  Deel  1  (Gent  1855),  319  ff.  —  26  abwechselnd  teils  gute,  teils  schlechte 
Lehren,  die  an  den  König  gerichtet  sind.  24  Vögel  und  zweimal  der  Profeta.  Der 
König  fehlt.    Zweizeilige  Sprüche. 

Nr.  8.    Hochdeutsch, 
a)   Nürnberger  Hs.  (v.  J.  1454).    Gedruckt:  Die  Erlösung  herausg.  von  Bartsch 
(1858),  Einleitung  S.  XL1II  ff.   —  Ausser  dem  Eisvogel,   der  König  ist,  46  Vögel, 
gute  und  schlechte  Lehren  wechseln  ab.    Zweizeilige  Sprüche. 


104 

b)  Handschrift  des  Stifts  St.  Florian  bei  Linz.  (15.  Jh.)  Herausg.  von 
Chmel:  Jahrbücher  der  Literatur  Bd.  40  (1827.  Wien)  Anzeige-Blatt  Nr.  XL  S. 
15  ff.  —  Dieselbe  Fassung  wie  die  vorige. 

c)  Berliner  Hs.  (v.  J.  1475).  —  Eine  dritte  Handschrift  derselben  Fassung. 
Vgl.  Sotzmann  im  Serapeum  12  (1851),  339. 

Nr.  9.  Neuhochdeutsch. 
„Ain  8elzamb  gedieht  der  Vogl,  so  in  Kayser  Maxmilians  stubn  zu  Inssprugg 
gemalt  vnd  gschriben",  aus  einer  Hs.  des  16.  Jh.  herausg.  von  Chmel  im  Notizen- 
blatt. Beilage  zum  Archiv  für  Kunde  österreichischer  Geschichtsquellen.  Jg.  1 
(1851),  153  ff.  —  Ausser  dem  „Königl"  33  Vögel,  die  abwechselnd  gute  und  schlechte 
Lehren  geben.  Die  Sprüche  sind  meist  zweizeilig,  im  letzten  Drittel  der  Dichtung 
meist  sechszeilig. 

Nr.  10.    Hochdeutsch. 

a)  Handschrift  des  15.  Jh.  im  ehemaligen  Besitz  J.  C.  v.  Fichard's.  Von 
dem  Besitzer  zum  Abdruck  gebracht  in  seinem  Frankfurtischen  Archiv  für  ältere 
deutsche  Litteratur  und  Geschichte.  Tl.  3  (1815)  S.  316  ff.  —  Ausser  dem  Könige 
29  (in  dieser  Handschrift  nicht  genannte)  Vögel.  Es  wechseln  immer  mehrere  gute 
und  mehrere  schlechte  Lehren  ab.  Sechszeilige  Sprüche.  Dieselbe  Vogelsprache 
liegt  vor  in  einer: 

b)  Stuttgarter  Hs.  (15.  Jh.)  Vgl.  Pfeiffer  in  seiner  Germania  6  (1861), 
88  f.  —  Der  Anfang  fehlt.    Erhalten  sind  die  Sprüche  von  24  Vögeln. 

Nr.  11.    Hochdeutsch. 
Wiener  Hs.   (v.  J.   1518).     „Manigerley   vögel  rat."    Vergl.   weiter   unten 
S.  109.  —  Ausser  dem  Küniglein  30  Vögel.    Es  wechseln  gute  und  schlechte  Lehren 
ab.    Sechszeilige  Sprüche. 

Nr.  12.    Hochdeutsch. 
Stuttgarter  Hs.    (15.  Jh.)    Herausgeg.  von  Pfeiffer,  Germania  6  (1861),  83  ff. 
—  Ausser  dem  Regulus  18  Vögel,  von  denen  Nr.  2 — 6  gute,  7 — 11  schlechte,    12 
— 15  gute,  16—19  schlechte  Lehren  geben.    Sechszeilige  Sprüche. 

Nr.  13.    Hochdeutsch. 

Münchener  Hs.  (Cg.  714.  15.  Jh.)  „Der  vogel  gespräch."  Herausg.  von 
F.  Pfeiffer,  Germania  6  (1861),  91  ff.  —  Die  Einleitung  erzählt  das  Märchen  vom 
Zaunkönige,  der  durch  seinen  hohen  Flug  König  der  Vögel  wird.  In  einer  Vogel- 
sprache (Vs.  151—485),  die  er  abhält,  geben  ihm  die  Vögel  Ratschläge.  Den 
Anfang  machen  22  Vögel  mit  guten  Lehren,  dann  folgen  nach  der  Aufforderung 
des  Herolds  „Nu  ratet  auch  meinem  heren  Mir  zuo  meinen  eren"  schlechte  Lehren, 
die  21  Vögeln,  einer  Seele  und  dem  Teufel  in  den  Mund  gelegt  sind.  Sprüche  von 
4,  6,  8  und  mehr  Zeilen. 

Nr.  14.    Hochdeutsch. 

Münchener  Hs.  (Cg.  312.  aus  Augsburg,  v.  J.  1454).  Ungedruckt,  vgl.  Se- 
rapeum 12  (1851),  338  f.  —  100  Vögel  mit  Namen  und  Abbildung.  Die  Ratser- 
öffnung durch  den  König  fehlt.    Der  erste  mitgeteilte  Spruch  zehnzeilig. 

Nr.  15.  Lateinische  Nachahmung. 
(V.  J.  1557.)  Job.  Major's  Synodus  avium  (6pvi9o(TUVoXo;)  depingens 
miseram  faciem  Ecclesise.  Erster  Abdruck  im  Scriptorum  publice  propositonim  a 
gubernatoribus  studiorum  in  Academia  Witebergensi  Tomo  111  Witebergae  1563.  — 
Andere  Ausgaben  und  ausführliche  Inhaltsangabe  bei  G.  Frank:  Zeitschrift  für 
wissenschaftliche  Theologie  Jg.  6  (1863)  S.  124. 

Nr.  16.    Neuhochdeutsche  Nachahmung. 
(1524.)     Hans   Sachs   „Der  zwölff  reynen  vögel  eygenschafft,   zu  den   ein 
Christ  vergleichet  wirdt.    Auch  die  zwelff  unreynen  vogel,  darinn  die  art  der  gott- 


105 

losen  gebildet  ist".    Hans  Sachs   herausg.  von  Keller  Bd.  1,  377  ff.  —  24  VögeL 
Pierzeilige  Sprüche. 

Nr.  17.  Neuhochdeutsche  Nachahmung. 
(17.  Jh.)  „Das  geistliche  Vogel-Gesang."  Wahrscheinlich  um  1650  zu  Augs- 
burg gedruckt  und  sehr  oft  wiederholt,  1792  als  „Das  geistliche  Vogelgesang  oder 
Betrachtung  der  Allmacht  des  weisesten  Schöpfers  in  Hervorbringung  unterschied- 
licher Vögel  in  Reimen  gebracht  und  mit  Sittenlehren  begleitet".  —  Knaben- 
Wunderhorn  3,  357.  4,  277  (Ausgabe  von  Birlinger-Crecelius  2,  455).  Pröhle,  Volks- 
lieder (1855)  209  f.  Wackernagel,  Voces  animantium  (1869)  S.  112.  Vgl.  Ale- 
mannia 7,  219.  12,  73.  —  35  oder  mehr  achtzeilige  Strophen,  die  Vögel  sind  alpha- 
betisch geordnet. 

Nr,  18.    Neuhochdeutsche  Nachahmung. 
Breslauer  (Üniv.-Bibl.)  Hs.  v.  J.  1700.    „Vogel-Schul."  —   59  Vögel.    Vgl. 
weiter  hinten  S.  116.  ,> 

Nr.  19.    Niederdeutsch  (Nachahmung). 
„Reinke  de  Vos"   (herausg.  von  Prien  1887)  Vs.  3247—3274.    Sieben  Vögel 
treten  zu  einer  Beratung  zusammen,  jeder  spricht  vier  Zeilen. 

Nr.  20.    Niederdeutsch.    Nachgeahmt  als  Orakelspiel. 
Fragment  eines  alten  Druckes  o.  0.  u.  J.  in  Hamburg.    „Vagelsprake."    Auf- 
gefunden und  mitgeteilt  von  De  Bouck.    Serapeum  21  (1860),  273  ff.  —  Ursprüng- 
lich 88  Vögel  und  einige  andere  Tiere  mit  vierzeiligen  Sprüchen.    Erhalten  sind 
die  Sprüche  Nr.  29—42. 

Nr.  21.    Hochdeutsch. 
Münchener  Hs.,  Cg.  312,  dieselbe  wie  Nr.  14,  aus  Augsburg,  15.  Jh.    Unge- 
drackt,  vgl.  Serapeum  12,  315.  339.  —  56  Tiere,  Vögel  u.  a.,  darunter  'ain  Syren, 
Frawe  Adelhait,  das  Merwunder,  die  Schön  diern'  mit  Sprüchen  und  Würfelung, 
letztere  zur  Benutzung  als  Loosbuch. 

Nr.  22.    Böhmisch. 

(V.  J.  1395.)  Neueste  Ausgabe:  Pamatky  stare  literatury  ceske.  Vydavane 
Maticf  Ceskou.  L:  Nova  rada.  Basen  Pana  Smila  Flasky  z  Pardubic.  K  tisku 
pripravil  a  vyklady  opatril  Jan  Gebauer.  V  Praze  1876.  8°.  (Denkmäler  der  alten 
tschechischen  Litteratur.  I.:  Der  neue  Rat.  Qedicht  des  Herrn  Srail  Flaschka 
von  Pardubitz.  Mit  Anmerkungen  von  J.  Gebauer.  Prag  1876.)  —  2116  Verse. 
22  Tiere. 

Nr.  23.    Böhmisch. 

(15.  Jh.)  Ältester  Druck  v.  J.  1528,  neuester  besorgt  von  F.  D(obrovsky): 
Kniha  vzitecnä  y  kratochwilnä,  genz  slowe:  Rada  wsselikych  Zwjrat  nerozumnych 
neb  zhowadilych,  y  Ptactwa  .  .  .  W  Praze  1814  (d.  h.  Nützliches  und  unterhaltendes 
Bach,  welches  heisst  Rat  aller  Tiere  .  .  .  Prag  1814). 

Nr.  24.    Lateinisch. 

(V.  J.  1520.)  Älteste  Ausgabe  Nürnberg®  1520,  letzte:  Theriobulia  Sive  ani- 
malium  de  regiis  praeceptis  consultatio  ad  Ludovicum  Hungariae  &  Bohemite  Regem. 
Aactore  Johanne  Dubravio  Episcopo  Olomucensi.  Breslse  1614.  8.  —  Zwei  libelli 
mit  je  23  Tieren  und  Vögeln,  deren  König  der  Löwe  ist,  während  der  Adler 
(Aquila)  Königin  der  Vögel  genannt  wird. 

Nr.  25.    Französisch. 
„Les  Dictz  des  bestes  et  aussi  des  oyseaux  .  .  Nouvellement  imprime*  ä  Paris, 
en  1a  nie  Neufve  Nostre-Dame,  ä  l'Escu  de  France."    (15.  Jh.)    Wiederholt  bei 
A.  de  Montaiglon,  Recueil  de  poösies  francoises  des  XV.  et  XVI«  siecies.    Tom.  \ 
(Paris  1855),  256  ff.  —  22  Tiere,  dann  17  Vögel.    Vierzeilige  Sprüche. 


106 

Nr.  26.    Französisch. 
(Um  1500.)    „Les  dictz  des  oyseaux:  Et  des  bestes  par  hystores"  „Imprime 
a   chaalons   Par   Estienne   bally  .  ."*    Druckfragment,   wiederholt:   Le   Bibliophile 
beige  .  .  Annäe  1  (1866),  S.  1  ff.   —  Erhalten  sind  24  vierzeilige  Sprüche,   Tiere 
und  Vögel  wechseln  ab. 

Nr.  27.    Lateinisch.  (?) 
(13.  Jh.)    „Pavo",  Gedicht  von  272  Versen,  wahrscheinlich  von  Jordanus  von 
Osnabrück   (s.    Waitz:    Allgem.    deutsche   Biographie    14,    501)   verfasst.    Heraus- 
gegeben  von   Karajan:    Denkschriften  der  K.   Akad.   d.  Wiss.    Phil.-hist  Ciasse. 
2  (1851)  111  ff. 

Nr.  28.    Englisch.  (?) 
„The  Parlament  of  Byrdes.    Imprinted   af  London   for   Anthony   Kytson." 
Desgl.  „by  Abraham  Vcle".    (16.  Jh.)    Neu  gedruckt  bei  W.  Carew  Hazlitt,  Bernaus 
of  the  Early  Populär  Poetry  of  England.    Vol.  8  (London  1866),  164  ff. 

Nr.  29.    Englisch.    Anlehnung.  (?) 
Chaucer's  „Assembly  of  foules".    Vgl.  weiter  hinten  S.  123. 


Die  verschiedenen  Vogelsprachen  stehen,  wie  die  genauere  Unter- 
suchung ergeben  wird,  im  verwandtschaftlichen  Zusammenhange,  indem 
die  erhaltenen  Fassungen  auf  ältere  zurückweisen,  deren  veränderte 
und  erweiterte  Wiederholungen  sie  sind,  und  schliesslich  sämmtliche 
Bearbeitungen  sich  als  in  verschiedenen  Entwicklungsformen  erhaltene 
Weiterbildungen  und  Nachahmungen  eines  nicht  mehr  vorhandenen 
Gedichtes  des  13.  oder  14.  Jahrhunderts  erweisen,  welches  das  Motiv 
eines  von  Vögeln  abgehaltenen  Parlaments  zuerst  gnomisch  verwertete. 
Der  Grad  der  Verwandtschaft,  in  welchem  die  einzelnen  Fassungen 
zu  einander  stehen,  wird  sich  freilich  nicht  immer  genau  bestimmen 
lassen.  Hierzu  fehlen  zu  viele  der  Zwischenglieder,  und  auch  dadurch 
wird  die  Untersuchung  erschwert,  dass  die  einzelnen  Fassungen  mehr 
durch  ihre  Form,  als  durch  übereinstimmenden  Wortlaut  der  Sprüche 
ihren  Zusammenhang  bekunden.  Es  war  eben  nicht  schwer,  an  Stelle 
der  Sprüche  oder  Ratschläge,  welche  eine  ältere  Dichtung  bot,  andere 
zu  reimen  und  den  Vögeln  in  den  Mund  zu  legen.  So  kommt  es, 
dass  nur  die  näher  verwandten  Fassungen  auch  im  Wortlaute  zu- 
sammenstimmen. 

(Lehrhafte  oder  hansische  Gruppe.)  Wörtliche  Übereinstimmung 
hat  am  meisten  noch  in  denjenigen  niederdeutschen  Vogelsprachen 
Statt,  welche  vierzeilige  Sprüche  bieten  (Nr.  1 — 4).  Ganz  nahe,  fast 
wie  Abschriften  derselben  Vorlage,  stehen  die  Fassungen  der  Stock- 
holmer (Nr.  1)  und  Utrechter  Handschrift  (Nr.  3).  Letztere  bietet 
nur  ein  Bruchstück,  aber  die  Sprüche,  welche  es  enthält,  kehren 
sämmtlich  und  zwar  in  derselben  Reihenfolge  in  der  Stockholmer 
Handschrift  wieder.     Es  sind  nämlich 

Utrecht.  Hs.  Spr.  1—7     =  Jütische  Hs.  Spr.  35—41 
„      „     8-10  =         „  „      „     43-45 

Ein  ähnliches  Verhältnis  hat  obgewaltet  zwischen  der  Stock- 
holmer Vogelsprake  und  der  Fassung,  die  der  Veranstalter  der  unter 


107 

dem  Titel  „Niederdeutsches  Reimbüchlein"  neu  herausgegebenen  alten 
Spruchsammlung  excerpirt  hat.     Es  sind  nämlich 

Reimb.  Vs.  1939—42  =  Stockh.  Spr.    8      Reimb.  Vs.  1967—70  =  Stockh.  Spr.  24 


1943—46  = 

99 

99 

9 

99 

„    1971—74  = 

99 

19 

28 

1947—50  = 

99 

99 

10 

99 

„     1975—78  = 

99 

19 

27 

1951—54  = 

99 

9) 

12 

99 

„     1979—82  = 

99 

19 

30 

1956—58  = 

19 

19 

14 

19 

„     1983—86  = 

99 

99 

34 

1959—62  = 

99 

99 

21 

99 

„    1987—90  = 

99 

99 

37 

1968—66  = 

99 

19 

28 

Die  oft  gedruckten  „  Werldtspröke"  sind  ein  Auszug  aus  dem 
Reimbüchlein.  Es  erklärt  sich  hieraus,  dass  sich  in  ihnen  die  Sprüche 
der  Stockholmer  Handschrift  9  10  12  14  23  24  27  30  34  37  wieder- 
finden. Wenn  ausserdem  in  ihnen  noch  aus  der  Stockholmer  Fassung 
der  Spruch  16  (=  Weltspr.  94  in  der  Ausgabe  des  Reimbüchleins 
auf  S.  XXVII)  begegnet,  ist  das  ein  neuer  Beweis  für  die  von  mir 
ausgesprochene  Ansicht,  dass  die  Weltsprüche  aus  einem  jetzt  ver- 
schollenen Drucke  des  Reimbüchleins  stammen,  der  älter  war,  als  der 
in  den  Drucken  des  Vereins  wiederholte. 

Auch  die  „Vogelsprake"  des  Druckes  in  München  (Nr.  2)  ist 
den  bisher  besprochenen  Fassungen  trotz  der  daneben  bestehenden 
Verschiedenheit  nahe  verwandt.     Es  ist  nämlich 


3  =  Mü 

nch.  30 

St. 

32  =  M.  26 

St. 

65  = 

M. 

38 

6  = 

,       31 

99 

41  =    „    11 

99 

66  = 

99 

28 

17  = 

,        24 

99 

42  =    „    42 

99 

72  = 

91 

39 

21  = 

,        44 

99 

46  =    „50 

99 

74  = 

11 

20 

22  = 

,        38 

99 

49  =    „    37 

11 

76  == 

19 

15 

27  = 

,        44 

99 

51  =    „    46 

91 

79  = 

99 

5 

28  = 

,        10 

Die  Feststellung  der  Tatsache,  dass  dem  Verfasser  des  Reim- 
büchleins der  Text  einer  Vogelsprache  vorgelegen  hat,  welche  der- 
selben Bearbeitung  wie  die  Stockholmer  angehörte,  ist  von  Belang 
fiir  die  Frage  nach  der  unmittelbaren  Herkunft  des  Spruches  im 
Lübecker  Ratskeller.  Die  Stockholmer  Vogelsprache  bietet  nämlich 
(vgl.  Spruch  51)  genau  denselben  Spruch.  Da  nun  das  Reimbüchlein, 
wo  auch  immer  es  Sprüche  im  Zusammenhange  bietet,  aus  nieder- 
deutschen Drucken  Lübecker  oder  Rostocker  Officinen  compilirt  ist, 
so  ergiebt  sich,  dass  es  in  Lübeck  eine  wahrscheinlich  dort  gedruckte 
Vogelsprache  gegeben  hat,  aus  der  der  Spruch  des  Ratskellers  ent- 
nommen werden  konnte.  Übrigens  erklärt  sich  daraus,  dass  er  einer 
Vogelsprache  entnommen  ist,  auch  die  bildliche  Darstellung  des  Hahnes 
und  der  Henne,  die  neben  ihm  angebracht  ist.  Jedesfalls  braucht  der 
Spruch  nicht  aus  England  unmittelbar  durch  den  Stifter  des  Kamins 
herübergebracht  zu  sein,  denn  die  Stockholmer  Handschrift,  die  ihn 
enthält,  ist  älter  als  der  Kamin,  den  er  schmückt,  und  noch  älter  ist 
der  Druck  in  München,  der  ihn  gleichfalls  (Spr.  46)  bietet.  Er  muss 
also  schon  der  gemeinsamen  Vorlage  der  ganzen  Gruppe  angehört 
und  bereits  vor  d.  J.  1500  in  Deutschland  bekannt  gewesen  sein. 

Die   Stockholmer,    Utrechter,    Lübecker  und   die   Fassung   des 


108 

Münchener  Druckes  lassen  sich  bei  ihrer  nahen  Verwandtschaft  als 
eine  Gruppe  oder  Sippe  zusammenfassen.  Wie  Herkunft  der  Hand- 
schriften und  Sprachformen  zeigen,  sind  die  Texte  dieser  Gruppe  in 
den  Gebieten,  die  der  hansische  Handel  beherrschte,  verbreitet  gewesen. 
In  skandinavisches  Gebiet,  in  die  Niederlande,  nach  Lübeck,  in  das 
Quartier  von  Köln  weisen  die  vier  erhaltenen  Fassungen,  nach  Eng- 
land, wie  Walther  gezeigt  hat,  der  Alfredsspruch,  da  er  schon  in  der 
gemeinsamen  Vorlage  aller  Texte  enthalten  war.  So  scheint  diese 
Bearbeitung  zu  der  Litteratur  zu  gehören,  welche,  wie  in  der  Ein- 
leitung zum  Pseudo-Gerhard  von  Minden  ausgeführt  ist,  ihre  Entstehung 
den  auswärtigen  Contoren  der  Hansa  verdankt.  Sie  mag  deshalb,  um 
eine  zusammenfassende  Bezeichnung  zu  gewinnen,  die  hansische  oder 
auch,  aus  einem  Grunde,  der  sofort  dargelegt  werden  wird,  die  lehr- 
hafte Gruppe  genannt  werden. 

(Beratende  Gruppe.)  Der  eben  besprochenen  Gruppe  stehen  alle 
übrigen  in  mittelniederdeutscher,  mittelhochdeutscher  und  niederlän- 
discher Mundart  überlieferten  Vogelsprachen  —  von  den  Nachahmungen 
und  den  ausserdeutschen  Dichtungen  sehe  ich  zunächst  ab  —  als  eine 
zweite,  besondere  Gruppe  gegenüber,  welche  man  um  den  wesentlichsten 
Unterscheidungspunkt  hervorzuheben  die  Gruppe  der  beratenden 
Vogelsprachen  nennen  könnte.  Während  nämlich  in  jener  hansischen 
oder  belehrenden  Gruppe  die  Vögel  moralische  Wahrheiten  von  all- 
gemeiner Giltigkeit  aussprechen  oder  doch  solche  an  ihre  Eigenschaften 
geknüpft  werden,  sind  in  der  anderen,  der  beratenden  Gruppe  die 
Vögel  als  Ratgeber  ihres  Königs  —  als  solcher  erscheint  bald  der 
Zaunkönig,  bald  der  Eisvogel  oder  Winterkönig  —  gedacht,  dem  sie 
in  allgemeiner  Reichsversammlung  je  nach  ihrer  Eigenart  die  guten 
Vögel  gute,  die  bösartigen  verwerfliche  Ratschläge  geben,  nach  denen 
er  seine  Herrschaft  ausüben  soll.  Die  Ratschläge  widersprechen  sich 
daher  oft;  wenn  der  edle  Aar  z.  B.  rät,  der  König  möge  im  Geben 
milde  sein,  so  entgegnet  der  böse  Geier:  „Herr,  ihr  könnt  es  durch 
Freigebigkeit  dahin  bringen,  dass  ihr  selbst  in  Mangel  kommt,"  oder 
er  rät  nach  anderer  Fassung:  „Esst  allein,  was  ihr  habt!" 

Das  Motiv  des  den  König  beratenden  Reichstages  ist  gewöhnlich 
durch  die  Anfangsverse,  durch  die  der  Vogelkönig  von  seinen  Unter- 
gebenen Rat  erbittet,  blos  angedeutet.  Nur  in  einem  Falle  (Nr.  13) 
leitet  eine  ausführliche  Erzählung  ein.  Es  wird  darin  ausgeführt,  wie 
die  Vögel  sich  auf  Betrieb  des  Adlers  versammelten,  um  zu  ihrer 
aller  Ehre  und  zur  Wahrung  des  Friedens  unter  ihnen  einen  König 
zu  wählen.  Man  wurde  schlüssig,  König  solle  sein,  wer  am  höchsten 
fliege.  Als  nun  der  Adler  so  hoch  er  nur  konnte  sich  in  die  Wolken 
hochgeschwungen  hatte  und  schon  glaubte,  dass  er  nun  König  sein 
werde,  erschien  auf  einmal  über  ihm  der  Zaunkönig,  der  sich  listiger 
Weise  unbemerkt  im  Gefieder  des  Adlers  versteckt  hatte  und  von 
diesem  emporgetragen  war.  Der  Adler  zeigte  sich  darüber  zwar  so 
ergrimmt,    dass  der  Zaunkönig  schnell  in  ein  Versteck  flüchtete,    be- 


109 

ruhigte  sich  aber  bald  und  forderte  selbst  die  Vögel  auf,  den  Zaun- 
könig, der  nun  einmal  höher  als  er  geflogen  war,  einzuholen.  Der 
Zaunkönig  kommt  darauf  und  bittet  alle  Vögel,  zu  seiner  Ehre  ihm 
zu  raten.  Dieselbe  Vogelsprache  unterscheidet  sich  von  den  sämmt- 
lichen  Fassungen  beider  Gruppen  auch  noch  dadurch,  dass  die  Sprüche 
der  Vögel  nicht  unverbunden  aufeinander  folgen,  sondern  durch  er- 
zählenden Text  verbunden  sind. 

Der  Gruppe  der  beratenden  Vogelsprachen  gehören  an  die 
Nummern  5 — 13. 

Von  diesen  Vogelsprachen  sind  die  Wiener  (Nr.  11)  und  die 
Fichard'sche  (Nr.  10)  so  nahe  verwandt,  dass  sie,  wenn  nicht  in  beiden 
die  Reihenfolge  der  Vögel  gänzlich  verschieden  wäre,  trotz  mancherlei 
Abweichungen  nur  als  Abschriften  desselben  Textes  aufgefasst  werden 
könnten.     Es  ist  nämlich 

Wiener  Hs.  Str.  1.  3.   4.   5.   6.    7.   9.  10.  11.  13.  14.  15.  16.  17.  18.  19.  etc. 
=  Fichard's  Hs.     „    1.  9.  10.  2.  19.  23.  3.  20.  11.    6.   24.  15.  29.    7.    25.  16.  etc. 

Im  übrigen  sind  die  Übereinstimmungen  zwischen  den  verschie- 
denen Fassungen  nicht  so  hervortretend  wie  in  der  hansischen  Gruppe. 
Schon  darin  zeigt  sich  die  grössere  Verschiedenheit,  dass,  während 
alle  Fassungen  jener  Gruppe  vierzeilige  Strophen  bieten,  in  dieser 
Sprüche  mit  zwei,  vier,  sechs  und  mehr  Versen  begegnen.  Immerhin 
verraten  auch  hier  vereinzelte  wörtliche  Übereinstimmungen,  dass  die 
verschiedenen  Fassungen  nicht  blosse  Nachahmungen  verloren  gegan- 
gener Vorbilder  sind,  sondern  dass  die  Verfasser  der  einzelnen  Vogel- 
sprachen zwar  die  Texte  ihrer  Vorlagen  im  allgemeinen  mit  grosser 
Freiheit  umgestaltet  und  umgedichtet  haben,  dass  sie  daneben  aber 
doch  auch  hin  und  wieder  einzelne  Strophen  oder  auch  nur  Verse  der 
Vorlage  wörtlich  übernahmen. 

So  findet  sich  eine  Strophe  der  Stuttgarter  Vogelsprache  (Nr.  1 2) 
in  der  von  Fichard  veröffentlichten  ziemlich  wörtlich  wieder,  vergl. 

Stuttg.  (Nr.  12)  Str.  7.  Fich.  (Nr.  10a)  Str.  4. 

Herre  du  solt  neroen  waz  man  dir  git,            Herre  mm  was  man  dir  git, 

Gioube  wol,  gip  nieinan  nüt,  Glob  vil  und  gebe  nymant  nit, 

Ahte  nüt  waz  man  von  dir  klage,  Was  lit  dir  daran  was  vraant  klage 

Durch  daz  man  dir  daz  gnot  zuo  trage ,  Off  das  man  dir  das  gut  her  drage 

Da  mit  sich  din  schätz  gemeret,  In  stettigen  kryg  saltu  dich  lan 

Als  mich  mein  Vernunft  leret.  So  mögen  wir  gantz  fülle  gehan. 

Die  Verwandtschaft,  d.  h.  die  mittelbare  Abhängigkeit  von  der- 
selben älteren  Vorlage,  zwischen  den  zweizeiligen  und  mehrzeiligen 
Fassungen  erweisen  ausser  dem  Zusammentreffen  des  Eingangs  in 
einem  Falle 

(Nr   6.)  (Nr.  12.) 

Die  winterkoninc  zevt:  Regulus. 

Ich  bids  vch  lieven  heren  Ich  bitte  euch  herren  alle  sampt, 

Das  ir  mich  raet  min  eren  Sit  ich  uwer  künig  bin  genant, 

Wie  ich  min  zachin  ane  va  Daz  ir  nement  miner  eren  war, 

Das  min  rych  in  eren  sta,  Wie  daz  ich  recht  und  eben  far, 

Daz  ich  stände  lasters  fri, 
Als  liep  uch  min  hulde  si. 


110 

die  folgenden  Übereinstimmungen: 

Nr.  5  (Haager  Hs.). 
6.    Die  wuwe  zeyt:  7.   Die  vle  zeyt: 

Heere  et  si  in  velde  of  in  straissin  Here  ir  sult  van  den  laden  tyen 

So  ensultu  ghein  man  nicht  laessin.  Ynd  alle  zyt  den  heren  vlyen. 

Nr.  10a  (Fichart's  Ha.). 
11.  27. 

♦Es  sy  off  felde  oder  off  strasen  *Herre  du  solt  dich  von  den  luten  tzyhen 

♦Du  solt  herre  nymant  nicht  laszen  ♦Und  alle  tziit  dy  herren  flyhen 

Wann  schlag  barmherzikeit  tzu  rücken  Es  sy  tag  oder  nacht  so  volge  mir 

Und  lasz  uns  die  hüner  plücken  So  du  wilt  drincken  oder  eszen 

Das  wir  in  groszen  füllen  leben  So  mögen  gut  gewinnen  wir 

Das  rat  ich  und  kömpt  uns  eben.  So  soltu  diner  frunde  vergessen. 

Nr.  12  (Stuttgarter  Hs.). 
9.   Der  wihe.  10.   Die  ule. 

Herre  ich  wil  dir  sagen  Herre,  waz  du  vahest  an, 

Wilt  du  dich  recht  betragen,  Daz  sol  dir  noch  glücke  gan. 

So  nim  einen  sitten  an  dich,  ♦Du  solt  dich  von  den  lüten  ziehen 

Den  von  kindes  uf  habe  ich  ♦Und  allzit  die  fromen  fliehen 

Gefuret  gar  uff  wilder  haide,  Und  hüte  dir  vor  der  gemain, 

In  holcz,  uff  velde  und  in  weide:  So  hestu  dinen  willen  allein. 
*Es  sie  uff  velde  oder  uff  stroszen, 
♦So  soltu  herre  nieman  niit  erloszen. 

Fernere  Übereinstimmungen    zeigt  die  nachfolgende   Zusammen- 
stellung: 

Nr.  5  (Haager  Hs.). 
2.   Die  aren  zeyt:  11.    Die  hoppe  zeyt: 

Here  ymmer  west  mit  rade  milde  Here  mich  dunket  dat  beste 

Sone  wirt  vr  goet  nemmer  wilde.  Onreyn  te  zin  bewiset  min  neste. 

Nr.  6  (Wolfenbütüer  Ha.). 
2.   Arn.  28.   Wedehoppe. 

Wes  here  mit  rade  milde  Seet  here  in  myn  nest 

So  en  wert  din  ere  nummer  wilde.  Unrenichet  is  aller  best. 

Nr.  12  (Stuttgarter  Hs.). 
2.   Der  adeler.  16.   Der  widehopf. 

♦Herre,  ir  sont  mute  sin  und  reht  leben,  ♦Herre,  du  mäht  prüfen  an  mime  nest, 

Lehen  lihen  rittern  und  knehten  geben.  ♦Unreine  sin  dunket  mich  daz  best 

Noch  eren  süllent  ir  werben,  Und  dar  zuo  üppige  zuo  sin, 

Umb  uwer  lant  sont  ir  sterben,  Daz  rüret  zuo  gewin, 

Und  wenn  die  armen  uch  clagen,  Als  es  mir  ouch  wol  an  stot, 

Daz  süllent  ir  enden  und  nüt  vertragen.  Min  hus  buwe  ich  mit  kot. 

Nr.  13  (Münchener  Hs.). 
Der  adler  (Vs.  159  ff.).  Der  widhopf  (Vs.  376  ff.). 

Tugent  ere  und  miltikeit  ♦Sih,  herre,  an  mein  nest! 

Schol  allen  künigen  sein  bereit.  ♦Unflat  dünkt  mich  das  best. 

Der  arm  und  der  reich  Also  halt,  herre,  das  haus  dein, 

Schüllen  im  gefalln  geleich;  Als  ich  tuo  das  nest  mein, 

Und  scholt  in  gleich  mit  varn,  So  kümpt  niemant  gern  zuo  dir, 

Wolt  ir  gots  gebot  bewarn,  Als  die  andern  vogel  tuon  zuo  mir. 
♦Und  seit  mit  rat  milde, 
♦So  wirt  euch  das  guot  nit  wilde. 


111 

Die  Nürnberger  Vogelsprache  trifft  an  einigen  Stellen  gleichfalls 
mit  anderen  Fassungen  zusammen,  am  häufigsten  mit  der  Fichart'schen : 

Nr.  8  (Nürnberger  Bs.). 
Stockar  (Vs.  7  f.).  Droschel  (Vs.  57  f.). 

Herre,  iz  allein  din  spise  Herre  wiltu  leben  küniclichen 

So  dunkestu  mich  wise.  So  riht  dem  armen  als  dem  riehen. 

Nr.  5  (Haager  Hs).  Nr.  7  (Haager  Hs.). 

3.    Die  ghier  zeyt:  Die  tortelduve  (Vs.  29  f.). 

Here  is  allene  dine  spise  Here,  seldi  coninghen  gheliken, 

So  dunes  du  mich  gar  wise.  Soe  recht  den  aermen  als  den  riken. 

Nr.  6  (Wdlfenb.  Ha.).  

ghuz  (lies  ghiir)  (Vs.  53  f.).  ^  .  ,     „  , 

Et  allene,  wat  du  hest  r    Es  entsprechen  sich  ferner  in  ähn- 

ttaa*  «™„™  «I™  ««„*  lieber  Weise  wie  in  den  hierneben  ab- 

Bidde  nummer  nenen  gast.  gedruckten    Stelleu    die    nachfolgenden 

Nr.  10  (Fichart's  Hs.).    Spr.  5.  Strophen  der  Nürnberger  und  Fichart'- 

♦Here  frisz  allein  was  du  hast  schen  Fas8un*: 
Und  ruch  nit  wer  dir  verkeret  das  Nr.  8  Vs.    9.  10  ==  Nr.  10  Str.    6 

Wo  es  dir  herre  werden  mag  „    29.  30  =  „19 

Sprich  alles  here  in  mynen  krag  „    39.  40  =  „17 

Alles  mir  und  nymant  me  „    69.  70  =  „    24 

So  dinen  ich  di  vor  al  e.  „    71.  72  =  „21 

Während  sonst  jede  Vogelsprache  der  zweiten  Gruppe  wenigstens 
eine  wörtliche  Übereinstimmung  mit  den  übrigen  Fassungen  enthält, 
die  nicht  zufällig  sein  sondern  nur  durch  Entlehnung  aus  einer  altern 
Vorlage  erklärt  werden  kann,  macht  hiervon  allein  die  Vogelsprache 
(Nr.  9)  eine  Ausnahme,  die  dadurch  merkwürdig  ist,  dass  sie  einst  in 
Kaiser  Maximilians  Gemach  in  Innsbruck  auf  die  Wand  gemalt  war. 
Sie  bietet  nur  eine  Anzahl  wörtliche  Anklänge1),  im  Übrigen  ist  sie 
jedoch  nach  Form  und  Gedankeninhalt  trotz  einiger  Besonderheiten 
den  altern  Vogelsprachen  zu  ähnlich,  als  dass  diese  Ähnlichkeit  sich 
anders  als  durch  Abhängigkeit  oder  Nachbildung  von  einer  älteren 
Vogelsprache  der  zweiten  Gruppe  erklären  lässt.  Ihr  Dichter  hat 
eben  anscheinend  nur  wörtliche  Entlehnungen  vermieden. 

Die  obigen  Zusammenstellungen  hatten  zunächst  den  Zweck,  zu 
erweisen,  dass  mannigfaltige  wörtliche  Übereinstimmungen  zwischen 
den  verschiedenen  Vogelsprachen  der  beratenden  Gruppe  bestehen,  und 
somit  die  Annahme  gerechtfertigt  erscheint,  dass  die  ganze  Gruppe 
auf  ein  einziges  altes,  vielfach  wörtlich  ausgeschriebenes  Vorbild  zurück- 
geht. Aber  noch  ein  zweites  lehren  jene  Zusammenstellungen.  Ver- 
gleicht man  nämlich  die  zwei-  und  die  mehrzeiligen  Ratschläge,  so 
zeigt  sich,  dass  die  mehrzeiligen  unter  sich,  wo  sie  überhanpt  wört- 
liche  Übereinstimmungen    zeigen,    diese    gerade    in    den    Zeilen    und 


')  Specht:  Her  du  solt  nemen  und  raissen  Witwen  und  den  wayssen.  Vgl 
Nr.  10  S.  9:  Du  solt  in  dinen  reiszen  Nemen  wytwen  und  weysen.  —  Zeysl:  Herr 
den  armen  tayl  die  speis  dein  In  parmbhertzigkait  lass  dirs  bevolhn  sein.  Vgl. 
Nr.  10  8.  24:  Den  armen  deil  mit  dy  spise  din  . . .  Und  mynne  barmhertzikeit. 


112 

Worten  bieten,  welche  sich  auch  in  den  zweisilbigen  *)  finden.  Es  geht 
hieraus  hervor,  dass  die  mehrzelligen  aus  zweisilbigen  erweitert  sind, 
d.  h.  dass  die  ursprüngliche  Fassung  zweisilbige  Ratschläge  bot.  Diese 
Fassung  muss,  da  die  ältesten  Handschriften  mit  deutschen  Vogel- 
sprachen aus  dem  14.  Jahrhundert  sind,  auch  spätestens  diesem  Jahr- 
hundert angehört  haben,  und  es  erscheint  nun  nicht  mehr  als  Zufall 
dass  diese  ältesten  Handschriften  (Nr.  5 — 7)  gerade  Vogelsprachen 
mit  zweizeiligen  Katschlägen  enthalten. 

In  den  Vogelsprachen  der  beratenden  Gruppe  finden  sich  Sprüche, 
die  zu  gutem,  vermischt  mit  solchen,  die  zu  bösem  raten.  Die  An- 
ordnung in  den  verschiedenen  Dichtungen  weicht  nun  derartig  ab, 
dass  in  vielen  je  ein  gutes  und  je  ein  böses  empfehlender  Vogel  ab- 
wechseln (Schema:  g  b  g  b  g  b),  in  andern  kommen  erst  sämmtliche 
gute,  dann  sämmtliche  böse  Vögel  (g  g  g  g  b  b  b  b),  in  andern 
wechseln  Reihen  ab  (g  g  g  b  b  b  g  g  b  b).  Das  erste  jener  Schemata 
ist  offenbar  das  ursprüngliche,  denn  wenn  z.  B.  der  Adler  empfiehlt 
„Sei  freigebig"  und  der  Geier  „Iß  allein  was  du  hast",  so  gehören 
beide  Ratschläge  wie  Rede  und  Widerrede  zusammen.  Die  Gründe, 
warum  in  vielen  Fassungen  die  alte  Anordnung  umgestossen  ist,  mögen 
verschiedenartig  sein,  in  einem  Falle  lässt  sich  jedoch  die  Ursache 
dieses  Vorgangs  klar  erkennen. 

In  der  „Ratsversammlung  der  Tiere u  (Nr.  G)  sprechen  zunächst 
alle  guten,  dann  alle  bösen  Tiere  ihren  Rat  aus.  Von  den  guten 
redet  als  letztes  das  Einhorn  als  Symbol  der  Keuschheit.  Seine  Worte 
sind  bisher  stets  falsch  verstanden,  sie  lauten: 

Du  scalt  kuscheit  plegen,  Du  sollst  Keuschheit  üben, 

So  machstu  iu  eren  streven.  So  kannst  du  in  Ehren  dastehen. 

Dar  is  jo  de  valscheit  myn,  Da  die  Schlechtigkeit  weniger  (d.  h. 

To  der  lochteren  siden,  here,  ek  bin.  nicht)  ist, 

Auf  der  linken  Seite,  Herr,  bin  ich. 

Der  Ausdruck  cto  der  lochteren  siden'  erklärt  sich  so:  Die  Vor- 
lage, aus  der  dieser  Text  stammt,  hatte  die  gutes  ratenden  Tiere, 
wie  es  das  nebenstehende  Schema  veranschaulicht,  unter- 
1  (g)  2  (b)  einander  auf  der  linken  Hälfte  eines  Blattes  der  Hand- 
r  fä\  «  a\  schrift  angeordnet,  die  böse  Grundsätze  empfehlenden 
7  (g)  8  (»)  Tiere  daneben  auf  der  rechten  Blatthälfte.  Die  letzten 
9  (g)  10  (b)  beiden  Verse2)  des  Einhorns  deuten  nun  mit  dem  Hin- 
weis, dass  er  zur  linken  Tierreihe  gehöre,  darauf,  dass 
es  zu  den  guten  Tieren  gehöre.  Indem  ein  späterer  Schreiber  dann 
ohne  Verständnis  der  Anordnung  die  Sprüche  der  Reihe  nach  von 
oben  nach  unten  copirte,  entstand  das  Schema  g  g  g  ...  b  b  b  ... 

Es  genügt  für  die  Zwecke  dieser  Abhandlung  der  Nachweis,  dass 
die  Vogelsprachen  Nr.  5 — 13  eine  besondere  Gruppe  bilden  und  diese 
Gruppe  eine  gemeinsame  Vorlage  in  einem  verlorenen  Gedicht  spätestens  j 

')  Die  in  Betracht  kommenden  Verse  der  mehrsilbigen  sind  vorn  mit  einem 
*  ausgezeichnet. 

*)  Sie  sind  übrigens  sicher  späterer  Zusatz. 


113 

des  14.  Jahrhunderts  gehabt  hat.  Mit  Hilfe  von  Zusammenstellungen, 
die  aber  ungebührlich  viel  Baum  beanspruchen,  würde  es  möglich 
sein,  über  das  Verwandtschaftsverhältnis  der  Fassungen  unter  sich 
einige  sichere  Ergebnisse  zu  gewinnen  und  einen  Teil  des  Inhalts  der 
gemeinsamen  Vorlage  zu  ermitteln.  Das  Ergebnis  würde  sein,  dass 
die  gemeinsame  Vorlage  aller  hochdeutschen  Vogelsprachen  so  ziemlich 
mit  der  Fassung  der  Hulthemschen  Handschrift  zusammenstimmt,  die 
nach  Jul.  Zachers  Abschrift  von  Massmann  (Nr.  5)  veröffentlicht  ist. 
Da  dieser  Text  wenig  Kaum  beansprucht,  sei  er  hier  wiederholt, 
er  zeige,  wie  klein  und  unscheinbar  der  Spross  eines  Zweiges  der 
mittelalterlichen  Spruchdichtung  war,  dem  so  viele  und  z.  Th.  auch 
umfangreiche  Dichtungen  in  deutschen  und,  wie  wir  sehen  werden, 
auch  fremden  Mundarten  erwachsen  sind. 

Die  Anordnung  des  Abdruckes  lässt  auf  einen  Blick  erkennen, 
dass  immer  zwei  Sprüche  (2  und  3,  6  und  7  usw.)  in  der  Art  einander 
entsprechen,  dass  was  der  linke  rät,  der  rechte  widerrät.  Ausnahme 
machen  nur  Spruch  5  und  15,  sie  sind  offenbar  spätere  Zutat,  welche 
an  die  Stelle  der  ursprünglichen  Gegensätze  zu  Spruch  4  und  14 
getreten  ist.  Die  niederländischen  Formen,  welche  der  Text  bietet, 
sind  augenscheinlich  Änderungen  eines  Schreibers.  Vorher  war,  wie 
die  Keime  erweisen,  der  Text  mitteldeutsch  gewesen. 

1.   Die  winterkoninc  zeyt:1) 
Ich  bids  uch  lieven  heren, 
Das  ir  mich  raet  min  eren, 
Wie  ich  min  zachin  aneva, 
Das  min  rych  in  eren  sta. 

2.   Die  aren  zeyt:  3.   Die  ghier  zeyt: 

Here,  ymmcr  west  mit  rade  müde,  Here,  is  allene  dine  spise, 

Sone  wirt  ur  goet  nemmer  wilde.  So  dunes  du  mich  gar  wise. 

4.   Die  valc  zeyt:  5.   Die  wuwe  zeyt: 

Here,  zyt  werachtich  jegen  u  viande,  Heere,  et  si  in  velde  of  in  straissin, 

Hout  goeden  vrede  in  uwen  lande.  So  ensaltu  ghein  man  nicht  laissin. 

6.   Die  havic  zeyt:  7.   Die  ule  zeyt: 

Here,  zyt  guiden  luden  heymelich,  Here,  ir  sult  van  den  luden  tyen 

En  armt  uch  niet  und  macht  u  ryc.  Und  alle  zyt  den  heren  vlyen. 


>)  Spr.  1  vgl.  Nr.  5,  1;  8,  1;  10,  1;  13  V.  151. 

Spr.  2  vgl.  Nr.  1,  6;  4,  81;  6  V.  3;  7,  1;  8  V.  5;  10,  2;  12,  2;  13  V.  165. 

Spr.  3  vgl.  Nr.  6  V.  53;  8  V.  7;  10,  5. 

Spr.  4  vgl.  Nr.  6  V.  9;  8  V.  9;  12,  8. 

Spr.  5  vgl.  Nr.  10,  11;  12,  9;  13  V.  318. 

Spr.  6  vgl.  Nr.  10,  7;  12,  4. 

Spr.  7  vgl.  Nr.  6  V.  59;  10,  27;  12,  10;  13  V.  363. 

Spr.  8  vgl.  Nr.  6  V.  21;  7  V.  9;  10,  6. 

Spr.  9  vgl.  Nr.  6  V.  73;  12,  8;  13  V.  339. 

Spr.  11  vgl.  Nr.  6  V.  61;  12,  16;  13  V.  376. 

Spr.  12  vgl.  Nr.  6  V.  11;  12,  18. 

Spr.  13  vgl.  Nr.  6  V.  69;  12,  17. 

Spr.  16  vgl.  Nr.  7  V.  51;  12,  15. 

Niederdeutsches  Jahrbuch.    XIV.  Q 


114 


8.  Die  sporwer  zeyt: 
Here,  war  hout  uwe  wort, 
Die  bogen  (lies  logen)  vliet  als  quade  mori 

10.   Die  papegay  zeyt: 
Here,  werlich  (lies  werdich)  hout  uwe  reste, 
Men  prueft  den  wert  bi  zinen  geste. 

12.   Die  tortelduwe  zeyt: 
Here,  wie  u  gut  raet,  den  haet  wert, 
Er  is,  die  ure  eren  ghert. 

14.   Die  gans  zeyt: 
Here,  ich  zuen,  das  der  buesen  raet 
Heren  und  land  verderft  haet. 


9.  Die  rauen  zeyt: 
Here,  dune  machs  niet  genesen, 
Du  enwilt  scalc  und  untrou  wesen. 

11.  Die  hoppe  zeyt: 
Here,  mich  dunket  dat  beste 
Onreyn  te  zin,  bewiset  min  neste. 

13.   Die  elster  zeyt: 
Here,  wie  melden  und  claffen  kan, 
Es  nu  te  hove  der  liever  man. 

15.   Die  pauwe  zeyt: 
Here,  deys  du  na  der  bueser  raet, 
So  werts  du  metten  boesen  quaet 


(Nachahmungen.)  Mehr  vielleicht  noch  als  die  verhältnismässig 
grosse  Zahl  der  Handschriften  und  Drucke,  welche  Vogelsprachen  ent- 
halten, bekundet  die  Volkstümlichkeit  dieser  Dichtungsart  der  Um- 
stand, dass  sie  vielmals  Nachahmung  bei  späteren  Dichtern  gefunden 
hat,  sei  es,  dass  diese  das  Motiv  einer  beratenden  Vogelversammlung 
verwerten,  sei  es,  dass  sie  einzeln  Vögeln  Lehren  in  den  Mund  legen 
oder  aus  deren  Eigenart  entwickeln. 

Die  hervorragendste  Dichtung  unter  diesen  Nachahmungen  ist 
die  Synodus  avium  depingens  miseram  fadem  Ecclesiac,  propter  eer- 
tamina  quorundam  qui  de  Primatu  contendunt^  cum  oppressione  rede 
merüarum  (Nr.  15).  Der  Verfasser  ist  der  Wittenberger  Professor 
Johann  Major1),  der  ein  ebenso  eifriger  als  streitlustiger  Anhänger 
Melanchthons  war  und  in  seinen  Gedichten  die  Gegner  der  philippi- 
stischen  Richtung  aufs  massloseste  befehdete.  Auch  die  Synodus  ist 
ein  Angriff  auf  dieselben ;  mit  den  Vögeln,  die  auftreten,  sind  nämlich 
die  namhaftesten  Vertreter  der  sich  gegenseitig  befeindenden  theolo- 
gischen Parteien  gemeint.  Es  wird  erzählt,  dass  nachdem  der  Schwan 
(d.  i.  Luther)  gestorben  war,  die  Vögel  eine  Versammlung  abhielten, 
um  seine  Stelle  durch  ein  neues  Oberhaupt  zu  besetzen,  der  die  sang- 
reichen Stellen  der  Vögel  zusammenordnen,  Recht  sprechen  und  den 
Streit  schlichten  könne.  Ein  Teil  der  Vögel  erklärte  sich  darauf  für 
den  Kukuk  (Flacius),  andere  waren  für  den  Hahn  (Nie.  Gallus),  andere 
für  die  Amsel  (Amsdorf),  die  verständigeren  Vögel  stimmen  dagegen 
einmütig  für  die  Nachtigall  (Melanchthon).  Das  Gedicht  schildert 
dann  die  Ränke,  durch  welche  die  einzelnen  Vögel  ihre  Partei  zu 
stärken  und  die  Wahl  Melanchthons  zu  hintertreiben  sich  bemühen. 

Schon  diese  kurze  Andeutung  über  den  Inhalt  der  Dichtung 
Majors  lässt  erkennen,   dass  dieser  das  Motiv  eines  Vogelparlaments 

')  Aucb  andere  Gedichte  Majors  handeln  von  Vögeln,  unter  denen  Zeit- 
genossen des  Dichters  zu  verstehen  sind.  Bei  Majors  Schüler  Georg  Rollenhagen 
ist  Ähnliches  der  Fall,  nicht  nur  im  Propemptikon  (Geschichtsblätter  für  Mag- 
deburg 24  S.  93),  sondern  auch  im  Froschmeuseler.  Wenn  PHILippOs  MELAnch- 
thon  „Nachtigal"  genannt  ist,  so  spielt  das  auf  seinen  Namen  an.  Vgl.  auch  P.  CasseFs 
Aufsätze  über  Joh.  Stigel  im  'Sunem'.    Jg.  13  (1887),  S.  250  ff.  258  ff. 


115 


in  einer  Weise  ausgestaltet  hat,  dass  die  Ausfahrung  kaum  noch  an 
die  alten  einfachen  Vogelsprachen  erinnert.  Am  ehesten  könnte  man 
noch  an  ein  Vorbild  ähnlich  der  Münchener  Fassung  (Nr.  13)  denken, 
wenn  die  Annahme  unstatthaft  sein  sollte,  dass  Major  den  Pavo  (Nr. 
29),  von  dem  noch  später  die  Rede  sein  wird,  gekannt  und  nach- 
geahmt haben  kann. 

Von  den  übrigen  Nachahmungen  der  Vogelsprache  sind  mehrere 
geistlich  gewendet.  So  die  Dichtung  des  Hans  Sachs  (Nr.  16),  in 
welcher  gerade  so  wie  in  der  Vogelsprache  Nr.  6  erst  die  guten,  dann 
die  bösen  Vögel  an  die  Reihe  kommen.  Das  Wahlmotiv  ist  aufgegeben, 
und  es  bleiben,  wie  in  den  Vogelsprachen  der  hansischen  Gruppe,  nur 
einzelne  Vögel  und  Lehren,  die  an  sie  geknüpft  sind.  Die  Art,  in  der 
das  geschieht,  lässt  schon  der  erste  Spruch  genügend  erkennen: 

Der  Adler  in  die  Sunnen  sieht 
Also  ein  Christ  schaut  in  dem  Liecht 
Das  Wort  Gottes;  was  Gott  begert, 
Lieht  in  für  alle  Ding  auff  Erd. 

Eine  dritte  geistliche  Umgestaltung  ist  das  in  Handschriften  und 
Volksblattdrucken  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  oftmals  begegnende 
—  bis  jetzt  sind  etwa  zehn  verschiedene  Überlieferungen  bekannt  — 
Gedicht  „Das  geistliche  Vogelgesang al).  Die  Gegenüberstellung  der 
guten  und  bösen  Vögel  findet  nicht  Statt.  Der  Adler,  „der  aller  Vögel 
König  ist",  macht  den  Anfang,  dann  folgen  Amsel,  Bachstelz,  Cana- 
rienvogel,  Dahl,  Emmerling,  Eul,  Fink,  Grasmuck,  Gumpel,  Hahn  und 
Henne,  Immen  usw.  Die  Ordnung  ist  also  alphabetisch.  Als  Probe 
sei  herausgehoben: 


Anfang : 
Wohlauf,  ihr  klein  Waldvögelein, 
Alles  was  in  Lüften  seh  weht, 
Stimmt  an,  lobt  Gott  den  Herren  mein! 
Singt  an,  die  Stimm  erheht! 
Dann  Gott  hat  euch  erschaffen 
Zu  seinem  Loh  und  Ehr; 
Gsang,  Feder,  Schnabel,  Waffen 
Kommt  alles  von  ihm  her. 


Widhopf. 
Der  Widhopf  ist  gar  wohl  geziert 
Und  hat  doch  ganz  kein  Stimm; 
Sein  Cron  er  allzeit  mit  sich  führt, 
Ist  doch  nichts  hinder  ihm. 
Wie  mancher  brangt  in  Kleider, 
Als  wann  er  war  ein  Graf: 
Sein  Vatter  ist  ein  Schneider, 
Sein  Bruder  hüt  die  Schaf. 


Andere  Gedichte,  die  ähnlich  dem  Geistlichen  Vogelgesang  die 
Eigenschaften  und  auch  die  Stimme  der  Vögel  erbaulich  und  belehrend 
verwerten,  seien  in  der  Anmerkung  verzeichnet2). 


l)  Vgl.  oben  S.  105  Nr.  17.  Ganz  verschieden  davon  ist  „Ein  Schön  New 
Liedt  genandt  das  Vogelgesang."  (Gödeke  Grundrisz  2.  Aufl.  2,  253  Nr.  4a.) 
*)  Lied  'Ick  genck  my  dorch  den  gronen  woldt 
Dar  sungen  de  vogelkens  iunck  und  olt  etc.' 
Xd.  geistliche  Lieder  aus  dem  Münsterlande,  hrsg.  von  B.  Hölscher  (1854)  S.  74  ff. 
—  *Vier  Christliche  anzcygungen  und  bedeütungen,  In  diser  frölichen  angehenden 
Sommerszeyten  lustig  zu  behertzigen:  Warumb  .  .  Gott  .  .  dem  Guckguckh,  der 
Ganss,  dem  Raben  und  der  Eulen  jr  angeborne  stimm  also  angeordnet  . . .  Durch 
J.  J.  Gugger.  Freyburg  1593.'  Hrsg.  von  Crecelius:  Alemannia  hrsg.  von  A.  Bir- 
linger  Bd.  7  (1879),  220  ff.  —  Lied:  Ad  peccatorem  „Het  is  genoch  geschlapen 
TJ  weckt  die  na— na-na— nachtigal,  0  mensch  van  gott  geschapen,  In  dese  11 — 11 — 


116 

I 

Die  jüngste  mir  bekannt  gewordene  Nachahmung  stammt  aus 
d.  J.  1700  (Nr.  18).  Sie  führt  in  der  Handschrift,  welche  sie  enthält, 
den  Titel  »Vogel-Schul  Worinn  Auss  Eigenschafft  und  Natur  auch  der 
lieben  Vogelein  gewisse  Tugenden  zu  lernen,  und  Untugenden  oder  Laster 
zu  vermeiden  begriffen  zu  Pappir  gesetzet  im  Jahr  unssers  Hcyls  1700 
Und  zum  Heyligen  Namens- Tag  Offeriri  Dem  Wd  Ehrwürdigen  etc. 
Herrn  Urbano  Francisco  Vogd  Dess  Heyligen  Canonischen  Ordens  von 
Lateran  Professor  zu  Bresslau  auf  der  Insul  Sand,  im  hoch-löblichen 
gestift  unsser  lieben  Frauen  Priester  etc."  Sie  war  also  einem  Geist- 
lichen Namens  Vogel  zu  seinem  Namenstage  gewidmet.  Es  liegt  also 
die  Vermutung  nahe,  dass  der  Name  des  Gefeierten  dem  Verfasser 
Veranlassung  zu  der  von  ihm  gewählten  Dichtungsform  gegeben  hat. 
Genannt  hat  sich  der  Dichter  nicht,  am  Ende  der  Vorrede  finden  sich 
jedoch  die  Verse: 

Wil  man  wissen,  wer  ich  bin? 
Ich  heiss  Frisch,  Freilich,  und  Kin. 

Als  Probe  sei  hier  abgedruckt: 

Widehopff. 
Mit  schönen  Federn  ist  die  Widhopff  zwar  gezihrt: 
Aber  ein'  üblen  Stand  in  ihrem  Näst  sie  führt: 

Auss  hoch-stinckendem  Koth  ist,  und  wird  sie  gebrütt, 
Bringet  auss  ihrem  Näst  auch  nichts,  als  Unflath  mittl 
An  der  Widhopffen  kan  sich  iederman  ersehen, 
Und  was  die  Hoffart  sey  genüglichen  verstehen: 

Die  Hoffart,  wie  man  deutsch  zu  sagen  pflegt,  stinckt 
Und  doch  fast  alle  Welt  nach  diesem  Laster  ringt. 
Lass  ringen  wer  da  wil:  der  Hoffart  du  nichts  achte: 
Hoffart  und  Übermut  auss  gantzem  Grund  verachte; 
Ergebe,  Mensch!  vielmehr  der  edlen  Sanftmut  dich, 
Ess  wird  der  grosse  Gott  mit  dir  austheilen  sich. 

Behandelt  sind  im  Ganzen  59  Vögel;  Adler,  Auerhahn,  Ambsel, 
Aglester,  Bachstelz,  Byroll,  Birkhun,  Cukuk,  Distelfink,  Drossel  usw. 
Die  Reihenfolge  der  Vögel  ist  also  wie  im  Geistlichen  Vogel-Gesang, 
der  dem  Verfasser  bekannt  und  Vorbild  war,  die  alphabetische. 

Neben  diesen  eigentlichen  Nachahmungen  der  alten  Vogelsprachen 
muss  auch  noch  auf  einige  blosse  Anlehnungen  an  dieselben  hinge- 
wiesen werden.  Eine  solche  findet  sich  im  Reinke  Vos  zu  Anfang  des 
zweiten  Buches  und  umfasst  die  Verse  3247 — 3274,  für  welche  sich 
im  niederländischen.  Reinaert  nichts  entsprechendes  findet.  Dieselben 
sind  also  von  einem  der  Bearbeiter,  und  zwar  wie  Prien  ansprechend 
ausführt,  von  Hinrek  von  Alkmer  hinzugefügt.  Seine  Bearbeitung  fällt 
in  das  vorletzte  Jahrzehnt  des  15.  Jahrhunderts,  also  in  eine  Zeit,  in 
der  bereits  zahlreiche  Vogelsprachen  die  allgemeine  Beliebtheit  be- 
kunden. Das  in  den  Reinke  eingelegte  Vogelgespräch  stellt  eine  Sprake 
oder  Beratung  verschiedener  Vögel  dar,  welche  die  gegen  den  Fuchs 
gerichtete  Klage   zu  unterstützen   beschüessen.     Es   erinnert   an    die 

li — li  dal  etc."    Aus  einer  Hs.  Hölschers  mitgeteilt  von  Crecelius,  Alemannia  12 
(1884),  73  f. 


117 

Vogelsprachen  durch  die  hinzugefügten  Abbildungen  von  Vögeln  und 
die  Gleichzeitigkeit  der  von  den  einzelnen  Vögeln  gehaltenen  Reden. 
lls  weicht  von  den  deutschen  Fassungen  ab,  indem  es  sich  (wie  in 
27 — 29)  um  eine  Klage,  nicht  um  allgemeine  oder  einem  Könige  er- 
teilte Lehren  handelt. 

Auch  einige  niederdeutsche  Loosbücher  (Nr.  20.  21)  haben  das 
Ansehen  von  Vogelsprachen.  Nr.  20  trägt  sogar  den  Titel  „Vogel- 
spnike*,  ohne  jedoch  mehr  als  äusserliche  Ähnlichkeiten  zu  bieten, 
nämlich  vierzeilige  Sprüche,  die  Vögeln  in  den  Mund  gelegt  sind. 

(Verhältnis  der  deutschen  Gruppen  £u  einander.)  Vergleicht  man 
die  Texte  der  hansischen  mit  sämmtlichen  Vogelsprachen  der  beratenden 
Gruppe,  so  findet  sich,  abgesehen  von  vielleicht  zufälligen  Anklängen1), 
nur  eine  einzige  Übereinstimmung  des  Wortlautes,  welche  den  ver- 
wandtschaftlichen Zusammenhang  der  beiden  Gruppen  sicher  stellt 
und  der  Mühe  überhebt,  ihn  aus  andern  Gründen  folgern  zu  müssen. 
Diese  Stelle  findet  sich  im  Spruche  des  Adlers: 

Nr.  1  (Stockh.  Hs.)  Spr.  6.  Nr.  4  (Münchener  Dr.)  Spr.  31. 

Met  rade  schaltu  wesen  milde,  Wes  mit  rade  milde 

Uppe  dat  din  gut  di  nicht  en  wilde.  So  wert  di  dat  goed  nicht  wilde. 

We  sin  god  nicht  holt  an  hode,  Bistu  nicht  milde  bi  raede, 

De  lidet  (lichte)  grote  armode.  Dat  rouwet  di  to  spade. 

Entsprechend  bieten: 

Nr.  5.  Nr.  6. 

Here,  ymmer  west  mit  rade  milde,  Wes  here  mit  rade  milde, 

Sone  wirt  ur  goet  nemmer  wilde.  So  en  wert  din  ere  nummer  wilde. 

Diese  Übereinstimmung  deutet  zugleich  darauf,  dass  die  hansische 
Gruppe  sich  an  eine  alte  Fassung  der  beratenden  Gruppe,  welche 
zweizeilige  Sprüche  bot,  angelehnt  hat.  Näher  lässt  sich  diese  Vorlage 
nicht  bestimmen,  da  die  hansische  Gruppe  so  durchgreifende  Änderungen 
in  Bezug  auf  Inhalt  und  Form  der  Sprüche  zeigt,  dass  eben  nur  jene 
einzige  wörtliche  Übereinstimmung  geblieben  ist. 

Von  den  Nachahmungen  gehen  die  niederdeutschen  Gedichte  auf 
Vorbilder  der  hansischen,  die  hochdeutschen  auf  Vorbilder  der  bera- 
tenden Gruppe  zurück.  Wenn  trotzdem  die  hochdeutschen  Nach- 
ahmungen späterer  Zeit  weniger  ihren  Vorbildern  als  vielmehr  den 
Bearbeitungen  der  hansischen  Gruppe  gleichen,  so  ist  diese  Über- 
einstimmung einerseits  die  Folge  davon,  dass  das  Motiv  der  Beratung 
des  Königs  wegfiel,  anderseits  hängt  sie  damit  zusammen,  dass  nach 
der  Reformation  die  Dichter  ihre  Aufgabe  in  Belehrungen  religiösen, 
sittlichen  oder  praktischen  Inhalts  sahen. 

(Böhmische  Gruppe.)  Eine  besondere  Abzweigung  der  Vogel- 
sprachdichtung hat  sich  in  Böhmen  entwickelt.    Hier  vollendete  i.  J. 

*)  Stockh.  85.  Du  schalt  dy  theen  van  velen  luden,  vgl.  Nr.  6  Spr.  7: 
Here,  ir  sult  van  den  luden  tyen. 


118 

1394  oder  1395  Smil  von  Pardubic  mit  dem  Beinamen  Flaschka,  der 
einem  der  vornehmsten  Geschlechter  Böhmens  angehörte  und  an  der 
Universität  Prag  das  Baccalaureat  erlangt  hatte,  ein  umfangreichem 
Lehrgedicht  unter  dem  Namen  Nova  rada  d.  h.  Neuer  Rat.  (Nr.  22.) 
Der  Inhalt  desselben  ist  in  Kurzem  folgender.  Als  der  junge  Löwe 
nach  dem  Tode  seines  Vaters  den  Thron  bestiegen  hatte,  entbietet  er 
alle  Grossen  des  Tierreichs  zu  sich  und  auch  den  ihm  dienstbaren 
König  der  Vögel,  den  Adler,  sammt  dem  ganzen  Geflügel.  Als  sich 
alles  um  ihn  geordnet  hatte,  forderte  er  die  Versammlung  und  zunächst 
den  Adler  auf,  ihm,  der  noch  jung  und  wenig  erfahren  sei,  Rat  zu 
erteilen,  wie  er  zum  Gedeihen  seines  Reiches  über  dieses  herrschen 
müsse.  Es  treten  auf  diese  Aufforderung  abwechselnd  immer  ein  Tier 
und  ein  Vogel  vor  ihn  und  sprechen  in  durchweg  höfischer  Form  ihre 
Meinung  aus.  Zuerst  der  Adler,  dann  folgen  Leopard,  Falke,  Bär. 
Kranich,  Wolf,  Geier,  Hirsch,  Pfau,  Ross,  Hahn,  Ochs,  Gans,  Esel 
Taube  usw.,  im  Ganzen  ohne  den  König  44  Tiere  und  Vögel,  von 
denen  nur  wenige  (etwa  Bär,  Wolf,  Geier,  Gans,  Schwein,  Luchs  und 
Affe)  boshafte  Natur  durch  ihren  Ratschlag  beweisen. 

Eine  zweite  Dichtung  derselben  Art  ist  die  altböhmische  Rada 
zwirat,  d.  h.  Rat  der  Tiere  (Nr.  23),  eines  unbekannten  Verfassers, 
die  in  der  Fassung,  in  der  sie  erhalten  ist,  aus  dem  15.  Jahrhundert 
stammt  und  zum  ersten  Mal  1628  gedruckt  ist.  Es  ist  ein  sehr  um- 
fangreiches Werk,  in  dessen  erstem  Buche  22  Vierfüssler  auftreten, 
während  im  zweiten  24  Vögel  zu  Worte  kommen  und  das  dritte  Buch 
den  Insekten,  Schlangen  und  Fischen  gehört.  Die  Ratschläge  sind 
nicht  an  den  König  der  Tiere  oder  Vögel  gerichtet,  sondern  jedes 
Geschöpf  giebt  in  längerer  Rede  dem  Menschen  eine  gute  Lehre,  der 
darauf  einige  Worte  erwidert.  Wie  in  der  Nova  rada  geben  auch  in 
der  Rada  zwirat  zu  den  Worten  eines  Tieres  eine  Anzahl  anderer 
ihm  verwandter  Tiere  ihre  Zustimmung.  Eigentümlich  ist  der  Rada 
zwirat  die  gelegentliche  Bezugnahme  auf  die  äsopische  Fabeln,  deren 
Kenntnis  der  Dichter  bei  seinen  Lesern  also  vorausgesetzt  hat. 

Eine  jüngere  der  böhmischen  Gruppe  angehörende  Dichtung  ist 
die  1520  zum  ersten  Male  und  später  noch  dreimal  gedruckte  Thcri- 
abülia  (Nr.  24)  des  Olmützer  Bischof  Johannes  Dubravius.  Dieselbe 
ist  eine  freie  Bearbeitung  des  Neuen  Rates  Smils  von  Pardubic.  Wie 
bei  diesem  ist  auch  bei  Dubravius  der  Löwe  der  König  der  Tiere, 
der  die  Grossen  seines  Reiches  beruft,  um  ihm,  der  soeben  den  Thron 
bestiegen  kat,  Rat  zu  erteilen.  Wie  im  Neuen  Rat  wechselt  von  den 
45  Tieren,  die  auftreten,  immer  ein  Vierfüssler  mit  einem  Vogel  ab. 
Während  jedoch  bei  Smil  wenigstens  noch  einige  Tiere  der  ihnen 
angeborenen  Eigenart  gemäss  Ratschläge  erteilen,  die  gegen  das 
menschliche  Tugendgesetz  Verstössen,  sind  bei  Dubravius  alle  Tiere 
voll  Empfehlungen  der  Tugend  und  Sittlichkeit. 

Von  den  drei  Bearbeitungen  der  böhmischen  Gruppe  nimmt  der 
Neue  Rat  Smils  von  Pardubic  in  der  altböhmischen  Litteraturgeschichte 
eine  hervorragende  Stelle  ein  und  ist  oftmals  und  besonders  eingehend 


119 

von  Feifalik *)  behandelt  worden.  Wenn  ich  Feifaliks  Arbeit  bei  meiner 
Unkenntnis  der  böhmischen  Sprache  einerseits  meine  Wissenschaft  von 
den  altböhmischen  Fassungen  zum  grössten  Teile  verdanke2),  so  muss 
ich  doch  anderseits  den  litteraturgeschichtlichen  Ergebnissen  seiner 
Untersuchung  in  wesentlichen  Punkten  widersprechen. 

Nach  Feifalik  soll  sowohl  die  Nova  rada  als  die  Rada  zwirat 
Benutzung  des  bekannten  mittelalterlichen  Physiologus  zeigen.  Ferner 
seien  die  prosaischen  Einleitungen,  welche  im  Rada  zwirat  den  ein- 
zelnen Abschnitten  vorangehen,  erst  im  15.  Jahrh*  eingefügt,  die 
Dichtung  selbst  sei  jedoch  älter  als  die  Nova  rada  Smils.  Dieser  habe 
die  Rada  zwirat  benutzt,  indem  er  den  Gedanken,  den  er  darin  fand, 
in  seinem  Sinne  ausgebildet  habe.  Drittens  möge  Smil  wohl  gleichfalls 
das  von  Bruns  als  Ratsversammlung  der  Tiere  herausgegebene  nieder- 
deutsche Gedicht  (Nr.  6)  gekannt  und  aus  ihm  die  Idee  geschöpft 
haben,  den  Löwen  als  König  die  Tiere  berufen  zu  lassen. 

Von  allen  diesen  Annahmen  ist  nur  soviel  beweisbar,  dass  Smil 
eine  deutsche  Vogelsprache  gekannt  und  nachgeahmt  hat.  Als  diese 
deutsche  Quelle  gerade  die  niederdeutsche  von  Bruns  herausgegebene 
Ratsversammlung  anzusehen  —  eine  andere  Fassung  war  Feifalik 
nicht  bekannt  geworden  —  liegt  kein  Grund  vor,  man  wird  vielmehr 
an  eine  ihr  ähnliche  verlorene  hochdeutsche  Bearbeitung  des  14.  Jahr- 
hunderts zu  denken  haben.  Auf  eine  der  deutschen  Vogelsprachen 
als  Quelle  weist  es,  wenn  übereinstimmend  mit  diesen  auch  in  der 
Nova  rada  der  Adler  zuerst  dem  Könige  ratet  und  ihm  (wie  in  Nr. 
1.  4)  Freigebigkeit  anempfiehlt.  Eine  andere  Übereinstimmung  (mit 
Nr.  6)  findet  sich  nach  Angabe  Feifaliks  in  dem  Ratschlage,  den  der 
Pfau  giebt8). 

Ferner  konnte  weder  aus  dem  Physiologus  noch  aus  der  Rada 
zwirat,  sondern  nur  aus  einer  Vogelsprache  der  beratenden  Gruppe 
von  Smil  das  Motiv  eines  durch  den  König  der  Tiere  berufenen  Reichs- 
tages und  der  Wechsel  guter  und  schlechter  Ratschläge  entnommen 
werden. 

Feifalik  nennt  zuerst  als  Quelle  Smils  den  mittelalterlichen  Phy- 
siologus und  verweist  zur  Begründung  seiner  Ansicht  auf  angebliche 
Übereinstimmungen  zwischen  der  Nova  rada  und  dem  Physiologus. 
Diesem  soll  es  entlehnt  sein,  wenn  Smil  den  Leopard  zur  Frömmigkeit, 
das  Einhorn  zu  keuscher  Enthaltsamkeit,  den  Elephant  zur  Bekämpfung 
böser  Begierden  raten  lässt.  Thatsächlich  kennt  der  Physiologus  aber 
gar  nicht  den  Leopard,  weshalb  Feifalik  statt  seiner  auf  den  Panther 

*)  Studien  zur  Geschichte  der  altböhmischen  Literatur.  III.  Wien  1860  (= 
Sitzungsberichte  der  phiL-hist  Classe  der  K.  Akad.  d.  Wiss.  in  Wien  Jahrg.  1869 
Bd.  32  S.  685—718). 

*)  Die  unter  dem  Titel  „Der  neue  Rath  des  Herrn  Smil  von  Pardubic,  nebst 
dessen  übrigen  Dichtungen,  deutsch  bearbeitet  von  Joh.  Wenzig.  Leipzig  1855" 
erschienene  Übersetzung  kürzt  so  sehr  das  Original  und  verfahrt  auch  sonst  durch 
Umstellung  u.  a.  so  willkührlich,  dass  sie  fast  keinen  Nutzen  gewährt. 

*)  Feifalik  S.  19.  Wenzig's  sogen.  Übersetzung  lässt  vollständig  im  Stich, 
bei  ihm  kommen  auf  den  Pfau  acht,  im  Original  26  Verse. 


120 

verweisen  muss.  Aber  auch  dieser  darf  nach  dem  Physiologus,  der 
seine  verschiedenen  Farben  usw.  den  verschiedenen  Eigenschaften  und 
dem  Dulden  des  Heilandes  vergleicht,  nicht  als  Symbol  der  Fröm- 
migkeit, sondern  vielmehr  nur  als  Symbol  der  Demut  aufgefasst  werden. 
Was  zweitens  das  Einhorn  betrifft,  so  steht  im  Physiologus  nur,  dass 
es  von  reinen  Jungfrauen  sich  greifen  lässt.  Das  Mittelalter  sah  es 
dagegen  als  Symbol  der  Keuschheit  an.  Dass  Smil,  dessen  Quelle  also 
der  Physiologus  beim  Einhorn  nicht  war,  hier  gleichfalls  durch  seine 
deutsche  Vorlage  beeinflusst  sein  konnte,  zeigt  der  oben  S.  112  ab- 
gedruckte Spruch  des  Einhorns  aus  der  'Ratsversammlung  der  Tiere', 
den  Feifalik  mit  mehr  Hecht  hätte  anziehen  können.  Drittens  soll 
zum  Physiologus  stimmen,  wenn  der  Elephant  den  Kampf  gegen  böse 
Begierden  empfiehlt.  Im  Physiologus  steht  aber  nur,  dass  er  keine 
Begier  nach  Fleisch  hat  und  durch  Genuss  einer  Wurzel  sich  geil 
macht,  er  wird  auf  Adam  und  Eva  gedeutet,  die  von  der  Schlange 
verführt  von  der  verbotenen  Frucht  assen  und  alsdann  in  gegenseitiger 
Lust  entbrannten1).  Somit  stimmt  auch  hier  der  Physiologus  nicht 
im  geringsten  zur  Nova  rada. 

Feifalik  vertritt  die  schon  vor  ihm  ausgesprochene  Ansicht,  die 
Nova  rada  habe  eine  direkte  politische  Tendenz  und  unter  dem  Löwen 
sei  König  Wenzel  zu  verstehen.  Die  reiche  Anzahl  der  von  mir 
zusammengestellten  Vogelsprachen,  in  denen  viele  der  Nova  rada 
ähnliche,  an  einen  König  gerichtete  Ratschläge  ausgesprochen  werden, 
wird  gegen  diese  politische  Deutung  um  so  eher  vorsichtig  machen, 
als  das  handschriftlich  überlieferte  Entstehungsjahr  der  Nova  rada, 
nämlich  1395,  gar  nicht  damit  im  Einklänge  steht,  dass  z.  B.  Wenzel, 
der  damals  35  Jahre  alt  und  bereits  17  Jahre  König  gewesen  war, 
als  Junger  Knabe  geschildert  und  Krcilovice  genannt  und  ihm,  der 
damals  zum  zweiten  Male  verheiratet  war,  der  Rat  gegeben  wurde, 
nicht  wieder  zu  heiraten,  wenn  er  etwa  Witwer  würde  (Feifalik  p.  13). 
Feifalik  glaubt  deshalb  entgegen  der  Angabe  beider  Handschriften  die 
Entstehungszeit  in  frühere  Jahre  verlegen  zu  müssen.  Wenn  ich  eine 
Vermutung  aussprechen  darf,  die  mit  der  Feifaliks  freilich  gemein 
hat,  dass  sie  sich  nicht  beweisen  lässt,  aber  vor  ihr  voraus  hat,  dass 
sie  mit  bekannten  oder  nachweisbaren  Tatsachen  nicht  im  Widerspruch 
steht,  so  ist  es  folgende.  Smil  hat  eine  Vogelsprache  benutzt,  in  denen 
wie  in  manchen  deutschen  Fassungen  neben  Vögeln  auch  Vierftissler 
erscheinen  (wie  z.  B.  in  Nr.  6).     Der   König   hiess   in   dieser  Vogel- 


*)  Wie  gesucht  und  hinfällig  in  Bezug  auf  den  Physiologus  die  Beweis- 
fuhrung  Feifaliks  ist,  zeigt  auch  seine  Anmerkung  24  (auf  S.  11):  „Der  Elephant 
rät  in  der  Nova  rada  zur  Kinderliebe;  man  vergleiche  damit  das  Bild  im  Gött- 
weiher Physiologus  [Archiv  f.  Kunde  östr.  Geschichtsquellen.  Jg.  1850.  Bd.  2.  Tafel 
III  Nr.  7],  wo  der  Elephant  sein  Junges  hegt."  Das  Bild  zeigt  nun  den 
weiblichen  Elephanten  bis  zum  Bauche  im  Wasser  und  zwischen  seinen  Beinen  sein 
Junges,  während  ein  anderer  Elephant  ausserhalb  des  Wassers  steht.  Das  Bild 
illu8trirt  offenbar  die  Angabe  des  Physiologus,  dass  der  Elephant  bis  zum  Bauche 
ins  Wasser  geht,  wenn  er  gebären  will,  und  der  männliche  Elephant  währenddes 
am  Ufer  wacht 


121 

spräche,  wie  gewöhnlich  in  den  hochdeutschen  Fassungen  Regulas  oder 
Künigd  (vgl.  Nr.  9,  11,  12  u.  a.).  Smil,  dem  das  deutsche  Mährchen 
vom  Zaunkönige  unbekannt  war  oder  seiner  zur  Erklärung  des  Regulus 
nicht  gedachte,  musste  den  Regulus  für  den  König  der  Tiere,  den  Löwen, 
halten,  an  den  Adler  konnte  er  deshalb  nicht  denken,  da  dieser  in 
allen  Fassungen  sofort  nach  dem  König  redet  und  als  sein  erster 
Unterthan  ihm  Rat  erteilt.  So  wurde  der  Regulus  der  deutschen 
Vogelsprachen  zum  Krcdome  und  zum^Löwen  und,  wie  in  den  deutschen 
Fassungen,  kommt  als  erster  seines  Reichs  der  Adler  zu  Wort  Es 
erklärt  sich  so  auch  zugleich  leichter  die  bei  Smil  durchgeführte  Ab- 
wechslung von  Vierfüsslern  und  Vögeln1). 

Was  schliesslich  die  Rada  zwirat  betrifft,  so  ist  sie  nicht  nur 
nicht  die  Quelle  der  Nova  rada,  sondern  stellt  eine  spätere  Entwick- 
lungsform der  Dichtungsform  dar,  indem  das  Beratungsmotiv  und  der 
Wechsel  guter  und  schlechter  Räte  aufgegeben  ist.  Wie  die  Sprüche 
der  deutschen  Vogelsprachen  der  lehrhaften  Gruppe  gleich  Bilder- 
sprüchen sich  an  den  Beschauer  oder  Leser  richten,  so  ist  die  Rada 
zwirat  an  den  Menschen  gerichtet.  Wie  in  Deutschland  sich  die  be- 
ratende Vogelsprache  zur  lehrhaften  entwickelte,  so  konnte  das  auch 
in  Böhmen  geschehen.  Wenn  demnach  in  dieser  Beziehung  der  An- 
nahme, dass  die  Rada  zwirat  aus  der  Nova  rada  durch  Nachahmung 
und  Umwandlung  hervorgegangen  sei,  nichts  entgegensteht,  so  scheint 
doch  der  Umstand  dagegen  zu  sprechen,  dass  Feifalik  wörtliche  Über- 
einstimmungen zwischen  beiden  anscheinend  nicht  anzuführen  weiss. 

(Französische  Bearbeitungen.)  In  der  französischen  Litteratur 
begegnet  man  Bearbeitungen  der  Vogelsprachen  unter  dem  Titel  Dictes 
des  oyseaux  in  Drucken  aus  dem  Ende  des  fünfzehnten  oder  dem 
Anfang  des  sechszehnten  Jahrhundert.  Vergleicht  man  die  zwei  in 
Neudrucken  (vgl.  Nr.  25.  26)  vorliegenden  Fassungen,  so  wird  man 
in  beiden  dieselben  Sprüche  wörtlich  wiederfinden,  nur  die  folgenden 
drei  als  Probe  hier  mitgeteilten  Strophen  finden  sich  in  Nr.  26  allein: 

Le  papegay.  Le  faulcon. 

Prince  doit  estre  piteux  Viure  du  sien  est  grant  noblesse 

Et  de  soii  peuple  avoir  pitie  Prince  son  peuple  ne  doit  greuer 

Quant  il  le  voit  langoureux  Sy  autrement  fait  son  peuple  Messe: 

Montre  lui  doit  son  amitie.  Et  le  fait  sans  cause  endure: 

Lespriuiers. 
Par  dessus  tous  oyseaulx  de  proye 
Je  suys  du  plus  noble  lynaige; 
Pour  neant  plus  me  priseroye: 
Qui  mains  se  prise  plus  est  saige: 

Dagegen  unterscheiden  sich  beide  Fassungen  durch  die  Reihen- 
folge, in   denen   die  Tiere   und  ihre   Sprüche   aufeinanderfolgen.     In 


x)  Ahnlich  wie  die  böhmischen  ordnen  auch  die  französischen  Bearbeitungen 
die  Tiere  und  Vögel. 


122 

Nr.  25  sind  die  ersten  22  Sprüche  Vierfiisslern,  die  letzten  17  Vögeln 
beigelegt,  während  in  Nr.  26  immer  ein  Vierfüssler  und  ein  Vogel 
abwechselt *).  Trotz  dieser  Umsetzung  lässt  sich  jedoch  auch  aus  der 
Reihenfolge  der  Sprüche  erkennen,  dass  beide  Fassungen  auf  dasselbe 
Original  zurückweisen.     Es  ist  nämlich2) 


Nr.  25. 

Nr. 

26. 

Nr.  25. 

Nr. 

26. 

Nr.  25.        Nr. 

26. 

Spr.    8  = 

Spr. 

22 

Spr.  16  = 

Spr. 

16 

Spr.  29  =  Spr. 

3 

„     10  » 

»i 

24 

»     17  = 

j» 

18 

„     33  =      „ 

5 

„     11  = 

»» 

2 

ii     18  = 

ii 

20 

ii     35  =      „ 

1 

„     12  = 

ii 

4 

ii     19  = 

ii 

10 

ii     36  =      „ 

7 

„     13  = 

ii 

6 

ii     20  = 

ii 

12 

„     37  =      „ 

13 

„     14  = 

ii 

8 

„     24  = 

ii 

21 

„    38  =      „ 

15 

„     15  = 

ii 

14 

ii    25  = 

ii 

23 

»>     39  =      „ 

17 

Löwe  (De  toutes  bestes  suis  le  roy)  und  Adler  (De  tous  oyseaulx 
je  suis  le  roy)  heissen  zwar  Könige,  aber  die  ihnen  in  den  Mund  ge- 
legten Sprüche  enthalten  keine  Andeutung,  dass  durch  einen  dieser 
Könige  die  Tiere  zu  Ratschlägen  veranlasst  sind  und  ebenso  wenig  findet 
sich  der  Wechsel  der  guten  und  der  schlechten  Ratgeber.  Aus  den 
Eigenschaften  der  Tiere  sind,  wie  schon  die  oben  abgedruckten  Sprüche 
zeigen,  moralische  Lehren  in  derselben  Art  abgeleitet,  wie  das  in  der 
hansischen  Gruppe  der  deutschen  Bearbeitungen  der  Fall  ist.  Trotzdem 
scheint  ihr  Vorbild  nicht  der  hansischen,  sondern  der  beratenden 
Gruppe  angehört  zu  haben,  denn  einige  Sprüche,  z.  B.  zwei  der 
obigen,  lehren,  was  Fürsten  geziemt. 

(Andere  Vogelparlamente.)  Während  die  bis  jetzt  besprochenen 
Dichtungen  sämmtlich  mit  einander  verwandt  sind,  fehlt  jeder  festere 
Anhaltspunkt,  diese  Verwandtschaft  auch  auf  die  drei  folgenden  Ge- 
dichte auszudehnen,  die  dadurch,  und  freilich  allein  dadurch  mit  jenen 
in  merkwürdiger  Übereinstimmung  sich  befinden,  dass  in  ihnen  Vögel 
in  einem  Concil  oder  Parlament  zusammentagen. 

Das  älteste  ist  der  in  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  wahr- 
scheinlich durch  Jordanus  von  Osnabrück  verfasste  Pavo  (Nr.  27), 
eine  satirische  Parabel,  die  sich  auf  das  Lyoner  Concil  v.  J.  1245 
bezieht  und  von  der  man  fast  annehmen  möchte,  dass  sie  von  Joh. 
Major,  dem  Poeten  der  Wittenberger  Universität  gekannt  und  in  seiner 
Synodus  avium  nachgeahmt  ist.  Wie  in  dieser  sind  auch  im  Pavo 
mit  den  Vögeln  bestimmte  Personen  gemeint.  Geschildert  wird,  wie 
der  Pfau  (der  Papst)  das  ganze  Vogelreich  zu  einem  allgemeinen 
Concil  einladet;  es  erscheinen  darauf  alle  Arten  der  Tauben  (die 
höheren  Kleriker),  Gänse  und  Enten  (Abgeordnete  der  Städte),  Sper- 
linge (niedere  Kleriker),  Raben  (Ghibellinen),  der  Hahn  (der  franzö- 
sische  König),    die   Elstern   (Weifen)    usw.,    nur   der   Adler    (Kaiser 


')  Nr.  25  bietet  also  eine  Analogie  zur  böhmischen  Rada  zwirat,  Nr.  26  zur 
Nova  rada,  vgl.  S.  121. 

*)  Die  Sprüche  von  Nr.  26  sind  ohne  Rücksicht  auf  die  Lücken,  über  welche 
der  Herausgeber  keine  Auskunft  giebt,  fortgezählt. 


123 

Friedrich  II)  erscheint  nicht.  Ihn  verklagt  im  versammelten  Concil 
der  Pfau,  fast  alle  Anwesenden  haben  über  ihn  Klagen  vorzubringen, 
und  trotz  des  Widerspruch«  des  Raben  und  der  Dohle,  die  allein  für 
den  Adler  eintreten,  beschliesst  das  Concil  den  Abwesenden  seiner 
Königswürde  verlustig  zu  erklären.  Darauf  ziehen  alle  Vögel  heim 
und  versammeln  sich  bald  darnach,  um  einen  neuen  König  zu  wählen. 

Das  zweite  Gedicht,  Chaucers  Vogelparlament  (Nr.  29),  ist  nach 
J.  Kochs  ansprechender  Vermutung  *)  gleichfalls  auf  eine  geschichtliche 
Begebenheit,  nämlich  die  Werbung  des  Königs  Richard  von  England 
um  Anna  von  Böhmen  i.  J.  1380  und  1381  zu  deuten.  Am  Valentins- 
tage, erzählt  Chaucer,  vereinigten  sich  vor  der  Göttin  Natur  alle 
Vögel,  um  sich  zu  paaren,  zu  einem  grossen  Concil.  Drei  Adler 
warben  zugleich  um  ein  Weibchen  (nach  Koch  eben  die  böhmische 
Anna).  Die  Göttin  befragte  deshalb  die  Vögelversammlung,  und  die 
Sprecher  der  einzelnen  Geflügelgruppen  tragen  ihre  abweichenden  Rat- 
schläge vor.  Schliesslich  entscheidet  die  dem  Wunsche  des  Weibchens 
nachgebende  Göttin,  dass  die  Freier  noch  ein  Jahr  sich  zu  gedulden 
haben  und  dann  das  Weibchen  selbst  wählen  dürfe. 

Das  dritte  Gedicht  (Nr.  28)  ist  das  dem  Ende  des  fünfzehnten 
oder  dem  Anfange  des  sechszehnten  Jahrhunderts  angehörende  Par- 
lament  of  byrdes  eines  unbekannten  Verfassers.  In  dem  Parlamente, 
zu  dem  die  Vögel  zusammentreten,  wird  gegen  den  Habicht  von  den 
gemeinen  Vögeln  (the  commons)  Klage  geführt  und  über  Mittel  zur 
Wahrung  des  Friedens  im  Vogelreiche  beraten.  Die  Formen  der  par- 
lamentarischen Verhandlung  sind  in  dieser  Dichtung  bis  in  Einzel- 
heiten hinein  angedeutet8). 

(Ursprung  der  deutsehen  Vogelsprachen.)  Während  die  älteren 
deutschen  Vogelsprachen  mit  dem  Pavo  und  den  beiden  englischen 
Vogelparlamenten  das  Motiv  eines  Reichstages  der  Vögel  gemein  haben, 
unterscheiden  sie  sich  von  diesen  durch  ihre  moralisch-lehrhafte  Tendenz. 
In  dieser  Beziehung  knüpfen  sie  an  eine  gewisse  Art  der  mittelalter- 
lichen Symbolik  an,  die  durch  Bildwerke  und  auch  litterarisch  bezeugt  ist. 

Die  Tugenden  und  Laster  waren  im  Mittelalter  von  jeher  beliebte 
Gegenstände  der  allegorischen  und  symbolischen  Darstellung  und 
moralischen  Betrachtung8).  Bildliche  Darstellung  fanden  sie  meist  in 
allegorischen  weiblichen  Figuren,  denen  als  Symbole  bestimmte  Tiere, 
Bilanzen   oder  andere  Gegenstände  beigefugt  wurden.    Es  kam  aber 


*)  Englische  Studien  1,  287  f. 

*)  Das  bei  Hazlitt,  Remains  of  Poetry  3, 187  ff.  abgedruckte  Gedicht  'Armonye 
of  birds'  gehört  nicht  hierher,  weil  es  ausser  Verbindung  mit  den  englischen  Vögel- 
parlamenten  steht,  im  übrigen  gleicht  es  den  oben  S.  115  genannten  deutschen 
Gedichten.  Vgl.  25  ff.  The  popyngay  Than  fyrst  dyd  say  Hoc  didicit  per  me, 
Emperour  and  kyng,  Without  lettyng,  Discite  semper  a  me.  There  fore  wyll  I  The 
name  magnify  Of  God  above  all  names;  And  fyrst  begyn  In  praysing  to  him  This 
song,  Te  Deum  laudamus. 

*)  Häufler:  Archiv  für  Kunde  österr.  Geschichts- Quellen.  Jg.  1850.  Bd.  2. 
S.  584. 


124 

auch  vor,  dass  die  allegorische  Figur  fortblieb  und  Tugenden  wie 
Laster  nur  durch  ihre  Symbole  angedeutet  wurden.  Für  die  Über- 
tragung solcher  Symbolik  in  die  Spruchdichtung  scheint  auch  eine 
mittelniederdeutsche  Spruchreihe,  die  noch  ungedruckt  ist1),  einen  Beleg 
zu  bieten.  Als  Symbol  der  Timiditas  erscheint  z.  B.  der  Hase  und 
spricht: 

To  manheit  byn  ik  io  vorzaghet 

Mit  dem  scrige  werde  ik  vorjaghet. 

Mit  besonderer  Vorliebe  wurden  aber  die  sogenannten  Haupt- 
tugenden und  Hauptlaster  zusammengestellt,  gewöhnlich  je  sieben,  nur 
ausnahmsweise  erscheinen  sie  in  der  Vier-  oder  Zwölfzahl.  Verschie- 
dene Symbole  jener  sieben  Tugenden  und  Laster  stellt  recht  über- 
sichtlich die  sogen.  „Note  wider  den  Teufel"  zusammen,  die  von 
Häufler2)  aus  einer  Handschrift  des  15.  Jahrh.  herausgegeben  ist. 
Die  nachstehende  Tabelle  giebt  daraus  einen  Auszug  der  Tiere,  die 
in  den  deutschen  Vogelsprachen  erscheinen.  Zu  bemerken  ist  freilich, 
dass  die  mittelalterliche  Symbolik  nicht  einheitlich  ist,  und  andere 
ihrer  Quellen  für  die  einzelnen  Tugenden  und  Laster  zum  Teil  andere 
Tiere  nennen.  Die  sieben  Haupttugenden  (vier  menschliche:  Pru- 
dentia,  Justitia,  Fortüttdo,  Temperantia;  drei  theologische:  Fidesy  Spes, 
Charitas)  und  die  ihnen  gegenüberstehenden  Laster  (Superbia^  Invidia, 
Ira,  Accidia,  Avaritia^  Gtda,  Luxuria)  sind  dagegen  meist  überall 
dieselben.     Die  Teufelsnote  stellt  etwas  abweichend  also  zusammen: 

Tugenden :  Laster : 

1.  Demut:  Greif.  1.  Hochfahrt:  Pfau,  Adler. 

2.  Keuschheit:  Einhorn.  2.  Unkeuschheit:  Schwalbe,  Sirene. 

3.  Mildthätigkeit:  Galander.  3.  Geiz:  Eichhorn. 

4.  Geduld:  Schwan.  4.  Zorn:  Sperber. 

5.  Liehe:  Pelikan,  5.  Neid:  Fledermaus. 

6.  Andacht:  Phönix.  6.  Trägheit:  (Esel). 

7.  Massigkeit:  Rabe.  7.  Gehässigkeit:  Fuchs. 

Die  älteren  Vogelsprachen  bieten  zu  dieser  Tabelle  eine  gewisse 
Analogie.  Auch  in  ihnen  handelt  es  sich  um,  wenn  auch  andere,  Tu- 
genden und  die  ihnen  entgegengesetzten  Laster.  Ferner  sind  die  Tu- 
genden und  Laster  mit  bestimmten  Vögeln  und  Tieren  in  Verbindung 
gesetzt. 

Wenn  die  Vogelsprachen  andere  als  die  oben  aufgezählten  Tu- 
genden empfehlen,  so  erklärt  sich  dieses  dadurch,  dass  es  sich  in  ihnen 
nicht  um  die  allgemeinen  menschlichen  oder  theologischen  Cardinal- 
tugenden,  sondern  um  die  Eigenschaften  eines  Königs,  also  um  fürst- 
lich-ritterliche Vorzüge  und  Fehler  handelt.  Darum  finden  in  ihnen 
Freigebigkeit  (mhd.  milde),  Kriegstüchtigkeit,  Gute  Wahl  der  Bedien- 
steten, Äussere  Würde,  Schutz  der  Armen  ihre  Stelle.  Die  wesent- 
lichsten   guten   oder   schlechten    Eigenschaften    eines    Fürsten    waren 


Grotefend,  Verzeichnis  der  Handschriften   der  Stadtbibliothek  Hannover 
(1844)  S.  2. 

*)  A.  a.  0.  S.  583  ff. 


125 

nicht  wie  die  christlichen  Cardinaltugenden  und  Laster  durch  eine 
herkömmliche  Zahl  bestimmt  und  beschränkt,  es  konnten  deshalb 
spätere  Bearbeiter  von  Vogelsprachen  nach  Belieben  neue  fürstliche 
Tugenden  und  Fehler  hinzufügen;  die  altertümlichste  Fassung,  die 
S.  1 1  neu  abgedruckt  ist,  legt  jedoch  die  Vermutung  nahe,  dass  nach 
Analogie  der  christlichen  ursprünglich  auch  sieben  fürstliche  Tugenden 
aufgestellt  waren. 

Derjenige,  der  die  kurzen  Ratschläge,  wie  ein  Fürst  sein  soll 
und  wie  er  nicht  sein  soll,  aneinandergereiht  und  durch  den  Gedanken 
einer  Beratung  des  Vogelkönigs  durch  seine  Reichsstände  sinnreich 
verbunden  hat,  schuf  eine  kleine  Dichtung,  die,  wie  diese  Abhandlung 
lehrt,  zahlreichen  Nachahmungen  als  Vorbild  gedient  hat.  So  an- 
sprechend nun  aber  auch  der  verbindende  Gedanke  war,  im  übrigen 
muss  die  älteste  der  Vogelsprachen  sowohl  was  ihren  äusseren  Umfang 
als  ihren  Gedankeninhalt  betrifft,  so  wenig  als  Dichtung  hervorragend 
gewesen  sein,  dass  sie  nur  einem  besonderen  günstigen  Zufalle  so 
vielfache  Nachahmung  verdanken  konnte.  Zur  Erklärung  drängt  sich 
eine  Vermutung  auf.  Wo  anders  kann  man  sich  jene  erste  Vogel- 
sprache besser  und  passender  denken  als  nach  der  den  Wandspruch 
liebenden  Sitte  des  späteren  Mittelalters  in  dem  Gemache  eines  Fürsten? 
Wie  später  die  Innsbrucker  Vogelsprache  (Nr.  9)  in  der  Stube  Kaisers 
Maximilians  auf  einer  der  Wände  zu  lesen  war,  so  mag  auch  die 
älteste  Vogelsprache  einst  das  Zimmer  eines  norddeutschen  Fürsten 
geschmückt  haben  und  dadurch  schnell  und  weithin  bekannt  ge- 
worden sein. 


12« 


Niederdeutsche  Vogelspraehe. 

(Ans  einer  Stockholmer  Handschrift) 

Die  unter  dem  Namen  der  'Jütischen  Sammlung'  bekannte  Stock- 
holmer Handschrift  enthält  S.  77 — 96  den  im  Jahre  1541  niederge- 
schriebenen Text  einer  niederdeutschen  Vogelsprache,  über  deren  Ver- 
hältnis zu  verwandten  Fassungen  oben  S.  106  ff.  gehandelt  ist.  Die 
Aufforderung  zu  Schluss,  einen  Vollen  (nämlich  dem  Vorleser)  zuzu- 
trinken, scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Dichtung  vorgelesen 
worden  ist1). 

Von  dem  handschriftlichen  Texte  gilt  dasselbe,  was  Jahrb.  8,  33 
von  der  aus  derselben  Sammlung  abgedruckten  'Guden  lere  van  einer 
juncvrowen'  bemerkt  ist.  Der  Schreiber  war,  wie  ausser  manchen 
Scandinavismen  viele  im  Deutschen  unmögliche  Formenbildungen  be- 
weisen, ein  Scandinave,  der  des  Deutschen  nicht  vollkommen  mächtig 
war  und  hoch-  und  niederdeutsche  Formen  nicht  auseinander  zu  halten 
wusste.  Bis  Spruch  20  bediente  er  sich  der  ihm  geläufigen  Current- 
schrift  des  Reformationszeitalters.  Später,  von  Spruch  21  ab,  zeigt 
die  Schrift  ein  etwas  altertümlicheres  Ansehen,  der  Schreiber  hat 
augenscheinlich  versucht,  die  Schriftzüge  einer  älteren  Vorlage  viel- 
leicht nachahmend,  in  der  Fraktur  zu  schreiben,  die  so  viele  Hand- 
schriften des  15.  Jahrh.  bieten.  Die  Sicherheit  der  Lesung  wird  durch 
die  oft  undeutliche  oder  zweideutige  currente  Schrift  sowie  auch  da- 
durch beeinträchtigt,  dass  die  n  oder  m  vertretenden  Striche  oft  über 
das  ganze  Wort  gezogen  sind  und  es  um  so  eher  ungewiss  bleibt, 
zu  welchem  Buchstaben  sie  gehören8),  als  die  Schreibung  auch  sonst 
willkührlich  n  m  u.  a.  Consonanten  verdoppelt.  Die  überflüssige 
Häufung  von  nn  und  auch  anderen  Consonanten3)  begegnet  übrigens 
seit  dem  Ausgange  des  15.  Jahrh.  auch  bei  vielen  Schreibern  Deutsch- 
lands, ist  also  nicht  ganz  der  Unkenntnis  des  scandinavischen  Schreibers 
zuzuschreiben,  doch  hat  dieser  mitunter  und  besonders  Vokale  gegen 
die  deutsche  Gewohnheit  verdoppelt. 

Der  handschriftliche  Text  wird  hier  im  getreuen  Abdrucke  wieder- 
holt, doch  ist  die  Setzung  der  Buchstaben  u  v  w  nach  heutigem 
Brauche  etwas  geregelt.  Ferner  sind  Besserungen,  welche  sich  durch 
Tilgung  von  Buchstaben  und  Worten  vollziehen  lassen,  durch  (runde) 
Klammern  angedeutet.  Fehlende  Worte  usw.,  die  Zusammenhang  oder 
Reim  erheischen,  sind  in  [eckigen]  Klammern  beigefugt.4) 


»)  Gerhard  von  Minden.    Einl.  S.  XII  f. 

*)  Z.  B.  über  fromen  (frommen  oder  fromenn)  Vorw.  13;  dsgl.  14  vornomen; 
12  menegen. 

*)  Z.  B.  spreckenn  statt  spreken,  toennite  statt  toente,  veüe  statt  vele. 

*)  Zu  besonderem  Danke  bin  ich  Herrn  Professor  K.  von  Bahder  ver- 
pflichtet, der  einen  Correcturabzug  mit  der  von  ihm  genommenen  Abschrift  der 
Handschrift  auf  meine  Bitte  freundlichst  verglichen  und  an  einer  Anzahl  Stellen 
berichtigt  hat. 


Hi 


12? 


[Vonrort.] 


Lir  begynd  uns  de  vogelesprache.  [S.  771 

Velle  nutts  mag  me  dar  ut  mackenn 

Und  nemen  dat  wol  in  den  synn, 

Wentte  velle  gudes  mach  et  briingen  in. 
5  De  oc  mitt  luste  wiill  na  gemacke 

Herenn  desse  vogelesprache, 

De  schal  thu  desser  schreffte  gaen 

Und  losse  dar  inde  syn  argefn)  wan. 

To  hannt  an  desser  sulwen  stunt 
10  Wertt  eme  desse  vogelesprache  kunt, 

Dar  he  woll  utt  op  syn  gewin 

Mach  theen  vel  mennegen  wisen  syn, 

De  unns  mach  komen  to  frommen, 

Also  ich  hebbe  woll  vornommen, 
15  Wentte  men  findt  vil  nuwir  wort, 

Dat  nicht  er  is  gehortt. 

Utt  desser  schreftt  mach  fme]  nemen,  [S.  78] 

Also  such  datt  woll  mach  temen, 

Dare  men  such  by  bedencken  mach 
20  Beiide  dag  und  nacht. 

Dar  umme  jewelicke  vromme  man, 

De  na  wijssheit  is  bestann, 

De  schal  by  desse[r]  schreffte  bliiwen. 

Utt  gansche[n]  vliit  saa  mach  he  schriwen 
25  Ann  syn  hertte  maniche[n]  wissefn]  syn, 

Den  desse  selwe  schriifft  holt  indt. 

Dat  uns  alle  datt  besehe, 

Des  helpfen]  uns  der  namen  dre(ij), 

Godt  vader  und  de(r)  sonne  meist 
30  Und  dar  to  de  helliige(n)  geäst! 

1.    De  pellieanas. 

Ic  bynn  ein  vogell  gar  wiisse,  [S.  79] 

Myne  kyndernn  ich  sulve  spiisse 

Mede  mynefn]  vlesche  un  myne[n]  blöde; 

Datt  de[dej  enn  andernn  vogel  node. 


Vorw.  1.  6.  10  spräche  mit  ch  statt  mit  k  wie  in  schinchen  16,  2  und  oft  in 
sich»  mich  usw.  —  8  inde  Scandinavismus  ztaü  mnd.  inne,  vgl.  dän.  inde.  —  syn 
ist  gleichwertig  der  Schreibung  synen,  der  scheinbare  Abfall  der  Accusativendung 
erklärt  sich  dadurch,  dass  das  e  derselben  ebenso  wenig  wie  heute  in  vulgärer  mnd. 
Rede  gesprochen  zu  werden  brauchte.  Im  15.  Jahrh.  wie  bei  guten  Schreibern  des 
16.  Jahrh.  fehlt  die  Endung  selten,  bei  schlecht  geschulten  im  16.  Jahrh.  dagegen 
sehr  häufig.  Ebenso  steht  Vs.  16  syn,  18,  4  en.  —  24  saa  'so'  Scandinavismus, 
ebs.  4,  3.  —  26  indt  desgl.  vgl  zu  Vs.  8. 


128 

2.    De  ffenhc. 

Ic  bynn  ein  vogell  nicht  gemene 
Unn  dode  mich  sulve  aleyne. 
So  dodett  such  sulwe  menich  man, 
De  syine  munde  nicht  rade[n]  kann. 

3.  De  swentee. 

Ich  kann  gansche  woll  vordowen 

Isernn  un  stoll  sunder  kowen, 

Aldus  verdowett  meniche  beriig  unnd  lannd, 

Da[tj  sie  komen  an  fromede  hantt. 

4.  De  blawefot 

Ic  berge  mich  hog  inn  den  luchten,  [S.  80] 

Darumme  ick  ander  yogel  nicht  darff  [vruchten]. 
Saa  [en]  darff  siick  oc  ein  iewerlich  man(s  vruchten), 
De  nicht  quade  hefft  gedann. 

5.  De  giilppe. 

Avende  spaade  un  mor(n)gen  vro 
Griip  ich  mett  myne[nj  klowen  thu 
Alzo  deitt  oc  de(nn)  geriige  mand, 
De  na  vromede  gode  is  bestann. 

6.  De  arnne. 

Mett  rade  schaltu  wessen  mylde, 
Uppe  dat  din  gutt  dy  nicht  en  wilde. 
We  syn  godt  nicht  holt  an  hode 
De  liidett  von  re[ch]tthe  grette  armode. 

7.  De  valcke. 

Ich  bynn  klein,  doc[h]  fruchten  mich  [S.  81] 

Ander  klein  vogel,  wore  ich  sy. 
Alsus  so  m0tt  menic  fromme  man 
Eyne[nJ  schalck  fruchten  wor  he  kann. 

8.  De  kariek. 

Dynen  vyent  holt  nicht  thu  ringe, 
So  mach  dy  woll  gelyngen. 
Wol  is  he  kleine,  lychte  wet  he  kunst, 
Dar  he  dy  mede  deiit  des  d0des  dunst. 

9.    De  sparwer. 

Ann  dogennt  schaltu  oven  ju, 

Dat  boret  herenn  un  furstenn  tu 

Un  andern  menen  luden 

De  such  vor  schände  wille[n]  behuden. 


ft,  2  stoll  'siaht  vgl  13,  4  goen.  —  3,  3  berig  lies  borg  vgl  25,  4  und 
Münchener  Vogelsprache  26, 4.  —  5, 3  mand  'Mann9  Seandin<m*inu*i 


129 


10.    De  ghk. 

Ic  en  achte  nicht  was  sie  klawen,  [S.  82] 

Wo  ic  vulle  myne[n]  klagen, 
So  deit  oc  de  geriige  man, 
De  na  pening[enj  is  bestann. 

11.     De  adeler. 

Twar  ich  wil  hoge  klymmen 
Und  vangefn]  mett  wiissen  synnen, 
So  deitt  en  jeuerlich  wiiss  man, 
De  na  godes  hulde  strewen  kan. 

12.    De  hasselhone. 

Menich  denckett  klene  up  den  dott, 
De  hyr  up  erden  hefft  vel  gut, 
Und  mott  dog  drade  an  grotte[r]  var 
Mede  wessen  an  der  deden  schare. 

13.     De  wlige. 

Menych  vacke  sulff  ander  geytt,  [S.  83] 

Up  datt  man  wette  wat  he  deiit, 
Und  machte  lewer  goen  alleyne, 
Wen  alle  des  0uel  ghemeyne. 

14.    De  radelwiige. 

Ic  bin  en  vogel,  de  gerne  bedrucht, 
Dar  ane  myne  mutter  nitt  ser  enluct. 
We  gerne  wiill  vremede  gud  werven, 
De  mut  vakene  quades  dodes  sterwen. 

15.    De  ule. 

De  scheneste  vogel  de  jerge  is; 
De  byn  ich,  des  siitt  wiis! 
So  dynket  such  menich(e)  schone  sin, 
Dem  nene(r)  schanheit  wanet  by. 

16.    De  stennulle. 

We  des  nachts  wil  velle  drinken  [S.  84] 

Und  nicht  mede  etthen  von  den  schinchen, 
Des  awens  [ghan]  an  des  ullen  vlucht, 
Dem  besteiit  gernne  de  wattersucht. 

17.     De  mewe. 

Ic  flutte  hir  uppe  dem  dycke, 
Eyn  jewerlick  sehe  synn  geliicke. 
De  such  better  duncket  wan  he  is, 
De  geckett  siich  sullwen  dat  is  wis. 


10,  1  klawen  lies  klagen.  —  10,  2  klagen  l.  kragen  oder  wie  Reimbüchlein 
1948  myne  magen.  —  13,  4  lies  ovet?  —  15,  3  lies  dunket.  —  16  Vgl.  Welt- 
sprüche Nr.  94  (Reimbüchlcin  S.  XXVII).  —  17,  2  sehe,  lies  soke? 

Niederdeutsches  Jahrbuch.    XIV.  9 


130 

18.  De  kr0nn. 

Ich  gaa  hir  uumme  mede  wiide  trede, 
Woll  emme,  de  dar  heff[t]  stede  wisse  rede. 
Welcher  man  de  der  nicht  heb[b]en  kan, 
Den  holt  man  vor  en  humpelman. 

19.  De  adetar.  [&  85] 
Ich  mott  roven,  dat  is  myn  artt; 

Van  rcrvende  schut  mennegheme  quat. 
Wolde  he  synn  revenntt  latten, 
Datt  mochte  im  under  tiiden  hatten. 

20.  De  wilde  swann. 

Dyne[n]  dott  ttovornen  betrachte(n). 
So  magstu  sterwen  sachte. 
We  datt  deytt  thu  rechtefr]  stunde, 
De  mach  such  qwiten  von  den  sunden. 

21.  De  tarne  swann. 

He  duncke  my  nicht  weßen  wys, 

De  dar  buwet  uppe  dat  ijes. 

Wente  wen  dar  kumpt  der  sunnen  glans, 

So  kan  dat  buwete  nicht  bliven  ghans. 

22.    De  pawc. 

Ik  byn  eyn  voghel  ghar  schone 

Und  draghe  uppe  mynem  hovede  eyne  kröne. 

Ik  byn  hoverdych  unde  trede  lijse,  [S.  86] 

Nemande  schal  duncken  to  gid  syne  wyse. 

23.    De  börnghans. 

Weß  hovesk  unde  dar  by  wyß, 
So  gheven  dy  de  lüde  prys. 
Spreck  vrowen  und  juncfrowen 
So  gheven  see  dy  hoghen  mod. 

24.  De  wilde  ghans. 

Myt  leckeren  gherichten 

Spyset  men  ryddere  unde  knechte. 

Mennych  man  wol  leckere  rechte  nemo 

Unde  vragede  klene  van  wenden  dat  se  qwemen. 

25.  De  tarne  ghans. 

Ick  und  alle  myne  ghenoten 
Vortheren  de  klenen  myt  den  groten. 
Alsus  kumpt  an  vromede  hant 
Mennych  slot  vnde  herenlanth. 


131 


26.    De  grawe  gfcans« 

Ick  bin  eyn  voghel  va[n]  schonenn  ghelate, 
Doch  men  hefft  myner  nenen  groten  baten. 
A18U8  varth  mennych  dorch  de  lanth 
Gar  schone  myt  synes  deves  hant. 

27.  De  wilde  aatii. 
De  enen  doden  schyten  drecht 
Unde  8yn  ghelt  an  böse  wyve  lecht, 

De  mach  dat  iummer  wesen  wys,  [S.  87] 

Dat  syn  arbeyt  halff  vorloren  ys. 

28.  De  tarne  anth. 

Ick  gha  hir  snateren  in  dem  drecke, 
De  my  bespotten  dat  synt  ghecke. 
Ick  mene,  dat  it  sick  nicht  en  themet, 
Dat  syck  en  synes  amptes  schemet. 

29.  De  ffoysan. 

Wultu  schulen  by  dem  hern, 
So  wes  dem  bussche  nicht  to  verne. 
Wente  dat  is  nu  der  heren  räd, 
Dat  alle  ere  synne  na  rovende  stad. 

30.  De  trappe. 

We  gherne  drinket  to  vullen, 

De  m8d  ock  vakene  dullen. 

Betere  were  id,  dat  he  druncke  to  mathe, 

So  levede  he  na  der  wysen  stade. 

31.  De  sappe. 

We  nycht  wil  sorghen  an  der  tiit, 
De  werth  gherne  der  eren  quiit. 
We  ock  sorghet  umme  der  zele  gud, 
De  is  wyss  und  dar  bii  vrod. 

32.  De  reygrher. 

Ick  wände  lever  by  dem  dycke 

Und  were  salych  und  da  bij  rike, 

Wan  uppe  ener  borch  hoghe 

Unde  hadde  eyn  quad  iar  uppe  dat  oghe. 

33.  Dat  raphon. 
Ick  leve  wol  van  myneme  ghude, 
Leckere  spise  ethe  ick  mytt  mode 

Und  drincke  dar  tho  den  kolden  wyn,  [S.  88] 

Dat  mSt  de  arme  lathen  syn. 

34.    De  urhane. 
We  mere  vorteret  wen  he  vormich, 
Den  sleyt  gherne  der  sorghen  slach. 

9* 


132 

Betere  were,  dat  he  terde  tho  mathe, 

So  en  dorffte  he  nycht  bydden  uppe  der  strate. 

35.  De  urhe[n]ne. 

Du  schalt  dy  then  van  velen  luden, 
Wultu  dyn  ruchte  an  eren  behuden. 
Mennyck  schynet  gudt  unde  is  doch  quath, 
Malk  see,  myt  weme  he  um[m]e  ghäd! 

36.  De  berehhane. 

We  tho  vele  wil  volghen  guden  ghesellen, 
De  mod  vakener  ghan  in  plunden  wan  in  pellen. 
He  vortheret  syn  gud  an  doren  wyse, 
Dar  umme  ick  ene  nicht  sere  en  pryse. 

37.     De  berchhen[n]e. 

We  gherne  to  laghe  myt  my  wil  drincke[n] 
Und  wil  nicht  gherne  myt  my  klincken, 
Des  lages  unde  syner  ick  wol  umbcre, 
AI  were  he  ock  enes  landes  here. 

38.    De  tarne  hane. 

Dorch  quade  lüde  schaltu  waken, 
Dat  sc  dy  nenen  schaden  makcn, 
Und  holt  dyn  gfid  an  steder  hude, 
So  deystu  seker  alzo  de  vrode. 

39.     De  tarne  hen[n]e. 

Ik  byn  des  nachtes  yuI  stede 

By  myneme  manne  myt  vrede. 

Dede  eyn  iewelik  wiiff  alzo,  [S.  89] 

So  mochte  ere  man  wesen  vro. 

40.  Dat  koken. 

Wultu  wesen  myt  gheraake, 
So  hebbe  an  dy  wysse  sprake. 
We  gherne  den  luden  spreket  quath, 
Nycht  ghudes  eme  dar  van  bestat. 

41.  De  dnffer. 

Wor  de  maghet  ovele  meth 
Unde  de  knecht  sijk  an  der  schrifft  vorghet 
Unde  de  werdynne  to  rekent  gherne, 
Dar  schal  men  vormy(n)de[nJ  de  thaverne. 

42.  De  dune. 

We  syn  hus  wil  hebben  suver, 
De  wäre  syck  vor  papen  unde  duven. 
De  duve  gheyt  schyten  umme  den  thrent 
Unde  de  pape  umme  sy[n]  serdent. 


42,  4  serdent  vgl  mhd.  serten  'stupraref,  surt  tstuprum\ 


43.    De  holtduve. 

Wol  eme,  de  dar  helft  sulken  stad, 
Dat  he  en  bedderve  wiff  had! 
De  mach  manck  bedderve  lüde  ghan 
Unde  vrolycken  syne  oghen  upslän. 

44.  De  riHgeldnne. 

Ach  du  bedrovede  hanreyghe, 
Ick  like  dy  enem  yulen  eyghe, 
Dat  is  mank  den  luden  ghar  unwerth, 
De  sulve  heyl  is  dy  ock  beschert! 

45.  De  tertelduue. 

Ick  yycke  men  den  enen  man, 
Dem  sulven  ick  alles  gheyles  ghän. 
Ghunde  mennich  wyff  erem  manne  alzo, 
Des  mochten  se  beyde  wesen  vro. 

46.    De  rordum. 

Id  is  be(s)t,  dat  ick  binde  mynen  naghe[l]         ts-  90] 
Vaste  tho  mineme  saghel, 
Wan  ick  umme  dat  ghesarde 
Wul  sere  gheslaghen  worde. 

47.    De  krickantii. 

Alle  man  schaltu  nycht  geloven, 

So  kan  dy  nen  man  bedroven, 

Wente  mennych  is  van  sulker  arth, 

He  spreket  wyth  und  menet  doch  swarth. 

48.  De  hegher. 

We  gherne  tho  losen  wiven  gheyt, 
Under  tijden  werth  em  eyn  slach  bereyth, 
Dar  um  he  alle  de  weken 
Möt  wessen  unthoreke. 

49.  De  specht. 

De  dar  hefft  enen  steneghen  acker 
Unde  eyn  wyff  myt  den  lenden  wacker, 
Deme  syn  dynck  denne  nycht  en  doch, 
De  hefft  ungheluckes  ghenäch. 

50.  De  karock. 
De  syn  echte  wyff  vorsmäd 

Unde  gheyt,  dar  he  ene  palluchen  had, 

De  deyt  alzo  der  dullen  swinen, 

Dat  gheyt  uthe  reynen  water  in  den  ron(t)sten. 


46,  3  vgl  zu  42,  4.  —  50, 2  hs.  palluchen  oder  pallunche?  ob  verschrieben  für 
hallunche?  —  60,  3  swinen  lies  swinen  en. 


134 

51.    De  nachtegal. 

Vil  mennich  man  lüde  synghet, 
Wan  me  eme  de  bruth  bringhet. 
Wüste  he,  wat  me  emme  brochte, 
Wat  he  wol  swyghen  mochte! 

52.    De  critae.  [S.  91] 

Wor  gherthels  wanet  in  deme  hus, 
Dar  m8t  de  werth  swyghen  so  en  mus. 
Is  id  dat  he  dat  jemande  claghet, 
Under  de  kisten  see  ene  iaghet. 

53.    De  ghele  vincke. 

Ach  god,  wath  id  dar  seidene  wolstad, 
Dar  dat  wiiff  de  brock  anne  had 
Unde  dar  de  man  is  ghehuvet! 
Nicht  ghudes  men  dar  vele  kluvet. 

54.    De  boekvincke. 

Wor  de  werth  grensen  ghad 
In  deme  huse  sunder  underläd 
Uppe  syn  wyff  unde  uppe  ynghesynde, 
Dar  is  seiden  wath  ghudes  inne. 

55.    De  graue  fincke. 

Dat  wyff  mach  wol  syn  vorraden, 
Dat  myd  eneme  quaden  manne  is  vorladen, 
Wente  se  kan  eme  spade  edder  vro 
Seiden  wat  tho  wyllen  don. 

56.  De  wylde  rave. 

Mennych  man  syth  tho  deme  bere 
Unde  weth  mer  rechtes  wen  ander  vere, 
Deme  doch  dat  recht  äff  gheyt 
Wanner  he  vor  dem  gherichte  steyt. 

57.  De  tarne  rare. 

Myn  here  unde  myn  vrowe  hebben  my  leff, 

Doch  byn  ick  van  nature  ein  deff. 

So  is  ock  mennych  man 

En  deff,  dem  men  wol  ghudes  ghan. 

58.  De  nachtrave.  [S.  92] 
Ick  Torderve  myn  liiff  myt  quatze 

Des  nachtes,  myt  drinckende  und  myt  vratze. 

So  deyt  ock  vil  mennich  man, 

De  des  nachtes  nicht  wil  to  bedde  ghan. 


52,  1  gherthels  l.  girehelse? 


135 

59.    De  andvoghel. 

Eyn  jewelick  hebbe  io  eyne  reyne  hant, 
So  mach  he  varen  dorch  de  landth, 
Ach  god,  wath  id  eme  ovele  stad, 
De  syne  hende  gherne  kleven  lad. 

60.    De  aleke. 

Eyn  iewelick  de  late  my  myt  ghemake, 
Wente  ick  hebbe  io  ene  dale  sprake. 
Wente  he  undertiiden  io  wath  beryth, 
De  den  andernn  nycht  myt  ghemake  leth. 

61.    De  kreyghe. 

We  des  morghens  vro  upsteyt 
Unde  dorch  lusten  spasseren  gheyt 
Unde  leth  na  ghades  kerken, 
De  wyl  der  boyen  orden  sterken. 

62.  De  heyyhester. 
We  smeken  unde  vorraden  kan, 
De  i8  to  have  eyn  werth  man. 
Wente  truwe  de  lydet  nu  n5t 
Ynde  de  ere  is  gheslaghen  döt. 

63.  De  papeghoyge. 

Underschedenheyt  in  allen  dinghen 

Mach  mennighen  groten  vramen  bringhen, 

We  dar  nycht  mede  umme  gheyt,  Iß-  931 

De  werth  gherne  yelen  luden  leyth. 

64.    De  kuckuck. 

Myn  name  is  wol  gekant. 
Myt  schalkheyt  wynt  me  mennych  land. 
Dar  umme  see  eyn  reuelyck  tho, 
Werne  he  love  spade  edder  vro. 

65.    De  wedehoppe. 

Ick  bin  [ein]  voghel  ghar  schone 

Unde  draghe  uppe  mynem  havede  eyne  kröne, 

Me  kan  my  anders  nycht  vorwyten, 

Men  dat  ick  myn  eghene  nest  besplyte. 

66.    De  wachtele. 

Myn  grote  ropent  unde  myn  schal 

Hefft  my  ghebrocht  an  ungheval, 

Dat  ick  hire  lygge  in  dem  nette. 

Dar  spreket  mennych  unde  sweghe  bette! 


60,  3  lies  jo  wedde  bere(de)t?  —  64,  3  reuelyck  lies  ieuelyck. 


136 

67.  De  drossele. 

Seidene  kan  he  weren  vrot, 

De  stede  dencket  vppe  grot  gfid. 

Wente  nement  wet  noch  dach  effte  nacht, 

Wo  langhe  syn  levent  waren  mach. 

68.  De  kaiander. 

We  myd  den  ghosefn]  drincket  to  laghe, 
De  schal  my  nycht  wol  behaghen, 
Doch  druncke  he  lever  den  kolden  wyn, 
Mochte  id  na  synen  wyllen  ghen. 

69.    De  zeddike. 

We  myt  my  wyl  ghan  tho  deme  wyne,  [S.  94] 

De  legghe  synen  pennynck  hy  den  mynen. 
Dat  do  he  snelle  sunder  wanck 
Edder  drincke,  dat  de  ghos  dranck. 

70.    De  stegelitze. 

Eyn  jewelyk  wyss  yrod  man 

Schal  tho  tijden  to  bedde(n)  ghan 

Unde  des  morghens  dene[n]  ghade  ghar  even, 

De  eme  lyff  und  zele  hefft  ghegheven. 

71.    De  gizyek. 

De  my  vruntlik  vor  mynen  oghen  ist 
Und  ment  my  myt  valscher  list, 
Den  wil  ick  iummer  enem  dwase  lyken, 
Dat  swere  ick  bii  gode  vam  hemmelrike. 

72.  De  buvynck. 

Ick  holde  ene  vor  enen  wysen  man, 
De  des  somers  so  vele  vorwerven  kan, 
Dat  he  des  wynters  hefft  syn  ghevoch. 
Wol  dem  ghennen,  de  dar  tho  doch! 

73.  De  lewerk. 

Ick  see  den  dach,  ick  wil  upstan 
Und  sen  wath  ick  to  schaffende  han. 
We  des  morgens  gherne  langhe  vulet, 
In  grotem  armode  he  dar  na  schulet. 

74.  De  spreen. 

Gude  selschup  fyn  unde  reyne, 

De  pryse  ick  vor  ener  fonteyne, 

De  ut  der  erden  dringhet. 

Eyn  schamel  herte  syck  sulven  dwinghet. 


68,  4  ghen  lies  sin.  —  71  gizyck?  vgl  75. 


137 


75.  De  ghele  ghirayek.  [S.  95] 
Offte  my  eyn  bove  myt  eneme  boven  schulde 

Unde  de  sulve  bove  nych  vor  my  en  ghulde 
Und  were  doch  ergher  bove  wen  ick, 
Des  sulven  boven  vordrote  myck. 

76.  De  nettelkonnynck. 

We  des  avendes  wyl  vele  drinckefn] 
Und  des  morghens  nycht  uppe  gade  dencke[n] 
Deme  were  id  beter,  dat  he  dat  lethe 
Unde  druncke  dat  water  uth  deme  vlete. 

77.    De  sperlinek. 
We  dar  vele  wil  borghen, 
De  käme  lever  morghen; 
Id  is  dallinck  de  dach, 
Dat  men  nycht  borghen  mach! 

78.    De  meseke. 

We  syn  gud  wol  waren  kan, 
De  mach  wol  syn  eyn  vrod  man. 
Wente  men  secht  myt  underschedenheyt: 
Eyn  iar  nycht  so  dat  ander  steyt. 

79.    De  terse. 

Ick  lope  hir  in  deme  grase, 

De  my  soken  dat  syn  dwase. 

Ick  dunke  em  na  und  byn  em  verne, 

Alsus  socht  mennych  syne  deme. 

80.    De  sTaleke. 

Vacke  hoghe  gheseten 
Und  dar  by  ovele  ghegheten, 
Dat  ys  eyne  tucht  to  have, 
Der  ick  nicht  sere  en  lave. 

81.    De  queekstert.  [S.  96] 

Ich  bin  hir  unde  dar  so  eyn  mfls 
Unde  wäre  gherne  enes  anderen  h&s. 
Doch  were  it  beter  al  sunder  kiiff, 
Dat  ick  bewarde  myn  eghea  wiiff. 

82.    De  rorsperlinck. 

He  mach  wol  syn  myt  körten  worden 
Eyn  broder  an  der  hanreygher  orden, 
De  dat  wol  weth  unde  doch  vordrecht, 
Dat  sick  syn  wyff  by  enen  andern  lecht. 


79,  3  em  'thnen'  dat.  ptur. 


138 

83.    De  hake. 

Kum  her  to  my,  myn  leve  man, 
Secht  mennych  wyff  up  losen  wan 
Unde  menet  dat  myt  deme  herten  nycht. 
Ach  god,  wo  vaken  dat  dat  schiebt! 

84.    De  vledermns. 

Alsunder  vedderen  ick  vlege. 
Mennyk  man  sorghet  vor  syne  weghe, 
Dat  he  dar  nycht  in  tymmeren  kan. 
Lychte  deyt  dat  wol  sin  kappellan. 

flnls  hutas. 

Hir  endyghet  syck  der  voghel  sprake. 
Eyn  iewelyck  wese  myt  ghemake 
Und  dryncke  my  enen  vullen  tho, 
So  mach  ick  drade  werden  vro! 


Niederdeutsehe  Vogelspraehe. 

(Aus  einem  Wiegendrucke.) 

Der  aus  der  Jütischen  Sammlung  S.  127  ff.  zum  Abdruck  ge- 
brachten Dichtung  steht  die  Vogelsprache  nahe1),  welche  die  Incunabd 
8.  a.  208  der  Hofbibliothek  in  München  bietet.  Dieser  Druck  umfasst 
acht  unbezifferte  Blätter  (14.  10  Cin.),  von  denen  das  erste  auf  der 
Vorderseite  nur  die  Worte  bev  Pogel  fprafe  bietet.  Die  Rückseite  ist 
leer.  Blatt  5a  trägt  unten  das  Bogenzeichen  b  \,  Blatt  8b  füllt  ein 
Holzschnitt:  Maria  mit  dem  Jesusknaben,  daneben  eine  zweite  Frau, 
oben  der  heilige  Geist  in  Gestalt  einer  Taube.  Druckort  und  Druck- 
jahr sind  nicht  genannt,  und  es  lässt  sich  nur  vermuten,  dass  der 
Druck  um  d.  J.  1500  die  Presse  verlassen  hat. 


Hyer  begynt  der  yogel  fyrake. 
1.    De  Netelenkonynck  fecht: 
We  vmbesehympet  mochte  fijn, 
He  droege  wael  ene  krönen  fijn. 
We  my  befeympet,  de  fe  vp  fick, 
Schande  weet  he  meer  wan  ick. 

2.    Boeckvyncke. 

Hannyp  eethe  yck  geerne. 

Dat  is  mannyge  fchone  deerne, 

De  gerne  wat  foetes  eet; 

Daer  van  wert  fe  yn  den  fyden  vet. 


*)  Vgl.  oben  S.  107  ff.  —  2,  1  hanip  'Hanftsamm)'. 


139 


Se  wolde  fick  gerne  vyncken. 

Nu  wal  hen!  mee  fued  daer  nemende  van  hyncken. 

3.    Adeber  offte  ftorck. 

Ick  en  fpaer  nicht  dijn  genote[n], 
Ick  fluke  de  lutteken  myt  den  groten. 
Dat  fteyt  al  in  mijn  gemote: 
Hunger  maket  mij  ro  bonen  wal  fote. 

4.    De  pauwe. 

Ick  byn  een  vogel  fchone, 
Dat  hebbe  ick  van  gode  to  lone. 
De  fchone  ys  vnd  daer  bij  gued, 
Och  wat  he  gode  leue  doet! 

5.    De  teere  off  fcryck. 

Ick  lope  yn  deme  graefe, 
Wee  my  foeken,  dat  fyn  dwafe; 
Ick  fchyne  na  vhde  byn  veere 
Und  make  mannygen  manne  eerre. 

6.  De  hege[r]  off  maerkloff. 
We  vele  wyl  legen 

Unde  fyck  daer  vp  dreegen 
Unde  ys  daer  by  valfch  vnd  fpee, 
Och  welck  een  fcalck  is  he! 

7.  De  lunlnek  off  mnffche. 

Ick  nefte  in  de  hufe 

Bij  ratten  vnd  bij  mufe. 

We  myt  dem  anderen  wil  inne  wefen, 

De  moet  behende  breue  lefen. 

8.  De  karock. 
Hoge  torne  vnd  klockenklanck, 
To  groten  fchepen  roder  lanck, 
To  qwader  reyfen  gude  wege, 
Den  quaden  wijuen  grote  flege! 
We  vele  wil  vnnutte  klaffen, 

De  mochte  leuer  holden  fine  blaffen; 
Men  mach  fynre  nicht  geerne  lijden, 
Daer  vmme  moet  he  de  felfchop  mijden. 

9.  De  kreghe. 

We  des  morgens  vroe  vpftaed 
Und  gode  nycht  vor  ogen  en  had, 


2,  5  sik  vinken:  In  Holstein  und  Ostfriesland  heissen  die  Sperlinge  Finken 
und  braucht  man  das  Verbum  'finken'  für  'nach  Sperlingsart  der  Liebe  pflegen'. 
—  8,  6  Entweder  ist  sin  zu  bessern  oder  ein  sonst  unbekanntes  Substantiv  blaffe 
anzunehmen. 


140 

Wo  vele  te  lenger  wert  em  de  dach, 
Wo  he  den  ouerbrengen  mach. 
So  hefft  [he]  noch  den  langen  morgen 
Nycht  vele  guder  verworuen. 

10.    De  aent  fpreckt: 

Ick  fnater  in  deme  drecke, 
De  my  befchympen  dat  fyn  gecke. 
Int  ynreyn  foeck  ick  mijne  fpijfe, 
Gelijck  [do]  een  ander  na  fyner  wijfe. 

11.    De  kryekant. 

Waer  dat  ys  een  aftorich  weert 

Und  vele  kynder  vmme  den  hert, 

De  frouwe  nycht  wyl  koken,  dat  men  eet, 

Unde  de  maget  luttick  in  de  kanne  met 

Unde  daer  to  rekent  gerne, 

Dat  maket  fnel  een  wofte  tauerne. 

12.    De  haue. 

Ick  bijn  een  vogel  by  nachte, 
De  tijd  ick  vorwachte. 
Mannich  ver wachtet  fyne  tijde, 
Nochtan  wert  he  leiden  blijde. 

13.    Dat  hoen. 
Heer  weert,  wefet  guden  hoghen, 
Wan  ghij  enen  guden  vrunt  hebben  mögen 
In  guden  reden  funder  fchaden, 
Meer  hodet  iv  vor  den  quaden! 

14.    De  gaes  oflte  gans. 

Durbaer  koftelijke  rijke  vnd  flechte, 
Papen,  rydder,  heeren  vnd  knechte, 
Deer  ys  vele,  de  geerne  nemen, 
Und  achten  nicht,  waer  yd  her  queme. 

15.    Dat  waterhoen. 

We  des  auendes  vele  wyl  drincken 

Und  des  morgens  vp  god  nycht  dencken, 

Ick  wolde,  dat  he  yd  lete; 

He  mochte  leuer  dryncken  vth  den  vlete. 

16.    De  mefe. 

Ick  nefte  hijr  yn  dat  reet, 

Dat  bedudet  fo  vele  als  een  fcheet. 

Wan  dat  reet  wert  äff  gehouwen, 

So  moet  ick  vp  een  ander  ftede  bouwen. 


9,  3  te  lies  de  'desto'.  —  11,  1  lies  asturich. 


141 

Dat  ys  mij  en  grot  fchade, 
Mer  de  narow  ys  to  fpade. 

17.  De  zedyek. 

Seeder  dat  yd  waert, 

Dat  men  papen  wijgede  vngelaert 

Und  lüde  te  rydder  floch  funder  gebort 

Und  blote  kutten  fchoer, 

Heefft  fick  de  werlt  feer  verkart. 

18.  De  swale. 

Ick  byn  een  vogel  fnel, 

Des  kenne  de  frouwe,  wan  fe  wyl! 

Des  morgens  fpreke  ick:  wriff  in!  wriff  in! 

Alfo  fta  yck  in  der  frouwen  fyn. 

19.  Papegoye. 

Synt  dat  papen  vogede  weren, 
Monyke  hulpen  fick  vth  den  ordcn, 
Landes  heern  nicht  bleuen  bij  worden, 
Synd  is  de  werlt  feer  verfoerden. 

20.  De  spray. 
Gude  gefelfchop  reyne 

De  prijfe  yck  voer  alle  fonteyne; 

Alfe  dat  water  vth  den  bergen  drinckt, 

Et  ys  mannich  man,  den  fijn  eere  dwynckt. 

21.    Yekntmp  off  rordomp. 

Ick  ligge  in  den  rore  bedouen 

Und  hebbe  den  yungen  in  dat  water  fchouen, 

Ick  fpreke:  dum  dum  ledich  gaen, 

Wo  een  yflich  dat  fchal  verfmaen. 

22.    De  duker. 

Ick  duke  in  dat  water  fnel. 
We  den  wyuen  vele  feggen  wil, 
Dat  ys  euen  alfo  befloten, 
Alfe  water  in  een  feue  goten. 

23.    De  fchuluer. 
Ick  duke  in  den  grund 
Unde  fluke  enen  ael  in  minen  munt. 
Eer  ick  en  hebbe  vp  gefloken, 
Is  he  my  achter  vth  gekropen. 

24.    De  mewe. 

Ick  vyffche  bij  dem  dijke, 
Eyn  yflick  vryge  fynen  gelijke. 


21  Tckrump  Ues  Iprump. 


142 

We  ück  beter  holt  wan  he  is, 
De  gecket  fick  fuluen,  dat  is  wis. 

25.    De  leppeleer. 

Ick  hebbe  enen  nybben  als  eyn  lepel, 
Eyn  yflick  hebbe  enen  lijken  fchepel; 
Met  he  nicht  myt  truwen, 
Dat  wil  em  lange  rouwen. 

26.  De  reyger. 

Hoge  gefeten:  ouel  gegeten! 

Dat  is  eyn  ydel  eere,  i 

Deer  ick  wal  entbeere.  j 

Ick  woende  leuer  by  dem  dijcke 

Und  weer  falich  vncfe  rijcke,  j 

Dan  (ick)  vp  eyner  borch  hoge  I 

Und  hadde  een  quad  iaer  vpt  oge. 

27.  De  egelter. 

Waer  twe  litten  in  eenen  gelage 
Unde  beginnen  mannyge  vrage, 
De  moten  mannich  werff  feer  legen, 
Schall  de(r)  eene  den  anderen  bedregen. 

28.    De  waehtele. 

Mijn  ropen  vnd  mijn  fchalle[n] 
Heft  mij  gebracht  to  vngeualle, 
Dat  ick  fij  komen  in  dat  nette. 
Dat  fpreckt  mannich,  he  fwege  bet! 

29.    De  worgeL 

Ick  weet  dynck,  der  fynt  veer: 

Dobbelen:  fchijten:  fpijen:  kyuen  in  den  beer. 

Wan  ick  guden  hogen  wil  blijuen, 

So  wyl  ick  leuer  fpijen  dan  kijuen. 

30.    Strues. 
Ick  byn  een  yogel  vnd  kan  verduwen 
Iferfn]  vnd  ftael  funder  kuwen, 
So  deyt  mannich  borch  vnd  lant 
Und  blijfft  in  groter  forgen  bant. 

81.    Aeren. 
Wes  myt  rade  mylde, 
So  wert  dij  dat  goed  nicht  wilde. 
Biftu  nicht  mylde  bij  raede, 
Dat  rouwet  dij  to  fpade. 


26,  1  Das  Kolon  bietet  hier  wie  29,  2  bereits  der  Druck. 


143 

32.    De  uahke. 

Hoge  geflogen,  fijde  dalt, 
Daer  wert  wijfheyt  vth  gehaelt. 
En  wem  de  dorn  nergen, 
We8  wolden  fe  fick  dan  bergen? 

33.  Boemraleke. 

See  to  wijflijcken, 

Dattu  konneft  fachte  flijcken. 

Wanne  du  bij  houeflche  frouwen  litten  gaeft, 

Unbefchympet  du  nicht  bij  en  vp  en  ftaeft. 

Wij  houelude  laten  nummende  nycht, 

Doch  ys  vns  de  taffche  licht, 

Wij  geuen  mannigen  vnfe  spijfe  to  allen  malen, 

So  moten  fe  dat  doch  weder  betalen. 

34.  De  hauyek. 

Ick  roue  dorch  de  noet; 
Rouede  ick  nicht,  fo  wer  ick  doet. 
We  dorch  noet  wert  mifdedich, 
God  fy  der  zelen  genedich! 

35.  De  wUgge. 

Ick  byn  een  vogel  nicht  alte  wert, 

Des  ys  mannich  hoen  vor  mij  veruert. 

Ick  flege  bij  der  eerden  neder, 

Wat  ick  kryge,  dat  en  wert  nemende  weder. 

We  fick  myt  fchemede  wil  beergen, 

De  moet  hyer  vnd  daer  herbergen. 

36.    De  raoe. 

Rouen  vnd  weder  geuen  nicht, 
Dat  ys  yo  des  rouers  plicht. 
Eet  allene,  wattu  hast 
Und  bydde  nummer  nynen  galt! 

37.    De  trappe. 

Mannich  man  hefft  enen  ftenegen  acker 
Und  fijn  wyff  myt  -dem  eerfe  wacker 
Und  ene  ftumpe  ploech 
Unde  eme  fijn  dynk  nicht  en  doch. 
Uorwaer  de  hefft  vnluckes  genoch! 

38.    De  wedehoppe. 

Ick  byn  een  vogel  fchone, 

Ick  drage  vp  mijnen  houede  ene  krönen; 

Mer  fee  an  mijn  neft, 

Unreynicheit  duncket  mij  beft; 

Men  kan  mij  nicht  verwijten, 

Men  dat  ick  in  mijn  egen  neft  fchijte. 


144 

39.    Kickuek. 

He  is  wijs  vnd  wal  gefynnet, 
De  des  fomers  fo  vele  wynnet, 
Dat  he  fick  des  wijnters  bedraget. 
Na  deme  wijfen  he  deme  vraget. 

40.  Specht 
Ick  houwe  an  den  boem, 

Dat  bedudet  fo  vele  als  een  droem. 
We  vele  doet  vnd  nycht  verfteyt, 
Dat  is  verloren  arbeit. 

41.  Yfenbot. 

Suy  nicht  an  een  fchone  kleyt, 
Want  ick  dat  vorwaer  weet: 
Mannich  is  gekledet  fo  een  docke 
Und  is  doch  valfch  in  eren  rocke. 

42.  De  duue. 

We  fyn  huis  wil  holden  suuer, 
De  hode  lick  vor  papen  vnd  duuen. 
De  duue  fchijt  vmme  den  trent, 
De  pape  em  fijn  dochter  mynnet. 

43.  Tortelduue. 

Ick  flege  vp  enen  foren  twijch,  ' 

Sunder  gallen  byn  ick  rijck. 

Eyn  yflick  frouwe  heft  enen  man, 

Deme  se  wal  van  herten  gan. 

Hefft  se  dan  enen  anderen  leeff 

So  fchrijfft  me  fe  in  den  horenbreeff. 

44.  De  swane. 

He  en  duncket  mij  nicht  wijs, 
De  daer  bouwet  vp  dat  ijs; 
He  mach  daer  anne  verlefen, 
Et  en  wil  altijt  nycht  frefen. 

45.  De  krane. 

We  daer  wyl  vyffche  meygen 

Und  an  fynen  acker  ftene  fegen, 

Und  [de]  den  doden  fchijten  drecht 

Und  fyn  gelt  an  hören  lecht: 

Des  biftu  feker  vnde  wis,  \ 

Dat  yd  al  te  male  verloren  is.  i 

46.  Nachtegale. 

Ick  mach  frolick  fyngen, 
Nu  gij  mij  de  brud  bryngen. 
Och  wifte  ick,  wat  gij  brochten, 
Wat  ick  wal  fwijgen  mochte! 


145 


47.  De  wedewale. 

0  hogefte  manck  den  luden, 

Kanftu  dij  nicht  behuden? 

Byftu  gud,  dat  wert  wal  fchijn; 

Wes  du  wat  (vnde),  laed  enen  andern  ock  wat  fijn. 

48.  De  lewerlck. 

De  dach  kan  mij  nycht  verbliden, 
Ick  danck  gode  to  allen  tijden, 
Er  de  funne  vp  geyt  vnd  in  golt; 
So  is  mijn  nerynge  manichuolt. 

49.    De  syfeck. 

Ick  byn  eyn  vogel  fchone 

Und  fynge  vth  foter  done. 

Daer  vmme  dat  ick  wal  fyngcn  kan, 

Des  hebbe  ick  enen  guden  kumpaen. 

Dat  machftu  duden  langes  offte  dwers, 

Eyn  fchoen  angefleht  verkoft  enen  vulen  ers. 

50.  De  quekeltert. 

Wan  my  mijn  dinck  doet  wee, 

So  bynde  yck  yd  leuer  to  deme  dee, 

Eer  yck  dat  foerde, 

Dat  mij  na  verweten  wordc. 

51.  De  nledermuys. 

Ick  byn  eyn  vogel  verfchapen. 
Hoed  dij  vor  den  ftrijpeden  papen! 
Des  auendes  wan  yck  vth  flege, 
So  geyt  de  pape  na  fynen  leue. 
Ick  flege  vth  myt  den  vnwerden, 
De  yagen  fe  mij  myt  den  fwerden 
Unde  holden  mij  vor  enen  geck, 
Noch  ethe  ick  yo  enes  anderen  fpeck. 

52.    Mugge. 
We  inij  de  äderen  wolde  flaen, 
De  mofte  een  klene  flete  haen; 
De  mofte  wefen  kleine, 
Off  he  tobreke  mij  de  beyne. 

Deo  gratias. 

Concluflo. 

Hyer  endet  fyck  der  vogel  fprake, 
De  nicht  en  fpreken  funder  fake. 
Nyemant  wil  fick  to  wijfheyt  keeren, 
So  moten  em  de  vogel  leeren. 


48,  3  in  golt  (seil  geyt)  'untergehen'  vgl  to  golde  gän  Mnd.  Wich.  2,  132. 

Niederdeutsches  Jahrbuch.    XIV.  10 


146 


Hochdeutsche  Vogelsprache. 

(Aus  einer  Wiener  Handschrift.) 

Die  oberdeutsche  Vogelsprache,  welche  der  von  frater  Johannes 
Hauser  plebanus  (f  154S)  geschriebene  Codex  Nr.  4117  der  Wiener 
Hofbibliothek  (vgl.  Tabulae  cod.  ms.  in  bibl.  Vindob.  3,  163)  auf  Bl. 
38 — 43  bietet,  stimmt,  wie  bereits  oben  S.  109  bemerkt  ist,  im  Wort- 
laute mit  der  Vogelsprache  in  der  Fichart'schen  Handschrift  fast 
überein.  Der  WTiener  Text  weicht  jedoch,  auch  abgesehen  von  der 
verschiedenen  Reihenfolge  der  Sprüche,  dadurch  ab,  dass  er  einige 
überschüssige  Strophen  (Nr.  2.  8.  12 )  und  die  dem  andern  Texh1 
mangelnden  Namen  der  redenden  Vögel  überliefert.  Nach  einer  für 
mich  freundlichst  angefertigten  Abschrift  sei  hier  als  Probe  eine 
Anzahl  Strophen  mitgeteilt.  Die  handschriftliche  Überschrift  lautet: 
Hye  vahent  sich  an  manigerlay  vögel  rat,  dy  da  ratent  guts  vnd 
pöses  noch  irer  aygenschafft  vnd  natur  wie  sich  ain  kunig  oder  herre 
halten  sol  in  seiner  regierung.  Zu  Wort  kommen  folgende  Vögel: 
Küniglein,  Wachtel,  Gans,  Rabe,  Adler,  Sittich,  Wiedehopf,  Eule. 
Falke,  Distelfink,  Auerhahn,  Kranich,  Habicht,  Gcislein  (?),  Sperber, 
Blaufuss,  Storch,  Elster,  Lerche,  Pfau,  Parnhaklein  (?),  Meise,  Wint- 
wähel  (Rötelweihe),  Geier,  .  .  .  (?),  Sperling,  Luersvogel  (?),  Henne, 
Eisvogel,  Kukuk. 


1.    Des  küniglcins  pegeren: 

Nun  nembt  ir  herren  alle  rat, 
Daz  ir  mein  eren  wert  [l.  ncraet]  war 
Vnd  daz  mein  landt  in  frewden  sey 
Vnd  von  laster  werde  frey; 
Vnd  ratent  mir,  wie  daz  ich 
Alczeyt  pebar  mein  kunigreich! 

2.    Der  wachtel  rat: 

Du  solt  alczeyt  geren  gelten 
Vnd  der  hoctiffart  phlegen  selten, 
Dar  zw  solt  du  dich  masse[n], 
Das  dich  dein  gut  nit  lasse. 
Auch  schlaff  nit  zevil  in  trakayt 
Vnd  halt  treulich  deinen  ayd. 

3.    Der  gans  rat: 

Du  solt  alczeyt  in  deinen  raysen 

Verderben  witib  vnd  waysen, 

Prennen,  stelen  vnd  rauben  sere, 

So  furcht  man  dich,  daz  ist  mein  lere. 

Vnd  ob  du  kumbst  vmb  dein  krag 

So  schrey  ich  desder  lautt[er]  ga  ga  ga  ga. 

4.    Des  raben  rat: 
Stelen,  rauben,  prennen  sey  dein  spil, 
So  dyenen  dir  gutter  gesellen  vil, 


Dy  zw  solichem  schimpff  gehören 
Vnd  sich  mit  solichen  eren  neren, 
Als  des  wolffs  gwanhait  ist. 
Das  rat  ich  dir  in  kurezer  frist. 

5.    Des  adlers  rat: 
Man  sol  geben  waz  man  geben  sol, 
Daz  czimbt  euch  vnd  allen  herren  wol, 
Milt  sein  vnd  nach  staten  geben 
Vnd  alezeit  nach  gotlichen  eren  streben. 
Vnd  rieht  den  armen  alz  den  reichen, 
Das  stet  wol  vnd  ist  herleichen. 

6.    Des  sithichs  rat: 
In  allen  deinen  raysen 
Peschirm  witib  vnd  waysen; 
Auch  fleuch  neyd  vnd  poses  gut, 
Sy  verkern  recht  vnd  weysen  muet; 
Vnd  gedenk  der  guten  tat, 
Dy  got  vmb  dich  geliten  hat. 

7.    Des  wiethopffen  rat: 

Piss  vnrayn  herre  zw  aller  frist, 
Thu  alz  ich  scheyss  in  mein  genist, 
Treyb  schant  vnd  posshait  vil, 
Daz  ist  yeezund  der  herren  spil, 
Vnd  welich  das  nun  wol  kan. 
Den  helt  man  für  ainen  weysen  man. 


147 


8.  Der  eylin  rat: 

Herre  da  solt  dich  von  danne  ziechen 
Vnd  alczeyt  dy  herren  fliechen, 
Dy  iren  rat  also  geben, 
Tag  vnd  nacht  nach  eren  streben, 
Herre  volig  den  andern  vnd  mir, 
So  mugen  wir  gut  gewinnen  schir. 

9.  Des  falken  rat: 

Mit  krafft  deinen  veinten  thu  widerstandt, 
So  machst  du  frid  vber  alle  landt, 
Vnd  schön  here  deiner  vndertan, 
Daz  nit  nemb  schaden  frau  vnd  man; 
So  hilfft  dir  got  in  aller  weyse, 
Daz  du  pehaltest  den  preyse. 

10.    Des  tistelvogel  rat: 

Zw  vil  schweygen  ist  nit  gut, 
Vbennässig  klaffen  schaden  thut, 
Wanne  wer  vil  klafft  der  muess  lyegen, 
Dar  vmb  solt  du  dy  klaffer  fliehen. 
Auch  ain  lugenhafftig  mund 
Verdambt  leyb  vnd  sei  zw  aller  stund. 

11.    Des  orhannen  rat: 

Herre  du  solt  nyemant  lassen 
Zw  feld  oder  an  der  Strassen 
Öder  wie  du  sy  machst  ergagn 
Klain  vnd  gross  pey  irem  kragen; 
Parmhcrczikayt  solt  du  legen  zeruk 
Vnd  sew  dester  pass  perupff. 

12.    Des  kraiiigs  rat: 

Herre,  wil  du  in  eren  leben, 
So  lass  dein  hercz  in  hochfart  streben, 
Wan  mit  hochfart  lugen  vnd  listen 
Pringt  man  dy  pfennig  von  den  kisten. 
Dar  vmb  treug  vnd  leug  an  alle  wer, 
So  voligt  dir  nach  ain  gross  her. 


13.    Des  habichg  rat: 

Herre,  da  solt  warhafftig  sein 
In  tugent  ker  dy  synne  dein, 
So  machstu  wol  mit  eren 
Sten  vor  fursten  vnd  herren, 
Piss  den  frumen  leuten  gut, 
Den  posen  trag  strengen  mut. 

14.  Des  geysleins  rat: 

Dem  armen  tayl  mit  dy  speys  dein, 
So  wirt  dy  gottes  huld  scheyn, 
Vnd  hab  dar  pey  parmherczikayt, 
So  wirt  dir  lob  vnd  ere  gesayt 
Vou  armen  vnd  von  reychen. 
Das  gelaub  mir  sicherleichenl 

15.  Des  sparbers  rat: 

Gross  gut  darffst  du  wol  herre. 
Dar  nach  stell,  daz  ist  mein  lere, 
Vnd  sain  zw  hauffig  dy  phennig  schir, 
Wie  sy  dir  mugen  werden  daz  rat  ich  dir, 
Das  wir  da  von  wol  mugen  leben 
Vnd  kurczweyl  da  von  phlegen. 

16.    Der  krau  rat: 

Ich  wolt  pey  meinen  eren, 
Daz  dy  herren  peschayden  weren 
Vnd  ryetten,  alz  sy  pileich  solten; 
Zwar  es  wirt  in  wol  vergolten. 
Dar  vmb  ratens  alz  sy  sind, 
Aber  an  iren  eren  sind  sy  plind. 

17.    Des  plabfness  rat: 

Stetter  mutt  sol  dir  wonen  pey, 
So  magst  du  leben  sorgen  frey, 
Vnd  piss  den  guten  haymleich, 
So  pleybt  in  eren  dein  kunigreich, 
Wan  mit  den  guten  wirst  du  gut, 
Dy  poss  geselschafft  schaden  thut. 


18.    Des  storchen  rat: 

Mein  herre  hat  zwayer  hendt  rat, 
Lass  sehen  au  welich  er  stat, 
Der  armen  vnd  der  reychen. 
Ich  sag  euch  sicherleychen, 
Vnd  thut  er  nach  der  posen  rat, 
So  wirt  er  mit  den  posen  quat. 


BERLIN. 


W.  Seelmann. 


10* 


148 


Zum  Sündenfall. 

V.  169.   Alles  dinges  wil  ek  wol  erwcrven, 
Nein  dink  kan  me  vor  my  sparen. 

V.  169  ist  mit  Herstellung  des  reinen  Reimes  folgendermassen  zu 
bessern : 

Alles  dingen  bin  ek  wol  vorvaren 

'Jedes  Dinges  bin  ich  kundig,  und  nichts  kann  man  vor  mir  ver- 
heimlichen.' 

204.    Och  wan  se  it  alle  recht  verstoiden 
Wu  leftiken  wy  se  broiden 

broiden  erklärt  Schönemann  als  „hüten",  das  Mnd.  Wb.  durch  „mit 
Brod  versehen";  es  ist  aber  wohl  aus  hehoiden  'behüten'  entstellt, 
vgl.  V.  202. 

251  ff.  sind  folgendermassen  herzustellen: 

Alm  echtige  seipper,  hör  dinen  kor, 

dede  virtutes  is  genomet, 

dede  nicht  en  staden,  diu  we  verdorrtet 

werde  van  jennigen  creaturen, 

De  wy  virtutes  behoden  unde  bescuren. 

Statt  staden  'verstatten,  zulassen',  das  sich  auch  V.  655  findet,  liesst 
der  Herausgeber  scaden,  was  keinen  Sinn  gibt.  Es  liegt  augenscheinlich 
Verwechslung  von  t  und  c  hier  wie  auch  sonst  öfter  vor. 

258  ist  zu  lesen:  Virtutes  dat  sint  dogede.  Seh.  liest  mit  der 
Hs.:  de  gode. 

652  ff.  ist  zu  lesen: 

Owe  owc  uns  armen  doren, 
Dat  wy  ju  worden  also  dul, 
Dat  wy  alsodene  vorgiftigen  mül 
Toleten  (Hs.  To  leren)  unde  staden. 
1102.   Here,  ik  wil  dusse  veste  (das  Paradies) 
Bescermen  unde  behoden. 
Or  scal  sik  hir  nein  mer  ütfoden. 

ütfoden  wird  durch  „ausruhen"  erklärt,  es  ist  aber  zu  trennen:  ut 
faden.     „Ihrer  niemand  soll  sich  hieraus  ernähren." 

1108  ist  zu  lesen:  Nu  is  vorternt  min  leve  here. 

1140  hat  die  Hds.  richtig:  Wat  mach  ik  arme  nu  ane  gän?  'Was 
soll  ich  nun  anfangen?'     Seh.  schreibt  unverständlich  War  mach  u.  s.  w. 

1150  lies:  lk  bin  io  dyn  gegeven  früe. 

1171  Wy  hauwen  hen  in  godes  namen  kann  nicht  richtig  sein, 
es  ist  thauwen  'eilen'  zu  schreiben. 

1244  ff.  spricht  Cain  seine  Verwunderung  aus,  dass  Gott  Abels 
Opfer  vor  seinem  'ausgesondert  hat',  und  fährt  dann  fort:  Gd  tcy, 
dat  wy  dar  vorder  van  reden     Abel  antwortet  1250: 

Leve  broder,  deit  dik  des  wol  neden? 
Du  sust  my  also  grimmigen  an, 
Dat  ik  kume  dar  mit  dy  gän. 


149 

So  Schönemanns  Text,  die  Hs.  hat  dat  ik  st.  deü  dik.  neden  wird  im 
Glossar  durch  Neid  erregen  erklärt,  während  es  V.  2256  und  3491 
unzweifelhaft  die  Bedeutung  'wagen,  sich  erkühnen'  hat.  Auch  das 
Mnd.  Wb.  3,  168  fuhrt  diese  Erklärung  an,  lässt  jedoch  die  Mög- 
lichkeit offen,  dass  es  auch  an  dieser  Stelle  gleich  dem  alts.  nädhian 
sei;  L.  übersetzt  deit  dik  des  wol  neden?  durch  „Macht  dich  das  so 
trotzig?"  Es  ist  zu  schreiben:  Dar  ik  des  wol  neden  'Darf  ich  das 
wohl  wagen?' 

1559  ist  nach  1441  ff.  zu  verbessern: 

Den  (Baum)  sach  ik  also  langen. 

Dar  ein  eislik  stange 

In  lach  io  hope  gewunden. 

1659  lies:  Unde  dö  so  weil  .  .  .  Über  die  Höflichkeitsformel  ddt 
wol,  'seid  so  gut'  Tgl.  Müller  im  Mhd.  Wb.  3,  135,  43;  Mnd.  Wb.  1, 
537,  41. 

1665  lies:  Ik  bidde,  dat  gy  nicht  to  en  (d.  h.  'ihn')  decken. 

1761  f.  ist  zu  lesen: 

Umme  der  sunde  willen,  schaltu  denken, 
Schulten  aÜe  creaturen  drenken  (Hs.:  krenken) 

Über  drenken  'ertrinken'  s.  Mnd.  Wb.  1,  572,  5. 

1776.    So  grote  gnade  liefst  du  gedän 
Uns  armen  creaturen, 
Dat  wy  in  aussen  schüren 
In  dinen  gnaden  leven. 

Seh.  erklärt  schür  als  'Schauer,  Regenguss'  und  auch  das  Mnd.  Wb. 
bleibt  bei  dieser  Erklärung,  obgleich  richtig  bemerkt  wird:  „Charac- 
teristisch  bei  einem  Schauer  ist  die  Heftigkeit  und  kurze  Dauer  des 
Ausbruchs."  Danach  ist  klar,  dass  die  heftigen,  andauernden  Güsse 
der  Sündflut  nicht  so  bezeichnet  werden  können,  schürn  oder  schüre, 
f.  ist  auch  hier  der  Ort,  der  Schutz  und  Obdach  gewährt;  es  können 
auch  die  einzelnen  Fächer,  Abteilungen  der  Arche  gemeint  sein. 
S.  Mnd.  Wb.  4,  153. 

1909  ist  zu  lesen:  Abraham,  nutn  dinen  son  Eingeborn  Ysaak. 

2003.   Dem  husche  enschut  min  alle  nein  schade 
Es  ist  zu  lesen:  mit  edle  'durchaus'. 

2067  ff.  sind  folgendermassen  zu  schreiben  und  zu  interpungieren: 

Hir  umme  bin  ik  hir  nedder  Stegen 
Unde  hebbe  my  b%  dy  gevlegen, 
Dattu  se  bringest  buten  dat  laut 
Üt  konninges  pharahonis  hant, 
Min  leve  volk  van  Israhel, 
In  ein  lant 

Seh.  hat  st.    se   das  hinzeigende   so,    das   nicht  am  Platze  ist.     Auch 
2065  steht  der  Plural  se,  während  der  Singular  volk  vorhergeht. 
2096  ff.  ist  zu  lesen: 

Ik  hope,  ik  hebbe  noch  nicht  gebroken 

An  minem  steigende,  leve  here, 

Unde  hope,  dat  my  des  nement  vorkere, 


150 

Wol  doth  U  Lottes  tiden  geschach 
Min  opper  unde  nicht  up  aussen  dach. 

2112  ff.  Auch  diese  Verse  sind  von  Seh.  nicht  richtig  auf- 
gefasst;  es  ist  zu  lesen: 

Ach  here,  welke  geistlike  tneninge 

Is  hir  der  werlde  bi  gegeven? 

'Dat  ute  deme  buske  dal  ewige  leven 

Der  werlde  to  tröste  komen  schal, 

—  Ein  herde  toesent  —  dat  to  einem  stal 

An  dat  levent  is  geborn.' 

Ach  Herr,  welche  geistliche  Bedeutung  liegt  hierin  für  die  Welt? 
Antwort:  Dass  aus  dem  Busche  das  ewige  Lehen  der  Welt  zum  Tröste 
kommen  soll  —  in  der  Gestalt  eines  Hirten  —  das  in  einem  Stall 
in  das  Leben  hinein  geboren  ist.  Zu:  an  dat  levent  geborn  vgl.  an  de 
erden  geb.  2927. 

2275  lies:   dat  uns  trutoer  rät  werden  moete.     Seh.  liest  werde,    I 
die  Hs.  hatte  wahrscheinlich  werdö. 

2322  ist  zu  lesen: 

Ik  wü  iu  umme  mines  leven  vaders  willen 
GoÜiken  handelen  unde  spisen  .... 

Der  Ausfall  des  Acc.  iu  vor  umme  erklärt  sich  leicht. 

2337  f.  ist  zu  lesen:  na  legenicheit  aller  der  mynschen  salicheti 
„nach  der  Sachlage  der  Seligkeit  aller  Menschen".  Vgl.  2378  nach 
legenicheit  des  speis. 

2402  ist  das  hsl.  dat  nicht  in  dar  zu  ändern;  es  ist  das  Demonstr., 
während  dat  zu  Anfang  des  Verses  Conjunction  ist.  Es  ist  zu  schreiben: 

Wan  se  dat  dode  kint  vindet  dar, 

So  schal  se  menen  aldorgen  war, 

Bat  ü  si  ir  eigen  kint, 

Dat  se  döt  dat  bi  sik  vint 

Die  Verse  2485,6  sind  nur  zu  verstehen,  wenn  sie  umgestellt 
werden.     Es  ist  danach  zu  lesen: 

2483.   Stner  dener  der  is  over  den  tal, 
Ik  en  kan  or  nicht  getellen  al, 
dat  dar  aUetnäle  mede  is. 
Busse  koninch  is  also  kloek  unde  ms. 

V.  2485  steht  dat,  als  wenn  gesinde,  wie  2481,  nicht  der  Plural  dener 
vorherginge.  Vgl.  2509:  Vrauwen  unde  junefrawen  unde  megeäe%  Gy 
schütten  altomalen  tnede. 

2927  entspricht  das  hsl.  van  stner  junefrauwen  dem  lat.  ex 
virgine  ejus  V.  2924;  die  Änderung  in  einer  ist  unnütz. 

2980  ff.  Das  Lateinische  ist  verstümmelt  und  nicht  herzustellen: 
nur  soviel  ergibt  sich  aus  der  Vergleichung  mit  der  deutschen  Über- 
setzung V.  2984:  up  einem  stole  se  sit,  dass  statt  sedes  sedens  (sedös) 
zu  schreiben  ist.  Auch  dut  Jammer!  V.  2988  ist  kaum  richtig;  viel- 
leicht mit  jammer? 

3213  lies: 

Dut  wort  dat  wart  geborn  got. 
Unde  alse  ein  mi  sie  der  verstot. 


151 

3281  ff.  ist  die  Interpunktion  folgendermassen  zu  ändern: 

Wy  hadden  dem  my  tischen  alle  spise 
Gegeven  in  dem  paradise. 
Einen  bom,  den  ik  om  dar  vorböt, 
Dar  umme  heft  he  gegeten  den  döt 
Unde  heft  gesundiget  üter  maten. 

3362  ff.  ist  zu  lesen:  Unde  su  an  unse  bitteren  trenen,  Da  wy 
dach  unde  nackt  bewenen  Mede  use  schult  .  .  . 

3447  lies:  It  helpet  ome  nicht  allent  dat  he  drift. 

3465  kann  innigen  nicht  Synon.  zu  vromen  sein,  sondern  es 
muss  =  jenigen  sein.  Für  jenich  aliquis  findet  sich  auch  inich;  s. 
Mnd.  Wb.  2,  364,  31. 

Die  Verse  3569,70  sind  gründlich  entstellt.  Nachdem  hinter  V. 
3568  ein  Punkt  gesetzt,  ist  folgendermassen  zu  schreiben: 

Unde  dat  in  mtner  lere  schult 
Dat  möt  noch  alle  werden  vorfult. 

'Was  in  meiner  Lehre  verborgen  liegt,  das  muss  noch  alles  erfüllt 
werden.'  Die  Bestätigung  der  Verbesserung  liegt  in  dem  lat.  Texte: 
Aperiam  in  parabölis  os  meum.  Der  Reim  schult :  vorfult  findet  sich 
auch  2841. 

3654  ff.  ist  zu  lesen: 

Her  vader,  wärwordich  schütte  gy  wesen, 
Unde  lotet  den  mynschen  nicht  genesen, 
Dat  he  so  vr  ome  der  bede  genete. 

'Herr  Vater,   ihr   sollt   wahrhaft   sein   und  den  Menschen  nicht  ohne 
Strafe  davon  kommen  lassen,  so  dass  er  den  Vorteil  von  so  befremd- 
licher Bitte  hat.'     Vgl.  die  Worte  Adams  3429:  Ik  höre  de  bedde  der 
leven  ftropheten,  Der  mach  ik  leider  nicht  geneten. 
3672  ff.  sind  genau  nach  der  Hs.  zu  lesen: 

Hir  umme  denket  Adames,  juwes  sones, 

Up  dat  it  (das  Wort  Davids)  werde  vuüenbracht, 

Unde  dat  Cherubin  Sette  heft  gesacht, 

Dat  he  miner  möge  geneten. 

Vgl.  die  Worte  des  Cherubin,  besonders  1471  ff. 

3737  kann  noden  wohl  nur  heissen  'notwendig  sein';  vgl.  Mnd. 
Wb.  3,  194,  33.     Vielleicht  ist  dusses  döt  zu  lesen. 

3747  ff.  sind  folgendermassen  herzustellen: 

Gabriel,  nu  werdet  rede, 
Segget  Annen  dat  ik  or  berede: 
Ek  wil  twiden  ore  bede, 
De  se  vaken  an  my  dede. 

'Gabriel,  nun  mache  dich  bereit.  Sage  Anna  das,  was  ich  ihr  ver- 
spreche. Ich  will  ihr  Gebet  erfüllen,  mit  dem  sie  mich  oft  anlag.' 
—  Über  bereden  =  versprechen,  geloben  s.  Mnd.  Wb.  6,  51.  Statt 
berede  V.  3749  hat  die  Hs.  bede,  was  wohl  aus  be'  de  entstellt  ist. 

361  lies  ausser.  390  lies  ift  st.  ist.  572  lies  ewiclichen.  1180 
ist  wohl  zu  lesen:  hir  nach  so  seiche  ein  gevelle.  Nach  1638  ist  der 
Punkt  in  ein  Komma  zu  ändern  und  V.  1639  nach  Dat  ist  he  zu  er- 


152 

ganzen.  1643,4  me  :  entwe.  1723  lies  ho  (:  io).  1873  me  :  se.  1920 
lies  mit  der  Hs.:  vromede.  1958  tilge  das  Komma.  2171  ist  wohl 
dede  :  rede  zu  lesen.  2233  lies  dele  (tele).  Nach  2296  ist  der  Punkt 
zu  tilgen.  2365.  Nach  692  ist  neste  st.  veste  zu  schreiben.  2421  lieh 
enberest.  2449  hat  die  Hs.:  Dut  sechst;  Seh.  schreibt:  Dut  secht,  es 
ist  aber:  Du  sechst  zu  schreiben.  2479  ist  natürlich  mit  der  Hs.  er- 
licheit  und  2490,  2494  erlik  zu  schreiben.  2507  lies  iuk  st.  sik.  276t» 
lies  gesen.  2844  lies  schtd.  2921  lies  reger  et.  2948  lies  novis.  2950 
lies  neten  (:  prophäen).  3034  lies  ütgesent.  Nach  3199  und  3201 
sind  die  Kommata  zu  streichen.  3227  lies  worte  garte  'Wurzgarten  : 
s.  Mnd.  Wb.  3348  wohl:  van  gode  an  himmelrike.  3389  und  3397 
lies  weisen.  3445,6  prophäe  :  vordrete.  3474  my  st.  mir?  3716  ist 
beidentstden  zu  schreiben.  3854.  Da  twiden  auch  3456  mit  dem  Gen. 
construiert  wird,  so  war  alles,  nicht  allct  zu  schreiben. 

Zum  Wörterbuche  habe  ich  noch  folgendes  zu  bemerken: 

behuddes  'verborgen'  s.  Mnd.  Wb.  1,  198,  32;  bekoren  hat  2236 
nicht  die  Bedeutung  'in  Versuchung  fuhren',  sondern  'Jem.  anliegen, 
bitten'. 

beschelicheit  erklärt  auch  das  Mnd.  Wb.  1,  260  als  Zusammen- 
ziehung von  beschedelicheit,  Bescheidwissen,  Klugheit.  Dies  Wort  findet 
sich  jedoch  nirgend  belegt.  Ich  stelle  beschelicheit  zu  schelen  in  der 
Bedeutung  'unterscheiden'  (s.  Mnd.  Wb.  4,  64,  40);  es  bezeichnet 
demnach  die  Eigenschaft  dessen,  der  Wahres  und  Falsches  zu  unter- 
scheiden versteht. 

bewant  'gut  angewandt'  gehört  zu  bewenden,  Mnd.  Wb.  1,  318. 

brecht  ist  =  bracht  'Pracht,  Herrlichkeit',  s.  Lübben  u.  d.  W. 

broiden  'hüten'  ist  zu  streichen,  s.  o.;  düfare  ist  Comp. 

emmelat  kann  natürlich  nicht  =  England  sein.  Statt  ende  ist 
ende  zu  schreiben;  over  ende  gän  heisst  'bei  Seite  gehn'  wie  schon 
richtig  im  Mnd.  Wb.  1,  660  gedeutet  ist. 

St.  gesekin  ist  glesekxn  zu  lesen;  gd  =  Versammlung,  s.  Mnd. 
Wb.  2,  126. 

herschult  ist  zu  streichen,  s.  o. 

houde.  Die  scheinbar  ndl.  Form  beruht  auf  Schreibfehler,  es 
muss  an  dieser  Stelle  hode  lauten,  zu  höt. 

hiire  nicht  'hart',  sondern  'zerbrechlich'. 

kolden  kann  727  nicht  'erkalten'  heissen;  auch  das  Mnd.  Wb. 
gibt  keine  Auskunft. 

mond.     Auch  diese  vermeintliche  niederl.  Form  ist  zu  streichen. 

St.  neden  'Neid  erregen'  ist  nedeti  'wagen'  zu  schreiben,  s.  z.  1250. 

schür  'Schauer,  Regen'  ist  zu  streichen,  s.  z.  1778;  über  schil 
und  schelten  s.  Mnd.  Wb.  4,  62  u.  64. 

stempen  nicht  'stampfen',  sondern  'Verrat  üben,  betrügen',  s. 
Mnd.  Wb.  4,  384,  20. 

tiden  'sich  verlassen  auf,  Mnd.  Wb.  4,  540. 

ütföden  'ausruhen'  ist  zu  streichen,  s.  z.  1104. 


153 

Yorkeren  V.  487  ist  =  verführen,  s.  Mnd.  Wb.  5,  375. 

verlegnen  'abweisen,  zurückweisen',  Mnd.  Wb.  5,  389. 

vorschoven  hat  sowohl  275  als  auch  717  die  Bedeutung  'ver- 
drängen', s.  Mnd.  Wb.  5,  439.     vorsoret  ist  'vertrocknet'. 

wer  'Schmerz,  Leid'  ist  zu  streichen,  denn  1611  ist  vre :  me 
zu  lesen. 

NORTHEIM.  R.  Sprenger. 


Zu  Meister  Stephans  Sehaehbueh. 

Das  dem  Dorpater  Bischöfe  Johann  von  Fifhusen  von  einem 
Schulmeister  Stephan  gewidmete  Schachgedicht  ist  nach  dem  Lübecker 
Druck  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  der  allein  es  uns  erhalten 
hat,  im  genauen  Abdruck  erschienen  im  11.  Bande  der  'Verhandlungen 
der  gelehrten  estnischen  Gesellschaft'  im  Jahre  1883.  Dazu  erschien 
in  diesem  Jahre  als  14.  Band  der  Verhandlungen  ein  sorgfältiges 
Glossar  von  W.  Schlüter,  während  ein  weiterer  Band,  Einleitung  und 
Anmerkungen  enthaltend,  noch  zu  erwarten  ist.  Beifolgende  Bemer- 
kungen betreffen  einige  Stellen,  wo  entweder  der  Text  verderbt  ist, 
oder  deren  Erklärung  bisher  nicht  genügend  gefordert  zu  sein  scheint. 

1467.   Dar  vant  he  vele  godes  knechte 
De  ghesant  weren  to  unrechte 
In  dat  eilende  dar  se  säten 
Unie  pine  leden  dar  godes  gnaten. 

dar  yotcs  gnaten  wird  von  Schlüter  im  Glossar  übersetzt  durch  'um 
Gottes  willen'.  Das  ist  nicht  sprachgemäss.  Auch  ist  ein  unreiner 
Reim  wie  säten  :  gnaten  im  Ged.  ohne  weiteres  Beispiel.  Ich  glaube, 
dass  zu  lesen  ist  dor  gotes  ghaten  'um  Christi  Nägelmale  willen',  gate 
für  Wunden  an  den  Füssen  findet  sich  in  folgender  Stelle  der  Dial. 
Gregor,  im  Mnd.  Wb.  2,  17  sine  voete  weren  van  den  voet  ouel  so  sere 
gesicdlen,  dat  se  dl  vul  gate  weren. 

1837.   Aldus  ridder  Joab  dede 

De  menneghen  brochte  in  grote  Jede 
Do  he  Davides  her  greue  was 
Also  men  in  den  boken  las 
Do  he  mit  sinem  here  de  schonen 
Hadde  vorslaghen  Absolonem. 

Die  letzten  Verse  sind  entstellt;  es  ist  zu  lesen: 

Do  he  mit  sinem  häre  den  schönen 
Hadde  vorslaghen  Absalönen. 

Da  er  Absalon  mit  seinem  schönen  Haare  erschlagen  hatte. 

2223.    He  sach  enen  eme  bekant 
Dat  up  siner  seren  hant 
Mugghen  seien. 


154 

Es  ist  im  Glossar  nicht  bemerkt,  dass  beJcant  hier  heissen  muss:  sich 
als  pflichtig,  abhängig  bekennend;  vgl.  Mnd.  Wb.  1,  208.  4Er  sali. 
dass  einem  seiner  Untergebenen  auf  der  wunden  Hand  Mücken  sassen.* 

2231.   De  mugghen  de  dar  weren  vloghen 
Unde  al  rede  vul  ghesoghen 
Unde  enbeten  my  nicht  mere. 
Komen  nu  andere  mugghen  vere 
Hungerich  in  quader  bere  u.  s.  id. 

V.  2233  ist  zu  schreiben:    De  enbeten  my  nicht  mere.     Sodann  ist  im 
Glossar  unrichtig  bemerkt,   dass  vere  hier  'weither'  sein  soll.     Es  ist 
vielmehr  ver,  fer  das  frz.  fier  stolz,  übermütig,  besonders  durch  Gerh. 
v.  Minden  häutig  auch  von  Tieren  gebraucht;  s.  Seelmanns  Glossar. 
2497  f.  ist  zu  lesen: 


Wente  dat  vor  gode  wert  ghespart 
Dat  vert  vil  dicke  des  duuels  vart. 


Die  Hs.  hat  wert. 


2859.    Also  maket  dicke  en  kone  moct 
Mennich  dromch  herte  sunt. 

Ein  unreiner  Reim  wie  moet :  sunt  findet  sich  bei  Stephan  sonst  nicht. 
Es  wird  munt :  sunt  zu  lesen  sein.  Wie  aus  V.  2831  ff.  hervorgeht, 
handelt  es  sich  hier  um  den  Trost,  der  einem  Traurigen  durch  Zu- 
spräche zuteil  wird. 

3012  ist  zu  lesen: 

He  hincket  dicke  by  emc  stave 
Van  oldere  de  de  vruntschop  begert. 

'Der  welcher  diese  Freundschaft  (s.  d.  Überschrift)  begehrt  hinkt  oft 
vor  Alter  am  Stabe.' 

3157.   De  drudde  vruntschop  wille  gy  dat  weten 
Is  in  den  truwen  herten  beseten 
Dat  is  ere  woninge  käste 

Schlüter  bemerkt  im  Glossar  S.  119  unter  woninge:  'woninge  scheint 
als  adj.  gefasst  werden  zu  müssen,  abgeteilter  Wohnraum'  (?),  vgl 
Sch.-L.  unter  woninge.  Das  ist  nicht  möglich,  und  auch  der  Verweis 
auf  Sch.-L.  passt  nicht.  Ieh  halte  vielmehr  haste  für  adj.  =  lat. 
castus,  rein,  unbefleckt. 

4806  ff.  ist  zu  lesen: 

He  sprak:  In  mynem  testamente  \ 

teil  ik  maken  grote  rente  j 

unde  uril  de  iw  na  mynen  dagen, 

is  dat  gy  my  vort  behagen 

unde  gheuen  my  al  myn  gcooech.  i 

'In  meinem  Testamente  will  ich  grosse  (jährlich  wiederkehrende)  Ein-I 
künfte  aussetzen,  und  will  diese  euch  verschreiben,  sofern  ihr  mir 
weiterhin  gefallt  und  mir  allen  meinen  Bedarf  gebt.'  willen  findet 
sich  auch  sonst  in  ähnlichen  elliptischen  Wendungen,  s.  Mnd.  Wb. 
5,  720  Sp.   1. 

5032  wird  dem  Läufer  geraten: 


155 

Des  auendes  schal  he  weynich  drincken 
Van  dünnen  tcine  unde  vort  gan  wincken 
So  blifft  syn  houet  des  morghens  licht 

winken  wird  durch  Schlüter  falsch  als  'wandern'  erklärt,  mit  Ver- 
weisung auf  wanken  bei  Schiller-Lübben,  es  hat  aber  vielmehr  die 
Bedeutung  'schlafen',  wie  aus  Sch.-L.  5,  728  zu  ersehen  war.  Der 
Sinn  ist  so  klar:  Der  Läufer  soll  des  Abends  nur  wenig  dünnen  Wein 
trinken  und  dann  sofort  schlafen  gehen,  damit  ihm  am  nächsten 
Morgen  der  Kopf  leicht  sei. 

5211.    Also  is  des  koninges  name  oek 
Idel  unde  van  hulpe  Hot 
Heft  he  nicht  in  siner  not 
Borghe  unde  gude  slote 
Dar  he  myt  alle  siner  rote 
Mach  to  koneren  ane  vare 
Want  en  besticket  der  vyende  schare 

In  to  koneren  vermutet  Schlüter  im  Glossar  einen  Druckfehler  für 
to-komen.  Sollte  nicht  vielmehr  kaueren  zu  lesen  sein?  Dieses  würde 
sich  erklären  durch  mittelengl.  coure  (ne.  cower)  'still  liegen'  s.  Skeat, 
Etymol.  Dictionary  of  the  English  Language  s.  v. 

5496.    Ik  ne  mene  de  heren  nicht 

De  ere  lüde  myt  rechter  plicht 
Dwingen  eren  unde  voren 

Die  Stelle  ist,  wenn  man  eren  hier  =  eren,  ehren  nimmt,  unverständ- 
lich; ich  glaube,  es  ist  gleich  eren,  ackern.  Auch  voren  passt  in  der 
Bedeutung  führen  hier  nicht  in  den  Zusammenhang.  Sollte  es  zu 
vore  'Furche'  gehören?  Die  Stelle  wäre  dann  zu  übersetzen:  Ich 
meine  nicht  diejenigen  Herren,  welche  durch  Auferlegung  rechtmässiger 
Abgaben  ihre  Leute  zwingen,  zu  pflügen  und  zu  furchen. 

NORTHEIM.  R.  Sprenger. 


Zum  Amringiseh-föhringisehen. 

(Nachtrag  zu  Jahrbuch  XIII,  1—32.  160.) 

Die  folgenden  Nachträge  kann  ich  auf  Grund  einer  zweiten 
Studienreise  1888  geben. 

S.  4  unten:  Die  Amringinnen  antworten  heute  dem  Fremden 
bereits  deutsch  und  können  in  Folge  des  Schifferverkehrs  im  allge- 
neinen  jetzt  bereits  besser  platt-  als  hochdeutsch.  Einheimischen  Platt- 
leutschen  antworten  die  Frauen  meist  amringisch,  die  Männer  platt- 
leutsch.  Auch  auf  Westerlandföhr  antworten  heute  nur  noch  wenige 
Frauen  föhringisch  auf  eine  deutsche  Frage. 

S.  5,  §  6  bitte  statt  der  ersten  vier  Zeilen  lieber  zu  lesen:  Der 
unterschied  zwischen  der  Sprache  von  Süd  und  der  von  Amrum  und 
?öhr  ist  nicht  so  bedeutend,   dass  nicht  der  Amringe  den  Sildringen 


156 

im  grossen  und  ganzen  verstünde,  wenn  sich  beide  auch,  zumal  die 
Männer,  vielfach  auf  plattdeutsch  verständigen.  Weit  glatter  ver- 
ständigen sich  die  Helgolander  und  die  Amringen  oder  Föhringen  in 
ihrer  Muttersprache. 

S.  6,  Z.  2  v.  u.  bitte  einzuschieben  s.  skil'. 

S.  7,  4)  statt  mei,  neil,  vei  lies  müei,  näeil,  väei. 

S.  7,  5)  statt  8.  ürd  lies  s.  ürt. 

S.  8,  oben  2)  bitte  hinzuzufügen  s.  döf,  s.  ström,  s.  bom,  s.  slö. 

S.  8,  3),  Z.  5  lies  h.  veter,  s.  veder  und  s.  ibm. 

S.  9,  8),  Z.  4  füge  hinzu  s.  skil'. 

S.   10,  4),  Z.  5  und  6  füge  hinzu  s.  skoat  und  s.  s'ern. 

S.   11,  Z.  24  fuge  hinzu  s.  skel. 

S.  14,  Z.  18  statt  'rein'  lies  'noch  stark'. 

S.  15,  2),  letzte  Zeile  ist  zu  streichen. 

S.  15,  4),  letzte  Zeile  lies  w.  ölr,  aosdr.  81r,  8dr. 

S.   17,  2.  füge  hinzu  Apenrade:  a.  Apmrüaed. 

S.  20,  Z.  18  statt  von  mir  in  Vorbereitung  lies:  erschienen  unter 
dem  Titel:  Ferreng  an  ömreng  Stacken  üb  Rimen  ütjdenn  fan  Dr. 
Otto  Bremer,  Halle  1888. 

S.  21,  Z.  7  füge  hinzu:  Gregööri.  Insel-Bote,  Wyk,  Neunter 
Jahrgang,  Nr.  23,  21.  März  1888. 

_  S.  21,  Schluss  des  ersten  Absatzes  füge  hinzu:  Lün>ji  Vöy»n 
Okaen,  führ,  und  amringisches  Tanzlied,  auf  Föhr  entstanden,  neuesten 
Ursprungs,  nach  mündlicher  Überlieferung  von  mir  aufgezeichnet. 

S.  21,  IL,  2.  vgl.  Ndd.  Liederbuch,  Nr.  54. 

S.  21,  letzte  Zeile  füge  hinzu:  Übersetzung  in  Clements  Lappen- 
korb, S.  317—319. 

S.  22,  Z.  2  füge  hinzu:  Übersetzung  in  Clement's  Lappenkorb, 
S.  319—321. 

S.  22,  14.  hinter  Schmidt  füge  hinzu:  (geboren  in  Nebel). 

S.    22,    15.   lies^Feddersen  (geboren  in  Nebel),  1846. 

S.  22, 18.  hinter  (Iarken)  fuge  hinzu:  (geboren  in  Nebel). 

S.  22,  19.  Z.  1  lies:  Paulsen  (geboren  in  Süddorf,  lebte  in 
Norddorf). 

S.  22,  19.  Z.  3  und  4  lies:  die  übrigen  Strophen  konnte  ich  teils  durch 
eine  freilich  sehr  schlechte  Norddorfer  Abschrift  ergänzen,  teils  durch  mündliche 
Überlieferung  eines  alten  Norddorfers. 

S.  23,  Z.  1  lies:  Engmann  (geboren  in  Wyk,  lebte  in  Norddorf), 

S.  23,  22.  Z.  1  lies:  (geboren  1820  in  Norddorf). 

S.  23  füge  hinzu:  23.  Friesische  Plaudereien.  An  Harwstinjj 
Gespräch  von  Richard  Mechlenburg  aus  Nebel.  Gedruckt  Westsed 
Inseln,  Nr.   102,  Wyck,  27.  Mai  1871.  . 

Hiernach  sind  die  folgenden  Zahlen  23,  24  und  25  in  24,  21 
und  26  zu  ändern.  \ 

S.  24,  IV.  fuge  hinzu:  3.  Hat  rintj  üb  a  bragg  an  at  wärl 
wiat,  altes  Tanzlied  (auch  hoch-  und  plattdeutsch),  besitze  ich  nad 
der  Niederschrift  von  N.  Jürgens  in  Neumünster. 


157 

Ebendort  fuge  hinzu:  4.  Huar  as  di  Fresk  sin  federlunn?, 
Lied  unbekannten  Ursprungs,  besitze  ich  in  der  Niederschrift  von  N. 
Jürgens  in  Neumünster. 

S.  24,  IV.,  3.  ist  hiernach  in  5.  zu  ändern,  ebenso  4.  in  6. 

S.  24,  IV.,  3.  a)  füge  hinzu:  Nachdichtung  von  „Kommt  die  Nacht 
mit  ihrem  Schleier". 

S.  24,  IV.,  4.  g)  ist  zu  streichen  und  dafür  einzusetzen:  Bi  s  trunn,  1888. 

S.  24,  IV.  füge  hinzu:  7.  Theodore  Jensen  aus  Oldsum  dich- 
tete in  den  achtziger  Jahren  2  von  mir  nach  ihrem  Munde  nieder- 
geschriebene Gedichte: 

a)  Nan,  nan,  hat  as  tu  doli,  1881V,  Nachdichtung  von  „Nein,  nein,  es  ist 
zu  toll11.  —  b)  Hat  as  tick  dach  ei  oderlicks. 

S.  24,  V.,  4.  a)  lies:  Lacht  as  et  eg,  eh  ferreng  Spriak  tu 
skriwen.  Gedicht,  gedruckt  Westsee-Inseln,  Nr.  25,  26.  März  1879, 
1.  Jahrgang,  Deezbüll. 

S.  24,  V.,  4.  b)  ist  zu  streichen. 

S.  25,  9.,  Z.  3  füge  hinzu:  Ich  besitze  von  den  nicht  gedruckten 
Sachen  die  Originalhandschrift.  Dafür  sind  im  folgenden  Absatz  unter 
d)  bis  r)  die  Worte  zu  streichen:  Hdschr.  im  Besitz  des  Verf.  Daselbst 
füge  hinzu:  Föhringer  Plaudereien:  Fehr,  ah  16.  Jan  1871.  Man  leewe  Fröd!, 
Brief  von  Knütj.  Gednickt  Westsee-Inseln,  Nr.  65,  Wyck,  18.  Januar  1S71.  — 
Föhringer  Plaudereien:  An  fährring  Düntje  van  det  Schwin,  wat  Jielke 
Skruadder  för  an  Höhn  vörkäft.  Gedruckt  Westsee-Inseln,  Nr.  82,  Wyck, 
18.  März  1871.  —  Di  grappig  Sönk,  Erzählung  1888. 

S.  26,  Z.  2  fuge  hinzu:  (geboren  1834  in  Alkersum,  lebte  in 
Nieblum). 

S.  28,  14.  gehört  der  Sprache  nach  nach  Goting.  Daselbst  fuge 
nach  „Westsee-Inseln"  hinzu:  und  der  „Niebüll-Deezbüller  Zeitung". 

S.  28,  16.  lies:  besitzt  eine  grössere  Sammlung  guter  Gedichte, 
von  welchen  ich  10  nach  der  Originalhs.  abgeschrieben  habe,  das 
letzte  in  der  Originalhs.  besitze. 

a)  Siamans  Ufskias.  —  b)  Wi  sann  hirr  tu  Gast  en  wi  ha't  so  nett. 

—  c)  En  Wurd  tu  min  Lunnslidj.  —  ch  Di  ufskoffelt  Edelraan.  —  e)  En 
Bradlepsliad. — f)  TuminFrinjer. — g)  Tu  Knut  en  Engellena's  Ütjbringcn. 

—  h)  Noch  ian  tu  jar  Ütjbringen.  —  i)  Tu  man  Maan.  —  k)  Tu  min  ual 
Ami.  —  1)  Ick  sann  so  ünlokkelk  wesen.  —  m)  Wann  jam  nu  smock  ens 
harki  well.  —  n)  Tu  Engelena.  —  o)  En  Stack  Snack  tesken  Atj  en 
Dochter.  —  p)  Nu  ha'k  doch  noch,  nan  det  gongt  doch  witj.  —  q)  Tu  Karl. 

—  r)  Tatji  an  Matji  jarrens  Rais  after  eh  Wyk.  —  s)  An  nü  letj  Näggels 
wanskik  di.  —  t)  Gudd  maren,  nü  ha  jam  gud  sleppen.  —  u)  tu  Juli.  — 
v)  Tu  Pitt.  —  w)  Tu  Nanne.  —  x)  Tu  Inge.  —  y)  Ick  san  an  letj  jong 
Wüff  van  Fehr.  —  z)  Ick  bad  jam  Lidj,  huaram  san  jam  so  thwäs.  — 
a)  Seh  dett  letj  Bläd,  ast  eg  en  Grap.  —  ß)  Diar  ick  noch  letj  wiar.  —  y) 
Wann  ick  vor  Juaren  hir  of  diar. 

S.   28,  20.  a)  lies:  Lew  Eilun  Fehr. 

S.  32  ist  nach  26.  hinzuzufügen:  Bohn,  „Wörterstudien,  1888," 
Heft  im  Besitz  des  Verfassers,  in  jeder  Hinsicht  unbrauchbar. 

HALLE.  Otto  Bremer. 


158 


Anzeige. 


Wilhelm  Bäumker,  Niederländische  Geistliche  Lieder  nebst  ihren 
Singweisen  aus  Handschriften  des  XV.  Jahrhunderts.  (Separat- 
abdruck aus  Vierteljahrsschrift  für  Musikwiss.  1888.  Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel.)    8°. 

Hoffmann  von  Fallersleben  was  de  eerste,  die  den  Nederlanders  toonde, 
welk  een  schat  van  schoone,  geestelijke  liederen  zij  lang  reeds  hadden  bezeten, 
zonder  dien  te  kennen. 

Door  de  uitgave  van  Deel  X  Zijner  Horae  Belgicae  gaf  hij  den  stoot  tot 
de  Studie  der  Nederlandscbe  geestelijke  lyriek.  Vele  Nederlanders  wekte  bij  op 
hem  te  volgen  op  het  door  hem  gebaande,  maar  nog  niet  afgeloopen.  päd.  Alber- 
dingk  Thijm,  De  Coussemaeker,  Willems,  Lootens  en  Feys,  Van  Vloten  maakten 
zicb  verdienstelyk  door  het  nitgeven  of  onderzoeken  van  geestelijke  liederen  en 
hunne  melodieen.  Ook  de  bekende  kerkhistoricus  Prof.  Moli  wijdde  zijne  aan- 
dacht  aan  ons  geestelijk  lied,  dat  hij  kende  en  liefhad;  trouwens  in  dezen  is 
kennen  liefhebben.  Verschillende  liederen,  ontleend  aan  handschriften  of  zeld- 
zame  liedeboekjes,  werden  door  hem  bekend  gemaakt;  in  zijn  boek  over  Johannes 
Brngman  gaf  hij  eene  fraaie  schets  van  het  geestelijk  lied  in  den  tijd  van  dien 
beroemden  kanselredenaar. 

Het  door  Moli  zoo  goed  begonnen  werk  werd  voortgezet  door  Prof.  Acquoy. 
den  man,  die  het  eerste  wetenschappelijke  werk  over  ons  geestelijk  lied  schreef, 
al  gaf  hij  daaraan  den  bescheiden  titel:  sAanwijzingen  en  Wenken".1)  Acquoy 
is  de  man,  die  ons  eene  Geschiedenis  van  het  Geestelijk  Lied  kan  geven.  Hopen 
wij,  dat  hij  het  eens  zal  doen. 

Er  moet  echter  nog  heel  wat  gepnbliceerd,  onderzocht  en  gerangschikt 
worden,  voordat  iemand  er  aan  kan  denken  de  ontwikkelingsgeschiedenis  van  het 
geestelijk  lied  in  de  Nederlauden  te  schrijven. 

Welkom  is  daarom  allen  vrienden  onzer  literatuur  en  onzer  muziek  de 
bnndel  liederen,  welke  door  Wilhelm  Bäumker  voor  het  eerst  en  met  de  melodieen 
naar  de  handschriften  werden  uitgegeven.  De  liederen,  welke  hier  het  licht  zien, 
werden  door  B.  afgeschreven  uit  een  onlangs  te  Weenen  ontdekt  handschrift; 
ook  nit  een,  vroeger  door  Hoffmann  von  Fallersleben  gebruikt,  nu  te  Berlijn 
bernstend  hs.  nam  hij  eenige  onuitgegeven  liederen  over  en  voegde  aan  andere 
de  melodieen  toe,  welke  H.  v.  F.  had  laten  rasten. 

Bäumker  heeft  zijne  taak  breed  opgevat  en  voortreffelijk  volvoerd,  vooral 
indien  men  in  aanmerking  neemt,  dat  de  bedoelde  liederen  gedieht  zijn  in  eene 
taal,  welke  niet  de  zijne  is. 

Over  het  muzikale  deel  van  zijn  werk  kan  ik  niet  als  bevoegde  inede- 
spreken ;  de  melodieen  onzer  geestelijke  liederen  kan  ik  slechts  ge nieten,  niet  als 
deskundige  beoordeelen.  Ik  zal  mij  dus  bepalen  tot  de  beteekenis  van  het  werk 
uit  een  taal-  en  letterkundig  oogpunt. 

In  de  Inleiding  deelt  B.  ons  het  een  en  ander  mede  over  den  bloeitijd 
van  het  geestelijk  lied  in  de  Nederlanden,  over  inhoud  en  vorm  der  liederen, 
over  de  dichters  en  de  melodieen,  over  de  handschriften,  waaruit  hij  putte.  Op- 
merkingen   over   den   tekst  der   liederen  en  een  Glossarium  voltooien  het  werk. 

*)  Het  geestelijk  Lied  in  de  Nederlanden  vöör  de  Hervorming.  Aanwyzingen 
en  Wenken,  door  Dr.  J.  G.  R.  Acquoy.  Overgedrukt  uit  het  Archief  voor  Ned. 
Kerkgesch.    Kl.  IL    's-Gravenhage  1886. 


159 

Slechts  op  een  enkel  punt  der  Inleiding  wensch  ik  hier  de  aandacht  te  testigen. 
B.  zegt  op  bl.  156:  „Indessen  glaube  ich,  dass  in  den  Niederlanden  ebenso  wie 
in  Deutschland  in  der  Kirche  Lieder  in  der  Volkssprache  gesangen  wurden. 
Nehmen  wir  z.  B.  gleich  das  erste  Lied  der  Wiener  Handschrift  „Jhesus  Christus, 
Marien  soen",  so  sehen  wir,  dass  es  vollständig  nach  Text  und  Melodie  den 
Charakter  eines  echten  Kirchenliedes  an  sich  hat.  Zudem  enthalten  unsere  beiden 
Handschriften  Uebersetzungen  alt-lateinischer  Gesänge  und  eine  Anzahl  von  solchen 
Liedern,  welche  in  späteren  katholischen  Gesangbüchern  sich  wiederfinden.0 

Gesteid  al,  dat  de  bewering  omtrent  het  bedoelde  lied  (n°  1)  juist  zij,  dan 
kan  een  lied  toch  geen  afdoend  bewijs  zijn.  Dat  men  vertalingen  van  Oud- 
latijnsche  liederen  aantreft  en  liederen,  welke  in  latere  katholieke  gezang- 
boeken  voorkomen,  kan  toch  moeilijk  bewijzen,  dat  zij  vroeger  werkelijk  door 
de  gemeente  in  de  kerk  gezongen  zijn.  Zoolang  geene  sterker  sprekende  bewijzen 
zijn  aangevoerd,  moeten  wij  ons,  meen  ik,  houden  bij  de  oude  zienswijze,  dat  de 
katholieke  geestelijkheid  het  monopolie  van  het  gezang  in  de  kerk  had  en  hield ; 
dat  eerst  de  Hervorming  het  gemeentegezang  in  gebruik  heeft  gebracht.  In 
letterkundige  schoonheid  moeten  de  meeste  dezer  liederen  onderdoen  voor  de  door 
Hoffmann  von  Fallersleben  in  zijne  Horae  Belgicae  gepubliceerde.  Ook  komt  het 
mij  Toor,  dat  de  kunBtpoezie  hier  ruimer  vertegenwoordigd  is  dan  de  volkspoezie, 
terwijl  in  de  liederen  van  het  Berlijnsche  handschrift  misschien  de  tegenovef- 
gestelde  verhouding  heerscht.  De  bouw,  het  metrura,  de  woordenkeus,  de  inhoud 
der  door  B.  uitgegeven  liederen  behooren  eer  tot  de  kunstpoezie  dan  tot  de  volks- 
poezie, al  zijn  natuurlijk  de  grenzen  tusschen  die  beide  afdeelingen  niet  overal 
scherp  te  trekken.  Naieve  kerstliederen,  als  in  de  Horae  Belgicae,  vindt  men 
hier  slechts  een  enkelen  keer.  Ook  vindt  men  hier  niet  zoo  dikwijls  die  frisch- 
heid,  dien  toon  der  romance,  dien  springenden  verhaaltrant,  die  eigenaardige 
wendingen,  waardoor  de  volkspoezie  zieh  onderscheidt. 

In  de  liederen  der  Hör.  Belg.  noemen  zieh  de  makers  der  liederen  niet 
zelden  of  liever  geven  zij  in  het  laatste  of  voorlaatste  couplet  eenige  aanwij- 
zingen  omtrent  zieh  zeif,  gewoonlijk  echter  zonder  hunnen  naam  te  noemen. 
Men  vergelijke  b.  v.  het  slot  der  liederen  n°  47,  n°  51,  n°  52,  n°  53,  n°  64, 
n°  80,  n°  91,  n°  95  (in  den  aanvang),  n°  109,  n°  114,  n°  115,  n°  119.  Deze 
eigenaardigheid  der  volkspoezie  trof  ik  geen  enkele  maal  in  de  door  B.  gepubli- 
ceerde liederen  aan. 

Omtrent  de  plaats,  waar  deze  liederen  gedieht  zijn,  weten  wij  weinig  of 
niets.  Toch  is  het  voor  de  geschiedenis  van  het  geestelijk  lied  niet  zonder 
belang  te  weten  waar  onze  geestelijke  liederen  gedieht  zijn.  De  taal,  waarin 
de  hier  bedoelde  zijn  geschreven,  kan  ons  eenige  gegevens  verschaffen.  Uit  het 
voorkomen  van  sommige  taalvormen  zou  men  vermoeden,  dat  eenige  dezer  liederen 
in  het  Zuidoosten  van  ons  land  gedieht  zijn.  Zoo  b.  v. :  5,  7:  heyt  l,  leit; 
8,  5:  dregen  (dragen);  9,  12:  wunelic;  9,  14:  ghestadlich;  12,  11: 
ghemeenentlic;  17,  13:  ut  des  hertschen  wonnen;  17,  22:  wi  synt 
(wi  sijn)  ook  24,  10;  30,  3;  21,  11:  waerlich  (ook  31,  3);  25,  9:  steet 
(staet)  ook  42,  4;  30,  4:  te  gaer,  herts  dit  passim;  35,  1:  toe  tide; 
ondergheet;  35,  5:  verwennentlic  (verweendelic) ;  35,  7:  sold  ic;  de 
Varianten  op  n°  36;  54,  2:  vrolich  ||  zuete lieh;  56,  1:  suver liebste; 
58,  5:  sairt  (zart);  59,  2:  mijn  hartsen  gheren  etc. 

Hier  zou  echter  een  nader  onderzoek  moeten  plaats  hebben. 

Over  het  algemeen  is  de  tekst  der  liederen  door  B.  met  zorg  behandeld. 
Daar  de  dichten  zieh  echter  lang  niet  overal  duidelijk  nitdrukken,  is  het  ver- 
staan  van  den  tekst  niet  altijd  gemakkelijk ;  het  herstellen  van  bedorven  plaatsen 
ook  niet  licht. 


