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Jahrbuch
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Jai mg 1887.
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HÜRDE* und LEIPZIG.
Verlag.
Ausarbeitungen, deren Abdruck im Niederdeutschen Jahrbuche
gewünscht wird, sind dem Mitgliede des Redactionsausschusses Drm
W. Seelmann, Berlin SW, LicJUerfelderstrasse 30 zuzusenden. Die
Zahlung des Honorars (von 32 Mark für den Bogen) erfolgt zu
Jahresschluss durch den Kassenwart."
Zusendungen, deren Abdruck im Korrespondenz-Blatte erfolgen
soll, nimmt Dr. W. H. Mielck, Hamburg, Dammthorstr. 27 entgegen.
Die Mitgliedschaft zum Niederdeutschen Sprachverein wird durch
Einsendung des Jahresbeitrages (5 Mark 5 Pf.) an den Kassenwart
des Vereins Dr. W. H. Mielck in Hamburg oder durch Anmeldung
bei einem der Vorstandsmitglieder oder Bezirksvorsteher erworben.
Die Mitglieder erhalten für den Jahresbeitrag die laufenden Jahr-
gänge der Vereins-Zeitschriften (Jahrbuch und Korrespondenz-Blatt)
postfrei zugesandt. Sie sind berechtigt, die ersten fünf Jahrgänge
zur Hälfte, die folgenden Jahrgänge sowie alle übrigen Vereins- Ver-
öffentlichungen (Denkmäler, Drucke, Forschungen, Wörterbücher) zu
Dreiviertel des Ladenpreises zu beziehen, wenn die Bestellung unter
Berufung auf die Mitgliedschaft direkt bei dem Verleger Diedr. Soltau
in Norden (Ostfriesland) gemacht wird.
Bis auf weiteres können die Mitglieder von demselben auch das
'Wörterbuch der Ostfriesischen Sprache von J. ten Doornkaat Koolman*
(3 Bände gr. 8° kartonirt) für 15 Mark (Ladenpreis 44 Mark) post-
frei beziehen.
Bücher oder Sonderabzüge, deren Anzeige oder Besprechung
gewünscht wird, sind mit dem Vermerk 'Zur Besprechung9 oder dgl.
dem Verleger oder einem der beiden anderen genannten Herren
zuzusenden.
Jahrbuch
des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Jahrgang 1887.
xm.
NORDEN and LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1888.
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21 Uli i 7 H
TILDUN f * ■• #% • ItiNS
R 1V^ L
Druck von Diedr. SolUu in Norden.
Inhalt.
8eite
Einleitung zu einer amrmgisch-föhringischen Sprachlehre. Von 0. Bremer 1
Über Pommerns Anteil an der niederdeutschen Sprachforschung. Von AL
Reifferscheid 33
Laurembergs handschriftlicher Xachlass. Von J. Bolte 42
Das Liederbuch des Petrus Fabricius. (Mit einer Musikbeilage.) Von J. B o 1 1 e 55
Zum Niederdeutschen Aesopus. Von R. Sprenger 69
Zu Gerhard von Minden. Von Ed. Damköhler 75
Guido von Alet. Von H. Brandes 81
Kinderspiele aus Schleswig-Holstein. Von H. Carstens 96
Mittelniederländische Spruchdichtungen. Von W. Bäumker 104
Kleine mittelniederländische Dichtungen. Von H. Brandes 111
1. Der Welt Untreue 111
2. ABC-Spruch: Frauenpreis 112
3. Ermahnung an Hofleute 113
4. Peynst omden ouden hont die bast 115
5. Die Jahreszeiten 117
6. Marienlied 118
Johan Statwech. Von W. Seelmann 121
Der Parson of Kalenborow und seine niederdeutsche Quelle. Von Edward
Schröder 129
Friesische Ortsnamen und deren urkundlich nachweisbare oder muthmasslich
älteste Form. Von J. ten Doornkaat Koolman 153
Nachträge 160
Musikbeilage zum Liederbuche des Petrus Fabricius.
Einleitung zn einer amringisch - föhringischen Sprachlehre.
Einer ausfuhrlichen Darstellung der auf den Inseln Amrum und
Führ gesprochnen Sprache schicke ich diese Einleitung voraus. Eine
grössre Ausführlichkeit schien mir für diese einfuhrenden Bemerkungen
notwendig zu sein, weil wissenschaftlich für die Mundarten im west-
lichen Schleswig bisher so gut wie nichts getan und es daher unbekannt
geblieben ist, eine wie grosse Ausbeute die germanische Sprachwissen-
schaft sich von der Erforschung dieser Mundarten versprechen darf.
Es gilt daher zunächst das Interesse für diese Erforschung zu wecken
durch eine eingehendre Einführung in die Sprachverhältnisse von Amrum
und Föhr sowie der benachbarten Mundarten. Ich verweise im Übrigen
auf die trefflichen Bemerkungen in Winkler's Algemeen nederduitsch
en friesch dialecticon I, s. 70—77, 81, 83 f., 87—89, 92 f., 97—99.
Die amringisch-föhringische Mundart kenne ich aus eigner An-
schauung, und ich stehe für die richtige Wiedergabe der von mir ange-
führten Worte unbedingt ein. Die Angaben über die Nachbarmundarten
sind schriftlichen oder gedruckten Quellen entnommen. Ich war im
Sommer 1886 auf Amrum und Föhr, dank einer mir vom preussischen
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten
gewährten Reiseunterstützung. Indem ich der preussischen Regierung
an dieser Stelle meinen Dank für jene Beihülfe ausspreche, ergreife
ich gleichfalls mit Freuden die Gelegenheit, die Verwaltungen der
Bibliotheken in Hamburg, Kiel und Stralsund auch an dieser Stelle
meines aufrichtigen Dankes zu versichern für das freundliche Ent-
gegenkommen und die bereitwillige Unterstützung, durch welche meine
Arbeit wesentlich gefördert wurde.
Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen.
a., amr. = amringisch.
aa.-f. = alt-amringisch-föhringisch.
a.-f. = amringisch-führingisch.
a.-f.-h.-s. = amringisch-föhringisch-hel-
go landisch- sil dringis eh.
»engl. = altenglisch,
afrs. = altfriesisch,
aosdr. = aosdringisch.
L föhr. = föhringisch.
KiedenUattches Jahrbuch. XIII.
frs. = friesisch.
Ged. = = Mechlenburg's Gedichtsammlung
in 5 Oktavheften, von seiner Hand,
jetzt im Besitz des Lehrers Nerong
in Dollerup, südöstlich von Flens-
burg.
germ. = germanisch.
h., neig. = helgolandisch.
Hs., Hdschr. — Handschrift.
ingw. = ingwaiwisch.
J., Joh. — JohanseQ. Job., Ndfrs. Spr.
-- Johansen, Die nordfriesische
Sprache nach der Führinger und
Amrumer Mundart, Kiel 1862.
M. = Mechlenburg, früher Pastor in Nebel
auf Amrum.
na.-f. = neu-amringi8ch-föhringi8ch.
ndfrs. = nordfriesisch.
s., sildr. = sildringisch.
sat. = satersch.
w., wehsdr. = wehsdringisch.
wang. = wangeroogisch.
wfrs. = westfriesisch.
ws., wests. = westsächsisch.
In Bezug auf meine Rechtschreibung bemerke ich, dass " über
einem Vokalzeichen die offne, " die geschlossne Länge bezeichnet;
' neben einem Konsonanten deutet die Mouillierung desselben an; 6
ist die stimmlose, $ die stimmhafte interdentale Spirans; s ist stimmlos,
z stimmhaft; v ist unser labiodentales w; x ist die stimmlose, y die
stimmhafte, gutturale Spirans, » der gutturale Nasal; y ist die stimm-
lose palatale Spirans; ö ist kurzes geschlossnes o. Die übrigen Zeichen
erklären sich vqn selbst.
I. Das amringisch-föhringische Sprachgebiet.
§ 1. Unter amringisch-föhringisch (a.-f.) verstehn wir die
Sprache der Bewohner der Inseln Amrum und Föhr, wie sie heute noch
ausser in Wyk lebendig ist. A.-f. wird von ungefähr 2500 Einheimischen
— gegen ungefähr 5000 vor 100 Jahren — und vielen Hunderten ame-
rikanischer Auswandrer gesprochen.
§ 2. Die Leute nennen ihre Sprache stets ömraeii und feria,
fer in wiederum vezdreu und äozdria (wester- und osterländisch).
Nur die Schriftsteller gebrauchen schon seit Jahrhunderten in gelehrter
Weise das Wort friesisch auch für diese Sprache. InÄ gleicher Weise
bezeichnen sich die Leute ihrem Stamme nach als Ömraeusen und
Ferißen und werden Friesen nur von den Schriftstellern A genannt. Das
Land heisst Omrsem (auch wohl Omrsem lun, Ümrse» lun)
und Fer (auf Amrum Fer); gewöhnlich sagt man aber blos t lun,
das Land. Föhr und Amrum, einstmals eine zusammenhängende Insel,
Wessen nach dem nordfriesischen Chronisten Heimreich früher Barg-
harde. Die Westerharde umfasste Amrum und Westerland-Föhr, die
Osterharde Osterland-Föhr. Neben dieser seit 1231 belegbaren Be-
nennung begriff man gegen Ausgang des Mittelalters unter dem Namen
Osterharde auch ganz Föhr, Amrum und Süd; im 13. Jhdt. galt nur
Föhr und Amrum als Osterharde, Süd hingegen als Nordwesterharde.
— Der liber census Daniae 1231 nennt die Inseln Ambrum und
Föör, die designatio der Harden vnd Kercken in Frisia Minori 1240
Amromon und Fora; im 15. bis Mitte des 18. Jhdts. wird Föhr
gewöhnlich Föhr de genannt, daneben auch Föhre, Föhr.
§ 3. Mit Unrecht hat man die Bezeichnung nord friesisch als
gemeinsamen Namen für alle nicht-plattdeutschen und nicht-dänischen
Mundarten des westschleswigschen Küsten- und Insellands angewandt.
Die Bewohner von Amrum, Föhr, Helgoland und Süd heissen und
hiessen nur Amringen, Föhringen, Helgolander, Sildringen. Friesische
nennen sich und werden von jenen genannt die Bewohner der Halligen
und des Festlands (Fastewallingen). Ebenso heisst nur die Sprache
der letztern friesisch, jene nur amringisch u. s. w. Wir schliessen
daher, wenn wir von nordfriesisch sprechen, die Sprache jener vier
Inseln aus. — Vgl. Schlesw. -Holst. Anzeigen 1760, S. 8; Schlesw.-
Holst. Provinzialberichte 1793, S. 4; Onkens Isis 1824, I, S. 52;
Falck's Staatsbürgerliches Magazin V, 1826, S. 739; Kohl, Die Marschen
und Inseln der Herzogthümer Schleswig und Holstein I, 1846, S. 180;
Langhans, Über den Ursprung der Nordfriesen, 1879, S. 44; Möller,
Das altenglische Volksepos, 1883, S. 85.
§ 4*). A.-f. ist nicht die einzige Sprache, welche auf Amrum
und Föhr gesprochen wird. Die Schriftsprache, Kirchen-, Schul- und
Amtssprache ist, seit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann,
die plattdeutsche gewesen; erst seit zwei Jahrhunderten ist es die hoch-
deutsche; für Amrum und Westerlandföhr galt dänische Amtssprache.
Die Volkssprache ist auf Amrum und Westerlandföhr ausschliesslich
a.-f.. Osterlandföhr ist zweisprachig, föhringisch und plattdeutsch. Öer
Flecken Wyk ist vollständig, Nieblum so gut wie ganz plattdeutsch.
Die Wyk zunächst gelegnen Dörfer Boldixum und Wrixum, vor 50
Jahren noch rein föhringisch, sind jetzt plattdeutsch geworden; nur in
wenigen Familien wird noch föhringisch gesprochen, sonst nur von altern
Leuten; von Schulkindern sprechen nur vier überhaupt noch föhringisch.
Auch in den andern Dörfern des. östlichen Föhr macht das Plattdeutsche
neuerdings reissende Fortschritte. In Oevenum, wo noch zu Anfang dieses
Jahrhunderts in der Schule föhringisch gesprochen wurde, wo vor wenigen
Jahren der letzte Mann gestorben ist, der absolut kein Deutsch verstehn
konnte, spricht heute bereits mehr als ein Drittel der Schulkinder
plattdeutsch. Ähnlich sind die Verhältnisse in Midlum und Alkersum.
Auch in Borgsum hört man schon viel Plattdeutsch.
Die plattdeutsche Sprache ist durch die Fremden eingeführt
worden, welche seit etwa einem Jahrhundert Föhr gradezu über-
schwemmen und deren Zahl in annähernd dem Maasse zunimmt, als
die der Föhringen durch Auswandrung nach Amerika abnimmt**). Die
erste Fremdenkolonie kam nach der grossen Flut von 1JB34 vom alten
Nordstrand und den Halligen. Die „Friesischen" gründeten sich in
Wyk ein neues Heim, und dieser Zuzug der Inselfriesen hat bis heute
fortgedauert; nach jeder grössern Flut, besonders aber 1717 — 1720,
kamen zahlreiche Halligbewohner und zogen ausser nach Wyk auch
vielfach nach Nieblum. So wurde hier naturgemäss plattdeutsch die
herschende Sprache als Vermittler des Verkehrs zwischen Friesen und
Föhringen. In Nieblum hat sich die föhringische Sprache lange ge-
halten, und noch heute giebt es einige alte Leute, welche unter einander
*) Vergl. hierzu Verf., Niederdeutsches Jahrbuch XII, S. 128—126.
**) »Von den seit 1850 konfirmirten Knaben sind wenigstens 40 •/• aus-
gewandert" Nerong, Fuhr früher und jetzt, Wyk (1885), S. 42.
1*
'Wohl noch ihr n'iblemburferiB sprechen. Das Nieblumer Platt tragt
daher die Spuren des vormaligen Föhringischen viel deutlicher als
das Wyker und erfreut sich nicht grade des besten Rufs im Lande.
Weitres s. Niederdeutsches Jahrbuch XII, S. 125 — 129. Während
die Einwandrung der Halligfriesen bis auf den heutigen Tag fort-
dauert, kam der zweite Strom fremder Einwandrer zu Ausgang des
vorigen Jahrhunderts. Die Landeinteilung 1772 — 1776 für Oster-
landföhr, 1801 — 1802 für Westerlandföhr, wandelte da* Gemeindeland
in Sondereigentum um und machte daher mehr Kräfte £ur Bearbeitung
des Bodens notwendig, um so mehr als die föhringischen Frauen — die
Männer waren alle zur See — bis dahin allein das Feld bestellt
hatten. So kam eine Masse von Arbeitern aus Jütland und Nord-
schleswig herüber, um sich auf Föhr anzusiedeln. Die Einwandrung
der „Dänischen" hat jetzt nachgelassen. Dafür erfolgt in den letzten
Jahrzehnten ein sehr starker Zuzug von Halligfriesen, besonders seit
der Sturmflut von 1825, aber auch von Festlandsfriesen, Bredstedtern
und Husumern. Die „ Friesischen u sprechen untereinander friesisch,
wie die Juten jütisch, mit deir Föhringen aber und zu ihren Kindern
plattdeutsch. Jedoch auf Westerlandföhr bedienen sich die Kinder aus
friesischer und jütischer Ehe im Verkehi\mit den Föhringen ausschliesslich
der föhringischen Sprache. Die ganze Fremdeneinwandrung erstreckt
sich vornehmlich auf Osterlandföhr. Bei weitem die Mehrzahl aller auf
Föhr plattdeutsch Sprechenden ist fremden Ursprungs; in Oevenum,
Midlum und Alkersum besteht wohl nahezu ein Drittel der Einwohner-
schaft aus Nicht-Föhringen. Wie das Föhringische das Plattdeutsche be-
einflusst hat, so wird in viel höherm Grade erstres durch letztres be-
einflusst. Nicht nur, dass eine Anzahl plattdeutscher Worte von Osten
her in das Föhringische eindringen, auch die Aussprache der einzelnen
Laute, die Syntax büsst in dem östlichen Föhr in Folge der Zweisprachigkeit
von Jahr zu Jahr immer mehr von ihren altföhringischen Eigentümlich-
keiten ein. Die Sprache von Westerlandföhr und Amrum ist rein. Nur
wenige deutsche Wörter haben hier in neuster Zeit Eingang gefunden.
Die hochdeutsche Schriftsprache, wiewohl heute die einzige amt-
liche Sprache, hat nicht viel Eingang gefunden. Verstanden wird
hochdeutsch jetzt überall. Geläufig sprechen können es ab$r, wenigstens
auf Westerlandföhr und Amrum fast nur die Männer, welche in der
Welt gewesen sind. Die Frauen antworten hier auf hoch- wie platt-
deutsche Frage föhringisch und amringisch und bequemen sich erst
dann dazu, ihre hochdeutschen Schulerinnrungen wieder wach zu
rufen, wenn anders keine Verständigung möglich ist; denn hoch-
deutsch zu sprechen ist ihnen gradezu eine Anstrengung. Doch
verstehn sie und sprechen das auf der Schule erlernte Hochdeutsch
noch besser als plattdeutsch, welches den Wehsdringen fast unbekannt
ist. Sie sprechen sogar, wenn sie nach dem rein plattdeutschen
Wyk kommen, ihr föhringisch, und vielen altern Frauen ist es
gradezu unmöglich, deutsch zu sprechen, wenn sie es auch so einiger-
maassen verstehn.
Das Friesische hat, soweit ich sehe, keinen Einfluss auf die Volks-
sprache gehabt, mehr das Dänische, das bei den altern Männern noch
gut bekannt ist. Der gebildete Föhringe und Amringe beherrscht
und spricht 5 Sprachen vollkommen: fohringisch bezüglich amringisch,
plattdeutsch, hochdeutsch, dänisch und englisch.
IL Verwantschafteverhältnisse des Amringiseh-
Föhringischen.
§ 5. Seinen Verwantschaftsverhältnissen nach bildet das Am-
ringisch-Föhringische einenZweig des sogenannten ingwaiwiscHen oder
anglo-f riesischen (ingw.) Sprachstamms, d.h. derjenigen altern Sprach-
einheit, aus welcher später das Englische, das Sildringisch-Helgo-
landisch-Amringisch-Föhringische, das Nordfriesische und das Ost-
nnd Westfriesische hervorgegangen sind. Seinen nächsten Verwanteh
hat es im Helgolandischen, demnächst im Sildringischen.
§ 6. Der Unterschied zwischen der Sprache von Helgoland und
der von Amrum und Föhr ist nicht so bedeutend, dass nicht der
Amringe den Helgolander verstünde. Dagegen der Sildringe ver-
ständigt sich mit dem Amringen und Föhringen besser auf plattdeutsch.
Für den früher nähern Zusammenhang von Helgoland mit Amrum-
Föhr, der jetzt ganz und gar aufgehoben ist, ist es sehr lehrreich,
was Petrus Sax, Beschreibung der Insul Helgoland 1636 (abgedruckt
Dänische Bibliothek VIII, Copenhagen 1746, S. 505 — 564), sagt, dass
die Helgolander mit den Föhringen „sonst gute correspondence ge-
halten, und sich mit ihnen beschwägert, inmassen ich solches auch
einem alten Documento, 1843. am Tage Dionysii datiret, wahrgenommen
habe*; er sagt ferner, in alten lateinischen Testamenten war „von
Wischen und Weyden auf Helgoland gedacht und von Föhr auf S. Jo-
hannis Kirchen und deren Altäre gelautet". — Die Sprache von Hel-
goland, heute vom Plattdeutschen bereits durch- und zersetzt, nimmt
eine mittlere Stellung ein zwischen amringisch-föhringisch und sil-
dringisch.
g 7. Ein bisher gewöhnlich stillschweigend angenommner, näherer
ursprünglicher Zusammenhang der Sprachen von Amrum, Föhr, Hel-
goland und Sild mit dem Nordfriesischen ist nicht zu erweisen; gleich-
wohl hat die Jahrhunderte hindurch bestehende Verkehrsgemeinschaft
eine grosse Anzahl sprachlicher Übereinstimmungen zur Folge gehabt.
§ 8. Die wichtigsten Merkmale aus der Lautlehre des Amr.-
Föhr. gegenüber der des Helg. und Sildr. und der des Ndfrs. mögen
hier zur Sprache kommen.
A) Das A.-F. teilt mit dem Helg. und Sildr. folgende Eigen-
tümlichkeiten, abweichend vom Nordfries.:
1) Germ, e ist a.-f.-h.-s. in offner Silbe diphthongiert worden
zu a. iae, daraus f. ie, h. ift, s. i. Z. B. a. sliasp schlafen, f. sliep,
6
h. sliftp, s. slip; a. viaet uass, f. viet, h. viät, s. vit; a.-f. hier
Haar, h. hiär, s. hir. Im Nordfries, entspricht e, ei, e: sleipe,
vet>, her, heir. Vgl. wangeroogisch sleip, veit, her, satersch slepe,
vet, her, westfries. sliepe, wiet, hier.
2) Der i-Umlaut von germ. au ist a.-f.-h.-s. in offner Silbe
gleichfalls zu a. i«, f. ie, h. ift, s. i geworden. Z. B. a.-f. hier hören,
h. hiär, s. hir; a. liaesi lösen, f. liesi, s. lise. In diesem Fall ent-
spricht ndfrs. i,i: hire,lise. Vgl. jedoch wang. her, leiz, sat. here,leze.
3) Germ, sowie i-umgelautetes ai hat die gleiche Entsprechung.
Z. B. a. sdiaen Stein, f. sdien, h. sti&n, s. stin; a.-f. lier Lehre,
h. liftr, s. lir. Hier entspricht gleichfalls ndfrs. i, i: stin, stin',
lire. Vgl. wang. stein, 1er, sat. sten, lere, westfrs. stien.
Im A.-F.-H.-S. sind also diese 3 ursprünglich verschiednen Laute
in einen Laut zusammengefallen, welcher in geschlossner Silbe noch
als offnes e erhalten ist. Im Ndfrs. dagegen trifft dies nur für Fall
2 und 3 zu, und hier ist ein geschlossnes e vorauszusetzen. Dem
germ. e entsprach ndfrs. zunächst ein offnes e.
4) Germ, au in offner Silbe wird vor Dentalen und Alveolaren
diphthongiert zu s. öa, daraus a. üse, daraus f. üe, h. uä. Z. B.
8. doaS Tod, a. düaes, f. düeS, h. duäd; s. löan Lohn, a. lüsen,
f. lüen, h. luän; s. röad rot, a. rüsed, f. rüed, h. ruäd. Im Ndfrs.
entspricht nördlich ü, südlich ü, u, also düs: dü8, dus; lün': lun;
rüd': rud, rud. Vgl. wang. d68, rod, sat. dod, Ion, rod, westfrs.
dead, lean, rea.
5) Germ, a -+- 1 ■+■ Kons, hat die gleiche Entsprechung. Z. B.
8. oalX alt, a. üsel, f. üel; s. hoalS halten, a. hüsel, f. huel. Ndfrs.
ül>: ül, ul; hül'e: hüle. Vgl. wang. 61, hol, sat. old, holde, westfrs.
oad, hade.
In beiden Fällen ist a.-f.-h.-s. noch offnes ö in geschlossner Silbe
erhalten. Ndfrs. ü aus u setzt ein geschlossnes ö voraus.
6) Germ. 6, desgleichen ingw. ö aus germ. e vor n und aus germ.
a vor n + x, s, 8, f ist a.-f.-h.-s. zu u, ü geworden (sildr. auch ö).
Z. B. a.-f.-h.-s. hud Hut; a.-f. luki sehn, h.-s. luke; a.-f. brudr
Bruder, h. brür, 8. bröSer; a.-f.-h.-s. mün Mond. Im Nordfrs. ent-
spricht 6, 4u, ö, öu, eü: höd', heüd'; löke, ljuk; broer, bräuzer,
bröuda; mön, mäun, möune. Ostfrs. 6, &u, westfr. oe, oa.
7) Germ, a + m, n -+• Kons, hat die gleiche Entsprechung.
Z. B. a.-f.-h. lun Land, s. lönX. Ndfrs. Ion, lön', leün'; ostfr. 6, &u.
8) Germ, o •+- r, 1 •+- Kons, hat dieselbe Entsprechung. Z. B.
a.-f. vurd Wort, h. vur, s. ürd. Ndfrs. urd, urd mit ü, u wegen
des v, sonst 6, äu, ö, z. B. hörn, h&urn, hörn Hörn. Ostfr. 6,
wfrs. oe, oa.
9) Der i-Umlaut von germ. ü ist helg. ü, a.-f.-s. i gegenüber
nordfrs. e, ei, e. Z. B. h. brüd Braut, s. brid, a.-f. brid'; h. hüd
Haut, 8. hid, a.-f. hid'; h. füst Faust, a.-f. fist; h. skül Schuld,
a.-f.-s. sgih Ndfrs. breid, breid, bred'; hed, heid, hed'je;
fest; skel', Sei'. Vgl. wang. breid, heid, fest, sxil, sat. bred, hed.
fest, syelde, wfrs. breid, fest, schild. Während a.-f.-s. iaufhelg.
ü zurückgeht, ist der Laut im Ndfrs. mit dem e für germ. e (s. oben 1)
zusammengefallen. Das Gleiche gilt für
10) den i-Umlaut von 6, vgl. z. B. ndfrs. seke, seike suchen,
gren, gren' grün, svet' süss, während a.-f.-h.-s. der i-Umlaut des 6
mit keinem andern Laut zusammengefallen ist: a.-f. s'ük, s. s'uk,
a.-f.-h. gren, a.-f.-h.-s. svet. Vgl. wang. seik, Yrein? sveit, sat.
seke, gren, svet, wfrs. sijkje, grien, sviet.
11) Das A.-F.-H.-S. kennt die westsächs. Diphthongierung nach
Palatalen, welche dem Ndfrs. fremd ist. S. § 9,6.
B) Das A.-F. teilt mit dem Helg. folgende Eigentümlich-
keiten, abweichend vom Sildr., in teilweiser Übereinstimmung mit dem
Nordfriesischen :
1) Germ, u ist sildr. als u erhalten, a.-f. und h. zu o geworden.
Z. B. s. ju» jung, a.-f.-h. jo»; s. tua Zunge, a.-f.-h. to». Im nörd-
lichen Nordfriesland sagt man jub, tu», im südlichem jo«, to». Vgl.
wang. tu», sat. tu«e, wfrs. tonge. __
2) Germ, iu ist im Auslaut a.-f. und h. zu ei (aosdr. ®i), s. aber
zu i geworden.^ Z. B. a.-f.-h. nei (aosdr. niei) neu, s. ni; a.-f.-h.
sei (aosdr. süei) nähen, s. si. Ebenso z. B. a.-f.-h. sbei (aosdr.
sbsei) speien, s. spi. Ndfrs. heisst es nei, seie, speie. Vgl. wang.
ni, si, spi, sat. ne, se, spe, wfrs. ny, spie. Ebenso ist
3) Germ, iy a.-f.-h. und ndfrs. zu ei, s. zu i geworden. Z. B.
a.-f.-h. lei liegen (aosdr. läei), ndfrs. lei, leie (neben lede, lade aus
westgerm. ligg-), s. li. Ost- und westfrs. nur lidz, lezze, lizze aus
afrs. lidzia aus westgerm. liggian.
4) Germ, ay und ey sind a.-f.-h. zu fti (wehsdr. &i, öi, aosdr.
äoi) geworden, s. zu ei. Z. B. a. und h. mäi mag, s. mei; a. näiael
Nagel, h. nftiel, s. neil; a. und h. vfti Weg, s. vei. Im Ndfrs. steht
ei: mei, neil (nejel), vei. Vgl. wang. mi, nil, vi, sat. mej, nejl,
vai, wfrs. mey, neylle, wey.
5) Anlautendes v vor ü schwindet sildr., ist aber a.-f. und h.
erhalten. Z. B. a.-f. vurd Wort, h. vur, s. ürd. Aber vor u bleibt
v auch südr., z. B. s. vuk weich, a.-f.-h. vok. Im Ndfrs. schwindet
v in der Widingharde, Bökingharde und Karrharde auch vor u, also
nicht nur urd, ürd, sondern auch uk, ük = südlicherm vox. Dem
Ost- und Westfrs. ist dieser Lautwandel unbekannt.
6) Germ, nd, ld ist sildr. als no, IS erhalten, während es a.-f.
und h. zu n', n, 1', 1 geworden ist. Z. B. s. sünX gesund, a.-f.
?>ün', h. sün; s. hün&Hund, a.-f. hün', h. hün; s. lön& Land, a.-f.-h.
lun; s. vilS wollte, a.-f.-h. vul; s. jil$ Geld, a.-f.-h. jil. Ndfrs.
überall n und 1, ebenso wang., aber sat. nd, ld, wfrs. n, aber ld.
C) Das A.-F. teilt mit dem Nordfrs. folgende Eigentümlich-
keiten, abweichend vom Helg.-Sildr. :
1) Germ, i in geschlossner Silbe ist h.-s. zu e, a.-f. zu a (aosdr. as)
geworden (vgl. § 15, 4), ndfrs. nördlich zu e, südlich zu a. Z. B.
li.-s. skep Schiff, a.-f. sgap, (aosdr. sgsep), ndfrs. skep, skap, §ap;
8
h.-s. fesk Fisch, a.-f. fask (aosdr. fsesk), ndfrs. fesk, fask; h.-s. bed
bitten, a.-f. bad (aosdr. b«d), ndfrs. bede, bade. Ost- und westfrs.
sxip, syip, schip, fisk, bid, bide, bidde.
2) Germ, au in offner Silbe ist vor p, b, v, m, y, x a.-f. äu ü
geworden wie im Ndfrs., h.-s. aber zu 6 (aber helg. duäf taub,
struam Strom, buäm Baum). Z. B. a.-f. und ndfrs. üy Auge, h.-s.
6y; a.-f. küp Kauf, ndfrs. kup, kup, h.-s. köp. — Ebenso stimmt
die a.-f. Behandlung des auslautenden au zu der ndfrs.: a.-f. und ndfrs.
sliu schlagen, aber h.-s. slo. — Wang. u. sat. 6y (oyen), kop, slo,
wfrs. eag, keap, slaen.
3) Nach langem Vokal werden k, t und p in der Stellung vor
Vokal oder im Auslaut a.-f. wie ndfrs. stimmhaft und sind als stimmlos
nur helg. und sildr. ^erhalten. Z. B. s. möke machen, h. make: a.
mäyi (wehsdr. mäyi, möyi, aosdr. mäoyi), ndfrs. mäye, möye;
s.-h. veter Wasser: a.-f. vedr, ndfrs. vözer, vöder, vöer; s. ipen
offen, h. epen: a.-w. ebm, aosdr. eben, ndfrs. eben, ebm, em, emen.
Vgl. wang. maki, vater, ipin, sat. makje, vater, epen, wfrs.
maaikje, wetter, iepen.
D) Das A.-F. teilt sowohl mit dem H.-S. als mit dem Ndfrs.
folgende Eigentümlichkeiten, abweichend vom Ost- und Westfrs.:
1) Im Ost- und Westfrs. sind folgende Laute in ein geschlossnes
e (wang. ei, sat. e, wfrs. ie) zusammengefallen: germ. e (s. A, 1),
ai (s. A, 3), 6 -+- i (s. A, 10), ü -+- i (s. A, 9), au -+- i (s. A, 2).
Das A.-F.-H.-S. setzt dagegen für germ. e, ai und au -+- i ein offnes
e voraus, für 6 -f- i und u •+- i ein 8 und ü. Das Ndfrs. setzt für
germ. e, 6 •+- i und ü •+- i zunächst ein geschlossnes e voraus; da
aber germ. ai und au + i zu i geworden sind, also auch ein ge-
schlossnes e zur Voraussetzung haben, so muss, zu der Zeit, als es
hier e hiess, es dort noch kein geschlossnes e gegeben haben, mithin
e, 8 und ü. Als dem A.-F.-H.-S. und Ndfrs. gemeinsam gewinnen wir
so e, 8 und ü, während ai und au -f- i hier zu e, dort zu <5 ge-
worden sind. Vgl. Möller, Das altenglische Volksepos, S. 85.
2) Von Alters her gemeinsam ist dem A.-F.-H.-S. mit dem Ndfrs.
die verschiedne Behandlung des germ. au = afrs. ä, je nachdem ein
Alveolar und Dental oder ein Labial und Guttural folgte, s. A, 4 und
C, 2. Dass afrs. ä überall gleich ausgesprochen wurde, zeigen die
neufries. Mundarten: wfrs. dead, lean, rea wie eag, keap, wang.
und satersch dod (dö6), Ion, rod, 6y, kop.
3) Germ, ü, desgleichen die ingw. Dehnung des germ. u, ist
im West- und Ostfrs. erhalten geblieben, a.-f.-h.-s. und ndfrs. aber
zu ü, ü geworden. Z. B. wfrs. huwz Haus, sat. hüz, wang. hiis:
a.-f.-h.-s. hüs, ndfrs. hüs, hös; wfrs. moerre Mauer, sat. müre,
wang. mür: a.-f.-h.-s. mür, ndfrs. mör, m8r; wfrs. bruwcke gebrauchen,
sat. brüke, wang. brük: a. -f. -h.-s. brük, ndfrs. bröke; afrs. müth
Mund: a.-f.-h.-s. mü6, müs, müt, ndfrs. müs, mos; wfrs. huwn Hund,
sat. hünd, wang. hün: a.-f.-h.-s. hünS, hün, hün', ndfrs. hün, hon.
4) Germ, eö ist a.-f.-h.-s. und ndfrs. meist zu i, ji, i geworden. Z. B.
a.-w. t'x'in zehn, aosdr., sildr. und ndfrs. tin; a. sini dienen, f. tini,
h.-s. und ndfrs. tine; a.-f.-s. 8'it schiessen, ndfrs. skit'je, Sit'je.
Die neuost- und -westfrs. Formen beruhn auf afrs. iä, ie: wang. tjon,
öjon, sxjot, sat. tjon, tjonje, syjote, wfrs. tjien, tjienje, sjiette.
5) Der i-Umlaut von germ. u ist helg. ö, s. e, a.-f. a (in ge-
schlossner Silbe). Z. B. h. rög Rücken, s. rey, a.-f. ray (aosdr. rsey);
h. sön Sonne, s. sen, a.-f. san (aosdr. s«n). S. e und a.-f. a weisen
auf i zurück (s. C, 1); dies i geht mit helg. ö auf ü zurück, vgl.
h. ü, a.-f.-s. i aus ü (s. A, 9). Ndfrs. reg (reg), sen, san weisen
gleichfalls auf i (s. C, 1), das aus ü zu verstehn ist. Im Ost- und
Westfrs. steht e; nur im Wang. ist i der entsprechende Laut, z. B.
wang. rig (Cadovius-Müller rigg): sat. reg, wfrs. reg; wang. slitin
geschlossen: sat. slötn, wfrs. sletten. Diese Übereinstimmung des
Harlingischen und Wang. mit den nordalbingischen Mundarten ist be-
sonders beachtenswert.
6) Das afrs. Lautgesetz 6a: uä (vgl. oben unter 4 afrs. iä
aus ia) ist dem A.-F.-H.-S. und Ndfrs. unbekannt, Wfrs. dwaen tun,
sat. dvo, wang. do (aus *dvo) beruhn auf afrs. duä. Aber a.-f. du,
s. dö, ndfrs. d&ue, döue gehn, wie die unter A, 6 angeführten Bei-
spiele zeigen, auf *don (aus *döan) zurück = aengl. don.
7) Die Verkürzung des i, ft und u in geschlossner Silbe ist dem
West- und Ostfrs. unbekannt, aber sowohl im A.-F.-H.-S. als im
Ndfrs- durchgeführt. Z. B. a.-f. tid' Zeit, h.-s. tid, ndfrs. tid: wang.,
sat. tid, wfrs. tijd; a.-f. -h.-s. hüs Haus, ndfrs. hüs, hös: wang.
hüs, sat. hüz, wfrs. huwz. Diese Verkürzung ist im A.-F.-H.-S.
und im Ndfrs. freilich nur teilweise in gleicher Weise durchgeführt,
weil zur Zeit, als dies Gesetz wirkte, die Vokale verschieden verteilt
waren. Z. B. a.-f.-h.-s. hud Hut: ndfrs. höd, heüd': wang. h&ud,
sat. höd; h. brüd Braut, s. brid, a.-f. brid': ndfrs. bred', breid,
breid: wang. breid, sat. bred, wfrs. breid.
8) Nach i ist auslautendes t, d, 1 und n im A.-F.-H.-S. und im
Ndfrs. mouilliert worden. Z. B. s. lit' klein, h.-a.-f. let', ndfrs. let',
lat': wang. litk, sat. litik, wfrs. lijts; s. vinX Wind, h. vin, a.-f.
vin', ndfrs. vin, ven: wang. vin, sat. vind, wfrs. wijn; a.-f.-s. sgil'
Schuld, h. skül, ndfrs. skel', Sei': wang. sxil, sat. syelde, wfrs.
schild. Diese Mouillierung ist freilich im A.-F.-H.-S. grossenteils anders
verteilt als im Ndfrs., weil die Chronologie des i hier anders ist als
dort; vgl. z. B. ndfrs. bin' Band: a. biaen, f. bien, h. biftn, s. bjen.
Das Beispiel „Wind" und „ Schuld u zeigt, dass die Mouillierung nicht
einmal im A.-F.-H.-S. gleichmässig verteilt ist: h. skül konnte wegen
des ü (s. A, 9) gar nicht von der Mouillierung betroffen werden,
s. vinü nicht wegen des S, und für h. vin ist wegen der mangelnden
Mouillierung noch *vind vorauszusetzen, als man a.-f. schon* vin sagte.
§ 9. Über das Verhältnis des A.-F.-H.-S. zu den englischen Mund-
arten bemerke ich Folgendes:
1) Das Kentische steht in keiner nähern Beziehung zum A.-F.-H.-S.
oder Ndfrs.; denn die Haupteigentümlichkeit des Kent., e und e für
10
den i-Umlaut von germ. u und ü, wird, wie § 8 A, 9 und D, 1 und 5
gezeigt ist, hier nicht geteilt. — Auslautendes germ. y igt zwar
a.-f.-h.-s. und ndfrs. wie ost- und westfrs. zu i geworden, wie im Ken-
tischen und im spätem Englisch überhaupt; für eine ältste Sondrung
der ingw. Mundarten kann diese Erscheinung aber nicht in Betracht
kommen.
2) Der übereinstimmende Abfall des auslautenden n im Northum-
brischen, A.-F.-H.-S., Ndfrs. und Ost- und Westfrs. beweist nichts für eine
nähere Beziehung des Northumbrischen zu den letztgenannten Sprachen.
3) Die § 8 unter D, 1 gegebnen Hinweise ergeben a.-f.-h.-s. e für
germ. e, ai und au -+• i, aber ndfrs. e für germ. e und ndfrs. e für
germ. ai und au -f- i; da nun ai: e die Zwischenstufe e voraussetzt,
so ergiebt sich für die ältste Zeit ndfrs. äe für germ. e und e für ai
und au -1- i. Beide Mundarten weichen von allen englischen Mund-
arten in der Behandlung des ai ab, hier ä, dort e. Während für das
A.-F.-H.-S. nicht auszumachen ist, wann das für germ. e als ingw. vor-
auszusetzende ie mit dem e aus germ. ai und au -h i zusammengefallen
ist, so ist erweisbar nur für das Ndfrs. die Übereinstimmung mit
dem westsächs.; ndfrs. und westsächs. sind die einzigen ingw. Mund-
arten, welche nachweislich germ. e und germ. au -1- i nicht in einen
Laut haben zusammenfallen lassen. — ö und ü, ö und ü bestanden im
ältsten A.-F.-H.-S. und Ndfrs. wie im ältstenEngl. ausser dem Kentischen.
4) Alle englischen Mundarten haben germ. au zu ea gemacht.
Dass das a.-f.-h.-s. üae, üe, uä, öa und ndfrs. ü für germ. au (§ 8,
A, 4 und C, 2) auf ä zurückgeht, beweist das Wort „Pfahl": a. püael,
f. püel, h. puäl, s. poal, ndfrs. pul. Dass dieses & nicht aus ea ent-
standen sein kann, beweist der Gegensatz von z. B. a. sgüset Schoos
und s'üer Scheere, letztres aus *sjüer aus *skjuer aus *skjär
aus *skeär, s. unten 6); geht s' auf skj zurück, so beweist das sg
von sgüset ein ursprüngliches ä.
5) Die Brechung des a ist im A.-F.-H.-S. und Ndfrs. nur vor r,
nicht vor 1 eingetreten, wie im Ost- und Westfrs. und im Anglischen.
Z. B. aengl. earm Arm, afrs. erm, wfrs. earem, sat. erm, wang.
erem, ndfrs. erem, eirm, a. iera*m, f. ierem, h. iärm, s. jerem;
aber westsächs., kent. healdan halten: angl. haldan, afrs. hälda,
wfrs. hade, sat. holde, wfang. hol, ndfrs. hül'e, hüle, hüle, a. hüsel,
f. hüel, s. hoalS.
6) Von allen ingw. Mundarten ist nur im Westsächs. und A.-F.-H.-S.
die Diphthongierung durch Palatale eingetreten, z. B. nichtwestsächs.
ger Jahr, afrs. ier, wfrs. jier, sat. und wang. jer, ndfrs. j er, jir, ir:
wests. gear, a.-f. jüer, h. juär, s. jör. Diese Übereinstimmung ist
darum von ganz besondrer Wichtigkeit, weil wir in der glücklichen
Lage sind die Zeit dieser Diphthongierung bestimmen zu können:
Westsächs. ciese Käse kann zur Zeit, als die Diphthongierung ein-
trat, noch nicht das i- Umlauts -ae gehabt haben, weil aus *cäese ein
*cease geworden wäre, wie *scäep Schaf zu sceap geworden ist; *casi
kann das Wort damals auch nicht mehr gelautet haben, weil von der
Diphthongierung nur die breiten Vokale se, äe, e, e betroffen worden sind;
11
folglich muss aus westgerm. *käsia zunächst *ceasia geworden sein,
hieraus erst die umgelautete Form ciese. Dieselbe Zeitbestimmung
ergiebt ein andrer Gesichtspunkt: Das aengl. se, welches für germ. e
steht, wird von der Diphthongierung betroffen, nicht aber das-
jenige se, welches i-Umlaut von a aus germ. ai ist. Es bleibt also
das se z. B. von gced „er geht" unverändert. Folglich kann in letzterm
Falle zur Zeit der Diphthongierung noch kein ae bestanden haben, auch
nicht einmal der zwischen ai und « etwa mögliche Mittellaut sei, see;
denn auch dieses se hätte sonst diphthongiert werden müssen. Es
folgt also, dass zur Zeit unsres Gesetzes ai noch gar nicht umgelautet
gewesen sein kann, sei es nun, dass es damals schon ä oder noch
ai lautete. Aengl. gsed lautete also noch *yä8i oder *Yai8i, als die
Diphthongierung eintrat, und wir kommen damit für die Zeitbestimmung
der letztern in eine Zeit hinauf, die wir noch als westgerm. zu be-
zeichnen pflegen; denn das auslautende i von *yai8i fiel bereits
gemeinwestgermanisch ab. Vgl. Sievers, Paul und Braune, Beitr. IX,
206 f. und Brate, daselbst X, 24 f. Um so merkwürdiger ist es, dass
das A.-F. grade in dem einen Beispiel mit dem Westsächs. überein-
stimmt, welches vorläufig nur als eine Ausnahme von der Regel
betrachtet werden kann, dass der i-Umlaut von germ. ai keine Diph-
thongierung erfährt: „Die Scheide", germ. *skai8iö, heisst nämlich
ws. skead, und auf dieselbe Grundform geht a. s'ü&es, f. s'üeO,
s'ües zurück. Die Beispiele für germ. a weisen a.-f.-h.-s. auf sb
zurück, vor welchem sk erhalten ist, z. B. a.-f. sgel Schale = ws.
scealu; hieraus ist also nicht zu entnehmen, ob eine Diphthon-
gierung stattgefunden hat. Der i-Umlaut dieses se ist aber s. e, h.
e (e), a.-f. in offner Silbe e, in geschlossner a, mithin nach § 8 C, 1
ursprünglich i, z. B. — ich führe der Einfachheit wegen nur die a.-f.
Beispiele an — sgal Schale, sedl Kessel = ws. sciell, cietel. Bei-
spiele für ingw. äi sind a.-f. jüer Jahr, s'üer Scheere — helg. freilich
skiär aus *sker — ; das s' von s'üer ist altes sj aus skj, beweist
also (vgl. oben 4) eine Grundform *skiär. Hierher gehören auch die
Fälle, in welchen das aus germ. a diphthongierte ea vor r -f- stimmh.
Kons, gedehnt worden ist, z. B. a.-f. jüern Garn, h. juärn, s. Jörn =
ws. gearn; hier beweist das j ein altes iä; denn vor ä steht g*).
Das einzige mir bekannte Beispiel für den i-Umlaut ist ws. ciese
Käse. Man sollte, wie einem ws. ie a.-f.-h.-s. ursprgl. i entspricht,
hier i für ws. ie erwarten; doch a.-f. sez weist auf ursprgl. *kise mit
kurzem i hin, helg. siz dagegen auf *kise. Beispiele für die Diph-
thongierung eines germ. e sind a.-f. jiv geben, jil Geld, gelten, jin
gegen, jistr gestern; das i geht zunächst auf langes i zurück; dies
aber ist aus i erst durch den Einfluss des voraufgehenden j entstanden.
Also i entspricht ws. ie in Beispielen wie giefan**).
*") a.-f. güerd Garten, h. guäd wirddän. gaard entlehnt sein; Lathgaarth
1360 auf Föhr (Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter, JS. 193).
**) Wenn ich auf Grund dieser hervorragend alten Übereinstimmung des A.-F.-
H.-S. mit dem Westsächs. beide Sprachen in eine besonders nahe Beziehung zu
12
III. Die amringiseh-föhringisehen Mundarten.
§ 10. Das Amringisch-Föhringische ist keine ganz einheitliche
Sprache, sondern besteht aus den verschiednen Mundarten der ein-
zelnen Dörfer. Dem genauen Beobachter zeigen sich von jedem Dorfe
zum andern bereits Unterschiede, und seien dieselben auch noch so
geringfügig; sie erstrecken sich auf alle Gebiete der Sprache, auf
Mundstellung, Lautgesetze, Analogiebildungen, Syntax, Stilistik, Fremd-
wörter.
Im Allgemeinen aber kann man wenigstens von zwei innerhalb
ihres Gebiets einheitlichen Mundarten sprechen: der amringischen
und wehsdringischen. Erstre wird gesprochen in Sdiaenöd: Stenodde,
bi Sftz (im Süden): Sösärap: Süddorf, Nebel: Nebel, bi Nuad (im
Norden): Nörsärop:Norddorf, letztrein Ödersem:Utersum, DunOem:
Gross- und Klein-Dunsum,_01ersem: Oldsum, Klantem: Klintum,
Taftem: Toftum, Sölerän': Süderende und inHedehüzem: Hede-
husum, wiewohl in der Mundart des letztern Dorfs sich schon aosdrin-
gische Einflüsse geltend machen. Die wehsdringische Mundart hält
die Mitte zwischen der amringischen und aosdringischen, hat mit
erstrer eine Reihe ältrer, mit letztrer eine Reihe neuerer Lautgesetze
gemeinsam, derart, dass man heute von einer föhringischen Mundart
gegenüber der amringischen spricht, früher es aber nur eine östliche
und eine Amrum mit einbegreifende westliche Mundart gab.
Die Mundart des östlichen Föhr ist keine einheitliche. Zunächst
sind die östlichsten Dörfer Büeloysem: Boldixum und Vraeksem:
Wrixum auszuscheiden, welche eine Mundart für sich haben. Das
übrige Aosdringisch zerfällt in eine südwestliche und eine nordöst-
liche Hälfte. Vizem: Witsum, Boraysem: Borgsum und Giietis:
Goting müssen zusammengefasst werden, wiewohl in jedem Dorf etwas
einander setze, so kann ich diese Behauptung durch 2 geschichtliche Zeug-
nisse stützen. Ptolemaio8 kennt die Sa^ove; nicht nur in Holstein; er kennt als
sächsisch auch drei Inseln an der Eibmündung. [Vgl. Niederdtsch. Jahrbuch XII,
S. 33.] Dass mit einer dieser Inseln Helgoland gemeint ist, kann nicht zweifelhaft
sein. Für die beiden andern Inseln können von den heute bestehenden Inseln nur
Amrum, Föhr und Süd in Betracht kommen; denn die heutigen nordfriesischen
Inseln waren im 13. Jhdt. nachweislich noch Festland; Föhr und Amrum bildeten
ehemals nur eine Insel. Diese Inselgruppe war also nach Ptolemaios von Saxen
bewohnt. Wir haben damit für die beiden nächstverwanten Mundarten in England
und Deutschland denselben Namen Saxen gewonnen. Das zweite Zeugnis bietet
Nennius § 63. Er erzählt zum Jahre 627 von der Taufe einer englischen Völker-
schaft, die er nennt „omne genus Ambronum, id est Aldsaxonum". Der Gau Arameri
an der linken Unterweser wird für diese Ambrones kaum in Betracht kommen,
folglich wohl die Insel Amrum, als deren ältster Name Ambrum 1231 überliefert ist.
Also dürfen wir schliessen, dass jene englischen Ambrones aus Amrum eingewandert
waren, und dass die Bewohner von Amrum als Sachsen galten. Vgl. Möller, Das
altengl. Volksepos, S. 91 und 89. Ich nehme daher an, dass die Sildringen, Hel-
golander und Amring-Föhringen Nachkommen desselben Volkes sind wie die Sachsen
in England und schlage als gemeinsame Bezeichnung des A.-F.-H.-S. den Ausdruck
„nordsächsisch" vor.
13
anders gesprochen wird. Die geringen Reste des Föhringischen in
N'iblem: Nieblum bilden die zweite Unterabteilung dieses südwest-
lichem Aosdringischen. oDas nordöstliche Aosdringisch wird fast ganz
gleich^ gesprochen in Aolkersem: Alkersum, M aedlem: Midlum
und Övenem: Oevenum.
§ 11. Wenn ich von Osterlandföhr und Westerlandföhr, von
aosdringisch und wehsdringisch rede, so verstehe ich darunter immer
die sprachliche, nicht die politische Zweiteilung. Es muss dies
darum besonders hervorgehoben werden, weil die politische Grenze
mit der Sprachgrenze nicht zusammenfällt. Jene durchschneidet
Nieblum; diese läuft zwischen Witsum-Borgsum auf der einen und
Hedehusum-Süderende auf der andern Seite. Bis 1864 gehörte das
politische Osterlandföhr zu Schleswig-Holstein; Westerlandföhr mit
Amrum stand seit dem 14. Jhdt. unmittelbar unter der dänischen
Krone. Schon 1231 scheidet Waidemars liber census Daniae Ostaer-
und Waestaerh«ret auf Föör. Diese politische Hardenteilung besteht
in Deich-, Wege- und Landschafts-Angelegenheiten noch heute. Das
Volk versteht unter Wehsdringen nur die westlich der Sprachgrenze
Wohnenden. Diese nennen ihre Nachbarn jenseits derselben Aosdringen.
Von diesen wiederum nennen die südwestlichem ihre nordöstlichen
Nachbarn Aosdringen, und diesen wiederum gilt Wrixum und Boldixum
als üest XXT* i£o£Y,v. Die Sprachgrenze ist zugleich die Grenze zweier
Kirchspiele, also jedenfalls gleichen Alters mit der Gründung der
Kirchen, die ins 12. Jhdt. fällt. Die politische Grenze durchschneidet
nicht nur ein Kirchspiel, sondern sogar ein Dorf, kann also durch
Verkehrsverhältnisse nicht bedingt worden sein. In ihren heutigen
Grenzen besteht die politische Oster- und Westerharde (letztre ein-
schliesslich Amrum) urkundlich nachweisbar seit 1408 (Nerong, Föhr
früher und jetzt, Wyk (1885), S. 81), aller Wahrscheinlichkeit nach
jedoch seit 1231. Unter den jetzigen Bewohnern von Hedehusum ist
kein einziger, der sein Haus von seinen Voreltern ererbt hätte; alle
sind erst in neuerer Zeit zugewandert. Doch lässt sich annehmen,
dass von Alters her die Grenze zwischen Hedehusum und Witsum lief.
§ 12. Wenn ich sage, einem Dorfe ist diese oder jene Mundart
eigen, so ist tatsächlich nur die Minderheit der Dorfbewohner im
Vollbesitz aller jener Eigentümlichkeiten, welche diese Mundart aus-
machen. Denn nur wenige Leute giebt es, deren Eltern und Gross-
eltern beiderseits in demselben Dorf geboren sind. Bei der grossen
Mehrzahl stammt Vater oder Mutter, Grossvater oder Grossmutter
aus einem benachbarten Dorf, und somit sprechen die Kinder und
Enkel die Mundart ihres Geburtsorts nicht völlig unverfälscht; sie
erben zunächst die Sprache ihrer Eltern und lassen dieselbe dann erst
durch die Sprache ihrer Schulgenossen beeinflussen. Die sprachliche
Ausgleichung der den einzelnen Dörfern eigentümlichen Verschieden-
heiten vollzieht sich wesentlich auf diesem Wege. Zudem wohnen in
jedem Dorf sehr viele Leute, die in einem andern Dorf geboren sind
und die Mundart ihres neuen Heimatsorts sich nur unvollkommen
14
angeeignet haben, mit Beibehaltung mancher Eigentümlichkeit ihres
Geburtsorts. Das Gesainmtergebnis der Individualsprachen aller in
einem Dorf Ansässigen für das jüngre Geschlecht ist folglich ein Kom-
promiss der altheimischen Mundart mit der der Nachbardörfer. Es
ist jedoch zu bemerken, dass ausgeprägt wahrnehmbare Abweichungen
nur dann vorzukommen pflegen, wenn die Mutter in einem andern
Dorf geboren ist und dort als Mädchen gelebt hat. Ist die Mutter
schon als Kind in das neue Dorf gekommen und hier zur Schule ge-
gangen, so wird man an der Sprache des Kindes kaum noch etwas
von dem Geburtsdorf der Mutter heraushören können; ebenso ist die
Beeinflussung von Seiten der Sprache des Vaters und der Grosseltern
kaum wahrnehmbar. Fertig wird die Sprache des Kindes erst durch
den Verkehr mit den Schulgenossen; dieser ist das eigentlich Bestim-
mende für die Sprache. Selbst wenn Eltern und Grosseltern beiderseits
aus demselben Dorf stammen, sprechen die Kinder, die in einem andern
Dorf geboren und zur Schule gegangen sind, letztre Mundart mit nur
geringen Anklängen an die ihrer Vorfahren. In einer jetzt auf Amrum
ansässigen Familie spricht z. B. die auf Föhr geborne Grossmutter rein
wehsdringisch; die Kinder und Enkel sprechen dagegen rein amringisch,
und es gehört schon ein feines Ohr dazu, letztern die Herkunft ihrer
Grosseltern noch anzuhören. Die Schule bestimmt die Sprecheinheiten,
wie die jüngsten mundartlichen Eigentümlichkeiten zeigen. Darum
gebe ich, namentlich im Hinblick auf die künftige mundartliche Ent-
wicklung, die Schuleinheiten an: 1) Nebel, dazu Süddorf und Stenodde;
2) Norddorf; 3) — im Kirchspiel St. Laurentii hatte bis 1809 jedes Dorf
seine eigne Schule — seit 1809 3) Utersum mit Hedehusum und Gross-
Dunsum und bis 1855 auch Klein-Dunsum ; 4) Oldsum, dazu Süderende
und seit 1855 auch Klein-Dunsum; 5) Toftum mit Klintum; 6) Borgsuni
mitWitsum und Goting, das bis 1834 seine eigne Schule hatte; 7) Nieblum;
8) Alkersum; 9) Midlum; 10) Oevenum; 11) Wrixum; 12) Boldixum.
§ 13. Mit demselben Recht, mit welchem man innerhalb des
Aosdringischen einzelne Mundarten nach den Dörfern unterscheidet,
könnte man dieselben auch nach den Altersstufen unterscheiden. Denn
tatsächlich sind die Lauterscheinungen, welche in den einzelnen Dörfern
des Ostens und in den verschiednen Altersstufen von einander ab-
weichen, — vielleicht von Boldixum und Wrixum abgesehen — alle
Jüngern Datums und sind zur Zeit noch im lebendigen Ringen mit
einander. Wollte man hier Sprachlinien ziehen nach Vorbild der
Wenker'schen Karten, so müsste man, um ein richtiges Bild zu ge-
winnen, von den in Betracht kommenden Lautgesetzen eine Reihe
verschiedner Linien zeichnen, jede für eine besondre Altersstufe. Na-
türlich wäre auch dies nur eine ungefähre Bestimmung. Denn wenn
man auch sagen kann, dass in einem Dorf etwa die Leute über
40 Jahre so sprechen, die unter 30 anders, die zwischen 30 und 40
zum Teil so, zum Teil anders, so giebt es doch ebenso gut einzelne
Leute Anfang der vierziger Jahre, welche den Jüngern Lautwandel
schon angenommen haben, wie ein Fünfundzwanzigjähriger hier und
15
da noch nach der Weise der Alten spricht. Selbst hier wird sich im
einzelnen Falle die Erklärung aus den Verhältnissen ergeben: Wer
verhältnismässig jung noch der altern Sprechart folgt, hat meist im
Elternhause gelebt; wer verhältnismässig alt Jüngern Lautwandel zeigt,
der ist in späten Jahren auf die Schule gekommen und hat sehr viel
mit Jüngern verkehrt*). — Tatsächlich sind hinsichtlich der wesent-
lichsten mundartlichen Schwankungen innerhalb des Aosdringischen
überall die gleichen Ansätze zur Ausgleichung vorhanden; nur sind die
Altersstufen für die neuere gleichartige Sprechweise in den einzelnen
Dörfern verschieden. In einigen Jahrzehnten wird die aosdringische
Mundart wieder eine einheitliche sein.
§ 14. Die wichtigsten mundartlichen Unterschiede zwischen amr.,
wehsdr. und aosdr. sind die folgenden:
1) Das Hauptkennzeichen des Amr. ist die Vertretung des an-
lautenden (ausser vor r) und auslautenden germ. 6 durch s. Föhr.
ist das anlautende 6 zu einem an den Zähnen gesprochnen t geworden,
und dies ist im Osten jetzt grösstenteils in alveolares t übergegangen;
das auslautende 8 ist wehsdr. erhalten und zum Teil auch noch aosdr.,
geht hier aber meist in s über. Beispiele: a. särop Dorf = f. t&rap,
täorap; a. süaet Lärm = f. tuet; a. säu waschen = w. tau; a. se»k
denken = f. te»k; a. düses Tod = f. düeO, aosdr. dües; a. tus
Zahn = f. tuö, aosdr. tus.
2) 8j ist amr. zu s', föhr. zu t'yf (aosdr. vor i zu t) geworden;
als Mittelstufe ist natürlich 0^' (amr. s^') vorauszusetzen. Beispiele:
&. s'ok dick = f. t'jr'ok; a. s'isk deutsch = w. t'^'isk, aosdr. tisk.
Vgl. a.-w. t'jr'in zehn = aosdr. tin.
3) Germ. 8 zwischen Vokalen erscheint amr. als z, föhr. als &,
im Osten in z, gutturales interdentales 1, gutturales 1, palatales 1 und
d gespalten. Beispiele: a. bäzi baden =. f. blXi, aosdr. bäozi,
b&oli, b&odi; a. liz leiden = f. li$, aosdr. liz, lil, lid; a. tufrez
zufrieden = f. tufreSj aosdr. tufrez, tufrel, tufred.
4) Inlautendes germ. 8r ist amr. dr, föhr. lr (mit gutturalem
interdentalen 1), das sich im Osten in lr (mit teils gutturalem, teils
palatalem 1) und dr gespalten hat. Beispiele: a. brudr Bruder =
f. brulr, aosdr. brudr; a. vedr wieder = f. velr, aosdr. vedr; a.
3dr andrer = f. ölr, Ölr, aosdr. ödr.
5) Föhr. auslautendes v sprechen die Amringen als u (ft). Beispiele:
*) Hieraus folgt ein sehr wichtiger methodischer Wink für die chronologische
Bestimmung überlieferter Sprachdenkmäler auf Grund bestimmter Lauterscheinungen;
denn jeder gesetzmässige Lautwandel vollzieht sich meines Erachtens nicht in der
Sprache des Einzelnen, sondern nach Generazionen. Wenn wir z. B. in einem ahd.
Sprachdenkmal 50 6 und 10 oa finden, in einem andern 10 6 und 50 oa, so hat
man bisher gefolgert, dass erstres Denkmal in demselben Maasse älter sein müsse,
in welchem der Lautwandel ö: oa zur Zeit vorgeschritten war. Hierin liegt ein
methodischer Fehler. Vielmehr können beide Denkmäler im selben Jahre geschrieben
sein, vielleicht letztres sogar ein Paar Jahre früher als jenes. Zu folgern ist aus
der Bevorzugung der Schreibung 6 nur, dass der Schreiber um so viel Jahre früher
geboren war als der o a - Schreiber, wie die Entwicklung dieses Lautwandels geschah.
16
a. bliu bleiben = f. bliv; a. tu h8u zur Kirche, zum Gottesdienst
= f. tuhöv; a. salseö selbst = w._salev, aosdr. sselev.
6) Amr._ä entspricht wehsdr. &, 8, aosdr. 4o. Beispiele: a._däi
Tag = w. d&i, döi, aosdr. däoi; a. mäyi__niachen = w. mäyi,
möyi, aosdr. mäoYi; a. hä (ich) habe = w. h4, hö, aosdr. h&o.
7) Amr. 5 entspricht f. 6. Beispiele: a. höd Kopf = f. hod;
a. fömen Mädchen = f. fomen; a. bröxt brachte = f. broxt.
8) Amr. und wehsdr. iu entspricht aosdr. iev. Beispiele: a.-w.
t&u zwei = aosdr. tsevj a.-w. släu schlagen = aosdr. släev; a.-w.
trau treu = aosdr. trüev.
9) Amr. und wehsdr. ei entspricht aosdr. üi. Beispiele: a.-w.
nei neu = aosdr. nSi; a.-w. sei nähen = aosdr. säei; a.-w. drei drehen
= aosdr. driei.
10) Das Kennzeichen des Wehsdr. ist das Lautgesetz (Palatal-
umlaut) ik aus iek, if aus iey. Beispiele: a. iaeki, aosdr. ieki
Eiche, Eichenholz = w. iki; a. kriaek, aosdr. kr iek Krähe = w.
krik; a. liaßy, aosdr. liey niedrig = w. üy.
11) Nur amr. sind noch die reduplizierten Praeterita erhalten,
während sie föhr. in die schwache Flexion übergetreten sind: a. sest
säte, krest krähte, trest drehte (von Halmen gebraucht), blest blies,
rust ruderte*) = f. set, kret, tret, ruid. Das Verbaladjektiv ist amr.
und wehsdr. noch stark, f. aber schwach: a.-w. sen, kren, tren,
blen, a. run = aosdr. set, kret, tret, aber wehsdr. wie aosdr. ruid.
12) Aosdr. ist die Übertragung des Stammvokals des starken
Verbaladjektivs bei den Zeitwörtern zweiter und dritter Klasse auf
das Praeteritum. Beispiele: a. sgod, w. sgöd schoss = aosdr. sgöd
nach a.-f. sgödn geschossen; a. söb, w. söb soff = aosdr. söb nach
a.-w. söbm, aosdr. söben gesoffen; a. sbrö», w. sbrö» sprang =
aosdr. sbrÜB nach a. sbrüssen, f. sbrüsen gesprungen; a. sdöraeö
w. sdörev = aosdr. sdürev nach a. sdürvsen, f. sdürven gestorben.
IV. Alt- und neu-amringiseh-föhringiseh.
§ 15. Innerhalb der a.-f. Sprachgeschichte sind zeitlich zwei
Hauptabschnitte zu scheiden, ein ältrer: altamringisch-föhringisch
(aa.-f.) und ein neuerer: neuamringisch-föhringisch (na.-f.). Diese
Scheidung ist aus praktischen Gründen geboten. Die Hauptmerkmale
des Jüngern Zeitraums sind die Kürzung von i, u und ü in geschlossner
Silbe, die Dehnung und teilweise Diphthongierung der Vokale in offner
Silbe und das Stimmhaftwerden von k, t, p nach langem Vokal zu y, d, b ;
*) Die Entstehung dieser altertümlichen Formen ist von dem Praeteritum
von „säen" ausgegangen. Got. safsö entspräche lautgesetzlich a. *ses; das t ist
von den schwachen Zeitwörtern eingeführt worden. Nach dem Muster s e : sest
bildete man zu kre ein krest, zu ru ein rust. Nach se: sest wurde auch
zu sge „geschehn" ein sgest gebildet, f. sget
das Kürzungs- und Dehnungsgesetz teilt das Helgolandische und Sil-
dringische, bewahrt aber auch nach langem Vokal k, t, p.
Das Aa.-F. reicht noch bis in die Zeit hinein, als man das Ein-
zige, was wir als Denkmal ältrer Sprache besitzen, die heimischen
Ortsnamen, aufschrieb, und dies geschah bei den altern jedenfalls vor
der Mitte des 13. Jhdts.
Folgende Lautgesetze sind als na.-f. durch die altern Orts- und
Personennamen zu belegen:
1. e wird^zu a. ise, f. ie (§ 8, A, 1 — 3). Stenodde: Sdiaenöd;
vgl. Elbe: a. Iaelaeö.
2. ö wird zu a. üae, f. üeA(§ 8, A, 4. 5). Goting: OüetiB, Bol-
dixum: BüeldYsem, Oland: a. Uselun.
3. 6 wird zu u, ü (§ 8, A, 6 — 8). Dontsum (ältre Schreibung
fürDunsum): DunOem, Hooge: « Hüy, Nordstrandischmoor: Let4Mür.
Brotherus 1360 (mehrmals, Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter,
Schleswig, 1828, S. 193): a. brudr.
4. i wird durch e hindurch zu a, aosdr. « (§ 8, C, 1). Klintum:
Klantem, Midlum: M«dlem, Wrixum, früherauch Wrexum geschrieben:
Vraeksem, Sild (so die alte richtige, seit 1141 belegte Schreibung für
Sylt): Sal. Rykmer 1360 (Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter,
S. 193): Rakmer. In unbetonter Silbe: Goting (GüetiB): a. GüsetseB.
5. ü wird durch i hindurch zu a (§ 8, D, 5). Tüftum (so die
ältre und richtigre Schreibung für Toftum): Taftem, die Ortsnamen
auf -bull: -bal.
6. u wird zu o (§ 8, B, 1). Uluersum 1436 (über censualis
episcopi Slesvicensis, Langebek-Suhm, Scriptores rerum Danicarum VII,
Haunise 1792, S. 502): Olersem (jetzt Oldsum geschrieben).
7. ü wird zu ö. Uddersum 1360, Utersum 1436, Ütersum:Ödersem.
8. ü wird zu ü (§ 8, D, 3). Hedehusum: Hedehüzem, Husum:
a. Hüzsem.
9. 6 wird zu e (§ 8, A, 10). Föör 1231, 1240, 1336, 1360, 1388,
1408, 1411, 1415, Föhr: Fer.
10. Unbetontes um wird zu a. aem, f. em. Alle Ortsnamen auf
-um: a. -aem, f. -em.
11. Auslautendes e fällt ab. Stenodde:J5di»nöd,AHooge: se Hüy-
12. lv, ry wird zu lav, ray. Elbe: f. Ielov, a. Irolseö, Borgsum:
BordYsem, Hamborg: HamboraY-
13. t6 wird zu s (nach n wehsdr. zu 8), nach langem Vokal zu z.
Dontsum, Duntzum (ältre Schreibungen für Dunsum): DunOem (a.
D uns aem), Wy dsuin (ältre Schreibung für Witsum): Vizem.
14. ld wird zu 1 (§ 8, B, 6). Boldixum: Büelaysem, Sild (seit
1141): Sal.
15. lw wird zu 1. Uhiersum 1436 (jetzt Oldsum): Olersem.
16. t nach langem Vokal wird zu d (§ 8, C, 3). Utersum: Ödersem.
17. ki wird zu t'x'i. Ketel, Ketels: T'x'idl, T'x'idls.
18. tl wird zu dl. Ketel: T'x'idl.
KiedeTdenUche« Jahrbach. XIII. 2
18
19. ars wird zu as. Karsten: Kasn.
20. 8 tu wird zu sn. Karsten: Kasn.
Anm. Sowohl T'v'idl aus Ketel als Kasn aus Karsten verraten spätre
Entlehnung aus einer andern Mundart; als die lautgesetzlichen a.-f. Formen bestehn
daneben sedl „Kessel" und Krasn (aus *Krisn aus *Kristn aus Chri-
stian^)). — In Betracht kommen hier noch einige Personennamen, deren der
frühern Aussprache gemässe Schreibung zwar nicht beibehalten^ aber in richtiger
etymologischer Erkenntnis wieder eingeführt worden ist: I e r k schreibt sich
verdeutscht Erich (ise aus e); Rakmer schreibt sich Rickmer (a aus i).
§ 16. Den aa.-f. Zeitraum rechne ich zurück bis etwa 600 n. Chr.,
d. h. bis zu der Zeit, in welcher die lebendige Verbindung mit den
Stammesgenossen in Britannien aufhörte. Die Zeit vorher, in der
von einer besondern a.-f. Mundart noch nicht die Rede sein kann, ist
die ingwaiwische. Als ingw. verstehn wir diejenigen Spracherschei-
nungen, von denen wir voraussetzen, dass sie zur Zeit der Sprech-
gemeinschaft aller ingwaiwischen Stämme sich entwickelt haben,
gleichviel, ob diese Erscheinungen uringw. sind, d. h. allen ingw.
Mundarten gemeinsam, oder ob sie nur auf einem Teil des ingw.
Sprachgebiets durchgedrungen sind. Die Bildimg einer ingw. Mundart
begann und vollzog sich grösstenteils gleichzeitig mit der Bildung der
westgerm. Spracheinheit.
Wir unterscheiden also in der Geschichte des A.-F. drei Zeit-
räume: 1) ingwaiwisch vom 3. bis 6. Jhdt., 2) altamringisch-föhringisch
vom 7. bis ungefähr 12. Jhdt., 3) neuamringisch-föhringisch von
ungefähr dem 13. Jhdt. an.
V. Sprachdenkmäler.
§ 17. Die schriftliche Überliefrung in der Landessprache reicht
nicht über das Jahr 1748 zurück, wenn man von den wenigen urkund-
lichen Eigennamen und den im 17. und 18. Jhdt. zahlreichern urkund-
lichen Namen für Felder, Feidmaasse u. dgl. absieht, deren Sprachform,
wie sie überliefert ist, durchaus nicht über jeden Zweifel erhaben ist.
Wir haben freilich noch ein Lied, welches in das Mittelalter zurück-
weist (§ 19, V, 13); aber die Sprachform, in der es überliefert ist.
ist, bis auf einige veraltete Wörter, die heutige.
Anm. Die altern Urkunden sind abgedruckt bei Michelsen, Nordfriesland im
Mittelalter, Schleswig 1828 (auch in Falck's Staatsbürgerl. Magazin VIII, 1828.
S. 453—740), S. 183 ff. Für die altern Feldnamen ist von Wichtigkeit das
Schilling-Englisch-Buch: 1) für Osterlandföhr von 1637 (erneuert 1653,
nochmals erneuert 1659, 1667 und 1706), (plattdeutsch), gedruckt bei Nerong, Führ
früher und jetzt, Wyk (1885), S. 56—58 ; 2) für Westerlands hr und Amrum von 1664
(plattdeutsch), Abschrift auf der Kieler Universitätsbibliothek Cod. MS. S. H. 232, A :
in einem Anhang (um 1800) werden die vorkommenden führ. Wörter besprochen:
3) für Osterlandföhr von 1706 (hochdeutsch), gedruckt in Carstens' und Falck's
Staatsbürgerl. Magazin IV, 1824, S. 154—164 und teilweise bei Nerong, Führ früher
und jetzt, S. 59—63; bei Carstens und Falck, S. 168—172 werden die fuhr. Wörter
besprochen.
19
§ 18. Ihrer Überliefrung nach am ältsten sind die folgenden
a.-f. Sprachdenkmäler:
1. Der kleine Katechismiis in föhringischer Mundart,
handschriftlich auf der Kgl. Bibliothek in Kopenhagen*), laut Katalog
erworben lim 1700, aber nicht mehr vorhanden.
2. Amringisches Vaterunser, gedruckt in Gessner's Oriental.
und Occidental. Sprachmeister (hrsg. von Fritz und Schulze), Leipzig
1748, S. 21 und in demselben Buch unter dem Titel Schulzen's
Oriental. und occidentalisches abc-Buch, Naumburg und Zeitz 1769;
wieder abgedruckt Adelung- Vater, Mithridates II, Berlin 1809, S. 244.
3. Aosdringisches Wörterverzeichnis, 1757 geschrieben,
mitgeteilt vom Organisten Peters in Wrixum, abgedruckt, in
Falck's Staatsbürgerl. Magazin V, 1826, S. 739—745. (Einige Wörter
hiernach nachgedruckt bei Paulsen, Samlede mindre skrifter (gesammelte
kleinere Schriften) I, Kopenhagen 1857, S. 213 Anm.)
4. Föhringische Wörter, mitgeteilt von Z. E. und G. V.,
Schleswig-Holsteinische Anzeigen auf das Jahr 1758, Glückstadt, S.
557 — 562 und wieder abgedruckt in Falck's Sammlung der wichtigsten
Abhandlungen zur Erläuterung der Vaterland. Gesch. II, Toudern 1822,
S. 151—155.
5. Wrixumer Abschrift des wehsdringischen Liedes „Ohn
ah Hemmel efter ah Dos tu kemmen* (§ 19, IV, 1), um 1800,
im Besitz von Simon Gerrits in Oevenum.
6. (Wrixumer) Niederschrift des Hochzeitsliedes „Klüftig
küren wir üb Drüg Seesen bradlepsday* (§ 19, V, 21), ver-
mutlich um 1800, im Besitz von Simon Gerrits in Oevenum.
7. Die verhältnismässig wenigen (teilweise fälschlich als föh-
ringisch bezeichneten und grossenteils unrichtig wiedergegebnen) a.-f.
Wörter in Outzen's Glossarium der friesischen Sprache, Kopenhagen
1837 (Vorrede 1824 unterzeichnet); Outzen, der selbst auf Föhr gewesen
ist, hat benutzt nach seiner eignen Angabe (S. XXIX f.): a) das
Wrixumer Hochzeitslied (§ 19, V, 21), b) eine, und zwar vermutlich
die Peters'sche Abschrift des alten aosdringischen Tanzliedes (§ 19,
V, 13), c) eine Hdschr. von Quedensen's geistlichem Liede (§19, IV, 1),
d) den kleinen Katechismus, vom Organisten P. J. Peters in
Wrixum ins Föhringische übersetzt (vgl. die Anm. unten), e)
r sonst manche sehr brauchbare Notizen u von demselben.
Anm. Es ist ausdrücklich davor zu warnen scheinbar altertümlichen Schrei-
bungen irgend welches Gewicht beizulegen. Wer sich einmal davon überzeugt hat,
wie gradezu unglaublich verkehrt die Leute heute ihre Sprache schreiben, wenn
sie einmal in diese ungewohnte Lage gebracht werden — sonst schreiben sie
nur in hochdeutscher Sprache, weil sie dies auf der Schule gelernt haben — , der
wird gar nicht misstrauisch genug sein können, wenn es gilt, aus dem Geschriebnen
für das Gesprochne Folgrungen zu ziehen.
§ 19. Da voraussichtlich in 100 Jahren ied lebendige Quelle
*) nicht mit de Vries bei Bendsen, Die nordfriesische Sprache, Leiden 1860,
S. XI f. derselbe wie die von Outzen benutzte Übersetzung des Wrixumers Peters.
2*
2*
des Volksinundes nicht mehr sprudeln wird, so ist es von Wichtigkeit
alles, was bisher in dieser Sprache aufgezeichnet worden ist, für die
spätre Forschung au bewahren. Ich gebe deshalb hier eine, wie ich
glaube aussprechen zu dürfen, vollständige a.-f. Literaturübersicht*);
wenigstens ist dieselbe so vollständig, wie es heute nur im Bereich
der Möglichkeit liegt eine solche zu geben. Da fast alles Gedruckte
kaum allgemein zugänglich ist, sondre ich in der folgenden Übersicht
nicht das Gedruckte von dem Geschriebnen. Ich habe von allen
namhaft gemachten, weniger zugänglichen Sachen, soweit ich sie nicht
erwerben konnte, Abschriften genommen, und zwar, soweit möglich,
vom Original. Die folgende Übersicht über die Sprachdenkmäler macht
Anspruch auf Vollständigkeit; nur wo in Erzählungen oder Reise-
schriften ein Paar schon anderweitig gedruckte Wörter und Sätze
wieder abgedruckt sind, durfte ich mir die Anführung ersparen. Hin-
sichtlich des in grammatischen Schriften enthaltnen SprachstofFs ver-
weise ich auf § 20 und 21.
Eine Ausgabe aller amringisch-föhringischen literarischen Er-
zeugnisse, welche inhaltlich von Wert sind, ist von mir in Vorbereitung.
I. Amringisch und ffihrmgisch.
Gleichmässig Eigentum von Amrum und Föhr, ohne dass der
Ursprung sich feststellen Hesse, sind:
1. die sehr zahlreichen a.-f. Sprichwörter aus alter und neuer
Zeit sowie die sehr alten Wiegenlieder und Kindersprüche. Die-
selben sind grösstenteils auch auf Süd und in Nordfriesland, zum Teil
auch in Norddeutschland bekannt. Sie sind, mit deutscher Über-
setzung, am vollständigsten an drei Stellen zu finden: a) in der 1846
abgeschlossen Sammlung des Amrumer Pastors Mechlenburg, Nr. 3a
(Übersetzung 3b) seines Nachlasses auf der Stadtbibliothek zu Hamburg,
grösstenteils, aber nicht fehlerlos, abgedruckt in Haupt's Ztschr. VIII
1851, S. 350 — 374; b) bei Johansen, Nordfriesische Sprache, überall
im ganzen Buch verstreut; c) in der Sprichwörtersammlung von Nissen,
*) Die Literatursprache war nach der lateinischen die plattdeutsche und ist
jetzt die hochdeutsche. Daher ist weitaus das Meiste, was Amringen und Fuhringen
niedergeschrieben haben, plattdeutsch und hochdeutsch abgefasst. Hier kommen
nur die Erzeugnisse der Landessprache in Betracht. Es sind, soweit nicht Über-
setzungen, vielfach Gelegenheitsgedichte. Doch giebt es immerhin eine ganze Anzahl
recht netter neuerer Gedichte, sogar eine Art von Lustspiel (IV, 3, c), dazu viele Prosa-
stücke, d ü n t' j i s (n) (Erzählungen). Die bekanntern Gedichte, 11 t'j in, lie t n, werden
gesungen — meist beim Punsch — , und zwar nach der Weise von deutschen Volks-
und Studentenliedern, sind also in dieser Form amringisch-föhringische Volkslieder
heute zu nennen. Das meiste Interesse beanspruchen zwei ältre Volkslieder: Etwa
aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammt das heute nur im östlichen Föhr
noch lebendige, aber auch hier veraltende Lied von Trint'^' «n Driiy S6zn braed-
lsepsdäoi (V, 21). Gänzlich veraltet und so gut wie völlig unbekannt ist das
hochwichtige alte Tanzlied M bäoi se redr (V, 13), welches, nur unvollkommen
erhalten, aus dem 15. Jhdt. stammt. Gedruckt ist von a.-f. Literatur das aller-
wenigste, aufgeschrieben das meiste: vieles lebt aber auch nur im Volksmund fort.
— Das meiste literarische Leben herscht auf Föhr; der Amringe lebt einsamer.
81
De freske Findling, Stedesand 1873 — 1883, in der übrigens so manches
nur als eine amr. Übersetzung nordfriesischen Erbguts anzusehn ist.
Kinderreime s. besonders zum Schluss der M.'schen Sammlung, hei
Johansen, S. 3, 120, 191, 265 — 267 und bei Nissen am Schluss der
Sammlung. Ferner sind d) in Clements Lappenkorb, Leipzig (1847),
S. 294—316, 238 amringische Sprichwörter gedruckt und S. 392 f.
zwei Sprüche (Arebar Lungsnar und Gregöri), zum Teil wieder
abgedruckt in Firmenich's Völkerstimmen III, S. 2 — 8 ; e) amringische
Reime und Sprüche auf besondre Tage und Zeiten des Jahrs nebst
Wetterregeln, mitgeteilt von Johansen, Jahrhücher f. d. Landeskunde
der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg IX, 1867, S.
126 — 128, grösstenteils auch in desselben Ndfrs. Spr. vorkommend.
Einige Sprichwörter sind auch bei Nerong, Föhr früher und jetzt,
Wyk (1885), S. 153 f. nachgedruckt. Ein alter Reim (Piadersdai
as nü förbi) (auch a, S. 370 und e, S. 127) daselbst S. 76 Anm.,
als Wrixumisch 1859 von Mechlenburg aufgeschrieben Ged., S. 78.
Ein Wiegenlied (Sßnke, Sönke, D&tje wat) (auch Joh., Ndfrs. Spr.,
S. 266) steht in Nr. 11, 9 des M.'schen Nachlasses auf der Hamburger
Stadtbibliothek, ein Kinderspiel (Ikkräskedi) daselbst Nr. 3<*. Allen
Sammlern entgangen ist ein wenigstens 100 Jahre altes a.-f. (übrigens
auch auf Süd bekanntes) Wiegenlied Dier kam sen sgepgi fän
nürdn (vgl. Müllenhoff, Schl.-Holst. Sagen, S. 501 f.), von mir nach
der mündlichen Überliefrung aufgezeichnet.
2. „Dier vul sen bür sens edr apsdun", Übersetzung des
deutschen „Es wollt' ein Bauer früh aufstehn", sicher älter als 100
Jahre, heute noch bei Jung und Alt ein sehr beliebtes Volkslied, von
mir nach dem Volksmund aufgezeichnet.
IL Amringisch.
1. Das alte amringische Vaterunser, s. § 18, 2.
2. Pirlala läi ün sin käst, Tanzlied, wenigstens 100 Jahre
alt, bis zur Mitte dieses Jhdts. noch im Gebrauch, nach der
mündlichen Überliefrung von mir aufgezeichnet; das Lied ist von
Holländer Schiffern nach Amrum gebracht worden und wurde von den
jungen Amringen nachgesungen.
3. Wat Neis brangst mä fan Nurden?, alter Spruch, von
Clement mitgeteilt in seinem Lappenkorb, S. 332 und bei Firmenich
III (1854), S. 2, auch in der M.'schen Sprichwörtersammlung, Nr. 3»,
S. 11 des Nachlasses in Hamburg.
4. Letj Eelke an Grat Eelke, sehr altes Märchen, in 2 ab-
weichenden Gestalten; die eine nach Johansen, gedruckt in Müllenhoff s
SchL-Holst. Sagen, S. 497 — 500 und in den Grenzboten, 23. Jahrgang,
n. Semester, III. Band 1864, S. 21 f., etwas anders in Johansen's
Arammud an Dögganhaid, Schleswig 1855, S. 9 f.; die andre Gestalt
teilt Clement mit bei Firmenich 111, S. 454 f., Hdschr. in Hamburg,
Nr. 11, 12 des M.'schen Nachlasses.
22
5. Henk an Höön, sehr altes Märchen (auch sildringisch),
nach der Mitteilung Clements gedruckt bei Firmenich III, S. 455 f.
6. An Tel fän di Ris an an letjen Kühörd, Märchen, mit
plattdeutscher Übersetzung mitgeteilt von Mechlenburg in Ehrentraut's
Fries. Archiv II, Oldenburg 1854, S. 324—327.
7. Ian Knolle, Märchen, Aufzeichnung M.'s 1852, Nr. 11, 14
seines Nachlasses in Hamburg.
8. H. Kl. ün Duntsam, Hexengeschichte, 1852 von M. auf-
gezeichnet, Hdschr. Nr. 11, 14 seines Nachlasses in Hamburg.
9. Diar komt an jongan Dring tüs, Hexengeschichte, 1852
von M. aufgezeichnet, Hdschr. Nr. 11, 14 seines Nachlasses in Hamburg.
10. Gebet, mit deutsch dazwischen, gedruckt bei Johansen, Die
Seemannswittwe auf der Düneninsel, Kiel 1860, S. 54.
11. An fresk Bleed? und Min leew Laanslidj, zwei Auf-
rufe zu der Gründung eines friesischen Wochenblatts, Hdschr. Nr.
11, 17 des M.'schen Nachlasses in Hamburg.
12. Ein paar amringische Redensarten, mitgeteilt von C. P.
H(ansen), Westsee-Inseln 1871, Nr. 120, 29. Iuli.
13. Das Gleichnis vom verlornen Sohn, sehr mangelhaft
in amr. Mundart wiedergegeben von Nissen in Winkler's Algemeen
nederduitsch en friesch dialecticon I, S'Gravenhage .1874, S. 89 — 91
(vgl. dazu die Übersetzung von Johansen, Ndfrs. Spr., S. 202 f.).
14. A Könnang komt, at Lidj as bliis, Gelegenheitsgedicht
von Nahmen Nickels Schmidt, 1845, Abschrift M.'s Ged., S. 40.
15. Lunsfeeder! Du komst jo rogt tidjelk tu-t Lun, Ge-
legenheitsgedicht von Hinrich Fedderse'n, 1845, zwei Abschriften M.'s
Ged., S. 59—61 und 108—110.
16. Uk an fresk Steam tu tha Könnang, man fan't bütjenst
Eilun, Gedicht von an Oemrangen (K. J. Clement aus Norddorf),
1840V, gedruckt bei Firmenich III, S. 1 f. und sehr fehlerhaft „Am
Nordsee-Strand* (Volksblatt, in Wyk erschienen) Nr. 59, 2. Dez. 1883.
17. Einige amringische Sätze und eine Reihe einzelner Wörter
findet man bei Clement, Reise durch Friesland, Holland und Deutsch-
land, Kiel 1847, S. 64 — 78, desgl., von demselben mitgeteilt, bei
Firmenich III, S. 450—452.
18. Gedichte von Chr. Erichsen (Iarken).
a) An Ömrang Li e dt je, Originalhdschr. in Hamburg, Nr. 11, 6, 3 des
M.'schen Nachlasses. — b) At letzt Ugenblack, dier an Man schiest van
sin Wüf, Originalhdschr. in Hamburg, Nr. 11, 6, 4 des M.'schen Nachlasses.
19. Gedichte von Karsten Paulsen aus Norddorf.
a) An Ömrang Liattie, Originalhdschr., Nr. 11, 6, 1 des M.'schen Nach-
lasses in Hamburg, reicht nur bis Strophe 9 einschliesslich; 2 weitre Strophen besitze
ich nach einer freilich sehr schlechten Norddörfer Abschrift; der ganze Text von 13
Strophenin deutscher Übersetzung in Clements Lappenkorb, Leipzig (1847), S.338 — 336.
— b) So Üs-t hir weVskal, as-t hir lang eg müar, 1844, Abschrift M.'s
in Hamburg, Nr. 11, 5, 1 des Nachlasses. — c)eAuar aDoas, 1845, Original-
hdschr. Nr. 11, 6, 2 des M. sehen Nachlasses. — d)Auer Simon, 1845, Abschrift M.'s
Nr. 3C des Nachlasses, zwei verbesserte Abschriften .M.'s Ged., S. 62 f. und 140 f.
23
20. Gedichte von Jac. Lor. Engmann aus Norddorf, hand-
schriftlich auf der Hamburger Stadtbibliothek, a) — e) Nr. 11, 3, f) Nr.
11, 2 und g) Nr. 11, 5, 2 des M.'schen Nachlasses.
a) Wan ik slumre ün diSliap, Nachdichtung von Klopstock's „Sink
ich einst in jenen Schlummer" (Nr. 34 des Schlesw.-Holst. Gesangbuchs von 1780).
— b) Wan du nian Halp fän Minskan heest, Nachdichtung von Anton
nrich von Braunschweig's „Wenn Menschenhülfe dir gebricht" (Nr. 668 des Schlesw.-
Holst. Gesangbuchs von 1780). — c) Wi Menskan bliw eg üb das Welt,
Nachdichtung von Klopstock's „Pilger sind wir; wallen hier" (Nr. 907 des Schlesw.-
Holst. Gesangbuchs von 1780). — d) Hokter fansam sat un Kaamer. —
e) Üb Sin&i sted.üs Herr God. — f) Dfar ging an Ganner &uer-t
Fial. — g) Det ÖmrangLun, det as man letj, 1849.
21. Gedichte des Pastors Lor. Fr. Mechlenburg aus Nebel,
alle in Originalhdschr.
a) Welkimmen, Könnang an Könnangin, Gelegenheitsgedicht, 1840?,
Ged., S. 27. 36. — b) 1) Könnang! Du komst tu üs, Gelegenheitsgedicht,
184?, Ged., S. 27— 30. 2) Dat wi di wedderse, Gelegenheitsgedicht, 184V, Nr.
1 1, 9 des Nachlasses in Hamburg, andre Hdschr. Ged., S. 38—40 ; Neubearbeitung
von 1). — c) Hurraa föör a K ö nn a n g, o Gelegenheitsgedicht, Nr. 11, 9 des
Nachlasses und Ged., S. 36 f. — d)AAuer a Amram, 1844, Nr. 11, 5 des Nach-
lasses und Ged., S. 47—53. — e) Hura f8r a Könnang, Gelegenheitsgedicht, 1860,
Nr. 11, 9 des Nachlasses in 2 Aufzeichnungen. — f) God alla Minsk ans
Fee dar, Vaterunser in Gedichtform, Ged., S. 122. — g) Jaa Lidj, diar altidj
snake, Entwurf eines Gedichts, 184?, Nr. 11, 10 des Nachlasses.
22. Chr. Johansen (geboren 1820).
A) Gedichte, a) Üsh Her Christus sin Gibet, 1844, Originalhdschr.
in Hamburg Nr. 11, 8 des M.'schen Nachlasses. — b) Wos an Puask, Original-
hdschr. Nr. 11, 8 des M.'schen Nachlasses. — c) Grötnis to a Könnang, Ge-
legenheitsgedicht, Originalhdschr. M.'s Ged., S. 34 f. — d) Diär as bidrüvat
Tishang kiman, Nachruf auf Christian VIII, König von Dänemark, 1848, Ori-
ginalhdschr. Nr. 11,8 des M.'schen Nachlasses, in andrer Rechtschreibung gedruckt
Insel-Bote, Nr. 9, Wyk, 30. Oktober 1880. — e) An deegh feast Bolwerk
as üüsh God, Nachdichtung von Luther 's „Ein' feste Burg ist unser Gotta, 1850,
gedruckt Joh., Arammud an Dögganhaid bi-rköödar, Schleswig 1855, S. 14 und
Ndfrs. Spr., S. 285 f. — f) Jü üntrÄu Bridj Üb Sal ün Eidam, Abschrift M/s,
Nr. 11, 13 seines Nachlasses.
B) Prosa, a) Hü 't tuging, diär a nei Liär üüb Aamram kam,
1*49, Erzählung der Einführung der Reformazion auf Amrum, Originalhdschr. Nr.
10» des M.'schen Nachlasses. — b) Arammud an Dögganhaid bi-rköödar,
'»der: Armuth und Tugend, eine Erzählung, unter diesem Titel gedruckt Schleswig
1 H55. (Ein Exemplar auf der Kgl. Bibliothek in Kopenhagen.) — c) Erzählungen
de s alten Besenbinders Jens Drefsen, Ndfrs. Sprache, S. 218—281. —
d) Übersetzungen aus der Bibel: Ev. Matthäi 5—7 (Cap. 5 wieder abge-
druckt bei Leopold, Van de Scheide tot de Weichsel III, te Groningen 1882, S.
252—254; Matth. 6, 25—32 wieder abgedruckt bei Hansen, Das Schleswig'sche
Wattenmeer, Glogau (1865), S. 272 f.), Ev. Lucae 15, Ev. Johannis 11, Apostel-
geschichte 9 und 1. Corinther 13, Ndfrs. Spr., S. 193—211. — e) Übersetzung
aus Goethes Faust, der Nachbarin Haus, Ndfrs. Spr., S. 211 — 218.
23. Religiöse Gedichte von dem Lehrer und Küster Bonken
in Nebel (gebornem Halligfriesen), hdschrftl. in dessen Besitz.
24. Üz nftibar vier sens del sei üzn tu tren, Gedicht einer
Xorddorferin, 1884, aus ihrem Munde von mir niedergeschrieben.
25. Dier sded täÖ sosgarn ün a? säl, Gedicht einer Nord-
dorferin, 1884, aus ihrem Munde von mir niedergeschrieben.
HI. FMringucli.
Der kleine Katechismus in föhringischer Mundart,
s. § 18, 1.
IV. Wehsdringisch.
1. Uun a Hemmel efter e Duas tu kemmen, geistliches
Lied, 1757 gedichtet von Christian Carl Quedensen,- Pastor zu St.
Laurentii. Die ältste, mir bekannte Hdschr. ist im Besitz von Simon
Gerrits in Oevenum; sie ist von einer Wrixumerin um 1800 abge-
schrieben. Besonders gedruckt ist das Lied unter dem Titel: Gesang
in der westerlandf öhrer Mundart, verfasst vor 130 Jahren von Pastor
M. Flor, Nieblum auf Föhr, 1847 (ein Exemplar in meinem Besitz).
Das Lied ist oft abgedruckt worden: von Clement in amringischer
Mundart Firmenich III, 453 f.; Johansen, Ndfrs. Sprache, S. 281 — 285:
Johansen, Die Seemannswittwe auf der Düneninsel, Kiel 1860, S.
76—81; Nerong, Föhr früher und jetzt, Wyk (1885), S. 138— 140.
2. Sock Tochter sann mi nüh ienfalen, Gedicht von Arfst
Gerrits, 1823 oder 1824, zum Teil handschriftlich in Norddorf.
3. Rewert Knudsen aus Utersum dichtete — die Original-
handschriften besitzt Frau Josina Knudsen in Borgsum — <
a.) das Lied En hiälmeiken Bradgung, 1880. — b) das Lied JEn
gudden Hööb, 1880 (oder 1881), Nachdichtung von „Von allen den Mädchen
so blink und so blank". — c) das Lustspiel Hokker feid iäst en Wüff, 1881.
4. Nickels Jürgens (Neggels Jirrins) aus Oldsum, jetzt in Neu-
münster, dichtete die folgenden Gedichte, deren Originalhdschr. ich besitze :
a) A fr£m as allerdöggen, 1886. — b) Wann 's mi hirr bütjlunn
fragi, 1886. — c) At lewent hirr bütjlunn det haget mi ei, 1886. —
d) Tufreth wart nömen üb a w61t, 1886. — e) A fGrreng sprik
skall lewwi, 1886. — f) Sold&tenlewent as ei nett, 1887. — g) von
demselben? Huar as di Fresk sin federlunn?
V. Aosdringisch.
1. Cnut Cnutsen (Cnuit) schrieb:
a) Tu min Loonslieid, Vorrede zu seinem Buch: Die Unsterblichkeit,
Kiel 1825, S. XIII f. — b) ühn ah hemmel äfter ah dus tu kemmen,
Gedicht (nicht etwa dasselbe wie IV, 1), gedruckt ebendaselbst.
2. Dö säeks Theewüffen, jetzt nicht mehr bekanntes Gedicht;
eine Abschrift besitzt Bernhard Schmidt in Nebel.
3. Tu üssens Prinzessin Victoria her Bradlebs dai, Ge-
legenheitsgedicht, gedruckt Insel-Bote, Nr. 17, Wyk, 26. Februar 1881.
4. Hinrich Bernhard Jacobsen aus Borgsum schrieb zwei Ge-
dichte, welche sich im Besitz von Simon Jacobs in Alkersum befinden :
a) En Verschük üb Ferreng, 1865. — b) Heimath, Heimweh, 1865?
Goting.
5. Min eilunn Fer, fan a Närdsia trinj amfluddet, Lied
von E. Rolufs, besitze ich in der Bearbeitung von N. Jürgens.
6. En Ball in Guateng, Gelegenheitsgedicht von Amalie Erichs,
gedruckt Insel-Bote, Nr. 9, Wyk, 29. Januar 1881.
»s
7. Si so, nü feit ä Smas et gud, Gedicht von Jens Christian
Ehrichs, gedruckt Insel-Bote, Nr. 52, Wyk, 2. Juli 1881.
Nieblum.
8. Mantje Drefsen, geb. 1754, schrieb:
a) An Uasterlunfeerang Liidtje: Ik ha di ühs en Frieny ver-
sp regen, Gedicht, 1780; sehr fehler- und lückenhafte Abschrift M.'s Ged., S.
70—73; der richtige Text von der Hand der Enkel-Nichte der Dichterin befindet
sich in meinem Besitz. — b) Dieselbe schrieb, als Mantje Dick 8, 1889, das
Gedicht Min fjäever n tttxndeyjuer säen gasv ferlepen, nach mündlicher
Cberliefrung in Nieblum von mir aufgezeichnet.
9. A. J. Arfsten, geb. 1812, jetzt Gärtner in Husum, schrieb
um die Mitte dieses Jhdts. eine grosse Zahl echt volkstümlicher anek-
dotenartiger Erzählungen, meist in Gesprächsform, sogen. Düntjes.
a) Föhringer Plaudereien: Fehr, ah 1. Iüle 1870. Man gudd Knütj!,
Brief von Frödd. Gedruckt Die Westsee-Inseln Nr. 5, Wyk, 13. Iuli 1870. — b)
Föhringer Plaudereien: Fehr, ah 15. Iüle 1870. Man gudd Frödd!, Brief
von Knütj. Gedruckt Westsee-Inseln, Nr. 8, Wyk, 23. Iuli 1870. — c) Föhringer
Plaudereien: Fehr, ah 23. Iüle 1870. Man lew Knütjel, Brief von Neggels
Rölkenweuter. Gedruckt Westsee-Inseln, Nr. 11, Wyk, 30. Iuli 1870. — d) 1)
Föhringer Plaudereien: Vor voll Iuaren foll Ulke Driewer van't Hüss
dehl üb a Bragg. Gedruckt Westsee-Inseln, Nr. 41, Wyck, 26. October
1870. 2) Hokker könn plette uan Njeblem?, Anekdote, Hdschr. im
Besitz des Verf. — e) Föhringer Plaudereien: Uha, ik arrem Mensk!
Gedruckt Westsee-Inseln Nr. 112, Wyck, 1. Iuli 1871. — f) Föhringer Plaudereien:
Therke an Mantje, Gespräch. Gedruckt Westsee-Inseln Nr. 1 16, Wyck, 15. Iuli
1871.— g) Föhringer Plaudereien: Man gud Knüdj!, Brief von Frödd. Gedruckt
Westsee-Inseln Nr. 156, Wyck, 2. December 1871. — h) 1) Friesische Plaudereien :
An Färring Düntje: Det wir a triantwuntigst Febberware 1851.
Gedruckt Westsee-Inseln, Wyck, September 1872. 2) Det wiar a trianntwun-
tegst Febberware 1 851, Hdschr. im Besitz des Verfassers. — i) 1) I. M. an L.
hual an Stack Schnaak maer ödder all. Marts 1838, Gespräch, Hdschr.
im Besitz des Verf.. 2) AchtainHunnertAcht an Dortig aElwenstMarz
do stenn Talke an Jung Mantje ädder me an Oankskrüw un a Hun
an hell an Stack Schnack mä an öder awer det Wasken, Gespräch,
erweiterte Überarbeitung von 1), Originalhdschr. in meinem Besitz. — k) Ahn
fahlegh wiar Düjntje vaan det Hiar diar uan I. M. Bödder nimmen
wier, Gespräch, Hdschr. im Besitz des Verf. — 1) I. M. vorteilt att L. dett
bör letjet raar Eaat stürawenn wiar, a 13. May 1846, Gespräch, Hdschr.
im Besitz des Verf. — m) Klüftighaiden uan I. H. Dörransk uan att
Huallawjuanken, Gespräch, Hdschr. im Besitz des Verf. — n) Det Düjntje
Taan det grattÜndiar wat ar ap üit aMaaskkimmenwiar, Gespräch,
Hdschr. im Besitz des Verf. — o) Düjntjessen uan Öwenem bij Asser
ann Tat üas jo däenskSoldoten uann Quartiar häed an do Ministers
ap hing et ward, Gespräch, Hdschr. im Besitz des Verf. — p) Nü wall ick
jam ans ann Stack vorteil van Krassen Onersen, Gespräch, Hdschr. im
Besitz des Verf. — q) Hü a Lanjen thuLups kämm, Gespräch, Originalhdschr.
in meinem Besitz. — r) Uenprivilegiret Färring Kalender för det
Skregeljuar 1852, Hdschr. im Besitz des Verf.
Wahrscheinlich von Arfsten sind zwei Anekdoten von M.'s Hand
in Nr. 3c des Nachlasses in Hamburg:
s) N. N. sfad ün-t Krughhüs. — t) An ferrang Wüf stänt Üb
aüifdik.
10. Un üs Bibel vor ann beft, Gedicht von Maria Christina
Erken (geb. 1815), 1886, Originalhdschr. in meinem Besitz.
26
Alkersum.
11. Simon Reinhard Bohn, der beliebtste Dichter, schrieb in
den Jahren 1859 — 1862; die Originalhdschr. seiner Gedichte besitzt
seine Wittwe in Nieblum.
a)A'Böod efter a' Iadgreweren, Nachdichtung von Schillert „Der
Gang nach dem Eisenhammer". — b) Künneng an Pr äst er, Nachdichtung
von Bürgert „Der Kaiser und der Abt". — c) Büür an Siamaan. — d) Dir
wir en Tidj, et hä all loong all wesen. — e) Täw Lickstianer. — f)
Kriak an Mus s (en Fabel).. — g) Riad eis. — h) Di' Gü hl bück (en Fab el).
— i) Dir, huar a Nurd3ia her green skümmeg Wagen, Lied, gedichtet
nach dem Vorbild von „Dort, wo der alte Rhein mit seinen Wellen", gedruckt bei
Nerong, Föhr früher und jetzt, Wyk (1885), S. 147 f. — k) A f j a w e r J u a r s t i d j e n,
Lied. — 1) E n L i a t, un'thSälskapp tu schongen bi 'nBalePuns, wann
harn nanth Oders witj, Trinklied. — m)A iast Crinolin. — n) Ucs a
Könneng üb Fehr wir, 1860. — o) An ündülljegen Bradgung. — p) I)i
Kuppmaan. — q) Fröd. — r) Nahmen Sütjers Pretjei, 1868. — s) Ick
wanske di, so üs 'am sayt, Scherzstrophe. — t) Di Snarc un Hymen' s
Bianer, Scherzstrophe. — u) Theenkt hocker manner, üs ar sayt,
Sinnspruch.
12. Gedicht auf S. R. Bohn von et Jong Maner hualewjonken,
1876, Hdschr. im Besitz der Wittwe Bohn's in Nieblum.
Oevenum.
13. Vermutlich aus Oevenum stammt das heute nur noch in dem
Munde zweier Oevenum er Geschwister lebende Tanzlied JK bäoi iv
red er, das aus dem 15. Jhdt. stammt. Es ist gedruckt nach der Mit-
teilung Mechlenburg's, die auf einer Wrixumer Handschrift beruht, in
Ehrentraut's Fries. Archiv II, Oldenburg 1854, S. 328—333 und bei
Hansen, Der Sylter-Friese, Kiel 1860, S. 218—220. Den verhältnis-
mässig besten Text habe ich nach der mündlichen Überliefrung auf-
gezeichnet. Die hervorragende Bedeutung dieses Liedes nötigt zu
einer ausführlichem Darlegung der Überliefrung. Das Lied wurde auf
Osterlandföhr früher bei Hochzeiten gesungen. Aber schon zu Anfang
dieses Jahrhunderts galt es selbst den alten Leuten als veraltet und
nicht mehr ganz verständlich. Schon damals war die Überliefrung
verderbt, und man wusste, dass eine oder zwei Strophen abhanden
gekommen waren. Jetzt ist das Lied so gut wie unbekannt. In den
zwanziger Jahren gab es nur noch eine Frau in Oevenum, die Mutter
des weiter unten genannten Knudsen, welche das Lied ganz und gar
auswendig konnte, und nur in ihrem Hause und in ihrer Bekanntschaft
wurde es gesungen. Es giebt meines Wissens heute nur noch fünf
Menschen, welche mehr davon wissen, als dass es früher einmal ein
altes Lied böireder gegeben habe. Ein sehr alter Mann kannte
böi reder als alten föhringischen Volkstanz, wozu auch gesungen sein
sollte. Möglichenfalls liegt noch irgendwo auf Osterlandföhr eine
Niederschrift des Liedes verborgen; denn ich hörte von mehreren
Leuten, dass sie sich erinnerten das Lied einmal gelesen zu haben:
aber meine Nachforschungen waren vergeblich. Der vollständige Text
ist heute Niemandem mehr bekannt. Eine Frau in Oevenum erinnerte
sich nur noch, dass in dem Refrain etwas von sdolt und sÖven a lik
27
vorkäme; eine andre, jüngre, Frau Laura Ketek in Oevenum, wusste
nur noch die erste Strophe und konnte die Weise noch so ungefähr
singen, wenn sie sich auch bewusst war dieselbe ^ nicht mehr ganz
richtig wiederzugeben. Nur einen einzigen alten Ovenembür habe
ich in dem 70jährigen Lorenz Konrad Knudsen gefunden, welcher die
Weise ganz genau wusste und vom Text die ersten Strophen, vom
Folgenden nur Einzelnes. Jedoch gelang es mir mit Hülfe des Mech-
lenbarg'schen Textes seinem Gedächtnis zu Hülfe zu kommen, so dass
ich fast überall den Wortlaut genau feststellen konnte. Der Wortlaut
war diesem Mann, wo es überhaupt der Fall war, so genau in der
Erinnrung, dass er selbst bei solchen Kleinigkeiten, wie sie am
ehsten die Überliefrung entstellt, wie Partikeln, Wortstellung u. dgl.,
überall mit Sicherheit angeben konnte, wie in seiner Jugend gesungen
worden war, und wenn ich die Mechlenburg'schen Varianten angab,
wusste er bestimmt, was richtig und was falsch; er fügte aber immer
hinzu, dass man damals schon gewusst hätte, dass der so gesungne
Text ein durch die lange Überliefrung verderbter gewesen wäre. Die
Schwester dieses Mannes, welche in Kalifornien, der neuen Heimat der
F(5hringen, lebt, ist ausser ihrem Bruder die einzige, die das Lied
noch einigermaassen auswendig kann. Sie erzählt, dass ihre Mutter
den fehlenden Vers noch mitgesungen habe: „es war eins ihrer Lieb-
lingslieder, und hat sie es eine Zeit sehr oft gesungen, und weiss ich
noch recht gut, wie es oft einen recht traurigen Eindruck auf mich
machte, nachdem A . . . mir den Sinn, um was es sich handelte, erklärt
hatte.0 — Neben der mündlichen Überliefrung dieses Liedes besteht
eine schriftliche. Mit dieser verhält es sich folgendermaassen: Ein
Brief des Schullehrers Sörensen in Oevenum an den alten Pastor Mech-
lenburg auf Amrum vom 30. Oktober 1851 (Nr. 31 des Mechlenburg'-
schen Nachlasses auf der Hamburger Stadtbibliothek) spricht von
einem mit dem Briefe mitfolgenden Gedicht, das Sörensen „nach einem
Exemplar, das Herr K. B. Knudsen hieselbst durch den vormaligen
Organisten P. J. Peters in Wrixum hatte, buchstäblich abgeschrieben".
Tnter den als Nr. 11 bezeichneten M.'schen Gedichten in Hamburg
befindet sich auf einem besondern Blatt, sauber geschrieben, das
Gedicht „Bay an a Rädder", wie die Vergleichung mit jenem Brief
ergiebt, von Sörensen's Hand; Tinte und Bruch des Papiers stimmt
dazu; zum Überfluss findet sich auch auf der Rückseite des Umschlags
jener Gedichtsammlung eine Bemerkung M/s : „B&y Redder v. Sörens.
abgsch." Eine Anfrage meinerseits bei Sörensen hinsichtlich der Her-
kunft jener Hs. war erfolglos. So stammte die ältste schriftliche Über-
liefrung aus Wrixum, und zwar noch aus diesem Jhdt.; P. J. Peters
lebte 1759 — 1842. Zwei fast nur in der Rechtschreibung verschiedne
Aufzeichnungen nach dem Peters-Knudsen-Sörensen'schen Text haben
wir von Mechlenburg; die eine steht in seinen Gedichten, S. 129 — 131;
die andre hat er mit deutscher Übersetzung und Anmerkungen in Ehren-
trauf s Fries. Archiv II, S. 328—333 drucken lassen. Der Abdruck bei
Hansen ist ohne Quellenangabe, scheint aber auf den geschri ebnen
28
M.'schen Text zurückzugehn. 2 Strophen des Liedes sind in Johansen's
Ndfrs. Sprache, S. 90 und 89 abgedruckt. Die erste Strophe kommt in
verstümmelter Gestalt noch in dem Liede von Rörd Jappen aus Wrixum
(S. 29, 22) vor. — Das hohe Alter des Liedes bekundet der ganze
Inhalt: Ritter und Knappe, Meth, Wachskerzen bei der Leiche. Die
Reime beweisen teilweise ältre Sprachformen. Vielfach weist das Lied
noch Stabreim auf. Die wunderbare Weise, moll, dann dur, dann
mit moll wieder schliessend, ist durch ihre schwere, dramatische Tragik
nicht nur allgemein musikalisch, sondern auch für die germanische
Rythmik hochinteressant. Das Lied steht innerhalb der deutschen
Volksliederliteratur ganz vereinzelt da und wird auf Osterland-Föhr
entstanden sein. Am ehsten bietet noch Anklänge das alte dithmarsche
Tanzlied „Her Hinrich und sine bröder aüe drei" (Neocorus, hrsg. von
Dahlmann II, 569, danach öfter abgedruckt, Uhland's Volkslieder 1.
Nr. 128, Böhme's Altd. Liederbuch, Nr. 12).
14. En Ferring Döntje, Gedicht, gedruckt in der Beilage der
„Westsee-Inseln" Nr. 14, Deezbüll, 15. Februar 1879.
15. Frau Wilhelmine Petersen schrieb drei im Besitz von Johann
Petersen in Oevenum befindliche Gedichte:
a) Efterrep tu üs lew ferstürwen Frinj (S. R. Bolin), 1879, gedruckt
Westsee-Inseln Nr. 57, Deezbüll, 1879. — b) ün Tine S., vördrainj unt Wa-
sterlun, Gelegenheitsgedicht, 1882. — c) An Friedericke S., Gelegenheits-
gedicht, 1882 oder 1883.
16. Frau Namine Witt, jetzt in Nieblum, besitzt eine grössre.
leider nicht zugängliche Sammlung guter Gedichte.
17. Frau Laura K et eis in Oevenum besitzt mehrere nette Ge-
legenheitsgedichte.
18. Adjis, Lied von Ida Jacobs, um 1880, Originalhdschr. in
meinem Besitz. Dieselbe, Frau Ida Jansen in Oevenum, besitzt noch
mehrere nette Gelegenheitsgedichte.
19. E Fung as ihn, e Sckinnien san voll Segen, Gedicht
von Jacob Martin Jacobs, 1881. Dies und noch Andres von dem-
selben befindet sich im Besitz von Frau Ida Jansen in Oevenum.
20. Knud Broder Knudsen hat folgende Gedichte geschrieben:
a)Allhuarik san uk üb aEerd, Lied, gedruckt bei Nerong, Fuhr
früher und jetzt, Wyk (1885), S. 149. — b) Mutt ik ball, mutt ik ball
weller fan di tji, Lied, um 1870, Nachdichtung von „Muss i denn, muss i denn
zum Stadtele 'naus", Originaltext in meinem Besitz. — c) Komm, let's üs?
högi, Trinklied, Originaltext in meinem Besitz. — d) Von Confermiren
detts doch was, Gelegenheitslied, Originalhdschr. in meinem Besitz. — e) Bi
Ütjbringentu sjongen, Gelegenheitslied, 1 884, Originalhdschr. in meinem
Besitz. — f) Üs lew nett Mammensprieck, Gedicht, 1886, Originalhdschr.
in meinem Besitz. — g) Det üs ual ferring Spriak verfoll, Gelegenheits-
gedicht, 1886, gedruckt Insel-Bote, Nr. 91, Wyk, 20. November 1886. — Noch ver-
schiedne Gelegenheitsgedichte von demselben sind verstreut.
Wrixum.
21. Trintj' an Drüg Seesen bradlepsday, seiner Zeit ausser-
ordentlich beliebtes Spottlied von Pay Jensen aus Wrixum, Mitte
des 18. Jhdts. gedichtet. Der Dichter nahm sich das Leben aus Ver-
zweiflung darüber, dass das geheim gehaltne Gedicht bekannt wurde. Die
ältste Handschrift (vermutlich um 1800) besitzt Simon Gerrits in Oevenum.
Fälschlich als „westerlandföhrer" Hochzeitslied abgedruckt mit Über-
setzung und Anmerkungen von Mecklenburg in Ehrentraut's Fries. Archiv
IL Oldenburg 1854, S. 332 — 341 auf Grund zweier wehsdringischer Ab-
schriften. Der ursprüngliche Text ist mit Hülfe einer Reihe von Ab-
schriften, in denen das Lied verbreitet ist, und der mündlichen Über-
liefrung sicher festzustellen. Inhalt, Stil und Weise sind durchaus originell.
22. Buh Redder tred, Buh Redder Dans oder Ah Redder
träid eh Bar eh Daanz, altes Gedicht von dem Grönlandsfahrer
Rörd Jappen aus Wrixum; ich besitze es in zwei abweichenden
Niederschriften, aus dem Munde einer alten Boldixumerin und zweier
Midlumer.
VI. Sprachliche Vorarbeiten.
§ 20. Eine streng wissenschaftliche Darstellung der a.-f. Sprache
giebt es bisher nicht. Eine vergleichende Grammatik sämtlicher
friesischen, a.-f.-h.-s. und ndfrs. Mundarten von Möller ist in Vor-
bereitung. Die wichtigsten Vorarbeiten sind die folgenden:
1. Johansen, Die Nordfriesische Sprache nach der Föhringer
und Amrumer Mundart, Kiel 1862, VIII -+- 288 S. (S. 193 ff. Sprach-
proben), ein zwar nicht wissenschaftliches, in der Anordnung des Stoffs
völlig verfehltes Buch, dazu von Druckfehlern wimmelnd, aber dennoch
als Materialsammlung sehr schätzenswert und für die Wortbildungs-
lehre, Bedeutungslehre und Syntax ganz unentbehrlich. Es behandelt
tatsächlich nur das Amringische, nicht auch das Föhringische. —
Einige Wörter aus Johansen sind aufgenommen von Halbertsma in
»einem Lexicon Frisicum. A — feer. Hagse Comitis 1874.
2. Mechlenburg, Amrum-deutsch, nordfries. etc. alphabetisch
geordnetes Wörterbuch, Handschrift, 2 Bände in 4°, 735 Seiten =
19s -+- 178 — 4 Doppelseiten, vollendet 1854. Es ist als ein Parallel-
wörterbuch angelegt und enthält nur für das Amr. vollständig aus-
gefüllte Spalten für die Mundarten von Amruni mit deutscher und
/um Teil dänischer Übersetzung, von West- und Ostföhr, Süd, Stedesand,
Xorgoesharde nach Outzen, Niebüll-Dagebüll, Wiedingharde, Langen-
horn, Nordmarsch, Wangerooge, das Altfries., Angelsächs., Got. und
Isländische. Die Hdschr. befindet sich auf der Stadtbibliothek zu
Hamburg, als Nr. la und lb des M.'schen Nachlasses. Ich bereite
die Herausgabe eines a.-f. Wörterbuchs auf der sichern Grundlage des
JL'schen für die Sammlung der Wörterbücher des Vereins für nieder-
deutsche Sprachforschung vor.
so
§ 21. Diesen beiden umfassendem und grundlegenden Werken
gegenüber nehmen die folgenden, zumeist nur einzelne Teile der a.-f.
Sprachlehre darstellenden Arbeiten eine untergeordnete Stellung ein:
1. Peters, Beitrag zur Kenntnis der friesischen Sprache, ge-
schrieben im Jahr 1757, Falck's Staatsbürgerl. Magazin V, 1820.
S. 739 — 745, ist das § 18, 3 genannte aosdr. Wörterverzeichnis.
2. Z. E. und G. V., föhringisches Wörterverzeichnis von 1758, s.
§ 18, 4.
3. Outzen, Glossarium der friesischen Sprache, Kopenhagen
1837 (1824 vollendet), enthält verhältnismässig wenig a.-f. Wörter:
vgl. § 18, 7.
4. Mechlenburg, Abschrift von Outzen's Glossarium in Auszü-
gen, mit Hinzufügung der amr. Formen, Hdschr. in Hamburg, Nr. 7
des M.'sehen Nachlasses.
5. Mechlenburg, Deutsch-friesisches Wörterbuch, d. i. deutsch-
amr. Vokabular; Anhang dazu: a.-f. nomina propria, Hdschr. Nr. 4*>
des M.'schen Nachlasses.
6. Mechlenburg, Deutsch-nordfries. Wörterbuch, a — brettern,
nur für das Amr. vollständig, Hdschr. Nr. 4c des Nachlasses.
7. Mechlenburg, Amrumisch-Stedesandisches Vokabular: a, be,
e und f, Hdschr. Nr. 5c des Nachlasses. |
8. Mechlenburg, die deutschen Verba alphabetisch in Parallel-
spalten für das Afrs., Westfries., Wangeroog., Saterländ., Ags., Isl.j
und Amr., unvollständig, Hdschr. Nr. 4b des Nachlasses. !
9. Mechlenburg, Neubearbeitung des Vokalismus von Minssen s
(so wertvoll sonst, für das nordfries. Material gänzlich unbrauchbarem)
Aufsatz in Ehrentraut's Fries. Archiv I, S. 165 — 276, für die nordalbin-
gischen Mundarten; hier kommen zum Helgol. nicht in gleicher Voll-
ständigkeit ausgefüllte Spalten hinzu für Sild, Amrum-Föhr, Stedesand,
Enge, Dagebüll, Wiedingharde und Outzen; wie bei Minssen bildet die
Grundlage der altfrs. Vokalismus, dessen Quantität freilich oft genug
falsch angesetzt ist ; die Arbeit ist, wenn auch nicht ganz zuverlässig,
sehr wichtig für die vergleichende Lautlehre des A.-F. Die Hdschr.
befindet sich in Hamburg als Nr. 15a des M.'schen Nachlasses.
10. Mechlenburg, amr. Wörterverzeichnis nach den Vokalen
der Stammsilbe, und zwar für ü, u, ö, o, ü, ü, 8, ö, Hdschr. Nr. 4^
des Nachlasses.
11. Mechlenburg, Amrumsche Vokabeln, nach Begriffsklassen
geordnet: Subst., Verb., Adj., Adv., Hdschr. Nr. 4a des Nachlasses.
12. Mechlenburg, Deklinazion, Pronomina, Adverbia, Präposi-
zionen und die Ablautsreihen der amr. Zeitwörter, Hdschr. Nr. 2a des
Nachlasses.
13. Mechlenburg, Diminutiva im Amr., zur Bestimmung des Ge-
schlechts der amr. nom. substant., über die amr. Praeposizionen, Konjunk-
zionen, Praefixe, Interjekzionen u. s. w., Hdschr, Nr. 2c des Nachlasses,
31
14. Viel amr. Sprachstoff findet sich überall in Mechlenburg's
nachgelassnen Papieren; ich erwähne nur noch das Heft Nr. 2b, eine
Vorarbeit zu 1 1 und eine reiche Beispielsammlung für gleichlautende,
aber bedeutungsverschiedne amr. Wörter, Nr. 4b des Nachlasses.
15. Johansen, Die Seemannawittwe auf der Düneninsel, Kiel
1860, giebt S. 96 — 100 ein Paar in dem Buche vorkommende amringer
Wörter in alphabetischer Reihenfolge an, grösstenteils Fachausdrücke.
16. Clement*), Reise durch Friesland, Holland und Deutschland,
Kiel 1847, giebt manche sprachliche Bemerkung; vgl. S. 22, 17.
17. Clement, Heidelberger Jahrbücher 1847, S. 932—934, giebt
eine Aufzählung amr. Zeitwörter nach den Infinitiven auf in, en und
an, bei denen auf an mit Angabe des Praeteritums, S. 935 eine Be-
merkung über das schwache Praeteritum und Verbaladjektiv. Wieder
abgedruckt Ehrentraut, Fries. Archiv I, S. 290—294. '
18. Clement, Das westgermanische Element in der englischen
Sprache, Herrig's Archiv IV, 235 — 278, giebt einen ausführlichen
englisch-amringischen vocabularius rerum. — Dagegen Greverus, Be-
merkungen über die Abhandlung des Dr. Clement: D. wg. Elem. i. d.
engl. Spr., Herrig's Archiv VI, 81—88.
19. Clement, Über Wesen und Grenzen der breitenglischen
Sprache, Herrig's Archiv V, giebt S. 39 — 63 eine vergleichende breit-
engl.-amr.-engl. Wortsammlung.
20. Clement, Die plattdeutsche Sprache, Herrig's Archiv V,
giebt S. 310 — 325 eine nordhausen-amr. Wortsammlung.
21. Clement, Über Wesen und Abkunft der breitschottischen
Sprache, Herrig's Archiv VI, giebt S. 54 f., 58—60, 167—173, 297—314
ein breitschottisch-amr. Wörterverzeichnis.
22. Clement, Eigentümliche Elemente der frisischen (d. i. amr.)
Sprache, Herrig's Archiv IX, 179 — 187: Die Endung ens und lis;
«Üe drei frisischen Infinitiv-Endungen auf in, an und en; die weibliche
Endung ster; die Partikeln at und eat; die Vorsilben tu (ohne den
Ton) und tu (mit dem Ton); die Endung lith. Fortsetzung Herrig's
Archiv X, 136. — 147: Nachtrag zu der Endung ens; nordfrisische Di-
minutiven — der frisische Umlaut; nordfrisische Beinamen, Spitznamen
nüd Schimpfworte. Fortsetzung Herrig's Archiv X, 269 — 287: Der
Übergang des f in w bei Verlängerung des Worts; Ausdrücke und
Aasdrucksweisen (u. A. Gebrauch der Partikel am, das frisische Haus,
die Collectiv-Endung ang). Fortsetzung Herrig's Archiv XII, 71 — 81.
*j Bei 8ämmtlichen Schriften Clement's muss davor gewarnt werden, sich
meiner Darstellung wie seinen sprachlichen Angaben ohne Weitres anzuvertrauen. Die
ranze Darstellung dieses friesischen Nazionalfanatikers ist beeinflusst durch das
Vorurteil der nahen Verwantschaft des Amr. mit dem Engl, und entbehrt jeder
'«L**n3chaftlichen Objektivität. Selbst seinen Angaben amr. Wörter ist nicht immer
'u trauen; es kommt ihm unter Umstanden nicht darauf an, seiner Theorie zu Liebe
Hb amr. Wort dem engl, ähnlicher zu machen, als es in Wirklichkeit der Fall
i*t Seine Schriften sind nur mit äusserster Vorsicht zu benutzen.
B2
23. Clement, Schleswig, das urheimische Land des nicht däni-
schen Volks der Angeln und Frisen und Englands Mutterland, Ham-
burg 1862; 2. (Titel-) Auflage: Schleswig, das Urheim der Angeln und
Frisen, Altona 1867. S. 63 — 201 massenhafter Stoff zur Vergleichung
des englischen und amringischen Wortschatzes (S. 115 — 119 u. A.
vergleichende Übersicht der engl, und amr. unregelmässigen Zeitwörter,
S. 127 — 134 engl.-friesische Personennamen, S. 147 — 153 amr.-engl.
vocabularius rerum, S. 159 — 183 engL-nordfries. Ortsnamen).
24. Bohn*) in Rendsburg hat ein völlig unzuverlässiges, von
Unrichtigkeiten förmlich starrendes, amringisch-englisches Vokabular
1868 geschrieben, das jetzt H. Möller in Kopenhagen besitzt, 3 Quart-
hefte, 576 Seiten, angeordnet nach den Entsprechungen der Vokale
in beiden Sprachen, also 1) amr. a = engl, a, 2) amr. ö = engl, a,
3) amr. a — engl, i u. s. w.
25. Bohn, ein ebenso unbrauchbares „Friesisches Vokabularium
in der Amrumer Mundart 1884", 60 Quartseiten, ohne jede alpha-
betische oder sachliche Anordnung, im Besitz von H. Möller in
Kopenhagen.
26. Bohn, „Das friesische Element in der englischen Sprache.
In Briefen. 1885." Quartheft, 101 Seiten, im Besitz des Verfassers,
von dem gleichen wissenschaftlichen Wert, wenn auch manche Ein-
zelheit brauchbar ist.
27. Möller, Das altenglische Volksepos I, Kiel 1883, enthält
S. 85 wichtige Bemerkungen über die Verwantschaftsverhältnisse des
Amr.-Föhr.-Helgol.-Sildr., des Nordfries., des Altfries, und des Alt-
englischen.
28. Siebs, Die Assibilirung des k und g, Tübingen 1886, be-
handelt S. 37 f. s aus k, S. 40 j aus g und giebt S. 41 — 43 eine
Erklärung der Palatalerscheinungen im A.-F., S. 45 noch Anm. über
das s' aus fj in amr. s'&ur.
*) Bohn ist ein Schüler von Clement.
HALLE a. S. Otto Bremer.
33
Über Pommerns Anteil an der
niederdeutschen Sprachforschung.
Vortrag,
gehalten am 1. Juni 1887 auf der 13. Jahresversammlung
des niederdeutschen Sprachvereins zu Stettin.
Vom Vorstande unseres Vereines zu einem Vortrage für diese
Pfingstversammlung aufgefordert, konnte ich nicht im Zweifel sein,
worüber ich am zweckmässigsten sprechen würde: es musste ein Ge-
genstand sein, der den Bestrebungen des Vereines dienend, zugleich
dein Versammlungsort, beziehungsweise der Provinz, in der der Verein
tagt, sein Recht widerfahren Hess. Pommerns Anteil an der nieder-
deutschen Sprachforschung auseinanderzusetzen, schien mir eine pas-
sende Aufgabe, umsomehr, da ich als geborner Rheinländer den Vorwurf
partikularistischer Schönfärberei, eines engherzigen Lokalpatriotismus
nicht zu befürchten habe und doch während meiner jetzt schon
21semestrigen Wirksamkeit in Pommern Land und Leute kennen,
schätzen und lieben gelernt.
Während die Geschichte der niedersächsischen oder sogenannten
plattdeutschen Sprache schon Ende des vorigen Jahrhunderts an Kin-
derling einen Bearbeiter gefunden, ist bis jetzt eine Geschichte der
niederdeutschen Studien, der niederdeutschen Philologie noch nicht
einmal als Bedürfnis gefühlt worden. Auf diesem. Gebiete ist daher
noch alles zu thun. R. v. Raumer hatte in seiner Geschichte der
germanischen Philologie eine so gewaltige Aufgabe zu lösen, dass er
das Niederdeutsche nur im Vorübergehen streifen konnte. Die zufälligen
Nekrologe können hier nicht in Betracht kommen: mit Recht gilt ja
fnr sie, was die Wissenschaft nie zugestehen darf: de mortuis nil nisi
tane. Die Allgemeine deutsche Biographie freilich könnte einstweilen
aushelfen, aber sie lässt auch hier oft treulos im Stich: von wenigen
Aasnahmen abgesehen werden niederdeutsche Arbeiten entweder gar
nicht, oder nur unzulänglich besprochen. So führten mich die Vor-
arbeiten zu diesem Vortrage, unwillkürlich auf den Gedanken, selbst
eine Geschichte der niederdeutschen Studien, der niederdeutschen
Philologie auszuarbeiten. Schon jetzt bitte ich um gütige Unter-
stützung dieses Planes, der nur bei allseitiger Mithülfe ausführbar.
Nirgendwo zeigt sich ein so reges Interesse für die heimischen
Mundarten wie in niederdeutschen Gegenden. Diese auffallende Er-
scheinung hat Goethe schein und treffend zu deuten verstanden*): 'Zu
*) In seiner Besprechung der lyrischen Gedichte von Joh. H. Voss, Werke 32, 124.
Niederdeutsches Jahrbach. XIII. 3
34
einem liebevollen Studium der Sprache/ sagt er, 'scheint der Nieder-
deutsche den eigentlichsten Anlass zu finden. Von allem, was undeutsch
ist, abgesondert, hört er um sich her ein sanftes behagliches Urdeutsch
und seine Nachbarn reden ähnliche Sprachen. Ja, wenn er ans Meer
tritt, wenn Schiffer des Auslandes ankommen, tönen ihm die Grund-
silben seiner Mundart entgegen, und so empfängt er manches eigene,
das er selbst schon aufgegeben, von fremden Lippen zurück, und ge-
wöhnt sich deshalb mehr als der Oberdeutsche, der an Völkerstämme
ganz verschiedenen Ursprungs angränzt, im Leben selbst auf die Ab-
stammung der Worte zu merken.'
In der That lassen sich in niederdeutschen Gegenden schon früh
Spuren etymologischen, lexikalischen Forschens nachweisen. Diese
Bemühungen gewannen an innerer Kraft, Berechtigung und dement-
sprechend an Beachtung, als mit der Reformation das Hochdeutsche
in Niederdeutschland eindrang, eine fremde Sprache, die der nieder-
deutschen viel gefährlicher wurde als die lateinische Kirchen- und
Geschäftssprache. Man versuchte freilich den Einfluss des Hochdeutschen
zu brechen, indem man die Bibelübersetzung Luthers ins Niederdeutsche
übertrug. Pommern war bei dieser Arbeit beteiligt, wenn es auch
nicht, wie manche auch heute noch kritiklos annehmen, in Joh. Bugen-
hagen den Übersetzer stellte: Bugenhagen kann höchstens als intel-
lektueller Urheber einer der niederdeutschen Übersetzungen, es wurden
mehrere unternommen, gelten, der später der von ihm angeregten
durch Vorreden und Summarien ein grösseres Ansehen zu verleihen
suchte. Mit dem 17. Jahrhundert erlahmte der Widerstand gegen das
Hochdeutsche immer mehr, das Niederdeutsche hatte aufgehört Schrift-
sprache zu sein und wurde je länger je entschiedener zurückgedrängt.
Die Verehrer der heimischen Mundart suchten sie künstlich zu halten
und wurden durch dieses Streben immer nachhaltiger auf ein Er-
forschen des Niederdeutschen gefuhrt.
Von solchen ersten Anfängen niederdeutscher Studien in Pommern
muss ich absehen, gerade sie verlangen eine eingehendere Besprechung,
als die mir zu Gebote stehende Zeit erlaubt. Ich beginne mit dem
18. Jahrhundert.
Der eigentliche Begründer einer wissenschaftlichen Behandlung
und Erforschung der niederdeutschen Mundarten wie der deutschen
Sprache überhaupt, war G. W. Leibniz. Seine historischen Arbeiten
sowol wie seine Untersuchungen über das Wesen der Sprache und ihr
Verhältnis zum Gedanken machten ihn zum Begründer und eifrigsten
Beförderer deutschgrammatischer Studien. Er verlangte ausdrücklich
ein glossarium etymologicum 'vor alte und Landworte' und regte ver-
schiedene Gelehrte zur Sammlung des niederdeutschen Wortschatzes
an. Diesen Anregungen Leibnizens verdanken wir die niederdeutschen
Idiotiken, # welche im Laufe des 18. Jahrhunderts in üppiger Fülle
emporschössen. Pommern blieb nicht zurück.
Den ersten nennenswerten Versuch machte der Kolberger Pre-
diger Joh. Engelbert Müller, der um die Mitte des 18. Jahrh. die
in der Kolberger Gegend gebräuchlichen Wörter und Redensarten
sammelte. Die erste Nachricht von seinem Unternehmen gab er 1754
im 3. Bande der Pommerschen Bibliothek*), indem er zugleich an einem
ergötzlichen Beispiel die Notwendigkeit eindringender Studien des
Niederdeutschen nachwies. Ein Kolberger Schulrektor, der Prediger
Schumann, ein Eingewanderter, hatte sich auch aufs Niederdeutsche
rerlegt, aber ohne Kenntnis und daher mit entschiedenem Misserfolg.
;Henric van dages decanus' hatte dieser biedere Thüringer in einer
Urkunde gefunden und dabei gewissenhaft angemerkt: eine Familie
van Dages könne er nicht nachweisen. Dass V gelegentlich gleich
V, 'wan dages' gleich hochdeutschem 'weiland', 'vor Zeiten' sei, hatte
er nicht gewusst. Die Probe des Wb., welche 1756 der letzte Band
der Pommerschen Bibliothek**) brachte, zeigt, dass Engelb. Müller mit
richtigem Verständnis und unter Berücksichtigung der volkstümlichen
Bräuche gesammelt hatte. Sein Werk blieb handschriftlich, wohin es
gekommen, ist unbekannt.
Erst 1781 erschien das erste gedruckte Wörterbuch der Pom-
merschen Mundart: Plattdeutsches Wörterbuch nach der alten und
neuen Pommerschen und Rügischen Mundart von Joh. Karl Dähnert***),
Professor in Greifswald, ein für seine Zeit in jeder Beziehung ausge-
zeichnetes Werk. Dähnert, ein geborner Stralsunder, von Jugend an
mit der platten Mundart vertraut, hatte sich durch vieljähnge Be-
schäftigung mit den alten Urkunden, Gesetzen und Ordnungen Pommerns
eine genaue Kenntnis der niederdeutschen Schriftsprache erworben.
So wurde er von vielen um Erklärung einzelner Wörter und Redens-
arten gebeten, deren Dunkelheit ihnen Unruhe machte oder Verlust
drohte. Er sah bald ein, dass ein Missverstand bei alten Worten in
Rechtssachen einen ganz unrechten Ausgang und in historischen Sätzen
sonderbare Unwahrheiten veranlassen könne. So entschloss er sich
als Nebenarbeit ein Wörterbuch sowol der alten niederdeutschen Schrift-
sprache als der gesprochenen Mundart in Pommern auszuarbeiten. Er
sammelte mit ausdauerndem Fleisse aus Handschriften, alten Drucken
*owol wie aus dem täglichen Leben, was sich ihm darbot und suchte
*or allem die Bedeutung der Wörter richtig zu . bestimmen nicht blos
durch Beisetzung des hochdeutschen Wortes, sondern wo es Not that,
auch durch Entwicklung des Begriffes selbst. Auf etymologische Deu-
tungen Hess er sich kluger Weise gar nicht ein. Im Druck unterschied
er sorgfältig die Wörter der älteren Quellen von denen der lebenden
Mundart, erstere gab er in lateinischer, letztere in deutscher Schrift.
*) 'Der grösste Theil der Pommerschen Kinder,' sagte er a. a. 0. 375,
Verachten ihre Muttersprache, und taugen also vor sich alleine nicht völlig zu
Lesung der Urkunden, so mit ihrer Muttersprache reden. Diese, und seihst einige
auswärtige Gelehrte, können ein Pommersches Wörterbuch zum Dollmetscher
brauchen. Vielleicht möchten auch gar die grossen Sprachverständigen, welche die
Ähnlichkeit der verschiedenen Zungen untersuchen, einiges Licht daher nehmen.'
«) V, 172 fgg.
***) Die Allgemeine deutsche Biographie, IV, 700 fg., gedenkt des Wörter-
baches von Dähnert mit keinem Worte.
3*
%
Dähnerts Wörterbuch hatte seine natürlichen Lücken: schwerlich
wird es1 selbst bei langjährigem Sammeln und dem sorgfältigsten Auf-
merken je gelingen, den Wortschatz einer Gegend zu erschöpfen. So
lassen sich denn auch eine Reihe von Versuchen nachweisen, die
Dähnerts Arbeit ergänzen und berichtigen: alle nur handschriftlich.
Es lohnt nicht, sie einzeln zu besprechen. Keiner dieser Versuche
tritt mit solcher Anmassung auf wie das 'Wörterbuch der sassisch-
niederdeutschen od. sogenannten plattdeutschen Sprache. Ein Idiotikon
für Neuvorpommern und Rügen. Mit besonderer Rücksicht auf Ety-
mologie und Orthographie' von dem Greifswalder Theodor Drewitz,
aus d. J. 1820 — 30. In der Vorrede wird Dähnerts UnVollständigkeit
gerügt, ihm vorgeworfen, dass er auf die echte rechte sassische Or-
thographie u. Etymologie zu wenig Rücksicht genommen: das mutet
ganz Schellersch an, und in der That ist Karl Scheller, der Nieder-
sasse, Muster für Drewitz, ja auch sein rechter Gewährsmann für die
Beurteilung Dähnerts. Scheller kannte das Dähnertsche Wörterbuch
blos dem Namen nach, trotzdem nannte er es unvollständig*). Drewitz
begnügte sich damit den geschmähten Dähnert einfach abzuschreiben,
allerdings in niedersassischer Orthographie, mit ganz unbedeutenden
Zusätzen. Er kam mit dieser Schreiberarbeit blos bis cligt\
Dähnerts Vorrede schloss mit dem Wunsche, dass die schätzbare
hinterpommersche Sammlung seines Freundes des Praepositus Chri-
stian Wüh. Haken bald erscheinen möge, die vorteilhafteste Ge-
sellschaft für seine vorpommersche. Haken, durch seine Arbeiten auf
dem Felde der Provinzialgeschichte rühmlich bekannt, hatte während
seiner 22jährigen Wirksamkeit als Prediger in Jamund den Wortschatz
Hinterpommerns, besonders des Striches von Cammin bis Rügenwalde,
unter steter Berücksichtigung der Sprichwörtlichen Redensarten jnit
hingebender Liebe bearbeitet. Die Handschrift des Wörterbuches,
2 starke Quartanten, wurde bald nach dem Tode Hakens, um 1790 vom
Minister von Herzberg um den Preis von 100 «f für die Akademie der
Wissenschaften in Berlin gekauft, ist aber nie in deren Besitz gekommen
und war 1832/3 trotz eifriger Nachfragen nicht mehr auffindbar**).
*) Vgl. K. F. A. Scheller, Bücherkundc der Sassisch-Niederdeutschen Sprache,
Braunschweig 1826, 401 : 'Dähnerts Plattdeutsches Wörterbuch .... Ist mir nur
dem Namen nach bekannt, und, soviel ich höre, unvollständig. Mögte man bei dem
derzeitigen Sprachforschungseifer ein ganzes allgemeines Sassisches Wörterbuch
nach den vorhandenen Schriftdenkmälern bearbeitet haben, um nicht so viele unge-
nügende Bruchstükke zu erhalten, die, wie es scheint, keine grosse Aufnahme fanden."
**) Vgl. Pommcrschcs Archiv 1784, 388 fgg. Baltische Studien II, 147.
Proben brachten Brfiggcmanns Beschreibung von Pommern und Kochs Eurynome
(1806). Vgl. die Mitteilungen aus Briefen des Superintendenten Haken im achten
und neunten Jahresbericht der Gescllsch. für Pommerschc Geschichte und Alter-
thumskunde, Stettin 1836, 39 fgg. Nach dem Briefe Levezows in Berlin, a. a. O.
43 fg., war das Manuskript Hakens 1833 weder auf der Königlichen Bibliothek noch
in den Archiven der Kgl. Akademie der Wissenschaften. Levezow sprach die Ver-
mutung aus, es sei mit den Manuskripten von Oclrichs auf die Bibliothek des
Joachimthalschen Gymnasiums gekommen. Nach einer gütigen Mitteilung des Herrn
Dr. Bolte an mich findet sich auch dort keine Spur des Hakenschen Idiotikons.
37
Erhalten ist ein. weniger umfangreiches hinterpommersches Idio-
tikon, welches der Prediger Ho mann, in den Jahren 1822 — 32 zu
Budow bei Stolp gesammelt. Es sollte 1826 im Druck erscheinen,
wurde aber auf den Rat des Prof. Zeune in Berlin vom Verfasser
noch vervollständigt.
Als unter dem 21. December 1831 ein von Prof. W. Böhmer in
Stettin veranlasster Aufruf der Gesellschaft für Pommersche Geschichte
in Stettin erschien*), der zu allseitigen Sammlungen für eine Bear-
beitung der Pommerschen Mundarten aufforderte, stand Homann hoch-
herzig von seinem Unternehmen ab, besonders weil Bischof Ritschi
ein Sendschreiben 3. Januar 1832 erlassen, wodurch er alle Superin-
tendenten Pommerns aufgefordert, durch die ihnen zugewiesenen Geist-
lichen solche mundartlichen Sammlungen veranstalten zu lassen. Für
ein günstiges Vorzeichen des glücklichen Gedeihens der von ihm
angeregten Sammlung musste W. Böhmer es halten, dass bald nach
dem Erlass des bischöflichen Sendschreibens Homann sein hinterpom-
mersches Wörterbuch, einen stattlichen Folianten, der Gesellschaft zur
freiesten Verfügung stellte**). Rasch folgten kleinere Beiträge von
'2b Predigern, andere Mitglieder der Gesellschaft beteiligten sich so
gut wie gar nicht. Der beste Beweis, dass wir in Bischof Ritschi
einen Förderer niederdeutscher Sprachforschung in Pommern sehen
dürfen, dem wir Dank schulden. W. Böhmer versuchte***) die Ein-
sendungen 1833 zu verwerten, um Natur und Lage der Mundarten
*) Vgl. Bericht über die 8. Generalversammlung der Gesellscli. für Pom-
mersche Gesch. und Altcrthumsk., Stettin 1H82, 23 fg.: 'Prof. Böhmer berührte als-
dann die von der Gesellschaft überall in der Provinz veranlasste Sammlung und
Aufzeichnung von. Beiträgen zur Kenntnis der niederdeutschen Mundarten . . . und
verbreitete sich über den jetzigen Stand des mit glücklichem Erfolg betriebenen
Unternehmens . . . Dem verehrlichen Berichterstatter wird es alleiu gedankt, dass
diese lohnende Arbeit vorgenommen wurde und auf so umsichtige Weise erfolgt,
in welcher philologische Schärfe und historische Auffassung so glücklich vereinigt
?ind, dass sie jedem ähnlichen Beginnen durchaus als Muster vorgehalten werden kann.7
**) Durch die Liberalität der Gesellschaft steht mir der B^ind Ms. Fol. 5 zur
freien Verfügung. Er enthält auch das Schreiben Homanns, Budow, 5. März 1832,
an« welchem ich zur Ehre des uneigennützigen Mannes die folgende Stelle mitteile :
'lh ich seit etwa zehn Jahren schon auf den Gedanken kam, die verschiedenen
Provinzialwörter in hiesiger Gegend zu sammeln und dabei besouders auf die platte
Ansprache des gemeinen Mannes zu sehen, so hat sich nach und nach unter meinen
Händen ein ziemlich vollständiges und voluminöses Wörterbuch gebildet, welches
ioh Willens war einem Buchhändler zu übergeben, um solches zum Abdruck zu
Mordern. Diesen Entschluss fasste ich schon -im Jahre 1826, wurde aber durch
den Herrn Professor Zeune in Berlin, dem ich die Abschrift einiger Buchstaben des
Wörterbuches zur Probe eingesandt, veranlasst, bis jetzt damit zu zögern, um desto
vollständiger meine Absicht zu vollführen.
Indessen will ich gerne von meinem Vorsatz abstehen, da ich nun ersehe,
da*« dieser Gegenstand von der resp. Gesellschaft dor Pommerschen Alterthums-
kimde berücksichtigt werden soll, indem ich hoffe, dass die gemeinsamen Bemühungen
derselben etwas weit vollkommeneres zu bieten im Stande sind, vornehmlich, dass
die so sehr verschiedenen Dialekte oder Mundarten in Pommern ermittelt werden,
fterne will ich daher das Product meines zehnjährigen, so mühsamen Fleisses Ihnen
nach Stettin einsenden und zu Ihrer eigenen Disposition überlassen.1
***) Baltische Studien II, 139 fgg.
38
Pommerns in Umrissen anzudeuten. Unterstützt durch die Nachfor-
schungen des Oberlehrers Scheibert in Stettin, fand er, dass in
Pommern zwei gründlich verschiedene niederdeutsche Mundarten neben
einander bestehen, in der alle Unter- und Spielarten der Provinz be-
griffen, die eine sei rund, leicht, ohne alle Doppellaute, grosser Be-
hendigkeit fähig, die andere breit an Lauten, schwer bis zur Trägheit
und Härte, erfüllt mit gewissen Diphthongen und nachklingenden
Vokalen. Richtig erkannte Böhmer, dass zum Erreichen seiner Haupt-
absicht, einen vollständigen Überblick der Mundarten Pommerns zu
gewinnen, viel reichhaltigere, sorgfältigere Beiträge aus allen Gegenden
Pommerns eingehen müssten. Es ist schwer zu begreifen, wie Böhmer
auf Grund des unbedeutenden Materials, welches ihm zur Verfugung
stand, die eben erwähnte Einteilung der Mundarten Pommerns be-
haupten konnte. Dass er die mundartlichen Forschungen in den fol-
genden Jahren fortgeführt, ist nicht bekannt. Er starb 1842, ohne
dass er seine Absicht merklich gefördert hatte. Sein Aufruf konnte
übrigens leicht irreführen, wie Kosegarten gleich warnend hervorhob*).
Die Böhmerschen Proben der Pommerschen Mundarten gaben nicht
die einfache natürliche Gestalt der Sprache, sondern setzten etwas
darein, die gezierten künstlichen Ausdrücke zu gebrauchen, die nie
als Unterschiede der Mundarten gelten können. Bei Sprachforschungen
muss man sich zuvörderst an die einfache natürliche Sprache halten.
Ferner rügte Kosegarten mit Recht die gewählte Wortschreibung, die
zu sehr von der Etymologie abweiche und sich ganz der Aussprache
hingebe, keine Schrift thue dies, denn sie würde in heilloses Schwanken
fallen, wenn sie der unendlich schwankenden Aussprache sich ganz
hingeben sollte, ohne doch mit ihren Buchstaben den gesprochenen
Lauten nachkommen zu können.