160 

Een  paar  opmerkingen  a&ngaande  den  tekst  iaat  ik  hier  volgen : 
4,  7:  „heel  raeer  dan  maken  dusent  iaeru  1. :  een  uer  daer  maket  dusent 
iaer?  4,  18:  bleeft  1.  bleeff;  5,  1:  suverliker  1.  suverlike;  5,  2:  onbevaen 
1.  ombevaen;  8,  6:  unosei  1.  onnosel;  9,  6:  coninx  soen  1.  sconinx  soen;  9,  9: 
cransken  1.  tcransken;  9,  14:  al  leneken  1.  alleneken;  10,  6:  ay  hi  voer  op 
1.  als  hi  voer  op  (met  het  Berl.  hs.);  11,  5:  had  in  geseten  haer  vol  tut  1.  had 
nn  etc.;  17,  40:  beneder  1.  beneden;  17,  45:  hier  nae  alle  myn  begheert  L 
hier  nae  staet  alle  m.  b.;  18,  1:  dat  wercoren  1.  dat  kint  vercoren;  23,  Iß: 
mach  u  kynt  niet  gebrnken  1.  mach  ic  u  kynt  niet  g. ;  23,  32:  leer  1.  seer; 
26,  4:  besiit  myns  vaders  riic  1.  besit  m.  v.  r.;  26,  6:  aldaer  en  leyt  u  niet 
smyts  aen  1.  aldaer  en  leyt  u  niettemyt  aen;  28,  14:  beb  1.  heb;  29,  4:  des 
viant  strie  1.  des  viants  s. ;  29,  5:  ouuerslaen  1.  onverslaen;  30,  2:  Van  alder 
sonder  plagen  1.  van  a.  sonden  p. ;  30,  13:  tsermoen  1.  tfermoen;  30,  14:  teerst 
in  1.  teersten ;  schrap  in  vs.  2 :  hi ;  32,  2 :  pitteren  1.  bitteren ;  32,  3 :  verdracht 
1.  verdrach;  41,  13:  ontgach  1.  ontgaet;  41,  14:  daer  1.  der;  41,  17  (vs.  4) 
genoech  1.  gevoech;  42,  2:  sieyt  l.  steyt;  43,  3:  ouerspronc  1.  oerspronc;  45,  1: 
voir  onse  voirscult  1.  voir  onse  scult  (vgl.  52,  4);  48,  2:  den  niaghet  1.  die 
maghet;  48,  6:  nach  1.  noch;  salt  1.  sult;  48,  10:  oec  si  1.  dat  si;  öl,  7: 
totten  ioncsten  daghen  1.  t.  i.  daghe;  51,  8:  eer  ic  u  arre  1.  eer  ic  verarre; 
56,  6:  der  liefster  duve  1.  die  liefste  d.  (des  liefsten  d.?);  56,  7:  denc  ic  dair 
van  1.  d.  i.  dair  an;  61,  1:  dien  1.  die;  61,  4:  nach  1.  noch;  61,  5:  bleeft 
1.  bleeff. 

Het  Glossarinm  is  grootendeels  juist;  alleen  zijn  de  w.  w.  bescnren 
(bedecken,  beschützen) ;  bestnren  (hindern,  hemmen) ;  b e s w i ge n  (verschweigen), 
naar  ik  meen,  niet  in  het  Mnl.  aan  te  wijzen.  Ook  heeft  het  adj.  b  o  u  t  in  het 
Mal.  nooit  de  bet.  van  Hd.  klng. 

Er  is,  gelijk  wjj  reeds  zeiden,  nog  veel  te  doen,  voordat  eene  geschieden!* 
der  ontwikkeling  van  het  geestelijk  lied  te  onzent  kan  geschreven  worden. 

Veel  moet  nog  worden  uitgegeven.  Niet  alleen  moeten  nog  vele  liederen 
op  nieuw  of  voor  het  eerst  worden  onderzocht,  maar  ook  moeten  de  verschillende 
lezingen  van  een  lied  onderling  worden  vergeleken.  *) 

Is  eens  alles  gedrukt,  dan  kan  men  gaan  bestudeeren  en  rangschikken: 
dan  zal  men  het  geestelijk  lied  in  zijne  ontwikkeling  kunnen  volgen  en  den 
gang  dier  ontwikkeling  in  eene  bloemlezing  van  geestelijke  liederen  met  hunne 
melodiee'n  kunnen  veraanschouwelijken. 

*)  Ter  aanvulling  der  uitvoerige  opgaaf  van  gedrukte  en  ongedrukte  bronncn 
bij  Acquoy,  wijs  ik  nog  op  het  llaagsche  hs.  n°  721  ter  Kon.  Bibl.  berustciid,  waariu 
ook  een  paar  geestelijke  liederen  voorkomcn  op  f°  54  v° :  „Van  der  moeder  god*</* 
„Hets  een  dach  van  vroliehede" ;  eene  bcwcrking,  die  in  vele  opzichten  overeenstemt 
met  die  in  Horae  Belgicae  X  n°  21  en  n°  22,  maar  toch  ook  afwijkingen  vertoont. 

AMSTERDAM.  G.  Kalff. 


Berichtigungen . 

Auf  S.  36  Z.  8  v.  u.  lies  Niederdeutschen  anstatt  Mitteldeutschen. 
S.  38  Z.  14  v.  u.  lies  Baitn  anstatt  haitn. 

S.    51    ist   folgendes   zu   streichen:    Z.   20,   22,   26  y»  J-  —  z-   32   flaija 
die  Fliege.  —  Z.  36  aber  flaija  die  Fliege.  —  Z.  38  y  oder  j. 
S.  52  Z.  4  lies  406  anstatt  106. 
S.  104  bei  11  lies  (vor  1548)  statt  (v.  J.  1518). 


In  unserm  Verlage  sind  erschienen: 

Ducke  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

i. 

mittelniederdeutsche  Fastnachtspiele.  Mit  Einleitung  und 
Anmerkungen  herausgegeben  von  W.  Seelmann.  XLVIL  und 
86  S.     Preis  2  Mk. 

Inhalt:  Böse  Frauen.  —  Bauernbetrügerei.  —  N.  Mercatoris  Fastnachtspiel.  —  Zwie- 
gespräch s wischen  dem  Leben  und  dem  Tode.  —  Der  Scbeve  Slot.  —  Böbeler  Spiel. 
—  Das  Glücksrad. 

Dieser  Neudruck  mit  Beproduction  der  Original-Holzschnitte  enthält  eine 
Sammlung  alter  volkstümlicher  Lustspiele  in  mittelniederdeutscher  Mundart. 
Die  ausführliche  Einleitung,  welche  der  Herausgeber  beigefügt  hat,  bereichert  die 
GeschicJite  des  deutsciien  Dramas  um  eine  Reihe  interessanter  Thatsaclien  und 
führt  u.  a.  den  Nachweis,  dass  dem  Fastnachtspiele,  wie  man  böse  Frauen  fromm 
machen  kann,  derselbe  Stoff  und  dieselbe  Quelle  %u  Grunde  liegt,  wie  einer  eng- 
lischen, auch  Shakespeare,  wie  seine  Zähmung  der  Widerspenstigen  zeigt,  be- 
kannten Dichtung. 

II. 

Das  niederdeutsche  Reimbüchlein.  Eine  Spruchsammlung 
des  16.  Jahrh.  Herausgegeben  von  W.  Seelmann.  XXVIII.  und 
122  S.     Preis  2  Mk. 

Das  um  die  Mitte  des  16.  Jahrh.  gedruckte  und  nur  in  einem  einzigen 
Exemplare  erhaltene  Beimbüchlein  ist  eine  in  ihrer  Art  einzig  dastehende  Antho- 
logie gnomischer  und  lyrischer  Poesie,  die  aus  z.  Th.  jetzt  verschollenen  Dich- 
tungen, z.  Th.  auch  aus  dem  Volksmunde  gesammelt  ist. 

III. 

De  diidesche  Schlömer  von  Johannes  Stricerius.  1584.  Her- 
ausgegeben von  Joh.  Bolte.     *76  und  236  S.     Preis  4  Mk. 

Ein  Neudruck  des  Schlömers,  welcher  neben  dem  verlorenen  Sohne  des 
Burkard  Waldis  als  das  bedeutendste  niederdeutsche  Drama  des  16.  Jahrhunderts 
bezeichnet  werden  muss,  ist  sclwn  oft  als  ein  Bedürfnis  empfunden  worden. 
Slricer  entwirft  darin  in  lebendigen  Zügen  ein  getreues  und  anschauliches  Bild 
von  dem  wüsten  und  schwelgerischen  Leben  des  Adels  in  seiner  Heimath  Holstein. 
Seinem  Stücke  liegt  zu  Grunde  eine  schon  zuvor  in  England,  Holland,  Frank- 
reich und  Deutschland  dramatisch  bearbeitete  Fabel,  die,  wie  Goedeke  nachgewiesen 
hat,  aus  einer  budhistischen  Parabel  hervorgegangen,  zuletzt  zu  einer  Darstellung 
der  Bekehrung  eines  verstockten  Sünders  im  Sinne  der  protestantischen  Becht- 
fertigungslehre  geworden  ist. 


Meister  Stephans  Schachbuch.  Ein  mittelniederdeutsches 
Gedicht  des  14.  Jahrh.  Theil  L:  Text.  Preis  2  Mk.  50  Pf. 
Theil  11. :  Glossar,  zusammengestellt  von  W.  Schlüter.  Preis  2  Mk. 


Wörterbücher  des  Vereins  für  niederdeutsctie  Sprachforschung. 

tVortrrl»fi<*li  der  Wrn( lhlis<*jM-ii  HandlUi 

MJttolntacIerdetitJl*heif  HaudwArierblicli 

l.iiMiru.      Mach    dorn    Tode    des 

istoph  Walther. 
ts 


Woordenboek  der  (jirmtitijgM'li«*  l  oIUhIiwi) 


Forschungen. 

Heraasgegeben  vom  Verein  für  niederdeatsche  Sprachforscliiuig. 

i. 

Die  SiMsfer  Mundart.     I 

niin;itnl  Holt 


Norden. 


Diedr.  Soltau's  Vorlag. 


Jahrbuch 


des. 


Vereins  für  niederdeutsche  Spracbforschung. 


Jahrgang  1889. 


XV. 


NORDEN  und  LEIPZIG. 

Diedr.  Soltau's  Verlag. 
1890. 


Ausarbeitungen,  deren  Abdruck  im "  Niederdeutschen  Jahrbuche 
gewünscht  wird,  sind  dem  Mitgliede  des  Redactionsausschusses  Dr. 
W.  Seelmann,  Berlin  SW,  Lichterfelderstrasse  30  zuzusenden.  Die 
Zalüung  des  Honorars  (von  32  Mark  für  den  Bogen)  erfolgt  zu 
Jahresschluss  durch  den  Schatzmeister. 

Zusendungen,  deren  Abdruck  im  Korrespondenz -Blatte  erfolgen 
soll,  nimmt  Dr.  W.  H.  Mielck,  Hamburg,  Dammthorstr.  27  entgegen. 

Die  Mitgliedschaft  zum  Niederdeutschen  Sprachverein  wird  durch 
Einsendung  des  Jahresbeitrages  (5  Mark  5  Pf.)  an  den  Schatzmeister 
des  Vereins  Dr.  W.  H.  Mielclc  in  Hamburg  oder  durch  Anmeldung 
bei  einem  der  Vorstandsmitglieder  oder  Bezirksvorsteher  erworben. 

Die  Mitglieder  erhalten  für  den  Jahresbeitrag  die  laufenden  Jahr- 
gänge der  Vereins-Zeitschriften  (Jahrbuch  und  Korrespondenz -Blatt) 
postfrei  zugesandt.  Sie  sind  berechtigt,  die  ersten  fünf  Jahrgänge 
zur  Hälfte,  die  folgenden  Jahrgänge  sowie  alle  übrigen  Vereins-Ver- 
öffentlichungen (Denkmäler,  Drucke,  Forschungen,  Wörterbücher)  zu 
Dreiviertel  des  Ladenpreises  zu  beziehen,  wenn  die  Bestellung  unter 
Berufung  auf  die  Mitgliedschaft  direkt  bei  dem  Verleger  Diedr.  Söltau 
in  Norden  (Ostfriesland)  gemacht  wird. 

Bis  auf  weiteres  können  die  Mitglieder  von  demselben  auch  das 
'Wörterbuch  der  Ostfriesischen  Sprache  von  J.  ten  Doornkaat  Koolnia-n' 
(3  Bände  gr.  8°  kartonirt)  für  15  Mark  (Ladenpreis  44  Mark)  post- 
frei beziehen. 

Bücher  oder  Sonderabzüge,  deren  Anzeige  oder  Besprechung 
gewünscht  wird,  sind  mit  dem  Vermerk  'Zur  Besprechung'  oder  dgl. 
dem  Verleger  oder  einem  der  beiden  anderen  genannten  Herren 
zuzusenden. 


Jahrbuch 


des 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


Jahrgang  1889. 


XV. 


-w— ®g®*«<<gi^ö-4«- 


HORDEH  nnd  LEIPZIG. 

Diedr.  Soltau's  Verlag. 
1890. 


&■>;.■]!; 


-  .i 


Druck  von  Diedr.  Soltan  in  Norden, 


nn 


3fn~c;n: 


,V/ 


.oöri- 


Inhalt. 


Seite 

Die  Ebstorfer  Liederhandschrift.    Von  Edw.  Schröder 1 

Niederdeutsche  Handschriften.     Von  K.  E.  H.  Krause 33 

Mittelniederländische  Bruchstücke.    Von  K.  E.  H.  Krause 39 

Zitelöse.     Von  K.  E.  H.  Krause                     44 

Diele,  delc.  däle.    Von  Ed.  Damkühler 51 

Plattdeutsche  Sprüchwörter  und  Redensarten  aus  Hinterpommern.    Von 

0.  Knoop 53 

Der  Heliand  und  die  niederländischen  Volksdialekte.    Von  H.  Jellinghaus  61 

Ein  Liebesbrief  aus  dem  16.  Jahrhundert.     Von  W.  Ribbeck 73 

Zu  Pseudo-Gerhard  von  Minden.     Von  KarlBreul 78 

Zum  Sündenfall.     Von  Ed.  Damköhler 79 

Zu  Johann  Laurembergs  Scherzgedichten.    Von  R.  Sprenger 84 

Zum  Düdeschen  Schlömer.    Von  R.  Sprenger       91 

Zeugnisse  für  die  frühere  Verbreitung  der  nordfriesischen  Sprache.    Von 

Otto   Bremer 94 

Pelwormer  Noräfriesisch.    Von  OttoBremer 104 

Mittelniederdeutsches  Arzneibuch.    Von  J.  H.  G allere 105 

Noch  einmal  das  Hundekorn.    Von  K.  E.  H.  Krause 149 

Karl  Strackerjan.    Von  Reinhard  Mosen 157 


Die  Ebstorfer  Liederhandsehrift. 


Das  Liederbuch,  mit  dem  ich  die  Freunde  der  niederdeutschen 
Litteratur  wie  des  Kirchengesanges  bekannt  machen  will,  darf  ich 
wohl  ein  Vermächtnis  von  Karl  Goedeke  nennen.  Ihm  verdanke  ich 
nicht  einen  blossen  Hinweis,  er  hat  mich  zur  Herausgabe  ausgerüstet 
und  verpflichtet,  indem  er  mir  mit  der  Handschrift  selbst,  die  er  aus 
den  Händen  des  ehemaligen  kgl.  hannoverschen  Ministers  Frhrn.  von 
Hammerstein  empfangen  hatte,  eine  nahezu  vollständige  Kopie  von 
seiner  Hand  übergab.  Das  geschah  im  Jahre  1885,  bald  nachdem  der 
erste  Band  seines  Grundrisses  in  neuer  Autlage  herausgekommen  war 
und  auf  S.  472  (vgl.  S.  458)  die  erste  Nachricht  von  unserem  Ma- 
nuscript  gebracht  hatte.  Es  war  am  Schlüsse  einer  jener  Plaudereien 
in  seiner  Studierstube,  die  sicli  oft  stundenlang  hinziehen  konnten 
und  von  denen  ich  nie  ohne  reiche  Belehrung,  selten  ohne  ein  kleines 
Geschenk  heimgekehrt  bin.  Goedeke  hat  mich  dann  noch  wiederholt 
ermahnt,  der  Heimat  des  Liederbuches  selbst  einen  Besuch  abzu- 
statten und  mich  an  Ort  und  Stelle  nach  weiteren  Handschriften 
umzusehen,  und  eben  diese  Anregung,  der  ich  leider  auch  bis  jetzt 
noch  nicht  habe  Folge  leisten  können,  war  der  Grund,  aus  dem  ich 
die  Herausgabe  des  Ganzen  immer  wieder  verschob. 

Das  Benedictinerinnen  -  Kloster  Ebstorf  (Ebbekestorpe)  in  der 
liiineburger  Heide  (etwa  IV2  Meile  nordwestlich  von  der  jetzigen  Kreis- 
stadt Ülzen)  erlebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  eine  Blüte 
des  geistigen  Lebens,  von  der  Erzeugnisse  der  Wissenschaft,  Kunst 
und  litteratur  vielfältige  Kunde  geben.  Ich  erinnere  nur  an  jene 
mächtige  Weltkarte,  die  um  1350  im  Kloster  öder  doch  für  das  Kloster 
angefertigt  wurde  und  deren  Herausgabe  jetzt  der  historische  Verein  für 
Xicdersachsen  vorbereitet1);  ich  verweise  auf  Mithoffs  Kunstdenkmale 
und  Altertümer  im  Hannoverschen  Bd.  IV  S.  63 — 69,  wo  neben  Denk- 
mälern der  Architectur,  Sculptur  und  Malerei  zahlreiche  Producte  des 
Kunstgewerbes  verzeichnet  sind,  —  und  ich  nenne  schliesslich  die 
Bibliothek  des  Klosters.  Ihre  noch  immer  stattlichen  Überreste  hat 
im  Jahre  1886  Archivrat  Dr.  Jacobs  (von  Wernigerode)  in  einem 
^»rgfältigen  Katalog  verzeichnet,  dessen  Ergänzung  sich  in  heimatlicher 
r'erienmusse  Herr  Dr.  H.  Warnecke  eifrig  angelegen  sein  lässt. 

J)  Vgl.  vorläufig  0.  Sommcrbrodt,  Afrika  auf  der  Ebstorfer  Weltkarte  (Fest- 
schrift), Hannover  1885. 

Niederdeutsches  Jahrbuch  XV.  \ 


2 

Der  freundlichen  Vermittelung  des  Herrn  Dr.  Warnecke  und  dem 
liebenswürdigen  Entgegenkommen  der  hochwürdigen  Frau  Äbtissin 
des  adlichen  Damenstiftes  Ebstorf,  Frau  von  Meding,  verdanke  ich  dir 
Einsicht  in  diesen  Katalog  wie  auch  die  Übersendung  verschiedener 
Handschriften.  Weitere  Ausbeute,  als  ich  sie  diesmal  geben  kann  und 
will,  darf  man  einmal  von  Dr.  Warnecke,  dann  aber  auch  wohl  von 
einer  Bearbeitung  der  Geschichte  des  Klosters  erwarten,  wie  sie  der 
niedersächsische  Geschichtsverein  in  Hannover  angeregt  hat.  Die  Vor- 
arbeiten dazu  entzogen  mir  die  Bekanntschaft  mit  einigen  der  wich- 
tigeren Manuscripte. 

Der  Name  Ebstorf  erinnert  die  Germanisten  an  jene  Vir- 
ginal-Bruchstücke,  welche  Goedeke  im  Korrespondenzblatt  des  Ge- 
sammtvereins  der  deutschen  Geschichtsvereine  1856,  S.  58  f.  bekannt 
gemacht  und  Zupitza  nach  einer  Abschrift  Müllenhoffs  für  seine  Aas- 
gabe des  Gedichtes  verwertet  hat,  s.  Deutsches  Heldenbuch  Bd.  V 
S.  IX  f.  (E).  Nach  der  Seite  der  weltlichen  Litteratur  verspricht 
nun  freilich  der  Handschriftenkatalog  keine  weiteren  Spenden.  Der 
Inhalt  der  deutschen  Abteilung  (VI)  ist  ziemlich  eintönig:  Gebet- 
bücher, Predigten,  geistliche  Betrachtungen  (Asketisches  und  Kate- 
chetisches), dazu  lateinische  Hymnen  mit  Interlinearversionen,  ein  la- 
teinisch-niederdeutscher Vocabularius  ex  quo  (vgl.  unser  Korrespondenz- 
blatt VH,  85)  —  damit  dürfte  der  Inhalt  umschrieben  sein.  Aber 
einmal  ist  diese  Litteratur  sehr  reichlich  vertreten  und  dann  wächst 
ihr  Wert  dadurch,  dass  die  Entstehung  grossenteils  am  Fundort  zu 
fixieren  ist.  Besonders  wird  die  Geschichte  der  Predigt  aus  den  um- 
fangreichen Handschriften  VI  5  und  6  Nutzen  ziehen:  es  sind  nieder- 
deutsche Homilien,  die  in  Ebstorf  selbst  gehalten  sind  und  sich  auf 
die  Jahre  1497 — 1521  bestimmt  datieren  lassen.  Ihnen  scheint  sich 
die  Handschrift  VI  1 1  anzuschliessen.  Geschrieben  sind  diese  Codices 
überwiegend,  vielleicht  durchgehends,  von  den  Damen  des  Klosters, 
die  gelegentlich  auch  ihre  Namen  genannt  haben.  Es  ist  nicht  un- 
möglich, dass  auch  die  eine  oder  andere  Frauenhand,  die  an  unserem 
Liederbuch  Anteil  hat,  sich  später  durch  Vergleichung  genauer  be- 
stimmen lässt. 

Es  ist  ein  reges  religiöses  Leben,  das  aus  diesen  vielfach  modrigen 
und  wurmzerfressenen  Handschriften  zu  uns  spricht,  und  wir  begreifen 
sehr  wohl,  dass  gerade  von  Ebstorf  aus  den  Reformationsbestrebungen 
des  Herzogs  von  Braunschweig-Lüneburg  ein  besonders  heftiger  Wider- 
stand entgegengesetzt  wurde,  s.  A.  Wrede,  Die  Einfuhrung  der  Re- 
formation im  Lüneburgischen  durch  Herzog  Ernst  den  Bekenner  (Göt- 
tingen 1884)  S.  211  ff.  Ja,  wie  ein  Wetterleuchten  scheint  es  bereits 
aufzublitzen,  wenn  auf  den  letzten  Blättern  unserer  Handschrift  (s. 
unten  Nr.  XXII)  die  biblischen  Zeugnisse  für  den  Wert  der  guteu 
Werke  zusammengestellt  und  unter  Berufung  auf  Augustin  die  Umtriebe 
der  'Ketzer'  bekämpft  werden.  Die  Geschichtschreibung  der  Refor- 
mation hat  auch  auf  protestantischer  Seite  längst  begonnen,  denj 
socialen  Zuständen   vor  der  grossen  Bewegung   gesteigerte  Aufmerk- 


samkeit  zu  schenken,  aber  sie  hat  sich  noch  viel  zu  wenig  um  die 
verschiedenartige  Entwickelung  des  religiösen  Lebens  gekümmert,  die 
zu  erforschen  gerade  eine  Hauptaufgabe  der  Local-  und  Territorial- 
historiker sein  sollte,  und  auch  der  Verf.  der  eben  angeführten  Mo- 
nographie verhält  sich  diesen  Dingen  gegenüber  in  einem  Masse  gleich- 
giltig,  dass  man  ihn  nicht  einmal  der  Unwissenheit  zeihen  darf. 

Das  geistliche  Lied  ist  diejenige  Gattung  der  niederdeutschen 
Litteratur,  deren  nähere  Kenntnis  uns  erst  am  spätesten  erschlossen 
worden  ist.  Freilich,  wenn  Phil.  Wackernagel  im  zweiten  Bande  seines 
grossen  Werkes,  der  die  Lieder  und  Leiche  von  den  Tagen  Otfrids  bis 
auf  die  Reformation  umfassen  und  reproducieren  will,  unter  1448  Stücken 
nur  6  niederdeutsche  (und  daneben  12  'niederrheinische')  bietet,  so  ent- 
sprach das  schon  damals  (1867)  keineswegs  mehr  dem  Stande  unseres 
Wissens,  aber  es  erklärt  sich  aus  der  Zersplitterung,  in  der  die  nieder- 
deutschen Lieder  auf  uns  gekommen  und  zur  Publication  gelangt  sind. 
Unser  Verein  wird  bald  die  Aufgabe  ins  Auge  fassen  müssen,  die  in 
zahlreichen  z.  Tl.  abgelegenen  Drucken  versteckten  Gedichte  zu  sammeln 
und  mit  einer  Nachlese  aus  den  Handschriften  zu  einem  besonderen 
Bande  seiner  'Denkmäler'  oder  'Drucke'  zu  vereinigen.  Der  Herausgeber 
einer  solchen  Sammlung  muss  dann  ein  kritisches  Verfahren  einschlagen 
und  er  wird  uns  aus  dem  gewonnenen  Überblick  über  das  Mass  von 
Originalität,  das  dem  geistlichen  Lied  des  alten  Niedersachsens  viel- 
leicht gegenüber  Oberdeutschland  und  den  Niederlanden  verbleibt, 
aufklären  können.  Der  Abdruck  einer  einzelnen  Handschrift  wie  der 
Ebstörfer  kann  nicht  gut  zum  Ausgangspunkte  einer  solchen  Unter- 
suchung gemacht  werden,  ich  muss  mich  mit  wenigen  Hinweisen  auf 
verwandte  Sammlungen  und  einzelne  Parallelen  begnügen. 

Die  bisher  bekannt  gewordenen  geistlichen  Liederbücher  in  nieder- 
deutscher Sprache  stammen  sämmtlich  vom  Niederrhein  und  Westfalen. 
Von  ihnen  ist  das  Liederbuch  der  Catherina  Tirs  aus  dem  Kloster 
Niesink-Münster  (1588)  bereits  1854  von  Hölscher  in  seinen  Nieder- 
deutschen geistlichen  Liedern  und  Sprüchen  aus  dem  Münsterlande  Nr. 
I — LXII  veröffentlicht  worden,  während  zwei  andere  erst  vor  Jahresfrist 
ans  Licht  getreten  sind:  das  Liederbuch  der  Anna  von  Köln, 
über  welches  Bolte  in  der  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XXI,  129 — 163  ein- 
gehend berichtet  hat,  und  das  in  diesem  Jahrbuch  XIV,  60 — 89  durch 
J ostes  zum  Abdruck  gebrachte  Werdener  Liederbuch.  Alle  drei 
gehören  dem  16.  Jahrhundert,  keines  der  Zeit  vor  1520  an.  Kann 
man  diese  rheinisch-westfälischen  Liederbücher  zu  einer  Gruppe  zu- 
sammenschliessen,  welche  viele  Stücke  gemeinsam  hat  und  weiterhin 
mit  den  durch  Hoffmann  von  Fallersleben,  Horae  Belgicae  X  (1854) 
und  neuerdings  durch  W.  Bäumker,  Vierteljahrsschr.  f.  Musikwissen- 
schaft IV  (1888),  153—254.  283—350  ausgebeuteten  mittelniederlän- 
dischen Handschriften  aus  Berlin  (Mscr.  germ.  in  8°.  185  und  190) 
und  Wien  (7970)  zahlreiche  Berührungspunkte  bietet,  so  steht  die 
Ebstörfer  Handschrift,  das  erste  eigentliche  Liederbuch,  das  aus  dem 
östlichen  Teile  des  niederdeutschen  Sprachgebiets  bekannt  wird,  mehr 


4 

für  sich.  Mit  dem  Lb.  der  Anna  von  Köln  hat  sie  nicht  ein  einziges 
Lied  gemein,  mit  dem  der  Schwester  von  Niesink  nur  Nr.  IV,  mit  dem 
Werdener  ausser  dem  Mühlenlied  (Nr.  I)  noch  den  ursprünglich  hoch- 
deutschen und  nur  niederdeutsch  angetünchten  Meistergesang  auf 
Maria  (Nr.  III)  und  die  in  Nr.  XVII  bewahrten  Fragmente  eines  weit- 
verbreiteten geistlichen  Volksliedes.  Und  ebenso  spärlich  sind  die 
Beziehungen  zu  den  niederländischen  Handschriften,  die  man  in  den 
Anmerkungen  zu  I.  IV.  VIII.  XVII.  nachlesen  mag.  Ob  mir  im  übrigen 
bei  den  litterarischen  Nachweisungen  nicht  ein  und  der  andere  ver- 
einzelte Druck  entgangen  ist,  wage  ich  nicht  zu  bezweifeln:  von  mehr 
als  der  Hälfte  der  dargebotenen  Stücke  ist  mir  eine  gedruckte  Fassung 
nicht  bekannt  geworden. 

Aber  nicht  allein  in  diesen  novis  liegt  der  Wert  unserer  Hand- 
schrift. Auch  die  bereits  bekannten  Stücke  gewinnen  an  Interesse, 
sei  es  durch  das  Alter  der  Überlieferung,  das  ihnen  hier  zur  Seite 
steht,  sei  es  durch  das  Zeugnis  für  ihre  Ausbreitung  nach  Osten.  Es 
scheint  mir  ferner  kaum  einem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  auch  ein- 
zelne der  bisher  unbekannten  Gedichte  niederländischen  Urspruugs 
sind.  Das  anziehendste  an  dem  Ganzen  aber  ist  die  enge  Verbindung, 
in  der  hier  das  geistliche  Lied  mit  dem  Volkslied  erscheint.  Haben 
andere  derartige  Liederbücher,  wie  das  Werdener  und  die  niederlän- 
dischen Handschriften  Hoffmanns  von  Fallersleben,  hier  und  da  über 
dem  Texte  kurze  Hinweise  auf  weltliche  Lieder,  deren  Melodie  kirch- 
lichen Neudichtungen  zu  Grunde  gelegt  wurde,  so  finden  wir  hier  ein- 
zelne Volkslieder  in  extenso  eingeschaltet  —  wTenn  auch  leider  nicht 
vollständig  erhalten  (Fragmente  sind  Nr.  XII  und  XIV,  vollständig 
Nr.  XI).  Es  ist  möglich,  dass  an  der  Verstümmelung  der  Handschrift 
religiöser  Eifer  mitgewirkt  hat,  welchem  die  weltlichen  Strophen  in 
dieser  frommen  Umgebung  anstössig  erschienen.  Den  schlimmsten 
Verlust  freilich  hat  der  Mäusefrass  herbeigeführt,  dem  Bl.  1 — 5  zum 
Opfer  gefallen  sind.  Was  uns  erhalten  blieb,  ist  fast  durchweg  ohne 
Schwierigkeit  zu  lesen. 

Das  Liederbuch  führt  heute  die  Bezeichnung  VI  17  und  ist  eine 
Papierhandschrift  in  kleinem  Octavformat:  etwa  15  :  11  cm,  der  sehr 
verschieden  beschriebene  Raum  nicht  über  10  :  7,5  cm;  sie  liegt  in 
einem  dreifachen  Einband,  der  über  einem  doppelten  Pergamentum- 
schlag  (Stücke  einer  niederdeutschen  Urkunde  und  einer  lateinischen 
Bibelhs.)  noch  eine  Gobclinhülle  aufweist.  Das  erhaltene  umfasst  nach 
meiner  (jetzt  mit  Bleistift  eingetragenen)  Zählung  62  Blätter,  von 
denen  8  (4.  5.  51 — 56)  leer,  3  nur  einseitig  beschrieben  sind  (2:1. 
50.  62);  da  aber  die  Seite  35b  mit  einem  Textblatt  überklebt  ward, 
kommen  wir  im  ganzen  auf  106  beschriebene  Seiten.  Die  Schrift  ist 
durchgehends  steile  Buchschrift,  wie  sie  gerade  in  norddeutschen 
Klöstern  noch  um  1500  üblich  war:  die  Handschrift  wrird  sich  vor- 
läufig nur  auf  die  Zeit  1490 — 1520  bestimmen  lassen.  Die  Vcrgleichun^ 
mit  anderen  Ebstorfer  Handschriften,  besonders  mit  VI  10  ergibt  riio 
gleiche  Schreiberschule.     Die  Abkürzungen   sind  wenig  zahlreich:    ich 


habe  sie  durchgehends  aufgelöst  und  da,  wo,  wie  bei  dem  Nasalstrich, 
ein  Zweifel  obwalten  konnte,  mich  sorgfältig  nach  dem  sprachlichen 
Brauch  der  Umgebung  gerichtet,  vh  ist  stets  durch  unde  wiedergegeben, 
weil  diese  Schreibung  sehr  oft,  und  niemals  vorkommt.  Um  den 
Freunden  unseres  alten  Kirchengesangs  die  Leetüre  nicht  unnötig  zu 
erschweren,  habe  ich  u  und  v  grundsätzlich  geschieden,  obwTohl  dies 
in  neueren  Abdrücken  niederdeutscher  Schriftstücke  seltener  geschieht. 

Für  die  Interpunction  bin  natürlich  ich  verantwortlich,  ebenso  für 
die  geregelte  Verwendung  der  grossen  Anfangsbuchstaben  bei  Eigennamen 
und  Absätzen.  Dagegen  habe  ich  mit  Bedacht  nur  unzweifelhafte  Schreib- 
fehler gebessert,  aber  keine  Änderung  vorgenommen,  welche  das  Bild  der 
Sprachmengung  zerstörte,  auch  dem  Reime  zu  Liebe  nicht.  Für  den  Lit- 
terarhistoriker  wie  für  den  Grammatiker  ist  die  Bewahrung  dieses  Bildes 
wertvoll  und  interessant.  Die  Frage:  ob  nach  einer  Vorlage?  oder  Nie- 
derschrift aus  dem  Gedächtnis?  muss  für  jedes  der  unten  folgenden  poe- 
tischen Stücke  einzeln  gestellt  werden,  wenn  auch  nur  für  wenige  sich  die 
Antwort  der  letzteren  P^ntstehung  zuneigen  mag.  Auf  die  Sprachmischung, 
die  der  Feder  des  Schreibers  unmittelbar  entstammt,  ist  bei  älteren  Denk- 
mälern hundertfach  hingewiesen  worden,  auf  die  oft  noch  rücksichts- 
losere, welche  das  unsichere  Gedächtnis  des  naiven  Menschen  vollzieht, 
hat  man  bisher  fast  nur  bei  dem  modernen  Volkslied  geachtet. 

Ich  unterscheide  drei  Schreiber-  oder  wohl  richtiger  Schreiber- 
innenhände,  die  sich  mehrfach  innerhalb  der  gleichen  Lage,  aber  nur 
einmal  (auf  Bl.  1)  innerhalb  des  gleichen  Stückes  ablösen, 

1)  Bl.  la  (sowie,  nach  den  erhaltenen  Buchstabenresten,  die  vor- 
ausgegangenen 5  Blätter);  ferner,  nur  mit  spitzerer  Feder,  Bl.  35M> — 62 
incl.     Es  ist  die  am  wenigsten  geübte  Hand. 

2)  Bl.  11)— 23  incl.;  BL  32a  von  Kyrie  ab  —  Bl.  35  incl.  Feste 
und  kräftige  Züge,  obwohl  auf  verschiedenen  Blättern  ungleich  grosse 
Schrift. 

3)  BL  24 — 32a  bewaren  amen.     Zierlich  und  gleichmässig. 

Alle  drei  Schreiberinnen  haben  vereinzelt  grün  und  rote  Initialen 
angebracht. 

Die  einzelnen  Stücke  verteilen  sich  auf  die  verschiedenen  Hände 
in  folgender  Weise: 

1:  Nr.  I  bis  Str.  10,  1  had-;  Nr.  XIII— XXII. 

2:  Nr.  I  von  Str.  10,  1  -de  ab;  Nr.  II— VI;  Nr.  X— XII. 

3:  Nr.  VII— IX. 

Die  verschiedenen  Schreiberinnen  kommen  vor  allem  auch  für  die 
wechselnden  Züge  der  sprachlichen  oder  doch  orthographischen  Phy- 
siognomie unserer  Handschrift  in  Betracht. 

Der  lückenhafte  Zustand  der  Handschrift  erfordert  indessen,  auch 
auf  die  Zusammensetzung  aus  Lagen  noch  mit  einigen  Worten  ein- 
zugehen. 

BL  1 — 7  gehörten  einer  Lage  von  6  Doppelblättern  an,  von 
denen  nur  das  innerste  erhalten  ist  (BL  1.  2);  die  herausgerissenen 
oder  wohl  richtiger  von  Mäusen  abgefressenen  5  ersten  Blätter  müssen 


6 

mehr  enthalten  haben  als  die  sieben  fehlenden  Strophen  des  Mühlen- 
liedes, zu  denen  nur  3  Blattseiten  nötig  waren. 

Bl.  8  ist  ein  einzelnes  angeheftetes  Blättchen. 

Bl.  9 — 22  bilden  eine  vollständig  erhaltene  Lage  von  7  Doppel- 
blättern. 

Bl.  23  wie  Bl.  8. 

Bl.  24 — 31  scheinen  eine  unversehrte  dritte  Lage  von  4  Doppel- 
blättern darzustellen;  doch  vgl.  die  Erwägung  zu  Nr.  VII  24,  3. 

Bl.  32  ist  wieder  einzeln  angeheftet. 

Bl.  33 — 38,  3  Doppelblätter,  im  Innern  der  Lage  fehlt  mindestens 
ein  Doppelblatt,  das  den  Schluss  von  Nr.  XII  (2.  Hand)  und  den 
Anfang  von  Nr.  XIV  (1.  Hand)  enthielt.  Noch  vor  dem  Verlust  dieser 
wichtigen  Blätter  wurde  aber  Bl.  35b  überklebt  und  dies  Deckblatt 
35bb  (das  ich  jetzt  losgelöst  habe)  von  der  1.  Hand  beschrieben  (Nr. 
XIII);  man  muss  vermuten,  dass  in  ähnlicher  Weise  auch  noch  der 
Schluss  von  Nr.  XII  durch  die  Fortsetzung  von  Nr.  XIH  überklebt 
war,  ehe  beides  herausgerissen  wurde. 

Bl.  39 — 50,  6  Doppelblätter,  eine  vollständige  Lage. 

Bl.  52 — 61,  5  Doppelblätter,  ebenfalls  eine  unversehrte  Lage, 
um  die  nachträglich  noch  Bl.  51  und  62  als  äusserstes  Doppelblatt 
herumgelegt  wurden. 

Ich  bringe  die  Handschrift  ihrem  ganzen  Umfang  und  Inhalt 
nach  zum  Abdruck,  da  ich  das  Gesammtbild  nicht  durch  Weglassung 
der  wenig  Raum  beanspruchenden  Prosastücke  beeinträchtigen  möchte. 
Der  geistlichen  Lieder  sind  es  vierzehn;  unter  denen,  welche  bisher 
ohne  Variante  sind,  dürften  die  volkstümlichen  Nummern  XIII  und  XV 
das  meiste  Interesse  erregen.  Besonders  in  Nr.  XV,  wo  eine  sehr 
verbreitete,  noch  heute  für  Neujahrs-  und  Dreikönigslieder  übliche 
Melodie  zu  Grunde  liegen  mag,  scheint  mir  der  Ton  des  geistlichen 
Volksliedes  so  gut  getroffen,  wie  in  wenigen  Stücken  unserer  älteren 
Überlieferung. 

Nr.  I.    Fragment  des  Miihlenliedes. 

(f.  la)  berichtet  dat.  nach  vorghesprakenen  stunden 

8.  Gyon,  Fison,  Eufrates,  to  der  ™l™  }™m' 
Tigris,  gy  vlete  vere  **  ProPhete  dat  vornam' 
unde  gy  stolten  revere,  . 

hehbet  waters  ghenoch,  12-  Isaias  de  hadde  dar  »ngne 

pleghet  der  molen  er  ghevoch.  tovoren  af  ghescreven: 

cset,  uns  wart  ghegheven 

9.  Gy  twolff  apostele,  ghadt  hir  vor,         eyn  junckfrouwe  wertd, 
maket  gy  de  molen  ghande,  je  fa  eynea  aones  ghebert/ 
dat  ze  nicht  enblive  bestände. 

gy  synt  tho  malende  sant  13   g     uame  de  hetd  gick  <^  mid       . 

aver  al  de  lant.  den  J. ,  w-  j^ 

10.  Eyn  juncfrouwe    had(f.  lb)de    eyn      gnedichliken  van  baven 

seckelin  he  to  uns  quam, 

mit  weten  wol  ghebunden,  des  vrouwet  sick  vrouwen  unde  mau. 


14.  De  siner  langhe  ghebeydet  (f.  2a)  han, 
de  repen  alle:  'wy  enachtent 

nicht  nier, 

wy  sint  des  wis, 

dat  uns  Crist  ghebaren  is.' 

15.  Do  de  nacht  de  körte  entfenck, 
de  dach  de  nam  de  lenghe, 

der  dusternisse  dwenghe 

eyn  ende  nam. 

o  godt!  des  bistu  lovesam. 

16.  6y  ewangelisten  alle  vere, 

gy  moghen  wol  wijzliken  wachten 


dat  sekkelin, 

wente  dat  brochte  uns  eyn  fyn  meghetin. 

17.  Lucas,  nu  loze  up  den  sack, 
(f.  2b)  gheit  up  an  gades  namen, 
lere  uns  alle  samen. 

da  bist  gheleret, 

wo  gades  sone  minscke  wartd. 

18.  Marcus,  rit  den  sack  entwey, 
gud  up  de  molen,  lat  wriveu. 

du  konst  wol  bescriven 

dat  offer  grot, 

wo  godt  dar  na  led  den  dotd. 

19.  Matheus,  nu  loze  up  den  sack, 
gheit  up  de  molen,  lat  schroden, 
wo  got  stunt  up  van  dem  dode. 


wo  dat  ghescbach, 

dat  repestu  an  den  osterdach. 

20.  (f.  3a)  Johannes,  eyn  arnt  van  hoger 

vlucht, 
dar  na  scholtu  uns  leren 
de  hemmelvart  unses  heren 
al  apenbar. 
de  helpe  uns,  dat  wy  kamen  dar. 

22.  Pawest,  keyser,  prediger, 
wäret  gy  der  molen  even, 
dat  se  moghe  geven 

mel  unde  molt. 

des  möge  gy  hebben  riken  solt. 

21.  De  mole  de  gheit,  se  ijz  bereit; 
we  de  nu  sin  körne  wil  malen, 

de  schal  here  halen 

sin  körne  al  reyn. 

so  wert  id  eme  (f.  3b)  malet  klene. 

23.  De  sine  sele  spieen  wil, 
de  schal  sick  here  snellen,  . 
to  desser  molen  seilen. 

sid  des  bericht: 

se  malet  unde  mattet  nicht 

24.  De  desse  molen  ghebuwet  hat, 
den  mote  god  gheleyden, 

wan  we  van  hinnen  schullen  scheiden; 

uns  engel  wis 

de  vore  uns  an  dat  paradifz.     Amen. 


16,  2  hs.  vachten.     17,  3  hs.  alle.     24,  1  hs.  han.     5  hs.  de  vore. 

Die  Idtteratur  über  das  in  letzter  Zeit  so  vielfach  behandelte  Gedieht 
s.  bei  Wiechmann-Hofmeister  III,  60  ff.,  228  f.,  Jostes,  Jahrbuch  XTV,  84, 
Jellinghaus  in  Pauls  Grundrixs  d.  germ.  PhiloL  II,  1,  425.  In  der  Strophen- 
Zählung  habe  ich  mich  an  Hofmeisters  Abdruck  angeschlossen. 

[fol.  4  und  5  unbeschrieben.} 

Nr.  IL    Übersetzung  von  Ev.  Joh.  I,  1—14. 

(f.  6a)  Hir  beghinnet  sick  dat  ewangelium  des  hilghen  apostelfz  Jo- 
hannes; we  dat  alle  daghe  list,  er  he  sprickt,  de  wart  vorwert  vor  donner, 
blixem  unde  aller  vorgiftnisse  unde  vor  dem  snellen  unvorsichtighen  dode. 

(1)  In  dem  anbeghinne  was  dat  wort,  unde  dat  wort  was  bi  gade, 
5  unde  godt  was  dat  wort.  (f.  6b)  (2)  Dat  wort  was  in  dem  anbeghinne  by 
gade.  (3)  Alle  dinck  sin  dorch  ene  ghemaket,  unde  ane  ene  ifz  nicht  ghe- 
maket,  dat  dar  ghemaket  is.  (4)  Dat  was  in  eme  eyn  levent,  unde  dat  levent 
was  eyn  licht  der  minseken.  (5)  Unde  dat  licht  lachtet  in  den  dusternissen, 
unde  de   dusternisse  hebben   ene  nicht   (f.  7a)    begrepen.     (6)   Id  word  eyn 


8 


minfzke  ghesant  van  gade,  des  name  was  Johannes.  (7)  De  sulve  quam  in 
tuchnisse,  dat  he  tnchnisse  gheven  schulde  van  dem  lichte,  up  dat  alle  minscken 
dorch  ene  loveden.  (8)  He  was  nicht  dat  licht,  men  dat  he  tuchnisse  gheven 
scholde  van  dem  lichte.  (9)  Id  was  eyn  wäre  licht,  dat  dar  vorluchtet  alle 
5  minfz(f.  7b)ken  de  dar  kumpt  in  dusse  werldt.  (10)  He  was  in  der  werlt, 
unde  de  werlt  heft  ene  nicht  bekant.  (11)  He  quam  in  sin  eghen,  unde  de 
sinen  hebben  ene  nicht  entfanghen.  (12)  Overst  alle  de  de  ene  entfenghen 
den  gaff  he  de  macht,  kinder  gades  to  werdende,  de  dar  loven  in  sinen  namen. 
(13)  De  dar  nicht  uthe  dem  blöde  (f.  8a)  noch  uth  dem  willen  des  fi[e]isckts. 

10  noch  uth  der  wollust  des  mannes,  men  uth  gade  gheboren  sint.  (14)  Unde 
dat  wort  ifz  flesck  gheworden,  unde  heft  ghewonet  in  unjjz,  unde  wy  hebben 
ghesen  sine  glorien,  alze  de  glorien  sines  eyngheboren  [sunes]  van  dem  vader. 
vul  (f.  8b)  gnade  unde  warheit. 

Gade  si  dancknamicheiti     Dorch  de  worde  des  hilghen  ewangelii  inoten 

15  uthe  delghet  werden  alle  unse  sunde  unde1)  mote  van  unfz  entfernigbet 
warden  alle  varlicheit  lives  unde  der  zele.     Amen. 

*)  Mit  roter  Schrift  am  Rande  nachgetragen  dar,  von  gleichzeitiger,  cid- 
leicht  der  gleiclien  Hand. 


Nr.  III.    Marienlob. 


1.  (f.  9a)  Maria  zart, 
van  eddeler  art, 
eyne  rose  ane  dornen, 
Du  hefst  mit  macht 

5  wedder  bracht 

dat  so  lange  was  vorlaren 
Dorch  Adams  val. 

dy  heft  de  ghewalt 

sunte  Gabriel  vorspraken. 
10  help  dat  nicht  werde  ghewraken 

myne  sunde  unde  schult,  • 

vorwerff  mi  hult. 

Wente  neyn  trost  ifz 

wor  du  nicht  enbist, 
15  barmherticheit  to  erwerven. 

(f.  9b)  An  dem  lesten  ende, 

bidde  ik,  nicht  wende 

van  my  in  niynem  stervende. 

2.  Maria  milde, 
du  hefst  ghestilt 

der  oltveder  vorlangen  t, 
De  jar  unde  daghe 
ö  in  we  unde  klaghe 

de  vorhelle  helt  ghevanghen. 

To  aller  tydt 
scrienden  se  den  stridt 
al  dorch  des  hemmeis  porten 
10  toridt  in  allen  orden, 

dat  he  her  (f.  10a)  af  queme 


unde  en  beneme 
Ere  sware  pin; 
unde  dat  dorch  dyn 
15  kusck  junckfrouwelick  geberen 
Ifz  af  ghesteldt, 
dar  umrae  dy  telt 
alle  weit  eyne  kröne  der  eren. 

3.  Maria  reyn, 
du  bist  allene 

der  sunder  trost  up  erden. 

Dar  umme  dy  had 
5  de  ewige  radt 

eyne  moder  laten  werden. 
Des  hogesten  heil, 

[de]  dorch  ordel 

am  jungesten  daghe  wert  richteutle. 
10  holde  my  an  dinen  (f.  10b)  plichteu. 

du  werde  frucht, 

al  myn  toflucht 

Hebbe  ik  to  dy, 

am  cruce  bist  my 
15  mit  sunte  Johannes  ghegeven, 

Dat  du  ok  myn 

moder  scholt  syn, 

vrist  hir  unde  dar  myn  leven. 

4.  Maria  klar, 
du  hefst  vorwar 
mit  groten  smarte  gheghangeo, 


Z_ 


Do  dine  vrucht 
5  ghaus  mit  untucht 

unschuldich  wart  ghevanghen 
Umme  myne  dadt. 

vorwerft*  my  gnade 

(f.  IIa)  to  beterende  hir  myn  levent, 
10  wente  ik  bin  hir  ummegheven 

met  swarer  pine, 

linde  dat  dorch  myne 

Groten  sunde  nnde  schulde, 

ik  vele  vordulde 
15  am  lyve  unde  allen  enden. 

0  werde  roze, 

myne  kranckheit  loze, 

dine  gnade  nicht  van  my  wende. 

ö.  Maria  zart, 

vormeret  wart 

in  dy  grote  leydt  unde  smarte, 

Do  dyn  kynt  dot 
5  eyn  aper  mit  nodt 

dorchstack  syn  sach(f.  llb)te  harte 
Dyn  blödes  saft 

krenckede  dy  dine  kraft, 

van  leyde  wordestu  dy  senkende, 
10  Johannes  deden  se  wenkende. 

he  quam  al  dar, 

nam  diner  war, 

Do  dy  dat  swert 

dyn  herte  vorserde, 
15  dar  van  Symeon  saghet. 

0  junckfruwe  werde, 

sunne  lticht  unde  erde, 

den  dodt  dynes  kyndes  beklaghet. 

6.  Maria  schon, 

du  hogeste  Ion, 

wen  ik  (f.  12a)  van  hir  schal  scheyden, 

So  kuin  to  my, 
5  bescher me  my, 

dat  my  doch  nicht  vorleyde 
De  valsche  Sathan, 

wen  ik  nicht  kan 

sine  duvelscken  list  erkennen, 
10  noch  moth  ik  jo  van  hennen. 

umme  werp  my  ok 

dynen  mantel  unde  rock, 

Waner  din  kint 

my  rieht  gans  swint, 
15  so  wise,  fruwe,  din  hert  unde  brüste 

Dinem  sone  Jhesu, 

sprick:  'gif  (f.  12b)  my  nu 

dessen  sunder  ik  ewich  vriste.' 


7.  Maria  gud, 
wen  in  unmodt 

de  vader  van  my  wendet, 

So  bidde  dat  dar 
5  dyn  sone  schickke  clar 

syne  syden,  vote  unde  hende. 
Denne  mach  nicht  sere 

de  vadder  mer 

wedder  my  eyn  ordel  spreken; 
10  ok  mach  sick  jo  nicht  wrekeu 

got  hillige  gheist. 

de  erst  bewist 

Sote  gnedicheit. 

denne  ijz  bereyd 
15  (f.  13a)  drevoldichlike  gude. 

Also  wert  my 

zalicheit  dorch  di, 

vor  (my)  sunden  my  behode. 

8.  Maria  fyn, 
dyn  klare  schin 

erluchtet  den  hogesten  tron, 

Do  dy  mit  eren 
5  van  tvolf  Sternen 

wart  up  ghesettet  eyn  kröne. 
De  drevoldicheit 

heft  dy  ghekledet 

mit  hogher  gnade  ummegheven. 
10.  Maria,  vriste  myn  levent, 

so  mennighen  dach 

ik  bichten  mach. 

O  junc(f.  13b)frouwe  sote, 

help  dat  ik  böte 
15  mine  sunde  vor  ininem  ende; 

Wen  myn  herte  brickt, 

myn  ghesichte  vorschrickt, 

bede  myner  zele  dine  hende. 

9.  Maria  vrouwe, 
help  dat  ik  schouwe 

dyn  kynt  vor  minem  ende; 

schicke  myner  zele 
5  sunte  Michael, 

dat  he  se  vore  behende 
Int  hemmelrike, 

dar  alle  (f.  14a)  ghelike 

de  enghele  vrolick  synghen, 
10  er  stemne  don  helle  erklinghen: 

'hillich,  hillich! 

du  bist  hillich! 

0  starke  got. 

van  Sabaoth, 
15  regerest  gheweldichliken.' 


10 


So  heft  en  ende 

al  myn  elende, 

unde  vrouwe  my  ewichlyken. 

10.  Maria  klar, 

du  bist  vorwar 

fygurliken  wol  to  bedudende: 

Dat  vlus  Gedeon 
5  bistu,  da  (f.  14b)  kern, 

van  gade  krech  macht  to  stridende. 
Bedudest  vort 

unde  bist  de  porte, 

de  ewich  blifft  gheslaten, 
10  von  dy  ifz  uth  ghevlaten 

dat  ewighe  wort; 

gheslatene  garde, 

Ghetekende  borno, 

klar  al/z  de  sunne 
15  fyguret  vor  langben  jaren. 

Van  my  nicht  wende 


dyne  truwe  am  ende, 

so  ik  van  henne  schal  varen. 

11.  (f.  15a)  Maria  reyn, 

junckfruwe  alleyn, 

in  dy  i/z  nen  ghebreck. 

Id  levet  nen  man, 
5  de  de  mach  effte  kan 

dine  ere  to  grodt  uth  spreken. 
Dyn  hogheit  laven 

swevet  ewich  baven 

in  hemmel  [unde]  ock  up  erden. 
10  dyn  ghelike  mach  nnmmer  werden, 

reyne  creature, 

o  jnnckfrnwe  pur! 

Wen  id  dar  tho  knmpt, 

(f.  15b)  dat  myn  mnnt  vorstummet, 
15  myn  zele  van  dem  lyve  schal  scheden, 

So  ghedencke  dar  an, 

dat  ik  dy  han 

hir  mede  ghedacht  to  eren.     Amen. 


Id  i/z  gesehen  dat  eynes  rikes  mannes  sone  ys  bevallen  mit  den  pocken, 
so  ene  alle  doctores  avergheven,  des  he  sere  bedrovet  was.  Ok  so  hade  he 
sine  leve(f.  16a)daghe  nicht  vel  gndes  dan,  men  alle  synen  vlit  settede  he 
allene  up  lede  to  dichtende  unde  to  singhende,  be\de  gud  unde  quad.  So  quam 
5  em  in  den  syn  wes  to  makende  van  der  moder  gades,  unde  makede  dusse  vor 
beschreven  ghesette.  Dar  na  tohant  in  der  nacht  i/z  he  ghesunt  worden  van 
der  plaghe,  dat  men  an  synem  live  nicht  konde  merken  dat  he  wejz  sericheit 
heft  ghehat;  to  welkeren  ghesetten  de  byschop  van  Reytz  heft  gegheven 
XL  daghe  afflates  alle  (f.  16b)  den  jennen  de  desse  ghesette  lesen  efte  leren 
10  efte  singhen  hören.  Ok  sunder  twifel  Maria  wel  se  bewaren  unde  beschermen 
vor  der  quaden  suke  unde  krancheit  der  pocken. 

2,  8  die  genieine  Lesart  gibt  wünschten,  auch  die  Werdener  Hs.:  wonsten. 

4,  7  hs.  myner.     8,  6  hs.  wart  ghe  up  ghesettet. 

Nachwort  Z.  8  lesen  hochdeutsche  Druclce  Zeitz,  s.  IL  v.  F.,  Kirchenlied 

5.  455. 

Von  dem  tirsprünglich  hochdeutschen  und  in  hd.  Einzeldrucken  und  Ge- 
sangbüchern häufigen  Meistergesang  (Wackernagel  II,  Nr.  1036  ff.  Bäumkcr 
I,  Register)  hat  die  Werdener  Hs.  (Nr.  5)  eine  von  der  unsem  abweichende  nd. 
Umschrift;  zum  obigen  stimmen  ein  Marburger  und  ein  Hamburgci'  Text. 


Nr.  IV.    Kreuzlied. 

Eyn  ander  cantilena  van  dem  hilghen  cruce. 


1.  Lave  zederbom, 
du  hoghelavede  holt, 
an  dy  so  heft  ghehenget 
de  eddele  vorste  stolt. 


2.  Ik  mene  Jhesum  Christum, 

sin  name  is  wit  unde  bredt; 

we  en  dricht  an  sinem  (f.  17a)  herten. 

he  benimpt  ome  al  sin  led. 


11 


3.  0  da  sote  Jhesn, 
da  eddele  vorste  fin, 

giff  mi,  dat  ik  di  dreghe 
al  an  dem  hertken  min. 

4.  Also  da,  leve  here,  hanghedes 
al  an  dem  cruce  breyt, 

do  dyn  vil  milde  hertken 
en  scharper  sper  dorsnet. 

5.  To  mines  leves  hoveden 
dar  steit  eyn  krenfzelin, 
dat  krenselin  is  bedowet 
mit  dem  eddelen  blöde  sin. 

fi.  Och  were  myn  herte  eyn  (f.  17b)  garde 
?an  eddelen  blomken  fyn, 
dar  in  so  wolde  ik  planten 
mines  leves  eyn  krenselyn. 

7.  De  blomken  de  ik  mene 
de  beten  homilitas, 
de  anderen  schollen  heten 
spes,  fides,  karitas. 

H.  To  mines  leven  syden  herten 
dar  springhet  eyn  bornelin, 
eyn  revereken  wil  ik  leyden 
an  minem  gardelin. 

9.  0  Jbesu,  gardenere, 
da  wäre  ackerman, 

woldesta  mines  garden  pleghen, 
so  wor(f.  18a)de  he  lavesam. 

10.  Mynes  leves  arme 

de  Stadt  wit  uthghebreit, 
mochte  ik  dar  inne  ronwen, 
so  vorghete  ik  al  myn  leit. 

11.  Myn  lef  heft  to  my  gheneghet 
sinen  rotermant: 

och  mochte  ik  one  knssen! 
so  were  min  zele  sant. 

12.  So  ik  en  an  gheschouwe, 
den  vorsten  hoch  ghebaren, 
de  leve  heft  ene  vorwundet, 
sine  varwe  heft  he  vorlareo. 

13.  (f.  18b)  An  mines  leves  siden 
dar  steit  eyn  gnlden  schrin, 
were  ik  dar  inne  besloten 

al  na  dem  willen  min! 


14.  Ik  kan  dar  nicht  in  kamen, 
da  leydes  mi  dar  in, 

wente  da  hefst  ghesproken: 
'ane  my  könne  gy  nicht  sin.' 

15.  To  mines  leves  voten 
dar  steit  eyn  bornelin, 

mochte  ik  dar  ander  spasceren  ghan, 
so  vorghete  ik  al  myn  pine. 

16.  Wan  ik  min  lef  vorlese, 
den  dach  and  ok  de  nacht 

so  mach  ik  one  wedder  vin(f.  19a)den 
al  in  des  bomes  ast 

17.  De  leve  heft  ome  ghebunden 
de  hilghen  hende  syn 

al  an  des  crnces  aste 
mit  scharpen  negelkin. 

18.  Se  ik  em  an  de  vote 
den  levesten  heren  myn, 

he  steit  so  vaste  ghenegelt, 
he  kan  my  nicht  entvlen. 

19.  0  da  sote  Jhesu, 
wo  dicke  ik  di  entfle, 
dorch  miner  sande  willen 
is  minem  herteken  we. 

20.  Dencke,  here,  der  rede 

(f.  19b)  de  van  di  schreven  stan: 

'so  ik  vorhoget  werde, 

alle  dinck  wil  ik  na  my  han.' 

21.  Jk  bidde  dy,  sote  Jhesu, 
dorch  diner  leve  kraft, 

the  myn  vil  wilde  herte 
in  dines  crnces  ast. 

22.  Dat  min  herte  ronwe 
ok  an  den  wanden  din: 
al  twisken  dinen  brüsten 
al/z  eyn  mirren  bundelin. 

23.  Reghere,  leve  here, 
myne  sele  to  aller  stont, 

(f.  20a)  dat  ik  dine  leve  vinde 
in  mines  herten  grünt. 

24.  Wol  np,  miner  zele  krefte! 
na  maket  juck  alle  her. 

nnde  denet  dem  heren  mit  vlite: 
dat  ijz  al  myn  begher. 


12 


25.  Dat  he  uns  nicht  enwike, 
in  ein  licht  al  myn  trost, 
ift  ik  eue  nicht  envole, 
myn  zele  ifz  nicht  ghelozet. 


2(>,  1k  bidde  di,  sote  Jhesu, 
dorch  diner  marter  pin, 
vor(f.  20b)nyghe  my  mit  diner  leve, 
mik  kan  nicht  beth  ghesin. 


4,  1  hs.  hanghendes.  8,  1  /.  Ut  m.  ieves  herten.  12,  4  hs.  verve.  19,  3 
hs.  mine. 

Das  Lied  ist  nach  einer  zweiten  Ebstorfer  Aufzeichnung  (Mscr.  VI  10 
S.  71b.  7ä)  abgedeckt  im  Korresjmndenzblatt  VII  (1882)  S.  84  f.1):  der  Eingang 
lautet  hier  'Love  zedewerbom  love',  Str.  20  u.  23  fehlen.  Vgl.  ferner  llorm 
Belgicae  X,  186  (Nr.  94):  'Ghelovet  sijstu  cederboom',  HölscJier  S.  39  (Nr.  XVIIIi: 
'Boven  allen  cederen  bomen1. 


Nr.  V.    'Jesus  mein  Liebster'. 


1.  Nu  lave,  hertken,  lave! 
du  scholt  nicht  sore  stan. 

ik  wil  di  noch  dallinck  bringhen 
den  levesten  den  ik  han. 

2.  Heft  dar  we  sin  lef  vorlaren, 
so  han  ik  jo  dat  min, 

ik  wil  ghan  to  dem  cruce 
und  breken  eyn  krenselin. 

3.  Eyn  krenselin  van  ros,en 
is  gudt  to  brekentje, 

eyn  lef  van  stedem  sinne 
is  hoch  (f.  21a)  to  drepende. 

4.  Eyn  krenselin  van  dornen 
is  scharp  to  dreghende, 
rosen  mancket  den  lylien 
sin  gud  to  brekende. 


5.  To  mynes  leves  voten 
dar  stan  twe  bomelin, 

de  eyne  de  dricht  muschaten, 
de  ander  neghelkin. 

6.  Muschaten  de  sint  sote, 
de  negelkin  de  sin  gud, 
wan  ik  der  mach  smecken, 

so  draghe  ik  eynen  vriscken  motd. 

7.  Tho  mynes  leves  hoveden 

(f.  21b)  dar  steit  eyn  lylienbladt, 
dat  lopt  van  vrouden  umme 
so  alzc  eyn  molenradt. 

8.  Tho  mines  leves  siden 
dar  stat  eyn  gülden  schrin, 
dar  inne  is  beslaten 

dat  milde  hertken  sin. 


1,  1  hs.  herken.     2,  4  hs.  eynen.     4,  1  lis.  dorne. 

Das  Gedicht,  in  dieser  Fassung  mir  sonst  nicht  bekannt,  steht  in  nalun 
Beziehungen  zu  dem  vorausgehenden ;  die  Übei'liefcrung  des  Liedes  vom  Cafrr- 
bäum  bei  Höheher  Nr.  XVIII  bietet  in  Str.  12  eine  Strojriw,  die  oben  iW 
Schlusssirophe  nacligebildet  selieint.  Bekannter  ist  das  wcltliclie  Lied:  Bei  meines 
bulen  haupte  da  stet  ein  güldner  schreiu  (Uhland  Nr.  30),  von  dem*  es  anrh 
eine  erweiterte  niederdeutsche  Fassung  gibt:  Niedevd.  Volkslieder  hrsg.  v.  Ver. 
f.  nd.  Sprachforsch.  I,  49  f.  (Nr.  76). 


maken. 


Nr.  VI.    Sprüche  in  Prosa. 

(f.  22a)  Holt  di  ersten  in  vrede,  so  machstu  ander  lüde  vredesammich 


2)  Str.  10  lies  dort  stad  st.  dat  is.  —  Str.  18  ist  vollständig  erhalten  und 
weicht  von  der  obigen  Fassung  nur  mit  neghelt  st.  ghenegelt  ab. 


n 


Eyn  vredesammich  minscke  is  nutter  wen  eyu  ghelert  minscke,  unde  en 
unvredesara  minscke  de  ihut  ok  dat  gude  in  dat  quade  unde  liehtliken  iovet 
he  quades. 

De  vredesammiche  minscke  de  kert  al  dinck  to  dem  besten. 
5  (f.  22b)  De  in  gudem  vrede  ijz,  de  enheft  up  nemande  quade  dancken. 

Werstu  ghelavet,  du  bist  dar  umme  de  hilgeste  nicht;  werst[n]  ghe- 
lastert,  du  bist  dar  umme  de  snodeste  nicht. 

Dat  du  bist  dat  bistu,  unde  bist  nicht  groter,  wen  got  din  ewich  (?)  ijz. 

Wan  du  aver  denckest,  wat  du  iuwendich  bist  in  di,  du  en(f.  23a)achtest 
10  nicht  wat  de  lüde  van  di  segghen. 

De  minscke  sut  in  dem  antlate,  men  godt  in  dem  herten.         ' \ 

De  de  wandert  in  gade  inwendich  unde  to  uthwendighen  dingen  neue 
begheringhe  enheft,  dat  ijz  eyn  statd  enes  innighen  minscken. 

fol.  23b  unbeschrieben.] 

Nr.  VII.    Christus  und  die  Seele. 


(f.  24a)    De  eddele  zele  eynes 
juwelken  cristen  mynschen  spricket  to 
dem  hilgen  ernce: 

1.  Boghe  dynen  strenghen  telghen, 
du  schone  palme  holt! 

dorch  dyne  milden  gude 

so  giff  roy  dyne  frucht  so  sote, 

giff  my  myn  leflf  so  stolt! 

Dat  cruce  to  der  zele: 

2.  Ik  sta  hir  by  dem  wege 
unde  byn  berede  dy. 

niyne  frucht  wil  ik  dy  gheven, 
men  du  raost  dy  up  heven 
unde  stich  dar  dyn  leff  i/z. 

De  zele: 

3.  Wo  schal  ik  to  em  kamen? 
dyn  polle  is  my  to  hoch. 
neghe  dy  to  der  erden, 

(f.  24b)  dat  my  myn  leff  möge  werden, 
so  werde  ik  seker  vro. 

Dat  cruce: 

4.  Dyn  leff  ijz  an  der  wnnne, 
dn  bist  eyn  arme  wicht. 

he  schal  hyr  an  my  hangen, 
(In  kanst  ene  nicht  äff  langhen, 
to  dy  so  wil  he  nicht. 

De  zele: 

5.  Eya,  du  schone  palme! 
wo  bistu  my  so  swar! 

myn  leff  ijz  vul  der  gnade, 
he  gheve  sick  my  so  drade, 
worde  he  myner  enwar. 


De  zele  to  Jhesn  orem  leve: 

6.  Slapestu  edder  wakestu? 

(f.  25a)  Jhesu,  min  trost  so  gtidt! 
na  dy  so  lith  myn  herte 
so  droflike  smerte, 
kum,  lose  id  uther  noth! 

De  zele: 

7.  Wo  hengestu,  leff,  dyn  hovet 
nedder  al  umme  den  willen  myn? 
wultu  my  nicht  to  sprecken, 

so  raodt  myn  herte  breken 
al  dorch  de  leve  dynr 

De  zele: 

8.  Wack  up,  wak  up,  myn  heylant! 
myn  hopene  unde  al  myn  trost. 
sprickestu  my  nicht  to  so  drade, 

so  hape  ik  nener  gnade 

unde  (f.  25b),  werde  nümmer  los{. 

Jhesus  antwert  der  zele,: 

9.  Wol  ijz  dat  de  my  wecket, 
al  uth  dem  slape  myn? 
slapes  ik  beghere, 

ik  bin  vormodet  sere 

van  lydent  unde  ok  van  pyn. 

De  zele: 

10.  Leff,  dat  bin  ik  vil  arme, 
dar  to  bringhet  my  de  noth. 
werestu  nicht  entwaket 

unde  heddestn  my  nicht  to  spraken. 
van  rnwe  were  ik  doth. 


14 


Jhesns: 

11.  An  der  leve  bistu  nicht  vasty, 
dat  merke  ik  wol  an  dy. 
woldesta  so  ringhe  (f.  26a)  vormoden, 
ifte  ik  dy  lete  an  noden, 
so  hapestn  klene  an  my. 

De  zele: 

12.  Ach  leff,  myne  macht  nnde  ok  myne 

starke 
de  ijz  dy  wol  bekant. 
wultu  dy  to  my  keren, 
so  mach  ik  dulden  leren; 
anders  ifz  id  nmbewant. 

Jhesns: 

13.  Wnltn  dnlden  leren, 
so  se,  leff,  hir  her  an  my: 
an  myne  wnnden  rode 
mit  mynem  bitteren  dode; 
hir  an  so  speygel  dy. 

De  zele: 

14.  Ik  se  dy,  leff,  gekronet 
myt  eynem  krantze  roth, 
den  drichstn,  leff,  vnl  pyne 
al  nmme  den  willen  myn, 
(Jar  na  so  steyt  myn  modt 

(f.  26b)  Jhesns: 

15.  Scholle  wy  twe  leve  wesen, 
so  nym,  leff,  den  kranfz  to  dy. 
drich  ene  nnvorborghen 
den  avent  nnde  ok  den  morgen, 
dar  by  so  dencke  [an]  my. 

De  zele: 

16.  Wo  se  ik,  leff,  dyne  oghen! 
dar  nmme  myt  blöde  rodt! 
dar  alle  engele  schare 
nnde  alle  hilgen  klare 
syn  in  ewiger  vronde  grodt. 

Jhesns: 

17.  Myne  oghen  syn  vordecket 
alto  eynem  bilde  dyn, 
wen  dyne  oghen  mere 
stan  na  ideler  ere, 
so  dencke,  leff,  an  my. 

2,  6  vfi  am  Bande  mit  Verweisungszeiclim  nacfigetragen,  19,  4  h 
yarne.  24,  3  ist  so  durcliaus  verderbt;  etwa  da  mit  sy  moten?  (Es  könnk 
immerhin  auch  ein  Innenbhit  der  Lage  zwiscten  mit  und  dy  ausgefallen  scinl 


De  tele: 

18.  Wo  bleck  syn  dyne  wanghen! 
(f.  27a)  wor  ifz  de  schonbeyt  dyn? 
dyn  liff  mit  blöde  beninnen 

hir  henget  an  der  snnnen 
al  nmme  de  schult  myn. 

Jhesns: 

19.  Bistn  nicht  geleret 
al  an  der  leve  grod? 

al  de  eyn  vast  leff  kesen, 
ere  varwe  se  vorlesen 
nnde  bernen  van  leve  roth. 

De  zele: 

20.  Wo  reckestu  nth  dyne  arme? 
entfanck  my,  leff,  dar  in! 
mochte  ik  an  dy  rouwen, 

dyne  groten  leve  schonwen, 
so  worde  ik  seker  vro. 

Jhesns: 

21.  De  bin  alle  tyd  berede 
nnde  wil  dy  dar  inne  entfan. 
de  (f.  27b)  snnde  scholtn  myden, 
nnde  nmme  mynen  willen  lyden 
allent  wat  dy  kan  an  ghan. 

De  zele: 

22.  Ik  ata  nnde  se  dy,  Jesn,  myn  leff. 
vorwandet  al  an  dat  herte  dyn, 
mochte  ik  my  dar  in  senken, 

wen  myn  herte  nnde  mnnt  nicht  mei 

spreket, 
so  ladt  my,  leff,  dar  in! 

Jhesns: 

23.  Schal  ik  dy  laten  ronwen 
an  mynes  herten  grnnt, 

so  vorwunde  erst  dyn  herte 
myt  mynes  lydendes  smerte 
to  betrachtende  in  aller  stunt. 

De  zele: 

24.  Jhesn,  eyn  bunt  der  mirren 
gifstn  den  leven  dyn. 

se  mit  (f.  28a)  dy  so  moten  dregen 
dyn  ernce  in  allen  wegen, 
wnltn,  so  mach  id  syn.     Amen. 


15 

Das  Stück  bringt  uns  ein  zweites  Gedieht  der  Gattung,  welche  bisher 
in  der  niederdeutschen  Litteratur  nur  durcJi  das  bekannte  Lied:  Heff  up  din 
cruce,  min  leveste  brut  (Hölscher  Nr.  XLV,  Jahrb.  VII,  3  ff.,  Horae  Belg.  X, 
Nr.  81,  Werdener  Lb.  Nr.  23)  vertreten  war. 


Xr.  VIII.    'Trug-Welt'    (nach  der  Melodie  'Ave  pulcherrima  regina'). 


1.  Droch  werlt,    my  gruwet    vor   dyn 

wesent. 
wor  gyn  nu  de  resen, 
de  dar  nesen 
nicht  enkonden? 
se  sint  so  gar  vorswunden, 
des  bedrove  ik  my. 
We  moten  al  up  de  sulven  Straten, 
wo  wille  we  nns  säten? 
de  mate,  de  lengede, 
de  wech  i/z  wit  nnde  enge 
gar  wunderlik. 

Se  sin  dot,  de  alle  tydt  na  lasten  weren 
nach  der  werlde  lop. 
help  nter  nod,  Crist!  wente  dn  so  duldich 

werest 
an  des  (f.  28b)  cruces  rope. 
wor  vint  me  nn  to  kope 
de  dope 
der  rnwe? 

wente  ik  mot  gruntliken  schouwen 
al  myne  schult. 

2.  Des  were  wol  tydt,   dat  ik  my  be- 

dachte, 
wo  ik  willichliken  brochte 
to  rechte 
myn  levent. 

he  kumpt,  de  nns  wil  gheven 
eyn  ewich  Ion. 

Nach  werken  nnde  ok  nach  worden, 
nach  dem  strengen  orden 
ies  ordels  ich  vruchte, 
ik  beve  nnde  ik  suchte 


vor  gades  torn. 

Wente  he  kumpt  und  weckt  my  uther 

erden  begraven, 
(f.  29a)  dar  ik  ligge  beschuret, 
so  mod  ik  vor  des  strengen  koninghes 

k  rafft, 
de  dar  ewichliken  duret. 
went  ik  dat  besure, 
so  truret 
myn  gemote. 

de  my  io  schop,  sin  gode 
help  my  dar  to. 

3.  Nu  help  Maria  eyn  koninginne  reyne, 

wente  du  bist  alleyne, 

de  ik  meyne 

myt  truwen. 

du  machst  my  ewichliken  vronwen 

nach  dyner  lust. 

Du  bist  de  hogelavede  werde, 

de  de  beyde  hemmel  nnde  erde 

bekerde 

to  den  vra(f.  29b)men, 

do  Christus  wolde  kamen 

to  dyner  brüst. 

Do  god  up  slos  syne  hilgen  drevoldicheyt 

also  herliken, 

he  gaff  dar  uth  den  schat  der  erlicheyt 

also  dogentliken. 

he  late  uns  nicht  entwiken 

syn  rike 

tom  lesten, 

wen  sick  unse  sele  resten 

in  vromde  laut.     Amen. 


Das  Lied  existiert  —  freilich  mit  irreleitender  Strophenabteilung  — 
luch  in  einem  Eostocker  Einzeldruck  von  L.  Dietz  (ca.  1520),  der  bei  Wiech- 
nannr-Hofmeister  III,  65  beschrieben  und  wiederholt  wird;  eine  mittelnieder- 
(indische  Fassung  ist  von  Bäumher,  Vierteljahr sschr.  f.  Musikwiss.  IV  (1888), 
J29  ff.  nach  der  Wiener  Handschrifl  7970  mit  Lesarten  des  Berliner  Mscr. 
\erm.  in  8°  190  herausgegeben.  Die  gleiche  künstliche  Strophenform  begegnet 
vuf  niederdeutscJiem  Boden  noch  in  Hölschers  Nr.  LXIX.  Den  Eingang  'Droch 
rerlt*  hat  auch  der  geistliche  Wechsel  (Seele  und  Welt)  bei  Hölscher  Nr. 
LXVIH,  während  die  betr.  Stroplie  im  Werdener  LB.  Nr.  7  die  fünfte  ist. 


16 


Nr.  IX.    Spräche  in  Versen  und  in  Prosa. 

1.  De  meyster  Aristotil  spricket: 

De  böse  wanheyt  de  guden  vorkeret, 

de  gude  wanheyt  de  bösen  leret; 

id  i/z  neyn  complexio  so  gndt, 

de  wanheyt  vorwan(f.  30a)delt  eren  raodt. 

2.  We  in  suntheyt  unde  in  vrede  wil  leven, 
de  raot  sik  dar  to  gheven, 

dat  he  stedes  hebbe  enen  vroliken  mod 
unde  vormide  sorghe,  torn  nnde  drovicheit. 

3.  Wes  ghemlik  lustich  unde  fro 
unde  fruchte  god  in  allen  steden  jo. 

4.  Wultu  don  na  gudem  rade, 
so  holt  gades  bade. 

5.  Eyn  anbeghin  der  wisheyt  i/z  de  fruchte  gades. 

6.  Wisheit  averwint  de  bosheyt. 

7.  We  salich  wil  bliven, 
de  mod  leren  lyden. 

8.  (f.  30b)  Lydent  ane  dult 
endeiget  nene  schult. 

9.  Id  gha  dy  wol  edder  ovele, 
dyn  hopene  sy  to  gade  snel. 

10.  t)enck  up  dem  ende 
alles  dinghes  en  ende. 

11.  Na  tyden  unde  na  steden 
wandelt  de  wjse  minsche  sine  sede. 

12.  Lever  mach  de  minsche  myt  swigende  winnen, 
den  dat  he  mit  spreckende  werde  vorwunnen. 

13.  Men  swich  unde  lydt, 
dencke  nnde  mitd, 

so  hefstu  tydvordrif. 

14.  Swich  unde  tydt, 
id  kumpt  de  tydt, 

dat  swigent  maket  lident  quidt. 

15.  Nen  doget  also  hoge  (f.  31a)  gheyt, 
alse  dar  deyt  de  duldicheyt. 

16.  Wener  de  minsche  nnbescheden  i/z,  so  wert  de  doget  to  euer  nn«l»irrt 
gekeret. 


17 

17.  Mate  ij*z  nnder  allen  dinghen  alder  nuttest. 

18.  Dat  ding  wert  nummer  gudt, 
dat  me  ane  mate  deyt. 

19.  Wol  vrunt  by  vrunden  nicht  ensy, 
doch  schal  dar  truwe  by  syn. 

20.  De  dar  mit  worden  misbert, 
des  herten  dat  nicht  enment, 

do  du  ok  so  in  den  saghen, 
so  wert  de  kunst  bedraghen. 

21.  De  en  war  (f.  31b)  frunt  i/z,  de  lieft  alle  tyd  leff  unde  steyt  in  vronden 
nnde  in  droffnisse  vast,  dat  i/z  wis. 

22.  Du  scholt  nicht  snel  werden  en  vrunt,  overst  wen  du  dat  bist  ge- 
worden, so  bewise  dat  myt  den  wercken. 

23.  Iftu  wult  gudt  syn,  so  wes  allen  truwe  myt  dynem  munde. 

24.  We  de  holt  sinen  munt, 
de  beholt  ok  synen  vrundt. 

25.  Du  scholt  swighen  unde  nicht  opeubaren  wat  dy  wart  bevalen. 

26.  Du  scholt  dy  nicht  tornen  unde  in  torne  nicht  arges  spreken. 

(f.  32a)  27.  We  gades  moder  stede  ert, 

in  quade  pyne  wert  he  nummer  kert. 

28.  Du  scholt  dy  maken  anname  unde  bereyt 
gade  to  denende  ane  underscheyt. 

29.  Misse,  bedent,  almisse,  vastent, 
desse  vere  algenant 

de  losen  de  zele  uter  pynebant  — 

dar  god  unjz  alle  mote  vor  be waren,     amen. 

Am  Text  dieser  Sprüche  wäre  besonders  viel  xu  tun:  der  Reim  ist 
rirlfach  durch  Umstellung  oder  Einsetzung  von  hochdeutschen  oder  rlteinischen 
Formen  Jierxustellen.  So  lies:  9,  1  ovele  edder  wel  (:  snel);  11,  2  seden;  18,  2 
ilut;  19,  2  wesen  by  (:  ensy).  Ein  Beim  ist  wohl  auch  einxuführen  in  23 
(«jndt  :  mudt)  und  in  25  (holden  verbalen  :  bevalen);  20,  2  lies  des  dat  herte. 
Weiteres  unterlasse  ich,  weil  a?idere  vielleicht  mehr  Varianten  und  Parallel- 
stellen  beizubringen  in  der  Ixige  sind. 

1    wies  mir  W.  Seelmann  bei  Evcrliard  von  Wampen  Buch  1,   V.  10 1 

—  104  fJaJtrb.  X,  124)  nach;  darauf  Jiabe  ich  in  der  QoÜiaer  Handschrift 
mich  nach  2  gesucht,  aber  vergeblich.  —  5  Eccli.  1,  16.  —  6  vgl.  Sap.  7,  30. 

—  13  vgl.  Rimbökelin  V.  1287  ff.  —  18  Freid.  114,  5.  6.  —  19  Freid. 
9f>,  13.  14:  Swie  fremede  ein  friunt  dem  andern  si,  da  sol  doch  trinwe 
wesen  bi. 

Nioderdentschot  Jahrbuch.    XV.  O 


18 


Nr.  X.    Gebet  in  Reimprosa. 

Kyrie,  ach  vader,  alder  hogestc  godt! 

wo  kleyne  achtet  raen  dyn  ghehoth! 

schon  unser  bo/zheit, 

de  vel  sunde  deyt, 
5  (f.  32b)  vorbarme  dy  unser,  Crist, 

de  du  bist 

de  porte  des  levendes,  de  wech  der  warheit 

unde  dat  levent  der  ghelovighen  zalicheit, 

van  dem  vader  ghegheven, 
10  dar  dorch  wi  leven. 

vorbarme  di  unser, 

Kyrie  hillige  geyst  in  ewicheit! 

sta  uns  bi  dorch  dine  barmhorticheit! 

unse  sunde  de  syn  uns  bi  — 
15  wil  nicht  vorlaten 

de  up  dy  hapen. 

vorbarme  dy  unser! 


4  Zw.  xpe. 


Nr.  XL    Farbenlied. 


(f.  33a)  1.  Na  groner  farwe  min  herten 

vorlanghet, 
do  ik  elende  was. 
dat  i/z  der  leve  eyn  anghefanck 
recht  so  dat  grone  gra/z 
Eyntsprunghen  uth  des  meyes  schin 
mit  so  mennighen  blomlin  klar, 
des  heft  sick  eyne  junckfruwe  fyn 
ghebildet  in  dat  herte  myn 
tho  dussem  nyen  jare. 

2.  Umme  oren  willen  draghe  ik  widt 

in  mines  herten  grünt, 

min  hertz  steyt  mit  gausem  flite 

na  orem  rodermunt. 

Dar  na  sette  ik  mine  dancken 

(f.  33b)  beyde  nacht  unde  ok  den  dach, 

dar  na  so  gha  ik  mennighen  ghanck, 

de  tidt  wert  mi  n timmer  to  lanck, 

wen  ik  se  schouwen  mach. 

8.  Roder  farwe  der  hebbe  ik  vel, 

in  der  leve  so  brent  myn  hertz; 

dat  se  dat  nicht  erkennen  wil, 

dat  dot  my  seker  smertz. 

Dat  szeghe  ik  van  hertzen  gherne: 

ach  mochte  ik  by  er  syn! 

ik  hope,  dat  se  jo  wil  schir 


ere  junghe  hertze  to  my  keren, 
wor  ik  in  elende  byn. 

4.  Blaw  bistu,  leff,  van  my  be(f.34a)ghert 
in  rechter  stedicheyt, 

wüste  ik  wat  din  herte  beghert, 

dat  scholde  dy  sin  bereyt. 

Dar  scholtu,  lef,  neyn  twifel  anne  lmn, 

mit  (dy)  truwen  ik  di  mene, 

[ik]  wil  an  dinem  denste  stan, 

de  wile  ik  dat  levent  han 

wenthe  an  den  ende  myn. 

5.  Grauwe  farwe  brinckt  my  pine        i 
mit  suchten  unde  ok  myt  claghen, 
also  ik  in  droflikem  schine 

in  minem  herten  draghe. 

Dat  se  sodanes  nicht  erkent, 

myn  raydent  bringhet  my  (f.  34b)  pine, 

min  hertz  er  mennich  suchtent  seilt, 

ik  hope,  id  werde  des  schir  eyn  endt. 

[so]  ik  bi  er  mochte  sin. 

6.  Geler  farwe  heft  se  mi  vormant, 
do  se  my  bejeghende  de  suverlick. 
ik  se,  se  gerne  heft  se  erkant; 
dat  maket  my  frouden  rick. 

Se  bod  my  eren  rodermunt, 


19 

mines  leydes  ik  vorghadt  al  myn  frode  heft  se  bedecket 

ik  danckede  er  to  der  sulven  stnnt;  nnder  erem  düsteren  schin. 

rayn  hertz  in  groter  freyden  stnnt;  Godt  seghen  di,  leff,  to  aller  tidt! 

do  wort  myn  sorghe  gheboth.  scheydent  bringhet  dat  groteste  swer. 

dach  nnde  nacht  dencke  ik  mit  flidt, 

7.  (f.  35a)    Swarte  farwe  heft  mi  vor-  al  wor  ik  bin,  ferne  nnde  wydt, 

schrecket:  ik  vorghete  dy  nnmer  mer. 
dat  modt  eyn  scheydent  sin. 

1,  3  hs.  anfanck,  dann  fanck  durchstrichen  und  (in  der  folgenden  Zeile) 
gliefanck.  2,  3  steyt  mit  anderer  Tinte  am  Bande.  2,  6  es  stand  ursprünglich 
dach  nnde  (ok  de  übergeschrieben)  nacht.  3,  8  hs.  herteze.  4,  8  Jis.  hant. 
6,  2  de  am  Bande  nachgetragen. 

Die  gleiche  Zahl  und  Beihenfolge  der  Farben  tot  die  Fassung  des 
Frankfurter  Lb.  (bei  Mittler  Nr.  697),  völlig  abweichend  der  niederdeutsche 
Test  in  den  Nd.  Volksliedern  I  Nr.  108  (8  Strophen).  Eine  geistliche  Um- 
dichlnng  bei  Ilölscher  Nr.  XXXIX  (6  Strophen).  —  Die  Melodie  liegt  dem  nl. 
/Jede  Ic  heb  ghejaecht  mijn  leven  lanc  (Horae  Belg.  X  Nr.  109  unter  Brugmans' 
Namen)  zu   Grunde. 

Nr.  XII.    Volkslied. 

Eyn  ander  leydt. 

1.  Id  redt  eyn  ridder  wolghemodt, 

He  vorde  eyne  fedderen  up  sinem  hode. 

2.  (f.  35b)  He  vorde  eyne  valcken  np  siner  hant, 
He  redt  dem  marckgraven  dorch  sin  landt. 

3.  He  redt  dem  marckgraven  vor  sine  dor, 
Dar  seten  dre  schone  junckfrnwen  vor. 

4.  'Stolte  ridder,  ridt  mi  nicht  to  na, 
Dat  my  jnwe  grauwe  ro/z  nicht  entsla.' 

5.  'Myn  grauwe  ro/z  sleyt  jnw  nicht: 

He  heft  de  schonen  junckfruwen  vel  to  leff. 

6.  Jnnckfruwe,  ik  gheve  jnw  — 

Das  Lied  steht  liochdeulsch  bei  Uhland  Nr.  108  (vgl.  S.  1010),  nieder- 
deutsch in  jüngerer  stark  abweichender  Fassung  in  den  Nd.  Volksliedern  I 
Nr.  131. 

Der  Schluss  unserer  Aufzeichnung  ist  leider  herausgerissen  und  die 
Seite  35b  obendrein  überklebt  durch 

[f.  3»bb)     Nr.  XIII.  Geistliches  Lied  nach  der  Melodie  des  vorigen. 

1.  Id  was  e'yn  vorste  also  grodt, 

de  henimel  nnde  erde  allene  schopp. 

2.  He  schopp  den  mynschen  na  synem  ghebilde, 
tho  synem  lave  nnde  ere. 

2* 


20 

3.  De  dorch  den  slanghen  wart  bedraghen 
unde  van  synem  scipper  gberaden. 

4.  De  milde  god  vorbarmede  sick  des, 
dat  de  mynsche  bedraghen  was. 

5.  Unde  trachte  tho  erer  salicheyt, 
wo  de  mochte  —  —  — 

Vgl,  hierzu  die  Variante  f.  36b.  37a  (unten  Nr.  XUIa):  die,  abweichenden 
Lesarten  zeigen,  dass  das  Lied  beidemal  aus  dem  Gedächtnis  niedergeschrie\*n 
ward. 

Nr.  XIV.    Fragment  eines  Volkslieds. 

l. 

—  (f.  36a)  hamer  nnde  ok  myt  tanghen. 
dar  vant  ik  nicht  men  haverkaff, 
dar  was  myn  krudt  verghangben. 

2.  Dat  dn  myn  krndt  vordorven  hefst, 
des  schal  dy  noch  wol  ruwen; 

nnde  leve  ik  dissen  sommer  lang, 
ik  plante  noch  eynen  nyen  blomen. 

3.  Ik  kam  mick  in  eynen  danjz  gheghan 
mancker  ghesellen  unde  hoveseke  junefrouwen, 
dar  vanth  ik  mynes  krndes  eynen  kranfz, 

dar  tho  vorghetten  trnwe. 

4.  Dar  vanth  ik  ze  in  dem  dansse  gheghan, 
(f.  36b)  dar  my  befft  na  vorlanghet, 

dar  vanth  ik  ze  an  dem  dansse  gheghan 
myt  brnner  varwe  bevanghen. 

5.  Dn,  dn  eddele  lylienbladt, 
dn  eddele  keyzerinne, 

nnde  dat  ik  van  dy  scheiden  schal, 
des  krencket  myr  hertz  nnde  synne. 

Ich  habe  das  Lied  nicht  anderweitig  feststellen  können. 


Nr.  XHIa  (teilweise  Wiederholung  von  XII). 

Dit  ander  singhe  na  der  wyze  alse  van  dem  ridder,   de  dem  marckgrarei 
redt  dorch  syn  land: 

1.  Id  was  eyn  vorste  also  grod, 
de  hemmel  nnde  erde  allene  scopp, 

durchstrichen. 

2.  He  schop  den  mynschen  na  synem  bilde, 
en  allene  tho  belevende  nnde  erende. 

Den  anbeghin  desses  sanges  vinst  dn  III  blade  thovoren. 


21 


(f.  37a)  3.  De  dorch  den  slanghen  wart  bedraghen 
trade  so  van  orem  gode  drenghet. 

4.  De  milde  god  vorbarmede  sick  des 
unde  trachte  tho  orer  salicheit. 


durchstrichen. 


Nr.  XV.    Lied  von  Marien  Verkündigung. 


1.  De  here  vorbode  den  engel  schone, 
dat  he  her  trede  al  an  den  tron. 

2.  De  engel  quam,  godt  sprach  thohant: 
4ik  mudt  dy  senden  in  verne  lantd. 

3.  Ach  Gabriel,  eyn  junghelyn  fyn! 
du  mnst  my  eyn  truwe  bade  syn. 

4.  Nn  nym  nnse  septrnm  in  dyne  hant, 
up  dat  du  sist  van  allen  bekant. 

5.  (f.  37b)  Var  in  de  Stadt  tho  Nazareth 
to  ener  juncfrouwen  ghar  wunnichlick. 

6.  De  grote  in  dem  namen  myn 

onde  segghe  er,  ik  wyl  ore  kyndelyn  syn.' 

7.  De  enghel  sperde  uth  synegoltvedderen, 
he  hof  sick  np,  he  sette  sick  nedder. 

8.  He  vloch  so  spei  myt  groter  hast 
to  Nazaret  al  in  de  Stadt. 

9.  He  quam  aldar  de  maghet  was: 
an  oren  innighen  bede  ze  lach. 

10.  He  sprack:  'god  grote  juw,  schone 

maghet! 
wente  gy  ok  gode  so  wol  behaghet. 

11.  (f.  38a)  Gy  scollen  syn  maghet  unde 

moder 
van  Jesu  Christ  al  unsen  behoder.1 

12.  De  maghet  scrack  so  sere  vorwar 
al  vor  dem  grote  des  engheijz  dar. 

13.  Se  sprack :  'wo  mach  ik  des  beghinnen  ? 
wente  ik  nu  nenen  man  bekande.1 

14.  De  enghel  de  tröste  ze  altohant: 
'Maria,  dat  schal  dy  syn  bekant. 


15.  De  hilghe  geyst  schal  an  di  komen, 
also  de'douw  valt  up  de  bloraen.' 

16.  Do  sprack  Maria  al  apenbar: 
4k  han  dyne  rede  wol  vorstan. 

17.  Na  dinem  worde  my  ghesche, 
des  helpen  my  de  namen  dre.' 

18.  Tohant  so  bloyede  de  roze  rodt, 
den  soten  dow  ze  an  sick  sopp. 

19.  (f.  38b)    Ok    sehen    hir    var    dat 

morghenrödt, 
de  waren  sunne  an  sick  slotd. 

20.  Er  hovet  neghede  ze  al  den  schod, 
also  de  blawe  fyolek  dodt. 

21.  Se  heft  ok  oren  roke  sehyn, 
also  de  wytte  lylye  fyn. 

22.  Do  Maria  vulbortd  hadde  gheven, 
Gabriel  in  vrouden  beghunde  to  sweven. 

23.  He  spreyde  uth  syne  goltvedderen, 
he  hoff  sick  to  dem  trone  snel  wedder. 

24.  He   brochte   dat   vulbortd   van  der 

maghet, 
de  gode  hadde  so  wol  behaghet. 

25.  (f.  39a)   Do   sprack    god   vader  in 

ewycheyt: 
'ok  segghe,  eyn  enghel  ghemeyt, 

26.  Ok  segghe  my,  eyn  junghelyn  fyn: 
wo  entfeng  dy  doch  dat  meghetyn?1 

27.  'Dat  meghetyn  heft  myr  wol  ent- 

fanghen 
godes  wylle  ijz  vuüenghanghen.' 

28.  Were  dyt  kyndelyn  scone  nicht  ent- 

fanghen, 
so  were  wy  altomalen  vorghanghen. 


29.  Were  unfz  dat  kyndelyn  nicht  gheboren, 
so  were  wy  altemalen  vorlaren. 


14,  2   hs.  bekat.     16,  1   lis.  apebar.     21, 
sweuede  beghüde  to,  nachträglieh  umgestellt 


1    Iis.   rokesehyn?     22,  2   hs. 


22 


Xr.  XVI.    Ein  anderes. 

Noch  eyn  ander  schone  cantilena  up  dat  ewangelium  'missus  est  angelus'. 


1.  (f.  39b)  Tho  dissem  nuwen  jare 
so  wyl  wy  vrolick  syn! 

un/z  heft  eyn  juncfrouwe  clare 

ghebert  eyn  kyndelyn: 

tho  Bethleem  vorkoren, 

alse  un/z  de  scrift  vorklart,     • 

wardt  un/z  dat  kyndelin  gheboren, 

de  maghet  bleff  ünbeswert. 

2.  Dar  boven  uth  dem  trone 
wart  Gabryel  ghesant 

tho  eyner  maghet  schone 

al  in  dat  lovighe  lant: 

tho  Nazareth  al  in  de  stadt 

dar  he  ze  vant  alleyne; 

he  sprack:  'godt  gheve  dy  vrede, 

godt  i/z  mydt  dy  ghemeyne. 

3.  (f.  40a)  Du  bist  boven  alle  frouwen 
van  gode  ghebenedyet, 

an  dy  so  i/z  entholden 
dat  Adam  heft  entfernighet. 
du  schalt  an  dynem  lyve 
eyne  eddele  frucht  entfan 
unde  blyven  sunder  anghest 
unde  twyvelen  nicht  dar  an.1 

4.  De  maghet  wartd  ser  entbeveu, 
vorschrecket  in  oren  moth, 

ze  dachte  in  oren  sinne, 
wat  wezen  mochte  de  grodt, 
den  er  de  enghel  brachte, 
de  was  ny  er  ghehordt. 
ze  sprack  myd  stempnen  sachte: 
'wo  mochte  dat  ghesyn?' 

5.  (f.  40b)  De  enghel  sprack:  'du  schone, 
du  scholt  nicht  syn  vorsaghet, 

du  entfangest  des  oversten  sone 
unde  blivest  eyn  reyne  maghet. 
du  entfanghe  one  sunder  sunde, 
dat  licht,  der  eughele  brodt. 
der  werlde  moghe  syne 
eyn  wortd  nicht  syn  ghenodt.1 

6.  'Wo  mochte  ik  frucht  gheberen? 
ghekande  ik  doch  ny  neuen  man, 
hebbe  ik  doch  ny  gheberet, 

wo  mochte  dat  wezen  dan? 


id  i/z  boven  nature  unde  krefte, 
tho  wezende  mo(f.  41a) der  unde  maghet 
des  truret  myn  ghedechte, 
dar  van  byn  ik  vorsaghet.1 

7.  'Du  hoghe  maghet  van  pryze, 
du  schalt  nicht  syn  vorsaghet. 
de  hilghe  geyst  wyl  risen 

an  dy  vel  werden  maghet. 
de  godes  krafft  utherkoren 
de  wertd  dy  umme  ghedan, 
dat  van  dy  wertd  gheboren, 
schal  Adames  sunde  affdon.1 

8.  Adam  unde  syne  ghesellen 
de  leghen  so  langhe  ghevanghen 
in  der  varborch  der  hellen, 

dar  umme  dat  ze  hadden  my/zghedan. 

dat  Adam  hadde  vorloren 

(f.  41b)  den  erdeseken  paradi/z, 

dat  wartd  van  dy  gheboren. 

Ave,  ik  byn  des  wys. 

9.  Elyzabeth  heft  entfanghen 
in  orer  olden  tydt, 

ore  jar  de  synt  vorghanghen, 
du  maghet  ghebenedyet. 
id  i/z  ok  in  ghodes  vormoghe, 
wat  i/z  unde  wezen  schal, 
vulborde  myt  ghuder  hoghe 
unde  tröste  dit  j  am  er  dal. 

10.  De  maghet  was  othmodich  unde  reyne. 
vallet  nedder  upp  ore  kny: 

'su,  eyn  denerinue  godes, 
nach  dynem  worde  my  sehe.1 
al  tho  den  sulften  stunden 
entfanghet  de  maghet  fyn, 
ze  droch  one  sunder  anxst, 
ze  geber  one  (f.  42a)  sunder  pyu. 

11.  Tho  Bethleem  utherkoren, 
so  un/z  de  scrifft  vorklaret, 
wort  un/z  dat  kyndelyn  gheboren, 
de  maghet  bleff  ünbeswert. 

syn  moder  de  bleff  maghet; 
er  van  des  wyl  wy  vrolick  syn 
unde  frouwen  un/z  altomalen: 
un/z  mochte  nicht  beth  ghesclien. 


2$ 

Das  Gedicht  ist  in  der  Überlieferung  besonders  arg  mitgenommen,  ob- 
wohl es  ein  ursprünglich  niederdeutsches  Produkt,  keine  Übertragung  aus  dem 
Hochdeutschen  ist:  schon  die  Reimbindungen  4,  2/4  modt :  grodt  (muot :  gruoz); 

5,  6/8    brodt :  ghenodt   (bröt  :  genöz);    4,   5/7    brachte  :  sachte  (brähte  :  sanfte); 

6,  5  7  krefte  :  ghedechte  würden  als  Beweis  dafür  genügen;  vieles  andere  ist 
bei  der  Umschrift  aus  einem  westlichen  in  einen  östlichen  Dialelct,  mehr  noch 
durch  Einwirkung  oberdeutscher  Schreibart  verwischt  woi'den.  1,  5  /.  uther- 
koren  (wie  11,  1).  11.  kynt,  ebenso  11,  3.  8  /.  unbeswart  (:  verklart),  ebenso 
11,  4.  —  2,  5  tho  Nazareth  der  stede  (:  vrede).  6/8  /.  alleyn  :  ghemeyn  (resp. 
alleen  :  ghemeen).  —  In  Str.  3,  wo  der  Reim  gänzlich  zerstört  ist,  macht 
Z.  4  die  grössten  Schwierigkeiten:  entfernighet  stand  ursprünglich  da,  ist  aber 
in  ein  Wort  geändert,  das  ich  nur  als  entfernt  zu  lesen  vermag.  5,  7  wird 
durch  Umstellung  leicht  ein  Reim  lyve  :  blyven  hergestellt  wie  7,  1/3  prise  : 
risen.  —  4,  6  wird  im  Reim  auf  sin  :  geschin  (geschien)  eingeführt  werden 
müssen,  vgl.  auch  11,  6/8.  —  5,  2  4  muss  ebenso  wie  6,  6/8;  7,  2/4  stumpfer 
Reim  sein,  also  etwa  in  der  Schreibung  maecht  :  vortsaecht.  —  6,  1/3  wird 
man  auf  den  ursprünglichen  Reim  gewinnen  :  weet  ik  doch  nicht  van  minnen 
raten  dürfen.  —  7,  6 '8  /.  mnmevan  :  afdwan.  —  8,  2  /.  ghevan,  —  wenn  nicht 
die  Verderbnis  tiefer  liegt.  —  10,  1/3  ist  gewiss  von  einer  Umstellung  in  3 
aus  xu  heilen:  godes  denerinne  :  reyner  sinne?  7  /.  sunden  (:  stunden),  oder  besser 
noch  sunde  (:  stunde). 

Nr.  XVII.    Fragment  ('Es  kommt  ein  Schiff  gefahren'). 

1.  Ave  Maria,  roseke,  2.  Hur  kumpt  eyn  schepken  varen 

du  leve  moder  myn,  so  verne  uth  Enghelant, 

tröste  alle  herte,  Maria  sit  darinne, 

de  nu  bedrovet  syn.  ore  leve  kynt  wol  bekant. 

3.  Och  we  (f.  42b)  mochte  küssen 
vor  sine  rotermunth! 
dat  kerne  wol  tho  lusten: 
syn  zele  de  worde  ghesunth. 

Str.  2  und  3  bilden  in  der  %strophigen  Fassung  der  Horae  Dclgicae  X 
Nr.  26  die  erste  und  letzte  StropJie,  im  Werdener  LR  Nr.  11  Str.  1  und  7. 
Str.  1  hat  nur  einen  Anhalt  in  der  oberdeutscJien  Tradition,  vgl.  H.  v.  F. 
Kirchenlied  Nr.  34  (=   Wackernagel  II  Nr.  458)  Str.  3. 


Xr.  XVni.    Osterlied. 

Wy  wyllen  alle  vrolick  syn 

tho  disser  osterliken  tydt, 

dar  al  unse  trost  unde  heyl  an  lydt. 

alleluja,  alleluja! 

alle  alle  alleluja! 

ghelavet  sy  god  unde  Maria! 

Vgl.  Wackernagel  II  Nr.    1121;    niederdeutsch  aus  eitler  Hildesheimer 
Hs.  c.  ./.  1478  im  Jahrb.  V,  47. 


24 


Nr.  XIX.    Passionslied  (Christi  Tagezeiten). 


1.  (f.  43a)  Un/z  daghet  hüte  en  /zalich 

dach, 
de  mach  un/z  vroude  bringhen; 
de  ewighe  sunne  gift  eren  schin, 
der  mach  un/z  wol  ghelinghen. 

2.  Wan  dat  kumpt  to  der  primen  tyd, 
und  ik  myn  leveken  wil  schouwen, 

so  vinde  ik  en  to  Pylatus  hu/z 
mit  roden  rozen  bestrouwet. 

3.  Wan  dat  kumpt  to  der  tercien  tydt, 
unde  ik  myn  leveken  wil  schouwen, 

so  wizet  he  my  dat  duldighe  lam, 
dat  kan  he  wol  bewisen. 


4.  (f.  43b)  Wan  dat  knmpt  to  der  sexteu 

tyd, 
so  kumpt  my  myn  leff  to  mote, 
mit  enen  cruce,  dat  i/z  swar, 
so  bitterliken  wenende. 

5.  Wan  dat  kumpt  tor  nonen  tydt, 
so  schinet  de  sunne  bete, 

so  schenket  he  my  den  roden  wyn 
uth  synes  herten  wunne. 

6.  Wan  dat  kumpt  tor  vespertydt 
unde  ik  myn  leveken  soke, 

so  vinde  ik  one  in  Marien  schote 
mit  heten  tränen  beghaten. 


7.  (f.  44a)  Wan  dat  kumpt  to  der  corapleten  tydt, 
unde  ik  myn  leveken  wil  schowen, 
so  ze  ik  hir  unde  ze  aldar, 
ift  he  dar  nerghen  stunde. 

Die  Reime  sind  mehrfach  verderbt,  man  möge  einsetzen:  4,  2  bejenemk. 
5,  4  swete;  andere  Verderbnisse  liegen  tiefer. 


Nr.  XX.    Die  minnende  Seele. 

Ift  du  begherest  tho  hörende  ifte  tho  synghende  werlike  senghe  unde  glwlt 
tydvordriff  tho  hebbende,  so  holt  dy  tho  dissen  senghen. 


1.  Ik  byu  van  sorghen  drovich, 
thom  herten  i/z  my  we, 

wan  ik  de  valschen  warlde 
vor  mynen  oghen  /ze. 

2.  Ik  wil  selscop  soken 

unde  wyl  spasceren  (f.  44b)  ghan 
in  mynes  leves  gharden 
unde  speien  sunder  wan. 

3.  Wan  ik  byn  allene, 
so  byn  ik  seker  vro, 
wen(te)  alle  tydtvordryvent 
i/z  in  ghuder  selscopp  jo. 

4.  Ik  hau  twe  leve  selleken, 
de  stedes  by  my  syn, 

de  eyne  i/z  myn  apostel, 
de  ander  myn  enghel  fyn. 

5.  Dar  tho  eyn  truwe  meghetyn, 
dat  heth  oratio, 


de  kan  so  wacker  vleghen 
wente  in  den  hemmel  hoch. 

6.  Dat  meghetyn  wyl  ik  senden 
von  hir  uth  Jeri(f.  45a)cho, 

dat  ze  my  selscop  vorwerve 
van  Jerusalem  hoch. 

7.  Bekanth  unde  ok  wylkomen 
i/z  ze  dem  hemmelschen  her, 
wes  ik  dar  uth  beghere, 

den  kan  ze  brynghen  her. 

8.  Wol  i/z  de  maghet  wacker, 
doch  wart  ze  vaken  kranck, 
so  inudt  ze  by  sick  hebben 
van  tränen  eynen  dranck. 

\).  Se  schal  my  dar  vorwerven 
des  hilghen  geystes  ghunst, 
de  i/z  in  allen  speien 
de  alderbeste  knnst. 


25 


10.  Wyl  ik  wol  behagheu 
dem  leven  Jhesu  myn, 

so  mudt  ik  medebrynghen 
de  leven  moder  syn. 

11.  (f.  45b)  Wan  ik  dorch  myne  sunde 
synen  torne  fruchte  [so], 

so  suth  he  syne  moder 
vor  my  tho  biddende  jo. 

12.  Se  mach  orae  vormaueu 
de  brüste  de  he  soch, 

wan  ze  one  up  oreu  armen 
in  syner  kyntheyt  droch. 

13.  Se  metyghet  synen  torne 
unfz  armen  sonderen  jo, 
wan  wy  myd  nnsem  bede 
tho  er  hebben  thovlucht  jo. 

14.  Wan  ik  de  koninghinnen 
vau  hemmel  so  lade  jo, 

dan  volghet  orer  vruwen 
dat  ghansse  her  dar  tho. 

15.  (f.  46a)  Margareta,  Ursula, 
Agneta,  Barbara, 

de  volghen  mydt  den  anderen 
der  koninghynnen  na. 

16.  Myd  den  wyl  ik  den  speien 
nnde  treden  in  den  danjz, 

ze  scholt  my  helpen  maken 
uiynem  leve  eyneu  kranjz. 

17.  Wol  mach  sick  den  vrouwen 
myn  zele  uude  ok  myn'lyff, 
wan  ik  myd  sulker  selscopp 
mach  hebben  tydtvordryff. 

18.  Vor  mynes  leves  gharden, 
dar  ligghen  vyende  vel, 

de  mick  den  wech  (f.  46b)  vorkeren, 
wan  ik  dar  speien  wyl. 

IV).  Ik  wyl  tho  sammede  lezen 
dat  bjttere  lydent  syn 
nnde  legghen  upp  myn  herte 
so  eyn  in  irren  bundelyn. 

20.  So  ijz  neyn  vyent  so  dryste, 
d<:  my  den  do  vordretd, 


wan  ze  de  starcken  wapen 
np  mynen  brüsten  seen. 

21.  Wol  [he]  mydt  synem  herten 
den  gharden  urarae  geytd, 

so  ifz  he  van  der  werlde 
jo  wyder  unde  breydt. 

22.  Myner  zele  krefte, 

Stadt  upp  unde  ghadt  (f.  47a)  vyl  snel, 
dat  wy  der  tydt  wol  bruken, 
de  uujz  god  gheven  wel. 

23.  Id  geyt  nu  an  den  avent 
mydt  unses  lyves  macht, 
un/z  mochte  snel  besliken 
des  wyssen  dodes  nacht. 

24.  Welck  tydt  nu  [is]  vorlaren, 
de  wert  uycht  wedder  bracht, 
de  is  jo  in  dem  besten, 

de  nu  syn  leveken  socht. 

25.  In  mynes  leves  gharden 
i/z  de  berch  calvarie, 

dar  wassen  rozenblomen 
tho  allerhande  we. 

26.(f.47b)Dar[inne?]heftunfzghep!anret 

de  wäre  karitas 

de  droffeleu  upp  den  rancken, 

dar  rae  den  roden  wyn  uth  parset. 

27.  De  bom  des  hilghen  cruces 
i/z  hoch  unde  ok  al  breydt, 
dar  jo  mydt  wyden  armen 
Jhesus  myn  leff  uppe  steytd. 

28.  Van  mynes  leves  schetelen 
wente  upp  synen  vodt 

kan  ik  in  ome  nicht  vynden 
men  wunden  unde  blodt. 

29.  Och  mochte  ik  dar  sughen 
myd  dem  sundighen  munde  myn 
uth  den  mynsten  wunden 

den  roden  soten  wyn! 

30.  (f.  48a)  Ik  han  [van]  mynen  sunden 
grote  kraucheyt  unde  byn  seck, 
myner  zele  wunden 

syn  ser  vul  unde  depp. 


26 

31.  In  sick  myn  leff  lieft  sahen,  83.  In  syn  vyl  mylde  herte 
de  maket  my  wol  sunth,                                wyl  ik  my  sencken, 
darumme  wyl  ik  ome  wyzen  so  kan  ik  nenes  Ieydes 

al  myner  sunde  gruntd.  (f.  48b)  men  vrouwde  deuckeu. 

32.  Eme  wyl  ik  klaghen  34.  Wy  wyllen  in  dissem  ghardeu 
al  mynes  herten  leydt,  de  fynen  blomelyn 

he  kan  my  wol  trösten  altosamede  plucken 

alse  eyn  frunt  den  anderen  deyt.  unde  makeu  eyn  krenselyn. 

35.  Dat  krenzelyn  schal  van  leve 
thohope  voghct  syn, 
den  wyl  ik  den  upsetten 
dem  alder  levesten  myn. 

Str.  11,  2  man  könnte  auch  auf  fruchten  do  raten,  18,  4  es  steht 
vorher  durchstrichen:  wan  ik  spasseren  wyl.  20,  2  die  la.  vordre td  ('verdricssi  \ 
scJieint  sichei'y  obwohl  das  erste  r  und  dann  wieder  re  nbergesclirieben  sind;  der 
Heim  lässt  sich  ja  durch  Einfügung  der  Form  seedt  herstellen.  23,  4  h. 
acht  (durchstrichen)  nacht.     33,  2  hs.  seckeu.     35,  1  hs.  krezelyn. 

Das  Gedicht  kündigt  den  Welteifer  mit  der  Weise  des  Volksliedes  gleich 
in  der  Vorbemerkung  an.  Es  gehört  mit  dem  folgenden  (XXI)  und  mit  Nr. 
IV,  V  zu  einer  engem  Gruppe,  die  niederrheinischer,  vielleicht  geradezu  n\t- 
derländischer  Herkunft  ist,  obwohl  ich  bisher  nur  für  Nr.  IV  eine  niederländisch' 
Parallele  kenne. 

Nr.  XXI.    Paraphrase  der  Glaubensartikel. 

Dissc  uaghescreven  verseke  spreket  up  de  artikel  des  cristliken  loveu 
unde  thom  ersten  up  dat  wort:  'he  is  entfanghen'  dit  versek: 

1.  Her  Gabriel  de  plantede  eyne  rozen  to  Nazaret, 

de  wa/z  in  s;ck  so  kreftich,  dat  ze  den  hemmel  thoredt. 

(f.  49a)  Gheborcn  van  Marien: 

2.  Tho  bethleem  dar  was  eyn  fyn  wyd  rozelyu, 

in  houw  hadde  de  gheplantet  eyn  fyn  kusek  meghetyn. 

Ghelcden: 

3.  Iu  dessem  gharden  wassen  de  eddelen  druffelyn, 
dar  unfz  ijz  uth  gheparset  de  heylsame  rode  wyn. 

Ghestorven: 

4.  In  dem  mydden  daghe  (f.  49b)  so  ijz  de  sunnc  lietd, 
so  gha  wy  tho  dem  bome,  dar  ik  myn  leveken  wedt. 

5.  Dar  wyl  ik  ome  tho  holden  mynes  herten  schotd 
unde  wyl  den  dar  entfanghen  de  soten  rozen  rodt. 

Begraveu : 
B.  Mercket:  desse  rozen,  dat  ifz  dat  leveken  myn, 
dat  wyl  ik  den  begraven  an  mynes  herten  schryn. 


27 

He  ifz  nedder  steghen  to  den  hellen: 

7.  De  vyl  schone  rose  sehen  so  eyn  karbunkelyn 
den  synen  in  der  helle  unde  lozcde  ze  uth  der  pyn. 

(f.  50a)  He  ijz  up  ghestan  van  den  doden: 

8.  De  vorwclkedc  rozc  van  slcghen  unde  van  pyn 

•     [in]  donwe  wedder  groyet  unde  lieft  dusent  sunnen  sehyn. 

He  ijz  up  ghesteghen  tho  den  hemmelen: 

9.  Van  hogher  vlueht  de  arnt  so  varet  de  blomelyn 
boven  alle  hemmele  wentc  tho  dem  trone  syn. 

He  is  thokuftich  tho  richtende  de  levendighen  unde  de  doden: 

10.  Uth  mynes  leves  munde  geytd  eyn  twe  — 

Str.  3  und  die  Überschrift  von  4.  5  wurden  dojyelt  geschrieben  und 
dann  das  erste  Mal  ausgestrichen;  Variante:  3,  2  xucj'st  gheparset,  nachher 
ghepset.  7,  1  hs.  schone  blome  (durchstrichen)  rose.  Str.  10  mit  twe-  bricht 
dir  Schreiberin  ab,  Bl.  50b  ist  unbeschrieben. 

jfol.  51 — 56  leer.] 

Xr.  XXII.    Biblische  Zeugnisse  vom  Lohne  der  guten  Werke. 

(f.  57a)  Mercke  du  nisten  mynseke  uth  den  worden  Christi  unde  des  hilghen 
apostcls  saneti  Pauli,  ok  uth  anderen  bestcntliken  scriften,  wo  dat  de  hilghen 
Ion  vordenen. 

To  dem  ersten  vyntme  Mathci  am  voften,   Luce   am  sosten:   'Sedt,  juwe 
5  Ion  ifz  grodt  unde  avertiodich  in  den  licinmelcn.'     (Matth.  5,  12.    Luc.  6,  23.) 

Quarte  apocalipsis  in  dem  anderen:  (f.  57b)  4Ik  werde  gheven  enera  ju- 
welken  na  synen  werken.'    (Apoc.  2,  28.) 

Item  Apocalipsis  in  dem  verteynden:   'Salich   syn   de   doden,   de   in   den 
heren  stervet,  ore  wereke  volghct  one  na.'     (Apoc.  14,  .13.) 
10  Luce  in  dem  verteynden  dar  wert  mc  ok  wol  vinden,  wer  de  werke  nicht 

ghelden,  dat  hir  tholangh  ijz  to  scrivende. 

In  der   ersten   epistelcn   tho   den  (•orintcren   in   dem  voftey[n]den  unde 
verteynden  capittel:  (f.  58a)  'Eyn  juwolck  wart  syn  Ion  nemeu  na  synem  arbeyde.' 
(I  Cor.  3,  8.)     'Overvlodich  sitd  in  dem  wereke  des  heren  stede,  dar  uth  dat  gy 
15  weten,  dat  juwe  arbeyt  iJV?  nicht  unnuttc  iu  dem  heren.'     (I  Cor.  15,  58.) 

Paulus  to  den  Homeren  am  anderen:  'Godt  wart  gheven  eynem  juwelkeu 
na  synen  wareken.  den  vorwarvet  de  vader  lydinghe  des  ghuden  (f.  58b)  werekes 
herlicheyt  unde  ere  unde  unstraflicheyt  soken,  dat  rike  godes  unde  dat  ewyghe 
leveut.'     (Rom.  2,  0.) 
20  Sapiencie  in  dem  losten:  'Se  hebben  nicht  ghehopet  dat  lön  der  gherech- 

tirheyt,  ghudt  aver  dunde  scolle  wy  nicht  uphoren,  wente  wy  werden  id  in  der 
tydt  meyen.'    (Sap.  2,  22.) 

Item  Paulus  to  den  Galatereu  in  dein  sosten:  *Wan  wy  tydt  hebben,  ladt 
unjfc  ghudt  don  tho  allen,  unde  dem  meysten  to  dem  husghesinde  des  ghelovcn.' 
25  (('al.  0,  10.) 


28 

(f.  59a)  Ecclcsiastes  im  anderen:   'Gy   de   den   heren  fruchten,   ghcluvet 
ome,  unde  juwe  Ion  schal  nicht  uth  ghedelghet  werden.'    (Ecclu  2,  8.) 

Psalmista:  'Ik  hebbc  myn  herte  gheneghet  tho  dunde  dyne  gherechtichevt 
in  der  ewycheyt  umme  den  wedderlon.'     (Ps.  118  (119),  112.) 
30  Sapiencie  in  dem  ersten:  'De  rechten  werden  in  ewycheyt  leven,   und* 

by  dem  heren  ij"z  ore  Ion.'    (Sap.  5,  16.) 

Mathei  im  teynden:   'De  enen  propheten  to  sick  (f.  59b)  nympt  in  den 
namen  des  propheten,  de  wart  enes  propheten  Ion  nemen.'    (Matth    10,  41.) 

Mathei  im  neghenteynden:   'De  de  vorledt  huze,  efte  brodre,  efte  sustcr. 

35  efte  moder,   efte  vruwen,   efte  kynder,   efte   acker  umme  mynes  namen  wyllen, 

de  wart  hundertvolt  nemen  unde  dat  ewyghe  levent  besitten.'    (Matth.  19,  29.  > 

Les  Marci  im  negheden,  Mathei  in  dem  twyntighesteu,  in  der  ersten  tho 
den  (-horin(f.  60a)theren  im  dnidden  capittcl:   'Isset  dat  werke  blivet  unde  dat 
he  dar  upp  buwet,  he  wart  Ion  entfanghen  etc.1    (I  Cor.  3,  14.) 
40  Luce  im  XVIII.  unde  im  VI.,  Ecclesiastes  im  XVL,  to  den  Ebrereo  im 

VI.,   ok  im  X:   'Warpet  nicht  van  juw  juwe   vortruwenissc,   de  de  heft  grote 
wedderghevinge  des  lones.'     (Hehr.  10,  23.) 

Item  to  den  Ebreis  im  XIII.,  Johannis   im  anderen  vynt  me  dir  ok  van 
wäre  tuchnisse. 
45  (f.  60b)   Item  Paulus  ad  Titum:   'De   de  vechtet  im  banghestrydt,  schal 

nicht  ghekronet  werden,  id  sy  dat  he  eeliken  stridet.'    (II  Tim.  2,  5!) 

Genesis  im  XV.:   'Ik  byn  dyn  vordeghedingher,   dat  Ion  dynes  arbeydes.* 
(Gen.  15,  1.) 

Ecclesiastici  im  III.:   'He   heft  ghegheven   den  gherechten  dat  Ion  ore* 
50  arbeydes.    (Sap.  10,  17!) 

Ecclesiastici  im  drudden:    'Den   doden  nicht  vorbeydet  gnade.'     (Eccli. 
7,  37.) 

(f.  61a)  Paulus  ad  Titum,  dat  he  scholde  dat  volck  vormanen  unde  reyzen 
tho  ghuden  wereken:   'Darumme  blivet  jo   bestendich,  juwe  wareke  willen  van 
55  dem  heren  nicht  unvorloent  bliven,   des  wy  de  ghanssen   scrift  vul   hebben." 
(Frei  nach  Tit.  3,  8.) 

Ok  secht  sanetus  Paulus :  'Id  behort  sick  dat  ketterie  werden,  up  dat  de 
lovighen  werden  vorsocht.'     (I  Cor.  11,  19.) 

Augustinus  in  dem  boke   de   civitate   dei:   'Alse   de   duvel   sudt,   dat  de 

60  tempel  der  duvel  syn  vorlaten  (f.  61b)  unde  dat  me  loppet  tho  dem  namen  der 

vryeheyt   des   myddclors,    so   beweghe[t]   he   de   ketters,   de   under  dem  crist- 

liken  namen  wedderstan  der  cristlikcn  lere  alse   eyn   stadt   des   hones,   alse  in 

ze  ane  jeneghe  brecHchcit  syn  ghesen  in  der  stadt  godes  unde  syn  doch  alse 

eyn  stadt  des  hones.    ze  hebben  mancket  sick  wyssaghen  de  mannigherhande 

65  unde  wedderwardighe  dinghe  volen.    wat  he  nu  nicht  dorch  sick  kau  don,  da' 

deyt   he    dorch   valsche   broder,    de    he   be(f.  62a)drechliken    under   der   stalt- 

nisse    des   ghuden   unde    der  upscrift  des  loven  —  de  duvel  —  heft  gemenghet 

mancket  de  cristen  dorch  de   tholatinghe  godes,    up   dat  ze   den  waren  lcnen 

anvechten  umme  der  nutticheyt  syner  utherwelden  [willen],   de  namal/z  werden 

70  sSn  de  pyne  unde  slymheyt  der  kettere,   dancken  gode,  de  ze  so  nicht  hett 

laten  dwelen,  ane  den  wy  nicht  können  don  efte  vullcnbrin[gen]. 


29 

Z.  1  bis  2  bestentliken,  Z.  6  Quarte  bis  anderen  mit  roter  Tinte.  Z.  1 
ta.  vth  dem.  Z.  8.  10  hs.  verteyndem.  Z.  12  hs.  In  den.  Z.  17  vorwarvet 
de  vader  lydinghe  steht  unbestreitbar  da;  secnndnm  patientiam  aber  will  durch 
na  der  lydinghe  übersetzt  sein,  vorwarvet  ist  ein  ganz  überflüssiges  Yerbum, 
das  s-ich  mit  dem  I^ese fehler  vader  eingedrängt  hat:  das  neue  Subject  schien 
auch  ein  Prädicat  xu  fordern.  Z.  24  dem  meysten  verlesen  für  tem  meyßten? 
Z.  28  Jis.  gherechtich-heyt.  Z.  38  f.  dat  he  vn  dar  durch  Verweisungszeiclvn 
umgestellt.  Z.  63  hs.  breclich-heit.  Z.  66  under  der]  hs.  vn  der.  Z.  71  mit 
vnlleubri  bricht  der  Text  ab;  es  wird  wohl  eine  letzte  Zeile,  die  den  Wort- 
schltuts  gen  brachte,  abgeschnitten  sein;  die  letzte  Seite  (62b)  ist  leer. 

Die  mehrfachen  ungenauen  Stellenangaben  werden  niemanden  verwundern, 
der  sich  je  um  die  Citate  mittelalterlich  Predigthand-schrißen  gekihnmert  hat. 


Anhang  I. 

In  unserm  Liederbüchlein  fand  sicli  schliesslich  noch  ein  loses 
Doppelblatt,  dessen  erste  Hälfte  beschrieben  ist.  Es  wird  schon  Jahr- 
hunderte in  der  frommen  Gesellschaft  geruht  haben,  in  die  sein  Inhalt 
so  wenig  hineinpasst,  ja  die  Aufzeichnung  mag  immerhin  in  die  Ent- 
stehungszeit der  Handschrift  selbst  hinaufreichen.  Format  und  Structur 
des  Papiers  sind  genau  die  gleichen,  und  die  gänzlich  abweichende 
Kursive  mochte  recht  wohl  neben  der  kunstvollem  Buchschrift  im 
Kloster  geübt  werden. 

Das  Gedicht  ist  eine  altertümlichere,  wenn  auch  leider  aus 
Willkür  und  ungenauem  Gedächtnis  entstellte  Fassung  des  Volks- 
liedes, welches  jetzt  als  Nr.  94  in  den  Niederdeutschen  Volksliedern 
(Hamburg  1883)  S.  66  nach  den  Liederbüchern  von  Uhland  und  de 
Bouck  wieder  abgedruckt  steht.  Die  beiden  Strophen  6  und  7,  welche 
die  Druckfassung  mehr  hat,  sind  wahrscheinlich  jüngerer  Zusatz: 
unsere  Version  bietet  einen  drastischen  Abschluss,  wie  ihn  der  neckische, 
aus  sentimentalem  Pathos  ins  Burleske  umschlagende  Ton  des  Ge- 
dichtes verlangt.  Dagegen  ist  unsere  Strophe  4  nicht  nur  in  der 
Überlieferung  barer  Unsinn,  sondern  auch  von  Anfang  an  unberechtigt: 
dem  entflogenen  Vogel  können  unmöglich  neue  Schellen  angehängt 
werden!  Die  Schreiberin  hat  hier  oftenbar  einen  Versuch  gemacht, 
das  Motiv  von  den  Schellen  weiterzuspinnen,  gibt  ihn  aber  alsbald 
wieder  auf  und  zieht  sich  mit  einer  Reminiscenz  an  einen  bekannten 
Liedeingang  (Niederdeutsche  Volkslieder  Nr.  22):  My  ys  ein  fyns 
bruns  Megdciin  gefallen  in  mynen  sinn  recht  ungeschickt  aus  der 
Affaire.  Im  übrigen  bietet  unsere  Aufzeichnung  wertvolle  Lesarten, 
unter  denen  keine  anziehender  ist,  als  der  'wilde  adeller9  in  Str.  2,  1, 
den  der  Druck  durch  einen  'wischen  ogeler3  (Schmeichler)  ersetzt  hat. 
Für  den  Grundgedanken  des  Spottlieds  verweise  ich  auf  das  Gedicht 
'Van   minnen   inde   van   gelde'   der  Berlin-Blankenheimer  Handschrift 


30 


(von  der  Hagens  Germania  VII  327  f.),  wo  Str.  2,  .4  Ich  waindt   uh 
Ain  leyfiste  werc  geradezu  an  Str.  1,  3  des  Volkslieds  erinnert. 


1.  Falsker  thungen  rotter  munt, 
wo  hastu  meck  bedrogen! 

du  sedest,  eck  scholde  de  leveste  syn: 
nu  hastu  meck  vorlogen. 

2.  Meck  ys  cyn  wylder  adeller 
gewont  an  myne  thynnen, 

de  hat  meck  mynen  falken  voryaget, 
de  ys  meck  entflogen  also  verne. 

3.  Dat  he  meck  entflogen  ys, 
dat  schrecket  meck  so  sere. 

de  schellen  heven  cren  klanck  vorloren, 
se  krygen  en  nummer  mere. 


4.  Eck  henke  em  eyn  nye  par  schellen  an. 
de  sunt  em  af  gefallen. 

meck  ys  eyn  fyn  bruns  medelyn  gefallen, 
de  belevet  meck  vor  allen. 

5.  Se  hete  meck  gar  fruentlych  sytten  gan 
by  ere  schmalen  syden, 

se  streck  meck  oever  myn  geles  har, 
se  meynde  dat  gelt  ym  buydel. 

6.  Ach,  het  eck  gelt,  so  were  eck  eyn  holt. 
so  wero  eck  wol  er  holde. 

nu  hevc  eck  neyn  gelt  ^n  mynem  bnydol : 
im  ys  de  leve  gar  thoschalden! 


2,  2  an  aus  yn.     4,  2   ha.   gefalle.     5.  2   hs. 
6,  2  hs.  holden. 


schalen.     5,  4   hs.  mey<le. 


Anhang  IL 
Aus  einer  Marburger  Handschrift. 

Während  das  Ebstorfer  Liederbuch  gedruckt  wurde,  fand  mein 
Freund  der  Bibliothekar  Dr.  Boysen  in  einer  Handschrift  unserer 
Universitätsbibliothek  das  Lied  'Maria  zart'  und  ihm  angefügt  die 
Nachahmung  '0  Anna  zart',  beide  in  niederdeutscher  Fassung.  Die 
Papierhs.,  welche  jetzt  die  Nummer  72  fuhrt,  stammt  aus  dem  Kloster 
Corvey  (alte  Nr.  1 5)  und  enthält  im  Eingange  Bl.  1 — 9  lateinische  Gedichte 
—  Historisches,  Geistliches,  Persönliches  —  des  Hinricus  Bogerius  ('s. 
Krause  in  der  Allgem.  deutschen  Biographie  3,  30),  in  ihrem  Hauptteil 
Bl.  13 — 244  lateinische  Predigten  und  Excerpte  zu  Predigtzwecken. 
Dazwischen  sind  auf  Bl.  10 — 12  die  beiden  Gedichte  eingetragen. 
Das  ganze  gehört  der  Zeit  um  1500  an.  Ich  gebe  nun  eine  Collation 
des  ersten  Stücks  zu  dem  oben  als  Nr.  III  abgedruckten,  des  zweiten 
zu  Wackernagels  Text  (Bd.  II,  1017  ff.). 

1.  'Maria  zart.'  Die  Aufzeichnung  gibt  die  gleiche  nieder- 
deutsche Umschrift  wie  das  Ebstorfer  Lb.,  allerdings  mit  zwei  Plus- 
strophen, von  denen  die  eine  (5a)  in  der  oberdeutschen  Überlieferuni: 
(Wackernagel  Nr.  1036  Str.  11c,  Nr.  1039  Str.  23)  wiederkehrt, 
während  die  andere  (IIa)  neu  scheint:  klingende  Reime  wie  yheltorcn  : 
thovoren,  geve  :  weghe,  eren  :  gheberen,  namen  :  amen  würden  ihr  nieder- 
deutschen Ursprung  zuschreiben,  wozu  freilich  das  stumpfe  seid :  rncW 
des  Eingangs  nicht  stimmen  will. 


31 


1 ,  3  an  allen  dorne  5  hir  weddcr  C  vorlome  9  vorghesproken  10  wrokcn 
14  bist  16  Am  1.  —  2,  3  ser  (?)  vorlangen  8  se  scryeden  10  to  ryd  15  junc- 
frowelick  küfz  gheberen  18  ere.  —  3.  14  bistu  18  dorth.  —  4,  3  smerten  13 
irrote.  —  5,  12  unde  nam  dir.  —  Es  folgt  die  Strophe  5a,  s.  u.  —  6,  9  duvelsche. 
—  7,  18  vor  sunden.  —  8,  2  du  kl.  3  erluchtedc  7  Do  fehlt.  —  9,  5  gabrielc 
10  klyngen.  —  10,  5  du  fron  (frön?)  15  figurert.  —  11,  5  edder  7  Dyn  erhoget 
lovcn  15  keren.  —  Nun  folgt  die  Sehlussslrophe,  vor  der  ich  die  Zumlsatrophe 
5a  einschalte: 


5a.  Maria  gud, 

welk  groth  unmoth 

elende  heft  dyk  vmfangen, 

Do  dy  dyn  kyndt 

van  Juden  blind 

an  dat  cruce  wart  gbehangen. 

In  grotem  gram 
dat  duldich  lam 
van  Judas  kufz  im  garden 
untruwelik  warth  vorraden 
o  mynscbeyt  blot! 
o  martcr  grot! 
0  wunden  dep! 
o  speres  stek! 
dynes  kyndes  afscheyden, 
ghedenke  dar  an, 
ik  dy  vorman 
syus  unschuldigen  lyden. 


IIa.  Maria  seid, 

help  dat  ik  meld 

dar  van  du  byst  gheboren: 

Her  Joachim  gud, 

de  in  unmoth 

god  bath  so  lange  thovoren, 

Dat  he  om  geve 
tho  saligem  weghe 
cyn  frucht  in  alten  cren. 
Anna  dat  dy  gheberen 
an  erfsundc  gär, 
ganjz  reyn  unde  klar. 
Dar  umme  ik  bidde: 
help  uns  selfdridde 
in  dyner  frunde  namen 
und  hemmelrike 
vorwerf  uns  algelikc 
tho  Jhesu  Christo.    Amen. 


2.  '0  Anna  zart.'  Das  Lied,  so  deutlich  sein  oberdeutscher, 
bairischer  Ursprung  ist  (vgl.  Reime  wie  2,  4  f.  allein  :  din,  5,  11  f. 
sU :  unfruchtbarheit,  12,  4  f.  sin  :  gemein),  existiert  nur  in  nieder- 
deutscher Umschrift.  Der  Text,  welchen  Wackernagel  unter  Nr.  1257 
nach  dem  Braunschweiger  Gebetbuch  des  Hans  Dorn  v.  J.  1507  ab- 
druckt, erfahrt  durch  die  nachfolgende  Collation  einige  Berichtigungen 
(3,  11;  4,  12;  6,  6;  7,  5.  10;  10,  2.  3),  obwol  die  Abschrift  wenig 
sorgfaltig  ist.  Die  sprachliche  Form  steht  der  des  Druckes  sehr  nahe, 
wie  man  aus  der  Vergleichung  des  Eingangs  sehen  mag:  lO  Anna 
tzart,  to  ausser  varth  IdJth  vns  dy  nyge  ankeven' 

1,  6  dynem  siechte  (io  übergeschrieben)  dar  neven  17  fruchten.  —  2,  9 
van  welk  ys  uth  ghesproten  14  ghewert  17  dy  bevelent  sy  18  stede.  —  3,  2 
hebt  11  myt  den  kynderen  dyn  17  uploven.  —  4,  8  heft  gebeden  12  smaheit 
der  eer  15  vorbidden  18  ungeberden?  —  6,  3  der  mynschen  4  Dede  lyden  sin 
fi  wetagen  11  geven  räd  18  setten.  —  7,  5  syn  10  behod  12  vor  fehlt  des  d. 
—  8,  5  ut  wat  11  syn  12  fyn  13  uth  des  herten.  —  9,  2  vormert  6  hemmel 
8  cristlik  10  du  plecht  vele.  —  10,  2  scryen  vel  to  dy  3  trurlik  9  uns  jo  ent- 
gelden  nicht  18  dar  wy  neyn  pyne  lyden.  —  11,  4.  5  Maria  sik  bald  vorwendet  (?) 
10  unjfc.  —  12,  3  de  wy    4  de  dy  syn    5  bevolen  dyn     11  antelik    18  dat  leth. 


32 


Anhang  III. 

Als  Bogenfüllsel  gebe  ich  noch  ein  Gebet  in  Reimprosa  ar. 
die  heilige  Gertrud,  das  den  Schluss  der  unserem  Liederbuch 
zeitlich  nahestehenden  Ebstorfer  Papierhs.  VI  10  bildet.  Die  Hs.  enthält 
umfangreiche  Auszüge  aus  dem  Seelcntrost,  mystische  Passionsbctracli- 
tungen  und  zuletzt  Gebete  an  verschiedene  Heilige:  alles  in  Pm<a 
bis  auf  das  geistliche  Lied  (oben  Nr.  IV)  und  das  nachfolgende  Stück. 
Ähnliche  Reimgebete  (an  S.  Dorothea,  S.  Antonius)  hat  Liihben. 
Mitteilungen  aus  nd.  Handschriften  (Oldenburg  1874)  S.  10  abgedruckt. 

(f.  142a)         Van  der  hilgen  juncfrouwen  sunte  (ilierdrnd. 

Grotet  sistu,  hilge  juncfrouwc  sunte  Gherdrud! 

kusche  mylde  godes  brad! 

van  koninges  siechte  bistu  geboren, 

dorch  god  hefstu  desse  werlt  vorkoren. 
5  du  bist  vul  gnade  unde  othmodicheit, 

gade  to  (f.  142b)  lave  togestu  an  eyn  graw  clcyt. 

de  seken  lüde  de  hefstu  reyne  gemakct, 

du  clededest  de  dar  weren  naket; 

de  dorstigen  unde  de  hungerghen  hefstu  gespiset 
10  unde  de  armen  elenden  to  der  herberge  wyset. 

du  herbergedest  beyden  lamen  unde  blinden 

unde  alle  de  zeken  de  du  wor  kondest  vinden. 

Hir  vor  gifft  dy  got  to  lone, 

dat  du  herberge  hefst  in  demc  oversten  trone. 
15  dorch  dine  gude  unde  mildicheit 

so  giff  uns  herberge  in  der  ewicheit, 

dar  wy  moghen  schouwen  de  hilgen  drcvaldicheit.     Amen. 

MARBURG.  Edward  Sehröder. 


33 


Niederdeutsehe  Handschriften. 

Den  Antiquaren  Herren  Volkmann  und  Jerosch  in  Rostock  ist 
beim  Ankauf  einer  älteren  Bibliothek  daselbst  ein  äusserlich  verwahr- 
loster Sammelband  in  die  Hände  gefallen,  dessen  Inhalt  aber  zumeist 
gut  erhalten  war  und  jetzt  von  ihnen  auseinandergenommen  ist.  Der- 
selbe enthielt  3  Handschriften  auf  Papier  in  Klein -4°,  geschrieben 
1521  von  Ebbeke  Vincke,  und  dahinter  4  alte  Drucke.  Vorn  be- 
fanden sich  2  halbvergangene  Blätter,  ein  Halbbogen  mit  dem  bekannten 
Wasserzeichen  des  unten  zangenartig  geteilten  p,  das  auf  einem  Stabe 
ein  Xagelkreuz  (oder  eine  Blume)  trägt.  Auf  S.  1  stand  oben  die 
bekannte  Inschriftform: 

Die  dyth  bock  vyndt  d  (der  Rest  der  Zeile  unlesbar) 

unnd  brengit  yt  vyncken. 

Der  letztere  war  also  nicht  nur  der  Schreiber  der  Handschriften, 
sondern  auch  der  Besitzer  des  Bandes. 

Die  Handschriften  sind  folgende: 

1.  Dyt  is  de  Historie  van  der  Erliken  \  Stat  Nays  we  de  strengeliken 
belege  |  gewest  is  van  hertich  Karöl  t'ä  burgödien  \  uh  van  bratwnt. 
MCCCCLXXIIII.     68  beschriebene  Blätter.     Kl.  4°. 

Es  ist  des  Christianus  Wierstraat:  Historie  des  beleegs  van 
Nuis,  jetzt  in  den  „Chroniken  der  Deutschen  Städte al)  von  C.  Nör- 
renberg  neu  herausgegeben,  auf  dessen  Einleitung  ich  mich  beziehen 
kann.  Wir  haben  aber  keine  neue  Handschrift  vor  uns,  sondern  eine 
Übersetzung  aus  dem  Niederrheinischen  in  ein  Niedersächsisch,  welches 
so  viel  hochdeutsche  Lautformen  führt,  dass  ich  es  nur  an  die  Süd- 
grenze Westfalens  zu  setzen  vermag.  Der  Übersetzer  ist  der  schon 
genannte  Ebbeke  Vincke,  dem  die  zweite  Druckausgabe  von  Johann 
Koelhoff  jun.  zu  Köln  von  1497  vorlag,  wie  die  mitübersetzte  Ein- 
leitung und  die  Erklärung  des  Akrostichons  lehrt2).  Auch  der  pro- 
saische Abschnitt  ist  aufgenommen.  Übrigens  ist  jene  teilweise  recht 
frei  benutzt  und  wiedergegeben.  Für  den  Text  der  Chronik  hat  die 
Handschrift  daher  keine  Bedeutung,  wohl  aber  für  die  niedersächsische 
Sprache  der  Gegend  für  das  erste  Viertel  des  16.  Jahrhunderts.  Die 
Schreibweise  ist  wüst,  aber  ziemlich  geregelt,  sie  hat  stets  ff  für  f, 
fast  stets  ff  für  f,  das  Schluss-s  und  das  z  sind  gleich  oder  fast  immer 
gleich;  i  und  ij  (nicht  y)  scheinen  ziemlich  regellos  zu  wechseln.  Die- 
selbe Schreibweise  ist  auch  in  den  übrigen  Stücken  durchgeführt.  Man 
ersieht  sie  sofort  aus  dem  lateinischen  Akrostichon,  das  ich  deshalb 
folgen  lasse:  „Crijfftianus  Werstraat  dictacit  anno  domij  |  nij  mijlleffimo 

x)  Bd.  XX.    Leipzig,  S.  Hirzel.     1887.    S.  479—616. 
%)  Daselbst  S.  496.  497. 
Niederdeutsche«  Jahrbuch.    XV.  £ 


34 

quadijgenteffmo  (!)  ffcptua  \  gesimo  quinto.  Et  conplevit  In  proffe/jßo, 
beati  thome  apofftolij  ad  honorem  dornt  \  inj  nofftri  Jhefu  Crijffti  JSfl 
gloriofe  Virg  \  ijnijs  Marie  ac  Iteati  martirijs  fancti  \  Quijrini  Nee  im 
ad  perpetuam  rci  me  \  moriatn.  0  ffelijx  Cdonia.  0  pulcra  Nussija. 
hec  vobijs  mijttit  dictatnijna. 

Die  Überschriftsverse  lauten: 

Dijt  18  in  Jhesus  ufi  marije  name  | 

De  Hijftorije  van  Nuijs  tzosame.  ! 

Die  Akrostichonbezeichnungen  am  Rande  laufen  nur  bis  mijttit 
einschliesslich. 

In  dem  niederdeutschen  Texte  steht  ständig  tso  =  to,  auch 
hertsochy  selwntzijn,  tsweelft\  tzytich  =  twintieh;  daneben  aber  ändert- 
halfhundertdusent,  truwelik  etc.;  dann  wieder  ffrclich,  -Jeff  (lief),  reff 
(rief).  Statt  des  ts  könnte  man  nach  der  Art  der  Handschrift  auch 
tz  schreiben. 

Nach  dein  „Amen"  am  Schlüsse1)  folgen  noch  die  Jahresverse: 

M       ([  Eyne  gafpe2)  van  euer  tasschen8) 
CCCC    ([  veer  oren  van  twen  vi  asschen 
J^      C  Ein  halke  in  enem  huV) 
XXT     <L  Unde  derdehalf  andrees  croitz 

do  lach  de  prinz  vor  Nuis. 
II      ([  tzwee  i  darbi 

do  blef  he  doet  vor  Nanzi. 

Ebbeke  Vincke  scripsü 
Anno  m°vC°  up  dat  nie  jar 
Unde  ein  nfl  tzwintich.     dat  is  waer. 

Diese  Verse  stammen  also  von  Ebbeke  Vincke  selbst. 


2)  8  Folien  K1.-40  mit  Wasserzeichen  des  einfachen,  unten  zangen- 
förmig  gespaltenen  p.  Diese  Lage  enthält  2  Gedichte,  geschrieben 
von  der  unverkennbaren  Hand  des  Ebbeke  Vincke  in  der  oben 
bezeichneten  Orthographie.  Beide  stammen  unzweifelhaft  aus  dem 
Mhd.  und  tragen  in  der  niederdeutschen  Wiedergabe  nur  ein  leicht 
abzustreifendes  Gewand;  z.  T.  sind  sie  kaum  umgewandelt;  in  der 
mhd.  Litteratur  nachzusuchen  fehlt  mir  aber  zunächst  die  Zeit.  Die 
Herren  Volekmann  und  Jerosch  gestatteten  freundlieh  den  Abdruck 
einiger  charakteristischen  Teile  des  Ganzen,  deren  absonderliche  Recht- 
schreibung aber  im  Folgenden  nicht  beibehalten  ist. 

')  Chroniken  der  deutschen  Städte.   Bd.  XX.   Leipzig,  S.  Hirzel.    1887.  S.  614. 

2)  Vcrgl.  Schiller  und  Lübben  2,  16.  Nach  dem  nebengeschriebenen  runden 
M  ist  aber  an  den  Taschenbügel,  nicht  an  eine  Spange  zu  denken. 

3)  Ich  habe  diese  Verse  in  gewöhnliche  Schritt  umgesetzt,  dass  ff  in  tauchen 
und  vlailchen  aber  als  ss  stehen  lassen,  weil  ich  annehme,  dass  tass-che,  flass-che 
gesprochen  ist. 

*)  Es  ist  der  „Hausbaum"  des  Giebelhauses  gemeint,  der  hier  für  L  gesetzt  ist- 


35 

a)  Do1)  dee  leue  werde  meyg 

Walt,  anger,  beide  hadde  bedecket 
Mit  gelfer  Hotz2)  maniger  leyg, 
Lof  schone  ut  festen  halt  getrecket: 
5  Deez  bat  de  werde  sünne  dorchglemmet; 
Wat  lopet,  krupet,  finget  eder  swemmet, 
Dat  wirt  all  in  frouden  npgewecket. 

([  De  wunnentlike  tzit 

Duchte  mi  bi  nacht  an  enem  hagen  wit, 
10  Dar  bouen  ein  schone  veste  lit. 
Ick  will  ut  wunder  wesselsagen8) 
Van  tzwen  als  Ick  alldar  vornam, 
Do  de  niorgensterne  ufklani, 
Unde  wolde  begynnen  tzo  dagen. 

16  <[  Sanges  konden  de  Vogelin  klein  beginnen 
De  sterne  begunden  sick  tzo  scheiden 
Do  trad  de  wechter  an  de  tynnen 
Unde  sank  dit  leit,  ane  ein  lenger  beiden: 

<[  Ick  dummer  wechter  trede  her 
20  Ick  warne  tzwe  nach  miner  geer, 

De  mich  (!)  so  hoe  bevolen  sind  bi  eide. 

<[  De  belle  dach  hat  sin  getzelt 
Scboen  ufgeslagen  aver  al  dat  velt 
Ick  warne  uth  tzwe  hertze  leve  vor  leide4). 

25   ([  De  no  so  sote  entslapen  sint 

In  bernende  wunne  schimpe,  (Eol.  lh) 

De  warne  Ick  np  de  truwe  myn 
Vor  grotzem  ungelimpe. 

<[  Weck  uf,  weck  uf,  unde  des  is  tzit5) 
30  Dee  belle  dach  uns  naber  lit, 
Dat  vogelin  singet  weder  strit 
Dar  midden  in  dem  hagen. 

Nach  des  Wächters  Tageliede  erscheint  sofort  ein  Liebespar  in 
einem  Fenster,  und  die  „Junckfroue"  fragt  den  Wächter,  ob  er  den 
Sinn  seines  Liedes  verstehe.  Er  erwidert,  dazu  sei  er  nicht  gelehrt, 
damit  solle  sie  ihn  in  Ruhe  lassen;  doch  weiss  sie  ihn  zu  beschwatzen, 
ihrem  Geliebten  aus  der  Feste  zu  helfen.  Das  geschieht  in  Verkleidung 
in  des  Wächters  Kittel  (Kedel).  Auf  Fol.  4b  schliesst  das  Gedicht 
mit   2    rot   geschriebenen  Absätzen   von    2  und  4  Versen,    von   denen 


')  Das  D  fehlt,  es  ist  eine  Lücke  zum  Ausmalen  gelassen.  V.  4  Mss. :  kalt. 
V.  6  krupet:  r  auf  Rasur. 

*)  Es  kann  nicht  mhd.  vlöz,  mnd.  vlöt  sein;  denn  es  heisst  hier  „Blume".  Viel- 
leicht ist  an  vlüs  (Schiller  und  Lübben  5,  S.  289  Sp.  2)  zu  denken. 

»)  =  wiedererzählen,  nach  Art  von  Wesselrede?  —  Ich  habe  im  Folgenden 
las  tz  stehen  lassen,  wo  es  dem  niedersächs.  t  entspricht.  V.  21  In:  hoe  und 
V.  23.  in:  schoen  ist  das  oe  —  6. 

*)  Zu  lesen:  iuch  tzwe  hertzeleve?    Ebenso  V.  26:  bernender? 

*)  Es  sollte  heissen:  wak  up,  wak  up  etc. 

3* 


36 

fraglich  sein  kann,   ob   nicht   wenigstens   die   letzten  4  Vincke  selb-: 
gehören : 

Wat  solde  men  nu  der  wechter  plegen 

Dee  leeve  is  tzo  nichte  gedegen. 

Wyl  gy  es  mi  nicht  vorkeeren, 
So  möge  gyr1)  wal  lereu, 
Dat  der  leve  dicke  ovel  Schicht, 
Deer  guden  der  en  meine  ick  nicht. 

b)  Von  der  Mitte  des  Fol.  4h  bis  Fol.  8a  einschl.  folgt  ein  Lied 
zum  Lobe  des  Weibes  mit  höchst  geringem  niederd.  Überflute, 
doch  ist  stets  ghy  und  lw  gebraucht,  dagegen  mir  und  dir: 

En  tzwivel  nicht  du  leveste  min, 
Laet  allen  tzvivel  ave  sin: 
Hertze,  mot,  sinne  is  allent  din, 
Des  salt  da  wal  geloven  mir. 
5  Ick  wil  mir  sulven  nemen  waer: 
Queme  al  dee  werlt  in  eine  schaer, 
So  lef  sal  nemand  komen  daer, 
Ick  wil  lever  sin  bi  dir. 

Namentlich  Fol.  7a  ist  der  Preis  des  Weibes  in  14zeiliger  Strophe 
ausgesprochen.  Fol.  8a  schliesst  das  Gedicht  mit  Gegenüberstellung 
des  Mannes  und  der  Frau.  Am  Schlüsse  ist  in  Correctur  ein  Yer> 
rot  nachgetragen.     Dann: 

Men  hode  sick  ock  vor  boese  daet, 
De  loegen  werdet  altzit  raet. 

Fol'.  8b  schliesst  daran  (die  gesperrt  gedruckten  Namen  rot  ge- 
schrieben) : 

Adam  deer  erste  minsche  was 
Den  bedroch  ein  wif,  dat  Eva  was. 
Sampsonis  lyf  van  wiven  wart  geblendet, 
David  van  wiven  geschendet, 
5  Deer  wise  koning  Salemo  gependet. 
Troien  unde  alle  dat  lant 
Dorch  Helenam  vorstnrt  unde  vorbrant. 
ALlexander  dem  geschach  alsus: 
Den  betrogen  de  wive  unde  virgilius. 
10  Olyf fernes  wart  vorsniden, 

Arysstotilles  van  enem  wive  mit  fporen  gereden. 
0  mulier,  all  der  werlde  meister! 


3)  Ebenfalls   eine   Lage  von   8   Folien  K1.-40.     Handschrift  de^ 
Ebbeke  Vincke. 

ij]  a.  Eijn  nije  gedijcht. 

„Eventure 
wo  de  wyffheyt  aver  de  manheyt  clagetu 

l)  =  gi  hir. 


37 

Strophenweise  klagt  die  „  Wisheit"  und  antwortet  die  „Manheit" 
am  Schlüsse: 

dyt  helft  gedieht  de  Ellende 
Dumme  ryke  Kerchoff. 

b.  Darauf  folgt  als  „Aliud"  bezeichnet  ein  neues  Gedicht,  durch 
die  folgenden  drei  lateinischen  Überschriften  in  3  Abschnitte  geteilt: 
eine  Art  Klage  über  Not  der  Welt: 

Aliud  1 1  tu  fupplex  ora 

„De  mi  nu  wolde  recht  bescheiden"  etc. 

Tu  protege 


Tuque  labora 


c.  Gewissermassen  als  Beispiel  zu  dem  Inhalt  dieses  Liedes,  wie 
man  sich  der  Welt  gegenüber  verhalten  solle,  folgt  dann  das  Gedicht 
des  ^Ffrederich  van  hynnenberge",  die  von  W.  Seelmann  im  Jahrb. 
IX  S.  55 — 59  herausgegebene  „Geistliche  Rüstung  Friederichs  von 
Hennenberg",  aber  im  Einzelnen  mehrfach  und  am  Schlüsse  stark 
abweichend.  Die  Verse  203  und  204  bei  Seelmann  mit  dem  Namen 
des  Dichters  fehlen  gänzlich;  dagegen  folgen  eine  Anzahl  anderer  mit 
dem  Abschluss:  In  godes  namen.     Amen. 

a.,  b.  und  c.  machen  zusammen  10  Seiten  (5  Folien)  und  3  Zeilen 
aus.     4  weitere  Verse  gehören  nicht  dazu. 

d.  Den  Abschluss  des  Ms's.  macht,  von  derselben  Hand,  die 
bekannte  lateinische  Epistcia  Jesu  Christi: 

„lncipit  epistda  dm.  nofftri  Jhu  criffti  de  Criffto  ffilio  dei  et  de 
faneto  dominico  die." 

Die  angebundenen  gedruckten  4  Bücher  waren: 

1.  „Tondolus  der  Ritter",  hochdeutsch,  mit  zahlreichen  guten 
und  scharfen  Holzschnitten;  süddeutscher  (Ulmer?)  Druck,  anscheinend 
noch  des  15.  Jahrhunderts.  Der  im  Titelblatt  stehende  Ritter  hat 
noch  spitze  Schnabelschuhe,     s.  1.  et  a.     4°. l) 

2.  <L  „  Van  den  detmerschen  is  dyt  ghedicht  iih  is  waer  \ 

Unde  is  ock  van  dem  gnadentryken  gülden  yaer. 
s.  1.  et  a.     Eine  Lage   von    3    geknickten  Quartblättern  =  12  S.  8° 
ohne  Blattzahlen  und  ohne  Custoden.     Es  ist  das  Dithmarscher  Lied 
des  „Sassen",  d.  h.  des  Lauenburgers,  von  1500,  Druck  vermutlich  von 
Mattheus  Brandes  in  Lübeck2). 

3.  „Eyn  lofebuch  aufz  drr  karten  gemacht."  8  Bll.  K1.-40.  s.  1. 
et  a.,   hochdeutsch,   süddeutscher  Druck   mit   48   sehr  scharfen  Spiel- 

')  K.  Goedeke  nennt  diese  Holzschnittausgabe  nicht. 

*)  Vergl.  die  Ausgabe  von  F.  Prien  im  Jahrb.  X  (1884),  89—103;  H. 
Brandes  ZDA.  32,  1  (1888),  S.  24,  auch  Krause,  Ztschr.  Schl.-Holst.-Lauenb.  V 
(1875),  S.  364  und  IX;  jetzt  auch  Korr.-Bl.  XIV.  Nr.  2,  S.  17. 


38 

karten -Holzschnitten;  vermutlich  älteste  Kartenabbildung,  spätestens 
vom  Anfange  des  16.  Jahrh.  —  Die  Besitzer  wollen  dieses  Büchlein 
in  photolithographischer  Nachbildung  herausgeben1). 

4.  Pharetra  fidei  catholice.  Süddeutscher  Druck  mit  schönein 
Titelholzschnitt,  nicht  norddeutscher  Art;  daneben  eine  spätgothische 
schöne  Zierleiste,  s.  1.  et  a.;  sicher  noch  aus  dem  15.  Jahrh.  Von 
den  letzten  2  Blättern,  die  rundum  sehr  beschädigt  sind,  war  nur  die 
erste  Seite  bedruckt.  Die  2  nächsten  enthalten  eine  handschriftliche 
Eintragung  von  der  unverkennbaren  Hand  Ebbeke  Vincke's  mit 
einer  Nachricht  über  Meldungen  vom  Damenfrieden  zu  Cambray  (1529), 
namentlich  über  die  geplanten  fürstlichen  Verheiratungen.  Der  jüngere 
Sohn  des  Königs  Franz  von  Frankreich  wird  Herzog  „van  Orliens" 
genannt. 

Schluss:  dufse  tydinge  is  affgekotne  Anno  dm  dusent  viff  hundert 
un  XXIX,    oft  id  sy  edder  sy2)  late  ick  dar  werlich  by. 

Danach  ist  das  Buch  spätestens  1529  gebunden  und,  wie  auch 
das  Vorsatzblatt  lehrte,  im  Besitz  des  Ebbeke  Vincke  gewesen,  der 
also  für  sich  selbst  übersetzt,  umgedichtet  und  geschrieben  hat. 

Nach  gütigen  Ermittelungen  des  Herrn  Dr.  Lugge  in  Münster 
aus  dem  dortigen  Königl.  Staatsarchive  ist  nun  der  Name  Ebbeke 
im  15.  Jahrh.  wiederkehrend  in  dem  noch  heute  blühenden  westfälischen 
Adelsgeschlechte  der  Herren  v.  Vincke  (mit  der  Pflugschar  im  Wappen). 
Diese  waren  begütert  im  Osnabrückschen  und  Mindenschen,  Lehnsleute 
der  Edelherren  zur  Lippe  und  Drosten  der  Grafen  von  Ravensberg. 
1438  versetzen  die  Brüder  Johann,  Ebbeke  und  Otto  „de  Vinken* 
einem  Bürger  zu  Hörn  eine  Kornrente  aus  dem  Hofe  und  Gute  Monek- 
husen.  1439  verkauft  Jasper  Vincke,  Ebbekens  Sohn,  an  Erasraus 
v.  d.  Lippe  seinen  Corveyer  Lehnshof  zu  Othenhusen,  1450  Vig.  Math. 
apost.3)  geloben  die  Brüder  Ebbeke  und  Otto  Vyncken  etc.  als 
Lehensträger  des  Hofes  Huste,  Kirchsp.  Riemloh,  vor  der  Herrschaft 
zur  Lippe;  1497  vig.  assump.  B.  M.  V.4)  leistet  Ebbeke  Vincke  als 
Lehnsmann  des  Klosters  Iburg  ein  Gelöbnis  vor  dem  Gografen  zu 
Melle.  Der  letztere  Ebbeke  könnte  der  Zeit  nach  der  unsrige  recht 
wohl  sein,  doch  glaube  ich  einen  Verwandten  (etwa  Neffen?),  und  zwar 
einen  Geistlichen  in  dem  Schreiber  sehen  zu  müssen,  da  er  der  la- 
teinischen Sprache  mächtig  war,  wie  die  Epistola  Christi  und  die 
Pharetra  fidei  erweist.     Jedenfalls  gehörte  er  dem  alten  Glauben  an. 

Ebbo,  Ebbeke  ist  bekanntlich  die  Koseform  für  Eberhard,  oder 
eine  andere  Zusammensetzung  mit  Eber. 

*)  Sie  ist  soeben  mit  einer  gelehrten,  sehr  beachtenswerten  Einleitung  von 
Dr.  Adolf  Hofmeister  erschienen:  Rostock.  1890.  Volckraann  und  Jerosch.  VIII 
und  15  S.  8°.    In  100  nummerierten  Exemplaren  ä  Mk.  5. 

2)  So  für  „nicht  sy". 

8)  23.  Februar. 

*)  14.  August. 

ROSTOCK.  K.  E.  H.  Krause. 


39 


Mittelniederländisehe  Bruchstücke. 

Die  von  mir  im  Jahrb.  12  (1886),  S.  106—118  mitgeteilten 
Bruchstücke  sind  von  Louis  I).  Petit1)  als  Teile  von  Gedichten 
Willem's  van  Hildegaersberch  erkannt  worden,  der  als  „Spreker* 
oder  „meester  Willem  den  dichter"  von  1383 — 1408  am  Hofe  zu  Haag 
nachweisbar  ist.  Der  genannte  vorzügliche  Bibliograph  giebt  an,  sie 
seien  alle  bereits  aufgenommen  in  die  grosse  Ausgabe  von  W.  Bisschop 
und  E.  Verwijs  von  18702)  und  zieht  deren  Einleitung  S.  XXVI  an. 
Dort  sind  indessen  nur  die  5  ersten  Bruchstücke  nach  einer  Mitteilung 
von  Lisch  besprochen,  der  nach  seinem  ersten  Abdruck  in  den  Jahrbb. 
i.  Mecklenb.  Gesch.  etc.  8,  (1843),  S.  217  diese  aus  der  Handschrift 
der  Universitätsbibliothek  Rostock  in  verbesserter  Abschrift  eingesandt 
hatte.  Während  daher  die  von  mir  a.  a.  0.  angegebenen  Abweichungen 
der  Lisch'schen  Lesung  sich  auf  die  gedruckte  Bekanntmachung  be- 
ziehen mussten,  sind  die  von  Bisschop- Verwijs  angemerkten  die  seiner 
mir  unbekannt  gebliebenen,  nach  Leiden  eingesandten  zweiten  Abschrift. 
Doch  auch  diese  ist  nicht  überall  genau  gewesen,  oder  ihre  Abwei- 
chungen sind  von  B.  und  V.  nicht  genau  angeführt,  namentlich  die 
von  ii  und  ij  nicht  durchweg  beachtet. 

Danach  ist  Bruchstück  1  ein  Teil  des  Gedichtes  „Van  dem 
drocm",  B.  und  V.  Nr.  XCVI,  V.  70—114  (S.  204—5).  Bruchst.  2: 
Van  den  goedcn  Ridder,  B.  und  V.  Nr.  XXII,  V.  164— 240  (S.  50— 51).») 
Bruchst.  3:  Van  drien  Figuren,  Nr.  XX,  V.  1—11  (S.  42). 4)  Bruchst. 
4:  Van  den  X  Gheboeden,  Nr.  IV,  V.  40—128  (S.  6—7,  vergl.  S.  256, 
wo  die  Rostocker  Varianten).5).  Bruchst.  5:  Van  Karitas,  Nr.  CVI, 
V.  117—209  (S.  227— S).6)  V.  209  ist  der  im  Jahrb.  12,  S.  117 
als  unten  am  Rande  stehend  angegebene  Vers:  Hier  noch  ginder  ivair 
wy  kcren. 

Aber  auch  die  3  letzten,  von  mir  dem  Rostocker  „Etwasu  ent- 
nommenen Bruchstücke,  die  Bisschop  und  Verwijs  nicht  kannten,  habe 
ich  nun  beim  Willem  aufgefunden. 


1)  Bibliographie  der  middelnederlandsche  Taal-  eu  Letterkunde.  Met  de 
?ouden  Medaille  bekroond  etc.  van  wegen  de  Kon.  Vlaamsche  Aoad.  v.  Taal-  en 
Letterkunde.  Leiden.  E.  J.  Brill.  1888.  S.  236  Nr.  1152.  (Das.  S.  120  Nr.  534  jj 
st  das  von  C.  Walther  im  Jahrb.  11  (1885),  S.  168  mitgeteilte  Fragment  von  J.  v. 
Uaerlant's  Spiegel  Historiael  registriert.) 

2)  Gedichten  van  Willem  van  Hildegaersberch,  van  wege  de  Maatsch. 
1.  Xederlandsche  Letterkunde  te  Leiden.  Uitg.  door  Dr.  W.  Bisschop  en  Dr.  E. 
ferwijs.     's  Gravenhage.    Martinus  Nijhoff.    1870. 

*)  Y.  235  ist  die  Rostocker  Lesart  nicht  angegeben! 

*)  B.  und  V.  rechnen  1—10;   V.  11    ist  aber   der  im   Rost.  Ms.   am  Rande 
intergeschriebene  Vers  (Jahrb.  12,  S.  113),  doch  liest  B.  und  V.  proeven  mitten  sinnen. 
5)  V.  40  ist  die  Rost.  Abweichung  nicht  angemerkt;  auch  nicht  V.  67  (bereft). 
•)  Hier  sind  mehrfache  irrige  Lesarten  dem  Rost.  Ms.  zugeschrieben. 


40 

Brachst.  6  gehört  zu  Nr.  XXI  „van  den  doemsdaghe  ende  van 
sterven",  V.  295—302  (S.  48);  Brachst.  7:  zu  Nr.  X  „dit  is  van  drien 
coeren",  V.  1 — 4  (S.  22);  endlich  Brachst.  8:  zu  Nr.  CIX  „ran  den 
vier  cussen",  V.  121—146  (S.  233). 

Bisschop  und  Verwijs  nehmen  (S.  XXVII)  an,  dass  die  alte-Hand- 
schrift  schon  in  Köln  zu  Buchbinderzwecken  verschnitten  sei,  da  sich 
das  Rostocker  Fragment  in  einem  Kölner  Drucke  des  Aristoteles  und 
Albertus  Magnus  von  1491  verwendet  findet1).  Die  zweite  verlorene 
Rostocker  Bruchstückreihe  steckte  auch  in  einem  Kölner  Druck  von 
1491,  aber  von  Ilenr.  Quentel.  Möglich  ist  die  Annahme  immerhin, 
dass  beide  Bücher  schon  gebunden  aus  Köln  in  Rostocker  Kloster- 
bibliotheken kamen. 

Im  Rostocker  Ratsarchive  i§t  nun  ebenfalls  ein  Pergament- 
Doppelblatt  aufgefunden,  welches  zuletzt  als  Umschlag  gedient  hat 
und  von  dem  das  letzte  Viertel  einer  früheren  Verwendung  wegen 
abgeschnitten  ist.  Es  enthält  mittelniederländische,  einigen  sprachlichen 
Eigenheiten  nach  vielleicht  richtiger  mittelniederrheinische,  Bruchstück*. 
Dem  Inhalte  nach  verwandt  mit  der  Dichtweise  Willems  van  Hilde- 
gaersberch  gehören  sie  doch  nicht  zu  diesem,  stammen  auch  aus  einer 
ganz  andern  Handschrift. 

Die  Schrift,  spätestens  vom  Anfange  des  15.,  wahrscheinlich 
aber  noch  aus  dem  14.  Jahrh.,  besteht  aus  gothischen  Minuskeln,  die 
Versanfänge  aus  Majuskeln,  diese  sind  von  den  Minuskeln  durch  einen 
freien  Raum  von  0,5  cm  getrennt.  Jede  Quartseite  ist  in  2  Colunmeu 
beschrieben,  jede  Columne  beginnt  mit  einer  grossen  Unciale  statt  det 
Majuskel.  Alle  Buchstaben  sind  mit  schwarzer  Tinte  geschrieben,  nm 
2  Überschriften  innerhalb  je  der  ersten  und  der  zweiten  Seite  dei 
zweiten  Columne  mit  dem  nächstfolgenden  Anfangsbuchstaben,  einet 
über  2  Zeilen  sich  erstreckenden  Unciale,  sind  rot. 

Das  Doppelblatt,  aus  dem  Innern  einer  Lage,  ist  früher  ausge- 
breitet mit  seiner  oberen  freien  Kante  in  einen  kl.  Fol.-Band  ah 
Schmutzblatt  eingebunden  gewesen  und  daher  das  untere  Viertel  dei 
nun  lang  liegenden  Blattes,  d.  h.  die  zweite  und  dritte  Spalte  dei 
zweiten  Quartblattes,  abgeschnitten,  ebenso  noch  eine  Vordereckc. 
Von  der  zweiten  Spalte  sind,  mit  Ausnahme  von  5  vollständig  ver- 
lorenen Versen,  die  Vorder-Majuskeln  stehen  geblieben.  Die  ursprüng- 
liche Höhe  des  Quartblattes  betrug  21,33  cm,  in  den  Einband  des 
Folianten  gezogen  war  oben  ein  Rand  von  1  cm,  die  Schrift  beginnt 
erst  mit  2  cm,  beschrieben  sind  18,33  cm,  der  freie  Rand  unten  betrag^ 
0,66  cm.  Die  Blattbreite  ist  18  cm,  der  Abstand  vom  vorderen  freien 
Rande  bis  zu  den  Majuskeln  1,5,  zwischen  Majuskeln  und  Minuskel 
zeile  0,5  cm. 

Die  4  Columnen  des  ersten  Blattes  haben  je  38  Zeilen,  dieselbe 
Zahl  hatten  beide  Spalten  der  ersten  Seite  des  zweiten  Blattes.     Voa 


J)  S.  Jahrb.  a.  a.  O.  S.  107  f. 


41 

der  letzten  Seite  ist  Spalte    1   völlig  weggeschnitten  und   die   zweite 
hat  mir  37  Zeilen. 

Die  zweite  Spalte  der  Vorderseite  des  ersten  Blattes  hat  nach 
dem  22.  Verse  die  rote  Überschrift:  van  beduange.  I  III.  Dieser 
Abschnitt  schliesst  nach  dem  fünften  Verse  der  zweiten  Spalte  der 
Rückseite,  worauf  die  zweite  rote  Überschrift  folgt:  van  leringen.  I  IUI. 
Demnach  enthält  das  Vorderblatt: 

1)  von  dem  52.  Abschnitte  des  ganzen  Werkes  den  Schluss: 
60  Verse  (I.); 

2)  den  53.  Abschnitt,  Van  beduange,  ganz:  Überschrift  und  58 
Verse  (IL); 

3)  vom  54.  Abschnitte,  Van  leringen,  den  Anfang:  Überschrift 
und  32  Verse  (HL). 

Das  zweite  Blatt  enthält:  4)  ein  Bruchstück  (nicht  vom  Beginne 
eines  Kapitels)  von  38  Zeilen  und  33  Anfangsbuchstaben  (IV.);  ob  in 
den  5  völlig  weggeschnittenen  Versen  ein  Anfang  steckte,  ist  nicht  zu 
ersehen ; 

5)  in  der  letzten  Spalte  ein  Bruchstück  ohne  Anfang  und  ohne 
Ende  von  37  Versen;  den  letzten  5  sind  die  Anfangsbuchstaben  weg- 
geschnitten (V.). 

Auf  S.  1  steht  am  Rande  der  zweiten  Spalte  von  viel  neuerer 
Tinte  die  Registratur-Ziffer  CXCVIII. 

Die  Schrift  ist  durchaus  gut  lesbar,  nur  die  erste  Spalte  hat 
durch  das  Verkleben  oder  einen  Überguss  gelitten,  doch  sind  auch 
von  ihr  nur  5  Verse  theilweise  zweifelhaft  oder  fast  nicht  zu  lesen 
(I,  V.   23—27).   . 

Das  i  ist  überall,  wo  es  zweifelhaft  sein  könnte,  durch  einen 
feinen  Oberstrich,  rechts  von  unten  nach  oben,  bezeichnet.  Abkür- 
zungen kommen  selten,  und  nur  die  bekanntesten  vor,  freilich  cfi  für 
ende  (und)  36  Mal,  ein  Strich  für  n  30  Mal;  Strich  für  m  5  Mal 
(darunter  II,  24:  dorne);  m  für  mcn  5  Mal;  -'  für  r,  er  oder  ar: 
8  Mal  (darunter  IV,  23  sdv'c  =  sclvre  (Silber));  ein  vorn  durch- 
strichenes  v  für  ver:  4  Mal.  Ausserdem  steht  nur  noch  I,  17:  qet 
mit  übergeschriebenem  Abbr.-a  für  quaet;  II,  6:  cö  für  comen  und 
V,  24 ;  Düsen  fiir  Dusende.  Der  «-Strich  ist  versehentlich  ausgelassen 
II,  17  in  vergoude  statt  vergoudcn;  das  r-Zeichen  III,  6  in  derde  statt 
der  erde. 

Interpunctionen  sind  im  Original  nirgends  gesetzt. 

Über  die  Verbreitung  niederländischer  Litteratur  nach  Rostock 
vergl.  Jahrb.   12,  a.  a.  0. 

I. 

Maer  dat  die  bede  al  ghemeene  Nu  verhelfen  met  hoverden 

Nu  niet  syn  guls  allene  Dus  en  conen  wi  niet  geherden. 

Metten  mont  ende  metter  kele  Gheselle  di  metten  smekers  niet. 

Maer  mettien  ogen  vele.  10  Hets  volc  dat  bedriegens  pliet. 
5  önse  ongevallige  sin  Sulc  plegens  apenbare  vele 

Doen  wi  nu  gapen  omme  gewin  Alse  smekende  dese  menestrele. 


42 


Sulc  smaect  oec  in  diere  gebare 
Oft  he  een  simpel  dorper  wäre 

15  Nochtan  al  fyn  simpel  sine  wort 
Hi  ne  meent  anders  niet  dan  mort. 
Ghene  dinc  en  es  de  zinne  so  quaet 
Alse  des  vleeschs  averdaet. 
Alse  die  joget  es  ontladen 

20  Soe  leghet  ende  claept  men  vor  scaden. 
Want  soe  niet  ter  eere  ne  waert 
Des  bliuet  soe  al  onghewaert 

Dansen  fpolen ') 2)  gespan 

Beneemt  d 8)  wesene  man 

25  Des  plegen  so  vele4)  jonger  liede 
Dat  ic  hem  ma . . 5)  daet  verbiede 
Si  ontsuueren  hem  in  die  Jonchede6) 
Hem  seluen  ende  andere  darmede. 
Onscamel  anscyn  vlygende  ogen 

30  Syn  si  suuer  ie  wilt  gedoghen 
Hare  reinicheit  wäre  ongestade 
Vondon  si  stede  ende  diet  hem  dade. 
Houesch  Jongel  ine  doet  sonde 
Waer  dathi  syn  lyf  ontbonde. 

35  Maer  een  out  man  die  dat  doet 
Machmen  teilen  ouer  verwoet. 


Een  wyf  die  can  bi  engiene 
Keren  scieten  hare  ziene 
Ende  gelaet  ter  werelt  togen 

40  Sonderlinge  vor  den  ogen. 

AI  heet  men  se  reine  men  mach  stille 
Prueven  merken  wat  soe  wille. 
Wyfs  onghestadichede 
Es  gefordeert  up  vrechede     ■ 

45  Up  giericheit  ende  up  ovaerde7). 
Wie  des  plien  syn  van  wandelen  arde. 
Noot  es  ene  sware  wer8). 
Die  die  tyt  heuet  gheset. 
Duer  noot  werpt  men  diere  goet 

50  Menich  waeruen  in  die  vloet. 
Gene  getrouwer  orconde  men  vint 
Dan  die  men  hört  an  dat  kint 
Alset  es  so  verre  comen 
Dat  verstannesse  hettet  genomen 

55  Ende  het  ne  can  geveinsen  niet 
Anders  den  het  hört  ende  siet. 
Wi  sijn  ghereder  tallen  stonden 
T  onsculdigen  onse  quaden  sonden 
Dan  te  beterne  onse  mesdaet 

60  Ende  dits  onrecht  ende  quaet. 


II. 

Van  beduange.    i  hl 


Het  betaemt  bet  den  Jongelinge 
Dat  hi  met  haesticheit  vort  springe. 
Inden  ouden  eist  onbequame. 
So  du  best  van  meerre  name 
5  So  du  meer  soutgedogen. 
Neint  en  sach  man  comen  so  hogen 
Die  met  ongemater  vrechede 
Lange  stont  in  moghenthede. 
Die  mesdaet  niet  wederstaet 

10  Het  seynt  oft  hi  minde  dat  quaet. 
Ghi  hoghe  ghierighe  lantsheren 
Die  hoge  wilt  staen  in  der  eeren 
Ghine  verstaet  niet  sekerlike 
Waer  men  vint  dat  connicrike. 

15  Seat  no  diere  ghewaden 
Waghene  met  goude  geladen 
Hoghe  berghe  vergoude9)  zalen. 
Dese  en  conen  geen  rike  betalen. 
Dat  es  hi  die  crone  dräghet 

20  Wie  so  hem  niene  versaget 


Ende  felheit  van  herten  ontsegbet 
Die  ghene  gerechticheit  an  leget 
Ende  niet  en  acht  in  ghere  wisen 
Dat  hem  domme  liede  prisen 

25  Alse  hi  in  hem  seluen  vint 
Wysheit  die  al  die  werelt  miut. 
Wel  tyt  so  du  best  ongesont 
Waenstu  vallen  in  den  gront 
Ende  best  in  vresen  oft  een  knijf 

30  Altoes  stake  om  dyn  lyf. 

O  wi  wat  dogedenleeghter  ane 
Niemen  altoes  te  bestane 
Ende  tetene  seker  broot 
Liggende  up  die  erde  al  bloot. 

35  In  denen  coten  in  denen  stede n 
Weet  men  lettel  van  quaetheden. 
Het  s  grote  vreese  groot  here  sya 
Uten  goude  drinc  men  vüujn. 
Alte  lief  heefti  syn  lijf 

40  Die  so  sot  es  ende  so  keytyf 


*)  Das  o  ist  deutlich.    Vielleicht  für  e? 

a)  Unklar;  2  Buchstaben  unleserlich,  dann  etwa  miden  oder  mider. 

8)  7  Buchstaben  unklar,  doch  lauten  der  4.  und  5.  sicher:  an. 

*)  „so  vele"  ist  nicht  ganz  sicher. 

5)  2  Buchstaben  undeutlich. 

•)  Jonchede  mit  J,  das  Wort  ist  indessen  nicht  sicher. 

')  Oben  V.  7  hoverde. 

8)  Der  Reimvers  fehlt. 

•)  Lies  vergouden. 


43 


Dat  hi  so  sere  ontsiet  dat  stemen 
Ende  hi  die  werelt  siet  verdemen. 
Sonder  pine  nemmermere 
Ne  gewint  men  prijs  no  eere. 
45  Alse  du  enen  onsaligen  sies 

Dat  hi  men8ce  es  bedinke  di  dies. 
Lantshere  die  wille  syn  gemint 
Ne  wes  tezwaer  niet  een  twint 
Doe  dat  di  niemare  si  ommare. 


50  Seiden  hout  soe  hare  ant  wäre 
Seiden  vint  die  waerhede 
In  heren  camere  hare  stede 
Ende  sullense  nu  hebben  de  iiede 
Si  moetense  copen  metter  miede1). 

55  Wat  soter  mesdadeger  keytive 
Es  die  minne  van  desen  live: 
Die  ghenaden  heuet  noot 
Si  genadich  dats  recht  groot. 


III. 

Van  leringen. 

Wie  sal  men  mi  mögen  togen 

Die  nu  sal  conen  gedogen 

Dat  hi  nu  goet  geve  rike 

Dat  den  tide  iet  gelike.  20 

5  Ende  di  en  dach  prise  na  sine  werde 

Ende  dat  merct  dat  wi  hier  up  d  e  r  d  e 9) 

Alle  daghe  sterven  ghedogen. 

In  ene  dins  syn  wi  alle  bedrogen 

Dat  wi  alle  die  doot  sien  25 

10  Want  vele  tide  dus  ontsyen. 

Die  tide  die  wi  hebben  seden 

Die  es  metter  doot  bescreden 

Ende  die  en  keert  nemmermere 

Ghelyc  dat  die  doot  niet  ne  kere.  30 

15  So  men  dat  leuen  langer  rect8) 

So  dat  ment  in  eer  frouden  trect 


1  IIIL 

Die  tyt  es  onse  ende  anders  niet 
Nu  es  niemene  diere  hij  siet. 
In  dese  ongestade  erdsce  wet 
Hevet  ons  die  nature  geset. 
Hens  niemen  aerra  sonder  allene 
Diet  sine  dinct  wesen  clene. 
Laet  di  genougen  in  dit  gevouch 
Die  tsine  genouget  ets  hem  genouch. 
Wat  diet  dat  den  mensce  houde 
Scrinen  gevullet  met  goude 
Ofti  hem  daer  met  niet  bedreget 
Ende  hi  vort  wasdom  jaget. 
Wat  es  rycheit  die  mate  geuet 
Eist  dat  een  sine  nootdorfte  heuet 
Dat  hi  hem  daer  na  genouge 
Dat  hi  metten  sinen  gevouge 


IV. 


Ende  menegen  dinct  dat  wel  vougen 
Dat  men  hem  prijs  ane  leghet 
Ende  het  waer  es  alse  men  wel  seghet. 
So  eist  genougelic  in  dem  moet 
5  Alse  menscheet  goet  ende  vroet. 
Ende  alse  hem  coemt  die  waen  in  desen 
Dat  si  wordich  willen  wesen 
Sone  coimen  si  tier  stonde 
In  hem  gevinden  smette  no  soude 

10  En  bliuen  verloren  ende  ontset 
Omrae  die  houerde  die  hem  let. 
Alle  lieden  pinen  also 
Omme  te  sine  dicke  vro. 
Maer  cume  es  iemen  die  kint 

15  Waer  men  gestade  bliscap  vint. 
Die  wise  die  en  es  nemmermere 
Int  herte  sonder  bliscap  ende  ere 
AI  eist  dat  mens  niet  verstaet 
buten  dit  an  syn  gelaet. 


20  dat  doet  dat  hi  syn  herte  bint 
Hine  es  niet  geseet  alst  kint. 
Sulke  bliscap  sulke  vroude 
Coemt  niet  van  selvre  no  van  goude 
Sonder  dat  hi  hem  seluen  weet 

25  Talre  tyt  int  herte  ghereet. 
Dese  bliscap  dese  vroude 
Gebreect  no  en  eut  in  doude 
Ende  daveuture  machse  niet  breken 
Want  soene  cant  niet  van  her  gesteken. 

30  beesten  vele  laten  hem  genoughen 
Up  smale  weede  ende  hem  gevougen 
Ende  water  ende  lucht4). 
Noch  tan  mache  ene  dene  sake 
Den  büke  genougen  tsinen  gemake 

35  Ne  war  die5)  gulse  gierichede 
Ne  weet  ende  no  mate  mede. 
Doe  ic  jonc  was  pyndic  ende  dochte 
Hoe  dat  ic  wel  leuen  mochte 


Es  folgen  die  Anfangsbuchstaben  der  weggeschnittenen  Spalte:  K  (?)  H  E 
DWDMDNDAGDMMDGDVNESHAEA  (corr.  aus  E)  J  D 
D  W  0  T  D.    Die  letzten  5  sind  mit  weggeschnitten. 

')  ie  corr.  aus  oe. 

a)  Lies  der  erde. 

3)  Mss.:  So  da  men,  „da"  durch  Punkte  getilgt. 

*)  Der  Reimvers  fehlt. 

*)  war  die:  ein  Wurmloch  macht  die  Lesung  des  d  unsicher. 


44 


Data  altoes  die  meeste  bäte 

Daer  en  leget  di  niet  an 

Datti  prisen  wyf  ende  man. 

Ganc  te  di  selven  in  dinen  zin 
5  Merc  wat  dogeden  vintsture  In 

Ende  di  selven  j agiere  dan 

Alse  du  sout  eenen  anderen  man. 

Ende  altoes  hout  in  dinen  gheest 

Dine  fauten  alre  meest. 
10  Die  dicken  trect  van  steden  te  steden 

Dinct  syn  des  sinnes  ongestedicheden. 

Leere  dan  eerst  naer  desen 

Dinen  lachame  gestade  wesen 

Dattu  te  bet  moet  ende  sin 
15  Moges  gebinden  naer  dyn  gewin. 

Neghene  sonden  sone  syn 

Sine  hebben  soete  venyn. 

Vrecbeit  beheet  di  groot  gelt 

Te  geuene  in  diere  geweit. 

ROSTOCK. 


20  Luxurie  belouet  die  keyrive 
Genouchte  van  dinen  liue 
Begherte  van  der  worelt  ere 
Beheet  di  te  makene  here. 
Dusende  met  dus  gedaenre  miede 

25  Veninen  si  di  simple  liede 
Sodatse  cume  enich  man 
Verdriuen  oft  verwinnen  can. 
Wild  st  u  dan  van  derre  saken 
Dine  zinne  quite  raaken 

30  Wandele  in  dese  werelt  al 
Alse  diese  rumen  sal. 
Seiden  penst  om  sine  doot 
(D)ie  sonder  af  staen  minne  groot. 
(LV)eget  andit  ertsce  goot 

35  (E)nde  coemet  oec  in  desen  n(o)etJ) 
(GV)i  stelzet  alte  hant  daer  of 
(E)nde  blaset  henen  alse  stoof. 


K.  E.  H.  Krause. 


Zitelöse. 


Die  Zitelöse  hat  allmählich  eine  kleine  Litteratur  erhalten; 
denn  abgesehen  von  den  Wörterbüchern  besprach  sie  Sprenger  im 
Korr.-Bl.  V.  niederd.  Sprachf.  2,  65,  darauf  eingehend  Mielck  im 
Ndd.  Jahrb.  IV.,  1878,  S.  65  ff.;  erwähnt  wurde  sie  in  P.  Piper*.- 
altdeutschen  Pflanzennamen  1881,  Germania  14  (26),  4.  S.  402:  be- 
sprochen von  Jellinghaus,  Korr.-Bl.  5,  63;  Woeste:  ZDPhil.  VI,  9^: 
Schierenberg,  Sprengeil  und  dem  Unterzeichneten:  Korr.-Bl.  VI. 
22  f.  und  95  f.  (nach  dem  nlat.  „cytalosau  [czitelose]  bei  K.  Bartsch: 
Jahrb.  VI  S.  108  V.  277):  endlich  von  Ign.  Zingerle,  Die  ZiteK»e. 
Innsbruck.     1884.     21  S.  8°. 

Aus  allen  angezogenen  Erörterungen  ist  klar  1)  dass  alle  al> 
niederdeutsch  angegebenen  Umformungen  des  Namens  niederdeutsch 
nicht  sind,  ebensowenig  holländisch  oder  dänisch:  2)  dass  der  Nanu 
ins  Niederdeutsche  aus  dem  Oberdeutschen  gelangte,  und  zwar  aul 
zwei  Wegen:  a)  aus  dem  symbolischen  Blumen-Kreise  der  Jungfrau 
Maria,  b)  aus  den  Arzneibüchern.  Das  wäre  freilich  durchaus  un- 
erklärlich, wenn  nicht  beide,  trotz  aller  anscheinenden  Verschieden- 
heiten, zuletzt  von  einem  und  demselben  Ursprünge  ausgegangen  sein 
sollten. 


*)  o  durch  einen  Wurm  durchfressen. 


45 

Festzuhalten  ist  aber  immer,  wie  meinerseits  schon  öfter  erinnert 
ist,  dass  Namen  von  Pflanzen  und  Tieren  der  Übertragung  auf  andere 
Arten  in  oft  ungeahnter  Weise  unterliegen,  meistens  dadurch,  dass 
gelehrt  eingeführte  Namen  besonders  von  Heilkräutern  einheimischen 
oder  bekannteren  beigelegt  wurden,  denen  man  dieselbe  Wirkung 
zuschrieb.  Bekannte  Beispiele  aus  dem  Tierreich  sind  der  Elephanten- 
Name  des  Kameeis,  und  der  Wieselname  (catus,  catella)  der  „Katze". l) 
Ebenfalls  zu  erinnern  ist  an  die  grosse  Rolle,  welche  Assimilation  und 
Angleich ung  spielen2). 

Um  mit  den  Arzneibüchern  zu  beginnen,  so  haben  sie  durch 
Gleichstellung  der  Zitelose  mit  einer  zweiten,  ebenso  zweifelhaften 
Drogue,  den  „hermodactyli"3),  dein  Nachspüren  nach  der  Urbedeutung 
nicht  genützt.  Die  letzteren  werden  als  Zwiebeln  oder  zwiebelähnliche 
Wurzelstöcke  angegeben  (Mielck),  welche  als  Abführungsmittel  im- 
portiert oder  gebaut  werden,  denn  die  wilden,  „die  von  selber  wachsen, 
taugen  nicht  in  die  Arznei  und  sind  giftig"  (Sprengell).  Das  lehrt, 
dass  der  Name  schon  auf  ein  heimisches  Gewächs  übertragen  war, 
wenn  auch  hier  von  „willen  squille"  gesprochen  und  der  Ausdruck 
cyteloze  vermieden  wird.  Jedenfalls  haben  die  Apotheker  niemals 
die  Bellis  perennis  L.  (Sprenger),  noch  die  Schlüsselblume,  Primula 
veris  oder  auch  officinalis  (Zingerle)  darunter  verstehen  können.  Aus 
ihren  deutschen  Synonymen  geht  hervor,  dass  sie  für  Hermodattelen 
die  Scilla  maritima,  aber  auch  den  Wurzelstock  des  Allium  Victoriaiis 
L.  (Heilhaupt,  Allermannsharnisch) 3)  nahmen.  Wenn  „Droestock"  = 
dröge  Stock,  einen  trocknen  Wurzelstock  bedeuten  soll,  so  kann  das 
ofticinell  gebrauchte  Colchicum  variegatum  L.  darunter  verstanden  sein. 
Unter  den  heutigen  Droguen  aus  dem  Oriente  hält  man  meist  Iris 
tuberosa   L.    dafür4).     Die    Ärzte   und    Apotheker   kannten    also    die 


*)  Auch  der  amerikanische  Truthahn  erhielt  den  mhd.  Namen  pute,  denn 
schon  1491 '93  kommt  der  letztere  im  Hühnerhofe  des  Ahtes  von  Chemnitz  neben 
Hühnern  und  Gänsen  vor.  Fedor  Bech  in  Germania  27  (15)  S.  177.  Vermuthlich 
ist  das  Perlhuhn  gemeint,  Meleagris  numidica,  von  dem  der  Kölner  Pilger  (s.  u.) 
S.  ^0  sagt:  die  honre  van  India  haint  lyf  as  kranen,  sy  sint  neet  so  ho  ind  haint 
rode  heuft,  vedern  as  eyn  sperwer,  wan  sy  sich  muyst. 

2)  Ein  ganz  neues  Beispiel  hörte  ich  von  einer  Büdnersfrau  eine  Stunde  von 
hier.  Sie  hatte  die  moderne,  von  den  Gärtnern  Diclytra  genannte  Dielytra  im 
Garten  und  antwortete  auf  meine  Frage  nach  dem  Namen:  Ach,  wi  nömen  de 
„Dickklöten"  (testicula  grandia!).  1798  meldet  Theoph.  Niemann  den  aus  der 
Trüffel  verdrehten  Kartoffelnamen  aus  Mecklenburg  als  Pantoffeln. 

s)Allequedel6ck  ist  ein  Wort.  Der  Name  heisst  schwerlich  „Lauch 
für  alles  Übel"  (quad),  hat  sich  der  Bedeutung  aber  angelehnt.  „Heilhaubit"  ist 
alter  Name  für  Allium  Victorialis,  ebenso  „huntlouh";  bei  Graff  3,  895.  870.  872 
sind  aber  beide  den  „ermodactili"  und  diese  den  „Zitlosa"  gleichgesetzt.  Ermo- 
dactilia,  citlosa:  Germania  14  (26),  402.  Iris  vel  Iris  illiria  vel  ireos:  swertella  ib. 
40S,  11.  Vielleicht  soll  „Eresirica"  (Iris  syrica):  swertella  ib.  408,  6  (als  Iris  tu- 
berosa) dazu  gehören.  Vergl.  Germ.  21  (33),  304  M1  ermodactilis,  hailhopfe  und 
305  »*•  Hermodactilus,  Zitlose.     (Tirol.     15.  Jahrh.) 

4)  Martius,  Pharmakognosie  des  Pflanzenreichs.  Erlangen  1832,  42  giebt 
unter  Radix  Hermodactyli  an,  dass  die  Drogue  Hermodactyli,  Hermodacteln,  Hermo- 
dattel,  arab.  Khamyreh,  aus  Ägypten  und  Kleinasien  stamme,  und  der  weisse  Wurzel- 


46 

Stammpflanze  ihrer  Hermodatteln  oder  Cytelosen  nicht;  Heyd,  Ge- 
schichte des  Levantehandels  im  MA.  nennt  keine  von  beiden.  Hier 
ist  Aufschluss  über  Herkunft  des  Namens  nicht  zu  finden,  aber  es  ist 
offenbar,  dass  Hermodatteln  und  Cytelosen  fremde  Namen  für  fremde 
Droguen,  „Krüde",  sind.  Mielck  hat  darauf  schon  folgerichtig  ge- 
schlossen. Völlig  sicher  ist  danach,  dass  Colchicum  auctumnale  L., 
die  s.  g.  Herbstzeitlose,  die  Pflanze  nicht  sein  kann.  Vielleicht  aber 
verstand  das  von  Sprengeil  angezogene  Arzneibuch  von  1483  schon 
diese  Giftpflanze  unter  seinen  wild  wachsenden  Squillen  („de  alleyne 
wasset"). 

Aus  dem  romanischen  Süden  kam  selbstverständlich  auch  der 
Name  wie  das  Symbol  der  Blume  in  der  Marienverehrung,  ähnlich 
wie  Name  und  Symbol  der  Rose,  Lilie,  Lilium  convallium l) ;  die 
Hölzer  palma,  cedrus,  oliva;  die  als  Blume  gedeutete  platanus,  die 
Nelke;  ferner  eine  Reihe  Gewürzpflanzen2).  Den  spätlateinischen  oder 
romanischen  Namen  „cytalosa"  brachte  die  Anm.  zu  V.  277  des  Rosen- 
kranzes der  Marie3),  die  Herkunft  aus  dem  Italienischen  bezeugt 
auch  der  gezischte  Anlaut  des  V.  277,  den  der  Niederdeutsche  durch 
cz  wiedergab,  und  ebenso  das  häufige  c,  welches  sich  in  das  deutsche 
„zit"  schwerlich  jemals  verloren  hätte.  Ich  habe  deshalb  auf  citella 
(zitella)  osa,  „stolzes  Mägdlein"  geschlossen4). 

Da  die  Apotheker  und  Ärzte  die  Wurzelstöcke  der  vom  Süden 
kommenden,  Cyteloze  genannten  Drogue  kannten,  so  lässt  sich  nicht 
annehmen,  dass  an  den  Orten  ausserhalb  der  deutschen  Zunge,  wo 
die  Blume  Cyteloze  wirklich  wuchs,  diese  nicht  einen  gleich  oder 
ähnlich  gestaltenen  Wurzelstock   gehabt   haben   sollte.     Sie  muss  ein 


stock  der  Iris  tuberosa  L.,  des  knolligen  Schwertel,  sei.  Doch  werde  von  anderen 
als  Stammpflanze  Colchicum  illyricum,  Colchicum  variegatum  oder  tessulatum  an- 
genommen, was  nach  dem  Aussehen  des  Wurzelstocks  auch  möglich  sei.  W.  L. 
Petermann,  Das  Pflanzenreich,  S.  159  f.  leitet  Radix  Hermodactyli  von  Iris  tu- 
berosa L.  her  und  bildet  sie  ab:  Taf.  A.  40  Fig.  244.  S.  168  nennt  er  aber  auch 
Colchicum  variegatum  L.  als  Stammpflanze  dieser  radix. 

1)  Sie  stehen  z.  B.  alle,  mit  Ausnahme  der  Gewürze,  mit  Namen,  nur  die 
Nelke  ohne  Namen,  auf  dem  gestickten  Kelchtuch  von  Schöningen,  Kr.  Randow, 
aus  dem  15.  Jahrh.  Balt.  Stud.  1885.  35  S.  360—73.  Keine  der  Blumen,  mit 
Ausnahme  der  Nelke,  die  ich  neben  der  Rose  eben  so  deutlich  in  Breviarien  fand, 
ist  erkennbar;  die  Stickerinnen  kannten  sie  nicht,  nicht  einmal  Lilium  convallium, 
das  doch  jetzt  als  volkstümlicher  Name  „Lilienkonfalgen"  für  das  „Maiglöckchen" 
in  Pommern,  Mecklenburg  und  Holstein  gilt  und  der  Pflanze  den  Linne*'schen  Namen 
Convallaria  majalis  verschaffte.  In  der  Stickerei  sind  dafür  Blumen  eingesetzt, 
ähnlich  wie  Engel  Gabriel  sie  als  Lilienstengel  bei  der  Verkündigung  oder  Joseph 
in  der  Raphaelischen  Hochzeit  Mariae  führt. 

2)  So  in  „Marien  Rosenkranz"  Jahrb.  VI,  100—113.  Vergl.  VII,  13  und  die 
dort  angezogenen  altern  Ausgaben  des  Anseimus  (Schade,  Geistl.  Ged.  v.  Nieder- 
rhein; A.  Lübben,  Anhang  zum  Zeno),  Walther,  St.  Anselmi  Frage  1890  V.  10. 

3)  Jahrb.  VI,  S.  108.     Korr.-Bl.  VI,  95. 

*)  Veneroni-Castelli,  Dittion.  Imper.  (1743).  201.  876.  545.  Wenn  daher  K 
Hamann,  Mitt.  a.  d.  Breviloquus  Benthemianus  (15.  Jahrh.)  Hamb.  Progr.  der  Real- 
schule 1879  Nr.  613  S.  20.  zu  „Citella  est  sella  asini,  vel  macula  in  libro,  vel 
parva  puella"  zusetzt:  „zu  lesen  ist  clitella"  etc.,  so  ist  das  jedenfalls  für  die 
letzte  Bedeutung  irrig. 


47  I 

I 
Zwiebel-  oder  Knollen-Gewächs  gewesen  sein;   ferner  lässt  sich   ver-  I 

muten,   dass  sie,  schon  der  Marienverehrung  wegen,  in  Klostergärten  \ 

allmählich  nach  Norden  verbreitet  wurde,   wie   von   so  vielen  andern,  I 

selbst  heute  völlig  eingebürgerten  und  ausgewilderten  Pflanzen  (z.  B. 
dem  Kalmus)  bekannt  ist. 

Diese  einer  Zwiebel  entspriessende  Blume  war  gelb.  Das  war 
so  weit  bekannt,  dass  sie  von  Konrad  von  Würzburg  für  eine  der  6 
heraldischen  Farben  benutzt  werden  konnte: 

man  siht  durch  grünes  gras  üf  gan 

gelwe  zitelosen; 

bi  den  röten  rösen 

glenzent  viol  bla; 

durch  die  swarzen  dorne  lachet 

wiziu  bluot  vil  mancvalt: 

die  sechs  varwe  treit  der  walt1). 

Meine  frühere  Meinung,  dass  vielleicht  Iris  persica  L.  dahinter 
stecken  möge,  war  also  irrig;  denn  diese  ist  blau.  Inzwischen  haben 
wir  von  dem  bald  nach  1350  schreibenden  niederdeutschen  Kölner 
Pilger2)  ein  um  so  dankbarer  aufzunehmendes  Zeugnis  für  die  Pflanze, 
als  er  im  Orient  vergleichen  konnte  und  genau  und  unzweifelhaft  sein 
Urteil  abgiebt.  Er  sagt  (S.  85):  „Safferain  den  plantzent  die  lüde  in 
Arragonien3)  as  man  ie  dat  tdlouch,  ind  weist  auch  nirgent  nie,  ind  is 
iceyst  gantze  velt  voll,  ind  eyn  houft  mit  eynre  blomen,  geschaft  so  grois 
as  eyne  zydelose1),  ind  sy  is  wys  ind  bla,  ind  ey  eyn  bloim  hau  dry 
lange  vcsen  in  deme  hertzen,  ind  dat  is  safferayn,  wan  dat  syne  zeyt 
w,   ind  dan  hrengent  die  lade  Hörnen  ind  nement  dar  uys  safferainby\ 

Der  Safran,  crocus  sativus  L.,  der  über  Meer  gepflanzt  wird, 
dass  ganze  Felder  voll  stehen,  wie  um  Köln  das  Ullauch,  die  Garten- 

')  S.  auch  hei  G.  A.  Seyler,  Geschichte  der  Heraldik.  Heft  3.  S.  125.  (in 
Siebmacher's  Grossem  und  Allg.  Wappenbuch).  Vielleicht  ist  deshalb  auch  „flos 
rampi"  auf  dem  Kelchtuch  von  Schulungen  (s.  S.  46  Anm.  1)  gelb  gestickt. 

*)  Herausgg.  von  Röhricht  und  Meisuer  1886.  ZDPhil.  19,  1  S.  1—86. 
Vergl.  S.  16  as  man  hie  in  der  sterveden  die  joeden  sloich.  Ähnlich  S.  22.  Der 
schwarze  Tod  brach  in  Köln  am  18.  December  1349  aus. 

s)  Da  der  Pilger  nur  von  „ubermer"  redet,  so  ist  „Arragonien"  verderbt. 
Jedenfalls  hat  er  den  Safran  selber  bauen  sehen.  Da  er  von  seiner  Anwesenheit 
n  Armenien  und  Masenderan  (Tabris)  selbst  erzählt,  so  mag  er  auch  weiter  nach 
(ran  hineingekommen  sein;  vermutlich  ist  daher  Arachosia  zu  lesen.  Nach  De 
.'andolle  (Urspr.  der  Kulturpflanzen.  Übers.  V.  Goeze.  Leipz.  1884)  wird  in  Persien, 
\leinayien  und  Kaschmir  wesentlich  Safran  gebaut,  aber  weder  in  Ägypten  noch  in 
Vrabien.  Wäre  an  Arachosia  nicht  zu  denken,  so  steckt  ein  ähnlich  klingender 
L*ndschaftsname  aus  Klein-Armenien  oder  Kappadocien  darin. 

4)  R.  und  M.  erklären  natürlich  „zeitlose  (Colchicum  autumnale)". 

5)  Die  Blüte  von  Crocus  sativus  uud  die  Gewinnung  der  Würze  erklären 
i.  und  M.  falsch;  sie  deuten  die  „dry  lange  vesen  in  deme  hertzen"  als  „Fasern 
Staubfaden)"  „mitten  innen".  Diese  Fesen  (stigmata  croci)  sind  nicht  die  Staub- 
teiltet,  sondern  die  3  hochgelben  Narben,  die  richtig  „im  Herzen  der  Blume"  auf 
lern  Fruchtknoten  stehen.  Der  Pilger  hat  sehr  genau  zugesehen.  Nach  Petermann 
.  c.  S.  160  geben  die  Narben  von  203  920  Blüten  erst  i;2  kg  Safran.  Die  gelbe 
farbe  unseres  crocus  vernus  hat  aber  noch  1795  verleitet,  in  ihm  den  Safran  und 
1  den  getrockneten  Blüten  den  Farbstoff  zu  sehen.  Neue  Monatsschr.  von  und 
lr  Meckl.  4°.  1795.  St.  2  S.  93. 


48 

zwiebel,  Zipolle  (Allium  cepa  L.),  blüht  blau  und  weiss;  es  ist  das 
vermutlich  als  Gegensatz  gegen  die  gelbe  Zydelose,  vielleicht  auch 
gegen  die  allbekannte  Farbe  des  im  MA.  überall  gebrauchten  Safran- 
Gewürzes  hervorgehoben,  welches  nach  ihr  (nicht  nach  der  Blüte) 
seinen  arabischen  Namen  Sahafaran  und  spanisch  (~  arabisch)  Azafran, 
von  Assfar  =  gelb,  erhielt.  Umgekehrt  bildeten  die  Griechen  aus 
ihrem  Namen  der  Pflanze,  von  der  verwandte,  schlechtere  Arten  in 
Griechenland  und  Italien  wachsen,  xpoxo;,  das  Adj.  xpoxosi;  =  gelb. 
das  die  Römer  (croceus)  und  das  Mittelalter  (croceus  =  gilvus  in 
Konrad's  v.  Mure,  Clipearius)  übernahmen. 

Die  „ Zydelose u  des  14.  Jahrh.  als  Blume  ist  demnach  unsere 
bekannte  Frühlingsblume,  der  gelbe  Krokus,  Crocus  luteus  Link., 
der  aus  dem  Südosten  allmählich  nach  dem  deutschen  Nordwesten 
und  dann  Nordosten  heraufkam.  Schon  Lexer  erklärte  im  Mnd. 
Taschen-Wb.  1881  den  Crocus,  allerdings  neben  Narcissus,  für  die 
Zitelöse;  später  hat  er  sich  durch  Zingerle  beirren  lassen  und  die 
Primula  veris  eingesetzt. 

Der  Crocus  hat  einen  zwiebelartigen  Wurzelstock;  dass  er  selb-t 
je  officinell  gewesen,  ist  vielleicht  zu  bezweifeln;  aber  der  ganz  ähnliche 
und  verwandte  von  Gladiolus  paluster  L.  hat  sich  in  die  oben  ge- 
nannte Hermodatteln  -  Sippe  doch  eingedrängt  als  Radix  victorialis 
rotundi. 

Dass  man  den  bekannt  klingenden  und  mhd.  an  zit  und  los  ge- 
mahnenden Namen  bald  umdeutete  und  nun  als  „zeitlos"  fasste,  dann 
für  die  neue  Deutung  unter  den  bekannten  Pflanzen  einen  Begriff 
suchte,  ist  allzu  natürlich,  um  auffallen  zu  können.  Hatte  man  aber 
erst  die  Erklärung  „Unzeitig"  herausgetiftelt,  so  war  es  ebenso  na- 
türlich, die  auffallenderen,  vor  allen  andern  blühenden  Gewächse  mit 
dem  Namen  zu  benennen,  zunächst  gelbe  und  Zwiebelgewächse,  dann 
auch  beliebige  andere.  Das  Mittelniederdeutsche,  das  fast  alle  seine 
Bluinennamen  aus  dem  Mhd.,  seltener  unmittelbar  aus  dem  Latein 
bezog,  suchte  sich  diese  dann  Sprachlich  zurecht  zu  legen.  Daher  die 
vielfach  verdrehten  Bildungen.  Es  sind  einschliesslich  des  Colchicum 
auctumnale,  das  unten  noch  zu  besprechen  ist,  bei  Pritzel  und 
Jessen1)  10  Pflanzen,  welche  auf  die  eine  oder  andere  —  oft  recht 
verdrehte  —  Weise  ihre  Namen  von  der  Zitelöse  herleiten;  die  bei 
Weitem  meisten  Ortsnachweise  gehören  der  Schweiz  an;  die  auch  in 
niedersächsischer  Gegend  vorkommenden  werde  ich  mit  nd.  bezeichnen 
Es  sind:    Anemone  nemorosa  L.,    Bellis  perennis2),   Crocus  vernus  L, 


*)  Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  Hannover.  Cohen.  1882.  1^4 
2)  Nur  die  gefüllte  rote  Zuchtvarietät  heisst  im  Göttingischen  Marien-  (oder! 
vielmehr  Marjen-)  blaume;  die  wilde  nur  Göseblaume.  Übrigens  ist  mhd.  zitlose.; 
hermodactylus,  marrubium,  citomus,  Bellis  silvestris  als  gleich  angegeben.  X*M 
kann  nicht  B.  perennis  sein,  die  nicht  im  Walde  wächst.  Vermutlich  sind  es  AH 
jetzt  Piatanthera  bifolia  Rchb.  und  PI.  montana  Rchb.  fil.  genannten  Orchideen 
bei  Theophil.  Niemann,  Prodromus  Idiotici  Meckl.  (1798,  28  S.  8°):  Orandt  =  Orcti^ 
bifolia  L;  Orant,  Dorant,  Durant.  Tourant  ist  auch  ein  bös  wandernder  Pflanzenname 


49 

(blau),  Galanthus  nivalis  (St.  Gallen:  „echte  Zeitlose"!),  Globu\aria 
vulgaris  L.  (blau),  Leucoium  vernuui  L.  nd. *),  Narcissus  Pseudonaraissus 
L.  nd.,  über  den,  mit  Narcissus  poeticus  L.,  noch  weiter  zu  reden 
sein  wird,  Tussilago  Farfaro  L.,  Primula  veris  L.,  letztere  beide  nur 
in  der  Schweiz  und  mit  grossen  Verdrehungen  (Zitterröslin  —  Zetter- 
lose,  Zitterlose,  Zitterrösli) ;  jetzt  auch  Tierlösken  =  Nymphaea  alba  L. 
(S.  Mielck  im  Korr.-Bl.  14,  1  S.  11.)  Wie  kam  aber  die  fremde 
Narcisse  zu  ihrem  anscheinend  deutschen  Namen?  Das  ostfriesische 
witte,  gäle  sisscn  oder  ssissen  (ten  Doornkaat  Koolman  3,  S.  188; 
Pritzel  und  Jessen  sagen:  Schisse,  Sisse  und  Zisse)  ist  einfach  das  vorn 
verschnittene  lateinische  Wort;  dasselbe  gilt  vom  Meckl.  Atzisch  bei 
Theoph.  Niemann.  Dieses  Wort  ist  zugleich  der  Zuruf  an  Kinder  beim 
Anriechen  an  eine  Blume.  Ganz  ähnlich  durch  Verdrehung  istMarizisli 
im  Berner  Lande  neben  dem  fortgebildeten  Marzisenrösli  entstanden, 
vielleicht  hat  diese  Bildung  dann  zu  den  St.  Galler  auf  „März"  zurück- 
fuhrenden Namen  Anlass  gegeben.  Auf  niederdeutschem  Gebiete  wurden 
die  „Hissen"  zu  Zitzen:  gäle  Zitzen  Schlesw.-Holstein;  gel  Zitzen,  witt 
Zitzen  1798  in  Rostock  und  Ribnitz,  jetzt  nur  noch  auf  dem  Lande.  In 
Holstei n  schliesst  sich  daran  unmittelbar  Z  i  1 1  e  1  r  ö  s  c  h  e  n,  welches  gerades- 
weges  in  das  Zeitlosen-Gebiet  hinüberfuhrt:  Tirlisken,  Tierlo de,  Tier- 
lose, Tieloo,  Tieloot  und  endlich  Tietlose  selber,  alle  im  Weser- 
gebiete. Hieran  schliessen  sich  die  Göttinger  Namen  mit  ihrer  An- 
lehnung an  Tit,  Titte.  Nur  das  älteste  Vorkommen  in  Nathan.  Chytraei 
nomenclator  (437  der  Lemgower  Ausg.)  passt  nicht  ganz  in  die  Reihe: 
^Narcissus,  Narcissenröselin,  Hörniugsblomen,  Tydtlosen";  aber  mit 
seinen  nIlörningsblomen"  verrät  der  geborne  Pfälzer  sich  selber,  es 
sind  die  „Hornungsblumen"  aus  des  Tabernaemontanus  Kraeuterbuch, 
und  die  „Tydtlose"  aus  des  Dasypodius  Dict.  Latino-Germ.,  einer  der 
Strassburger  Ausgaben  von  1535 — 37.  Sogar  den  Narcissus  coeruleus, 
wahrscheinlich  die  blaue  Globularia,  will  er  als  „blauwe  hörnings- 
blaume*  nach  Rostock  versetzen. 

Sehen  wir  uns  nun  zum  Schlüsse  die  deutschen  Namen  des 
Colchicum  auctumnale  L.,  das  heute  fast  allein  noch  in  den 
Büchern   die  Bezeichnung   der  Zitelose  erhalten  hat,    bei  Pritzel   und 


*)  Die  bei  Schanibach,  Götting.  -  Grubenhagen.  Idiot.  S.  230  angegebenen 
Namen  kommen  allerdings  vor,  es  wurde  aber  meist  „Austerklöckschen"  gesagt;  ich 
horte  in  den  20er  und  30er  Jahren  die  erste  Silbe  auch  nie  lang:  tid,  sondern 
kurz:  titt,  genau  wie  titt  m.,  mamma,  womit  wir  Jungen  es  auch  ohne  Weiteres 
zusammenbrachten,  während  das  dim.  loaeseken  (loaeseken  Sitten)  für  „sehr  loseu, 
auch  „lotterig"  gebraucht  wurde.  Mit  -löte  weiss  ich  in  dieser  Verbindung  nichts 
anzufangen.  Für  die  gelbe  Narcisse  habe  ich  auch  nur  „Austerblaume"  gehört. 
I>ass  Leucoium  vernum,  welches  dort  überall  in  den  Bergen  wild  wächst,  auch  volks- 
mä<sig  einen  Fremdnaineu  annehmen  konnte,  entspricht  nur  dem  nördlicheren 
Lilienkonfaljen  für  das  auch  wild  wachsende  Maiglöckchen.  Nebenbei  gesagt  hat 
Schambach  S.  231  die  Bezeichnung  „titte"  f.  als  „nur  von  Tieren"  gebraucht  ange- 
geben, während  die  Ha.  „bi  de  titten  krigen",  ja  selbst  Reime,  die  als  obscön  hier 
nicht  genannt  werden  sollen,  das  Gegenteil  bezeugen.  Das  masc.  titt,  pl.  titte,  hat 
Schambach  überhaupt  nicht,  es  ist  aber  die  üblichste  Bezeichnung  (titt  geven, 
t.  hebben,  t.  suckeln).  „Tis"  wurde  nur  von  hochdeutsch  Angehauchten  gebraucht. 
Niederdeutsches  Jahrbuch.    XV.  A 


50 

Jessen  an,  so  fallen  die  meisten  als  alt  oder  aus  altern  Quellen  an- 
gegebenen, jener  Verwechselung  anheim,  vor  welcher  oben  Sprengells 
Citat  warnte:  sie  gehören  der  alten  Drogue  Zitelose  und  dem  Allium 
Victoriaiis.  n Herbstzeitlose u  ist  danach  überhaupt  kein  im  Volke 
steckender  Name,  nur  aus  St.  Gallen  wird  ein  „ Herbstziglose u  und 
anscheinend  ebendaher  ein  „Herczelose",  aus  Bern  ein  einfaches  .Zit- 
lose"  gemeldet.  Der  Name  ist  ein  dem  Frühlings-Crocus  gegenüber 
gefertigter  Schulbotanikname,  den  nun  die  Lehrbücher  und  der  Unter- 
richt verkehrt  in's  Volk  tragen.  Demselben  Gegensatze  dienten  schon 
früh  die  Bezeichnungen:  Waldzeitlose  in  Bocks  Kräuterbuch  von  153n 
(wenn  das  überall  Colchicum  sein  soll,  das  nicht  im  Walde  wächst;. 
Wiesensafran  bei  Cordus,  wilder  Safran  bei  Ncmnich,  endlich  Wiesen- 
zeitlose im  Elsass,  hinübergetragen  durch  den  Pfalzer  Chytraeu* 
in  seinem  Nomenciator:  „Hermodactylus,  Wischen-Tydelosc,  Hervest- 
blomen"  (letzteres  aus  Cordus).  Als  mittelniederdeutsche  Namen 
stehen  bei  Pritzel  etc.:  ermodatten,  kobenkrüt,  kelberkrüt  und  kawe- 
nerawt.  Das  letzte  weiss  ich  nicht  zu  deuten,  selbst  wenn  ,,awt~  -= 
obiz  ist,  kobenkrüt  und  kelberkrüt  fehlen  im  Mndd.  Wb.,  doch  i<t 
ersteres  voraussichtlich  eine  Verlesung  für  kobebenkrut,  das  bekannte 
Kubeben-Gewürz,  und  gehört  dann  nicht  hierher:  sollte  letzteres  — 
kelbervöt  oder  kalvesvot  sein,  so  wäre  es  einer  der  vielen  Namen  für 
das  durch  die  Klöster  weitverbreitete  Arum  maculatum.  Ermodatten 
erklärt  Mndd.  Wb.  I,  724  freilich  mit  Colchicum  auctumnale,  die  an- 
gezogene Stelle  des  Goth.  Arznb.  „affrodillenpulver  edder  ermodatteir 
weist  aber  auf  die  fremde  Zwiebel;  auch  die  Asphodelos  wird  von  der 
südlichen  Zitelose  nicht  geschieden  sein.  Dann  besässen  wir  überhaupt 
keinen  mndd.  Namen  für  unser  Colchicum. 

Was  die  neueren  ndd.  Benennungen  betrifft,  so  ist  der  angebliche 
Bremer  Name  „nackende  Jungfern"  nicht  niederdeutsch;  die  Pflanze 
wächst  dort  gar  nicht;  der  Name  ist  aus  Büchern  übernommen,  er 
soll  in  Thüringen  vorkommen;  ob  er  es  wirklich  thue,  bleibt  fraglich. 
Auch  die  „nackte  Hure"  gehört  Niederdeutschland  nicht  an.  Über 
das  Vorkommen  der  Pflanze  in  Westfalen  und  deren  dann  mutmass- 
liche Bezeichnung  weiss  ich  nichts.  Im  Göttingen-Grubenhagensehen, 
wo  jene  in  den  schwergründigen,  lehnlichten  Leinewiesen  zahlreich  al< 
grosse  Plage  wächst,  heisst  sie  nur  „Haneklöaten"  (die  im  Herh>t 
erscheinende  und  rasch  schwindende  Blume,  auch  Hahneklöatenblaume l  \  i 
und  „Klappern",  fast  nur  als  pl.  tant.  Letzteres  sind  zunächst  die  bei 
der  Reife  der  Samen  klappernden  Fruchttaschen,  aber  auch  das  grüne 
Kraut  und  selbst  die  Blumen.  „Klappern  trecken",  das  Ausziehen  der 
Pflanzen  vor  der  Samenreife,  damit  sie  nicht  in's  Heu  geraten,  i^t 
eine  sehr  unbeliebte  Arbeit. 


*)  Schambach  S.  73.     „Klappern"   fehlt   bei   ihm,  auch  in  Sprenger's  Narb- 
trägen Jahrb.  VIII. 

ROSTOCK.  K.  E.  H.  Krause.         I 


51 


Diele,  dele,  dale. 


Die  Veranlassung  zu  nachstehender  Untersuchung  gab  Kirch- 
hoffs  Bemerkung  über  das  sächsische  Bauernhaus  (s.  Kirchhoffs  Schul- 
geographie 6.  Aufl.  S.  217,  Anm.  3):  „Uraltes  Bauernhaus,  noch  jetzt 
manchmal  aus  blossem  Fachwerk  gebaut,  mit  hohem  Strohdach  (unter 
dem  das  Getreide  lagert);  die  Stallungen  r.  und  1.  neben  der  Diele 
(eigentlich  'Deele'  d.  h.  der  Flur,  in  welche  man  durch  die  Thorfahrt 
eintritt),  dahinter  der  offene  Herd  und  die  Wohnräume  der  Familie. a 

Diele  lautet  ahd.  dil,  dili,  dilo,  tille;  mhd.  dil,  dile,  dille.  In 
Schwaben  dill  n.,  in  Baiern  dillcn  f.,  in  der  Schweiz  diel,  ditt^  tili  und 
diele,  dilli.     Gr.  Wtb.  II,   1099. 

Die  Bedeutung  im  Ahd.  und  Mhd.  ist  'planca'.  Für  das  Nhd. 
führt  Gr.  Wtb.  folgende  Bedeutungen  auf: 

1.  Brett,  Bohle,  assis. 

2.  Der  bretterue  Fussboden  eines  Zimmers,  der  Estrich. 

3.  Die  Zimmerdecke,  im  südlichen  Deutschland  gleichbedeutend  mit  Bühne. 

4.  Schlafkammer  über  der  Wohustuhe ;  auch  der  obere  Boden  des  Hauses. 

5.  Brett  zu  besonderem  Gebrauch  eingerichtet.     Bücherbrett  (Lessing). 

6.  Wand,  Bretterwand. 

7.  Die  Hausflur,  der  Vorhof  (Hülty,  Tieck). 

8.  Der  festgestampfte  Lehmboden  einer  Scheune,  die  Scheundiele,  Scheun- 

tenne (Brockes;  Moser:  die  Deele  Dreschplatz  im  Hause). 

9.  In  der  Lausitz  hcisst  Diele  im  Ackerbau  der  feste  Erdboden  unter  der 

Dammerde  (Adelung). 

Grimm  meint:  „Es  hat  den  Anschein,  als  ob  verwandte,  aber 
ursprünglich  doch  geschiedene  Formen  unter  einander  gemischt  seien. 
Merkenswerth  ist  es,  dass  im  Ags.  und  Altnord,  thil  n.  und  thilia  f. 
auseinander  gehalten  und  im  Niederd.  dcle  =  'Brett'  und  dale  'Fuss- 
boden'  unterschieden  werden.  Wir  müssen  wrol  ein  verlorenes  starkes 
Verbum  dille,  dal,  dullen  mit  der  Bedeutung  'befestigen,  durch  Grund- 
lage sichern'  annehmen." 

Im  Niederd.  stelle  ich  zunächst  die  Benennungen  für  Diele  'Brett, 
Bohle'  zusammen. 

Auf  dem   Harze,    um   Blankenburg,   um    Helmstedt   dele  mit 

langem  e,  gesprochen  wie  franz.  e  in  allee. 
Um  Göttingen  dcle;  Schambach  giebt  dele  an. 
Im  Solling  dlole. 

Im  Westfälischen  didle.     Woeste,  wcstf.  Wtb.  52a. 
Im    Ilamburgischen    dehle    (per   y).     Richey,    Idioticon   Ham- 

burgense  379. 
Im  Ditmarschen  d(fl  (spr.  dill).     Quickborn  p.  285. 
Im  Niederländischen  deel. 

Im  Ostfriesischen  dälen,  PL     J.  ten  Doornkaat  Koolman,  Ostfr. 
Wtb.  I  S.  275. 


52 

Die  nd.  Benennungen  für  Hausflur,  Dreschtenne  lauten: 
Auf  dem  nd.  Harze  dsle;  S  wie  franz.  e  in  mere. 
In  und  um  Fallersleben  d$e;  9  =  ä.    Die  deutschen  Mundarten 

V  S.  53. 
In  und  um  Schöppenstedt  däle. 
Nördlich   von  Goslar   im    Ort  Haringen,    also    im   engrischen 

Gebiete,  d&le. 
In   den   Fürstentümern  Göttingen-Grubenhagen   dele;   e   =  a. 

Schambach,  Idioticon  S.  42a. 
Im    Altmärkischen    da/,    schhndiLl.      Danneil,    W7tb.    der    alt- 
märkischen Mundart  S.  31. 
Im  Westfälischen  dqle;  9  =  8.     Woeste,  westf.  Wtb.  S.  43*». 
Im   Ostfriesischen   döskdU   =   Dreschtenne,    dSJ   =  Hausflur. 

J.  ten  Doornkaat  Koolman,  ostfr.  Wtb.  I  S.  275. 
Im  Hamburgischen   dehle   =    oftener   Kaum   vorn   im   Hause. 

Itichey,  S.  35. 
Im    Lippischen   doli   =    Hausflur,    Tenne,    meist   von    festge- 
stampftem Lehm;    davon   dellig \   dällig  =  nicht  locker, 
z.  B.  delliges  Brot.     Man  verhochdeutscht  in  Rissen  und 
Bauanschlägen  hier  zu  Lande:  deel  oder  dehl,  Diele.     Die 
deutsch.  Mundarten  VI  S.  5G. 
Im  Niederländischen  dcel. 
Im    Niederländischen,    Ostfriesischen,    Hamburgischen,    d.    h.    im 
nördlichen   und   nordwestlichen  Teile   des  nd.  Sprachgebietes,    scheint 
man  die  Bezeichnungen  für  Brett  und  Dreschtenne  in  der  Aussprache 
nicht  auseinander  zu  halten,    wohl   aber   im   südlichen  Teile  des   Ost- 
fälischen  und  Engrischen.     Hier  wird  der  Name  für  Dreschtenne  oder 
Hausflur  mit  einem  tiefen  II,   der  Name  für  Brett  mit  langem  e  oder 
ia  gesprochen.     Engrisches  ia  entspricht  seinem  lautlichen  Werte  nach 
dem  ostfälischen  e,    beide  geben  mhd.  i  wieder,    d.  h.   didle   und   drle 
entsprechen  genau  mhd.  rfi7,  nhd.  diele  'Brett'  oder  was  aus  Brettern 
gemacht  ist. 

Von  Bedeutung  ist,  dass  sowohl  im  Engrischen  neben  diSle  ein 
rfeZ*,  als  auch  im  Ostfälischen  neben  dele  ein  dUe  besteht.  Es  geht 
nicht  wohl  an,  diese  Formen  als  bedeutungslose  Varianten  anzusehen. 
Im  Ostfälischen,  insbesondere  um  Blankenburg  a.  IL,  entspricht  a. 
soweit  ich  den  Dialekt  durchforscht  habe,  niemals  mhd.  i,  sondern 
immer  durch  Umlaut  oder  Brechung  einem  urspr.  a-Laute.  Demnach 
bin  ich  der  Ansicht,  dass  dele  und  d\de  zwei  verschiedene  Worte  sind. 
In  diesem  Sinne  äusserte  sich  schon  Woeste,  westf.  Wtb.  s.  v.  deie: 
„Wahrscheinlich  ist  e  aus  a  gebrochen,  wie  in  tfeZ,  womit  es  zusam- 
menhangen wird:  d$le,  der  niedrigste  Teil  des  Bauernhauses,  weshalb 
auch  ihre  Thür  die  nvndor  heisst.  Dass  dieses  Wort  nicht  mit  mhd. 
dil,  nhd.  diele  eins  sein  kann,  ist  klar,  da  wir  Diele,  dülc  von  Dehle. 
dele  unterscheiden."  Für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  spricht  auch 
dale  im  Br.  Wtb.  Ist  das  sächsische  Bauernhaus  mit  der  charakteri- 
stischen Flur  oder  d£le  etwas  specifisch  sächsisches,  so  wird  der  Name 


53 

dafür  auch  echt  sächsisch  sein  und  da  fehlen,  wo  auch  der  Gegenstand 
fehlt.  Deshalb  wundere  ich  mich  nicht,  dass  z.  B.  im  Ostthüringischen, 
in  Stiege  auf  dem  Harze  und  in  Kelbra  in  der  goldenen  Aue,  für 
Dreschtenne  und  Hausflur  der  Name  Diele  nicht  vorhanden  ist;  das 
erstere  heisst  Tenne,  das  letztere  Flur.  Und  doch  liegt  Stiege  nur 
eine  halbe  Stunde  von  dem  niederd.  Hasselfelde  entfernt.  Diele  in 
der  Bedeutung  Dreschtenne,  Hausflur  wird  besonders  in  Norddcutschland 
gebraucht  (s.  Th.  Heinsius,  Wtb.  der  deutschen  Sprache  I  S.  760), 
hier  ist  nd.  dehle,  resp.  tffifc,  und  Diele  fälschlicherweise  fiir  dasselbe 
Wort  gehalten  und  daher  dehle  (dUc)  durch  Diele  wiedergegeben. 
Brockes  war  Hamburger  Ratsherr,  Hölty  stammte  aus  Mariensee  im 
Hannoverschen,  Moser  aus  Osnabrück.  „Die  Bedeutungen  'Hausflur, 
Dreschtenne'  im  heutigen  Nhd.  wurden  aus  dem  Niederd.  aufgenommen" 
(Weigand,  Wtb.  I  S.  371),  während  Kluge,  Ktym.  Wtb.  p.  50:  „rohd. 
bretterner  Fussboden  (ndd.  noch  'Hausflur') u  sich  von  der  richtigen 
Ansicht  wieder  entfernt.  Korrekt  würde  es  sein,  Diele  nur  in  seiner 
eigentlichen  Bedeutung  zu  gebrauchen,  für  'Hausflur,  Dreschtenne'  aber 
entweder  diese  Worte  oder  allenfalls  das  nd.  Wort,  vielleicht  in  der 
Gestalt  'Dehle',  anzuwenden. 

BLANKENBURG  a.  H.  Ed.  Damköhler. 


Plattdeutsehe  Sprüehwörter  und 
Redensarten  aus  Hinterpommern  *). 

1.  Jenn  Gaud'  seggt:   Wenn  ik  iwends  utem  Kräng'  nä  Hus 
kam  4  segg'  'Gunäwend',  dat  aewrig'  seggt  min  Ollsch  (W\). 

2.  Fi   ack;   fi,   dat  is   ack;   nimm  nich,   dat  is  ack   (Cz.).     So 
sagt  man,  um  kleine  Kinder  vom  Anfassen  schmutziger ßaehen  abzuhalten. 

3.  Dei    Anblick   was   nich   schlecht,    saed1   Adam  ä  kikd'  (kek) 
Ewe  ungre  Rock  (W.). 


*)  Die  hier  mitgeteilten  plattdeutschen  Sprüehwörter  und  Redensarten  aus 
Hinterpommern  sind  ein  Nachtrag  zu  meiner  ersten  Sammlung  „Plattdeutsches  aus 
Hinterpommern",  die  als  Beilage  zum  diesjährigen  Osterprogramm  des  Gnesener 
Gymnasiums  veröffentlicht  wurde.  Sie  waren,  da  sie  grösstenteils  mehr  oder  minder 
anfttössig  sind,  aus  einer  Programmarbeit  auszuscheiden,  aber  wegen  ihrer  Wich- 
tigkeit für  die  Feststellung  der  hiuteqwmmerschen  Sprache  durften  sie  nicht  zurück- 
gehalten werden  und  erscheinen  deshalb  hier  als  „dritte  Sammlung"  meines  Platt- 
deutschen aus  Hinterpommern.  Die  in  Klammern  beigefügten  Ortschaften  sind  fol- 
gende: Carzin  (Cz.),  Gr.  Gänsen  (G.),  Culsow  (Cl.),  Zezenow  (Z.)  im  Kreise  Stolp; 
Beigard,  Schönehr  und  Freist  im  Kreise  Lauenburg  (L.);  Wusseken  (W.)  im 
Kreise  Bütow. 


54 

4.  Ik  war  di  wat  angers  daune  (Cz.).  Umschreibung  für  das 
grobe  ik  war  di  wat  schite. 

5.  Fein  Arbeit  daune  d.  i.  huren  (W.). 

6.  Wer  ne  grote  Noarscli  het,  mutt  uk  wide  Bickse  hebbe  (W.'j. 

7.  Wi  mutte  wat  upgäne  läte,  aber  nich  de  Noarsch  (\Y.). 
upgäne  1)  drauf  gehen,  2)  aiif gehen. 

8.  Lät  di  de  Sinn  inne  Noarsch  sehine,  denn  kriggst  du  wat 
Warms  int  Lif  (W.). 

9.  Dei  kann  ne  Rung'  im  Moarsch  tebraeke  (W.).  Er  ist  ein 
grober  Kerl;  auch  dem  kann  ma  u.  s.  w. 

10.  Hei  wart  em  noch  enne  Oarsch  krupe  (L.).  Der  Schmeichler. 

11.  Ut,  seggt  Knuth,  de  Schiffel  im  Noarsch,  de  Stael  steckt 
ut  (W.).  Neckreim  auf  den  Bauer  Knuth  in  Kl.  Massowüz.  Ein 
anderer  Beim  auf  die  dortigen  Bauern  lautet:  Hauss  was  de  Gaus, 
Heyer  laecV  Eier,  Knuth  satt  se  ut,  Trabandt  was  de  Gant,  Hass 
plickd'  Gras. 

12.  Dem  geht  uk  de  Oarsch  mit  Grundis  (Cz.).  Er  ist  in  sehr 
grosser  Angst. 

13.  Einem  de  Noarsch  beseine  (Cz.),  um  ihn  durchzuprügeln; 
ebenso:  de  Puckel  beseine.  Anders  de  Blanke  wise,  als  Zeichen  höchster 
Verachtung,  s.  meine  Volkssagen  S.  74. 

14.  Em  jaekt  de  Noarsch  d.  h.  er  will  Prügel  (Cz.).  Dagegen: 
Dem  Maeke  jaekt  de  N.  nä  de  Bengels,  sie  läuft  den  Betigels  nach. 
Eine  Mutter  sagte  zu  ihren  Kindern,  die  bei  grosser  Kälte  Schlitten 
fahren  wollten:  Juch  jaekt  woll  de  Noarsch V  Nu  will  ji  all  wedder 
uppe  Schlaede  gäne  ä  verfreire. 

15.  De  Wind  jeggt  woll  Sandbarg'  top,  aber  kein  dicke  Oarsch- 
lecher  (W.).  Plötzig:  Wind  drifft  woll  Sandbäge  top,  äba  keine  dicke  Buk. 

16.  De  Ogen  sind  noch  wit  vom  Noarsch  (W.). 

17.  Hei  het  ne  Buk  as  he  drachtig  Lewark  (W.). 

18.  Hei  het  sone  Buk  as  a  drachtig'  Saeg'  (L.).  In  CL  von 
einem  grossen  Bauch:  du  best  uk  ne  sehen'  ull  Mig'. 

19.  Du  best  woll  Knäken  im  Buk?  (G.).  Einer,  der  sich  nicht 
bücken  mag. 

20.  De  Bur  is  he  Bur  ä  blifft  he  Bur;  steckt  ma  em  de  Finger 
int  Mul,  denn  bitt  hei,  steckt  ma  'n  em  inne  Noarsch,  denn  schitt 
hei.     De  Bur  is  he  Bur  ä  blifft  he  Bur  (W.). 

21.  Schit  de  Wand  entlang,  denn  denkt  de  Bur,  dat  is  malt  (W.). 

22.  Wenn  de  Bur  dichtig  Klit'  inpackt  het,  kann  hei  ne  daege 
Furz  pisse  (W.). 

23.  Wer  de  Bein  gaut  mit  Hoar  bewusse  het,  dem  hebbe  de 
Imme  gaut  Oart  (W.). 

24.  Dei  Maekes  bisse,  krige  de  Biss'  (W.).  Sie  laufen  nach 
Herrengesellschaft. 

25.  Dat  is  so  blank  as  eie  Judeei  (Z.). 

26.  Wat  geht  dem  Bück  dat  Lamm  an!  (W.). 


55 

27.  Ma  wiss,  ja  woll  het  de  Bück  ne  Bidel  (Cz.).  Zusatz  zu 
einer  bejahenden  Antwort  auf  eine  beliebige  Frage. 

28.  Hochtit  im  Plummegoare,  de  Brut  dei  het  de  Kranz  ver- 
loare  (Cz.). 

29.  Dat  bringt  de  rik  Brut  k  de  versäpen  Schwigermutter  mit 
sik  (W.).     Dass  der  Schwiegersohn  immer  gut  leben  kann. 

30.  Kam  ik  äweuds  späd'  ne  Hus,  deht  min  Ollsche  brumme, 
naena  ik  denn  de  Vigelin  k  spael  är  eine  Krumme  (W.). 

31.  De  Biekse  vull  hewwe,  in  grosser  Angst  sein  (Cz.). 

32.  Wenn  't  nich  bottre  schall,  bottert  't  nich,  o  wenn  ma 
di  Hose  aftreckt  o  rinne  schitt  (Cl.).     Siehe  meine  Sagen  S.  171. 

33.  Koppke,  Feitkes,  alles  warm,  Hindrport  äpen,  denn  brukst 
du  nich  tum  Dokter  lopen  (L.). 

34.  Dat  is  gräd  so  (groff)  as  mit  de  Schiffel  inne  Dreck  (W.). 

35.  Hei  dreigt  (wingt)  sik  as  de  Furz   im  Schnuppdauk   (W.). 

36.  Du  kriggst  Dresch,  dat  du  anne  Helft  naug  hest  (W.). 
Auch:  Du  misd'  Dresch  hebbe,  dat  du  de  P&pe  begehrst. 

37.  Dat  is  noch  wit  intwei,  saed'  jennt  Maeke  k  kek  sik  twischen 
de  Bein  (W.). 

38.  Ik  erjetzd'  mi  doaran  as  de  Jud'  am  Gnatz  (W.).  An  der 
Arbeit;  Gnatz  =  Krätze. 

39.  De  erschte  naegen  (nämlich  Seidel)  sind  de  schlimmste  (W.). 

40.  Hei  is  so  ful,  dat  hei  nich  dat  Mul  uprite  mag  (Cz.). 

41.  Dei  het  dat  hibsch  Fell  uk  väre  Oarsch  kraege  (W.).  Ein 
Mädchen,  das  Geld  hat,  aber  hässlich  ist. 

42.  Wer  kein  Fisch  ett,  schitt  uk  kein  Gr&de  (W.). 

43.  Lät  ein  fleige,  seggt  Seefildt  o  gaff  de  Katt  ne  Puss  väre 
Noas  (Cl.). 

44.  Ne  besäpen  Fru  is  he  Engel  im  Bedd  (W.). 

45.  Hei  geht  up  de  Fri  (Cz.).  So  sagt  man  scherzhaft,  wenn 
jetnand  sein  Schnupftuch  aus  der  Tasche  hängen  lässt. 

46.  Dei  Jung'  will  frige  k  is  noch  nich  hingerre  Ohre  bedregt 
(W.).    So  sagt  man,  wenn  ein  zu  junger  Mensch  heiraten  will. 

47.  So  is  dat,  wenn  ma  verfrigt  is  ä  het  kein  Fru  (W.). 

48.  Dat  is  fruchtboar,  seggt  Krepel,  stelld'  sik  anne  Strom 
un  pessd'  ent  Wäter  (L.). 

49.  Int  Fossise  perre  d.  i.  in  Menschenkot  treten  (Cz.). 

50.  Di  het  woll  de  Gant  de  Taene  utfist?  (Cz.).  So  sagt  man 
zu  Kindern,  wenn  sie  Zähne  verloren  haben. 

51.  Di  hebbe  de  wille  Geis'  up  de  Brak  schaete,  k  de  Gant  het 
di  ni  Hus  tottert  (W.).  In  Cz.:  Di  hewwe  de  wille  Geis'  uppe  Brak 
utschaete,  u  de  Gant  het  di  int  Derp  tottert.  —  So  sagt  man  von 
unehelichen  Kindern;  auch  andere,  die  gern  wissen  wollest,  wie  sie  auf 
die  Welt  gekommen  sind,  erhalten  diese  Antwort.  Man  sagt  auch:  Di 
het  de  Kauh  ungerm  Kumm  utkratzt  (Cz.). 

52.  Dat  gifft  Kloppfleisch  k  Ballerklit'  d.  i.  Prügel  (Vf.). 


56 

53.  Du  best  ne  Dreck  tautägaewen,  seggt  de  Oberferschter, 
dat  Taugaewen  is  min  Sach  (W.).  I 

54.  Hei  geht  as  de  Katt  inne  Weihdäg'  (Vf.).  ' 

55.  Gä  mi  utem  Licht,  ore  siss  sett  di  ne  Spegel  inne  Noas  (CI.l 

56.  Du  gehst,  as  wenn  du  ne  Pähl  im  Moas  hest  (CL). 

57.  Hei  (der  Hund)  geht  so  af,  as  wenn  hei  Fier  ungreiu  ' 
Schwanz  het  (Cz.).     Wie  Simsons  Füchse.     Wird  auch  sonst  gesagt. 

58.  Hei  geht,  as  wenn  em  de  Oarschbacke  verkleimt  sind  (Cz. . 

59.  Immer  gemütlich,  wenn  uk  bi  Muddre  im  Bedd  (L.). 

60.  Je  arger  Hauer,  desto  mehr  Glück  (W.). 

61.  Ach  Gott,  wo  grot  is  die  Tiergoare!  (CL). 

62.  Wat  de  leiw'  Gott  doch  alles  laewe  lett!  Dat  sull  hei  doch 
glik  afschlachte  (W.).    Diejenigen,  die  sich  über  Vermögen  hinaus  putzen. 

63.  0  Gott,  wat  bist  du  färe  Gott!  nimmst  mi  de  Kuh  ä  lett<t 
mi  de  Fru  (W.). 

64.  Du  mi  gram,  ik  di  gram,  dat  Herr  &  Fru  mischt  markt* 
kann  (W.).  So  das  äussere  Verhalten  zweier  Liebenden,  die  in  derselben 
Wirtschaft  dienen. 

65.  Wo  vael  hest  du?  Acht  u  elwen,  so  vael  as  de  H&s'  kaetelt 
(Cz.).     Antwort  auf  die  neugierige  Frage. 

66.  De  junge  Hahns  traede  am  dollste  (L.). 

67.  Dat  hilt  so  schwoar  as  bi  'm  Bück  dat  Lammen  (WY). 

68.  All  hott  helpt,  seggt  de  Meisk  ä  pisst  inne  Strom  (Wa 
Auch  de  Migg';  Cl.:  seggt 't  Miske  (Mäuschen);  Z.:  pisst  inne  Strand. 
Statt  all  bott  hört  man  auch  all  wat. 

69.  Eige  Hemd  um  Tun,  eige  uppe  Kaldun  (W.).  Von  arnun 
Putzsüchtigen  gesagt. 

70.  Hei  het  he  Stick  vonne  Haunerf.tz  upfraete  (W.).  Da* 
sagt  man  von  solchen,  die  das  Maid  nicht  halten  können. 

71.  Schit  uppe  Hund,  de  Tel  jeggt  uk  (W.,  Cz.  u.  ö.).  So 
tröstet  man  sich  bei   Verlusten. 

72.  Inne  wille  Jagd  sinne  (.W.).  Binne  sind  se  inne  wille  Jap) 
—  sagt  man  zu  jemand,  der  in  ein  Haus  gelten  will,  in  dem  grade  eihc 
Frau  entbunden  wird. 

73.  Dat  is  a  schee  ull  Juckhult  (Cl.).  Ein  lüsternes  Frauen- 
zimmer. 

74.  Pe  a  pe  muss  man  die  Jumfer  schnüren  (W.),  d.  i.  peu  a 
peu,  nach  und  ivxch  mit  der  Arbeit  zum  Ziele  kommen. 

75.  Ma  rupp  up  de  Muddr,  wenn  se  jung  is;  wenn  se  olt  k 
brummt  se  (L.).     Was  du  heute  thun  kannst,  verschiebe  nicht  auf  morgen. 

76.  Von  di  misd'  ma  Junge  ligge  I&te  (W.).  Damit  das  Ge- 
schlecht der  Faulen  nicht  ausstirbt. 

77.  Dat  is  so  kult,  dat  einem  de  Oarsch  tauklappt  (Cz.). 

78.  Nimm  de  Katt  vär  de  Knei,  sihst  du  nich,  siht  sei   (WY). 

79.  Lick  de  Katt  im  Moas,  denn  hest  du  de  Kater  täm 
Schwäger  (W.).    Wird  dem  zugerufen,  der  ein  Gebot  nicht  annehmen  tcäl 


57 

80.  Du  kennst  mein  Herz  noch  lange  nich.  Giff  a  halw'  Pund 
(=  1I2  L.  Schnaps)  un  du  warst  dat  kenne  lehre  (L.). 

81.  Du  bist  e  Kirl,  wo  e  Kopp  upsitt  o  de  Hund  Naes'  o 
Ohre  anschitt  (Cl.). 

82.  Du  bist  söe  Kirl,  wenn  du  uppem  Messhupe  stehst,  käst 
du  dem  Hähne  inne  Oas  kike  (Cl.). 

83.  Du  bist  söge  Kerl  as  Huppke  sige  Sack,  schäd'  dat  du 
nich  so  bammelst  (W.). 

84.  Du  bist  he  Kronkerl  bat  anne  Oarsch,  Aber  doar  fängt  de 
Schitkerl  an  (W.). 

85.  Du  bist  so  'n  Kerl  as  'n  Oarschvigelin  ==  crepitus  ventris  (L.). 
8G.    Dat  is  so  kloar  as  Judeeer  bi  'ni  Mäneschin  (W.).     So  sagt 

man,  wenn  jemand  trotz  aller  Erklärung  nichts  hegreift. 

87.  Dat  klingt,  seggt  de  Scheper  o  sehet  in  di  Tunn  (Cl.). 

88.  De  klauke  Heiner  legge  uk  in  di  Nettel  o  verbrenne  sik 
de  Noas  (Cl.). 

89.  Hei  het  son'  Knaewele,  as  wenn  hei  de  ulle  Saeg'  im 
llingerschte  weilt  het  (W.). 

00.    Dat  kimmt  nä  as  dat  Zdnowsch  Beier  (W.). 

91.  ülik  noch  eis  kimnist  mi  her,  glik  noch  mal  naem  ik  di 
vär,  seggt  Hosefildt  o  lickt  de  Pogg  e  Noas  (Cl.). 

92.  Dat  's  glik  e  anget  Kurn,  seggt  di  Möller  o  bet  inne  Mus'- 
irummel  (oder  Musdreck;  Cl.).  L.:  Dat  is  a  Korn,  seggt  de  Möller 
un  bet  enne  Mus'frommel. 

93.  Ach  du  kriggst  em  goarnichin!  (W.).  So  heisst  es}  wenn 
eine  schwere  Arbeit  nicht  recht  fortgehen  will. 

94.  De  Kauh  het  bullt,  nu  Melk  ä  Botter  naug  (W.).  So  ent- 
schuldigt man  sich,  wenn  keine  Milch  und  Butter  im  Hause  ist. 

95.  Kik,  wo  de  Keih  danze!  (L.).  Vo?i  ausgelassenen,  lustigen  Leuten. 

96.  L4t  me,  lät!     Sei  läte  alle  (L.). 

97.  Hei  lett  di,  as  de  Kreh  de  Stubbe  (Cz.). 

98.  Wat  helpt  dat  verzägde  Laewen!  Ut  dem  verz&gde  Noarsch 
kimmt  keige  irehlig1  Furz  (W.). 

99.  Wat  dat  fär  e  lustig  Laewen  is,  wenn  de  Kauhstall  dicht 
bi  'm  Pirdstall  is!  (Cz.). 

100.  Dat  is  dat  Letzt  (de  Neigv),  saed'  de  Düwel  o  sehet  dat 
Hart  ut  (Cl.). 

101.  De  Mann  un  de  Fru  sind  de  beste  Lud',  äwer  se  mutte 
im  Bedd  sinn  (L.). 

102.  Wo  twei  ligge  gäne,  steht  de  dridd'  up  (W.). 

103.  Di  wart  de  Kuckuk  wat  in  de  Hansche  mäke  (L.).  So 
sagt  man,  wenn  jemand  zu  der  Zeit,  wo  der  Kuckuk  schon  ruft,  noch 
Handschuhe  trägt. 

104.  Oppem  Danz  valeirt  manch  Maeke  de  Kranz  (L.). 

105.  Wat  is  doch  de  Min  seh,  wenn  em  näkt  is!  (W.).  So  sagte 
ein  Mädchen   beim   Flohjagen;   andere,  die  es  hörten,   verbreiteten  das 

Wort  weiter,  um  sie  damit  zu  foppen. 


58 

106.  Menschen  wollt  ihr  sein?  Innen  Himmel  wollt  ihr  rein? 
Aber  der  Hund  soll  euch  was  te  e  en  ten!  (Neu-Sanskow  bei  Polzin). 

107.  Dat  is  kein  dow'  Naet,  seggt  Granzow  ä  hedd  in  veier 
Joahre  fif  Kinger  (W.). 

108.  Wenn  dat  in  einem  Joahr  vael  Naet  gifft,  gifft  dat  uk 
vael  Haure  (W.) 

109.  Dat  passt  gräd'  as  Klotze  de  Mitz:  sei  hedde  se  em  vull- 
mäkt  ä  sedde  se  em  up,  dat  em  de  Dreck  aewert  Gesicht  leip   (V.). 

110.  Dem  Kreiger  up  de  Schwell  pisse  d.  h.  nur  bis  an  dit 
Thür  kommen  (W.). 

111.  Wer  kann  inine  Früe  dat  Pissen  verbeide?  Mutter,  pi<% 
ä  wenn  't  fif  Däler  kost  (W.).     Ein  Jahrmarktsscherz. 

112.  Dat  platscht,  as  wenn  de  Kauh  int  Wäter  schitt  (Cz.h 

113.  Min  Put'  is  noch  nich  ruch!  (L.).  Diese  Worte  gebraucht 
man,  um  jemandem  durch  die  Blume  zu  verstehen  zu  geben,  dass  vr 
noch  zu  dumm  oder  jung  ist,  um  mitzureden. 

114.  Eige  Puthoar  treckt  mehr  as  tigen  Perd'  (W.). 

115.  Di  is  woll  he  Furz  in  de  Quär  käme?  (W.). 

116.  Dat  rikt,  as  wenn  de  Jud'  Knufflok  ett  (L.). 

117.  Rundung,  seggt  Schlottog  (L.). 

118.  Ik  bin  nich  sauber  up  de  kleine  Tuffle,  wenn  dei  grote 
all  sünd  (Z.). 

119.  Eige  M&l  schädt  keine  Jumfer  nich  (W.). 

120.  Dat  schitt  so  vael  as  dat  draent  (W.).  Da  ist  alles 
Beden  vergebens. 

121.  Schit,  seggt  Klatt  ä  heil  dem  Wiw'  dat  Stippel  undre 
Oarsch,  ä  doarbi  sehet  sei  em  doch  noch  uppe  Dume  (W.). 

122.  Rae  rae,  ra  ra,  ne  Schaet  leit  hei,  weg  was  hei  (W.). 

123.  Du  sasst  hebbe,  wat  Schreder  kreg:  von  naegen  Derper 
de  Dinnschit,  aber  tophäle  musst  du  em  di  (W.). 

124.  Wenn  ik  di  so  im  Noarsch  hedd  as  im  Mäge,  denn  sehet' 
ik  di  drei  Hiser  hoch  (Z.). 

125.  Hei  mügd'  em  de  Ogen  utkratze  un  dei  Löcher  vull- 
schite  (Z.). 

126.  Wer  dat  Glück  hewwe  sali,  beschitt  sik  im  Schläp   (Z.). 

127.  Wer  mit  dei  Kelwer  pleigt,  dem  beschite  sei  dei  Büss  (Z.). 

128.  Wer  mi  bekikt  un  mi  belacht,  dem  ik  beschit'  un  goar 
nich  acht  (Z.). 

129.  Du  kannst  raede  as  en  Dokter  un  schite  as  en  Ap- 
teiker  (Z.). 

130.  Wer  licht  schite  kann,  brukt  nich  dricke  (Z.). 

131.  Klaukraeden  un  inschiten  kost  kein  Gild  (Z.). 

132.  Freu  di  näkt,  denn  schittst  du  di  nich  int  Hemd  (Z.). 

133.  Ne  Pris'  Tobback  is  baeter  as  wenn  eim  de  Hund  wat 
schitt  (Z.). 

134.  Mit  Schick  kriggt  ma  nem  Wiw'  ne  Tunneboddem  inne 
Oarsch  (W.).     Wenn  man  ihn  verbrennt  und  ihr  die  Asche  eingieU. 


59 

135.  Mit  de  RaucT  väre  Oarseh  ä  he  Stick  dreg1  Brot  in  de 
Hand,  denn  wart  hei  naug  schl&pe  (W.). 

136.  Schmeck  du,  eis  du  wisst,  seggt  jenn  Gaur  o  fratt  uppe 
Schwinsdarnie  los,  wil  hei  't  Schwin  mit  Baukweitgritt  o  Rosine  futtert 
herr  (Cl.). 

137.  De  Schulte  verklage  d.  i.  seine  Notdurft  verrichten  (Cz.). 

138.  Dat  schwappt,  seggt  de  Kester  o  sehet  in  di  Asch  (Cl.). 

139.  Ostre  ä  Pingste  tä  seinen  krige  (W.).  Das  geschieht,  wenn 
Mädchen  so  fallen,  dass  ihnen  die  Bäche  über  dem  Kopf  zusammenschlagen. 

140.  Hei  siht  ut  as  ein  utschaeten  Arft  (CL). 

141.  Das  is  so,  as  wenn  de  Hauer  utein  Danz  geht  (W.).  Sich 
eilig  verziehen. 

142.  Mi  is  so,  as  wenn  ik  e  Rind  upfraete  heww  (L.).  Wenn 
jemand  den  Kater  hat. 

143.  Zuletzt,  meine  Brüder,  seid  stark!  seggt  Kieker  ä  trumft 
imniertau  (W.). 

144.  Hei  steht,  as  wenn  de  Kauh  schite  will  (Cz.). 

145.  Farre  stäne  (Cz.).  Wenn  ein  Kind  abends  hinausgeht,  um 
ein  Bedürfnis  zu  befriedigen,  und  eine  andre  Person  muss  es  begleiten, 
um  ihm  den  Grauel  zu  verjagen,  so  heisst  es  von  dieser:  Hei  steht  Farre. 

146.  Et  stinkt  nä  Melk  (L.). 

147.  Sei  staent  up  de  junge  Knäken  (Taene,  W.).  Vom  Stöhnen 
der  Frauen  während  der  Schwangerschaft. 

148.  Ja,  wenn  min  Tant  ne  Nille  hedd',  denn  wer  't  mige 
Uiikel  (W.). 

149.  Schmuck  ä  rik  schitt  de  Diwel  nich  täglik  (W.).  In  Z.: 
M'hitt  keie  Hund  tauglik. 

150.  Hei  is  so  doarhinger,  as  de  Diwel  hingerre  JudeseP  (W.). 

151.  Wat  de  Diwel  kaekelt,  will  de  Kutt  verkepe!  (W.).  So 
soll  der  Hahn  zur  Henne  gesagt  haben,  als  sie  sich  über  das  schwere 
Eierlegen  beJdagte.     Nach  andern:  Dat  verzieht  sik. 

152.  Schwigennutter  is  Düwels  Unnerfutter  (Z.). 

153.  Dei  Lud'  hewwe  vörre  Raegen  son'  Angst  as  dei  Diiwel 
vörm  Wihwäter  (Z.). 

154.  Wat  dei  Düwel  för  Eier  leggt  un  kann  sei  nich  besitte!  (Z.). 

155.  Hält  dei  Düwel  dei  Preister,  denn  lät  hei  ok  dei  Köster 
hale  (Z.). 

156.  Du  kannst  tum  Diwel  un  sine  Grotmuddr  gäne  (L.).  Du 
kannst  dich  wenden,  wohin  du  sonst  willst. 

157.  Im  Bedd  a  Ingel,  senst  a  Diwel  (L.).     Ein  böses  Weib. 

158.  De  Diwel  kettle  (Cl.).  So  bezeichnet  man  scherzhaft  das 
Klappern  des  Hofmeisters,  wodurch  er  die  Tagelöhner  zum  Scharwerk  ruft. 

159.  Doa.schlä  Gott  de  Diwel  dot!  (Cz.).  Blosser  Ausruf  des 
Staunens,  der  Überraschung,  wie  auch:  Doar  kann  eie  lang  bi  däl- 
<chläne! 

160.  Di  sali  de  Diwel  häle!  Di  sali  doch  glik  dis'  u  jenn 
lulle!  (Cz.).     Fluchformeln. 


60  | 

161.  Wer  de  Do  cht  er  hewwe  will,  hüll  dat  mittr  Muddr;  mittr 
Mudder  nich  so  sehr,  mittr  Dochter  noch  vael  mehr  (L.). 

162.  Was  zu  toll  ist,  das  ist  zu  toll,  saer  jenn  Freister,  a^ 
em  di  Wust  uppe  Schufkär  (Schiebkarre)  brecht  wurt,  aber  schiebt  's 
man  doch  herein  (CL). 

163.  Du  bist  he  Duller  uppe  wille  Berc  (Eber),  lettst  em  noch 
ut,  wenn  du  em  all  im  Sack  best  (W.).  So  sagt  man  von  jetnand,  der 
mit  seinen  Leistungen  prahlt,  hinterher  aber  doch  nichts  ausrichtet. 
Häufiger  jedoch  wird  der  erste  Teil  des  Sprüchwortes  auf  junge  Mädchen 
angewendet,  die  den  Männern  nachlaufen. 

164.  Tonne  voll!  seggt  Kuschel  (L.). 

165.  Heraus  mit  dem  Unreinen!  Baeter  inne  wide  Wilt  as  im 
enge  Buk,  saed'  Wedd  ä  leit  ne  grote  Schaet  (W.). 

166.  Dat  is  täm  Vricktkrigen  (Verrücktwerden)!  seggt  de 
Jud'  (W.). 

167.  Hei  steht  undr  sinem  Wachtmeister  (L.).  Er  ist  ton 
seiner  Frau  abhängig. 

168.  Wer  nich  wägt,  dei  nich  winnt;  wer  nich  hauert,  kriggt 
keie  Kind  (W.). 

169.  Dei  lett  sik  ok  as  Waschlappe  bruke  (L.).  Erlässt  sich 
edles  gefallen. 

170.  Dat  Wif  ä  de  Seiss  verborgt  ma  nich  gern  (W.). 

171.  Rinn  mutt  hei,  ä  wenn  wi  beid'  sulle  weine  (W.).  Fertig 
muss  die  Arbeit  werden. 

172.  Di  sali  dat  Wetter  häle!  Doa  sali  doch  glik  dat  Wetter 
rinschläne!  (Cz.).  Di  schaddat  (=  schall  dat)  Wind  un  Waere  häle! 
(Bublitz).     Fluchformeln. 

173.  0  du  Schlucht  un  Waere!  (PL).  Wetter  nich  eis  (CzJ. 
Ausrufe. 

174.  Dei  weit  sinen  Hund  tau  leiden,  dat  hei  nich  dei  Strang 
beschitt  (Z.). 

175.  Grotet  Wort  un  wide  Bickse  (L.).  So  sagt  man,  wenn 
jemand  gross  redet,  aber  dabei  doch  Furcht  hat 

176.  Hei  betaemt  sik  nich  dat  Schwärt  hingerm  Nägel  (Cz.i. 
Er  gönnt  sich  nichts. 

177.  He  Taenke  bedit  (=  bedeutet)  he  Saenke  (W.).  Zahn- 
schmerzen bei  Frauen  während  der  Schwangerschaft. 

ROGASEN.  O.  Knoop. 


61 


Der  Heliand  und  die 
niederländischen  Volksdialekte. 

Vortrag, 

gehalten  am  27.  Mai  1890  auf  der  Jahresversammlung 

in  Osnabrück. 


Im  Jahre  1868  kam  Windisch  in  seiner  Schrift  „Der  Heliand 
und  seine  Quellen u  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  Dichter  die  zur  Zeit 
Ludwigs  des  Frommen  geläufigen  Kommentare  zur  Bibel  benutzt 
habe:  zu  Matthaeus  Hraban,  zu  Johannes  Alcuin,  zu  Lucas  und  Markus 
Beda.  Namentlich  aus  Hraban  seien  Stellen  verwendet,  die  dessen 
persönliches  Eigentum  wären. 

Da  Hraban's  Kommentar  nicht  vor  822  geschrieben  sei,  so 
müsse  der  Heliand  nach  diesem  Jahre  gedichtet  sein.  Seit  dieser 
Zeit  gilt  es  unter  den  Germanisten  als  feststehend,  dass  das  Gedicht 
wischen  822  und  840,  dem  Todesjahre  König  Ludwigs,  entstanden 
>ei.  Als  Ort  der  Entstehung  nimmt  man  dann  wohl  die  Abtei  Werden  an. 

Und  doch  stehen  die  Schlüsse  von  Windisch  und  Grein  gar  nicht 
;o  fest.  Mit  Recht  machte  Zarncke  (in  einer  Recension  der  Schrift 
ron  Grein  „Die  Quellen  des  Heliand"  Lit.  Centralbl.  1869  Sp.  209—11) 
larauf  aufmerksam,  dass  wrir  doch  nur  einen  geringen  Teil  der  zahl- 
eichen „Catenen"  kennen,  die  zu  jener  Zeit  existiert  haben,  dass 
liese  Commentatoren  oft  wörtlich  von  einander  abgeschrieben  haben, 
lass  viele  Beweisstellen  wörtlich  ebenso  wie  bei  Hraban,  Alcuin  und 
Beda  schon  bei  den  alten  Kirchenvätern  Hieronymus,  Gregorius  und 
Augustinus  ständen1). 

Aber  auch  aus  andern  schwerer  wiegenden  Gründen  ist  die  An- 
lahme,  dass  der  Heliand  nach  800  in  oder  an  der  Grenze  von  Sachsen 
eitstanden  sei,  unmöglich.  Der  Heliand  kann  nur  unter  einem  und 
ur  einen  deutschen  Stamm  gedichtet  sein,  der  lange  in  Verbindung 
nit  dem  Christentum  und  der  romanischen  Kultur  gestanden  hatte. 
Sechstem  wies  auf  einer  unserer  Jahresversammlungen  darauf  hin, 
lass  der  Heliand  als  eine  echte  Kunstschöpfung  nicht  am  Eingange 
iner  literarischen  Epoche  stehen  könne,  sondern  eher  den  Abschluss 

l)  H.  Rückert  in  seinem  Heliand  S.  234  sagt:  „Die  echt  pfäftische  Er- 
indung,  dass  des  Pilatus  Weib  auf  Antrieb  des  Satans  für  Jesus  bittet,  ist  von 
rre gor  dem  Grossen  erdacht."  Pfaffisch?  Wem  sein  Heil  so  wichtig  war,  wie  den 
lten  Christen,  der  musste  zittern,  dass  die  an  Pilatus  ergangene  Warnung  die 
öl  1  ige  Erlösung  hindern  möchte.  Sollte  dieser  Gedanke  erst  dem  Gregor  gekommen 
einV  Er  kam  gewiss  schon  den  angehenden  Christen  der  Kaiserzeit,  wenn  ihnen 
as  Leiden  des  Herrn  zum  ersten  Male  erzählt  wurde.  Oder  sollten  sie  anders 
edacht  haben,  als  Paulus  im  Ebräerbriefe  2,  9,  Petrus  im  I.  Briefe  2,  21,  Johannes 
n  L  Briefe  1,  7  oder  der  alttestamentliche  Joseph  Genesis  50,  20? 


62 

einer  solchen  bilde1)  und  Behagel  hat  richtig  bemerkt,  dass  die  vom 
Dichter  mit  sichtbarer  Meisterschaft  gehandhabte  Alliteration  nur  füi 
bekannte  Stoffe  geschaffen  sei,  aus  denen  nur  die  wichtigsten  Moment»- 
hervorgehoben  zu  werden  brauchten. 

Dann  aber  ist  es  doch  eine  seltsame  Auffassung  der  Zustand? 
in  Sachsen,  welche  der  30jährige  Krieg  Karls  hervorgebracht  hatt»*. 
zu  glauben,  dass  um  830  in  diesem  oder  für  dieses  Land  ein  christ- 
liches Epos  im  nationalen  Stile  hätte  gedichtet  werden  können.  Karl 
hatte  Sachsen,  nachdem  er  es  nur  durch  die  Hülfe  der  Elbslaven 
besiegt  und  dem  moralischen  Untergange  nahe  gebracht  hatte,  der 
römischen  Kirche  übergeben,  weil  er  nichts  damit  anzufangen  ver- 
mochte. „Karel  let  se  ane  heren  dat  sc  Godde  horsam  weren  und» 
eren  bischoppen  unde  geven  eren  tegeden.  Dat  stont  lange  tit*  — 
sagt  die  Sachsenchronik.  Die  Kirche  hat  dann  ja  dem  sächsisch .■« 
Volke  die  Existenz  gerettet.  Aber  zunächst  muss  es  doch  eine  plumpe 
Zwangsanstalt  gewesen  sein.  Höchstens  eine  Anzahl  vornehmer  Fa- 
milien können  sich  in  der  zweiten  und  dritten  Generation  innerlich 
mit  den  neuen  Zuständen  befreundet  haben. 

Das  neue  christliche  Niederdeutschland  kann  keine  etwa  im  Sinnt1 
der  angelsächsischen  aus  eignem  Geiste  quillende  Dichtung  und  Li- 
teratur hervorgebracht  haben.  Die  Sprache  der  kleineren  altsächsisrl: 
genannten  Denkmäler  ist  allerdings  in  Sachsen  gesprochen,  aber  nicht 
vom  sächsischen  Volke,  sondern  von  fränkischen  und  südfriesischeh 
Klerikern,  Edelleuten  und  Kolonisten  oder  doch  von  solchen  Sachsen. 
die  unter  Franken  und  Südfriesen  deutsch  zu  schreiben  und  zu  reden 
gelernt  hatten.  Man  braucht  sich  doch  nur  an  die  Eine  Thatsaehi 
zu  erinnern,  dass  es  400  Jahre  gedauert  hat,  ehe  man  es  gewair* 
hat,  die  niederdeutsche  Landessprache  zu  schöner  Darstellung  zu  ver- 
wenden. Um  830  mögen  immerhin  Werdener  oder  Münsterische  Geist- 
liche darauf  bedacht  gewesen  sein,  sich  ein  Gedicht  wie  den  Ileliaial 
für  ihren  Nachwuchs  zu  verschaffen,  aber  undenkbar  ist,  dass  mar 
damals  in  Sachsen,  wo  die  Erde  noch  rauchte  vom  Blute  Hnndert- 
tausender,  wo  der  Fremdgeborene  am  Altar  und  auf  der  Gerichtsstand 
den  ersten  Platz  einnahm,  ein  so  edles  und  auf  ein  friedliches  edle* 
Volk  abzielendes  Werk  dichten  konnte. 

Eine  ganz  verschiedene  Ansicht  von  der  Entstehung  des  Heliaml 
spricht  der  kürzlich  verstorbene  Erlanger  Theologe  August  Ebranl 
in  seiner  Schrift  „Die  Iroschottische  Missionskirche"  aus.  Ebrard  i-t 
ja  wohl  bei  uns  der  beste  Kenner  jenes  iroschottischen  und  nonl- 
angelsächsischen  Christenvolkes,  welches  uns  Deutschen  vom  f>. — >. 
Jahrhundert  eine  Menge  von  Glaubensboten  gesandt  hat.  Er  be- 
zeichnet (S.  389)  den  Heliand  als  ein  Denkmal  der  vorwinfriedischen 
iroschottisch-angelsächsischen  Missionsthätigkeit,  welche  um  das  Jahr 
700  von  Chur  in  der  Schweiz  bis  über  Utrecht  hinaus  reichte.  Kr 
sei  unabhängig  von  dei*  römischen  Evangelienharmonie.     Es  finde  >i**!s 


*)  Ndd.  Jahrb.  X,  141  und  142. 


63 

nichts  von  Heiligenverehrung,  keine  Anrufung  um  die  Fürbitte  der 
Maria.  Die  Benennung  „Mutter  Gottes"  sei  vermieden.  Keine  Prie- 
sterschaft werde  erwähnt.  Die  Kirche  werde  als  Gottes  Familie 
(khiski)  bezeichnet,  ganz  der  Anschauung  der  iroschottischen  Coenobial- 
verfassung  entsprechend,  wo  die  Kirche  ein  brüderlicher  Verein  von 
Coenobialgemeinden,  Missionsdörfern  und  Coenobien  war,  deren  jedes 
aus  „famüiis*  bestand.  Bei  der  Einsetzung  des  Abendmahls  heisse 
es  ^Hebbeat  thit  min  tegihugdion,  helag  büithi",  ein  Ausdruck,  den 
kein  Römisch-Katholischer  jener  Zeit  gebraucht  haben,  würde  *). 

Dann  wäre  also  der  Heliand  in  den  Niederlanden  entstanden. 
Und  zwar  nicht  nördlicher  als  das  Südufer  des  Flevo  (der  Zuiderzee), 
nicht  viel  östlicher  als  Deventer,  denn  dort  ungefähr  müssen  die 
Grenzen  der  Missionen  gelegen  haben. 

Die  Sprache  des  Heliand  weist  nun  wirklich  in  diese  östlichen 
Striche  der  heutigen  Niederlande. 

Auszugehen  ist  von  den  jetzigen  Dialekten,  welche  die  einzige 
sichere  Grundlage  abgeben.  Auch  ein  Grimm  hat  seine  historische 
Grammatik  nur  aus  der  Anschauung  dessen,  was  jetzt  Niederdeutsch, 
Oberdeutsch,  Friesisch  und  Nordisch  ist,  schreiben  können.  Unsicher 
wird  diese  Grundlage  nur  dann,  wenn  eine  Gegend  ihre  Sprache  zu 
Gunsten  einer  benachbarten  oder  eines  Konventionsdialektes  aufgegeben 
hat.  Die  meisten  Fälle  der  Art  lassen  sich  für  die  Zeit  nach  dem 
7. — 8.  Jahrhundert  in  Deutschland  historisch  nachweisen. 

Von  der  Weser  kommend  treffen  wir  westwärts  zwei  Dialekte  in 
Westfalen,  einen  östlichen  in  den  Bergen  von  den  Quellen  der  Ruhr 
bis  einige  Stunden  hier  von  Osnabrück  und  einen  westlichen  zwischen 
Dortmund,  Münster  und  Osnabrück.  Der  Westrand  des  Rgbez.  Münster 
gehört  im  Wesentlichen  zu  den  sogenannten  Sächsisch-Niederländischen 
Mundarten,  welche  in  den  Prov.  Drenthe,  Overijssel  und  Ostgelderland, 
d.  h.  in  der  Grafschaft  Zutphen,  um  Deventer  und  auf  der  Veluwe 
gesprochen  werden. 

Einige  Kennzeichen  derselben  gegenüber  den  sogenannten  frän- 
kischen Mundarten  weiter  westlich  sind:  das  -ed  im  Plural  des 
Praesens:  wi  lopd,  tvi  hebd;  das  6  =  altem  6  in  dat  boote,  ropen; 
das  e  =  westgermanisch  io  in  IPf  =  lieb,  flögen  =  fliegen;  das 
Fehlen  der  Partikel  ge-  im  Particip  (lopen,  elopen  st.  gelopen);  die  strenge 
Beibehaltung  des  Endungs-n  (nichtsächsisch   geve  =  gegeben,   lese 


')  Ebrard  hat  diese  Ansicht  bis  zuletzt  beibehalten.  Denn  er  schrieb  im 
Juni  1887:  „Es  ist  noch  immer  meine  feste  Überzeugung,  dass  der  Heliand  ein 
Produkt  der  alten  iroschottischen  Missionskirche  aus  dem  Ende  des  7.  oder  Anfang 

des  8.  Jahrhunderts  ist Wo  nun  der  Heliand  ursprünglich  gedichtet  worden 

—  ob  in  Flandern  oder  östlich  vom  Rhein  —  darüber  wird  sich  freilich  kaum  ganz 
sicheres  entscheiden  lassen;  wenigstens  reicht  meine  Kenntnis  der  altniederdeutschen 
Dialekte  nicht  so  weit,  dass  ich  eine  bestimmte  Vermuthung  wagen  möchte.  Nur 
das  ist  mir  gewiss,  dass,  wo  immer  auf  dem  Gebiete  der  alten  iroschottischen 
Missions-  und  Kirchenthätigkeit  das  Gedicht  entstanden  sein  mochte,  dasselbe  iu 
der  Zeit  Willibrords  weiter  verbreitet  wurde,  so  weit  sein  Sprachidiom  irgend 
verstandlich  blieb." 


64 

=  lesen,  nege  =  neun).  Die  Erhaltung  von  altem  i  und  ü  (schrhm 
hüs).  Der  Umlaut  von  au,  6  und  ü,  wie  im  Deutschen  (reute, 
beume,  ndl.  voeten,  boomen). 

Alle  weiter  westlich  und  südlich  gelegenen  Mundarten  pflegt  mau 
mit  ganz  verfehltem  Ausdrucke  als  „fränkisch"  zu  bezeichnen,  während 
doch  nach  den  ja  allerdings  spärlichen  historischen  Nachrichten  in 
jenen  Landschaften  Südfriesen,  Warner,  Thüringer  und  Flamen 
wohnten,  die  später  den  Franken  unterthänig  wurden. 

An  die  sächsischen  Mundarten  schliessen  sich  im  Süden  zunächst 
die  Mundarten  um  Zevenaar,  Nimwegen  und  in  der  Betuwe  an,  welche 
einen  Übergang  einerseits  zum  Niederfränkischen  der  Rheinprovinz, 
andrerseits  zum  Braban tischen  bilden.  Gegen  Westen  stösst  üV 
Sächsische  auf  Mundarten,  die  dem  modernen  Holländischen  ziemlich 
nahe  stehen.  Es  ist  aber  zu  vermuten,  dass  in  Westutrecht  und  Süd- 
holland  einst  ganz  anders  gesprochen  wurde,  Mundarten,  von  den^L 
z.  B.  der  Dialekt  von  Huizen  an  der  Südküste  der  Zuiderzee  noch 
Spuren  enthält1). 

Der  Heliand  ist  uns  bekanntlich  in  2  Hs.,  der  Münchener  und 
der  Cottonischen,  nebst  dem  Prager  Bruchstück  einer  dritten  erhalten. 
Die  Cottonische  ist  zweifellos  eine  Umschreibung  ins  Niederfränkisehc 
Auch  solche  Züge  derselben,  die  von  den  Grammatikern  als  Schreib- 
fehler bezeichnet  werden,  sind  ganz  gewöhnliche  Erscheinungen  in  den 
Geldrischen,  Brabantischen  und  Südholländischen  Mundarten2):  die 
Abstossung  des  auslautenden  n,  das  ie  statt  e  in  Met  —  befiehl. 
Met  =  heiss,  nigien  (im  Monacensis);  die  Vokal  einschiebung  in 
aram,  waram,  soraga,  die  unrichtige  Vor  Schiebung  und  Auslassung 
des  anlautenden  h.  Von  allen  niederländischen  und  belgischen 
Provinzen  steht  jetzt  nur  in  Friesland,  dem  grössten  Teil  von  Drenthe. 
Twenthe,  Gelderland  und  Utrecht  die  richtige  Aussprache  des  anlau- 
tenden h  fest3). 

Der  (/Ottonischen  gegenüber  ist  die  Münchener  Hs.  im  Vokalisniih 
sächsisch.  Und  zwar  ergiebt  sich,  dass  sie  in  wesentlichen  Punkten 
nicht  den  westfälischen,  sondern  den  niederländisch-sächsischen 
Mundarten,  z.  T.  auch  den  den  Übergang  zum  Holländischen  bil- 
denden Mundarten  von  Westoverijssel  und  Westgelderland  gleich  steht. 
Wäre  sie  in  Westfalen  geschrieben,  so  müsste  z.  B.  die  westfälische 
Aussprache  von  gotisch  au  als  au  durch  ä  gekennzeichnet  sein,  wie 
das  die  Freckenhorster  Heberolle  so  genau  thut.  Ganz  Niederlaml 
dagegen,  abgesehen  von  Südbrabant  und  Friesland,  spricht:  boom. 
Iwood,  groot.  Andrerseits  ist  das  urgermanische  eu,  welches  in 
allen  germanischen  Zungen  dieselbe  Entwickelung  über  ie  zu  I  ge- 
nommen hat,  im  Heliand  io,  seltener  ia,  ie  (eo).  Sachsen  aber,  ein- 
schliesslich von  Drenthe,    Twenthe  und  Ostgelderland,    hat   e,    ei,   ai: 


1)  Vgl.  Winkler,  Dialektikon  I,  384  und  II,  21,  101  f. 

2)  Schmeller,  Wörterbuch  185  f. 
8)  Vgl.  Herrig's  Archiv  78,  305. 


65 

def,  lef.  Ihm  schliesst  sich  eine  vielleicht  sugambrische  Enklave  um 
Diilken — Limburg — Luxemburg — Eupen  an *).  Aus  io  kann  das  spätere 
ndd.  e  nimmer  entstanden  sein.  Der  Schreiber  des  Monacensis  muss 
also  westlich  von  Deventer  geschrieben  haben.  Ebenso  liegt  die 
Sache  mit  dem  o  des  Heliand  in  dol,  fd,  githdon,  onsta.  Sachsen 
hat  später  in  diesen  Wörtern  immer  u  gesprochen,  während  in  den 
Niederlanden  o  herrscht. 

Der  Heliand  hat  thea  half,  thea  nuon  =  die  None,  lat  = 
spät.  Dies  ist  gar  nicht  westsächsisch,  aber  Westgeldern,  Brabant 
und  Holland  stossen  das  e  der  Endung  gern  ab.  Vereinzelt  hat  er 
das  alte  gotisch-friesische  e  in  jer  =  Jahr  bewahrt.  Dies  erinnert 
daran,  dass  die  jetzige  Volkssprache  im  einst  friesischen  Nordholland 
ganz  analog  das  ee  in  vereinzelten  Fällen  wie  street,  deen,  f regen 
bewahrt,  ja  dass  auf  Wieringen  und  Texel  und  in  Hindelopen  gerade 
nur  jeer  =  Jahr  und  heer  =  Haar  aus  dem  Friesischen  beibehalten  sind. 

Indessen  für  die  Lokalsprache  des  Originals  ist  daraus  nichts 
sicheres  gewonnen,  denn  der  Abschreiber  könnte,  wenn  das  auch  un- 
wahrscheinlich ist,  den  ganzen  Vokalismus  des  Verfassers  über  den 
Haufen  gestossen  haben. 

W enden  wir  uns  deshalb  dem  festeren  Gerippe,  den  Kon- 
sonanten, zu. 

Sachsen  und  Niederländer  einerseits  unterscheidet,  nachweislich 
seit  dem  12.  Jh.,  die  Aussprache  achter,  scliacht,  lichten,  lucht,  stichten, 
suchten  von  allen  übrigen  Germanen,  auch  von  den  Friesen.  Es  ist 
nicht  recht  wahrscheinlich,  dass  sich  der  Wandel  von  einem  alten  ft 
zu  cht  in  dem  weiten  Gebiete  zwischen  Scheide  und  Elbe  erst  im 
9. — 12.  Jh.  sollte  vollzogen  haben.  Es  muss  eine  viel  ältere  Eigen- 
tümlichkeit dieser  Stämme  sein,  die  ja  so  viele  Spuren  gemeinsamer 
alter  Sitten  und  Einrichtungen  aufweisen.  Der  Heliand  hat  nur  ft: 
after,  kraft,  luft.  Dem  niederfränkischen  Schreiber  des  Cottonianus 
entschlüpft  ein  heimisches  craht.  Dies  ft  hat  von  den  Gebieten,  um 
die  es  sich  aus  andern  Gründen  nur  handeln  kann,  allein  das  friesische 
Holland  und  Utrecht  besessen.  Im  nordholländischen  Westfriesland 
sowie  auf  der  Insel  Urk  steht  es  noch  jetzt.  Reste  wie  affer  statt 
achter  in  Soest  bei  Utrecht  und  zoft  in  Sliedrecht  und  Nordbrabant 
bilden  Fingerzeige. 

Aber  es  giebt  charakteristische  Formen  und  W7örter  im  Heliand, 
die  kein  Abschreiber  hineingetragen  haben  kann. 

Ich  möchte  nicht  den  Dual  unk,  ink  heranziehen,  welcher  sich 
im  südlichsten  Teile  Sachsens  von  Neheim  durch  das  Sauerland  bis 
Werden  gehalten  hat.  Denn  die  Form  ist  im  übrigen  Sachsen  wohl 
später  von  dem  alles  vereinfachenden  Norden  her  ausgemerzt. 

Das  Wichtigste  ist  der   Plural   des  Praesens   auf  -adh.     Er 


*)  Dass  der  Laut  e,  ei  =  westgerm.  io  (eu)  im  Gebiete  von  Köln,  Berleburg, 
Siegen,  Marburg,  Limburg,  Höchst,  St.  Goarshausen,  um  Hersfeld,  in  der  Fuldischen 
Rhön  und  in  der  Wetterau  über  Sachsen  hiuausgreift,  ist  nicht  unbekannt. 

HiedeTdenteches  Jahrbuch.    XY.  5 


herrscht  nur  bei  Sachsen  und  Friesen  und  zwar  ausschliesslich.  Gegen 
Westen  geht  er  bis  Uddel  auf  der  Veluwe  und  etwa  der  Mitte  zwischen 
Zutphen  und  Arnheim.  Aber  da  die  Utrechter  und  Holländer  einst 
Südfriesen  genannt  wurden,  so  werden  sie  ihn  auch  wohl  besessen  haben. 

Im  Heliand  ist  die  Partikel  gi-  vor  Participien,  Substantiven 
und  Adjektiven  ebenso  beliebt  wie  in  den  jetzigen  fränkisch-nieder- 
ländischen Mundarten,  und  es  ist  nicht  daran  zu  denken,  dass  ein 
Abschreiber  sie  vorgesetzt  hätte.  Andrerseits  kann  sie  in  Sachsen 
und  Friesland  nie  recht  heimisch  gewesen  sein.  Sie  ist  auch  im 
Mittelniederdeutsche  von  aussen  hineingetragen.  In  den  sächsischen 
Niederlanden  steht  sie  nie,  wohl  aber  das  weitverbreitete  e-,  z.  B. 
dat  hestu  eloggen  =  das  hast  du  gelogen,  welches  bis  Utrecht  reicht1 . 
In  Substantiven  wie  gerak,  gctuug  ist  sie  freilich  dort  gebräuchlich. 
Sowie  wir  die  Sächsische  Grenze  überschreiten,  finden  wir  in  der 
Betuwe,  um  Nimwegen,  in  Brabant  und  Limburg  stets  ge-. 

Das  kann  doch  auch  nicht  Zufall  sein,  dass  im  Heliand  grade 
dieselben  Participien  fundan  und  human  vorkommen,  die  im  modernen 
Westflämischen  neben  nur  zwei  anderen:  leden  und  hoord  ohne  gr 
erscheinen2). 

Ganz  besonders  wichtig  sind  die  ausschliesslich  stehenden  Heliand- 
formen:  konsta  =  konnte,  gionsta  =  gönnte,  afonsta  =  missgönnte. 
Auch  in  der  Glossae  Lipsianae:   begrgunsta,   in  der  Beichte:   begomta. 

Mittelniederländisch  steht  kondr  und  konste,  koste.  In  Sachsen 
einschliesslich  von  Twenthe  und  Drenthe  steht  nur  honde,  könne,  nie 
konste.  Der  östlichste  Punkt,  wo  es  jetzt,  offenbar  aus  dem  Rhein- 
fränkischen  versprengt,  bisweilen  vorkommt,  ist  die  Südhälfte  der 
Grafschaft  Zutphen  und  die  Gegend  um  Deventer.  Die  Friesen 
sprechen  koede,  koe  (oe  ist  deutsches  u).  Dagegen  steht  in  West- 
gelderland, in  Utrecht,  Südholland,  in  ganz  Brabant,  ganz  Flandern, 
Zeeland  und  Limburg:  he  kost,  kos,  begost.  In  Rheinpreussen  vol 
Emmerich  bis  Eupen  ebenfalls. 

Eine  Anzahl  von  Wörtern  des  Heliand  können  wir  dem  Nie 
derdeutschen  gegenüber  als  besonderen  Besitz  des  niederländischen 
Sprachgebietes  bezeichnen.  Dass  man  freilich  bei  der  Anwendung  der 
jetzigen  Wortgeographie  auf  so  weit  zurückliegende  Zeiten  sehr  vor- 
sichtig sein  muss,  ist  klar  und  in  dieser  Beziehung  ist  das  Wort 
heban  =  Himmel  lehrreich.  Grimm  hat  es  einmal  als  besondere- 
Kennzeichen  sächsischer  Sprache  hingestellt.  Und  in  der  That  ist  c- 
jetzt  genau  auf  Sachsen  und  seine  Ostseekolonien  beschränkt.  Schon 
der  Ostfriese,  der  sein  Niederdeutsch  vor  400  Jahren  als  eine  vor- 
nehmere Sprache  für   das    Friesische    eintauschte,    hat   es    gar   nicht 


*)  Die  gewöhnliche  Erklärung  dieses  e-  geht  dahin,  dass  es  aus  ge-  entstanden 
sei.  Es  ist  doch  wohl  eine  ganz  andere  Partikel,  deren  Entstehung  uns  un* 
hekannt  ist. 

a)  Wie  mir  Herr  Dr.  Walther  sagt,  stossen  auch  mnd.  Schriften  grade  in 
diesen  beiden  Participien  das  ge-  ab. 


67 

und   der  Jeverländer  lächelt  über  den  Oldenburger  Geestbauern  mit 
seinem  „haben". 

Und  doch  muss  es  der  zweifellos  niederrheinische  Schreiber  des 
Cottonianus  für  gut  verständlich  gehalten  haben.  Sonst  hätte  er  dafür 
leicht  überall  „himilu  einsetzen  können. 

Hat  er  doch  das  in  ganz  Niederland  und  Sachsen  jetzt  ge- 
bräuchliche butan  =  ausser  zu  Gunsten  von  neuan  ausgemerzt,  weil 
ihm  ersteres  zu  vulgär  vorkam.  Man  erinnere  sich,  dass  hewen  jetzt 
bei  uns  fast  nur  noch  in  der  sinnlichen  Bedeutung  „  Wolkenhimmel  Ä, 
„Horizont*  gebraucht  wird,  ganz  im  Gegensatze  zum  Englischen. 
Es  ist  klar,  dass  wenn  einmal  in  religiöser  Beziehung  „Himmel"  ge- 
brauchlich wurde,  hcven  einer  kirchlich  gesinnten  Bevölkerung  leicht 
ganz  abhanden  kommen  konnte.  Es  ist  bei  den  niederländischen 
Sachsen  ganz  verschwunden,  während  es  der  klevische  Theutonista 
noch  nennt. 

Niederländische  Wörter  des  Heliand  sind  läri  =  leer,  segina  = 
Fischnetz,  swerhan  =  abwischen  (jetzt  ndl.  „ umherstreifen a),  thritn, 
die  Enge.  Mndl.  bei  Oudeinans  dremmen  =  in  die  Enge  treiben.  — 
swiri  =  Schwager.  Noch  heute  in  Zeeland  eweer.  —  tcurgü  heisst  der 
Strick,  mit  dem  sich  Judas  erhängt.  In  der  Betuwe:  würget1).  —  sän 
=  alsbald,  das  englische  soon,  lebt  in  Westflandern:  &oo  man  als  = 
sobald  als  (de  Bo  1416).  —  liomon  =  die  Lichtstrahlen  lebt  in  Zeeland 
und  Limburg  als  liemen  =  brennender  Docht,  Flachsspäne  zum 
Brennen;  weerlcmsch  heisst  in  Zeeland  „blitzend".  —  smal  im  Sinne  von 
gering,  arm,  z.  B.  „thiu  smale  thiodu  =  das  arme  Volk  ist  auch 
gut  niederländisch. 

Vor  allem  aber  nig-fn  oder  wie  der  Monacensis  mehrmals  hat 
nigiean  =  kein.  Da  es  mit  gutnono  und  guldin  alliteriert,  so  ist  es 
genau  das  niederländische  „geen"  und  ist  aus  nih-ains  entstanden. 
geen  geht  jetzt  genau  bis  an  die  deutsche  Grenze.  Die  Sachsen  und 
Friesen  dagegen  haben  durchweg  neen,  nin  gesprochen,  welches 
seinerseits  nur  auf  „ni-ainsa  zurückgehen  kann. 

Niederländische  Wörter,  die  auch  in  überijsselschen  Teilen  des 
Bistums  Utrecht,  nie  aber  in  Westfalen  und  Niedersachsen  vorkommen, 
sind:  that  feluin,  der  Trug.  Jetzt  in  Overijssel  und  Limburg  „de  feke", 
„dat  feken"  =  die  Scheinhecke  aus  Baumzweigen2),  slak  =  feige, 
matt.  Jetzt  in  Groningen  und  Drenthe.  manon  =  vorwärts  treiben. 
Jetzt  in  Overijssel  mennen  =  die  Pferde  antreiben,  lenken,  bodal  = 
Haus  und  Hof.  In  der  niederländischen  Volkssprache:  hoel  =  Besitz, 
Bauerstelle,  füs  =  bereit.  In  Overijssel  und  Groningen  jetzt  vuuste 
=  sehr,  ecid  =  Essig,  noch  mit  Bewahrung  des  alten  k.  In 
Overijssel  noch  heute  „aek". 

Einige  reichen  eben  nach  Westfalen  herein,  kommen  aber  sonst 
in  Niederdeutschland  nicht  vor:  bitengi  =  nah  verbunden,  drückend. 


l)  w  ü  r  g  e  1  kommt  auch  um  Neuenhaus — Bentheim  vor  (Mitt.  von  Herrn  Staehle). 
*)  Vgl.  Overy88  Almanak  1836  und  Schuermans,  Idiotikon. 

5* 


68 

In  Overijssel  und  Utrecht:  beteune,  betuune  =  beengt.  Münsteriseli 
betengen  =  bedrängen,  de  tenge  =  die  Kniffe1),  tomig,  frei,  erlitt 
Im  Nordosten  der  Niederlande  in  der  Bedeutung  „ohne  Arbeit", 
„müssig",  in  Nordwestfalen  =  still,  ruhig,  so  dass  z.  B.  %%en  untönng 
hus"  ein  Haus  ist,  in  dem  es  spukt. 

tögo  =  Zweig.  In  Overijssel,  Drenthe,  Groningen  und  bis  Os- 
nabrück toog  und  twoog,  sonst  nirgends. 

bregdan,  flechten.  Ndl.  breien.  Münsterisch,  aus  dem  Niederlän- 
dischen herübergenommen,  „breiden". 

Einmal  (V.  3892)  fliesst  das  friesisch-fränkische  geth  ein.  Jesus 
sagt  zu  dem  Weibe:  Ne  ik  thi  geth  ni  deriu  neowiht  =  so  werde 
ich  dir  auch  nichts  zu  Leide  thun.  Es  ist  das  englische  yet>  we&t- 
fries.  yette  =  überdies,  noch,  und  identisch  mit  dem  in  der  Rhein- 
provinz und  Limburg  so  beliebten  get  =  etwas.  Es  mag  nur  aus 
der  Gegend  von  Barmen  hie  und  da  nach  Südwestfalen  versprengt  sein. 

liohtfat  =  Leuchter  mutet  ganz  friso-sächsich  an.  Man  sagt  in 
jenen  Grenzgegenden  heute  allgemein  „dat  schienvat",  fries.  skienfet. 

greatan,  weinen,  kommt  als  graaie  nur  noch  auf  der  Insel 
Texel  vor2). 

Ein  wichtiges  Wort,  im  Mittelniederländischen  und  Nieder- 
deutschen fehlend,  sebo  —  das  Gemüt,  erhielt  sich  im  nordholländischen 
Friesland  in  der  Wendung:  hij  is  om  eeep  =  er  ist  ohne  Bewusstsein 
und  in  der  Betuwe  wie  ja  auch  im  Deutschen:  hij  ister  een  van  de 
eeuve  kwijt  —  er  hat  nicht  alle  fünf  Sinne3). 

femea,  Frau.  Dies  merkwürdige  Wort,  ags.  faenine,  hat  sich 
auch  nur  im  Friesischen  gehalten.  Es  ist  kein  germanisches  Wort, 
sondern  lateinisch  femina.  Man  unterschätzt  gewöhnlich  die  Aus- 
dehnung römischen  Wesens  in  jenen  Gegenden4). 

Aber  der  Heliand  enthält  auch  einige  spezifisch  hochdeutsch- 
fränkische Wörter,  von  denen  gar  nicht  anzunehmen  ist,  dass  sie 
in  ganz  Niederland  und  Sachsen  ausgestorben  sein  könnten.  So 
finistar  =  Finsternis,  hose  =  Hohn,  naco  =  Nachen. 

Dies  erinnert  daran,  dass  beide  Texte  in  deutlichen  Spuren 
zeigen,  wie  die  Tradition  deutscher  Schreibweise,  in  der  sie  stehen, 
von  Süden  her  kommt. 

Beide  Handschriften  haben  druknida  =  tocknete,  drökno  = 
trocken.  Dies  ist  genau  nach  dem  althochdeutschen  truechinatu  trurhano 
gebildet,  während  ganz  Niederland  und  auch  wohl  Aachen,  Köln. 
Düsseldorf  nur  dröge,  driige  kennen. 

Ferner  das  häufige  fon  statt  fan,  welches  doch  weit  herauf  ins 
oberdeutsche  Gebiet  gehört,  und  das  viermalige  güih  (Schindler  S.  ISöi 
statt  gilik. 


*)  Vgl.  Köne  zum  Heliand  S.  542. 
»)  Wink ler,  Dialektikern  II,  528. 

8)  Vgl.  Bouman,  de  Volkstaal  in  N.-Holland  S.  74;  Onze  Volkstaal  IL  115: 
Ndd.  Korrespondenzblatt  XIV,  37. 

*)  Vgl.  Haibert sma's  Lexicon  957;  Siebs,  Z.  Gesch.  d.  engl. -fries. Sprache 2fr>4. 


Acht  hochdeutsch  ist  das  h  in  hiopon,  Hagebutten,  abd.  hiufo. 
Überall  in  Niederdeutschland  lautet  das  Wort  wiepe,  wepe,  aber  gleich 
bei  Kassel  eben  über  der  fränkischen  Grenze:  hiefe.  In  Zeeland  mit 
vorgeschlagenem  m,  n  de  miepen,  niepen1). 

clustar,  Verschluss  und  Jdustar-bendx  =  Fesseln  von  claustrum. 
(In  Limburg  ist  Jdocster  =  Vorhängeschloss.)  hohhurnid  =  hochgehörnt, 
kurni  =  Korn  könnte  brabantisch- luxemburgische  Verlautung  sein, 
jedenfalls  ist  das  u  ganz  unsächsisch  und  unfriesisch. 

Wenn  wir  uns  das  Missionswesen,  wie  es  von  der  Zeit  ab,  wo 
die  Gothen  Ultilas  Bibelübersetzung  benutzten,  fast  ohne  Unterbrechung 
bestanden  hat,  vergegenwärtigen,  so  werden  wir  sagen  müssen,  dass 
diese  christliche  Sprache  der  ersten  Missionskirchen  doch  ihre  Ge- 
schichte haben  musste.  Als  die  irisch-anglischen  Missionare  in  Ale- 
mannien,  Baiern,  Franken  und  Thüringen  einwanderten,  werden  sie 
sich  da  nicht  etwaige  ältere  heilige  Schriften  in  deutscher  Sprache 
zu  verschaffen  gesucht  haben?  Die  Ulfilashandschrift  ist  doch  gewiss 
in  die  Gegenden,  wo  sie  gefunden  ist,  gebracht,  um  sie  beim  Über- 
tragen zu  benutzen.  Musste  diese  Missionskirche,  die  sich  von  der 
Schweiz  bis  Friesland  erstreckte,  nicht  allmählich  ein  eigenes  deutsches 
Schriftthum  erhalten?  Die  Kirche  um  Utrecht  war  aber  die  späteste 
Frucht  dieser  Missionsbewegung.  Es  dürften  sich  also  in  die  christ- 
liche friso-sächsische  Sprache,  wie  sie  im  7. — 8.  Jahrhundert  südlich 
und  östlich  der  Zuiderzee  galt,  nicht  bloss  angelsächsische,  sondern 
auch  hochdeutsche  Elemente  gemischt  haben.  Diese  Sprache  hat 
sich  dann  auch  nach  Karl  dem  Grossen  in  den  sächsischen  und 
niederländischen  Klöstern  und  an  den  Bischofssitzen  und  Edel- 
höfen  noch  längere  Zeit,  immer  dein  Orte  angepasst,  fortge- 
pflanzt, bis  gelegentlich  der  Eroberung  der  W'endeulande  von 
Flandern  bis  zur  Elbe  im  12.  Jh.  ganz  andere  Volkskräfte 
flüssig  gemacht  wurden  und  nun  so  zu  sagen  in  neuer  Zunge 
redeten. 

Zu  weit  östlich  dürfen  wir  den  Heliand  schon  deswegen  nicht 
legen,  weil  er  in  so  lebendiger  Anschauung  der  See  ge- 
dichtet ist. 

Bei  Matthaeus  5,  13  „dass  man  das  Salz  hinauswerfe  und  lasse 
es  die  Leute  zertreten"  denkt  der  Dichter  an  Seesalz,  sei  es  aus 
Meerwasser  oder  aus  Seetorf  bereitet2).  „Is  iino  so  them  saite  the 
man  bi  sewes  stade  wido  tewirpit",  das  die  Leute  an  „greote"  zertreten. 

Der  Schauplatz  des  Fischauslesens  (V.  2634)  wird  ans  weite 
Meer  gelegt.  Die  guten  sucht  man  am  Meeresrande  aus,  die  andern 
lasst  man  „an  grund  faran,  an  wtdan  wäg". 

Das  auf  Sand  gebaute  Haus   steht,   wo   es   der  Wrestwind  und 


*)  Schmeller  übersetzt  es  durch  „tribidus"  (ein  Dorn),  Heine  durch  „Dorn- 
strauch". Das  Wort  bedeutet  in  den  deutschen  Mundarten  nur  „rosa  canina". 
Vgl.  Pritzel  und  Jessen  S.  339. 

')  Vgl.  Zeitschrift  für  Schleswig-Holsteinsche  Geschichte  X,  52. 


70 

der  Strom  der  Fluten  mit  Seewellen  zerschlägt1).  Ob  wohl  jemand, 
der  in  Werden  oder  Münster  die  Stelle  des  Evangeliums  überdachte, 
dieses  Bild  vor  Augen  trat? 

Umgekehrt  kostet  es  dem  Dichter  Mühe,  die  Vorstellung  richtiger 
Berge  zu  erwecken. 

In  der  Scene  auf  dem  Tabor  steigen  sie  „an  höhan  tval2)^  sten 
endi  berg*.     Man  merkt  das  hülflose  Suchen  nach  Ausdrücken. 

Jesus  wird  (V.  2682)  von  Nazareth  auf  den  sten-hcim  geführt, 
wo  sie  ihn  von  dem  walle  herunter  zu  werfen  gedenken,  und  die 
Stadt  auf  dem  Berge  liegt  auf  hoher  holm-klibu. 

Das  Wort  holm  kommt  jetzt  in  den  Niederlanden  nur  noch  in 
der  Bedeutung  „morastige  Stelle"  vor  (De  Bo).  Bei  Kilian  heisst  es 
noch:  kleiner  Berg,  kleiner  Hügel,  auch  „Flusseiland*.  Seine  eigent- 
liche Heimat  hat  es  in  zahllosen  Ortsnamen  mit  noch  verstandener 
Bedeutung  auf  der  cimbrischen  Halbinsel  und  in  Skandinavien.  Ver- 
einzelt auch  in  Westfalen,  wie  der  Holmberg  bei  Steinheim,  der  Holm 
bei  Rinteln,  der  Wegholm  bei  Petershagen.  Die  alte  Bedeutung  des 
Wortes  kann  in  Deutschland  nur  die  holsteinsche  gewesen  sein:  ein 
in  ein  Gewässer  oder  eine  Niederung  vorspringender  Hügel,  auch  wohl 
ein  hochragendes  Eiland  in  einem  See.  Das  war  die  einzige  Bergart, 
die  dem  Dichter  des  Heliand  und  seinem  friso  -  sächsischen  Publikum 
geläufig  war!! 

Das  Christentum  und  zwar  ein  lateinisches  war  in  der  Gemein- 
schaft, fiir  die  der  Heliand  bestimmt  war,  lange  eingebürgert,  wie 
das  schon  Rückert  ausgeführt  hat8).  Sonst  könnte  der  Dichter  nicht 
so  arglos  von  fern,  Hölle,  nön,  None,  pina,  Pein,  seginon,  segnen, 
ork,  Krug,  von  röhfat,  wihroh  und  gar  von  diät  (Dank,  aus  öblata)  reden. 

Die  palma,  der  Palmzweig,  scheint  die  Sitte  vorauszusetzen,  dass 
am  Palmsonntage  Zweige  umhergetragen  wurden,  die  man  „palmas* 
nannte,  skola^  Schaar,  ist  gewiss  nicht  deutsch,  sondern  von  den 
Mönchsschulen  hergenommen. 

Ich  glaube:  In  soweit  hat  Ebrard  Recht:  der  Heliand  ist  in  der 
Zeit  entstanden,  wo  das  Karlingische  Usurpatorenhaus  seine  Hand 
noch  nicht  auf  die  an  den  Grenzen  der  Franken  wohnenden  christiani- 
sierten Stämme  gelegt  hatte.  Aber  er  fällt  doch  wohl  in  die  Zeit 
nach  700,  wo  Willibrord  sich  bereits  auf  das  Drängen  Pipins  in  Rom 
hatte  zum  Bischof  konsekrieren  lassen. 

Dies  möchte  man  aus  der  Art  schliessen,  wie  er  Ev.  Matthaeus 
16,  18  behandelt:  Er  sagt  dort  nicht:  Du  bist  Petrus  und  auf  diesem 
Felsen  will  ich  meine  Gemeinde  bauen,  sondern: 
hetan  sculun  thi  firio  bam 

„scte"  Peter:  obar  themu  stene  scal  man  minan  seli  wirkean 

(V.  3068). 


2)  Vgl.  Paul,  Grundriss  der  Germanischen  Philologie  II,  209. 

■)  Ein  Wall  ist  so  wenig  ein  Berg,  als  ein  bilühi  ein  „Wunderzeichen0. 

8)  Rückert,  Heliand  S.  XVIII. 


71 

Die  britischen  Missionare  werden  geschildert  als  in  Schaffelle 
gekleidet1).  In  der  Stelle:  „Sehet  euch  vor  vor  den  falschen  Propheten, 
die  in  Schafskleidern  zu  euch  kommen, u  lässt  der  Dichter  die  doch  so 
anschaulichen  Schafskleider  bei  Seite  und  sagt:  (V.  1737):  Sie  kommen 
in  solchen  Lügengewanden  zu  euch,  in  lichten  Schmuckgewändern, 
doch  haben  sie  falschen  Sinn. 

Schindler  giebt  eine  Abbildung  der  merkwürdigen  Initiale  des 
Cottonianus,  welche  Sievers  in  seiner  Ausgabe  gar  nicht  einmal  er- 
wähnt hat.  Dies  sogenannte  Schlangenornament,  in  welchem  märchen- 
hafte Drachen  sich  zu  vielverschürzten  Knoten  zu  vereinigen  scheinen, 
tritt  in  Deutschland  zuerst  in  fränkisch-alamannischen  Gräbern  auf 
und  reicht  bis  in  die  christliche  Periode.  Fast  alle  irischen  Mi- 
niaturen, die  in  St.  Gallen  und  an  andern  Orten  Deutschlands  von 
irischen  Mönchen  ausgeführt  wurden,  zeigen  dasselbe2). 

Das  steht  auch  fest,  dass  keine  Mission  vor  770  Boden  in  Alt- 
sachsen gewonnen  hatte.  Wir  hören  nur  von  vergeblichen  Versuchen 
dazu,  wie  wenn  der  h.  Suitbert  sich  von  den  Brukterern  im  Herzogtum 
Berg  nach  Kaiserswerth  zurückziehen  muss  oder  die  beiden  Ewalde 
unweit  des  Rheines  erschlagen  werden.  Man  hat  auf  die  Nachricht 
hingewiesen,  dass  König  Dagobert  im  7.  Jh.  die  villa  Soest  im 
Bruktererlande  dem  Kölner  Erzbischofe  Kunibert  schenkt.  Aber  es 
giebt  3  Orte  des  Namens  in  Westdeutschland,  einen  bei  Utrecht,  einen 
in  Westfalen  und  einen  unweit  von  Barmen.  Hier  ist  gewiss  der  Hof 
„auf  dem  Soest"  bei  Voerde-Schwelm  gemeint8). 


')  Vgl.  O.  Fischer,  Bonifatius  S.  67. 

%)  Paul,  Grundriss  IIb,  288. 

3)  Dazu  bemerkte  Professor  Nordhoff-Münster,  indem  er  auf  seinen  Aufsatz 
im  Historischen  Jahrbuch  von  1890  S.  290 — 97  verwies:  „Es  sei  ganz  zweifellos, 
dass  die  christliche  Religion  lange  vor  Bonifatius  von  Köln  aus  in  Sachsen  Ver- 
breitung gefunden  habe.  Denn  1)  könne  der  genannte  Ort  nur  die  Stadt  Soest  in 
Westfalen  sein,  firzbischof  Anno  IL  schreibe  1074 :  tradidi  fratribus  (s.  Cuiiiberti) 
quinqtie  libras  solvendas  de  areis  vel  de  curticulis  Sucacie,  quod  eam  sanctus 
(unibertus  sancto  Petro  acquisivit.  Vgl.  Lacomblet,  Urkundenbuch  f.  d.  Gesch. 
des  Niederrheins  (1840)  I  Nr.  218.  Eine  Urkunde  des  10.  Jh.  in  Lacomblet's  Archiv 
1H57  II,  58,  63  benenne  die  Zuwendungen  Cuniberts  an  das  Armenhaus  ad  s.  lupum 
in  Köln  und  darunter:  De  Swelmc  uni  tantum  fatri  XII  modios  siliglinis  etc.  De 
Miniden;  ubi  unus  frater  erit,  XII  modios  siliginis.  2)  habe  bereits  der  h.  Martin 
von  Tours  den  Sachsen  seine  Missionsthätigkeit  zugewendet.  In  Martin  von 
Bracara's  Schrift  „De  correctione  rusticorum"  (hrg.  von  Ca  spar  i  Christiania 
1883)  heisse  es  von  Martin: 

Immanes  variasque  pio  sub  foedere  Christi 
Adsiscis  gcntes:  Alamannus,  Saxo,  Toringus, 
Pannonius,  Rugus,  Sclavus,  Nara,  Sarmata,  Datus 
Ostrogotus,  Francus,  Burgundio,  Dacus,  Alauus 
Te  duce  nosse  Deum  gaudent. 

3)  sei  ein  Strich  im  östlichen  Sachsen,  wo  unter  andern  frühchristlichen  Anzeichen 
Reihengräber  mit  Fundstücken  aus  dem  6. — 7.  Jahrhundert  auftauchten,  nur  des- 
wegen dem  Erzbistum  Mainz  belassen,  weil  er  bereits  ganz  oder  teilweise  von  dort 
aus  christianisiert  gewesen  sei.  (Vgl.  Rettberg,  Kirchengesch.  Deutschlands  II, 
400;  Rein  ecke,  Die  Einführung  des  Christentums  im  Harzgau,  Osterwiek   1888 


72 

Um  in  Sachsen  Fuss  zu  fassen,  hätte  es  für  die  freien  Missionen 
nur  Einen  Weg  gegeben,  den,  welchen  der  h.  Lebuin  vor  770  auch 
wirklich,  aber  zu  spät,  einschlug,  die  Missionare  hätten  sich  in  öffent- 
licher Landesversammlung  das  Recht  erwerben  müssen,  in  der  säch- 
sischen Republik  Niederlassungen  zu  gründen.  Aber  das  war  schwierig 
zu  erlangen,  denn  einmal  war  Sachsen,  welches  von  den  Stürmen  der 
sogenannten  Völkerwanderung  verschont  geblieben  war,  damals  kul- 
tivierter als  Süddeutschland  und  die  Niederlande  und  dann  fiel  nirgends 
die  heimische  Religion  so  völlig  mit  dem  heimischen  Rechtestaat  zu- 
sammen als  hier.  So  musste  sich  denn  das  Geschick  erfüllen  und 
die  Erdverwüstung,  das  mudspell1),  kam  über  das  germanische  Land 
der  Mitte,  welches  800  Jahre  früher  dem  Norden  seine  Freiheit  ge- 
rettet hatte. 

Wohl  ist  das  niederdeutsche  Volk,  als  ihm  später  im  Bunde  mit 
denselben  Franken  die  Eroberung  und  Besiedelung  der  Wendenländer 
gelungen  war,  zu  einem  Zeitalter  neuer  Macht  und  Ehre  gelangt  und 
hat  dann  auch  eine  eigne  Literatur  hervorgebracht.  Aber  ein  Riss 
war  doch  von  jener  Zeit  geblieben.  Als  die  Auflösung  dessen,  was 
das  Mittelalter   geschaffen,    eintrat,    war   keine  Fähigkeit   vorhanden. 


S.  19;  Müller,  Die  Reihengräber  zu  Rosdorf  bei  Göttingen,  Hannover  lö7ä 
S.  67-70.)u 

Was  Punkt  1  betrifft,  so  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  die  alte  Überlieferung 
nicht  doch  auf  den  Hof  Soest  bei  Schwelm  geht.  König  Dagobert  (oder  wohl 
Siegbert)  schenkte  an  Kunibert  die  ,.villa  Soest  im  Bruktererlande"  (Binterira, 
Die  Erzdiözese  Köln  I  S.  44  und  Rettberg,  Kirchengeschichte  I,  537  und  II,  420). 
Dass  die  Gaue  Angeron,  worin  die  Stadt  Soest  liegt,  und  Westfalon  auch  den 
Namen  „Boretra"  führten,  scheint  allerdings  bezeugt.  Aber  im  Capitulare  Saxon. 
an.  797  §  11  werden  die  Boratrini  Saxones  den  Septentrionales  im  Süderlandc 
entgegengesetzt.  Gewiss  wird  der  Erzbischof  Anno  geglaubt  haben,  dass  sich  die 
alte  Nachricht  auf  die  Stadt  Soest  beziehe.  Aber  Schwelm  liegt  unmittelbar  an 
der  fränkischen  Grenze.  Im  Kirchspiel  Schwelm  liegen  Höfe  mit  dem  Namen 
Mennenöde  und  zwischen  Hagen  und  Vorde  b.  Schwelm  liegt  der  Hof  „Auf  dem 
Soest".    Miniden  könnte  auch  Menükinna  bei  Werden  sein. 

Die  Nachricht  bei  Martin  von  Bracara  hat  etwa  den  Werth,  wie  wenn  ein 
spätlatcinischer  Dichter  einen  Feldherrn  wegen  seiner  Siege  über  Cherusker  und 
Sigambrer  preist. 

Was  Punkt  3  angeht,  so  ist  freilich  nicht  zu  bezweifeln,  dass  Thüringen  um 
730  ein  halb  christliches  Land  war  und  dass  also  in  den  angrenzenden  Teilen 
Sachsens  vorübergehend  Christen  gelebt  haben.  Die  Verteilung  der  sächsischen 
Landschaften  unter  die  einzelnen  Bistümer  macht  den  Eindruck,  als  sei  sie  unter 
Einwirkung  der  Karolinger  grade  in  der  Absicht  vorgenommen,  Zusammen- 
gehöriges auseinander  zu  reissen.  Als  solch  ein  in  das  sächsische  Volk  getrie- 
bener Keil  erscheint  der  nördlichste  Teil  des  Bistums  Mainz.  Namentlich  aber  ist  die 
homophyle  und  gleichsprachige  Bevölkerung,  welche  vom  Sauerlande  über  Soest, 
Paderborn,  Detmold  bis  an  das  Wiehengebirge  westlich  von  Minden  wohnt,  ab- 
sichtlich unter  die  Bistümer  Köln,  Paderborn,  Minden  und  Osnabrück  verteilt. 

Die  Gräberfunde  beweisen  doch  zunächst  nur,  dass  Christen  an  den  Fund- 
stellen begraben  sind,  nicht  dass  sie  dort  dauernd  gelebt  haben. 

Zum  Schluss  wies  Nordhoff  noch  darauf  hin,  dass  der  Heliand  in  einer  Burs 
geschrieben  sein  müsse. 

')  Diese  sehr  ansprechende  Deutung  des  Wortes  giebt  Kögel  in  Paul? 
German.  Philologie  II»  S.  212. 


73 

sich  einmütig  einen  Platz  in  der  neuen  Welt  zu  erobern.  „De  ziel 
van  een  volk  is  zijn  taal"  sagt  der  Niederländer.  Heute  reden  wir 
in  den  Städten  Sachsens  eine  Sprache,  die  von  der  sächsischen  ver- 
schiedener ist,  als  das  Polnische  vom  Russischen  oder  das  Tschechische 
vom  Serbischen. 

SEGEBERG.  H.  Jellinghaus. 


Ein  Liebesbrief  aus  dem 
16.  Jahrhundert. 

An  einer  Stelle,  wo  man  dergleichen  nicht  gerade  zu  finden  er- 
wartet, in  Gesandtschaftsakten  des  sechszehnten  Jahrhunderts,  ent- 
deckte ich  vor  einiger  Zeit  einen  in  ühiffern  geschriebenen  Brief,  der 
sich  bei  näherer  Betrachtung  —  die  Übersetzung  lag  glücklicher 
Weise  daneben  —  als  ein  leibhaftiger  Liebesbrief  erwies  und  aus 
mehr  als  einem  Grunde  mein  Interesse  in  Anspruch  nahm.  Nicht 
als  ob  es  sich  um  besonders  hochstehende  oder  berühmte  Persönlich- 
keiten gehandelt  hätte,  er,  der  Schreiber  des  Briefes,  war  ein  un- 
bekannter, bürgerlicher  Amtsschreiber  zu  Seesen  am  Harz,  sie,  die 
Adressatin,  ein  nicht  einmal  mit  Namen  genanntes,  adliges  Fräulein 
zu  Trendelburg  in  Hessen.  Aber  in  diesem  Briefe,  der  in  nieder- 
deutscher Mundart  verfasst  war,  geben  sich  eine  starke  und  doch 
zarte,  aller  Ungunst  der  äusseren  Verhältnisse  trotzende  Neigung, 
ein  inniges,  treuherziges  Gottvertrauen  kund,  die  in  ihrer  schlichten, 
kunstlosen  Ausdrucksweise  seltsam  ans  Herz  greifen.  Doch  der  Leser 
mag  selbst  urtheilen!  Ehe  ich  ihm  aber  den  Brief  selber  vorlege, 
muss  ich  ihm  in  kurzem  berichten,  wie  derselbe  in  jene  Gesandtschafts- 
akten gekommen  ist. 

An  einem  Maitage  des  Jahres  1582,  in  der  Woche  vor  Exaudi, 
herrschte  im  Reinhartswalde,  nicht  weit  von  Kassel,  ein  reges  Leben. 
Forstleute  des  Landgrafen  Wilhelm  von  Hessen  durchstreiften  den 
Wald,  um  nach  Wilddieben  zu  fahnden,  die  den  besonderen  Zorn  des 
Fürsten  und  seiner  Diener  errregt  hatten.  Denn  nicht  zufrieden  damit, 
das  landgräfliche  Wild  wegzuschiessen,  hatten  sie  übermüthig  den 
landgräflichen  Bediensteten,  falls  diese  sie  in  ihrem  Gewerbe  stören 
würden,  gleichfalls  mit  ihren  Kugeln  gedroht.  Eine  geraume  Zeit 
schien  die  Jagd  erfolglos  zu  bleiben,  da  gewahrte  man  hinter  einem 
Baume  einen  Mann,  der  sich  ängstlich  zu  verbergen  suchte  und  eben 
dadurch  einen  im  hohen  Grade  verdächtigen  Eindruck  machte.  Als 
man  ihn  zur  Rede  stellte,   was   er  an   diesem  Orte   zu  suchen  habe, 


74 

gab  er  die  Auskunft,  er  sei  beauftragt,  nach  Trendelburg  einen  Briet 
zu  bringen,  wisse  aber  nicht,  von  wem  und  an  wen  derselbe  sei.  Auf 
näheres  Befragen  gab  er  endlich  zu,  dass  ihm  der  Brief  von  dem 
Amtsschreiber  zu  Seesen,  Johann  Schoppc,  übergeben  worden  sei  und 
er  damit  sich  nach  der  Brücke  zu  Trendelburg  begeben  und  daselbst 
warten  solle.  Die  landgräflichen  Diener  begleiteten  den  verdächtigen 
Fremden  nach  dem  angegebenen  Orte  und  versteckten  sich  in  der 
Nähe,  es  erschien  aber  niemand,  um  den  Brief  abzuholen.  Aus 
letzterem,  der  keine  Aufschrift  trug  und  in  Chiffern  geschrieben  war, 
Hess  sich  über  Inhalt  und  Adressaten  nichts  ersehen,  so  blieb  ihnen, 
da  die  Sache  doch  einmal  höchst  zweifelhaft  erschien,  nichts  übrig, 
als  Mann  und  Brief  an  ihren  Herrn,  den  Landgrafen,  einzuliefern. 
Dieser  fand  denn  auch  bald  heraus,  dass  der  Brief  in  23  verschiedeneu 
Charakteren  geschrieben  sei,  die  Aurlösung  derselben  wollte  ihm  indes 
nicht  gelingen.  Der  Bote  meinte,  es  habe  mit  dem  Briefe  nichts  Ge- 
fährliches auf  sich,  derselbe  sei,  wie  er  glaube,  ein  simpler  Liebe*- 
brief  und  an  Eine  vom  Adel  bei  Trendelburg  gerichtet.  Der  Land- 
graf aber,  keineswegs  sicher,  ob  nicht  dennoch  etwas  Bedenkliches 
und  Gefährliches  hinter  diesem  geheimnisvollen  Schriftstücke  sich  berge, 
kam  auf  den  Gedanken,  den  Landesherrn  des  gedachten  Amtsschreibers, 
den  Herzog  Julius  von  Braunschweig -Wolfenbüttel,  um  Aufklärung 
anzugehen.  Er  Hess  daher  durch  einen  Gesandten,  welcher  gerade 
damals  mit  verschiedenen  Aufträgen  von  seiner  Seite  an  den  Herzog 
ging,  denselben  ersuchen,  er  möge  den  Aratsschreiber  kommen  und 
sich  von  ihm  eine  Übersetzung  des  fraglichen  Schriftstückes,  sowie 
einen  Schlüssel  zu  den  darin  enthaltenen  Chiffern  geben  lassen,  damit 
man  sehen  könne,  ob  die  Sache  wirklich  so  harmlos  sei,  er  solle  aber 
kein  grosses  Wesen  davon  machen,  um  nicht  möglicher  Weise  eine 
adlige  Familie  dadurch  zu  compromittieren. 

Der  Herzog  that  nach  dem  Wunsche  des  Landgrafen,  Hess  den 
Amtsschreiber  zitieren  und  befahl  ihm,  den  Brief  zu  entziffern.  E* 
mochte  den  armen  Menschen  hart  ankommen,  das,  was  der  Natur  der 
Sache  nach  nur  für  eine  Person  bestimmt  war,  den  Augen  Fremder 
zu  offenbaren,  aber  was  halfs,  er  musste  gehorchen.  Er  machte  sieh 
also  an  die  Arbeit,  und  als  das  Resultat  seiner  Bemühungen  empfing 
der  Herzog  nachstehenden  Brief,  den  er  sich  beeilte,  dem  Landgrafen 
zu  übersenden. 

Ehelike  Leve  undt  hartlike  Truwe  in  rechter  warer  Bestendicheit  mit 
Wunschunge  viler  gelücklicher  undt  gesunder  Dag  tovore,  min  harte  alder 
leveste  Wifeken '),  da  es  Ju  an  Lifes  Gesundtheit  ock  sonst  in  allem  wolgiuge, 


')  So  im  Original,  in  der  Übertragung  ist  statt  dessen  der  unverfänglichere 
Ausdruck  Harteken  gewählt. 

Anmerkung:  Der  obige  Brief  ist  nach  dem  chiffrierten  Exemplar  mitgeteilt, 
da  die  dabeiliegende  Übertragung  sich  vielfache  Wilkürlichkeiten  gestattet  hat. 
Einmal  nämlich  suchte  der  Amtsschreiber  in  derselbcu,  wohl  mit  Rücksicht  auf  den 
Hof,  seine  Sprache  dem  Hochdeutschen  möglichst  anzunähern,  und  dann  sehen  wir 
ihn  bemüht,   einzelne  Ausdrücke,  welche  auf  die  Natur  des  Verhältnisses  ein  gar 


75 

were  mi  eine  uberutte  grote  Fruwde  to  erfaren.  Ik  wil  jo  nicht  hopen,  dat  ick 
änderst  ut  Juwem  Breve  befinden  werde,  dar  behode  mi  de  getruwe  Got  vor, 
mine  Persone,  min  Harteken,  schole  gi  in  gudera  Wol(stan)de  dise  Tit  von  der 
Gnade  Godes  wissen.  Deselbe  frome  Got  wolde  hinfnrter  sine  Gnade  geben,  dat 
wi  jo  nicht  änderst  eine  von  den  andere(n)  hören.  Min  harte  alderleveste  getrnweste 
Honeken,  mit  wat  bedrofeden  Harten  ick  lestmals  den  Wech  von  Minden  reit, 
dat  könne  gi  nicht  gelofen,  ick  was  so  bekümmert,  dat  ick  den  Dag  negen  Mite 
Weges  reit,  mi  duchte,  wen  de  Elopper  den  Weg  vormocht  hette,  ick  wolde 
sin  bet  hir  gehende,  eher  ick  wolde  gessen  oder  drunken  hebben,  den  mi  vor- 
langede  ganz  na  kenem  Dinge,  den  nur  alleine  na  Ja,  ach  wat  is  it  ein  feine 
Dinch,  immer  bisamende  wesen,  den  Scheiden,  dat  doit  wehe.  Sonst  kam  ick 
gar  wol  undt  one  allen  Schaden  oder  Far  wedder  to  Hns.  It  weit  ok  kein 
Hinsehe,  wohr  ick  gewesen.  De  Bode  wüste  selber  nicht,  wat  he  darvon  segen 
scholde,  ik  mackede  eme  wis,  ick  durfte  nicht  openbar  in  de  Stat  und  vorbot 
ime  gleichwol,  he  scholde  nicht  änderst  berichten,  wegen  he  darum  gefraget, 
den  dat  he  were  to  Hameln  mit  mi  gewesen,  darsulfest  hedde  ick  minen  Fed- 
dern  kegen  mi  bescheiden,  dat  also  dusser  Orter  kein  Seggendt  darvon,  Got  lob, 
ist.  Wen  es  bi  Ju  ock  also  were,  wi  ick  hoffe,  muchte  ick  gern  wünschen. 
Ick  wil  ock  nicht  twifelen,  gi  werden  mi  alle  de  Gelegenheit  toschrifen. 
Weiter,  min  harte  alderleveste ,  vertruwete  Wifeken1),  so  weit  ick  in  dusser 
Orter  kene  nie  Tidunge  to  schrifen,  den  dat  ick  up  den  Dindtag,  wird  sin  der 
negentehende  Dag  Junii,  to  Wolffenbuttel  mine  Rechung  doen  werde  und  bin 
bedacht,  wie  ick  ock  albereit  ins  Werch  gestalt,  dat  ick  wil  ferner  anhalten 
umme  Dinst  in  dat  Stift  von  Minden  oder  hernacher  in  de  Graveschop  Hoia, 
dat  were  jo  ein  wenich  neher  undt  kont  biswilen  up  der  Wesser  up  oder  dal 
to  Ju  bi  Nachttit  komen ;  wat  ick  dat  erhalde,  sollen  Ju  wol  verstendiget  werden. 
Ach  min  Honeken,  wie  gern  mack  ick  bi  Ju  wesen !  Ach,  dat  leve  Harteken ! 
wen  ick  daran  gedenke,  wi  is  den  minem  Harte  so  rechte  wehe.  Ja,  ick 
mack  wol  seggen ,  dat  de  Bisamenkumpst  de  Lewe  rechte  wol  erwecket  undt 
durch  alle  Gleder  dringet,  man  achtet  es  wol  nicht  so  grot,  wen  man  bi- 
einander  is,  afer  wen  dat  Scheden  herandertrit,  so  folet  men  recht  aldererst, 
wat  de  Bisamenkunft  dot.  Ach,  wat  helfe  ick  so  fil  dusent  Mal  an  de  Worde 
gedacht,  undt  wi  wir  uns  mit  einander  vorbunden.  Min  Herteken,  were  ick 
dusse  Stunde  bi  Ju  an  glegen  Ortern,  ick  wolde  Jnwes  Lifes  so  rechte  wol 
plegen,  wat  is  it  doch  ein  ufel  Werch,  dat  de  nicht  können  noch  mögen 
bi  einander  sin,  de  doch  so  gerne  sodanes  deden  undt  to  fiele  Malen 
mit  Lüsten  undt  begerliken  Harten  wünschen.  Ach,  dat  ick  muchte  de  Tit 
erleven,  dat  wi  in  ein  ehelich  Levendt  miteinander  treten,  so  erst  solde 
minem  Harten  wol  wesen,  undt  dat  it  so  bald  geschege,  dewele  wi  noch 
de  Jugendt  helfen  undt  uns  der  Weldt  ein  Titlanch  to  gebrucken  hedden,  nun 
wäret  es  jo  fil  to  lange  uud  gehet  darüber  unse  beste  Tit  hin.  Ach,  du  ge- 
truwer  Got!  Ist  dein  gnediger  Wile,  so  foge  es  immer  darhin,  damit  wi  jo 
nicht  mugen  von  dusser  Welt  scheiden  in  dussem  elenden  Levende,  sonder  in 


zu  helles  Licht  zu  werfen  geeignet  waren,  durch  andere,  weniger  verfängliche  zu 
ersetzen.  Man  scheint  aber  bei  Hofe  doch  hinter  seine  Schliche  gekommen  zu 
sein,  wenigstens  findet  sich  die  Bemerkung,  dass  die  Übertragung  Mängel  aufweise, 
welche  man  durch  Vergleichung  mit  dem  Originale  zu  verbessern  gesucht  habe. 
Die  in  Hannover  befindliche  Übertragung  ist,  wie  eine  Vergleichung  mit  einer  daselbst 
vorhandenen  Eingabe  des  Amtsschreibers  erkennen  lässt,  nicht  von  dessen  eigener 
Hand  geschrieben,  was  ja  auch  erklärlich  ist,  da  das  Original  an  deii  Landgrafen 
geschickt  wurde  und  man  der  Curiosität  wegen  eine  Abschrift  zurückbehielt. 
*)  In  der  Übertragung  steht  dafür  leveste  Honeken. 


76 

einem  sollichen  Stande,  de  imme  gefellich,  das  hei  ff e  uns  der  getruwe  Got. 
Mein  harte  alderleveste  Honeken,  ick  wolde  Ju  lestmals  von  einer  Altfruwen 
gesecht  helfen,  de  rechte  wol  nehen  kan,  darto  gar  ein  feine  Wif  von  Lit 
undt  Levende,  gar  geschicket,  ock  vorschweigetf,  dat  mi  dachte,  wo  fere  men 
desulfen  unvermerchet  konde  darhen  handelen,  it  scholde  uns  drechlick  sin. 
Sie  is  itsunde  to  Hildessem  bi  orer  Mutter  undt  wer  hibevorn  bi  Dideriche 
von  Mandelschlo;  wi  der  furm  Jar  gefangen  wart,  bat  se  mi,  ick  wolde  se 
etwan  an  eine  vom  Adell  vorschrifen ,  darup  ick  der  Tit  nicht  wüste  to  ant- 
worden,  sonder  sechte,  se  scholde  mi  wedder  anspreken  laten,  so  wolde  ick  mi 
weider  erclaren.  Oft  ich  nun  wol  lest  sodanes  mit  Ju  reden  wolde,  so  wete 
gi,  dat  wi  do  mer  to  donde,  als  wi  Tit  hedden,  derhaifen  es  vorhieven.  Wen 
Ju  nu  duchte  rat,  sie  etwan  kegen  Michaelisdag,  dat  gi  se  denne  hedde  bet  to 
Minden  bescheiden  undt  sulfen  mit  or  geredet,  so  konde  jo  nemandt  etwas 
merken,  gi  konden  ock  wol  kegen  ander  seggen,  de  von  Steinbarge  hedde  se 
an  Ju  na  Minden  vorscbrefen,  darmit  men  doch  Botschop  desto  foglicker  mit 
einander  helfen  konde;  wen  den  gleich  de  Boden  bisweilen  up  dat  Hus  komen, 
de  frageden  na  der  Maget  und  were  desto  weniger  Fare  darbi.  Ick  erkenue 
se  für  ein  vortruwete  Persone,  undt  wen  Ju  duchte,  scholde  gi  se  vorerst  ein 
halb  Jar  utmerchen,  darmit  men  dat  Vortruwendt  heffen  kont.  Min  harte  alder- 
leveste, de  Botschop  is  jo  unser  beste  Trost  undt  is  uns  so  (rechte  daran 
glegen.  Derhalben  denke  ich  es  so) *)  ofte,  umrae  wi  es  muchte  am  alderbesten 
gemaket,  dat  it  uns  jo  nicht  tom  Schaden  gerathe.  Dewele  wi  ock  lest  nenen 
Afscheit  genomen,  welcher  under  uns  Termin  na  dusser  Botschop  solte  ansetten. 
dat  mi  warlich  seder  oft  geruwet,  nach  dem  male  de  Bode  tor  Drendelborch 
weder  umme  geit,  nun  sol  dut  mine  Bidde  sin,  wen  ick  in  Juwen  Breve  keine 
ander  Dage  Tit  finde,  dat  gi  willen  up  den  Dag  Jakobi,  wirdt  sin  der  fif  undt 
twintigeste  Dag  Julii,  oder  up  den  Dag  Laurentii,  wirt  sin  der  tehende  Dag  Augusti. 
den  Morgen  umme  negen  Siegen  Juwe  Botschop  an  aussen  sulfen  Ort  up  de  Brügge 
gewisse  senden  mit  dem  Worteken,  dat  Ju  Bode  möge  einen  Widenstruch,  der  1ms 
uppe  sitte,  in  der  rechten  handt  heffe.  Befinde  ick  afer,  dat  in  Juwem  Breve  ander 
Termine  sindt  vormeldet,  densulsen  will  ick  uasetten  und  schöllet  dusse  den  nicht 
gelden.  Doch  dat  Ju  Bode  mege  dut  Worteken  bruken,  darmit  de  Bode  nicht 
unrecht  andrepe.  Min  harte  alderleveste  Honeken,  gi  willen  der  Hemmede, 
Snuptucher  undt  des  ( Arm) 2)  bandes  ingertechtig  sin  undt  latet  mi  den  (sam- 
meten)8)  Hot  dar  oder  to  Minden  sulfen  make,  als  he  wesen  schal;  dat  gefeit 
mi  fil  lefer,  den  gi  vorspreken  mi  lest  mine  Kleder,  se  weren  nicht  dogede 
maket,  derhaifen  stelle  ick  it  Ju  darmit  heim.  Min  hogeste  Trost  negst  Got, 
kan  es  leider  dusser  Tit  nicht  vorschulden,  afer  dusser  Tit  mit  Getmweheit,  ock 
hernach  undt  den,  wen  Got  de  Tit  gift,  Juwes  Lives  Pleger  to  sin  nach  alle  niinem 
hogesten  Vormogen,  den,  Herre  Got,  ick  mus  in  minem  Harten  bekennen,  wat  fil 
Gute  undt  Truwe  mich  von  Ju  wedderfaren.  Ach,  min  einiges  Fleisch  undt  Blodt  * > 
ick  schrife  up  mine  Vorplichtuug,  getruwe  to  sin,  dat  is  min  hogeste  Eidt.  Nun, 
min  harte  alderleveste  uterweites  Wifeken4),  ick  wil  Ju  dem  gnadenreichen  Gode 
to  langer,  ganzer  Gesundheit  befeien  in  der  trostliken  Hoffnung,  dat  ick  kegen 
dussen  Michaiis  wedderümme  bi  Ju  wil  ankörnen,  den  da  verlangede  mi  wol  (dusse 
Stunde  na)5);  wen  idt  sonst  konde  one  Gefar  schein,  gi  werde  mi  wol  de 
Glegenheit  to  schrifen,  wen  Ju  duchte,  undt  konde  eher  schein,  ick  wU  mines 


*)  Im  chiffrierten  Texte  ausgelassen. 
3)  Fehlt  in  der  Übertragung. 
8)  In  der  Übertragung  Harteken. 
*)  In  der  Übertragung  Leveken. 
5)  Fehlt  in  der  Übertragung. 


11 

Lifes  Juwendthalfen  to  wagen  nicht  schonen.  Wen  ick  nicht  in  mines  Hern 
Dienste  were,  wurde  gi  mi  ock  in  äussern  Juwem  Brewe,  den  ick,  gonde  Got, 
weddernuime  von  dnssem  Bode  entfangen  werde,  am  Ende  nndt  Orter  bescheiden, 
dein  wil  ick,  so  immer  mugelich,  nakomen,  den  ick  weit  wol,  dat  Ja  werde 
von  Harten  seher  vorlangen  undt  jamern.  Min  fromes  Honeken  und  fortruwetet 
Wifeken1),  gedenket  Ja  miner  immerdar  in  Frude  undt  Truwricbeit,  dat  wil 
ick  ock  don.  Got,  Got  befolen,  ach  Here  Got,  hilf  uns  ut  dussem  Levende, 
und  dat  wi  jo  mögen  balde  tosamende  komen,  bist  Got,  du  kanst  it  so  balde 
maken. 

.Tu  harte  alderleveste  (Man) 8)  wil  ick  sin  nndt  blifen  (bet  an 

den  Dot.)3) 

Der  Landgraf  mag  gut  gelächelt  haben,  als  er  inne  ward,  wie 
sein  Verdacht,  als  ob  hinter  dem  Briefe  sich  irgend  ein  hochgefähr- 
licher Anschlag  verberge,  in  dieser  Weise  Lügen  gestraft  wurde.  In 
heiterster  Laune  richtete  er  an  den  Herzog  Julius  folgendes  Schreiben : 

Wilhelm  von  Hessen  an  Herzog  Julius  von 
Braunschweig  1682,  Juli  21. 

Was  dann  nun  den  mitt  Zieffern  geschriebenen  Brie  ff  betrifft,  da  wir 
gewiss  gewust,  das  es  anders  nichts  als  Buhlscbafftt  angetroffen,  wolten  wir 
den  armen,  jnngen  Tropfen,  welcher  ardentibus  teils  Cupidinis  so  hartt  ge- 
schossen, bey  E.  L.  nitt  haben  angeben.  Bitten  derowegen  freundlich,  £.  L. 
wolten  uns  zu  freundlichem  Gefallen  nihil  sererhis  jegen  ihnen  statuiren  in 
Betrachtung,  das  sie  vor  Zeyten  in  seinem  Alter  auch  schöne  Lentt  lieb  ge- 
uabett.  Sondern  dieweill  sie  ans  seinem  Brieffe  sehen,  das  ehr  selbst  ein 
Absehe w  hatt,  dermassen  in  der  Unehe  zu  leben  und  Qott  bittet,  dass  er  ihm 
herrausser  helfen  wolle,  E.  L.  wollen  nit  sein  strenger  Richter,  sondern  beyd 
seines  leibs  und  Seelen  Arztt  sein  undtt  etwo  mitt  ihrer  Cammer  Megd  oder 
sonst  einem  redlichen  Medlein  versorgen.  So  wird  ehr  erst  entfinden ,  was 
vor  ein  differentz  zwischen  ehelicher  und  solcher  Liebe  sei  undtt  solch  berie- 
fe ium  hoch  halten  undtt  mitt  allen  Treuwen  umb  E.  L.  desto  mehr  in  aller 
Underthenigkeit  zu  verdienen  sich  befleissen,  dieweil  sie  ihn  aus  dem  Cr 
chaldaeorum  geholffen  haben. 

Sonstett  halten  wir  darvon,  das  man  dit  Sach  umb  beyderseitts  ehrlicher 
Freundschafft  willen  soviel  möglich  supprimiere,  damitt  nit  ettwo  daraus  Mordtt 
uund  Jammer  entsteht. 

Ein  ärgerer  Possen  konnte  dem  armen  Jungen  kaum  gespielt 
werden,  als  es  mit  diesem  Vorschlage  geschah.  Sichtlich  hatte  die 
treue  Liebe  desselben  und  sein  sehnsüchtiges  Verlangen,  endlich  in 
geordnete  Zustände  zu  kommen,  den  Landgrafen  gerührt,  aber  ein 
Bürgerlicher  und  Eine  vom  Adel,  das  ging  nicht,  mochte  das  Ver- 
hältnis auch  noch  so  weit  gediehen  sein.  Auf  die  Geliebte  seines 
Herzens  sollte  er  Verzicht  thun  und  sich  an  irgend  einem  hübschen 
Kammerkätzchen  schadlos  halten. 

Was  der  Amtsschreiber  auf  solches  Ansinnen  erwidert,   darüber 

*)  In  der  Übertragung  steht  uterwaltes  Harteken. 
2)  Fehlt. 
8)  Fehlt. 


78 

fand  ich  leider  nichts  berichtet.  Der  Phantasie  des  Lesers  bleibe  es 
überlassen,  sich  auszumalen,  wie  er  demselben  in  Treue  widerstanden 
und  durch  diese  Standhaftigkeit  und  etwa  die  Fürsprache  der  Herzogin 
Hedwig,  Herzog  Julius'  Ehegemahl,  die  Vereinigung  mit  der  Heiss- 
geliebten  dennoch  erreicht  habe.  Hoffen  wir,  dass  ihnen  diese  Ver- 
einigung zu  einer  Zeit  gelungen  ist,  da  sie  „noch  der  Jugend  hatten 
und  sich  der  Welt  eine  Zeitlang  zu  gebrauchen"  in  der  Lage  waren. 

DÜSSELDORF.  W.  Ribbeck. 


Zu  Pseudo-Gerhard  von  Minden. 

Fab.  XXm,  31  f.: 

Darna  begunde  an  tornen  dagen 
De  kontiink  dtn  sulven  lowen  jagen  . 

Was  heisst  an  tornen  dagen?  Die  Stelle  ist  bereits  von  verschiedenen  Seiten 
erörtert  worden,  obne  dass  bisher  eine  wirklich  befriedigende  Erklärung  vorge- 
schlagen wäre.  Das  mndd.  Wb.  IV,  580  b  führt  torn  als  Adjectiv  zweifelnd  an 
nnd  belegt  es  nur  dnrch  obige  Stelle.  Im  A.  f.  d.  A.  V,  243  erklärt  Strauch  da* 
Wort  torn  für  dunkel.  Seine  Vermutung,  dass  in  an  tornen  das  hd.  untorn, 
nd.  undorn  stecken  könne,  ist  abzuweisen,  richtig  dagegen  erkannte  er,  dass  es 
sich  nm  eine  Zeitbestimmung  handle.  Ebensowenig  einleuchtend  ist  Sprenger* 
Vorschlag  (Progr.  Northeim.  1879  S.  ö),  nemlich  entweder  tornen  als  Contraction 
von  tovernen  zu  fassen  oder  zu  lesen  darna  begunde  an  tovernen  dagen. 
Geleitet  von  der  Annahme,  dass  in  tornen  wahrscheinlich  eine  Verderbnis 
vorliege  für  ein  ähnliches,  eine  Zeitbestimmung  enthaltendes  Adjectivum,  da^ 
wir  etwa  zu  erwarten  haben  'bald  darauf  oder  'wenige  Tage  nachher',  ergab 
sich  mir  als  die  nächstliegende  Besserung  corten.  Man  würde  anstatt  an  besser 
na  setzen  und  demzufolge  lesen : 

Darna  begunde  na  körten  dagen 
De  konnink  den  sulven  lowen  jagen  . 

für  diese  Vermutung  spricht  Fab.  XVI,  27—28 

Darna  sint  na  unmennigen  dagen 
Begunde  des  landes  here  jagen  . 

Kort  in  der  Bedeutung  von  Wenig  bei  Zeitangaben  belegt  das  Mndd.  Wb.  II,  541  a. 
20  ff.  binnen  corten  jaren.  etc.  Im  MHD.  Wb.  I,  917  a,  22  ff  finden  sich  Be- 
lege für  bi,  in,  xe,  kurzen  tagen.  Vgl.  auch  Karlmeinet  4,  40.  Hölscher,  Lieder 
S.  61,  10. 

CAMBRIDGE.  Karl  Breul. 


w 


Zum  Sündenfall. 


Sprenger  hat  bereits  im  Nd.  Jahrbuch  XIV,  S.  148  ff.  eine  An- 
zahl Stellen  im  Sündenfall  behandelt,  und  zwar  ganz  in  dem  Sinne, 
wie  ich  sie  zu  behandeln  gedachte.  Bei  einigen  bin  ich  jedoch  ab- 
weichender Ansicht,  andere  sind  unbesprochen  geblieben. 

V.  169.     Alles  dinges  will  ek  wol  erwerven, 
Nei?i  dink  kan  me  vor  my  sparen. 

Sprenger  liest:  Alles  dinges  bi?i  ek  wol  vorvaren.  ' Jedes  Dinges  bin  ich 
kundig.'  Wenn  dies  richtig  wäre,  so  würden  die  V.  165 — 170,  die  inhaltlich 
zusammen  gehören,  nichts  anderes  besagen  als  die  V.  171 — 175,  deren  Qedanke 
ist :  vor  my  en  kan  nein  dink  verborgen  wesen.  Wenn  hier  Gottes  Allwissenheit 
hervorgehoben  wird,  so  soll  meines  Erachtens  in  V.  169/70  Gottes  Allmacht  betont 
werden,  dazu  passt  aber  Sprengers  Verbesserung  nicht. 

204.     Och  wan  se  it  alle  recht  vorstoiden, 
Wu  lefliken  my  se  broiden. 

Zunächst  ist  hinter  vorstoiden  ein  Komma  zu  setzen.  Weder  Schönemanns 
Erklärung  'hüten'  noch  die  des  mnd.  Wtb.  'mit  Brod  versehen'  noch  die  Spren- 
gers 'behüten'  treffen  das  richtige,  broiden  steht  mit  Umlaut  für  broden^=  brüten, 
erwärmen,  hegen  und  pflegen,  fovere.  Ich  übersetze:  'Ach  wenn  sie  es  alle 
recht  wüssten,  mit  welcher  Liebe  wir  sie  hegen.'  broiden  \%t  keineswegs  zu 
streichen. 

267.     Van  der  wegen  lide  gy  mine  klage» 

Statt  mine  ist  neine  zu  lesen,   wie  das  folgende  sunder  deutlich  anzeigt. 

359.     Des  meine  ik,  de  si  hir  medef 
De  sinen  munt  nu  uppen  dedey 
Dussen  danken  my  to  berovende, 
Derjennen  de  my  plegen  to  lovende. 

In  V.  360  möchte  ich  up  en  dede  lesen.  V.  361  ist  dussen  danken  (hdsch. 
denken)  kaum  zu  halten,  sollte  nicht  dussen  dank  zu  lesen  sein?  en  könnte 
aus  V.  360  herübergenommen  sein.  Am  Ende  v.  V.  361  ist  das  Komma  zu 
streichen. 

502  lese  ich: 

Minen  stol  wil  ek  my  nemen, 

Bi  gode  setten,  dat  mach  my  lernen. 

509.     War  en  werstu  ersten  scon  unde  klar  ! 

Stat  war  lese  ich  wat:  'Was  warst  du  vorher  nicht  schön  und  klar*. 

Nach  V.  542  scheint  etwas  zu  fehlen,  wie  der  Reim  andeutet,  vielleicht 
nur  ein  einziger  Vers,  der  etwa  so  gelautet  haben  wird:  men  se  heft  om  nicht 
genoiget. 


HO 

665.     De  scult  en  is  nu  nicht  allene. 
Statt  nu  ist  wohl  myn  zu  lesen. 

670.     Unde  wy  hadden  edle,  grole  ere. 

In  der  Hds.  fehlt  wy ,  es  ist  wegzulassen,  s.  Seelmann  z.  Gerhard  v. 
Minden  S.  166/67.     Ebenso  ist  ik  V.  1323,  he  V.  2233  zu  streichen. 

691  ist  zu  interpungieren  : 

Heddet  juwe  gude  wille  nicht  gewest, 
Qy  hedden  mit  my  dat  erlike  nest 
Verscheten, 

695.     Dar  umme  mote  wy  scaden  unde  vromen, 
To  hope  stan  an  einem  hope. 

Sind  scaden  und  vromen  Infinitive  oder  Substantive?  Fasst  man  sie  als 
Inf.,  so  lässt  sich  stan  nicht  gut  konstruieren;  sie  als  Snbst.  von  stan  abhängig 
zu  machen,  wie  ähnlich  erentur  stan  gesagt  wird,  erscheint  unzulässig.  Unwill- 
kürlich wird  man  an  die  formelhafte  Wendung  erinnert:  it  si  schade  efte  vrome. 
(R.  V.  923),  die  ich  hier  in  etwas  veränderter  Gestalt  wiederzufinden  glaube. 
Ich  setze  daher  hinter  wy  ein  Komma. 

738  ff.  lese  ich  folgendermassen : 

De  sint  nu  so  vormeten  unde  steil, 
Dat  se  mit  iuk  nu  neinen  deil 
Mögen  hebben  edder  krigen. 

In  739  scheint  hebben  aus  V.  740  irrtümlich  herübergenommen  zu  sein. 

785  scheint  gelesen  werden  zu  müssen : 

Uppe  dat  iuk  vorder  kundich  werde  (:  erde) 
De  underscedinge  unser  seippinge, 

809  lies  Dem  sin  gelik  statt  de  sin  gelik. 

824.     Icht  dat  flesk  en  soden  wolde, 
Dat  der  sele  wat  anne  scolde. 

In  anne  scheint  ein  Fehler  zu  stecken,  ich  möchte  statt  dessen  anden 
lesen  =  'schmerzen'.  Vergl.  mnd.  Wtb.  VI  p.  16,  ande  -■=  'Kränkung1 ;  mhd.  andt 
=  'schmerzlich1  und  mich  andet  =  'mich  kränkt,  schmerzt'.  Mhd.  Wtb.  I  34  und 
35.  Gr.  Wtb.  I,  s.  v.  ahnden:  lasset  euch  mein  red  nicht  anden.  Fastn.  337.7 
bedeutet  'nicht  leid  sein,  nicht  verdriessen'.  Sollte  anne  vielleicht  =  anne  und 
dieses  die  assimilierte  volkstümliche  Form  für  anden  sein? 

885.     Ek  wil  dy  aller  vruchte  macht  geven, 
De  de  sint  in  äussern  paradise ; 
Aver  allevie  van  äussern  rise 
Scaltu  nicht  breken  edder  eten  ; 
Deistu  daty  so  scaltu  wetten  : 
In  welker  stunde  du  dal  bedenkest, 
Des  ewigen  dodes  du  denne  stervest. 

Über  bedervest  in  V.  890  finde  ich  nirgends  etwas.  Dass  es  nicht  von 
bederven  'bedürfen,  nötig  haben1  herkommen  kann,  scheint  unzweifelhaft.  Dat 
in  890  ist  das  Verbot,  von  dem  Baume  zu  essen ;   bederven  wird   im  Sinne    von 


81 

uerderven  =  'zu  Grunde  richten,  verletzen*  gebraucht  sein.  Vergl.  V.  3649 :  In 
welker  stunde  werde  gebroken  Juwe  bot  in  dem  paradise.  Das  mnd.  Wtb.  kennt 
nur  bederven  'berauben,  plündern'.     Vergl.  Gr.  Wtb.  s.  v.  bederben. 

982  ist  das  Fragezeichen  durch  einen  Punkt  zu  ersetzen. 

984.     Wente  he  hefl  en  on  hir  umme  vorboden, 

Ete  gy  hir  van,  so  werde  gy  gelik  den  goden. 
In  V.  984  ist  entweder  en  zu  streichen   oder   es  ist  für  iu  verschrieben. 

990.     Ach,  dusse  appel  is  so  sote! 
Adam,  dat  is  alto  hote. 
Hir  uinnie  so  nüm  unde  smeeke, 
Uppe  dattu  nicht  menest,  dat  ik  dy  gecke. 
Schönemann  erklärt   to  hote  sin  'zur  Vorsicht  dienen',  das  mnd.  Wtb.  ?iöt 
als  'heiss'.     Letzteres  ist  offenbar  verfehlt.     Das   erstere    könnte  vielleicht  einen 
Sinn  geben,  wenn  man  übersetzt:  Adam,  das  dient  alles  zur  Vorsicht  (sei.  damit 
wir  nicht  davon  essen  sollen,  vergl.  V.  984).     Da  hier   aber  von  der  Süssigkeit 
des  Apfels  die  Rede  ist  und  Eva  dieselbe  so  rühmt,  dass  sie  fürchtet,  ihr  Mann 
konnte  meinen,  sie  wolle  ihn  zum  Narren  haben,  so  vermute  ich,   dass  zu  lesen 
ist,  dat  is  alse  hotte  =  'Das  ist  (schmeckt)  wie  (süsse)  Milch'.    S.  mnd.  Wtb.  s.  v. 
hotte,  sapa,  hotte,  smant,  vlod.     Vergl.   heutige  Wendungen  wie:   dat  sclimeckt 
w7  ßot. 

1157  ff.  sind  zu  interpungieren: 

We  ein  dink  to  vorne  bedeckte, 
Wu  it  na  körnen  möcfäe, 
So  hedde  it  wol  na  gebleven, 
Dar  umme  wy  sint  also  vordreven. 

1171.  Wy  hauwen  hen  in  godes  namen. 
Statt  liauwen  schreibt  Spr.  tliauwen  'eilen'.  Adam  sagt  1163:  Wir  wollen 
ein  Handwerk  beginnen,  ich  will  hacken,  du  sollst  spinnen.  Eva  erwiedert: 
Lieber  Adam,  ich  will  stets  bei  dir  bleiben,  es  gehe  uns  wie  es  gehe.  Unser 
eins  verlässt  den  andern  nicht.  Wir  fangen  an  in  Gottes  Namen.  Noch  heute 
wird  fienhauen  in  dieser  Bedeutung  gebraucht. 

1339.     Ach  leve  vader,  mek  is  nicht  lede. 
Ik  bin  beret  nacht  unde  dach, 
Unde  don  umme  dy,  wat  ik  vormach. 
Hier  steht  don  für  ik  do,  ebenso  V.  3345  ik  bewenen. 

1420.     Dat  ik  den  rechten  weg  möge  keinen. 
Das  hdsch.  dar  statt  dat  ist  beizubehalten. 
1449  ist  statt  in  stunden  besser  in  den  stunden  zu  lesen. 

1456.     Hör  seth  wat  dat  kleine  kind  mende, 

Dat  dar  uppe  detns  bome  sat  unde  wende, 
De  da  vordroget  stot. 
Statt   vordroget  .hat  die  Hds.  vor  droge  und   dies   ist   das   richtige.     Der 
Baum  ist  nicht  vertrocknet,  er  sieht  nur  aus  wie  trocken. 

1497  und  1498  möchte  ich  folgendermassen  lesen: 
Se  ok,  dattu  nicht  en  vorgetest, 
Wan  du  on  leggest  in  dat  graf: 

Niederdeutsche«  Jahrbuch.    XV.  6 


82 

1546.     Dat  ander  dat  ik  mene, 

Hetet  geon  unde  en  is  nicht  kleine, 
Unde  vlut  in  ethiopien, 
Nar  de  smarten  luden  hen. 

Statt  nar  hat  die  Hds.  dar,  das  wohl  für  dar  verschrieben  ist 

1551.     Unde  lopt  in  laut  van  asia. 

Statt  in  laut  ist  wohl  in  dat  land  zu  lesen. 

1628.     Wu  wy  möge  wegen  werden  verlost  ist  wegen  zu  streichen. 

1665.     Ik  bidde,  dat  gy  nicht  to  endecken, 

Ik  en  mote  minen  vader  sulven  strecken. 

Spr.  will  lesen:  ik  bidde,  dat  gy  nicht  to  en  decken.  Dies  ist  nicht 
richtig,  es  muss  vielmehr  en  aus  V.  1666  in  V.  1665  gesetzt  werden:  ik  bidde. 
dat  gy  en  nicht  to  endecken. 

1785.     Statt  Boven  dattu  bist  also  bereit 

Unde  betauest  uns  dine  Barmher  ti^lxeit. 

lese  ich  Boben  dat  bistu  also  bereit. 

1796  ff.  lese  ich:   Ik  mene,  dat  he  si  angekomen, 
De  rechte  girige  dwas, 
In  dem  water  war  up  en  as. 

ankörnen  up  fehlt  im  mnd.  Wtb. 

1811.    Ek  wü  mine  arme  hen  utstrecken, 

De  duven  hir  wedder  in  hen  trecken. 

Statt  in  hen  ist  wohl  Jien  intrecken  zu  lesen. 

1822  lies:  De  duve  kumpt  nu  mit  einem  gronen  twige. 

2098.     Unde  hope  dat  my  des  nement  vorkere 

ist  dat,  welches  in  der  Hds.  fehlt,  zu  streichen. 

2437  lies :     Or  kint  dat  sterf  in  einer  nacht, 
Dat  lieft  se  an  min  bedde  gebracht. 

2752  ff.  müssen  folgendermaßen  interpungiert  werden: 
Irluchtede  forste,  bedenket  juwe  gesie, 
De  gy  so  befliken  liebben  geladen, 
Vordert  se  unde  helpet  on  draden, 
Ik  merke,  se  hebbm  bedreplik  werf. 
Wente  dar  an  licht  dig  unde  rorderf 
Nicht  einerleie  allene, 
Sünder  aller  werlt  gemeine. 

eiiierleie  =  eines  (einzigen  Menschen)  allein,  abh.  von  dig  rorderf.     Dar 
an,  d.  i.  an  der  baldigen  Hilfe. 

2787.     Wy  hopen,  he  wüte  nicht  loten 

Baden,  wat  dem  mynscldiken  sleclüe  möge  baten. 
Es  kann  nicht  heissen:   'er  wolle  raten  lassen',   da  er   (der  König)    selbst 
Rat  erteilt,   sondern   'er  wolle  nicht  unterlassen  zu  raten1,     taten   mit  dem  Inf. 
in  dieser  Bedeutung  fehlt  im  mnd.  Wtb. 


83 

2801.     Frunde,  nu  sint  wy  hir  gesamet 

Und  hebbet  hir  eines  dages  beramet, 
Dat  gy  wisheit  mögen  beten 
Unde  alle  tit  dat  beste  vorkeren. 

Statt  beren  in  V.  2803  ist  wohl  leren  zu  lesen,  vergl.  V.  2806. 

2988.     Dut  jammer!    dat  kindelin  &in. 

Statt  dut  jammer,  wofür  Spr.  mit  jammer  vermutet,  Hesse  sich  vielleicht 
dut  scJial  vor  war  einsetzen. 

3114.     Oristus  de  schal  werden  geborn 

To  Betlehem,  alse  ik  hebbe  gelwrn. 

Das  Ptc.  geJiorn  ist  auffällig.  Wenn  es  sicher  wäre,  dass  der  Reim  im  Sün- 
den fall  stets  richtige  Formen  hüte,  so  hätten  wir  hier  ein  Beispiel,  dass  es 
auch  ein  st.  v.  Iioren  gab,  wie  ich  es  ans  dem  hentigen  Iinperf.  hör  in  der 
Kattenstedter  Mundart  folgern  zu  können  meinte,  s.  Germania  XXXIII,  p.  437  ff. 

3520  ff.  sind  folgendermaßen  zn  ändern: 

Du  machst  wandelen  mine  seliemende, 
De  ik  liebbe  geleden  twar 
Van  ruben  in  dem  tempel,  dar 
Wy  stunden  to  dem  fesldage. 
Here,  vor  war  ik  vorder  sage: 

3654.     Her  Vader,  warwordieh  schulte  gy  wesen, 
Unde  tatet  den  mynsclien  nicht  genesen, 
Dat  lie  so  vramede  bede  genete. 

Spr.  übersetzt  V.  3656 :  'so  dass  er  den  Vorteil  von  so  befremdlicher  Bitte 
hat.1  rrcmrede  bede  ist  aber  keine  'befremdliche  Bitte1,  sondern  eine  'fremde,  die 
Bitte  eines  anderen1.  V.  3615  ff.  erbietet  sich  Michael  dem  David  zu  dienen, 
er  bittet  für  ihn  bei  Gott,  und  Gott  gewährt  die  Bitte  des  David  um  Michaels 
willen,  V.  3629: 

Michahel,  du  scalt  des  wesen  mechtich, 

Nu  du  mede  biddest  also. 

3709  ff.  sind  folgendermassen  zu  interpungieren : 

Wente  dat  ik  hebbe  gesproken, 
Dat  schal  bliven  unvorbroken 
Michahele  und  davite. 
Des  will  ik  hebben  neine  wite. 

3829.     Am  sit  wilkomen,  min  lern  trat, 
Joachim,  gy  selten  my  lange  ut. 

Über  die  Bedeutung  von  utsetten  habe  ich  nichts  finden  können.  V.  3507 
ff.  wird  berichtet,  dass  Joachim  voll  Verdruss  Über  den  ihm  gewordenen  Hohn 
von  seiner  Frau  Abschied  nimmt  und  wieder  zu  seinen  Schafen  geht.  Erst  jetzt 
kehrt  er  wieder  zu  ihr  zurück,  utsetten  ist  daher  'sich  nicht  bekümmern  um 
etwas,  vernachlässigen1,  hier  wohl  zugleich  mit  Bezug  auf  den  Geschlechtsverkehr. 

3868.     Ik  weil,  dine  gotliken  kraft 

Alle  dink  van  nichte  ließ  up gebracht, 
Unde  dat  Jie  van  fliehte  ließ  geformeret. 
In  gotliker  wisheit  he  dat  regereL 

6* 


84 

in  V.  3870  ist  statt  des  Punktes  ein  Koroma  zu  setzen.  Statt  dine  in 
V.  3868  ist  sine  zu  lesen,  David  redet  mit  Michael,  vergl.  V.  3874. 

Zum  Wörterbuche  bemerke  ich  noch:  Ebenso  wenig  wie  broiden  sind 
houde  und  moxul  zu  streichen.  Dass  hier  ein  Schreibfehler  vorliege,  ist  leicht 
gesagt  aber  nicht  erwiesen,  und  an  sich  schon  unwahrscheinlich.  Im  Korrespon- 
denzblatt f.  nd.  Sprachf.  IX,  p.  91  habe  ich  schon  die  Vermutung  ausgesprochen, 
dass  ou  for  6  stände,  wie  heute  maud  für  möd  auch  in  der  Gegend  um  Ein- 
beck, also  in  der  Heimat  des  Dichters  des  Sündenfalles  gesprochen  wird.  Dass  dieses 
ou  schon  in  so  früher  Zeit  vorhanden  war,  unterliegt  für  mich  keinem  Zweifel 
Hierüber  verweise  ich  auf  meinen  Aufsatz  über  die  Sprache  der  Urkunden  von 
Ilsenburg  und  Halberstadt,  der  in  der  Germania  erscheint.  Die  Formen  moud 
und  houde  gehören  dem  Volksmunde  an,  gerade  so  wie  keie,  freue,  ioh  für  juk 
V.  3937.  Aus  iok  ist  das  heutige  jök  entstanden.  Der  Sündenfall  bietet  manches 
Mundartliche,  worauf  bis  jetzt  noch  wenig  hingewiesen  ist,  der  Dichter  hat 
offenbar  Rücksicht  auf  das  Publikum  genommen. 

BLANKENBURG  a.  IL  Ed.  Damköhler. 


Zu  Johann  Laurembergs  Scherz- 
gedichten. 

Trotz  der  Verdienste,  welche  sich  nach  Lappenbergs  Ausgabe  E. 
Müller  und  Fr.  Latendorf,  W.  Braune  und  zuletzt  Gering  um  die  Er- 
klärung der  Scherzgedichte  erworben  haben,  scheint  noch  manche  Stelle 
nicht  genügend  erklärt  zu  sein.  Nachdem  neuerdings  die  gleichzeitige 
dänische  Übersetzung  durch  Dr.  J.  Paludan  (Kjobenhavn,  Thieles  Bog- 
trykkeri)  herausgegeben  worden  ist,  wurde  die  Möglichkeit  geboten, 
sie  bequem  mit  dem  Original  zu  vergleichen.  Wie  zu  erwarten,  er- 
gab die  Vergleichung  sowohl  direkt  manchen  Beitrag  zur  Erklärung, 
wie  sie  anderseits  zu  erneuerter  Betrachtung  mancher  Stelle  anregte. 
Was  sich  mir  bei  dieser  Arbeit  ergeben,  teile  ich  hierunter  mit. 

Zum  ersten  Scherzgedicht. 

V.  19.     in  einem  Becher,  Druckfehler  für  einen;  dän. :  udi  eti  anden  Bagger, 

82.  Den  Namen  des  Schosshundes:  SwaenJce  mit  dem  ostfriesischen 
Frauennamen  Swaneke,  der  auch  in  den  Formen  Swan,  Sivane,  Swarüce,  Swantjt 
vorkommt,  zusammenzustellen,  scheint  mir  nicht  passend,  ich  stelle  ihn  vielmehr 
zum  mnd.  adj.  swank,  leicht,  hurtig,  beweglich,  swanke  als  adj.  und  adv.  er- 
scheint noch  heute  im  Westphälischen ;  vergl.  Woeste  S.  264,  swank  'elastisch 
auch  bei  Schambach.  In  Quedlinburg  fand  sich  der  Familienname  Schwenkt* 
einer  aus  Holstein  stammenden  Familie.  Die  Originalausgabe  hat  ein  Sw.  st. 
min  Sw.  was  auch  in  den  folgenden  Ausgaben  bis  1670  (bei  Braune)  wiederge- 
geben ist.     Nachdem  neuerdings  ein  als  Demonstrativpronomen  nachgewiesen  ist. 


85 

braucheil  wir  an  der  Richtigkeit   desselben   nicht  zu   zweifeln.     Die  dän.  Über- 
setzung hat:  Fy  det  haffvcr  Bijncke  giori. 

159.  lüsken  speter.  Die  dän.  Übersetzung  hat,  entsprechend  Dedekinds 
Läuseknikker :  Luuseknceker. 

161.  Snappenfötel.  Auch  ich  halte  diese  Lesart  für  die  richtige,  erkläre 
es  aber  nicht  als  scherzhaftes  compositum  sondern  als  Zusammensetzung  aus  den 
Subst.  snap  und  thtel  (s.  Braunes  Bern.).  Zu  ersterem  vergleiche  ich  dän.  Snavs 
'ünflath'.     Die  Übers,  hat  hlat. 

166.     Pinekepanck  findet  sich  noch  hier  als  Familienname  eines  Schmiedes. 

168.     Dat  du  dem  Duvcl  bist  gelopen  ut  der  bleke. 

Dass  wirklich  'Bleiche1  gemeint  ist,  geht  aus  V.  453  und  485  der  Schau- 
spiele des  Herzogs  Heinrich  Jul.  von  Braunschweig  hervor,  wo  von  einem  Mohren 
und  einem  Köhler  gesagt  wird:  Ohy  sihet  ut,  als  wann  ghy  dem  duifel  wert 
ath  der  bleike  entlopen.  Die  dän.  Übersetzung  hat:  At  du  fra  IMflveds  lld 
er  kommen  ud  for  sande. 

203.     Dat  geit  so  rundt  herbm,  geliek  als  in  den  Schrencken 
Wen  nichtes  nies  mehr  de  Ehrgitz  kan  erdencken. 
Fangt  he  van  vbren  an:  glyk  als  ein  welig  Peert, 
Dat  in  den  widen  Kreis  sich  kunstlik  tummeln  lehrt 

Braune  erklärt  im  Glossar:  Schranck  m.  ?  I,  203  (mnd.  schrank  n.) 
Schranke,  Gitter,  Verschluss,  hier  wohl  von  einer  umhegten  Beitbahn.'  Da  das 
Gleichnis  vom  Pferde  in  der  Reitbahn  in  den  vorhergehenden  Versen  ausgeführt 
wird,  so  halte  ich  diese  Erklärung  nicht  für  stichhaltig.  Der  dänische  Über- 
setzer gibt  den  Vers  folgendennassen  wieder: 

Det  gaar  saa  rundt  omkring,  som  glas  paa  lystig  Baencke  'Som  Glas 
(Skaaler  ved  et  Gilde)1  erklärt  der  Herausgeber.  Der  Däne  hat  also  Schrencken 
=  mnd.  schrangen,  später  auch  in  der  Form  schranken  'Tische  oder  Bänke, 
um  etwas  zum  öffentlichen  Verkauf  darauf  zu  legen/  gefasst.  Ich  glaube,  dass 
er  als  pl.  von  schrank  in  der  Bedeutung:  vergitterter  Raum  im  Wirtshause  zu 
fassen  ist,  wie  sie  noch  jetzt  entsprechend  dem  süddeutschen  'Herrenstüble',  in 
Norddeutschland  sich  finden.  Der  Übersetzer  hätte  also  den  Sinn  der  Stelle  richtig 
gefasst. 

203.  mit  solken  leckerbeten.  Das  auffällige  mit  wird  bestätigt  durch  die 
dänische  Übersetzung:  ved  saadan  lsecker  Bidsken. 

849.  Pekelmütz.  Man  denkt  bei  diesem  Worte  zunächst  an  das  hochd. 
Pielcelhaube  (s.  Weigand  II,  349),  das  auch  im  mnd.  als  pekelhuve  (Seh.  L.  III, 
314)  sich  findet,  und  wirklich  hat  der  dän.  Übersetzer  es  auch  so  verstanden; 
er  setzt  dafür  {Pickelhu\  Schon  Braune  (s.  Glossar  seiner  Ausg.  S.  106)  hat 
jedoch  mit  Recht  von  dieser  Erklärung  abgesehen.  Wenn  er  aber  den  ersten 
Teil  als  mnd.  pekel  f.  =  „Salzbrühe  zum  Einmachen  des  Fleisches"  fasst,  so 
spricht  gegen  diese  Erklärung  schon  der  Umstand,  dass  sich  im  nd.  Pefc&eZ-Mütze 
belegen  lässt.  Auf  das  Vorkommen  desselben  wurde  ich  zuerst  aufmerksam  durch 
»ine  Bemerkung  in  Schmeller-Frommanns  bair.  Wörterbuche,  I,  202.  Das  von 
hm  citierte  Dönekenbok  ist,  wie  mir  Dr.  Ernst  Jeep  freundlich  nachweist,  eine 
Sammlung  niederdeutscher  Schwanke,  zusammengestellt  von  Karl  Friedr.  Arend 
Scheller,  Hamburg  1829  (vergl.  Goedeke,  Grdriss  III,  2.  Abth.  1881,  S.  771). 
Die   Stelle  lautet: 

Wat  is  dat?     „To  R  .  .  .  m   im   förstendöm   H  .  .  .  d  let  de   parner  in 


86 

der  kinderlere  de  tein  bode  na  der  rege  hersäggen,  an  kwam  darby  an  enen 
lütjen,  de  hadde  sine  hände  fölt  over  de  mütse,  de  tohopeknäperd  was.  Do  de 
junge  avhalven  kek,  so  fatete  de  pape  ön  up  de  hände  an  frög:  Wat  is  dat? 
—  De  jange  vorferde  sik  igteswat,  an  stötterde:  „Og,  og!  dat  is  mynen  fader 
syn  dips,  ek  kon  minen  pekkel  nig  finden!"  Der  ebendort  gefundene  Verweis 
auf  Firmenich,  (Germaniens  Völkerstimmen)  I,  176,  58,  wo  aus  dem  Braun- 
schweigischen  angeführt  wird :  „  Toog  fam  Koppe  den  Pekkelu  veranlasste  mich, 
dort  nachzuforschen,  ob  das  Wort  noch  erhalten  ist.  Meine  Anfragen  führten  zu 
keinem  Ergebnis;  das  Wort  scheint  nicht  mehr  zu  leben.  Dagegen  kennt  noch 
die  Groningensche  Mundart  (vgl.  Molema,  Wörterbuch  d.  Gr.  Mundart.  Wörter- 
bücher des  Vereins  f.  nd.  Spr.  III,  313)  den  Pelcel  in  dieser  Bedeutung.  Was 
die  Erklärung  des  Wortes  anbelangt,  so  weiss  ich  nicht,  wie  Schmeller  dazu 
kommt,  den  niederdeutschen  Pekkel  (Pekel)  als  lederne  Haube  zu  erklären; 
aus  den  von  ihm  citierten  Stellen  geht  sie  jedenfalls  nicht  hervor.  Natürlicher 
als  an  Pekel  'Salzbrühe1  zu  denken,  schien  es  mir  früher  den  ersten  Teil  ans 
Peck,  'Pech1  (mnd.  pek.  Sch.-L.  III,  313)  zp  erklären  (wo  denn  el  die  bekannte 
mnd.  Bildungssilbe  wäre),  um  so  mehr,  da  man  noch  jetzt  von  pekigen  (klebrig- 
schmutzigen) Kleidungsstücken  spricht.  Da  derselbe  aber  jetzt  als  selbständiges 
Wort  nachgewiesen  ist,  so  sehe  ich  von  dieser  Erklärung  ab.  Noch  erwähnen 
will  ich,  dass  Stürenburg  (Ostfr.  Wb.  S.  176)  das  ostfriesische  Pikkkappc  svon 
der  spitzigen,  pikförmigen  Gestalt  oder  von  einem  Pech-  oder  pechähnlich  glän- 
zenden Anstrich"  erklären  will. 

383.     Hed  ick  dal  nicht  gedahn,  ick  Jtedd  oftnwhh  gebregen 
Hurllputxen,  ock  wol  offt  must  kamen  vhr  den  Degen. 

Hurrlputzm,  welches  im  Niederd.  sonst  nicht  belegt  ist,  will  Braune 
durch  Schelte  erklären.  Gemeint  ist  wohl  Wortstreit,  der  zum  Duell  führt.  Der 
dän.  Übers,  gibt  die  Verse  wieder: 

Haffd'  jeg  det  icke  giort,  da  haffd'  jeg  maat  om springe 
For  Nseffve  Pust,  ja  tjt  vel  m0det  for  en  Klinge; 

Zum  zweiten  Scherzgedicht. 

125.     Damit  de  idt  en  nicht  wolden  to  glhven, 

De  kondcti  idt  sfilven  sehn,  fhlüen  und  prbven. 

Braune  vermutet,  dass  to  Druckfehler  für  so  sei  und  übersetzt:  'Die  es 
nicht  so  schon  glauben  wollten1.  Das  to  wird  jedoch  geschützt  durch  Ver- 
gleichung  von  J.  Strickers  Düdeschem  Schlömer  V.  1145  Dat  scJial  men  juw  flu» 
glhven  so;  vgl.  auch  mnd.  to-lovcn%  zuglauben,  zutrauen  (Mnd.  Wb.  IV,  572). 

171.     Du  deist  schyr  alse  uns  vorteUde  Leenke  Bökeln  .  . 

Wenn  Dedekind  bemerkt:  „Lene  Beukeln  ist  ein  Weibes  Nähme  auf 
Kopenhagensch  gebräuchliches  Deutsch" ,  so  ist  dies  offenbar  eine  leere  Ver- 
mutung, denn  die  dänische  Übersetzung  hat  nur:  Du  beer  dig  saadan  ad,  som 
Leene  siger  mig.  Bökel  ist  übrigens  ein  in  Quedlinburg  vorkommender  Per- 
sonenname. 

219.  bedden.  Auch  ich  kann  nicht  umhin,  mit  Müller  diese  „willkürlich 
combinirte  Infinitivform  für  einen  Druckfehler  der  Originalausgabe  zu  erklären. 
Auf  Bedde  lässt  auch  die  dän.  Übersetzung  V.  215  schliessen:  Fraier  Vict  sig 
hos  hende  lagde  ?iced. 

273.     Ick  weet  idt  s&lvest  wol,  dat  sick  dat  nicht  beb^hret. 


87 

So  ausser  dem  Orig.  auch  Braunes  a  und  [i  Von  den  Herausgebern  ist 
aber  bcbbhret  nach  den  späteren  Ausgaben  in  gebühret  geändert  worden.  Ich 
glaube  mit  Unrecht!  Lauremb.  lag  wohl  zunächst  die  dänische  Redensart  det 
her  sig  „es  gebührt  sich,  gehört  sich"  im  Sinne,  (vgl.  die  dän.  Übers.  V.  265). 
Aus  dän.  sig  b&r  bildet  er  nun  ein  Compositum  sich  bebhhren,  ebenso,  wie  er 
aus  dän.  locke  ein  Compos.  belocken  bildet;  vgl.  zu  V.  751. 

348.  beskemen,  'täuschen,  betrügen.1  Die  Übersetzung  hat  (V.  340) 
bedrage. 

395.     Einsmalt  ward  he  gewahr  dat  Volck  in  groter  mengen, 
De  segen  tho  wo  nun  wold  einen  Deeff  uphengen 

segen  tho  'strömten  dahin',  vgl.  mhd.  zuo-sigen  'gleichsam  strömend  sich 
bewegen  von  grossen  Volksmengen'  Lexer  II,  917,  Mhd.  Wb.  II',  266  a.  Die 
Übersetzung  hat: 

Som  band  en  gang  bleef  wat  at  Folck  i  stsere  msnge 
Leb  hen  at  vilde  see  hvor  mand  en  Tyff  skuld1  hange. 

397.     schbn  lanck  Haar,  gehl  als  ein  Avenlock, 

Den  eigentümlichen  Vergleich  hat  der  dän.  Übersetzer  (V.  389)  geändert: 
deiligt  Haar,  guult  som  en  Jomfru  Lock.  Der  Vergleich  ist  wohl  scherzhaft 
gemeint.     Der  Dichter  will  eigentlich  sagen:   'schwarz  wie  ein  Ofenloch'. 

405.  hyr  kann  dem  Zusammenhange  nach  nur  =  'heuer,  in  diesem  Jahre1 
sein;  vgl.  mnd.  hure. 

603.    De  Neierschen  und  k&sclie  Wascherinnen. 

Aus  kusche  Wascherinnen  hat  die  Bremer  Ausgabe  von  1700  (durch 
Braune  mit  i  bez.)  Kussenwascherinnen  gemacht,  und  diese  Lesart  wird  von 
Müller  im  Zerbster  Programm  1870,  S.  27,  für  das  echte  gehalten.  Das  kusche 
der  Originalausgabe  wird  auch  durch  die  Übersetzung  (V.  593)  geschützt:  De 
Semmersker  saa  kyskf  oc  Vaskerqvinder  saa.  Sollte  der  Verfasser  demnach 
nicht  geschrieben  haben :     De  Neierschen  so  kusche  und  Wäscherinnen  .  .  .? 

719.    Ein  deel  verändert  is,  und  heffl  Quarteer  genaivmen 
In  ein  lank  Nunnen  Kleed  der  Adelichen  Dahmen. 

Die  Orig.-ausg.  hat  den  Druckfehler  de  Adelicken.  Der  dän.  Übers,  hat 
aber  die  Verse  richtig  verstanden;  vgl.  709. 

En  Deel  forandret  er  oc  monn'  Qvarteer  bekomme 
I  Nunne  Kapper  lang  blandt  Fruentimmer  fromme. 

fromme  wohl  dem  Reim  zu  Liebe. 

725.  Speckhbkers,  Klernpencrs 

Fohrlüde,  Timmerknecht,  Scholappers  Hudelers  .  . 
Die  dän.  Übersetzung  (V.  715)  hat: 

Spackhbcker,  Sudeler 
Vognmcend  oc  Timmerkncect,  Scoelappcr,  Hudeler.  .  . 
Der  unreine  Reim  Kletnpeners:  Hudelers  ist  auffällig,  auch  ist  Klempener 
in  älterer  Zeit  auf  niederdeutschem  Gebiete  nicht  bekannt.  Da  Sudeler,  das 
auch  von  Paludan  falsch  erklärt  wird  (Suder,  Sndrer  :  Skomager),  kein  dänisches 
Wort  ist,  so  halte  ich  Klempners  für  einen  Setzerfehler  und  glaube  dass 
Lauremberg  geschrieben  hat:  Sudelers  d.  i.  'Garkoche1. 


88 

751.     Wen  eine  Courtisan  sick  taten  had  belocken, 

Edr  was  gar  ungestalt  van  eren  Landsmans  pocken 

Diese  Verse  sind  bisher  nicht  verstanden,  belochen  erklärt  Lübben  im 
Mnd.  Wb.  durch  'verlocken',  was  aber  nicht  in  den  Znsammenhang  passt.  Die 
dän.  Übersetzung  (741  f.)  gibt  die  Verse  folgendennassen  wieder: 

Naar  nogen  Courtisan  sig  hafde  ladet  locke 
Eller  forderffvet  vaar,  af  deris  Landsmand  Pocke, 

lokke  en  Pigge  heisst  'ein  Mädchen  beschlafen'  und  diese  Bedeutung  ergibt 
sich  auch  für  das  von  Lauremberg  vielleicht  neu  gebildete  belocken.  Den  fol- 
genden Vers  hat  auch  der  dän.  Übersetzer  nicht  verstanden.  Zwar  hat  es  ihm 
fern  gelegen,  bei  Pocke  an  'französische  Pocken,  Syphilis1  zu  denken,  wie  der 
Herausgeber  will,  er  scheint  vielmehr  darin  einen  Personennamen  gesehen  zu 
haben,  es  ist  ihm  aber  wunderbarer  Weise  entgangen,  dass  wir  hier  ein  be- 
kanntes dänisches  Wort  vor  uns  haben,  nemlich  „Pog  en,  Junge,  kleines  Kind 
männlichen  Geschlechts a.  Wenn  der  Dichter  dieses  Wort  in  sein  Niederdeutsch 
übernahm,  so  hat  ihn  dabei  wohl  der  Umstand  mitbestimmt,  dass  in  dieser  Mund- 
art schon  ein  ähnliches  Wort  in  gleicher  Bedeutung,  nemlich  pök,  (vgl.  Scham- 
bach  nd.  W.)  vorhanden  war.  Dän.  g  verwandelt  Lauremberg  regelmässig  in 
ck,  vergl.  z.  B.  Huck  III,  144  =  dän.  hug.  —  Der  Sinn  der  Stelle  ist  nach 
diesen  Erklärungen  deutlich. 

785.     Thom  Schlepe  konde  gy  vam  Sammil  ßrdern  mehr, 
Und  schmiten  in  dat  Oeg  tlurm  minsten  ein  qvarieer: 
Ock  schriven,  item  noch  ein  halft  Loht  geh  Side,  .  .  . 

Die  Übersetzung  hat  V.  775  ff.: 

Fü  Struden  kandst  du  oc  äff  Fl&yfot  fordre  mecr 

Oc  vel  tu  din  pro  fit  beholde  et  Qvarteer, 

Oc  scriffve:  Item  nock  et  halfft  Lod  Silke  guule  .  .  . 

Diese  Interpunktion  gibt  der  Stelle  erst  die  rechte  Klarheit  und  ist  auch 
im  niederd.  Text  einzuführen. 

790.  ein  stüffken  Rynschen  Wyn, 

Von  dem  dar  noch  nicht  is  de  Frantxmann  tho  gestegen 

Dedekind  hat  den  V.  791  falsch  übersetzt,  der  dän.  Übersetzer  hat  ihn 
ausgelassen.  Braune  vermuthet,  dass  es  heisse :  solchen  Wein,  den  die  Franzosen 
nicht  (im  Kriege)  geraubt  haben.  Könnte  es  nicht  auch  heissen:  Wein  von  der 
Sorte,  dessen  Geburtsort  die  Franzosen  uns  noch  nicht  entrissen  haben? 

Zum  dritten  Scherzgedicht. 

96.     Ein  jeder  de  idt  (sc.  die  Kleidertracht)  It&rt,  kant  tichtlyk 
underscheiden 
Müller  S.  27  (vergl.  Braunes  Bern.)  bemerkt  richtig,   dass   man   dem   Zu- 
sammenhange nach  de  idt  sMt  erwartet.     Dass  jedoch  hört  vom  Verfasser  selbst 
geschrieben  und  durch  einen  Gedankensprung   von   der  Sprache  zur  Kleidung  zu 
erklären  ist,  beweist  auch  der  Wortlaut  der  dän.  Übersetzung: 
En  hver  som  saadant  Hqt  kand  lsetlig  kiende 

232.     en  idt  wehre  des  Hern  sifi  wille, 

Wolde  he  den  solten  Dbrsch  howen  in  stocken 
Und  den  Stockfisch  mit  den  Negeln  placken. 


89 

Heisst  das:  den  Stockfisch  mit  seinen  Nägeln  zerreisseu?  Wenigstens  der 
iän.  Übersetzer  (V.  230  ff.)  fasst  es  so: 

Om  det  nu  icke  vaar  imod  deti  Henris  ville, 

Hand  da  den  Saite  Torsk  viW  hugge  udi  stycke, 

Oc  med  sin  Nagle  smaa  os  srnuct  den  Stockfisck  plycke 

vergl.  Plückefincken  I,  391  mit  Braunes  Anm. 

265.    praten.    Dan.  Übers.  V.  267  Prate. 

278.    vaten  =  'nehmen';  mhd.  vaxxen.    Dan.  Übers.  (V.  280)  faae. 

332.  Mit  einem  Spamchen  Beed.  Beed  'Rohr'  hat  der  Däne  mit  Red' 
„Rede"  vgl.  V.  359  verwechselt;  Oc  Fogden  hastelig  med  Spanske  Ord  monn' 
jabe  oc  sagd\ 

378.    De  de  Frantzbsclie  Sjyrack  had  hhpich  ingenahmen. 

hnpidi  entspricht  nicht  dem  nhd.  häufig.  Es  bedeutet  ^massenhaft,  haufen- 
weis'. Auch  von  einem  Gefässe  mit  Flüssigkeit,  das  zum  Überlaufen  voll  ist, 
sagt  man,  es  sei  ein  Haufen  drauf.  Die  dän.  Übers,  hat ;  I  hvilcken  ald  Franixesk 
i  klumper  Tal  vaar  kroben. 

409.     Wen  men  nicht  mit  fremder  Salse  bi  hogen  Luden 

Wolde  sine  discours  bestrbwen  und  bekrbden 
Aus   dem  Zusammenhange   geht  hervor,   dass    Salse  nicht  =   frz.  sauce, 
Brühe,  Tunke  sein  kann,  sondern  dass  es  hier  allgemein  'Würze'  bedeutet,  wobei 
in  zerriebene  Kräuter  zu  denken  ist.     Der  dän.  Übersetzer  fasst  es  =  Salz. 
Om  mand  hos  hgye  Folck  ey  brugte  fremmed'  Salt 
Oc  Puddret  sin  discurs  der  med,  heldst  naar  det  gialt? 

475.     He  moet  erst  hebben  de  Handt  int  vat, 
Wen  upgedragen  weil  gammelmat. 

Zuerst  beim  Mahle  aus  der  gemeinsamen  Schüssel  zu  schöpfen  war  ein 
Vorrecht  der  ältesten,  welche  die  meiste  Ehre  genossen.  Darauf  bezieht  sich 
ein  Spruch,  welcher  mir  als  Kind  vom  Vater  eingeschärft  wurde. :  Sei  nicht  der 
erste  in  der  Schüssel,  sondern  warte,  bis  die  ältesten  angefangen  haben.  Der 
tlän.  Übersetzer  hat  abweichend:  Hand  skal  oc  skare  for  (aufschneiden)  udaff 
kt  stoere  Fad,  eine  Redensart,  die  wohl  unserem  'mit  dem  grossen  Messer  auf- 
schneiden1 entspricht.     S.  z.  IV,  81. 

Zum  vierten  Scherzgedieht. 

37.  SpitzhU  'Schlaukopf,  Betrüger;  vergl.  Johann  Strickers  dtideschen 
Schlömer  V.  1666:  En  spitxhU  is  de  bUe  din.  Spitxköjrpe  werden  die  Be- 
wohner des  Dorfes  Ditfurt  bei  Quedlinburg  genannt.  Auch  Spitzbube  hängt 
wohl  damit  zusammen. 

81.  Wol  gebruken  kan  dat  grole  Messer.  'Mit  dem  grossen  Messer 
aufschneiden'  noch  jetzt  gebräuchlich  für  pralerische  Heden  führen.  Vgl.  auch: 
Weinholds  deutsche  Frauen  im  Ma.  II  \  S.  4;  Schindler,  Bair.  Wb.  I2,  1670; 
Lexer,  Mhd.  Hdwb.  I,  2131. 

103.  her  mgns  geliken.  Vor  etwa  dreissig  Jahren  hörte  ich  eine  Frau 
aus  dem  kleinen  Handwerkerstande,  deren  Tochter  sich  bei  einem  Handwerks- 
meister als  Magd  vermietet  hatte,  sagen:  Eck  hebbet  minen  Mäken  enauch 
'eseggt,  se  sulle  seck  nich  bi  eres  geliken-  vermeiden. 


90 

129.     Wille  gy  idt  lesen,  und  flilig  befrachten, 
So  schule  gy  bekennen  und  erachten, 
Dat  Ajwllo  mit  den  Musen  alle  negen, 
Idt  hebben  ent fangen  in  eren  Bregen: 
Und  dat  idt  is  uth  Oi/rrha  geflaten, 
Als  ick  idt  hebbe  willen  in  de  Fedder  vaten. 

Cijrrha  haben  die  deutschen  Herausgeber  unerklärt  gelassen.  Paludan 
(z.  V,  131)  bemerkt:  Cirrha,  den  gamle  Havnestad  til  Delphi  (?)  Er  hat  un- 
zweifelhaft das  richtige  getroffen  Cirrha  ist  dem  Apollo  geweiht  und  da* 
Adj.  cirrhaeus  bezeichnet  alles  dem  Apollo  gehörige.     S.  die  lat.  Wörterbücher. 

152  de  Hut  vidi  schütten  (schelten)  ist  noch  jetzt  gebräuchlich. 

177.  Der  Heer  sampt  der  Magd  de  weren  so  alyem.  alvern  hier  uu- 
zweifelhaft  nhd.  Bedentung:  albern,  einfältig.  Der  dän.  Übersetzer  ändert:  Ikn 
Herre  sampt  hans  Fohk  de  meente  vist  med  alffber  d.  h.  'glaubten  im  Enurt" 

183.  ey  scharn!  Als  skarn  bezeichnet  dän.  alles,  was  nichts  taugt.  Die 
Übersetzung  hat:  det  er  Skarn,  was  Paludan  erklärt:  det  duer  ikke,  det  er 
noget  Snak. 

233.     Juwe  w&rde  sind  alto  kakelbunt. 

Die  Übers.  V.  235  hat  Slig  Snack  er  mig  forborget,  For  megel  blinkt 
og  der  tu  for  h&y  oc  kroget 

367.     Mit  dissen  würden  narn  de  Man  syn  affscheet, 
Und  van  my  weg  up  de  Post  tho  vote  reet. 

Die  Redensart  hat  denselben  Sinn  wie  V.  141  up  de  Apostel  peerde  riden. 
Die  dän.  Übers.  V.  361  f.  abweichend.: 

Med  diese  sarame  Ord  den  Mand  syn  Affsked  tog, 
Oc  paa  Apostels  Vogn  fra  mig  sin  Vey  hendrog. 

423.  Ich  halte  die  Herausgeber  nicht  für  berechtigt,  die  Lesart  aller 
alten  Ausgg.  Aristachn  in  Aristarchn  zu  ändern ;  auch  die  dän.  Übers.  (V.  424 
hat  Aristachy. 

425.     Ehr  de  grawe  Katte  konde  ttve  Eyer  leggen. 

Dän.  (V.  427.)  Ja  f&r  end  Kalten  graa  et  Paar  Eg  künde  ligge.  Palu- 
dan bemüht  sich  vergebens,  den  Sinn  dieser  Redensart  zu  erklären,  Sie  ver- 
gleicht sich  mit  ähnlichen  hochdeutschen,  wie:  Danach  wird  weder  Hund  norh 
Katxe  kr  ahn  in  H.  v  Kleists  Prinz  v.  Homburg  und  J.  Nettelbecks  Selbst- 
biographie. 

429.  uth  geflickt.  Wie  Braune  (i.  Glossar  unter  hicken)  richtig  bemerkt, 
heisst  ,hicken  ndd.  nur  'picken'  eigentlich  von  Vögeln  mit  dem  Schnabel  hacken. 
Diese  Erklärung  wird  bestätigt  durch  die  dän.  Übers.,  welche  (V.  421)  hat: 
konsklig  tidprickeL 

459.  mit  sUker  Zier.  Zier  ist  kein  niedd.  Wort,  und  es  ist  mir  wahr- 
scheinlicher, dass  Lauremberg  es  aus  dem  dän.  (Zip-,  vgl.  auch  Übers.  V.  463 :-, 
als  aus  dem  hochd.  genommen  hat.  Dann  ist  aber  auch  die  Lesart  von  Azjs 
sulken  nicht  anzuzweifeln,  weil  L.  das  Wort  entsprechend  dem  Dänischen  als 
Hascul.  behandeln  konnte.  Der  dän.  Übersetzer  hat  diese  Partie  wörtlich  dem 
Originale  entnommen. 


91 

546.  lepsche  Sprak;  V.  569  lappisch  Sprack,  beides  wohl  unserem 
,  läppisch  a  entsprechend. 

673.  Dir  drincket  aus  dem  Beck.  Beck  haben  die  Ausgaben  Aaß,  was 
die  späteren  Ausgaben  in  Becher  ändern.  Die  dän.  Übers,  hat  V.  675  Beck. 
Sollte  Lauremberg  diese  entstellte  Form  von  Becher  gesetzt  haben,  vielleicht  um 
einen  komischen  Anklang  an  das  niederd.  bek  „Bach"  zu  erzielen? 

Zum  Beschluß. 

31.     Kein  redlich'  Man  em  dat  kan  bvel  dhden  uth, 

Wen  he  in  llochtydmael  dem  Brudgam  und  der  Bruet 
In  Ehren  und  mit  Wunsch  de  gsundfieit  Schale  bringt. 
Schale  wird  niederd.  nur  Ton  flachen  Gefässen  gebraucht,  nicht  vom  Becher. 
Der  Ausdruck  ist  nach  dem   dän.  Trinkgruss   Skaal!  Gesundheit!   gebildet.     In 
der  dän.  Übersetzung  heisst  es: 

Ey  nogen  erlig  Mand  det  ilde  legger  ud 

At  hand  in  Bryllups  Kost  den  Brudgom  med  sin  Brud, 

I  Aeren  og  med  Ynsk  en  Sundheds  Skaal  ret  gierer, 

95.     Wat  einem  gelehrden  Man  geworden  is  so  stier, 
Dat  wert  in  groter  Meng  gebruekt  vor  Makeltuer, 
Dar  Marren  allerhands  ein  halff  Fund  Speck  in  packet, 
Und  vor  de  Wescherin  ein  klumken  Seep  in  packet, 
Edr  windX  darin  Taback  .  .  . 
allerhands   wird  in  Braunes  Glossar  =  mnd.  altohandes  'sofort,  sogleich' 
erklärt.     Diese   Bedeutung  passt  nicht  in   den  Zusammenhang.     Nach   ihm   ist 
Marren  offenbar  eine  Krämerin,  welche  mit  allerlei  Waare  handelt.     Ich  erkläre 
mir  das  Wort  daher   als   vom    Dichter   erfundenen  Personennamen,  gebildet  von 
dem  adv.    allerhand.     Wir   sagen  noch:    „Er   handelt  mit  allerhand. u     Dass  das 
Wort  mit  kleinem  Anfangsbuchstaben  geschrieben  ist,   kann  nicht  auffallen,  vgl. 
z.  B.  IV,  556  older  Mbme  st.  Oldermbme.    Der  dän.  Übersetzer  hat  nur  Maren 
wie  II,  V.  17  Lerne,  wo  Lappenberg  Leenke  Bökeln  hat. 

NORTHEIM.  R.  Sprenger. 


Zum  Düdesehen  Sehlömer. 

In  der  schönen  Ausgabe  von  Johannes  Stricker1s  Drama  De 
düdesche  Sehlömer,  mit  welcher  uns  Johannes  Bolte  beschenkt  hat,  ist 
trotz  der  schönen  und  eingehenden  Bemerkungen  des  Herausgebers 
noch  manches  unerklärt  geblieben.  Ich  will  versuchen,  einiges  zur 
Krklärung  beizutragen  und  zugleich  einige  offenbar  verderbte  Stellen 
zu  heilen. 

Der  Sehlömer  antwortet  auf  die  Frage  des  Vetters,  warum  er  seine  Frau 
nicht  mitgebracht  habe: 

734.     Den  hhyup  late  men  tho  Huss, 

Wenn  men  begert  tho  ghan  im  süss. 


92 

De  hxxyup  muss  dein  Zusammenhange  nach  eine  Bezeichnung  der  spar- 
samen Frau  sein,  häguj)  =  Sparsamer  Mensch'  belegt  B.  Wossidlo  in  seintr 
Programmabhandlung:  Imperativische  Wortbildungen  im  Niederdeutschen.  Wares 
1890,  S.  6.    In  Quedlinburg  heisst  es :  hiflup  het  wat,  frätup  schilt  de  Hund  toxi 

1013.  entlieh  Lüde  sind  tüchtige  Leute.  Im  Mnd.  M.  fehlt  diese  Be- 
deutung des  Adjectivs,  doch  vgl.  Lexer  I,  551. 

1032  ff.  Würd  dar  auer  ock  de  gantz  World  quadt, 
Vnd  my  dbden  und  verdbmen, 
So  kann  ick  doch  dith  nicht  rbmen. 

Da  im  Mnd.  Wb.  romen  =  mhd.  ruomen,  meinen  'rühmen'  und  rumen  = 
mhd.  rumen  'räumen1  scharf  gesondert  sind,  so  muss  bemerkt  werden,  dass  dith 
romen  hier  unzweifelhaft  mhd.  e%  rumen  'den  Platz  räumen'  ist.  Der  Prediger 
will  nicht,  ohne  seine  Bnssrede  gehalten  zu  haben,  sich  entfernen.  Übrigen* 
ist  romen  (nomen)  =  mhd.  rumen  sicher  auch  im  Sündenfall  1926  belegt,  wo 
Schönemanns  Erklärung  der  Woestes,   welcher  es   mit  ags.   hreani   'Wehklage" 

zusammen  bringt,  vorzuziehen  ist. 

i 
1072.     Die  Redensart  sik  an  enem  riven  'sich  mit  jemand  in  Streit  ein- 
lassen1 ist  zwar   noch  gebräuchlich.     Da   aber   der    Artikel  riven  im  Mnd.  Wb. 
sehr  mager  ausgefallen  ist,  war  doch  etwa  auf   die  bekannte  Stelle  im  jüngeren 

Hildebrandsliede  zu  verweisen: 

! 

wer  sich  an  alte  Kessel  reibt,  der  enphahet  gerne  Bahm  (Buss). 

1459.  Der  Hüter  handwehr  ist  durch  die  Übersetzung  „der  Bitier 
Grenze"  nicht  erklärt.  Büter  sind  auch  nicht  Bitter,  die  im  Stücke  immer  Biddcr 
genannt  werden,  sondern  Beiter.  Es  sind  wohl  die  reisigen  Knechte  im  Dienste  einer 
Stadt  gemeint.  Landwehren  waren  in  Niederdeutschland  Warten  oder  Thünne,  und 
bei  Hannover,  wie  auch  sonst  erhalten.  Der  Sinn  der  Stelle  ist  nicht  ganz 
klar,  doch  wird  wohl  ein  obseöner  Scherz  darin  verborgen  sein. 

1721.  ingebruwen  Beer  ist  billiges,  im  Hause  selbst  gebrautes  Bier 
„  Hausbier". 

1951.     Du  schalt  noch  rochen  mit  uns  tern, 
Und  mit  ern  Knaken  werpen  Bern. 

Es  dürfte  bemerkenswert  sein,  dass  diese  von  Bolte  mit  zahlreichen 
Stellen  belegte  Bedensart  auch  in  mündlicher  Überlieferung  sich  noch  bis  in 
unsere  Zeit  erhalten  hat.  Vor  schon  zwanzig  Jahren  hörte  ich  in  meiner  Vater- 
stadt Quedlinburg  einen  alten  Herrn,  einen  wohlhabenden  Gerbermeister,  der 
sich  noch  gern  des  Plattdeutschen  bediente,  zu  meinem  etwas  jüngeren  Grossvater 
im  Scherze  äussern:  „Na  Franz,  met  dinen  Knöken  schmit  ek  noch  Beeren  äf." 
Er  hat  aber  viel  früher  „int  Gras  biten*  müssen. 

2303.  Das  dem  Herausgeber  unklare  All  uth  dem  Busch  erkläre  ich 
durch  „alle  aus  der  Gesellschaft  %  fasse  also  Busch  als  Entstellung  aus  Bus*. 
V.  771  werden  die  Genossen  des  Schlömers  de  mild  Buss  genannt;  3528  de 
wilde  Geselscliop. 

2664.     Ick  bidde,  Dodt,  ßue  so  lang} 
Dat  ick  Baden  hebbe  by  dy. 

Der  hochdeutsche  Übersetzer  hat  diese  Stelle  völlig  missverstanden,  wenn 
er  Baden  hebbe  by  dy  übersetzt;  „Boten  schicke  zu  dir.a    Es  kann  nur  heissen. 


93 

Ich  bite  dich,  Tod,  warte  so  lange 
Bis  ich  Boten  von  dir  erhalten  habe. 

Von  den  Boten  des  Todes  handelt  ein  altes  Märchen,  welches  die  Gebrüder 
rimm  in  den  Kinder-  und  Hansmärchen  nach  Kirchhoffs  Wendunmut  als  Nr. 
77  wiedergegeben  haben.  Wie  W.  Grimm  in  den  Anmerkungen  (Kinder  und 
ausmärchen,  3.  Bd.  3.  Aufl.  1856)  S.  249  nachweist,  war  dasselbe  schon  im 
3.  Jahrhundert  bekannt. 

3329  f. 

Dodt. 
Nu  ys  ydt  tydt,  du  rnüst   daran 
Du  scholdest  ehr  hebbe  Boeth  gd&n 

Wenn  wir  Y.  4289  und  4624  vergleichen,  so  scheint  es  unzweifelhaft, 
iss  auch  hier  zu  lesen  ist:  du  in 5 st  darvan  'du  musst  von  hinnen,  musst  sterben1, 
e  Redensart  scheint  fast  formelhaft  gebraucht  zu  sein.  Eine  alte  Haus- 
schrift vom  Jahre  1566  in  hiesiger  Stadt  ermahnt  den  Leser: 

Drinck  und  eth  |  Goddes  nicht  vorget  |  Bewar  dine  Erhe.  |  Dick  wirt 
zht  merhe  |  Dan  umme  und  an  |  Darmith  |  davan.     Vgl.  Korrespbl.  XI,  S.  83. 

Dass  V.  3599  entstellt  ist,  hat  schon  der  Herausgeber  gesehen,  doch  trifft 
n  Besserungsversuch  nicht  das  richtige.  Soviel  scheint  mir  festzustehen,  dass 
un  aus  dum  (vergl.  766  und  5380)  entstellt  ist.  Ich  möchte,  nachdem  ich 
iter  strack  einen  Punkt  gesetzt  habe,  folgendermassen  schreiben: 

Ehr  he  ein  Pater  noster  sprack, 
Heffstn  syk  duen  wol  supen  sehen. 

'Bevor  er  ein  Paternoster  sprach,  hast  du  ihn  sich  wohl  voll  saufen  sehen*, 
lehnungen,  wie  en  an  heffst  sind  in  unserem  Stücke  häufig. 

Zu  der  3783  ff.  geschilderten  Bedrückung  der  Bauern  durfte  darauf  hin- 
wiesen werden,  dass  diese  Verhältnisse  z.  B.  in  Meklenburg  noch  bis  in  die 
teste  Zeit  bestanden  haben.  Besonders  der  Gebrauch,  dass  man  den  leibeigenen 
lern  nur  innerhalb  des  Gutsbezirks  zu  heiraten  erlaubte,  war  ein  harter 
ang.  Solche  Verhältnisse  waren  es,  auf  die  Beuter  seine  tragische  Geschichte 
ein  Hüsung"  aufgebaut  hat. 

3895.  Über  die  Vorstellung  von  Tod  und  Teufel  als  Jäger,  die  mit  ihren 
zen  (Stricken)  den  Menschen  zu  fangen  suchen,  ist  besonders  das  von  Barack 
Einsgegebene  satirische  Gedicht  „des  Teufels  Netz"  zu  vergleichen. 

4236.  Noch  jetzt  sagt  man,  wenn  einem  Essen  und  Trinken  nicht 
necken  will  „Et  blifft  mi  baven  dem  Herten  (auch:  vor  de  Bost)  stän.a 

4282.  Dass  die  gebräuchliche  Redensart  „etwas  auf  der  Goldwage  (d.  h. 
*  genau)  abwägen,  schon  hier  erscheint,  ist  bemerkenswert. 

Die  Verse  4707  f.  sind  in  dem  Drucke  offenbar  in  Unordnung  geraten. 
wird  zu  schreiben  sein: 

Dat  unschuldige  Gades  Lam,  dat  droech 
Der  Werldt  Sund  und  woch. 

'Das  unschuldige  Gottes  Lamm,   welches  der  Welt  Sünde  und  Weh  trug." 

icoch,  auch  wech  ist  eigentlich  Interjection ;  diese  können  aber  auch  sub- 
tiviscn  gebraucht  werden.  Vgl.  Minnes  Frtthl.  140,24:  diu  mir  mit  fröiden 
benomen  min  alt  owe. 


94 

4915.     Erfrhiw  dy,  leve  Seele  myn, 

Nicht  myn,  sunder  des  Heren  syn 
Der  dy  mit  synem  dfaren  Blodt 
Erlöset  hofft,  frhuw  dy  in  Godt. 

fyn  in  V.  4916  gibt  keinen  Sinn.  Ich  glaube  jedoch,  dass  nicht  thjv 
sondern  fyn  zn  lesen  ist.  Vgl.  V.  5090,  wo  Christas  spricht :  Ick  wil  jutc  all 
erquicken  fyn  und  Epilog  5. 

Wo  disse  Schlötner  am  Ende  syn 
Sick  heffl  tho  Godt  bekeret  fyn. 

5009.     De  Herr  wert  kamen  kamende. 

Die  am  Rande  angeführte  Stelle  Habaknk  2,  3  lautet:  He  wert  geicysslin; 
kamen.  Schon  Bolte  vermutet,  dass  die  Stelle  verderbt  sei,  trifft  aber  mit  seinem 
Besserungsversuch  meines  Erachtens  nicht  das  richtige.  Sollte  Stricker  nicht 
geschrieben  haben  wie  folgt? 

De  Herr  wert,  amen,  kamende. 

Die  Verwendung  des  Gebetsschlusses  im  Sinne  der  lutherischen  Auslegnne 
hat  im  Munde  des  Priesters  nichts  befremdliches. 

5463.  Ich  glaube,  dass  lanftmodt  st.  lanVmodt  nicht  Striker  zuzuschreiben 
ist,  sondern  dem,  wie  schon  das  Druckfehlerverzeichnis  der  Originalausgabe 
beweist,  keineswegs  sorgfältigen  Setzer  derselben. 

NORTHEIM.  R.  Sprenger. 


Zeugnisse  für  die  frühere  Verbreitung 
der  nordfriesisehen  Sprache. 


Bekanntlich  war  im  Mittelalter  das  ganze  Marschland  zwischen 
Widau  und  Eider  nebst  der  angrenzenden  Vorgeest  nordfriesisch.  Wie 
weit  heute  die  nordfriesische  Sprache  durch  die  dänische  und  besonder; 
durch  die  plattdeutsche  zurückgedrängt  worden  ist,  zeigen  die  Angaben 
der  Sprachgrenze  bei  Petersen,  Wanderungen  durch  die  Herzogtümer 
Schleswig,  Holstein  und  Lauenburg,  III  (Kiel  1839),  S.  456  f.;  Clement. 
Das  wahre  Verhältnis  der  süderjütischen  Nat.  u.  Sprache  (Hamburg 
1849),  S.  53  f.;  Winkler,  Algemeen  nederduitsch  en  friesch  dialecticon. 
I,  S.  71;  Siebs,  Zur  Geschichte  des  Englisch-Friesischen,  I,  S.  2> 
Da  das  Nordfriesische  heute  immer  mehr  an  Boden  verliert,  ist  e* 
von  Wichtigkeit,  die  verstreuten  Zeugnisse  für  die  ehemalige  Aus- 
breitung dieser  Sprache,  sowie  die  Zeugnisse  für  die  Sprachgrenze 
in  diesem  Jahrhundert  zusammenzustellen. 


95 

Ich  verzichte  darauf,  diejenigen  Stellen  anzuführen,  an  welchen 
die  politische,  nicht  die  sprachliche  Zugehörigkeit  zum  Friesischen  von 
irgend  einem  Orte  angegeben  wird.  Hervorheben  will  ich  nur,  dass 
Mildenburg  der  am  weitesten  gegen  die  sächsische  Sprachgrenze  vor- 
geschobene Posten  war.  Vgl.  z.  B.  Chron.  Sialandiae,  bei  Langebek 
II,  634  „in  Frisia  juxta  Mildenburgh";  Laurentii  Stralii  Ann.  III,  305: 
^Milburgum  apud  Frisios."  Die  ganze  Ausdehnung  des  nordfriesischen 
Gebietes  giebt  Matthias  Boetius,  De  cataclysmo  Norstrandico,  Slesvici 
MDCXXIII,  S.  59  wie  folgt  an:  Die  Friesen  „sui  juris  fecere,  Eidero- 

stadiam,  Norstrandiam,  Fohram,  Siltam,  Ameram  insulas Atque 

aut    exstruxere,    aut   paulatim   occupaverunt   in   extrema   continentis 

margine Bredstadiam   vicum,    Hadstadium,    Schobyllum,    Mil- 

stadium,  Rademessum,  Randerumum,  pagosque  alios,  littori  conterminos*. 

Es  folgen  nun  die  Zeugnisse  für  die  Sprache  selbst.  Ich  bitte 
hierzu  die  ausgezeichnete,  mit  bewundernswerter  Sorgfalt  ausgearbeitete 
Karte  von  Geerz  „Historische  Karte  von  den  Nordfriesischen  Inseln 
etc.,  redigiert  für  die  Zeit  von  1643  bis  1648*  zur  Hand  zu  nehmen. 

I.  Wiedingharde. 

1.  1750.  „Im  Tunderischen  und  andern  Gegenden,  wo  die 
iresische  Sprache  gilt."  Schlesswig- Holsteinische  Anzeigen  Auf  das 
Jahr  MDCCL. 

2.  1788.  „Die  Einwohner  in  den  Tonderschen  Marschen 
sind,  dem  Hauptstamme  nach,  Friesen,  und  diese  unterscheiden  sich 
noch  von  den  Dänen  und  Deutschen,  die  unter  ihnen  sind,  eben  so, 
wie  in  dem  Bredstedtischen.  Ihre  Sprache  ist  auch  noch  die  Friesische, 
aber  mehr  schon  mit  dem  Dänischen  vermischt.  Dänisch  und  Deutsch 
sind  die  Sprachen  des  Gottesdienstes  und  der  Gerichte.  In  der  Stadt 
Tondern  spricht  das  gemeine  Volk  ein  Gemisch  von  Friesischem, 
Dänischen  und  Deutschen,  was  ein  Deutscher  gar  nicht  und  ein  Däne 
nur  mit  Mühe  versteht.4  Tetens,  Reisen  in  die  Marschländer  an  der 
Nordsee,  I,  Leipzig  1788,  S.  132.  —  Offenbar  ist  mit  der  Mischsprache 
in  Tondern  das  Westjütische  gemeint. 

3.  1790  heisst  es  von  Tondern:  „Man  redet  jetzt  nicht  mehr 
friesisch,  sondern  Deutsch  und  noch  mehr  Dänisch  untereinander. a 
Schleswig-Holsteinische  Provinzialberichte  IV.  Jahrgang,  Band  I,  S.  132. 
—  Die  Stadt  Tondern  ist  nie  nordfriesisch  gewesen.  Soweit  dort 
nordfriesisch  gesprochen  wurde  und  wird,  handelt  es  sich  um  einge- 
wanderte Nordfriesen. 

4.  181 1.  Im  Kirchspiel  Aventoft  „wird  mehr  dänisch  ge- 
redet" nach  dem  Bericht  des  General-Superintendent  Adler  vom  1.  März 
1811.  Allen,  Geschichte  der  dänischen  Sprache  im  Herzogthum 
Schleswig  oder  Südjütland,  II,  Kiel  1858,  S.  76. 