Mit ganz anderem Erfolge als Böhmer richtete in den letzten
Jahren Ulrich Jahn seine Aufmerksamkeit auf das Volkstümliche
in Pommern: 1886 erschien seine reichhaltige Sammlung Volkssagen
aus Pommern und Rügen, in demselben Jahre sein Buch über Hexen-
wesen und Zauberei in Pommern. Noch ergiebiger wird seine Sammlung
Pommerscher Märchen sein, die den reichsten Ertrag für die Wissen-
schaft versprechen. Dankbar ist seine Absicht anzuerkennen, in seinen
Werken über Pommersches Volkstum zuverlässige Stoffsammlungen
für Untersuchungen über die Mundarten Pommerns zu bieten.
Während die bisher besprochenen Arbeiten, abgesehen von den-
jenigen Jahns, nur innerhalb Pommerns Anerkennung gefunden und
Nacheiferung geweckt, aber die Entwicklung der niederdeutschen For-
schungen nicht beeinflussen konnten, habe ich nunmehr einen pom-
merschen Gelehrten zu nennen, der durch seine mustergültige Bear-
beitung niederdeutscher Literaturwerke bahnbrechend wurde fiir die
niederdeutsche Philologie, und nicht blos für sie, sondern auch für
die deutsche Rechtswissenschaft, den Wolgaster Carl Gustav Homeyer.
*) Siebenter Jahresbericht, Stettin 1836, 64 fgg. (== Balt. Studien III, 176 feg.)-
39
Durch ihn und seine Ausgaben der sächsischen Rechtsbücher erhielt
die Beschäftigung mit niederdeutscher Sprache und Literatur einen
echt wissenschaftlichen Charakter. Was J. Grimm und Karl Lachmann
for die deutsche Philologie geleistet, das wurde hier mit sicherer Hand
und glänzenden Erfolgen an den bedeutendsten sächsischen Rechts-
denkmälern verwertet. Aus einer grossen Zahl von Handschriften des
Sachsenspiegels wurde die beste und korrekteste ausgewählt, die der
Ausgabe zu Grunde gelegt wurde, die übrigen nach ihrem Werte für
die Geschichte und Entwicklung des Rechtsbuches untersucht. Mit
jeder Ausgabe erweiterte sich die richtige Erkenntnis. Ebenso wuchs
das Register immer entschiedener zu einem erklärenden Index verborum
et rerum. Seitdem war es unmöglich niederdeutsche Literatur und
Sprache anders als streng wissenschaftlich zu behandeln.
Von den Sprachforschern, welche seit den dreissiger Jahren,
in der Zeit von 1830 — 1870, sich der niederdeutschen Philologie
zuwandten, erreicht nicht einer die wissenschaftliche Bedeutung der
beiden Pommern Joh. Gottfr. Ludwig Kosegarten und Albert
Hoefer. Beide Professoren in Greifswald, der eine für alttestament-
liche Exegese u. Orientalia, der andere für vergleichende Sprach-
wissenschaft und deutsche Philologie. Beiden entsank die Feder, ehe
sie ihre Lieblingsarbeiten, natürlich niederdeutsche, zum Abschlüsse
gebracht.
Beide wandten schon früh ihre volle Aufmerksamkeit dem Nieder-
deutschen zu und entschlossen sich jeder für sich ein pommersches
Idiotikon und ein mittelniederdeutsches Wörterbuch auszuarbeiten.
Hoefer trat Herbst 1838 mit dem Plane eines Wörterbuches der pom-
mersch-plattdeutschen Mundart hervor. Der fleissig gearbeitete Dähnert
sollte die Grundlage bilden, auf ihr sollte das neue Werk sich erheben,
welches den im Munde des Volkes erhaltenen Sprachschatz in mög-
lichster Vollständigkeit umfassen und sprachwissenschaftlich bearbeiten
wollte, ein Anhang sollte Volkslieder und Märchen bringen. Fast
gleichzeitig kündigte Kosegarten, der früher nur eine Neubearbeitung
des Dähnertschen Wörterbuches geplant, ein allgemeines Wörterbuch
der niedersächsischen oder plattdeutschen Sprache älterer und neuerer
Zeit an, welches von Ostern 1839 an erscheinen sollte. Erst 1856
erschien die 1. Lieferung des I. Bandes des Wörterbuches der nieder-
deutschen Sprache der älteren und neueren Zeit, 1859 folgte die 2.,
1*60 die 3.; alle 3 440 Seiten a — angetoget. Mindestens 20 starke
Quartbände hätte Kosegarten gefüllt, wenn er dem Anfang entsprechend
fortgefahren, 1860 starb er, 35 starke Folianten mit Vorarbeiten für
das Wörterbuch hinterlassend, aber nicht ein Artikel ist druckfertig
und doch legt jede Zeile Zeugnis ab für seine ausserordentliche Gelehr-
samkeit, seinen unermüdlichen Fleiss. Noch weniger gedieh ein anderes
Werk Kosegartens, seine Saxonia, welche verschiedene mittelnieder-
deutsche Schriften umfassen sollte, Meister Stephans Schakspil, das
niederdeutsche Hildebrandslied nach einem Druck des 16. Jh., das
niederdeutsche Heldenbuch, die niederdeutschen Volksbücher von den
40
7 Meistern, Griseldis, Melusina u. a. Der Druck hatte eben begonnen,
als der Tod den verdienten Forscher aus einer reichen und gesegneten
Wirksamkeit abrief*). Er hatte nur seiner Wissenschaft gelebt, nie
ehrgeizige Ziele verfolgt, so Hess er gerne die eigene Arbeit ruhen,
um für andere das Material herbeizuschaffen und sie bei ihren Unter-
suchungen zu fördern. Wie kaum ein anderer hat Kosegarten Mit-
forscher durch briefliche Auskunft unterstützt, er verpflichtete sich so
zu stetem Danke Jak. Grimm, Hasselbach, Klempin, K. E. H. Krause,
Karl Regel, Fried. Lisch, Carl Michael Wiechmann und viele andere,
und wirkte so in der Stille ungemein im Dienste der niederdeutschen
Forschung.
Hoefer kam gar nicht zur Verwirklichung seiner lexikalischen
Pläne, zuerst hemmte ihn die Rücksicht auf Kosegarten, dann Kränk-
lichkeit, so dass seine umfassenden, sorgfältigen Sammlungen sowol
für die nd. Schriftsprache als für die pommersche Mundart hand-
schriftlich geblieben. — Um der unverdienten Nichtachtung des Nieder-
deutschen entgegen zu treten und sich mit Ernst und Liebe um eine
gründliche Kenntnis desselben zu bemühen, begründete er 1830 'die
Denkmäler der niederdeutschen Sprache und Literatur nach alten
Drucken und •Handschriften', weil er der Ansicht war, dass es zunächst
auf die Veröffentlichung möglichst vieler niederdeutscher Denkmäler
ankomme. Nur 2 Bändelten erschienen, da der Verleger keinerlei Opfer
zu bringen geneigt war. Um so mehr wirkte Hoefer für Erforschung
des Niederdeutschen durch seine kleineren Aufsätze in seiner 'Zeitschrift
für die Wissenschaft der Sprache', der ersten sprachwissenschaftlichen
überhaupt, und in der Germania. Nach meiner Ansicht würde eine
besondere Ausgabe derselben noch heute eine wertvolle Förderung der
niederdeutschen Sprachforschung sein**).
Zum Schlüsse muss icli eines Dilettanten***) gedenken, der mit
leidenschaftlicher Begeisterung das Niederdeutsche erfasst und der dieser
Leidenschaft sein ganzes Vermögen, seine Zeit, seine Gesundheit opferte,
um 1885 unbekannt und arm zu sterben. Der Name dieses Schwärmers
ist Christian Gilow, wan dages Thierarzt in Anklam. Seine nieder-
deutschen Bücher Hess er auf eigene Kosten drucken, gegen 10 000 «f
opferte er dafür: er hatte sie im Selbstverlag, fand aber keine Ab-
nehmer. Er veröffentlichte u. a. 1S(>S 'Leitfaden für plattdeutsche Sprache
mit besonderer Rücksicht der südwestlich-vorpommerschen Mundart'
(176 Seiten), 1871 4De Diere as man to seggt un wats seggen' (unge-
*) Es ist ein Irrtum, wenn die Allgemeine Deutsche Biographie XVI, 744
behauptet, dass Kosegarten eine Reihe niederdeutscher Schriften unter dem Titel
'Saxonia' herausgegeben; nur der 1. Bogen, den Anfang des Stcphansohen Schach-
spiels enthaltend, wurde gedruckt, mit dem Tode Kosegartens aber der Druck ein-
gestellt, da kein druckfertiges Manuskript vorlag.
**) Vgl. meinen Aufsatz über Albert Hoefer, Jahrbuch des niederdeutschen
Sprachvereins X, 148 fgg.
***) Nach gütigen brieflichen Mitteilungen des Herrn Konrektors C. H. Oelgarte
zu Treptow a. d. Tollense.
41
fähr 800 Seiten), 1878 {de Planten, as man to seggt un wats
seggen. Botanisches und niederdeutsches Wörterbuch für Landwirte,
Ärzte, Apotheker, Theologen und Philologen.' 7 Bde. (circa 3700 Seiten).
1863 oder bald nachher machte er der Greifswalder Universitäts-
Bibliothek sein reichhaltiges vorpommersch-niederdeutsches Wörterbuch,
17 starke Quartbände, zum Geschenk: viele Spreu, aber auch viele
Goldkörner. Gilow war fest überzeugt, dass seine Arbeiten und Samm-
lungen Nutzen stiften würden, für sich verlangte er nichts: 'dat kümt
ierst na minen dode!' pflegte er zu sagen, wenn die Rede darauf kam.
Und er soll sich nicht getäuscht haben; seine Sammlungen werden
gute Dienste leisten, wenn endlich der Versuch gemacht wird, das
reiche Material, das in Greifewald, Stettin und anderswo aufgespeichert
liegt, für ein Wörterbuch der pommerschen Mundarten zu verwerten.
Ich werde Sorge tragen, dass es endlich geschieht, bitte aber, mir
über vorhandene Sammlungen, die mir unbekannt geblieben, Nachricht
zu geben.
Unzweifelhaft ist mir manche Arbeit pommerscher Gelehrten,
die nur handschriftlich auf Bibliotheken bewahrt wird, entgangen.
Das besprochene zeigt aber zur Genüge, dass Pommern sich nicht
blos eifrig zu allen Zeiten an der niederdeutschen Sprachforschung
beteiligt, sondern wirklich grosse Verdienste um dieselbe erworben
hat. Gerade Pommerschen Gelehrten und den von ihnen angeregten
Forschern haben wir es zu danken, dass die Beschäftigung mit nieder-
deutscher Sprache und Literatur zur Wissenschaft der niederdeutschen
Philologie gediehen.
Um so auffallender ist der geringe Anklang, den der Verein für
niederdeutsche Sprachforschung während seines 13jährigen Bestehens
in Pommern gefunden hat, die Prediger fehlen ganz, die Lehrer sind
nur sehr spärlich vertreten, zählt der Verein doch bisher in dieser
Provinz nur 22 Mitglieder, darunter mehrere Nichtpommern. Es ist
nicht leicht zu sagen, wer die meiste Schuld trägt, der Verein oder
Pommern. Ich möchte glauben, dass der Verein nicht genug Sorge
getragen hat, in Pommern bekannt zu werden.
Hoffentlich regt sich bald wieder in Pommern der alte Eifer für
die heimische Mundart. Der deutsche Unterricht an den höheren
•Schulen in Pommern sollte sich den Vorteil, den die niederdeutsche
Mundart der Schüler bietet, nicht entgehen lassen; durch richtiges
\ ergleichen hochdeutscher und niederdeutscher Worte, Wortformen
und Ausdrucksweisen würde das Gefühl für die Erkenntnis sprachlicher
Erscheinungen, des Sprachlebens überhaupt geschärft, und so die
Grundlage geschaffen für fruchtbringende Behandlung des gesammten
Sprachunterrichtes. Grosse und schwere Aufgaben hat die nieder-
deutsche Philologie in Pommern noch zu lösen. Vor allem muss der mund-
artliche Wortschatz Pommerns sorgfältig gesammelt und wissenschaftlich
verwertet werden und durch Vorgleichung mit dem anderer nieder-
deutscher Gegenden das sprachgeschichtliche Material gewonnen werden
iur die Geschichte der Kolonisation und Germanisation Pommerns.
42
Nicht minder wichtig und notwendig ist eine Geschichte der nieder-
deutschen Schriftsprache in Pommern, wofür es noch keine Vorarbeiten
gibt, während auf lexikalischem Gebiete die vorhandenen Sammlungen
einen kräftigen Grundstock bilden. Also Arbeit die Fülle. Möchten
auch in Zukunft die Pommern sich um die niederdeutschen Studien
verdient machen, damit sie ihrer Vorfahren sich wert erweisen.
GREIFSWALD. AI. Reifferseheid.
Laurembergs
handschriftlicher Naehlass.
Als ich im Juli des vorigen Jahres die Handschriftenverzeichnisse
der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen durchsah, stiess ich zu
meiner Überraschung auf verschiedene Werke von Johann Lauremberg,
die weder in der sorgsamen Ausgabe, welche Lappenberg 1861 von
den niederdeutschen Scherzgedichten für den Stuttgarter literarischen
Verein veranstaltete, noch in der liebevoll eingehenden und manches
neue archivalische Material verwertenden Monographie von L. Daae1)
noch sonst in den sich mit diesem Dichter und Gelehrten beschäfti-
genden Arbeiten erwähnt worden sind. Sind nun auch die meisten
dieser Handschriften nicht geeignet, durch ihren Inhalt das eingehende
Interesse des Litterarhistorikers in Anspruch zu nehmen, so bedarf
doch eine kurze Aufzählung an dieser Stelle um so weniger einer
Rechtfertigung, als zwei derselben auch einen schätzenswerten Beitrag
zur Geschichte der niederdeutschen Dichtung abgeben.
Schon von Lappenberg verzeichnet ist ein Werk Laurembergs,
welches erst 1660 nach dem Tode des Verfassers von Samuel Pufen-
dorf in Druck gegeben wurde: 31 Landkarten des alten Griechenlands
mit lateinischem Texte, betitelt:
V. Cl. JOANNIS LAURENBERGI GRAECIA ANTIQUA Edidit SAMU-
EL PUFENDORF. o. 0. u. J. Quer 4°. — Die Vorrede des Heraus-
gebers trägt das Datum „Lugd. Bat. prid. Eid. Quintil. 1660". Auf dem
Titel des kopenhagener Exemplars findet sich der handschriftliche Zusatz:
Amstelodami, Apud Joannem Janssonium, Anno Christi cId IQCLX.
Diese Arbeit muss den Soröer Professor lange beschäftigt haben;
J) Om Humanisten og Satirikeren Johan Lauremberg. Univereitetsprogram
i Anledning af Universitetets Holbergsfest 3die December 1884. Christiania 1884.
Fehlt bei Goedeke, Grundriss * 3, 236, ebenso wie Erich Schmidts fördernder Artikel
in der Allgemeinen deutschen Biographie 18, 58 f. Einige biographische Nachrichten
über Lauremberg bei A. Sach, Joachim Rachel 1869 S. 64—66 sind bisher unbe-
achtet geblieben.
43
denn die Kopenhagener Königliche Bibliothek bewahrt nicht weniger
als fünf verschiedene Handschriften derselben:
1) Mscr. Thott. 538 fol. „THE EAAAAOS Owotuto^i; y^YP*?130?-*
2 Bl. & 64 S. Text mit Tafeln 4- 3 Bl. klein Folio. Die undatierte
griechische Widmung von IwavvDs Aaupe^spyio? 'OXifapica Po&ocre-
oivw, d. h. an den durch seine Gelehrsamkeit berühmten Grafen
Holger Rosencranz (1574 — 1642), liefert uns wenigstens eine ungefähre
Zeitbestimmung und erklärt zugleich die kostbare Ausstattung der
Handschrift. Dieselbe ist nämlich sehr zierlich auf Pergamentblätter
geschrieben, deren Ränder gleich den Initialen reiche Vergoldung
zeigen. Die fortlaufende Erklärung der Karten und die Namen auf
diesen sind ebenfalls in griechischer Sprache abgefasst. Eine genaue,
doch minder prächtig ausgestattete Kopie ist
2) Mscr. Gamle kongelige Sämling 449 fol. auf Papier. Die
Zeichnungen sind auf gefirmstem Papier durchgepaust.
3) Mscr. Gamle kongelige Sämling 2139 in 4Q. „THS EAAAAOS
*7r/ni™<ns EIS ES OINAKAS AIHPHMENH, oU SiaypacovTat EAAAS
OAIRflS, MAKEAOMA, EnEIPOS, AXAIA, IlEAOnONlNHSOS,
KVKAAAES NHEOI, Otto *Ia>. Aaupe[/,ßepy(ou PoSotoACtou, taTpo^t)iX-
b;vo$.* Es sind nur 6 kolorierte Karten auf Pergament, im selben
Format wie 1 und 2, mit griechischen Namen, ohne erklärenden Text.
4) Mscr. Gamle kongelige Sämling 448 fol. „EAAAE. GR^CIA
ANTIQVA ET HODIERNA, Tabulis Geographicis illuftrata ac defcripta
ab JOANNE LA VRENBERGIO." Es sind 32 sehr sorgfältig gezeich-
nete Karten in etwas grösserem Massstabe und mit lateinischen Namen.
Ein Text fehlt.
5) Mscr. Thott. 539 fol. „THE EAAAAOS YnOTTnQSIE
rEürPA<MKH. Ali Iw. AaupefjßepYiou, Mz^'OLTzokfcou." 30 Karten im
Format von Nr. 4, mit lateinischen Namen, ohne Text.
6) Mscr. Thott. 221 fol. Tafeln in Grossfolio zu: „Domini Lau-
renbergii Praelectiones Geometricae in Academia Sorana elucidatae*.
7) Mscr. Thott. 1073 in 4°. „JOH: LAURENBERGII OTIUM
SORANUM ET PROBLEMATA AC QUjESTIONES ARITHMETICAE.«
W den beiden hierin enthaltenen Werken ist das erste, auch „Epi-
grammata exercitationibus arithmeticis accommodata* genannt (1 Bl. -+-
116 S. 4°), unter dem Titel „Ocium Soranum" 1640 zu Kopenhagen
in 4° gedruckt (vgl. Lappenberg S. 186); doch schliesst der Druck
*chon mit dem 61. Epigramm Xepcriou xeiparjiipiov, während in der
Handschrift noch fünf weitere Nummern folgen; Nr. 66 heisst Moucrawv
rc&xi. Bisher unbekannt war die angehängte Sammlung von 62
arithmetischen Aufgaben in lateinischer Prosa: „PROBLEMATVM AC
QVAESTIONVM ARITHMETHICARVM LIBER. JOAN. LAVREM-
BERG propofuit & folvit.« 1 Bl. -+- 39 S. 4°. Vorreden und Zeit-
angaben fehlen beiden Werken.
8) Mscr. Gamle kongelige Sämling 2047 in 4°, „Collectio poe-
matum Latinorum et Gallorum ad historiam saeculi XVII, u 35 Bl. 4°,
44
Enthält auf der letzten Seite ein Gedicht in lateinischen Trimetern,
betitelt: „Novis Sponsis Johanni Georgio Quirino Civi et Oenopolo
Hauniensi et Gertrudi Ulrichiae Conjugium felix et foecundum opto
J. L. Sorae 1647." Dass die Initialen J. L. auf J. Lauremberg zu be-
ziehen sind, wird unzweifelhaft durch die Thatsache, dass Morhof dies
Hochzeitsgedicht 1684 (Kiel BL 4b) zusammen mit desselben Satyra
und Querimonia herausgab. Vgl. Lappenberg a. a. 0. S. 193 und
Daae S. 29; Anhang S. IV.
9) Mscr. Gamle kongelige Sämling 2662 in 4°, betitelt: „MVSI-
CALISCH BALLET. Darin vorgestellet werden die Geschichte ARIONS.
Dem Durchlauchtichstem, Großmächtigstem Fürsten vnd Hern, Hera
FRIDERICH, dem Dritten Konig in Dennemarck, Norwegen &c. auch
Der Durchlauchtichsten Hochgebornen Furstinn vnd Frawen Frawen
Sophia Amalia, Koniginn in Dennemarck, Norwegen, etc. Zur Glück-
wünschung über die Geburt des Jungen Herleins Hertzogk Georg,
unterthänigst praesentiret, von Joh. Laurenberg. u 23 BL 4°. — Da
der Prinz Georg, welcher als Gemahl der Prinzessin Anna, der Tochter
Jakobs IL von England, in der Geschichte bekannt ist, am 21. April
1653 geboren wurde, vermögen wir die Entstehungszeit der Dichtung
genau zu bestimmen. Doch muss dieselbe entweder aus unbekannten
Gründen nicht dem Könige überreicht oder von demselben nicht be-
achtet worden sein1). Denn zwei Jahre darauf widmete Lauremberg
sie in gedruckter Gestalt dem Könige bei einer ähnlichen Gelegenheit.
Der Titel ist den Umständen entsprechend verändert:
MUSICALISCH | Schawspiel, | Darimi vorgestellet werden die Ge-
schichte | ARIONS. | Dem Durchleuchtiehstem, GroDmächtigstem Fürsten
und Herrn, | Herrn FRIDERICH dem Drit- | ten, König in Denmarck,
Norwegen, zc: | Auch | Der Durchleuchteten, Hochgebohrncn Fiirstinn
und Frawen, | Frawen SOPHIA AMALIA, | Koniginn in Dcnmarck, Nor-
we- | gen, ?c: | Zur Glückwündschung über die Huldigung | Des Durch-
leuchtigsten Printzen | Hertzog CHRISTIAN, <Sx. j Vnterthänigst prtefen-
tirt. || Copenhagen, | Gedruckt von Peter Morsing Königl. und Acad.
Buchdr. | Im Jahr 1055. | 5 Bogen 4*. — Die Vorrede ist unterzeichnet :
Sorae, Nomine Academiac f. Joh: Lauremberg. Vgl. Lappenberg S.
177 f., 191 f. und Daae 8. 02. Fehlt bei Goedeke, Grundrüs ■ 3, 213.
Auf den Inhalt des Ballets, in welchem sechs Oden (Genius,
Neptunus, Daphorinus [= Lauremberg], Arion) und sechs Chöre (drei
Furien, drei Tugenden, vier Schifter, Nereiden und Tritonen) mit ein-
ander wechseln, hier einzugehen liegt keine Veranlassung vor. Die
Handschrift weicht nur darin von dem späteren Drucke ab, dass sie
am Schlüsse noch eine in jenem fehlende niederdeutsche Scene enthält,
ähnlich wie in den 1634 zu Kopenhagen aufgeführten drei Zwischen-
spielen Laurembergs, welche Jellinghaus und Nissen in diesem Jahr-
buche III, 91 — 100 und XI, 145 — 150 mitgeteilt haben, knüpft die
x) Zur Taufe des Prinzen wurde ein Ballet „Die vier Elementen4* Kopenhagen
1653. 4° gedruckt und aufgeführt (Exemplar in Stockholm). Die Kopenhageuer
Bibliothek besitzt nur eine dänische und eine französische Übersetzung: „De tire
Elementer . . . forestillet den 17. Juli 1653, äff Tydskcn paa Dansk udsat af P. N. M.
(Köbenhavn 1653).tf HS. 4°. „Ballet des quatre elemens sur l'heureuse naissance
de Georges Duc de Holstein" (1653) 6 BL 4°.
46
Unterhaltung des kleinen Bauernknechtes mit der langen Magd, die
ihm noch zu klein zum Heiraten ist, an den eben dargestellten mytho-
logischen Vorgang an, den Spässen vergleichbar, mit denen der Pickel-
häring die ernsthafte Haupthandlung in den Schauspielen der englischen
Komödianten begleitete. Statt der Prosa aber hat diesmal der Dichter
die metrische Form gewählt, und zwar lassen die überschlagenden
Reime vierzeilige Strophen erkennen, welche allerdings nicht durch
Absätze hervorgehoben sind. Da jedoch der Bauerntanz inmitten eines
Singspiels erscheint, so ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Verse
wie die kleinen Possenspiele der englischen Komödianten nach einer
bekannten Melodie abgesungen wurden. Somit haben wir, wTenn wir
Ton dem nur aus dem Hochdeutschen herübergenommenen Liede
.0 Xaber RubbertÄ1) absehen, das älteste bisher nachgewiesene nieder-
deutsche Singspiel vor uns. Ich lasse nun den Text desselben folgen.
Bawrentantz zum Epilogo.
Ein Kurtzer dicker Bawer knecht, vnd lange Bawer Magdt.
K[necht.] Wor geistu hen, wor bliffstu doch,
du schmucke Kiene deerneV
Du weest, dat Ick di leve noch
vnd mag di sehen so gerne.
5 Wat achte ick, dat ein Hafman
mit sinem dantzen prale?
ein Buer Knecht ock woll danßen kan
vnd springen up vnd dale.
M[agd.] Mi dünckt, dit Volckschen althomahl
10 schodüvellen löpt hierbinnen,
se hebt sick up dem schönen Sael,
alß weren se nicht by Sinnen.
Wat was dat vor ein Sküßlick dinck*),
dät dar quam sacht her krupen?
15 Ick meend, alß ick dar nah by gingk,
Dat ick my scholde bepupen.
De Keerle, de up dem Spoke reet,
de makede vel vertöge;
he qverckede, lyck ein Varcken deit,
20 wen idt söcht na der Söge.
Kfnecht.] Ick wolde nicht vor twintig Marck
dar hebben up geseten,
idt sach mi an so glüpisch starck,
ick hadde my schier beschetcn.
25 Wenn ick up sülcker Söre skold
■) Niederdeutsche Volkslieder, Hamburg 1883 S. 109 Nr. 148. Vgl. weiter
unten: 'Pas Liederbuch des Peter Fabricius.'
*) Sie meint den Delphin, auf welchem der ins Meer gestürzte Arion ritt.
46
van unsem Dörpe wegriden
hen na de Stad, ick würde woll
tho bringen Jahres tiden.
M[agd.] De ruckelrey1) so dulken stund,
30 den düße Wiever sprangen,
dat Leed dat waß so kakelbund,
dat Se dar tuschen sungen,
se makeden sick so scheeff und krum
vnd schüddeden Buek und darmen,
35 se hüppeden dörch malkander rum,
alß wenn de Immen schwärmen.
K[necht.] Wat frag ick na sulck Hummethey?
ick acht idt nicht gar väle,
ick hold idt mit dem Lulckendey
40 und mit dem Lierenspäle8).
M[agd.] Wy hebben nichts tho dohn darmed,
lath unß van frien schnacken;
do ick di lest van frien seed,
du wisdest mi de hacken.
45 K[necht.] Wat schold ick dorvan koltzen8) mehr?
du bist noch veel tho kleene,
du schlöpst noch woll ein Jahr edr vehr
by diner Möhme allene.
l) Ein Hochzeitstanz; vgl. Schiller-Lübben, Mnd. Wörterbuch 3, 519 f.
') Lulkendey, Sackpfeife; Liere, Drehleier, deren über einen Resonanz -
kästen gespannte Saiten durch ein mit Harz bestrichenes Rad gleichzeitig zum Tönen
gebracht werden. Beide werden als „bäurische Instrumente u von Rist 1653 genannt
(Jahrbuch 7, 159). Ebenso erscheinen Lulkendey bei J. Burmeister, Xokjto;
xeoaffuivo; 1605 Bl. D 2a, Lüllckenpipe (— Lulkendey), Dudey, Schalmei, Flöyte
una Fidel bei E. Herlicius, Musicomastix 1606 Bl. B ij b. J j a u. ö., Lyre bei
Schlu, Isaac 1606 Bl. 42a, Lüll'kendey und Schalmey bei D. Friderici, Tobias
1637 S. 297 nur in den Händen von Bauern. Auch ein Mensch wird Lulkendey
genannt; bei Z. Zahn, Tragoedia fratricidii 1590 Bl. E ij b sagt Cain: „Getrost
vnd guter ding du sey, Sanct Yalten hab der Lilckendsy." Gabr. Rollenhagen,
Amantes amentes 1609 IU, 5: „Wei bistu denn, du lulkendeij?" Lyrum Lolle-
kendey als Refrain eines Tanzliedes bei Böhme, Altdeutsches Liederbuch Kr. 306
und Eitner, Das deutsche Lied 2, 251. Vgl. nid. lullepijpe, und Grimm, DWB 6,
1288. — In dem Freudenspiel „Tugend- und Liebes-Streit" (Bevern 1677 III,
5 Bl. Eijb; vgl. J. Meissner, Die englischen Komödianten in Österreich 1884
S. 111—126) fragt Pickelhäring die als Knabe verkleidete Silla: „Auff was
Instrumenten kanstu dann?" — Silla: „Ich verstehe etwas auff der Viol di gamba,
auff der Laute, auff der Zitter, auff der Harpffe, auff der Flöhte, und hab auch ein
gut Fundament auff dem Spinet zu spielen. u — Pickelhäring: „Was? Seynd
das die Instrument, einen grossen Herrn damit lustig zu machen? Weg mit diesen
Lappereyen, es seyen Bawren Instrument, und gehören in die Schencke vor die
Bawren -Knechte. Aber kanstu nicht auff der Sackpfeiffen, auff dem Runpelpott
[vgl. Korrespondenzblatt 7, 9. 8, 34], auff der Strofiedel, auff der Leyer, auff der
Maultrommel, auff dem Polnischen Bock? das seynd Instrumenta vor einen grossen
Herrn." — Silla: „In Cypern brauchen die Bawren solche Instrumente."
■) k o 1 z e n braucht G. Rollenhagen im Vorwort zum Froschmeuseler Bl. A 5h
vom Schnattern der Weiber und Gänse: „köddern, kolzen, kosen und kallen", vgl.
Grimm DWB 5, 1624. Bei Gerhard von Minden 31, 42 steht kolsen vom Gesang
der NachtigaL
47
M[agd.] Din Sch[n]ack den düvel richten döcht;
50 Ick kamer woll mit thorechte,
Ick heb ydt all so offte versöcht
mit Sivert unsem Knechte.
Iß idt din Ernst und iO kein tand,
dat du mi willest habben,
55 so giff mick etwas up de hand
vnd pype mick up de Habben1).
K[necht.] Sühe dißen dicken dahler dy
Ick up de habbe*) gäve,
und du skalt nahmals wesen my
60 de allerleffste Täve.
CHORVS VII.
Mit Trompeten und Heerpaucken.
10) Wichtiger als die bisher aufgezählten Stücke ist endlich das
Mscr. Gamle kongelige Sämling 20G9 in 4°: „Skimpgedichte, | Van
etliken Stücken na der itz | gebrückliken Mode, | Alse, Kleder, Sprake,
Poesie, &c. | In Nedderdüdisk gerimet." 34 Bl. 4°. — Der ungenannte
Autor ist, wie der erste Einblick in diese bisher nicht beachtete *) Hand-
schrift ergiebt, Lauremberg; es ist, um es kurzweg auszusprechen, die
älteste Fassung der vier berühmten Scherzgedichte, also vor 1652
entstanden.
Von der im Drucke veröffentlichten Gestalt (D) unterscheidet
sich der hsl. Text (H) erstens durch seinen Umfang; er enthält *42 -h
*1710 = *1752 Verse, die Drucke dagegen 42 -+- 456 -+- 798 -+-
494 -f- 696 -h 138 = 2624 Verse, also etwa die Hälfte mehr. Ferner
zeigt die Handschrift nicht die Einteilung in vier Bücher, sondern
ungehemmt durch Einschnitte und Überschriften, in behaglichem Plau-
dertone fliesst die Rede des Dichters fort. Nur bei V. *379 bedient
sich derselbe einer andern Einkleidung, indem er einem gleichgesinnten
Freunde das Wort erteilt und diesen drei Viertel dessen, was er selber
auf dem Herzen hat, in einem Bjriefe an Hans Wilmsen aussprechen
lässt. Das frische Vorwort in trochäischen Strophen ist beiden Re-
eensionen gemeinsam; den Epilog spinnt D zu 138 Versen aus, während
H sich mit 22 begnügt. Die Plusverse von D in den vier Scherz-
gedichten selber kennzeichnen sich als weitere Ausführungen desselben
Grundgedankens, veranlasst durch neu auftauchende Moden und Er-
eignisse, welche den patriotischen Zorn Laurembergs entflammten: so
1, 231 — 294 die Schilderung der französischen Kochkünste, 2, 563 — 590
") Zu V. 53—56 vgl. die Parallelen bei Gaedertz, Gabriel Rollenbagen 1881
S. 55. 66 und Das niederdeutsche Schauspiel 1, 70.
■) Habbe, Verlobungsgabe. Berghaus, Sprachschatz der Sassen 1, 629.
*) Wie ich während der Korrektur dieses Aufsatzes erfahre, hatte Herr Prof.
AI. Reifferscheid sich 1881 Notizen über diese Handschrift gemacht, welche er
gelegentlich verwerten wollte.
48
die Sitte der Favorbänder, 2, 349 — 498 die Parfüme Philipps von
Varan. Dagegen ist 2, 57 der Stich auf die schwedischen Röcke weg-
gefallen, da diese vielleicht nur kurzlebige Mode gegenüber der starken
Einwirkung französischer Sitte kaum in Betracht kam. Andere Zusätze
sind durch das Bedürfnis entstanden, an mehreren Stellen der Dar-
stellung einen Ruhepunkt zu gewähren und sie dann mit dem Beginne
eines neuen Abschnittes von neuem anheben zu lassen. Für das zeitliche
Verhältnis von H und D ist es bezeichnend, dass in H häufiger be-
stimmte Orts- und Personennamen genannt werdeu. In dem 4, 165 =
*1209 als nüchterner Beurteiler der Poesie auftretenden Hans Iver
hat man sicher einen wirklichen Kopenhagener Bürger dieses Namens
zu erkennen. Doch in der für die Oeflentlichkeit bestimmten Redaktion
D, welche solche persönlichen Anspielungen meidet, wird er zu einem
Anonymus; ebenso wird 4, 140 Kopenhagen zu v einer vornehmen Stadt",
3, 359 Hamburg zu „einer grossen Stadt". Und wenn der Dichter
in einer Zusatzstelle 2, 615 auf Hamburg hinzuweisen scheint, so thut
er es nur andeutungsweise. Die 2, 678, ebenfalls in einer H noch
fehlenden Partie, begegnende Nennung Kopenhagens war etwas Un-
verfängliches, da er hier nicht bestimmte Personen im Auge hatte.
Die Personennamen aber in D wie Lenke Bökeln, Else Klunds, Aalke
Quaks, Matz Pump sind nur typische Bezeichnungen einer ganzen
Menschenklasse. Alle diese Einzelheiten fuhren uns zu der Überzeugung,
dass H eine Vorstufe zu D und nicht etwa aus D geflossen ist. Es
ist leicht begreiflich, dass Lauremberg eine ältere Dichtung, die er
nach Jahren aus dem Schreibpulte nahm, in der angedeuteten Weise
ummodelte und erweiterte, dass er die etwas ungeschickte Fiktion des
Briefes um einer sachgemässen Teilung willen aufgab; aber ich wüsste
keinen Grund, weshalb Lauremberg oder jemand anders die seit ihrem
Erscheinen äusserst beliebten Scherzgedichte' hätte umarbeiten und
verkürzen sollen; als eine Auswahl in usum Delphini kann man II,
wie das Stück * 529— * 622 = 2, 135—236 ausweist, keineswegs
betrachten. Zu einer genaueren chronologischen Bestimmung der
Handschrift mangelt uns leider so gut wie jeglicher feste Anhalt; denn
gerade die Angaben von D, nach welchen man das Jahr 1651 mit
Sicherheit als die Abfassungszeit bezeichnen zu können meinte1)» lassen
hier im Stich. 1, 307, wo Lauremberg von seinen vor vierzig Jahren
unternommenen Reisen ins Ausland spricht, fehlt in H, und 1, 128 lautet:
Ik heb in veertein (statt vertich) Jahr vcl Hagen vul geakreven.
Von wo ab diese vierzehn Jahre, in denen man wohl nicht einen
blossen Schreibfehler wird erblicken wollen, zu rechnen sind, geht aus j
dem Zusammenhang nicht hervor; vielleicht vom Antritt seiner Pro-
fessur in Rostock (1618) oder seines Lehramtes in Sorö (1623) ah:
immerhin kommen wir auf ein erheblich früheres Entstehungsjahr des
oder der niederdeutschen Scherzgedichte, welche somit der 1630erschie- j
nenen lateinischen Satyra (bei Lappenberg S. 7!), vgl. 190) zeitlich näher j
') Braune in seiner Ausgabe 1879 S. VII f.
40
rücken. Auch an die Bemerkung Lappenbergs S. 213, dass viele
Stellen der Scherzgedichte an die 1633 von dem jüngeren Bruder
Laurembergs, Peter, veröffentlichte Acerra philologica erinnern, na-
mentlich die pythagoreische Lehre von der Seelenwanderung, darf viel-
leicht in diesem Zusammenhange erinnert werden. Die grosse Wasser-
flut, welche Lauremberg 3, 420 = *1016 erwähnt, bezieht E. Müller auf
das Jahr 1649, Latendorf und Braune auf 1651; doch auch in früheren
Jähren wird sich wohl ein derartiges Naturereignis nachweisen lassen.
E< blieben also von den von Braune geltend gemachten chronologischen
Indicien nur noch die Anspielungen im Beschluss V. 3 und 73 f. auf
das hohe Alter des Autors übrig; und diese gerade fehlen in der
Handschrift. Ich glaube deshalb diese Fassung noch in die dreissiger
Jahre des 17. Jahrhunderts setzen zu dürfen.
Über die Art der Entstehung giebt Lauremberg V. *1691 f.,
5l6i»S f. einen wertvollen Aufschluss, wenn er erzählt, dass er an drei
schulfreien Mittwochen das Ganze niedergeschrieben habe. Hierin liegt
zugleich eine Erklärung der nachlässigen Komposition.
Die naheliegende Frage, ob wir in H ein Autograph des Dichters
besitzen, muss leider verneint werden. Denn von zwei sicher von
Lauremberg herrührenden Schriftstücken, welche ich vergleichen konnte,
zeigt das oben unter Nr. 7 verzeichnete Otium Soranum (vor 1640)
schräge, kleine und zierliche Züge ohne Druck, ähnlich dem von Lap-
penberg gegebenen Faksimile einer Widmung v. J. 1619, und der bei
Iiaae S. 79 f. aus der Böllingschen Briefsammlung abgedruckte ebenfalls
lateinische Brief an Johann von Bielke vom 11. Okt. 1632 ist in grösseren,
aufrechtstehenden Lettern mit breiter Feder geschrieben, während die
deutschen Buchstaben in H nicht so glcichmässig in einer Linie laufen,
sondern eine ungelenkere Hand verraten. Endlich das Manuskript des
Arion von 1653 (oben Nr. 9) zeigt kleine, aufrechte und krause deutsche
Buchstaben, welche vielleicht dem Dichter selbst ihren Ursprung ver-
danken; der Bauerntanz aber ist wiederum von einem andern weniger
hübten Schreiber in schrägeren Zügen hinzugefügt.
Da somit H als eine Abschrift zu betrachten ist, welche sich
irgend ein guter Freund Laurembergs von seinem handschriftlich
kursierenden Gedichte nahm, so hat eine genaue Angabe aller ortho-
graphischen Abweichungen von der durch Braune treu wiederholten
Originalausgabe von 1652 kein Interesse für uns. Ich hebe nur hervor,
dass regelmässig sk (skilling, wünsken, fleesk), sl, sm, sn, sw (im
Anlaut) für seh, schl, schm, sehn, schw erscheinen, und dass e (vel,
li:ven, esel) oft statt e oder ee auftritt. Sonst wechseln mit einander:
eh — ee, ei — e (eigen, klenen), i — y, o — o, o — oh — oe,
& — u, u — uh — ue. Im Auslaut wechseln ch — g, g — k, d — t —
dt — th, von der regellosen Verdoppelung vieler Konsonanten im In-
and Auslaut abgesehen.
Hiedcrdeutechfts Jahrbuch. XIII.
50
Abweichungen der Handschrift Gamle Kong. Saml. 2069 in 4° von
Braunes Nendrnck der Originalansgabe 1652.
In hold V. 21 manch — 22 mange — 38 sick bald alle — 41 Anders skal.
I, 7 goden — 18 Quehm — 19 einen — 24 jemals sick — 28 weke —
37 ward — 46 Vehe — 49 wolde dohn — 70 Junffer — 71 fuhlem — 73 crem
— 84 ane — 91 Mine gdancken wil — 93 Skold ick ein Koepman — 94 bavceren,
u. f. hogen staet — 102 sölck — 108 darvan — 110 rekne — 113 keine — 119
Nein — 128 veertein jar — 129 övrst (statt man) — sülvcrn — 135 underskedcn
— 136 verleden — 139 kan idt syn — 141 kan — 164 den spönen — 188 Alß
Montaban, le Noir, und andre dergeliken, — 200 cirkel runde — 203 herum, alß
ging idt in — 226 hüfflicheidt — 228 mit swerem — 231—294 fehlen — 300 geest
— 302 sy (statt is) — 303—312 fehlen, statt dessen:
so feit my achter in etwaß dat noch iß slimmer,
*240 wyl eine fantasie der andern folget immer.
313 off ock eins — 315—319 fehlen, statt dessen:
♦243 wen he skoen paßlyck wehr tho sinen iahren kamen —
320 ick — 325 övr — 327 jegn — 329 men — 337 geskehn — 338. 345 gesehn
— 346 wen idt — 350 Stelte — 351 Daer hefft — 352 witten — 368 men — 377
iß halßgefahr — 378 Ick kan jo lichtlyck segn — iß wahr — 385 eine — 408
Ewigwehrender — 409 skal — 411. 427 ewigwehrend — 420 unden würd befinden
— 422 Zegen — 426 sköne stickde — 433 Men — 442 idt hülp doch nicht —
444 se in dat lock würd — 451 werd so wiedt vnd dick — 455 — II, 2 fehlen, dafür
ein andrer Übergang:
idt mach gähn alß idt geit, alß idt iß mach idt wesen,
*380 doch will ick juw to lest ein Breeffken laten lesen,
den my ein gode fründ vor weinig dagen skreeff,
de iver vnd de torn en dat tho skriven dreeff.
• syn Stil iß nicht formeert alß nu de nien poeten
afftellen' ere Rym. Wo iß he den gebeten?
*385 Van em ick juw ditmahl nichts anders seggen kan,
sine Moder iß eine Fruw, syn Vader iß ein Man.
syn nahm iß woll bekand in mangen düdsken Orden.
Desulve Man my skrifft mit nafolgenden worden:
Myn gode fründ, Hans Wilmsen, gy skölen weten,
*390 dat ick offtmalß in twifel bin geseten,
II, 3 wo men sick moet quelen, — 8 dar skal um — 9 men — 10 eine —
13 möst — Auf 20 folgen sechs in den Drucken fehlende Verse:
Darum, myn gode fründt, dcwyl ick wcet,
*410 dat gi van jöget up sind gewesen ein poet,
und ick darvör van velen werde gcholden,
twaer nicht vor almodisk, men van der art der olden,
so will ick juw mine mening apenbahren
vnd in Rym verteilen wat my iß wedder fahren.
23 vdtlendisken — 24 edder achten — 26 gesettet hefft — 27 högerem — 28 werd
spötlyck verachtet — 35 syn — 44 goet vnd bloet — 47 men enen billich — 4S
51
(Werst — 50 Sondern — 52 geringere — dem högeren — 63 hebben eine Mode
— 55 nu newliek begannen — 56 alß Capuciner Nunnen — 57 und 58 lauten:
*451 mit langen Swedisken rücken bet up de waden,
alß went de Sweden en also hedden gebaden.
66 Jens Skreder — gnoech — 69 schmucke fehlt — 70 altydt laten im — 71 weinig
— 74 dat men sehn köne — 87. 97 vele — 90 int apenbare — 93 tovörn hebben
— 103 hüpsk lyfffarvet — 109 nicht alto fast — 115 Sennepsköttel — 125
peluven — 127 darby syn gebliven — 132 de bahn — 133 skal men se nicht be-
lachen vnd — 134 se wat beters möten laten — 144 van dage — Statt 169—174
stehen zwei andre Verse:
*563 so dul vnd snakisk stellestu dy an,
alß wen du werest ein junck festeman1).
176 ere — 187 offtermahls — 188 wo my disse nacht wedderüm — 189 — 190 fehlen
192 ick kant — - 194 hedde — 195 sedder dat du — 196 sölken averlast — 199
gebrütet — 200 och nein, sede se, laet syn, idt deit my keinen skaden, — 201
dewyl — des ewigen Vaders — 202 liden gehrn — 204 nah Christlikem gebrueck
— 206 nichts — 207 Margrete sede — 208 men des avends dat — 210 hoch van
nöden — 211 möge — 216 hefft binnen — 217 helft fehlt — 235 konde men —
251—305 fehlen; dafür ein kurzer Übergang:
also konden se erredden ere tucht vnd Ehr,
wen skoen eine klene skande darby wehr.
Överst wat skal men vele dar van skriven,
*640 idt wcrd doch by dem gemenen Sprickword bliven,
alß de olden pipen vnd singen,
also ock de jungen dantzen vnd springen,
in stede dat men skolde gewehnen de Jöget
nicht tho üppicheidt, men tho aller döget,
*645 findet men wol Oldern, de sick sulvest rühmen
308 heruth moten putzen — 310 ummesmöltcn — 312 skölen dragen — 318
dochtern — 321 fruwen -— 322 idt junge princessen weren — 339—498 fehlen —
499 Dat hyr kein raeth tho iß, kan men lichtlyck sluten, — 500 wyl — 503
Övericheidt ernstlike Mandaten — 522 wol lichtlyck — 523—524 fehlen — 526
So fehlt — 527—530 lauten kürzer:
♦705 Kleder und Semmel, wo kan sick dat flasken?
idt kumt darbi alß Sla Botter in de tasken.
531 Idt iß waer; men — 535 — 542 lauten kürzer:
*711 De gelikenissen willen by my nicht lenger loseren,
se kamen unvermoedlyck heruth marseren.
545—546 fehlen — 563—590 fehlen, statt dessen folgen zwei Verse über die Krämer:
♦731 ock late ick gerne verdenen dem Kramer,
dar he düdisk beer vor drincken kan im Somer.
592 so brave sko mit hörne — 593—594 fehlen — 599—602 fehlen — 608 kruscn
dubbelden — 611 bis III, 150 fehlen. Als Übergang dienen folgende z. T. an III,
89—92 anklingende Verse:
Dit alles hedde nicht vel tho bedüden,
wen ^eme andere doerheit were by den lüden,
*) dänisch fastemand, Bräutigam.
5&
de aller bedröveste und slimmeste sake
*750 iß de nie alemodiske sprake,
de nu vor etliken weinig jähren
iß upgekamen vnd niegebahren.
III, 151 de düdiske sprake so dull nu geidt, — 154 so moet men fragen —
159 gerömet — 160 genömet — 162 wolden — 175 dat krumme waß skeeff —
176 Möwen, ein groet lepel sleeff — 178 Mchrkatte — 183 plegen — 189—196
fehlen — 198 keine Dame, kein Monsör — 202 vnd en — 206 edder Margrete —
220 De fehlt — kramerjungens — 221 Stajjungens — 225 Wen idt — were —
231 wolde — 247—250 lauten kürzer:
*841 Laet de Frantzosn Monsör, de Engelsken Lord bruken,
vnd alle beide einen densken Lord upsluken.
255 steit so — 256 vnd Adder — 262 den Böcken — 263 Junckfrowen — toern
— 264 ohrn — 267 is fehü — gebrueck — 270 Her fehlt — 298 pfelgt — 305
und leep hen — 311 dar, so dick alß mehlen brie, — 316 men do ein nah dem
andern de — 317 Sterne — 318 gerne — 330 sach men twisken sine tene herfleten
undr de banck — 343 gy seden io tho my — 345 juwe sprake was verplümpert,
de wörde de gy spreken — 346 weren tho samen geskraept — 354 up juwe —
355 gnedige — Auf 356 folgen zwei Verse:
wille gy van den Koken Küß in Ers maken,
*950 se skolden vor potase juw woll potaske kaken.
358 willn — 369 Tho Hamborg in der Stadt — 365 müste — 366 sick seiden —
378 van frantzöscker — 380 an sprake hed — 393 slechtem — 406 dat men —
408 ein groff buerknulle — Hinter 412 folgen noch zwei später nachgetragene Verse:
*1007 darmit ertögt men Ehr. vnd kan ock Ehre bekamen,
dorch eines andern rohm krigt men sulffst bogen namen.
427 bald verdruncken — 428 skyr versuncken — 429 tituleert — 430 geehrt —
433 uth der lüde gode gunst — 445 Oappelan — 451 nohmen sick — 452 holten
— 456 vam Weltlikem — 457 tröstlyck — 466 erfrösken — 466 drösken —
473—474 lauten:
iß he ein Mester, als wehr he ein flegel,
♦1070 so moet he am ersten drincken sinen pegel.
483— IV, 30 fehlen.
IV, 31 mochte — 40 were ere — 41 desulve — 46 wammes — 50 na ambra
roeck — 51 smerige — 58 latin dat hebb — 59 hcbb — 66 gern fehlt — 77 vele
— 86 drept nu nicht — 88 den büdel — 89 erde — 97 sinen oldfrenkisken Kledern
— 99—102 fehlen — 102 her fehlt — 110 newlyck vam Parnasso — 112 versk —
113—114 lauten:
*1157 de krigen wol tho verehring up ein mall
etlike hundert daler vnd grote pocael.
117 armen — vele — 120 darvur — 126 helpet — 136 dede — 137 verbrüdeden
fehlt — 139—140 lauten:
♦1183 Idt iß nu ungefehr ein Maendt verflagen,
dat ick kam hen na Copenhagen —
146 stücksken — 153 under — 154 skönste — 160 bald alse — 161 wilt my so
vel to — 166—166 lauten:
53
de man de hyr waent heet mit nahmen Iver,
♦1210 de iß etlike jar gewesen Skriver,
168 sülffst — 170 em fehlt — 172 eine fehlt — 177 Here — 184 lille fehlt —
186 gewißlick — 188 jungen fehlt — 191 hedde — 195 feren — 196 Heren —
203 hüt — 204 geldt — 219 velichte — 220 lehren — 229 gelück — 240 ein —
243 my doch van andern — 248 wor se men etwas — 252 Dat fehlt — 256 een
— 258 alle staetlike poeten — 268 ander gelesen — 272 de er einen finger —
276 gekarment — 287 also köstlick — 288 dem — 307 So fehlt — 311 geldken
— 318 gejaget — 320 alle — 327 helpt — 329 men — - 337 nehmet — und fehlt
— 339 kop rechte krueß — 346. 413 ftver — 350 my nicht rechte woll geraden
— 352 perle — 362 swestern — 367 sinen — 370 harte — 371 sede iß, iß velichte
all — 372 nicht all — 373 gemene — 375 hil — 384 alleen — 389 Fruwe — 392
wurd — 409 würde — 416 simpel — 430 So suver vnd subtil alß hed se de Bück
pelickt — 433 vor kerten dagen — 434 Twaer fehlt — 435—436 lauten:
doch kan ick se nicht laven, alß de hebben gedahn,
*1480 de sick up de Zierlike poesie nicht verstahn.
442 dat iß de rechte maneer — 442 Men fehlt — 443 ander iß — 454 int getall
— 460 dem Apollo geskenckt hefft — 461 Ryme — 474 könne — 476 edr wo —
477 de tal — 478 keden — 485 gnawen — Auf 486 folgen vier neue Verse:
*1531 underdessen heb ick mine Vers nah Marken geskreven,
nah Lübsken vnd Densken Marcken uthgegeven,
darher kümt, dat men in einem Kirne find
eins so vel silben alß in dem andern sind.
500 den andern — 510 einer moet — 513 de strengen Critici — 514 disse Sake
— 525 ene — 528 ewer — 530 sind — 533 was plump — 539 unser — 543 noch
licblicheitt — 554 wyl gy se — 562 was also iß se — 563 juwe de — 564 de Böker
vnd skrifften — 566 gedrückt — 572 alß were se — form gegaten — 581 överst
wen men — 582—583 lauten:
*1630 dar höret men, wo sick de spraken verandern,
in der Paltz, Switz, Swaben, Düringen.
590 Kekelreme — 600 jeder — 601 willn — 609—668 fehlen — 673 Veh — 677
de Rackers moten unse villen — 683 s6de — 686 Brüde dine moder, Hans. — 687
keke — 690 late — 695 sülvest — Auf 696 folgen noch vier Verse:
♦1685 Dit hebb ick, gode fründt, an juw willen skriven,
ick bidde, gy willen idt by juw laten bliven,
vnd sydt mit juwen hußgesinde altomale
fründtlyck van my gegrötet. Vale.
Der nun ohne Überschrift folgende Beschluss hat nur die beiden ersten und
die vier letzten Verse mit den Drucken gemeinsam; V. 3 — 134 fehlen.
Wol disse mine Rym werd lesen edder hören,
*1690 werd seggen: wo hefft sick de geck laten bedören,
dat he dre gantzer daeg, dar tho twe halve nacht
hefft mit dem lumpen werck tho maken tho gebracht!
Ick segge idt sülvest ock. Doch na der arbeit rüsten
vnd, wen men möde iß, syn gemote etwas erlüsten,
♦1695 dat lehret de Natur. Men kan nicht alle tydt
54
an ernst like dinge anwenden sinen flydt,
ein Baeg, de immer blifft gespant, kan lichtlyck breken.
Alß ick skreeff disse Vers, dat wehre dro Middeweken,
dat sind de Rowe daeg, den rowet sick ein jeder,
♦1700 den iß de Skole frie, den fieret de Cateder.
Woll dit nicht lesen will, de mach idt bliven laten.
Kan idt dem, de idt list, nicht anders wor tho baten,
So kan he doch darmit verkörten sine tiden,
nndr dessen he dit list, werd en de Maer nicht riden.
♦1705 thom weinigsten werd dit papicr sick dartho skicken,
dat men nicht nödich hebb, de finge r tho beklicken.
Alj} einem steit de Kop, vnd em licht in den Sin,
darna em plegen ock de Würde fallen in.
Ditmahl helft disse skimp my so behaegt vor allen.
*1710 Ein ieder Nar leth sick syn Kapken woll gefallen.
Nur um den Rest der Seite zu füllen, hänge ich noch ein paar
Bemerkungen zu Lauremberg an.
Scherzgedichte I, 82: Swaenke begegnet als Hundename auch
bei Petrus Pachius, einem aus Colberg gebürtigen, später in Stockholm
ansässigen Schulmeister, über den ich in der Allgem. deutschen Bio-
graphie 26, 794 f. gehandelt habe, in seinem Missus 91 (1639): 'Man
muß offt auch einen pechschwartzen Hund Schwaneke heissen.' Diese
Stelle spricht für die Ableitung von Schwan, nicht von Susanna oder
Sven (Lappenberg S. 213).
Lappenberg glaubt in dem von ihm S. 149 (vgl. 267) abge-
druckten nd. Hochzeitsgedicht v. J. 1689 V. 21 eine Anspielung auf
den spanischen Bühnenhelden Don Juan, welcher durch Molieres Be-
arbeitung des spanischen Dramas (1665) bekannt wurde, annehmen
zu müssen. Jedoch eine unbefangene Betrachtung der Verse:
Dat makt dat lopen dör de weit, dat reisen mannigfalt,
Davan kumt, dat des vaders brook dem söhn nich mehr gefalt:
Den wen Don Jan ut Spanjen kumt, so het he hoge reden,
so kent he use katt nicht mehr, so geit he deftig treden ....
lässt in dem hier geschilderten Nachäffer ausländischer Moden viel-
mehr einen Vorläufer von Holbergs unsterblichem Jean de France
(1722) erkennen.
BERLIN. Johannes Bolte.
55
DasLiederbuehdesPetrusFabrieius.
(Mit einer Musikbeilage am Schlüsse des Bandes.)
Unter den Schätzen der königlichen Bibliothek zu Kopenhagen
liegt bisher unbeachtet1) ein als Mscr. Thott Quart 841 bezeichnetes
deutsches Liederbuch aus. dem Beginne des 17. Jahrhunderts, welches
durch die grosse Zahl der Texte sowohl als besonders durch die Fülle
von Lieder- und Tanzmelodien sofort meine Aufmerksamkeit erregte.
Später hatte Herr Bibliothekar Justizrat Chr. Bruun die Güte, auf
mein Gesuch die Handschrift zu bequemerer Durchforschung nach
Berlin zu senden, wofür ich auch an dieser Stelle meinen Dank aus-
zusprechen nicht unterlassen will.
Das Liederbuch enthält 152 von einer zierlichen Hand beschriebene
Quartblätter *) und ist abgesehen von einem nach Bl. 25 ausgerissenen
Blatte und zwei weiteren hinter Bl. 139 fehlenden wohl erhalten, der
grüngefärbte Pergamentband ist noch der ursprüngliche. Über Ent-
stehungszeit und -ort geben uns mehrere Unterschriften der ersten in
Lautentabulatur aufgezeichneten Melodien hinreichenden Aufschluss.
BL 8a Nr. 1 heisst es: 'Suo Petro Fabritio in longaevam sui memoriam
ponebat Bostochi Petrus LaurimontiusS — Bl. 10a Nr. 6: lP. L. ponebat:
— Bl. 12a Nr. 8: 'Amico suo clarissimo Petro F. Ponebat. Petrus Lau-
rimontius: — Bl. 17a Nr. 15: 'Petrus Petro Ponebat.' — Bl. 19b
Nr. 20: 'Atnoris et benivolentiae Ergo amico suo clarissimo Petro F.
ponebat hoc P. Laurenberg: — Bl. 102b: 'Praeambulum P. P: —
Dieser musikkundige Petrus Laurenberg oder Laurimontius ist kein
andrer als der wohlbekannte ältere Bruder Johann Laurenbergs; er
wurde 1585 zu Rostock geboren, im April 1605 ebenda immatrikuliert
und zog, nachdem er im Sommer 1607 zum Magister promoviert
worden war, 1608 in die Fremde; 1624 erhielt er die Professur der
Poesie in seiner Vaterstadt und starb daselbst 1639 8). Über seinen
Freund Fabricius, den wir als den eigentlichen Sammler und Besitzer
des Liederbuches ansehen müssen, gewährt Mollers treffliche Cimbria
litterata 1, 167 (1744) erwünschte Auskunft: Petrus Fabricius, 1587
in Tondern geboren, also um zwei Jahre älter als Peter Laurenberg,
studierte seit März 1603 in Rostock 'Petri Laurenbergii äuctv? Ma-
thematik und alsdann Theologie; Martini 1608 erlangte er die Magister-
würde, 1613 erhielt er ein Pfarramt in Bulderup bei Tondern, später
*) Uhland benutzte für seine Volksliedersammlung von Kopenhagener Hand-
schriften nur das Mscr. Thott fol. 778.
*) Scheinbar nur 151 ; aber Bl. 8 ist irrtümlich zweimal gezählt.
•) Allgem. deutsche Biographie 18, 59. Die Daten aus der Rostocker Ma-
trikel über Lauremberg und Fabricius verdanke ich der Güte des Herrn Dr. A.
Hofmeister.
56
ein andres in Warnitz bei Apenrade, wo er 1651 starb. Obwohl er
'vir ezirnie doctus artiumque tnathematicarum peritissimus' genannt wird,
scheint sich seine litterarische Thätigkeit auf die Herausgabe von
Kalendern beschränkt zu haben. Halten wir diese Thatsachen mit den
erwähnten Notizen des Liederbuches zusammen, so ergiebt sich, dass
die Handschrift vor 1608 und nach 1603, wahrscheinlich sogar erst
nach 1605 in Rostock von den beiden Studenten Fabricius und Lau-
renberg angelegt wurde: doch steuerte der letztere nur einige durch
die abweichenden Züge leicht kenntliche Singweisen bei. Alles Übrige,
namentlich alle Texte, rührt von Fabricius her; auch ein späterer
Besitzer des Codex, der auf dem letzten Blatte eingetragene „Jacobus
Erasmi Bipensis1) Anno 1659 L.,tf hat nichts Neues hinzugefügt.
Den Inhalt bilden: 1) 190 durchgezählte Lieder auf Bl. 8a — 75b.
85a— 95b, ferner 6 Lieder ohne Nummer auf Bl. 98b— 100a. 141— 144b.
— 2) eine ungefähr gleiche Anzahl von deutschen und ausländischen
Tänzen in Lautentabulatur auf Bl. 76a— 84b. 97a— 98a. 101a— 140b.
— 3) 26 Choralmelodien in Lautentabulatur auf Bl. 145a — 148b. —
4) Verschiedene Reime, Rätsel und Scherze auf BL la — 7b. 149a — 150b.
Die Lieder, welche uns hier allein beschäftigen, sind sorgfältig
geschrieben, die Strophenanfänge durch rote, grüne oder gelbe Tinte
ausgezeichnet; über jedem Liede steht, vom Texte getrennt1), die zuge-
hörige Weise in Mensuralnoten oder in deutscher Lautentabulatur oder
auch in beiden; bisweilen aber ist der hierfür bestimmte Raum leer
geblieben. Rings um den Rand jeder Seite sind Sprüche heitren und
ernsten Inhalts eingetragen, wie: 'Viel geschrey weinich wollen, sagt
iener, beschar ein sauw,' 'Kunst wil gerete haben, sagt iener, kemmt
sich mit einer mistgabell' u. a. Gegen das Ende der Studienzeit
scheint Fabricius eifriger theologische Vorlesungen besucht zu haben;
denn aus diesen stammen wohl die Randcitate aus Augustin (Bl. 133a.
135a), Luther (130a. 136b), D. Wolf Scuerus de Luthero (130b),
Eobanus, Philippus (133b). Die Lieder kann man scheiden in moderne
Gesellschaftslieder und ältere Volkslieder. Unter den ersteren, na-
mentlich unter Nr. 1 — 70, mögen sich auch eigene Dichtungen des
Rostocker Studenten befinden, der den jungen Mädchen seiner Be-
kanntschaft durch akrostichische Namenlieder huldigte und sich öfter
dies Geschäft durch wechselnde Anordnung derselben Strophen er-
leichterte. Meist jedoch benutzte er offenbar ältere gedruckte Lieder-
sammlungen, vor allem wohl die 1602 zu Deventer erschienene Pauls
von der Aelst: 'Blum vnd Außbund Allerhandt Außerlesener Lieder vnd
Rheymen3).' Auch mit dem Frankfurter Lieder-Büchlein von 1582*)
stimmen viele Nummern überein. Aus den beiden niederdeutschen
') Ebenso auf Bl. la: „Nicolaus Erasmi Bip:" und darunter „Jac: Eras:
Bip:" Moller, Cimbria lit. 1, 160 nennt einen Theologen Andreas Erasmi Ripensis,
der mit diesen offenbar verwandt war.
*) Die Unterlegimg des Textes stösst daher bisweilen auf Schwierigkeiten.
*) Hoffmann von Fallersleben, Weimarisches Jahrbuch 2, 320 — 356.
4) Das Ambraser Liederbuch, hrsg. von J. Bergmann 1845. Über andre
Ausgaben vgl. Hoffmann von Fallersleben, Findlinge 1, 150—152. 371—376.
57
Liederbüchern Ulilands und deBoucks1), -welche dem Anfange des 17.
Jahrhunderts angehören, finden wir bei Fabricius 42 Nummern, darunter
35 mit den zugehörigen Singweisen versehene1), wieder, nämlich Nr.
2. 14. 17. 18*. 20. 21. 25. 33. 34. 35. 37. 38. 44. 45. 68. 70. 76*.
82. 84. 95. 102. 112. 113. 114. 123. 126. 128. 129. 130. 132. 135.
137. 138*. 140*. 141*. 142. 143. 144*. 145. 146. 149. 152*, aber
durchweg in hochdeutscher Gestalt. Nur vier der angeführten Lieder
(Nr. 135. 140*. 143. 144*) haben den nd. Dialekt bewahrt, bei den
übrigen verrät hin und wieder eine vom Hochdeutschen abweichende
Form die norddeutsche Heimat des Schreibers. Im ganzen kann man
sagen, dass Fabricius uns nicht viele wirklich wertvolle Liedertexte
aufbewahrt hat, die nicht schon aus anderweitigen Quellen bekannt sind.
Anders steht es mit den Melodien. Diese verleihen durch ihre
grosse Anzahl unserm Codex besondre Bedeutung und den Vorrang
vor vielen sonst gleichartigen Liederhandschriften des 16. — 17. Jahr-
hundertss). Mehrere hat Fabricius offenbar aus den gedruckten Lieder-
sammlungen gelehrter Tonsetzer wie A. Scandello, J. Meiland, L. Lechner,
X. Zange, Caspar f?J Husmann — diese nennt er gelegentlich selber
— entnommen; andre finden wir bei J. Regnart4) (1576), H. Dedekind
(1588), M. Franck (1602), Val. Haußmann (1608), J. Staricius (1609)
wieder; noch öfter werden dem Sammler hsl. Liederbücher andrer
Studenten oder der lebendige Volksgesang als Quelle gedient haben.
Wo ihm ein mehrstimmiger Satz vorlag, schrieb er nur die Melodie
aus und fugte zu dieser in der Regel eine Lautenbegleitung hinzu;
zwei- oder dreimal jedoch giebt er einen zwei- oder dreistimmigen Satz.
Es niuss einer demnächst zu erwartenden genaueren Untersuchung der
Handschrift nach ihrem- musikhistorischen Werte vorbehalten bleiben
zu prüfen, ob nicht jene von Böhme5) in seinem höchst verdienstlichen
Altdeutschen Liederbuche 1877 S. XLIX wenig berücksichtigten Kom-
ponisten aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts doch mehr volkstüm-
liche Melodien enthalten, als man bisher anzunehmen geneigt war.
Hier soll nur eine Lese von unbekannten Singweisen zu weit verbrei-
•) Niederdeutsche Volkslieder, hrsg. vom Vereine für nd. Sprachforschung.
I. Hamburg 1883. Vgl. Korrespondenzbl. 7, 57.
*) Die Lieder, denen bei Fabricius keine Melodie beigegeben ist, bezeichne
ich im Folgenden durch ein Sternchen. Die den angeführten Liedern entsprechenden
Nummern der Handschrift anzuführen, erscheint hier überflüssig.
*) Am besten lässt sich die Kopenhagener Handschrift mit dem Lautenbuche
des Job. Thvsius vergleichen, durch dessen Veröffentlichung sich J. P. N. Land
(Tijdschrift der Vereeniging voor Noord-Nederlands Muziekgeschiedenis 1 — 2) ein
irrnsses Verdienst erworben hat. Auch dies ist höchst wahrscheinlich von einem
Studenten ums Jahr 1600 niedergeschrieben, nämlich von Adrian Smout (1578—1646),
welcher 1595 bis 1601 in Leiden studierte.
*) Wenig bekannt scheint zu sein, dass der rührige F. W. v. Ditfurth in
«einen Einhundert unedierten Liedern des 16. u. 17. Jahrhunderts (Stuttg. 1876)
eine freilich nicht durchweg befriedigende Erneuerung von Regnarts dreistimmigen
Liedern (Nürnberg 1578) gegeben hat.
*) Folgende 34 Lieder aus Böhmes Werk (darunter 27 mit Melodie) stehen
auch bei Fabricius: Nr. 23A. 27. 60*. 73*. 85. 117. 118*. 132. 135*. 136. 142.
154* 155A. B. 191. 194A. 197. 212. 219. 227*. 230. 243A. 244. 260. 264B. 267,
269. 276. 334. 366. 435. 464. 491*. 501.
58
teten Volksliedertexten, besonders zu den Nd. VI. 1883, mitgeteilt
werden. Bei der Auswahl und Bearbeitung derselben hat mir Herr
Professor Dr. Ph. Spitta gütig Rat und Hilfe gewährt; für die Ent-
zifferung der in Lautentabulatur geschriebenen Stücke bin ich Herrn
Stud. M. Seiffert zu Danke verpflichtet.
I. Störtenbeoker. Fabricius Nr. 183 bietet die lange gesuchte Weise des
Störtebekerliedes (R. v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen
1, 210 Nr. 44) in Mensuralnoten, doch ohne weiteren Text. Zur Vergleichung fuge
ich einige wenig abweichende Bruchstücke derselben bei, welche sich in gedruckten
Quodlibets derselben Zeit erhalten haben: 1) aus Melchior Francks Fasciculus quod-
libeticus, Coburg 1611 Nr. 6; danach die Oberstimme bei Böhme, Altdeutsches
Liederbuch 1877 Nr. 366, hier im vollständigen Satz unter Ib. — 2) aus Francks
Farrago, Nürnberg 1602, Altus (~ Fascic. quodlib. 1611 Nr. 7); unter Ic. — 3)
ebenda, 2. Tenor; unter Id. — 4) aus Joh. Moller, Ein New Quodlibet, Frankfurt
a. M. 1610, Cantus; unter Ie, um eine Quinte tiefer gesetzt. Die Vermutungen
Böhmes, welche sich auf mehrere andre bekannte Singweisen richteten, müssen jetzt
wohl als abgethan gelten.
Über die dem Liede zu Grunde liegenden Ereignisse v. J. 1401 und ihr Fort-
leben in der Volksüberlieferung handelt gründlich K. Koppmann, Hansische Geschichts-
blätter 1877, 35—58; dazu Mitteilungen des Vereins f. hamburg. Geschichte 1882,
134. 152—154. 1883, 24. Nicht gesehen habe ich L. Frahm und F. Sundermann,
Klaus Störtebeker in Sang und Sage, Hamburg 1885. — Der nd. Text des Störte-
bekerliedes ist leider noch nicht zum Vorschein gekommen, obwohl seine Auffindung
schon in Freytags Roman 'Die verlorene Handschrift' (III, Kap. 3) eine Rolle spielt.
Die älteste Fassung der hd. Übertragung giebt ein vor 1566 in Süddeutschland,
vielleicht bei Hans Burger in Regensburg, gedrucktes fliegendes Blatt: 'Ein schön
Lied, | Von StörUebecher, vnd \ Gödiche Michaelf *c. Wie sie so | sehen dtlich
geraubt | haben, it. | |_| |* 4 Bl. 8°. Zwei Exemplare in Berlin. Abdruck in
Möhlmanns Archiv für fries. westfäl. Gesch. 1, 47 (1841), danach bei Liliencron (A).
Aus diesem Blatte ist der obige Holzschnitt entnommen, welcher die Überwältigung
des gefürchteten Seeräubers in wenigen, aber treffenden Strichen veranschaulicht.
Ausser den andern bei Liliencron aufgeführten Quellen sind noch zwei fliegende
Blätter der Berliner Bibliothek (Yd 8860 und 8865) zu nennen, gedruckt zu Nürn-
berg, durch Valentin Newber' o. J. und zu 'Erftbrd bey Jacob Singe. Im Jahr 1598'.
Für die weite Verbreitung des Liedes zeugt auch Fischart, Geschichtklitterung
59
Cap. 8 fS. 146 ed. Aisleben 1887); ein Citat v.J. 1611 bei Weiler, Annalen 1,278
Nr. 424. Vgl. Bolte, Archiv f. Litgesch. 15, 228.
IL Brennenberger. Fabricius Nr. 154, 12 Str. — - Der Text Btimmt mit der
n<L Fassung bei Unland Nr. 75a =-- Nd. VI. 1883 Nr. 44 überein und scheint sogar
erst aus dieser ins Hochdeutsche übersetzt zu sein; der Ritter, welcher dort Bru-
nenberch genannt wird, heisst bei Fabricius Braunenberg. Die Melodie ist ver-
schieden von der in geradem Takte gehenden Weise bei Böhme Nr. 23, welche aus
den Grasliedlüi von 1535 erschlossen ist. Die Punkte im 3., 7. und 8. Takte von
hinten sind von mir hinzugefügt.
Ähnlieh beginnt ein sonst in Inhalt, Strophenbau und Melodie abweichendes
nid. Liebeslied : 'k heb veel nachten langh gewaeckt, welches Scheltema, Nederlandsche
Liederen uit vroegeren Tijd 1885 S. 120 aus Starter, Friesche Lusthof 6 (1634) S. 205
mitteilt. Die Melodie wird als eine englische bezeichnet: 'Y 'have waket the
winters nightf.
III. Dag Schloss in Oesterreich. Fabricius Nr. 188, 17 Str. — Der Text
gleichlautend bei Unland Nr. 125 und Nd. VI. Nr. 84. Die Melodie ist wohl dem
Liede nicht ursprünglich eigen; sie erscheint mit geringen Abweichungen im 16.
Jahrhundert als Singweise dreier andrer Volkslieder : 'Ich habe mein Sach zu Gott
gestellt,' 'Ich weiss ein Blümlein hübsch und fein,' 'Es ist auf Erden kein schwerer
Leiden' und des Chorals: 'Ich hab mein Sach Gott heimg8tellt, (Böhme Nr. 266.
5s5. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied 2, 274 Nr. 284 und Nr. 248).
Alle diese Texte sind in funfzeiiigen Strophen abgefasst, während das 'Schloss in
OesterreiclT nur vierzeilige Strophen enthält. Ganz verschieden sind die älteren
Weisen: 1) 'Es leit ein schloss in oesterreich' ohne weiteren Text, dreistimmig, im
Berliner Liederbuch aus dem Ende des 15. Jahrh., abgedruckt bei R. Eitner, Das
deutsche Lied des 15. und 16. Jahrhunderts 2, 157 (1880). Ebenda 2, 155 steht
eine andre Melodie 'Von osterreich' aus dem etwa gleichzeitigen Münchener Lieder-
bnche II artmann Schedels. 2) 'Es ligt ein schloß in Oesterreich,' bei G. Forster
1540 2, 77, wiederholt von Böhme Nr. 27 und R. v. Liliencron, Deutsches Leben
im Volkslied um 1530 (1885) Nr. 38, vgl. S. XLVII. Nach Liliencron liegt hier
aber nicht das spätere, bis heut im Volke lebendige Lied gleichen Anfanges vor,
5ondern ein älteres, von welchem nur noch die bei Forster mitgeteilte Eingangs-
«trophe erhalten ist. Die Melodie kehrt 1544 bei J. Ott Nr. 8: 'Es ligt ein haus
im Oberland' (in der Ausgabe von Eitner, Erk und Kade 1873 — 76 S. 29 = Böhme
Xr. 28, Liliencron Nr. 39, auch in Hans Gerles Lautenbuch von 1546) wieder. 3)
'In oostenryck daer staet en stadt,' in den Souterliedekens 1540, Ps. 6, abgedruckt
von Böhme Nr. 158 mit dem Texte Nd. VI. 72, vgl. Antwerpener Liederbuch 1544
Xr. 220. Ebenda eine spätre Fassung aus Werlins Liederhandschrift. — Ebenso
abweichend sind die neueren, bei Böhme Nr. 27 aufgezählten Volksweisen, zu denen
man die Aufzeichnung aus Pommern bei Birlinger und Crecelius, Deutsche Lieder
1<76 S. 7 und eine andre aus der Niederlausitz, die K. T. Heinze in den Musikbei-
Wen zu Gräters Idunna und Hermode 1812 Nr. 22 mitteilt, hinzufügen mag. Weitere
Litteraturnach weise bei 0. Böckel, Volkslieder aus Oberhessen 1885 S. 111 Nr. 28.
Im Coburger Gesangbüchlein 1621 wird der Ton 'Es ligt ein schloss in Oesterreich'
dreimal (S. 82. 103. 117) angeführt. Eine schwedische Fassung in 9 Str. 'I öster-
recke ther legher itt slot1 in Broms Gyllenmärs Liederbuch Nr. 12 bei A. Noreen
nnd H. Schuck, 1500- och 1600-talens visböcker 2, 124 (1885) und nach fl. Blättern
von 1642 und 1688 in 17 Str. bei Geijer och Afzelius, Svenska folkvisor, utg. af
ßergström och Höijer 1880 Nr. 34. Ebenda 3, 65 und 191 eine schwedische und
eine norwegische Melodie.
IV. Bistu des goldtschmids tochterlein. Fabr. Nr. 140 und 167. — Der
unter Nr. 167 stehende hd. Text enthält 9 Strophen und stimmt zu Nd. VI. Nr. 145.
Thland Nr. 253 hat Strophe 3 — 8 seines nd. Liederbuches weggelassen, ohne dies
anzumerken (doch vgl. seine Schriften 4, 232 f.); Hoffmann von Fallersleben, Ge-
?elLschaftslieder * Nr. 149 und Böhme Nr. 194a übersetzen nur die drei Strophen
TTilands ins Hochdeutsche. — Die bisher unbekannte Melodie hat Fabricius zweimal
in Lautentabulatur aufgezeichnet. Im 8. Takte scheint ein Fehler vorzuliegen.
V. Idt is ein boieken kamen. Fabr. Nr. 161, 10 Str. — Von der acht-
strnphigen Fassung bei Unland Nr. 255 = Nd. VI. Nr. 135 = Böhme Nr. 191
weicht der Text nur durch die Einfügung zweier derber Strophen hinter Str. 7 ab ;
60
8. Medelein, sed he, megdlin,
gy muten de tydt vorbeiden:
wen de negen maent vmme sindt,
iuw röckiin wert sick wyden.
Eine Melodie war bisher unbekannt.
9. Vnd do de negen maent vm wem,
dartho de negen dage,
do sach men dat fins megdelin
ein schon kindlin dragen.
VI. Es war ein junger heltt. Fabr. Nr. 160, 2 Str. — Die erste Strophe
des offenbar unvollständigen Textes bildet auch den Eingang eines längeren Liedes
Nd. VI. 33 (12 sechszeilige Str.) und P. v. d. Aelst, Blüm vndt Außbundt 1602
Nr. 188 (11 Str.).
VII. Hertzlich thntt mich erfrenwen. Fabr. Nr. 75, 5 Str. — Der Text
ist oft gedruckt: Unland Nr. 57; Böhme Nr. 142; R. v. Liliencron (1885) Nr. 95;
Goedeke-Tittmann, Liederbuch aus dem 16. Jahrh. 1867 S. 159; P. v. d. Aelst
Nr. 102; Nd. VI. Nr. 17; Berliner Liederhandschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752)
Nr. 10. Fabricius lässt Str. 4 und 5 weg und schiebt dieselben in Nr. 95 : 'Wolauff,
gut gsell, von hinnen' (= Böhme Nr. 260A) hinter Str. 1 ein. Schwedisch in Gvl-
lenmärs Liederbuch Nr. 41 (A. Noreen och H. Schuck, Visböcker 2, 174. 1885 =
Arwidsson, Svenska forns&nger 3, 84. 1842) : 'Hierteligh mtgh nu frögdas.' — Die von
Fabricius in Lautentabu latur und Mensuralnoten überlieferte Melodie, welche sich
durch ausdrucksvolle Deklamation auszeichnet, ist nicht die von Böhme wiederholte der
Rhawschen Bicinia (1545), auch nicht die Regnarts (Neife kurtz weilige Teutsche
Lieder, Nürnberg 1586 Nr. 7), sondern aus J. Meilands vierstimmigen 'Neuweii
auserlesenen Teutschen Gesängen,' Nürnberg 1569 Nr. 3 = Frankf. 1575 Nr. 3
entlehnt (Melodie im Cantus). Mit einem geistlichen Texte von B. Musculus findet
sich derselbe Satz wieder bei G. Körber 1597 Nr. 51, Praetorius 1610 Nr. 236 bis
237, E. Widmann 1622 Nr. 36, Sacra Cithara 1625 Nr. 76; vgl. R. Eitner, Biblio-
graphie der Musiksammelwerke 1877 S. 715. — Auch sonst hat Fabricius die von
Böhme so gut wie gar nicht berücksichtigten Melodien Meilands aus dessen mehr-
stimmigen Liedern ausgezogen und mit einer Lautenbegleitung versehen; ein Beweis,
dass sie in hohem Grade beliebt und populär waren. So treffen wir aus der er-
wähnten Sammlung von 1569 bei ihm an Nr. 1 : 'Jungfräulcin, sol ich mit euch gähn'
(vgl. Böhme Nr. 136), Nr. 2: 'Wie schön bluet uns der meye' (Böhme Nr. 264B\
Nr. 4: 'Wolauff, gut gsell, von hinnen' (Böhme Nr. 260).
Eine nahe verwandte, vielleicht noch ältere Dichtung in neunzeiligen Strophen
entnehme ich dem Berliner Mscr. germ. qu. 1004, S. 55. Meusebach, der sorgsame
Sammler, hat dieselbe hier samt der dazu gehörigen Melodie von einem einst Brentano
gehörigen Quartblatte, welches wahrscheinlich aus einer Handschrift des 15. Jahr-
hunderts herausgerissen war, abgeschrieben.
1. Mein hercz wil sich erfrewen
Gen diser sumerezeit
Vnd all mein laid zustrewen
Dem winter kalt zu neid,
Das er vns hatt betwungen
Der zarten plumlein vil,
Die vogel schier verdrungen,
Das sy nymer sungen
Wis auf des mayes zil.
2. Seind das nun ist zergangen
Der reiff vnd auch der snee,
Der may sich angefangen
Gewaltikleich als ee,
Des hört man voglein singen,
Mit manigem süssen don
Gar lustigkleich erklingen,
Ir noten scharff volpringen:
Der may gibt in den Ion.
VIII. Ich weis mir drey blumlein
3. Der hübschen plumlein sind on zal,
Dy er vns pringen tuet.
Daraus so nym ich mir dy wal;
Ain krawt haist Wolgemut,
Das wil ich meinem herezen
Behalten, ob ich kann; j
Augentrost went schmerezen,
Hab mich lieb yn herezen,
0 [? Vnd] frewden mir vergan.
4. Ich hab in meinem gemuete I
Dy roten roselein:
Mich frewt dein weipleich guete,
Sy stillen dein aigen sein, j
Dy wil ich dir schenkhn,
Wann sie gehorent dir zue.
Mein veyal, tut [? tue] nicht wenkchen,
Stetleich an mich gedenkchen,
Tue deiner varib genueg. j
Fabr. Nr. 156, 8 Str. — Der Text ist
schon aus den Nd. VI. 130 bekannt. Vermutlich dasselbe Lied in hd. Fassung
61
enthält ein 1605 zu Basel gedrucktes fliegendes Blatt: 'So weiß ich mir drey
Blümelem' (Weller, Annalen 1, 266 Nr. 384). Vgl. Coburger Gesangb. 1621 S. 27.
— Die Melodie wiederholt Fabricius auf Bl. 78b unter den Tänzen in Lautentabulatur.
IX. Nun fall, da reiff. Fabricius Bl. 109a unter den Tanzmelodien, nur
mit diesem Textanfang. — Die Melodie ist der von Böhme Nr. 155 aus M. Francks
Fasciculus quodlibeticus 1611 Nr. 7 ausgezogenen verwandt. Der sechsstrophige
Text, welchen Uhland Nr. 47 A und Böhme Nr. 155A aus dem Frankfurter Lieder-
buche von 1582 Nr. 62 entlehnen (ebendaher auch Nd. VI. 14), begegnet schon in
dem niederrheinischen Liederbuche von 1574 (Berliner Ms. germ. qu. 612 ; Abschrift
Ms. gerni. qu. 716) Nr. 34 und in Yxems Liederhandschrift von 1575 (Ms. germ.
fol. 753) Nr. 57. — Auch das nahverwandte Lied: 4Nun reif, nun reif, du kühler
tau' hat Fabricius in seine Sammlung (Nr. 103) aufgenommen, und zwar mit drei
Strophen mehr als bei Uhland 47B und Böhme 155B und mit einer ganz andern
Singweise im Tanzrhythmus (Galliarde).
X. Ach winter kalt, wie mennigfalt. Fabr. Nr. 152, 6 Str. — Der Text
auch im Frankfurter Liederbuche von 1582 Nr. 25 ; Nd. VI. 82 ; im Berliner Lieder-
bliche von 1568 (Ms. germ. fol. 752) Nr. 61, in der niederrheinischen Liederhand-
schrift von 1574 (Berliner Ms. germ. qu. 612) Nr. 46, in Yxems Liederbuch von
1575 (Ms. germ. fol. 753) Nr. 44. Ganz abweichend ist das gleich anlautende Lied bei
Harnisch, Hortulus 1604 Nr. 14 — Goedeke und Tittmann, Liederbuch aus dem
lt5. Jahrh. 1867 S. 161. Eine nd. geistliche Umdichtung 4Och vngeval, wo menig
inaer begegnet schon 1571 bei H. Vespasius, Nye Christlike Gesenge vnde Lede
S. 15. — Von der Melodie finde ich ein Bruchstück wieder in M. Francks Fasciculus
quodlibeticus 1611 Nr. 2 (erste Ausgabe 1605), abgedruckt bei R. Eitner, Das
deutsche Lied 2, 280. Derselbe Franck benutzte sie schon 1602 in seinen Musica-
li-chen Bergkreyhen Nr. 5 (Tenor), um einen vierstimmigen Satz daraus zu machen,
doch verschnörkelt er sie, und besonders der letzte Teil weicht ganz ab. In seinen
I'euterliedlein 1603 Nr. 2 giebt er zu demselben Texte eine völlig verschiedene Weise.
XL Einiges lieb, getrewes hertz. Fabr. Nr. 181, 7 8tr. — Der Text
«timmt zu Nd. VI. 137 und ist auch hd. in einem 1601 gedruckten fliegenden Blatte
erhalten; vgl. Weller, Annalen 1, 265 Nr. 373. In der Melodie erregt der Schluss
Bedenken.
XII. tiudt gsell, vnd dn must wandern. Fabr. Nr. 118, 8 Str. — Der Text
schon im Frankfurter Liederbuche 1582 Nr. 250 (9 Str.) und nach einer Handschrift
m*u 1604 teilweise bei Böhme Nr. 230. Wahrscheinlich identisch ist das nid. Lied:
Gheselleken, du most wandelen' in der Sammlung 'De nieuwen verbeterden Lust-
hof Amsterd. 1607. — Eine Melodie war bisher unbekannt.
XIII. Wie kan vnd mag ich frölig sein? Fabr. Nr. 133, 5 Str. — Vom
Texte sind zwei hd. Fassungen v. J. 1603 und 1659 durch Hoffmann, Gesellschafts-
lieder » Nr. 146 (4 Str.) und 147 (5 Str.) veröffentlicht; ferner Nd. VI. 113 (5 Str.).
Andre Lieder mit ähnlichem Anfange 'Ich kan und mag nicht frölich sein1 oder:
'Adi Gott, wie kann ich frölich sein' bei Weller, Annalen 1, 271. 2, 172 f. Mittler,
Volkslieder Nr. 903. 1450. — Die Melodie ist in der Mitte durch einen Wasserfleck
etwa* undeutlich geworden ; drei Noten, die sich dem Rhythmus nicht fügen wollten,
habe ich eingeklammert und hinter die erste Note des 10. Taktes einen Punkt gesetzt.
XIV. Wie wirdt myr denn fceNchehen. Fabr. Nr. 138, 11 Str. — Der Text
auch bei Hoffmann, Gescllschaftslieder " Nr. 13 nach einem fl. Blatte v. J. 1601
«ein anderes von 1609 bei W'eller, Annalen 1, 268 Nr. 395), bei Aelst,
Blüm vnd Außbund 1602 Nr. 69 und Nd. VI. 146. Schwedisch in Gyllenmärs Lieder-
buch Xr. 54 (Noreen och Schuck, Visböcker 2, 197. 1885) : <Huru vill thett migh
lifcka$.' — Zu der Melodie, welche Fabricius in Mcnsuralnoten und Lautentabulatur
giebt, vermag ich eine Variante aus M. Franck, Fasciculus quodlibeticus 1611 Nr. 3,
< antus (frühere Ausgabe 1605), nachzuweisen, die ich hier um eine Quinte tiefer
setze. Angeführt wird sie auch im Coburger Gesangbüchlein 1621 S. 207.
XV. Mein englein weinen. Fabr. Nr. 159, 14 Str. — Der auch in nd. Fassung
<Kd. VL 37 und fl. Blatt o. J. in Tübingen) vorhandene Text ist aus dem Niederlän-
dischen übersetzt Da das Original bisher, so viel ich weiss, nicht gedruckt vorliegt,
teile ich es nach der 1609 angelegten Sammelhandschrift des Wouter Verhee aus Gouda
S. 170 (Hamburger Stadtbibliothek. Vgl. G. Kalff,.. Tijdschr. voor ncderlandsch
Taal- en Letterkunde 5, 137 — 186) zugleich mit der Übersetzung bei Fabricius mit.
[S.170] Een nieu Lyedeken
op die wyse: Bedroefde' herteken.
1.
Mijn oochgens weenen, myn hert moet
suchten,
Dus moet ick clagen mijn swaer verdriet:
Myn liefste lieueken wilt van mij vluchten ;
Wist ick waerora, ick truerde niet.
2.
"Wist ick waerom, twas my begeren,
Dat sij vp mij dus is gestoort,
Si'j gelooft quade tongen, Idt mach my
vbel deren,
die niet en soeken dan discoort.
3.
Ick bemin haer seere, en sy mij mede,
Ter werelt en wasser noeyt lieuer paer,
Wij hadden noeyt twist, maer alty t vrede,
Och bitter scheyden, ghy valt mij swaer.
[S. 171] 4.
In vreemde landen moet ick gaen reysen
Met groote droeuffheyt gaen dolen altijt;
Sult ghij, schoon lieff, doer niet een om
peijnsen,
Dat ghij daer äff een oorsaeck sijt?
5.
Reale mondeken, wilt ghij mij vertaten,
Söo moet verdwijnen myns hersen [!] bloet,
Wilt ghij v lieueken niet comen to baten,
Noeyt meerder droeffheijt en tegenspoet.
Had ick den apel van rooder goude,
Die Paris Venus schonck voor een present,
Ick schenckste mijn lieueken die schoone
vrouwe,
Die daer veyt was onder hemels tent.
7.
Bedroeft mach ick wel wesen van sinnen,
Beclagen mach ick wel myn misual;
Die ick met mijnder herte beminne,
Dat daer een ander byn rüsten sal.
8.
Hoe sullenmyn oochkens dat aenschouwen,
Wat grooter droeffheijt sal mij hert
ontfaen,
Als daer een ander mij lieff sal trouwen
En met haer uyt vermeyen gaen.
[S. 172] 9.
Hoe kanse mij dus vergeten [? nu ver-
achten],
daer wy malcander soo hebben geertl
[Bl 85b]
Fabricius Nr. 159.]
1.
Mein Euglein weinen, mein hertz muj
seufftzen,
des mus ich klagen mein schwär vordrieß:
mein liebstes liebken will von myr flihen,
wüst ich worum, ich trurdc nicht.
2.
Wust ich worum, das were mein begehr,
das sie auff mich so ist vorstort,
sie geleubet bösen Zungen, es mach mich
wol betrüben,!
die anders nit suchen den discort.
3-
Ich beliebte sie sehre, vnd sie mich mcde,
auff der Erden war kein lieber paer,
wyr hatten nicht tw yst, man aizeit fricd,
och bitter scheiden, du falst mir schwer.
4- !
In fromde lande mus ich nun reisen,
mit großer traurigkeit aizeit;
solt ihr da, schons lieb, nicht eins vrab
dencken,
das ihr dazu ein vrsach seitt?
5.
Reale Mundeken, wolt ihr mich vorlaßen,
so mus verquinen meins herzen bludt,
wolt ihr mich, schons lieb, nicht kommen
zu zu batheDi
in meiner betrubnus vnd gegenspoet.
G.
Hett ich den Apfel von rotem golde,
den Paris Venus gab für ein present,
ich schenckt den meinem lieb, der schönsten
frauwen,
die nun lebt vnter des himels end.
7.
Betrübt mach ich wol sein von sinnen,
beklagen mach ich wol mein mißfall;
die ich in meinem hertzen beliebte,
das da ein ander bey ruhen soll.
8.
Wie sollen meine Euglein das anschoiiwon,
was betrubnus wirt mein hertz empfan,
alß das ein ander mein lieb sol trawefl
vnd mit ihr ins grüne gähn.
9.
Wie kan sie mich nun so verachten,
da wyr vns malckander suß haben geehrt
Z_
63
Ick mach wel seggen, dat vrouwen ge-
dachten
Wanckelbaer syn en haest verkeert.
10.
Mocht ick y Heueken noch selfs eens
spreken,
Dat ghij moecht hooren mijn clagcn groot,
Mijn jonck herteken sal moeten brekcn,
Dat ghij v lieueken dit lijden aendoet.
11.
Ick bid v lieueken met smckende tränen,
V oochkens wilt doch vp mij slacn,
Den don der lieffden lat vp mij dalen,
Ick sal mij betercn, lieff, heb ick misdaen.
12.
Xu is mijn arbeijt doch al verloren,
Mijn singen, mijn springen nacht ende dach :
Sij heeft een ander lieff uyt vercooren,
Daer ick mij luttel vp hadde gewaccht.
13.
Op hoopen moet ick nu gaen leuen,
Ick ben eijlaes een onwaert gast,
AI waert mij dit van te vooren geschreucn,
Ick betroude haer woordekens veel te vast.
[S. 173] 14.
Adieu Prinsesse uyt vercooren,
Adieu de schoonste de liefste mijn,
Het is mij een droeuich dinck om te hooren,
Dat w\j twee gescheyden moeten syn.
Die Melodie, welche auch Bl. 84a unter den Tänzen wiederholt wird,
stammt gleichfalls aus Holland; in mehrfach abweichender Gestalt ist sie in dem
Leidener Lautenbuche von Thysius aufbewahrt und von J. P. N. Land in der
Tijdschrift voor Noord-Nederlands Muziekgeschiedenis 1, 185 (1885) mitgeteilt. Wir
finden sie auch, etwas umgemodelt und aus dem Tripeltakte in den geraden gebracht,
1638 unter der Bezeichnung 'Mijn ooghskens weenen, ofte: Gcdiard* ItaW in dem
•Paradys der Geestelijke en Kerckelijcke Lofsangen' 8. 650 wieder; vgl. Land a.
a. O. und Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied 2, 289 Nr. 307.
XVI. Ich solt ein nunlein werden. Fabr. Nr. 166a, 7 Str. — Der Text ist
«chon aus Unland Nr. 329 = Böhme Nr. 243 A (ohne Melodie) bekannt; nur hat
F&bricius am Schlüsse noch zwei Strophen mehr:
ich mach wol sagen, das frawen ge-
dancken
wanckelbar sein vnd bald verkert.
10.
Mocht ich euch, liebken, noch selbst eins
sprechen,
das ihr mocht hören mein klagen gros,
eur junges hertz solt mußen brechen,
das ihr eurem liebken das leiden antutt.
11.
Ich bit euch, liebken, mit sachten Worten,
wolt eur Euglein doch auff mich schlan,
eure reine liebe laßet eins auff mich nalen,
ich wil mich beßern, hab ich mißgethan.
12.
Nun ist mein arbeit doch all vorlorn,
mein singent vnd springent tag vnd nacht:
sie hat einen andern außerkoren,
dar ich mich weinig vor hedd gewachtt.
13.
Auff hoffen mus ich nun thun leben,
Ich bin worden ein vnwert gast;
all weres myr zuvor geschrieben,
ich vertrawte ihren worten viel zu fest.
14.
Ade Princeße außerkorn,
ade die schönste vnd liebste mein,
Es ist myr betrüblich anzuhören,
das wyr zwey mußen gescheiden sein.
5. Mein hertz mit lieb vmfangen,
mit lieb anzündet sehr,
nach im steht mein vorlangen,
nach ihm stet mein beger.
Godt geb dem [klepfer vnglück viel,
der mich armes megdelein
im kloster haben will.J
XVII. Hett ich sieben wünsche.
7. Darum, ir jungen megdelein,
wil euch geraten hahn,
das ihr euch [? eur] leib vnd ehre
vortrauwn eim jungen man,
vnd hüten euch für nunnen lehn,
etzlich ihr seel dem teufll orgebn.
Adde, ich far von hyr.
Fabr. Nr. 135, 9 Str. — Der Text schon
n<L bei Unland 5B = Nd. VI. 114, hd. bei Toppen, Altpreuss. Monatsschrift 9, 546
(1S73). Eine siebenstrophige Fassung bei Uhland 5A, Böhme 276, in der Berliner
Liederhandschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) Nr. 25 und in Yxems Liederbuch
(Berliner Mscr. germ. fol. 753) Nr. 109. Vgl, noch Uhland, Schriften 4, 13—18.
— Die Melodie bei Fabricius widerlegt Böhmes Vermutung, das Gedicht sei nie
gesungen worden.
XVHL W»ß woln wyr auff den abendt thun.? Fabr. Nr. 107, 4 Str. —
Text auch bei Böhme Nr. 334 nach Hainhofers Lautenbüchern (1603). Ebenda
64
eine ziemlich ähnliche Singweise und ein Fragment aus M. Francks Quodlibets
1611 Nr. 2 (= Eitner, Das deutsche Lied 2, 281). Vgl. Böhme, Geschichte des
Tanzes in Deutschland 2, 61 Nr. 135. Andre Aufzeichnungen aus einem deutschen
Lautenbuche von 1580 und aus holländ. Quellen teilt J. P. N. Land in der Tijd-
schrift der Vcreeniging voor Noord-Nederlands Muziekgeschiedenis 1, 188 f. mit.
Auch eine hsl. Melodiensammlung v. J. 1593 (Berliner Ms. germ. tbl. 270 Bl. 6b)
enthält unsre Melodie in Lautentabulatur. Der Nachtanz wiederholt in dreiteiligem
Takte (Proportio) die voraufgehende Melodie; vgl. Nr. XXI.
XIX. Wammb seind die Studenten. Fabr. Nr. 155, 6 Str. — Den Text
liefert auch Hoffmann, Gesellschaftslieder * Nr. 300 nach einer Hs. von 1603. Die
Melodie kehrt, vierstimmig gesetzt, bei M. Franck, Fasciculus quodhbeticus Kill
Nr. 5 mit dem Texte der 2. Strophe wieder. Fabricius hat sie Bl. 78b auch in
Lautentabulatur unter den Tanzmelodien.
XX. Der Igel und die Leineweber. Fabr. Nr. 94, 11 Str. — Der Text des
ursprünglich wohl nd. Spottiiedes stimmt mit der Fassung im Venus-Gärtlein (Ham-
burg 1659 S. 39. Eine Ausgabe von 1656 besitzt die Stockholmer Bibliothek;
einen Neudruck1 dieser wichtigen Sammlung bereitet M. v. Waldberg vor) übercin,
welche von HonWnn, Gesellsehaftsliedcr * Nr. 856 und Bolte, Archiv f. Litjfesch.
14, 364 — 368 wiederholt worden ist; nur steht die 6. Strophe: 'Ach lieber
Egel, laß mich leben' voran, ferner lautet Str. 3, 1 : 'Vnd das erhordt die Feldt-
maus', 6, 5: 'se kan de spolen scheten', 9, 2: 'das sahn die frawn vnd auch die
man'. — Von der Melodie waren bisher nur zwei Bruchstücke aus Quodlibets von
Zangius und Franck bei Böhme Nr. 501 und Eitner, Das deutsche Lied 2, 240.
281 bekannt. Im Schluss liegt wohl ein Versehen vor, da für die vorgeschriebene
Wiederholung der letzten Textzeile nicht Noten genug übrig bleiben.
XXI. Es ht ein baur in brunn gefalln. Fabricius Bl. 77a giebt nur die
Melodie in Lautentabulatur ohne weiteren Text unter den Tanzweisen. Der Text
hat sich bis heute in der mündlichen Überlieferung fortgepflanzt. Bei Fischart,
Geschichtklitterung C. 45 (Scheibles Kloster 8, 477) begegnet er in folgender Gestalt :
Es ist ein mönch vom bäum gefallen,
Ich hab jlm hören plumpen.
Ach daß jhm bring kein schad das knallen!
Er köndt sonst nicht mehr gumpen,
Hibe ha wol zumpen.
Andre Fassungen bei Böhme Nr. 464. Arnim-Brentano, Des Knaben Wun-
derhorn 2, 765 ed. Birlingcr und Crecelius. Simrock, Das deutsche Kinderbuch
1848 S. 21. E. Meier, Kinderreime und Kinderspiele aus Schwaben 1851 S. 50.
Rocholz, Alemann. Kinderlied und Kinderspiel 1857 S. 177. II. Frischbier, Preus-
sische Volksreime und Volksspiele 1867 S. 43. Firmenich, Germaniens Völker-
stimmen 1, 265. Fiedler, Volkslieder in Anhalt- Dessau 1847 S. 230 u. s. w. —
(•oussemaker, Chants populaires des Flamands 1856 S. 404 Nr. 146 und Land,
Tijdschr. voor Noord-Nederlands Muziekgeschiedenis 1, 164 veröffentlichen auch ver-
wandte Melodien. — Über den Nachtanz vgl. Nr. XVIII.
XXII. Der engelliindiNche Roland. Fabricius Nr. 9 giebt zu einem sechs-
strophigen Namenliede auf Sophia : 'Schons lieb, ich thue dir klagen' eine Melodie
in Lautentabulatur mit der doppelten Überschrift : lJhJiusdem Antorist, d. h. Caspari
Husmanni, und 'Bolanl'. Die letztere Bezeichnung bezieht sich ohne Zweifel auf das
1597 in Deutschland auftauchende und rasch beliebt gewordene Singspiel (Jigg) der
englischen Komödianten: 'Ach Nachbar Robert', welches in derselben achtzeiligen
Strophe abgefasst ist. Auch das von Fabricius unter Nr. 26 aufbewahrte dra-
matische Lied, welches den Streit zweier Liebhaber um die Gunst eines Mädchens
vorführt (abgedruckt in der Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 1, 111 — 116.
1888), geht 'Auff die Melodei : Ach nachbar Roland'. — Den deutschen Text jenes
Singspiels von Roland findet man bei A. Keller, Fastnachtspieie des 15. Jahrhunderts
2, 1021, Böhme Nr. 85 und Nd. VI. Nr. 148. Zu meinen Notizen über seine einstige
Verbreitung im Korrespondenzblatt f. nd. Sprachf. 10, 38 trage ich nach, dass die
Berliner Bibliothek zwei noch nirgends verzeichnete fliegende Blätter, o. 0. 1599
und Magdeburgk o. J. (Te 726 und 781) besitzt; auch eine 1600—1603 in Jaufen
(Tirol) entstandene Liederhandschrift enthält, wie mir Herr Dr. M. v. Waldberg mit-
teilt, das Stück; eine Abschrift in K. T. Heinz es Volksliedersammlung (Mscr. S 504 der
Bonner Universitätsbibliothek) ; die Melodie wird noch citiert 1607 in dem bei Lantzen-
berger zu Nürnberg erschienenen Liederbüchlein Nr. 68, 1609 (Weller, Annalen 1, 268
Nr. 396 und 409), 1627 (Birlingers Alemannia 16, 84) und 1632 (Ditfurth, Volkslieder
des dreissigjährigen Kriegs 1882 S. 152). — Der englische Originaltext ist uns ebenso
wie eine niederländische Übersetzung: 'Soett soet Robbertgen' verloren gegangen. Da-
gegen vermögen wir die Melodie, welche sich einer ausserordentlichen Beliebtheit erfreut
haben muss, auf ihrer Wanderung von England nach Holland und Deutschland zu ver-
folgen. In England erscheint sie, wie W. Chappcll (Populär music of the olden time
1855 — 59 p. 1 14 f. 770) angiebt, in dem sogenannten Virginalbuche der Königiu Elisabeth ')
unter dem Namen Rowland, von dem berühmten William Byrd (1538—1623) gesetzt. In
den Virginalböchern der Lady Neville (1591) Bl. 46b und des William Forster (1624)
S. 22 Nr. 6 und in Thomas Robinsons Sehool of music (1603) führt sie den Titel 'Lord
Willohies welle ome hörne3, weil nach ihr auch eine Ballade*) auf Peregrine Bertie
Lord Willoughby of Eresby (f 1601) gesungen wurde, welcher 1587 nach der Ab-
berufung Leicesters den Oberbefehl über die in Holland gegen die Spanier fech-
tenden englischen Truppen übernahm. Aus Holland bringt Land, Tijdschr. voor
Noord-Nederlands Muziekgesch. 1, 223 f. vgl. 28 vier verschiedene Aufzeichnungen
der hier nur als 'Soet Bobbertgen' bezeichneten Melodie: aus Thysius' Lautenbuch
(um 1600), aus Pieter Leenaerts van der Goes Druyven-Tros der amoureusheyt
il«02) S. 102, aus Adrian Valerius, Nederlandtsch Gedenckclanck 1626 S. 83 und
aus dem Paradijs der geestelicken en kerekelicken. lofsangen 7. Aufl. 1679 8. 695.
Angeführt wird sie auch in Wouter Verhees Liederhandschrift (vgl. oben zu Nr. XV)
S. 249: 'Een nieu liedeken op die voys van Soet Robbergen: Door lief den reijn
terwonnen ick blijuen moety (6 Str.).
Die nabeliegende Frage, ob die Melodie ursprünglich dem Willoughbyliede
oder dem Singspiele Roland angehörte, lässt sich aus dem vorliegenden Materiale
nicht mit ausreichender Sicherheit beantworten. Wäre jedoch das Letztere der Fall,
so bliebe auffallend, dass die Melodie gerade in England nur einmal (doch s. S. 68)
und ziemlich spät unter dem Namen Rowland auftaucht. Es ist aber wohl denkbar, dass
die englischen Schauspieler, welche Leicesters Gunst genossen und von ihm 1586 an
den Kfmig Friedrich II. von Dänemark empfohlen wurden *), auch seinem Nachfolger
in den Niederlanden ihre Ergebenheit beweisen wollten und auf die Melodie eines
zu seinem Ruhme gedichteten, allgemein beliebten Liedes jenes Possenspiel reimten,
welches dann in der Fremde so ausserordentlichen Beifall fand. Endlich ist zu
berücksichtigen, dass das Vorhandensein der Willoughbyballade schon für 1591
durch Lady Nevilles Virginalbuch bezeugt wird, während das Possenspiel zum ersten
Male 1596 in einer gereimten Beschreibung der Frankfurter Messe von Marx
Mangold4) als etwas ganz Modernes genannt wird:
Einer sang: Ö Nachbawr Ruland,
Ein Lied, kommen auß Engelland.
Bis auf weiteres haben wir also anzunehmen, dass die Melodie des Rolands-
liedes älter ist als der Text.
Noch andre um dieselbe Zeit von England nach dem Festlande herüber-
gebrachte Tanzweisen lernen wir aus Thysius' Lautenbuche keunen, z. B. Tijdschr.
2, 309 eine Pavane 'DelighV jenes Richard Machin, welcher 1600 — 1605 als Musiker
und Komödiant im Dienst des Landgrafen Moritz von Hessen stand0), sowie mehrere
*) Hs. in Cambridge, wohl erst nach 1620 entstanden, S. 278 Nr. 158. Vgl.
G. Grovc, Dictionary of music 4, 309b (1885).
*) Pcrcy, Reliques vol. 2. 2, 19. The Roxburghe Ballads 4, 8. (12 Strophen.)
*) Bolte, Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellsch. 23.
4) 'Marckschiff, hrsg. von E. Kelchner, Mitt. d. V. f. Gesch. und Alt. in
Frankfurt a. M. 6, 322 (1881).
•) E. Mentzel, Archiv für Frankfurts Gesch. N. F. 9, 43. 45. 50. 52. J. Crüger,
Archiv f. Litgesch. 15, 116.
BiadardenUohos Jahrbuch. XIII. 5
66
Kompositionen des Robyn Jones und des berühmten, auch von Shakespeare ge-
feierten John Dowland (Tydschr. 2, 287. 310. 340. 344). Wie viele namhafte
englische Musiker damals in Deutschland Beifall erntend umherzogen, ist bisher
kaum beachtet worden. In Rinteln am Hofe des Grafen Ernst III. von Schaumburg
(1570 — 1622) lebte Thomas Simpson, in Berlin und dann in Hamburg William
Brade-, beide Hessen auch ihre Couranten, Galliarden, Paduanen in Deutschland
drucken, während die Kompositionen von Thomas M o r 1 e y wiederholt von Valentiu
Haußmann, Michael Praetorius, Conrad Hagius, Johann von Steinbach und Daniel
Friderici herausgegeben wurden1). Morley und Brade führt auch 1627 der letzt-
genannte Rostocker Cantor in seinem gereimten Verzeichnis berühmter Musiker
(Amuletum musicum Nr. 30) auf. Dagegen ist bei den Melodien, welche den
Sammlungen der 'Englischen Komödien und Tragödien7 von 1620 und 1630 bei-
gegeben sind, der englische Ursprung nicht immer zweifellos, gerade wie bei den Texten.
Ich liefre in der Musikbeilage A) die vollständige Lautenmusik nach Fa-
bricius samt dem dort untergelegten Texte, B) die Melodie desselben Stückes mit
dem ursprünglichen Texte, C) das schon von Böhme ermittelte Fragment bei M.
Franck, Fasciculus quodlibeticus 1611 Nr. 2, Cantus (— Eitner, Das deutsche Lied
2, 283), von welchem es auch einen Druck v. J. 1605 giebt; vgl. Monatsh. f. Musik-
gesch. 17, 55, D) die englische Melodie mit dem Texte der Willoughby-ballade
nach Chappell 1, 115, doch um einen Ton tiefer gesetzt.
Den Originaltext zu der Melodie 'Rowland' glaubte Chappell, welcher von
dem deutschen Liede nichts wusste, in einem fliegenden Blatte aus den Jahren
1600 — 1625 in der berühmten Balladensammlung von Samuel Pepys, welche sich
gegenwärtig im Magdalen College zu Cambridge befindet, Bd. I S. 210 f. ent-
deckt zu haben, ging aber nicht näher auf die Sache ein. Mir ist, nachdem ich
durch die Freundlichkeit der Herren Dr. K. Breul und Dr. C. Schüddekopf eine
Abschrift des genannten Einblattdruckcs erhalten habe, seine Ansicht zweifelhaft
geworden. Zwar weist das englische Gesprächslied denselben Strophenbau auf wie
die verschiedenen Aufzeichnungen der Melodie und der deutsche Text, auch die
Anfangszeile stimmt zu dem letzteren ; aber der Inhalt ist ein völlig anderer : kein
Ehestandsdrama, sondern eine Satire auf alle Stände in Form eines Dialoges
zwischen dem von London heimkehrenden Rowland und seinem zweifelsüchtigen
Nachbar John, mit derselben direkten Ironie ausgeführt, wie sie z. B. eine Regens-
burger Truppenliste zum Türkenkriege aus wenig früherer Zeit (Birlingers Alemannia
16, 85 — 87) enthält. Ferner geht dies Lied nicht in seinem eigenen Tone oder in
dem der Willoughbyballade, sondern nach einer sonst nicht bekannten Weise:
lTwentypoundayeere\ Man darf vielleicht annehmen, dass das englische Lied die
erste Anregung zu dem Singspiele der englischen Komödianten hergab, welche aber
ausserdem eine andre Melodie benutzten. Ich lasse nun den Text selber folgen.
[8.210] Nevves good and nevv
To the tune of Ttcenty pound a yeere.
[Holzschnitt: Zwei Männer, der links auf sein Schwert gestützt, der rechts
in langem Mantel, ein Schwert an der Seite, einherschrcitend, reden mit einander.]
1.
John. Now welcome neighbour Rowland,
From London welcome home,
What newes is there I pray you ?
From thence I heare you come.
Row. The best that ere you heard,
Youle say 't when I you shew.
John. I hardly can beleeue it,
Tis too good to be true.
2.
Row. The Lawyer in hiß pleading
to gaine giues no respect.
Though Clients have no mony,
he doth not them neglect:
But truly pleades their cause,
Of these there be not few.
John. I neuer will beleeue it,
Tis too good to be true.
3.
[Row.] In Lords there 's no ambition,
in Ladies theres no pride,
The Clergie lones no mouie,
no woman 's wanton-eyde,
') Grove, Dictionary of music. Goedeke, Grundriss. Weller, Annalen.
6?
Each one that wicked lin 'd,
doth staine to line anew.
John. I neuer etc.
4.
Row. I there did know an Usurer,
ith ') hundred tooke three score :
But he is now repented
and gaue all to the poore,
And daily fasts and prayes,
and hates that damned Crew.
John. I neuer etc.
5.
Row. Your Tradesmen hate short
measures
false lights, and falser waights:
Nor will they in their bargaines,
vse oathers as cunning baites
To fetch the simple ore,
theres no such cunning Jew.
I neuer etc.
John.
6.
Row. No Vintner there doth mingle
his wine with water pure:
And then doth sweare tis neatest :
in London 's no such Brcwer.
Of that they all are cleare,
they can, but will not brew.
John. I neuer etc.
7.
Ro^
No Ostler there will rob you,
of either oates or hay,
No Tapster nickes the pot there,
but fils it as he may:
No hoast will there be drunken,
no hostesse proues vntrue.
John. I neuer etc.
8.
Row. Your Brokers there are honest
and are not ranckt with knaues,
They lend their coine for con-
science,
Which niakes them ore their
graues.
To haue their good deeds writ,
Whose number is but') fcw.
John. I neuer etc.
[S.2U]
Too good to be true
The Second Part.
[Holzschnitt: Links ein höfisch gekleideter Jüngling mit Halskrause und
Srhwert, Handschuhe in der Hand, rechts eine sehr geputzte Dame mit Halskrause
und Fächer oder Blumenstrauss.]
To thinke on poore mAis miscries,
their yron hearts doe weepe:
The poore men they relieue,
and giue the rieh their due.
John. I neuer etc.
9.
Row. A Sergeant late turn'd honest,
and not abus'd his place:
A Baily became pitifull,
and wail'd his prisoners rase:
And both to goodnesse fram'd
their former course anew.
John. 1 neuer will beleeue this,
Tis too good to be true.
10.
Row. The Landlords there are pitiful
and racke not poor mens rents,
The tenant there is dutifull
and payes what he indents.
The rieh the poore doe loue:
of these there are but few.
John. I neuer etc.
11.
12.
Row. You there shall see no drunkards,
in Walking through the street:
The Stockes stand euer emptie,
all's sober that you meet.
He's hated that's but secne,
amidst a drunken crew.
John. I neuer etc.
13.
Row.
Row. Jailors are tender hoarted,
that doe their prisons keepe:
*) Breul vermutet: in the.
*) Wohl not. Breul
*) Ein Gefängnis bei Ludgate Hill.
Pickbatch, and garden Allics,
Turnebull, and Mutton lane
Of truth are now turn'd honest,
and hate vnlawfull gaine.
Bridewell8) did them conuert,
and clad their backes in blew.
John. I neuer etc.
5*
«8
that turnes the night to day
By vile disordered life,
wnich age doth after rue.
John. I neuer etc.
16.
This newe8 doth much amaze me,
the which you have me told,
And truely to beleeue it,
I dare not be too bold.
I would as true it wcre,
as it to me is new.
But I will not beleeue it,
tis too good to be true.
I. Trundle.
14.
Row. Fleetstreet ha's nere a cheater,
White-fryers ne1re a whorc:
Tiburne') is now deliuered
and bearcth theeues no more.
And Smithfield*) now is rid
of those horsc-cheating crew.
John. I neuer etc.
15.
Row. Ludgate ha's nere a bankrupt
that can, but will not pay:
The Counter nere a Prodigall
Printed for
Nachträglich finde ich noch die Melodie eO neighbour Bobert? angeführt als
Ton für die vor 1600 gedruckte Ballade auf Jasper Coningham : 'It was a Scotchman'
in The Roxburghe Ballads ed. by Chappell 3, 104 (1880). Dagegen ist ein ähnlich
beginnender Dialog Martin Parkers ebenda 1, 441: 'Neighbour Roger, woe is me\
den eiu eifersüchtiger Ehemann Simon mit einem Junggesellen Roger hält, in einer
andern Strophe nach der Melodie 'Buckle and Thong-a' gereimt.
XXIII. Die Schlacht bei Mohaez. Anhangsweise folgt eine Volksweise, deren
schon einmal in diesem Jahrbuche gedacht wurde. Jellinghaus hat im Jahrbuch 7,
11 f. (1881) aus einer um 1540 in Island entstandenen Handschrift der Kopenhagener
Universitätsbibliothek (Mscr. Arnae Magnaei 622 quart, Bl. 7b) eine nd. Übersetzung des
verbreiteten Liedes auf den Tod König Ludwigs von Ungarn (Liliencron, Die hi-
storischen Volkslieder der Deutschen 3, 562, Nr. 403. Nachtrag S. 55 f.) veröffent-
licht und dabei bemerkt, dass der ersten Strophe eine Melodie beigegeben sei. Da
neuerdings die Frage nach der Singweise dieses Liedes mehrfach erörtert worden ist,
wandte ich mich an Herrn Universitätsbibliothekar Dr. S. Birket Smith in Kopen-
hagen, welcher die Freundlichkeit hatte, mir eine Abschrift der Noten zu übersenden.
Es ergiebt sich nun, dass das Lied vom 'König in Ungarn1 wirklich seinen eigenen
Ton besass ; denn die vorliegende Melodie, bei der ich nur die Taktstriche hinzugefügt
und die 4. und 6. Note (a) aus Vierteln in Achtel verwandelt habe, stimmt mit keiner der
bisher mit dem Texte in Verbindung gesetzten Weisen überein, weder mit der des älteren
Marienliedes: 'Frülich so will ich singen' (Böhme Nr. 602. Bäumker, Das kathol.
deutsche Kirchenlied 2, 104 Nr. 33a. R. v. Liliencron, Deutsches Leben im Volkslied
1885 Nr. 7), noch mit dem ähnlichen Choral: 40 reicher gott im throne' (Böhme Nr.
392), noch mit der Doller Weise (Böhme Nr. 374), noch endlich mft dem Tageliede:
'Die sonn die ist verblichen' (Böhme Nr. 116). Freilich bleibt die Möglichkeit, dass
der 'König von Ungarn' später auch im Tone des genannten Marienliedes gesungen
wurde; aber gegen die ursprüngliche Verwendung dieser Weise spricht der Umstand,
dass die älteren Drucke des 'Königs von Ungarn' keine Tonangabe haben ; und nur aus
der Gleichheit des Strophenbaus und der typischen Eingangsformel 'Frölich so will ich
siugeu' auf die Gleichheit der Melodien zu schiiessen ist etwas gewagt. — Das deutsche
Lied samt der Melodie rührt, wie mir Herr Smith schreibt, von einer andern Hand her
als der übrige Inhalt der Kopenhagener Handschrift, ist aber ohne Zweifel zu derselben
Zeit (um 1540) aufgezeichnet, vermutlich von einem Deutschen, der sich damals in Island
aufhielt. Vgl. noch über die IIs. W. H. Carpenter, Nicoläsdräpa Halls prests, Freiburger
Diss. 1880 (Halle 1881). — In Jellinghaus' Text haben sich ein paar kleine Versehen ein-
geschlichen : Z. 1 Lecklick statt Klecklick, wille ist ausgefallen, ebenso 2 Verse hinter Z. 4.
') Ein Platz, auf dem die Hinrichtungen von Verbrechern stattfanden.
■) Ein Platz, auf dem die Viehmärkte abgehalten würden.
BERLIN.
Johannes Bolte.
69
Zum Niederdeutsehen Aesopus.
Unter dem Titel 'Niederdeutscher Aesopus' hat Hoffmann von
Fallersleben 1870 20 Fabeln und Erzählungen aus einer Wolfenbütteler
Papierhds. des 15. Jahrhunderts (997 Nov) mitgeteilt, nachdem er
schon vorher in Pfeiffers Germania, Jahrg. 13 S. 469 — 478 Proben
daraus wiedergegeben hatte. Der Abschreiber der ursprünglich nieder-
deutschen Gedichte hat Nieder- und Hochdeutsch gemischt, und H.
hat sich die Aufgabe gestellt den Text in das ursprüngliche Nieder-
deutsch zurückzuübersetzen, zugleich aber denselben von allen übrigen
Entstellungen zu reinigen. Nun hat er aber den Text vielfach nur
sehr flüchtig gelesen. Auch treffen die eigenen Conjekturen des Heraus-
gebers an vielen Stellen nicht das richtige. Ich habe nun in Folgendem
versucht das dem Dichter zukommende herzustellen. Ich benutzte
dazu eine Abschrift der Hds. von W. Seelmanns Hand. Auch die ent-
sprechenden Fabeln Gerhards von Minden, die Hoffmann nur aus
Wiggerts Scherflein kannte, haben an einigen Stellen zur Herstellung
des Textes beigesteuert.
I, 49. mer ein iklik merke rechte,
dat man den to vorsten neme,
de sik der swacken nicht en scheme,
unde dat em allewege sy
wärheit unde genade by,
de sik to aÜer doget syre
unde dorch gave nummende vyre.
Weder sik syren to 'zieren, verherrlichen', noch vyren 'Ehre er-
weisen', wie H. angibt, ist zu belegen. Es liegt ein Fehler des
Schreibers vor, der das alte sik Heren (teren) 'Art und Weise an-
nehmen, sich benehmen' nicht verstand. Statt vyren ist hoveren mit
Dat. 'einem hofieren, schmeicheln' einzusetzen, also zu schreiben:
de sik to aller doget tere
unde dorch gave nummende hovere.
V. 76 schreibt die Hds. we eventuire hie iummer sij. Vergleichen
wir dazu XXIX, 30 des saltu iummer vro und eventuir van myr werden^
so ergibt sich, dass eventure hier ein Adjectivum ist, ungefähr gleich-
bedeutend mit vro,
II, 13 ff. sind folgendennassen zu interpungieren :
he vragede war he ein helve neme,
dat syner exen even queme,
dar he de mede mochte merken
unde 6k synen willen werken.
D. h. er fragte, woher er einen Stiel nähme, welcher zu seiner Axt
passend wäre, damit er dieselbe versuchen möchte u. s. w. H. bezieht
de fälschlich auf de bbme^ und fasst merken als 'mit der Märke ver-
70
sehen'. Doch nicht darauf kommt es dem Schmiede an, sondern er
will die Bäume fällen, vgl. 5 f., 33 f.
Y. 45. dar um wy hebten graten dult.
Die Hds. hat moieen statt groten, wonach moten zu schreiben
ist: 'Darum müssen wir Geduld haben', dult hebben findet sich noch
LXI, 16.
III, 33. d&rer is dy des du dg nerest
Die Hs. hat duire is dich; für duire ist aber, wie die Vergleichung
von Gerh. 56, 29 beweist, diuve 'Diebstahl' zu schreiben. Der Vers
ist demnach zu lesen: diuve is des du dy nerest 'Diebstahl ist es,
wovon du dich nährst'.
V. 105 ff. sind mit der Hds. zu lesen:
doch einen sede heft dat hert,
dat he uprichtet hoch den stert:
wan he jenniges anxtes plicht,
he jo nicht vor dem hinder licht.
'Wenn der Hirsch Angst hat, so liegt der Schwanz nicht vor
dem Hinterteil.'
V. 112 lies:
schul em dat, so weit ik wol,
dat he tohant en vluchtich maket,
of he den rechten wech in raket.
H. schreibt V. 114 er statt o/", bezieht also he auf den Hirsch.
Es heisst aber: wenn er (der Käfer) den rechten Weg hineintrifft.
V. 136. se lopen, of se hebbe vorvert
de duvel mit eines ddrnes Uaven.
In Jclave sieht H. das lat. dava, erklärt also dörnes Jclave durch
'Dornenkeule'. Dies gibt jedoch keinen Sinn. Das hdsl. dornis dafen
ist entschieden stärker entstellt und in donres klapen 'Krach des
Donners' zu ändern. Über den Reim Idapen : apen vergl. zu Gerhard
von Minden 2, 51.
V. 162 ist zu lesen:
de eine grep ein bret, de ander ein span,
unde weiden vor dem hinder hdn.
de eine dit, de ander dat
hengen hinden vor dat gat.
weiden ist = toölde en. hengen ist die schwache Form des
Praet., der Plural, weil sich sowohl auf de eine als de ander beziehend.
V. 200 ist mit der Hds. zu lesen:
de duvel künde nicht bestryden
dat gen t dar mit wy sint behaft.
gent, Volk findet sich auch XIX, 19:
tom testen disser wilde gröt
dem armen gente ser vordröt.
Vm, 11 ff. lauten in der Hds.:
du sust, das ich van myner macht
han aller vögele schone gewracht
an dich aUeyne. nu straffes du mich.
71
die allen dach underwisen dich,
dal iclich synes amptes plecht . .
Was Hoffmann daraus gemacht hat, scheint mir unverständlich.
Ich schreibe mit möglichstem Anschluss an die Hds.:
du 8U8t, dal ik van myner macht
han aller vögele schone gewacht
an dy, alleine du strafest my.
de alle doch underwisen dy,
dat ÜUk sines amptes plecht . . .
Du siehst, dass ich durch meine Macht aller Vögel Schönheit
an dich gelegt habe, obgleich du mich nun tadelst. Diese (Vögel)
alle unterweisen dich, dass jeder seines Amtes pflegt u. s. w.
V. 91 ist zu schreiben:
de my bracht an diesen miströst
unde dy van anxte heft erlöst.
XII, 28. so trat men den guden dot,
dank wet he des, nicht is bewänt
Das ist trotz H.'s Erklärung: "bewanen, verdächtigen, für falsch,
unrichtig halten u unverständlich. Die Hs. hat richtig: ind ist betvant
'und (es) ist wohl angewandt', ind = ende it? 49, 61. bewant ist
also Part, praet. von bewenden. Vgl. XLVII, 59: tvat man an den
guden leckt is toal bewant, de meister secht. Vgl. auch 20, 152: vä
wcl he syne siege bewande. — Nach dridde V. 41 ist ein Komma zu
setzen; das Relativpronomen ist ausgelassen.
XTV, 20 muss gelesen werden: de äpen gingen vor en stan Die
Hs. hat zwar hier eme, aber auch V. 33 u. 86 steht em, wo H. richtig
en gesetzt hat. Ebenso ist V. 46 en statt eme zu lesen.
V. 51. wat here dunkt dy dat ik sy
unde alle de hyr stan by my.
Die Hs. hat richtig den Gen. plur. heren, vgl. V. 73 wat Volkes;
ik ist zu betonen.
V. 63 f. do sach de ander unde dachte
wo he sik van dem apen wrachte
sind unverständlich, denn die Übersetzung H.'s: 'sich frei machte'
ist nicht sprachgemäss. Die Hs. hat we statt wo. Es ist zu lesen:
wes he sik van dem apen wrachte
;was er sich von dem Affen auswirken möchte'. Der Gen. wes steht
als Rel. wie noch häufig für den Acc; vgl. Mnd. Wb. 5, 694.
XVII, 26 hat die Hs. vrunt statt sint. Dies ist beizubehalten
und folgendermassen zu interpungieren:
vrunt, ik starkers nicht en vinde
dan du bist, so mach sik temen,
dat ik dyne tochter nemen
wtl to wyve na der echte.
XVHI, 4 ist nach der Hs. zu schreiben:
he gaf em wünsche walde
drier hande, wu dat he
jummer wolde nomen de.
72
Y. 22. se sprak: nti wünsche ik, leive man,
dattu krygest einen mavel
to dieser miner wünsche kavel
von State, dat ik möge sein
dat mark hyr üt van dy myn tein. —
myn V. 26 hat H. aus dem hdsl. mich gemacht, dies gibt aber
keinen Sinn; es ist in noch zu bessern.
XIX, 3 ist in der Hs. nijt statt mit zu lesen. Dies ist die dem
Schreiber gemässe Form der Negation nicht, mit alt = mit aJ, 'omnino,
prorsus valde', was H. setzt, dagegen nicht weiter zu belegen.
Der Anfang dieser Erzählung ist zu lesen:
An meientit sik dat geschach,
dat ein man syne vrouwen sach
mit einem knapen, de nicht alt
was, gegän an einen grünen wdlt.
Das Part, praet. nach sen auch V. 66: den leiden döt hebtet gy
gegän sein mit my.
V. 28. to hant de vrouwe den man vornam
to sik komen an grimmiger vdr (: dar)
var erklärt H. durch dolus, Arglist; es ist aber var (: dar) zu
lesen, var(e) = mhd. fuore, die Art und Weise, wie jemand fährt,
des Benehmens. Vgl. Mnd. Wb. 5, 199.
V. 102 ist nicht dar für dat zu setzen, sondern letzteres zu streichen.
Y. 109 lautet in der Hs.: do dachte der vrouwe an erem moed,
wofür zu schreiben ist: do duckte der vrouwen.
V. 119 ist dar statt der verschrieben. Der Schluss muss lauten:
Ein olt gesproken wort gemeine
is, dat, de waschet teigelsteine
unde de eines wives hat,
seit, de wert der lüde Spot.
XX, 12 ff. sind sehr in Verwirrung geraten und folgendermassen
wiederherzustellen :
doch künde de sege syn ny gewerden,
so dat se ene wolde leven.
an disser var se lange hieven.
do einer tyt mit siner plöch
to hüs he quam, noch gern gevoch
an syner were mit nichte he vant,
wol dat dem wyoe wal bekant
was manniges kummers sware dach
des he dorch sie beide plach.
Dazu ist folgendes zu bemerken: V. 15 hat die Hs. 50 statt cfö,
vgl. z. XVI, 86. einer tit ist zeitlicher Genit. wie 'eines Tages', vgl.
Leibnitz Script, rer. brunsw. 3, 197. Die Verse sind zu übersetzen:
'Doch konnte der Sieg nie sein werden, dass sie ihn lieben wollte.
Bei dieser Lebensweise blieben sie lange. Da er zu einer Zeit mit
seinem Pflug heimkam, fand er noch keinerlei Bequemlichkeit in seiner
Behausung, obgleich dem Weibe wohl bekannt war mancher schwere
Tag der Not, die er ihrer beider wegen erduldete.'
73
XXV ist der stärker entstellte Schluss folgendermassen zu bessern:
Dem unschuldigen dicke göt
schut tegen des bösen tnöt:
siege dem wyve vor ere Ungunst,
gut wart dem bure vor syne kunst.
'Schläge dem Weibe für ihr Übelwollen, Gut wurde dem Bauer
für seine Kunst zu teil.' Statt Ungunst hat die Hs. gunst, wie V. 33
gewrochen statt ungewrochen.
Den obigen Bemerkungen seien schliesslich noch folgende angereiht,
die m. E. keiner ausführlichen Erörterungen bedürfen: I, 68 lies mit
slagen 'Holzschlagen' statt siegen. — II, 42 exent&ch ist nicht 'Axtgerät',
sondern verächtlich gesagt, vgl. nnd. kröptüch. — IV, 28 ist das ne
der Hs. (H. ny) nicht zu ändern. — IV, 30 lies väre 'Angst, Furcht'.
— IV. 41 ff. vgl. mein Programm Northeim 1879 S. 7. — IV, 54
hat die Hs. das richtige annamen, ebenso IV, 63 das Part, praet.
unnamet, vgl. Mnd. Wb. I, 98. — IV, 179 f. ist zu interpungieren :
Tom lesten undergink de vane Des toulves up des strydes bane. — IV,
185 ist das hsl. eobarst in tobarst (H. tobrast) zu ändern. — IV, 196
lies nach der Hs. bannervorer 'Bannerführer'. — V, 1 bietet die Hs.
Eyn (H. De), was nicht zu ändern war. — VI, 14. 22 ist dede sicher
Conj. praet. zu dön 'verleihen, gewähren'. — VII, 6 ist schöner wohl
Fehler des Schreibers und zu lesen: Noch den vogel ich ne gesach De
ju gelyk an schone were. — VII, 1 1 ist Uf 'Leben', nicht leif zu lesen,
vgl. Gerhard 46, 21. — VE, 54 hat die Hd. loffen, woraus H. lopenden
gemacht hat, vielleicht ist losen 'freien' zu lesen, vgl. lösjungere. —
Nach XI, 59 fehlt ein Vers, der nach der Hs. zu ergänzen ist. De
lande he den künden bot. Vgl. auch Gerhard 53, 76. — XI, 72 steht
der (= de) in der Hd. fiir unde. Nach Vergleichung von Gerhard
53, 91 ist zu schreiben: De my bracht an dissen mistrost Unde dy
van anxte lieft erlöst. — XII, 4. 48 ist vormanne (Hs. voirmanne) nicht
in vermanne zu ändern, vgl. mnd. Wb. 5, 403. — XI, 42 ist vielleicht
ü redet j. u. o. zu schreiben. — XIV, 9 ist, nachdem hinter gräle ein
Punkt gesetzt ist, so zu interpungieren: Dar na den apen töch syn art: Ein
deif he synes heren toart. — XIV, 34 schreibt H. Ein hopen golt he
vor sik nam. Das hsl. hovetgolt 'goldener Kopfschmuck' ist aber un-
zweifelhaft richtig. — XIV, 61 ist das hsl. gessen wohl als geten
wiederzugeben. — XV, 14 so, welches in der Hs. fehlt, ist zu tilgen.
— XV, 26 ist mit der Hs. zu setzen Do he disset vlcent sach. —
XV, 23 ist wohl zu lesen : Van vlucht er gein der andern warde (warde
Praet. von worden 'warten auf, erwarten'). — XVI, 4 lies vor en, vgl.
zu XIV, 20. — XVI, 86 lies De lewe do dein wulve gebot. Die Hs.
hat zo, was häufig aus do entstellt ist. — Zu XVI, 120 plicht vgl.
Mnd. Wb. 3, 347b. — XVII, 1 interpungiere Ein mül, wolde vryctl ho.
Das Relativpronomen ist ausgelassen. — XVIII, 36 boven raden heisst
nicht 'im Rathe übertreffen', sondern 'herrschen über', es ist zu
schreiben du boven er rät, dat rade ik dy. — XIX, 52 lies mit der Hs.
nitnant statt numment, desgleichen V. 70 dat sy dy geklaget hexe Crist,
74
V. 84 utent (so hat die Hs.) ih sdl nicht lange leven, V. 90 he dachte
hijr, he dachte dort, V. 102 ist nicht dar für dat zu setzen, sondern
letzteres zu streichen. — XX, 32 ere (eire) bähen der Hs. ist richtig.
— XX, 39 gorge 'ärmlich', vgl. Korresp.-Blatt 12 S. 42. — XX, 34
ist got mote des, meister, an ju walden zu lesen. — XX, 102 lies Se
slogen aver (Hs. over) up synen bah. — XX, 105 kann spil wohl nicht
'Spiel' sein, sondern wird ein dünnes Stähchen bedeuten, s. Schambach
u. sptle. — XX, 119 lies de vor (vorher) quam gande up dem slyke.
Die Hs. hat uff oder uff, H. unpassend üt. — XX, 141 hat die Hs.
richtig van em etc. 'dem vermeintlichen Arzte'. — XX, 145 'Über
diesen Bauern waren sie erfreut', vgl. XIII, 17.
Zur Wortlese ist noch zu bemerken: 1, einhrygich, eigensinnig,
zänkisch findet sich scheinbar LXIIII, 37. Eyn eynhrygich menshe wil
miß sinem wiue winnen vil Da das Wort nicht weiter belegt ist
dürfen wir wohl eine Dittographie annehmen und auch hier eyn hrigich
mensche schreiben.
2, schanthache wird hier ohne Erklärung aufgeführt. Das mnd.
Wb. will darin die schanthoihe sehen, den Schandmantel, welchen z. B.
ein auf Ehebruch ergriffenes Weib öffentlich tragen musste. Dagegen
spricht aber der Zusammenhang der betr. Stelle, XXIV, 15 ff. nach
der Hs.:
Eyn schainithache druwet meer
und zornet uff dm guden seir
dan die vromen iummer doet
schainithache (die Fliege wird so bezeichnet) ist in schanthache
zu bessern, -hacke wie in westfäl. Kau~hacke, Sliep-hacke s. Jahrb.
III, 118.
3, Nicht ein subst. weddersnack, sondern ein Verbum toedder-
snachen ergibt sich aus den beiden citierten Stellen.
NORTHEIM. R. Sprenger.
75
Zu Gerhard von Minden.
Den früheren Bemerkungen zu Seelmanns Ausgabe der Fabeln
Gerhards im Korrespondenzblatt XI, 68 und XII, 5 lasse ich hier
einen dritten Beitrag folgen mit dem Wunsche, dass durch ihn das
Verständnis des Dichters gefördert werde, der in sprachlicher Beziehung
von hohem Interesse ist.
3, 100. unde worden vast aldus gebunden
mit enem vaden, den ae vundeti,
daraf geneget was ein bot.
Was soll geneget heissen? Das Wort fehlt in der Wortlese; das
mnd. Wtb. bietet nur negen oder neigen 'neigen', und neien, neigen,
neggen, negen 'nähen', aber keines dieser beiden Verben scheint an
unserer Stelle zu passen. Wenn, wie ich annehme, Seelmanns Kon-
jektur bot 'Endchen' richtig ist, so vermute ich, dass 1) negen =r: nagen
ist; a wechselt oft mit e, z. B. dragen und dregen. 2) nagen = gnagen,
Jenagen 'nagen'. Nun ist freilich nagen für gnagen im Mnd. nicht belegt,
vergl. aber ahd. nagan, altn. naga und ten Doornkaat Koolman, ostfr.
Wtb. nagen neben gnagen. Auch sonst ist wohl im Nd. anl. g vor n
abgefallen, s. z. B. Br. Wtb. s. v. gnabbeln: „Wir sagen auch gnibbeln,
knibbeln, nibbeln u. — Da der Frosch die Maus untertauchen will, so
darf der Faden, mit dem sie zusammengebunden sind, nicht zu lang sein.
3, 128. Swe jo an drogene pinet sik,
van rechte valt he an den strik,
dar he wil seüen sine vrende.
Statt dar in Vers 130 hat die Hdsch. dat, welches beizubehalten
ist, obgleich den strik vorausgeht; denn strik wird von Gerhard auch
als Neutrum gebraucht in Fabel 16, 55: dat starke strik. Vergl. auch
des Herausg. Bemerkung zu Fabel 5, 9. Vielleicht ist auch doch mit
Wiggert viende statt des hs. vrunde zu schreiben, obwohl letzteres,
vom Herausg. in vrende geändert, dem Sinne nach nicht falsch ist.
Vergl. 94, 40, wo auch hs. vrunden auf enden reimt. Der Sinn ist:
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Wegen des „ein
strik settenu vergl. 16, 36 und 58, 67. Wegen des Gedankens vergl.
55, 133:
vü mannich sulven daran veUet,
dat he to valle enem anderen stellet,
wie ich statt darna und enen lese. Demnach ist auch in 3, 130 sinem
statt sine zu lesen. Ich vermute, dass über dem e in sine der Strich
fehlt, sine ist aber = sinen und sinem.
5, 10. 6k enen anderen kese vunde = 'noch einen anderen Käse\
ok kommt bei Gerhard sehr oft vor, entspricht aber nicht immer
unserem „auch", 6k, einem Relativum vorgesetzt, heisst 'was auch
76
immer, wo auch immer9, z. B. 42, 20: 6k wat it ome schaden scholde,
50, 17: 6k wat de man sprak efte ret, 81, 40: 6k wor du in dem lande
blivest. Das mnd. Wtb. bietet kein Beispiel,
7, 13. 6k wis. Die Hdsch. hat wise. Sprenger im Programm
löst es auf in wisen 'zu erkennen geben' und vergleicht die noch heute
gebräuchliche Formel, „mit Wissen und Willen", die wohl ursprünglich
nd. sei: mit wisen ende willen. Abgesehen davon, das letztere Ver-
mutung schwerlich richtig sein wird, kann ich nicht verstehen, wie
wisen hier Verbum sein soll. Das hat der Herausg. sehr wohl erkannt
und darum wis gesetzt. Aber das hs. wise kann doch richtig sein,
man hat es vielleicht in wis en aufzulösen. Dieses en 'und' scheint
zwar überflüssig, wird aber noch heute in ähnlicher Weise gebraucht.
Statt des Infinitivs nach Substantiven steht oft „und* mit einem Verbuin
finitum. Als Beispiel führe ich hier an R. V. 166: Wo gy mit Beinken
maken den vorbunt Unde wolden wesen twe like gesellen.
7, 81. Dit bispel xoil de jene leren,
de gerne hedden vele heren,
dat 8e sik vorwandeln mochten
unde ere der jare vele besochten.
Diese Stelle scheint mir vom Herausg. missverstanden zu sein.
Die Hdsch. hat des jares, das ist für die Erklärung der Stelle wesentlich.
Ist des jares richtig, so kann es nicht von vele abhängen, wovon der
Herausg. dir jare abhängig gemacht hat. Ferner erklärt der Herausg.
ere als 'die ihrigen', offenbar infolge der Änderung von des jares in
der jare. Ich fasse ere nicht als Pronom. possess., sondern als Gen.
PL des Pronom. pessonale = er 'ihrer', und mache es von vele ab-
hängig. Ich übersetze: und ihrer des Jahres viele versuchten. Viel-
leicht sind Vers 33 und 34 umzustellen, doch scheint mir dies nicht
gerade notwendig, vergl. Fabel IV, 8:
De hunt sprak, dat hea om wolde
mit tugen vü gut overgän,
Dat he hedde om ein bröt gedän,
de it gehör den unde sagen,
wo sich auch de in Vers 11 auf tugen in Vers 9 bezieht. Ähnlich
Fabel 8, 44 u. 45; 25, 1 ff. Über das ere für er s. Lübben, mnd.
Gram. § 18.
8, 1. Ein voulf dorch »in girichede
gröt let to enem male dede,
xoent he sUnden ein bein begunde,
dat he inbringen nicht ne künde
in den hals. It one do stak
unde dede em vü gröt ungemak.
let don heisst „Leid, Schmerz zufügen, verursachen u. Man würde
noch einen Dativ, liier siky erwarten, oder ist statt dede etwas anderes
zu lesen, vielleicht lede = let?
11 , 20. dat gi vil arme scolen bewaren.
Die in der Wortlese angegebene Bedeutung von bewaren = ver-
hüten passt für unsere Stelle nicht, falls nicht der Ausfall einer Ne-
7?
gation, etwa en, anzunehmen ist. Der Sinn wird vielmehr folgender
sein: „das sollt, ihr ärmste, (noch) inne werden, erleben u. bewaren
würde dann = gewaren sein, vergl. mnd. Wtb. I p. 313, für das zwar
die Bedeutung „erleben, inne werden* im mnd. Wtb. nicht belegt ist,
vergl. aber die heutige Redensart aus Kattenstedt am Harz: dat säst
du noch jetcdr tveren 'das sollst du noch erleben', und ostfr. Wtb.:
gewaren 'gewahren, gewahr werden, erkennen'.
11, 47. It were böse, dat it totsten.
Die Konjunktion dat wird von Gerhard in einigen Bedeutungen
gebraucht, die im mnd. Wtb. nicht verzeichnet sind. In der Bedeutung
„quodsi" steht dat, wie der Herausg. schon bemerkte, 14, 39 und
76, 17. Ferner noch in Fabel 69, 70.: De vruntschop lange denne
bestät, Dat se tcol dregen over ein. — 11, 47 ist dat — „wenn* in
irrealen Bedingungssätzen, ebenso Vers 56: dat it des landes heren
leisten — se ne deden is jo nicht vde. Ferner 69, 34: Ein man, de
dar was vorgegdn^ De lach dar vor om up der erden Unde sprak, he
wolde syn egen werden, Dat he ome dat Itf geve enen dach. In anderer
Bedeutung scheint mir dat in Fabel 3, 115 zu stehen. Die von
Sprenger, nd. Jahrb. IV p. 98, für diese Stelle vorgeschlagene Inter-
punktion halte ich für zutreffend, übersetze aber die Verse : dat se 6k
jenige teere Ijegrcp, Vil dicke se to eme rep nicht: 'so bald sie etc.',
sondern 'indem sie, während sie'. Diese Bedeutung von dat folgere
ich aus dem heutigen Gebrauch, sie ist in Kattenstedt ganz gewöhnlich.
Ebenso glaube ich, dass in Fabel 98, 5 das hsl. dat „ während " ist
und nicht in do geändert zu werden braucht; der Kaltenstedter würde
hier nur dat setzen. Auffordernd wird dat stehen in Fabel 94, 73:
Gi sinnelose det, dat gi den gek nicht an en set.
16, 3. to testen ein up ene sprank.
ein ist vom Herausg. hinzugefügt. Sollte nicht to lest en up ene
sprank zu lesen sein? to testen ist in der ersten Hälfte der Fabeln
sehr selten, erst in der zweiten Hälfte oder dem letzten Drittel findet
es sich öfter.
18, 8. do schude on so van rechter scholde.
Das hsl. rechte ist nicht zu verwerfen, vergl. 43, 8: do schude
om, so van rechte scholde, auch sonst steht van rechte.
22. 19. so gut is min moder de zege,
dat ik der moder al vortege
dorch oren willen, den ik weit,
ir melk is mi jo so bereit.
In Vers 21 hat die Hs. de statt den und das ist richtig. Ich
übersetze „dass ich um ihretwillen auf alle Mütter verzichte, die ich
weiss (kenne)". Im Nd. steht oft da „wissen", wo im Hd. „kennen"
gebraucht wird.
Fabel 27, 6. dat se is 6k mi nicht enwiten. In der Wortlese ist
enwiten als ein Wort aufgeführt, es ist aber = en witen.
35, 11. He let sek de arsten besein,
de aüe des begunden gein,
78
na orer kunst unde einem begere,
dat he mit enem kinde were.
begere in Vers 13 wird schwerlich richtig sein, was soll hier
„Verlangen, Wunsch, Begehr"? Ich lese gebere 'Gebaren1, vergl.
45, 5 daran om duckte an sinem gebere.
39, 54. nu mochte ik eten also sachte
dut 8chdp, dat ik hir hebbe vunden,
were it mit lovede ungebunden.
Statt it in Vers 56 ist ik zu lesen. Nicht das Schaf, sondern
der Wolf hat sich durch das Gelübde gebunden, t und c, k sind öfter
verschrieben, s. Vb. p. 165.
46, 26. Im Text steht ja an schöner rode, nicht rede, wie Sprenger,
Programm S. 6 angiebt. Eine Schmeichelei liegt übrigens in dem,
was der Fuchs von des Hahnen Vater rühmt, nicht für den Hahn.
an schöner rode kann meiner Ansicht nach recht wohl heissen: „was
schöne Röte anlangt". Hähne haben nicht blos einen roten Kamm,
der als besonderer Schmuck gilt, sondern auch sehr oft rote Federn.
46, 43. De herde worden sin geware
unde lepen mit den hunden dare \
mit al dem vlite. de se mochten.
Der letzte Vers findet sich genau ebenso in Fabel 16, 62, statt
des hsl. de hat der Herausg. aber hier .90 gesetzt. 94, 44 steht mit
al dem vlitey dat se künden. Demnach wird auch 46, 45 so oder dat
zu schreiben sein, wenn nicht vielmehr de für de = den zu lesen ist;
vergl. 65, 129, wo de statt dem; 67, 5, wo de statt des; 76, 14, wo
de statt der in der Hs. steht.
49, 159. De wevele de quam hergeoaren
mit sinen in den strit mit macht.
Zunächst lese ich mit Sprenger sinnen, wie die Hdsch. hat. Dann
hat der Herausg. wevele als Nomin. Sing, gefasst, woraus sich auch
dessen Konjektur in sinen erklärt. Der Sing, lautet aber wevel. Diese
Form findet sich 10 Mal in der Fabel. Der Sing, wevele steht nur
1 Mal in Vers 191, wo die Hdsch. aber duvele hat. Auch in Fabel
85 findet sich 3 Mal der Sing, wevel. wevele ist Plural, deshalb hat
die Hdsch. auch richtig quamen statt quam.
51, 13. Darbi ne dorsten se nicht niesen,
dar de berch wolde genesen.
Dcis hsl. dat war nicht in dar zu ändern. Diese Konjektur hat
der Herausg. öfter gemacht z. B. 10, 25; 55, 9; 86, 34; 87, 49,
aber, wie mir scheint, ohne Grund. Nur 10, 25 und 84, 1 ist bestimmt
dar statt hsl. dat zu setzen. Vergl. oben z. 3, 128.
56, 8. under der stuken du den legest. Sprenger im Programm
p. 7 liest: under de stuken du de entlegest = „unter diesem Baum-
stumpfe verbirgst du sie (die Körner) dann", und meint, die Erklärung
(des Herausg.) in der Anm. sei schon deshalb falsch, weil legen niemals
'liegen' bedeute. Letzteres ist irrig, denn nicht blos das mnd. Wtb.
bringt Belege für legen 'liegen', sondern auch Gerhard selbst hat
79
88, 43 du legest und 46, 29 leckt. Ferner ist Ughen im nd. Jahrbuch
V p. 25 bezeugt. — körn droge heisst 'trocknes Korn', nicht 'Körner',
es ist daher bedenklich, den in Vers 8 in de zu ändern; es scheinen
sich zwar einige Beispiele zu finden, wo auf einen Singular ein Pron.
im Plur. bezogen wird, s. 29, 29 und 92, 6. Falls nicht ein Femin.
stuke anzusetzen ist, möchte ich under den stuken vorschlagen.
57, 28. darumme bespottet uns de lüde;
doch bin ik meist darmede begän,
ah ik ja schal to hove slän.
Die Wortlese giebt für begän die Bedeutungen an: begehen,
bestehen; bestatten. Diese passen jedoch für unsere Stelle nicht. Es
ist zu übersetzen: Darum bespotten uns die Leute; doch bin ich am
meisten davon (von dem Spotte) betroffen, wenn ich zu Hofe gehen
soll. S. mnd. Wtb. s. v. begän.
59, 69. de bein kun stich. Es ist nicht notwendig mit Sprenger
knustich zu schreiben. Die früher geschickten Beine sind infolge der
Gallen nicht mehr geschickt.
61, 15. do wunde dar bi ener mite
ein ridder, de 6k plach bi wile.
Gewöhnlich steht bei Gerhard wüen oder bewilen. Der Dativ
teile steht nach dem unbestimmten Artikel, bewüe statt bewilen auch
90. 2. Wahrscheinlich ist auch an unserer Stelle bewilen zu lesen.
Wegen des Reimes s. Einl. p. 40.
Fabel 67, 17. sint du mi hevest nicht gedän. Die Ildsch. hat
min statt mt, wie erklärt sich dieser Fehler? Oder könnte min aus
mi und der Negation en zusammengezogen sein wie z. B. sone = so eti,
(J5, 19. 67, 49 men — men en?
67, 30. Mit stempne 6k lüt unde unbehande. Sollte nicht wn-
hehande aus unde behande verschrieben sein? Verdoppelungen finden
sich 59, 63 is is; 56, 23 du du. behande würde dann „schnell*
heissen, vgl. Seelmann zu Vw. 3. Beachte übrigens unbevunden 74, 2.
71, 84. dat wird doch Konjunktion sein, kunne scheint hier
nur zur Umschreibung zu dienen, vergl. mhd. Wtb. I, 387. Vers 86
hat die Hdsch. willen statt wil. Ich vermute daher, dass eher über
dem e in kunne der Strich zur Bezeichnung des n fehlt, als dass willen
für wü verschrieben ist.
72, 23. den drom wü ek ju duden. Von einem Traume ist hier
nicht die Bede. Die Rda. soll nur bedeuten: Ich will euch den Sach-
verhalt sagen. Zu vergleichen sind die Redensarten, die am Harz
üblich sind: nü komme ek üt minen dröme 'nun wird mir die Sache
klar"; ek könne immer nich üt minen dröme kommen = 'ich konnte
die Sache noch immer nicht begreifen, mir klar machen'.
79, 26. Dat sik der vögele genere ist mir unverständlich ge-
blieben. Ich lese dat se sik der vögele genere. Subjekt ist dann raven,
das im Mnd. auch Femin. ist, s. mnd. Wtb.: eyne wüte rave^ ebenso
noch heute am Harz. Es wäre auch möglich, dass generen zu lesen
ist: Der Lerche, Nachtigal, Drossel, dem Pyrol und anderen ist Gesang
80
verliehen; Rabe, Adler, Falk und Sperber nähren sieb von anderen
Vögeln; die Eule frisst Mäuse und scheut das Tageslicht.
81, 57 lies wi statt mi.
81, 67. De egel Jet af, in sin beholt
quam he, dai was ein dicke brake.
brake ist in der Wortlese als „Erdspalt* erklärt. Das wird schon
deswegen unrichtig sein, weil sich der Igel nicht in Erdspalten, sondern
in dichtem Gebüsch, in Hecken und Zäunen aufzuhalten pflegt. Letz-
teres muss brake bedeuten. Vergl. ten Doornkaat Koolman I, 218:
„f/räk, Strauch, Gestrüpp, bz. allerlei wild und wirr durch einander
wachsendes Gesträuch (wie z. B. Brombeeren, wilde Rosen, Dornen
und sonstiges Unterholz), welches man nur mit grosser Mühe durch-
dringen kann". Brem. Wtb.: brake: Weidenbusch zum Zäunen. Vilmar,
Idiot. : brake, gewöhnlich PI. braken, Dornreiser, welche zum Ausbessern
der Zäune benutzt werden (westf. Hessen). Woeste, Wtb. : br dke, Reis,
Busch. Auch das Reisig, welches man an die Gartenerbsen steckt,
nennt man in Westfalen brake. Mnd. Wtb. : brake, Zweig. In Katten-
stedt a. Harz ist brake ein dichtes Gebüsch von Brombeeren, Him-
beeren, Domen etc., das schwer zu durchdringen ist. Vergl. auch
Frisch, Wtb. I, 123: Busch — Brake = ager mellitus arbustis repletus.
Auch der Zusatz dicke deutet an, dass brake nicht Erdspalt heissen
kann. Nicht unerwähnt will ich hier lassen, dass in Kattenstedt brake
auch die Bedeutung „Menge, Masse" hat, z. B. ne brake owet, ne brake
kartuffdn, ne brake holt etc., vielleicht ist diese Bedeutung für die
Etymologie des Wortes von Belang.
87, 55. De jene mit dem krusen hare
de rep lüde unde openbare.
Die Hs. hat den jene. Kann den nicht = dann, darauf sein?
92, 61. De vos de sprdk: wen ek di ütbrenge. Statt ütbringen
erwartet man inbringen.
102, 19. ju 'euch1. Die Hdsch. hat gik. Die Form mit ausl.
Konsonanten findet sich noch 3, 94 juk; 16, 46 juk; 12, 20 juk; 34, 8
gik; 40, 32 gik: 55, 64 juk; 62, 10 gik; 83, 31 gik; 93, 48, 55 juk;
94, 70 gik; 94, 75 juk; 100, 79 gik; 101, 26 juk; 102, 23, 47 gik.
Diese konsonantischen Formen sind von Bedeutung. Lübben, mnd.
Gram. p. 106 fuhrt die Formen ju, juw, gik, juk, juch auf mit dem
Bemerken, dass gik, juk, juch, entsprechend den oberdeutschen iuwich,
iueh, sich einzeln, besonders gern da finden, wo sich auch dik und
mik findet, d. h. nur landschaftlich, um den Mittelpunkt Hannover
herum bis Magdeburg. Das trifft im Wesentlichen noch für den heu-
tigen Sprachgebrauch zu. Das Ditmarsche hat ju, jü (Quickborn p.
238); das Meklenburgische jüch,ju; in älterer Zeit juw, ju, jw (Nerger
Gram.); Ostfr. jo, bisw. ju (ten Doornkaat Koolman); das Pommersch-
Rügische juw, juj (Dähnert) ; in und um Hamburg ju oder jo oder
auf bäurisch jou (Richey); Altmärkisch ju (Danneil). Das Brem. Wtb.
sagt Jii. Man hört es bisweilen, denn ordentlich sagen wir jou".
Rists Dramen haben yuw (nd. Jahrb. VII, 101 ff.). Westfälisch ju
(Woeste). Um Holzminden jök; Göttingen-Grubenhagen jök (Scham-
bach); Salder jich; Westharz jeich; Mittel- und Ostharz jtch; Osterwieck
jich; um Braunschweig jöch; Fallersleben jich; Helmstedt jich ; östlich
von Helmstedt jiich; um Magdeburg jich; Irxleben bei Magdeburg
jich; Biere juch. Aus obiger Zusammenstellung erhellt, dass dem mik-
(iebiete die konsonantischen, den übrigen Gebieten die vokalischen
Formen eigen sind. Auch das Mnd. kennt diesen Unterschied. In
(■erhards Fabeln rühren die konsonantischen Formen vom Abschreiber
her. Einige Male hat er auch ju = 'euch' mit ju = 'jemals, immer'
verwechselt, z. B. 23, 27 und 120, 47, wo gik steht, das Pron. aber
unpassend ist.
BLANKENBURG. Ed. Damköhler.
Guido von Alet.
In der Schrift De anima Guidonis besitzen wir ein wertvolles
Zeugnis für die eigentümlichen Formen, zu denen die Visionsdichtung
im Ausgange des Mittelalters gelangte. Das Interesse an ausge-
schmückten Berichten über die jenseitige Welt war in der zweiten
Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert, wie die zahlreichen zu dieser
Zeit entstandenen lateinischen und volkssprachlichen Abschriften der
Fahrten des Tundalus, des Brandan, des Paulus, des Purgatorium S.
Patricii beweisen, nicht weniger rege als vordem. An den alten Bestand
schlössen sich neue Schöpfungen an, und auch diese fanden, obwohl
ihre Verfasser durchgehends nicht über die reiche Phantasie ihrer
Vorgänger verfügten, in weiten Kreisen freundliche Aufnahme. Man
hatte Gefallen an der lehrhaften Tendenz, die in den jüngeren Erzeug-
nissen mehr hervortrat als in den älteren. Breite Ausführungen über
das letzte Sacrament, über Almosen, Selenmessen und die kirchlichen
Lehren von der Busse ersetzten schliesslich die Schilderungen der
Höllenqualen und Paradiesesfreuden, den Kern der eigentlichen Visionen.
So entstanden Abarten der Visionsdichtung, wie die, die durch unsere
Schrift repräsentiert wird. Aus dem Gleise des Hergebrachten waren
schon ältere Darstellungen herausgetreten, doch ebenso zwanglos, wie
sich deren Zusammenhang mit der Visionsdichtung aufweisen lässt,
lässt sich die Beschwörung des Geistes Guidos aus dieser herleiten.
In dem Streite der bösen und guten Engel um die Sele eines Ver-
schiedenen, in der Schilderung des Fegefeuers besitzt unsere Schrift
Bestandteile, die fast allen echten Visionen gemeinsam sind. Die
Unterweisung in kirchlichen Lehren überwiegt allerdings, und wir
müssen daher den Verfasser des Buches von Guido als einen ausge-
KiedordeaUcheB J Ährbuch. XIII. £
82
sprochenen Vertreter der neuen Richtung ansehen. Gleichmässiger sind
Lehre und Schilderung in Amt Buschmans Mirakel, einem jüngeren
Werke1), verteilt.
Die im 12. Jahrhundert entstandene Visio Philiberti hat die rein
lehrhafte Richtung in der Visionslitteratur wenn nicht begründet, so
doch, da sie sich in kurzer Zeit über weite Gebiete verbreitete,
wesentlich gefördert2). Wie erwähnt, wird in den dahin gehörigen
Schriften der Sele Klage3):
Quando tc volucram caro castigare
Käme, vel vigiliis, verhöre domare,
Mox te miindi vanitas coepit invitare
und der gleich verständliche Vorwurf*):
Du woldest langhe slapen,
Du achtedest cleyne up de papcn,
Wat sc gudcs mochten klapen.
To godcs denste was dy leide,
Metten unde missen vorslepestu heyde.
Des mute wy van liynne sceydcn,
Mit jamerliken oglien weyncn
nur weiter ausgesponnen und variirt. Dass die jüngeren Darsteller
aber in jeder Beziehung den durch die älteren Vorbilder gewiesenen
Wegen folgten, zeigt die Wahl der Gesprächsform durch die Verfasser
der Disputation zwischen einem Prior der Dominikaner und dem
Geiste Guidos und der Offenbarungen Amt Buschmans. Der Papst
Johann XXII, ein Gegner der Visionen, scheint, nach den Schluss-
worten des erstgenannten Werkes zu urteilen, Hervorbringungen dieser
Art eine gewisse Teilnahme entgegengebracht zu haben, sei es weil
sie die Autorität der Kirche stärkten, sei es weil die gleichsam unter
seinen Augen entstandene Schrift über Guidos Geist aus den Kreiseu
der von ihm begünstigten Dominikaner *) hervorgegangen war.
*) Herausgegeben von W. Seelmann in dieser Zs. 6, 32 ff. — *) Etwas älter
ist die Vision eines Mönches von Clairvaux, welchen ein verstorbener Bruder mit
der Pein bekannt macht, die er zu erdulden hat. Der Visionär wird an den be-
kannten unermesslich breiten und tiefen puteus geführt, und schaudernd hört er
das Bekenntnis seines aus eigener Erfahrung sprechenden Führers, dass er lieber
hundert Mal von Menschen als ein Mal von den Teufeln in den Abgrund gestossen
werden wolle. Was er gehört und gesehen, teilt der Mönch seinem Abte, dem hl.
Bernhard, mit, und dieser ermahnt die Brüder unter Hinweis auf die Bosheit der
Teufel und die Qualen des Verstorbenen, sich eines immer frömmeren Wandels zu
befieissigen und nicht nachzulassen, für die gemarterte Sele zu beten und Messe zu
lesen, damit sie erlöst werde. Nach wenigen Tagen erscheint der Verstorbene dem
Mönche zum zweiten Male. Jede Spur von Traurigkeit ist aus seinem Antlitz ver-
schwunden. Auf die Frage des Visionärs berichtet er, dass es ihm gut gehe, und
auf die weitere Frage desselben, wie er seiner Pein lcdig geworden sei, weist er
auf die Messe lesenden Priester hin. Kr findet nicht genug Worte, die erlösende
Kraft der Hostie zu preisen. Auch diese Offenbarung wird den übrigen Brüdern
mitgeteilt. Die Vision steht im Exordium magnum ordinis Cisterciensis des Konrad
von Eberbach, bei Tissier, Bibliothcca patrum Cisterc. 1, 44—45. Sie macht auch
in formeller Hinsicht einen ansprechenderen Eindruck als die verwandte Vision eines
Sacristans, Tissier 1, 177 f. — ■) Visio Philiberti her. von Karajan in Der Schatz-
gräber (Leipzig 1842) V. 158 ff. — «) Nd. Jahrb. 5, 36. — •) Bei den Prediger-
83
Welcher Beliebtheit sich unsere Schrift erfreute, lässt das nach-
stehende Handschriftenverzeichnis erkennen.
Lateinische Handschriften.
A. Berlin, Königl. Bibliothek, Ms. Diez. C. in Fol. 2. a. d. J. 1455
bis 1456. no. G. Uebcrschrift: Historia de anima Guidonis Anf.: Sicut
dicit beatus Augustinus in de hMe ad Petmm etc. ... in civitate Allecti que
distat a curia apostolica que iam Bayona vocatur per XXX miliaria vj kalendas
decembris obiit quidam civis eiusdem civitatis Allecti noraine Owido etc.
Ende: IIcc omnia probata sunt coram domino papa Jobanne XXij. Et in
die Pascha papa misit ilhic et non invenit dictum spiritum, unde creditur,
quod iam regnat in celo, ad quod nos perducat ille qui est benedictus in
secula seculorum. Amen.
B. Kiel, Universitäts-Bibliothek, Miscellanhs. 38 in 4°, Bl. 175 ff.
Sequitur apparicio spiritus Gwidonis et aimiracio eiusdem per priorem quendam.
Auf.: Sicut dicit Augustinus in libro de fide. lieber die Hs. vgl. Ratjen, Zur
Geschichte der Kieler Univcrsitäts-Bibl. S. 65.
C. London, British Museum, Ms. Cotton. Vcsp. A. VI, Pergamenths.
in 4°, Bl. 138 ff. Uebcrschrift: Spiritus Guidonis.
I). London, British Museum, Ms. Cotton. Vesp. E. I, Pergamenths.
in 4°, Bl. 219b ff., nach Wright, St. Patrices Purgatory S. 45
älter und besser als C. Ende: Explicit quedam disputacio mirabilis
inter priorem fratrum predicatorum de civitate Alcestie que distat a curia
apostolica que vocatur Avinouia per XX fci .iiij. miliaria et inter spiritum
cujusdara civis civitatis ejusdem nomine Guydo, qui obiit .Xvj. kl. Decembris
anno Domini millesimo tricentesimo vicesimo tcrcio.
E. Mühlhausen, Ratsbibliothek, Hs. 138. fol. Papier. Ueberschrift: De
spiritu gwidonis. Ende: Hec omnia probata sunt coram domino papa Jo-
hanne XXij u etc. Anno domini Mccccxliij per me Caspar lewenhagen bonum
socium. Vgl. Stephan, Neue Stofflieferungen (Mühlhausen 1846 — 1847) 2, 127.
F. München, Cod. lat. 18 621. 4°. 15. Jh. Bl. 219 ff.: Disputatio inter
spiritum defuncti et priorem praedicatorum.
G. Osnabrück, Bibliothek des Gymnasiums Carolinum, Papierhs. Dy
76. 4n. 15. Jahrb. no. 16: Disputatio inter priorem et spiritum
Gwidonis.
H. Wolfenbüttel, Cod. Heimst. 695. 14. Jh. (1383). Bl. 1—2. De
reapparitione spiritus Widonis, cuiusdam civis Boyonensis, post
mortem eiusdem. Bricht nach v. Heinemann, Die Handschriften
der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel I (2), 147 mitten
in der Erzählung ab.
I. Wolfenbüttel, Cod. Heimst. 730. Papier. 15. Jh. Bl. 135—146. De
reapparitione spiritus Gwidonis, civis cuiusdam Boyonensis, post
mortem eiusdem, anno m°. ccc°. XXiij. Schlussschrift: Hec omnia
probata sunt coram domino papa Johanne XXII, et iterum in Pascha papa
misit illuc et non invenit dictum spiritum, unde igitur creditur, quod iam
manchen war seit der Zeit der ersten Ausbreitung des Ordens eine merkliche Neigung
zu Traumen und Visionen vorhanden. Sie tritt stark in dem 1263 geschriebenen
Buche des Dominikaners Thomas von Chantimpre' vom Bienenstaat hervor. Vgl.
Wattenbacli, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 2, 446 — 447.
6*
u
regnat in celis, ad qnos nos producat qui sine fine vivit et regnat per secuta
seculorum. Amen. Ueber die Hs. vgl. v. Heinemann I (2), 171 — 172.
Deutsche Handschriften.
K. Berlin, Königl. Bibliothek, Ms. germ. Quart. 404, Bl. 85a— 111h,
in mittelniederdeutscher Sprache. 15. Jh. (1446). Seelmanns
Ausgabe von Arnt Buschmans Mirakel ist der in dieser Hs. Bl.
1 ff. stehende Text zu Grunde gelegt.
L. Darmstadt. Hs. IOC fol. Papier. 15. Jh. Anf.: Hie begynt eyne dis-
putatie tuschen cyiue prior der preitger orden ind eyme geiste eyns maus, de
gestoruen was, ind gwido heisch. Ende: Grate pro translatore. Vgl. Roth,
Altdeutsche Handschriften der Bibliothek zu Darmstadt in der Germania 32, 334.
M. Kopenhagen, Königl. Bibliothek, Gamle Kongelige Sämling in folio
no. 82, Ende des 15. Jhs. Ueber diese Hs. hat Jellinghaus in
dieser Zs. 7, 14 berichtet.
Mittelenglische Fassung.
N. London, British Museum, Ms. Cotton. Tiberius. E. VII. Bl. 90 ff.
Nach Wright S. 45 schliesst sich diese me. metrische Version
eng an das lateinische Original an. Ausser dem Anfang:
Saint Michael goddes angel clere,
And Saint Austin the doctur dere,
And other maisters raare and myn,
Said that men grete mede may wyn,
And nameli Clerkes that can of lare,
If thai thaire cunyng will declare,
der diese Behauptung bestätigt, teilt Wright den Abschnitt aus
der Einleitung mit, welcher von der Ankunft des Priors handelt.
Mittelniederländische Fassung.
0. Berlin, Königl. Bibliothek, Ms. germ. Quart. 1081. Papierhs. mit
Pergamentbll. des 15. Jhs. Bl. 158a — 174a. Aus der Hand-
schriftensammlung des Freiherrn August von Arnswaldt (no. 3138).
Ausführlich beschrieben von AI. Reifferscheid in dieser Zs. 10,
12 — 13. Eine besondere und bisher nicht bemerkte Eigentüm-
lichkeit dieser Bearbeitung ist, dass die Fragen des Priors mit
Nummern versehen sind. 0 zählt im ganzen 38 Fragen.
Französische Fassung.
P. Troyes. Cod. 1465. Papierhs. in 4°. 15. Jh. no. 13: Cy commence
une disputacion faietc ja piec,a entre resperit d'un homme trespasstf et ung
prieur des freres Prescheurs. Im Cataloguc gencral des manuscrits des
bibliothfcques publique* des äVpartements 2, 616 sind folgende besonders
wegen der Ortsbestimmung für uns wichtige Notizen gegeben : Prologue : *Mon-
seigneur Saint Augustin dist que miracle ou chose miraculeuse est toute
chose non usagie et non aecoustumrfe estre faicte, qui naturelement est im-
possiblc, etc. . .' Et voiei comme le fait est presentä dix-sept lignes plus
bas: 'En Tan de Tlncarnation de nostre Seigneur mil cccc et XxlIII, le
XVI0 jour du mois de decembre, en la cito de Alesse qui maintenant est
appcllc* Veronnc, qui est ä XXX lieues de Romme, trespassa ung cytoien ou
bourgois, homme notable, de bonne vye et bonne renommee, que on appelloit
Guy de Tourno. Aprfcs son trepas, environ VIII jours, son corps mis en
85
terre en sepulture, comme il est de coustume, s'aparut et manifeste tant
seulement en voix ä sa femme estant et demorant en sa maison, oü eile
s'estoit tenue simplement depuis le trespas de son mary; dont eile fut raoult
espouentle et esbahie, et tant que pour le paour et grant doubte qu'elle
eust, eile manda et assambla ses parens et amis avec aucuns en sa compagnie,
en soy complaignant de ce qu'elle avoit oy, et commcnt chascune heure de
la nuyt eile oyt une voix complaindre en la chambre environ le lieu oü son
mary estoit trespasse', et ne savoit que ce povoit etre, requerant sur ce leur
conseil et ayde. Lesquelz, apres ce qu'ils eurent oy une fois ou deux la
dite voix avec la dite femme, ils eurent conseil ensamble qu'il seroit bon,
pour savoir la verite' de celle chose, de aler par devers les freres Prescheurs,
le prieur et autres notables clercs de la religion, etc. . .' Le copiste de ce
volume, smon Fauteur, est 4Frere Jehan Herlut, religieux de Clairvaulx,'
ainsi qu'il est not<< ä la fin, en encre rouge.
Schwedische Fassung.
Q. Ueber eine schwedische Version in einer Papierhs. in 4° aus dem
Ende des 15. Jhs. (1491) berichtet J. A. Ahlstrand in den Sam-
lingar utg. af Svenska Fornskrift-Sällskapet I (2), LI f. Ueber-
schrift: Guidonis siels openbarelse. Ende:
Ac lys ok Tu Guidonis siell
bedh für allom tik wilia wäll
at the efter liffuets ändha
maghe med tik i hijmerike lända
Thetta screff broder Jones Räk
uthan at scriften är allom otbäk.
Anno Dni MCDXC primo facta sunt hec.
Die einzelnen Versionen, selbst die metrischen, weichen inhaltlich
wenig von einander ab und schliessen sich eng an das lateinische
Original an. Erheblich differieren die Namen, die Zeit- und die Orts-
angaben. Wir finden in:
D: Guydo 1323 de civitate Alcestie que distat a curia apo-
stolica que vocatur Avinouia per XX tJ .iiy.
miliaria
A: Gwido 1323 in civitate Allecti que distat a curia aposto-
lica que iam Bayona vocatur per XXX
miliaria
K: Gowido 1323 in der stad to Allecti, de gelegen is van
Banonyen, deme hove to Rome, dertich mile
0: Gwydo van Tome 1324 in der stat van Alesten, die nu heit Bayona,
die van den have van Romen gelegen is
bi XXX mylen
M: Gwido van Tennen 1325 an der stat Ölesti, de nü beten wert Bayona
unde liebt van deme rumeschen have dre
clene mile
P: Guy de Tourno 1424 en la cite* de Alesse qui maintenant est
appellä Veronne, qui est ä XXX lieues de
Romme.
Diese Zusammenstellung gestattet, drei Redaktionen zu unter-
scheiden. Die erste wird durch D repräsentiert. Die Entfernung
zwischen Avignon und der Stadt, in der Guido lebte, ist hier genauer
angegeben als in den übrigen Ueberlieferungen, und schon deshalb
dürfen wir annehmen, dass diese Redaktion der ursprünglichen Fassung
sehr nahe steht. Die Formen Allecti A K, Alesten 0, Olesti M, Alesse
86
P lehren Alcestie als Schreibfehler für AUestie erkennen. Alectum,
Alecta, bei Graesse auch Electa, ist die im französischen Departement
Aude am Fusse der Pyrenäen gelegene Stadt Alet. Die Stadt, die
1883 x) 1210 Einwohner hatte und deren Entfernung von Avignon
ungefähr 25 Meilen beträgt, schloss sich nach Bescherelle um eine
gegen 813 gegründete Benediktinerabtei, die 1222 mit der Cathedrale
von Narbonne vereinigt wurde. Wann die Niederlassung der Domi-
nikaner in Alet erfolgte, habe ich nicht ermitteln können. Es erübrigt
noch zu bemerken, dass Wright die Erscheinung des Geistes nach der
Stadt Alost in Südfrankreich verlegt. Ein Ort dieses Namens existiert
in Frankreich nicht, wrohl aber in der belgischen Provinz Ostflandern.
Dieses Alost, das auch Aalst genannt wird und 1136 als Aleste belegt
ist8), kommt indes der grösseren Entfernung von Avignon halber hier
nicht in Betracht. Die zweite Redaktion, der A und K angehören,
zeigt die Entstellung von Avinonia zu Bayona (K: Banonyen). Die
Meilenzahl ist auf 30 abgerundet. Die dritte Redaktion, zu der ich
0 M P rechne, unterscheidet sich von der vorhergehenden durch die
eigentümliche Verbindung, in die die Namen Aledum und Bayona
(P: noch mehr verstümmelt Veronne) gebracht sind, und von den beiden
ersten Redaktionen durch den Beinamen, welchen Guido führt. Ob
dieser ursprünglich ist, vermag ich mit Hilfe der mir zu Gebote ste-
henden Hss. nicht zu entscheiden. Es fällt immerhin auf, dass er nur
in der dritten Redaktion erscheint, in der gerade Namen und Zahlen
bedeutendere Veränderungen erfahren haben. Wie sich aus Red. I
und II ergiebt, fand die Erscheinung im December des Jahres 1323
statt. Red. III scheint 1324 anzusetzen. 1424 P ist sicher unrichtig,
da das Ereignis in die Zeit des Pontificats Johanns XXII fällt, und
1325 M ist mit den übrigen Ungenauigkeiten der Hs. in Parallele zu
stellen, die Olesti bietet und die Entfernung dieser Stadt van deme
rumeschen have auf dre clene mile bemisst.
Die der zweiten Redaktion angehörende Hs. K verdankt einem
wenig sorgfältigen Schreiber ihre Entstehung. Es sind Wörter und
ganze Sätze ausgefallen8), und ohne Kenntnis des lateinischen Textes
würde man bei ihr nicht selten vor Rätseln stehen. Eine charak-
teristische Eigentümlichkeit besitzt sie in der Vorliebe für Appositionen.
Ich teile nach K die wichtigeren Abschnitte der Schrift mit. Die
zwischen ihnen liegenden Fragen des Priors und die Auseinander-
setzungen des Geistes sind nur insoweit berücksichtigt, als es zur Er-
kennung des Zusammenhanges erforderlich schien. Gebräuchliche Ab-
kürzungen habe ich aufgelöst. Zusätze sind in eckige Klammern ein-
geschlossen.
*) Vgl. Ritter s. v. — •) Oesterley, Histor.-geogr. Wörterb. des deutschen
Mittelalters s. v. Aalst. — •) So Bl. 99a: bin ich Gowido verlost van der pine des
vegevurs veir jar dan sich bor de = A : ego Gwido sunt liberatus a pena pxirgatorii
per qualuor annos et cicius et festinancius quam debuissem; grössere Lücken be-
sonders auf Bl. 102a, wo Frage und Antwort mehrfach nicht zusammenstimmen.
87
( Bl. 85a) Also alse sunte Augustinus seghet in deme boke van
deme geloven to sunte Peter: Eyn wunder is dat geheiten, dat wun-
derliken sch&t boven de naturliken krefften und boven menslike wunder
und is unwontlich to eyner meren sterkinge des geloven, wente als de
apostel sunte Paul betuget: Alle dinck, de gescreven sint, de sint to
unser lere gescreven, up dat wij in' gedult und in den troist der scrifft
unse hopene setten. Dat sach Jhesus Cristus, eyn bekenner aller
dinge, unde wolde sterken den geloven der tokomenden salicheit manck
den criften und oppenbarde eyn wunderwerck den cristenen van der
besittinge des tokomenden levens, wante also als dat god verstan hadde
overmyttes siner unsprecliker vorsichticheit. Na den jaren unses heren
dusent jar drei hundert jar unde drei unde twintich jar1) in der städ
to Allecti, de gelegen is van Banonyen, deme hove to Rome, dertich
mile, dar starff eyn borger in der stad; de borger hette Gowido. Und
also als sin licham was begraven, darna over achte dagen do oppenbar-
(BL 8öb) de sich sin geist siner husfrouwen in unsunliker wise und
pynedigede*) se to male sere. Und darna in deme derden dage na
wynachten, alse to sunte Johannes dage, do ginck de wedewe, sin
husfrouwe, to dem clostere der brodere van den predikerorden, de
dar wonachtich waren in der stad, unde eisschede den prior der
brodere. Und als de prior bij se quam, do began se to segene van
dem geschichte, dat er wedervaren was, alse van deme geiste eres
mannes, de sich er oppenbarde, darna dat he verscheiden was, und
se en wiste nicht, effte et icht were des duvels droch. Unde se segede
deme prior, se were darumme to eme gekomen, dat se gerne wolde
hören sinen raid, wat he er darto reide vor dat beste, und sprack,
se meynde sunder twivel, dat de geist were in der stede, dar ere man
starff. Alse de prior dit horde, do begunde he se to sterkene und
sprack: 'Du en salt dij nicht verwunderen van dussem geschichte,
wente got is wunderlich in sinen wercken, wente he wil sinen gelovygen
wot (Bl. 86a) nyges oppenbaren to eyner meren bekantnysse eres
geloven1, und sprack to er: kHir wachte my eyn cleyne, ich wil hören
den rait myner brodere, wante de rait veler lüde de is better dan
eynes menschen rait allene.' Do ginck he und ludde de docken der
capellen, op dat de brodere des clofters to hope quemen. Do segede
he en dat geschichte. Do de brodere dat horden, do geven se eme
den rait, dat de prior myt eynem mester der hilgen scrifft und eynem
besp recker der wisheit, de dar weren de wijsesten van en allen, dat
de to hope gengen an de oversten van der stat unde beden se, dat
se en mede deden eyn deil lüde, dat se myt en mochten gän in dat
hüs Gowidoni8, de dar was verstorven, umme merer sekerheit willen
unde eyner oppenbaren betuchnisse der dinge, de dar scheen. Und
de oversten van der stat de deden en mede twe hundert wrapender
man, oppe dat se myt en gingen und seen den ende des geschichtes.
•) Es fehlen Monat und Datum. — •) Wohl Schreibfehler, da ein nach Analogie
von sutuUgede gebildetes Praet. von pinegen sonst nicht belegt ist.
88
Sunder de prior de merkede sine unde der anderen vromen lüde, de
myt eme gingen, ere nutteste und segede to (Bl. 86b) en, se solden
alle bichten; alse se deden und he myt en. Und darna dede he mysse
van allen gelovygen seilen und gaff den luden eyn deil van en den
hilgen licham unses heren, dat hilge sacramente, op dat se de seker
weren vor des duvels droch. Und he nam dat hilge sacramente heme-
liken, des nymant en wiste dan he allene, und hadde dat hemeliken
in eyner bussen unde henck et vor sine borst under den scheppeler
also erwerdeliken *), als he künde. Und de prior ginck myt siner
geselschap in dat hfis Gowidonis und hette er io drey unde drey to
hope stan vor deme huse in dechtnisse der hilgen dryvoldicheit, unde
eyn deil hette he stan oppe den latten des huses boven op deme hus
und hette er eyn deil ftan in den vinsteren unde eyn deil in den doren
und hette er eyn deil stan in den garden, op dat se wachteden unde
seen den tokomen der wunderliken dinck. Unde darna do ginck he
selven in dat hfis myt elven siner brodere unde myt deme gesinde
des huses. Und alse he inginck, do sprack he: 'Vrede sij (Bl. 87a)
dusseme hfis.1 Und alse he quam in de kameren des huses, do be-
sprengede he se myt wiewatere unde las den lovesanck Vidi aquam
egredigentem. Darna las he den lovesanck Veni creator spiritus myt
der collecten Deus qui corda fidelium. Und alse he besprengede de
kameren myt wiewatere, do sprack he: 'Besprenge my, here, myt der
ysopen' etc. Do eisschede [he] to sich de wedewen des huses, up dat
se eme wisede de stede, dar se den geist eres mannes, de verscheiden
was, hadde vernomen. Do wisede eme de vrouwe de stede myt groten
angeste unde sprack: 'Dijt is se; gat hen unde biddet vor en. Wu
lichte openbart (he) sich iw sin geist.' Und also alse se gingen, do
sprack de prior luder stemme dat evangelium In den anbeginne was
dat wort etc. Do dat was gelesen, do was bereide eyn banck vor
dem bedde. Dar gingen se op sitten unde lesen de vespere unde de
vigilie der doden unde de seven saline myt der letanien. Und alse
se lesen Agnus dei, do horden se eyne deine stemme als eines kindes,
de dar antwerde Amen. Alse de prior (Bl. 87b) dat horde, do beswor
he den geist und sprack aldus: 'Ick beswere dij, eyn creature godes,
overmyttes der macht der hilgen dryvoldicheit unde vermittes crafil
alle der hemele, ist mogelich, dat du spreckest, dat du dan spreckest
unde nicht van de stede en wikest, du en berichtest uns eirst umine
de dinck, dar wij willen umme vragen. Do sprack de stemme hoger
dan to voren unde antwerde: '0 prior, vraghe endeliken, des du
vraghen wult, und ich wil dij antwerden na der mogelicheit myner nature
unde mynes orleves.' Do se de ftemme horden unde vernamen, do
lepen se alle to unde menden, se wolden den geist semeliken seen.
Doch so en saghen se nicht, sunder se horden alle de stemme. Darna
do hette se de prior alle swighen unde begunde den geist to vragene
aldus: 'Wudane geist bistu, wer gud eder quad?' De stemme ant-
l) A: reverenter = 0: mit alre werdicheit.
89
werde: 'Ick1) bin eyn gud geist, wente alle creaturen, in deme dat se
van gode sint geschapen, sint se gud, wente god sach alle dinck, de
he hadde geschapen, und se weren gud. Unde na dem (Bl. 88a) dat
ich bin de geist Gowidonis, de nu nesten starff, so bin ick eyn gud
geist na myner nature unde en bin nicht quad, sunder ick bin eyn quad
geist van myner pyne willen, de ich lide unde de ich verwracht hebbe
myt mynen sunden.' Do antwerde de prior: 'So bekenne ich ute dinen
worden, dat du bist eyn quad geist. Dat mercke also, wante alle pyne,
de eyn verwracht hevet myt sinen sunden, de is gud, unde is gud, dat
de sunde wert gepyneget, wante dat komet van der rechtveirdicheit
godes, de nicht quades en wercket sunder alle gud. Sunder du en-
kennes, dat du lides de pine vor dyne sunde, darumme is dusse pine
gud in sich, wante du heves se rechtveirdeliken verwracht tegen god.
Darumme segestu ovele, dat du eyn quad geist sijst, darumme dat
du quade pine lidest.' De stemme antwerde: 'Alle pine in deme dat
se geit van deme gerichte godes, so is se gud, sunder de pine is quad
deme gheme, de se lidet, wante de schult is quat, dar he de pine
umme lidet. Und de pine, de ick lide, de is (Bl. 88b) my quad,
wante se wert my gegheven vor myne bösen werck, de ick hebbe
gedan, und de wile ick hebbe de pine, so en mach ick nicht heiten
eyn gud geist, er ich dan vermittes der pine bin gereyneget van der
bosheit, de ich hebbe gedan in mynem levene.'
Do vragede de prior, wes geist he were. De stemme de sprack :
'Ich bin de geist unde de seile Gowidonis, de cortliken van hijr scheide.'
Do sprack de prior: 'So duncket my, dat du sijst undancsem dij selven
unde deme lichame Gowidonis, wante in deme dat du dij aldus oppen-
barst unde overmits den in dusser stede diner husfrouwen, so deustu
dij selven eyne schände bij den luden, also dat se wenen, dat Gowido
in sinem levene böse hevet gewesen, des se doch nicht en wenden;
sunder se menden, he were gud, und neyn arch van dij en was, do
du levedest.' De stemme sprack: 'Ick en bin neyn undancsem geist
noch my noch neynem anderen, wente ich willet also setten, dat du,
broder, weme gevest dinen rock und he sal den nemen to sick (Bl. 89a)
umme diner leve willen und he umme des rockes willen sterven moit
vor dij, eff des noit were, duchte dij dat nicht gedancsamich genoch
wesen?' Do antwerde de prior: 'Werliken ja.' Do antwerde de stemme:
'Do ich was in deme lichamen Gowidonis, do en nam ich nicht anders
van deme lichamen dan den rock siner sterfflicheit. Und nu is de
licham begraven in der erden unde en tastet noch bedroffnisse noch
pine, unde ich werde hir gepineget vor de werck des lichames, und
de wollust des lichames en was my nu anneme, wante de begerlicheit
des vleissches sint allweghe tegen de seile. Oppe dat nu de licham
myt der seile nicht en werde geplaget in deme daghe des gerichtes,
so bin ich eme dancsamich unde lide vor de bosheit des lichames,
doch en heb ich nicht böses gedan, in deme dat ich was sin seile.
f) Ick and ich wechseln, ebenso de und dey, up und op, wante und wente.
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Und darumme en drafftu nicht segen, dat ich eme sij undancsamich,
und it en doch nicht, dat du, prior, seghest, dat ich my schände do,
in deme dat de lüde arghen wän hebben van my, umme des willen
dat ich my jw hijr openbare und (Bl. 89b) sprecke myt jw, wante dat
is schände, dat eyn mensche dat doit myt worden effte myt wercken
in enen hoen enes anderen umme eynes quaden eyndes willen to er-
krigene. Darumme is gescreven: We deme menschen, overmyddes
weine schände schfit. Sunder ich geist Gowidonis en do eme neynen
hoen noch laster in worden effte in werken, wente ich do et umme
eynen guden eyndes willen. Doch wattan dat my verlenet is, dat ich
myd jw hir sprecke und wise jw myne noit unde der anderen, de dar
liden in deme vegevure, und dar inne do ich vil mer ere Gowidoni,
wante hude de ganße stad is hir jegenwordich umme mynen willen
und bidden vor my, dat my got verlose van den pinen, als du, prior,
myd dinen broderen lange hevest vor my gebeden. Darumme is et
openbar genoch, dat ich neyne schände en do my noch deme lichamen
Gowidonis.'
Do vragede de prior: 'Wu mach eyn böse sin na sime dode, na
deme dat he bichtede, er he verscheide, unde nam darna dat hilge
sacrainente?' Der Geist weist auf die Notwendigkeit der Busse hin;
'weine,' schliesst er, 'de pine nicht hir en wert gegeven vor sine sunde,
deine wert dar in deme vegevur eyn vil heiter baet bereit.' Ueber
die, welche, solange er im Fegefeuer weilt} in den Himmel eingegangen
und welche verdammt sind, vermag er keine Auskunft zu erteilen, da
ein im Fegefeuer befindlicher Geist weder Himmel noch Holle kenne
und Gott zudem nicht wolle, dass über diese Dinge etwas verlaute. Er
sucht dem Prior, welcher ihm wegen der Aufschlüsse, die die Propheten
gegeben haben, nicht glauben will, den Unterschied zwischen diesen und
den Selen im Fegefeuer darzulegen. Was die Propheten kündeten, führt
er auf Offeriltarungen des heiligen Geistes und der Engel zurück, die
denen, welche im Fegefeuer gepeinigt werden, nicht zu teil würden. Da
der Prior noch immer zweifelt, beschränkt sich der Geist darauf, zu
wiederholen, dass er nicht die Offenbarung der obersten Engel besitze,
die allein den Selen im Fegefeuer und den Teufeln nach dem Willen
Gottes Aufschluss über die Vorgänge im Himmel erteilen könnten, und
des weiteren den Unterschied zwischen Hölle und Fegefeuer auseinander-
zusetzen, um darzuthun, dass er auch mit jener nichts zu schaffen habe.
(Bl. 92a) Do vragede en de prior, war he were. Do antwerde
eme de geist: 'Ich bin hir in mynem vegevure.' Diese Antwort giebt
den Anlass zur Erörterung des Verhältnisses, in dem dies besondere zu
dem allen Verdammten gemeinsamen Fegefeuer steht. Dieses befindet
sich im Schosse der Erde. Als Grund seiner Pein bezeichnet der Geist
unvollkommene Busse.
(Bl. 93a) Do vragede de prior, wat deme menschen meist to
tröste queme in syme lesten. Do antwerde de geist: 'De gedechtnisse
des lidens unses heren Jhesu Cristi unde de woldait der ersamen
juneffrowen Marien und dat gebet der hilgen.' Do segede de prior:
91
'Berichte uns, wu mach de verdeynst des lichamen Cristi eynem menschen
helpen in sinen lesten.' De geist antwerde: 'Ja gerne. Is et, dat
welich mensche stervet in dotliken sunden sunder ruwen und bicht des
(Bl. 93b) mundes, so wert deme menschen geseget dat liden unses
hören van syme guden engele in der wijs, dat he ordelt, dat de
mensche gode undancsam hebbe gewesen in deme, dat he nicht en
wolde bichten van sinen sunden, do he et mochte wol don, sunder he
hevet versmät de sacramente der hilgen kerken, de vermyddes krafft
unses heren de sunder1) reyniget hevet van al eren sunden und brenget
se weder in den stad der genade godes. Alse dat geseget is, so nemet
en de duvele unde söget eine: 0 du mensche, de dar hevet gode un-
dancsem gewesen siner genade2), kom myd uns in de helle, dar der
undancsem erve is. Sunder is et, dat eyn mensche verscheidet und
hevet gebichtet und dat hilge sacramente entffangen, wattan dat he
nicht en hevet vul gedan vor de sunde, so komen de guden engele
und sterket den menschen vor de anvechtynge der duvele und segget
den bösen geist en: Gij en hebbot neyn deil an dussen menschen, wante
de verdeynst Cristi unde sin liden is eyn gud vredeschilt tusschen eme
unde jwa). (BL 94a) So seggen de bösen geiste: So en mach et nicht
wosen, wij willen sine wereke richten under uns; su, dusse mensche
hevet so unde so gesundiget vermyddes sinen banden, so vermyddes
al sinen leden, so myd sinen krefften der seile utwendich unde in-
wendich, darumme hebbe wij wot rechtes to den menschen. De engel
ant werdet unde seeget: Dat is war, dat he also hevet gesundiget, sunder
alle de sunde de hevet he gebichtet, und des in eyn tuchnisse hevet
he den lichamen unses heren genomen in de wechreise4), umme des
willen dat liden unses heren, dat he hevet geleden an deme cruce,
is eyn beschermynge tusschen eme unde jw. De dorgenegelden hande
Cristi sollen nü myddelen tusschen eme unde jw, de ougon Cristi sollen
nu myddelen tusschen eme unde jw. (juwe ougen) Na dussen tijden
en sole gij sijr nicht mer seyn, en to ververne. De ganöe lichamen
Cristi, de dar was in deme cruce utgerecket, sal eme wesen eyn loen
unde eyn starck schilt tegen juwe drogenachticheit, dar gij ene mede
deden to sundigen. De letmate Cristi, de vor eme also hebben geleden,
de maken en rey-(Bl. 94b)ne van alle sinen sunden, wante Cristus
hevet geleden vor sine letmate alse vor de cristenen, und he hevet er
eyn gewesen, darumme he ock geleden hevet vor en, und alsodane
wijs helpet de verdenst des lidens Cristi in deme lesten ende deme
menschen. Vortmer de woldait der junevrouwen Marien de helpet ock
eynem menschen in sinem lesten ende in dusser wise. Is et, dat eyn
mensche stervet gebichtet unde berichtet myd deme hilgen sacramente,
so is de junevrouwe Maria dar unde seget also: Ich bin eyn junevrowe
*) Hs. sunde. — *) A : 0 homo ingrate in respectu dei. — *) A : quia merüum
Oiristi et passionis eius est scutum et remedium contra vos, und so 0: want die
rerdiente der passien Cristi is hem een schilt ende een middel tusschen ons ende u. —
4) wechreise im Mnd. Wb. nicht belegt. Bl. 109a: blisam, eine auch im Mnd. Hwb.
nicht verzeichnete Nebenform zu Mix eme.
92
und eyn moder unses heren Jhesu Cristi und eyn konyncginge des
hemels, eyn vrouwe der werlde und eyn gebeydersche der helle, und
in deme dat ich bin eyn konyncginge des hemels, so mach ich seggen
mynem kinde Jhesu Cristo, dat he den menschen richte to der pine
des vegevures, up dat he dar vul do vor sine sunde, unde in deme dat
ich moder godes, so hebbe ich de macht, dat alle de innygen gebede
unde de hilgen mysse und almosen, de dar scheit van den cristen-
menschen up ertrike, dat de komen to bäte dussem menschen, und
ich wil, dat de guden werck und de mysse unde de almosen (Bl. 95a)
en verlichten van der pine, de eme bort vor sine sunde, und in deme
dat ich bin eyn gebeidersche der helle, so gebeide ich jw duvelen, dat
gij nicht mer en schaden dussen menschen, de myd dem sacramente
mynes kindes is verscheiden. Und ock de bede der hilgen helpet deme
menschen, in deme dat he sal verscheiden, wante wan Maria ere rede
hevet gesprocken, to der stunt so komet al de hilgen und biddet
innentliken den heren und segget: Here Jhesu Criste, eyn1) vader der
glorien, eyn here der gracien unde genade und eyn mensche der barm-
herticheit, du de dar bist gekomen van deme hemele, de sundere salich
to makene, erbarme dij over de seile dusses doden menschen, wente
he is unse vleisch unde unse broder. Und alse dijt al gesecget is, so
wert de seile gevort vermyddes eren guden engele in dat vegevur,
unde de quaden engele de scheiden van eme bedrovet unde geschant.
So is dij openbar, wu de verdenst des lidens Cristi, de woldait Marien
unde dat bet der hilgen helpen den luden in erme dode.'
(Bl. 95a) Do vragede de prior, efft eyn mensche in sinen lesten
möge seyn Jhesum Cristum unde de juncvrouwen Marien und (BL 95b)
de anderen hilgen in eren eigenen wesene. Der Geist entgegnet, dass
ein Mensch dieses Anblicks nur teilhaftig werde, wenn ihm die Qualen
des Fegefeuers erspart blieben. Christus zu sehen, sei die höchste Wonne,
und wenn jeder im Augenblicke des Hinscheidens Christus erblickte, so
müssten alle Menschen selig werden. Nachdem er darnach bestätigt, dass
ein Geist Kenntnis aller Thatcn der Menschen habe, stellt der Prior ihn
auf die Probe. Er verlangt von ihm zu wissen, wovon er am selben
Tage Messe gelesen habe. Der Geist nennt das Officium vom hl. Geiste.
Um des Priors Einwand, dass er das Officium von allen gläubigen Selen
abgehalten habe, zu entkräften, beruft sich der Geist auf den Satz: Wessen
das Herz voll ist, fliesst der Mund über. Seine Antwort rechtfertigte
sich dadurch, dass der Prior in der Messe ein Gebet vom hl. Geiste
gelesen habe, das ihm besonders von Nutzen sei.
(Bl. 98a) Do vragede de prior: 'Vor wuvele seile mach eyn prester
misse don, dat doch de eyne seile van der misse so vele hebbe alse
de andere?' Der Geist versetzt: 'Ein Priester kann zugleich für alle
Seien Messe lesen, sowohl für die der Toten wie für die der Lebendigen.
Ein Gut wie die Messe wirkt um so kräftiger, je grösser seine Ver-
*) Ueber ein als pronomen demonstr. vgl. Braune in Paul-Braunes Beitr.
11, 518—527 und Beets in der Tijdschrift voor Nederl. Taal- en Letterk. 6, 94—102.
M
breitung ist. Ehe der Priester für alle Selen bittet, sott er aber an die
denken, welche ihm besonders befohlen sind.1 Heber seine eigene Erlösung
äussert er sich folgendermassen: (El. 99a) overmyddes den beden unde
anderen innegen gebeden bin ich gehulpen, wante ich en sal nicht
lengher in der pine wesen dan winte to paschen. Unde wultu dat
verwar wetten, so kom weder oppe dusse stede, und horestu myr
hir nicht, so saltu verwar weten, dat ich bin myd den seligen seilen
in deme ewighen levene, dat de prior myt eyn deils des gesindes war
vant, alse de geist geseget hadde.
(Bl. 99b) Do vragede de prior: 'Wat is behulpliker den seilen
in deme vegevure?' Es werden namentlich das Officium von unserer
lieben Frau und die sieben Psalmen empfohlen.
(El. 100a) Do vragede de prior: 'Wat batet den verstorvenen
seilen, de in deme vegevure synt, eff men vor se lese de vespere unde
de vigilie der doden?' Der Geist wünscht, dass dieses Officium viel
häufiger gelesen würde. Er erklärt die verborgene Bedeutung dessellten
und schliesst seine Auseinandersetzung unter Thränen mit der Auf-
forderung: Frage schnell, was du fragen willst, denn die Zeit naht, wo
ich schweigen muss um der Pein willen, die mich quält. Den Prior,
der ihm gern zu Hülfe kommen möchte, bittet er, fünf Mal für ihn die
fünf Freuden unserer lieben Frau zu sprechen. Nachdem sein Verlangen
erfüllt ist, tritt Erleichterung ein, und die Unterhaltung kann fortgesetzt
werden. Sie bezieht sich zunächst auf die Anfechtung, die der die Messe
eeM/rirendc Priester durch böse Engel erfahren könne. Schutz soll in
dieser Not das ambrosianische Gebet Summe sacerdos gewähren.
(Bl. 102b) Do vragede de prior, eff he nu en hedde gesein den
lichamen unses heren, synt he were verscheiden van dusser erden.
Der Geist erklärt ^ dass er den Leib Christi in dem Versteck an der
Brust des Fragenden erblicke und ihn unausgesetzt nach seiner Weise
anbete. Ohne Verzug befreit der Prior den Leib des Herrn von seiner
HiUle und gelnetet dem Geist kraft des Sacrnments, ihm zur Pforte des
Hauses zu folgen. Der Geist gehorcht. (Hl. WSa) Do began de prior
trachliken to gande vor de porten myd twen sinen broderen und velen
anderen luden. Und alse de prior genck, do sach he weder umme
nnde en sa sich nicht volgen, sunder he horde eyn gelud, rechte effte
dar we achter eme gynge und kerde dat hös offte de dele. Do segede
de prior: 'Du de dar bist de geist Gowidonis, lat dij uns nu sunliken
seyn.' Dar en antwerde de geist nicht (Bl. 103b) up, und alse de
prior vort ginck myd deme lichamen Cristi und eme de lüde also
volgeden, do he quam op de stede, dar sin husfrouwe was, up der
luchteren sijden der kameren, do lach sin husfrouwe in deme bedde
und began wunderliken to latene und gelat to hebbene und reip luder
stemme, recht alse eyn dovendich mensche. Dar na do lach se rechte,
alse se doit were. Da die Hausfrau auf die Erkundigungen nach der
Vrsache ihres Zustandes schweigt, ruft der Prior den Geist feierlich
wf, Auskunft zu geben. Er versagt dieselbe, da es sich um eine Sünde
Itundele, die bereits gebeichtet sei und, von Gott ausgelöscht, nicht mehr zur
u
Kenntnis der Menschen kommen solle. Sein Weib habe die Sünde1)
noch nicht völlig abyebüsst. (BL 104b) Und alse sin husfrouwe dijt |
horde, do begunde se bitterliken to wenende unde sprack: 'Leve Gowido,
werde ich dan salich, alse ich byn gereyniget van den Hunden der ich
nu denckeV Do antwerde er de geist: kJa.' Do was se vrolich und
sprack eyn pater noster unde eyne avemarien. Der Prior weist die
Frau sodann auf die Wichtigkeit und den Nutzen der Almosen hin.
(Bl. 105a) Do vragede dey prior, warumme he sich nicht vil er
geistliken luden en openbarde dan siner vrouwen, na deine dat doch
de geistliken lüde vil mer verplichtet sint myd gode dan de vrouwen.
Der Geist versetzt, seine Hausfrau sei ihm teurer als die geistlichen
Leute; darum habe er den Herrn gebeten, sie zunächst warnen zu dürfen,
dass sie von den Qualen des Fegefeuers befreit bleibe. Die nächstfolgenden
Fragen des Priors betreffen die Zeit des Gerichts, die schlimmsten Sünder,
den vollkommensten Stand, Straferhss im Fegefeuer und die grössten
Qualen desselben. Der Geist bezeichnet als unerträglich: (BL 107a)
de vlamme des vures unde de kulde des yses, wante se gan dar van
der utersten kulde in de vlammen des vures unde ute derae vure in
de kulde8).
(Bl. 107b) Do vragede de prior, wat pine he beeide. Der Geist:
1 Flammen des heissesten Feuers martern mich.7 Der Prior will die Ant-
wort nicht gelten lassen, so dass der Geist genötigt ist, zu zeigen, dass
Feuer auf einen Geist einzuwirken vermag. Erwähnt wird dabei das
Mirakel von den drei Kindern*), die ins Feuer geworfen wurden und
ungesengt wieder herauslcamen. Der Prior lenkt darnach das Gespräch
auf die Menschwerdung Gottes.
(Bl. 109a) Do vragede de prior, wer he wiste, welich de sunde
weren, dar de lüde allermeist mede umraegengen. Der Geist hebt drei
Sünden besonders hervor: overspel, dat dar is tusschen echten luden4)
und de stummen unmensliken sunde (Bl. 109b) und den doitslacb unde
meyneede. Nach diesen Worten bittet die Witwe Guidos den Prior,
den Geist aufzufordern, von ihr zu weichen. Dieser entspricht dem
Wunsche, Guido verlangt aber als Gegenleistung, dass sie sich stets keusch
halte und im ganzen 600 Messen für sich und ihn lesen lasse. Die zweite
Bedingung wird an demselben Tage erfüllt; die Folge ist, dass die
Witwe vom Geiste ihres Mannes nicht weiter gepeinigt wird. Nachdem
der Prior noch eine wenig befriedigende Auskunft über das Erscheinen
des Endckerst erliaiten, verschwindet der Geist.
(Bl. 110a) Und alse dijt allet was gescheyn, do was et umme
vespertijt dages, und alse se dar alle weren versaraet, do segede de
prior to en allen: 'In deme namen godes, so gha eyn juwelich in
f) Anscheinend im ehelichen Verkehr begangen. — *) Eine ähnliche Qual-
anschauung findet sich Visio S. Pauli (in meiner Ausgabe 66, 29; vgl. auch die
Anm. zu der Stelle). — 8) Daniel 3, 12 ff. 0 : Sydrachus, Mysachus en Abdenago.
— *) Deutlicher in A: Sed tria vicia sunt, pro quibus se deus Hndicat cito, quo r um
unum est matrimonium palhatum, quod fit, quando vir et mulier coeuni sine
sollempnüate sacrimenti matrimonii.
n
synen wech, und alse gij werdet gevraget umme dijt geschickte, so
segge eyn juwelich also, alse he hevet geseyn unde gehöret.' Und de
prior segede siner husfrouwen, dat se sich kusliken heilde, de wile
dat se levede, und helde eynen prester in der stede winte to paschen.
Dat dede se und en dorste in cyner gansen wecken nicht komen in
er hus. Des anderen dages na twelfften1), do ginck se weder to deme
prior und (Bl. 110b) bat en, dat he wolde weder komen in er hus
myd anderen broderen, up dat se mochten seyn, eff sich de geist icht
anderwerff wolde openbaren. Und dat dede he unde nam myd sich
wol twintich ander brodere, und alse [se| quamen in dat hus, do be-
funden se to lesene de vigilie*), und alse se waren komen to der
stede, dar men leset Itequiescat in pace, do quam# bij den prior eyn
dumme wynt unde gaff eyn gelud, recht eff dar eyn were, de dat hus
kerede myt eynem besamen. Und alse dat de prior vernam, do beswor
he den lut bij deine blöde unses heren Jhesu Cristi, dat he stille
stende unde spreke myd eine. Do antwerde de geist in eyme gelude
eyncs krancken menschen und sprak: 'Wes beswere gij my den dach
ut unde ut? Ich hebbe jw doch geantwert to allen dingen, de gij
my vrageden! Wat hebbe gij my dan to vragene?' Do segede eyn
broder, eyn mester van der hilgen scrifft: 'En bistu noch nicht ent-
lisset8) van diner pinc'?' De geist antwerde: '(Jod de sij gebenediet,
overmyddes den myssen, de vor my gelesen synt, bin ich gelost
van der vlammen des vures in deme vegevure, also dat ich mer
sal komen in dat gemeyne vegevur4).' Do vragede he, wat pyne he
leele. De geist antwerde: 'De vlammen des vures.' Do segede de
broder: 'Kan men dij nicht gehelpen (Bl. 111a) ute dussen pyiien?'
De stemme antwerde: 'Neyn.' Do segede de prior: 'Su, so sij wij
hir versammet, up dat wij eyne wäre tuchnisse geven der dinck, de
wij hebbet geseyn und gehört, alse wij komen bij den pawes ; darumme
so seghe uns eyn wunderwerek.' De stemme de antwerde: 'Dat höret
gode allene to, dat he wunderwerck do und neymande anders. Mer
ich segge jw, et en sij dan, dat gij predeken bet, dan gij dus langhe
liebt gedan, tegen de overswengen sunde, alse tegen dat verkopen
geistliker lüde, woker, homot, doitslach, overspel, meyneede unde tegen
valsch getuchnisse und vele ander sunde, de werlt vergeit drade in
erer bosheit und gij myd en. Und dat sole gij ock wetten: Endeden
de bede Marien unde anderer hilgen, de truweliken vor uns bidden,
god de en leyte nicht ungewrocken de sunde, de dar scheit in deme
ertrike, wante de warheit und de wisheit Cristi en is nicht in der
werlde, sunder overspel, doitslach unde meyneede und alle bosheit,
de se vullenbrengen mögen.' Do vragede de prior, wu vele pawese
dat noch solden komen vor deme ende der werlde. De geist ant-
werde: 'God de weit alle tokomene dinge allene, und my en is nicht
*) Am Tage nach dem hl. Dreikönigstage, also am 7. Januar 1324. — •JA:
ineepü prior dicere Placebo et dirige. — *) entlassen 'befreien'. Woeste kennt ein
Subst. lisseninge in der Bedeutung von Linderung. — 4) A: ita quod amplius in
commune purgatorium non veniam.
bekant dan dat my wert geopenbart van mynem engele, und darumme
en kan ich dij in der warheit nicht (BL 111b) dij[tj seggen1). Gut
hen enwech und hiddet god vor my und de seile, de dar wonen in
deme vegevure. Und de hilge kereke en hevet neyne grote achte up
de seile in deme vegevure und gij geistliken lüde sint gar kalt in den
werken der leyve to juwen nesten unde to den seilen in deme vegevure.
Betert jw in juwem levene, up dat gij nicht en vergan eweliken/ Und
alse he dijt hadde geseget, do sweich he stille. Dijt geschichte is al
proheret bij unsen geistliken vader, deme pawese Johannese deme
xxij *). Und to paschen sande de pawes anderwerff dare, und de geist
en openbarde sich en nicht. Unde men lovet des, dat he eweliken
leve myd gode in deme hemelrike. Dat uns dat allen besehe, des
helpe uns de vader und de sone unde de hilge geist. Amen.
BERLIN. Herman Brandes.
Kinderspiele
aus Schleswig-Holstein.
(Nachtrag zu Jahrb. X 8. 52.)
Ballspiele,
a. Schlagball. Auf einer langen freien Bahn werden 2 Male
bestimmt. Beide sind etwa 50 Schritt von einander entfernt. Die
Spieler teilen sich in zwei gleiche Parteien, indem die beiden tüch-
tigsten Spieler mit Zustimmung der Mitspieler einander gegenüber
treten, einer dem andern einen etwa eine Elle langen Stock hinwirft,
den derselbe an irgend einer Stelle angreift und mit der rechten Hand
umfasst. Dann legt der andere seine rechte Hand auf die des ersten,
ebenfalls den Stock umfassend; darauf A. seine linke Hand auf B.'s
rechte, B. seine linke Hand auf A.'s linke, und so geht es abwechselnd
bis oben hin. Ist von dem Stock oben auch nur noch ein solch kleines
Stück übrig, dass der letzte noch mit dem Daumen und Zeigefinger
dasselbe so fest halten kann, dass er den Stock 10 Ellen (= 10 Stock-
längen) über den Kopf werfen kann, so darf er aus der Zahl der Mit-
spieler zuerst wählen. Auch das Wählen geschieht abwechselnd. (Vgl.
das Losen beim Kipseln, Jahrb. VIII S. 104.) Sind alle Spieler gleich-
massig verteilt, so losen A. und B. nochmals, und zwar darum, welche
von beiden Parteien Schlagpartei und welche Fangpartei sein soll.
Von der Schlagpartei heisst es dann, dass sie die „BSwerhaud" (Ober-
'; A: et ideo nescio vobis verüatem hu jus questionis dicere. — •) Hs.: xxiij.
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band beim Losen) habe, von der Fangpartei, dass sie die „Ünnerhand"
(Unterhand beim Losen) habe.
Nun stellen sich die Spieler auf. Die Schlag- oder Laufpartei
steht auf dem ersten Mal. Einer von ihnen hat das „Ballholt", einen
ziemlich dicken, runden, oft oben abgeplatteten Stab in der Hand.
Der Schlagpartei gegenüber steht der „Opgewer" (Aufgeber) mit dem
Ball. Keiner von der Schlagpartei darf das Mal überschreiten. Thut
einer das, so darf der Aufgeber ihn werfen, und trifft er ihn, so ist
die Schlagpartei „fül" (faul), und wechselt mit der Fangpartei. Ebenso
darf keiner der Oberpartei den Ball anrühren. Geschieht das, so ist
die Laufpartei ebenfalls faul. Der Aufgeber wirft den Ball in die
Höhe, so dass er nahe vor dem Schläger niederfällt, und dieser schlägt
dann, bevor er den Erdboden berührt, ihn in gerader Richtung möglichst
weit in einem hohen Bogen fort, während die an verschiedenen Punkten
der Bahn aufgestellten Spieler der Fangpartei ihn zu fangen suchen.
Wird der Ball gefangen, so wechseln die Parteien. Während der Ball
fortgeschlagen wird, muss einer von der Schlagpartei laufen, was jedoch
geschehen muss, bevor der Ball zum 3. Mal fortgeschlagen wird.
Geschieht das nicht, so hat die Schlagpartei verloren. Wenn nun
einer läuft, so sucht der Aufgeber oder ein in der Bahn stehender
Fänger, der dem Läufer zunächst steht und dem man den Ball schnell
hinwirft, ihn zu werfen. Wird der Läufer, bevor er das Mal erreicht,
Tom Ball getroffen, so wechseln die Parteien. Wird er nicht getroffen,
so sucht er bei der ersten besten Gelegenheit das Schlagmal wieder
zu erreichen, während andere das Mal wieder verlassen. So laufen
nun alle Spieler der Oberpartei nach und nach, auch der Ballschläger.
Oft läuft einer fort, wenn der Aufgeber den Ball noch in der Hand
hat. Wirft er dann nach ihm und auch noch vorbei, was in der Er-
regung sehr leicht geschieht, so ist der Jubel der Schlagpartei gross.
In dem schnellen und sichern Werfen zeigt eben der Spieler seine
Gewandtheit. Nicht minder zeigt auch der Läufer, der nur geworfen
werden darf, wenn er in der Bahn ist, seine Geschicklichkeit dadurch,
dass er den Ball nicht aus dem Auge verliert und sich so zu drehen,
wenden, ducken, nieder zu werfen versteht, dass man ihn so leicht
nicht trifft. Sobald nun einer vom Ball getroffen wird, so eilen alle
Spieler der Fangpartei an ein Mal; denn wird einer von ihnen vom
Ball getroffen, während er noch in der Bahn ist, so ist seine Partei
wieder die Fangpartei. — Trifft der Schläger beim Fortschnellen den
Ball nicht, so ist das ein Pudel. Macht einer drei Pudeln, so ist seine
Partei faul. In dieser und ähnlicher Weise ward vor ca. 20 Jahren
noch in Ditmarschen und Stapelholm von Kindern (Knaben) und nicht
selten gar von Erwachsenen Ball gespielt. Der Ball1) aber musste
tüchtig hart sein, wesshalb ein hohler Gummiball verpönt war. Man
machte sich einen Garnball, der mit buntem Garn hübsch verziert*)
') Ditm. KäsbaU, ostfr. kdtzen, ndl. kaatsen, mnd. hatten (Fangball spielen)
schnellen, treiben, fortschleudern, werfen, prellen etc. Ostfr. Wb. IL 136.
*) Das nannten wir in Stapelholm flamm'n, 'n Ball Swerflamm'n.
Niederdeutsche« Jahrbuch. XIII. 7
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und ausgenäht war. Ward jemand mit einem solchen Ball getroffen,
so that das natürlich sehr weh, wer aber weinte, ward verlacht und
verhöhnt, und was noch schlimmer war: er ward so leicht nicht wieder
in die Reihe der Spieler aufgenommen.
Bergenhusen in Stapelholm.
Einfacher wird obiges Ballspiel hier in Dahrenwurt gespielt.
Die beiden Male sind nur einige Schritte von einander entfernt. Wei-
den Ball schlägt, muss laufen und meistens auch sofort wieder zurück-
kehren nach dem Schlagmal. 3 Pudel gelten auch hier nur. Wenn
einer von der Schlagpartei den Ball anrührt, so hat diese das Spiel
verloren.
Vgl. Gutsmuths, Spiele zur Übung und Erholung etc., Schnepfenthal 1796,
S. 52 u. f.; Trapp u. Pinzke, Das Bewegungsspiel, S. 56 u. f.; Lier, Turnspiele für
Deutschlands Jugend, S. 14 u. f.; Leitfaden für den Turnunterricht in den preussischen
Volksschulen, S. 127 u. f.
b. Ballholt in'n Pütt. Auf einem nicht allzugrossen quadrat-
förmigen Platz stellen sich 4 Spieler an den 4 Ecken auf. Das sind
die Reinen. In dem Quadrat sind gleichfalls 4, die „Fülen* (spr. Fü'ln).
Die 4 Reinen fangen den Ball einmal herum. Erst dann dürfen sie
nach den Faulen, die im Quadrat laufen können, wohin sie wollen,
werfen: müssen aber stets an ihren Ecken stehen bleiben. Sie dürfen
aber mit dem Ball hin- und herfangen. Wird einer von den Faulen
mit dem Ball getroffen, so scheidet der aus. Wirft aber einer von
den Reinen vorbei, so tritt auch der ab. Und so geht es fort, bis
nur 2 nach sind, ein Fauler und ein Reiner. Dann beginnt das Jagen,
indem der Reine flink von einer Ecke zur andern läuft, um in die
Xähe des Faulen zu kommen und den leichter treffen zu können.
Trifft er ihn, so bleibt es beim Alten, die Reinen bleiben rein und
die Faulen faul. Wirft er aber vorbei, so tritt das Umgekehrte ein.
Schwienhusen b. Delve.
c. Ball op'n D&ken. Einer nimmt den Ball in die Hand und
stellt sich in die Nähe des Hauses hin. Alle Mitspieler flüchten von
ihm hinweg und zwar so lange, bis er den Ball auf den „Düken*
(Dach des Hauses) wirft und ruft: „Ball op'n Däk'n! N. X. (Name
eines Mitspielers) schall d' niäk'n." Sofort müssen alle still stehen.
Der Gerufene läuft nach dem Ball, muss aber an dem Platze, wo der
Ball liegt, stehen bleiben, und sucht einen damit zu werfen. Trifft
er einen, so läuft dieser nach dem Ball, während alle andern wieder
davon laufen, und die Mitspieler stehen erst still, wenn er den Ball
aufs Dach wirft und obigen Ruf wiederholt. Selbstverständlich ist
der Spielplatz abgegrenzt.
Dahrenwurt b. Lunden.
Vgl. Trapp u. Pinzke, S. 42 u. f. Lier, Turnspiele für Deutschlands Jugend,
S. 4, führt statt „Ball op'n D&k'n", oder Stehball, den Ruf „Vigoli" an. Ferner:
Turnleitfaden für preuss. Volksschulen, S. 126 u. f.; Gutsmuths S. 116 u. f.
Ganz ähnlich ist auch das bei Handelmann, S. 88 beschriebene „Sta Bali",
oder das „Akkarbolspiel". Jeder Mitspieler bekommt einen Scherznamen, welche
in der Reihenfolge nach dem A B C an die Wand geschrieben werden; z. B. auf
den nordfries. InBein Altkar, Bol, Cimisan, Dol, Echtar, Fechtar, Gechtar, Hechtar
u. s. w.; in Lauenburg „Aap, Bar, Clüsener, Hatt-eker" u. s. w.; in Mecklenburg
.Apenklas, Babo, Cikot" u. 3. w. Einer wirft nun den Ball aus, in die Höhe oder
in die Ferne, und ruft zugleich jemand bei seinem Scherznamen (fries. N. N. bi a
Bai). Der Genannte muss den Ball aufsammeln, unterdess laufen die Übrigen
schnell davon (aus dem Hok = Stall). Sowie aber jener den Ball in Händen hat, ruft
er: „Sta Ball!" oder „Staet!" (Steh dem Ball; steht!); dann müssen alle augen-
blicklich stehen bleiben. Der Inhaber des Balls darf nun, nach wem er will, zielen
und werfen; trifft er denselben, so wird diesem neben seinem Namen ein Strich
gemacht und der Ball zum Auswerfen übergeben; wirft er aber fehl, so bekommt
er selbst einen Strich und wirft das nächste Mal aus. Zum Beschluss werden die
Striche mit Schlägen abgebüsst.
d. Königsball. Ein Spieler ist König. Die Mitspieler bilden
eine Frontreihe. Der König steht in einiger Entfernung vor der Reihe,
nimmt den Ball, fangt ihn einmal und wirft ihn dem obersten Spieler
der Reihe zu, der das Vorgemachte nun genau nachmachen muss.
Hat er das gethan, so fängt er dem König den Ball wieder hin, der
denselben nun Nr. 2 zuwirft, der ebenfalls das Vorgemachte nachmachen
muss. Und so müssen alle Mitspieler es nachmachen. Hat nun der
König den Ball vom letzten Spieler retour erhalten, so wirft er den
Ball in die Höhe, fängt ihn aber noch nicht, sondern schnellt ihn mit
der innern Handfläche nochmals in die Höhe und fängt ihn erst jetzt.
Dann wirft er der Nr. 1 den Ball hin, der das Vorgemachte nun
wieder nachzumachen hat; dann der Zweite und so die ganze Reihe.
Hat der König den Ball wieder in Händen, so wirft er ihn abermals
in die Höhe, schnellt ihn beim Niederfallen mit der äusseren Hand-
fläche in die Höhe, fängt ihn dann und wirft ihn Nr. 1 hin, der das
nun wieder nachzumachen hat; gleichfalls auch die andern Spieler.
Zum Vierten schnellt der König den zu ihm zurückkehrenden Ball
zurück, und fängt ihn erst dann, wenn Nr. 1 den Ball gleichfalls
zurückschnellt. Das müssen nun auch alle Spieler nachmachen. Zum
Fünften wirft der König den Ball über Kopf dein ersten Spieler zu,
der ihn ebenso zurückwerfen muss. Dann wirft er Nr. 2 ebenfalls
über Kopf den Ball hin, der ihn auch ebenso zurückwerfen muss.
Dann Nr. 3 u. s. w. Wer bei diesem Spiel, das Königsball heisst,
einen Fehler macht, muss sich unten an hinstellen.
Mitgeteilt von Fräulein E. Brodersen aus Tolk in Angeln.
Fast ebeaso wird der Königsball auch hier in Dahrenwurt gespielt. Trapp
u. Pinzke beschreiben S. 43 den Königsball abweichend hiervon. Gutsmuths hat
unter seinen 13 verschiedenen Ballspielen den Königsball nicht mit verzeichnet.
e. Fangball, a. Ein Spieler wirft den Ball an die Wand, fängt
ihn mit beiden Händen, mit der rechten allein, mit der linken allein,
mit beiden Händen, indem er zuvor in die Hände klatscht, mit beiden
Händen, indem er die Hände nach hinten streckt und klatscht, mit
beiden Händen, indem er die Hände über dem Kopf zusammenschlägt,
mit einer Hand rechts und links, indem er sich einmal umdreht.
^Dahrenwurt b. Lunden.
ß. Der Spieler hat einen Ball in der rechten Hand und einen
in der linken Hand. Den einen Ball wirft er in die Höhe. Während
2193 ITA
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dieser Ball nun steigt oder fällt, wirft er den 2. auch in die Höhe,
fängt den ersten wieder, wirft denselben aber auch zugleich wieder
in die Höhe und fängt den 2. u. s. w.
Christiansholm b. Hohn.
y. Sogar mit 3 Bällen fängt man, und zwar dergestalt, dass
stets ein Ball in die Höhe steigt, der 2. Ball fällt und der 3. in der
Hand sich befindet.
Kleinsee b. Bergenhusen in Stapelholm.
X. Eine seltene Geschicklichkeit besassen meine Mitschülerinnen
auf Christiansholm im Fangen. Der fallende Ball ward nämlich mit
dem Unterarm aufgefangen. Dann fiess man ihn längs dem Arm in
die Hand hinabrollen und schnellte ihn wieder in die Höhe. Wenn
ich mich recht erinnere, so geschah das sogar mit 2 Bällen.
Christiansholm b. Hohn.
e. Oft wird ein Gummiball auf den Fussboden geworfen, und
wenn er wieder emporschnellt, mit der Hand zurückgeschlagen. Wer
das am meisten kann, ist der Beste.
Gegend von Lunden.
C Mehrere Mädchen stellen sich in kleinen Abständen von ein-
ander auf. Ein Spieler hat den Ball, wirft ihn einem andern schnell
hin, der ihn dann fangen muss und weiter wirft.
Gegend von Lunden. .
27. Mutter Maria.
Die Mädchen sitzen in einer Reihe einander auf dem Schooss.
Eine fragt die Reihe entlang:
Waneb'n wahnt Mutter Marie?
„Eb'n acht'r mi."
(Bei der zweitletzten:)
Waneb'n wahnt Mutter Marie?
„Eb'n achtV mi.u
Kann'k ehr ni mahl to spreck'n krieg'n.
„Slepp noch!"
Fragt wieder die Reihe entlang und bei der zweitletzten ange-
langt, antwortet diese:
„Is eb'n ut d' Bett!"
Fragt wieder die Reihe entlang und erhält von der nächstletzten
als Antwort:
„Is noch nich antrock'n!"
Fragt abermals die Reihe entlang und erhält als Antwort:
„Hett noch keen Schört vjr!"
Beim fünften Mal antwortet die zweitletzte:
„Xu is se fertig!44
(Bei der letzten:)
Kann 'k ni en vun ehr Döchter krieg'n?
„Hess ers gestern een kreeg'n.44
101
Füll mi in 'e Bott'rmelk.
„Kunns ja man prahlt hebb'n."
Ick harr en Klump1) in 'n Hals.
„Kunns ja man loop'n hebb'n."
Ick harr en Doorn in 'n Foot.
„Ja, denn nimm een, awer keen vun de beBt'n.u
Sie nimmt die erste aus der Reihe und spricht zu dieser:
„Kanns dreemaal op un daal spring' ahn to lachen un ahn de Tään
to wies'n?" „Kanns Arfn kaak'nV" „Kanus Klump kaak'n?" „Kanns
Griitt kaak'n?"
Kann sie nun dreimal auf- und niederspringen ohne zu lachen
und ohne die Zähne zu zeigen, und beantwortet die drei letzten
Fragen mit ja, so kommt sie in den Himmel, sonst in die Hölle. Sind
alle Mitspieler verteilt, so fassen die, welche im Himmel sind, Mutter
Maria an; die aber in der Hölle sind, fassen diejenige, welche fragte,
an, und beide Parteien suchen sich über einen Strich zu ziehen.
(Vgl. Dlr'n Hirschen in Jahrb. VIII. S. 100 u. f.)
Mitgeteilt von Fräulein Brodersen aus Tolk in Angeln.
Bei Mannhardt, der eine ganze Reihe von Spielformeln aus
Deutschland, den Slavenländern, Flandern, Schweden etc. gesammelt
hat, kommen die Namen Frau Rose, Gode, Sole, Sino, Mutter Maria,
de ole Moder Törsche (Teppersche) d. i. Zauberin, Hexe vor. Sie
stellt nach demselben die Holde vor, die im Kinderbrunnen sitzt, aus
dem die Kinder geholt werden. Die Ungebornen sitzen auf ihrem
Schooss, die holende Frau ist die gebärende Mutter. Wer nicht lacht
und nicht die Zähne zeigt, ist ein Wechselbalg und kehrt zur Frau
Holle zurück; lacht er aber und zeigt die Zähne, so verbleibt er der
Erde und wird Mensch. Nach Müllenhof, S. 486 u. f., wo eine inter-
essante Variante verzeichnet steht, giebt die Holle der holenden Frau
den Rat, den Wechselbalg mit Salz zu bestreuen. Salz bricht den
bösen Zauber. Daher rührt auch wohl der Rat, den man kleinen
Kindern zu geben pflegt, wenn sie Vögel ergreifen möchten: „Muss
se Solt op'n Stiert streun"; denn die Seelen der Ungebornen laufen
auch in Vogelgestalt auf der Erde umher.
Handelmann führt in seinen Volks- und Kinderspielen noch 2 andere, aber
sehr verstümmelte Formeln auf, wovon die erste aus Altona stammt. Eine sehr
entstellte Formel hörte ich auch hier in Dahrenwurth.
28. Gunk.
Ein Spieler wird ausgeloost, gewöhnlich ut-dült d. i. durch einen
Abzählreim ausgewählt. Dieser stellt sich nun mit dem Gesicht gegen
die Mauer eines Hauses und damit er nicht sehen kann, muss er
wenigstens die Hände vor das Gesicht halten, während die anderen
Spieler sich hinter den Ecken des Hauses oder an sonstigen Stellen
in der Nähe des Males verstecken. Haben alle ein Versteck gefunden,
■) Scherzhafte'Bezeichnung für den Zustand, wo man so heiser ist, dass man
keinen Laut von sich geben kann.
102
so beginnt das Suchen. Kann der Sucher nicht gleich einen finden,
so ruft er: „Piep mal", welcher Aufforderung auch sofort entsprochen
wird. Gewahrt er einen, so sucht dieser das Mal vor ihm zu er-
reichen, was ihm aber selten gelingt. Leichter gelingt es schon den
andern Versteckten, die auch das Mal zu erreichen suchen, wenn der
Sucher sich zu weit vom Male entfernt. Wer von dem Sucher zuerst
„aftacks" wird, d. h. wenn der Sucher vor einem Spieler das Mal
berührt und „tacksu ruft, muss das nächste Mal suchen. Wer aber
vor dem Sucher das Mal erreicht und „tacks" ruft, ist frei. Erst
wenn alle Spieler gefunden sind oder ihren Versteck verlassen haben,
beginnt das Spiel von vorne.
Delve.
Vgl. das Versteckspiel, Jahrb. VIII, S. 102; Jahrb. III, S. 109; Handelmann.
Volks- und Kinderspiele, S. 81 u. f.
29. Plumpsackspiele.
Klumpsack. Die Spielenden bilden einen Kreis und fassen sich
an den Händen. Einer hat ein Taschentuch mit einem Knoten darin,
Klumpsack genannt, geht um den Kreis herum und spricht:
„Kiek di (sick) ni um, de Klumpsack geit 'rum."
Wer sich umsieht, bekommt Schläge. Am Ende lässt der Umgehende
den Plumpsack leise hinter einem im Kreise stehenden niederfallen.
Dieser hat dann rasch denselben aufzunehmen, hinter dem Umgehenden
herzulaufen und wenn möglich, ihm einen Schlag mit dem Plumpsack
zu geben. Gelingt ihm das, bevor der Umgehende den Kreis dreimal
umlaufen hat, so muss der Geschlagene wieder umgehen; wenn nicht,
so der andere.
Kleinsee b. Bergenhusen i. Stapelholm.
Schon bei Gutsmuths findet sich S. 230 u. f. dieses Spiel ver-
zeichnet. Bei Schütze (II, 251 u. 288) heisst es: Kiek di mg um,
de Stock sleit um. Eben daselbst S. 52:
„De Goos, de Goos, de leggt dat Ei,
un wenn et fallt, so fallt et twei."
Andere Formeln zu diesem Spiele finden sich in Handelmann,
Volks- und Kindersp., S. 58 u. f. Trapp u. Pinzke nennen 8 Plump-
sackspiele, darunter auch das von dem verstorb. Woeste, Jahrb. 1877,
S. 106 beschriebene: „Wie gefällt dir dein Nachbar V" Lier beschreibt
in seinen Turnsp. S. 41 u. f. 5 Plumpsackspiele. Der Leitfaden für
den Turnunterricht in den preuss. Volksschulen nennt 3 Plumpsackspiele.
Nach Handelmann heisst das Spiel in Holland „de Vlugt of Sack-
jagen", auch wohl „den Sack te dragen". In der Gegend von Bremen
heisst der Spielspruch: „Kiek di nich um, de Voss gait rum!" (vgl.
auch Dr. Fölsing, Erziehungsstoffe I, S. 182), und in Westfalen: „Dat
Vössken dat kummt!" Bemerkenswert ist, heisst es bei Handelmann,
die Übereinstimmung des Spielreims an den äussersten Grenzen der
germanischen Zunge; in Finnland heisst es: „Lussi laskar om" ; in der
103
Schweiz: „Der Lunzi chunt". Was mag sich unter diesem Namen
Lussi oder Lunzi verstecken? (Handelmann, S. 59.)
30. Den Drütt'n jäg'n.
Alle Spieler stehen paarweise, einer hinter dem andern, in
einem grossen Kreis und zwar so, dass zwischen den einzelnen
Paaren ein Zwischenraum bleibt. Zwei Spieler sind aussen vor. Der
eine von diesen beiden führt einen Plumpsack und verfolgt den
andern durch den Kreis herum. Will der Gejagte sich sicher stellen,
so stellt er sich vor ein Paar. Die hintere Person dieses Paares
muss nun vor dem Plumpsack Hieben, kann sich aber vor demselben
sicher stellen, indem sie sich gleichfalls vor ein Paar stellt. So wird
also immer der Dritte gejagt. Kann nun der mit dem Plumpsack
einen der als Dritter steht oder läuft, schlagen, so muss der Ge-
schlagene ihn ablösen.
Eckemförde.
Gutsmuths Spiele, S. 276: Das Drittenabschlagen. Schütze I, S. 249: Den
Drüdden jagen; twee jagt den Drüdden. Leitfaden für preuss. Volksschulen, S. 124:
Den Dritten abschlagen. Trapp u. Pinzke, S. 134: Drei Mann hoch oder den Dritten
abschlagen. Französ.: Deux c'est assez, trois c'est trop. (Handelmann 8. 65.)
c. S. Jahrb. IX, S. 51, Nr. 24: Jakob, wo bist du?
31. Katt un Mus.
Alle Kinder schliessen einen Kreis. Zwei Spieler stehen in dem
Kreis. Einer von diesen ist Katze, der andere Maus. Die den Kreis
bildenden Kinder halten die Arme etwas in die Höhe. Die Maus
läuft unter den Armen durch. Die Katze sucht sie zu erhaschen, wird
aber von den Mitspielern daran gehindert, indem sie der Katze das
Eindringen und Hinauslaufen aus dem Kreis mit den Armen zu ver-
wehren suchen. Gelingt es ihr dennoch, die Maus zu erwischen, so
sucht die Maus die Katze wieder zu erhaschen. Gelingt auch das,
so wird ein anderes Paar gewählt.
Dahrenwurt b. Lunden.
Vgl. Trapp u. Pinzke, Bewegungsspiel, S. 75; Lier, Turnspiele, 8. 66.
DAHRENWURT b. Lunden. Heinrich Carstens.
104
Mittelniederländische Spruch-
dichtungen.
Die Pergamenthandschrift 7970 auf der k. k. Fideikommiss-
bibliothek in Wien (XV. Jahrh.) enthält ausser den mittelniederlän-
dischen geistlichen Liedern, welche ich in der Vierteljahrsschrift für
Musikwissenschaft 1888, Heft 2 und 3 publicirt habe, einen Anhang
mit Prosastücken und Reimsprüchen.
Da die letzteren sowohl sprachlich als auch inhaltlich, einige
auch als Varianten zu Sprüchen des niederdeutschen Reimbüchleins
(herausg. von W. Seelmann 1885)*) von Interesse sind, so dürfte die
Veröffentlichung nicht unwillkommen sein.
Ich gebe die Texte in der urkundlichen Schreibweise mit Hinzu-
fügung einer Interpunktion.
Ic bin verraden al onuerdient,
Die my verriet, dat scheen myn vrient;
Dair ic myn trouue toe verliet,
Dat was den ghenen, die my verrriet.
Ic woude wel, dat niemant en conste 5
Vrienscap togen sonder guede gonste,
Want dair is gheen quader venyn,
Dan vrient te schinen en viant te syn.
Die syn vrient proeuen sal,
Die proeue hem in syn ongeual, 10
Want int geluc is menich vrient,
Die inder noet niet en dient.
Die vercout is in syn mage
Eil al wil seggen, dat hi weet,
Het waer wel van node, datmen hem gaue 15
Een cruydekyn, dat swigen heet.
Wilt ghi tot enen saugen leuen keren,
Soe pynt dat fundament der duechden,
Dats oetmoedicheit van cristo te leren.
Siit oetmoedich van werken, van woerden ende van gedachten, 20
Leert v seluen vernederen eil niet achten.
Siet dicwiil op v selues gebreclike werken,
Op dat ghy eens anders gebreken myn moecht merken.
Vergadert in uwrer herten alle die oersaken,
Die iu cleyn en oetmoedich maken. 25
*) Vgl. 104, 7 f. und Reimbüchl. 2119. 2510; 104, 10—13 u. R. 2514; 106,
1—10 u. R. 2101. 2150; 108, 33—36 u. R. 2502.
105
Acht des anders guetwerc groet, mer dat v is deine,
Dicwil biecht en hout v reyne.
Alsmen v priist, soe bliift gesaet,
Mer toent v bliide, alsmen v versmaet.
Siit Heuer bi dien, die v versmaetheit bewisen, 6
Dan die v achten off priisen.
Begeert die ewige glörie nae deser tut,
Na loff off priis en staet hier niet.
Een ygeliic sal hem seluen mishagen
En ouer hem meest clagen; 10
Want dat is kenlic efi wis,
Dat dicwil een mensche hem seluen scadelic is.
Die inden hemel wil besitten enen hogen graet,
Die sal nv verkiesen den laechsten staet.
Also veel alstu biste om goeds willen 15
Meer cleyn efl snode in dyns selfs ogen,
Alsoe veel meer sal di god namels verbogen. Amen.
Van die mynne.
Onse salige wyn hanget in gods eft in ons euenkersten myn,
Ende gheen guetwerc sonder mynne en brenget ons saugen
oirbair ynne.
Die myn, nae dat sinte Pieter seyt, 20
Bedect der sonden menichuoldicheit.
Wensschet mit al dat guet,
Datmen ouer al die werrelt doet,
Soe moecht ghy in corter tut
Van geesteliken guede werden riic. 25
Hebt een meedogende hert
Mit die in lüden syn off smert.
Siit geestelike blide mitten bliden
Ende mitten droeuigen siit in liden.
Die heer heeft ons tot hem geroepen, 30
Mer tstaet aen ons, wy mögen lopen
Tot hem, van hem, hoe wyt verkiesen,
Wy mögen wynnen of uerliesen.
Die dese werrelt aen cleeft
Efi syn god dair om begeeft, 35
Alst comt, dat hy van hier moet sceiden,
Soe wert hi quyt dier alle beiden.
Hy is wys, die <
Hi is geck,
106
Die gode mynt,
Hern seluen kent,
Hem wacht voir sonden,
Guet en quaet kan gronden,
Die doet aensiet, 5
Quaet geselscap vliet.
Die hem te vele onderwynt,
Die hem te vaste uerbindt,
Die tsyn niet en genoecht,
Die hem mit gecken voecht. 10
Die altoes mitten gueden wandelt,
Hoe geckelic dat hi hem handelt,
Hi sal altoes mit eren leuen;
Mer die volgen wil de quaden
En plegen oec höre daden, 15
Die moet oec int eynde sneuen.
Die meeste wiisheit, die men vindt,
Die is, dat elk hem seluen kent,
Ende daer toe die meeste riicheit
Dunket my wesen genoegelicheit; 20
Want wien genoech is, dat hi heeft,
Hi is die riicste, die daer leeft.
Niemant en is arm dan hi alleen,
Die syn guet duuct wesen te cleyn,
Laet v genoegen int genoech, 25
Dien tsyn genoecht, is riic genoech.
Die alre meeste eer ist trouue,
Trouue is alre eeren vrouue;
Hi is wiis en wel geleert,
Die al dinc ten besten keert. 30
Gherechtich, barmhertich, wetende, milde,
Die dese vier ponten wel hielde,
Hi solde hemmelriic gewynnen,
En alle die werrelt solden mynnen.
Hoessche tale en groet oetmoet 35
Die doen sinken oeuelen moet,
Efi brengen al dingen ten besten;
Dair om is seker swigen guet;
Die wel kan dwingen sinen moet,
Hi verwynt voirwaer ten lesten. *°
Oetmoedicheit is suet eh sacht
Ende heeft altoes guet int gedacht;
Oetmoedicheit brect alle striit
En si uerledicht alle nyt,
107
Die oetmoedicheit willen plegen
God en salse nymmer begheuen.
Des siit seker efi gewes,
Dat eene mer te prysen es,
Die synen grammen moet bedwinct, 5
Dan die een borch mit erachte wynt.
Weet ghi, wat ic gescreuen sach:
Wiltu verwinnen, soe verdrach.
Die kan uerdragen, swigen efi hören,
Vele rüsten sal hem geboeren, 10
Zwycht, hoert, siet, efi uerdraecht,
Soe en weet nyemant, wat ghi iaecht.
Soe wien dunet dat hi genoech kan,
Hi en werdt nymmenneer wiis man,
Efi wien dunet, dat hi is wiis, 15
Die draecht van alre sotheit priis.
Het is swaer van leuene te sceyden,
Soe ons redene doet verstaen,
Tot steruen laet ons ons bereiden
Want steruen mögen wy niet ontgaen, 20
AI mögen wy een luttel tiits uerbeiden,
Nochtan moet ymmer eens syn gedaen.
Tot steruen syn wy alle geboren,
Steruen is ons leuen al,
Steruen is ons toe behoeren; 2ö
Mer wel te steruen, is guet geual.
Die te steruen is onbereet,
Als hi ymmers steruen moet,
Soe sal hem steruen wesen wreet,
Als hem steruen steruen doet 3°
Van dingen, die hi niet en weet,
Sal hem steruen dan maken vroet.
Nv want ic steruen soe edel kyn
Efi alle heiligen dat hebben gedaen,
Soe willicic steruen in mynen syn, 35
Want dat dunet my tbeste voertaen.
My dunet dat hi seer sorchlic leeft
Efi niet wel en is hi vroet,
Die noch al te steruen heeft,
Als hi ymmers steruen moet, 4°
Tegen die doet en is gheen seilt,
Leeft soe als ghi steruen wilt.
108
Ic rade dat ghi v daer toe keert,
Dat ghi alle dage steruen leert,
God en heeft ons niet te weten gegeuen,
Hoe lange dat wy hier sullen leuen.
Hi is wiis, die hier vele gaert 5
Tegen die lange heneuaert.
Die doet comt haestelic mit geweit
Eö neemt beide iong efi out,
Daer om soe is ons allen noet
Kennen steruen, eer coemt die doet. 10
Het is te mael een swaer uerbeiden,
Die op syn doetbedde hem sal bereiden,
Want die hoge lerer sint Augustyn
Sprect alsus inden latyn:
Si vis agere penitenciam dum peccare non potes 15
Peccata te dimiserunt non tu illa.
Alst een mensche gelike gaet,
Hoe mach hi weten guet eö quaet;
Grote weelde plompt zeer die synne,
Mer sorge die brenct wiisheit ynne. 20
Die guet efi quaet hier heeft geproeft,
Die weet, wat elc mensche behoeft.
Gode mynnen efi hem ontsien,
Sonden haten ende die vlien,
Gheerne uergheuen en noede wreken, 25
En vanden anderen altiit wel spreken:
Die dat dede, god solde hem geuen
Nae dese elleynde dat ewich leuen.
Alre bliiscap is een verganc
Dan, daermen hoert der engelen sanc, 30
Ende alre droefheit is een eynde
Sonder der droeuer hellen elleynde.
Dyn lyden en sulstu niemant clagen
Dan ihesu, die salt di helpen dragen;
Die menige seyt syn liden voert 35 j
Den ghenen, die dat gheerne hoert, '
Hem weer leet, dat anders waer.
Aldus maect hi hem seluen te maer
En wordt dan vele te myn geacht.
Het is een manlike cracht, 40
Dat een syn liden wel can dragen
Verborgen, sonder yemant te clagen
Ende toenen van butcn alsufljk gebaer,
Recht off in hem gheen liden en waer.
Leert verdragen, Als ghi uerdraecht,
Sonder clagen, Hoe seer men v iaecht,
Wie ghi siit, Ghi wynt den striit.
Ghi sult gramscap van v weren,
Want si plach ziel ende liiff te verteren, 5
Ende wie syn liden can volharden,
Syn ongesien sal beter warden;
Ende wie can liden, swigen en sien,
Int eynde sal hem guet geschien;
Ende wie uerbeiden can en liden, 10
Hi sal nerwynnen sonder striden.
Soe wye benyt
Eens anders profiit
En is niet guet,
Hi uerliest syn tut 15
Ende sonder respiit
Quelt hy syn bloet.
Die heeft syn eer, ende onsen heer
Altiit voir ogen, Wat hem geschiet
Hi en sal niet wel vallen mögen. 20
Een corte ioliit
In deser tut,
AI hier vercoren
Voer hemmelriic,
Dats sekerlick, 25
Te vele uerloren.
Ere.
Nie synt soe en woudic meer
Climmen nae der werrelts eer,
Daer vele menschen seer op letten
En hoer zielen en liue voersetten, 30
Doe ic merktde op enen pas,
Dat si also verganclic was.
Ontrouue.
Nie synt en had ic des rouue,
AI gheschiede my ontrouue,
Doe ic my seluen wel besach, 35
Dat ic goede soe menigen dach
Veele ontrouuer hadde geweest,
Di my vrient was alre meest.
Tiitlike guet.
Nie synt en was my wee te moede
Om uerlies van eertschen guede, 40
110
Doe ic claerlic sach, dat my
Dit guet niet dan gelient en sy,
Eö ic vandt, dat die erue myn
Properlic soude gods rike syn.
Penitencie.
Nie synt soe en was my pyn 5
Om hier in penitency te syn,
Hoe zuer si was off hoe onsochte,
Off hoe si my uerswaren mochte,
Als ic aenmercde die grote vroude,
Die my god daer voer gheuen woude. 10
Siecte.
Nie syn en vreesdic ziecte, die my
Toequam, als ic mercde, dat zy
Is der doet een seker bode;
Efi niemant van hier tot gode
En mach cornen sonder haer, 15
Daer ic noch alte gheerne waer.
Ordell.
Nie synt en vreesde ic dat ordel myn,
Doe ic dacht, dat die selue sal syn,
Die oiier my sal vonnys [wiisen] geuen,
Die hier voir my gaff syn leuen, 20
Om myns te deruen nymmermeer,
Voerwaer hier op troest ic my seer.
Nie synt vreesdic der hellen pyn,
Doe ic vandt dat wy waerlic syn
Alleen gescapen, om gods riike 25
Te besittene ewelike;
Myn hope noch te comen daer,
Die driift van my den heischen vaer.
Nummermeer en wil ic wanhopen,
Want ihesus leert ons waer efi open: 30
Clopt v sal werden op gedaen,
Efi eyschet, ghi sult ontfaen,
Soect en ghi sult vinden tot dien,
Nae v geloue sal v geschien.
NIEDERKRÜCHTEN. Wilh. Bäumker.
111
Kleine mittelniederländisehe
Dichtungen.
Die nachfolgenden Dichtungen sind uns bis auf das Marienlied,
welches im Ms. germ. octav. 211 steht, indem Ms. germ. quart. 557
der königlichen Bibliothek zu Berlin erhalten. Die dem 15. Jh. ange-
hörende Papierhs. war ehemals im Besitz Hoffmanns von Fallersleben,
der sie in seiner 'Bibliotheca' unter Nr. XI kurz beschrieben hat.
Hoffmann hat aus ihr in den Altdeutschen Blättern I, 75 — 78 eine
Auswahl von Reimsprüchen und A. Beets in der Tijdschr. v. Ndl. taal-
en letterk. 6, 79 — 80 ein Gedicht von 40 Versen veröffentlicht, dem
er die Ueberschrift : 'Die werelt es mit allen bedorven' gegeben hat.
Ueber die erstgenannte Publication werde ich an anderer Stelle zu
sprechen Gelegenheit haben.
Das von mir 'Der Welt Untreue1 betitelte Gedicht findet man
auf Bl. 21b— 22a, den ABC-Spruch auf Bl. 23a— 23b. Mone ver-
zeichnet im ganzen 7 solcher ABC-Sprüche, von denen manche ausser-
ordentlich künstlich gebaut sind. Einige Dichter, wie der unsrige,
begnügen sich damit, jeden Vers mit einem neuen Buchstaben des
Alphabets zu beginnen, andere weisen jedem Buchstaben mehrere Verse
zu oder lassen auf die übliche Reihenfolge der Buchstaben die umge-
kehrte folgen (Blommaert's OV1. Ged. 3, 143). Eine am Schluss ge-
kürzte Uebertragung unseres Spruches ins Mittelniederdeutsche hat
Mone Uebersicht» S. 398 nach einer dem 16. Jh. entstammenden Hs.
des Freiherrn W. von Haxthausen zu Böckerhof mitgeteilt. Die 'Er-
mahnung an Hofleute' umfasst die Bll. 31a — 32b, 'Peynst om den
ouden hont die bast' die Bll. 34b — 35b und das von mir 'Die Jahres-
zeiten" überschriebene Gedicht die Bll. 66a — 66b. Reinier Teiles
Dichtung von den vier Jahreszeiten1) hat mit dem letztgenannten
Werkchen nur eine geringe inhaltliche Gemeinschaft, dagegen Aehn-
lichkeit in der äusseren Anordnung.
Das im 15. Jh. geschriebene Ms. germ. octav. 211 besteht aus
7 Blättern. Die ersten 6 Blätter der Hs., welche früher Meusebach
gehörte, nimmt das Marienlied in Anspruch. Die Verse sind nicht
abgesetzt. Das letzte Blatt enthält auf der Rectoseite einen latei-
nischen Osterhymnus.
I.
Der Welt Untreue.
Mensch, wes op dijn hoede altoes,
Want die werelt is soe loes:
') VgL J. te Winkel in der Tydschr. v. Ndl. taal- en letterk. 3, 169 f.
112
Haer genoecht is onsuverheyt,
Haer raet is hovaerde ende ghiericheyt,
5 Haer dienst is zoet, haer loen is cranc,
Haer bloem is scoen, haer vrucht is stanc,
Haer sekerheyt is verradenis,
Haer medecijn is verghiffenis,
Haer geloven is liegen,
10 Haer geleesten dat is bedriegen,
Ende voer bliscap ghift sy rou,
Scande voer eer, boesheyt voer trou,
Voer rijcheyt ghift sy armoede groot,
Voer ewich leven ewich doot.
15 0 edel mensch, bedenct dy wel
Ende wes ten dienst gods snel.
Qienstu der werelt, du blijfs bedrogen,
Alstu mogheste sien mit dijn ogen.
Die werelt, die viant ende dat vleysch,
20 Als dese drie hebben haer eysch,
Soe blijft die edel ziel verloren,
Die god so vriendelic heeft vercoren.
Die werelt vlie, den viant ontspringhe,
Mit besceyde dijn vleysch bedwinge,
25 Soe bistu behouden in dat lest.
0 edel mensch, dese leere wel vest.
n.
ABC-Sprueh: Frauenpreis.
Abel was die vrouwe mijn,
Blide van herte ende mit aenschijn,
Cläre dan die dageraet,
Duechdelic in hären staet,
5 Eersamich tot allen steden,
Frisch gedaen van allen leden,
Guetelijc in hären dinghen,
Hoech in hären wanderingen,
Innich inden dienst ons heren,
10 Konstich alle dinc te leren,
Lieflic in hären aenscouwen,
Minlijc boven alle vrouwen,
Neerstich tot allen goeden werken,
Oetmoedich is sy inder kerken,
15 Prijs heeft sy, wat sy doen sal,
Quaetheyt scouwet sy over al,
Reyn van leven ende van moede,
Rechtvaerdich in allen goede,
Sedich in spraec ende in tgelaet,
113
20 Stadich wair sy hene gaet,
Trou van hande ende van monde,
Vroet verstandet tot allen stonden,
Wijs van rade ende van dade,
Christus dient sy vroe ende spade,
25 Yoechdelijc is sy gedaen,
Zinnich int spreken ende int verstaen.
Et sy, drinct sy, dat is in maet,
Konstich na alle vrouwen staet,
Tytel is sy boven alle vrouwen.
30 Ist wonder, dat ic se mynne mit trouwen?
III.
Ermahnung an Hofleute.
1. Die wil der werelt dwalinge verstaen
Ende des hoves rasarien,
Int cort mach hy dat lesende doergaen
Ende dit ghedichtkijn wel doersien.
2. AI schijntet in een droem geschiet,
Dat hier nae volcht in corten reden,
Ten is geen droem, diet wel doirsiet,
Mer leringhe van salicheden.
3. Twie gesellen die dienden ten hove,
Sliepen op eenre tijt te samen;
In eenre camer, als ic gelove,
Sy haer nachtrust beyde namen.
4. Als die nacht was over gegaen,
Began die een mit herten te spreken
Ende seyde den anderen, sonder waen,
Int gemeen des hoves ghebreken.
5. Ic en weet, sprac hy, hoe wy seilen comen
Tot gods genaden nae desen leven;
Nae allen scriften, die ic heb vernomen,
Soe moeten wij an die verdomenis cleven.
6. Wij nement altoes, ist recht, ist crom,
Van allen canten, nyement gespaert,
Hoe dattet comt, wij en geven niet om;
Dit dient zeer wel ter hellen waert.
7. Ende dat mijn zeer verwondert boven al:
Onse raetsheeren inden rechten geleert
Die grypen ende grapen sonder getai
Ende willen oyc dair of zijn gheert.
8. Die scriften, die reden hier tegens vechten,
Die predicaren roepen inder kerken,
II, 24: In der Hs. beginnt der Vers naturlich mit X: Xpüs.
Niederdeutsches Jahrbuoh. XI IL
114
Dat onse hantyeringhe sijn teghen die rechten
Ende der ewigher verdoemenis wercken.
9. Alle dit nochtants aengesien,
Soe gaen wy blindelic an die marct,
Sonder voirdencken of sonder verinyen,
Die een den anderen in quaetheyt starct.
10. Wat sei ons anders hier nae geschien,
Dan dat wij wachten die ewighe doot.
Die wij niet en moghen ontvlien,
AI schynen wij nu ter werelt groot.
11. Die ander van beyden, wel meest geleert.
Als hij dese reden hadde gehoirt,
Was thants ter antwoirt wel gekeert
Ende sprac een onbedachtelic woirt.
12. Ey zwijch, sprac hij, daer staet gescreven
In Davids souter, sonder sneven:
God is die heer vant hemelsche leven,
Den menschen heeft hij die aerde gegeven.
13. Indyen dan dattet soe is gheschyet
Ende ons die scriften alsoe bewisen,
Soe laet ons leven sonder verdriet.
My dunct, men seit wel mögen prysen.
14. Mit deser antwroirde aldus ghedaen,
Soe sprac die ander mit lachenden monde,
Wy moghent soe setten ende latent staen
Mit lichter herten op zoeten gronde.
15. Een derde man hier omtrent by was.
Die dese matery hoerde verslaen.
Hy sweech ende hoirdet op dat pas
Ende dochte, het souder al anders gaen.
16. Als hy daer nae bij eenen quam.
Die inder gemeenten dienste oyc stonde,
Versloech hijt hem, als hijt vernam,
Doe sij dit spraken mit nochteren monde.
17. Doe seyde die vierde man een wairt woirt:
Men vint die scrift alsoe bescreven,
Mer tvairskijn, datter meer an hoert.
Als my dunct, is after gebleven.
18. Daer seyt die propheet mit claren verteilen:
Here, die doden en seilen dy niet loven
Noch alle die geen, die dalen ter hellen,
Mer wij, die leven, benedyen dy boven.
19. Wat machmen lesen beter bescheyt,
Dan ons die scrift aldaer bewijst,
Twischen duechd ende onduechd recht onderscheyt.
Die sonden laect, die duechden prijst.
20. Die sondaren sijn byden doden verstaen,
115
Om dat sy dootlijke wercken doen,
Die zekerlic neder ter hellen gaen
Ende nymmermeer comen en mögen te zoen.
21. Wat baet dan grypen ende grapen
Ende veel goets ter werelt te garen!
Ist dat wij in sonden ontslapen,
Wij moeten zekerlic ter hellen varen.
22. Ende dat die geleerde inder wet
Gheestelic of wairlic oyc soe leven,
Dat en ontsculdicht ons niet te bet,
Mer tmach ons meerre dwalinc geven.
23. Ende oyc en ist gheen oirbair te spreken
Of enighe langhe reden te maken
Vander groter heeren ghebreken,
Sij seilen bij hären recht wel raken.
24. Ons staet mit arnsten altois te poegen,
Hoe wij ter salicheyt moghen comen.
Hebben wij goids vrese altois voir ogen,
Dat sei ons inder ewicheyt vromen.
Amen.
IV.
Peynst omden ouden hont die bast.
l.
Als doude hont bast, soude men uut sien
Opt avontuere, wat mocht geschien
Van dinghen, daer menich luttel op geloest,
Dat den menighen heeft genoest
Van eren ende oic van goede mede: w
Daer goet hoede is, daer is goet vrede.
Maer als de dinghen sijn geschiet,
Daer men om doghen moet verdriet
Ende bij comen in schalkernye,
Die te voren stonden int vrye,
Soe en eest nyet anders dan druc en last:
Peynst omden ouden hont die bast.
2.
Men mach wel seggen over waer
Ende oec proeven int openbaer,
Dat hij es wijs ende wel gesint.
Die sijns seif staet bekint
Ende pijnt te levene in selker mate,
Alsoet behoert te sinen state,
Naer dat hem god verleent heeft.
Die daer buyten gaet, hij sneeft
8*
116
Soe zeere, dat hem nae berout,
Dat hij sijn hoet daer omme crout.
Hets recht, hij hevet qualijc gepast:
Peynst omden ouden hont die hast.
3.
Die tachter es ende nyet te voren,
Hem is van node, wilt hijt hören,
Dat hij sijn zaken soe bestelt,
Dat hij hem niet en . . lde l) gevelt
Met allen eer hijt selve weet.
Eest anders, het sal hem worden leet;
Als hij hem wel hedincken sal.
Alst peert verloren es, slutmen den stal;
Dan eest te spade na mijn verstaen,
Die ridens plach, die moet dan gaen.
Beter eest, weert te sine dan gast:
Peynst omden ouden hont die hast.
4.
Na dese werelt eest groet eere,
Dat hem elc alsoe genere,
Dat hem nyemant sijns en beclage
Niet*) meer vremde dan vrienden oft maghen.
Oec eest gode seer wel bequame,
Ende men ghecrychter bij goeden name.
Nen mach wel exponeren siecht
Sonder yemande te doene . onrecht.
Van onrechte in waren saken,
Siet men dicke comen wraken.
Hout u daer an wel ende vast:
Peynst omden ouden hont die bast.
Hi dunct my sinde van sinne blint,
Die niet en acht upt regiment
Van hem selven ende sinen lieden,
Die hij mach heten ende gebieden,
Want nyet meer dan een man sonder hoeft
Leven en mach, my dies geloeft,
Soe en mach een mensche staende bliven,
Weder het sijn mannen oft wiven,
Die niet en ledt up sijn bestier.
Hij vint hem selven int dangier
Micls den commer die hem an wast:
Peynst omden ouden hont die bast.
') vilde? — *) Hinter Niet ist man getilgt.
117
Ende naer dat aldus gescepen staet,
Laet ons sceppen aisulken raet
Ende soe toe sien tot onser bederve,
Dat wij behouden lant ende erve,
Ende altoes pinen ende pogen,
Gode te payen na ons vermoghen.
Die nyet en heeft, men gheeft hem nyet1),
Hij inoet bliven in sijn verdriet,
Ten baet geen bidden noch gheen clagen,
Weder het sijn vriende oft maghen.
Dat weet hij wel, diet heeft getast:
Peynst omden ouden hont die hast.
Die Jahreszeiten.
Van lusten heb ic een weynich gedieht
Ende uwer niynnen dat toe geticht.
Wilt ghijt in goeder mynnen ontfaen,
Alst uut mynnen is u gedaen:
5 Int cort geroert den loop der tijt,
Hoe wij worden dat leven quijt!
Die lenteu is warm, vuehtieh ende soet,
Ende alle dinek lustelic spruten doet.
Die joeeht die is dair bij verstaen,
10 Thent die craften zijn ontfaen.
Dat bloet is werm ende vol lusten
Ende doet den jongeline seiden rüsten.
Die sudenwint die waeyt dan fast
Ende gift den dieren ende eruden craft.
15 Die somer is wann ende dair toe droech,
Want dan climmet die sonne int hoech.
Die mensch wort man, die vruchten stereken,
Die heete colera beginnt te wereken.
Die oestenwint waeyt schoen ende ciaer,
20 Des worden die dieren ende vruchten ontwair.
Wie hem dan houden can eloec ende wijs,
Die vergadert dan goet loff ende prijs.
Die herfst is cout ende dair toe droech,
Want die sonne loopt uutet hoech.
') nyet steht hinter dem Reimwort des folgenden Verses ; der übliche Haken,
der die aus Platzmangel nötig gewordene Versetzung andeutet, fehlt. — V, 11 — 13
Randglosse: Ver. Adolescencia. Sanguis. — 18—20: Estas. Juventus. Colera. —
24—26: Autumpnus. Senectus. Melancolia.
118
25 Dan sijn vijftich jaren geleden,
Ende die craften minren mit reden.
Die acker ende wijngairt ende alle boemen
Doen alle vruchten ter schueren comen.
Dan soe rijsen die inelancolyen,
30 Die synnen die valien in fantasyen.
Die riken peynsen, wair sijt seilen laten,
Die arme soekent bij wegen ende Straten.
Die noerdenwint die waeyt dan,
Tgepeyns maect menich bedrucket man.
35 Die winter is cout ende vuchtich mede,
Want die sonne leyt dan beneden.
Dair is die ouderdom bij verstaen,
Als vijff ende tsestich sijn overgegaen.
Dat bloet dat wort verwandelt in flumen,
40 Die en willen mit arbeyt nauwelic rumen,
Mit hoesten, mit cochen, mit noesen te drupen,
Doer alle conduten beghinnen sij te crupen.
Die westenwint die waeyt mit reghen,
Het stormt ende bairt, tis al tondeghen.
45 Och hoe wel soe is hem dan,
Die gedocht heeft upten ouden man,
Dat hem moghen bueren maechden ende knechten,
Die hem dan zijn gemack berechten.
Mer veel bet heeft hij gewrocht,
50 Die zijn ziel dan heeft bedocht
Ende mit oefeninge van duechden
An god verdient die ewige vruechden.
0 alre gemintste mit al mijn synnen,
Die scheynt is uut grondigen mynnen.
VI.
Marienlied,
l.
Ave moeder, reyne maecht,
Mijn aerme noot zy hu gheclaecht,
Hemelsche conneghinne.
Consciencie heift my ghcvraecht,
Hoe verre dat mijn leven draecht
Ten hemelschen ghewinne.
Dit vraghen maect my so versaecht,
So zeere bescaemt ende so verbaecht.
Ic en weet, wat ic beghinne.
V, 35 Hs. : wint. — 39—41 Randgl. : Yems. Senium. Flegma.
119
Dese worm dor mijn herte cnaecht,
Ic bem bedorven en gheplaecht.
Ghy en doet, dat ic bekinne
Hu moederlicke minne.
Maria, aldersoetste woort,
Zoe waer dat men hu nomen hoort,
Daer van vliet alle mesquame.
Sviands cracht hebdi verstoort.
Wie an hu roupt, hy vint confoort,
Wel zoete werde name.
My dincke, dat mijn herte seuert
Int peisen, dat ic hebbe verbuert
Met sondelicker blaine.
Maria, zijt in mijn hulpe voort,
Maect my pays ende vast acoort,
Eer god up my vergrame,
Want ic my voor hem scame.
3.
Gratia plena sonder gront
Zidi, vrauwe, in alder stont
Tonsen bouf vercoren.
Soe wie van zonden es ghewont,
By hu mach hy zijn ghesont.
Hier toe zydi gheboren.
Mijn aerme noot die zy hu cont,
Hu bidt mijn herte en ooc mont,
Als moeder wilt my hooren.
Eist dat ghijs my niet en jont,
AI ba voor my de werilt ront.
Nochtan blevic verloren.
Dit weetic wel te vooren.
4.
Dominus tecum talder tijt,
Want also wel ghy met hem zijt,
Hu wille dat es de sinne.
Hier toe soe heift hy hu ghewijt,
Verheven ende ghebenedijt,
Doet ons huwe macht ansehine.
Wie mach onstaen des viands nijt,
Ten zy dat ghy ons bevrijt
Met der hulpe dine.
Maect ons nu van sonden quijt
In dese ertsche overlijt,
120
Ende emmer tonsen fine
Zijt onse medecine.
5.
Benedicta tu, vrauwe alleyne,
Naest gode so helich, so en es ne gheyne,
Versiert in hemelricke.
Themelsche beer al ghemeyne
Verblijt hem in hu, groot ende cleyne,
Daer en es niement dijns ghelicke.
0 soete hemelsche souvereyne,
Ziet neder in dit dal van weyne.
Up my die nu verzlcke.
Ghy zijt donfarmeghe fonteyne,
Maect my nu van zonden reyne,
Dat my gods vrienscap blicke,
Eer by zijn vonnes stricke.
6.
In mulieribus zydi soet,
Der maecbden speghel vulder otmoet,
Boven der zonne schone.
Ghy hebt ghemaect om ons behoet,
Dine moederlike borsten zoet
Toecht huwe lieve zone,
Bit hem, hy gaf om ons zijn bloet,
Dat hy zijn wonden schauwen doet
Den vader vanden troone.
Wildi dit doen, ic bem wel vroet,
Wy crighen pays met groter spoet,
Brinct ons ten hooghen loone,
Ghy zijter doch wel ghewoone.
Et benedictus so es hy,
En vui van zonden staen wy
Allendeghe keytiven.
Wie mach ons maken van zonden vry
Dan alleyne vrauwe ghy?
Boven alle wiven
Ic duchte, niement zo helich en zy,
Waer dy hem niet met troosten by,
Hij en zoude in drucke bliven.
Ay lacen, hoe zout dan staen met my!
0 moeder, der zondaren cry,
Wilt van my nu verdriven
Tfiands ieghen kiven.
121
8.
Fructus ventris tui, vrauwe,
Hy heift ons bevrit van alle rauwe
Met sinen werden bloede.
Ast eomt dat elc zijn ordeel scauwe,
Up rechte moederlicke trauwe
Zijt daer in onse hoede.
Ende als ons aerme herte flauwe,
Met uwen zoete hemelsche dauwe
Laeft ons, vrauwe goede.
Rumt ons den wech, hy es te nauwe,
Dat ons den viant niet en glauwe.
Vrijt ons van zijnder roede
Ende van der hellen gloede.
9.
Amen, dit inoete wcsen waer,
Ende die dit scriven hier naer
Of met den wyse lesen
Inde werdichede van hacr,
Die ons inden laesten vaer
Van sonden mach ghenesen,
Leist ave Maria een paer
Voor hu, voor my, dats mijn begaer,
Dats wijs te beter wesen.
Dat jonne ons god en bringhe daer
Daer vreucht es zonder jaer,
Zy en mach niet zijn vulpresen,
God zy gheloft van desen.
BERLIN. Herman Brandes.
Johan Statweeh.
Im Deutschen Museum für 1777 Bd. 2 S. 326 teilte Anton,
Gymnasialdirektor in Görlitz, mit, dass sich in seinem Besitze sechs
Pergamentblätter mit einem altdeutschen Gedichte befänden, welches
die Genealogie Christi behandele. Fünfzig Jahre später wies
Spangenberg in seiner wertvollen Anzeige von Schellers Biicherkunde
in der Allgemeinen Litteratur-Zeitung 1827 Bd. I Sp. 738 f. auf eine
gereimte Weltchronik Job. Statwechs in einer Görlitzer Handschrift
hin. Auf Grund dieser Angaben verzeichnete Gödeke in seinem Grund-
risse 2 Afl. Bd. I S. 470 n. (> eine 'Genealogie Christi' und als ein
zweites Werk S. 462 n. 38 eine 'Weltchronik in ml. Reimen'. Wie
122
die von Anton und Spangenberg mitgeteilten Anfangsverse zeigen, kann
jedoch von verschiedenen Werken nicht die Rede sein, vielmehr handelt
es sich um dieselbe Dichtung und dieselbe Handschrift.
Der Verbleib der von Anton erwähnten Pergamentblätter ist mir
unbekannt, die Handschriftenverzeichnisse der Görlitzer Bibliotheken
geben keine Auskunft über dieselben. Dagegen bietet die Dresdener
Handschrift M. 178. 4° eine im 18. Jahrh. angefertigte, aus Gottscheds
Bibliothek stammende Abschrift. Aus der Dresdener Handschrift ist
dann eine weitere Abschrift geflossen, die als Mscr. germ. Quart. Nr. 4
die Königliche Bibliothek in Berlin besitzt. Die Abschriften bieten
manche Verlesungen, vielleicht fehlt auch öfter hier und da ein ein-
zelnes Wort, welches in Anton's Handschrift noch stand, ganze Verse
scheinen aber nicht ausgefallen zu sein, da Spangenberg angiebt, dass
auch die Görlitzer Handschrift 920 Zeilen enthalten habe.
Das Gedicht ist von Spangenberg richtig als Weltchronik be-
zeichnet worden. Aus dem Rahmen der biblischen Geschichte im
allgemeinen nicht heraustretend, giebt es, meist kurz verzeichnend,
selten einzelnes breiter ausführend, eine historische Übersicht bis zur
Zeit des Tiberius. Mitunter begegnen legendarische u. a. Zusätze,
die wohl schon in der unmittelbaren Quelle des Verfassers sich fanden:
Adam lässt er zu Damascus geschaffen werden, Jubal soll der Erfinder
der Briefsegen gegen Feuer und Wassernot sein, Vs. 843 ff. zeigen
Kenntnis der Pilatuslegende.
Nicht klar ist die Ursache der chronologischen Verwirrung in
den ersten achtzig Versen. Cains Brudermord wird eher als die Er-
schaffung Adams erzählt. Folgen müssten auf Vs. 6 die Verse 53 — 7s,
dann 7 — 52. Auch scheinen Lücken den Zusammenhang zu unter-
brechen, vergl. Vs. 67 ff.
Das Gedicht gewinnt einiges Interesse auch dadurch, dass Namen
und Heimat des Dichters nicht zweifelhaft sind und dieser noch als
Verfasser eines anderen Werkes nachweisbar ist. LJohan Staturch.
ein poppendikesch mar! wird der Verfasser der Weltchronik zu Sehlus>
derselben genannt. Seine Mundart (mek statt rot, brockte neben brachte,
stidde statt stede) weist auf den östlichsten Teil des rot/c-Gebietes, in
das Flussgebiet der Ocker, Bode und des Oberlaufes der Aller, also
in den östlichen Teil des Herzogtums Braunschweig und des angren-
zenden Teiles der Provinz Sachsen. Die Ileimgenauigkeit, dass er
inlautendes v nur mit t?, nie mit g, bindet, deutet für das in Betracht
kommende Gebiet darauf, dass er westlich oder südwestlich von dem
Laufe der Ohre und der obern Aller, also in der Gegend von Oschers-
leben, Helmstädt oder Braunschweig zu Hause war1). In der That
lässt sich wenig nördlich von der letztgenannten Stadt, südlich von
Gifhorn, ein Bezirk nachweisen, der heute Papenteich genannt wird
und früher Poppendik hiess*).
») Nd. Jahrbuch 12, 27.
") Vgl. Sudendorts Urkimdenbuch 11 S. 363; Chroniken d. dtsch. Städte tf
S. 3(5 n. 6.
123
Ausser seiner gereimten Weltchronik hat Johan Statwech noch
eine prosaische Weltchronik hinterlassen, der ein gereimtes Vorwort
vorangeht. Dieses und der letzte Teil der Chronik ist von Leibnitz
in den Scriptores reram Brunsvicensium T. III, 263—276 mitgeteilt,
*ie reicht hiernach bis zum Tode Albrechts II. von Österreich. Der
Verfasser scheint darnach in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. gelebt
zu haben.
Statwechs Reimchronik enthält nicht einen einzigen unreinen
Reim, das ist aber auch das einzige, was an ihr als Dichtung zu loben
ist. Es mag genügen, wenn Anfang und Ende derselben abgedruckt
werden.
Godde Marien unde allen hilghen to eren
Wil ik de leygen leren,
Dat fe feyn unde lefen,
Wo id vor uns fy gewefen
5 Van Adammes tyden to Cristi bort.
Des merke duffe lere vort:
Cayn fynen broder floych
Van hate, den he in fynen herten droych.
Darumme he vluchtich mofte werden,
10 Wante he ftorf van duffer erden.
Enoch was Cayns erfte föne,
Eine ftat ome buwede fchone
Unde fynes namen Enoch heyt.
Dar he wonde unde al fyn deyt.
15 Lamech, de erfte breker der ee,
Myt tween wyven levede alze ve,
De ome der fmaheyt nicht vordroyghen,
Beyde roften unde floyghen,
Dat he wart feyk unde blynt.
20 He fchot Cayn unde floych dat kynt
Unde sprak to fynen wyven do
'Myn herte kan werden nummer vro;
Van Kayn, den ik hebbe flaghen,
Moyt ik feven vloyke draghen.
25 Seven unde feventich fynt dem bereit,
De mek wedder to dode fleyt.'
Jabel dat erfte hoyden vant,
Alle deir weren ome bekant
De he den luden fcheyden leide.
30 Dar van fyn komen alle beide.
1 Die handschriftlichen u und v sind im Abdrucke nach heutiger Regel gesetzt.
Für das neben vnde sich findende vnd ist stets unde wiedergegeben. — 25 den —
27 Dem gewöhnlichen Sprachgebrauche würde erste dat hoyden hier und erste de
immcam Vs. 33 entsprechen.
124
Jubal up den feyden konde fyngen
Na fynes broders hörne klyngen;
He vant de elften muficam;
Unde eynen marmor to fik nani
35 Alzo eyn boyk unde eynen breyff
Teghen vur unde water dar yn fcreif.
Tubalkaym de metalle vant,
Do he de buffehe hadde braut.
Dar he beide konde afhauwen
40 Myt fynen hameren unde tauwen.
Xoeina dat werkent vant.
So nam dat gharne in de haut
Unde alzo lange dar up dachte,
Dat fe dat to wände brachte.
43 Dar van de cleder komen fyn
Dor not unde des homodes fchyn;
So men alle daghe fut,
Dat mennich fek fere vortut
Unde dar uinme moyt vorfynken
50 Unde in der helle grünt vordrynken,
Alze duffe al in waternot
Storven ok den eweghen dot.
Adam to Damascene gemaket wart
Van der erde, de god hadde vorclart,
55 Unde Adam de clarheyt het verlorn.
Dar umme Christus is gheborn,
Dat we inoghen tho godde kommen.
Adam de wart upgenommen
Van der ftede, dar he maket was,
60 Unde vort in des paradifes plas
Vil drade bracht, he dar entfleyp,
God in fyne fyden greyp
Unde eyn ribbe dar toch ut,
Dat makede he ora to eyner brut.
65 Vil drade Adam dat vornam
Unde fprak, 'dem wive fchal wefen nemet gram,
Dit is myn vleifch unde fyn myne knoken.
Der elderen leve wert tobroken
Van den mannen unde wiven,
70 De dar fchollen to hope bliven.'
Drade dit de duvel vornam
Unde in eyner flangen wife quam.
Behende wort he one vorloch,
Dat he fe dar do bevde bedroch.
37 Tybalkaym — 61 bracht fehlt. — Nach 67 und 70 scheinen, worauf der
unterbrochene Gedankenzusammenhang deutet, Lücken zu sein.
125
75 God fprak 'du heft myn bot gebroken,
Dat fchal werden an dy gewroken.
Du fchalt komen yn fodane not,
Myt fwete du fchalt eten dyn brot.'
Seth vor Abel wart ghegeven,
80 Up dat de mynfche mochte leven.
Wente Kayns flechte dochte nycht,
Des was id to dem dode vorplicht.
Enos dat erfte bede vant,
Dar goddes torne wert midde want,
85 Dat he de funde wel vorgheven
Up dat de lüde moghen leven.
Caynen tcylde Makalehel,
Ghuder werke he dede vel,
He levede neghenhundert iar
90 Dar to teyne, vinde we vorwar.
Mahalaleel Yarech teylde
Na lxxv jaren, alzo ik meylde;
Achtehundert xcv jar he wart olt.
Do vel he in goddes wolt.
95 Jarech teylde Enoch na hundert jaren
Unde LXXII, alzo de fcrifte fyn vorvaren.
Enoch goddes denftes plach
Darumme one god anfach,
Dat he ome de wiflieyt lerde,
100 Wo he feck van den runden kerde,
Der do was wrorden leyder vel.
Dar umme god one brachte fnel
In des paradifes auwe,
Dar he is in groter rauwe
105 Wante to antichristi tyden
Unde en dot van ome lyden.
He het gheteylt Matufalam,
Van dem vort Lamech quam.
In den tyden fchach overhur,
110 De unkufcheyt bernde fo dat vur.
Dar umme got dachte in synen moyt
Unde vordorf fe myt des waters vloit.
Noe was olt D iar,
God do dede om openbar
115 Dat he do mit gantzen truwen
Scholde eyne arken buwen
Dar he myt fynen flechte in trat,
91 Malaleel — 92 Nach Genest* 5, 15 LXV — 9G Nach der Bibel LXIi —
102 Die Reime erweisen brachte und brochte, vgl. brachte : dachte 625. 913. 687;
brachte : nachte 219. 453; sochte : brochte 481. 879. — 103 pardises — 104 hen
— 106 en] den — 117 Der Mundart des Dichters entsprechen die Dative auf -em,
126
God de gaf ome fulven rat.
De duve ome de palme brachte,
120 Drade he fek do bedachte,
Dat he ut der arken fteych,
Unde fek got to ome neych.
He fprak 'nu is de ende der watersvloyt
Vleyfch moghe gy eten ane bloyt.'
Sem de vrigen het gelaten.
799 Johannes Hircani Davites schat
Mit den yoden geopent hat,
Den fe hebben den hedene[n] gheven,
Dat fe myt vrede mochten leven.
Den hedenen bewifeden [sej oren vlijt,
Doch ftunt de vrede cleyne tijt.
805 Hyrcanum Ariftobolus beloych,
Dar umme in Arabien vloych,
Dar na to Pompeyo vlo,
De one erde wedder ho.
Craffus was eyn ghyrich man,
810 Vele gholdes fek underwan.
De Romere on hadden utgefant,
Unde fcholde wynnen der Syten lant.
He meynde, ome fcholde wol gelingen,
Dat volk he wolde al vordryngen.
815 Dar umme fe to hope quemen
Unde ome vele ghudes nemen,
Syn volk dar to fe hebben gheflaghen.
Des den Romeren nicht konde behaghen,
Vil drade fe one grypen leyten
820 Und dat golt heyt in den hals gheyten.
Se fpreken: 'Na dem gholde du bift dul,
Des du nu fchalt drynken vul/
Pomponius de gaf den rat
Den Romeren, dar he mede fat
825 In der herfchup unde rade,
Dat fe fcholden fenden drade
In der bofen Joden lant,
De fek do hadden van godde want
Unde myt den heydenen fek verplicht;
830 Goddes bot fe heylden nicht,
Scheyf was or levent unde cruin,
Se [vorjkoften do dat biffchopdum
Vor fuluerpenninge unde gelt,
Des armen recht dat wart vorfnelt,
die in der Abschrift auftretenden -en wie hier in synen sind vielleicht irrige Wieder-
gabe handschriftlicher e.
127
835 De fymonye was rekent nycht.
Dar umme de Romer nennen vorplicht.
We do meyft des gheldes gaff,
Dem gheven fe den biffcoppesftaff
In den tempel to Jherufalem
840 Unde fanden dar Coniponium to prefidem.
Duffe andern, de bir na ftan,
Nicht merkelkes en hebben dan.
Pylatus, van Mentze des koninges föne,
Teylde fyn vater io myt hone
845 To Yorcheym van des molres kynde.
Syn levent is gewefen fwynde,
Synen broder he drade floych;
Dat de konning myt undult droych,
Dar umme one to Home fände
850 De keyfer vort in Poncien lande,
Dar he vele gheldes kreych.
Dar na ome de keyfer leych
Jherufalem, der Joden ftat,
Dar he do dat richte fat
855 Over Jhefum, unfen got,
Dem he dede groten fpot
Unde leyt one den bofen Yoden,
Dat fe one mochten doden.
Tyberius duffe rede vornam,
8G0 Yil drade he wart ome gram.
He leyt on bynden unde vangen
Unde van Jherufalem to Rome langen.
De keyfer dachte ome pyne grot,
Dar umme he ftak fek fulves dot.
865 Herodes Antypas
To Galilea eyn konning was,
Duffe makede groten kyf
Unde Philippo nam fyn wif.
Dat Johannes gheftraffet hat,
870 Dar umme fe wart ome quat
Unde Johannem gripen leyt
Unde fyn hovet afliauwen heyt,
Herodes myt den fynen hadde fpot
Over Jhefum Chriftum, unfen got,
875 Do Pylatus on ome fände.
Den heren he vraghede menigherhande,
Wunder hedde he gherne feyn
Unde eyn wit cleyt leyt ome anteyn.
Herodes Agrippa dat lucke föchte
880 Unde Jacobum to dem dode brochte
849 Dar vmme he one — 850 landen — 857 Vnd heyt — 862 fangen
57 ti herren — 878 an reyn
128
Unde Petrum grypen heyt.
De engel on ut der vengniffe leyt.
Julius Pompeyum vorwunnen hat,
Darumme Rome de grote ftat
885 One do eyn keyfer heyt,
Unde den namen na fek den anderen leyt.
Auguftus na ome ghekomen yft.
By fynen tiden wart boren Crift
To Betlehem, Davitis ftat.
890 Auguftus horde Sibillen rat,
Dat he gaf der werlde eyn bot,
One fcholde eren nemet vor got.
To vorne dede he menighen vordreit,
Do he fek vor eynen god anbeden leyt.
895 Duffe ere is ummekart,
Do Chriftus Jliefus geboren wart.
Eyn grot wunder do ome fchach,
Eyne iuncfrawen he in der funnen fach,
Up orem arme eyn kyndelyn,
900 Unde horde, dit fchal des hymmels alter fyn.
Dar unime de keyfer wart bekart
Unde vorlette do fyne hovart.
Tyberius de dridde here
Vorkofte den yoden der prefter ere,
905 Hysmaelem he afdreyf,
Annas in der stidde bleyf,
Darna Eleazar unde Symon was,
To leften Yofippus gebeten Annas.
Duffe Jhefum merteren heyt,
910 Wente fyn lere dede ome vordreyt.
God de bosheyt wolde vorftoren,
Des Annas nicht en wolde hören
Unde dar fo langhe up dachte,
Dat he den heren to dode brachte.
915 Des wil we eren fynen dot,
Dat he uns helpe ud aller not!
Leve frunt, les lyke!
Van rymen was ik nicht ryke,
Wente ik byn ut dem Poppendyke.
Me fecit Johan
Statwech, eyn poppendikefch man.
886 Unde fehlt. — 893 he fehü. — 896 war — 897. 898 Diese Verse hal
die Handschrift in umgekehrter Folge. — 898 he fehlt. — 902 vorlette — 912 en fehlt |
BERLIN. W. Seelmann.
129
Der Parson of Kalenborow
und seine niederdeutsche Quelle.
Um dieselbe Zeit, wo der Schalk von Knittlingen sein ursprüng-
liches Kleid auszog und von einer oberdeutschen Presse aus seinen
eigentlichen Siegeszug antrat, ist der österreichische Schelmenpfaff
nach Niederdeutschland gewandert und hat von dort aus sogar die
Reise über den Kanal angetreten. Und während der ursprüngliche
Eulenspiegel uns unwiderbringlich verloren scheint, können wir die
Wanderungen des Pfarrers vom Kaienberge ziemlich deutlich verfolgen,
ja aus ihren Spuren auch die Zerrüttung der oberdeutschen Über-
lieferung aufhellen. Denn dass schon der älteste oberdeutsche Druck
des Kalenbergers, den die Hamburger Bibliothek besitzt, uns einen
verstümmelten Text überliefert, war spätestens seit Mantels hübschem
Fund (Jahrb. 1875) für jeden Leser klar, und man ist nicht wenig
überrascht, den jüngsten Herausgeber, Herrn Bobertag !), ausdrücklich
versichern zu hören, dass die Überlieferung auf „zum Glück guten"
alten Drucken beruhe.
Von einer Übertragung des Kalenbergers in die niederdeutsche
Sprache wusste man, seit v. d. Hagen in Veesenmeyers Bibliothek zu
Ulm zwei Blätter des alten Druckes gesehen hatte *), dieselben, welche
sich jetzt in der Berliner Bihliothek (Yg 3921) befinden. Allein noch
Lappenberg8) nennt die Fassung eine niederländische und dabei bleibt
auch Bobertag, der nichts davon weiss, dass W. Mantels in unserm
Jahrbuch 1875, S. 66 ff. zwei von ihm aufgefundene Lübecker und
1876, S. 145 ff. ein drittes, Veesenmeyersches, Blatt des niedersäch-
sischen Druckes publiciert und mit verständigen Bemerkungen begleitet
hat. Es trifft sich nehmlich ungünstig, dass eines der Blätter doppelt,
in Berlin und in Lübeck, erhalten ist: diesem Nachtheil steht aber die
glückliche Fügung gegenüber, die uns, wie schon Mantels sah und
sich unten noch deutlicher zeigen wird, gerade die für die Textgeschichte
wichtigsten Stücke in die Hände spielt. Die Hoffnung, dass noch
einmal der vollständige „Kerckhere van dem Kaienberge u auftauchen
werde, ist nicht eben gross und darum gewinnt die englische Prosa-
fassung, der „Parson of Kalenborow *, an Wert, die, wie sich von vorn
herein voraussetzen lässt, aus dem Kerckheren geflossen ist.
Auf dieses Werk ist unsere Aufmerksamkeit neuerdings wieder
durch das vortreffliche Buch von Herford Studies in the literary rela-
*) Kürschners Deutsche National-Litteratur Bd. 11. Narrenbuch (Berlin und
Stuttgart o. J.) S. 3; der oberdeutsche Text des Kalenbergers ist hier S. 7 — 86
abgedruckt: die Lücke des Hamburger Exemplars v. 655 — 734 ist aus dem Frank-
furter Druck von 1550 ergänzt. ') Briefe in die Heimath Bd. 1 (Breslau 1818)
S. 131. s) üienspiegei S. 356.
SHedmdeutaohes Jahrbuch. XIII. 9
tions of England and Germany in the sixteenth Century (Oxford 1886)
S. 272 — 282 hingelenkt worden. Von den englischen Zeitschriften und
bibliographischen Werken, in denen es schon früher Erwähnung fand,
war mir nichts zugänglich1). Alle, und so auch Herford, kennen nur
das eine leider unvollständige Exemplar des Druckes, welches die
Bodleiana zu Oxford in der Douce Collection K. 94 besitzt. Der
einstige Besitzer hat demselben ein paar Notizen beigegeben, aus denen
ich die folgenden wiedergebe, ohne sie controlieren zu können: 'Here
is very good reason for supposing that this most curious work was
translated from the German or Flemish by Richard Arnold during
his residence at Antwerp. I think that he niight also have translated
the other books printed by John of Doesborowe.' Die sichern Drucke
des Jan van Doesborch gehören zu den allergrössten Seltenheiten: in
einer deutschen Bibliothek wird schwerlich einer von ihnen zu finden
sein, Douce aber mag zu seiner Annahme doch wol den Grund aus
eigener Anschauung geschöpft haben. Für Antwerpen und die Zeit
um 1510 entscheiden sich auch andere Sachverständige: so schreibt
mir Herr Prof. Arthur S. Napier in Oxford, dessen liebenswürdigem
Entgegenkommen ich eine vollständige und überaus sorgfältige Abschritt
verdanke.
Das Oxforder Exemplar bewahrt noch 23 Blätter, die ich unten
mit den Zahlen 3 bis 25 bezeichnet habe; das ganze bestand allem
Anschein nach aus 5 Lagen von abwechselnd 6 und 4 Blättern, nehmlich
A 6, B 4, C 6, D 4, E 6. In der Anwendung der Blattsignaturen
ist der Setzer überaus liederlich gewesen, und es würde nur verwirren,
wenn ich etwa seine Zeichen an den Rand setzen wollte. Das erste
erhaltene Blatt bezeichnet er als C ij, das nächstfolgende in die rich-
tige Chiffre einlenkend als A iij; mit ij aber ist das dritte Blatt der
Lage auch bei B C E bezeichnet, während in D gar erst das vierte
Blatt die Signatur D ij führt.
Der englische Text setzt etwa um v. 230 der oberdeutschen
Fassung (nach Bobertags Zählung des Hamburger Drucks) ein: da
dürften wir für das vorausgehende immerhin zwei Blätter mit Text
vermuten. Es hat also entweder das Titelblatt (falls der Druck ein
solches hatte) ausserhalb der ersten Lage gestanden, oder der Eng-
länder hat in der Einleitung, wie noch an einer andern Stelle, stärker
gekürzt, indem er von den Studentenstreichen des spätem Pfaffen
einiges fortliess. — Für den fehlenden Schluss (v. 2122 — 2180) reicht
ein Blatt gut aus, auf dem sehr wol auch noch ein Holzschnitt Platz
gehabt haben kann. Die Zahl der erhaltenen Holzschnitte beträgt 13
gegenüber 36 des Hamburger Exemplars. Da nun auch in den er-
haltenen niederdeutschen Fragmenten (X) nur 2 Holzschnitte gegenüber
*) In den Typographical Antiqnities etc. by Jos Arnes .... considerably aug-
mented by William Herbert vol. III (London 1790) p. 1531 ist das Fragment er-
wähnt unä ein Stück daraus (Bl. 5b Our parson — 6b conutre about) abgedruckt:
in der mir allein zugänglichen neuen Ausgabe dieses Werkes: greatly enlarged by
the Hev. Thomas Frognall Dibdin London 1810 — 1819. 4 voll. 4° finde ich keinerlei
Mitteilung darüber.
131
') der entsprechenden oberdeutschen Partien (0) stehn und von diesen
zweien sich einer im englischen Druck (E) an gleicher Stelle findet,
der andere sammt der Geschichte fortgefallen ist, so wird im übrigen
die Verteilung der Holzschnitte in N der in E entsprochen haben.
Ich halte die englische Prosa eines vollständigen Abdrucks durch-
aus für würdig und schicke sie weiteren Erörterungen voraus. Die
Orthographie habe ich dabei nicht geändert, nur die Abkürzungen sind
aufgelöst, ein paar ungleichmässig gesetzte grosse Anfangsbuchstaben
beseitigt, Trennung und Zusammenschreibung geregelt und eine deut-
lichere, aber immer noch sparsame Inteqninction eingeführt worden.
Die Mehrzahl der unter den Text verwiesenen Druckfehler hatte bereits
Herr Prof. Napier als solche bezeichnet.
Text des Parson of Kalenborow.
(Beginnend 0 ca. 230.)
(3a) come to it and all oncouered in such maner that it rained in
at euery corner, so that no man coud stände drye in it, whan it
was foule wedder for lacke of reperacion; the whiche he with his
subtyll maners caused to be amended in shorte tyme after of
5 the paysans his parissheners, as herafter shalbe shewed. Cl Also
he called vpon them for his offeringes and dymes or tythes, sainge
to them: 4ye must helpe to mayntaygne the temple of god, and
dele me parte of your goodes or catell, as shepe or kyne, your
wyfe1) and your chyldren also, for I have charge of all your
10 so wies and I must answere for you all before the face of god at
the dredfull day of dorne/
(| Howe the parson be his wyles causeth the ehurehe to
be couered. (0 242—296.)
(3b) GTJIf^han this parson had kepte his eure a lytell whyle and
^jtgßj se that he coude nat stand drye to do the seruyce of
almyghty god, with a proper wyle he come to his
15 parisshioners and sayde: 'my frendes, we shal encreas the seruice
and honoure of almighty god, and also the place whereas the
seruice ought to be done in; and because that therto we shold
haue a gode beginninge*), let vs take a gode auysement and let
vs couer our churche, and I wyll geue you choys of two thinges,
20 whiche ye wyll do to thentent that our church may be couered,
so that ye may stände drye to here the seruice of almighty8) god,
and I drye to do it. And I geue you choyse, whether ye wyll
couer the body of the churche, or ellys the quere'. And*) without
auysement takynge as gredy people answered their parson thus
') myfe — •) begin-inge — •) almighth — *) quere and im Druck ohne jede
Interpunctiön: hier ist vielleicht ein ganzer Satz ausgefallen, entsprechend 0 248 bis
260, wo einer der Bauern seinen Dorfgenossen den Vorschlag macht, den Chor (quere)
zu decken; dieser Satz wird wie die Rede des Pfarrers mit quere geschlossen haben,
sodass der Ausfall aus einem Überspringen des Auges zu erklären ist. Meine Inter-
punktion ist daher nur ein Notbehelf.
9*
m
saynge: 'maister parson, we thanke you of your gode profer; yf
ye be so content, we wyll couer the quere, because we be nat
able to couer the body of our churche.' The parson hering this
was right glad and saide, he was content. Thus the paysans be-
5 gan the quere and ended it with all their dilgens, thinkynge that
the parson sholde couer the rest; and whan they had done and
that their quere was couered1), thei asked of their parson, whan
he wolde couer the remenant, and he answered and saide: 'my
frendes, yf ye haue couered the quere, (&*) ye haue done1) that
10 ye ought to do, therfore be content, for I am well content. I se
well that I shall stände drye and out of the rayne to do goddes
seruice, and the best counsell that I can geue you is that ye
couer vp the remenant, and than ye shall stände drye also/ The
paysans hering this wäre meruelously angry and curssed the preste,
15 and began to crye out vpon hyni, the one with a mischefe, the
other with a vengeauns, the third bed the deuyll bere bim away etc.
Thus they were all abasshed of their parsons subtyll wyles and
yet they were fayn to couer their churche themselfe for any cost
that the preste wolde do therto or cause to be done, for he stode
20 drye ynough to do goddes seruice, and than he cared nat for
them, for they cared before as lytell for hym*).
(| Howe the paraon beshote the Clerkes eayes and the
place whereas he sholde gytt lu the churche**). (0 399—422.)
(^b) JTRT befell vpon a seson that the parson was very seke,
jE so^at he coude nouther ete uor drynke, and herof herde
the paryssheelerke, and thoughte in hymselfe: ;I faythe
25 our parson is so wylye, yet I wyll begyle hym ones nowe if I can/
and went to the parson and visyted hym, wherof the parson was
right gladde and shewed to the clercke his disease, and the clerke
thinkynge hymself very wyse, and answered the parson saing thus :
'maister parson, be of gode chere, and I wyll make you a recept
30 that shall be very gode for you, for it hathe holpen many a gode
body. The parson this heryng thanked his clerke with all his
harte, and than went the clerke home and made hym a recept
of lynesede, because the parson sholde beshyte his bed; and whan
it was made, he brought it to the parson and made him beleue
35 that it was very costly, and bed him take it at foure a clocke
in the mornynge, and he sholde fynde therin great ease. The
parson dyd be the Clerkes counsell and toke this medecyne at the
houre assigned on the mornynge folowynge. and his condicion was,
how seke that he was, he dyd e uery daymasse, and shortly after
40 this recept receyuinge his bely began to swelle. He thoughte no
härme, but went to church and thought to haue (day)masse8), and
*) coured — *) done — *) Hier fehlt die ganze Geschichte von den 'Hauenr
O 297—398 ; in N stand sie, wie Fragm. I Nd. Jahrh. I 67—69 zeigt. — **) Erhalten
in N Fragm. II Nd. Jahrb. I 69—71. — 8) day abgerissen.