5.  1833.     „Nach   den   von   mir   auf  meiner   Reise    gemachten 

Bemerkungen  wird in  dem  westlichen  Theil  vom  Amte  Tondern 

bis  an  die  Soholmsbrücke,  Klintum,  Klixbüll  hinauf  nach  Aven- 


toft  im  Osten  und  bis  an  die  Vidau  im  Norden friesisch  ge- 
sprochen. u     Gudrae,  Schleswig-Holstein,  I,  Kiel  1833,  S.  83. 

6.  1839.  „Das  Friesische  hat  die  Alleinherrschaft  als  Volks- 
sprache bis  an  die  Kirchspiele  Rodenes,  Neukirchen,  Aventoft. 
wo  auch  das  Dänische  sich  schon  als  Sprache  des  täglichen  Lebens, 
in  ersteren  resp.  nach  und  neben,  in  letzterem  vor  dem  Friesischen 
geltend  macht,  und  Uberg,  in  welchem  jene  nur  Dänisch. u  Petersen. 
Wanderungen  durch  die  Herzogthümer  Schleswig,  Holstein  und  Lauen- 
burg, III,  Kiel  1839,  S.  456. 

7.  1839.  „Die  Aventofter  Gemeinde  ist  hinsichtlich  der  Volks- 
sprache theils  Dänisch,  theils  Friesisch. u     Petersen,  III,  S.  450. 

8.  1840.  „Friesisch  sind  die  Tonderschen  Marschharden;  doch 
"wird  in  Widingharde  im  Kirchspiel  Neukirchen  schon  viel  DänisrL 
gesprochen,  obgleich  der  Stamm  der  Einwohner  friesisch  ist,  und  in 
Aventoft  ist  das  Friesische  gänzlich  vom  Dänischen  verdrängt/ 
Jensen,  Versuch  einer  kirchlichen  Statistik  des  Herzogthums  Schleswig 

I,  Flensburg  1840,  S.  20. 

9.  1841.  Kirchspiel  Rodenäs.  „Die  Bewohner  des  Kirch- 
spiels sind  Friesen;  doch  wird  hier  auch  schon  dänisch  gehört." 
Jensen  II,  S.  537. 

10.  1841.  Kirchspiel  Neukirchen.  „Kirchen-  und  Schul- 
sprache deutsch,  die  Sprache  des  täglichen  Lebens  friesisch,  dort  wird 
auch  schon  viel  dänisch  gehört."     Jensen,  II,  S.  539. 

11.  1841.  Kirchspiel  Aventoft.  „Kirchen-  und  Schulsprack 
ist  die  deutsche;  doch  sind  die  Gemeinemitglieder  der  deutschen  Sprache 
meistens  nicht  mächtig,  sondern  es  wird  durchgängig  dänisch  ge- 
sprochen.    Das  Friesische  hat  sich  verloren. u     Jensen,  H,  S.  543. 

12.  1846.  Aventoft.  „Obgleich  die  Gemeinde  friesischen  Ur- 
sprungs ist,  so  ist  dennoch  gegenwärtig  die  dänische  Sprache  die  all- 
gemeine Umgangssprache. u    Bericht  des  Predigers  1846.    Allen  a.  a.  0. 

II,  S.  378. 

13.  1846.  Kirchspiel  Neukirchen.  „Die  Volkssprache  ist 
hier  die  dänische  und  friesische;  von  den  hiernach  der  letzten  Volks- 
zählung vorhandenen  circa  850  Einwohnern  sprechen  ohngefähr  1  * 
dänisch  und  ohngefähr  ö/e  friesisch. u  Allen,  II,  S.  379.  Nach  Allen 
a.  a.  O.  stellt  sich  das  Verhältnis  nach  eingezogenen  genauen  Angaben 
so:  „Das  Kirchspiel  zählt  157  Familien,  deren  keine  ausschliesslich 
deutsche  Umgangssprache  hat;  7  Familien  reden  deutsch  und  dänisch. 
3  deutsch  und  friesisch;  8  Familien  rein  friesisch;  von  den  übrigen 
139  Familien  haben  52  ausschliesslich  dänische  Familiensprache,  in 
87  dagegen  reden  die  Eltern  unter  einander  dänisch  und  mit  den 
Kindern  friesisch. u 

14.  1846.  Im  Kirchspiel  Rodenäs  sprechen  467  friesisch. 
29  deutsch  und  27  dänisch.  „Die  mehrsten  Friesen  verstehen  und 
sprechen  auch  dänische  Sprache. u     Allen,   II,   S.    379  f.     Nach  Allen 


97 

a.  a.  0.  sprechen  aber  23  Familien  ausschliesslich  dänisch,  4  deutsch, 
4  deutsch  und  dänisch,  4  dänisch  und  friesisch,  die  übrigen  nur  friesisch. 

15.  1846.  Kirchspiel  Klangsbüll.  „Die  Volkssprache  ist 
durchgängig  die  friesische.  Selbst  in  den  Häusern,  wo  der  Mann 
oder  die  Frau  aus  einem  dänischredenden  Districte  gebürtig  ist,  wird 
in  der  Regel  friesisch  gesprochen.  Jedoch  wird  auch  in  diesen  Häusern 
die  plattdänische  Sprache  gesprochen,  wie  sie  in  der  Gegend  von 
Ilüjcr  und  Tondern  gangbar  ist,  welche  die  Friesen  hiesigen  Kirch- 
spiels alle  verstehen  und  sprechen. u  Allen,  II,  S.  380.  Nach  Allen 
a.  a.  0.  aber  sind  11  Familien  mit  ausschliesslich  dänischer  Umgangs- 
sprache, 1  mit  dänischer  und  friesischer,  1  mit  deutscher,  die  übrigen 
friesisch;  überhaupt  nur  57  Familien  im  ganzen  Kirchspiel. 

16.  1849.     „In  Rodenes  und   Neukirchen    in   der  Widing- 

harde hat  das  Dänische  bisher  ziemlich  viel  Eingang  gefunden. a 

Clement,   Das  wahre  Verhältnis  der  süderjüt.  Nat.  u.  Sprache,   Ham- 
burg  1849,  S.  54. 

IL  Karrharde. 

17.  1752.     „An    etlichen    Orten    in    Karharde wird 

friesisch   geredet.0     Büsching,    Kurzgefasste   Staats-Beschreibung   der 
Herzogthümer  Holstein  und  Schleswig,  Hamburg  1752,  S.  104. 

18.  1791.  Kirchspiel  Enge.  „Unter  sich  reden  die  Ein- 
wohner noch  das  alte  Friesisch,  ausgenommen  in  Holzacker,  wo 
die  dänische  Sprache  geredet  wird."  Schlesw.-Holst.  Provinzialberichte 
V,  2,  S.  12.  —  Vgl.  26  und  29  gegen  25  und  37. 

19.  In  Stadum  wurde  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  noch  aus- 
schliesslich friesisch  gesprochen,  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
schon  ein  Gemisch  von  dänisch  und  friesisch.  Die  Belegstelle  habe 
ich  übersehen  mir  zu  notieren. 

20.  1811.  „Die  Karrharde,  Amts  Tondern,  ist  mit  Ausnahme  der 
beiden  friesischen  Kirchspiele  Enge  und  Stedesand  ganz  dänisch.* 
ßericht  des  General-Superintendent  Adler  vom  1.  März  1811.  Allen, 
II,  S.  76.  —  Die  Kirchspiele  Enge  und  Stedesand  werden  in  einem 
Berichte  desselben  vom  22.  Mai  1811  (Allen,  II,  S.  78)  friesisch  genannt. 

21.  1824  wird  in  Okcn's  Isis  I  noch  eine  Sprachprobe  von  dem 
Kirchspiel  Fresenhagen  gegeben,  wo  das  Nordfriesischc  heute  aus- 
gestorben zu  sein  scheint. 

22.  1824.  „ Karrharde,  mit  10  Kirchspielen,  wovon  aber  jetzt 
nur  2,  Enge  und  Stedesand,  wo  so  zu  sagen  durchgehends  Friesisch, 
und  2,  Leck  und  Kliksbiill,  wo  bloss  in  einigen  Dorfschaften  Friesisch 
gesprochen  wird."  Outzen,  Glossarium  der  fries.  Sprache,  Kopen- 
hagen 1837,  S.  XXVIII. 

23.  1833.  „Voor  veertig  jaren  sprak  men  tc  Stadum  nog 
friesch;  thans  is  daar  alles  deensch  en  duitsch,"  sagt  Winkler  1873, 
Algem.  nederd.  en  friesch  Dial.  I,  S.  72. 

24.  1839.     „Im  Kirchspiele  Leck  ist,  sowie  in  den  ihm  be- 

Niederdevtachet  Jahrbuch.    XV.  7 


nachbarten  Parochien  Humtrup,  Braderup  und  Klixbiill,  die 
Kirch-  und  Schulsprache  gegenwärtig  ohne  Ausnahme  Deutsch,  ein 
Jargon  des  Dänischen  Volkssprache. u     Petersen,  III,  S.  30 1. 

25.  1839.  „In  Holzacker  sind  Friesisch  und  Dänisch,  neben 
und  durch  einander,  und  zwar  in  solchem  Verhältnisse,  dass  keines 
davon  vor  dem  anderen  die  dortige  Dorfsprache  zu  nennen  sein  dürfte, 
gebräuchlich. u     Petersen,  III,  S.  457. 

26.  1840.  „Im  Tonderschen  sind  in  Karr-Harde  friesisch  die 
Kirchspiele  Enge  (jedoch  mit  Ausnahme  des  Dorfes  Holzacker) 
und  S  t  e  d  e  s  a  n  d,  so  wie  ein  Theil  des  Kirchspiels  Leck  (K 1  i  n  t  u  m 
und  Schnatebüll),  während  in  Leck  selbst  wegen  des  Verkehrs 
Dänisch,  Deutsch  und  Friesisch  gangbar  sind."     Jensen,  I,  S.  20. 

27.  1841.  Kirchspiel  Karlum.  „Der  Schulunterricht  ist 
deutsch,  wiewohl  die  Kinder  alle  dänisch  sprechen. u     Jensen,  II,  S.  4SO. 

28.  1841.  „Friesisch  wird  namentlich  gesprochen  in  Schnate- 
büll und  Klintum;  dänisch  in  den  Dörfern  Stadum,  Achtem  p. 
Sandacker,  Sprakebüli  und  auf  den  einzelnen  Stellen,  wo  das 
Deutsche  den  Kindern  meistens  ganz  unbekannt,  bis  sie  zur  Schule 
kommen.  Im  Kirchdorfe  [Leck]  versteht  und  spricht  man  wegen  de^ 
Verkehrs  deutsch,  dänisch  und  friesisch.  Kirchen-  und  Schulsprache 
hochdeutsch. u     Jensen,  II,  S.  489. 

29.  1841.  Kirchspiel  Enge.  „Holzacker  und  Knor- 
burg  sind  dänisch,  S  oho  Im  dänisch  und  friesisch  gemischt,  die 
übrigen  Ortschaften  des  Kirchspiels  friesisch. a     Jensen,  II,  494. 

30.  1841.  Kirchspiel  Klixbüll.  „Kirchen- und  Schulsprache 
deutsch.     Volkssprache  meist  dänisch. u     Jensen,  II,  482. 

31.  1841.  Kirchspiel  Walsbüll.  „Volkssprache  meistens 
dänisch. u     Jensen,  III,  S.  912. 

32.  1840.  Klixbüll.  „Im  täglichen  Leben  wird  meistens 
plattdänisch  gesprochen. a  Amtlicher  Bericht  vom  Jahre  1840.  Alleu, 
II,  S.  370. 

33.  1840.  Karlum.  „Die  überwiegende  Zahl  der  Einwohner 
spricht  im  täglichen  Leben  den  für  die  hiesige  Gegend  üblichen  Jargon 
der  dänischen  Sprache;  ein  Theil,  etwa  10  Seelen,  bedienen  sich  aber 
häufig  der  deutschen,  und  etwa  8  der  friesischen  Sprache. a  Amtlicher 
Bericht.     Allen,  II,  S.  370. 

34.  1840.  Kirchspiel  Leck.  „Die  Kirchen-  und  Schul- 
sprache ist   ganz   deutsch,    die    tägliche  Volkssprache    ist    aber    hier 

gemischt,  theils  deutsch,  dänisch  und  friesisch a)  im  Lecker 

Schuldistrict   ist    die    tägliche    Volkssprache    grösstenteils    deutsch ; 

b)  im  Achteruper  Schuldistrict  ist  die  tägliche  Volkssprache  dänisch: 

c)  auf  dem  L  ü  t  j  c  n  h  o  r  n  e  r  f  e  1  d  c  ist  die  Volkssprache  dänisch  ;  d ) 
im  Clintumer  und  Schnatcbüller  Schuldistrict  ist  die  tägliche 
Volkssprache  ganz  friesisch  und  deutsch;  e)  im  Stadumer  Schul- 
distrikt ist  die  tägliche  Volkssprache  theils  dänisch ,   theils  friesisch  ; 


f)  in  Sandacker  und  Sprakebül  ist  die  tägliche  Volkssprache 
dänisch.*     Amtlicher  Bericht.  Allen,  II,  376  f. 

35.  1846.  Enge  wird  von  dem  Prediger  friesisch  genannt. 
Allen,  II,  S.  378. 

36.  1846.  Stedesand.  Die  Volkssprache  ist  ursprünglich 
unzweifelhaft  rein  friesisch  gewesen,  doch  nunmehr,  durch  Zunahme 
deutscher  Angesessenen,  wie  auch  durch  Einwirken  naher  Kirchspiele, 
wo  die  Volkssprache  vornehmlich  dänisch  ist  —  die  Umgangssprache 
auch  hier  eine  zwiefache  und  zum  Theil  gemischte  geworden. a  Allen, 
II,  S.  378.  Allen  fugt  hinzu:  „Nach  neuerdings  eingezogenen  Berichten 
ist  das  Kirchspiel  Stedesand  jedoch  als  friesisch  zu  betrachten, 
indem  alle  Familien  daselbst  friesisch  reden,  acht  ausgenommen, 
welche  theils  deutsch,  theils  dänisch  sprechen. u 

37.  1840.  „Zu  Oster-Schnatebüll  und  Klintum  in  der 
Karrharde  im  Kirchspiel  Leck,  zu  Hol  zacker  und  Soholm  in  der- 
selben Hardc   im  Kirchspiel   Enge hat   das   Dänische   bisher 

ziemlich  viel  Eingang  gefunden. u     Clement,  a.  a.  0.,  S.  54. 

38.  1873.  „Dat  in  de  dorpen  .  .  .  .  Wals  bull  de  friesche 
taal  nog  de  volsktaal  was,  is  nog  niet  zoo  lang  geleden."  Winkler, 
Allein,  nederd.  en  friesch  Dial.  I,  S.  72. 

III.    Norder-  und  Siidergoesharde. 

39.  Die  Kirchdörfer  Joldelund  und  Fi  öl  fuhrt  Heimreich 
noch  als  rein  friesisch  auf. 

40.  1788.  „Von  Husum  an  hört  man  schon  friesisch  sprechen, 
was  hier  die  Sprache  des  gemeinen  Volks  ist.  Doch  versteht  auch 
joder  Plattdeutsch,  und  der  Gottesdienst  wird  in  hochdeutscher  Sprache 

gehalten. u Die  friesische   ,, Sprache   ist   von   Hattstedt    an, 

bis    hinauf   nach  Jütland,   in   den  landfesten   Marschen eine 

noch  lebende  Sprache,  obgleich  nicht  mehr  in  der  alten  Reinheit. a 
Tetens,  Reisen  in  die  Marschländer  an  der  Nordsee,  I,  Leipzig  1788, 
S.   108. 

41.  1811.  „In  Dreisdorf,  Joldelund  und  Viöl  wird 
dänisch  und  deutsch  geredet,  und  zwar  in  Joldelund  mehr  dänisch 
als  deutsch. u  Bericht  des  General-Superintendent  Adler  vom  1.  März 
1811.     Allen,  II,  S.  76. 

42.  1811.  „Von  den  9  Kirchspielen  des  Amts  Bredstedt 
ist  die  Volkssprache  in  7  friesisch,  sehr  mit  dänisch  untermischt, 
in  allen  Dörfern  der  beiden  Kirchspiele  Viöl  und  Joldelund 
aber  ganz  jedoch  etwas  verdorbenes  dänisch;  ebenfalls  sind  die  2 
Kirchspiele  Olderup  und  Schwcsing  im  Amte  Husum  ganz 
dänisch,  ungeachtet seit  mehr  als  hundert  Jahren  Gottes- 
dienst, Schulunterricht,  gerichtliche  Bescheide  und  alle  öffentliche 
Angelegenheiten  den  Eingesessenen  dieser  4  Kirchspiele  deutsch  ge- 
geben  worden   sind,   wovon  auch   diese   Stunde   die   Mannspersohnen 

7* 


100 

wenig,  die  Frauenspersohnen  aber  zum  Theil  gar  nichts  verstehen." 
Ferner  dass  „die  genannten  7  Kirchspiele  im  Amte  Bredstedt  friesisch 
sprechen,  so  wie  die  Kirchspiele  Schobüll  und  Hattstedt  im 
Amte  Husum. u  Stark  dänisch  gefärbter  Bericht  des  Amtmann«» 
Levetzow  vom  1.  Februar  1811.     Allen  II,  S.  73  f. 

43.  1817.  Das  Kirchspiel  Jodelund  ist  Jetzt  meist 
dänisch,  alle  können  dänisch,  und  die  wenigsten,  fast  nur  alte,  friesisch" 
Outzen,  Über  die  dänische  Sprache  im  Schleswigschen,  1819. 

44.  1833.  „Nach  den  von  mir  auf  meiner  Reise  gemachten 
Bemerkungen  wird  in  dem  nördlichen  Theil  des  Amtes  Husum, 
nämlich    in    Hattstedt    und    Schobüll,   fast   überall    im    Amte 

Bredstedt,    mit   Ausnahme    von   Viöl    und    Joldelund 

friesisch  gesprochen Das  Dänische  ist  die  allgemeine  Familien- 
sprache nicht  nur  in  den  nördlichen  Ämtern  des  Herzogthums  Schles- 
wig .  .  .  sondern  .  .  .  auch  ...  in  den  mittleren,  ...  ja  selbst  in 
den  südlichen  Ämtern  und  Districten  von  Husum  bis  an  da* 
Kirchspiel  Schwesing  vorherrschend*.  Gudme,  Schleswig-Hol- 
stein, I,  Kiel  1833,  S.  83  f. 

45.  1839.  „Das  Kirchspiel  Viöl  ist  der  Volkssprache  nach 
Dänisch-Deutsch,  das  Kirchspiel  Joldelund,  .  .  .  darin  fast  total 
Dänisch".     Petersen,  III,  S.  457. 

46.  1 839.  „In  den  Dörfern  Högel,  Goldelund  sind  Friesisch 
und  Dänisch,  neben  und  durcheinander,  und  zwar  in  solchem  Ver- 
hältnisse, dass  keines  davon  vor  dem  anderen  dortige  Dorfssprache 
zu  nennen  sein  dürfte,  gebräuchlich. u     Petersen,  III,  S.  457. 

47.  1839.  „Das  Kirchspiel  Drclsdorf*  soll  nach  einer 
Sprachkarte  „sowohl  Deutsch  als  Friesisch a  sein.  Aber  als  Volks- 
sprache ist  „nur  Friesisch  sesshaft."     Petersen,  III,  S.  456. 

48.  „Das  Dorf  Dörpum  im  Kirchspiel  Bordelum*  soll  nach 
einer  Sprachkarte  „sowohl  Deutsch  als  Dänisch u  sein.  Aber  aK 
Volkssprache  ist  „nur  Friesisch  sesshaft.  In  Dörpum  haben  sich 
freilich  einige  Dänen,  wie  wohl  ebenfalls  Deutsche,  angesiedelt,  oh 
indessen  im  Dorfe  auch  Hausstände,  in  welchen  selbiger  Muttersprache 
mehr  als  das  Friesische  gebräuchlich,  so  ist  doch  von  Dörpum,  das* 
dort  Friesisch,  Dänisch  und  Deutsch  nicht  in  aufs  Allgemeine  gehender, 
war  in  ähnlicher  Beziehung  wie  es  zu  behaupten,  dass  in  Hamburg 
Deutsch,  Englisch,  Dänisch  und  Französisch  gesprochen  werde,  zu 
sagen. u     Petersen,  III,  S.  450. 

49.  1840.  Auf  dem  Festlande  ist  Schobüll  bei  Husum  das 
südlichste  Kirchspiel,  wo  man  das  Friesische  noch  hört,  so  wie  in  dem 
angrenzenden  Hattstedt.  In  der  Landschaft  Bredstedt  ist  mit  Aus- 
nahme der  beiden  östlichen  Kirchspiele  Viöl  und  Joldelund 
das  Friesische  die  herrschende  Volkssprache;  doch  ist  das  Plattdeutsche 
nicht  unbekannt  und  man  hört  es  namentlich  im  Flecken  Bredstedt 
und  den  anstossenden  Kögen. u     Jensen,  I,  S.  19  f. 


101 

50.  1841.  Kirchspiel  Schwesing.  „Die  Sprache  war 
vorhin  meistens  dänisch;  dies  hat  sich-  aber  verloren  und  ist  dem 
Plattdeutschen  fast  ganz  gewichen. u     Jensen,  II,  S.  608. 

51.  1841.  Kirchspiel  Joldelund.  „In  Joldelund  sind 
wenige,  die  deutsch  sprechen  können  und  die  Kinder  können  nichts 
als  Dänisch,  wenn  sie  zur  Schule  kommen. u  Jensen,  I,  S.  22.  —  „In 
(xoldelund  versteht  man  auch  zum  Theil  friesisch. u  Jensen,  II, 
S.    749. 

52.  1 846.  Joldelund.  Neben  plattdeutsch  und  dänisch  wird 
„auch  das  Friesische  in  vielen  Familien  gebraucht,  namentlich  im 
Dorfe  Goldelund".     Allen,  II,  S.  385. 

53.  1849.  „Zu  Lütjenholm  im  Kirchspiel  Brecklum  hat 
das  Dänische  bisher  ziemlich  viel  Eingang  gefunden,  das  Deutsche 
aber  in  den  Kirchspielen  Hattstett,  Drelsdorp  und  Breck- 
lum, in  welchen  Strecken  die  friesische  Sprache  auch  mit  vielen 
plattdeutschen  Ausdrücken  vermischt  ist.*     Clement,  a.  a.  0.,  S.  54. 

54.  1858.  Im  Flecken  Bredstedt  —  deutsche  Sprachinsel 
—  ist  nach  Allen,  II,  S.  383  plattdeutsch  die  herrschende  Sprache 
geworden. 

55.  1873.  „Dat  in  de  dorpen  Schwesing,  Viöl,  Schaff- 
lund  de  friesche  taal  nog  de  volkstaal  was,  is  nog  niet  zoo  lang  ge- 
leden".     Winkler,  Algem.  nederd.  en  friesch  Dial.,  I,  S.  72. 

IV.    Nordstrand,  Pelworm  und  Sfidfall. 

56.  1565.  „Völcker,  so  sich  der  fresischen  Sprache  gebrauchen 
als Strand  22  Karspein".  Petrejus,  Eine  kurze  Be- 
schreibung des  Ländleins  Nordstrand.  Camerer,  Vermischte  historisch- 
politische Nachrichten,  II,  Flensburg  und  Leipzig  1762,  S.  734. 

57.  1637.  Morsum,  Hamm  und  L i t h  haben  denselben 
Dialekt  geredet  wie  die  Lunder  Bürger,  ein  Dialekt,  welcher  von 
dem  nordstrandischen  verschieden  gewesen.  Peter  Sax's  Beschreibung 
von  Nordstrand.  —  Morsum,  Hamm,  Lith,  Lundenberg  und  Simonsberg 
machten  ehedem  die  Lundbulling-  oder  Lundenberg-Harde  aus.  Ver- 
mutlich sprach  man  hier  eine  Eiderstedische  Mundart. 

58.  1752.     „Auf  den    Inseln   Pelworm und    allen 

kleinen  Halligen  wird  friesisch  geredet".     Büsching  a.  a.  0.,   S.  104. 

59.  1824.  „Nordstrand,  wo  die  friesische  Sprache  bis  jetzt, 
noch  fast  wie  auch  auf  Pellworm,  vorherrschend  ist."  Outzen, 
Glossarium  der  fries.  Sprache,  Kopenhagen  1837,  S.  XXX. 

60.  1833.  »Auf  Nordstrand  wird  auch  von  einzelnen 
Personen  flämisch  gesprochen".  Gudnie,  Schleswig-Holstein,  I,  Kiel 
1833,  S.  83. 

61.  1840.     Das  Friesische  hat  sich  verloren  von  Pellworm 


102 

und  Nordstrand*.  Jensen,  I,  S.  19.  Das  Friesische  ist  dem  Deutschen 
gewichen  „auf  Nordstrand  und  Pellworm".     Daselbst,  S.   21. 

62.  1841.  Pellworm.  „Der  Stamm  der  Einwohner  ist  frie- 
sisch, aber  seit  der  Wiederhedeichung  [1635]  sehr  mit  fremden  Ein- 
wanderern vermischt*.     Jensen,  II,  S.  669. 

63.  1858.  Pelworm  und  Nordstrand  sind  nach  Allen.  II. 
S.  383  plattdeutsch. 

64.  Wiewohl  Pelworm  heute  rein  plattdeutsch  ist,  haben  sicli 
die  letzten  Reste  des  Nordfriesischen  noch  bis  auf  die  Gegenwart  er- 
halten. 1888  lebte  in  Wrixum  auf  Föhr  eine  ganz  alte  Pelwormerin. 
welche  noch  das  Nordfriesisch  in  ihrer  Jugendzeit  gehört  und  noch 
nicht  vergessen  hat;  leider  war  dieselbe  zur  Zeit  meines  Aufenthalte 
auf  Föhr  verreist.  Doch  habe  ich  auf  Amrum  einen  jetzt  55  Jahre 
alten  Pelwormer,  Peter  Winter,  kennen  gelernt,  dessen  Aussagen  un- 
bedingt zuverlässig  sind.  Dieser  wusste  sich  noch  zu  erinnern,  das> 
Ketel  Ketelsen,  der  1846  oder  1847  gestorben  und  wenigstens  gegen 
70  Jahre  alt  gewesen  ist,  mit  seiner  Haushälterin  friesisch,  altes  Pel- 
wormer friesisch  gesprochen  habe;  er  wohnte  nicht  weit  von  der 
Neuen  Kirche.  Ferner  hat  Peter  Winter's  Grossmutter,  die  1886  im 
Alter  von  94  Jahren  gestorben  ist,  noch  Pelwormer  friesisch  gesprochen. 

65.  Nach  der  Aussage  von  Peter  Winter  haben  1825  noch  2."» 
Familien  auf  Südfall  gewohnt,  und  es  wurde  dort  noch  friesisch  ge- 
sprochen. 

V.    Eideroted. 

66.  1565.     „Völcker,  so  sich  der  fresischen  Sprache  gebrauchen 

als Eiderstädt    18  .  .    Karspel".      Petrejus,    Eine 

kurze  Beschreibung  des  Ländleins  Nordstrand.  Camerer,  Vermischte 
hist.-polit.  Nachrichten,  II,  Flensburg  und  Leipzig  1762,  S.  734. 

67.  1610.  „Incolae  lingua  peculiari  et  genuina  praeter  Saxonicam 
utuntur,  eademque  cum  reliquis  Frisiis  orientalibus  et  Occidentalibus 
communi:  unde  liquet  ex  ijs  ortos  esse,  siquidem  hoc  praeter  linguaiu 
communem,  morum,  vestitus  et  aedificiorum  similitudo,  item  propria 
nomina,  utriusque  sexus  satis  testantur".  Jacob  Sax,  Kurtze  und 
Förmliche  Beschreibung  Dess  löblichen  Eyderstedschen  Landes,  Ham- 
burg 1610. 

68.  1652.  „Es  wohnen  zu  dieser  Zeit  keine  von  adel  in  dem 
Lande,  sondern  lauter  Haussleute,  davon  die  meiste,  vornehmste  der 
Friesischen  Nation,  wiewohl  sie  durchgehends  zum  wenigsten  im 
Ostertheil  Niedersächsich  reden".  Danckwerth,  Newe  Landesbeschrei- 
bung der  zwey  Herzogthümer  Schleswich  vnd  Holstein,  1652,  S.  14'J. 

69.  1752.     „In  Eiderstädt wird    friesisch    geredet". 

Büsching,  Kurzgefasste  Staats-Beschreibung  der  Herzogthümer  Holstein 
und  Schleswig,  Hamburg  1752,  S.  104.  —  Wohl  aus  älteren  Büchern 
entnommen. 

70.  1758.     „Die    friesische  Sprache    wird   in   Eyderstedt  nicht 


103 

mehr  geredet,   sondern   durchgängig  Plattdeutsch a.     Den  Beleg  habe 
ich  mir  leider  rieht  notiert. 

71.  1788.  „Die  jetzigen  Eyderstedter  sind  ein  vermischtes  Volk. 
Der  alte  Stamm  ist  friesisch,  aber  es  sind  so  viele  fremde  Reiser  aus 
Holland  und  sonst  ihm  eingepfropft,  dass  jener  nicht  mehr  kenntlich 
ist.  Die  friesische  Sprache  ist  ganz  aus  dem  Land  weg,  aber  die 
Landessprache,  welche  im  Ganzen  das  gewöhnliche  Niedersächsische 
ist,  hat  doch  manches  eigene  in  den  Wörtern  und  in  der  Verbindung, 
und  ist  von  der  jenseits  der  Eyder  in  Dithmarschen  eben  so  ver- 
schieden, als  die  Menschen  selbst  hier  und  dort  es  sind."  Tetens, 
Reisen  in  die  Marschländer  an  der  Nordsee,   I,   Leipzig  1788,   S.  97. 

72.  1809.  „Die  Landschaften  Eyderstedt  und  Stapelholm 
werden  auch  von  Friesen  bewohnt,  allein  ihre  Sprache  ist  bis  jetzt 
völlig  abgestorben*.    Adelung- Vater,  Mithridates,  Berlin  1809,  S.  243. 

73.  1840.  Das  Friesische  ist  dem  Deutschen  gewichen,  „in  ganz 
Eiderstedt,  in  Simonsberg".  Jensen,  I,  S.  21.  —  1841.  Die  friesische 
Sprache  „ist  aber  nun  gänzlich  schon  seit  einigen  Menschenaltern 
verschwunden   und   der  plattdeutschen   gewichen.     Jensen  II,   S.  770. 

Noch  heute  reisen  die  Eiderstedter  nach  -Deutschland". 


79* 


VI.    Biisum. 

Der  Name  Büsum  trägt  mit  seinem  nordfries.  ü  für  ü  noch 
heute  das  Merkmal  seiner  Herkunft.  Ein  sicheres  Zeugnis  für  das 
einstige  Vorhandensein  der  nordfriesischen  Sprache  haben  wir  sonst 
nicht.  Jedenfalls  ist  sie  hier  am  frühsten  der  plattdeutschen  ge- 
wichen, seit  die  Sturmfluten  diese  ehemalige  Insel  von  Eidersted 
völlig  getrennt  haben  und  sie  politisch  zu  Dithmarschen  gehörte. 
Es  mögen  hier  zwei  immerhin  gewichtige  Zeugnisse  folgen: 

1605.  Ubbo  Emmius,  Rerum  Frisicarum  historiae  decas  prima, 
Arnhemii  1605,  zählt  die  friesischen  Inseln  auf,  mit  dem  Westen  be- 
ginnend.    Nach  Borkum  und  Just  folgt  S.  72:  „Exiguo  tantum  freto 

ab  eo  sejuneta,  quondam  vero  contigua, insula  Busa  nomine. 

Postremo  Hilgerlandia  proeul  littore." 

Neocorus  sagt  von  Büsum  1, 165  (ed.  Dahlmann)  „welche  stedeshen 
de  olden  Gewanheit  unde  Seden  am  lengesten  beholden".  S.  223: 
„It  leth  sich  ansehen,    als  elfte  it  gar  ein  ander  Art  Volkes  si*.     S. 

213:    „It  is  stedes  dit  Carspel  ene  besundere  Insul gewesen, 

darumme  ock  de  andere  Ditmersche  se  alletidt,  wo  noch  itz  geringer 
geholden  hebben*.  S.  223 :  „Wo  se  denn  vele  Worder  vorkorten  unde 
thobreken  undö  noch  mehr  vor  Oldinges  thobraken  hebben". 

Die  Insel  Büsum  bildete  ehemals  sicher  einen  Teil  des  viel- 
umstrittenen Mejer'schen  Süderstrand,  des  südlichsten  Teiles  des  alten 
Nordfriesland.  Landfest  ist  sie  erst  in  neuerer  Zeit  geworden.  Bei 
der  Annahme,  dass  Büsum  einst  friesisch  war,  erklären  sich  auch 
die  einander  widersprechenden  Nachrichten  über  die  Nationalität  der 


104 

Dithmarschen.  Das  Marschland  ist  liier  von  der  Geest  aus  kolonisiert 
worden  von  den  sächsischen  Dithmarschen.  Im  nördlichen  Teile  der 
Marsch  trafen  sie  auf  Nordfriesen  und  assimilierten  sie  sich,  soweit 
diese  geographisch  von  ihren  Stammesgenossen  getrennt  waren ;  die 
Dithmarschen  sind  also  eine  „gens  commixta  Saxonum  et  Frisonum*. 
Hinsichtlich  der  zahlreichen  Spuren  nordfriesischer  Sprache  in  der 
Dithmarscher  Mundart  vgl.  besonders  Neocorus  I,  60;  Outzen,  Kieler 
Blätter  1819,  II,  1,  S.  105  und  in  Carstens'  und  Falck's  Staats- 
bürgert.  Magazin  II,  1822,  S.  758—773;  III,  1823,  S.  99—118  und 
441 — 469;  Tamm,  Ztschr.  der  Gesellschaft  für  Schleswig-Holstein- 
Lauenburgische  Geschichte  VI,  1876,  S.  1—93  und  233;  Walther 
Ndd.  Jahrb.  II,  S.  134 — 144.  Die  mehrfachen  Belege  für  das  Friesen- 
tum  der  Dithmarschen  (Scholiast  zu  Adam  von  Bremen,  Ubbo  Emmius. 
Petrejus)  sind  belanglos;  doch  konnte  eine  solche  Meinung  nur  auf- 
kommen, wenn  erhebliche  nordfriesische  Elemente  zu  Dithmarschen 
gehörten. 

HALLE  a.  S.  Otto  Bremer. 


Pelwormer  Nordfriesiseh. 


Ich  möchte  die  wenigen  Sätze,  welche  die  einzigen  Zeugen  des 
ausgestorbenen  Pelwormer  Nordfriesisch  sind ,  der  Vergessenheit 
entreissen. 

Überliefert  ist  uns  die  Umschrift  der  sogenannten  Kupfernei! 
Taufe  zu  Büsum,  welche  1452  von  Cord  Widerich  aus  der  alten  Pel- 
wormer Kirche  geraubt  worden  ist.  Die  Worte  sind  abgedruckt  Kieler 
Blätter,  V,  1818,  S.  212  Anm.: 

Disse  Hirten1)  Dope,  de  have  toi  thön  ewigen  Ohntoncken*)  möge 
lete,  Da*)  shötten  össe  Berrne  in  Jcressent  warde. 
Einer  Übersetzung  bedarf  es  nicht.. 

Die  Worte,  welche  nach  Peter  Winters  Aussage  (s.  oben  S.  102) 
die  Haushälterin  zu  Ketel  Ketelsen  gesagt  hat,  sind*): 

Vel  foi  oh  nox  en  büshi  möor  hevi?  (Will  Vater  auch  noch  ein 
Butterbrod  mehr  haben?) 

Er  antwortete: 

Nän,  Margret,  ih  wat  e  möw  hevi.  (Nein,  Margret,  ich  mag 
nicht  mehr  haben.) 


Dahlmann  in  seiner  Ausgabe  von  Neocorus  Chronik  des  Landes  Dithmarschen 
I,  S.  213  Anm.  bietet  folgende  Varianten,  die  auf  einer  Aufzeichnung  Viethcns  aus 
dessen  ungedruckten  Nachlasse  beruhen:     *)  hirren.     *)  Ohnthoucken.    5)  da. 

*)  Die  Rechtschreibung  nach  Ndd.  Jahrb.  XIII,  S.  2. 


105 

Von  seiner  Grossmutter  entsinnt  sich  Peter  Winter  noch  der 
folgenden  Worte: 

blid  n  bledr  Ü6  d  sop  (Fettaugen  auf  der  Suppe). 

Ferner:  Ja,  foi,  du  Jcönst  man  e{  sini.  Der  is  n  beVji  fun  <m 
lum  an  dn  bet'ji  fan  &n  tütr.  NU  fask  foi  fasle!  (Ja,  Vater,  du  kannst 
nur  nicht  sehen.  Da  ist  ein  bischen  von  einem  Lamm  und  ein  bischen 
von  einem  Tüter  (Vogelart).  Nun  tische  Vater  Fische,  d.  h.  nun 
tische  nur  hinein!) 

Endlich  ist  noch  das  Wort  hevar  =  Hafer  bezeugt  durch  eine 
Sage,  welche  Peter  Winter  in  seiner  Jugend  noch  die  ganz  alten 
einander  hat  erzählen  hören :  Über  die  Hever  führte  von  Pelworm  oder 
Südfall  nach  Eidersted  in  alten  Zeiten  ein  Steig  (Bollenbruggi  1370 
bezeugt);  einem  Mann,  der  darüber  ging,  tiel  sein  Sack  Hafer  in's 
Wasser,  weshalb  er  jammernd  ausrief:  „0  mein  Hewer!*;  daher  habe 
der  Strom  den  Namen  Hever  erhalten. 


Von  der  alten  Nordstrander  Mundart  ist  uns  nur  der  1661  ge- 
dichtete „Miren-Söngh*  und  „Een-Söngh"  erhalten  in  Heimreich's 
Ernewerter  Nordfresischen  Chronick,  Schlesswig  MDCLXIIX  (wieder 
abgedruckt  in  der  Ausgabe  von  Falck,  I,  Tondern  1819,  S.  27 — 30; 
( Pratjc,)  Altes  und  Neues  aus  den  Herzogthümern  Bremen  und  Verden 
V,  Stade  1772,  S.  312—314;  De  Haan  Hetteina,  Frieske,  Hilgelaoimer 
en  Noardfrieske  Ryinkes,  Dockum  1841,  S.  192 — 194:  der  „Een-Söngh" 
auch  bei  Firmenich  III,  S.  452). 

HALLE  a.  S.  Otto  Bremer. 


Mittelniederdeutsches  Arzneibuch . 


In  1884  kocht  ik  op  eene  boekverkooping  hier  ter  stede  een 
klein  handschrift,  dat  door  mij  aan  de  Universiteitsbibliotheek  te  Ut- 
recht werd  afgestaan. 

Dit  hs.,  perkament,  16°,  geschreven  in  het  einde  der  14  e  of  in  den 
aanvang  der  15°  eeuw,  bevat  124  bladen,  waarvan  99  van  eene  hand 
en  22  van  andere  handen,  tusschen  deze  beide  is  de  100 e  bladzyde 
onbeschreven.  Aan  het  cind  staan  op  blz.  123  een  fragment  over 
de  alrune,  op  blz.  124  Ä  en  b  coupletten  eener  Vogclsprake  van  eene 
band  von  de  16°  eeuw  in  dit  Jaarboek  IX,  171  uitgegeven,  door  F.  Dui- 
tenrust  Hettema.  Het  hs.  is  vroeger  in  bezit  van  M.  Cluverus  geweest: 
Hunc   libellum  mihi  dono   dedit   Martinus    Cluverus    a°    1607.     Ver- 


106 

moedelyk  zyn  deze  woorden  geschreven  door  J.  Morsus:  Ex  libris 
Joachimi  Morsi  a°  1607.  Deze  Joachim  Morsus  is  in  1593  te  Ham- 
burg geboren  en  studeerde  te  Rostock  tegelyk  met  Joa.  Cluverus,  cei 
zoon  of  bloedverwant  van  Martinus  Cluverus. 

De  inhoud  komt  op  sommige  punten  o\ereen  met  het  Arzenei- 
buch  Nr.  980  uit  Gotha,  door  K.  Regel  in  uittreksel  uitgegeveL 
(Jahrb.  I.  5),  minder  met  Codex  Wolfenb.  23,  3  en  met  de  beide  Arzenei- 
bücher  door  F.  Pfeiffer  medegedeeld  in  Sitz.-Ber.  d.  Wiener  Ac. 
1861,  110. 

De  ruimte  laat  niet  toe  eene  zaak-  en  taalkundige  inleiding 
te  geven.  Wellicht  veroorlooft  de  tijd  mij  om  later  op  de  laatste  terug 
te  komen. 

De  opschriften  zyn  met  roode  letters  geschreven.  Op  de  bladzijd? 
bevinden  zieh  tot  blz.  100  veertien  regeis,  daarna  dertien  op  blz.  lOo4 
en  115*  die  van  andere  band  zyn  dan  de  overige  na  blz.  1Ö0,  welkt 
alle  14  regeis  hebben. 


(lb)  ^yde  minsche  is  gemaket  van  ver  stucken:  van  der  erde 
unde  van  der  lucht,  van  vure  unde  van  watere.  Van  den  ver  stucken  i> 
de  minsche  maket.  De  ver  stucke  tredet  vort  up  achte  stucke: 
Erde  und  lucht,  wint  unde  water,  vleysch  unde  blot.  Got  hevet  un> 
lif  unde  sele  ghegeven. 

Van  der  erde  hebbe  we  de  mach  des  vleysches.  Van  der  lucht 
hebbe  we  de  lust  des  lives.  Van  dorne  watere  hebbe  we  de  minscheyt  de> 
levendes.  Van  (2*  )  deme  vure  is  de  nature  des  minschen  unde  dat  blot. 
De  levere  licht  an  der  vorderen  siden  unde  dar  af  komet  de  hettr. 
So  welich  man  pleget  to  latende  und  de  van  heter  nature  is  unde 
sin  latent  vorgad,  dar  van  besteyt  em  de  hette  der  tercianen. 

So  welich  man  de  suke  hevet,  de  scal  sie  hoden  vor  harder 
spise.  Rintvleysch  scal  he  vermiden,  allerhande  droge  vleysch  unde 
dat  sere  solten  is.  He  scal  eygere  unde  boteren  (2b)  vormiden,  he 
scal  sie  hoden  vor  bade,  he  scal  vormiden  win  unde  dicke  ber.  He 
hode  sie  vor  desser  drierhande  sake,  so  mach  got  helpen  dat  he  van 
desser  suke  geneset.  Brekt  he  dat,  dat  he  sie  nicht  en  hodet  vor 
desse  dre  dinck,  so  mot  he  des  dodes  wesen. 

(rechen  de  hette. 

De  suke  van  der  hette  der  leveren  de  sprecht  also:  de  is  en 
der  urinen  brunrot  De  urine  hevet  enen  svarten  manen.  Is  he 
boven  open,  so  is  (3*)  dar  hopene  to  deme  live.  Is  he  besloten,  su 
scal  men  den  man  bewaren,  want  dar  is  nen  lif  ane.  So  wanne  dit 
de  mester  secht,  so  scal  he  ene  berichten  an  so  danegher  spise,  de 
eme  recht  unde  nutte  si. 

En  ander  böte.  He  scal  ene  laten  eten  grone  sulten  van  svinen- 
voteken,  warme  mandelenmoseken  is  eme  got.  io  he  dat  dicker  et, 
io  et  eme  beter  is,  unde  nen  brot.     Dünne  havergrutte   sere   soden 


107 

sind  eme  och  got.  Wultu  den  man  (3b)  sunt  raaken  van  der  suke, 
so  scoltu  nemen  aurinen  und  wermodensat  unde  droge  rosen.  Deser 
stucke  allike  vele  dar  scolttu  to  don  leverblomen.  Du  scult  nemen 
enen  nigen  gropen,  dar  nicht  innekomen  si;  dar  scalmen  it  in  don 
mit  eneme  beker  wateres.  Dat  scal  also  langhe  seden,  dat  de  twe 
del  vorsoden  sin.  So  wan  it  so  sere  gesoden  si,  so  sculttu  den 
gropen  wosen  wol  half  mit  water  (4*)  so  scult  tu  it  so  lange  seden 
laten,  also  men  Tische  seden  scal.  So  sculttu  it  sigen  dor  enen 
sconen  cloc  an  eynen  anderen  gropen.  Dat  scolttu  eme  geven  dre 
morgen  nüchteren  unde  dre  avende,  so  wan  he  nicht  mer  nuttegen 
en  wil.  Na  deme  dranke  en  scal  he  nicht  mehr  nutten.  He  scal  sie 
hoden  vor  groteme  drancke.  En  wel  he  dit  nicht  holden  also  eme 
gheboden  is,  so  en  kan  ene  nen  man  helpen,  so  scolttu  siner  afstan. 
En  andere  böte.  (4  b)  Hevet  de  minsche  de  suke  van  der  hette 
langhe  gedragen,  so  is  eme  sin  levere  blek.  So  scal  men  nemen  hertes- 
tunghen  so  vele  so  eyn  half  verdinc  wegen  mach.  Lacriscien  also 
vele.  Kosen  eyn  lot  wicht.  Fiolen  also  vele.  Casrafistula  also  vele. 
Lacriscien  sap  also  vele.  Ysopen  en  half  verdinc  wicht.  Holpe  also 
vele.  Anys  also  vel  klene  gepulveret.  Dragant  eyn  half  lot  wicht. 
Eyne  nacht  scal  men  it  weken  laten  so  wasset  it  grot.  Desser  (5  a) 
crude  sint  teyne ;  de  scalmen  to  samene  don  an  enen  nigen  gropen  de 
unghenuttet  si;  de  scal  so  grot  wesen  dat  men  dar  up  möge  geten 
vor  beker  wateres.  Dit  scal  me(n)  to  samene  seden  also  langhe  dat 
et  wol  half  vorsoden  si.  So  scal  men  it  over  mit  verschen  watere 
up  vullen  unde  late  wol  eynen  beker  vorseden.  Dat  scal  men  wringen 
au  enen  sconen  scapen,  de  wol  geschuret  si,  unde  laten  it  wol  mellicwarm 
bliven.  Darna  sculttu  nemen  eyne  halve  (5  b)  marc  (van  totere  hand:  punt.) 
sukeres;  unde  dat  witte  van  twen  eygeren.  Dit  scaittu  slan  to  samene  in 
eyner  scotelen  unde  scult  it  to  samene  don  to  dem  syrope  unde  laten 
denne  seden;  dattu  it  nicht  rorest,  so  geit  de  vorgifnisse  an  dut 
witte  van  deme  eyge,  so  lutteret  sie  de  syrop.  So  sculttu  it  sighen 
dor  eynen  reynen  doc.  Dat  sculttu  deme  minschen  geven  weder  de 
suke  des  morgenes,  des  middaghes  unde  des  avendes,  also  langhe 
so  he  den  syrop  hevet.  He  scal  ok  ene  (6  a)  nutghen  des  nachtes 
de  wile  dat  de  man  licht.  So  scal  he  sine  nette  tho  middernacht 
van  eme  laten.  De  anderen  scal  he  laten  an  eyn  orgenal  unde  wisen 
se  alle  dage  sineme  meystere.  So  wanne  du  de  netten  besust  unde 
is  se  goldvare,  so  beteret  sie  de  man,  so  sculttu  ene  wol  bewaren 
unde  scult  ene  alledage  besen,  unde  scolt  ene  behoden  dat  he  nicht 
undercolt  ne  werde.  So  wanne  du  den  minschen  besust,  is  he  der 
suke  genesen,  so  is  sin  net(6b)te  lutter  unde  clar  unde  goltvare.  So 
sculttu  it  nemen  uppe  de  hant  unde  scolen  it  sere,  dat  it  scume. 
äinkit  denne  de  scume  al  to  hant  to  gründe,  so  is  de  man  alles 
Hughes  nesen.  So  sculttu  deme  minschen  vorbeden  allerleye  dinc, 
le  eme  böse  sint:  du  scult  die  behoden  dattu  nicht  alto  vro  badest, 
aride  vor  allerhande  ungeuer  spise  unde  vor  ungeueme  drancke ; 
holst  du  desse   dinck   so    blifsttu    eyn   sund  man,    unde   holsttu   des 


108 

nicht  (7*)  so  is  din  levent  kranc;  so  volst  tu  weder  an  ene  suke,  der 
di  nummcr  ne  man  helpon  kan. 

En  ander.  Es  dat  also  dat  he  nicht  gheholden  hevet  dat  em<- 
sin  mester  geboden  hadde,  hevet  he  to  hete  badet  unde  drinkt  h^ 
denne  an  der  hette  so  wert  eine  sin  nature  vorstoret.  So  wanne  du 
den  man  besust  und  du  dat  glas  in  de  hant  nimst,  is  sin  nette  dustei 
duncker  so  is  de  nature  gemenghet  mit  der  nette  so  en  is  dar  neu 
helpe  ane.     So  scult(tu)  den  man  laten  bewaren. 

(7b)  En  ander.  Hevest  tu  die  vorgrepen  an  harder  spise,  >o 
sculttu  die  betyt  besen  laten.  Is  sin  nette  rodelachtich  gele  unde 
sculnet  se  unde  holt  sin  scumen  so  mochtu  eme  helpen.  So  sculttn 
erae  gheven  eyne  wetnisse  dre  morgene  nüchteren  unde  dre  avende 
so  wan  he  nicht  mer  nuttegen  wil.  So  wanne  du  eme  dat  hevest 
ghegheven,  so  sculttu  eme  gheven  des  verden  daghes  eynen  dranc. 
Den  dranc  scal  man  eine  matliken  gheven  dat  eme  sin  maghe  suveret 
werde.  Du  scult  ene  dar  (8  a)  vore  bewaren  dat  he  nicht  drinke  er 
eme  sin  lif  reyne  suveret  si.  So  scult  tu  nemen  win  unde  den  doder 
van  eneme  eyge  unde  scult  en  supent  maken  vet  mit  smolte,  dat  scult 
tu  eme  gheven  mit  verschen  witten  brode  unde  laten  ene  rowen. 
Des  anderen  dages  so  scult  tu  sine  netten  besen  in  deme  glase.  Du 
scult  dat  glas  umme  swenghen  dat  it  scume.  Is  de  nette  clar  und 
smilt  de  scume  so  is  he  der  suke  ghenesen. 

Dunkt  di  dat  sie  de  scume  en  clene  untholde,  (8b)  so  sculttu 
ene  laten  rowen  twe  dage  unde  gif  eme  denne  dessulven  dranke> 
matliken  unde  nicht  also  vele  so  du  des  ersten  dedest,  unde  höh 
ene  wol  mit  vetter  verschen  spise. 

Dus  inaken  en  oximel. 

Nim  venicoles  wortelen  unde  petercilien  wortelen  like  velt. 
levestockes  wortelen  also  vele,  mercwortelen  also  vele,  adiewortelei 
half  also  vele,  hollenderes  wortelen  eyn  clene,  rediewortelen,  swer- 
delen  wortelen.  Desser  ver  stucke  like  vele.  Achte  stukke  sculttu 
scarven  unde  denne  (!)  B)  clene  stoten  an  eneme  moscre,  unde  du  it 
denne  an  eynen  nigen  gropen  de  umbenuttet  si.  Dre  bekere  gode> 
etekes  dat  scalmen  (am  rande  do  darop)  denne  laten  seden  also  langhe 
dat  dat  dridde  del  vorsoden  si;  so  scultu  it  wringhen  dor  eynen  doc 
an  enen  sconen  scapen;  do  darto  enen  bekere  honeges,  den  sculttu 
wringen  dor  eynen  doc.  So  scolt  du  it  seden  laten  an  deme  scapeiL 
also  it  rechte  begunt  to  seden,  so  scoltu  it  afuemen  unde  scult  den 
scumen  mit  ener  vedderen  afnehmen;  (üb)  nim  it  denne  af  unde 
scumet  echter  also  langhe  dat  it  nicht  mer  en  scume.  So  scolttu 
nemen  en  mescet  unde  scult  dat  lemmelen  mit  eyn  luttek  boteren 
bestriken  unde  scult  des  oximelles  eynen  dropen  uppe  dat  mescet 
unde  scult  dat  mescet  umme  keren;  hanghet  de  drope  dar  an,  so  is; 
it  got;  hanget  he  dar  nicht  an,  so  scalmen  it  bat  seden  also  langhe 
went  it  sine  cracht  hevet.  So  welcken  minschen  du  it  gifst,  so  scultu 
nemen  reyne  water  gesoden   (10  a)    eynen  lepel  vul,   dar  scult  tu  to 


109 

don  twe  lepel  vnl  oximelles  unde  gheven  eme   dat  drincken  also  hir 
vore  ghescreven  steyt,  dre  raorghene  unde  dre  avende. 

Dit  is  en  dranck,  den  de  minsche  drinken  scal. 

Nim  esclaurinor.  dat  krud  sprekt  to  dudhe  scodet:  de  wortele 
scult  tu  winnen  laten  unde  scult  de  scone  scellen  unde  nemen  de 
rinden  ane  pedic,  unde  droghen  de.  Du  scult  nemen  wiswort  unde 
scellen  de  wortelen  unde  droghen  de  drierhande  to  samene  allike  (10b) 
vele,  unde  pulveren  dat  to  samene  ieghen  eyn  half  punt,  dar  sculttu  to 
don  alloe  paditum  ene  halve  marc  wicht,  dat  scult  du  pulveren.  Du  scult 
de  drigerhande  pulver  to  samene  pulveren,  an  deme  verden  dage  so  scult 
tu  din  oximel  warm  maken;  unde  scult  des  pulveres  dar  in  don  ene  halve 
walnutscellen  vol;  unde  gif  eme  dat  drincken;  unde  lat  ene  eyn  luttik 
sukeres  nasluken;  jo  he  denne  mer  sie  roret  unde  wanderet  io  it  eme 
beter  is;  (11  a)  so  wert  eme  dat  lif  gande,  unde  sin  maghe  suveret  sie 
schone.  Dit  oximel  also  hir  screven  steyt.  Sowelik  minsche  de 
bekumeret  si  van  deme  watere,  is  it  wit,  so  scultu  eme  it  an  deme 
negenden  dage  geven  des  morgenes  nüchteren  unde  des  avendes  so 
wan  he  nicht  mer  nuttegen  wil.  An  deme  negeden  dage  so  scult  tu 
en  bad  maken  von  allerhande  groneme  krude  dattu  vinst.  Dit  scolt 
tu  an  eneme  ketelc  seden  unde  scult  de  hodene  warm  maken.  Du 
scult  den  (llb)  ketel  darin  setten  mit  deme  krude,  unde  scult  ene 
baden  laten  ane  water.  Dat  sulve  oximel  sculttu  eme  geven  warm 
eyne  walnutscelle  vul  mit  deme  pulvere,  unde  sluk  dar  na  eyn  clene 
sukeres  unde  ga  denne  to  hant  to  bedde,  unde  bedekke  die  warm 
unde  beware  die  denne  wol.  Dat  water  gheit  di  denne  sere  nedene 
dore.  Du  scolt  nemen  roghenmel  unde  make  eynen  koken  unghesolten. 
Du  scult  den  backen  laten  unde  scolt  en  eme  vor  dat  herte  leghen 
(12  »)  so  he  it  mach  wärmest  doghen.  So  wan  eme  dat  water  utgeyt, 
so  is  eme  sin  herte  kranc,  so  ne  volet  he  nene  kracht.  Van  deme 
warmen  brode  so  versehet  eme  sin  herte  unde  gift  eme  kracht  des 
levendes.  Du  scolt  eyn  olt  hon  rede  gesoden  han,  unde  scolt  it  stoten 
an  eneme  mosere  mit  sineme  egene  sode  unde  scolt  it  wringhen 
dor  cnen  dok  an  den  sulven  gropen;  du  scolt  dar  to  don  win  unde 
smolt  unde  laten  it  vorwellen,  unde  gheven  eme  dat  nüchteren 
mit  verscheme  wit(12b)ten  brode.  Du  scolt  eme  vorbeden  groven 
dranc  unde  oversolte  spise.  Rintvlcysch  unde  allerhande  droge  vlcsch, 
gronc  swinenvleysch  mot  he  wol  eten  mit  petercilien  soden.  Junghe 
lionre  sal  he  eten,  wit  brot  scal  he  eten.  Goden  win  scal  he  drinken. 
God  wetenber  eder  haverber.  Gradene  spise  scal  he  vormiden,  aller- 
hande vissche.  Du  scult  molken  unde'  lok  unde  anetvochele  unde 
gense  vormiden.  Holst  du  dat  dat  di  din  mester  vorboden  hevet, 
so  wert  roke  diner;  lest  du  dat,  so  bistu  des  dodes. 

(13*)  Wnltu  weten  sine  varwen  de  dat  witte  water  hevet. 

De  hevet  wit  bleke  varwen  unde  sine  ben  sint  eme  grot  geswllen, 
sin  lif  is  eme  grot  swllen.  So  wanne  du  den  minschen  besust  so 
sculttu   nemen   dat  glas  uppe  de   hant,   is    syn   nette   klar  also    eyn 


110 

brunne,  so  is  it  vander  muten;  is  se  gele,  so  is  it  van  der  water- 
gallen,  so  mochst  du  eme  wol  helpen  mit  soghedaneme  dranke  al>- 
hirvor  bescreven  steyt,  unde  behode  en  vor  groteme  drancke,  dey>t 
tu  dit,  so  wert  diner  rat. 

En  ander  böte.  (13  b)  Wltu  deme  minschen  helpen  van  der  suke, 
de  ene  is  angewassen,  so  scolt  tu  nemen  seblades  wortelen  unde  laten 
de  seden  mit  wine.  En  hevet  he  des  wines  nicht,  so  sede  he  se  mit 
olden  bere.     Jo  he  dat  dicker  deyt,  io  eme  dat  water  er  vorgeyt. 

En  ander.  Dhu  scult  nemen  nacht  unde  dach,  de  hebbet  gele 
blomen  unde  blawe,  unne  seden  se  mit  wine  oder  mit  olden  bere. 
Jo  he  dat  dicker  deit,  io  it  eme  er  vorgeyt. 

Van  den  de  sich  vorvat  an  dranke. 

(14 a)  So  wan  en  minsche  an  groteme  arbeyde  is,  so  is  eme 
sin  herte  more ;  so  wel  he  denne  drinken,  so  sint  eme  alle  sine  äderen 
open;  drinckt  he  an  der  hette,  so  geyt  eme  de  dranck  twischen  vel 
unde  vleysch.  So  besteyt  ene  eyn  vrost.  Na  deme  vroste  eyn  hotte. 
Svetet  he  an  der  hette  unde  let  he  eme  an  tyt  raden,  so  machmen 
eme  helpen,  so  volt  he  an  de  quartamen;  is  dat  he  nicht  en  svetet. 
unde  let  eme  nicht  betiden  helpen,  so  mot  he  des  dodes  wesen. 

En  ander.  (14b)  So  wanne  du  den  minschen  besust  in  deine 
glase,  is  sin  nette  gele  rodelachtich ,  boven  de  mane  brun  rot  unde 
open,  so  scult  du  die  siner  underwinden,  unde  scult  denne  demr 
manne  helpen. 

En  ander.  Nim  hollenderen  holt,  (Randglosse:  dat  is  elhorn)  unde 
clove  dat  kleyne  unde  late  it  droge  werden,  unde  nim  denne  ew 
voghe  bodene ;  du  scolt  de  bodene  nat  maken  unde  scult  up  der  erdt 
en  vur  maken  van  hollenderen  holte.  Du  scult  de  bodene  stulpei. 
over  dat  vur,  unde  laten  de  bodene  dor  het  (15  •)  werden.  So  scult 
tu  de  bodene  wol  snelliken  umme  wenden  unde  scult  se  warm  bedecken 
dat  de  hette  nicht  ut  ne  möge.  Du  scult  enen  stoleken  dar  it 
setten  unde  den  man  wol  snelliken  darin  bringhen. 

Nim  lorberen  unde  bevergeylen  unde  snit  dat  an  cynen  groper: 
mit  olden  bere;  dat  scult  du  an  deme  bade  drincken.  So  wanne  da 
dat  gedrunken  heuest  so  scult  du  sitten  an  dorne  bade  dat  tu  vaste 
svetest.  So  wanne  du  also  langhe  svetest,  dat  tu  nicht  mer  en  mugst. 
so  sculttu  (15  b)  die  an  enen  wllen  dockleyd  beslan  unde  wol  wan« 
bedecken  unde  rowen  die;  also  langhe  sculttu  baden  unde  den  dram 
drinken  wante  du  van  der  suke  genesest.  Hode  die  vor  groteme 
drancke,  hevesttu  de  suke  to  langhe  vorgan,  so  scalmen  dat  proven 
an  der  netten.  So  wanne  du  dat  glas  an  dine  hant  nimst,  is  sin 
nette  gele  unde  duster  unde  is  de  mane  ganz  bovene  so  is  ho  de> 
dodes,  so  sculttu  siner  mit  vogen  reden  afstan  unde  scult  eme  godeu 
trost  geven,  unne  scult  die1)  si(lGa)ner  nicht  unden  winden,  unde  sla 
siner  af. 


l)  Bandgl.:  met  roode  inkt,  half  afgesneden:  so  wem  ....  ofte  van  badhe 


111 


Van  deine  roden  watere. 

So  welic  ininsche  de  de  hette  heuet  unde  in  der  hette  sere 
drinkt,  so  vlut  eme  de  kolde  dranc  an  sine  leveren  unde  so  wasset 
eme  en  blase  vul  der  vorgifnisse  van  der  vulicheit,  so  svellet  eme  sin 
lovcre  unde  sin  lif  grot;  al  sin  etent  unde  al  sin  drinckent  gift  eme 
dat  water  binnen  an  sineme  liue;  sine  lede  sint  eme  slang  unde  sin 
antlat;  so  wanne  de  man  also  ver  kumt,  so  is  dar  nen  helpe  ane. 
Also  du  dat  (16  b)  glas  besust,  heuet  it  bovene  eynen  svarten  rinck 
so  en  scultes  du  die  nicht  underwinden. 

Van  der  ro  spLse. 

De  ro  spise  gheten  heuet  unde  eme  an  sineme  maghen  licht, 
ie  scal  nemen  encianen,  unde  scal  se  eten,  beydet  he  to  langhe,  so 
helpt  it  eme  nicht;  heuet  he  it  so  langhe  ghedragen,  so  mot  he  sie 
besen  laten.  So  wanne  he  sine  spise  nuttechet  unde  nicht  vordowen 
mach,  dat  mot  an  deme  croppe  des  maghen  lighen,  unde  werden  to 
slime.  So  wanne  du  denne  sin  glas  (17  a)  besust,  so  scumet  it  sere, 
jnde  smelt  de  scume  nicht,  so  is  eine  got  to  helpende. 

Dhu  scult  ene  weken  mit  oximelle  dre  morghene  nüchteren  unde 
Ire  avende,  so  wan  he  nicht  mer  nutteghen  mach,  so  scal  he  it 
nutten  mit  warmen  watere,  also  hir  vorscreven  is,  eynen  lepel  vul 
ffateres  unde  tvc  oximelles.  Des  Verden  daghes  scolttu  störet  (geven) 
ilso  grot  also  eyn  iung  henen  ey.  Du  scult  dat  seden  mit  watere 
in  eneme  luttiken  gropen.  Du  scult  ene  so  langhe  seden  dat  it 
lalf  insoden  si,  so  do  (17  b)  darto  dre  lepel  vul  honighes 
mde  scult  it  denne  seden  sere  unde  wol  scumen;  geyt  it  denne 
lp  an  ene  scotelen  unde  gif  eme  dat  drincken  nüchteren  unde 
lar  na  sucker;  do  eme  denne  eyn  corsten  brodes  de  roste  mit 
iolte;  lat  ene  denne  voste  wanderen  bet  he  mode  si;  so  lat 
>ne  denne  to  bedde  bringhen  unde  warm  bedecken.  So  wan  he 
lenne  wedergeuen  lieft,  so  scalmen  eme  maken  dünne  havergrutte, 
et  mit  smolte,  unde  lat  ene  dat  eten  mit  witten  brode,  unde  hold 
18*)  ene  denne  mit  sachter  spise,  so  wert  siner  suke  rat. 

So  scult  tu  ene  over  besen;  is  sin  nette  clar,  so  is  he  nesen. 
>cumet  se  nochten  eyn  luttic,  so  scolt  du  eme  des  pulveres  gheven  van 
ler  esela  ene  halve  walnutscelle  vul  in  deme  oximelle  wermet,  dat  scult 
u  eme  geven  drincken  unde  lat  ene  denne  sere  wanderen  so  geyt 
nie  dat  nedene  dore,  so  wert  he  alles  dinghes  gansc.  Is  de  minsche 
Jso  kranc  dattu  eme  nicht  en  dorst  storit  geven,  so  gif  eme  eseln- 
Irunck  also  hir  vor  screv(18b)en  is;  so  wert  de  man  alles  dinghes 
unt.  Unde  bese  ene  alle  morgene,  provesttu  dat  dat  eme  noch 
ieht  wol  holpen  si,  so  gif  eme  drankes  mer.  He  scal  vormiden  loc 
nde  erwiten,  rintvleysch  gensevleysch,  enede,  unde  allerhande  vische, 
Uerhande  melic,  sunderlik  kernemelic;  vatich  ber  is  eme  gut  unde 
rone  svinenvleysch ;  he  scal  kusliken  mit  siner  spise  leuen. 


112 

Wan  deine  maghen  vorkoldet  is. 

De  miusche  deme  sin  maghe  is  vorkoldet,  de  vorlet  sine  sprn 
(19  a)  unde  gift  weder  sinen  drank,  deme  is  sin  lif  slauc.  So  wannr 
du  ene  besust  in  deme  glase,  is  sin  nette  dar,  (also  en  born)  scuinet 
se  sere  so  is  cme  sin  maghen  vorkoldet.  He  scal  nemen  enghever. 
galigan,  pardiscorne,  zeduar,  lorberen,  der  vif  stucke  like  vele ;  und» 
stot  dat  to  pulvere;  he  scal  nehmen  eyn  quarter  wines,  unde  scal 
dat  pulver  darinne  seden,  dat  scal  he  drinken  des  morgenes  undi 
des  auendes,  so  wan  he  nicht  mer  nutteghen  will,  unde  sluken  witton 
enghever  dicke.  Du  scolt  nemen  (19  b)  rosen  unde  lesen  se  an  ene:. 
linenen  budel  unde  lat  de  an  etike  seden,  unde  scal  eme  dat  legheii 
uppe  den  maghen  so  he  it  betest  dogen  mach.  Du  scult  eine  gever. 
eyn  lactuarium  dat  het:  ingibe  conditum,  io  na  etende  eyn  got 
morsel.  So  sculttu  ene  besen,  is  sin  nette  goldvar,  so  is  he  nesen. 
He  scal  sie  hoden  vor  older  spise,  bradene  spise  unde  rintvleyseb. 
Du  scult  dicke  baden,  na  deme  bade  sculttu  drincken  nige  vatich  her. 

(20 a)  Van  deme  grawen  stene  sandich  unde  lemich. 

So  welich  man  de  den  sten  heuet  unde  du  ene  besust,  so  is  sh. 
nette  nedene  in  deme  glase  slimech  van  deme  grawen  stene.  Is  it 
eyn  rot  sten,  so  licht  also  en  rot  sant  uppo  der  grünt.  Is  it  en  lemit-h 
sten  so  licht  it  also  lemstucke  an  der  grünt;  desser  twigerhaim» 
sten  mochttu  wol  boten,  [onder  aan  den  rand  van  andere  band:  dt- 
grauuen  stenes  moch  du  nich  boten.] 

Wult  tu  eme  der  twigerhande  sten  helpen,  so  nim  petercilien  sat. 
unde  lubbestoc  sat,  mercsat,  wit  hofkomensat,  netelensat,  unde  ani>. 
Nim  wegebredensat,  saxifricansat,  caliande(20b)res  sat,  unde  pendeh. 
Nim  der  teyn  stucke  allike  vele,  dat  sculttu  pulveren  so  du  clentv. 
muchst;  du  scult  nemen  creuetes  steyn  unde  hertes  hörn,  den  sculttn 
bernen  unde  nim  desser  likevele  ieghen  teyn  stucke  unde  pulvere  it  nk 
klene;  nim  attramentes  also  vele  unde  pulvere  ene  clene;  datscalmen  t»- 
semenc  pulveren.  Du  scult  dar  to  don  en  punt  suckeres  unde  sculf 
dat  to  samene  temperen  unde  gif  eme  dat  mitten;  io  he  it  dicker 
deyt,  io  it  eme  (21 a)  beter  is.  Des  morgens  so  wan  he  it  aller  er>t 
nuttechet  so  sculttu  nemen  fumester  unde  scult  dat  pulveren.  S.* 
sculttu  nemen  win  unde  seden  dat  pulver  an  deme  wine.  So  wan 
he  heuet  nuttet  dat  erste  pulver,  so  scal  he  des  fumester  eynni 
goden  toghe  drinken;  deyt  he  dat  vlitelken  so  wert  he  der  suke  1<»-. 
He  scal  vormiden  nige  ber  unde  gerstenber,  gest  unde  cygersupent. 
allcrhande  droge  unde  soltc  spise.  Senep  unde  etik  is  eine  (21h 
böse,  alle  versehe  spise  is  eme  gut.  Jo  he  mer  petercilien  et,  i«» 
it  eme  beter  is.  Deisttu  dit  to  rechte,  so  mach  di  got  helpen  dar 
tu  der  suke  los  werst.     Holt  die  kusliken  vor  unghevogen  dranc. 

Van  deme  sweren  in  deme  live. 

So  welich  minsche  deme  eyn  svere  wasset  in  sineme  live,  dat 
kumt  van  deme  vresme:  so  licht  he  an  groter  uncracht.     So  wan  de 


IIB 

ene  besust  in  deme  glase,  is  sin  nette  blek,  unde  hevet  se  bovene 
eynen  roden  manen,  is  he  (22*)  open  unde  gele  sprenkelachtich  so 
muchst  tu  eme  helpen.  Is  de  mane  besloten  so  en  sculttu  die  nicht 
underwinden,  so  scal  he  sie  vorevenen  mit  unseme  heren  gode.  Mochst 
tu  eme  helpen  also  hir  vor  screven  steyt,  so  scult  tu  nemen  embren- 
wortelen,  naderwortelen,  zenneuer,  bevergeylen,  walraven,  de  vif  stucke 
like  vele,  de  scult  tu  stoten.  Du  scult  sucker  dar  mede  stoten,  unde 
dat  eme  gheven.  Du  scult  nemen  de  wortelen  unde  waschen  se  scone 
unde  scult  se  stoten  unde  seden  an  sconen  (22 b)  borne,  dat  gif  eme 
drincken,  na  deme  lactuarium,  dat  benimt  di  dat  svel.  Du  en  scult 
nicht  baden,  unde  scult  die  nicht  vortornen;  tornestu  die,  so  brekt 
dat  svel,  so  bistu  des  dodes.  Peper  sculttu  vormiden ;  versch  swinen- 
vleys,  junghe  honre  sintti  gut;  visch,  erweten,  loc,  rintvleysch, 
droge  vleisch,  soltvleys,  beten  unde  rove,  gense,  enede,  note  unde 
plumen,  berin  unde  honich  unde  sote  appelle,  grof  brot  scult  tu  vor- 
miden; holst  tu  dit  bot,  so  mach  di  got  helpen  (23*)  dattu  diner 
suke  nesest;  deyst  du  des  nicht,  so  bistu  des  dodes.  Alsodaner 
spise  also  hir  screven  steyt,  de  scult  tu  vorbeden  alle  den  seken,  der 
du  die  underwinst. 

Dit  is  van  der  muten  böte. 

So  welikeme  minschen  sin  mute  swellet,  den  scult  tu  besen  sine 
urinen:  is  de  nette  clar  unde  sin  varwe  blek,  so  sculttu  spreken: 
dosse  wedaghe  licht  ju  an  der  luchteren  siden,  unde  dat  it  eme  to 
deme  herten  stigt,  let  he  eme  des  avendes  nicht.  Den  so  (23 b)  wan 
he  sinen  adme  tut,  so  geyt  eme  de  steke  bi  deme  rueghe  (c  van  latere 
hand)  up  to  den  sculderen.  So  scultu  nemen  lortha  (gl. :  dat  is  loreberen 
olye)  unde  scult  die  bi  deme  vure  mede  smeren  van  deme  rueghe  al  de 
siden,  want  an  de  ribbe.  Nim  huslok  unde  stot  dat  an  eneme  mosere, 
nim  gersten  mel  unde  mak  eynen  koken,  leghe  denne  dit  up  enen  doc, 
bestriket  mit  eteke,  unde  lat  eme  binden  des  avendes  up  sine  siden. 
Du  scult  nemen  wegebreden,  sede  de  mit  olden  bere,  dat  scult  tu 
rles  morgenes  sere  drincken,  to  (24 a)  midden  daghe  unde  des  avendes, 
so  wan  du  nicht  mer  nutten  wlt ;  des  dridden  dages  so  scult  tu  an  der 
bant  laten  bi  deme  luttiken  vinghere  de  miltaderen;  du  scult  en 
sleyne  laten,  so  wert  di  din  milte  slanck  unde  sacht. 

Weder  dat  vever. 

So  welich  man  de  dat  vever  hevet,  unde  du  ene  besust,  is  sin 
nette  dicke  rot  also  garnloge,  so  is  it  dat  vever.  Nim  aurinen  unde 
sede  dhe  mit  olden  bere,  unde  drincken  dat  dre  morghene  nüchteren 
mde  dre  (24 b)  avende  so  wan  he  nicht  mer  nutten  wil.  (glosse  van 
mdere  hand:  he  scal  oc  eten  ordeme,  drinke  comen  sat.) 

Oft«  en  minsche  to  broken  si  an  deme  live,  de  sich  vorboret  hevet. 

So  scult  tu  eme   bi   deme   ersten   gheven   honich,    so    scult   du 

lernen  berenworth  unde  helpe,   de   tve   seul  tu  seden   an  olden  bere. 

So  scult  tu  nemen   in    saluen   unde    scult   dar   to    don   in   ene 

Niederdeutsches  Jahrbuch.    XV.  3 


114 

scotelen.     Also  it  smolten  is,  so  scult  tu  it  nüchteren   drinken    un»i 
des  avendes  so  wan  du   to    bedde   geyst.     Du   scult  die   sere   sniere:. 
mit  dyalte.     Des  scult  tu  so  langhe  plegen,  dat  tu  sunt  werdest. 

(25»)  So  we  hevet  den  vorstal. 

De  scal  nemen  scliir  soltes  eynen  stekinen  enes  halven  vinghen  - 
lang  unde  smal;  he  scal  den  minschen  wol  baden  an  watere;  al-«» 
du  ene  ut  nimst,  so  scult  tu  ene  wol  warm  bedecken  laten  um:. 
scult  eme  den  sten  nedene .  in  dat  lif  laten  steken,  so  smeltet  «lö- 
sten, unde  dat  lif  wert  eine  sere  gande  unde  wert  sunt. 

So  we  en  sunt  lif  hebben  wil. 

De  scal  kusche  sines  lives  wesen.  Is  he  van  deme  levende,  dat 
he  nicht  sere  arbeydet,  he  scal  sie  hoden  vor  overate.  Deyt  (25b 
he  des  nicht,  he  mot  amborstieh  wesen,  he  mot  overgigtieh  wesrn. 
He  scal  dicke  laten;  eme  wert  de  drope  tvisschen  vel  unde  vleysch: 
he  scal  sie  hoden  dat  he  kusliken  leve  mit  vrowen.  Is  he  sines  livr- 
unkusche,  so  erkortet  he  sin  levent  drietich  iar.  So  we  des  tingi  - 
overmate  pleget,  de  vorlust  sine  ogene ;  sin  bragen  dat  vorsvindet  eme. 
sine  äderen  unde  sine  senen  vorstervet  eme.  So  welich  man  over 
nicht  dos  unberen  mach,  de  si  matelich  an  dessen  dinghen. 

So  we  bekümmeret  si  an  siner  lnnghen  unde  sere  hostet. 

(2Ga)  De- scal  nemen  lacricien  de  scone  si  seaven  unde  hert«1- 
tunghen,  helpe,  affresia,  unde  sucker  like  vele.  Du  scult  d.it  sodtn 
mit  watere  sere  unde  wringhen  it  dor  eynen  doc.  Gif  eme  dat  dt> 
avendes  unde  des  morghenes  drincken  unde  lat  eme  en  luttik  an  der 
lunghen  äderen,  so  neset  he  der  suke. 

En  ander.  Hevet  he  den  vlote  van  deme  hovede,  so  wer: 
besinnet  sin  levere,  sin  lunghe,  sin  borst.  Is  die  din  suke  corteliken 
anghecomen,  so  is  di  gut  to  helpende  mit  desseme  drierhande  lactu- 
arium:  diapendium,  diadragantum  (26b)  unde  penic.  Desser  drier- 
hande lactuarium  scult  tu  nutteghen. 

En  ander.  Du  scult  nemen  des  ghemalenes  senepes  tve  lepel 
vul  dar  scult  tu  to  don  enen  lepel  vul  wateres;  du  scult  nemen 
bertram  pulveret,  also  vele  also  op  eneme  pennighe  liggen  mach. 
dat  scalmen  dar  to  don ;  unde  scal  dat  nemen  an  den  munt  nüchteren 
unde  scal  dat  langhe  dar  inne  holden.  So  scal  he  dat  ut  dem  laten. 
Dat  scal  he  io  des  morgens  don,  so  tucht  it  eme  den  slim  uter  borst. 
so  scal  he  den  sirop  nuttegen  alle  morgene,  unde  alle  avende.  Du 
scult  (27a)  die  hoden  vor  nüchteren  drancke. 

En  ander.  Nim  salvien  unde  polleygen  like  vele  unde  pulvere 
dat,  sofleran  also  vele.  So  welikerhande  moseken  ofte  vleysch  (hs.  ghe» 
nuttechet,  dar  scal  he  iummer  des  pulveres  to  don,  dat  gift  eme  sine 
varwen,  unde  gift  eme  gode  lucht  to  deme  herten  dat  eme  siner  snko 
alles  dinghes  wert  bat. 


115 

Van  deme  vresseme. 

So  welikeme  manne  van  deme  vresme  eyn  bladdere  uplopt  an 
deme  arme,  oft  an  deme  bene,  oft  an  sineme  antlate,  de  scal  sie  des 
hoden,  (27 b)  dat  he  se  nicht  breke,  tobrekt  he  se,  so  is  he  des  dodes, 
want  dat  herte  erlutteret  sie. 

En  ander  böte.  Nim  enes  eyges  doder  unde  knede  ene  mit  sulte ; 
dar  scult  tu  en  plaster  af  maken  unde  scult  it  eme  up  de  bladeren 
leggen  so  wert  eme  bat. 

Van  der  adheren. 

So  welich  minsche  de  sie  an  der  äderen  Jet,  de  scal  sie  dre 
daghe  hoden,  dat  he  sie  beware  vor  grotem  drancke.  He  hode  sie 
des  ersten  daghes  dat  he  nicht  en  slape ;  an  der  tit  mach  he  slapen 
dat  eme  sin  ädere  untsprinkt.  So  mot  (28 a)  he  overgiftich  werden 
(doorgeschrapt  is:  des  dodes  wesen)  des  eme  nummer  nen  minsche  helpen 
mach,  de  wile  dat  he  levet.  He  scal  sie  hoden  vor  torn,  en  deyt  he  des 
nicht,  so  wert  eme  de  kellende  gicht,  de  eme  alle  sine  lede  dovende  maket. 
Du  scult  allen  luden  vorbeden  dat  se  nicht  de  hovet  äderen  laten,  latet  se 
de  hovet  äderen,  so  werdet  se  dovendich  an  deme  hovede.  He  mach  an  der 
tit  laten  dat  he  sinen  sin  vorlust,  des  eme  nummer  mer  neyn  mester 
helpen  \nach  ane  got  alleyne. 

Van  der  sucht. 

So  welich  minsche,  de  an  (28 b)  ener  sucht  licht;  so  wanne  du 
ene  besust  in  deme  glase,  is  sin  nette  rot,  dar  bi  scult  tu  sen  dat 
he  de  sucht  hevet. 

Du  scult  eme  vorbeden  dat  eme  böse  is,  unde  scult  eme  segghen 
dat  eme  gut  is.  Du  scult  ene  nicht  arcedien;  men  scal  eme  nicht 
drincken  gheven  mer  dünne  ber;  nie  scal  eme  nodegen  to  deme 
etende.  So  wan  he  bekeret  an  deme  svete,  so  scult  tu  eme  dat  vor- 
beden dat  he  nicht  to  vro  en  bade.  Du  scult  eme  beden  dat  he  sie 
warme  decke  so  wan  he  svetet.  En  dec(29a)ket  he  sie  nicht  warme 
dat  he  vullen  svete,  so  mot  he  de  kolden  gicht  untfan;  badet  he  to 
vro,  so  is  he  des  dodes ;  tornet  he  sie  so  volt  he  weder  an  ene  andere 
suke;  vor  desser  drigerhande  stucke  scult  du  die  bewaren. 

Van  deme  hughe  („huke*  glosse  van  andere  hand). 

So  welich  minsche  deme  sin  huch  hanghet  an  deme  halse,  de 
scal  solt  bernen,  unde  nemen  dat  het  up  en  spon,  unde  scal  eme 
dar  mede  up  scroyen,  so  he  it  hetest  dogen  mach. 

Drupt  eme  de  huch,  so  wasset  eme  tve  spülen  van  der  borst 
an  den  (29 b)  hals ;  wltu  eme  sachten  dat  sin  levent  werde  vorlenghet 
so  scult  tu  eme  gheven  redik  nuttegen  mit  eteke  nüchteren;  dar  na 
scultu  eme  gheven  eten  sucker  unde  lacricien,  dat  is  eme  gut.  Jo 
doch  vorevene  he  sie  mit  unseme  heren  gode. 

Weder  de  bladeren  an  deme  halse. 

Swellet  di  de   bladdere   an  deme  halse,   so    scultu  nemen  win 

8* 


116 

unde  scult  den  het  gloyen  an  eneme  gropen,  unde  scult  ene  an  deme 
halse  holden,  unde  scult  ene  nicht  in  sluken.  Du  scult  ene  up  uodt 
(30 a)  dale  laten  gan  in  deme  halse.  Jo  du  dat  dicker  deyst,  io  it 
beter  is. 

Van  deme  hörende. 

So  welikeme  minschen  de  sucht  vor  de  oren  is  ghevallen  dat 
he  nicht  hören  kan,  de  scal  nemen  de  vasen  van  der  walnut,  unde 
scal  de  tostoten  unde  wringhen  dat  sap  an  eyn  becken  unde  [van 
latere  hand  darup  sal  he  stülpen  en  ander  becken  unde]  scal  it  graten 
an  scapes  mes  dre  dage;  dat  drope  he  deme  minschen  in  de  oren 
des  avendes  so  wan  he  slapen  wil  gan. 

Van  deme  hoveteere. 

Deme  sin  hovet  we  deyt,  unde  sin  ogen  swellet,  de  neme  rüden 
(30 b)  unde  huslok,  levestockes  wortelen,  venecoles  wortelen.  De  ver 
stucke  like  vele,  dar  to  do  dat  witte  van  deme  eye,  unde  stote  dit 
an  eneme  mosere,  unde  wringhet  dor  enen  doc  an  ene  scotelen. 
Nim  heden  van  vlasse  unde  legge  de  darin,  make  en  plaster  darvan 
umde  leghe  it  uppe  dat  vorhovet,  unde  up  de  dunninghe;  svetct 
eme  de  oghen  so  legge  eme  dat  uppe  de  oghen  so  wert  eme  bat. 

Van  der  adheren. 

So  we  an  der  äderen  let  unde  se  eme  svellet :  de  scal  den  svelen 
nicht  vordriven;  vordrivet  he  en,  (31a)  so  is  he  des  dodes.  He  nerae 
daren  wortelen,  unde  scal  se  seden  unde  stoten  se  mit  oldeme  swere, 
unde  striken  dat  up  enen  doc,  unde  werme  dat  to  deme  vure,  unde 
bestrike  dat  svel  mit  popelionen,  unde  sla  dat  plaster  dar  umme 
alle  warm  unde  lat  it  den  lighen,  wante  des  morgenes.  Dit  do  he 
so  langhe,  want  eme  bat  werde. 

Van  der  serinen. 

So  welich  minsche  de  dhe  serinen  hevet  an  sineme  antlate  deme 
volt  it  al  stucken  ut  unde  stinkt  also  en  as,  de  neme  svart  glas  unde 
stot  it  an  eneme  mosere,  unde  sichte  dat  dor  enen  (31b)  klenen  doc. 
Nim  bomolie  unde  menghe  dat  pulver  van  deme  glase  mit  deme 
olie  dat  it  evendicke  werde,  unde  bestrike  dat  sere  darmede,  unde 
bint  it  al  darup  also  langhe  want  it  hei  werde. 

Weder  den  harworm  en  böte. 

*  So  welich  minsche  de  den  harworm  hevet,  de  scal  nemen  gersten 
stro  unde  bernen  dar  to  oselen  unde  maken  dar  van  löge  dar  mede 
wasche  he  dat  sere,  so  geyt  de  worm  al  ut;  he  scal  nemen  bom 
olie  unde  olt  smer  unde  hart  (32 b)  like  vele  unde  smolten  dat  to 
samene,  unde  wringhen  it  dor  enen  doc  unde  spanes  gron^  unde 
pulvere  dat  klene,  unde  menghe  dat  to  samene,  unde  salven  dar 
mede  al  so  langhe,  want  it  hei  werde. 

en  gude  böte.  Junk  elren  lof  scultu  bernen  to  pulvere,  so  wor 
en  ser  is  dat  nen  salve  helen  kan,  dar  do  it  an  de  wnden. 


117 

Tvige  des  daghes  wasche  it  mit  ekeneme  lo,  unde  droghe  it 
eme;  strik  dat  pulver  vere  dar  in,  so  langhe  want  it  hei  werde. 

(32 b)  Weder  dhe  varenden. 

So  weme  de  varende  utbreket,  de  neme  wintworpe  unde  winne 
der  so  vele  so  he  mach,  berne  se  an  eneme  nighen  gropen  to  pulvere 
unde  ghevet  deme  minschen  vif  morgene  nüchteren  io  to  dren  malen  also 
uppe  dren  penninghen  leghen  mach ;   darmede  wert  he  der  suke  los. 

Sint  se  eme  utgebroken  dat  se  siget,  so  scal  he  nemen  meghede 
blomen,  de  berne  he  to  pulvere  an  eneme  erdene  gropene,  unde  scave 
eme  dat  (33  a)  pulvere  in  dat  sere  unde  waschet  eme  des  avendes  unde 
des  morgenes  mit  eken  lo ;  dat  do  he  so  langhe  wante  eme  hei  werde. 

So  weme  de  vote  utvallet  an  stucken. 

So  welckeme  minschen  deme  sine  vote  under  al  utvallet  van 
stucken,  de  scal  nemen  queden  unde .  scal  de  an  klenen  pen- 
ninghen sniden  unde  maken  dat  het  uppe  deme  vure  unde  legget 
denne  uppe  dat  sere  so  du  it  hetest  doghen  moghest,  dat  do  also 
wente  eme  it  al  hei  werde. 

(33 b)  So  we  hat  en  seren  vingher. 

De  scal  nemen  smerlen  unde  scult  de  tospliten,  leghen  eme 
up  den  vingher,  unde  waschen  eme  mit  goder  löge;  do  dat  so 
langhe  want  it  eme  hei  werde. 

En  ovchen  bothe. 

Nim  ouscellen  unde  berne  de  tu  pulvere.  Nim  dat  svarte  albe- 
dille  af  den  ouscellen  unde  tostot  it  an  eneme  mosere  unde  sichte  it 
clor  enen  klenen  dok.  Du  scult  nemen  glasscumen  unde  pulvere  it 
clene,  half  so  vele  so  des  anderen  is.  Du  scult  nemen  (34 B)  kamferes 
so  grot;  dat  do  eme  des  avendes  in  de  ougen,  so  wan  he  slapent 
geyt;  dat  do  he  so  langhe  wente  eme  de  hut  af  ga. 

En  salve. 

Nim  persikstene,  nim  holwort  like  vele.  Nim  bladelosen,  unde 
dat  witte  van  tven  eygen,  do  darto  en  lepel  vul  soltes  unde  enen 
lepel  vul  honiges,  koperokes  so  vele  so  en  doder  van  eneme  eyge; 
so  wanne  du  dat  pulvere  hevest,  so  wringhet  dor  enen  sconen 
dok  an  en  beken,  graf  it  in  (34 b)  vuchtigh  scapes  mes,  do  dar 
win  to  unde  menghe  dat  to  samene  unde  bestulpet  mit  eneme 
anderen  beckene,  unde  bewerket  mit  deme  scapes  messe.  Lat  it  stan 
dre  dage.  Nim  it  des  driddes  sachte  up,  make  dat  andere  becken 
seone,  unde  lüttere  dat  clareste  darin ;  gravet  over  weder  in  den  mes 
unde  lat  it  stan  dre  dage.  Nim  it  sachte  up  unde  lüttere  it  denne 
in  en  koper  vat,  drope  eme  dat  in  de  ougen  also  langhe  also  it  eme 
Sorbeten  (35*)  hevet,  so  dwa  he  de  öghen  mit  kolden  borne.  Do 
rlen  darna  rosenwater  in  de  öghen  unde  rowe  die  denne.  Desse 
salve  is  weder  de  vinnen  göt,  weder  den  trän,  weder  dat  vli,  weder 
den  liedorn,  weder  allerhande  ouchser  is  se  göt. 


118 

En  oughen  böte. 

De  ein  mal  uppe  deme  oughen  hevet,  de  neme  radehelen,  muh 
binde  se  umme  den  hals. 

En  ander.  De  de  bladeren  an  deme  oughe  hevet,  de  neme 
honich  unde  sofferan,  (35b)  unde  do  dat  inde  oughen. 

En  ander.  Nim  hasenbraghen  unde  homelenhonich,  so  wemt 
de  bran  tut,  deme  scalme  se  albedelle  utten  unde  scal  eme  dat  an- 
striken  so  en  wasset  eme  nen  bran  mer. 

Weder  de  kolden  gicht  en  böte. 

So  we  de  kolden  gicht  hevet,  de  scal  in  deme  meyghe  nemei 
espen  lof,  unde  scal  dat  seden,  unde  scal  dar  mede  an  ener  bodene 
boden.  He  scal  nemen  hedernetelen  unde  billenkrut  like  vele,  solt*  - 
half  also  vele,  dat  scalme  to  semene  stoten;  also  he  in  dem  bade 
sit,  so  scal  he  sie  (36a)  sere  inede  wriven  unde  smeren.  Na  deme 
bade  scal  he  sie  bewinden  an  eneme  wllen  clede  unde  rowen  den. 

Weder  de  doden  gicht. 

Nim  enen  beker  vul  soltes,  tve  beker  vul  wateres,  de  scult  tu 
seden  al  (l.  an)  rinvleyse ;  smere  die  dar  mede  neghen  daghe,  alle  daghe 
drie ;  an  deme  negheden  daghe  so  lat  di  warlosen  bernen  brande.  De 
wile  de  suke  nighe  is,  so  machme  di  dus  helpen;  wert  se  overjarkb. 
so  en  mach  di  nen  minsche  helpen. 

De  de  gicht  an  der  äderen  hevet. 

(36b)  De  de  gicht  an  der  äderen  hevet,  de  gyiht  van  leden  to 
leden,  dat  het  de  vlegende  gycht.  De  scal  an  crueewis  laten  an  der 
äderen,  an  der  worderen  haut  unde  an  deme  luchteren  vote;  an  der 
luchteren  hant  unde  an  deme  worderen  vote  tuschen  den  luttiken 
vingheren  unde  den  luttiken  ten. 

Van  der  kellenden  gicht  en  böte. 

So  we  de  hevet,  deme  kellet  sin  march  unde  sine  knoken,  de 
neme  betonien,  blionien,  marcedonien,  sancamedia  like  vele  unde  sede 
de  an  wine  sere,  unde  drinke  (37a)  dat  nüchteren.  Jo  du  dat  dickere 
dringest  (k  overgeschreven),  io  it  di  beter  is.  He  neme  billenworteleiu 
dranwortelen  unde  brade  de  unde  stot  it  mit  oldem  svinen  smere. 
dar  smere  he  sie  mede. 

Van  der  suke  der  vrowen. 

En  vrowe  de  er  blomen  hevet,  de  scal  sie  behoden  vor  manne, 
want  it  is  en  engerstlich  sake.  So  welich  vrucht  an  der  tit  getelet 
wert,  deme  wert  en  suke,  der  eme  nummer  nen  rat  wert.  Se  scal 
sik  holden  sachte  mit  vetter  spise.  Se  scal  sie  holden  kuslik^n  unde 
reynliken.  (37b)  Se  hode  sie  vor  torn  unde  vor  wedermode  dat  i> 
ereme  live  helpelik.  Vorsorget  se  sie  de  wile  dat  se  de  blomen  hevet, 
unde  wert  se  vortornet,  so  vorstoppet  se  de  äderen.  So  wan  en 
de  äderen  bestoppet  sint,  so  svelt  ere  de  moder  an  der  vorderen  siden. 


119 

so  is  se  blik  an  der  varwen,  ergat  grote  wedaghe  to  deme  herten. 
AI  so  me  dat  glas  besut:  Is  de  nette  wit  unde  dat  dar  witte  dinck 
inne  vletet,  so  sprech  er  also  to:  vrowe,  iu  is  de  moder  böse,  gbi 
en  hebbet  iuwer  clenode  nicht  so  gbi  (38a)  van  rechte  hebben  scolden; 
de  suke  is  iu  van  wedermode  anghekomen,  unde  licht  iu  an  der  luch- 
teren  siden  (dat)  dat  git  mitter  hant  volen  mögen.  De  wile  dat  gy 
nüchteren  sint,  so  hebbe  gy  dult  also  it  na  deme  midde  daghe  is  so 
svaret  iu  dat  lif  so  stowet  it  to  deme  herten  dat  iu  des  dunkt  dat 
gy  dat  lif  gicht  beholden  mögen.  Wltu  der  vrowen  helpen,  so  scaltu 
nemen  bevergeylen  unde  lorberen  like  vele,  do  dar  to  lovengele  tuie 
also  vele;  dat  scaltu  seden  an  wine,  (38b)  unde  geven  er  dat  drincken, 
des  morgenes  nüchteren  unde  des  avendes  so  wanne  (gy)  se  nicht  mer 
nütteghen  wil.  Eyn  lactuarium,  dat  het  tersramagna,  dat  scal  se  eten, 
na  deine  lactuarium  scal  se  de  äderen  laten  an  den  voten.  Deystu 
dat,  so  komet  de  de  blomen  rechte  weder,  unde  werst  en  sunt  vrowe. 

Ein  ander.  So  welich  vrowe  de  suke  to  langhe  hat  ghedraghen, 
de  is  gele  unde  svellet.  De  scal  nemen  vilspane  van  yseren  unde 
binden  dat  an  eynen  dok,  se(39a)den  se  an  eteke,  unde  laten  it  drogen, 
unde  stoten  it  denne  to  pulvere.  Nim  venecolsat,  peterciliensat, 
gartkomen  sat,  anis,  like  vele,  pulvere  dat  clene.  Nim  wegebrede, 
droge  de  unde  pulvere  de  clene,  menghe  dat  to  deine  yseren  pulvere 
wol  unde  bindet  an  enen  dok,  unde  sedet  an  der  warve ;  lat  it  denne 
drogen  unde  pulvere  it  echter  cleyne;  sichte  it  dor  ene  seve,  unde 
gif  dat  der  vrowen  nuttechen,  de  dat  langhe  hat  ghedragen;  dat 
scal  se  drie  nütten  an  dünnen  (39 b)  grütten  also  vele  also  up  eneme 
penninghe  drie  möge  legghen,  des  middendaghes  unde  des  avendes 
over  also  vele  so  wan  se  nicht  mer  nuttechen  wil.  Eyn  pulver,  het 
diorenticum,  dat  scal  se  na  deme  etende  up  en  klene  wittes  brodes. 
Jo  se  dat  dichkere  deyt,  io  it  er  beter  is ;  dat  sachtet  ere  suke,  unde 
verstet  eren  levent.     Se  beholt  it  over  an  eren  dot. 

Ein  ander.  So  welich  vrowe  enes  kindes  gheneset,  er  der  rechten 
tit  unde  vorsumet  (40*)  wert  an  er  krangheyt  dat  se  dat  echtere  nicht 
en  hat,  de  neme  akeleyen  sat  unde  ok  de  blade,  naderwort,  bever- 
geylen, lorberen,  des  scalmen  nemen  like  vele,  unde  seden  it  mit  olden 
bere;  dat  scal  se  sere  drincken,  so  wert  ere  der  suke  bat.  Deyt 
se  des  nitht  so  wert  se  des  dodes.  So  wan  de  meyster  dat  glas 
besut,  is  de  nette  witgele  unde  wolmet  se,  so  mochstu  ere  helpen 
also  hir  vor  screven  is;  vletet  an  der  netten  svarte  stucke  also  van 
eneme  sveren  de  gevulet  si,  so  is  de  vrowe  (40b)  binnen  swllen  unde 
moder  is  er  vorvulet;  so  underwint  dich  erer  nicht,  unde  sprech  er 
lengeste  levent  dat  sint  tvelf  wekene. 

En  ander.  So  welich  vrowe  vorvroren  is  an  deme  kindelbedde, 
dat  se  sere  hevet  gedruncken  kolden  dranck,  so  svellet  grot  ere 
vote  unde  ere  beine.  De  scal  nemen  erwiten  stro,  bonenstro,  wicken- 
stro,  unde  seden  dat  in  eneme  ketele,  unde  blusine  mit  stro,  de  bodene 
dat  se  wram  werde  unde  setten  den  ketel  darin,  unde  (41a)  laten  de 


120 

vrowen  dar  inne  baden.  Nacht  unde  dach  scalmen  seden  an  ben? 
unde  geven  ere  dat  in  deme  bade  drincken.  Se  scal  lumiken  seden 
mit  gronen  svinen  smoke,  unde  eten  dat  mit  verschen  witten  brodc 
in  der  bodene;  io  se  dit  dickere  deyt,  io  er  bat  wert. 

En  ander.  So  welliker  vrowen  de  äderen  bestoppet  sint,  dat  **• 
nene  vrucht  untfan  mach.  De  scal  nemen  sindowen  unde  seden  de 
an  wine,  unde  drincken  de,  so  wint  se  vrucht. 

(41b)  En  ander.  So  welliker  vrowen  de  hevemoder  klemmet 
umme  dat  herte,  de  scal  nemen  bockeshorn  unde  bernen  dat,  undt- 
laten  er  den  rok  gan  an  de  nese,  so  wert  er  to  hant  bat. 

En  ander.  So  welker  vrowen  dat  herte  wateret  unde  kranc  is 
de  neme  muschaten  unde  muschaten  blomen,  unde  nuttechen  de,  de 
maket  ere  en  vro  herte. 

Dit  is  van  der  quartanien. 

So  weme  de  quartanie  besteyt,  de  late  an  den  vorderen  arme 
in  der  medianen,  (42a)  enen  lepel  vul,  so  wan  se  eme  besteyt  aller 
serest.  So  wan  se  ene  over  besteyt,  so  scal  he  an  deme  lütteren  arme 
laten.  To  deme  dridden  male  so  wan  se  ene  echter  besteyt,  so  late 
he  an  deme  ersten  arme  dre  lepel  vul,  so  is  dar  hopene  an  dat  emc 
got  helpe.  He  hode  sie  wol  also  hir  vore  gescreven  is,  he  scal  sie 
hoden  dat  he  ieninghe  spigedranc  neme,  nimt  he  den,  so  is  he 
des  dodes. 

Weder  dat  water  en  böte. 

Nim  nat  sant  ut  (42b)  deme  watere,  unde  grawe  keselinghe  unde 
graf  de  uter  erde,  nim  sunderclot  uter  smede  unde  make  den  steyn 
unde  sunderclot  gloghendich,  make  enen  herd  van  nateme  sande  in 
der  bodene  unde  leghe  de  gloghende  steyne  unde  sunderclot  up  dat 
sant,  unde  decke  se  over  mit  nateme  sande;  dar  bade  denne  minschen 
inne  de  dat  water  hevet.  Swetet  he  an  deme  ersten  bade,  so  scal 
he  des  bades  neghen  daghe  pleghen;  so  scaltu  hebben  nacht  unde 
dach  unde  seden  (43a)  de  mit  olden  bere  unde  drincken  dat  in  deme  bade. 

Dhe  open  is  twischen  velle  unde  vleysche. 

De  neme  heyden  unde  sprochwiden,  negenkratht  mit  der  wiglen 
like  vele;  de  sede  dat  an  eneme  ketele  sere,  sette  it  an  ene  bodene. 
Du  scult  rede  hebben  salsmer,  nim  also  vele  geghen  ene  halve  walnut 
scelle  vul;  do  dat  an  warm  ber,  unde  gif  eme  dat  drinken.  Du 
scult  nemen  suchte  lodeken  wortelen  unde  stot  to  deme  oldensmere, 
unde  (43b)  wrif  die  dar  sere  mede  in  der  hette.  So  wan  du  ut  kunst 
(l.  kumst),  so  scaltu  die  beslan  an  eneme  wollen  dok  dat  tu  sere  mögest 
sweten.  Also  du  vif  daghe  hevest  gebadet  so  scultu  des  susten  daghe> 
laten  an  der  äderen  bi  dem  luttiken  vinghere.  Des  verden  daghes  na 
deme  dage  also  he  hevet  ghelaten,  so  scal  he  baden  also  hir  von; 
screven  is  unde  drinken  den  ersten  dranck  unde  smere  sich  mit  deme 
smere.  Na  den  vif  baden  scal  he  an  crueewis  laten.  Des  (44a)  wis«- 
he  so  langhe  wante  he  de  ver  äderen  an  crueewis  late  unde  tvintiel. 


121 

bade  bade,     unde  den   drank  drincke  unde  smere  sich  also  hir  vore 
sereven  is. 

Van  der  leveren. 
De  nicht  sweten  en  mach  unde  de  vordere  side  ser  is,  de  neme 
clene  poppelen,  nortman,  warmoden  like  vele  unde  sede  dat  in  enemc 
ketele,  unde  sette  den  ketel  an  ene  bodene  unde  bade  dar  inne. 
Nim  dat  crut  al  entelen  ut  deme  ketele,  unde  do  it  ut  dat  it  kole 
leghet  up  de  vorderen  siden  so  wert  eme  rat.     (44b) 

Dit  is  de  underscheydicheit  der  glase. 

Der  manne  nette:  Is  he  sunt,  de  is  blanck  unde  glotvare.  Is 
it  ener  vrowen  nette:  is  se  sunt,  so  is  se  witghele.  Is  it  ener 
iunevrowen  nette:  is  se  sunt,  so  is  se  blanck  unde  clar,  dar  vlotet 
witte  dink  inne. 

Van  der  hette. 

De  minsche  de  de  hette  hevet,  sin  nette  is  rot  also  ein  blot, 
is  it  dat  vever,  so  is  brunrot.  Is  it  de  quartanie  so  is  se  al  svart. 
Svellet  eme  de  cop  vander  blasen,  so  vlotet  an  der  nette  svarte  stucke, 
(4.ja)  also  etter  unde  blot.     Is  se  darby  rodelachte,  so  is  he  des  dodes. 

Van  der  natnre. 

So  weme  de  nature  vordroghet  is  dat  he  nicht  en  mach  mit 
vrowen  hebben  to  donde,  de  is  mager  unde  bleck ;  de  scal  nemen 
lorberen,  engever,  unde  peper  like  vele  unde  pulvere  dat,  unde  nutten 
it  mit  coppenbernen.  So  wert  eme  sin  nature  weder  unde  sin  vrucht. 
So  welich  nette  is  blawe  so  de  heven,  de  minsche  is  tobroken  unde 
is  in  binnen  vorvulet,  unde  is  des  dodes. 

Van  deme  dode. 

(45b)  So  weme  de  nature  mit  der  netten  is  gemenghet:  de  nette 
is  dicke  unde  wlomich,  de  is  des  dodes.  So  wanne  sin  nette  goltvar 
is  unde  bovene  enen  svarten  manen  hevet  unde  besloten  is,  de  is 
des  dodes.  So  wan  sin  nette  rot  is,  unde  bovene  ene  hut  (van  latcre 
hand  hevet)  de  is  des  dodes. 

Das  scolta  maken  dyoreticum. 

Nim  en  punt  anises  unde  en  punt  venekoles  sades,  en  punt 
lacricien,  ene  half  marc  wicht  petercilien  sades,  levestockes  sades  also 
vele,  merc  sades  (46a)  also  vele,  wit  gartcomen  also  vele,  dat  pulvere 
clene  unde  sichte  it  dor  enen  denen  budel;  do  dar  to  en  punt  rodes 
sukeres  unde  tempere  it  tvischen  den  henden  mit  deine  anderen  crude. 
Dit  het  dyorenticum ;  dit  dowet  wol  unde  gift  güde  lucht  to  deme 
liovede,  güde  sachticheit  to  der  borst;  it  vordrivet  den  sten. 

En  ander.  Sena  dudya  sumat  like  vele,  pulvere  dat  clene.  De 
nicht  dowen  mach,  deme  scalme  dit  seaven  uppe  weke  (46b)  grutte, 
up  andere  weke  spise,  unde  eten  it,  dat  dowet  eme  sin  lif  naturliken, 
he  hode  sich  vor  harder  spise. 


122 

Weder  den  blotgank. 

So  we  den  blotganck  hevet,  de  neme  weghebrede  mit  wortelen 
albedelle  unde  stoten  de  unde  wringhen  de  dor  enen  dock,  unde  wriven 
den  blotsten  mit  deine  sape  in  ener  scotelen  also  langhe  wante  it 
al  rot  werde.  Gif  eme  dat  drinken  die  morgene  nüchteren.  Helpt  j 
eme  dat  nitht,  so  nim  svines  mes  unde  towrif(47*)den  an  bere,  unde 
gif  eme  dat  dre  morgene  nüchteren. 

En  ander.  Nim  ceghen  melc  unde  havergorte,  do  dat  in  en 
vat,  unde  lat  dat  stan  ene  nacht ;  des  morgenes  do  he  de  melic  af 
unde  wringe  de  gorte  üp  de  melic  dor  enen  doc,  unde  wellen  dat  tu 
vüre,  unde  eten  dat  warm  unde  drincken  dar  nicht  up. 

En  ander.  So  wor  ein  minsche  blot  unde  dat  nicht  untstan  en 
wil,  de  neme  ein  plaster  unde  lege  dat  vor  dat  vorhovet,  unde  uninie 
de  dunninghe  (47b)  unde  neme  svines  mes,  unde  do  den  mes  mit 
vure  an  en  scervelen,  unde  lat  den  rok  an  de  wnden  gan  up  in 
de  nese. 

So  we  ene  flstelen  an  der  wangen  hevet  nnde  wangen  grot  is  unde  si^et 

De  neme  driakel  krut,   unde  stote   dat   an   eneme  mosere  unde 

binde  eme  dat  up  de  wangen. 

-f-  Job  •+-  trayson  -f-  conobia  -f-  zatraga  -+-  zorabantin  -f-  Job  -+- 
Scrif  dit  in  blye  unde  scrif  des  minschen  namen  dar   in,    unde 

bind  eme  umme  den  hals.     Dat  (48a)  bedvinghet  alle  worme. 

So  weme  en  orworm  in  dat  ore  is  gecropen. 

De  neme  mancrut,  unde  binde  ene  hantvul  des  krudes  vor  dat 
ore,  unde  kloppe  up  ein  bret  vor  deme  anderen  oren  also  langhe 
want  de  worm  utga. 

So  weme  en  adhere  ofte  en  slange  gesteket. 

Men  neme  driakel  unde  gheve  eme  der  en  clene  nutten  mit 
watere  unde  bestrike  deme  dat  svel  darmede.  De  nicht  en  hevet  des, 
de  neme  hesline  so(48b)merloten  unde  hete  de  an  deme  nese,  unde 
neme  roden  in  de  tanghen  unde  holt  it  up  dat  svel. 

En  gut  böte. 

Pallium.  Criscium.  Confame.  -f-  signale  -+•  signe  -+-  signikade. 
Scrif  dit  an  kese,  unde  gif  deme  minschen  eten  den  de  worm  steken  lievet. 

Von  den  wunden. 

So  welich  wnde  inwort  geblot  hevet,  de  neme  stenblomcn,  unde 
seden  de  an  wine  oft  an  goden  bere  unde  drincken  se  al  nüchteren 
unde  des  avendes  ene  goden  dranck  unde  leghe  (49*)  sie  up  de  wunden. 
Stic  enen  goden  weken  nicht  verne  an  de  wunden  wan  dat  tu  de  wnden 
open  beholdest.  Nim  benedietam,  nim  rot  wntkrut,  unde  radehelen. 
Nim  fenekel  like  vele,  stot  it,  unde  male  it  dor  ene  senepmolen  mit 
wine  eder  mit  gode  bere;  gif  eme  enen  goden  toghe  drincken  de^ 
avendes  unde  des  morghenes.  So  wanne  du  de  wnden  mit  enem*- 
doke  reyneghet  hevest,  so  scultu  eme  den  dranck  gheven. 


123 

En  ander.  (49b)  Is  de  wunde  ghehowen,  so  scoltu  se  toneghen 
unde  steken  ene  weken  in  de  wnden  van  speeke  unde  leghen  dar  enen 
plaster  up.  Lat  dat  Hghen  wante  an  den  dridden  dach ;  des  dridden 
daghes  so  scoltu  se  upbinden  unde  suveren  se  reyne  unde.  do  nene 
salven  an  de  wnden,  mer  bestric  de  weken  mit  der  salven  unde  leghe 
de  weken  in  de  wnden,  unde  leghe  dat  plaster  alder  up,  dat  do 
twighe  des  daghes;  bade  den  man  nicht  wan  an  den  Verden  dach. 
Is  he  sere  gewndet,  so  en  bade  ene  nicht  (50*)  want  an  deme 
negende  dage. 

En  ander.  Is  eme  dat  hovet  ghewndet  datmen  eme  dat  braghen 
sut.  Is  it  en  ghehowen  wnde :  nim  scindal  unde  leghe  eme  negest 
deme  braghene  unde  leghe  eme  dar  an  bovene  en  eyplaster,  behode 
dat  du  nen  eyplaster  neghest  deme  braghen  leghest,  beware  dat  eme 
de  wnde  nicht  nat  werde. 

En  ander.  Is  eme  dat  hovet  toslaghen  dat  it  eme  binnen  to- 
broken  is  unde  de  hut  doch  ganz  is,  so  taste  wor  it  eme  to(50b)broken 
si  unde  lose  eme  de  hut  up,  unde  nim  dat  beniken  ut.  Leghe  dar  up 
scindal  unde  en  eyplaster,  dar  in  bovene  holt  de  wnden  io  reyne, 
unde  leghe  eme  reyne  heden  dar  in,  io  tvige  des  dages. 

So  vveme  de  senen  untwi  chehonwen  sin. 

De  neye  de  senen  behendeliken  to  samene,  unde  leghe  de  wnden 
alle  vul  wntsalven  unde  binden  it  denne  (mit  deme  additio  in  margine) 
eyplaster.  Is  it  eme  an  der  hant  eder  an  deme  vote,  so  wan  he 
badet,  so  scal  he  de  wnden  (51a)  dicke  nat  maken  unde  holde  se  reyne. 

En  ander.  De  wnde  de  dar  svellet  unde  nicht  en  etteret:  Nim 
salvien,  nim  olt  spek  unde  hacke  dat  vul  cleyne,  unde  smere  de 
weken  unde  leghe  se  in  de  wnden;  nette  en  plaster  van  heden  in 
eteke,  nette  enen  linen  doc  in  etike  unde  sla  dar  up. 

En  ander.  Gift  dat  nie  vleys  sie  hoch  up  uter  wnden.  So  nim 
koperot  ghelutteret,  hart  unde  buckes  talch ;  desser  dre  stucke  like 
vele,  smelte  dat  unde  stek  dar(51b)in  enen  klenen  linen  doc;  lat 
dat  seden  unde  rechte  dat  ut,  lat  dat  kolon,  snid  dar  af,  also  bret 
also  dat  vleys  is,  unde  leghe  up  dat. 

En  ander.  Dar  en  ben  untwei  is  ghebroken:  Nim  dat  witte 
van  eygeren  unde  sla  it  sere,  unde  nette  dar  enen  groten  linenen  doc 
inne  unde  leghe  den  vilt  in  de  schenen  unde  leghe  den  vot  (toevoeging : 
in  den  scot)  uppe  de  dekene,  unde  vorenene  eme  den  broke,  unde 
sla  dat  plaster  umme  dat  ben;  sla  den  vilt  dar  umme.  So  wanne 
(52*)  du  de  borst  hevest  ghebadet,  nim  dan  dat  erste  plaster  up  enen 
dok  unde  leghet  uppe  de  borst.  So  wanne  du  dat  hevest  ghedan  dre 
avende  unde  dre  morghene  dat  du  dan  provest  dat  dat  svel  utwil. 
Nim  cypollen  unde  brat  de  unde  leghe  dar  up  so  du  it  hetest  mögest 
dogen  unde  bewaret  denne  mit  deme  ersten  plaster.  Dit  is  weder 
allerhande  svel  gut. 


124 

Weder  dit  Mot. 

Min  vrowe  sunte  Maria  scot  ene  roden  in  dhe  iordanen;  de  rode 
untstunt;  also  de  rode  unt(52b)stunt  also  untsta  du  blot  mi  undt 
iummermer  an  godes  namen,  amen. 

Weder  dat  swellen  in  deine  halse. 

Nim  dat  witte  hör  van  ener  gans,  tempere  it  mit  bere;  de  en 
svel  an  deme  halse  hevet,  deme  gif  it  drincken.  dat  silve  do  dat 
witte  hundes  hör  mit  bere. 

Dns  make  ene  pillen. 

Esela,  aloe  paditum,  like  vele;  stot  de  twe;  nim  honichsem 
unde  en  clene  bertrammes,  knede  dat  tosamen,  make  dar  pillen  (53'J 
van.  Nim  rebarbarum  en  lot  wich  scommen,  aloe  paditum,  esclaminor 
like  vele  unde  pulvere  it  clene.  Rosen  also  vele,  sukeres  also  vele. 
Dit  stot  besunderen,  do  it  an  enen  sconen  scapen,  do  darto  en  clene 
honiges,  lat  it  seden,  dat  it  even  'dicke  werde,  nim  bertrammes  eii 
half  lot  wicht ;  stot  it  to  pulvere  unde  tempere  dat  dar  mede.  So 
wan  it  hart  ghesoden  is,  so  leghet  up  enen  sten,  so  wan  it  kolt  k 
so  make  de  hant  vet  mit  smolte,  unde  make  de  pillen  (53b)  dat  se 
werden  also  walesce  erwiten;  gif  dat  deme  minschen  deme  de  borst 
unde  deme  dat  hovet  bestoppet  is.  He  scal  sluken  oblaten  des  ersten 
morgenes  nüchteren  dre,  des  avendes  vive,  des  anderen  daghes  sevene. 
des  avendes  negende,  des  dridden  dages  elvene. 

En  ander.  Nim  maior,  esclaminor  like  vele;  stot  de;  knede  it 
mit  honighe  unde  do  it  an  ene  bussen ;  make  dar  af  pillen.  De  dat 
blot  hevet  hat,  unde  gheswllen  is,  (54a)  de  scal  nemen  galigan,  witten 
en  gheven  aloe  paditum  der  drier  like  vele ;  stot  de :  knede  it  mit 
honighe  unde  do  it  an  ene  bussen,  unde  make  dar  af  pillen. 

En  ander.  Nim  mirram  unde  masticum  unde  wirok  der  twier 
also  vele  also  der  mirren ;  smelte  se  langhe,  dat  he  swrart  werde 
unde  smelte  de  dre  danne  to  samene;  lat  it  kolen;  to  desseme 
menge  honich  dat  it  even  dicke  werde.  So  welich  vrowe  erer  blomen 
nicht  en  hevet  de  nutte  dit  an  deme  bade  mit  wine  (54b)  ofte  mit  bere. 

En  ander.  Nim  kristianen,  nim  lacricien,  stot  de  to  samene; 
sut  dat  an  wine  oder  an  goden  bere.  De  ene  böse  borst  hevet  de 
scal  it  drincken.  Nim  seblomenwortelen ,  snit  se  an  penninghe, 
droghe  se  unde  pulvere  se  klene.  De  ene  wykgallen  hevet  up  deme 
hovede,  de  hele  mit  deme  pulvere ;  gif  drincken  an  wine  over  an  bere 
in  deme  bade  weder  dat  water. 

En  ander.  Nim  hollenderes  wortelen  unde  wasche  de  scone. 
scaf  de  rinden  af  (55a)  unde  tostot  de  an  eneme  mosere  klene; 
wringhet  dor  enen  doc  an  en  becken;  lat  it  suren  dre  daghe;  lat 
dat  dünne  afgan  unde  beholt  dat  dicke,  nim  engevere,  aloe  paditum. 
esclaminor,  like  vele,  pulvere  it  clene.  Nim  en  luttik  suckeres  unde 
menghe  to  samene  mit  deme    ersten  sape,   lat  it  seden  dat  it  dicke 


125 

verde;   do  it  an  ene  bussen  trade  make  dar  pillen  af,   dit  dot  den 
minschen  sachte  dowenke,  de  kranc  is. 

En  ander.  Nim  buckestalch,  nim  hertes(55b)talch,  nim  hertes 
muten,  nim  hertes  blases  in  der  vrucht.  Nim  hertes  talch  umme  de 
neren,  nim  hertes  mutes,  nim  dat  march  in  den  wacscinkelen,  stot 
dat  to  samene,  do  dat  in  de  blasen  to  der  necten,  henghe  it  up,  lat 
dat  drogen.  Also  it  droghet  si,  so  nim  buckes  talch,  smelte  it  to 
samene,  unde  wringhet  dor  enen  doc;  nim  bevergeylen  unde  klufloc, 
stot  dat  wol  klene  unde  menghet  alto  samene,  do  it  an  ene  bussen, 
berne  eme  achter  up  deme  stertbene  dre  brande,  nedene  deme  (56a) 
kne  enen,  to  deme  anderen  kne  enen,  unde  smeret  dicke  mit  desser 
salve;  so  werstu  gesunt  van  der  gycht.  Nim  neghenkrachtes  blade 
unde  sede  de  unde  bade  den  gychteghen  dar  inne.  Nim  ene  ut,  unde 
lat  ene  sveten  an  eneme  wllen  klede.  Darna  nim  de  w,o,rtelen,  snit 
de  an  penninghen,  do  de  an  vatich  ber ;  lat  dat  stan  under  d§r  erden ; 
gif  deme  gychteghen  dat  drincken  so  wert  he  sunt. 

We(der)  dat  water. 

Nim  peterciliensat,  mercsat,  venekeles  sat,  (56b)  levestockes  sat, 
hertes  tunghen,  do  dat  in  enen  budel.  Nim  enen  nighen  erdinen 
gropen,  unde  do  dar  water  in;  sudh  tve  gropen  up  enen  halven 
gropen;  gif  deme  drincken  de  de  watersucht  hevet;  hebbe  ene  bodene 
rede,  do  darin  glogendhe  sunderclote,  lat  eme  dar  inne  stan  also 
langhe  dat  hi  alle  mode  si.  Nim  en  wllenclet  leghe  umme  ene  unde 
bringhe  ene  to  bedde,  lat  ene  sveten  aldus  do  neghen  daghe  so  wert 
he  sunt. 

Weder  dat  bncovel. 

Nim  rosen,  reghen  water;  do  dat  (57*)  an  enen  nighen  gropen 
lat  dat  dridde  del  darin  seden,  nim  weten  mel,  also  du  mit  dren 
vingheren  upnemen  mocht,  make  daraf  en  dünne  mos,  gif  eme  dat 
eten  des  morghenes,  to  midden  daghes,  des  avendes,  de  dat  buc 
ovel  hevet. 

Weder  den  snnven. 

Nim  rosen  unde  wirok,  reghenwater  an  enen  nighen  erdenen 
gropen;  sud  dat  dridde  del  unde  nim  dat  in  den  munt;  holt  dat  in 
deme  halse  langhe  wile;  holt  din  antlat  over  den  gropen;  (57b)  lat 
de  hetten  an  den  hals  gan  also  langhe  want  du  svetest. 

En  ander.  Nim  rosen  unde  droge  de,  stot  de  unde  witten 
wirok,  stot  dat  tosamene.  Nim  honighsem  unde  make  dat  even  dicke, 
lat  dat  stan  achte  daghe.  Make  dar  ut  kloteken  also  bonen;  lat 
dat  droghe  werden;  nim  ene  bonen,  sluke  de  also  du  slapen  geyst, 
holt  in  deme  munde  (sie). 

Van  deme  vlote  der  brnst. 

Nim  haverstro  unde  berne  dat  to  aschen;  nim  wermoden,  wrif 
de  under  den  henden ;  nim  re(58*)ghenwater,  make  dar  loghe  af,  deme 
de  den  vlote  hevet  up  de  borst  van  deme  hovede.     Hir  make  eme  sin 


126 

liovet  nat  mede,   alle  warm  bewinde  he   sin  hovet  unde  bringhe  ene 
to  bedde. 

Weder  dat  muntser  van  der  sncht. 

Nim  allune  deme  de  munt  to  dicke  is  van  der  sucht,  do  dat 
eme  tvischen  de  tenen  unde  de  wanghen  unde  lat  ene  slapen. 

Weder  de  killende  gicht. 

Nim  rüden  salvien  der  like  vele,  nim  beneriscen,  do  dat  an  em-i. 
enghen  (58b)  gropen;  gut  dar  win  up;  also  dat  inghesoden  si,  st 
wose  it,  unde  Tat  it  sere  seden;  grave  dat  under  de  erden  dre  daghe: 
gif  dat  drincken  deme  de  de  herten  kellenden  gicht  hevet. 

Weder  de  kolden  gycht  (hs.  gytht). 

Nim  elhorn  unde  droghe  den,  berne  den  to  aschen ;  make  dar 
loghe  af;  nim  olt  svinen  smer;  smelte  dat.  Nim  smolt,  loghe  likt 
vele,  do  dat  in  enen  erdenen  gropen,  de  nighe  si;  begravet  under  der 
erden  neghen  daghe,  dat  is  got  gichtsalve. 

Nim  reyneuanen,  savenbom,  lor(59*)berenlof,  desser  like  vele. 
Nim  svines  smolt  dat  unesolten  si;  sud  dat  to  samene;  wringhe  doi 
enen  doc  in  kolt  water,  do  dat  in  ene  bussen.  De  de  kolde  gicht 
hevet  den  smere  dar  mede,  nicht  bi  deme  vure. 

En  ander.  Nim  petercilien  sat,  mercsat,  stcnbrekensat,  der 
drier  like  vele.  Stot  dat.  Nim  also  vele  suckeres,  menghe  dat  to- 
samene,  do  dit  in  enen  nighen  gropen  erdenen  gropen  (sie!),  begravo 
dat  in  der  erden  neghen  daghe.  Do  it  in  ene  bussen,  gif  «deine  dr 
den  sten  hevet  des  morgenes  vro;  lat  ene  langhe  vasten. 

Weder  dat  water. 

Nim  dach  unde  nacht,  bivot  der  twiger  like  vele;  droghe  dat 
in  deme  ovene;  berne  dat  to  aschen;  nim  witten  win,  gut  den  dar 
up  unde  make  dar  af  loghe;  gif  dat  deme  drincken,  de  dat  water  hevet 

En  ander  böte.  Nim  muschaten,  negeliken,  muschatenblomen, 
galigan,  enghever,  seduar,  peper,  paradiscorn,  cynamonium,  cardo- 
momem,  anis,  der  ieweliker  en  satin,  stot  dat  krude ;  gut  dar  blanckci 
(60*)  win  up;  bewere  den  gropen  wol;  lat  ene  stan  dre  daghe.  IV 
dat  water  hevet,  ofte  enen  kolden  maghen,  deine  gif  dat  drincken  iu 
deme  bade. 

En  gut  böte  den  vrowen. 

Nim  bivot,  petercilien  wortelen  (Randgl.:  nenoc  wort.),  nachte- 
scaden,  popelen,  marrobium,  reynevanen,  hoppen;  sud  dat  an  enenic 
ketele,  sette  den  ketel  in  ene  bodene  under  enen  stol,  de  en  gat 
hevet,  lat  de  vrowen  dar  up  sitten,  de  ere  tit  nich  en  hevet,  dat  so 
alle  het  werde,  leghe  des  krudes  up  ere  lenden  unde  uppe  de  macht 
(60b)  tvischen  de  bene,  sud  wormeden  in  olden  bere,  gif  ere  dat 
drincken,  er  se  slapen  ga. 

So  weme  de  mage  vorkoldet. 

Nim  en  half  stoveken  wines,  ene  hant  vul  salvien,  sud  dat  hak' 
unde  gif  eme  des  avendes  supen  dat  dridde  del,  an  deme  bewint  eme 


sin  hovet  warm;    bedecke  eme  wol;   gif  eme   des   anderen   nachtes 
also  vele,  des  dridden  nachtes  also  vele. 

En  ander  weder  dat  spient. 

Nim  grof  roghen  brot,  roste  dat  over  deme  vure,  leghet  in 
etile,  nim  dat  ut  al  wram,  lege  (61*)  eme  dat  uppe  den  maghen, 
also  dat  kolt  si,  so  leghe  en  ander  wram  dar  up. 

En  böte  weder  dat  blot. 

De  neme  beren  de  uppe  deme  adicke  wasset  also  se  ripe  sint, 
stot  se,  wringhet  dor  enen  doch.  Nim  weten  mele,  make  dar  oblaten 
ut,  lat  sc  droghen,  gif  se  eme  vochliken,  de  dat  blot  hevet. 

Weder  de  quartanien. 

Nim  en  punt  bom  olyes,  do  dat  in  enen  yseren  scapen,  nim  en 
satin  wittes  wirokes,  en  satin  roder  myuren,  en  satin  walrades,  komen 
(61b)  was  hart  der  drier  scal  klene  wesen;  stot  dat  krude.  Also  dat 
sud,  so  do  dat  pulvere  dar  in  vochliken;  also  dat  erwellet  si,  so 
nim  it  af;  lat  it  kolen,  do  it  in  ene  bussen.  De  de  quartanien  hevet, 
den  smere  dar  mede. 

Weder  den  vorstal. 

Nim  poppelen,  weten  cleyen ;  sud  dat  to  samene,  do  dar  en  klene 
soltes  to ;  make  it  vet  mit  svinen  smolte ;  hebbe  ene  pipen,  make  de 
vet  an  buten.  De  den  vorstal  hebbe  deme  stot  de  pipen  an  dat  lif 
achtere;  gut  eme  dat  sodene  in  dat  lif  dor  de  pipen  ((52*)  unde  leghe 
ene  wile;  sette  dar  enen  stol  de  en  gat  hebbe,  so  geyt  he  to  stole. 
Is  it  in  deme  wintere,  so  nim  watich  vif  soltir,  dat  brink  eme  in  dat 
lif  also  dat  andere. 

Weder  de  borst. 

Nim  enen  reyger,  broge  ene,  snit  ene  nicht  up;  nim  ebarbarum 
en  lot,  en  lot  fiolen,  en  lot  lacricien,  stot  de  krude,  do  dar  to  enen 
verdink  suckeres.     De  ene  böse  borst  hevet,  deme  gif  dat  eten. 

Weder  dat  bucovel. 

Sud  bonen ;  gut  dat  water  af,  do  dat  in  en  vat ;  leghe  dar  up 
en  wllen  laken.  De  ghene  de  dat  (62b)  bucovel  hevet,  de  sette  sie 
blot  dar  up.  Nim  myrren  unde  rosen,  stot  se,  so  wilikeme  minschen 
ofte  perde  wornie  eten.     Do  dat  pulvere  dar  in. 

To  deme  hoveteere. 

Emigranea  is  en  hovetsvere,  also  de  böse  materia  up  recket  to 
dorne  hovede,  so  begript  se  dat  hovet  half;  des  sealmen  aldus  boten. 
Du  scult  laten  de  hovet  äderen.  So  nim  aloe,  rosen  water  unde  etik, 
inenghe  dat  to  samene.     De  salve  vordrift  emigranea. 

Weder  de  onchen. 

En  wis  arste  plinius  saget  uns  dat  men  scal  maken  (63*)  ene 
dure  oughen  salven,  van  der  de  oughen  clar  werden,  dat  men  des 
lichten  daghes  de  sternc  in  deme  hemele  sen  mach. 


1» 

En  oghenser  hetet  scimo.  Wltut  it  boten,  so  mm  enes  haneL 
gallen  unde  enes  hasen  unde  enes  ales.  Menghe  se  mit  lüttere:: 
warmen  watere,  honich  do  darto,  unde  menghe  it  an  en  kopper  vat. 
unde  also  du  slapen  geyst,  so  bestric  dine  oghen.  Rüden  scolta 
pulveren,  honich  do  darto.  So  scoltu  dat  sigen  unde  dine  oghen  0>3fc 
mede  bestriken. 

En  böte  weder  den  braut. 

Weder  den  brant  van  vure  eder  van  watere  ghebrant:  Nim 
bonin  unde  sud  de  also  langhe,  dat  du  de  oversten  hut  afdrucken 
moghest.  Nim  dat  mel  dar  an  binnen  ut  unde  nim  meyghesche  bot- 
teren  unde  lüttere  de  an  watere  van  deme  solte.  Nim  der  beyder 
like  vele  unde  bestric  den  brant  des  daghes  drie  unde  beware  dat 
mit  eneme  vetten  doke  van  der  lütteren  botteren. 

Weder  den  swellen. 

Dyascorides  (64*)  eyn  mester  de  saghet  wo  men  des  svelen  helper 
scole.  Du  scolt  nemen  duvenmist  unde  gersten  mele  unde  tempert' 
it  wol  mit  etike,  unde  leghe  dar  (l.  dat)  plaster  over  den  svelen,  so  unt- 
svillet  he. 

Weder  den  stinkende  adhmen. 

So  deme  minschen  de  munt  stincket.  Is  he  junc,  so  nenie  he 
enen  dranc  des  someres.  Is  he  olt,  so  neme  he  ene  des  winteres. 
Kumt  he  nicht  van  den  tenen,  so  is  de  minsche  all  ersvoren;  ene 
dorstet  sere,  so  sint  eme  de  lippen  dünne.  Du  scolt  nemen  (04b) 
merswam,  unde  scolt  den  sere  seden  an  deme  watere,  unde  bede  eme 
den  buc  darmede  unde  mit  heteme  brode,  want  sie  de  buc  erledighet. 
So  nim  denne  havermele,  unde  sud  dat  in  deme  sape  der  wegheb  rede: 
dat  scal  he  vaste  nutteghen  des  morgenes  vro  seven  daghe,  so  wert 
eme  bat. 

Weder  de  naderen  steke. 

Nim  eyn  krut  dat  het  dragantea.  de  scolt  tu  seden  an  etike  unde 
gifdrincken;  alsodradehe  dat  drincket,  so  veret  de  vorgifnisse  van  eme. 

(65*)  Weder  dat  blöt. 

So  wan  du  vornimst  dat  de  minsche  sere  blot,  so  sende  dine 
boden  hen  to  watere.  Vorbede  den  boden  dat  he  nicht  en  spreke 
under  weghen.  So  he  dat  water  svighende  brinet  so  scoltu  it  sighen 
dor  din  hemede  an  en  ander  water,  unde  sprich  desse  wort:  In 
nomine  patris  et  filii  et  spiritus  saneti.  Nomen,  caro,  carice,  con- 
forma,  ismahelite.  Dat  scoltu  dre  stunde  don  unde  gif  deme  boden 
to  drinckende.     Is  ghene  dar  nicht,  de  dar  blot,  it  besteyt. 

Wltu  vorsuken  ofte  de  seke  ghe(65b)nesen  moghe  ofte  nicht, 
so  nim  wives  spon,  de  en  deghen  kint  hebbe,  unde  nim  des  seken 
harn,  unde  menghe  de  to  samene ;  vletet  se  under  eyn  ander  to  samene. 
so  neset  de  seke  wol;  scedet  sie  dat  spon  van  der  netten  so  en  neset 
he  nicht,  dat  is  vorsocht. 


IM 

WHu  proven  ift  en  iuuekvrowe  maget  si  oder  niclii 

Nim  epich  unde  berne  den  to  pulvere  unde  holt  ere  vor  de  nesen, 
ie  saghet  of  se  maghet  si;  in  is  des  nicht,  so  beseychet  se  sich. 

Wltn  proven  ofte  ein  wif  enen  sone  drage  (66Ä)  oder  ene  iunkvrowe. 

Nim  epich  mit  wortelen  unde  leghet  er  up  dat  hovet  dat  ses 
nicht  en  wete,  nomet  si  erst  enen  man,  so  wert  it  eyn  sone,  nomet 
*e  eyn  wif,  so  wert  it  ein  dochter. 

Weder  dat  vule  vleysch  op  den  wnden. 

So  wem  dat  vleysch  vulet  eder  droghet  of  der  wnden,  de  scal 
nemen  lern  ut  eneme  Qvene  de  wol  brant  si,  unde  tempere  den  mit 
ptike  unde  leghe  dar  up;  also  dat  vleysch  gronen  beghinnet  so  werp 
dat  plaster  af  unde  leghe  eyn  ander  dar  up,  do  dat  also  langhe  bet 
des  doden  vleysches  nicht  en  si. 

(66b)  Weder  dat  blot. 

Willestu  dat  blot  bestillen,  so  nim  swines  mist,  dat  gras  ete, 
tinde  werme  den  vaste  unde  leghe  dar  up;  it  ersteyt  altohant. 

Van  der  mnsehaten. 

Muschate  is  het  unde  droghe  se  maket  göt  den  bösen  adme, 
se  stcrken  den  maghen,  se  stoppet  dat  lif,  se  vordrift  de  bösen 
winde  van  der  leveren,  se  is  gut  weder  den  ioken,  weder  den  rüden 
weder  der  leveren  sericheyt. 

Muschaten  blomen  is  het  unde  droghe,  se  sterket  de  leveren 
unde  de  muten  unde  den  maghen  unde  vordrift  ere  vulnisse. 

(67*)  Negheleken  sint  het  unde  droghe,  se  sterket  den  maghen, 
de  leveren  unde  alle  de  dinck,  de  an  deme  minschen  sint.  De  spise 
dowet  se,  unde  maket  sachte  roringhe. 

Cobeben  sint  gut,  se  maket  bliden  möt,  .se  gift  göde  lucht 
deme  munde  unde  deme  maghen,  se  stoppet  dat  weke  lif,  se  helpet 
to  allen  dinghen,  de  an  deme  minschen  sint,   se  breket  ok  den  sten. 

Cardemomen  sterket  den  maghen,  se  dowet  de  spise,  se  be- 
(G7b) wäret  dat  weder  ghevent  de  se  menghet  mit  rosen  watere  unde 
drincket  dat.  (Randgl.:  gedrunken  beweret  se  dat  weder gheuent  dat 
de  minsche  heuet  van  deme  bösen  fleema).  Se  droget  de  bösen  vueh- 
tigheit  des  halses,  der  borst  unde  der  lunghen. 

Galigan  is  het  unde  droge,  he  reyneghet  den  maghen  van  den 
hosen  fleema,  he  dowet  wol  de  spise,  he  vordrift  de  losen  winden 
unde  den  kolre. 

Lacriscie  is  ghetemperet;  se  en  is  weder  het  noch  kolt,  se 
is  gut  weder  den  husten  (Randgl.:  Ofte  men  se  sedet  mit  watere, 
mit  ysopen,  mit  hertestungen,  mit  dragante,  unde  drinket  dat  water 
des  morgenes  unde  des  avendes.  Se  maket  oc  wuchtich  unde  reine 
den  hals,  de  borst,  unde  de  wege  van  der  lungen  .  .  .  vorder  afge- 
sneden)  unde  maket  reyne  de  borst,  den  hals  unde  de  lunghen. 

Niederdeutschem  Jahrbuch.    XV.  Q 


130 

Anis  is  het  unde  droge;  he  vordrift  de  grouen  vuchtic(68*)heit 
des  minschen  unde  losen  winde  (op  den  rand:  et  men  se.) ;  he  is  gut  der 
bösen  Ieveren  unde  der  muten.  Den  vrowen  oket  he  de  melic.  lte 
blomen  der  vrowen,  de  netten  unde  de  svet  brinkt  he  gande.  De? 
minschen  lust  erwecket  he,  he  vordrift  de  bösen  vuchticheit  de  den 
vrowen  vletet  van  deme  live  to  der  moder.  (Rgl:  he  maket  dat  weke 
lif  hart  et  men  sin  pulver.)  Deme  sin  hovet  we  deyt  van  denn 
snuven  de  scal  sinen  roke  untvan,  dar  men  ene  brant  uppe  den  koler. 
stot  unde  mit  rosen  olie  menghet;  unde  an  de  oren  ghedroft,  dat 
helet  sere  (G8b)  de  van  valle  ofte  de  van  slaghen  ser  sint  eder  van  valle. 

Comene  is  get  unde  droghe;  he  vordrift  de  bösen  winde  de< 
maghen;  he  brinkt  de  netten  gande;  he  is  gut  der  colden  Ieveren 
mit  gersten  mele  gemenghet  unde  mit  oylye;  he  is  gut  weder  de 
even,  de  dat  bindet  up  dat  lif.  In  eteke  soden  unde  up  dat  lif  ghe- 
bunden  (op  den  rand:  is  gut  wedder  den  swellen.  Mit  eteke  unde  mit 
watere  ghetruncken  is  gut  weder  den  bösen  atme,  he  vordrift  de  bösen 
vuctecheyt  de  in  der  vrowen  moder  is)  is  gut  weder  den  wormstefce 
mit  wine  druncken.  Cleyne  stot  unde  an  nese  pustet  vordrift  dat 
blot  (69*)  der  nese.  Mit  wine  druncken  is  he  gut  weder  der  roden 
colre.  He  sterket  wol  den  magen  unde  dat  herte.  He  vordrift  de 
bösen  vuchticheit  de  van  deme  hovede  to  der  borst  unde  to  dein»1 
maghen  vleytet. 

Van  petercilie. 

Pctercilie  is  het  unde  droghe.  Galienus  spricht:  so  we  hevet 
bladderen,  sveren  ofte  sere  hut,  de  scal  de  stoten  unde  leghen  dar 
up,  dat  is  gut;  ere  sap  ghedruncken  brincht  de  nette  gande  unde 
blomen.  Se  vordrift  de  bösen  winde  des  minschen.  Se  is  gut  den 
watersuchteghen  luden.  Se  is  gut  der  bösen  neren  unde  der  ((>9bi 
Ieveren.  Se  vordrift  de  serecheit  der  blasen.  Ere  sat  is  gut  gettou 
weder  den  sten. 

Van  deme  engevere. 

Enghever  is  het  unde  droghe.  He  is  to  maneghen  .dinghen  gut. 
nutteren  getten,  ofte  sloken.  He  is  gut  den  luden,  de  vinnen  hebbet 
in  den  oghen,  de  den  kowet  unde  stricht  up  de  lede.  He  maket  ock 
weck  dat  harde  vleysch  in  deme  gropen. 

Ceduare  is  gut  ghegetten.  Nutteren  is  he  gut  den  luden,  de 
dar  hebbet  an  deme  maghen  ro  eder  harde  spise.  Na  etende  (70*; 
is  he  gut  de  niges  hebbet  getten  ro   eder  harde  spise,   unde  versus: 

Ceduar  ante  datum  morbum  curat  inveteratum. 

Post  eibum  sumptum  facit  ut  bene  digerat  illum. 

Lactonica  is  het  unde  droghe.  He  is  gut  mit  wine  unde  mit 
honighe  druncken  weder  dat  water.  En  plaster  dar  van  ghemaket 
is  gut  den  oghen,  de  slaghen  ofte  gestot  sint.  Dat  sap  is  ock  gut 
an  de  oghen  droft,  deme  de  oghen  ser  sint.  Soden  an  watere  unde 
ghedruncken  vordrift  den  trän  van  den  (70b)  oghen.  He  is  gut  den 
verschen   wunden   unde   den    brokene    hovede,    de   se    stot  unde  bin< 


131 

tlar  up.  De  netten  brinckt  se  gande  mit  honighe  menghet,  unde  ghe- 
tlruncken  vordrift  se  den  hosten.  Dat  lif  maket  se  sachte.  Ere 
wortele  pulveret  unde  ghedruncken  helpet  den  luden,  de  binnen  to- 
spleten  sint.     Mit  wine  druncken  is  se  gut  vorgifnisse. 

Macer  (hs.  t)  de  viribus  herbarum  dicit  quod  y poeras  in  multis  medicaminibus 
utebatur  porro.  Unde  (71»)  dicit:  Illius  suecum  solum  dedit  ille  bibendum 
Kgrotis  qui#  reiciunt  spumantqvc  cruorem.  Rcddit  feeundas  mansum  persepe 
pucllas.  Cum  vino  porrum  datur  hiis  quos  leserit  anguis.  Quodlibet  autem 
animal  fundens  letale  venenura.  Nee  minus  hiis  prodest  si  vulneribus  superaddes. 
Si  velud  enplastrum  porrum  cum  melle  subactum.  Commixtus  porri  suecus  lacti 
muliebri  Et  bibitus  tussim  fertur  sedare  vetustam.  In  vieiis  variis  pulmonis 
subvenit  idem.  Auris  compescit  cum  capre  feile  dolorem.  Eius  jungatur  sueco 
pars  tercia  (71b)  mcllis.  Et  sie  perfna]  narcs  surdas  fundendo  vel  aures.  Inmensum 
poteris  capitis  sedare  dolorem.  Cum  vino  bibat  hunc,  lumborum  quem  dolor  angit. 
Dicunt  nil  tali  melius  prodesse  dolori.  Fracturas  solidat  cito  duriciasque  relaxat. 
Appositum  vulnusque  recens  semper  cito  claudit.  Si  crudum  fuerit  sumptum  levat 
ebrietatem.  — 

Van  der  wegebrede. 

De  weghebrede  is  kolt  (hs.  klot)  unde  droghe;  dor  dat  droghet  se 
vulc  wnden,  unde  maket  se  reyne.  Se  vordrift  dat  flecht  unde  (van 
Inf  ere  hand:  stot  men  se  unde  leget  se  dar  up  se  helet  oc)  de  brande 
bhidderen.  Se  is  gut  weder  (72a)  den  blotganck.  Se  is  gut  den 
luden  de  de  hebbet  emorrodias,  dat  sint  de  äderen  de  somelichen  (hs. 
lithen)  tospleten  sint  in  deine  hemelichen  weghe.  Se  is  gut  den  vrowen 
de  der  blomen  to  vele  hebbet.  Er  wortele  an  watere  soden  unde  de 
nmnt  mede  ghewaschen,  is  gut  weder  dat  tenen  ser.  Ere  sap  is  gut 
weder  de  bladderen  des  mundes  (op  den  rand:  of  men  dat  deit  in 
den  munt)  also  Galienus  spricht. 

Van  der  holwort. 

Holwort  is  twierhande.  De  ene  is  senewalt,  unde  de  andere 
lanch.  De  lang  is  gut  weder  den  roden  colre  unde  reyneget  manighe 
vulnisse.  (72b)  Se  nrnket  och  reyne  de  tenen  unde  de  äderen,  de 
wanghen  sterket  se.  Diascordes  spricht  en  dranc  van  der  langhen 
holwort  ghedruncken  mit  wine  is  gut  weder  allerhande  vorgifnisse; 
mit  peper  unde  mit  myrten  druncken  weder  der  vrowen  suke  de  be- 
stoppet sin  unde  weder  alle  unwledicheit.  En  toge  mit  wine  druncken 
is  ^üt  weder  dat  bueovel  dat  van  den  bösen  winden  comet,  se  is  gut 
weder  den  bösen  adme,  weder  den  colen  gischen,  weder  der  milte 
hurdicheit  unde  och  weder  dat  (73a)  colde  ovel.  Se  is  gut  mit  watere 
druncken  weder  dat  vallende  ovel  unde  den  ram. 

Fumus  terre  is  warm  unde  droghe;  ghedruncken  sterket  he 
den  maghen.  He  maket  güde  lust  to  etende ;  de  netten  brinche  gande. 
He  is  gut  der  bösen  leveren.  Sin  sap  is  gut  druncken  der  hut  weder 
den  ioke  unde  weder  der  roden  colre.  He  maket  och  reyne  blot,  he 
reyneghet  de  lichamen  vele. 

Van  der  rosen. 

De  rose  is  colt  unde  droghe.  Se  is  gut  geroken  den  luden  de 
de  hette  hebbe  van  der  leveren  oft  van  deme    (73b)   maghen.     Se   is 

9* 


132 

gut  weder  den  heten  colre  unde  weder  dat  vorbrande  blot,  unde  weder ! 
de  heten  sucht.  Mit  wine  soden  unde  dat  hovet  mede  gedwagen  vor« 
drift  se  allerhande  sericheit  de  van  der  hetten  comet.  De  munt  dar 
mede  waschen  (mit  deme  rosen  watere)  reyneget  de  bösen  kene- 
backen  van  den  wormen.  Mit  water  druncken  is  se  gut  weder  dat 
bucovel.    Dat  rosen  water  ghedruncken  colet  dat  lif  unde  den  maghen. 

Van  der  rüde. 

Rüde  is  het  unde  droghe.  Se  vordrift  dat  grone  flecma,  de  bösen 
wm  unde  dat  starke  (74*)  hosten.  Se  vordrift  spolworme  ut  deme 
maghen.  Mit  moraten  sape  unde  mit  honighe  menghet  unde  ock  salve 
darvan  ghemaket,  dat  maket  duster  oghen  clar.  Se  is  gut  ghetten 
(nüchterne  weder  den  scemen  der  ogen  unde)  weder  den  worsteke 
unde  weder  vorgifnisse. 

Yan  der  salvien. 

Salvie  is  het  unde  droghe.  Se  is  gut  der  leveren,  der  lunghen, 
der  borst,  de  ere  blade  et.  Se  maket  och  sachte  weder  ghevent;  ere 
wortele  stot  unde  mit  boteren  soden  unde  wrunghen  dor  enen  doc, 
das  is  gut  en  salve  de  dat  drincket  an  warmen  bere  (deme  menschen 
de  dat  binnen  to  broken  efte  tospleten  is.) 

(74b)  Fiole  is  colt  unde  vuchtich,  se  vordrift  den  bösen  colre  van 
deme  maghen,  se  helpet  der  bösen  borst,  roken  helpet  se  deme  bösen  hovede 
dat  van  hette  we  deyt.  Mit  wetene  mele  menghet  unde  up  de  bösen 
bladderen  leghet,  helet  se.  Sirop  van  violen  druncken  vuchtighet 
dat  lif.  It  vordrift  den  heten  hosten  unde  dat  hete  van  der  lunghen, 
van  der  leveren  unde  van  dem  live.  In  de  nesen  pustet  und  en 
prustent  dar  van  gemaket,  dat  maket  sachten  slap.  Sucker  mit  fiolen 
menghet,  (75*)  dat  het  zucker  fiolat,  dat  is  gut  getten  der  borst,  der 
leveren,  der  lunghen. 

Wermede  is  het  unde  droghe,  se  vordrift  och  den  slim  van  deme 
munde  des  maghen,  der  leveren  unde  der  äderen,  de  van  der  leveren 
dat  blot  ghevet  deme  live;  se  maket  gude  lust  to  etende  (se  is  gut 
den  luden  de  en  kranc  herte  hebbet  gestot  unde  an  wine  gedrunken, 
se  maket  oc  de  lüde  vro.)  mit  zucker  druncken,  he  maket  och  reyne 
alle  dinc  des  minschen  (de  hir  vore  bescreven  sint)  unde  .vordrift  och 
den  roden  colre. 

Afrude  is  het  unde  droghe.  Der  vrowen  moder  openet  se  (ere) 
mit  mirren  menghet  und  en  pessarium  dar  van  ghemaket  dat  brinct 
(75b)  der  vrowen  blomen  gande;  it  droghet  och  de  moder  unde  breckt 
de  sweren  der  vrowen.  To  pulveret  unde  mit  gersten  (mele)  menghet 
breckt  se  den  harden  sten  (unde  sweren)  (vnderaan  van  totere  hand: 
in  wine  soden  unde  drunken)  unde  helpt  weder  de  colden  pissen,  se 
dodet  de  spolworme  oft  man  se  drinckt  an  olden  bere.  Ere  asche  mit 
olden  olye  menghet  maket  har  wassende  dat  af  ghewallen  is,  dweyt 
man  dat  hovet  dar  mede  mit  der  loghe;  ere  sap  is  gut  weder  dat 
colde  oft  de  minschen  sie  dar  mede  bestrickt. 

Pors  is  colt  unde  droghe,  he  vordrift  (76*)  de  hette  van  deme 
hovede,  pulveret  droghet  he  de  vule  sweren ;  gebrant  to  pulveren  unde 


133 

mit  rosen  watere  menghet,  unde  dat  hovet  mede  bestreken,  bestoppet 
dat  blot  der  nesen.  Sin  sap  is  gut  tegen  den  hosten  nochten  scadet 
he  nicht  der  lunghen,  der  borst,  he  sterket  den  maghen  und  alle 
dinch  de  an  de  minschen  sin,  de  netten  brinct  he  gande,  de  seren 
wunden,  de  weken  lede  sterket  he.  (onderaan:  sin  sap  in  den  oren 
droft  vordrift  dhe  bösen  vochticheyt  in  den  oren.) 

Celeya. 

Celeya  is  ein  crud  dat  wasset  opper  heyde  dat  is  lic  der  hertis- 
tunghen  unde  is  doch  nummer  an  den  (76b)  bladen.  De  brinckt  de  netten 
gande  gedruncken  mit  wermeden  sape,  vordrift  de  bösen  winde  van 
der  leveren  van  der  muten;  mit  etike  druncken  is  se  gut  weder  de 
gelen  sucht.  Se  bricht  och  den  sweren  op  der  muten,  se  is  gut  weder 
den  wormsteke ;  druncken  is  se  gut  der  borst,  der  blasen,  der  lunghen 
unde  den  wunden. 

Alant  is  warm  unde  vuchtich,  he  is  gut  to  der  borst,  to  der 
lunghen,  he  reyneghet  se  van  der  groven  vuchticheyt.  En  lactuarium 
darvan  gemaket  dat  is  gut  weder  den  olden  (77*)  hosten  unde  weder 
den  bösen  adme  unde  weder  dem  uppeblasenen  buc.  He  is  gut  weder 
den  wormsteke  doch  scadet  he  deme  hovede  vele  gedruncken. 

De  slen  sint  gut.  Colt  sint  se  unde  droghe.  Van  den  spricht  dyascor- 
des,  eyn  heydenesch  meyster:  De  slen  sint  gut  to  sweren  unde  to  swelen, 
oft  man  den  sten  ut  nimt  unde  stot  se  (onderaan:  unde  to  den  wilden 
vure.),  to  den  bladderen  an  dem  munde,  to  den  iokenden  oghen, 
den  bacdarm  unde  der  vrowen  hemelicheyt,  de  utgescoten  is,  de  drift 
se  weder  in,  oft  man  ere  sap  drinckt  an  wine  och  gift  man  se 
(77b)  drincken  den  blotsuchtighen  luden. 

Mastix  is  het  unde  droghe.  He  vordrift  de  vuchticheyt  des 
maghen,  he  maket  lust  to  eten  de  den  swel  unde  alle  boscheit  des 
maghen,  der  leveren  unde  des  lives  mit  rosen  watere  menghet  unde 
de  maghe  butene  mede  bestreken  dat  sterket  ene  unde  maket  ene 
reyne.  Dyascordes  ein  meyster  spricht:  mastix  mit  colden  watere 
drunken  sterket  sere  den  maghen  unde  vordrift  sine  boscheit,  mit 
warmen  watere  helpt  he  nicht.  Johannes  Damascenus  spricht:  Mastix 
is  gilt  den  luden  de  langhe  hostet  hebbet.  Galyenus  spricht:  Mastix 
is  (78*)  gut  den  luden  mit  den  bösen  kenebacken  dat  man  se  dar 
mede  wasche  wente  dat  helet  de  clove  unde  vordrift  de  unreynicheit. 

Aloe  paditum  dat  is  het  unde  droghe.  It  reynighet  den  magen, 
dat  hovet  unde  de  lede,  it  brincht  gande  dat  böse  flecma  van  den 
liven,  it  gift  güde  lucht  den  bedempeden  leveren,  it  vordrift  de  gelen 
sucht.  Nicht  vele  unde  nicht  dicke  scalmen  it  geven  want  is  scedelic 
deme  maghen  (78b)  unde  dem  ingeweyde.  Dor  dat  scalmen  dar  to 
don  mastix  ofte  dragant  na  siner  temperinge.  Wasch  it  nicht  mit 
watere;  wltu  it  geven  to  drancke,  so  wrif  it  en  clene. 

Avrine  is  tvigerhande,  grot  unde  clene;  de  sint  beyde  het  unde 
droghe.  Galyenus  saget,  de  wortele  der  groten  aurinen  hevet 
tvigerhande  smac,  dor  dat  hevet  se  tvigerhande  macht.     Se  is  scarp 


134 

und  ein  clcne  sote.  Mit  erer  scarpichcit  brincht  se  der  vrowen  hloint  -. 
gande  und  och  dat  dode  kynt,  mit  erer  bitterheit  is  se  gut  wcu*-: 
den  bösen  adme.  Se  (79a)  vordrift  den  olden  hosten.  Se  is  gut  d*-:. 
wnden  unde  to  dem  blotganghe.  Se  sterket  de  lüde.  Ere  sat  und» 
wortele  de  hebbet  allene  maclit.  De  wortele  der  minneren  aurinrii 
de  is  gut  gedruncken  mit  bere  dor  den  colden  unde  de  groven  vuch- 
ticheit  des  minschen  to  der  colden  sucht  is  se  gut.  Ere  sap  mm 
honighe  menghet  vordrift  den  scemen  van  den  oghen. 

(Twee  reg  eis  ledig) 
Deme  gif  drincken  den  worm,    de   des   nachtes   scinet    in   den.«: 
somere. 

Wil  de  vrowe  vele  melich  haven. 
(79b)  De  neme  fenecol  unde   sede   den  an  wine  eder  an  melik» 
unde  drincke  den  nüchteren  so  wert  ere  noch. 

Wil  se  dat  der  melich  vorga. 

Se  stote  crevete  unde  leghe  de  uppe  de  titten,  so  vorgheyt  eiv 
de  melic  vil  drade. 

Weder  de  blodende  wnde. 

Du  scolt  nemen  en  eyges  scellen  unde  leghe  de  in  starcken  etiv 
want  se  also  wec  werde  als  en  ey  in  der  henen,  nim  de  scellen  umlr 
leghe  se  an  de  sunnen,  wrant  se  droghe  werde  dat  se  to  sture;  an 
welike  wunden  du  dat  stof  deyst,  dar  untsteyt  dat  blot. 

(80a)  Weder  den  sten. 

De  den  sten  en  binnen  hevet,  de  neme  dat  blot,  de  hasen  uihUi 
de  hut  de  an  der  siden  is,  also  scalmen  se  bernen.  Mit  warmen  waUi 
scal  he  dat  drincken  nüchteren.  Wltu  dat  bevinden,  nim  eynen  stiw 
unde  des  pulveres  en  lepel  vul,  in  warm  water  scoltu  dat  don  n 
togeyt  de  sten.  I 

Weder  den  sten. 

Nim  buckes  blot  unde  droghe  dat  in  der  sunnen,  want  it  hart 
werde,  so  nim  unde  tempere  it  mit  witten  wine  unde  gif  it  warm  eine 
drincken  des  morgenes  unde  des  avendes,  so  müt  de  sten  tobrekrn 
(80b)  dat  is  vorsocht.  So  de  sten  tobreckt,  so  scal  he  petereilie- 
nuttechen,  sone  wasset  de  sten  nicht  mer. 

Swe  nicht  wol  pissen  en  mach. 

Sve  nicht  wol  pissen  macht,  de  scal  stoten  comen  unde  leglu: 
sapheram  an  win  unde  do  dar  in  dat  pulvere,  dat  scal  he  drinekt-r 
des  avendes  unde  des  morgenes  unde  ete  comensat  unde  petercilien  sat. 

So  we  nicht  to  stole  gan  en  mach. 

Sveme  dat  lif  bestoppet  is,  de  scal  eten  erwiten  mit  specki* 
soden.  Popelen  unde  wegebreden,  petercilien  mit  smolte  soden  i< 
eme  gut.  Elhbrn,  naderwort  ghe(81a)sneden  unde  scaven,  dar  scalin*  u 
des  avendes  up  geten  sote  melic,  unde  wringen  dat  dor  enen  <!■  < 
unde  drincken  dat  des  avendes  unde  des  morgenes. 


135 

Weder  den  scitten. 

Deme  dat  lif  to  sere  geyt,  de  nerae  negen  medeke  in  der  erde 
unde  berne  de  to  pulvere,  unde  sprecke  de  wile  liegen  pater  noster 
unde  make  negen  koken  van  weteme  mele  unde  bestrike  de  mit  bot- 
teren  unde  scede  dat  pulvere  dar  up,  unde  et  dre  koken  des  mor- 
genes,  dre  des  avendes,  dre  to  middaghe,  dre  an  den  namen  des 
vaderes,  des  (81b)  sones,  des  heylighen  geystes.  Drint  eme  dat  lif 
darna,  so  neme  he  water  unde  do  dar  in  weten  mele  unde  make  dar 
wit  mose  af,  dat  scal  he  eten  mit  witteme  warmen  brode;  rintvlesch 
mit  bonen  soden  is  och  gut. 

Van  deme  swele. 

Uultu  en  swel  weken  an  den  antlate  oft  an  deme  live,  so  stot 
lilien  wortelen  unde  van  popelen,  van  gersten  mele,  van  honighe  unde 
legghe  dat  plaster  up  dat  swel.  Swanne  dat  kolt  si,  so  legghe  darup 
en  ander  warm  plaster;  yo  he  dat  dicker  deyt,  yo  it  eme  er  heplt 
(sie)  unde  helet. 

(82a)  Van  der  langen. 

So  we  becummert  is  an  siner  lunghen  unde  sere  hustet,  so  wert 
beslimet  sin  levere,  de  scal  seden  an  watere  lacricien,  hertistungen, 
yöopen,  dragant,  dar  scal  he  in  don  zucker  unde  drincken  dat  des 
avendes  unde  des  morgenes,  dar  na  scal  he  laten  de  lunghen  äderen, 
den  is  eme  gut. 

De  ädere  de  under  der  tunghen  leget,  deme  is  gut  ghelaten 
deme  dat  tenenvleesch  swllen  is  unde  vor  tenen  ser  unde  vor  muntser. 

De  ädere  de  dar  leghet  tvisschen  deme  lutteken  vingher  an  der 
vorderen  hant,  de  is  gut  (82b)  gelaten  weder  de  leveren  unde  weder 
dat  vaste  lif.  De  sulve  ädere  ander  luchteren  hant  is  gut  gelaten 
weder  de  muten. 

De  ädere  de  dar  leghet  binnen  deme  vorderen  bene  tojeghen 
dat  anclef  unde  binnen  deme  luchteren  is  gut  ghelaten  vor  drade 
wedaghe  unde  vor  altovele  blödes  unde  vor  de  quartanien. 

De  ädere  de  buten  oppe  deme  luchteren  bene  leghet  toieghen 
dat  anclef  is  gut  laten  vor  binnenswel  unde  vor  wedaghe  ander 
wostenie  unde  vor  lenden  wedaghe. 

(83a)  Vor  swel  unde  vor  blot  an  den  oghen  nim  dat  crut  dat 
under  deme  kole  wasset  und  dat  witte  van  eneme  eyge,  unde  stote 
dat  to  hope  unde  leghe  dat  up  de  oughen. 

Deme  de  oughen  ioket  unde  dat  blot  dar  to  volt  unde  dat  enem 
manne  de  oghen  schir  werden:  man  scal  nemen  dat  wos  van  der 
rüden  unde  honich  unde  dat  witte  van  dem  eyge  unde  wringhe  dat 
dor  enen  doc  unde  late  dat  an  dat  öghe. 

Vor  de  bladdere  an  dem  oghen:  nim  atrimentum  unde  honich 
unde  aloe  unde  (83b)  dat  witte  van  dem  eyge,  unde  nim  heden,  unde 
make  en  plaster  darvan  (onderaan:  unde  leghe  up  de  oghen  unde) 
wringhe  dat  wos  dar  up. 

Vor  scemen  vor  den  oghen:  nim  Witten  zuchker  unde  werpen  darin. 


136  j 

Tränet  enen  minschen  de  oghen  de  neme  wiroch  unde  berat 
den  ander  enen  beckene  to  pulvere  unde  nim  dat  pulver  unde  du 
dat  in  de  öghen. 

Vor  wedaghe  an  den  oren:  nim  zucker  unde  win  unde  lat  dat 
an  de  oren. 

Wert  enen  minschen  en  bladdere  dar  dat  vresme  to  volt.  So 
nim  en  hon  unde  plocke  dat  under  deme  buc  alle  (84a)  blot  undt 
sette  it  denne  up  de  bladderen,  sterft  dat  hon,  so  nim  en  ander  al 
want  it  vorgheyt. 

Blot  enem  manne  de  nese,  de  ne  man  stille  kan.  So  nim  ene-D 
gropen  mit  etike  unde  henghe  eme  sin  macht  dar  in  al  want  it  eme 
vorgheyt. 

Vor  vul  vleisch  an  den  wnden:  nim  droghe  vleysch  van  euer 
scinken  binnen  unde  bint  dat  dar  up  tvige  des  daghes  al  want  it  vorgevt. 

Nim  en  dachtelen  sten  unde  scaf  dar  af  an  ber  unde  gif  euer 
vrowen  drincken  de  des  kindes  nicht  (84b)  ghenesen  kan;  den  sten 
scal  en  kusche  minsche  bi  sie  hebben. 

Deyt  enen  minschen  dat  hovet  we  van  slaghen  oft  van  valle.  de 
neme  wermeden  und  seden  de  an  etike  unde  bint  de  warm  dar  it  de 
we  deyt. 

Wert  en  man  wndet  de  alto  sere  blot,  de  neme  bernende  netelen 
sat  unde  berne  dat  to  pulvere  unde  werpe  dat  an  de  wnden  so  unt- 
steyt  dat  blot.  Blot  enen  minschen  de  nese  al  to  sere  so  do  he 
dat  sulve. 

Deyt  enen  minschen  de  lunghe  oft  ander  yngeweyde,  yngedome, 
we  an  (85a)  sinen  live,  de  neme  wermoden  unde  werpe  ene  kannen 
alle  vul  unde  ghete  dar  win  up  also  vele  dat  de  kanne  vul  werde, 
unde  lat  dar  inne  ligghen  ver  daghe  of  vive  bestoppet,  unde  werpe 
denne  wech  de  wermeden  unde  drincke  den  win  nutteren  want  it 
eme  vorgha. 

Vor  vule  wunden:  nim  grone  svinen  smer  unde  smelte  dat,  unde 
nim  dat  smolt  unde  blanken  win  unde  weten  mele  unde  make  dar 
dick  gorte  van  unde  leghe  al  so  warm  vor  de  wunden. 

Quivis  homo  debet  sollicite  custo(85b)dire  quattuor  tempora  aniii.  Ter 
enim  est  tempus  calidum  et  humidum  et  tali  modo  temperatum  ut  aeri  simile  et 
excitatur  in  eo  sanguis  et  proficit  in  nomine  quod  est  equalis  complexioni,  seilicet 
intemperate,  seilicet  ut  sunt  pulli  gallinarum  et  ova.  lactuce  egrestes.  et  lat 
caprinum.  Nulluni  eciam  tempus  melius  est  nee  utilius  ad  minutionem  et  perfkir 
in  eo  usus  veneris  et  usus  balnei  et  sudoris.  et  universa  purgatoria  et  potatioiie* 
8pecierum  ad  dygerendum.  Sequitur  postea  tempus  hestivum  et  calidum  in  quo 
excitatur  colera  rubea  et  oportet  in  eo  cavere  (86»)  ab  omni  eo  quodeumque 
fuerit  calide  et  sicce  complexionis  quo  quidem  caveatur  colera  rubea.  caveatur 
ab  estu  nimio  et  potu  et  a  nimia  saturitate.  ne  extinguatur  calor  naturalis  e: 
comedatur  tantum  quod  frigidum  et  humidum  fuerit  ut  sunt  carnes  vituli  cum 
aceto  et  eucrobricem  et  pulli  saginarum  ex  farina  ordeacea  et  ex  fruetu  quiequid 
acuti  sapori8  ut  mala  olerea  et  mala  granata  et  suecus  vicum  et  verius  (l.  venu*) 
parce  exerceatur,  et  caveatur  ab  omni  minutione  nisi  necessitas  coegerit  et  motu* 
corporis  et  balnea  exerceantur.  —  (86b)  Sequitur  autumpnus  quod  est  tempus 
frigidum  et  siecum  in  quo  colera  nigra  consurgit.  sive  melancolica.  et  oportet 
ut  in  eo  observetur  ex  eibis  quiequid  fuerit  calidum  et  humidum  et  bone  com- 


137 

plexionis  ut  sunt  pulli  et  agni,  uve  quoque  dulces.  et  vimim  vetus  atque  subtile, 
atque  abstiueatur  ab  omni  quod  coleram  nigram  generat  et  motus  corporis  absque 
usu  veneris.  magis  sie  quam  in  estate.  et  balnea  quoque.  eciam  si  necesse 
fuerit  purgatoria  exerceantur.  Post  hec  sequitur  tempus  frigidum  et  (87a)  humi- 
dum  in  quo  usus  bibendi  debet  mutari  ad  medicinas  calidas  et  eibos  calidos  ut 
sunt  pulli  columbarum  arenna.  caro  assature  et  universa  pulmenta  calida.  Ileus 
quoque  et  nuces  et  vinum  optimum  rubeum  et  similiter  sumantur  electuaria 
calida,  abstineatur  a  mioutione  sanguinis  et  a  solutione  ventris  nisi  magna  neces- 
sitas  ista  requirat.  et  oportet  calefacere  aerem  nee  impedit  in  hoc  tempore  usus 
veneris  nee  motus  corporis  nee  babundancia  eibi  ex  (87b)  eo  quod  digestio  üt 
valida  in  hoc  tempore.  In  Maii  fine  lux  tercia  quarta  ve  quinta.  Queque  sibi 
prodest  minui  de  quolibet  arcu  et  pro  des  t  homini  per  totura  quemlibet  annum, 
lumina  ne  perdat  nee  febres  senciat  ullas. 

In  Januario  de  optimo  vino  bibe  calicem  jejunus.  Sanguinem  non  minuas. 
pocionem  non  sumas  ad  ventris  solutionem.  asso  balneo  utere  sepe.  Mane  comede 
sed  non  nimium  quia  nimia  comestio  et  superflua  febres  generat. 

In  Februario  sanguinem  minue,  potionem  aeeipe,  omnia  que-  (88a)  vis  comede 
praeter  aveam  et  betam.  caput  tuum  et  cerebrum  a  frigore  custodi.  cervisiam 
bonam  in  balneo  bibe.  linde  versus :  Potio  sumatur  in  pollice  sie  minuatur.  Balnea 
fac  assa  vinum  bibe  non  ope  cassa. 

In  Martio  lavare  sepius  in  balneo  et  purga  dentes  tuos  fricando  sale.  noli 
minuere  sanguinem  sed  provoca  vomitum  propter  cottidianas  febres.  fac  cocturas 
])ropter  paralisim.  Coctidie  comede  de  pulvere  rute,  salive,  fenicoli,  apii,  zin- 
ziberis,  cardemonie,  petrocilini  unde  versus:  Balnea  fac  assa  et  (88b)  dulcia  siut 
tibi  cassa  Pullegium  pota  minua  despice  vota. 

In  Aprili  debes  minuere  sanguinem  in  mediana  propter  pulmonem  et  toracem. 
non  comedas  crudas  carnes  radices  propter  scabiem  et  pruritum,  recentes  carues 
comede  non  nimium  fumigatas  quia  carnes  fumigate  sincopum  morbum  generant. 
Unde  versus :  Potio  sumatur,  radix  tibi  nulla  bibatur.  Pota  bitonicam  pipinellam 
scindito  venam. 

In  Magio  est  quibusdam  infirmus.  quibus  sane  languide.  Si  tu  vis  sanus 
tieri  absintium  bibe  cerifolium  (89*)  comede  et  omni  tempore  salviam  et  rutam 
sume.  bitoniam  et  agrimoniam.  lubisticum  et  fenicolum  in  potione  aeeipe.  Unde 
versus:  Non  aliud  edas  caput  epaticum  tibi  cedas.  Cum  millefolio  prodest  agri- 
monia  poto. 

In  Junio  aquam  fontanam  bibe  jejunus  propter  pulmonem  et  toracem. 
jejunus  bibe  novam  cervisiam  sed  medonem  noli  bibere.  lactucam  sume  et  in 
cena  comede.  butirum  sanum  est  nisi  in  solo  augusto  propter  oculos.  Ceduare 
betonicam,  agrimoniam  in  refectione  sume.  Unde  versus :  Potus  aque  (89b)  frigide 
coleram  fugat  hanc  bibe  mane.    Combibe  sambucae  flores  jejunus  ut  uve. 

In  Julio  si  vis  sanus  fieri  custodi  te  a  nimia  dormitione  ab  asso  balneo. 
a  minutione  sanguinis,  a  piseibus  palustribus,  a  caulibus,  a  solutione,  a  calidis 
eibis.    potio  tua  sit  gamandrea,  ruta,  salvia.    anetum.    apium. 

Augustus  est  quibusdam  periculosus.  a  frigore  te  custodi.  frigidis  eibis 
utere.  noli  sepe  balneari.  a  palustribus  piseibus  te  custodi  et  similiter  a  caulibus. 
agrimoniam  bibe  et  pollegium  et  plantaginem.  Si  hec  non  custodieris  eris  infirmus. 

(90»)  In  Septembri  aliquas  buccellas  lacte  infusas  comede  jejunus  et  omnes 
fruetus  maturos  praeter  pira  nisi  cum  potu.  potio  tua  sit  coeta  agrimonia,  grana 
mistica  et  si  volueris  sanguinem  minue. 

In  Octobri  omnia  tarn  volatilia  quam  quadrupedia  sana  sunt  excepto  solo 
cancro  qui  leditur  a  marino  serpente.  Racemis  utere.  Mustum  bibe  cum  asso 
ansere.  Sed  uti  te  oportet  speciebus  ut  stomachum  tuum  diligenter  custodias 
ne  intus  aliquid  de  febribus  misceatur  quod  postea  (90b)  totum  corpus  corrumpat 
Potio  tua  sit  tibi  ceduare,  galigan,  cinamomum,  cobeben. 

In  Novembri  non  utaris  multum  venere.  Non  calido  balneo  quia  balnea 
et  veneris  officium  faciunt  virum  debil itari  et  mulier em  fieri  ydropicam.  Si  opus 
est  subeutaneum  sanguinem  minue  sed  studiose  debes  mel  sumere  et  medonem 
bibe.     Potio  tua  sit  tibi  zinziber,  cynamomum,  cobeben. 


138 

In  Decembri  custodi  a  frigorc  cerebrum  tuum  ut  per  totum  annum  sis  sauu« 
a  capitis  dolore.  Minue  cyphonicam  (91a).  balneare  quantum  vis.  porrum  c: 
ziuziber  cum  pane  comede.   si  hec  et  prescripta  feceris  medico  non  indigebis.  — 

Kumt  de  nyeiares  dach  an  den  sonendach,  so  wert  de  meye 
vuchtich;  de  somer  und  owest  werdet  windich,  kornes  wert  noch  unde 
wines,  vrucht  in  den  garden  openbaret  sich;  de  iungen  lüde  stervet. 
de  stride  werdet  lef,  so  horthme  nye  mere  van  vorsten  oft  van  koningen. 

Kumt  he  an  den  manedach  de  winter  wert  mene  unde  de  somer 
raatech  (91b)  unde  de  vlode  gad  vele.  So  heft  me  vruchtinge  vor  de 
seken,  de  scentliken  lüde  steruet.  So  strit  me  gerne,  vostnisse  der 
herue  werdet  thobroken,  den  olden  quenen  wert  wenendes  noch,  vele 
manslacht  wert  dar,  de  konige  vorgath;  van  den  wapene  wert  vele  dodes. 

Kumt  he  an  den  dinghesdach,  so  wert  de  winter  grot  ende  vele 
vlode  gad,  de  meye  wert  vuchtich,  de  oust  wert  droge.  Cornes  wert 
klene,  de  wif  stervet,  de  gogedot  de  wert  weldich,  de  scepe  breketb, 
(92ft)  vele  honeges  wert  er,  vele  brandes,  vele  suke;  de  vrucht  in  den 
garden  de  vorweit,  olyes  wert  noch,  grot  bedrofnis  wert  in  deme  mere. 

Kumt  he  an  den  midweken,  so  wert  vullicheit  des  komes  unde 
wines  noch,  klen  apel,  de  lüde  moget  sie  neren,  kopenscat  wert  gut. 
de  man  stervet,  de  winter  wert  warm,  van  yseren  wert  scade,  olyes 
wert  klene,  oust  wert  tomate,  de  meye  vuchtich,  den  luden  wert 
losinghe,  de  bestoppet  sin  in  deme  live,  hunger  wert  over  alle  lant. 
Nie  mere  hört  me. 

(92b)  Kumt  he  an  den  donresdach,  so  wert  vullicheit  des  kornes, 
luttigöth  holtes,  vele  appele  wasset,  klene  honeges  werter,  de 
winter  wert  sacht,  de  meye  wert  windich,  de  oust  wert  gut,  de 
hanene  vorgath,  vele  reghent,  vele  vlode  komet,  olyes  wert  noch,  scade 
wert  den  luden  vele. 

Kumt  he  an  den  vriedach,  so  wert  de  winter  temperet  tomate: 
de  somer  wert  böse,  en  droge  oust,  nen  vullenkomen  körn,  ochser 
wert,  de  kindere  stervet,  stride  werter  vele  vor  de  koninghe,  erth- 
bevinge  (93a)  wert  ichteswor.  Pelegrinadhse  der  koninghe  und  der 
weidigen  wert  danne.  Vele  olyes,  scap  unde  ymnen  vorderveth;  grot 
rucht  wert  under  den  heren. 

Kumt  he  an  den  sunnavent,  de  winter  wert  windich.  Grot 
hervest  en  bitter  somer.  Vlode  scolen  gan.  En  droge  owest.  Luttich 
gut  kornes,  fruchtsam  körn,  kindere  stervet.  Mit  manigher  hande  suke 
werdet  de  lüde  begrepen.   Olde  lüde  stervet.  Vele  howes  wert  overinate. 

So  wan  de  mane  prime  is,  so  (93b)  suket  lange.  Swe  de* 
anderen  dages  bevolt,  de  mach  sunt  weerden.  Swe  des  dridden 
dages  bevolt,  de  suket  starke  unde  langhe.  Des  verden  daghes  we 
den  bevolt,  de  mot  sterven  unde  des  viften  dages  oc.  Swe  des  susten 
daghes  bevolt,  de  suket  lichteliken;  des  sevendes  daghes  bevolt,  s»» 
mach  de  seke  mit  arcedien  sunt  werden.  Des  achten  dages  so  suket 
me  nicht  lange.  Des  negeden  dages  so  wert  me  drade  sunt.  De> 
tegheden  daghes  wert  me  sunt  sunder  scadhen.  Des  elften  (94*i 
daghes  so  steyt  me  up  van  der  suke.     Des  tvelften  daghes  so  stervet 


139 

he.  Des  dorteghenden  daghes  so  wert  he  gemoget.  Des  verteghenden 
dages  so  wandelet  he  sie.  Des  viftegheden  daghes  so  suket  he  want 
to  tercien  tith.  Des  sustegeden  daghes  och  also.  Des  seventegheden 
dages  so  traghet  sie  de  suke.  Des  achttegeden  dages  so  wert  me 
langsme  sunt.  Des  neghentegheden  daghes  so  suket  me  lange.  Des 
twintesghen  dages  so  steyt  me  drade  up  van  der  suke.  (94b)  Des 
enentwingesten  dages  och  also.  Des  twenetwingesten  dages  so  steyt 
he  up.  Des  dreentwintgesten  dages  suket  he  lange.  Des  veren- 
twintgesten  dages  stervet  he  snel.  Swe  des  viftwintgesten  dages  in 
ene  suke  bevolt,  levet  he  dre  daghe  darna,  so  wert  he  sunt.  Des 
susentwingesten  dages,  so  stervet  he  snel.  Des  seventwingesten  so 
levet  he.  Des  achten  twintichges  dages  so  wert  he  drade  sterket. 
Des  negentwintgesten  dages  so  wert  he  sunt.  Des  tortighen  dages 
nio t  he  sterven. 

(95a)  Do  de  mane  prime  was,  do  wart  adam  maket.  Wat  du 
den  deyst,  dat  is  gut.  Des  anderen  dages  wart  eua  maket;  alle  wervet 
sin  gut.  Des  dridden  dages  wart  kain  geboren;  do  nicht.  Des  verden 
duges  wart  abel  geboren,  wat  du  deyst,  dat  is  gut.  Des  viften  dages 
is  schedelic  begunnen  enes  dinghes.  Des  susten  dages  seth  de  kindere 
to  der  scole,  so  dyet  se.  Des  seueden  dages  wart  abel  slagen,  do, 
wat  du  wlt.  Des  achten  dages  wart  niatusalus  boren,  so  wTander  me. 
Des  negenden  (95b)  dages  wat  me  deyt,  dat  is  niwTeder  gut  noch  böse. 
Des  teyndes  daghes  wart  noe  boren,  wat  me  deyt,  dat  is  gut.  Des 
elften  dages  so  sege  sat,  dat  wert  gut.  Des  tvelften  dages  wart 
c-anaan  boren,  do  nicht.  Des  dorteynden  dages  mach  me  win  planten. 
Des  verteynden  dages  wart  Noe  boren,  so  do,  wat  du  wlt.  Des  vif- 
teynden  dages  do  nicht.  Des  susteynden  dages  mach  me  ossen  temen. 
Des  seventeynden  dages  is  svar  allerley  dinch  donde.  Des  achteynden 
dages  do,  w7at  do  wlt.  Des  (9Ga)  negenteynden  dages  do  nicht.  Des 
twingesten  dages  -wart  Joseph  boren,  de  dach  is  allen  luden  gut. 
De  ene  twintichste  dach  is  och  gut.  De  twe  unde  twintichste  dach  is 
swar  allen  luden  unde  böse.  Des  dre  unde  twintichsten  dages  wat 
du  deyst,  dat  is  gut.  Des  verentwintichsten  dages  do  nicht,  unde 
des  vif  unde  twintichsten  dages  do  och  nicht.  Des  sussentwintichsten 
dages  begunne  nene  grotes  dinges.  Des  seventwintichsten  dages  do, 
wat  du  wlt.  Des  achtentwintichsten  dages  wat  (96b)  du  deyst,  dat  is 
och  gut.  Des  negentwintichsten  dages  dodedhe  herodes  de  kindere, 
do  den  nicht.  Des  drothegen  daghes  wart  Samuel  boren,  wat  du  den 
deyst,  dat  wint  enen  goden  ende. 

Quia  omues  verissime  praescientie  perfecta  scieutia  comprehensi  soli  deo 
siugulariter  constituta  neminem  contra  dicere  puto.  Quapropter  et  hiis  qui  ex 
tota  mente  atque  eum  humiliter  qui  huius  argumenti  scientiam  dedit  Quia  omnis 
sapientia  ad  nomen  deo  est  sicut  tholomeo  et  pytagore  fecit  (07a)  qui  astrono- 
miam  huius  argumenti  paginam   omnibus  per  latinas   litteras   subscriptas   eodem 

deo 

uumero  seu  inferius  continetur  reete  et  fidcliter  numeraverit  perfecte  mq  inquirit 
inveniet  et  perfeetam  scientiam  collaudet  quid  ita  facito.  Sume  duo  nomina  non 
appositiva  sed  propria  si   de  pugna  vel   de  coniugatis   seu  de  egris  aut  de  itcr 


140 

agentibus  aut  undecumque  iuvestigare  volucris.  ex  utriusque  nomine  per  tinamquan 
litteram  fac  numerationcm  sicut  in  praesenti  ostcudam  et  divide  ipsum  numerus 
per  novem  de  egris  et  contentione  (97b)  et  de  iungatis  per  septem  divide  er 
quicquid  et  remanserit  quere  in  pagina  argumenti  et  invenies  quis  prius  moriatm 
vel  vivat  vincat  vel  vincatur.  Etenimhoc  argumentum  talis  sensus  quod  litten? 
per  latinas  quae  equalem  habent  numcrationem  sicut  praedictum  est,  per  hoc 
enim  argumentum  alexander  pergens  ad  multa  praesciens  plurimos  vicit.  Sizniliter 
et  egit  pythagoras.  Tu  vero  numera  nomen  stelle  et  nomen  egri  cuius  die  eger 
decubuerit.  si  vicerit  nomen  egri  vivet,  si  nomen  stelle,  morietur  proeul  dubk. 
De  egris  et  contencione  (98»)  per  nomen  divide.  De  coniugatis  per  septem,  Naia 
hoc  est  exemplum.  De  contentione  hectoris  et  patroeli  (hs.  patrochi).  De  con- 
iugatis theodius  et  gamma.  De  fratribus  leo  et  alexander;  De  pugna  cranus 
et  cneas.  unum  et  unum  minor  vincit,  unum  et  duo  qui  habet  duo  vincit,  unum 
et  tria  qui  habet  tria  vincit  unum  et  quatuor  qui  habet  quatuor  vincit  unum  et 
quinque  qui  habet  unum  vincit  unum  et  sex  qui  habet  sex  vincit  unum  qui  habet 
et  septem  unum  vincit  unum  et  octo  qui  babet  octo  vincit.  unum  et  novem  qui 
habet  unum  vincit.  (98b)  Duo  et  duo  maior  vincit.  Duo  et  tria  qui  habet  tria 
vincit.  Duo  et  quatuor  qui  habet  duo  vincit.  Duo  et  quinque  qui  habet  quinque 
vincit.  Duo  et  sex  qui  habet  duo  vincit.  Duo  et  septem  qui  habet  septem  vincit. 
Duo  et  octo  qui  habet  duo  vincit.  Duo  et  novem  qui  habet  novem  vincit.  Tria 
et  tria  minor  vincit.  Tria  et  quatuor  qui  habet  quatuor  vincit.  Tria  et  quiuque 
qui  habet  tria  vincit.  Tria  et  sex  qui  habet  sex  vincit.  Tria  et  septem  qui 
habet  tria  vincit.  Tria  et  octo  qui  habet  octo  vincit.  Tria  et  novem  qui  habet 
tria  vincit.  Quatuor  (99»)  et  quatuor  maior  vincit.  Quatuor  et  quinque  qui  habet 
quinque  vincit.  Quatuor  et  sex  qui  habet  quatuor  vincit.  Quatuor  et  septem 
qui  habet  septem  vincit.  Quatuor  et  octo  qui  habet  quatuor  vincit.  Quatuor 
et  novem  qui  habet  novem  vincit.  Quinque  et  quinque  minor  vincit.  Quinque 
et  sex  qui  habet  sex  vincit.  Quinque  et  septem  qui  habet  quinque  vincit 
Quinque  et  octo  qui  habet  octo  vincit.  Quinque  et  novem  qui  habet  quinque 
vincit.  Sex  et  sex  maior  vincit.  Sex  et  septem  qui  habet  septem  vincit.  Sex 
et  octo  (99b)  qui  habet  sex  vincit.  Sex  et  novem  qui  habet  novem  vincit.  Septem 
et  septem  minor  vincit.  Septem  et  octo  qui  habet  octo  vincit.  Septem  et  novem 
qui  habet  septem  vincit.  Octo  et  octo  maior  vincit.  Octo  et  novem  qui  habet 
octo  vincit.    Novem  et  novem  minor  vincit.    Potestate  vel  etate. 

vii 

Sol. 

bVJ 

,viii 


z  •   if:| 

Qui  scripsit  scripta  sua  dextra  sit  benedieta.    (Een  ledig  blad  volgt.) 

(100a)  Sofferan  is  heit  unde  droge,  he  vordrift  des  rnageu 
wallinge,  unde  des  hovedes  serecheit,  efte  men  den  sofferan  etet  mit 
der  spise;  he  maket  oc  sachten  slap.  So  weme  de  mage  vorkoklet 
is,  de  sal  sofferan  leggen  an  win  ene  nacht,  unde  drinken  den  win 
mit  deme  sofferane  dre  morgene  nochterne. 

Witte  minte  is  heit  unde  droge,  se  sterket  den  inagen,  undt« 
gevet  gude  lust  to  etende.  Se  verdrift  de  unreinecheit  des  magen. 
(100b)  Ere  sap  is  gut,  drunken,  weder  den  kolden  hosten  unde 
weder  den  gischen.  Se  dodet  de  langen  worme  des  magen,  de  se 
etet  mit  sodener  petercilien.  Se  brenget  de  drogen  melc  gande  stot 
mense  unde  leget  se  uppe  der  vrowen  brüste.  Ere  sap  mit  honige 
menget,  unde  in  de  oren  droft,  vordrift  de  serecheit  de  van  koldecheit 
unde   van   winden  darin  komen  is,  unde   sachtet  dat   hovet   ser.     En 


[           iiii            ii                    i                      iiii                 i                    Uli                -f.! 

[.    Luna.    Mars.     Mercurius.     Jupiter.    Venus.     Saturnus.      |T., 

ai«j 

c"*.    d1.    eiy.    f*».    g*.    hx.    i*.    ky.    1"«. 

m" 

o"J.    pxmj.     q*".     p*.     sTj.     t".     v"".     xl. 

y* 

141 

plaster  mit  solte  dar  van  maltet,  dat  he(101a)let  de  wunden,  de  en 
dovendich  hunt  hevet  beten,  ere  sap  in  supende  drunken  is  gut  den 
vrowen  de  der  kindere  nicht  nesen  mögen  an  erer  not. 

Isope  is  heit,  unde  droge.  Mit  vigen,  mit  rüden  unde  mit  honege 
soden  unde  drunken  is  gut  der  bösen  lungen,  unde  weder  den  bösen 
athme,  weder  den  hosten,  weder  den  \lote,  de  van  deine  hovede 
to  der  borst  geit.  Se  dodet  de  spolworme.  Ere  sap  mit  honege 
drunken  vordrift  de  bösen  vuchtecheit  des  lives.  (101b)  Ere  crut  mit 
drogen  vigen  geten  maket  scone  hut.  Mit  eteke  soden  unde  den  muAt 
mede  wasschen  vordrift  dat  teneser. 

Levestok  is  heyt  unde  droge,  he  dowet  wol  de  spise.  He  ope- 
net  de  bedempeden  leveren.  He  vordrift  de  colden  vuchtecheit  des 
magen,  den  wint  unde  de  sericheit  des  lives  tobreket  he.  Der  vrowen 
blomen  brenget  he  gande.  Sine  wortelen  in  watere  soden  unde  dat 
antlat  dar  mede  dwagen  (p.  100  en  101  van  andere  hand  dan  p.  102,). 

(102a)  Werne  de  derme  in  de  macht  gath. 

De  sede  in  wine  polleyen,  porloch,  benwelle  unde  do  dar  in  salven 
dat  sal  he  dringen  des  morgenes  unde  des  avendes;  he  sal  och  seden 
an  wine  swavel,  clufloch  unde  solt  unde  binden  dat  up  de  macht, 
also  he  dat  hetest  doge  möge;  dat  is  eme  got. 

Werne  dat  lif  sere  dnn  is. 

De  scal  stoten  vencoles  wortelen,  merch  wortelen  unde  dringet 
dat  mit  wine.  He  scal  och  nemen  gerstenmele  unde  lin  unde  de 
wortelen  van  der  lijlien  (102b);  sede  dat  to  samene  mit  wTatere;  do 
dar  to  sap  van  wegebreden;  bin  dat  to  samene  up  dat  lif,  so  werst 
tu  sunt. 

Pil  efte  en  dorn  in  deme  vlesche  steket. 

Swemc  en  pil  efte  en  dorn  in  deme  live  steket,  de  nemo  unde 
stote  rores  wortelen,  unde  do  dar  to  honich,  unde  stric  dat  up  ene 
doc,  unde  lieh  den  doc  up  de  wnden,  dar  de  pil  inne  is  so  get  he 
ut.  Dat  selve  dot  oc  clever  mit  der  wortelen  gestot  unde  honige  dat 
unde  yseren  hart  verbena  gestot  unde  dar  (103a)  up  geleget. 

Welic  vrowe  der  blomen  nicht  en  hevet. 

De  sede  in  alden  bere  sevenbom,  sinegrone,  bivot,  poppelen, 
materne,  petercilien,  veneeol,  allike  vele;  alle  desse  crude  mit  der 
wortelen.  Dat  sal  se  dringen  dre  avende  unde  dre  morgene  vor  der 
Lit  dat  de  blome  plach  comen.  Ofte  he  sede  an  wine  polleyen, 
mrine,  batonien,  unde  dringe  dat  wlach  dre  avende  unde  dre  morgene, 
ifte  se  stote  muchwort,  lubistoch,  sevenbom,  dar  na  sal  se  dar  up- 
^eten  blangen  win,  (103b)  unde  dringen  den  in  deme  bade  so  wert 
liere  rat. 

So  welich  vrowe  der  blomen  to  vele. 

De  neme  verberan  unde  delem  van  des  groperes  ovene,  unde 
pulveren   den  clene;  dat  do  se  in  ere  hemelicheit,  so  wert  here   bat. 


142 

En  ander.  Eyn  vrowe  scal  sich  uppe  swinmes  setten,  dat  nu-ii 
mestet,  also  warm;  so  vorgeidet  er  al  to  hant. 

Welich  vrowe  en  dot  kint. 

So  welker  vrowen  der  dat  kint  in  dorne  live  gestorven  is:  iL 
scal  to  saraene  stoten  rüden  (104a)  unde  bivot,  veneeol,  efte  ank 
unde  menget  dat  mit  wine,  unde  laten  se  dat  drinken  so  geneset  v 
dar  van  drade. 

En  ander.  De  drinke  satuream  mit  warmen  watere,  so  wir! 
se  van  der  bort  gelost. 

To  der  siden. 

To  deme  siden  ovelc:  drinc  rolikensap  mit  wine,  dat  hclpet  aiif 
tvivel.  Deme  de  milte  to  grot  is,  de  drinke  stedeliken  satuream  mit 
warmen  watere,  so  wert  he  gesunt. 

Deme  de  nese  gerne  blodet:  de  drinke  (104b)  merc  sap;  dat  is 
eme  gut. 

Van  der  pissen. 

De  nicht  pissen  mac,  de  neme  ene  sogen  blasen  unde  gete  A- 
nette  ut,  de  dar  innc  is,  unde  do  dat  in  wlach  water,  unde  bint  *• 
vaste  to,  unde  hengen  se  in  warm  water,  unde  laten  se  seden  en 
luttich.  Dar  na  goto  he  dat  water  ut  der  blasen,  unde  drinken  dat. 
so  geneset  he. 

Van  deme  hoved. 

Deme  dat  hovet  we  dot,  unde  hottet:  de  dwa  dat  vorliowt 
dicke  mit  colden  watere,  darna  neme  he  fiolen  water,  unde  (IUVi 
huslokes  sap  unde  steke  dar  in  enen  linenen  doc  unde  bestrikc 
dat  vorehovet  dar  mede;  dat  is  eme  gut. 

To  deme  hovede. 

Deme  dat  hovet  wo  dot  van  colde:  de  neme  polleyen  unde  lor- 
beren.  Dat  scal  he  lange  seden  an  watere  unde  laten  den  vor  adem 
ut  deme  gropen  gan  to  deme  hovede,  also  lange  wente  he  sweti*: 
unde  inakc  en  plaster  dar  van  up  dat  hovet  dat  sachtet. 

Weder  den  hugen. 

To  dorne  hugen:  nim  billen  (105b)  wortelen,  unde  make  de  t«» 
pulvere  unde  legen  dat  mit  eneme  lepele  up  den  hugen,  dat  helpet 
eme  wol.    De  drovich  is  de  drinke  stedes  merc  sap,  dat  maket  ene  vro 

To  deme  spolworm. 

So  we  den  spolworm  hevet :  de  sede  aurinen  mit  wine  und  drim- 
dat  efte  berne  herteshorn   to   pulvere,    unde  drinc  dat  an  wine;    oft»* 
he  sede  dat  lof  van  eme  peisikes  bome  an  wine  unde  drinc  dat. 
So  weme  de  tene  we  dot 
(Waarschynlyh  zyn  hier  binden  uitgevallen;  het  volgende  van  deseif  de 
hand  as  blz.  100  e.  v.) 

(10Ga)  vram,  unde  sut  ene  sere,  unde  drinch  dat  sot  vaste.   Nim  erut 
dat  in  deme  meye  wasset,  dat  hovet  kl  o  ne  (voor  en  na  e  zyn  httn< 


14* 

uügekrabd)  witte  blomen  unde  sin  wortele  in  der  erden  de  is  ghescapen 
also  crevetes  roghen;  wan  de  mcy  vorgat,  so  vorgat  de  wortelen;  dat 
crut  solt  tu  seden  mit  der  wortelen  unde  drinket  vaste,  et  de  wortelen 
oc,  dat  dodet  de  varen  an  deme  live.     Dit  is  en  ander. 

En  ander.  Nim  de  braden  van  deme  perde,  berne  se  to  pulvere. 
Scade  dat  pulvere  in  weke  eygere,  et  sc  morghene  (106b)  nuctheren 
an  dorne  namen  ihesu  cristi. 

Wan  der  hutser. 

Mennich  minsche  de  is  vol  an  deme  antlate  unde  knorrech  unde 
de  hut  ser  unde  liket  deme  ovele  unde  en  is  doch  nicht;  de  scal 
nemen  gersten  molt,  bruwe  dar  af  her  dat  dicke  si,  dat  it  wol  gheren 
moglie.  Also  it  alder  sereste  gheret,  so  henget  over  dat  vur,  wirp 
dat  in  agrimonien,  lat  it  seden,  ghetet  an  ene  bodene,  also  vele  dat 
du  de  hette  wol  doghen  mocht.  Nim  heder  nethelen  unde  solt,  eyn 
luttel  (107a)  sures  deghes,  wrif  alle  dinen  lichamen  sere  mede  unde 
swete  also  du  ith  lengeste  doghen  moch.  Wanne  du  dat  denne  nicht 
lenger  doghen  unde  macht,  so  wasche  die  mit  deme  berc  dat  in  der 
bodene  is.  Wanne  du  utgast,  besla  die  an  eneme  wllennc  kleyde,  unde 
drinch  enen  ghoden  thoge  'alandes  wortelen  de  an  wine  ofte  an  bore 
soden  si.  Ga  oppe  din  bedde  unde  swete  also  du  ghedoghen  macht 
unde  rouwe  die  wol.  Wanne  du  up  stan  wlt,  so  salve  die  wol 
mit  der  salven,  (107b)  de  make  aldus :  nim  de  wortelen  van  der  smalen 
slitten  lodeken,  de  is  ghele ;  wasche  se  reygne ;  make  heden  nat  in  starkem 
eteke,  wrincht  de  wortelen  dar  in  unde  rake  se  an  de  heten  hameren, 
get  dar  etech  op  unde  lat  se  lange  seden  in  der  ameren  unde  in  deine 
eteke,  so  nim  witte  asschen  de  van  deme  holte  stuft,  make  se  nat 
mit  der  nutteren  speken.  Nim  swevel  stot  ene  clene,  sichtet  dor  enen 
dicken  doch  rames  also  dat  yewelkes  si  en  verdinch  wich.  (108ft) 
Do  dar  to  olt  sraer  also  vele  dat  it  wol  moghe  inne  seden,  stot  it 
altosamene  clene  unde  du  it  an  enen  scapen,  holdit  over  dat  vur 
dat  it  to  samene  sede,  so  werp  dat  to  dre  penninewart  quiesilveres, 
do  an  ene  bussen,  hir  mede  salve  dich  na  deme  bade,  so  helit  di 
din  hut  unde  wert  slicht,  unde  gut,  dat  is  verliken  war. 

Thegen  de  antlates  wlecke. 

Teghen  de  bulen  unde  de  wlle  unde  vlecken  des  antlates.  Nim 
ossengallen,  do  dar  to  circollen;  des  avendes  wan  du  slapen  (108b) 
geist  stric  op  din  antlat,  make  aldus  dat  du  mede  afwasschet.  Nim 
venekoles  crut,  set  an  watere,  also  it  ghesoden  is  unde  beginnet  colen, 
so  werp  dar  in  en  luttel  wetener  clien,  sette  dat  up  unde  late  it  stan, 
legge  dar  over  enen  dünnen  duc;  dat  nate  dat  uppe  deme  doke  si 
darmede  wasche  die  alle  morgene,  so  werstu  ghesunt. 

Theghen  de  spruten  des  antlates. 

To  den  spruten  unde  to  den  bulen  unde  to  den  vinnen,  to  den 
suren  van  deme  antlate  to  delghende.  Nim  fenugrecum,  unde  gersten, 
(!()!)*)   stot  dat  sere   unde   do   dar  water  to    unde   dwa  die  wor  du 


144 

wlt.  Nim  dat  witte  van  deme  eye  sunder  doder  wringet  dor  enen 
doc  unde  do  da  to  gersten  mele  fenugrecum,  honnich,  so  make  ene 
sahen  darmede  bestrich  die  din  antlat. 

Van  den  bladeren. 

Sweme  de  biedere  in  deine  antlate  uplopet  unde  werdet  de 
roven,  de  sede  saluien,  beueritzen,  hintberen  unde  drinc  de;  if  dat  wive^ 
( hs.  wines)  name  is,  de  salve  de  roven  mit  der  witten  salven,  unde  wasschi' 
se  af  des  morgenes  mit  colt  gothen;  (109b)  dat  de  assche  si  van 
haverstro  ghebrant.     Dit  moghen  oc  de  man  don  ofte  se  bedorven. 

Weder  den  buebete. 

Pulver  peper,  eppes  sat,  fenicolis  sat  unde  trinkes  tvene  leffele 
in  warmen  watere. 

Weder  de  herte  sweren. 

Stampe  rutam  mit  etteke  unde  mit  honeghe,  unde  mit  gerstene 
mele,  unde  leghe  dat  dar  overe,  unde  drinch  der  braraberen  sap. 

Weder  de  ghelen  sucht. 

Drinch  kumin  mit  wine  in  deme  blade. 
Weder  de  warten. 
Des  hundes  mes  to  aschen  ghebrant  unde  gestot  (110*)  mit  der 
assche,   loghen  darvan   gemaket    unde   dar  mede   ghewasschen   vor- 
delghet  de  warten. 

Weder  dat  hovet  sweren. 
Sut  eyn  warmoseken  van  smerwortelen,  unde  beten;  menge  dar 
to  olie  unde  coriandrum;  et  dat  warmos,  unde  dat  sot  sup  darmede: 
it  roret  unde  nemet  den  hovet  sweren. 

Weder  dat  witte  in  den  oghen. 

Pulvere  twe  del  berterames  unde  eyn  del  ingivers,  unde  nutte  dat 
atter  etende  ghescaden  up  dat  brot. 

Deme  de  oghen  ioken. 

Der  seide  centauriam  in  virnen  wine,  (110b)  unde  drope  darin. 
Weder  de  geicht. 

Nim  weghebreden  sat,  salvicn  unde  musschatenblomen,  pulvere 
dat  to  hope,  inde  it  dat  uppe  witten  brode  alle  tid,  unde  beveritze 
helpt  oc  darto  gegetben. 

Weder  de  vinnen  in  den  oghen. 

Nim  olde  speeswarden  unde  scaf  dar  af  dat  vettc  also  eyn 
walnut,  stot  dar  to  copperrot  unde  rüden,  menghe  dat  to  hope,  do 
dar  in  en  clenc  wan  du  slapen  geist. 

Wan  de  mane  prime  is,  so  is  he  al  den  dach  got.  De  andere 
dach  de  inde  is  nicht  gut.  De  drudde  dach  de  (llla)  is  in  der 
drudden  stunde  gut.     De  verde  dach  de  is  vro  got.     De   vifte    de    is 


US 

nicht  gut.  De  süste  is  unnutte.  De  sevede  de  is  gut.  De  attede 
rle  is  vro  gut.  De  neghede  is  nicht  gut.  De  tengde  dac  is  gut.  De 
elfte  dac  de  is  nicht  gut.  De  tvelfthe  is  gut.  De  druttenghede  de 
is  nene  tit  gut.  De  vertengde  de  is  gut.  De  viftengde  is  nicht  gut. 
De  sestengde  de  is  unnutte.  De  seventengde  de  is  alle  den  dach 
sjut.  De  achtengende  de  is  nicht  gut.  De  negentengende  de  is  betere. 
De  tvinthegheste  (lllb)  de  is  gut.  De  enundetvintegeste  dach 
:le  is  vro  got.  De  tveundetvintegeste  de  is  in  der  sevenden 
stunde  gut.  De  dreundetvintegheste  de  is  in  der  elften  stunde  gut. 
De  verundetvintegheste  de  is  gut.  De  vifundetvintegheste  de  is 
dicht  gut.  De  ses  unde  tvintegheste  de  is  gut.  De  sovede  unde 
tvintegheste  ....  (uitgekrabd)  de  is  .  .  .  .  (uitgekrabd!)  gut.  De  att 
indetvintegheste  de  is  nicht  gut.  De  neghede  unde  tvinthegeste  de 
is  nicht  gut.     De  dortegeste  de  is  unnutte. 

Deine  de  luse  den  inaghen  eten.    (van  andere  hand.) 
Gif  im  den  reynvanen  in  deme  Meyn  nutteren  drinken,  dat  is  war. 
(112a)  In  allen  manen. 

In  allen  manen  scal  men  groten  wäre  nemen  der  dage,  de  dar 
ictent  dies  egiptyaci,  de  vorworpenen  dage.  Wente  de  hedenen  lüde 
?ren  touer,  unde  ere  vorgiffnisse  to  semene  temperden,  wente  se  denne 
Risten  den  duvel  weidiger,  den  to  ener  anderen  tyt.  So  ne  scal  men 
tlen  nin  blot  laten  noch  drenken  nemen  noch  werken  beginnen.  Disse 
läge  holdet,  alse  se  hir  bescreven  stat,  dat  is  di  nutte.  In  iewelikeme 
iare  sint  ene  unde(112b)  dertich  dage  scedelich,  also  de  mestere  van 
paris  geprovet  hebbet  in  den  planeten.  So  wat  en  mensche  beginnet 
in  den  dagen,  dat  get  eme  ovele.  Januarius  de  hevet  der  dage  sesse, 
[len  ersten,  den  (onderaan:  anderen,  den)  viften,  den  sevenden,  den 
achten,  den  viftenden.  Februarius  hevet  er  dre,  den  Besten,  den 
sevenden,  den  negenden.  Martius  hevet  vere,  den  viftenden,  den  ses- 
tenden,  den  seventenden,  den  achtenden.  Aprilis  hevet  dre,  den  sesten, 
len  sevenden,  den  viftenden.  (113a)  Maius  hevet  dre,  den  sevenden, 
len  viftenden,  den  seventenden.  Junius  hevet  enen,  den  sevenden. 
Julius  hevet  tve,  den  viftenden,  den  seventenden.  Augustus  hevet  tve, 
len  negentenden,  den  tvintegesten.  September  hevet  tve,  den  ses- 
tenden,  den  achtenden.  October  hevet  enen,  den  sesten.  November 
hevet  tve,  den  sestenden,  den  seventenden.  December  hevet  er  dre, 
len  sesten,  den  sevenden,  den  viftenden.  In  dissen  (113b)  dagen  scal 
sie  en  mensche  bewaren,  dat  he  nen  blut  late  in  deme  achten  dage 
les  Aprilis,  efte  des  ersten  in  Decembri,  de  stervet  binnen  vertich 
dagen.  We  des  sevendes  efte  des  achten  dages  des  Aprilis  blot  let, 
:le  wirt  blint.  We  up  den  lesten  dach  in  Martio  efte  des  viften 
iages  b  .  lot  (een  letter  uitgekrabd)  latet,  deme  wirt  in  deme  iare  dat 
2olde  ovel  in  dissen  dagen.     Beware  die  wol,  dat  rade  ic  die. 

Weder  dat  horent. 

So  weme  dat  blot  vor  den   (114a^)   oren  is,   dat  he  nicht  hören 
mach,  de  sal  ene  witte  gans  wullen  mit  eme  witten  ale  unde  mit  twen 

Kiederdeutaohet  Jahrbuch.    XV.  \{) 


146 

queden.  De  gans  sal  he  laten  braden,  also  lange  bet  se  alle  gare 
werde.  Under  dhe  gans  salmen  setten  enen  scapen  unde  ontfan  dat 
smolt.  Dat  salmen  don  in  de  doven  oren  des  avendes;  des  morgens 
salmen  dat  utwisken  mit  bomwullen.  Efte  me  sal  nemen  emeten  eyere. 
vrowen  melch,  porrolokis  sap  unde  (114b)  segengallen.  Fuchtigeth 
desse  ding,  sal  men  to  semene  stoten  unde  mengen,  unde  dropen  in 
de  oren;  ofte  me  sal  enen  sipolen  boven  afsniden  unde  maken  se 
binnen  hol,  dar  sal  men  in  don  win  unde  bom  oley,  unde  setten  de 
uppe  hete  aschen,  dat  se  wech  werde,  so  scal  men  de  fesen  afscellen 
unde  towriven  an  ene  scotelen  unde  wringen  dat  dor  enen  doch  an 
enen  gropen  skervel;  dat  salmen  des  avendes  warm  don  in  de  oren, 
unde  drogen  se  des  morgenes  mit  bomwllen.     (115*) 

(Hier  ontbreken  Maden.) 

unde  bint  dat  to.  Nim  linsat  unde  sut  dat  sere  mit  borne  unde 
wrinc  dat  dor  enen  duch;  nette  den  duch  dar  inne,  unde  sla  dat 
umme  dat  ben;  dot  dit  vif  dage,  enes  des  dages.  Hevet  sie  dat  ben 
ut  gegeven,  make  enen  knust  van  linenen  doke  unde  bint  dat  mit 
den  scenen,  unde  dwinc  dat  ben  (gl.  den)  to  samene,  na  vif  dagen 
bint  ene  twige  des  dages  mit  salven  unde  mit  sweden.  Jo  he  dickere 
badet,  io  it  eme  betere  is.  Sut  be-(115b) wellen  (lees  bevenellen)  in 
alden  bere  unde  gif  eme  alle  dage  drinken. 

Van  der  salven. 

Nim  alt  smer  unde  smelte  dat  unde  lüttere  dat  van  deme  solte 
unde  do  dar  hart  to,  unde  nim  wincrud,  fenekel,  benedietam,  ribwort 
unde  reliken.    Dat  stot  to   samene   an   eme  morsere   unde    do    it   to 

deme   smolte   unde   to   deme  harte . .  unde (uitgehrabd)  latet  so 

lange  seden  wente  it  al  groue  werde,  unde  wrineget  dor  enen  sconen 
dok,  unde  latet  colden,  unde  do  it  an  ene  bussen. 

(116a)  En  ander.  Nim  dat  lof,  van  deme  wepdorne  unde  stot 
dat  mit  reyneme  swinensmolte ;  der  blade  twie  also  vele  so  des 
smoltes ;  do  in  ene  bussen,  unde  latet  roten.  Na  pinkesten  lüttere  it. 
Nim  nachtscaden,  crueewort,  hunswarf,  iunc  lof  van  sproewiden, 
lindenlof,  bladelosen,  levestok,  venekol,  huslok  allike  vele,  stot  dat. 
Nim  svines  smoltes  al  also  vele  also  des  (doorgeschrapt:  smoltes)  crudej* 
is.  Nim  wirokes  ene  halve  marc,  de  so.ir  si.  Smelte  (116b)  dit  to  samene 
unde  do  it  to  deme  ersten  crude.  Nim  dat  erste  crut  unde  dat  smalt. 
lat  dat  tosmelten  an  ener  pannen;  set  it  af  unde  lat  it  melcwarm 
bliven;  do  denne  desse  crude  to  samene  an  ene  pannen  unde  sedet 
so  lange,  wante  it  grone  werde  unde  wringe  it  denne  dor  enen  dok 
an  ene  bussen.  Dit  is  gut  weder  dat  vressem,  weder  de  dovende  gickt. 
weder  de  wunden  de  sie  missescapen  hevet. 

Oichtsalve. 

Nim  salvien,  rüden,  sevenbom  (117*),.  der  drier  like  vele,  unde 
stot  dat  clene.  Nim  olde  boteren  unde  smelte  de,  unde  scume  de, 
unde  lüttere  sc  van  deme  solte.  Menget  mit  der  boteren,  unde  set  it 


14? 

also  lange,   wente  it  grone  werde.    Wringet  dor  enen  sconen  dok  in 
ene  bussen. 

Plaste  r8alve. 

Nim  olde  boteren,  lüttere  de  reine,  do  dar  to  en  del  dyalten 
unde  hartes  unde  sede  dat  to  samene  unde  wringet  dor  enen  dok. 
So  wanne  it  clar  is,  so  scal  tu  it  sere  slan  mit  ener  scenen  (117b) 
unde  do  it  an  ene  bussen. 

Sweden. 

Nim  bücken  talch,  unde  vifte  del  wasses,  unde  hart.  Smelte  dat 
to  semene,  wringet  dor  enen  dok,  unde  ce  de  sweden  dar  dore. 

Dyalte. 

Nim  fenugrecum,  weket  an  wine  enen  dach,  unde  ene  nacht,  to- 
stot it  denne  an  eneme  morsere.  Nim  dranwortelen  unde  siechte 
lodiken  wortelen  like  vele,  unde  sede  de  wec  unde  scelle  de  scone. 
Stot  it  an  eneme  morsere,  unde  dat  fenegrecum  dar  to,  unde  tempere 
dat  to  semene.  (118ft)  Nim  aide  verssche  boteren,  smelte  de,  lutter 
se  van  deme  solte,  do  (op  den  rand:  dat)  dar  in  unde  set  it  sere,  unde 
wringet  dor  enen  dok  an  en  becken  unde  lat  it  koylen,  do  dar  to  bom- 
olye,  unde  sla  it  to  gadere,  do  it  dan  an  ene  bussen.  Dit  is  dyalte 
unde  is  gut  weder  de  gicht.     It  helet  de  senen,  unde  vordrift  dat  swel. 

Dit  is  agrippa. 

Nim  billenkrut,  nim  hedernetelen  like  vele,  unde  grensinch  also 
vele,  nim  boteren,  unde  lüttere  de;  stot  it  to  samene  mit  harte, 
fll8b)  unde  set  it,  wringet  dor  enen  dok  an  enen  becken,  lat  it  kolen. 
Nim  de  salven  van  deme  drose.  Nim  den  gersten  olie,  tempere  de 
salven  darmede,  dat  so  hart  blive.  Dit  is  gut  weder  de  leveren  unde 
de  lungen. 

Bensalve. 

Nim  bomolie,  unde  bliwit,  menge  dat  to  semene,  dat  it  even 
dicke  werde.    Dit  is  gut  voor  benser. 

Weder  aide  woriue  (op  den  rand:  wrif). 

Orprement,  temperet  mit  bomolie  (van  latere  hand:  unde  strich 
dat  in  de  stede  dar  de  worm  is)  it  vordrift  aller(119a)hande  worme. 

Weder  den  bnebete. 

De  den  bucbete  hevet,  de  neme  rot  minium  unde  wrive  dat 
mit  wine,  unde  drinc  dat  negen  dage  nüchteren. 

Weder  de  inoter. 

Set  hoppen  an  eneme  nyen  gropen,  siget  dor  enen  dok  unde  set 
bivot  dar  inne;  so  welc  vrowe  er  blomen  nicht  ne  hevet,  unde  swellet, 
se  drinke  dat  in  deme  bade.  So  scal  se  seden  an  watere  lumeken 
nortmanen.  Nim  nacht  unde  (119b)  dach  unde  weermoden,  batonien, 
sprocwiden,  scorflodeken,  negenkraft,  dar  bade  de  vrowen  ane,  dar 
na  scal  se  slapen  gan  up  en  bedde,  unde  late  sich  warme  bedecken; 

10* 


14* 

io  se  dat  dickere  dot,  io  it  er  betere  is.    Dit  is   (gl.  dat)  gut  weder 
dat  water,  weder  de  gelen  sucht,  weder  dat  swel  der  vrowen. 

Weder  dat  water. 

Nim  varn  unde  grone  bonen  an  scoden,  grone  erwitte  an  scoJcl 
grone  wicken,  unde  hoppen.  Set  dat  unde  bade  dar  ane  unde  gif  eo.- 
en  oximel  (120ft)  also  hir  vore  screven  stet.  An  deme  viften  dage  eil 
eme  dat  pulver,  also  hir  vore  gescreven  stet 

Dit  is  en  vuUenkomen  sirop. 

Nim  hertestungen  enen  halven  verdinc,  copillam,  polipodinin. 
lacricien,  kristianen,  kastifistulam,  dragantum,  rosen,  fiolen,  helpe. 
sudistelen,  lungewort,  lacricien  sap,  desser  allike  vele;  dat  dar  wor- 
telen  hevet,  dat  scal  men  stoten.  Anis  en  lot,  venecoles  sat,  akeleyen 
blomen,  peterciliensat,  desser  vere  allike  vele  (120b);  dat  pulvere  unde 
bindet  lose  an  enen  reinen  dok,  unde  sedet  an  eneme  nyen  gropen. 
So  wanne  dat  water  goltvare  si,  so  nim  it  up,  lutteret  denne  in  enen 
reinen  scapen,  unde  nim  en  half  punt  suckeres  unde  temperet  mit 
witteme  van  eyeren,  unde  set  it  so  lange,  wente  it  lutter  werde,  unde 
lat  it  gan  dor  enen  doc  in  en  vat.  Dit  is  gut  weder  den  raagen. 
weder  de  hette,  weder  de  leveren,  weder  de  lungen,  unde  weder  aller- 
hande  (121a)  ovel. 

Ingibe[r]  conditut. 

Nim  de  wortelen  van  orendula;  wassche  se  scone  van  deme  sande. 
nim  petercilien  wortelen,  venecoles  wortelen,  der  drie  allike  vele,  snit 
se  an  denen  stucken  unde  lat  se  drogen,  pulvere  dat  clene.  Sichtet 
dor  enen  harbudel,  unde  engever,  dat  verde  del  also  vele,  pulvere 
den  clene.  Menge  disse  pulvere  to  semene,  roden  sucker  twies  so  vele 
so  des  pulveres  is.  Do  dit  an  enen  scapen.  Do  dar  enen  (12  lb)  lepd 
vol  wateres  to  unde  lat  it  to  semene  seden,  dat  it  dicke  werde,  unde 
roret  wol,  unde  do  it  den  an  ene  bussen.  Dit  is  gut  weder  de  borst 
unde  bettenden  magen. 

In  salve. 

Nim  aide  boteren  de  reyne  si,  nim  III  saluen  wortelen  unde  sede 
dat  to  semene,  lüttere  dat  dor  enen  dok  in  enen  bussen,  gif  eme  dat 
drinken,  mit  warmen  bere. 

Weder  de  borst. 

Nim  bomvarens  wortelen,  nim  smerwortelen,  nim  dranwortelen. 
disser  drier  (122a)  like  vele.  Set  de  unde  stot  de  mit  oldeme  smere: 
sut  lumeken,  unde  bade  de  borst  dar  mede.  so  wanne . . .  Hierby  aa* 
den  rund:  les  die . . .  to  deme . . .  gestenbl ...  De  laatste  Idters  sij* 
afgesneden.  Na  du  voorschrifi  dat  niet  voltooid  is,  vclgt  weder  deselfde 
Aawd,  die  het  begin  schreef. 

Wedder  der  vrowen  suke. 

So  wanne  der  vrowen  blomen  is  enstant.  So  sal  se  eten  dar  na 
negen  dage  porloc  mit  petercilien  soden.    Se  sal  oc  eten  des  morgene- 


149 

unde  des  avendes  en  electuarium,  dat  heten  is:  trifara  magna.  Se 
sal  oc  seden  an  wine  afruden,  agrimonien,  balonien  unde  sindowen; 
in  den  win  sal  se  en  pulver  don  dat  heten  (122b)  is:  syceleos.  Den  win 
>al  se  drinken  swan  se  gethen  hevet.  Trifaram  magnam,  dat  is  er 
50  t,  also  meyster  ypocras  spricht. 

Swelich  vrowe  des  kindes  nicht  nesen  mach:  der  sal  men  seden 
Diwot  ofte  isernehart  in  wine  ofte  in  bere,  dat  sal  se  drinken.  Men 
>ai  er  hoc  dat  crude  binden  tieghen  de  moder  op  den  navel  so  neset 
>e.  Men  sal  oc  de  crude  to  hant  van  er  nemen  swanne  se  des  kindes 
jhenesen  is.  Men  sal  scriven  in  enen  bref :  -+-  Elisabeth  genuit  precus- 
»orem  (sie),  Sancta  maria  genuit  salvatorem.  Sive  masculus  sive  femina, 
>ic  veni  foras.   Christus  te  Yocat.   Oves  saneti  dei  intercedite  pro  me.  -f- 

UTRECHT.  J.  H.  Galtee. 


Noch  einmal  das  Hundekorn. 

Vortrag 

in  der  Jahresversammlung  des  Vereins  für  niederdeutsche 
Sprachforschung  zu  Osnabrück  am  28.  Mai  1890. 


Eine  neue  Erörterung  des  vielbesprochenen  „Hundekorn"  bietet 
due  doppelte  Schwierigkeit.  Denn  der  Gegenstand  ist  einerseits  von 
len  gewiegtesten  Forschern  mit  reichen  archivalischen  und  sprachlichen 
Mitteln  behandelt  und  besprochen  und  hat  durch  den  Richterspruch 
les  K.  preussischen  Obertribunals  gewissennassen  seinen  Abschluss 
gefunden.  Andererseits  ist,  wenn  freilich  auch  die  Wissenschaft  nicht 
tn  Aussprüche  der  Gerichte  gebunden  sein  kann,  die  Schwierigkeit 
dner  Kritik  darin  begründet,  dass  sie  nur  wenig  neue  materielle 
•unde  heranzuziehen  vermag. 

Unter  dem  Namen  Hundekorn  wurden  zunächst  in  Neuvor- 
>ommern  (Schwedisch  Pommern)  vom  Mittelalter  her  Abgaben  von 
Jauerhöfen  an  die  fürstliche  Kammer,  aber  auch  an  andere  Grund- 
lerrn  gezahlt,  der  Regel  nach  in  Getreide,  meist  den  drei  Arten 
loggen,  Hafer,  und  Gerste,  seltener  als  Ablösung  in  Geld1).  Nach 
ler  Aufhebung  der  Jagd-Dienste  und  -Gebühren  in  Preussen  durch 
las  Gesetz  vom  2.  März  1850 2)  wurde  nun  die  Leistung  dieses  „Hunde- 
;orns*  wiederholt  geweigert,  die  Weigerung  auch  gerichtlich  als  zu 
lecht  bestehend  anerkannt,  da  schon  der  deutsche  Name  der  Abgabe, 


')  So  schon  Haltaus  Glossarium. 

*)  Preuss.  Gesetzsamml.  1850  S.  77  ff. 


150 

wie  auch  der  lateinische  der  Urkunden:  annona  canina,  frumentüL 
canum  etc.,  sie  als  eine  Jagdpflicht  bezeichne.  Ja  der  Gesetzentwurf 
selbst  hatte  „Hundekorn,  Hundehafer,  Hundebrot"  als  aufzuhebt. 
genannt,  und  diese  Namen  waren  später  im  Gesetz  nur  ausgelassen 
um  nicht  anderen  Jagdabgaben  durch  diese  Nennung  zu  präjudiziell 

Die  Universität  Greifswald  aber,  welche  aus  dem  städtische 
Dorfe  Hinrichshagen  das  Hundekorn  bezog,  weigerte  den  richterlich»  i 
Erklärungen  die  Anerkennung  und  verlangte  die  Abgabe  nach  *i 
vor;  sie  forderte  über  deren  Natur  nacheinander  vom  königlich* ;. 
Staats-Archivar  Dr.  Klempin  in  Stettin  1873  und  1874  und  vmiu 
damaligen  Grossherzogl.  Archivrat  Dr.  Wigger  in  Schwerin  IST» 
Gutachten  ein  und  erstritt  damit  1878  die  Beibehaltung  des  Besitze-. 
Diese  Gutachten  sind  ausgezeichnete  archivalische  Forschungen  voll 
reichster  historischer  und  germanistischer  Belehrung,  was  freilirU 
nicht  einschliesst,  dass  man  mit  den  Schlussfolgerungen  einverstandei 
sein  müsse.  Die  drei  sind  vereinigt  mit  einer  Einleitung  und  einen. 
Anhange  „Zur  Etymologie  des  Wortes  Hundekorn"  versehen  vom 
Appell.-Ger.-Präsidenten  Dr.  Kühne  herausgegeben1).  Klempin  häh 
sich  nun  vorzugsweise  an  die  Deutung  der  Archivakten;  Wigger  geht 
ausserdem  auf  Etymologie  ein,  und  ihm  folgte  auf  ähnlichem  Weir 
Kühne.  Ihnen  hat  sich  nachher  im  Allgemeinen  Frommann2)  an- 
geschlossen. Klempin  leugnet  nun  gradezu,  dass  die  annona  canum 
eine  Jagdabgabe  sei;  er  beschränkte  sich  aber  in  seinen  Untersuchungen 
auf  Neuvorpommern  und  meint,  der  Name  „Hundekorn"  sei  als  Tpara 
pro  toto*  erst  von  Herzog  Wartislav  nach  1411  aus  Brandenburg  im 
Herzogtum  Wolgast  „diesseits  der  Swine*  gebracht.  Er  glaubt  er- 
weisen zu  können,  dass  die  Leistung  nichts  sei  als  die  alte  Hoheit >- 
abgäbe  an  die  Herrschaft,  Pacht  oder  Bede  oder  beides  zusammen, 
Dass  gelegentlich  (und  grade  in  dem  strittigen  Dorfe)  Hundekoni 
neben  Bede  und  denstghelt  (doch  das  alte  pactum,  die  Pacht!)  b^ 
zahlt  wird,  hebt  er  nie  hervor,  zieht  auch  aus  dem  „pars  pro  toto- 
keine  weiteren  Schlüsse.  Dass  es  keine  Abfindung  für  Jagddienste 
irgend  welcher  Art  gewesen  sein  könne,  will  er  daraus  schliessen,  da>^ 
diese  Leistung  auf  deutschen  Hagendörfern  laste,  und  aus  deren 
enormer  Höhe  z.  B.  im  Dorfe  Saal.  Nun  giebt  es  aber  höchst  ver- 
schiedene Jagdleistungen:  Ausser  der  Futterlieferung  an  die  fürstliche:: 
Hundeställe  kommt  die  Hunde-Aufzucht  und  -Eigenfütterung,  ilasi 
Hundelager  und  das  Jagdlager  (Ablager),  das  so  ungeheuer  drückend 
im  Herzogtum  Lauenburg  war,  und  endlich  ein  Abkauf  des  auf  dem 
Dorfgrunde  ruhenden  Jagdrechts  zur  Schonung  von  Acker  und  \Yei<k 
in  Frage. 

Klempin,   welcher   weiss,   dass  die  „Ablager  der  späteren  Zeit" 


J)  Baltische  Studien  29.  (Stettin.  1879)  S.  311—455.  Dann  gesondert  er! 
schienen  „Das  Hundekorn"  etc.  von  Dr.  Kühne  in  Greifswald.  Stettin.  Danncn- 
berg.     IV,  145  S.    Vergl.  Jahresber.  der  Geschichtswissens.  1879  II,  174  f. 

*)  40.   Jahresbericht  der  Rügisch-Pomm.   Abth.    der   Gcscllsch.   für    Ponur. 
Gesch.  u.  Altert.  1877—79  S.  76. 


151 

abgelöst  sind,  und  dass  die  „Fütterung  fürstlicher  Jagdhunde"  nur 
den  Frei-  und  Lehnschulzen  und  Müllern  obgelegen  habe  und  einfach 
durch  NichtÜbung  erloschen  sei1),  behauptet  also  direkt,  dass  Hunde- 
korn keine  Jagdabgabe  sei,  sondern  dass  in  ihr  das  alte  „Pacht- 
und  Bedekorn"  stecke,  und  denkt  sich,  dass  der  Name  daher  habe 
kommen  können,  dass  aus  bestimmten  Dörfern  die  Pacht-  und  Bede- 
korn-Lieferungen direkt  für  die  Erhaltung  der  Jägerei  und  die  Hunde- 
ställe bestimmt  wurden.  An  den  Abkauf  von  Jagdausübung  hat  er 
gar  nicht  gedacht  Dass  aber  gerade  um  Saal  herum  in  den  grossen 
Wäldern  am  Bodden  viel  fürstliche  Jagden  stattfanden,  ist  schon  aus 
dem  bekannten  Vatermorde  im  mecklenburgischen  Fürstenhause  bei 
einer  dortigen  Jagd  ersichtlich. 

Ganz  unerwiesen  ist  aber,  was  (S.  338)  von  der  „annona  canum, 
Hundekorn"  als  einer  einfachen  Übersteurung  im  14.  Jahrh.  gesagt 
wird,  etwa  wie  bremische  Junker  im  vorigen  und  noch  in  diesem 
Jahrh.  in  der  selig  verflossenen  Meierzeit  ihren  Bauern  ein  „  Stiefel- 
geld a  auflegten.  Dass  so  nahe  an  der  pommerschen  Grenze  Herzog 
Heinrich  II.  von  Mecklenburg  (der  s.  g.  Löwe)  dieses  „Supererogatum" 
direkt  unter  dem  Namen  „Hundekorn*  in  seinem  Testamente  1329 
(nicht  1319)  aufgehoben  habe,  und  gleich  jenseits  der  Recknitz  der 
Name  eine  andere  Bedeutung  gehabt  haben  sollte,  ist  ohne  Beweis 
nicht  anzunehmen.  Und  den  hat  Klempin  nicht  erbracht.  Die  etwas 
dunkele  Angabe  Ernsts  v.  Kirchberg,  um  1400,  enthält  freilich  — 
wie  Wigger  1.  c.  richtig  nachweist  —  einen  Irrtum: 

daz  man  daz  hundekorn  nümmer  me 

solde  geeyschin  recht  als  ee 

ubir  syne  lant  und  syn  herschaft. 

Des  bevalch  her  by  der  sele  craft. 

Syn  nachkommen  solden  syn  nemen  nicht 

um  synre  sele  heyles  pflicht.*) 

Denn  es  handelt  sich  um  Einnahmen  der  Geistlichen,  die  Heinrich  für 
sich  hatte  einfordern  lassen.  Indessen  zeigt  der  Name  doch,  dass  um 
1400  die  Abgabe  am  mecklenburgischen  Hofe  bekannt  war.  Mar- 
schalcus  Thurius  hatte   herausgelesen3),    dass  Heinrich   sie   nur   dem 


1)  Im  Strelitzischen,  wo  Klempin  die  Verpflichtung  anführt,  existierte  sie  noch 
in  diesem  Jahrhundert,  vielleicht  noch.  Sie  war  auf  bestimmte  Landstücke  gelegt, 
die  „Hundeacker"  hiessen.  Der  Name  ist  noch  bekannt.  Mit  dem  von  Kl.  bei  dem 
Ablager  erwähnten  „Hundedezem"  (S.  340),  der  in  Altenburg  vorkommt,  mag  es 
anders  stehen.  Auch  in  Westfalen  kommt  Koppelhaver  mit  der  Bezeichnung 
vor:  quod  est  indebita  pensio  ex  canibus  venaticis  superducta  ut  ajunt. 
Korr.-Bl.  13,  3  S.  43;  aus  Cod.  tradit.  Westph.    Münster.    II  S.  165. 

2)  Westfalen,  Mon.  Ined.  IV  S.  824  unten.  Cap.  CLXIX.  Eine  andere 
Stelle  sagt:  „daz  hundekorn  er  in  erliesz". 

8)  Ann.  Herul.  V  Cap.  4  bei  Westphalen  1.  c.  I,  S.  298,  wo  erklärt  ist: 
„Hundekorn,  woraus  das  Brodt,  welches  die  Griechen  Mistyle  heissen,  gebacken 
wurde.1'  —  {/.iotiXt)  oder  (/.igtuXt)  hiess  aber  das  als  „Schüsselbrot"  bekannte, 
zum  Auffüllen  von  Saucen  (daher  auch  =  Löffel)  oder  auch  zum  Abputzen  der  Hände 
beim  Essen  mit  den  Fingern  dienende  Grobbrot,  mit  dem  schon  der  Sultan  von 
Kairo   (Kölner  Pilger  in  ZDPh.  19,  1,  (1886)  S.  77)   die  Licblingshunde   bei  Tisch 


152 

Kloster  Doberan  erlassen  habe,  d.  h.  dessen  Bauern,  die  gewiss  nicht 
darum  (wie  Klempin  meinte)  dem  Kloster  so  viel  weniger  hatten  za 
zinsen  brauchen,  als  der  Fürst  von  ihnen  einforderte.  Es  schein: 
danach  Klempin  eine  teilweis  richtige  Darlegung,  dass  nicht  AI  le- 
im 15.  oder  16.  Jahrhundert  genannte  Hundekorn  Jagdabgabe  sei. 
sondern  manche  andere  Leistung  unter  diesen  Namen  später  einbe- 
zogen worden,  irrig  auf  alles  Hundekorn  verallgemeinert,  und  dann, 
weil  die  alte  Herrenpacht  und  ebenso  das  Hundekorn  aus  drei  Frueht- 
arten  bestand,  irrig  geschlossen  zu  haben,  alle  aus  drei  Fruchtartci. 
bestehende  Abgabe,  also  auch  das  Hundekorn,  sei  jene  Pacht  oder 
Bede.  Kühne's  Citat,  dass  die  Stadt  Anklam  (S.  455)  1348  eine 
Summe  „Korngeld"  an  das  Kloster  Stolp  zu  leisten  übernahm,  „die 
man  1773  mit  Unrecht  Hundgeld  nenne",  wäre  dann  auf  solche 
Namenserweiterung  neuerer  Zeit  zu  deuten.  Wenn  Kühne  dann  aber 
sogar  den  Jagthabern,  Forsthabern,  der  gegeben  wurde  in  recogni- 
tionem  et  symbolum  jurisdictionis  saltualis  seu  venatoriae,  ähnlich 
auffassen  will,  so  bezieht  sich  doch  der  eine  allerdings  wohl  auf  das 
Holz-  oder  Markenrecht,  der  andere  aber  sicher  auf  die  Jagd. 

Nun  kommt  aber  Hundekorn  viel  früher  und  in  viel  weiterem 
Gebiete  vor,  als  Klempin  annimmt.  Bereits  Wigger1)  wies  nach,  dass 
der  Name  für  dieselbe  Abgabe  schon  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
in  Neuvorpommern  vorkomme,  also  nicht  erst  durch  Wertislav  au* 
Brandenburg  mitgebracht  sein  könne.  In  Brandenburg,  sagt  Wigger. 
kommt  überhaupt  nur  2  mal  nachweislich  der  Name  Hundekorn  vor. 
wohl  aber  im  Magdeburgischen  und  seit  dem  Beginn  des  14.  Jahrh. 
in  Werle,  der  Landschaft  und  Herrschaft  Slavia  in  Mecklenburg,  die 
sich  mit  dem  späteren  Herzogtum  Mecklenburg-Güstrow  deckt2),  und 
noch  heute  in  der  ständischen  Verfassung  als  „Wendischer  Kreis*  fort- 
lebt. Mit  ungeheurer  Belesenheit  und  Umsicht  weist  er  dann  das 
Vorkommen  der  Abgabe,  stets  in  den  drei  Fruchtarten,  vom  Beginn 
des  14.  Jahrh.  her  in  Werle  nach;  sie  ist  so  konstant,  dass  wohl  mit 
Recht  hier  jede  vorkommende  Dreifrucht-Abgabe  für  Hundekorn  an- 
gesprochen werden  kann.  W.  schliesst  sich  nun  Klempin  an  und  erklärt 
Hundekorn  für  die  Herbstbede  in  Naturalabgabe,  daher  komme  sie 
neben  den  Geldabgaben  stets  besonders  vor.  Ihre  Höhe,  die  zur 
grösstdenkbaren  Hundehaltung  in  keinem  Verhältnis  stehe,  spreche 
entschieden  gegen  eine  Leistung  für  Jagdzwecke.  Günther,  Herr  zu 
Werle,  Domherr  zu  Magdeburg,  werde  von  dort  den  Namen  mit  nach 
Werle  gebracht  haben,  von  dort  werde  er  nach  Pommern  gekommen 
sein.  Dabei  bleibt  die  überaus  wunderbare  Erscheinung  völlig  un- 
aufgeklärt, wie  und  warum  damals  für  eine  längst  bekannte  und 
geübte  Abgabe  ein  Name  eingeführt  sein  sollte,  den  man  auf  Hund 
beziehen  musste,  und  auch,  wie  die  lateinischen  Namen  lehren,  regel- 
fütterte. Schiller-Lübbeu  4,  127.  —  Danach  hat  denn  Weigand  (Grimm  PW.  IV, 
2,  1920)  irrig  erklärt:  „Hundebrod,  wie  es  für  Hunde  gut  genug  ist." 

1)  Balt.  Stud.  1.  c.  S.  359  ff. 

2)  Zumeist  das  alte  Cireipania. 


153 

massig  bezog,  der  also  gehässige  Irrtümer  zu  erzeugen  geeignet  war. 
Die  Ausrede:  der  Name  habe  etwas  anderes  ursprünglich  bedeutet, 
sei  aber  als  veraltet  fälschlich  aufgefasst  und  übersetzt,  kann  durchaus 
nicht  gelten,  so  lange  nicht  nachgewiesen  wird: 

Warum  denn  solch  ein  irreführender  Name  für 
eine  bekannte  unzweifelhafte  Sache  eingeführt  sei. 
Bis  dahin  muss  frumentum  canum,  annona  canina,  Hundekorn  „Korn 
für  Hunde*  bleiben,  in  welcher  Schattierung  der  Bedeutung  es  auch 
sein  mag,  ebenso  wie  in  Westfalen  rossekoren  (avena  equina  que 
rossekoren  dicitur1))  nur  eine  Haferabgabe  für  Pferde  sein  kann. 

Nach  Preuss*)  wurde  auch  im  Lippischen  Hundekorn  in  den 
drei  Kornarten  geliefert,  und  er  hat  wegen  der  Höhe  der  Abgaben 
dieselben  Bedenken  wie  Klempin  und  Wigger.  Aber  gerade  Lippe 
war  stark  mit  Jagd  belastet;  dort  kamen  neben  den  Saupackern 
(roden),  auch  die  Hetzleute  (roethisser)  urkundlich  vor,  die  ebenfalls 
erhalten  werden  sollten.  Auch  dass  in  Magdeburg  das  Hundekorn 
der  Unterthanen  des  Klosters  Leitzkau  dem  Schirmvogt  ad  expensas 
judiciarias  mit  überwiesen  wird8),  darf  nicht  irren,  denn  der  Schirm- 
vogt konnte  auch  die  Jagd  üben. 

Wenn  dann  aber  W.  Seelmann  aus  der  Provinz  Sachsen  in 
der  Versammlung  in  Stettin4)  aus  dem  15.  Jahrhundert  die  urkundliche 
Angabe  nachwies,  dass  ein  Wispel  Korn  „geheten  Hundekorn*  von 
8  Hufen  gezahlt  wurde,  damit  man  den  Hof  zu  Aderstedt  „mit 
hunden  effte  myt  jacht  nicht  schullen  besweren",  so  ist  hier 
wenigstens  der  Hund,  canis,  wirklich  vorhanden  und  man  kann  nur 
zweifelhaft  sein,  wie  weit  man  das  Wort  „Jagd*  ausdehnen  darf. 
Durch  „mit  Hunden*  ist  Hunde-Fütterung  und  -Haltung  in  jeder  Aus- 
dehnung sicher  verboten,  auch  die  Lieferung  von  Atzung. 

Durch  „myt  jacht*  ist  das  Aufbieten  der  Bauern  zum  Treiben, 
Hetzen,  Wildtodtschlagen  (so  bei  Rostock  noch  im  16.  Jahrh.)  und 
Wildfahren,  das  Jägerquartier  und  die  Jägeratzung  ebenso  sicher  be- 
troffen. Ob  auch  das  Jagen  über  das  Hoffeld,  also  die  Ausübung  der 
Jagd  selbst?  Ist  letzteres  die  Absicht  gewesen,  dann  kann  auch  die 
Höhe  der  pommerschen  und  Werleschen  Abgaben  nicht  mehr  auffallen; 
es  war  gewissermassen  eine  Ablösung  des  ganzen  Jagdrechts. 

Nach  dieser  rein  sachlichen,  noch  nicht  sprachlichen,  Erwägung 
ist  das  Urteil  der  niederen  Gerichtsinstanzen  in  dem  Greifswalder 
Prozesse  durchaus  erklärlich  und  folgerichtig.  Bei  dieser  Jagdablösung 
wäre  es  auch  erklärlich,  dass  die  Hundekorn- Abgabe  grade  in  den 
deutschen  und  Hagen-Dörfern  vorkommt ;  schwerlich  hätten  die  Slaven 
ablösen  können  oder  dürfen.  Für  diese  bringt  aber  Fuchs  doch  den 
slavischen  Namen  Psare  bei5)  und  erklärt  sie  als  Abgabe  „zur  Ab- 

1)  Korr.-Bl.  13,  S.  43.    Meckl.  U.-B.  XV  Nr.  9019  nennt  ein  Hundehaus  mit 

2)  Korr.-Bl.  12,  S.  10  f.  [einem  ganzen  Hofe  zu  Güstrow. 

3)  Balt.  J5tud.  1.  c.  S.  357. 
*)  Korr.-Bl.  12,  S.  11—13. 

5)  Fuchs,  Der  Untergang  des  Bauernstandes  und  das  Aufkommen  der  Guts- 


154 

lösung  der  Last  des  Erhaltens  der  fürstlichen  Jagdhunde*.  Dami: 
wäre  denn  Gadebusch  und  v.  Bilow,  sowie  Schiller  und  Lübben  wiedtr 
zu  Ehren  gebracht1). 

Wigger  hat  nach  bestem  Wissen  und  Geschick  plaidiert  wie  obei 
angegeben;  er  hatte  sich  sachlich,  wenn  auch  irrig,  konstruiert,  da>s 
von  Jagdabgabe  im  „  Hundekorn u  keine  Rede  sein  könne,  sondern  da>* 
es  der  Teil  der  alten  Naturalgrundsteuer  sei,  welche  die  Fürsten  für 
den  Bedarf  ihres  Haus-  und  Hofhalts  beibehalten  und  nicht  in  Gel»i 
ablösen  lassen  wollten.  Für  diesen  Beweis  hat  er  nicht  bemerkt,  da^ 
er  den  Werler  Vertrag  über  gemeinsame  Regierung  von  1341 /472i 
höchst  willkürlich  und  gezwungen  konstruierte  und  deutete,  und  auch 
gelegentlich  eine  schwer  zu  beweisende  Behauptung  wagte,  wie  z.  B.. 
dass  man  Gerste  nicht  als  Hundefutter  verwandt  habe8).  Aber  ab- 
gesehen davon,  dass  man  um  1350  am  Sultanshofe  zu  Kairo  die 
Hunde  nur  mit  Gerstenbrot  fütterte4)  und  ebenso  1588/89  urkundlich 
in  Rostock  13  Scheffel  und  ein  andermal  2  Drömt  (24  Scheffel)  Gerstr 
für  die  Jagdhunde  gegeben  werden  (s.  u.),  konnte  doch  in  eine  Jagd- 
abfindung, die  zur  Ernährung  des  Hofes  dienen  sollte,  recht  gut  Gerste 
zu  der  massenhaften  Bierbereitung,  nicht  bloss  für  die  Jägerei,  mit 
aufgenommen  werden.  Wigger  hat  auch  das  Seltsame  der  Annahme 
eines  unerklärlichen  Namens  für  die  Kornrente  lebhaft  genug  em- 
pfunden; er  suchte  deshalb  eine  andere  Erklärung  und  meinte,  Hund 
sei  nur  aus  Missverständnis  mit  canis  übersetzt;  es  stecke  das  alte 
Ackermass  „hunta,  bei  Miraeus  (und  danach  bei  Duconge)  „hondus" 
darin5).  Ob  es  möglicher  sei,  dass  jene  Abgabe  in  Werle  und  Pommern 
nachträglich  nach  einem  in  diesen  Landen  unerhörten  Ackermasst' 
benannt  wäre,  darüber  hat  er  sich  nicht  ausgesprochen.  Kühne  hat 
denn  auch  die  Möglichkeit  dieser  Ableitung  mit  vollem  Rechte  abge- 
wiesen6). Es  ist  nirgend  in  älteren  Zeiten  eine  Grundabgabe  nacl 
Ackerstücken  bemessen,  wie  sie  einer  heutigen  Spatenkultur  zukommen. 
Ein  Hunt  ist  nur  Ve  eines  allerdings  etwas  verschieden  grossen  Marsch- 
morgens, ein  wenig  grösser  als  das  göttingische  „Vorling*7).     Es  i*t 

herrschaften.  Nach  archiv.  Quellen  a.  Neu  Vorpommern  und  Rügen  (Abh.  a.  <L 
Staatswissensch.  Seminar  zu  Strassburg  VI.)  1888,  S.  7.  S.  Jahresber.  d.  Geschicht«- 
wiss.  1888  II,  232  Nr.  333.  Wigger  erklärt  diese  Psare  als  polnisch-schlesischt- 
Verpflichtung  der  Slaven,  fürstliche  Hundewärter  und  Hunde  bei  sich  aufzunehmi-m 
(Hundeführer,  Jäger  und  Bieberfänger.    Balt.  Stud.  1.  c.  S.  351). 

l)  Balt.  Stud.  1.  c.  S.  313. 

s)  Balt.  Stud.  S.  361.  Meckl.  Urk.-B.  1  Nr.  6169.  Zu  der  niedersächsischei. 
Übersetzung  einer  Warenteilen  Urk.  (S.  365):..  annona  canum  „iahrfrucht"  ist  zu 
bemerken,  dass  alle  Warcn'schcn  Urkunden-Übersetzungen,  die  mir  vor  Aup-n 
kamen,  sehr  schlecht  und  unzuverlässig  gemacht  sind.  Hier  ist  jiur  annona  über- 
setzt, canum  aber  ausgelassen. 

3)  Das.  S.  399. 

*)  Kölner  Pilger  1.  c.  (s.  S.  151  Anm.  3). 

a)  Balt.  Stud.  1.  c.  S.  346  f. 

•)  Das.  S.  423  ff.     Die  Besprechung  des  Ackermasses:  S.  439—454. 

7)  Der  Kalenbergcr  Morgen  (120  M-Ruten  kalenb.  oder  hannoversch)  hatn 
2  Vorling,  der  Kedinger  Marschmorgen,  einschliesslich  der  Gräben,  ist  =  4  KalenK 
Morgen,  also  8  Vorling;  der  Altländer  Marschmorgen  ohne  die  Gräben  ist  =  31  • 


155 

aber  weder  Vorlingskorn  oder  -Geld,  noch  Huntkorn  oder  -Geld  da, 
wo  das  Ackennass  gilt,  je  bekannt  geworden.  Zu  Kühnes  Bemerkungen 
über  das  Hunt  ist  zu  beachten,  dass  er  das  Wort  irrig  aus  dem 
Friesischen  herleiten  will.  Es  steht  aber  weder  bei  Doornkaat  Koolman, 
noch  Stürenburg,  noch  Molema,  und  so  fallt  Kühne  auf  das  altfriesische 
hunt  =  Knittel  und  bringt  zur  Vergleichung  A  einen  „Block  Landes" 
herbei,  der  nie  Mass  war;  er  hätte  dann  auch  Ort,  Kil,  Kilort,  Winkel, 
Gehre  herbeiziehen  können,  die  sämtlich  sinnliche  Ackerbezeichnungen 
sind.  Er  hat  jedoch  in  bekannter  Weise  irrig  Holländer  und  Friesen 
verwechselt.  Das  Mass  ist  holländisch,  nicht  friesisch,  und  findet  sich 
daher  ausser  in  Holland  nur  in  den  holländischen  Marschkolonieen 
an  Weser  und  Elbe  in  den  Holler-Ländem  (Hollandrinis),  wo  irgend 
eine  Form  des  alten  Holländer  Morgens,  die  Hollerhufe  und  die  Holler- 
Rutc  zu  14  Fuss  üblich  ist  oder  einmal  war1). 

Kühne  suchte  nun  in  derselben  Verlegenheit  wie  Wigger  nach 
einer  anderen  Ableitung  für  Hundekorn  und  glaubte  sie  im  altdeutschen 
hunno  (hunt,  hunne,  hun,  honne)  gefunden  zu  haben8),  dem  alten 
fränkischen  ceutenarius  oder  vicarius,  entsprechend  etwa  dem  späteren 
bremisch-verdischen  Gografen  als  Ämtsunterbedienten.  Der  hunno 
führt  uns  an  den  Niederrhein,  und  es  wird  von  ihm  freilich  keine 
Korn-,  aber  doch  eine  Weineinnahme  (vinum  hunicum)  angegeben8). 
Im  12.  Jahrhundert  seien  starke  Einwanderungen  vom  Niederrhein 
und  Holland  unter  Erzbischof  Wichmann  in's  Magdeburgische  gezogen, 
die  möchten  den  Ausdruck  huntkorn  als  Richterabgabe  wohl  mit- 
gebracht haben.  Da  es  dort  einen  hunnen  nicht  gab,  so  sei  schliesslich 
die  Namenserklärung  vergessen  und  nun  statt  annona  judiciaria  annona 
canina  übersetzt.  Auch  nach  Pommern  hätten  gleich  die  ersten 
Kolonisten  den  Namen  vom  Rheine  her  gebracht.  Die  Cisterzienser 
Abtei  Rosengarten  oder  Neuenkamp,  Tochter  von  Kamp  bei  Geldern, 
sei  hier  die  Vermittlerin  gewesen.  Eigentümlicher  Weise  soll  auch 
hier  dasselbe  Vergessen  und  dasselbe  Missverständnis  dann  auch  zu 
annona  canum  geführt  haben.    Recht  seltsam  und  wenig  wahrscheinlich! 

Die  Annahmen  von  Wigger  und  Kühne  haben  denn  auch  die 
Kritik  von  A.  Lübben  herausgefordert,  der  durchaus  das  Zwingende 
vermisst,  da  in  Pommern  (und  Werle)  weder  ein  hunne,  noch  in  den 

Kalcnb.  Morgen,  also  7  Vorling.  Übrigens  ist  in  den  Marschen  nie  nach  Vorlingen 
gerechnet.  Das  Balt.  Stud.  S.  448  genannte  „Hoedt"  als  */•  holländ.  Morgen  ist 
gerechnet  zu  100  Ruten  Länge  bei  1  R.  Breite,  also  auch  50  X  2  oder  25  X  4, 
und  der  holländ.  Morgen  hält  dann  C00  M-R"ten.  Die  daselbst  S.  443,  Anm.  216 
von  Kühne  gesuchte  hannoversche  Bekanntmachung  (Grimm  [Weigand]  D.  Wtb.  4, 
II  S.  119  v.  „Hund")  stand  im  „Stader  Regierungsbl."  und  ist  seiner  Zeit  von  mir 
an  Jac.  Grimm  eingesandt.  Weigand  schreibt  „Hund"  statt  „Hunt".  Ein  „Morgen- 
korn" kenne  ich  nur  aus  Lippischen  Städten  und  Münster.  In  Osnabrück  wurde 
bemerkt,  dass  es  auch  im  dortigen  Stadtarchiv  vorkomme. 

')  S.  Lübben  im  Jahrb.  V.  f.  niederdeutsche  Sprachforschung  IV  S.  110. 
Kber  die  Form  hoet,  höt  =  hunt  s.  noch  Korr.-Bl.  6,  78;  XII,  1,  S.  11. 

*)  Balt.  Stud.  1.  c.  S.  427  ff. 

s)  Übrigens  kommt  vinum  hunicum,  Heunenwein,  als  schlechter  Wein  vor. 
Lacomblet,  Arch.  f.  d.  Gesch.  d.  Niederrheins,  I  S.  233  ff. 


156 

Gebieten,  wo  es  einen  Hunnen  gab,  ein  Hunnekorn  vorkam.  Dazu  i>: 
noch  zu  betonen,  dass  auch  ein  Hunnekorn,  eine  annona  canina  nicht 
sofort  nach  der  Kolonisation,  sondern  erst  ein  Jahrhundert  später 
auftritt1)! 

Es  ist  daher  nicht  darum  wegzukommen,  im  Hundekorn  mu^ 
der  Hund,  canis,  wiedergefunden  werden,  und  dann  steckt  irgend  eine 
Jagdablösung  oder  Jagdleistung  darin.  Das  wird  bestärkt  durch  zwei 
von  Lübben  angeführte  Stellen  aus  Westfalen2);  nach  der  einen  müssen 
die  Hörigen  des  Hauses  zu  Steinfort  Hundegeld  zahlen;  nach  der 
andern  verspricht  der  Bischof  von  Münster  nicht  mit  Jagd  zu  be- 
schweren (venatione  gravare).  Die  Stellen  erklären  sich  gegenseitig 
und  zeigen  eine  Jagdablösung. 

Die  Erinnerung  an  diese  Bedeutung  des  Namens  selbst  hat  sich 
denn  auch  recht  spät  noch  erhalten:  noch  1714  musste  bei  Anwesen- 
heit Karls  XII.  in  Pommern  den  „zur  Fällung  des  Wildes  vor  die 
königliche  Tafel  gebrauchten  Heydebedienten  von  jedem  Müller  in 
Königl.  Amtern  monathlich  ein  Scheffel  Hunde-Korn  gereicht" 
werden8).  Es  war  deutlich  eine  ausserordentliche  Abgabe  an  das 
Jagdpersonal.  Im  Rostocker  Stadtarchive  liegen  Akten  von  1588;S!>, 
wonach  eine  Anzahl  Bürgermeister  und  Ratsherren  (1595  waren  es 
ihrer  12)  für  sich  auf  eigne  Kosten  eine  Privatjagd  in  der  Rostocker 
Heide  auf  Stadtgebiet  einrichten  und  den  Jürgen  Brandt  als  ihren 
Jägermeister  und  Wildschützen  annehmen4).  Derselbe  erhält  ein 
Deputat  für  sich  und  seinen  Jungen,  Lieferung  für  Geschirr  und 
Futter  für  2  Pferde  und  Korn  zur  Ernährung  einer  Koppel  Jagdhunde 
und  eines  Stricks  Winde.  Letzteres  sind  gewöhnlich  3,  wie  viel 
erstere  ist  nicht  festzustellen.  1595  sollten  24  Hunde  angeschafft 
werden,  fraglos  eine  ganze  Anzahl  von  Koppeln.  In  Hannover  bildeten 
2 — 3  Saupacker  eine  vom  sog.  Hundejungen  zu  führende  Koppel. 

In  den  sehr  lückenhaften  Registern  nennt  der  Ratssekretär  die 
Zahlung  für  den  Bedarf  der  Hunde  vom  November  1588  bis  11.  April 
1589  geradezu  „Hundekorn".  Man  hatte  anfangs  anscheinend  nur 
2 — 3  Jagdhunde  und  3  Winde;  geliefert  wurden  dafür  nach  Buchung 
in  dem  einen  Register  13  Scheffel  Gerste  und  25  Scheffel  Roggen. 
Nach  einem  Bericht  des  Jägermeisters  vom  24.  Mai  1588  hatte  er 
bis  dahin  2  Drömt  10  Schepel  50  „Matle*  oder  „Matte*  Gerste  er- 
halten „den  Jagetlmnden  davon  zu  etten  gegeben u  und  2  Drömt  und 
1  Scheffel  Roggen  „for  drei  Winde*.  Das  Korn  wurde  zu  Brot  ver- 
backen, ein  Abrechnungsbuch  des  Bäckers  Franz  Ploch  liegt  noch 
bei  den  Akten.  Hiermit  ist  Wiggers  Beweisführung  durch  die  Gerste 
völlig  beseitigt  und  die  alte  und  auch  unsere  Voraussetzung,  dass 
„Hundekorn"  wesentlich  für  Hundehaltung  und  Jagdzwecke  bestimmt 
war,  jedenfalls  ernstlich  bestärkt  worden.     Nachträglich  sei  bemerkt, 

")  Jahrb.  des  Ver.  f.  niederd.  Sprachforschung  IV  (1878)  S.  106—116. 

2)  Xiesert,  Münster.  Urk.  6,  S.  135  und  7,  S.  169. 

3)  Balt.  Stud.  ib.  S.  400. 

*)  Acta  betr.  die  Ausübung  des  Jagdrechts  etc.  III  Vol. 


157 

dass  für  die  General- Versammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertums -Vereine  zu  Schwerin  i.  M.  vom  7. — 10. 
September  1890  als  Frage  9  aufgestellt  war,  ob  nicht  die  Abgabe 
Chunowe  (Meckl.  U.-B.  I  Nr.  182)  das  Hundekorn  sei.  Bei  der  Ver- 
handlung kam  nichts  heraus.  Die  Urkunde  von  1208  gehört  in  das 
Bistum  Ratzeburg  und  die  Grafschaft  Schwerin. 

ROSTOCK.  K.  E.  H.  Krause. 


Karl  Straekerjan. 


Es  gebührt  sich  wohl,  dass  auch  das  Jahrbuch  an  Karl  Strackerjan, 
Direktor  der  Oberrealschule  in  Oldenburg,  dessen  Tod  bereits  im 
Korrespondenzblatte  mitgetheilt  worden  ist,  in  freundlichem  Gedenken 
erinnere.  Denn  er  war  nicht  nur  ein  treuer  Genosse  unseres  Vereins, 
sondern  auch  ein  unermüdlicher  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Sprach- 
kunde, und  manch'  schöner  Fund  im  Grossen  wie  im  Kleinen  wird 
seinem  Scharfblick  und  der  Folgerichtigkeit  seiner  Schlüsse  verdankt. 
Da  er  ausserdem  vielen  Lesern  des  Jahrbuchs  in  seiner  echten  und 
klaren  Biederkeit  eine  liebe  persönliche  Erinnerung  sein  wird,  so  mag 
es  in  jeder  Weise  gut  sein,  ihm  hier  an  der  ihm  so  lieben  Stelle  ein 
Denkzeichen  zu  errichten. 

Karl  Diedrich  August  Strackerjan,  Sohn  des  Amtmanns  Chri- 
stian Friedrich  Strackerjan  und  dessen  zweiter  Frau  Sophie  geb. 
Brünings,  Tochter  des  Hofraths  Brünings  in  Varel,  wurde  am  10.  August 
1819  in  Jever  geboren,  besuchte  die  dortige  Provinzialschule  und  nach 
der  Versetzung  des  Vaters  nach  Oldenburg  1833  das  Gymnasium 
daselbst.  Am  21.  März  1834  konfirmirt,  machte  er  im  März  1837 
sein  Abiturienten-Examen  und  trat  dann  zur  Ableistung  seiner  etwaigen 
späteren  Dienstpflicht  am  1.  Mai  auf  sechs  Wochen  in  die  Reserve 
ein.  Den  14.  Oktober  1837  ging  er  nach  Jena,  um  Theologie  zu 
studiren;  er  schloss  sich  hier  der  Burschenschaft  an,  deren  Principien 
und  Bestrebungen  er  sein  ganzes  Leben  hindurch  getreu  geblieben  ist, 
und  fand  in  ihr  viele  Freunde,  von  denen  Ludwig  Häusser  ganz  be- 
sonders zu  nennen  ist.  Strackerjan  genoss  die  jugendselige  Studenten- 
zeit in  Jena  mit  ganzem  Herzen,  und  auch  im  Alter  noch  schweiften 
ihm  gern  die  Gedanken  hinüber  in  die  liebliche  Musenstadt  an  der 
Saale,  die  er  noch  manches  Mal  wieder  besucht  hat,  zuletzt  im  Sommer 
1887,  um  sich  am  Lutherfestspiele  Devrients  zu  erbauen. 

Im  Herbst  1839  ging  er  nach  Berlin,  wo  er  im  August  1840 
seine  Studien  beendete.  Nachdem  er  in  Oldenburg  sein  Tentamen 
gemacht  hatte,  ging  er  1841  als  Hauslehrer  der  Kinder  des  Amt- 
manns Lauw  nach  Rastede  und  verlobte  sich  hier  1843  mit  Wilhelmine 
Helene  Lauw,  der  ältesten  Tochter  des  Hauses.  1844  ging  er  auf 
Anordnung  des  Grossherzoglichen  Konsistoriums  nach  Jever,   um  die 


158 

Tertia  der  dortigen  Provinzialschule  zu  verwalten,  und  erhielt  bald 
darauf  die  Stelle  des  vierten  Lehrers  dort.  1845  machte  er  sein 
zweites  Examen,  ward  1846  definitiv  angestellt  und  verheirathete  sich 
in  demselben  Jahre.  1851  rückte  er  in  die  Stelle  des  zur  Disposition 
gestellten  dritten  Lehrers,  des  Dr.  Böckel,  auf. 

Wie  sein  Vater  grosse  und  vielseitige  litterarische  Thätigkeit. 
besonders  in  der  Erforschung  der  Oldenburger  Geschichte,  entfaltet 
hatte*),  so  ging  auch  Karl  Strackerjan  früh  und  frisch  an's  Werk, 
durch  das  gedruckte  Wort  auf  einen  grossen  Leserkreis  zu  wirken 
und  seine  gesunden,  von  wahrer  Vaterlandsliebe  durchdrungenen  An- 
schauungen zu  verbreiten. 

Ausser  fleissiger  Mitwirkung  an  den  von  seinem  Vater  teilweise 
gegründeten  und  lange  geleiteten  „  Oldenburger  Mitteilungen Ä,  „  Olden- 
burger Blättern",  der  „Oldenburger  Zeitung"  u.  a.  betheiligte  sich 
Strackerjan  in  den  Jahren  1848  und  1849  auch  als  Korrespondent 
der  „Weserzeitung",  der  „Deutschen  Reichszeitung"  u.  s.  w.  am  politischen 
Kämpfen  und  Ringen  jener  heissen  Tage  und  übernahm  1848  die 
Redaktion  der  „Jeverländischen  Nachrichten",  in  welcher  Thätigkeit 
er  manchen  Strauss  zu  bestehen  hatte,  da  nicht  wenige  Leute  im 
Jeverland  ihn  als  den  „vorzüglichsten  Vertreter  der  damals  sogenannten 
Reaktion"  ansahen.  Er  hielt  aber  auf  dem  Posten  aus,  bis  der  Kampf 
beendet  war,  und  er,  „durch  keinen  Gegner  verdrängt",  die  Waffen 
niederlegen  konnte.  Mit  dem  Jahre  1853  übernahm  er  die  Redaktion 
des  noch  heute  im  Oldenburger  Lande  und  darüber  hinaus  wohl- 
bekannten Volkskalenders  „Der  Gesellschafter",  die  sein  rühriger 
Vater  von  1840  bis  1848,  seinem  Todesjahre,  geführt  hatte. 

K.  Strackerjan  ward  damals  auch  Mitarbeiter  an  der  von 
Dr.  Frommann  in  Nürnberg  herausgegebenen  Monatsschrift  „Die 
deutschen  Mundarten"  und  schrieb  für  die  Jeverschen  Schulprogramiue 
einige  wichtige  Abhandlungen.  Eine  dieser  Arbeiten  „Zur  Lehre  von 
der  Congruenz  im  Lateinischen"  (1856)  erwarb  ihm  von  dem  Rektor 
Breier  in  Lübeck  den  Antrag,  sich  um  eine  Stelle  am  dortigen  Gym- 
nasium zu   bewerben,   doch   gab  Strackerjan  demselben   keine  Folge. 

Am  3.  Dezember  1857  traf  ihn  das  schwere  Leid,  seine  Gattin 
durch  den  Tod  zu  verlieren.  Dies  beugte  ihn  tief  nieder  und  ver- 
düsterte ihm  auch  die  300jährige  Jubiläumsfeier  der  Universität  Jena, 
zu  der  ihn  sein  Schwiegervater,  um  ihn  aufzuheitern,  geführt  hatte. 
Erst  seine  Vermählung  mit  der  Tochter  des  Ratsherrn  Schröder, 
Mathilde,  (1859)  gab  ihm  frischen  Lebensmuth  wieder.  Im  Frühjahr 
1864  als  Rektor  der  höheren  Bürgerschule  in  Oldenburg  dorthin  be- 
rufen, wirkte  er  rege  und  erfolgreich  auf  dem  neuen  Gebiete  und 
errang  nach  manchem  nicht  leichten  Kampf  „seiner  Schule",  wie  er 
dieselbe  zu  nennen  liebte,  die  Erhebung  zur  Oberrealschule. 


*)  Von  den  Werken  Ch.  Fr.  Strackerjans  nennen  wir  hier  nur  „Beiträge  zur 
Geschiente  der  Stadt  Jever  1836",  „Beiträge  zur  Geschichte  des  Grossherzogtunis 
Oldenburg  1837",  „Geschichte  der  Buchdruckerei  im  Herzogtum  Oldenburg  1840", 
„Oldenburgs  Fest-  und  Jubelbuch  1839"  und  das  bis  jetzt  noch  ungedruckte,  vor- 
treffliche „Oldenburger  Gelehrtenlexikon". 


159 

Ihm  verdankt  die  Schule  zum  grossen  Teil  auch,  dass  sie 
schon  1872  aus  engen  und  wunderlichen  Räumen  in  ein  neues  schönes 
Prachtgebäude  an  der  Herbartstrasse  übersiedelte,  und  auch  das 
Herbartdenkmal  in  den  Anlagen  vor  dem  Schulgebäude  verdankt 
seinen  Platz  dem  Eifer  Strackerjans,  der  den  Blick  des  Denkmal- 
komites  auf  diese  Stelle  lenkte.  Die  Gründung  und  Einweihung  dieses 
Denkmals  brachte  ihn  in  Beziehungen  zu  Männern  wie  Simson  und 
Lazarus  u.  a.,  und  deren  Glückwunschtelegramme  zu  seinem  Dienstjubi- 
läum (1889)  gaben  dem  Tage  besonders  festlichen  und  von  ihm  dank- 
barlichst  genossenen  Glanz. 

Zu  Ostern  des  Jahres,  in  welchem  er  das  ihm  durch  langjährige 
Beziehungen  trauliche  und  liebe  Jever  verliess,  erschien  im  dortigen 
Schulprogramme  seine  in  der  altdeutschen  Forschung  epochemachende 
Abhandlung:  „Die  jeverländischen  Personennamen u.  Strackerjan  gab 
darin  Kunde  und  zwar  die  erste  Kunde  von  seiner  für  die  weitere 
Entwickelung  der  germanistischen  Namensforschung  höchst  wichtigen 
Entdeckung,  dass  alle  altdeutschen  Namen  aus  zwei  Stämmen  zusammen- 
gesetzt sind,  und  Strackerjan  hat  zuerst  das  Princip  der  Kosenamen 
„rund  und  nett  ausgesprochen u  (vergl.  A.  Fick,  Die  griechischen 
Personennamen.  Göttingen  1874).  Das  ihm  leider  von  weniger 
Kundigen  zuweilen  bestrittene  Verdienst  dieser  wichtigen  Entdeckung 
giebt  dem  bescheidenen  Manne,  der  es  verschmähte,  um  seine  An- 
erkennung zu  streiten,  einen  Ehrenplatz  in  der  Geschichte  der  deutschen 
Forschung,  und  es  ist  wissenschaftliche  Pflicht,  besonders  jetzt  daran 
zu  erinnern. 

Der  Wissenschaft  der  Sprachforschung  blieb  Strackerjan  immer 
eifrig  ergeben,  doch  konnte  er  zu  weiteren  umfangreichen  Arbeiten 
auf  diesem  Felde,  das  er  besonders  in  der  Etymologie  zu  bebauen 
liebte,  nicht  die  Zeit  erübrigen.  Denn  das  Emporringen  seiner  Schule 
machte  ihm  nicht  allein  viele  Freude,  sondern  auch  viele  Arbeit. 
1867  wurde  er  ausserdem  in  die  Schulkommission  des  Norddeutschen 
Bundes  berufen  und  gehörte  auch  wiederholentlich,  zuletzt  1879/80, 
der  Reichsschulkommission  an,  in  der  seine  Stimme  gern  gehört  wurde 
und  er  manche  für  ihn  selbst  und  das  Oldenburger  Schulwesen  wert- 
volle Beziehungen  anknüpfte.  Er  wurde  im  Juni  1866  als  Direktor  nach 
Schwerin  berufen,  lehnte  jedoch  den  Ruf  ab,  da  er  zum  Direktor  der 
unter  ihm  emporgeblühten  Realschule  in  Oldenburg  ernannt  wurde. 
Mit  den  Leitern  der  für  die  Entwickelung  des  deutschen  Schulwesens 
ringenden  Bewegung  blieb  er  aber  immer  in  innigster  Beziehung  und 
hat  stets  unentwegt  zur  Schulreform  im  besten  Sinne  sein  redlich 
Teil  beigetragen.  War  doch  Anregen  und  Fördern  einer  guten  Sache 
ihm  stets  ein  Ding,  für  welches  er  mit  Begeisterung  einzutreten  pflegte. 
Hier  sei  z.  B.  an  die  „Dichterabende",  die  er  mit  einer  Erinnerungs- 
feier für  Ludwig  Uhland  einleitete,  in  Dankbarkeit  erinnert.  Er 
wählte  zu  denselben  immer  Gedichte  eines  besonders  hervorragenden 
Dichters  oder  einer  „Schule"  oder  der  Dichter  eines  Landes  aus  und 
liess  sie  vor  einer  grossen  Anzahl  geladener  Gäste  von  seinen  Schülern 
in  der  Aula  vortragen.     Er  selbst  leitete  diese  anregenden  Abende 


160 

stets  mit  einem  litteraturhistorischen  Vorwort  ein  und  hat  in  den 
Jahren  1872 — 1889  vierundzwanzig  solcher  Abende  veranstaltet.  Seine 
Einleitungen  sind  fast  alle  in  den  Osterprogrammen  der  Oberrealschule 
erschienen  und  würden  gesammelt  ein  hübsches  Buch  geben. 

Dankbar  werden  seiner  die  Schüler  gedenken,  die  er  auf  der 
sich  immer  erfolgreicher  gestaltenden  Schule  mit  mildem  Ernste 
erzog  und  bildete,  sowie  die  Lehrer,  die  er  im  Einverständnis 
mit  den  städtischen  Behörden  für  seine  Schule  auswählte  und  denen 
er  die  Freudigkeit  am  Berufe  nie  irgendwie  getrübt  hat.  Er  lies> 
Schülern  und  Lehrern  gern  Spielraum  zu  freier  Entwicklung  ihrer 
Thätigkeit,  und  alle  hingen  an  ihm  mit  gleicher  Verehrung. 

Am  politischen  und  kommunalen  Leben  nahm  er  gleichfalls 
regen  Anteil,  und  auch  ihm  war  es  beschieden,  die  meisten  seiner 
Jugendideale  in  leuchtender  Herrlichkeit  verwirklicht  zu  sehen.  Mit 
jugendfrischem  Enthusiasmus  begrüsste  er  die  Neugestaltung  des 
deutschen  Kaiserreiches;  mit  treuer  Liebe  hing  er  an  dem  Oldenburger 
Lande,  dessen  Herrscherhause  er  innig  ergeben  war,  und  freute  sich 
mit  kindlich  reinem  Gemüte,  wie  dies  aus  seinen  guten  Augen  leuch- 
tete, an  allem  Guten,  Wahren  und  Schönen,  was  das  Leben  bieten 
kann.  So  stand  er  in  blühendem  Alter,  von  Kindern  und  Enkeln 
umgeben,  ragend  wie  ein  mächtiger  Baum;  da  trat  ihn  vor  zwei 
Jahren  plötzlich  Krankheit  an,  der  er  zu  erliegen  drohte,  und  der 
Tod  einer  geliebten  Tochter,  Frau  Sophie  Treitschke  in  Erfurt,  traf 
sein  Herz  schwer.  Er  hob  sich  freilich  wieder  empor,  nahm  seine 
Thätigkeit  frisch  wieder  auf  und  konnte  noch  im  April  1889  sein 
25jähriges  Jubiläum  als  Direktor  seiner  Schule  im  Kreise  seiner 
Kollegen  und  Schüler  feiern,  aber  die  alte  Spannkraft  war  dahin,  der 
Faden  löste  sich  allmählich  ab,  und  es  ging  zu  Ende:  er  starb  am 
19.  November  1889. 

In  seinen  letzten  Bestimmungen  hatte  sich  Karl  Strackerjans 
schlichter  Sinn  alle  Blumen-  und  Kranzspenden  für  seinen  Sarg  ver- 
beten, aber  in  herzlichem  Gedenken  legt  dankbare  Erinnerung  an  den 
treuen  deutschen  Mann  einen  vollen  Eichenkranz  auf  sein  Grab  auf 
dem  Gertrudenkirchhof  zu  Oldenburg.     Ehre  seinem  Andenken! 

OLDENBURG.  Reinhard  Mosen. 


Nachtrag  und  Berichtigung. 


Nach  Mitteilung  der  Herren  Yolkmann  &  Jerosch  in  Rostock  ist  der  oben 
S.  37,  2.  genannte  Druck  des  Dithmarschm  Liedes  (für  5  L.  St.J  und  das  unter 
3.  angeführte  Loszbach  (für  20  L,  St.)  an  das  British  Museum  in  London  verkauft 

Jahrg.  XIV  S.  19  Z.  2  v.  u.  lies  'Nordosten'  anstatt  'Südosten'. 


Drucke  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung, 

i. 

IUf«*lnicfl4'rfli*tit*«*hi*  Ins!  iuM'IHs|»irli 

1 
IL 


II. 


ulecler<Kiitsf4ir  RfliiihiiHiltMii. 

uumu. 


III. 
ta  diiilenehc  Httklttmer 


U*i**tcr     Slrphans     HHtucli  Ihm  'Il< 

I .  il    I.:    Tex1 

\\ .  Schlüter.  IV 


Wörterbüclier  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung, 

k\<M-l<*rlHi«-h    tlt-r   *\  «••>!  I.ilisi  Ikii  YIiiihIhi'« 

-Band   1"   \ 


HitteliiitMlrnliMitsHirs   Hundt*  <»rl«»rli<i4*li 

I  tbben.     S 

<  hrisii»iili  Wallher. 

12 

lVoordeithnrli  der  f*r<iiiiiigM€»]iC'  loiknlaal 

Forschungen, 
Herausgegeben  vom  Verein  für  niederdeutsche  Sprachforschun 

und  I,: 

Die  Sm'Hlrr    Tlinitfari. 

Bind  IL: 
VolltfttnHrvhen   mit«   Pomuicrii   und   Hüu«  n 

l.ilni. 

I  (Im  rslilit   über  die  nietlcrläiidiftrtirn   tolLsdint 
■IttlforttoBtJielie    AlIHliralioiieii. 


Zui»   4.<  sriii<  hl  i>    der     lU'tstsflint     *  ol  Usst  um  im*     Xor 
itHclilaiKls  sind   r-<"  im    Alter« 

Hilttdalfi  uui. 


Norden. 


Diedr.  Soli; 


Jahrbuch 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


thrgang  1890. 


XVI. 


j-4-i- 


NORDEN  im.I  LEIPZIG. 


Ausarbeitungen,  deren  Abdruck  im  Niederdeutschen  Jahrbnehe 
gewünscht  wird,  sind  dem  Mitgliede  des  Redactionsausschusses  Dr. 
W.  Seelmann,  Berlin  SW,  Lichterfdderstrasse  30  zuzusenden.  Die 
Zahlung  des  Honorars  (von  32  Mark  für  den  Bogen)  erfolgt  zu 
Jahresschluss  durch  den  Schatzmeister. 

Zusendungen,  deren  Abdruck  im  Korrespondenz-Blatte  erfolgen 
soll,  nimmt  Dr.  W.  H.  Mielck,  Hamburg,  Dämmt  hör  st  r.  27  entgegen. 

Die  Mitgliedschaft  zum  Niederdeutschen  Sprachverein  wird  durch 
Einsendung  des  Jahresbeitrages  (5  Mark  5  Pf.)  an  den  Schatzmeister 
des  Vereins  Dr.  W.  H.  MielcJc  in  Hamburg  oder  durch  Anmeldung 
bei  einem  der  Vorstandsmitglieder  oder  Bezirksvorsteher  erworben. 

Die  Mitglieder  erhalten  für  den  Jahresbeitrag  die  laufenden  Jahr- 
gänge der  Vereinszeitschriften  (Jahrbuch  und  Korrespondenz-Blatt) 
postfrei  zugesandt.  Sie  sind  berechtigt,  die  ersten  fünf  Jahrgänge 
zur  Hälfte,  die  folgenden  Jahrgänge  sowie  alle  übrigen  Vereins-Ver- 
öffentlichungen (Denkmäler,  Drucke,  Forschungen,  Wörterbücher)  zu 
Dreiviertel  des  Ladenpreises  zu  beziehen,  wenn  die  Bestellung  unter 
Berufung  auf  die  Mitgliedschaft  direkt  bei  dem  Verleger  Diedr.  Soltau 
in  Norden  (Ostfriesland)  gemacht  wird. 

Bis  auf  weiteres  können  die  Mitglieder  von  demselben  auch  das 
'Wörterbuch  der  Ostfriesischen  Sprache  von  J.  ten  Doornkaat  Koobnan' 
(3  Bände  gr.  8°  kartonirt)  für  15  Mark  (Ladenpreis  44  Mark)  post- 
frei beziehen. 

Bücher  oder  Sonderabzüge,  deren  Anzeige  oder  Besprechung 
gewünscht  wird,  sind  mit  dem  Vermerk  lZur  Besprechung9  oder  dgl. 
dem  Verleger  oder  einem  der  beiden  anderen  genannten  Herren 
zuzusenden. 


Jahrbuch 


des 


Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 


Jahrgang  1890. 


XVI. 


NORDEN  ort  LEIPZIG. 

Diedr.  Soltau's  Verlag. 
1891. 


Druck  von  Diedr.  Soltau  in  Norden. 


Inhalt. 


Seite 

Hermen  Botes  Boek  van  veleme  rade.     Von  Herrn.  Brandes 1 

Jacobs  von  Ratingen  Lied  auf  das  Breslauer  Hostienmirakel  von  1453.     Von 

Ed\var»d  Schröder 41 

Zum  Kedentiner  Spiel.     Von  C.  Walt  her 44 

Die  Bohne  und  die  Vietzebohne.     Von  K.  E.  H.  Krause 53 

Tannhäuserlied  und  Maria  tzart.    Von  AI  fr.  Puls     .     .         05 

Braunschweigische  Fündlinge.     Von  Ludw.  Hänselmann 69 

VIII.  Sanct  Annen  Preis 09 

IX.  Marienieich 70 

X.  Ave  maris  Stella  verdeutscht    .                       ....         ...  71 

XI.  llitmen  de  assensione  domini 73 

XII.  Weiss  und  grün 74 

XIII.  Weltspruch 74 

XIV.  Judeneid 75 

XV.  Heilzauber 76 

XVI.  'Wo  soll  ich  mich  hin  keren'  etc.  niederdeutsch 77 

XVII.  Schampernolleken 80 

Eine  merkwürdige  alte  Fälschung.     Von  Ludw.  Hansel  mann      .     .     .     .  80 

Über  die  Sprache  der  Wedemer  Urkunde.     Von  C.  Walt  her 93 

In  Drunten  varen,  na  Drunten  gliden.     Von  C.  Walt  her 107 

Joh.  Leonh.  Frisch  als  Sammler  märkischer  Idiotismen.    Von  L.  H.  Fischer  109 

Eulenspiegels  Grabstein.     Von  EdwardSchrüder 110 

Lübecker  Schulvokabular  v.  J.  1511.     Von  II.  Jellinghaus 111 

Bemerkungen  und  Besserungen  zum  Sündenfall.     Von  Rob.  Sprenger    .,    .  11 6 

Zur  Kritik  und  Erklärung  des  Theophilus.     Von  Rob.  Sprenger       .     .     .  128 

Zu  Gerhard  von  Minden.     Von  Ed.  Damköhler 139 

Ein  lat.-niederdeutsches  Tractat  aus  Bursfelde.    Von  Edward  Schröder  145 

Salzwedcl  und  die  übrigen  Ortsnamen  auf  -wedel.    Von  Joh.  Luther    .     .  150 

Anzeige:  Van  Helten,  Altostfriesische  Grammatik.     Von  0.  Bremer    .     .     .  161 


Hermen  Botes  Boek  van  velenie  rade. 


Das  Boek  van  veleme  rade,  eine  allegorische  Dichtung  mit  stark 
hervortretender  lehrhafter  Tendenz,  besteht  aus  zwei  Teilen,  deren 
jeder  fünf  Kapitel  umfasst.  Der  erste  Teil  enthält  Vorschriften, 
welche  derjenige  beobachten  muss,  der  ein  brauchbares  Rad  herstellen 
will.  Der  Ratgeber  vertritt  die  Ansicht,  dass  durch  die  tadellose  Be- 
schaffenheit des  Mtthlen-  und  Kammrades  der  geregelte  Gang  der 
Mühle  vornehmlich  bedingt  wird,  und  dass  eine  Winde,  ein  Wagen, 
ein  Pflug  nur  dann  ihren  Zweck  erfüllen,  wenn  sich  der  Wagner  zu 
den  Rädern  eines  dauerhaften,  der  Art  der  Verwendung  angemessenen 
Materials  bedient  hat.  Unter  den  fünf  Rädern,  zu  deren  Anfertigung 
Weisung  erteilt  wird,  sind  der  Papst,  der  Kaiser,  die  Fürsten,  die 
Städte  und  der  Bauer  zu  verstehen.  Ebensowenig  wie  sich  das  Pflug- 
rad zum  Wagenrade  schickt,  taugt  der  Bauer  nach  des  Dichters  Mei- 
nung zum  Städter  oder  dieser  zum  Fürsten.  Jeder  soll  zu  seinem 
Teile  dazu  beitragen,  dass  die  seinem  Stande  gestellten  Aufgaben  ge- 
löst werden,  es  soll  sich  aber  niemand  um  Dinge  kümmern,  die  ausser- 
halb des  diesem  vorbehaltenen  Wirkungskreises  liegen.  Der  zweite 
Teil  befasst  sich  mit  fünf  Menschenklassen,  die  bestrebt  sind,  der 
Thätigkeit  der  geistlichen  und  weltlichen  Gewalten,  der  Bürger  und 
Bauern,  auf  welcher  die  Wohlfahrt  des  Staates  beruht,  Abbruch  zu 
thun.  Die  erste  Klasse  bilden  die  Frauen,  die  zweite  die  unerfahrenen 
Katgeber,  die  dritte  die  Schwarzkünstler,  die  vierte  die  Thoren,  wozu 
die  Trinker,  die  Verschwender  und  die  Zänker  zählen,  die  fünfte  die 
Betrüger  und  Diebe.  Wie  die  Träger  der  staatlichen  Ordnung  er- 
scheinen auch  die  ihr  feindlichen  Elemente  unter  dem  Bilde  von 
Rädern.  Das  Treibrad,  das  Spulrad,  das  Glücksrad,  das  Sporenrad 
und  das  gebrochene  Rad  sind  die  von  dem  Dichter  gewählten  Ver- 
treter. 

Das  Werk  besitzt  eine  seinem  Umfange  entsprechende  Einleitung. 
Der  Verfasser  wrendet  sich  darin  mit  der  eindringlichen  Mahnung  au 
die  Regierenden,  allen  Anreizungen  des  Neides  und  Hasses  zu  wider- 
stehen. Von  machtvoller  Wirkung  sind  besonders  die  Verse,  in  denen 
er  Gott  anfleht,  jene  Gewalthaber  zu  vernichten,  die  den  eigenen  Vor- 
teil höher  schätzen  als  die  Zufriedenheit  ihrer  Unterthanen.   In  üblicher 

Niederdeutsches  Jahrbnoh  XVI.  1 


Weise  verwahrt  er  sich  am  Ausgange  dieses  Kapitels  gegen  die  Unter- 
stellung, er  habe  mit  seinem  Tadel  nicht  gewisse  Erscheinungen  des? 
Volkslebens  sondern  bestimmte  Persönlichkeiten  treffen  wollen.  Die 
in  den  Anfang  des  7.  Kapitels  gestellte  Vorrede  zum  zweiten  Teile  ist 
bedeutend  kürzer  gehalten  als  die  Haupteinleitung.  Der  Dichter  be- 
schränkt sich  hier  darauf,  die  Gegenstände  einzeln  namhaft  zu  machen. 
die  in  der  zweiten  Hälfte  des  Werkes  behandelt  werden. 

Dass  das  dichterische  Geschick  des  Autors  kein  gewöhnliche* 
ist,  verrät  sich  schon  in  der  Wahl  des  Gewandes,  in  das  er  seine 
Ideen  hüllt.  Es  ist  nicht  das  aufgeputzte  leichte  Mäntelchen  vou 
Citaten  aus  der  Bibel  und  altklassischen  Schriftstellern  sondern 
ein  einfaches  schmuckloses  Kleid,  ftlr  das  die  Spruchpoesie  das 
Muster  geliefert  hat.  Auch  das  muss  uns  als  Zeugnis  für  seine 
Begabung  gelten,  dass  er  es  verstanden  hat,  den  Ton  dieser  echt 
volkstümlichen  Dichtungsart  in  grossen  Partien  seines  Werkes  fest- 
zuhalten, ohne  zu  irgendwie  nennenswerten  Entlehnungen  aas  der 
Fülle  des  Vorhandenen  greifen  zu  müssen.  Er  ist  durchaus  selb- 
ständig. Selbst  die  Anklänge  an  ein  Motiv  des  geistlichen  Liedes, 
die  im  2.  und  3.  Kapitel  hervortreten,  können  dieses  Urteil  nicht  be- 
einflussen, denn  eine  wörtliche  Berührung  zwischen  dem  Boek  van 
veleme  rade  und  der  geistlichen  Dichtung  von  der  Mühle1)  findet 
nicht  statt  und  die  einzige  Ähnlichkeit  in  der  Verwendung  der  Idee 
des  Mtihlenbaues  besteht  darin,  dass  beide  den  Mühlstrom  in  die  Alle- 
gorie ziehen.  Die  mittelniederdeutsche  Litteratur  hat  nur  wenige 
Denkmäler  aufzuweisen,  die  unserer  Dichtung  an  glücklicher  Erfindung 

')  Vom  MUhlenliede  sind,  seitdem  ich  dasselbe  im  Nd.  Jahrb.  9,  49  ff.  be- 
sprochen, drei  weitere  handschriftliche  nd.  Fassungen  gedruckt.  Aus  dem  um  150« 
geschriebenen  Werdener  Liederbuch  hat  Jostes  das  Lied  im  Nd.  Jahrb.  14,  S3  f . 
mitgeteilt  (Jo).  Die  von  Edw.  Schröder  ebd.  15,  l  ff.  herausgegebene  Ebstorfer 
Liederhandschrift,  die  um  die  Wende  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  entstanden  ist 
enthält  ein  Fragment  desselben  (&).  Eine  Angabe  über  das  Alter  fehlt  bei  dem 
Abdruck  nach  einer  Abschrift  einer  Revaler  Handschrift,  den  Hofmeister  seiner  in 
dem  von  ihm  bearbeiteten  3.  Teile  von  Wiechmanns  Meklenburgs  altniedersachs. 
Litteratur  S.  228  ff.  publicierten  Untersuchung  Über  das  Lied  beigegeben  hat  (R). 
Jo  schliesst  sich  an  J  an,  mit  dem  es  die  Umstellung  der  Str.  7  und  8  sowie  den 
Ausdruck  middernacht  in  Str.  13  gemein  hat  S  und  B  gehören  nur  Gruppe 
U  Q  N  W,  wie  sich  aus  der  in  ihnen  vorliegenden  Folge  der  Str.  11—15  erriebL 
Die  von  Hofmeister  allein  auf  Grund  der  Str.  8  angenommene  Wechselwirkung 
zwischen  dem  Liede  und  den  MQhlenbildern  ist  möglich,  aber  nicht  sicher,  solange 
nicht  ältere  Fassangen,  denen  Str.  8  abgeht,  vorliegen.  Bis  dahin  muss  sie  um  »o 
mehr  bezweifelt  werden,  als  gerade  die  älteste  bildliche  Darstellung,  die  zu  Trib- 
sees,  die  aus  dem  14.  oder  aus  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  stammt,  die  vier 
Ströme  zeigt.  Die  Str.  11—15  mögen  später  eingeschoben  sein,  da  einzelne  von 
ihnen  in  manchen  Texten  fehlen  und  sie  den  Teil  der  Dichtung  bilden,  in  dem  die 
stärksten  Abweichungen  stattfinden.  Dem  Egbert  Hartem  sucht  Hofmeister  einen 
Anteil  an  dem  Liede  in  der  Weise  zu  retten,  dass  er  ihm  die  Veranlassung  des 
ersten  Druckes,  des  Rostock  er,  zuschreibt.  Nun,  dieser  Anteil  ist,  selbst  wenn  er 
zuverlässig  nachgewiesen  werden  sollte,  unbedeutend  genug,  da  wir  jetzt  in  £ 
einen  älteren  Vertreter  der  Redaktion  besitzen,  der  U  angehört.  Wertvoller  ist  der 
von  Hofmeister  gelieferte  Nachweis,  dass  die  im  MUhlenliede  behandelte  Idee  sich 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bis  in  das  vierte  christliche  Jahrhundert  zurück- 
verfolgen  lässt. 


und  gelungener  Behandlung  eines  eigenartigen  Grundgedankens  gleich- 
kommen. 

Es  ist  nicht  schwer  zu  erkennen,  dass  der  Verfasser  in  städtischen 
Kreisen  zu  suchen  ist.  Gleich  in  einem  der  ersten  Kapitel  tritt  er 
uns  als  Verfechter  des  Interesses  der  Städte  entgegen.  Mit  Nach- 
druck und  unter  Hinweis  auf  die  zu  erwartenden  Gegendienste  erinnert 
er  den  Kaiser  an  seine  Pflicht,  die  freien  Reichsstädte  gegen  die  Ver- 
gewaltigung durch  die  Fürsten  zu  schützen.  Dem  fünften  Kapitel 
aber,  welches  ausschliesslich  den  Städten  gewidmet  ist,  hat  er  einen 
Umfang  gegeben,  der  den  der  übrigen  Kapitel  mit  alleiniger  Ausnahme 
des  letzten  beträchtlich  überragt.  Es  ist  bisher  unbeachtet  geblieben, 
dass  er  sich  akrostichisch  nennt.  Wenn  man  die  Anfangsbuchstaben 
des  zweiten  bis  elften  Kapitels  zusammenstellt,  so  erhält  man  den 
Namen  HERMEN  BOTE. 

Hermen  Bote  ist  keine  unbekannte  Persönlichkeit.  Ein  Bild 
seines  bewegten  Lebens  hat  Hänsebnann  mit  ebenso  sorgfältiger  wie 
geschickter  Benutzung  der  vorhandenen  Quellen  in  der  Einleitung  zu 
seiner  Ausgabe  des  Schichtbuches  entworfen1).  Wir  entnehmen  dieser 
Darstellung,  dass  der  Braunschweiger  Zollschreiber,  der  sich  durch 
sein  rechtschaffenes  geschäftliches  Gebahren  den  Haas  zahlreicher 
unlauterer  Elemente  der  Bürgerschaft  zugezogen  hatte,  in  dem  Auf- 
ruhr von  1488  zum  ersten  Mal  sein  Amt  verlor  und  wegen  eines  Spott- 
gedichts auf  die  ans  Ruder  gelangte  Partei,  welches  er  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Gerichtsschreiber  Antonius  Brandenhagen  verfasst  hatte,  mit 
Hausarrest  belegt  wurde.  Den  Inhalt  des  Liedes,  das  untergegangen 
zu  sein  scheint,  kennen  wir  aus  Andeutungen,  die  sich  im  Schicht- 
spiel2), im  Schichtbuch3)  und  in  der  Chronik  des  Andreas  Schoppius4) 
finden.  Es  geisselte  unter  dem  Bilde  der  Teilung  einer  Katze  die 
von  den  Gilden  bei  dem  Aufstande  verfolgten  eigennützigen  Motive. 
Ueber  weitere  poetische  Versuche  Botes  schweigen  die  Quellen.  Das 
Boek  van  veleme  rade  liefert  uns  den  einzigen  und  deshalb  um  so 
wertvolleren  Beweis,  dass  er  sein  Talent  nicht  ungenutzt  verkümmern 
Hess.  Auch  Fragen  des  Tages  zu  behandeln  hat  er  sich  ungeachtet 
der  üblen  Erfahrungen,  die  er  gemacht,  nicht  abhalten  lassen.  Das 
zeigt  das  bis  zum  Jahre  1514  reichende  Schichtbuch.  Freilich  war 
er  vorsichtig  genug,  sich  nicht  offen  zu  der  Verfasserschaft  dieses 
Werkes  zu  bekennen,  das  geeignet  war,  die  Parteileidenschaften  von 
neuem  gegen  ihn  zu  entflammen.  Hänselmann  hat  sich  besonders  um 
die  Verfasserfrage  bemüht.  Doch  fehlte  der  von  ihm  zusammen- 
gefügten Kette  von  Beweisstücken  noch  immer  das  Schlussglied,  und 
dieses  liefert  das  Boek  van  veleme  rade. 

Die  Absichten  und  die  Voraussetzungen  des  Dichters  und  des 
Chronisten  sind  dieselben.  Wie  beide  sich  in  dem  Streben  begegnen, 
Hohen  und  Niedern  zu  zeigen,  dass  sie  auf  verderblichen  Wegen 
dahi nschreiten,  so  werden  sie  nicht  müde,  zu  wiederholen,  dass  aller 

»)  Chroniken  der  deutschen  Städte  16,  271  ff.  —  a)  V.  838  ff.  —  s)  Chroniken 
der  deutschen  Städte  16,  372  f.  —  «)  v.  LÜienoron,  Hist.  Volkslieder  2,  215. 


Zwiespalt  in  der  Welt  aus  Haas  und  Neid  geboren  wird.  Die  Ein- 
leitung des  Schichtbuches,  die  fast  ausschliesslich  von  den  Ursachen 
der  Zwietracht  handelt,  ist  nichts  als  eine  Paraphrase  der  Abschnitte 
I,  21  ff.  und  V,  146  ff.  der  Dichtung.  Man  beachte,  dass  der  zu  Macht 
und  Einfluss  gelangende  grosse  Haufe  hier  wie  dort  mit  den  Säuen 
verglichen  wird,  denen  man  Perlen  vorwirft,  und  dass  diese  Parallele 
im  Schichtbuch  noch  dreimal  wiederkehrt1),  was  auf  eine  gewisse 
Vorliebe  des  Verfassers  ftlr  dieselbe  schliessen  lässt.  Die  Verse,  die 
die  Einleitung  der  Chronik  beschliessen,  stehen  im  Boek  van  veleine 
rade  VIII,  27—28  u.  V,  193—194.   Obwohl  der  Spruch  vom  alten  Hasse: 

Olt  hat,  egene  nuth,  jungh  rad 

de  vordervct  mennige  stad. 

weit  verbreitet  ist2),  so  braucht  doch  die  Annahme,  der  Chronist  habe 
für  den  Ausgang  eine  andere  direkte  Vorlage  besessen  als  das  Boek 
van  veleme  rade,   schon  deshalb  nicht  erörtert   zu  werden,   weil   die 

Verse: 

Eyn  luttingk  states 

unde  eyn  weynich  hates 

dat  bearoch  den  armen  Pilates. 

sich  sonst  nicht  nachweisen  lassen.  Diese  Beziehungen  zwischen  einem 
Teile  des  Schichtbuches  und  Botes  Dichtung  erweisen  sich  als  höchst 
bedeutsam,  wenn  mau  sie  mit  der  Thatsache  in  Verbindung  bringt, 
dass  die  älteste  Fassung  des  Schichtbuches  in  der  Handschrift  des 
Dichters  auf  uns  gekommen  ist.  Denn  will  man  nicht  annehmen,  dass 
dieser  das  Werk  eines  Dritten  kopierte,  der  Partien  aus  seinem  Boek 
van  veleme  rade  teils  paraphrasiert,  teils  ausgeschrieben  hatte,  so 
muss  man  zugeben,  dass  er  selbst  der  Verfasser  des  Schichtbuches 
ist.  Auch  die  Möglichkeit,  dass  Bote  ein  fremdes  Werk  mit  Zuhilfe- 
nahme seiner  eigenen  Dichtung  umarbeitete,  bleibt  beiseite,  da  das 
Schichtbuch  durchaus  den  Eindruck  eines  einheitlichen  und  geschlosse- 
nen Ganzen  macht.  Der  der  Dichtung  und  der  Chronik  gemeinsame 
Grundgedanke  ist  mit  äusserster  Konsequenz  festgehalten,  die  allego- 
rischen Ausführungen  aber,  die  fremden  Bestandteilen  am  meisten 
ähnlich  sehen,  begegnen  ebenso  im  Innern  wie  im  Eingang  der  ein- 
zelnen Kapitel. 

Botes  Beziehungen  zum  Schichtbuch  werden  noch  durch  einen 
anderen  Umstand  bezeugt.  Zwischen  Titel  und  Text,  also  genau  an 
derselben  Stelle,  an  der  im  Schichtbuch  das  merkwürdig  verzeichnete 
Bild  eines  Mannes  in  Botentracht  angebracht  ist,  das  Hänselmann  als 
redendes  Bild  erkannte,  hat  das  Boek  van  veleme  rade  einen  fast 
seitengrossen  Holzschnitt,  der  einen  Mann  mit  unverhältnismässig 
grossem  Kopfe  darstellt.  Da  die  über  dem  Bilde  stehenden  Verse 
und  die  Nebenschrift  keinen  Zweifel  darüber  lassen,  dass  der  Dichter 
es  als  sein  eigenes  angesehen  wissen  will,  so  liegt  die  Verwandtschaft 
zwischen  dem  Holzschnitt  und  dem  farbigen  Botenbilde  der  Chronik 

l)  Chroniken  der  deutschen  Städte  16,  311,  1;  312,  18  und  312,  26.  —  ')  Vgl. 
Die  jüngere  Glosse  zum  Reinke  de  vos  III,  12,  34^. 


zu  Tage.  Ans  dem  Wortgehatz  und  dem  Satzbau  der  Denkmäler 
Schlüsse  zu  ziehen,  vermeide  ich,  weil  es  sich  nicht  um  zwei  gleich- 
artige, sondern  um  ein  poetisches  und  ein  Prosadenkmal  handelt. 
Eine  einzige  hierher  gehörige  Beobachtung  erwähne  ich  nur  ganz  bei- 
läufig. Sie  betrifft  das  Wort  licktvol,  das  in  beiden  Denkmälern  an 
einzelnen  Stellen  auffallend  häufig  erscheint.  Auch  die  Orthographie 
muss  unberücksichtigt  bleiben,  da  nur  das  Schichtbuch  handschriftlich 
überliefert  ist  und  sich  hinsichtlich  des  Druckes  der  Dichtung  nicht 
feststellen  lässt,  wie  weit  der  Einfluss  des  Setzers  reicht.  Eigentüm- 
lichkeiten wie  die  Gleichmässigkeit  in  der  Verwendung  des  gh  und 
in  der  Bezeichnung  der  Vokallänge  durch  nachgesetztes  e  können  sehr 
wohl  der  Thätigkeit  des  letzteren  beigemessen  werden. 

Wie  das  Schichtbuch  ist  auch  das  zweite  Stück  der  Handschrift, 
das  Wappenbuch,  von  Bote  verfasst.  Den  Beweis  liefert  der  folgende 
Abschnitt  über  die  Hansestädte  (Chron.  der  deutschen  Städte  16,  478, 
10  ff.):  So  volghen  hirna  de  erbaren  stede,  geheten  de  hengstede  .  over 
dersulften  stede  is  vele  van  dem  henghe  vollen,  so  is  der  och  noch  vele, 
de  dussen  hengk  noch  vaste  holden  umme  wolstandes  teilten.  So  sunt 
se  doch  hir  tosamede  tohope  gesät,  so  se  in  olden  tiden  liebben  sich 
tosamede  geholden,  eyn  by  der  anderen  stad,  to  donde  alse  eyn  van  der 
anderen  tvolde  gerne  nenien.  Och  gy  erliken  stede,  de  henge  de  ja  ufh 
der  keden  entvallen  sin,  henget  ju  juck  tvedder  tosamede:  gy  maked  wol 
eyn  vaste  keden  wedder  myt  densulven,  de  noch  tosamede  sin,  unde 
kriget  de  anderen  lede  wedder,  alse  gii  besten  kunnen,  der  Boek  van 
veleme  rade  V,  79  ff.  umschreibt. 

Von  dem  alten  Drucke  der  Dichtung  Botes  hat  sich  nur  6m  Exem- 
plar erhalten,  welches  die  gräfl.  Bibliothek  zu  Wernigerode  besitzt. 
Es  ist  ein  seltsamer  Zufall,  dass  es  gerade  an  dem  Orte  aufbewahrt 
wird,  von  dem  die  Familie  des  Dichters  ausgegangen  zu  sein  scheint !). 
Vor  der  Versuchung,  ihn  durch  den  verwandtschaftlichen  Zusammen- 
hang der  Braunschweiger  und  der  Wernigeroder  Träger  des  Namens 
Bote  zu  erklären,  werden  wir  durch  die  am  Schluss  etwas  verwischte 
Notiz  auf  Bl.  31b:  Ex  Auet.  Lüb.  d.  12  Apr.  171  *  bewahrt,  aus  der  klar 
hervorgeht,  dass  es  nicht  ein  Mitglied  der  Wernigeroder  Familie  Bote 
gewesen  ist,  das  das  Buch  an  die  gräfl.  Bibliothek  abgegeben  hat. 
Das  dünne  Bändchen  trägt  die  Bezeichnung  PI  2637.  Es  besteht  aus 
sechs  Bogen,  von  denen  die  ersten  vier  je  sechs  Blätter,  der  fünfte  und 
sechste  je  vier  Blätter  zählen.  Die  Signaturen  laufen  von  ai)  bis  aüj 
und  von  93  bis  gü;  das  letzte  Blatt  ist  unbedruckt.  Mit  Ausnahme 
des  ersten  wird  jedes  der  elf  Kapitel  des  Buches  durch  einen  Holz- 
schnitt illustriert;  dazu  tritt  ein  elfter,  der  auf  der  Rückseite  des  Titel- 
blattes (Bl.  lb)  angebracht  ist.  Die  Illustrationen  der  Bll.  lb,  12b,  16b 
und  27b  weisen  jene  bekannten,  Unebenheiten  des  Erdbodens  dar- 
stellenden Omegastriche  auf,  die  man  am  häufigsten  auf  bildlichen 
Darstellungen  findet,  mit  denen  aus  der  Officin  des  Matt  h.  Brand  is 
hervorgegangene  Druckwerke  ausgestattet  sind.    Wenn  nun  auch  die 

')  Schichtbuch  Anni.  39, 


übrigen  sieben  Holzschnitte  dieses  charakteristischen  Merkmate  ent- 
behren, so  gleichen  sie  doch  der  kleineren  Gruppe  in  der  Art  der  Aus- 
führung so  sehr,  dass  man  annehmen  muss,  dass  die  Herstellung-  des 
gesamten  Bilderschmucks  des  Werkes  6iner  Hand  anvertraut  ge- 
wesen ist. 

Der  Formenschneider,  der  die  Illustrationen  zu  dem  Boek  van 
veleme  rade  geliefert  hat,  hat  Anteil  an  mehr  als  einer  der  bedeutenderen 
Hervorbringungen  der  nd.  Litteratur  des  ausgehenden  15.  Jahrhunderts. 
Das  Dunkel,  das  lange  auf  seiner  Persönlichkeit  ruhte,  hat  sich  schon 
stark  gelichtet,  denn  nachdem  die  Spuren  seiner  Kunstübung  auch  in 
einem  der  in  Dänemark  entstandenen  Brandisschen  Presserzeugnisse 
nachgewiesen  sind1)*  unterliegt  es  wohl  kaum  noch  einem  Zweifel,  daas 
er  mit  dem  Mohnkopfdrucker  identisch  ist.  Von  Werken,  die  in 
seiner  eigenen  Druckerei  hergestellt  sind,  hat  er  mit  Holzschnitten 
versehen: 

1.  Canuti  expositiones  (Ribe,  1504), 

2.  die  Evangelia  (Lübeck,  1492) 9), 

3.  den  Reynke  (Lübeck,  1498), 

4.  das  Narrenschyp  (Lübeck,  1497), 

5.  Henselyns  boek  (o.  0.  und  J.). 

Als  Drucker  des  zuerst  genannten  Buches  bezeichnet  er  sich  namentlich, 
die  nächsten  beiden  Werke  tragen  seine  Druckermarke.  Den  Gründen, 
die  bisher  geltend  gemacht  sind,  um  ihm  das  Narrenschyp  zuzusprechen, 
lässt  sich  ein  weiterer  hinzufügen,  der  jeden  Einwand  ausschlieft. 
Einzelne  Drucke  des  Matth.  Brandis  haben  über  dem  Titel  eine  Krone, 
so  die  Evangelia,  der  Salter  to  dude  von  1493,  Sunte  Birgitten  open- 
baringe  von  1496,  der  Dodendantz,  der  Speygel  der  leyen  und  das 
Boek  van  der  navolginghe  Jhesu  cristi  aus  demselben  Jahr  und  der 
Reynke.  Wir  dürfen  demnach  kein  Bedenken  tragen,  die  Krone  des 
Titelblattes  unter  die  Kennzeichen  der  aus  der  Brandisschen  Officin 
hervorgegangenen  Druckwerke  einzureihen.  Da  nun  das  Titelblatt  der 
älteren  nd.  Bearbeitung  der  Dichtung  Seb.  Brants  die  Krone  aufweist 
so  ist  Matth.  Brandis  unfraglich  als  derjenige  zu  betrachten,  der  den 
Druck  derselben  besorgt  hat.  Auch  der  Henselyn  besitzt  in  dem  Toten- 
kopfe, der  sich  auf  dem  Schlussblatt  findet,  ein  Merkmal,  das,  obwohl 
es  in  zahlreichen  Drucken  des  Mohnkopfdruckers  erscheint,  doch  nir- 
gends ausdrücklich  als  Kennzeichen  derselben  aufgeführt  ist.  Der 
Totenkopf  ist  im  Salter,  in  den  vier  Drucken  des  Jahres  1490,  im 
Reynke  und  im  Dodendantz  von  1520  angebracht.  Wenn  er  im  Hen- 
selyn auch  nicht  wie  sonst  als  Beigabe  der  Wappen  des  Matth.  Brandis 
vorkommt,  so  stützt  sein  Vorhandensein  die  von  Wiechmann3)  zu  Gunsten 
des  Mohnkopfdruckers  geltend  gemachten  Gründe  doch  erheblich. 

Aus  der  kleinen  Zahl  von  Schriften,  von  denen  wir  annehmen 
müssen,  dass  Matth.  Brandis  sie  sowohl  illustriert  als  gedruckt  hat. 
dürfen  wir  aber   keineswegs   auf  seine  Gesamtthätigkeit   als  Holz- 

*)  V^l.  Seelmann,  Ccntralblatt  fiir  Bibliothekswesen  1,  23.  —  a)  Das  Breslau« 
Exemplar  ißt  von  Pietsch  im  Nd.  Korrespondenzblatt  1 1 ,  2—8  beschrieben, 
8)  Serapeum  23,  177—185, 


Schneider,  ja  nicht  einmal  auf  seine  künstlerische  Wirksamkeit 
schliessen,  soweit  sie  sich  auf  Produkte  seiner  eigenen  Druckerei  er- 
streckt hat.  Fehlt  doch  noch  jede  nähere  Angabe  über  die  bildlichen 
Darstellungen  im  Salter,  im  Totentanz  von  1489  und  in  den  Drucken 
aus  dem  Jahre  1496!  Noch  viel  weniger  wissen  wir  über  das  Schaffen 
des  Meisters,  insofern  es  fremden  Druckereien  zu  gute  gekommen  ist. 
Nur  eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Illustrationen  aller  in  Lübeck 
in  den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  und  in  den  ersten  Jahrzehnten  des 
16.  Jahrhunderts  gedruckten  Bücher  kann  uns  in  dieser  Beziehung 
Klarheit  verschaffen.  Eine  solche  Arbeit  ist  mit  besonderen  Schwierig- 
keiten verknüpft,  nicht  nur  wegen  der  Zerstreutheit  des  Materials, 
sondern  auch  weil  die  Omegastriche  das  einzige  Mittel  zur  Erkennung 
des  Formenschneiders  bleiben.  Man  muss  sich  besonders,  sobald  es 
sich  um  verschiedene  Werke  handelt,  davor  hüten,  aus  der  besseren 
oder  geringeren  Beschaffenheit  der  Holzschnitte  Schlüsse  zu  ziehen, 
denn  das  Vermögen  des  Künstlers  zeigt  sich  selbst  in  den  Illustrationen 
ein  und  desselben  Buches  auf  sehr  verschiedener  Höhe.  Ein  Blick  in 
das  Narrenschyp  genügt,  um  dies  zu  erkennen.  Die  Doppelbilder  auf 
den  B1L  150*  und  176a,  die  die  Omegastriche  aufweisen,  unterscheiden 
sich  durch  Feinheit  und  Sauberkeit  der  Zeichnung  von  den  übrigen 
Holzschnitten  mit  den  charakteristischen  Strichlagen  so  bedeutend,  dass 
man,  wäre  nicht  der  Urheber  so  deutlich  bezeugt,  schwerlich  geneigt 
sein  würde,  in  ihnen  Arbeiten  desselben  Künstlers  zu  erkennen. 

Dass  Matth.  Brandis  als  Formenschneider  geschäftliche  Beziehungen 
zu  anderen  Lübecker  Druckern  unterhalten  hat,  ergiebt  sich  aus  den 
von  Prien l)  und  Hofmeister2)  gemachten  Beobachtungen.  Beide  haben 
Spuren  seiner  Thätigkeit  in  Drucken  des  Steffan  Arndes  aufgefunden. 
Steht  von  den  beiden  Holzstöcken,  die  er  diesem  für  das  Ditmarschen- 
gedicht  überlassen  hat,  auch  fest,  dass  er  sie  schon  für  das  Narren- 
schyp gebraucht  hat,  so  ist  doch  keineswegs  fraglich,  dass  er  ihm  auch 
solche  geliefert  hat,  die  von  ihm  vorher  nicht  verwandt  waren.  Die 
Holzschnitte  der  Bibel  von  1494,  die  die  Omegastriche  in  allen  den 
Fällen  aufweisen,  in  denen  nicht  das  Innere  eines  Hauses  dargestellt 
ist,  sind  eigens  für  diesen  Druck  hergestellt.  Hinsichtlich  des  Passionais 
fehlen  leider  die  entsprechenden  Angaben.  Der  geschäftliche  Verkehr 
beider  Drucker  hat  mit  dem  Fortgange  des  Matth.  Brandis  von  Lübeck 
aufgehört.  Wäre  nun  der  Formenschneider,  der  sich  durch  die  Omega- 
striche zu  erkennen  giebt,  nicht  mit  Matth.  Brandis  identisch,  wie  Hof- 
meister annimmt,  so  wäre  nicht  zu  verstehen,  weshalb  sich  Steffan 
Arndes,  nachdem  Brandis  Lübeck  verlassen  hatte,  seiner  Dienste  nicht 
noch  weiter  bedient  haben  sollte.  Holzschnitte  mit  den  Omegastrichen 
sind  aber  in  Arndesschen  Drucken,  die  nach  1504  fallen,  nicht  nach- 
gewiesen. 

Auch  das  Boek  van  veleme  rade  ist  mit  Typen  des  Steffan 
Arndes  gedruckt.  Von  den  Initialen  desselben  kommen  EHMNR 
schon  in  der  Bibel  von  1494  vor,  jenem  Drucke,  der  so  merkwürdig 

»)  Nd.  Jahrb.  10,  91  f.  —  *)  Mekleiibnrgs  altniedersächswehe  Litteratur  8,  10«. 


8 

buntscheckig  aussieht,  weil  manche  seiner  Initialen  in  zwei,  ja  in  noch 
mehr  verschiedenen  Formen  auftreten.  Die  Drucklegung  ist  wohl  in 
den  ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  erfolgt,  doch  noch  vor  1504. 
Aus  welchem  Grunde  Kinderling,  Gesch.  S.  380  f.  den  Druck  in  das 
Jahr  1509  setzt,  weiss  ich  nicht. 

Unreine  Reime  finden  sich  in  der  Dichtung  in  ganz  geringer  An- 
zahl. Wenn  I,  47  herten  und  parthen  reimen,  so  ist  zu  berücksichtigen, 
dass  der  Dichter  zwischen  e  und  a  in  der  Nachbarschaft:  von  r  be- 
ständig wechselt.  I,  67  stehen  teil  und  snel  im  Reime  (vgl.  V,  31  trd : 
mel);  I,  75  clene  und  meyne;  II,  89  dämmen  und  kamen;  V,  71  dobbelt 
und  hovelt;  VI,  103  konen  und  vorghunnen;  XI,  109  cristentcarlde  und 
parle.  Selbst  e  :  en  ist  selten;  die  Bindung  erscheint  IV,  67;  V,  83  und 
VI,  89. 

Abkürzungen  habe  ich  aufgelöst.  Der  Druck  verwendet  den  Strich 
ftlr  m  und  n  und  ein  Häkchen  flir  er,  einmal  ftlr  or  (in  vorgaen  V,  163»; 
für  unde  setzt  er  nicht  selten  rn.  XI,  92  steht  ihüs.  i  und  j,  u  und 
v  habe  ich  nach  heutigem  Gebrauche  geschieden,  die  Personennamen 
mit  grossem  Anfangsbuchstaben  versehen,  getrennte  Silben  eines  Wortes 
vereinigt. 


[Bl.  1 »]  Tan  veleme  rade  byn  ik  oyn  boek 

Unde  segge  uns  van  der  werlde  loep. 

[Bl.  1  fc]        Hoert,  hoert,  ick  schal  juw  vorteilen, 

Dat  ick  vorvaren  hebbe  van  velen  ghesellen! 

Ick  byn  eyn  van  den  vrommeden  gnesten; 

Rore  ik  dy,  vorghiff  id  mi  unde  keret  tome  besten. 

[Holzschnitt:  Ein  Mann,  der  in  der  erhobenen  Rechten  eine  Rolle  hält;  links  von 
dem  Kopfe  desselben:  wal  up  myt,  rechts  davon:  v  roden.] 

I. 

tB1,  2  al    J§ß2|Elp  got,  wy  begheren  dyne  gnade, 

1P  Dat  sy  avent,  morghen,  vro  effte  spade. 
Sture  du  den  wolt  unde  ghewalt, 

Dede  dyne  arme  creature  avervalt 
5.    Mit  homode  unde  mit  unrechte! 

Leve  here,  laet  vorswinden  de  quaden  siechte, 

Dar  hoen,  laster  unde  schände 

AfF  komen  mochte  in  de  lande! 

Wente  wo  boze,  wo  valsch  unde  quaet 
10.  Mank  den  luden  is  nyt  unde  haet! 

Dat  wet  nemant  unde  recht  vorsteit 

Wen  de  jenne,  de  mit  eynem  ummegeit; 

De  hefft  dar  synne  unde  merke  by, 

Wer  eyn  truwe  effte  valsch  van  herten  sy. 
15.  De  almeehtighe  got  uns  dat  vorbut, 

Nyt  unde  hat;  gij  weldighen,  merket  dut! 


9 

Wente  dorch  hat  unde  hovart 

De  duvel  uth  dem  hemmele  vorstot  wart, 

Darto  unse  erste  vader  Adam 
20.  Van  homode  uth  deme  paradise  quam. 

Nyt  unde  hat  de  maket  alle  twidracht 

Unde  benimpt  den  weldighen  ere  walt  unde  macht. 

Hirumme  weset  voersichtich  overal, 

De  land  unde  lüde  regeren  scal! 
25.  Gy  seet  wol,  wo  nu  de  werld  staet: 

Me  pinst  nicht  gudes  men  alle  quaet. 

De  jennen,  dede  eyner  ghemeynte  scholen  voerwesen, 

Beghinnen  nu  alto  seer  in  eren  sak  to  lesen, 

Nicht  achten  se  der  undersaten  staet; 
[B1.2^]30.  Darumme  de  werld  nu  so  kumpt  in  alle  quaet. 

Geystlik  unde  alle  de  werldlike  acht 

Beghert  unde  is  des  werves  macht. 

Splith  to  dy  unde  rith, 

Dat  esschet  nu  de  tith. 
35.  Me  sprikt  nu:  *ik  wilt  dy  in  der  hant  wol  seen, 

Wultu  mit  der  proven  effte  rechte  hennetheen. 

Ifft  ik  scal  vele  doen,  math  bringet  mede.' 

So  secht  me  nu  unde  is  der  werlde  sede. 

Dyt  is  jo  jeghen  godes  ghebot. 
40.  Vordelghe  desse  tirannen,  du  almechtighe  gotl 

Dyt  is  quade  unde  boze  voersichticheit. 

De  al  up  Vordruck  der  undersaten  gheit. 

Sus  maket  manck  den  luden  leve  unde  vrede! 

Alzo  sprikt  des  hochgreven  voerrede. 
45.  Eyn  iewelk  de  vorsta  wol  myn  ghedicht. 

Wes  myn  munt  hirinne  vorswicht, 

Dat  vorblifft  van  dumheit  mynes  herten. 

Nemet  dat  to  synnen  van  viff  parthen! 

Wente  viffleye  rede  in  der  werlde  synt. 
50.  Der  bruken  aller  moder  kynt, 

Unde  viff  rade  sik  dar  mank  drenghen, 

Dar  me  guet  unde  quaet  kan  mede  vormenghen« 

Hirumme,  gy  redere,  up  guet  holt  schole  gy  jw  vorstaen, 

Wen  gy  eyn  guet  rat  willen  tohope  slaen. 
55.  Tobrockehk  holt  vint  me  dorch  alle  lant. 

Wor  eyn  appelrys  u])  eynen  kolstrunck  wert  gheplant, 

De  boem  werde  hoch  effte  syt, 

De  appel  smecket  na  deme  stammen  alletyt. 
[Bl.  3»]      Sure  wortelen  de  dreghen  sure  vrucht, 
60.  De  gude  arth  thuet  gude  tueht. 

Gy  woltmanne,  wen  gy  to  holte  varen, 

Dat  beste  holt  schole  gy  uthclaren. 

Doet  nicht  alze  eyn  untruwe  knecht 

Unde  ladet  up  beide,  krum  unde  recht  1 


10 

65.  laset  dat  gy  seen  eynen  schonen  gronen  boem  staen, 

Dar  eyn  quaet  telghe  waeset  an, 

De  darane  vorsoren  nnde  vordorren  wil, 

Den  houwet  äff  tohant  unde  gans  snel, 

Uppe  dat  de  gantze  boem  dar  nicht  äff  vorsore, 
70.  Unde  latet  den  vulen  in  drecke  unde  in  more! 

Dat  wil  ik  nu  hir  laten  by  blyven 

Unde  wil  vorder  van  dessen  viff  raden  scryven. 

Dat  wil  ik  mit  deme  hoghesten  rade  anheven. 

Eyn  iewelik  de  vorsta  dat  even, 
75.  He  sy  arm,  rike,  groet  elfte  clene, 

Wo  ik  myn  ghedichte  meyne. 

Me  scal  neen  dinck  int  qnadeste  bednden; 

Wol  isset  nn  eyne  sede  manck  luden. 

Wen  eyn  man  hir  wolde  up  nucken, 
80.  Unde  wolde  sik  dyt  to  hone  tucken, 

Des  kan  ik  unbelerde  knecht  nicht  keren. 

Eyn  iewelk  de  mach  hiruth  leren, 

Wo  hoch  he  sik  up  sine  herschop  vorlate. 

Eyn  iewelk  de  holde  sik  na  syneme  State, 
85.  De  pawes  baven  de  papen, 

De  keyser  baven  vorsten  unde  knapen, 

De  vorsten  baven  rede  unde  stede, 
[Bl.  3«>]    gyn  iewelik  na  sineme  trede. 

So  dusse  viff  rade  in  ereme  grade  staen, 
90.  Dar  mach  eyn  iewelk  na  to  rade  gaen 

Unde  mach  daruth  proven  syn  beste. 

Wy  sint  hir  up  erden  vrommede  gheste.- 

IL 
Dat  molenrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad.   Hinter  demselben  steht  der  Papst  mit  der 

dreiteiligen  Krone  auf  dem  Haupte,  den  Krenzstab  in  der  Rechten  haltend. 

Rechts  und  links  vom  Papste  Kardinäle  und  Bischöfe.] 

[Bl.  4»]     H^^Ere  got,  giff  dyner  gnaden  schyn, 

Ww  ^a*  ^e  8e^8*^"5:e  ach*  mo*e  *n  dogeden  syn. 
..t-j  ßecht.  g0  gcoie  gy  dyt  vorstaen, 

Gy  molemesters,  wen  gy  to  rade  gaen 
5.  Unde  willet  darup  sinnen  unde  proven, 
Wat  gudes  rades  gy  to  der  molen  behoven. 
Se  scal  hebben  twe  rade  unde  nicht  meer, 
Dat  is  de  gheystlike  unde  de  werldlike  eer. 
Wen  de  pawes  unde  de  keyser  overeyn  staen 
10.  Unde  in  eyner  wellen  na  dem  cirkel  ummegaen, 
So  steit  dat  gans  wol  in  der  cristenheit, 
Dar  grote  gnade  unde  vrede  van  besteit. 
Gy  kardenale,  weset  cloek  unde  wyß, 
Unde  du  hoghe  mester  van  RodyfM 


11 

15.  Vindet  de  wise  «ade  den  vunt 

Unde  maket  der  molen  eynen  vasten  grünt! 

De  Tyber  scal  wesen  de  stroem 

Unde  de  hoghe  stat  Rome  de  gruntloze  boem. 

Dat  molenrad  scal  gans  eckervast  holt  wesen, 
20.  Darto  schole  gy  molemesters  dat  beste  uthlesen. 

Seet  to,  dat  to  dem  rade  nicht  käme  qnaet  broekelik  holt! 

Wente  dem  rade  vaken  wedderspoet  anvolt, 

Dar  de  hillighe  kerke  vaken  wert  mede  beswaret, 

Darvan  de  cristenlove  ovel  varet, 
25.  Unde  wedder  godes  recht  syn  loff  unde  eere 

Mit  bozem  rade  wert  vorkrencket  Beere. 

Den  schal  dat  vuer  ewichliken  plaghen! 

Nene  gnde  molenwelle  kan  wol  dat  rad  draghen. 

Deme  pawes  unde  keyser  ghebort  van  plicht 
30.  Walsch  unde  dudesch  van  ghehicht.  [BUb] 

Van  god  synt  gy  darto  uthvorwelt, 

Nicht  mit  walt  daran  ghestelt. 

Gy  weldighen,  maket  de  twe  rade  in  eynheit, 

Dar  geystlik  unde  werldlik  recht  anesteit! 
35.  Dat  waterrat  schal  wesen  de  geystlike  acht. 

Seet  to,  dat  dar  neen  quaet  werde  toghebracht! 

Dat  kan  der  vloet  nicht  liden. 

Allerleye  holt  schole  gy  miden. 

Wente  de  beke  dat  is  de  hillighe  scrifft, 
40.  De  dyt  molenrat  ummedrifft. 

Theet  up  dat  schuttebret,  schuwet  nemande  nicht, 

Strenge  in  der  preddighe,  sachtmodich  in  der  bicht! 

De  gruntboem  schal  wesen  eyn  vast  pael, 

Wol  doerwracht  mit  vseren  unde  stael. 
45.  Se  in  dyn  rath,  eyn  knecht  aller  knechte  1 

Synt  de  beiden  cirkelbaghen  ok  rechte, 

De  in  dynem  rade  ummeheergaenV 

Weü  se  ok  rechte  wol  staen? 

Hebbe  gode  leff  unde  den  even  mynschen  dyn, 
50.  Dat  scholen  de  twe  cirkelbaghen  syn. 

Unde  eyn  vrunt  der  hillighen  kerken 

AI  na  sunte  Peters  werken, 

Wes  deme  wrevel  unde  stolt, 

De  synen  geystliken  staet  nicht  holt! 
55.  Du  syest  kardenal,  bisscop  effte  prelate, 

Sus  schole  gy  nagaen  al  na  juwem  State. 

Weset  al  like  uprichtich  unde  recht, 

Hebbet  got  leff  unde  dat  mynschlike  siecht, 
[Bl.  5*]     Holdet  vrede,  leve,  eyndracht  na  godes  both, 
60.  Dat  nene  loßheit  under  der  geistlicheit  sy  behot! 

Doet  juwen  schapen,  alze  gy  begheren  to  nemen, 

So  dorve  gy  juw  vor  godes  richte  nicht  scheinen  1 


12 

Got  wil  richten  beide  guet  unde  quaet. 

Wat  achtet  he  juwen  groten  staet, 
65.  Dar  gy  juw  so  groet  an  vorheven! 

Gy  prelaten  scholden  dencken,  dat  gy  mit  gode  mochten  leven. 

Gy  achten  nu  meer  de  werldliken  ere 

Wen  godes  both  unde  syne  hillighen  lere. 

Dach  unde  nacht  schole  gy  hirup  dencken, 
70.  De  den  cristenloven  wolde  krencken, 

Dar  unlove  unde  ketterye  mochte  van  bestaen. 

So  wil  juw  got  in  syn  rike  entfaen 

So  hartliken  als  dat  holt  van  eken 

Unde  dat  kruce  Cristi,  dat  hillighe  teken, 
75.  Dat  dorch  de  wellen  an  dat  rat  gheit, 

Dar  got  aneleit  vor  de  cristenheit. 

Darmede  schole  gy  slaen  unde  striden . 

Unde  so  alle  quaet  mede  vordriven  unde  myden. 

Vorstaet  juw  wol  up  de  olden  unde  nyen  ee, 
80.  Dat  dar  jo  neen  mißlove  inne  schee! 

Weset  mesters  in  der  hillighen  scrifft! 

Wen  denne  dat  water  dyt  rat  ummedrifft, 

Wowol  dyt  rat  denne  ummegheit, 

Unde  vuste  beth  de  steen  sinen  loep  deit! 
85.  0  hilligheste  vader,  vorsta  even  des  rades  math 

Unde  see  wol  to  in  dyn  molenrath, 

Dat  id  jo  ummegha  na  der  rechten  schiven, 
[Bl.  5i>]    Dat  dar  droch  unde  loßheit  moghe  affblivenl 

Unde  gy  molmesters,  gy  scholet  so  dämmen, 
90.  Dat  de  vloet  moghe  wol  tohope  kamen, 

Beide  van  den  jungen  unde  van  den  olden, 

Unde  scholden  eyn  concilium  holden. 

So  kreghe  gy  wol  de  vorvarenheit  unde  lere, 

Wer  ok  feyl  in  dem  cristenloven  were. 
95.  Wente  twedracht,  unhorsam  unde  ban 

Dar  werden  de  kerken  woste  van. 

De  cristenlove  wert  darmede  gheschent, 

Darto  vorhardet  unde  vorblent. 

Wor  missewaet  dat  harnsch  kricht 
100.  Dar  wert  alle  ungelucke  angherictit; 

Darover  vorlust  borgher  unde  de  arme  buer 

Unde  werden  ghejaghet  uth  erem  schuer. 

In  den  kerken  dar  wasset  loeff  unde  gras, 

Sodder  dat  de  Sprengel  wart  eyn  blas; 
105.  Darvan  synt  ghesehendet  kerken  unde  kluse, 

Darto  de  armen  sekenhuse. 

O  du  pape,  su  an  dussen  overval! 

Wer  me  so  de  hillighen  kerke  wigen  schal? 

Dar  vlucht  de  krezem  mit  deme  wigwater  uth. 
110.  O  sture,  sture,  se  is  jo  godes  bruthl 


IS 

Vorbede  den  platten  den  yseren  hoet, 

Wente  id  jo  nicht  wesen  moet! 

Sette  up  de  krönen  des  bischoppes  ghewaet, 

So  als  gy  vor  deme  altare  staet! 
115.  Geystliken  staet,  geystlik  wark, 

Unde  dat  so  geholden  strenge  unde  stark, 
[Bl.  6»]    Geystlike  cledere  unde  geystliken  raet, 

Unde  begaen  gude  werke  unde  gude  daet, 

Eyn  iewelk  geystlik  persone  dyt  vorsta! 
120.  6a  gy  wol  voer,  de  leyen  volghen  wol  na! 

Worto  gy  sint  uthvorwelet 

Unde  mit  weme  gy  jw  hebben  ghesellet, 

Gy  sint  baven  alle  State  goldes  ghewert. 

Wente  gy  sint  so  hoch  ghelert, 
125.  Dat  gy  gode  laden  uth  der  hoghesten  stede, 

Dar  wy  bedencken  unse  salicheit  mede, 

Unde  sacreren  hirnedden  in  dat  broet. 

0  pape,  dyne  ghave  unde  gnade  is  groet. 

Dencke,  wer  du  ok  des  werdich  bist, 
130.  Dat  du  sealt  benedyen  dynen.heren  Jhesum  Crist. 

Bespeghele  dy  an  dusseme  molennade. 

Wo  hoch  dat  du  bist  in  dinem  grade! 

III. 
[Bl.  ßb]  Dat  kamrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad.    Hinter  demselben  steht  der  Kaiser  mit  der 

Krone  auf  dem  Haupte,  den  Reichsapfel  in  der  Linken,  das  Schwert  in  der  Rechten 

haltend.    Rechts  und  links  vom  Kaiser  die  Kurfürsten.] 

^yn  iewelk  de  merke  myn  ghedicht, 
Dat  sik  dar  nemant  unrechte  in  berieht! 
Mit  guder  hulpe  is  guet  wat  to  laden. 
Wor  id  wol  wil,  dar  is  guet  to  raden, 
5.  Dat  sy  lant  unde  lüde,  dorp  unde  stad. 
[Bl.  7»]    Wes  upgherichtet,  du  hochghebarne  kronde  rad! 
Dat  kamrat  mote  wy  ok  to  der  molen  han. 
Gy  eddelen  koerforsten,  dencket  hiran, 
Wen  dat  romesche  rike  vorstorven  were, 
10.  Gy  ertzbisschoppe  Kollen,  Mentz  unde  Trere! 
De  hochwerdighe  konninck,  to  Bemen  ghenant, 
De  paltzgreve  unde  hertighe  to  Sasserlaut 
Unde  de  hochghebaren  marchgreve  to  Brandenborch, 
De  synt  alle  erluchtet  mit  dogheden  dorch. 
15.  Slaet  dat  kamrad  tohope  vast  unde  dicht, 
Unde  dat  id  hebbe  nenerleye  ghebrek  nicht, 
Van  hoghem  State,  eddel  ghebaren 
Unde  van  ecken,  haghedorn  utherkarenl 
De  cirkel  scal  vast  ecken  droghe  holt  wesen 
20.  Unde  de  kemme  vast  haghedorn  uthghelesen, 


14 

Dat  id  vorwaret  sy  vor  eynen  harden  stoet, 

Wente  gyn  anvechtent  is  tomale  groet, 

Dat  id  moghe  heyl  in  sik  sulven  blyven, 

Wente  dat  moet  den  oversten  steen  ummedryven. 
25.  So  is  desseme  kamrade  wol  ghelick 

De  erluchtigheste  hochwerdigheste  keyser  rick. 

Wen  sik  de  mit  deme  waterrade  voreent 

Unde  se  alle  beide  der  hillighen  kerken  deent, 

0  wo  wol  denne  de  overste  steen  gheit 
30.  Unde  in  der  cristenheit  denne  wol  steit! 

Dyt  kamrad  scal  wesen  haghedornen  holt. 

So  scal  wesen  van  arabischem  golt 

Unde  van  eddelen  stenen  des  keysers  kröne  fyn, 

Dat  sine  doghet  do  der  gantzen  werlde  schyn 
35.  Na  des  groten  keyser  Karies  aert,  [Bl.7b 

De  mit  sinen  dogheden  mennich  lant  hefft  bekaert, 

Dat  syne  eere,  syn  loff  in  der  cristenheit 

Wart  ghesecht,  ghedelt  wyd  unde  breit. 

Gy  koervorsten,  wen  gy  so  to  rade  gaen 
40.  Unde  sus  eyn  kamrad  tohope  slaen 

In  eyndrachticheit,  in  vrede,  in  leve, 

Nicht  mit  twen  tunghen,  mit  winckelen,  oghen  scheve: 

Is  he  in  dyssen  dogheden  ghelick, 

So  is  he  eyn  recht  keyser  deme  romeschen  rick. 
45.  Gy  koervorsten,  mit  den  romeren  schole  gy  wesen  een, 

Wille  gy  anders  dat  kamrad  verdich  seen, 

Unde  gheven  gode,  dat  gode  behoert, 

Unde  gheven  aem  keyser,  wat  deme  keysere  boert. 

Juwe  loff  unde  eere  kumpt  to  weerde, 
50.  Wen  gy  strenghe  richten  mit  juwem  swerde. 

Dat  velich  sy  de  keyservrige  strate, 

Dat  themet  der  keyserliken  majestate. 

Ghevet  juwen  rikessteden  walt  unde  macht, 

Dat  se  nicht  werden  vordrucket  effte  voracht! 
55.  Dat  hoert  to  der  keyserliken  majestaet: 

Du  scalt  stören  ere  unghelucke  unde  quaet. 

Se  heten  des  keyserrikes  stede, 

So  behort  dy,  keyser,  se  to  bescharmende  in  vrede, 

Dat  en  nene  vorsten  doen  unghevoech: 
00.  So  deystu  dynem  keyserliken  majestate  noech. 

So  konen  se  dy  mit  macht  ghedenen. 

Höre  den  raet,  de  dy  mit  truwen  menen! 

Hebbe  eyn  vurich  herte,  waerafftighe  bicht, 
[Bl.  8»]    Unde  dat  dynes  rikes  recht  nicht  werde  vornicht 
05.  Dorch  affgunst,  ghiffte  unde  ghave, 

O  du  eddele  kamrat,  laet  dat  dar  ave! 

In  des  pawes  macht  unde  des  keysers  walt 

Yaken  wol  wat  bozes  rades  entwisschen  valt, 


15 

Dar  de  cristenheit  mede  vofdrucket  wärt. 
70.  So  steit  de  salicheit  des  rikes  recht  in  twepart. 

Gy  korvorsten,  wieset  cloek  unde  vornufft, 

Dat  dyt  kamrat  nicht  käme  in  sodane  clufft! 

Latet  den  cirkel  wesen  rund  recht 

Unde  volghet  dem  knechte  aller  knecht 
75.  Unde  beghaet  mit  em  alle  gude  werke, 

So  is  des  rikes  recht  mechtich  mit  aller  Sterke. 

So  wert  de  romesche  koninck  hoch  gheacht. 

0  du  kamrad,  wes  so  tohope  ghewracht, 

Dat  de  overste  steen  wol  ummegha 
80.  Unde  dat  de  mole  dar  nicht  van  besta! 

Hirumme  vornufft,  bekentenisse  unde  redelieheit, 

Weset  stede  unde  vast  in  arbeit! 

So  moghe  gy  korvorsten  groet  loen  cntfaen, 

Dat  disse  twe  rade  in  eyner  wellen  like  recht  ummegaen. 
85.  Wente  desse  twe  rade  maken  de  salicheit, 

Wen  disse  mole  in  vruntliker  leve  ummegheit. 

Seet,  woervan  hebbe  gy  adel  unde  syrheit  uth,     . 

Herschop,  manschop,  lande,  stede  unde  guethV 

Holdet  dyt  eddele  kamrad  by  weerden  unde  eren, 
90.  So  blyve  gy  ok  sulves  vorsten  unde  heren. 

Du  kamrad,  holt  dy  ok  sulves  by  weerden! 

Du  alderhogheste  hir  up  eerden, 
[Bl.  8b]    In  deme  vaerliken  State,  dar  du  inne  bist. 

Holt  vor  oghen  dynen  heren  Jhesum  Crist! 
95.  Du  bist  eyn  man  alze  eyn  ander  man, 

Wan  dat  dy  got  der  eere  ghan.  * 

Holt  keyserliken  staet,  do  keyserlike  daet! 

Deystu  so,  dyner  zele  der  wert  wol  raet. 

Sprek  guden  raet  mit  waerheit  doreh  dynen  inunt 
100.  Uth  dynes  gantzen  herten  grünt 

Unde  bespegele  dy  an  dessem  kamrade, 

Wo  hoch,  wo  eddel  dat  du  bist  in  dyuem  grade! 

IV. 
[BL  9*]  Dat  windelrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad.    Hinter  demselben  steht  der  König  mit  der 

Krone  auf  dein  Haupte,  das  Scepter  in  der  Linken  haltend.    Rechts  und  links  vom 

König  je  zwei  Fürsten.    Eine  Scheidewand  trennt  die  Personen  von  dem  Rade  und 

verdeckt  ihre  Unterkörper.] 

Echt  eddel  is  gheboren  mennich  man, 
_  De  den  eddeldoem  holt  unde  kan 
^     Unde  sik  in  eren,  in  dogeden  darna  boghet. 
Eynen  eddelen  man  maket  sipe  doghet. 
5.  Gy  konninge,  vorsten,  graven  hochgeboren, 
[Bl.  9»>]    Ghedeneket  an  juwe  olderen  hir  bevoren, 
Wo  eerliken,  wo  werdighen  dat  de  olden 


16 

Hebben  dyt  windelrad  gheholden 

Unde  hebbent  ghebuwet  mit  alle  eren  werken, 
10.  Stede,  borghe,  klostere  unde  kerken!v 

Hirnmme  is  juw  dyt  windelrad  anghearvet, 

Dat  juw  eere,  adel  unde  salicheit  vorwarvet, 

De  sik  anders  hirane  priset 

Unde  an  dussem  windelrade  bewiset, 
15.  Dat  de  kerke  unde  klostere  so  werden  bevestet, 

Dat  dar  neen  roeff  edder  ketterye  inne  nestet, 

Unde  stede  unde  borghe  so  werden  bemuret, 

Dat  de  truwe  ackerman  werde  beschuret. 

Dyt  windelrad  is  hochdraven,  trach,  voet  vor  voet, 
20.  Dat  me  dat  ummeschuven  unde  treden  moet. 

Neen  perth,  noch  water,  noch  wind, 

Noch  vrouwe,  noch  maghet,  noch  kind, 

De  dut  windelrad  kone  handelen  unde  wenden, 

Sunder  starker  mannes  vote  unde  mit  eren  henden. 
25.  Dat  synt  de  mechtighesten  vorsten  unde  heren, 

Dede  land  unde  lüde  scholen  regeren  in  eren. 

Wen  de  heren  unde  vorsten  nicht  enwillet, 

Wo  schal  denne  unfrede  werden  ghestillet? 

Warliken  de  holdet  nicht  synen  koninkliken  staet, 
30.  De  dar  de  eere  unde  warheit  vorsmaet. 

Eyn  koninck  het  eyn  koninck  van  konheit, 

Darumme  em  de  name  so  bysteit. 

Bus  schal  eyn  koninck  de  konheit  haen, 

Dat  he  moghe  in  konheit  mit  eren  rechte  lik  upstaen; 
35.  In  konheit  scal  he  hebben  de  warheit  unde  lere,  [Bl.  10* 

Dat  he  sy  eyn  rechtverdich  kone  here. 

Roverye,  deverye  scal  he  mit  konheit  richten 

Unde  sodane  quaet  gans  vorrichten. 

So  hoert  dyt  der  koninckliken  majestaet: 
40.  Eere  to  holdende  unde  straffende  dat  quaet 

Na  des  groten  keyser  Kaerles  art, 

Dem  eyn  swert  uth  deme  hemmele  ghebrocht  wart. 

He  hefft  ghebuwet  kerken,  klostere  unde  de  laut  bekert 

Maket  juw  desses  namen  ok  ghewert! 
45.  Buwet  dut  windelrad  van  holte  vast, 

Wente  dat  moet  upwinden  sware  last, 

Unde  dat  dem  rade  neen  boze  holt  enwerde! 

Spilbomen,  wepdornen  wasset  syde  by  der  erde, 

Dat  endocht  to  dessem  rade  nicht, 
50.  Wente  dat  tobrikt  alto  licht. 

Gy  eddelen  koninge,  merket  dussen  syn! 

Wy  seent:  allerleye  vrucht  der  wert  myn 

In  water,  in  holte,  in  velden,  weide. 

De  werld  is  nu  in  jamers  leide. 
55.  Mynschen  unde  vee  vorgeit,  vorstervet. 


17 

We  ig  de  sake,  dat  id  sus  vordervet? 

Dat  kumpt  van  bozes  rades  anbeghin, 

Dede  alletijt  schaden  unde  jamer  bringet  in. 

(}y  koninge,  dencket  over  de  vorgangen  dinge, 
60.  Dat  teyn  plaghen  koninck  Pharao  avergingen, 

Darna  eyne  grote  pestilencie  in  korter  tijt. 

Dat  vorwrachte  al  koninck  David, 

So  me  noch  in  der  werlde  wol  suet, 
|BL  ioh]  Dat  dorch  sunde  mennighe  plaghe  schuet. 
65.  Gy  hochgheboren,  seet,  dat  gy  so  regeren, 

Dat  gy  dyt  windelrat  mit  eren  moghen  stofferen, 

Juw  sulves  erst  unde  juwe  lant  unde  lüde. 

Guet  holt  schole  gy  to  dusseme  rade  huden, 

Warafftich  holt  darto  doet, 
70.  Rechte  schyr  clufftich  dat  ok  wesen  moet. 

Gy  hartighen,  weset  in  herten  reyne  unde  fry, 

Othmodich,  strytbaer,  eyn  truwe  herte  darby! 

Eyn  harte  hefft  eyn  lanck  levent  up  erden; 

Dyt  is  waer,  ok  lerent  uns  de  ghelerden; 
75.  Id  is  dat  erste,  dat  dar  levet,  unde  lest  stervet. 

Eyn  hartighe  wen  he  syne  land  unde  stede  vordervet, 

So  mach  he  nicht  eyn  hartighe  van  gudem  herten  heten. 

Eyn  guet  herte  scal  nene  bedeckede  loOheit  van  sik  gheten. 

Alzo  he  beghert  sulven  lange  unde  wol  to  leven, 
80.  So  scal  he  ok  leve,  truwe  sinem  lande  unde  steden  gheven; 

Ok  scal  he  se  maetliken  plucken  unde  scheren, 

Dat  sik  syne  stede  moghen  voden  unde  neren. 

Deyt  nu  eyn  hartighe  nicht  dusse  daet, 

De  moet-  hebben  eyn  herte  in  loOheit  quaet. 
85.  Eyn  herte  mit  dem  lichamme  wol  steit, 

Wen  dat  herte  unde  de  licham  in  eyn  gheit. 

Sus  is  de  mynsche  wol  formeret, 

Wen  dat  eyne  lith  baven  dat  andere  nicht  regeret. 

Eyn  guet  hartighe  scal  so  mit  den  synen  leven, 
90.  Dat  he  vor  godes  richte  moghe  rede  gheven; 

Sus  hete  gy  hartighen  up  dusser  erden. 

Gy  scholen  richten  rechte  mit  juwen  swerden. 
[Bl.  11*]  Nemet  vor  recht  nene  ghifft  unde  ghavel 

Dat  is  uneerlik  unde  nicht  to  juwem  lave. 
95.  Juwe  stat  scal  bevestet  unde  bemuret  staen, 

De  stat,  dar  gy  den  namen  van  haen. 

Eynes  hartighen  stat,  dar  he  den  namen  van  haet, 

Schal  stedes  beschämen  unde  bevesten  den  raet. 

So  hefft  syne  stat,  syne  ghuede,  syne  tucht 
100.  Ok  an  desser  stat  troest  unde  tovlucht. 

Gy  eddelen  hartighen,  dencket  hiran! 

Juwe  stede  synt  juw  in  eeren  unde  dogheden  underdaen. 

Eyn  dorp  dat  is  eyn  dorp, 

Niederdeutsch«  Jahrbuch  XVI.  '  o 


18 

Dat  is  ringe  up  alze  eyn  wintworp, 
105.  Eyne  stat  is  eynes  hartighen  staet 

Unde  is  eynes  vorsten  herte  unde  raet. 

De  hochgreve  sprekt:  gy  eddelen  liartighen,  deneket  liiran! 

Hijr  were  vele  meer  to  seggende  van. 

Wor  ok  eyn  eddel  hartighe  synen  steden  deit  quaet, 
110.  Dar  he  den  namen  unde  eer  van  hefft  unde  staet, 

He  mach  nicht  wesen  eyn  eddel  hartighe  effte  here, 

De  dar  nicht  achtet  dat  gude  unde  de  ere. 

Gy  greven,  gy  riddere,  gy  fryen  alle, 

Helpet,  dat  dyt  windelrad  nicht  vorvalle! 
115.  Eyn  grave  het  eyn  bemaket  vast, 

Eyn  dinck  vor  quader  averlast. 

Wert  eyn  grave  deep  ghegraven, 

Merket,  wat  namen  dat  gy  haven. 

Gy  sint  ghemaket  graven  overal, 
120.  Dat  alle  dinck  gelick  beschuren  schal: 

Den  hillighen  cristenloven 
[Bl.  11*»]  Unde  de  dat  meyne  guet  willen  beroven. 

De  grave  schal  alletijt 

Hoch  wesen,  deep  unde  wijt: 
125.  Deep  van  dogheden,  hochghebaren  van  eddelheit, 

Unde  syn  loff  schal  wesen  wyd  unde  breit; 

Unde  bringhen  neen  wormstockelich  holt, 

Dat  dar  sy  trunt  unde  senevolt, 

To  desseme  windelrade, 
130.  Unde  nicht  bulderafftich  in  synem  trade. 

Wente  dat  rad  is  trach,  swaer  unde  gheit  dranghe. 

Weset  satich  unde  listich  in  synem  ummeganghe! 

Der  vorsten  torne  schole  gy  stillen 

Unde  nicht  vulborden  in  deme  bozen  willen. 
135.  Seet,  gy  eddelen  graven,  doet  gy  alzo: 

Bringhet  neen  quaet  holt  hirto, 

Weset  mit  gantzen  truwen  hirna, 

Dat  dyt  windelrad  wol  ummegha! 

Gy  vrighebaren  unde  gy  ridder, 
140.  Weset  by  den  vorsten  gude  vorbidder 

Unde  helpet  mit  gantzen  truwen 

Dyt  windelrad  bevesten  unde  buwen, 

Dat  eyn  iewelk  mit  deme  rechten  cirkel  strike, 

Unde  nemet  dat  stricholt  unde  maket  den  schepel  like! 
145.  Gude  ridderschop  is  werdich  ghestalt. 

Van  plicht  boertjjuw  dat,  junck  unde  alt, 

Dat  eyn  iewelk  guet  holt  hirin  bringe, 

Dat  unstrafflik  sy  allerdinge, 

In  dyt  windelrat,  dat  schir  clufftich  sy, 
150.  Waerafftich  unde  recht  unde  menlick  darby. 
[Bl.  12»]  Eyn  iewelk  den  rechten  wech  na  holte  drave 


19 

Unde  spare  den  wolt  nicht  durch  gifft  effte  ghave 

Unde  houwe  nicht  umme  nenerleyewijs 

Noch  bastrode,  swepstocke,  bessemrijs, 
155.  Hunder  guet  holt,  dat  schir  clufftich  is, 

Wol  gheteret,  grauw  unde  wis, 

Wol  tohope  voghet  unde  ineynander  dicht  ghewerket! 

Gude  ridderschop,  dat  merket, 

Wo  gy  voren  scholen  juwen  staet 
160.  Unde  wat  holt  es  gy  bringen  scholen  in  der  vorsten  raet! 

Gy  guden  maus,  juwe  name  het  goet; 

Ja,  aat  is  waer,  wen  gy  wol  doet. 

Worinne  is  juw  de  guetheit, 

Wen  juw  ere  unde  doghet  nicht  bysteit? 
165.  Up  guet  holt  schole  gy  wesen  bekant, 

Dat  dar  is  lick  recht  guet  holt,  menlick  der  hant. 

Eerliken  juw  bewiset  in  heldeskrafft, 

Der  hillighen  kerken  vrede  schafft! 

Kerken  unde  klostere  vorwostet  nicht, 
170.  Juwe  olderen  hebben  se  ghesticht! 

Synt  gy  up  densulven  stam  gheplant, 

Eres  adels  eyn  guet  man  ghenant, 

So  synt  gy  juwes  namen  werdich, 

Unde  so  steit  dyt  windelrad  seer  verdich. 
175.  Gy  koninge,  vorsten,  graven,  riddere,  knechte, 

Alle  de  ghebaren  synt  van  eddelem  siechte, 

Dyt  windelrad  nemet  wol  to  syn, 

Wat  eyn  iewelk  vor  holt  schal  bringen  daryn! 

Latet  den  koepman  velich  wancken  up  der  Straten 
180.  Unde  bescharmet  juwe  undersaten,  [BL  12»«) 

tippe  dat  dat  swert  nicht  ensnyde  to  ewigher  plaghe 

Dorch  juwe  liff  unde  zele  to  deme  junghesten  daghe! 

Bespeghelt  juw  in  dessem  windelrade, 

Wo  eddel  dat  gy  synt  in  juwem  grade! 


Dat  waghenrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad.    Hinter  demselben  stehen  fiinf  Vertreter  der 

Hansastädte.] 

'***  13^  äft^^  *ruwen  8Chole  gy  merken  al, 

aBlM  Wo  me  eyn  guet  rad  formeren  scal. 
^^^  Dat  waghenrad  moet  hebben  vifleye  holt. 
Van  rechte  scolde  de  velghe  wesen  golt, 
5.  De  speke  sulveren,  de  nave  van  kopper  fyn, 
Unde  de  bant  scholde  van  blye  syn. 
Dat  maket  desses  waghenrades  eddelheit, 
We  dyt  rechte  anders  vorsteit. 

2* 


20 

Dat  is  nicht  gelick  eyneme  graven  buer, 
10.  Wol  dat  dyt  rad  scal  holt  gyn  van  natuer. 

Wol  viffleye  holt  ig  darto  dat  begte, 

Gheprovet  wol,  gunder  egte. 

Wyg  gyn,  gyn  wyg,  dat  clufft  nicht  licht. 

We  dat  wol  doerboret  mit  voergicht 
15.  linde  mit  clocheit  wol  kau  raken, 

De  kan  wol  eyn  guet  waghenrad  maken. 

Gy  rademakerg,  hijr  moghe  gy  up  ginnen, 

Wan  gy  deg  willen  beghinnen 

linde  willen  maken  eyn  guet  waghenrad. 
20.  Wen  gy  darup  ginnen,  go  merket  dat, 

Dat  dar  neen  loeg  holt  werde  to  brocht, 

Wente  allerleye  holt  dar  nicht  to  endocht. 

De  nave  van  vagtem  holte  uthghelegen 

Unde  darto  schal  ge  ghegenget  wegen 
25.  In  der  gloet;  dat  gchal  de  truwe  leve  gyn 

Gode  unde  dem  even  myngchen  dyn, 

Mit  affgunst  nicht  vormenget. 

Welk  rademaker  dat  go  betenget 
fBl.  I8b]  Unde  up  godane  holt  de  limpe  weth, 
30.  Dat  ig  geer  deg  radeg  gheneth. 

Welk  rademaker  dat  betengen  wel 

Unde  eyn  guet  waghenrad  wil  maken  gnel, 

De  gchal  to  den  gpeken  soken  uth 

Droghe  eken  holt  rechte  unde  guet. 
35.  Haggelen  unde  vuren  late  he  mit  ghemake, 

Unde  weddergpönich  holt  mit  wintbrake 

To  dyggem  rade  nicht  endocht. 

Wert  weddergpönich  holt  hirin  ghebrocht, 

Dat  waghenrad  dat  in  allenthalven  voelt. 
40.  Wedderwarrich,  eghenkoppich  alle  ungelucke  woelt, 

Dar  hefft  mennich  guet  rad  vor  weken. 

Recht  eken,  eken  recht  ig  guet  to  den  gpeken. 

Gy  rademakerg,  doet  dat  holt  darto 

Unde  maket  de  gpeken  like  hoch  go 
45.  Unde  hebbet  dar  den  rechten  cerkel  by, 

Dat  de  eyne  nicht  hogher  wan  de  andere  gy! 

Dat  ge  in  erem  grade  like  hoch  gtaet, 

Dat  gtoret  weddergtalt  unde  quaet. 

De  velghen  gcholen  wegen  al, 
50.  Dar  eyn  guet  waghenrad  van  wegen  gchal: 

Nicht  anderg  wan  recht  boken. 

Gy  rademakerg,  dat  gchole  gy  goken, 

Dat  go  gtripich  ig  van  rechter  aert. 

Och  wat  de  velghen  an  dem  rade  wol  vaert! 
55.  Widen,  egpen,  dannen,  barken  unde  linden, 

Dat  wil  gik  to  neuen  velghen  vindeu. 


21 

Gy  rademakers,  hirvoer  weset: 
[Bl.  14«]  Recht  boken  holt,  boken  recht  uthleset! 

Neen  holt  to  den  velghen  beter  is. 
(50.  So  wert  dat  eyn  guet  waghenrad,  dat  is  wis. 

Wente  id  moet  liden  mennighen  wedderstoet, 

Hirumme  is  des  wol  grote  noet, 

Dat  me  dar  holt  todo  hard  unde  vast, 

Wente  dat  dreghen  moet  so  sware  last. 
65.  Uppe  dat  id  kone  den  wedderstoet  herden, 

Dyt  waghenrad  schal  ok  ghedubbelt  werden 

Mit  holtheynen  hagheboken. 

Gy  rademakers,  dar  schole  gy  juw  na  cloken, 

We  dar  hagheboken  nympt  in  syne  munth, 
70.  Wol  doerwracht  in  synes  herten  grunth. 

Och  *wo  wol  is  dat  rad  denne  dobbelt 

Unde  wol  ghefiret  unde  hovelt! 

Des  rades  bant  wil  ik,  dat  he  esschen  sy, 

Wente  godevruchtich,  gotlik,  bequeme  darby, 
75.  Dat  me  des  mynschen  bloet  kone  lesschen, 

Hirumme  is  nutte  de  band  van  esschen. 

Welk  rademaker  dyt  holt  nicht  enachtet. 

He  nummermeer  neen  guet  waghenrad  wrachtet. 

Seet,  dyt  waghenrad  ik  so  ghelike 
80.  Den  eerliken  steden  arm  unde  rike, 

Tovoren  den  eerliken  hensesteden. 

Hadde  gy  gheholden  juwen  olden  trede, 

Gy  heten  henckstede 

Na  olden  guden  zeden. 
85.  Dat  henghe  is  al  tobraken. 

Wo  scal  me  doch  in  dyt  henghe  wadder  raken! 
[Bl.  Üb]  i)e  noet  hefft  juw  tohope  wracht, 

Och  dat  wert  nu  nicht  gheaeht. 

Schal  me  noch  int  leste  juwe  bedig  seen, 
90,  Noet  unde  wedderstal  moet  juw  wedder  tohope  theen. 

Merket,  wor  de  mede  ummeghaet, 

De  juw  alle  daghe  wat  niges  vor  de  neze  slaet! 

Se  pinsen  juw  alle  quaet,  unde  ere  ghewin, 

Dyt  is  alle  ere  upsate  unde  sin. 
95.  Ok  moet  ik  de  warheit  gheen, 

Me  mach  dat  hören  unde  seen. 

Me  ghifft  juw  nu  eynen  thonamen, 

Des  gy  juw  mochten  schämen. 

Were  manck  juw  truwe  unde  leve, 
100.  Numment  juw  eynen  thonamen  gheve. 

Dat  dar  nene  truwe  unde  leve  manck  juw  is. 

De  sake  höret  hir  aldorghen  wis. 

Eyn  iewelk  rapct  men  in  synen  sack, 

Dyt  maket  juw  alle  den  quack. 


22 

105.  Ok  slit  eyu  iewelk  syne  tijt, 

Sus  kumpt  manck  juw  hat  unde  nijt, 

Daruth  werde  gy  vaneynander  ghejaghet, 

Dat  me  nu  nicht  meer  na  juw  envraghet. 

Gy  eerliken  hensestede, 
110.  Nicht  al  werde  gy  bedacht  hirmede. 

Me  wet  wol,  we  dar  guet  doet. 

Hebbet  men  eynen  guden  moet 

Unde  holdet  den  bant  unde  dat  henghe  byeen 

Unde  latet  juw  nicht  vaneynander  theen, 
115.  Unde  eyn  iewelik  by  sik  jo  tovoren, 
[Bl.  15»]  Wente  vele  hebben  juw  den  doet  ghesworen, 

Wan  se  des  hedden  mate,  macht  unde  walt; 

Unde  licqnol  nicht  na  erem  willen  valt, 

Unde  synt  des  vor  den  luden  nicht  bekant. 
120.  Dat  sloghe  mennich  gherne  mit  der  hant, 

Unde  kan  des  licquol  nicht  bekamen. 

Dat  is  guet,  dat  guet  raet  wert  voernamen. 

Gy  waghenrade,  draghet  overeen  like, 

Hebbet  gode  vor  oghen  van  hemmelrike, 
125.  Hebbet  eyndracht,  vruntschop.  leve  unde  vrede, 

Weset  wijs  unde  kloek  unde  hebbet  gude  rede, 

Holdet  stedes  nprichtighen  raet, 

Holdet  ok  strenge  menlike  daet, 

Latet  juw  in  rechtverdighen  saken  nicht  betheen, 
130.  So  werde  gy  vor  uprichtighe  manne  angheseen. 

Eere  unde  rechte  deme  vallet  by, 

Unde  dat  eyn  iewelk  ok  sulves  eerlik  unde  recht  sy. 

Weset  vornemelick,  eken  recht  unde  wrare  saghe, 

Erbaer  so  alle  juwe  daghe. 
135.  Welke  stad  ere  waghenrad  zo  maket, 

In  neenem  weghe  dat  rad  swaket. 

An  lyve  unde  an  zele  dat  vramet, 

Unde  dat  ghemeyne  guet  unde  alle  doghet  darvan  kämet. 

Gy  waghenrade,  weset  des  bericht, 
140.  Stadet  neen  plochrad  an  den  waghen  nicht! 

Wanner  dat  me  dat  vorsuet, 

Dat  me  van  dessen  waghenraden  eyn  uththuet 

Unde  stickt  dar  eyn  plochrad  wedder  an, 

So  wert  de  waghen  unlike  ghan. 
145.  Wo  ovel  unde  scheve  ghinge  de  waghen  denne!      [Bl«  I5b] 

Weset  voersichtich,  gy  bemuerden  menne, 

Bewaret  so  juwen  raet  unde  ghericht, 

Settet  de  parlen  vor  de  soghen  nicht, 

Settet  warafftighe  manne  to  juwen  vogheden, 
150.  Dede  synt  uprichtich  in  guden  dogheden, 

Dat  en  neene  ghiricheit  bysta, 

Wente  de  hungherghe  luß  bith  na! 


23 

David,  godes  truwe  knecht, 

He  in  synen  scrifften  zo  warliken  secht, 
155.  Dat  he  nee  rechtverdighen  sach  in  der  noet, 

Dat  he  effte  syn  säet  bad  dat  broet. 

Gy  voghede  der  ßtede, 

Merket  dysse  rede  mede: 

Wen  gy  den  armen  ere  blotghelt  afftheen, 
100.  Wo  vroliken  wil  juw  got  in  synem  richte  ansecn! 

Mit  list  der  ghirieheit  de  armen  gy  clouwet, 

Hirna  so  vare  gy  in  Abrahams  schoet,  dar  Pilatus  unde  Judas 

rouwet, 

Juwe  kinder  moten  vorswinden  ok  vorgaen, 

Hebbe  ik  anders  recht  Davite  vorstaen. 
1(35.  Dat  blotghelt  moet  quaetliken  varen. 

Van  gode  synt  juwe  kindere  dar  nicht  to  ghebaren, 

Men  van  juwem  reehtverdighen  wolghewunnen  goede 

Moghen  se  holden  staet  in  ghuder  hoede, 

Unde  nicht  van  deme  armen  blotghelde, 
170.  Dat  gy  nu  na  juw  theen  alze  quade  helde. 

6y  sint  desses  waghenrades  nicht  gheweert, 

Men  dat  plochrad  scholde  me  juw  henghen  vor  den  steert. 

Wente  des  honnighes  soticheit  is  vordraten, 
[Bl.  i«*]  Wen  des  altovele  wert  ghenaten. 
175.  Hirumme,  gy  eerliken  steede  alle, 

Bewaret  juw  vor  quadem  anvalle, 

Weset  eyndraohtich,  so  is  vast  juwe  rad! 

P2yndrachticheit  is  eyne  vaste  mure  umme  de  stad. 

Weset  in  rade,  in  richte  een 
180.  Unde  latet  juwer  eyn  van  dem  anderen  nicht  theen! 

Hebbet  juw  undereynander  leflf,  vrede  darby, 

Dat  eyn  deme  anderen  nicht  to  hochdravende  sy! 

Wen  de  veer  rade  an  deme  waghen 

Like  hoch,  like  swaer  overeyn  draghen, 
185.  So  lichtvorighen  de  waghen  denne  vortgheit. 

Unde  de  raed  nicht  swack  ensteit. 

Holdet,  gy  eerliken  stede,  dat  by  weerde, 

De  lere,  de  got  synen  apostelen  leerde: 

Hebbet  juw  leff  uth  juwes  herten  grund 
190.  Unde  hebbet  ok  eynen  warafftighen  mund! 

Na  State  juw  nicht  endringhet, 

Wente  id  vaken  hat  ynbringhet! 

En  luttik  hates,  en  wenicli  states 

Bedroch  gans  seer  den  armen  Pilates. 
195.  Bespeghelt  juw  in  dysseme  wagUenrade. 

Wo  hoch  dat  gy  staen  in  juwem  grade! 


24 

VI. 
[HL  16b]  Dat  Plochrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad;  hinter  demselben  stehen  fllnf  Bauern,  von  ilenei 
einer  sich  auf  eine  Hacke  stützt,  ein  anderer  einen  Spaten  trägt] 

^Ddel  is  eyn,  meynt  mennich  man, 
De  den  eddeldoem  noch  nee  ghewan. 
Wan  he  meynt,  dat  ene  de  adeldom  voret, 

De  bueraert  ene  aenne  allenthalven  roret. 
5.  Hiran  so  dencke,  du  unwetten  buersman, 
[Bl.  17*]  Nym  du  neen  adeldoem  an, 

Went  de  ploch  is  dyn  rad! 

De  is  nicht  in  hogher  grad. 

Dat  krupt  by  der  erde  in  den  acker, 
10.  Dat  is  trach  unde  nicht  wacker. 

Merket,  wat  holtes  me  darto  scal  haven 

To  speken,  to  velghen  unde  to  naven: 

Stickdorne,  vuelbomen,  bramberenkruet. 

Holderen,  siedornen,  dat  is  darto  nicht  guet. 
15.  Gy  eyntvoldighen  vramen  simpelen  buer, 

Eyn  iewelk  de  kenne  syne  eghen  natuer, 

Syne  doghet  unde  syne  eddelicheit, 

Unde  mit  welken  dingen  dat  he  ummegheit, 

Unde  hebbe  liir  synne  unde  witte  by, 
20.  Wat  holtes  to  deme  plochrade  nutte  sy: 

Vuelbomen  de  velghe,  wepeldorne  de  tfave, 

Abelen  holt  de  speken,  dat  id  syde  drave. 

0  du  buer,  wes  dyssem  plochrade  ghelick, 

Ghiff  dyne  rechten  plicht  gode  unde  dem  keyserriek, 
25.  Holt  du  herenbot,  bekenne  dyn  lantrecht, 

Wes  des  gudes  eyn  ackerknecht, 

Unde  to  tiden  des  nicht  enspare 

Unde  mit  dem  ploghe  to  velde  vare! 

Wes  godevruchtich  in  dorppe,  in  steden! 
30.  Du  plochrad  enscalt  nicht  hoghe  treden. 

Wen  eyn  plochrad  an  eynen  waghen  queme, 

Dat  were  noch  pert,  noch  knecht,  noch  swepreme, 

De  den  waghen  wol  konde  dryven. 

Du  plochrad,  van  dem  waghen  scaltu  blyven, 
35.  Du  bist  dar  nicht  nutte  unde  bequeme  to.  [Bl.  17*>] 

Du  plochrad,  do  du  denne  so: 

Bliff  an  der  ploch,  dat  is  dyn  evene  mathe. 

Eyn  iewelk  holde  sik  na  synem  State! 

To  syd,  ok  to  hoch,  beide  nicht  endocht. 
40.  Wan  eyn  iewelk  synen  grad  ghesocht, 

Den  he  mit  eeren  mach  bestaen, 

So  mach  he  in  eeren  syn  hovet  upslaen. 

Wol  dat  dysse  viff  rade,  dat  vinde  gy  wis, 


25 

Nicht  in  eynes  anderen  stede  bequeme  is, 
45.  Mit  peke  is  boze  wat  to  schryven, 

Dat  plochrad  kan  de  molen  nicht  ummedryven, 

Dat  molenrad  kan  in  den  acker  nicht  raden, 

Den  buren  is  dat  latyn  vorbaden, 

Doch  scholen  dysse  viff  rade  syn  vorenet, 
50.  Eyn  iewelk  in  synen  graet,  dar  he  to  denet, 

Ghelick  hulpelik  dorch  dat  meyne  guth 

Dat  rad  in  der  ploch  unde  dar  nicht  uth. 

Gy  weldighen,  gy  scholet  dat  staden  nicht, 

Dat  unvornufft  schal  Sitten  in  ghericht. 
55.  Wente  de  deit  nenen  vramen, 

De  unvornufft  unde  unwetenheit  let  kamen 

To  grade,  dar  dat  sik  nicht  enboert. 

Nicht  gudes  wert  dar  ghespoert. 

De  geystliken  unde  werldliken  kamen  darvan  to  nichte, 
00.  Woer  unwetenheit  unde  unvornufft  holt  dat  richte. 

Unde  syd  rad  in  hoghem  grade  werd, 

Dar  is  de  cristenheit  seer  mede  beswerd, 

Unde  dat  meyne  guet  vorrichtet  wart. 
[Bl.  18»]  Syd  rad,  wyd  rad  maket  alle  twepart 

05.  0  plochrad,  du  lopest  syde,  dyne  forme  is  cleen; 

Woer  du  in  deme  waghen  werst  gheseen, 

Dar  is  de  wulff  in  deme  rore, 

Unde  dar  is  de  borghemester  eyn  dore. 

Eyn  iewelk  holde  sik  na  sinen  werden, 
70.  De  kyvet  schal  nesten  by  der  erden, 

De  valke  up  den  bomen,  de  adebar  up  hoghen  husen, 

Ratten  unde  vlegen  mit  den  musen. 

Dyt  wete  wy  unde  moghent  alle  daghe  Seen: 

Swyn,  esel  unde  rvnd  discanteret  nicht  overeen. 
75.  Vrouwe  dy,  schuffkaer,  plochghelick  is  dyn  rad, 

Hogher  en  is  nicht  dyn  grad. 

Eyn  hoch  rad  kan  me  dorch  depe  gründe  dryven, 

Dar  eyn  syd  rad  moet  inne  besteken  blyven. 

Du  plochrad,  nym  dynes  arbeides  waer 
80.  Uppe  den  dorpen,  in  den  steden,  hir  unde  daer, 

To  arbeide,  dar  du  bist  to  vorplicht, 

Unde  stick  dy  an  den  waghen  nicht! 

Dat  waghenrad  gheit  dy  seer  enbaven, 

Du  werst  van  em  utheschaven. 
85.  Blyff  unverworren,  dat  is  myn  raet, 

Wente  dat  vette  beholt  alletijt  den  oversten  graet. 

Rade  darto  baven  allen  dingen, 

Dat  du  konst  gode  eyne  zele  bringen, 

Unde  dy  vor  allem  quade  behoeden, 
90.  Unde  kanst  wiff,  kindere  unde  dyne  deenste  voden 

Unde  dyn  hues  unde  hoff  wol  vorstaen 


Unde  mit  dynem  arbeide  rechte  vortghaen. 
[Bl.  18»»]  Plochrad,  so  deyst  du  recht. 

Wes  dyner  oversten  knecht! 
95.  Rade  nicht  baven  dynen  heren, 

Wen  se  dy  vorbeden  mit  eren! 

Se  scholen  umme  dynen  willen  waken  dach  unde  nacht 

Unde  beholden  dy  by  weerden  unde  by  macht. 

Dat  rade  ik  dy,  du  unwetende  buer, 
100.  Jaghe  den  graven  slymmen  ezel  to  sehuer! 

Arbeiden  schaltu  unde  waken, 

Dat  dy  de  hals  moghe  knacken; 

Unde  laet  den  raden,  dede  raden  konen 

Du  schalt  deine  des  nicht  vorghunnen, 
105.  De  wol  radet  unde  guet  raet  kan  bedryven; 

So  machstu  by  dynem  arbeide  blyven, 

Dat  sy  slachten,  smeden,  gheten,  sticken,  neghen. 

Backen,  brouwen,  houwen,  sniden  unde  dreghen. 

Dat  sy,  wat  id  vor  eyn  ammet  sy, 
110.  Dar  rade  he  over  unde  blyve  darby. 

Unde  bespeghele  dy  an  dessem  plochrade, 

Wo  syd,  wo  hoch  du  bist  in  dynem  grade! 

VII. 

[Bl  19«]  DÄt  dryffrad. 

[Holzschnitt:  Im  Vordergründe  liegt  auf  einem  kastenartigen  Gestelle  ein  Rad. 
Dahinter  stehen  sechs  Frauen,  von  denen  drei  Kronen  tragen.] 

^kEnerleyewijs  dat  nutte  wart, 

miM>  ^ar  unlucke,  hat  unde  twipart 
L>       Van  saket  unde  kan  äff  kamen. 

Dat  scal  to  nenem  guden  rade  werden  ghenamen. 
5.  Wente  in  der  warlde  sint  noch  viff  rade  tor  stunt, 
[Bl.  \w\  De  twipart  mank  den  viff  raden  maken  kunt, 

De  gy  hiraa  hören  nomen  moghen, 

Dat  se  mank  dyssen  voerscreven  raden  nicht  endoghen: 

Dat  is  eyn  dryffrad,  eyn  wiffrad, 
10.  Eyn  spolrad,  eyn  koelrad, 

Eyn  luckerad,  eyn  pluckerad, 

Eyn  sparenrad,  eyn  dorenrad, 

Eyn  broken  rad,  eyn  bedocken  rad. 

Dysse  viff  rade  schal  me  nicht  hören, 
15.  Wente  se  mennighen  guden  raet  vorstoren; 

Dar  weddewen  unde  weysen,  boven  unde  bovynnen 

Äff  werden,  unde  nicht  gudes  beghynnen. 

Dat  erste  dat  is  eyn  dryffrad, 

Dat  is  beideileye  guet  unde  quad. 
20.  Dyt  rad  moet  me  mit  der  hant  ummetheen, 

Unde  lopt  na  der  forme  als  eyn  senpmolensteen 


27 

Unde.is  van  blye,  saturnusmetal 

linde  hefft  in  sik  sulves  eynen  swaren  val 

Unde  is  licquol  weker  nature  in  sik, 
25.  Heit,  kolt  als  eyn  oghenblick. 

Eynes  wyves  raet  is  weick  unde  swaer, 

Dat  vinde  gy  in  er  openbaer. 

Wede  eer  hemeliken  raet  openbaert, 

Vorwaer,  dat  is  nicht  wol  vorwaert. 
30.  Wol  dat  id  er  sulves  is  entjeghen, 

Se  is  weick  van  natuer  unde  unvorsweghen. 

Se  is  ok  so  swaer,  se  kan  nicht  draghen, 

Dat  moghe  gy  van  er  hören  saghen. 

Isset  dat  we  se  worumme  vraghet 
35.  Unde  van  grund  mit  er  raetslaghet, 
[Bl.  2ü«]  igget  dat  se  in  dem  ersten  worde  nicht  sacht, 

Up  dat  andere  schal  nicht  werden  gheacht. 

Wente  so  snelradich  synt  se  alletijt, 

Unde  up  dat  leste  so  is  id  jo  eyn  beschijt. 
40.  Me  vraghe  eyn  wiff  overluet: 

De  erste  raet  is  gans  guet, 

De  andere  raet  docht  ichtes, 

De  drudde  raet  docht  nichtesnichtes. 

Se  is  zo  stump  unde  unwijs, 
45.  Dat  se  nicht  wet,  wat  recht  elfte  krum  is. 

Alletijt  dencket  se  up  ere  smucke  unde  nye  fanssune, 

Under  dach  unde  nacht  helft  se  .lxxvij.  lune.  . 

We  dar  wiste  des  wives  lune,  des  hazen  legher. 

De  queme  wol  by  vele  dinges  negher. 
50.  Ere  dancken  synt  zo  ringhe  gheent 

Als  eyn  oghenblick  unde  eyne  hant  ummewent. 

Wente  gy  seen  wol  to  allen  stunden, 

Dat  de  wive  in  dedinghen  nicht  werden  vunden, 

Ok  so  tughen  neene  wive  nicht; 
55.  Hirumme  doghen  se  noch  in  rade  unde  in  rieht. 

Wan  eyn  wiff  schal  raden  unde  regheren 

Unde  over  rade  unde  richte  remurmereren 

Unde  de  wumpel  is  baven  dem  sweerde, 

Dar  hefft  dat  eyn  selzeen  gheveerde. 
60.  Wo  dar  de  geystliken  unde  warldliken  varen, 

Dat  wil  ik  nu  nicht  openbaren. 

Wiffoder  schijtfoder,  dat  ander  ik  swighe. 

Se  docht  noch  to  stride  noch  to  krighe, 

Noch  to  daghe  noch  to  paghen, 
(55.  Wente  se  synt  van  lichtvorighen  saghen.       IB1.  2o»>] 

Nicht  dat  me  dat  seggen  wolde, 

Dat  me  nenes  vramen  wives  raet  hören  scholde. 

Neen,  dat  heth  eyn  bedryveren  raet, 

De  vele  doghet  an  sik  haet 


28 

70.  Dat  weten  de  wol,  de  darup  hanteren 
Unde  de  eddelen  stene  uppepolleren. 
Eyn  vraem  wiff,  de  bedryveren  is, 
Des  de  huOweert  hefft  nenen  mys. 
Dat  se  kan  hues  unde  hoff  wol  vorstaen 

75.  Unde  ere  ghedeenste  in  vrede  unde  in  leve  haen 
Unde  ere  kindere  polleren  ciaer  unde  fyn, 
Desse  vrouwe  mach  wol  van  gudem  rade  syn, 
Unde  dat  se  to  sik  rape  unde  nicht  uthencleyt, 
Wo  wol  dat  denne  in  deme  huse  steit! 

80.  Van  rechte  mach  sik  dat  wol  boren, 
Dat  me  sodanen  wyves  raet  scal  hören. 
De  na  der  vodinge  sy  unde  to  doende  gude  werke, 
Dat  me  se  darinne  lave  unde  Sterke, 
Nicht  in  rade,  in  richte  unde  rechte; 

85.  Darto  synt  se  dumme  knechte. 

Eyn  vraem  wiff  der  eere  unde  doghet  tolet 
Vorware  se  wol  eyn  pollererrad  het. 
Se  scal  sik  smucken,  polleren  up  ere  alderbest 
To  eeren  ereme  manne,  gode  erst  unde  lest, 

90.  Dat  he  sik  darinne  moghe  vrouwen 

Unde  lust  unde  vrolicheit  darinne  beschouwen, 
Dat  he  vorghete  nyt,  hat  unde  quade  daet 
Unde  vorhale  sik  unde  bedencke  guden  raet. 
[Bl.  2i»|  Wente  eyn  wiff  dat  heth  eyne  vrouwe, 

95.  Dat  heth  ok  wol  eyne  unrouwe. 

Dar  eyn  man  in  twivelmoet  van  valt; 
Daraff  kumpt  overval  unde  walt 
Unde  dat  meyne  guet  in  twepart, 
Unde  godes  deenst  vorhindert  wart. 
100.  Hiran  so  dencket.  gy  wyve, 
Dat  eyn  iewelk  hir  aveblyve! 
8eet  na  der  vodinghe  unde  swighet  stille 
Unde  radet  over  wocken,  warven  unde  spüle! 
Gy  sint  to  dyssen  viff  raden  nicht  vorplicht, 
105.  Dat  maket:  id  is  juwes  warkes  nicht. 
Bespeghelt  juw  an  dessem  driffrade, 
Wo  hoch  dat  gy  staen  in  juwem  grade! 


VIII. 
[BL2ib]  Dat  Spolrad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  auf  einer  Bank  stehendes  Wellrad.  Zwei  unter  der 
Bank  sitzende  Knaben  spielen  mit  einem  Balle.  Hinter  der  Bank  stehen  vier  Männer. 
Einer  von  diesen  führt  zwei  Hunde  an  einer  Leine  und  ist  im  Begriff,  in  ein  Hörn 
zu  blasen,  der  zweite  hält  einen  Falken  auf  der  linken  Hand,  der  dritte  schneidet 
mit  einem  Messer  in  einen  kurzen  Stab,  der  vierte  wendet  dem  Beschauer  den 

Rücken  zu.] 


29 

&Aven  dat  hovet  schal  neen  lithmate 
j^J  Sik  vorhoghen  na  des  hovedes  State. 
^^  Wente  na  dem  donre  sleit  de  haghel; 

Beter  dem  hovede  gheniget  wen  dem  saget. 
5.  Wo  schal  me  in  der  stede  denne  doen, 
|B1.  22»]  Dar  dat  ey  wiser  is  wan  dat  hoen? 

De  willen  vele  klokes  rades  seggen 

Unde  kont  wedder  kakelen  effte  eyer  leggen. 

0  du  inghetaghen  kynt, 
10.  Du  bist  dar  buten  als  eyn  rynt. 

Gy  eddelen  heren  unde  vorsten,  vorsmaet 

Dyt  dulle  dumme  slymme  spoelrad! 

Dat  enhefft  nicht  synen  vullenkamen  voch. 

Dat  spolrad  docht  nicht  in  der  ploch 
15.  Noch  inyn  in  eynem  starken  waghen; 

Nummer  kan  dat  de  swaren  last  draghen. 

Dat  docht  wedder  to  der  molen  effte  to  der  winden, 

Dar  wilt  sik  jo  tovoren  nicht  to  vinden. 

Dat  docht  nicht  men  to  spolen  unde  to  spinnen, 
20.  Alle  de  lichtvorich  arbeit  beghinnen. 

Dyt  spoelrad  is  van  eyner  breder  krumme, 

Dat  thuet  eyn  kint  myt  der  hant  umme 

Lichtvorighen,  ok  wol  ane  wee. 

Seet  to,  dat  hir  nicht  van  beschee- 
25.  Twidracht,  hat  unde  nyth, 

Krych,  ordel  unde  stryt. 

Wente  olt  had,  kindesraet 

Vorstoret  lande,  lüde  unde  maket  quaet. 

Kyndesraet,  lichtvorich  syn, 
30.  Dar  lopt  men  ydel  vul  tornes  yn. 

Se  synt  vul  speles,  vul  boverye, 

Dat  se  raden,  dat  is  quackelye. 

Guet  unde  quaet  se  nicht  enkent, 

Alle  ere  raet  de  is  unbewent. 
35.  Junck  raet  en  is  neues  vorsten  staet,  ]B1.  22'»] 

Neen  guet  anbeghin  effte  ende  haert. 

Wor  dat  kint  red  baven  den  vader, 

Dar  kumpt  men  kiff  van  unde  hader; 

Wor  de  knecht  red  baven  den  heren, 
40.  Dar  schal  sik  dat  gansse  volk  vorkeren. 

0  du  spolrad,  eyn  koelrad, 

Wo  eleweren  is  doch  dyn  ghelad! 

Alle  dat  du  rest,  dat  gheit  dy  koele  äff, 

Du  bist  in  rade,  in  richte  eyn  quaet  staff, 
45.  Ghelick  eyner  bastroden  vor  eyne  murenstutte. 

Du  spolrad,  du  bist  nerne  to  nutte. 

In  beerbencken  kan  me  groetspreken. 

Mit  swerden  unde  mesten  wil  ino  denne  de  heize  affsteken. 


30 

0  gy  rechten  dummen  knapen, 
50.  De  juw  eyn  laken  ummewarmede  unde  lede  juw  slapen. 

Me  suet  nu  wol,  wo  lande  unde  stede  toruggeghaen, 

Dar  me  sodane  vint  in  richte  unde  rade  staen. 

Dar  land  unde  lüde  dyen  unde  vordarff  averlyd, 

Se  enachten  noch  ordel  noch  stryd. 
55.  Se  synt  heit  vort  hovet,  stede  juch  unde  wach 

Unde  dencken  nicht,  wat  darna  kamen  mach. 

Hirumme  scal  me  jo  de  olden 

In  eeren  unde  in  rade  beholden. 

Me  kan  en  wol  entlopen,  nicht  entraden. 
60.  Hirumme  schal  me  neen  older  vorsmaden. 

Darby  so  merket  unde  provet  dat: 

Dar  bellet  neen  olt  hunt,  he  vorneme  wat. 

De  olden  grawen  koppe  in  eren  majestaten 
[Bl.  23*]  jn  ra^e?  jn  richte  nicht  ovel  laten. 

65.  Dunckelguet  unde  de  ghelen  krusen  haer 

De  bringen  eynen  vaken  up  dat  quade  jaer. 

De  olden  bedencken  mennighe  list, 

Dar  de  jungen  nicht  up  enghist. 

Wan  de  jungen  van  den  olden  guden  raet  leert, 
70.  Up  ere  older  se  gudes  rades  werden  weert. 

Seet,  gy  jungen,  weset  des  bericht 

Unde  vorsmaet  de  olden  grawTen  koppe  nicht! 

Vorhoghet  juw  nicht  baven  se, 

Eyn  junck  man  sik  nicht  vorthe! 
75.  Vorthee  dy  nicht,  dat  is  myn  raet! 

Vortaghenheit  maket  mennich  quaet. 

Schal  eyn  wat  wezen  effte  syn, 

Dat  kumpt  wol  mit  der  sonnen  schyn. 

Kyndesraet  unbeleert 
80.  Mit  der  rode  vor  den  steert, 

Der  momen  titte  in  de  munt, 

Such  wol,  zo  werstu  ghesunt 

An  eere,  an  ghude,  ok  an  lyve! 

Du  spolrad,  hir  ave  zo  blyve 
85.  Van  dyssen  viff  raden,  dat  sy  spade  effte  vro, 

Du  bist  dar  alto  wit  umme  de  munth  to! 

Bespeghele  dy  an  dyssem  spolrade, 

Wo  hoch  dat  du  bist  in  dyneme  grade! 

IX. 
[Bl.  23b]  Dat  Luckerad. 

S Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  Rad,  welches  durch  den  Teufel  gedreht  wird.  Eine 
>erson  liegt  unter  dem  Bade,  eine  zweite  wird  durch  die  Bewegung  desselben  nach 
oben  geführt,  während  eine  dritte  hinabsinkt.  Oben  auf  dem  Rade  sitzt  eine  Ge- 
stalt mit  einer  Krone  auf  dem  Haupte,  ein  Scepter  in  der  Rechten  haltend.  Im 
Hintergrunde  vier  Männer,  von  denen  zwei  in  einer  Unterhaltung  begriffen  scheinen] 


^  Vermoet  unde  ghewalt, 
Dat  me  den  armen  buren  overvalt, 
Dat  kumpt  van  quadem  rade  in  der  heren  have; 

Vorware,  ik  dat  nicht  enlave. 
5.  Dat  luckerat  steit  mank  dessen  viff  raden  ovel, 
|H1.  24 a]  Dat  hefft  noch  speke  noch  nave  noch  dovel, 

Dat  is  neen  holt,  ok  neen  metal, 

Van  eghener  upsate  unde  toval. 

Dat  de  duvel  maket  unde  hevet  an: 
10.  In  der  erde  eynen  kreiO  unde  eynen  plan, 

Dar  se  leren  de  swartenkunst  unde  de  part. 

Dar  de  warld  ynne  bedraghen  wart. 

Dat  luckerad  is  des  duvels  raet, 

Dat  got  unde  alle  syne  hillighen  haet. 
15.  Wat  schole  wy  denne  hir  up  erden? 

Wy  konen  des  rades  nicht  ghebettert  werden. 

Wente  oldinges  de  swartekunst 

Brachte  in  der  cristenheit  groet  affgunst 

Vormiddelst  des  duvels  raet  unde  daet. 
20.  Dyt  mach  wol  heten  dat  ungeluckerad 

Deme  jennen,  deme  dat  slumpt 

Unde  dat  ungelucke  up  den  nacken  kumpt. 

We  dyt  luckerad  vor  eynen  tuchtmester  kricht, 

De  mach  wol  seggen:  here,  behovestu  myner  nicht? 
25.  De  mynsche,  de  syne  kunst  up  dyssem  rade  leert 

Unde  dat  volk  darmede  vorkeert, 

Dat  is  dat  ungelucke,  liff  unde  zele. 

Eyn  iewelk  na  synem  dele, 

Der  glisener  unde  der  swartenkunster, 
30.  Der  rodenridder  unde  der  affgunster, 

Tojegher  mit  plenghen  unde  menghen, 

Unde  de  lüde  mit  valscheit  tohope  henghen, 

De  quaden  raetghever,  luch  unde  druch 

Unde  ghiff  up,  segge  valsch  tuch, 
35.  Dar  se  sik  by  heren  unde  vorsten  mede  bewalden,     [Bl.  24'»] 

De  konen  kunst  uth  kunsten  spalden. 

Unde  alle  quaet  se  in  der  warlde  maket, 

Dat  mennich  arm  mynsche  gheit  naket 

Unde  synt  vorbrent  unde  vorherdet 
40.  Unde  uth  dem  lande  vordreven  werdet. 

0  gy  eddelen  rede,  dat  kruce  vor  juw  slaet 

Unde  segent  juw  vor  dyt  quade  luckerad! 

Mit  der  swartenkunst  se  zo  behende  sunth; 

Vormiddelst  dem  duvele,  de  se  anschunth, 
45.  Konen  se  maken  nige  funde,  boze  upsate, 

Twidracht,  roven,  schinden  de  strate 

Unde  groet  mysghelove  in  der  cristenheit. 

Dar  ketterye,  boverye  van  upsteit. 


32 

Dyt  boze  luckerad  kan  vele  quades  anrichten. 
50.  Wente  dat  wil  eynen  anderen  vornichten, 

Dat  sulves  nicht  endocht, 

Quaden  raet,  quade  lere  socht. 

Dyt  luckerad  heth  eyn  pluckerad, 

Dat  vordrucket  alle,  de  wol  stad. 
55.  Wan  dyt  luckerad  dat  hefft  anherdet, 

Dat  de  lande  vorwostet  werdet, 

So  is  syn  rad  wol  ghelucket 

Unde  hefft  synen  sack  al  vul  gheplucket 

Unde  achtet  des  nicht  eyn  haer, 
60.  Dat  syne  heren  krighen  eyn  quaet  jaer. 

Dar  vraghen  se  na  nicht  eynen  witten. 

So  blifft  malk  in  den  sorghen  besitten. 

We  wat  hefft,  de  mach  denne  wat  braden! 
[Bl.  25»]  0  here  got,  wol  synt  de  in  deme  schaden! 
65.  Dat  doet  de  heren  unde  ere  armen  lüde. 

0  luckerad,  du  quade  krude, 

Woer  du  betenghest  to  wassen, 

Dar  voret  me  dat  stro  in  den  zadelbassen. 

Dar  eyn  here  unde  syn  rad 
70.  Twe  schelke  by  sik  had, 

Wil  de  here  alze  de  twe, 

So  wert  der  schelke  wol  dre. 

Hirumme  steit  dat  to  raden, 

Dat  gy  dyt  luckerad  vorsmaden. 
75.  Wente  id  maket  nummer  guet  effte  vramen, 

Men  uneer  unde  schände  moet  darvan  kamen. 

Se  hebben  des  nenen  schaden  effte  mys, 

Eyn  iewelk  do,  wo  malkem  even  is. 

Me  late  se  bespeghelen  an  dyssem  luckerade, 
80.  Wo  hoch  dat  se  staen  in  erem  grade! 


[Bl.  25  b]  j)ftt  Sparenrad. 

[Holzschnitt :  In  der  Mitte  ein  sternförmiges  Bad.  Hinter  demselben  steht  ein  Mann. 

umgeben  von  fünf  anderen  Männern,  die  Narrenkappen  trafen.    Einer  der  Narren 

bläst  auf  einer  Flöte  und  schlägt  zugleich  auf  eine  kleine  Pauke.] 

|?We  doren  der  is  meer  wen  een. 

Woer  se  in  eynem  laghe  werden  gheseen, 
Dar  wert  der  stapeldoren  wol  meer. 
Se  maken  van  vramen  luden  eyn  nluntspeer 
5.  Mit  loghen  unde  unnutten  saghen 
[Bl.  26»]  Up  den  Straten,  in  den  beerlaghen 
Unde  sticken  de  pile  sunder  stock 
Unde  scheten  malkem  eyne  gheren  in  den  rock, 
Dem  eynen  to  kort,  deine  anderen  to  lanck, 


10.  Unde  wetten  aller  erse  upghanck, 

Unde  ere  de  Bteit  alletijt  wide  open; 

Noch  laten  se  nummende  voeroverlopen. 

Den  is  dyt  sparenrad  wol  even. 

Wan  eyn  stapeldore  wil  wat  anheven, 
15.  So  stammert  he  unde  grind  unde  lacht, 

Eer  he  den  spot  uth  deme  munde  sacht. 

He  schelt  eynen  anderen  trach,  sulven  is  he  unlust, 

Dat  sparenrad  stickt  unde  vret  de  rust. 

Dat  sparenrad  is  eyn  dorenrad, 
20.  Dat  ses  scharpe  taggen  an  sik  haet, 

Alze  sesleye  doren  in  der  warlde  sunth, 

Dede  scharpliken  doren  kunth, 

Als:  schalkdoren,  walkdoren  unde  alffdoren, 

Halffdoren,  vuldoren  unde  duldoren. 
25.  Dat  synt  ses  dorenrad, 

Dede  manck  dyssen  viff  raden  nicht  wol  enstad: 

Dulkop,  stormclocke,  dulbreghen, 

Severmuel,  hottensnavel,  ringhevorweghen. 

Eyn  vuldore,  den  me  nummer  uth  dem  kroghe  hefft  mis 
30.  Unde  stedes  vul  unde  nummer  nochteren  is, 

Dat  is  eyn  recht  vuldruncken  dore. 

Deine  slapert  de  oghen  unde  sipet  de  ore, 

He  suet  unde  höret  nicht. 
[Bl.  26^]  \yat;  doeht  de  in  rade  unde  in  richtV 
35.  Nouwe  dat  he  syn  beer  vorwaert. 

De  sit  in  dem  rade  als  eyn  zeverbaert. 

Schalkdoren  de  willen  neen  dinck  vorstaen, 

Se  latet  nene  schalcheit  vor  sik  overghaen, 

De  make,  dat  me  van  en  nicht  gudes  sacht. 
40.  De  sit  in  dem  rade  unde  grynt  unde  lacht. 

Is  he  eyn  dore,  eyn  dore  he  blifft; 

We  vor  eynen  doren  sit,  he  dorenraet  ghifft. 

Alffdoren  dat  synt  kalffdoren, 

De  hebben  docken  an  den  oren 
45.  Unde  lopen  mit  der  bunghen  in  dem  lande. 

Scholden  de  in  rade  sitten,  dat  were  schände. 

Doren,  de  sulves  walken, 

De  vallen  seiden  van  deme  balken. 

Ere  seer  dat  heilt  to  sunder  raven. 
50.  De  donre  sleit  nenen  swinekaven. 

De  hebben  nicht  ere  witte  unde  synne, 

Dar  is  jo  neen  guet  raet  ynne. 

Dyt  is  eyn  duldore,  deme  dat  slumpt, 

De  by  groet  gelt  unde  guet  kumpt 
55.  Unde  dat  denne  nicht  wol  vorwaert. 

Vorware,  dat  is  eyn  duldore  van  aert! 

Dul  unde  dum  is  des  syn, 

Niederdeutsches  Jahrbuch  XVI.  3 


u 

De  red  uthwart  unde  red  nicht  yn. 

He  hefft  nenen  vrede  mit  kinderen,  mit  wive, 
GO.  He  heflFt  nenen  vrede  mit  synem  eghen  lyve. 

Wo  schal  de  raden  unde  richten  over  eynen  man. 

De  sik  sulven  nicht  wol  raden  kanV 
[Bl.  27»]  Gy  heren,  hodet  juw  vor  dysse  ses  doren, 

Blyvet  mit  den  unbeworen! 
05.  Eyn  dorenrad  unbeworen  rad. 

Der  doren  heflFt  me  nene  bad. 

Me  schal  en  noch  heten  effte  vorbeden. 

Me  late  se  in  erem  zade  seden, 

Volet  se  nicht,  wor  en  dat  licht  barnet, 
70.  Wan  se  ere  eghen  schade  warnet. 

Seet,  gy  eddelen  rede,  to  allen  tiden 

Schole  gy  dyt  sparenrad  miden 

Mit  dyssen  ses  dorentacken, 

Wente  se  synt  vul  quader  placken. 
75.  Guet  raet  wert  darvan  gheschendet, 

Heren  unde  vorsten  darvan  vorblendet. 

Rede  unde  stede  darvan  vornichtet 

Wor  sik  de  here  sulves  up  doren  richtet, 

Dar  heflFt  syn  hoffghesynde  nene  schult; 
80.  Vele  laster  unde  schände  daruth  bult 

Is  eyn  here  eyn  dore  unde  dul, 

So  is  der  doren  eyn  gans  land  vul. 

Wo  wol  dat  dryerleye  doren  synt, 

De  druncken  man,  eyn  dore  unde  dat  kynt, 
85.  Dysse  seggen  de  warheit  gherne. 

Wente  dat  swigent  is  erer  wiOheit  verne. 

Dat  maket  dat  se  des  nicht  better  vorstaen, 

Darumme  scholen  se  in  nener  heren  rade  ghaen. 

Dat  is  eyn  boze  unde  eyn  quaet  ghelaet, 
90.  Dat  doren  synt  in  der  vorsten  raet. 

Latet  doren  doren  syn 
[Bl.  27»»]  Unde  ghevet  den  eyne  dorenkappe  fyn 

Unde  latet  se  by  juw  herspringhen! 

Se  synt  juw  bereit  in  allen  dingen. 
95.  Latet  se  sik  bespeghelen  an  dyssein  sparenrade. 

Wo  hoch  dat  de  doren  staen  in  erem  grade! 


XL 

Bat  Braken  rad. 

[Holzschnitt:  In  der  Mitte  ein  zerbrochenes  Rad.    Zwei  Männer  und  eine  Frau,  die 

dahinter  stehen,  blicken  auf  dasselbe  hin.  Rechts  bedroht  ein  Mann  einen  anderen. 

der  am  Boden  liegt,  mit  einem  Dolche;  links  ist  ein  Dieb  beschäftigt,  die  Tasche 

eines  Mannes  zu  durchsuchen,  von  dem  man  nur  die  Riickenhälfte  sieht] 


35 

[Hl.  ->v»|    ^f^Venture  unde  grote  vaer 

yffij  Moet  de  staen  al  openbacr. 

De  sik  sammelt  mit  quader  selsehop. 

Uat  ghelt  huet  unde  remen,  hals  unde  kop. 
5.  Hirumme  rade  ik  juw  overal, 

Dat  sik  alleman  bewaren  scal 

Vor  dysseme  braken  scheven  rade, 

Dat  inalk  nicht  käme  to  bade. 

He  sy  ok  van  synnen  hart  elfte  week, 
10.  Van  quader  selschop  wert  eyn  gherne  hovetseek. 

Wat  eyn  man  vor  arbeit  deit 

Unde  mit  weme  he  ummegheit, 

Dat  plecht  em  gherne  antohanghen. 

Wede  mit  eynem  kodrecke  wil  wrangheu, 
15.  De  bezolet  gherne  de  knovel. 

Och  de  varet  tomale  ovel, 

Dede  hefft  tobraken  rade  an  synem  waghen. 

Spenne  he  darvoer  .  xxiiij .  paghen, 

De  seholden  em  den  waghen  uth  dem  drecke  nicht  theen. 
20.  Eyn  iewelk  de  mach  sik  wol  voerseen, 

Dat  he  sy  ane  sunde  unde  sunder  placken. 

So  kan  em  dat  rad  nicht  knacken. 

Welk  man  de  eyn  tobraken  rad 

An  syneme  waghen  had, 
25.  De  varet  in  angeste  unde  in  noet; 

Syn  herte  is  in  sorghen  groet. 

Gans  lichte  is  de  man  vorveert, 

De  in  syner  Schede  hefft  eyn  tobraken  sweert. 
|M.  2«'>]  Ik  rade,  dat  he  dat  late  stecken, 

80.  Wil  he  anders  syne  eghen  schände  bedecken. 

Eyn  braken  rad/ eyn  bedocken  rad, 

Dat  ducket  unde  swighet  in  quader  ghelad. 

Hodet  juw  vor  dem  ore  an  der  kruken! 

De  deve  liggen  unde  duken 
35.  In  dorppen,  in  steden;  wor  malk  lyt, 

De  schuldighe  de  schoddert  alletyt.  % 

Dat  braken  rad  vaken  wol  toknickt 

Van  eynem  stote,  eer  dat  entwebrickt. 

Eyn  scheff  rad,  eynes  deves  rad,  eyn  leves  rad, 
40.  Dat  bringet  mort,  noet,  had  unde  alle  quad. 

Eyn  tobraken  rad  dat  is  eyn  boze  schyn, 

Dar  ghude  rade  tosamende  syn. 

Wan  eyn  braken  rad  nicht  vast  en  is; 

Dat  hefft  eyn  teken,  dat  is  wis. 
45.  Dat  is  eyn  loze  speke  unde  eyn  toghebant 

Unde  is  scheff  umme  synen  rant, 

Dat  is  toknicket  unde  eyn  stucke  affghesprunghen, 

Dat  sineer  is  dorch  de  nave  ghedrunghen. 

3* 


bat  rad  denne  zo  slit  unde  glid, 
50.  Dat  knickt  unde  knackt,  wan  dat  vorttrid. 

Eyn  deeff  de  echoddert  nicht  sunder  sake, 

Wente  em  sit  reide  eyn  ore  an  dem  kake. 

Kan  he  mit  deme  anderen  nicht  voerboten. 

So  moet  he  dat  beteren  mit  dem  halze  unde  mit  den  voten. 
55.  Seet,  gy  rede,  dysse  lozen  speken  an, 

Woer  se  manck  vramen  luden  stan, 
|B1.  "Mi*]  War  de  ok  guet  raet  konen  van  sik  gheven, 

De  sus  sulvcs  in  quadem  rade  leven. 

0  du  tobraken  rad,  bistu  denne  vast, 
GO.  Wan  du  eyne  loze  speken  an  dy  hast? 

Devesraet,  wor  du  bist, 

He  mit  syner  arghen  list 

Den  eynen  unde  den  anderen  to  sik  thuet, 

Dat  en  altomale  neen  guet  sehnet, 
65.  Wente  bovynnendaet  unde  devesraet 

Mennighen  to  dem  galghen  ghebrocht  haet. 

Eyn  deeff  unde  eyne  bovynne,  so  wy  lesen, 

Dat  eyne  wil  by  deme  anderen  wesen, 

Stelen  unde  leghen 
70.  Unde  eren  besten  vrunt  bedreghen. 

Devesraet,  we  darna  deit, 

Em  dat  over  synen  hals  gheit. 

0  wee,  du  boze  scheve  tobraken  rad! 

Du  mynsche  guet,  dat  vorsmad, 
75.  He  sy  warldlik,  he  sy  geystlik, 

He  sy  suverlick,  he  sy  eyslick, 

Arm  effte  rick,  hoch  effte  syd! 

Wente  dat  braken  rad  bringet  alletid 

Quade  bekoringe,  twipart,  nene  vrunde, 
80.  Deverye,  alle  laster  unde  sunde. 

Hebbet,  gy  geistliken,  hir  synne  unde  witte  by, 

Dat  juwe  rad  nicht  tobraken  sy! 

Is  dat  rad  tobraken  an  der  molen, 

Dat  plecht  sik  sere  in  dem  drecke  to  zolen, 
85.  Als  id  leider  vaken  unde  vele  sehnet,  [Bl.  29 h] 

Dat  me  juwe  rad  tobraken  suet. 

Dat  is  den  leyen  eyn  boze  ghelaet, 

Wan  se  sik  argheren  an  juwer  daet. 

Juw  boert  so  in  guder  geystlicheit  to  leven, 
90.  Dat  gy  aller  warlde  eyn  guet  exempel  gheven. 

So  schole  gy  den  geystliken  staet  alle  vorstaen, 

Unde  Jhesus  wil  juw  in  synem  richte  wol  entfaen. 

Du  doerluchtighe  groetmechtigheste  hochghebaren 

Forste  unde  here,  to  eynem  keyser  utherkaren, 
95.  Sta  du  vaste  up  vasten  knaken, 

Dat  dyn  kainrad  nicht  sy  tobraken! 


37 

Wan  dat  kamrad  tobraken  were, 

Weren  ok  der  kamrade  vere, 

De  overste  steen  unde  dat  dreff, 
100.  Dat  were  dem  rade  vele  to  streff. 

Dat  braken  rad  in  synem  ghelate 

Themet  nicht  der  keyserliken  majestate. 

Holt  eerlike  keyserlikc  daet, 

Straffe  ok  alletijt  dat  quaet, 
105.  Wes  othmodieh  unde  nicht  hoverdich, 

So  bistu  dynes  keyserliken  State*  gans  werdich, 

So  mach  an  dy  nicht  kamen  dyt  tobraken  rad 

Unde  gheist  lick  uth  dynen  keyserliken  päd. 

De  eere  aller  cristenwarlde 
110.  Moet  an  dy  schynen  als  dat  golt  unde  de  parle. 

Wultu  anders  dyt  braken  rad  myden, 

So  mostu  in  der  eere  alle  dinck  like  recht  uthsnyden. 
|B1.  so»]  Gy  konninge,  vorsten,  graven  unde  heren, 

Holdet  juwen  staet  by  eren, 
115.  Unde  dat  juwe  windelrad  nicht  tobreke, 

Dat  sik  dar  neen  braken  rad  in  steke! 

Wor  dat  windelrad  ersten  eyn  tobraken  rad  kricht, 

Dat  buwet  me  nu  unde  nummermeer  nicht; 

Wan  dat  to  daghe  vorvalt,  vorgheit, 
120.  Wen  sik  eyn  vorste  der  eere  entsleit. 

Unde  wat  me  gheven  scholde  den  armen 

Unde  de  hillighen  kerke  mede  beschämen, 

Dat  wert  nu  unnutlik  vorteert. 

0  du  tobraken  rad,  du  bist  unweert, 
125.  Dat  du  schalt  ghebraken  in  der  winde  syn, 

Als  id  nu  leider  is  oghenschyn. 

Unde  wor  de  heren  nicht  achten  dat, 

Baven  ere  ee  to  vorende  eyn  braken  rad, 

Unde  sik  in  erem  ghesinde  nicht  erkent, 
130.  Dat  dar  worde  van  gheschent 

Mennighe  vrame  vrouwe  unde  maghet, 

Dar  wert  wol  eyn  gans  land  umme  gheplaghet. 

Gy  vorsten,  doet  alletijt  vorstlike  daet, 

Straffet  in  juwen  landen  de  myssedaet, 
135.  Seet  to,  dat  juwe  rad  nicht  enbreke, 

Dat  got  over  juw  de  wrake  nicht  wreke! 

Gy  eerliken  stede,  weldich  unde  keyserfry, 

Seet  to,  dat  juwe  waghenrad  nicht  tobraken  sy! 

Maket  dat  eyndrachtich,  vast  unde  dicht, 
140.  So  steit  juw  neen  naghel  to  na  nicht. 
[Bl.  30 1>]  De  lozen  speken  de  latet  dar  van, 

Wente  dat  rad  nenen  lozen  liden  kan! 

Latet  deve  unde  bovynnen  uth  juwem  rade 

Unde  ghevet  en  malk  eyn  byteken  uppe  gnade! 


38 

145.  Wor  sik  eyn  tobraken  rad  an  den  waghen  stickt. 

De  gantze  waghen  dar  wol  van  entweybriekt. 

Tobraken  rade  an  den  waghen, 

De  konen  nene  sware  last  draghen. 

Wor  de  borghemester  de  eere  nicht  leff  haet 
150.  Unde  de  kemerers  in  quade  em  naghaet. 

De  raetheren  dobbelt  unde  drincket 

Unde  de  stadknechte  denne  so  nahincket, 

Dar  lopen  de  borgher  in  deme  suse, 

Unde  dar  gheit  de  duvel  to  radhuse. 
155.  Seet  to,  gy  eerliken  rede  in  den  steden, 

Latet  juw  dat  braken  rad  nicht  undertreden! 

Weset  eerlick,  uprichtich  in  juwen  saken, 

So  mach  juwe  rad  nicht  breken  etfte  knaken. 

Seet  to,  gy  bure  unde  alle  hußweerde, 
1(50.  Ok  alle  mynschen  up  dysser  eerde, 

Eyn  iewelk  na  synem  stad, 

Dat  ok  nicht  tobraken  sy  juwe  plochrad 

An  eere,  an  zele  unde  an  lyve, 

Dat  eyn  iewelk  ane  sunde  blyve, 
165.  Unde  dat  eyn  dat  tobraken  rad  nicht  enstade, 

Dat  id  nicht  kome  to  synem  ploehrade. 

Kumpt  eyn  tobraken  rad  daran, 

Syn  plochwerk  wil  toruggcghan. 
[Bl.  31»]  Dat  mennich  hus  unde  hoff  vorteret, 

170.  Wan  he  sik  to  dyssem  braken  rade  keret. 

Bovynnendaet  unde  deveshande 

Bringhet  mennighen  to  laster  unde  to  schände; 

Dar  is  neen  warafftich  munth. 

Unde  in  deme  harten  is  neen  grünt. 
175.  Jo  me  dat  tobraken  rad  meer  bind  unde  kyle  upstiekt. 

Jo  dat  serer  entweybriekt. 

Jo  me  dat  meer  roghet,  jo  dat  serer  krozet. 

Wede  eynen  deeff  van  deme  galghen  lozet 

Unde  syn  ghelt  an  bovynnen  leit, 
180.  Dat  is  altomale  vorlaren  arbeit. 

Eyn  iewelk  hebbe  synne  unde  merke: 

Dyt  braken  rad  is  eyn  orsprunck  aller  quaden  werke. 

Dat  sy,  wat  dat  vor  eyn  rad  is, 

Dat  sy  even  effte  unwis, 
185.  Hoch,  syd,  swaer  effte  licht, 

Is  dat  rad  tobraken,  dat  docht  nicht. 

Wanner  dat  me  alle  ummeher  socht 

Unde  uth  allen  winckelen  tohope  bracht, 

So  vind  me  der  tobraken  rade  meyst  under  dem  galghen. 
190.  Hirumme  late  me  de  deve  unde  unsalghen 

Bespeghelen  in  dyssem  tobraken  rade, 

Wo  weerdich  dat  se  staen  in  erem  grade! 


Nu  love  ik  des  unde  menet, 

Dat  dysse  lezer  wol  hefft  eynen  drunek  vordenet; 
195.  Is  dat  neen  clareet  effte  wyn, 

Dat  moet  wol  guet  beer  syn. 
(Bl.  3ib]  £yn  iewe]t  de  drincke,  wat  he  hat, 

Unde  wünsche  deme  hochgreven  ok  wat. 

Dyt  ghedicht  hefft  hir  eynen  ende. 
200.  Got  uns  syne  gnade  sende, 

Uat  wy  doreh  synen  hillighen  namen 

Salich  moghen  werden  allentsamen! 

Anmerkungen. 

Bl.  1 b  V.  3  In  eyn  van  den  vrommeden  ghesten  liegt  vielleicht  ein  versteckter 
Hinweis  auf  den  Namen  des  Dichters. 

I,  13  synne  unde  merke  hebben  'verstehen,  wissen'.  Ebenso  XI,  181.  —  Die  ver- 
wandte Formel:  merke  unde  sin  nemen  bietet  Stephans  Sch&chbuch  V.  242. 

16  Die  der  Mundart  Botes  entsprechende  Form  dut  ist  als  Reimwort  unan- 
getastet geblieben.  Im  Innern  der  Verse  hat  der  Drucker  häufig  die  ihm  eigenen 
Formen  desse,  dissef  dyt  eingesetzt. 