133
such a laske come vpon hym that (5a) he coude nat go home,
and incontyneiit he perceyued wel that it come of the Clerkes
falshode, and by and by he loked for the clerkes kayes and founde
them and all to beshote theyni, and by and by to it he must1)
5 agayn, and than he went to the clerkes seat and all to beshote it
bothe vnder his fete and whereas he säte, and than for gladnes that
he had yelded the clerke of all his gode wyl he was euyn hole
and prepared hymselfe to go to masse (and dyd masse), and
whan the masse was done, the clerke sought the kayes to shyt
10 the churchdore agayn be the place whereas he was wont to syt,
and in reching of his kayes he set his fote in a torde and slyppered
with his elbowe in the other and all to arayd his handes and his
one syde as yf xx. men had shytten vpon hym, and durst say
nothinge for fere lest that he sholde be mocked, but gate a brome
15 and water for to make hym and his seat clene and to wasshe
his kayes. All this whyle the parson stode in a corner beholdynge
the clerke that was so besy to clense away another mannes torde
and loughe saynge to the clerke: 'nowe thou arte serued aright,
for thou thoughtest to begyle me and I haue begyled the, and so
20 be al they worthy that thynke to begyle another.1
(| Howe the parson wolde fle ouer the ryner ofTonowa. (0 423 — 594.)
(ob) [Bild.]
für parson of Kalenborow had wyne in his seier whiche was
marred, and because he wold haue no losse be it, he practysed
a wyle to be ridde of it, and caused it to be publyshed in
many parysshens there about, that the parson of Kalenborow at a
23 daye assigned wolde fle ouer the reuer of Tonowa froine the stepyll
of his churche, and this he proclaymed in his owne parisshe also,
and than he caused .ij. wynges of pecockes iedders to be made,
and also he caused his noughty wynes to be brought vnder the
churche stepyll whereas he sholde stände for to fle ouer the reuer,
30 and he gaue the clerke charge of his wyne, because he sholde
seil it well and dere to the moste profyte. Cl And whan the day
was come that the parson (G*) sholde fle, many one come theder
to se the maruayle, frome farre contrees, and than the parson
went vpon the stepyll arayed lyke an angell redy for to fle, and
35 there he flickered oftentymes with his wynges, but he stode styll.
In the meanwhyle that the people stode so to beholde hym,
the sonne shone hote and they had great thurste, for the preste
dyd nat fle, and he se that and beckened to them saynge: 'ye
good people, my tyme is nat yet to fle, but tary a whyle and ye
±0 shall se what I shall do;' and than. the people went and dronke
apace of this wyn that they se ther for to seil, and they dronke
so longe, that they coude gete nomore wyne for money and cryed
out for drynke and made great preas; and within a lytell whyle
') mnst
134
after the clerke come to the parson and sayde: 'sir, your wyne is
all solde and well payde for though there had ben more.' The
parson beinge very gladde of this tydinges began to flicker with
his wynges agayne, and called with a lowde voyce vnto the peple,
5 saing: 'harke, harke, harke, is there any amonge von all that ever
se man haue winges or fle?' There stepped one furth and sayd:
'nay sir, nay.' The parson answered !) agayn and sayd: 'nor neuer
shall be my fay. Therfor go your wayes home euerychone and
say that ye haue dronke vp the parson of Kalenborows euyll wynes
10 and payd for it well and truly more than euer it cost hym.' Than
wäre the vilayns or (6b) paysauns meruelously angry, and in their
language curssed the parson perillously, some with a myscheue
and vengeaunce, and some sayd: 'god geue hym an hondred drouse,
for he hathe made amonge vs many a fole and totynge ape.' But
15 the parson cared nat for all theyr cursses. And this subtyle dede
was spred all the countre*) about. Cl Nat far thens there dwelled
an olde preste that enuyed this parson of Kalenborowe and that
wolde come to hym and se hym, and thought howe he myght
begyle hym mith a proper wyle, for the olde preste was very wyse
20 and wolde haue argued with hym, and the parson herde of the
olde prestes intencyon, bed hym welcome, and in shorte conclusyon
they argued sore, but the parson helde the ouerhande, wherof
he had great honoure. Than sayd he to the olde preste: 'thou
grayheded fole, thou hadest ben better nat to haue argued, for
25 thou art ouercome to thy dishonoure, for thy clargye fayleth.
Nowe nomore of this,' sayde' the parson, 'but let vs go togeder
and make gode chere,' and the other desyred also to assay of
the parsons wyne.
(| Howe the parson gaue shillynges to enery one in his parysshe
to thentent that they sholde offer it the nezt daye at the olde
prestis mmse Tor to begyle hym to cause him chaunge henellces.
(0 595—711.)
(7a) [Bild.J
tMTan the parson of Kalenborowe parceiued that tholde preste
v wolde abvde with hym the next day, he ymagined how to
begyle the olde preste by some subtyll maner and wyle, and
went to his paryssheners and commaunded them all to come the
next daye to the hye masse vpon payn of that that may befall,
for a straunge parson sholde do the masse, and gaue to eche of
35 theym a shelynge for to offer at that masse and bed them be
styll and say nothynge therof. And the people offered shillynges.
wherof the olde preste maruayled sore, and this seynge he was
strycken with auaryce and thought: 'offer they (7b) nowe so mocho.
what offer they than on highe festefull dayesV and sayde to bym-
40 seife: 'gode lorde, yf I had this benefice for myn!' And whan the
') ansered — *) conutre.
135
masse was done, the parson led the olde preste to his parsonage
with great reuerence, and there made hym gode chere, so that
they were all mery and gladde and dronke the wyne right plen-
teously, and alter dyner the parson asked the olde preste, what
5 game he wolde go to, and he answered agayne sainge thus: 'maister
parson, we be well here, take no displesurc, but what say ye to
this: wyll ye chaunge benefyce with me, your churche for myne
and late vs passe the tyme with suche communyeacion, incontynent?1
The parson of Kalenborowe was well content and therof they
10 made a bargayn and it abode a bargain. Cl Thus1) whan they
had made gode chere togeder thre or foure dayes and dronke the
wyne as merely and plenteously as it had bene water, and after
all gode oberes made and gode pastymes done, than thei began
to comon of their departynge, and so the parson of Kalenborowe
15 departed from thens to his newe parsonage, that was moche better
than his, and the olde preste abode at Kalenborowe, whereas he
was lightely wery, for he se nomore the gode offerynges that he
had sene be the other parsons tyme before his dayes, wherfore
he was right sory and (Sa) sad that he had made suche a folysshe
20 bargayne, and went1) to his people8) and demaunded of them, what
it ment that they had offered so moche in their other parsons4)
tyme, and that they as now in his tyme offred so lytell. They
answerd agayn and sayd: 4sir, the shelynges that we offered here
at your tirst commynge hether was to your abusion, for he gaue
25 to eche of vs within this parissh twelue pens to thentent that we
sholde offer5) that in presence ofyou.' And whan the olde preste
herde this, he cryed out: 4alas! this fals preste hathe desceyued
me! I wyll go to him agayne and se yf I can gete myn olde
benetiee agayne and geue hym some lytell parcell of money to
30 böte.1 Whan he come to the other, he made a piteous complaint
and sayd that he was foully desceyued, whiche was for faut of a
lytell gode ouersight, and prayed hym to do so moche for hym
as to chaunge6) benefyce agayn with hym vpon as gode a tourne
another tyme. The parson answered agayne and sayde: 'what
35 say ye? I had went that ye had bene the wysest and moste
subtyll and worste to desceyue of any olde man in all this londe
rownde about, but wel I perceyue the contrarye in this cause, for
ye thought to haue begyled me with your olde subtyll wyles, but
therof I had perseuerans longe before hande. Therfor yf ye wyl
40 haue your benefyce agayne, laye downe .xl. li. to a (&b) repentaunce,
and I wyll tourne to myn olde home agayne with that money
and ellys nat.' Cl The olde preste beynge very angry sayd: 4t is
to moche, but rather than I wold abyde lenger at Kalenborowe
amonge those vylaynes, I had leuer geue this money than to lyue
43 in pouertye and penury, for they neuer brought me fardinge to
') Tuhs — •) ment — a) peole — 4) parsous — 6) öfter — •) chaunge.
offerynge yet,' and with an angry wyll curssed hym and bände
hym and gaue hym the .xl. pounde with many a thousande drouse
saynge in Eis language: 'be goddes leuer hans (!), nowe may I cursse
the tyme that euer I met with the' and so departed. And anone
5 thys was knowen thrughout all the contre, so farre that it come
to the bysshopes eare; of these mad toyes the bysshope maruayled
sore, and sent for this parson of Kalenborowe for to se yf the
reportis of hym wäre trewe.
(| Howe the parson of Kalenborowe come to the bissbope
and obeyed bis eommaundement1). (0 712—766.)
&a) ^ff^Onuenytly be the eommaundement of the bysshope the
10 Ifß which the parson wolde obey, incontynent after the
messagers departynge he sadeled a lowe lytell mare som-
whate hyer than thre horseloues, and so lepte he into the sadell
and set hym on his joumey with his one fote hanginge on the
grounde and the other as yf it had ben east ouer the sadell, and
15 so*) come to the bysshopes courte, whereas the bysshope lened
before the gate. And the bysshope this seynge laughed hartely
and asked of the parson howe he come so rydinge. The parson
answered and sayde: 'my lorde, I ryde nat.' The bisshope asked
hym: 'howe than? goest thou onfote?' He sayde 'nay, my lorde.
20 I come hangynge on my mare vnto your grace, the whiche shall
auantage me but lytell saue, only that I shall gete a wyde arse
for my labour.' The bisshope herynge this went his way and
thought he had bene folysshe. Than sayde the gentyhnen to the
parson: 'how spekest thou so to my lorde?' The parson answered:
25 'be content, my gode frendes, but howe gothe my lorde thus away?
dothe he se me for a fole? I trowe my lorde be blynde.' Than
sayd one to hym: 'he seeth nat very well.' 'Aha!' quod the parson
'gothe the game so, and my lorde wyll do be my counsayl, (9b)
I wyll cause hym to se twyse better be the morninge than he
30 dothe nowe.' Cl This was shewed vnto the bysshope, and the
bysshope2) asked hym yf he coude helpe hym, thinkynge to assay
his connynge. The parson sayd: 'yes*), my lorde, and ye wyll do
be my counsell and ye shall nat leue all your olde vses, but.
reuerend4) fader, you shall get som fayre creatur and lighten your
35 nature oftentymes on her, labouringe with your plowghe in Venus
aker, and than ye shall well pereeiue that your sight shalbe greatly
amendyd or it be to morowe daye.' The bisshope had wende
it had bene trewe and beleued hym well, saing: 'it is an hap what
may helpe me.' Thus he caused a faire creature to be brought
40 to his bedde, and dyd with hir after the counsell of the parson
oftentymes or day and laboured sore, but or the day dyd springe
the bysshope had laboured so sore with his fayr gentyll woman
*) cömanndement. *) Von hier an bis 137, 5 ist die Geschichte in N Fragin. III
erhalten: Nd. Jahrb. II 146—148. — •) byssope — •) ye — 4) reuernde.
137
that his braynes were as dasy as a gose, and sayde to her: 'my
fayre doughter, let vs leue this medecyne, for it is somwhate to
dangerus for me to dele with, for ye sbolde make me starke
blynde, yf I sholde vse this medecyne longe,1 and than he turned
5 hym about and so toke his ease and1) slept tyll it was daye.
(10a) [Bild.]
C| Howe the parson dyd lede the bisshope on the mornynge about
the ehnreheyerde and thrugh hin gode medecyne the bisshope se
•U. steples whereas stode but one. (0 707—821.)
fX the mornynge after that the bysshope was rysen the parson
yode vnto hym and sayd: :reuerend fader, lat vs go into the
ayre and that shall refresshe you well after your medecyne,
for it shal quicken your sightes, and than ye shall se whether it
10 be amendyd or not/ Cl The bisshope therwith beinge content
they went togeder about the ehurchyerde. Than sayd the bisshop:
'your conninge 00b) hathe holpen me well, for yesterdaye I se here
but one churche and one steple, and nowe I do se .ij. churches
and .ij. steples.' 'Well, reuerend fader, wene ye that I am a foleV
15 ye raay nowe for my connynge*) geue me a gode benetice, for I
haue well deserued it/ Therwith the bysshope laughed hartely
for to se howe couertly the parson coude vtter his wyles and
falshod with folisshe fantasyes, he sholde haue holpen hym of his
disease, and he brought hym to that poynte that he coude scant
20 stände vpon his fete, for the dasynes of his hede. Than the
parson was bed to dyner with the bisshope, and after dyner toke
his leue of the bisshope and wolde haue bene gone. The bisshope
seynge that, because he was mery and füll of madde toyse, he
wolde nat let hym go, but sayde to hym: 'ye must abyde with
25 me and ryde with me to all churcheholowynges and chapellis,'
of the which wordes the parson was nothynge gladde nor well
apayde, but thought howe that he myght brynge vnto purpose
that he myght abyde at home.
(| Howe the parson of Kaien bor owe gaiie money vnto the bisshope«
lady paranionrs and prayed her to helpe hym that be myght
byde at home. (0 822—875.)
[IIa) [Bild.]
fHe parson of Kalenborowe perceyuynge that the bysshope
wolde haue hym with hym to euery churcheholowynge8),
he sought a wyle to byde at home and kepe howse with his
seruant or wenche, for it was moste his ease, and incontynent
he went to the bysshopes souerayne lady and prayed her, that she
wolde helpe hym that he myght byde at home, and nat go to no
•>') churchehalowynge : 'and I wyll gyue you a gode rewar- (M) de.'
She answered agayne and sayd: 'that is nat in my power/ The
l) aud — ") cömynge — ■) -holownnge.
138
parson sayd: 'yes,' and sayd: 'holde here a pursse with money for
your labour, for I knowe well, the bysshope wyll lay with you to
night, thus I pray you to shewe nie the hour of his commyng,
that I than may lay vnder the bed.' She answered and saide:
5 'than come at seuen of the clocke, for eight of the clocke is hi*
houre,' and in the uieane season she prepared the Chamber lyke
an erthely paradyse and sett rownde about the wallis of it can-
dellis burnynge bright against the bisshopes commyng, and at
the houre assigned the parson come and crepte vnder the bedde
10 in her Chamber. Whan the bisshope com, he merueyled sore to
se this sight and asked her what it ment. 'My lorde', she saide.
'this is for the honoure of you, for this nyght I hope ye wyll
halowe my lytell chapel standyng benethe my nauyll in Venus
valaye and that by and by, or ellys from hens forth I wyll shewe
15 you no point of loue whylst I leue.'
(| Howe the bisshope holowed the chapell whereas
the parson lay vnder the bedde. (0 876—939.)
(12a) [Bild.]
fHe bysshope went to bedde with his souerayn lady and he
fulfylled al her desyre and began to holowe her chapell to
the best of his power. The parson laynge vnder the bedde
herd this right well and began for to singe with a hye voyce Iyke
20 as they do at euery churchholowynge in this maner: 'terribilis
est locus iste etc.,' wherof the bisshop maruayled and was abasshed
and blessed hym f^V with the signe of the holy Crosse, and
wenynge to hym that the deuyll had bene in the Chamber and
wolde haue coniured hym. Than spake the parson laynge vnder
25 the bedde with grete haste saynge thus (and with that he crepte
out): 'reuerende fader, I feie so sore to breke your conimaun-
dement l), that I had leuer crepe on hande and fote to fulfyll your
mynde and wyll than to be absent at any of all . your churche-
holowinges, and for that cause I wolde be at this chapell also.'
30 The bysshope sayde: 'I had nat called the to be at the holowynge
hereof, I trowe the deuyll brought the hether, get the hens out
of my sight and come nomore to nie.' 'My lorde, I thanke you
and also your lady paramours.' Thus went the preste on his way
and thanked god that he was so rydde frome the bysshope, and
35 so come home and kepte house with his fayr wenche as he was
wont to do, the whiche was glad of his commynge home, for she
had great disease of suche thynges as he was wonte to helpe her
of. And some that enuyed the preste shewed the bysshop that
he had suche a fayre wenche. And because he had layde vnder
40 the bysshops bedde and playde hym that false touche, the bisshope
sent a commyssion vnto hym, that vpon payne of curssinge he
shold put awaye frome hym his yonge* lusty wenche, and to kepe
') comaiidement.
13»
his house that he shold take an olde wo- (13a) man of .xl. yere
of age, or ellys he sholde be put in pryson. The parson hering
this made a gret inournynge eomplaynt to his wenche and said:
;now must I wasshe and plasshe, wringe and singe and do al my
5 besines myselfe,' wherof she gaue hym gode comforte and said:
;the whele of fortune shall turne ones againe,' and so departed
tbr a seson, and than he toke gode hert a grece and said to him-
selfe: 'noforce, yet shall I begyle hym, for I wyll kepe .ij. wentches
of .xx. yere of age, and twise .xx. maketh .xl., holde thyne owne,
10 parson!'
(| Here rydeth (he fornamed duehes alonge the w«ter of Kalen-
borowe, whereas she se the parson stände shamfully wasshlnge
with his arse totynge into the ayre, whereofshe was hälfe ashamed.
(O 940—994.)
[Bild.]
(I3b) {KOftPon a season it fortuned that the duches rode a spor-
j Wj tynge alonge the ryuer of Kalenborowe, whereas she
se the parson stände wasshynge, and she wyst nat what
it was, and because that she wold knowe she sent a gentylman
15 of hers to se what it was, and he perceyued well that it was the
parson that stode there wasshing in the moste shamfullest maner
that euer he sawe, and he himself was a mery gester and laughed
apace therat and so come with a mery countenaunce to the duches
desyringe her to come and se what it was, and she sholde laughe
20 at it as well as he, for the parson was than more lyker a. monster
than a cristen body. The lady whiche lysted well for to be mery
rode towarde the wassher, and whan she come nye hande hym,
she knewe hym well. The parson perceiuinge well that the duches
crom to beholde hym as a man without shame, he stoped lowe
25 with his hed for to wasshe1), and his bare ars toted vp toward
the ayre, and his frappinge galand hanged betwene his legges
wagginge frome one syde to another, and abode styll wasshinge
withouten shame. The lady beholdynge hym well sayde: 'fye on
the, lewde preste! arte nat thou ashamed to stand thus here and
:">0 wasshe in this maner V haste thou behaued thyselfe so that thou
canst nat gete a woman seruand to kepe1) thy (Mo) house and
wasshe thy clothes? than arte thou very lewde of thy condicions
that none wyll byde with the, than it is pyte that thou leuest.'
And so she departed. Whan she was come home, her lorde asked
35 her what tydinges, and she vp and told hym all that she had sene
of the parson of Kalenborowe, wherat they laughed meruelously
sore and had great game and sporte all that day, and the duke
*ayde: 'forsothe, my parson is a gode honest man,' and thus
was the parson cause of all their gode myrth and pastyme.
*) wasse — ■) hepe.
140
(| Howe the dache» denyred ljceiice of her lorde ftor to ride to
the parson of Kalenberowes place, that she myght haue some
pastyme, whiehe wu graunted her. (0 997—1217.)
(Üb) (jr^He beinge glad gate her quickely on horsbacke and1) sett
Jgj her forward on her iourney; the duke seing this laughed
apace and sayd: 'our lorde be with you, I trust my
parson wyll receyue you worthely and entreat you very well,1 the
5 whiehe he had great desyre to here of. The parson herd say
that the lady was come to visite him, wherof he was right glad
and went with all his diligence for to niete her, and weleomed
her right louyngly and dyd brynge her hoine vnto his parsonage,
and by and by made a gret fyre and set a grete many of pottes
10 about it füll of water. The duches beneide hym well and sayd:
'sir, must ye be your owne coke to? I se you the last day wasche
your clothis yourselfe in a right sharnful maner also, I haue
maruayle that ye haue nat one to tende you. I pray you, teil
me now be your fayth: haue ye no woman pärsone in this howse
15 to do your besynes?' The parson answered and sayd: 'gracion*
lady, it is nat longe agone that I was commaunded by the bysshope
that I sholde put awaye fro me my yonge mayden seruant and
take an olde woman of .xl. yere of age, whiehe lyked me right
shrodly, and I surmysed in myselfe, that it wäre better for me
20 to take two yonge women eehe of .xx. yere of age, for twyse .xx.
maketh .xl., than to take an olde one that wold go coghing and
spetting, 05a) chydinge and braulinge alwaye about the house, and
I desyre nothinge but myrthe and sporte, for a yonge wenche
with a mery countenaunce is a mannes erthely paradyse and a
25 worlde füll of plesure, and an olde woman is a yonge manne*
dethe, therfore I had leuer the yonge wenches. But alwaye whau
there come anybody, he (!) caused the wenches to go out of the
way for because that the bysshope shold nat (!) knowe that he did
his worke himselfe.* 'Gode sir, I pray you, let me se your wenches
30 or seruantes, and I geue you leue to kepe them, and I wyll answere
for you before the bisshope.' Cl Than he called forthe his fayre
seruantes, and through his fayre pratynges he was consented to
kepe them, and the gode lady gaue eche of them a pece of golde
to drink, wherof the parson thanked her. After this the duches
35 went towarde the herth to se what gode mete the parson had to
dyner, whereas she se a grete many of pottis füll of water and
no mete therin. Than she sayd: 'here is shrode puruoyans towarde>
dyner to make gode chere, me think ye forgete vs.' 'Madame.*
he sayde, 'I had went yehad ben so wyse to haue brought mete
40 with you and therfore I ordeyned water to dresse it with, and
also I fered that your ladisshep wolde haue bene angry and
disdayned my metys, yf I had brought it forthe, and that ye wolde
») an.
;
i
141
haue asked (Mb) me, if ye had nede of my mete. Tims for to
kepe peas and to spare the cost I haue left all thinge vndone, |
ibr it wolde haue cost me as uioche as I wolde haue spente in a |
yere.' The gentyll lady was noble of condicyons and toke all these ]
5 toyse in gode worth and sayd: 'maister parson, syt downe by me |
and let vs talke togeder.' Than sayd he: 'gracious lady, it is here I
to colde, I wyll warme you the hote chamber and put fyre in the '
stewe, than may ye sitt warme;' and by and by he went to the
churche and fetched the twelue apostels and put thein in the ouen
10 of the stewe and brent them. Cl The noble lady perceiuynge this
was meruelously angry and blamed the parson sore geuynge hym
many a shrode wo nie, and sayde: 'fy on the that mocketh thus
with almighty god! I maruayl that god taketh nat vengeaunce on
the/ Than saide the parson: 'nay, gracyous lady, I do it for your
15 sake because that ye sholde warme you be these olde apostels,
for I thynke you so gode and gracious that ye wyll for these olde
rotten peces geue vs goodly newe ymages for to chere our pore
churche with.' The gracyous lady perceiuynge his mynde very well,
graunted hym that he sholde cause newe ymages for to be made,
20 and she wolde pay for them, and because he had practised that
so properly, she gaue hym a gode rewarde for his laboure besydes,
(16a) and thanked hym hartely of his gode plesaunt pastyme, and
so she departed and at her comminge home she rehersed her
noble lorde of the parson and his madde toyes, wherate he loughe
25 right hartely and had grete game and sporte.
[Bild.]
() Bowe the parnon bronght *U* paysauns ') ofhis parisshe nalced
Ut* the duke* hall before the duke and his gentls all» wherwlth
they laghed all rlght hartely. (0 1271—1371.)
(töi>) JJßT befell vpon a sondaye that the parson went out of the
*4g dukes courte and founde .ij. of his paryssheoners stan-
dynge at the gate, and he asked them what their desire
were, and they answered and sayde: 'we wolde fayne speke with
30 my lorde the duke, if ye wyll helpe vs that we maye speke with
hym, we wyll deserue*) it vnto you.' The parson sayd: 'tary me
here a lytell whyle and I wyll go loke yf the duke be within,'
and incontynent he come ronnynge to them agayn in grete haste
and sayd: 'hye you apase and put of your clothes quickely, for
35 ye come neuer in better tyme, for my lorde is nowe alone in the
hotehowse, and ye shall speke with hym or euer there come more
Company,' wherof they were right glade ; and the parson told them
that the duke was mylde and überall, and that they shold aske
of hym what bowne they wolde, and he sholde graunt it them.
40 Than sayd they to eche other: 'we wyll auenture it, för it is
*) paysanus — *) derserue.
142
nouther felonye nor treason,' and the parson went into the hall
before them, and led them with hym holdinge his peas as yf he
had bene domme, and thus come they into the halle whereas the
duke with many noble gentylmen säte at dyuer, wherof the pay-
5 sauns were sore ashamed and sayd to their parson: 'helpe vs out
agayne, for this is no hotehowse, auengeauns on 07a) the!' and
began to swet for very pure anger and fere, whan they se theym-
selfe naked bofore all those states and cowd nat hyde their geni-
tories. The lordes and states laghed a gret pace to se the falshode
10 of the parson and asked of hym what he ment, but what they
sayde the parson was bothe domme and defe. Than saide the
duke: 'the parson must be to daye my geste, for now the deuyll
hathe bome away his tonge.' 'Graeyous lorde,' said one of the
paysans than, 'we had nat went that he wolde haue serued v>
15 thus, for we desyred hym that he wolde helpe vs to come to your
presens and speche for suche maters as we had a do, and nat-
thinkynge that he wolde make foles of vs, wherfore, as your
lordship may se, god taketh vengeauns vpon hym for this shanifull
dede that you here se.' 'Be content, my frendes,' said the duke.
20 4for what so euer ye desyre of me it shal fortune you.' Than
saide the parson 'ye vilayne paysans, I tolde you before my lorde
sholde shewe his grace vnto you, therfore nouther cursse me nor
ban me, for ye fynde my wordes trewe, and ye haue swette as well
as yf ye had bene in a hotehouse., Than saide the duke: 'thanked
25 be god that the parson can speke agayne, for thorugh his gotle
predicacyon many a sowie shalbe broughte to heuen. The noble
duke behelde the parson wel and loked on his fete, and spied
that the (IM) soles feil of frome his shone all dirtye and ful of
myre raynge the house therwith to shamfully; wherfore the duke
30 sayd to him: 'thou arte a foule slouthful man,' and than called
to him his stewarde1) and commaunded hym to bye hym a payre
of newe shone. The parson1) answered: 'my lorde, I wyl no newe
shone haue, but I pray you to geue him as moche as to pay for
the clouting of these,' the whiche was graunted him with gode wyll.
(| Howe the parson b ringeln hl» shone to the goldsmjrth
to elout them with ailuer. (0 1372—1581.)
35 (g^oFter that the duke had consented him to pay for the cloutinge
^y of his shose, he went streght to the goldsmith and bargayned
with him that he sholde ouerlay them with siluerplates and
nayle them with siluerpynnes, and the goldsmith bed him come
the fourthe daye after and feche them, for than they sholde be
40 done, and that he sholde as than nat fayle to brynge with him
for the cloutinge of his shose .xx. golde gyldons, which mouuteth
in siluer to .xx. ounces. The preste went to the steward and
asked him if he wold go with him to fet (18<*) out his shone, and
*) steward-de — *) parsou.
143
the steward said nay, but went to his pursse and wolde haue
geuen the parson the worthe of a grote or .vi. pens to haue
feched out his shone, and the parson sayd: 'nay, I wyl nat haue
that money, for it shall coste moche more, therfore come with
5 ine yourselfe and ye shal se how they be clouted, and lowse them
than with a peny if ye can/ Thus went the stewarde with the
parson, that led hini to the goldsmithis hous and saide: 'maister
stewarde, here be my shose a cloutinge.' The steward was angry
and saide: 'wenest thou that I am blynde? here dwelleth a gold-
10 sniith/ 'What ist than/ said the parson, 'he hath clowted my
shone, and my lorde sent me to hym because they shold be clenly
done to thentent that I sholde make his hall nomore fowle with
my noughty shone;1 and so they went into the house to se the
shone. the which were done accordinge to the parsons mynde,
15 wherwith the stewarde was right sore abasshed, and sayde: 'nay,
parson, my lorde wyll nat alowe me this, thou getest no money
of me, for of suehe shose haue I no commaundement,' and so went
they chydinge away tili they com to the duke, which maruayled
sore what they ment and said: 'why come ye thus chidinge?,
20 The stewarde answered and sayde: 'my lorde, ye haue promysed
this preste to paye for the cloutynge of his shone, and ye had
bene better (18b) to haue geuen hym .vi. payre of newe shone,
for1) the shoecloutes alone besyde the platis aboue wayed .x.
ounces of syluer. The parson sayd: 'my lorde, your stewarde coude
25 do nothynge but chide, what wyll he say so moche to it? it coste
hym nought, and it pleseth your lordship well ynough, and I am
sure, ye be so gode and gracyous that ye wyll geue me of your
olde caste gere a payre of hosen a doublet and a newe payre of
shone to, for I pray dayly for your longe lyfe/ Than said the
30 duke: 'it is reson that I paye for the cloutinge of your shone,
and ye shall haue them feched vnto you, but ye inust dyne with
me at nonef wherof the parson was content and gladde, and
thought to make gode chere. tl Thus against dener the duke
commaunded that euery body shold beinge at his table haue a
35 trencheour layd before him saue only the parson, and that there
shold be no more peces of mete in the dysshe than there were
trencheours on the borde, and that euery one sittynge at the borde
sholde take his porsyon of mete vpon his trencheour, the whiche
commaundement was fulfylled and obeyd, and whan it came to
40 the tynie of dener, euery man was commaunded be the vssher
for to sit downe, and they were serued all, but the preste gate
nothing before hym, wherat the lorde laughed and bed hiin ete
and be of gode chere. The preste saide agayne: O^a) <I ete and
I fast, I spare my mouth and rest my teth.' The duke spake
45 agayne and saide: 'it is a maner in our courte that no man take
«) foe.
144
mete frome others trencheours, for that a man hath on Ins tren-
cheour it is his; I promyse you be my faith.' Thus wäre the
disshes emtye and euery ') one had mete ynoughe saue only the preste,
whiche säte and loked on euery syde lyke a fole and saide: 'I wolde
5 I wäre at home be my wenche now, for she sholde fyll my bely
with some gode metis; I se well here: the füll bely knoweth nat
what the hongry ayleth.' The duches seinge this laughed a grete
pace and said to him: 'sir parson, as ye serue other so be ye
serued2). Cl And thus they passed their dener with moche gode
10 laughinges and sportis. Cl With that come in the goldesmythe
and brought with hym the shone. Than saide the duke to him:
'maister, who lerned you forto clowte shone in this maner?' He
answered and saide: 4the preste, my lorde/ 'Well, geue them him,
ye shalbe payde/ Than he dyd them on and went galantly and
15 loked on his shone; than saide the lady: 'the parson is nowe a
gaye man with his shoes.' The parson answered and sayde: 'gode
lady, it was great nede, for I go oftentymes8) betwene Kalenborowe
and your court and were many shone.1 But sportinge and gestinge
the preste gate what he wolde and so toke his leue and thought
20 alwaye (19b) howe the duke had sayde: 'what a man hathe on Ins
trencheour is his owne' and here vpon ymagined a wyle and caused
a trencheour to be made, brode ynough to set an horse with his
foure fete vpon it standynge.
(| Howe the parson brought the dukes horse vpon bis
trencheour. (0 1582—1672.)
[Bild.]
(20a) ftTifK'Pon a season it befeil that the duke wolde ryde a spor-
25 1 W I tynge, and caused his Company to make them redy and
his hors for to be sadeled, wherof the parson had
knowlege lightely and brought with him to courte his brode tren-
cheour and layde it downe vpon the grounde and shyfted so that
he gate the dukes horse vpon it. And whan the duke come fortlie.
30 he salewed hym, and the duke bed him welcome and asked hym
what tydinges, and he saide againe: 'I knowe nothing but gode.
but my lorde, remember ye well, whan I was your geste, that ye
saide: what a man had on his trencheour that was his owneV*
and the duke saide: 'ye, what I saide shall stände/ Than saide
35 the parson: 'o noble lorde, alwaye must your worde stände in suche
eftect; nowe, gracious lorde, loke what Fortune hathe geuen nie
vpon my trencheour. I trust no man shall drawe it nor take it
frome me.1 ;Xo' saide the lorde and therwith he laughed, 'but ye
must nedis lende it me teil I come home againe frome huntynge.
40 and than I wyll geue you another that shall be more prestelyer
than this, for this is not for no prestes flesshe to sit on, and
specially whan the wyne is in your4) brayne, for if ye sholde sit
pcuiaiij wuuii tue wjriitr i» in jruui ) umy
*) eury — ■) seraed — ■) ofentimes — 4) you.
145
than vpon hym, without dout ye shold fall/ Thus he gat an esy
hors of the duke to ryde vpon as it semed, for he com after that
(20b) rydinge in a dongecarte vpon it, as hereafter is shewed,
and than caused he his trencheour to be borne home agayne, and
5 by and by he come to the duke and desyred hym to geue hym
forage for his horse. The noble duke saide: 'bring a sacke and
feche otes for thy horse, and lat nat thy sack be to smal.' The
parson was wyly and fisshed on his praye, and come home and
toke a gret hopsacke and layd it on his cart and come so rydinge
10 to the court that all the people wondred to se him so. Than he
lighted frome the carte and toke his sacke in his armes and went
streight to the dukes prouydour and bed him in the dukes name
to fyll his sacke with otes. The prouydour beholdinge this grete
sacke said vnto him: 'thou mad preste, wenest thou that my lorde
15 wyll alow the that? nay, hardely nor nought getest of me, but
if thou wylt haue it füll of haye, that wyll I geue the. The preste
saide: 'naye, I am no fole, geue nat me no chaffe for cheshe, for
my lorde promysed me otes.' Than thought the prouidour: this
preste wyll begyle me, and so he went to the duke and tolde hym
20 of the prestes subtill wyle, wherwith the duke laghed füll hartely,
and sayd : 'god geue hym sorowe, fyll hym his sacke and let hym
go, for he is to false l) for vs all.' And thus gate he bothe horse
and horsmete and so went home agayne.
(21a) [Bild.]
(| Howe the parson come to court In m dongeeart
rydinge on hl» horse. (0 1673—1766.)
fT befeil vpon a shroftyde that the noble duke wold be mery
to reioyce his lordes and ladyes and all his housholde, and
because they sholde be the more meryer, he sent for the
parson of Kalenborowe that he shold come in his courtliest maner
vnto the courte. He heringe this obeyed the dukes commaun-
dement and made hym redy in this maner. He caused a donge-
30 carte for to be broughte forthe and horses for to drawe it, and
his owne hors aboue in the carte, and he himselfe vpon his hors
backe and come to the court in presence (21b) of the duke and
al the states which bad him hartely welcome, and all the people
had gret maruayle of the parsons mad toyes and his folisshe
35 fantasies. Than rode the duke a huntinge with all his lordes and
ladyes, and the parson folowed after in his dongecart, wherat
they had all grete game and sporte. Than came the duches and
she bed him welcome also, and he thanked her right hartely. She
saide again: 'ye be verely a wonders courtyer, as euer we se in
40 our dayes.' The parson said: 'gracious lady, I can no skyll of
your courte nor courtmaners, but this is the maner of my court,
») falce.
Hi4d«rde«techei Jahrbuch, im. 10
146
tlierfore take my gode w'yll a worthe.' Than laghed the lady and
said: 'ye haue done very well;' and thus in the chase they had
right gode game and amonge them there was slayne .ij. hertes
that day, wherof the duke and his nohle Company were glad and
5 so they sped them homwarde agayn. And than the duke thanked
the parson and saide vnto him: 'thus, my parson, it shall auayle
you and be to your grete profyte that ye come to our court so
manerly after your courtfacyon, if that I lyue.
(| Hone. üfj. of the duke« eourte rode to the parson« place where-
a« they were shanifully dlacejued. (0 1767—1908.)
(22a) [Bild.]
PPW?Pon a tyme it befel that the duke sent out .iiij. of his gen-
10 nVi tylmen on his besines, and in their retourne as they come
homwardes, they wold visyte the parson of Kalenborow,
and so com to his house somwhat late in the night and the
parson receyued them right well and sayde: 'gode gentylmen, fro
whens come ye thus late?' They answered and sayd, vpon their
15 lordes besynes: 'and our horses be very wery, wherfore nowe we
entende for to tary with you all this night;' and the parson said
to them: 'ye be welcom' and made them gode ehere, and made
them so dronke that thei knew nat themselfe and than he tolde
them that he wold (22b) go to bed and bad theim take their
20 plesure and sit as longe as they lyst, and shewed them their beddis
and bad them gode night, for he must nedis do masse on the
morowre. And so departed from them and wayted his tyme tyll
they were abed for to do them a shrode turne, and within a whi-
te they went to bed and slept lyke dronken swine, and than the
25 preste com to loke yf they were aslepe, and spyed that they
slept so fast that it was nat well possible to waken them, and
he se that and to go as fast as he coud and warmed a gret dele
of thicke wynelyes and went therwith vnto their bed and lifted
vp the couering and flapped their arses füll of those lyes or dregges.
30 as if they had shytten in their bed, and so went fro thens into
the stable and toke out their horses that were goodly and lusty
to ride vpon, and in stede of them he set in .iiij. lene trottynge
maris, and than he went to bedde as of nothinge knowing. And
within a white after one of them wakened and feit his felowes
35 arse in his läppe all beshitten, wherwith he cryed out and saide:
'fye for shame! man knowest thou nat the mesure of thy bely
but that thou must shyte in thy bedde? awake for shame!' And
therwith he wakened and turned hym about and so cast his arme
ouer his felow and founde him so beshitten to, that all the bed
40 was arayd with shere dirt so shamfully that all (23a) they wondred
on eche other and made a fowle noyse, wherwith they in the other
bedde awakened and founde themselfe bothe so shamfully beshitten
147
that they were ashamed eche of other and cryed out vpon eche
other, sainge : 'this is a shamfull rebuke for vs all as euer fortuned
vs, that we haue bene so well entreted and through our dronkenes
that we haue done so vilanously more lyker caytifs than gentylinen,
5 whiche is to our great rebuke and dishonour.' 'But what remedy?'
saide the one. 'I can nat1) teil' said the other. 'Nor V saide
the thirde. 'I wolde we were frome hens' said the fourth 'with
hälfe our onestye, but the best therof is this: we come hether be
darke night and it is best that we departe or it be day, for than
10 the preste shall haue no parfyte kno wiege what we be, for without
dout, if he know vs, we be shamed for euer, for the deuyll brought
vs to this shame; lat vs aray vs quickely and gete vs out be the
darke or euer the parson be vp, and let vs chyde nomore for this
beshitten mater.' And incontinent they rose vp in haste withouten
15 lyght and went darklonge into the stable and sadeled their horses
and went to the parsons chamberdore and toke leue of him, and
so they rode a grete whyle or it was day, and whan the day
apered, one of them spyed and saide to his felowe: 'what me
thinke ye ryde on an olde scald mare that ha- (23b) the drawen
20 .vij. yere in the plough.' The other said agayne: 'thou lyest be
goddes blest, thou haste beshit thy bed as well as I and yet thou
wylt mocke and scorne with me.1 Another saide: 'thou haste
stolen the parsons horse,' and with that they loked eche vpon
other: 'my frendes, let vs stände styll a whyle and beholde eche
25 others hors wel, for me thinke we be begyled;' and so they percei-
ued all that they rode vpon plowemares and said to eche other:
'the deuyl brought vs on the preste, for because we haue beshit
his beddes we must ryde vpon these rotten iadis.' And thus thei
rode complayninge eche to other, but to nobody ellis for very
30 pure shame.
(| Howe that the paiaans wolde bye no erossebaner, and
therfor they folowed the par»on» breche. (0 1909—1974.)
[BML]
(24a) j|ryr fortuned in the rogacion dayes that the parson wolde
*4ß that all the crosses sholde haue baners, and there wäre
none in his churche. Than hanged he one of his olde
breches vpon a crossestaffe and his parissheners folowed it, of
35 the which thei were sore abasshed and went to theyr parson and
sayde: 'ye do vs grete shame, if ye lacke ought speke to vs and
it shalbe prouyded,' and than they caused baners to be made
and vestimentis, copes, chalices, bokes, and al other ornamentis
to the churche belonginge, wherof the parson praysed them sore,
40 and saide, so doinge they sholde be beloued of almighty god, and
euer after thei dyd the commaundeinent of their gode parson.
*) uat
10*
148
C] Howe the parson kept kyne in the felde. (0 1975—2039.)
[Bild.]
(24b) ' ÄDffilY welbeloued bretheren and sistren, in many vilages
ffljjlfj'l here about it is a costomable vse that they haue a
common herdman to kepe their bestes, the whiche is
rewarded of them all in generali, but we in our parisshe must
5 kepe our bestes be course, as nowe one and than another and
no man fauoured, wherfor I wolde we sholde hire one amonge vs
al and that euery man payd alike moche towardes bis hyre.' But
for all the parsons counsell the vilains wolde none of that, and
at the last it feil to the parsons lotte that he sholde kepe the
10 bestes afelde, and was warned of the baylif ouer night, that he
sholde kepe the bestes on the morow, wherwith the parson was
rery angry in himselfe, that they wolde nat honoure the sacrament
of presthode, but made of a preste a kowherde. He commaunded
his seruant to gader and assemble all the kyne of the parisshe
15 and to leue none at home, but to bring them all on the churche-
yarde syde against that the masse wäre done. And his commaun-
dement was obeyed, and thus whan his masse was done, in the
same and seife ornamentis and in the same maner as he did masse
in, so come he streght frome the auter and went to dryue the
20 kyne and bestes afelde with a litell bell hanginge on his backe
and a staffe in his one hande, and a whippe in the other band
(2oa) singynge with a lowde voyce: 4ego suni pastor bonus,' that
is to say 'I am a gode herder/ Whan the paysans herde hym
thus come singynge, and the lytell bell thus ringinge, all that was
25 in the village come ronninge out, wenynge that it had bene the
sacrament coming, but it was their parson that went thorugh
thicke and thinne with the ornamentis on his backe, wherwith his
parissheners were angry and sayde: 'our parson is madde, wher-
fore destroyeth he our churcheornamentis thus?'
(| Howe the baylif com with the charehewardens iiito the felde
whereas the parson kept the bestes« and there they asked hint
why he marred the ehnrehiewellis. (0 2040—2121.)
[Bild]
30 (25b) Qjnijf^Han the parissheners se in the felde this onresonable
cjtwj dede of their parson, thei made a grete complaint to
the baylif and iustice, sainge that the parson did gret
outrage, wherwith they were all right wroth, and the baylif, iustice
and comons went all to the parson in the feldes, whereas he was
35 kepynge of theyr kyne. And whan they come at him, they asked
hym why he destroyed their ornamentis so lewdly. He answered
and saide: 'is it against your wyll? and doth it nat plese youV*
They saide againe: 'no, we be nat content therwith/ Than saide
the parson to theym thus: 'my dere frendes, ye shal vnderstande
40 one thinge, that I am and must be a gostly herdman and keper
149
of your pore soules, and I ought for to be in my churche and
say my seruice, and nat to be in the fclde kepinge of your bestes,
and I wyll vse you to knowe me for a presto, and that you and
all they that go be the waye shall se that I arae a preste be
5 myn araye, to thentent that the sacrament of presteliod shold be
honoured.' Than saide they euerichone: 'sir, for the loue of god
forgeue it vs and from hensforth there shall neuer preste be put
to so disonest an office in this parisshe,1 and prayed hym that
they might lyue togeder with eche other in loue and pece, as they
10 did many yeres under the lawes of almyghty god and after that
he changed benetice for another.
[Der Schluss = O 2122—2180 fehlt im Oxforder Exemplar.]
Ich gebe nun einen Überblick über das, was wir unter Heran-
ziehung der englischen Prosa für die Textgeschichte der deutschen
Dichtung ermitteln können.
Gleich das erste, was von E erhalten ist, scheint eine vollstän-
digere Darstellung vorauszusetzen, als in 0 bewahrt erscheint. In E
wird erzählt, wie der Pfarrer beim Antritt seiner Stelle die Kirche
verwahrlost, mit schadhaftem Dache vorfindet, wie er sich seine Bauern
nutzbar macht und sie schliesslich auch durch List dazu bringt, den
Chor zu decken. Für die Zeilen 131, 1 — 5 findet sich in 0 nichts
entsprechendes, und eben so wenig für 12 — 15; wir erfahren hier von
dem übelen Zustand des Gotteshauses erst aus einer Predigt des
Pfarrers (v. 242 ff. das man das gotzhauß decken sd), und zwar ist
diese erste Erwähnung so ungeschickt wie möglich. Wenn wir nun
bei E sonst das durchgängige Bestreben wahrnehmen, zu kürzen und
zusammenzuziehen, wenn es 140, 1 die Überschrift als zum Faden der
Erzählung gehörig auffasst, 148, 1 auf eine erzählende Einleitung ver-
zichtet und uns überlässt, die Situation aus den Worten des Pfarrers
zu erkennen, so ist es völlig unglaublich, dass der Engländer hier
selbständig die Darstellung erweitert habe. Wir werden vielmehr die
Fassung von 0 als das Resultat einer Kürzung ansehen.
Dass 0 zu Kürzungen hinneigte und auch vor ziemlich gewalt-
samen nicht zurückschreckte, das zeigt am deutlichsten die erste Be-
gegnung des Pfarrers mit dem Bischof 0 712 — 718 gegenüber E 136,
9 — 26. Die Situation ist hier in 0 völlig unverständlich: alles, wras
E 136, 10 — 22 erzählt wird, ist in dem Vers 713 er lcam geritten und
gegangen zusammengefasst, und ebenso rätselhaft kommen dann die
Worte des Pfarrers heraus: ich mein, mein herr sei plindt v. 716. In
E dagegen ist alles klar: der Pfarrer kommt 'geritten', indem er auf
einem kleinen Pferde sitzt und den einen Fuss cast over the sadell hält,
gegangen', indem er den andern Fuss die Erde berühren lässt. Und
nun entspinnt sich das Gespräch 17 ff., welches uns auch in N Fragm. III
erhalten ist, in 0 aber gänzlich fehlt, und an dessen Schluss der
Pfarrer ein scheinbares Recht zu der Frage hat: 'ist denn der Bischof
150
blind?' — Es ist durchaus nicht zu erkennen, was anders als Raum-
ersparnis 0 veranlasst haben kann, mit dem überlieferten Texte so
rücksichtslos umzugehn.
Aber freilich, 0 hat ein merkwürdiges Talent, die Pointen zu
verwischen. Ein zweites Beispiel dafür ist der Schwank mit dem
Mistwagen v. 1680 ff. Nach 0 lässt hier der Herzog dem Pfarrer
sagen: es wer im lieb do oder leidt, das er mit im rit an das jeidt gar
balde do in dreien tagen. Darauf belädt der Pfarrer einen Wagen mit
Mist und lässt sich hoch zu Ross auf diesem Mistwagen zu Hofe
fahren, wo er die grösste Heiterkeit erregt. Worin liegt hier der
Witz? Der Text E hilft uns auf die Spur: hier 145, 27 entbietet der
Herzog dem Pfaffen: that he shold come in his courtliest maner, und
darauf liegt der Nachdruck. Der Herzog hat befohlen, der Pfarrer
soll nach seiner 'besten hoffweis' kommen, und darauf erscheint dieser
auf einem Misthaufen: das ist seine 'HofweiseM Es ist denn auch in
0 wiederholt die Anspielung auf jene von uns erschlossene Fassung
der Botschaft bewahrt: v. 1695 f. des wil ich im gehorsam sein und
sehen lan die hoffweiß mein, v. 1716 f. dort kumpt der pfarrer fnein
mit seiner hoffweiß her geritten u. s. w. Nur gerade an der entschei-
denden Stelle, in der Aufforderung selbst, ist die 'hoffweis' fortgeblieben.
Ähnlichen Unklarheiten begegnen wir in 0 noch mehrfach, aber
bei der knappen Fassung von E lassen sich nicht alle Schwierigkeiten
von hier aus lösen; die Erörterung jeder einzelnen würde zu weit
fuhren und in den Rahmen dieses Jahrbuchs nicht hineinpassen.
Im grossen und ganzen gewinnen wir aus E unter Vergleichung
der Fragmente von N die Überzeugung, dass der niederdeutsche
Text nach einer bessern hochdeutschen Fassung, als sie uns überliefert
ist, treu und gewissenhaft übertragen wurde. Selbständig verfuhr der
Bearbeiter N nur einer Geschichte gegenüber, dem schmutzigen Schwank
von der Verunreinigung der Kirche: 0 399 — 422 — - N Fragm. II =
E 132, 22—133, 20. Freilich wollte Mantels Jahrb. I 69 gerade hier
dem nd. Texte die Ursprünglichkeit zusprechen, aber aus N selbst lässt
sich das Gegenteil beweisen. Zunächst trifft M.'s Vermutung, dass
der schnöde Streich des Küsters in N nur Revanche für eine voraus-
gegangene 'Schalkheit' des Pfarrers und dass mithin zwischen den
Fragmenten N I und II nicht 1, sondern 2 Blätter ausgefallen seien,
nicht zu: E, welches im ganzen auch hier durchaus N folgt, zeigt im
Eingang des Schwanks nichts, was über 0 hinausweist, folglich können
auch* in N nur wenige Verse, entsprechend E 132, 22 — 25, unserm
Fragment II vorausgegangen sein.
Wir haben nun in N (E) einerseits und 0 anderseits zwei ganz
verschiedene Geschichten: in 0 entleert sich der Pfarrer während der
Predigt eines Linsengerichts, das er am Abend vorher gegessen und
weiss dies Misgeschick mit viel Humor zu ertragen; in N ist ihm
dieser Linsenbrei von dem Küster boshafter Weise als ein Abfuhrmittel
beigebracht und der Pfarrer, der dies merkt, nimmt eine entsprechende
Rache. Ein Linsenbrei abführend?! Ja, so steht es in N, und zwar
151
obwol vorher ein wyt ptdment van manddn und van anderen kruden
angekündigt war! Hier sieht man deutlich, wie N geändert hat, aber
so oberflächlich, dass er einen Widerspruch und eine Unwahrschein-
lichkeit hineinbrachte, die erst E durch eine glückliche Besserung
(;Conjectur'j beseitigte: bei ihm handelt es sich um a recept oflynesede.
Diese Geschichte also ist von N nicht ins niederdeutsche umge-
schrieben, sondern so gut wie vollständig neu gereimt worden: das
beweisen evident auch die Reime. Während das Fragment I eine grosse
Anzahl oberdeutscher Reime sprachwidrig beibehält, ist in unserm
Fragm. II erstens nur ein einziger Reim mit einem der oberdeutschen
Fassung identisch (lanck : sanck) und zweitens ist fast die Hälfte der
Reime, sei es rein niederdeutschen Charakters, sei es derart, dass sie
wenigstens für den bairischen Kalenberger unmöglich sind. Wir haben
da: my im Reime st. mir, vro : thö (eü), raken : maken, 2 mal doen :
loen (thün : Ion), Maßen : hoßen (blasen : hosen), dö : thö (zu), van:staen,
nicht : dicht (Kai. stets nü)9 ghevlegen : dreghen, aldär : apenbaer. Dazu
kommen noch die im Reime stehenden nd. Wörter und Wendungen,
welche nicht nur unserer Fassung 0, sondern dem obd. Werke über-
haupt abgesprochen werden dürfen: ghebreken (st. gebrest), wellen (st.
wallen), arstedye : mangelye, glijden, sunder wän. Ein oberdeutscher
Reim findet sich nicht.
Ist nun der niederdeutsche Schwank sicher nicht ursprünglich,
so bleiben doch gleichwol auch gegen die Fassung von 0 entschiedene
Bedenken, die sich aber lediglich auö Kürzungen erklären lassen. Die
Verse 405 — 407 Indem erlengt sich die predig, do wurden linßen in im
ledig, czu den er sprach: ^get seinsing auß' sind zwar wolverständlich,
aber von einer Knappheit, die einer Überschrift würdig wäre.
Diese Beispiele mögen genügen, um das Verhältnis der einzelnen
Fassungen zu erläutern und den Nutzen von E zur Beurteilung dieses
Verhältnisses ins Licht zu stellen. Überall, wo N von 0 abweicht,
tritt ihm E zur Seite, und da dies auch in der letztbehandelten Ge-
schichte, einer Neudichtung von N, der Fall ist, so schwindet damit
jeder Zweifel, dass wir in E wirklich eine Bearbeitung von N, nicht
etwa eine Ableitung aus der gleichen Quelle, vor uns haben.
Was hatte nun N für eine Vorlage? Die gesammte uns zugäng-
liche oberdeutsche Überlieferung scheint auf jenen Druck zurückzugehn,
den wir eben nur aus dem Hamburger Exemplar kennen. Ihm folgt
mit kleinen Freiheiten die Frankfurter Ausgabe von 1550 und diese
wieder scheint die Vorlage aller späteren zu sein: jedesfalls geht die
Augsbiirger von 1602 auf sie zurück und ebenso die o. 0. 1620 er-
schienene, welche v. d. Hagen in seinem Narrenbuch abdruckte.
Jener älteste Druck ist ein Nürnberger Presserzeugnis, das zeigt
schon die bairische Orthographie deutlich an. Den Drucker namentlich
zu bestimmen ist mir trotz vielen Bemühungen nicht möglich gewesen,
immerhin kann ich ein zweites, datiertes Werk nachweisen, das aus
derselben Druckerei hervorgegangen ist. Es ist dies das bei Panzer
Annalen I 190 als Nr. 318 besprochene Buch Mobilia Rome urbis,
152
dem leider im Berliner Exemplar (Rr 4388) der Titel fehlt. Der be-
druckte Raum des auffallend kleinen, sehr selten vorkommenden Octav-
formats ist aufs Haar der gleiche, das Papier und die Letternformen
sind dieselben, und da dies Buch laut Schlussschrift zu Nürnberg 1491
gedruckt ist, so wird man auch dem Hamburger Exemplar unseres
Kalenbergers in Klammer künftig beifügen dürfen (Nürnberg ca. 1490).
Von diesem Druck und seiner ganzen Familie unterschied sich
also die Vorlage von N zu ihrem unleugbaren Vorteil. War diese
Vorlage deshalb eine Handschrift? Wahrscheinlich ist dies von vorn
herein nicht, und nötig ist es auch nicht. Gödeke Grundr. I1 344
hat nehmlich auf das einstige Vorhandensein einer Strassburger Aus-
gabe des Pfarrers hingewiesen. Die Strassburger Eulenspiegel-Aus-
gaben von 1515 und 1519, die auf eine ältere des gleichen, Griininger-
schen Verlags (ca. 1510) zurückgehn, weisen zur 12. Historie eine
Blustration auf, welche gar nicht zu dem betr. Schwank passt, wol
aber zu der Geschichte des Kalenbergers 0 399—422 (E 132, 21 bis
133, 20; N Fragm. H): der Küster ist beschäftigt, ein Häuflein Unrat
aus der Nähe des Altars hinwegzufegen. Die Vergleichung dieser
Strassburger Eulenspiegelillustration mit dem entsprechenden Bilde
des Nürnberger Kalenbergers ergibt in der Auffassung der Situation
eine unleugbare Verwandtschaft. Es ist nun viel wahrscheinlicher,
dass hier ein Holzstock des gleichen oder eines befreundeten Strass-
burger Verlages bequeme Verwendung fand, als dass man einen un-
passenden Holzschnitt eines auswärtigen Verlagswerks gedankenlos
nachgeahmt habe: die Ausführung ist durchaus selbständig.
In Strassburg treffen wir ja auch die frühste litterarische Er-
wähnung des Kalenbergers im Narrenschiff Seb. Brants (1494) c. 72,
v. 24; hier liebt es Thom. Murner, auf ihn hinzuweisen (Narren-
beschwörung 19, 128. 38a) und aus ihm zu citieren (5, 191), ohne dass
er ihn nennt; hier hat der Bearbeiter des Eulenspiegel schliesslich ihn
zur Erweiterung seiner Vorlage benutzt.
Gab es also (wie vom Bruder Rausch) neben der Nürnberger
noch eine Strassburger Druckversion, so mag es diese gewesen sein,
welche dem niederdeutschen Bearbeiter vorlag.
BERLIN. Edward Schröder.
15S
Friesische Ortsnamen und deren urkundlich nachweisbare
oder muthmasslich älteste Form.
Bern.: Im Chronicoii Moissiacensc und in der Vita AVillchadi (s. MG. 1, 298;
2, 383) ist berichtet, dass der Bremer Diöce&e von König Karl übergeben seien
die Pagi Wigmodia Riustri, Asterga, Lara (d. i. Leer), sowie Nordendi (Norden und
Harlingerland) und Wanga*).
I. im alten Gau Rttstringen.
Anm. 8. v. Richthof en' 8 Untersuchungen II, 1239 seq., Einhards Jahrb. anno
793 und 826 Hriustri-Gau, sodann auch Laurent zu Anskar's Leben des heil Willchad
Seite 9 und 10 wegen Ut- und Up-riustri. Zum Namen Rüstringen cf. an. hriostr
faspretum) und Weiteres bei mir unter hörst, sowie bei Ehrentr. fries. Archiv, II,
268 in der Note.
1. Lanrtvarden, älter Lougoworthe, bz. Langonwurdh. (Fr. Nr. 171.)
2. Bnrhave, älter Bir-, bz. Byrhove, d. i. Hof zu Byre oder Bure, cf. Bur (Dorf,
Ansiedelung etc.) in Ortsn. Vietorbur etc.
3. Waddens, früher Waddensze, älter Waddinke und Waddiuge.
4. Blextn, früher Blckkcce, älter Pletcates-hem.
5. Abbehansen, früher Ubbahuscn (v. Ubba, bz. Ubbo?).
6. ToKHens, früher Toszenzen, Toscnsen, Tosinse, Tosinsze etc., alter Tosinge.
7. Eekwarden, früher Egwort, d. i. wohl = älterm Eggc-wurdh.
8. Heppens, früher Heppensze = älterm Heppingc (v. Heppo V).
9. Atens, früher Atensze = älterm Atinge (v. Ate V).
10. Inte, früher Innede.
II. Rodden«, früher Rodense, älter Rodinge.
12. Esenshamm, früher Esemessam, älter Esraundeshem.
11. im Lande Wursten od. dem alten Wurthsetena-lond. (Richth. II, 1256.)
Misselwarden, früher Mvsszelwurden, älter Midlistanwurth und Midlistanfadhar-
uurde. S. Vita WiUehadi MG. 2, 388.
III« im Lande Wtthrden oder der terra Wordensis.
Dedesdorf, früher Thedesdorpe und Thedestorpe.
IV. im alten Aster-ga und Wanga (bz. Wan-ga), dem spätem Ostringen (wegen
des dazu gehörenden Auricherlandes s. unt. sub VII.) und Wangerland. (Richth.
II, 1222.)
L Jever, früher Jevere, Gevcre etc., älter Gaveria.
2. Cleverns, früher Clevercns, Cleverensze, älter Cleverenge oder Cleveringe.
3. Sc horten» früher Schortensze, Schortinse, älter Scortinge oder Scrotinge, da es
wohl als solches in der Bulle des Papstes Clemens III. von 1190 vorkömmt.
4. Fedderwarden, früher Vederwert, Fedderwurden, älter Federwurdk od. Feder-
wurth (cf. Feerwert in Groningen etc.).
5. Sengwarden, früher Sen-, Synn-wert, Sevewerde, älter Sevenwurtk und Seven-
wurden.
6. Waddewarden, früher Wadwerdeu, Wadwurden, älter Waddewurth.
7. Pakens, früher Packensze, älter Pakinge.
8. flogkarken oder Hohenkirchen, früher Hockerken statt älterm Go-Kerken oder
G o-, G a-Kerke, d. i. G a u*Kirche, weil es die erste bz. älteste Kirche des pagus
„Wanga" war.
*) Die urkundlichen Formen sind grösstenteils v. Richthofen's Untersuchungen
über Friesische Rechtsgeschichte Th. II (Berlin 1882) und dem (mit Fr. und Nummer
angeführten) Ostfriesischen Urkundenbuch, her. von E. Friedländer, Bd. 1. Emden
1Ö7Ö. 4. entnommen.
154
9. Mederns, früher Medensze statt cüterm Medcnge oder Medinge (v. Mede ?).
10. Minsen oder Mynsen, früher Minnensze, älter Miimiiige?
11. Wiarden, früher Wiger^n oder Wigerdeu, älter Wichardhera ?
12. Wiippels. früher Wyppensc, Weplensen, Woppelensze, älter Woppelenge oder
Wcpelingc? cf. afries. wapel, wepel (Lache, Sumpf etc. oder kleiner Land-
see, Moor etc.) und den in die Jade mündenden kleinen Fluss oder Bach
Wapel = älterm Wepilingc.
13. TeUens, früher Tcttcnsc, Tettensze, älter Tettengc oder Tcttiuge?
14. Reepsholt, früher Ripesholt, alter Hripesholte.
15. Marx, früher Marckes, Markcse, älter MarkiugeV
16. Etzel, früher Etzele, älter Ekelo? cf. Eke (Eiche) und lo oder loh (Wald etc.).
17. (Jüdens, früher Godensc, älter OodingeV
18. Zetel, früher Tzetele, älter Ketele V cf. tzetel = ketel.
19. Wiesede, früher Wickede V cf. v. Richth. II, 1232 seq.
V. im Harltngerland, cf. v. Richth. Ilt 1213 seq.
1. Stedendorf, früher Stedesthorpe.
2. But forde, früher Butcfcrde, Butetbrde, cf uns. forde und nhd. Fürth.
3. Esens, früher Esensze, Esinghe, älter Eseliuge, Oslingc etc., cf. Es, As, Os (deus).
4. Beuge, früher Bensze, älter Bengc, Binge, bz. Beuinge und BiiiuingeV
5. Wester-Accuni, früher Wester-Aghcim.
6. Otznm (nur noch in Otzumer-Balge), früher Ortzsura.
7. Wittmund, früher Wit-, Wyt-, Wythmunde.
8. Middels, früher Myddclszen, älter Midlesthem oder Midlisthem ?
9. Bleersum, früher Pledderszeu.
10. Eggelingen, früher Ickelynck, Eckgel in, älter Eucelinghe, Anaclingun.
11. Asel, früher Aszele, älter Askele oder AskelohV cf. Ekel i*. s. Nr. 16 sub IV.
VI. im alten Norderland oder dem pagus Nordendi, wozu früher auch Har-
lingerland gehörte, cf. v. Richth. II, 1208 seq.
1. Norden, früher Norda, Nordi etc., älter Xordwidu, Nordwidi, Nordwich, Xor-
dendi, Nordcdi, Norditi.
2. Hase, früher Hagha.
3. Arie, früher Erle, Erla, älter Erila oder Arila V
VII. im alten Auricherland, als dem westlichsten Ende des aüen Pagus
Ostringen, s. sub IV. Die Kirchen gehörten zur Bremer Diöcese.
(Richth. II, 1201)
1. Aarich, b. Fr. zuerst 1302 in Urk. 161 als Aurik.
2. Weene. (Fr. Nr. 493.)
3. Wiesens, früher Wyszcde, älter WiskedcV
4. Barstede, früher Berstede.
5. BangMtede, früher Bangkstede, Bonxtum.
Bern. Die kleine Ortschaft Rahe hiess früher Rade, bz. Rode, cf. Rode i »
Oster-Rode etc.
VIII* im alten pagus Fedirga oder Feder-ga, dem früheren Amte Oreetsiel.
(Richth. II, 1139.)
1. Uttum, früher Uthym, Utthum, Huttum etc., älter Ut-hem oder Ut-heim im
Fuldaer Güterverz. sub Nr. 66.
2. Midelsum. früher Mydlistum.
3. Eilsuni, früher Edelsum, Edelsem, Ethilsum etc., älter Ethelshem?
4. Jennelt, früher Yenlcd, Genlede, Genlete ete., älter (cf. Güterverzeichniss des
Klosters Fulda aus dem Ende des 8. Jahrhunderts) Geinleto oder Genlete
(in marcha Nortwaldo u. pago Fetergewe oder Federgewe).
o. Visquard, früher Fisqnwart, Viscwert, cf. v. Richth. I, 135 Fiskwert.
6. Pilsum, früher Pyleshom.
7. Öamhusen. Im Güterverzeichniss des Klosters Fulda (s. unt. Jennclt) wird
erwähnt, dass ein Albricus in Damhuscn in duobis locis virgam uiiam schenkte.
155
Desgl. wird in demselben erwähnt, dass ein gewisser Albericus dem heü. Boni-
facius seine Güter in villa Frisgana et iu villa Donehusen übertrug, welches
Letztere auch unt. Nr. 120 als Duonhusen vorkommt und wohl mit Damhusen
eins ist. Damhusen kömmt auch schon im Qüterverzeichniss des Klosters
Werden vor.
8. Grimersnm, früher Grimissum.
9. Wirdum. Dabei die von der alten Oster-Ems gebildete Insel Aland (d. h.
Wasserland), worauf das Prämonstratenser- Kloster Aland oder Insula, dessen
Probst Focco in einer Urkunde von 1255 erwähnt wird.
10. Cirkwerum, früher Syrcweren.
11. Canhnsen, früher Cannyngehusum.
12. Apping bei Greetsiel, 'früher Kloster Apyngum oder Appinge. Es ist wahr-
scheinlich dasselbe, wie die im Fedcrgewe belegene alte villa Avinge, s. Nr. 99
im Güterverzeichniss des Klosters Fulda v. Ende des 8. Jahrhunderts.
B e m. Wegen Siegelsnni s. Bern, zu X. am Schlüsse u. Fr. Urk.-B., wo
es zuerst in 1450 als Svgildsum in Nr. 630 erscheint.
IX. im alten Emsgan (Richth. II, 1149) und zwar:
a. im spätem Amt PewNim vor destien Vereinigung mit Greetsiel:
1. Groothüsen, früher Husum, älter Hunun (im Werdener Heberegister pag. 20 u. 24).
2. Bettewehr (1720 ausgedeicht und überfluthet), früher Betawere, Bethewere.
3. Knoek ( Vorwerk), cf. v. Bichth. II, 1146 seq. Die Notiz v. Continuator Menco
z. J. 1285 „trän s Emesam prope Oterthom, Longene et Knocka cum equis
etc. in glacie solidum iter carpebant".
4. Drewert (um ungefähr 1540 ausgedeicht und überfluthet).
5. Rysnm, früher Rvsingum, älter Hrisinghem.
6. Loquard, früher Laquart, Laquerth, älter Lacwurdh.
7. Campen, früher Campum (schon im Werdener Heberegister).
8. Upleward, früher Plegewert, älter Plen-, Pleon-wurdh.
9. M anklagt, früher Manslat, Manslach, Mansliacbt.
10. Woqnard, früher Wachwert, älter Wahcwurdh?
IL Call im, früher Canagum, Canynge, älter Caninghem.
12. Pewsum, früher Pawesum, Pewesum, älter Peweshem.
13. Woltaeten, früher Walsecum statt Waltsetum, älter Waltsation.
b. im Emder Amt:
1. Emden, früher Emeda, Emctha, Emeden etc., älter Emu t ha, Emuthon, Amuthon.
2. Folkersweer (Ende des 15. Jahrh. überfluthet), früher Volkardawera.
3. Langen mit dem Kloster Langen, jetzt Logumer Vorwerk mit dem Hook van
Logum, früher Langene, Longene, Langhena, älter Langonha (Werdener
Register) und Langenhoh, Langenhouh (Fuldaer).
4. Gwrdsweer (1720 überfluthet), früher Gerleswere, Gherkiswere, Gheerdswere.
5. Twixlnm, cf. v. Richth. I, 135 Twixlum.
6'. Larrelt, früher Leerlt, Hlerlt, Lerlethe, Hlerlete, älter Hlar- oder Hlara-fhata.
7. Wibelsnm, früher Wivelsum.
8. Woltknsen, früher Walthusum.
9. Uphnsen, früher Uphusum (Fr. Nr. 109.)
10. Harsweg, früher Hersweghe, Herseweg. (Fr. Nr. 509.)
11. Hinte, früher Hynte, älter Hinuti.
12. Snarhusen, älter Suderhusum.
13. Marienweer (früher Kirchdorf, da das Münster" sehe Dec&n&ts- Register von
1475 eine Kirche zu Area sanete Maria, bz. zu Area erwähnt).
14. Lopnersnm, Lopsum.
15. Abbingweer (früher Kloster), früher Abingwere.
16. Eisingnnsen (früher Kirchdorf), früher Esing-, Esiuga-, Hesinge-husen bz. husum.
17. Osternnsen, cf. Osta-husun im Werdener Heberegister p. 22. cf. auch Fr. 98
wegen des Vorwerks Osterhusen bei Borssum, was vielleicht mit dem Osta-
husun des Werdener Güterverzeichnisses identisch ist.
18. Westerhnsen, Westerhusum.
156
19. Albringsweer, früher Albrunsweer. Awraudeswere, Albrandeswere.
20. Midlum, früher Middeltira.
21. Freepsnm, früher Frebescum, Frebestum etc., älter Fresbrahteshem.
22. Sielmtinken oder Sylinonniken, altes Kloster im Kirchspiel Freepsum, früher
Kloster Silo (nach einem daselbst belegenen Siel) genannt.
23. Fahlem (Oross- und Klein-, jetzt Theile der Stadt Emden, s. oben sub 1),
früher Fallcrn, Fairen, Phalerna, (1255) Felerne.
24. Hamkusen (jetzt weg, s. alte Dollart -Karte von Emmitis), alt Hamhusum.
s. Werdener Heberegister.
25. Borsuiu (Opohs- und Klein-), früher Bursum, älter Borshem, Borzhem, Bruzem.
26. Jarsum. früher Jersum, älter Jcrzcm, Gerzhem.
27. Widdelsweer (hatte fmher eine Capelle), früher Widliswerc.
28. Petkum (Petjum), früher Pettum für Petcum, alter Pcttinghem.
29. (iandersnin, früher Gondorsum, älter Gondrikeshem.
30. Öldersnni. früher Uldersum, älter Olders- oder Alders-hem.
X. im alten Brokmer- oder Brokmoiiua-land, was früher ein Theil des
alten Emis-ga (Emsgatt) war. (liichth. II, 1167.)
1. Marienhafe, früher Marienhove oder curia sancte Marie und (anno 1362) curia
virginis gloriose. Sie ist bald nachher durch Feuer zerstört, wie aus einer
Urkunde von 1387 erhellt, cf Notiz zu Nr. 3.
2. Osteel, früher Oost-deel, älter Astc-delc.
3. Westeel oder vrspr. Weste-dele. Es lag mit dem vorigen Dorf auf demselben
Sandrücken, jedoch näher dem Meere und wurde 1277 oder etwas später
überfluthet, da nach einer Urkunde von 1387 die dortige Kirche zum Wieder-
aufbau der durch Feuer zerstörten Kirche zu Marienhafe verwandt wurde.
4. Enger liafe, früher Ut-enger- oder Ut-eugra-hove, und auch (1250) Buta-e, weil
es nördlich von oder ausserhalb der zwischen Engerhafc und Victorbur
fliessenden Ehe lag. Aus Buta-ce oder Uta-ec entstand dann weiter die
Vorsilbe Ut-enger-.
5. Victorbnr. früher Victorishove (curia saueti Victoris). B. Fr. zuerst in Urk.
914 (1473) als Fittersburcn.
6. Wiegboldsbur, früher (bis 1455) Wibclsbur und (1250 und 1475 urkundlich)
Wibboldes- oder Wibaldeshof. Der Brokmerbrief aus dem Ende des 13. Jahr-
hunderts spricht von „binna Wibaldinga szerspele". Das Werdener Hebe-
register hat neben einer Wibades kerikou auch ein Wiboda holta und \Yi-
bodi silva, deren Lage indessen nicht sicher anzugeben ist.
7. Bedekaspel (Bade- Kirchspiel), früher Bete-, Bede-Kerke, wohl soviel als Bet e-
Kir che.
8. Forlitz, früher Vorletz oder For-letze. In Urkunde von 1250 wird die Kirche
Godeka-kirk (nach ihrem Stifter) genannt. Der Name Forlitz oder Forletze
ist wohl eine Composition von For- und letze = afries. lege, läge, wie neben
afries. lega (legen) auch die Formen ledsa, lidsia, litzia und für liga (liegen)
auch die Formen lidsa, litza etc. vorkommen.
9. Blaukirchen, auch Südwolde genannt und in einer Urkunde von 1475 „Suda-
woldau. Es ist wahrscheinlich dasselbe Kirchdorf, welches in Urkunde von
1250 „Loppessumwalde" genannt wird, weil „Blaukirckeu" östlich des
Grossen Meeres. „Loppersum" gegenüber liegt.
10. Burhave (tiross- und Klein-), jetzt 2 Plätze, wovon der erste Domänenplatz.
Es war früher ein Kirchdorf und kömmt im Decanatsregister von 1475 als
Burhoff vor.
11. Ochtelbur. Im Decanats-Eegister von 1475 Uterla-bur, indessen in Urkunde
von 1431 Ochtleburcn und 1401 Ochtelbur.
12. Riepe. 1431 und 1435 Rype.
*1. Bern. Neben Loppessumwalde (s. sub 9) wird in Urkunde von 1250
auch noch eine Kirche in Aldeguudeswalde genannt, was vielleicht dieselbe
Kirche war, die später Bete-kerke (s. sub 7) hiess, zumal Bedekaspel ebenso
wie Blaukirchen nicht am Grossen Meer liegt. Sodann ist zu diesen im
spätem Brokmer land liegenden Ortschaften noch zu bemerken, dass das
157
Decanatsregister von 1475 auch die Kirche zu Siegelsum oder Sigelum auf-
führt, welches indessen auch im Decanat Uttum, als zu diesem gehörend,
mit genannt wird und weil Siegelsum jedenfalls nicht im alten Brokmerland
liegt, auch jedenfalls wohl früher zum Decanat Uttum gehört hat, wonach
dann auch anzunehmen ist, dass Sigelsum (älter Sygildsum) in alten Zeiten
ebenso wie Wirdum im östlichsten Theil des Feder-Gauea lag.
2. Bern. Die ältesten 6 Kirchen (nämlich: Curia sancte Marie, Buta-0,
Wibadeshof, Lopessumwalde, Godekakirk, Aldegundeswald) gehörten bis 1250
zum Decanat II inte und wurden dann wegen Streitigkeiten mit dem Decan
Lutward davon getrennt und dem Consulatus Brokmaunorum unterstellt Cf.
v. Richth. 1, 322 seq.
3. Bern. Der südlichste Theil des alten Brokmcr-Landes (bz. Bruch-
Landes) hiess früher Suthor-lond und gehörten die darin liegenden Orte
Simonswolde, Holttrup und Aurich - Oldendorf zum früheren Decanat Leer,
s. weiter sub XL, dann b. Friedl. Urk.-Buch, wo das Suderland zum ersten
Mal in Urk. Nr. 398 erscheint und darin Simiswalde, Rype, Ochtleburen
und Bon x tum als im Süder laud liegend angegeben werden.
XI* im alten Decanat Leer, bestehend aus dem Moormer-, Lengener- und
Overledinger-Land, sowie aus dem südlichsten Theil des alten Brokmer - Landes,
der spec. Sutherlond hiess. (Richth. II, 1175.)
1. Leer, früher Lere, Lare, älter Hlcri (an der Leda, alt Latha).
2. Nüttermoor, früher Uetter-, Utter-moor, älter Uttera-mora. Urk. zuerst 1427
als Uttermoer b. Fr. 345.
3. Yeenhosen, früher Vennehusen, älter Torta- (amend. Torfa?) mora. Urk. als
Feenhusen zuerst 1430 b. Fr. 509.
4. .Vermoor, früher Edermocr, älter Nedcra-mora. Urk. zuerst 1428 als Eramoere
b. Fr. 371.
5. Roriehnni, früher Rarchum, Rarichum, Raerchem, urk. zuerst 1357 b. Fr. 80.
6. Ayenwolde, früher Alingewolde, älter Aldingawalde. Urk. zuerst 1459 als
Avlingkwolde b. Fr. 509.
7. Hatshnsen, früher Harsta- bz. Hasta-busum. Urk. zuerst 1438 b. Fr. in 487
und dann 1439 b. dems. in 509 als Hatzehusen.
8. Boeksetel. früher Bookscde. Urk. zuerst 1319 als Bowkesete b. Fr. 48.
9. Simonswolde, ^ *• / b. v. Richth. Sonneswolde und früher (cf. Bartels
t» l über d. Dollart, Jahrb. d. Gesellsch. f. bildende
3 ) Kunst 1872, Heft I, p. 12 d. Anm.) Sunedes-
walda. Als Simiswalde urk. zuerst in 1431, cf.
| I Fr. Nr. 398.
ö* f urk. zuerst als
KJ 1 _I„ 11.1. il
10. Holtrup. J o- f urk. zuerst als Holdorpc in 1451 b. Fr. in 398.
11. Aurifh-Öldendorp, >\ y als Alda-thorp urk. zuerst 1307 in Nr. 105 b. Fr.
12. Timme]. In Fr. Urk. zuerst 1438, jedoch im Werdener Heberegister pag. 22
schon als Timberlae verzeichnet.
IX Strakbolt. b. Fr. Nr. 072 (1454) Stracholtc.
li. Backband, b. Fr. Nr. 672 (1454) Bacbaude.
15. Hesel, Fr. 961 (1475) Hcssele.
10. Barthe (Kloster), früher Bertbe, Beretbe (1288 als Porta friesiae orientalis
erwähnt), b. Fr. Nr. 140 (1380) Bertba.
17. Loga, b. Fr. 210 (1408) Laghe und im Werdener Heberegister Lage, Lagi und
Loge. Ob eins mit loog (locus)?
1*. Ugabirnm, Fr. 509 (1439) Loghebeerne.
19. Xortmoor, 1439 Nortermor, 1475 Nortmora.
20. Filsam. So bereits 1475, s. Richth. II, 1181.
M. Hollen, Fr. 509 (1439) Holne.
2'i. Ammersum. (Bertram, Geographie, pag. 207.)
23. Detern, Fr. 351 (1424) Detheren.
2i. Holtgaste. (Fr., 961, bz. 1127.)
25. Remel*. früher Lengen, bz. Lanzene (statt Langene).
26. MnJide, bz. ter Muhde, Muda, älter Lethe-niuda, bz. Latha-muthon.
158
«07. Driever, früher Driwer, bz. Driwere.
28. Coldeinüntje, bz. Coldemüiikeu.
29. Midling, Fr. 460 (1436) Mvdlinghe.
30. Völlen, Fr. 730 (1458) Vollen.
31. Hampoel, Fr. 677 (1454) Hempoel.
32. Esclnm, Fr. 961 (1475) Eskelum.
33. Ihrhove, das. Yderahave.
34. Stecnfelde (früher Steenwoldc), Fr. 460 (1436) Steenvelde.
35. Neuburg, früher Nicnborg, Fr. 509 (1439) Nigenborch.
36. Amdorf, Fr. 389 (1430) Amdorpe.
37. CoUinghorst. (Fr. 1753.)
38. Bakemoor, Fr. II, 460 (1436) Boecraora.
39. Rhaude, Fr. 508 (1439) Rawedc (ist der zweite Theil wede ident. mit wede
= altem widu ?).
40. Potshauften, Fr. 509 (1439) Poptishusen.
XII. im alten Retderalond (Rheiderland), soweit es zum Münster* sehen Bisthum
gehörte. (Richth. II, 1183.)
1. Nesse, Fr. I, 119 (1372), cf. Nas und Nasse b. Crec. pag. 20 und 23.
2. Herum, (Fr. I, 270) überflutet. Cf. b. Crec. pag. 11 Burion, was doch sicher
im Rheiderland e lag.
3. Wilgum, Fr. I, 119 (1372) Wilinggum, überflutet.
4. Fletum, Fr. I, 119 (1372) Flyatum, überflutet, cf. Wig-Fliata.
5. Jarssum, (1277) cf. v. Richth. II% 1185.
6. Torum, Fr. I, 119 (1372) Tordinggum, überflutet.
7. Pogum, cf. Fr. 7, 105 (1367) Citera-sura (Ovira?) -peum oder Pawingum, älter
Pawinghem. Cf. v. Richth. II, 1187.
8. Ditziim, Fr. I, 509 (1439) Dytsum, desgl. II, 763 (1460) Ditsuin. 1475 Derzum
oder Dertzum s. v. Richth. II, 1187.
9. Oldendorf. Oldendorp und Aldatborp, s. v. Richth. II, 1187.
10. Hatznm, Fr. I, 221 (1409) Hardsum, das. 461 (1436) Hartzum, später Fr. II,
609 (1449) Hatsum.
11. Coldeborg, 1475 Galdeborch, s. v. Richth. 11, 1188.
12. Kritzum, Fr. I, 409 (1432) Krytzum mit Krvtzamewalt.
13. Midlum, Fr. I, 609 (1449) Mydlum.
14. Jemguni, JFV. I, 35 etc. (1284 etc.) Gemmczum, Gemmynzum, Jemingben etc.
15. Marienchor, cf. v. Richth. II, 1187.
16. Böinerwold, früher Bimerwolt oder Bedamewalt (cf. Bartels pag. 15), cf. Bedma-
wertha b. Fr. I, 221 und das. (Ürk. 584 und 818) Bedma-, Bedraer hamryck.
Wegen Bedum aus Bedgum, bz. Beddinghem (cf. Crec. pag. 22 etc.), cf. Petk.
17. Holtgast, früher Holtgcst, Fr. I, 34 (1282), Diöcesan-Reg. v. 1435 Holtgeist.
18. Binzuin, früher Bvnnvngum.
19. Kark-Borgum mit Midäelste- und Feersten-Borgum. (cf. Fr. Nr. 57 Bergbum, od.
besser vielleicht Burchum in Nr. 80 u. 81 u. ferner: Bertram, Geogr., pag. 197.)
20. Georgi- oder Swarte-wold.
21. Weener, früher Wyancre, Weyner, Weningera.
22. Weniger- oder Weener-moor, früher Wenighermoer, Wengramor.
23. Boene, cf. Bonewerda b. v. Richth. II, 1190.
24. Poel, cf. pöl (palus) und Bartels über den Dollart im Jahrb. f. Kunst etc.
(1872) p. 21.
25. Bunde, Fr. I, 366 (1428) und Bunde (1391), s. v. Richth. II, 1190.
26. Linda. (Fr. Nr. 270)
27. Wymeer, Fr. I, 48 Wvmaria (1319). Ob = Winna- oder Wynnamar? cf
v. Richth. II, 1190.
28. Haxne, überfl., s. v. Richth. II, 1190, cf. Saxum und Saxumerwold. Ein Haxn
oder Haxne kömmt übrigens auch schon im Werdener Heberegister, Seite 22.
mit Scagastborpe (s. Stockdorp), Wilinghem (s. Wilgum) etc. vor.
29. Oekeweer, Fr. I, 270 Ockeweir.
30. Huweghenborch, früher Huwingaborg, *. v. Richth. II, 1190.
31. Palmar, Fr. I, 57 (1338) Pallemar.
32. Reiderwolde, cf. Redi in walda b. Crec. pag. 19.
159
33. Westerwolda.
34. Saxnm = Haxne, s. v. Bichth. II, 1190 und cf. unter Saxumerwalt = Haxene-
walt. S. indessen Weiteres unt. Haxne.
35. Berde, cf. Uitcrbeerte und Osterbeerte oberhalb Winemecr auf der Karte des
Dollarts b. Straiingh.
36. Santdorp. s. Zentorp b. v. Bichth. II, 1190.
37. Saxummerwolt oder Saxunierwolde, s. v. Richth. II, 1190, wo er Haxenewalt
damit identifieirt, 8. indessen unt» Haxne.
38. Tysweer oder Siweteswere. s. do. und dazu Bartels (Jahrb. d. Ges. f. Kunst
" etc. von 1872, pag. 15) der Siweteswere mit dem auf der Emtnius 'sehen Karte
vorkommenden Ewitwcer identifieirt. Zu Siweteswere cf. b. Crec. p. 11
Siwataras hwervia.
39. Stockdorp, cf. Steges- und steghesdorp in Urk. 302 (1422), b. Friedl. I, früher
Stagestorp, *. t?. Bichth. II, 1190, cf. b. Crec, pag 11 Scagasthorpa.
40. Beide (Oster- und Wester-). (1282, 1377, Fr. I. 34 und 131) Asterreyde, Astie-
rheide, Abt Enno (1211) Villa Hreidcnsis, cf. Hredi, Hriedi, Hriadi b. Crec.
pag. 11 etc.
41. Wiiie- oder Wynedaham (cf. 1391 bz. 1420 Wiveldaham s. Fr. I, 270) nebst Wy-
nedaboreb, s. v. Bichth. II, 1191.
42. Megenfcam (Fr. I, 270, 1391 bz. 1420 Megham), auch Meggeham, s. v. Bichth. II,
1191 Megalzem.
43. (Jothorne bz. «olthorne , s. v. Bichth. II, 1191.
XIII. im alten Relderalond, bz. dem südlich von Weener liegenden Theil,
soweit es zum Bisthum Osnabrück gehörte. (Bichth. II, 1292.)
1. Stapelmoor (1424) Stapelmor.
2. Vellage. Nach v. Bichth. (II, 1189) Village, cf. Veldlagi b. Crec. pag. 23.
3. Diele oder Dyle, cf. Dilon b. Crec. pag. 23 etc.
4. Dünebrook.
5. Bellingwolde. (1498) Bellinckwolde.
6. Winschoten, (1467) Wynschottcn.
7. Blvhaw. (1498) Bleichhammc.
8. de" Beerta. (1656) Berde.
9. Hilliger-lee. (1656) Hilligerlobc.
10. Wester-lee. So MG. 23, 597.
XIV. Die Inseln von der Ems bis zur Weser.
1. Borktn, Fr. 167 (1398. copie.) Borkyn. Bei Strabo VIT e. 1 B'jpyavC;
(Bo»ip5£avi£ Stephanus Byz. 183, 8 Meineke), bei Plinius IV, 97 Burcana,
bei Emo (MG. Scr. 23, 511) Borkna.
2. Baut. Schon Ende des 8. Jahrh. (785?) dem Bisthum Münster (d. Bischof
Liudger) zugelegt und jetzt nur noch eine Sandplate zwischen Norddeich und
Juist, cf. v. Bichth. II, 396 seq. und bei mir unter Bant. in Bante Oorkon-
denboek van Holland en Seeland I n. 33 (a. 960); Bant MG. 2, 410; 9, 289.
3. Juist, Fr. 167 (1398) Just. Nach der alten grossen, mit einem Kreuzgewölbe'
versehenen Kirche muss sie früher viel bedeutender gewesen sein als jetzt.
4. Buxe, Fr. ebd. Burse. Fr. 203 (1406) Buyze.
">. Xorderney, Fr. ebd. Oestercnde.
6. Baltram, Fr. ebd. Balteringe. Der Form wegen cf. Baldratinge oder Bal-
tratingen im Fuldaer Begister auf Texel? — Muss sehr alt sein, weil es
eine Insel für sich war und so im Gegensatz zu Norderney etc. etc. stand.
7. Langeoog, Fr. ebd. Langoch.
8. Spikeroog, Fr. ebd. Spickeroch.
9. Waogeroog, Fr. ebd. Wangeroch.
10. Helgolaad oder wie wir sagen : dat lli\geU'(Heüigen-)La.u&. Diese, schon von
Willebrord und Liudger besuchte Insel hiess damals Fosetesland, «. MG.
2, 410. 9, 869; und daneben (bei Adam Brem.) Halagland s. MG. 9, 282.
NORDEN. J. ten Doornkaat Koolman.
160
Nachträge.
Nachdem meine „Einleitung zu einer amringisch - föhringischen
Sprachlehre" bereits fertig gedruckt war, ist es mir endlich gelungen
eines Exemplars der Schrift von Möller, Die Palatalreihe der indo-
germanischen Grundsprache im Germanischen, Leipzig 1875, habhaft
zu werden. Da diese Schrift nicht im Buchhandel erschienen ist, möge
man es mir nachsehn, dass ich die folgenden Verweisungen auf die-
selbe erst nachträglich zu geben im Stande bin:
S. 11, Z. IG: Vgl. Möller, S. 30.
S. 11, letzte Zeile: Vgl. Möller, S. 31— 4G, 53 Anm. und 59 f.
S. 32 ist als 25. der Titel von Möllers Schrift nachzutragen
mit dem Zusatz: „behandelt S. 28 — 48, 53 Anm. und 59 f. s aus k,
S' aus kj und die Diphthongierung nach Palatalen." — 25. 26. 27.
28 sind in 26. 27. 28. 29 zu ändern.
Ausserdem bitte ich zu verbessern:
S. 2, § 2, Z. 1 u. 2 ferea (feria), ferei» statt feri», feria.
S. 5, § 6, Z. 7 v. u. 1483 statt 1843.
S. 6, Z. 3. 4, S. 7, 10), Z. 4. 5, 4), Z. 4. 5 und S. 8, 3),
Z. 2 v. u. ist in den wang., sat. und westfrs. Wörtern w statt v ein-
zusetzen.
S. 6, Z. 3. 8. 12. 1 v. u., S. 7, Z. 7 und S. 9, 7), Z. 1 v. u.
wäre in den wang. Wörtern besser sei für ei zu schreiben.
S. 19, Z. 3 v. u. die statt ied.
S. 23, Z. 2 v. u. sosgorn statt sösgarn.
Halle a. S. Otto Bremer.
Zu dem Aufsatze: Das Liederbuch des Petrus Fabricius.
Zu S. 60, Nr. 6. Eine nid. Fassung in 11 Str. enthält 'Het oudt Amsterdams
Liedt-Boeck' (Amsterdam, I. I. Bouman o. J., Exemplar in Berlin, Zf. 7788) S. 32.
Zu S. 61, Nr. XII, XV, XXII. In der Sammlung 4Den nieuwen Lust-hof
(Amsterdam, H. Mathyss. 1602) findet sich S. 1 die Weise 'GheseUeken, du tnost
wandele*, S. 40 und 52 die Melodie 'Galiard' Itali oft Bedroeft hertekeri, S. 43
und 69 'Soet Robbertgien' und S. 26 'Nabuer Roelanf angeführt.
In der S. 66 f. abgedruckten englischen Ballade bitte ich einige Druckfehler
nachträglich zu verbessern : 3,i loues — 3,i liu'd — 3,6 striue to liue — 5,« sathes
— 7,i drunke — 16,i haue.
Berlin. J. Bolte.
Zu S. 111. Mit der von C. Schröder Jahrb. 2, 52 veröffentlichten Fassung
des Spruches von der Welt Untreue sind mehrere Sprüche vom Tode verbunden
(= No. 41—44 der oben S. 104 ff. von Bäumker herausgegebenen Wiener Samm-
lung.) Eine stark gekürzte Redaktion desselben hat Birlinger aus dem 'Schatz-
boechlin der gotlicher lieffden' Germania 19, 98 mitgeteilt.
Berlin. Hermann Brandes.
Musikbeilage.
Zu S. 58-68.
Ia. Störtenbecker. (P. Fabricius Nr. 183. M.)
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de, so lang datidt
gott van hem-mel vor-droth, do mos-ten so li-den gro - te seban - de.]
Ib. Fragment bei M. Franck, Fase. quodL 1611, Nr. 6.
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Stör-tze - be - eher vnd Gö-de Mi-cha-el, die raub tu mit ein -an - der auff
glei • - chen theil, zu wasser vnd auch zu lan ------ de.
Ia M. Franck, Farrago 1602, Ali Id. Ebenda, 2. Tenor.
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Die raubtn mitnan-der auff glei - chen theil.
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Ie. J. Moller, Quodlibet 1610, Cantus.
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Stör - tzen - be - eher vnd Göt - te Mi - cha - el.
II. Brennenberger. (Nr. 154. M.)
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Ich ha - be ge - wacht ein win - ter-lange nacht, dar - zu hatt
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schon jung - freu - lein ge- bracht mit ih - ren schne-weis-
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sten: dass mu-ste dem hei - de ge - lu - sten.
HL Das Schloss in OesterreicL (Nr. 188. M.)
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In 0 - eter- reich da ligt ein schloss, das ist gantz woll ge - baa-
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wet, von sil - her vndT von ro - tem gold, [von ro - tem gold,] mit
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mar - mel - stein ge • mau - ret.
IV. Des Goldschmieds Töchterlein. (Nr. 140 und 167. L.)
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Bi-gta des goldtechmids tochter- lein, bin ich des baw- ren söhn, ja söhn: so
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zeuch dein be - ste klei-der an vnd sprich, du wilt zum tan-ze gähn, vnd
zeuch mit mir da - von, [vnd zeuch] mitt myr da - von.
V. Kornschneiden. (Nr. 161. M. und L.)
Idt iß ein boicken kamen int landt, datt wold bo ger-ne de
nen; de mo-der tho der dochter sprack : Wat wille wy Hen-se-lin ge - nen?
Vi. Der junge Held. (Nr. 160. M. und L.)
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1. Es war ein jun-ger heltt, sein hertz war ihm ge- stelt nach ei - ner jung-
2. Er dient ihr tag und nacht, dass sie doch wei-nig ach tt, gab ihm doch gar
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frauwe scho - ne.
kein loh - ne.
VII. Sommerlied. (Nr. 75. U. und L.)
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Hertzlich, thnttmich er -freu -wen die frö-lig sommer-zeidt, all mein ge-blutt
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ver-neu-wen der mey viell wollost geitt. Die lerch thutt sich er-schwingen mit
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ih-rem hellen schall, lieb -lieh die vog-lein sin -gen, dar -zu die nach-ti - gall.
VIIL Drei Blümlein. (Nr. 156 in M. und BL 78b in L.)
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Ich weis mirdrey blom-lein in ei-nem gar - ten, j
die hab ich mir erst- lieh aus -er- ko - reo. j
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seind lieb-lich and schon, viel ta-gend an sich hahn. Es ist nun got-tes
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gab al - lein bey die - sen scho-nen blu - me - lein, sie müssen ge - bro-chen sein.
IX. Reif und Schnee. (Bl. 109 a. L.)
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Nun fall, du reiff, [du kal - ter sehne, fall mir auf mei - nen fuss !
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Das megd-lein ist nicht vbrhun-dert meü, vnd das mir wer -den muss].
Xa. Wintersnot. (Nr. 152. M.)
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Ach win - ter kalt, wie men - nie - falt krenckstu hertz, mutt
grauw vnd auch alt machstu mich haldt — , des hin ich wor -
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den h^'ne' I Mein glück ist klei"ner als ein haaT' dar"zu ist mir mem
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beu - tel klar : dis jar ist von Idei-nem ge - win - - ne, [dis jar ist von
Xb. Fragment bei M. Franck 161 1, Nr. 2.
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klei-nem ge - winne.] Ach win -ter kalt, wie ma-nig-falt.
XL Liebesklage. (Nr. 181. M.)
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Ei - ni - ges lieh, ge - trew - es hertz, J J so ich er - lei - den
dyr ist ver - hör - gen nicht mein schmertz, j J von we - gen dein, o
Sund6- lein ff | Be - we - ge doch meine nodt!
XU. Schab ab. (Nr. 118. L.)
Gudt gesell, vnd du must wan
dern, das megd-lein liebt ein an - dem: die
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ich ge-lie-bet hah , bey der bin ich schab -ah. Kann dirs nit
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gnogsam kla-gen — mein schmerz, e - lend Ynd pein; je - doch ich hoff, os
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wird sich noch an ir selbst re - chen fein.
XIII. Nach dem Regen Sonnenschein. (Nr. 133. M.)
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Wie kan vnd mag ich frö-lig sein? In mei-nem her - tzen trag ich groüs
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schmer - tzen vnd schwere pein. E - lend bin
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ich, doch tröst ich mich,
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das nach dem re - gen gott giebt sein se - gen vnd son-nen-schein.
XlVa. Ich kann nicht abelan. (Nr. 138. M. und L.)
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wirdtmyrden ge-schehen, wen ich dich mei-den Bollt { Schön
ich dich nim-mer sehe? viel liebr ich ster-ben wolt. \ '
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a - do - lieb vnd firom, mein« her-tzen ei • ne krön,
du hast mein hertz vmb-
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fan - gen, ich kan nicht a - be - lahn.
XIVb. Variante bei M. Franck 1611, Nr. 3.
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Wie sol mir dann ge - sehe - hen, wenn ich dich moi • den sol.
XV. Abschiedsthränen. (Nr. 159 und Bl. 84a. L.)
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Mein eug - lein wei - nen, mein hertz muBs seuff - tzen, des mus ich
kla - gen mein schwär vor-driees: mein lieb-stes lieb - ken will von mir
fli - hen; wüßt ich wo - nun , ich trur - de nicht
XVI. Klosterliass. (Nr. 166a. M.)
Ich solt ein nun -lein wer -den, ich hett kein lost dar -zu: )
ich schlaff nit gern al-lei - ne, vnd ess des mor-gens frue. |
Gott
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geb dem kle-pfer vn-glfick viel, der mich ar-mes megde4ein im kloeter hvben will.
XVIL Sieben Wünsche. (Nr. 135. M.)
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Hett ich sie -ben wünsche in mei-ner gewaltt, 8ag mir, hab ich recht? so
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wolt ich mich wünschen jung vnd nim-mer alt Sag mir, hab ich vn- recht?
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Sag mir, hab ich recht o
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vn - recht?
XVffl. Abendlust. (Nr. 107. L.)
Wass woln wyr aoff den a - bendt thon ? Schlaffen wol - len wyr gähn.
Schlaffen gähn ist wol ge - than. Bchö-ne Jungfrau w, wolt ihr mit vns gähn?
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Schlauen wol-len wyr gähn.
XIX. Studentenlob. (Nr. 155. M.)
Wa-rumb seind die stu - den-ten so lei- den voll ge - hordt?
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Ja, ja,
ja, ja, ja. Sie habn des wirdt sein
toch - ter - lein wol zu dem tanz ge - furdt.
XX. Der Igel und die Leineweber. (Nr. 94. L.)
Ein Schneider und ein zie-gen-bock, ein lein-we-ber vnd i - gel-kopff, ein
kurschner vnd ein ka-tze. Nun woT - an! Die tantztenaoff ei - nem pla-tze.
So, mein i - gel, so.
XXI. Spottreim. (Bl. 77a. L.)
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Es i«t ein bawr in braun ge - fallen, [ich hab ihn hö - ren plum-pen. Hätt'
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ich ihn nicht bem haaren er «wischt, so wir der Schelm er - tron-ken.]
Proportio.
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XXIIa. Der englische Rolandston. (P. Fabricius, Nr. 9. L.)
Sehons lieb, ich thue dir kla - gen die schwe-re angst vnd pein, )
welch ich muas heimlich tra - gen im jun - gen her - tzen mein : (
das
pein werdich nicht ohne, dan du wirst mei-ne
gar.
XXII b. Dieselbe Melodie mit dem ursprünglichen Text.
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Hol.; 0 nach -bar, lie • ber Bo - bert, mein herz ist vol - 1er pein! I
Rob. : 0 nach - bar, lie - ber Bo - land, um was mag das wol sein ? (
Hol.: Johann Glöck-ner liebt mein Gre - ta, das - sei - big bringt mir schmerz.
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Bob.: Sei zfrie-den, lie 'ber Ko-land, das ist noch wol ein scherz.
XXUc. Bruchstück bei M. Franck 1611, Nr. 2, Cantus.
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0 Nach-bar Bo - land, mein Hertz ist vol - 1er Pein !
XXnd. Chappell 1, 115.
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The fifteenth day of ju - ly with glist'ring sword and shield, { m>
a fa-mous figth in Man - dere was fough-ten in the field. {
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moflt cou-ra-geous of - fi-cers were english captains three, but tho bra-vest in tho
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bat-tle was brave lord Wil-longh-by.
XXIH. Die Schlacht bei Mohacs (1526).
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Kleck-lick so wil-le wy heu-en an vn-de syn-gen tho des-aer frist all
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Tan den ko-ninck vth Vngern, de vnschul-dich ge-stor-uen ys. He was by XV
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ja - rei. eyn ko - ninck yn Vn - ger - land, he w[a]s van e - dlem atam -
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men, ko-ninck Lo - de-vick was sin na-me, eyn ko-ninck tho Be - mer landth.
DRUCK VON H.W. SCHMIDT D* HALLE.
In unserra Verlage sind erschienen:
Drücke des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
i.
JMttelniederdeutsehe Fastnachtspiele. Mit Einleitung und
Anmerkungen herausgegeben von W. Seelmann. 2J.LVII. und
86 S. Preis 2 Mk.
Inhalt: Böse Frauen. — Bauerobetrtlgerei. — N. Mercatoria Fastnachtspiel. — Zwie-
gespräch swisohen dem Leben und dem Tode. — Der Schere Klot. — Röbeler Spiel.
— Das Glücksrad.
Dieser Neudruck mit Reproduction der Original-Holzschnitte entfallt eine
Sammlung alter volkslhümlichcr Lustspiele in mittelniederdeutsclier Mundart.
Die ausführliche Einleitung, welche der Herausgeber beigefügt hat, bereichert die
Geschichte des deutschen Dramas um eine ReiJie interessanter Thatsachen und
fuhrt u. a. den Nachweis, dass dem Fastnachtspiele, wie man böse Frauen fromm
machen kann, derselbe Stoff und dieselbe Quelle zu Grunde liegt, wie einer eng-
lischen, auch Shakespeare, wie seine Zähmung der Widerspenstigen zeigt, be-
kannten Dichtung,
II.
Das niederdeutsche Reimbüchleiii. Eine Spruchsamnilung
des 16. Jahrk. Herausgegeben von W. Seelmann. XXVIII. und
122 S. Preis 2 Mk.
Das um die Mitte des IG. Jahrh. gedruckte und nur in einem einzigen
Exemplare erhaltene Reimbüchlein ist eine in ihrer Art einzig dastehende Antho-
logie gnomischer und Igrischer Poesie, die aus z. 77*. jetzt verschollenen Dich-
tungen, x. Th. auch aus dem Volksmunde gesammelt ist.
Unter der Presse befindet sich und erscheint in Kurzem:
III.
De diidesche Sehlftmer von Johannes Stricerius. 1584. Her-
ausgegeben von Joh. Bolte.
Ein Neudruck des Scßüämers, welcher neben dem verlorenen Sohne des
Burkard Waldis als das bedeutendste niederdeutsche Drama des 16. Jahrhunderts
bezeichnet werden muss, ist schon oft als ein Bedürfnis empfunden worden.
Stricer enttvirft darin in lebendigen Zügen ein getreues und anschauliclies Bild
von dem wüsten und schwelgerischen Leben des Adels in seiner Heimath Holstein.
Seinem Stücke liegt zu Grunde eine scJwn zuvor in England, Holland, Frank-
reich und Deutschland dramatisch bearbeitete Fabel, die, wie Goedeke nachgewiesen
hat, aus einer budhistisclien Parabel fiervorgegangen, zuletzt zu einer Darstellung
der Bekehrung eines verstockten Sünders im Sinne der Protestant isclien Recht-
fertigungslehre geworden ist.
Wörterbücher des Vereins für niederdeutsche Sprachfarscliang.
lVort< rhu« h der WeftfAlI fielt eil H mitfürt
ftitlelnfrderdcutiirlie* Hameln ört<'H>ii<li
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Chriatopli Waltlier.
II. IL. Hi
Woordenbock der €«r»iiiiig*rhe VolliNfaal
Forschungen.
Herausgegeben vom Verein für niederdentsclie Spracliforsclmng.
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lllc Hoenter Hiiiitfiirf. Laut- und I
rdinand Hol!
.Nonlcn.
Diedi\ Sollaifs Verlag*
Jahrbuch
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
1888.
XIV.
HORDEN ucil
IB.Q.
Ausarbeitungen, deren Abdruck im Niederdeutschen Jahrbuche
gewünscht wird, sind dem Mitgliede des Redactionsausschusses Dr.
TP. Seelmann, Berlin SW, Lichterfelderstrasse 30 zuzusenden. Die
Zahlung des Honorars (von 32 Mark für den Bogen) erfolgt zu
Jahresschluss durch den Kassenwart.
Zusendungen, deren Abdruck im Korrespondenz-Blatte erfolgen
soll, nimmt Dr. W. H. Mielck, Hamburg, Dammthorstr. 27 entgegen.
Die Mitgliedschaft zum Niederdeutschen Sprachverein wird durch
Einsendung des Jahresbeitrages (5 Mark 5 Pf.)^an den Kassenwart
des Vereins Dr. W. H. Mielck in Hamburg oder durch Anmeldung
bei einem der Vorstandsmitglieder oder Bezirksvorsteher erworben.
Die Mitglieder erhalten für den Jahresbeitrag die laufenden Jahr-
gänge der Vereins-Zeitschriften (Jahrbuch und Korrespondenz-Blatt)
postfrei zugesandt. Sie sind berechtigt, die ersten fünf Jahrgänge
zur Hälfte, die folgenden Jahrgänge sowie alle übrigen Vereins- Ver-
öffentlichungen (Denkmäler, Drucke, Forschungen, Wörterbücher) zu
Dreiviertel des Ladenpreises zu beziehen, wenn die Bestellung unter
Berufung auf die Mitgliedschaft direkt bei dem Verleger Diedr. Soltau
in Norden (Ostfriesland) gemacht wird.
Bis auf weiteres können die Mitglieder von demselben auch das
'Wörterbuch der Ostfriesischen Sprache von J. ten Doornkaat Koolman'
(3 Bände gr. 8° kartonirt) für 15 Mark (Ladenpreis 44 Mark) post-
frei beziehen.
Bücher oder Sonderabzüge, deren Anzeige oder Besprechung
gewünscht wird, sind mit dem Vermerk kZur Besprechung9 oder dgl.
dem Verleger oder einem der beiden anderen genannten Herren
zuzusenden.
Jahrbuch
des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Jahrgang 1888.
XIV.
KORDEN und LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1889.
Druck Ton Diedr. 8oltau in Norden.
Inhalt.
Seit«
Rollenhagens Froschmeuseler und die protestantische Glosse zum Reinke Vos.
Von Herrn. Brandes 1
Der Jesusknabe in der Schule. Bruchstück eines niederrheinischen Schau-
spiels. Von Joh. Bolte 4
Weiteres über Dialekt- und Gaugrenzen. Von Heinr. Babucke. . . . 9
Die Dialektmischung im Magdeburgischen Gebiete. (Mit Karte.) Von Rieh.
Löwe 14
Einleitung 14
Geschichte der Sprache Magdeburgs 15
Geschichte der Sprache des Magdeburger Landes 22
Abstufung des hochdeutschen Einflusses 24
Das Hochdeutsch im Magdeburger Lande 35
Jüngere Beeinflussungen durch das Mitteldeutsche 44
Beeinflussungen der kleinen Städte durch Magdeburg 46
Abstufungen der Lokaldialekte nach Ständen 50
Mundart des Dorfes Fahrenkrug in Holstein. Von H. Jellinghaus. . . 53
Syderak. Von H. Jellinghaus 59
SV erdener Liederbuch. Von Franz Jos t«s 60
)ie Weinprobe. Aus einem alten Revaler Liederbuche. Von Joh. Bolte. 90
Cur Geschichte der Leberreime. Von Herrn. Brandes 92
Zur Geschichte der Leberreime. Von L. H. Fischer 95
Niederdeutsche Rechenbücher. Von W. Crecelius 98
>ie Vogelsprachen (Vogelparlamente) der mittelalterlichen Litteratur. Von
W. Seelmann 101
Niederdeutsche Vogelspraghe. (Aus einer Stockholmer Handschrift.) . 126
Niederdeutsche Vogelsprache. (Aus einem Wiegendrucke.) .... 138
Hochdeutsche Vogelsprache. (Aus einer Wiener Handschrift.) . . . 146
am Sündenfall. Von Rob. Sprenger 148
n Meister Stephans Schachbuch. Von Rob. Sprenger 153
um Amringisch-föhringischen. Von 0. Bremer 155
uzeige (Niederländische geistliche Lieder, herausgegeben von W. Bäumker).
Von G. Kalff 158
Rollenhagens Froschmeuseler und
die protestantische Glosse zum Reinke Vos.
Goedeke hat S. XXXIX seiner Ausgabe von Rollenhagens Frosch-
meuseler bemerkt, dass Manches in der Dichtung den Eindruck er-
wecke, als ob es aus dem Volksmunde geschöpft sei, dass man diese
Abschnitte aber dennoch als des Dichters Eigentum anerkennen müsse,
der es trefflich verstanden habe, „den Gedanken in treffende schlagende
Worte zu kleiden*. Dieser Ansicht Goedekes ist Seelmann in seinem
in der Allgemeinen Deutschen Biographie veröffentlichten Artikel über
Georg Bollenhagen entgegengetreten, mit allem Rechte, da für jeden
Kenner der mittelalterlichen Spruchpoesie die Unrichtigkeit der Be-
hauptung Goedekes hinsichtlich des Besitzrechts Rollenhagens an den
meisten der in den Froschmeuseler verpflochtenen Sprüche auf der
Hand liegt. Rollenhagens Verdienst an dem Spruchreichtum seines
Werkes besteht allein darin, dass er es nicht verschmäht hat, edles
Gestein zu brechen, wo er es fand; selbst Fassung und Form rühren
nur in einzelnen Fällen von ihm her. Eine reiche Fundgrube bot ihm
wie anderen seiner Zeitgenossen die protestantische Glosse zum Reinke.
Er schreibt die Glosse wörtlich aus, mit allen ihren kleinen Zuthaten
und Veränderungen am Wortlaut, der beste Beweis, dass er ebenso
wenig auf die Quellen, aus denen der Glossator schöpfte, zurück-
gegangen ist wie der Compilator des Reimbüchleins, der ihr, wie ich
in der Einleitung zu meiner demnächst erscheinenden Ausgabe der
Glosse ausführlicher darlegen werde, einen nicht kleinen Teil seiner
Sammlung entlehnte.
Goedeke hat gleichsam als Belege seiner Ansicht mehrere Sprüche
besonders herausgehoben. Gleich den ersten Spruch dieser Auswahl
Froschin. I, 1, 9 (= Goed. S. 51 V. 287—288), der aus dem Freid.
(61, 21—22) stammt:
Gnüge ist besser denn zuuiel,
Wenn mans nur recht bedencken wil.
findet man in der protestantischen Glosse zum RV als Randglosse zu
I, 8 wieder:
Genoghe ys beter alse tbo vyll,
So men ydt recht vorstan und mercken wylL
Derselben Glosse IV, 2 Randgl. (RB 193—196 = Weltsprüche 8):
Eyn yder lathe syck an dem benögen,
Dat syck tho synem handel wyl vogen;
Wert he darbaven tho vele begeren,
So moth he groth unnd kleine entberen.
Niederdeutsches Jahrbach. XTY. 1
ist der zweite der von Goedeke angeführten Sprüche Froschm. I, 1, lö
(Goed. S. 57 V. 184—187) entnommen:
Ein jeder laß sich an dem gnugen,
Was sich zu seim handel wil fugen;
Wird er drüber zu viel begeren,
So mus er groß vnd kleins entberen.
Nebenbei bemerke ich, dass man in dem Umstände, dass sich V. 4
dieses Reimspruches in den Weltsprüchen (So moth he dat groth und
Idein mtbern) enger an den RV als an das RB (So moth he dat grate
mit dem Jclenen entberen) anschliesst, vielleicht einen Beweis dafür zu
sehen hat, dass ein Druck des Reimbüchleins existierte, älter als der,
den Seelmann seiner Ausgabe zu Grunde legen konnte.
Froschm. I, 1, 9 (Goed. S. 52 V. 297—298), Goedekes drittes Citat:
Das best man billig wehlen sol,
Das böß kömpt von ihm selber wol.
lehnt sich an RV I, 1, 9 Randgl. (RB 1327—1328 = KW 33) an:
Ein wyß man dat gude uthkesen schal,
Dath ergeste kumpt noch alle dage wol.
Zu den Sprüchen, die neben wörtlicher Entlehnung Abweichungen im
Einzelnen zeigen, zählen Froschm. I, 1, 9 (Goedeke S. 51 V. 265 — 270):
All freundschafft auch weyt vbertrifft
Ein from Weib, das nichts böses stifft.
Wenn alle freunde von dir gehen,
Wird sie getrewlich bey dir stehen.
Alles mit wagen, freud vnd leid,
Zu deinem dienst alzeit bereit.
und Froschm. I, 1, 10 (Goed. S. 54 V. 59—66):
Denn wer lobet des Kuckucks singen
Vnd der Schnecken meisterlich springen,
Der Bawren tantz vnd Betler zehren,
Von dem sagt man mit allen Ehren,
Das er die Nachtgal nie hört singen,
Sähe auch kein Leoparden springen,
Kein Welschen tantz vnd Kauffleutessen,
Oder hatt aller sinn vergessen.
Der erstere entspricht RV I, 35 Randgl. (RB 761—768):
Alle geselschop und frftnde avertrefft
Ein fram wyff, de nicht quades stifft.
So dy alle geselschop wert vorlan,
Wert se dy alle tydt doch bystan.
In sorgen steit by dy dyn wyff,
Se waget by dy eere, gudt und lyff,
Se truret mit ay in dynem leydt
Und ys tho denen dy stedes bereyt.
und der zweite ist die weitere Ausfuhrung von RV III, 9 Randgl. (aus
Freid. 139, 19—22; = RB 280—283):
Wol dar lavet der sniggen springent
Und des Esels uthbundige syngent,
De quam nicht, dar de Leopardt spranck,
Noch dar de Nachtegale sanck.
Diejenigen Sprüche, die ausser den genannten einerseits im Frosch-
meuseler, andrerseits in der Glosse vorkommen, stelle ich in der nach-
folgenden Uebersicht zusammen. Rollenhagens Dichtung ist nach Buch,
Teil und Capitel citiert, in Parenthese ist auch die Seiten- und Vers-
zahl von Goedekes Ausgabe beigefügt.
Froschm. I, 2, 2 (Goed. S. 64 V. 7 — 8): Dieweil ein heymgeeogen
Kind = RV I, 35 Gl. (Freid. her. von Sandvoss 139, 14 ab =
RB 759—760; vgl. auch Altdeutsche Blätter 1, 11: Est puer in
patria bos qui nutrüur in atüa aus einer dem 12. Jh. angehörenden
Wiener Hs. mit dem Hinweise Haupts auf Gruter Floril. 1, 47:
haimgesogen kindt ist bey leuten wie ein rindt): Ein yngetagen und
unerfaren kindt.
Froschm. I, 2, 6 (Goed. S. 83 V. 117—120): Denn wer alles ver-
meint eu rechen = RV I, 13 Randgl. (RB 1225—1228): De alle
dat vorment tho wreken.
Froschm. I, 2, 7 (Goed. S. 86 V. 63—66): Gedenck, man sagt:
Grawrock reiß nicht = RV I, 31 Randgl. (RB 808—810; vgl.
Findlinge 1, 458 Nr. 199:
Lieber Kittel, reiß nicht!
Herrendienst erbet nicht.
Hoffmann von Fallersieben Spenden 1, 54): Grawe rock ryth nicht.
Froschm. I, 2, 8 (Goed. S. 88 V. 27—28): Denn wo man findt viel
blinder geste = RV 1, 14 Randgl. (RB 1215—1216): Wor menn
vele vyndet der Uynden geste.
Froschm. I, 2, 12 (Goed. S. 104 V. 79—80): Denn geld, gewalt vnd
Herrengunst = RV H, 9 Gl. (aus dem Narrensch. 46, 61 — 62
= RB 454—455; vgl. Findlinge 1, 458 Nr. 200, Hoffmann von
Fallersleben Spenden 1, 50 und bei Mone im Anz. f. Kunde d.
deutschen Vorzeit 5 (1836), 342 aus einem in Gent befindlichen
Stammbuch des 17. Jhs.): Gelt, nydt, Fr&ndtschop, Gewalt undgunst.
Froschm. I, 2, 23 (Goed. S. 171 V. 81—84): 0 trewer Freund, ein
seltsam Gast = RV I, 34 Randgl. : 0 untruwe /V&mft, ein seltsam
gast. Nahe steht RB 2506—2509.
Froschm. II, 2, 2 (Goed. S. 233 V. 439—440): Es ward auff Erden
nie so schlecht — RV IH, 13 Randgl. (RB 10—13): Idt wart up
erden nehe so siecht.
Zwei der verzeichneten Sprüche lassen sich im RB nicht nach-
weisen. Da sich ausserdem bei Rollenhagen keiner von den Sprüchen
wiederzufinden scheint, die nicht aus der RV-Glosse in das RB gelangt
sind, so ergiebt sich mit Sicherheit, dass jene Glosse eine Quelle für
Rollenhagen gewesen ist, aus der er unmittelbar und im Wesentlichen
wörtlich entlehnt hat. Bei den Zeitgenossen Rollenhagens fanden die
von ihm in seine Dichtung verpflochtenen Sentenzen und Reimsprüche
besonderen Beifall, wohl nicht zum mindesten deshalb, weil sie ihnen
aus der Jugendzeit her bekannt und vertraut waren. Goedeke hat
schon darauf aufmerksam gemacht, dass man aus der Thatsache, dass
iu vielen Exemplaren der alten Drucke solche Bemerkungen und Lehren
1*
unterstrichen oder in anderer Weise handschriftlich hervorgehoben sind,
auf das Interesse schliessen darf, welches die Leser ihnen zuwandten.
Da jene Sprüche in keiner der zahlreichen hd. Uebersetzungen
der protestantischen Glosse — auch nicht in der ältesten von 1544
— stehen, so müssen wir weiter folgern, dass Rollenhagen den RV
in einer niederdeutschen mit der protestantischen Glosse versehenen
Ausgabe benutzt hat. Erwähnenswert ist, dass die Entlehnungen
wenig über das erste Buch hinausgehen.
Zur Entscheidung der mehrfach erörterten Frage (vgl. Zamcke
in der Zs. f. d. A. 9, 378 und Reinke de vos her. von Prien S. XXVII),
ob die von Rollenhagen in seiner Vorrede bezeichnete glossierte Aus-
gabe des RV von 1522 wirklich vorhanden gewesen ist, vermag die
obige Zusammenstellung nichts beizutragen. Da die nd. Bearbeitungen
des Narrenschiffs ebenso wie der Freidank, die als Quellen des Glossators
genannt sind, vor 1522 liegen, so bleibt die Möglichkeit ihrer Existenz
bestehen. Lässt man aber Rollenhagens Zeugnis gelten, so ist man
nach dem Vorstehenden wenigstens in der Lage zu behaupten, dass
die protestantische Glosse von 1539 wesentliche Bestandteile der ver-
loren gegangenen Glosse aufgenommen hat und sich abgesehen von
Zusätzen aus Schriften, die zwischen 1522 und 1539 erschienen sind,
kaum von dieser unterschieden haben wird.
BERLIN. H. Brandes.
Der Jesusknabe in der Schule.
Bruchstück eines niederrheinischen Schauspiels.
Das folgende Fragment entstammt einem Sammelbande von Köl-
nischen Drucken, welcher einst dem Minoritenkonvent zu Fritzlar ge-
hörte, dann in J. Grimms Besitz gelangte und sich jetzt, in vier Teile !)
zerlegt, auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindet. Er enthielt
zumeist gereimte Heiligenlegenden, wie sie in den Jahren 1500 — 1520
zahlreich in dünnen Quartheften, mit einigen Holzschnitten geziert, am
Niederrheine verbreitet und vom Volke gern gekauft wurden, nämlich:
1. Cato. 2. Marienklage. 3. Barbara. 4. Katharina. 5. Margarets,
6. Ursula. 7. Salonion. 8. Amt Buschmann. 9. (ungewiss, an welcher Stelle)
unser Fragment, 2 Quartblätter mit den Signaturen Ay und (jetzt weggerissen) Aiij.
Die Nummern 2, 3, 6 und 8 sind mit der Bezeichnung 'Gedruckt hy
Seruais Kruffter' oder 'vfF sant Marcellen straissen' versehen, und
allem Anscheine nach sind auch die übrigen, denen ein Druckervermerk
fehlt, aus derselben Officin hervorgegangen. Als Druckjahr müssen
wir nach dem Wenigen, was wir über Kruffter wissen*), etwa 1520
«) Sie tragen die Signaturen Wi 9358, Yg 6377, N 5162, Yp 7150.
*) J. Franck, Allgem. deutsche Biographie 17, 212.
ansetzen. Schon 1826 gab J. Grimm1) eine kurze Nachricht über den
Inhalt des Bandes, doch gerade ohne des letzten Stückes zu gedenken;
dass dies aber wirklich daher stammt, ist durch eine handschrift-
liche Notiz des hochverdienten Custos J. Schrader sichergestellt.
Ein besondres Interesse darf dies Fragment deshalb beanspruchen,
weil uns in ihm nicht eine epische Darstellung, sondern der Rest eines
geistlichen Dramas vorliegt. Freilich scheint es noch teilweise im
Banne des Epos zu stehen, da zwischen den einzelnen Reden, deren
Überschriften durch doppelt grosse Schrift hervorgehoben werden, in
V. 48 f. 66 f. 72 noch Spuren einer verbindenden Erzählung erhalten
sind, die ich durch Klammern angedeutet habe, und man könnte deshalb
das Stück auch nach dem Muster der in einem gleichzeitigen Kölner
Drucke erhaltenen 'Historie van Lanslot vnd van die schone Sandrijn\
welche aus einem älteren niederländischen Schauspiele hervorgegangen
ist*), als eine dialogische Erzählung bezeichnen. Doch auch im Wol-
fenbütteler Theophilus, dessen dramatische Gestalt daher noch von
dem ersten Herausgeber Bruns verkannt wurde, nehmen öfter die
Bühnenanweisungen an der Reimform des Textes teil, z. B.: kDo sprah
Theophilus \ jamerliken alsus'. Dass in unserm Falle die dramatische
Form aus den erläuternden Beischriften von erbaulichen Bildern her-
vorging, wie z. B. beim Spiegelbuch8), ist durchaus unwahrscheinlich.
Der Stoff ist dem grossen Legendenschatze entlehnt, mit welchem
das Mittelalter die Jugendgeschichte des Erlösers ausgeschmückt hatte.
Das Jesuskind wird in Nazareth von seiner Mutter in die Schule ge-
bracht, um lesen zu lernen. Das Alphabet begreift es so schnell und
treibt durch seine Lernbegierde den Schulmeister so in die Enge, dass
dieser zum Stocke greift. Kaum aber hat er ihn gegen den unbe-
quemen Frager gehoben, als er wehklagend zu Boden sinkt und stirbt.
Joseph und Maria finden den Toten und wollen schon aus dem Lande
fliehen, da sie ihn von Jesus erschlagen glauben; aber dieser belehrt
sie, der Tote schlafe nur, und erweckt ihn. — Eine ähnliche Erzählung
finden wir in den apokryphen Evangelien, welche den Lehrer Zachäus,
') Kleine Schriften 4, 414; vgl. J. M. Wagner, Archiv f. d. Gesch. deutscher
Sprache u. Dichtung 1, 558 (1874). Sonst sind diese Ausgaben mit Ausnahme der
von W. Seelmann im Jahrbuch 6, 37, Q verzeichneten Nr. 8 nirgends genannt, wo
von den darin enthaltenen Werken die Rede ist: bei E. Weller, Repertorium typo-
graphicum, bei P. Norrenberg, Kölnisches Literaturleben (1873), 0. Schade, Geist-
liche Gedichte vom Niederrhein (1854), F. Zarncke, Der deutsche Cato (1852): —
Ich mache hierbei darauf aufmerksam, dass ein ähnlicher Sammelband nieder-
rheinischer Legenden aus den Druckereien von Lijskirchen, Heinrich von Neuss,
Jan van Landen zu Köln und Grüneck kürzlich von der Berliner Bibliothek er-
worben worden ist: 1. Margareta. 2. Dorothea. 3. Katharina. 4. Ursula. 5.
Anseimus. 6. Unser liever vroutcen clage. 7. Begynchyn van Parijs. 8. Cato.
9. Eucharius, Valerius und Matemus. 10. Tundalus. 11. Amt Bosman (1506).
Der Band gehörte früher dem Freiherrn von Arnswaldt; vgl. den 144. Antiquariats-
katalog von 0. Harrassowitz in Leipzig (1888) Nr. 1215.
*) Norrenberg, Kölnisches Literaturleben S. 34 f. 60—86. Zwei ältere nid.
Text« bei Hoffmann von Fallersleben, Horae Belgicae 5, 1— -32. 6, 158—166. Moltzer,
De middelnederlandsche dramatische poezie 1875 S. 141 — 182, vgl. LX.
■) Vgl. meine Einleitung zu Strickers Düdeschem Schlömer (1889) S. *15.
Zacharias oder Levi nennen *), und daraus abgeleitet in verschiedenen
deutschen Dichtungen des Mittelalters, im grossen Passional S. 55, 1 — 56,
19 ed. Hahn, in Bruder Philipps Marienleben V. 3985 — 4051 ed.
Rückert, vgl. S. 362 u. a.
Wir fragen endlich nach dem Inhalte des ganzen Stückes, dem
das Bruchstück angehörte. Aus der glücklicherweise noch vorhandenen
Signatur ergiebt sich, dass nur ein Blatt voraufging; dieses wird auf
der Vorderseite den Titel nebst einem Holzschnitte, und auf der Rück-
seite höchstens 20 Verse enthalten haben, in denen geschildert war,
wie Maria ihren Sohn dem Schulmeister übergiebt. Wie gross der
Umfang der ganzen Dichtung war und welche weiteren Begebenheiten
in ihr zur Darstellung kamen, entzieht sich der genaueren Berechnung.
Sicher aber beschäftigte sie sich nicht mit dem ganzen Leben und
Leiden Christi, — eine solche Dichtung hätte mit der Geburt zu
Bethlehem anheben müssen — sondern umfasste nur eine beschränkte
Anzahl von Wunderthaten des Herrn, vielleicht lediglich aus seiner
Kindheit und nach apokryphen, dem Geschmacke der Zeit besonders
zusagenden Quellen.
[Jesus sprach:]
[Ay a] Ich wil dat yr mich lert vnd twinckt?
Der meister sprach:
Jesus du en darffs dich niet veruieren
Ich hoffen ich sül dich wail leren.
Nu sprich mir na, A b c d e f g h§).
Jesus zo dem meister.
5 Meister en sal ich hauen nümme?
Der meister zo Jesu sacht
Jesus ich en wyl dich niet verladenn
Du bist noch junck, nu lais dir raden.
Du mochtz yd licht vergessen also,
Jesus sprach:
Ja Meister is dat van dem Credo?
Der meister sprach:
10 Jesus wiltu van dem Credo sprechen
Du mochts mich buissen keren stechen.
Jesus sage mir na, hiklmnop,
Des haistu genoich tzo leren hude.
Jesus zo dem meister
Meister ich en hain niet genoich,
15 Myn moder was arm die mich droig.
*) Rud. Hofmann, Das Leben Jesu nach den Apokryphen (1851) S. 213—227.
R. Reinsch, Die Pseudoevangelien von Jesu und Marias Kindheit in der romanischen
und germanischen Litteratur (1879) S. 97. 113. 119 u. a.
*) Wie der Beim lehrt, ist he zu lesen, nicht ha.
Der meister sprach
Dyn moder bat mich die frawe fyn,
Dat ich dir eyn gut schoilmeister wold syn.
[AiJt>] Jesus sprach:
Meister ich sagen vch geynen danck,
Dat yr mich sparen kurtz off lanck.
20 En kan ich myn letze iriet lesen,
So wil ich van vch geschlagen wesen.
Der meister sprach:
Nu sage mir na, p q r s t,
Haistu genoich, off wiltu me.
Jesus sprach
Meister ich wil dat yr mich hört,
25 Kan ich myn letze, so geuet mir vort.
Der meister zo Jesu sacht
Nu sag vp dyn letze van anbegynne
Ich en sach nye kynt van sulchem synne
Haistu yd so bald vernomen,
So en darfstu niet me tzo scholen komen.
30 Du salt vorder komen dan ich
Myt all miner lerung duncket mich.
Van wafi kumpt dir dese wijßheit,
Du dunckes mich syn ein propheit.
Want du sprichs viß Godes mond,
35 Des gifft dir der hilge geist vrkond,
Ader du bist der wäre Messias.
Dair Moses van spricht vnd laß
Jesus sprach:
Süesse meister wilt yr mich h5ren,
[Aiij a] Laist mich dafi dat blat vmkeren.
40 Want dese syde kan ich wae1),
Der meister sprach
Jesus du bist mir vil tzo schnei
Du drijffs mich me dan ich vermach
Sal ich dan desen gantzen dach
Oeuer dir tzo brengen myn zyt
45 Als wer ich in einem strijt.
Ich en vörten mich niet also sere
Vur dem doid sprechen ich vp myn ere.
(Der meister wold yd Jesus v'dragen niet
Vnd schloig jn, vnd schalt jn do quijt.)
Jesus sprach:
50 Meister warumb schlaidt yr mich,
Des ich mich entsyen vur euch.
') l waü.
8
Myn letz ich besser kan dan yr
Dat bewysen ich al hyr.
Bericht mich wat bedüdet dat A,
55 Vnd warumb dat B steit darna.
Vnd wat sy bedüden in dem Abcd,
Des fragen ich vch myn off me.
Der meister sprach:
Eyn kynt mir tzo der scholen quam
Dat ich tzo leren ane nam
60 Hait mich ouerwonnen ym A b c,
Ich weiß niet wat ich sal sagen me.
seluer schaden gedain,
hain bestain.
[Aij b] Myr is so wee ich kan niet gedüren
65 Ich mois steruen in kurtzer vren.
(Rechte vort was der meister doit.
Des qua Maria vfi Joseph in groisse noit.)
Joseph zo Marien sprach
Maria mir moissen rumen dyt lant,
Want wir hain so manchen vyant
70 Jesus hait synen meister doit geschlagen,
Dair moissen wir scholt an hauen
(Maria sprach,) Höre lieue kynt myn,
Dat men van dir saget, is mir pijn.
Ich en kans niet langer verdragen
75 Dat men ouer dich sal clagen.
Dattu dinen meister hais doit geschlagen
Dat schent vns vnd alle vnse magen.
Jesus sprach:
Lieue moder dat wil ich vch sagen,
Dattu niet en darffes fragen.
80 Vnd wil des bescheyden dich,
Sage warumb schloig he mich
Ich kond myn letz besser dan he,
Wan ich jn fraegde was ader wie.
Des en kond he mir niet gesagen
85 Darumb han ich jn doit geschlagen.
Sijt tzo freden ich sal dair gain,
Dat sal jm tzo freuden ergain.
He schleefft, ich doin jn weder vpstain.
Hie weckt Jesu[s . . .
BERLIN. Johannes Bolte.
Weiteres über
Dialekt- und Gaugrenzen.
F. Jostes in Münster hat meinen Aufsatz „Über Sprach- und
Gaugrenzen zwischen Elbe und Weser" (Jahrbuch Jahrgang 1881 [1882])
im Jahrbuch 1885 XI p. 95 einer Besprechung unterzogen, welche den
in Rede stehenden Gegenstand in dankenswerter Weise fördert.
Ich hatte im Jahrbuch 1881 p. 74 behauptet: „1) Lebhafter
Verkehr ver schleift die gesonderten Dialektformen, und 2) er-
hebliche Hindernisse desselben erhalten die Besonderheiten der
Aussprache auch in räumlich ganz nahe gelegenen Ortschaften. u In
Beziehung auf den ersten Punkt ist Herr Jostes — wie natürlich bei
einer fast selbstverständlichen Sache — mit mir einer Meinung und
führt aus der Südspitze der jetzigen Landdrostei Osnabrück einige
Beweise dafür an. Ich kann auch meinerseits noch weitere bestätigende
Zeugnisse dazu anfuhren. R. Rackwitz sagt in seiner Schrift „Zur
Volkskunde von Thüringen. u Halle. 1884. p. 25: „Interessant ist es zu
beobachten, dass sich die Bergdörfer eine Anzahl eigentümlicher Wort-
formen bewahrt haben, während die Flachlanddörfer, zumal die
Bahnstationen, zum grossen Teil schon Schriftdeutsch sprechen."
Professor L. Tobler drückt sich in demselben Sinne so aus: „Die
mundartlichen Besonderheiten sind heute geringer, als sie noch vor
100 Jahren gewesen sein müssen, weil seither fortschreitende Verbreitung
der Schriftsprache, Erleichterung des Verkehrs und die Nieder-
lassung ausgleichend gewirkt haben. u („Ethnographische Gesichts-
punkte der Schweizerdeutschen Dialektforschung u im 12. Bande des
Jahrbuchs für Schweizerische Geschichte. Zürich. 1887. p. 183 ff.)
Zur Ausführung des zweiten Punktes hatte ich gesagt: „Wenn
man sich in eine Zeit zurückversetzt, wo noch nicht Brücken über
jeden Fluss, Wege durch jeden Wald, Fusspfade über jeden bewaldeten
Bergrücken, Steege durch jedes Moor vorhanden waren, so erkennt
man schon in Flüssen, Wäldern, bewaldeten Bergrücken, Mooren die
trennenden Scheidewände zwischen dialektischen Besonderheiten. Und
die Wirksamkeit dieser natürlichen Scheidungen musste durch die
wiederum von ihnen bewirkten politischen Verschiedenheiten nur noch
stärker werden." Jostes sagt nun hierauf, ich sei der Ansicht, dass
die Differenzierungen sich erst gebildet hätten, als die Bewohner zu
beiden Seiten der Grenze schon so sassen, wie sie jetzt sitzen.
Er hält das für unrichtig und fährt dann fort: „Es ist ja richtig, dass
Flüsse, Bergketten u. s. w. Dialektgrenzen bilden, aber sollte das nicht
deshalb so sein, weil die Kolonisten (nämlich beim Einrücken in
diese Gebiete) vor diesen Grenzen Halt machten?" Gewiss, das
ist auch meine Meinung, und wenn ich sagte, erhebliche Verkehrs-
hindernisse hätten die Besonderheiten der Dialekte erhalten, so liegt doch
10
darin zunächst ( — wenn auch nicht ausschliesslich, worüber später
ein Wort — ) dass ich gemeint habe, die Besonderheiten wären schon
vor dem Einrücken in die neuen Wohnsitze vorhanden gewesen.
In der Urzeit ist nämlich der Gau diejenige politische Einheit,
welche sich durch Einwanderung eines in sich geschlossenen Volks-
teils in ein noch unbesiedeltes oder einer dort schon vorhandenen
Völkerschaft entrissenes Gebiet innerhalb gewisser natürlicher
Schutz- und Trennungsgrenzen bildete. Vergegenwärtigen wir uns
an der Hand eines bewährten Forschers den Vorgang bei der Begründung
eines germanischen Gaues !) : „Der wandernde Gau, welcher einen Teil
der Völkerschaft bildete, erhielt wohl durch gemeinsamen Beschluss der
Versammlung der Völkerschaft (z. B. der Cherusker) seinen Teil des
eroberten oder ohne Kampf besetzten Landes zugewiesen, welchen er
dann unter die Hundertschaften, die Dorf- und Hofgemeinden, selbst
weiter zu verteilen hatte." „Das gesamte, dermassen dem Gau zuge-
teilte Land ward nun in drei Gruppen gegliedert, Grenzwald, Allmännde,
und Sonder-Eigen. Der Grenzwald bestand aus schwer durchdringbarem
Urwalde, der oft Sümpfe, Seeen, Gebirge einschloss und die beste natür-
liche Schutzwehr bildete gegen Einfälle feindlicher Nachbarn*)." —
Also wir beide, Jostes und ich, sind der Ansicht, dass die ur-
sprünglichen Gaugrenzen dadurch entstanden, dass die Kolonisten beim
Einrücken vor natürlichen Verkehrshindernissen Halt machten und dass
durch eben diese Hindernisse eine unmittelbare Berührung von Völker-
stämmen, die einander entgegenrückten, verhindert wurde.
Von hier ab beginnt jedoch in zweifacher Hinsicht eine Differenz
unserer Anschauungen.
1) Jostes meint, dass die auf einander zurückenden Völkerstämme
oder Volksteile ihre dialektischen Besonderheiten schon mit-
brachten, wodurch es sich auch erkläre, dass manchmal (J. fuhrt aus
dem südlichen Westfalen einen vermeintlichen solchen Fall an) die
Dialekt grenze nur durch eine geographische Linie, gar nicht durch
Bodenhindernisse gebildet werde. Ich läugne zunächst dieses ursprüng-
liche Vorhandensein dialektischer Besonderheiten durchaus nicht, im
Gegenteil glaube auch ich, dass in jedem in sich geschlossenen, auf
der Wanderung begriffenen Volksstamm schon besondere Gruppen mit
gesonderter Färbung der Aussprache vorhanden gewesen sein werden3).
Dass jedoch in der Urzeit dieser wandernde Stamm bis unmittelbar
*) Felix Dahn, Bausteine. VI. Berlin. 1885. p. 95 f.
') Vergl. meinen Aufsatz im Oster-Programm des Altstädtischen Gymnasiums
zu Königsberg. Pr. 1886.
") Vergl. Tobler a. a. 0. : „Aus der altgermanischen Volksverfassung ist zu ver-
muten, dass innerhalb der Gesamtmasse der Alamannen kleinere Stämme bestanden
und bei der Einteilung der einzelnen Gaue irgendwie mitbestimmend waren." — „So
werden auch innerhalb eines einzelnen Dialekts wie des alamannischen seit alter Zeit
wieder mundartliche Besonderheiten als Anfänge der späteren bestanden haben." —
Derselbe („Die lexikalischen Unterschiede der deutschen Dialekte" in der Festschrift
zur Begrössung der 1887 in Zürich tagenden 39. Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner. Zürich. 1887. p. 91 ff.): „Strenge Einheit der Sprache hat auch
in ältester Zeit und in verhältnismässig engem Volkskreise nirgends bestanden.
Ansätze zu dialektischer Spaltung haben sich schon früh und überall gebildet"
11
an einen andern sesshaften Stamm herangewandert sein sollte, ohne
irgendwelche natürliche Schutzwehr aufzusuchen, so dass sich gewisser-
maßen beide Stämme, nur durch jene „geographische Linie" geschieden,
auf offenem Blachfelde die Hand gereicht hätten, das scheint mir den
Bedingungen unsers frühesten Volkslebens zu widersprechen, und die
Annahme einer rein geographischen Linie als Stammes- oder Dialekt-
grenze trifft auf mein entschiedenes Misstrauen. Es ist ganz richtig, wie
Jostes sagt, es kommt hier alles auf Einzelbeobachtung an. Sehen wir
also zu, was J. für seine Ansicht anführt. „Die Südspitze der jetzigen
Landdrostei Osnabrück stösst an drei verschiedene Länder, nach keiner
Seite hin ist eine Naturgrenze vorhanden, ja, der Teutoburger
Wald schneidet die osnabrückischen Dörfer Iburg, Glane, Glandorf, Laer
u. s. w. ganz von dem übrigen Osnabrücker Lande ab, und doch
sprechen ihre Bewohner denselben Dialekt, der in den Dörfern nördlich
des Gebirges gesprochen wird, und zwar hebt sich dieser Dialekt von
dem münsterländischen scharf genug ab. Die Grenze wird nicht
einmal durch die zwischen zwei Dörfern liegenden Fluren gebildet,
sondern ist, wie gesagt, bloss eine geographische Linie."
Dies ist freilich sehr merkwürdig und könnte, wie es scheint, meine
Ansicht von dem Zusammenfallen von Dialektgrenzen mit natürlichen
Verkehrshindernissen sehr erschüttern. Aber hat denn dieses unmittel-
bare Nebeneinanderwohnen der osnabrückischen und der münsterlän-
dischen Bauern schon von jeher und schon seit der Urzeit statt-
gefunden? Gab es denn dort gar keine natürlichen Verkehrshindernisse?
Hören wir Jostes selbst. „In Urkunden des 9. (10.) Jahrhunderts, welche
die Grenzen des Bistums Osnabrück angeben, erscheint das jetzige
Amt Iburg als ein grosser Wald." „Nach der Volkssage sind
die südlichsten osnabrückischen Dörfer die jüngsten und aus
den Urkunden lässt sich die Richtigkeit der Sage nachweisen."
Bessere Zeugnisse für meine Ansicht kann ich mir gar nicht
wünschen. Also hat ursprünglich kein unmittelbares Nebeneinander-
wohnen stattgefunden, jene genannten südwärts über den Teutoburger
Wald hinausreichenden Dörfer sind erst später entstanden, nachdem
der ursprünglich trennende „grosse Wald" durch fortgesetzte
Rodungen so gänzlich beseitigt war, dass dort Iburg angelegt werden
konnte, so dass ich als Bestätigung meiner Ansicht nichts besseres und
überzeugenderes zu sagen wüsste, als was J. selbst folgendermassen sagt:
,,Die von der Hase kommenden Kolonisten drangen mit ihren Rodungen
immer weiter vor, bis sie zur Grenze kamen, an der auch die von der
andern Seite kommenden Kolonisten Halt machen mussten." Natürlich,
aber erst, nachdem bereits Jahrhunderte lang Trennung bestanden
hatte. So werden sich wohl noch viele, scheinbar nur durch „geogra-
phische Linien" gebildete Dialektgrenzen bei genauer historischer Unter-
suchung als ursprünglich durch natürliche Bodenbeschaffenheit bedingt
herausstellen.
2) Nun wende ich mich zu dem zweiten Punkte, in dem ich von
Jostes abweiche. Derselbe sagt: „Babucke stellt sich die Sache offenbar
so vor, dass die Differenzierungen (der Dialekte) sich gebildet hätten,
12
als die Bewohner zu beiden Seiten der Grenze schon so sassen, wie sie
jetzt sitzen." Er hält diese Ansicht für falsch und will nur ursprünglich,
d. h. vor dem Einrücken in die späteren Wohnsitze schon vorhandene
Dialektunterschiede gelten lassen. Ich habe eben gesagt, dass auch ich
der Ansicht bin, dies sei meistenteils wirklich der Fall gewesen; dass
dies jedoch immer und überall der Fall gewesen, möchte ich* doch
nicht so ohne weiteres annehmen. Stellen wir uns mit Felix Dahn eine
wandernde Gaugemeinschaft vor. Gewöhnlich wird dieselbe, um feste
Wohnsitze zu erlangen, bemüht gewesen sein, entweder mit Güte oder
mit Gewalt ein Gebiet zu gewinnen, welches innerhalb gewisser natür-
licher Schutzgrenzen für die ganze Gaugenossenschaft genügte. Gar
nicht selten jedoch werden sich, wenn das Land hiezu nicht ausreichte,
kleinere Teile der Gemeinschaft genötigt gesehen haben, weiter zu
wandern, bis auch sie ein ihnen zusagendes Gebiet erlangten; oder das
ganze Gaugebiet konnte sich auch aus kleineren Abschnitten zusammen-
setzen, von denen jeder für sich von natürlichen Schutzwehren eingehegt
war, so dass dann der sesshaft gewordene Gau sich aus einer Anzahl
von kleineren „Kantonen", um diesen modernen Ausdruck hier anzu-
wenden, zusammensetzte. Wir wissen aber, dass unter solchen Ver-
hältnissen noch jetzt regelmässig Differenzierung des ursprünglich ein-
heitlichen Dialekts einzutreten pflegt. Tobler sagt (im Jahrbuch für
schweizerische Geschichte. Zürich. 1887. p. 1S5), nachdem er von der
grossen Mannigfaltigkeit der Dialekte im Schweizergebiet gesprochen
hat: „Freilich brauchen diese Verschiedenheiten nicht alle auf alte
Grundlage zu ruhen. Wenn nach Grimms Ansicht (Geschichte der
deutschen Sprache. 3. Aufl. p. 578) Dialekte und Mundarten sich „vor-
schreitend" entfalten, d. h. aus einer ursprünglich einheitlichen Sprache
erst im Laufe der Zeit durch zunehmende Spaltung hervorgehen, so könnte
auch alle sprachliche und die mit ihr zusammenhängende übrige Beson-
derung erst ein Produkt späterer Entwickelung sein." Dass nun gerade
„alle" heutzutage beobachtete Besonderung durch natürliche Abge-
schlossenheit des Wohnorts, durch politische strenge Absonderung
u. s. w. entstanden sei, ist freilich nicht meine Ansicht, wohl aber
die, dass eine solche Möglichkeit keineswegs auszuschliessen sei.
Heutige Dialektverschiedenheiten können also entweder schon
ursprünglich in die jetzigen Wohnsitze mitgebracht sein ( — dies ist
die alleinige Möglichkeit, die Jostes zulässt — ) oder sie können auch
daselbst erst entstanden sein.
Für beides bietet die Provinz Preussen Beweise.
Es strömten hierher zur Zeit der Herrschaft des deutschen Ritter-
ordens die Kolonisten aus allen deutschen Gauen zusammen und zerstreuten
sich über die ganzen ihnen zur Besiedelung überlassenen Landgebiete, so
dass die Sprache der deutschen Bevölkerung in der heutigen Provinz
Preussen ursprünglich ein Gemisch fast sämtlicher deutschen Dialekte war.
Keineswegs wurde etwa die Gegend um Insterburg ausschliesslich mit
Westfalen, die Stadt Königsberg mit Thüringern u. s. w. besetzt. Und
doch spricht heute der Insterburger einen einheitlichen, besonders ge-
arteten Dialekt, ebenso der Königsberger, der Elbinger u. s. f. Durch
enges Zusammenwohnen und durch relative Absonderung von den übrigen
Städten hat sich hier eben an allen diesen Orten ein neuer, besonderer
Dialekt erzeugt. Wie viel mehr musste dieses in der urgermanischen
Zeit der Fall sein, wo Abgeschlossenheit und Schutz nach aussen hin
gesucht wurden.
Andrerseits giebt es aber in unsrer Provinz auch einzelne Ge-
genden, welche fast ausschliesslich durch Kolonisten aus einem einzelnen
deutschen Gebiete besetzt wurden. So glaubt man in den Ermländern
(das Ermland umfasst die Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rössel und
Alienstein) hauptsächlich schlesische Kolonisten zu erkennen*). Das Erm-
land war eins der vier Bistümer des Ordenslandes, kam 1466 unter pol-
nische Herrschaft, während der übrige Teil des heutigen Ostpreussens
unter der Herrschaft des Hochmeisters verblieb, erhielt sich rein katho-
lisch, während sonst ganz Ostpreussen zur Zeit Luthers evangelisch wurde,
und kam erst 1772 wieder zu Preussen zurück. Infolge dieser drei Jahr-
hunderte währenden scharfen Absonderung hat sich der ursprüngliche
Dialekt der Ermländer so kräftig erhalten, dass man denselben sofort
heraushört, so wie man über die ermländische Grenze tritt.