35  ff.  'An  der  Gabe,  die  du  mir  bietest,  werde  ich  erkennen,  ob  du  Pfründen 
oder  Privilegien  erlangen  willst.  Wenn  ich  viel  thun  soll,  so  bringt  ein  der  Grösse 
meiner  Anstrengung  entsprechendes  Geschenk.' 

44  So  bezeichnet  sich  der  Dichter  auch  IV,  107  und  XI,  19S.  Welche  Funk- 
tionen der  hochgreve  zu  versehen  hatte,  lässt  sich  nicht  sicher  angeben.  An  den 
gogreven,  den  Vorsitzenden  im  godinge,  mit  dem  das  Mnd.  Wb.  den  lioehgreven 
identificiert,  ist  hier  wohl  nicht  zu  denken. 

55  tobrockelik  'rissig,  fehlerhaft7. 

62  itthclaren  'bestimmen,  auswählen'. 

II,  19  eckervast  'kernig,  fest  wie  Eichenholz'. 

37  der  vloet,  kaum  Druckfehler,  da  IX,  21)  f.  der  gliscner,  der  swartenkutwter, 
der  rodenridder  und  der  affgumter  steht. 

40  Druck:  molcnrat. 

53  'ZUrne  dem  und  tritt  dem  rücksichtslos  entgegen1.  Das  adj.  stolt  passt 
nicht  recht  in  den  Zusammenhang.  Der  Dichter  scheint  es  gebraucht  zu  haben, 
weil  ihm  die  Verbindung  icrevel  unde  stolt  (vgl.  Böse  Frauen  \ ,  4.H)  geläufig  war. 

III,  37  f.  Die  auch  bei  anderen  mnd.  Dichtern  wahrnehmbare  Vorliebe  für 
asvndetische  Nebeneinanderstellnng  von  Synonymen  (vgl.  Gerhard  von  Minden  fab. 
L&XXVII  anm.)  tritt  bei  Bote  besonders  stark  hervor. 

42  mit  winckelen  'mit  Ränken,  Kniffen'. 

71  vornufft;  zn  vergleichen  ist:  sulven  is  he  unlust  X,  17. 

IV,  19  hochdraven  'langsam,  gemessen'.  In  der  Bedeutung  'stolz,  hochmütig' 
ist  Jiochdravendc  V,  1S2  gebraucht.  —  voet  vor  voet  ist  im  Schichtb.  mehrfach  in 
der  Bedeutung  'der  Reihe  nach'  belegt. 

V,  53  stripich  ' streificht '.  Belege  aus  mnd.  Zeit  sind  selten;  im  Mnd.  Wb. 
und  im  Handwb.  fehlt  das  Wort.  Nach  Schambach  S.  215  steht  es  in  einem  mnd. 
Loccumer  Wb.  Ob  darunter  der  auf  der  Bibliothek  des  Klosters  Loccum  befind- 
liche Vocabularius  ex  quo  von  1467  zu  verstehen  ist,  weiss  ich  nicht. 

68  sik  cloken  na  'sich  in  Eile  umthun  nach'. 

71  Druck:  id. 

S5  Aus  der  Darstellung  des  dem  Schichtbuche  angehängten  Wappenbuches 
erhellt,  dass  der  Dichter  die  Hansestädte  mit  den  Gliedern  einer  Kette  vergleicht. 
Er  spricht  dort  die  Hoffnung  aus,  dass  die  Glieder,  die  verloren  gegangen  sind, 
durch  festen  Zusammenschluss  der  übrigen  dem  Bunde  wiedergewonnen  werden.  — 
Dat  henghe;  sonst  fem.  Im  Wappenbuche  ist  das  masc.  hengk  gebraucht.  Vgl. 
Einl.  S.  5. 


40 

98  Druck:  mochteu. 

104  quack  m.  'unnützes  Gerede';  nicht  weiter  belegt.    Das  Wort  gebort  m 
auackclie  und  zu  quackelen  '  schwatzen '.   Das  westf .  kwack  bezeichnet  das  Schnattern 
der  Ente,   das  Schwatzen  der  Elster,   das  Quaken  des  Frosches  etc.;  vgl.  Woestc 
S.  151.    Nl.  kwak  'Geschichte,  Erzählung'. 
113  byeenholden  'zusammenhalten'. 

152  Sprichwörtlich:  De  hungrige  lue*  bit  scharp  (Mnd.  Wörterb.  2,  750b).  Du* 
hungerde  lus  betrifft  auch  einer  aer  in  der  Krypte  der  Domkirche  S.  Laurentii  zu 
Lund  angebrachten  Reimsprüche.    Vgl.  Nd.  Jährt).  9,  127. 

155  Ps.  37,  25.  Häufig  ist  der  nachstehende  sich  an  diese  Stelle  anlehnende 
Spruch:  \y0i  Gade  in  rechtem  geloven  vortruwet, 

Nicht  up  sunde  und  laster  buwet, 
Den  leth  Godt  nyhe  entlick  in  noth 
Noch  syn  Saedt  soken  dat  brodt 
Vgl.  Jtingere  Glosse  zum  Keinke  I,  10,  24. 

170  quade  helde,  ironisch  wie  mehrmals  in  Groningens  Scbichtspiel.  So  v.  444  ff.: 
Se  wolden  dar  nicht  van  wetten, 
Dat  se  plegen  on  to  kretten 
Myt  worden  unde  valschem  gelde, 
Eyn  deel  der  dumkoynen  helde, 
Darto  bedreven  unghevouch. 
Des  se  om  deden  alghenSch., 
ferner  V.  793,  V.  1183,  V.  1465. 

173  is  vordraten  'verursacht  Ekel,  Ueberdruss'  wie  Des  dodes  danz  V.  2fi5. 

VI,  36  Druck :  deme.  —  Druck :  behoede. 

VII,  10  koelrad  vri.  VIII,  41  ff. 

11  pluckerad  vgl.  IX,  53  ff. 

12  Ich  habe  den  Vers  im  Anschluss  an  X,  19  eingeschaltet.  Aus  V.  5—7  ui.«l 
V.  14  ergiebt  sich,  dass  er  in  Botes  Manuscript  gestanden  haben  rauss. 

13  eyn  bedocken  rad  vgl.  XI,  31  ff.  bedocken  'nachgiebig;  sich  biegend,  abrr 
nicht  brechend'. 

16  Druck:  weysyn. 

31  unvorswcqhcn  'nicht  verschwiegen'. 

43  Im  Schichtbuche  893,  3  verstärkt  Bote  nichtesnicMes  noch  durch  plat;  «.«• 
scholde  plat  niehtssnichtes  geven. 

46  fanssune  (franz.  fafon)  ' Formen,  Moden'.  LUbben  belegt  das  Fremdwon 
aus  einem  Lüb.  Testam.  von  1455. 

57  remurmereren  vgl.  Diefenbach  Nov.  gloss.  S.  316:  remurmumrt  iri/ftr  rr»l# 

62  Wiffoder  schntfoder  (im  Druck:  sch\jffoder\  vgl.  jedoch  V.  3S  f.: 
Wente  so  snelradich  synt  se  aüetijt, 
Unde  up  dat  teste  so  %s  id  jo  eyn  beschijt) 
erscheint  als  toyffor,  schythfor  im  Henselin  13,  21.  for  ist  demnach  aus  foder  *FiuUr' 
contrahiert  und  nicht,  wie  Walther  annimmt,  die  neben  vore  bestehende  apokopkm- 
Form. 

74  Dat  'wofern';  ebenso  78. 

78  unde  nicht  uthencleyt  'und  nicht  herauskratzt,  d.  h.  verschwendet*. 

85  Druck:  Darzo. 

VIII,  9  f.  Vgl.  Jüngere  Glosse  zum  Reinke  I,  35,  58.  —  V.  27  f.  VgL  etoml 
III,  12,343. 

21  Druck:  eyn2. 

37  ff.  Die  Verse  erinnern  an  die  Priamcl  bei  Keller,  Alte  gute  Schwankt 
Nr.  33 :  Secht  wu  der  sun  vor  dem  vater  geet. 

42  eleweren  'albern'.  Vgl.  Lauremberg  IV,  177:  De  Heer  sampt  der  Af»* 
de  weren  so  alvern  (s.  Sprenger  im  Jahrb.  15,  90).    Im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt. 

53  Druck:  dye. 

55  hext  vort  hovet  'eifrig'.  —  juch  sin  'betriebsam,  thätig  sein'. 

IX,  30  rodenridder  'Hunderitter';  wold  auch  im  Sinne  von  Gaukler  w* 
kattenridder. 


41 

35  sik  bewalden  'sich  Ansehen  verschaffen'. 
'61  nickt  eynen  Witten  (=  nicht  eyn  haer  59)  'garnichts'. 

65  doet  =  dodei.  Lübben  Gr.  S.  81  erklärt  die  synkopierte  Form  für  unge- 
bräuchlich. Das  o  ist  auch  hier  lang  wie  in  dem  einzigen  Beispiel,  das  Lübben 
anführt. 

68  zadelbassen? 

X,  4  numtepeer  'Gegenstand  des  Staunens'. 
28  hottensnavel  'Grünschnabel'. 

80  buU  'entsteht'. 

86  Druck:  Wente  dat  is  wer  wifsheit  vcrne.  Hinter  dat  habe  ich  das  durch 
den  Zusammenhang  geforderte  Subst.  svrigent  eingefügt. 

XI,  32  quader,  wohl  Druckfehler  für  quadem;  sonst  erscheint  ghelad,  ghelaet 
nur  als  Neutr.  (VIII,  42;  X,  89;  XL  87  und  101).  —  Wie  qwader  an  dieser  Stelle 
mag  dynem  keyserliken  majestate  III,  60  {der  keyserliken  majestate  III,  52  und  55; 
XI,  102)  anzusehen  sein,  wenngleich  hier  eine  Einwirkung  des  Masc.  stät  nicht  aus- 
geschlossen ist  (z.  B.  dynes  keyserliken  «totes  XL  106). 

Berlin.  Herman  Brandes. 


Jacobs  von  Ratingen 

Lied  auf  das  Breslauer  Hostienmirakel  von  1453. 

In  unserm  Jahrbuch  Bd.  XIV  S.  86  f.  hat  Jostes  aus  dem  neuauf- 
gefundenen Werdener  Liederbuehe  auch  ein  Gedicht  zum  Abdruck 
gebracht,  das  sich  in  der  gefühlvollen  und  poesiereichen  lyrischen  Um- 
gebung dort  etwas  seltsam  ausnimmt:  ein  bäukelsängerisches  Lied  auf  das 
Breslauer  Hostienmirakel  vom  Jahre  1453,  als  dessen  Verfasser  sich  am 
Schluss  Jacob  von  Ratingen  nennt.  Der  Herausgeber  stellte  alsbald 
fest,  dass  das  gleiche  Gedicht,  aber  ohne  den  Namen  des  Dichters 
und  der  localen  Beziehung  entkleidet,  aus  Hoffmanns  von  Fallersleben 
Hs.  B  (Horae  belgicae  X  235,  Nr.  118)  längst  bekannt  sei.  Aber  auch 
der  Werdener  Text  hat  bereits  mit  cler  Abstreifung  präciser  Angaben 
begonnen,  denn  die  Jahreszahl  1453,  welche  Jostes  erst  aus  Grtinhagens 
Geschichte  Schlesiens  I  282  ermittelte,  bietet  in  einer  jenem  Lieder- 
buch fehlenden  Strophe  eine  dritte  Fassung  des  Gedichtes,  welche  ich 
unten  vollständig  abdrucken  lasse  (Str.  18).  Sie  bringt  auch  sonst 
allerhand  zur  Textbesserung,  ohne  freilich  alle  Verderbnisse  der  Über- 
lieferung zu  beseitigen.  Entnommen  ist  sie  der  Marburger  Handschrift 
54,  auf  deren  Zusammensetzung  ich  im  nächsten  Jahrbuche  bei  der  Mit- 
teilung eines  lateinisch-niederd.  Tractats  näher  eingehen  werde;  das 
Lied  ist  hier  auf  Bl.  190b — 192 a  mit  Absetzung  der  Strophen,  aber  in 
nnabgesetzten  Zeilen  von  der  Hand  eines  klösterlichen  Schreibers  auf- 
gezeichnet, der  sich  auf  dem  vorausgehenden  Bl.  189 b  als  Hildebrandus 
Herdegess.  [ianus,  d.i.  von  Hardegsenl  mit  der  Jahreszahl  1461  nennt: 
die  Handschrift  ist  also  nur  wenige  Jahre  jünger  als  das  Vorkommnis, 
welches  dem  Gedicht  zu  Grunde  liegt. 

Literarhistorisches  Interesse  besitzt  das  Stück  hauptsächlich  durch 
die  sonst  kaum  belegte  Vermischung  des  niedem  Spielmannstones  mit 


42 


dem  Stile  des  geistlichen  Liedes:   es  bleibt  ein  Bänkelsang,   weun    er 
auch  einen  Geistlichen  zum  Verfasser  haben  mag. 

[190 b]  1.  In  den  tyden  van  den  jaren,     grod  wnnder  schul  gi  merken 
do  god  alle  dingk  vulbrocht, 


van  Judas  wart  he  vorraden, 
den  valschen  joden  vorkofft. 
van  dode  is  he  up  ghestanden, 
he  voer  to  der  ewicheit: 
allen  joden  to  eyner  schände, 
to  tröste  der  cristenheit 

2.  Wat  hefft  he  uns  [gelaten 
dat  he  uns]  tom  lesten  gaff? 
dat  schat  is  boven  mate, 

des  neyn  tunge  vulspreken  mach: 
dat  hilge  sacramente, 
godes  licham  unde  syn  blot, 
dat  he  uns  tom  lesten  schenkede, 
do  he  an  dem  cruce  stoet 

3.  De  valschen  joden  algemeyne, 
se  wolden  des  geloven  nicht, 

dat  me  in  der  hostien  cleyne 
godes  licham  consecrerde 
al  twisschen  des  presters  henden, 
dar  de  cristenlove  anne  stat. 
god  mote  alle  joden  sehenden 
over  alle  de  werlt  ghebreit. 

4.  Mit  rechte  wil  ik  se  straffen, 
me  schal  se  alle  vorslan, 

over  de  joden  rope  ik  wapen: 

grot  mort  hebben  se  ghedan. 

dat  hilge  sacramente 

hebben  se  Judas  broder  af  gekofft 

al  in  der  quatertemper 

vor  sinte  Michelis  dach. 

5.  De  joden  mid  oren  frowen, 
se  hadden  eynen  valschen  rad: 
se  wolden  de  warheit  schowen, 
ifft  dat  were  vlevsch  unde  blot. 


Judas  broder  wart   eyn  bode  gesant, 
de  kuster  van  der  kerken, 
wu  sere  wart  he  vorschaut! 

6.  De  klocke  scholde*elven  uren  slan 
al  in  [der  sulven  nacht 

[191 »]  de  kuster  quam  to  den  joden]  gan 
syn  wyff  he  mid  sik  brachte: 
lgy  joden  al  gemeyne, 
wat  is  nu  juwe  begher?' 
de  overste  sprack  alleyne: 
'  och  kuster,  kum  du  her!' 

7.  De  overste  van  dem  hope 
gingk  bi  den  cnster  stan: 
'ochwoldestu  uns  de  hostien  vorkopen. 
de  de  cristenheit  ghedragen  han 

al  in  der  golden  monstrancien, 
de  de  prester  sulven  droch, 
der  wolde  wy  dir  nicht  danken, 
wy  geven  dy  geldes  genoch'. 

8.  De  kuster  mid  synem  wyve 
se  enbereden  sik  nicht  längk: 
'och  moste  od  vorborgen  bliven, 
unsen  god  den  scholde  gi  han 

wat  wil  gi  dar  vor  geven?      [nacht, 
ik  bringe  juk  on  vor  halver  midder- 
dat  kostede  uns  unse  levent, 
wert  od  vor  de  heren  gebracht.' 

9.  'Wy  willent  al  vorswigen', 
spreken  de  joden  algemeyn, 
'drittich  gülden  machstu  krigen 
al  vor  de  hostien  cleyn\ 

de  kuster  mid  synem  wyve, 
se  weren  dar  gar  fro, 
dat  se  de  gülden  scholden  krigen. 
se  gingen  der  kerken  to. 


1,  6.  8  Die  Hs.  schreibt  meist  -he*,   was  ich  aber  als  -heit  geben  zu  dürfen 
glaubte;  -heit  steht  z.  B.  7,  4. 

2,  1   Der  Schreiber  sprang,  nachdem  er  bereits  g  geschrieben  hatte,  von  uns 
auf  uns  ab. 

6,  2.  3  Das  eingeklammerte  am  untern  Blattrande  abgeschnitten,  sodass  nur 
noch  to  den  joden  lesbar  geblieben  ist. 


48 


10.  Se  gingen  den  yennen  halcn, 
den  Pylatus  leit  an  eyn  cruce  slan, 
se  hebben  so  eynen  deyf  ghestolen 
den  oversten  von  dem  tron. 

de  kaster  mid  synen  vulen  henden 
he  groyp  dat  schone  cristal  an, 
he  nam  den  koningk  der  engelen, 
[191 b]  he  droch  on  mid  sik  van  dan. 

11.  Do  se  den  licham  nnses  heren 

brachten, 
dar  de  joden  weren  by  eyn, 
se  schympeden  unde  lacheden, 
se  bespotteden  al  mid  eyn. 
se  bespigenden  den  licham  nnses  heren, 
se  deden  ome  smaheit  grot. 
o  de  van  hoger  ere 
bewisede  mirakel  grot. 

1 2.  Eyn  tafel  wart  dar  vor  ghebracht, 
dar  gingen  se  alle  bi  stau, 

godes  licham  wart  dar  up  gelacht, 
dat  hilge  sacrament  so  schon, 
se  woldent  van  bynnen  schauwen, 
efft  od  were  fleisch  unde  blot, 
se  begundent  an  stucken  hauwen, 
owe  der  bittern  no®t! 

13.  Oat  blot  kam  dar  her  gevleten 
over  al  de  tafelen  breyt, 

nt  godes  licham  geten, 

dar  od  hüte  dage  noch  uppe  steyt. 

de  joden  worden  vorschrecket, 

on  wart  so  bange  van  mod: 

wo  god  an  dem  cruce  wart  gherecket, 

so  lach  he  in  synem  blöd. 

14.  De  w  echter  np  der  innren 
de  worden  des  jamers  gcwar, 
an  eyner  körten  uren 

kam  dar  mennich  schone  schar: 


processien,  cruce  unde  vanen, 
dat  volk  dreyf  jamer  grot: 
'o  du  werdige  godes  licham, 
wn  listu  in  dynem  blöde  rot!' 

15.  Qrod  volk  kam  her  gedrungen, 
beyde  frowen  unde  man, 

de  prester  konde  nicht  gesingen 
[id  schreide  allet  dat  dar  kam, 
[192»]  se  velen  up  de  knye]  nedder 
gar  crucewyss  up  de  erden: 
'o  du  werdige  godes  licham, 
wu  listu  tohauwen  mid  swerdenf 

16.  De  prester  unde  de  kleriken, 
dat  volk  dreiff  jamer  grod, 

se  drogen  de  taffeien  to  der  kerken 

mid  dem  duren  baren  blöde. 

nu  höret  gi  man  unde  gi  frowen, 

wor  dut  mirakel  is  gescheyn: 

in  der  stad  to  breslaw, 

dar  dut  mirakel  steit 

17.  De  joden  worden  ghegreppen, 
sestich  unde  hundert  worden  ghcbrant, 
de  kuster  moste  sek  sulven  hangen, 
also  Judas  wart  geschant. 

he  reyp  mid  luder  stempne: 
'nummer  wert  my  eyn  vreyde  kunt, 
des  mot  ik  ewich  bernen 
al  in  der  helle  grünt'. 

18.  Me  schreiff  dusent  ver  hundert  jar 
vor  sinthe  Michahelis  dach, 

dree  unde  veftich  al  openbar, 

do  gode  de  smahet  geschach 

gi  cristenlude  algemeyne, 

gi  schullen  des  ganczen  'geloven  han, 

dat  me  in  der  hostien  cleyne 

godes  licham  kunne  entfan. 


10,  6.  7   Am  untern  Blattrandc  z.  Tl.  weggeschnitten,  doch  kann  die  Lesung 
als  gesichelt  gelten. 

12,  3  Geschrieben  scheint  gelecht,  ursprünglich  stand  da  gedä. 

15,  4.  5  Mit  dem  untern  Blattrande  abgeschnitten;  nur  kam  ist  noch  lesbar. 

16,  2  ursprünglich  jamers  vel. 
18,  5  gi  aus  dy. 


44 

19.  Dut  leyt  heft  Jocob  von  Rotingen  gemacht, 
von  joden  kumpt  nummer  gud, 
wen  blixem  nnde  donnerslach 
unde  rassen  spot  so  grot, 
myswa8  in  allen  landen, 
dar  de  joden  entholden  sint, 
over  Marien  spreken  se  schände 
nnde  up  ore  leve  kint. 


19  4   rassen  spot   ist  ebenso  unsinnig  wie  bei  Joftes  ramspoit;   ist  bei  dem 
ersten  Worte  an  rote,  rate  'Fäulnis'  zu  denken? 

Marburg  i.  H.  Edward  Schröder. 


Zum  Redentiner  Spiel. 


Das  Osterdrama  von  Redentin  (Dorf  bei  Wismar  in  Meklenburg) 
aus  dem  Jahre  1464  ist  bekanntlich  zuerst  von  F.  J.  Mone  in  den 
'Schauspielen  des  Mittelalters',  Karlsruhe  1846,  Bd.  II  nach  einer  Karls- 
ruher Handschrift  veröffentlicht  worden.  Die  Vortrefflichkeit  dieses 
Stückes  hat  manche  Philologen  veranlasst,  sich  mit  seiner  Erklärung 
zu  beschäftigen.  Zunächst  gab  Ludwig  Ettm tiller  es  mit  Einleitung 
und  Erläuterungen  heraus  als  'Dat  spil  van  der  upstandinge',  Quedlin- 
burg und  Leipzig  1851.  Unter  dem  Titel  'Das  Meklenburger  Oster- 
spiel',  Bremen  1874,  hat  es  Albert  Freybe  ins  Hochdeutsche  tiber- 
tragen und  mit  ausführlichem  Commentar  versehen.  Schon  vor  ihm 
hatte  sich  Karl  Schröder  um  dieses  Literaturdenkmal  höchst  ver- 
dient gemacht,  indem  er  in  der  Germania,  Jahrg.  XIV  (Wien  1809), 
S.  181  ff.  unter  anderm  den  niederdeutschen  Ursprung  desselben  gegen 
Mone,  welcher  einen  niederrheinischen  Urtext  angenommen  hatte,  ver- 
theidigte,  viele  Lesungen  Mone's  aus  der  Handschrift  berichtigte  und 
eine  Anzahl  schwieriger  Stellen  erklärte.  In  der  Interpretation  und 
Emendatiori  des  Textes  sind  ihm  dann  gefolgt  Friedrich  Drosihn  in 
der  Zeitschrift  für  Deutsche  Philologie,  Bd.  IV  (Halle  1873),  S.  400  ff., 
zu  welchem  Aufsatze  auch  Julius  Zacher  einige  gute  Deutungen  bei- 
steuerte, und  Friedrich  Woeste  in  derselben  Zeitschr.,  Bd.  VIII  (1877) 
S.  106  ff.  Trotz  aller  dieser  verdienstvollen  Leistungen  sind  doch  noch 
einige  Schwierigkeiten  unbesprochen  geblieben,  auch  kann  ich  einzelnen 
gegebenen  Deutungen  nicht  beistimmen;  daher  will  ich  im  folgenden 
versuchen,  ob  ich  zur  Erläuterung  solcher  Stellen  etwas  beitragen 
kann.  Ich  citiere  und  zähle  die  Zeilen  nach  Mone,  obschon  dieser 
nach  Z.  218  zwei  Zeilen  (s.  Schröder)  ausgelassen  hat. 

Z.  SO  wat  mach  uns  fchaden  dat  scheint  noch  zur  Rede  des  primus  mües  zu 
gehören.    Vgl.  Schröder  a.  a.  0.  S.  193. 


45 

Z.  172  f.  prahlt  der  Ritter  von  sich  und  seinem  Schwerte  Klynghe: 
tros  dat  myner  iemant  beyde, 
ik  wolde  em  dat  ben  beseten, 
he  fcholde  en  jar  an  der  hafen  quelen. 

Ettinüller  ändert  befehden  und  haffen:  'ich  wollte  ihm  das  Bein  beschälen,  von  der 
Haut  entblü88en,  er  sollte  ein  Jahr  lang  an  dem  Kniebug  Schmerz  fühlen'.  Schrö- 
der findet  in  befeien  das  mhd.  8&r  'wund'  siren  'verletzen',  macht  aber  darauf  auf- 
merksam, dass  die  meklenburgische  Mundart  heute  besalen.  verfalen  in  der  Bedeu- 
tung von  'Übel  zurichten'  sage  und  vergleicht  schwäbisch  [auch  norddtsch.-hd.]  ver- 
fehlen 'tüchtig  durchprügeln'.  Freybe  verwendet  dieses  'versohlen'  in  seiner 
Uebersetzung  und  fasst  hafe  mit  Ettmtiller  als  Kniebug  auf.  Gewiss  darf  man  un- 
gefähr eine  Drohung  erwarten  wie :  „ich  wollte  ihm  so  das  Bein  verletzen,  dass  er 
ein  Jahr  lang  am  Kniegelenk  leiden  sollte."  Aber  das  steht  nicht  da.  Ich  gebe  zu, 
dass  der  Dichter  das  hat  sagen  wollen,  meine  aber,  dass  er  wortspielend  die  ernst- 
hafte Bedrohung  ins  Lächerliche  hat  verkehren  wollen.  Statt  be füren,  vorferen  sagt 
er  befeien.  Dies  Verb  entspricht  genau  dem  mhd.  befelwen  (beschmutzen,  besudeln) 
vom  Adjectiv  fal  flect.  falwes,  aha.  falo,  ags.  falu,  ndl.  zaluw,  'dunkelfarbig,  trübe, 
schmutzig';  denn  das  w  ist  nach  einem  mndd.  Lautgesetz  weggefallen.  Nun  ist 
allerdings  dies  Adiectiv  weder  im  Alt-  noch  Mittelniederdeutschen  nachweisbar;  es 
muss  aber  vorhanden  gewesen  sein,  da  sich  eine  mnd.  Glosse  falig  fuscus  fwart- 
brün,  welche  abgeleitete  Form  dem  ags.  falowig  gleichsteht,  findet,  und  da  nndd. 
Dialecte  (siehe  z.  B.  Richey's  Idioticon  Hamburg,  und  Schütze's  Holstein.  Idioticon) 
faal,  freilich  mit  derselben  Begriffsentwickelung  wie  im  engl,  faüow  als  'blass, 
gleich,  fahl'  kennen.  Mit  der  hafe  kann  nur  die  Hose  oder  der  Beinling  gemeint 
sein.  Die  Hechse  heisst  mndd.  heffe  oder  hefne,  nndd.  heffe.  Die  lautliche  Ver- 
schiedenheit von  heffe  und  hafet  resp.  hofe  scheint  fast  zu  stark  für  ein  Wortspiel ; 
möglich  ist  jedoch,  dass  im  Mndd.,  wie  im  Mhd.  hahfe  neben  hehfe,  eine  Neben- 
form haffe  vorhanden  gewesen  ist1).  Der  Sinn  der  Stelle  würde  demnach  sein: 
„ich  wollte  ihm  so  das  Sein  besudeln,  dass  er  ein  Jahr  lang  an  seiner  Hose  kranken 
sollte". 

Vielleicht  wird  jedoch  der,  welcher  dieser  Auffassung  der  Stelle  beipflichtet, 
da  sie  zu  der  sonstigen  komischen  Schilderung  der  bramarbasierenden  Ritter  im 
Stücke  stimmt,  doch  wegen  des  nur  hier  erscheinenden  befeien  Bedenken  tragen 
und  etwa  lieber  vermuten,  es  sei  befalen  und  quälen  zu  lesen:  befolen,  das  wegen 
des  kurzen  o  in  offener  Silbe  zu  befalen  werden  könnte,  sei  ja  das  bekannte  mndd. 
Wort  für  'besudeln'  und  quälen,  das  schwache  Verb,  habe  ja  dieselbe  Bedeutung 
wie  das  starke  quelen.  Bei  der  Beschaffenheit  der  Handschrift,  wie  sie  aus  meh- 
reren Stellen  des  Stückes  erhellt,  scheint  freilich  die  Möglichkeit  nicht  geleugnet 
werden  zu  dürfen,  dass  eine  erneute  genaue  Prüfung  diese  Lesungen  ergäbe.  Doch 
wahrscheinlich  ist  das  nicht.  Denn  einmal  sind  befalen  und  befiren  lautlich  so  sehr 
verschieden,  dass  das  Wortspiel,  welches  in  dieser  Stelle  zu  liegen  scheint,  weg- 
fiele. Zum  andern  lautet  das  erstere  Wort  nndd.  befölen,  und  der  Umlaut  wird 
schon  im  Mittelalter  bestanden  haben,  wenigstens  habe  ich  bereits  im  15.  Jh.  diese 
Form  in  einer  Handschrift  gefunden.  Wenn  das  Mndd.  Wörterbuch  befalen  aus 
dem  J.  1546  belegt,  so  ist  zu  bemerken,  dass  die  a  und  o  des  16.  Jhs.  sich  zu- 
weilen sehr  ähnlich  sehen.  Auch  meine  ich  ferner  bemerkt  zu  haben,  dass,  wäh- 
rend das  kurze  o  in  offener  Silbe  im  15.  und  16.  Jh.  wohl  als  ä  aufgefasst  und  a 
geschrieben  wird,  doch  dieses  nicht  geschieht  mit  dem  o,  welches  nach  den  Laut- 
gesetzen, nach  Ausweis  sorgfältigerer  Handschriften  und  Drucke  und  nach  dem 
Zeugnis  der  neueren  Dialekte  Umlaut  erlitten  hatte.  Hier  schrieb  man  nach  wie 
vor  o,  was  für  den  vorhandenen  Umlaut  spricht.  Ein  befölen  und  selbst  ein  befolen 
hätte  aber,  um  die  Anwendung  auf  unsern  Fall  zu  machen,  nicht  mit  quälen  reimen 
können.  Endlich  lässt  sich  auch  denken,  dass  der  Dichter  durch  ein  seltenes  oder 
veraltetes  befeien  die  Hörer  über  die  harmlose  Bedeutung  der  Drohung  nicht  so- 


*)  Das  dän.  hafe,  isl.  häfin,  schwed.  hos  wage  ich  nicht  heranzuziehen.  [Belegt 
ist  hasse  'Hesse'  in  einem  mitteldeutschen  Texte  der  Sachs.  Weltchronik  s.  Deutsche 
Chroniken  Bd.  2  (1877)  S.  87,  44]. 


46 

fleich  ins  klare  kommen  lassen  wollte,  um  den  des  Scherzes   dann  innewerdenden 
ie  Lust  zu  erhöhen. 

450  ff.  de  zelen  veler  lüde 

l'yn  an  groteme  fchaUe, 

fe  fynghen  unde  vrowen  ftk  alle, 

l'e  lehnen  al  averlut, 

dat  fe  fcholen  drade  ut. 

fo*  [1.  fe*]  hebben  vornamen  enen  glans 

unde  hebben  eynes  monke  dans. 
Ettmtiller  ändert: 

fe  lubben  fornomen  inen  glans, 

unde  hevet  inen  monekes  dans, 
„und  heben  einen  Mönchstanz  an,  d.  h.  gebärden  sich  toll.  Den  Mönchen  war  be- 
kanntlich das  Tanzen  verboten;  wenn  sie  aber  einmal  das  Verbot  übertraten,  so 
mochten  sie  dann  auch  recht  ausgelassen  tanzen/  Diese  Erklärung  befriedigt  nicht. 
Minder  Gewicht  will  ich  darauf  legen,  dass  die  regelmässige  mndd.  Form  monik 
monek,  später  monnik  monnek  ist,  wie  auch  hier  1301  monnik  und  nicht  monk. 
Nirgends  aber  findet  sich,  dass  man  einen  tollen,  ausgelassenen  Tanz  mit  dem 
Tanzen,  der  Mönche  verglichen  hätte,  von  deren  Tanzen  überall  nichts  verlautet 
Wenn  im  Manuscript  das  n  von  monke  nicht  ausgeschrieben  ist,  so  darf  man  wohl 
vermuten,  dass  der  Strich  über  dem  o,  den  Mone  fUr  n  nahm,  ein  Haken  sein  soll. 
die'Abbreviatur  für  r.  Mohrentänze  waren  eine  beliebte  Unterhaltung  im  Ausgange 
des  Mittelalters.  Das  älteste  Zeugnis  freilich,  welches  ich  beibringen  kann,  ist 
erstvom'J.  1517  und  findet  sich  im  Vocabulorum  reruni  promptariuni  des  Anhalters 
Baldaffar  Trochus,  welches  in  jenem  Jahre  zu  Leipzig  gedruckt  ward:  saUatto 
mauria,  maurica,  morntanz;  saUare  maurum,  der  moritzken  tantz  springen  (Diefen- 
bach,  Glossarium  Latino-Germanicum  mediae  et  infimae  aetatis,  Francof.  ad  M.  ISST, 
p.  509).  Cornelius  Kilianus  Dufflaeus  hat  im  Etymologicum  Teutonicae  Linguae, 
ed.  3,  Antverpiae  1599,  p.  824 :  mooriske,  moorifken  dans,  maurica,  pyrricha,  chiro- 
nica  faltatio,  vulgo  morisca,  gal.  dance  de  morisque,  ital  danfa  dette  morefche,  angl. 
morice  daunce.  Es  ist  aber  wohl  nicht  zu  bezweifeln,  dass  dieser  Tanz,  welcher 
sicher  einen  aufgeregten  und  gesticulatorischen  Charakter  hatte,  älter  als  das 
1 6.  Jh.  ist.  Nach  den  angeführten  Belegen  möchte  ich  muthmassen,  dass  im  Verse 
456  morke  (morskenl)  zu  lesen  ist.  Die  Stelle  scheint  überhaupt  verderbt  zu  sein. 
D&as^eynes  nicht  richtig  sein  kann,  hat  Ettmüller  eingesehen,  aber  enen  genügt 
allein  nicht.  Es  müsste  es  oder  des  davor  zu  ergänzen  sein:  „sie  haben  einen 
Glanz7gesehen  und  haben  des  (deshalb)  ein  Gebahren,  wie  Mohrentänzer." 

581  ff.    Jesus  ergreift  in  der  Hölle  den  Lucifer  und  sagt: 


Lucifer,  du  bofe  gaß, 

du  fcliolt  bliven  an  desfen  keden  va/t 


du  fcholt  hir  ne  geft  mer  malen  wefen, 

myne  leven  fcholen  vor  dy  wol  genefen. 
Der  Vers  583  hat  den  Interpreten  viel  zu  schaffen  gemacht.  E. :  du  fchaü  hir  neget 
mit  malen  wefen,  „du  sollst  hier  mit  Ringen,  Banden  (ndl.  malie,  f.  Ring  von 
Eisendraht,  franz.  maiUe,  engl,  mail)  geneiget,  niedergebeugt  sein".  Aber  ein  ndd. 
male  ist  unerweislich.  Frey be :  „du  sollst  keinen  Geist  (ags.  gaest  auch  hoino,  vir) 
mehr  quälen  hier."  Abgesehen  davon,  dass  F.  den  ndd.  Satz  bedeutend  und  will- 
kürlich geändert  haben  muss,  um  zu  dieser  Uebersetzung  zu  gelangen,  spricht  schon 
gegen  seine  Auffassung,  dass,  wie  im  Stück  selbst  nachher  gezeigt  wird,  Seelen 
nach  wie  vor  in  der  Hölle  gepeinigt  werden.  Dr.  will  lesen:  du  schalt  hxr  negtft 
met  malen  wefen,  „du  sollst  hiernächst  mit  Wundenmalen  sein;  mit,  den  fünf  Wanden 
Christi  entsprechenden,  Malzeichen  soll  Lucifer  gezeichnet  werden."  Wie  mislongen 
diese  Deutung  ist,  liegt  auf  der  Hand,  so  dass  ich  kein  Wort  mit  einer  Wider- 
legung zu  verlieren  brauche.  Woeste  ändert  nicht:  „der  passende  Sinn,  den  diese 
Stelle  enthalten  kann,  ist:  Du  sollst  nach  diesem  nur  (mer)  gefangen  sitzen/'  Malm 
fasst  er  als  Participium  malende  von  einem  construierten  und  undenkbaren  Verb 
malen,  am  Mal  sitzen,  weil  im  Kriegsspiele  der  Knaben  mal  den  Ort  bezeichnet,  wo 
der  gefangene  Feind  verwahrt  wird.   Diese  Erklärung  scheint  mir  gleichfalls  keiner 


47 

ernsthaften  Widerlegung  zu  bedürfen.  W.  scheint  mir  nnr  darin  recht  zu  haben, 
dass  er  den  Sinn  fasste  als:  „Du  sollst  in  Zukunft  nur  oder  stets  hier  an  diesem 
Orte  sein,"  was  mit  anderen  Worten  schon  der  vorhergehende  Vers  ausdrückt. 

Diese  Auffassung  wird  durch  das  Stück  in  seinem  Verlaufe  bestätigt:  Der 
oberste  der  Teufel  darf  hinfort  nicht  mehr,  wie  vorher,  selbst  auf  die  Erde  und 
die  Menschenseelen  verführen;  er  muss  seine  Diener  senden.  Die  Verderbnis 
scheint  hauptsächlich  in  malen  zu  stecken.  Ich  glaube,  dass  moten  'müssen'  zu 
lesen  ist.  Vielleicht  steht  auch  so  in  der  offenbar  flüchtig  geschriebenen  Hand- 
schrift. Mit  dieser  Lesung  ist  aber  der  Stelle  noch  nicht  geholfen,  du  fcholt  hir 
negest  mir  (mehr,  länger)  moten  wefen,  eine  solche  ironische  Umschreibung  des 
Urteils  einer  ewigen  Bannung  kann  der  Dichter  unmöglich  Jesus  in  den  Muna  ge- 
legt haben;  sie  wäre  nicht  viel  besser,  als  wenn  wir  die  Mone'schc  Lesung  ver- 
stehen wollten:  du  fcholt  hir  negest  mirmalen  (mehrmals,  öfter)  wefen.  Es  lässt 
sich  jedoch  leicht  bessern,  wenn  wir  annehmen,  der  Schreiber  habe  aus  Versehen 
das  hir  an  eine  falsche  Stelle  gebracht  oder  von  zweien  hir  das  eine  ausgelassen: 
du  fcholt  nigest  mer  (allein)  hir  moten  wefen,  oder:  du  fcholt  hirnigest  mer  hir 
moten  wefen.  Jedoch'  auch  so  scheint  die  Verderbnis  noch  nicht  völlig  geheilt  zu 
sein;  denn  negest  'nächst*  im  Sinne  von  „in  Zukunft,  fürderhin,  für  immer"  ist  auf- 
fällig und  wird  schwerlich  zu  belegen  sein.  Da  die  Schriftzüge  des  Manuscripts 
derartig  sind,  dass  Mone  291  de  als  du  lesen  konnte  und  263  (nach  Ettmüllers  An- 
gabe) netclde  als  nuwolde,  so  dürfen  wir  vielleicht  hier  statt  ne  umgekehrt  ein  nu 
vermuten.  Ich  möchte  weiter  fast  glauben,  dass  entweder  in  der  Karlsruher  Hand- 
schrift oder  doch  in  der  Urschrift  jti  oder  yu  statt  gest  stehe  oder  gestanden  habe, 
und  glaube  dabei  nicht  befürchten  zu  müssen,  dass  ein  Kenner  mittelalterlicher 
Handschriften  dies  für  unmöglich  erklären  wird.  Die  so  gefundene  Lesart  giebt 
den  besten  Sinn  und  fasst  aas  Verdammungsurteil,  gerade  wie  in  dem  vorher- 
gehenden Vers,  in  kurze  prägnante  Worte :  du  schott  hir  nu  jummer  moten  wefen , 
„Du  sollst  hier  nun  immer  bleiben  müssen." 

628.  768.  dorf:  es  ist  gewiss  derf  zu  lesen;  denn  dies  ist  die  sprachrichtige 
Form,  und  e  und  o  sind  in  Handschriften  des  15.  Jhs.  schwer  zu  unterscheiden. 

651  ff.         wan  fchen  jw  is  de  fucht  mede, 
dat  gy  jw  nycht  fcheppen  vrede: 
ik  heobe  io  dicke  hört  unt  is  ok  recht, 
dat  de  elrene  here  bedwynget  den  ekenen  knecht. 

Diese  Verse  scheinen  mir  von  Ettmüller  und  Freybe  misverstanden  zu  sein. 
E.  ändert:  war  is  jü  selten  de  fucht  mede?  „womit  hat  euch  die  Schwachheit  be- 
fallen?" Und  Fr.  übersetzt:  „Was  für  'ne  Sucht  euch  doch  anficht,  dass  ihr  könnt 
Frieden  finden  nicht?"  Er  meint  (S.  249),  Puk  verspotte  seinen  Coltegen  Satanas, 
und  betrachtet  den  Täufer  Johannes  als  den  elrenen  heren.  Puk  aber  greift  nur 
den  Lucifer  an  und  tadelt  ihn,  den  hiren,  weil  er  nicht  durchgreife  und  Friede 
d.  h.  Gehorsam  schaffe,  indem  er  den  Teufeln  in  der  Bezwingung  des  knechtes  Jo- 
hannes beistehe.  Er  könne  das  als  Herr  ja  leicht,  wan  fchon  (so  ist  statt  fchen  zu 
lesen)  d.  h.  wenn  gleich  er  dazu  geneigt  sei,  still  zu  sitzen,  so  habe  er  es  doch 
leicht  seinen  Willen,  nemlich  den  Johannes  in  der  Hölle  zu  behalten,  durchzusetzen, 
denn  dem  ellernen  d.  h.  schwachen  Herrn  stehe  gegenüber  dem  ikenen  d.  h.  starken 
trotzigen  Knecht  die  Autorität  zu  Gebote  und  Hülfe.  Allein  Lucifer  giebt,  wie 
seine  Antwort  zeigt,  kleinmüthig  nach,  denn  er  sagt:  deffe  fchar  was  myt  unrechte 
wunnen,  alzo  is  fe  uns  wedder  untrunnen. 

•  978  ff.  ladet  dar  nu  anders  vor, 

dat  wy  wedder  kamen  in  ufes  heren  dor. 

Die  Versuche  E.'s  und  Fr. 's,  ladet  zu  deuten,  sind  mislungen;  nicht  minder  Dr.'s 
Aenderung  lavet.  Als  vor  ca.  fünfzehn  Jahren  die  Hamburg.  Section  des  Nieder- 
deutschen Sprachvereins  das  Redcntiner  Spiel  las,  conjicierte  der  jetzige  Archivar 
in  Rostock,  Dr.  K.  Koppmann,  rodet,  ohne  Zweifel  eine  angesichts  der  nachlässig 
und  schlecht  geschriebenen  Handschrift  palaeographisch  nicht  zu  beanstandende  und 
nach  der  Bedeutung  in  den  Zusammenhang  trefflich  passende  Besserung. 


48 

1122  ff.  Die  hier  folgenden  Geschäftsbezeichnungen  sind  fast  alle  bereits 
durch  Ettmüller  richtig  gedeutet,  und,  wo  er  geirrt  hat,  haben  Drosihn,  Woeste 
und  Lttbben  im  Mnda.  WB.  die  Bedeutung  klar  gestellt.  Den  beiden  Letzteren 
schliesse  ich  mich  betreffs  der  Erklärung  von  puler  an.  Bei  fieper  und  wler  war 
Ettmüller  ungewiss:  {,den  Schläfer  und  den  Faulen?"  Da  er  /ISper  schreibt  so 
hatte  er  ohne  sein  Wissen  schon  fiir  Schläfer  entschieden.  Für  Schläfer  und  Fan- 
lenzer ist  auch  Woeste.  Er  hat  seine  Meinung  nicht  begründet;  aber  wahrscheinlich 
ist  ihm  für  'Schlaf er'  ausschlaggebend  gewesen,  dass  in  dieser  Aufzählung  da,  wo 
zwei  Epitheta  zusammen  gestellt  werden,  die  beiden  durchweg  keinen  Gegensatz. 
sondern  eine  Aehnlichkeit  der  Beschäftigung  bezeichnen.  Drosihn  fasst  es  gleich 
flependriver,  ein  Fuhrmann,  der  auf  einer  Schleife  (fiepe),  einer  Art  Schlitten,  den 
Kaufleuten  die  Waaren  zuführt;  s.  Brem.  WB.  IV,  823.  Für  vuler,  „was  sicher 
wenigstens  nicht  den  Faulen  bedeuten  kann",  möchte  er  büler  lesen.  Freybe  billigt 
Drosihn's  Erläuterung  von  fieper,  nimmt  dagegen  vuler  für  einen  Unsauberen.  Zu- 
nächst ist  Drosihn's  Ansicht  vuler  könne  nicht  den  Faulenzer  bedeuten,  zurückzu- 
weisen. Es  giebt  im  Mndd.  eine  Anzahl  von  aus  Adjectiven  gebildeten  Substan- 
tiven auf  -er,  z.  B.  unholder,  unnütter,  unfchemeler^  (vroderf),  vromer.  Lübben  hat 
bereits  im  Mndd.  WB.  unter  vrome  auf  diese  Bildungen  hingewiesen.  Dass  sie 
nicht  wie  ein  nach  hd.  Weise  stark  flectierendes  Adjectiv  aufzufassen  sind,  geht 
daraus  hervor,  dass  sie  auch  nach  dem  bestimmten  Artikel  und  in  der  Flexion  das 
Suffix  bewahren  und  im  Plural  auf  -ere  ausgehen.  Vuler,  das  nur  hier  begegnet, 
kann  auch  vom  Verb  vulen  abgeleitet  sein  und  sowohl  'Faulpelz'  wie  auch 
'Schmutzfink'  bedeuten.  Ich  glaube,  hier  das  Erstere;  und  zwar  aus  folgender  Er- 
wägung. Lucifer  zählt  lauter  Gesohäftsbezeichnungen  auf;  selbst  puler,  verdorbener 
Handwerksmeister  fällt  noch  ziemlich  in  dieses  Gebiet,  wenngleich  ein  bestimmter 
Beruf  nicht  gemeint  ist.  Auch  sleper,  das  ich  wie  Drosihn  fasse  (vgl.  Bremisches 
Jahrbuch  II,  230),  bezeichnet  einen  Erwerbszweig.  Nun  scheint  dem  Verfasser  aber 
das  Reimwort  zu  puler  Schwierigkeit  gemacht  zu  haben.  Da  wird  ihn  dann  der 
ähnliche  Klang  von  fieper  und  fUper,  Schläfer,  sowie  dass  er  mit  puler  .bereits 
mehr  eine  menschliche  Eigenschaft  bezeichnet  hatte  als  ein  eigentliches  Gewerbe, 
bewogen  haben,  den  Faulpelz  in  die  Aufzählung  zu  bringen.  In  fieper  steckt  also 
wohl,  wenn  man  es  so  nennen  will,  ein  Wortspiel.  Die  Bedeutung 'Faulenzer7  wird 
für  vuler  auch  durch  nndd.  fulert  bestätigt;  vergL  bei  Schottet,  Teutsche  Haubt 
Sprache  S.  1116  das  Sprichwort:  Faulert  muss  zerrissen  gehn. 

1138.  haveman.  Die  richtige  Erklärung  dieses  Wortes  hat  K.  E.H.  Krause 
in  der  Germania  XVI,  9?  gegeben.  Für  '  colonus '  scheint  (s.  Mndd.  WB.)  die  Form 
Jiofman  üblich  gewesen  zu  sein,  für  den  'decuriensis,  armiger,  aulicus'  dagegen 
hoveman. 

1351.  hebte  dat  ey,  dar  de  kenne  myt  deme  pelfe  af  lep  sagt,  nach  Schröders 
Berichtigung,  Lucifer  dem  Noytor,  als  der  ihm  den  Bäcker  mit  den  Worten  bringt: 


hir  is  de  feie,  de  ik  grep.  Z.  1351  ist  ungebührlich  lang.  Damm  lesen  E.  und  Fr. 
mit  deme  velfe  weg  und  theilen  den  Vers  noch  dem  Noytor  zu:  nimm  das  stinkende 
Ei.  nemlicn  die  Seele.   Schwerlich.    Der  Vers,  von  Lucifer  gesprochen,  wird  Bezug 


mit  deme  velfe  weg  und  theilen  den  Vers  noch  dem  Noytor  zu:  nimm  das  stinkende 
Ei.  nemlicn  die  Seele.  Schwerlich.  Der  Vers,  von  Lucifer  gesprochen,  wird  Bezug 
nehmen  auf  das  braden  ey,  um  welches  Z.  1 329  Astrot  als  Lohn  der  Teufel  bittet. 
Myt  dem  pelfe  stempelt  die  Henne  zur  Laus,  das  Ei  wäre  die  Nisse.  Die  Laus 
heisst  wegen  ihrer  Farbe  auch  Mttllerfloh.  Vielleicht  hat  der  weissbestäubte  Bäcker, 
den  Noytor  bringt,  diese  Fassung  des  Dankes  veranlasst.  Sonst  gäbe:  hebbe  dat 
ey  dar  de  henne  af  leep  auch  schon  guten  Sinn:  „ein  faules  Ei". 

1 375  ff.  werpet  den  becker  an  de  heue 

unae  fettet  ene  an  den  gloendeghen  aven, 

dar  ßt  lie  warmer  wen  an  deme  ftaven. 
Ettmüller  und  Freybe  verstehen  unter  dem  ftaven  die  Badstube.    Das  kann   nicht 
richtig  sein.   Mit  der  hatte  der  Bäcker  nicht  mehr  zu  thun  gehabt,  als  jeder  Andere. 
Es  ist  die  neben  oder  über  dem  Ofen  befindliche  Backstube. 

1408  f.  ach,  were  ik  mynfche,  alzo'ik  vore. 

wat  ik  to  deme  fchowerke  nicht  enlcore. 
Drosihn  will  my  ergänzen  in  Z.  1400:  „was  ich  zu  dem  Schuhwerke  mich  nicht  be- 


49 

stimmte!"  Der  Sinn  ist  richtig  gefasst,  aber  die  grammatische  Construction  ist  mis- 
verstanden.  kefen  to  heisst  „sich  für  etwas  entscheiden,  etwas  wählen";  s.  Lexer 
Mlid.  Wb.  Woeste  verkehrt:  „Was  ich  zu  der  Schusterei  nicht  wählen  würde!  d.  h. 
ich  weiss  nun,  was  ich  als  Schuster  nicht  thun  würde!"     Wat  ist  'traun',  as.  hwatl 

1412.  werp  ene  an  de  loboddem.  So  steht  nach  Mone  da,  der  aber  wunder- 
licherweise den  loboden  in  den  Text  setzt,  dann  aber  noch  verwunderlicher  Z.  1413 
unverändert  lässt:  de  gy  left  vul  pekes  foden.  Schröder  will  boddem  retten,  denn 
„boddem,  mhd.  bodem  ist  richtige  Form".  Ja,  aber  für  „Boden,  Grund".  Solchen  kann 
man  jedoch  nicht  vollsieden  und  jedenfalls  wäre  dann  den  zu  schreiben  in  beiden 
Zeilen.  Ettmilller  hat  in  gleicher  Vorstellung:  an  dene  löbodeni,  „an  den  Boden, 
wo  man  die  Gerberlohe  zubereitet  und  aufbewahrt  und  das  Leder  gerbt."  Freybe 
liest  auch  an  den  loboden,  erklärt  aber  richtig:  „lohboden,  Gefäss,  Bottich,  Wanne 
(mhd.  bodene,  boden,  bodet  botte,  butte),  worin  das  Leder  durch  Lohe  gar  gemacht 
wird;  jetzt  Lokal.11  «ur  vermengt  er  nach  dem  Vorgänge  des  Mndd.  Wörterbuches 
und  Grimm'B  im  Deutschen  Wörterbuche  (unter  ' Bütte')  zwei  fanz  verschiedene 
Wörter:  bodene,  auch  boddene,  oder  mit  Verkürzung  boden,  bode  ist  — mhd.  büttene, 
hatten,  bütte,  ags.  byden,  nndd.  bödden,  bö(d)e,  und  andererseits  butte  =  mhd.  butze, 
ags.  butte,  bytte,  nndd.  butte.  Die  beiden  Ausdrücke  bedeuten  ziemlich  dasselbe, 
werden  auch  bisweilen  verwechselt,  allein  im  ganzen  ist  bodene  ein  Fass,  eine  Kufe, 
ein  Bottich,  das  grössere  Gefäss,  butte  eine  Bütte,  eine  Balje,  das  kleinere.  Bodene 
ist  speciel  ein  technischer  Ausdruck  für  die  Badekufe,  die  Brauerkufe,  den  Mühl- 
steinkasten und,  wie  wir  hier  sehen,  für  die  Gerberkufe.  Das  Wort  ist  Femininum, 
und  demnach  steht  ganz  recht  in  der  Handschrift  beidemal  de.  Wenn  wirklich  die 
Handschrift  loboddem  hat,  so  ist  das  Confusion,  vielleicht  aber  hat  sie  loboddene. 
Der  Dichter  muss  lobodden  oder  loboden  geschrieben  haben,  reimend  auf  foden  (mit 
kurzem  o). 

1442  f.  myt  der  heten  natelen  neghede  ik  dat  want, 

dat  de  nad  jo  drade  uprant. 
Ettro.  bessert  updrant,  „dass  die  Nath  immer  sogleich  aufsprang,  drinden  drückt 
eigentlich  schwellen,  aufschwellen  aus."  Dros.  billigt  diese  Aenderung,  denn  uprant 
sei  sinnlos.  E.'s  Erklärung  hält  er  aber  mit  Recht  für  unbegreiflich.  Aufschwellen 
und  aufspringen  ist  eben  nicht  dasselbe.  Was  er  aber  herausliest,  ist  noch  un- 
begreiflicher: „vielmehr  kommt  es  von  updrennen,  was  hier  intr.  steht,  aufgehen, 
dissui.  Mhd.  ist  trin?ien,  stv.  intr.,  fortgehen,  auseinandergehen,  dazu  gehört  als 
factitiv:  trenne,  schwv.  trans.,  trenne,  scheide.  Im  Nd.  ist  beides  in  einander  ge- 
flossen und  das  schw.  v.  wird  als  trans.  und  intrans.  gebraucht,  wie  noch  mundart- 
lich z.  B.  in  Neu-Stettin."  Es  scheint  Dr.  gar  keine  Bedenken  gemacht  zu  haben, 
dass  es  dann  updrande  heissen  müsste,  was  nicht  reimen  könnte  zu  want.  Dazu 
sind  trinnen  imd  trennen  hd.  Wörter.  Es  giebt  kein  ndd.  drinnen  und  dre?inen. 
Gegen  Ettmüller  ist  zu  bemerken,  dass  das  Ndd.  ein  drinten,  nicht  drinden  hat; 
doch  würde  das  Praeteritum  updrarit  lauten  und  hier  reimen.  Woeste,  der  diese 
Bedenken  geltend  macht,  fragt  mit  Hecht,  warum  man  ändern  solle.  „Uprant  kann 
Praeteritum  eines  st.  V.  uprinden  sein."  Seiner  weiteren  Auseinandersetzung  kann 
ich  nicht  beipflichten,  weil  Rinde  und  zurinden,  verharschen,  und  ein  angesetztes 
starkes  intrans.  rindan  'umgeben,  bedecken ■  nicht  eines  Stammes  und  einer  Bedeu- 
tung mit  jenem  uprinden  zu  sein  scheinen.  Das  stv.  rinden  in  uprinden  wird  das- 
selbe Wort  sein,  wie  anord.  hrinda,  ags.  hrindan,  'stossen'.  Ableitungen  sind  die 
schwachen  Verben  ags.  hrendan,  rendan,  engl,  to  rend,  afries.  renda,  'zerreissen, 
zerbrechen'.   Das  Particip  des  engl.  Verbs  lautet  rent,  das  des  afries.  erent,  rent, 


Hausgeräth 

auch  versucht,  die  Ausdrücke  rende  und  rantfehiven  der  Goslarer  Berggesetze 
§  1 62  (Leibniz,  Scriptor.  Rer.  Brunsvic.  III,  547.  Vaterland.  Archiv  des  hist.  Vereins 
für  Niedersachsen  1841  S.  322)  mit  Hülfe  dieses  Wortstammes  zu  erklären. 

1450  ff.  werpet  ene  (den  fchroder)  an  der  helle  grünt, 

dar  fchal  he  ligghen  fo  en  hunt 

N  lederden  tsohes  Jahrbuch  XVI.  4 


50 

und  an  der  ewighen  kette  braghen; 

he  heft  fo  meneghen  man  bedraghen. 
Ettmüller  ändert  broaen  (ibedrogen)  „und  an  der  ewigen  Hitze  prahlen,  gross than' 
Dr.  hält  brägen  für  das  Brem.  broien,  mhd.  brüejen,  ags.  brövan.  brühen,  hier  intr. 
gebrtibt  werden,  braten.  W.  nieint,  bis  die  Bedeutung  von  bragen  und  bragrr 
(Bruns  Beiträge  3,  346)  belegt  werden  könne,  genüge  vielleicht  folgendes:  hd.  brägei. 
brägeln  setzen  ein  bragen  voraus,  dessen  Sinn,  „schmoren,  braten",  hier  passv 
brager  bedeute  dann  „fc&hmorer,  Brater*'.  Mir  stehen  die  Beiträge  von  Bruns  nicht 
zu  Gebote,  so  dass  ich  über  die  daselbst  vorkommenden  Wörter  bragen  und  bragrr 
nicht  urtheilen  kann.  Gegen  £.  und  W.  ist  einzuwenden,  dass  brogen  und  brägd* 
oberdeutsche,  höchstens  auch  noch  md.  Wörter  sind,  hingegen  im  Ndd.  nichts  ihnen 
Verwandtes  nachzuweisen  ist.  Dr.'s  Erklärung  verdient  keine  Erwägung,  weil  sie 
im  Widerspruch  mit  einem  Lautgesetze  steht.  Wider  alle  drei  Deutungen  ist  zu 
sagen,  dass  sie  jede  nur  einen  allgemeinen  Sinn  ergeben,  während  doch  Lucifer  die 
Straf  bestimmungen  der  einzelnen  Handwerker  je  nach  deren  Geschäft  und  Geschäfts- 
sünden variiert,  bragen  kann  meines  Erachtens  daher  nur  das  mndd.  bragm  'kal- 
fatern, die  Risse  der  Schiffe  mit  Hede  und  heissem  Pech  verstopfen'  sein,  mit 
Uebertragung  des  Ausdruckes  auf  das  Flicken  oder  Stopfen  der  durch  die  Schuld 
des  Schneiders  gerissenen  Kleidungsstücke. 

1476  f.  waters  nam  ik  gar  ghenuch, 

des  waters  cleyne  was  myn  ghevoch. 
E. :  „an  Wasser  hatte  ich  keinen  Mangel."  Fr. :  „an  Wasser  mir  nimmer  ein  Mangel 
war.-'  Die  Worte  besagen  aber:  „ich  brauchte  wenig  Wasser",  also  gerade  das 
Gegentheil  von  dem.  was  im  vorhergehenden  Satze  gesagt  ward.  Im  Urtext  muss 
ein  anderes  Wort  für  water  gestanden  haben,  wahrscheinlich  eins,  welches  gleich- 
falls mit  w  begann  und  auch  sonst  ähnlich  dem  waters  aussah;  ich  vermuthe  icete*, 
Genetiv  von  wöte  'Weizen'.  Der  Krüger  spricht  erst  nachher  vom  Verkauf  und 
Verzapfen  der  Getränke,  hier  dagegen  vom  Biermachen.  Der  Ausdruck  vele  bm 
maken  kann  sich  recht  gut  auf  die  nachträgliche  Verdünnung  des  Biers  beziehen: 
dann  müsste  1477  nach  Koppmann's  Conjectur  beres  statt  waters  gelesen  werden. 
Der  Krüger  ist  aber  wohl  zugleich  als  Brauer  zu  denken  und  6er  maken  als  '  Bier 
brauen'  zu  nehmen.  Die  damaligen  Biere  waren  bekanntlich  zum  grossen  Theil 
Weizenbiere.     Wete  für  weten  mott  hat  nichts  bedenkliches. 

1482  ff.  wen  %k  woneber  mat, 

ik  wene,  dat  ik  des  ne  vorqat, 

de  kavent  maße  mede  anßxghen. 
E.:  „Das  woneber  finde  ich  nirgends  erklärt;  hätte  man  wonnebir  oder  icunneber  ru 
lesen,  so  könnte  das  Frühlines-  oder  Erntebier  ausdrücken.    Es  ist  ein  starkes, 

f ehaltvolles  Bier  damit  gemeint,  da  ihm  der  kovent.  das  Nachbier,  gewöhnliche 
'ischbier,  entgegengesetzt  wird."  Dros.  trennt  wone  her  und  liest  wonne  =  tcanrtr 
'  ehedem'.  Aber  dagegen  muss  gesagt  werden,  dass  mndd.  wonne  für  wanne  nicht 
vorkommt.  W.  trifft  es  richtig,  wie  Mone,  wenn  er  urtheilt:  „man  erwartet  ein 
Attribut  des  Bieres  im  Gegensatz  zu  kavent":  er  findet  daher  eine  Aendernng  in 
waneber  oder  fconebßr  gerathen  und  verweist  wegen  des  ersteren  Wortes  auf  westf. 
wdn,  gross,  schön,  kräftig.  Fr.  bezweifelt,  dass  Drosihn's  wonne  =  wanne  möglich 
sei,  „auch  wäre  wen  ik  wanne  ber  mat  pleonastisch.  Dav.  Franck  (Meklenb.  1,  5tf. 
57)  erzählt  uns,  dass  zur  Erntezeit  Wodelbier  gereicht  sei.  Es  wird  hier  dem- 
nach wodeber  statt  woneber  zu  lesen  sein.  Selbst  das  Wode-  oder  Wodelbier,  das 
Schnitterbier,  hat  der  Krüger  gefälscht."  Er  wird  die  Ausübung  seines  Betrages 
nicht  auf  die  kurze  Zeit  des  Wodelbieres  beschränkt  haben,  wozu  ihm,  wenn  er 
nach  der  Darstellung  des  Schauspiels  ein  städtischer  Wirth  war,  überhaupt  alle 
Gelegenheit  gefehlt  haben  wird.  Das  Woeste'sche  wdn  ist  kein  meklenbnr^iscbes 
Wort;  und  wonneb&r  ist  eine  sehr  unwahrscheinliche  Bildung.  Zu  leugnen  ist  ledoch 
nicht,  dass  die  Lesarten  von  E.,  W.  und  Fr.  palaeographisch  nicht  viele  Bedenken 
haben.  Ist  anders  zu  lesen,  so  würde  mir  Koppmann's  Lesung  wene  für  richtiges 
weme,  jemand,  im  Dativ  am  besten  gefallen.  Steht  aber  wirklich  wone  da,  so  ist 
es  wohl  das  Adjectiv,  sonst  auch  gewone  mhd.  getcone,  mndd.  ghexcone,  mndl.  troo«, 
gewöhnlich:  das  gewöhnliche  Bier,  das  Bier  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  im 
Gegensatz  zum  Nachbier. 


51 

1494  ff.  myne(n)  leven  knechte,  wefeftj  rede 

unde  ghevet  derne  krogere  has  mede; 

fettet  ene  bi  de  heten  hupen 

unde  ghevet  em  drynken  mit  der  fchupen. 
E.  findet  hier  wieder  haffe,  ahd.  hahfat  Knjcbug:  „hasmidc  (=~Miethe)  mag  entweder 
Schläge  an  das  Knie  oder  Durchschneidung  der  Flechsen  am  Knie  bezeichnen,  eine 
bekannte  Strafe  im  Mittelalter."  Man  würde  haffemede  erwarten;  aber  die  Wort- 
bildung ist  unglaublich  und  passt  durchaus  nicht  zum  folgenden.  Sehr.:  „mede  ist 
Miethe,  Lohn.  Für  has  schlage  ich  vor  hast,  mndl.  haest,  adv.  schnell,  hastig;  also: 
gebt  dein  Krüger  schnell  seinen  Lohn."  Dros.  vermutet  halspmete,  Schläge  an  den 
Hals,  ins  Genick.  Das  steht  nicht  da,  aber  es  passt  vor  allem  auch  nicht  in  den 
Zusammenhang  der  Rede.  W.  tadelt  füglich  auch  den  höchst  unreinen  Reim. 
Ueberdies,  fährt  er  fort,  empfehle  sich  miete  (Lohn,  iron.  Strafe)  als  das  Allgemeine, 
dem  die  besondere  Angabe  folge.  Man  könnte  has  ans  haße  (Soest  F.  687)  verderbt 
denken  und  übersetzen:  gebt  dem  Krüger  rasch  Lohn!  Wahrscheinlich  bedeute 
aber  Msmede  gewaltsamen,  schrecklichen  Lohn.  W.  vergleicht  haisswerk  bei  Schüren 
C-bron.  276,  dass  die  verbitterten  und  schrecklichen  Kämpfe  der  Soester  Fehde  be- 
zeichnen und  aus  haistwerk  entstanden  sein  müsse  und  dessen  erster  Bestandtheü 
dem  goth.  haifsts  und  ags.  heest  entspreche,  auch  in  der  ursprünglichen  Bedeutung, 
während  das  gewöhnliche  mndd.  hast  nur  noch  eine  gemilderte  des  Eilens  habe. 
W.  rügt  richtig  an  Schröders  Conjectur,  dass  man  nicht  hast,  sondern  haste  als 
Adverb  erwarten  müsste.  Seine  eigene  Erklärung  dünkt  mich  in  mehrfacher  Be- 
ziehung unwahrscheinlich:  einmal  die  Lesart  haisswerk1)  bei  Schüren,  da  wir  nicht 
wissen,  ob  der  Herausgeber  Tross  richtig  gelesen  hat,  auch  nicht,  ob  der  Nieder- 
rheinländer nicht  einem  hd.  Ausdruck  Eingang  in  seine  Sprache  verstattet  hat. 
Dann  ist  auch  haiss  eine  bedenkliche  Entstellung  von  hast.  Ferner  ist  noch  nicht 
ohne  weitere  Zeugnisse  anzunehmen,  dass  ein  ndrhein.  Wort  auch  in  Meklenburg 
galt.  Und  endlich  ist  die  sonst  nicht  belegte  Bewahrung  der  alten  Bedeutung  höchst 
fraglich. 

Lübben  hat  im  Mndd.  WB.  has  als  Entstellung  von  hars  'Harz'  und  mede 
als  besonderes  Wort  genommen;  er  versteht  also  wohl:  gebt  ihm,  theilt  ihm  Harz 
mit,  gebt  ihm  Harz  ein.  Die  Besserung  ist  leicht  und  einsichtsvoll.  Lübben  selbst 
giebt  sie  nicht  als  eine  Textbesserung,  er  hält  has  für  einen  frühen  Beleg  des 
nndd.  hass  =  mndd.  hars.  Nun  heisst  Harz  allerdings  mndd.  gemeiniglich  hart 
selten  hars;  aber  die  Form  ist  doch  nicht  unerhört  und  entspricht  dem  mndl.  und 
und  (neben  harz)  mhd.  hars.  Ich  möchte  von  Lübben  abweichend  glauben,  dass, 
wie  oft.  entweder  das  ein  r  ausdrückende  Zeichen,  der  Haken,  über  dem  Vocal 
vom  Schreiber  vergessen  oder,  weil  zu  schwach  gerathen,  erloschen  ist.  Weiter 
halte  ich  mede  'mit'  für  überflüssig,  kenne  auch  kein  medegeven  für  mittheilen, 
geben,  harsmede  wird  e  i  n  Wort  sein.  Es  fragt  sich,  ob  mede  Lohn  oder  Meth  ist. 
Will  man  reinen  Reim  auf  rSde,  dann  ist  das  Erstere  anzunehmen.  Allein  ' Harz- 
loh n'  giebt  keinen  guten  Sinn.  Wenn  mide  vom  Dichter  gemeint  ist,  würde  ich 
lieber  annehmen,  dass  has  statt  hals  verschrieben  wäre;  denn  halsmcde  würde  gut 
zum  Handwerk  des  Krügers  und  ebenso  zu  den  folgenden  Versen  passen:  wie  er 
sich  versündigt  hat  an  dem,  was  er  seinen  Gästen  für  ihre  Gurgel  verkaufte,  so 
wird  er  auch  ähnlich  gestraft.  Denselben  passenden  Sinn  würde  aber  auch  'Harz- 
nieth'  ergeben,  Meth,  der  aus  heissem  Harz  besteht;  ja,  wohl  noch  einen  passen- 
deren, und  darum  ziehe  ich  harsmede  vor.  Der  unreine  Reim  hat  nichts  bedenk- 
liebes. Wenngleich  im  Schauspiele  S  und  e  nicht  reimen,  so  kommen  doch  ein  paar 
Ausnahmen  vor.  Gar  nicht  rechnen  will  ich  Sr  und  er  wegen  des  Einflusses  des 
nachfolgenden  Consonanten;  es  finden  sich  auch  ziemlieh  viel  Beispiele  dieses 
Reimes,  z.B.  speren:keren  229.  hören :  untberen  898.  höre :  vere  1108.  1210.  kören: 
heueren  1950.  *Aber  beweisend  für  die  Freiheit  des  Dichters,  i  und  e  zu  reimen, 
sind:  wartöken :  ßeken  729,  weghen :  andreghen  1517  und  gar  ik  ben  (bin):  fchin 
1688,  ähnlich  wie  not :  got  45. 


')  [In  dem  erhaltenen  Autograph  des  Verfassers  steht  haifwerck  geschrieben, 
s.  Clevische  Chronik  des  Gert  van  der  Schuren,  herausgegeben  von  R.  Schölten 
(1884)  S.  150.    üeber  hove-,  havewerk  vgl.  das  Mnd.  Wb.] 

4* 


52 

Noch  bemerke  ich  zu  kupe  und  fchupe.  dass  £.  und  Fr.  nicht  ganz  klar  über 
diese  Wörter  gewesen  zu  sein  scheinen.  Wir  haben  im  Ndd.  zwei  Wörter,  welche 
in  der  Bedeutung  dem  mhd.  kuofe,  nhd.  Kufe  entsprechen :  köpe,  as.  cöpa,  und  kupe. 
Dies  letztere,  von  dem  küper  'Küfer'  abgeleitet  ist,  steht  dem  ndl.  kuip  gleich. 
Man  gebraucht  diese  beiden  Ausdrucke  nicht  beliebig  für  einander,  sondern  jedes 
hat  sein  besonderes  Gebiet  der  Verwendung.  Flüssigkeiten,  z.  B.  Bier  und  Wasser, 
werden  in  Kopen  gefasst;  Fleisch  aber  wird  in  Küpen  ffepekelt  und  aufbewahrt 
Ebenso  sind  schöpe  und  fchüppe  verschieden.  Mit  der  Schope  wird  Bier  und  der 
flüssig  gemachte  Kalk  geschöpft,  mit  der  Schuppe  schaufelt  oder  wirft  man  Erde. 
Korn,  Feuerung.  Hier  sind  natürlich  mit  kilpe  und  fchupe,  beide  ohne  Umlaut,  das 
Gefäss  und  die  Schöpfkelle  für  Flüssigkeiten  gemeint,  und  die  Schreibung  u  soll 
das  ü  oder  ou  ausdrücken,  welches  sich  aus  dem  alten  o  entwickelt  hat 

1507  ff.  Evdj  du  büß  myn  deve  kumpan! 

Wane!  fo  motestu  nummer  neten. 
my  dünkt,  du  konst  de  spolen  fcheten. 
E.  und  Sehr,  lassen  den  Lucifer  den  ersten  Vers  zum  Belsebuc  sprechen  und  ihn 
sich  dann  mit  dem  zweiten  an  den  Weber  wenden.  Ich  meine,  dass  auch  Z.  1508 
noch  an  Belsebuc  gerichtet  ist  Mit  dem  folgenden  Verse  verbunden,  gibt  150* 
keinen  Sinn.  „Ei,  so  musst  du  nimmer  geniessen,  mich  dünkt  du  kannst  die  Spule 
schiessen":  was  soll  da  der  erste  Satz  bedeuten?  Die  Worte  beziehen  sich  offen- 
bar auf  den  Vers  1503  der  Rede  ßelsebuc's:  tpru  vort  tprul  Die  Erklärung  dieses 
Verses  von  Zacher  ist  ohne  Zweifel  richtig.  Auf  solche  unwillkürliche  Aensserung 
seines  allzuhastigen  Knechtes  antwortet  Lucifer:  „Pfui!  so  musst  du  niemals  niesen!*4 
Da  niesen  aber  ndd.  nifen  heisst  und  nicht  nöten,  so  ist,  wenigstens  für  diese 
Stelle,  Entlehnung  aus  einem  md.,  wahrscheinlich  mrhein.,  Original  anzunehmen,  in 
dem  niesen,  wofür  auch  ni essen  vorkommt,  und  schieszen  einen  im  14.  und 
15.  Jahrh.  ganz  erträglichen  Reim  ergeben  würden. 

1582  f.  hadde  ik  buckynck  edder  al, 

den  luden  ik  ere  ghelt  af  hdl. 
E.  ändert  hol  in  ßal  und  Fr.  übersetzt  „abstahl".  Das  that  der  Höker  aber  auch 
mit  den  übrigen  Betrügereien,  die  er  nennt,  ghelt  ist  nicht  geld,  das  Geld,  sondern 
gelt,  die  Milch  der  Fische.  Nach  Nemnich,  Polyglotten-Lexicon  der  Naturgeschichte, 
Lief.  III  (Bd.  II)  Sp.  289  war  das  Wrort  einst  auch  im  Ndl.  vorhanden:  lactes,  holl. 
hom,  milt,  gelt.  Die  Milch  der  Bücklinge  gilt  bekanntlich  als  Delicatesse  und  als 
Hausmedicin  gegen  Halserkältung.  Wie  es  um  die  Aale  beschaffen  ist,  deren  Fort- 
pflanzung lange  im  Dunkeln  lag,  mögen  die  Naturforscher  entscheiden;  wir  haben 
es  hier  nur  mit  der  Meinung  des  Schriftstellers  und  seiner  Zeit  zu  thun.  hdl  (wahr- 
scheinlich wird  hael  dastehen)  ist  Praeterit  vom  st.  V.  helen  hehlen,  verheimlichen, 
hier:  heimlich  stehlen  und  den  Kunden  vorenthalten,  um  durch  den  Sonderverkauf 
ausserdem  zu  profitieren. 

1665.  ik  lape  alzo  en  bakaven. 

Lapen  ist  ' schlürfen';  vgl.  650.    Es  ist  jape  zu  lesen. 

1768  wird  eyneme  ghevughe  statt  ghenughe  zu  lesen  sein;  denn  genöge  ist 
feminin. 

1805.  dat  leße  fchap  fehlt  jo  in  den  ßa\ 

sagt  Lucifer  vom  Satanas,  welcher  den  erfolgreich  Widerstand  leistenden  Pfaffen  in 
die  Hölle  bringen  will.  E.  und  Fr.  ändern  beße:  „auch  der  Klügste  begeht  zu- 
weilen, mal  eine  Dummheit".  Jo  heisst  aber  „immer,  jedesmal".  Und  Satanas  ist 
der  letzte  der  mit  Seelenbeute  heimkehrenden  Teufel.  Es  ist  daher  nichts  zu 
emendieren,  höchstens  im  vorhergehenden  Verse  (hir  umme  fet  nu  averal)  fet  ttu 
in  fecht  me;  Freybe:  „Darum  sagt  man  überall."  Allein  nöthig  ist  Such  das  nicht 
Lucifer  spricht  zu  den  Umstehenden :  Da  seht  ihr  es  alle  mal  wieder,  wie  recht  das 
Sprichwort  sagt. 

1846  ff.  ja  ja,  bist  unde  vlok, 

den  bynt  to  hope  an  enen  dok; 

wen  au  ene  wedder  up  byndeß, 

fo  fe,  wat  du  dar  ynne  vindeß. 


53 

E.  und  Fr.  quälen  sich  mit  Mone's  falscher  Lesung  ab.  Es  ist  vi8t,  crepitus  ventris, 
zu  lesen  und  im  nächsten  Verse  wohl  de  statt  den. 

1875.  ik  hadde  wol  an  en  muschel  ghekropen. 

Statt  muschel  ist  musehol,  n.,  zu  lesen:  Mauseloch. 

1892.  dar  moftu  alzo  en  pwyn  vtUen. 

Es  ist  wulen  =  wolen  (ikolen  l kühlen '),  wölen  'wühlen'  zu  verstehen. 

1904  f.  deffe  arme  stumper  is  beäraghen, 

he  mot  varen  an  den  molenpaghen. 
Molenpaghe  ist  der  Esel.  Satanas,  der  vom  Priester  in  dai  wilde  brök  oder  an  den 
wilden  wolt  gebannt  wird,  ist  damit,  wie  wir  etwa  sagen  würden,  auf  den  Esel  ge- 
kommen.   Dieselbe  Bedeutung  hat  molenpaghe  1979  f.: 
werstu  ok  fo  fwar  alzo  en  molenfak 
unde  lhaddeß  ok  gheßaken  den  gantzen  molenpaghen. 

Hamburg.  C.  Walther. 


Die  Bohne  und  die  Vietzebohne. 

• 

Wo  in  letzter  Zeit  über  die  Bohne  sprachlich  geredet  ist,  wurde 
fast  durchgehends  auf  die  botanische  Stellung  dor  Pflanze  keine  Rück- 
sicht genommen,  und  abgesehen  von  der  vielfachen  Uebertragung  des 
Namens  auf  andern  Samen J)  fast  nie  beachtet,  dass  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert sich  allmählich  eine  fast  vollständige  Verschiebung  gegenüber 
dem  Mittelalter  geltend  machte,  welche  schliesslich  sogar  die  Etymo- 
logie zu  beeinflussen  anfing  und  auch  in  die  Erklärung  der  alten 
Klassiker  sich  einschlich. 

Wenn  wir  heute  im  Gespräch  von  Bohnen  reden,  und  selbst  wo 
wissenschaftlich  darüber  geschrieben  wird,  schwebt  dem  Sprechenden 
oder  Schreibenden  fast  stets  die  Gartenbohne,  sei  es  die  niedrige 
Kriech-(ndd.  Krup-)bohne  oder  die  kletternde,  an  Stangen  rankende  vor, 
der  Phaseolus  vulgaris  L.,  und  die  alte  ächte  Bohne,  Vicia  Faba  L. 
wird  dabei  übersehen.  Campe,  selbst  Grimm  im  D.  Wb.,  auch  ten 
Doornkaat  Koolman  I,  S.  202  f.  scheinen  sogar  vorauszusetzen,  dass 
der  Gartenbohne  zuerst  der  Name  zukomme  und  dann  auf  die  „Sau-", 
Pferde-  oder  Grossebohne  übertragen  sei. 

Nun  steht  jetzt  aber  fest,  dass  der  Phaseolus  der  heutigen  Bo- 
tanik nicht  der  der  Alten:  Dioscorides,  Columella  und  Plinius,  ist,  son- 
dern aus  Amerika  stammt2),  die  niedrige  Strauch-,  Kriech-  oder  Krup- 

')  Vgl.  J.  H.  Campe,  Würterb.  d.  D.  Spr.  I,  S.  590  v.  Bohnenbaum;  Grimm, 
D.  Wb.  1,  S.  226  (Bohnenbaum);  Heyne,  D.  Wb.  I,  S.  466  f.  Ferner  noch  Kaffee- 
bohne, Cacaobohne  etc.  Wilhelm  von  Boldensele  erzählt  im  Iter  ad  terram  sanctam 
S.  322  (Ztschr.  des  historischen  Vereins  fllr  Niedersachsen  1852),  dass  die  camelarii 
ihren  Kamelen  in  der  Wüste  fabas  siccas  in  kleinen  Portionen  geben.  Er  meint 
Dattelkerne. 

f)  In  Schübler  und  v.  Martens,  Flora  von  Würtemberg,  Tübingen  18S4, 
8.  471  wird  Phaseolus  vulgaris,  die  Stangenbohne,  noch  als  aus  Ostindien  stammend 


54 

bohne,  Ph.  vulg.  nanus,  sogar  aus  Peru  und  Chile3).  Sie  kann  daher 
trotz  der  Schnelligkeit  mit  der  damals  sich  fremde  auffallende  oder 
nützliche  Pflanzen  verbreiteten4),  erst  im  dritten  Viertel  des  16.  Jahr- 
hunderts weiter  bekannt  geworden  sein,  die  kletternde  (brasilianische?! 
vielleicht  etwas  früher.  Nach  R.  A.  Philippi  in  Santiago5)  führte  die 
Krupbohne,  die  jetzt  in  Chile  frejol,  früher  frijol,  frisol  mit  einem 
Fremdwort  genannt  wird,  dort  früher  den  einheimischen  Namen  dvgul 
und  in  Peru  den  dort  heimischen  purutu  oder  purrutu;  er  hält  frejol 
für  angeglichen  an  phaseolus  (die  Fisolen)  nach  Chaos  Diceionare 
encyclopedico  (1853)  soll  es  aber  (nach*  F.  M.  a.  a.  0.)  ein  amerika- 
nisches Wort  sein,  das  Dr.  Reiss  auf  Westindien  oder  das  südliche 
Nordamerika  zurückführt.  Die  Stangenbohne  (Ph.  vulg.),  sagt  Philippi. 
sei  in  Peru  und  Chile  nicht  zu  Hause;  doch  führt,  nach  De  Candolle. 
Rochebrune  auch  den  Phaseolus  multiflorus  Willd.,  unsere  Feuerbohne 
oder  türkische  Bohne,  wahrscheinlich  in  der  dickschaligen  weissen 
Abart  der  Mandel-  oder  Schminkbohne,  aus  den  Gräbern  von  Aneon 
bei  Lima  an,  und  beim  Nürnberger  Ratsphysikus  Camerarius  werden 
a.  a.  0.  S.  124  Phaseoli  Africani  oder  Brasiliani  genannt.  Wittmaek 
hält  die  Krupbohne  für  zuerst  um  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  ein- 
gebürgert; Camerarhis  kannte  sie  1580  noch  nicht;  denn  von  seinen 
phaseoli  pumiliones  albi  et  nigri  sagt  er,  sie  würden  um  Nürnberg 
wegen  der  Kälte  häufig  nicht  reif;   und  S.  161  sagt  er  ausdrücklich: 


angegeben,  der  alte  Tabernaemontanus  aber  weiss  noch,  dass  sie,  die  „türkische 
oder  welsche"  Bohne  aus  Amerika  sei.  Vergl.  jetzt  die  entscheidenden  Unter- 
suchungen von  L.  Wittmaek  in  Verhandl.  des  Bot.  Vereins  der  Prov.  Brandenburg, 
XXI.  Sitz.-Ber.  S.  176;  derselbe:  „Unsere  jetzige  Kenntnis  vorgeschichtlicher  Samen, 
im  Berichte  der  deutschen  Botan.  G eselisch.  IV,  1886,  S.  XXXI— XXXV.  F.  M.  im 
Globus  50,  No.  5  S.  72— 74.  — Humboldt  1887,  Nr.  1  S.26;  Wittmaek,  Die  Heimat 
der  Bohnen  und  Kürbisse,  in:  Berichte  der  Deutschen  Bot.  Ges.  6.  (1888),  S.  374— 
380.  Der  phasiolus  oder  phaselus  der  Alten,  den  Cato  und  Varro  noch  nicht  kennen, 
der  aber  bei  Columella  und  Palladius  als  Feldfrucht  (also  nicht  als  St&ngenf nicht) 
aii8gesiiet  wird,  muss  erbsenähnlich  gewachsen  sein,  denn  während  die  als  Dünger 
und  Viehfntter  massenhaft  gebaute  weisse  Lupine  10  modios  als  Aussaat  für  den 
jugerus  forderte,  sind  von  Erbsen  und  phaselus  nur  4,  von  der  bei  weitem  wich- 
tigeren Faba  aber  nach  dem  von  Columella  citierten  Treinellius  6,  nach  Columella 
selbst  nur  4  modii  nötig  (Colum.  2,  20.  Pallad.  XI,  1}.  Was  der  phaseolus  ursprüng- 
lich gewesen  sei,  hat  Fr.  Körnicke,  Zur  Geschichte  der  Gartenbohne,  in:  Ver- 
handl. des  Naturhist.  Vereins  des  preuss.  Rheinlandes  und  Westfalens  (1885.  Vergl. 
Globus  a.  a.  O.  S.  78)  nachgewiesen,  wenn  er  auch  dem  Columella  irrtümlich  die 
(plinianischc)  Nachricht  zuschreibt,  dass  der  phaselus  „mit  den  grünen  Schoten" 
gegessen  sei.  Dass  man  später  in  den  Südländern  auch  eine  Stangenfrucht  phaseo- 
lus hatte,  ist  ebenfalls  sicher.  Körnicke  führt  beide  auf  Vigna  sinensis  Endl.  zurück. 
Die  ältere  Strauchform  als  Dolichos  melanophthalmos  DC..  die  Stangenform  als 
Dolichos  sinensis  L.  Beide  sind  für  Untersuchungen  deutscher  Pflanzen  ohne  Wert, 
da  sie  unser  Klima  nicht  ertragen;  aber  der  Name  phaselos  hat  sich  hier  früh  auf 
erbsenartiges  Gemüse,  dann  auf  die  amerikanische  Bohne  verschoben.  Vergleiche 
F.  Hock,  Nährpflanzen  Mitteleuropas.  1890  (FF.  z.  D.  Landes-  u.  Volkskunde  V,  1). 

8)  Globus,  51  (1887)  Nr.  10,  S.  157  f. 

*)  So  die  Sonnenblume,  Helianthus  annuus,  schon  1580  in  den  Gärten  als 
Chrysanthemum  Peruvianum  verbreitet.  S.  Joachim  Camerarius,  Hortus  medicus  et 
philosophicus  S.  60.  Viel  rascher  noch  der  Tabak. 

B)  Globus  a.  a.  O. 


55 

Smilax  hortensis  (&  i.  der  Dolichos),  phasioli  vulgo,  und  in  Nathan 
Chytraeus  Nomenciator  Latino-saxon.  (1590)  heissen  sie  gegenüber  der 
faba,  Bon,  S.  422  und  441 :  phaseolus  (phasioli)  „welsche  Bonen"  als 
neu  eingeführte.  Dagegen  kennt  derselbe  Chytraeus  schon  früher  die 
Stangenbohne,  „ad  palam  eductos  lupulorum  more  pliaselos",  deren 
Wuchs  er  also  mit  dem  Hopfen  vergleicht.  Sie  müssen  aber  damals 
noch  sehr  selten  gewesen  sein,  denn  er  sendet  seinem  Gevatter  Schöne- 
mann (Caloander)  eine  Portion  grüner  Schoten  mit  einem  Kochrecept 
in  lateinischen  Versen«). 

Als  Resultat  ergiebt  sich  aus  dem  Vorhergehenden:  „Bone"  im 
Mittelalter  und  bis  zum  dritten  Viertel  des  1(5.  Jahrhunderts  ist  stets 
und  ständig  nur  unsere  „Grosse-",  „Sau-"  oder  „Pferde- Bohne",  die 
Faba  der  Alten,  Vicia  Faba  L.,  in  ihren  beiden  Abarten,  der  breit- 
früchtigen  („grossen")  und  der  kleinfrüchtigen,  die  auch  als  Feld-  und 
„Taubenbohne"  vorkommt. 

Alles  was  bis  ca.  1570  von  der  „Bone",  „Frö  Böne"  Walthers  von 
der  Vogelweide,  Gutes  oder  SchleMes  in  Brauch  und  Lied  ohne  weitere 
Bezeichnung  gesagt  wird,  bezieht  sich  auf  die  Faba,  ndd.  böne,  im 
Göttingensehen  6dwe7),  in  Vorpommern  baune*). 

Sie  hat  bekanntlich  einen  festen,  aufragenden,  sich  selbst  halten- 
den Stamm  und  rankt  nie;  mag  man  nun  bona  mit  Fick  aus  babna, 
baubna,  bauna  herleiten9),  so  ist  sicherlich  nach  der  Natur  der  Pflanze 
Adelbert  Bezzenbergers10)  Anlehnung  an  „beben",  griech.  yißofiai, 
irrig,  weil  „in  diesem  Falle  die  Ranken  (!)  von  Bedeutung  für  die 
Benennung  der  Pflanze  gewesen  wären".  Ihn  hat  die  Amerikanerin 
irre  geführt. 

Frau  Bohne  aber  reicht  in  die  ägyptische,  trojanische,  griechische 
Vorzeit  zurück M),  in  Italien  war  sie  die  bei  weitem  wichtigste  aller 
Hülsenfrüchte,  auf  deren  Anbau  man,  wie  Columella  und  Plinius  deut- 
lich verraten,  die  grösste  Sorgfalt  verwandte.  In  Spanien  isst  man 
noch  die  halb  oder  fast  reifen  Bohnen,  in  Salz  gestippt,  roh  tagsüber 


6)  N.  Chytraei  poemata.    Rostoch.  1579  fol.  151. 

Si  tarnen  has,  siliquae  detractis  undiquo  fibris, 

Cultellus  transversa  secet,  jurique  recenti 

Et  pingui,  pipere  affuco,  simul  incoquat,  Mos 

Dehcias  dices,  lauto  non  vile  palato. 
Noch  in  den  zwanziger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  kamen  die  „türkischen"  oder 
„Mandelbohnen",  phaseolus  multiflorns  Lamk..  so  auf  den  Gesindetisch.  Von  den 
herrschaftlichen  Mahlzeiten  waren  sie  schon  durch  feinere  Gartenvarietäten  des  Ph. 
vulg.  verdrängt.  S.  Krause  „Wann  ist  die  Bohne,  phaseolus  L.,  in  Mecklenburg 
eingeführt"  Arch.  d.  Ver.  d.  Freunde  d.  Naturgesch.  in  Mecklenb.  84  (1880/81). 

7)  Schanibach  S.  16. 

*)  Dähnert,  Plattdeutsches  Wörterb.  nach  der  Pommerschen  und  Rügenschen 
Mundart.  S.  49  v.  Bone. 

•)  Grimm  setzt  goth.  baunodor  bäum,  Kluge,  Aufl.  4  S.  86  bauna,  0.  Schrader, 
Sprachvergl.  und  Urgeschichte  2.  Aufl.  setzt  als  Urform  bagna. 

10)  Höpfer  u.  Zacher,  Ztschr.  f.  d.  Phü.  V,  229. 

>')  Die  Belege  s.  bei  Wittmack  a.  a.  0.  (1886)  und  Alph.  de  Candolle,  Der 
Ursprung  der  Kulturpflanzen.  Uebers.  von  Edm.  Goeze  (1884)  S.  397  ff. 


56 

oder  zum  Nachtisch12).  Auch  in  Deutschland  kommt  sie  vorgeschicht- 
lich und  frlthgeschichtlich  vor,  ttber  die  Angaben  des  Plinius  in  Be- 
treff der  friesischen  Inseln  soll  weiter  unten  gesprochen  werden;  über 
die  Funde  in  den  schweizerischen  Pfahlbauten  berichtet,  nach  Heer. 
De  Candolle  a.  a.  0.  Man  fand  die  Faba  im  Burgwalle  von  Priment  IZ\ 
und  im  Gräberfelde  von  Mttschen,  Kreis  Kottbus,  Provinz  Branden- 
burg14). Alle  diese  alten  Funde  lieferten  die  kleinere  Vicia  Faba 
minor,  die  Feldbohne,  franz.  Feverotte,  nur  dass  die  alte  Frucht  (Faba 
celtica  nana  Heer.)  noch  etwas  kleiner,  vielleicht  durch  Zusammen- 
Schrumpfung  war15).  In  älteste  geschichtliche  Zeiten  Niederdeutsch- 
lands führt  die  ebenso  kleine  Vicia  Faba  aus  der  Fahrstedter  Wurt 
bei  Marne,  die  in  (50  verkohlten  Samen  sich  bei  einer  Durchgrabung 
in  dem  ältesten  Ziegelbrocken -Estrich  fand16)  und  immerhin  in  die 
allerfrüheste  Zeit  der  Besiedelung  der  Dithmarser  Marsch  vom  hohen 
Lande  der  Geest  aus  gehören  kann.  Die  grössere  Form  der  Faba,  die 
wir  essen,  ist  erst  später  gärtnerisch  entstanden  oder  doch  später  ein- 
geführt. Es  ist  deshalb  auch  recht  gut  möglich,  dass  zu  Plinius  Zeit 
auf  den  friesischen  Inseln  schon  Bohnen  gezogen  sind,  obwohl  er  da* 
gerade  nicht  sagt,  und  jedenfalls  dieses  „Tacitus"  nicht  berichtet, 
wie  bei  Angabe  des  heutigen  vorzüglichen  Gedeihens  der  Vicia  Faba 
in  den  Dünenthälern  Spiekeroogs  angegeben  wurde1"). 

Doch  sind  diese  Bohnen  im  späteren  Mittelalter  in  Niedersachsen 
wenig  häufig,  vielleicht  mehr  als  Gartenfrucht  gebaut.  In  „Tideriei 
Langen  Saxonia"  (15.  Jahrb.)1*),  die  aber  wahrscheinlich  von  Heinrich 
Rosla  (Ende  des  13.,  Anfang  des  14.  Jahrh.)  herstammt19),  wird  als  in 
Sachsen  gebaut  angegeben:  triticum,  silhjo,  ordea  (plur.),  pisa  (sing, 
fem.),  avena  und  dann  zugesetzt:  Stint  ibi  nonnullis  fabae,  niehuci 
que  citrulli^). 

Sie  kommt  daher  auch  in  Zehnt-  und  Abgabenregistern  im  nörd- 
lichen Deutschland,  obwohl  man  sie  überall  kannte,  nie  oder  fast  nie 


**)  Auch  von  Syrien  sagt  der  kölnische  Pilger  (Ztschr.  f.  d.  Phil.  19,  S.  iüm: 
„Van  XIII  Dages  (h.  3  Könige)  bis  vastavent  do  wassen  da  rosen  ind  bonen  ind 
alsulchen  kruvt. 

13)  Ascherson,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  etc.  1875,  S.  154,  danach  R.  Behla,  Dir 
vorgeschichtlichen  Rundwälle  S.  20.  Ge.  Buschan,  Zur  Kulturgeschichte  dt-r 
Hülsenfrüchte.     Ausland  1891,  Nr.  15. 

u)  Jahrb.  der  K.  Preuss.  Kunstsammlungen  VIII  Nr.  3.  Reichsanzeiger  Nr.  17* 
(2.  Aug.)  S.  4. 

")  De  Candotte  a.a.O. 

lfl)  R.  Hart  mann,  Ueber  die  alten  Dithmarscher  Wurten  und  ihren  Packwerk 
bau,  Marne.  1883.    Mit  1  Taf.  38  8.  8°.  S.  8. 

17)  L.  H(aepke?)  in  der  Weserzeitung  1886,  Nr.  14234  Morgenausg.  (7.  Augren 
S.  1.  Er  lässt  Tacitus  von  den  ostfriesischen  Inseln  sagen,  was  Plinius  von  den 
Nordseeinseln  mitteilte. 

»)  Meibom  I,  p.  802. 
VDB. 


,9)  Krause  in  ADB.  29,  239. 

■o)  melones  citrulli  sind  eine  Art  Melonen.  Citrnlli  schon  bei  den  Römern  als 
dem.  von  citrium,  Gurke  oder  Melone,  früher  für  Kürbis  gehalten,  ehe  Wittmack 
nachwies,  dass  auch  diese  aus  Amerika  stammen.  Eine  auffallende  Verschiebung 
in  der  Lttneburger  Heide  aus  dem  15.  Jahrhundert:  „Citrulli  Wicken41  brachte  Wal- 
ther  im  Jahrb.  I,  S.  16. 


57 

vor;  freilich  auch  die  Erbse  recht  selten.  In  den  Hebungen  des 
H.  Geist-Hospitals  in  Lübeck  im  15.  Jahrhundert,  das  sich  auch  über 
meckenburgische  und  pommersche  Güter  erstreckt21),  erscheinen  beide 
nicht,  in  den  mecklenburgischen,  pommersehen,  bremischen  und  ost- 
friesischen Urkundenbüchern  habe  ich  sie  nicht  gefunden,  auch  nicht 
in  der  Agrargeschichtlichen  Darstellung  Ostholsteins  und  Lübecks  von 
Schmidt22).  Erbsen  kommen  in  Rostock  1275  im  Handel  vor23), 
Höhnen  finde  ich  nur  in  der  Hamburger  Zollrolle  von  1254 — 12(52 M), 
wo  der  Wispel  mit  18  Pfennig  besteuert  ist,  und  im  Inventar  des 
Schlosses  Vörde  (Bremervörde)  von  1547,  wo  „in  der  Koken"  „20 
tonnen  Bonen  und  Erweten"  registriert  sind25). 

Abgesehen  von  Südhannover  und  Braunschweig  sind  diese  letz- 
teren Gebiete  auch  jetzt  noch  die,  wo  vorzugsweise  die  schweren 
Hoden  liebende  Bohne  gebaut  wird.  Während  z.  B.  von  Woldegk 
(Mecklcnburg-Strelitz)  gemeldet  wird,  dass  sie  erst  seit  etwa  187(5  in 
grösseren  Schlägen  gebaut  werde26),  nennt  Schütze2"»)  sie  1800  ein 
,Xieblingsgemüseu  in  Holstein,  und  sagt,  dass  eigene  Fuhrleute  in  der 
Bohnenzeit  durch  Hamburg  mit  dem  Rufe  „Bonenflu  to  Wagen"  durch- 
fahren, um  die  leeren  Hülsen  (Schale,  „Sluu,  in  Bremen  Bossen28))  als 
Schweinefutter  oder  zum  Dung  abzuholen.  In  der  Marsch  „Alten 
Landes"  links  der  Elbe  zwischen  Harburg  und  Stade  sind  noch  heute 
das  von  den  Knechten  verlangte,  bei  den  Rippen  stehende  Abendessen 
reife,  trockene  Grosse  Bohnen  in  Milch  gekocht.  Auf  den  Elbsänden 
gedeiht  die  Pflanze  vorzüglich  und  erreicht  die  Höhe  eines  Reiters  zu 
Pferde.  Diese  Marschbohnen  werden,  im  Handel  als  „Jeverländer" 
bezeichnet,  jetzt  viel  als  Saatgut  ins  Oberland  verführt.  In  Ostfries- 
land, wo  die  gekochte  Bohne  vor  allem  als  Pferdefutter  dient20),  zeigt 
der  Gebrauch  des  Mehles  und  Brotes,  das  früher  als  Nahrung  des 
niedern  Volkes,  dann  als  Armenhaus-Brot30)  verwandt  wurde,  ebenso 

>l)  Lübeck.  U.-B.  VIII  Heft  9.  10. 

n)  G.  H.  Schmidt,  Zur  Agrargeschichte  Lübecks  und  Ostholsteins.  Studien  etc. 
Zürich.  Orell,  Füssli  &  Co.  1S87.  X  und  171  S.  Vergl.  Jahrcsber.  d.  Geschichtswiss. 
X,  IL  S.  136  Nr.  110. 

w)  Mecklenburg.  U.  B.  2,  S.  525  Nr.  1374.  1418  kosteten  in  Rostock  1  Drömt 
(=  12  Scheffel)  Erbsen  6  M.,  gleich  dem  Preise  von  50  Stockfischen  oder  2  Tonnen 
Kuhfleisch. 

")  Hamb.  U.-B.  I,  Nr.  668,  S.  548.  Daraus  Riedel,  Nov.  Cod.  dipl.  Brandenb. 
Abt.  II,  B.  I,  S.  8». 

»)  Krause  im  Archiv  des  Stader  Ver.  f.  Gesch.  etc.  2  (1864),  S.  150  f. 

M)  Archiv  d.  Ver.  d.  Freunde  d.  Naturgesch.  in  Meckl.  39.  1886  S.  49. 

")  Holsteinisches  Idiolikon  I,  S.  129.  Er  sagt  auch,  dass  in  Holstein,  nament- 
lich in  Altona,  und  in  Hamburg  von  den  Gastwirten  ein  Pikenik  filr  die  ersten 
jungen  fd.  h.  grünen)  grossen  Bohnen  filr  Gäste  unter  dem  Namen  „B&nenmdUied" 
angerichtet  werde. 

*8)  Versuch  eines  Bremisch-niedersächsischen  Wörterbuchs.  I,  S.  117.  In  Lüne- 
burg hiess  1488  die  Hülse  der  Bohnen  und  Erbsen  „schode  eße  })oley  eseanea". 
Lüncb.  Manuscr.  d.  Univ.-Bibl.  Göttingen  Nr.  82  (Heinricus  Hildensem). 

M)  Stürenburg,  Ostfriesisches  Wörterb.  S.  21  v.  Bonenstöter.  ten  Doornkaat 
Koolman  I,  S.  203  (bonenstöter). 

*»)  ten  Doornkaat  Koolman  a.  a.  O.  „böticnbröd".  —  Uebrigens  wurden  in 
meiner  Jugend  in  Teurungszeiten  auch  in  meinem  elterlichen  Hause  in  Northeim 


58 

wie  das  alte  Wortspiel  „de  bönakker  up  gän"*1)  den  alten,  eingebür- 
gerten Bau  der  Pflanze  an.  In  Westfalen  ist  sie  ein  seit  alters  her 
beliebtes  Gericht;  schon  in  den  Epist.  obscuror.  viror.  (I  S.  84  der  Lon- 
doner Ausg.  von  1742)  empfiehlt  Herbord  Mistlader  gegen  Durchfall 
„fabas  coctas  aspersas  cum  papavere"  als  westfälisches  Gerieht.  Im 
Elbinger  Vocab.  kommen  Bohnen  neben  Erbsen,  Linsen  und  Wicken  vor. 

Danach  habön  wir  uns  noch  mit  Plinius'  Angaben  abzufinden,  mit 
dessen  Worten  grosser  Unfug  getrieben  zu  werden  pflegt.  Zu  diesem 
Zwecke  ist  zunächst  hervorzuheben,  dass  wie  wir  „Bohne"  auf  andere 
Früchte  und  ähnlich  aussehende  Dinge,  selbst  auf  die  Gewehrkugel 
als  „blaue  Bohne"  tibertragen,  dasselbe  schon  die  Römer,  mit  ihrem 
xvaftos  auch  die  Griechen,  thaten.  Die  Römer  nannten  die  bittern 
Früchte  der  ägyptischen  Wasserlilie  (Nelumbium),  deren  Wurzel  (nicht 
Frucht!)  gegessen  wurde,  fabae,  die  nicht  essbare  Frucht  einer  in 
Mauretanien  (Algier,  Marokko)  wildwachsenden  Leguminose  „silvestris 
faba"32),  ja  sogar  die  einzelnen  Kügelchen  des  Ziegenmistes  heissen 
bei  Plinius33)  fabae,  wie  bei  uns  die  Kinder  von  „schäpskrinten"  oder 
„schäpslorbeeren"  oder  „rofsäppeln"  reden.  Moritz  Heyne  im  D.  Wb. 
Bd.  1  (1890)  S.  467  kennt  auch  „Bohnen  der  Ziegen  und  Schafe". 

Nun  sagt  Plinius31):  Vom  Promontorium  Cimbrorum  an  bis  zur 
Scheide  seien  23  Inseln  durch  die  Waffen  der  Römer  bekannt  ge- 
worden, „earum  nobilissiniae:  Burchana,  Fabaria  nostris  dicta,  a 
frugis  similitiidine  sponte  provcnientis;  item  Glessaria  a  succino  mili- 
tiae  appellata,  a  barbaris  Austrania,  praeter  quae  Actania.  Die  Be- 
deutsamkeit der  Burchana,  des  alten  noch  nicht  zerrissenen  und  von 
Bant  noch  nicht  getrennten  Borkum  ftir  die  Römer  wird  uns  von 
Strabo  erklärt:  Es  war  von  Germanicus  durch  Absperrung  und  Sturm 
erobert,  daher  war  diese  Insel  eine  nobilissima  geworden;  welche  Insel 
Glesaria  (Bernsteinland)  nach  dem  deutschen  Worte  Glesum  (Bern- 
stein)35) vom  Heere  (militiae)  benannt  wurde,  während  sie  in  der  hei- 
mischen Sprache  Austrania  (Ostinsel?)  hiess,  ist  ebenso  wenig  sicher, 
wie  die  Bedeutung  der  Actania.  Von  der  Burchana  aber  sagen,  die 
Worte  des  Plinius:  Fabaria  von  den  Unsern  benannt  nach  der  Ähn- 
lichkeit der  dort  wildwachsenden  Frucht,  natürlich  mit  der 
Faba!  Anders  kann  die  Stelle  nicht  gedeutet  werden.  Von  einem 
Wildwachsen  der  Faba  dort  ist  nicht  die  Rede.    Und  ganz  dasselbe 


bei  Göttingen  „Pferdebohnen"  zwischen  dem  Roggen  mit  vermählen.  Plinius  fordert 
diese  Zuthat  zum  Brotmehl. 

31)  ten  Doornkaat-K.  a.  a.  0.  „Die  Flacht  ergreifen,  ins  Zuchthaus  kommen", 
indem  der  böne,  faba,  das  Masc.  bona,  der  Gebannte,  der  Mörder,  untergeschoben  wird. 

81 »)  Ztschr.  Ethnol.  22  (1890),  V,  Verhandl.  S.  185. 

M)  Plinius  Natur,  hist.  18,  30.  am  Schlüsse. 

38 )  Das.  19,  60:  in  fabis  capnni  fimi  singulis. 

34 )  Das.  4.  27  am  Schlüsse.  Strabo  VII,  1  berichtet  von  Borkum :  wv  iotl  xai 
7]  BovQxavlq,  rjv  ix  noXioQxiaq  eile.  Jac.  Grimm,  Gesch.  der  D.  Spr.  II,  594  liest 
BvQzavlc,  und  möchte  das  Wort  (II,  681)  durch  byrgene  =  sepulcra  deuten. 

**)  Tac.  Germ.  45.  Glesum  Germanis  succinum.  Ueber  das  häufige  Vorkommen 
von  Bernstein  auf  den  ostfriesischen  Inseln  berichtete  Haepke  im  Bremer  Naturw. 
Verein.    S.  Weserztg.  1884  Nr.  13371  Jforg.-Ausg.  S.  3. 


59 

meldet  Plinius  18,  30  im  vorletzten  Absatz:  nach  Erledigung  der  Be- 
schreibung der  Faba  (er  meint  augenscheinlioh  durchweg  die  kleinere), 
geht  er  zu  den  ähnlichen  wilden  Leguminosen  über:  „nafcitur  et  fponte 
plerisque  in  locis,  sicut  septemtrionalis  Oceani  insulis,  quas  ob  id  nostri 
Fabarias  appellant;  item  in  Mauretania  sylvestris  passim  sed  praedura 
et  quae  percoqui  non  possitu.  Das  letztere  ist  die  oben  genannte 
mauretanische  Pflanze,  dann  kommt  unmittelbar  die  ägyptische  Ne- 
lumbium-Seerose  des  Nil.  Hier  lernen  wir,  dass  die  Dttneninseln  der 
Nordsee  von  den  Römern  insgesammt  Fabariae  genannt  wurden.  Da 
Plinius  selbst  jene  Seeküsten  besuchte38),  som  hat  er  ohne  Zweifel  die 
Pflanze  mit  eigenen  Augen  gesehen,  deren  Ähnlichkeit  mit  der  Faba 
er  meldet.  Es  kann  nur  Pisum  maritimum  L.  sein,  wie  schon  Buchenau 
in  der  Beschreibung  der  Inselflora  annimmt;  sie  wächst  noch  heute  in 
Menge  auf  offener  nicht  bewaldeter  Dttne,  die  mauretanische  da- 
gegen im  Busch  (silvestris).  Verglichen  hat  sie  der  römische  Soldat 
mit  der  ihm  bekannten  und  zu  seiner  Kost  (als  Zuthat  zum  Brot)  ge- 
hörenden kleinen  Faba,  wegen  der  ähnlichen  Farbe  der  sonst  mehr 
erbsengleichen  Samen;  vielleicht  auch,  weil  er  sie  gelegentlich  mit 
als  Faba  verwandte;  denn  dieses  Pisum  ist  essbar;  auf  den  Dünen 
von  Warnemünde  werden  wenigstens  die  jungen  Schoten  von  den 
Jungen  genascht  wie  Erbsenschoten. 

Vom  Wildwachsen  der  Vicia  Faba  an  der  deutschen  Küste  ist 
danach  keine  Rede,  noch  weniger  ist  der  Name  Fabaria  aus  dem 
Deutschen  abzuleiten  und  als  Baunonia  zu  fassen  oder  richtiger  in 
Baunonia  zu  übersetzen :,r),  und  noch  weniger  ist  der  von  Borkum  erst 
im  Mittelalter  abgerissene  Theil,  die  Insel  Bant,..de  Banthe38),  als  „die 
bohnenförmige",  zu  deuten39);  denn  von  einer  Ähnlichkeit  einer  Insel 
mit  der  Bohne  redet  Plinius  überall  nicht.  Wollte  man  sich  gegen 
die  klaren  Worte  in  unnötigen  Konjecturen  verlieren,  so  würde  die 
Landkarte  eher  auf  einen  Vergleich  der  Inseln  mit  jenen  fabae  caprini 
fimi  singulae  führen  können. 

Während  die  germanischen  Stämme  die  Erbsen,  wie  der  Name 
(von  ervum,  ervilia,  nach  Andern  von  Orobus)  lehrt,  von  den  Römern 
erhielten,  wobei  sie  auf  das  alte  pisum  den  Erven-Namen  tibertrugen40), 
ist  die  Bohne,  wie  gleichfalls  der  Name  bezeugt,  nicht  erst  über  Italien 
zu  ihnen  gekommen.  E.  Förstemann,  Deutsche  Ortsnamen  S.  141  kennt 
die  Bohne  schon  vor  1100  in  Ortsnamen;  er  zählt  8  „Banamatha"  auf. 
Vgl.  auch  dessen  (Orts-)Namenbuch.  Auch  die  Nordgermanen  hatten  sie  in 
altnordischer  Zeit,  wie  aus  der  einheimischen  Benennung  und  auch  wohl 
aus  der  Verwendung  beim  Julfest  erhellt;  denn  der  von  A.  Tille41) 

M)  Plinius  a.  a.  0.  16,  I. 

37)  Kluge,  Etym.  Wörterb.  *  S.  36. 

»)  Jac.  Grimm,  Gesch.  d.  D.  Spr.  II,  594  erklärt  „Bant"  (unter  Vorbehalt)  als 
„Weidegrund". 

30)  Theod.  Siebs,  Zur  Gesch.  der  englisch-friesischen  Sprache  I  (1889)  S.  275. 
Jellinghaus  in  Zts.  f.  d.  Phil.  28,  375  f.,  hält  diese  Deutung  ftir  ansprechend,  aber 
bezweifelt  sie  doch. 

*°)  J.  Grimm,  Gesch.  d.  D.  Spr.  1,  64  f. 

*')  „Nordische  Weihnachten",  Weserztg.  1899  Nr.  15460  Morgenausg. 


60 

angeführte  Weihnaehtsbrauch  der  Umrandung  der  Julgrütze  mit  Boh- 
nen, viel  mehr  noch  die  Bohnenschtissel,  aus  welcher  jeder  -  Hof- 
bewohner am  Schlüsse  des  Festessens  am  Juiabend  eine  gekochte 
Bohne  essen  muss,  scheint  auf  hohes  Alter  hinzuweisen.  Spielt  hier 
die  heilige  Frucht  eine  Rolle  beim  Beginn  der  Zwölften,  so  thut  sie 
es  anderwärts  am  Schlüsse  dieser  heiligen  Zeit  (heil.  3  Könige,  Epi- 
phanias) im  Bohnenfest,  Bohnenkuchen  und  Bohnenkönig12).  Wie  weit 
dahin,  vielleicht  als  eine  Art  Satyrspiel,  die  „Bohnenlieder"  gehören, 
weiss  ich  nicht;  Kluge  S.  36  nennt  sie  priapeia,  Heyne  S.  467  erklärt 
das  Bohnenlied  als  „lockere  Dinge"43).  Einen  Zusammenhang  der 
„Bohne"  mit  dem  Geschlechtsleben  erkennt  das  Volk  noch  heute  an. 
In  Lüneburg  hörte  ich  vor  Jahren  in  einem  Gespräch  über  allzureichen 
Kindersegen  die  Worte:  „Aber  es  sind  doch  meine  Bohnen!"  —  In 
Lübeck  wurde  neben  den  Würfeln  ein  Bohnenspiel  verboten. 

Die  poetisch  viel  verwertete  „Bohnenblüte"  gilt  auch  nur  von 
der  Faba;  an  warmem,  stillem  Juniabend  liegt  ihr  feiner  Duft  fast 
berückend  über  der  Landschaft,  ein  Zauber  für  verliebte  Paare. 

Über  die  vielen  der  Bohne  gewidmeten  Redeweisen  geben  die 
Wörterbücher  Aufschluss,  hier  soll  nur  zu  dem  bekannten  „nicht  eine 
Bohne"  der  Vers  3579  aus  Reinke  Vos  „dat  is  wol  eyner  bonen  tverd" 
angeführt  werden,  um  aus  der  Lippstädter  Reimchronik  der  Soester 
Fehde44)  den  gleichbedeutenden  V.  2783  daran  zu  reihen:  „dat  sei  crc 
viande  nicht  achteden  ene  wichen".  Unklar  bleibt  der  westfälische 
Name  „tecke"  (Osnabr.  tiäkenbaune),  der  durch  das  ebenso  undeutbare 
„Wibbelbone"  erklärt  werden  soll45).  Durch  die  Zusammenstellung 
von  Same  und  lecken  ist  klar,  dass.  eine  Faba  oder  eine  Erbse  ge- 
meint ist.  Für  das  erstere  ist  die  Ähnlichkeit  mit  der  vollgesogenen 
Zecke  nur  für  die  F.  minor  passend.  Die  „Faba  sylvestris"  Apnliens 
nennt  Camerarius  selbst  (S.  59)  einen  Aracus.  Damit  verlassen  wir 
die  zum  Aschenbrödel  gewordene  Bohne48),  von  der  Plinius  (18,  3U) 
sagt:  tnter  legumina  maximus  honos  fabae. 

Nun  kommt  die  Frage,  wie  die  amerikanische  Frucht,  weicht* 
heute  den  botanischen  Namen  phaseolus  trägt,  ihre  deutschen  Volks- 
namen erhalten  habe.  Es  sind  deren,  abgesehen  von  Bohne  und 
allerlei  Zusammensetzungen,  zwei:  Faselen  (Fisolen)  etc.,  die  auf 
den  phaseolus  der  Alten  zurückführen  und  Fiz-(Viets-)Bohne  mit 

4a)  J.  Grimm,  Gesch.  d.  D.  Spr.  I,  10S.  Vorher  ist  das  Bohnenfest  des  Apollo 
(flvaveyia)  und  der  Bohnenmonat  (flvavs\piwv)t  auch  der  baskische  Bohnenmonat 
(baguilla,  der  Juni)  besprochen.  Myth.  579.  Das  keltisch -gälische  Bealtuin-Fest 
scheint  verschieden  zu  sein.  Wie  weit  die  „Valentine"  als  Bohnenkönigin  hierher 
gehört,  ist  mir  unsicher.  Der  Name  weist  auf  den  Valentinstag  (14.  Febr.,  in  Oestr., 
Kärnthen  etc.  Valentinus  episc.  Passav.  7.  Jan.  (also  gleich  nach  h.  3  Könige). 

*a)  Walther  v.  d.  Vogelweide  17,  25.  Vergl.  die  Wörterblicher.  Zuletzt:  Sand- 
voss im  Korr.-Bl.  13  Nr.  3  S.  47. 


")  Chron.  d.  D.  Städte  21,  S.  263. 

4ft) "•" 


Mnd.  Wörterb.  4,  515.  Merkwürdiger  Weise  heisst  Vicia  Faba  auch  in 
Oestreich  Teckel-Bohne.  Pritzel  und  Jessen,  Die  deutschen  Volksnamen  der 
Pflanzen  I,  437. 

46)  Campe,  D.  WB.  2,  41  nennt  sie  gar  Feigbohne  (s.  u.),  Sau-  oder  Puf  bohne. 


61 

kurzem  oder  auch  langem  ?',  auch   Fitzebohne,  ebenfalls  bald  mit 
kurzem  bald  mit  langem  /. 

Der  erste  Name  kommt  in  Niederdeutschland  nicht  vor.   Wir  sahen 
schon,  dass  der  Phaseolus  des  Columella  und  Plinius  in  Deutschland 
nicht  wachsen  kann,  wenn  auch  Apothekergärten  seine  Zucht  versuchten. 
Vielleicht  sah  den  Letzteren  Alb.  Magnus47),  der  durch  die  Beschreib- 
ung,dass  der  Strauch-Phaseolus  (columnaris  sicut  faba)  jeden  Samen  am 
Nabel  mit  einem  schwarzen  Flecken  bezeichnet  habe,  auf  das  bündigste 
den  Dolichos  melanophtalmus  (Smilax  hortensis  bei  Camerarius  S.  1G1) 
kund  giebt.   Auch  der  ägyptische  Phaseolus,  eine  Stangenfrucht,  welche 
Camerarius  vergeblich  zu  ziehen  versucht  zu  haben  scheint45»)  und  auf 
Tafel  XXXIX  vorzüglich   abbildet,    ist  augenscheinlich  der  Dolichos 
sinensis.    Der  Name  wnrde  im  MA.  adf  die  Erbse  tiberträgen;  Lexer 
giebt  freilich  fasöl,  phasol,  hone,  aber  Dieffenbach  bietet  für  die  Erbse: 
fasilien,  vocab.  opt:  Fasol;  und  1517   das  Lex.  trilingue:  Fässlen**). 
Auch  Frank,  Weltbuch  (217b);>»)  meint  sicher  die  Erbse,   wenn  er 
,,Keiss,  Honig,  Bonen  und  Fassolen"  zusammenstellt.    Ebenso  brauchen 
die  Kräuterbücher  des  16.  ja  noch  17.  Jahrhunderts  den  Namen;  so 
Hock  1530  (als  Tragus  von  1552)  Faseln,  Tabernaemontanus  (Müller 
von  Bergzabern,  also  elsässisch)  von  1588  an:   Faselnerbsen,  dazu  ge- 
hört die  Fisul,  Fistel  des  Berner  Oberlandes.    Camerarius  aber  braucht 
1588  schon  den  Namen  Pisum51)  und  führt  an,  dass  Bock  die  rothe 
(rotblühende,  P.  arvensis)  und  die  grosse  italienische  Erbse  Phaseolus 
nenne,  was  er  nicht  gdt  heisst.    Seine  „Pisa  nigra,  fabis  aliquantum 
cognata"   werden   die   bohnenartig   schmeckenden   dicken  Kapuziner- 
erbsen sein.    Ausserdem  giebt  es  weichhttlsige  Erbsen,  die  mit  den 
Hülsen  gegessen  werden  und  nach  dem  (mir  nicht  bekannten)  Lobe- 
liusS2),  aus   „Vilda  Lituaniae  oppido"   eingeführt  sein  sollen.     Merk- 
würdiger Weise  wiederholen  das  Joh.  Bauhin  (1598  etc.)  und  die  Aus- 
gabe von  Tabernaemontanus  von   1687   dahin   „neu  Geschlecht  erst- 
lich(!)  aus  der  Littau  von  Vilna  gebracht.    Vermutlich  ist  sie  wegen 
der  essbaren  Schoten,  nach  Plinias,  für  den  römischen  phaseolus  ge- 
halten. —  Dieser  irrige  Erbsenname   ging   nun  nach   dem  Bekannt- 
werden der  amerikanischen  Gartenbohnen  unmittelbar  auf  die  letzteren 
über,    namentlich    in    Süddeutschland:    Phaseolen,    dann    Faschöleu, 


")  De  Vegetabil.  ed.  Jessen  >S.  515.  De  Candolle's  Zweifel,  ob  da  die  heutige 
Buschbohne  gemeint  sei  (a.  a.  0.  8.  42t»),  ist  dadurch  hinfällig. 

")  a  a.  0.  S.  124  (1588).  Dagegen  ist  der  von  ihm  aufgeführte  Phaseolus 
iudicus,  die  rote  sog.  Guineabohne,  die  zu  Kinderhalsbändern  und  mit  Kauriuiuscheln 
zum  Bekleben  von  Kästchen  gebraucht  wird,  Überall  keine  Hülsenfrucht,  sondern 
wird  vom  ursprünglich  ostindischen,  aber  schon  im  16.  Jahrhundert  in  Brasilien 
vorkommenden  Abras  piecatorius  L.  geliefert.  Camerarius  sagt  selbst,  sie  kommen 
unter  den  Namen  Ginge  und  Abrus  zu  uns.  Vergl.  Potoniß,  Naturw.  Monatsschrift, 
IV,.  207.  VI,  78  f. 

")  S.  Pritzel  und  Jessen  1,  290. 

*>)  Bei  Grimm,  D.  WB.  3,  1340  v.  Fasole. 

B')  a.a.O.  S.  119.  120. 

M)  Pena  et  Lobelius,  Stirpinm  adversaria  nova  perfacilis  vestigatio.  1570. 
Lobelius,  Plantamm  seu  stirpinm  historia.  1576. 


62 

Fasölchen,  Fassolen,  auch  wohl  Fastelchen,  Fisolen,  Fisel,  Fischölen53:. 
Auch  das  D.  Wörterb.  (3,  1340)  bezeugt  „Fisole"  aus  Oestreich.  Auch 
Schmeller-Frommann54)  nennen  Fisolen  (mit  kurzem  «'),  Zwergffisolen 
und  Fasolen.  Ebenso  hiessen  sie  im  Französischen  bis  zum  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  Fazeole,  Faseole  oder  auch  Febve peinte  (bunte  Bohne) 
oder  Febve.  de.  haricotbb) 

Der  zweite  Name:  Fitzebohne  gehört  Niederdeutachland  an 
Auch  er  stammt  ursprünglich  von  den  Römern  und  hat  nichts  mit 
dem  St.  Vitus  zu  thun,  obwohl  das  Bremer  Wörterb.  I,  399  meint: 
„Vietsbohnen,  türkische  Bohnen,  weil  sie  spät  im  Frühjahr  bis  Vititag 
(15.  Juni)  noch  können  gepflanzet  werden";  und  Kluge:  „Veitsbohne- 
ganz  im  Gegenteil,  „weil  sie  um  den  Tag  des  heiligen  Veit  zu  blühen 
beginnt".  Das  ist  die  Bohnenblüte  der  Faba!  Die  beiden  Erklärungen 
zeigen  die  Unsicherheit  der  nach  Deutung  Suchenden.  Das  Bremer 
Wb.  setzt  sogar  a.  a.  0.  noch  hinzu:  „unrichtig  nennet  man  sie  Vieks- 
bohnen",  und  doch  ist  dies  gerade  der  ältere  Ausdruck.  Das  MA. 
nannte  den  römischen  Lupinus  (L.  albus  L.),  den  Cato,  Varro,  Colu- 
mella  und  Plinius  als  gebaut  zum  Gründünger  und  als  Ochsenfutter5*) 
beschreiben,  ahd.  figbona  (geschrieben  aber  meist  —  was  hier  wohl 
zu  bemerken  —  rig~,  rieh-  und  riekbona),  mhd.  (nach  den  synonym, 
apoth.)  Ficbone,  oder  rik-  und  rykbona,  auch  ivicbon;  mnd.  fyckboin; 
das  Mnd.  Wb.  5,  20  sagt  rikbone;  ebenso  das  Mnd.  Handwb.  2,  476. 
Die  Gartenbücher  des  16.  Jahrhunderts  machen  daraus  Feigbolme 
(Bock,  Fuchs  1542,  Cordus  1534),  und  so  hat  dies  letztere  Wort,  das 
im  Volke  nicht  lebt,  sich  in  den  Wörterbüchern  bis  heute  fortgepflanzt, 
so  noch  bei  Campe  2,  41:  Feigbohne,  Lupinus  und  2,  78  Fiekbohne, 
und  in  Grimms  D.  Wb.  3, 1443.  Ich  glaube  noch  bezweifeln  zu  dürfen, 
ob  das  i  im  ahd.,  mhd.  und  mnd.  nach  den  alten  Schreibweisen  wirk- 
lich i  ist;  die  Dehnung  durch  ck  im  mnd.  tritt  nämlich  bei  i  nicht 
ein,  wie  schon  die  sicher  alten  Wörter  wicken  (zaubern)  und  ficken 
(coire)  (ficke,  Tasche)  erweisen.  Unser  Wort  wird  weder  mit  fieus 
noch  ßk  zusammenhängen,  sondern  ist  auf  das  Lateinische  vicia  zurück- 
zuführen, das  ebenso  irrig  übertragen  wurde,  wie  oben  vom  phaseolus 
und  der  Erbse  gezeigt  ist.  Dass  die  Feldwicke  (Vicia  sativa  L.)  deren 
bittere  Frucht   nicht   einmal  die  Hühner  fressen,    im  MA.  zur  Vieh- 


M)  Pritzel  und  Jessen  1,  271  (Suhl,  Schlesien,  Ostpreussen,  Oesterreich  (Kärn- 
then,  Schwaben),  Berner  Oberland,  Graubünden).  Uebrigens  wurde  auch  „Erbse" 
direkt  auf  den  Phaseolus  L.  übertragen  in  der  Schweiz  (Bern,  St  Gallen;  als  Drag- 
oder  Dreherbs,  Winderbs  auf  die  windende  Stangenbohne,  Bodenerbs  auf  die  Kriech- 
bohne und  Rosserbs  auf  Phaseolus  multiflorus  Lamk.).  An  der  Elbmündnng  wird 
die  ganz  kleine  Zuckerbohne  mit  fast  rundem  Samen  in  Hamburg,  Holstein  und  im 
Iieg.-Bez.  Stade  „türkische  Arften",  auch  hd.  „türkische  Erbse"  genannt 

M)  Bayerisches  Wb.  *  I,  763. 

M)  De  Candolle,  übersetzt  von  Goeze,  a.  a.  0.  S.  431,  Globus  50,  Nr.  5  S.  74. 
Seit  ca.  1600  heisst  sie  haricot  mit  dem  Namen  eines  Hammelgullasch  oder  Irish 
Stew,  nach  Diez  entstanden  aus  aliquot. 

M)  Die  Frucht,  gekocht  oder  maceriert.  —  Die  ziemlich  breiten  Früchte  dienten 
als  Spielmarken  (Plaut.  Poen.  3,  2,  20;  Horat.  Ep.  1,  7,  23.  Es  wurde  nur  Lupinus 
albus  L.  gebaut,  L.  luteus  L.  war  noch  unbekannt. 


63 

fütterung  angebaut  Bei.  ist  bei  dem  damaligen  Wirtschaftswesen  un- 
denkbar; dass  man  gewöhnliche  Feldkräuter  so  benannt  habe,  ist  nach 
damaliger  Sitte,  ja  selbst  nach  der  Weise  des  heutigen  Landvolkes, 
noch  weniger  anzunehmen.  Die  heutigen  Bezeichnungen  sind  fast 
sämmtlich  sehr  neu,  wie  ihre  Zusammensetzungen  beweisen.  Was  ahd. 
unter  media  verstanden  sei,  ist  daher  schwer  anzugeben,  vermuthlich 
war  es  auch  der  Lupinus;  sicher  wohl  nicht  Vicia  sativa,  wie  Pritzel 
und  Jessen  (S.  438)  annehmen.  Denn  diese  ist  sehr  spät  in  unseren 
Landbau  gekommen.  Schambach  nennt  nur  die  Zusammensetzung 
„Wickenfutteru  (S.  297),  die  erst  aus  unserem  Jahrhundert  stammt, 
Mischkorn  (ohne  Wicken!)  hiess  im  vorigen  Jahrhundert  im  Göttingen- 
sehen oret,  oft,  auch  wohl,  wie  noch  heute,  Rauhfutter.  Die  in  der 
Antwerpener  Zollrolle  vom  30.  April  1409  vorkommenden  Vitsen  (Lttb. 
Urk.-B.  5,  S.  246)  werden  zwar  daselbst  durch  Wicken  erklärt  (S.  838), 
sind  aber  vermutlich  Linsen. 

Da  in  Tirol  die  Vicia  Cracca  L.,  die  Vogelwicke,  jetzt  ,,Figgen" 
heisst  (Pritzel  und  Jessen,  436)  und  nach  Schindler- Frommann  I,  689 
im  Salzburger  Gebirge  Ficken  (mit  kurzein  ?*),  der  Lupinus  dagegen 
im  Wechsel  von  k  und  g  bei  Chytraeus5")  bald  „Vyck-"  bald  ,.Fyg- 
bone",  in  Dieffenbach's  Gloss.  und  im  bairisch-tirolischen  Glossar  des 
15.  Jahrhunderts  „wikbone"  und  ebendaselbst5*):  vicia,  Wike;  ebenfalls 
bei  Campe  4,  S.  697  die  Lupinus- Arten,  ja  sogar  der  Abrus  precatorius 
L.  ,, Wicke"  (freilich  ohne  Ortsangabe)  genannt  werden:  so  wird  der 
Schluss  gerechtfertigt  sein,  dass  aus  der  lateinischen  vicia  sich  die 
deutschen  Benennungen  in  zwei  getrennten  Reihen  mit  anlautendem 
r  —  f  und  mit  tc  entwickelt  haben,  und  dass  in  beiden  Reihen  der 
A'-Laut  bald  anormal  bald  normal  als  ch,  g  und  k  erscheint. 

Auf  niederdeutschem  Boden  verfällt  der  Name  nun  dem  Zetacis- 
mus.  Die  erste  Spur  treffen  wir  in  der  schon  genannten  Antwerpener 
Zollrolle  von  1409 5Ü),  deren  „vitsen"  unfraglieh  auf  das  lateinische 
vicia  zurückgehen.  Ganz  besonders  aber  setzte  sich  der  *(7^-Laut 
fest,  seit  sich  der  Name  an  die  neu  eingeführte  Gartenbohne  geheftet 
hat.  Schon  am  Ende  des  MA.  findet  sich  „Vitlibone,  lupinus;  ritbone 
niarsilnmu  im  Mnd.  Wb.  V,  263  und  im  Mnd.  Handwörter-B.  2,  482. 
Das  wechselnde  th  und  t  scheint  auf  langes  und  kurzes  i  zu  deuten. 
Dann  begegnet  uns  auf  westfälischem  Gebiete  noch  „Fikrsbone"  für 
phaseolus  vulgaris  L.,  im  Osnabrtickischen  lautet  derselbe  Name  Yikus- 
bohncuw\  in  Bremen  und  den  Wesergegenden "')  noch  im  vorigen  Jahr- 
hundert Vieksbohne.    Schon  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  lief 

B7)  Nomenciator  1590  a.  a.  0.  8.  422  und  441. 

M)  Germania  33  (21),  Heft  3,  S.  403.    Das.  S.  811  Z.  666. 

M)  Lüb.  Urk.-B.  5,  Nr.  245,  S.  246 :  „terwen  (d.  i.  Weizen)  oft  roggen,  geraten, 
evenen  (d.  i.  avena,  Hafer),  erweten,  boenen,  vitsen  unde  allen  anderen  eoerne." 
Das  Mnd.  Wörterb.  V,  8.  263,  u.  vitbone,  citiert  aus  dieser  Stelle  so  seltsam  wie 
fälschlich  das  Wort  „vitzenbone"  unter  Angabe  der  Urk.-Nr.  354  statt  245. 

■")  Pritzel  u.Jessen  I,  271. 

Sl)  Brem.  Wörterb.  1,  399;  nicht  an  der  Elbsoite  des  Reg.-Bez.  Stade.  Die 
grosse  Hamburger  Samenfirma  Ernst  &  Spreckelsen  braucht  ihn  nicht 


64 

daneben  die  Form  Vietsbohne**),  die  im  südlichen  Hannover  anscheinend 
noch  früher  so  herrschend  wurde,  dass  neben  ihr  kein  anderer  Namt 
als  die  den  Wuchs  angebenden  „Stangen-  und  Krupbohne",  sieh  erhalten 
konnte.  Nun  erst  war  die  Möglichkeit  geboten  den  St.  Veit  volks- 
etymologisch heranzuziehen 6:l).  Damit  beginnt  das  Bremer  Wb.,  danu 
spricht  Adelung  im  D.  Wb.  von  einer  Veitsbohne,  die  er  für  Lupine 
hält,  darauf  kommt  Campe  4,  358,  der  „im  gemeinen  Lebenu  Veits- 
bohne für  die  Gartenbohne  gesagt  werden  lässt  und  durch  den  Zusatz: 
„ndd.  Vithsbohne"  andeutet,  dass  er  den  ersteren  Namen  nur  verdul- 
metscht  hat.  Endlich  folgt  Kluge.  Der  Name  ist  durchweg  herr- 
schend von  Westfalen  bis  Bremen  und  zur  Unterweser,  dann  durch 
das  Lüneburgische  hin  in  ganz  Südhannover  (Kaienberg,  Gtfttingen, 
Grubenhagen)  und  Braunschweig  bis  ins  Eichsfeld  hinein,  jedenfalls 
im  Nieder-Eiehsfeld84).  In  Northeim  und  Göttingen  brauchte  man  den 
Namen  für  die  rankende,  wie  für  die  Buschpflanze;  ndd.  hiess  sie  dort 
Fitzebanc,  viersilbig  mit  kurzein  «,  oder  Fizebänr,  ebenfalls  viersilbig 
mit  langem  i\  in  diesem  Falle  die  zwei  ersten  Silben  genau,  wie  mau 
das  Vice  in  Vicekönig  (bis  1837)  sprach;  sehr  einzeln  kam  „Fviz*- 
baneu  vor,  augenscheinlich  so  „missingsch"  wie  im  damaligen  dortigeii 
Hochdeutsch  Trepfe,  liatze  etc.  vorkam.  Schambach  hat  das  überall 
gebrauchte  Wort  ebenso  wenig  in  die  lexikalische  Reihe  aufgenommen 
wie  Sprenger  in  seine    Nachträge65).    Aber  im  D.  Wörterb.   bringt 

")  Vietabohnen  bei  Mielck  im  Korr.-Bl.  11,  Nr.  4  S.  56,  Z.  3  scheint  auch  nach 
Osnabrück  zu  gehören.  Doch  passt  das  zugehörige  Rätsel  (wegen  des  Tippel)  mehr 
zur  Vicia  Faba. 

M)  St  Vit!  Tag  (15.  Juni),  früher  eines  der  wichtigsten  Daten,  da  er  mit  dna 
1 5.  Jahrhund,  und  bis  zum  Gregorianischen  Kalender  als  der  längste  Tag  im  Jabrr 
galt.    Es  mögen  hier  die  Hauptzeiten  aus  M.  Luthers  Betbüchlein  von  15-12  folgen 

1 5.  Juni         St.  Veit  der  hat  den  längsten  Tag, 

13.  Dezbr.      Lucey,  die  längste  Nacht  venna<?. 

12.  März         St  Gregor  und  das  Creutze  macht 

u.  14.  Sept.    Den  Tag  so  lang  gleich  als  die  Nacht 

23.  Novbr.     S.  Giemen  uns  den  Winter  bringt, 
22.  Febr.        S.  Peters  Stuhl  den  Lcntz  herdringt 
25.  Mai  Den  Sommer  bringt  S.  Urban, 

24.  Aug.        Der  Herbst  fängt  mit  Bartolmei  an. 

Das  dazu  gehörende  Kalendar  setzt  aber  den  längsten  Tag  auf  den  14.  Juni  und 
den  kürzesten  auf  den  M.Dezember,  die  Tag-  und  Nachtgleiche  auf  den  12.  März 
und  1 2.  September.  „Das  Creutze"  ist  Kreuzerhöhung,  Giemen  St.  Clemens,  St  Peters 
Stuhl  Cathedra  Petri.  Eine  Bedeutung  des  h.  Veit  für  die  neuere  Zeit,  kenne  k-h 
nur  aus  dem  Holsteinischen  Spmche  bei  Schütze  4,  309:  Vit  —  Settet  den  llaber 
hoog  un  sied. 

*)  Pritzel  u.  Jessen  1,  271. 

•»)  Im  Jahrb.  VIII.  Nur  unter  kröleke  sagt  Schambach  S.  1 1 3  „eine  ausgehillsv 
Vitsbohne";  gemeint  ist  die  ausgeleerte  Hülse,  denn  das  Aushülsen  hiess  „iito- 
krüllcn;  und  S.  114  unter  Krüpbäne  „eine  Art  niedriger  Vitsbohne"  Er  scheint 
dem  Worte  nicht  getraut  zu  haben.  —  Der  preussische  Provinzialname  der  Garten- 
bohne „schabbel",  den  0.  Hein  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.  22,  V.  Verhandlungen  S.  Im; 
mit  poln.  szabla  (Säbel)  zusammenstellt,  bedeutet  nnfräglich  zunächst  die  breit - 
schotige  Gartenbohne,  die  wir  Schwertbohne  nennen,  ähnlich  wie  wir  eine  Säbel- 
erbse  haben. 


65 

J.  Grimm  die  Göttinger  hochdeutsche  Form,  die  er  sicher  vor  1837 
selbst  dort  hörte:  „Fitzebohne"**). 

Rostock.  K.  E.  H.  Krause. 


Tannhauserlied  und  Maria  tzart 

Die  nachfolgende,  bisher  unbekannte  Ueberlieferung  zweier  Lieder 
steht  auf  der  Rückseite  eines  Flugblattes  über  Himmelserscheinungen, 
das  im  Januar  1520  zu  Wien  gedruckt  'wurde.  Die  Bruchstücke  dieses 
Flugblattes  sind,  nach  einer  Notiz  von  J.  L.  de  Bouck  (vom  April  1854), 
im  Jahre  1851  auf  der  Hamburger  Stadtbibliothek  in  einer  alten  Bücher- 
decke gefunden. 

Auf  der  Vorderseite  des  Blattes  steht  zu  lesen: 

Na  Christ  unses  heren  ahebort  mccccc  und  xx  yaer  in  Januario  synt  sulichje 
(e)r8chynynge  wo  hyr  navolget  to  Wyen  in  Osteryck  /  in  deme  nygen  erweiten 
romeschefn)  (k)oninck  lande  van  menmghen  gheseen  worden. 

§  Des  vj  daghes  in  Januario  eyu  vorverlyck  grot  Cirkel  mit  regenpaghen 
farwen  umme  de  sonne  tweysschen  ij  unde  iij  vren  na  myddaghe. 

§  Am  iiij  daghe  Januarij  tweysschen  i  und  vj  na  myddaahe  /  ys  eyn  sulktr 
swart  baute  van  der  sonnen  swerck  auer  sunthe  Steffans  chor  utnghan  by  na  anto- 
heven  by  dre  hundert  strede  lank. 

§  In  Januario  den  iij  dach  eyn  weynich  na  v  wen  vmme  deme  mane  eyn 
8ulcjker  circkel  mit  gutten  lichten  regenpagen  farwen.  [Figuren :  Sonne,  Stephans- 
dom,  Mond.] 

Am  vij  dage  in  Januario  des  morgens  fro  halff  na  der  sonnen  vpganck  synjt 
sulcher  iij  sonnen  gheseen  worden  mit  sampt  den  vorkörten  regenpaaen  darup  / 
unde  synt  de  sonnen  am  ersten  root  ghewesen  mit  deme  schyne  aojch  oalde  darna 
lichter  gheworden  /  unde  alzo  van  vpganck  beth  to  deme  unjerganck  gheschynen 
unde  beth  ij  etlycker  beth  iij  wen  gJieseen  na  myddajch.  Id  seghen  etlyke  war- 
hafftige  personen  dat  se  sulche  iii  sonnen  scheyn  an  v  dage  in  Januario  des  morges 
gheseen  nebben. 

§  In  Januario  den  vj  dach  tweusschen  vij  und  viii  wen  up  de  nacht  ys 
umme  den  maen  duffe  figure  eyn  langhe  wyl  gheseen  worden  /  Oek  des  ghelyken 
eyn  weynich  duncker  \  unde  oek  by  na  ij  stunde  spader  d(e)  negeste  nacht  darna. 
fd  seghen  etlyke  warhafftige  personen  se  hebben  den  suluen  morgen  by  na  vmme 
iij  vren  vormyddage  den  maen  oek  alzo  gheseen  doch  ys  dat  crutze  rot  farwe  ghe- 
wesen. [Figuren]  als  die  naturlyken  geister  Aristotelis  Seneca  der  grote  Albertus. 

Ich  lasse  nun  den  Text  der  Lieder  genau  in  der  Schreibweise  und 
Anordnung  des  Originals  folgen. 

I. 

Ein  leet  ran  deme  Danhußer. 

1.    Aver  wyl  ick  heuen  an  /  van  eynem  Danhuser  (syn)gen.    Unde  wat  he 
wunders  hefflt  gedan  /  mit  V(enus)  der  duuelynne. 


M)  3,  1695  „Fitzebohne,  phaseolus  vulgaris,  Ostreich,  fisole."    Sollte  er  „Fitze" 
und  „fisole"  haben  zusammenbringen  wollen? 

Niederdeutsches  Jahrbuch  XVL  5  . 


2.  Danhuser  was  ein  rydder  gudt  /  (he)  wold(e  wn)nd(er  s)ch(ou)wen.    He 
toch  to  venns  in  den  berch  (to  an)  der(n)  schonen  frouwen. 

3.  Do  eyn  jaer  al  vmme  quam  /  syn  sunde  begunden  eme  to  leiden.    Venus 
eddele  fruwe  tzart  /  jck  wyl  (we)dder  van  jw  scheiden. 

4.  Her  Danhußer  wy  hebben  jw  leeff  /  daran  so  schöle  gy  dencken.     Gy 
hebben  uns  eynen  eyd  gesworen  /  gy  schölen  van  uns  nicht  wenken. 

5.  Fronwe  Venns  des  hebbe  jck  nicht  ghedan  /  dat  wil  jk  wedderspreken 
Unde  spreke  dat  jmant  meer  wen  gy  /  jck  wolde  dat  an  em  wreken. 

6.  Her  Danhuser  wo  rede  gy  nn  also  /  gy  schölen  mit  unß  bliuen.     Ick 
gene  jw  miner  spelnoten  eyne  /  tho  eyneme  steden  wyne. 

7.  Neme  ick  denne  nn  ein  ander  wyff  /  wen  jck  drege  jnn  minem  synne. 
So  moste  jnn  der  hellen  grnndt  /  mine  sele  ewichliken  bernen. 

8.  Gy   seggen  my   vele   van   der  hellen  grünt  /  gy  hebben  der  nicht  be- 
fanden.   Gedenket  an  minen  roden  mnndt  /  de  lachet  to  allen  stunden. 

9.  Wat  helpet  mi  jw  roder  mnndt.   he  js  mi  ghar  vnm(ere)    Genet  orloff 
edle  frnwe  tzart  /  dörch  aller  juncfrowen  (ere). 

10.  Danhußer  gy  wilt  orloff  han  /  wy  wilt  jw  neinen  ghenen.     Blinet   hyr 
by  uns  ein  ridder  gndt  /  nnde  fristhet  jw  junge  lenen. 

11.  Myn  lenent  js  my  worden  kranck  /  ick  mach  nicht  lenger  bliuen.     Na 
bicht  vnde  rouwe  steit  myn  boger  /  vnde  jn  böte  myn  lenent  vordriuen. 

12.  Danhuser  wo  rede  gy  nn  also  /  synt  gy  ock  kloek  van  synnen.    So  gha 
wy  jn  en  kemerlin  /  gy  schölen  doch  nicht  van  nennen. 

13.  Gy  segget  my  vele  van  dem  kemerlin  /  vt  juwem  falschen  synne.     Ick 
seet  an  juwen  ogen  wol  /  gy  synt  eyne  duveline. 

14.  Danhuser  wo  rede  gy  nu  also  /  wil  gy  jo  mit  uns  scheiden.     Scholde 
gy  lenger  hyr  by  uns  syn  /  gy  mösthen  des  dicke  entgelden. 

15.  Fronwe  venus  des  sijt  bericht  /  jck  wyll  nicht  lengher  blynen.     Help 
my  maria  du  reine  maghet  /  van  dessen  bösen  wynen. 

16.  Danhuser  gy  wylt  orloff  han  /  nemet  orloff  van  dem  grysen.     Wor  g> 
jn  den  landen  varen  /  vnse  loff  dat  schöle  gy 

17.  prisen.    §  He  scheide  wedder  vt  dem  berge  /  mit  lene  vnde  ok  mit  leide. 
Help  maria  moder  du  reine  maget  /  van  dy  lat  my  nicht  scheiden. 

18.  Nu   wil  jk  hen  to  Rome   gan  /  got  möte  desser  reise  wolden.     Thom 
geistliken  vader  vnde  pawes  urban  /  de  mijn  seel  mach  beholden. 

19.  Ach  pawes  geistlike  vader  myn  /  jck  klage  ju  mine  sunde  /  Der  jck 
myn  dage  vele  hebbe  gedan  /  so  jck  dy  nn  will  vorknnden. 

20.  Ick  bin  gewest  ein  heel  gantz  jaer  /  jn  sunden  mit  Venns  der  fron  wen. 
Dat  bichte  jck  nu  hyr  openbaer  /  wente  alle  sunde  my  sere  ronwen. 

21.  De  Pawes  hadde  ein  dörren  staff  /  den  stötte  he  in  de  erden.    So  wen 
de  staff  nu  gröne  wert  /  schölen  dyne  sund  vorgeuen  werden. 

22.  Danhuser  scheide  sick  nth   der  stat  /  mit  leide  unde   ock    mit   rnwe. 
Maria  moder  du  reine  maget  /  help  my  dorch  all  dine  truwe. 

23.  Verflöket  syn  de  leidigen  papen.   de  my  tor  helle  schriuen.    Se  wyllen 
gade  eine  sele  nhemen  /  de  woll  beholden  mochte  bliuen. 

24.  Do  he  quam  al  vor  den  berch  /  he  sach  sick  wide  (v)mme.  God  gesegen 
dy  Sonne  vnde  Maen  /  dar  t(o  mine  leven)  frund(e). 

25.  Danhuser«  ginck   w(edder  in   den   berch  /he  wart  gar  wol)  entfangen. 
Seg  (get  nu  Danhuser  ein  ridder  gudt  /  wo  hefll  it  jw  gegangen. 


67 

Bisher  waren  vom  Tannhäuserliede  nur  zwei  nd.  Relationen  bekannt.1) 
Diese  sind  veröffentlicht  von  Leyser  (Jahresbericht  der  deutschen  Ge- 
sellschaft in  Leipzig  auf  1837.  S.  37  ff.)  und  Uhland  (Alte  hoch-  und 
niederdeutsche  Volkslieder.  1844.  1.  2.  765  ff).  In  beiden  folgen  noch 
4  Strophen.  Da  nun  unser  fliegendes  Blatt  am  unteren  Rande  nicht 
unerheblich  beschädigt  ist,  so  ist  anzunehmen,  dass  es  ursprünglich 
auch  die  4  folgenden  Strophen,  also  im  Ganzen  29  aufwies.  Das  Lied 
bei  Uhland  ist  nach  einem  fl.  Bl.  d.  J.  1550  abgedruckt,  die  Leysersche 
Relation  stammt  nach  Scheller  (Bttcherkunde  der  sassisch-niederdeutschen 
Sprache  u.  s.  w.  1826.  S.  479)  aus  dem  Jahre  1581,  demnach  böte  unser 
Druck  die  älteste  bis  jetzt  bekannte  nd.  Relation  des  Tannhäuserliedes. 

IL 
Dat  leet  Maria  tzart. 

1.  Maria  tzart/  van  edler  art/  eyn  roße  an  alle  dorne.  Du  heffst  mit 
macht  /  hyr  wädder  bracht  /  dat  vor  lang  was  vorlaren.  Dorch  Adams 
val/  so  dy  lieft  wol/  sunt  Gabriel  vorspraken/  help  dat  nicht  werde 
geraken  /  myn  sund  unde  schult  /  vorwarff  my  huld  /  went  /  nen  trosth 
is/  wor  du  nicht  byst/  barmherticheit  vor  warnen/  am  lesten  endt/  ick 
bydde  nicht  wendt/  van  my  jn  mynem  Sternen. 

2.  Maria  myldt/  du  heffst  ghestylt/  der  oltfeder  vorlangen.  De  jaer  und 
dage/  jn  we  und  klage/  de  vorhelle  held  gefangen.  Tho  aller  tydt/ 
schrieden  se  stridt  /  al  dörch  des  hemmeis  porten  /  torydt  jn  allen  orden. 
Dat  he  affqueem/  de  en  henem  I  eer  sware  pyn/  dat  all  dorch  dyn/ 
kusch  juncfroulick  gebere/  js  affgestelt/  dar  vmme  dy  telt/  de  werlt 
en  krön  der  ere. 

3.  Maria  rein  du  byst  allein/  der  sunder  trost  vp  erden.  Dar  vmme  dy 
hadt/  de  ewyge  radt/  eyn  moder  lathen  werden.  Des  högesten  heyl/ 
dörch  dat  ordeil  /  am  jungesthen  dage  werdt  richten  /  holt  my  jnn  dynen 
plichten.  0  werde  frucht  /  all  myn  to  flucht  /  hebbe  jck  to  dy  /  amme 
crutz  bist  my  myt  sunt  Johan  gegeuen.  Dat  du  ock  myn  /  moder  schalt 
syn/  fryste  hyr  unde  dar  myn  leuen. 

4.  Maria  klar/  du  byst  vorwar/  myt  groter  smart  ghegangen.  Do  dine 
frucht/  gantz  mit  untucht/  unschuldich  wart  gefangen.  Vmme  myn 
myssedath  /  vorwarff  my  gnad  tho  betren  hyr  myn  leuen  /  went  jck  byn 
vmme  geuen.  Myt  swarer  pyn  /  und  dat  dorch  myn  /  sundt  unde  schuldt  / 
jck  hebbe  vörduldt/  am  lyue  und  allen  enden.  0  werde  roeß  myn 
kranckheit  löefW  dyn  gnade  nicht  van  my  wende. 

5.  Maria  tzart  vormeret  wart  /  in  dy  grot  leit  mit  smertten.  Do  dyn  kynt 
doeth/  eyn  spere  mit  noed/  dörstack  syn  sachte  herthe.  Syn  blödes 
saflt  /  krenkede  dyn  krafft  /  van  leyde  woldest  sencken  /  Johan  deden  se 
wenken.  He  quam  all  dar/  nam  dyner  war/  do  dy  dat  swert/  dyn 
herte  vorserdt  /  dar  van  symeon  saget.  0  junckfrow  werde  /  lucht  und 
erde/  den  doet  dynes  kyndes  beklaget. 


J)  Vgl.  Grässe,  Der  Tannhäuser  und  ewige  Jude.    Dresden  18G1*.  S.  20  ff.  und 
Jellinghaus,  Pauls  Gnmdris  d.  germ.  Phil.  II,  428  u.  429,  Anm.  5. 

5* 


68 

6.  Maria  schon  du  högeste  Ion  /  wen  jck  van  hyr  modt  scheiden.  So  knm 
tho  my  /  des  bydde  jck  dy  /  dat  my  doch  nicht  vorleyden.  De  valscke 
Satan,  went  ick  nicht  kan/  er  dnnelsche  lyst  erkennen;  noch  mot  jck 
jo  van  hennen.  Vmme  wärp  my  ock/  mantel  vnde  rock/  wenner  d\n 
kynt  /  richtet  my  swynt  /  so  wyß  eme  dyne  brüste,  spreck  o  Jesn  gyff 
my  doch  nn/  dessen  snnder  ewych  frysten. 

7.  Maria  gud  wen  jn  nnmod  /  de  vader  van  mi  wende.  So  bydde  ick  dar 
dyn  sone  klar  /  wyse  vöthe  vnde  hende.  den  mach  nicht  seer  /  de  vader 
meer  /  wedder  my  ein  ordel  spreken  /  ock  mach  syck  jo  nicht  wreken. 
Godt  hylge  gheist  de  erat  bewyst/  söt  gnedicheit/  den  ja  bereyt/ 
drenoldychlyke  gnde.  Alßo  wart  my  /  salichkeit  dörch  dy  /  vor  snnde 
my  behöde. 

8.  Maria  fyn/  dyn  klare  schyn/  vorlachtet  den  högesten  trone.  Do  dy 
myt  eren  /  van  twelff  stern  /  ward  vp  gesettet  eyn  kröne.  Dreuoldycheit 
hefflt  dy  ghekleit  myt  hogher  gnade  vmme  geuen/  maria  fryste  niyn 
lenen  /  so  mennichen  dach  /  jck  bychten  mach  /  o  juncfrow  söte  /  help 
dat  jck  böte  myn  snnde  vor  mynem  ende.  Wen  myn  herte  brickt  /  myn 
sychte  vorschrickt  /  so  gyff  myner  seel  dyn  hende. 

9.  Maria  frow/  help  dat  ick  schow/  dyn  kyndt  vor  mynem  ende.  Schick 
myner  seel/  sunt  Michael/  dat  he  se  vor  behende.  Int  hemmelryck 
dar  alle  gelyek/  de  engel  frölyck  syngen/  ör  stemme  helle  klingen. 
Hyllich  hyllich  /  dn  byst  hillich.  0  starker  Godt  /  van  sabaoth  /  regerest 
geweldickliken.  Se  heflt  eyn  end  /  al  myn  elend  /  vnd  frow  my  ewich- 
liken. 

10.  Maria  klar/  dn  byst  vorwar/  fygnrliken  bednden.  Dat  fluß  gedeon/ 
bystn  frow  schon  /  van  gade  krech  macht  to  stryden.  Bedndest  vort 
da  byst  de  port/  de  ewich  blifft  geslaten/  van  dy  is  nth  geflaten/  dat 
ewych  word  /  beslaten  gard  /  getekendt  borne  /  klar  so  de  sonne  /  fignrert 
vor  langen  jaren/  van  my  nicht  wendt/  dyn  truw  am  end/  so  ick 
schall  varen. 

11.  (Maria)  mei(d)  /  (a)n  alles  leid  i(n)  dy  synt  (n)een  (gebr)eck(en)  .  .  . 

Das  folgende  ist  durch  die  Beschädigung  des  unteren  Randes  dos 
Flugblattes  fortgefallen.  Eine  nd.  Fassung  des  Liedes  war  Ph.  Wacker- 
nagel unbekannt  (vgl.  Deutsches  Kirchenlied  II,  803  ff.).  Erat  später 
haben  ndd.  Texte  desselben  Jostes  im  ndd.  Jahrbuche  XIV,  S.  67  und 
Edw.  Schröder  ebd.  XV,  S.  8  mitgeteilt. 

Im  Sommer  1887  fand  ich  im  Museum  für  nordische  Altertümer 
zu  Kopenhagen  eine  hd.  Version  unseres  Liedes,  die  ebenfalls  bis  jetzt 
unbekannt  gewesen  ist.  Im  Zimmer  Nr.  13  befindet  sich  unter  Nr.  229  e 
ein  fliegendes  Blatt  mit  diesem  Liede.  Das  Lied  trägt  folgende 
Unterschrift: 

Item  alle  die  dis  leyt  syngen  oder  leffen  mit  andockt  dB  seMgd  hat  der 
bifchob  von  Zeitz  gegebben  XL  tag  ablas  (vgl.  ndd.  Jahrb.  XV,  S.  10). 

Flensburg.  Alfred  Puls. 


Braunschweigische  Fündlinge. 

(vgl.  Jahrb.  III,  70;  VI,  135.) 

Till.    Sanct  Annen  Preis. 

Diefes  Stück  und  ebenfo  IX,  XIV,  XV,  XVI,  XVII  finden  fich  in  einem  vor- 
wiegend lateinifche  Druckfchriften  grammatifchen  Inhalte  vom  Ende  des  15.  und 
aus  dem  Anfange  des  16.  Jahrh.  umfaffenden  Mifchbande  in  4°  der  Stadtbibliothek 
zu  Braunfchweig,  auf  unbedruckten  Blättern  oder  über  die  leeren  Räume  und  Bänder 
einiger  Titel  und  Texte  eingetragen.  Allem  Anfcheine  nach  von  einer  Hand,  und 
zwar  der  nämlichen,  die  einen  der  Titel  mit  der  Auffchrift  verfehen  hat:  Duth  bock 
hebbe  ick  leff:  we  my  dat  flthylt  dat  is  ein  deff :  dat  fy  here  edder  knecht  de  galghe 
ys  yo  fyn  recht:  Nicolaus  Betzendorp  eft  pofl'effor  huius.  Auf  die  Rück  feite  des 
letzten  Druckes  und  die  anfchliefsende  Innenfeite  des  Pergamentmantels  hat  derfelbe 
Kortizins-Rück/lände  zu  Oldedorp  Betzendorppe,  Owdorppe,  Kakelitze  und  Stenwech 
Betzendorppe  verzeichnet  und  unter  dergleichen  Einträgen  an  letzterer  Stelle  ver- 
merkt: Item  dat  halve  kofterlonn  hebbe  ick  vordeneth  tippe  paflchen  a°  xj°. 

Anna,  eyn  eddele  ftam  du  bifth, 

Darvan  de  twych  wafßen  fcholde, 

Darvan.de  frucht  gebaren  ys, 

De  uns  alle  erloßen  fcholde 

Dorch  goddes  pyn, 

Darin  wy  fyn 

Dorch  Adamß  fände  gevallen. 

Erhöre  uns  ftede 

In  unfern  ghebede; 

Help,  hylghe  moder  funthe  Anna,  fulff  drudde1)  uns  allen. 

Anna,  dorch  dyne  hertlijke  klaghe 

Hefftu  uns  vele  vroude  bracht 

Unfruchtbar  fcholdeftu  draghen 

Marien,  uth  Oades  kracht 

Ane  funde  gheborn. 

In  fynen  torn 

Laeth  uns,  moder,  nicht  vallen. 

Erhöre  uns  ftede 

In  unfern  ghebede; 

Help,  hylghe  moder  funthe  Anna,  fulff  drudde  uns  allen. 

Anna,  eyne  eddele  ghebererynne, 
Eyne  moder  aller  gnaden, 
Vorwerff  uns,  du  werdige  trofterynne, 
Dat  wy  nicht  werden  averladen 
Myth  Gades  hath. 
Vulbringhe  uns  dat 


»)  Mit  Jefus  und  Maria, 


70 

Altyd  na  dynem  ghevallen. 

Hirnmme  Oo  bydden  wy  dyck 

Stede  ewiohlijk. 

Help,  hyllighe  moder  funthe  Anna,  fnlff  drndde  uns  uth  allen. 

Alexander  de  fofte  pawes  hefft  gegheven  allen  criftghelovyghen  mynfchen, 
de  duth  naghefcreven  bedt  fpreken  dremal  na  eynander  vor  deme  beide 
funthe  Annen,  x  dufenf  yar  vorghevinghe  doetlijker  fände  unde  xx  dnfenth 
yar  vorghevinghe  daghelijker  fnnde.  Dat  he  alfo  confirmereth  nnde  be- 
ftedighet  hefft  to  Rome  am  pafchedaghe,  do  men  fcreff  MCCCCxciiij. 

Ghegrntet  fiftu,  Maria  vnl  gnaden,  de  here  ys  mith  dy.  dyne  gnade  fy 
myth  my.  Du  bift  ghebenedyeth  baven  alle  vrouwesnamen.  Unde  benedyeth 
fy  funthe  Anna,  dyne  alderhylghefte  moder,  darvan  uthghegaen  ys  ane  be- 
vleckinge  nnde  fnnde  dyn  yunckfronwelijke  lycham,  darvan  ghebaren  ys 
Jhefus  Chriftus.    AMEN. 

Verficnlns. 
Ora  pro  nobis,  beata  Anna,  mater  Maria, 
Ut  mnndemnr  ab  omnibus  malis  in  hac  vita. 
AMEN. 

IX.    Marienieich. 

Aus  Nicolaus  Betzetidorps  Mifclibande:  vgl.  bei  VIII. 

Ghegrotet  fiftu,  Maria  vul1)  reyne, 
Wente  dn  bift  eyne  konighinne  alleyne 
Aver  der  enghele  fchar. 
Wente  da  bift  eyne  lichte  morghenfterne 
Unde  des  hilghen  gheyftes  eyne  lncerne 
AI  in  deme  hemmel  klar. 

Wente  nth  dick  is  entfpraten 
Eyne  doghentlike  frucht. 
Maria,  vor  fnnden  ans  beware, 
Wente  fe  findt  fo  fware. 

0  Maria  dn  vnl1)  reyne, 

De  chriftenheyt  ghemeyne 

Beware, 

Unde  vordriff  de  olden  fnnde,2) 

Mit  des  hilghen  gheiftes  hulde 

Uns  beware. 

Eonningk  David  fath  fick  gar  erenthryke, 

Eyn  ghnlden  fath  draghet  he  fo  doghentliken, 

Alfo  hnde  nnde  aver  mennigh  jare. 

Jfayas  nns  van  ore  faghet, 

Wu  fe  is  eyne  juncfrowe  unde  reyne  maghet, 

Unde  dat  is  feker  unde  wäre. 

Wenne  aller  propheten  tunghe3) 
Se  nicht  füllen  laven  magh, 


71 

Wente  fe  is  den  olden  alfe  den  junghen 
Saß  in  den  jungheften  dagh. 

0  Maria  dn  vuli)  reyne 

De  chriftenheyt  ghemeyne 

Beware, 

Unde  vordriff  de  olden  fnnde. 

Mit  des  Highen  gheiftes  hulde 

Uns  beware. 

Du  fuckerfmack,  du  baHTemvat  ful  reyne, 

Du  reyne  lylienftam, 

Eyne  kröne  van  elpenbeine,4) 

Eyn  rofellyn  wolgethan. 

Eya  du  fchynende  gholdt,  baven  alle  dine  ghute, 
Behude  uns,  her,  vor  der  bitteren  ghlute, 
Alle  vor  der  duvel  fchar. 

An  unßem  ende 

Do  uns  dine6)  hulpe  fchyn, 

Den  hilghen  enghel  uns  tho  fchicke  fende, 

Dath  wy  nicht  kamen  in  pyn. 

0  Maria  du  ful  reyne, 

De  chriftenheyt  ghemeyne 

Beware, 

Unde  vordriff  de  olden  funde,2) 

Mit  des  hilghen  gheiftes  hulde 

Uns  beware. 

Hf.  *)  wul.    ")  fchulde?     8)  alle  propheten  tunghen.    *)  elpenbeene.    6)  diner? 

X.    Ave  maris  Hella  verdeutscht 

Auf  der  leeren  Rückfeite  eines  augenfcheinlich  fehon  in  alter  Zeit  ausge- 
fchnittenen  Blattes  einer  theologifclien  Hf.  der  Länge  nach  in  durchlaufenden  Zeilen. 
Von  dem  hier  nach  Kehrein,  Lot.  Sequenzen  des  Mittelalters  etc.  Mainz  1873,  Nr.  254 
vottftändig  beigefetzten  lat.  Texte  find  im  Orig.  den  einzelnen  Sequenzen  nur  je  die 
erften  zwei  Worte  vorangeßeüt.  —  Der  lieber fetzung  liegt  augenfcheinlich  nicht  un- 
mittelbar das  lat.  Original,  fondern  eine  hochd.  Uebertragung  zu  Grunde,  von  der  [ic 
in  Lauten  und  Worten  foviel  beibehalten  hat,  dafs  eine  wunderliche  Mifchfprache 
eniftanden  iß. 

Aveprectnra  Ich  grote  dich  gerne 

maris  fteüa,  meres  Iterne, 

in  lucem  gentium  den  heyden  luchteftu  fo  ferne, 

Maria  divinitus  orta.  du  gotlige  derne. 

Euge  dei  porta,  Eya  godes  porte, 

qua  non  aperta,  dyn  floz  ny  rorte. 

veritatis  lumen,  Eyn  gotlik  licht  der  warheyt, 

ipfum  folem  juftitiv  Jhefum  Chrift  van  Nazareth, 


72 


indutum  carne 
ducis  in  orbem* 

Virgo,  decus  mundi, 

regina  celi, 
prceclara  ut  fol, 
pulchra  lunaris  ut  fulgor, 

agnosce  omties  • 

te  diligentes. 

Te  plenam  fide 

virgarn  almce  ftirj)is  Jeffe 

nafcituram  priores 

deßderaverant 
patres  et  prophetas. 

Te,  lignum  vite,  fancto 
rorante  pneutnate 
parituram  divini  floris 
amygdalam 
ßgnavit  Gabriel. 

Tuagnum,  regem, 
terra  dominatorem 
Moabitici 
de  petra  deferti 
ad  montetn  filiai  Sion 
traduxi/li. 

Tuque  furentcm 
Leviathan  ferpentem 
tortuofumque  et  vectem 
collidens 

damnofo  crimine  mundum 
exemißi. 

Hinc  gentium 
nos  religuia: 
tuce  fub  cuUu  memoria, 
miruth  in  modum 
quem  es  enixa, 
propitiationis  agnum 
regnantetn  coelo  aeternaliter 
devocamus  ad  aram 
mactandum  myfterialiter. 
Hinc  manna  verum 
Israelitis  veris, 
veri  Abrahae  filiis, 
admirantibus  quondam, 
Moyß  quod  typus  figurabat, 
jam  nunc 


an  mensliger  formen 
trogeft  en  vorborgen. 

Mayt,  der  werlde  eyn  zirde, 

du  bift  in  der  wyrde 

uz ir weit  eyn  zunne, 

des  manen  fchyn  eyn  wnnne. 

fund  mache  van  fmertzen 

de  dich  liep  han  van  hertzen. 

Trofteryn  gute, 
van  Yefle  eyn  wunfchelrote, 
Anna  dyn  moter  dich  berte, 
dyn  kint  unß  ernerte, 
de  propheten  des  gherten. 

Gabriel  fnelle 

to  dir  kam,  du  godes  celle, 

de  botfchop  her  dy  brachte, 

dy  god  vorbedachte: 

des  ful  wy  ummer  trachten. 

Den  koningk  un  daz  lam, 
der  von  Moab  gewaldich  kam, 
haift  bracht  reyne. 
van  dem  wollten  fteyne 
up  den  berch  Syon  gevoge 
du  en  trogeft. 

Des  argen  flangen  lift, 
der  unfs  trot  in  fo  korter  vrift, 
hallt  beftricket  Itark, 
beregelt  in  der  helle  fark. 
AI  de  werlt  van  oren  funden 
haift  entbunden. 

Van  dir  han  wir,  moter,  funderlich, 

daz  wy  operen  daz  opper  ift  wunderlich. 

Das  gotlige  lam 

heylfam  van  dir  kam, 

du  zarte  juncfrauwe  reyne, 

kufch  vruchtbar  alleyne. 

Bift  gnaden  rieh, 

helff  unfs  endelich, 

daz  wy  motzen  godes  brachen  ewichlich. 

De  waren  Abrahams  kint, 

de  uterwelet  fint, 

de  dar  feen  den  fchyn, 

der  da  was  fo  phyn, 

der  von  Moyfes  antlate  lachte 

alO  de  finden  duchte. 


73 


abducto  velo 
datur  perfpici. 

Ora  virgo, 
nos  iüo  parte  coüi  dignos  effici. 

Fac  fontem  dulcem, 

quem  in  deferto 
petra  prcemonftravit, 
deguftare  cum  ßncera  fide, 
renesque  conßringi 

lotos  in  mari, 
anguem  csneum 
in  cruce  fpeculari. 

Fac  igni  fancto 
patrisque  verbo, 
quod  rubus  ut  flamma 
tu  portafti, 
virgo  maier  facta, 

pecuali  pelle 
discincto8  pede, 
mundis  labiis 
cordeque  propinquare. 

Audi  nos, 
natu  te  filius  nihil  negans 
honorat. 

Salva  nos,  Jefu, 

pro  quibus  virgo  mater  te  orat. 

Da  fontem  boni 

vifere, 
da  purce  mentis  octdos  intelligere, 

Quo  hauftce  fapientice 

faporem  vitte 
valeat  mens  inteUigere, 

Chrißianismi  fidem 

operibus  redimere 

beatoque  fine  ex  huius  incolatu, 

fceculi  auctor, 

ad  te  transire. 


Daz  fchach  in  fignre 

gotliger  natnre. 

Helff  unfs,  keyferin, 

daz  wy  moten  hymmelbrodes  werdich  fin. 

Giff,  dat  wy  mutzen 

god  alfo  grozen, 

den  borne  zu  fuczen, 

de  dar  van  dem  (Heyn  uzgevlotzen. 

An  kufcheit  unfs  fterke, 

daz  merwijs  werke 

des  cruces  jamercheit  den  Hangen 

fich  vor  dy  hangen. 

Hilff  unfs  zum  vure 

edell,  du  ture, 

das  du  famphte  trüge. 

Als  der  bufch  du  wereft  fo  gevoge, 

daz  diz  nicht  en  fchate 

fo  god  benagte. 

Munt  hertze  an  reynicheit, 

de  funde 

was  dir  unkunde. 

Muter  mayt, 

hör  unfs.  Din  kint  dir  nicht  vorfait 

des  du  mutift. 

Mach  unfs  Fund,  Jhefu, 

fo  jo  din  leve  muter  gar  gud  is. 

Den  born  lath  unfs  fchauwen 

gotligen  vlutz, 

de  ewicheit  mit  des  herten  ogen. 

Des  lebendes  fmak  fo  zotze, 
de  geift  mit  gnaden  ummerme 
fin  gebrughen  mote. 

De  werk  mit  den  Worten 

de  fluzen  unfs  up  de  porten 

zu  den  hymmels  orten. 

Na  duffem  elende  unfs  zy  bekant 

mit  frauden  des  vader  land. 


XI. 

Auf  einem  Zettelchen,  das  1873  in  der  Höhlung  eines  Pfeilers  der  Kirche  des 
Klofters  Marienberg  bei  Helmftedt  gefunden  wurde.    Schrift  des  14.  oder  15.  Jahrh. 
Quintus  ritmen1)  de  affenfione  domini. 
Lof  fy  dick,  föne  unde  hilge  geyft, 


74 

Wente  gy  an  dem  hymmel  aldermeyft 
Sint  myt  dem  vader  ewichliken 
Unde  nummer  van  *)  ome  wiken.3) 
Du  woldeft  dorch  unß  mynfche  werden: 
Dy  fy  lof  an  hymmel  unde  an  erden. 
Hf.  »)  fo!     *)  wan.      »)  viken. 

XU.    Weifs  und  Grün. 

Aus  einem  Handfchriftenbande  der  Minderbrüder  zu  Braunfchweig,  jetzt  in  der 
Stadtbibliotliek  dafeWft.  Offenbar  ein  unvollendeter  Entwurf,  der  Schrift  nach  dem 
14.  JaJirh.  angehörig.    Vgl  v.  der  Hagen  Minnef.  3,  42*. 

Dat  wytte  ys  eyn  gut  ghewant, 

Dat1)  Got  vant. 

Got  de  wytten  varve  entfeng: 

Herodes2)  dede  Gode  en  wyt  clet  an. 

Alzo  uns  God  bewyfet  hat 

En  gut  ghedank  an  wytter3)  wat. 

Ok  haft  ns  God  bewyfet  me 

An  enem  brode,  wyt  alzo  fne: 

Wen  de  prefter  over  dem  alter  fteyt, 

Und  God  de  wytte  varve  enfeyt, 

So  enfengkt4)  he  de  mynfcheyt  an  eym*)  brot. 

Grone  varwe  was  ere  der  acht, 

Ere  hemmel  unde  erde  wart  vullenbracht 

Grone  varwe,  du  byft  bereyt, 

Du  fcalt  fyn  dat  wapenkleyt. 

Got  wel  fych  an  dych  vorfliten 

Unde  der  funde  bende  toryten 

In  fyner  barmhertycheyt.6) 

Du  funder,  wes  bereyt 

Unde  dank  em  der  gute 

Unde  der  groten  overvlute.7) 

0  Maria,  du  edele  futicheyt,8) 

Du  fcalt  fyn  dat  wapenkleyt 

Dat  ys  in  der  olden  e  gefchen, 

Dat  fych  got  let  an  gron  fen, 

An  ene  wolt,  de  was  gron, 


In  der  HP.  l)  De.      ')  undeutlich  und  unaewifs.     ^  wytte.     *)  entfengk.     5) 
eyn.      •)  barmhertych.      0  overvlate.      8)  futineyt. 

Xffl.   Weltrpruch. 

Aus  einem  Gerichtebuche  der  zweiten  Hälfte  des  16.  JaJirh.  im  Stadtarchive  zu 
Braunfchweig.    Die  verwilderte  Schreibung  der  Hf.  vereinfacht. 

Gy  minfchenkinder  up  erden, 

Holdet  gericht  und  gerechticheyt  in  eren, 

Trachtet  juwer  efchinge  mit  flyte  na, 


75 

Dem  gerechten  juwe  gemdte  alletyt  byfta. 

Fruchtet  giok  nicht  vor  dem  Satan  np  erden: 

He  kan  unde  mach  juwer  nicht  mechtich  werden. 

Lydet  gy  icht  wat  nrnme  der  gerechticheyt, 

Dat  heft  gick  juwe  got  upgeleyt. 

Dat  krnze  draget  mit  gedult  to  aller  tyt, 

Hopen  in  got  maket  aller  vorfolginge  unde  lydens  quyt. 

Hopen  in  got  up  erden 

Let  nemant  to  fohanden  werden. 

We  dem  heren  des  van  herten  vortruwen  kau, 

De  blift  wol  eyn  unvordorven  man. 

XIV.   Judeneid. 

Am  Nicolaus  Betzendorps  Mifchbande:  f.  bei  VIII.  Manche  Anklänge  an  die 
hier  vorliegende  Formel  finden  fich  in  einer  andern,  die  Fr.  Holtze,  Das  Strafver- 
fahren gegen  die  märkifchen  Juden  im  J.  1510  (Sehr,  des  V.  für  die  Oefch.  der  St. 
Berlin,  Heft  21,  Berlin  1884,  S.  74  f.),  am  einem  Gedenkbuche  des  Bathes  zu  Braun- 
fchweig  veröffentlicht  hat  Vgl.  auch  den  Erfurter  Judeneid  in  den  Denkmälern 
Deutfcher  Poeße  und  Profa  am  dem  8.— 12.  Jahrh.,  hrsg.  von  K.  Müllenhof  und 
W.  Scherer,  2.  Amg.,  Berlin  1873,  S.  247,  und  Scherers  Anmerkungen  dazu  S.  625  ff. 

Nota,  wo  eyn  jodde  tho  rechte  fweren  fchal.  unde  duften  eydt  feal  eyn 
jodde  doen  uppe  Moyfes  bocken,  unde  de  jodde  feal  ock  nummer  komen  uth 
fyner  fchoien  edder  uth  fyner  fynagogen  an  jodden.  De  jodde  fchal  fynen 
eydtftauweren  gheven  eyn  punth  pepers  unde  eyn  par  hoDen.  De  jodde  feal 
barvoth  ftan  up  eyner  tzeghenhudt  unde  feal  fyne  arme  blodt  hebben  wente 
uppe  den  ellenboghen,  unde  feal  fyne  handt  gantz  legghen  up  hern  l)  Moyfes 
bock  wente  tho  deme  lede.  Edder  de  jodde  fchal  fyck  alfuß  na  differ  na- 
ghefchreven  wyße  bereyden  tho  fynem  eyde. 

Item  wannere  eyn  jodde  fweren  feal,  de  feal  hebben  ane  eynen  ghrawen 
rock,  eyn  hemmede  unde  twee  hofen  ane  vorvothe,  unde  eyne  blodighe  hudt 
an  fyner  rechteren  handt  gedrucket  van  lammes  blöde,  unde  eynen  fpitzen 
hödt  uppe.  unde  me  ftavele  ome  den  eydt  alßo  unde  fegghe:  Jodde,  du 
fprickeft  dath  uppe  dyne  ee  unde  uppe  dyne  jodefleheyt,  dath  düth  fy  dat 
bück,  dar  du  nu  dyne  handt  uppe  heft,  der  vyff  bocke  eyn  hern ')  Moyfes, 
dar  du  dick  tho  rechte  uppe  entfchuldighen  fchalt  alles  des  me  dick  fchuldt 
ghift:  des  dick  dufße  N.  befchuldighet,  dat  du  des  unfchuldigh  bifth,  dat 
dick  ghodt  alfo  helpe,  de  dar  ghefehapen  heft  hemmel  unde  erden,  für,  luft, 
water,  loff  unde  graß,  dat  dare  nicht  en  was,  unde  ifth  du  unrecht  fprekeft, 
dat  dick  denne  de  ghodt  fchende,  dede  Adame  ghebeldet  hath  nha  fynes 
fulves  beide  unde  Evam  makede  van  fyner  ribben  eyn.  unde  ift  du  unrechte 
fwereft,  dat  denne  de  ghodt  dick  fchende,  dede  Zodomam  unde  Ghomorram 
vorbrande2)  mith  dem  helfchen  füre,  unde  ift  du  unrechte  fwereft,  dat  dick 
denne  de  erde  vdrflinghe,  de  dare  vorflangh  Dathon  unde  Abiron.  unde  ift 
du  unrechte  fwereft,  dat  dick  denne  de  mafolfught  befta,  de  dare  Naamam 
leydt  und  Jefy  beftoet  unde  ift  du  unrechte  fwereft,  dath  dick3)  denne  dyn 
vleyfck  nummer  tho  erden  ghemenghet  werde,  unde  ift  du  unrechte  fwereft, 
dat  dick  de  ghodt  fchende,  dede  wedder  Moyfes  fprack  uthe  eynem  furighen 


76 

buflche.  unde  ift  du  unrechte  fwerefth,  dat  dick  denne  de  ghodt  fchende,  de 
Moyfi  de  ee  fchreff  mit  fynen  vingheren  an  twene  (tennenen  taffeien,  unde 
ift  du  unrechte  fwereft,  dat  dick  denne  de  ghodt  fchende,  dede  den  konningk 
Pharaonem  flogh  unde  de  de  jodden  avere  dat  meer  drogh,  unde  vorede  fe  in 
eyn  landt,  dar  me  melck  unde  honningh4)  inne  vanth.  unde  ift  du  unrechte 
fwerefth,  dat  dick  denne  de  ghodt  fchende,  de  de  jodden  fpyfede  in  der 
woftenye*)  myth  dem  hemmelfchen  brode  xl  jare.  unde  ift  du  unrechte 
fwereft,  dat  dick  de  fchrift  velle,  de  dare  fchreven  fteyt  an*)  den  vyff  bocken 
Moyfi.  unde  ift  du  unrechte  fwereft,  dath  dick3)  denne  de  ghodt  fchende 
unde  dick  deme7)  duvel  ßende  myth  lyve  unde  myth  ßele  nu  unde  jummer- 
mere.     Amen.     Hie  imponat  manum  fuper  libros  Moyfi. 

Keyfer  Otto  de  fchuldt,  de  dick  ghift  dufte  N.  unde  fyn  vorfprake,  de 
feght  du  de  N.8)  unfchuldigh  fyefth,  dat  du  des  nicht  en  hebbeft  an  dyner 
kyften  bef loten,  nicht  an  dyner  wanth  behut,  nicht  an  dyner  erden  begraven, 
dat  dick  de  ghodt  alßo  helpe,  defulve  ghodt,  de  dare  leydt  werden  hemmel 
unde  erden,  berghe  unde  dael,  water  unde  lufthe,  loff  unde  ghraß.  alßo 
helpe  dick  defulve  ee,  de  dick  anghekamen  ys  van  dynem  vader  unde  van 
dyner  modere,  alfo  helpen  dick  de  viff  Moyfes  bocke  unde  de  ee,  dare  in 
ghefchreven  ys:  efth  du  unrecht  hebbeft,  dat  du  moteft  vordorren  alße  de 
berghe  tho  Gelboe,  den  David  vorflokede,  ßo  mote  uppe  dick  yo  reghen 
datfulve  fwevel  unde  peck,  dat  dare  regnende  tho  Zodoma  unde  Gomorra, 
dare  de  ftede  in  de  affghrundt  funcken,  fo  moteftu  werden  tho  eynem  folth- 
fteyne,9)  alfe  Lottes  wiff10)  wardt  dare  umme,  dat  ße  fick  umme11)  fagh,  fo 
mote  dick  vorflinghen  de  erde,  de  dare  vorflangk  Dathan  unde  Abiron, 
Oreb  unde  Thore,  ßo  mothe  dick  yo  beftaen  de  malatzfche  fucke,  de  dare 
beftunt  Naamach  van  Ziroch.  Szo  fwereftu  by  dere  kraft,  de  Jofne  der 
funnen  ghebodt,  dat  fe  ftille  ftunde,  wente  dat  he  fick  wroke12)  avere  fyne 
vyende  tho  Gabardt.  unde  dyne  erde  nummer  kome  mancket  ander  erde, 
unde  dat  dyn  wiff10)  unde  dyn  geflechte  unde  dyne  kindere  nummer  en 
komen  mancket  Abrahammes  kindere.  unde  dat  dufte  eydt,  den  du  fwereft 
hire  vore,  recht  fy  des  N.,  alßo  helpe  dick  Adonay  Adonay  etc. 

In  der  Hf.  l)  her.  »)  vorbrante.  »)  digk.  *)  hönnlgh.  ß)  voftönye.  «) 
ahn.  7)  den.  8)  Die  offenbare  Verderbnifs  dtefer  Stelle  weifs  ich  nicht  zu  beffern. 
9)  ftcynne.      l0)  viff.      ")  vmhe.      ")  vroke. 

XV.    Heilzanbor. 

Aus  Nicolaus  Bdzendorps  Mifchbande:  f.  bei  VIII. 

Notandum  eft  hie  quia . .  -1)  ad  equos. 

Item  wanne2)  de  perde  de  worme  hebben,  ßo  binth  ene  dufße  naghe- 
fchreven  worde  umme  den  halß  unde  lath3)  ße  ßo  langhe  fytten,  ßo  langhe 
ße  de  vore  ghehath  hebben.  (+)  Tranfon  (+)  Gonebron  (+)  Et  fentes 
(+)  Et  Jacob,  (+)  et  Trayfon  (+)  Terelfnea  (+)  Solentes  (+)  Et  fentes  (+).4) 

Item  duth  naghefchreven  ys  vore  dene5)  bete  des  dullen  hundes  unde 
mach  me  in  botter  kleyven.  Hoc  contra  fignum  nullum  ftat  periculum. 
+  Pax  +  max  +  ymax  +  Dens  +  Jhefus  Maria  Johannes  Sancta  Anna 
flilff  drudde  H^ 


77 

Pferdearznei. 

Item  wen  eyn  perdt  hovetfegk  ys,  ßo  nym:  De  groten  ernten,  dede 
eyger  hebben,  fengk  in  eynen  fagk  efte  budel,6)  alD  du  meyft  kanfth,  nnde 
feeth  [Fe]  mith  vletendem7)  water  eyn  ftunde  langh  nnde  decke8)  den  toph 
to.    Tandem  da  equo  bibere  de  fero  ac  mane  .  .  .*)  et  tamdiu  etc. 

Hf.  *)  unleferliches  Wart.  •)  whaflfl.  »)  vielleicht  dath:  eins  von  beiden  ift 
Correctur.  4)  die  acht  Zauberworte  in  ebenfoviel  Zeilen;  das  hier  im  Drucke  mit 
(+)  wiedergegebene  Zeichen  /teilt  (ich  in  der  Hf.  als  durchkreuzter  Kreis  dar.  6) 
denn.      6)  buddel.      ')  vletende.      8)  deke.      •)  ein  Wort  mit  Tinte  übergof/en. 

XVI.  'Wo  fol  ich  mich  hin  keren9  etc.  niederdeutfeh. 

Aus  Nicolaus  Betzendorps  Mifchbande:  f.  bei  VIII.    Beigefügt  find  die  Varianten 

A)  des  nd.  Textes  der  Niederdeutfchen  Volkslieder,  hrsg.  vom  Vereine  für  nd.  Sprach- 
forfchung,  1,  Heft  (hrsg.  von  W.  H  Mielck),  Hamburg  1883,  S.  90  f.,  Nr.  24,  in 
dem  zu  Grunde  liegenden  fog.  Uhlantffchen  nd.  Liederb.  (c.  1600?)  Nr.  110; 

B)  des  nl.  in  dem  Antwerpener  Liederbuche  von  1544  (Een  fchoon  Hedekehs-Boeck. 
Tantwerpen.  By  Jan  Roulans.  M.  CCCCC.  efi  XLJJJJ.)  hrsg.  von  Hoffmann 
von  FallersUben,  Hannover  1855,  S.  249  ff.,  Nr.  XLVI:  Een  oudt  liedeken; 

C)  des  ftark  gekürzten  hochd.  in  Burkard  Waldis'  Verlorenem  Sohn  (De  parabell 
vam  verlorn  Szohn,  gefpelet  tho  Ryga  ynn  Lyfflandt,  Am  xvij  dage  des  Monte 
February.  M.D.xxvij.  o.  0.  u.  Dr.  4°)  hrsg.  von  G.  Milchfack,  Halle  a.  S.  1881, 
S.  28  f.,  Z.  703  ff.; 

D)  des  hochd.  in  ühlands  Alten  hoch-  und  niederdeutfchen  Volksliedern,  Stuttg.  u. 
Tüb.,  Abth.  II,  1845,  S.  581  ff.,  Nr.  213; 

E)  des  hochd.  in  Franz  M.  Böhmes  AUdeutfchem  Liederbuch,  Leipz.  1877,  S.  430  ff., 
Nr.  358,  wo  S.431  bemerkt  ift:  Die  mangelhaften  Recenfionen  mit  anderer 
Reihenfolge  und  Zulammenfetzung  der  Strophen  hat  Unland  in  eine  gereinigte 
Lesart  zulammengefUgt  und  ift  dabei  der  Quelle  b  (dem  fog.  Ambrafer  Lieder- 
buch: Lieder-Büchlein  [Frankfurt  a.  M.]  1582,  Nr.  77  und:  Lieder-Büchlein.  Frank- 
furt am  Mayn,  M  D  LXXXIV.  Nr.  97:  Der  Weltlich  Schlemmer)  und  c  (fl.  Bl. 
o.  0.  u.  J.)  gefolgt.  Zugleich  ifts  aber  die  Lesart  der  Bergkreyen,  welcher  Quelle 
ich  gefolgt  bin. 

Das  VerhäUnifs  des  Beftandes  und  der  Strophenanordnung  diefer  fünf  Recen- 
fionen zu  dem  der  hier  wiedergegebenen  unferer  Hf.  veranfchaulicht  nachgehendes 
Schema. 

Hf.u.B.      ADE.      C. 


1 

— 

1   =   1 

2 

==z 

2    =    3 

3 
4 

^ 

41  —    °        13,  5-8. 

5 

= 

5          — 

6 

= 

10    ss    4 

7 

= 

8          — 

8 

= 

6          — 

9 

= 

7           — 

10 

= 

9    =    6 

11 

= 

11     =    2 

12 

■—          "~ — 

78 


1.  Wor  fchal  ik  mij  hen  keren 
Ik  armes  broderlin? 

Wes  fchal  ick  mij  erneren? 
Myn  gudt  iß  vel  tö  klein. 
Alze  ik  eyn  wefen  han, 
8zo  moet  ik  balde  darvan 
Wat  ik  nu  fchal  vorteren, 
Dat  hebbe  ik  vore  vordaen. 

2.  Ick  bin  tho  fro  geboren : 
AI  wor  ik  nu  hen  käme, 

Myn  ghelncke  knmpt  erften  morgen. 
Hedde  ik  eyn  keyferdom, 
Dartho  den  toi  amme  Ryn, 
Unde  were  Venedye  myn, 
ld  were  doch  alle  vorlaren, 
Id  muth  vorflometh  fyn. 

3.  Szo  en  wyl  ik  doch  nicht  fparen 
Unde  wyl  idt  alle  vorteren, 
Unde  wyl  darnmme  nicht  forghen 
Godt  befchert  my  morgen  mer 
Wath  hulpe  ydt,  dat  ik  fpare? 
Vellichte  vorlöre  ik  id  gar; 
Scholdet  my  eyn  deff  uthdragen, 
Idt  rnwede  my  wol  eyn  jar. 

4.  Ik  wil  ene  lathen  forgen, 
Deme  idt  to  herten  gaet, 
Myn  gheldt  wyl  yk  vorbraffen, 
Vorflomen  vro  unde  fpaet. 

Ick  nemo  eyn  evenbilde 
By  mennigen  deerlin  wyl  de, 
Idt  fpringhet  np  groner  beide: 
Godt  behode  em  fyn  ghefilt. 

5.  Ik  fee  np  groner  heyden 
Vel  mennich  blomelin  ftaen, 
Szc  finth  fo  wol  gekleydet: 
Wat  forge  fcholde  ik  doch  haen, 
Wenne  ik  gudt  averkame? 

Ik  byn  noch  vrifch  unde  junck; 
Scholde  my  de  nöth  anlangen 
Myn  herte  wüft  nicht  darum. 

6.  Dre  worpel  unde  eyn  kartlie 
Dat  is  dat  wapent  myn 

Soft  hovefcher  frowelin  tzarte 
Up  jewelker  fiden  dre. 
Kum  her,  du  fchone  wiff 
Du  vorvrowefth  dat  herte  myn. 
Lef,  fcholde  ik  by  dy  flapen 
So  worde  myn  herte  vro. 


7.  De  voghel  laeth  ik  forghen 
Geghen  deflen  winter  koldt, 
Wyl  my  de  werth  nicht  borghen, 
Myn  rok  gheve  ik  em  baldt 
Den  hoyken  ok  dartho. 

Ick  hebbe  noch  rafl;  noch  rouwe 
Den  aventh  unde  den  morghen, 
Beth  ik  idt  alle  vordoe. 

8.  Neen  bether  vroude   up  erden  is 
Wen  eyn  gudt  levent  haen. 

My  wert  nicht  mer  tho  defTer  tidt 
Wen  flomen  umme  unde  an. 
Dartho  eyn  vriger  möth, 
Ik  Uta  nicht  fer  na  gudt, 
Alze  mennich  ryke  borgher 
Na  groteme  woker  doeth. 

9.  He  ghewinnet  fin  gudt  mith  flapen, 
Darto  mit  groter  noeth; 

Wen  he  rouwe  fchal  haven, 
Szo  licht  he,  alze  fy  he  doeth. 
Szo  bin  ik  vrifch  unde  junck, 
Godt  geve  my  vele  der  ftnndt; 
Godt  behode  my  junghen  knapen, 
Dat  my  neen  unmoeth  kumpth. 

10.  Her  werth,  fettet  an  de  braden, 
Dartho  de  honer  junck, 
Darup  mach  uns  geraden 

Eyn  vrifcher  koler  drunck. 
Drage  her  den  kolden  win, 
Unde  fchencke  uns  dapper  in: 
My  ys  eyne  buthe  gheraden, 
De  moeth  vorflometh  fyn. 

11.  Dath  fwerth  up  myner  fyden, 
Ik  make  my  drade  darvan, 
Unde  hebbe  ik  nicht  to  ryden, 
To  vothe  moeth  ik  gaen. 

lkt  wyl  nicht  fin  alle  ghelijk, 
Ik  byn  nicht  alle  tidt  ryke, 
lk  moeth  de  tidt  vorbeyden, 
Beth  yk  eyn  ghelncke  erflike. 

12.  De  uns  dyth  ledeken  nige 
Ghefunghen  haeth  vorwar, 

Dath  heft  ghedaen  ein  Homer  vry, 
Godt  geve  ome  eyn  vrolik  jar. 
AI  in  dem  kolen  wynn 
He  wolde  yo  vrolik  fin. 
Sin  gheldt  heft  he  vorbrafleth 
-  Mith  hovefchen  rronwelin  fvu. 


79 

1, 1  =  C  1,  3.  2.  armes  :  dummes,  tummes  AE.  3  =  C  1,  1.  Wes  :  Wor,  Wo 
-4C,  Wie  DJS.  6.  darvan  :  van  daen  B.  7.  Wat  :  Dat  B.  nu  fchal  :  nu  foude  B, 
fchal  hyr  A,  fall  (foll)  hewr  CE,  fol  heut  D.  8.  vore  :  te  voren  B,  vem  4,  ferdt, 
fert  CE,  femt  D. 

2,  2.  Ya  vor  ick  henne  kam  A  All  keer  ic  mi  om  ende  om  B,  Vnd  wo  ich 
ye  hyn  kumm  C,  Ja  wo  ich  heut  (liewr) . . .  DE.  3.  Myn  ghelucke  :  Meyn  glück 
das  C.  kumpt :  kunipt  mir  DE.  4.  Hadde  ick  :  AI  had  ick  B.  eyn  :  dat  (das)  ACDE. 
5.  amme  :  van  den  B.  6.  Yenedye  :  Venedig  ACDE,  Venegien  B.  7.  Id  were  doch 
alle  :  So  weer  ydt  alles  A,  Szo  wer  es  doch  C,  So  wer  es  als  DE.  8.  muth  :  motte 
AB,  moft  C,  mtlft  DE. 

3, 1—4  /cM*  C  5,  wo  dafür  4, 1—4  fleht.  1.  So  en  :  So  ACDE.  doch  :  dan  B. 
2.  Ende  wil  dat  ooc  verteren  B,  Vnde  efft  ickt  alles  vorteer  4,  Und  ob  ichs  alls 
verzer  DE.  8.  Unde  wyl :  Ic  en  wil  B.  4.  befchert :  beforghes  B.  5-8  =  C  5, 
5—8.  5.  hulpe  ydt :  hilfts  DE,  helpt  my  B,  hilft  mich  C.  dat  ick  :  das  ichs  C,  dat 
ick  lange,  daß  ich  lang  ADE.  6.  Billicx  ick  verloort  te  gar  B.  ick  id  gar  :  icks 
alles  ganr  A.  7.  Tfou  mi  een  dief  ontdragen  B.  Scholdet  my  :  Solt  mirs  C.  uth- 
dragen  :  entragen  C.    8.  Idt  ruwede  :  Das  rewet  (reuet)  CDE.  wol  fehlt  CDE. 

4, 1-4  =  ADE  4,  8.  4. 1.  2,  C  5,  3.  4.  1.  2.  1.  Vnd  wil  den  forgen  lathen  A. 
Und  wil  ein  . . .  DE,  Wil  eynen  . . .  C.  2.  idt :  dat  B.  3.  Ick  wil  myn  gudt  A,  Ich 
wil  mein  gut  CDE.  4.  Vorflomen  :  Hit  fchlömen  (Hemmen,  fchlemmen)  ACDE. 
5 — 8  fehlt  C  5,  wo  dafür  3,  5—8  folgt.  5.  Ende  ic  ben  even  bly  B.  neme  eyn  : 
neme  my  (nun  mir)  ein  ADE.  6.  By  die  menighe  waer  dat  fi  B.  By  :  Von  DE. 
mannigem  deerlin  :  veelen  deertlin  A.  7.  Idt :  Das  DE.  uph  groner  :  opter  B.  8. 
God  behoede  zijn  gefchil  B.  ghefilt :  geueldt  A. 

5  fehlt  C.  1.  groner  heyden  :  gheender  heyden  B,  breyder  heyde,  breiter  heide 
ADE.  2.  Veel  mennich  blomelin  :  Vil  (Wil)  manches  blilmlein  DE,  Mennichte  van 
bloemen  B.  *3.  Sze  finth  :  De  fint  A,  Das  Ul  DE.  4.  forge  :  forghen  B.  doch  :  den 
(denn)  ADE,  fehlt  B.  5.  Als  mijn  goet  over  quam  B,  Wenne  ick  :  Wor  ick  A, 
Wie  ich  DE.  6.  noch  :  fo  B.  7.  de  nöth  anlangen  :  ein  node  anlangen  ADE,  die 
doot  bedwingen  B.  8.  Ic  en  truerde  daer  niet  om  B.  wtlft  nicht :  weft  nichts  DE, 
weth  nichts  A. 

6  =  56,  C  4,  ADE  10.  1.  Drie  worpen  in  der  caerten  B.  karte  :  karten  CE. 
2.  dat  wapen  myn :  myn  wapen  fry,  meyn  wapen  vrey  ACDE.  3.  Ses  huebfce 
vroulijns  hertzen  B.  hovefcher  :  hübfche  Ä.  4.  Up  jewelker  :  Op  elcke  B,  Vff  yt- 
licher  C,  An  yder  A,  an  ieklicher  (jeglich)  DE.  5.  Kum  :  Ruck  CD.  du  l'chone  : 
mein  fchönes  E,  du  fchoonftes  B.  6.  Ghi  verblijt . . .  B,  Erfröuweft  myn  hert  im 
lyff  A,  Du  frewft  myrs  hertz  ym  leyb  C,  Du  erfrewft  . . .  D,  ...  mir  mein  . . .  E. 
7.  Lief,  mocht  ic  by  v  flapen  B,  Scnal  ick  htid  by  dy  fchlapen  A,  Solt  ich  heint 
bei  dir  fchlafen  E.  Vnd  mocht  ich  bey  . . .  C,  Wol  in  dem  rofengarten  D.  8.  So 
waer  mijn  herte  My  B,  Myn  herte  dat  wert  my  fry  4,  Mein  herz  das  wttrd  mir 
frei  E,  Das  wer  meyn  czeyt  vertreyb  C\  Dem  fcnlemmer  fein  zeit  vertreib  D. 

T=*B7,  ADE  8,  fehlt  C.  1.  Ick  lath  de  vogel  forgen,  Ich  laO  die  . . .  ADE. 
2.  Gegen  deffen  :  Gen  difem  D,  AI  teghen  defen  B.  In  dilTem  A.  3.  my  :  vns  (uns) 
ADE.  nicht :  niet  B,  nit  D.  4.  Myn  :  Den  A.  5.  Den  hoyken  :  Mijn  hueckelijn  B, 
Dat  (Das)  wammes  ADE.  6.  Ick  hebbe  nicht :  Ick  hebbe  neen  A,  Ic  en  heb  noch 
B,  Ich  hab  weder  DE.  7.  Des  avonts  ende  des  morgens  B,  Den  avendt  als  de 
morgen  A,  Den  abend  als  den  morgen  DE.  8.  Bey  de  ict  al  B,  Beth  dat  ick  alles 
A,  Bis  daß  ichs  rar  DE. 

8  =  B  8,  ADE  6,  fehlt  C.  1.  Neen  grttther  fröuwde,  Kein  größer  freud  ADE, 
Geen  beter  dinc  B.  is  fehtt  B.  2.  Wanneer  ic  goet  leuen  hau  Ja.  3.  My — tydt : 
En  weet  ic  meer  B.  tidt :  frift  ADE.  4.  Dann  f  luymen  vroech  ende  fpae  B.  Wen  : 
Denn  ADE.  5.  eyn  vriger :  eenen  vriien  B,  ein  guden  A,  ein  guter  DE.  6.  Ick 
Uta  :  Ic  en  Ha  B,  Ick  reyfe.  Ich  reiß  (reis)  ADE.  nicht :  nit  D.    7.  borgher  :  höger  A. 

9  =  59,  ADE  7,  feMt  C.  1.  He  :  De  (Der)  ADE.  flapen  :  flauen  B,  fchaven, 
fchaben  ADE.  2.  groter  noeth  :  forghen  groot  B.  3.  Wen  ne  rouwe  :  Wenn  er  ein 
ru  D.  Wenn  he  lyn  rouw,  Wenn  er  fein  rft  AE,  Wanneer  fi  ruft  B.  haven  :  haben 
ADE.  4.  So  licht  he  :  Leit  er  D.  alze  fy  :  als  weer  A,  al  waer  B.  5.  bin  ick  :  bin 
ick  (ich)  noch  ADE.  6.  geve  :  vorlehne,  verleih  ADE.  7.  junghen  knapen  :  ionge 
knape  B,  yungen  (jungen)  knaben  ADE.  8.  unmoeth  :  homoet  B.  kunipth  :  en 
coemt  B,  kam  A,  kum  DE. 


80 

10  =  510,  ADE  9,  C  6.  1.  Heer  weert  fteect  aen  het  ghebraden  B,  Steck  an 
de  fchwynebraden  A,  . . .  die  fweynen  (fchweynen)  braten  CDE.  2.  Darup  :  Daer 
toe  B.  mach  uns  :  wert  my  A,  Ao  mocbt  C.  geraden  :  beraden  B.  3.  koler  :  fryer. 
freier  ADE.  5.  Nu  fchenck  vnfl  tapffer  eyn  C.  Drage  her  :  Trag  einher  DE,  Brengt 
hier  B.  kolden  :  coelen,  killen  BDE,  beften  kölen  A.  6.  Vnd  laß  vnß  frölich  feyn  C. 
10.  My  :  Vnß  C.  geraden  :  beraden  B. 

11  =  ABDE  11,  C  2.  1.  Ick  binde  myn  fchwerdt  an  de  fyden  A,  Ich  bind 
myn  fwerdt  vff  dy  feiten  (an  dfeiten)  CDE.  2.  Ick  :  Vnde,  Vnd,  Und  ACDE. 
drade  :  haeft  B,  balde,  bald  ACDE.  3.  Unde  hebbe  ick  :  En  heb  ick  B,  Hebbe  ick 
denn,  Hab  ich  dann  (denn)  ACDE.  4.  Tho  vothe  :  Te  voet  fo  B.  5.  Ydt  kau  nicht 
fyn  alltydt  gelyck  A}  Es  ift  nicht  alltzydt  gelich  (nit  allzeit  gleich)  CDE,  alle  fehlt 
B.  6.  Ic  en  Den  ooc  niet  fo  rijck  B.  alle  tidt :  allwege,  alle  wege,  alweg  ACDE, 
7.  Ick  moth  der  tydt  erwarden  A,  Ic  moet  den  tiet  verbeyden  B,  Ich  muH  der  zeit 
erbeiten  D;  . . .  erwarten  E,  De  czevt  muß  ich  erwarten  C.  8.  Ende  verwachten  dat 
goet  arffelic  B.  Beth  ick  eyn  :  Beth  dat  ick  dat,  Bis  das  ich  das  ADE,   Das  mich 

12  =  B  12,  fehlt  ACDE.  1.  nige  :  fchoone  B.  3.  flomer  vry  :  fluymer  B, 
4.  vrolik  :  goet  B.     6.  yo  :  altijt  B.  hovefcher  frouwelin  :  fchone  vrouwen  B. 

XVII.    Sehampernolleken. 

Aus  Nicolaus  Betzendorps  MifcKbande:  f.  bei  VIII. 

Dar  fcholde  eyn  efel  den  bergh  upghan, 

He  wolde  nicht  lenck  de  fecke  draghen. 