Die letzten Worte des betr. Aufsatzes von Jostes: „Wollen wir
nicht den festen Boden unter den Füssen verlieren, so müssen wir
Schritt vor Schritt in die Vorzeit zurückgehen und zusehen, ob die
jetzige Dialektgrenze nicht auch die Rodungsgrenze eines Stammes
gebildet hat,* haben meinen vollen Beifall.
Ich bin Jostes für die Anregung, welche er mir zu erneuter
Prüfung dieser so interessanten Frage gegeben hat und für mancherlei
Förderndes und Belehrendes, welches der Aufsatz enthält, zu aufrich-
tigem Danke verpflichtet.
Schliesslich kann ich nicht umhin, meiner Genugthuung darüber
Ausdruck zu geben, dass die meines Wissens von mir zuerst gemachte
Beobachtung von dem Zusammenfallen heutiger Dialekt- mit alten Gau-
grenzen jetzt auch von andern Seiten Bestätigung findet. Tobler sagt
(im Jahrbuch für schweizerische Geschichte. Zürich. 1887. p. 185): „Noch
heute bestehen in der Schweiz neben der halb eingeführten politischen
Einheit eine Menge Besonderheiten in der Bevölkerung, nicht sowohl der
einzelnen Kantone (deren Grenzen ja meistens später und künstlich her-
gestellt worden sind), als einzelner grösserer Gebiete, welche alten
Gauen entsprechen mögen, und zwar nicht nur in der Sprache,
sondern auch in der leiblichen und geistigen Anlage der Bewohner und
den davon abhängigen Sitten. u — Derselbe (a. a. 0.): „Merkliche Unter-
schiede (in der Sprache) treten erst hervor, wenn wir das Gesamtgebiet
in zwei grössere Hauptmassen teilen. Der Durchschnitt zwischen Ost
und West scheint am ergiebigsten auszufallen, und zwar dort, wo etwa
um das Jahr 900 die Grenze des späteren kleinburgundischen
Reiches (gegen die alamannische Bevölkerung) verlief."
*) Noch heute sagt man von einzelnen Strichen im Ermlande: Die Leute
sprechen dort „Breslauisch".
KÖNIGSBERG i. Pr. Heinrich Babueke.
14
Die Dialektmisehung
im Magdeburgisehen Gebiete.
Einleitung.
Das in der vorliegenden Arbeit zu behandelnde Gebiet habe ich
so abgegrenzt, dass es eine möglichst grosse Abstufung des mittel-
deutschen Einflusses auf das Niederdeutsche darbietet. Die Umgrenzung
wird durch Magdeburg, Rothensee, Ebendorf, Ochtmersleben, Drux-
berge, Schermke, Oschersleben, Hadmersleben, Egeln, Schneidlingen.
Wolmirsleben, Altenweddingen, Welsleben, Westerhüsen, Fermersleben
gegeben; historisch genommen macht das Gebiet etwas mehr als das
mittlere Drittel des Nordthüringgaues nebst einem schmalen Nordost-
strich des durch die Bode von demselben getrennten Schwabengaues aus.
Die Mischung in unserem Gebiete steht in Zusammenhang mit
derjenigen Dialektmischung, die das westlich wie östlich sich an-
schliessende Niederdeutsch erfahren, sowie mit derjenigen Dialektver-
schiebung, die zu beiden Seiten der Saale stattgefunden hat.
Für diese Striche dienten mir ausser Firmenich als Quellen:
H. Waeschke, Über anhaltische Volksmundarten in „Mittheilungen
des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde *, Bd. II
(1880), S. 304 ff. u. S. 389 ff., Damköhler, Zur Charakteristik des
niederdeutschen Harzes, Halle 1886, ferner „Der richtige Berliner in
Wörtern und Redensarten", 4. Aufl., Berlin 1882, Bruno Graupe:
De dialecto Marchica, Berolini 1879. Für das angrenzende Gebiet
benutzte ich: Albrecht, Leipziger Mundart, Leipzig 1881.
In den Fragen über die Dialektverschiebung verwertete ich ferner
das hierfür grundlegende Werk „Monumenta inedita rerum Germa-
nicarum praecipue Magdeburgicarum et Halberstadensium, Tomus I,
qui Georgii Torquati annales continet*, 1760 vonBoysen heraus-
gegeben. Torquatus schrieb sein Buch 1567 — 1574 und war nach
seiner eigenen Angabe praefatio S. 9 geborener Sudenburger und
Geistlicher in Neustadt-Magdeburg.
Vorbemerkungen zur Transskription.
In meiner Transskription habe ich mich möglichst an die herkömmlichen
Zeichen angeschlossen. Im übrigen habe ich alveolares r durch r, uvulares durch R
ausgedrückt, w ist bilabialer, v labiodentaler stimmhafter Spirant. Die langen
offenen Vokale sind durch ein übergesetztes ~, die langen geschlossenen durch ein
übergesetztes A gekennzeichnet worden.
Alle feineren phonetischen Unterschiede durften als für den Zweck meiner
Arbeit unwesentlich unbezeichnet bleiben. So sind z. B. alle secundaren Stärke-
unterschiede der einzelnen Laute (vgl. Sievers, Phon. § 9), z. B. das stete Eintreten
der Fortis im Inneren des Wortes nach kurzem Vokale nicht bezeichnet worden.
15
Auch habe ich die diphthongischen Vertretungen des aa. e aas urgerm. ai, des aa.
o aus urgerm. an sowie die übrigen ihnen phonetisch gleichen Diphthonge nach
gewöhnlicher Wiedergabe als ai und an belassen, obwohl hier die zweiten Kom-
ponenten kurzes geschlossenes e und kurzes geschlossenes o repräsentieren und
auch ihre sonantischen Bestandteile kein reines a auszumachen scheinen. Ich be-
merke noch, dass mein Zeichen ö (lautgesetzlich für gemeindeutsches & und ton-
langes urgerm. a) nicht die organische Länge des von mir mit o bezeichneten Lautes
darstellt wie e die des e, sondern einen etwa in der Mitte zwischen reinem offenem
ä und der organischen Länge dieses o liegenden Vokal.
Abkürzungen
Aid. = Alikendorf.
Apf. = Ampfurth.
Awd. = Altenweddingen.
Bck. = Buckau.
Bckd. = Bleckendorf.
Bed. = Beiendorf.
Bltz. = Brelitz (Buch).
Bmb. = Blumenberg.
Bmd. = Bottmersdorf.
Brd. = Bahrendorf.
Dbg. =r Druxberge.
Ddd. = Dodendorf.
Dks. = Drakenstedt.
Dl. = Dreileben.
Dml. = Domersleben.
Dsd. = Diesdorf.
Ebd. = Ebendorf.
Eg. =r Egeln.
Etgl. = Etgersleben.
FmL sss Fermersleben.
Gr. 6ml. = Gross Germersleben.
Kl. Gml. = Klein Germersleben.
Gthd. = Gunthersdorf.
Hdd. = Hohendodeleben.
Hmd. =ä Hemsdorf.
Hml. ss Hadmersleben.
Lmd. = Lemsdorf.
Lwd. = Langenweddingen.
Mb. = Magdeburg.
(St-Mb. = Stadtmagdeburgisch.)
(Sch.-Mb. = Schiffermagdeburgisch.)
Kl. Med. = Kloster Meiendorf.
der Ortsnamen.
Ndd. = Niederndodeleben.
Ns. « Neustadt.
Oml. = Ochtmersleben.
Oschl. = Oschcrsleben.
Kl. Oschl. = Klein Oschersleben.
Gr. Otl. =r Gross Ottersleben.
KL Otl. = Klein Ottersleben.
Ovs. * Olvenstedt.
Owd. = Osterweddingen.
Psd. = Pesekendorf.
Gr. Rdl. = Gross Rodensieben.
Kl. Rdl. = Klein Rodensieben.
Rkl. = Remkersleben.
Rths. = Rothensee.
Schk. = Schermke.
Seh lg. = Schneidlingen.
Schnb. = Schwaneberg.
Schntz. s= Schleibnitz.
Sdb. as Sudenburg.
Sdf. == Sülldorf.
Sh. = Seehausen.
Sk. = Salbke.
Sl. = Sohlen.
Stm. = Stemmern.
Tth. = Tarthun.
Wh. == Westerhüsen.
Win. = Wellen.
Wml. = Wolmir8leben.
Wseg. = Westeregeln.
Wsl. = Welsleben.
Wzl. = Wanzleben.
Kl. Wzl. = Klein Wanzleben.
Geschichte der Sprache Magdeburgs.
Nach Winter, Forsch, z. d. G. XIV, S. 344 schrieben die Erzbischöfe
seit 1327 ihre Urkunden hochdeutsch, während das Domcapitel die seinigen
noch lange Zeit mit Vorliebe in niederdeutscher Sprache ausstellte. Auch
die beiden ältesten erhaltenen deutschen Urkunden der Magdeburger
Erzbischöfe aus den Jahren 1299 und 1305 sind niederdeutsch abgefasst.
Winter erklärt dies folgendennassen: „Die Kirchenfursten waren bis
auf Erzbischof Otto, der im Jahre 1327 die Würde erhielt, fast aus-
nahmslos aus dem eigenen Domcapitel hervorgegangen und, wenn auch
vielfach mitteldeutschen Familien entsprossen, doch so in die nieder-
16
sächsischen Traditionen eingeweiht, dass das Niedersächsische, für sie
und ihre Kanzlei Amt- und Verkehrssprache bildete. Seit dem Jahre
1327 aber wurde den Magdeburgern eine fortlaufende Reihe von Erz-
bischöfen aus dem Süden, die ihre Schreiber aus ihrer Heimat mit-
brachten und das Mitteldeutsche als Kanzleisprache einführten, von
Papst und Kaiser aufgezwungen. u
Die eigentliche Einfuhrung des Mitteldeutschen in Magdeburg
begann jedoch erst zur Zeit der Reformation, wie sie Hülsse, Ge-
schichtsblätter f. Stadt u. Land Magdeb. Bd. XIII, S. 150 ff. aus-
führlich geschildert hat. Mit Recht hebt derselbe S. 155 hervor, dass
dort die Reformation fast alleinige Ursache zur vollständigen Annahme
der gemeinen Schriftsprache und damit indirekt einer hochdeutschen
Volkssprache geworden ist: wie Magdeburg wohl zuerst die evangelische
Lehre öffentlich eingeführt, so habe es auch in Bezug auf die Sprache
ihr zuerst die volle Herrschaft eingeräumt.
Und so müssen denn auch mit den studiosi adolescentes, welche
die Akademieen Leipzig und Wittenberg besucht hatten und zur Ein-
führung des Meissnischen in ihrer Heimat beitrugen, an jener Stelle
des Torquatos*) auch Angehörige der Stadt Magdeburg gemeint sein.
Dem entsprechend wurden p,uch nach Hülsse a. a. 0. S. 157 alle
Magdeb. Bücher, die einen mehr wissenschaftlichen Inhalt hatten, z. B.
die während des ersten Magdeb. Krieges von Magdeburg ausgegangenen
Streitschriften, von Anfang an seit Einführung der Reformation hoch-
deutsch gedruckt; nur Bibeln und die meisten Gesangbücher, die für
die niederen Stände, besonders auch für das Landvolk berechnet waren,
erschienen noch in niederdeutscher Sprache. Die jungen Gelehrten,
insbesondere die jungen Theologen, waren es also, welche der als
Gemeinsprache auftretenden Mundart zuerst Eingang in Mb. verschafft
hatten. Damit stimmt es auch überein, wenn Torquatus S. 107 die
unausgesetzte Pflege des Meissnischen geradezu als Aufgabe der Diener
des Staates und der Kirche bezeichnet: 'Nos etiam, qui aliquando
causas publice acturi sumus aut ad Ecclesiam dicturi, suscipiamus
aliquam saltem Saxonicae linguae excolendae curam, et ad Misnicam
dicendi venustatem nos a primis statim annis adsuefaciainus.'
Da Torquatus ferner bemerkt hatte, dass sich auch die übrigen
deutschen Stämme der von Luther angewandten ostmitteldeutschen
Mundart, die man kurzweg „Meissnisch" nannte, befleissigten, so hielt
er bereits diesen Dialekt fiir den reinsten und gewähltesten von ganz
Deutschland. Er sagt demgemäss S. 93:
*) S. 98. Accedit huc, quod in vicinis Academiis Lipsica et Wlttebergenst
cum studiis politioribus simul Misnicam linguam (Luthero potissimum autore) addis-
cerent studiosi adolescentes, qui deinde assumti ad Reipublicae, Ecclesiae et scholarum
functiones in his locis domestica antiquata, novam illam introduxere linguam, quae
nunc etiam in urbe Magdeburgensi usu adeo invaluit, ac temporis progressu tantum
roboris collegit, ut et litterati et peregrinationibus nonnihil exculti cives, non sine
summa difficultate Saxonice scribant et loquantur ipsi, ac publice privatimqoe
dicentes ingenti cum fastidio audiant.
'QaemaAmodum aliarum gentium seu nationum linguae auas quasdam sive
in singulis ßive in pluribns verbis proprietates habent, quibus a communi loquendi
ratione differunt, idiomata vel dialectos Graeci vocant, inter quas tarnen alia aliis
pnrior est et elegantior. Nam Attica olim, hodie yero Peloponnensis dialectns
apud Graecos praefertur ceteris. In Hispaniis Castellana. In Galliis Parisiensis
et Aureliana. Inter Sclavos Bohemica. Apud Beigas Flandrica cnltior existimatur:
Ita una idemque lingua qnidem est Suevis, Bavaris, Francis, Thuringis, Misnensibns
et Saxonibus. Verum singnli horum suos habent Idiotismos, qnibus a communi
sermone differunt. Inter quos omnium assensu et comprobatione prae caeteris
bomines Misnenses pure et eleganter, cum mirifica quadam gravitate, coniuncta
(tum comitate, seu vere Attica gratia loqunntur.'
Aus diesen Worten, besonders aus der Parallelisierung mit an-
deren Sprachen, geht deutlich hervor, dass Torquatus eine klare Vor-
stellung von der Erhebung eines Dialektes zur Gemeinsprache hatte,
dass sich aber unmittelbar daran bei ihm die Vorstellung geschlossen,
dass dieser Dialekt wegen seiner Reinheit und Eleganz zur Schrift-
sprache und zur Umgangssprache der Gebildeten geworden sei. In
diesem Gedanken lebte also bereits ein Mann, der das Mitteldeutsche
während seines Studiums in Wittenberg selbst erst erlernt hatte!
Konsequent verfahr Torquatus nur, wenn er jede andere deutsche
Mundart als die Meissnische ausdrücklich von jeder Mustergiltigkeit
ausgeschlossen wissen wollte. So sagt er weiter S. 107:
(Et in discenda illa (sc. Misnica lingua) illos studiose imitemur, qui proprio,
eleganter et sine affectatione scribunt et loquuntur Germanice. Boiarismos,
Suavismos et si qna alia est affectata sen barbarica grandüoquentia, relinqnamus
Ulis, qui ubi quid quemque maxime deceat et ornet, minime observant'
Die Hochschätzung des Meissnischen musste eine Verachtung des
Niederdeutschen zur Folge haben, wie denn Torquatus demselben
bereits sogar eine barbarica et incondita pronunciatio zuschreibt.
Übrigens ist neben dem religiösen und dem sich daran schliessenden
wissenschaftlichen Verkehr auch der merkantile für Ausbreitung des
Mitteldeutschen in Magdeburg noch besonders wirksam gewesen, wie
sich aus folgenden Worten, die Torquatus S. 107 seiner Aufforderung
an die Staats- und Kirchenbeamten zur Pflege des Meissnischen bei-
fügt, ergiebt: 'praesertim cum id Mercurio, ut dicitur, felici non male
succedere apud nostrates comperimus.' Gemünzt ist diese Stelle
sicherlich auf die vornehmen Magdeburger Kaufleute, die jährlich zur
Leipziger Messe ziehend im Interesse ihrer Geschäfte dort meissnisch
sprechen mussten. Aber auch sie — denn nur diese können mit den
neben den literati genannten peregrinationibus exculti gemeint sein
— hörten ja nur noch mit grossem Widerwillen niederdeutsch reden,
so dass also die Wertschätzung der Sprachen von der Gelehrten-
aristokratie auf die kaufmännische Aristokratie, welche den Dialekt
zu anderen Zwecken erlernt hatte, direkt übergegangen war.
Dass die lücrati et peregrinationibus exculti das Plattdeutsche
nur noch mit der grössten Schwierigkeit geredet hätten, muss aller-
dings in dieser Allgemeinheit eine Übertreibung sein und kann sich nur
auf in Magdeburg lebende geborene Mitteldeutsche beziehen, die ja zur
Ni«derdauUeh«s Jahrbuch. XIV. 2
18
Reformationszeit dort vielfach aufgenommen waren und das Meissnische
ganz besonders verbreitet haben werden.
Wie das Mitteldeutsche zunächst sogar nur für den wissenschaft-
lichen Verkehr, das Niederdeutsche noch für den Privatverkehr auch
der Gebildeten angewandt wurde, ersehen wir am deutlichsten aus
dem Umstände, dass Torquatus selbst, soweit er die am Rande ge-
machten Inhaltsangaben seiner 1567 — 1574 lateinisch geschriebenen
Annalen in deutscher Sprache giebt, fast durchweg rein hochdeutsch
geschrieben hat, während er nach Boyseu d 3, S. 3 seine Selbst-
biographie, die er unter dem Titel „Huss-Bock M. Georgii Torquati
Sudenburg Magdeburg 1569" nur für sich selbst und seine Nachkommen
verfasste, sich des Niederdeutschen bediente. Allerdings ist von den
beiden Stellen, die Boysen d 3 S. 4 u. e 3 S. 1 aus dem jetzt ver-
lorenen Manuskripte anführt, nur die erste ziemlich rein niederdeutsch,
die zweite dagegen mit hochdeutschen Wörtern und Sätzen vermischt;
letzteres erklärt sich jedoch wohl dadurch, dass diese Stelle, die am
Schlüsse des ganzen Buches stand, eine Anrufung Gottes enthält,
infolgedessen der Verfasser mit dem Predigtstile zum Teil auch un-
willkürlich in die Predigtsprache verfiel. Die beiden Stellen lauten:
1) De öffentlicke Schole hebbe ick wol besocht. Aber nicht nützlieken.
Under Mynes Gucken was eck höcher an Wissenschopp; aber eck was öuen vare,
an mathwelligen Stückchen; und bösen Daten, woran dei Jagend Öhr Speel hett
Aber dei leibe Herre Gott, hat meck dorch Kranckheiten so schwach hemakt, dat
eck nicht stark genaug was, grötere Sünne tho dohn.
2) Dein Wille o Heere Gott geschehe! vollbringe das gute Werk, das da
in mir angefangen hast; gif meck ock diene Gnad, dat eck dorch dines hilligen
Geistes Hylpp, de Sünne and meck, war eck dien find bin, hasse, angriepe, und
betwinge, und dir lebe mit Mund, Herz, und That, und in dir lieber Herre Gott
sterbe. Da bist mynes Lebens Quell, and mynes Todes Here. Amen.
Während sich also die das Hochdeutsche verbreitenden literati
selbst noch Ende der 1560er Jahre in der Regel des Niederdeutschen
bedienten, hatten sie ersteres wenigstens schon früher vom religiös-
wissenschaftlichen Verkehre auch auf den amtlichen Verkehr über-
tragen, dessen Sprache man gleichfalls als feierlicher und edler als
die Umgangssprache empfand. Die Einführung des Mitteldeutschen
in die Urkunden begann nach Hülsse um 1550. Besonders interessant
ist das von Hülsse S. 160 ff. beschriebene Ringen beider Mundarten
in den von den jährlich wechselnden Kirchmeistern, die nicht immer
den vornehmsten Familien entsprossen waren, geführten Rechnungs-
büchern der St. Jacobikirche; hier folgen z. B. auf Urkunden, die in
einer Art Mischdialekt abgefasst sind, wieder rein niederdeutsche,
während sich bei dem Kirchmeister Jochim Sedeier, der das Amt zwei
Jahre hinter einander bekleidete, im Register von 1557 schon viel
weniger niederdeutsche Elemente als in dem von 1556 finden. Wir
sehen hier also, wie das Hochdeutsche wie eine fremde Sprache mühsam
und allmählich erlernt werden musste. Aber schon von 1560 an weisen
nach Hülsse S. 163 die erwähnten Rechnungsbücher nur noch ver-
19
einzelte niederdeutsche Formen auf, und nach S. 158 findet sich schon
im Jahre 1570 die letzte niederdeutsche Urkunde, eine Ratsordnung.
Um diese Zeit muss das Mitteldeutsche auch für den mündlichen
Verkehr der Gebildeten unter sich einen breiteren Boden gewonnen
haben, da sonst jene Worte des Torquatus von den literati und den
peregrinationibus exculti wohl überhaupt unmöglich gewesen wären;
das betreffende Capitel wird sicherlich erst in den 1570er Jahren ge-
schrieben sein, da ja Torquatus noch 1569 seine Biographie nieder-
deutsch abfasste; wie aber das Hochdeutsche von Jahr zu Jahr mäch-
tiger wurde, haben wir an der Urkundensprache ersehen.
Bei der Verachtung, die sich das Niederd. gerade in Magdeburg
sehr früh zugezogen hatte, ist es begreiflich, wenn hier bereits sehr
früh und zweifellos zuerst in ganz Norddeutschland auch die mittleren
und niederen Volksschichten Gebildeten gegenüber sich ihrer Sprache
schämten und das Hochdeutsche anzuwenden begannen. Die Folge
war, dass die Gebildeten, die wenigstens bisher das Niederdeutsche
noch im Verkehre mit den Ungebildeten zu gebrauchen sich genötigt
gesehen hatten, dies nunmehr überhaupt abstreiften.
Das schliessliche Resultat des Prozesses war das vollständige
Aufgeben des Niederd. zu Gunsten des Hochd. von Seiten der ganzen
Bevölkerung in den 1830er Jahren. Die Zeit, in der in Magdeburg noch
plattdeutsch gesprochen wurde, ist noch jetzt in Erinnerung alter
eingeborener Magdeburger.
Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, die Schiffer und Fischer,
hat bis heute das Niederdeutsche gewahrt. Begründet ist diese Er-
scheinung darin, dass diese Leute erstens einen besonderen Teil der
Stadt bewohnen, zweitens aber infolge ihres Handwerkes eine relativ
in sich geschlossene Verkehrsgemeinschaft bilden. Dazu werden sie
auf ihren Eibfahrten, die sie weit häufiger stromabwärts als strom-
aufwärts von Magdeburg aus unternehmen, bis nach Hamburg geführt
und so in fortwährenden lebhaften Verkehr mit anderen niederd.
sprechenden Personen gebracht. Wie sehr sie sich selbst als eine
geschlossene Verkehrsgruppe, die von ihnen bewohnten Strassen ge-
wissermassen als einen besonderen Ort betrachten, geht aus ihrer
Redensart „nö §tat jön (in die Stadt gehn)" hervor, womit sie sagen
wollen „sich aus dem Schifferviertel in das Innere von Magdeburg
begeben"; die gleiche Redensart gebrauchen auch die Dörfler, wenn
sie sagen wollen „nach Magdeburg gehen". Die Arbeiter und Hand-
werker in Magdeburg nennen die Schiffermundart FedRäpRöxa, weil
sie am meisten an den sogenannten „Fördern" (niederd. FedR), den
Plätzen, von denen aus Personen über die Elbe gefördert werden,
gehört wird; auch die Schiffer selbst haben diese Bezeichnungsweise
für ihre Mundart angenommen. Da jetzt viele das Schiffer- oder
Fischerhandwerk nicht treibenden Personen in die beiden früher von
den Schiffern und Fischern allein bewohnten Strassen „Altes Fischer-
ufer" und „Neues Fischerufer" ganz im Südosten der Stadt, da ferner
viele Schiffer und Fischer selbst auf das rechte Eibufer oder die Elb-
2*
20
Werder gezogen sind, so ist auch das Schifferniederdeutsch bereits arg
in seiner Existenz bedroht. Doch reden auch die Kinder der Schiffer
und Fischer meistens noch niederdeutsch. Im Verkehre mit jedem
anderen Magdeburger, auch mit jedem Arbeiter, spricht der Mag-
deburger Schiffer übrigens regelmässig hochdeutsch. Ich habe im
folgenden das Schifferniederd. mit „Schiffermagdeburgisch" (Sch.-Mb.),
das von den Ungebildeten in Mb. gesprochene Hochdeutsch mit
„Stadtmagdeburgisch" (St.-Mb.) bezeichnet.
Von Magdeburg aus verbreitete sich der Prozess der Ablösung
des Niederdeutschen auch auf seine Vorstädte. In Buckau, das erst
vor etwa 25 Jahren zur Stadt erhoben wurde und seitdem von allen
Seiten, auch von Magdeburg selbst, Zuzug insbesondere von Arbeitern
erhielt, musste das Hochdeutsche deshalb dominieren, weil es unter den
sich begegnenden Mundarten diejenige war, die für die vornehmste galt.
Heutzutage sprechen auch in dem jetzt mehr als 20 000 Einwohner
zählenden Buckau, wenigstens so weit ich habe erfahren können, nur
noch die gleichfalls unmittelbar an der Elbe wohnenden, mit den
Berufsgenossen in Magdeburg in Verkehr stehenden Schiffer und Fischer
niederdeutsch.
In der südwestlichen Vorstadt dagegen, der gegen 20 000 Ein-
wohner zählenden Sudenburg, wo es keine Schifferbevölkerung giebt,
ist es einzig eine kleine Anzahl von Ackerbürgern, etwa 10 Familien,
die das Niederd. bis heute gewahrt haben. Dieselben wohnen etwas
zerstreut ganz im Süden der sich lang hinziehenden Vorstadt, also
am entferntesten von Magdeburg und weit näher den noch niederd.
redenden Dörfern. Auch verkehren sie vorwiegend unter sich und
sonst wohl mehr mit den Bauern der Dörfer als mit ihren Mitbürgern.
Jedoch sprechen die jüngeren Leute unter ihnen meist nur noch mit
ihren Eltern niederd., so dass diese Mundart auch in Sudenburg
bereits in den allerletzten Zügen liegt.
Weit verbreiteter ist das Niederd. noch in der nördlichen Vorstadt
Neustadt. Ursache dafür ist einfach weitere Entfernung vom eigent-
lichen mitteldeutschen Sprachgebiet. In Sudenburg begegneten sich
die beiden mitteldeutschen Strömungen, von denen die eine aus Mag-
deburg, die andere direkt von Mitteldeutschland kam; in der Neustadt
dagegen ist die letztere Strömung überhaupt kaum noch vorhanden.
Ns. selbst besteht aus zwei nicht unmittelbar zusammenhängenden
Teilen, von denen der südliche „Alte Neustadt", der nördliche „Neue
Neustadt" heisst. Trotz dieser Lage ist das Hochdeutsche in der
alten Neustadt minder als in der neuen verbreitet, da ersteres wiederum
eine zahlreiche Schiffer- und Fischerbevölkerung besitzt, letzteres aber
wegen seiner Industrie und seiner Fabriken einen weit lebhafteren
Verkehr mit Magdeburg unterhält. Neben den Schiffern und Fischern
halten auch wiederum die Ackerbürger beider Teile der Vorstadt am
zähesten am Niederd. fest; bei diesen Leuten reden auch die Kinder
überall noch niederd., was bei der übrigen Bevölkerung wohl garaicht
mehr der Fall ist. Wie viele Personen unter den Handwerkern und
21
Arbeitern der Neustadt noch niederd. sprechen, lässt sich nicht genau
angeben; nach der mir als am zuverlässigsten erscheinenden Schätzung
haben in der etwa 10 000 Einwohner zählenden alten Neustadt noch
etwa Vb, in der ungefähr 20 000 Einwohner zählenden neuen Neustadt
noch etwa 7s der Gesammtbevölkerung das Niederd. erhalten. Also ein
eigentlicher Umschlag in das Hochd., wie er auch in Sudenburg einge-
treten sein muss, wo er nur die Ackerbürgerbevölkerung nicht getroffen,
hat in Neustadt noch nicht stattgefunden: wenn in der neuen Neu-
stadt bereits die Majorität nur noch hochdeutsch spricht, so erklärt
sich dies auch aus der Fluktuation ihrer Einwohnerschaft. Da jedoch
in einigen Jahren die Vereinigung von Magdeburg und Neustadt zu
einer Stadt durch Anbau des dazwischen liegenden Terrains anheben
wird, so ist dem Niederd. in Neustadt nur noch eine sehr kurze
Zukunft gesichert.
22
Geschichte der. Sprache des Magdeburger Landes.
Während Magdeburg nebst seinen Vorstädten so das Niederd. all-
mählich immer mehr einschränkte, hatte das umgebende Gebiet den
gleichen Weg eingeschlagen, war aber weit langsamer nachgefolgt. Schon
jene das citierte Capitel des Torquatus einleitende Äusserung über das
Niederd. im Erzbistum und der benachbarten Mark im Gegensatze
zu dem früher eben dort und zu gleicher Zeit in den weiter nördlich
und westlich gelegenen Gegenden Norddeutschlands gesprochenen
Niederd. zeigt hinlänglich, dass man in diesem ganzen Gebiete bemüht
war, den angestammten Dialekt möglichst zu Gunsten des Mitteid.
einzuschränken. Dass auch die Ungebildeten auf dem Lande das
Mitteid. im Verkehre mit Gebildeten, Städtern und Mitteldeutschen
selbst bei uns schon seit geraumer Zeit sprechen, ergiebt sich aus
der grossen Anzahl von mitteld. Elementen, die in dies Niederd. auf-
genommen worden sind. Auch Damköhlers Betrachtung, der die starke
Durchsetzung mit mitteldeutschen Elementen als das Hauptcharakteri-
stikum des oberharzischen Niederd. im Gegensatze zu dem weiter
nördlich, aber auch weiter westlich gesprochenen ansieht, gipfelt in
dem Satze, dass die Aufnahme dieser Elemente wohl nicht erst in
jüngster Zeit erfolgt sein könne. War das frühe Sichfestsetzen de*
Mitteld. als Gemeinsprache auch der niederen Stände im Magdeburger
Lande eine Folge an der lebhaften Beteiligung an der Reformation
gewesen, und haben wir somit diesen Prozess als die direkte Fort-
setzung der vollständigen Verdrängung des Niederd. im Saalgebiete
zu betrachten, so müssen wir auch analog die Aufnahme mitteld.
Elemente in das Niederd. des Oberharzes als die Folge eines langen
Nebengebrauches des Mitteld., diese aber gleichfalls als die Fortsetzung
der Verdrängung des Niederd. im Unterharze betrachten. Und wenn
östlich der Elbe sich gleichfalls die Dialektgrenze verschoben hat,
Torquatus aber für die Mark Brandenburg die gleichen sprachlichen
Verhältnisse wie für das Erzbistum Magdeburg angiebt, so dürfen wir als
sehr wahrscheinlich annehmen, dass auch der südliche Strich des heute
noch niederdeutschen ostelbischen Landes ein gleichfalls von mitteld.
Elementen durchsetztes Niederd. redet, so dass an das mitteld. ge-
wordene Gebiet in seiner ganzen Länge sich ein vom Mitteld. stark
beeinflus8ter Distrikt anlehnt.
Nächst den Vorstädten sind es die kleinen Städte im Magdeburger
Lande, in denen das Hochdeutsch am meisten an Terrain gewonnen
hat. Wanzleben hat sich in seiner Urkundensprache schon sehr früh
an Magdeburg angeschlossen; die dort von mir im Magistratsarchive
durchgesehenen Urkunden schlagen um 1560 aus dem Niederd. in das
Mitteld. um. Seit 20 — 30 Jahren hat die jüngere Generation der
Ökonomen und der besser situierten Handwerker das Niederd. grössten-
teils gänzlich abgestreift. Ganz analog wie* in Wanzleben scheinen
die letzteren Verhältnisse in Egeln zu liegen. Während also in den
Magdeburger Vorstädten die ackerbürgerlichen, dem grossstädtischen
23
Treiben am fernsten stehenden Kreise am zähesten an Sprache wie
an Lebensweise der Vorfahren festgehalten haben, ist es in den kleinen
Städten gerade die wohlhabende ackerbautreibende Bevölkerung, die
meist von einem gewissen Geld- und Bildungsdünkel beherrscht am
meisten den Gebrauch des Niederdeutschen zu meiden sucht. Bei
Wanzleben kommt übrigens für die häufige Anwendung des Hochd.
auch der starke Verkehr dieses Punktes mit Magdeburg, für Egeln
die Nähe des mitteld. Sprachgebietes in Betracht. Ein verhältnis-
mässig kleineres Terrain scheint die alleinige Anwendung des Hochd.
in dem zwar beträchtlich grösseren, aber weiter sowohl von Magdeburg
als auch von der Sprachgrenze entfernten Oschersleben zu besitzen;
jedenfalls war seine Anwendung in früherer Zeit dort eine geringere
als in Wanzleben und Egeln, da sein Niederd. weit minder vom Hochd.
als in diesen Städten beeinflusst ist. Noch geringer ist der Gebrauch
des Hochd. in dem Wanzleben an Grösse fast gleichkommenden See-
hausen und dem bedeutend kleineren Hadmersleben, Punkten, die weder
von Magdeburg noch vom mitteld. Gebiete her beträchtlich hätten
beeinflusst werden können.
Aber nicht nur in den kleinen Städten, sondern auch auf den
Dörfern hat die Bildungssucht wenigstens bei einer Reihe einzelner
Personen das gänzliche Aufgeben des Niederd. als Eigensprache zur
Folge gehabt. Winter hat in seinem kulturhistorisch interessanten
Aufsatze „Über die Sprache am Zusammenflusse der Bode, Saale und
Elbe", Geschichtsbl. f. Stadt u. Land Magdeb., Bd. IX, S. 98 ff. aus-
geführt, in welcher Weise die Verdrängung des Niederd. bei den reichen
Bördebauern geschieht, und wie die Bildungssucht derselben in dem
sichtlichen Wachstume ihres Wohlstandes, der hauptsächlich einer
agrarischen Umwälzung, der seit etwa 1830 erfolgten Separation des
Gemeindebesitzes, seinen Ursprung verdankt, ihre Quelle hat.
Durch den letzteren Umstand erhält die Magdeburger Börde in
der Häufigkeit der Anwendung des Hochd. sogar ein Übergewicht über
die sich östlich und die sich zunächst westlich anschliessenden niederd.
Landstriche. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die ja einstens,
wenn auch in ganz unabsehbarer Zeit, ohne das Eintreten unerwarteter
störender Umstände sicherlich erfolgende vollständige Ablösung des
Niederd. durch das Hochd. im Magdeburger Gebiete am frühesten ein-
treten und von dort ihren Zug durch ganz Norddeutschland nehmen wird.
24
Abstufung des hochdeutschen Einflusses.
Im einzelnen ist jedoch im Magdeburger Lande der grössere
oder geringere Gebrauch des Hochdeutschen und der höhere oder
niedrigere Grad der daraus resultierenden Dialektmischung noch ein
sehr verschiedener. Drei Arten von Strömungen sind es, die sich auf
das Gebiet von verschiedenen Seiten her geltend machen und durch
ihre vielfachen Kreuzungen das Bild der Abstufung des hochdeutschen
Einflusses zu einem sehr komplizierten gestalten. Die stärkste dieser
Strömungen geht vom mitteldeutschen Gebiete selbst, eine minder
starke von Magdeburg aus; bedeutend schwächer sind diejenigen, die in
den kleinen Städten Wanzleben, Egeln, Oschersleben ihre Quellen haben.
Magdeburg hat erstens nicht nur seinen Vorstädten, sondern
auch den nächst gelegenen Dörfern eine grosse Menge hochdeutscher
Elemente zugeführt, zweitens aber dem vom mitteldeutschen Gebiete
ausgehenden Strome eine Grenze gesetzt d. h. durch seinen Verkehr
mit Mitteldeutschland und durch den Vorzug, den es der hochdeutschen
Sprache von jeher gab, überhaupt möglich gemacht, dass diese Strömung
ununterbrochen bis zu ihm selbst dringen oder vielmehr mit der von
ihm selbst ausgehenden zusammenfliessen konnte. Denn westlich von
Magdeburg ist der mitteldeutsche Einfluss viel weniger weit oder doch
in weit geringerem Masse nach Norden gedrungen. Man ersieht die
Kreuzung der beiden Strömungen aus dem Umstände am deutlichsten,
dass sich das Mass des hochd. Einflusses in dem Niederd. der Mag-
deburg nächst umgebenden Dörfer zugleich nach der Entfernung und
nach der Himmelsrichtung von Magdeburg aus bestimmt. Am stärksten
ist das Niederd. in dem nächstgelegenen Lemsdorf, ein wenig schwächer
in Fermersleben, fast ebenso in den doch weiter von Magdeburg ent-
fernt gelegenen Salbke und Westerhüsen, wieder ein wenig schwächer
in Kl. Ottersleben und noch etwas schwächer in Gr. Ottersleben vom
Hochd. durchsetzt. Demnächst ist der betreifende Einfluss in Diesdorf
am stärksten, dem jedoch derjenige in den viel weiter entfernten, aber
auf der Kreuzungslinie gelegenen Beiendorf, Sohlen und Dodendorf
nur wenig nachsteht. Dass die von Mitteldeutschland ausgehende
Strömung nicht weiter nördlich als höchstens bis Diesdorf gelangt ist,
zeigt sich an dem Umstände, dass Rothensee, direkt nördlich von
Magdeburg und nur der Neustadt näher gelegen, das westlich liegende,
aber der Stadt als Gesammtkomplex, d. h. die Vorstädte eingerechnet,
ferner gelegene Olvenstedt an Durchsetzung seines Dialektes mit hochd.
Elementen übertrifft, während es Diesdorf darin noch nachsteht. Der
Abstand zwischen Ebendorf und Olvenstedt in dem betreffenden Punkte
ist sodann ein ganz bedeutend grösserer als selbst derjenige zwischen
Olvenstedt und Diesdorf. Mit Olvenstedt etwa gleich mögen die unter
sich kaum verschiedenen Osterweddingen, Sülldorf, Welsleben stehen.
Gering ist der Abstand des Dialektes dieser Dörfer in dem betreffenden
Punkte von demjenigen von Langenweddingen, Bahrendorf, Stemmern,
25
Altenweddingen, hinter denen wieder Schwaneberg, Wolmirsleben,
Tarthun ein wenig zurückstehen.
Wir sehen also in der Abnahme des hochdeutschen Einflusses
neben der Richtung von Süden nach Norden deutlich eine solche von
Osten nach Westen gehen. Ursache ist freilich nicht allein Magdeburg,
sondern auch die nach Westen hin zunehmende Neigung der Dialekt-
grenze nach Süden.
In analoger Weise haben Egeln und Wanzleben das besprochene
Kreuzungsgebiet wieder durch kleinere Strömungen, die von ihnen aus-
gingen, in bestimmte Grenzen gewiesen. Zwar haben beide Punkte
nicht vermocht, wie Magdeburg in der Weise Einfluss zu üben, dass
die Mundarten der ihnen nächstgelegenen Dörfer sich ganz beträchtlich
von denen der ihnen weiter entfernten abheben; wohl aber haben sie
es wiederum ermöglicht, dass die Hauptmasse der von der mittel-
deutsch-magdeburgischen Strömung getragenen hochdeutschen Elemente
bis zu den Linien Magdeburg — Wanzleben und Wanzleben — Egeln fort-
geschwemmt wurde. Nordöstlich der erstem Linie wird die Zahl dieser
Elemente plötzlich eine ganz bedeutend geringere. Etwas weniger
scharf prägt sich dieser Unterschied zwischen den Distrikten westlich
und östlich der zweiten Linie aus, eine Eigentümlichkeit, die wohl in
der Hauptsache dadurch veranlasst ist, dass westlich dieser Linie der
von Mitteldeutschland ausgehende Einfluss an sich noch wirken konnte.
Dazu kommt auch wohl, dass der Verkehr zwischen den Gebieten
nordwestlich und südöstlich der Linie Wanzleben — Magdeburg bei dem
leeren Zwischenräume zwischen den Dörfern Gr. Ottersleben, Oster-
weddingen, Langenweddingen, Schleibnitz ein etwas eingeschränkterer
sein muss. Das Dorf Schleibnitz, welches gerade auf jener Linie liegt,
bildet eine Art Übergangsstufe. Östlich der Linie Wanzleben — Egeln
ist ein derartiges leeres Gebiet nicht vorhanden, da die noch streng
zum Kreuzungsgebiete gehörigen Schwaneberg und Wolmirsleben jener
Linie ganz nahe, Bottmersdorf und Bleckendorf fast auf derselben liegen.
Am deutlichsten zeigt sich die Abgrenzung des Kreuzungsgebietes
in dem Laufe der Grenze zwischen anlautenden äp, §t und sp, st.
Dieselbe geht zunächst im ganzen südwestlich, indem sie Rothensee,
Diesdorf, Kl. und Gr. Ottersleben, Osterweddingen, Brelitz als die
nordöstlichsten Punkte mit §p, §t erscheinen lässt, macht aber sodann
um Wanzleben eine scharfe Biegung nach Süden und läuft so direkt
bis Egeln. Nur in dem fast auf jener Linie gelegenen Bottmersdorf
sprechen heute die Kinder meistens auch schon §p und ät. Zwar hat
man nun im allgemeinen zuzugeben, dass jene Grenze überhaupt in
ganz Norddeutschland in einem fortwährenden Vordringen nach Osten
und Norden begriffen ist; aber die Thatsache, dass in allen Ortschaften,
die einmal äp und §t angenommen haben, auch die ältesten Leute
dasselbe sprechen, in den übrigen aber grösstenteils noch nicht einmal
die Kinder, macht es doch zur Gewissheit, dass dieser Grenze an
jenen nicht zufälligen Linien wenigstens für eine Zeit lang Halt ge-
boten wurde.
26
Etwas weiter ist die Grenze von niederd. anl. Sl, Sm, Sn, §r für
ursprüngliches sl, sm, sn, sv verschoben. In der Nordhälfte unseres
Gebietes haben es jenseits der eben besprochenen Grenze nur noch
das nicht mehr zum Kreuzungsgebiete gehörige, aber von Magdeburg
aus direkt beeinflusste Olvenstedt und das auf der Linie Magdeburg —
Wanzleben gelegene Schleibnitz. Südlich von Wanzleben macht aber
diese Linie eine Biegung nach Westen, die offenbar durch den EinHuss
der Stadt Oschersleben veranlasst worden ist. Die gesammten in dem
Dreieck Wanzleben — Oschersleben — Egeln gelegenen Dörfer haben anl.
sl, Sm, Sn, Sv in ihr Niederdeutsch aufgenommen, auch das auf der
Linie Oschersleben — Egeln gelegene Westeregeln. In dem aus einer
Dorf- und einer sehr kleinen Stadtgemeinde bestehenden Hadmersleben
wird noch von der mittleren Generation sl, sm, sn, sv, von den Kindern
dagegen bereits Sl, Sm, Sn, Sv im Niederd. gesprochen. Hier hat sich
also die Grenze des Gebietes mit Sl u. s. w. nicht wie sonst nach
Nordwesten, sondern direkt nach Südwesten vorgeschoben. So sehr
kann auch die Richtung des Vordringens einer Sprachneuerung unter
dem Einflüsse bestimmter kultureller Faktoren in eine andere Bahn
als die ursprüngliche gelenkt werden.
Innerhalb des von Wanzleben, Egeln und Oschersleben um-
schlossenen Dreiecks macht sich eine schwache Abnahme der hoch-
deutschen Elemente im Niederd. nach Norden sowohl wie nach Westen
bemerklich. In der letzteren Richtung haben wir noch einen Einfluss
der beiden ersteren Städte zu sehen, die ja auch selbst, wie gesagt,
ein weit mehr vom Hochd. durchsetztes Niederd. als Oschersleben reden.
Nördlich der Linie Wanzleben — Oschersleben wird die Abnahme
der hochdeutschen Elemente wieder eine bedeutendere. Ursache ist
ausser dem Aufhören der Wirksamkeit von Egeln und der grösseren
Entfernung von der mitteldeutschen Grenze wiederum das Bestehen
eines grösseren leeren Vierecks zwischen Bottmersdorf, Pesekendorf,
Ampfurth, Kl. Wanzleben und infolgedessen ein verhältnismässig
schwächerer Verkehr.
Jenseit der Linie Magdeburg — Wanzleben — Oschersleben sind
sodann die hochdeutschen Elemente überhaupt nur noch schwach ver-
treten und in einer ganz allmählichen leisen Abnahme nach Westen
und Norden begriffen. Auch die Grenze des Gebietes der labial-
palatalen Vokale ft, 5, fi, 8, die im grössten Teile unseres Bezirkes
durch Lippenentrundung in l, e, i, e infolge mitteldeutschen Einflusses
übergegangen sind, zieht sich im ganzen von Nordosten nach Süd-
westen, ist also nach Nordwesten im Vordringen begriffen. Auffallend
ist nur die Ausbuchtung um Olvenstedt. Wenn das fast direkt nördlich
von Gr. Rodensieben gelegene Hemsdorf jene Vokale gleichfalls ent-
rundet hat, so ist diese Erscheinung dadurch erklärlich, dass Hemsdorf
erst unter Friedrich d. Gr. von Pfälzern angelegt wurde, die, wie noch
heute ältere Eingeborene dort in Erinnerung haben, noch lange ihren
Heimatsdialekt neben dem Niederd. sprachen. Dass Seehausen als
27
Stadt sich der von Mitteldeutschlund kommenden Strömung ange-
schlossen hat, ist hegreiflich.
Am wenigsten in unserem Gebiete ist der Dialekt seines nord-
westlichsten Punktes, Druxberge, vom Hochd. beeinflusst. Hier haben
einzig noch die Kinder die nd. Formen der Zahlwörter beibehalten,
die fast überall durch die hochd. ersetzt worden sind. Es heisst hier
also : ains, tve, drai, fair, fif, zes, zemm, axt, nejii, tain u. s. w. gegen-
über ains oder ens, tsvai oder tsve, drai, fir, flmf, zeks, zimm, axt,
noin oder nain, tsen im ganzen übrigen Gebiete. Nur in Drakenstedt,
Dreileben und auch in Oschersleben sind die ursprünglich niederd.
Zahlformen wenigstens noch bei den meisten Erwachsenen im Gebrauch.
Nachdem ich im Vorstehenden bereits die Belege für meine Be-
hauptungen hinsichtlich der Abstufung des mitteldeutschen Einflusses
soweit gegeben habe, als sie abgesehen von der Veränderung der
Zahlformen rein lautliche Neuerungen betreffen, stelle ich nunmehr
zur Veranschaulichung jener Abstufung auch im kleinen eine Reihe
lautlich- funktioneller Neuerungen zusammen. Zu bemerken ist nur
noch, dass Striche, die im ganzen weniger mitteldeutsche Elemente
als andere entlehnt haben, in einzelnen Fällen zu diesen sehr wohl
im umgekehrten Verhältnisse stehen können. Wo jedoch unter den
folgenden Beispielen Domersleben und Hohendodeleben die nd. Formen
erhalten, gilt das Gleiche auch für sämmtliche nordwestlich gelegenen
Punkte; wo hingegen Langenweddingen und Osterweddingen die nd.
Formen durch eine mitteldeutsche ersetzt haben, beansprucht dasselbe
Verhältnis auch für das ganze südöstlich gelegene Gebiet Geltung.
Ich habe die folgenden Formen meist aus dem Munde von Kindern
im Alter von 12 — 14 Jahren gesammelt; für das Schiffer-Magdeburgisch
sowie für die Neustadt und Sudenburg standen mir jedoch nur ältere
Leute von mindestens 50 Jahren zu Gebote. Dennoch zeigt sich hier
eine noch grössere Zersetzung der ursprünglichen Mundart durch
fremde Elemente als selbst bei den Kindern in den Magdeburg nächst-
gelegenen Dörfern.
1) Aufnahme stofflicher Elemente.
a) ts für t.
Dbg., OsM.: harta (Herz). Gr. Bdl.: harta = hartsa. SÄ., KL Wzl, Kl.
GmL, Bmd., Wzl, Dml, Hdd., Ndd.t Ovs., Kl. (Ml, Gr. Oll nebst allen südöstlich
von diesen Punkten gelegenen Dörfern: hartsa.
Gr. BdL, 8h., KL Oschl, KL Gml, Wseg., Eg., Tth., Wtnl., Schnb., Bmd..
Wzl., Schutz., Lwd., Owd., Gr. Otl: holt (Holz). Ebd.: olt (h lautgesetzl. ge-
schwunden). Lmd.: holt = holts. Seh.- Mb.: holts. Gr. Bdt.: höltn. Sh., Kl.
OscM., Kl. Gml, Dml, Hdd.: heltn (hölzern). Gr. OH.: heltn = heltsrn. Ovs.,
Dsd\: heltsrn. Sch.-Mb.: heltsRn.
Dbg., Dks., Dl, Gr. BdX.: hita (Hitze). Dml., Wzl, Lwd., Owd., Ddd., Gr.
OÜ., Imd., Fml, Wh. und alle südlich von diesen Punkten gelegene Dörfer: hitsa
(so auch Sdb., Sch.-Mb., Ns.).
Dbg., Gr. BdL: net (Netz). Wzl, Dml, Hdd., Ovs., Ns. und weiter süd-
östlich: nets.
28
Dbg.: frtSrn (verzehren). Ebd.; frtsem. Ns., Sch.-Mb., Sdb.: frtseRn. ÄAi.,
Wh., Sk., Fml: frtsern.
Dbg., Oschl: tvern (Zwirn). Sh.: tsvern. Kl. Oschl., Wzl, Gr. Oti., Wh. •
und von diesen südöstlich: tsvern. Sch.-Mb., Ns., Sdb.: tsveRn (Kontaminationen). |
Gr. Bdl, Ebd.: boltn (Bolzen). Sch.-Mb.: boltsn. »
Dbg., Sh.t Gr. Bdl, Oschl., Kl. Oschl., Aid., Psd., Kl. Gml, Bmd.,
Kl. Wzl., Wzl, Schntz., Dml, Hdd.: kata (Katze). Wseg.: kata, selten katsa.
Etgl, Bckd.: kata = katsa. Eg., Tth., Wml, Äwd., Stm., Brd.t Wsl., Sdf., Ddd,
Sl., Bed., Lmd., Wh, Sk.y Fml, Sdb., Sch.-Mb., Ns.: katsa. Bihs.: kata = katsa.
Gr. Bdl., Dml, Wzl, Schntz., Lu>d., Owd., Ddd., Sl, Bed., Lmd., Wh., Bths.:
frata (Warze). Sch.-Mb.: fRatsa (Kontamination). Kl Oschl, Etgl, Bckd., Eg.: \
frata =-- vörtsa (vörtsa stets im Hochdeutschen). Sdb.: fRata = fRatsa (vöRtsa
*Bru st warze'^
Gr. Bdl., Wzl, Dmlt Bths.: vaitn (Weizen). Sch.-Mb.: v6tsn.
Gr. Bdl, Wzl, Dml: milta (Milz). Sch.-Mb.: miltsa.
Gr. Bdl., Oschl., Kl Oschl, Sh., Schk., Äpf., Bkl., Kl Wzl, Kl Gml.9 Dml.,
Hdd., Ovs., Ebd.: timrn (zimmern). Ddd., Lmd., Fml, Sk., Wh.: tsimra. Sdb.,
Sch.-Mb.: tsimRn.
Gr. Bdl.: töjl (Zügel). Kl. Gml, Hdd., Dml: tejl. Ovs.: töjl = tsüjL
Wzl, Sch.-Mb.: tsljl.
Sh., Gr. Bdl., Kl Gml: taila (Ziegel). Wzl, Owd., Gr. OH, Kl OÜ., Ebd.:
taijl. Bths.: tejl (lautges.). Wh.: tsijl (bei alten Leuten töjl). Sch.-Mb.: tsejl
(Kontam.).
Gr. Bdl: grüta (Grütze). Wzl: jritsa. Sch.-Mb.: jRitsa.
Dbg., Gr. Bdl: tvispalt (Zwiespalt). Kl. Bdl., Dml, Hdd., Ndd.: tevispalt.
Gr. Bdl., Dml., Wzl: tön (Zahn). Sch.-Mb.: tsön.
Gr. Bdl., Dml., Wzl: tön (Zeh). Sch.-Mb.: tsön (Kontam.).
Gr. Bdl., Wzl, Dml, Bths.: taikn (Zeichen). Sch.-Mb.: ts6xn.
Oschl, Sh.t Gr. Bdl,, Dml., Hdd., Ndd., Ovs., Dsd., Lwd., Kl Gml, Bmd.:
Bvet (Schweiss) (Svet), svetn (schwitzen) (§vetn). Wzl, Eg., Ddd., Bed., SL, Kl
OU., Lmd., Sk., Wh., Fml, Sdb., Sch.-Mb., Ns.: Svits (Kontam.), Svitsn.
b) s für t.
Gr. Bdl., Dml, Hdd., Ovs., Schk., Äpf., Kl. Wzl: grötfodr (Grossvater),
grötmutr (Grossmutter). Oschl, Kl. Oschl., Gr. Chnl, Kl Gml: grösfodr, grösmutr.
Wzl, Lwd., Owd., Ddd., Lmd., Wh. u. s. w.: jrösfodr, jrösmutr.
Gr. Bdl., Hml., Wzl, Lwd., Owd., Ovs.: öwat (Obst). Sdf., Bed., Fml:
öwast (Kontam.). Eg.: öpst.
Gr. Bdl, Sh., Kl. Oschl., Etgl, Schnb., Owd., Bths.: barwat (barfuss). Wsl:
barftix (Weiterbildung von der nd. Form). Oschl: barwat = barwas (miUeUL).
Ns.: baRwast (Kontam.).
Gr. Bdl., Sh., Oschl, Kl. Oschl, Psd., Kl. Wzl, Hml, Wzl, Eg., Lwd.,
Stm., Bed., Wsl, Fml, Lmd., Kl OÜ.: vit (weiss). Sch.-Mb., Ns.: vais.
Gr. Bdl., Sh., Dml, Hdd., Kl. Gml, Bmd., Wzl, Lwd., Ovs., Ndd.: jota
(Gosse). Owd., Ddd., Bed., Fml, Lmd., Sch.-Mb., Ns.: josa.
Dbg.: krewat (Krebs). Dl, Gr. Bdl.: kreps (doch krewat noch Name der
Krankheit). Ebd.: kreps (krewat noch: schmerzende Stelle, wo man jemanden ge-
kniffen hat). Wzl, Kl. Oschl, Wseg., Tth., Eg., Lwd., Owd. u. s. w.: kreps.
Ns.: kReps.
c) f für p.
Gr. Bdl, Dml, Hdd.: plöstr (1. Wundpflaster, 2. Strassenpflaster). Sh.,
Wzl, Bmd., Ddd.: plöstr (Wundpflaster), plastr (Strassenpflaster; wohl Kontami-
nation mit hochd. flastr). Ndd., Dsd., Ovs., Lmd.: plöstr (Wundpflaster), flastr
(Strassenpflaster). Ebenso Ns., Sch.-Mb., Sdb.: plöstR (Wundpflaster), flastR
(Strassenpflaster).
Gr. Bdl, Dml, Hdd.: laif (heb). Ovs., Dsd., Wh., Sk.9 Fml, Lmd., Sch.-
Mb.: lip.
Gr. Bdl., Dml, Hdd., Ndd.: hemp (Hanf). Kl Gml.: henap. Ovs.: hemf
2»
(Kontam.) = hamf. Ddd., Bed.f Kl. OÜ., Lmd, Wh., Sdb., Sek.- Mb., Dsd,
Bths.: hamf.
Gr. BcU., Dml, Hdd., Ndd., Wzl: zemp (Senf). Kl Gml: zenap. Ovs.:
zemp = zemf. Ddd., Bed, KL Otl, Lmd, Wh, Sdb., Sch.-Mb.f Dsd., Bths.: zemf.
Gr. Bdl, Dml. Hdd., Wzl, Bmd., Bckd., Eg., Tth , Wml, Schub., Ebd.:
köpman (Kaufmann). Stm.: köpman = köfman. Brd., Wal, Gr. Otl., Lmd , Wh.,
Sch.-Mb., Ns., Bths.: köfman.
Gr. Bdl., Dbg.: hcmprliuk (Hänfling). Wzl: hemfrliBk (Kontam.). Ovs.:
hemprliak = hemflisk. Lmd.: hemtüßk.
d) y oder x für k.
Dbg., Dks., Gr. BcU.: höwik (Habicht). Ndd.: höwix (Kontam.). Sh.: höwix
= höwixt. Oschl, Kl Oschl., Kl Gml., Kl Bdl, Wzl, Eg., Tth., Lwd., Owd.,
Ddd., Kl OÜ., lmd.: höwixt.
Gr. Bdl., Ovs., Ebd.: dröka (femin.; Papierdrachen). Wzl: draxn (mascul.).
Gr. Bdl., Wzl, Dml: dirik (Dietrich). Ddd., Fml.: didarix (Kontam.).
Sch.-Mb.: didaRix-
Dbg.: aikr (Eichhörnchen). Dl, Gr. Bdl: aikr = aixörnxn. Wzl, Ebd.,
Ovs.: aixorn (doch in Wzl aikr noch: 1) Rotkopf, 2) Hund von rotgelber Farbe).
Eg., Tth.: aixernxn. Ld.: aikornxn (Kontam.). Bths.: aiketsxn (d. i. „Eichkätzchen";
Kontam.).
Gr. Bdl., Dml., Hdd., Ndd., Kl Gml, Bmd., Wzl, Eg., Gr. Otl, Fml,
Dsd., Ovs.: ISraka (Lerche). Lmd.: leraka = larx». Na.: leRaka = laRxa.
Gr. BcU.: flaukB (fluchen). Sch.-Mb.: flüxn.
Gr. Bdl.: fök (Fach). Sch.-Mb., Bths.: fax.
e) t für d.
Dl, Gr. Bdl., Oschl., Kl. Gml, Bmd, Wzlt Dml., Hdd., Ndd, Stm., Brd.,
Bckd.: dtr (Kontam.; doch meist noch dairt als Schelte). Ebd.: tfr (doch olas dir
und olas dair (altes Tier) als Schelte). Sdf., Wsl, Wh., Sk., Fml, Lmd.: tfr.
Sch.-Mb.: tlR.
f) Vereinzelte konsonantische Ersetzungen.
Gr. Jß<M.:Ahenx (Hering) (-ing aus -ix für das ganze Gebiet lautges., da es
überall heisst Ostrvedix u. s. w. = Osterweddingen). Oschl.: herix- Ovs.: 6rija
(ursprüngl. Plural; h im Anl. lautges. geschwunden). Ebd.: £rix, doch plur. erina.
Sh., Kl. Oschl: herix = herink. Dml, Hdd.: h£rix = heriak. Wzl, Awd., Gr.
OÜ., Lmd., Wh., Fml, Bths.: heri»k. Ns., Sch.-Mb., Sdb.: heRiak.
Dbg., Gr. Bdl: büsa (Büchse). Oschl, Bths.: bisa = biksa. Wzl, Ns.: biksa.
Gr. Bdl., Wzl: flas (Flachs). Lmd.: flaks (ober z. B. osa Ochse).
Gr. Bdl, Oschl., Kl Gml., Wzl, Owd: dfsl (Distel). Ddd., Ovs.: dfsl =
distl. Wh.: dfstl.
Dbg., Gr. Bdl, Dml, Hdd: mön (Mond). Oschl., Sh., Owd., Ddd., Lmd,
Fml., Sch.-Mb.: mönt (doch in letzteren Ortschaften meist noch: möngfn Mondschein).
Dbg., Gr. Bdl.: ern (Ernte). Kl. Oschl, Etgl, Tth., Sdb.: ern (lautgesetzlich
unterschieden). Sh.: 6rn = 6rnda (Kontam. und Lautübertragung). Oschl: ernt
(Kontam.). Ebd.: £rn = arnta. Ns.: eRn = eRnta (Kontam.). Sch.-Mb.: aRnta
(im Hochd. allgemein übliche Form).
Dbg., Sh., Senk., Apf., Gr. BcU., Dml: gaus (Gans). Hdd.: gans. Kl Gml,
Etgl, Wseg., Eg., Tth., Wml, Schnb., Bmd., Wzl, Schutz., Lwd., Awd, Owd.,
Ddd., Sdb., Sch.-Mb., Ns , Ebd.: jans (in Wzl noch scherzhaft: jaus).
Kl Gml, Kl Wzl, Gr. Bdl, Dml, Hdd, Ovs., Owd.: svöleka (Schwalbe).
Wzl, Eg., Tth, Sch.-Mb.: Svalwa. Bths.: ävelaka (umgelautet) = Svalwa.
Sh., Gr. BcU., Dml., Hdd., Ndd., Ovs., Dsd., Lmd, Kl Otl, Gr. Otl, Ddd.,
Owd., Lwd., Awd., Schntz., Bmd., Kl Gml., Kl Wzl: born (Brunnen). Ns., Sch.-
Mb., Sdb.: bRunn. Bths., Fml, Sk., Wh., aber auch Wzl u. Oschl: brunn.
g) Tonlängung aufgehoben.
Sh., Gr. Bdl., Kl. Oschl., Kl Gml, Wzl, Dml, Hdd., Ndd, Bths., Ddd.,
Owd., Lwd., Wh.: dorn (Dorn). Eg.: dorn = dorn. Dsd., Kl. Otl, Gr. Otl: dorn,
Gr. Udl, Kl. Gml., Dml, Edd.: körn (Korn). WzL, Ddd., Kl. OtL, Lmd.,
Fml., Wh., Rths.: körn. Sdb.: koRn. Oos.: körn (Kollektivbegriff) u. körn (ein-
zelnes Korn). Die Verbreitung von dorn zeigt, dass auch die lautlich parallel
gehende Form körn einst weiter als jetzt geherrscht haben u. körn aus dem Hochd.
aufgenommen sein muss. Analog kann es sich nur mit dem folgenden Worte verhalten.
Gr. Bdl.: hörn (Hörn; urspr. umgelauteter Plural). KL Gml., Hdd., Dml:
hern (lautges. = hörn). Ovs. : hörn = hörn. Oschl. : hern = hörn (urspr. niederd.
Sing.). WzL, Ddd., Kl. OtL, Gr. OU., Lmd., Fml., Rths., doch auch Sh.: hörn.
Sdb.: hoRn.
Gr. Bdl., Kl. Gml., Rths.: hömr (Hammer). Wh.: hömr = hamr. WzL: hamr.
Gr. Rdl., Kl. Gml., WzL: höml (Hammel). Rths., Fml., Wh.: höml = haml.
Besonders die allgemeine Verbreitung der Form kömr (Kammer) über das ganze
Gebiet zeigt, dass die lautlich sich entsprechend verhaltenden Formen höml und
hömr einst gleichfalls über unser ganzes Gebiet verbreitet waren.
h) i für e oder ai aus westgerm. eo.
Gr. Rdl., Oschl., Tth., Schnb., Owd., Gr. OtL: naira (Niere). Rths.: nera
(lautges.). Ns.: n£Ra (lautges.). Bed., Sh., WzL: nfra.
Gr. Rdl., Oschl., KL Gml., Dml., Hdd., Ovs., Tth.: frairn (frieren). Rths.:
frern. Ns.: fRIRn. Sh., Gr. OU.: frairn = frlrn. WzL, Ddd., KL OtL, Lmd..
Wh.: frlrn.
Gr. RdL, Oschl., KL Gml., Dml., Hdd., Ovs., Schnb., Tth.: frlairn. Bths.:
frlern. Ns.: fRURn. Sh., Gr. OtL: frlairn = frlirn. Wzl, Ddd., KL OU., Lmd.,
Wh., Dsd.: frlirn.
Gr. Rdl, Oschl., Sh., Dml., Hdd., Ndd., Ovs., Dsd.: bair (Bier) (doch überall
schon: zaidl bir Seidel Bier, bairs bir bairisch Bier). Rths.: b£r. WzL, Lmd.,
KL OtL, Fml., Wh.: bir. Sch.-Mb.: biR.
Gr. Bdl., Sh., Ebd.: dainn (dienen). Bths.: de*nn. Kl. OU., Lmd., FmL,
Wh.: dinn.
i) i für e oder e = tonlang i.
OsM., Gr. Bdl., Kl. Gml., Bmd., Dml, Hdd., Ndd., Lad.: tafren (zufrieden).
WzL, Ddd.: tafrSdn. Gr. Otl., KL OtL, Lmd., Fml., Wh., Dsd., Oos., Sdb., Seh-
Mb., Ns.: tafrtdn (Kontam.). 6 ist lautgesetzliche Vertretung des tonlangen ur-
germ. i z. B. st£l oder 8t61 (Stiel; vgl. ahd. Stil), spei oder £p£l (Spiel; vgl. ahd.
spil), föl (viel; vgl. ahd. filu), bera (Birne; vgl. ahd. bira); nur unmittelbar an der
Elbe herrscht dafür teilweis e z. B. FmL: Speln, Stel, föl, b6ra, Sch.-Mb.: Speln,
Stel, fei, beRa, nirgends f.
k) au oder Umlaute ai, oi für ü oder Umlaute ü, L
Gr. Bdl., Kl. Gml., WzL: alün (Alaun). Sch.-Mb.: alauna (femin.; hochd.
Diphthongierung).
Gr. Bdl: kapünn (Kapaun) (vgl. mhd. kappün). WzL: kapaun.
Gr. Bdl, KL Gml., WzL, Bths., Lmd.: üla (Eule). Sch.-Mb.: aila (ai für
oi volksmitteldeut8ch).
Gr. Bdl, KL Gml., WzL: bule (Beule). Sch.-Mb.: baila.
Gr. Bdl.: trü, jatrü (treu). Dml, Hdd.: tri (aus trÜ) = troi. Kl. Gml:
jatrf = troi. Bmd.: trfa = trü = troi. WzL, Ndd., Dsd., Ovs.: troi.
1) Verschiedene vokalisehe Ersetzungen.
Chr. Bdl., Ebd., Ddd.: kaula (kühl; au aus urgerm. 6; vgl. Staul Stuhl, faut
Fuss u. s. w.). Gr. OH.: kaula = kila (1 aus ü). Wh., Lmd., Sch.-Mb., Ns.: kila.
Gr. Bdl, Sh., Gthd., Aid., Kl. Oschl., Hml., Gr. Gml, Dml., Hdd.: ezl
(Esel; doch ezl meist schon als Schelte). Wseg., EtgL, Tth., Bckd, Eg., Wzl,
Lwd., Owd., Ddd., Lmd., KL OtL, Gr. OtL, Wh., Fml., Sdb., Sch.-Mb„ N$., Ovs.,
Ebd.: ezl. Die letztere Form kann deshalb nicht der Eigenentwickelung unseres
Niederd. entstammen, da in dem Gebiete, in dem es allein gesprochen wird, ton-
langes umgelautetes urgerm. a durch e vertreten ist z. B. redr (Rader), §emm
(schämen), mena (Mähne).
31
Gr. &dl., Kl. Wzl., Kl. Gml, Bmd., Schntz., Dml, Hdd, Ndd.t Ovs., Dsd.,
KL Oti., Lmd., Fml, Sdb., Sch.-Mb., Ns.: kikn (gucken) (vgl. nind. kiken). Uschi,
Aid., Gthd., Hml, doch auch Wzl.: kukn (in Oschl. kikn noch im Munde alter Leute).
m) Einsetzung einer anderen Bildung.
Dbg., Gr. BcU., Bkl: njaulo (Veilchen). Oschl.: failxn = njöla. Sh., Aid.:
failxn = njaulo. Hml, Oml: failxn, bei älteren Leuten fijaula. Dml, Hdd., Ndd.,
Wseg., Kl Gml., Bmd., Wzl, Schntz., Ovs., Rths. und überall weiter südösil: failxn.
2) Aufnahme formeller Elemente.
1. Die schwachen Präterita endigten in unserem Gebiete ur-
sprünglich auf -d z. B. h$r9 (er hörte), eine Bildung, die von den auf
d oder t auslautenden Wurzeln ausgegangen ist; vgl. mnd. antworde
aus antwordede, sette aus settede u. s. w. (Silbendissimilation), ver-
einzelt danach auch schon leve für levede u. a. Diese Formen wie
hftra sind jedoch ziemlich ausnahmslos nur noch etwa in dem gleichen
Gebiete in Gebrauch, das die labial-palatalen Vokale erhalten hat;
das ganze übrige Land nordwestlich und westlich der Linie Mb. —
Wzl. — Eg. hat hera neben herfo, Ovs. hftra neben hörte, Dsd. und
Rths. jedoch nur noch herto, ebenso das gesammte Kreuzungsgebiet
der mitteldeutschen Einflüsse. Die Endung -to ist hochdeutschen
Ursprungs.
2. Im nom.-accus. neutr. sing, haben die Adjektiva in starker
Flexion die endungslosen Formen wie grSt (gross) ohne Nebenformen
nur noch in Dbg., Dks., Dl. erhalten, während in den weiter südlich
und östlich gelegenen Punkten bereits die aus dem Hochd. entlehnten
Formen auf -98 z. B. grotas neben gröt schon vorhanden sind. In
Gthd., Oschl., Schk., Apf., Kl. Med., KL Wzl., Dml., Hdd. mögen
beide Formationen etwa gleich gebräuchlich sein; in dem von Oschl.,
Wzl., Eg. umschlossenen Dreieck und in Aid. überwiegen bereits die
Formen auf -98. Selten sind die älteren Formen bereits in Ovs. und
Rths., ganz ausgestorben in Dsd. und im Gebiete südöstlich und
östlich der Linie Mb. — Wzl. — Eg.
3. Etwas minder weit ist die Endung -r z. B. grötr für grötn
für den nom. sing. masc. der starken Flexion der Adjektiva vorgedrungen.
In Sh., Rkl., Kl. Rdl. sind die Formen auf -n noch die überwiegenden,
die weiter nördlich allein gebräuchlich sind. Ziemlich gleichmässig
scheinen auch beide Formen noch in Oschl., Psd., KL Oschl., Gr. Gml.,
HmL, Aid., Gthd. in Gebrauch zu sein; erst in Wseg., Etgl., Kl. Gml.
fangen die jüngeren Formen an zu überwiegen. Etwa gleichmässig
werden beide Formen auch in Dml., Hdd., Ndd., Ebd. gebraucht.
In Ovs., Rths., Dsd. sowie in Bmd., Bckd. und im ganzen übrigen
Gebiete sind die Formen auf -r die durchaus normalen und diejenigen
auf -n fast überall nur noch im Affekte gebräuchlich (z. B. dat is n
jrotr man 'das ist ein grosser Mann9, aber is dat möl n jrotn man
4st das ein grosser Mann!').
4. Wieder minder weit sind die Artikelformen dr für da (nom.
sg. masc.) in eigentlicher Funktion als Artikel und der für dfe in
Sä
deiktischer Funktion vorgedrungen. Sh., Rkl., Gr. Rdl., Hmd., Win.
haben bisher nur da und de, Kl. Med., Kl. WzL, Apf., Schk. häufiger
da und de als dr und dör, ebenso DmL, Hdd., Ndd., Kl. Rdl. Dagegen
mögen in Ebd., in Schntz. und im westlichen Teile des Dreiecks WzL —
Oschl. — Eg. beide Formen etwa gleich häufig sein, während in Kl. GmL,
Bmd., Etgl., Bckd. sowie in Rths. und Ovs. die Formen mit P bereits
überwiegen. In Dsd. sowie im gesammten von der Linie Mb. — Wzl. —
Eg. nach Südosten eingeschlossenen Gebiete sind der und dr allein
im Gebrauche.
5. Im gleichen Gebiete wird auch die Pronominalform dizr aus-
schliesslich für älteres diza gebraucht. Im Gebiete westlich Wzl. — Eg.
sind beide Formen neben einander üblich; doch wird dizr nach Norden
und Westen hin seltener. In Schntz. sind beide Formen in Gebrauch:
in DmL, Hdd., Ndd. ist diza noch üblicher. In Rkl., Kl. Med.,
Schk., Apf., Kl. WzL, Kl. Rdl. existiert bisher nur diza, weiter
nördlich dflza.
6. Etwa die gleiche Verteilung zeigt sich zwischen den Formen
des Reflexivs zik und zfy. Ersteres ist in Rkl., KL Med., Apf., auch
noch in Oschl. allein im Gebrauche, steht neben zij£ in Aid., HmL.
KL Oschl. u. s. w., auch in DmL etc. und ist nur in dem von Mb.,
WzL, Eg. eingeschlossenen Gebiete gänzlich verdrängt.
7. Die Form er für he (hai) findet sich nur und auch dort
hauptsächlich nur bei der jüngeren Generation in Lind., FmL, Sk.,
Wh., neben hai auch in Kl. Ott. und Gr. Ott., ebenso SR in Ns.,
Sch.-Mb., Sdb.
Dass die Zweisprachigkeit nicht allein in Mb., sondern auch in
WzL und Eg. schon seit längerer Zeit viel weiter ausgebildet als auf
den der mitteldeutschen Grenze näher gelegenen Dörfern gewesen sein
muss, zeigt sich vor allem an dem Gegensatze derjenigen Art und
Weise, in welcher hier noch abweichend von sämmtlichen umliegeuden
Dörfern Elemente aus dem Hochdeutschen in das Niederdeutsche auf-
genommen wurden, zu derjenigen, in welcher sich derartige Neuerungen
über zusammenhängende Striche verbreiteten. In den meisten Punkten,
in denen einzelne hochdeutsche Formen, auch hochdeutsche Flexions-
endungen, in das Niederdeutsche entlehnt wurden, stammen dieselben
nicht nur direkt aus dem von den Bewohnern dieser Punkte gespro-
chenen Hochdeutsch, sondern auch aus dem Niederdeutsch derjenigen
Nachbardörfer, die dem Ausgangsgebiete des Hochdeutschen näher
gelegen diese Elemente bereits in ihr Niederdeutsch aufgenommen
hatten. Welches Gewicht der letztere Faktor bei diesem Prozesse
gehabt hat, zeigt sich weniger darin, dass überhaupt nur die Städte
noch isolierte Entlehnungen aus ihrem Hochdeutsch in ihr Niederdeutsch
aufgenommen haben, als in dem Umstände, dass speciell diese Ent-
lehnungen zum grossen Teile in der Aufnahme ganzer Reihen von
Wörtern, die durch lautliche Eigentümlichkeiten mit einander verknüpft
sind, bestehen. Über weitere Striche hin sind dagegen erstens einzelne
stoffliche Elemente deshalb aus dem Hochdeutschen aufgenommen
83
Worden, weil sie vermöge ihrer Bedeutung häufiger hier als im Nieder-
deutschen vorkamen — derartige Wörter könnten sogar von solchen
Dörflern in ihre Sprache entlehnt worden sein, die sich auch den nur
hochdeutsch sprechenden Personen gegenüber nur ihres Niederdeutsch
bedienten — , zweitens aber Flexionsfonnen deshalb entlehnt, weil hier
fast überall zwingende Gründe psychologischer Art massgebend ge-
wesen sind, worüber näheres später. Derartige zwingende Gründe
sind jedoch für die Reihenentlehnungen stofflicher Elemente nicht auf-
findbar. Die Beispiele sind folgende:
1. Im Sch.-Mb. ist, von wenigen durch lautliche Verhältnisse
bedingten Ausnahmen abgesehen, jedes t in ts verwandelt worden, wenn
das Hochdeutsche an entsprechender Stelle ts hatte; vgl. oben tsapm
für tapm, tsön für tön u. s. w. Dass dieser Prozess keineswegs mit
den „ Lautgesetz u genannten Erscheinungen auf gleiche Linie zu stellen
ist, ergiebt sich einfach aus der Thatsache, dass alle nach Eintreten
der zweiten Lautverschiebung sowohl in das Hochdeutsche wie Nieder-
deutsche aufgenommenen, ein t enthaltenden Lehnwörter dies t im
Sch.-Mb. erhalten haben, weil auch im Hochd. t, nicht ts daneben
stand. So heisst es Sch.-Mb. stets telR (Teller), tuRm (Turm), tun»
(Tonne), tuRnn (turnen), tanfo (Tante).
2. Intervokalisches d ist sowohl als Vertretung des urgerm. P
wie des urgerm. 8 im Striche an der Elbe, in Wsl., Sdf., Ddd., SL,
Bed., "Wh., Sk., Fml., Sdb., Sch.-Mb., Ns., Rths., erhalten, im übrigen
Gebiete aber überall geschwunden, wo es nicht ursprüngliche Geminata
war. Es heisst z. B. im Eibniederdeutsch löda (lade), böda (bade),
röda (rate), rida (reite) u. s. w. gegenüber löd, böa, röd, ri9 im übrigen
Lande. Ebenso ist an der Elbe, ausserdem nur teilweis im Norden
des Gebietes, intervokalisches y und j erhalten, während es sonst
wiederum geschwunden ist; dem fröya (frage), dröya (trage), ätija
(steige) stehen im grössten Teile des Westens, auch noch in Schntz.,
DmL, Kl. Wzl., Apf. die Formen fröa, dröa, §tia (stfo) gegenüber.
Innerhalb dieses Gebietes jedoch haben nun Wzl. und Eg. intervo-
kalisches y und j überall wiederhergestellt, weil die hochdeutschen
Formen diese Laute enthielten; ebenso hat der grösste Teil der Be-
völkerung beider Städte auch intervokalisches d wiedereingesetzt, sei
es dass demselben hochd. d oder t gegenüberstand. Es heisst daher
in beiden kleinen Städten fröyd, dröya, §tija u. s. w. und meistens
auch lödd, böd», röda, rida etc., während sämmtliche unmittelbar um
und zwischen Wzl. und Eg. gelegenen Dörfer nur die Formen ohne
intervokalische y, j und d kennen. Dass z. B. in dröa ein y, in dem
lautlich parallel geformten loa ein d eingeschoben wurde, zeigt hin-
länglich, dass wir es nicht mit einem Lautgesetze zu thun haben.
3. Im Niederdeutsch unseres ganzen Gebietes mit Ausnahme des
Striches unmittelbar an der Elbe hat in den einsilbigen Substantiven
mit inlautendem a auch bei folgendem Geräuschlaut der Nominativ
nach Analogie der übrigen Casus ö angenommen: es heisst daher z. B.
niederd. jlös (Glas), jrös (Gras), rot (Rad), bot (Bad), jröf (Grab),
KledeideufcMhts Jahrbuch. XIV. 3
34
föt (Fass), dök (Dach). In unserem Hochdeutsch wird jedoch allgemein
jlas (glas), jras (gras), rat, bat, jrap (grap), fas, dax gesprochen.
Nun hat jedoch Wzl. nebst seinen beiden Domänenvorwerken Bmb.
und Bltz., aber abweichend von allen umgebenden Dörfern die Formen
mit kurzem Vokal überall da auch in das Niederdeutsche eingeführt
wo beide Dialekte den gleichen Konsonantismus boten, so dass es hier
jlas, jras, rat, bat, aber jröf, fot, dök im Niederdeutschen lautet. Da
nun nach Friedr. Hoflfmann, Geschichte des Königlichen Domainen-Amts
und der Kreis-Stadt Gross-Wanzleben, Berlin 1863 Bmb. und Bltz.
im Jahre 1790 und in den folgenden Jahren von Wzl. aus angelegt
wurden, so muss diese Übernahme aus dem Hochd. in das Niederd.
höchstwahrscheinlich vor 1790 erfolgt sein, weil es doch merkwürdig
wäre, wie eine von Wzl. aus wellenförmig sich ausbreitende Sprach-
neuerung gerade nur dessen Domänenvorwerke, nicht aber auch eins
der umgebenden Dörfer erreicht hätte.
Welche Rolle hingegen bei der Übernahme einzelner Wörter
die Kultur- und Verkehrsverhältnisse zuweilen selbst so gut wie unab-
hängig von der Häufigkeit der Anwendung der Kontaktmundart für
die Aufnahme von Wortformen derselben in die Eigensprache spielen,
ergiebt sich aus folgenden Beispielen:
1. Die jüngere Generation in Dbg. hat niederd. jdte durch josa
ersetzt, weil dies Dorf, wie mir versichert wurde, bis vor kurzer Zeit
noch nicht gepflastert war und daher überhaupt keine Rinnsteine hatte.
Alle südlich und östlich gelegenen Dörfer bis Lwd. kennen niederd.
nur jöte, wofür josa erst in Owd. auftaucht (vgl. oben).
2. Das sonst am meisten vom Hochd. durchsetzte Sch.-Mb. hat
eine niederd. Wortform eben nur in Übereinstimmung mit dem sonst
von dieser Durchsetzung noch am meisten verschonten Dbg. erhalten.
Es ist dies Sch.-Mb. kReft für „Krebs", wofür Dbg. noch „krewat4'
bietet, eine Form, die südlich und östlich von diesen Dörfern entweder
gänzlich verdrängt oder doch nur in übertragenen Bedeutungen er-
halten, sonst aber durch kreps (Ns., Sdb. kReps) ersetzt worden ist
(vgl. oben). Die Erhaltung der niederd. Wortform gerade im Sch.-Mb.
erklärt sich aus der Identität des Aufenthaltsortes des durch dieselbe
bezeichneten Tieres mit dem Lebenselemente der Schiffer und Fischer.
85
Das Hochdeutsch im Magdeburger Lande.
Das in so beträchtlichem Masse in der Magdeburger Börde und
in den sich westlich wie östlich anschliessenden Distrikten von den
Ungebildeten im Verkehre mit Gebildeten und Städtern angewandte
Hochdeutsch gleicht natürlich nicht der mustergiltigen Gemeinsprache.
Es hat erstens zahlreiche niederdeutsche Elemente beibehalten, zweitens
sich an die benachbarten mitteldeutschen Volksdialekte angelehnt.
In dieser Gestalt ist es eine bei den verschiedenen Individuen unseres
Gebietes und der betreifenden Nachbargebiete relativ einheitliche und
neben dem Niederdeutschen traditionelle Sprache geworden, wiewohl
es infolge von Schuleinflüssen mannigfachen Schwankungen unterworfen
ist. Diejenigen Landleute, die das Niederdeutsch nur aus Vornehm-
thuerei völlig abgestreift, aber keine höhere Schule besucht haben,
sprechen in der Regel das schlechteste Hochdeutsch, das eben, weil
es als alleinige Sprache weit geläufiger geworden, am wenigsten den
paralysierenden Einflüssen der Schule unterliegt. Das Gleiche hat
für die Bewohner der Stadt Magdeburg überhaupt zu gelten, gerade
wie für die Berliner.
Aus dem Niederd. hat unser Hochdeutsch, am ausgeprägtesten
das St.-Mb. der niederen Stände, die neutralen Pronominalformen wie
vat, dat beibehalten, also analog dem Berlinischen, das nur in seinem
det von unserem Hochdeutsch ähnlich dialektisch differenziert ist wie
das in jener Gegend gesprochene Niederdeutsch von dem unsrigen.
Besonders eklatant beweist folgender Fall die Einheitlichkeit und
traditionelle Fortpflanzung der hochdeutschen Kontaktsprache in dem
ganzen hier in Betracht kommenden Gebiete:
Niederd. d aus urgerm. X = hochd. t ist im Volkshochdeutsch
des Magdeburger Landes, insbesondere regelmässig im St.-Mb., in-
lautend nach langen Vokalen stets, nach kurzen meistens durch t
ersetzt (z. B. fotr Vater, rötn raten, ärotn schroten, raitn reiten,
röte rote, braita breite u. s. w. ; kete Kette, vete Wette, vetr Wetter,
retn retten, bete Bett u. s. w.), anlautend dagegen erhalten worden
(z. B. doxtr Tochter, dauznt tausend, dauwa Taube, dölr Thaler, dan»
Tanne, drisk» trinken, dröyn tragen, dol toll, dir» Thür, dör Thor
u. s. w.). Genau die gleiche Verteilung hat das Berlinische (vgl. D.
richtige Berliner S. VI, Graupe S. 43). Diese Übereinstimmung setzt
auch die gleiche Verteilung von d und t des ganzen zwischen Berlin u.
Mb. gelegenen Gebietes in dem von den Ungebildeten gesprochenen Hoch-
deutsch voraus. Wenn nun auch, wie später gezeigt werden soll, der
ganze Wechsel von d und t in diesem Dialekte auf der Wirksamkeit ganz
bestimmter Faktoren, vor allem des Bequemlichkeitstriebes, beruht,
so würde es doch sehr merkwürdig sein, wenn bei jedem einzelnen
Individuum genau dieselben Faktoren in Wirksamkeit getreten wären.
Von Kindern, die ihre Muttersprache lernen, fällt ja auch dem einen
3*
diese, dem anderen jene Lautverbindung schwerer. Auch wo Laut-
wandlungen sichtlich aus Bequemlichkeitsgründen hervorgegangen sind,
brauchen sie sich nicht über das ganze Gebiet zu verbreiten, auf dem
die gleichen Lautverbindungen, die vom Wandel getroffen sind, vor-
liegen. Auch solche Lautwandlungen setzen sich ja durch Übertragung
von einem Individuum auf andere fort. So wäre gewiss auch nicht
überall dort, wo die im Verkehre mit Gebildeten gebrauchte Kontakt-
sprache zu einer häufigeren Anwendung gelangt ist, d und t nach
demselben Gesetze verteilt worden, wenn hier nicht der Einfluss der
einzelnen sonst niederdeutsch sprechenden Personen auf einander, auch
die Tradition von Eltern zu Kindern bereits mitgewirkt hätte. Am
auffallendsten ist jedoch der Umstand, dass die von den ungebildeten
Magdeburgern gesprochene Mundart und die hochdeutsche Kontakt-
sprache im Magdeburger Gebiete mit dem Berlinischen in der einzigen
Ausnahme von dem Gesetze, dass niederd. d im Anlaut erhalten bleibt,
übereinstimmt. Es ist dies das Wort tir (niederd. dairt aus mnd.
dert, dfer = andfrk. Ps. dier = ags. deor = anord. dyr; dairt im
grössten Teile unseres Gebietes nur noch als Schelte üblich, sonst die
Kontaminationsform dir [aus dairt -f- nhd. tir]; in einigen Dörfern
im Süden Magdeburgs wie in Wh., Wsl. tir auch schon im Niederd.).
Vgl. D. rieht. Berl. S. 100: Thier, Firmenich I, 148 ff. stets: Thier;
bei allen anderen Wörtern schreiben beide Bücher stets d für anl.
urgerm. X (vgl. das Wörterverzeichnis in „D. rieht. Berl.Ä unter den
Buchstaben d und t). Ich habe keine Ursache ausfindig machen
können, weshalb einzig bei diesem Worte anl. niederd. d durch hochd.
t ersetzt worden ist; die abweichende Behandlung desselben kann ich
mir nur so erklären, dass gerade unter denjenigen Personen, die das
Wort infolge ihres Berufes oder aus unberechenbaren Ursachen am
häufigsten im Hochdeutschen anwandten, die Mehrzahl zufällig psychisch
und physisch so organisiert war, dass sie Bequemlichkeitstrieben weniger
nachgebend für jedes anlautende d ein t einsetzte.
Wie sich unser Volkshochdeutsch an das benachbarte Volks-
mitteldeutsch gelehnt hat, so hatte dies selbst in Anlehnung an die
benachbarten Volksdialekte Obersachsens und Thüringens das dortige
Niederdeutsch verdrängt. Denn während sich die Mundart der Ge-
bildeten dieses Distriktes genau der Lutherschen Sprache anpasste,
wie denn auch später neben Dresden und Leipzig Merseburg und
Wittenberg (über die ursprüngliche Zugehörigkeit des letzteren zum
Mitteldeutschen vgl. Winter, Forsch, z. deutschen Gesch., Bd. XIV,
S. 337) als diejenigen Punkte genannt zu werden pflegten, welche das
beste Deutsch sprächen, unterschied der Ungebildete desselben Gebietes
nicht zwischen den verschiedenen Nuancen des Mitteldeutsch und
nahm bei dem Bestreben, sich die Luthersehe Sprache anzueignen,
den im Verhältnis zum Niederdeutschen dieser Sprache ungemein
nahe stehenden, weit häufiger aber als diese selbst gehörten ober-
sächsisch-thüringischen Volksdialekt an. Ich gebe die Beispiele:
37
A) Reihenentlehnungen nach lautlichen Eigentümlichkeiten.
a) Konsonantismus.
Die Gemeinsprache steht hinsichtlich der Lautverschiebung be-
kanntlich auf ostfränkischer Lautstufe. Nach Paul, Mhd. (Ir. § 94
weichen das Thüringische, Obersächsische und Schlesische insofern
vom Ostfränk. ab, als sie pp und mp unverschoben lassen. Das gleiche
Verhalten zeigt nun das vom Mitteldeutschen eroberte Gebiet. So
nach Haushalter, Die Mundarten des Harzgebietes S. 11 das Unter-
harzische, nach S. 18 das Mansfeldische und Anhaltische. Vgl. ferner
folgende Stellen bei Firmenich II: S. 217: Appel (Unterharz), 224:
Toppchen, Tröppchen, Damp, Mistsump (Bernburg), 231: Kopp (Dessau),
238: Stampe (gestampfte Rüben; Merseburg). So ist nun auch in der
hochdeutschen Rede des Niederdeutschen im Magdeburger Lande sowie
im St.-Mb. alte Geminata p und mp unverschoben geblieben z. B. kop
(Kopf), krop (Kropf), nap (Napf), tsop (Zopf), tsapm (Zapfen), dropm
(Tropfen), hopm (Hopfen), propm (Pfropfen), apl (Apfel), kupr (Kupfer),
damp (Dampf), zump (Sumpf), ätrump (Strumpf). Analog muss sich
auch das Berlinische verhalten. Vgl. D. rieht. Berl. S. VI: Strump,
knippern, S. VIII: Droppe, Firmenich I, S. 151 wiederholt: Kopp, S.
153, Sp. 1, Z. 36: Wiedehopp. Vgl. auch Graupe S. 4L
Dass hier alte Geminata p und mp weniger aus dem Bequem-
lichkeitstriebe als deshalb beibehalten wurden, weil man diese Laut-
verbindungen auch als hochdeutsch empfand, ergiebt sich aus einem
Worte wie dem St.-Mb. und von unseren Niederdeutschen in hoch-
deutscher Rede angewandten top (Topf), das im Niederd. nur als dop
in den Bedeutungen „Eierschale, Tassenkopf (mnd. „hohle Rundung")
erscheint, in der Bedeutung „Topf" aber niemals dort vorkommt,
wofür vielmehr das Wort pot allein herrschend ist, abgesehen davon,
dass in einigen Dörfern dicht um Mb. top auch in das Niederdeutsche
übernommen worden, woneben aber dop in seiner Bedeutung fortbesteht.
Wir sehen also, dass ein hochdeutsches Wort, zu dem man im Niederd.,
da pot nicht lautlich, dop nicht funktionell entsprach, nichts als
Analogen fühlen konnte, in volksmitteldeutscher, nicht in eigentlich
gemeinsprachlicher Gestalt in den bei den Ungebildeten als Gemein-
sprache fungierenden Dialekt eingesetzt wurde.
Die Formen mit unverschobenem p in den betreffenden Fällen sind
besonders im St.-Mb. bei den niederen Ständen allein gebräuchlich, da sie
hier eigensprachlich geworden sind. Im Magdeburger Lande hört man
in hochdeutscher Rede der Ungebildeten wenigstens zuweilen daneben
die echt gemeinsprachlichen Formen mit f; doch wirkt auch hier die
Übereinstimmung der ursprünglich volksmitteldeutschen Formen mit den
eigensprachlichen niederdeutschen dem Schuleinflusse mächtig entgegen.
b) Vokalismus.
Im Vokalismus zeigt sich die Abhängigkeit des betreffenden Ge-
bietes in seinem Hochdeutsch vom benachbarten Volksmitteldeutsch
noch weit deutlicher. Ich gebe zunächst den Thatbcstand:
38
Nach Haushalter, Mundarten des Harzgebietes S. 11, hat das
Unterharzische, ehemals niederdeutsches Gebiet, urgerm. ! und ü noch
durch t und ft vertreten. Vgl. auch Firmenich II, S. 217 u. 218:
sihnen (seinen), mihn (mein), glihch (gleich), schriben (schreiben),
wiht (weit), blieb (bleib!), uhs (aus). Aus Firmenich ist auch die
Vertretung des urgerm. in durch i ersichtlich: vgl. Lihte (Leute),
dihtlich (deutlich), hilite (heute). Nach Haushalter, S. 12 Fussnote 1
wird im westlichen Teile des Unterharzischen minn huss (mein Haus)
gesprochen; es steht also, mindestens teilweis, i für urgerm. I, u für
urgerm. fi. Die urgerm. Diphthonge ai und an scheinen im Unterharze
überall dort durch ai und an vertreten zu sein, wo das Ahd. die
Diphthonge gewahrt hat. Vgl. Firmenich a. a. 0. : Falkensteine, kein,
gemeine, heime (daheim), an (auch).
Das Mansfeldische hat nach Haushalter S. 12 für urgerm. l und
ft diphthongische Vertretung eingeführt (z. B. mein haus). Ebenso
nach Wäschke a. a. 0. S. 314 das Anhaltische z. B. mein, Eis, Eile,
Seite (latus), bleiben, schreiben, Weite, eisern, Pflaume, faul, bauen,
Braut, brauchen, Raum, Taube. Weitere Beispiele für Bernburg und
Dessau bei Firmenich II, S. 218. Analoge Vertretung in Halle ist
aus Firmenich II, S. 235 ff. zu ersehen: deinetwegen, Pfeiffe, greifen,
Schneider. Vertretung des u durch an ist aus dem umgelauteten
Fäuste zu folgern. So verhält es sich auch mit Merseburg; vgl. Fir-
menich II, 236 ff.: fein, Reiter, meine, weiss, Reich, reich, ans, Haus.
Dagegen ist urgerm. ai durch e, an durch 6 im Anhaltischen, in Halle
und in Merseburg vertreten. So nach Wäschke S. 314 u. 315; vgl.
anhält, rene, allene, hele, bret, hSss, Schwess, Stfcn, SSI (Seil), Sete
(Saite; mhd. seite). Vgl. für Halle Firmenich a. a. 0.: keene, kleen,
alleen, Trom, für Merseburg: Leed, heemlich, keener, oh (auch).
Ganz die gleichen Verhältnisse gelten für das St.-Mb., in dem
urgerm. ai gleichfalls regelmässig durch e, urgerm. au regelmässig
durch 6 vertreten ist, während sich an Stelle von urgerm. i und ü die
Diphthonge ai und an gestellt haben. Beispiele: enR, kenR, aRwet
(Arbeit), Sten, klen, ben, bret, hesn, hfes, vStsn, dfy (Teig), wejr, del,
menn, lesta (Laiste), let, zefa, klet, venn; öx, h6x, löfn, bdm; haitn,
iRaifn, bail, fain, Raix, §maisn, tsait, vait; baux, faul, danwa (Taube),
bann, haus u. s. w.
Der Umlaut des 6 aus urgerm. au ist im St.-Mb. durch 6 gegen-
über gemeinsprachlichem oi vertreten z. B. fRzefn (ersäufen), dRemm
(träumen), zemm (säumen), bfeme (Bäume), left (er läuft), SnelefR
(Schnellläufer).
Auch das Berlinische hat die gleichen Vertretungen. Vgl. D.
rieht. Berl. S. VII: „Dem hochdeutschen ei und an entspricht wie im
Plattdeutschen zweierlei: ee und oo: vgl. een, Arbeet, Boom, Droom,
koofen; dagegen ai und an, wo das Plattdeutsche langes i und n hat
z. B. Wein, Haus. Wenn an Umlaut von an = oo ist, entspricht ihm
ö (spr. e) z. B. drSmerig (träumerisch), aber Häuser (spr. Heiser)."
Weitere Beisp. bei Firmenich a. a. 0., Graupe S. 38 ff.
39
In fast sämmtlichen angeführten Fällen, in denen hier das auf
ehemals niederdeutschem Gebiete gesprochene Volkshochdeutsch einen
von der Gemeinsprache abweichenden, mit dem thüringischen oder
obersächsischen Volksdialekte übereinstimmenden Lautstand zeigt, hat
es allerdings den niederdeutschen Vokalismus, der hier mit dem des
benachbarten Mitteldeutsch übereinstimmte, festgehalten. Dass jedoch
die niederdeutschen Laute hier nicht etwa aus dem Bequemlichkeits-
triebe, sondern deshalb beibehalten wurden, weil sie mit den Ver-
tretungen im benachbarten Volksmitteldeutsch übereinstimmten, dafür
lässt sich ein doppelter Beweis fuhren:
1. Das Obersächsische z. B. Leipzig bietet nach Albrecht, S. 8
u. 9 ai für urgerm. i, an für fl, 6 für jedes urgerm. au, $ für jedes
urgerm. ai. Das nördliche Thüringisch hat nach Martin Schultze,
Idiotikon der Nord-Thüringischen Mundart S. 3 urgerm. 1 und ü er-
halten, ahd. in durch ii (i) vertreten, z. B. tiier (teuer), f iier (Feuer) ;
ein Teil des nördlichen Thüringens z. B. die Gegend von Nordhausen
hat für i und ü in gewissen Fällen die Kürzen i und u eintreten lassen;
nach Haushalter a. a. 0. S. 1 1 wird „minn huss" ausser im westlichen
Unterharze auch in einem Teile Nordthüringens, einschliesslich Nord-
hausen, gesprochen. Dagegen hat das Thüringische nach Mart. Schultze
a. a. 0. urgerm. ai und au wie im Ahd. vertreten. Nunmehr ist ohne
weiteres klar, weshalb das Unterharzische aus seinem Niederdeutsch
i und U, das weiter östlich gelegene, ehemals niederdeutsche Gebiet
aus dem seinigen e und 6 beibehalten hat: die Niederdeutschen haben
überall den Dialekt ihres südlichen Nachbars als den „ hochdeutschen u
aufgefasst, so dass sich die mitteldeutschen Volksmundarten in gerader
Linie von Süden nach Norden vorgeschoben haben. In einem Falle,
in der partiellen Vertretung des urgerm. 1 und ü durch i und u im
westlichen Unterharze hat sich der Dialekt abweichend sowohl von
der Gemeinsprache wie vom ursprünglichen Niederdeutschen an das
benachbarte Thüringisch angeschlossen, falls wir hier nicht etwa eine
jüngere sich wellenförmig ausbreitende Secundärentwickelung vor
uns haben.
2. Das St.-Mb. — und gewiss auch so das übrige ehemals nieder-
deutsche Gebiet — hat auch da e und 6 eingesetzt, wo die Gemein-
sprache ai und au, das Obersächsisch- Volksmitteldeutsche e und ö,
das Niederdeutsche im Magdeburgischen in seiner Eigenentwickelung
weder e noch ai, weder 6 noch au bietet. So ves (ich weiss) =
obers. ves gegenüber niederd.-Magdeb. vet (nach dem Plur. vetn),
abweichend von gemeinspr. vais, mestR = obers. mestR gegenüber
gemeinspr. maistr und niederd.-Magdeb. mestr (z. B. Wzl., Ovs. etc.,
mestR im Sch.-Mb. u. s. w. beruht höchstwahrscheinlich auf Entlehnung
aus dem Hochdeutschen), dftfh = obers. ddfli (mit anderem d) gegen-
über gemeinspr. tanfn u. niederd.-Magdeb. depm (aus döpm), köfn =
obers. köfn gegenüber gemeinspr. kaufn u. niederd.-Magdeb. kepm
(aus köpm). Im Prinzipe verhält es sich auch analog mit St.-Mb.
lefst (du läufst) = obers. lefst gegenüber gemeinspr. loiist u. niederd.-
40
Magdeb. lepst (aus lOpst). Am auffallendsten ist folgendes Beispiel:
Sdb., Sch.-Mb., Ns. haben zwar urgerm. ai durch Ä vertreten, aber
das Wort aika (Eiche) aus dem westlich angrenzenden Niederd. ent-
lehnt; trotzdem heisst es St.-Mb. ejd = obers. typ gegenüber
gemeinspr. afya u. diesem aika.
In dem Hochdeutsch der Dörfer des Magdeburger Landes ist
infolge des Schuleinflusses urgerm. ai und au in der Regel durch ai
und au vertreten, sobald es die mustergiltige Gemeinsprache erfordert.
Doch findet sich besonders in den in unmittelbarer Nähe von Mag-
deburg gelegenen Dörfern e allgemein für urgerm. ai und 6 allgemein
für urgerm. au recht häufig, obwohl wenigstens im ganzen Gebiete
westlich von Magdeburg ersteres in den meisten Wörtern im Niederd.
durch ai vertreten ist. So insbesondere bei den in Magdeburg viel
beschäftigten Arbeitern aus Diesdorf und Olvenstedt, die also im
Niederd. kain (kein), hait (heiss), brait (breit) u. s. w., im Hochd.
kfcn, hfcs, bröt etc. sagen. Auch bilden e und 6 in den weiter westlich
gelegenen Dörfern die regelmässigen Vertretungen für urgerm. ai und
au bei vielen einzelnen Individuen, die viel in Magdeburg verkehren,
insbesondere bei solchen, die das Niederd. gänzlich aufgegeben haben.
B) Einzelentlehnungen*).
St.-Mb. uf (auf) = obers. uf gegenüber gemeinspr. auf und
niederd.-Magdeb. op.
St.-Mb. nidR = obers. nidR gegenüber gemeinspr. ntdR und
niederd.-Magdeb. nedr (Sch.-Mb. nedR).
St.-Mb. vidR = obers. vidR gegenüber gemeinspr. vtdR und
niederd.-Magdeb. vedr (Sch.-Mb. vedR).
St. -Mb. iwR (über) = obers. iwR gegenüber gemeinspr. ftbR und
niederd.-Magdeb. ewr (aus öwr; Sch.-Mb. ewR).
St.-Mb. fite = obers. fite gegenüber gemeinspr. fil und niederd.-
Magdeb. fSl oder fei (letzteres Sch.-Mb.).
Die gleichen Formen wie im St.-Mb. und im Obers, sind auch
aus Berlin bekannt.
Mit der Verteilung der Formen auf und uf, nidr und nidr u. s. w.
im Hochdeutsch des Magdeburger Landes verhält es sich ganz analog
wie mit derjenigen der Vokalvertretungen ai und 8, an und 6.
Aber nicht nur das Hochdeutsch der mittleren und unteren Stände
im Magdeburger Lande, sondern auch dasjenige der Gebildeten weist
Abweichungen von der mustergiltigen Gemeinsprache auf. In den
betreffenden Formen weicht die Sprache der gesammten Volksmasse
unseres Gebietes zugleich auch vom obersächsisch-thüringischen Volks-
dialekte ab. Die Beispiele sind:
1. Tonlanges westgerm. e ist sowohl in Obersachsen wie in der
Hauptmasse des Niederdeutschen im Magdeburger Lande durch e ver-
treten. Es heisst z. B. in Leipzig lewa, klewd, trete, knete, wofür
*) Die obers. Formen kenne ich aus Leipzig.
41
im Magdeb. Niederdeutsch lewa, klewd, trea, kned (resp. treda, kneda).
Naturgemäss lautet es auch im Magdeb. Hochdeutsch lewa, klewd,
trete, knefo. Tonlanges umgelautetes a ist jedoch in Sachsen z. B.
in Leipzig durch ä z. B. in hewe (ich hebe), dies aber in dem gleichen
Teile des Magdeb. Landes im Niederd. durch e z. B. in hewd vertreten.
Der Unterschied zwischen e in lewa u. s. w. und dem e in hewd ist
mir innerhalb des vom Mitteldeutschen eroberten Gebietes wenigstens
aus Halle bekannt. Die hauptsächlich durch den mündlichen Verkehr
vermittelten Formen erscheinen hier in obersächsischer Gestalt. Der
betreffende grössere Teil des Magdeb. Gebietes hat auch tonlanges
umgelautetes a durch e z. B. in hewd vertreten. Da nun die Ein-
fuhrung des Hochdeutschen im Magdeburgischen in der Hauptsache
auf schriftlichem Wege geschah, das Schriftbild e aber eine Zwei-
deutigkeit zuliess, so behielt man auch hier nach Analogie der Verba
lewe, trete u. s. w. die niederd. Form höwa auch im Hochd. bei.
Wo hingegen das Obersächsische ein e für tonlanges umgelautetes a
gegenüber einem anderen niederd. Laute als e oder e bot und wo
keine ähnliche Analogiebildung wie hewa nach trete möglich war, da
entschied die obersächsische Aussprache für die unseres Hochdeutsch
auch da, wo das Schriftzeichen gleichfalls zweideutig erschien. Obers,
ezl (Esel) = niederd. ezl erscheint auch in unserem Hochd. als ezi.
Der kleinere nordwestliche Teil unseres Gebietes hat sowohl ton-
langes westgerm. e als auch tonlanges umgelautetes a im Niederd.
durch e vertreten z. B. !Sw9, hftwa. Die östlichsten und südlichsten
Punkte dieses Bezirkes sind: Ebendorf, Olvenstedt, Diesdorf, Gr. Otters-
leben, Schleibnitz, Domersleben, Remkersleben, Seehausen (doch hat
Kl. Ottersleben noch e). Aber auch in diesem Gebiete wird für ton-
langes westgerm. e stets z. B. in lewa e, für tonlanges umgelautetes
a in hewd e im Hochd. gesprochen. Offenbar ist hier die hochd.
Aussprache des dem Ausgangslande der Gemeinsprache näher liegenden
Gebietes, vor allem aber wohl diejenige der Stadt Magdeburg für das
Hochdeutsche massgebend gewesen. Es heisst auch hier hochd. 6zl
gegenüber niederd. ezl. Was hewa und hewa betrifft, so ist hier durch
eine eigentümliche Verkettung von Umständen das mit der gemein-
sprachlich-obersächsischen Form zufällig übereinstimmende volksdia-
lektische hSwo durch die ursprünglich dem benachbarten Volksdialekte
angehörige Form in gemeinsprachlicher Funktion verdrängt worden.
2. Weiteren Umfang hat eine ganz analoge Verdrängung wie
die letzte in folgendem Falle, nur dass hier die Übereinstimmung der
verdrängten Formen mit den eigentlich gemeinsprachlichen nicht einmal
eine zufällige war:
Im Niederd. fast des gesammten Magdeb. ist bei den einsilbigen
auf einen Geräuschlaut auslautenden Substantiven mit inlautendem a
eine Angleichung des nom.-acc. sg. an die übrigen Casus in Bezug
auf die Tondehnung übereinstimmend mit dem Mittel- und Oberdeutschen
and abweichend vom übrigen Niederd. erfolgt: also jlös, jrös, bot,
Pöt, fijt (Fass), dök (Dach), jröf (Grab), köf (Spreu). Der Prozess
42
dieser Angleichung ist vom hochd. Sprachgebiete ausgegangen und bat
von da den angrenzenden Teil des Niederd. ergriffen. Denn Schneit-
lingen, Egeln, Bleckendorf, Westeregeln haben auch die Adjektivform
not (nass), Schneitlingen, Egeln und überwiegend auch Westeregeln
die Adverbialformen öf (ab), ön (an), die an die ursprünglichen Neben-
formen *öwa, *öM9 aus abe, ane angeglichen sind (vgl. Leipzig an),
wofür Bleckendorf bereits stets af und an zeigt. Weiter nördlich
heisst es auch überall nat. Neben blöt findet sich in Kl. Germersleben
bereits blat; in Gr. Rodensieben ist blat allein üblich, in Druxberge
heisst es auch bat, dagegen immer noch gros, glös, rot, föt, dök, jröf,
köf. Dass sich die Formen allmählich nach Norden hin verlieren,
beweist eben, dass sie aus dem mitteldeutschen Nachbarlande stammen.
Da die von Mitteldeutschland aus später vordringenden gemein-
sprachlichen Formen ganz vorzugsweise durch das Mittel der Schrift
verbreitet wurden, das hochdeutsche die Quantität nicht bezeichnende
Schriftbild sich aber gerade in unserem Falle vom Niederdeutschen
im Vokale nicht unterschied, so behielten die übrigen Norddeutschen
die ihnen aus dem Niederdeutschen geläufige Aussprache des a als
kurzen Vokales im nom.-aec. sg. bei. So giebt z. B. schon C. F.
Weichmann in seiner „Poesie der Nieder-Sachsen", I. Teil, Hamburg
1725, S. 12 „Pfad, Bad, Rad" mit kurzem a als niedersächsische vom
Obersächsischen abweichende Aussprache des Hochdeutschen an. Die
Aussprache jras (gras), jlas (glas), bat, rat, fas, dax, jrap (grap) ist
nun auch die im heutigen Hochdeutsch des Magdeb. Gebietes allein
herrschende, obwohl man doch hier gemäss der hier geltenden niederd.
Aussprache jlös, jrös u. s. w. auch im Hochdeutschen erwarten sollte.
Ganz die gleichen Verhältnisse gelten für das Hochdeutsch und Nieder-
deutsch des Oberharzes (vgl. Damköhler S. 16).
Wie das ursprüngliche Niederd. der Stadt Mb. hier gelautet hat,
lässt sich leider nicht mit voller Sicherheit bestimmen. Das Schifter-
Magdeburgische, Neustadt und Sudenburg können ihr jlas, jRas, bat,
Rat, blat sehr wohl aus dem daneben gesprochenen Hochdeutsch über-
nommen haben, so gut wie ihr dax (Dach) und fas aus dem Hoch-
deutschen entlehnt sein müssen. Da nun das Schiffer-Magdeburgische
die Form jRöf noch erhalten hat, so ist es wenigstens recht wahr-
scheinlich, dass jlas u. s. w. wirklich dem Magdeb. Hochdeutsch ent-
stammen und auch jlös etc. die ursprünglichen niederd. Formen für
Mb. sind. Allerdings kennt bereits Rothensee vor folgendem Dental
hier nur Formen mit a z. B. fat (Fass). Nimmt man jedoch an, dass
auch das Niederd. der Stadt Magdeburg ursprünglich jlös u. s. w.
bildete, wie es bei weitem das Wahrscheinlichere ist, so hat Mag-
deburg, indem es der Gemeinsprache als Brücke dienend dieselbe, dem
übrigen Norddeutschland vermittelte und in Gemeinschaft mit diesem
an der Herstellung eines norddeutschen Hochdeutsch arbeitete, infolge
des Strebens nach möglichster Einheitlichkeit dieser Sprache sich iu
dem Punkte, in welchem es von der Majorität der norddeutschen
Städte abwich, sich derselben gefugt und die dort im Hochdeutschen
43
geltende Aussprache angenommen. Mindestens ist aber dann die Aus-
sprache dieser Wörter im Hochdeutschen der Stadt Magdeburg für
diejenige im Hochdeutschen des Magdeburger Landes massgebend ge-
worden, die mit den Formen des Stammlandes der Gemeinsprache in
der Länge des Vokals übereinstimmendes und sogar dorther stam-
mendes jlög u. s. w. nur in ihrem Volksdialekte beibehielt, in ihren
als Gemeinsprache fungierenden Dialekt die der Hauptmasse des Nie-
derdeutsch angehörigen und dort zuerst gemeinsprachlich gewordenen
Formen jlas u. s. w. einführte. Das analoge Verhältnis hat natürlich
auch für die Sprache des Oberharzes zu gelten.
Die Dörfer Fermersleben, Salbke, Westerhüsen haben ihre niederd.
Formen jlas, jras u. s. w. so gut wie fas u. s. w. aller Wahrschein-
lichkeit nach aus dem Hochd. entlehnt; möglichenfalls finden sich auch
dort die Formen mit langem Vokal noch bei den älteren Leuten; ich
habe die kurzen Formen nur aus dem Munde von Kindern aufgezeichnet.
Auch die Form bat ist westlich von Magdeburg z. B. in Olvenstedt,
Xiederndodeleben auch in das Niederdeutsche gedrungen. Wenn Wanz-
leben einen Teil der kurzen Formen in sein Niederd. übergeführt hat,
das ihm sonst fast überall parallel gehende Egeln jedoch nicht, so
hat man den Grund dafür in dem grösseren Verkehre des ersteren
Punktes mit Magdeburg und der geringeren Entfernung des letzteren
von der mitteldeutschen Grenze zu suchen.
Zum Schluss des Kapitels sei noch eine Bemerkung über die
Anschauung des Volkes hinsichtlich des Ursprungsverhältnisses von
Hochd. und Niederd. gestattet. Bei den Personen, die das Niederd.
überhaupt abgestreift haben, ist die Vorstellung ziemlich allgemein,
dass dasselbe nur ein arg entstelltes Hochd. sei. Bei den noch niederd.
redenden Individuen hingegen scheint die Anschauung verbreiteter,
dass das Niederd. den älteren Dialekt, das Hochd. eine jüngere Ver-
feinerung desselben repräsentiere; vgl. den Namen Oltdifö für „ Niederd. u
in Ns. Der ersteren Vorstellung bin ich wiederum da begegnet, wo
wie z. B. in Leipzig der Volksdialekt nur verhältnismässig geringe
Abweichungen vom gemeinsprachlichen Muster aufweist.
44
Jüngere Beeinflussungen durch das Mitteldeutsche.
Mit der Aufnahme der Gemeinsprache war die von Obersachsen
ausgehende Beeinflussung unseres Sprachgebietes nicht abgeschlossen.
Die Niederdeutschen unseres Landes bedienten sich im Verkehre mit
den mitteldeutschen Nachbaren stets ihres Hochdeutsch, um nicht
ungebildeter zu erscheinen, und so konnten bei dem regen Verkehre,
der zwischen beiden Stämmen herrschte, lautliche Neuerungen im Mit-
teldeutschen auch das ihm im wesentlichen gleiche Hochd. der niederd.
Nachbaren ergreifen, wo sie die gleichen Lautwandlungen im Niederd.
in sich schliessen mussten. Ich gebe die Beispiele:
1. Aus dem Volksmitteid. stammt die Entrundung der labial-
palatalen Vokale im Hochd. unseres Gebietes, in dem es z. B. hite
(Hüte), jresr (grösser), slisl (Schlüssel), knepa (Knöpfe) lautet. Über
den Lautwandel im Obersächsischen vgl. Albrecht S. 7 u. 8, über
denselben im Anhaltinischen Wäschke S. 408. Dass dieser Prozess
überhaupt vom Volksmitteldeutschen ausgeht, wird durch das allmäh-
liche Vorrücken desselben nach Norden und teilweis nach Westen
bewiesen. In Olvenstedt, das im Gebiete der labial-palatalen Vokale
am meisten vom Hochdeutschen beeinflusst ist, spricht, worauf Wegener,
Ztschr. f. d. Gymnasialw., Jahrg. XXXVI S. 301 aufmerksam
macht, die jüngere Generation die betreffenden Laute bereits mit
bedeutend geringerer Lippenrundung als die ältere. Dass ferner
die betreffenden Vokale nicht schon in der entrundeten Form aus
dem mitteldeutschen Volksdialekte in unsere hochdeutsche Kontakt-
sprache übernommen wurden, geht aus dem Umstände hervor,
dass auch die labial-palatalen Vokale des Niederdeutschen genau auf
dem gleichen Gebiete wie die des Hochdeutschen, aber nirgends über
dasselbe hinaus, die gleiche Entrundung erlitten, eine Thatsache, die
nur darin ihre Erklärung findet, dass die infolge der Berührung mit
einer anderen Sprachgemeinschaft entstandene Artikulationsveränderung
der einen Mundart unserer zweisprachigen Individuen die gleiche
Artikulationsveränderung in der zweiten von ihnen gesprochenen Mundart
unmittelbar in sich schliessen musste, wiewohl die labial-palatalen
Vokale beider Mundarten zum grossen Teile auf ganz verschiedene
Wörter verteilt sind. So weit also im Hochd. Mte (Hüte), jresr
(gresr) (grösser), glisl (Schlüssel), knepe (Knöpfe) angewandt werden,
heisst es auch niederd. liizr (Häuser), bema (Bäume), litjr (klein),
jretr (gretr) (grösser); wo im Hochd. die Aussprache hfifo, grftsr,
slüsl, knöpa beginnt, erscheinen auch die niederd. Formen hftzr, bSrnj,
liity, grötr u. s. w.
2. Auch ai des Stadt-Magdeburgischen an Stelle des nhd. oi, das
einem ahd. iu oder dem Umlaut des germ. ft entspricht, ist aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht gleich als ai entlehnt, sondern erst später
durch Anschluss an das angrenzende Volksmitteldeutsch aus oi umge-
wandelt worden, da es sich im Beginne der neuhochdeutschen Periode
nirgends im obersächsischen Dialekte nachweisen lässt. Es heisst also
45
im Stadt-Magdeburgischen laito (Leute), haito (heute), haizR (Häuser),
maiza (Mäuse) u. s. w. Ebenso lauten auch die hochd. Formen in
Westerhüsen, Fermersleben, sowie in Rothensee, soweit sie nicht durch
Schuleinfliiss wieder aufgehoben worden sind. Aber auch nach Beien-
dorf, Sohlen, Dodendorf ist hochd. ai aus oi auf dem Wege der laut-
lichen Entlehnung gedrungen und hat dort die analoge Verwandlung
des niederd. oi, des Umlautes von an aus nrgerm. 6, in ai veranlasst.
Es heisst hier also nicht nur im Hochd. laito (Leute), haizr (Häuser)
etc., sondern auch im Niederd. baikr (Bücher), faita (Küsse), piain
(pflügen) u. s. w.; analog verhält es sich auch mit Ebendorf. Nur
sind gerade die hochd. Formen in diesen Dörfern infolge des Schul-
einflusses vielfach durch solche mit oi wieder verdrängt. Im übrigen
Gebiete ist, abgesehen von Wanzleben und Egeln, hochd. und niederd.
oi stets erhalten, so dass hier die betreffenden hochd. Worter loifo,
hoizr, die betreffenden niederd. boikr, foita, ploin lauten. Die Formen
mit ai für ursprüngliches oi sind nach Winter, Geschichtsblätter für
Stadt und Land Magdeburg Bd. IX, S. 109 im ganzen südöstlichen
Teile des Nordthüringgaues, den ich nicht mehr durchforscht habe,
üblich; auch Biere hat noch ai (vgl. die Karte). Wir dürfen mit
ziemlicher Gewissheit annehmen, dass auch hier und zwar hier zunächst
der Lautwandel oi aus ai im Niederd. der Reflex des gleichen Laut-
wandels im Hochd. gewesen ist. Über oi aus ai in dem ehemals
niederd. Gebiet vgl. Wäschke S. 405 für Anhalt: haire, haite, Laite,
Taivel. Für das Obersächsische vgl. Albrecht S. 10, für den analogen
Lautwandel im Berlinischen D. rieht. Berl. S. VII.
3. Bei dem besonders lebhaften Verkehr, den Magdeburg mit dem
mitteldeutschen Lande hat, hat es sich in einem Punkte an die dort
herrschende Aussprache angeschlossen, ohne dass der dazwischen
liegende Strich von diesem Lautwandel betroffen wurde. Denn während
in diesem Striche r in niederdeutscher wie hochdeutscher Rede ge-
sprochen wird, zeigt das Stadt-Magdeburgische und das in den Vor-
städten von Magdeburg gesprochene Hochdeutsch, aber auch das
Schiffer-Magdeburgische und das Niederdeutsch der Vorstädte R in
Übereinstimmung mit dem mittel- und oberdeutschen Sprachgebiet.
Nach Winter, Geschichtsbl. f. Stadt u. Land Magdeb. Bd. IX, S. 110
ist überhaupt das Kehl-r das P der Städter im Gebiete am Zusammen-
flusse der Elbe, Saale und Bode, gilt also auch für Schönebeck, Gross-
Salze. Barby, Kalbe, Stassfurt, das Zungen-r das P der Dörfler im
gleichen Gebiete. Das r ist in R verwandelt worden, indem eine
Anlehnung an eine durch die Schrift nicht zu vermittelnde, in dem
Gebiete, von dem die Gemeinsprache ausgegangen war, zunächst
herrschend gewordene Aussprache stattgefunden hat. Bekanntlich
dringt R überhaupt heutzutage in den Städten Norddeutschlands immer
weiter vor, eine Erscheinung, die doch mindestens zum Teil durch
mitteldeutschen Einfluss bedingt sein wird.
46
Beeinflussungen der kleinen Städte dnrek Magdeburg.
Wie in dieser Weise Mb. und andere Städte isoliert dem Ein-
flüsse Mitteldeutschlands unterlagen, so beeinflusste das Hochdeutsch
von Mb. wiederum direkt dasjenige der mit ihm viel verkehrenden
kleinen Städte Wanzleben und Egeln, ohne dass die in der Mitte
liegenden Dörfer in ihrem Hochdeutsch die gleichen Veränderungen
erfuhren. So hat sich denn hochd. oi in der Sprache der am meisten
in Mb. verkehrenden Ökonomen und besser situierten Handwerker in
Wanzleben im Anschluss an das Stadt-Magdeb. verschoben, wo gemein-
sprachliches oi bei den niederen und vielfach auch jetzt noch bei den
mittleren Ständen durch ai vertreten ist. Die Art, in der dies ai in
die Lokalmundart von Wanzleben aufgenommen wurde, zeigt, dass
zur Zeit seiner Aufnahme die Anwendung des Hochdeutschen als eines
völlig geläufigen Dialektes in jedem Augenblicke ohne jede Reflexion
erfolgen konnte. Nur so ist es erklärlich, dass sich bei denselben
Personen, bei denen hochd. oi in ai überging, nach dem Gesetze, dass
jede sich unbewusst vollziehende Veränderung eines zwei von denselben
Individuen geredeten Sprachen gemeinsamen Elementes in einer dieser
Sprachen die gleiche Veränderung in der anderen in sich schliesst,
auch niederd. oi lautgesetzlich in ai verwandelte. Es heisst also bei
der älteren Generation der social höher Stehenden nicht nur im Hoch-
deutschen haito (heute), naino (neun), nai (neu), laitn (läuten), haizr
(Häuser) u. s. w. sondern auch im Niederd. kaid (Kühe), piain (pflügen ),
baikr (Bücher), faito (Füsse), zaito (süss) u. s. w. für hochd. hoito,
noin», noi, loitn, hoizr und niederd. koia, ploin, boikr, foifo, zoifo bei
den niederen Ständen in Wanzleben und durchweg auf sämmtlichen
umliegenden Dörfern. Freilich spricht die jüngere Generation auch
der Ökonomen und wohlhabenderen Handwerker, etwa schon von 50
Jahren abwärts, heute im Hochd. oi z. B. hoito, noino, im Niederd.,
soweit sie überhaupt noch niederd. redet, ai z. B. kaia, piain; Ursache
ist, dass diese Leute das Niederd. im Elternhause, das Hochd. aber
im wesentlichen erst in der Schule erlernt haben. Letzteres hatte
sich bei ihnen vor dem Schulbesuche wenigstens noch nicht befestigt,
und, wo es etwa befestigt war, wurde der Diphthong ai in oi in jedem
einzelnen Worte bewusst korrigiert, wodurch niederd. ai natürlich
nicht getroffen wurde.
Bei derselben älteren Generation der social höher Stehenden in
Wanzleben findet sich auch urgerm. ai im Hochd. durch e, urgerm.
an durch 6 überall vertreten, während ein Teil der jüngeren Generation
auch hier ai und an wieder eingesetzt hat. Bemerkenswert ist, dass
wir es hier nicht mit Verpflanzung eines Lautwandels zu thun haben,
da sonst erstens auch niederd. ai, die gewöhnliche Vertretung des
urgerm. ai, zweitens aber auch hochd. ai aus urgerm. i — denn beide
ai werden in unserem Gebiete ohne jeden Unterschied gesprochen —
gleichfalls in fe übergegangen sein müsste, analog auch hochd. an aus
urgerm. ü in 6. Vielmehr haben wir hier eine Reihenentlehnung von
4?
Wortern, die durch ein gemeinsames lautliches Band zusammengehalten
werden, vor uns: in allen Formen, in denen man hochd. ai, wie man
es in der Schule erlernt, neben niederd. ai oder e gesprochen hatte,
setzte man im Hochd. e speciell für dies ai nach dem Muster des
Stadt-Magdeb. ein, analog 6 in allen Wörtern für au, in denen dies
neben niederd. 6 und Stadt-Magdeb. 6 stand. Es heisst demnach in
diesem Kreise hochd. ben = niederd. bain (Bein), hochd. hes =
niederd. hais (heiss), hochd. venu = niederd. venu (weinen), hochd.
smaisn = niederd. ämitn (schmeissen), hochd. faifo = niederd. pipa
(Pfeife), hochd. böm = niederd. böm (Baum), hochd. öx = niederd.
ok (auch), hochd. baux — niederd. buk (Bauch), hochd. haus =
niederd. hfis (Haus); die jüngere Generation der oberen Schicht und
die untere Schicht überhaupt haben in der Regel hochd. bain, hais,
vainn, bäum, aux. Auch einzelne dem St.-Magdeb. entlehnte Formen
wie uf, nidr, fifo finden sich insbesondere in ersterem Kreise.
Übrigens kommt der Lautwandel oi aus ai auch im Niederd. der
Ökonomen und besser situierten Handwerker von Egeln vor, während
auch dort die niederen Stände gleich den Bewohnern sämmtlicher
umliegenden Dörfer stets oi sprechen. Ich hatte zwar keine Gelegenheit,
das Hochdeutsche der älteren Generation der im Niederd. ai sprechenden
Bewohner von Egeln zu beobachten, halte es jedoch für sicher, dass
auch bei ihnen ai für oi gesprochen wird. Denn nur so begreift es
sich, warum dieser Lautwandel gerade auf die am häufigsten in Mag-
deburg yerkehrenden Personen eines isolierten Punktes beschränkt ge-
blieben ist. Doch mag bei Egeln auch der Verkehr mit dem eigentlich
mitteldeutschen Gebiete mitgewirkt haben. Vermutlich wird auch die
Vertretung des urgerm. ai und an im Hochd. von Egeln eine der in
Wanzleben analoge sein.
Aber nicht nur das Hochdeutsche von Magdeburg hat dasjenige
der kleinen Städte und der in der unmittelbaren Nähe liegenden
Dörfer beeinflusst, sondern auch das ehemals in Magdeburg gesprochene
Niederdeutsch hat auf das Niederd. derselben Punkte analoge Wir-
kungen ausgeübt. Sicherlich hängt diese Beeinflussung mit dem Um-
stände zusammen, dass man auch den Volksdialekt des die Gemein-
sprache ganz besonders pflegenden Magdeburg als vornehmer als den
eigenen Volksdialekt empfand.
Die Verba der Reduplikationsklasse bilden ihr Präteritum in dem
Striche an der Elbe (Wh., Sk., Fml., Sdb., Sch.-Mb., Ns., Rths.), der
nicht nur urgerm. ai, sondern auch westgerm. eo u. westgerm. e durch
e vertreten hat (z. B. dep (tief), spejl (Spiegel), regelrecht mit in-
lautendem e z. B. rep (rief), lep (lief), hei (hielt), älep (schlief). Im
übrigen Gebiete sind sowohl westgerm. eo wie e durch ai vertreten,
ho dass es dort z. B. daip, gpaijl (resp. spaijl) lautet. Demgemäss
bildet auch der grösste Teil dieses Gebietes die Präterita der Re-
duplikationsklasse mit inlautendem ai z. B. raip, laip, hau, §laip (resp.
slaip) u. s. w. Nur Lemsdorf hat ausschliesslich in den Formen dieser
Reihe e, Beiendorf, Sohlen, Dodendorf, Kl. Ottersleben ganz überwiegend
4&
e neben ai, Gr. Ottersleben beides etwa gleich häufig. Zweifellos sind
hier, zumal da Magdeburg seinen hauptsächlichsten Einfluss nach Süd-
westen hin geübt hat, die Formen wie lep aus dem Eibniederdeutschen,
spcciell aus dem ehemaligen Niederdeutsch der Stadt Magdeburg und
dem seiner Vorstädte entlehnt worden. Die älteren Formen sind ja
auch noch teilweis erhalten ; nirgends aber existieren im Dialekte von
Lemsdorf selbst u. s. w. Formen, nach denen etwa zu raup» ein rep
auf dem Wege der Analogiehildung hätte entstehen können.
Aber auch diejenigen Einwohner von Wanzleben, die hochd.-
niederd. oi infolge ihres starken Verkehrs mit Mb. zu ai verschoben
haben, bilden im Niederd. die Präterita rep, lep, §lep u. s. w. gegen-
über raip, laip, §laip etc. bei der grösseren Volksmasse und auf sämmt-
lichen umliegenden Dörfern. Wir haben in dieser Eigentümlichkeit
zweifellos eine Beeinflussung durch das in Magdeb. gesprochene Niederd.
zu sehen, wobei die allgemein im Hochdeutschen üblichen Formen mit
inlautendem i wie Rif, lif, §lif garnicht haben mitwirken können. Ob
auch in Egeln bei der oberen Schicht der niederd. sprechenden Be-
völkerung die gleichen Formen üblich sind, ist mir unbekannt geblieben.
Fast ebenso liegen die Verhältnisse bei den Verben der a — ä-
Reihe. Das gleiche Gebiet, welches für westgerm. e© und e monoph-
thongische Vertretung hat, zeigt auch 6 an Stelle des urgerm. 6 z. B.
hon (Huhn), §töl (Stuhl), hot (Hut) u. s. w., das übrige Gebiet au
z. B. haun, ätaul (staul), haut. Für das Eibniederdeutsche sind daher
die Präteritalformen §lox, drdx (dRöx), frdx (fRdx) regelrecht, im
übrigen Gebiete älaux (slaux), draux, fraux. Doch hat auch Lemsdorf
ausschliesslich slöx, drdx, frdx, während Kl. Ottersleben, Beiendorf,
Dodendorf, Sohlen diese Formen wiederum überwiegend bieten, Gr.
Ottersleben sie etwa gleich häufig wie älanx, draux, fraux aufweist.
Auch hier können die Formen mit 6 weder auf dem Wege der pro-
portionellen Analogiebildung noch auf irgend einem anderen Wege
in der Eigenentwickelung des Dialektes ihre Entstehung genommen
haben.
Wanzleben bietet hier jedoch allgemein nur Slanx, draux, fraux.
Diese Thatsache giebt uns einen Fingerzeig dafür, dass es be-
günstigende Faktoren psychologischer Art gewesen sind, welche die
Entlehnung möglich machten. Sowohl Lemsdorf, Kl. Ottersleben u. s. w.
als auch Wanz leben bilden in Übereinstimmung mit sämmtlichen
nächstgelegenen Dörfern die Präterita der Verba der ei -Reihe mit
inlautendem e, das ja teilweise Vertretung des urgerm. ai ist, z. B.
jrep von jripm, §met von smitn u. s. w. Offenbar haben die neu
aufgenommenen let, r8p u. s. w. an diesen den gleichen Vokal bietenden
Formen einen Halt im Gedächtnis gefunden. Nirgends aber gab es
bereits Präterita mit inlautendem 6, an die sich §16x u. s. w. hätten
lehnen können. Die Dörfer bei Magdeburg, die seinem Einflüsse stetiger
unterlagen, sind freilich einen Schritt weiter gegangen. Sie haben
auch in der a — ä-Reihe, die wegen der Gleichheit des Vokales in
ihrem Präsens und in ihrem Participium Präteriti zu der dieselbe
49
Eigentümlichkeit aufweisenden Reduplikationsklasse in näherer Be-
ziehung empfunden wurde, die Form aus dem* Eibniederdeutschen ent-
lehnt. Dazu kam wohl, dass sich den Sprechenden die ererbten Formen
mit ai zu den eibniederdeutschen mit e wie die ererbten mit au zu
den elbniederd. mit 6 lautlich zu verhalten schienen.
Nach obiger Darlegung haben wir auch als wahrscheinlich anzu-
nehmen, dass bei der besprochenen Wiederherstellung des inter-
vokalischen d, y, j in Wanzleben und Egeln neben dem dort selbst
gesprochenen Hochdeutsch auch das Eibniederdeutsche gewirkt hat.
Hätte nur das Hochdeutsche seine Einflüsse geübt, so wäre doch wohl
t aus urgerm. $ so gut wie y, j und d aus urgerm. !> in die nieder-
deutschen Formen einfach eingefugt: der kompliziertere Prozess, die
lautliche Übertragung desselben in niederd. d nach Mustern wie
niederd. kedd = hochd. kete (Kette), ist wahrscheinlich durch das
Vorschweben der als vornehmer empfundenen elbniederd. Formen mit
erhaltenem d veranlasst oder mindestens begünstigt worden.
Hfotordevteohtt Jahiteoh. XIV.
50
Abstufungen der Lokaldialekte nach Stünden.
Obwohl nun das ehemalige Niederdeutsch der Stadt Magdeburg,
jetzt nur noch durch das Schiffer-Magdeburgisch repräsentiert, der-
artige Beeinflussungen geübt hat, so ist es doch durch eine scharfe
Kluft vom Stadt-Magdeburgischen geschieden, in dem sich selbst
eine kontinuierliche Reihe von Übergangsstufen von der Sprache der
Gebildeten bis zur Mundart der Arbeiter verfolgen lässt.
Im einzelnen lassen sich die Abstufungen wegen der steten Ab-
weichungen bei den verschiedenen Individuen schwer ersehen, so dass
ich mich hier begnügen muss, nur einige Beispiele anzuführen, bei
denen die Abstufung etwas deutlicher hervortritt. Der Magdeburger
Arbeiter hat als dat.-acc. sg. des Personalpronomens der 1. und 2.
Person meistens noch die ursprünglich niederd. Formen mik und dik
beibehalten. Eine etwas höher stehende, sehr umfangreiche Gesell-
schaftsklasse, auch schon viele Arbeiter, gebrauchen die diesen nieder-
deutschen Formen lautlich entsprechenden mitteldeutschen Formen
mix un<* ^X a^8 dat.-acc. sg. Eine wieder etwas höher stehende
Klasse kennt zwar auch miR und diR, doch ohne diese Formen überall
von mi^ un<^ ^X funktionell richtig zu scheiden, und nur die oberste
Klasse wird hier den Anforderungen der Norm gerecht. (Vgl. Graupe
S. 50.)
Ähnlich stuft sich der Gebrauch der aus dem Niederd. beibe-
haltenen Form dr$x (trocken), der Kontaminationsform droki und der
rein gemeinsprachlichen Form trok) nach den gesellschaftlichen Klassen
im Stadt-Magdeb. ab. Ganz analog werden nach „D. rieht. Berl.
S. VI.* im Berlinischen in den neutr. der pron. die noch nieder-
deutschen Lautstand zeigenden Formen et, det gebraucht, wofür nur
„ Gebildetere u es, des sagten.
Der Umlaut des urgerm. au ist im Stadt-Magdeb. allgemein
durch e nur bei den niederen Ständen vertreten. Sobald die muster-
giltige Gemeinsprache diphthongische Vertretung erfordert, erscheint
dafür ai bei den mittleren, oi durchgängig fast nur bei den oberen
Ständen. So liegen hier immer drei Formen, z. B. bema, baima und
boima, lefst, laifst und loifst, zemm, zaimm und zoimm neben einander.
Die mittleren Formen sind nach dem Gefühle gebildet, dass dem oi
der Gebildeten in weitaus den meisten Fällen, nämlich so oft es Umlaut
des au aus urgerm. ü oder Vertretung des westgerm. iu ist, ai in
der eigenen Sprache gegenübersteht.
Diese Abstufung ist besonders eine Folge des Strebens, sich dem
Idealbilde der hochdeutschen Normalsprache möglichst anzunähern.
Dies Streben tritt auch besonders in dem Umstände hervor, dass man
den eigenen Kindern gegenüber vielfach in einer vornehmeren Sprache
zu reden sucht, als sie einem selbst geläufig ist. So sprechen viele
der unter sich noch niederdeutsch redenden reichen Bauern der Mag-
deburger Börde zu ihreh Kindern regelmässig hochdeutsch. Ebenso
bedienen sich viele Magdeb. Schiffer, wenn sie zu ihren Kindern
61
sprechen, ausschliesslich oder vorzugsweise des ihnen geläufigen Hoch-
deutsch, d. h. des Dialektes der Magdeb. Arbeiter. Die Magdeb.
Arbeiter selbst bemühen sich teilweis, mit ihren Kindern wenigstens
ein besseres Hochdeutsch zu sprechen, als sie es im Verkehre unter
sich selbst anwenden.
Auf der anderen Seite wird diese Annäherung an das muster-
giltige Hochdeutsch dadurch gestört, dass die geringere Anzahl der
vornehmer Sprechenden der weitaus grösseren der minder vornehm
Sprechenden nachgiebt, infolgedessen recht häufige Wörter auch in
die Sprache der Gebildeten dringen. So gebrauchen diese in Magde-
burg insbesondere die Formen ken (kein), öx (auch) sehr häufig, aber
auch an anderen Punkten, wo jene Formen nur dem für die Mundart
der mittleren und niederen Stände geforderten Lautstand entsprechen,
z. B. in Leipzig, habe ich dieselben oft von Gebildeten gehört.
Der verschieden starke Gebrauch des Hochdeutschen bei den
einzelnen Ständen hat auch im Niederdeutschen ähnliche Abstufungen
hervorgerufen. So sprechen in Wzl., wie erwähnt, nur die Ökonomen
und besser situierten Handwerker niederd. ai für ursprüngliches oi,
während weitaus auch die grösste Anzahl der Handwerker inter-
vokalisches d, y, j fast überall wiederhergestellt hat. Nur bei dem
kleineren Teile der Handwerker und bei sämmtlichen Arbeitern ist
intervokalisches d, y, j nicht fast allgemein wiederhergestellt worden,
so dass z. B. der Unterschied von maida, moida, moto (müde) die
nach Ständen abgegrenzten Hauptnüancen des Wzl. Niederd. am besten
kennzeichnet. Indessen hat auch schon die jüngere Generation des
untersten Standes in einer Reihe einzelner Formen das d, y, j wieder-
eingesetzt, doch in der Weise, dass die einen diese, die anderen jene
Form mehr bevorzugen, indem sich z. B. bei einem Individuum bröe
(ich brate) neben loa (1. lade ein, 2. lade auf), bei einem andern
brödd neben 109 findet. Allerdings wird in gewissen Wörtern der
Konsonant ganz besonders gern hergestellt, z. B. in lida (die Leute),
lidd (ich läute), flaija (die Fliege). Doch auch hier lässt sich insofern
noch eine vierte nur aus Arbeitern bestehende Schicht von der dritten
absondern, als sich auch bei der jüngeren Generation derselben nur
sehr wenig Formen mit wiederhergestelltem Konsonannten finden (so
meist lfo Leute, \id ich läute, aber flaijd die Fliege). Mit Bestimmt-
heit indessen kann man voraussagen, dass sämmtliche Formen mit
hergestelltem d, y oder j schliesslich bei allen in Wanzleben wohnenden
Niederdeutschen wegen ihrer Fühlung mit den hochdeutschen Formen
werden durchgeführt werden. Dagegen sind die niederd. Formen mit
ai schon sehr im Verschwinden begriffen. Abgesehen davon, dass die
meisten Personen, die in ihrem Niederd. ai sprechen, dasselbe heut-
zutage teils ganz abgelegt, teils auf den Verkehr mit ihren Unter-
gebenen beschränkt haben, müssten diese Formen wie faifo, baikr, die
ja keinerlei Halt an hochdeutschen Formen haben, den von der
Majorität gesprochenen foite, boikr u. s. w. doch wohl unterliegen.
In Egeln findet eine sehr ähnliche Abstufung im Niederd. statt ;
doch habe ich sie im einzelnen nicht verfolgen können.
52
Wie sich zuweilen in dem vom Hochd. beeinflussten Niederd.
die analogen Abstufungen wie in dem von Niederdeutschen oder auf
ehemals niederdeutschem Boden gesprochenen Hochdeutsch finden,
geht aus dem von Wäschke S. ICH» aus dem Niederd. der Zerbster
Gegend angeführten Beispiel hervor, wonach neben det . dort auch
des vorkommt, das nur Angleichung an hochd. das im Munde Halb-
gebildeter sei ; vgl. das oben über jene Formen im Berlinischen Gesagte.
Auch dafür, dass es auch innerhalb des Niederd. Abstufungen
nach Vornehmheit giebt, fehlt im Volke das Bewusstsein nicht. So
begegnet man öfters der Vorstellung, dass ein Nachbardorf, das mehr
hochd. Elemente in sein Niederd. aufgenommen, vornehmer, ein an-
deres, das weniger aufgenommen, „platter" rede. Der Bewohner der
Neustadt unterscheidet drei Arten des Ditä oder Oltdffö, erstens seine
eigene Sprache, das Ni§t3t§, zweitens das Schiffer-Magdeburgisch, das
FedRS, drittens die Mundarten der Dörfer, die er unter dem ver-
ächtlichen Namen BÜR§ (btäurisch) zusammenfasst. Die wohlhabenden
Handwerker und die Ökonomen in Wanzleben halten oder hielten
die Aussprache foita, boikr für grob, die untere Klasse deren Aus-
sprache faito, baikr für affektiert ; allerdings hat hier auch wohl neben
dem Klassenunterschiede die sehr in das Gehör fallende Differenz
zwischen tieferem und höherem Eigenton des jeweilig sonantisch fun-
gierenden Vokals die eine Aussprache als grob, die andere als fein
erscheinen lassen.
HALLE a. S. Riehard Loewe.
53
Mundart des Dorfes Fahrenkrug
in Holstein.
In dem holsteinischen Kreise Segeberg sitzt keine Bevölkerung
von einheitlicher Abstammung. Um 1137 nahmen von Westen her
Holsten das wendische Land ein, die Gegend von Bornhöved als Mittel-
punkt wählend. Zu ihrem Besitze gehören die dem Kloster Segeberg
bei seiner Gründung (1137) geschenkten Dörfer, wie Wittenborn, Mözen,
Högersdorf, Schwissel am rechten Traveufer und überhaupt alle west-
lieh von ihrem Oberlaufe liegenden Ansiedlungen, unter ihnen auch
das Vi Stunde von Segeberg liegende Fahrenkrug. Östlich von
Segeberg, in dem Dreieck Segeberg — Ahrensbök — Oldesloe muss die
westfälische Kolonie gelegen haben, welche Graf Adolf IL im Jahre
1142 in der slavischen Landschaft Dargun anlegte (Helmold, Chronica
Slavorum I, 57 u. 63). Da dieselbe bereits 1147 von den Wenden
zerstört wurde, so wird man die Bevölkerung im Amte Ahrensbök, um
Warder und im Amte Traventhal als eine Mischung aus später heran-
gezogenen Kolonisten, zurückgebliebenen Slaven und holsteinischen
Sachsen ansehen müssen. Einheimische versichern, dass sie sich durch
ihre Aussprache, noch mehr durch einen im Vergleich zu den Holsten
am rechten Traveufer weichen, empfindlichen Charakter unterscheiden.
Doch kann letzteres auch die durch den fruchtbareren Boden be-
dingte bequemere wirtschaftliche Lage zur Ursache haben. Von Süd-
westen her werden sich damals auch die Stormarn gegen die Trave
vorgeschoben haben, zu deren alter Heimat die Gegend von Bramstedt
und Kaltenkirchen sicher gehört. Zweifellos ist, dass Wenden genug
zurückblieben, um dem Volkstum eine Beimischung ihres Blutes zu
geben. Andernfalls wären die zahlreichen wendischen Orts- und Fluss-
namen nicht erhalten geblieben*). Mehr als das ziemlich verbreitete,
dunkle Haar weist häufig Bildung und Blick der Augen auf slavische
Abstammung hin.
*) Wendische Namen im Kreise Segeberg sind: Barck, Berlin (in Urkunden
Bralin), Blomnath, Blunk (Bulilunkin), Dreggers (Dregherze), Gisskau, Garbeck
(Gorbeke), Göls (Golevitz), Görs (Gyritz, Gurtze), Hüls, Kahlin, Flur bei
Fehrenbötel, Kellerblick, Flur bei Bark, Kembs (Kempeze), zwei Krems (Krem- .
pifze), Krebitz, Kückels (Kukeltze), Leetzen (Letzinge, Lescinghe), Mözen
(Moitzing), Nehms (Nemizze), Pahlast, Flur bei Pronstorf, Parlblik, Flur bei Wit-
tenborn, Petluis (Putluse), Putatz, Flur bei Kückels, Quaal, V Könnau (Rennouwe),
Rösing (Rosen), Rosau (Flur bei Glashütte), Selitzkamp bei Schwissel, Sarau,
Strcnglin, Schwissel, Zwisfelbeck bei Negernbötel, Wensin, Wietzig, eine Flur bei
Gönnebeck, Wustroh, eine Flur bei Bevensee. Auch die Flussnamen Trabena,
Bisence, Bestene (Trave, Bisnitz, Beste) sind wohl slavisch. Bei Helmold kommt
noch Cuzalina, das spätere Högersdorf, eine Burg in Nizenna und das Zventineveld,
Sventipole, d. h. die Gegend um Bornhöved vor.
54
Ich habe mich auf die Mitteilung solcher Spracherscheinungen
beschränkt, welche mir gegenüber andern Mundarten eine Bedeutung
zu haben schienen, indem ich die Kenntnis des überall ziemlich gleich-
förmigen Seeniederdeutschen voraussetze.
1. Vokale. Kurzesa hält sich in de tal, pl. de talgen. Wie
im R. Voss erscheint ammer (Eimer). Es steht auch fest in gras,
man (nur) und (= mnd. -ers) in hassen (bersten), gassen (Gerste),
kasbern (Kirschen), dwas (quer).
Gedehntes a vor r -t- Konsonant (= mnd. -er u. -ar) in
margel (Mergel), marken, farken, stark (junge Kuh), kark, ik
starw (ich sterbe).
Kurzes & steht in einigen Fällen, wo andere ndd. Mundarten
a haben, wie in ütfl Addern (ausplaudern), äddel (Jauche), ädebär
(Storch). Von Wörtern mit langem & ^= altem ä sind Hfich (schmutzig),
r&m (Sahne), r&w (Borke), de gr&pen (der dreibeinige Topf), ir
(Ähre) zu beachten. Unter Einfluss von Konsonanten entstand & in
tag (zähe), bl&g (blau), fo dri as (sobald als), ni (nach), ji (ja),
[jedoch auf der Haide j au], woart (Enterich), ädebär (Storch). Ein
Umlaut dazu ist nicht beliebt. Man hört zwar de n&' (die Näthe),
gr&len (schreien), aber de schilp (die Schafe), du bl&s (du blasest).
Gedehntes ä steht dann auch = altem a in hochtoniger Silbe vor
einfachem Konsonanten: de häf (der Hase), von däg (heute), drägen
(getragen), de fäg (die Säge), wäter (Wasser), häf (Habicht), de
wäd (Molken), wäk (Eiswake). Es erleidet keinen Umlaut z. B. de
nägels (die Nägel). Endlich steht tonlanges ä da, wo das späte
Mittelniederdeutsch statt älterem o in hochtoniger Silbe a schreibt,
in hochtoniger Silbe und vor r -t- Konsonanten: äpen (offen), de
bäl (die Bohle), de fäl (das Füllen), guten (gegossen), häfen (Strümpfe),
de k&t (die Käthe), käl (Kohle), käben (Stallung), päten (Setzlinge),
t&gel (Zügel), barg (Eber), bärn (Quelle). Im Plural von Substantiven
erleidet dies ä keinen Umlaut: tag eis (Schläge), füg eis (Vögel). Da-
gegen erscheint ein solcher in iwer (über), de ifel (die Dachtraufe),
bin (Hausboden), de bäwels (der oberste), difig (dumm), grlwer
'(gröber), fik hägen (sich freuen), käk (Küche), de mal (die Mühle),
nit (Nüsse), fän, pl. fäns (Sohn), falen (schmutzen), winwirp (Maul-
wurf), ürgel (Orgel).
Selten ist kurzes ä: fäs (sechs), jedoch auf der Haide fös,
tw41f (zwölf), de r&t (die Ratte), d&schen (dreschen).
Kurzes ä steht ausser als Umlaut von a in der Deklination und
Komparation statt H in was (gewesen), de wässel (das Wiesel),
äscher (Grabscheit), rädr (Feldweg zwischen zwei Knicken), de mät,
pl. de matten (der Regenwurm), de fäss (der First).
Langes ä ist der regelmässige Vertreter von mnd. e. So in den
Infinitiven läsen, gäben, in den Participien läfen, bläben; äfel(Esel),
tofräden (zufrieden), gäl (gelb), spälen (spielen), de fän (die Sehne),
swinägel (Igel).
Kurzes e bewahren wie in einzelnen andern ndd. Mundarten:
55
nettel (Nessel), schell (Schale), fewwer (Maikäfer). Auch steht es
statt ä vor in linguales r übergegangenem d: ferrer (Feder), lerrer
(Leder), werrer (Wetter), lerrig (ledig).
Langes e steht in ik de (ich that) neben ik dö, het (hiefs),
wet (weifs); befen (Binsen), kateker (Eichhorn), leg (schlecht),
kl e wer (Klee), ment (gemeint), red (Ried), quefen (nergeln), quefen
(Blasen), meden (mieten), weden (jäten), wenig (wenig) und vor r:
kerl, dern, gern, stern, kouher (Kuhhirte). Dann in den Plur.
Praet.: wi eten (wir afsen) und daher auch in den nach Analogie
derselben gebildeten Sing. Praet.: ik gef, les, et, fech (sah) u. s. w.
Aber wi ge*wen, le*gen, ste*ken, feHen, le!fen.
Kurzes i bietet wenig Besonderes: finster (Fenster), mis (Mist),
minsch (Mensch), schipper (Schiffer).
Kurzes o in nommen (genommen), kommen (kommen), fon
(von) entstand wohl durch hd. Einfluss.
Kurzes ö steht in einigen Fällen, wo andere Mundarten Formen
mit e haben: Woltern (wälzen), rönnen (rennen), ölben(elf). Wie
überall in Nordalbingien föftig (fünfzig), dörp (Dorf).
Langes 6 steht = got. au. Dann auch in gös (Gans), dön
(thun), tonebank (Schenktisch); vor 1, m und r in: 61t (alt), kolt
(kalt), körrn, hörn, torn (Turm). Aber auch statt 4: görn
(Garten), bör (Bär), Körl (Karl).
Langes 8 = got. au und ö-Umlaut wechselt fast in allen Bei-
spielen mit öi: de fßt oder föit (die Füfse). Das auffallige höpen
(hoffen) wohl zur Unterscheidung von hopen (Haufen).
Kurzes u geht nicht in o über in Wörtern wie hungern,
brummen, spunnen (gesponnen). Auffällig sind: he mutt (er mufs),
wussen (gewachsen), pluddern (plaudern), tubben (Pflock in der
Wand), muss (Moos).
Unter den kurzen ü fallen im Vergleich mit andern Mundarten
auf: ünner (unter), bült (Haufen), nückernäm neben öckern&m
(Spottname), pük (ausnehmend fein), de fün (die Sonne), snückern
(schluchzen). Dann mütten (müssen), wi müt, auch wi schult,
wült, fünt, ik bün.
Langes ü bietet nichts Bemerkenswerthes.
DerLaut ei, mit halblangem e, welches den Ton hat, und nach-
klingendem i, steht an der Stelle von mnd. e, soweit es = got. ai
und iu ist: reip, deil; deif, fleigen, snei. Etwas länger ist das
e des Lautes in den Praet. Sing, der i-Reihe: ik bleif, steig etc.
sowie in rpim, breif, keis (Käse), hei (Hede), weig (Wiege).
Ein ai entsteht nur aus agi, ahi in aisch (unartig), tain (zehn),
haister (Elster), sik stauen (sich aufrichten), n&mait (Nachmaht);
de wai (das Eingeweide) ist wohl Fremdwort.
Genau germanischem ö entsprechend steht ou mit sehr kurzem o:
fout, bloum, houd, plougsik (Pflugmesser).
In allen Wörtern, die 8 haben, hört man ebenso häufig öü mit
kurzem gestofsenen ö: gröün (grün), dröüg (trocken), spöün (Späne).
56
Es scheint, als ob der Umlaut zu got. au mehr 8, der zu got. 6 mehr
öii wäre.
Gestofsene Vokale. Die Laute &r, &, &, ü; ü, fi, 8, i werden
oft in so schnellem, abspringenden Tone gesprochen, dass sie aufhören
Längen zu sein und gleichzeitig eine andere Klangfärbung annehmen.
Grade für die mittelholsteinsche Mundart hat Mielck bereits im Kor-
respondenzblatt des Vereins III, 27 auf die Laute, wie sie in hOner
(Hühner), tö'läg (Zulage), nü (nun), Mlaten, hösn (Husten), wösl
(Wiesel) vorkommen, aufmerksam gemacht.
So hört man närf (Narbe), arder (Kreuzotter), 4'pen (offen),
kä'kn (kochen). Das ä = mnd. e bekommt durch diese gestofsene
Betonung fast den Klang des e: negen (neun), smeten (geschmissen),
spinwewer (Spinne), p ekeln (pökeln), de nes (die Nase). Aber
nur de bek (Bach), mel (Mehl), de le (Schwelle), dagegen de
ISi (die Sense), ferner düfend,, brüd, krüpen, füpen. Seltener
ist das , gestofsene ö statt 8: de löper.. Auch i statt i: wi habt
keenttd had (Zeit gehabt); äwer't Ts (Eis) gän.
2. Konsonanten. Inlautendes d zwischen Vokalen geht in r.
seltener in 1 über: arder (Kreuzotter), ik bör (ich heizte), bäru
(Boden), ferrer (Feder), mern (mitten), smorn (schmunzeln); jiller
(Euter), rälr (Weg zwischen Knicken).
Anlautendes g durchaus wie im Hochdeutschen, während man
sonst in der Landschaft noch häufig dafür £ hört.
Anlautendes r wird, wie im ganzen Kreise, stets mit der Zungen-
spitze hervorgebracht.
3. Die Deklination bietet wenig Charakteristisches. Bei den
Substantiven lässt sich eine Vorliebe für schwache Pluralformen auf
-en erkennen: dat licht : de lichten, de fäg : de f&gen, de elk
(Iltis): de elken, de mät (Wurm): de mäten. Bisweilen noch de
hüf (Häuser), gläf (Gläser).
4. Die Konjugation. Eine beträchtliche Anzahl von Verben,
welche in den südlicheren niederdeutschen Mundarten noch stark
flectieren, sind zu schwachen geworden: däscht (gedroschen), gr&fd
(gegraben), bögd (gebogen), lad (geladen).
Nur in der i-Reihe der starken Verben hat das Praet. Sing,
seinen eigenen Vokal behalten, in allen übrigen tritt der Vokal des
Konjunktivs auf. Die Ablautreihen sind:
1. i — e (e1) — ä (bliben).
2. a. fi — 8 — ä (lügen),
b. ei — 8 — ä (geiten).
3. i — ü — u (spinnen).
4. ä — 6" — 1 (stälen).
5. ä — e — ä (gäben).
6. ä (ä) — 8 — k (drägen).
In der 3. Reihe jedoch: swillen — swöll — swollen, hälpe
— hölp — holpen, stärw — stärw — starben, trecken —
trök — trocken.
57
In der 4. Reihe: n&men — n8m — nommen; befälen —
befüll — bef&len.
In der 6. Reihe: waschen — wusch — wuschen, wassen —
wüs — wussen, swören ptc. swörn.
Ik füll (fiel), höll (hielt), füng (fing), hüng (hing), hSt (hiefs),
löp (lief), slöp (schlief), röp (rief), güng (ging), stünn (stand), de,
dÖ (that).
Ik bün (ich bin), du büs, he es, wi fünt (Brainstedt — Kai-
tenkirchen: wi bunt); ik wör, fe wörn, wäss (gewesen).
Schwache Verben, die in der 3. Pers. Praes., im Praet. und im
Part. Praet. ihren Stammvokal kürzen, giebt es nicht: töwd (ge-
wartet), he töwd9 (er wartete). Eine Ausnahme machen he söch
(er suchte), bot (geheizt).
5. Nach der syntaktischen Seite besitzt die Mundart lange nicht
die Feinheiten und Mannigfaltigkeiten, die den Mundarten zwischen
Ems und Weser eigen sind. So viel ich beobachten konnte, beschränkt
sich der Satzbau immer auf das Notwendige. Je schlichter und
simpler, desto besser, scheint die Regel zu lauten.
Auffällig ist, wie gänzlich der Konjunktiv beseitigt ist — wohl
unter dem Einflüsse der Ersetzung der indicativischen Formen durch
die konjunktivischen.
Die Zusammensetzung des Praesens von werden mit dem Infinitiv
drückt in der Mundart, wie im Seeniederdeutschen überhaupt, nicht
die Zukunft im Allgemeinen, sondern die unmittelbar eintretende
Handlung aus: he ward kämen, er ist im Begriff zu kommen. Aus
dem Praeteritum dieser Form entstand, wie es scheint, im 15. — 16. Jh.
unser hd. „ich würde lieben*. Vgl. die Beispiele in „Teweschen
Hochtiedt* Bauernkoinödien S. 262 u. 271.
6. Der Wortvorrat der holsteinschen Mundarten verdiente wohl
einmal eine neue Darstellung. Schütze und Richey sind doch zu ver-
altet und, was schlimmer ist, ohne lebendige Kenntnis des Arbeitslebens
geschrieben. Ich stelle einige Wörter zusammen, die mir mein Kollege
Teege angegeben hat. äs eher, Grabscheit. Vgl. Korrbl. 9, 14. —
äfel, 8 fei. 1) überstehender Teil des Strohdachs. Mnd. ovese. 2)
Eiszapfen. Bei Gilow, Leitfaden der vorpomm. Ma. „Schnuppen". —
äks! Ausdruck des Ekels. — bäk, f., Bach, gewöhnlicher au. — b&rg,
Schwein. — bannig, sehr. — born, Feldbrunnen für das Vieh, Quelle;
börnen, tränken. — brammen, wiehern. — br&gen, Gehirn. —
britsen, prügeln. — brüen, necken. — brot, leicht verletzlich. —
bot, stumpf (von Werkzeugen). — dim, der Diemen. — döns, f.,
Stube (schon selten). — don, da, dann. — drach, f., Achselholz.
— dflfich, schwindelig; d&fich, dumm. — de dünnen, f., Schläfe.
— dut, m., Haufen. — elhorn, Holunder. — elk, Iltis. — nich et,
nicht geniefsbar, von Heu, welches die Kühe verschmähen. —
fearkou, unfruchtbare Kuh. — feudel, Aufnehmelappen. Nach
Halbertsma in Overijssel feitel, f. = Nachthalstuch für Frauen, Wisch-
tuch. In Sliedrecht: fijtel = Geifertuch für kleine Kinder. — ganner,
58
Gänserich. — gripen, dreibeiniger eiserner Topf. — grinen, lächeln.
— haben, Himmel. — hänbalken, Querbalken zwischen zwei Sparern
sik h&gen, sich freuen. — häfen, Strümpfe (nur noch von alten
Leuten gebraucht). — hek, n., Feldthor. — hilg, die Hilde. —
hot u. n& di, rechts und links, beim Fuhrmann. — httren, mieten.
— jiller, Euter. — jit, n., Schaf. (Nach Schütze: Ziege.) — kamp,
eine grofse Koppel. — kateiker, m., Eichhorn. — klben, m., Stall.
— kiewer, Klee. — kliben, Kletten. — klüftig, klug. — knei,
m., Knie. — knütten, stricken. — krous, Krug. — kr fisch,
wählerisch. — küfel, Kreisel. — küf, Backenzahn. — kwanswis,
zum Schein. Ik frög em fo kwanswis. — kwßfen, nergeln. —
läfig, schwach. — 16, 18i, f., Sense. — le, lä, f., Schwelle. — leg,
schlecht. — mal, närrisch, verrückt. — mät, Regenwurm. — m&den,
mieten. — mes, n., Messer. — möten, zum Stillstehen bringen. —
middewäken, Mittwoch, wonsdag ist unbekannt. — mit, f., Heu-
miete. — möischen, m., Waldmeister. — nas, m., Schachtel. —
nip, genau. — nef, Nase. — nücken, Tücke. — olmich, faul (von
Holz). — ftmer, Oheim; Hans-Öm, Onkel Hans. — p&ge, Pferd,
besonders Wallach. — park, Mark. — p&fel, m., Ochsenziemer. —
päten, Setzlinge. — peik, f., Pieke. — pi, f.^ Nachtrock der Kinder.
— plärtschen, plätschern. — plougsik, Pflugmesser. — poggen-
stoul, Pilz. — poggenkoller, m., Froschlaich. — prünen, schlecht
nähen. — pük, extra fein. — r&w, f., Kruste, Schorf. — rädr,
rällr, n., Weg zwischen zwei Koppeln. — r&m, m., Sahne. — rank,
schlank. — rölk, Schafgarbe. — röster, n., Teil des alten Holzpfluges.
— rüffel, m., Spaten ohne Griff. — rüfich, rauh (vom Wetter). —
fewwer, Maikäfer, fewer, Geifer. — fid, niedrig. — fil, Siel,
Kanal. — fipen, sickern. — sl6t, junge Fichtenstämme. — siengel,
Brunnenhebel. — smörn, schmunzeln. — filen, schmutzen. — foot,
Brunnen. — stackel, m., ein Mitleid erregendes Geschöpf. —
stur, grade, straff, ablehnend von Wesen. — füster, Schwester, nur
noch scherzend, sonst swester. — swäp, f., Peitsche. — swinplitsch,
lauernd klug. — tau, m., Webstuhl. — t&t, Stute. — täw, tiff,
Hündin. — t&gels, Schläge. — tokum wäk, künftige/ Woche. —
1 6 neb ank, Schenktisch. — trünneln, wälzen, rollen. — tüdr,m., Bind-
seil nebst Pflock für grasendes Vieh. — twälfen, Zwillinge. — et
twält sik, es teilt sich in zwei. — ul, f., Haarbesen. — unnasch,
unreinlich, unsanft, naschhaft. — unnoug, ungern. — wid, f., Molken.
— wäk, f., Eiswake. — woart, Enterich. — weden, jäten. — willnbom,
der Wiesbaum. — winwirp, Maulwurf. — wiern, Metalldräte. —
wrlben, reiben. — writen, wuchern.
SEGEBERG. H. Jellinghaus.
59
Syderak.
Eine der wichtigsten mnd. Handschriften, welche noch einer Be-
sprechung, vielleicht einer Herausgabe harren, ist der Kopenhagener
Sidrac. Dieses berühmte Buch ist im 14. und 15. Jh. in viele Sprachen
übertragen worden. Über die französische Bearbeitung berichtete
Fl. Frocheur im Messager des sciences hist. de Belgique 1842 S. 79 — 86.
Das italiänische „libro de Sidrach* veröffentlichte A. Bartoli, Bologna
1868. In niederländischer Sprache sind 7 Handschriften, welche sich
in Hamburg, Königsberg, Stuttgart, Brüssel, Delft, London und Oxford
befinden, und aufserdem zwei Drucke, Deventer 1496 und Antwerpen
1564 bekannt. Vgl. Mone, Übersicht der niederländischen Volksliteratur
352 f., Graesse, Allg. Litterargeschichte II, Abt. 2, 708, Zeitschrift
für d. Alterthum 13, 528, Germania 31, 342. Die poetische Einleitung
und den Epilog der Hamburger Hs. hat M. de Vries in De Taal- en
Letterbode HI (1872), 65 — 70 veröffentlicht. Der einzige ndd. Sidrac
befindet sich unter den Roostgaardschen Manuscripten der Universitäts-
bibliothek in Kopenhagen. Er stammt aus dem Anfange des 15. Jahr-
hunderts. Im Kataloge Nr. 807 „Des Wysen Syderachs bock von unter-
schiedlichen Fragen verfasset in 388 Kapiteln mit einem Register".
Vorn auf den ersten 12 Blättern sieht das Register: „Dit is dat register ouer
des wysen astronimus bock gheheyten syderack. Dar ghi moghen inne vinden vele
wonders vnde mennygherhande vraghc. Nw begynnet de erste vraghe aldus: Was
god alle tyt vnde schal alle tyt vort alfo blyuen."
Bl. 12: „Wat sprak adam erst vth synen monde. Also de moder der waren
Propheten steinen schal schal se ghedraghen werden in dat paradys myd vleisch
vnde myd knoken."
Bl. A 1, Z. 10 des Buches selber: „Vnde god dorch syne grote barmherticheyt
wolde openbaren de leue de he hadde to deme siechte Japhet noes sones vnde
ghewaer werden eynem van dem suluen gesiechte de hete syderak. Den he vor-
nullede vul alre wisheit vnde leet eme to wetende werden alle dink de gescheen
weren van anbeghynne der werlt wente to synen tyden."
A 4: „In dem jaer na godes ghebort dusent twe hundert vnde vierunvertich
Do weren dar vorredere to vnde vragheden na dessen boke.u
B 4: „Nw beghynnet hyr de eerste vraghe van dessen boke. De konningh
boctu8 vraghede den wysen philosophus syderak."
Dl: „Dar na eyne tyt scholen komen twe sulen De eyne schal gheheten
gyn de mynre brodere vnde de andere de predikere."
M 8: „Hyr nemet dit bock synen ende des wysen Philosophen vnde astro*
nomus meisten syderacks de dar vele gheleert heft
Der Epilog (vgl. De Taal- en Letterbode 3. 69) beginnt: „God sy ghelouet
van hemelryke God unfe lyff vnde feie bewaer nw vnde to alre tyt Vnde
make vns van allen sunden vry vnde quyt.
Amen segghet alle tosamen
In Godes namen.u
SEGEBERG. H. Jellinghaus.
60
Eine Werdener Liederhandsehrift
aus der Zeit um 1500.
Bei seinen Untersuchungen der Abteikirche in Werden fand mein
Freund W. Effmann vor einigen Jahren unter altem Gerumpel eine
stark verrissene Papierhandschrift im Formate eines kleinen Gebet-
buches (13Vt cm lang, 10 cm breit). Die Bruchstücke sind vom Buch-
binder nicht ganz richtig wieder zusammengebunden und befinden sich
jetzt im Pfarrarchive zu Werden. Der Inhalt besteht aus drei verschie-
denen Teilen, die auch von drei verschiedenen Händen herrühren : die
Betrachtungen der sieben Schmerzen Mariens und die Beschreibung der
heiligen Örter in Rom und Jerusalem zeigen in den Schriftzügen schon
merkliche Hinneigung zur Cursive und weisen dadurch wol in das 2.
oder 3. Jahrzehnt des 16. Jahrhundert. Der erste Teil, der geistliche
Lieder enthält und uns hier allein beschäftigen soll, ist von einer
älteren Hand aufgezeichnet; die Schreibweise ist noch ganz die des
15. Jahrhunderts, wodurch jedoch nicht ausgeschlossen ist, dass die
Niederschrift im Anfang des folgenden durch einen älteren Schreiber
stattfand; das Lied Nr. 5 verlangt mögliche Herabdrückung des Alters.
Für den niederrheinisch-niederdeutschen Liederschatz des 15. Jahr-
hundert ist diese Sammlung nicht ohne Interesse. Sie zeigt uns nicht
nur die allgemeine Verbreitung vieler Lieder, sondern bringt auch
manche ganz unbekannte, bei anderen bietet sie uns eine Handhabe
für die Wiederherstellung des ursprünglichen Textes. Ich will von
der argen Verderbtheit des Textes in dem von Hölscher heraus-
gegebenen Liederbuche der Katharina Tyrs l) gar nicht reden — man
vergleiche nur einmal die nur aus jener und dieser Sammlung be-
kannten Gedichte oberflächlich mit einander — auch die Texte der
Hoffmann'schen Handschriften2) sind keineswegs fehlerfrei, und es ist
dem Herausgeber keineswegs überall gelungen, die Fehler zu beseitigen.
Freilich sind auch die vorliegenden Texte nicht tadellos, einige sind
sogar im Ganzen genommen schlechter als bisher veröffentlichte, aber
im Einzelnen bieten sie auch dann nicht selten die ursprünglichen
Lesarten und sind daher für eine kritische Herstellung der Texte nicht
unwichtig. Es scheint, dass die Niederländer dem mittelalterlichen
Kirchenliede die lange entzogene Gunst wieder zuwenden wollen ; Acquoy
hat bereits einen Anlauf gemacht, um das Versäumte nachzuholen8).
') Niederdeutsche geistliche Lieder und Sprüche aus dem Münsterlande
Berlin 1854.
*) Horae Belgicae Bd. 10 Hannover 1854.
•) Het geestelyke lied in de Kederlanden voor de hervorming. (Separat-
abdruck aus dem 2. Bande vom Archief voor Nederlandsche kerkgeschiedenis onder
«i
Bei einer Reihe von Liedern wird sich auch jetzt schon durch eine
Prüfung der Reime feststellen lassen, in welcher Gegend sie entstanden
sind. Wenn auch vieles, so ist doch nicht alles jenseits der jetzigeh
Grenze entstanden. Ich will hier nur auf das Lied Nr. 21 verweisen,
das bereits bei Hoffmann unter Nr. 118 abgedruckt ist; dort fehlt
aber jede örtliche und persönliche Beziehung; diese hat man in deh
Niederlanden verwischt und so aus dem ursprünglich historischen
Liede des Antisemiten Jakob von Ratingen (zwischen Werden und
Düsseldorf) ein geistliches Lied gemacht.
Ob die vorliegende Sammlung in Werden veranstaltet ist, lässt
sich nicht mit Bestimmtheit behaupten; soviel lässt sich nur sagen,
dass der Sammler selbst von der westfälisch-niederrheinischen Grenze
gebürtig war, und zwar wol aus einer Gegend westlich von Werden.
Er hat den Dialect nicht gleichmässig geändert; man sieht, dass nicht
alles einer Vorlage entnommen ist, manches mag auch aus dem Ge-
dächtnisse aufgezeichnet sein. Aber das ist wol zu sehen, dass man
in seiner Heimat bekieren st. bekeren, behueder st. behoder usw. sprach.
Ich habe diese Eigentümlichkeiten nur dort beseitigt und einen an-
nehmbaren Text herzustellen gesucht, wo unsere Sammlung die alleinige
Grundlage für die Herstellung des Textes bilden muss; sonst habe ich
nur offenbare grobe Versehen berichtigt und dabei diese in die An-
merkungen verwiesen.
Die Lieder Nr. 1 — 22 schliessen unmittelbar an einander; Nr. 23,
das grade 2 Blätter umfasst, ist ein Rest aus dem fehlenden Schlüsse.
Es lässt sich nicht bestimmen, wie viele Lieder verloren sind, der
Umstand, dass sie mit den Weihnachtsliedern beginnen, lässt auf eine
Anordnung nach den kirchlichen Festen und damit auf einen grossen
Verlust schliessen.
Bei dem Abdrucke habe ich die Strophenabsätze det Handschrift
beibehalten; man kann daraus ersehen, dass sich Melodie und Strophe
nicht immer deckten.
Nr. 1.
To kerssmtese een suverlicke loysse.
Het is een dach der vroelicheit
all yn des connynges have,
dat heeft gewonnen in wonderheit
een maeget tot onsen lave;
dat kindekyn is seer wonderlick,
syn aensicht is genuechgeück
na syner minschelicheiden,
syn wesen dat is onbegrypelick
ende daer to seer onsprekelick
na synre gotlicheiden.
2.
Die moder is dochter wonderlick
oers soens ende hy oer vader;
waer hoert ymant des gelyc?
hy is god ende mynsch to gader;
hy is cnecht ende daer to heer,
hy is aver alle, dat is meer
onbegrypelic to vynden,
teghenwordich ende veer;
alsulkes wonder des groten heer
ten kan geen man besynnen.
redactie Tan J. G. R. Acquoy en H. G. Kogge. 's-Gravenhage 1867.) Dort findet
man auch eine Übersicht über die vorhandene Litteratur.
to
Doe was gebaren die gades soen
van eenre maeget puren,
als van lelyen, rosen schoen,
verwondert der naturen,
dat een maeget een soen gewan,
die was eer ye dynck began;
sy was yn synen behagen,
dat die borst der reinicheit
gaven melc der kyntlicheit,
die Beer alt was van dagen.
6.
Ut vitrum non leditnr.
Een glas alheel dat schynt daer doer,
ten briet niet van der sonnen:
so heeft een maeget na ende voer1)
ionefron een kynt gewonnen.
selich is die moder dan,
die gades soen ter werlt gewan,
god ende mynscb gebaren!
die borsten oec wael selich waren,
die god in synen jongen jaren
to sngen had verkaren.
4.
In den donckeren wart hy gebaren
die son der sonnen verliebter ;
dat kynt wart yn den stal gelecht,
all der werlt stichter;
die moder selver yn den doekeren want
des sternemeckers rechterhant,
do he den hemel wrachte;
hy Bchreyde, als een kyndekyn doet,
die wölken dienden om onder synen voet,
doe he opvoer mit erachten.
6.
Angelas pastoribus.
Den waekenden hierden god ontboed
des nachts by oeren beesten
myt synen engelen blytschap groot:
gebaren een konnynck mit festen,
den gewonnen heeft een maget
ende hebben on yn die kribbe gelacht
ende yn den doeken gewonden;
dat kynt dat is der engele heer
van gedaenten schoon voel meer,
dan ye kynt wart gevonden.
Doe men alle die werlt beschreef,
doe gynck die maget sware
to Betlehem, al daer sy bleef,
dat kynt wart daer gebaren,
dat he ons wil schryven ynden hof,
daer die engele syngen lof
van nyer werdicheiden.
god hyr baven ynden hemelryck
die gheve den mynschen op ertryck
van gnden willen vrede!
Das Lied ist bereits abgedruckt bei Hoffmann a. a. 0. in zwei Fassungen
(ffr. 21 u. 22) und von Hölscher a. a. 0. Nr. VIII. Es steht auch in dem Lieder-
buche der Anna von Köln unter Nr. 19; vgl. Bolte, Das Liederbuch der Anna von
Köln (in der Zeitschrift für deutsche Philologie Bd. XXI S. 129 ff.) S. 134, wo die
weitere Litteratur angeführt ist. Unser Text ist eine Mischung von den beiden bei
Hoffmann. Str. 4 zeigt, wie sehr die Texte bei der Überlieferung litten und wie
man vergeblich bemüht war doch wieder Sinn hineinzubringen, unbekümmert um
das lat. Original (Dies est laetitiae).
*) hs. voer ende na.
ft&
Nr. 2.
Ben Ander up die selve wijse.
Een yeghers hoern mit rijcker schall,
dat dorch die oren dynnet,
datlnydtso veern doer berch eü dael;
wat isset dat daer grymmet?
och, wechter van Jherusalem,
na hoert na deser yacht beqneem,
luert nnt den bogen tynnen!
verneem dy ijt? dat doet ans schijn,
dat moet een vremde wonder sijn,
verwaerd n stat van bynnen!
2.
Ick sie in deser dnyster nacht
mit also heymelicker wonne
een yoncfrou herden yn der yacht,
se is claerre dan die sonne;
se vuert twe wynd aen oerre haut,
knysheit, oetmoet synt sy genant,
to Nazareth geneket;
ic sie den hemel apen staen,
die dryvold daer to rade gaen1),
gades toern is nu geweken.
3.
Ick sie den rait geslaten gaus,
die bade is nnt geseyndet,
noch claerre dan een carbunkel glans;
daer hy die yoncfron vyndet,
by grneten se: genaden voll,
het sprynget na oer, dat sien ic wall,
een eenhorn stark van krechten;
he[t] gaff der maeget gevangen sich
yn oeren schoet seer mynnentlich,
seer meisterlic van scheften.
4.
Dat is die dochter van Syon,
die ons duck heeft besweret;
kendy oeren brndegom?
woe snell hy oer vercleret?
se heft gevonden, den se sockt
na edel ioncferlicker tocht:
oer vronde was ongemeten;
oer lichain was swanger sonder man,
die heilige geest dat vnegen kan,
god heeft oer hert beseten.
6.
Do sich dat neecte ter geboert*),
die vorst wold sijn onslaten,
oer ionferscap bleef (oer) onberaert
god is doer oer gevlaten.
vervronwe dy, moder ende maeget,
het heeft den heren aldus behaeget,
anschouwe voer dynen ogen
een kijnt, een schepper uutverkaren,
god ende mensche van dy gebaren,
geswongen nutten hogen.
6.
Se droecht oec niet der vrouwen stuer"),
die engelen oer plegen,
die werlt scheen ciaer recht als een vner,
vol engelscher schaer belegen;
se vervrouden sich der nyer vrncht,
se songen vroelic ynder Incht:
eer sie gade ynden bogen4),
den mynschen vrede op erden hier
van guden willen! reeden wijr,
wen en solt des niet genogen*)?
7.
Die connync ynder cribben leecht,
seer cleyn ind nochtant almechtich,
wie des yn synen herten niet en dreecht,
die is gades ongedechtich.
Die oss ind die ezel bekanden on,
dat hy weer die rechtverdige son,
die all die werlt verlucbtet.
nu laet ons mitten herdekijn
aenbeden dat snete kyndekijn,
dat hemel ind erde ontfrnchtenl
') die heilige dryvoldicheit to. *) hs. Dat neecten sich ter geboerten wart.
') hs. stoer. Die folgende Zeile lautet: die engelen oerre pleechden. 4) hs. yn der
hoechden. •) hs. genuegen.
14
Vgl. Hölscher Nr. 9; es fehlen dort xwei halbe Strophen, wie überhaupt sein
Text sehr verderbt ist. Str. 2, Z. 9 und Str. 6 Z. 2 findet sich dort indes die richtige
Lesart, die ich infolgedessen aufgenommen habe, wie noch einige andere kleinere Abwei-
chungen Str. 6 Z. 9 (wir) spricht für rheinländischen Ursprung, falls der Vers nicht
verderbt ist. Str. 7 Z. 10 (ontfruchtet) würde indes nach Westafen weisen, wenn wir
so genaue Reime von dem Verf. verlangen dürften. Zu Str. 1 und 2 vgl. W. Wacker-
nagel, Kleine Schriften Bd. III S. 83. Die Betonung Siöoi und Jerusalem hat ihren
Grund im lateinischen Kirchengesange.
Nr. 3.
Eeen nyenyaersdaeh (een) loyssehen.
Mit desen nyen yare
so word ons apenbare,
-woe dat een maeget vruchtbare
die werlt heeft verblijt.
Gelavet moet sijn dat kyndekyn,
geeret moet sijn dat meechdekijn
nn inde ewelick yn alre tijt.
Se gebeerden al sonder pijne
ende bleef een maeget fijne,
des sunders medicijne,
des hebben die yoeden spijt.
Gelavet etc.
Woe wal was oer to moide,
do se in vleysch ende yn bloyde
aensach oers horten hoede,
den heren der werlt wijt.
Gelavet etc.
6.
Des dartyenden dages, sijdt vroeder,
vonden sijt by sijnre moeder,
Joseph was oer behoeder,
so ons die scrift belijdt.
Gelavet etc.
7.
Dat kynt van doechden rijcke
bracht ons in all ertrijcke
den vrede gewarichlike,
des hadden die herden jolijt.
Gelavet etc.
8.
Drye connynghen onbekande
quamen (te doen) om offerhande
veer uut Orientenlande,
god sy gebenedijt.
Gelavet etc.
Die engele songen schone
gloria ynden throne
to eeren ende oec to lave
dem kynde, des seker sijdt.
Gelavet etc.
9.
Myrre offerden Jaspar,
wyroick connynck Melchior
ende daer na polt Baltasar,
dies niet en geloeft, vertijt
Gelavet etc.
5.
Als acht daeghe waren geleiten,
doe waert Jhesns besneden
al na der yoeden seeden,
-welc ons van sunden vrijet
Gelavet etc.
10.
Als ses wecken omme quamen,
stont se op na betamen,
gevrijet van allen vlamen,
om na toe volgen die wyt
Gelavet etc.
65
n.
Doe gynck die maeget al sympel
ende bracht oer kijnt teil tempel
alle Trouwen tot een exempel',
dies oer niet en vermyt.
Gelavet etc.
12.
Doe Symeon die aide
sach dat kint, 8yn herte vervroude;
he voersprack, dattet noch solde
ons van sunden maken vrij.
Gelavet etc.
13.
Elc vrolick sich hier (?) aene,
bidde oer ende vermane,
om ons by oer to ontfane,
als ons die doot verwijst
Gelavet etc.
14.
Noch liet hy aver drij ende dertich jaer
sich selven an een cruce siaen,
om ons to verlosen van den doot.
Nn help ons god nnt alre noot!
Gelavet etc.
Vgl. Hoffmann Nr. 1 und 2, Hölscher Nr. 12. Bei Hoffmann zählt das Ge-
dicht einmal 6 und einmal 10 Strophen; die letztere Anzahl hat es auch bei
Holscher. Keiner der Texte ist korrekt. Str. 6 u. 14 sind wol sicher spätere Er-
weiterungen. Die Reime in Str. 12 beweisen den niederländischen Ursprung.
Nr. 4.
Dertijndaeh een ander loysse.
1.
Drij konnyngen nut Orienten
qnamen toe Jhernsalem;
By vraechden, waer is hy gebaren
die connynck der Joeden?
sy saghen in Orienten
een sterne fijn,
sy quamen om aen to beden
dat kijndekijn.
Een kijndekijn is ons gebaren
in Bethleem,
des had Herodes toorne,
dat scheen aen em.
Als Herodes dat vernam,
dat een konnynck gebaren was,
so was hy toornich ende gram
ende hy vergan on des,
dat hy Verliesen solde
sijn rijc seer groot,
hy dacht, woe hy mocht brengen
dat kijndekijn ter doot.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
3.
Herodes sprack den konnyngen toe:
gaet hyn ende sueckt dat kijnt
NiederdeuUchei Jahrbuch. XIV.
mit also groter werdicheit,
ende, so men van on seget, hij is konnynck
baven allen konnyngen;
hy is so fijn,
men seget, hij sal besitten
dat rijcke mijn.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
4.
Als gy dat kyndekijn hebt gevonden,
so komt weder om tot my,
dat ick in körten stonden
mach weten, waer et sy,
dat ick oeck aen mach beden
dat kijndekijn,
dat heft so seer doersneden
dat herte mijn.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
5.
Herodes vraechden de vroden,
waer dat kijndekijn gebaren was;
sy seyden: heer, in Bethlehem,
als die propheet ons las,
dat daeruut solde komen
een here fijn,
die noch besitten solde
dat rijcke dijn.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
5
66
6.
Als die drije konnyngen quamen
baten Jherusalem,
mit vrouden sy vernamen
die sterne staen voer om
ter steden dat sy vonden
dat kijndekijn,
yn dnekeren gewonden
by der moder syn.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
Die konyngen aenbeden dat kijndekijn
van dertien daegen alt,
sy offerden on ter stonden
wijrroick, mijrre ende golt
mit groter werdicheiden,
des was wal noot,
sy vonden on ter steden
van haeven bloot.
Een kijndekijn in ons geboren etc.
8.
Als die konnyngen slapen wolden,
sprac die engel tot om,
dat sy niet (weder) kijren en solden
al to Jherusalem.
to een anderen paeden
sijn sy gekijrt,
al na des engeis rade,
als men ons leert.
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
9.
Nu laet ons laven dat kijndekijn,
dat Jhesus is genant,
dat hij ons wil bekijren
al in dat suete land,
daer die engelen god laven
tot alre tijt:
dat gnn ons god hijr baven
van hemelrijck!
Een kijndekijn is ons gebaren etc.
Vgl. Hoffmann Nr. 7. Der Text seiner Vorlage ist sehr entstellt, und seine
Conjekturen haben das Verderben nicht durchweg beseitigt. Dieser Text ist besser,
einige grobe Fehler lassen sich leicht beseitigen: Str. 3, Z. 4: men seget, he is
konnynck; Str. 5, Z. 3: sy seiden : yn Bethlehem Joden (nach der landläufigen
mittelalterlichen Übersetzung von B. Judae [Matth. II 1, 5 etc.]); Str. 5, Z. 4:
komen woldc oder solde; Str. 7, Z. 1: Do sy dat kindekijn vonden (nach Hoffmann);
Str. 9, Z. 1 : Nu laet ons loven den heren, die . . . Hier und dort hat wol ur-
sprünglich kint statt kindekijn gestanden.
Strophe 5 gehört vor Str. 3.
Merc wail!
Siet om tergelt, o kerstenbloet,
Dat dijn siele mit oer hebben moet,
Want du en heves hijr geen blyvende stat,
Daer om stroye mit doechden dynre zielen pat.
Het is geschiedt, dat eens rijcken mans soen is kranck geworden van den
quaden pocken, so dat alle die doctoren on dat leven ontsachten. Oeck en had
hy sijn daege niet voel gnets gedaen, mer synen vlijt gesät op lijder to dichten,
gnet ende quaet. So is on yn den synne gevallen wat to maecken van der
kuysscher ionefrouwe Maria ende heft gemaect dese nageschreven gesette, ende
daer na yn der nacht wart hy also gesont, dat men aen synen lijve niet merken
en mochte, dat hy die pocken had gehadt. Dit heft hy verkündiget den bisschop,
die groot afflaet heft gegeven den genen die dit lijtgen bij sich draegen, lesen
of syngen, hoeren lesen of syngen. Oeck sullen sy seker sijn voer der quader
snecten der pocken.
«7
Hr. 5.
l.
Maria zart,
van edeler art,
een rooss aen allen doernen,
da hefs mit macht
hijr wederbracht,
dat voerlanghs was verlaren
doer Adams val;
dy heft den gewalt
snnt Gabriel voerspraken;
help dat niet wordt gewraken
mijn sund ind schuld,
verwerf my huld,
want geen troost is,
waer du niet bist,
barmhertichkit to verwerven.
aen leisten eynd,
byd ic, dy niet weynd
van my in mynen sterven.
•
2.
Maria mild,
du hefs gestilt
der altvaeder verlangen,
die iair ind dach
yn wee inde klaech
die voerhell hield gevangen.
to alre tijt
wonaten sij den strijt,
daer doer des hemels poorten
to reten aen allen oerden,
ind daer af queem
ind on beneem
oer sware pijn;
dat all doer dijn
knysch ioncfroulick geberen
is afgestelt,
daer om dy helt
all werlt een kroon der eren.
3.
Maria reyn,
dn bist alleyn
der sunder troost up erden;
daer om dy haet
die ewige rait
een moder laten werden;
des hoochsten heil
doer groot ordel
ten ionxten dach sal richten.
haldt my aen dynen plichten,
du werde vrucht,
all mijn tovlncht
heb ic tot dy,
aent cruess bistu my
mit snnt Johan gegeven,
dattu oec mijn
moder wilst sijn,
vrijet hijr ind dair mijn leven.
Maria clair,
da bist vorwair
mit groten smert gegangen
mit dgnre vrucht
yn eren ind tucht
onschuldelic wart gevangen.
doer synen doot
verwerft my rait,
to beteren hijr mijn leven.
terstont bin ic om begeven
mit snlker pijn,
dat all doer mijn
sund inde scholt
bin ic gedolt
aen lijf ind allen eynden.
o edele rooss,
mijn krancheit groot
yn korts van my wilt weynden.
5.
Maria zart,
gemeeret wart
yn dy groot leet ind smerte,
doe dijn kijnt doot.
een speer mit noot
doerstack sijn sachte herte.
des blödes sacht
sweecht dy dyn kracht,
om leet dedet dy syncken,
Johannes was men wynken;
die liep bald dair
ind dy npboer,
daer dy dat sweert
dijn hert verteert,
daer van snnt Symeon saeget.
och vrou so werd,
son, lacht ind erd
des levens doot beclaeget.
5*
68
6.
Maria weerd,
so mijn siel kort
van deser erden moet scheiden,
so kom tot my
ind beschermt my,
dat my doch niet verleide
die valsch sathan,
wan ic niet kan
syn dieflick lijst bekennen;
Maria, doet my weynen,
werpt om my bald
dijns mantels vald,
ind so dijn kijnt
my rück1), geswynt
toen, yrou, dijn hert ind börste:
dijn soen Jhesu,
spreckt: geeft mij nu
den snnder ewige roste.
7.
Maria gnet,
wan yn onmnet
die vader van my weyndet,
so bid dair voer,
dijn kijnt schick dair,
sijn syde, voet ind hende,
dan en mach niet seer
die vader meer
tegen my ordel sprecken;
yd en mach sich oec niet recken
god die heilige geest,
die vast to bleest (so!)
syn gndicheit
yrst is bereit,
sett wysselike guede,
also ward ich
selich doer dich,
voer snnden my behuede.
8.
Maria fijn,
dijn clare schijn
lacht in den hoochsten throne,
doe dy mit eeren
van twelf Sternen
wart npgesat een crone;
die dryvoldicheit
heeft dy bereit
mit hoger gnaden ombegeven.
Maria, vrijt my my leven
so lang ind voel
bis np den soel.
o ioncfron suet,
help, dat ic bnet
mijn snnden voer mynen eynden:
ind als mij briet
mijn hert ind gesicht,
biet mijnre ziel dyn hende.
9.
Maria vron,
help, dat ic schon
dijn kijnt voer mynen eynde,
schickt mijnre ziel
snnt Michaeel,
dat hy sy vner beheynde
ijnt hemelrijck,
dair al gelijck
die engele vroelick syngen;
oer stemmen doen hei verklyngen:
„heilich, heilich,
heilich bistn,
o stereke got
van Sabaoth,
du regnijrst geweldelicken.*
so heeft eyn eynd
al mijn eilend,
ic vervronwe my ewelicken.
10.
Maria dair,
dn bist voerwair
fignerlick waill to bedneden
by des weers vel vncht,
dat Gedeon socht
van gades segel to strijden
beteykent wort;
dn bist dy poert,
die ewich blijft geslaten;
van dy is nntgevlaten
dat ewige woerd;
dn bist die gaerd,
die geteickende born,
clair erd ind tuyn,
beduyt voer langen iaren:
van my niet tny
dijn hnlp ind tron,
als ic van hen sal varen.
*) Der hochdeutsche Text hat rieht.
69
n.
Maria meyd,
sonder alle leid,
yn dy en is geen gebreken;
ten leeft geen man,
die mach of kan
dijn glorie groot nutsprecken;
dijn hoge lof
vloyet ewich af
yn hemel ind np der erden,
dy gelijck en mach nummer werden
geen creatuer.
o ioncfron puer,
wan dairto kumpt,
dat mijn mont stumpt,
mijn siel van den lijf sal kijren,
so gedenck dair ain,
dat ic dy hain
gedacht hier mede to eren.
Vgl. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied II 8. 804 ff. Hoffmann, Ge-
schichte des deutschen Kirchenliedes S. 264 f. Die auch dort aus Handschriften
u. Drucken mitgeteilten Verheissungen von Ablässen für das Lesen oder Singen des
Liedes scheinen von den Vertreibern erfunden zu sein. Dieselben bedienten sich
des Mittels mit Vorliebe, wie wir aus päpstlichen Erlassen sehen. Diederich Kolde
(Coeldc) zählt dieses Kunststück ausdrücklich als Sünde in seinem Beichtspiegel
auf, ein Beweis, dass es auch in Westfalen oft vorkam.
Vgl. auch noch Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Sing-
weisen I S. ßO.
Der Übersetzer hat das hochdeutsche Original stellenweise gar nicht ver-
standen.
Np. 6.
Item hijr na volget een ander devoet gesengh van onser lever vronwen.
l.
Ic heb die schoenste autverkaren,
oer liefd is vast in stedicheit;
hed sijt gedain, ic weer verlaren,
verlaren oick in ewicheit.
Maria, dn bust all die ic meyn,
baven allen vronwen schoon alleyn,
lait syn tot my dijn troost bereit!
Ic bidde dy,
och staet my by,
ic bidde dy,
och staet my trouwelic by!
2.
God grnet dy, werde maget reyn,
een moder der barmherticheit,
der genaden oick een eewich fonteyn,
bewijst den snnders mildicheit;
dijn macht is groot by god den here,
seer ghern volbrenct hy dijn beghere,
sijn moder en mach hy weygeren niet.
Ic bidde dy, och staet etc.
Der werlt vrond en mach niet duren,
oer arch hef mennich mynsche bedragen,
dat eynd der vroud is niet dan truren,
oer dyenres heft sy vaick gelagen.
Maria, gy sydt die stedich blijft,
daer om kier ic tot dy mijn lieft,
dijn dienre wil ic gerne syn.
Ic bidde dy, och staet etc.
Dijn doechden kond ic niet nntspreken,
all hed ic aller tonghen gewalt,
aen mijnre macht soldt my ontbreken.
woe znetlick is dijn wesen gestalt!
da bust des hemels een connyngyn,
der werlt wydt een keyseryn,
in dynen handen steet et al.
Ic bidde dy, och staet etc.
70
Mijn ziell is duck in swaren noden,
bangh is dat fijre herte mijn,
ick sorgh, die duvel wil my doeden,
oick vreess ic seer die heiische pijn.
ic bid, dat gy alltijt wilt sijn
tegen alle quait een medicijn
ind my verbinden in allen lijden.
Ic bidde dy, och staet etc.
6.
Maickt my van allen sunden vrij,
behuet mijn hert ind alle mijn syn,
mit edel doechden vercijret my,
dat bid ic dorch dijn reyne myn!
ghy sijd der sunders troesteryn,
ic belijd, dat ic een snnder byn,
dair om sneck ic genade van dy.
Ic bidde dy, och staet etc.
Och werde vrou, mijna herten lost,
genaid ger ic van dy tontfangen;
ghy sijd mijn haip ind alle mijn troost:
deed dijet, het weer all mit my gedain!
ontfermt n mijnre, all kom ic spade,
ic heb mg dncwijl quellic beraden,
och moder mylde, ic gher genade!
Ic bidde dy, och staet etc.
8.
Teghen dat wy van hier nn scheiden,
als wy dit leven snllen laten
so wilt ons hemels vroud bereiden,
dair vrond is alltijt sonder maten,
in hemels throon, dair ghy syt schoon
verheven by uwen enyghen soon,
dair n die engelschen choren laven.
Ic bidde dy,
och staet my by,
ic bidde dy,
och staet my troulick by!
Vgl. Hoffmann Nr. 32. Str. 7 Z. 4 deed dijet = deed ghy et.
Nr. 7.
Een ander.
Help, rjjcker god van baven,
kranck is die machte mijn,
mocht ick dy dienen ind laven
all na den wille mijn,
heyll sold ic dan verwerven
ind loon ontfangen groot,
oick lijden sold ick derven
ind hebben all ewich gnyt.
Mijn krancheit is my knndich,
mijn moet en is niet groot
die viant is seer lystich,
voel heft hy gebracht ter doot;
Mijn snnden die ic laide
sy doen my swair verdriet,
o heer, ic bid genade,
laet my verlaren nietl
3.
Och gndertyren here,
vergeeft my myn mysdaet,
dat is mijn gantz begheren,
ic wil nn schnwen dat qnaet.
Ghij knnd mijn wonden genesen,
ghy weet wail, wat my deert,
och wilt mijn arster wesen,
eert mit my qnader wert1).
4.
Die noot die duet my klaigen,
verhoert dijn arme knecht!
mocht ic dy noch behagen,
so weert al mit my recht
Drije viande die my quellen,
sy doen my grote last:
vleysch, werlt, duvel feile,
helpt my, so sta ic vast!
*) hs. wort.
71
5.
Droch werlt, ic wil dy mijdeu
ind dienen dy uiet ineer,
da en brengst my niet dan lijden
ind mennich groot hertenseer;
Ic wil my van dy scheiden,
du liefst my leet gedain,
niet langher en will ick beiden,
een oirden will ic ontfain!
6.
Hy is gekomen van koger airt,
die my leecht in den synne,
edel, mynlick, getronwe
in alle eijnre mynne;
In alre schoonheit seer volmackt
so is die liefste mijn,
by om wordt alle schemd gelacht,
die yn deser erden mach sijn.
7.
Die werlt:
Wilstn dan lijden annemen
ind willes van my gain,
yn een oirden dy begeven,
so is dyn vrond gedain;
Wolstu noch by my blyven,
dat weer dy wille myn,
dy sold noch heyl beclyven,
mijn dienre solstn sijn.
8.
Die jongherlingh:
Ick heb dy langbe gedyenet,
mijn loon is also smal,
ic wil enen anderen dyenen,
die my wail Ionen sal;
Ic wil gantz van dy tijden,
dijn dyenre wil ic niet sijn,
du lonest al mit lijden,
hier na mit der hellen pijn.
9.
Die werlt:
Laet dese rede varen
ind heb enen rysschen moet
ind wil die reyse sparen,
dat dnnckt my wesen goet.
Dn bnst seer wilt van synnen,
die vrond is yn dy breyt,
woe solstn dy bedwyngen
yn sulker strengicheit?
10.
Die jongerlyng:
Het is seer snoed van weerden,
dat haistelick moit vergain,
die vroud is cort up eerden
ind mach niet langhe stain,
Ind sold hijr na besuren
al yn der hellen stanck,
mit mennich sold ick trnren,
des nnmmer en is verganck.
11.
Die werlt:
Dn bnst noch yong van yaren,
gebrnict dijn yonge yoecht
ind laet dijn trnren varen,
daervan wortstn verhoecht;
Dn machst noch lange leven,
daer to voel vronden haen,
ynt alder dy begeven
ind so der hellen ontgaen.
12.
Die jongherlyngh:
All byn ic yong van jaren,
die doot komt alltohant,
die nyemant en wil sparen,
dat is my wael bekant;
Sy sijn dair hein gevaren,
sy waren oers modes vry,
oer daeghe hebn sy verlaren,
oer vrond is nn voerby.
13.
Die werlt:
Dn en kanst des niet besynnen,
wes eenre oirden toe hoert:
dijn natner moestn bedwyngen,
dijn vroud wort dy verstoert;
Een arm ellendich leven
dat wort dy dan bekant,
dn en kanst niet äff gewesen,
so swaer is daer die bant.
14.
Die Jongerlyngh.
Die konnynck van hijr baven
die sal mijn hulper sijn,
ya den die engelen laven
yn blydelicken schijn;
In on so wil ic hapen,
sijn genade is seer groot,
hy en sal my niet verlaten,
hy help my nnt der nootl
72
16.
Die werlt:
Wie heft dy dat geraden?
des doet my doch gewach,
waiit da yn körten daigen
so niet en waerst bedacht;
Op miamoet1) wilstn bouwen
ind wüst niet volghen my!
dat sal dy noch wal rouweii,
daer voer so warn ic dy.
16.
Die werlt:
Dn solst my gern bedrijgen,
ic heb dy wal verstain,
ya doch solstu my lijghen,
als du mennich hebst gedain;
Dijn listen en mögen niet baeten,
dijn reden machsta wol lain*),
ic wil my van dy säten,
een anderen wech bestain.
17.
Hy heft des recht versonnen,
die dit lijdt ijrsten sang,
den strijt heft hij gewonnen,
gegain ter oirdenwart an,
Der werlt is hij gescheyden,
dat is seer apenbair.
onser god moet on geleyden
yn syn beschon wen clair!
Vgl. Kölscher Nr. XXVIII, wo die Strophen 1—5, 6 und 17 ganz fehlen.
Str. 15, Z. 5 habe ich nach jenem Texte geändert.
Nr. 8.
Item noch een ander.
l.
Ic sach den dach upstijgen,
die wölken scheyden sich,
ic en kans niet langher geswijgen,
ic warschon v alle gelijck:
wail np wal, liever gesellen!
en laet v niet versnellen,
die doot is bitterlic!
2.
Die doot is onbestuere
ind onversiens daerbij;
o mynsche creatnre,
maickt dy van sunden vrij!
hy komt al hyr gerynge,
wy en können on niet ontspryngen
wo yongh, wo sterck wy sijn.
3.
Wo yong, wo sterck, wo schone,
die doot en spaert onser gheen;
wat ghevet men ons to lone
np deser werlt gemeyn?
men laet ons snellic verwijsen
den wormen tot eenre spijsen,
daer na denckt men ons cleyn!
4.
Nu waickt ind niet en slapet,
van snnden, yong ind alt,
hg komt hijr her gestrafet
mit krechtelicke gewalt;
Wie ye ontfijnck dat leven,
sy moten hem reden geven,
sijn cracht is mennichfolt
5.
Nu laet ons aeneschryen*)
die moder der myldicheit,
die reyne maighet Marien,
dair all ons troost an steet,
dat sy sich will ontbarmen4)
aver ons wail sundigen armen,
alst an een sterven geet.
*) hs. wat maten. *) ha. laten. •) hs. schreyen. 4) hs. ontfermen; vgl.
Str. 7 Z. 3.
73
6.
Maria, maiget reyne,
na staet my tronwelic by,
du büst al die ic meyne,
des bid ic vrijntelicke dy,
in mynen swaren noeden:
die duvel wil my doeden,
dair voer behoedet my!
„Nu komt in mynen armen,
die alreliefste mijn,
ic wil mij dijns ontbarmen,
woe sondich dat gy sijn1);
want ghy hebt rechten ronwen,
dair om snlt dy my schouwen
ind altijt vroelick sijn."
8.
Ick danck dy, edel maiget,
voer all dijn grote goet,
dat my so wail behaeget,
ic kriege een vryssen moet;
hijrom wil ic my vervrouwen
ind leven sonder ronwen"),
want ic nu sij behoet.
9.
Hijr aen denckt all gemeyne
ind eert Marien altijt,
sy kan ons maicken reyne
ind scheiden ons sundeu qurjt;
hijrom so willen wij se laven,
dat sij ons help hijr baven,
daer liefd is sonder nijt.
Nr. 9.
Een ander.
Waill np, ic moet van heenen,
mijns blyvens en is niet hijr,
ter doecht wil ic my weenen,
die doot die komt ons schijr!
Int hemelrijck hoert men synghen
der sneter engelen sanck,
die snaren ind (die) herpen klynghen
ind blijtschap sonder verganck.
2.
Nu mach ic niet meer synghen
mit vroelicken herte mijn,
my moet noch anders gelinghen,
8al ic verblydet sijn;
Och, trneren heft my bevangen
inde brengt mijnen herten pijn,
na god steet mijn verlangen
gern sold ic by on sijn.
Dat ratt van aventueren
loept in der werlt seer,
die vroud en mach niet dneren,
dat gelnck geet np ind neer;
Ic sie den goenen onder,
den ic te hant baven sach,
verheven is hy mit wonder,
die kortelick onder lach.
Noch snellre dan dat8) weder,
so is die vrond gewant,
noch lichter dan een veder,
so wordt die truwe bekant;
Och, wat hebben sy verlaeren
in vronden ewentlick,
die daer hebben na verkaren
np erden oer hemelrijck!
Van lijden gaen sy tot lijden,
van trnren tot ronwen groot:
wolden sij die snnden mijden,
des en dede on gheen noot;
Seer hooch waren sy gevlagen,
die nn sijnt syde gedailt,
die werlt heeft sy bedragen,
mit der doot sijn sy betaut.
*) hs. sydt. *) hs. sonder sorghen. ■) hs. noch suecken sy dan dat weder.
74
6.
Wfter om sijn onse gedachten
yn ydelheit gekeert?
wille wy die werlt verachten,
wy werden myt oer geleert!
Laet ons den wech averdencken,
den wy moten wanderen all,
so en sali ons yo niet krenken
ennich lijden of ongevall.
7.
Den strijt wil ic beghynnen
all teghen die synnen myn,
myn vyanden sal ic verwynnen,
wil du mijn holper sijn!
Doer dijn heilige vijff wonden
ind doer dyn sware pijn
sal ic verslaen ter stonde
al die mijn vyande sijn.
8.
Wut hyr in gnden werken
dyn gracie geven my,
in allen doechden Sterken,
nnt herten bid ic dy,
Na desen leven geven
des hemels ewige vrond,
dair is dat salige leven.
ind vrond al sonder ron.
Aus dem Liederbuche der Anna von Coeln abgedruckt von Bolte a. a.
145. Dort fehlen die beiden letzten Strophen.
Nr. 10.
Ein schoon gedieht, seer nutte ende profltelick averdacht ende gesongen
tot salieheit allen menschen np die wijse: „Die dach al doer die
wölken drang*'.
Och, edel mensch, bedenck die tijt,
die dy god heft gegeven,
maick dy der loeser werlt quijt
ende bedenck dijn snndighe leven!
Der werlt Inst en mach niet staen,
daer voer saltn dy hoeden;
der werlt Inst brengt hertelick leit,
och die dat bekennen konde!
3.
So wie sich hijr to gade geeft,
dat en darf [on] oec niet rouwen:
Jhesns en steet on nnmmer äff,
dat lave ick on in (rechter gnder) tronwen.
4.
Hartich, greven ende konnyncs kijnt,
seer mechtich ind avermeten,
bedenc, wo sy gevaeren synt:
die wormen die hebben se gegheten.
5.
Gedenck an den wijsen Salomon
ind an den rijken Alexander
ind an den schonen Absalon
mit mennigen stolten mannen
6.
Voer al so mennich ewich iaer;
dat seifte sal dy dyenen,
mer wiltn leven sonder vaer1),
so diene der maiget Marie
') ha. waen.
75
Ende oeren cleynen kyndekijn zaert,
to den saltu dy keren1),
gedenck do hy gebaren wart
een vorst van allen heren.
8.
Geen kamer en was hem daer vercijrt,
een stalleken was gemeyne,
die hemel ind erd ind al dynck regijrt
gebeert (Maria) die maiget reyne.
9.
Drij konnyngen quemen trat vremden land
tot gade ind onser vronwen,
dat kijndekijn gewonden in doeckeren
sy begheerden vroelick to schouwen.
10.
Sy brochten oeren offer daer,
des sijn sy wail to prijsen,
oec syn sy mitter engelen schaer:
god wil uns alle daer wijsen!
Str. 9 Z. 3 ist wol zu lesen:
snodem gewant.
dat kijndekijn mit doekeren bewant, oder in
Wat is in der werlt nuwe?
Schone worde ind valsche trnwe!
Np. 11.
l.
Ons kompt een schep, geladen
hent an dat hoochste boirt;
id brengt den soon des vaders,
dat ewentlike wort.
2.
Maria, gades moder,
gelavet moet dy sijn,
dat dn ye gedrogest
dat werde kyndekijn.
Doe spraken die propheten:
dat hebn wy langh begheert,
dat got den hemel ontoloete
ind queein hijr nederwert
6.
Hij leecht daer yn der cribben,
dat snete kijndekijn,
id Incht recht als die sonne,
root is sijn mondekijn.
Maria etc.
3.
Dat schepken dat kompt gestreken,
id brengt ons rijken last,
die mynne is dat seyle,
die heilige geest die mast.
Die dat kyndeken mocht küssen
yoer syner roder mont,
dat brocht hem grote laste
all yn sijns hertens gront.
Maria etc.
Die ancker is uutgeschaten,
dat schep moet an dat lant,
Die hemel is opgeslaten,
gaids soon is ons gesant.
8.
Die herdkens op den velde
den deden die engele kont,
woe god gebaren were
van eenre maiget yonck.
Maria gades etc.
') hs. kijren.
76
9.
Sy droech on yn den tempel
dat snte kijndeken,
sy offerde op den alter
twee tortelduveken.
Maria, gades moder etc.
10.
Wij is des kijiides moder?
die dochter van Jesse!
sy wordt een krefflike roder1),
sy vuert ons aver see.
Maria gades etc.
11.
Men sal Marien dyenen,
oer loff is also breet,
ten kan gheen mynsch volschryven
oer grote eerwerdicheit.
12.
In den hogen hemel
daer schyncket men guden wijn,
daer sullen die edele sielen
van mynnen droncken sijn.
Maria etc.
13.
Weer ic nu een voegeler,
een netken wold ic slaen
al voer die hemelsche poorten,
beer Jhesns wold ic vaen.
Maria etc.
14.
Als ic Jhesum hedde,
wat wold ic mit on doen?
ic sloet on yn mijn herte
ende deed id vaste toe.
Maria etc.
Ein Gedicht mit gleicher oder ähnlicher Anfangsstrophe wird Tauler zuge-
schrieben; vgl. Wackernagel II S. 302 ff., Bäumker II Nr. 85, Hoffmann, Geschichte
des deutschen Kirchenliedes S. 107 ff., Hoffmann, Horae Belgicae X Nr. 26, wo das
Lied 8 Strophen umfasst. Die Verwandtschaft der Texte ist eine sehr geringe.
Nr. 12.
Een ander lijtgen np die wijse: „Ic vrouwe my der aventstont".
Ic vrouwe my toe deser stont,
god weet wail, wen ic meyne:
den vader den is worden kont,
die ioncfrou was alleyne.
die soon die gaff den rait also,
die engel was der baitschap vro.
Och yoncfrou geraeyt,
een Sterne breyt,
du luchtes yn des heraeis throon.
2.
Die engel trat in dat kemerken,
hy vont dy yoncfrou alleyne,
sy las in oeren boeckelken
die uutvercaren fonteyne:
„Ic gruet dy, genadeschryn,
des vaders cracht sal by dy syn.a
Och yoncfrou zairt,
van hoger airt,
du werst een moder des heren.
3.
die yoncfrou wort verschricket seer
van deser hoger baitschap:
„och engel, woe mach dat geschyen,
want ic doch genen man en bekenne?
gelavet heb ic mijn reynicheit
den vader in der ewicheit."
Och yoncfrou goet,
van bogen moet,
Du draeges der doechden een crone.
') hs. rode.
I
77
Die engel sprack uut doechtliken synne:
ryoncfrou, ontfrucht v niet so seer,
die baitschap die ic to dy brenghe,
dat is des vaders wille;
da salst ontfangen een kijndekijn,
die overste sal sijn vader sijn,
cherubin
ende seraphin,
die engelen hem alle dyenen."
6.
Doe antworden on die yoncfron zaert,
uut vrouderijcken moede:
„bereyt bijn ick to deser vart,
ray geschie na dynen worde,
den heiligen geest wil ick my waren
dat hy myn reynicbeit wil be waren;
na dynen woirde my geschije,
een gades deerne,
god die wil sijn mijn behoeder."
Amen.
Merck dit aen:
Vry, vro to leven ind god niet bekant,
Sterck, gesont ind god niet gedanct,
Rijck, weeldich ind die armen niet bedacht,
Wittich, sijnuicb ind gaids gebaden niet gedacht:
Die mach sich vrnchten nacht ind dach,
Want on is bereit dat ewich ongemack.
Jesus sprect aldus tot den menschen:
0 mynsche, denck aen mijn lijden,
Sunden salstu altijt mijden,
En sündigte niet up den troist,
Dat die scheker wardt verloist,
Want onversien so komt die doot,
Die dan rou hed, des weer on noot.
Nr. 13.
Eeen ynnich lijdgen to kersmysst.
Een vroelic nye liet,
tis beter wat dem niet,
to Bethleem ist geschiet
van een kijnt dat Jhesus biet:
yn armoed ende verdriet
so mach men hem daer anschouwen
by die vrou baven allen vrouwen.
2.
Den connynck van groter macht,
gespraten uut Davids geslacht,
wy hebben hem lange verwacht,
nu leecht hy daer so nact, so ongeacht
in enen duysteren nacht,
van een arm moder gebaren,
daer men der engelen sanc mach hoeren.
3.
Dat costelike kijndekijn cleyn
leecht voer allen mynschen gemeyn
yn enen vuylen pleyn,
nochtans is hy der werlt beer alleyn,
sijn moeder is maget reyn;
hy moet daer kalde gedogen
ende mit tränen wasschen syn ogen.
4.
Daer was mennich windestoot,
rijp, haegel, drijfsnee groot,
dat kijnkijn lach daer bloot,
sijnledekens mochten sijn van kalde root;
peynst, hoet die moeder verdroot,
dat sy hem niet en mocht winden,
sy en hadde noch wullen. noch lijnen.
78
Wat armoed mocht daer sijn!
dat suete kijndekijn
Tan kalde most lijden pyn
mit sijn moder (Maria) die maeget fijn;
daer en was geen sonnenschijn
noch vner, hem by to wermen,
mynsch, laet u dit ontfermen!
6.
Joseph, o reyne Tat,
ghy hebt groot verdriet gehadt,
als ghy most lieden dat,
hoe daer Maria opter erden sat
mit also kosteten schat
yn sulken kalden weder
by twe stommen beesten neder.
Uut vrienden ende unt magen
yn die kaldestrengen dagen
ghy en mocht niemant clagen,
ghy hebt alleen die sorch moten dragen
voer die in Bethleem lagen:
dat kijndekijn mit synre moeder,
ghy waert hem en trou behoeder!
8.
Dat weder was also kolt,
dat kijndekijn en was niet olt,
daer en was geen torf noch holt,
dns was n aorch also mennichvolt;
cleyn was u silver off golt,
daer gijt mede mochten betaelen,
als ghij spijs of dranck soldt haelen.
Np. 14.
Op die wijse: „Ic sach die uorgensterne".
l.
Ic sach die av entsteine,
oeren lichten claren schijn,
die engele laven gade,
woe guet is daer by sijn!
2. •
Wat isset dat daer synget
ende my niet slapen en laet,
dat ic die werlt sal laten,
ind all oer toeverlaet?
3.
Dat is die geest Tan bynnen!
wat dnet hy ons verstaen?
so wie dat die doechden wercket,
die sal groot loon ontfaen.
Ick wolde gern doechden wercken,
och, geve hy my die macht,
die mynnentlicke here,
die alle dynck vermach!
o.
Ick sal dy die erachte geven,
mer dn moet dy kyeren äff
van allen ertschen dyngen,
dat dy een hynder maect.
6.
Ick wil alle ertschen dyngen,
om dynen will untgaen,
och, mynnentlicke Jhesus,
wat loens sal ic (daer voer) ontfaen?
Vroude ind dat ewige leven
sal dijn vrij eygen sijn,
all mitten seraphynnen
salstn verheven sijn.
8.
Sal ick mit allen engelen
dns hoghe verheven sijn,
och, mynnentlicke here,
so doe dijn genade mit my.
7»
9.
Anders niet daii got alleyne,
die alle dynck vermach,
der mynschen troost is cleyne,
dat pruef ick all den dach.
10.
Ick will den here alleyne
to maell getrouwe sijn,
ick mynne on all toe cleyne,
dat is die schade mijn.
11.
Nu wil ick my gaen voegen
in rechter enicheit
ind ick wil niet meer prneven
der mynschen onstedicheit
Das weltliche Tagelied steht bei Unland, Alte hoch- und niederdeutsche
Volkslieder Nr. 76 ff., Böhme, Altdeutsches Liederbuch Nr. 109 f. Die geistlichen
Nachdichtungen, die bei Hoffmann Nr. 86, Hölscher Nr. 49 abgedruckt sind, stimmen
unter sich mehr als mit unserm Texte überein; dieser ist eine selbständige Dichtung.
Vgl. auch Bolte Nr. 76 und Nr. 33.
Nr. 15.
0p die wijse: „Ic sach den heren van Valkensteen".
l.
Ic sach den here van Nazareth
op enen ezel rijden,
die clederkens worden on ondergespreyt
ind oec die groene twijger.
4.
Ick had een gotlick vonckelkijn
in mynre sielen ontfangen,
ind dat doerschoot dat herte mijn,
dat quam nnt Jhesns wonden.
Nu wael heyn ind nn wal heyn,
van deser werlt wil ic scheyden,
heer Jhesns is die liefste mijn,
na on so wil ic beyden!
3.
Ick bidde dy, here van hemelrijck,
vergeeft ons onse misdaden
ind maect ons onser sonden quijt,
ind ontfanct ons tot genaden.
Nn wail heenne, siele mijn,
ind gy moet ommers lijden:
ick leedt wail dryendertich iaer pijn
al om n to verbinden.
6.
Nn wille wy onder dat crnce gaen staen
ind helpen Jhesns trnren,
hy heeft om onsen will geladen,
dat wart on all to sure.
Vgl. Hoffmann Nr. 45, wo der Text 10 Strophen umfasst. Str. 4 Z. 2 ist
(nach Hoffmann) im Keime gevonden, Str. 6 Z. 3 gedaen zu lesen.
80
Nr. 16.
Item noch een ander lijd.
l.
Mit vrouden willen wy syngen
ind laven die drievoldicheit,
op dat sy ons wil brengen
ter ewiger salicheit,
die ewelick sal dueren
al sonder enicfa verganck:
och mocht ons dat geboeren,
och ewelick is so lanck!
Leefden wij na den gebaden,
recht als wij leven solden,
and dienden altijt gade
ind onser liever vronwen,
und lieten averglijden
die werlt mit oeren verganck,
so weren wij altijt blijde:
och ewelick is so lanck!
3.
Die blijischap is sonder eynde
hier baven int hemelrijck,
die wij daer sollen vynden,
die en heeft oec gheen gelijck:
dat is dat gotlicke wesen,
dat schynct ons sueten dranck,
als ic heb hoeren lesen:
och ewelick is so lanck!
Maria, die moder ons heren,
die wort van ons verbiet,
wanneer wij ons bekijren
in desser armer tijt;
Maria, maghet reyne,
och edel wijngarts ranck,
bid voer ons all gemeyne!
och ewelic is so lanck!
Die engelen ynbilijren
ind sijn so rechte vro,
wanneer wy ons bekijren;
sy helpen ons daerto,
dat wij ons moegen verblijden
ind singen der engelen sanc
yn ewelicken tijden:
och ewelick is so lanck!
6.
Die heiligen alle gaeder
die maecken grote feest
ind laven god den vaeder,
den soen, den heiligen geest;
als wy die snnde laten,
sy weten ons groten danck
ind sy laven ons baven maten:
och ewelic is so lanck!
7.
Nn laet ons dienen gade,
dat rade ick yonck ind alt,
ind halden syne gebade
ind bidden on mennichfalt,
dat hg ons wil beschermen
al voer der hellen stanc
ind voer dat ewige kennen:
och ewelic is so lanc!
Vgl. Hoffmann Nr. 107 und 108. Als Verfasser des Gedichtes wird der be-
rühmteste niederdeutsche Prediger Johannes Brugman (geboren zu Kempen im Rhein-
lande c. 1400, gest. zu Nymwegen 1473) angesehen. Spricht indes nicht Str. 3 Z. 7
gegen seine Verfasserschaft? Über Brugman vgl. Moll, Job. Brugman en het god-
dienstige leven onzer vaderen in de vijftiende eeuw. 2 Bde. Amsterdam 1854.
Dort hat Moli S. 207 ff. den Versuch zur Wiederherstellung des ursprünglichen
Textes gemacht. Unser Text hat mit Hoffmann Nr. 108 die meiste Verwandtschaft,
weicht aber im Einzelnen vielfach ab und bestätigt einige Conjecturen Mölls.
81
Nr. 17.
Noch een ander.
l.
Woe luede so sanck de leerrer up der
tynnen:
wie yn swaren sunden leecht,
die mach sich wal besynnen,
dat hy eentijt van snnden laet,
eer on die doot den wech ondergaet,
des warn ic on mit sanghe.
Ende dat yerhoerd een yongeling yonc
van iaren
hy gprack: o meister onversaecht,
woe moechdy das geberen?
ick mach noch leven mennighen dach
ind hebben blijtscap ind gemack
ind my nochtant to gade wart kijren.
3.
Die leerrer gprack: dijn woirden sijn seer
vermeten
ind waer syn dijn gesellen gevaeren?
hefstu des all vergeten?
sy waren oers müdes also rijck,
van yaren yonck als dijns gelijck —
die wormen die hebben sy geten!
Die yongelyng sprack : ick en kan my niet
bedwyngen,
ick moet gebrnken mijiire yoecht
mit dansen inde mit spryngen,
die veygen moten alle sterven;
waell up, laet ons na vroude werven,
ons mach noch heyll erlyngen!
Die leerre sprack: dijn vroud en mach
niet duren,
dat lijden komt also mennichvolt
bynnen eenre korter uren;
och weersta by den synnen dyn,
dat dy na dnncket yroude sijn,
ten weer dy niet dan trnrenl
6.
Die yongelyng sprac: sijn my myn synnen
vererret,
so is daer also mennich bedragen
ind des rechten weges ontverret;
ick hebbe gemist den rechten pat,
my is geworden ick en weet niet wat,
wat isset dat my deeret?
Die leerre sprack: woltn dijn hert be-
kijren,
den rechten wech to gade wert,
wold ick dy gerne leren;
der werlt loff is als een kaff,
woltn dy daer niet kieren äff,
die helle die is dyn eijgen.
8.
Die yongeling sprack: dijn woirden sijn
seer gehuere,
god selyer heeft dy her gesaut
to troost ind oec to stnere;
nn brenct my op den rechten wech,
dat ick die waerheit lere bet,
sy is my noch seer dnere.
9.
Die leerre sprack : ick danck des gades
gnede,
dat hy in also korter tijt
gewandelt heeft dijn gemuede;
nn hald dy an die tien gebot,
so en wortstu niet des duvels spot,
got moet ons alle behueden!
Niederdeutsche» Jahrbuch. XIV.
82
Abweichende Fassungen bei Hoffmann Nr. 122 und Nr. 123, Reifferscheü
Zeitschrift für deutsche Philologie IX 190 f., Jellinghaus in diesem Jahrbuche 1881
S. 6 ff., wo die weiteren Nachweise gegeben sind. Übersehen hat er den Abdruck
bei Moll a. a. 0. II S. 189 ff. nach einer Handschrift aus dem Anfange des 16.
Jahrhunderts. Vgl. auch Acquoy a. a. 0. S. 47 ff.
Nr. 18.
Noch een ander.
Ten ewigen leven weer ick ghern, al
velt et lanck
van heer Jhesu willen wy singhen enen
nyen sanck,
wat in der yrsten kerstnacht geschach,
doe hy in der crybben lach
all onyerborgen;
die een reyne hertken heeft,
die en darf niet sorgen.
Van den oversten throne wart een bade
gesant,
een heilich engel Gabriel is hy genant1),
die quam all daer die maget was
yn oerre kamere, daer sy lass;
hy sprack mit tnchten:
gegruet sijstn, Maria,
du en darffs niet vruchten!
Tot elkeren vers:
Dat kijndeken dat was suverlick,
dat moderken dat was vronden rijck,
all onyerborgen,
die een reyne hertken heeft,
die en darff niet sorghen.
3.
Du bist alre genaden voll, god is mit dy,
dynes heiligen lijves vrucht gebenediet sy ;
god wii van dy gebaren wesen,
des salstu yonfer wael genesen
yan alle swere,
want wat god wil, dat moet geschijn,
die werde here.
Dat kyndeken etc.
Ghebenediet sijstn, her Jhesu Christ
wan dn myn troist, myn toverlaet, myn
hape bist,
noch claerre dan der sonnen schijn,
na sluyt op dat herte mijn
ende myne synne
ende seynd daer yn den heiligen geest
myt synre mynnen.
Dat kyndeken etc.
5.
Doe sich des die maeget Maria versan,
dat die tijt der geboerten wold treden an.
sy sprack to Joseph : my steet die syn
to Bethleem, daer will ick hyn,
ick heb vernomen,
dat Cristus wil gebaren syn |
der werlt to vromen.
Dat kyndeken etc.
6.
Joseph tradt mit Maria vort hent aen
die stat,
dat yrste huyss, daer hy mit oer die
herberen badt,
daer stont een ezel ende een rint');
daer wart gebaren dat znete kijnt,
der werlt to troeste;
wij mosten alle yerlaren sijn,
hent hij ons loeste.
Dat kyndeken etc.
') hs. genamt. ') hs. runt.
83
Doe achte dage om quemen, noch myn
noch mee1),
doe wart dat kijnt besneden na der
yoedscher ee,
des twelften daechs een offer gebracht
van drijen connyngen waill bedacht,
een offer schone,
die rijke god, die gebaren is,
sij od8 to lone.
Dat kijndeken dat was suver-
lick etc.
Dasselbe Lied scheint sich auch in der Sammlung der Anna von Köln zu
befinden (8 Str.); vgl. Bolte Nr. 18.
Nr. 19.
Das Mtihlenlied.
Een moelen den ick bonwen wil,
here god, wnst ick waer mede;
hed ic hantgereide
ende wnst waervan,
tohant so wold ick bonwen an.
To holte wil ick vaeren heen,
dat walt en is niet veerne,
hnlpe neem ic also gerne,
woe men hoge bome vellen sal.
3.
Dat walt dat heitet Lybanus,
daer wassen cederbomen,
cypressen np die ryvijren
ende palmen stolt,
olyven dat wael nntte holt
4.
Meyster hoge, van knnsten rijck,
woldy my synne gheven,
honwen, snijen, even
ende maken siecht,
so word die moelen wal gerecht.
Moyses heer, nn komt daer by,
den ondersten steen berichte,
dat hy ligge also dichte,
so dreecht hy swair:
die aide een die meen ick dair.
') hs. meer.
Die nye een, den oversten steen,
den legge ic op den alden,
dat hy lope also balde
na meysters konst,
den wert des heiligen geistes gonst
7.
Ghy martelers comt oec all hijr by,
helpt ghy die molen stellen;
ghy ry vyren schone geeft waters genoech
ende schaffet der molen er gevoech.
8.
Gregorins, Ambrosins,
Jheronymns, Augustinus,
bewaret ghy dat dryven
ende dat kammerat,
so geet die molen desto bet.
9.
Ghy twelf apostelen, comt hijr voer
ende maict die moelen gaende,
dat sy niet en blief staende,
ghy sijdt uutgesant
to mailen over alle lant.
10.
Een yoncfron bracht een seckelkijn
myt weite, wael gebonden,
to der selver stonden
ter moelen quam,
een prophete dat vernam.
6*
84
iL
Jsaias had also lang
tovoeren daeraf geschreven:
„siet ons is ghegeven
een yoncfrou weert,
die ons heeft enen soon gebeert.
12.
Sijn naem die faeit Emanuel,
den snllen wy alle laven!
genadelicke van baven
hy tot ons quam,
des vervrouwen sich beide vrou ende man.
13.
Der propheten is so voel,
die daer af hebben gesongen;
ons is so wal gelongen,
het is volbracht,
dat geschach tot eenre middernacht.
14.
Do die nacht dat licht ontfienck,
doe nam die dach die lengde,
die dnysternisse oer weynde
ind orloff nam,
des systu, here, lavesam.
15.
Die sijnre so lang verbeidet hadden
die riepen all: wy wachten,
wy nu niet meer betrachten:
wy syn des wiss,
dat ons god gebaren is.
16.
Ghij evangelisten alle vijr,
ghij kunt dat wal betrachten,
woe wy sullen achten
dat seckelkijn,
dat ons bracht een meechdekijn.
17.
Mathens nemt ind bynd op den sack,
giet op die moelen, laet schraden
ende leer ons alto gader,
want dn bist wal geleert,
woe gades sone mensche wert1).
18.
Lncas rijt den sac ontwee,
giet op die moelen, laet wrywen:
da kanst ons wal beschryven
dat offer groot,
woe gades sone leedt den doot
19.
Marens, sterke lewe njn,
giet op die moelen, laet maelen,
woe god opstont van den doden,
doe dat geschach,
dat riepstn an den oesterdach.
20.
Johannes, arn van hoger vlncht,
dn kanst ons wal geleren
die hemelvart ons hören
all apenbaer:
help ons, dat wij komen daer.
21.
Die moelen geet ind is wal bereit,
all die na willen maelen,
die snllen daer na halen
oer koerntgen reyn,
so wordt on dat gemailen cleyn.
22.
Pawes, keyser, predicker,
bewaert ghy die moelen even,
dat sy ons moet geven
gescroot dat molt')
daer van so word u rijken solt.
23.
Die sijn siele spijsen will,
die sal sich hijr na stellen,
hy wort wael bericht,
hy meelt ind neemt des molfters nicht
24.
Die dese moelen gebonwet heeft,
den moet god geleiden!
woneer wy van hijr snllen scheyden:
een engel wijs
die vnyr ons in dat paradijs! Amen.
Vgl. in diesem Jahrbuche Jelliughaus III 86 ff., Jahresbericht der german.
Philol. I S. 184, Brandes Jahrb. IX 49 ff., Korrespondenzblatt 1885 Nr. 4 und Nr. 6.
*) hs. wart. *) hs. dat molfter gescroot.
85
Nr. 20.
Een ander lijd.
Nu sterck ons god yn onser noot,
beveel my, heer, yn dyn gebot,
laet ons den dach genedelicken schijnen.
2.
Der naraen drij beveel ick mij
in allen noeden waer dat ick sy,
des crnces cracht stae my voer alle pijne.
3.
Nu staet my hneden an mijnre hant,
beschermt my, beer, voer hoeftsnnden
baut,
seer ongestedich byn ick, waer ic my
henne kijre.
4.
Dat sweert, daer Symeon äff sprack,
dat Marien oer reyne berte doerstack,
do sy ansach, dat Cristns stond yn lijden.
ns.
Maria, een wonschelgairden
des Btammes van Jesse,
die Tbeofilns werf gnade
doer oer yonferlick anesien,
strijdt, vron, voer onse schulde
ende werfft ons gades hulde,
0 mater gracie!
6.
Den anxt seer groot, des lijdens noot,
dat cruyss, daer god aen leed den doot,
der naegelen drij, die speer ende oec die
crone,
7.
Der besseme swanc, der gallen dranc,
die daer myt der mynscheit hennen sanck,
doe Cristns riep mit also bermelicken
done1):
8.
Hely, heiy, lamazabatbani,
myn god, myn god, waer om heffstu ver-
laten my?
des yamers schreye ind oec die martely
sere.
Nu staet my hneden voer alle mysdaet,
dat ick voer dootsnnden moet sijn bewaert,
tot my gekijrt laet sijn dijns heilighen
geestes lere.
II 10.
Maria, maeget reyne,
nwer bnlpen doet uns schijn,
doer nwe wäre mynne
laet my n diener sijn!
laet my der trnwen genieten,
nwen hemelsthroon opslnten,
ende neem ons daer tot n yn!
11.
Och werde heer vorst van bemelrijck,
doer dynre moder eer ontfermt n aver my
ende gevet my tijt, n toorn is mij to
sware.
12.
Och werde heer Chryst, laet my der list
genieten, des my knndich is,
dat ick dy levendich kenne yn enen
cleynen brode.
13.
Ghevet ons also, dat het yo")
hyr sy myn leste spyse,
so werde ick vrij ende schreye luede uut
bermelicken noeden.
14.
Ghevet myuen horten enen ronwigen vloet
ende laets my niet mysgelden doer dynen
bytteren doot
ende weest my guet doer dijnre moder
eere!
Ü15.
Mijns levens een gnet eynde,
o heer, des bid ick dy
ende laet my niet verslynden,
die dnvel is so ghijr,
ende laet my nummer sterven,
ick en moet u hulde werven
daer to dat hemelrijck! Amen.
f) hs. stemmen. ") het hyr yo.
86
Vgl. Uhland Nr. 312, wo das Lied 7 Strophen hat (nach dem Liederbnche
der Herzogin Ammelia von Cleve). Wackernagel II 330. Bäumker II 452 f. (nach
einer Trierer Handschrift. Die dort mitgeteilte Melodie liegt auch diesem Texte
zu Grunde, derselbe ist wol erweitert). Reifferscheid a. a. 0. S. 187 f. Bartsch,
Germania XXV (1880) 210 ff.
Nr. 21.
Dit lijd is van den myrakel des heiigen sacraments
dat te Bresselouwen is geschijt.
In den tijden van den yaren,
doe god all dinck volbracht,
van Judas wart hy verraden,
den valschen yoeden verkocht;
van der doot is hy opverstanden
ind gevaren tot der ewicheit,
allen yoeden tot eenre schänden,
to trooste der cristenheit.
Wat heft hy ons gelaten,
dat hy ons ter letsen gaff?
die schat is baven maten,
want des geen tong volspreken en mach :
dat heilige sacramente,
gaits licham ind oeck sijn bloit,
dat hy ons ter letsen schencten,
doe hy an den cruce stont.
3.
Die valschen yoeden gemeyne,
die en willens geloven niet,
dat men yn die hostie reyne
gaids licham consecrijrt
tusschen des priesters handen,
daer die kersten gelove an steet.
god moit die yoeden sehenden
doer alle dese werlt breet!
4.
Mit recht wil ic sy straeffen,
men sold sy al verslaen,
over die yoeden roep ic wapen!
groot mort hebben sy gedaen:
dat heilige sacramente
hebn sy Judas brueder afgekocht
all in der quatertemper
voer sunte Michaels dach.
5.
Sy wolden dy wairheit schouwen,
(offt en sy?) gewaer vleysch ind bloit,
die yoeden mit eren vrouwen
Melden enen valschen rait.
groit wonder saltdy mereken,
Judas brueder wart bade gesaut,
die koster van der kerken,
woe seer wart hy geschaut!
6.
Die clock sold ylf uren slaen
ynt wüste (?) van der nacht,
die koster quam to den yoeden gegaen,
sijn vrouwe had hy mit om bracht:
hy sprack: gy Joden gemeyne
wat is nu u beger?
doe sprack die oeverste alleyne:
och koster, kom dy her!
7.
Die wijste yoede van all den hoop
gynck bij den koster stain:
och, wold die ons die hostie verkopen,
die die kersten hebn omgedraegen
all yn der gülden monstrancie,
die die priester selver droych?
daer voer en willen wij v niet dancken,
du salst hebn geldes genoieh.
8.
Die koster mit synem wyve
en berieden sich niet lang:
och, mocht verborgen blyven,
onsen god den suld dy haen;
wat wil dy my daer om geven?
ick sal en u leveren to myddernacht;
id sal ons kosten all ons leven,
wordet voer den heren bracht.
87
9.
Wy willent waell verswygen,
spraken die yoeden all gemeyn,
dertich golden mocht dy krygen
all voer die hostie cleyn.
die koster mit synem wyye
die waren der meren vro,
dat sy dat gelt solden krygen,
sy gyngen ter korken to.
10.
Sy wolden den heren hailen,
den Pylatus aent cruess deed slaen,
sy hebn on dieflick gestalen
den oversten van den throon.
die yoed mit synen ynylen banden
tasten yn dat schoon crystal,
hy nam den connynck der engelen,
hy droich om mit sich van dan.
11.
Doe sy gaids lichara brachten,
daer die yoeden waren by een,
sy spotten ende sy lachten,
sy schympten alle gheweyn;
sy bespegen dat licham ons heren,
sy deden on smaebeit groit:
die oeverste van hoger eren
die dede myrakel groit.
12.
Een tafel wort doe voertgebracht,
daer gyngen die yoeden om staen,
gaids licbam wart daer op gelacht,
dat sacramente schoen;
sy woldent bynnen ende bnten be-
schonwen,
offt weer gewaer vleiss ind bloyt,
sy hebbent to stucken gehonwen,
o wee der bitterre noit!
13.
Dat bloet dat quam gelopen
al aver die tafel breet,
uut gades licham gevlaten,
daert noch huede to dage op steet.
die yoeden worden seer verschriet,
on ward so bang to moyd1),
woe god an den cruce ward gerecket,
so störten hy daer syn bloyt.
14.
Die wechters up der muren
die worden des yamers wijss,
bynnen eenre korter uren
quam daer mennich schoen tortijss,
processien, crucen ind vaenen,
all dat volck dreef yamer groit,
sy wolden gaids licham hailen,
dairt lach yn synen bloid.
15.
Groit volck <Juam daer gedryngen,
beid vrouwen ende man,
die priesters konden niet gesyngen,
id schreiden allet dat daer quam;
sy vielen op oeren knyen
cruesgewijss al op die erde:
o werde gades licham, woe ligstu hier
doerhouwen mitten swerd.
16.
Die priesters mit den clereken,
al dat volck dreeff yamer gToit,
men droich die tafel to der kerken
mit dem werden duerberen bloide.
hoert, gy mannen ende vrouwen,
waer dit groit yamer is geschiet:
in der stat, heit Bresselouwen,
daer men dit myrakel siet.
17.
Die yoeden worden gevangen,
sestich ende hondert wart oerre ver-
brant,
die coster heft sich seif gehangen,
als Judas wart hy geschant.
hy riep mit luder stemmen:
nu en wort my nummer vroud kont,
ewelick moit ic verbernen
al yn der helle gront.
18.
Dit gedieht heft Jacob van Raetyngen
gemaict
van den yoeden sehnet nummer [goit ?]
slach ende ramspoit
also .... swass orlich yn den lande
daer die yoeden verheven sjjnt,
op Marie sprecken sy schände
ind op oer gebenedijde kynt.
') hs. so moyd.
88
Vgl. Hoffmann Nr. 118 und die Vorbemerkungen. Str. 9 ist nicht mehr ganz
zu entziffern, die Stelle ist völlig zerfressen. Das Ereignis fand wol im Jahre 1453
statt; vgl. Grünhagen Geschichte Schlesiens I 282, wo die Zahl der verbrannten
Juden auf 43 angegeben wird.
Nr. 22.
l.
Criste, du bust dach ende licht,
voer dy en is verborgen nicht1),
du bust des vaders lichte glans,
leer ons den wech der waerheit gans.
Nu slape, oghe, all sonder leit
ende waecke, herte, yn stedicheit,
nu bescherm ons godes rechterhant
ende behoede ons voer hoeftaunden baut
Wy bidden, heilige here, dy,
in deser nacht behuede my,
yn dy so sy die roste myn,
laet ons dese nacht in vrede sijn.
3.
Verdrijf des swaren slapes vrist,
dat ons niet en bedrijge des viants iist,
geeft, dat ons vleysch in tuchten reyne sy,
so staen wy van allen sunden vrij.
Beschermer all der cristenheit,
dyn hulpe sterck sy ons bereit,
nu help ons here uut alre noit
doer dyne heilige vijf wonden roit
6.
Gedencke, here, der swaerre tijt,
daer aen die ziell gevangen lijdt,
die zielen, die du heves verloost,
den gevet, heer, dynen ewigen troist!
Vgl. Hoffmann Nr. 113, Wackernagel II 564, Bolte Nr. 65.
Nr. 23.
Jhesns sprect tot die kersten ziel.
Heffopmijncruyss, mijn alreliefste bruyt,
ind volge my na, ind gae dijns selves uut,
want ict gedraegen heb voer dy,
heefstu my lieff, so volge my!
Die ziel antwoird:
0 Jhesus, alreliefste heer,
Ick byn noch yonck ind all to teer,
Ick heb dy lieff, dat is ummer waer,
Mer dijn cruyss is my voel to swaer.
Jhesns sprect:
Ick was noch yonc, doe ic dat droech,
En klage du niet, du bist sterc genoech,
Wanneer du bist alt ende kalt,
So en heefstu des cruces geen gewalt.
Die siel antwoird:
Woe mocht ic lyden dit gedwanck?
Der daege is voel, dat iaer is lanck,
Ick byn des cruces onghewoen,
Och schoend my, mijn alreliefste schoon!
Jhesus sprect:
Woe bistu, liefst«, so balde verlegen,
Du moyts noch strijden als een deghen!
Ic wil castyen dyn yonghe lijf,
Du wordes my anders voel to stijf.
Die siel antwoird:
Heer, dattu wilt, dat moet ommer wesen,
Mer des cruces en mach ick niet genesen,
Mer motet sijn ende aal ict draegen.
So moet ic krencken ende versaegen.
') h8. niet.
89
Jhesus aprect:
Meynstu in den rosen to baeden?
Dn moytst noch doer die doernen waeden!
Siet aen dat cruce ende oec dat mijn,
Woe ongelijc swaer dat sy sijn.
Die liel antwoird:
Wy lesen in der heiligher schrift:
Dyn ynck is suet, dyn borden is licht,
Woe bistu my dns anxtelicke hart,
Myn alreliefste brudegom zart.
Jhesas spreot:
Onghewoen besweert den moet,
Her lydt ende swijcht, et word noch goet
Mijn crnes is allso costele pant,
Dat ic des nymant dan mynen vrienden
en gan.
Die siel antwoird:
Den vrienden gheefstn weenich rast,
My gruwelt voer den swaren last,
Ie sorge, ic en sals niet moegen herden,
Och, here, wat sal mijns ghewerden?
Jhesus aprect:
Dat bemelrijck dat Hjdt gewalt,
Mer dn bist noch van mynnen kalt,
Hedstn my lief, het worde noch gnet,
Want mynne die maect all arbeit snet.
Die aiel antwoird:
0 here, geeft my der mynnen brant,
ilijn crancheit is dy wael bekant,
Leetstn my op my selver staen,
So weetatn wael, ick moet vergaen.
Jhesus aprect:
Ick byn brnyn ende suverlick,
Ick byn sner ende mynnentlick,
Ick gheve arbeit ende rast,
Betrouwe op mij, so steetstn vast.
Die siel antwoird:
0 here, offt nmmer wesen mach,
Des crnces neem ic gerne verdrach,
Mer wildijt hebben ende motet sijn,
Dijn will geschie ende niet die mijn!
Jhesas ipreot:
Ten hemelrijck gheet een wech alleen,
Dats des cruyss wech ende anders geeu,
Alle dyn waelvaert ende ewich heyii
Steet aen den cruyss, nn kijss ende deyll!
Die liel antwoird:
Sold ic dyn hnld ende dijn rijck Verliesen,
Eer hondert cruce wold ic verkiesen!
Here, geeft my macht ende lydsamheit
Ende cruyst my wael, et sy my lief of leit.
Jhesua spreot:
Als dy dat cruess ten herten gheit,
So denct, wat ic dy hebbe bereit:
My selver gheve ic dy to loon,
All mitten engelen die ewighe croon.
Die liel aprect tot oer selven:
0 mijn alreliefste siel,
Mynt god ende laet die werlt geheel,
Siet aen dat guet, dat Jhesns is,
Des hemelrijcks wartstu dan gewis.
Amen.
Über dieses sehr verbreitete Lied vgl. Jellinghaus in diesem Jahrbuche VII
S. 3 ff. Moll II 408 ff. Acquoy S. 59 ff. Bolte Nr. 39. Berlage, Programm der
Realschule zu Osnabrück 1876 S. 10.
MÜNSTER i. Westf.
Franz Jostes.
Die W einprobe.
Aus einem alten Revaler Liederbuche.
Et was een Schipken angekam
To Köllen an den Rien,
Da[t] war ock so beladen
Met idel rienschen Wien,
Met idel rienschen Wien.
Un da de Stop1) een Schilling galt,
Da weren de Wiewer fro:
'Ach Fru Gefadderin Margreteken,
Will wir een Stopken prowen
Un schmecken, wo dat schmeck?4
Un da dee Mann in de Kareken ginck,
Do hengdt de Tasch an de Want,
Da weren twe witte Schilling darin,
De weren er woll bekandt,
De weren er woll bekandt.
Als dee Mann ut de Kareken kam,
Sprach [he] : 'Magt, wo ist mien Wieff?4
'Se ligt woll in er egen Bed,
So we deit er dat Lieff,
So we deit er dat Lieff.4
De Mann dee lept de Treppen up
Un set sick up de Banck:
'Ach ach, mien seelentruten Fru,
Wo fan biß du so kranck,
Wo van biß du so kranck?4
'Ick heb dat slijmme Dünebeer sapen,
Dat kribbelt mie im Liew,
Dat deit mie ock so schmartlich wee,
Dat ick weet keen Verblieff,
Dat ick weet keen Verblieff.4
Dee Mann de lep dee Treppen äff,
Sprach: 'Magd, spööl us de Flasch,
Holl mie dat beste rienschen Wien,
Dat in de Keller iß,
Dat in de Keller iß!
') Stoof, ein noch heut in Reval übliches Mass, etwa Vs Liter.
91
8. 'Un set de Pötken an de Füer
Un mack dat nich to heet!
Un iß se den van Harten kranck,
So breckt er uht de Schweet,
So breckt er uht de Schweet.
9. 'Un do ock een Stück Sucker darin,
All weer et ock een Punt!
Un iße den van Harten kranck,
So wert sec wedder gesund,
So wert see wedder gesund.'
10. So don alle böße Wiewer,
De in de Keller sind.
Se macken ock er egen Mcnner
Met seenden Ogen blint,
Met seenden Ogen blint.
Auf der Bibliothek der Petersburger Akademie der Wissenschaften
fand ich in einem XX. J. 38 signierten handschriftlichen Liederbuche
auf S. 68 — 72 das vorstehende nd. Lied. Die Sammlung ist dem
Schriftcharakter nach in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von
verschiedenen Händen angelegt und enthält auf 309 Queroktavseiten !)
+ Register eine Anzahl hochdeutscher Liebesgedichte, darunter ver-
schiedene längst bekannte: S. 21 Dachs") '0 du vormahls grünes Feldt',
S. 57 'So hast du, liebes Kind'3), S. 141 'Du Beherrscher unsrer
Sinnen'4), S. 259 An die schöne Margaris: 'Soli es dan geschieden
sein', S. 47 'Flora stutzt in Seid und Sammet', S. 52 'Dorintgen,
weine nicht', S. 60 'Fragt ihr noch warum ich klage', S. 63 ,Warumb
fleuchstu, Halbgöttinne' u. a. Niederdeutsche Stücke begegnen ausser
der mitgeteilten 'Weinprobe' nicht; volkstümlichen Charakter trägt,
abgesehen von einigen Leberreimen und Rätseln, nur S. 118 Klag
und Traurgesang des Märten Jennissons6): 'Ich armer Haaß im weiten
Feldt'8). Bemerkenswert ist noch ein auf S. 255 — 259 stehendes
estnisches Lied: 'Armaß kalliß kuldene Wend' in 10 vierzeiligen
Strophen, da es, wie mir Herr Professor Leo Meyer in Dorpat gütigst
mitteilte, als die älteste Aufzeichnung estnischer Poesie angesehen
') S. 1-4 fehlen.
•) S. 414 ed. Oesterley 1876. IL Albert, Arien 4, 15.
•) A. Krieger, Arien 4, 6 (1667). Chr. Clodius' Liederbuch von 1669 Nr. 65
(Berliner Mscr. germ. oct 231).
4) Nach Meusebach, Serapeum 1870, 141 aus dem Schäferroman von Amoena
und Amandus (1632); vgl. Bolte, Altpreussische Monatsschrift 23, 444 f. Eine
schwedische Übersetzung vom J. 1712 durch IL B. liegt hsl. in Upsala (V 146).
*) Jennis estnisch = Hase.
•) Erk, Deutscher Liederhort (1856) Nr. 57. Mittler, Deutsche Volkslieder
Nr. 610—612. Hoffmann von Fallersleben, Niederländische Volkslieder • Nr. 163
(1856). Uhland, Schriften 3, 70 f. 157 f.
92
werden muss und un8 zugleich über die Heimat der Sammlung Auf-
schluss gewährt. Wir werden danach kaum fehl gehen, wenn wir
dieselbe in Reval suchen. Denn hierhin fuhrt uns auch ein S. 104
aufgezeichnetes Gedicht auf die Hochzeit Thomas Knipers: eine Familie
Kniper1) war in Reval während des 17. Jahrhunderts ansässig, und
Herr Oberlehrer G. von Hansen wies mir sogar einen Thomas Kniper
in Akten des Revaler Stadtarchivs v. J. 1649 nach. Eine genauere
Zeitangabe findet sich auf S. 95 einem nach der Melodie: '0 grau-
sahmes Hertz' gehenden Gedichte: 'Mein Geist, emphor! komm, säume
nicht zu gehen' beigeschrieben: 'Von J. Rf?]. H. gemacht 8. Sept. 1680;.
Einer der Besitzer des Büchleins wird der J. P. ß anner gewesen
sein, welcher auf dem Vorsatzblatte seinen Namen unter einem Denk-
spruche verewigt hat: 'A dieu complaire | A tous seruir | Jamais
mal faire | Ces[t] mon desir. | Got zu lieben | Niemant verachten
| Und nicht ybel zu thun | Ist alle mein Trachten'.
BERLIN. Johannes Bolte.
Zur Geschichte der Leberreime.
Therander ist nicht der einzige gewesen, der die Rhytmi mensales
des Johannes Junior in der Absicht durchmustert hat, sie ins Hoch-
deutsche zu übertragen. Im Jahre 1629, bald nach ihrem Erscheinen,
legte ein Danziger, Michael Hancke der Jüngere, Schreiber des bürger-
meisterlich Höheschen Amtes, eine Sammlung von Reimsprüchen,
historischen Liedern, Rätseln u. dergl. an, die bis 1644 mit Zusätzen
versehen wurde. Aus diesem Sammelbuche hat Toppen, Volkstümliche
Dichtungen, zumeist aus Handschriften des 15., 16. und 17. Jhs.
gesammelt. Ein Beitrag zur Geschichte der schönen Litteratur der
Provinz Preussen. Königsberg 1873 (Sonderabdruck aus der Altpreuss.
Monatsschrift Band 9) S. 83 — 86 Etdichc leberreime zum Abdruck
gebracht. Es sind im Ganzen 18 Sprüche. Da sie der Herausgeber
in der Reihe der von ihm mitgeteilten Reimsprüche als Nr. 61 — 78
mitzählt, so muss er eine engere Zusammengehörigkeit derselben nicht
angenommen haben. Hinsichtlich des Entstehungsortes und der Ent-
stehungszeit neigt er der Meinung zu, dass sie in Preussen und in der
Zeit Hanckes entstanden seien. Prüfen wir die Aufstellungen Töppcns
auf ihre Berechtigung, so haben wir zunächst zu bemerken, dass die
in Rede stehenden Sprüche, wie aus den Reimen uberaU: sott (Nr. 62),
') Die Bibliothek der Petersburger Akademie der Wissenschaften besitzt ein
1636—1641 geführtes Stammbuch des Stud. theol. Johannes Kniper aus Reval
(XX. C. a. 10); vgl. über ihn auch Lappenbergs Ausgabe von Flemings Deutschen
Gedichten 1865 S. 820.
M
schon: thun (ebd.), bock: glück (Nr. 70), ehr: vier (Nr. 72) erhellt,
aus dem Niederdeutschen übersetzt sind. Sie stellen entweder den
Überrest einer vollständigen hd. Bearbeitung des von Hofmeister in
dieser Zs. 10, 59 — 89 behandelten Werkes des Johannes Junior dar
oder, was mir wahrscheinlicher erscheint, eine wohl von Hancke selbst
veranstaltete und ins Hochdeutsche umgeschriebene Auswahl aus dem-
selben. Was sodann Töppens Zeitbestimmung angeht, so kann sich
diese nur auf die Form des Leberreims beziehen ; die in sie gebrachten
Sprüche dürfen auf ein erheblich höheres Alter Anspruch erheben.
Auf die Bedeutung der Sammlung des Johannes Junior als Fundgrube
nd. Sprichwörter und Spruchgedichte hat schon Hofmeister 1. c. S. 63
aufmerksam gemacht, aber Hofmeister hat ebenso wenig wie Toppen
erkannt, dass wir für eine grosse Anzahl der Reime in der unter dem
Namen Schone KÄnstlike Werldtsproke gehenden Bearbeitung dos Nd.
Reimbüchleins die direkte Vorlage besitzen. Sieht man von den durch
die Form des Leberreims bedingten Abweichungen ab, so ist der An-
schluss an die Quelle in den meisten Fällen eine sehr enge. Ein
Beispiel möge genügen, um dieses Verhältnis zwischen Rhytmi mensales
und Weltsprüchen zu illustrieren. Junior Nr. 11:
Diß Lever genamen uth dem Lyff,
Moth men nicht ethen gar tho ryff.
Merck, welcker nicht vorderven wil,
Höd sick vor Lögn und Kartenspir,
Vor Küpen und vor Börgerschop,
Vor Hören und böser gselschop.
und Werldtsproke 9 (Nd. Reimbüchlein S. XIV.) heisst es:
Welcker nicht vorderven wil,
De höde sick vor Lögen und Spil,
Vor Kopen und Bftrgeschop,
Vor Wyver und böser Geselschop.
Welche Reime des Johannes Junior sich bei Hancke wiederfinden,
ergiebt sich aus nachstehender Uebersicht.
Junior 4 =
Toppen
S. 86 Nr. 69
Junior 110 = Toppen S. 84 Nr. 62
13 =
S. 85 Nr. 70
111 = S. 83 Nr. 61
14 =
S. 85 Nr. 71
112 = S. 84 Nr. 65
17 =
S. 85 Nr. 72
113 = S. 84 Nr. 64
19 =
S. 85 Nr. 73
123 = S. 84 Nr. 63
78 =
S. 86 Nr. 74
Die Nummern 75 — 78 bei Toppen sowie auch wohl Nr. 66
gehören vermutlich zu den bisher nicht wiedergedruckten geistlichen
Leberreimen des Johannes Junior, von denen Hofmeister einige Proben
mitteilt, Nr. 67 dagegen, mit schwacher Anlehnung an Nr. 42 der
'Rhytmi mensales', Nr. 68 und die in Hanckes Sammelbuche getrennt
von der Eteliche leberreime überschriebenen Sammlung stehenden Num-
mern 108 — 111 scheinen aus anderer Quelle zu stammen.
Da der Herausgeber der 'Werldtliken Ryme van der Levern' nur
gelegentlich auf Parallelstellen verwiesen hat und zur Rechtfertigung
der vorhin aufgestellten Behauptung, dass Johannes Junior eine
94
Bearbeitung des Reimbüchleins gekannt und benutzt habe, schliesse
ich Bemerkungen zu einer grösseren Anzahl der Reime an.
Nr. 4: jungen statt sungen bei Toppen Nr. 69 V. 3 wird Druck- oder Lese-
fehler sein. Der aus Freid. 52, 16—17 stammende Spruch ist aus der jüngeren
Glosse zum RV I, 11 in das RB 1281—1282 gekommen. KW 30.
Nr. 8 V. 2—3: Im RB an verschiedenen Stellen: V. 2119—2120, worauf der
Herausgeber verweist, ferner 1913—1914 und 2510—2511. Nl. : Wien 2 (Nd. Jahrb.
13, 104 V. 7—8) und 1. Hulth. 26 (Belg. Mus. 1, 102 V. 5-6). — V. 4—6:
RB 2142-2143.
Nr. 11 : KW 9.
Nr. 12: RB 205—210.
Nr. 17: Die Mewe ist bei Toppen Nr. 72 zur mucke geworden; der Wechsel
im Reimwort hat die Ausstossung des aus dem RV I, 2 Randgl. in das RB 1437
bis 1438 übernommenen Spruches von den Räubern und Dieben zur Folge gehabt
Nr. 18: KW 48. Aus einer Halberstädter Hs. im Nd. Jahrb. 3, 62 Nr. 22
mit einer Notiz Walthers ebd. S. 67.
Nr. 20: KW 2.
Nr. 22: Aus dem Narrenschiff 6, 57—62 durch Vermittelung von RV II,
6 Gl. in das RB 565-570 gelangt.
Nr. 23: Aus Freid. 32, 7-10. RB 559—562, entlehnt aus RV n, 7 Randgl.
Nr. 48: RB 713-714 aus RV I, 39 Randgl.
Nr. 49: Der Spruch ist am Ende gekürzt. RB 755-758 aus RV I, 37 Randgl.
Vgl. Hoffmann von Fallersieben, Findlinge 1, 452 Nr. 143.
Nr. 53: KW 20 = RB 2405—2406 und in weiterer Ausführung Hoffmami
von Fallersleben, Findlinge 1, 351:
Quter Muth, gesunder Leib,
Altes Geld, ein junges Weib,
Gottes Huldt und Glück dabei,
Was meinstu wol, das besser sei?
Vgl. auch RB 2435— 2437, hd. in Hoffmann von Fallersleben, Spenden 1, 16; 1, 20:
1, 23, in Eschenburgs Denkmälern S. 397 Nr. 5 und nl. in der Berliner Samm-
lung 12 (Altd. Blätter 1, 75).
Nr. 57 : Aus Freid. 96, 18-19. RB 1415—1416 aus RVI, 3 Randgl. Vgl.
Nd. Jahrb. 3, 62 Nr. 17. HcL auch in Johannis Fabri de Werdea Proverbia
(Weimar. Jahrb. 2, 184).
Nr. 58: Vgl. RB 2628-2629.
Nr. 59: RB 2632—2633.
Nr. 62: Vgl. Narrensch. 1, 103—104:
Mannich leret nu dat heym tho hus,
Dat he ne lerede to Farus.
Nr. 80 V. 3-8: RB 2479—2484 aus Freid. 170, 14-17 und 20-21. Nl. in
der 2. Hulth. Sammlung 56 (Belg. Mus. 6, 199-200 V. 443-448). — V. 9-10:
RB 2485-2486 aus Freid. 170, 18-19.
Nr. 81: RB 2487-2490 aus Freid. 170, 22-25. Vgl. auch Hoffmann von
Fallersleben, Spenden 1, 30.
Nr. 84 V. 2-4: RB 2292-2293. Vgl. auch Nd. Jahrb. 3, 61 Nr. 10 V. 5-6.
Nr. 85: RB 2315-2320. Vgl. Nd. Jahrb. 3, 61 Nr. 9, ferner Germania 19,
303. Nl. in der 1. Hulth. Sammlung 18 (Tijdschr. voor Nederl. Taal- en Letterk.
3, 178).
Nr. 86 V. 5-6: RB 2301-2302.
Nr. 95: RV I, 22 Randgl. Vgl. Hoffmann von Fallersleben, Findlinge 1, 442
Nr. 69, ferner Keller, Alte gute Schwanke 2. Aufl. Nr. 26. Albert Hoefer verweist
hinsichtlich dieses weit verbreiteten Reimspruches am Schluss seines Aufsatzes über
apologische oder Beispiels-Sprichwörter im Niederdeutschen in v. d. Hagens Germania
6, 106 ausser auf Wackernagel A. L. 8p. 1027 auf J. W. Wolfs Wodana 2, 206.
Man findet ihn auch gegen Ausgang von Hans Rosenbluts Spruch von dem Pfennig
(Keller, Fastnachtspiele 1184):
95
Man spricht: lieb gee für alle ding.
Neyn, sprich ich pfennig,
Wo ich pfennig wennt,
Da hot die lieb ein endt.
Dass Rosenblut nicht der Verfasser desselben ist, erhellt aus den einleitenden
Worten: 'Man spricht4, die sonst nicht vorkommen. In das RB 925—928 ist er
aus dem RYI, 24 Gl. in nachstehender Form übergegangen:
Frflndtschop geit vor alle dinck,
Dat straffe ick, sprack de penninck,
Den wor ick keer und wende,
Dar helft de Frundtschop ein ende.
Es muss dahingestellt bleiben, ob die Bearbeitung des RB, die Johannes
Junior zur Verfugung hatte, die Aenderung von 'Freundschaft' in 'Liebe4 enthielt
oder ob dieser die Fassung: De Lefft öoerwindt alle ding, weil sie ihm geläufiger
war, einsetzte. An eine gleichzeitige Benutzung der jüngeren Glosse zum RV, die
auch die letztere Lesart kennt, braucht man deshalb noch nicht zu deuken. Auf die
Freundschaft bezogen steht der Spruch auch im Buche Weinsberg 71a (vgl. Bir-
lingers Mitteilungen aus demselben in der Germania 19, 83) und um die ersten
beiden Verse verkürzt in Hoffmann von Fallersieben, Findlinge 1, 444 Nr. 82
V. 3 — 4. Weitere Belege giebt Sandvoss in seinen Bemerkungen zu den Inschriften
von Lund, unter denen unser Reim ebenfalls begegnet, im Nd. Korrespondenzblatt
9, 53—54.
Nr. 99: RB 2107—2112 (s. auch RB 663-664). Hd. bei Toppen S. 76
Nr. 18 V. 1—4 und erheblich gekürzt in Hoffmann von Fallersieben, Spenden 1, 73.
Nr. 112: Bei Hancke gehört die Leber einem 'einhorn', nicht einem 'Barn';
V. 5 ist, wie folgt, umgestaltet : Ich toils noch ein zeit lang (wil myn Fryent wat)
ansehen.
Nr. 121 : RB 292—299 aus RV III, 7 Gl.
Nr. 128: Vgl. RB 2325-2331, ebd. 100—108 und 2512-2513. Hd. bei Toppen
S. 77 Nr. 24 und bei Hoffmann von Fallersieben, Spenden 1, 19.
Unangemerkt ist bisher geblieben, dass sich Johannes Junior öfters wiederholt.
Nr. 1 steht Nr. 123 nahe, Nr. 2 V. 2—4 = Nr. 99 V. 2—3, Nr. 4 V. 3—4 =
Nr. 77 V. 1-2, Nr. 10 V. 6-7 = Nr. 84 V. 5—6, Nr. 74 V. 4—6 = Nr. 87 V. 5-6.
BERLIN. Herman Brandes.
Zur Geschichte der Leberreime.
Die Rhytmi mensales des Johannes Junior sind auch nach Mi-
chael Hancke noch ins Hochdeutsche übertragen. Im Jahre 1649
erschien:
JOOSERIA (!) MENSALI A, I Das ift: | <Htlid?e fjunbert fdjine Qrift*
tmb | weltliche fd)erg onb ernfthaffte | £eber Heimen, | gufampt | (Etlichen luftigen,
fdj&i nnb 3&djtt* | gen Heimn>eif$ gesellten | Hinein. | Vov btefem niematyen fo
orbentltdj, | nebenfk fo fdfinen tmb luftigen Heimen tmb | Hinein ©erbeffert, in
teutfd? an§» | gangen. [Druckerstock.] (Sebrucft im 3at}r, | \6ty.
Als Motto steht auf der Rückseite des Titels:
21 n ben £efer.
Wer roxi bie £ebr bereimen fdfledjt,
Der reb was Ojrtftlid} ift wib redjt.
96
Es folgen auf Seite 3 — 19 nach der Überschrift „Zrtandierlev
tüeifc über (Eifdf Cfyriftüdf bie Ober 3U bereimen" 110 geistliche Leber-
reime, dann kommen S. 20 — 54 176 weltliche Leberreime, an die sich
71 Rätsel schliessen. Ein grosser Teil der weltlichen Reime dieser
Sammlung nun ist aus den Rhytmi mensales des Johann Junior über-
tragen. Es finden sich von den niederdeutschen Reimen folgende in
den Jocoseria mensalia übersetzt:
Rhytmi mens
2—5
=
Jocor. mens
51—54
»
7
=
n
55
n
9
=
n
56
n
11—14
=
n
57—60
n
16—17
=
r»
61—62
n
19—25
=
n
63—69
n
28—46
=
n
70—88
j)
47—91
=
j)
104—148
T)
93-94
=
r»
149—150
J7
97—102
=
n
151—156
J7
105
=
jj
157
n
109
=
n
158
J7
110
=
n
101
n
111
=
n
99
Jl
113—114
=
jy
159—160
1)
116
=
jj
176
1)
116
=
n
161
»
117
=
jj
97
n
119
==
n
100
n
123
3=
n
162
»»
125
=
jj
14
»
128
=
»
173
Dass die Leberreime der Jocoseria Übersetzungen aus den nieder-
deutschen Reimen des Junior sind, beweisen die zahlreichen nd. Reim-
formen, welche in der hd. Übersetzung beibehalten sind. Ein Beispiel
möge genügen:
Rhytmi mensales 40. Jocoseria mensalia 82.
Difz Leuer vam Hoen ick ethen wil, Die £ebr t>om fjuljn idj effen wtl,
Wol ümmer sitt vnd schwicht ock still EDer jmmer fifet onb fdjroetget ßitt,
Vnd steds duncker vnd suer vthsicht Dnb jicts bundfcl onb faror augjtdjt
Höd dy ydt ys ein Schalck vellicht. ßfit fcidj, er tft ein Sdjaltf pieflctdjt,
Ein oldt Sprickwordt mereke thor stundt (Ein alt fpridjtport, mertf 3ur flunb.
Jo stiller Watr, jo deper grundt. 3C fMUer Ȋff er, je tteffer grunb.
Der erste Teil der Joöoseria wird wahrscheinlich in ähnlicher
Weise aus den geistlichen Leberreimen des Johannes Junior umge-
dichtet sein.
Den Ruf, der Erfinder der Leberreime gewesen zu sein, hat
Heinrich Schaeve schon durch Hoffmanns Hinweis (Monatsschrift von
und für Schlesien (1829) I S. 229 ff.) auf Johann Sommer verloren;
nun lässt sich sogar wahrscheinlich machen, dass der gelehrte Rector
Schaevius überhaupt keine Leberreime verfasst hat. Freilich werden
in dem Schulspiel von Johann Leonhard Frisch Die entöecfte un&
penoorffene Unfauberfctt öcr falfdjen t>idt\U unb Heimfunfl (Berlin
97
1700) drei recht abgeschmackte Leberreime ausdrücklich dem Schaeve
zugeschrieben, nämlich:
Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem Hahn.
Heut will ich wohl gemuth zu mein'r Hertzliebsten gähn.
Die Leber ist vom Hecht und nicht von einer Elster.
Mein Bruder ist mir lieb, und lieber noch die 8chwester.
Die Leber ist vom Hecht und nicht von einer Gans.
Die Magd hebst Ursula, der Haufsknecht aber Hans.
Ja aus der Fassung der Worte an jener Stelle Hesse sich herauslesen,
dass Frisch eine Sammlung des Schaevius in der Hand gehabt habe.
Ein derartiges Werk des Schaeve hat sich aber trotz meiner sorg-
fältigsten Bemühungen nicht auftreiben, ja nicht einmal der genauere
Titel desselben auffinden lassen. Dagegen kann man die Quelle, aus
der Frisch und andere ihre Nachrichten über Schaeve als Leberreim-
dichter schöpften, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nachweisen. Ich
meine, es war Neumeister, der in seinem Specimen dissertationis
historico-criticae (1685. 4*) p. 91 von Schaeve sagt: Schaevius (Henr.)
Kilon. Rector tandem Thoruni. Vir in ceteris longe doctissimus, in
Poesi vero patria parum praestans excogitavit notos illos Rythmos
Hepaticos, Ceber'Heime, qui ridicule ac minus congrue consui solent.
E. g. „Die Leber ist vom Hecht" u. s. w. Es folgen dann 6 Leber-
reime. Von diesen finden sich nun drei im Frischschen Schulspiel
wieder, und zwar diejenigen drei, die man, ohne Ärgernis zu nehmen,
aus dem Munde von Schülern hören konnte. Die anderen drei sind
erotischen Inhalts. Dieser Umstand zusammen mit der Unmöglichkeit,
eine derartige Sammlung Schaeves nachzuweisen, macht es mir wahr-
scheinlich, dass Frisch seine Kenntnis über Schaeves Leberreime aus
Neumeister geschöpft hat. Neumeisters Worte aber sind m. E. von
ihm und anderen seiner Zeitgenossen missverstanden. Sein Urteil „qui
minus congrue consui solent" bezieht sich nicht auf Schaeves Verse,
sondern auf die Leberreime überhaupt, und um diese Ansicht zu be-
kräftigen, führt er als Beispiele einige recht abgeschmackte Leberreime
an, die er aber keineswegs für Schaevesche ausgeben wollte. Diese
Auffassung der Worte bei Neumeister teilt Joh. Friedr. Rottmanns
Lustiger Poete (o. 0. 1718) S. 393 Capitel 22 § 4 u. 5: „Ferner ge-
hören hier her die Leber-Reime, welche Weiland Henricus Schaevius,
ein gelehrter Rector zu Thorn und zwar unter dem Namen cter Eu-
phrosynen von Sittenbach erdacht und heraufs gegeben. Es erfordert
aber derselben Verfertigung gar keine Kunst, und kan ein jedweder
nach seinen Gefallen die Leber bereimen wie solches aus einigen
Exempeln wird erhellen." Nun folgen zwei von den bei Neumeister
befindlichen Reimen. Nach diesen Ausführungen ist es wahrscheinlich,
dass die von Neumeister mitgeteilten Leberreime nicht von Schaevius
herrühren. Woher stammt nun aber Neumeisters Nachricht, dass
Schaeve der Erfinder der Leberreime sei? Für diesen Irrtum scheint
Morhof verantwortlich zu sein. Derselbe, obwohl ein Schüler des
Schaeve, sagt in seinem Unterricht von der Teutschen Sprache und
Niederdeutsche« Jabibneh. XTV. 7
9S
Poesie (Kiel 1682. 8°) S. 768: „Wohin (zu den Epigrammatibus) man i
auch die bey den Teutschen gebräuchliche Leber-Reime bringen kan, '.
von welchen Henricus Schaevius ein Büchlein unter dem Nahmen der
Euphrosinen von Sittenbach heraufsgegeben, deren Autor sonst niemand j
leicht bekannt ist." Welche Gründe ihn veranlasst haben, die Grell- j
lingersche Sammlung, deren Verfasser er nicht kannte, dem Schaeve ,
zuzuschreiben, ist nicht mehr ersichtlich. Grefflingers Reime sind 1
ohne Nennung des Verfassers häufig nachgedruckt u. a. in Alberti
Sommers neu vermehrten anmutigen Conversationsgesprächen (1673),
so dass die Verwechslung wohl möglich war.
Durch dieselbe allein aber ist wahrscheinlich Schaeve in den
unverdienten Verdacht, Leberreime verfasst zu haben, geraten. i
Nicht auf die Rhytmi mensaies, sondern wahrscheinlich auf die
Jocoseria mensalia gehen die Leberreime zurück, welche im
Sdjauplafc | ber Derltebten, I Das ifi | 3üngj!*erbauete | SdfSfferey, | (Dfcer
feufdje £tcbcs-8e* | fd^reibung, | Der ZTiinpfen | Amoena unb Amandas, j Cratus
nnb Phoebea, | Romeo unb Julietta: | Wie audf | Des jreyers in allen
(Saffen, | Sampt | Anfügung fyöfffidjer Säuret- | beti uadj ifcigcr Seit an bas
löblidje | tfrauen=§immer. | Hamburg, | 3n Derlegung 3°^ann Hanmanns, (669.
enthalten sind. Es ist dies eine Erweiterung des 1632 zuerst unter
dem Titel: Jüngst erbauete Schäfferey u. s. w. erschienenen Schäfer-
romans. (Vgl. J. Bolte, Nachträge zu Alberts und Dachs Gedichten.
Altpreuss. Monatsschrift. XXIII. 1886. S. 444.) Die dort auf S.
261 — 273 mitgeteilten Leberreime finden sich bis auf 2 geistliche
sämtlich in den Jocoseria mensalia. Dass die Rhytmi mensaies die
direkte Quelle für diese Reime nicht sein können, zeigt deutlich fol-
gende Übersicht:
ytmi mens.
2—5
Joe.
mens.
51—54
Schaupl.
d.
V.
1—4
n
7
»
55
ii
5
»
9
5>
56
6
n
11—14
11
57—60
ii
7—10
n
16-17
11
61—62
ii
11—12
»
19—25
11
63—69
ii
13—19
»
28—38
11
70—80
ii
20—30
Es finden sich eben in der letztgenannten Sammlung genau die-
selben Reime und in derselben Reihenfolge, wie sie der Verfasser der
Jocoseria mensalia in freier Wahl und ohne sich an die Reihenfolge
zu kehren aus den Rhytmi mensaies herübergenommen hat. Von den
geistlichen Leberreimen im Schauplatz der Verliebten entspricht der
3. dem 63. aus dem ersten Teile der Jocos. mens., der 4. dem 64.,
der 5. dem darauf folgenden ebenfalls mit 64 bezeichneten, der 7.
dem 70., der 8. dem 74. und der 1). dem 75. Die Übereinstimmung
ist fast wörtlich. Auffallend ist bei der Vergleiohung beider Samm-
lungen, dass die Leberreime im Schauplatz der Verliebten gerade mit
»9
dem ersten Reime der Jocoseria mens, beginnen, welcher aus den
Rhytmi mensales entlehnt ist: sollte der Verfasser des Schauplatzes
eine vollständige hochdeutsche Übersetzung der Rhytmi mensales, die
älter war als die Jocoseria mensalia und die der Herausgeber der
Jocoseria ebenfalls benutzte, in Händen gehabt haben?
BERLIN. L. H. Fischer.
Niederdeutsehe Rechenbücher.
Vor einiger Zeit erwarb ich ein Rechenbuch in niederdeutscher
Sprache von Rembert Friese in Emden, welches selten zu sein scheint,
weshalb ich es hier beschreibe:
Titel: „Arithmetica | bat i&: | De Hefen ffinjt. | TXlit aller-
ley* nibige Regulen, fetjoue | ^empelen, pnb buYtlyfe Inftructien
ge3vret: | So tfyo befer tvbt im Koop«rjanbel am gebruecflycfflen.
| Sampt einen KunjUvfen Appendix, | De leepe 35get unb atte
Ceefffyebberen befer | fünft tf>o f Silbernen niitte im | Drficf pir-
fertiget | 7>Sxd\: | Rembertum5nefe,lX>olp6rorbneteu | Sd^ryff'
unb Hefenmeifter ber töfflvfen | Stabt £mbben. | ißebrueft ttjo
<£mbben, | Sy Daoib fjinbriefs pan Sorcfum, | Door 3ann
Sippen fdjuirman Soecfperfoper in be | 29rugge (irate int gelben
21 S. | im yxty* j658." 8°.
Unter denjenigen, welchen das Buch gewidmet ist, befinden sich
auch die „ScfjrYff* pnb Hefen*meijtern ber CSfilvTen Stabt £mbben."
Es waren die „Qeren Conrad Schröder. Gerdt Friesenborch. Adam
van Karfzenbroeck. Jacob Oldepott. Augustus Sagittarius. Hindrick
Janfzen B. Dirck de Ahna".
In Hamburg waren die Rechenbücher von Brandanus Daetri
während des 17. Jahrh. in Gebrauch. Der Genannte gab sie dreimal
heraus. Nach seinem Tode besorgte sein Sohn Nicolaus Daetri
eine neue Ausgabe, welche ich besitze (£jambordj, ißebruefet pnb por*
led|t bStdi | ffiidtael £}ermcf Soecff. j630.). Aus der Vorrede ersehen
wir, dass Nicolaus der Nachfolger seines Vaters im Schul- und Kirchen-
dienst an S. Maria-Magdalena wurde. Ein anderer Sohn, welcher den
Vornamen Brandanus führte, hat der Ausgabe von 1630 ein hoch-
deutsches Gedicht auf seinen Vater vorausgeschickt, worin es u. a. heisst:
§a>ar, Pater, 311 oem idj mein Hoffnung nefyji (Sott
2tÜ3ett aufteilet \\att\ 3^r fevo lingft oura> oen CoM
gufrue, ad) gar 3U frfie uon »ns tympeg geriffen:
— 3*tr feY& oatjin, begraben
7*
100
3" aller ntutterfdjoefj, bodj nur ber £eib, bie <5aben
So (Sott in eudj gelegt, bie fonnen nidjt oergettn,
Sonbem fo lauge n)trb bie ^Iritr^metic fter/n
3n rechtem Ku^m' vnb IPertt], n)irb audj ber Ztafyme bleiben
Pen jf^r befommen rjabt burdj croer Budjer fajreiben.
Dnb off t als biefes 8udj, u>ie Mein es von papier
So groß oon IZutjen bodj, wirb mm gebruefet tyer,
EDerb1 idj endj lieber fet|n als u>ie oon nen>en (eben
Wann eudj big Büchlein giebt, u>as jtjr ftm rjabt gegeben.
Von den früheren Ausgaben befindet sich die von 1602 in der
Stadtbibliothek zu Hamburg.
In Lübeck druckte Johan Balhorn 1547 das Rechenbuch des
Caspar Hützier von Nürnberg in niederdeutscher Sprache, der Titel
ist: „<£yn be< | tjeiibe vnb fimft | rife Hefensbocf, pp | aüerley foep-
tyanMe, ym \ taue, mate vnb tjeandjte, pp | 5er Ciiüen ph& t3yfern, aanti
| gruntUef gemafet pnb tofa« | menbe gelefen, öirdj <£a(per | £}ufeler van
Zl&venbetdt, | Ctjom anfarti male auer* | feen, pti mit flyte fcScd} | 3or/an
29alt}orn geör&cfet." Am Schluss steht folgendes Gedicht:
gramer fnab, fop oiib leg my mit truroen,
X>yn gelbt fdjal by nid^t rutuen.
So irf ben mdjt fry be n>arljeyt \>o fagen,
So madjfttt my cor bem patofte Dorflagen.
Darauf: „tDecr roets | rr/tes fumpt. | 3n bet Keyfferlifen Stabt
Cübccf, bSvd\ 3or]an | öaltjorn mit flitc | gebruefet. | M. D. XL VII. *
Ob Caspar Hutzier sein Rechenbuch ursprünglich niederdeutsch
geschrieben, oder ob es erst in Lübeck übertragen wurde, kann ich
nicht angeben.
Ein dem obigen inhaltlich verwandter Reim findet sich auch auf
der Rückseite des Titelblatts in dem Rechenbuch von Rembert Friese.
Er lautet:
Dat öoeef tfyom Cefer.
teere £efer garj nidjt porby
Seife erft n>artljo irf nnttc fy.
£e§, porftal], pnb berjolb' Peel meljr,
H?at icf ran befer fünft by €etn\
Hidjt in bc Z>od?t ooef alles garjr,
€er bu ibt Dabelft (Dpenbal^r.
33efiimfiu nenen fromen ban
Dorflag my Por ein 3eberman.
ELBERFELD. W. Crecelius.
101
Die Vogelspraehen
(Vogelparlamente) der mittelalterlichen Litteratur.
In der ehemaligen Herrenstube des Lübecker Ratsweinkellers
findet sich auf dem Sims des altertümlichen Kamins neben der bild-
lichen Darstellung eines Hahnes und einer Hernie die alte Inschrift1):
OTennidf man lube fandet
Wen mett em fre brut bringet
Wcfte tje wat men em brodjte
Dat t^e wol menen modjte. J575.
Wir wissen nicht, aus welchem Grunde gerade diesen Spruch
voll herber Lebenserfahrung die beiden Ratmänner Franz und Hinrich
von Stiten, welche i. J. 1575 den Kamin gestiftet haben, auf seinen
Sims setzen Hessen. Aber wie einem alten Steingerät der kundige
Forscher wohl ansieht, aus welchem fernen Gebirge der Stein dazu
gebrochen ist, und er, Fund zu Fund fügend, die Richtung eines alten,
vorgeschichtlichen Handelsweges erkennt, so wird auch jener merk-
würdige Spruch des Ratskellers in Lübeck im Lichte vergleichender
Litteraturforschung uns auf Wege weisen, auf denen einst alte Spruch-
weisheit von West nach Ost, von Nord nach Süd zog, die Schranken
der nationalen Litteraturen durchbrechend.
Es ist von Ch. Walther2) darauf hingewiesen worden, dass
derselbe Spruch sich in zwei englischen Spruchdichtungen des 12. und
13. Jahrhunderts wiederfindet, in den sogenannten Proverbs of hing
Alfred*) und den Proverbs of Hendhig*). In jenen lautet er:
Monymon singeth, Mancher Mann singt,
That wif hom bryngeth. Der sein Weib heimfuhrt.
Wiste hc hwat he brouhte, WüssU er was er brächte,
Wepeu he myhte. Weinen er möchte.
Der Alfredsspruch und der Spruch des Ratskellers sind die Enden
eines Fadens, der einst die englische und die deutsche Spruchdichtung
verknüpfte.
Dass der englische Spruch in dem alten Vororte der Hansa
wiederkehrt, würde sich freilich leicht und einfach erklären, wenn man
annehmen dürfte, dass dieser Spruch in dem Weinstübchen des Stahl-
hofes, des alten Contors der deutschen Hansa in London, gleichfalls
') Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte 2 (1867), 120 ff.
*) Von Nah uiid Fern. Festgabe für C. F. Wehrmann. Hamburg (1879)
S. 7—11.
•) An old engl, misccllany, ed. by Morris (1872) S. 118.
*) 'Monimon synghet When he hom bringeth Is jonge wyf ; Wyste whet he
brojte Wepen he mohte Er syth his lyf.* Böddeker, Altengl. Dichtungen (1878)
S. 293.
102
zu lesen war und der lübische Ratskeller nur eine Copie davon böte.
Die Kaufmannsgesellen des Stahlhofes, welche die Geschäfte der
deutschen Häuser in London besorgten und ebenso wie ihre Genossen
in den übrigen ausländischen Contoren der Hansa auf die Ehe ver-
zichten mussten, so lange sie von der Heimat fort waren, jene Lon-
doner Hanseaten konnte der Spruch, der in Lübeck so herbe warnend
in lustige Hochzeitsgelage hineinschaut, humorvoll über den ihnen
aufgezwungenen Coelibat trösten. Und wenn man dann weiter an-
nimmt, dass der Erbauer des Kamins, einer jener Stiten, nach zeit-
genössischem Brauch die Kaufmannschaft in einem hansischen Contor
erlernend einst in London einen Teil seines Lebens verbracht hat und
nach Lübeck zurückgekehrt als alter Junggesell den Spruch, mit dem
er sich in London getröstet hatte, auf dem Kamin anbringen liess,
so mutet diese Annahme wie die getroffene Lösung eines Rätsels an.
Der alte Stahlhof, in dem auch Shakespeare am rheinischen
Weine sich erfreut haben soll, ist vor zwei Jahrhunderten nieder-
gebrannt, ohne dass eine achtsame Hand die Sprüche, die ohne
Zweifel seine Weinstuben zierten, aufgezeichnet und uns überliefert
hat. Befand sich der Lübecker Spruch in der Tat unter ihnen, so
ist er doch jedesfalls nicht erst i. J. 1575 in Deutschland bekannt
geworden. Es lässt sich vielmehr erweisen, dass er viele Jahre früher
in Lübeck bekannt gewesen sein niuss, als Spruch einer Vogelsprache.
Die Vogelsprachen '), oder wie man heute sagen würde und auch
schon im Mittelalter gesagt hat die Vogelparlamente, waren, wie die
Zahl der erhaltenen Fassungen und die Anwendung ihrer Form zu
Nachahmungen beweist, im Ausgange des Mittelalters eine sehr volks-
tümliche Dichtungsart. Heute wird angesichts des Umstandes, dass
auch nicht ein einziger von denen, welche die eine oder andere zum
Abdruck brachte, ihre ungemeine Verbreitung übersah oder eine An-
deutung giebt, dass sie einen besonderen Typus darstellen, eine kurze
Darlegung desselben einer ausführlichen Untersuchung über sie voraus-
zugehen haben. Es ist bekannt, dass im späteren Mittelalter die
sogenannten Bildersprüche sehr beliebt waren, d. h. lehrhafte Sprüche,
die allegorischen Figuren oder anderen bildlichen Darstellungen bei-
gefugt waren. Diese Sprüche wurden dann auch wohl abgeschrieben,
ohne dass die Bilder mit copirt wurden. Als solche Bildersprüche
könnten auf den ersten Blick die Vogelsprachen um so eher aufgefasst
werden, als viele nur Sammlungen von Sprüchen scheinen, die Vögeln
in den Mund gelegt sind, und Abbildungen der einzelnen Vögel oft
die Sprüche begleiten. Die Bilder sind jedoch bei den Vogelsprachen
nebensächlich, die Dichtungen sollen ursprünglich vielmehr das Abbild
eines Reichstages oder Parlamentes vorstellen, in welchem dem Könige,
der die Versammlung berufen hat, von den Grossen seines Reiches
') Über mnd. sprake (lat. colloquium concilium synodus; franz. parlement).
Vgl. Ndd. Jahrbuch 12, 78.
103
für seine Regierung gute oder schlechte Ratschläge gegeben werden.
Nach Art der Fabel treten an die Stelle der Menschen jedoch tierische
Wesen, und zwar überwiegend Vögel, als König erscheint gewöhnlich
der Zaunkönig oder Adler, als seine Räte der Falke, Habicht, Pfau,
der Fuchs, das Einhorn usw.
Das nachfolgende Verzeichnis stellt zum ersten mal diejenigen
Vogelsprachen oder deren Nachahmungen, welche in neueren Abdrücken
vorliegen oder mir sonst bekannt geworden sind, möglichst vollständig
zusammen. Die beigefügten Nummern sollen keine chronologische
oder sonstige Ordnung andeuten, sondern zur Vermeidung gehäufter
Citate die Bezugnahme auf einzelne Fassungen erleichtern.
Nr. 1. Niederdeutsch.
Stockholmer Hs. (16. Jh.) Gedruckt weiter unten S. 126. — 84 Vögel, die
Spruche haben auch bei den Vögeln, deren Eigenschaft als nicht gut hingestellt
wird, eine moralische Wendung. Vierzeilige Sprüche.
Nr. 2. Niederdeutsch.
Druck o. 0. u. J. (circa 1500) der Münchener Bibliothek. Gedruckt weiter
unten S. 138. — 62 Vögel, von deren Sprüchen dasselbe gilt, was zu Nr. 1 bemerkt
ist. Die Sprüche sind meist vierzeilig.
Nr. 3. Niederdeutsch.
Utrechter Hs. (15. J.) Bruchstück. Herausg. von F. Buitenrust Hettema
im Ndd. Jahrbuch 11 S. 171 ff. — Erhalten sind 10 vierzeilige Sprüche.
Nr. 4. Niederdeutsch (Auslese).
„Niederdeutsches Reimbüchlein. Eine Spruchsammlung des 16. Jahrh. (1885)."
Vs. 1939—1991. Vgl. weiter unten S. 107. — 13 bezw. 14 vierzeilige Sprüche.
Nr. 5. Hochdeutsch-Niederländisch.
Haag'er (Hulthem'-eche) Hs. (14. Jh.) „Van den voghelen." Herausgeg.
yon Massmann in Pfeiffers Germania 6 (1861) 231 f. Vgl. ferner weiter hinten
S. 113. — Ausser dem Winterkoninc 14 Vögel, die abwechselnd gute und schlechte
Lehren geben. Zweizeilige Sprüche.
Nr. 6. Niederdeutsch.
Wolfenbüttler Hs. (15. Jh.) Gedruckt als „Raths Versammlung der Thiere"
bei P. J. Bruns, Romantische Gedichte in Altplattdeutscher Sprache (1793) S. 135 ff.
und Wizlaw IV von Rügen hrsg. von Ettmüller S. 64 ff. — 40 Tiere (bis auf Ein-
horn, Wolf und Fuchs sämmtlich Vögel), von denen die erste Reihe gute, die andere
(von Vs. 53 ab) schlechte Lehren gibt. Zweizeilige Sprüche.
Nr. 7. Niederländisch.
Haag'er (Hulthem'sche) Hs. (14. Jh.) „Dit sijn Voghel Sproexkene." Ge-
druckt in Vaderlandsch Museum voor nederduitsche Letterkunde, uitgeg. door
Serrure. Deel 1 (Gent 1855), 319 ff. — 26 abwechselnd teils gute, teils schlechte
Lehren, die an den König gerichtet sind. 24 Vögel und zweimal der Profeta. Der
König fehlt. Zweizeilige Sprüche.
Nr. 8. Hochdeutsch,
a) Nürnberger Hs. (v. J. 1454). Gedruckt: Die Erlösung herausg. von Bartsch
(1858), Einleitung S. XL1II ff. — Ausser dem Eisvogel, der König ist, 46 Vögel,
gute und schlechte Lehren wechseln ab. Zweizeilige Sprüche.
104
b) Handschrift des Stifts St. Florian bei Linz. (15. Jh.) Herausg. von
Chmel: Jahrbücher der Literatur Bd. 40 (1827. Wien) Anzeige-Blatt Nr. XL S.
15 ff. — Dieselbe Fassung wie die vorige.
c) Berliner Hs. (v. J. 1475). — Eine dritte Handschrift derselben Fassung.
Vgl. Sotzmann im Serapeum 12 (1851), 339.
Nr. 9. Neuhochdeutsch.
„Ain 8elzamb gedieht der Vogl, so in Kayser Maxmilians stubn zu Inssprugg
gemalt vnd gschriben", aus einer Hs. des 16. Jh. herausg. von Chmel im Notizen-
blatt. Beilage zum Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen. Jg. 1
(1851), 153 ff. — Ausser dem „Königl" 33 Vögel, die abwechselnd gute und schlechte
Lehren geben. Die Sprüche sind meist zweizeilig, im letzten Drittel der Dichtung
meist sechszeilig.
Nr. 10. Hochdeutsch.
a) Handschrift des 15. Jh. im ehemaligen Besitz J. C. v. Fichard's. Von
dem Besitzer zum Abdruck gebracht in seinem Frankfurtischen Archiv für ältere
deutsche Litteratur und Geschichte. Tl. 3 (1815) S. 316 ff. — Ausser dem Könige
29 (in dieser Handschrift nicht genannte) Vögel. Es wechseln immer mehrere gute
und mehrere schlechte Lehren ab. Sechszeilige Sprüche. Dieselbe Vogelsprache
liegt vor in einer:
b) Stuttgarter Hs. (15. Jh.) Vgl. Pfeiffer in seiner Germania 6 (1861),
88 f. — Der Anfang fehlt. Erhalten sind die Sprüche von 24 Vögeln.
Nr. 11. Hochdeutsch.
Wiener Hs. (v. J. 1518). „Manigerley vögel rat." Vergl. weiter unten
S. 109. — Ausser dem Küniglein 30 Vögel. Es wechseln gute und schlechte Lehren
ab. Sechszeilige Sprüche.
Nr. 12. Hochdeutsch.
Stuttgarter Hs. (15. Jh.) Herausgeg. von Pfeiffer, Germania 6 (1861), 83 ff.
— Ausser dem Regulus 18 Vögel, von denen Nr. 2 — 6 gute, 7 — 11 schlechte, 12
— 15 gute, 16—19 schlechte Lehren geben. Sechszeilige Sprüche.
Nr. 13. Hochdeutsch.
Münchener Hs. (Cg. 714. 15. Jh.) „Der vogel gespräch." Herausg. von
F. Pfeiffer, Germania 6 (1861), 91 ff. — Die Einleitung erzählt das Märchen vom
Zaunkönige, der durch seinen hohen Flug König der Vögel wird. In einer Vogel-
sprache (Vs. 151—485), die er abhält, geben ihm die Vögel Ratschläge. Den
Anfang machen 22 Vögel mit guten Lehren, dann folgen nach der Aufforderung
des Herolds „Nu ratet auch meinem heren Mir zuo meinen eren" schlechte Lehren,
die 21 Vögeln, einer Seele und dem Teufel in den Mund gelegt sind. Sprüche von
4, 6, 8 und mehr Zeilen.
Nr. 14. Hochdeutsch.
Münchener Hs. (Cg. 312. aus Augsburg, v. J. 1454). Ungedruckt, vgl. Se-
rapeum 12 (1851), 338 f. — 100 Vögel mit Namen und Abbildung. Die Ratser-
öffnung durch den König fehlt. Der erste mitgeteilte Spruch zehnzeilig.
Nr. 15. Lateinische Nachahmung.
(V. J. 1557.) Job. Major's Synodus avium (6pvi9o(TUVoXo;) depingens
miseram faciem Ecclesise. Erster Abdruck im Scriptorum publice propositonim a
gubernatoribus studiorum in Academia Witebergensi Tomo 111 Witebergae 1563. —
Andere Ausgaben und ausführliche Inhaltsangabe bei G. Frank: Zeitschrift für
wissenschaftliche Theologie Jg. 6 (1863) S. 124.
Nr. 16. Neuhochdeutsche Nachahmung.
(1524.) Hans Sachs „Der zwölff reynen vögel eygenschafft, zu den ein
Christ vergleichet wirdt. Auch die zwelff unreynen vogel, darinn die art der gott-
105
losen gebildet ist". Hans Sachs herausg. von Keller Bd. 1, 377 ff. — 24 VögeL
Pierzeilige Sprüche.
Nr. 17. Neuhochdeutsche Nachahmung.
(17. Jh.) „Das geistliche Vogel-Gesang." Wahrscheinlich um 1650 zu Augs-
burg gedruckt und sehr oft wiederholt, 1792 als „Das geistliche Vogelgesang oder
Betrachtung der Allmacht des weisesten Schöpfers in Hervorbringung unterschied-
licher Vögel in Reimen gebracht und mit Sittenlehren begleitet". — Knaben-
Wunderhorn 3, 357. 4, 277 (Ausgabe von Birlinger-Crecelius 2, 455). Pröhle, Volks-
lieder (1855) 209 f. Wackernagel, Voces animantium (1869) S. 112. Vgl. Ale-
mannia 7, 219. 12, 73. — 35 oder mehr achtzeilige Strophen, die Vögel sind alpha-
betisch geordnet.
Nr, 18. Neuhochdeutsche Nachahmung.
Breslauer (Üniv.-Bibl.) Hs. v. J. 1700. „Vogel-Schul." — 59 Vögel. Vgl.
weiter hinten S. 116. ,>
Nr. 19. Niederdeutsch (Nachahmung).
„Reinke de Vos" (herausg. von Prien 1887) Vs. 3247—3274. Sieben Vögel
treten zu einer Beratung zusammen, jeder spricht vier Zeilen.
Nr. 20. Niederdeutsch. Nachgeahmt als Orakelspiel.
Fragment eines alten Druckes o. 0. u. J. in Hamburg. „Vagelsprake." Auf-
gefunden und mitgeteilt von De Bouck. Serapeum 21 (1860), 273 ff. — Ursprüng-
lich 88 Vögel und einige andere Tiere mit vierzeiligen Sprüchen. Erhalten sind
die Sprüche Nr. 29—42.
Nr. 21. Hochdeutsch.
Münchener Hs., Cg. 312, dieselbe wie Nr. 14, aus Augsburg, 15. Jh. Unge-
drackt, vgl. Serapeum 12, 315. 339. — 56 Tiere, Vögel u. a., darunter 'ain Syren,
Frawe Adelhait, das Merwunder, die Schön diern' mit Sprüchen und Würfelung,
letztere zur Benutzung als Loosbuch.
Nr. 22. Böhmisch.
(V. J. 1395.) Neueste Ausgabe: Pamatky stare literatury ceske. Vydavane
Maticf Ceskou. L: Nova rada. Basen Pana Smila Flasky z Pardubic. K tisku
pripravil a vyklady opatril Jan Gebauer. V Praze 1876. 8°. (Denkmäler der alten
tschechischen Litteratur. I.: Der neue Rat. Qedicht des Herrn Srail Flaschka
von Pardubitz. Mit Anmerkungen von J. Gebauer. Prag 1876.) — 2116 Verse.