Unße  maghet  het  eynen  bunten  rock, 

Dar  under  heft  fe  eynen  fmedeblock. 

We  dar  uppe  fmeden  fchal, 

De  moth  hebben  der  hemere  vele. 

Heft  he  denne  der  hemere  nicht, 

Szo  denet  he  up  unfer  maghet  fmedeblock  nicht. 

We  de  wyl  in  unfern  orden  weßen, 
De  moth  fick  huD  unde  hoff  vorteren. 
Heft  he  denne  huß  unde  haves  nicht, 
Szo  deynth  he  in  unOem  orden  nicht. 
We  de  wyl  in  unßem  orden  weDen, 
De  moth  fick  hebben  der  penninghe  vele. 
Heft  he  denne  der  penninghe  nicht, 
Szo  deynth  he  in  unßem  orden  nicht. 


Eine  merkwürdige  alte  Fälschung* 

Das  Dorf  Wedem  sucht  man  auf  den  Karten  des  Landes  Braan- 
schweig  vergebens:  über  seiner  Stätte  geht  die  Pflugschaar  eines  glück- 
lichern Nachbardorfes,  in  das  —  wahrscheinlich  unter  den  Drangsalen 
des  dreissigjährigen  Krieges  —  der  Rest  seiner  ehemaligen  Insassen 
oder  deren  Besitznachfolger  zusammengerückt  sind. 


81 

Ungefähr  wird  Beine  Lage  um  1350  durch  eine  Urkunde  bestimmt, 
mittels  deren  Graf  Heinrich  von  Schiaden  mit  Einwilligung  seiner 
Kinder,  Heinrichs  und  Ludgardis,  einige  Hufen  zu  „Wedhein"  bei  der 
Burg  Gebhardshagen  (prope  castrum  Haghen)  dem  Aegidienkloster  in 
Braunschweig  zu  Eigen  tibertrug  —  Hufen,  die  weiland  Bertram  vom 
Damme  daselbst  von  ihm  zu  Lehen  getragen  und  letztwillig  (wie  man 
aus  dem  Zusammenhange  ergänzen  muss)  an  das  Kloster  vergabt  hatte. 
Dass  die  Wedemer  Feldmark  an  die  von  Heerte  stiess,  ergeben  zu 
grosser  Wahrscheinlichkeit  zwei  fernere  Urkunden,  von  denen  hier  aus- 
führlicher die  Rede  sein  soll. 

Nehmen  wir  noch  eine  vierte  hinzu,  so  ist  alles  beisammen,  was 
bis  jetzt  an  urkundlichen  Nachrichten  über  den  Ort  vorliegt.  Eine 
dieser  Urkunden  ist  nun  von  ganz  ungewöhnlichem  Interesse.  Zunächst 
schon  an  und  für  sich,  indem  sie  einen  Ausschnitt  alten  Lebens  in 
einer  für  ihre  Zeit  überaus  seltenen  Fülle  von  Einzelzügen,  ja  fast  in 
epischer  Breite,  vor  Augen  stellt.  Sodann  auch,  weil  sie  einige  Fragen 
hervorruft,  deren  Beantwortung,  wenn  sie  nach  Wunsch  glückt,  das 
Bild  noch  um  einen  merkwürdigen  Hintergrund  vertiefen  wird. 

Mit  der  zweiten  und  dritten  steht  diese  vierte  Urkunde  in  engem 
Zusammenhange,  und  zwar  dergestalt,  dass  von  jenen  unsere  Betrachtung 
am  passlichsten  ihren  Ausgang  nimmt. 

Im  Jahre  1249  (ein  Tagesdatum  fehlt)  gab  Herzog  Otto  zu  ver- 
nehmen, dass  er  dem  Kapitel  zu  St.  Blasien  in  Braunschweig  tausch- 
weise gegen  dessen  Ort  „Bocli"  oder  „Bocle",  wie  der  Name  an  zweiter 
Stelle  lautet,  seinen  Patronat  über  die  Kirchen  in  Honnenstede  und 
Wedem,  frei  von  allem  Vpgteirecht,  tiberlassen,  des  weitern  aber  bei 
dem  päpstlichen  Cardinallegaten  in  Deutschland,  Herrn  Petrus  von 
St.  Georgii  ad  velum  aureum,  für  das-  Kapitel  auch  die  Befugniss  aus- 
gewirkt habe,  die  Einkünfte  beider  Kirchen  an  sich  zu  ziehen,  vor- 
behaltlich jedoch  eines  auskömmlichen  Theiles  für  die  zur  Verrichtung 
des  Gottesdienstes  bestellten  Vicare. 

Als  Patron  der  Kirche  zu  Wedem  sehen  wir  aber  das  Kapitel 
schon  elf  Jahr  vor  diesem  handeln.  1238  nämlich  setzte  Herr  Winand, 
derzeit  Decan,  einen  seiner  Blutsfreunde,  den  Kleriker  Bertram,  da- 
selbst zum  Pfarrer  ein.  Damals  allerdings  auch  noch  in  den  unge- 
schmälerten Genuss  ihres  Witthums,  der  Hebungen  von  neuntehalb  vogt- 
freien Hufen  und  ihren  Pertinenzen  an  Höfen,  Wurten,  Wiesen  und 
Weiden  auf  den  Feldmarken  zu  Wedem  selbst  und  zu  Kirchheerte, 
Lesse  und  Engelnstedt;  nur  dass  herkömmlicher  Massen  aus  den  Ge- 
fällen einer  dieser  Hufen,  der  zu  Lesse,  das  Lichtwerk  beschafft 
werden  sollte,  aus  denen  einer  Wurt  zu  Wedem  der  Messwein. 

Noch  weiter  in  die  Vergangenheit  wird  dann  der  Tausch,  dessen 
Herzog  Otto  1249  gedenkt,  durch  unsere  vierte,  eben  jene  ungewöhn- 
liche Urkunde  gewiesen,  die  hier  nun  zunächst  in  Uebersetzung,1)  mit 
einigen  zu  leichterem  Verständniss  dienlichen  Aenderungen  des  Wort- 


')  Der  alte  Text  als  Beilage  S.  90—93. 

Niederdeutsches  Jahrbuch  XVI 


82 

lautes,  doch  unverkürzt  folgen  mag.    Protocollmässig  berichtet  darin 
Herr  Winand: 

„Zu  der  Zeit,  da  dem  Kapitel  die  Lehnwahre  der  Kirche  zu  Wedem 
geworden  war,  luden  unsere  Herren  den  Pfarrer  vor  sich,  damit  er 
ihnen  von  den  Gülten  des  Gotteshauses  Auskunft  gebe.  Und  der,  Herr 
Heinrich,  geheissen  Crasuk,  sprach  also  vor  uns:  All  seine  Tage  hätte 
er  gehabt  zu  Wedem  drei  Hufen  auf  dem  Felde  und  zwei  Höfe  im 
Dorfi  alles  zehntfrei,  nebst  einer  Wiese  von  neun  Ruthen  Breite;  zu 
Lesse  eine  Hufe  und  eine  Wurt,  ebenfalls  vogtfrei,  und  all  dieses  Gut 
gehörte  zum  Witthum  der  Kirche  als  Pfrttnde  des  Priesters.  Eine  Hufe 
auf  dem  Felde  zu  Engelnstedt  aber  nebst  einer  Wurt  daselbst  wäre 
zu  Behuf  des  Lichtwerks,  eine  Wart  zu  Wedem  für  Wein  angewiesen, 
und  fünf  Morgen  samt  einer  Wurt  daselbst  wären  Opferland. 

Darnach  gab  Herr  Heinrich  vor  uns  und  mit  unserm  Wissen  zwrei 
Hufen  zu  Kirchheerte  nebst  den  zwei  Wurten  und  der  Wiese  daselbst 
einem  Bauern  zur  Bebauung,  der  hiess  BorcUart  Helleveger  und  war 
sein  Mag  und  von  Hervord  gebürtig,  also  dass  der  ihm  alljährlich  den 
dritten  Theil  der  Frucht,  zwei  Schweine,  vier  Hühner  und  zwei  Schock 
Eier  geben  sollte,  so  lange  es  ihnen  beiden  also  anstünde.  Und  das 
war  zu  der  Zeit,  da  unsere  Herren,  das  Kapitel,  das  Dorf  Nordheerte 
kauften. 

Darnach  ward  dieser  Pfarrmeier  des  Rathes,  nach  St.  Jacob  von 
Compostella  zu  ziehen.  Setzte  also  vor  uns  und  mit  unserm  Wissen 
und  Willen  einen  Köter  auf  das  Gut  mit  Namen  Heinrich  Kattenloper, 
und  hiess  diesen,  dem  Priester  allen  vorbeschriebenen  Zins  leisten. 
Stürbe  er  unterwegs,  so  sollte  der  Köter  seine  Pferde  und  all  sein 
übriges  Gut  Herrn  Heinrich  dem  Pleban  überantworten,  damit  dieser 
seiner  Seele  pflege,  worin  er  sich  alles  Guten  zu  ihm  versähe,  und 
selbigem  dann  auch  das  Land  mit  jeglicher  Nutzung,  wie  es  ihm. 
Heinrich  Kattenloper,  übergeben  war,  ledig  und  los  wieder  einräumen. 

Nun  starb  wirklich  zu  St.  Jacob  dieser  Meier  Borchard  Helleveger, 
und  da  seine  Kumpane  wieder  zu  Lande  kamen,  so  meldeten  sie  Herm 
Heinrich,  dass  sein  Meier  todt  wäre.  Da  nahm  Herr  Heinrich  dessen 
Pferde,  Kühe,  Schweine,  Kälber,  Hühner  und  allen  Hausrath  an  sieh 
ohne  Widerspruch  von  Irgendwem,  wobei  wir  gegenwärtig  waren. 

Da  aber  vorbenannter  Heinrich  Kattenloper  auch  das  Gut  ausge- 
antwortet hatte,  so  schalten  ihn  seine  Freunde,  dass  er  es  nicht  be- 
halten zu  sothanem  Zinse,  wie  sie  von  den  Herren  zu  St.  Blasien  ihr 
Gut  zu  Nordheerte  hatten.  Und  traten  mit  ihm  vor  Herrn  Lude^er 
vom  Hagen  und  baten  für  den  Meier,  dass  er  gegen  eine  Erkenntlich- 
keit ihm  hülfe,  das  Gut  zu  behalten  um  solchen  Zins,  wie  sie  dem 
Kapitel  in  der  Burg  gäben,  nämlich  acht  Schilling  von  der  Hufe.  Da 
kam  der  Ritter  und  sandte  nach  dem  Priester  zu  Wedem  und  bat  bei 
diesem  für  den  Meier,  wie  jene  an  ihm  begehrt  hatten.  Bat,  schmei- 
chelte und  dräute.  Der  Pfarrer  jedoch  antwortete  und  sprach:  er  dürfte 
seiner  Kirchen  Gut  wohl  mehren  aber  nicht  mindern.  Da  erzürnte  sich 
der  Ritter  und  rief  seinen  Knechten  zu:  Nehmet  den  Pfaffen  bei  seiueu 
Händen  und  werfet  ihn  aufs  Wasser:  ist  er  denn  also  kampflustig,  so 


sinket  er  wohl  auch  nicht  unter!  Und  die  Knechte  ergriffen  den 
Pfarrer  bei  Händen  und  Füssen,  schwenkten  ihn  über  dem  Boden,  als 
wollten  sie  ihn  ins  Wasser  werfen  und  riefen:  0  hui!  (Doch  Hessen  sie 
ihn  nicht  fahren  und  nach  einer  Weile  wieder  von  ihm  ab.) 

Darauf  ging  der  Priester  weinend  nach  Haus  und  grämte  sich  über 
die  Schmach,  so  ihm  geboten  war.  Nahm  also  St.  Augustin  vom  Altar, 
setzte  ihn  darunter  und  sprach:  Herre  Sankt  Augustin,  nimmermehr 
will  ich  euch  dienen  noch  euch  wiederum  auf  den  Altar  setzen,  sondern 
hier  sollt  ihr  liegen,  bis  meine  Schmach  gerochen  ist. 

Acht  Tage  darauf,  an  dem  nämlichen  Wochentage  zur  Vesperzeit, 
schlug  ein  Donnerschlag  den  Ritter  todt,  da  er  zum  Hagen  in  der 
Kirehthttr  stand,  wie  Manchem  kund  war  und  kund  ist.  Und  andern 
Tages,  ehe  Herr  Ludeger  begraben  ward,  kam  Herr  Heinrich  der  Pleban 
von  Wedem  zu  uns  nach  Braunschweig,  gab  unseren  Herren  seine 
Kirche  auf,  ritt  weiter  nach  Luclum  und  ward  ein  Gottesritter. 

Darauf  belehnten  wir,  Herr  Winand,  mit  der  Kirche  zu  Wedem 
und  all  ihrem  Gute  unsern  Oheim,  Herrn  Bertram,  und  der  hatte  das- 
selbige  manches  Jahr  unter  seinem  eigenen  Pfluge,  ohne  dass  Irgend- 
wer gegen  ihn  einen  Anspruch  erhub.  Da  kam  auf  das  Haus  zu 
Lichtenberg  ein  Voigt,  der  hiess  Herr  Dietrich  Strauss  vom  Pfuhle. 
Mit  dem  theidingten  Heinrich  Kattenloper  und  seine  Freunde  von  neuem, 
und  Heinrich  ergab  sich  ihm  zu  Eigen,  damit  er  ihm  zu  dem  Gute  ver- 
hülfe; gab  auch  dem  Voigte  zwei  und  Herrn  Bertram,  unserm  Oheim, 
ein  Pfund  Pfennige,  und  brachte  es  also  dahin,  dass  ihm  zwei  Hufen 
mit  zwei  Wurten  und  einer  Wiese  auf  drei  Jahre  eingethan  wurden, 
um  einen  Jahreszins  von  zweiundzwanzig  Schilling  braunschweigischer 
Pfennige  und  mit  der  Abrede:  wollte  Herr  Bertram  nach  Verlauf  dieser 
drei  Jahre  das  Gut  um  solchen  Preis  ferner  nicht  lassen,  so  sollte  es 
ihm  ohne  Widerspruch  wieder  eingeräumt  werden. 

Als  unseren  Herren  dies  zu  wissen  ward,  sandten  sie  einen  Boten 
an  Herrn  Bertram  und  liessen  ihn  bitten,  zu  ihnen  zu  kommen  vor  das 
Kapitel.  Und  da  er  vor  sie  kam,  warfen  sie  ihm  vor,  dass  er  seiner 
Kirche  zu  nahe  gethan  hätte:  wirkte  er  derselben  ihr  Gut  nicht  wieder 
los  und  ledig,  so  wollten  sie  einen  Richter  über  ihn  bringen  und  ihn 
mit  Banne  verfolgen,  bis  er  es  thäte.  Auf  dieses  bat  Herr  Bertram 
unsere  Herren,  den«Fall  beruhen  zu  lassen,  bis  die  drei  Jahre  ver- 
flossen wären;  dann  wollte  er  mit  ihrer  Förderniss  das  Gut  wieder  an 
die  Kirche  bringen,  frei  und  ledig  wie  er  es  vorgefunden  hatte.  Und 
damit  gaben  sich  für  das  Mal  unsere  Herren  zufrieden. 

Hernach,  da  die  drei  Jahre  um  waren,  bat  er  unsere  Herren  ins- 
gemein, mit  ihm  in  die  Burg  zu  gehen  bei  den  Löwenstein  zu  dem 
Ritter  Herrn  Dietrich  Strauss  und  selbigem  zuzureden,  dass  das  Gut 
wieder  in  seine,  des  Pfarrers,  Hand  käme.  Dem  thaten  also  unsere 
Herren  und  baten  Herrn  Dietrich,  seinen  Willen  dahin  zu  kehren,  dass 
der  Kirche  zu  Wedem  ihr  Gut  wieder  würde.  Der  Ritter  sprach:  das 
wolle  er  gern  thun,  sofern  Herr  Bertram  dem  Meier  die  drei  Pfund 
Pfennige  wiedergäbe,  die  er  vor  Zeiten  daran  gewandt  hatte  (nämlich 
zwei   bei  Herrn  Dietrich   und  eins  bei  Herrn  Bertram).    Herr  Bertram 

6* 


84 

antwortete:  was  er  nicht  aufgenommen  hätte,  das  wolle  er  nicht  wieder- 
geben. Unter  dieser  T heidung  kam  es  letztens  dahin,  dass  der  Ritter 
zu  Bertram  sprach:  schwiege  er  nicht,  so  wollte  er  ihm  eins  in  den 
Hals  geben!  Worauf  Herr  Bertram:  ttiäte  das  Herr  Dietrich,  so  wollte 
er  ihm  wieder  in  die  Zähne  flitzen,  wie  nie  ein  Ritter  von  einem 
Pfaffen  geflitzt  wäre.  Das  Ende  war,  dass  der  Ritter  sagte:  nimmer 
wollte  er  ein  Wort  dafür  sprechen,  dass  das  Gut  wieder  an  die  Kirche 
käme,  dem  Meier  würde  denn  sein  Gut  zuvor  wieder.  Und  damit  schied 
man  von  einander. 

Am  andern  Morgen  aber  fand  man  den  Ritter  todt  auf  seinem 
Bette,  und  der  Hals  war  ihm  gebrochen." 

So  liess  diese  Vorgänge  Herr  Winand  1248  am  Tage  Kiliani  auf- 
zeichnen, und  zwar  zu  Behuf  Herrn  Bertrams,  dem,  wie  ausdrücklich 
gesagt  ist,  der  besiegelte  Brief  ausgehändigt  wurde.  Nehmen  wir  iu 
gutem  Glauben  zunächst  alles  hin,  wie  es  hier  dargestellt  wird,  so 
kann  über  den  Zweck  dieser  Urkunde  kein  Zweifel  obwalten.  Durch 
eine  vom  ersten  Beginn  der  Verwicklung  anhebende  species  facti  sollte 
sie  jeder  möglichen  Verdunkelung  des  Thatbestandes  vorbeugen,  die 
Rechtswidrigkeit  der  Ansprüche  des  unbescheidenen  Meiers  für  alle 
Zukunft  ins  rechte  Licht  stellen.  Ausserdem  aber  galt  es  —  und  diese 
Absicht  überwog  vielleicht  noch  jene  andere  —  dem  Nächstbetheiligten 
ein  authentisches  Zeugniss  der  warnenden  Exempel  göttlichen  Straf- 
gerichts wider  die  beiden  mächtigen  Schützer  und  Förderer  der  Un- 
gerechtigkeit zu  dienlichem  Vorhalt  für  Männiglich  an  die  Hand  in 
geben. 

Ohne  besondere  Schwierigkeit  lassen  die  hier  geschilderten  Er- 
eignisse sich  mit  den  Nachrichten  der  sonst  noch  vorliegenden  beiden 
Urkunden  in  Einklang  setzen.    Chronologisch  sowohl  wie  pragmatisch. 

Mit  der  Erwerbung  des  Wedemer  Patronats  durch  das  Kapitel  von 
St.  Blasien  hebt  Herr  Winand  seinen  Bericht  an.  Sie  veranlasst  eine 
Feststellung  des  Corpus  bonorum  der  Kirche;  darnach  findet  die  erste 
Vermeierung  eines  Theiles  der  Pfarrgüter  zu  Kirchheerte  statt,  und 
zwar  zur  selben  Zeit,  ,,da  die  Herren  von  St.  Blasien  das  Dorf  Nord- 
heerte  kaufen."  Hiervon  freilich  wissen  wir  vorläufig  das  Nähere  auch 
nicht;  jedenfalls  aber  gehört  dies  alles  und  was  demnächst  bis  zur 
Resignation  des  damaligen  Pfarrers,  Herrn  HeinrichfCrasucs,  sich  weiter 
begeben,  der  Zeit  vor  1238  an.  Denn  in  diesem  Jahre  ward  laut  jener 
andern  Urkunde  dessen  Nachfolger,  Herr  Bertram,  bestellt,  und  damit 
setzt  die  zweite  Reihe  der  erzählten  Verwickelungen  ein.  Ist  anzu- 
nehmen, dass  ihr  Ausgang,  das  zweite  Gottesgericht  an  dem  Ritter 
Dietrich  Strauss,  der  Abfassung  des  Berichts  nicht  allzulange  vorauf- 
ging, so  war  der  dreijährige  Vermeierungscontract  mit  Heinrich  Katteu- 
loper  um  1248  abgelaufen,  wonach  denn  Herr  Bertram  die  beiden  Hufen 
sieben  Jahre  lang,  von  1238  bis  1245,  selber  bebaut  hätte. 

Diesen  Vorgängen  schliesst  sich  dann  in  einem  leicht  zu  durch- 
schauenden Zusammenhange  jene  Urkunde  von  1249  an,  worin  Herzog 
Otto  bezeugt,  dass  er  seinen  Patronat  über  die  Wedemer  Kirche  — 
vor  Zeiten,  wie  wir  aus  anderweitiger  Kunde  nunmehr  ergänzend  hinzu- 


85 

fügen  dürfen  —  dem  Kapitel  übereignet  und  neuerdings  auch  deren 
eilige  Incorporation  ausgewirkt  hatte.  Letzteres,  die  völlige  Incorpo- 
*ationr  ist  augenscheinlich  die  Hauptsache;  nur  ein  beiläufiger  Rück- 
blick streift  deren  Vorstufe,  den  einfachen  Patronat  des  Kapitels.  Hier- 
auf wird  noch  zurückzukommen  sein;  vorher  ist  erst  eine  Erscheinung 
ins  Auge  zu  fassen,  die,  abgesehen  von  diesem  Zusammenhange,  an 
und  für  sich  schon  ihre  sehr  bemerkenswerthe  Seite  hat. 

Zwischen  jenem  früheren  und  diesem  neuen  Stande  der  Dinge 
fallen  die  Anfechtungen  der  beiden  Pfarrer  durch  Heinrich  Katten- 
loper  und  dessen  weltliche  Gönner.  Die  Vorwürfe  seiner  Blutsfreunde, 
als  er  das  ihm  eingethane  Kirchenland  zum  ersten  Male  gutwillig 
wieder  auflässt,  seine  neue  Bewerbung  darum  nach  sieben  Jahren,  die 
I^eichtigkeit  endlich,  mit  der  er  sich  seines  Freienstandes  entäussert, 
nur  um  für  seine  Absicht  den  Beistand  eines  Mächtigen  zu  gewinnen, 
alles  dies  sind  deutliche  Merkmale  einer  Wendung  in  den  agrarischen 
Verhältnissen,  die  auch  socialpolitisch  eine  sehr  verhängnissvolle  Be- 
deutung gewann. 

Man  weiss,  welch  ungezählte  Schwärme  von  Bauern  und  Ritter- 
bttrtigen  in  der  zweiten  Hälfte  des  zwölften  und  den  ersten  Decennien 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  Sachsen  wie  das  übrige  West-  und  Mittel- 
deutschland, ohne  selbst  zu  veröden,  zur  Besiedelung  der  nördlichen 
und  östlichen  Slavenländer  hatte  abgeben  können.  Jetzt,  um  die  Mitte 
des  neuen  Jahrhunderts,  war  auch  dort  Grund  und  Boden  ziemlich  auf- 
geteilt, und  begann  allmählich  nun  dieser  naturgemässe  Abfluss  der 
heimischen  Uebervölkerung  ins  Stocken  zu  gerathen,  indess  seine  Ur- 
sache, die  unerschöpfliche  Fruchtbarkeit  eines  jugendfrischen  Volkes, 
uneingeschränkt  weiter  wirkte.  Für  einen  Theil  des  so  von  neuem 
sieh  ansammelnden  Ueberschusses  von  Arbeitern  und  Zehrern  wurde 
liath  durch  das  neue  Wirtschaftsleben  der  Städte,  deren  rasches  An- 
wachsen in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  nicht  zum  wenigsten 
eben  von  den  Nothständen  des  platten  Landes  mit  bedingt  war.  Immer- 
hin jedoch  nur  für  einen  Theil:  unvermeidlich  war  nichtsdestoweniger 
auf  den  alten  Erwerbsfeldern,  unter  allen  Klassen  der  ländlichen  Be- 
völkerung, ein  Schieben,  Drängen  und  Stossen,  das  die  hergebrachten 
wirtschaftlichen  Organisationen  mehr  und  mehr  auflöste,  das  Chaos 
eines  Kampfes  Aller  gegen  Alle  hereinführte  und  sehr  allmählich  erst  in 
neuen  Rechts-  und  Wirthschaftsformen  einen  erträglichen  Ausgleich  fand. 

Sozusagen  symptomatisch  exemplificiert  und  veranschaulicht  sich 
diese  Sachlage  in  jenen  Wedemer  Händeln.  An  dem  Bauer  mit  seiner 
hartnäckigen  Bewerbung  um  ein  erledigtes  Zinsgut,  an  den  Rittern  — 
erst  Ludeger  vom  Hagen,  dann  Dietrich  Strauss  —  mit  der  scrupel- 
losen  Willigkeit,  einem  kleinen  Profit  zu  liebe  mit  dem  Bauer  gemein- 
same Sache  zu  machen,  sich  seines  unrechtfertigen  Begehrens  mit  mehr 
oder  minder  sanfter  Gewalt  hülfreich  anzunehmen.  Was  beide  treibt, 
ist  der  gleiche  Nothdrang,  vermöge  dessen  wir  zu  anderen  Malen  den 
Ritter  Übel  mit  dem  Bauern  umspringen,  dann  wieder  den  Bauern  am 
Stegreif  des  Ritters  hangen  sehen,  wenn  dieser  den  Kaufmann  nieder- 
wirft oder  die  armen  Leute  eines  fremden  Dorfes  fehdemässig  schätzt 


86 

und  schindet.  Denn  in  diesen  und  anderen  Erscheinungen  der  Art  — 
Erscheinungen,  die  schliesslich  allerdings  in  einen  Zustand  allgemeiner 
Fried-  und  Rechtslosigkeit  ausliefen,  welcher  allem  Culturleben  tödtlieh 
zu  werden  drohte  —  nichts  in  ihnen  als  die  Ausgeburt  zuchtlosen 
Frevelmuthes  einer  entarteten  Kriegerkaste  erkennen  wollen,  wäre 
ebenso  gedankenlos  einseitig,  wie  wenn  man  etwa  die  socialistisehen 
Strebungen  unserer  Tage  nur  als  das  Aufbäumen  materialistischer  Gott- 
losigkeit zu  erklären  dächte.  Brutale  Instinkte  kamen  ohne  Zweifel 
damals  wie  heute  ins  Spiel,  ja  damals  in  solchem  Masse,  das«  sie  den 
Dingen  ihren  augenfälligsten  Stempel  aufgedrückt  und  damit  deren 
sonstige  Beschaffenheit  und  Bewandtniss  bis  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
wischt haben.  Dringt  man  aber  unter  die  Oberfläche  ein,  so  kann 
ebensowenig  zweifelhaft  bleiben,  dass  jener  staatswidrige  Unfug  da- 
mals ebenso  wie  der  heutige  Ansturm  gegen  die  bestehenden  gesell- 
schaftlichen Ordnungen  zu  einem  guten  Theile  doch  auch  als  Zuckung 
der  natürlichen  Nothwehr  grosser  Bevölkerungsklassen  will  verstanden 
sein,  die  den  Schwierigkeiten  einer  neuen  Conjunctur  rath-  und  htilflos 
gegenüberstanden. 

Diesmal  nun,  in  dem  Falle,  von  welchem  unsere  Urkunde  berichtet, 
gehen  Bauer  und  Ritter  über  einen  Dritten  her,  um  den  es  einstweilen 
noch  besser  bestellt  ist  als  um  sie.  Denn  die  Pfarren  sind  durch 
frühere  Geschlechter,  die  sich  die  Sorge  um  das  Heil  ihrer  Seelen  noch 
mehr  konnten  kosten  lassen,  reichlich,  zum  Theil  selbst  überflüssig  aus- 
gestattet. Jeder  Erbtheilung  oder  Veräusserung  entzogen,  gewähren 
die  Pfarrpfrttnden  ihren  ehelosen  Inhabern  eine  Wohlhäbigkeit,  die  den 
Neid  aller  Bedrängten  in  der  Runde  zu  erregen  wohl  geeignet  ist.  Von 
dem  armen  Manne  wird  es  füglich  als  ein  Unrecht  empfunden,  wenn 
ein  PfafF  wie  der  von  Wedem  ein  entbehrliches  Stück  Pfarrland,  das 
er  auf  herkömmlich  billige  Zinsen  vermeiert  hatte,  bei  Gelegenheit 
wieder  .  unter  seinen  Pflug  zu  ziehen  und  so  ihm  seine  Nahrung,  an 
die  er  Jahre  lang  bereits  seinen  Schweiss  gesetzt  hat,  zu  entziehen 
gemeint  ist. 

Und  so  leicht  wird  es  dem  Pfaffen  nicht,  seinen  Willen  zu  erlangen. 
Von  Rechts  wegen  sollte  alles  Kirchengut  seinen  weltlichen  Schinnvogt 
haben.  Schon  von  langer  Zeit  her  jedoch  ist  die  Vogtei  als  eine  Hand- 
habe vielfältiger  Bedrückung  und  Ausbeutung  stark  in  Misscredit  ge- 
rathen:  soweit  irgend  möglich,  haben  die  Kirchen  sich  ihr  durch  er- 
langte Freibriefe  oder  im  Wege  der  Ablösung  entzogen,  und  vogtfirei 
sind,  alle  oder  doch  grösstentheils,  auch  die  Pertinenzen  des  Wedemer 
Witthums.  So  steht  hier  nun  der  Pfarrer  zunächst  wehrlos  dem  Ueber- 
lauf  eines  kleinen  Gewalthabers  gegenüber,  den  der  abgethane  Meier 
für  sein  Anliegen  zu  gewinnen  weiss. 

Gott  selber  thut  ein  Einsehen  mit  Donner  und  Blitz,  dergestalt, 
dass  der  Nachfolger  des  misshandelten  Pfarrers  seine  Pfründe  ohne 
Abbruch  antreten  und  geruhlich  sieben  Jahre  lang  gemessen  kann.  Als 
sich  dann  in  einer  schwachen  Stunde  auch  er,  und  wiederum  unter 
mitwirkender  Nöthigung  eines  Mächtigen,  zu  einer  abermaligen  Ver- 
meierung  bestimmen  lässt  und  darüber  in  neue  Händel  derselben  Art 


87 

wie  sein  Vorgänger  verwickelt  wird,  treten  seine  Patrone  zu  St.  Blasien 
für  ihn  ein. 

Nur  mit  Widerstreben  haben  diese  gleich  anfangs  seine  verfäng- 
liche Einräumung  hingehen  lassen.  Denn  eventuell  hat  er  die  Pfründe 
nicht  nur  zu  seinem  eigenen,  sondern  auch  zum  Schaden  seines  Nach- 
folgers geschmälert,  und  das  kann  eben  jeder  von  ihnen  sein:  ist  doch 
nach  Versorgung  mit  einer  Pfarre  wie  die  von  Wedem  unter  den 
Kanonikern  jederzeit  starker  Begehr.  Der  Ausgang  rechtfertigt  ihren 
anfänglichen  Einspruch;  allein  die  Sache  wieder  in  das  rechte  Geleis 
zu  bringen,  sehen  auch  sie,  trotz  allem  Recht,  das  Herrn  Bertram  zur 
Seite  steht,  vor  der  Hand  kein  anderes  Mittel  als  gütliche  Zwischen- 
sprache —  eine  Thatsache,  die  zu  der  Annahme  nöthigt,  dass  Herr 
Dietrich  Strauss  bei  dem  fürstlichen  Schutzherrn  des  Stiftes  über  einen 
Einfluss  gebot,  der  den  glimpflichsten  Weg  als  den  aussichts vollsten 
empfahl.  Und  auch  dieser  führt  nicht  zum  Ziel:  wieder  muss  erst  Gott 
selber  sich  ins  Mittel  legen. 

Damit  gelangt  unsere  Urkunde  zum  Schluss;  welche  Wendung  die 
Sache  zunächst  nahm,  wissen  wir  nicht.  Aber  mag  der  Meier  oder  der 
Pfarrer  seinen  Willen  behalten  haben,  jedenfalls  war  von  diesen  Vor- 
gängen die  Phase  bedingt,  welche  nach  Ausweis  jener  Urkunde  Herzog 
Ottos  ein  Jahr  später  eintrat:  die  völlige  Incorporation  der  Pfarre  durch 
das  Stift. 

Was  solche  bedeutete  und  mit  sich  brachte,  ist  bekannt.  „Bei  der 
Hypertrophie  der  Stifts-  und  Klostergeistlichkeit  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten wurden  die  alten  selbständigen,  gut  dotierten  Pfarren  mehr 
und  mehr  von  dem  alles  verschlingenden  Mönchswesen  an  sich  gerissen. 
Der  Weg,  auf  welchem  die  Incorporationen  der  freien  Pfarrkirchen 
herbeigeführt  wurden,  ist  ein  ziemlich  gleichmässiger  in  allen  Theilen 
Deutschlands  .  . .";  ihr  ausgesprochener  Zweck  war,  „die  Einkünfte  der 
Stifter  dadurch  zu  bessern  und  zu  heben.  Zuerst  bemächtigte  man  sich 
von  dieser  Seite  der  Patronate;  dann  ward  mittels  einer  kanonischen 
Fiction  der  Stiftsobere  oder  der  Klosterabt  als  eigentlicher  Pfarrer  aller 
incorporirten  Kirchen  angesehen,  und  auf  diese  Weise  wurden  ihm  nicht 
nur  die  Vortheile  des  Patrons,  sondern  auch  die  des  Pfarrers  zuge- 
wendet, da  er  als  seinen  ausübenden  Stellvertreter  einen  armen  Geist- 
lichen unter  sehr  elenden  Bedingungen  zum  Seelsorger  bestimmte,  und 
entweder  von  diesem  einen  enormen  Pachtschilling  bezog,  oder  aber 
demselben  ein  kleines  Jahrgehalt  aussetzte,  während  er  die  grossen 
Pfarreinkttnfte  selbst  genoss."  So  würdigt  diese  Strömung  Ottokar 
Lorenz  (Deutsche  Geschichte  im  13.  und  14.  Jahr.  II,  S.  388). 

Lassen  wir  die  Frage  hier  beiseite,  in  welchem  Maasse  und*  mit 
welchem  Erfolge  das  Kapitel  von  St.  Blasien  solchem  Streben  schon 
vor  diesem  obgelegen  hatte,  und  ebenso  die  andere  Frage,  ob  die 
Wedemer  Pfründe  dem  Dekane  allein  und  nicht  vielmehr  dem  Kapitel 
in  seiner  Gesammtheit  zugelegt  wurde,  welch  letzteres  nach  dem  Wort- 
laute der  Urkunde  —  ut  ipsum  capitulum  jam  dictas  ecclesias  possit 
in  usus  proprios  libere  detinere  —  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  für 
sich  haben  dürfte.    Hier  handelt  es  sich  in  erster  Linie  darum,  wiefern 


88 

etwa  jene  Erfahrungen  den  Anstoss  können  gegeben  und  einen  triftigen 
Vorwand  geliefert  haben,  die  Einverleibung  dieser  Pfarre  zu  betreiben. 
.  So  aber  die  Frage  einmal  gestellt,  liegt  unmittelbar  auch  die  Ant- 
wort zur  Hand.  Die  Schwäche  des  in  seiner  verhältnissmässigen  Selbst- 
ständigkeit zunächst  immer  auf  sich  allein  angewiesenen  Pfarrers  hat 
eine  Minderung  der  Pfründe  verschuldet,  die  einerseits  dem  kanonischen 
Rechte  zuwider  war,  andererseits  von  dem  Kapitel  auch  sonst,  wie  wir 
sahen,  nicht  gleichgültig  angesehen  werden  konnte.  Ergab  sich  aus 
letzterem  Betracht  zur  Gentige  ein  Antrieb,  auf  bessere  Sicherstellung 
der  möglichen  Anwartschaft  jedes  einzelnen  Kapituiaren  bedacht  zu 
sein,  so  Hess  jener  erstere  sich  mit  bestem  Scheine  verwenden,  die 
Fürsprache  des  Herzogs  bei  der  massgebenden  geistlichen  Autorität  zn 
erlangen  und  bei  dieser  selbst  guten  Willen  fttr  eine  Anordnung  zu 
machen,  welche  die  Verfügung  über  das  solchermassen  gefährdete 
Kirchengut  aus  der  schwachen  Hand  eines  Einzelnen  in  die  einer  an- 
gesehenen Corporation  legte. 

Dergestalt  fügen  die  vorliegenden  Nachrichten  sich  ungezwungen 
an  einander,  und  demnach  dürfte  man  sich  fortan  eines  concreten  Ein- 
blickes mehr  in  das  Spiel  verborgener  Fäden  erfreuen,  wenn  nicht  noch 
gewisse  Aeusserlichkeiten  der  Ueberlieferung  im  Wege  ständen.  Und 
damit  kommen  wir  auf  eine  andere,  aber  kürzer  darzulegende  Seite 
unseres  Fundes. 

Herrn  Winands  Urkunde  von  1248  ist  in  deutscher  Sprache,  einem 
stark  archaistisch  gefärbten  Mittelniederdeutsch  abgefasst.  Dergleichen 
ist  zu  so  früher  Zeit  sehr  ungewöhnlich,  immerhin  jedoch  nicht  ganz 
unerhört;  und  wäre  selbst  diese  Urkunde  die  erste  der  Art,  sonst  aber 
kein  Grund,  an  ihrer  Echtheit  zu  zweifeln,  so  könnte  man  seine  doppelte 
Freude  daran  haben.  Sie  trägt  ein  wohlerhaltenes  Siegel  aus  rothem 
Wachs  mit  der  Umschrift:  s.  winandi  üecani  sancti  blasii  ix 
brunkswik,  das  seiner  Zeichnung  und  der  Technik  seines  Schnittes 
nach  eines  späteren  Ursprunges  nicht  im  mindesten  verdächtig  ist;  und 
mit  demselben  Typar  ist  das  grüne  Siegel  an  der  Urkunde  von  12:^ 
hergestellt,  welche  Herr  Winand  über  die  Verleihung  der  Pfarre  an 
Herrn  Bertram  ausgestellt  hat.  Hier  wie  dort  dann  noch  eine  tiber- 
einstimmende Eigenheit:  beide  Siegel  sind  mit  einer  taschenförmigen 
Umhüllung  aus  gemusterten  Gewebstücken  versehen,  die  augenschein- 
lich aus  alten  Messgewändern  geschnitten  sind.  Ja  noch  mehr:  auch 
die  Schrift  beider  Urkunden  ist  unverkennbar  die  nämliche,  beide  sind 
ohne  Zweifel  von  der  Hand  eines  und  desselben  Schreibers. 

Allein  gerade  die  Schrift  stösst  das  Zeugniss  aller  übrigen  Merk- 
male ttber  den  Haufen.  Sie  kann  nicht  aus  der  ersten  Hälfte  des  13. 
Jahrhunderts  herrühren,  sondern  ist  mindestens  fünfzig  Jahr  jünger  ab 
die  Datirung  glauben  machen  will.  Das  Zugeständniss  lägst  sich  nicht 
umgehen:  was  wir  vorhin  einstweilen  als  gleichzeitige  Bezeugung  von 
Thatsachen  und  Zuständen  des  13.  Jahrhunderts  hinnahmen,  ist  in  der 
vorliegenden  Form   erst  in  den  ersten  Decennien  des  14.  geschrieben. 

Aber  muss  ihm  darum  aller  Glaube  versagt  werden?  Ich  glaube 
nicht 


89 

Sehen  wir  ab  von  der  anstandslosen  Leichtigkeit,  wie  alle  hier 
überlieferten  Einzelzüge  sich  in  den  allgemeinen  Rahmen  der  Zeitver- 
hältnisse einfügen  —  auch  in  ihrer  concreten  Bestimmtheit  tragen  sie 
alle  Merkmale  der  Echtheit  und  Glaubwürdigkeit  an  sich.  Greifen  wir 
mir  eins  heraus.  Die  Namen  der  beiden  Wedemer  Pfarrherrn  des  13. 
Jahrhunderts  hätten  einem  Stiftsangehörigen  des  14.  immerhin  vielleicht 
bequem  noch  zur  Hand  liegen  mögen.  Bei  Namen  aber  nennt  der  Be- 
richterstatter auch  die  betheiligten  Bauern,  Borchart  Helleveger  und 
Heinrich  Kattenloper,  und  von  ersterem  weiss  er  sogar  Herkunft  und 
Geburtsort  anzugeben.  Das  ist  nicht  die  Art  legendarischer  Erdichtung; 
zu  neun  unter  zehn  Malen  wird  man  bei  solcher  die  handelnden  Per- 
sonen ohne  genauere  Individualisirung,  etwa  mit  einer  Standesbezeich- 
nung, allenfalls  noch  mit  einem  Taufnamen  vorgeführt  finden:  „ein 
Bauer  mit  Namen  Borchart,  ein  anderer  Bauer  mit  Namen  Heinrich" 
würde  ihr  in  einem  Falle  wie  dem  vorliegenden  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  genügt  haben.  Und  noch  ein  Zeichen  dieser  Art.  Mit  dem 
ersten  Gottesgerichte  die  Persönlichkeit  eines  Ludeger  vom  Hagen  in 
Verbindung  zu  setzen,  konnte  das  Local,  Wedem  unter  dem  Gebhards- 
hagen,  immerhin  vielleicht  nahe  legen.  Wie  aber  wäre  der  Erzähler, 
wenn  ihm  nicht  eine  feste  Ueberlieferung  vorgelegen  hätte,  beim  zweiten 
Male  auf  Herrn  Dietrich  Strauss  vom  Pfuhle  verfallen,  einen  landfremden 
Mann  aus  anhaltischem  Adel,  der  als  herzoglicher  Vogt  auf  dem  Hause 
Lichtenberg  eben  nur  durch  diese  Nachricht  bezeugt,  sonst  aber  in 
gleichzeitigen  Urkunden  seiner  Heimath  allerdings  mehrfach  genannt 
wird? 

Das  sind  Erwägungen,  die  unwiderstehlich  zu  der  Auskunft  drängen: 
in  der  vorliegenden  Form  kann  die  Urkunde  allerdings  erst  im  An- 
fange des  14.  Jahrhunderts  ausgegangen  sein;  ihr  Inhalt  aber  ist  altern 
und  echten  Ursprungs,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  lag  er  dem  Schreiber 
in  einer  wirklich  von  Herrn  Winand  von  St.  Blasien  ausgestellten,  muth- 
masslich  lateinischen  Urkunde  vor,  die  er  ins  Deutsche  übertrug. 

Drängt  sich  dann  die  Frage  auf,  aus  welchem  Anlass  und  zu 
welchem  Zwecke  diese  Urkunde  dergestalt  nochmals  ausgefertigt  und, 
Boweit  der  Schreiber  vermochte,  durch  Anhängung  eines  Abdrucks  von 
Herrn  Winands  echtem  Typar,  mit  dem  Scheine  der  Authenticität  aus- 
gestattet wurde,  so  wird  darauf  vor  der  Hand  nur  mit  einem  Ignoramus 
zu  antworten  sein.  Man  mag  annehmen,  dass  neue  Anfechtungen  des 
Verfügungsrechtes  der  Herren  von  St.  Blasien  über  ihren  Landbesitz  zu 
Wedem  oder  anderswo  die  Auffrischung  der  alten  Strafexempel  rath- 
gam  machten.  Auf  Glaubwürdigkeit  aber  wird  diese  Vermuthung  natür- 
lich erst  dann  Anspruch  erheben  können,  wenn  solcher  Anlass  etwa 
durch  einen  anderweitigen  Fund  hinlänglich  bezeugt  ist. 

Und  eine  Frage  bliebe  auch  dann  noch  zu  erledigen.  Wir  hörten, 
dass  gleichzeitig  mit  der  Urkunde  vom  Jahre  1248  auch  die  andere, 
angeblich  zehn  Jahre  ältere,  über  Herrn  Bertrams  Einsetzung  in  die 
Pfarre  zu  Wedem  geschrieben  ist.  Zweierlei  ist  möglich:  entweder  hat 
es  mit  dieser  die  nämliche  Bewandtniss  wie  mit  jener,  und  ist  also 


90 

auch  sie  nur  die  Erneuerung  einer  echten  Urkunde;  oder  aber  sie  ist 
eine  eigentliche  Fälschung  schlechthin.  Doch  einerlei,  für  welche  dieser 
Möglichkeiten  man  sich  entscheidet:  hält  man  fest  an  jener  Voraus- 
setzung, welche  die  Erneuerung  des  Berichtes  von  1248  zu  erklären 
geeignet  wäre,  so  Hesse  sich  weiter  denken,  dass  die  der  Urkunde  von 
1238  eingeflochtene  Specification  der  Wedemer  Pfarrgüter  dienen  sollte, 
einen  von  Seiten  des  Kapitels  behaupteten,  von  dessen  muthmasslichem 
Widersacher  etwa  angefochtenen  Besitzstand  zu  erweisen.  Völlig  un- 
gesichert aber  ist  bis  auf  weiteres  auch  diese  Hypothese. 

Und  damit,  falls  nicht  etwa  ein  versteckter  Fingerzeig  übersehen 
ist,  stehen  wir  für  diesmal  am  Ende  unserer  Betrachtung. 

Beilage. 

Herr  Winand,  Dekan  zu  St.  Blasien  in  Braunschweig,  berichtet 
Über  die  Wedemer  Pfarrhändel  1248  Juli  8.  (Orig.  im  Landes-Haupt- 
archive  zu  Wolfenbüttel.) 

We  her  Winant  van  dher  gnade  godes  deken  tho  sunte  Blasius 
tho  Brunsw.  be  kennet  in  desseme  breue,  dhe  beseghelet  is  mit 
vnseme  ingheseghele,  vnde  bethughet,  dat  her  Henrich  ghe  heten 
Crasuc,  en  pleban  dher  kerken  tho  Wedem,  dho  dhe  lenware 
5  dhesser  kerken  vnseme  capitele  ghe  worden  was,  vnde  van  vnsen 
herren  ghe  laden  wart,  dhat  he  se  berichte  vmme  dhe  ghulde  dher 
kerken,  dho  bekande  he  vor  vns  vnde  sprac:  dhat  he  alle  sine 
daghe  hedde  ghe  hat  dre  houe  oppe  deme  velde  tho  Wedem 
theghet  vri,  vnde  tuene  houe  in  deme  dorpe  tho  Wedem  och  theghet 

10  vri,  vii  ene  wisghe  neghen  rode  breth,  verdehalue  houe  vppe  deme 
velde  tho  Herethe,  vn  ene  wische  vfi  dre  worde  in  deme  dorpe 
tho  Herethe  vri  van  aller  hande  voghedige  vii  ledich  vn  los  van 
alleme  deneste,  vfl  ene  houe  vii  ene  wort  tho  Lesse  voehet  vri. 
dit  ghut  horde  tho  dher  wedemen  dher  kerken  to  Wedem,  tho 

15  des  presteres  prouende.  ene  hove  oppe  dheme  velde  tho  Engele- 
mestede  mit  ener  wort  dhe  horde  tho  dheme  luchte  dher  kerken 
tho  Wedem,  bi  deme  dorpe  tho  Wedem  ene  wort  de  horde  tho 
wine,  vfl  vif  morchene,  de  horden  tho  dheme  opper  lande,  dridde- 
half  morchen  gheuen  thegheden  vn  driddeljalf  were1)  theghet  vri. 

20  vii  och  horde  en  wort  tho  der  opper  scop,  dhe  weren  theghet  vri. 
Vfl  we  spreket,  dat  her  Henrich  dhe  pleban  van  Wedem  dede  thue 
houe  tho  Kerecherete  mit  tven  worden  vfl  mit  ener  wische5)  vor 
vns  vfl  mit  vnser  wischop  eneme  bure  tho  buwende,  de  het  Bor- 
chart Helleveghere,  de  was  sin  mach  vn  was  bordich  van  Her- 

25  uerde,  dhat  he  eme  scolde  gheuen  den  dridden  del,  tvey  swin. 
ver  honre  vfl  tvey  scoc  eygere  also  lange  also  eth  en  beyden 
euene  queme.  An  dher  thit  koften  dhat  dorp  tho  Northerete  vnse 
heren.  Dar  na  wart  tho  rade  desse  meyger  Borchart  des  herren 
van  Wedem,  dhat  he  toch  tho  sunte  Jacobe,  vn  satte  enen  kotere, 

30  dhe  het  Henric  Kattenlopere,  oppe  dhat  ghut  vor  vns  vfi  mit  vnser 


•1 

wiscop,  dhat  he  scolde  don  vn  gheuen  dhene  tins  dhe  hir  vore 
be  screven  is  be  scedeleken,  dheme  prestere  van  Wedem.  storue 
he  och  vnder  wechen,  so  scolde  he  sine  perde  vn  alle  sin  ghut 
antworden  hern  Henrich  deme  plebane  tho  Wedem,  dat  he  siner 

35  sele  pleghe,  also  %he  sich  gudes  tho  eme  vorseghe,  vn  dat  lant 
scolde  he  antworden  iedich  vii  los  weder  deme  prestere  tho  Wedem 
mit  alier  hander  slachter  nuth,  also  eth  eme  ghe  antwordet  was. 
Dhesse  vore  be  screuene  meyger  Borchart  Helleveghere  starf  tho 
sunte  Jacobe   tho  Kumpestelle.  vü  dho3)  sine  kumpane  tho  lande 

40  weder  quemen,  dho  segheden  se  heren  Henrighe  deme  plebane  tho 
Wedem,  dhat  sin  meyger  dhot  were.  Do  nam  he  tho  sich  sine 
perde,  sine  koy,  sine  swin,  sine  kaluere  vfi  honere  vii  alle  sin  in 
ghedome  snnder  allerhande  weder  sprake  dhes  meygeres  Henrikes 
Kattenloperes.   Nu  spreke  we,  dhat  dat  deme  prestere  tho  Wedem 

45  wart  weder  antwordet,  dhat  ghut  sunder  aller  hande  wedersprake 
in  sine  were,  dhar  we  thighenwordich  weren.  Do  dhesse  vore4) 
be  screuene  meyger  Henrich  Kattenlopere  dhit  gud  hadde  van  sek 
ghe  antwordet,  dho  sculden  ene  sine  vrunt  dhar  vmme  dhat  he 
eth  nich  be  holden  hadde  tho  alsodaneme  tinse  also  se  ere  ghut 

50  hadden  tho  Northerethe.  vnde  traden  mit  eme  vor  heren  Ludeghere 
vandeme  Haghen  vfl  beden  ene  vor  dene  meyger,  dhat  he  eme 
hulpe  dorch  siner  ghaue  willen,  dhat  he  dhat  guth  behelde  tho 
also  daneme  tinse  also  se5)  gheven  deme  capitele  in  dher  borch, 
achte  Schillinge  van  dher  houe.    Do  quam  de  riddere  vn  sande 

55  na  dheme  prestere  tho  Wedem,  vn  bat,  dat  he  dheme  manne  Hen- 
rike Kattenlopere  lethe  dhat  ghut  tho  alsodaneme  tinse  also  dhe 
van  Northerethe  banden,  dhe  hove  tho  achthe  scillingen.  De 
riddere  bat,  he  listekede  vn  drowede.  de  prester  antworde  dheme 
riddere  vn  sprac:  he  moste  sine  kerken  wol  beteren,  he  ne  mosthe 

60  se  nichte  ercheren.  De  riddere  tornde  sich  vn  sprac  tho  sinen 
knechthen:  Nemet6)  dhene  papen  bi  henden  vn  bi  sinen  vothen, 
werpet  ene  oppe  dhat  wather.  he  is  also  cricherne,  he  ne  valt 
dhar  nicht  dor.  De  knechthe  nemen  dhen  prester  bi  henden  vü 
bi  sinen  vothen  vn  sueyden1)  ene  bouen  dher  erde,  also  se  ene 

05  wolden  oppe  dhat  water  werpen,  vü  repen:  0  huy!  dohc8)  en 
worpen  se  ene  nich  oppe  dhat  water.  Dhesse  prester  ghincht 
weder  tho  hus  wenende  vn  moyde  sich  vmme  dhe  smaheyt  dhe 
eme  wasche  boden,9)  vii  satte  sunte  Augustine  vndher  dhen  alter 
vfl  sprak:  Herre,  sunte  Augustin,  number  mer  wiilich10)  ghi  dhenest 

70  dhon  noch  weder  oppe  dhen  alter  setten,  sunder  hir  scol  ghi  lighen 
also  langhe  bent  mi  min  smaheyt  werde  ghe  wroken.  In  deme 
suluen  daghe  vort  over  achthe  daghe  sloch  eyn  dorner  slach  doth 
dhene  riddere  in  dher  kerch  dhore  thome  Haghen  tho  dher  vespere, 
also  mengheme  witlich  was11)  vn  noch  witlich  is.    Dhes  anderen 

75  dhaghes  er  dhesse  riddere,  her  Ludhegher  be  grauen  worde,  quam 
her  Henrich  dhe  pleban  van  Wedem  tho  vns  tho  Brunsw.  vn  ghaf 
sine  kerken  vsen  herren  op  vii  reth  tho  Lukenem  vii  wart  goddes- 
riddere.   Dho  lende  we  dhe  kerken  tho  Wedem  vseme  ome  heren 


92 

Bertrame  mit  alle  dhesseme  ghude  ledich  vn  los  van  alier  hande 
80  voghedige.  dhat  buwede  he  manich  jar  mit  sineme  ploghe  sunder 
aller  hande  ansprake.  Do  quam  tho  Lechtenberche  eyn  voghet, 
dhe  het  her  Tyderich  Struz  van  dheme  Pole,  mit  dheme  deghende 
dhe12)  Henrich  Kattenlopere  vn  sine  vrunt,  vn  ghaf  sich  eme  tho 
echene,  oppe  dhat13)  he  eme  hulpe  bi  dhat  ghut  vn  ghaf  deme14) 
85  voghede  tuey  punt  vn  heren  Bertramme  vseme  ome  en  punt,  dhat 
he  eme  lethe  dhe  tve  houe  mit  tven  worden  vn  mit  ener  wisghe 
tho  dren  jaren,  alle  jares  tho  gheuende  tve  vil  twinthech  scillinghe 
brunswikescher  pennighe,  alsus  bescedeiiken:  wanne  dhe  dre  jar 
vmme  quemen,  vn  ne  weide  he  eme  dhat  ghut  vmme  dessen  tins 
90  nicht  vort  mer  laten,  so  scolde  dhesse  vor  be  screuene  meyger 
dheme  prestere  dhat  ghut  weder  antworden  ledich  vil  los  in  sine 
were  sunder  aller  hande  weder  sprake.  Do  dhit  vnsen  herren  tho 
wetene  wart,  dho  sanden15)  se  vseme  ome  heren  Bertramme  enen 
boden  vil  lethen  ene  bidden,  dhat  he  tho  en  queme  vor  dhat 
95  capitel.  Dho  he  vor  se  quam,  dho  ghauen  se  eme  scult,  dhat  he 
sine  kerken  ergheret  hedde:  tiene  brochte ,6)  dhat  ghut  weder  inde 
kerken  ledich  vil  los,  se  weiden  enen  richthere  op  ene  be  holden 
vn  weiden  eme  volchen  mit  banne  also  lange  bent  he  dhat  weder 
dede.    Des  bath  he  vsen  herren  ghe  menliken,11)   dhat  se  lethen 

100  dhat  bestan  also  langhe  bent  dhe  dre  jar  vmme  quemen,  so  weide 
he  mit  erer  vordernisse  dhat  ghut  wedher  in  sine  kerken  bringen 
vri  vii  ledich,  also  eth  eme  were  gheantwordet  vn  he  eth  ghe 
vunden  hedde.  Do  dhesse  dre  jar  vmme  quemen,  dho  bath  he  vse 
herren  ghe  menliken,  dhat  se   weiden  mit  eme  ghan  inde  borch 

105  bi  dhen  louwensten  tho  deme  riddere  heren  Thideriche  Struze  vil 
weiden  ene  berichthen,  dhat  dhat  ghut  weder  an  sine  were  queme. 
Dho  ginghen  vse  herren  menliken  mit  eme  in  dhe  borch  tho  deme 
riddere  heren  Thideriche  Struze  vil  beden  ene,  dhat  he  sinen  willen 
dhar  tho  kerde,  dhat  dher  kerken  tho  Wedem  weder  worde  ere 

110  ghut  ledich  vii  los.  De  riddere  sprac:  he  weide  dhat  gherne  dhon 
also  be  scedeliken,  dhat  he  deme  vore  be  screuenen  meygere  weder 
gheve  dre  punt.  Her  Bertram  antworde  dhar  tho  vii  sprac:  des 
he  nicht  hedde  op  ghe  nomen,  des  ne  weide  he  nicht  weder  gheuen. 
In   dhesseme  deghedinghe  vel  also  vele,  dhat  dhe  riddere  sprac 

115  tho  vseme  ome  hern  Bertramme:  he  ne  sueghe,  he  weide  ene  in 
sinen  hals  slan.  Her  Bertram  dhe  antworde  eme  vii  sprac:  dhedhe 
he  dhat,  he  weide  ene  weder  vlicken  in  sine  thenen,  dhat  nu 
nen  riddere  van  eneme  papen  also  vlickeret18)  worde.  Dhesse 
riddere  sprac  dho:  he  ne  weide  dhar  nummer  wort  tho  spreken. 

120  dhat  dhat  ghuth  wedher  queme  tho  dher  kerken,  dheme  meygere 
worde  sin  ghut  weder  gheuen.  Hir  scededen  se  sich  mede.  Des 
morchenes  vant  men  dhene  riddere  doth10)  oppe  sineme  bedde 
vnde  was  sin  hals  entvey.  Tho  ener  open  baren  be  thughinge 
aller  dhesser  dinge  dhe  we  hebbet  ghe  hört  vn  ghe  sen  vii  vor 

125  vns  sint  ghe  scenw)  hebbe  we  dhessen  bref  beseghelet'21)  mit 
vnseme  ingheseghele  vseme  ome  hern  Bertramme.    Dhesse  bref 


is  ghe  gheuen  na  goddes  bort  tvelfhvnderet  jar  an  dheme  achthe 
vii  vertheghesten  jare  in  sunte  Kylianes  daghe. 


')  Im  Orig.  weren  *)  Abgebroclien  wis-  che.  3)  dho  am  Rande.  «)  vore  am 
Bande.  5)  Vor  se  durchstrichen  dhe  van  Northerethe.  6)  nein  et  am  Rande.  7) 
Bei  der  fast  unterschiedslosen  Gleichförmigkeit  des  n  und  u  erscheint  zweifelliaft,  ob 
sneyden  oder  sueyden  zu  lesen  sei ;  nach  genauer  Vergleichung  einer  grösseren  Zahl 
der  entscheidenden  zwei  BucJistaben  im  Orig.  entscheide  ich  mich  für  letztere  Lesung. 
8)  Vor  dohc  durchstriclien  dh.  9)  Lies  was  geboden.  I0)  Lies  wil  ik.  n)  was 
übergeschrieben.  1%)  Lies  deghedinghedhe.  ,s)  oppe  dhat  vor  tho  echene,  aber 
durch  Zeichen  an  den  richtigen  Platz  gewiesen.  l*)  Vor  deme  durchstrichen  eme. 
u)  Im  Orig.  sande.  16)  Lies  brochte.  ")  Nach  ghe  uienliken,  womit  eine  Zeile 
ausläuft,  auf  der  nächsten  wiederholt  vsen  herren  ghemenliken.  w)  Im  Orig.  vlick'et. 
,9)  Im  Orig.  doch.  *°)  Im  Orig.  ghe  sen.  2I)  beseghelet  am  untern  Rande  unter 
der  letzten  Zeile  (bref  steht  in  der  vorletzten)  nachgetragen. 

Braunschweig.  Ludwig  Hänselmann. 


Ueber  die  Sprache  der  Wedemer  Urkunde. 

Die  vorstehend  zum  Abdruck  gebrachte  Wedemer  Urkunde  bietet 
in  der  That,  wie  Professor  Hänselmann  bemerkt,  ein  interessantes  Bild 
von  Mischung  älterer  und  jüngerer  Sprachformen.  Man  hat  den  Ein- 
druck, als  sei  sie  zu  einer  Zeit  abgefasst,  zu  welcher  ein  veraltender 
Zustand  der  Sprache  noch  nicht  überwunden  gewesen,  eine  neuere  Ent- 
wicklung noch  nicht  ganz  zum  Abschluss  gekommen  war  und  die 
Orthographie  nicht  minder  schwankte,  als  die  Laute.  Die  Unregel- 
mässigkeit wird  noch  dadurch  gesteigert,  dass  der  Schreiber  theils 
nachlässig  schrieb,  theils  flüchtiger  oder  stark  dialektischer  Aussprache 
einen  Einfluss  auf  seine  Schreibung  gestattete.  Zu  solchen  Fehlern 
des  Schreibers  rechne  ich  z.  B.  dohc  statt  doch  65,  doch  st.  doth  122 
deghende  dhe  st.  deghedinghede  82,  ghincht  st.  ghinch  66  und  um- 
gekehrt wieder  nich  49.  66  (neben  nicht  63. 90. 113,  nichte  60),  broche 
(tulit)  st.  brochte  96,  wo  zugleich  das  o  statt  des  ursprünglichen  a 
oder  e  (aus  noch  älterem  d  oder  e)  bemerkenswerth  ist,  dorner  flach 
st.  donre-,  donerflach  72,  fe  hanaen  st.  fe  hadden  57,  fände  fe  st. 
fanden  fe  93,  Nom.  ghi  st.  Dat.  Acc.  ghtk  69.  Manche  solcher  Versehen 
finden  sich  auch  sonst  bei  mittelalterlichen  Schreibern,  wie  z.  B.  die 
Anfügung  eines  t  und  die  Weglassung  desselben,  wo  es  stehen  sollte: 
nich  st.  nicht  ist  nicht  selten,  Roprech  liest  man  in  der  Bremer  Hand- 
schrift der  Sächsischen  Weltchronik  (Das  Zeitbuch  des  Eyke  v.  Repgow, 
hrsg.  v.  Massmann  S.  282),  Ybrech  (Imbertus)  in  Detmar's  Lübischer 
Chronik,  hrsg.  v.  K.  Koppmann  I,  258, 12.  Ein  t  wird  zugesetzt  in 
macht  (potest);  Hänselmann,  Urkundenbuch  der  Stadt  Braunschweig  I 
S.  13  §  56.  Dieselbe  Bremer  Hdschr.  hat  in  der  md.  poetischen  Vor- 
rede  tomirfclach  S.  2  Z.  31,   und  Entstellungen  wenigstens  in  durne, 


94 

toren,  dorren  kommen  im  Mhd.  vor.  Se  hänfen  für  fe  hadden  erlaubt 
sich  auch  der  Schreiber  des  Stindenfalles  (hrsg.  v.  Schönemann) 
Z.  1450. 

Wichtiger  für  unsere  Urkunde  und  charakteristischer  ist,  dass 
Doppelformen  desselben  Wortes  erscheinen,  die  mehr  oder  minder  beide 
eine  Berechtigung  haben  und  zum  Theil  sich  90  unterscheiden,  dass 
sie  einen  älteren  und  einen  jüngeren  Sprachzustand  darstellen,  oder 
dass  die  eine  gemein -mndd.,  die  andere  dagegen  speciel  Braun- 
schweigisch  ist.  So  wird  anfänglich  einmal  das  ältere  tippe  10  ge- 
setzt, später  nur  oppe  und  op.  Mehrfach  wird  fich  (fe,  fibi)  35.  41. 
67.  121  gebraucht,  ein  einziges  Mal  fek  47;  und  weiter  ist  bei  diesem 
Worte  bemerkenswerth,  dass,  während  es  35.  60.  67.  83.  121  nach 
altdeutscher  Weise  Accusativ  ist,  es  daneben  schon  in  tlto  sich  41  und 
van  fek  47  als  Dativ  gebraucht  wird.  Das  Personalpronomen  ice  (nos) 
hat  im  Dat.,  Acc.  uns  7.  23.  30.  76.  125,  im  Possessiv  unse  3.  5.  5. 
23.  27.  30.  92.  126,  dagegen  use  77.  78.  85.  93.  99.  103.  107.  115. 
126.  Manich  steht  80,  aber  mit  Umlaut  mengheme  74.  —  Das  Prae- 
teritum  von  willen  (velle)  heisst  anfänglich  wolde  65,  dann  von  89 
an  bis  zum  Schluss  mehr  als  zehnmal  alterthtimlicher  weide.  Der 
Indicativ  des  Praeteritums  von  hebben  (habere)  ist  hadde  47,  hingegen 
der  Conjunctiv  hedde  8.  96.  103.  113,  aber  auch,  wie  es  scheint, 
hadde  liadden  49.  50.  Diejenigen  starken  Verben  der  a-Classe 
mit  einfachem  Consonantauslaut  des  Stammes,  welche  im  Praesens 
das  a  zu  i  oder  e  schwächen,  haben  im  Plural  des  Praeteritums 
im  Indicativ  bald  ä  bald  e:  traden  50,  ghaven  95,  aber  quernen  40. 
103,  weren  46,  beden  51.  108,  nenien  63;  gheven  53  wird  Conjunctiv 
sein,  wie  denn  dieser  Modus  bei  allen  solchen  Verben,  an  vielen  Stellen 
der  Urkunde,  immer  e  zeigt.  Jene  Indicativform  mit  e  wird  bekannt- 
lich im  späteren  Mittelalter  bevorzugt  und  ist  in  den  meisten  neueren 
Dialekten  die  herrschende  geworden,  ja  sogar  in  einigen  auch  für  den 
Singular.  —  Für  'nunquam'  begegnet  neben  der  organischen  Form 
nummer  119  auch  die  später  im  Mndd.  nicht  seltene  unorganische 
number  69,  während  umgekehrt  das  ursprüngliche  irib  stets  als  mm 
erscheint,  z.  B.  in  umme  6  und  öfter.  —  Die  Negationspartikel  hat 
meistens  die  alte  Form  ne,  so  59.  62  u.  s.  w.,  aber  einmal  schon  die 
jüngere  en  65. 

Jüngeren  Sprachzustand  verräth  die  Urkunde  weiter  ausser  in 
den  Lauten  auch  sonst.  So  wird  bidden  nach  der  späteren  mndd. 
Weise  sowohl  mit  dem  Acc.  94. 103. 108,  als  mit  dem  Dat.  99  construiert 
Die  Dativconstruction  lässt  sich  logisch  sehr  wohl  verstehen  und 
rechtfertigen,  aber  das  altsächsische  biddean  regierte  stets  den  Accu- 
sativ. —  Für  die  Construction  der  Praeposition  bi  mit  dem  Accusativ, 
wenn  ein  örtliches  Ziel  gemeint  ist,  bietet  das  Mndd.  Wb.  nur  Belege 
aus  jüngeren  Schriftstellern,  haben  wir  hier  in:  oppe  dhat  he  eme  hulpe 
bi  dhat  ghut  84  ein  frühes  Beispiel.  Uebrigens  kennt  ja  bereits  das 
As.  bi  mit  dieser  Construction,  freilich  nur  bei  verbis  loquendi  in  der 
Bedeutung  „von,  über".  —  Ein  im  späteren  Mittelalter  nicht  ungewöhn- 
licher Sprachfehler  ist,   laden  (invitare)  stark  wie  laden  (onerare)  zu 


95 

beugen,  was  im  Nhd.  faßt  zur  Kegel  geworden  ist;  auch  der  Schreiber 
der  Urkunde  gebraucht  schon  so  gheladen  statt  gheladet  6.  —  Die 
Cardinalzahl  'zwei'  unterscheidet  im  Asächs.  nach  den  drei  Ge- 
schlechtern twena  oder  twene,  twä  oder  twö,  und  twe.  Das  Ndd.  hat 
früher  als  das  Hd.  sich  für  den  alleinigen  Gebrauch  einer  Form  ent- 
schieden. Unsere  Urkunde  offenbart  nun  bereits  Uebergang  in  die 
einfachere  neue  Weise,  aber  in  eigenthttmlicher  Verwirrung.  Man  liest 
tuene  hove  9,  was  zuerst  denken  lässt,  es  seien  Höfe,  Bauerhöfe  ge- 
meint; allein  ene  hove  13  und  van  der  hove  54,  dhe  liave  57  beweisen, 
dass  von  Hufen  die  Rede  ist.  Es  ist  also  die  Masculinform  zu  einem 
femininen  Substantiv  gesetzt.  Später  aber  wird  eine  wohl  aus  twene 
verkürzte  Form  sowohl  für  das  Masculin  wie  für  das  Feminin  ver- 
wendet: tve  fcillinghe  87,  thue  hove  21,  tve  hove  86,  während  das 
Neutrum  tvey  (aus  dem  as.  Genet.  tueio  geleitet?  s.  Kögel  in  den  „Bei- 
trägen" von  Paul  u.  Braune  IX,  542)  heisst:  tvey  fwin  25,  fcoc  26,  punt  85, 
und  ebenso  entvey,  entzwei  123.  Bei  der  dritten  Zahl  scheidet  das  As. 
zwischen  einer  persönlichen  und  einer  sächlichen  Form:  threa  oder 
thria  thrie,  und  thriu  oder  thrü.  In  unserm  Denkmal  erscheint  nur 
eine  Form  dre,  bei  den  Femininen  hove  8  und  worde  (areae)  11,  und 
bei  den  Neutren  jar  (anni)  88.  100. 103  und  ptint  (talenta)  112.  Natür- 
lich müsste  die  Masculinform,  die  nicht  vorkommt,  gleichfalls  dre  lauten. 
Auch  hier  zeigt  sich  die  Sprache  der  Urkunde  merkwürdig  jung,  da 
doch  sonst  drin  oder  dru  fürs  Neutrum  wenigstens  im  14.  Jahrhundert 
nicht  ungewöhnlich  ist.  Bei  beiden  Zahlen,  zwei  und  drei,  ist  das 
Ndd.  später  gleichmässig  verfahren:  es  hat  die  masculine  Form  zu 
alleinigem  Gebrauch  (twene  in  der  verkürzten  Form)  gewählt,  während 
das  Hd.  für  die  erstere  das  Neutrum,  für  die  andere  das  Masculin 
vorgezogen  hat.  Tvelf  127  ist  auch  schon  moderne  Form;  die  ältere 
Sprache  des  13.  Jahrhunderts  sagte  tveief  oder  tvelif.  —  Einen  vom 
Hd.  abweichenden  Gang  hat  das  Ndd.  ferner  eingeschlagen  in  der  Be- 
handlung des  Wortes  Herr,  dominus.  Während  das  Hd.  in  diesem 
ursprünglichen  Comparativ  von  her  (hehr)  die  Doppelconsonanz  belässt 
und  den  Vocal  verkürzt,  bewahrt  das  Ndd.  den  langen  Vocal  und 
opfert  darum  das  eine  r.  Die  vorliegende  Urkunde  steht  nun  auf 
der  Wende  vom  alten  herre  zum  neueren  here:  beide  Schreibungen 
herre  und  here  kommen  ziemlieh  gleich  häufig  neben  einander  vor 
und  so  oft,  dass  ich  darauf  verzichte  zu  citieren.  Als  Titel  vor  Namen 
wird,  wie  ja  mndd.  und  mhd.  üblich  war,  vom  Schreiber  die  verkürzte 
Form  her  gebraucht  und  dann  oft  nicht  heren  oder  herren  flectiert, 
sondern  hern. 

Die  Urkunde  bietet  einige  Wörter  in  einer  Gestalt,  welche  durchaus 
eher  für  das  14.  als  das  13.  Jahrhundert  spricht:  fulve  (ipse}  72 
statt  filve  felve,  punte  (fanctus)  1  u.  öfter  für  finte  fente  oder  (ante, 
beholden  49.  97  statt  behalden,  und  Goddes  (Dei)  77. 127  neben  Godes 
1.  Dahin  möchte  ich  besonders  auch  den  Plural  tlienen  (dentes)  117 
rechnen.  Die  as.,  durchs  Mittelalter  nicht  ausgestorbene  und  noch  in 
nndd.  Dialekten  erhaltene,  Form  des  Wortes  ist  tand  und  zwar  ist  es 
masculin  und  geht  nach  der  starken  a-Declination.     In  einigen  Dia- 


lekten  fiel  dag  d  ab  und  das  Wort  ging  in  die  /-Deelinationselasse 
über,  ganz  wie  im  späteren  Hd.  Andere  mndd.  Mundarten  blieben 
aber  dabei  nicht  stehen,  sondern  sie  flectierten,  wenigstens  den  Plural 
auch  schwach  fanden,  tanen,  tenen.  Ja,  zu  dem  letztgenannten  Plural 
ist  später  ein  starker  Singular  tene  nachweisbar,  der  auch  als  Feminin 
gebraucht  wird,  s.  Kegel,  Das  mndd.  Gothaer  Arzneibuch,  Programm. 
Gotha  1872,  S.  7,  Anm..  Die  Sprache  unserer  Handschrift  ist  wenig- 
stens schon  zum  Plural  tenen  fortgeschritten  und  dieser  Fortschritt 
setzt  eine  längere  Entwickelungszeit  voraus.  Das  früheste  bekannte 
Auftreten  des  Plurals  tenen  ist  in  der  Berliner  Handschrift  der  Sachs. 
Weltchronik,  S.  155,4,  welche  der  Herausgeber  Prof.  Weiland  in  das 
Ende  des  13.  oder  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  setzt;  an  derselben 
Stelle  hat  die  noch  ins  13.  Jahrhundert  und  zwar,  da  sie  nach  Wei- 
land eine  Originalhandschrift  ist,  um  die  Mitte  desselben  fallende 
Gothaer  Handschrift  tanden,  während  die,  vielleicht  in  Hamburg  (wo 
man  doch  früh,  wie  noch  jetzt,  die  Form  ten(e)  insc.,  bevorzugte)  vor 
1281  geschriebene,  Bremer  Handschrift  tanen  liest.  —  Auf  dasselbe 
Resultat,  dass  nemlich  unsere  Urkunde  wohl  nicht  dem  13.  Jahrhundert, 
keineswegs  aber  dem  J.  1248  angehört,  führt  die  Erwägung  des  Aus- 
druckes mit  aller  hander flacht er  nuth  37.  Die  Entstellung  mit  aller 
flaehter  nut  aus  m.  a.  flachte  mit,  „mit  Nutzung  aller  Art",  belegt  das 
Mndd.  Wb.  zuerst  aus  dem  J.  1343,  den  Pleonasmus  m.  a.  hande  flachte 
nut  aus  dem  J.  1330;  in  unserer  Formel  ist  nicht  bloss  flachte,  sondern 
auch  hande  entstellt,  sicher  ein  Beweis  gegen  die  Abfassung  der  Ur- 
kunde zu  so  früher  Zeit,  wie  sie  selbst  behauptet. 

Alterthümlich  ist  die  Schreibung  (fe)  fueyden  64,  he  fucgJie  (tacereti 
115,  tuene  tve  tven  (22.  86)  tuey  tvey  tvelf  (127);  daneben  bricht  aber 
in  ftvin  25.  42  und  UvinthecJi  87  schon  die  Orthographie  des  14.  Jahr- 
hunderts hervor.  Auch  Louuenften  105  trägt  jüngeres  Gepräge;  eine 
Handschrift  des  13.  Jahrhunderts  hätte  Lewen-  oder  doch  Loicensten 
erwarten  lassen,  wie  auch  hier  drowede  (minatus  est)  58  statt  späterem 
drotuvede  steht.  —  In  Betreff  des  Gebrauches  von  y  huldigt  die  Urkunde 
noch  nicht  dem  übermässigen  Verbrauch  dieses  Buchstabens,  wie  er 
im  Laufe  des  14.  Jahrhunderts  sich  entwickelte  und  mit  Fug  allgemein 
ward,  da  man  bei  der  allmählich  flüchtiger  werdenden  Schrift,  welche 
die  Striche  des  i,  m,  n  und  u  fast  ganz  gleich  erscheinen  liess,  um 
der  Deutlichkeit  halben  das  y,  besonders  in  der  Nachbarschaft  von 
m,  n  und  u,  jn  verständiger  Weise  vor  dem  i  bevorzugte.  Hier  in 
unserem  Sprachdenkmale  herrscht  noch  fast  uneingeschränkt  das  i  da, 
wo  es  nicht  auf  einen  anderen  Vocal  folgt;  nur  gegen  das  Ende  machen 
Tyderich  82  und  Kylian  128  eine  Ausnahme.  Sonst  hat  nicht  nur 
das  kurze  i,  sondern  auch  das  lange  und  das  auslautende  i  sich  be- 
hauptet, z.  B.  wird  vif  (quinque),  thit  (tempus),  hir  (hie),  fwin  (porciw), 
min  (meusV  fin  (suus),  /ine,  Augustin,  Augustine,  teine  (vino),  cricherne 
(bellicofus),  voghedige  (advocatia),  rri  (über),  In  (apud),  ghi  (vos),  wi 
(mihi)  geschrieben.  Anders  steht  es,  falls  ein  Vocal  vorhergeht:  dann 
findet  man  nur  y  gebraucht,  so  in  huyl  65,  koy  (vaccae)  42,  moyde  fkh 
(indignatus  est)  67,  sueyden  (vibrarunt)   64,   eyyere  (ova)   26,    meyger 


97 

(villicns)  28  u.  öfter,  tvey  (duo)  25.  26.  85,  entrey  (fractus)  123,  srna- 
heyt  (contumelia)  67,  71,  beyde  (ambo)  26  und  eyn  (unus)  72.  81. 
In  den  ersten  sechs  Wörtern  ist  der  /-Laut,  der  durch  y  ausgedrückt 
wird,  altorganisch;  und  nur  bei  cygcre  und  meygere  die  Entwicklung 
des  Jot,  geschrieben  g,  naeli  dem  ey  ist  bemerkenswerth  als  jüngere 
Spracherscheinung;  die  übrigen  aber  zeigen  im  Gegensatze  zu  as.  tue, 
-hed,  bedhea,  en  die  im  Mndd.,  und  zwar  bereits  im  13.  Jahrhundert,  ge- 
wöhnlichen Formen.  Im  übrigen  steht  die  Urkunde,  was  das  e  =  ei 
betrifft,  noch  ganz  auf  altsächsischem  Standpunkte:  der  Artikel  lautet, 
mit  alleiniger  Ausnahme  der  beiden  angeführten  Fälle,  stets  en,  en-  4. 
10.  16.  23.  29  u.  s.  w.;  ene  wird  nicht  in  der  Schreibung  von  ene  (eum) 
06  u.  sonst  unterschieden.  Ebenso  heisst  es  nen  (nullus)  118,  Henrich 
3  u.  öfter,  ghemenliken  (generaliter)  99. 104  und  menlikcn  107  lende  we 
(conccssimus)  78,  bescedeliken  (discrete,  distincte)  32.  88.  111,  wenen 
(flere)  67.  Das  as.  tuentich  (viginti)  ist,  durch  tiventich  hindurch,  schon 
zu  tivinthech  87  geworden. 

Auffallend  schwankt  der  Schreiber  der  Urkunde  in  der  Behand- 
lung der  as.  th  und  d  =  mndd.  d,  des  g,  des  k  und  des  sk.  Hier  tritt 
uns  ganz  besonders  deutlich  der  Charakter  der  Sprache  und  der  Ortho- 
graphie als  solcher  entgegen,  welche  einen  früheren  Zustand  noch 
nicht  ganz  überwunden  haben  und  noch  zu  keiner  festen  Regel  ge- 
langt sind. 

Der  lautliche  Unterschied  zwischen  dem  alten  th,  beziehungsweise 
dh,  und  zwischen  dem  alten  d  existiert  offenbar  für  unsern  Schreiber 
nicht  mehr.  Die  zwei  einzigen  Beispiele  eines  richtigen  th  sind  Thi- 
derich  105.  108,  woneben  sich  aber  auch  Tyderich  82  findet:  der  Name 
ist  sicher  mit  dem  Laut  t  gesprochen  worden.  Die  sonstigen  zahl- 
reichen th  stehen  alle  falsch  für  t  und  im  Auslaut,  z.  B.  doth  (mortuus) 
72.  122,  reth  (equitavit)  77,  auch  für  urspr.  d.  Es  findet  sich  sogar  aclUJie 
(octo)  54,  knechthe  (servi)  63,  rnofthe  (debuit)  59,  thue  (duo)  21.  Den  Laut 
hatte  man  aufgegeben,  das  Zeichen  konnte  man  noch  nicht  los  werden;  da 
Laut  th  zu  d  geworden  war  und  so  geschrieben  ward,  so  verwendete 
man  das  altgewohnte  Zeichen  für  den  Laut  t  —  Die  alte  Spirans  th 
ist  nicht  plötzlich  in  den  Laut  d  übergegangen,  sondern  erst  durch 
die  Erweichung  der  Tennis  zur  Media  dh,  welcher  Laut  gewiss  bereits 
im  Altsächsischen  für  den  bestimmten  Artikel,  das  mit  der  Dental- 
spirans anlautende  Demonstrativpronomen  und  die  abgeleiteten  Pro- 
nominaladverbien, vielleicht  auch  schon  für  das  inlautende  th 
gegolten  hatte.  Dass  diese  Aussprache  später  alle  th  ergriffen  hat, 
wird  bewiesen  durch  die  Schreibung  dh  mancher  Sprachdenkmäler  des 
13.  und  des  beginnenden  14.  Jahrhunderts  für  jedes  th;  und  nur  so 
lässt  sich  verstehen,  dass  im  Mndd.  anlautendes  th  nicht,  wie  in 
der  Regel  im  Skandinavischen,  zu  t,  sondern  zu  d  geworden  ist.  Dies 
dh  ist  unserm  Schreiber  noch  nicht  ganz  abhanden  gekommen.  Er 
hat  es  noch  manchmal,  z.  B.  in  dher  1,  dhe  2,  dho  4,  dhesse  75,  dhit 
92,  dhar  46,  alle  öfter  neben  den  jüngeren  Formen  mit  d,  ferner  in 
dhencst  (servitium)  69  neben  denest  13,  in  Ludhegher  75  neben  Ludegher 

Niederdeutsahe»  Jahrbuch  XVI.  7 


50,  und  in  wedher  (rursus)  101. 120  neben  gewöhnlichem  weder.  Dass 
er  aber  nicht  mehr  dh,  sondern  d  sprach,  erhellt  aus  seiner  mehrmaligen 
Verwendung  des  dh  für  ursprüngliches  und  im  Laut  unverändert  ge- 
bliebenes d,  so:  dhot  (mortuus)  41,  undher  (sub)  68,  dhon  (facere)  70. 
110,  dhedlie  (fecit)  116  neben  dede  21,  dJwre  (janua)  73,  dhaghes  (diei) 
75.  —  Bemerkenswerth  ist,  dass  der  Name  des  Dorfes  Wedern,  stets 
mit  d  geschrieben  wird.  Mag  derselbe  aus  Widuhdm  (Waldheim)  ent- 
standen sein,  oder  'Widern,  Witthum,  dos'  (dos  ecclesiae,  parochiaV) 
bedeuten,  in  beiden  Fällen  sollte  man  die  Schreibung  (Wedhem  oder 
Weihern,  resp.  Wedhem)  mit  h  erwarten,  wie  denn  die  Urkunde  vom 
J.  1350  (s.  oben  S.  81)  noch  Wedhem  hat. 

Das  asächs.  g  muss  eine  palatale,  dem  ;  ähnliche  oder  gleiche 
Aussprache  gehabt  haben,  sicher  vor  e  und  i,  wahrscheinlich  überhaupt 
im  Anlaut,  da  es  im  Heliand  mit  j  alliteriert,  und  im  Inlaut,  ausser 
etwa  nach  n;  dagegen  scheint  es  im  Auslaut  ähnlich  wie  ch  gesprochen 
zu  sein.  Vgl.  Moritz  Heyne,  As.  und  andfränk.  Grammatik,  1873,  §  14,1. 
Diese  Aussprache  wie  Jot  hat  sich  gehalten  in  der  Mark  Brandenburg, 
mehr  oder  minder,  z.  B.  für  einzelne  Wörter  und  für  das  Praefix  ge-, 
auch  in  anderen  Dialekten.  Mit  der  Entstehung  der  mndd.  Schrift- 
sprache kam  nun  aber  eine  gutturale  Aussprache  des  g  auf,  ähnlich 
wie  ein  weiches  ch,  nach  der  Art  des  Holländischen  g,  eine  Aussprache, 
welche  gleichfalls  im  Westfälischen  und  sonst  in  einigen  Gegenden 
bewahrt  geblieben  ist.  Diesen  Laut  drückte  man  in  der  mndd.  Schrift 
gemeiniglich  durch  das  Zeichen  gh  aus,  im  Auslaut  dagegen  stand 
ch.  Es  hat  aber  eine  Periode  des  Ueberganges  gegeben,  wo  man  auch 
im  In-  und  selbst  im  Anlaut  ch  schrieb.  Das  frühste  Vorkommen  dürften 
wir  vielleicht  in:  en  hoche  man  (vir  praemagnificus)  der  Gothaer  Hand- 
schrift der  Sachs.  Weltchronik  (Ausgabe  von  Weiland  S.  265, 4)  er- 
kennen. Die  jüngsten  Belege  vom  Jahre  1349,  sind  wohl  die  von 
K.  Koppmann  im  Ndd.  Jahrbuche  III  (1877)  S.  7  aus  Meklenburgischen 
Urkunden  mitgetheilten,  in  denen  hauptsächlich  das  Praefix  ge-  durch 
che-  gegeben  wird.  In  unserer  Urkunde  ist  gh  die  Regel,  seltener 
steht  noch  g.  Daneben  kommen  aber  auch  einige  ch  vor,  im  Anlaute 
nur  in  wasche  boden  d.  i.  was  gheboden  (oblätum,  adhibitum  erat)  68. 
öfter  im  Inlaute:  under  wechen  (in.itinere)  33,  ecken  (proprius)  84, 
cricherne  (bellicosus)  62,  volchen  (sequi)  98,  morclien  (jugerum)  18.  19. 
crclmcn  (deteriorare)  60  neben  ergheren  96,  Lechtenberche  81,  des 
morclienes  (mane)  122. 

Ganz  eigentümlich  verfährt  der  Schreiber  bisweilen  mit  dem  *. 
Im  ganzen  steht  dieser  Buchstabe  bei  ihm  fest,  im  Auslaut  wird  er 
nach  älterer  Weise  durch  c  ausgedrückt,  z.  B.  Crasuc  4,  sprac  (dixit) 
7,  fcoc  (sexaginta)  26.  Wenn  er  meist  Henrich,  z.  B.  3.  21.  34,  neben 
Hcnric  30,  Henrikes  43,  Henrike  56,  ferner  Tyderich  82,  willich  (volol 
69,  witlich  (notus)  74.  74  schreibt,  so  lässt  sich  das  erklären.  Denn 
diese  Schreibung  findet  sich  auch  sonst  grade  in  den  älteren  mndd. 
Sprachdenkmälern,  während  später  k  üblich  ist.  Das  ch  erscheint  hier 
auslautend  in  minder  betonten  Ableitungs-  oder  ursprünglichen  Com- 
positionssilben    und  kann  daher  sehr  gut  früh   an  die*  Stelle  des  ge- 


99 

wichtigeren  k  getreten  sein  und  in  den  Dialekten,  wenngleich  das 
erst  im  16.  oder  17.  Jahrhundert  wieder  hervorbricht,  sich  gehalten 
haben.  Wie  wäre  anders  zu  erklären,  dass  in  neueren  Mundarten,  wie 
z.  B.  im  Ditmarschen,  das  -lik  als  -li  erscheint,  ganz  wie  im  Englischen. 
Diese  ch- Formen  erscheinen,  wie  gesagt,  auch  sonst  im  13.  und  14. 
Jahrh.  Unsere  Urkunde  geht  aber  weiter.  Sie  schreibt  auch  inlautend 
Henriglie  40  und  gar  Thideriche  105.  108.  Ausserdem  begegnet  noch 
och  (etiain)  9.  20.  33,  sich  (se,  Tibi)  und  neben  korken  59.  77.  78.  96. 
97  und  Kerecherete  22,  was  wohl  Kcrec-Hercte  zu  lesen  ist,  kerchdJwre 
73,  was  merkwürdig  zu  dem  neueren  messingischen  kerch  (ecclesia) 
stimmt.  Und  da  ist  zu  bemerken,  dass  nicht  bloss  in  Ableitungssilben 
auslautendes  ch  im  13.  u.  Anfang  des  14.  Jahrh.  nicht  so  gar  selten  ist. 
Formen,  wie  ich,  fprach,  wercli,  Bochholt  u.  a.  kommen  damals  auch 
sonst  oft  vor,  während  sie  von  1350  an  in  der  Prosa  fast  unerhört 
sind.  Wenn  man  aber  in  Erwägung  zieht,  dass  dieses  ch  der  späteren 
Poesie,  was  die  Reime  beweisen,  nicht  fremd  ist,  so  lässt  sich  ein  Ein- 
fluss  der  Sprache  des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  die  sich  vornehmlich 
poetisch  und  zwar  nach  mhd.  oder  md.  Vorbildern  manifestierte,  nicht 
verkennen.  Möglicherweise  sprach  der  Schreiber  in  allen  Fällen  k,  aber 
die  Orthographie  der  Poesie  des  13.  Jahrhunderts  hielt  ihn  in  ihrem 
Banne.  Sich  ist  dazu  vielleicht  aus  einem  anderen  Dialekte  erborgt; 
denn  die  as.  Literaturdenkmäler  kennen,  gleich  den  ags.  und  afries., 
dies  reflexive  Pronomen  nicht  mehr. 

Bei  fast  allen  deutschen  Völkern  —  von  den  skandinavischen 
sehe  ich  hier  ab  —  zeigt  sich  die  Entwickelung  von  fc  fk  zum  fch 
oder,  wie  die  Engländer  schreiben,  sh.  Den  Uebergang  von  jenem 
zu  diesem  vermittelt  8%  d.  h.  die  nicht  zu  einem  Laute  verschmolzene 
Aussprache  des  s  und  ch,  wie  wir  sie  jetzt  noch  aus  dem  Holländischen 
und  Westfälischen  und  anderen  ndd.  Mundarten  kennen.  Zunächst 
erfuhr  fc  diese  Entwickelung  vor  oder  neben  den  hellen  und  weichen 
Vocalen  e  und  i.  Im  Mndd.  ist  sie  überhaupt  in  jeder  Lage  des  sc 
Kegel  geworden,  scheint  aber  nie  gänzlich  über  die  getrennte  Aus- 
sprache des  s  und  ch  hinausgekommen  zu  sein.  Anders  wäre  es  gar 
nicht  zu  erklären,  wie  um  1500  die  Schreibung  sor  statt  des  vorher 
üblichen  sehr  und  noch  später  sk  im  Auslaut  allgemein  wird.  Der 
Hergang  kann  nur  so  gewesen  sein,  dass  man,  nachdem  die  einlaut- 
liche Aussprache  für  seh  mehr  und  mehr  durchgedrungen  war,  das 
Zeichen  seh  für  jene  beiden  Lagen,  in  welchen  sich  der  alte  Laut 
erhielt,  nicht  mehr  anwendbar  erfunden  und  durch  sc  und  sk  ersetzt 
hat.  Die  Entwickelung  von  s%  zu  seh  oder  sh  wird  nicht  in  allen 
Landschaften  gleichzeitig  vor  sich  gegangen  sein,  wie  ja  in  einigen 
noch  heute  die  alte  Aussprache  bewahrt  geblieben  ist;  vermuthllch 
ist  die  im  späteren  Mittelalter  nicht  seltene  Schreibung  ffch  im  Inlaute 
statt  fch,  welche  z.  B.  schon  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  in  der 
Lübeker  Rathshandschrift  der  Detmar'schen  Chronik  hier  und  da  sich 
zeigt,  stets  ein  Zeichen  davon,  dass  zweilautige  und  einlautige  Aus- 
sprache im  Idiom  des  Schreibers  für  den  Inlaut  neben  einander  be- 
standen.    Unsere  Urkunde  steht  nun  auf  ,dein  Uebergange  aus  dem 


100 

ältesten  Zustand  (sc)  in  den  mittleren  ($x\  Regel  ist  noch  sc,  selbst 
vor  e  und  /:  bescreven  32,  fcolde  (debuit)  36,  scol  ghi  (debetis)  70,  scov 
26,  opperscop  (offertorinm)  20,  sctdt  (noxia)  95,  sculden  (reprehenderunt) 
48,  bescedeleken  32,  scededen  (discesserunt)  121,  scillinge  (solidi)  57.  87. 
daneben  aber  einmal  auch  schon  Schillinge  54.  Inlautend  ist  dagegen 
seh  bereits  das  gewöhnliche:  wische  (pratum)  11.  22,  daneben  die 
Schreibung  wisghe  10.  86,  Brunsivikescher  88;  selbst  das  Compositum 
wiscop  (aus  wit-scop  'cognitio')  31  wird  dieser  Inlautsregel  unterworfen 
in  wischop  23. 

Was  den  Wortschatz  der  Urkunde  anbelangt,  so  treten  in  der- 
selben, so  gering  ihr  Umfang  ist,  einige  interessante  und  zum  Theil 
bisher  unbekannte  Ausdrücke  auf.  Dat  inghedonie  (supellex)  43  ist 
auch  sonst  bekannt  genug;  hier  scheint  es  speciel  das  zur  Landwirt- 
schaft gehörige  Geräthe  zu  bedeuten.  —  Ebenso  ist  rollen  in  dem 
Sinne  von  „vorfallen,  sich  ereignen,  passieren"  nicht  selten;  hier  in 
dheffeme  deghedinghe  vel  alfo  vele,  dhat  etc.  114.  —  Wort  hebhen  mit 
Genetiv,  soviel  als  „zugestehen,  sich  dazu  bekennen",  ist  aus  dem 
Mndd.  Wb.  bekannt,  wo  aus  den  Lübischen  Chroniken  (Chronik  des 
Franciscaner  Lesemeisters  Detmar,  mit  Ergänzungen  aus  andern  Chro- 
niken, herausgegeben  von  Grautoff  II,  108)  fe  wolden  des  neen  wort 
hebbvn  beigebracht  ist.  Ein  zweites  Beispiel  findet  sich  in  Joseph 
Gedicht  von  den  sieben  Todsünden  (in  fortlaufenden  Auszügen  und 
Inhaltsangaben  bekannt  gemacht  von  Babucke;  S.  27  Z.  3890):  0  du 
wokenere,  du  varlike  man!  Deve,  rover  morden  taten  dar  ran,  Wente 
de  dre  ftat  tomale  grot  eventure;  Sunder  du  fytteft  in  den  drogeti  by 
dein  rure  Unde  heft  diner  kunft  nene  word  (Plural).  In  ähnlicher  Be- 
deutung „zugeben"  erscheint  hier  eine,  meines  Wissens  noch  unbelegte 
Redensart:  he  ne  weide  dluir  numnier  wort  tho  fpreken,  dhat  dhat 
ghttth  wedher  qneme  tho  dher  kerkm,  etc.  119.  —  Eine  besonders  inter- 
essante Wortform  ist  dat  lucht  (lumen)  16  statt  des  üblichen  licht  oder 
lecht.  Um  1300  darf  lucht  nicht  als  Entstellung  aus  licht  oder  lecht 
gelten,  sondern  wie  diese  aus  liocht  oder  leoht  entstanden  sind,  mus* 
jenes  auf  ein  nicht  überliefertes  as.  liucht  zurückgeführt  werden.  Diese 
Nebenform  ist  auch  sonst  einige  Male  bezeugt.  Der  1473  geschriebene 
Dialogus  .Gregorii  der  Oldenburger  Bibliothek  hat  beide  Formen  {do 
de  lampen  funder  lucht  hengen,  norden  fe  entf enget  mit  dem  lecht  t\  s. 
Mndd.  Wb.)  neben  einander.  In  den  Braunschweigischen  Chroniken 
(herausgegeben  von  Hänselmann  II,  16)  findet  sich:  dat  goddeshus  bc- 
ieren  unde  klocken  geten  unde  luchte  don,  H.  „Lichtwerk  liefern",  eig. 
Lichter,  Kerzen  liefern.  Ebendas.  S.  400,  22  zu  der  Stelle:  darunmu 
nicht  werdich,  dat  one  noch  fine  felfchop  water,  vur,  noch  erde  eddtr 
lucht  liden  fchoMe,  lesen  wir  die  Randnote  von  einer  Hand  des  16.  Jahr- 
hunderts: tvater,  ruir  und  lecht  wert  den  entlopenen  vorreders  vorfecht. 
wo  freilich  das  vierte  Element  als  Licht  misverstanden  ist,  aber  er- 
wünschtes Zeugnis  für  die  damals  in  Braunschweig  gebräuchliche 
Nebenform  lucht  =  lecht  abgelegt  wird.  De  feal  glieven  rer  pund  to 
lachte  heisst  es  im  Bürgerbuch  von  Stadt hagen,  herausgegeben  von 
Ermisch,  §  24  (auch  von  G.  v.  Buchwald  herausgegeben  in  der  Zeiteehr. 


101 

für  Schleswig-Holstein-Lauenb.  Gesch.  X,  126).  Während  im  Hanse- 
recess  vom  18.  Juni  1364  die  Ledraborger  Handschrift  (Hanserecesse 
herausgegeben  von  Koppmann  I,  S.  287)  warende  tvente  lichtmiffen  hat, 
schreibt  die  Kopenhagener  Abschrift  (Sartorius,  Urkundl.  Gesch.  des 
Ursprungs  der  Hanse,  II,  S.  551)  luchtmiffen.  Dem  as.  liohtfat,  mhd. 
Ucchtvaz,  entspricht  das  mndd.  lachtevat,  md.  luchtevaz,.  Das  mndd. 
htchterböm  wird  kein  Leuchter-,  sondern  kann  nur  ein  Lichterbaum 
sein,  was  die  Braunschweigische  Nebenform  luchtebom  bestätigt.  Im 
Braunschweigischen  Dialekte  bestehen  auch  noch  beide  Formen  neben 
neben  einander.  In  der  Zeitschrift  „Muddersprake",  herausgegeben 
von  Th.  Reiche  in  Braunschweig,  steht  htcht  z.  B.  II,  47.  IV,  49  und  • 
zwar  für  Sonnenlicht,  Helle;  dagegen  licht  II,  1,  PI.  lichter  für  Kerze, 
Kerzenlicht.  Die  Form  lucht  hat  sich  auch  in  anderen  Mundarten 
neben  lecht  oder  licht  bis  heute  erhalten,  wie  das  Brem.  Niedersächs. 
Wb.  III,  30,  Schambach  im  Wb.  von  Göttingen  u.  Grubenhagen,  Woeste 
im  Westfäl.,  ten  Doornkaat  Koolman  im  Ostfries.  Wb.  und  Bierwirth, 
Die  Vocale  der  Mundart  von  Meinersen  §  214  bezeugen.  Im  Ham- 
burgischen (Richey's  Idioticon  Hamb.)  und  Holsteinischen  (Schütze's 
Holst.  Idiot.  III,  32)  hat  man  auch  ein  Adjectiv  lacht  in  gewissen  Aus- 
drücken bewahrt,  wie  denn  gleichfalls  in  nndl.  Mundarten  (nach  van 
Dale,  Nieuw  Woordenboek  der  Nederlandsche  Taal)  lucht  statt  licht 
(hell)  gesagt  wird. 

Opperfcop  20  ist  bereits  von  Lübben  im  Supplement  des  Mndd. 
Wb.  einmal  belegt.  Das  Bremische  Wb.  VI,  219  -weist  offerschap  aus 
einer  Urkunde  von  Bederkesa  (im  Herzogthum  Bremen)  nach  und  er- 
klärt es  wohl  richtig  als  Präbende,  nemlich  des  das  Messamt  verwal- 
tenden Priesters.  Das  pp  in  opper  (Opfer)  ist  dem  Ober-Engerschen 
und  dem  Ostfälischen  Dialekte  eigen  statt  des  von  den  übrigen  Mund- 
arten bevorzugten  off  er.  Das  Wort  opperland  18,  d.  h.  das  Land  dessen 
Ertrag  eben  zur  opperfcop  dient,  scheint  bisher  noch  nicht  nachgewieen 
zu  sein.  —  Crichcme  (bellicosus,  pertinax)  62  ist  bereits  im  Mndd.  Wb. 
und  von  Strauch  im  Glossar  zur  Sächsischen  Weltchronik  (herausgeg. 
von  Weiland)  verzeichnet.  Es  gehört  nach  seiner  Bildung  zu  den  im 
Ndd.  beliebten  Adjectiven  auf  -erne.  Da  ich  beabsichtige,  diese  Wort- 
bildungen einmal  im  Zusammenhange  zu  behandeln,  gehe  ich  hier 
nicht  weiter  darauf  ein. 

De  riddere  bat,  he  listekede  unde  drowede  58.  Das  Verb  listeken 
kann  etwa  *  Listen  anwenden'  bedeuten  und  vom  Substantiv  list  ab- 
geleitet sein.  Das  Ndd.  ist  bekanntlich  reich  an  solchen  Verben  mit 
A-Ableitung,  die  theils  aus  Verben,  theils  aus  Adjectiven,  theils  aus 
Substantiven  gebildet  werden  und  gemeiniglich  den  Begriff  des  all- 
mählichen oder  theilweisen  oder  kleinlichen  Thuns  oder  Werdens 
haben.  Besser  als  listekede  würde  ein  lisek-ede  passen  'er  bat,  er 
schmeichelte  und  drohte';  vgl.  d.  Brem.  Wb.  unter  lieskcn,  für  welches 
Wort  mit  derselben  Bedeutung  „freundlich  thun,  liebkosen"  im  Münster; 
land  nach  Jostes  (zu  Johannes  Veghe  43, 26:  leisich  '  freundlich,  schmeich- 
lerisch') lesken  gesagt  wird.  Erwägt  man,  dass  die  Wörter  „leise,  das 
Geleise"  und  gotisches  laisjan  'lehren'  zu  einer  Wurzel  lis  zu  gehören 


102 

scheinen,  ans  welcher  auch  „der  Leisten,  leisten,  die  List  und  die 
Leiste  (aus  älterem  liste)"  abgeleitet  werden  (vgl  A.  Fick,  Vergleichen- 
des Wb.  der  Indogermanischen  Sprachen;  F.  Kluge,  Etymologisches 
Wb.;  J.  Franck,  Etymologisch  Woordenboek;  M.  Heyne  im  Grimmschen 
Wb.),  so  erscheint  es  möglich,  dass  auch  ein  dahin  gehöriges  listeken 
(oder  Mftekent)  nicht  von  list  (astutia)  zu  stammen  braucht  und  viel- 
leicht dieselbe  Bedeutung  wie  lisken  und  lesken  gehabt  hat  —  Auf 
den  Befehl  des  Ritters,  den  Pfaffen  auf  das  Wasser  zu  werfen,  nahmen 
die  Knechte  diesen  bei  seinen  Händen  und  Füssen  unde  stieyden  (64) 
ene  boven  dher  erde,  als  ob  sie  ihn  aufs  Wasser  werfen  wollten.  Dies 
1  Zeitwort  kann  dem  Zusammenhange  nach  nur  „schwenken"  bedeuten, 
wie  es  von  Professor  Hänselmann  übersetzt  ist.  Derselbe  hat  anfäng- 
lich geschwankt,  ob  sneyden  oder  ob  sueyden  zu  lesen  sei,  aber  sich 
schliesslich  nach  genauerer  Prüfung  für  die  letztere  Lesung  entschieden; 
und  diese  ist  es,  für  welche  auch  philologische  Gründe  überwiegen. 
Denn  weder  zu  got.  snivan,  noch  zu  anord.  fnüaf  noch  zu  ags.  fneoran. 
fnovan,  noch  zu  ahd.  sniwan  lässt  sich  ein  sneyen  lautlich  steilen, 
wenngleich  die  Bedeutung  sich  aus  dem  anord.  snüa  sehr  wohl  ent- 
wickeln Hesse.  Dagegen  stimmen  zu  sueyen  völlig  in  Form  und  Be- 
deutung das  nndd.  swaien,  sivaijen,  swajen,  sweien,  das  nndl.  zxcaaien* 
das  engl,  sivay.  Es  ist  höchst  interessant,  dass  wir  das  älteste  Zeug- 
niss  für  dies  in  der  heutigen  Nautik  technische  Wort  einer  binnen- 
ländischen Urkunde  verdanken.  —  Der  zweite  Ritter  droht  dem  an- 
deren Priester,  er  wolle  ihn,  wenn  er  nicht  schwiege,  in  finen  hals 
flan  116.  Das  kann  sowohl  heissen  „an  seinen  Hals",  als  auch  ..auf 
den  Mund".  Nach  dem  Zusammenhang  ist  wohl  die  letztere  Bedeutung 
anzunehmen.  Der  Priester  antwortet:  wenn  er  das  thäte,  so  wolle  er 
ihn  wieder  rücken  in  fine  thenen,  dass  nie  ein  Ritter  von  einem  Pfaffen 
also  vlickeret  worde  117  ff.  Man  könnte  vergleichen  mndd.  vlecken, 
nndd.  flicken  (s.  Brem.  Wb.),  dän.  flcekke,  schwed.  fläkka  'zerreissen, 
zerschneiden,  zerbrechen,  spalten'.  Dies  Wort  wird  aber  nicht  das- 
selbe sein  mit  dem  vlicken  der  Urkunde:  der  Vocal  scheint  auf  ur- 
sprüngliches a  zurückzuweisen;  auch  stimmt  die  Construction  „etwas 
vlecken"  nicht  zu  Jemand  (in  seine  Zähne)  vlicken".  Vlicken  muss 
„schlagen"  bedeuten  und  mit  „Fleck,  flecken,  flicken"  zusammenhängen. 
Mndd.,  mhd.  und  besonders  md.  vice,  vlecke  bedeuten  ausser  „Stück. 
Lappen,  Schmutz-  oder  Schandflecken"  auch  „Schlag,  Hieb",  und  vlecken 
„schlagen".  Nndd.  heisst  enen  flicken  yeven  „einen  Schlag,  eine  Ohr- 
feige etc.  versetzen",  und  nach  dem  Grimmschen  Deutschen  und 
Schmeller's  Bayerischem  Wb.  ist  ein  kind  auf  den  hintern  flicken  soviel 
als  ihm  „die  Ruthe  geben".  Bedeutet  vlicken  also  „schlagen,  hauend 
was  denn  vlickeren?  Vielleicht  ist  es  Intensiv  oder  Frequentativ  von 
vlicken,  etwa  wie  hd.  schütteln,  fchüttern  zu  schütten,  löchern  zu  locJum, 
oder  es  mag  in  ihm  eine  gleichfalls  aus*  vice  entwickelte  Bedeutung 
„bunt  machen,  sprenkeln"  (die  Folge  des  „Flickens"  der  menschlichen 
Haut)  liegen,  wofür  das  Englische  beides  fleck  und  flecker  gebraucht. 
Dreimal  tritt  in  unserer  Urkunde  eine  Partikel  auf,  welche  nur 
auf  gewisse  Dialekte  und  auf  eine  bestimmte  Zeit  beschränkt  gewesen 


108 

zu  sein  scheint:  bent  'bis'.  Alfo  langhe  bent  mi  min  fmdheyt  werde 
ghewroken  71;  alfo  lange  bent  he  dhat  weder  dede  98;  alfo  langhe 
bent  dJie  dre  jar  umnie  quemen  100;  wahrscheinlich  dürfen  wir  in 
diesen  Stellen  die  frühesten  Zeugnisse  für  diese  Partikel  erblicken. 
Die  übrigen  mir  bekannt  gewordenen  Belege  (vergl.  das  Mndd.  Wb.) 
sind  folgende:  im  Hoyer  Urkundenbuch  herausgegeben  von  v.  Hoden- 
berg alfo  langhe  bent,  a.  1338,  I  No.  88  S.  59  und  62;  bent  alfo  langhe 
dat,  in  derselben  Urkunde  S.  60  (daneben  van  nu  bette  tho  dem  negheften 
jnnkeften  S.  60,  bet  alfo  langhe  dat  S.  61);*  alfo  langhe  bent,  a.  1343,  I 
Nr.  108  S.  73;  ferner  in  den  praepositionellen  Ausdrücken:  bente  in 
deffe  tyd,  a.  1358,  I  Nr.  166  S.  110;  bente  tho  dem  neghesten  daghe,  a. 
1362,  I  Nr.  184  S.  122;  bente  an  doffen  dach,  a.  1398,  I  Nr.  337  S.207. 
Ferner  im  Codex  diplom.  Benthem.  herausgegeben  von  Jung:  benth  alfo 
langhe  dat,  a.  1372,  Nr.  100  S.  205.  Dann  in  den  Goslarer  Statuten 
des  14.  Jahrhunderts  herausgegeben  von  Göschen:  bente  uppe  de  tyd 
dat,  24,  21.  Endlich  soll  nach  Strodtmann,  Idioticon  Osnabrugense, 
S.  24  bent  für  „bis,  so  lange"  in  mittelalterlichen  Osnabrticker  Urkunden 
vorkommen.  Mir  sind  nur  wenige  Urkundenbücher  zugänglich,  auch 
mag  in  den  ausgezogenen  mir  ein  oder  mehr  Beispiele  entgangen  sein. 
Doch  genügen  schon  die  hier  mitgetheilten  zwölf  zu  einer  Behandlung 
des  Wortes.  Dasselbe  erscheint  theils  als  Conjunction  (zweimal  mit 
dat,  weil  alfo  langhe  nach  bent  steht,  statt  wie  sonst  vorher)  und  in 
allen  Fällen  mit  folgendem  Conjunctiv;  theils  und  dann  in  der  Form 
bente  adverbiel  in  praepositionellen  Verbindungen  vor  in,  to,  an,  uppe. 
Die  Zeit  seines  Vorkommens  ist  das  14.  Jahrhundert,  das  Gebiet  be- 
greift Braunschweig,  Goslar,  Osnabrück,  Hoya,  Bentheim.  Dass  es  das 
gotische,  nur  Philemon  22  begegnende  bijands  (aya,  zugleich  aber  auch) 
sei,  welches  J.  Grimm,  Gramm.  III,  127  und  Uppström  als  Particip 
eines  unbelegbaren  Verbums  bijan  fassen  (nach  Grimm:  praeterire, 
transire,  progredi,  also  adverbialisch  pariter,  ulterius,  praeterea;  nach 
Uppström:  addere),  das  ist  nicht  wohl  anzunehmen.  Dass  es  für  die 
gleichbedeutigen  bette,  hente  oder  wente  verlesen  sei,  ist  durchaus  un- 
glaublich, da  das  bente  und  bent  von  mehreren  bewährten  Diploma- 
tikern constatiert  ist.  So  bleibt  nichts  übrig,  als  diese  Partikel  ebenso 
zu  erklären,  wie  die  ähnlichen  bet(te),  Jient(e),  tot(e),  njhd.  biz  oder 
bitze,  hinze,  unze,  zuoze,  nemlich  aus  Zusammensetzung.  In  dem  b 
steckt  die  Praeposition  bi;  -ent  kann*  auf  die  Praepositionen  ant  oder 
and  und  unt  oder  und  zurückgeführt  werden,  die  beide  im  Asächs. 
„bis"  bedeuten.  Sie  kommen  im  Heliand  mit  nachfolgendem  that  als 
Conjunctionen  vor:  „bis  dass";  und  die  im  9.  Jahrhundert  bereits 
meistens  vollzogene  Verschmelzung  zu  anthat,  antat  und  untliat,  untat 
hat  später  zu  der  einsilbigen  Form  sich  verkürzt.  So  versteht  man, 
dass  bent  ohne  dat  erscheint.  Die  Formel  bent  alfo  langhe  dat  beruht 
schon  auf  Erstarrung,  man  war  sich  des  Ursprungs  von  bent  aus  einer 
Composition  mit  that  nicht  mehr  recht  bewusst.  Aus  einer  gleichen 
Entartung  kann  die  Bildung  von  bente  erklärt  werden,  welche  Prae- 
position erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  aufzukommen 
scheint  und  in  welcher  die  Endung  aus  der  Praeposition  te  'zu'  stammt. 


104 

Wahrscheinlicher  ist  aber,  dass  nur  der  Zufall  uns  frühere  Beispiele 
der  Praeposition  bente  vorenthalten  hat  und  dass  dieselbe  nicht  aus 
biantat  te,  respective  biuntat  te,  sondern  aus  bi  ant  te,  respective  bi 
ant  te  entstanden  ist.  Es  fragt  sich,  für  welche  der  beiden  Prae- 
positionen  ant  oder  ant  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  spricht.  Ich 
glaube,  für  ant  Aus  biantat,  biant  te  konnte  nach  den  mndcL  Laut- 
gesetzen bentt,  bente  und  dann  bent,  bente  werden;  biuntat,  biunt  te 
würden  wohl  büntt,  bunte  und  dann  bunt,  bunte  oder  bunt,  bunte  er- 
geben haben.  Ob  man  zur  Zeit  unserer  Urkunde  übrigens  bent(e)  oder 
bent(e)  sprach,  ist  aus  derselben  nicht  zu  ersehen,  da  sie  lange  und 
kurze  Vocale  nicht  unterscheidet. 

Bemerkenswerth  ist  die  Sonderung  von  dorch  52  als  Präposition 
und  dor  63  als  Adverb. 

In  der  obigen  Darlegung  der  Spracheigentümlichkeiten  unserer 
Urkunde  habe  ich  bereits  mehrmals  auf  die  Unwahrscheinlichkeit  hin- 
gewiesen, dass  sie  wirklich  dem  Jahre  1248,  wie  sie  vorgiebt,  angehöre. 
Meine  Gründe  waren  allerdings  nur  aus  dem  im  allgemeinen  gleich- 
massig  verlaufenden  Entwicklungsgänge  der  Sprache  entnommen. 
Im  einzelnen  weist  dieser  aber  viele  Mannigfaltigkeiten  und  grosse 
Unregelmässigkeiten  auf.  Der  eine  Dialekt,  ja  der  einzelne  Schrift- 
steller ist  sehr  conservativ,  während  ein  anderer  gleichzeitig  mit  der 
alten  Sprechweise  völlig  gebrochen  hat,  ein  dritter  beständig  schwankt. 
Diese  Mundart,  zeigt  auf  einem  Lautgebiet  alterthümliches  Gepräge, 
auf  einem  andern  ein  ganz  modernes  Gesicht.  Umgekehrt  ist  jene 
grade  dort  fortgeschritten  und  andererseits  hier  beharrlich.  Die  in 
oder  gar  vor  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  fallende  Gothaer  Hand- 
schrift der  Sächsischen  Weltchronik  kennt  z.  B.  kein  altes  th  oder  dh 
mehr,  während  nördliche  Sprachdenkmäler  diesen  Laut  bis  ins  14.  Jahr- 
hundert hinein  noch  kundgeben.  Aehnlich  steht  es  um  das  alte  g  und 
das  jüngere  gh.  Da  kann  zu. einer  annähernd  richtigen  Zeitbestimmung 
eines  Sprachdenkmals  allein  eine  vergleichende  Betrachtung  inner- 
halb der  vier  Pfähle  einer  Mundart  helfen.  In  unserem  Falle,  für 
Braunschweig,  liegt  eine  solche  Aufgabe  dem  Untersucher  günstig,  da 
wir  aus  dem  13.  und  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderte  eine  Anzahl 
genau  datierter  oder  doch  ziemlich  genau  bestimmbarer  Sprachquellen 
besitzen.  Die  von  Weiland  gewiss  mit  Recht  um  ungefähr  1300  ge- 
setzte Handschrift  der  Braunschweigischen  Reimchronik  Hesse  sich 
trotz  ihrer  mitteldeutschen  Sprache  sehr  gut  zu  einem  Vergleich  mit 
der  Wedemer  Urkunde  heranziehen;  doch  verzichte  ich  darauf  theils 
eben  um  ihres  mischsprachlichen  Charakters  willen,  theils  weil  es  mir 
augenblicklich  an  der  Zeit  mangelt,  diese  umfangreiche  Chronik  nach 
Gebühr  zu  verwerthen.  Ich  beschränke  mich  auf  zwei  Fassungen  des 
Braunschweigischen  Stadtrechtes,  welche  Hänselmann  im  ersten  Bande 
des  Urkundenbuches  der  Stadt  Braunschweig,  1872,  No.  VI  S.  10  ff.  und 
Nr.  XVI  S.  21  ff.  veröffentlicht  hat,  jene  vom  10.  Öctober  1265  datiert, 
diese  ohne  Zweifel  (s.  a.  a.  0.)  aus  den  ersten  Jahrzehnten  des  14.  Jahr- 
hunderts; und  auch  bei  diesem  Vergleich  werde  ich  bloss  wenige  ent- 
scheidende  Eigentümlichkeiten  der  Sprache  und  Orthographie  aus- 


105 

wählen,  da  diese  vollständig  genügen,  den  vom  Herausgeber  der 
Wedemer  Urkunde  aus  anderen  Gründen  gefundenen  jüngeren  Ursprung 
derselben  zu  bestätigen.  Ich  bezeichne  das  Stadtrecht  von  12(55  mit 
A,  die  jüngere  Redaction  mit  B,  die  Wedemer  Urkunde  mit  W. 

A  kennt  kein  y  für  *';  dagegen  hat  B  yene  §  6.  62,  durchweg  ey 
für  ei  und  ein  paar  Mal  y  für  i:  gylde  68,  yfercn  61,  tyden  59,  dryes 
58,  ticye  18. 

In  A  heisst  das  Personal-  und  das  Possessivpronomen  der  ersten 
Person  Pluralig  uns  und  unfe;  in  B  herrscht  das  in  Braunschweigischen 
Schriften  des  folgenden  Mittelalters  durchstehende  us  und  ufe. 

A  gebraucht  die  Negationspartikel  in  der  ursprünglicheren  Form 
ne;  B  verwendet  neben  ne,  z.  B.  24.  39.  50,  bereits  oft  m,  z.  B.  19. 
24.  39.  50.  62. 

Während  A  noch  kein  misbräuchliches  th  für  t  im  Anlaut  und 
Inlaut  setzt,  sondern  nur  wenige  im  Auslaut,  wie  tuth  (trahit)  24,  ith 
(id)  59,  rth  (ex)  23.  29.  33.  46.  50.  56  und  perith  (equus)  23.  24.  25 
(flectiert  perides  24,  in  W  perde  33.  42),  erscheint  alte  Dentalaspirata 
als  dh  in  A  noch  oft,  zunächst  sehr  häufig  für  den  Artikel,  ferner  an- 
lautend: dhing  (jus)  12.  38  (neben  ding  12.  63),  dkuve  (furtum)  28,  ver- 
dhuvet  53.  61,  dhenen  (servire)  39.  45,  dheniftman  17.  18,  dhor  (per)  47, 
Mit  (hoc)  66;  auslautend:  fenedh  (synodus)  19;  inlautend:  edhe  (jure- 
jurando)  2,  lemedhe  (mutilatio)  6,  vredhe  (pax)  8.  64,  rromedhe  (alienus) 
15,  wicbildhe  23  (belede  15,  bilde  16),  dodhe  (morti)  33.  35.  nedher 
(deorsum)  47  (neben  neder),  benedfwn  (subter)  48.  Ein  abusives  dh 
habe  ich  nur  in  tidlien  (temporibus)  66  bemerkt.  —  Hingegen  zeigt  B 
schon  thid  (tempus)  13.  19,  notthoch  (stuprum)  64,  und  andererseits  dh 
nur  in  dhe  37,  dliat  2.  4,  edh  12,  edhe  2,  dodiie  31  (dode  33). 

Während  gh  in  A  ziemlich  selten  auftritt,  im  Anlaute  nur  einmal 
in  gheven  16  und  elfmal  in  dem  Praefix  ghe,  inlautend  ca.  zwanzigmal, 
ist  in  B  gh  ganz  gewöhnlich,  aber  doch  nicht  ganz  so  sehr,  wie  in  W. 

In  A  wie  in  B  steht  sc  im  Anlaute  fest.  Im  Inlaut  und  Auslaut 
hat  A  biscop  39,  kusclike  (caste)  35,  aber  twifchen  56  und  hamafch 
43,  während  B  nur  seit:  minfehe  39,  twifclien  55,  kuschlike  33  und 
harne fch  49. 

Während  in  B,  wie  in  der  Wedemer  Urkunde  und  im  späteren 
Gemeinndd.  das  Verb  'debere'  feal,  fcolen  lautet,  zieht  A  das  aus  der 
Poesie  stammende  fal,  folen  vor:  auf  ungefähr  fünfzig  Formen  mit  s 
kommen  bloss  ein  scal  32  und  ein  fcolen  54. 

Das  k  ist  in  beiden  Stadtrechten  fester,  als  in  der  Urkunde.  In- 
lautend wird  es  nicht  durch  ch  ersetzt;  in  A  heisst  es  zwar  zehnmal 
swclich  (quieunque)  neben  achtundzwanzig  fwelic,  aber  flectiert  be- 
ständig fwelikes  oder  fivclekes  etc.  In  B  lautet  auch  die  unflectierte 
Form  auf  k  aus,  meist  swelk  neben  einigen  swelik.  Oc  (etiam)  A  52, 
B  22.  52  gegen  och  von  W.  Jedoch,  wie  in  W:  pich  A  3.  9.  14.  27. 28. 
55.  64,  während  B  nur  fik  kennt;  bemerkenswerth  ist,  dass  nicht  bloss 
in  B  26.  63,  sondern  auch  schon  in  A  14.  28.  64  [ich  oder  fik  für  den 
Dativ  gebraucht  wird.    Umgekehrt  schreibt  A  Jiruneswic,  B  Bruneswich. 


106 

A  hat  noch  vrnbe  (circa)  19  neben  vmtne  15.  24;  B  nur  vmme  13. 
22.  45  nnd  bekumeret  (statt  bekümmeret,  aus  älterem  bekumberet  Aim- 
peditus')  66. 

In  A  ist  solt  (salsus)  56  einziges  Beispiel  vom  Uebergange  des 
alt  und  ald  in  olt  und  old\  sonst  stets  a  in  den  betreffenden  Wörtern. 
B  hat  holden,  gheivalt,  falt  und  Iwlden,  fakeivölde  (oft)  neben  einander. 

A  giebt  ipse  durch  felue  1,  im  übrigen  stets  durch  filue;  dagegen 
B,  wie  W,  beständig  durch  fulue. 

In  B  und  der  Urkunde  herrscht  bereits  die  mittelniederdeutsche 
Lautregel:  kurz  i  und  kurz  u  dürfen  nicht  in  offener  Silbe  stehen, 
sondern  werden  mit  e  und  o  vertauscht.  Dagegen  weist  A  neben 
mede  16  (auch  W  121  mede)  noch  tnide  21.  27.  41.  43  auf.  Vom  ge- 
schlechtigen persönlichen  Pronomen  hat  A  den  Dativ  imc  5  sonst 
zwanzigmal  eme\  umgekehrt  ere  nur  14.  38,  anders  stets  ire;  aber 
keinen  Accusativ  ine,  sondern  nur  ene.  Wider  (rursus)  begegnet  53. 
weder  ist  schon  die  gebräuchliche  Form. 

Aliquis  heisst  in  A  man,  doch  auch  schon  tuen  z.  B.  19.  31,  welche 
Form  in  B  herrscht  mit  einiger  Einschränkung  durch  die  noch  ab- 
geschliffenere  Form  nie.    W  hat  men  122. 

Von  den  Zahlwörtern  führe  ich  an,  dass  die  erste  Cardinalzahl  in 
A  regelmässig  en  lautet,  flectiert  und  unflectiert,  sogar  Dativ  eme  (statt 
enenie)  58;  zweimaliges  ein  11.  22  ist  eine  verschwindend  kleine 
Zahl  gegen  die  Fülle  der  Beispiele  mit  e,  wie  denn  überhaupt  altes 
ai  in  A  als  e  erscheint.  Was  die  Behandlung  des  ai  im  allgemeinen 
betrifft,  so  stimmt  B  fast  ganz  zu  A  und  Ausnahmen,  wie  gemeyne  65 
und  reyde  50,  sind  äusserst  selten;  aber  dies  gilt  nicht  für  das  Zahl- 
wort oder  den  unbestimmten  Artikel:  nicht  bloss  eyn,  sondern  auch 
eyne,  eynes  u.  s.  f.  stehen  in  B  häufig  neben  den  alten  Formen  mit  e. 
Von  der  Zahl  „zwei"  bietet  A  nur  ein  Beispiel  für  das  Masculin: 
twene  (nemlich  dele)  4;  es  geht  freilich  dat  dridde*  del  vorher,  aber 
aus  dem  Accus,  den  dritden  del  61  ersieht  man,  dass  das  Substantiv 
del  sowohl  als  Msc.  wie  als  Ntr.  gebraucht  ward,  also  darf  ttcene  als 
Msc.  verstanden  werden  und  die  alte  Motionsregel  besteht  für  A  noch 
zu  Recht,  B  hat  dhe  twene  del  und  twey  del  37  neben  einander,  wo- 
bei die  jüngere  Form  twey  (statt  tivc)  des  Neutrums  zu  bemerken  ist. 
Bei  „drei"  scheidet  A  noch  dre  fpeleman  20  und  drv  fcerf  24;  B  hat 
schon  dre  fcerf  22.  —  Während  A  noch  twelef  10.  20  schreibt,  bedient 
sich  B,  wie  W,  bereits  der  contrahierten  Form  tivelf 

Aus  dieser  Vergleichung  geht  hervor,  dass  die  Sprache  unserer 
Urkunde  jünger  ist  als  A  und  älter  als  B,  dass  sie  aber  der  Sprache 
von  B  viel  näher  steht,  als  der  von  A,  so  dass  auch  hierdurch  die 
vom  Herausgeber  aus  palaeographischen  Gründen  geschlossene  Datie- 
rung als  richtig  erwiesen  wird. 

Hamburg.  C.  Walther. 


107 

In  Drunten  varen,  na  Drunten  gliden. 

Das  ungefähr  um  1500  von  einem  unbekannten  Braunschweiger  ■) 
verfasste  gnomische  Gedicht  de  Koker  (herausgegeben  von  Hackmann, 
Reineke  de  Vos,  mit  dem  Koker.  Wulffenbtittel  1711)  kleidet  eine 
seiner  aus  Lebenserfahrung  und  Weltbeobachtung  abstrahierten  Sen- 
tenzen in  folgendes  Distichon  (S.  344  Z.  1238  f.): 

We  van  beere  halven  fert  in  Drunten, 

de  knmpt  in  drunkenboldes  fchoet. 

Eine  ähnliche  Redensart  bietet  der  Braunschweiger  Reimar  Gro- 
ningen, welcher  die  durch  Ludeke  Holland  seit  1488  in  der  Vaterstadt 
erregten  Unruhen  in  einem  längeren  Gedichte,  Bat  Schicht fpeel  to 
Brunswick,  nach  eigener  Anschauung  schildert  (herausg.  von  L.  Hänsel- 
mann in  den  Chroniken  der  Deutschen  Städte  vom  14.  bis  ins  16.  Jahr- 
hundert, Bd.  XVI  =  Chroniken  von  Braunschweig,  Bd.  II,  Leipzig  1880), 
in  dem  seiner  Dichtung  angehängten  Almanach  1491.  Er  zählt  hier 
die  bestraften  Aufruhrer  auf  und  zwar  in  vier  Classen,  erstens  die- 
jenigen, welche  auf  verschieden  bemessene  Entfernung  von  der  Stadt 
verbannt  wurden,  zweitens  die  welche  sich  selbst  durch  Entweichung 
straften,  drittens  die  welche  der  Rath  in  der  Stadt  nicht  leiden  wollte 
und  endlich  solche  welche  auf  kürzere  oder  längere  Zeit  inleger  d.  h. 
Hausarrest  erhielten.  Jeder  Abtheilung  werden  einige  Verse  theils  zur 
Beschreibung  der  Strafe,  theils  mit  nicht  gerade  bösartigem  Hohn  gewid- 
met. Der  Missethäter  der  dritten  Art  sind  nur  zwei:  Hinrick  Borchholte 
und  Otto  fyn  broder.  Sie  gehörten  gleichfalls  wie  die  zweite  Classe  zu  den 
Geflüchteten,  standen  aber  in  einem  anderen  Verhältnisse  zum  Rathe.  Ihr 
Vater  Eier  hatte  1446  wegen  seiner  Betheiligung  am  damaligen  Aufstande 
die  Stadt  auf  10  Meilen  verschwören  müssen.  Mit  ihm  waren  auch 
die  Söhne  verwiesen  worden.  Deshalb  hatten  diese  eine  Fehde  gegen 
Braunschweig  angefangen,  waren  aber  durch  den  Markgrafen  von 
Brandenburg  mit  dem  Rathe  ausgesöhnt  worden,  so  dass  ihnen  an- 
fänglich je  dreitägiger  Aufenthalt  in  der  Stadt,  dann  durch  Vermitte- 
lung  ihrer  Verwandten  völlige  Aufnahme  gewährt  worden  war.  1491 
fällte  der  Rath  das  Urtheil,  er  wollte  ihrer  entbehren,  unde  fo  me  de 
luibben  kan,  fo  fchullen  fe  de  [tat  vorfweren  up  20  mile  weges;  siehe 
a.  a.  0.  S.  266  und  230.  348.  387.  507.  511.  Von  diesen  beiden  Brüdern 
sagt  nun  Groningen  (S.  257): 

Dufle  wil  de  Radt  in  der  Itadt  nicht  lyden: 
dat  maket,  fe  wilt  na  Drunten  glyden. 
hyrnmme  moghen  fe  fik  ummefeyn, 
dat  fe  eynen  anderen  wech  to  wonen  teyn. 

Im  Text  steht  drunten,  nach  S.  580,  663  u.  669  ist  aber  Drunten 
zu  lesen.  Hänselmann,  der  eine  sprichwörtliche  Redensart  vermuthet, 
fasst  Drunten  als  Ortsnamen:  Drontheim.  Zu  derselben  Ansicht  bin  ich 
früher,  ehe  ich  das  Schichtspeel  kannte,  betreffs  der  Stelle  im  Koker 


')  Vielleicht  Herman  Bote,  der  Autor  des  Schichtboicks? 


108 

gekommen,  und  ich  halte  diese  Auffassung  noch  jetzt  fttr  die  allein 
mögliche.  Eigentümlich  ist,  dass  diese  offenbar  identischen  Redens- 
arten nur  aus  Braunschweig  bezeugt  sind.  Man  möchte  darum  auf 
einen  Ort  in  der  Nähe  dieser  Stadt  rathen.  Aber  weder  dort,  noch 
überhaupt  in  Deutschland  lässt  sich  ein  Ort  dieses  Namens  nachweisen. 
Die  einzige  Stadt,  welche  in  Betracht  kommen  kann,  ist  die  norwe- 
gische Königs-  und  Erzbischofsstadt  Throndhjem.  Ihr  deutscher  Name1) 
lautet  in  der  älteren  Zeit  Dritntheym  (Hanserecesse  herausgegeben  von 
K.  Koppmann  III  S.  295  a.  1372  und  Lübecker  Urkundenbuch  heraus- 
gegeben von  C.  Wehrmann  IV  S.  771  a.  1398)  oder  Drunthem  (Hanse- 
recesse herausgegeben  von  6.  v.  d.  Kopp  IV  S.  258  a.  1455  und  Hanse- 
recesse herausgegeben  von  D.  Schäfer  I  S.  348  a.  1483).  Aber  schon 
früh  ward  nach  niederdeutschem  Lautgesetze  das  anlautende  h  des 
zweiten  Wortes  der  Composition  elidiert  und  erst  Druntem  (Drüntenu 
Hanserecesse  von  Schäfer  I  S.  133,  11  a.  1479),  dann  gewöhnlich  Drun- 
ten gesagt  (z.  B.  schon  in  den  Lübecker  Chroniken  herausgegeben  von 
F.  H.  Grautoff  II  121  a.  1449;  andere  Beispiele  s.  im  Mnd.  Wb.). 

Es  wird  schwerlich  anzunehmen  sein,  dass  die  Stadt  Throndhjem 
zu  dieser  Redensart  durch  irgend  eine  Eigentümlichkeit  oder  eine 
Begebenheit,  in  der  sie  eine  Rolle  spielte,  Anlass  gegeben  habe. 
Wenn  das  der  Fall  gewesen  wäre,  so  würde  es  sehr  befremden  müssen, 
dass  der  Ausdruck  nicht  anderswo  in  Deutschland,  als  in  einer  Binnen- 
stadt, und  vor  allem,  dass  er  sich  nicht  in  Skandinavien  nachweisen 
lässt.  Es  kann  hier  nur  ein  Wortspiel  zu  Gründe  liegen,  für  welches 
man  den  auch  in  den  binnenländischen  Hansestädten  wohlbekannten 
Namen  der  norwegischen  Stadt  verwendete.  Es  muss  sich  also  darum 
handeln,  das  ndd.  Wort  zu  ermitteln,  an  dessen  Stelle  der  mittelalter- 
liche Witz  den  Stadtnamen  gesetzt  hat. 

Im  ganzen  niederdeutschen  Sprachschatze  giebt  es  nur  ein  Wort-), 
das  in  Betracht  kommen  kann:  das  starke  Zeitwort  drinten,  ags.  und. 
unbelegt,  as.  thr intern,  'schwellen,  tumere,  turgere',  von  dem  das  Par- 
tieip  der  Vergangenheit  gedrunien  oder  drunten  lautet  und  in  den 
mittelalterlichen  Glossaren  mit  'tumidus,  turgidus'  übersetzt  wird.  Für 
die  Erklärung  der  Stelle  des  Kokers  reicht  dieses  Wort  und  seine 
Bedeutung  vollständig  aus.  Der  Sinn  der  Verse  ist  dann:  Wer  um 
des  Bieres  willen,  d.  h.  bloss  des  Trinkgenusses  halber,  sich  dick  und 
voll  säuft,  der  wird  bald  ein  Trunkenbold.  Schwieriger  steht  es  um 
die  Anwendung  der  Redeweise  auf  einen  concreten  Fall  durch  Gro- 
ningen. Die  Worte  dat  maket,  fe  teilt  na  Drunten  gliden  geben  die 
Ursache  für  den  Beschluss  des  Rathes  an,  wenngleich  das  Praesens 
ivüt  (statt  ivolden)  verleiten  könnte,  darin  eine  Wirkung  des  Beschlusses 
zu  sehen.  Aber  dass  von  dem  Wollen  oder  der  Absicht  der  beiden 
Meuterer  gesprochen  wird  und  dass  die  Folgen  ihrer  Verweisung  erst 

l)  Anord.  Thrdndhcimr;  Adam  v.  Bremen  IV,  32  latinisiert  Trondemnis ;  asächs 
ist  wohl  Throndhem  anzusetzen. 

*)  Das  dänische  drunte,  drynte  oder  drönte^  das  nndl.  drentelen,  der  Vogel- 
name Dronte  u.  a.  scheinen  mir  nichts  ftir  den  in  Rede  stehenden  Ausdruck  zu 
ergeben. 


109 

in  den  folgenden  Versen  berührt  werden,  zeugt  deutlieh  dafür,  dass 
jene  Worte  zu  verstehen  sind:  „der  Grund,  weshalb  man  sie  nicht  in 
der  Stadt  dulden  will,  ist,  weil  sie  nach  Drunten  gleiten  wollen".  Um 
die  Redensart  hier  zu  erklären,  sind  wir  auf  die  Nachrichten  an- 
gewiesen, welche  das  Schichtspiel  und  das  Schichtbuch  im  zweiten 
Bande  der  Braunschweiger  Chroniken  von  den  beiden  Brüdern  geben. 
Dieselben  bieten  aber  nichts  dar,  was  ihnen  beiden  im  Gegensatz  zu 
anderen  Mitschuldigen  eigentümlich  gewesen  wäre;  man  sehe  die 
Belege  S.  126.  134  151.  162.  266.  Den  einzigen  Anhalt  haben  wir  in 
ihrer  ganz  besonderen  Stellung,  dass  sie  trotz  einstiger  Begnadigung 
doch  wieder  Aufruhr  gestiftet  hatten,  wie  Herman  Bote  im  Schicht- 
buche sagt  (S.  387):  int  erfte  mofte  H.  B.  unde  0.  fin  broder  uth  der 
ftad,  na  inholde  eynes  breves,  den  fe  in  vortiden  vorteilt  hadden,  do 
or  vader  de  ftad  vorfwor.  Wie  soll  aber  darauf  jenes  drunten  passen? 
Drinten  hat  an  allen  Stellen  (es  sind  bis  jetzt  zehn  nachweisbar), 
wo  es  von  Schriftstellern  gebraucht  wird,  stets  die  sinnliche  Bedeutung 
des  Schwellens,  Anschwellens.  Wenn  man  dem  Particip  oder  besser 
einem  unbelegten  vordrunten  aber  ausserdem  eine  übertragene,  geistige 
zusprechen  dürfte,  was  mir  gar  nicht  unwahrscheinlich  dünkt,  da 
solche  Begriffsentwickelung  für  die  gleichbedeutigen  rorbolgen  und 
npgeblafen,  wie  auch  für  das  lat.  tumidus  vorliegt,  dann  liesse  sich 
der  Ausdruck  wohl  verstehen:  na  Drunten  gliden  würde  dann  eine 
Umschreibung  für  vordrunten  werden,  im  Sinne  von:  sich  verstocken, 
trotzig  oder  halsstarrig  werden,  sein.  So  liesse  sich  auch  vielleicht 
sowohl  das  Praesens  fe  teilt  wie  die  Wahl  des  Ausdruckes  gliden 
rechtfertigen. 

Hamburg.  C.  Walther. 


Joh.  Leonh.  Frisch 

als  Sammler  märkischer  Idiotismen. 

Johann  Leonhard  Frisch,  der  bekannte  Rector  des  Berlinischen 
Gymnasiums  zum  grauen  Kloster  und  Verfasser  des  1741  erschienenen 
deutsch -lateinischen  Wörterbuches,  hat  sich  auch  mit  dem  Plane  zu 
einem  Glossarium  Marchicum  getragen.  Am  9.  November  1709  schrieb 
er  an  Leibniz:  „Mein  Glossarium  Marchicum  vermehrt  sich  auch 
immerzu,  da  dann  freylich  viel  vom  plattdeutschen  überhaupt  mit  ein- 
läufft,  aber  auch  einige  Wörter  bleiben,  die  sonst  kein  Niederdeutscher 
versteht."  Im  nächsten  Briefe  (30.  Januar  1710)  kommt  er  mit  folgen- 
den Bemerkungen  auf  denselben  Gegenstand  zurück:  „Unter  den  vo- 
eabulis  marchicis,  die  andere  nicht  leicht  verstehen,  sind  e.  g.  diese: 
piras:  lumbricus,  hlitte:  papilio,  KuJische:  ein  gefeuchtet  Brod  in  Bier, 
Kum:  ein  Trog,  Stamplum:  Stopftrog,  myran:  formicae,  Dez:  caput 


110 

(testa  Ital.),  Dereze:  Stube,  Duks:  das  feinste  Mehl,  Kiez:  eine  Fischer- 
hütte, Dulte:  eine  gepichte  hölzerne  Kanne,  Koboldschiessen:  culbute 
GalL,  Keck:  der  Halss  oder  das  Dicke  unter  dem  Kinn,  Kolter:  das 
Plugeissen,  so  über  der  Schaar  ist  (culter)  &c. 

Bei  dem  Wort  Keck  erinnere  ich  mich  eines  discurses,  den  Chur- 
fürst  Friedr.  Wilhelm  mit  einigen  Pommern  gehalten:  da  er  unter 
andern  zu  ihnen  sagte,  er  könnte  den  dialectum  der  Pommern  wohl 
verstehen,  brachte  ihm  einer  von  den  Käthen  diese  Wort  zur  Probe 
für:  „Si,  wu  de  Gäre  sitt  und  besabbelt  den  Keck  mit  de  Bullegraren", 
welches  der  Churfürst  nicht  verstund;  sie  heissen  so  viel:  rSiehe,  wie 
das  kleine  Mägdlein  sizet  und  begeiffert  den  Bart  oder  das  Unter-Kinn 
mit  Heydelbeeren".  Es  laufen  freylieh  einige  Wörter  mit  in  das 
Niedersächsische,  einige  ins  Pommerische,  haben  aber  alle,  soviel  ich 
gesamlet,  etwas  besonders  wegen  der  Etymologie  oder  anderer  Um- 
stände". Leider  hat  Frisch  seine  Sammlung  nicht  veröffentlicht;  auch 
in  dem  Briefwechsel  mit  Leibniz,  soweit  er  auf  der  Königlichen  Biblio- 
thek zu  Hannover  aufbewahrt  wird,  geschieht  dieses  Planes  nicht 
wieder  Erwähnung. 

Berlin.  L.  H.  Fischek. 


Eulenspiegels  Grabstein. 

Die  Marburger  Bibliothek  besitzt  unter  No.  80  ihrer  kleinen  Hand- 
schriftensammlung ein  Heft,  das  die  Aufschrift  führt:  'Ephemerides 
Joannis  Liihodii  Medicinae  Doctoris  in  privates  usus  consignatus\ 
Verwendet  ist  dazu  ausser  Schreibpapier  auch  der  leere  Raum  einer 
Druckschrift  des  Jahres  1546.  Was  ich  über  den  Urheber  dieser  Auf- 
zeichnungen weiss,  entnehme  ich  lediglich  dem  Büchelchen  selbst. 
Joh.  Lithodius  war  1510  zu  Beausens  in  den  Ardennen  geboren,  hatte 
seine  Schulbildung  in  Lüttich  empfangen  und  demnächst  in  Köln. 
später  aber  in  Wittenberg  unter  Melanchthon  studiert,  wo  er  1545 
Magister  artiuin  wurde.  1546  erhielt  er  die  Leitung  der  Lateinschule 
zu  Wesel,  fand  aber  offenbar  am  Schuldienst  wenig  Geschmack,  denn 
er  gab  die  Stelle  bald  auf  und  widmete  sich  in  Paris  und  Bologna 
medicinischen  Studien.  1553  in  Bologna  zum  Doctor  promoviert  kehrte 
er  nach  Deutschland  zurück  und  liess  sich  1554  als  Leibarzt  des  Her- 
zogs von  Berg  in  Düsseldorf  nieder,  wo  er  1556  eine  erste,  1560  eine 
zweite  Ehe  einging.  Die  letzten  datierten  Nachrichten,  welche  der 
bunte  Inhalt  des  Heftes  bietet,  gehören  dem  Jahre  1564  an:  in  das 
Jahrzehnt  1554 — 1564  also  wird  auch  die  nachfolgende  Notiz  fallen, 
die  auf  der  letzten  Seite  steht: 

In  civitate  Midiem  imperii  Lubecensis  miliaria  4  supra  Lubecam 
sepultus  Vlenspeigell  in  a'miterio,  a  cuius  sepulchro  eleuatur  scuruni 


111 

ad  templi  murum  sepositum  et  obmunitur  cancellis  ligneis,   quoniam 
quilibet  ab  illo  lapide  ob  Vlnspeigell  memoriam  auffere  partem  seilet. 
Erat  in  Jwc  lapide  insmlpta  eins  imago  cum  restitu  sttdti,  et  a  la- 
tere  capitis  Vula  cum  spemlo.    Hec  rerba  ibi  leguntur: 
Anno  1350  ys  dyssen  steen  opgehauen 
vnd  Tile  Vlenspeigel  vnder  begrauen. 
Die  Nachricht  fällt  etwa  ein  Menschenalter  vor  der  ersten  authen- 
tischen Beschreibung   des  Grabmals,   welche  Lappenberg,   Ulenspiegel 
S.  326  aus   der  Reisebeschreibung  des  Michael  Heberer   von  Bretten 
(1592)  beibringt,  und  sie  geht,  mag  sie  immerhin  von  Lithodius  irgend- 
woher abgeschrieben   sein,   zweifellos   auf  den  Bericht  eines  Augen- 
zeugen zurück.   Das  erat  insculpta  gegenüber  dem  eleuatur — obmuni- 
tur  kann  zumal  in  Verbindung  mit   der  Angabe,  dass  der  Grabstein 
eines  schützenden  Stakets  bedürfe,  nur  so  gedeutet  werden,   dass  das 
Reliefbild  damals  schon  nicht  mehr  erkennbar  war.    Nun  wissen  wir 
aus  dem  Berichte  Merians  (1614),  dass  der  Stein  'voriger  Zeit  renovirt' 
war,  und  diese  Erneuerung  muss  vor   dem  Besuche  Heberers  statt- 
gefunden haben,  der  das  Bild  gesehen  hat.    Dazu  stimmt  es,  dass  die 
jüngeren  Berichte  von  Heberer  ab  die  Grabschrift  als  sechszeilig  an- 
geben,  während  Lithodius   ebenso  wie   der  Schluss   des  Volksbuches, 
aber  unabhängig  von  ihm,  nur  eine  zweizeilige  Inschrift  kennt.    Jene 
vier  Zeilen,  welche  dem  Wanderer  ein  'Memento1  zurufen,  sind  offen- 
bar bei   der   Erneuerung  des  Grabsteins   zugefügt  worden;   diese  Er- 
neuerung fällt  in  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  und  die  Notiz 
des  Lithodius  ist  nächst  dem  Volksbuch  die  einzige,  die  uns  eine  Be- 
schreibung des  alten  Denkmals  gibt. 

Marburg  i.  H.  Edward  Schröder. 


Lübecker  Schulvokabular  vom  Jahre  1511. 

[Bl.  1]  Vocabula  pro  iuuenibus  multum  necessaria.    Et  primo   de  celo 

et  ipsum  respicientibus  Incipiunt  foeliciter. 
[Auf  einem  Titelbilde  darunter  Lehrer  mit  der  Ruthe.  Zu  seinen  Füssen  sitzen  Knaben.] 

[Bl.  2]  Dens  got  —  deitas  godheit  —  celum  de  hemniel  —  angelus 
eyn  engel  —  archangelus  eyn  artzeengel  —  apostolus  eyn  apostel  — 
propheta  eyn  profete  —  martyrus  ein  merteler  —  confessor  eyn  bych- 
tiger  —  septistellium  dat  souen  sternte  —  aquilo  nordentvint  —  auster 
sudenwint. 

De  elementis.  aereum  luchtich  —  gipsum  sparkalk  —  carbo  eyn 
kale  —  flamma  de  löchene  —  fuligo  roeth  —  nebula  de  dedee  —  fulgur 
blixem  —  terremotus  ertbeuinge  —  gehenna  eyn  affgrundt  —  ros 
doutve  —  tiria    eyn  yfsfagel  —  caligo   dunkerheit  —   fons   eyn  bome 


+* 


112 

effte  fsot  —  spuma  schume  —  procella  cyn  bulghe  —  ripa  eyn  över  — 
fundus  eyn  dupe  —  vadum  eyn  vorth  —  viale  eyn  stech  —  silex  eyn 
keserlink  —  cespes  eyn  fzode  off  torff  —  sulcus  eyn  vare  —  orbita 
eyn  tvagentrade  —  fouea  eyn  knie  —  antruin  eyn  gath  —  pratum  eyn 
wissche  —  dieta  eyn  dachreyfse  —  passus  eyn  strede. 

[BL  3]  De  ecclesia.  crisma  de  kresem  —  pathena  ein  pane  efte 
pate  —  lichimus  ein  dacht  in  der  kerfsen  —  pulpitum  eyn  puhnt  — 
stallum  eyn  gJiestölte  —  armarium  eyn  gartvekamer  —  cripta  eyn 
klufft  —  refectorium  eyn  reyenter  —  antiphonarium  eyn  antifener  — 
Capsula  eyn  schap  —  supplicium  eyn  rochel  —  almucium  eyn  almnfse 
sed  potius  eyn  beffe  —  porticus  eyn  lyckhties  —  coclea  eyn  tvindel- 
steen  —  nola  eyn  schelle  —  baptillus  ein  knepel  —  tumba  eyn  sack. 

De  diebus  festis  et  ferialibus.  feria  3:  dinxste  dach,  4:  m/rf- 
wcken,  6:  vrygdach,  7:  sonauent  —  parasceue  de  stylle  vrygdach  — 
pasca  paschen. 

De  homine.  caput  eyn  höuet  —  testa  capitis  en  bregenpanne  — 
cirrus  eyn  top  —  Vertex  eyn  schetel  —  [Bl.  4]  auricularis  ein  oren- 
lepel  —  nar  eyn  nefsehol  —  saliva  de  spyge  vth  dem  munde  —  guttur 
de  strate  des  halfses  —  arterea  ein  halfsstrate  effte  ader  —  gibbus 
eyn  höuel  —  dextera  de  rechter  handt  —  sinistra  de  luchter  handt  — 
cerebrum  dat  bregen  —  ren  de  nere  —  urina  pysse  —  stercus  dreck  — 
ventositas  vpblasinge  —  clunis  arfsbille  —  feinur  eyn  huffte  efte  dye  — 
coxa  eyn  dee  efte  de  brade  an  den  bene  —  pedica  eyn  been  —  talus 
ein  enkel  an  den  vote  —  ratio  redelicheit  —  anima  rationalis  ein  rede- 
like  sele  —  anima  intellictiva  ein  vornufftige  fsele. 

De  nomonibns  habitnum.  subduetura  eyn  voder  —  nodile  ein 
knophol  —  fiinbria  ein  soetn  effte  gere  —  ruga  ein  krökel  efte  runtzel 
effte  volde  —  femorale  eyn  nedderkleet  —  [BL  5]  bracalium  eyn  len- 
dener  —  liga  eyn  nadelreme  —  caliga  eyn  hofse  —  scaca  eyn  stclte  — 
sotular  eyn  steffeel  eft  botschoe  —  calopes  ein  pathyne  —  calodarius 
eyn  leefst  —  crepida  eyn  patyn  —  solocium  eyn  galotze  —  marsubium 
eyn  bygordel  —  fibula  eyn  vorfpan  —  spinter  eyn  knöpedenatel  — 
bursinus  ein  boefsem  —  guerra  strydt  effte  oerloge  —  alapa  eyn  wangen- 
stach  —  colaphus  eyn  halfsslach  —  vindieta  eyn  wrake  —  thorax  eyn 
plathe  —  hasta  geleuinge  —  phalanga  eyn  slachbom  —  pectus  calibium 
ein  steten  borst  —  machina  ein  blide  efte  slinger  —  funda  eyn 
slenger  —  postela  eyn  hyndergerede  —  Phalere  sunt  ornamenta  equo- 
rum  —  strigilis  —  ein  scrape  vel  roskam. 

De  domo  et  eius  partibus.  cenaculum  ein  moeshues  ofte  aueni 
etlienhucs  —  promptuarium  eyn  fpyfsekamer  —  horreum  cyn  schüne  — 
limen  eyn  sul  efte  dorpel  —  fenestra  ein  vinster  —  caminus  eyn  seht»- 
steen  —  pavimentum  eyn  deele  efte  astrack  —  estuarium  eyn  dorntze  — 
cloaca  eyn  hemelicheit  —  cloacarius  eyn  racker. 

De  ntensilibus  domus.  manu  tergerium  ein  hantdwele  —  mappa 
idem  —  crusibulus  eyn  kröfs  —  premappe  eyn  bylegge  of  vordtcele  — 
capisterium  ein  molde  —  pixis  en  busse  efte  schedel  —  cribnum  eyn 
fzetee  —  mantica  eyn  teaetsaeck  —  Scobs  mal  efte  ein  höuel  Unde 


113 

Bilia  scoba  leuat  scobs  seobis  aspera  tollit  —  pala  eyn  schiffet  —  olla 
eyn  grapen  —  lebes  eyn  degel  —  longale  ein  lengehake  am  wagen  — 
tedale  eyn  brantyser  —  craticula  eyn  klein  roster  —  cratis  eyn  roste  — 
flabellum  eyn  weygher  —  fuscina  eyn  krauwel  —  manubrium  eyn 
hecht  —  lamella  eyn  lemelen  efte  klinge  —  dica  eyn  kertiestock  —  do- 
liuin  eyn  küven  efte  vath  —  biota  eyn  stände  —  tristiga  eyn  volgher  — 
[Bl.  7]  fundibile  eyn  sclwpe  effe  seuppe  —  cupa  eyn  koepe  —  lagena 
eyn  lechslen  effte  vlesche  —  lectica  eyn  vmmeganck  effte  gardyn  —  lu- 
eerna  eyn  lucerne  efte  lucht. 

De  animalibns  quadrupedibus.  equa  eyn  perdemoder  —  spado 
eyn  geholt  pert  efte  rune  —  capra  eyn  geyte  efte  tzege  —  aries  eyn 
back  efte  ein  steer  —  hedus  ein  Koken  efte  ein  tzege  —  glis  eyn 
ratthe  —  cattus  ein  katte  —  murilegus  eyn  kather  —  catulus  eyn  wol- 
pcn  —  beltrina  eyn  yagebracke  —  culper  ein  bracke  —  melampus  eyn 
rekel  —  molosus  ideni  talpa  eyn  wintworp  edder  ein  mulworm  — 
dama  ein  hamster  off  das  —  porcella  en  geltken  —  aper  eyn  euer- 
stvyn  —  linx  eyn  lintworm. 

De  animalibu8  yolatilibus.  aquila  ein  arne  efte  addeler  —  he- 
rodius  ein  valke  efte  blaiv  voet  —  gripho  eyn  gryp  —  [Bl.  8]  strutio 
eyn  strufs  —  ciconia  eyn  adeber  effte  en  storck  —  ibis  idem  —  vultur 
eyn  gyre  —  gras  eyn  kroen  —  cignus  eyn  sivoen  —  gallina  eyn  henne 
pullus  ein  hoen  —  anser  eyn  gante  —  aneta  eyn  antvogel  —  colnmbus 
eyn  düverink  —  bubo  eyn  schüffoet  —  alanda  eyn  lewerck  —  passer 
eyn  lüninck  —  seger  eyn  tzyfzeken  —  carduellus  ein  stegelytzke  — 
cardnelis  ein  reetvincke  —  parix  eyn  niefze  —  corvus  eyn  rauen  — 
pica  eyn  heyster  —  pigardus  ein  trappegans  —  mergus  eyn  düker  — 
eristula  ein  radelwyge  —  pardix  ein  raphoen  —  ornix  ein  berchon  of 
f elthon  —  monedula  eyn  kauke  —  graculus  eyn  hcghw  —  turdula  eyn 
stare  effte  spreen  —  onocrotulus  (proprie)  ein  roer  domp  —  canapeus 
ein  yrfzke  efte  häne  prinke  (so!)  —  petriscus  nettelkonink. 

De  vermibus  volatibilibus  et  non  volatibilibus.  apes  eyn 
ymme  —  vespa  ein  wespe  off  hörnte  —  vesparium  ein  nest  der  hörn- 
ten —  brucus  ein  keuer  sprenkel  —  locusta  eyn  howsprinkel  —  scha- 
rabens  eyn  weuel  —  papilio  ein  bottervagel  —  cocodrillus  eyn  lint- 
worm —  formica  eyn  myr  of  empte  —  tinea  eyn  mutte  —  .sanguissuga 
eyn  egel  of  yle  —  eymex  eyn  wantlues  —  rana  eyn  pogghe  —  bufo 
eyn  padde  —  terma  ein  made  —  grillus  eyn  hermelken  —  [BL  9]  lens 
eyn  nyth. 

De  aquis  et  yariis  piseibus.  esox  eyn  las  efte  salm  —  sobius 
stint  —  foca  eyn  zeehunt  efte  lafs  —  saxatilis  eyn  steenbyter  —  rus- 
cupa  eyn  buckinck  —  spirlingus  eyn  spirlinck  —  rubecula  eyn  rodoghe 
truca  vel  tarta  ein  vorne  —  polttgrannin  dat  rögen  vth  dem  vissche  — 
squama  eyn  vlome  —  fluvius  eyn  vleeth  —  procella  eyn  balge  des  w.  — 
lacus  eyn  puel  of  graue  —  portus  eyn  öuer  —  phaselus  eyn  kaen  — 
remus  ein  roder  efte  reem  —  hamus  eyn  angel  ofte  eyn  haem. 

De  baliieo  et  ad  id  pertineiitibus.  fleubotonium  eyn  laetyszer 
ventosa  eyn  laetkop. 

Nlederdeattobet  Jmhrbuoh  XVI.  8 


114 

De  arboribus  et  fructibus  earumdem.  ramus  telghe  —  prinm 
eyn  krekenboem  —  persicus  eyn  persike  —  cottanus  eyn  quedenboem  — 
buxus  eyn  bufsbom  Vnde:  Nee  buxus  crescit  hoc  buxum  crescere 
nescit.  —  [Bl.  10]  juniperus  eyn  machandelenboem  —  cornus  eyn  trepken- 
borm  —  cornum  eyn  wepe  —  terebintus  ein  terpentinboem  effte  werek- 
boetn  —  populus:  Vnde  populus  est  arbor,  populus  collectio  gentis  — 
taxus  eyn  hulfsboem  —  fusarius  eyn  spyllenmaker  —  abies  eyn  danne  — 
pinus  eyn  kyn  efte  peebam  —  acinus  eyn  druff  kerne  effte  stenken. 

De  yariis  herbis  siluestribus  et  radieibus.  Ylua  schelp  of  lues  — 
beta  vel  bleta  bethe  —  apium  merke  herba  quedam  efte  epicJikrud  et 
hee  herba  prohibet  ebrietatem  —  jusquianus  byllensaet  —  anetum 
dille  —  anisum  anyfs  —  saluia  saluye  vnde:  cur  monitur  homo  cum 
saluia  crescit  in  orto  —  raphanus  redick  —  merica  heyde  Unde  versus: 
Nunc  volumus  bibere  qu.  chara  merica  mouet  se.  —  Cucurbita  körbis  — 
vaccineum  eyn  heydelbere  efte  bikbere  —  piretrum  bertram  —  verbena 
yfseren  hart  krut  —  absinthium  worniete  —  allium  knolock  —  serpillum 
beestloek  —  plantago  weghebre  blade  —  porculata  bärget. 

De  frumenti8  et  seminibus  frumentorum»  [Bl.  11]  zizania 
vnkruet  efte  radel  —  sinapis  sennepkemet  efte  mostart  —  carum  gar- 
denköme. 

De  apoteca  et  einsdem  speciebus.  mirtus  ein  galganboem  — 
tina  ringetkrud,  so  geheten  —  macia  corporum  ingeweide  —  tiriaca 
driakel  —  eiminum  peperkömen  —  hylla  eyn  methworst  effte  braetworst 
Vnde:  In  nogtra  villa  tigno  guspenditur  hylla.  —  pastanda  eyn  pasteydf 
—  euneus  eyn  wegge  Vnde:  Ut  ego  didici  euneus  confractio  ligni  Est 
euneus  panis  euneus  collectio  gentis.  —  semella  eyn  semel  —  nebnla 
vngesüret  dunnebroet  Vnde:  Nolo  tuas  nebelas  quas  tu  nebulo  nebulas. 
laganum  eyn  wygelbroet  —  lac  melick  —  vitellum  vel  -lufl  eyn  döder 
van  dem  eye  —  serum  waddeke  efte  Jwy  —  crema  säen  effte  roem  — 
balducta  waddeke  —  coagulum  rentzel  off  laff  —  omasum  kaldune  efte 
sulte  —  Vnde  versus:  Noscibur  ad  nasum  mulier  que  vendit  omasum. 
Omentum  sulte  efte  bücken  tallich  —  [Bl.  12]  offa  eyn  molye  efte  eyn 
soppe  —  ein  greue  Et  est  quod  remanet  in  patella  de  carnibus  frixis. 
-=-  ouarium  ein  eyerflade  —  villum  beese  wyn  Vnde:  Qui  mihi  dat 
villum  mala  passio  torqueat  illum  —  arista  ein  aer  das  koren  mnt 
wasset  —  escanea  ein  sdiode  of  pole  —  siliqua  seyge  —  fex  bermen 
effte  heffen  —  arundo  rooth. 

De  foro  et  eidem  adiacentibiis«  vicus  eyn  Jdene  strafe  efte 
gasse  —  theatrum  dantzhues  ofte  speelhues  —  macellum  eyn  vleschhues 
efte  schrangen  —  mediastinus  eyn  kaeck  —  cippus  eyn  vangenstock  — 
priueta  eyn  hemelicheyt  —  instita  eyn  kraem  effte  ein  windeldoek. 

De  nominttras  propriis  dinersorum  locorum  maforum  et 
earundem  plebibus.  Gallea  vel  Gallica  wallant  —  Italia  idem  — 
Gallicus  ein  wale  —  Italiens,  italus  idem  —  Almanicus  ein  düdesch 
man  Et  d'z  quasi  alitus  magno  videlicet  eibo.  —  Anglicus  ein  engelsck- 
man  —  Suecia  swedenlant  —   [BL  13]  renisare  in  drn  ryne  varen  — 


115 

Westualus  ein  westuelinck  —  Frisia  vel  frigia  vrieslant  —  Vngarus 
eyn  vngersman. 

De  nominibus  locorum  minernm.  spacium  ein  bleJc  veldes  — 
villa  eyn  stad  proprie,  vt  parisius.  Vnde:  Parisius  locus  egregius  mala 
gens  bona  villa.  Nam  duo  postilla  nummo  venduntur  in  illa.  —  mo- 
lucrum  eyn  mölenspeel. 

[Bl.  14]  De  Tiris  et  mulieribns  ipsosque  cernentibus.  stupa 
hede  —  fusnm  vel  fusa  eyn  spylle  —  festuca  scheue  —  adulla  eyn 
knotihe  effte  knoep  van  vlasse  —  colifolium  eyn  wockenblath  —  pepu- 
lum  eyn  windet  off  wimpel  —  pupa  einpuppe  Vnde:  pupas  fer  tecum 
gi  tu  vis  ludere  mecum.  —  trocus  eyn  küsel  —  basa  eyn  kote  —  glo- 
bus  eyn  bofselkloet 

De  nominibus  offlciorum  mechanicorum.  calopifex  eynpatine- 
maker  —  loricator  eyn  platensleger  effte  harnischmaker  —  funifex  eyn 
reper  —  sartor  eyn  Schröder  efle  snyder  —  sartrix  eyn  schrödersclie  — 
moniea  ein  schuf kare  —  naufreda  eyn  schyproeff  —  obstetrix  eyn  ba&e- 
möme  —  nutrix  eyn  amme  —  auceps  eyn  vinken  venger  —  histrio 
eyn  lodderboue  —  leccator  vel  mimus  idem. 

De  diuersis  intrumentis  mechanleorum  et  offtciorum.  tere- 
brarium  ein  groet  neuigiver  —  pala  eyn  schuffei  —  vomcr  eyn  ploch- 
yfser  —  creditor  ein  de  to  borge  deit 

De  nominibus  dignitatum  et  offtciorum  spiritualium.  offi- 
cium eyn  ambaeht  —  plebania  eyn  wedeme  —  vitricus  eyn  steefvader 

—  bagutta  eyn  bagyne  —  heremita  eyn  eenfsedeeler. 

De  nominibus  dignitatum  et  offlciorum  secularlum.  dux  eyn 
hertich  [Bl.  17]  exactor  eyn  beschälter  —  bedellus  eyn  bödel  efle  scarp- 
Hehler  —  exeoriator  eyn  viller  effte  racker. 

De  dinersls  nominibus  virtutum  et  offlciorum.  apostata  eyn 
aftreder  efle  vorloper  van  guden  werken  —  hereticus  eyn  ketter  —  augur 
eyn  wicker  efle  töverer  —  [Bl.  181  ipoerita  eyn  glyfsener  —  sensualitas 
synnicheyt  —  humilitas  othmodieneyt  —  faeundia  sprelicheit. 

De  eonsanguinitate  et  afflnltate.    consobrina  eyn  säster  dochter 

—  matertera  eyn  medder  —  amita  eyn  wefseke  —  vitricus  eyn  steff- 
vader  —  soera  ein  swegersche  mynes  wyues  moder  —  matruales  wefs- 
ken  kinder. 

De  etatibns  [Bl.  19]  De  partibns  diei  et  noctis,  spacium  tem- 
porum  vnderlaet  —  ver  de  niey  —  estas  de  sanier  —  mensis  maentit 
of  maent  de  harde  man,  de  hörninck,  mertemaen,  nieymacn,  de  brock- 
maen,  de  hoymaen,  de  aivstinaen,  de  heruestniaen,  de  wynmaen,  de 
winterniaen,  de  cristmaen.  —  humidus  vueht  —  sanguineus  ein  de  warm 
unde  vueht  is  —  colericus  ein  de  warm  vnde  dröghe  is  —  Flegmaticus 
eyn  de  kolt  vnde  nath  is  —  Melancolicus  eyn  de  kolt  vnde  dröge  is. 

De  quinque  sensibns  et  eorum  obiectis.  tactus  dat  völent  — 
sonorosus  ludbaer  —  echo  ein  wedderlut  —  pilosus  row. 

De  donis  super  natural  ibus  et  sacramentis.   sinodus  dat  ßenth. 


116 

De  quibusdam  pestibus  et  defectlbus  hominum.  febris  ilat 
holde  —  calor  hefte  —  catarrus  de  snöue  —  appoplexia  de  vollende 
sähe  —  podagra  de  padagel  of  ram  —  freneticus  dar  de  efte  afsinnieh 
—  agon  seeltoghen  vel  eyn  kamp. 

De  diuersis  nominibus  adjectivis  et  quibusdam  substantiriA. 
[Bl.  20]  discretus  tuchtich  —  amabilis  lefftallich  —  prodigus  sert 
mylde  —  bestialis  vnuornufftich  —  rapax  neemhaftich  —  venerabilis 
erlick. 

De  nominibus  adiectivis  qualitatem  impertantibus.  qualitas 
wodamcheit  —  tepidus  wlaek  eff'te  law  —  lubricus  slybberhafftich  — 
vancidus  garsterich  —  pendulus  kamich  —  misticus  geisttick  —  pro- 
teruus  moetwülich  effte  weddersettich  —  intrepidus  vnuoruerUck  — 
scurrilis  böuich  —  titubanB  stanterich  —  blesus  lispich  —  distemperatus 
vnuetdich  —  fessus  mcede  van  gJtande  —  lassus  möde  van  arbeyde  — 
[Bl.  21]  laxus  dorchgengich  efte  ontbunden. 

De  nominibus  adiectivis  quantitatem  importantibns.  quantitas 
groetheyt 

De  monetis  et  ponderibus.  pondus  eyn  börde  —  grossus  eyn 
grosse  —  stufferus  eyn  stäuer  —  solidus  eyn  schillinck  —  obulus  eyn 
scherff  —  quadrans  ein  hellinck  —  ferto  eyn  veerdinck. 

De  mineris  et  metallis.  es  ertz  effte  klockspyfse  —  ferrum 
yfser. 

De  munitionibus.  propugnaoulum  eyn  berghvrede  —  phalanga 
ein  slach  boem  —  indago  eyn  hagen  —  obex  eyn  grindel  effte  reghel. 

De  numeris  et  rerum  dimentione  ant  diuisione.  numeruö  par 
ein  eitental  —  sosse,  souen,  teynf  einen,  twelue,  drutteyne,  druttieh. 
achtentich  [Bl.  21  unten  und  22]  De  numero  suprasignato  per  litteras 
hos  considera  versus,  [etc.] 

Impressum  Lübeck  p.  Steffanü  arndes.    Anno  1511.  4°. 

(Im  Auszuge  nach  dem  Exemplar  auf  der  Kgl.  Bibliothek  in  Kopenhagen.) ") 
Segeberg.  H.  Jellinghaus. 


Bemerkungen  und  Besserungen  zum  Sündenfall. 

Auf  meine  Bemerkungen  zum  Sündenfall  Jahrb.  XIV,  148  ff.  hat 
Ed.  Damkühler  Jahrb.  XIV,  79  ff.  einen  Aufsatz  folgen  lassen,  in  dem 
er  teilweise  zu  Ergebnissen  gekommen  ist,  die  von  den  meinigen  aln 
weichen.  Nachdem  ich  inzwischen  das  Stück  wiederholt  eingehend 
gelesen,    konnte  ich   mich   den  Aufstellungen  D.  keineswegs    überall 

')  Die  Letter  8  des  Originals  ist  im  Abdruck  durch  ö  wiedergegeben,  ebenso 
u  durch  ü. 


117 

anschliessen,  und  habe  auch  noch  eine  Anzahl  von  Stellen  gefunden, 
die  der  Erklärung  oder  Verbesserung  bedürfen.  Wer  mit  solcher  Arbeit 
vertraut  ist,  wird  keinem  derer,  die  sich  bisher  mit  der  Kritik  und 
Erklärung  des  Sündenfalls  beschäftigt  haben,  daraus  einen  Vorwurf 
machen  und  wissen,  dass  man  dabei  nur  langsam  und  schrittweise 
zum  Ziele  kommt  Auch  ich  habe  mich,  nachdem  der  folgende  Auf- 
satz vor  dem  Drucke  Herrn  Dr.  Chr.  Walther  zur  Beurteilung  vor- 
gelegen hatte,  zu  einer  gründlichen  Durcharbeitung  desselben  veran- 
lasst gesehen.  Ich  spreche  demselben  für  seine  Mühe  hiermit  meinen 
besten  Dank  aus.  Wo  ich  seinen  Bemerkungen  etwas  wörtlich  ent- 
nommen habe,  habe  ich  dies  gewissenhaft  angegeben,  aber  auch  da, 
wo  ich  ihnen  nicht  unbedingt  beitreten  konnte,  bin  ich  durch  sie 
mehrfach  auf  das  richtige  geführt. 

V.  28  f.  sind  zu  interpungieren: 

Mynsche,  marke  rechte 
My  armen  knechte: 
Van  gode  wart  alle  quat  gewroken. 
Walther  bemerkt  mit  Recht,  dass  das  Komma  hinter  rechte  zu  streichen  ist.    Ich 
verweise  auf  R.  Vos  2489  merket  mi  ' höret  mir  zu'.    Ich  war  erst  geneigt  knechte 
für  Accus,  zu  halten,  wie  sich  solche  Formen  mit  angehängtem  unorganischem  e 
in  der  heutigen  Mundart  finden,  doch  schliesse  ich  mich  jetzt  der  Meinung  Walthers 
an,  dass  es  hier  wie  1418  Dativ  ist. 

47  gedxdd  hebten  kann  nicht  heissen:  sich  in  g.  fassen  (s.  d.  Wb.),«doch  ver- 
mag ich  eine  genügende  Erklärung  nicht  zu  geben. 

63  Da  2084  und  2112  meninge  (:koninge)  steht,  so  ist  vermutlich  auch  hier 
meninge :  eininge  zu  lesen,  so  dass  also  der  Strich  über  dem  i  ausgefallen  wäre. 

106  de  gescapen  sint  nach  orem  beide 

Eine  Änderung  des  hdsl.  vre,  des  gen.  plur.  des  pron.  pers.,  ist  unnötig. 

169  f.  Damköhler  bezweifelt  (Jahrb.  XV,  79)  meine  Erklärung  dieser  Stelle  im 
Jahrb.  XIV,  168,  weil  dann  die  V.  165—170  nichts  anderes  besagen  würden  als  die 
V.  171—175.  Dies  kann  aber  nicht  auffallen,  da  hier  zwei  Bibelstellen  ähnlichen 
Inhalts  deutsch  glossiert  werden.  Durch  V.  165—171  Jes.  11,  2:  Et  requiescet  super 
cum  Spiritus  Domini:  Spiritus  sapientiae  et  inteUcctus,  Spiritus  consilii  et  fortidu- 
dinis,  spiritus  scientiae  et  pietatis.  Es  ist  demnach  hinter  V.  171  ein  Punkt  zu 
setzen.  Die  V.  172—175  erklären  dagegen  die  an  die  Spitze  gesetzte  Stelle  des 
Colosserbriefes  U,  3  in  quo  sunt  omnes.  thesauri  sapientiae  et  scientiae  absconditi.1) 
Doch  wird  dem  Verse  mit  leichterer  Änderung  aufzuhelfen  und  zu  schreiben  sein: 

Alle  dinge  teil  ek  wol  ervaren  (:  sparen) 
ervaren  'investigare,  explorare'  belegt  das  Mnd.  Wb.  I,  733  aus  dem  Voc.  Engeln. 
188  f.  interpungiere  ich: 

Ok  unbeariplik  sint  dine  wort, 

de  van  dy,  herc,  werden  gehört: 

Sunder  dat  wy  hebben  an  dinen  gnaden 

Möge  wy  ut  dynen  worden  entrollen. 
„Deine  Worte  sind  unbegreiflich.  Nur  das  was  wir  in  deiner  Gnade  haben  (was 
du  uns  durch  deine  Gnade  enthüllst),  können  wir  aus  deinen  Worten  enträtseln". 
sunder  ist  Adverb.  Die  Präposition  an  steht  nach  mnd.  Gebrauche,  wo  wir  in  er- 
warten (s.  Mnd.  Wb.  I,  77).  Nach  dat  ist  das  Relativpronomen  nach  bekanntem, 
besonders  im  Englischen  ausgebildetem  Gebrauche  ausgelassen. 


')  Die  Citate  weichen  hier,  wie  auch  sonst  im  Gedichte  (vgl.  z.  B.  reconditi 
statt  absconditi),  von  dem  jetzt  gebräuchlichen  Texte  der  Vulgata  ab. 


118 

194.  Doch  here,  wes  du  hire  under  rindest, 

Weit  ik,  du  kunstichliken  bewindest. 
Statt  hexe  hat  die  Hs.  lere,  was  offenbar  verderbt  ist.    Doch  hat  Schöneinann  mit 
seiner  Änderung  nicht  das  richtige  getroffen.    Ich  lese: 

Doch  fere  wes  du  hire  undervindest, 
Wtit  ik  du  kunstichliken  bewindest. 
Es  ist  vorher  die  Hoffnung  ausgesprochen,  dass  Gott  an  den  Engeln  noch  keinen 
feil  entdeckt  hat.  Dann  heisst  es  weiter:  „Doch  ich  weiss  ia,  was  da  etwa  krank- 
haftes hier  entdeckst,  dass  du  das  künstlich  [wie  ein  geschickter  Arzt  mit  einem 
Verbände]  umwindest  (und  somit  auch  das  anstössige  verhüllst)."  ser.  sere  n.  'eine 
Verletzung  am  Körper,  kleine  Wunde,  offene  Stelle  ist  noch  im  Göttingen-Gruben- 
hagenschen  gebräuchlich,  s.  Schambach  S.  190. 

204.  Och  wan  se  it  alle  recht  vorstoiden, 

Wu  lefliken  wy  se  broiden! 
Damköhler  bemerkt  mit  Recht,  dass  broiden  richtig  überliefert  ist  Wenn  er  aber 
broiden  durch  'brüten'  erklärt,  so  kann  ich  ihm  darin  nicht  beistimmen,  solange  er 
keine  Stelle  nachweist,  in  welcher  diese  übertragene  Bedeutung  sich  findet.  Da 
neben  brudeaam  auch  die  Nebenform  broideghen  sich  findet,  so  vermute  ich  auch 
hier  in  broiden  eine  dialektische  Nebenform  von  bruden  'brauten',  lieber  brauten 
'minnen'  s.  D.  Wb.  II,  333.  Auch  lefliken  passt  sehr  wohl  zu  broiden  in  dieser 
Bedeutung,  vgl.  Exod.  Diemer,  1 28,  2  mit  lieplicher  minne. 

258.  Die  Besserung  Jahrb.  XIV,  148  ist,  wie  mir  Herr  Dr.  Walther  nachweist, 
schon  von  Woeste  in  Ztschr.  f.  D.  Phil.  6,  84  vorweg  genommen. 
259  lese  ich:  Wol  deme,  de  sik  dar  to  bogede, 

Dat  he  mit  uns  wolde  rauwen: 
De  mochte  dine  weldicheit  schauwen. 
De  statt  Do  ist  eine  Vermutung  Walthers. 

578  lese  ich:      Quat  sin  sunde  unde  sunde  vorgode  nicht. 
Ich  halte  sunde  nach  unde  für  Dittographie  und  lese: 

Quat  sin  sunde  unde  vorgodm  nicht 
vorgoden  ist  im  Mnd.  Wb.  zwar  nur  als  trans.  belegt,  doch  vergl.  vorsnoden,  das 
sowohl  'schnöde  werden1  als  'schnöde  machen1  bedeutet 
284.  Su8  is  de  vrige  willekor  ein  angest, 

De  de  mennigen  werken  aller  bangest 

Statt  werken  ist  werket  zu  lesen.  „So  ist  die  freie  Willkür  eine  Angst,  die  da 
manchen  sehr  bange  macht." 

Nach  296  setze  ich  einen  Punkt  statt  des  Kommas  und  lese  dann: 
Deme  Jielpen  use  krefte  to  redeliken  sinnen, 
Dat  he  na  sinem  wiüekore 
Alle  tit  dat  beste  kese  vore. 
Statt  kese  hat  die  Hs.  kere,  was  aber  nicht  in  den  Zusammenhang  passt     kesm 
1  prüfend  betrachten';  vore  l vorher  (vor  der  Wahl) \    Vgl.  sachlich  387:  MaUc  aa  in 
sxnem  vrigen  tnoet  Unde  prove  over  quat  unde  got,  Wat  in  einen  juwelken  (Worte) 
vorborgen  si. 

306.  Na  deme  allen  creaturen  dut  ein  bat  is. 

ein  vor  bat  ist  von  Schönemann  eingesetzt  nach  V.  335;  allein  das  Subst  ist  hier 
wie  689,  817,  3087  u.  ö.  stets  bäte  geschrieben,  wir  haben  also  hier  das  Adv.  [nhd. 
bafs\  und  ein  ist  zu  streichen. 

849  lese  ich :  Dar  inne  wart  din  lof  vorvult 

Dat  de  leven  hilgen  dek  eren 
Unde  sik  na  guaem  willen  regeren. 
Statt  Dat  hat  die  Hs.  Dar,  statt  dek  den,  wofilr  Schönemann  ddn  setzt    Der  Fehler 
erklärt  sich  wohl  dadurch,  dass  dem  Schreiber  die  Form  dek,  welche  in  der  vermut- 
lichen Heimat  des  Dichters  noch  jetzt  die  herrschende  ist  (s.  Schambach  unter  du), 
nicht  geläufig  war.    dar  und  dat  werden  oft  verwechselt 


119 

353  f.  Laudamus  te,  benedicimus  te, 

De  deit  den  unsannigen  we. 
Diese  Verse  sind  in  der  Hs.  dem  Creator  zugeteilt,  während  sie  unzweifelhaft  die 
Anfangsstrofen  des  Dankliedes  bilden,  welches  der  Engelchor  singt.   Die  Rede  des 
Creators  beginnt  erst  V.  355.    unsinnigen  ist  bis  jetzt  unerklärt  geblieben;  es  ist 
wohl  aus  unsinnigen  entstellt. 

359  lese  ich:  Des  meine  ik,  de  ensi  hir  mede, 

De  sinen  munt  nu  uppen  dede 
Dusses  dankes  my  to  oerovende 
Der  j ernten  de  my  plegen  to  lovende 
„Ich  glaube,  dass  niemand  hier  am  Platze  ist,  der  seinen  Mund  aufthun  würde, 
mich  dieses  Dankes  derjenigen,  die  mein  Lob  verkünden,  zu  berauben. u    uppen 
ist  Verbum. 

375  äugest  de  gelerde  ist  =  sunte  augustinus  279. 
389  Die  Hs.  hat: 

Wat  in  einen  iuwelken  w>rborgen  si 

Es  ist  kein  Grund  mit  Seh  in  vorborgen  zu  ändern;  vgl.  Wat  behuddes  406. 

464.  Werne  wat  si  umme  ere,  umtne  stat 

„Wem  etwas  an  Ehre  und  hoher  Stellung  gelegen  ist."  vat  statt  wat  ist  nur 
Druckfehler. 

502  lese  ich:  Minen  stol  wil  ek  my  nemen; 

Bi  gode  Sitten  dat  mach  my  temen. 
„Ich  will  meinen  Thron  einnehmen,  denn  es  geziemt  mir  neben  Gott  zu  sitzen." 
562.  Se  henget,  ut,  dat  se  möge  vinnen 

Der  kieinen  vlegen  unde  wormelin, 
Ein  nette, 
vinnen  ist  nicht  etwa  dialektische  Form  für  vinden,  sondern  in  winnen  zu  ändern. 

631.  Wy  mögen  gode  nummer  mer  to  bet; 

Ich  lese:  Wy  mögen  to  gode  nummer  mer  bet; 

„Wir  vermögen  nimmermehr  zu  Gott  zu  kommen." 
650  lies:  vor  gode  oder  nemende. 

654.  Zu  Jahrb.  XIV,  148,  bemerke  ich,  dass  mul  auf  Lucifer  geht,  der  als  gif- 
tige Schlange  bezeichnet  wird;  vgl.  die  Glosse  im  Mnd.  Wb.  3,  132:  slange,  mul, 
bazeliscus.    Es  ist  demnach  zu  lesen: 

Dat  wy  alsodenen  vorgiftigen  mul 
Toleten  unde  staden. 
691  ff.  ist  durch  eine  blosse  Änderung  der  Interpunktion  nicht  geholfen.    Es 
ist  zu  lesen:  Heddet  juwe  gude  wille  nicht  gewest, 

Gy  enhedden  mit  my  dat  erlike  nest 
Vorscheten,  dar  wy  sint  inne  west 
Unde  tor  aventur  nummer  mer  inne  komen. 
Dar  umme  mote  wy  scaden  unde  vromen 
To  hope  stan  an  einem  hope. 
Das  Part,  verscheten  'verloren'  ist  noch  in  der  Mundart  erhalten,  vergl.  Schambach 
8.  276,  der  den  Satz  anführt:  Wen  Sei  ösch  nich  helpet,  sau  sin  we  verscheten.  stan 
ist  trans.  'Gefahr  stehn,  riskieren,  die  (guten  oder  bösen)  Folgen  ertragen',  vergl, 
Mnd.  Wb.  4,  360.    Zur  Formel  scade  unde  vromen  vgl.  1750  Dat  is  min  vrome  unde 
niht  min  schade.    Es  ist  zu  übersetzen:  „Wenn  es  euer  freier  Wille  nicht  gewesen 
wäre,  so  hättet  ihr  mit  mir  den  herrlichen  Aufenthaltsort  nicht  verloren,  in  dem 
wir  gewesen  sind  und  wohin  wir  niemals  wieder  kommen.    Darum  müssen  wir 
Gutes  und  Übeles  zusammen,  an  einer  Schar  befindlich  ertragen." 

708.  Lucifero  kan  en  weinich  nicht  scaden. 

lies:  Lucifer  kan  en  weinich  nicht  saden.  „L.  kann  ein  wenig  nicht  sättigen,  be- 
friedigen." Dem  herrschgierigen  L.  genügte  es  nicht  der  schönste  und  vornehmste 
Engel  zu  sein,  er  strebte  nach  gleicher  Herrschaft  mit  Gott,  vgl.  V.  502  ff. 


120 

713  lese  und  interpungiere  ich 

Kumpan,  wy  willen  wedder  roven 
Gode,  wur  wy  kunnen  unde  mögen. 
Stempen  logen  unde  droaen 
dem  scalwc  uns  hir  nu  oet  geloven. 
Wen  den  jennen.  de  de  uns  vorscoven, 
Or  kunst  en  scal  on  hir  nicht  dien: 
.  Wy  wilt  on  in  deme  wege  lien. 
scalwc  'sollen  wir'.    Über  we  abgeschw..  aus  wi  s,  Schambach  S.  289.    „Dem  sollen 
wir  uns  hier  nun  noch  mehr  widmen."  Über  das  Reflex,  sik  lovcn  s.  Mnd.  W.  II,  737. 

727  lese  ich:  Isset  nu  het,  it  mach  wol  kolden. 

Vgl.  das  Sprichwort:  „Es  wird  nichts  so  heiss  gegessen  als  es  gekocht  wird." 
729  ist  zu  interpungieren : 

Bekümmert  iuk  nicht  alto  serel 
Ik  bin  it  io  Lucifer  iuwe  here. 
Über  ez  vor  dem  Prädikat  im  Mhd.  vgl.  Lachmann  zu  Iwcin  2611.   Die  Bemerkung 
gut  auch  für  das  Mnd. 

748  Wente  to  vorne  iuk  gonde, 

Dat  ein  iuwelk  mochte  unde  konde 
Na  sinem  vrigen  wiUcore 
Dat  gude  edder  erge  kernen  vore. 
kernen  (Hs.  kerne)  wird  im  Mnd.  Wb.  mit  Verweisung  auf  Grimms  Wb.  als  Neben- 
flir  kiesen,  küren  erklärt,  was  Walther  flir  eine  sprachliche  Unmöglichkeit  erklärt 
Das  Wort  ist  unzweifelhaft  entstellt;  ich  vermute  kesen  'prüfend  betrachten ',   Wal- 
ther koren, 

808  interpungiere  ich: 

Sin  name  scal  heten  adam. 
De  sin  gelik  nu  mer  up  erden  quam. 
Damköhler  schreibt:  Dem  sin  gelik,  es  ist  aber  an  der  Richtigkeit  der  hdsl.  Über- 
lieferung nicht  zu  zweifeln. 

824  lese  ich:  Icht  dat  flesk  en  soden  wolde 

Dar  de  sele  wat  anne  scolde 
„Wenn  das  Fleisch  so  etwas  wollte,  daran  die  Seele  etwas  verschuldete."     anne 
statt  ane  ist  im  Mnd.  Wb.  durch  Lüb.  Chron.  1,  464  belegt.    Damköhler  liest  anden 
1  schmerzen  \    Diese  Bedeutung  hat  aber  das  Wort  im  Mnd.  nicht 
S44  lese  ich:  Wat  du,  leve  here,  my  wult 

Don,  wet  ik,  dat  ok  noch  scult. 
Statt  my  hat  die  Hs.  myt,  wofllr  Schönemann  mit  my  setzt. 
885  Ek  wil  dy  aller  vruchtc  macht  geven 

De  de  sint  in  äussern  paradise; 
Aver  allem  von  äussern  rise 
ScaUu  nicht  breken  edder  eten; 
Deistu  dat,  so  scaltu  wetten: 
In  welker  stunde  du  dat  bedervest, 
Des  ewigen  dodes  du  denne  stervest 
Damköhler  nimmt  bederven  in  der  Bedeutung  'zu  Grunde  richten,  verletzen"   und 
bezieht  es  auf  den  Bruch  des  göttlichen  Gebots.    Es  bezieht  aber  auf  das  Essen 
der  Frucht,  entsprechend  Genes.  II,  16,  17  Praeccpitque  ei  dicens:  Ex  omni  ligno 
paradisi  corneae:  de  ligno  autein  sdentiae  boni  et  mali  ne  comedas:  in  quocumque 
enim  die  comederis  ex  eo,  morte  morieris.     bederben  'gebrauchen,  benutzen'    im 
Passional  her.  von  Köpke,  528,  6  nach  minem  tode  nimm  an  dich  disen  roc  alsam 
ein  erbe,  habe  in  dir  und  bederbe,  swie  dir  behage  wol    Weitere  Stellen  im  Wb. 
892  ist  zu  interpungieren: 

Des  dodes  mach  dy  nemant  wandelen 
Wen  te  dik  erst  begunde  to  handelen. 
„Von  dem  (ewigen)  Tode  kann  dich  niemand  befreien  als  dein  Schöpfer." 


121 

903  interpangiere  ich: 

Ein  ribbe  ut  diner  siden 
Breken  dat  machstu  scauwen. 
„Das  Brechen  einer  Rippe  aus  deiner  Seite  das  magst  du  sehen." 

984  lese  ich:  Wente  he  heft  en  ok  hir  umtne  vorboden: 

Ete  gy  hir  van,  so  werde  gy  gelik  den  goden. 
Statt  ok  hat  die  Hs.  on.    Damköhler  vermutet,  dass  en  entweder  zu  streichen  oder 
durch  tu  zu  ersetzen  ist.    Die  leichtere  Änderung  empfiehlt  sich  schon  deshalb, 
weil  ein  neuer  Grund  angeführt  wird,  weshalb  Gott  den  Menschen  verboten  hat 
vom  Baume  der  Erkenntnis  zu  essen. 

990.  Ach,  dusse  appel  is  so  sote! 

Adam,  dat  is  aÜo  hote. 
Hir  umme  su  nüm  unde  smecke, 
Uppe  dat  du  nicht  menest,  dat  ik  dy  gecke. 
Dass  die  Stelle  verderbt  überliefert  ist,  hat  Damköhler  Jahrbuch  XV,  S.  81   richtig 
bemerKt.    Er  vermutet:  dat  is  alse  hotte  „Das  ist  (schmeckt)  wie  (süsse)  Milch.u 
Diese  Änderung  empfiehlt  sich  aber  schon  deshalb  nicht,  weil  dadurch  der  reine 
Reim  zerstört  wird.    Dass  von  der  Süsse  des  Apfels  die  Re<}e  ist,  hat  Damköhler 
richtig  gesehen,  und  dieser  Sinn  ist  denn  auch  mit  leichter  Änderung  herzustellen, 
wenn  wir  schreiben: 

Adam,  dat  is  al£o  note 
„Adam,  das  ist  so  (süss)  wie  Nuss."    Der  Vergleich:  so  süss  wie  Nuss  (ohne  Ar- 
tikel ist  noch  gebräuchlich.    Schambach  verzeichnet  S.  146:  sau  soite  as  ne  not 
note  ist  also  Singular;  doch  findet  sich  auch  der  Plural  ohne  Umlaut,  allerdings  nur 
in  der  Bedeutimg  Becher  in  Nussform  Mnd.  Wb.  VI,  225. 

1118.  Nicht  mer  wan  arme  minschen  twene. 

Die  Hs.  hat  richtig  überliefert.  Nicht  mer  armen  minschen  twene.  mer  ist  =  men, 
wie  Walther  bemerkt,  armen  minschen  halte  ich  für  Gen.  Plur.  abhängig  von  twene. 

1146.  So  heddet  mögen  lichte  nicht  gescein 

Die  IIs.  hat  heddes  mach.  Walther  erklärt  die  hdsl.  Lesart  Überzeugend  richtig: 
„heddes;  das  es  ist  Genet.,  abhängig  von  nicht.  Machlichte  ist  das  bekannte  Syno- 
nym von  vittichte." 

1171.  Wy  hauwen  hen  in  godes  namen. 

Damköhler  will  hen  hauwen  hier  durch  '  anfangen '  übersetzen.  Nun  sagt  man  zwar 
auch  nhd.:  „Haue  mal  hin!"  d.  h.  ursprünglich:  'Führe  den  ersten  Hiob  mit  der 
Axt';  aber  schon  aus  der  Grundbedeutung  ergiebt  sich,  dass  dieser  Ausdruck  hier 
nicht  in  den  Zusammenhang  passt.  Auch  ich  halte  jetzt  die  Überlieferung  für 
richtig,  glaube  aber  auch  jetzt  noch,  dass  Adam  Eva  auffordert  in  Gottes  Namen 
des  Weges  zu  ziehen,  hinhauen  'hingehen'  findet  sich  bei  H.  Sachs,  Band  III,  1, 
2S8  a,  wo  der  Wirt  verdrttsslich  zu  den  armen  Wandrern  spricht :  „Haut  hin,  sprecht 
ihr  seid  hier  gewesen"  u.  ö.    Vgl.  auch  Schmeller,  Bayer.  Wb. a  I,  1024, 

1214.  Warte,  abel,  dat  ik  hir  erst  upkloppe. 

Wente  dusse  garve  is  my  vorwar 
So  ver  to  dregende  alto  swar. 
Zunächst  ist  statt  Warte  das  hdsl.  Wachte  als  der  Mundart  entsprechende  Form 
wiedereinzusetzen,  upkloppen  ist  zu  allgemein  und  nicht  deutlich.  Ich  glaube  da- 
her, dass  udkloppen  zu  setzen  ist,  noch  jetzt  tm  Gött'-Grubenhagenschen  der  ge- 
wöhnliche Ausdruck  für  „ausdreschen".  Der  Ausdruck  wird  auch  ohne  ein  zu- 
gefügtes Objekt  (ebenso  wie  meien,  daschen)  gebraucht,  ud  statt  ut  ist  auch  in 
den  Göttinger  Urkunden  die  gewöhnliche  Schreibung.  Sachlich  vgl.  Anegenge  ed. 
Hahn  19,  83:  Abel  was  ein  auot  man.  Uz  allem  stnem  vihe  er  nam  Daz  aller  beste 
lamp  Daz  er  Inder  dar  unaer  vant.  Jener  (Cain)  wirser  geddhte  Der  da  elter  was: 
Sine  garbe  er  überdrasch. 

1258.  Uppe  dy  wart  ik  so  ser  verblint. 

verblinden  bedeutet  erstens  blind  machen,  zweitens  blind  werden.  Hier  heisst  es: 
(vom  Zorne)  blind  gemacht. 


122 

1286  ändert  Schönemann  annötig  die  Wortstellung.  Es  ist  mit  der  Hds.  zu 
lesen :  Dar  sik  de  werlde  äff  möge  neren. 

1306.  Die  Hs.  hat  draffstu  statt  darfstu,  und  diese  der  Mundart  entsprechende 
Form  kann  wohl  dem  Dichter  gehören. 

1323  lies  mit  der  Hs.  Unde  byn  statt  Unde  ik  byn.  Die  Auslassung  des  per- 
sönlichen Pronomens  ist  hier  nicht  auffällig. 

1324.  Wol  dat  ik  my  van  older  nu  roste, 

So  lende  ik  jo  gerne,  wen  ik  moste. 
Die  Form  lende,  wofür  er  im  Druckfehlerverzeichnis  lende  schreibt,  scheint  Schöne- 
mann nicht  verstanden  zu  haben.  Auch  im  Mnd.  Wb.  II,  63H  und  III,  535  ist  die 
Stelle  nicht  richtig  erklärt.  Adam  kann  dem  Zusammenhange  nach  nur  den  Wunsch 
aussprechen,  auch  trotz  der  Beschwerden  des  Alters  noch  länger  zu  leben.  Ich 
schreibe  deshalb:     Wol  dat  ik  van  older  nu  roste, 

So  lende  (=  levede)  ik  jo  gerne,  wen  ik  moste. 
„Obgleich  ich  vor  Alter  nun  rostig  werde,1)  so  lebte  ich  doch  noch  gerne,  wenn 
ich  dürfte."    Möglich,  dass  auch  my  zu  behalten  ist,  da  im  Nd.  die  Reflexiva  über- 
haupt häufiger  sind  als  im  Hd. 

1328  lies  uppe  (Hs.  upper)  rechte  v.  m. 

1354.  Die  Hs.  hat  dy  d.  i  dy  (dyn)  moder. 

1373  ff.  ist  zu  interpungieren : 

He  biddet,  dat  gy  om  willen  don,  wetten, 
In  rechter  waren  sekericheit 
Van  deme  olie  der  barmherticheit. 
don  ist  ' geben,  reichen*;  wetten  ist  2.  Pers.  Plur.  des  Imperativs  «=  'wisset!*  (vgl. 
Lübben,  Mittelniederd.  Gramm.  S.  90). 

1450  lies  hadde  statt  hande. 

1497.  Damköhler  schreibt  nichte  v.  statt  nicht  en  v.  Walther  bemerkt  mit 
Recht,  dass  nichte  Instrumentalis  ist  „mit  richten". 

1526  lese  ich:  De  sine  gavd  aevdt  tware 

So  mennxch  utespret 
utespret  ist  nicht,  wie  von  Schönemann  und  im  Mnd.  Wb.  angenommen  wird,  Verb- 
form, sondern  Substant,  synonym  mit  utsprutinge,  germen. 

1550.  Dat  derde  het  tigris,  als  ik  vorsta, 

Unde  lopt  in  lant  van  asia. 
Damköhler  fügt  dat  vor  lant  ein.    Der  Ausfall  des  Artikels  ist  aber  nicht  wahr- 
scheinlich; ich  schreibe:  Unde  lopt  en  lant  van  asia  und  fasse  lopen  'durchlaufen1, 
wie  mhd.  loufen  (g.  Lexer).    über  den  Accusativ  bei  Verben  der  Bewegung  im 
Mhd.  s.  Haupt  z.  Erec  >  V.  3106. 

1578.  klute  'Sack'.  Das  Wort  ist  noch  im  Gött.-Grubenh.  so  gebräuchlich, 
Schambach  verzeichnet  nur  den  Plural.  Woeste,  Ztschr.  f.  D.  Phil.  6,  84  erklärt  es 
4  Lappen \ 

1606  lese  ich:  Den  (licham)  geve  ek  nu  up  vor  mine  schult: 
De  mot  nu  varen  (Hs.  waren)  wor  du  wult. 
Vgl.  in  die  Grube  fahren  =  sterben;  varen  to  (godes)  gnaden,  Sachsensp.  II,  66,  2 
und  weitere  Stellen  im  Mnd.  Wb.  V,  203. 

1627.  Nu  en  wet  ik  leider  neinen  trost 

Wu  wy  möge  wegen  werden  verlost 
Damköhler  streicht  wegen.    Ich  vermute  Entstellung  aus  weder,  wieder;  vgl.  2743 
In  watte  made  unde  geverde  de  mynsche  wedder  vortoset  werde.    Den  Schreiber  be- 
irrte   vielleicht  die  ungewöhnlichere  Schreibung  mit  einem  d. 

>)  Vgl.  die  alte  Devise:  Hast  ich,  so  rost*  ich!  und  Spenser,  The  Shepherds' 
Galendar,  Tebruarv  V.  54  f.  I  deem  thy  brain  emperished  be  Through  resty  dd 
that  hath  rotted  thee. 


123 

1037  interpungiere  ich  jetzt: 

Up  dat  ik  den  leven  vader  din 
Ilelpe  dragen  sine  bitteren  pin: 
Dat  %8  iammerlik  af gescheit 
Des  sihtes  der  folgen  drefoUicheit. 
Das  Subst.  af gescheit  'Absonderung,  Trennung'  fehlt  im  Mnd.  Wb. 
1665.  Ik  bidde,  dat  gy  nicht  to  endecken, 

Ik  en  mote  mtnen  vader  sidven  strecken 
Ich  halte  Jahrb.  XIV,  1 49  geschrieben :  Ik  biddet  dat  gy  nicht  to  en  decken.  Dam- 
köhler tadelt  dies  nnd  meint,  dass  en  aus  V.  1066  in  V.  1665  gesetzt  werden  muss. 
Die  Richtigkeit  meiner  Besserung  beweist  V.  1675  Decket  on  to\  vgl.  auch  V.  H>8» 
dat  graf  is  ningest  togcdecket.  Gemeint  ist  das  Bedecken  des  Leichnams  mit  Erde. 
Die  Interpunktion  ist  richtig;  zur  Construktion  vergl.  Gott.  Urk.  I.  Nr.  176,  8  ff.: 
de  beckermestere  hebten  ghewiüekoret,  dat  sc  in  oyrme  brodhus  nicht  schallen  oyr 
brod  vortmer  setten  up  de  benke,  se  negheven  wen  höhten  vordingk  tovorn ....  und 
ebd.  168,  24  dat  we  unde  use  erven  van  desses  vorben.  dorpes  weghen  mit  dessen 
vorben.  vorsten  nenerhande  wederkop  öder  losinge  anghan  enschuüet  noch  enteiltet, 
desse  vorben.  30  M  enteerden  en  weder  bered  ane  hinder  unde  wedersprake.  Ich 
übersetze:  „Ich  bitte,  dass  ihr  ihn  nicht  begrabt,  ohne  dass  ich  meinen  Vater  vor- 
her selbst  strecke  (ihm  die  im  Todeskampfe  gestreckten  Glieder  wieder  gerade 
strecke)."  Walther,  der  sonst  meiner  Meinung  zustimmt,  bemerkt,  dass  man  trotz 
1675  todecken  ohne  Objekt  sich  denken  könnte. 
1780  lese  und  interpungiere  ich: 

Du  lest  uns  up  dem  water  sweven 
Unde  unse  lifso  leiflik  vristest, 
Och  leve  got,  wan  du  mooI  wistest, 
Dat  dut  grote  water  scholde 
Hir  nedder  komen  also  beide, 
boven  dattu  bist  also  bereit 
Unde  bewiset  uns  dine  barmherticheit. 
wan  fasse  ich  =  weil;  Walther  will  lieber  want  (wät)  lesen.    Auch  unse  statt  uns 
ist  Conjektur  Walthers,  doch  könnte  das  Pron.  poss.  auch  schon  wie  in  den  jetzigen 
Mundarten  (vergl.  uns  Fader)  das  e  eingebüsst  haben.    Boven  (von  D.  unnütz  in 
Boben  geändert)  wird  von  Walther  richtig  durch:  l gegen,  wider'  erklärt.     Statt 
bewiset  1787  schreibt  Seh.,  durch  den  nhd.  Sprachgebrauch  verleitet,  bewisest    Die 
hdsl.  Lesart  ist  aber  ganz  richtig:  barmherticheit  ist  Subjekt  und  bewisen  ist 'unter- 
weisen, belehren'. 

1791.  wer  'ob',  ebenso  1803,  in  der  heutigen  Mundart  wizr  gesprochen. 
Nach  1807  ist  Punkt  statt  des  Kommas  zu  setzen. 
1607 ff.  lese  und  inierpungiere  ich: 

Dusse  duve  kumpt  wedder  altohant. 
Bi  dem  so  wert  mi  dat  bekant, 
Dat  se  nergen  konde  resten 
In  bergen,  dalen,  bomen  edder  nesten. 
Bi  deme  =  dadurch.    Statt  bergen  hat  die  Hs.  bargen,  dass  aber  diese  Form  nicht 
dem  Dichter  gehört,  beweist  der  Reim  bergen :  nergen  1804. 

1824  lies:       Ach  god,  wol  uns  der  (Hs.  unser)  leven  stunde. 
Vgl.  W.  v.  d.  Vogelweide  Wol  mich  der  stunde  deich  si  erkande. 
1635  ff.  interpungiere  ich: 

Ga  nu  wedder  altohant, 
Dat  beide  ek  dy,  hir  an  dat  lant, 
Du,  din  husfrauwe  unde  dine  sone 
Unde  dar  to  or  husfrauwen  schone, 
Dine  have,  vogel,  degerde  unde  alle  quek, 
Dat  in  der  arken  was  mit  dek, 
Unde  attent,  dat  levent  hat 
In  der  arken,  dar  se  stat. 


124 

have  bezeichnet  besonders  die  Haustiere,  auch  1978  ist  es  in  dieser  Bedeutung 
zu  fassen. 

1860  lies  construgeren  :  öftereren. 
1905.  Unde  höre,  wat  ik  wille  dik 

Vgl.  Flos  278  wat  wyüe  gy  my  'was  wollt  ihr  von  mir?'  Es  ist  mir  zweifelhaft,  ob 
ein  Vers  ausgefallen  ist,  da  reimlose  Zeilen  im  Stücke  mehrfach  begegnen,  ohne 
dass  der  Znsammenhang  eine  Ergänzung  verlangt. 

1944.  Leve  sone,  wy  wilt  uns  kloiken. 

Bequeme  holt  soiken 
Unde  gode  dar  neist  sin  opper  geven 
Zunächst  könnte  man  unde  vor  bequeme  ergänzen,  doch  ist  für  das  1 5.  Jahrhundert 
die  Bindung  eines  vierhebigen  mit  einem  äreihebigen  Verse  mit  klingendem  Aus- 
gange nicht  ausgeschlossen. 