22 Tiere.
Nr. 23. Böhmisch.
(15. Jh.) Ältester Druck v. J. 1528, neuester besorgt von F. D(obrovsky):
Kniha vzitecnä y kratochwilnä, genz slowe: Rada wsselikych Zwjrat nerozumnych
neb zhowadilych, y Ptactwa . . . W Praze 1814 (d. h. Nützliches und unterhaltendes
Bach, welches heisst Rat aller Tiere . . . Prag 1814).
Nr. 24. Lateinisch.
(V. J. 1520.) Älteste Ausgabe Nürnberg® 1520, letzte: Theriobulia Sive ani-
malium de regiis praeceptis consultatio ad Ludovicum Hungariae & Bohemite Regem.
Aactore Johanne Dubravio Episcopo Olomucensi. Breslse 1614. 8. — Zwei libelli
mit je 23 Tieren und Vögeln, deren König der Löwe ist, während der Adler
(Aquila) Königin der Vögel genannt wird.
Nr. 25. Französisch.
„Les Dictz des bestes et aussi des oyseaux . . Nouvellement imprime* ä Paris,
en 1a nie Neufve Nostre-Dame, ä l'Escu de France." (15. Jh.) Wiederholt bei
A. de Montaiglon, Recueil de poösies francoises des XV. et XVI« siecies. Tom. \
(Paris 1855), 256 ff. — 22 Tiere, dann 17 Vögel. Vierzeilige Sprüche.
106
Nr. 26. Französisch.
(Um 1500.) „Les dictz des oyseaux: Et des bestes par hystores" „Imprime
a chaalons Par Estienne bally . ."* Druckfragment, wiederholt: Le Bibliophile
beige . . Annäe 1 (1866), S. 1 ff. — Erhalten sind 24 vierzeilige Sprüche, Tiere
und Vögel wechseln ab.
Nr. 27. Lateinisch. (?)
(13. Jh.) „Pavo", Gedicht von 272 Versen, wahrscheinlich von Jordanus von
Osnabrück (s. Waitz: Allgem. deutsche Biographie 14, 501) verfasst. Heraus-
gegeben von Karajan: Denkschriften der K. Akad. d. Wiss. Phil.-hist Ciasse.
2 (1851) 111 ff.
Nr. 28. Englisch. (?)
„The Parlament of Byrdes. Imprinted af London for Anthony Kytson."
Desgl. „by Abraham Vcle". (16. Jh.) Neu gedruckt bei W. Carew Hazlitt, Bernaus
of the Early Populär Poetry of England. Vol. 8 (London 1866), 164 ff.
Nr. 29. Englisch. Anlehnung. (?)
Chaucer's „Assembly of foules". Vgl. weiter hinten S. 123.
Die verschiedenen Vogelsprachen stehen, wie die genauere Unter-
suchung ergeben wird, im verwandtschaftlichen Zusammenhange, indem
die erhaltenen Fassungen auf ältere zurückweisen, deren veränderte
und erweiterte Wiederholungen sie sind, und schliesslich sämmtliche
Bearbeitungen sich als in verschiedenen Entwicklungsformen erhaltene
Weiterbildungen und Nachahmungen eines nicht mehr vorhandenen
Gedichtes des 13. oder 14. Jahrhunderts erweisen, welches das Motiv
eines von Vögeln abgehaltenen Parlaments zuerst gnomisch verwertete.
Der Grad der Verwandtschaft, in welchem die einzelnen Fassungen
zu einander stehen, wird sich freilich nicht immer genau bestimmen
lassen. Hierzu fehlen zu viele der Zwischenglieder, und auch dadurch
wird die Untersuchung erschwert, dass die einzelnen Fassungen mehr
durch ihre Form, als durch übereinstimmenden Wortlaut der Sprüche
ihren Zusammenhang bekunden. Es war eben nicht schwer, an Stelle
der Sprüche oder Ratschläge, welche eine ältere Dichtung bot, andere
zu reimen und den Vögeln in den Mund zu legen. So kommt es,
dass nur die näher verwandten Fassungen auch im Wortlaute zu-
sammenstimmen.
(Lehrhafte oder hansische Gruppe.) Wörtliche Übereinstimmung
hat am meisten noch in denjenigen niederdeutschen Vogelsprachen
Statt, welche vierzeilige Sprüche bieten (Nr. 1 — 4). Ganz nahe, fast
wie Abschriften derselben Vorlage, stehen die Fassungen der Stock-
holmer (Nr. 1) und Utrechter Handschrift (Nr. 3). Letztere bietet
nur ein Bruchstück, aber die Sprüche, welche es enthält, kehren
sämmtlich und zwar in derselben Reihenfolge in der Stockholmer
Handschrift wieder. Es sind nämlich
Utrecht. Hs. Spr. 1—7 = Jütische Hs. Spr. 35—41
„ „ 8-10 = „ „ „ 43-45
Ein ähnliches Verhältnis hat obgewaltet zwischen der Stock-
holmer Vogelsprake und der Fassung, die der Veranstalter der unter
107
dem Titel „Niederdeutsches Reimbüchlein" neu herausgegebenen alten
Spruchsammlung excerpirt hat. Es sind nämlich
Reimb. Vs. 1939—42 = Stockh. Spr. 8 Reimb. Vs. 1967—70 = Stockh. Spr. 24
1943—46 =
99
99
9
99
„ 1971—74 =
99
19
28
1947—50 =
99
99
10
99
„ 1975—78 =
99
19
27
1951—54 =
99
9)
12
99
„ 1979—82 =
99
19
30
1956—58 =
19
19
14
19
„ 1983—86 =
99
99
34
1959—62 =
99
99
21
99
„ 1987—90 =
99
99
37
1968—66 =
99
19
28
Die oft gedruckten „ Werldtspröke" sind ein Auszug aus dem
Reimbüchlein. Es erklärt sich hieraus, dass sich in ihnen die Sprüche
der Stockholmer Handschrift 9 10 12 14 23 24 27 30 34 37 wieder-
finden. Wenn ausserdem in ihnen noch aus der Stockholmer Fassung
der Spruch 16 (= Weltspr. 94 in der Ausgabe des Reimbüchleins
auf S. XXVII) begegnet, ist das ein neuer Beweis für die von mir
ausgesprochene Ansicht, dass die Weltsprüche aus einem jetzt ver-
schollenen Drucke des Reimbüchleins stammen, der älter war, als der
in den Drucken des Vereins wiederholte.
Auch die „Vogelsprake" des Druckes in München (Nr. 2) ist
den bisher besprochenen Fassungen trotz der daneben bestehenden
Verschiedenheit nahe verwandt. Es ist nämlich
3 = Mü
nch. 30
St.
32 = M. 26
St.
65 =
M.
38
6 =
, 31
99
41 = „ 11
99
66 =
99
28
17 =
, 24
99
42 = „ 42
99
72 =
91
39
21 =
, 44
99
46 = „50
99
74 =
11
20
22 =
, 38
99
49 = „ 37
11
76 ==
19
15
27 =
, 44
99
51 = „ 46
91
79 =
99
5
28 =
, 10
Die Feststellung der Tatsache, dass dem Verfasser des Reim-
büchleins der Text einer Vogelsprache vorgelegen hat, welche der-
selben Bearbeitung wie die Stockholmer angehörte, ist von Belang
fiir die Frage nach der unmittelbaren Herkunft des Spruches im
Lübecker Ratskeller. Die Stockholmer Vogelsprache bietet nämlich
(vgl. Spruch 51) genau denselben Spruch. Da nun das Reimbüchlein,
wo auch immer es Sprüche im Zusammenhange bietet, aus nieder-
deutschen Drucken Lübecker oder Rostocker Officinen compilirt ist,
so ergiebt sich, dass es in Lübeck eine wahrscheinlich dort gedruckte
Vogelsprache gegeben hat, aus der der Spruch des Ratskellers ent-
nommen werden konnte. Übrigens erklärt sich daraus, dass er einer
Vogelsprache entnommen ist, auch die bildliche Darstellung des Hahnes
und der Henne, die neben ihm angebracht ist. Jedesfalls braucht der
Spruch nicht aus England unmittelbar durch den Stifter des Kamins
herübergebracht zu sein, denn die Stockholmer Handschrift, die ihn
enthält, ist älter als der Kamin, den er schmückt, und noch älter ist
der Druck in München, der ihn gleichfalls (Spr. 46) bietet. Er muss
also schon der gemeinsamen Vorlage der ganzen Gruppe angehört
und bereits vor d. J. 1500 in Deutschland bekannt gewesen sein.
Die Stockholmer, Utrechter, Lübecker und die Fassung des
108
Münchener Druckes lassen sich bei ihrer nahen Verwandtschaft als
eine Gruppe oder Sippe zusammenfassen. Wie Herkunft der Hand-
schriften und Sprachformen zeigen, sind die Texte dieser Gruppe in
den Gebieten, die der hansische Handel beherrschte, verbreitet gewesen.
In skandinavisches Gebiet, in die Niederlande, nach Lübeck, in das
Quartier von Köln weisen die vier erhaltenen Fassungen, nach Eng-
land, wie Walther gezeigt hat, der Alfredsspruch, da er schon in der
gemeinsamen Vorlage aller Texte enthalten war. So scheint diese
Bearbeitung zu der Litteratur zu gehören, welche, wie in der Ein-
leitung zum Pseudo-Gerhard von Minden ausgeführt ist, ihre Entstehung
den auswärtigen Contoren der Hansa verdankt. Sie mag deshalb, um
eine zusammenfassende Bezeichnung zu gewinnen, die hansische oder
auch, aus einem Grunde, der sofort dargelegt werden wird, die lehr-
hafte Gruppe genannt werden.
(Beratende Gruppe.) Der eben besprochenen Gruppe stehen alle
übrigen in mittelniederdeutscher, mittelhochdeutscher und niederlän-
discher Mundart überlieferten Vogelsprachen — von den Nachahmungen
und den ausserdeutschen Dichtungen sehe ich zunächst ab — als eine
zweite, besondere Gruppe gegenüber, welche man um den wesentlichsten
Unterscheidungspunkt hervorzuheben die Gruppe der beratenden
Vogelsprachen nennen könnte. Während nämlich in jener hansischen
oder belehrenden Gruppe die Vögel moralische Wahrheiten von all-
gemeiner Giltigkeit aussprechen oder doch solche an ihre Eigenschaften
geknüpft werden, sind in der anderen, der beratenden Gruppe die
Vögel als Ratgeber ihres Königs — als solcher erscheint bald der
Zaunkönig, bald der Eisvogel oder Winterkönig — gedacht, dem sie
in allgemeiner Reichsversammlung je nach ihrer Eigenart die guten
Vögel gute, die bösartigen verwerfliche Ratschläge geben, nach denen
er seine Herrschaft ausüben soll. Die Ratschläge widersprechen sich
daher oft; wenn der edle Aar z. B. rät, der König möge im Geben
milde sein, so entgegnet der böse Geier: „Herr, ihr könnt es durch
Freigebigkeit dahin bringen, dass ihr selbst in Mangel kommt," oder
er rät nach anderer Fassung: „Esst allein, was ihr habt!"
Das Motiv des den König beratenden Reichstages ist gewöhnlich
durch die Anfangsverse, durch die der Vogelkönig von seinen Unter-
gebenen Rat erbittet, blos angedeutet. Nur in einem Falle (Nr. 13)
leitet eine ausführliche Erzählung ein. Es wird darin ausgeführt, wie
die Vögel sich auf Betrieb des Adlers versammelten, um zu ihrer
aller Ehre und zur Wahrung des Friedens unter ihnen einen König
zu wählen. Man wurde schlüssig, König solle sein, wer am höchsten
fliege. Als nun der Adler so hoch er nur konnte sich in die Wolken
hochgeschwungen hatte und schon glaubte, dass er nun König sein
werde, erschien auf einmal über ihm der Zaunkönig, der sich listiger
Weise unbemerkt im Gefieder des Adlers versteckt hatte und von
diesem emporgetragen war. Der Adler zeigte sich darüber zwar so
ergrimmt, dass der Zaunkönig schnell in ein Versteck flüchtete, be-
109
ruhigte sich aber bald und forderte selbst die Vögel auf, den Zaun-
könig, der nun einmal höher als er geflogen war, einzuholen. Der
Zaunkönig kommt darauf und bittet alle Vögel, zu seiner Ehre ihm
zu raten. Dieselbe Vogelsprache unterscheidet sich von den sämmt-
lichen Fassungen beider Gruppen auch noch dadurch, dass die Sprüche
der Vögel nicht unverbunden aufeinander folgen, sondern durch er-
zählenden Text verbunden sind.
Der Gruppe der beratenden Vogelsprachen gehören an die
Nummern 5 — 13.
Von diesen Vogelsprachen sind die Wiener (Nr. 11) und die
Fichard'sche (Nr. 10) so nahe verwandt, dass sie, wenn nicht in beiden
die Reihenfolge der Vögel gänzlich verschieden wäre, trotz mancherlei
Abweichungen nur als Abschriften desselben Textes aufgefasst werden
könnten. Es ist nämlich
Wiener Hs. Str. 1. 3. 4. 5. 6. 7. 9. 10. 11. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. etc.
= Fichard's Hs. „ 1. 9. 10. 2. 19. 23. 3. 20. 11. 6. 24. 15. 29. 7. 25. 16. etc.
Im übrigen sind die Übereinstimmungen zwischen den verschie-
denen Fassungen nicht so hervortretend wie in der hansischen Gruppe.
Schon darin zeigt sich die grössere Verschiedenheit, dass, während
alle Fassungen jener Gruppe vierzeilige Strophen bieten, in dieser
Sprüche mit zwei, vier, sechs und mehr Versen begegnen. Immerhin
verraten auch hier vereinzelte wörtliche Übereinstimmungen, dass die
verschiedenen Fassungen nicht blosse Nachahmungen verloren gegan-
gener Vorbilder sind, sondern dass die Verfasser der einzelnen Vogel-
sprachen zwar die Texte ihrer Vorlagen im allgemeinen mit grosser
Freiheit umgestaltet und umgedichtet haben, dass sie daneben aber
doch auch hin und wieder einzelne Strophen oder auch nur Verse der
Vorlage wörtlich übernahmen.
So findet sich eine Strophe der Stuttgarter Vogelsprache (Nr. 1 2)
in der von Fichard veröffentlichten ziemlich wörtlich wieder, vergl.
Stuttg. (Nr. 12) Str. 7. Fich. (Nr. 10a) Str. 4.
Herre du solt neroen waz man dir git, Herre mm was man dir git,
Gioube wol, gip nieinan nüt, Glob vil und gebe nymant nit,
Ahte nüt waz man von dir klage, Was lit dir daran was vraant klage
Durch daz man dir daz gnot zuo trage , Off das man dir das gut her drage
Da mit sich din schätz gemeret, In stettigen kryg saltu dich lan
Als mich mein Vernunft leret. So mögen wir gantz fülle gehan.
Die Verwandtschaft, d. h. die mittelbare Abhängigkeit von der-
selben älteren Vorlage, zwischen den zweizeiligen und mehrzeiligen
Fassungen erweisen ausser dem Zusammentreffen des Eingangs in
einem Falle
(Nr 6.) (Nr. 12.)
Die winterkoninc zevt: Regulus.
Ich bids vch lieven heren Ich bitte euch herren alle sampt,
Das ir mich raet min eren Sit ich uwer künig bin genant,
Wie ich min zachin ane va Daz ir nement miner eren war,
Das min rych in eren sta, Wie daz ich recht und eben far,
Daz ich stände lasters fri,
Als liep uch min hulde si.
110
die folgenden Übereinstimmungen:
Nr. 5 (Haager Hs.).
6. Die wuwe zeyt: 7. Die vle zeyt:
Heere et si in velde of in straissin Here ir sult van den laden tyen
So ensultu ghein man nicht laessin. Ynd alle zyt den heren vlyen.
Nr. 10a (Fichart's Ha.).
11. 27.
♦Es sy off felde oder off strasen *Herre du solt dich von den luten tzyhen
♦Du solt herre nymant nicht laszen ♦Und alle tziit dy herren flyhen
Wann schlag barmherzikeit tzu rücken Es sy tag oder nacht so volge mir
Und lasz uns die hüner plücken So du wilt drincken oder eszen
Das wir in groszen füllen leben So mögen gut gewinnen wir
Das rat ich und kömpt uns eben. So soltu diner frunde vergessen.
Nr. 12 (Stuttgarter Hs.).
9. Der wihe. 10. Die ule.
Herre ich wil dir sagen Herre, waz du vahest an,
Wilt du dich recht betragen, Daz sol dir noch glücke gan.
So nim einen sitten an dich, ♦Du solt dich von den lüten ziehen
Den von kindes uf habe ich ♦Und allzit die fromen fliehen
Gefuret gar uff wilder haide, Und hüte dir vor der gemain,
In holcz, uff velde und in weide: So hestu dinen willen allein.
*Es sie uff velde oder uff stroszen,
♦So soltu herre nieman niit erloszen.
Fernere Übereinstimmungen zeigt die nachfolgende Zusammen-
stellung:
Nr. 5 (Haager Hs.).
2. Die aren zeyt: 11. Die hoppe zeyt:
Here ymmer west mit rade milde Here mich dunket dat beste
Sone wirt vr goet nemmer wilde. Onreyn te zin bewiset min neste.
Nr. 6 (Wolfenbütüer Ha.).
2. Arn. 28. Wedehoppe.
Wes here mit rade milde Seet here in myn nest
So en wert din ere nummer wilde. Unrenichet is aller best.
Nr. 12 (Stuttgarter Hs.).
2. Der adeler. 16. Der widehopf.
♦Herre, ir sont mute sin und reht leben, ♦Herre, du mäht prüfen an mime nest,
Lehen lihen rittern und knehten geben. ♦Unreine sin dunket mich daz best
Noch eren süllent ir werben, Und dar zuo üppige zuo sin,
Umb uwer lant sont ir sterben, Daz rüret zuo gewin,
Und wenn die armen uch clagen, Als es mir ouch wol an stot,
Daz süllent ir enden und nüt vertragen. Min hus buwe ich mit kot.
Nr. 13 (Münchener Hs.).
Der adler (Vs. 159 ff.). Der widhopf (Vs. 376 ff.).
Tugent ere und miltikeit ♦Sih, herre, an mein nest!
Schol allen künigen sein bereit. ♦Unflat dünkt mich das best.
Der arm und der reich Also halt, herre, das haus dein,
Schüllen im gefalln geleich; Als ich tuo das nest mein,
Und scholt in gleich mit varn, So kümpt niemant gern zuo dir,
Wolt ir gots gebot bewarn, Als die andern vogel tuon zuo mir.
♦Und seit mit rat milde,
♦So wirt euch das guot nit wilde.
111
Die Nürnberger Vogelsprache trifft an einigen Stellen gleichfalls
mit anderen Fassungen zusammen, am häufigsten mit der Fichart'schen :
Nr. 8 (Nürnberger Bs.).
Stockar (Vs. 7 f.). Droschel (Vs. 57 f.).
Herre, iz allein din spise Herre wiltu leben küniclichen
So dunkestu mich wise. So riht dem armen als dem riehen.
Nr. 5 (Haager Hs). Nr. 7 (Haager Hs.).
3. Die ghier zeyt: Die tortelduve (Vs. 29 f.).
Here is allene dine spise Here, seldi coninghen gheliken,
So dunes du mich gar wise. Soe recht den aermen als den riken.
Nr. 6 (Wdlfenb. Ha.).
ghuz (lies ghiir) (Vs. 53 f.). ^ . , „ ,
Et allene, wat du hest r Es entsprechen sich ferner in ähn-
ttaa* «™„™ «I™ ««„* lieber Weise wie in den hierneben ab-
Bidde nummer nenen gast. gedruckten Stelleu die nachfolgenden
Nr. 10 (Fichart's Hs.). Spr. 5. Strophen der Nürnberger und Fichart'-
♦Here frisz allein was du hast schen Fas8un*:
Und ruch nit wer dir verkeret das Nr. 8 Vs. 9. 10 == Nr. 10 Str. 6
Wo es dir herre werden mag „ 29. 30 = „19
Sprich alles here in mynen krag „ 39. 40 = „17
Alles mir und nymant me „ 69. 70 = „ 24
So dinen ich di vor al e. „ 71. 72 = „21
Während sonst jede Vogelsprache der zweiten Gruppe wenigstens
eine wörtliche Übereinstimmung mit den übrigen Fassungen enthält,
die nicht zufällig sein sondern nur durch Entlehnung aus einer altern
Vorlage erklärt werden kann, macht hiervon allein die Vogelsprache
(Nr. 9) eine Ausnahme, die dadurch merkwürdig ist, dass sie einst in
Kaiser Maximilians Gemach in Innsbruck auf die Wand gemalt war.
Sie bietet nur eine Anzahl wörtliche Anklänge1), im Übrigen ist sie
jedoch nach Form und Gedankeninhalt trotz einiger Besonderheiten
den altern Vogelsprachen zu ähnlich, als dass diese Ähnlichkeit sich
anders als durch Abhängigkeit oder Nachbildung von einer älteren
Vogelsprache der zweiten Gruppe erklären lässt. Ihr Dichter hat
eben anscheinend nur wörtliche Entlehnungen vermieden.
Die obigen Zusammenstellungen hatten zunächst den Zweck, zu
erweisen, dass mannigfaltige wörtliche Übereinstimmungen zwischen
den verschiedenen Vogelsprachen der beratenden Gruppe bestehen, und
somit die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass die ganze Gruppe
auf ein einziges altes, vielfach wörtlich ausgeschriebenes Vorbild zurück-
geht. Aber noch ein zweites lehren jene Zusammenstellungen. Ver-
gleicht man nämlich die zwei- und die mehrzeiligen Ratschläge, so
zeigt sich, dass die mehrzeiligen unter sich, wo sie überhanpt wört-
liche Übereinstimmungen zeigen, diese gerade in den Zeilen und
') Specht: Her du solt nemen und raissen Witwen und den wayssen. Vgl
Nr. 10 S. 9: Du solt in dinen reiszen Nemen wytwen und weysen. — Zeysl: Herr
den armen tayl die speis dein In parmbhertzigkait lass dirs bevolhn sein. Vgl.
Nr. 10 8. 24: Den armen deil mit dy spise din . . . Und mynne barmhertzikeit.
112
Worten bieten, welche sich auch in den zweisilbigen *) finden. Es geht
hieraus hervor, dass die mehrzelligen aus zweisilbigen erweitert sind,
d. h. dass die ursprüngliche Fassung zweisilbige Ratschläge bot. Diese
Fassung muss, da die ältesten Handschriften mit deutschen Vogel-
sprachen aus dem 14. Jahrhundert sind, auch spätestens diesem Jahr-
hundert angehört haben, und es erscheint nun nicht mehr als Zufall
dass diese ältesten Handschriften (Nr. 5 — 7) gerade Vogelsprachen
mit zweizeiligen Katschlägen enthalten.
In den Vogelsprachen der beratenden Gruppe finden sich Sprüche,
die zu gutem, vermischt mit solchen, die zu bösem raten. Die An-
ordnung in den verschiedenen Dichtungen weicht nun derartig ab,
dass in vielen je ein gutes und je ein böses empfehlender Vogel ab-
wechseln (Schema: g b g b g b), in andern kommen erst sämmtliche
gute, dann sämmtliche böse Vögel (g g g g b b b b), in andern
wechseln Reihen ab (g g g b b b g g b b). Das erste jener Schemata
ist offenbar das ursprüngliche, denn wenn z. B. der Adler empfiehlt
„Sei freigebig" und der Geier „Iß allein was du hast", so gehören
beide Ratschläge wie Rede und Widerrede zusammen. Die Gründe,
warum in vielen Fassungen die alte Anordnung umgestossen ist, mögen
verschiedenartig sein, in einem Falle lässt sich jedoch die Ursache
dieses Vorgangs klar erkennen.
In der „Ratsversammlung der Tiere u (Nr. G) sprechen zunächst
alle guten, dann alle bösen Tiere ihren Rat aus. Von den guten
redet als letztes das Einhorn als Symbol der Keuschheit. Seine Worte
sind bisher stets falsch verstanden, sie lauten:
Du scalt kuscheit plegen, Du sollst Keuschheit üben,
So machstu iu eren streven. So kannst du in Ehren dastehen.
Dar is jo de valscheit myn, Da die Schlechtigkeit weniger (d. h.
To der lochteren siden, here, ek bin. nicht) ist,
Auf der linken Seite, Herr, bin ich.
Der Ausdruck cto der lochteren siden' erklärt sich so: Die Vor-
lage, aus der dieser Text stammt, hatte die gutes ratenden Tiere,
wie es das nebenstehende Schema veranschaulicht, unter-
1 (g) 2 (b) einander auf der linken Hälfte eines Blattes der Hand-
r fä\ « a\ schrift angeordnet, die böse Grundsätze empfehlenden
7 (g) 8 (») Tiere daneben auf der rechten Blatthälfte. Die letzten
9 (g) 10 (b) beiden Verse2) des Einhorns deuten nun mit dem Hin-
weis, dass er zur linken Tierreihe gehöre, darauf, dass
es zu den guten Tieren gehöre. Indem ein späterer Schreiber dann
ohne Verständnis der Anordnung die Sprüche der Reihe nach von
oben nach unten copirte, entstand das Schema g g g ... b b b ...
Es genügt für die Zwecke dieser Abhandlung der Nachweis, dass
die Vogelsprachen Nr. 5 — 13 eine besondere Gruppe bilden und diese
Gruppe eine gemeinsame Vorlage in einem verlorenen Gedicht spätestens j
') Die in Betracht kommenden Verse der mehrsilbigen sind vorn mit einem
* ausgezeichnet.
*) Sie sind übrigens sicher späterer Zusatz.
113
des 14. Jahrhunderts gehabt hat. Mit Hilfe von Zusammenstellungen,
die aber ungebührlich viel Baum beanspruchen, würde es möglich
sein, über das Verwandtschaftsverhältnis der Fassungen unter sich
einige sichere Ergebnisse zu gewinnen und einen Teil des Inhalts der
gemeinsamen Vorlage zu ermitteln. Das Ergebnis würde sein, dass
die gemeinsame Vorlage aller hochdeutschen Vogelsprachen so ziemlich
mit der Fassung der Hulthemschen Handschrift zusammenstimmt, die
nach Jul. Zachers Abschrift von Massmann (Nr. 5) veröffentlicht ist.
Da dieser Text wenig Kaum beansprucht, sei er hier wiederholt,
er zeige, wie klein und unscheinbar der Spross eines Zweiges der
mittelalterlichen Spruchdichtung war, dem so viele und z. Th. auch
umfangreiche Dichtungen in deutschen und, wie wir sehen werden,
auch fremden Mundarten erwachsen sind.
Die Anordnung des Abdruckes lässt auf einen Blick erkennen,
dass immer zwei Sprüche (2 und 3, 6 und 7 usw.) in der Art einander
entsprechen, dass was der linke rät, der rechte widerrät. Ausnahme
machen nur Spruch 5 und 15, sie sind offenbar spätere Zutat, welche
an die Stelle der ursprünglichen Gegensätze zu Spruch 4 und 14
getreten ist. Die niederländischen Formen, welche der Text bietet,
sind augenscheinlich Änderungen eines Schreibers. Vorher war, wie
die Keime erweisen, der Text mitteldeutsch gewesen.
1. Die winterkoninc zeyt:1)
Ich bids uch lieven heren,
Das ir mich raet min eren,
Wie ich min zachin aneva,
Das min rych in eren sta.
2. Die aren zeyt: 3. Die ghier zeyt:
Here, ymmcr west mit rade müde, Here, is allene dine spise,
Sone wirt ur goet nemmer wilde. So dunes du mich gar wise.
4. Die valc zeyt: 5. Die wuwe zeyt:
Here, zyt werachtich jegen u viande, Heere, et si in velde of in straissin,
Hout goeden vrede in uwen lande. So ensaltu ghein man nicht laissin.
6. Die havic zeyt: 7. Die ule zeyt:
Here, zyt guiden luden heymelich, Here, ir sult van den luden tyen
En armt uch niet und macht u ryc. Und alle zyt den heren vlyen.
>) Spr. 1 vgl. Nr. 5, 1; 8, 1; 10, 1; 13 V. 151.
Spr. 2 vgl. Nr. 1, 6; 4, 81; 6 V. 3; 7, 1; 8 V. 5; 10, 2; 12, 2; 13 V. 165.
Spr. 3 vgl. Nr. 6 V. 53; 8 V. 7; 10, 5.
Spr. 4 vgl. Nr. 6 V. 9; 8 V. 9; 12, 8.
Spr. 5 vgl. Nr. 10, 11; 12, 9; 13 V. 318.
Spr. 6 vgl. Nr. 10, 7; 12, 4.
Spr. 7 vgl. Nr. 6 V. 59; 10, 27; 12, 10; 13 V. 363.
Spr. 8 vgl. Nr. 6 V. 21; 7 V. 9; 10, 6.
Spr. 9 vgl. Nr. 6 V. 73; 12, 8; 13 V. 339.
Spr. 11 vgl. Nr. 6 V. 61; 12, 16; 13 V. 376.
Spr. 12 vgl. Nr. 6 V. 11; 12, 18.
Spr. 13 vgl. Nr. 6 V. 69; 12, 17.
Spr. 16 vgl. Nr. 7 V. 51; 12, 15.
Niederdeutsches Jahrbuch. XIV. Q
114
8. Die sporwer zeyt:
Here, war hout uwe wort,
Die bogen (lies logen) vliet als quade mori
10. Die papegay zeyt:
Here, werlich (lies werdich) hout uwe reste,
Men prueft den wert bi zinen geste.
12. Die tortelduwe zeyt:
Here, wie u gut raet, den haet wert,
Er is, die ure eren ghert.
14. Die gans zeyt:
Here, ich zuen, das der buesen raet
Heren und land verderft haet.
9. Die rauen zeyt:
Here, dune machs niet genesen,
Du enwilt scalc und untrou wesen.
11. Die hoppe zeyt:
Here, mich dunket dat beste
Onreyn te zin, bewiset min neste.
13. Die elster zeyt:
Here, wie melden und claffen kan,
Es nu te hove der liever man.
15. Die pauwe zeyt:
Here, deys du na der bueser raet,
So werts du metten boesen quaet
(Nachahmungen.) Mehr vielleicht noch als die verhältnismässig
grosse Zahl der Handschriften und Drucke, welche Vogelsprachen ent-
halten, bekundet die Volkstümlichkeit dieser Dichtungsart der Um-
stand, dass sie vielmals Nachahmung bei späteren Dichtern gefunden
hat, sei es, dass diese das Motiv einer beratenden Vogelversammlung
verwerten, sei es, dass sie einzeln Vögeln Lehren in den Mund legen
oder aus deren Eigenart entwickeln.
Die hervorragendste Dichtung unter diesen Nachahmungen ist
die Synodus avium depingens miseram fadem Ecclesiac, propter eer-
tamina quorundam qui de Primatu contendunt^ cum oppressione rede
merüarum (Nr. 15). Der Verfasser ist der Wittenberger Professor
Johann Major1), der ein ebenso eifriger als streitlustiger Anhänger
Melanchthons war und in seinen Gedichten die Gegner der philippi-
stischen Richtung aufs massloseste befehdete. Auch die Synodus ist
ein Angriff auf dieselben ; mit den Vögeln, die auftreten, sind nämlich
die namhaftesten Vertreter der sich gegenseitig befeindenden theolo-
gischen Parteien gemeint. Es wird erzählt, dass nachdem der Schwan
(d. i. Luther) gestorben war, die Vögel eine Versammlung abhielten,
um seine Stelle durch ein neues Oberhaupt zu besetzen, der die sang-
reichen Stellen der Vögel zusammenordnen, Recht sprechen und den
Streit schlichten könne. Ein Teil der Vögel erklärte sich darauf für
den Kukuk (Flacius), andere waren für den Hahn (Nie. Gallus), andere
für die Amsel (Amsdorf), die verständigeren Vögel stimmen dagegen
einmütig für die Nachtigall (Melanchthon). Das Gedicht schildert
dann die Ränke, durch welche die einzelnen Vögel ihre Partei zu
stärken und die Wahl Melanchthons zu hintertreiben sich bemühen.
Schon diese kurze Andeutung über den Inhalt der Dichtung
Majors lässt erkennen, dass dieser das Motiv eines Vogelparlaments
') Aucb andere Gedichte Majors handeln von Vögeln, unter denen Zeit-
genossen des Dichters zu verstehen sind. Bei Majors Schüler Georg Rollenhagen
ist Ähnliches der Fall, nicht nur im Propemptikon (Geschichtsblätter für Mag-
deburg 24 S. 93), sondern auch im Froschmeuseler. Wenn PHILippOs MELAnch-
thon „Nachtigal" genannt ist, so spielt das auf seinen Namen an. Vgl. auch P. CasseFs
Aufsätze über Joh. Stigel im 'Sunem'. Jg. 13 (1887), S. 250 ff. 258 ff.
115
in einer Weise ausgestaltet hat, dass die Ausfahrung kaum noch an
die alten einfachen Vogelsprachen erinnert. Am ehesten könnte man
noch an ein Vorbild ähnlich der Münchener Fassung (Nr. 13) denken,
wenn die Annahme unstatthaft sein sollte, dass Major den Pavo (Nr.
29), von dem noch später die Rede sein wird, gekannt und nach-
geahmt haben kann.
Von den übrigen Nachahmungen der Vogelsprache sind mehrere
geistlich gewendet. So die Dichtung des Hans Sachs (Nr. 16), in
welcher gerade so wie in der Vogelsprache Nr. 6 erst die guten, dann
die bösen Vögel an die Reihe kommen. Das Wahlmotiv ist aufgegeben,
und es bleiben, wie in den Vogelsprachen der hansischen Gruppe, nur
einzelne Vögel und Lehren, die an sie geknüpft sind. Die Art, in der
das geschieht, lässt schon der erste Spruch genügend erkennen:
Der Adler in die Sunnen sieht
Also ein Christ schaut in dem Liecht
Das Wort Gottes; was Gott begert,
Lieht in für alle Ding auff Erd.
Eine dritte geistliche Umgestaltung ist das in Handschriften und
Volksblattdrucken des 17. und 18. Jahrhunderts oftmals begegnende
— bis jetzt sind etwa zehn verschiedene Überlieferungen bekannt —
Gedicht „Das geistliche Vogelgesang al). Die Gegenüberstellung der
guten und bösen Vögel findet nicht Statt. Der Adler, „der aller Vögel
König ist", macht den Anfang, dann folgen Amsel, Bachstelz, Cana-
rienvogel, Dahl, Emmerling, Eul, Fink, Grasmuck, Gumpel, Hahn und
Henne, Immen usw. Die Ordnung ist also alphabetisch. Als Probe
sei herausgehoben:
Anfang :
Wohlauf, ihr klein Waldvögelein,
Alles was in Lüften seh weht,
Stimmt an, lobt Gott den Herren mein!
Singt an, die Stimm erheht!
Dann Gott hat euch erschaffen
Zu seinem Loh und Ehr;
Gsang, Feder, Schnabel, Waffen
Kommt alles von ihm her.
Widhopf.
Der Widhopf ist gar wohl geziert
Und hat doch ganz kein Stimm;
Sein Cron er allzeit mit sich führt,
Ist doch nichts hinder ihm.
Wie mancher brangt in Kleider,
Als wann er war ein Graf:
Sein Vatter ist ein Schneider,
Sein Bruder hüt die Schaf.
Andere Gedichte, die ähnlich dem Geistlichen Vogelgesang die
Eigenschaften und auch die Stimme der Vögel erbaulich und belehrend
verwerten, seien in der Anmerkung verzeichnet2).
l) Vgl. oben S. 105 Nr. 17. Ganz verschieden davon ist „Ein Schön New
Liedt genandt das Vogelgesang." (Gödeke Grundrisz 2. Aufl. 2, 253 Nr. 4a.)
*) Lied 'Ick genck my dorch den gronen woldt
Dar sungen de vogelkens iunck und olt etc.'
Xd. geistliche Lieder aus dem Münsterlande, hrsg. von B. Hölscher (1854) S. 74 ff.
— *Vier Christliche anzcygungen und bedeütungen, In diser frölichen angehenden
Sommerszeyten lustig zu behertzigen: Warumb . . Gott . . dem Guckguckh, der
Ganss, dem Raben und der Eulen jr angeborne stimm also angeordnet . . . Durch
J. J. Gugger. Freyburg 1593.' Hrsg. von Crecelius: Alemannia hrsg. von A. Bir-
linger Bd. 7 (1879), 220 ff. — Lied: Ad peccatorem „Het is genoch geschlapen
TJ weckt die na— na-na— nachtigal, 0 mensch van gott geschapen, In dese 11 — 11 —
116
I
Die jüngste mir bekannt gewordene Nachahmung stammt aus
d. J. 1700 (Nr. 18). Sie führt in der Handschrift, welche sie enthält,
den Titel »Vogel-Schul Worinn Auss Eigenschafft und Natur auch der
lieben Vogelein gewisse Tugenden zu lernen, und Untugenden oder Laster
zu vermeiden begriffen zu Pappir gesetzet im Jahr unssers Hcyls 1700
Und zum Heyligen Namens- Tag Offeriri Dem Wd Ehrwürdigen etc.
Herrn Urbano Francisco Vogd Dess Heyligen Canonischen Ordens von
Lateran Professor zu Bresslau auf der Insul Sand, im hoch-löblichen
gestift unsser lieben Frauen Priester etc." Sie war also einem Geist-
lichen Namens Vogel zu seinem Namenstage gewidmet. Es liegt also
die Vermutung nahe, dass der Name des Gefeierten dem Verfasser
Veranlassung zu der von ihm gewählten Dichtungsform gegeben hat.
Genannt hat sich der Dichter nicht, am Ende der Vorrede finden sich
jedoch die Verse:
Wil man wissen, wer ich bin?
Ich heiss Frisch, Freilich, und Kin.
Als Probe sei hier abgedruckt:
Widehopff.
Mit schönen Federn ist die Widhopff zwar gezihrt:
Aber ein' üblen Stand in ihrem Näst sie führt:
Auss hoch-stinckendem Koth ist, und wird sie gebrütt,
Bringet auss ihrem Näst auch nichts, als Unflath mittl
An der Widhopffen kan sich iederman ersehen,
Und was die Hoffart sey genüglichen verstehen:
Die Hoffart, wie man deutsch zu sagen pflegt, stinckt
Und doch fast alle Welt nach diesem Laster ringt.
Lass ringen wer da wil: der Hoffart du nichts achte:
Hoffart und Übermut auss gantzem Grund verachte;
Ergebe, Mensch! vielmehr der edlen Sanftmut dich,
Ess wird der grosse Gott mit dir austheilen sich.
Behandelt sind im Ganzen 59 Vögel; Adler, Auerhahn, Ambsel,
Aglester, Bachstelz, Byroll, Birkhun, Cukuk, Distelfink, Drossel usw.
Die Reihenfolge der Vögel ist also wie im Geistlichen Vogel-Gesang,
der dem Verfasser bekannt und Vorbild war, die alphabetische.
Neben diesen eigentlichen Nachahmungen der alten Vogelsprachen
muss auch noch auf einige blosse Anlehnungen an dieselben hinge-
wiesen werden. Eine solche findet sich im Reinke Vos zu Anfang des
zweiten Buches und umfasst die Verse 3247 — 3274, für welche sich
im niederländischen. Reinaert nichts entsprechendes findet. Dieselben
sind also von einem der Bearbeiter, und zwar wie Prien ansprechend
ausführt, von Hinrek von Alkmer hinzugefügt. Seine Bearbeitung fällt
in das vorletzte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, also in eine Zeit, in
der bereits zahlreiche Vogelsprachen die allgemeine Beliebtheit be-
kunden. Das in den Reinke eingelegte Vogelgespräch stellt eine Sprake
oder Beratung verschiedener Vögel dar, welche die gegen den Fuchs
gerichtete Klage zu unterstützen beschüessen. Es erinnert an die
li — li dal etc." Aus einer Hs. Hölschers mitgeteilt von Crecelius, Alemannia 12
(1884), 73 f.
117
Vogelsprachen durch die hinzugefügten Abbildungen von Vögeln und
die Gleichzeitigkeit der von den einzelnen Vögeln gehaltenen Reden.
lls weicht von den deutschen Fassungen ab, indem es sich (wie in
27 — 29) um eine Klage, nicht um allgemeine oder einem Könige er-
teilte Lehren handelt.
Auch einige niederdeutsche Loosbücher (Nr. 20. 21) haben das
Ansehen von Vogelsprachen. Nr. 20 trägt sogar den Titel „Vogel-
spnike*, ohne jedoch mehr als äusserliche Ähnlichkeiten zu bieten,
nämlich vierzeilige Sprüche, die Vögeln in den Mund gelegt sind.
(Verhältnis der deutschen Gruppen £u einander.) Vergleicht man
die Texte der hansischen mit sämmtlichen Vogelsprachen der beratenden
Gruppe, so findet sich, abgesehen von vielleicht zufälligen Anklängen1),
nur eine einzige Übereinstimmung des Wortlautes, welche den ver-
wandtschaftlichen Zusammenhang der beiden Gruppen sicher stellt
und der Mühe überhebt, ihn aus andern Gründen folgern zu müssen.
Diese Stelle findet sich im Spruche des Adlers:
Nr. 1 (Stockh. Hs.) Spr. 6. Nr. 4 (Münchener Dr.) Spr. 31.
Met rade schaltu wesen milde, Wes mit rade milde
Uppe dat din gut di nicht en wilde. So wert di dat goed nicht wilde.
We sin god nicht holt an hode, Bistu nicht milde bi raede,
De lidet (lichte) grote armode. Dat rouwet di to spade.
Entsprechend bieten:
Nr. 5. Nr. 6.
Here, ymmer west mit rade milde, Wes here mit rade milde,
Sone wirt ur goet nemmer wilde. So en wert din ere nummer wilde.
Diese Übereinstimmung deutet zugleich darauf, dass die hansische
Gruppe sich an eine alte Fassung der beratenden Gruppe, welche
zweizeilige Sprüche bot, angelehnt hat. Näher lässt sich diese Vorlage
nicht bestimmen, da die hansische Gruppe so durchgreifende Änderungen
in Bezug auf Inhalt und Form der Sprüche zeigt, dass eben nur jene
einzige wörtliche Übereinstimmung geblieben ist.
Von den Nachahmungen gehen die niederdeutschen Gedichte auf
Vorbilder der hansischen, die hochdeutschen auf Vorbilder der bera-
tenden Gruppe zurück. Wenn trotzdem die hochdeutschen Nach-
ahmungen späterer Zeit weniger ihren Vorbildern als vielmehr den
Bearbeitungen der hansischen Gruppe gleichen, so ist diese Über-
einstimmung einerseits die Folge davon, dass das Motiv der Beratung
des Königs wegfiel, anderseits hängt sie damit zusammen, dass nach
der Reformation die Dichter ihre Aufgabe in Belehrungen religiösen,
sittlichen oder praktischen Inhalts sahen.
(Böhmische Gruppe.) Eine besondere Abzweigung der Vogel-
sprachdichtung hat sich in Böhmen entwickelt. Hier vollendete i. J.
*) Stockh. 85. Du schalt dy theen van velen luden, vgl. Nr. 6 Spr. 7:
Here, ir sult van den luden tyen.
118
1394 oder 1395 Smil von Pardubic mit dem Beinamen Flaschka, der
einem der vornehmsten Geschlechter Böhmens angehörte und an der
Universität Prag das Baccalaureat erlangt hatte, ein umfangreichem
Lehrgedicht unter dem Namen Nova rada d. h. Neuer Rat. (Nr. 22.)
Der Inhalt desselben ist in Kurzem folgender. Als der junge Löwe
nach dem Tode seines Vaters den Thron bestiegen hatte, entbietet er
alle Grossen des Tierreichs zu sich und auch den ihm dienstbaren
König der Vögel, den Adler, sammt dem ganzen Geflügel. Als sich
alles um ihn geordnet hatte, forderte er die Versammlung und zunächst
den Adler auf, ihm, der noch jung und wenig erfahren sei, Rat zu
erteilen, wie er zum Gedeihen seines Reiches über dieses herrschen
müsse. Es treten auf diese Aufforderung abwechselnd immer ein Tier
und ein Vogel vor ihn und sprechen in durchweg höfischer Form ihre
Meinung aus. Zuerst der Adler, dann folgen Leopard, Falke, Bär.
Kranich, Wolf, Geier, Hirsch, Pfau, Ross, Hahn, Ochs, Gans, Esel
Taube usw., im Ganzen ohne den König 44 Tiere und Vögel, von
denen nur wenige (etwa Bär, Wolf, Geier, Gans, Schwein, Luchs und
Affe) boshafte Natur durch ihren Ratschlag beweisen.
Eine zweite Dichtung derselben Art ist die altböhmische Rada
zwirat, d. h. Rat der Tiere (Nr. 23), eines unbekannten Verfassers,
die in der Fassung, in der sie erhalten ist, aus dem 15. Jahrhundert
stammt und zum ersten Mal 1628 gedruckt ist. Es ist ein sehr um-
fangreiches Werk, in dessen erstem Buche 22 Vierfüssler auftreten,
während im zweiten 24 Vögel zu Worte kommen und das dritte Buch
den Insekten, Schlangen und Fischen gehört. Die Ratschläge sind
nicht an den König der Tiere oder Vögel gerichtet, sondern jedes
Geschöpf giebt in längerer Rede dem Menschen eine gute Lehre, der
darauf einige Worte erwidert. Wie in der Nova rada geben auch in
der Rada zwirat zu den Worten eines Tieres eine Anzahl anderer
ihm verwandter Tiere ihre Zustimmung. Eigentümlich ist der Rada
zwirat die gelegentliche Bezugnahme auf die äsopische Fabeln, deren
Kenntnis der Dichter bei seinen Lesern also vorausgesetzt hat.
Eine jüngere der böhmischen Gruppe angehörende Dichtung ist
die 1520 zum ersten Male und später noch dreimal gedruckte Thcri-
abülia (Nr. 24) des Olmützer Bischof Johannes Dubravius. Dieselbe
ist eine freie Bearbeitung des Neuen Rates Smils von Pardubic. Wie
bei diesem ist auch bei Dubravius der Löwe der König der Tiere,
der die Grossen seines Reiches beruft, um ihm, der soeben den Thron
bestiegen kat, Rat zu erteilen. Wie im Neuen Rat wechselt von den
45 Tieren, die auftreten, immer ein Vierfüssler mit einem Vogel ab.
Während jedoch bei Smil wenigstens noch einige Tiere der ihnen
angeborenen Eigenart gemäss Ratschläge erteilen, die gegen das
menschliche Tugendgesetz Verstössen, sind bei Dubravius alle Tiere
voll Empfehlungen der Tugend und Sittlichkeit.
Von den drei Bearbeitungen der böhmischen Gruppe nimmt der
Neue Rat Smils von Pardubic in der altböhmischen Litteraturgeschichte
eine hervorragende Stelle ein und ist oftmals und besonders eingehend
119
von Feifalik *) behandelt worden. Wenn ich Feifaliks Arbeit bei meiner
Unkenntnis der böhmischen Sprache einerseits meine Wissenschaft von
den altböhmischen Fassungen zum grössten Teile verdanke2), so muss
ich doch anderseits den litteraturgeschichtlichen Ergebnissen seiner
Untersuchung in wesentlichen Punkten widersprechen.
Nach Feifalik soll sowohl die Nova rada als die Rada zwirat
Benutzung des bekannten mittelalterlichen Physiologus zeigen. Ferner
seien die prosaischen Einleitungen, welche im Rada zwirat den ein-
zelnen Abschnitten vorangehen, erst im 15. Jahrh* eingefügt, die
Dichtung selbst sei jedoch älter als die Nova rada Smils. Dieser habe
die Rada zwirat benutzt, indem er den Gedanken, den er darin fand,
in seinem Sinne ausgebildet habe. Drittens möge Smil wohl gleichfalls
das von Bruns als Ratsversammlung der Tiere herausgegebene nieder-
deutsche Gedicht (Nr. 6) gekannt und aus ihm die Idee geschöpft
haben, den Löwen als König die Tiere berufen zu lassen.
Von allen diesen Annahmen ist nur soviel beweisbar, dass Smil
eine deutsche Vogelsprache gekannt und nachgeahmt hat. Als diese
deutsche Quelle gerade die niederdeutsche von Bruns herausgegebene
Ratsversammlung anzusehen — eine andere Fassung war Feifalik
nicht bekannt geworden — liegt kein Grund vor, man wird vielmehr
an eine ihr ähnliche verlorene hochdeutsche Bearbeitung des 14. Jahr-
hunderts zu denken haben. Auf eine der deutschen Vogelsprachen
als Quelle weist es, wenn übereinstimmend mit diesen auch in der
Nova rada der Adler zuerst dem Könige ratet und ihm (wie in Nr.
1. 4) Freigebigkeit anempfiehlt. Eine andere Übereinstimmung (mit
Nr. 6) findet sich nach Angabe Feifaliks in dem Ratschlage, den der
Pfau giebt8).
Ferner konnte weder aus dem Physiologus noch aus der Rada
zwirat, sondern nur aus einer Vogelsprache der beratenden Gruppe
von Smil das Motiv eines durch den König der Tiere berufenen Reichs-
tages und der Wechsel guter und schlechter Ratschläge entnommen
werden.
Feifalik nennt zuerst als Quelle Smils den mittelalterlichen Phy-
siologus und verweist zur Begründung seiner Ansicht auf angebliche
Übereinstimmungen zwischen der Nova rada und dem Physiologus.
Diesem soll es entlehnt sein, wenn Smil den Leopard zur Frömmigkeit,
das Einhorn zu keuscher Enthaltsamkeit, den Elephant zur Bekämpfung
böser Begierden raten lässt. Thatsächlich kennt der Physiologus aber
gar nicht den Leopard, weshalb Feifalik statt seiner auf den Panther
*) Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur. III. Wien 1860 (=
Sitzungsberichte der phiL-hist Classe der K. Akad. d. Wiss. in Wien Jahrg. 1869
Bd. 32 S. 685—718).
*) Die unter dem Titel „Der neue Rath des Herrn Smil von Pardubic, nebst
dessen übrigen Dichtungen, deutsch bearbeitet von Joh. Wenzig. Leipzig 1855"
erschienene Übersetzung kürzt so sehr das Original und verfahrt auch sonst durch
Umstellung u. a. so willkührlich, dass sie fast keinen Nutzen gewährt.
*) Feifalik S. 19. Wenzig's sogen. Übersetzung lässt vollständig im Stich,
bei ihm kommen auf den Pfau acht, im Original 26 Verse.
120
verweisen muss. Aber auch dieser darf nach dem Physiologus, der
seine verschiedenen Farben usw. den verschiedenen Eigenschaften und
dem Dulden des Heilandes vergleicht, nicht als Symbol der Fröm-
migkeit, sondern vielmehr nur als Symbol der Demut aufgefasst werden.
Was zweitens das Einhorn betrifft, so steht im Physiologus nur, dass
es von reinen Jungfrauen sich greifen lässt. Das Mittelalter sah es
dagegen als Symbol der Keuschheit an. Dass Smil, dessen Quelle also
der Physiologus beim Einhorn nicht war, hier gleichfalls durch seine
deutsche Vorlage beeinflusst sein konnte, zeigt der oben S. 112 ab-
gedruckte Spruch des Einhorns aus der 'Ratsversammlung der Tiere',
den Feifalik mit mehr Hecht hätte anziehen können. Drittens soll
zum Physiologus stimmen, wenn der Elephant den Kampf gegen böse
Begierden empfiehlt. Im Physiologus steht aber nur, dass er keine
Begier nach Fleisch hat und durch Genuss einer Wurzel sich geil
macht, er wird auf Adam und Eva gedeutet, die von der Schlange
verführt von der verbotenen Frucht assen und alsdann in gegenseitiger
Lust entbrannten1). Somit stimmt auch hier der Physiologus nicht
im geringsten zur Nova rada.
Feifalik vertritt die schon vor ihm ausgesprochene Ansicht, die
Nova rada habe eine direkte politische Tendenz und unter dem Löwen
sei König Wenzel zu verstehen. Die reiche Anzahl der von mir
zusammengestellten Vogelsprachen, in denen viele der Nova rada
ähnliche, an einen König gerichtete Ratschläge ausgesprochen werden,
wird gegen diese politische Deutung um so eher vorsichtig machen,
als das handschriftlich überlieferte Entstehungsjahr der Nova rada,
nämlich 1395, gar nicht damit im Einklänge steht, dass z. B. Wenzel,
der damals 35 Jahre alt und bereits 17 Jahre König gewesen war,
als Junger Knabe geschildert und Krcilovice genannt und ihm, der
damals zum zweiten Male verheiratet war, der Rat gegeben wurde,
nicht wieder zu heiraten, wenn er etwa Witwer würde (Feifalik p. 13).
Feifalik glaubt deshalb entgegen der Angabe beider Handschriften die
Entstehungszeit in frühere Jahre verlegen zu müssen. Wenn ich eine
Vermutung aussprechen darf, die mit der Feifaliks freilich gemein
hat, dass sie sich nicht beweisen lässt, aber vor ihr voraus hat, dass
sie mit bekannten oder nachweisbaren Tatsachen nicht im Widerspruch
steht, so ist es folgende. Smil hat eine Vogelsprache benutzt, in denen
wie in manchen deutschen Fassungen neben Vögeln auch Vierftissler
erscheinen (wie z. B. in Nr. 6). Der König hiess in dieser Vogel-
*) Wie gesucht und hinfällig in Bezug auf den Physiologus die Beweis-
fuhrung Feifaliks ist, zeigt auch seine Anmerkung 24 (auf S. 11): „Der Elephant
rät in der Nova rada zur Kinderliebe; man vergleiche damit das Bild im Gött-
weiher Physiologus [Archiv f. Kunde östr. Geschichtsquellen. Jg. 1850. Bd. 2. Tafel
III Nr. 7], wo der Elephant sein Junges hegt." Das Bild zeigt nun den
weiblichen Elephanten bis zum Bauche im Wasser und zwischen seinen Beinen sein
Junges, während ein anderer Elephant ausserhalb des Wassers steht. Das Bild
illu8trirt offenbar die Angabe des Physiologus, dass der Elephant bis zum Bauche
ins Wasser geht, wenn er gebären will, und der männliche Elephant währenddes
am Ufer wacht
121
spräche, wie gewöhnlich in den hochdeutschen Fassungen Regulas oder
Künigd (vgl. Nr. 9, 11, 12 u. a.). Smil, dem das deutsche Mährchen
vom Zaunkönige unbekannt war oder seiner zur Erklärung des Regulus
nicht gedachte, musste den Regulus für den König der Tiere, den Löwen,
halten, an den Adler konnte er deshalb nicht denken, da dieser in
allen Fassungen sofort nach dem König redet und als sein erster
Unterthan ihm Rat erteilt. So wurde der Regulus der deutschen
Vogelsprachen zum Krcdome und zum^Löwen und, wie in den deutschen
Fassungen, kommt als erster seines Reichs der Adler zu Wort Es
erklärt sich so auch zugleich leichter die bei Smil durchgeführte Ab-
wechslung von Vierfüsslern und Vögeln1).
Was schliesslich die Rada zwirat betrifft, so ist sie nicht nur
nicht die Quelle der Nova rada, sondern stellt eine spätere Entwick-
lungsform der Dichtungsform dar, indem das Beratungsmotiv und der
Wechsel guter und schlechter Räte aufgegeben ist. Wie die Sprüche
der deutschen Vogelsprachen der lehrhaften Gruppe gleich Bilder-
sprüchen sich an den Beschauer oder Leser richten, so ist die Rada
zwirat an den Menschen gerichtet. Wie in Deutschland sich die be-
ratende Vogelsprache zur lehrhaften entwickelte, so konnte das auch
in Böhmen geschehen. Wenn demnach in dieser Beziehung der An-
nahme, dass die Rada zwirat aus der Nova rada durch Nachahmung
und Umwandlung hervorgegangen sei, nichts entgegensteht, so scheint
doch der Umstand dagegen zu sprechen, dass Feifalik wörtliche Über-
einstimmungen zwischen beiden anscheinend nicht anzuführen weiss.
(Französische Bearbeitungen.) In der französischen Litteratur
begegnet man Bearbeitungen der Vogelsprachen unter dem Titel Dictes
des oyseaux in Drucken aus dem Ende des fünfzehnten oder dem
Anfang des sechszehnten Jahrhundert. Vergleicht man die zwei in
Neudrucken (vgl. Nr. 25. 26) vorliegenden Fassungen, so wird man
in beiden dieselben Sprüche wörtlich wiederfinden, nur die folgenden
drei als Probe hier mitgeteilten Strophen finden sich in Nr. 26 allein:
Le papegay. Le faulcon.
Prince doit estre piteux Viure du sien est grant noblesse
Et de soii peuple avoir pitie Prince son peuple ne doit greuer
Quant il le voit langoureux Sy autrement fait son peuple Messe:
Montre lui doit son amitie. Et le fait sans cause endure:
Lespriuiers.
Par dessus tous oyseaulx de proye
Je suys du plus noble lynaige;
Pour neant plus me priseroye:
Qui mains se prise plus est saige:
Dagegen unterscheiden sich beide Fassungen durch die Reihen-
folge, in denen die Tiere und ihre Sprüche aufeinanderfolgen. In
x) Ahnlich wie die böhmischen ordnen auch die französischen Bearbeitungen
die Tiere und Vögel.
122
Nr. 25 sind die ersten 22 Sprüche Vierfiisslern, die letzten 17 Vögeln
beigelegt, während in Nr. 26 immer ein Vierfüssler und ein Vogel
abwechselt *). Trotz dieser Umsetzung lässt sich jedoch auch aus der
Reihenfolge der Sprüche erkennen, dass beide Fassungen auf dasselbe
Original zurückweisen. Es ist nämlich2)
Nr. 25.
Nr.
26.
Nr. 25.
Nr.
26.
Nr. 25. Nr.
26.
Spr. 8 =
Spr.
22
Spr. 16 =
Spr.
16
Spr. 29 = Spr.
3
„ 10 »
»i
24
» 17 =
j»
18
„ 33 = „
5
„ 11 =
»»
2
ii 18 =
ii
20
ii 35 = „
1
„ 12 =
ii
4
ii 19 =
ii
10
ii 36 = „
7
„ 13 =
ii
6
ii 20 =
ii
12
„ 37 = „
13
„ 14 =
ii
8
„ 24 =
ii
21
„ 38 = „
15
„ 15 =
ii
14
ii 25 =
ii
23
»> 39 = „
17
Löwe (De toutes bestes suis le roy) und Adler (De tous oyseaulx
je suis le roy) heissen zwar Könige, aber die ihnen in den Mund ge-
legten Sprüche enthalten keine Andeutung, dass durch einen dieser
Könige die Tiere zu Ratschlägen veranlasst sind und ebenso wenig findet
sich der Wechsel der guten und der schlechten Ratgeber. Aus den
Eigenschaften der Tiere sind, wie schon die oben abgedruckten Sprüche
zeigen, moralische Lehren in derselben Art abgeleitet, wie das in der
hansischen Gruppe der deutschen Bearbeitungen der Fall ist. Trotzdem
scheint ihr Vorbild nicht der hansischen, sondern der beratenden
Gruppe angehört zu haben, denn einige Sprüche, z. B. zwei der
obigen, lehren, was Fürsten geziemt.
(Andere Vogelparlamente.) Während die bis jetzt besprochenen
Dichtungen sämmtlich mit einander verwandt sind, fehlt jeder festere
Anhaltspunkt, diese Verwandtschaft auch auf die drei folgenden Ge-
dichte auszudehnen, die dadurch, und freilich allein dadurch mit jenen
in merkwürdiger Übereinstimmung sich befinden, dass in ihnen Vögel
in einem Concil oder Parlament zusammentagen.
Das älteste ist der in der Mitte des 13. Jahrhunderts wahr-
scheinlich durch Jordanus von Osnabrück verfasste Pavo (Nr. 27),
eine satirische Parabel, die sich auf das Lyoner Concil v. J. 1245
bezieht und von der man fast annehmen möchte, dass sie von Joh.
Major, dem Poeten der Wittenberger Universität gekannt und in seiner
Synodus avium nachgeahmt ist. Wie in dieser sind auch im Pavo
mit den Vögeln bestimmte Personen gemeint. Geschildert wird, wie
der Pfau (der Papst) das ganze Vogelreich zu einem allgemeinen
Concil einladet; es erscheinen darauf alle Arten der Tauben (die
höheren Kleriker), Gänse und Enten (Abgeordnete der Städte), Sper-
linge (niedere Kleriker), Raben (Ghibellinen), der Hahn (der franzö-
sische König), die Elstern (Weifen) usw., nur der Adler (Kaiser
') Nr. 25 bietet also eine Analogie zur böhmischen Rada zwirat, Nr. 26 zur
Nova rada, vgl. S. 121.
*) Die Sprüche von Nr. 26 sind ohne Rücksicht auf die Lücken, über welche
der Herausgeber keine Auskunft giebt, fortgezählt.
123
Friedrich II) erscheint nicht. Ihn verklagt im versammelten Concil
der Pfau, fast alle Anwesenden haben über ihn Klagen vorzubringen,
und trotz des Widerspruch« des Raben und der Dohle, die allein für
den Adler eintreten, beschliesst das Concil den Abwesenden seiner
Königswürde verlustig zu erklären. Darauf ziehen alle Vögel heim
und versammeln sich bald darnach, um einen neuen König zu wählen.
Das zweite Gedicht, Chaucers Vogelparlament (Nr. 29), ist nach
J. Kochs ansprechender Vermutung *) gleichfalls auf eine geschichtliche
Begebenheit, nämlich die Werbung des Königs Richard von England
um Anna von Böhmen i. J. 1380 und 1381 zu deuten. Am Valentins-
tage, erzählt Chaucer, vereinigten sich vor der Göttin Natur alle
Vögel, um sich zu paaren, zu einem grossen Concil. Drei Adler
warben zugleich um ein Weibchen (nach Koch eben die böhmische
Anna). Die Göttin befragte deshalb die Vögelversammlung, und die
Sprecher der einzelnen Geflügelgruppen tragen ihre abweichenden Rat-
schläge vor. Schliesslich entscheidet die dem Wunsche des Weibchens
nachgebende Göttin, dass die Freier noch ein Jahr sich zu gedulden
haben und dann das Weibchen selbst wählen dürfe.
Das dritte Gedicht (Nr. 28) ist das dem Ende des fünfzehnten
oder dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts angehörende Par-
lament of byrdes eines unbekannten Verfassers. In dem Parlamente,
zu dem die Vögel zusammentreten, wird gegen den Habicht von den
gemeinen Vögeln (the commons) Klage geführt und über Mittel zur
Wahrung des Friedens im Vogelreiche beraten. Die Formen der par-
lamentarischen Verhandlung sind in dieser Dichtung bis in Einzel-
heiten hinein angedeutet8).
(Ursprung der deutsehen Vogelsprachen.) Während die älteren
deutschen Vogelsprachen mit dem Pavo und den beiden englischen
Vogelparlamenten das Motiv eines Reichstages der Vögel gemein haben,
unterscheiden sie sich von diesen durch ihre moralisch-lehrhafte Tendenz.
In dieser Beziehung knüpfen sie an eine gewisse Art der mittelalter-
lichen Symbolik an, die durch Bildwerke und auch litterarisch bezeugt ist.
Die Tugenden und Laster waren im Mittelalter von jeher beliebte
Gegenstände der allegorischen und symbolischen Darstellung und
moralischen Betrachtung8). Bildliche Darstellung fanden sie meist in
allegorischen weiblichen Figuren, denen als Symbole bestimmte Tiere,
Bilanzen oder andere Gegenstände beigefugt wurden. Es kam aber
*) Englische Studien 1, 287 f.
*) Das bei Hazlitt, Remains of Poetry 3, 187 ff. abgedruckte Gedicht 'Armonye
of birds' gehört nicht hierher, weil es ausser Verbindung mit den englischen Vögel-
parlamenten steht, im übrigen gleicht es den oben S. 115 genannten deutschen
Gedichten. Vgl. 25 ff. The popyngay Than fyrst dyd say Hoc didicit per me,
Emperour and kyng, Without lettyng, Discite semper a me. There fore wyll I The
name magnify Of God above all names; And fyrst begyn In praysing to him This
song, Te Deum laudamus.
*) Häufler: Archiv für Kunde österr. Geschichts- Quellen. Jg. 1850. Bd. 2.
S. 584.
124
auch vor, dass die allegorische Figur fortblieb und Tugenden wie
Laster nur durch ihre Symbole angedeutet wurden. Für die Über-
tragung solcher Symbolik in die Spruchdichtung scheint auch eine
mittelniederdeutsche Spruchreihe, die noch ungedruckt ist1), einen Beleg
zu bieten. Als Symbol der Timiditas erscheint z. B. der Hase und
spricht:
To manheit byn ik io vorzaghet
Mit dem scrige werde ik vorjaghet.
Mit besonderer Vorliebe wurden aber die sogenannten Haupt-
tugenden und Hauptlaster zusammengestellt, gewöhnlich je sieben, nur
ausnahmsweise erscheinen sie in der Vier- oder Zwölfzahl. Verschie-
dene Symbole jener sieben Tugenden und Laster stellt recht über-
sichtlich die sogen. „Note wider den Teufel" zusammen, die von
Häufler2) aus einer Handschrift des 15. Jahrh. herausgegeben ist.
Die nachstehende Tabelle giebt daraus einen Auszug der Tiere, die
in den deutschen Vogelsprachen erscheinen. Zu bemerken ist freilich,
dass die mittelalterliche Symbolik nicht einheitlich ist, und andere
ihrer Quellen für die einzelnen Tugenden und Laster zum Teil andere
Tiere nennen. Die sieben Haupttugenden (vier menschliche: Pru-
dentia, Justitia, Fortüttdo, Temperantia; drei theologische: Fidesy Spes,
Charitas) und die ihnen gegenüberstehenden Laster (Superbia^ Invidia,
Ira, Accidia, Avaritia^ Gtda, Luxuria) sind dagegen meist überall
dieselben. Die Teufelsnote stellt etwas abweichend also zusammen:
Tugenden : Laster :
1. Demut: Greif. 1. Hochfahrt: Pfau, Adler.
2. Keuschheit: Einhorn. 2. Unkeuschheit: Schwalbe, Sirene.
3. Mildthätigkeit: Galander. 3. Geiz: Eichhorn.
4. Geduld: Schwan. 4. Zorn: Sperber.
5. Liehe: Pelikan, 5. Neid: Fledermaus.
6. Andacht: Phönix. 6. Trägheit: (Esel).
7. Massigkeit: Rabe. 7. Gehässigkeit: Fuchs.
Die älteren Vogelsprachen bieten zu dieser Tabelle eine gewisse
Analogie. Auch in ihnen handelt es sich um, wenn auch andere, Tu-
genden und die ihnen entgegengesetzten Laster. Ferner sind die Tu-
genden und Laster mit bestimmten Vögeln und Tieren in Verbindung
gesetzt.
Wenn die Vogelsprachen andere als die oben aufgezählten Tu-
genden empfehlen, so erklärt sich dieses dadurch, dass es sich in ihnen
nicht um die allgemeinen menschlichen oder theologischen Cardinal-
tugenden, sondern um die Eigenschaften eines Königs, also um fürst-
lich-ritterliche Vorzüge und Fehler handelt. Darum finden in ihnen
Freigebigkeit (mhd. milde), Kriegstüchtigkeit, Gute Wahl der Bedien-
steten, Äussere Würde, Schutz der Armen ihre Stelle. Die wesent-
lichsten guten oder schlechten Eigenschaften eines Fürsten waren
Grotefend, Verzeichnis der Handschriften der Stadtbibliothek Hannover
(1844) S. 2.
*) A. a. 0. S. 583 ff.
125
nicht wie die christlichen Cardinaltugenden und Laster durch eine
herkömmliche Zahl bestimmt und beschränkt, es konnten deshalb
spätere Bearbeiter von Vogelsprachen nach Belieben neue fürstliche
Tugenden und Fehler hinzufügen; die altertümlichste Fassung, die
S. 1 1 neu abgedruckt ist, legt jedoch die Vermutung nahe, dass nach
Analogie der christlichen ursprünglich auch sieben fürstliche Tugenden
aufgestellt waren.
Derjenige, der die kurzen Ratschläge, wie ein Fürst sein soll
und wie er nicht sein soll, aneinandergereiht und durch den Gedanken
einer Beratung des Vogelkönigs durch seine Reichsstände sinnreich
verbunden hat, schuf eine kleine Dichtung, die, wie diese Abhandlung
lehrt, zahlreichen Nachahmungen als Vorbild gedient hat. So an-
sprechend nun aber auch der verbindende Gedanke war, im übrigen
muss die älteste der Vogelsprachen sowohl was ihren äusseren Umfang
als ihren Gedankeninhalt betrifft, so wenig als Dichtung hervorragend
gewesen sein, dass sie nur einem besonderen günstigen Zufalle so
vielfache Nachahmung verdanken konnte. Zur Erklärung drängt sich
eine Vermutung auf. Wo anders kann man sich jene erste Vogel-
sprache besser und passender denken als nach der den Wandspruch
liebenden Sitte des späteren Mittelalters in dem Gemache eines Fürsten?
Wie später die Innsbrucker Vogelsprache (Nr. 9) in der Stube Kaisers
Maximilians auf einer der Wände zu lesen war, so mag auch die
älteste Vogelsprache einst das Zimmer eines norddeutschen Fürsten
geschmückt haben und dadurch schnell und weithin bekannt ge-
worden sein.
12«
Niederdeutsche Vogelspraehe.
(Ans einer Stockholmer Handschrift)
Die unter dem Namen der 'Jütischen Sammlung' bekannte Stock-
holmer Handschrift enthält S. 77 — 96 den im Jahre 1541 niederge-
schriebenen Text einer niederdeutschen Vogelsprache, über deren Ver-
hältnis zu verwandten Fassungen oben S. 106 ff. gehandelt ist. Die
Aufforderung zu Schluss, einen Vollen (nämlich dem Vorleser) zuzu-
trinken, scheint darauf hinzuweisen, dass die Dichtung vorgelesen
worden ist1).
Von dem handschriftlichen Texte gilt dasselbe, was Jahrb. 8, 33
von der aus derselben Sammlung abgedruckten 'Guden lere van einer
juncvrowen' bemerkt ist. Der Schreiber war, wie ausser manchen
Scandinavismen viele im Deutschen unmögliche Formenbildungen be-
weisen, ein Scandinave, der des Deutschen nicht vollkommen mächtig
war und hoch- und niederdeutsche Formen nicht auseinander zu halten
wusste. Bis Spruch 20 bediente er sich der ihm geläufigen Current-
schrift des Reformationszeitalters. Später, von Spruch 21 ab, zeigt
die Schrift ein etwas altertümlicheres Ansehen, der Schreiber hat
augenscheinlich versucht, die Schriftzüge einer älteren Vorlage viel-
leicht nachahmend, in der Fraktur zu schreiben, die so viele Hand-
schriften des 15. Jahrh. bieten. Die Sicherheit der Lesung wird durch
die oft undeutliche oder zweideutige currente Schrift sowie auch da-
durch beeinträchtigt, dass die n oder m vertretenden Striche oft über
das ganze Wort gezogen sind und es um so eher ungewiss bleibt,
zu welchem Buchstaben sie gehören8), als die Schreibung auch sonst
willkührlich n m u. a. Consonanten verdoppelt. Die überflüssige
Häufung von nn und auch anderen Consonanten3) begegnet übrigens
seit dem Ausgange des 15. Jahrh. auch bei vielen Schreibern Deutsch-
lands, ist also nicht ganz der Unkenntnis des scandinavischen Schreibers
zuzuschreiben, doch hat dieser mitunter und besonders Vokale gegen
die deutsche Gewohnheit verdoppelt.
Der handschriftliche Text wird hier im getreuen Abdrucke wieder-
holt, doch ist die Setzung der Buchstaben u v w nach heutigem
Brauche etwas geregelt. Ferner sind Besserungen, welche sich durch
Tilgung von Buchstaben und Worten vollziehen lassen, durch (runde)
Klammern angedeutet. Fehlende Worte usw., die Zusammenhang oder
Reim erheischen, sind in [eckigen] Klammern beigefugt.4)
») Gerhard von Minden. Einl. S. XII f.
*) Z. B. über fromen (frommen oder fromenn) Vorw. 13; dsgl. 14 vornomen;
12 menegen.
*) Z. B. spreckenn statt spreken, toennite statt toente, veüe statt vele.
*) Zu besonderem Danke bin ich Herrn Professor K. von Bahder ver-
pflichtet, der einen Correcturabzug mit der von ihm genommenen Abschrift der
Handschrift auf meine Bitte freundlichst verglichen und an einer Anzahl Stellen
berichtigt hat.
Hi
12?
[Vonrort.]
Lir begynd uns de vogelesprache. [S. 771
Velle nutts mag me dar ut mackenn
Und nemen dat wol in den synn,
Wentte velle gudes mach et briingen in.
5 De oc mitt luste wiill na gemacke
Herenn desse vogelesprache,
De schal thu desser schreffte gaen
Und losse dar inde syn argefn) wan.
To hannt an desser sulwen stunt
10 Wertt eme desse vogelesprache kunt,
Dar he woll utt op syn gewin
Mach theen vel mennegen wisen syn,
De unns mach komen to frommen,
Also ich hebbe woll vornommen,
15 Wentte men findt vil nuwir wort,
Dat nicht er is gehortt.
Utt desser schreftt mach fme] nemen, [S. 78]
Also such datt woll mach temen,
Dare men such by bedencken mach
20 Beiide dag und nacht.
Dar umme jewelicke vromme man,
De na wijssheit is bestann,
De schal by desse[r] schreffte bliiwen.
Utt gansche[n] vliit saa mach he schriwen
25 Ann syn hertte maniche[n] wissefn] syn,
Den desse selwe schriifft holt indt.
Dat uns alle datt besehe,
Des helpfen] uns der namen dre(ij),
Godt vader und de(r) sonne meist
30 Und dar to de helliige(n) geäst!
1. De pellieanas.
Ic bynn ein vogell gar wiisse, [S. 79]
Myne kyndernn ich sulve spiisse
Mede mynefn] vlesche un myne[n] blöde;
Datt de[dej enn andernn vogel node.
Vorw. 1. 6. 10 spräche mit ch statt mit k wie in schinchen 16, 2 und oft in
sich» mich usw. — 8 inde Scandinavismus ztaü mnd. inne, vgl. dän. inde. — syn
ist gleichwertig der Schreibung synen, der scheinbare Abfall der Accusativendung
erklärt sich dadurch, dass das e derselben ebenso wenig wie heute in vulgärer mnd.
Rede gesprochen zu werden brauchte. Im 15. Jahrh. wie bei guten Schreibern des
16. Jahrh. fehlt die Endung selten, bei schlecht geschulten im 16. Jahrh. dagegen
sehr häufig. Ebenso steht Vs. 16 syn, 18, 4 en. — 24 saa 'so' Scandinavismus,
ebs. 4, 3. — 26 indt desgl. vgl zu Vs. 8.
128
2. De ffenhc.
Ic bynn ein vogell nicht gemene
Unn dode mich sulve aleyne.
So dodett such sulwe menich man,
De syine munde nicht rade[n] kann.
3. De swentee.
Ich kann gansche woll vordowen
Isernn un stoll sunder kowen,
Aldus verdowett meniche beriig unnd lannd,
Da[tj sie komen an fromede hantt.
4. De blawefot
Ic berge mich hog inn den luchten, [S. 80]
Darumme ick ander yogel nicht darff [vruchten].
Saa [en] darff siick oc ein iewerlich man(s vruchten),
De nicht quade hefft gedann.
5. De giilppe.
Avende spaade un mor(n)gen vro
Griip ich mett myne[nj klowen thu
Alzo deitt oc de(nn) geriige mand,
De na vromede gode is bestann.
6. De arnne.
Mett rade schaltu wessen mylde,
Uppe dat din gutt dy nicht en wilde.
We syn godt nicht holt an hode
De liidett von re[ch]tthe grette armode.
7. De valcke.
Ich bynn klein, doc[h] fruchten mich [S. 81]
Ander klein vogel, wore ich sy.
Alsus so m0tt menic fromme man
Eyne[nJ schalck fruchten wor he kann.
8. De kariek.
Dynen vyent holt nicht thu ringe,
So mach dy woll gelyngen.
Wol is he kleine, lychte wet he kunst,
Dar he dy mede deiit des d0des dunst.
9. De sparwer.
Ann dogennt schaltu oven ju,
Dat boret herenn un furstenn tu
Un andern menen luden
De such vor schände wille[n] behuden.
ft, 2 stoll 'siaht vgl 13, 4 goen. — 3, 3 berig lies borg vgl 25, 4 und
Münchener Vogelsprache 26, 4. — 5, 3 mand 'Mann9 Seandin<m*inu*i
129
10. De ghk.
Ic en achte nicht was sie klawen, [S. 82]
Wo ic vulle myne[n] klagen,
So deit oc de geriige man,
De na pening[enj is bestann.
11. De adeler.
Twar ich wil hoge klymmen
Und vangefn] mett wiissen synnen,
So deitt en jeuerlich wiiss man,
De na godes hulde strewen kan.
12. De hasselhone.
Menich denckett klene up den dott,
De hyr up erden hefft vel gut,
Und mott dog drade an grotte[r] var
Mede wessen an der deden schare.
13. De wlige.
Menych vacke sulff ander geytt, [S. 83]
Up datt man wette wat he deiit,
Und machte lewer goen alleyne,
Wen alle des 0uel ghemeyne.
14. De radelwiige.
Ic bin en vogel, de gerne bedrucht,
Dar ane myne mutter nitt ser enluct.
We gerne wiill vremede gud werven,
De mut vakene quades dodes sterwen.
15. De ule.
De scheneste vogel de jerge is;
De byn ich, des siitt wiis!
So dynket such menich(e) schone sin,
Dem nene(r) schanheit wanet by.
16. De stennulle.
We des nachts wil velle drinken [S. 84]
Und nicht mede etthen von den schinchen,
Des awens [ghan] an des ullen vlucht,
Dem besteiit gernne de wattersucht.
17. De mewe.
Ic flutte hir uppe dem dycke,
Eyn jewerlick sehe synn geliicke.
De such better duncket wan he is,
De geckett siich sullwen dat is wis.
10, 1 klawen lies klagen. — 10, 2 klagen l. kragen oder wie Reimbüchlein
1948 myne magen. — 13, 4 lies ovet? — 15, 3 lies dunket. — 16 Vgl. Welt-
sprüche Nr. 94 (Reimbüchlcin S. XXVII). — 17, 2 sehe, lies soke?
Niederdeutsches Jahrbuch. XIV. 9
130
18. De kr0nn.
Ich gaa hir uumme mede wiide trede,
Woll emme, de dar heff[t] stede wisse rede.
Welcher man de der nicht heb[b]en kan,
Den holt man vor en humpelman.
19. De adetar. [& 85]
Ich mott roven, dat is myn artt;
Van rcrvende schut mennegheme quat.
Wolde he synn revenntt latten,
Datt mochte im under tiiden hatten.
20. De wilde swann.
Dyne[n] dott ttovornen betrachte(n).
So magstu sterwen sachte.
We datt deytt thu rechtefr] stunde,
De mach such qwiten von den sunden.
21. De tarne swann.
He duncke my nicht weßen wys,
De dar buwet uppe dat ijes.
Wente wen dar kumpt der sunnen glans,
So kan dat buwete nicht bliven ghans.
22. De pawc.
Ik byn eyn voghel ghar schone
Und draghe uppe mynem hovede eyne kröne.
Ik byn hoverdych unde trede lijse, [S. 86]
Nemande schal duncken to gid syne wyse.
23. De börnghans.
Weß hovesk unde dar by wyß,
So gheven dy de lüde prys.
Spreck vrowen und juncfrowen
So gheven see dy hoghen mod.
24. De wilde ghans.
Myt leckeren gherichten
Spyset men ryddere unde knechte.
Mennych man wol leckere rechte nemo
Unde vragede klene van wenden dat se qwemen.
25. De tarne ghans.
Ick und alle myne ghenoten
Vortheren de klenen myt den groten.
Alsus kumpt an vromede hant
Mennych slot vnde herenlanth.
131
26. De grawe gfcans«
Ick bin eyn voghel va[n] schonenn ghelate,
Doch men hefft myner nenen groten baten.
A18U8 varth mennych dorch de lanth
Gar schone myt synes deves hant.
27. De wilde aatii.
De enen doden schyten drecht
Unde 8yn ghelt an böse wyve lecht,
De mach dat iummer wesen wys, [S. 87]
Dat syn arbeyt halff vorloren ys.
28. De tarne anth.
Ick gha hir snateren in dem drecke,
De my bespotten dat synt ghecke.
Ick mene, dat it sick nicht en themet,
Dat syck en synes amptes schemet.
29. De ffoysan.
Wultu schulen by dem hern,
So wes dem bussche nicht to verne.
Wente dat is nu der heren räd,
Dat alle ere synne na rovende stad.
30. De trappe.
We gherne drinket to vullen,
De m8d ock vakene dullen.
Betere were id, dat he druncke to mathe,
So levede he na der wysen stade.
31. De sappe.
We nycht wil sorghen an der tiit,
De werth gherne der eren quiit.
We ock sorghet umme der zele gud,
De is wyss und dar bii vrod.
32. De reygrher.
Ick wände lever by dem dycke
Und were salych und da bij rike,
Wan uppe ener borch hoghe
Unde hadde eyn quad iar uppe dat oghe.
33. Dat raphon.
Ick leve wol van myneme ghude,
Leckere spise ethe ick mytt mode
Und drincke dar tho den kolden wyn, [S. 88]
Dat mSt de arme lathen syn.
34. De urhane.
We mere vorteret wen he vormich,
Den sleyt gherne der sorghen slach.
9*
132
Betere were, dat he terde tho mathe,
So en dorffte he nycht bydden uppe der strate.
35. De urhe[n]ne.
Du schalt dy then van velen luden,
Wultu dyn ruchte an eren behuden.
Mennyck schynet gudt unde is doch quath,
Malk see, myt weme he um[m]e ghäd!
36. De berehhane.
We tho vele wil volghen guden ghesellen,
De mod vakener ghan in plunden wan in pellen.
He vortheret syn gud an doren wyse,
Dar umme ick ene nicht sere en pryse.
37. De berchhen[n]e.
We gherne to laghe myt my wil drincke[n]
Und wil nicht gherne myt my klincken,
Des lages unde syner ick wol umbcre,
AI were he ock enes landes here.
38. De tarne hane.
Dorch quade lüde schaltu waken,
Dat sc dy nenen schaden makcn,
Und holt dyn gfid an steder hude,
So deystu seker alzo de vrode.
39. De tarne hen[n]e.
Ik byn des nachtes yuI stede
By myneme manne myt vrede.
Dede eyn iewelik wiiff alzo, [S. 89]
So mochte ere man wesen vro.
40. Dat koken.
Wultu wesen myt gheraake,
So hebbe an dy wysse sprake.
We gherne den luden spreket quath,
Nycht ghudes eme dar van bestat.
41. De dnffer.
Wor de maghet ovele meth
Unde de knecht sijk an der schrifft vorghet
Unde de werdynne to rekent gherne,
Dar schal men vormy(n)de[nJ de thaverne.
42. De dune.
We syn hus wil hebben suver,
De wäre syck vor papen unde duven.
De duve gheyt schyten umme den thrent
Unde de pape umme sy[n] serdent.
42, 4 serdent vgl mhd. serten 'stupraref, surt tstuprum\
43. De holtduve.
Wol eme, de dar helft sulken stad,
Dat he en bedderve wiff had!
De mach manck bedderve lüde ghan
Unde vrolycken syne oghen upslän.
44. De riHgeldnne.
Ach du bedrovede hanreyghe,
Ick like dy enem yulen eyghe,
Dat is mank den luden ghar unwerth,
De sulve heyl is dy ock beschert!
45. De tertelduue.
Ick yycke men den enen man,
Dem sulven ick alles gheyles ghän.
Ghunde mennich wyff erem manne alzo,
Des mochten se beyde wesen vro.
46. De rordum.
Id is be(s)t, dat ick binde mynen naghe[l] ts- 90]
Vaste tho mineme saghel,
Wan ick umme dat ghesarde
Wul sere gheslaghen worde.
47. De krickantii.
Alle man schaltu nycht geloven,
So kan dy nen man bedroven,
Wente mennych is van sulker arth,
He spreket wyth und menet doch swarth.
48. De hegher.
We gherne tho losen wiven gheyt,
Under tijden werth em eyn slach bereyth,
Dar um he alle de weken
Möt wessen unthoreke.
49. De specht.
De dar hefft enen steneghen acker
Unde eyn wyff myt den lenden wacker,
Deme syn dynck denne nycht en doch,
De hefft ungheluckes ghenäch.
50. De karock.
De syn echte wyff vorsmäd
Unde gheyt, dar he ene palluchen had,
De deyt alzo der dullen swinen,
Dat gheyt uthe reynen water in den ron(t)sten.
46, 3 vgl zu 42, 4. — 50, 2 hs. palluchen oder pallunche? ob verschrieben für
hallunche? — 60, 3 swinen lies swinen en.
134
51. De nachtegal.
Vil mennich man lüde synghet,
Wan me eme de bruth bringhet.
Wüste he, wat me emme brochte,
Wat he wol swyghen mochte!
52. De critae. [S. 91]
Wor gherthels wanet in deme hus,
Dar m8t de werth swyghen so en mus.
Is id dat he dat jemande claghet,
Under de kisten see ene iaghet.
53. De ghele vincke.
Ach god, wath id dar seidene wolstad,
Dar dat wiiff de brock anne had
Unde dar de man is ghehuvet!
Nicht ghudes men dar vele kluvet.
54. De boekvincke.
Wor de werth grensen ghad
In deme huse sunder underläd
Uppe syn wyff unde uppe ynghesynde,
Dar is seiden wath ghudes inne.
55. De graue fincke.
Dat wyff mach wol syn vorraden,
Dat myd eneme quaden manne is vorladen,
Wente se kan eme spade edder vro
Seiden wat tho wyllen don.
56. De wylde rave.
Mennych man syth tho deme bere
Unde weth mer rechtes wen ander vere,
Deme doch dat recht äff gheyt
Wanner he vor dem gherichte steyt.
57. De tarne rare.
Myn here unde myn vrowe hebben my leff,
Doch byn ick van nature ein deff.
So is ock mennych man
En deff, dem men wol ghudes ghan.
58. De nachtrave. [S. 92]
Ick Torderve myn liiff myt quatze
Des nachtes, myt drinckende und myt vratze.
So deyt ock vil mennich man,
De des nachtes nicht wil to bedde ghan.
52, 1 gherthels l. girehelse?
135
59. De andvoghel.
Eyn jewelick hebbe io eyne reyne hant,
So mach he varen dorch de landth,
Ach god, wath id eme ovele stad,
De syne hende gherne kleven lad.
60. De aleke.
Eyn iewelick de late my myt ghemake,
Wente ick hebbe io ene dale sprake.
Wente he undertiiden io wath beryth,
De den andernn nycht myt ghemake leth.
61. De kreyghe.
We des morghens vro upsteyt
Unde dorch lusten spasseren gheyt
Unde leth na ghades kerken,
De wyl der boyen orden sterken.
62. De heyyhester.
We smeken unde vorraden kan,
De i8 to have eyn werth man.
Wente truwe de lydet nu n5t
Ynde de ere is gheslaghen döt.
63. De papeghoyge.
Underschedenheyt in allen dinghen
Mach mennighen groten vramen bringhen,
We dar nycht mede umme gheyt, Iß- 931
De werth gherne yelen luden leyth.
64. De kuckuck.
Myn name is wol gekant.
Myt schalkheyt wynt me mennych land.
Dar umme see eyn reuelyck tho,
Werne he love spade edder vro.
65. De wedehoppe.
Ick bin [ein] voghel ghar schone
Unde draghe uppe mynem havede eyne kröne,
Me kan my anders nycht vorwyten,
Men dat ick myn eghene nest besplyte.
66. De wachtele.
Myn grote ropent unde myn schal
Hefft my ghebrocht an ungheval,
Dat ick hire lygge in dem nette.
Dar spreket mennych unde sweghe bette!
60, 3 lies jo wedde bere(de)t? — 64, 3 reuelyck lies ieuelyck.
136
67. De drossele.
Seidene kan he weren vrot,
De stede dencket vppe grot gfid.
Wente nement wet noch dach effte nacht,
Wo langhe syn levent waren mach.
68. De kaiander.
We myd den ghosefn] drincket to laghe,
De schal my nycht wol behaghen,
Doch druncke he lever den kolden wyn,
Mochte id na synen wyllen ghen.
69. De zeddike.
We myt my wyl ghan tho deme wyne, [S. 94]
De legghe synen pennynck hy den mynen.
Dat do he snelle sunder wanck
Edder drincke, dat de ghos dranck.
70. De stegelitze.
Eyn jewelyk wyss yrod man
Schal tho tijden to bedde(n) ghan
Unde des morghens dene[n] ghade ghar even,
De eme lyff und zele hefft ghegheven.
71. De gizyek.
De my vruntlik vor mynen oghen ist
Und ment my myt valscher list,
Den wil ick iummer enem dwase lyken,
Dat swere ick bii gode vam hemmelrike.
72. De buvynck.
Ick holde ene vor enen wysen man,
De des somers so vele vorwerven kan,
Dat he des wynters hefft syn ghevoch.
Wol dem ghennen, de dar tho doch!
73. De lewerk.
Ick see den dach, ick wil upstan
Und sen wath ick to schaffende han.
We des morgens gherne langhe vulet,
In grotem armode he dar na schulet.
74. De spreen.
Gude selschup fyn unde reyne,
De pryse ick vor ener fonteyne,
De ut der erden dringhet.
Eyn schamel herte syck sulven dwinghet.
68, 4 ghen lies sin. — 71 gizyck? vgl 75.
137
75. De ghele ghirayek. [S. 95]
Offte my eyn bove myt eneme boven schulde
Unde de sulve bove nych vor my en ghulde
Und were doch ergher bove wen ick,
Des sulven boven vordrote myck.
76. De nettelkonnynck.
We des avendes wyl vele drinckefn]
Und des morghens nycht uppe gade dencke[n]
Deme were id beter, dat he dat lethe
Unde druncke dat water uth deme vlete.
77. De sperlinek.
We dar vele wil borghen,
De käme lever morghen;
Id is dallinck de dach,
Dat men nycht borghen mach!
78. De meseke.
We syn gud wol waren kan,
De mach wol syn eyn vrod man.
Wente men secht myt underschedenheyt:
Eyn iar nycht so dat ander steyt.
79. De terse.
Ick lope hir in deme grase,
De my soken dat syn dwase.
Ick dunke em na und byn em verne,
Alsus socht mennych syne deme.
80. De sTaleke.
Vacke hoghe gheseten
Und dar by ovele ghegheten,
Dat ys eyne tucht to have,
Der ick nicht sere en lave.
81. De queekstert. [S. 96]
Ich bin hir unde dar so eyn mfls
Unde wäre gherne enes anderen h&s.
Doch were it beter al sunder kiiff,
Dat ick bewarde myn eghea wiiff.
82. De rorsperlinck.
He mach wol syn myt körten worden
Eyn broder an der hanreygher orden,
De dat wol weth unde doch vordrecht,
Dat sick syn wyff by enen andern lecht.
79, 3 em 'thnen' dat. ptur.
138
83. De hake.
Kum her to my, myn leve man,
Secht mennych wyff up losen wan
Unde menet dat myt deme herten nycht.
Ach god, wo vaken dat dat schiebt!
84. De vledermns.
Alsunder vedderen ick vlege.
Mennyk man sorghet vor syne weghe,
Dat he dar nycht in tymmeren kan.
Lychte deyt dat wol sin kappellan.
flnls hutas.
Hir endyghet syck der voghel sprake.
Eyn iewelyck wese myt ghemake
Und dryncke my enen vullen tho,
So mach ick drade werden vro!
Niederdeutsehe Vogelspraehe.
(Aus einem Wiegendrucke.)
Der aus der Jütischen Sammlung S. 127 ff. zum Abdruck ge-
brachten Dichtung steht die Vogelsprache nahe1), welche die Incunabd
8. a. 208 der Hofbibliothek in München bietet. Dieser Druck umfasst
acht unbezifferte Blätter (14. 10 Cin.), von denen das erste auf der
Vorderseite nur die Worte bev Pogel fprafe bietet. Die Rückseite ist
leer. Blatt 5a trägt unten das Bogenzeichen b \, Blatt 8b füllt ein
Holzschnitt: Maria mit dem Jesusknaben, daneben eine zweite Frau,
oben der heilige Geist in Gestalt einer Taube. Druckort und Druck-
jahr sind nicht genannt, und es lässt sich nur vermuten, dass der
Druck um d. J. 1500 die Presse verlassen hat.
Hyer begynt der yogel fyrake.
1. De Netelenkonynck fecht:
We vmbesehympet mochte fijn,
He droege wael ene krönen fijn.
We my befeympet, de fe vp fick,
Schande weet he meer wan ick.
2. Boeckvyncke.
Hannyp eethe yck geerne.
Dat is mannyge fchone deerne,
De gerne wat foetes eet;
Daer van wert fe yn den fyden vet.
*) Vgl. oben S. 107 ff. — 2, 1 hanip 'Hanftsamm)'.
139
Se wolde fick gerne vyncken.
Nu wal hen! mee fued daer nemende van hyncken.
3. Adeber offte ftorck.
Ick en fpaer nicht dijn genote[n],
Ick fluke de lutteken myt den groten.
Dat fteyt al in mijn gemote:
Hunger maket mij ro bonen wal fote.
4. De pauwe.
Ick byn een vogel fchone,
Dat hebbe ick van gode to lone.
De fchone ys vnd daer bij gued,
Och wat he gode leue doet!
5. De teere off fcryck.
Ick lope yn deme graefe,
Wee my foeken, dat fyn dwafe;
Ick fchyne na vhde byn veere
Und make mannygen manne eerre.
6. De hege[r] off maerkloff.
We vele wyl legen
Unde fyck daer vp dreegen
Unde ys daer by valfch vnd fpee,
Och welck een fcalck is he!
7. De lunlnek off mnffche.
Ick nefte in de hufe
Bij ratten vnd bij mufe.
We myt dem anderen wil inne wefen,
De moet behende breue lefen.
8. De karock.
Hoge torne vnd klockenklanck,
To groten fchepen roder lanck,
To qwader reyfen gude wege,
Den quaden wijuen grote flege!
We vele wil vnnutte klaffen,
De mochte leuer holden fine blaffen;
Men mach fynre nicht geerne lijden,
Daer vmme moet he de felfchop mijden.
9. De kreghe.
We des morgens vroe vpftaed
Und gode nycht vor ogen en had,
2, 5 sik vinken: In Holstein und Ostfriesland heissen die Sperlinge Finken
und braucht man das Verbum 'finken' für 'nach Sperlingsart der Liebe pflegen'.
— 8, 6 Entweder ist sin zu bessern oder ein sonst unbekanntes Substantiv blaffe
anzunehmen.
140
Wo vele te lenger wert em de dach,
Wo he den ouerbrengen mach.
So hefft [he] noch den langen morgen
Nycht vele guder verworuen.
10. De aent fpreckt:
Ick fnater in deme drecke,
De my befchympen dat fyn gecke.
Int ynreyn foeck ick mijne fpijfe,
Gelijck [do] een ander na fyner wijfe.
11. De kryekant.
Waer dat ys een aftorich weert
Und vele kynder vmme den hert,
De frouwe nycht wyl koken, dat men eet,
Unde de maget luttick in de kanne met
Unde daer to rekent gerne,
Dat maket fnel een wofte tauerne.
12. De haue.
Ick bijn een vogel by nachte,
De tijd ick vorwachte.
Mannich ver wachtet fyne tijde,
Nochtan wert he leiden blijde.
13. Dat hoen.
Heer weert, wefet guden hoghen,
Wan ghij enen guden vrunt hebben mögen
In guden reden funder fchaden,
Meer hodet iv vor den quaden!
14. De gaes oflte gans.
Durbaer koftelijke rijke vnd flechte,
Papen, rydder, heeren vnd knechte,
Deer ys vele, de geerne nemen,
Und achten nicht, waer yd her queme.
15. Dat waterhoen.
We des auendes vele wyl drincken
Und des morgens vp god nycht dencken,
Ick wolde, dat he yd lete;
He mochte leuer dryncken vth den vlete.
16. De mefe.
Ick nefte hijr yn dat reet,
Dat bedudet fo vele als een fcheet.
Wan dat reet wert äff gehouwen,
So moet ick vp een ander ftede bouwen.
9, 3 te lies de 'desto'. — 11, 1 lies asturich.
141
Dat ys mij en grot fchade,
Mer de narow ys to fpade.
17. De zedyek.
Seeder dat yd waert,
Dat men papen wijgede vngelaert
Und lüde te rydder floch funder gebort
Und blote kutten fchoer,
Heefft fick de werlt feer verkart.
18. De swale.
Ick byn een vogel fnel,
Des kenne de frouwe, wan fe wyl!
Des morgens fpreke ick: wriff in! wriff in!
Alfo fta yck in der frouwen fyn.
19. Papegoye.
Synt dat papen vogede weren,
Monyke hulpen fick vth den ordcn,
Landes heern nicht bleuen bij worden,
Synd is de werlt feer verfoerden.
20. De spray.
Gude gefelfchop reyne
De prijfe yck voer alle fonteyne;
Alfe dat water vth den bergen drinckt,
Et ys mannich man, den fijn eere dwynckt.
21. Yekntmp off rordomp.
Ick ligge in den rore bedouen
Und hebbe den yungen in dat water fchouen,
Ick fpreke: dum dum ledich gaen,
Wo een yflich dat fchal verfmaen.
22. De duker.
Ick duke in dat water fnel.
We den wyuen vele feggen wil,
Dat ys euen alfo befloten,
Alfe water in een feue goten.
23. De fchuluer.
Ick duke in den grund
Unde fluke enen ael in minen munt.
Eer ick en hebbe vp gefloken,
Is he my achter vth gekropen.
24. De mewe.
Ick vyffche bij dem dijke,
Eyn yflick vryge fynen gelijke.
21 Tckrump Ues Iprump.
142
We ück beter holt wan he is,
De gecket fick fuluen, dat is wis.
25. De leppeleer.
Ick hebbe enen nybben als eyn lepel,
Eyn yflick hebbe enen lijken fchepel;
Met he nicht myt truwen,
Dat wil em lange rouwen.
26. De reyger.
Hoge gefeten: ouel gegeten!
Dat is eyn ydel eere, i
Deer ick wal entbeere. j
Ick woende leuer by dem dijcke
Und weer falich vncfe rijcke, j
Dan (ick) vp eyner borch hoge I
Und hadde een quad iaer vpt oge.
27. De egelter.
Waer twe litten in eenen gelage
Unde beginnen mannyge vrage,
De moten mannich werff feer legen,
Schall de(r) eene den anderen bedregen.
28. De waehtele.
Mijn ropen vnd mijn fchalle[n]
Heft mij gebracht to vngeualle,
Dat ick fij komen in dat nette.
Dat fpreckt mannich, he fwege bet!
29. De worgeL
Ick weet dynck, der fynt veer:
Dobbelen: fchijten: fpijen: kyuen in den beer.
Wan ick guden hogen wil blijuen,
So wyl ick leuer fpijen dan kijuen.
30. Strues.
Ick byn een yogel vnd kan verduwen
Iferfn] vnd ftael funder kuwen,
So deyt mannich borch vnd lant
Und blijfft in groter forgen bant.
81. Aeren.
Wes myt rade mylde,
So wert dij dat goed nicht wilde.
Biftu nicht mylde bij raede,
Dat rouwet dij to fpade.
26, 1 Das Kolon bietet hier wie 29, 2 bereits der Druck.
143
32. De uahke.
Hoge geflogen, fijde dalt,
Daer wert wijfheyt vth gehaelt.
En wem de dorn nergen,
We8 wolden fe fick dan bergen?
33. Boemraleke.
See to wijflijcken,
Dattu konneft fachte flijcken.
Wanne du bij houeflche frouwen litten gaeft,
Unbefchympet du nicht bij en vp en ftaeft.
Wij houelude laten nummende nycht,
Doch ys vns de taffche licht,
Wij geuen mannigen vnfe spijfe to allen malen,
So moten fe dat doch weder betalen.
34. De hauyek.
Ick roue dorch de noet;
Rouede ick nicht, fo wer ick doet.
We dorch noet wert mifdedich,
God fy der zelen genedich!
35. De wUgge.
Ick byn een vogel nicht alte wert,
Des ys mannich hoen vor mij veruert.
Ick flege bij der eerden neder,
Wat ick kryge, dat en wert nemende weder.
We fick myt fchemede wil beergen,
De moet hyer vnd daer herbergen.
36. De raoe.
Rouen vnd weder geuen nicht,
Dat ys yo des rouers plicht.
Eet allene, wattu hast
Und bydde nummer nynen galt!
37. De trappe.
Mannich man hefft enen ftenegen acker
Und fijn wyff myt -dem eerfe wacker
Und ene ftumpe ploech
Unde eme fijn dynk nicht en doch.
Uorwaer de hefft vnluckes genoch!
38. De wedehoppe.
Ick byn een vogel fchone,
Ick drage vp mijnen houede ene krönen;
Mer fee an mijn neft,
Unreynicheit duncket mij beft;
Men kan mij nicht verwijten,
Men dat ick in mijn egen neft fchijte.
144
39. Kickuek.
He is wijs vnd wal gefynnet,
De des fomers fo vele wynnet,
Dat he fick des wijnters bedraget.
Na deme wijfen he deme vraget.
40. Specht
Ick houwe an den boem,
Dat bedudet fo vele als een droem.
We vele doet vnd nycht verfteyt,
Dat is verloren arbeit.
41. Yfenbot.
Suy nicht an een fchone kleyt,
Want ick dat vorwaer weet:
Mannich is gekledet fo een docke
Und is doch valfch in eren rocke.
42. De duue.
We fyn huis wil holden suuer,
De hode lick vor papen vnd duuen.
De duue fchijt vmme den trent,
De pape em fijn dochter mynnet.
43. Tortelduue.
Ick flege vp enen foren twijch, '
Sunder gallen byn ick rijck.
Eyn yflick frouwe heft enen man,
Deme se wal van herten gan.
Hefft se dan enen anderen leeff
So fchrijfft me fe in den horenbreeff.
44. De swane.
He en duncket mij nicht wijs,
De daer bouwet vp dat ijs;
He mach daer anne verlefen,
Et en wil altijt nycht frefen.
45. De krane.
We daer wyl vyffche meygen
Und an fynen acker ftene fegen,
Und [de] den doden fchijten drecht
Und fyn gelt an hören lecht:
Des biftu feker vnde wis, \
Dat yd al te male verloren is. i
46. Nachtegale.
Ick mach frolick fyngen,
Nu gij mij de brud bryngen.
Och wifte ick, wat gij brochten,
Wat ick wal fwijgen mochte!
145
47. De wedewale.
0 hogefte manck den luden,
Kanftu dij nicht behuden?
Byftu gud, dat wert wal fchijn;
Wes du wat (vnde), laed enen andern ock wat fijn.
48. De lewerlck.
De dach kan mij nycht verbliden,
Ick danck gode to allen tijden,
Er de funne vp geyt vnd in golt;
So is mijn nerynge manichuolt.
49. De syfeck.
Ick byn eyn vogel fchone
Und fynge vth foter done.
Daer vmme dat ick wal fyngcn kan,
Des hebbe ick enen guden kumpaen.
Dat machftu duden langes offte dwers,
Eyn fchoen angefleht verkoft enen vulen ers.
50. De quekeltert.
Wan my mijn dinck doet wee,
So bynde yck yd leuer to deme dee,
Eer yck dat foerde,
Dat mij na verweten wordc.
51. De nledermuys.
Ick byn eyn vogel verfchapen.
Hoed dij vor den ftrijpeden papen!
Des auendes wan yck vth flege,
So geyt de pape na fynen leue.
Ick flege vth myt den vnwerden,
De yagen fe mij myt den fwerden
Unde holden mij vor enen geck,
Noch ethe ick yo enes anderen fpeck.
52. Mugge.
We inij de äderen wolde flaen,
De mofte een klene flete haen;
De mofte wefen kleine,
Off he tobreke mij de beyne.
Deo gratias.
Concluflo.
Hyer endet fyck der vogel fprake,
De nicht en fpreken funder fake.
Nyemant wil fick to wijfheyt keeren,
So moten em de vogel leeren.
48, 3 in golt (seil geyt) 'untergehen' vgl to golde gän Mnd. Wich. 2, 132.
Niederdeutsches Jahrbuch. XIV. 10
146
Hochdeutsche Vogelsprache.
(Aus einer Wiener Handschrift.)
Die oberdeutsche Vogelsprache, welche der von frater Johannes
Hauser plebanus (f 154S) geschriebene Codex Nr. 4117 der Wiener
Hofbibliothek (vgl. Tabulae cod. ms. in bibl. Vindob. 3, 163) auf Bl.
38 — 43 bietet, stimmt, wie bereits oben S. 109 bemerkt ist, im Wort-
laute mit der Vogelsprache in der Fichart'schen Handschrift fast
überein. Der WTiener Text weicht jedoch, auch abgesehen von der
verschiedenen Reihenfolge der Sprüche, dadurch ab, dass er einige
überschüssige Strophen (Nr. 2. 8. 12 ) und die dem andern Texh1
mangelnden Namen der redenden Vögel überliefert. Nach einer für
mich freundlichst angefertigten Abschrift sei hier als Probe eine
Anzahl Strophen mitgeteilt. Die handschriftliche Überschrift lautet:
Hye vahent sich an manigerlay vögel rat, dy da ratent guts vnd
pöses noch irer aygenschafft vnd natur wie sich ain kunig oder herre
halten sol in seiner regierung. Zu Wort kommen folgende Vögel:
Küniglein, Wachtel, Gans, Rabe, Adler, Sittich, Wiedehopf, Eule.
Falke, Distelfink, Auerhahn, Kranich, Habicht, Gcislein (?), Sperber,
Blaufuss, Storch, Elster, Lerche, Pfau, Parnhaklein (?), Meise, Wint-
wähel (Rötelweihe), Geier, . . . (?), Sperling, Luersvogel (?), Henne,
Eisvogel, Kukuk.
1. Des küniglcins pegeren:
Nun nembt ir herren alle rat,
Daz ir mein eren wert [l. ncraet] war
Vnd daz mein landt in frewden sey
Vnd von laster werde frey;
Vnd ratent mir, wie daz ich
Alczeyt pebar mein kunigreich!
2. Der wachtel rat:
Du solt alczeyt geren gelten
Vnd der hoctiffart phlegen selten,
Dar zw solt du dich masse[n],
Das dich dein gut nit lasse.
Auch schlaff nit zevil in trakayt
Vnd halt treulich deinen ayd.
3. Der gans rat:
Du solt alczeyt in deinen raysen
Verderben witib vnd waysen,
Prennen, stelen vnd rauben sere,
So furcht man dich, daz ist mein lere.
Vnd ob du kumbst vmb dein krag
So schrey ich desder lautt[er] ga ga ga ga.
4. Des raben rat:
Stelen, rauben, prennen sey dein spil,
So dyenen dir gutter gesellen vil,
Dy zw solichem schimpff gehören
Vnd sich mit solichen eren neren,
Als des wolffs gwanhait ist.
Das rat ich dir in kurezer frist.
5. Des adlers rat:
Man sol geben waz man geben sol,
Daz czimbt euch vnd allen herren wol,
Milt sein vnd nach staten geben
Vnd alezeit nach gotlichen eren streben.
Vnd rieht den armen alz den reichen,
Das stet wol vnd ist herleichen.
6. Des sithichs rat:
In allen deinen raysen
Peschirm witib vnd waysen;
Auch fleuch neyd vnd poses gut,
Sy verkern recht vnd weysen muet;
Vnd gedenk der guten tat,
Dy got vmb dich geliten hat.
7. Des wiethopffen rat:
Piss vnrayn herre zw aller frist,
Thu alz ich scheyss in mein genist,
Treyb schant vnd posshait vil,
Daz ist yeezund der herren spil,
Vnd welich das nun wol kan.
Den helt man für ainen weysen man.
147
8. Der eylin rat:
Herre da solt dich von danne ziechen
Vnd alczeyt dy herren fliechen,
Dy iren rat also geben,
Tag vnd nacht nach eren streben,
Herre volig den andern vnd mir,
So mugen wir gut gewinnen schir.
9. Des falken rat:
Mit krafft deinen veinten thu widerstandt,
So machst du frid vber alle landt,
Vnd schön here deiner vndertan,
Daz nit nemb schaden frau vnd man;
So hilfft dir got in aller weyse,
Daz du pehaltest den preyse.
10. Des tistelvogel rat:
Zw vil schweygen ist nit gut,
Vbennässig klaffen schaden thut,
Wanne wer vil klafft der muess lyegen,
Dar vmb solt du dy klaffer fliehen.
Auch ain lugenhafftig mund
Verdambt leyb vnd sei zw aller stund.
11. Des orhannen rat:
Herre du solt nyemant lassen
Zw feld oder an der Strassen
Öder wie du sy machst ergagn
Klain vnd gross pey irem kragen;
Parmhcrczikayt solt du legen zeruk
Vnd sew dester pass perupff.
12. Des kraiiigs rat:
Herre, wil du in eren leben,
So lass dein hercz in hochfart streben,
Wan mit hochfart lugen vnd listen
Pringt man dy pfennig von den kisten.
Dar vmb treug vnd leug an alle wer,
So voligt dir nach ain gross her.
13. Des habichg rat:
Herre, da solt warhafftig sein
In tugent ker dy synne dein,
So machstu wol mit eren
Sten vor fursten vnd herren,
Piss den frumen leuten gut,
Den posen trag strengen mut.
14. Des geysleins rat:
Dem armen tayl mit dy speys dein,
So wirt dy gottes huld scheyn,
Vnd hab dar pey parmherczikayt,
So wirt dir lob vnd ere gesayt
Vou armen vnd von reychen.
Das gelaub mir sicherleichenl
15. Des sparbers rat:
Gross gut darffst du wol herre.
Dar nach stell, daz ist mein lere,
Vnd sain zw hauffig dy phennig schir,
Wie sy dir mugen werden daz rat ich dir,
Das wir da von wol mugen leben
Vnd kurczweyl da von phlegen.
16. Der krau rat:
Ich wolt pey meinen eren,
Daz dy herren peschayden weren
Vnd ryetten, alz sy pileich solten;
Zwar es wirt in wol vergolten.
Dar vmb ratens alz sy sind,
Aber an iren eren sind sy plind.
17. Des plabfness rat:
Stetter mutt sol dir wonen pey,
So magst du leben sorgen frey,
Vnd piss den guten haymleich,
So pleybt in eren dein kunigreich,
Wan mit den guten wirst du gut,
Dy poss geselschafft schaden thut.
18. Des storchen rat:
Mein herre hat zwayer hendt rat,
Lass sehen au welich er stat,
Der armen vnd der reychen.
Ich sag euch sicherleychen,
Vnd thut er nach der posen rat,
So wirt er mit den posen quat.
BERLIN.
W. Seelmann.
10*
148
Zum Sündenfall.
V. 169. Alles dinges wil ek wol erwcrven,
Nein dink kan me vor my sparen.
V. 169 ist mit Herstellung des reinen Reimes folgendermassen zu
bessern :
Alles dingen bin ek wol vorvaren
'Jedes Dinges bin ich kundig, und nichts kann man vor mir ver-
heimlichen.'
204. Och wan se it alle recht verstoiden
Wu leftiken wy se broiden
broiden erklärt Schönemann als „hüten", das Mnd. Wb. durch „mit
Brod versehen"; es ist aber wohl aus hehoiden 'behüten' entstellt,
vgl. V. 202.
251 ff. sind folgendermassen herzustellen:
Alm echtige seipper, hör dinen kor,
dede virtutes is genomet,
dede nicht en staden, diu we verdorrtet
werde van jennigen creaturen,
De wy virtutes behoden unde bescuren.
Statt staden 'verstatten, zulassen', das sich auch V. 655 findet, liesst
der Herausgeber scaden, was keinen Sinn gibt. Es liegt augenscheinlich
Verwechslung von t und c hier wie auch sonst öfter vor.
258 ist zu lesen: Virtutes dat sint dogede. Seh. liest mit der
Hs.: de gode.
652 ff. ist zu lesen:
Owe owc uns armen doren,
Dat wy ju worden also dul,
Dat wy alsodene vorgiftigen mül
Toleten (Hs. To leren) unde staden.
1102. Here, ik wil dusse veste (das Paradies)
Bescermen unde behoden.
Or scal sik hir nein mer ütfoden.
ütfoden wird durch „ausruhen" erklärt, es ist aber zu trennen: ut
faden. „Ihrer niemand soll sich hieraus ernähren."
1108 ist zu lesen: Nu is vorternt min leve here.
1140 hat die Hds. richtig: Wat mach ik arme nu ane gän? 'Was
soll ich nun anfangen?' Seh. schreibt unverständlich War mach u. s. w.
1150 lies: lk bin io dyn gegeven früe.
1171 Wy hauwen hen in godes namen kann nicht richtig sein,
es ist thauwen 'eilen' zu schreiben.
1244 ff. spricht Cain seine Verwunderung aus, dass Gott Abels
Opfer vor seinem 'ausgesondert hat', und fährt dann fort: Gd tcy,
dat wy dar vorder van reden Abel antwortet 1250:
Leve broder, deit dik des wol neden?
Du sust my also grimmigen an,
Dat ik kume dar mit dy gän.
149
So Schönemanns Text, die Hs. hat dat ik st. deü dik. neden wird im
Glossar durch Neid erregen erklärt, während es V. 2256 und 3491
unzweifelhaft die Bedeutung 'wagen, sich erkühnen' hat. Auch das
Mnd. Wb. 3, 168 fuhrt diese Erklärung an, lässt jedoch die Mög-
lichkeit offen, dass es auch an dieser Stelle gleich dem alts. nädhian
sei; L. übersetzt deit dik des wol neden? durch „Macht dich das so
trotzig?" Es ist zu schreiben: Dar ik des wol neden 'Darf ich das
wohl wagen?'
1559 ist nach 1441 ff. zu verbessern:
Den (Baum) sach ik also langen.
Dar ein eislik stange
In lach io hope gewunden.
1659 lies: Unde dö so weil . . . Über die Höflichkeitsformel ddt
wol, 'seid so gut' Tgl. Müller im Mhd. Wb. 3, 135, 43; Mnd. Wb. 1,
537, 41.
1665 lies: Ik bidde, dat gy nicht to en (d. h. 'ihn') decken.
1761 f. ist zu lesen:
Umme der sunde willen, schaltu denken,
Schulten aÜe creaturen drenken (Hs.: krenken)
Über drenken 'ertrinken' s. Mnd. Wb. 1, 572, 5.
1776. So grote gnade liefst du gedän
Uns armen creaturen,
Dat wy in aussen schüren
In dinen gnaden leven.
Seh. erklärt schür als 'Schauer, Regenguss' und auch das Mnd. Wb.
bleibt bei dieser Erklärung, obgleich richtig bemerkt wird: „Charac-
teristisch bei einem Schauer ist die Heftigkeit und kurze Dauer des
Ausbruchs." Danach ist klar, dass die heftigen, andauernden Güsse
der Sündflut nicht so bezeichnet werden können, schürn oder schüre,
f. ist auch hier der Ort, der Schutz und Obdach gewährt; es können
auch die einzelnen Fächer, Abteilungen der Arche gemeint sein.
S. Mnd. Wb. 4, 153.
1909 ist zu lesen: Abraham, nutn dinen son Eingeborn Ysaak.
2003. Dem husche enschut min alle nein schade
Es ist zu lesen: mit edle 'durchaus'.
2067 ff. sind folgendermassen zu schreiben und zu interpungieren:
Hir umme bin ik hir nedder Stegen
Unde hebbe my b% dy gevlegen,
Dattu se bringest buten dat laut
Üt konninges pharahonis hant,
Min leve volk van Israhel,
In ein lant
Seh. hat st. se das hinzeigende so, das nicht am Platze ist. Auch
2065 steht der Plural se, während der Singular volk vorhergeht.
2096 ff. ist zu lesen:
Ik hope, ik hebbe noch nicht gebroken
An minem steigende, leve here,
Unde hope, dat my des nement vorkere,
150
Wol doth U Lottes tiden geschach
Min opper unde nicht up aussen dach.
2112 ff. Auch diese Verse sind von Seh. nicht richtig auf-
gefasst; es ist zu lesen:
Ach here, welke geistlike tneninge
Is hir der werlde bi gegeven?
'Dat ute deme buske dal ewige leven
Der werlde to tröste komen schal,
— Ein herde toesent — dat to einem stal
An dat levent is geborn.'
Ach Herr, welche geistliche Bedeutung liegt hierin für die Welt?
Antwort: Dass aus dem Busche das ewige Lehen der Welt zum Tröste
kommen soll — in der Gestalt eines Hirten — das in einem Stall
in das Leben hinein geboren ist. Zu: an dat levent geborn vgl. an de
erden geb. 2927.
2275 lies: dat uns trutoer rät werden moete. Seh. liest werde, I
die Hs. hatte wahrscheinlich werdö.
2322 ist zu lesen:
Ik wü iu umme mines leven vaders willen
GoÜiken handelen unde spisen ....
Der Ausfall des Acc. iu vor umme erklärt sich leicht.
2337 f. ist zu lesen: na legenicheit aller der mynschen salicheti
„nach der Sachlage der Seligkeit aller Menschen". Vgl. 2378 nach
legenicheit des speis.
2402 ist das hsl. dat nicht in dar zu ändern; es ist das Demonstr.,
während dat zu Anfang des Verses Conjunction ist. Es ist zu schreiben:
Wan se dat dode kint vindet dar,
So schal se menen aldorgen war,
Bat ü si ir eigen kint,
Dat se döt dat bi sik vint
Die Verse 2485,6 sind nur zu verstehen, wenn sie umgestellt
werden. Es ist danach zu lesen:
2483. Stner dener der is over den tal,
Ik en kan or nicht getellen al,
dat dar aUetnäle mede is.
Busse koninch is also kloek unde ms.
V. 2485 steht dat, als wenn gesinde, wie 2481, nicht der Plural dener
vorherginge. Vgl. 2509: Vrauwen unde junefrawen unde megeäe% Gy
schütten altomalen tnede.
2927 entspricht das hsl. van stner junefrauwen dem lat. ex
virgine ejus V. 2924; die Änderung in einer ist unnütz.
2980 ff. Das Lateinische ist verstümmelt und nicht herzustellen:
nur soviel ergibt sich aus der Vergleichung mit der deutschen Über-
setzung V. 2984: up einem stole se sit, dass statt sedes sedens (sedös)
zu schreiben ist. Auch dut Jammer! V. 2988 ist kaum richtig; viel-
leicht mit jammer?
3213 lies:
Dut wort dat wart geborn got.
Unde alse ein mi sie der verstot.
151
3281 ff. ist die Interpunktion folgendermassen zu ändern:
Wy hadden dem my tischen alle spise
Gegeven in dem paradise.
Einen bom, den ik om dar vorböt,
Dar umme heft he gegeten den döt
Unde heft gesundiget üter maten.
3362 ff. ist zu lesen: Unde su an unse bitteren trenen, Da wy
dach unde nackt bewenen Mede use schult . . .
3447 lies: It helpet ome nicht allent dat he drift.
3465 kann innigen nicht Synon. zu vromen sein, sondern es
muss = jenigen sein. Für jenich aliquis findet sich auch inich; s.
Mnd. Wb. 2, 364, 31.
Die Verse 3569,70 sind gründlich entstellt. Nachdem hinter V.
3568 ein Punkt gesetzt, ist folgendermassen zu schreiben:
Unde dat in mtner lere schult
Dat möt noch alle werden vorfult.
'Was in meiner Lehre verborgen liegt, das muss noch alles erfüllt
werden.' Die Bestätigung der Verbesserung liegt in dem lat. Texte:
Aperiam in parabölis os meum. Der Reim schult : vorfult findet sich
auch 2841.
3654 ff. ist zu lesen:
Her vader, wärwordich schütte gy wesen,
Unde lotet den mynschen nicht genesen,
Dat he so vr ome der bede genete.
'Herr Vater, ihr sollt wahrhaft sein und den Menschen nicht ohne
Strafe davon kommen lassen, so dass er den Vorteil von so befremd-
licher Bitte hat.' Vgl. die Worte Adams 3429: Ik höre de bedde der
leven ftropheten, Der mach ik leider nicht geneten.
3672 ff. sind genau nach der Hs. zu lesen:
Hir umme denket Adames, juwes sones,
Up dat it (das Wort Davids) werde vuüenbracht,
Unde dat Cherubin Sette heft gesacht,
Dat he miner möge geneten.
Vgl. die Worte des Cherubin, besonders 1471 ff.
3737 kann noden wohl nur heissen 'notwendig sein'; vgl. Mnd.
Wb. 3, 194, 33. Vielleicht ist dusses döt zu lesen.
3747 ff. sind folgendermassen herzustellen:
Gabriel, nu werdet rede,
Segget Annen dat ik or berede:
Ek wil twiden ore bede,
De se vaken an my dede.
'Gabriel, nun mache dich bereit. Sage Anna das, was ich ihr ver-
spreche. Ich will ihr Gebet erfüllen, mit dem sie mich oft anlag.'
— Über bereden = versprechen, geloben s. Mnd. Wb. 6, 51. Statt
berede V. 3749 hat die Hs. bede, was wohl aus be' de entstellt ist.
361 lies ausser. 390 lies ift st. ist. 572 lies ewiclichen. 1180
ist wohl zu lesen: hir nach so seiche ein gevelle. Nach 1638 ist der
Punkt in ein Komma zu ändern und V. 1639 nach Dat ist he zu er-
152
ganzen. 1643,4 me : entwe. 1723 lies ho (: io). 1873 me : se. 1920
lies mit der Hs.: vromede. 1958 tilge das Komma. 2171 ist wohl
dede : rede zu lesen. 2233 lies dele (tele). Nach 2296 ist der Punkt
zu tilgen. 2365. Nach 692 ist neste st. veste zu schreiben. 2421 lieh
enberest. 2449 hat die Hs.: Dut sechst; Seh. schreibt: Dut secht, es
ist aber: Du sechst zu schreiben. 2479 ist natürlich mit der Hs. er-
licheit und 2490, 2494 erlik zu schreiben. 2507 lies iuk st. sik. 276t»
lies gesen. 2844 lies schtd. 2921 lies reger et. 2948 lies novis. 2950
lies neten (: prophäen). 3034 lies ütgesent. Nach 3199 und 3201
sind die Kommata zu streichen. 3227 lies worte garte 'Wurzgarten :
s. Mnd. Wb. 3348 wohl: van gode an himmelrike. 3389 und 3397
lies weisen. 3445,6 prophäe : vordrete. 3474 my st. mir? 3716 ist
beidentstden zu schreiben. 3854. Da twiden auch 3456 mit dem Gen.
construiert wird, so war alles, nicht allct zu schreiben.
Zum Wörterbuche habe ich noch folgendes zu bemerken:
behuddes 'verborgen' s. Mnd. Wb. 1, 198, 32; bekoren hat 2236
nicht die Bedeutung 'in Versuchung fuhren', sondern 'Jem. anliegen,
bitten'.
beschelicheit erklärt auch das Mnd. Wb. 1, 260 als Zusammen-
ziehung von beschedelicheit, Bescheidwissen, Klugheit. Dies Wort findet
sich jedoch nirgend belegt. Ich stelle beschelicheit zu schelen in der
Bedeutung 'unterscheiden' (s. Mnd. Wb. 4, 64, 40); es bezeichnet
demnach die Eigenschaft dessen, der Wahres und Falsches zu unter-
scheiden versteht.
bewant 'gut angewandt' gehört zu bewenden, Mnd. Wb. 1, 318.
brecht ist = bracht 'Pracht, Herrlichkeit', s. Lübben u. d. W.
broiden 'hüten' ist zu streichen, s. o.; düfare ist Comp.
emmelat kann natürlich nicht = England sein. Statt ende ist
ende zu schreiben; over ende gän heisst 'bei Seite gehn' wie schon
richtig im Mnd. Wb. 1, 660 gedeutet ist.
St. gesekin ist glesekxn zu lesen; gd = Versammlung, s. Mnd.
Wb. 2, 126.
herschult ist zu streichen, s. o.
houde. Die scheinbar ndl. Form beruht auf Schreibfehler, es
muss an dieser Stelle hode lauten, zu höt.
hiire nicht 'hart', sondern 'zerbrechlich'.
kolden kann 727 nicht 'erkalten' heissen; auch das Mnd. Wb.
gibt keine Auskunft.
mond. Auch diese vermeintliche niederl. Form ist zu streichen.
St. neden 'Neid erregen' ist nedeti 'wagen' zu schreiben, s. z. 1250.
schür 'Schauer, Regen' ist zu streichen, s. z. 1778; über schil
und schelten s. Mnd. Wb. 4, 62 u. 64.
stempen nicht 'stampfen', sondern 'Verrat üben, betrügen', s.
Mnd. Wb. 4, 384, 20.
tiden 'sich verlassen auf, Mnd. Wb. 4, 540.
ütföden 'ausruhen' ist zu streichen, s. z. 1104.
153
Yorkeren V. 487 ist = verführen, s. Mnd. Wb. 5, 375.
verlegnen 'abweisen, zurückweisen', Mnd. Wb. 5, 389.
vorschoven hat sowohl 275 als auch 717 die Bedeutung 'ver-
drängen', s. Mnd. Wb. 5, 439. vorsoret ist 'vertrocknet'.
wer 'Schmerz, Leid' ist zu streichen, denn 1611 ist vre : me
zu lesen.
NORTHEIM. R. Sprenger.
Zu Meister Stephans Sehaehbueh.
Das dem Dorpater Bischöfe Johann von Fifhusen von einem
Schulmeister Stephan gewidmete Schachgedicht ist nach dem Lübecker
Druck aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, der allein es uns erhalten
hat, im genauen Abdruck erschienen im 11. Bande der 'Verhandlungen
der gelehrten estnischen Gesellschaft' im Jahre 1883. Dazu erschien
in diesem Jahre als 14. Band der Verhandlungen ein sorgfältiges
Glossar von W. Schlüter, während ein weiterer Band, Einleitung und
Anmerkungen enthaltend, noch zu erwarten ist. Beifolgende Bemer-
kungen betreffen einige Stellen, wo entweder der Text verderbt ist,
oder deren Erklärung bisher nicht genügend gefordert zu sein scheint.
1467. Dar vant he vele godes knechte
De ghesant weren to unrechte
In dat eilende dar se säten
Unie pine leden dar godes gnaten.
dar yotcs gnaten wird von Schlüter im Glossar übersetzt durch 'um
Gottes willen'. Das ist nicht sprachgemäss. Auch ist ein unreiner
Reim wie säten : gnaten im Ged. ohne weiteres Beispiel. Ich glaube,
dass zu lesen ist dor gotes ghaten 'um Christi Nägelmale willen', gate
für Wunden an den Füssen findet sich in folgender Stelle der Dial.
Gregor, im Mnd. Wb. 2, 17 sine voete weren van den voet ouel so sere
gesicdlen, dat se dl vul gate weren.
1837. Aldus ridder Joab dede
De menneghen brochte in grote Jede
Do he Davides her greue was
Also men in den boken las
Do he mit sinem here de schonen
Hadde vorslaghen Absolonem.
Die letzten Verse sind entstellt; es ist zu lesen:
Do he mit sinem häre den schönen
Hadde vorslaghen Absalönen.
Da er Absalon mit seinem schönen Haare erschlagen hatte.
2223. He sach enen eme bekant
Dat up siner seren hant
Mugghen seien.
154
Es ist im Glossar nicht bemerkt, dass beJcant hier heissen muss: sich
als pflichtig, abhängig bekennend; vgl. Mnd. Wb. 1, 208. 4Er sali.
dass einem seiner Untergebenen auf der wunden Hand Mücken sassen.*
2231. De mugghen de dar weren vloghen
Unde al rede vul ghesoghen
Unde enbeten my nicht mere.
Komen nu andere mugghen vere
Hungerich in quader bere u. s. id.
V. 2233 ist zu schreiben: De enbeten my nicht mere. Sodann ist im
Glossar unrichtig bemerkt, dass vere hier 'weither' sein soll. Es ist
vielmehr ver, fer das frz. fier stolz, übermütig, besonders durch Gerh.
v. Minden häutig auch von Tieren gebraucht; s. Seelmanns Glossar.
2497 f. ist zu lesen:
Wente dat vor gode wert ghespart
Dat vert vil dicke des duuels vart.
Die Hs. hat wert.
2859. Also maket dicke en kone moct
Mennich dromch herte sunt.
Ein unreiner Reim wie moet : sunt findet sich bei Stephan sonst nicht.
Es wird munt : sunt zu lesen sein. Wie aus V. 2831 ff. hervorgeht,
handelt es sich hier um den Trost, der einem Traurigen durch Zu-
spräche zuteil wird.
3012 ist zu lesen:
He hincket dicke by emc stave
Van oldere de de vruntschop begert.
'Der welcher diese Freundschaft (s. d. Überschrift) begehrt hinkt oft
vor Alter am Stabe.'
3157. De drudde vruntschop wille gy dat weten
Is in den truwen herten beseten
Dat is ere woninge käste
Schlüter bemerkt im Glossar S. 119 unter woninge: 'woninge scheint
als adj. gefasst werden zu müssen, abgeteilter Wohnraum' (?), vgl
Sch.-L. unter woninge. Das ist nicht möglich, und auch der Verweis
auf Sch.-L. passt nicht. Ieh halte vielmehr haste für adj. = lat.
castus, rein, unbefleckt.
4806 ff. ist zu lesen:
He sprak: In mynem testamente \
teil ik maken grote rente j
unde uril de iw na mynen dagen,
is dat gy my vort behagen
unde gheuen my al myn gcooech. i
'In meinem Testamente will ich grosse (jährlich wiederkehrende) Ein-I
künfte aussetzen, und will diese euch verschreiben, sofern ihr mir
weiterhin gefallt und mir allen meinen Bedarf gebt.' willen findet
sich auch sonst in ähnlichen elliptischen Wendungen, s. Mnd. Wb.
5, 720 Sp. 1.
5032 wird dem Läufer geraten:
155
Des auendes schal he weynich drincken
Van dünnen tcine unde vort gan wincken
So blifft syn houet des morghens licht
winken wird durch Schlüter falsch als 'wandern' erklärt, mit Ver-
weisung auf wanken bei Schiller-Lübben, es hat aber vielmehr die
Bedeutung 'schlafen', wie aus Sch.-L. 5, 728 zu ersehen war. Der
Sinn ist so klar: Der Läufer soll des Abends nur wenig dünnen Wein
trinken und dann sofort schlafen gehen, damit ihm am nächsten
Morgen der Kopf leicht sei.
5211. Also is des koninges name oek
Idel unde van hulpe Hot
Heft he nicht in siner not
Borghe unde gude slote
Dar he myt alle siner rote
Mach to koneren ane vare
Want en besticket der vyende schare
In to koneren vermutet Schlüter im Glossar einen Druckfehler für
to-komen. Sollte nicht vielmehr kaueren zu lesen sein? Dieses würde
sich erklären durch mittelengl. coure (ne. cower) 'still liegen' s. Skeat,
Etymol. Dictionary of the English Language s. v.
5496. Ik ne mene de heren nicht
De ere lüde myt rechter plicht
Dwingen eren unde voren
Die Stelle ist, wenn man eren hier = eren, ehren nimmt, unverständ-
lich; ich glaube, es ist gleich eren, ackern. Auch voren passt in der
Bedeutung führen hier nicht in den Zusammenhang. Sollte es zu
vore 'Furche' gehören? Die Stelle wäre dann zu übersetzen: Ich
meine nicht diejenigen Herren, welche durch Auferlegung rechtmässiger
Abgaben ihre Leute zwingen, zu pflügen und zu furchen.
NORTHEIM. R. Sprenger.
Zum Amringiseh-föhringisehen.
(Nachtrag zu Jahrbuch XIII, 1—32. 160.)
Die folgenden Nachträge kann ich auf Grund einer zweiten
Studienreise 1888 geben.
S. 4 unten: Die Amringinnen antworten heute dem Fremden
bereits deutsch und können in Folge des Schifferverkehrs im allge-
neinen jetzt bereits besser platt- als hochdeutsch. Einheimischen Platt-
leutschen antworten die Frauen meist amringisch, die Männer platt-
leutsch. Auch auf Westerlandföhr antworten heute nur noch wenige
Frauen föhringisch auf eine deutsche Frage.
S. 5, § 6 bitte statt der ersten vier Zeilen lieber zu lesen: Der
unterschied zwischen der Sprache von Süd und der von Amrum und
?öhr ist nicht so bedeutend, dass nicht der Amringe den Sildringen
156
im grossen und ganzen verstünde, wenn sich beide auch, zumal die
Männer, vielfach auf plattdeutsch verständigen. Weit glatter ver-
ständigen sich die Helgolander und die Amringen oder Föhringen in
ihrer Muttersprache.
S. 6, Z. 2 v. u. bitte einzuschieben s. skil'.
S. 7, 4) statt mei, neil, vei lies müei, näeil, väei.
S. 7, 5) statt 8. ürd lies s. ürt.
S. 8, oben 2) bitte hinzuzufügen s. döf, s. ström, s. bom, s. slö.
S. 8, 3), Z. 5 lies h. veter, s. veder und s. ibm.
S. 9, 8), Z. 4 füge hinzu s. skil'.
S. 10, 4), Z. 5 und 6 füge hinzu s. skoat und s. s'ern.
S. 11, Z. 24 fuge hinzu s. skel.
S. 14, Z. 18 statt 'rein' lies 'noch stark'.
S. 15, 2), letzte Zeile ist zu streichen.
S. 15, 4), letzte Zeile lies w. ölr, aosdr. 81r, 8dr.
S. 17, 2. füge hinzu Apenrade: a. Apmrüaed.
S. 20, Z. 18 statt von mir in Vorbereitung lies: erschienen unter
dem Titel: Ferreng an ömreng Stacken üb Rimen ütjdenn fan Dr.
Otto Bremer, Halle 1888.
S. 21, Z. 7 füge hinzu: Gregööri. Insel-Bote, Wyk, Neunter
Jahrgang, Nr. 23, 21. März 1888.
_ S. 21, Schluss des ersten Absatzes füge hinzu: Lün>ji Vöy»n
Okaen, führ, und amringisches Tanzlied, auf Föhr entstanden, neuesten
Ursprungs, nach mündlicher Überlieferung von mir aufgezeichnet.
S. 21, IL, 2. vgl. Ndd. Liederbuch, Nr. 54.
S. 21, letzte Zeile füge hinzu: Übersetzung in Clements Lappen-
korb, S. 317—319.
S. 22, Z. 2 füge hinzu: Übersetzung in Clement's Lappenkorb,
S. 319—321.
S. 22, 14. hinter Schmidt füge hinzu: (geboren in Nebel).
S. 22, 15. lies^Feddersen (geboren in Nebel), 1846.
S. 22, 18. hinter (Iarken) fuge hinzu: (geboren in Nebel).
S. 22, 19. Z. 1 lies: Paulsen (geboren in Süddorf, lebte in
Norddorf).
S. 22, 19. Z. 3 und 4 lies: die übrigen Strophen konnte ich teils durch
eine freilich sehr schlechte Norddorfer Abschrift ergänzen, teils durch mündliche
Überlieferung eines alten Norddorfers.
S. 23, Z. 1 lies: Engmann (geboren in Wyk, lebte in Norddorf),
S. 23, 22. Z. 1 lies: (geboren 1820 in Norddorf).
S. 23 füge hinzu: 23. Friesische Plaudereien. An Harwstinjj
Gespräch von Richard Mechlenburg aus Nebel. Gedruckt Westsed
Inseln, Nr. 102, Wyck, 27. Mai 1871. .
Hiernach sind die folgenden Zahlen 23, 24 und 25 in 24, 21
und 26 zu ändern. \
S. 24, IV. fuge hinzu: 3. Hat rintj üb a bragg an at wärl
wiat, altes Tanzlied (auch hoch- und plattdeutsch), besitze ich nad
der Niederschrift von N. Jürgens in Neumünster.
157
Ebendort fuge hinzu: 4. Huar as di Fresk sin federlunn?,
Lied unbekannten Ursprungs, besitze ich in der Niederschrift von N.
Jürgens in Neumünster.
S. 24, IV., 3. ist hiernach in 5. zu ändern, ebenso 4. in 6.
S. 24, IV., 3. a) füge hinzu: Nachdichtung von „Kommt die Nacht
mit ihrem Schleier".
S. 24, IV., 4. g) ist zu streichen und dafür einzusetzen: Bi s trunn, 1888.
S. 24, IV. füge hinzu: 7. Theodore Jensen aus Oldsum dich-
tete in den achtziger Jahren 2 von mir nach ihrem Munde nieder-
geschriebene Gedichte:
a) Nan, nan, hat as tu doli, 1881V, Nachdichtung von „Nein, nein, es ist
zu toll11. — b) Hat as tick dach ei oderlicks.
S. 24, V., 4. a) lies: Lacht as et eg, eh ferreng Spriak tu
skriwen. Gedicht, gedruckt Westsee-Inseln, Nr. 25, 26. März 1879,
1. Jahrgang, Deezbüll.
S. 24, V., 4. b) ist zu streichen.
S. 25, 9., Z. 3 füge hinzu: Ich besitze von den nicht gedruckten
Sachen die Originalhandschrift. Dafür sind im folgenden Absatz unter
d) bis r) die Worte zu streichen: Hdschr. im Besitz des Verf. Daselbst
füge hinzu: Föhringer Plaudereien: Fehr, ah 16. Jan 1871. Man leewe Fröd!,
Brief von Knütj. Gednickt Westsee-Inseln, Nr. 65, Wyck, 18. Januar 1S71. —
Föhringer Plaudereien: An fährring Düntje van det Schwin, wat Jielke
Skruadder för an Höhn vörkäft. Gedruckt Westsee-Inseln, Nr. 82, Wyck,
18. März 1871. — Di grappig Sönk, Erzählung 1888.
S. 26, Z. 2 fuge hinzu: (geboren 1834 in Alkersum, lebte in
Nieblum).
S. 28, 14. gehört der Sprache nach nach Goting. Daselbst fuge
nach „Westsee-Inseln" hinzu: und der „Niebüll-Deezbüller Zeitung".
S. 28, 16. lies: besitzt eine grössere Sammlung guter Gedichte,
von welchen ich 10 nach der Originalhs. abgeschrieben habe, das
letzte in der Originalhs. besitze.
a) Siamans Ufskias. — b) Wi sann hirr tu Gast en wi ha't so nett.
— c) En Wurd tu min Lunnslidj. — ch Di ufskoffelt Edelraan. — e) En
Bradlepsliad. — f) TuminFrinjer. — g) Tu Knut en Engellena's Ütjbringcn.
— h) Noch ian tu jar Ütjbringen. — i) Tu man Maan. — k) Tu min ual
Ami. — 1) Ick sann so ünlokkelk wesen. — m) Wann jam nu smock ens
harki well. — n) Tu Engelena. — o) En Stack Snack tesken Atj en
Dochter. — p) Nu ha'k doch noch, nan det gongt doch witj. — q) Tu Karl.
— r) Tatji an Matji jarrens Rais after eh Wyk. — s) An nü letj Näggels
wanskik di. — t) Gudd maren, nü ha jam gud sleppen. — u) tu Juli. —
v) Tu Pitt. — w) Tu Nanne. — x) Tu Inge. — y) Ick san an letj jong
Wüff van Fehr. — z) Ick bad jam Lidj, huaram san jam so thwäs. —
a) Seh dett letj Bläd, ast eg en Grap. — ß) Diar ick noch letj wiar. — y)
Wann ick vor Juaren hir of diar.
S. 28, 20. a) lies: Lew Eilun Fehr.
S. 32 ist nach 26. hinzuzufügen: Bohn, „Wörterstudien, 1888,"
Heft im Besitz des Verfassers, in jeder Hinsicht unbrauchbar.
HALLE. Otto Bremer.
158
Anzeige.
Wilhelm Bäumker, Niederländische Geistliche Lieder nebst ihren
Singweisen aus Handschriften des XV. Jahrhunderts. (Separat-
abdruck aus Vierteljahrsschrift für Musikwiss. 1888. Leipzig,
Breitkopf & Härtel.) 8°.
Hoffmann von Fallersleben was de eerste, die den Nederlanders toonde,
welk een schat van schoone, geestelijke liederen zij lang reeds hadden bezeten,
zonder dien te kennen.
Door de uitgave van Deel X Zijner Horae Belgicae gaf hij den stoot tot
de Studie der Nederlandscbe geestelijke lyriek. Vele Nederlanders wekte bij op
hem te volgen op het door hem gebaande, maar nog niet afgeloopen. päd. Alber-
dingk Thijm, De Coussemaeker, Willems, Lootens en Feys, Van Vloten maakten
zicb verdienstelyk door het nitgeven of onderzoeken van geestelijke liederen en
hunne melodieen. Ook de bekende kerkhistoricus Prof. Moli wijdde zijne aan-
dacht aan ons geestelijk lied, dat hij kende en liefhad; trouwens in dezen is
kennen liefhebben. Verschillende liederen, ontleend aan handschriften of zeld-
zame liedeboekjes, werden door hem bekend gemaakt; in zijn boek over Johannes
Brngman gaf hij eene fraaie schets van het geestelijk lied in den tijd van dien
beroemden kanselredenaar.
Het door Moli zoo goed begonnen werk werd voortgezet door Prof. Acquoy.
den man, die het eerste wetenschappelijke werk over ons geestelijk lied schreef,
al gaf hij daaraan den bescheiden titel: sAanwijzingen en Wenken".1) Acquoy
is de man, die ons eene Geschiedenis van het Geestelijk Lied kan geven. Hopen
wij, dat hij het eens zal doen.
Er moet echter nog heel wat gepnbliceerd, onderzocht en gerangschikt
worden, voordat iemand er aan kan denken de ontwikkelingsgeschiedenis van het
geestelijk lied in de Nederlauden te schrijven.
Welkom is daarom allen vrienden onzer literatuur en onzer muziek de
bnndel liederen, welke door Wilhelm Bäumker voor het eerst en met de melodieen
naar de handschriften werden uitgegeven. De liederen, welke hier het licht zien,
werden door B. afgeschreven uit een onlangs te Weenen ontdekt handschrift;
ook nit een, vroeger door Hoffmann von Fallersleben gebruikt, nu te Berlijn
bernstend hs. nam hij eenige onuitgegeven liederen over en voegde aan andere
de melodieen toe, welke H. v. F. had laten rasten.
Bäumker heeft zijne taak breed opgevat en voortreffelijk volvoerd, vooral
indien men in aanmerking neemt, dat de bedoelde liederen gedieht zijn in eene
taal, welke niet de zijne is.
Over het muzikale deel van zijn werk kan ik niet als bevoegde inede-
spreken ; de melodieen onzer geestelijke liederen kan ik slechts ge nieten, niet als
deskundige beoordeelen. Ik zal mij dus bepalen tot de beteekenis van het werk
uit een taal- en letterkundig oogpunt.
In de Inleiding deelt B. ons het een en ander mede over den bloeitijd
van het geestelijk lied in de Nederlanden, over inhoud en vorm der liederen,
over de dichters en de melodieen, over de handschriften, waaruit hij putte. Op-
merkingen over den tekst der liederen en een Glossarium voltooien het werk.
*) Het geestelijk Lied in de Nederlanden vöör de Hervorming. Aanwyzingen
en Wenken, door Dr. J. G. R. Acquoy. Overgedrukt uit het Archief voor Ned.
Kerkgesch. Kl. IL 's-Gravenhage 1886.
159
Slechts op een enkel punt der Inleiding wensch ik hier de aandacht te testigen.
B. zegt op bl. 156: „Indessen glaube ich, dass in den Niederlanden ebenso wie
in Deutschland in der Kirche Lieder in der Volkssprache gesangen wurden.
Nehmen wir z. B. gleich das erste Lied der Wiener Handschrift „Jhesus Christus,
Marien soen", so sehen wir, dass es vollständig nach Text und Melodie den
Charakter eines echten Kirchenliedes an sich hat. Zudem enthalten unsere beiden
Handschriften Uebersetzungen alt-lateinischer Gesänge und eine Anzahl von solchen
Liedern, welche in späteren katholischen Gesangbüchern sich wiederfinden.0
Gesteid al, dat de bewering omtrent het bedoelde lied (n° 1) juist zij, dan
kan een lied toch geen afdoend bewijs zijn. Dat men vertalingen van Oud-
latijnsche liederen aantreft en liederen, welke in latere katholieke gezang-
boeken voorkomen, kan toch moeilijk bewijzen, dat zij vroeger werkelijk door
de gemeente in de kerk gezongen zijn. Zoolang geene sterker sprekende bewijzen
zijn aangevoerd, moeten wij ons, meen ik, houden bij de oude zienswijze, dat de
katholieke geestelijkheid het monopolie van het gezang in de kerk had en hield ;
dat eerst de Hervorming het gemeentegezang in gebruik heeft gebracht. In
letterkundige schoonheid moeten de meeste dezer liederen onderdoen voor de door
Hoffmann von Fallersleben in zijne Horae Belgicae gepubliceerde. Ook komt het
mij Toor, dat de kunBtpoezie hier ruimer vertegenwoordigd is dan de volkspoezie,
terwijl in de liederen van het Berlijnsche handschrift misschien de tegenovef-
gestelde verhouding heerscht. De bouw, het metrura, de woordenkeus, de inhoud
der door B. uitgegeven liederen behooren eer tot de kunstpoezie dan tot de volks-
poezie, al zijn natuurlijk de grenzen tusschen die beide afdeelingen niet overal
scherp te trekken. Naieve kerstliederen, als in de Horae Belgicae, vindt men
hier slechts een enkelen keer. Ook vindt men hier niet zoo dikwijls die frisch-
heid, dien toon der romance, dien springenden verhaaltrant, die eigenaardige
wendingen, waardoor de volkspoezie zieh onderscheidt.
In de liederen der Hör. Belg. noemen zieh de makers der liederen niet
zelden of liever geven zij in het laatste of voorlaatste couplet eenige aanwij-
zingen omtrent zieh zeif, gewoonlijk echter zonder hunnen naam te noemen.
Men vergelijke b. v. het slot der liederen n° 47, n° 51, n° 52, n° 53, n° 64,
n° 80, n° 91, n° 95 (in den aanvang), n° 109, n° 114, n° 115, n° 119. Deze
eigenaardigheid der volkspoezie trof ik geen enkele maal in de door B. gepubli-
ceerde liederen aan.