1946.  Die  Hs.  hat:  Unde  gar  dar  neist  sin  opper  geven. 
Ich  schreibe:  Unde  gan  dar  neist  sunopper  geven.  Es  ist  zu  übersetzen:  „Lieber 
Sohn,  wir  wollen  uns  beeilen,  passendes  Holz  suchen  und  gehen,  da  in  der  Nahe 
ein  Sühnopfer  zu.,  bringen."  sunopper  ist  zwar  im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt,  doch 
vergl.  sunebref.  Über  kloiken  von  Seh.  hier  und  8253  falsch  durch  „sich  klug  be- 
nehmen" übersetzt,  vgl.  Mnd.  Wb.  u.  d.  W. 

1987.  Eh  wil  ute  äussern  dale 

Mine  schap  driven  aUomale 
Upwor  hen  in  de  hoge. 
upwor  erklären  Seh.  und  das  Mnd.  Wb.  =  upwort,  upvoert  'aufwärts' ^  Es  ist  aber 
zu  lesen:  Up  worhen  in  de  hoge.     Up  =  aufwärts;  worhen  'irgendwohin'  (wofür  im 
Mnd.  sonst  wor  gesagt  wird)  wird  durch  die  heutige  Mundart  gesichert,  in  welcher 
es  wören  lautet,  s.  Schambach  S.  304. 
2042  interpungiere  ich: 

Dar  umme  so  schaUu  wesen  wiüich 
Bloiten  dine  vote  unde  tein  ut  dine  scho. 
Die  Infinitive  sind  von  schaUu  wesen  wülich  abhängig.  „Du  sollst  willig  sein  deine 
Füsse  zu  entblössen  und  deine  Schuhe  auszuziehen." 

2126  setze  ich  einen  Punkt  statt  des  Kommas  und  lese  dann: 
Alle  dat  me  vorder  vint  bescreven. 
Dat  umme  körte  willen  is  na  gebleven. 
„Alles  das    findet   man  vorher   beschrieben,    das  (hier)  der  Kürze  wegen    aus- 
gelassen ist." 

2178.  Edder  ek  wil  dy  eine  lexien  lesen, 

De  van  gode  nicht  wesen  schal 
Schönemann  fasst  von  gode  =  von  Gott,  da  er  sonst  von  göde  schreiben  würde ;  es 
ist  aber  =  vom  Guten. 

2233.  Unde  he  wil  richten  na  rechtem  deüe. 

lve,  welches  in  der  Hs.  nicht  steht,  ist  zu  streichen. 

Nach  2304  fehlt  ein  Vers.    Nach  Ps.  29,  12  ist  etwa  folgendennassen  zu   er- 
gänzen: s0  tope  %0y  j0i  möge  gnade  schein, 
Dat  ne  möge  antein 
Dat  dar  is  dat  kleit  der  vrolicheit. 
2407.  So  dat  dat  levendige  nu  an  en  reip 
Der  Sinn  ist  klar:  Das  Kind  erwachte  nicht  und  konnte  daher  die  Räuberin  nicht 
durch  sein  Schreien  verraten.    Ich  vermute:  mi  an  en  reip  'mich  nicht  anschrie*. 
Walther  macht  dazu  die  Bemerkung:  „Kann  anropen  nicht  heissen  anfangen  zu 
schreien?"  vgl.  Grimm,  Deutsch.  Wörterbuch  I,  289  und  könnte  nu  nicht  nü,  nie, 
sein?  in  derselben  abgeschwächten  Bedeutung  wie  oberd.  nimmer. " 
2431.                   Dusse  vruwe  unde  ek,  alse  wy  hir  statt f 
Bebben  beide  in  einem  hus  umme  gan, 


125 

ummegan  =  verkehren  ist  im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt,  in  der  heutigen  Mundart  ist 
diese  Bedeutung  gebräuchlich,  s.  Scbambach. 

2540.  Ik  meine,  wy  sein  noch  daüink  wat, 

Des  der  konniginne  heft  vorwundert, 
Uns  alle  mede,  teere  user  hundert. 

heft  vorwundert.     Das  Praeritum  ist  dem  Zusammenhange  nach  unmöglich.     Ich 
lese:  Ik  meine,  wy  sein  noch  dcdlink  wat, 

Des  de  konniginne  heft  vor  wunder, 

Uns  alle  mede 

„Ich  meine,  wir  sehen  noch  heute  etwas,  das  die  Königin  und  uns  alle  wie  ein 
Wunder  ergreift. v  Zwei  Constructionen,  die  im  mhd.  häufig  sind,  scheinen  hier  ge- 
mischt: mich  hat  wunder  und  ich  hdn  ez  vür  wunder ,  s.  Mhd.  Wb.  III,  813a.    Vgl. 
auch  vor  droge  stan  1458  mit  Damköhlers  Bern.  Jahrb.  XV,  S.  81. 
2613  lese  und  interpungiere  ich: 

IJnae  ik  love  juwe  Hofgesinde 
Deger,  dsi  ik  hir  bi  juk  vinde. 
2619  ist  de  genne  nicht  in  de  jennen  zu  ändern. 
2654  ff.  ist  die  hdsl.  Lesart  mit  folgender  Interpunktion  beizubehalten: 
Wan  my  wes  to  donde  stoide 
Umme  juk.  gy  wise  her  Salomon, 
Dat  wü  ik  alle  tit  gerne  don 
Unde  geve  uns  beiden  hir  to  deile 
Dem  teven  gode  ik  uns  beveile. 
Statt  geue  der  Hs.  hat  Seh.  geven  gesetzt,  wodurch  der  Sinn  entstellt  wird,    sik  to 
deile  geven  =  'sich  zu  eigen  geben1.     Dem  leven  gode   steht  anö  xotvov,    eine 
Spracherscheinung,  die  nach  M.  Haupt,  dessen  reiche  Sammlung  z.  Erek  *  5414  zu 
vergleichen  ist,  etwas  volkstümliches  hat.    uns  beiden  statt  des  regelmässigen  uns 
beide  wage  ich  nicht  zu  ändern,  da  die  schwache  Form  auch  noch  in  der  Umgangs- 
sprache erscheint. 

2706.  Soll  nach  Walther  cord  vinken  ein  Eigenname  sein  =  Kurt  Finke.  Ich 
glaube  es  nicht,  obgleich  2724  cord  als  Vorname  erscheint.  Ich  halte  es  für  eine 
scherzhafte  Bezeichnung  der  Genossen,  vergl.  Knollfink e  =  Handwerksbursche.  In 
Bezug  auf  cord  mag  es  dahin  gestellt  bleiben,  ob  es  korde  'Strick'  oder  korde 
'Messer1  ist  An  das  esthnische  Korde  (s.  Korrespondensblatt  XI,  79)  ist  wohl 
nicht  zu  denken. 

2722.  In  deme  naten  kan  ik  doch  wol  tein. 

Erinnert  an  das  studentische  Lied  beim  Commenttrinken:  Zieh  Schimmel,  zieh!  etc. 

2729.  Ik  wil  dy  stusses  wol  vorplegen 

Bei  stuss  fragt  Seh.,  ob  es  etwa  'Stoss'  sei,  möchte  aber  doch  schliesslich  dusses 
lesen.  Im  Mnd.  Wb.  ist  das  Wort  nicht  aufgenommen;  Bd.  VI,  273  findet  sich  «töte 
=  schenkvathe.  Ich  sehe  in  stuss  das  mhd.  stutze,  Trinkbecher,  wovon  noch  unser 
Stutzglas.  Die  Redensart  einem  eines  vorplegen  erklärt  Walther  'für  oder  von 
einem  die  Verpflichtung  in  Betreff  eines  Dinges  übernehmen  und  erfüllen'  hier  die 
Verpflichtung  ordentlich  nachzukommen'.  —  Ich  halte  stusses  vorplegen  für  eine 
Redensart  wie  drankes  plegen  'trinken'  Gerh.  v.  M.  3,  21 ;  dy  wäre  dann  Dat  ethicus. 
2756.  Wente  dar  an  licht  dig  unde  vorderf 

Nicht  einerleie  aüene, 
Sunder  aÜer  worU  gemeine. 
Damköhler  fasst  einerleie  als  Gen.  =  eines  (einzigen  Menschen)  allein,  abhängig  von 
dig  vorderf,  es  ist  aber  zu  übersetzen :  „Daran  hegt  nicht  nur  einerlei  Rettung  und 
Verderben,  sondern  das  der  ganzen  Welt*  Man  könnte  versucht  sein  hinter  einer- 
leie eines  einzuschieben  (vgl.  die  Stelle  a.  d.  Eccl.  im  Mnd.  Wb.  I,  641  dat  sure  der 
penitencien  kan  nicht  enerteye  sin,  wente  de  sunde  sin  ok  nicht  enerleye  eynes  min- 
sehen),  doch  ist  dies  nicht  nötig. 

2801.  Frunde,  nu  sint  wy  hir  gesamet 

Unde  hebbet  hir  eines  dages  beramet, 


126 

Dat  gy  wisheit  mögen  beren 
Unde  alle  tit  dat  beste  vorkeren. 
Statt  beren  in  V.  2803  vermutet  Damköhler  leren;  allein  auch  das  zweite  Reimwort 
muss  entstellt  sein,  da  keine  der  Bedeutungen  dieses  Wortes  in  den  Zusammen- 
hang passt.    Ich  lese  hören  (hören):  vorkoren  (erwählen). 

2948  lies:  diebus  novissimis. 

Nach  295  t  ist  ein  Komma  zu  setzen. 

2988.  Dut  jamer!  dat  kindelin  sin. 

Dar  van  vorkortet  schal  w'&raen  de  pin. 
Diese  Stelle  ist  auch  von  Damkühler  nicht  überzeugend  hergestellt    Ich  vermute 
die  Entstellung  allein  in  Jammer  und  schreibe:  Dut  geandet  dat  kindelin  sin,  Dar 
van  vorkortet  schal  werden  de  pin.    Über  anden,  andeuten,  in  Erinnerung  bringen, 
significare  s.  Mnd.  Wb.  I,  81  und  VI,  16.  dat  kindelin  sint  sein  (Gottes)  Kind. 

3034.  God  heft  einen  legalen  upgesent 

übersetzt  V.  3032  legatum  ad  gentes  misit.    Lies  udgesenL 

30S7  ist  zu  trennen:  up  koren. 

3114.  Cristus  de  schal  werden  gebom 

To  betlehem,  alse  ik  hebbe  gehorn. 
Damköhler  will  aus  dieser  Stelle  ein  statt  v.  hören  folgern.     Walther  vermutet 
einen  Druckfehler  statt  gekorn  und  macht  darauf  aufmerksam,  dass  Schönemann  im 
Glossar  diese  Stelle  unter  küren  (statt  keisen)  aufgenommen  hat. 

3172.  Ik  teil  wonen  unde  wil  rauwen 

In  diner  middele  unde  wil  körnen 

Dy  mitte  unde  to  groden  vromen. 
S174  hat  Schönemann  unnötig  to  vor  groten  vromen  eingesetzt,  denn  vromen  ist 
Nom.  Sing,  des  Subst;  für  aroten  gilt  die  Bemerkung  im  Mnd.  Wb.  I,  638:  T  Häufig 
wird  aber  das  Adj.  so  flectiert,  dass  es  im  Nom.  und  Acc.  (Masc.  wie  Neutr.)  auf 
-en  ausgeht/  Es  wäre  also  eher  der  unbestimmte  Artikel  zu  ergänzen,  aber  auch 
dieser  kann  fehlen,  vgl.  Bremer  Gesch.  Q.  141 :  it  weygede  so  groten,  starken  storm. 
V.  3172,  73  übersetzen  Zach.  2, 10  Letare  filia  Lyon  quia  eoce  venio  et  habitabo  in 
medio  tui,  nur  dass  die  Worte  dem  Reime  zuliebe  umgesetzt  sind.  Nach  körnen 
ist  also  ein  Komma  zu  setzen  und  das  folgende  als  Apposition  zu  fassen.  Für  das 
unverständliche  mitte  vermutet  Walther  ansprechend  nutte.  Die  Synonyms  Nutz 
und  Frommen  werden  ja  wie  heute,  im  Mnd.  (vgl.  to  groter  nut  unde  vromen  Braun- 
Schweiger  Chr.  1,  152,  8)  gern  verbunden. 

3186.  Des  himmets  de  schal  werden  mer 

übersetzt  das  lat.  firmabitur  consilium  in  celo.  Nun  bezeichnet  consilium  auch  eine 
Genossenschaft  von  Menschen;  ich  glaube  deshalb,  dass  au  lesen  ist:  Des  hunmek 
det  schal  werden  mir.  „Das  Volk  des  Himmels  soll  grösser  werden.*  Über  Aus- 
lassung des  t  s.  z.  3415. 

3258.  Ysayas,  wat  sochstu  sus  to  bi  tiden? 

Schönemann  schreibt  bi  tiden.  Das  Mnd.  Wb.  I,  346  schreibt  to  bitiden  'zu  nicht 
gesetzlicher,  aussergewöhnlicher  Zeit'.  Dagegen  spricht  aber  Zusammenhang  und 
Versmass.  Ich  schreibe:  Ysayas1  wat  sochstu  fus  to  bitiden f  „Jesaias,  was  suchst 
du  so  (durch  deine  Bitte)  zu  erreichen?*  betiden  ist  Compos.  von  tiden  Mnd.  Wb. 
IV,  540.    Ein  Reflexivum  in  dieser  Bedeutung  ist  ebd.  Bd.  VI,  62  belegt 

3284.  Zu  Jahrb.  XIV,  151  bemerke  ich  noch,  dass  statt  dar  umme  wohl  dar 
anne  zu  schreiben  ist. 

3289  ist  zu  lesen:    Mit  den  duvelen  in  der  hellen 
He  schal  so  iamerliken  quellen. 
Der  Schreiber  stellte  die  prosaische  Wortfolge  her. 

3409.  It  is  umme  alsus  allent  dattu  deist. 

Im  Mnd.  Wb.  V,  1 2  ist  nur  diese  eine  Stelle  für  umme  edsus  statt  umme  sus  an- 
geführt, doch  ist  auch  hier  umzustellen:   It  is  al  umme  sus  allent  dattu  deist    al 


127 

ist = gänzlich;  vgl.  die  ebd.  citierte  Stelle  aus  der  Hamb.  Chron.  22:  wo  wol  de  stede 
ai  na  freden  hebten  gestan,  is  doch  mit  koning  Cr.  al  ummesus  gesceen. 

3415  lies  heft  statt  hef.  Auslassung  und  Znsatz  von  t  findet  sich  öfter,  vgl. 
zu  3186  und  2540. 

3436  lies:  To  dem  so  stunde  doch  jennich  rode. 

„Fttr  den  bestünde  doch  eine  Hilfe/  rade  erklärt  Walther  =*  gerade,  mhd.  geriete. 

3645  lese  ich:      Nen,  vader,  gy  schult  also  nicht  reden. 
Statt  Nen  hat  die  Hs.  Le,  wofür  Schonemann  Leve  schreibt,  was  aber  im  Munde 
der  eifernden  Justitia  nicht  passt.   Vielleicht  ist  auch  Ne  die  heutige  abgeschwächte 
Form  einzusetzen. 

3737.  Dusse  dot  de  schal  dar  noden,  * 

Den  ewigen  dot  denne  wedder  doden. 
noden  ist  hier  =  notwendig  sein.    Seh.  erklärt  die  Stelle  nicht  und  auch  im  Mnd. 
Wb.  ist  ftir  diese  Bedeutung  nur  eine  Stelle  angeführt. 

3747  ff.  lese  ich  jetzt:    Gabriel,  nu  werdet  rede: 

Segget  annen,  dot  oh  on  beden 
Ek  wil  twiden  ore  beden, 
Dot  se  vaken  an  my  deden. 
„Gabriel,   nun  macht  euch  bereit.    Saget  Anna,  dass  ich  auch  ihnen  beiden  ihre 
Bitten  erfüllen  will,  die  sie  oft  an  mich  thaten."    beden  V.  3748  ist  sicher  'beiden', 
da  der  Engel  sowohl,  wo  er  mit  Anna,  als  wo  er  mit  Joachim  spricht,  erwähnt,  dass 
er  zu  beiden  gesandt  ist,  vgl.  V.  3774,  3805. 

3772  ist  das  Komma  zu  tilgen;  vgl  z.  V.  729. 

37S8.  alle  ist  Instrumentalis  'gänzlich';  vgl.  Lexer,  Mhd.  Hdwb.  I,  37. 

8817.  Die  Hs.  liest  richtig: 

Timme  den  wüten  dat  wy  sint 
Unfruchtbar  unde  enhadden  nein  leint. 
Timme  den  willen  dat  'deshalb,  weil';  s.  Mnd.  Wb.  unter  wiüe. 

3S86  lias:  Minen  enget  hebbe  ik  utgesant. 

Nur  Gabriel  wird  ja  zu  Joachim  und  Anna  gesandt. 

3986  ff.  Wy  bidden  iuk  alle,  gy  werden  propheten, 

Dat  gy  iuk  nicht  taten  vordreten 

ünde  gan  mit  us  tom  tempel  hin, 

Dat  wy  marien  bringen  aar  in 

ünde  offeren  se  gode  aldar 

An  sinem  hilgeri  altar, 

Wente  gode  is  se  doch  to  geneget. 
to  geneget  könnte  nur  heissen  'zugeneigt'.  Das  passt  aber  nicht  in  den  Zusammen- 
hang, denn  nicht  darauf  kommt  es  an,  dass  die  dreijährige  Maria  Gott  zugeneigt, 
sondern  dass  sie  Gott  gelobt  ist;  vergl.  3789  So  hebbe  %k  to  vorne,  leve  hert,  De 
(rucht  gelovet  to  diner  ere  In  dinem  hilgen  tempel  dar.  Ich  vermute:  Wente  gode 
is  se  doch  togelegaet  „Denn  Gott  ist  sie  doch  zugelegt  d.  h.  zu  seinem  Dienste 
bestimmt/    Ein  ähnlicher  Reim  wie  gelegget :  eiget  (eget)  ist  3269  vigende :  liggende. 

Dass  broiden  nicht  zu  streichen  ist,  hat  Damköhler  richtig  be- 
merkt Ob  aber  auch  Formen  wie  moud  und  houde  dem  Dichter 
gehören,  oder  dem  wahrscheinlich  mit  dem  von  Schönemann  1491 — 
1508  als  Altarist  in  Goslar  nachgewiesenen  Jobannes  Bokenem  iden- 
tischen Schreiber,  muss  noch  dahingestellt  bleiben.  Jedenfalls  kann 
ich  mich  nicht  entschliessen  eine  Form  wie  "bargen  1810,  obgleich  sie 
der  heutigen  Mundart  entspricht,  ohne  weiteres  dem  Dichter  zuzu- 
schreiben, wenn  kurz  vorher  bergen  {bergen  :  nergen  1804)  im  Reime 
erscheint.    Dass  das  Schauspiel  auf  dem  Markte  zu  Eimbeck  auf- 


128     * 

geführt  und  auch  die  Heimat  des  Dichterg  dort  oder  in  der  Nähe  zu 
suchen  ist,  ist  auch  mir,  schon  wegen  der  im  Stücks  enthaltenen  noch 
jetzt  im  Göttingen  -  Grubenhagensehen  gebräuchlichen  eigentümlichen 
Worte  und  Redensarten,  höchst  wahrscheinlich.  Bedenken  gegen  diese 
Annahme  hat  C.  Walther  im  Niederd.  Jahrb.  I,  S.  96  f.  rege  gemacht 
Sicher  wird  die  Frage  nur  entschieden  werden  können,  wenn  das  aus 
den  Reimen  sich  ergebende  Mundartliche  mit  dem  in  den  Göttinger 
und  Eimbecker  Urkunden  vorliegenden  Materiale  genau  verglichen 
sein  wird.  Ich  habe  diese  Arbeit  begonnen,  muss  aber  den  Abschluss 
wegen  mangelnder  Müsse  verschieben. 

Northeim.  Robert  Sprenger. 


Zur  Kritik  und  Erklärung  des  Theophilus. 

Das  Verhältniss  der  drei  erhaltenen  Recensionen  des  niederdeutschen  Spiels 
von  Theophilus')  richtig  zu  beurteilen  ist  deshalb  schwierig,  weil  jede  derselben 
ihre  eigentümlichen  Zusätze  enthält,  von  denen  nicht  in  jedem  Falle  mit  Sicherheit 
entschieden  werden  kann,  ob  sie  dem  Originale  oder  dem  Bearbeiter  gehören. 
Dazu  kommen  noch,  freilich  leichter  zu  erkennende  Schreiberverse  und  zahlreiche 
Schreibfehler.  Ich  kann  der  Behauptung  von  Karl  Sass  in  seiner  Leipziger  Disser- 
tation von  1879,  dass  die  Helmstädter  Recension  die  älteste  und  dem  Original  am 
nächsten  stehende  sei,  nicht  unbedingt  zustimmen.  Soviel  steht  fest,  dass  dieselbe 
sehr  gute  und  beachtenswerte  Lesarten  enthält.    Vgl.  z.  B.: 

Trier.  Hds.  653.  Dat  is  my  recht  so  ein  wint. 
Stockh.  Hds.  353.  Dat  is  my  rechte  also  ein  wint. 
In  beiden  Hdss.  wird  dieser  Vers  dem  Theophilus  zugeteilt.  Da  derselbe  aber 
kaum  anders  übersetzt  werden  kann  als  es  im  Mnd.  Wb.  5,  734  geschieht:  Das  ist 
mir  wie  gar  nichts ,  so  widerspricht  dies  den  folgenden  Versen,  welche  zeigen,  dass 
es  Theophilus  sehr  schwer  wird,  den  Pakt  zu  unterzeichnen.  In  der  Ilelnist  Hds. 
lautet  der  entsprechende  V.  169  (D.  164;  H.  166):  Satanas  sprak:  'id  is  my  bereit 
also  wint.1  Es  entspricht  aber  durchaus  dem  Zusammenhange,  wenn  Satan  auf 
Theophilus  Aufforderung  ihm  Feder  und  Papier  zu  reichen,  dieselben  schnell 
herbeiholt  und  spricht:   „Das  ist  mir  schnell  wie  der  Wind  bereit!"    Was  die  von 


J)  Für  diesen  Aufsatz  sind  folgende  Ausgaben  benutzt: 

1.  Theophilus.  Niederdeutsches  Schauspiel  aus  einer  Trierer  Handschrift  des 
XV.  Jahrhunderts.  Mit  Einleitung,  Anmerkungen  und  Wörterbuch  von 
Hoffmann  von  Fallersleben.    Erster  Druck.    Hannover  1853. 

2.  Theophilus.  Niederdeutsches  Schauspiel  in  zwei  Fortsetzungen  aus  einer 
Stockholmer  und  einer  Helmstädter  Handschrift  mit  Anmerkungen  von 
Hoffmann  von  Fallersleben.    Hannover  1854. 

3.  Theophilus  der  Faust  des  Mittelalters.  Schauspiel  aus  dem  vierzehnten  Jahr- 
hundert in  Niederdeutscher  Sprache  erläutert  und  herausgegeben  von 
Ludwig  Ettmüiler.    Quedlinburg  1849. 

sowie  die  Abdrucke  der  Helmstädter  Hds.  in:  Bruns,  Romantische  und  andere 
Gedichte  in  Altplattdeutscher  Sprache.  Berlin  und  Stettin  1798.  S.  296—330  und 
der  Stockholmer  Hds.  in:  Dasent,  Theophilus  in  Icelandic,  Low  German  and  other 
tongues.  London,  William  Pickering  1845.  S.  33—65.  Ferner  die  Leipziger  Disser- 
tation von  Karl  Sass  über  das  Verhältniss  der  Recensionen  des  niederdeutschen 
Spiels  von  Theophilus,  Elmshorn,  Groths  Buchdr.  1879. 


129 

Sasa  S.  25  ff.  aufgeführten  Stellen  betrifft,  welche  beweisen  sollen,  dass  auch  in  den 
Teilen,  welche  nur  in  der  Stockholmer  und  der  Ilelmstädter  Hds.  erhalten  sind,  die 
letztere  die  bessere  Ueberlieferung  bietet,  so  erlauben  sie  durchweg  eine  andere 
Erklärung.    Er  führt  an: 

IL  hds.  380  (E.  359;  II.  364)    wor  du  in  der  werlde  varest, 

up  dat  du  von  Bunden  lotest. 
St.  hdschr.  607    wor  du  an  der  werlde  varest  efte  geist, 
up  dat  du  dyne  sunden  leist. 
Sass  meint,  dass  efte  geist  Zusatz  sei,  ich  halte  es  aber  für  wahrscheinlicher,  dass 
der  Schreiber  von   H.   an  der  Form   leist  Anstoss    nahm   und   deshalb    änderte. 
Mit  dem  Keim  hat  er  es  ja  auch  sonst  nicht  genau  genommen.    Ferner 
II.  481  f.  (E.  457  f.;  H.  459  f.)    Maria  sprak:  Theophile,  dyn  venne  . 

han  dy  gar  luttich  renne. 
St.  705  f.  Dyn  weinent  dat  helpet  kleine 

Du  hevest  hyr  gelegen  unreine. 
Auch  hier  ist  kein  Grund  die  Lesart  von  H.  für  die  ältere  zu  halten,  wenn  wir 
richtig  verbessern:  Theophile,  dyn  wenen  Kan  dy  aar.  luttich  renen.  Auch  die 
V.  11.  589—592  (Hf.  568—571)  machen  durchaus  den  Eindruck,  als  ob  sie  aus  den 
V.  8t.  813—18  zusammengezogen  sind,  zumal  sich  der  Schreiber  von  H.  auch  sonst 
starke  Kürzungen  erlaubt.  Dagegen  ist  es  nicht  zu  läugnen,  dass  wir  es  St  685—689 
gegenüber  IL  461—66  (Hf.  439—44)  mit  einer  willkürlichen  Aenderung  der  ersteren 
Hds.  zu  thun  haben,  und  die  Lesarten  von  Hf.  ut  und  buten  dem  wepe  der  von  St. 
ut  deme  vegevure  vorzuziehen  sind.  Auch  St.  898  —  901  halte  ich  gegenüber 
IL  676—79  (Hf.  648-651)  für  die  bessere  Lesart.  Dafür  sprechen  auch  die  vorher- 
gehenden Verse: 

St.  890.  H.  (Hf.  638). 

Ik  hebbe  al  de  helle  dorehvaren  Sathanas  sprak:  lyrouwe  ik  sage  iu  wäre. 

Mit  aüe  mynen  scharen,  Ik  han  alle  de  heue  dorehvaren 

Den  bref  konde  wy  nergene  vinden,     By  minen  besten  synnen 
We  sochten  ene  in  allen  enden.  Des  breves  kan  ik  nicht  vinden.' 

Der  Bearbeiter  nahm  an  dem  unreinen  Reime  vinden:  enden  Anstoss  und  ersetzte 
ihn  durch  sinden:  vinden.  Bi  minen  besten  sinden  'vermittels  meines  besten  Ge- 
sindes'. Der  Schreiber  verstand  dies  nicht  und  setzte  dafür  bi  minen  besten  sinnen 
'bei  meinem  besten  Verstände? '    Vgl.  ferner: 

St.  894.  und  H.  670  (IL  642). 

Ik  hebbe  mynen  meistere  Lucifer  gevraget,       Ik  han  one  gevraget  sere 
He  heft  my  aldus  gesaget,  wynen  heren  lucifere. 

Dat  he  des  breves  ny  on  sach:  De  heft  also  gesaghet. 

Vor  war  ik  dat  seggen  mach.  des  si  sint  so  mennien  jar  bedaghet, 

dat  he  des  breves  nicht  en  sach. 
Vorwar  ik  dat  spreken  nach. 
Hier  ist  sere  in  IL  offenbar  Flickwort  und  die  Verse  in  der  Form  der  Stockholmer 
Hds.  die  ursprünglichen.  Auch  die  Verse  St.  887:  O  we  dat  mot  ik  don,  Dar 
bringet  my  ayne  walt  to,  welche  in  IL  fehlen,  sind  dem  Zusammenhange  nach 
durchaus  nötig.  Satanas  verschwindet  mit  denselben,  um  dann  gleich  darauf  wieder« 
zu  erscheinen.  Dass  H.  öfter  durch  Kürzungen  den  Zusammenhang  stört,  beweisen 
folgende  Verse: 

St.  936.  *H.  hat  dafür  nur  zwei  Verse,  die  er 

Here  Lucifer,  wat  redestu  dar  to?  dem  Satanas  zuteilt: 

Wy  sint  des  breves  unvro.  702  (Hf.  674). 

Lucifer  dicit.  Se  is  vrouwe  unde  wy  syn  knechte, 

Se  %s  unse  vrouwe,  wy  sint  ere  knechte,       Wy  en  mögen  nicht  wedder  se  vechten. 
Wy  mögen  nicht  mit  er  vechten. 

Hier  hat  St.  offenbar  das  ächte  erhalten.    Es  wäre  nicht  dem  Zusammenhange 
entsprechend,  wenn  Lucifer  nicht  zu  Worte  käme. 

Ein  recht  lehrreiches  Beispiel  für  das  Verfahren  des  Schreibers  von  H.  bieten 
die  Verse  639  ff.  (Hf.  616)  =  St.  86Sff.    In  der  Stockholm.  Hds.  spricht  Satanas: 

NIederdeuteohes  Jahrbuoh  XVI  9 


130 

Vrouwe  van  den  reden  ik  nicht  entceit. 
He  heft  sik  gemaket  also  breit 
Mit  syme  breve; 
Dat  were  to  leide  edder  to  leve, 
We  de  vor  em  bede, 
Dat  he  em  unrecht  dede. 
Van  den  reden  ich  nicht  entweit ,  d.h.  Von  solchen  Verabredungen  (dass  du  für 
ihn  bitten  soltest)  weiss  ich  nichts.     Der  Bearbeiter  von  H.  hat  dies,  wie  auch 
Hoffmann,  der  breven  für  reden  einsetzt,  nicht  verstanden.     Er  ändert  folgender- 
massen: 

Sathanas  sprak:  'vrouwe,  des  syd  berichtf 
Van  sinem  breve  en  weyt  ek  nicht. 
He  heft  syk  my  myk 
also  sulves  verpflicnt 
mit  syne8  sulves  breve.    U.  s.  w. 
Wie  wir  sehen   hat  der  Bearbeiter  in  seiner  Verlegenheit  hier  die  Verse  654  f. 
(Hf.  630  f.)  vorweggenommen.     Dadurch  ist  aber  das  das  folgende  in  Unordnung 
geraten.    Es  kann  unmöglich  ursprünglich  so  gelautet  haben,  denn  selbst  wenn  wir 
die  Aenderung  Hoffmanns  annehmen,  erhalten  wir  einen  Überschüssigen  dritten  Reim. 
Ebenso  verwirrt  zeigt  sich  die  U eberlief erung  von  H.  497  ff.  (Hf.  475  ff.)  gegen- 
über St.  721  ff.    Vgl. 

H.  Theophil  sprak:  lach  du  edele  rose  van     St.  Vil  eddele  rose  van  Jericho, 
Jericho ,  Wo  redestu  nu  also! 

wo  trostestu  my  armen  also!  Jo  bistu  vul  aller  gnaden. 

Du  bist  jo  der  gna  vul.  Darumme  hebbe  ik  dy  geladen 

De  engete  schone  to  di  sprak,  Jo  mit  dem  sulven  bede 

goteliken  dat  gescach:  Also  de  enget  Gabriel  dede: 

Ave  aracia  ptena.  Ave  Maria  gracia  plena! 

Woldestu  dorch  my  aUeyne  Woldestu  nu  attene 

vorleysen  dynen  namen  reyne,  Dorch  my  vorlesen  dynen  werden  namen? 

des  wolde  ek  Schemen  vor  dy.  Des  wolde  ik  my  vor  dy  schämen. 

Schliesslich  vergleiche  ich  noch  St.  926—929  und  H.  694  f.  (Hf.  666). 
St.       Here  meister  Lud f er,  nu  gif  rat,  H.      Sathanas  sprak:  here 

Wente  unss  waU  nu  vil  Meine  stat:  Lucifer  gif  my  rad. 

Nene  macht  wy  nu  mer  en  hant  Unse  waÜ  nu  cleyne 

Wy  hebben  enen  quaden  man  bestan.  macht  hat. 

Auch  hier  ist  deutlich,  wie  H.  die  Vorlage  gekürzt  hat.    Er  strich  zwei  ihm  un- 
nötig scheinende  Verse,  setzte  aber  macht  aus  dem  folgenden  Verse  in  V.  695. 

Die  angeführten  Stellen  werden  genügen,  um  zu  beweisen,  dass  die  Ueber- 
lieferung  von  H.  keineswegs  in  allen  lallen  die  bessere  ist,  sondern  oft  durch  die 
von  St.  tibertroffen  wird.     Aber  auch  die  Behauptung  von  Sachs,  dass  die  Stock- 
holmer und  Trierer  Rec.  aus  einer  gemeinsamen  Vorlage  entstammen,  erweist  sich 
nicht  als  stichhaltig,  vielmehr  weisen  gemeinsame  Fehler  von  H.  und  St  auf  eine 
gemeinsame  Quelle  dieser  beiden  Hdss.    Vgl. 
H.  191  (Hf.  187).    Du  scholt  neyn  crce  vor  dy  leggen  (:  plegen) 
St.  376.    Du  schalt  dy  vor  nen  cruce  leggen  (:  plegen) 
Tr.  676.    Du  salst  dy  hoden  vor  cruces  segen  ( :  plegen). 
Hier  gibt  die  Ueberlieferung  von  Tr.:    'Du  sollst  dich  hüten,  den  Kreuzsegen  zu 
sprechen'  allein  den  richtigen  Sinn.    Auch  in  folgender  Stelle  stimmen  die  Lesarten 
von  H.  und  St.  näher  zusammen  als  zu  Tr. 

St.  438.    Dat  he  ene  beholde  bet  an  den  dach 

Dat  he  uns  nutte  (Hds.  nycht)  werden  mach. 
H.  252  (Hf.  245).     dat  he  on  holde  an  den  dach 
dat  he  uns  nutte  werden  mach. 
Tr.  777.    De  sal  en  halden  went  an  den  dach 
Dat  hei  uns  nutte  werden  mach. 


131 

Auch  in  folgenden  Versen  stehen  H.  und  St.  einander  näher,  während  Tr.  ihnen 
gegenüber  eine  eigentümliche  Stellang  einnimmt: 
H.  202  (Hf.  255).    De  besten  spisen  scaltu  eten. 

Dynes  leyaes  scaltu  vorgheten. 
St.  462.    Du  schalt  de  besten  (spysen)  eten 

Unde  to  dyner  tafelen  setten. 
Tr.  800.    Nummerme  en  salstu  rasten! 

Dey  riken  salstu  bidden  to  gasten  n.  s.  w. 
Aus  dem  gesagten  wird  zur  Genüge  hervorgehn,  dass  die  Trierer  Hds.  für  sich 
steht,  während  in  den  Stellen,  welche  nur  in  IL  und  St.  überliefert  sind ,  in  jedem 
einzelnen  Falle  aus  inneren  Gründen  zu  entscheiden  sein  wird,  welche  Hds.  die 
Lesart  der  Vorlage  am  besten  überliefert  hat.  Da  jede  Bearbeitung  eigentümliche 
Zusätze  enthält,  für  deren  Ausscheidung  nicht  immer  genügende  hdsl.  Unterlage 
vorhanden  ist,  so  wird  man  auf  eine  lieconstraction  des  alten  Spiels  verzichten 
und  sich  bei  einer  neuen  Ausgabe  darauf  beschränken  müssen,  die  handgreiflichsten 
Interpolationen  sowie  die  Scnreibfehler  auf  dem  Wege  der  Conjekturalkritik  zu 
beseitigen,  im  übrigen  aber  die  drei  Bearbeitungen,  deren  jede  ihren  eigentümlichen 
Wert  bat,  wieder  abdrucken  zu  lassen.  Zu  dieser  Arbeit,  sowie  zur  Erklärung 
einiger  schwierigen  Textstellen  möchte  ich  mit  den  folgenden  Bemerkungen  einen 
bescheidenen  Beitrag  liefern. 

I.    Zu  Hoffmanns  Ausgabe  der  Trierer  Handschrift. 

62.  Me  Got  erklärt  H.  hier  und  170  als  Entstellung  von  myn  got.  Ich  er- 
kläre mir  me  als  weitere  Verkürzung  der  Beteuerungsformel  summe  (so  mir  Gott 
helfe!).    Dafür  spricht  auch  die  Formel  242  me  got  unde  hilgen. 

63.  Solden  wy  leren  aldus  ein  jar, 
Denket  wy  dar  anders  by. 

Die  Hds.  hat  Denket  myr.    Ich  lese:  dunket  my  aar  wunders  by. 

66.  Heddik  noch  durer  provenden  drei.  Hie  Hds.  hat  durt  was  wohl  aus  der 
verderbt  ist. 

69.  hunthursliken.  Dass  das  Wort  entstellt  ist,  wird  schon  im  Mnd.  Wb.  ver- 
mutet.   Sollte  nicht  schantirliken  l  schimpf  lieh '  zu  lesen  sein? 

71.  Wy  en  willen  uns  noch  anders  weggen.  Etwas  unklar.  'Wenn  wir  uns 
nicht  anders  regen,  die  Wahl  betreiben?* 

74.  So  endede  der  anderen  provenden  ein 

Nowce  des  jares  einen  beker  siein 
H's  Erklärung  ist  abzuweisen,  da  siein  =  slagen  nicht  vorkommt.    St.  stein  ist  clein 
zu  lesen  und  zu  übersetzen:   'So  würde  der  Wert  einer  der  anderen  Präbenden 
des  Jahres  kaum  den  Preis  eines  kleinen  Bechers  (Wein)  betragen. 
8'».  Keysen  wy  by  tyden  nicht  einen  herent 

De  uns  mit  umsieht  helpe  keren, 
Wy  soldes  wol  enware  wem, 

Dat  sei  uns  ut  aller  genauen  sern.  ' 

Das  nach  H.'s  Angabe  in  der  Hds.  fast  erloschene  umsieht  gibt  keinen  Sinn.  Ich 
vermute,  dass  H.  falsch  gelesen  hat  und  schreibe:  De  uns  dat  unrecht  helpe  keren 
'der  uns  das  Unrecht  abzuwenden  helfe.'  Dass  das  hdsl.  serden:  werden  richtig 
ist,  bemerkt  schon  Lübben  im  Mnd.  Wb.  : 

105.    vat  =  vesica,  wie  H.  erklärt,  ist  nicht  belegt:  Frisch  meint  vut  =  eunna,  ' 

vulva.  Sollte  nicht  in  dat  gat  (foramen  podicis)  zu  lesen  sein?  Aehnliches  derb- 
komisches V.  85  u.  141. 

126  ff.  lese  und  interpungiere  ich: 

Gy  mögen  seagen  wat  gy  wellen.  j 

An  ik  klage  nyr  mit  mym  gesellen. 

Dat  wy  jo  nicht  verweiigen, 

Ik  wil  dat  sweren  an  dei  heligeny 

Want  ik  an  ausser  ganser  rasten  \ 

Ny  visches  oge  en  dorfte  betasten.  j 

9* 


„Ihr  mögt  sagen  was  Ihr  wollt,  so  klage  ich  doch  hier  mit  meinen  Genossen.  Dass 
wir  nicht  zu  üppig  werden,  will  ich  bei  den  Heiligen  beschwören,  denn  ich  bekam 
in  dieser  ganzen  Fasten  keinen  Fisch  zu  kosten." 

183.  Hei  solde  eins  dages  mer  werteren 

Dan  wy  künden  tom  eie  brengen. 

Solde  hei  darum  dat  sticht  enthengen? 
Hoffmanns  Erklärung  von  tom  eie  ist  nicht  Überzeugend.    Ich  lese:  to  weie.  b.  =  to 
wege  b.  ' zustande  bringen'.    Vgl.  Redent.  Spiel  659  (Ettmüller)   Wo  heft  he  dat  to 
wege  bracht?  (Hds.  tracht).    enthenghen  erkläre  ich  =  ' einengen,  schmälern. 

287.  Ich  vergleiche  die  noch  gebräuchliche  Redensart  'die  Vetternstrasse 
reisen',  was  man  thut,  wenn  man  sich  auf  einer  Reise  so  einrichtet,  daas  man  stets 
bei  Verwandten  anstatt  im  Wirtshaute  einkehren  kann. 

265.    krut  undt  win  =  'Confect  und  Wein';  vgl.  Mantels  Jahrb.  1877  S.  83 ff. 

269.    lies:   Ik  en  kan  des  stichtes  nicht  vörstan. 

282.  slote  kann  hier  unmöglich  Plural  von  slot  —  Schloss  sein,  sondern  es 
muss  eine  Personenbezeichnung  darin  stecken;  villeicht  de  scoler,  jungen  Clericer? 
Vielleicht  steckt  auch  ein  mundartlicher  Ausdruck  darin.  Im  Progr.  v.  Mühlheiui 
am  Rhein  1886,  S.  1  lese  ich:    'Die  Banausier  mit  ihren  Schloten.' 

298  f.  lese  ich  mit  der  Hds. : 

Gy  en  sein  dar  to}  samt  godes  graf: 
Veldet  my  war,  ik  neimt  ju  af, 
4 Wenn  Ihr  nicht  darauf  seht  (mir  dienstlich  zu  sein),  beim  heiligen  Grabe!  Messet 
Ihr  es  woran  fehlen,  ich  wllrde  es  Euch  vergelten.7  Veldet  =  velde  it  Prät.  Conj. 
von  velen  (veilen).  lieber  afnemen  vergelten  s.  Mnd.  Wb.  und  Vilmars  Idiotikon 
u.  abnehmen.  Sass  will  die  Verse,  die  er  jedoch  anders  erklärt,  dem  Theophilus 
zuweisen. 

320  f.  interpungiere  ich:    Komestu  jummer  weder  herf 

Du  mochte»  leiver  svn  over  mer. 
„Wenn  du  jemals  wieder  hierher  kommst,  soll  es  dir  so  ergehen,  dass  du  wünschen 
möchtest,  lieber  weit  fort  zu  sein. 

827  f.  lese  ich:     Hyr  en  hört  nicht  to  dan  got  gedtdt: 
Dat  ik  nu  börste  als  ein  bone, 
We  geve  my  dar  af  wat  to  lonc? 
„Hier  nützt  nichts  als  Geduld.    Wenn  ich  nun  ganz  gebrochen  (betrübt)  wäre,  wer 
würde  mir  etwas  dafür  zum  Lohne  geben?"     Das  Gleichniss   scheint  daher  ge- 
nommen, dass  die  Schote  der  Bohne,  wenn  sie  trocken  geworden  ist,  oft  von  selbst 
Elatzt.    H.  erklärt  borsten  durch  vor  Zorn  zerbersten,  platzen,  toben  als  ob  man 
ersten  will.     Zorn  ist  hier  aber  gar  nicht  am  Platze.    Dass  bersten  in  der  Be- 
deutung genau  unserem  brechen  entspricht,  beweist  die  Stelle  aus  Renners  Brein. 
Chron.  1, 116  de  mühre  (Möhre)  burst  entwei. 

836.  Gy  berven  lüde  junk  und  alt, 

Wat  ye  in  matschop  verink  aalt, 

Wat  tuwer  is  beide  arm  unae  ryke. 
Hoffmann  erklärt  verinc  =  'im  vorigen  Jahre.'    Richtig  auf  die  bekannte  Münze  ist 
es  schon  im  Mnd.  Wb.  5, 238  gedeutet.    Ich  erkläre  aber  abweichend  davon:  „Alles 
was  je  in  einer  Genossenschaft  einen  Heller  wert  erachtet  wurde.    Ich  hörte  öfter 
im  Scherze  sagen.    Du  giltst  'nen  Dreier  und  ich  drei  Pfennige! 

350 f.  lese  ich:  Wat  den  duvel  sal  de  belevet, 

De  neyne  kroden  nicht  en  hevet 
„Was.  zum  Teufel,  soll  der  noch  am  Leben,  der  kein  Geld  hat."    St  des  hdsl. 
eune  Jcroden  setzt  Hoffmann  eyne  graden  'eine  Gräte'.    Kröten  —  l  Kleingeld'   wird 
aber  noch  jetzt  gebraucht    belevet  ist  Part,  praet,  wo  gewöhnlich  der  Inf.  Praes. 
steht.    Vgl  268  wat  helpet  dit  gedan  ?  „was  hilft  es  dies  zu  thun." 

389  wird  losen  durch  'wahrsagen'  erklärt,  was  aber  nach  H.'s  eignem  Ge- 
ständniss  kein  niedd.  Wort  ist;  es  ist  lesen  zu  schreiben.  Der  Zauberer  liest  seine 
Beschwörungsformeln  aus  dem  schwarzen  Buche. 


133 

393.    De  qiiemen  al  hervor  gensliken. 
gemliken  'ganz  und  gar'  passt  nicht  in  den  Zusammenhang.    Ich  lese:   De  quemen 
al  hervor  sliken.    Vgl.  Llib.  Dodend.  1662  he  kumt  sliken  recht  so  ein  def. 

421.  Ik  hebbe  genomen  groten  schaden  .  .  den  wil  ek  weder  remmen  in,  soldik 
darum  des  duvels  syn.  H.'s  Erklärung  ist  bereits  im  Mnd.  Wb.  2,374  zurück- 
gewiesen, doch  genügen  auch  die  dort  gegebenen  Erklärungen  nicht.  Sollte  nicht 
die  Stelle  verderbt  und  zu  lesen  sein:  den  wil  ek  weder  brengen  in  —  ? 

460  ff.  Ok  we  sik  mit  dem  duvel  besteig 

Dar  an  hei  gern  en  snippen  veit: 
Hei  scheidet  nicht  van  eme  sunder  schaden. 
H.'s  Deutung  wird  schon  im  Mnd.  Wb.  IV,  276  bezweifelt  Auch  das  erste  hei  kann 
nur  auf  den  gehen,  welcher  sich  mit  dem  Teufel  einlässt.  Ich  setze  vermutungs- 
weise: Dar  an  hei  gern  (leicht)  en  snoppen  (catarhus,  reuma)  veit.  vangen  wird 
noch  von  der  Aufnahme  eines  Ansteckungsstoffes  gebraucht.  Vgl.  auch:  de  lucht 
van  Gerh.  v.  Minden  98,  2. 

485.    St.  Gein  ist  wohl  Ken  zu  lesen. 

442.  üeber  diesen  Vers  ist  bereits  das  richtige  im  Mnd.  Wb.  unter  serden 
bemerkt. 

503  lies:    an  ene  Straten.  » 

Nach  574  ist  eine  stärkere  Interpunktion,  ein  Punkt  oder  Semikolon  zu  setzen. 

579  lies:   It  sy  uns  leif,  it  sy  uns  leit.    Vgl.  784. 

581.  da  hefst  my  eine  lange  reise  benomen.  Du  hast  mir  den  Erfolg  einer 
langen  Reise  zu  nichte  gemacht.    Lesart  d.  a.  Hds.:  St.  252.  II.  68. 

686.  boterwort  'Büsserwort',  wie  Hoffmann  und  'heilendes  Wort',  Trostwort, 
wie  das  Mnd.  Wb.  erklärt,  ist  sonst  nicht  belegt.  Die  Hds.  hat  übrigens  buter 
wort,  und  die  Stockh.  Hds.  V.  388  zeigt,  dass  dies  aus  bitter  wort  entstellt  ist. 

718  ff.  lese  ich:  Ik  wil  ok  dat  tobrengen  wol, 

Dat  dy  al  deit  vrochten  sol. 
al  deit  =  alles  Volk.    Vgl.  Heimst.  Hds.  161  f.  Ik  wil  dat  vogheti  (Hds.  waahen) 
wol  dat  me  dy  vrochten  sol.    Hf.  erklärt  vrochten  hier  =  fruchten,  nützen;  es  heisst 
aber  'fürchten,  verehren1. 

720  f.  ist  vermutlich  zu  lesen: 

Dat  dy  al  de  werlde  werde  bekant, 
Dat  love  ik  du  in  dyne  hant. 
bekant  werden  fasse  ich  als  im  Jurist.  Sinne  als  'sich  abhängig  bekennen  von  jemand; 
s.  Mnd.  Wb.  I,  208. 

758.  War  wil  ek  hen?  ik  en  werde  wol  tein. 

Imme  stocke  brenget  men  einen  wol  gein. 
H.  übersetzt:  „Wo  will  ich  hin?  Ich  werde  wohl  nicht  davon  kommen:  im  Stocke 
[GefängnissJ  bringet  man  einen  wohl  dazu.  (Wenn  man  gefangen  ist,  wie  ich,  so 
uiuss  man  sich  schon  drein  finden.)"  Er  fasst  danach  gein  =  geaen,  es  ist  aber  das 
Verb^  gein,  confiteri:  „Im  Stock  bringt  man  einen  wohl  zum  Geständniss.  Auch 
tein  ist  in  der  von  H.  angenommenen  Bedeutung  nicht  belegt.  Ich  schreibe:  ik  en 
werde  wol  in  tein  „Ich  werde  wohl  keine  Einwendungen  machen".  Auch  V.  613 
liest  das  Mnd.  Wb. :  (Du  mit)  bekennen  unde  gein  openbar  unde  dar  nicht  in  tein, 
dat  Th.  des  duvels  si. 

IL   Zur  Stockholmer  Hds. 

30.  Wat  des  kores  an  my  dot  d.  i.  „Soviel  der  Wahl  an  mir  ist".  Ist  vielleicht 
stät  zu  lesen? 

58.  DU  rede  ik  vor  ju  allen,  schit!  (:  nicht).  Der  unreine  Reim  ist  nicht 
glaublich.    Sollte  nicht  alle  schickt  'für  jeden  Fall'  zu  lesen  sein? 

140  lese  ich:   In  aller  behendicheit  han  ik  vornunst. 

156  lies  werüiker  'weltlicher ';  179  werüiken. 

191.  Hds.:  Noch  dar  an  dat  yk  hope.  Ich  lese:  Nach  eren,  dat  ik  hope. 
Vgl.  Heimst.  Hds.  13. 


134 

232  f.  lese  ich:  Ik  besicere  dy  by  deme  volle, 

Den  jy  velen  ('  fielen ')  alle. 

244  ff.  lese  ich:         By  deme  gode  de  lof  unde  gras 
Unde  alle  dirüc  gesenapen  hat 
Beide  gut  unde  quat. 
Mitischen  unde  ok  erde  schop. 
Die  von  IL  angenommenen  Subst.  minschop  und  erdeschop  sind  nicht  weiter  belegt. 
272,  321.    Das  von  H.  angenommene  lykop  ist  im  Mnd.  gar  nicht  belegt    Das 
hdsl.  lyken  kop  'billigen  Handel'  ist  auch  gar  nicht  zu  bezweifeln. 
312  lies  mit  der  Hds.:   Dat  dy' nen  man  to  tröste  möge  komen. 
311.    Ich  setze  Punkt  nach  318  und  schreibe:    An  himele  noch  an  erden  Dy 
mach  nein  trost  werden.    Vgl.  H.  131  f. 

326  ist  denest  nicht  in  denestman  zu  ändern.  Es  ist  =  Dienste ,  Dienstbote. 
Vgl.  D.  W.  u.  Dienst  u.  d.  Mnd.  Wb.  Auch  387  ist  es  wohl  in  dieser  Bedeutung 
zu  fassen. 

353  z.  d.  V.  s.  oben.    Ebenso  z.  874,  376. 
383  lese  ich  und  interpungiere  ich: 

Nene  almissen  schaltu  snyden, 
Du  en  wult  se  in  myn  ere  aeven: 
De  en  wil  ih  dy  nicht  bescheren  (Hds.  bekeren) 
„Du  sollst  kein  Almosen  austeilen  (snyden  eigentl.  vom  Schneiden  des  Brotes),  da 
wollest  sie  denn  zu  meiner  Ehre   geben.    Die  (solche)  Almosen  will  ich  dir  nicht 
abschneiden."    bescheren  'berauben'  R.  V.  6650. 
397  f.  lese  ich:  O  we  dat  sote  wort 

Dat  is  my  ungerne  ghehort! 
414  hat  die  Hds.  richtig:  ghespraken.    428  ebenso  ne  st.  ny. 

462.  f.  ist  vielleicht  zu  lesen: 

Du  schalt  de  besten  etten 
Vrunden  to  dyner  tafelen  setten. 
„Du  sollst  die  besten  Mahlzeiten  Freunden  auf  deiner  Tafel  vorsetzen."    S.  die 
Bern.  vorn. 

494  lies:    De  scle  kranket  yan  naturen. 
514.    St.  mochtestu  liest  die  Hds.  mochtu  d.  i.  machtu. 

550.  Dass  das  hdsl.  zeghen  in  seden  (sagten),  nicht  mit  H.  in  deden  zu  ändern 
ist,  bemerkt  schon  Sass  S.  243. 

571  lies:  He  volgede  ome  altohant 

Wyde  seder  (Hds.  syde)  dorch  de  laut. 
575  f.  lese  ich :      Er  dede  he  unrecht  genslike. 

Xu  lidet  he  den  wec  to  dem  hcmelrUce. 
lidet  'gehet'.    Hds.  ladet. 

579  lese  ich:  Hevestu  to  den  sunden  wesen  plicht. 

plicht  =  adj.  (eigentl.  Part,  zu  plichten)  verpflichtet,  verbunden. 

6u8.  Up  dat  du  dyne  sunde  leist.  Ein  mnd.  leiden  'beichten',  weiches  H. 
annimmt,  gibt  es  nicht.  S.  die  Bern.  vorn.  Man  könnte  auch  vermuten:  Up  dat 
du  neyne  sunde  deist. 

644  f.  lies:  De  ju  here  heft  geladen. 

Konde  wy  unse  herte  to  eme  stadenl 

659.  godes  niht  'nicht  von  Gott',  Die  Einschiebung  von  wort  ist  unnötig. 

683,  698.  soverinne  'salvatrix'  ist  kein  mud.  Wort;  es  ist  sonerinne  (nihd. 
suonerimic)  zu  lesen. 

685.  lies:   den  armen  sunderen. 

737  lies:  Th.,  ligge  an  dyneme  bede  (Gebete)  stille.  Die  Hds.  hat  bedde. 
Auch  in  mhd.  Hdss.  finaen  wir;  an  dem  bette  (st.  bete)  ligen. 


135 

747  ff.  ist  zu  lesen:    He  heft  gelegen,  dat  ik  wol  wet, 
Dre  (tage  dat  he  nichtes  en  dref 
Men  toeitien  unde  gitten. 
Vgl.  H.  519  ff. 

799  lies:    Ik  en  mot  (darf;  Hds.  weit)  unde  wil  ok  nicht  gebeden  sin. 
809  lese  ich:        Deuke.  leve  tone,  dorch  mynen  Witten 
Dat  ik  dy  vodeae  mit  myner  spülen. 
Vgl.  dorch  dynen  willen  824. 
821  lese  ich  mit  der  Hds. : 

Do  de»  blinden  sper  so  ghot 
Dorch  dyne  vorderen  syden  stot. 
H.  hat  gewiss  Unrecht,  wenn  er  ghut  in  gröt  verändert;  nicht  darauf  kommt  es  an, 
dass  der  Speer  gross,  sondern,  dass  er  gut,  scharf  ist.  Von  neueren  Dichtern  ge- 
braucht besonders  Unland  gern  das  Adj.  gut  von  Waffen:  die  guten  Schwerter 
(Jung  Siegfried) ;  der  gute  Speer  (Roland  Schildträger).  VgL  auch  Nibel.  (Bartsch) 
402  Schilde  guot. 

888  f.  lese  ich:  0  we,  ik  mot  dat  don  jo; 

Dar  bringet  my  dyne  walt  to. 
jo  {.also)  am  Ende  des  Verses  562. 

912.  Under  syner  fangen  licht  de  bref. 

He  heft  ene  stolen  also  ein  def. 
Wil  he  ene  nicht  vinden, 
So  schole  gy  ene  binden 
Unde  stan  ene  mit  rungen: 
De  bref  licht  under  syner  tungen. 
under  siner  tungen  kann  nicht  heissen  'unter  seiner  Zunge'.    Es  ist  wahrscheinlich 
under  siner  dünge,    dune,  mhd.  tunc  bedeutet  unterirdisches  Gemach,  Höhle,  Gang 
unter  der  Erde.    Der  helle  tunc  findet  sich  in  K.  v.  WUrzburgs  Gold.  Schmiede  173 
und  in  der  Martina  88,  49;  99,  84.    Vgl.  auch  z.  Heimst.  Hds.  686. 
960.  Theophile,  ik  teil  du  wecken 

Unde  wil  dy  van  allen  sunden  trecken. 
Es  ist  zu  lesen:    Th.}  ik  en  wil  dy  wecken  Unde  wil  dy  van  allen  sunden  recken. 
Vgl.  zu  H.  722  (Hf.  692). 

HI.   Zur  Helmstedter  Hds. 

10  ff.  lauten  nach  dem  Abdrucke  bei  Bruns: 

My  was  neyman  ghelike 

an  reden  un  ok  an  sinneti. 

De  hadde  ik  alle  en  bynnen, 
•  noch  eren  so  ik  hope. 

Ghekoren  wart  ik  to  eynem  biscope. 
noch  erklärt  Br.  durch  'genug',  und  auch  Ettmttller  und  Hoffmann  haben  diese  Er- 
klärung angenommen.  Es  kann  aber  hier  nur  für  nach  stehen,  das  im  Mnd.  neben 
tut  erscheint.  Nach  eren  erklärt  Benecke  im  Wörterb.  z.  Hartmanns  Iwein  durch 
'so  dass  man  sich  nicht  zu  schämen  braucht';  vgl.  auch  Mnd.  Wb.  I,  443;  Schmeller, 
Bayer.  Wörterbuch  aI,  124. 

Ich  lese  und  interpundere : 

My  was  neyman  ghelike 

An  reden  unde  an  synneni 

De  hadde  ik  alle  enoynnen. 

Nach  eren,  so  ik  hope, 

Ghekoren  wart  ik  to  eynem  biscope. 
binnen  hebben  'geistig  erfasst  haben'  noch  jetzt  im  Gött.-Grubenhag.  gebräuchlich, 
wenn  auch  von  Schambach  nicht  aufgeführt. 
60  ff.  (E.  u.  Hf.  58)  ist  zu  lesen: 

S.  8prak:  (Th.,  wat  menestu  hirmede 

(Dat  i8  jo  der  papen  sede), 

Dat  du  my  so  sere  besweret  hest 


136 

By  dem  gode  de  de  lof  unde  gras 

Unde  alle  dinge  gescapen  hat 

Beyde  got  unde  quat? 
Die  Besserung  got  unde  quat  ergibt  sich  aus  der  Stockh.  Hds.  V.  246;  vgl.  auch 
z.  732.    besweren  'ineantare'  ist  als  sehw.  v.  im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt;  liegt  eine 
Verwechslung  mit  besweren,  'belasten'  vor? 

119  (E.  u.  Hf.  115)  lies:    Ek  wil  dy  nilti  vor  leghen  'ich  will  dir  nichts  vor- 
lügen \ 

131  (E.  u.  Hf.  127)  lies:     Unde  nummer  dy  nen  trost  scuüc  mer  werden.    Statt 
dy  nen  hat  die  Hds.  dyne  (entstellt  aus  dy  ne\    Vgl.  Tr.  Hds.  631   Dat  nein  trost 
mer  an  dy  en  sy.    Hf.  schreibt  dyner;  E.  ändert  willkürlich. 
145  ff.  (E.  u.  Hf.  141)  lese  und  interpungiere  ich: 

Theopkilus  sprak:  Du  teilt  my  dar  to  driven, 
Dat  ek  eynen  bref  scal  schryven 
Unde  eyn  Jiantfcste. 
(Also  du  sprekest  also  de  beste) 
De  my  an  myne  zele  geyt. 
Dar  to  byn  ek  al  bereut. 
St.  scal  hat  die  Hds.  late,   welches  die  Hgg.,   obgleich  er  keinen  Sinn  gibt,    bei- 
behalten haben.     Tr.  Hds.  645  sal.    St.  331   schal.     Also  du  sprekest  also  de  bexie 
'Du  sprichst  so  wie  der  Beste;  du  verstehst  sehr  gut  zu  reden.'. 

161  (E.  u.  Hf.  157.    St.  des  hdsl.  waghen  lese  ich  voghen  'fügen,  passend  ein- 
richten' (Hf.  maken). 

186  (E.  u.  Hf.  183)  lese  und  interpungiere  ich: 
Versähe  ok  aller  dinge 
De  man  in  der  kerken  singe} 
Spreken,  denken  unde  lesen. 
Vgl.  Tr.  670  ff. ;  St.  364  ff.  abweichend.  —  Dass  der  Teufel  denen,  die  mit  ihm  einen 
Pakt  machen,  das  Sprechen  verbietet,  geht  schon  aus  dem  alten  Mährchen  vom 
Bärenhäuter  hervor,  worüber  zu  vergl.  Br.  Grimm,  Kinder-  u.  Hausmärchen.   3.  Bd. 
Nr.  100. 

203  ff.  (E.  195;  Hf.  199)  ist  zu  lesen: 

Theophil  sprak:   lDu  hest  my  sware  rede  vorgeXeghet, 
Also  wie  jo  den  mistrosteren  pleget. 
'Du  hast  mir  schwere  Bedingungen  vorgelegt,  wie  man  es  immer  den  Verzweifelten 
(die  sich  mit  dem  Teufel  einlassen)  zu  thun  pflegt. '    steare  rede  entspricht  dem 
bitter  wort  der  Stockh.  Hds.  388,  in  der  Tr.  Has.  686  in  buter  wort  entstellt,  was 
von  Hf.  in  boterwört  (Btisserworte  sie !)  geändert  wird.    Vgl.  auch  Sass  S.  42. 
231  (E.  229;  Hf.  227).  • 

Nu  scaltu  don  wat  ik  dy  hete. 
Der  folgende   Reim  bereit  zeigt,  dass  heit  zu  lesen  ist,  welches  als  Präterit.  zu 
fassen  ist.    V.  233  ist  schon  von  E.  u.  Hf.  richtig  als  Schreibervers  ausgeschieden. 
260  f.  Dit  is  eyn  stucke  sulver  fin, 

Dat  heboe  to  der  (Hds.  des)  koste  dyn. 
'Dies  ist  ein  Stück  feines  Silber  (ungemünztes  Metall)?    Hf.  vermutet  i.  d.  Anm.  zu 
253  offenbar  falsch  nach  St.  459 :   dit  is  ein  gülden  vingeryn.     Vielleicht  ist  nach 
Tr.  798  zu  lesen:  Dit  is  ein  scutel  ('Schüssel')  sulverin: 

De  hebbe  to  der  koste  din. 
277 — 79.    Die  ungereimten  Verse  passen  allerdings  wenig  in  den  Zusammen- 
hang, und  ich  stimme  Ettmüller  bei,  der  dieselben  (s.  Bern,  nach  265)  streicht, 
308  (E.  291 ;  H.  295)  lies:    O  wy  ir  der  leyden  stunde. 
315  (Hf.  299).        God  vorkne  uns  alle  fvne  syntie 

Un  aeven  uns  syne  goiliken  mynnet 
Vreae  und  syne  gnade  to  reden 
Dat  et  anname  mote  wesen. 
Auch  hier  halte  ich  die  Ueberlieferung  von  H.  für  entstellt  und  verstümmelt     Die 
entsprechenden  Verse  der  St.  Hds.  545  ff.  lauten: 


137 

God  vorlene  uns  synen  vrede 
Unde  dar  to  guden  sede, 
Syne  gnade  my  to  redende  also, 
t>at  it  gode  annemc  sy  und  wy  des  werden  rro. 
Ich  glaube,  dass  die  Vorlage  von  H.  etwa  folgendermasscn  gelautet  hat: 
God  vorlc?ie  uns  allen  fyne  sede 
Unde  geve  uns  synen  gotliken  vrede 
Unde  my  syne  gnade  to  reden, 
Dat  it  anname  mote  wesen. 
Zunächst  kam  dem  Schreiber  st.  sede  das  nicht  passende  synne  in  die  Feder,  wozu 
sich  der  Reim  mynne  von  selbst  einstellte,  während  aber  zugleich  das  ursprüng- 
liche Reimwort  vrede  erhalten  blieb  und  in  die  nächste  Zeile  geriet 
832  f.  (E.  311;  H.  316)  lese  ich: 

Dat  schach  tohant  darna; 
Eyn  islik  sprak  ein  ave  Marja. 
Die  Verse  sind  einfach  berichtend  und  beziehen  sich  auf  die  Aufführung  (vgl  324  ff.), 
sie  hätten  also  von  den  II gg.  als  Bühnenanweisung  gedruckt  werden  müssen.    Wie 
hier  spreke  f.  sprak,  so  ist  V.  337  sprak  f.  spreket  verschrieben. 
341  (E.  320;  Hf.  325)  lese  ich: 

He  sprak:  volge  my  du 
Alsus,  salghe  mhische,  nu. 
St.  nu  liest  die  Hds.  fu.    V.  342  beziehe  ich  auf  den  Zöllner,  Hf.  fasst  es  falsch 
als  Anrede  an  die  Gemeinde;  vgl.  St.  568. 

355  (E.  334;  Hf.  339)  hebbest  ist  Conj.  und  nicht  zu  ändern.  Nach  3M  fehlt 
ein  Vers,  der  von  Hf.  richtig  nach  St.  577  hergestellt  ist  Auch  sunde  st  um 
scheint  richtig. 

392  (E.  371;  Hf.  376).  Die  Hds.  liest  richtig:  Du  bist  ok  alle  tijd  an  sinen 
henden;  es  ist  ghescriven  aus  V.  390  zu  ergänzen. 

409.    Das  over  meres  ist  von  Hf.  (393)  in  over  mer  geändert.    E.  (Amn.  z.  387) 
will  nicht  ändern.    Man  könnte  auch  overmeresch  vermuten. 
410  lies  On  st.  Ome.    E.  (388)  und  n.  (394)  lesen  En. 

415  (E.  393;  Hf.  409).  Das  überlieferte  Gif,  das  Hf.  zu  erklären  versucht,  wird 
aus  Gy  (Ihr)  entstellt  sein. 

421  ff.  (E.  397;  Hf.  403)  ist  stark  verderbt  Ich  stelle  dieselben  mit  Zuhilfe- 
nahme von  St.  654  ff.  etwa  so  her: 

O  wc,  ik  vil  khken  man, 
Myne  ogen  latet  my  bister  ganl 
Dat  ik  bin  so  sere  ghedovet  unde  dum, 
Des  is  myn  munt  worden  stum. 
Ik  bin  atso  eyn  gok: 
Myne  oren  sint  my  tcorden  dof. 
Des  is  my  lange  toren  (vgl.  St.  660) 
Dat  ik  nicht  kan  godes  wort  hören. 
Ik  lian  vorseilet  eynen  kop. 
Des  mot  ik  sin  verloren  ok 
Unde  de  sele  jo  to  voren. 
It  were  beter,  dat  ik  nicht  were  boren! 
436  (E.  412;  Hf.  418)  ik  vil  armen  ist  nicht  zu  ändern. 

449  (E.  426;  Hf.  428)  lese  ich:  To  der  wil  ik  mi  spaden  und  erkläre  sik 
spaden  =  sik  spodeti  l  sich  eilig  wohin  begeben  \ 

Die  Verse  499  (E.  476;  Hf.  478)  sind,  wie  schon  oben  bemerkt,  unrettbar  ent- 
stellt.   V.  501  verrät  sich  deutlich  als  Flickvers. 
519  ff.  (E.  495;  Hf.  498)  lies: 

De  heft  dre  daghe  leghen 
Dat  he  nu  heft  entweqen  (Hds.  en&swcgen) 
Nicht  wen  wenen  unde  aillen. 
,Er  hat  drei  Tage  gelegen,  so  dass  er  an  nichts  als  weinen  und  schreien  gedacht 


138 

hat.'    Zur  Bedeutung  von  ent wegen  vgl  Gerh.  v.  Minden  III,  20  Nichenes  drankes 
men  doch  entwoch. 

524  ff.  (£.  500;  Hf.  503)  lese  ich: 

Wente  ik  bin  de  rene. 

De  jo  de  sunder  anschre  : 

Salva  regitia  misericordie. 
anschre  =  Pract.  '  anrief1.    Das  Verb  anschrien  ist  im  Mnd.  Wb.  nicht  belegt,  wohl 
aber  das  Subst  anschrei. 

550  ff.  (E.  526;  Hf.  529)  ist  zu  lesen: 

Ik  wil  seyn,  wu  ik  ome  böte. 
Siner  groten  Bunde  swere. 
„Ich  will  sehn,  wie  ich  die  grosse  Last  seiner  Sünden  von  ihm  nehme/' 

558  (E.  534;  Hf.  537)  liest  die  Hds.  richtig:  Ome  hedde  dat  sin  vorqheven. 
„Ihm  wäre  das  (dass  er  sich  von  mir  losgesagt  hat;  mit  Beziehung  auf  V.  556) 
vergeben  worden." 

560  (E.  536;  Hf.  539)  lese  ich: 

My  deden  we  myne  wunden, 
Do  he  myner  at&o  vorsok 
Unde  der  saligen  vrucht  de  my  gedroch. 
„Mir  thaten  meine  Wunden  noch,  da  er  sich  von  mir  lossagte  und  von  (dir)  der 
seligen  Fracht,  die  mich  gebar.     Vgl.  176  (Hf.  173)  und  die  im  Mnd.  Wb.  V,  42S 
angeführte  Stelle  aus  dem  Oldenburger  Gebetbuch:  Theophilus  de  dyner  unde  dyner 
leven  nwder  vorseken  hadde.   Die  Einschiebung  von  saligen  aus  St.  792  ist  nötig,  da 
salige  vrucht,  der  soliden  vr.  eine  stehende  Bezeichnung  für  Maria  ist 
586  ist  das  hdsl.  ernerde  (Hf.  565  ir  nerde)  nicht  zu  ändern. 
Ebenso  ist  595  dem  (E.  571;  Hf.  574  des)  richtig;  es  bezieht  sich  auf  spere, 
nicht  auf  joden,    grot  ist  in  ghot  zu  ändern;  s.  z.  St.  821. 

599  ist  do  in  jo  zu  ändern;  E.  (575)  behält  es;  Hf.  (578)  schreibt  ju. 
605  (E.  581 ;  Hf.  584)  lies  one;  Hf.  liest  ene.     Ebenso  ist  636  van  ome  (E.  608 
fan  eme;  H.  613  van  hinne)  nicht  zu  beanstanden.    65(1  ist  von  Hf.  (626}  de  unnötig 
eingesetzt;  der  Ausfall  des  Rel.  pron.  kann  nicht  auffallen.    651  ist  veräomet  schon 
richtig  von  E.  u.  Hf.  in  vordovet  gebessert 
670  f.  liest  die  Hds.  richtig: 

Ik  han  one  gevraget  sere 
Mynen  heren  Lucifere. 
Der  doppelte  Akkusativ  ist  bei  vraaen  nicht  auffällig.    E.  (635)  schreibt  ume  ene; 
Hf.  (642)  ene,  was  er  aber  auf  Lucifer  zu  beziehen  scheint. 

686  (E.  651;  Hf.  658).  He  (der  Brief)  lit  Lucifer  under  sinem  jucke.  Die 
Herausgeber  haben  mit  ihren  Erklärungen  und  Aenderun^svorschlägen  nicht  das 
richtige  getroffen.  Auch  die  Erklärung  Woestes,  welcher  im  Mnd.  Wb.  II,  407  jok 
als  Mauernische  hinter  Lucifers  Hochsitze  erklärt,  ermangelt  der  Begründung.  Auch 
V.  700  (Hf.  692  [=  St  984]  steht  de  under  di  lit  bearaven.  Die  Verse  scheinen 
rettungslos  entstellt.  Vielleicht  änderte  der  Schreiber  das  düng  der  Vorlage  in  luck 
'Loch*  s.  z.  St.  912. 

üeber  702—705  (E.  667;  Hf.  674)  s.  die  Vorbemerkung. 
713.    Das  hdsl.  vueren  ändere  ich  in  uneren  (violare).    E.  (678)  schreibt  fören; 
Hf.  (685)  vorveren. 

716  ff.  lese  ich  mit  Vergleichung  von  St  956: 

Maria  sprak:  lnu  slap,  Theophile, 
Du  heft  dre  dage  unde  tne 
An  grotem  dwenge  wesen: 
Nu  oistu  aller  sorge  genesen.' 
722  f.  (E.  685;  Hf.  692).    Auch  um  diese  Stelle  haben  sich  die  Hgg.  vergeblich 
bemüht    Icn  lese: 

Naria  sjyrak:  *  Theophile,  ik  wil  di  recken 
Unde  teil  di  nicht  vorscreckefti. 


recken  ist  reken  'wieder  to  reke,  in  Ordnung  bringen'.  Die  Form  mit  ck  ist,  wenn 
auch  nur  für  das  Adj.  belegt  im  Mnd.  WD.  III.  455.  Z.  2  von  oben.  Vgl.  z.  St. 
llds.  962. 

726.  (£.689;  Bf.  696)  die  Hds.  liest  richtig:  mit  sunderliken  sahen  'auf  ge- 
heimnisvolle Weise';  vgl.  R.  V.  4874  dorch  sunderlyke  sakc. 

Die  Verse  732—742,  welche  von  Hf.  gestrichen  sind,  machen  durchaus  nicht 
den  Eindruck  der  Unächtheit;  nur  V.  732  verrät  den  Bearbeiter,  der  das  Drama  in 
erzählende  Form  brachte.    Er  wird  ursprünglich  geschrieben  haben: 

Theophil  8prak  in  korter  vrigt: 

Ik  love  an  dinen  soncn  den  hilligen  Krist, 

Unde  wil  one  nummer  mer  vortten 

Unde  de  juncfrowen  maget  Marien, 

De  mi  gnade  wunnen  hat. 

Bat  alle,  got  unde  quat, 

Konden  8prekenx  de  wenegen  unde  groten, 

Se  konden  se  mit  love  nummer  mer  boten, 

Se  en  konden  se  nummer  vul  loven: 

Se  sin  alles  love»  eriboven. 
„Gesetzt,  dass  alle  Geschöpfe,  gute  und  böse,  die  kleinen  und  grossen,  sprechen 
könnten,  so  könnten  sie  sie  mit  Lob  nicht  befriedigen:  sie  sind  über  alles  Lob  er- 
haben.   Zur  Formel  got  unde  quat  vgl.  St.  Hds.  246  und  die  Bern.  z.  V.  63. 

746  (E.  707;  Hf.  706)  kann  ich  Ettmüllers  und  Hoffmanns  Erklärung  von 
vorreden  als  'verritten,  in  die  Irre  geritten'  nicht  billigen.  Die  St  Hds.  980  hat  un- 
zweifelhaft das  richtige:  Ik  hadde  my  vorredet  al  to  screi  Ich  hatte  mich  zu  sehr 
durch  Versprechen  gebunden. 

Northeim.  ROBERT  SPRENGER. 


Zu  Gerhard  von  Minden. 

2,  21.  De  wulf  sprak:  Dat  is  schult  genöch 

van  di,  dat  din  drank  mi  geröch, 

de  mit  di  moste  sin  verdomet; 

dut  vUt  drovet  unde  wlomet, 

dat  ik  is  drinken  nicht  en  mach; 
Diese  Stelle  ist  zuletzt  von  Sprenger  behandelt  Germania  XXXIV.  419.  Derselbe 
liest  V.  22  gedröch  statt  geroch  und  fügt  V.  24  hinter  vlit  ein  he  ein.  Ferner  hebt 
er  hervor,  dass  wlomen  und  droven  nicht  in  intransitiver  Bedeutung  vorkämen.  Letz- 
teres ist  jedenfalls  richtig.  Es  scheint  mir,  dass  die  Schwierigkeiten  dieser  Stelle 
bis  auf  geröch  sich  leicht  beseitigen  lassen,  wenn  man  din  drank  in  V.  22  als  Sub- 
jekt auch  zu  drovet  unde  wlomet,  dut  vlet  als  Objekt  zu  diesen  Verben  fasst  und 
hinter  V.  23  das  Semikolon  tilgt.  Das  von  Sprenger  ergänzte  he  in  V.  24  ist  zu 
streichen. 

3,  100.  Unde  worden  vast  aldus  gebunden 

mit  einem  vaden,  den  se  vunden, 

daraf  geneget  was  ein  hot. 
Gegen  des  Herausg.  Konjektur  bot  ' Endchen '  für  höt  'Hut'  und  meine  Erklärung 
von  aeneget  *  genagt',  Nd.  Jahrb.  XIII,  75,  hat  sich  Sprenger  a.  a.  O.  ausgesprochen, 
der  not '  Hut '  Deibehalten  will,  weil  das  landschaftlich  begrenzte  bot  sich  im  älteren 
Niederdeutsch  nicht  belegen  lässt.  Dieser  Grund  ist  nicht  stichhaltig,  ganz  abge- 
sehen davon,  dass  Sprenger  selbst  gelegentlich  in  ähnlicher  Weise  verfährt,  d.  h. 
Formen  ansetzt,  die  sich  im  Mnd.  nicht  belegen  lassen.    Ob  bot  nicht  auch  ander- 


140 

weitig  vorkommt,  bleibt  noch  zu  untersuchen.  In  der  Form  bot  scheint  es  sich  in 
Kattenstedt  a.  H.  zu  finden.     Das  abgesägte  Stammende  eines  vom  Winde  um- 

feworfenen  Waldbaumes,  an  dem  sich  noch  Erde  und  die  abgerissenen  Wurzeln 
efinden,  heisst  hier  waroöt.  Was  war-  heisst,  kann  ich  zwar  nicht  mit  Bestimmt- 
heit sagen,  vermute  aber,  dass  es  für  warp  steht;  tcarböt  bedeutete  dann  Wurfende, 
vergL  warpschifele  'Wurfschaufel'.  Aus  Halberstadt  ist  mir  der  Familienname 
Gerooth  bekannt  Auch  in  diesem  Namen  könnte  both  'Ende'  bedeuten.  Dass  bot 
eine  Neubildung  sei,  glaube  ich  nicht,  sondern  halte  es  für  ein  uraltes  Wort,  auch 
wenn  es  sich  für  das  Mnd.  nur  aus  dem  Laiendoctrinal  belegen  lässt  Wie  manches 
alte  Wort  lebt  im  Volksmunde,  das  sich  in  der  älteren  Schriftsprache  nicht  findet.  — 
Was  die  gegen  mich  gerichtete  Bemerkung  betrifft,  dass  ich  durch  Seelmanns  Kon- 
jektur verleitet  ein  im  Mnd.  nicht  belegbares  nagen  =  gnagen,  knagen  'nagen'  an- 
setze, was  um  so  bedenklicher  sei,  als  auch  für  das  Nd.  nagen  der  Umlaut  uner- 
wiesen sei,  so  scheint  es  mir  mit  dieser  Begründung  um  nichts  besser  zu  stehen, 
obwohl  dämm  meine  Erklärung  noch  nicht  richtig  zu  sein  braucht  Warum  die 
Worte  daraf  geneget  was  ein  Mt  heissen  müssen  *  womit  ein  Hut  genäht  gewesen 
war',  hat  Sprenger  nicht  gesagt;  dass  höt  'Hut'  und  geneget  'genäht'  heissen  kann, 
weiss  ich  sehr  wohl,  und  der  Herausgeber  wird  es  auch  gewusst  haben.  Dennoch 
halte  ich  in  diesem  Zusammenhange  Siese  Bedeutung  nicht  für  richtig.  Was  thut 
es  zur  Sache,  dass  mit  dem  Faden  ein  Hut  genäht  war?  Und  warum  gerade  ein 
Hut?  Konnte  es  nicht  auch  eine  Schürze  sein?  Der  Zusatz  ist  nichtssagend.  Noch 
fragt  es  sich,  ob  daraf  'womit'  heissen  kann;  eher  'woraus',  indem  es  den  Stoff 
angicbt,  von  dem  oder  aus  dem  etwas  gefertigt  wird.  Vergl.  mnd.  Wb.  I  485  s.  v. 
daraf  und  V  684  s.  v.  werken,  —  Wenn  für  das  hd.  nagen  der  Umlaut  unerweislich 
ist,  so  ist  damit  für  das  Nd.  nichts  bewiesen.  Der  Umlaut  im  Nd.  muss  erst  noch 
untersucht  werden;  soviel  steht  jedenfalls  fest,  dass  er  im  Nd.  oft  steht,  wo  er  im 
Hd.  fehlt.  Um  Fallersleben  findet  er  sich  vielfach  in  Worten,  die  ihn  um  Blanken- 
burg  nicht  haben.  Wenn  er  aber  im  Nd.  nicht  einmal  gleichmässig  auftritt,  so 
kann  das  Hd.  als  Beweis  für  das  Nd.  nicht  herangezogen  werden.  —  Vielleicht  ist 
die  Stelle  ganz  anders  als  bisher  geschehen  ist  zu  erklären. 

6,  1  ff.  Ein  louwe  wolde  jagen  varen;  15  De  weder  sprak  der  bute  vro: 

went  het  allene  nicM  bewaren  lDo  ik  on  sach,  sat  ik  om  to, 

ne  künde,  do  nam  he  darto  dat  was  om  to  Karde  torn; 

den  bok,  den  weder  unde  de  ko  do  he  sach  mint  krummen  hörn, 

5  unde  treckede  mit  on  in  den  wolt,  do  vlo  he  mi  also  sere, 

dar  he  des  icildes  wiste  entholt.  20  rechte  als  ik  de  duvel  were'. 

Den  weder  satte  he  in  de  stat,  De  bok  sprak:  lDo  he  enware  wart, 

dar  men  to  bersende  jo  sat;  dat  so  lank  was  mtn  grawe  hart 

he  satte  enmidden  up  de  warde  unde  mine  hörne  lank  unde  gröt, 

10  den  bok  mit  sinem  langen  bar  de;  mine  ogen  bernende  unde  röt, 

bi  den  dik  satte  he  de  ko,  25  do  moste  he  vlein  dor  de  not, 

dar  io  de  harten  lepen  to.  doch  makede  ik  om  einen  stöt\ 

De  louwe  on  üt  dem  dike  brachte,  De  ko  sprak:  'Ik  dede  ju  geUk 

na  sinem  rechte  he  do  on  wrachte.  unde  jagede  on  hir  in  den  dik\ 

V.  1—12  berichten  die  Aufstellung  oder  Anstellung  der  Jäger.  Auffällig  ist  sat 
V.  8,  welches  'sass'  oder  'sich  setzte'  bedeutet.  Man  sitzt  aber  nicht,  um  zu  jagen, 
zu  bersen.  bersen,  mit.  bersare,  altfr.  berser,  erst  im  1 3.  Jahrhundert  aus  dem  Fran- 
zösischen eingeführt  steht,  wie  jagen,  von  Hunden  und  dem  Wilde  selbst:  Wie  die 
Hinden,  Reh  und  Hirsen  Hin  und  her  durch  die  Stauden  pirsen.  (H.  Sachs.)  Erst 
später  hat  man  in  das  Wort  die  Vorstellung  von  telis  configere,  oder  mit  der 
Büchse  zur  Jagd  auf  Hochwild  gehen  gelegt.    Gr.  Wb.  H,  40. 

In  den  im  mnd.  Wb.  angezogenen  Beispielen  hat  bersen  gleichfalls  die  Bedeu- 
tung 'jagen',  nicht  'birschen'  im  heutigen  Sinne.  Auf  dem  nd.  Harze  lautet  heute 
das  Wort  preschen.  Fremdworte  mit  anlautendem  b,  zeigen  fast  ausnahmslos  in  der 
Kattenstedter  Mundart  ein  p.  Die  Bedeutung  ist  nicht  'birschen',  sondern  allgemein 
'jagen'  von  Menschen  und  Tieren,  gern  vom  Hochwild:  de  harsch  presefa  dn  mek 
vorbi.  Wenn  V.  8  sat  richtig  ist,  so  würde  man  bersen  im  Sinne  von  telis  configere 
nehmen  müssen.  Vielleicht  ist  aber  statt  dessen  hdt^^hadde  zu  lesen:  'wo  man  zu 
jagen  pflegte'.    S.  meine  Bern,  zu  B.  V.  812  in  der  Germania  XXXIII,  p.  S79.    Zu 


141 

vergl.  ist  noch  bei  Schambach  s.  v.  tlen  die  Wendung:  d&n  harre  eh  te  liene  'den 
mochte  icli  leiden.' 

V.  9  hat  die  Hs.  he  satte  an  tnidden  up  de  warde.  an  gehurt  zu  satte,  an- 
setten  'Platz  anweisen,  anstellen1  ist  Ausdruck  der  Jägersprache.  Störend  ist  V.  12 
der  Übergang  von  dem  Plural  dar  jo  de  harten  lepen  to  zu  dem  Singidar  de  louwe 
on  (den  Hirsch)  üt  dem  dike  brachte,  zumal  wenn  man  auch  des  wildes  in  Vers  i\ 
kollektiv  nimmt  In  der  Fabel  ist  sonst  immer  nur  von  einem  bestimmten  Hirsch 
die  Rede.  Dies  veranlasst  mich  zu  der  Vermutung,  dass  V.  12  zu  lesen  ist:  dar 
jo  de  harte  lep  hen  to.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  der  Löwe  auszog,  nicht  um 
irgend  einen  Hirsch  zu  jagen,  sondern  einen  bestimmten,  dessen  Standort  (entholt) 
und  Wechsel  (dar  jo  de  Harte  lep  hen  to)  er  genau  kannte.  Dann  würde  V.  6  des 
wildes  auch  den  bekannten  Hirsch  bezeichnen.  Verschwiegen  wird,  dass  der  Hirsch 
seinen  Standort  verlasst,  bez.  wer  ihn  hoch  macht,  und  wo  der  Löwe  sich  anstellt. 
V.  1 3  berichtet  gleich,  der  Löwe  habe  den  Hirsch  aus  dem  Teiche  gebracht.  Wenn 
er  weiter  keinen  Anteil  an  der  Jagd  hat,  dann  dürfen  Widder,  Bock  und  Kuh 
mit  Recht  ihr  Verdienst  hervorheben  V.  16 — 2^.  Aber  V.  27  hat  die  Hs.  do  he 
statt  de  ko,  und  die  hds.  Lesart  scheint  mir  möglich,  he  wäre  der  Löwe,  er  spricht: 
'Ich  that  gleiches  wie  ihr  (Widder  und  Bock)  und  jagte  ihn  hier  in  den  Teich'. 
Es  antworten  ihm  nur  der  Widder  und  der  Bock  (de  weder  sprak  do  mit  dem  bücke), 
was  erklärlich  ist  wenn  auch  vorher  die  Kuh  nicht  gesprochen  hat. 

V.  14  hat  die  Hs.  to  on.  Vielleicht  ist  on  to  wrackte  zu  lesen.  Das  einfache 
werken  im  Sinne  von  ' ausweiden,  zerlegen'  ist  nicht  belegt;  towerken  würde  mhd. 
zewirken  entsprechen,  Tristan  2793:  wer  sach  ie  hirz  zewirken  so.  Der  Löwe, 
welcher  die  Jagd  veranstaltet,  den  Hirsch  vermutlich  aus  seinem  Standorte  hoch 
gemacht  und  schliesslich  aus  dem  Teiche  geholt  hat,  hat  das  Recht  der  Teilung. 
Sprengers  Erklärung:  he  to  om  wrachte  'that  er  mit  ihm1  scheint  mir  nicht  das 
richtige  zu  treffen,  ebenso  wenig  die  des  hds.  hude  in  V.  15.  Mit  Seelmann  lese 
ich  bute.  warde  in  V.  9  bedeutet  *  Warte'.  Wie  die  Kuh  an  den  Teich,  der 
Widder  an  den  Birschgang,  so  wird  der  Bock  nicht  auf  die  'Hut',  sondern  auf  die 
Warte  gestellt. 

7,  13.  De  wise  man  sprak  dusse  mere, 

dat  ik  der  sunnen  wiüe  were 
6k  wis,  dat  he  wolde  nemen 
ein  echte  wif. 
Spr.  a.  a.  0.  vermutet  dass  zu  schreiben  ist  6k  wes  en  '  und  gab  ihn  (den  Willen)  zu 
erkennen'.    Diese  Übersetzung  ist  unrichtig,   6k  heisst  nicht  'und';   man  würde 
wenigstens  6k  wSs  he  en  erwarten.    Meine  frühere  Erklärung  halte  ich  noch  auf- 
recht, wenn  nicht  etwa  wisse  statt  wis  en  zu  schreiben  ist    Die  Bedeutung  von 
wis,  wisse  'sicher,  gewiss'  war  aus  dem  mnd.  Wb.  zu  ersehen. 

10,  00.  dar  hadden  se  over  gut  gemak.  Es  ist  overgüt  zu  schreiben  wie  sonst 
overgröt, 

18,  11.  Ein  konnink  wart  on  gr6t  genöch, 

wol  sticht  an  art  unde  ane  toch, 
de  here  van  enem  berge  slöch, 
ein  balke  lank  unde  ungevöch, 
he  was  to  beiden  enden  stump. 
Die  Hs.  hat  V.  12  ast  statt  art.    Es  ist  von  einem  Balken  die  Rede,  der  zwar  lank 
unde  ungevöch,  aber  sticht  ist,  d.  h.  ane  ast  unde  ane  t6ch  'ohne  Ast  und  ohne 
Zweig'.    t6ch  ist  nicht  'List',  wie  die  Wortlese  angiebt,  sondern  'Zweig'.    In  dem 
aus  Gr.  Weisth.  3,  184  angezogenen  Beispiele  lässt  das  mnd.  Wb.  diese  Bedeutung 
des  Wortes  noch  zweifelhaft,  doch  wie  ich  glaube  ohne  Grund. 

21,  37.  de  bände  weren  ome  gedreven 

unde  mannich  gr6t  stach  gegeven. 
Die  Redensart  einen  de  benne  dndrtben  'jemand  in  barscher  Weise  zur  Eile  an- 
treiben' ist  in  Kattenstedt  und  Umgegend  allgemein  üblich. 

27,  121  ff.  interpungiere  ich  folgendermassen : 
Se  leiden  alle  sorge  neder, 
he  trostede  se,  se  trostede  on  weder 


142 

mit  ddt  unde  6k  mit  soter  rede. 
Wart  da  gebroken  dusse  vrede, 
dar  af  vreschede  ik  ni  klage 
sint  noch  to  hove  noch  to  dage. 

143  ff.  interpungiere  ich:  De  ridder  or  do  dankede  sere, 

allein  it  (ihre  Handlungsweise)  harde  unwiflich  wert. 
Up  dat  he  doch  etc. 
159  ist  hinter  ruwen  ein  Komma  statt  Punktes  zu  setzen;  beschütte  in  V.  157 
wird  Konjunktiv  Iraperf.  sein. 

28,  19  lese  ich:       Se  sprak:  lGi  leget;  mit  uneren 

is  it  bescheren  mit  ener  scheren 

29,  22  vermute  ich,  dass  es  heissen  lnuss:  dar  het  he  an 

how  meygen  twene  sine  knapen. 

30,  1  ff.  interpungiere  ich  folgendennassen: 

Ein  sclione  junk  wif  unde  unstade, 
mit  logene  unde  mit  valschem  rade 
brak  af  vil  mangern  manne  gut. 

31,  31  ist  hinter  rede  ein  Punkt  zu  setzen. 
35,  6  ist  hinden  statt  hinder  zu  lesen. 

43,  24.  He  schal  erst  bidden  vor  de  sele 

dat  it  ome  darna  wol  irga; 
dat  gut  volget  ome  na 
statt  darna  ist  wohl  daran  zu  schreiben. 

45,  1  ff.  möchte  ich  folgendermassen  lesen: 

Ein  vos  gink,  do  de  mane  scliein, 

des  nacktes  up  ein  velt,  dar  ein 

dep  pöl  bi  sinem  wege  lach, 

dar  he  des  manen  Schemen  sach. 

Darna  om  duckte  an  sinem  geberef 

dat  it  ein  schdpkese  weret 

went  he  om  duckte  also  geschapen. 

49,  186.  Do  ome  tobroken  was  sin  schilt, 

to  gadere  h€U  it  doch  de  vilt, 

dat  it  ome  hangende  do  blef. 

De  vedere,  dar  man  mede  scrif, 

de  was  vorgeten  in  dem  brede; 

de  meisten  angest  ome  de  dede. 

(dat  ore  noch  de  duvele  plege!) 

de  brachte  on  erst  to  acMerwege, 

went  de  stak  on  do  umme  dat  hol. 
V.  190  ist  vorgeten  schwerlich  richtig.    Wie  V.  194  zeigt,  war  die  Feder  nicht  ver- 
gessen.   Statt  vorgeten  ist  vorseten  von  vorsitten.  cf.  vorsetene  rente  'restierende', 
mnd.  Wb.  V,  44«  oder  ---  beseten  zu  schreiben.    Mnd.  Wb.  I,  269  beseten  'der  einen 
«^  Sitz  hat'.    V.  192  ist  von  Sprenger  richtig  erklärt. 

51,  4.  Dit  mir  quam  over  al  de  lant, 

dat  sere  untvrochte7  dat  darunder 
vorborgen  were  ein  merwunder. 
Statt  de  lant  V.  4  ist  dat  lant  zu  schreiben. 

52,  28  ff.  interpungiere  ich  folgendermassen: 

Heb  ik  geddn 
je  gudes  icht  an  miner  joqet, 
was  an  mi  jenigerhande  doget, 
des  mach  ik  klene  nu  geneten. 
Do  gi  mi  bi  ju  slapen  Uten 


143 

38  ff.  lese  ich:                       mer  older,  dat  ju  tokomen 
wol  mach  bi  wane  an  körten  jaren. 
Nochten  blive  gi  wol,  de  gi  waren, 
allein  untgän  si  mi  de  macht. 
Dar  schotaen 

54,  1 .  Ein  raven  döt  enen  pawen  vant. 

Do  dachte  he  darna  tohant 
mit  sinne  unde  mit  gudem  willen, 
dat  he  den  pawen  wolde  viüen 
unde  wolde  sin  vlesch  eten  sän, 
algader  umme  sinen  rugge  hdn 
unde  wolde  mit  den  pawen  gan 
Statt  algader  V.  6  ist  wohl  de  vederen  zu  lesen,    Vergl.  V.  13  und  14:  He  rofte  al 
sine  vederen  af  Unde  töch  des  pawen  vederen  an. 

39.  des  bin  ik  vredelös 

worden  unde  bin  als  ein  gös, 
de  uppe  den  eigeren  gevrös, 
gevillet,  blöt  unde  beroft. 
Statt  gevillet  hat  die  Hs.  gevullet,  was  in  gewullet  und  nicht  in  gevillet  zu  ändern 
sein  dürfte,    de  gerne  wutten  'den  Gänsen  die  Federn  nehmen',  sek  wullen  'sich  in 
die  Haare  fahren'  sind  heute  ganz  übliche  Wendungen  am  Harz. 

55,  7.  De  quamen  al  up  enen  dach, 

dar  ne  an  sinem  denne  lach, 
dar  dicke  umme  ein  dorne  was, 
darbinnen  blomen  unde  gras. 
V.  9  war  das  hds.  dat -van  nicht  in  dar -ein  zu  ändern. 
59,  64  ist  das  in  der  Hs.  fehlende  is  zu  streichen. 
61,  58.  To  wolde  trecken  men  begunde; 

de  hart  de  wart  tohant  gespört 
unde  one  tohant  so  verne  untvört 
van  groter  snelheit  siner  bene, 
Statt  gespürt  hat  die  Hs.  gehört.    Mit  Recht  verwirft  Sprenger,  Programm  Northeim 
JS79,  Seite  9.  das  vom  Herausg.  gesetzte  gespart  Aber  ebenso  wenig  ist  Sprengers 
Änderung  gekört  richtig,   die  er  auch  Fabel  47,  95  statt  des  hds.  upgeboret  vor- 

? genommen  hat.  An  beiden  Stellen  halte  ich  upgeboret  und  gebort  für  das  richtige, 
n  der  Waidmannssprache  heisst  es  einen  Hirsch  'hoch  machen',  aufjagen  aus  seinem 
Aufenthaltsorte.  Dem  entspricht  genau  upboren.  b  und  h  sind  mehrfach  in  der 
11s.  verschrieben,  s.  Vorbem.  p.  165. 

65,  103.  unde  nuttede  dit  orlof  also 

de  wulf,  dat  he  at  al,  dat  om  wart, 

unde  dede  echt  do  na  siner  ort 

düfröf,  mort,  schalkheit  also  gröt, 

dat  ne  dorste  ein  sin  genöt 

meW  bösheit  dQn,  dan  ne  do  dede, 

dat  ome  to  lest  do  quam  wol  mede; 

went  do 

V.  109  wird  kaum  heissen  können  'was  ihm  zuletzt  wohl  bekam'  (ironisch).  Es  ist 
wohl  vul  für  wol,  vul  mede  'voller  Lohn'  zu  lesen.  Die  Erläuterung  dieses  Verses 
folgt  V.  HO— 119. 

71,  29.  Wu  dit  dir  erst  sin  dink  anklive, 

wu  it  sik  üt  der  moder  live 

jo  brikt,  ik  dat  nu  nicht  en  scrive, 

up  dat  de  rede  de  korter  blive. 

Dat  is  noch  war.  Der  dere  ein  wilen 

begunde  sere  des  nacktes  ilen 

to  velde  unde  vel  in  ene  groven. 
V.  33  hat  die  Hs.  enwilen.    V.  1—33  ist  nur  von  dem  Panther  die  Rede.    Beson- 


144 

ders  wird  V.  4  und  5  hervorgehoben,  dass  er  niemandem  Leid  zufüge,  der  ihm  kein 
Leid  zufügt.  Es  wäre  nun  zu  erwarten,  dass  auch  in  V.  33—72  von  dem  Panther 
geredet  werde,  dazu  passen  aber  die  Worte  der  dere  ein  V.  33  nicht  Das  hds. 
enwilen  halte  ich  für  nchtig  und  ändere  der  dere  in  dit  dir. 

74,  29.    sürogede  ist  nicht  'boshaft  blickend',  wie  in  der  Wortlese  angegeben 
wird,  sondern  'triefäugig'.    Vgl.  V.  18:  wo  sine  ogen  van  tränen  vletet. 
80,  4.  De  quamen,  unde  se  alle  geden, 

dede  icht  van  arzedie  künden, 
dat  se  wol  rät  darto  vunden, 
dat  ome  wol  gehulpen  worde 
Statt  geden  V.  4  möchte  ich  seden  'sagten'  lesen.    Vergl.  Fab.  49,  150  wo  ich  auch 
vorgeten  in  vorseten  änderte. 

86,  61.  De  wert  wolde  one  maken  vro, 

ein  8upent  brachte  he  om  do 
van  berensape  unde  van  mele, 
dat  wart  van  sek  sulven  gele. 
Vil  klene  was  it  ome  to  heit, 
darumme  he  des  nicht  en  beit, 
he  blis  darin  mit  sinem  munde, 
icht  he  des  icht  gekolen  künde. 
Statt  beit  V.  66  lese  ich  leit  'Hess'.    Obwohl  ihm  der  Trank  durchaus  nicht  (vü 
klene)  zu  heiss  war,  unterliess  er  es  deswegen  nicht,  ihn  zu  kühlen. 

"9.  leschen  heisst  hier  nicht  'erlöschen',  wie  die  Wortlese  angiebt,   sondern 
'löschen,  auslöschen'  wie  der  Gegensatz  entfengen  deutlich  anzeigt 
89,  8  ist  das  Komma  zu  tilgen. 
92,  98.  Me  plecht  to  wegende  hir  de  sunde; 

we  de  aldermeist  hat  geddn, 
darnach  möt  weder  sin  wage  slän. 
Statt  weder  V.  100  ist  neder  zu  lesen. 

93,  67.    oft  he  van  dode  ofte  van  live  enen  bür  van  older  ort, 

sin  man  nicht  lenk  en  blive  dede  gut,  wis,  truwe  nu  ne  wart, 

unde  mit  eren  tredet  üt  de  mit  des  esels  rochte 

unde  sin  here  des  lowen  hüt  wolde  aerne,  icht  he  mochte, 

tut  enem  esele  an  dat  volk  vorjagen  unde  vorvertn 

unde  maket  enen  ammechtman  unde  engestliken  geberen. 

Das  Satzgefüge  ist  fehlerhaft.  Von  oft  V.  66  hängen  offenbar  ab  die  Verba  blire, 
tredet  üt,  tut  an  und  maket;  auf  bür  V.  78  beziehen  sich  die  beiden  Relativsätze 
V.  74  dede  —  wart  und  V.  75  de  mochte  —  geberen.  Richtig  wird  das  Satzgefüge, 
wenn  hinter  V.  69  ein  Komma  gesetzt,  V.  70  unde,  das  aus  V.  69  hierher  geraten 
sein  kann,  gestrichen  wird,  und  mit  sin  der  Nachsatz  beginnt 

103,  38  ff.  lese  ich:  Do  se  sach  der  apen  here, 

do  begunde  he  se  beide  laden 
to  siner  hochtit,  sunder  schaden 
dat  se  dat  dinst  segen. 
des  ome  de  apen  vorplegen. 

Blankenburg  a.  H.  Ed.  Damköhler. 


145 

Ein  lateinisch-niederdeutscher  Tractat  aus  Bürsfelde. 

Die  Marburger  Universitätsbibliothek  besitzt  eine  grössere  Anzahl 
von  Handschriften  aus  dem  Kloster  Bursfelde,  die  ihr  in  westphälischer 
Zeit  aus  Corvey  zugekommen  sind.  Ein  im  Jahre  1803  von  dem 
nassau-oranisehen  Bibliothekar  Campill  aufgenommenes  Verzeichnis  der 
Corvcyer  Manuseripte  zeigt,  dass  wir  nur  einen  Teil  des  alten  Bestandes 
erhalten  haben;  immerhin  ist  das  hier  vorhandene  wichtiges  Material 
für  den  Forscher,  der  es  es  unternimmt,  das  geistige  und  religiöse 
Leben  in  den  Klöstern  der  Bursfelder  Congregation  und  zunächst  in 
dem  des  Vorortes  zu  schildern,  denn  fast  sämmtliche  Manuseripte  ge- 
hören der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  an,  also  der  Blüthezeit 
der  Congregation. 

Ein  nur  vorläufig  genügendes  Inhaltsverzeichnis  unserer  Bursfel- 
dischen  Codices  hat  C.  F.  Herrmann  im  Catalogus  codd.  mscr.  qui  in  biblio- 
theca  Marburgensi  asservantur  latinorum  (Marb.  1838)  gegeben.  Es  fällt 
auf  den  ersten  Blick  auf,  wie  gänzlich  das  Deutsche  darin  zurücktritt: 
in  der  Pflege  des  heimischen  Schrifttums  hat  man  in  Bursfelde  dem  be- 
rühmten Vorbilde  der  Congregation  von  Windesheim  offenbar  nicht  nach- 
geeifert. Die  einzige  Handschrift,  welche  das  Interesse  des  Germanisten 
erregt,  ist  die  bei  Herrmann  mit  D  17  bezeichnete,  in  den  neuen  von 
Dr.  K.  Boysen  hergestellten  Katalog  als  Ms.  54  aufgenommen.  Sie 
trägt  aussen  noch  die  alte  Corveyische  Nummer  12,  und  ihre  Herkunft 
aus  Bursfelde  wird  zwar  durch  keinerlei  alten  Eigentumsvermerk  oder 
sonstige  Eintragung  verkündigt,  wol  aber  durch  andere  Kriterien,  wie 
besonders  das  mit  andern  bursfeldischen  Handschriften  gleichartige 
Inhaltsverzeichnis  verbürgt. 

Der  dicke  Holzledereinband  umschliesst  eine  grössere  Anzahl 
Einzelhandschriften  verschiedener  Herkunft,  aber  des  gleichen  Klein- 
oetavformats.  Die  neue  Zählung  ergibt  für  das  ganze  429  Blätter,  wo- 
bei aber  ein  paar  zum  Einband  der  Papierhandschriften  verwendete 
Pergamentblätter  mitgezählt  sind.  Das  aus  dem  15.  Jahrh.  stammende 
und  wahrscheinlich  dem  Einband  gleichzeitige  Inhaltsverzeichnis  f ührt 
14  verschiedene  Bestandteile  auf,  ohne  die  kleineren  Eintragungen 
mitzuzählen. 

Den  Eingang  bilden,  mit  auffallend  schöner  Handschrift  beginnend, 
Nr.  1  'Omelie  [decem]  Eusebii  ad  Monachos'  (Bl.  4 — 4G);  es  folgt  Nr.  2 
ein  'Exercicium  pulchrum  cuiusdam  regularis'  (Bl.  49 — 59);  Nr.  3  ein 
'Tractatus  incitans  ad  veram  humilitatem'  (Bl.  69 — 78);  Nr.  4  'Tractatus 
qualiter  ob  amorem  Domini  Jesu  possint  respui  vicia'  (Bl.  79 — 96),  auf 
den  ich  unten  näher  eingehe.  Aus  dem  weitern  Inhalt  hebe  ich  noch 
hervor:  zunächst  Nr.  7  'De  imitatione  Christi  primus  über'  (Bl.  171 — 
189).  Der  Schreiber  dieses  Teils  nennt  zum  Schlüsse  die  Jahreszahl 
1461,  den  Ort  4in  Hallis',  d.  i.  Halle  a.  S.,  und  seinen  Namen:  Hildebrand 
von  Hardegsen:  er  hat  auf  den  folgenden  Blättern  noch  allerlei  Ein- 
tragungen hinterlassen,  darunter  Bl.  190b— 192a  das  oben  S.  41  ff.  ab- 
gedruckte Gedicht  des  Jacob  von  Katingen,  BL  194  den  weitverbreiteten 

Nlederdeutflchofl  Jahrbuch  XVI.  \{) 


146 

Rhythmus  Multi  sunt  presbyteri  qui  nesciunt  quare  Supra  domum  do- 
mini  gallus  solet  stare  (Zeitschr.  f.  d.  Alt.  15,  491),  Bl.  193  einen  kurzen 
Abschnitt  aus  einer  lateinischen  Schrift  des  'Franciscns  Petrarcha; 
die  ich  im  Augenblicke  nicht  feststellen  kann ').  Schrieb  dieser  Hilde- 
brand, der  aus  der  nächsten  Nähe  von  Bursfelde  stammte,  in  Halle, 
wo  er  zu  dem  gleich  Bursfelde  von  Joh.  Busch  reformierten  Moritz- 
stifte2) Beziehungen  hatte  (s.  Anm.  1),  so  mag  in  Halle  auch  die  Hand- 
schrift von  Nr.  12  entstanden  sein,  die  im  Index  als  'Tractatus  triuni 
luminarium'  bezeichnet  wird:  der  Schreiber  beginnt  Bl.  273*  und  geht 
Bl.  288 b  unten  auf  der  Seite  plötzlich  aus  dem  Latein  in  mitteldeut- 
sche Sprache  über,  in  der  er  den  Tractat  Bl.  322 b  zu  Ende  führt. 

Dagegen  ist  der  Schreiber  von  Nr.4  unbedingt  ein  Niederdeutscher, 
und  die  Entstehung  dieses  Stückes  darf  recht  wol  in  Bursfelde  ge- 
sucht werden,  wo  der  Codex  zusammengebunden  wurde.  Die  Hand- 
schrift ist  mit  der  keines  andern  Schreibers  des  Sammelbandes  iden- 
tisch, das  Papier  ist  ein  anderes  als  das  der  nach  Halle  weisenden 
Nrr.  7  und  12.  Es  waren  ursprünglich  zwei  Lagen  zu  12  Blättern 
(Senionen),  4  leere  Blätter  sind  herausgerissen,  von  dem  Rest  (BL  79 
—  98)  sind  Bl.  79—96  beschrieben.  Eine  deutliche  Schlussmarke  ist 
nicht  vorhanden,  doch  hindert  nichts,  den  letzten  Satz  Et  sie  eam  ah 
omni  inquietudine  huius  miserie  pie  Überavit  als  wirklichen  Schlussatz 
zu  nehmen.  Ein  Titel  wurde  über  den  Tractat  noch  nachträglich  von 
fremder  Hand  geschrieben,  dann  beim  Zusammenbinden  des  Codex  mit 
roter  Farbe  überzogen,  aber  auf  dem  vorausgehenden  Bl.  78 b  in  der 
gleichen  Form  erneuert:  'Sequitur  tractatus  sive  exercicium 
pulchrum  ad  amorem  domini  Jesu:  qualiter  ob  eins  amorem 
possint  respui  diversa  vicia'. 

Der  mystisch -asketische  Tractat  knüpft  an  den  Text  Cant.  8.  <> 
an  und  bedient  sich  streckenweise  der  in  der  Mystik  bis  zum  Über- 
mass  gebrauchten  Lieblingsform  des  Gesprächs  zwischen  dem  'sponsus 
Christus'  und  der  'sponsa  Christi',  der  Seele.  Er  bietet  nichts  origi- 
nelles als  die  eigentümliche  Sprachmischung.  Gab  der  mitteldeutsche, 
vermutlich  hallische  Verfasser  von  Nr.  12  das  Latein  auf,  noch  ehe  er 
ein  Drittel  des  Ganzen  niedergeschrieben  hatte,  so  geht  dieser  Schrei- 
ber von  Anfang  an  gern  aus  der  reichen,  oft  durch  Reime  geschmückten 
Rhetorik  der  Kirchensprache  in  den  traulicheren  Ton  der  heimischen 
Mundart  über:  aber  immer  spärlicher  werden  diese  niederdeutschen 
Unterbrechungen,  und  auf  den  letzten  5  Blättern  behält  das  Latein 
durchaus  die  Oberhand. 

Ich  gebe  im  nachfolgenden  reichlich  das  erste  Dritteil  des  Trak- 
tates im  Wortlaut  und  füge  dann  die  wenigen  deutschen  Sätze  des 
Restes  mit  ihrer  unmittelbaren  lateinischen  Umgebung  hinzu.  Die  Auf- 
zeichnung ist  sehr  sorgfältig,  speciell  das  fast  tadellose  Niederdeutsch 

')  Eine  Beischrift  besagt:  'lste  tractatus  jacet  ad  sanctum  Mauridum  in 
Haitis  cum  rubeo  corio  coopertus. 

*)  Vgl.  Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  Bd.  IX  (Lib.  de  ref.  lnonasteri- 
oruin)  S.  461  ff. 


147 

Hisst  die  Annahme  zu,  das»  wir  es  —  in  dieser  Form  —  mit  einer 
ersten  Niederschrift  zu  tun  haben.  Es  wäre  interessant,  weitere  Mit- 
teilungen über  ähnliche  Mischhandscliriften  des  15.  Jahrhunderts  zu 
erhalten. 

Im  Abdruck  habe  ich  nur  die  Scheidung  zwischen  u  und  v  und 
eine  bescheidene  Interpunction  eingeführt. 

(71)*)  Pone  me  sicut  signaculum  super  cor  tuum,  ut  signaculum  super  braehium 
tuum,  quia  fortis  est  ut  mors  dilectio.  Ista  sunt  verba  sponsi  celestis,  que  Christus 
primo  dixit  ad  Mariam  virginem  et  eins  matrem  dilectissimam.  Et  eadetn  verba 
nunc  et  semper  dicit  ad  omnem  animam  devotam,  et  singulariter  ad  quamlibet 
j>ersonam.  0  sponsa  Christi,  de  du  beclaghest  dyne  unstedychcyt  unde  dyner 
danken  unreynicheyt,  wultu  dy J)  nach  dynes  brodegammes  beheghelycheyt  reynighen 
unde  ok  bewaren  ane  suntlyke  beswarlicheyt,  so  nym  myt  vlyte  to  synne  de  wort 
de  he  dy  myt  groter  begherynghe  syner  gotlyken  leve  heflft  tho  ghesecht.  Watdu 
denne  denkest,  sprekest  eder  werkest,  dat  wert  yn  der  yeghenwordycheit  der  hyl- 
ghen  drevoldyeheyt  (79 b)  alle  gherecht.  0  sponsa  Christi  ,  si  tu  vis  sanari,  si 
cupis  ab  omni  mala  concupisceiicia  liberan :  audi  sponsum  tuum  dilectissimum  tam- 
quam  fnedicum  expertissimum ,  tibi  dulciter  et  amicabiliter  loquentem  et  dicentem. 
Pone  me,  scilicet  Christum  quem  elegisti  in  sponsum,  sicut  signaculum,  id  est  tarn- 
quam  sigillum,  super  cor  tuum.  Hoc  est:  habe  semper  in  memoria  tua,  quanta  ego 
Christus  sponsus  tuus  pro  salute  tua  pertuli.  Et  pone  me  ut  signaculum  super 
braehium  tuum.  Hoc  est:  opera  tua  que  facis  debes  tu,  sponsa  mea,  propter  me 
inchoare  et  per  nie  continuare  et  etiam  in  me  finaliter  terminare.  Et  hoc  facere 
potes,  quia  diligis  me.  Nam  ex  hiis  duobus,  quod  tu  ponis  me  super  cor  et  braehium 
tuum,  tunc  mea  dilectio  et  Caritas  intrat  cor  tuum,  que  non  permittit  te  aliqua  alia 
diligwe  (80»)  preter  seu  extra  meum  amoretn.  Sic  enim  fortis  est  dilectio  sponsi, 
quod  eius  virtuti  nichil  resistit.  Et  hoc  est  quod  sequitur  in  Cantici*:  quia  fortis 
est  ut  mors  dilectio.  Nam  sicut  mors  animam  a  corpore  separat,  ita  Caritas  divina 
separat  animam  a  rebus  mundanis  omnes  vanas  concupiscencias  extinguendo  et  soll 
deo  inherendo.  Wente  de  aller  bequemeste  wyse  van  dynem  h erten  tho  slutende 
alle  unnutte  begherlycheyt  ys  amor  et  dilectio  sponsi  tui  Christi.  Dat  betughet 
sanetus  Augustinus,  ubi  dicit  et  hquitur  ad  sponsum  celestem  per  modum  exhorta~ 
tionis  sive  etiam  orationis.  0  dulcis  Christel  0  bone  Jhesu,  qui  animam  meam 
tibi  in  sponsam  elegisti,  veni,  rogo,  in  cor  meuyn  et  fac  me  tuo  amore  et  desiderio 
deponere  onus  carnalium  desideriorum  et  terrenarum  coneupisceneiarum.  Tribue 
michi,  ut  in  tuo  ve  (80  h)ro  amore  laudet  te  cor  meum  et  lingua  mea  et  omnia  ossa 
mea.  Dilata  menteni  meam  in  tua  dilectione  et  dissolve  eam  a  vagis  et  inutilibus 
cogitationibuSy  quibus  sum  constrictus;  ut  omnia  vana  relinquam  et  ad  te  festinem, 
tibi  soli  inheream,  soli  intendam.  Et  post  pauca  verba  dicit  iterum:  o  dulcis  Christel 
bone  Jhesu!  Caritas  mea!  deus  meus!  Acccnde  me  totum  ign*  tuo,  amore  tuo,  desi- 
derio tuo,  dileccione  tua,  caritate  Um,  ioeunditate  tua  et  exultatione,  pietate  et  sua- 
vitate  tua,  voluptate  et  concupiscencia  tua,  que  saneta  est  et  bona,  que  casta  est  et 
mundo.  Ut  sie  ego  dulcedine  amoris  tui  plenus  et  flamma  caritatis  ignitus  diligam 
te  dominum  meum  dulcissimum  et  pulcherrimum  ex  toto  cordc  meo,  ex  tota  anima 
mea  et  ex  totis  viribus  meis  et  omni  intenciom  mea  cum  cordis  contricione  et  ktcri- 
marum  fönte,  cum  multa  reveren  (81  *)cia  et  tremore,  habens  te  semper  in  corde  et 

>)  Hs.  de. 

10* 


148 

ore  hie  et  ubique;  ita  ut  tibi  solum  in  omnibus  placere  queram.  0  dulcismme! 
queso  te  per  illam  saeratissimam  effusionem  preciosi  sanguinis  tui,  quo  sumus  re- 
dempti,  ut  repUas  cor  meum  tuo  amore,  et  confirma  id  in  tua  caritate,  \d  taceat  in 
me  omnis  tumultus  carnis,  conticescant  omnes  vane  cogitaciones  et  false  ymagines  et 
seduetorie  revelaciones.  Ecce  quanta  operatur  Caritas  sponsi!  Vortmer  merke  dat: 
Caritas  sponsi  celestis  de  vanghet  unde  byndet  alle  untemelyke  danken  unde  vor- 
karde  leve  sponse  sue.  Caritas  sponsi  voryaget  unde  vordrift  alle  unstedycheyt 
der  anblasinghe  des  bösen  vyendes  unde  ok  dynes  eghen  vlesches.  Se  ledet  dy 
alle  beheghelycheyt  unde  begherynghe  der  werlde,  wente  de  böse  gheyst  (81 b) 
vrochtet  nicht  so  sere  an  deme  mynschen  sieud  caritatem.  Dat  bewyset  ok  sanc- 
tus  Augustinus  et  dicit:  Amor  sponsi  ubi  venerit,  tunc  ceteros  in  se  omnes  captirat 
et  traducit  affectus,  Anima  quam  vixitat  amor,  si  dormitj  suscitat  eam.  Si  piger 
est,  movet  eam  et  vulnerat  cor  eius,  tenebras  illuminat,  clausa  reseratt  frigida  in- 
flammatj  mentem  asperam  et  irascibilem  mitigat,  vicia  fugat,  camales  affectus  com- 
primit,  mores  emendat,  spiritum  innovat  et  reformat,  omnes  actus  leves  abhorret. 
Idem  dicit  beatus  Ambrosius  in  hiis  verbis:  Cum  mens  hominis  incendio  caritatis 
estuaverit,  tunc  ab  ea  mox  omnis  maligni  Spiritus  caliditas  et  versuda  discedit  etc. 
Item  Rabanus  dicit  sie:  Mchil  est  terribilius  eunetis  demonibus  quam  cum  in  dei 
dileccione  et  eius  desiderio  estuamus.  Nam  hostis  antiquus  castitatem,  abstinen- 
(S2  »)ciam  et  ceteros  virtutes,  si  sine  caritate  fueririt,  non  titnet.  Solam  vero  cari- 
tatem, quam  erga  deum  habemus,  et  amorem  humilem,  quem l)  nobis  inter  nos  vi- 
cissim  inpendimus,  pertimescit  Spiritus  malignus.  Hoc  eciam  declarat  in  longum 
beatus  Gregorius  in  Moralibus.  Hir  uninie  breviter  scaltu  achten  unde  merken  de 
macht  unde  craft  der  gotlyken  leve :  wente  hestu  de,  so  hestu  alle  ander  doghede. 
Hestu  der  nicht,  heddestu  denne  alle  ander  doghede,  de  weren  dy  alle  nicht  hul- 
pelyk  tho  der  ewyghen  salycheit.  Dat  secht  sanetus  Augustmus  in  hiis  verbis: 
Attende,  quanta  est  Caritas.  Que  si  desit,  frustra  habentur  omnes  cetere  virtutes. 
Si  ipsa  habetur,  tunc  omnes  alie  habentur.  Adde  caritatem,  et  omnia  que  facis  pro- 
ficiunt;  detrahe  caritatem:  cetera  que  facis  nichil  tibi  prosunt.  Caritas  est  vita 
virtutum,  quam  si  abstuleris,  cetere  virtutes  moriuntur.  Ergo  tene  caritatem  in 
qua  pendent  omnia.  Ergo  tu  sponsa  Christi,  (82 b)  si  vis  a  vanis  et  immundis 
cogitacionibus  esse  secura,  tunc  audi  vocem  sponsi  tui,  quando  dicit  tibi:  Pone  me 
sicut  signaadum  super  cor  tuum\  Wente  wen  de  spiritus  et  seduetor  malus  dat 
signaculum  vor  nemet,  dar  kan  he  nicht  noch  yennich  unreynicheyt  bliven.  Sunder 
vynden  se  rede  eyn  unreyne  nest,  dar  setten1)  se  sek  van  stunden  an  yn  unde 
telen  vnde  besetten  denne  dat  herte  des  mynschen  myt  velen  mennichvolden  un- 
reynen  unde  unsteden  danken.  Dat  ys  ok  eyn  warteken,  dat  an  deme  herten  de 
leve  godes  nicht  enys.  Sic  igitur  sponsus  tuus  Christus  super  cor  et  brach  ium 
tuum  jwnendus  est,  ut  eius  dileccioni  cor  et  cogitacio,  voluntas  et  cogitacio  tua  ei  setn- 
per  serviant  et  laudem  eius  mtdtipliciter  dicant.  Ponendus  est  Christus  super  cor 
ut  sigillum,  per  quod  a  sea-etis  cordis  exeludantur  qui  non  sunt  amici,  ut  sunt  rant 
et  (83«)  male  cogitaciones,  et  dyabollcae  instigaciones.  Istis  inimicis  exclusis  a 
corde  tunc  tua  cogitacio  debet  firmari  in  Christo  rege  et  sponso  tuo.  Dar  umiiie 
sprekt  he  dy  tho  sulves  myt  den  worden:  Pone  me  etc.  Ac  si  diceret:  0  sponsa 
mea,  respice  in  me  et  pone  me  in  passionem  meam  ad  cor  tuum.  Ut  quando  reniunt 
tibi  vane  et  male  cogitaciones  michi  iuxta  mea  preeepta  displicentes  et  tibi  seeun- 


')  Hs.  que.        a)  setten  in  der  Hs.  doppelt  geschrieben,  einmal  durchstrichen. 


149 

dum  tua  vota  contrariantes,  wultu  denne  nicht  vulborden  den  unreynen  danken, 
so  du  my  yn  truwen  hest  ghelovet,  tunc  pone  me  super  cor  tuum;  dat  ys:  nym 
an  dyne  dechtnisse  de  swaren  byttcren  danken,  de  ek  hadde  an  mynem  herten,  do 
ek  umme  dynen  wyllen  swetede  water  unde  blot.  So  enkan  noch  enmach  dy  neyn 
unreyne  danke  vorwynnen,  dat  du  dar  anne  ghevest  vulbort,  eder  ok  sokest  lusty- 
cheyt  dynes  vlesches.  Wen  du  (83 b)  soden  vlyth  deyst,  so  bewysestu  dynen  vlyth 
umme  myner  leve  wyllen  an  mynem  lydende,  unde  dat  ys  myn  begherynghe  ghe- 
enyghet  an  myner  leve.  Sic  unitur  dilcceio  tua  in  caritate  mea,  unde  wert  eyn 
leve.  Wes  du  denne  begherest,  des  wyl  ek  dy  twyden.  Synt  dy  de  danken  var- 
lyk  unde  tho  swarlyk  tho  dreghende,  so  wyl  ek  dy  van  stunt  dar  van  losen.  Isset 
aver  sake  dat  se  dy  schullen  wcsen  eyn  purgatorium  van  ichteswelker  unreynicheyt, 
dat  du  sulves  noch  nicht  erkennest,  so  vechte  kreftlyken  unde  lat  nicht  af,  wente 
ek  wyl  alle  tyd  by  dy  wesen.  Dar  umme  denke  ok  alle  tid  uppe  myne  hulpe, 
unde  wedervert  dy  swarlycheyt,  dar  du  gherne  werest  van  vorheven,  de  schaltn 
duldychlyken  dreghen  umme  myner  leve  wyllen  unde  denken  alle  tid,  dat  ek  wol 
see  dyne  nod  unde  dat  ek  over  (84ft)dy  vorhenghe  umme  dynes  vordenstes  wyllen. 
Dar  mede  prove  unde  probere  ek  dynen  wyllen,  dyne  begherynghe,  dyne  leve  de 
du  hest  to  my.  Ergo  pone  nie  super  cor  tmun,  quod  facis,  quando  tu  amaritudinem 
et  dolorem  cordis  mei,  quem  sustinui  in  sudacione  aque  et  sanguinis,  ponis  ante 
oculos  cordis  tut.  Et  si  temptantur  oculi  tut  aliqua  curiositatej  tunc  attende  oculos 
mcos  fuisse  propter  peccata  tua  velatos.  Si  temptantur  aures  vanihquio,  considera, 
quod  ego  contumeliosos  sermones  et  terrores  audivi.  Si  temptatur  gustus  tuus  in 
delcctacione  eibi  et  potus7  perpende7  quod  propter  te  eram  feile  eibatus  et  aceto  po- 
tatus.  Si  temptatur  holofactus  redolenciis  pigmentorumy  tunc  attende  faciem  meam 
sordidissimis  sputis  iUinitam  et  maculatam.  Si  manus  tua  ad  illicita  tangenda  vel 
caj)ienda  monentury  cogita  manus  meas  in  cruce  penaliter  tramfixas1).  Si(84b)  temp- 
tatur cor  tuum  consideracionibus  et  eciam  cogitacionibus  mundanis  et  carnalibus, 
tunc  cogita  cor  meum  lancea  perforatum.  Si  pedes  tui  nituntur  ambiUarc  contra 
decentia  et  tibi  specialiter  prohibita*),  tunc  revolve  in  mente  tua  pedes  vneos  cruci 
affixos  etc.  0  sponsa  mea,  dat  ys:  wur  mede  du  myne  leve  kanst  erwerven,  dar 
mede  dankestu  my  aller  goyde  de  ek  dy  hebbe  bewyset.  Dar  mede  kanstu  dy 
wapen  weder  al  dyne  vyende,  dat  dy  noch  danken  noch  wort  unde  ok  neyne  werk 
moghen  hynderlyk  wesen  nach  dyner  zele  salycheyt.  Quia  istud  est  Signum  et 
verissimum  signaculumj  contra  quod  nullum  stat  neque  stare  potest  pericidum. 

Im  weitern  Verlauf  finden  sich  noch  die  folgenden  niederdeutschen 
Sätze  eingekapselt: 

Aul*  Bl.  85 b:  Et  tunc  ego  non  permitto  intrare  cor  tuum  aliquid  novum  tibi. 
Unde  alzo  werstu  denne  myt  my  gheenyghet,  dat  allent  dat^weder  dy  ys,  dat  ys 
'ok  weder  my.  Unde  so  moghelyk  ys  dat  ek  my  vorlate,  so  moghelik  ys  dat  ek 
dy  vorlate.  Hyr  umme  lydestu  anvechtynghe  van  dynem  vlesche,  van  anderen 
luden,  van  den  dar  du  by  bist.  Edder  ok  allerleyge  ander  mysha  (86*)-ghynge 
lath  dy  nicht  vorschrekken,  wente  weneyr  du  lydest  swarlycheyt  unde  vorvolghynghe 
umme  mynen  wyllen  edder  an  mynem  denste,  dat  ys  eyn  openbar  teken  dar  tho 
dat  yk  denne  byn  an  dynem  herten.  Quia  huiusmodi  perseeuciones  et  tribulaciones 
sunt  michi  vere  delicie  et  epule  splendidissime. 

')  Hs.  transfixü.       a)  prohibita  Besserung  am  Rande  für  admissa  des  Textes. 


150' 

Auf  Bl.  bSa:  0  dulcissimc  deus!  Ek  byn  de  dar  umme  du  de  swarlyken 
mennichvolden  pyne  liest  gheleden.  Hir  unimc  bydde  ek  dy,  leve  here,  lath  my 
myt  dy  de  pyne  dyner  bytteren  wunden  dreghen.  O  bone  Jhemi,  veni  igitur  in 
cor  vieum  et  pone  rulnus  cordis  tui  ad  cor  mcum}  ut  sie  sanguis  tui  nobilissitni 
cordi8  purificet  cor  meum  ab  omni  mala  et  (f.  88 b)  vana  cogitacione  et  iüuminetur 
in  Uta  dileccione. 

Auf  Bl.  91»:  Tota  spes  mea  in  morte  äomini  mci.  Mors  eius  meritum  meum, 
salus  mea,  refiigium  meum,  rita  mea  et  resurrexio  meaf  miseracio  mca7  deus  mens. 
Hyr  umme  merke  unde  nym  tho  synne,  dat  neyn  danke  so  swarlyk  kan  syn  de 
dy  moghe  schedelyk  eder  hynderlik  wesen  an  dyner  salycheyt,  noch  yennich  sunde 
so  grod,  du  enwerdest  dar  van  ghereynighet  vormyddelst  deme  lydende  Christi. 
Wente  dar  mede  heft  he  uns  alle  ghereyniget.  Ift  dy  ok  quemen  danken,  dat  du 
dechtest:  wur  vor  schal  ek  beschauwen  dat  speyghel  der  hylghen  drevoldycheyt  etc.? 
Wente  sodene  danken  unde  der  ghelyk  quemen  saneto  Augustino,  unde  de  alle 
vorwan  he  yn  deme  dat  he  sek  ghaf  ad  vulnera  Christi.  So  he  sulves  scrift  in 
hec  verba:  Si  murmurat  contra  me  insipiens  cogitacio  etc. 

Auf  Bl.  91 b:  tyiia  mors  domini  mei  omnia  mea  2)eccata  vincit.  Hir  umme 
wapen  dyn  herte  myt  dem  hylghen  lydende  Christi,  unde  scrif1)  an  dyn  herte  de 
hylghen  vif  wunden  unde  les  dar  anne  de  leve  de  he  dy  bewiset  heft,  unde  syn 
byttere  lyden  dat  he  umme  dyner  leve  wyllen  gheleden  heft.  Uppe  dat  du  wordest 
gheloset  van  alle  deme  dat  dy  mochte  schedelyk  eder  hyndcrlyk  wesen  tho  dyner 
salycheyt.  Deyst  du  also  dynen  vlyt,  so  kan  noch  enniach  dy  neyn  danke  schede- 
(92»)lyk  syn.  Dat  bewyset  ok  beatus  Bemhardus  in  libro  de  consciencia  yn 
diwsen  worden:  Quo  eiens  tc  sentis  turpi[bu]s  cogitacionibus  et  illicitis  affici  etc. 

')  scrif]  Hs.  scrift. 

Marburg  i.  H.  Edward  Schröder. 


Salzwedel  und  die  übrigen  Ortsnamen  auf  -wedel.*) 

Die  altmärkische  Stadt  Salzwedel  ist  von  denjenigen  Orten,  deren 
Name  auf  -tredei  ausgeht,  von  jeher  der  bedeutendste  gewesen,  und 
aus  diesem  Grunde  haben  sieh  alle  Versuche  älterer  Zeit,  welche  auf 
eine  Deutung  des  -wedel  hinzielten,  zunächst  mit  dem  Namen  Satetvedd 
beschäftigt 

Von  den  ausserordentlich  zahlreichen  diesbezüglichen  Bemühungen 
früherer  Zeit  gilt  es  besonders  eine  Erklärung  herauszunehmen,  die  sieh 
durch  ihr  hohes  Alter,  durch  ihr  hartnäckiges  Fortbestehen  und  auch 
durch  eine  anscheinend  in  den  lokalen  Verhältnissen  liegende  Begründung 
auszeichnet.    Es  ist   dies   die  Gleichstellung   des  Namens  Salzwedel 


*)  Nach  einem  auf  der  Jahresversammlung  des  altmärkischen  Geschichtsvereins 
im  Jahre  1590  gehaltenen  Vortrage. 


151 

mit  Salzquelle.1)  Zwar  ist  der  Boden  in  und  bei  Salzwedel  zweifellos 
salzhaltig.  Durch  ihre  Flora  besonders  auffallige  Stellen  dieser  Art 
finden  sich  nördlich  von  der  Stadt  auf  dem  linken  Ufer  der  Jeetze, 
eines  Flüsschens,  das  in  gerader  nördlicher  Richtung  weitergehend  bei 
Hitzacker  unterhalb  Wittenberge  in  die  Elbe  mündet,  zwischen  der 
Stadt  und  einem  sumpfigen  Waldgelände,  der  Buchhorst;  ebenso  auf 
dem  rechten  Ufer  der  Jeetze,  westlich  der  Stadt,  wo  die  Wiesen  noch 
heute  den  Namen  Salzwiesen  führen,  dann  hieran  nach  Norden 
anschliessend  jenseits  des  Bahndamms  der  Bremen -Leipziger  Bahn 
zwischen  diesem  und  dem  ebenfalls  sumpfigen  Waldgelände,  dem 
sogenannten  Bürgerholz,  und  über  dieses  hinaus,  etwa  dreiviertel  Meilen 
von  der  Stadt  entfernt,  bei  der  ehemaligen  Försterei  Hoiersburg.  Das 
Wasser  dieser  Stelle  ist  es,  welches  bereits  im  16.  Jahrhundert  durch 
Thurneisser2)  einer  Analyse  unterzogen  wurde,  aus  deren  heutzutage 
selbst  Fachleuten  nicht  mehr  recht  verständlichen  Ergebnissen  nur 
soviel  mit  Gewissheit  hervorgeht,  dass  sein  Salzgehalt  ausserordentlich 
gering  war.  Gleichwol  scheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts3) wirklich  hier  ein  Versuch  der  Salzsiederei  gemacht  worden 
zu  sein;  aber  trotz  wiederholter  Untersuchung  des  Wassers  führte  diese 
Siederei  zu  keinem  nennenswerten  Resultat.  Endlich  finden  sich 
tatsächlich  mehrere  Salzquellen,  und  zwar  die  bedeutendsten  der 
Gegend,  südlich  der  Stadt,  etwa  eine  Meile  entfernt,  in  dem  moorigen 
Grund  zwischen  den  Dörfern  Dambeck  und  Altensalzwedel.  Diese 
wurden  noch  im  Jahre  1842 4)  chemisch  untersucht;  aber  ihr  Salzgehalt 
war  ebenfalls  zu  gering,  als  dass  eine  Ausbeutung  sich  irgendwie 
würde  gelohnt  haben.5) 

Dazu   kommt,   dass    derartige   salzhaltige  Stellen   weder   in   der 
Altmark  noch  auch  weiterhin  in  der  Mark  Brandenburg  etwas  auffälliges 


*)  Der  Erste,  welcher  diese  Behauptung  aufstellte,  war  meines  Wissens  Leon- 
hart Thurneisser  zum  Thurn  in  seiner  Schrift  Pison.  Das  erst  Theil.  Von  Kalten  / 
Warmen  Minerischen  vnd  Metallischen  Wassern  j  sampt  der  vergleichunge  der  Plan- 
tarem vnd  Erdgewechsen  10.  Bücher  .  . .  1572.  Gedruckt  zu  Franckfurt  an  der  Oder  I 
durch  Johan  Etchorn.  bes.  L.  VII.  C.  93.  Das  Buch  wurde  neu  aufgelegt  im  Jahre 
1612  u.  d.  Titel  Zehen  Bücher  Von  kalten  j  Warmen  /  Minerischen  vnd  Mettalischen 
Wassern  ....  auffs  new  durchgesehen  .  .  .  vnd  verbessert ....  Durch  Joannem  Ru- 
dolphum  Saltzman  Med.  Doct.  zu  Strassburg.  Strassburg .  .  .  1612.  Auch  Ftfrste- 
mann,  Die  deutschen  Ortsnamen.  Nordhausen  1863.  S.  68  sah  sich  noch  veranlasst, 
von  dieser  Deutung  Notiz  zu  nehmen  (s.  u.  S.  154). 

*)  a.  a.  0.  S.  384. 

3)  s.  Joh.  Christoph  Bekmann,  Histor.  Beschreibung  der  Chur  und  Mark  Branden- 
burg, herausgegeben  von  Bernh.  Ludw.  Bekmann.  1.  Berlin  1751.  Sp.  611.  —  Phil. 
Wim.  Gercken,  Fragmenta  Marchica.  Theil  2.  Wolfenbtittel  1756.  S.  1 56  f.  —  [IL 
Ch.  Steinhart]  üeber  die  Altmark.  Theil  2.  Stendal  1802.  S.  154.  Steinhart  giebt 
das  Jahr  1662  an.  —  A.  W.  Pohlmann,  Gesch.  der  Stadt  Salzwedel.  Halle  1811.  S.  2. 

4)  Hentschel  im  Wochenblatt  des  Kreises  Salzwedel.  Jahrg.  10,  1843.  No.  39. 
S.  325  f. 

5)  Alle  im  Vorstehenden  gemachten  Mitteilungen  Über  die  noch  heute  sicht- 
baren Salzstellen  bei  Salzwedel  beruhen  auf  eigener  Anschauung  des  Verfassers. 
Man  vgl.  dazu  Danneil  im  15.  Jahresbericht  des  Altmärkischen  Vereins  für  vater- 
ländische Geschichte  und  Industrie.    Salzwedel  1865.  S.  41. 


152 

sind.  Nach  P.  Aschersong 6)  im  Jahre  1859  auf  Grund  der  Flora 
zusammengestellten  Beobachtungen  finden  sich  solche  Stellen  bei  Mag- 
deburg, Stendal,  Salzwedel,  Brandenburg,  Nauen,  Potsdam,  Trebbin, 
Treuenbrietzen,  Luckau,  Pasewalk  und  Naumburg  am  Bober.  Schon 
früher,  im  Jahre  1751,  gab  Bekmann7)  eine  diesbezügliche  Zusammen- 
stellung; er  führte  Salzquellen  an  bei  Salzwedel,  Osterburg,  Selblang 
bei  Nauen,  Belitz  und  bei  Briesembrow  in  der  Uckermark.  Aber  sie 
sind  sämmtlich  unbedeutend.  Zwar  scheinen  überall  Versuche  der  Aus- 
beutung gemacht  zu  sein,  aber  zu  einiger  Bedeutung  ist  nur  die 
Salinenanlage  bei  Belitz  gelangt.8)  Diese  gedieh  allerdings  so  weit 
dass  nach  einer  zur  Förderung  des  Werkes  schon  im  Jahre  1542 
erlassenen  Verordnung  des  Ohurftirsten  Joachim  II.,  im  Jahre  1560  eine 
neue  Bestimmung  erlassen  wurde,  nach  welcher  im  Lande  kein  aus- 
wärtiges, sondern  das  bei  Belitz  gesottene  Salz  solle  verkauft  wTerden. 
Indessen  auch  dieses  Unternehmen  geriet,  trotz  der  noch  vom  Chur- 
fttrsten  Georg  in  den  Jahren  1572,  1577,  1579  und  1580  kundgegebenen 
Fürsorge,  ins  Stocken. 

Es  geht  auch  nicht  an,  diesem  Mineral  für  die  Vergangenheit 
Salzwedels  eine  derartig  grössere  Bedeutung  beizumessen,  dass  der 
Name  Salzquelle  sich  daraus  würde  rechtfertigen  lassen.  Denn  bei 
der  Wichtigkeit  des  Salzes  im  Haushalt  der  Menschen  mtisste  eine 
solche  Tatsache  früher  urkundlich  bezeugt  sein,  als  dies  in  Wirklichkeit 
der  Fall  ist.  Weiter  jedoch  wie  bis  in  das  16.  Jahrhundert9)  reichen 
meines  Wissens  die  Nachrichten  über  die  Salzquellen  bei  Salzwedel 
nicht  zurück.  Wohl  aber  wird  in  einer  Urkunde  des  Markgrafen 
Johannes  vom  Jahre  149010)  ausdrücklich  von  der  Salzeinfuhr  nach 
Salzwedel  durch  Fremde  und  den  von  Alters  her  hieranhängenden 
Abgaben  gesprochen.  Und  schliesslich  muss  die  seit  Urzeiten  bekannte 
Bedeutung  und  Ergiebigkeit  besonders  der  ltineburger  Salzsiederei  als 
wesentliches  Moment  zur  Beurteilung  dieser  Frage  in  Betracht  gezogen 
werden.  Dass  eine  Beteiligung  an  den  ltineburger  Salzpfannen  von 
Salzwedel  aus  stattfand,  geht  aus  den  noch  erhaltenen  Urkunden  des 
13.  und  14.  Jahrhunderts  zur  Genüge  hervor.11) 

6)  P.  Ascherson  in  der  Zeitschrift  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft, 
Bd.  11.  S.  90-100. 

7)  Joh.  Christoph  Bekmann  a.  a.  O.  1.  Sp.  610  ff. 

*)  Hierüber  und  über  das  Folgende  Bekmann  a.  a.  O.  1.  Sp.  613.  —  Auch 
Thurneisser  a.  a.  0.  S.  6  erwähnt  Belitz. 

9)  Doch  scheint  es,  als  wenn  die  Theorie  der  Ableitung  des  Namens  von  den 
Salzquellen  schon  vor  Thurneisser  unheilvoll  gewirkt  hat,  da  der  aus  Salzwedel 
stammende  Rector  der  Universität  Frankfurt,  A.  G.  Praetorius,  im  W.-S.  1558,59 
einen  Salzwedcler  als  Soltqwellensis  in  die  Matrikel  einträgt;  s.  die  Frankfurter 
Universitätsmatrikel  (=  Publikationen  aus  den  kgl.  preuss.  Staatsarchiven  Bd.  32). 
Leipzig  1*87.  Bd.  1.  Sp.  152. 

lü)  Abgedruckt  ex.  orig.  membr.  bei  Phil.  Wilh.  Gercken,  Fragmenta  Marchica. 
Thcil  5.  1760.  S.  73;  ebenso  im  Codex  diplomat.  Brandenbnrgensis,  herausgegeben 
von  Riedel  A,  XIV  Nr.  509.  —  Vgl.  hierzu  noch  Erich  Liesegang,  Zur  Verfassungs- 
geschichte von  Magdeburg  und  Salzwcdel  in  den  Forschungen  z.  brand.  u.  preuss. 
Gesch.  III.  S.  57. 

")  s.  z.  B.  die  Urkunden  bei  Riedel  A,  Bd.  XXV  S.  178  Nr.  XX  (1289),  Bd. 
XXII  S.  100  Nr.  XXVIII  (1292),  Bd.  XXV  S.  180  Nr.  XXIV  (1296),  Bd.  XIV,  S.  43 


153 

Fassen  wir  alles  dies  zusammen,  den  Reichtum  der  Mark  an  salz- 
haltigen Stellen  überhaupt,  die  Geringfügigkeit  aller  dieser  Stellen  und 
auch  derjenigen  bei  Salzwedel,  von  denen  die  etwas  bedeutenderen 
ausserdem  noch  reichlich  weit  von  der  Stadt  entfernt  liegen,  und 
demgegenüber  das  grosse  Salzlager  bei  Lüneburg,  so  kann  es  einer 
ruhigen  Erwägung  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  eine  Deutung  des 
Namens  Salzwedel  als  Salzquelle  auf  Grund  der  örtlichen  Verhältnisse 
ausgeschlossen  ist. 

Damit  fallen  aber  gleichzeitig  alle  Versuche,  die  mehr  oder  weniger 
gewaltsam  auf  sprachlichem  Wege  eine  gleiche  Bedeutung  erzielten,12) 
in  ihre  Wesenlosigkeit  zurück. 

Was  sonst  an  Deutungslust  und  Deutungsfähigkeit  über  den 
Namen  Salzwedel  in  früherer  Zeit  geleistet  ist,  kann,  so  erheiternd 
es  manchmal  wirkt,  hier  füglich  übergangen  werden. 

Von  den  wissenschaftlichen  Sprachforschern,  die  sich  mit  der 
Namenkunde  beschäftigten,  waren  auch  hier  Förstemann  und  Pott  die 
ersten,  welche  dem  Worte  -wedel  ihre  Aufmerksamkeit  zuteil  werden 
Hessen. 

Pott 13)  stellte,  weil  die  Namen  Marivedc  und  Marwedel,  Schwane- 
wede  und  Schwanewedel  neben  einander  vorkämen,  wedel  mit  wcde 
zusammen,  von  denen  er  letzteres  lieber  als  mit  ahd.  tvitu,  engl,  wood 
verwandt  betrachtete  als  etwa  mit  Weide,  gleichgiltig  ob  man  dieses 
als  Baum  oder  Anger  auffasse.  Doch  wagte  er,  wie  er  sich  selbst 
ausdrückt,  nicht  zu  entscheiden,  ob  wedel  etwa  ein  Deminutiv  von 
wcde  sei.  Kr  unterlässt  hinzuzufügen,  was  nicht  übersehen  werden 
darf,  dass  Marwede  und  Marwedel  zwei  verschiedene  Orte  sind, 
beide  zwar  im  Regierungsbezirk  Lüneburg  belegen,  aber  jenes  im 
Landkreis  Celle,  dieses  im  Kreis  Dannenberg.  Schwanewedel  ist  in 
den  heutigen  Ortsverzeichnissen  nicht  zu  finden;  dagegen  bietet  die 
Sonderkarte ,4)  allerdings  eine  Sehwanewedeler  Heide  bei  dem  Ort 
Schwancwedc.  Inwieweit  diese  Bezeichnung  berechtigt  ist,  lasse  ich 
dahingestellt.  Dazu  stelle  ich  noch  Hollwedel  im  Regierungsbezirk 
Hannover  Kreis  Syke  und  Hollwede  im  Regierungsbezirk  Minden 
(Prov.  Westfalen)  Kreis  Ltibbeke.  Borchwede  wird  im  Urkundenbuch 
von   Hannover15)   als  das   heutige   Burgwedel   bezeichnet,    während 


Nr.  XLIX  (1298),  Bd.  XVI  S.  409  Nr.  XXVII  (1305),  Bd.  XXV  S.  187  no.  XXXVI 
(1317).  —  Man  vergl.  hierzu  die  Notiz  bei  Riedel  A,  VI.  S.  331,  dass  das  Kloster 
Dambeck  [bei  Salzwedel]  nach  und  nach  wie  mehrere  Klöster  in  der  Altinark  ver- 
schiedene Schenkungen  etc.  aus  der  Saline  zu  Lüneburg  erhalten  habe  und  dass 
hieraus  die  ganz  grundlose  Sage  entstanden  sei,  das  Kloster  hätte  diese  Salz- 
erhebungen aus  Lüneburg  erhalten,  damit  es  keine  Saline  an  der  Salzquelle  bei 
Alten-Salzwedel  in  der  Nähe  des  Klosters  anlege. 

1S)  Am  vernünftigsten  noch  Bekmann  a.  a.  0.  II.  Bd.  1753,  V.  Theil,  I.  Buch, 
III.  Kap.,  S.  5;  er  stellt  wedel  mit  dem  engl,  well  'die  Quelle'  zusammen. 

•8)  A.  F.  Pott,  Die  Personennamen.    Leipzig  1853.  S.  507  f. 

")  A.  Papen,  Topographischer  Atlas  des  Königreichs  Hannover  und  Herzog- 
thums  Braunschweig.  Hannover  1822—47. 

15)  Urkundenbuch  der  Stadt  Hannover,  herausgegeben  von  Grotefend  und 
Fiedeler.  Theil  1.  (=  Urkundenbuch  des  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen  Heft  V.) 
Hannover  1860.   Nr.  253  (a.  d.  1347)  und  167  (1330—1352). 


154 

Borchwede  im  Hoyer  Urkundenbuch ,6)  als  das  heutige  Borwede  im 
Kreis  Heiligenloh  Amt  Ehrenburg,  jetzt  Regierungsbezirk  Hannover 
Kreis  Syke,  zur  Landgemeinde  Heiligenloh  gehörig,  gedeutet  wird. 
Ein  Borgwedde  findet  sich  als  Teil  der  Landgemeinde  Vorwalde  im 
Regierungsbezirk  Osnabrück  Kreis  Wittlage. 

Pott  hatte  schon  das  grosse  Namenbuch  von  Förstemann,17)  welches 
im  Jahre  1854  zu  erscheinen  begann,  im  Manuskript  benutzt.  Der 
zweite  Teil  dieses  Werkes,  der  erst  im  Jahre  1859  fertig  vorlag, 
enthielt  die  Ortsnamen.  Auch  Förstemann  kam  bezüglich  der  Ortsnamen 
auf  -wedel  zu  keinem  entschiedenen  Resultat.  Er  vermutete18)  ein 
ahd.  widil,  welches  Sumpf  oder  Moor  bezeichnet  habe,  da  „die 
einzigen  alten  auf  dieses  Wort  ausgehenden  Namen",  Agrimeswtdil 
und  Afwülel  Sttmpfe  bezeichneten;  auch  Salzwedel  liege  in  der  Nähe 
sumpfiger  Waldungen.  Er  bezieht  sich  auch  noch  auf  ein  bei  Gr.  I, 
777  zitirtes  uidillo  in  der  Bedeutung  von  mollis,  „freilich  auch  in 
der  von  hermaphroditus".  Aber  die  Zusammenstellung  war  ihm 
selbst  so  unsicher,  dass  er  im  Jahre  186319)  sich  zu  dem  Zusatz  ver- 
anlasst sah,  dass  andere  dem  Worte  den  Sinn  von  Quelle  beilegten. 

Mit  grösserer  Bestimmtheit  erklärte  Ltibben20)  wedel  als  eine  tauto- 
logische  Zusammensetzung  aus  wede-U.  Aber  wenn  auch  wirklich 
Ortenamen,  die  ursprünglich  auf  46  -loh  ausgingen,  heute  nur  einfaches 
4  am  Ende  zeigen,  wie  Ltibben  noch  im  Jahre  1880  im  Mnd.  Wb.11) 
s.  v.  iv edel  nach  einer  Mitteilung  von  Leverkus  wiederholt,  so  bleibt 
doch  zu  bedenken,  dass  erstens  eine  grosse  Anzahl  von  Namen  das 
4oh,  4ah  noch  heute  aufweisen,  und  dass  andererseits  die  Ortsnamen 
auf  -wedel  schon  in  ältester  Überlieferung22)  entweder  auf  4e  oder  auf 
blosses  4  ausgehen.  Und  wenn  Ltibben  tatsächlich  zwei  Forsten23), 
nodtwedel  bei  Verden  und  heineivedel  bei  Gifhorn  für  die  von  ihm 
angenommene  Bedeutung  von   wedel  =  tvede,  Wald,  ins  Feld   führen 

16)  Hoyer  Urkundenbuch,  herausgegeben  von  W.  v.  Hodenberg,  Hannover  IS53. 
b.  das  Ortsregister. 

")  E.  Förstemann,  Altdeutsches  Namenbuch.  2  Bde.  Nordhausen  1856— 1 859. 
Bd.  2*.  1872. 

M)  a.  a.  0.  Bd.  2.  Sp.  1520,  2«.  Sp.  1594. 

,0)  E.  Förstemann,  Die  deutschen  Ortsnamen.  Nordhausen  1863.  S.  68  f. 

ao)  Germanistische  Studien.  Supplement  zur  Germania.  Herausgegeben  von 
K.  Bartsch.  Bd.  2.  Wien  1875.  S.  268. 

ai)  K.  Schiller  und  A.  Ltibben,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch.  Band  5. 
Bremen  1880. 

w)  vergleiche  die  Belege  flu*  den  Namen  Salzwedel  bei  Riedel  A.  Bd.  XIV 
Saltwedele  (Nr.  III  1241,  IV  1242,  V  1247,  XIII  1263,  XVI  1268,  XVII  1273), 
Soltwedele  (No.  LI  129i>),  Saltwedele  und  Soltwedele  in  der  gleichen  Urkunde  (No. 
XXIII  1281),  Saltwedle  (No.  XX  1280),  Saltwedele  und  Saltwedel  in  der  gleichen 
Urkunde  (Nr.  I  1233,  XLVI  129",  LIX  1305),  Soltwedele  Soltwedel  SoÜwedeü  (Nr. 
LXXXV  1323),  Saltwedel  (Nr.  XIV  1267,  XVIII  1278,  XXV  1282,  XXXIII  12S7), 
Saltuuedel  (Nr.  XXXV  1289),  Soltwedel  (Nr.  LXXIV  1316)  u.  s.  w.,  sämmtlich 
Originalurkunden  entnommen;  ferner  im  Hoyer  Urkundenbuch  Holwedele  (c.  13UO, 
1302,  c.  134u  u.'s.  w.),  Halwedele  (1441),  Languedele  (1262),  Langwedele  (1265),  Lang- 
wedel (1280,  1290,  1304  u.  s.  w.). 

a8)  Germanistische  Studien  a.  a.  0.  S.  265,  und  im  Mittelniederdeutschen  Wörter- 
buch s.  v.  wedel. 


155 

konnte,  so  hätten  ihn  doch  seine  eigenen  Zitate24)  vadum,  quod 
dicitur  Agrimeswidil  aus  Adam  von  Bremen  und  de  borgerweide  (to 
Bremen)  wente  to  dem  water,  so  vor  Wedle  gelegen  und  de  wedeil 
genomedt  wurde  in  seiner  Meinung  stutzig  machen  sollen. 

Ein  tatsächlicher  Erfolg  in  dieser  Frage  wurde  auf  anderem 
Wege  erzielt.  Den  Anstoss  dazu  gab  jenes  Agrimeswidil,  das  schon 
Förstemann"25)  beigebracht  hatte,  und  welches  auch  von  Ltibben26) 
zitirt  war.  Es  findet  sich  erwähnt  bei  Adam  von  Bremen27)  gelegentlich 
seiner  Schilderung  des  limes  Saxoniae  Karls  des  Grossen,  jener  viel- 
genannten Befestigungslinie  auf  der  Grenze  der  Sachsen  und  Slaven 
zwischen  Elbe  und  Ostsee  in  der  heutigen  Provinz  Schleswig-Holstein. 
Dort  heisst  es,  -dass  der  limes  mox  in  Agrimeshov,  et  recto  ad  vadum, 
quod  dicitur  Agrimeswidil,  ascendit.  Ganz  unzweideutig  wird  hier 
-widil  dem  lateinischen  vadum  inhaltlich28)  gleichgestellt.  Es  muss 
befremden,  dass  diese  Stelle  nicht  früher  schon  zu  einer  endgiltigen 
Deutung  der  Ortsnamen  auf  -ivedvl  herbeigezogen  wurde. 

Zwar  hatte  schon  im  Jahre  1869  v.  Hammerstein  -Loxten2») 
bei  der  Untersuchung  der  Ortsnamen  im  Bardengau  bemerkt,  dass 
-wedel  dem  Förth  in  Namen  auf  -forde,  -vörde  (Fürth),  wie  dem 
jetzigen  Bar  forde,  gleichstehe,  wozu  er  aus  seinen  Quellen  als  einzige 
Belege  Bodwedel  bei  Ebstorf  und  Schapivedvl  bei  Bodenteich  anführte; 
aber  auf  eine  Erklärung  seiner  Behauptung  Hess  er  sich  nicht  ein. 

Erst  im  Jahre  1886  trat  K.  Jansen30)  gelegentlich  der  Besprechung 
des  limes  Saxoniae  und  mit  besonderer  Anlehnung  an  den  Namen 
Agrimeswidil  mit  einer  ausführlichen  Untersuchung  über  die  Ortsnamen 
auf  -wedel  im  Schleswig -Holsteinischen  hervor.  Er  kommt  auf  Grund 
genauester  Ortsforschung  und  reichlichen  Materials  zu. dem  Resultat,31) 
dass  in  jener  Gegend  „alle  mit  Wedel  benannten  Örtlichkeiten  mit 
verschwindenden  Ausnahmen,  d^e  bei  näherer  Ortsbesichtigung  wahr- 
scheinlich auch  als  der  Regel  unterworfen  erscheinen  würden",  „Punkte 
an  einem  Wasserlauf,  wo  er  von  einer  Strasse  überschritten  wird," 
seien.  Dieses  Resultat  seiner  örtlichen  Forschungen  sucht  Jansen  auf 
etymologischem  Wege  zu  sichern,  indem  er  auf  das  in  dänischen 
Dorfhamen  häufig  vorkommende  -vad  verweist,  welches  unbestritten 
mit  vade  ('waten')  zusammenhänge,  wie  auch  niedl.  icadäe  =  'Furt'  sei. 
Darauf  fährt  er  fort:32)  „und  wenn  (nach  Kluge  Etymol.  Wb.)  Wedel 
(dialektisch   auch  Wadel)   in   der  Bedeutung  'Büschel',   mhd.   wedel 


u)  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch  s.  v.  wedel. 

**)  Im  Altdeutschen  Namenbuch  a.  a.  0. 

w)  Im  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch  a.  a.  0. 

27)  Adami  Gesta  Hammaburgensis  ecclesiae  pontificum  Lib.  II.  I5b. 

28)  Über  die  etymologische  Verwandtschaft  mit  dem  lateinischen  vadum 
s.  u.  Anm.  35. 

*9)  v.  Hammerstein-Loxten,  Der  Bardengan.    Hannover  1869.    S.  553. 

**)  K.  Jansen,  Bemerkungen  zum  „limes  Saxoniae"  von  Beyer,  in  der  Zeitschr. 
der  Gesellschaft  für  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte.  Bd.  16.  Kiel 
1886.     S.  853-372. 

*')  a.  a.  0.  S.  365. 


a.  a.  0.  S.  365. 


156 

(wadel),  ahd.  wedil  (ivadal)  entstanden  ist  aus  der  Wurzel  we  'wehen' 
und  dem  Suffix  -$lo,  d.  h.  Werkzeug  zum  Wehen,  so  wird  es  nicht 
undenkbar  sein,  dass  aus  dem  Stamme  wad  und  derselben  Endung  [!] 
ein  äusserlich  gleichlautendes  Wort  geworden  ist,  das  den  Ort,  wo 
man  waten  konnte,  bezeichnete". 

So  augenscheinlich  der  Zusammenhang  des  -wedel  in  Ortsnamen 
mit  dem  Zeitwort  waten,  mit  dem  dän.  vaad  oder  vad,  dem  niedL 
waade  oder  ivadde  ist,  so  wenig  überzeugend  ist  der  zweite  Teil  der 
etymologischen  Ausführungen  Jansens.  Es  leuchtet  nicht  ein,  warum 
we-plo  und  wad-plo  auf  späterer  Sprachstufe  zwei  äusserlich  gleich- 
lautende Wörter  ergeben  sollen.  Die  Doppelkonsonanz  in  letzterem 
Falle  kann  nicht  ohne  weiteres  verschwinden;,  ausserdem  aber  würde 
der  Umlaut  des  a  zu  e  und  der  vorkommende  Übergang  dieses  e  zu  *33) 
ohne  jede  Begründung  bleiben.34) 

Wir  müssen  vielmehr  Wedel  in  der  Bedeutung  'Büschel',  vgl. 
Fliegenwedel,  und  -wedel  in  den  Ortsnamen  streng  von  einander 
scheiden.  Beide  haben  nichts  weiter  gemeinsam  als  die  heutige 
Schreibung  und  Aussprache. 

Eine,  wie  mir  scheint,  befriedigende  Etymologie  des  -wedel  in 
Ortsnamen  erhalten  wir  aber,  wenn  wir  die  germanische  Wurzel  wad*h) 
mit  dem  Suffix  -il-  ableiten.  Dieses  Suffix  erscheint  zunächst36)  als 
nomina  agentis  bildend,  dann  aber  auch37)  zur  Bildung  von  maskulinen 
nomina  instrumentalia  zu  meist  primären  Verben  verwendet.  Haben 
nun  Wörter  wie  Zügel,  Stössel,  Schlägel,  Gürtel  neben  der  Bedeutung 
des  Ziehenden,  Stossenden,  Schlagenden,  Gürtenden  auch  unzweifelhaft 
den  Sinn  des  zum  ziehen,  stossen,  schlagen,  gürten  benutzten  Gegen- 
standes, so  können  wir  wedel  als  das  zum  waten  (ndd.  wadan),  gehen 
Benutzte  erklären,  d.  h.  eben  als  eine  diese  Tätigkeit  ermöglichende 
Gelegenheit.38)  Waten  aber  heisst  noth  im  mhd.  nicht  nur  wie  im 
heutigen  Sinne  'das  Wasser  durchschreiten',  sondern  'gehen,  schreiten' 
überhaupt.    Dieses  Moment  darf  im  vorliegenden  Fall  nicht  übersehen 

33)  vgl.  z.  B.  Ägrimeswidil  und  Afwidel  bei  Fürstemann,  Altdeutsches  Namen- 
buch a.  a.  0. 

84)  Zum  Suffix  -£h  vgl.  E.  Sievers,  Das  Nominalsuffix  tra  im  Germanischen  in 
Paul  und  Braunes  Beiträgen  Bd.  5  (1878)  bes.  S.  528 f.;  ferner  Fr.  Kluge,  Nominale 
Stammbildungslehre  der  altgermanischen  Dialecte.    Halle  1886.  §  97. 

35)  Urverwandtschaft  mit  lat.  rädere  und  vadum  wird  durch  Zurückfiihrung 
von  vadum  auf  das  gleichbedeutende  skt.  qMh-d-m  wahrscheinlich  gemacht;  vgl 
besonders  G.  Curtius,  Grundzüge  der  gricch.  Etymologie5.  Leipzig  1879.  S.  473;  dazu 
Pott,  Etymologische  Forschungen  *  IV  S.  909  ff. 

M)  Kluge,  Nominale  Stammbildungslehre  §  18. 

37)  Kluge  a.  a.  0.  §  90. 

38)  Ich  möchte  hierbei  auf  das  mhd.  s&del,  ahd.  8'idal  verweisen,  welches  sowol 
Sitz  int  allgemeinen,  als  Wohnsitz  im  besonderen  bedeutet,  vgl.  zu  letzterem  Anno 
372  Troiöri  vuorin  in  der  werilte  widin  iiri  after  sedele.  Gegen  die  vielfach  an- 
genommene Entlehnung  dieses  Wortes  aus  lat.  sedile  macht  Pott.  Etymol.  Forsch. 
31 IV.  S.  707  geltend,  dass  man  dann  auch  alle  mit  siedeln  verwandten  Ausdrücke, 
wenn  auch  als  auf  deutschem  Boden  entstanden,  so  doch  nicht  als  Gewächs  aus 
urdeutscher  Wurzel  betrachten  dürfe.  Zweifellos  tragen  sowol  &<kl  scdal  wie  lat, 
sedile  instrumentalen  Charakter. 


157 

werden,  da  sonst  auf  den  ersten  Blick  die  Tatsache,  dass  Auch 
Höhenrücken  wie  der  Heinewedel**)  mit  -wedel  zusammengesetzt  sind, 
befremden  könnte.  Aus  -wad-il-  erhalten  wir  unter  Einwirkung  des 
Umlauts  -wedil-,  woraus  bei  der  hellen  Klangfarbe40)  des  e  durch 
vokalische  Assimilation  auch  die  altsächsischen  Formen  -widil  -widel 
genügend  zu  erklären  sind.40*)  Das  Endungs-e,  welches  sich  in  den 
Formen  auf  -wedele  -wideleil)  noch  erhalten  hat,  ist  der  Rest  der  alten 
Lokativendung. 

Setzen  wir  diese  etymologischen  Ergebnisse  für  diejenigen  Jansens 
ein,  so  können  wir  seinem  Endresultat,  dass  wir  „sachlich  und  sprachlich 
mit  dem  deutschen  Ausdruck  Agrimeswidil  oder  ivedel  auf  die  lateinische 
Bezeichnung  vadium*'2)  zurückkommen,  unsere  Zustimmung  geben.43) 

Suchen  wir  von  diesen  Ausführungen  die  Probe  auf  Salzwedel 
zu  machen. 

Jansen  hatte  betont,  dass  in  den  von  ihm  beobachteten  Fällen 
fast  alle  Örtlichkeiten,  deren  Namen  auf  -wedel  ausgehen,  an  Über- 
gangsstellen gelegen  seien.  Dasselbe  ist  bei  Salzwedel  der  Fall,  und 
zwar  in  ausserordentlich  deutlicher  Weise.  Ein  natürlicher  Höhenzug 
in  der  Richtung  von  Osten  nach  Westen,  der  noch  heute  im  Westen 
vor  dem  bockhorner  Tor,  im  Osten  vor  dem  Perver  zu  erkennen  ist, 
durchzieht  bei  Salzwedel  die  Jeetzeniederung.  Weder  nordwärts  noch 
südwärts  findet  sich  auf  weite  Strecken  ein  derartig  nahes  Heran-  und 
Hinübertreten  eines  Höhenzuges  über  die  sumpfige  Niederung  des  Flusses. 
Diese  Schwierigkeiten  des  Geländes  traten  in  früherer  Zeit,  vor  der  Ein- 
deichung der  Elbe,  die  erst  im  12.  Jahrhundert  durch  eingewanderte 
Niederländer  stattfand44),  noch  weit  schärfer  hervor,  und  mussten  den 
Landverkehr,  der  in  einer  Zeit,  wo  es  noch  keine  Kunststrassen  gab, 

")  Forstbezirk  im  Regierungsbezirk  Lüneburg,  Kreis  Gifhorn.  s.  auch  Lübben 
an  beiden  Orten. 

*°)  K.  Nerger,  Grammatik  des  nieklenburg.  Dialekts.    Leipzig  1869.  S.  17. 

4oft)  Ndd.  wedel  ist  der  Etymologie  und  Bedeutung  nach  genau  das  altnord. 
vapillj  'a  shallow  water,  esp.  pfaces  where  fiords  or  straits  can  be  passed  on  horse- 
back7  Cleasbv-Vigfusson,  An  Icelandic-English  dictionary.  Oxforü  1874,  —  Dazu 
vgl.  Falk,  Die  nomina  agentis  der  altnordischen  Sprache  in  Paul  u.  Branncs  Bei- 
trägen Bd.  14  (1888).  S.  39.  —  Zum  Genus  des  nad.  wedel  müchte  ich  aus  einer 
Urkunde  vom  Jahre  1388  (Riedel  A,  XIV  Nr.  252)  anführen  der  Alden  Stat  czum 
Zalezwedel,  und  ebenso  czum  Zalezwedel  in  der  Ausfertigung  für  die  Neustadt  und 
in  der  Datirung. 

"}  s.  o.  Anm.  22. 

«)  vgl.  o.  Anm.  35. 

°)  Es  thut  der  Priorität  Jansens  in  Bezug  auf  den  Versuch,  wedel  als  'Furt' 
zu  deuten,  keinen  Eintrag,  dass  ich,  zwar  von  demselben  Ausgangspunkt,  dem 
Agrimeswidil  bei  Adam  von  Bremen,  auf  welches  mich  schon  vor  Jahren  Dr.  W.  Seel- 
uiann  freundlichst  aufmerksam  gemacht  hatte,  ausgehend,  aber  doch  auf  anderem 
Wege  zu  demselben  Resultat  gekommen  bin.  Meine  Ansicht  stand  bei  mir  schon 
fest,  ehe  ich  Jansens  Abhandlung  zu  Gesicht  bekam. 

**)  Die  Literatur  hierüber  ist  ziemlich  zahlreich.  Eine  Zusammenstellung  der- 
selben giebt  neuerdings  Th.  Rudolph,  Die  niederländischen  Kolonien  der  Altmark 
im  1 2.  Jahrhundert.  Berlin  1889.  Nach  ihm  erschien  die  Breslau  er  Dissertation  von 
Ed.  0.  Schulze,  Niederländische  Siedelungen  in  den  Marschen  an  der  unteren  Weser 
und  Elbe  im  12.  und  13.  Jahrhundert.    Hannover  (1889). 


158 

naturgemäß  aufs  engste  an  die  Bodengestaltung  gebunden  war,45)  not- 
wendig auf  diese  Linie  lenken.  Tatsächlich  aber  war  der  Landverkehr 
in  dieser  Gegend  weit  mehr  ausgebildet  als  der  Verkehr  zu  Wasser, 
wie  die  geringe  Anzahl  grösserer  Handelsstädte  an  der  Elbe  beweist. 46) 
Deshalb  führte  der  alte  Landweg  von  Bardowik- Lüneburg  über  Salz- 
wedel nach  Gardelegen  und  Magdeburg.  Aus  demselben  Grande 
führte  auch  die  Wendenstrasse  von  Bardowik -Lüneburg  aus  über 
Salzwedel  in  das  Wendenland  hinein.  Und  welch  regen  Verkehr 
Salzwedel  schon  in  allerältester  Zeit  mit  Lüneburg  gehabt  haben  mos*, 
das  beweist,  abgesehen  von  Anderem,  schon  der  Umstand,  dass  das 
salzwedeler  Stadtrecht  auf  der  Grundlage  des  lttneburgischen  aufgebaut 
ist,  während  das  im  Jahre  1151  zur  Stadt  erhobene  Stendal4*)  das 
seinige  dem  magdeburgischen  Recht  entlehnte.  Wieder  für  die  Regsam- 
keit des  Verkehrs  über  Salzwedel  nach  dem  Wendenlande,  wo  die 
Strasse  über  Arendsee  nach  Perleberg,  dann  weiter  nach  Pritzwalk 
und  Wittstock  lief 4S),  ist  beweisend,  dass  das  perleberger  Recht  das 
salzwedelsche  zur  Grundlage  hat. 

Jansen  hatte  seine  Untersuchungen  auf  die  Ortsnamen  rechts  der 
Elbe  beschränkt...  Wie  auf  diese  und  auf  Salzwedel  passt  nun  die  Deutung 
des  -wcdel  als  Übergangsstelle  oder  Fürth  auch  für  die  übrigen  Orts- 
namen auf  -wedel  links  der  Elbe.  Auch  diese  liegen,  soweit  die 
Sonderkarte4/')  erkennen  lässt,  fast  alle  an  noch  heute  mehr  oder  weniger 
deutlichen  Übergangspunkten  über  Moor  oder  Flussniederungen. 

Ich  gebe  hier  ein  Verzeichniss  der  mir  bekannten  Ortsnamen  auf 
-wedel  links  der  Elbe  ausser  Salzwedel: 

1.  Regierungsbezirk  Lüneburg: 
Martcedcl,  Kreis  Dannenberg, 
Bruchwedel,  Kreis  Ülzen, 
Schaf  wedel,  do. 

Blickwedel,  Kreis  Isenhagen, 
Langwedel,  do. 

Lingwedel,  do. 

Wimeedel,  do. 

Bancedel,  Kreis  Gif  hörn, 
Steinwedel,  Gr.  u.  KL,  Kreis  Burgdorf, 
Burgwedel,  Gr.  u.  Kl.,  do. 

Lindwedel,  Kreis  Fallingbostel, 
Flottwedel,    do.   zur  Landgemeinde  Bockel, 
Langicedel,  Kreis  Soltau,  zur  Landgemeinde  Heber. 

4i)  Vergl.  z.  B.  J.  N.  v.  Sadowski,  Die  Handelsstrassen  der  Griechen  und  Römer 
durch  das  Flussgebiet  der  Oder,  Weichsel,  des  Dniepr  und  Niemen  an  die  Gestade 
des  Baltischen  Meeres.    Aus  dem  Polnischen  von  A.  Kohn.    Jena  1877.    S.  9. 

46)  A.  Penck,  Das  deutsche  Reich  (=  Länderkunde  des  Erdteils  Europa,  hrsg. 
v.  A.  Kirchhoff  I,  1).  Wien  1*87.   S.  547.  —  Riedel  A,  XIV  Nr.  DXI  DXII. 

")  Die  Griindungsurkunde  bei  Riedel  A,  XV  Nr.  8. 

")  Erich  Liesegang  in  den  Forschungen  zur  brandenb.-preussischen  Geschichte 
a.a.O.  S.  51. 

*9)  Es  wurde  benutzt  A.  Papen,  Topographischer  Atlas  des  Königreichs  Han- 
nover und  Herzogthums  Braunschweig.  Hannover  1822—47. 


159 

2.  Regierungsbezirk  Hannover: 
Holhcedel,  Gr.  u.  KI.,  Kreis  Syke. 

3.  Regierungsbezirk  Stade: 
Langwedel,  Kreis  Verden, 
Blecfocedel,  Kreis  Rotenburg  i.  Hann., 
Ru8chwcdel,  Kreis  »Stade, 

Hohenwedel,  Kreis  Stade,  zur  Stadt  Stade;  dazu  noch 
Hochicedeltheil,  Kr.  Hadeln,  zur  Landgeni.  Altenbruch.  *°) 

Das  Gebiet,  welches  diese  Orte,  einschliesslich  Salzwedel,  einnehmen, 
erstreckt  sich  von  der  Mündung  der  Jeetze  in  die  Elbe,  östlich 
der    Jeetzeniederung    in    südlicher   Richtung   aufwärts  bis   zur   Aller, 


*°)  Ausgeschlossen  sind  aus  diesem  Verzeichniss : 

1.  alle  Ortsnamen,  welche  Wedel,Wehdel  w.  ähnl.  lauten.  Zwar  ist  mit  Sicherheit 
anzunehmen,  dass  die  Wiege  des  Gesclüechts  der  Familie  vonWedel  in  dieser  Gegend 
zu  suchen  ist  —  (v.  Wedel)  Geschichte  der  Grafen  von  Wedel  zu  Gödens  und  Even- 
burg  in  Ostfriesland.  Hannover  1850.  S.  7  f.  wird  hierfür  das  zwei  Meilen  unter- 
halb Hamburg  an  dem  Nordufer  der  Elbe  gelegene  Wedel  geltend  gemacht  — ,  aber 
um  für  unseren  Zweck  verwertbar  zu  sein,  müsste  in  jedem  Falle  nachgewiesen 
werden,  dass  ein  solcher  Zusammenhang,  abgesehen  von  jenem  ersten  Falle,  welchem 
die  Familie  den  Namen  verdankt,  nicht  vorhanden  ist.  Hierhot  rechne  ich  auch 
Wedell  im  Regierungsbezirk  Frankfurt  a.  0.  Kreis  Königsberg  N.M.,  Neu-Wedell 
im  Regierungsbezirk  Frankfurt  a.  0.  Kreis  Aniswalde  —  über  die  Zugehörigkeit 
dieses  letzteren  zur  Familie  von  Wedel  s.  Buchholz,  Versuch  einer  Geschichte  der 
Churmark  Brandenburg.  I.  I7H5.  S.  41  — ,  Neu -Wedel  im  Regierungsbezirk  Oppeln 
Kreis  Oppeln  und  Alten -Wedell  im  Regierungsbezirk  Stettin  Kreis  Saatzig.  Auch 
der  Name  des  Geschlechts  schwankt  zwischen  den  Formen  Wedele  Widele  Wedel  u.  a., 
s.  Urkundenbuch  zur  Geschichte  des  schlossgesessenen  Geschlechts  der  Grafen  und 
Herren  von  Wedel.  Bearbeitet  und  herausgegeben  von  Heinr.  Fried.  Paul  v.  Wedel. 
Bd.  I.    Leipzig  1888. 

2.  Altensalzwedel  im  Regierungsbezirk  Magdeburg  Kreis  Salzwedel.  Es  ist 
dies  jenes  schon  oben  S.  151  genannte  Dorf  etwa  eine  Meile  südlich  der  Stadt  Salz- 
wedel, in  dessen  mooriger  Nachbarschaft  sich  jene  oben  erwähnten  Salzquellen  be- 
finden. Es  hat  deshalb  nicht  an  Meinungen  gefehlt  (s.  Pohlmann  a.  a.  0.  S.  4) ,  die 
diesem  Ort  ein  höheres  Alter  wie  der  Stadt  Salzwedel  zuerkannten,  und  sie  für  die 
ursprüngliche  Anlage  hielten.  Allen  diesen  Ansichten  hat  aber  schon  Danneil  (im 
1 5.  Jahresbericht  des  altmärkischen  Geschichtsvereins  S.  39  ff.)  ein  für  alle  Mal  ein 
Ende  gemacht,  indem  er  einesteils  auf  das  erst  spät  bezeugte  Vorkommen  des 
Namens  Altensalzwedel  —  er  giebt  ftir  die  erste  Erwähnung  das  Jahr  1402  an  — 
hinwies,  andererseits  aber  mit  Recht  betonte,  dass  das  Dorf  noch  heute  vom  Volke 
nur  Ollen  Solten  genannt  würde,  und  dass  dieser  Name,  der  eine  genügende  Er- 
klärung in  der  salzigen  Beschaffenheit  des  dortigen  Bodens  findet,  als  der  ältere 
anzusehen  sei.  Möglicherweise  könnte  man  auch  Beziehungen  dieses  Namens  zur 
Familie  derer  von  Salztoedel  annehmen,  wie  letzteres  auch  für  den  Flecken  Langen- 
mlzwedel  bei  Tangennünde  geschehen  ist  (s.  Steinhart  a.  a.  0.  IL  S.  205),  der  schon 
im  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  erwähnt  wird  (Riedel  A,  V  Nr.  89  u.  91),  den  wir 
aber  ebenfalls  aus  der  obigen  Liste  ausgeschlossen  haben. 

Ausserdem  erwähne  ich 

3.  Salztoedel,  Vorwerk  zum  Rittergut  Drosdowen  im  Regierungsbezirk  Gum- 
binnen  Kreis  Oletzko,  dessen  Ursprung  mir  imbekannt  ist;  und 

4.  Seywedel,  Dorf  in  Oesterreich,  Böhmen,  Kr.  Prag,  Bez.  Rakonitz,  welches 
in  Ritter's  Geographisch-statist.  Lexikon*.  Bd.  2.  Leipzig  1874.  S.  587  aufgeführt 
wird,  heisst  in  der  siebenten  Auflage  desselben  Werkes  Bd.  2.  Leipzig  1883.  S.  Gl  7 
Seiwedl.    Näheres  darüber  weiss  ich  nicht. 


160 

über  diese  hinaus  und  ihrem  linken  Ufer  entlang  abwärts  bis  zur 
Weser,  dann  über  diese  hinüber  in  gleicher  Richtung  bis  etwa 
an  die  heutige  oldenburgische  Grenze,  von  wo  es  sich  in  breitem 
Streifen,  der  in  der  Quere  etwa  von  der  Mündung  der  Hunte  in  die 
Weser  bis  zur  Mündung  der  Leine  in  die  Aller  reicht,  nordöstlich  nach 
der  Elbe  zu  wendet,  wo  sich  dann  das  holsteinisch-schleswigsche  Gebiet 
der  Ortsnamen  auf  -wedel  anschliesst. 

Es  ist  bemerkenswert  und  für  die  vorgeschlagene  Bedeutung  des 
-wedel  von  Wichtigkeit,  dass  dieses  Gebiet  sich  in  einer  grossen  Ellipse 
um  die  lüneburger  Heide  herumzieht,  deren  Gelände  für  derartige 
Benennungen  keine  Gelegenheit  bot.  Es  stimmt  ferner  zu  der  gegebenen 
Erklärung,  dass  auch  Höhenrücken,  wie  der  Heine  wedel,  Forstbezirk 
im  Regierungsbezirk  Lüneburg  Kreis  Gif  hörn,  sowie  der  Hohe  Wedel 
bei  Stade  —  für  Höhenbenennungen  kann  eine  Einwirkung  des  Namens 
der  Familie  von  Wedel,  s.  o.  S.  159,  wohl  als  ausgeschlossen  betrachtet 
werden  —  in  dieser  Art  benannt  sind.  Auch  andere  Forstbezirke*1) 
wie  Buchwedel  im  Regierungsbezirk  Lüneburg  Kreis  Winsen  und 
Lint  wedel  nordöstlich  von  Bremen,  bilden  für  die  Auffassung  des  -wedel 
als  Übergangsstelle,  als  Furt  kein  Hindernisse1  a 

Gehen  wir  von  den  so  erreichten  Resultaten  noch  einen  Schritt 
weiter,  indem  wir  der  Frage  nach  den  Gründern  dieser  Orte  und  der 
Gründungszeit  des  bedeutendsten  unter  ihnen,  Salzwedel,  näher  zu  treten 
suöhen. 

Das  Gebiet,  welches  rechts  der  Elbe  in  der  heutigen  Provinz 
Schleswig -Holstein,  links  der  Elbe  in  der  heutigen  Provinz  Hannover 
und  einer  Ecke  der  Provinz  Sachsen,  von  den  Ortsnamen  auf  -wedel 
bedeckt  ist,  stellt  sich  dar  als  derjenige  Teil  des  grossen  Sachsen- 
gebietes, welches  rechts  der  Elbe  von  den  Transalbingiern,  links  von 
Teilen  der  Engem  und  Ostfalen  bewohnt  wurde.  Eine  andere  Völker- 
schaft kann  für  unsere  Frage  nicht  in  Betracht  kommen.  Denn  die 
Sitze  der  Langobarden,  wie  v.  Hammerstein -Loxten52)  deren  Grenzen 
festgestellt  hat,  dehnten  sich  weder  nördlich,  noch  westlich  und  südlich 
so  weit  aus.  Für  die  Ostgrenze  derselben  ist  es  allerdings  nicht 
unmöglich,  dass  dieselbe  bis  an  die  nördliche  Jeetzeniederung  heran- 
gereicht hat,  welche  vor  der  Eindeichung  der  Elbe53)  eine  natürliche 
Scheidung  von  den  Nachbarn  bot.  Jenseits  der  Jeetzeniederung  sassen 
andere  Völker,  die  noch  vor  dem  Jahre  531  in  das  grosse  Thüringer- 
reich  aufgegangen  waren.54)    In  diesem  Jahre  aber  bekriegte  der  frän- 

6I)  Notwedel  bei  Lübben  in  den  Germanistischen  Studien  a.  a.  0. 

61  a)  Es  mag  hinzugefügt  werden,  dass  das  dem  nhd.  'Furt'  entsprechende 
alts.  *ford  als  solches  nicht  belegt  ist,  sondern  nur  aus  Ortsnamen,  deren  zweiten 
Teil  es  bildet,  erschlossen  wird.  Heriford  aber,  jetzt  Herford,  welches  beispiels- 
weise Kluge  im  Etym.  Wb. 4  (1889).  S.  99  anführt,  liegt  im  Regierungsbezirk  Minden, 
jenseits  der  Weser,  also  ausserhalb  des  von  den  Ortsnamen  auf  -wedel  eingenomme- 
nen Gebietes.  Es  wäre  interessant  zu  wissen,  wie  sich  die  Ortsnamen  auf  -fürt 
örtlich  und  zeitlich  zu  denen  auf  -wedel  verhalten. 

M)  a.  a.  0.  S.  16  ff.  u.  S.  49  f.  M)  s.  o.  S.  157. 

54)  vgl.  hierzu  besonders  die  Aufsätze  von  W.  Seelmann  im  Jahrb.  des  Ver.  f. 
Niederd.  Sprachforschung  1S8G. 


161 

kische  König  Theodorich  mit  Hilfe  der  Sachsen  die  Thüringer,  wofür  jene 
als  ausbedungenen  Siegeslohn  Nordthüringen  erhielten,  d.  h.  das  Land 
zwischen  Elbe,  Jeetze,  Ocker,  Harz  und  Unstrut.  Obwol  nun  die 
Sachsen  auch  im  Besitz  des  Landes  rechts  der  Jeetze  waren,  so  finden 
sich  doch,  mit  alleiniger  Ausnahme  des  zu  beanstandenden55)  Langen- 
salzwedel  bei  Tangermünde,  zwischen  Jeetze  und  Elbe  keine  Orts- 
namen auf  -weüel  mehr.  Eine  energische  Besiedelung  dieser  Strecken 
durch  die  siegreichen  Sachsen  hat  also  nicht  mehr  stattgefunden,  denn 
an  Gelegenheit  zu  diesbezüglichen  Namengebungen  würde  es  auch  hier 
nicht  gefehlt  haben. 

Mit  diesem  Ausblick  müssen  wir  uns  zunächst  begnügen,  da  gerade 
das  in  Frage  stehende  Gebiet  und  seine  Bewohner  für  die  deutsche 
Altertumskunde  immer  noch  eine  Reihe  ungelöster  Rätsel  birgt. 

M)  8.  Anm.  50.  2. 

Berlin.  Johannes  Luther. 


Anzeige. 

W.  L.  van  Helten,  Altostfriesische  Grammatik.  Herausgegeben  im 
Auftrag  des  Friesch  Genootschap  voor  Geschied-,  Oudheid-  en  Taal- 
kunde  te  Leeuwarden.  Leeuwarden.  Verlag  von  A.  Meyer  (Firma 
IL  Kuipers  &  J.  G.  Wester).   1890.   XII,  255  S.  8°. 

Endlich  eine  altfriesische  Grammatik,  die  unmittelbar  auf  den  Quellen 
beruht!  In  diesen  freudigen  Ausruf  wird  ein  jeder  einstimmen,  der  das  Be- 
dürfnis nach  einem  zuverlässigen  Nachschlagebuch  empfunden  hat.  Das 
Altfriesische  ist  bisher  die  einzige  germanische  Sprache  gewesen,  deren 
Laut-  und  Flexionslehre  seit  J.  Grimm  nicht  aufs  neue  aus  den  Quellen 
heraus  eingehend  bearbeitet  worden  ist.  Und  grade  hier  war  eine  solche 
Arbeit  dringend  nötig.  Wiarda's  Ausgaben,  'welche  Rask  und  J.  Grimm 
vorlagen,  sind  philologisch  unbrauchbar.  1840  hat  uns  v.  Richthofe n  eine 
zuverlässige  Ausgabe  der  wichtigsten  altfriesischen  Rechtsquellen  und  ein 
vortreffliches  Wörterbuch  geschenkt.  Auf  dieser  Grundlage  ruht  Heyne's 
Darstellung  in  seiner  kurzen  Laut-  und  Flexionslehre  der  altgerm.  Sprachen. 
Allein  dieselbe  ist  nur  ein  kurzer  Abriss  nach  J.  Grimm's  Vorbild,  keine 
ausführliche  grammatische  Darstellung  des  gesammten  afries.  Sprachgutes; 
sie  ist  für  das  Afries.,  was  Grein's  kleine  ags.  Grammatik  für  das  Angel- 
sächsische ist.  Einen  Rückschritt  bedeuten  die  ganz  unselbständigen  Gram- 
matiken von  Hewett  und  Cummins.  Die  jüngste  von  Siebs  in  PauFs  Grund- 
riss  fusst  nur  auf  v.  Richthofen's*  Wörterbuch,  nicht  auf  den  Texten  selbst 
und  entfernt  sich  weit  von  einer  philologisch-historischen  Darstellung  nicht 
nur  dadurch,  dass  der  Verfasser  seine  Darstellung  mit  unbewiesenen  sprach- 
geschichtlichen Theorien  verquickt,   sondern   vor  allem   dadurch,   dass   das 


> 


162 

Material  zum  Teil  nicht  zuverlässig  ist  und  der  Fassung  der  Regeln  die 
nötige  Bestimmtheit  mangelt.  Von  Bearbeitungen  eines  Teiles  der  afries. 
Grammatik  ist  die  einzig  brauchbare  Schrift  bisher  die  Dissertation  von 
Günther  über  die  Verba  im  Altostfriesischen  gewesen.  Denn  in  Siebs'  Dar- 
stellung des  Vokalismus  (Paul  nnd  Braune's  Beitr.  XI  und  zur  Geschichte 
der  engl.-fries.  Sprache)  und  der  Palatale  (1886  besonders  ersch.)  vermag 
ich  einen  wissenschaftlichen  Fortschritt  nicht  zu  erkennen. 

Unter  'diesen  Umständen  muss  man  es  dem  Verfasser  des  zu  besprechen- 
den Werkes  Dank  wissen,  dass  er  eine  quellenmftssige  Bearbeitung  der  alt- 
ostfries.  Laut-  und  Formenlehre  unternommen  hat.  Nächst  dem  Verfasser 
gebührt  unser  Dank  dem  rührigen  „Friesch  Genootschap  voor  Geschied-, 
Oudheid-  en  Taalkunde",  in  dessen  Auftrag  und  mit  dessen  materieller  Unter- 
stützung das  vorliegende  Buch  erschienen  ist  Freilich  ist  es  sehr  zu  be- 
dauern, dass  nicht  grössere  Mittel  zur  Verfügung  gestanden  haben.  Denn 
auf  Rechnung  dieses  Umstandes  wird  jedenfalls  in  erster  Reihe  die  mangel- 
hafte Ausstattung  des  Buches  zu  setzen  sein,  welche  die  Benutzung  desselben 
dermassen  erschwert,  dass  auch  derjenige  Leser,  welchem  der  Stoff  ein  wohl 
vertrauter  ist,  sich  nur  mit  äusserster  Mühe  zurecht  finden  kann.  Doch 
hätte  hier  Manches  getan  werden  können:  Es  fehlen  besondere  Seitenüber- 
schriften; die  Kapitelüberschriften  hätten  numeriert  und  durch  den  Druck 
verschiedenartig  gekennzeichnet  werden  müssen;  statt  der  unglückseligen, 
dem  Auge  kaum  bemerkbaren  a,  ß  u.  s.  w.,  hätten  mehr  in's  Auge  fallende 
Ziffern  gewählt  werden  müssen;  die  Anmerkungen  durften»  nicht  fortlaufend 
in  der  Schriftgattung  des  Textes  gedruckt  werden;  und  bei  dieser  Unüber- 
sichtlichkeit des  Druckes  fehlt  noch  ein  Inhaltsverzeichnis!  Man  ist  gradezu 
gezwungen  sich  ein  solches  selbst  anzufertigen,  um  das  Buch  zum  Nach- 
schlagen benutzen  zu  können.  Ich  gestehe,  noch  kein  Buch  gesehen  zu 
haben,  dessen  Brauchbarkeit  in  ähnlichem  Masse  durch  die  Art  des  Druckes 
beeinträchtigt  wird.  Und  grade  diesem  Buche  hätte  äussere  Übersichtlich- 
keit dringend  Not  getan.  Denn  die  Darstellung  selbst  zeichnet  sich  nicht 
durch  Klarheit  und  Übersichtlichkeit  aus.  Der  Verfasser  erhebt  sich  nicht 
zu  einer  zusammenfassenden  Darstellung  sondern  giebt  im  wesentlichen  nur 
eine  Materialsammlung  von  Fall  zu  Fall.  Es  wäre  am  zweckmäßigsten 
gewesen,  wenn  der  Verfasser  sich  in  seiner  Disposition  möglichst  eng  an 
Sievers'  ags.  Gramm,  angeschlossen  hätte.  Zumal  bei  einer  so  wenig  be- 
kannten Sprache  war  eine  Paralleldarstellung  der  Lautlehre  geboten,  also 
einmal:  Altostfries,  e  ist  der  Vertreter  von  1.  germ.  e,  2.  umgelauteten  germ. 
u  u.  s.  w.;  zum  anderen:  Germ,  e  ist  vertreten  1.  durch  e,  2.  durch  e  u.  s.  w. 
Die  letztere  Anordnung  hat  der  Verfasser  beim  Vokalismus,  die  erstere 
beim  Konsonantismus  befolgt.  Auf  eine  vergleichende  Entwicklungsgeschichte 
des  Friesischen,  ausgehend  vom  Anglofriesischen,  hat  der  Verfasser  ver- 
zichtet und  deshalb  auch  mit  Recht  verzichtet,  weil  seine  Grammatik  nur 
die  altostfriesische  Sprache  des  13.  bis  15.  Jahrhunderts  behandelt  und  eine 
solche  Entwicklungsgeschichte  nur  mittels  »des  Urfriesischen  fest  begründet 
werden  kann,  dessen  Gewinnung  wiederum  die  vergleichende  Hinzuziehung 
des  Westfries,  voraussetzen  würde. 

Ungeachtet  des  statistischen  Charakters  seiner  Grammatik  hat  der  Ver- 
fasser es  sich  nicht  versagt  hier  und  da  weiter  gehende  Probleme  der  ger- 


163 

manischen  Lautgeschichte  zur  Sprache  zu  bringen,  meines  Erachtens  mit 
wenig  Glück.  Die  verzweifelte  Frage,  wie  die  verhältnismässig  selten  vor- 
kommenden ä  neben  e  ans  germ.  ai  zu  erklären  seien,  beantwortet  der  Ver- 
fasser (so  schon  Beitr.  XIV,  282  ff.)  dahin,  dass  ä  die  normale  Entsprechung 
sei  und  alle  e,  soweit  lautorganische  Entsprechung  vorliegt,  durch  i-Umlaut 
zu  erklären  seien.  Zu  diesem  Zweck  muss  er  für  die  Substantiv»  wie  ben, 
üel,  eth,  sten  den  alten  Lokativ  Sing,  zu  Hülfe  zu  nehmen,  dessen  Stamm- 
vokal auf  sämtliche  anderen  Kasus  übertragen  sei.  Dürfte  diese  Erklärung 
wenig  Glauben  finden  dürfte,  so  ist  diejenige  für  die  Praeterita  wie  grep, 
tvet  unmöglich,  bei  welohen  der  t-Umlaut  aus  der  3.  Sing,  hergeleitet  wird, 
liier  hat  zu  keiner  Zeit  ein  i  im  Auslaut  bestanden;  denn  auslautendes  idg.. 
e  war  schon  in  vorchristlicher  Zeit  abgefallen,  ohne  den  Lautwandel  des 
unbetonten  e  zu  i  mitzumachen,  folglich  ohne  Umlaut  hervorrufen  zu  können 
(vgl.  Sievers,  Ags.  Gramm.  §  131  im  Gegensatz  zu  §  132).  Ich  bin  viel- 
mehr der  Ansicht,  dass  germ.  ai  in  offener  Silbe  zu  e,  in  geschlossener  zu 
a  (letzteres  meist  verkürzt)  geworden  ist;  vgl.  eth  :  aththa,  kern  :  hamreke, 
Uda  :  latte,  reka  :  rächte.  Die  Nomina  wie  eth  haben  ihr  e  aus  den  ob- 
liquen Kasus,  die  Feminina  wie  fräs  neben  fres  ihr  ä  von  dem  alten 
endungslosen  Nom.  und  Dat.  Sing.  her.  Auf  die  ferner  liegende  Erklärung 
der  anderen  Ausnahmen  gedenke  ich  an  anderer  Stelle  zurückzukommen. 

Es  hat  dem  Buche  nur  zum  Vorteil  gereicht,  dass  der  Verfasser  sich 
auf  eine  systematische  Behandlung  des  Altostfries,  beschränkt  hat.  Allein 
öftere  gelegentliche  Berücksichtigung  des  Altwestfries,  und  des  Neuostfries, 
würde  manches  Problem  klarer  gestellt  haben.  Wo  der  Verfasser  dies 
getan  hat  (vergl.  z.  B.  §  38),  hat  er  es  mit  Glück  getan.  Die  Sache  liegt 
ja  beim  Altfries,  anders  wie  bei  den  übrigen  altgerm.  Sprachen,  deren  Gram- 
matik durch  Hinzuziehung  neuerer  Mundarten  an  Klarheit  kaum  gewinnen 
würde.  Das  Altfries.  ist  aber  so  kümmerlich  überliefert,  dass  hier  die 
jüngeren  Mundarten  vielfach  den  Tatbestand  sehr  wesentlich  ergänzen.  Vor 
allem  lässt  sich  die  Aussprache  des  Altfries,  nur  erkennen,  wenn  man  die 
modernen  Erscheinungen  zu  Hülfe  zieht.  Im  Altfries,  müssen  bekanntlich 
viele  Buchstaben  eine  mehrfache  Aussprache  gehabt  haben,  weil  die  neueren 
Mundarten  etymologisch  verschiedene  Laute  in  der  Aussprache  trennen, 
welche  in  der  altfries.  Schreibung  zusammengefallen  sind.  Besonders  sind 
die  alten  Quantitätsverhältnisse  nur  auf  diesem  Wege  mit  Sicherheit  zu  ge- 
winnen. In  diesem  Punkte  ist  es  zu  bedauern,  dass  der  Verfasser  manches, 
was  er  klar  erkannt  hat,  nicht  folgerecht  zum  Ausdruck  bringt.  Er 
beweist  z.  B.  S.  27,  dass  afrs.  iä,  in  zu  lesen  sei  und  schreibt  doch  stets 
■in  und  iu,  wiewohl  richtig  u'a.  Noch  richtiger  sollte  man  |5,  iü,  iö  schrei- 
ben, ebenso  wie  der  kurze,  gebrochene  Diphthong  als  iu  wiederzugeben  ist. 
Ferner  nimmt  Verf.  §  43  Dehnung  vor  vereinfachtem  alten  rr  an,  schreibt 
aber  ohne  Grund  immer  stera  u.  dgl.  Anderes  ist  dem  Verf.  entgangen,  so 
die  sicher  altostfries.  Dehnung  vor  nd,  mb,  lä,  Ir,  rth,  rd,  rv,  rn  und  die  Kür- 
zung vor  st,  sk,  cht,  ft,  kt,  pt,  mr,  nr. 

Indessen,  es  ist  hier  nicht  der  Ort  auf  Einzelheiten  näher  einzugehen. 
Dass  bei  einem  Buche,  welches  einen  bisher  kaum  beackerten  Boden  zum 
ersten  Male  bearbeitet,  im  einzelnen  öfter  gefehlt  und  manches  nicht  er- 
kannt ist,   darf  man  billigerweise   nicht   anders  erwarten.     Alles,   was   man 


16* 

an  dem'  Buche  aussetzen  mag,  wiegt  federleicht  gegenüber  den  grossen 
Vorzügen  desselben.  Der  Verf.  hat  uns  die  erste  gründlich©  altfries.  Gram- 
matik geschenkt,  nnd  das  ist  bei  der  Sprödigkeit  des  Stoffes  eine  wissen- 
schaftliche Tat.  Er  hat  eine  Reihe  von  wichtigen  Tatsachen  znm  ersten 
Male  klar  gelegt  —  ich  nenne  nur  die  Kapitel  über  den  u~,  v-  nnd  ti-Um- 
laut,  über  die  Brechung,  Dehnung  und  Kürzung  und  die  Vokale  der  Mittel- 
silben  nnd  Praefixe.  Er  hat  eine  Grammatik  geschrieben,  welche  vollständig 
und  zuverlässig  alles  zusammenfasst,  was  unsere  Texte  bieten,  nnd  er  giebt 
durch  die  sorgfältige  Sammlung  der  Belegstellen  dem  Leser  selbst  eine 
Kontrole  in  die  Hand.  Die  Forschung  wird  ja  fortschreiten  und  manche 
Kegel  wird  veralten,  manche  neu  gefunden  werden.  Immer  aber  wird  man 
auf  dieses  Werk  als  das  grundlegende  zurückgreifen  müssen.  Möchte  der 
Verfasser  uns  auch  eine  gleich  gründliche  altwestfriesiache  Grammatik 
schenken! 

Halle  a.  S.  Otto  Bremer. 


i 


In  unserm  Verlage  sind  erschienen: 

Drucke  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

i. 

Mlttelnlederdeatsehe  Fastnachtspiele.  Mit  Einleitung  und 
Anmerkungen  herausgegeben  von  W.  Seelmaan.  XL VII.  und 
86  S.      Preis  2  Mk. 

Inhalt:  Böse  Frauen.  —  Bauernbetrügerei.  —  N.  Meroatoris  Fastnachtspiel.  —  Zwie- 
gespräch «wischen  dem  Lehen  und  dem  Tode.  —  Der  Schere  Klot.  —  Röbeler  Spiel. 
—  Das  Glücksrad. 

Dieser  Neudruck  mit  Rem-oduetion  der  Original- Holzschnitte  enthält  eine 
Sammlung  alter  volkstümlicher  Lustspiele  in  mittelniederdeutscher  Mundart. 
Die  ausführliche  Einleitung,  welche  der  Herausgeber  beigefügt  hat,  bereichert  die 
Geschichte  des  deutschen  Dramas  um  eine  Reihe  interessanter  Thatsachen  und 
führt  u.  a.  den  Nachweis,  dass  dem  Fastnachtspiele,  wie  man  böse  Frauen  fromm 
maclien  kann,  derselbe  Stoff  und  dieselbe  Quelle  zu  Grunde  liegt,  wie  eitler  eng- 
liscJien,  auch  Slmkespeare,  wie  seine  Zähmung  der  Widerspenstigen  zeigt,  be- 
kannten Dichtung. 

IL 

Das  niederdeutsche  Reimbüchlein.  Eine  Spruchsammlung 
des  16.  Jahrh.  Herausgegeben  von  W.  Sftelmann.  XXVIII.  und 
122  S.     Preis  2  Mk. 

Das  um  die  Mitte  des  16.  Jahrh.  gedruckte  und  .nur  in  einem  einzigen 
Exemplare  erJwltene  Reimbüchlein  ist  eine  in  ihrer  Art  einzig  dastehende  Antho* 
logie  gnomischer  und  lyrischer  Poesie,  die  aus .%.  T.  jetzt  verscliollenen  Dich- 
tungen, z.  T.  auch  aus  dem  Volksiyiunde  gesammelt  ist. 

III. 
De  düdesche  Schlömer  von  Johannes  Stricerius.     1584.     Her- 
ausgegeben von  Joh.  Bolte.    *76  und  236  S.     Preis  4  Mk. 

Ein  Neudruck  des  Schlömers,  welcher  neben  dem  verlorenen  Sohne  des 
Burkard  Waldis  als  das  bedeutendste  niederdeutsche  Drama  des  16.  Jahrhunderts 
bezeichnet  werden  muss,  ist  sclion  oft  als  ein  Bedürfnis  empfunden  worden. 
Strwer  entwirft  darin  in  lebendigen  Zügen  ein  getreues  und  anscliauliches  Bild 
von  dem  wüsten  und  schwelgerischen  Leben  des  Adels  in  seiner  Heintat  Holstein. 
Seiyiem  Stücke  liegt  zu  Grunde  eine  sclion  zuvor  in  England,  Holland,  Frank- 
reich und  Deutschland  dramatisch  bearbeitete  Fabel,  die,  wie  Goedeke  nachgewiesen 
hat,  aus  einer  budhistischen  Parabel  hervorgegangen,  zuletzt  zu  einer  Darstellung 
der  Bekehrung  eines  verstockten  Sünders  im  Sinne  der  protestantischen  Recht- 
fertigungslehre geworden  ist. 


Heister  Stephans  Schaehbueh«  Ein  mittelniederdeutsches 
Gedicht  des  14.  Jahrh.  Teil  I.:  Text.  Preis  2  Mk.  50  Pf. 
Teil  IL :  Glossar,  zusammengestellt  von  W.  Schlüter.  Preis  2  Mk. 


Wörterbücher  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

Wörterbuch  der  Westfälischen  Mundart  von  Fr.  Woeste. 

22  Bogen.     Preis  8  Mk.,  in  Halbfr.-Band  10  Mk. 


9I]tt?liiitMlciMl<>iilHrli4*H    llniif!tiur1ft  l>n«  h 

Pf. 

,  r/!.      MM 


■ 


Woordenboeh  der  UronliigiK'lie  VolksitjMl  von  II.  v 

Forschungeo. 
Herausgegeben  vom  Verein  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

H;itid 
Hie   Sorster    .11  uiitlart . 

•UiKithl  IlitUbauseu, 

Band  IL: 
Vt»lli*iuärt*Iien    jiiih    INmimeni    iimt    (tilgen. 

'r.  I  InVli  J<l 

IIhmI   III.   tiuil   IV.   und    in 

i 

Rand   \ 
liiMisiiht    iiitir  die  iiic*flvH;iu«IKrlii*u  Volkadlaletd 
I 

Band  \i.: 
Xiederdeutaehe  Allftteratieiteii. 


Kür    <*t eliiehte    der    Ilrulsrlit'n    %  •illissiamm  • 

il«  iicsrhlmifls  iiitd   Dänemark*  Im   Altertum    m 

lllllflulf«'!'.        Vf  »II     \\ 


Norden. 


[Hcrir.  Soltau's  Verl;