Omtrent de plaats, waar deze liederen gedieht zijn, weten wij weinig of
niets. Toch is het voor de geschiedenis van het geestelijk lied niet zonder
belang te weten waar onze geestelijke liederen gedieht zijn. De taal, waarin
de hier bedoelde zijn geschreven, kan ons eenige gegevens verschaffen. Uit het
voorkomen van sommige taalvormen zou men vermoeden, dat eenige dezer liederen
in het Zuidoosten van ons land gedieht zijn. Zoo b. v. : 5, 7: heyt l, leit;
8, 5: dregen (dragen); 9, 12: wunelic; 9, 14: ghestadlich; 12, 11:
ghemeenentlic; 17, 13: ut des hertschen wonnen; 17, 22: wi synt
(wi sijn) ook 24, 10; 30, 3; 21, 11: waerlich (ook 31, 3); 25, 9: steet
(staet) ook 42, 4; 30, 4: te gaer, herts dit passim; 35, 1: toe tide;
ondergheet; 35, 5: verwennentlic (verweendelic) ; 35, 7: sold ic; de
Varianten op n° 36; 54, 2: vrolich || zuete lieh; 56, 1: suver liebste;
58, 5: sairt (zart); 59, 2: mijn hartsen gheren etc.
Hier zou echter een nader onderzoek moeten plaats hebben.
Over het algemeen is de tekst der liederen door B. met zorg behandeld.
Daar de dichten zieh echter lang niet overal duidelijk nitdrukken, is het ver-
staan van den tekst niet altijd gemakkelijk ; het herstellen van bedorven plaatsen
ook niet licht.
160
Een paar opmerkingen a&ngaande den tekst iaat ik hier volgen :
4, 7: „heel raeer dan maken dusent iaeru 1. : een uer daer maket dusent
iaer? 4, 18: bleeft 1. bleeff; 5, 1: suverliker 1. suverlike; 5, 2: onbevaen
1. ombevaen; 8, 6: unosei 1. onnosel; 9, 6: coninx soen 1. sconinx soen; 9, 9:
cransken 1. tcransken; 9, 14: al leneken 1. alleneken; 10, 6: ay hi voer op
1. als hi voer op (met het Berl. hs.); 11, 5: had in geseten haer vol tut 1. had
nn etc.; 17, 40: beneder 1. beneden; 17, 45: hier nae alle myn begheert L
hier nae staet alle m. b.; 18, 1: dat wercoren 1. dat kint vercoren; 23, Iß:
mach u kynt niet gebrnken 1. mach ic u kynt niet g. ; 23, 32: leer 1. seer;
26, 4: besiit myns vaders riic 1. besit m. v. r.; 26, 6: aldaer en leyt u niet
smyts aen 1. aldaer en leyt u niettemyt aen; 28, 14: beb 1. heb; 29, 4: des
viant strie 1. des viants s. ; 29, 5: ouuerslaen 1. onverslaen; 30, 2: Van alder
sonder plagen 1. van a. sonden p. ; 30, 13: tsermoen 1. tfermoen; 30, 14: teerst
in 1. teersten ; schrap in vs. 2 : hi ; 32, 2 : pitteren 1. bitteren ; 32, 3 : verdracht
1. verdrach; 41, 13: ontgach 1. ontgaet; 41, 14: daer 1. der; 41, 17 (vs. 4)
genoech 1. gevoech; 42, 2: sieyt l. steyt; 43, 3: ouerspronc 1. oerspronc; 45, 1:
voir onse voirscult 1. voir onse scult (vgl. 52, 4); 48, 2: den niaghet 1. die
maghet; 48, 6: nach 1. noch; salt 1. sult; 48, 10: oec si 1. dat si; öl, 7:
totten ioncsten daghen 1. t. i. daghe; 51, 8: eer ic u arre 1. eer ic verarre;
56, 6: der liefster duve 1. die liefste d. (des liefsten d.?); 56, 7: denc ic dair
van 1. d. i. dair an; 61, 1: dien 1. die; 61, 4: nach 1. noch; 61, 5: bleeft
1. bleeff.
Het Glossarinm is grootendeels juist; alleen zijn de w. w. bescnren
(bedecken, beschützen) ; bestnren (hindern, hemmen) ; b e s w i ge n (verschweigen),
naar ik meen, niet in het Mnl. aan te wijzen. Ook heeft het adj. b o u t in het
Mal. nooit de bet. van Hd. klng.
Er is, gelijk wjj reeds zeiden, nog veel te doen, voordat eene geschieden!*
der ontwikkeling van het geestelijk lied te onzent kan geschreven worden.
Veel moet nog worden uitgegeven. Niet alleen moeten nog vele liederen
op nieuw of voor het eerst worden onderzocht, maar ook moeten de verschillende
lezingen van een lied onderling worden vergeleken. *)
Is eens alles gedrukt, dan kan men gaan bestudeeren en rangschikken:
dan zal men het geestelijk lied in zijne ontwikkeling kunnen volgen en den
gang dier ontwikkeling in eene bloemlezing van geestelijke liederen met hunne
melodiee'n kunnen veraanschouwelijken.
*) Ter aanvulling der uitvoerige opgaaf van gedrukte en ongedrukte bronncn
bij Acquoy, wijs ik nog op het llaagsche hs. n° 721 ter Kon. Bibl. berustciid, waariu
ook een paar geestelijke liederen voorkomcn op f° 54 v° : „Van der moeder god*</*
„Hets een dach van vroliehede" ; eene bcwcrking, die in vele opzichten overeenstemt
met die in Horae Belgicae X n° 21 en n° 22, maar toch ook afwijkingen vertoont.
AMSTERDAM. G. Kalff.
Berichtigungen .
Auf S. 36 Z. 8 v. u. lies Niederdeutschen anstatt Mitteldeutschen.
S. 38 Z. 14 v. u. lies Baitn anstatt haitn.
S. 51 ist folgendes zu streichen: Z. 20, 22, 26 y» J- — z- 32 flaija
die Fliege. — Z. 36 aber flaija die Fliege. — Z. 38 y oder j.
S. 52 Z. 4 lies 406 anstatt 106.
S. 104 bei 11 lies (vor 1548) statt (v. J. 1518).
In unserm Verlage sind erschienen:
Ducke des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
i.
mittelniederdeutsche Fastnachtspiele. Mit Einleitung und
Anmerkungen herausgegeben von W. Seelmann. XLVIL und
86 S. Preis 2 Mk.
Inhalt: Böse Frauen. — Bauernbetrügerei. — N. Mercatoris Fastnachtspiel. — Zwie-
gespräch s wischen dem Leben und dem Tode. — Der Scbeve Slot. — Böbeler Spiel.
— Das Glücksrad.
Dieser Neudruck mit Beproduction der Original-Holzschnitte enthält eine
Sammlung alter volkstümlicher Lustspiele in mittelniederdeutscher Mundart.
Die ausführliche Einleitung, welche der Herausgeber beigefügt hat, bereichert die
GeschicJite des deutsciien Dramas um eine Reihe interessanter Thatsaclien und
führt u. a. den Nachweis, dass dem Fastnachtspiele, wie man böse Frauen fromm
machen kann, derselbe Stoff und dieselbe Quelle %u Grunde liegt, wie einer eng-
lischen, auch Shakespeare, wie seine Zähmung der Widerspenstigen zeigt, be-
kannten Dichtung.
II.
Das niederdeutsche Reimbüchlein. Eine Spruchsammlung
des 16. Jahrh. Herausgegeben von W. Seelmann. XXVIII. und
122 S. Preis 2 Mk.
Das um die Mitte des 16. Jahrh. gedruckte und nur in einem einzigen
Exemplare erhaltene Beimbüchlein ist eine in ihrer Art einzig dastehende Antho-
logie gnomischer und lyrischer Poesie, die aus z. Th. jetzt verschollenen Dich-
tungen, z. Th. auch aus dem Volksmunde gesammelt ist.
III.
De diidesche Schlömer von Johannes Stricerius. 1584. Her-
ausgegeben von Joh. Bolte. *76 und 236 S. Preis 4 Mk.
Ein Neudruck des Schlömers, welcher neben dem verlorenen Sohne des
Burkard Waldis als das bedeutendste niederdeutsche Drama des 16. Jahrhunderts
bezeichnet werden muss, ist sclwn oft als ein Bedürfnis empfunden worden.
Slricer entwirft darin in lebendigen Zügen ein getreues und anschauliches Bild
von dem wüsten und schwelgerischen Leben des Adels in seiner Heimath Holstein.
Seinem Stücke liegt zu Grunde eine schon zuvor in England, Holland, Frank-
reich und Deutschland dramatisch bearbeitete Fabel, die, wie Goedeke nachgewiesen
hat, aus einer budhistischen Parabel hervorgegangen, zuletzt zu einer Darstellung
der Bekehrung eines verstockten Sünders im Sinne der protestantischen Becht-
fertigungslehre geworden ist.
Meister Stephans Schachbuch. Ein mittelniederdeutsches
Gedicht des 14. Jahrh. Theil L: Text. Preis 2 Mk. 50 Pf.
Theil 11. : Glossar, zusammengestellt von W. Schlüter. Preis 2 Mk.
Wörterbücher des Vereins für niederdeutsctie Sprachforschung.
tVortrrl»fi<*li der Wrn( lhlis<*jM-ii HandlUi
MJttolntacIerdetitJl*heif HaudwArierblicli
l.iiMiru. Mach dorn Tode des
istoph Walther.
ts
Woordenboek der (jirmtitijgM'li«* l oIUhIiwi)
Forschungen.
Heraasgegeben vom Verein für niederdeatsche Sprachforscliiuig.
i.
Die SiMsfer Mundart. I
niin;itnl Holt
Norden.
Diedr. Soltau's Vorlag.
Jahrbuch
des.
Vereins für niederdeutsche Spracbforschung.
Jahrgang 1889.
XV.
NORDEN und LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1890.
Ausarbeitungen, deren Abdruck im " Niederdeutschen Jahrbuche
gewünscht wird, sind dem Mitgliede des Redactionsausschusses Dr.
W. Seelmann, Berlin SW, Lichterfelderstrasse 30 zuzusenden. Die
Zalüung des Honorars (von 32 Mark für den Bogen) erfolgt zu
Jahresschluss durch den Schatzmeister.
Zusendungen, deren Abdruck im Korrespondenz -Blatte erfolgen
soll, nimmt Dr. W. H. Mielck, Hamburg, Dammthorstr. 27 entgegen.
Die Mitgliedschaft zum Niederdeutschen Sprachverein wird durch
Einsendung des Jahresbeitrages (5 Mark 5 Pf.) an den Schatzmeister
des Vereins Dr. W. H. Mielclc in Hamburg oder durch Anmeldung
bei einem der Vorstandsmitglieder oder Bezirksvorsteher erworben.
Die Mitglieder erhalten für den Jahresbeitrag die laufenden Jahr-
gänge der Vereins-Zeitschriften (Jahrbuch und Korrespondenz -Blatt)
postfrei zugesandt. Sie sind berechtigt, die ersten fünf Jahrgänge
zur Hälfte, die folgenden Jahrgänge sowie alle übrigen Vereins-Ver-
öffentlichungen (Denkmäler, Drucke, Forschungen, Wörterbücher) zu
Dreiviertel des Ladenpreises zu beziehen, wenn die Bestellung unter
Berufung auf die Mitgliedschaft direkt bei dem Verleger Diedr. Söltau
in Norden (Ostfriesland) gemacht wird.
Bis auf weiteres können die Mitglieder von demselben auch das
'Wörterbuch der Ostfriesischen Sprache von J. ten Doornkaat Koolnia-n'
(3 Bände gr. 8° kartonirt) für 15 Mark (Ladenpreis 44 Mark) post-
frei beziehen.
Bücher oder Sonderabzüge, deren Anzeige oder Besprechung
gewünscht wird, sind mit dem Vermerk 'Zur Besprechung' oder dgl.
dem Verleger oder einem der beiden anderen genannten Herren
zuzusenden.
Jahrbuch
des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Jahrgang 1889.
XV.
-w— ®g®*«<<gi^ö-4«-
HORDEH nnd LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1890.
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Druck von Diedr. Soltan in Norden,
nn
3fn~c;n:
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.oöri-
Inhalt.
Seite
Die Ebstorfer Liederhandschrift. Von Edw. Schröder 1
Niederdeutsche Handschriften. Von K. E. H. Krause 33
Mittelniederländische Bruchstücke. Von K. E. H. Krause 39
Zitelöse. Von K. E. H. Krause 44
Diele, delc. däle. Von Ed. Damkühler 51
Plattdeutsche Sprüchwörter und Redensarten aus Hinterpommern. Von
0. Knoop 53
Der Heliand und die niederländischen Volksdialekte. Von H. Jellinghaus 61
Ein Liebesbrief aus dem 16. Jahrhundert. Von W. Ribbeck 73
Zu Pseudo-Gerhard von Minden. Von KarlBreul 78
Zum Sündenfall. Von Ed. Damköhler 79
Zu Johann Laurembergs Scherzgedichten. Von R. Sprenger 84
Zum Düdeschen Schlömer. Von R. Sprenger 91
Zeugnisse für die frühere Verbreitung der nordfriesischen Sprache. Von
Otto Bremer 94
Pelwormer Noräfriesisch. Von OttoBremer 104
Mittelniederdeutsches Arzneibuch. Von J. H. G allere 105
Noch einmal das Hundekorn. Von K. E. H. Krause 149
Karl Strackerjan. Von Reinhard Mosen 157
Die Ebstorfer Liederhandsehrift.
Das Liederbuch, mit dem ich die Freunde der niederdeutschen
Litteratur wie des Kirchengesanges bekannt machen will, darf ich
wohl ein Vermächtnis von Karl Goedeke nennen. Ihm verdanke ich
nicht einen blossen Hinweis, er hat mich zur Herausgabe ausgerüstet
und verpflichtet, indem er mir mit der Handschrift selbst, die er aus
den Händen des ehemaligen kgl. hannoverschen Ministers Frhrn. von
Hammerstein empfangen hatte, eine nahezu vollständige Kopie von
seiner Hand übergab. Das geschah im Jahre 1885, bald nachdem der
erste Band seines Grundrisses in neuer Autlage herausgekommen war
und auf S. 472 (vgl. S. 458) die erste Nachricht von unserem Ma-
nuscript gebracht hatte. Es war am Schlüsse einer jener Plaudereien
in seiner Studierstube, die sicli oft stundenlang hinziehen konnten
und von denen ich nie ohne reiche Belehrung, selten ohne ein kleines
Geschenk heimgekehrt bin. Goedeke hat mich dann noch wiederholt
ermahnt, der Heimat des Liederbuches selbst einen Besuch abzu-
statten und mich an Ort und Stelle nach weiteren Handschriften
umzusehen, und eben diese Anregung, der ich leider auch bis jetzt
noch nicht habe Folge leisten können, war der Grund, aus dem ich
die Herausgabe des Ganzen immer wieder verschob.
Das Benedictinerinnen - Kloster Ebstorf (Ebbekestorpe) in der
liiineburger Heide (etwa IV2 Meile nordwestlich von der jetzigen Kreis-
stadt Ülzen) erlebte in der zweiten Hälfte des Mittelalters eine Blüte
des geistigen Lebens, von der Erzeugnisse der Wissenschaft, Kunst
und litteratur vielfältige Kunde geben. Ich erinnere nur an jene
mächtige Weltkarte, die um 1350 im Kloster öder doch für das Kloster
angefertigt wurde und deren Herausgabe jetzt der historische Verein für
Xicdersachsen vorbereitet1); ich verweise auf Mithoffs Kunstdenkmale
und Altertümer im Hannoverschen Bd. IV S. 63 — 69, wo neben Denk-
mälern der Architectur, Sculptur und Malerei zahlreiche Producte des
Kunstgewerbes verzeichnet sind, — und ich nenne schliesslich die
Bibliothek des Klosters. Ihre noch immer stattlichen Überreste hat
im Jahre 1886 Archivrat Dr. Jacobs (von Wernigerode) in einem
^»rgfältigen Katalog verzeichnet, dessen Ergänzung sich in heimatlicher
r'erienmusse Herr Dr. H. Warnecke eifrig angelegen sein lässt.
J) Vgl. vorläufig 0. Sommcrbrodt, Afrika auf der Ebstorfer Weltkarte (Fest-
schrift), Hannover 1885.
Niederdeutsches Jahrbuch XV. \
2
Der freundlichen Vermittelung des Herrn Dr. Warnecke und dem
liebenswürdigen Entgegenkommen der hochwürdigen Frau Äbtissin
des adlichen Damenstiftes Ebstorf, Frau von Meding, verdanke ich dir
Einsicht in diesen Katalog wie auch die Übersendung verschiedener
Handschriften. Weitere Ausbeute, als ich sie diesmal geben kann und
will, darf man einmal von Dr. Warnecke, dann aber auch wohl von
einer Bearbeitung der Geschichte des Klosters erwarten, wie sie der
niedersächsische Geschichtsverein in Hannover angeregt hat. Die Vor-
arbeiten dazu entzogen mir die Bekanntschaft mit einigen der wich-
tigeren Manuscripte.
Der Name Ebstorf erinnert die Germanisten an jene Vir-
ginal-Bruchstücke, welche Goedeke im Korrespondenzblatt des Ge-
sammtvereins der deutschen Geschichtsvereine 1856, S. 58 f. bekannt
gemacht und Zupitza nach einer Abschrift Müllenhoffs für seine Aas-
gabe des Gedichtes verwertet hat, s. Deutsches Heldenbuch Bd. V
S. IX f. (E). Nach der Seite der weltlichen Litteratur verspricht
nun freilich der Handschriftenkatalog keine weiteren Spenden. Der
Inhalt der deutschen Abteilung (VI) ist ziemlich eintönig: Gebet-
bücher, Predigten, geistliche Betrachtungen (Asketisches und Kate-
chetisches), dazu lateinische Hymnen mit Interlinearversionen, ein la-
teinisch-niederdeutscher Vocabularius ex quo (vgl. unser Korrespondenz-
blatt VH, 85) — damit dürfte der Inhalt umschrieben sein. Aber
einmal ist diese Litteratur sehr reichlich vertreten und dann wächst
ihr Wert dadurch, dass die Entstehung grossenteils am Fundort zu
fixieren ist. Besonders wird die Geschichte der Predigt aus den um-
fangreichen Handschriften VI 5 und 6 Nutzen ziehen: es sind nieder-
deutsche Homilien, die in Ebstorf selbst gehalten sind und sich auf
die Jahre 1497 — 1521 bestimmt datieren lassen. Ihnen scheint sich
die Handschrift VI 1 1 anzuschliessen. Geschrieben sind diese Codices
überwiegend, vielleicht durchgehends, von den Damen des Klosters,
die gelegentlich auch ihre Namen genannt haben. Es ist nicht un-
möglich, dass auch die eine oder andere Frauenhand, die an unserem
Liederbuch Anteil hat, sich später durch Vergleichung genauer be-
stimmen lässt.
Es ist ein reges religiöses Leben, das aus diesen vielfach modrigen
und wurmzerfressenen Handschriften zu uns spricht, und wir begreifen
sehr wohl, dass gerade von Ebstorf aus den Reformationsbestrebungen
des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg ein besonders heftiger Wider-
stand entgegengesetzt wurde, s. A. Wrede, Die Einfuhrung der Re-
formation im Lüneburgischen durch Herzog Ernst den Bekenner (Göt-
tingen 1884) S. 211 ff. Ja, wie ein Wetterleuchten scheint es bereits
aufzublitzen, wenn auf den letzten Blättern unserer Handschrift (s.
unten Nr. XXII) die biblischen Zeugnisse für den Wert der guteu
Werke zusammengestellt und unter Berufung auf Augustin die Umtriebe
der 'Ketzer' bekämpft werden. Die Geschichtschreibung der Refor-
mation hat auch auf protestantischer Seite längst begonnen, denj
socialen Zuständen vor der grossen Bewegung gesteigerte Aufmerk-
samkeit zu schenken, aber sie hat sich noch viel zu wenig um die
verschiedenartige Entwickelung des religiösen Lebens gekümmert, die
zu erforschen gerade eine Hauptaufgabe der Local- und Territorial-
historiker sein sollte, und auch der Verf. der eben angeführten Mo-
nographie verhält sich diesen Dingen gegenüber in einem Masse gleich-
giltig, dass man ihn nicht einmal der Unwissenheit zeihen darf.
Das geistliche Lied ist diejenige Gattung der niederdeutschen
Litteratur, deren nähere Kenntnis uns erst am spätesten erschlossen
worden ist. Freilich, wenn Phil. Wackernagel im zweiten Bande seines
grossen Werkes, der die Lieder und Leiche von den Tagen Otfrids bis
auf die Reformation umfassen und reproducieren will, unter 1448 Stücken
nur 6 niederdeutsche (und daneben 12 'niederrheinische') bietet, so ent-
sprach das schon damals (1867) keineswegs mehr dem Stande unseres
Wissens, aber es erklärt sich aus der Zersplitterung, in der die nieder-
deutschen Lieder auf uns gekommen und zur Publication gelangt sind.
Unser Verein wird bald die Aufgabe ins Auge fassen müssen, die in
zahlreichen z. Tl. abgelegenen Drucken versteckten Gedichte zu sammeln
und mit einer Nachlese aus den Handschriften zu einem besonderen
Bande seiner 'Denkmäler' oder 'Drucke' zu vereinigen. Der Herausgeber
einer solchen Sammlung muss dann ein kritisches Verfahren einschlagen
und er wird uns aus dem gewonnenen Überblick über das Mass von
Originalität, das dem geistlichen Lied des alten Niedersachsens viel-
leicht gegenüber Oberdeutschland und den Niederlanden verbleibt,
aufklären können. Der Abdruck einer einzelnen Handschrift wie der
Ebstörfer kann nicht gut zum Ausgangspunkte einer solchen Unter-
suchung gemacht werden, ich muss mich mit wenigen Hinweisen auf
verwandte Sammlungen und einzelne Parallelen begnügen.
Die bisher bekannt gewordenen geistlichen Liederbücher in nieder-
deutscher Sprache stammen sämmtlich vom Niederrhein und Westfalen.
Von ihnen ist das Liederbuch der Catherina Tirs aus dem Kloster
Niesink-Münster (1588) bereits 1854 von Hölscher in seinen Nieder-
deutschen geistlichen Liedern und Sprüchen aus dem Münsterlande Nr.
I — LXII veröffentlicht worden, während zwei andere erst vor Jahresfrist
ans Licht getreten sind: das Liederbuch der Anna von Köln,
über welches Bolte in der Zeitschr. f. d. Phil. XXI, 129 — 163 ein-
gehend berichtet hat, und das in diesem Jahrbuch XIV, 60 — 89 durch
J ostes zum Abdruck gebrachte Werdener Liederbuch. Alle drei
gehören dem 16. Jahrhundert, keines der Zeit vor 1520 an. Kann
man diese rheinisch-westfälischen Liederbücher zu einer Gruppe zu-
sammenschliessen, welche viele Stücke gemeinsam hat und weiterhin
mit den durch Hoffmann von Fallersleben, Horae Belgicae X (1854)
und neuerdings durch W. Bäumker, Vierteljahrsschr. f. Musikwissen-
schaft IV (1888), 153—254. 283—350 ausgebeuteten mittelniederlän-
dischen Handschriften aus Berlin (Mscr. germ. in 8°. 185 und 190)
und Wien (7970) zahlreiche Berührungspunkte bietet, so steht die
Ebstörfer Handschrift, das erste eigentliche Liederbuch, das aus dem
östlichen Teile des niederdeutschen Sprachgebiets bekannt wird, mehr
4
für sich. Mit dem Lb. der Anna von Köln hat sie nicht ein einziges
Lied gemein, mit dem der Schwester von Niesink nur Nr. IV, mit dem
Werdener ausser dem Mühlenlied (Nr. I) noch den ursprünglich hoch-
deutschen und nur niederdeutsch angetünchten Meistergesang auf
Maria (Nr. III) und die in Nr. XVII bewahrten Fragmente eines weit-
verbreiteten geistlichen Volksliedes. Und ebenso spärlich sind die
Beziehungen zu den niederländischen Handschriften, die man in den
Anmerkungen zu I. IV. VIII. XVII. nachlesen mag. Ob mir im übrigen
bei den litterarischen Nachweisungen nicht ein und der andere ver-
einzelte Druck entgangen ist, wage ich nicht zu bezweifeln: von mehr
als der Hälfte der dargebotenen Stücke ist mir eine gedruckte Fassung
nicht bekannt geworden.
Aber nicht allein in diesen novis liegt der Wert unserer Hand-
schrift. Auch die bereits bekannten Stücke gewinnen an Interesse,
sei es durch das Alter der Überlieferung, das ihnen hier zur Seite
steht, sei es durch das Zeugnis für ihre Ausbreitung nach Osten. Es
scheint mir ferner kaum einem Zweifel zu unterliegen, dass auch ein-
zelne der bisher unbekannten Gedichte niederländischen Urspruugs
sind. Das anziehendste an dem Ganzen aber ist die enge Verbindung,
in der hier das geistliche Lied mit dem Volkslied erscheint. Haben
andere derartige Liederbücher, wie das Werdener und die niederlän-
dischen Handschriften Hoffmanns von Fallersleben, hier und da über
dem Texte kurze Hinweise auf weltliche Lieder, deren Melodie kirch-
lichen Neudichtungen zu Grunde gelegt wurde, so finden wir hier ein-
zelne Volkslieder in extenso eingeschaltet — wTenn auch leider nicht
vollständig erhalten (Fragmente sind Nr. XII und XIV, vollständig
Nr. XI). Es ist möglich, dass an der Verstümmelung der Handschrift
religiöser Eifer mitgewirkt hat, welchem die weltlichen Strophen in
dieser frommen Umgebung anstössig erschienen. Den schlimmsten
Verlust freilich hat der Mäusefrass herbeigeführt, dem Bl. 1 — 5 zum
Opfer gefallen sind. Was uns erhalten blieb, ist fast durchweg ohne
Schwierigkeit zu lesen.
Das Liederbuch führt heute die Bezeichnung VI 17 und ist eine
Papierhandschrift in kleinem Octavformat: etwa 15 : 11 cm, der sehr
verschieden beschriebene Raum nicht über 10 : 7,5 cm; sie liegt in
einem dreifachen Einband, der über einem doppelten Pergamentum-
schlag (Stücke einer niederdeutschen Urkunde und einer lateinischen
Bibelhs.) noch eine Gobclinhülle aufweist. Das erhaltene umfasst nach
meiner (jetzt mit Bleistift eingetragenen) Zählung 62 Blätter, von
denen 8 (4. 5. 51 — 56) leer, 3 nur einseitig beschrieben sind (2:1.
50. 62); da aber die Seite 35b mit einem Textblatt überklebt ward,
kommen wir im ganzen auf 106 beschriebene Seiten. Die Schrift ist
durchgehends steile Buchschrift, wie sie gerade in norddeutschen
Klöstern noch um 1500 üblich war: die Handschrift wrird sich vor-
läufig nur auf die Zeit 1490 — 1520 bestimmen lassen. Die Vcrgleichun^
mit anderen Ebstorfer Handschriften, besonders mit VI 10 ergibt riio
gleiche Schreiberschule. Die Abkürzungen sind wenig zahlreich: ich
habe sie durchgehends aufgelöst und da, wo, wie bei dem Nasalstrich,
ein Zweifel obwalten konnte, mich sorgfältig nach dem sprachlichen
Brauch der Umgebung gerichtet, vh ist stets durch unde wiedergegeben,
weil diese Schreibung sehr oft, und niemals vorkommt. Um den
Freunden unseres alten Kirchengesangs die Leetüre nicht unnötig zu
erschweren, habe ich u und v grundsätzlich geschieden, obwTohl dies
in neueren Abdrücken niederdeutscher Schriftstücke seltener geschieht.
Für die Interpunction bin natürlich ich verantwortlich, ebenso für
die geregelte Verwendung der grossen Anfangsbuchstaben bei Eigennamen
und Absätzen. Dagegen habe ich mit Bedacht nur unzweifelhafte Schreib-
fehler gebessert, aber keine Änderung vorgenommen, welche das Bild der
Sprachmengung zerstörte, auch dem Reime zu Liebe nicht. Für den Lit-
terarhistoriker wie für den Grammatiker ist die Bewahrung dieses Bildes
wertvoll und interessant. Die Frage: ob nach einer Vorlage? oder Nie-
derschrift aus dem Gedächtnis? muss für jedes der unten folgenden poe-
tischen Stücke einzeln gestellt werden, wenn auch nur für wenige sich die
Antwort der letzteren P^ntstehung zuneigen mag. Auf die Sprachmischung,
die der Feder des Schreibers unmittelbar entstammt, ist bei älteren Denk-
mälern hundertfach hingewiesen worden, auf die oft noch rücksichts-
losere, welche das unsichere Gedächtnis des naiven Menschen vollzieht,
hat man bisher fast nur bei dem modernen Volkslied geachtet.
Ich unterscheide drei Schreiber- oder wohl richtiger Schreiber-
innenhände, die sich mehrfach innerhalb der gleichen Lage, aber nur
einmal (auf Bl. 1) innerhalb des gleichen Stückes ablösen,
1) Bl. la (sowie, nach den erhaltenen Buchstabenresten, die vor-
ausgegangenen 5 Blätter); ferner, nur mit spitzerer Feder, Bl. 35M> — 62
incl. Es ist die am wenigsten geübte Hand.
2) Bl. 11)— 23 incl.; BL 32a von Kyrie ab — Bl. 35 incl. Feste
und kräftige Züge, obwohl auf verschiedenen Blättern ungleich grosse
Schrift.
3) BL 24 — 32a bewaren amen. Zierlich und gleichmässig.
Alle drei Schreiberinnen haben vereinzelt grün und rote Initialen
angebracht.
Die einzelnen Stücke verteilen sich auf die verschiedenen Hände
in folgender Weise:
1: Nr. I bis Str. 10, 1 had-; Nr. XIII— XXII.
2: Nr. I von Str. 10, 1 -de ab; Nr. II— VI; Nr. X— XII.
3: Nr. VII— IX.
Die verschiedenen Schreiberinnen kommen vor allem auch für die
wechselnden Züge der sprachlichen oder doch orthographischen Phy-
siognomie unserer Handschrift in Betracht.
Der lückenhafte Zustand der Handschrift erfordert indessen, auch
auf die Zusammensetzung aus Lagen noch mit einigen Worten ein-
zugehen.
BL 1 — 7 gehörten einer Lage von 6 Doppelblättern an, von
denen nur das innerste erhalten ist (BL 1. 2); die herausgerissenen
oder wohl richtiger von Mäusen abgefressenen 5 ersten Blätter müssen
6
mehr enthalten haben als die sieben fehlenden Strophen des Mühlen-
liedes, zu denen nur 3 Blattseiten nötig waren.
Bl. 8 ist ein einzelnes angeheftetes Blättchen.
Bl. 9 — 22 bilden eine vollständig erhaltene Lage von 7 Doppel-
blättern.
Bl. 23 wie Bl. 8.
Bl. 24 — 31 scheinen eine unversehrte dritte Lage von 4 Doppel-
blättern darzustellen; doch vgl. die Erwägung zu Nr. VII 24, 3.
Bl. 32 ist wieder einzeln angeheftet.
Bl. 33 — 38, 3 Doppelblätter, im Innern der Lage fehlt mindestens
ein Doppelblatt, das den Schluss von Nr. XII (2. Hand) und den
Anfang von Nr. XIV (1. Hand) enthielt. Noch vor dem Verlust dieser
wichtigen Blätter wurde aber Bl. 35b überklebt und dies Deckblatt
35bb (das ich jetzt losgelöst habe) von der 1. Hand beschrieben (Nr.
XIII); man muss vermuten, dass in ähnlicher Weise auch noch der
Schluss von Nr. XII durch die Fortsetzung von Nr. XIH überklebt
war, ehe beides herausgerissen wurde.
Bl. 39 — 50, 6 Doppelblätter, eine vollständige Lage.
Bl. 52 — 61, 5 Doppelblätter, ebenfalls eine unversehrte Lage,
um die nachträglich noch Bl. 51 und 62 als äusserstes Doppelblatt
herumgelegt wurden.
Ich bringe die Handschrift ihrem ganzen Umfang und Inhalt
nach zum Abdruck, da ich das Gesammtbild nicht durch Weglassung
der wenig Raum beanspruchenden Prosastücke beeinträchtigen möchte.
Der geistlichen Lieder sind es vierzehn; unter denen, welche bisher
ohne Variante sind, dürften die volkstümlichen Nummern XIII und XV
das meiste Interesse erregen. Besonders in Nr. XV, wo eine sehr
verbreitete, noch heute für Neujahrs- und Dreikönigslieder übliche
Melodie zu Grunde liegen mag, scheint mir der Ton des geistlichen
Volksliedes so gut getroffen, wie in wenigen Stücken unserer älteren
Überlieferung.
Nr. I. Fragment des Miihlenliedes.
(f. la) berichtet dat. nach vorghesprakenen stunden
8. Gyon, Fison, Eufrates, to der ™l™ }™m'
Tigris, gy vlete vere ** ProPhete dat vornam'
unde gy stolten revere, .
hehbet waters ghenoch, 12- Isaias de hadde dar »ngne
pleghet der molen er ghevoch. tovoren af ghescreven:
cset, uns wart ghegheven
9. Gy twolff apostele, ghadt hir vor, eyn junckfrouwe wertd,
maket gy de molen ghande, je fa eynea aones ghebert/
dat ze nicht enblive bestände.
gy synt tho malende sant 13 g uame de hetd gick <^ mid .
aver al de lant. den J. , w- j^
10. Eyn juncfrouwe had(f. lb)de eyn gnedichliken van baven
seckelin he to uns quam,
mit weten wol ghebunden, des vrouwet sick vrouwen unde mau.
14. De siner langhe ghebeydet (f. 2a) han,
de repen alle: 'wy enachtent
nicht nier,
wy sint des wis,
dat uns Crist ghebaren is.'
15. Do de nacht de körte entfenck,
de dach de nam de lenghe,
der dusternisse dwenghe
eyn ende nam.
o godt! des bistu lovesam.
16. 6y ewangelisten alle vere,
gy moghen wol wijzliken wachten
dat sekkelin,
wente dat brochte uns eyn fyn meghetin.
17. Lucas, nu loze up den sack,
(f. 2b) gheit up an gades namen,
lere uns alle samen.
da bist gheleret,
wo gades sone minscke wartd.
18. Marcus, rit den sack entwey,
gud up de molen, lat wriveu.
du konst wol bescriven
dat offer grot,
wo godt dar na led den dotd.
19. Matheus, nu loze up den sack,
gheit up de molen, lat schroden,
wo got stunt up van dem dode.
wo dat ghescbach,
dat repestu an den osterdach.
20. (f. 3a) Johannes, eyn arnt van hoger
vlucht,
dar na scholtu uns leren
de hemmelvart unses heren
al apenbar.
de helpe uns, dat wy kamen dar.
22. Pawest, keyser, prediger,
wäret gy der molen even,
dat se moghe geven
mel unde molt.
des möge gy hebben riken solt.
21. De mole de gheit, se ijz bereit;
we de nu sin körne wil malen,
de schal here halen
sin körne al reyn.
so wert id eme (f. 3b) malet klene.
23. De sine sele spieen wil,
de schal sick here snellen, .
to desser molen seilen.
sid des bericht:
se malet unde mattet nicht
24. De desse molen ghebuwet hat,
den mote god gheleyden,
wan we van hinnen schullen scheiden;
uns engel wis
de vore uns an dat paradifz. Amen.
16, 2 hs. vachten. 17, 3 hs. alle. 24, 1 hs. han. 5 hs. de vore.
Die Idtteratur über das in letzter Zeit so vielfach behandelte Gedieht
s. bei Wiechmann-Hofmeister III, 60 ff., 228 f., Jostes, Jahrbuch XTV, 84,
Jellinghaus in Pauls Grundrixs d. germ. PhiloL II, 1, 425. In der Strophen-
Zählung habe ich mich an Hofmeisters Abdruck angeschlossen.
[fol. 4 und 5 unbeschrieben.}
Nr. IL Übersetzung von Ev. Joh. I, 1—14.
(f. 6a) Hir beghinnet sick dat ewangelium des hilghen apostelfz Jo-
hannes; we dat alle daghe list, er he sprickt, de wart vorwert vor donner,
blixem unde aller vorgiftnisse unde vor dem snellen unvorsichtighen dode.
(1) In dem anbeghinne was dat wort, unde dat wort was bi gade,
5 unde godt was dat wort. (f. 6b) (2) Dat wort was in dem anbeghinne by
gade. (3) Alle dinck sin dorch ene ghemaket, unde ane ene ifz nicht ghe-
maket, dat dar ghemaket is. (4) Dat was in eme eyn levent, unde dat levent
was eyn licht der minseken. (5) Unde dat licht lachtet in den dusternissen,
unde de dusternisse hebben ene nicht (f. 7a) begrepen. (6) Id word eyn
8
minfzke ghesant van gade, des name was Johannes. (7) De sulve quam in
tuchnisse, dat he tnchnisse gheven schulde van dem lichte, up dat alle minscken
dorch ene loveden. (8) He was nicht dat licht, men dat he tuchnisse gheven
scholde van dem lichte. (9) Id was eyn wäre licht, dat dar vorluchtet alle
5 minfz(f. 7b)ken de dar kumpt in dusse werldt. (10) He was in der werlt,
unde de werlt heft ene nicht bekant. (11) He quam in sin eghen, unde de
sinen hebben ene nicht entfanghen. (12) Overst alle de de ene entfenghen
den gaff he de macht, kinder gades to werdende, de dar loven in sinen namen.
(13) De dar nicht uthe dem blöde (f. 8a) noch uth dem willen des fi[e]isckts.
10 noch uth der wollust des mannes, men uth gade gheboren sint. (14) Unde
dat wort ifz flesck gheworden, unde heft ghewonet in unjjz, unde wy hebben
ghesen sine glorien, alze de glorien sines eyngheboren [sunes] van dem vader.
vul (f. 8b) gnade unde warheit.
Gade si dancknamicheiti Dorch de worde des hilghen ewangelii inoten
15 uthe delghet werden alle unse sunde unde1) mote van unfz entfernigbet
warden alle varlicheit lives unde der zele. Amen.
*) Mit roter Schrift am Rande nachgetragen dar, von gleichzeitiger, cid-
leicht der gleiclien Hand.
Nr. III. Marienlob.
1. (f. 9a) Maria zart,
van eddeler art,
eyne rose ane dornen,
Du hefst mit macht
5 wedder bracht
dat so lange was vorlaren
Dorch Adams val.
dy heft de ghewalt
sunte Gabriel vorspraken.
10 help dat nicht werde ghewraken
myne sunde unde schult, •
vorwerff mi hult.
Wente neyn trost ifz
wor du nicht enbist,
15 barmherticheit to erwerven.
(f. 9b) An dem lesten ende,
bidde ik, nicht wende
van my in niynem stervende.
2. Maria milde,
du hefst ghestilt
der oltveder vorlangen t,
De jar unde daghe
ö in we unde klaghe
de vorhelle helt ghevanghen.
To aller tydt
scrienden se den stridt
al dorch des hemmeis porten
10 toridt in allen orden,
dat he her (f. 10a) af queme
unde en beneme
Ere sware pin;
unde dat dorch dyn
15 kusck junckfrouwelick geberen
Ifz af ghesteldt,
dar umrae dy telt
alle weit eyne kröne der eren.
3. Maria reyn,
du bist allene
der sunder trost up erden.
Dar umme dy had
5 de ewige radt
eyne moder laten werden.
Des hogesten heil,
[de] dorch ordel
am jungesten daghe wert richteutle.
10 holde my an dinen (f. 10b) plichteu.
du werde frucht,
al myn toflucht
Hebbe ik to dy,
am cruce bist my
15 mit sunte Johannes ghegeven,
Dat du ok myn
moder scholt syn,
vrist hir unde dar myn leven.
4. Maria klar,
du hefst vorwar
mit groten smarte gheghangeo,
Z_
Do dine vrucht
5 ghaus mit untucht
unschuldich wart ghevanghen
Umme myne dadt.
vorwerft* my gnade
(f. IIa) to beterende hir myn levent,
10 wente ik bin hir ummegheven
met swarer pine,
linde dat dorch myne
Groten sunde nnde schulde,
ik vele vordulde
15 am lyve unde allen enden.
0 werde roze,
myne kranckheit loze,
dine gnade nicht van my wende.
ö. Maria zart,
vormeret wart
in dy grote leydt unde smarte,
Do dyn kynt dot
5 eyn aper mit nodt
dorchstack syn sach(f. llb)te harte
Dyn blödes saft
krenckede dy dine kraft,
van leyde wordestu dy senkende,
10 Johannes deden se wenkende.
he quam al dar,
nam diner war,
Do dy dat swert
dyn herte vorserde,
15 dar van Symeon saghet.
0 junckfruwe werde,
sunne lticht unde erde,
den dodt dynes kyndes beklaghet.
6. Maria schon,
du hogeste Ion,
wen ik (f. 12a) van hir schal scheyden,
So kuin to my,
5 bescher me my,
dat my doch nicht vorleyde
De valsche Sathan,
wen ik nicht kan
sine duvelscken list erkennen,
10 noch moth ik jo van hennen.
umme werp my ok
dynen mantel unde rock,
Waner din kint
my rieht gans swint,
15 so wise, fruwe, din hert unde brüste
Dinem sone Jhesu,
sprick: 'gif (f. 12b) my nu
dessen sunder ik ewich vriste.'
7. Maria gud,
wen in unmodt
de vader van my wendet,
So bidde dat dar
5 dyn sone schickke clar
syne syden, vote unde hende.
Denne mach nicht sere
de vadder mer
wedder my eyn ordel spreken;
10 ok mach sick jo nicht wrekeu
got hillige gheist.
de erst bewist
Sote gnedicheit.
denne ijz bereyd
15 (f. 13a) drevoldichlike gude.
Also wert my
zalicheit dorch di,
vor (my) sunden my behode.
8. Maria fyn,
dyn klare schin
erluchtet den hogesten tron,
Do dy mit eren
5 van tvolf Sternen
wart up ghesettet eyn kröne.
De drevoldicheit
heft dy ghekledet
mit hogher gnade ummegheven.
10. Maria, vriste myn levent,
so mennighen dach
ik bichten mach.
O junc(f. 13b)frouwe sote,
help dat ik böte
15 mine sunde vor ininem ende;
Wen myn herte brickt,
myn ghesichte vorschrickt,
bede myner zele dine hende.
9. Maria vrouwe,
help dat ik schouwe
dyn kynt vor minem ende;
schicke myner zele
5 sunte Michael,
dat he se vore behende
Int hemmelrike,
dar alle (f. 14a) ghelike
de enghele vrolick synghen,
10 er stemne don helle erklinghen:
'hillich, hillich!
du bist hillich!
0 starke got.
van Sabaoth,
15 regerest gheweldichliken.'
10
So heft en ende
al myn elende,
unde vrouwe my ewichlyken.
10. Maria klar,
du bist vorwar
fygurliken wol to bedudende:
Dat vlus Gedeon
5 bistu, da (f. 14b) kern,
van gade krech macht to stridende.
Bedudest vort
unde bist de porte,
de ewich blifft gheslaten,
10 von dy ifz uth ghevlaten
dat ewighe wort;
gheslatene garde,
Ghetekende borno,
klar al/z de sunne
15 fyguret vor langben jaren.
Van my nicht wende
dyne truwe am ende,
so ik van henne schal varen.
11. (f. 15a) Maria reyn,
junckfruwe alleyn,
in dy i/z nen ghebreck.
Id levet nen man,
5 de de mach effte kan
dine ere to grodt uth spreken.
Dyn hogheit laven
swevet ewich baven
in hemmel [unde] ock up erden.
10 dyn ghelike mach nnmmer werden,
reyne creature,
o jnnckfrnwe pur!
Wen id dar tho knmpt,
(f. 15b) dat myn mnnt vorstummet,
15 myn zele van dem lyve schal scheden,
So ghedencke dar an,
dat ik dy han
hir mede ghedacht to eren. Amen.
Id i/z gesehen dat eynes rikes mannes sone ys bevallen mit den pocken,
so ene alle doctores avergheven, des he sere bedrovet was. Ok so hade he
sine leve(f. 16a)daghe nicht vel gndes dan, men alle synen vlit settede he
allene up lede to dichtende unde to singhende, be\de gud unde quad. So quam
5 em in den syn wes to makende van der moder gades, unde makede dusse vor
beschreven ghesette. Dar na tohant in der nacht i/z he ghesunt worden van
der plaghe, dat men an synem live nicht konde merken dat he wejz sericheit
heft ghehat; to welkeren ghesetten de byschop van Reytz heft gegheven
XL daghe afflates alle (f. 16b) den jennen de desse ghesette lesen efte leren
10 efte singhen hören. Ok sunder twifel Maria wel se bewaren unde beschermen
vor der quaden suke unde krancheit der pocken.
2, 8 die genieine Lesart gibt wünschten, auch die Werdener Hs.: wonsten.
4, 7 hs. myner. 8, 6 hs. wart ghe up ghesettet.
Nachwort Z. 8 lesen hochdeutsche Druclce Zeitz, s. IL v. F., Kirchenlied
5. 455.
Von dem tirsprünglich hochdeutschen und in hd. Einzeldrucken und Ge-
sangbüchern häufigen Meistergesang (Wackernagel II, Nr. 1036 ff. Bäumkcr
I, Register) hat die Werdener Hs. (Nr. 5) eine von der unsem abweichende nd.
Umschrift; zum obigen stimmen ein Marburger und ein Hamburgci' Text.
Nr. IV. Kreuzlied.
Eyn ander cantilena van dem hilghen cruce.
1. Lave zederbom,
du hoghelavede holt,
an dy so heft ghehenget
de eddele vorste stolt.
2. Ik mene Jhesum Christum,
sin name is wit unde bredt;
we en dricht an sinem (f. 17a) herten.
he benimpt ome al sin led.
11
3. 0 da sote Jhesn,
da eddele vorste fin,
giff mi, dat ik di dreghe
al an dem hertken min.
4. Also da, leve here, hanghedes
al an dem cruce breyt,
do dyn vil milde hertken
en scharper sper dorsnet.
5. To mines leves hoveden
dar steit eyn krenfzelin,
dat krenselin is bedowet
mit dem eddelen blöde sin.
fi. Och were myn herte eyn (f. 17b) garde
?an eddelen blomken fyn,
dar in so wolde ik planten
mines leves eyn krenselyn.
7. De blomken de ik mene
de beten homilitas,
de anderen schollen heten
spes, fides, karitas.
H. To mines leven syden herten
dar springhet eyn bornelin,
eyn revereken wil ik leyden
an minem gardelin.
9. 0 Jbesu, gardenere,
da wäre ackerman,
woldesta mines garden pleghen,
so wor(f. 18a)de he lavesam.
10. Mynes leves arme
de Stadt wit uthghebreit,
mochte ik dar inne ronwen,
so vorghete ik al myn leit.
11. Myn lef heft to my gheneghet
sinen rotermant:
och mochte ik one knssen!
so were min zele sant.
12. So ik en an gheschouwe,
den vorsten hoch ghebaren,
de leve heft ene vorwundet,
sine varwe heft he vorlareo.
13. (f. 18b) An mines leves siden
dar steit eyn gnlden schrin,
were ik dar inne besloten
al na dem willen min!
14. Ik kan dar nicht in kamen,
da leydes mi dar in,
wente da hefst ghesproken:
'ane my könne gy nicht sin.'
15. To mines leves voten
dar steit eyn bornelin,
mochte ik dar ander spasceren ghan,
so vorghete ik al myn pine.
16. Wan ik min lef vorlese,
den dach and ok de nacht
so mach ik one wedder vin(f. 19a)den
al in des bomes ast
17. De leve heft ome ghebunden
de hilghen hende syn
al an des crnces aste
mit scharpen negelkin.
18. Se ik em an de vote
den levesten heren myn,
he steit so vaste ghenegelt,
he kan my nicht entvlen.
19. 0 da sote Jhesu,
wo dicke ik di entfle,
dorch miner sande willen
is minem herteken we.
20. Dencke, here, der rede
(f. 19b) de van di schreven stan:
'so ik vorhoget werde,
alle dinck wil ik na my han.'
21. Jk bidde dy, sote Jhesu,
dorch diner leve kraft,
the myn vil wilde herte
in dines crnces ast.
22. Dat min herte ronwe
ok an den wanden din:
al twisken dinen brüsten
al/z eyn mirren bundelin.
23. Reghere, leve here,
myne sele to aller stont,
(f. 20a) dat ik dine leve vinde
in mines herten grünt.
24. Wol np, miner zele krefte!
na maket juck alle her.
nnde denet dem heren mit vlite:
dat ijz al myn begher.
12
25. Dat he uns nicht enwike,
in ein licht al myn trost,
ift ik eue nicht envole,
myn zele ifz nicht ghelozet.
2(>, 1k bidde di, sote Jhesu,
dorch diner marter pin,
vor(f. 20b)nyghe my mit diner leve,
mik kan nicht beth ghesin.
4, 1 hs. hanghendes. 8, 1 /. Ut m. ieves herten. 12, 4 hs. verve. 19, 3
hs. mine.
Das Lied ist nach einer zweiten Ebstorfer Aufzeichnung (Mscr. VI 10
S. 71b. 7ä) abgedeckt im Korresjmndenzblatt VII (1882) S. 84 f.1): der Eingang
lautet hier 'Love zedewerbom love', Str. 20 u. 23 fehlen. Vgl. ferner llorm
Belgicae X, 186 (Nr. 94): 'Ghelovet sijstu cederboom', HölscJier S. 39 (Nr. XVIIIi:
'Boven allen cederen bomen1.
Nr. V. 'Jesus mein Liebster'.
1. Nu lave, hertken, lave!
du scholt nicht sore stan.
ik wil di noch dallinck bringhen
den levesten den ik han.
2. Heft dar we sin lef vorlaren,
so han ik jo dat min,
ik wil ghan to dem cruce
und breken eyn krenselin.
3. Eyn krenselin van ros,en
is gudt to brekentje,
eyn lef van stedem sinne
is hoch (f. 21a) to drepende.
4. Eyn krenselin van dornen
is scharp to dreghende,
rosen mancket den lylien
sin gud to brekende.
5. To mynes leves voten
dar stan twe bomelin,
de eyne de dricht muschaten,
de ander neghelkin.
6. Muschaten de sint sote,
de negelkin de sin gud,
wan ik der mach smecken,
so draghe ik eynen vriscken motd.
7. Tho mynes leves hoveden
(f. 21b) dar steit eyn lylienbladt,
dat lopt van vrouden umme
so alzc eyn molenradt.
8. Tho mines leves siden
dar stat eyn gülden schrin,
dar inne is beslaten
dat milde hertken sin.
1, 1 hs. herken. 2, 4 hs. eynen. 4, 1 lis. dorne.
Das Gedicht, in dieser Fassung mir sonst nicht bekannt, steht in nalun
Beziehungen zu dem vorausgehenden ; die Übei'liefcrung des Liedes vom Cafrr-
bäum bei Höheher Nr. XVIII bietet in Str. 12 eine Strojriw, die oben iW
Schlusssirophe nacligebildet selieint. Bekannter ist das wcltliclie Lied: Bei meines
bulen haupte da stet ein güldner schreiu (Uhland Nr. 30), von dem* es anrh
eine erweiterte niederdeutsche Fassung gibt: Niedevd. Volkslieder hrsg. v. Ver.
f. nd. Sprachforsch. I, 49 f. (Nr. 76).
maken.
Nr. VI. Sprüche in Prosa.
(f. 22a) Holt di ersten in vrede, so machstu ander lüde vredesammich
2) Str. 10 lies dort stad st. dat is. — Str. 18 ist vollständig erhalten und
weicht von der obigen Fassung nur mit neghelt st. ghenegelt ab.
n
Eyn vredesammich minscke is nutter wen eyu ghelert minscke, unde en
unvredesara minscke de ihut ok dat gude in dat quade unde liehtliken iovet
he quades.
De vredesammiche minscke de kert al dinck to dem besten.
5 (f. 22b) De in gudem vrede ijz, de enheft up nemande quade dancken.
Werstu ghelavet, du bist dar umme de hilgeste nicht; werst[n] ghe-
lastert, du bist dar umme de snodeste nicht.
Dat du bist dat bistu, unde bist nicht groter, wen got din ewich (?) ijz.
Wan du aver denckest, wat du iuwendich bist in di, du en(f. 23a)achtest
10 nicht wat de lüde van di segghen.
De minscke sut in dem antlate, men godt in dem herten. ' \
De de wandert in gade inwendich unde to uthwendighen dingen neue
begheringhe enheft, dat ijz eyn statd enes innighen minscken.
fol. 23b unbeschrieben.]
Nr. VII. Christus und die Seele.
(f. 24a) De eddele zele eynes
juwelken cristen mynschen spricket to
dem hilgen ernce:
1. Boghe dynen strenghen telghen,
du schone palme holt!
dorch dyne milden gude
so giff roy dyne frucht so sote,
giff my myn leflf so stolt!
Dat cruce to der zele:
2. Ik sta hir by dem wege
unde byn berede dy.
niyne frucht wil ik dy gheven,
men du raost dy up heven
unde stich dar dyn leff i/z.
De zele:
3. Wo schal ik to em kamen?
dyn polle is my to hoch.
neghe dy to der erden,
(f. 24b) dat my myn leff möge werden,
so werde ik seker vro.
Dat cruce:
4. Dyn leff ijz an der wnnne,
dn bist eyn arme wicht.
he schal hyr an my hangen,
(In kanst ene nicht äff langhen,
to dy so wil he nicht.
De zele:
5. Eya, du schone palme!
wo bistu my so swar!
myn leff ijz vul der gnade,
he gheve sick my so drade,
worde he myner enwar.
De zele to Jhesn orem leve:
6. Slapestu edder wakestu?
(f. 25a) Jhesu, min trost so gtidt!
na dy so lith myn herte
so droflike smerte,
kum, lose id uther noth!
De zele:
7. Wo hengestu, leff, dyn hovet
nedder al umme den willen myn?
wultu my nicht to sprecken,
so raodt myn herte breken
al dorch de leve dynr
De zele:
8. Wack up, wak up, myn heylant!
myn hopene unde al myn trost.
sprickestu my nicht to so drade,
so hape ik nener gnade
unde (f. 25b), werde nümmer los{.
Jhesus antwert der zele,:
9. Wol ijz dat de my wecket,
al uth dem slape myn?
slapes ik beghere,
ik bin vormodet sere
van lydent unde ok van pyn.
De zele:
10. Leff, dat bin ik vil arme,
dar to bringhet my de noth.
werestu nicht entwaket
unde heddestn my nicht to spraken.
van rnwe were ik doth.
14
Jhesns:
11. An der leve bistu nicht vasty,
dat merke ik wol an dy.
woldesta so ringhe (f. 26a) vormoden,
ifte ik dy lete an noden,
so hapestn klene an my.
De zele:
12. Ach leff, myne macht nnde ok myne
starke
de ijz dy wol bekant.
wultu dy to my keren,
so mach ik dulden leren;
anders ifz id nmbewant.
Jhesns:
13. Wnltn dnlden leren,
so se, leff, hir her an my:
an myne wnnden rode
mit mynem bitteren dode;
hir an so speygel dy.
De zele:
14. Ik se dy, leff, gekronet
myt eynem krantze roth,
den drichstn, leff, vnl pyne
al nmme den willen myn,
(Jar na so steyt myn modt
(f. 26b) Jhesns:
15. Scholle wy twe leve wesen,
so nym, leff, den kranfz to dy.
drich ene nnvorborghen
den avent nnde ok den morgen,
dar by so dencke [an] my.
De zele:
16. Wo se ik, leff, dyne oghen!
dar nmme myt blöde rodt!
dar alle engele schare
nnde alle hilgen klare
syn in ewiger vronde grodt.
Jhesns:
17. Myne oghen syn vordecket
alto eynem bilde dyn,
wen dyne oghen mere
stan na ideler ere,
so dencke, leff, an my.
2, 6 vfi am Bande mit Verweisungszeiclim nacfigetragen, 19, 4 h
yarne. 24, 3 ist so durcliaus verderbt; etwa da mit sy moten? (Es könnk
immerhin auch ein Innenbhit der Lage zwiscten mit und dy ausgefallen scinl
De tele:
18. Wo bleck syn dyne wanghen!
(f. 27a) wor ifz de schonbeyt dyn?
dyn liff mit blöde beninnen
hir henget an der snnnen
al nmme de schult myn.
Jhesns:
19. Bistn nicht geleret
al an der leve grod?
al de eyn vast leff kesen,
ere varwe se vorlesen
nnde bernen van leve roth.
De zele:
20. Wo reckestu nth dyne arme?
entfanck my, leff, dar in!
mochte ik an dy rouwen,
dyne groten leve schonwen,
so worde ik seker vro.
Jhesns:
21. De bin alle tyd berede
nnde wil dy dar inne entfan.
de (f. 27b) snnde scholtn myden,
nnde nmme mynen willen lyden
allent wat dy kan an ghan.
De zele:
22. Ik ata nnde se dy, Jesn, myn leff.
vorwandet al an dat herte dyn,
mochte ik my dar in senken,
wen myn herte nnde mnnt nicht mei
spreket,
so ladt my, leff, dar in!
Jhesns:
23. Schal ik dy laten ronwen
an mynes herten grnnt,
so vorwunde erst dyn herte
myt mynes lydendes smerte
to betrachtende in aller stunt.
De zele:
24. Jhesn, eyn bunt der mirren
gifstn den leven dyn.
se mit (f. 28a) dy so moten dregen
dyn ernce in allen wegen,
wnltn, so mach id syn. Amen.
15
Das Stück bringt uns ein zweites Gedieht der Gattung, welche bisher
in der niederdeutschen Litteratur nur durcJi das bekannte Lied: Heff up din
cruce, min leveste brut (Hölscher Nr. XLV, Jahrb. VII, 3 ff., Horae Belg. X,
Nr. 81, Werdener Lb. Nr. 23) vertreten war.
Xr. VIII. 'Trug-Welt' (nach der Melodie 'Ave pulcherrima regina').
1. Droch werlt, my gruwet vor dyn
wesent.
wor gyn nu de resen,
de dar nesen
nicht enkonden?
se sint so gar vorswunden,
des bedrove ik my.
We moten al up de sulven Straten,
wo wille we nns säten?
de mate, de lengede,
de wech i/z wit nnde enge
gar wunderlik.
Se sin dot, de alle tydt na lasten weren
nach der werlde lop.
help nter nod, Crist! wente dn so duldich
werest
an des (f. 28b) cruces rope.
wor vint me nn to kope
de dope
der rnwe?
wente ik mot gruntliken schouwen
al myne schult.
2. Des were wol tydt, dat ik my be-
dachte,
wo ik willichliken brochte
to rechte
myn levent.
he kumpt, de nns wil gheven
eyn ewich Ion.
Nach werken nnde ok nach worden,
nach dem strengen orden
ies ordels ich vruchte,
ik beve nnde ik suchte
vor gades torn.
Wente he kumpt und weckt my uther
erden begraven,
(f. 29a) dar ik ligge beschuret,
so mod ik vor des strengen koninghes
k rafft,
de dar ewichliken duret.
went ik dat besure,
so truret
myn gemote.
de my io schop, sin gode
help my dar to.
3. Nu help Maria eyn koninginne reyne,
wente du bist alleyne,
de ik meyne
myt truwen.
du machst my ewichliken vronwen
nach dyner lust.
Du bist de hogelavede werde,
de de beyde hemmel nnde erde
bekerde
to den vra(f. 29b)men,
do Christus wolde kamen
to dyner brüst.
Do god up slos syne hilgen drevoldicheyt
also herliken,
he gaff dar uth den schat der erlicheyt
also dogentliken.
he late uns nicht entwiken
syn rike
tom lesten,
wen sick unse sele resten
in vromde laut. Amen.
Das Lied existiert — freilich mit irreleitender Strophenabteilung —
luch in einem Eostocker Einzeldruck von L. Dietz (ca. 1520), der bei Wiech-
nannr-Hofmeister III, 65 beschrieben und wiederholt wird; eine mittelnieder-
(indische Fassung ist von Bäumher, Vierteljahr sschr. f. Musikwiss. IV (1888),
J29 ff. nach der Wiener Handschrifl 7970 mit Lesarten des Berliner Mscr.
\erm. in 8° 190 herausgegeben. Die gleiche künstliche Strophenform begegnet
vuf niederdeutscJiem Boden noch in Hölschers Nr. LXIX. Den Eingang 'Droch
rerlt* hat auch der geistliche Wechsel (Seele und Welt) bei Hölscher Nr.
LXVIH, während die betr. Stroplie im Werdener LB. Nr. 7 die fünfte ist.
16
Nr. IX. Spräche in Versen und in Prosa.
1. De meyster Aristotil spricket:
De böse wanheyt de guden vorkeret,
de gude wanheyt de bösen leret;
id i/z neyn complexio so gndt,
de wanheyt vorwan(f. 30a)delt eren raodt.
2. We in suntheyt unde in vrede wil leven,
de raot sik dar to gheven,
dat he stedes hebbe enen vroliken mod
unde vormide sorghe, torn nnde drovicheit.
3. Wes ghemlik lustich unde fro
unde fruchte god in allen steden jo.
4. Wultu don na gudem rade,
so holt gades bade.
5. Eyn anbeghin der wisheyt i/z de fruchte gades.
6. Wisheit averwint de bosheyt.
7. We salich wil bliven,
de mod leren lyden.
8. (f. 30b) Lydent ane dult
endeiget nene schult.
9. Id gha dy wol edder ovele,
dyn hopene sy to gade snel.
10. t)enck up dem ende
alles dinghes en ende.
11. Na tyden unde na steden
wandelt de wjse minsche sine sede.
12. Lever mach de minsche myt swigende winnen,
den dat he mit spreckende werde vorwunnen.
13. Men swich unde lydt,
dencke nnde mitd,
so hefstu tydvordrif.
14. Swich unde tydt,
id kumpt de tydt,
dat swigent maket lident quidt.
15. Nen doget also hoge (f. 31a) gheyt,
alse dar deyt de duldicheyt.
16. Wener de minsche nnbescheden i/z, so wert de doget to euer nn«l»irrt
gekeret.
17
17. Mate ij*z nnder allen dinghen alder nuttest.
18. Dat ding wert nummer gudt,
dat me ane mate deyt.
19. Wol vrunt by vrunden nicht ensy,
doch schal dar truwe by syn.
20. De dar mit worden misbert,
des herten dat nicht enment,
do du ok so in den saghen,
so wert de kunst bedraghen.
21. De en war (f. 31b) frunt i/z, de lieft alle tyd leff unde steyt in vronden
nnde in droffnisse vast, dat i/z wis.
22. Du scholt nicht snel werden en vrunt, overst wen du dat bist ge-
worden, so bewise dat myt den wercken.
23. Iftu wult gudt syn, so wes allen truwe myt dynem munde.
24. We de holt sinen munt,
de beholt ok synen vrundt.
25. Du scholt swighen unde nicht opeubaren wat dy wart bevalen.
26. Du scholt dy nicht tornen unde in torne nicht arges spreken.
(f. 32a) 27. We gades moder stede ert,
in quade pyne wert he nummer kert.
28. Du scholt dy maken anname unde bereyt
gade to denende ane underscheyt.
29. Misse, bedent, almisse, vastent,
desse vere algenant
de losen de zele uter pynebant —
dar god unjz alle mote vor be waren, amen.
Am Text dieser Sprüche wäre besonders viel xu tun: der Reim ist
rirlfach durch Umstellung oder Einsetzung von hochdeutschen oder rlteinischen
Formen Jierxustellen. So lies: 9, 1 ovele edder wel (: snel); 11, 2 seden; 18, 2
ilut; 19, 2 wesen by (: ensy). Ein Beim ist wohl auch einxuführen in 23
(«jndt : mudt) und in 25 (holden verbalen : bevalen); 20, 2 lies des dat herte.
Weiteres unterlasse ich, weil a?idere vielleicht mehr Varianten und Parallel-
stellen beizubringen in der Ixige sind.
1 wies mir W. Seelmann bei Evcrliard von Wampen Buch 1, V. 10 1
— 104 fJaJtrb. X, 124) nach; darauf Jiabe ich in der QoÜiaer Handschrift
mich nach 2 gesucht, aber vergeblich. — 5 Eccli. 1, 16. — 6 vgl. Sap. 7, 30.
— 13 vgl. Rimbökelin V. 1287 ff. — 18 Freid. 114, 5. 6. — 19 Freid.
9f>, 13. 14: Swie fremede ein friunt dem andern si, da sol doch trinwe
wesen bi.
Nioderdentschot Jahrbuch. XV. O
18
Nr. X. Gebet in Reimprosa.
Kyrie, ach vader, alder hogestc godt!
wo kleyne achtet raen dyn ghehoth!
schon unser bo/zheit,
de vel sunde deyt,
5 (f. 32b) vorbarme dy unser, Crist,
de du bist
de porte des levendes, de wech der warheit
unde dat levent der ghelovighen zalicheit,
van dem vader ghegheven,
10 dar dorch wi leven.
vorbarme di unser,
Kyrie hillige geyst in ewicheit!
sta uns bi dorch dine barmhorticheit!
unse sunde de syn uns bi —
15 wil nicht vorlaten
de up dy hapen.
vorbarme dy unser!
4 Zw. xpe.
Nr. XL Farbenlied.
(f. 33a) 1. Na groner farwe min herten
vorlanghet,
do ik elende was.
dat i/z der leve eyn anghefanck
recht so dat grone gra/z
Eyntsprunghen uth des meyes schin
mit so mennighen blomlin klar,
des heft sick eyne junckfruwe fyn
ghebildet in dat herte myn
tho dussem nyen jare.
2. Umme oren willen draghe ik widt
in mines herten grünt,
min hertz steyt mit gausem flite
na orem rodermunt.
Dar na sette ik mine dancken
(f. 33b) beyde nacht unde ok den dach,
dar na so gha ik mennighen ghanck,
de tidt wert mi n timmer to lanck,
wen ik se schouwen mach.
8. Roder farwe der hebbe ik vel,
in der leve so brent myn hertz;
dat se dat nicht erkennen wil,
dat dot my seker smertz.
Dat szeghe ik van hertzen gherne:
ach mochte ik by er syn!
ik hope, dat se jo wil schir
ere junghe hertze to my keren,
wor ik in elende byn.
4. Blaw bistu, leff, van my be(f.34a)ghert
in rechter stedicheyt,
wüste ik wat din herte beghert,
dat scholde dy sin bereyt.
Dar scholtu, lef, neyn twifel anne lmn,
mit (dy) truwen ik di mene,
[ik] wil an dinem denste stan,
de wile ik dat levent han
wenthe an den ende myn.
5. Grauwe farwe brinckt my pine i
mit suchten unde ok myt claghen,
also ik in droflikem schine
in minem herten draghe.
Dat se sodanes nicht erkent,
myn raydent bringhet my (f. 34b) pine,
min hertz er mennich suchtent seilt,
ik hope, id werde des schir eyn endt.
[so] ik bi er mochte sin.
6. Geler farwe heft se mi vormant,
do se my bejeghende de suverlick.
ik se, se gerne heft se erkant;
dat maket my frouden rick.
Se bod my eren rodermunt,
19
mines leydes ik vorghadt al myn frode heft se bedecket
ik danckede er to der sulven stnnt; nnder erem düsteren schin.
rayn hertz in groter freyden stnnt; Godt seghen di, leff, to aller tidt!
do wort myn sorghe gheboth. scheydent bringhet dat groteste swer.
dach nnde nacht dencke ik mit flidt,
7. (f. 35a) Swarte farwe heft mi vor- al wor ik bin, ferne nnde wydt,
schrecket: ik vorghete dy nnmer mer.
dat modt eyn scheydent sin.
1, 3 hs. anfanck, dann fanck durchstrichen und (in der folgenden Zeile)
gliefanck. 2, 3 steyt mit anderer Tinte am Bande. 2, 6 es stand ursprünglich
dach nnde (ok de übergeschrieben) nacht. 3, 8 hs. herteze. 4, 8 Jis. hant.
6, 2 de am Bande nachgetragen.
Die gleiche Zahl und Beihenfolge der Farben tot die Fassung des
Frankfurter Lb. (bei Mittler Nr. 697), völlig abweichend der niederdeutsche
Test in den Nd. Volksliedern I Nr. 108 (8 Strophen). Eine geistliche Um-
dichlnng bei Ilölscher Nr. XXXIX (6 Strophen). — Die Melodie liegt dem nl.
/Jede Ic heb ghejaecht mijn leven lanc (Horae Belg. X Nr. 109 unter Brugmans'
Namen) zu Grunde.
Nr. XII. Volkslied.
Eyn ander leydt.
1. Id redt eyn ridder wolghemodt,
He vorde eyne fedderen up sinem hode.
2. (f. 35b) He vorde eyne valcken np siner hant,
He redt dem marckgraven dorch sin landt.
3. He redt dem marckgraven vor sine dor,
Dar seten dre schone junckfrnwen vor.
4. 'Stolte ridder, ridt mi nicht to na,
Dat my jnwe grauwe ro/z nicht entsla.'
5. 'Myn grauwe ro/z sleyt jnw nicht:
He heft de schonen junckfruwen vel to leff.
6. Jnnckfruwe, ik gheve jnw —
Das Lied steht liochdeulsch bei Uhland Nr. 108 (vgl. S. 1010), nieder-
deutsch in jüngerer stark abweichender Fassung in den Nd. Volksliedern I
Nr. 131.
Der Schluss unserer Aufzeichnung ist leider herausgerissen und die
Seite 35b obendrein überklebt durch
[f. 3»bb) Nr. XIII. Geistliches Lied nach der Melodie des vorigen.
1. Id was e'yn vorste also grodt,
de henimel nnde erde allene schopp.
2. He schopp den mynschen na synem ghebilde,
tho synem lave nnde ere.
2*
20
3. De dorch den slanghen wart bedraghen
unde van synem scipper gberaden.
4. De milde god vorbarmede sick des,
dat de mynsche bedraghen was.
5. Unde trachte tho erer salicheyt,
wo de mochte — — —
Vgl, hierzu die Variante f. 36b. 37a (unten Nr. XUIa): die, abweichenden
Lesarten zeigen, dass das Lied beidemal aus dem Gedächtnis niedergeschrie\*n
ward.
Nr. XIV. Fragment eines Volkslieds.
l.
— (f. 36a) hamer nnde ok myt tanghen.
dar vant ik nicht men haverkaff,
dar was myn krudt verghangben.
2. Dat dn myn krndt vordorven hefst,
des schal dy noch wol ruwen;
nnde leve ik dissen sommer lang,
ik plante noch eynen nyen blomen.
3. Ik kam mick in eynen danjz gheghan
mancker ghesellen unde hoveseke junefrouwen,
dar vanth ik mynes krndes eynen kranfz,
dar tho vorghetten trnwe.
4. Dar vanth ik ze in dem dansse gheghan,
(f. 36b) dar my befft na vorlanghet,
dar vanth ik ze an dem dansse gheghan
myt brnner varwe bevanghen.
5. Dn, dn eddele lylienbladt,
dn eddele keyzerinne,
nnde dat ik van dy scheiden schal,
des krencket myr hertz nnde synne.
Ich habe das Lied nicht anderweitig feststellen können.
Nr. XHIa (teilweise Wiederholung von XII).
Dit ander singhe na der wyze alse van dem ridder, de dem marckgrarei
redt dorch syn land:
1. Id was eyn vorste also grod,
de hemmel nnde erde allene scopp,
durchstrichen.
2. He schop den mynschen na synem bilde,
en allene tho belevende nnde erende.
Den anbeghin desses sanges vinst dn III blade thovoren.
21
(f. 37a) 3. De dorch den slanghen wart bedraghen
trade so van orem gode drenghet.
4. De milde god vorbarmede sick des
unde trachte tho orer salicheit.
durchstrichen.
Nr. XV. Lied von Marien Verkündigung.
1. De here vorbode den engel schone,
dat he her trede al an den tron.
2. De engel quam, godt sprach thohant:
4ik mudt dy senden in verne lantd.
3. Ach Gabriel, eyn junghelyn fyn!
du mnst my eyn truwe bade syn.
4. Nn nym nnse septrnm in dyne hant,
up dat du sist van allen bekant.
5. (f. 37b) Var in de Stadt tho Nazareth
to ener juncfrouwen ghar wunnichlick.
6. De grote in dem namen myn
onde segghe er, ik wyl ore kyndelyn syn.'
7. De enghel sperde uth synegoltvedderen,
he hof sick np, he sette sick nedder.
8. He vloch so spei myt groter hast
to Nazaret al in de Stadt.
9. He quam aldar de maghet was:
an oren innighen bede ze lach.
10. He sprack: 'god grote juw, schone
maghet!
wente gy ok gode so wol behaghet.
11. (f. 38a) Gy scollen syn maghet unde
moder
van Jesu Christ al unsen behoder.1
12. De maghet scrack so sere vorwar
al vor dem grote des engheijz dar.
13. Se sprack : 'wo mach ik des beghinnen ?
wente ik nu nenen man bekande.1
14. De enghel de tröste ze altohant:
'Maria, dat schal dy syn bekant.
15. De hilghe geyst schal an di komen,
also de'douw valt up de bloraen.'
16. Do sprack Maria al apenbar:
4k han dyne rede wol vorstan.
17. Na dinem worde my ghesche,
des helpen my de namen dre.'
18. Tohant so bloyede de roze rodt,
den soten dow ze an sick sopp.
19. (f. 38b) Ok sehen hir var dat
morghenrödt,
de waren sunne an sick slotd.
20. Er hovet neghede ze al den schod,
also de blawe fyolek dodt.
21. Se heft ok oren roke sehyn,
also de wytte lylye fyn.
22. Do Maria vulbortd hadde gheven,
Gabriel in vrouden beghunde to sweven.
23. He spreyde uth syne goltvedderen,
he hoff sick to dem trone snel wedder.
24. He brochte dat vulbortd van der
maghet,
de gode hadde so wol behaghet.
25. (f. 39a) Do sprack god vader in
ewycheyt:
'ok segghe, eyn enghel ghemeyt,
26. Ok segghe my, eyn junghelyn fyn:
wo entfeng dy doch dat meghetyn?1
27. 'Dat meghetyn heft myr wol ent-
fanghen
godes wylle ijz vuüenghanghen.'
28. Were dyt kyndelyn scone nicht ent-
fanghen,
so were wy altomalen vorghanghen.
29. Were unfz dat kyndelyn nicht gheboren,
so were wy altemalen vorlaren.
14, 2 hs. bekat. 16, 1 lis. apebar. 21,
sweuede beghüde to, nachträglieh umgestellt
1 Iis. rokesehyn? 22, 2 hs.
22
Xr. XVI. Ein anderes.
Noch eyn ander schone cantilena up dat ewangelium 'missus est angelus'.
1. (f. 39b) Tho dissem nuwen jare
so wyl wy vrolick syn!
un/z heft eyn juncfrouwe clare
ghebert eyn kyndelyn:
tho Bethleem vorkoren,
alse un/z de scrift vorklart, •
wardt un/z dat kyndelin gheboren,
de maghet bleff ünbeswert.
2. Dar boven uth dem trone
wart Gabryel ghesant
tho eyner maghet schone
al in dat lovighe lant:
tho Nazareth al in de stadt
dar he ze vant alleyne;
he sprack: 'godt gheve dy vrede,
godt i/z mydt dy ghemeyne.
3. (f. 40a) Du bist boven alle frouwen
van gode ghebenedyet,
an dy so i/z entholden
dat Adam heft entfernighet.
du schalt an dynem lyve
eyne eddele frucht entfan
unde blyven sunder anghest
unde twyvelen nicht dar an.1
4. De maghet wartd ser entbeveu,
vorschrecket in oren moth,
ze dachte in oren sinne,
wat wezen mochte de grodt,
den er de enghel brachte,
de was ny er ghehordt.
ze sprack myd stempnen sachte:
'wo mochte dat ghesyn?'
5. (f. 40b) De enghel sprack: 'du schone,
du scholt nicht syn vorsaghet,
du entfangest des oversten sone
unde blivest eyn reyne maghet.
du entfanghe one sunder sunde,
dat licht, der eughele brodt.
der werlde moghe syne
eyn wortd nicht syn ghenodt.1
6. 'Wo mochte ik frucht gheberen?
ghekande ik doch ny neuen man,
hebbe ik doch ny gheberet,
wo mochte dat wezen dan?
id i/z boven nature unde krefte,
tho wezende mo(f. 41a) der unde maghet
des truret myn ghedechte,
dar van byn ik vorsaghet.1
7. 'Du hoghe maghet van pryze,
du schalt nicht syn vorsaghet.
de hilghe geyst wyl risen
an dy vel werden maghet.
de godes krafft utherkoren
de wertd dy umme ghedan,
dat van dy wertd gheboren,
schal Adames sunde affdon.1
8. Adam unde syne ghesellen
de leghen so langhe ghevanghen
in der varborch der hellen,
dar umme dat ze hadden my/zghedan.
dat Adam hadde vorloren
(f. 41b) den erdeseken paradi/z,
dat wartd van dy gheboren.
Ave, ik byn des wys.
9. Elyzabeth heft entfanghen
in orer olden tydt,
ore jar de synt vorghanghen,
du maghet ghebenedyet.
id i/z ok in ghodes vormoghe,
wat i/z unde wezen schal,
vulborde myt ghuder hoghe
unde tröste dit j am er dal.
10. De maghet was othmodich unde reyne.
vallet nedder upp ore kny:
'su, eyn denerinue godes,
nach dynem worde my sehe.1
al tho den sulften stunden
entfanghet de maghet fyn,
ze droch one sunder anxst,
ze geber one (f. 42a) sunder pyu.
11. Tho Bethleem utherkoren,
so un/z de scrifft vorklaret,
wort un/z dat kyndelyn gheboren,
de maghet bleff ünbeswert.
syn moder de bleff maghet;
er van des wyl wy vrolick syn
unde frouwen un/z altomalen:
un/z mochte nicht beth ghesclien.
2$
Das Gedicht ist in der Überlieferung besonders arg mitgenommen, ob-
wohl es ein ursprünglich niederdeutsches Produkt, keine Übertragung aus dem
Hochdeutschen ist: schon die Reimbindungen 4, 2/4 modt : grodt (muot : gruoz);
5, 6/8 brodt : ghenodt (bröt : genöz); 4, 5/7 brachte : sachte (brähte : sanfte);
6, 5 7 krefte : ghedechte würden als Beweis dafür genügen; vieles andere ist
bei der Umschrift aus einem westlichen in einen östlichen Dialelct, mehr noch
durch Einwirkung oberdeutscher Schreibart verwischt woi'den. 1, 5 /. uther-
koren (wie 11, 1). 11. kynt, ebenso 11, 3. 8 /. unbeswart (: verklart), ebenso
11, 4. — 2, 5 tho Nazareth der stede (: vrede). 6/8 /. alleyn : ghemeyn (resp.
alleen : ghemeen). — In Str. 3, wo der Reim gänzlich zerstört ist, macht
Z. 4 die grössten Schwierigkeiten: entfernighet stand ursprünglich da, ist aber
in ein Wort geändert, das ich nur als entfernt zu lesen vermag. 5, 7 wird
durch Umstellung leicht ein Reim lyve : blyven hergestellt wie 7, 1/3 prise :
risen. — 4, 6 wird im Reim auf sin : geschin (geschien) eingeführt werden
müssen, vgl. auch 11, 6/8. — 5, 2 4 muss ebenso wie 6, 6/8; 7, 2/4 stumpfer
Reim sein, also etwa in der Schreibung maecht : vortsaecht. — 6, 1/3 wird
man auf den ursprünglichen Reim gewinnen : weet ik doch nicht van minnen
raten dürfen. — 7, 6 '8 /. mnmevan : afdwan. — 8, 2 /. ghevan, — wenn nicht
die Verderbnis tiefer liegt. — 10, 1/3 ist gewiss von einer Umstellung in 3
aus xu heilen: godes denerinne : reyner sinne? 7 /. sunden (: stunden), oder besser
noch sunde (: stunde).
Nr. XVII. Fragment ('Es kommt ein Schiff gefahren').
1. Ave Maria, roseke, 2. Hur kumpt eyn schepken varen
du leve moder myn, so verne uth Enghelant,
tröste alle herte, Maria sit darinne,
de nu bedrovet syn. ore leve kynt wol bekant.
3. Och we (f. 42b) mochte küssen
vor sine rotermunth!
dat kerne wol tho lusten:
syn zele de worde ghesunth.
Str. 2 und 3 bilden in der %strophigen Fassung der Horae Dclgicae X
Nr. 26 die erste und letzte StropJie, im Werdener LR Nr. 11 Str. 1 und 7.
Str. 1 hat nur einen Anhalt in der oberdeutscJien Tradition, vgl. H. v. F.
Kirchenlied Nr. 34 (= Wackernagel II Nr. 458) Str. 3.
Xr. XVni. Osterlied.
Wy wyllen alle vrolick syn
tho disser osterliken tydt,
dar al unse trost unde heyl an lydt.
alleluja, alleluja!
alle alle alleluja!
ghelavet sy god unde Maria!
Vgl. Wackernagel II Nr. 1121; niederdeutsch aus eitler Hildesheimer
Hs. c. ./. 1478 im Jahrb. V, 47.
24
Nr. XIX. Passionslied (Christi Tagezeiten).
1. (f. 43a) Un/z daghet hüte en /zalich
dach,
de mach un/z vroude bringhen;
de ewighe sunne gift eren schin,
der mach un/z wol ghelinghen.
2. Wan dat kumpt to der primen tyd,
und ik myn leveken wil schouwen,
so vinde ik en to Pylatus hu/z
mit roden rozen bestrouwet.
3. Wan dat kumpt to der tercien tydt,
unde ik myn leveken wil schouwen,
so wizet he my dat duldighe lam,
dat kan he wol bewisen.
4. (f. 43b) Wan dat knmpt to der sexteu
tyd,
so kumpt my myn leff to mote,
mit enen cruce, dat i/z swar,
so bitterliken wenende.
5. Wan dat kumpt tor nonen tydt,
so schinet de sunne bete,
so schenket he my den roden wyn
uth synes herten wunne.
6. Wan dat kumpt tor vespertydt
unde ik myn leveken soke,
so vinde ik one in Marien schote
mit heten tränen beghaten.
7. (f. 44a) Wan dat kumpt to der corapleten tydt,
unde ik myn leveken wil schowen,
so ze ik hir unde ze aldar,
ift he dar nerghen stunde.
Die Reime sind mehrfach verderbt, man möge einsetzen: 4, 2 bejenemk.
5, 4 swete; andere Verderbnisse liegen tiefer.
Nr. XX. Die minnende Seele.
Ift du begherest tho hörende ifte tho synghende werlike senghe unde glwlt
tydvordriff tho hebbende, so holt dy tho dissen senghen.
1. Ik byu van sorghen drovich,
thom herten i/z my we,
wan ik de valschen warlde
vor mynen oghen /ze.
2. Ik wil selscop soken
unde wyl spasceren (f. 44b) ghan
in mynes leves gharden
unde speien sunder wan.
3. Wan ik byn allene,
so byn ik seker vro,
wen(te) alle tydtvordryvent
i/z in ghuder selscopp jo.
4. Ik hau twe leve selleken,
de stedes by my syn,
de eyne i/z myn apostel,
de ander myn enghel fyn.
5. Dar tho eyn truwe meghetyn,
dat heth oratio,
de kan so wacker vleghen
wente in den hemmel hoch.
6. Dat meghetyn wyl ik senden
von hir uth Jeri(f. 45a)cho,
dat ze my selscop vorwerve
van Jerusalem hoch.
7. Bekanth unde ok wylkomen
i/z ze dem hemmelschen her,
wes ik dar uth beghere,
den kan ze brynghen her.
8. Wol i/z de maghet wacker,
doch wart ze vaken kranck,
so inudt ze by sick hebben
van tränen eynen dranck.
\). Se schal my dar vorwerven
des hilghen geystes ghunst,
de i/z in allen speien
de alderbeste knnst.
25
10. Wyl ik wol behagheu
dem leven Jhesu myn,
so mudt ik medebrynghen
de leven moder syn.
11. (f. 45b) Wan ik dorch myne sunde
synen torne fruchte [so],
so suth he syne moder
vor my tho biddende jo.
12. Se mach orae vormaueu
de brüste de he soch,
wan ze one up oreu armen
in syner kyntheyt droch.
13. Se metyghet synen torne
unfz armen sonderen jo,
wan wy myd nnsem bede
tho er hebben thovlucht jo.
14. Wan ik de koninghinnen
vau hemmel so lade jo,
dan volghet orer vruwen
dat ghansse her dar tho.
15. (f. 46a) Margareta, Ursula,
Agneta, Barbara,
de volghen mydt den anderen
der koninghynnen na.
16. Myd den wyl ik den speien
nnde treden in den danjz,
ze scholt my helpen maken
uiynem leve eyneu kranjz.
17. Wol mach sick den vrouwen
myn zele uude ok myn'lyff,
wan ik myd sulker selscopp
mach hebben tydtvordryff.
18. Vor mynes leves gharden,
dar ligghen vyende vel,
de mick den wech (f. 46b) vorkeren,
wan ik dar speien wyl.
IV). Ik wyl tho sammede lezen
dat bjttere lydent syn
nnde legghen upp myn herte
so eyn in irren bundelyn.
20. So ijz neyn vyent so dryste,
d<: my den do vordretd,
wan ze de starcken wapen
np mynen brüsten seen.
21. Wol [he] mydt synem herten
den gharden urarae geytd,
so ifz he van der werlde
jo wyder unde breydt.
22. Myner zele krefte,
Stadt upp unde ghadt (f. 47a) vyl snel,
dat wy der tydt wol bruken,
de uujz god gheven wel.
23. Id geyt nu an den avent
mydt unses lyves macht,
un/z mochte snel besliken
des wyssen dodes nacht.
24. Welck tydt nu [is] vorlaren,
de wert uycht wedder bracht,
de is jo in dem besten,
de nu syn leveken socht.
25. In mynes leves gharden
i/z de berch calvarie,
dar wassen rozenblomen
tho allerhande we.
26.(f.47b)Dar[inne?]heftunfzghep!anret
de wäre karitas
de droffeleu upp den rancken,
dar rae den roden wyn uth parset.
27. De bom des hilghen cruces
i/z hoch unde ok al breydt,
dar jo mydt wyden armen
Jhesus myn leff uppe steytd.
28. Van mynes leves schetelen
wente upp synen vodt
kan ik in ome nicht vynden
men wunden unde blodt.
29. Och mochte ik dar sughen
myd dem sundighen munde myn
uth den mynsten wunden
den roden soten wyn!
30. (f. 48a) Ik han [van] mynen sunden
grote kraucheyt unde byn seck,
myner zele wunden
syn ser vul unde depp.
26
31. In sick myn leff lieft sahen, 83. In syn vyl mylde herte
de maket my wol sunth, wyl ik my sencken,
darumme wyl ik ome wyzen so kan ik nenes Ieydes
al myner sunde gruntd. (f. 48b) men vrouwde deuckeu.
32. Eme wyl ik klaghen 34. Wy wyllen in dissem ghardeu
al mynes herten leydt, de fynen blomelyn
he kan my wol trösten altosamede plucken
alse eyn frunt den anderen deyt. unde makeu eyn krenselyn.
35. Dat krenzelyn schal van leve
thohope voghct syn,
den wyl ik den upsetten
dem alder levesten myn.
Str. 11, 2 man könnte auch auf fruchten do raten, 18, 4 es steht
vorher durchstrichen: wan ik spasseren wyl. 20, 2 die la. vordre td ('verdricssi \
scJieint sichei'y obwohl das erste r und dann wieder re nbergesclirieben sind; der
Heim lässt sich ja durch Einfügung der Form seedt herstellen. 23, 4 h.
acht (durchstrichen) nacht. 33, 2 hs. seckeu. 35, 1 hs. krezelyn.
Das Gedicht kündigt den Welteifer mit der Weise des Volksliedes gleich
in der Vorbemerkung an. Es gehört mit dem folgenden (XXI) und mit Nr.
IV, V zu einer engem Gruppe, die niederrheinischer, vielleicht geradezu n\t-
derländischer Herkunft ist, obwohl ich bisher nur für Nr. IV eine niederländisch'
Parallele kenne.
Nr. XXI. Paraphrase der Glaubensartikel.
Dissc uaghescreven verseke spreket up de artikel des cristliken loveu
unde thom ersten up dat wort: 'he is entfanghen' dit versek:
1. Her Gabriel de plantede eyne rozen to Nazaret,
de wa/z in s;ck so kreftich, dat ze den hemmel thoredt.
(f. 49a) Gheborcn van Marien:
2. Tho bethleem dar was eyn fyn wyd rozelyu,
in houw hadde de gheplantet eyn fyn kusek meghetyn.
Ghelcden:
3. Iu dessem gharden wassen de eddelen druffelyn,
dar unfz ijz uth gheparset de heylsame rode wyn.
Ghestorven:
4. In dem mydden daghe (f. 49b) so ijz de sunnc lietd,
so gha wy tho dem bome, dar ik myn leveken wedt.
5. Dar wyl ik ome tho holden mynes herten schotd
unde wyl den dar entfanghen de soten rozen rodt.
Begraveu :
B. Mercket: desse rozen, dat ifz dat leveken myn,
dat wyl ik den begraven an mynes herten schryn.
27
He ifz nedder steghen to den hellen:
7. De vyl schone rose sehen so eyn karbunkelyn
den synen in der helle unde lozcde ze uth der pyn.
(f. 50a) He ijz up ghestan van den doden:
8. De vorwclkedc rozc van slcghen unde van pyn
• [in] donwe wedder groyet unde lieft dusent sunnen sehyn.
He ijz up ghesteghen tho den hemmelen:
9. Van hogher vlueht de arnt so varet de blomelyn
boven alle hemmele wentc tho dem trone syn.
He is thokuftich tho richtende de levendighen unde de doden:
10. Uth mynes leves munde geytd eyn twe —
Str. 3 und die Überschrift von 4. 5 wurden dojyelt geschrieben und
dann das erste Mal ausgestrichen; Variante: 3, 2 xucj'st gheparset, nachher
ghepset. 7, 1 hs. schone blome (durchstrichen) rose. Str. 10 mit twe- bricht
dir Schreiberin ab, Bl. 50b ist unbeschrieben.
jfol. 51 — 56 leer.]
Xr. XXII. Biblische Zeugnisse vom Lohne der guten Werke.
(f. 57a) Mercke du nisten mynseke uth den worden Christi unde des hilghen
apostcls saneti Pauli, ok uth anderen bestcntliken scriften, wo dat de hilghen
Ion vordenen.
To dem ersten vyntme Mathci am voften, Luce am sosten: 'Sedt, juwe
5 Ion ifz grodt unde avertiodich in den licinmelcn.' (Matth. 5, 12. Luc. 6, 23.)
Quarte apocalipsis in dem anderen: (f. 57b) 4Ik werde gheven enera ju-
welken na synen werken.' (Apoc. 2, 28.)
Item Apocalipsis in dem verteynden: 'Salich syn de doden, de in den
heren stervet, ore wereke volghct one na.' (Apoc. 14, .13.)
10 Luce in dem verteynden dar wert mc ok wol vinden, wer de werke nicht
ghelden, dat hir tholangh ijz to scrivende.
In der ersten epistelcn tho den (•orintcren in dem voftey[n]den unde
verteynden capittel: (f. 58a) 'Eyn juwolck wart syn Ion nemeu na synem arbeyde.'
(I Cor. 3, 8.) 'Overvlodich sitd in dem wereke des heren stede, dar uth dat gy
15 weten, dat juwe arbeyt iJV? nicht unnuttc iu dem heren.' (I Cor. 15, 58.)
Paulus to den Homeren am anderen: 'Godt wart gheven eynem juwelkeu
na synen wareken. den vorwarvet de vader lydinghe des ghuden (f. 58b) werekes
herlicheyt unde ere unde unstraflicheyt soken, dat rike godes unde dat ewyghe
leveut.' (Rom. 2, 0.)
20 Sapiencie in dem losten: 'Se hebben nicht ghehopet dat lön der gherech-
tirheyt, ghudt aver dunde scolle wy nicht uphoren, wente wy werden id in der
tydt meyen.' (Sap. 2, 22.)
Item Paulus to den Galatereu in dein sosten: *Wan wy tydt hebben, ladt
unjfc ghudt don tho allen, unde dem meysten to dem husghesinde des ghelovcn.'
25 (('al. 0, 10.)
28
(f. 59a) Ecclcsiastes im anderen: 'Gy de den heren fruchten, ghcluvet
ome, unde juwe Ion schal nicht uth ghedelghet werden.' (Ecclu 2, 8.)
Psalmista: 'Ik hebbc myn herte gheneghet tho dunde dyne gherechtichevt
in der ewycheyt umme den wedderlon.' (Ps. 118 (119), 112.)
30 Sapiencie in dem ersten: 'De rechten werden in ewycheyt leven, und*
by dem heren ij"z ore Ion.' (Sap. 5, 16.)
Mathei im teynden: 'De enen propheten to sick (f. 59b) nympt in den
namen des propheten, de wart enes propheten Ion nemen.' (Matth 10, 41.)
Mathei im neghenteynden: 'De de vorledt huze, efte brodre, efte sustcr.
35 efte moder, efte vruwen, efte kynder, efte acker umme mynes namen wyllen,
de wart hundertvolt nemen unde dat ewyghe levent besitten.' (Matth. 19, 29. >
Les Marci im negheden, Mathei in dem twyntighesteu, in der ersten tho
den (-horin(f. 60a)theren im dnidden capittcl: 'Isset dat werke blivet unde dat
he dar upp buwet, he wart Ion entfanghen etc.1 (I Cor. 3, 14.)
40 Luce im XVIII. unde im VI., Ecclesiastes im XVL, to den Ebrereo im
VI., ok im X: 'Warpet nicht van juw juwe vortruwenissc, de de heft grote
wedderghevinge des lones.' (Hehr. 10, 23.)
Item to den Ebreis im XIII., Johannis im anderen vynt me dir ok van
wäre tuchnisse.
45 (f. 60b) Item Paulus ad Titum: 'De de vechtet im banghestrydt, schal
nicht ghekronet werden, id sy dat he eeliken stridet.' (II Tim. 2, 5!)
Genesis im XV.: 'Ik byn dyn vordeghedingher, dat Ion dynes arbeydes.*
(Gen. 15, 1.)
Ecclesiastici im III.: 'He heft ghegheven den gherechten dat Ion ore*
50 arbeydes. (Sap. 10, 17!)
Ecclesiastici im drudden: 'Den doden nicht vorbeydet gnade.' (Eccli.
7, 37.)
(f. 61a) Paulus ad Titum, dat he scholde dat volck vormanen unde reyzen
tho ghuden wereken: 'Darumme blivet jo bestendich, juwe wareke willen van
55 dem heren nicht unvorloent bliven, des wy de ghanssen scrift vul hebben."
(Frei nach Tit. 3, 8.)
Ok secht sanetus Paulus : 'Id behort sick dat ketterie werden, up dat de
lovighen werden vorsocht.' (I Cor. 11, 19.)
Augustinus in dem boke de civitate dei: 'Alse de duvel sudt, dat de
60 tempel der duvel syn vorlaten (f. 61b) unde dat me loppet tho dem namen der
vryeheyt des myddclors, so beweghe[t] he de ketters, de under dem crist-
liken namen wedderstan der cristlikcn lere alse eyn stadt des hones, alse in
ze ane jeneghe brecHchcit syn ghesen in der stadt godes unde syn doch alse
eyn stadt des hones. ze hebben mancket sick wyssaghen de mannigherhande
65 unde wedderwardighe dinghe volen. wat he nu nicht dorch sick kau don, da'
deyt he dorch valsche broder, de he be(f. 62a)drechliken under der stalt-
nisse des ghuden unde der upscrift des loven — de duvel — heft gemenghet
mancket de cristen dorch de tholatinghe godes, up dat ze den waren lcnen
anvechten umme der nutticheyt syner utherwelden [willen], de namal/z werden
70 sSn de pyne unde slymheyt der kettere, dancken gode, de ze so nicht hett
laten dwelen, ane den wy nicht können don efte vullcnbrin[gen].
29
Z. 1 bis 2 bestentliken, Z. 6 Quarte bis anderen mit roter Tinte. Z. 1
ta. vth dem. Z. 8. 10 hs. verteyndem. Z. 12 hs. In den. Z. 17 vorwarvet
de vader lydinghe steht unbestreitbar da; secnndnm patientiam aber will durch
na der lydinghe übersetzt sein, vorwarvet ist ein ganz überflüssiges Yerbum,
das s-ich mit dem I^ese fehler vader eingedrängt hat: das neue Subject schien
auch ein Prädicat xu fordern. Z. 24 dem meysten verlesen für tem meyßten?
Z. 28 Jis. gherechtich-heyt. Z. 38 f. dat he vn dar durch Verweisungszeiclvn
umgestellt. Z. 63 hs. breclich-heit. Z. 66 under der] hs. vn der. Z. 71 mit
vnlleubri bricht der Text ab; es wird wohl eine letzte Zeile, die den Wort-
schltuts gen brachte, abgeschnitten sein; die letzte Seite (62b) ist leer.
Die mehrfachen ungenauen Stellenangaben werden niemanden verwundern,
der sich je um die Citate mittelalterlich Predigthand-schrißen gekihnmert hat.
Anhang I.
In unserm Liederbüchlein fand sicli schliesslich noch ein loses
Doppelblatt, dessen erste Hälfte beschrieben ist. Es wird schon Jahr-
hunderte in der frommen Gesellschaft geruht haben, in die sein Inhalt
so wenig hineinpasst, ja die Aufzeichnung mag immerhin in die Ent-
stehungszeit der Handschrift selbst hinaufreichen. Format und Structur
des Papiers sind genau die gleichen, und die gänzlich abweichende
Kursive mochte recht wohl neben der kunstvollem Buchschrift im
Kloster geübt werden.
Das Gedicht ist eine altertümlichere, wenn auch leider aus
Willkür und ungenauem Gedächtnis entstellte Fassung des Volks-
liedes, welches jetzt als Nr. 94 in den Niederdeutschen Volksliedern
(Hamburg 1883) S. 66 nach den Liederbüchern von Uhland und de
Bouck wieder abgedruckt steht. Die beiden Strophen 6 und 7, welche
die Druckfassung mehr hat, sind wahrscheinlich jüngerer Zusatz:
unsere Version bietet einen drastischen Abschluss, wie ihn der neckische,
aus sentimentalem Pathos ins Burleske umschlagende Ton des Ge-
dichtes verlangt. Dagegen ist unsere Strophe 4 nicht nur in der
Überlieferung barer Unsinn, sondern auch von Anfang an unberechtigt:
dem entflogenen Vogel können unmöglich neue Schellen angehängt
werden! Die Schreiberin hat hier oftenbar einen Versuch gemacht,
das Motiv von den Schellen weiterzuspinnen, gibt ihn aber alsbald
wieder auf und zieht sich mit einer Reminiscenz an einen bekannten
Liedeingang (Niederdeutsche Volkslieder Nr. 22): My ys ein fyns
bruns Megdciin gefallen in mynen sinn recht ungeschickt aus der
Affaire. Im übrigen bietet unsere Aufzeichnung wertvolle Lesarten,
unter denen keine anziehender ist, als der 'wilde adeller9 in Str. 2, 1,
den der Druck durch einen 'wischen ogeler3 (Schmeichler) ersetzt hat.
Für den Grundgedanken des Spottlieds verweise ich auf das Gedicht
'Van minnen inde van gelde' der Berlin-Blankenheimer Handschrift
30
(von der Hagens Germania VII 327 f.), wo Str. 2, .4 Ich waindt uh
Ain leyfiste werc geradezu an Str. 1, 3 des Volkslieds erinnert.
1. Falsker thungen rotter munt,
wo hastu meck bedrogen!
du sedest, eck scholde de leveste syn:
nu hastu meck vorlogen.
2. Meck ys cyn wylder adeller
gewont an myne thynnen,
de hat meck mynen falken voryaget,
de ys meck entflogen also verne.
3. Dat he meck entflogen ys,
dat schrecket meck so sere.
de schellen heven cren klanck vorloren,
se krygen en nummer mere.
4. Eck henke em eyn nye par schellen an.
de sunt em af gefallen.
meck ys eyn fyn bruns medelyn gefallen,
de belevet meck vor allen.
5. Se hete meck gar fruentlych sytten gan
by ere schmalen syden,
se streck meck oever myn geles har,
se meynde dat gelt ym buydel.
6. Ach, het eck gelt, so were eck eyn holt.
so wero eck wol er holde.
nu hevc eck neyn gelt ^n mynem bnydol :
im ys de leve gar thoschalden!
2, 2 an aus yn. 4, 2 ha. gefalle. 5. 2 hs.
6, 2 hs. holden.
schalen. 5, 4 hs. mey<le.
Anhang IL
Aus einer Marburger Handschrift.
Während das Ebstorfer Liederbuch gedruckt wurde, fand mein
Freund der Bibliothekar Dr. Boysen in einer Handschrift unserer
Universitätsbibliothek das Lied 'Maria zart' und ihm angefügt die
Nachahmung '0 Anna zart', beide in niederdeutscher Fassung. Die
Papierhs., welche jetzt die Nummer 72 fuhrt, stammt aus dem Kloster
Corvey (alte Nr. 1 5) und enthält im Eingange Bl. 1 — 9 lateinische Gedichte
— Historisches, Geistliches, Persönliches — des Hinricus Bogerius ('s.
Krause in der Allgem. deutschen Biographie 3, 30), in ihrem Hauptteil
Bl. 13 — 244 lateinische Predigten und Excerpte zu Predigtzwecken.
Dazwischen sind auf Bl. 10 — 12 die beiden Gedichte eingetragen.
Das ganze gehört der Zeit um 1500 an. Ich gebe nun eine Collation
des ersten Stücks zu dem oben als Nr. III abgedruckten, des zweiten
zu Wackernagels Text (Bd. II, 1017 ff.).
1. 'Maria zart.' Die Aufzeichnung gibt die gleiche nieder-
deutsche Umschrift wie das Ebstorfer Lb., allerdings mit zwei Plus-
strophen, von denen die eine (5a) in der oberdeutschen Überlieferuni:
(Wackernagel Nr. 1036 Str. 11c, Nr. 1039 Str. 23) wiederkehrt,
während die andere (IIa) neu scheint: klingende Reime wie yheltorcn :
thovoren, geve : weghe, eren : gheberen, namen : amen würden ihr nieder-
deutschen Ursprung zuschreiben, wozu freilich das stumpfe seid : rncW
des Eingangs nicht stimmen will.
31
1 , 3 an allen dorne 5 hir weddcr C vorlome 9 vorghesproken 10 wrokcn
14 bist 16 Am 1. — 2, 3 ser (?) vorlangen 8 se scryeden 10 to ryd 15 junc-
frowelick küfz gheberen 18 ere. — 3. 14 bistu 18 dorth. — 4, 3 smerten 13
irrote. — 5, 12 unde nam dir. — Es folgt die Strophe 5a, s. u. — 6, 9 duvelsche.
— 7, 18 vor sunden. — 8, 2 du kl. 3 erluchtedc 7 Do fehlt. — 9, 5 gabrielc
10 klyngen. — 10, 5 du fron (frön?) 15 figurert. — 11, 5 edder 7 Dyn erhoget
lovcn 15 keren. — Nun folgt die Sehlussslrophe, vor der ich die Zumlsatrophe
5a einschalte:
5a. Maria gud,
welk groth unmoth
elende heft dyk vmfangen,
Do dy dyn kyndt
van Juden blind
an dat cruce wart gbehangen.
In grotem gram
dat duldich lam
van Judas kufz im garden
untruwelik warth vorraden
o mynscbeyt blot!
o martcr grot!
0 wunden dep!
o speres stek!
dynes kyndes afscheyden,
ghedenke dar an,
ik dy vorman
syus unschuldigen lyden.
IIa. Maria seid,
help dat ik meld
dar van du byst gheboren:
Her Joachim gud,
de in unmoth
god bath so lange thovoren,
Dat he om geve
tho saligem weghe
cyn frucht in alten cren.
Anna dat dy gheberen
an erfsundc gär,
ganjz reyn unde klar.
Dar umme ik bidde:
help uns selfdridde
in dyner frunde namen
und hemmelrike
vorwerf uns algelikc
tho Jhesu Christo. Amen.
2. '0 Anna zart.' Das Lied, so deutlich sein oberdeutscher,
bairischer Ursprung ist (vgl. Reime wie 2, 4 f. allein : din, 5, 11 f.
sU : unfruchtbarheit, 12, 4 f. sin : gemein), existiert nur in nieder-
deutscher Umschrift. Der Text, welchen Wackernagel unter Nr. 1257
nach dem Braunschweiger Gebetbuch des Hans Dorn v. J. 1507 ab-
druckt, erfahrt durch die nachfolgende Collation einige Berichtigungen
(3, 11; 4, 12; 6, 6; 7, 5. 10; 10, 2. 3), obwol die Abschrift wenig
sorgfaltig ist. Die sprachliche Form steht der des Druckes sehr nahe,
wie man aus der Vergleichung des Eingangs sehen mag: lO Anna
tzart, to ausser varth IdJth vns dy nyge ankeven'
1, 6 dynem siechte (io übergeschrieben) dar neven 17 fruchten. — 2, 9
van welk ys uth ghesproten 14 ghewert 17 dy bevelent sy 18 stede. — 3, 2
hebt 11 myt den kynderen dyn 17 uploven. — 4, 8 heft gebeden 12 smaheit
der eer 15 vorbidden 18 ungeberden? — 6, 3 der mynschen 4 Dede lyden sin
fi wetagen 11 geven räd 18 setten. — 7, 5 syn 10 behod 12 vor fehlt des d.
— 8, 5 ut wat 11 syn 12 fyn 13 uth des herten. — 9, 2 vormert 6 hemmel
8 cristlik 10 du plecht vele. — 10, 2 scryen vel to dy 3 trurlik 9 uns jo ent-
gelden nicht 18 dar wy neyn pyne lyden. — 11, 4. 5 Maria sik bald vorwendet (?)
10 unjfc. — 12, 3 de wy 4 de dy syn 5 bevolen dyn 11 antelik 18 dat leth.
32
Anhang III.
Als Bogenfüllsel gebe ich noch ein Gebet in Reimprosa ar.
die heilige Gertrud, das den Schluss der unserem Liederbuch
zeitlich nahestehenden Ebstorfer Papierhs. VI 10 bildet. Die Hs. enthält
umfangreiche Auszüge aus dem Seelcntrost, mystische Passionsbctracli-
tungen und zuletzt Gebete an verschiedene Heilige: alles in Pm<a
bis auf das geistliche Lied (oben Nr. IV) und das nachfolgende Stück.
Ähnliche Reimgebete (an S. Dorothea, S. Antonius) hat Liihben.
Mitteilungen aus nd. Handschriften (Oldenburg 1874) S. 10 abgedruckt.
(f. 142a) Van der hilgen juncfrouwen sunte (ilierdrnd.
Grotet sistu, hilge juncfrouwc sunte Gherdrud!
kusche mylde godes brad!
van koninges siechte bistu geboren,
dorch god hefstu desse werlt vorkoren.
5 du bist vul gnade unde othmodicheit,
gade to (f. 142b) lave togestu an eyn graw clcyt.
de seken lüde de hefstu reyne gemakct,
du clededest de dar weren naket;
de dorstigen unde de hungerghen hefstu gespiset
10 unde de armen elenden to der herberge wyset.
du herbergedest beyden lamen unde blinden
unde alle de zeken de du wor kondest vinden.
Hir vor gifft dy got to lone,
dat du herberge hefst in demc oversten trone.
15 dorch dine gude unde mildicheit
so giff uns herberge in der ewicheit,
dar wy moghen schouwen de hilgen drcvaldicheit. Amen.
MARBURG. Edward Sehröder.
33
Niederdeutsehe Handschriften.
Den Antiquaren Herren Volkmann und Jerosch in Rostock ist
beim Ankauf einer älteren Bibliothek daselbst ein äusserlich verwahr-
loster Sammelband in die Hände gefallen, dessen Inhalt aber zumeist
gut erhalten war und jetzt von ihnen auseinandergenommen ist. Der-
selbe enthielt 3 Handschriften auf Papier in Klein -4°, geschrieben
1521 von Ebbeke Vincke, und dahinter 4 alte Drucke. Vorn be-
fanden sich 2 halbvergangene Blätter, ein Halbbogen mit dem bekannten
Wasserzeichen des unten zangenartig geteilten p, das auf einem Stabe
ein Xagelkreuz (oder eine Blume) trägt. Auf S. 1 stand oben die
bekannte Inschriftform:
Die dyth bock vyndt d (der Rest der Zeile unlesbar)
unnd brengit yt vyncken.
Der letztere war also nicht nur der Schreiber der Handschriften,
sondern auch der Besitzer des Bandes.
Die Handschriften sind folgende:
1. Dyt is de Historie van der Erliken \ Stat Nays we de strengeliken
belege | gewest is van hertich Karöl t'ä burgödien \ uh van bratwnt.
MCCCCLXXIIII. 68 beschriebene Blätter. Kl. 4°.
Es ist des Christianus Wierstraat: Historie des beleegs van
Nuis, jetzt in den „Chroniken der Deutschen Städte al) von C. Nör-
renberg neu herausgegeben, auf dessen Einleitung ich mich beziehen
kann. Wir haben aber keine neue Handschrift vor uns, sondern eine
Übersetzung aus dem Niederrheinischen in ein Niedersächsisch, welches
so viel hochdeutsche Lautformen führt, dass ich es nur an die Süd-
grenze Westfalens zu setzen vermag. Der Übersetzer ist der schon
genannte Ebbeke Vincke, dem die zweite Druckausgabe von Johann
Koelhoff jun. zu Köln von 1497 vorlag, wie die mitübersetzte Ein-
leitung und die Erklärung des Akrostichons lehrt2). Auch der pro-
saische Abschnitt ist aufgenommen. Übrigens ist jene teilweise recht
frei benutzt und wiedergegeben. Für den Text der Chronik hat die
Handschrift daher keine Bedeutung, wohl aber für die niedersächsische
Sprache der Gegend für das erste Viertel des 16. Jahrhunderts. Die
Schreibweise ist wüst, aber ziemlich geregelt, sie hat stets ff für f,
fast stets ff für f, das Schluss-s und das z sind gleich oder fast immer
gleich; i und ij (nicht y) scheinen ziemlich regellos zu wechseln. Die-
selbe Schreibweise ist auch in den übrigen Stücken durchgeführt. Man
ersieht sie sofort aus dem lateinischen Akrostichon, das ich deshalb
folgen lasse: „Crijfftianus Werstraat dictacit anno domij | nij mijlleffimo
x) Bd. XX. Leipzig, S. Hirzel. 1887. S. 479—616.
%) Daselbst S. 496. 497.
Niederdeutsche« Jahrbuch. XV. £
34
quadijgenteffmo (!) ffcptua \ gesimo quinto. Et conplevit In proffe/jßo,
beati thome apofftolij ad honorem dornt \ inj nofftri Jhefu Crijffti JSfl
gloriofe Virg \ ijnijs Marie ac Iteati martirijs fancti \ Quijrini Nee im
ad perpetuam rci me \ moriatn. 0 ffelijx Cdonia. 0 pulcra Nussija.
hec vobijs mijttit dictatnijna.
Die Überschriftsverse lauten:
Dijt 18 in Jhesus ufi marije name |
De Hijftorije van Nuijs tzosame. !
Die Akrostichonbezeichnungen am Rande laufen nur bis mijttit
einschliesslich.
In dem niederdeutschen Texte steht ständig tso = to, auch
hertsochy selwntzijn, tsweelft\ tzytich = twintieh; daneben aber ändert-
halfhundertdusent, truwelik etc.; dann wieder ffrclich, -Jeff (lief), reff
(rief). Statt des ts könnte man nach der Art der Handschrift auch
tz schreiben.
Nach dein „Amen" am Schlüsse1) folgen noch die Jahresverse:
M ([ Eyne gafpe2) van euer tasschen8)
CCCC ([ veer oren van twen vi asschen
J^ C Ein halke in enem huV)
XXT <L Unde derdehalf andrees croitz
do lach de prinz vor Nuis.
II ([ tzwee i darbi
do blef he doet vor Nanzi.
Ebbeke Vincke scripsü
Anno m°vC° up dat nie jar
Unde ein nfl tzwintich. dat is waer.
Diese Verse stammen also von Ebbeke Vincke selbst.
2) 8 Folien K1.-40 mit Wasserzeichen des einfachen, unten zangen-
förmig gespaltenen p. Diese Lage enthält 2 Gedichte, geschrieben
von der unverkennbaren Hand des Ebbeke Vincke in der oben
bezeichneten Orthographie. Beide stammen unzweifelhaft aus dem
Mhd. und tragen in der niederdeutschen Wiedergabe nur ein leicht
abzustreifendes Gewand; z. T. sind sie kaum umgewandelt; in der
mhd. Litteratur nachzusuchen fehlt mir aber zunächst die Zeit. Die
Herren Volekmann und Jerosch gestatteten freundlieh den Abdruck
einiger charakteristischen Teile des Ganzen, deren absonderliche Recht-
schreibung aber im Folgenden nicht beibehalten ist.
') Chroniken der deutschen Städte. Bd. XX. Leipzig, S. Hirzel. 1887. S. 614.
2) Vcrgl. Schiller und Lübben 2, 16. Nach dem nebengeschriebenen runden
M ist aber an den Taschenbügel, nicht an eine Spange zu denken.
3) Ich habe diese Verse in gewöhnliche Schritt umgesetzt, dass ff in tauchen
und vlailchen aber als ss stehen lassen, weil ich annehme, dass tass-che, flass-che
gesprochen ist.
*) Es ist der „Hausbaum" des Giebelhauses gemeint, der hier für L gesetzt ist-
35
a) Do1) dee leue werde meyg
Walt, anger, beide hadde bedecket
Mit gelfer Hotz2) maniger leyg,
Lof schone ut festen halt getrecket:
5 Deez bat de werde sünne dorchglemmet;
Wat lopet, krupet, finget eder swemmet,
Dat wirt all in frouden npgewecket.
([ De wunnentlike tzit
Duchte mi bi nacht an enem hagen wit,
10 Dar bouen ein schone veste lit.
Ick will ut wunder wesselsagen8)
Van tzwen als Ick alldar vornam,
Do de niorgensterne ufklani,
Unde wolde begynnen tzo dagen.
16 <[ Sanges konden de Vogelin klein beginnen
De sterne begunden sick tzo scheiden
Do trad de wechter an de tynnen
Unde sank dit leit, ane ein lenger beiden:
<[ Ick dummer wechter trede her
20 Ick warne tzwe nach miner geer,
De mich (!) so hoe bevolen sind bi eide.
<[ De belle dach hat sin getzelt
Scboen ufgeslagen aver al dat velt
Ick warne uth tzwe hertze leve vor leide4).
25 ([ De no so sote entslapen sint
In bernende wunne schimpe, (Eol. lh)
De warne Ick np de truwe myn
Vor grotzem ungelimpe.
<[ Weck uf, weck uf, unde des is tzit5)
30 Dee belle dach uns naber lit,
Dat vogelin singet weder strit
Dar midden in dem hagen.
Nach des Wächters Tageliede erscheint sofort ein Liebespar in
einem Fenster, und die „Junckfroue" fragt den Wächter, ob er den
Sinn seines Liedes verstehe. Er erwidert, dazu sei er nicht gelehrt,
damit solle sie ihn in Ruhe lassen; doch weiss sie ihn zu beschwatzen,
ihrem Geliebten aus der Feste zu helfen. Das geschieht in Verkleidung
in des Wächters Kittel (Kedel). Auf Fol. 4b schliesst das Gedicht
mit 2 rot geschriebenen Absätzen von 2 und 4 Versen, von denen
') Das D fehlt, es ist eine Lücke zum Ausmalen gelassen. V. 4 Mss. : kalt.
V. 6 krupet: r auf Rasur.
*) Es kann nicht mhd. vlöz, mnd. vlöt sein; denn es heisst hier „Blume". Viel-
leicht ist an vlüs (Schiller und Lübben 5, S. 289 Sp. 2) zu denken.
») = wiedererzählen, nach Art von Wesselrede? — Ich habe im Folgenden
las tz stehen lassen, wo es dem niedersächs. t entspricht. V. 21 In: hoe und
V. 23. in: schoen ist das oe — 6.
*) Zu lesen: iuch tzwe hertzeleve? Ebenso V. 26: bernender?
*) Es sollte heissen: wak up, wak up etc.
3*
36
fraglich sein kann, ob nicht wenigstens die letzten 4 Vincke selb-:
gehören :
Wat solde men nu der wechter plegen
Dee leeve is tzo nichte gedegen.
Wyl gy es mi nicht vorkeeren,
So möge gyr1) wal lereu,
Dat der leve dicke ovel Schicht,
Deer guden der en meine ick nicht.
b) Von der Mitte des Fol. 4h bis Fol. 8a einschl. folgt ein Lied
zum Lobe des Weibes mit höchst geringem niederd. Überflute,
doch ist stets ghy und lw gebraucht, dagegen mir und dir:
En tzwivel nicht du leveste min,
Laet allen tzvivel ave sin:
Hertze, mot, sinne is allent din,
Des salt da wal geloven mir.
5 Ick wil mir sulven nemen waer:
Queme al dee werlt in eine schaer,
So lef sal nemand komen daer,
Ick wil lever sin bi dir.
Namentlich Fol. 7a ist der Preis des Weibes in 14zeiliger Strophe
ausgesprochen. Fol. 8a schliesst das Gedicht mit Gegenüberstellung
des Mannes und der Frau. Am Schlüsse ist in Correctur ein Yer>
rot nachgetragen. Dann:
Men hode sick ock vor boese daet,
De loegen werdet altzit raet.
Fol'. 8b schliesst daran (die gesperrt gedruckten Namen rot ge-
schrieben) :
Adam deer erste minsche was
Den bedroch ein wif, dat Eva was.
Sampsonis lyf van wiven wart geblendet,
David van wiven geschendet,
5 Deer wise koning Salemo gependet.
Troien unde alle dat lant
Dorch Helenam vorstnrt unde vorbrant.
ALlexander dem geschach alsus:
Den betrogen de wive unde virgilius.
10 Olyf fernes wart vorsniden,
Arysstotilles van enem wive mit fporen gereden.
0 mulier, all der werlde meister!
3) Ebenfalls eine Lage von 8 Folien K1.-40. Handschrift de^
Ebbeke Vincke.
ij] a. Eijn nije gedijcht.
„Eventure
wo de wyffheyt aver de manheyt clagetu
l) = gi hir.
37
Strophenweise klagt die „ Wisheit" und antwortet die „Manheit"
am Schlüsse:
dyt helft gedieht de Ellende
Dumme ryke Kerchoff.
b. Darauf folgt als „Aliud" bezeichnet ein neues Gedicht, durch
die folgenden drei lateinischen Überschriften in 3 Abschnitte geteilt:
eine Art Klage über Not der Welt:
Aliud 1 1 tu fupplex ora
„De mi nu wolde recht bescheiden" etc.
Tu protege
Tuque labora
c. Gewissermassen als Beispiel zu dem Inhalt dieses Liedes, wie
man sich der Welt gegenüber verhalten solle, folgt dann das Gedicht
des ^Ffrederich van hynnenberge", die von W. Seelmann im Jahrb.
IX S. 55 — 59 herausgegebene „Geistliche Rüstung Friederichs von
Hennenberg", aber im Einzelnen mehrfach und am Schlüsse stark
abweichend. Die Verse 203 und 204 bei Seelmann mit dem Namen
des Dichters fehlen gänzlich; dagegen folgen eine Anzahl anderer mit
dem Abschluss: In godes namen. Amen.
a., b. und c. machen zusammen 10 Seiten (5 Folien) und 3 Zeilen
aus. 4 weitere Verse gehören nicht dazu.
d. Den Abschluss des Ms's. macht, von derselben Hand, die
bekannte lateinische Epistcia Jesu Christi:
„lncipit epistda dm. nofftri Jhu criffti de Criffto ffilio dei et de
faneto dominico die."
Die angebundenen gedruckten 4 Bücher waren:
1. „Tondolus der Ritter", hochdeutsch, mit zahlreichen guten
und scharfen Holzschnitten; süddeutscher (Ulmer?) Druck, anscheinend
noch des 15. Jahrhunderts. Der im Titelblatt stehende Ritter hat
noch spitze Schnabelschuhe, s. 1. et a. 4°. l)
2. <L „ Van den detmerschen is dyt ghedicht iih is waer \
Unde is ock van dem gnadentryken gülden yaer.
s. 1. et a. Eine Lage von 3 geknickten Quartblättern = 12 S. 8°
ohne Blattzahlen und ohne Custoden. Es ist das Dithmarscher Lied
des „Sassen", d. h. des Lauenburgers, von 1500, Druck vermutlich von
Mattheus Brandes in Lübeck2).
3. „Eyn lofebuch aufz drr karten gemacht." 8 Bll. K1.-40. s. 1.
et a., hochdeutsch, süddeutscher Druck mit 48 sehr scharfen Spiel-
') K. Goedeke nennt diese Holzschnittausgabe nicht.
*) Vergl. die Ausgabe von F. Prien im Jahrb. X (1884), 89—103; H.
Brandes ZDA. 32, 1 (1888), S. 24, auch Krause, Ztschr. Schl.-Holst.-Lauenb. V
(1875), S. 364 und IX; jetzt auch Korr.-Bl. XIV. Nr. 2, S. 17.
38
karten -Holzschnitten; vermutlich älteste Kartenabbildung, spätestens
vom Anfange des 16. Jahrh. — Die Besitzer wollen dieses Büchlein
in photolithographischer Nachbildung herausgeben1).
4. Pharetra fidei catholice. Süddeutscher Druck mit schönein
Titelholzschnitt, nicht norddeutscher Art; daneben eine spätgothische
schöne Zierleiste, s. 1. et a.; sicher noch aus dem 15. Jahrh. Von
den letzten 2 Blättern, die rundum sehr beschädigt sind, war nur die
erste Seite bedruckt. Die 2 nächsten enthalten eine handschriftliche
Eintragung von der unverkennbaren Hand Ebbeke Vincke's mit
einer Nachricht über Meldungen vom Damenfrieden zu Cambray (1529),
namentlich über die geplanten fürstlichen Verheiratungen. Der jüngere
Sohn des Königs Franz von Frankreich wird Herzog „van Orliens"
genannt.
Schluss: dufse tydinge is affgekotne Anno dm dusent viff hundert
un XXIX, oft id sy edder sy2) late ick dar werlich by.
Danach ist das Buch spätestens 1529 gebunden und, wie auch
das Vorsatzblatt lehrte, im Besitz des Ebbeke Vincke gewesen, der
also für sich selbst übersetzt, umgedichtet und geschrieben hat.
Nach gütigen Ermittelungen des Herrn Dr. Lugge in Münster
aus dem dortigen Königl. Staatsarchive ist nun der Name Ebbeke
im 15. Jahrh. wiederkehrend in dem noch heute blühenden westfälischen
Adelsgeschlechte der Herren v. Vincke (mit der Pflugschar im Wappen).
Diese waren begütert im Osnabrückschen und Mindenschen, Lehnsleute
der Edelherren zur Lippe und Drosten der Grafen von Ravensberg.
1438 versetzen die Brüder Johann, Ebbeke und Otto „de Vinken*
einem Bürger zu Hörn eine Kornrente aus dem Hofe und Gute Monek-
husen. 1439 verkauft Jasper Vincke, Ebbekens Sohn, an Erasraus
v. d. Lippe seinen Corveyer Lehnshof zu Othenhusen, 1450 Vig. Math.
apost.3) geloben die Brüder Ebbeke und Otto Vyncken etc. als
Lehensträger des Hofes Huste, Kirchsp. Riemloh, vor der Herrschaft
zur Lippe; 1497 vig. assump. B. M. V.4) leistet Ebbeke Vincke als
Lehnsmann des Klosters Iburg ein Gelöbnis vor dem Gografen zu
Melle. Der letztere Ebbeke könnte der Zeit nach der unsrige recht
wohl sein, doch glaube ich einen Verwandten (etwa Neffen?), und zwar
einen Geistlichen in dem Schreiber sehen zu müssen, da er der la-
teinischen Sprache mächtig war, wie die Epistola Christi und die
Pharetra fidei erweist. Jedenfalls gehörte er dem alten Glauben an.
Ebbo, Ebbeke ist bekanntlich die Koseform für Eberhard, oder
eine andere Zusammensetzung mit Eber.
*) Sie ist soeben mit einer gelehrten, sehr beachtenswerten Einleitung von
Dr. Adolf Hofmeister erschienen: Rostock. 1890. Volckraann und Jerosch. VIII
und 15 S. 8°. In 100 nummerierten Exemplaren ä Mk. 5.
2) So für „nicht sy".
8) 23. Februar.
*) 14. August.
ROSTOCK. K. E. H. Krause.
39
Mittelniederländisehe Bruchstücke.
Die von mir im Jahrb. 12 (1886), S. 106—118 mitgeteilten
Bruchstücke sind von Louis I). Petit1) als Teile von Gedichten
Willem's van Hildegaersberch erkannt worden, der als „Spreker*
oder „meester Willem den dichter" von 1383 — 1408 am Hofe zu Haag
nachweisbar ist. Der genannte vorzügliche Bibliograph giebt an, sie
seien alle bereits aufgenommen in die grosse Ausgabe von W. Bisschop
und E. Verwijs von 18702) und zieht deren Einleitung S. XXVI an.
Dort sind indessen nur die 5 ersten Bruchstücke nach einer Mitteilung
von Lisch besprochen, der nach seinem ersten Abdruck in den Jahrbb.
i. Mecklenb. Gesch. etc. 8, (1843), S. 217 diese aus der Handschrift
der Universitätsbibliothek Rostock in verbesserter Abschrift eingesandt
hatte. Während daher die von mir a. a. 0. angegebenen Abweichungen
der Lisch'schen Lesung sich auf die gedruckte Bekanntmachung be-
ziehen mussten, sind die von Bisschop- Verwijs angemerkten die seiner
mir unbekannt gebliebenen, nach Leiden eingesandten zweiten Abschrift.
Doch auch diese ist nicht überall genau gewesen, oder ihre Abwei-
chungen sind von B. und V. nicht genau angeführt, namentlich die
von ii und ij nicht durchweg beachtet.
Danach ist Bruchstück 1 ein Teil des Gedichtes „Van dem
drocm", B. und V. Nr. XCVI, V. 70—114 (S. 204—5). Bruchst. 2:
Van den goedcn Ridder, B. und V. Nr. XXII, V. 164— 240 (S. 50— 51).»)
Bruchst. 3: Van drien Figuren, Nr. XX, V. 1—11 (S. 42). 4) Bruchst.
4: Van den X Gheboeden, Nr. IV, V. 40—128 (S. 6—7, vergl. S. 256,
wo die Rostocker Varianten).5). Bruchst. 5: Van Karitas, Nr. CVI,
V. 117—209 (S. 227— S).6) V. 209 ist der im Jahrb. 12, S. 117
als unten am Rande stehend angegebene Vers: Hier noch ginder ivair
wy kcren.
Aber auch die 3 letzten, von mir dem Rostocker „Etwasu ent-
nommenen Bruchstücke, die Bisschop und Verwijs nicht kannten, habe
ich nun beim Willem aufgefunden.
1) Bibliographie der middelnederlandsche Taal- eu Letterkunde. Met de
?ouden Medaille bekroond etc. van wegen de Kon. Vlaamsche Aoad. v. Taal- en
Letterkunde. Leiden. E. J. Brill. 1888. S. 236 Nr. 1152. (Das. S. 120 Nr. 534 jj
st das von C. Walther im Jahrb. 11 (1885), S. 168 mitgeteilte Fragment von J. v.
Uaerlant's Spiegel Historiael registriert.)
2) Gedichten van Willem van Hildegaersberch, van wege de Maatsch.
1. Xederlandsche Letterkunde te Leiden. Uitg. door Dr. W. Bisschop en Dr. E.
ferwijs. 's Gravenhage. Martinus Nijhoff. 1870.
*) Y. 235 ist die Rostocker Lesart nicht angegeben!
*) B. und V. rechnen 1—10; V. 11 ist aber der im Rost. Ms. am Rande
intergeschriebene Vers (Jahrb. 12, S. 113), doch liest B. und V. proeven mitten sinnen.
5) V. 40 ist die Rost. Abweichung nicht angemerkt; auch nicht V. 67 (bereft).
•) Hier sind mehrfache irrige Lesarten dem Rost. Ms. zugeschrieben.
40
Brachst. 6 gehört zu Nr. XXI „van den doemsdaghe ende van
sterven", V. 295—302 (S. 48); Brachst. 7: zu Nr. X „dit is van drien
coeren", V. 1 — 4 (S. 22); endlich Brachst. 8: zu Nr. CIX „ran den
vier cussen", V. 121—146 (S. 233).
Bisschop und Verwijs nehmen (S. XXVII) an, dass die alte-Hand-
schrift schon in Köln zu Buchbinderzwecken verschnitten sei, da sich
das Rostocker Fragment in einem Kölner Drucke des Aristoteles und
Albertus Magnus von 1491 verwendet findet1). Die zweite verlorene
Rostocker Bruchstückreihe steckte auch in einem Kölner Druck von
1491, aber von Ilenr. Quentel. Möglich ist die Annahme immerhin,
dass beide Bücher schon gebunden aus Köln in Rostocker Kloster-
bibliotheken kamen.
Im Rostocker Ratsarchive i§t nun ebenfalls ein Pergament-
Doppelblatt aufgefunden, welches zuletzt als Umschlag gedient hat
und von dem das letzte Viertel einer früheren Verwendung wegen
abgeschnitten ist. Es enthält mittelniederländische, einigen sprachlichen
Eigenheiten nach vielleicht richtiger mittelniederrheinische, Bruchstück*.
Dem Inhalte nach verwandt mit der Dichtweise Willems van Hilde-
gaersberch gehören sie doch nicht zu diesem, stammen auch aus einer
ganz andern Handschrift.
Die Schrift, spätestens vom Anfange des 15., wahrscheinlich
aber noch aus dem 14. Jahrh., besteht aus gothischen Minuskeln, die
Versanfänge aus Majuskeln, diese sind von den Minuskeln durch einen
freien Raum von 0,5 cm getrennt. Jede Quartseite ist in 2 Colunmeu
beschrieben, jede Columne beginnt mit einer grossen Unciale statt det
Majuskel. Alle Buchstaben sind mit schwarzer Tinte geschrieben, nm
2 Überschriften innerhalb je der ersten und der zweiten Seite dei
zweiten Columne mit dem nächstfolgenden Anfangsbuchstaben, einet
über 2 Zeilen sich erstreckenden Unciale, sind rot.
Das Doppelblatt, aus dem Innern einer Lage, ist früher ausge-
breitet mit seiner oberen freien Kante in einen kl. Fol.-Band ah
Schmutzblatt eingebunden gewesen und daher das untere Viertel dei
nun lang liegenden Blattes, d. h. die zweite und dritte Spalte dei
zweiten Quartblattes, abgeschnitten, ebenso noch eine Vordereckc.
Von der zweiten Spalte sind, mit Ausnahme von 5 vollständig ver-
lorenen Versen, die Vorder-Majuskeln stehen geblieben. Die ursprüng-
liche Höhe des Quartblattes betrug 21,33 cm, in den Einband des
Folianten gezogen war oben ein Rand von 1 cm, die Schrift beginnt
erst mit 2 cm, beschrieben sind 18,33 cm, der freie Rand unten betrag^
0,66 cm. Die Blattbreite ist 18 cm, der Abstand vom vorderen freien
Rande bis zu den Majuskeln 1,5, zwischen Majuskeln und Minuskel
zeile 0,5 cm.
Die 4 Columnen des ersten Blattes haben je 38 Zeilen, dieselbe
Zahl hatten beide Spalten der ersten Seite des zweiten Blattes. Voa
J) S. Jahrb. a. a. O. S. 107 f.
41
der letzten Seite ist Spalte 1 völlig weggeschnitten und die zweite
hat mir 37 Zeilen.
Die zweite Spalte der Vorderseite des ersten Blattes hat nach
dem 22. Verse die rote Überschrift: van beduange. I III. Dieser
Abschnitt schliesst nach dem fünften Verse der zweiten Spalte der
Rückseite, worauf die zweite rote Überschrift folgt: van leringen. I IUI.
Demnach enthält das Vorderblatt:
1) von dem 52. Abschnitte des ganzen Werkes den Schluss:
60 Verse (I.);
2) den 53. Abschnitt, Van beduange, ganz: Überschrift und 58
Verse (IL);
3) vom 54. Abschnitte, Van leringen, den Anfang: Überschrift
und 32 Verse (HL).
Das zweite Blatt enthält: 4) ein Bruchstück (nicht vom Beginne
eines Kapitels) von 38 Zeilen und 33 Anfangsbuchstaben (IV.); ob in
den 5 völlig weggeschnittenen Versen ein Anfang steckte, ist nicht zu
ersehen ;
5) in der letzten Spalte ein Bruchstück ohne Anfang und ohne
Ende von 37 Versen; den letzten 5 sind die Anfangsbuchstaben weg-
geschnitten (V.).
Auf S. 1 steht am Rande der zweiten Spalte von viel neuerer
Tinte die Registratur-Ziffer CXCVIII.
Die Schrift ist durchaus gut lesbar, nur die erste Spalte hat
durch das Verkleben oder einen Überguss gelitten, doch sind auch
von ihr nur 5 Verse theilweise zweifelhaft oder fast nicht zu lesen
(I, V. 23—27). .
Das i ist überall, wo es zweifelhaft sein könnte, durch einen
feinen Oberstrich, rechts von unten nach oben, bezeichnet. Abkür-
zungen kommen selten, und nur die bekanntesten vor, freilich cfi für
ende (und) 36 Mal, ein Strich für n 30 Mal; Strich für m 5 Mal
(darunter II, 24: dorne); m für mcn 5 Mal; -' für r, er oder ar:
8 Mal (darunter IV, 23 sdv'c = sclvre (Silber)); ein vorn durch-
strichenes v für ver: 4 Mal. Ausserdem steht nur noch I, 17: qet
mit übergeschriebenem Abbr.-a für quaet; II, 6: cö für comen und
V, 24 ; Düsen fiir Dusende. Der «-Strich ist versehentlich ausgelassen
II, 17 in vergoude statt vergoudcn; das r-Zeichen III, 6 in derde statt
der erde.
Interpunctionen sind im Original nirgends gesetzt.
Über die Verbreitung niederländischer Litteratur nach Rostock
vergl. Jahrb. 12, a. a. 0.
I.
Maer dat die bede al ghemeene Nu verhelfen met hoverden
Nu niet syn guls allene Dus en conen wi niet geherden.
Metten mont ende metter kele Gheselle di metten smekers niet.
Maer mettien ogen vele. 10 Hets volc dat bedriegens pliet.
5 önse ongevallige sin Sulc plegens apenbare vele
Doen wi nu gapen omme gewin Alse smekende dese menestrele.
42
Sulc smaect oec in diere gebare
Oft he een simpel dorper wäre
15 Nochtan al fyn simpel sine wort
Hi ne meent anders niet dan mort.
Ghene dinc en es de zinne so quaet
Alse des vleeschs averdaet.
Alse die joget es ontladen
20 Soe leghet ende claept men vor scaden.
Want soe niet ter eere ne waert
Des bliuet soe al onghewaert
Dansen fpolen ') 2) gespan
Beneemt d 8) wesene man
25 Des plegen so vele4) jonger liede
Dat ic hem ma . . 5) daet verbiede
Si ontsuueren hem in die Jonchede6)
Hem seluen ende andere darmede.
Onscamel anscyn vlygende ogen
30 Syn si suuer ie wilt gedoghen
Hare reinicheit wäre ongestade
Vondon si stede ende diet hem dade.
Houesch Jongel ine doet sonde
Waer dathi syn lyf ontbonde.
35 Maer een out man die dat doet
Machmen teilen ouer verwoet.
Een wyf die can bi engiene
Keren scieten hare ziene
Ende gelaet ter werelt togen
40 Sonderlinge vor den ogen.
AI heet men se reine men mach stille
Prueven merken wat soe wille.
Wyfs onghestadichede
Es gefordeert up vrechede ■
45 Up giericheit ende up ovaerde7).
Wie des plien syn van wandelen arde.
Noot es ene sware wer8).
Die die tyt heuet gheset.
Duer noot werpt men diere goet
50 Menich waeruen in die vloet.
Gene getrouwer orconde men vint
Dan die men hört an dat kint
Alset es so verre comen
Dat verstannesse hettet genomen
55 Ende het ne can geveinsen niet
Anders den het hört ende siet.
Wi sijn ghereder tallen stonden
T onsculdigen onse quaden sonden
Dan te beterne onse mesdaet
60 Ende dits onrecht ende quaet.
II.
Van beduange. i hl
Het betaemt bet den Jongelinge
Dat hi met haesticheit vort springe.
Inden ouden eist onbequame.
So du best van meerre name
5 So du meer soutgedogen.
Neint en sach man comen so hogen
Die met ongemater vrechede
Lange stont in moghenthede.
Die mesdaet niet wederstaet
10 Het seynt oft hi minde dat quaet.
Ghi hoghe ghierighe lantsheren
Die hoge wilt staen in der eeren
Ghine verstaet niet sekerlike
Waer men vint dat connicrike.
15 Seat no diere ghewaden
Waghene met goude geladen
Hoghe berghe vergoude9) zalen.
Dese en conen geen rike betalen.
Dat es hi die crone dräghet
20 Wie so hem niene versaget
Ende felheit van herten ontsegbet
Die ghene gerechticheit an leget
Ende niet en acht in ghere wisen
Dat hem domme liede prisen
25 Alse hi in hem seluen vint
Wysheit die al die werelt miut.
Wel tyt so du best ongesont
Waenstu vallen in den gront
Ende best in vresen oft een knijf
30 Altoes stake om dyn lyf.
O wi wat dogedenleeghter ane
Niemen altoes te bestane
Ende tetene seker broot
Liggende up die erde al bloot.
35 In denen coten in denen stede n
Weet men lettel van quaetheden.
Het s grote vreese groot here sya
Uten goude drinc men vüujn.
Alte lief heefti syn lijf
40 Die so sot es ende so keytyf
*) Das o ist deutlich. Vielleicht für e?
a) Unklar; 2 Buchstaben unleserlich, dann etwa miden oder mider.
8) 7 Buchstaben unklar, doch lauten der 4. und 5. sicher: an.
*) „so vele" ist nicht ganz sicher.
5) 2 Buchstaben undeutlich.
•) Jonchede mit J, das Wort ist indessen nicht sicher.
') Oben V. 7 hoverde.
8) Der Reimvers fehlt.
•) Lies vergouden.
43
Dat hi so sere ontsiet dat stemen
Ende hi die werelt siet verdemen.
Sonder pine nemmermere
Ne gewint men prijs no eere.
45 Alse du enen onsaligen sies
Dat hi men8ce es bedinke di dies.
Lantshere die wille syn gemint
Ne wes tezwaer niet een twint
Doe dat di niemare si ommare.
50 Seiden hout soe hare ant wäre
Seiden vint die waerhede
In heren camere hare stede
Ende sullense nu hebben de iiede
Si moetense copen metter miede1).
55 Wat soter mesdadeger keytive
Es die minne van desen live:
Die ghenaden heuet noot
Si genadich dats recht groot.
III.
Van leringen.
Wie sal men mi mögen togen
Die nu sal conen gedogen
Dat hi nu goet geve rike
Dat den tide iet gelike. 20
5 Ende di en dach prise na sine werde
Ende dat merct dat wi hier up d e r d e 9)
Alle daghe sterven ghedogen.
In ene dins syn wi alle bedrogen
Dat wi alle die doot sien 25
10 Want vele tide dus ontsyen.
Die tide die wi hebben seden
Die es metter doot bescreden
Ende die en keert nemmermere
Ghelyc dat die doot niet ne kere. 30
15 So men dat leuen langer rect8)
So dat ment in eer frouden trect
1 IIIL
Die tyt es onse ende anders niet
Nu es niemene diere hij siet.
In dese ongestade erdsce wet
Hevet ons die nature geset.
Hens niemen aerra sonder allene
Diet sine dinct wesen clene.
Laet di genougen in dit gevouch
Die tsine genouget ets hem genouch.
Wat diet dat den mensce houde
Scrinen gevullet met goude
Ofti hem daer met niet bedreget
Ende hi vort wasdom jaget.
Wat es rycheit die mate geuet
Eist dat een sine nootdorfte heuet
Dat hi hem daer na genouge
Dat hi metten sinen gevouge
IV.
Ende menegen dinct dat wel vougen
Dat men hem prijs ane leghet
Ende het waer es alse men wel seghet.
So eist genougelic in dem moet
5 Alse menscheet goet ende vroet.
Ende alse hem coemt die waen in desen
Dat si wordich willen wesen
Sone coimen si tier stonde
In hem gevinden smette no soude
10 En bliuen verloren ende ontset
Omrae die houerde die hem let.
Alle lieden pinen also
Omme te sine dicke vro.
Maer cume es iemen die kint
15 Waer men gestade bliscap vint.
Die wise die en es nemmermere
Int herte sonder bliscap ende ere
AI eist dat mens niet verstaet
buten dit an syn gelaet.
20 dat doet dat hi syn herte bint
Hine es niet geseet alst kint.
Sulke bliscap sulke vroude
Coemt niet van selvre no van goude
Sonder dat hi hem seluen weet
25 Talre tyt int herte ghereet.
Dese bliscap dese vroude
Gebreect no en eut in doude
Ende daveuture machse niet breken
Want soene cant niet van her gesteken.
30 beesten vele laten hem genoughen
Up smale weede ende hem gevougen
Ende water ende lucht4).
Noch tan mache ene dene sake
Den büke genougen tsinen gemake
35 Ne war die5) gulse gierichede
Ne weet ende no mate mede.
Doe ic jonc was pyndic ende dochte
Hoe dat ic wel leuen mochte
Es folgen die Anfangsbuchstaben der weggeschnittenen Spalte: K (?) H E
DWDMDNDAGDMMDGDVNESHAEA (corr. aus E) J D
D W 0 T D. Die letzten 5 sind mit weggeschnitten.
') ie corr. aus oe.
a) Lies der erde.
3) Mss.: So da men, „da" durch Punkte getilgt.
*) Der Reimvers fehlt.
*) war die: ein Wurmloch macht die Lesung des d unsicher.
44
Data altoes die meeste bäte
Daer en leget di niet an
Datti prisen wyf ende man.
Ganc te di selven in dinen zin
5 Merc wat dogeden vintsture In
Ende di selven j agiere dan
Alse du sout eenen anderen man.
Ende altoes hout in dinen gheest
Dine fauten alre meest.
10 Die dicken trect van steden te steden
Dinct syn des sinnes ongestedicheden.
Leere dan eerst naer desen
Dinen lachame gestade wesen
Dattu te bet moet ende sin
15 Moges gebinden naer dyn gewin.
Neghene sonden sone syn
Sine hebben soete venyn.
Vrecbeit beheet di groot gelt
Te geuene in diere geweit.
ROSTOCK.
20 Luxurie belouet die keyrive
Genouchte van dinen liue
Begherte van der worelt ere
Beheet di te makene here.
Dusende met dus gedaenre miede
25 Veninen si di simple liede
Sodatse cume enich man
Verdriuen oft verwinnen can.
Wild st u dan van derre saken
Dine zinne quite raaken
30 Wandele in dese werelt al
Alse diese rumen sal.
Seiden penst om sine doot
(D)ie sonder af staen minne groot.
(LV)eget andit ertsce goot
35 (E)nde coemet oec in desen n(o)etJ)
(GV)i stelzet alte hant daer of
(E)nde blaset henen alse stoof.
K. E. H. Krause.
Zitelöse.
Die Zitelöse hat allmählich eine kleine Litteratur erhalten;
denn abgesehen von den Wörterbüchern besprach sie Sprenger im
Korr.-Bl. V. niederd. Sprachf. 2, 65, darauf eingehend Mielck im
Ndd. Jahrb. IV., 1878, S. 65 ff.; erwähnt wurde sie in P. Piper*.-
altdeutschen Pflanzennamen 1881, Germania 14 (26), 4. S. 402: be-
sprochen von Jellinghaus, Korr.-Bl. 5, 63; Woeste: ZDPhil. VI, 9^:
Schierenberg, Sprengeil und dem Unterzeichneten: Korr.-Bl. VI.
22 f. und 95 f. (nach dem nlat. „cytalosau [czitelose] bei K. Bartsch:
Jahrb. VI S. 108 V. 277): endlich von Ign. Zingerle, Die ZiteK»e.
Innsbruck. 1884. 21 S. 8°.
Aus allen angezogenen Erörterungen ist klar 1) dass alle al>
niederdeutsch angegebenen Umformungen des Namens niederdeutsch
nicht sind, ebensowenig holländisch oder dänisch: 2) dass der Nanu
ins Niederdeutsche aus dem Oberdeutschen gelangte, und zwar aul
zwei Wegen: a) aus dem symbolischen Blumen-Kreise der Jungfrau
Maria, b) aus den Arzneibüchern. Das wäre freilich durchaus un-
erklärlich, wenn nicht beide, trotz aller anscheinenden Verschieden-
heiten, zuletzt von einem und demselben Ursprünge ausgegangen sein
sollten.
*) o durch einen Wurm durchfressen.
45
Festzuhalten ist aber immer, wie meinerseits schon öfter erinnert
ist, dass Namen von Pflanzen und Tieren der Übertragung auf andere
Arten in oft ungeahnter Weise unterliegen, meistens dadurch, dass
gelehrt eingeführte Namen besonders von Heilkräutern einheimischen
oder bekannteren beigelegt wurden, denen man dieselbe Wirkung
zuschrieb. Bekannte Beispiele aus dem Tierreich sind der Elephanten-
Name des Kameeis, und der Wieselname (catus, catella) der „Katze". l)
Ebenfalls zu erinnern ist an die grosse Rolle, welche Assimilation und
Angleich ung spielen2).
Um mit den Arzneibüchern zu beginnen, so haben sie durch
Gleichstellung der Zitelose mit einer zweiten, ebenso zweifelhaften
Drogue, den „hermodactyli"3), dein Nachspüren nach der Urbedeutung
nicht genützt. Die letzteren werden als Zwiebeln oder zwiebelähnliche
Wurzelstöcke angegeben (Mielck), welche als Abführungsmittel im-
portiert oder gebaut werden, denn die wilden, „die von selber wachsen,
taugen nicht in die Arznei und sind giftig" (Sprengell). Das lehrt,
dass der Name schon auf ein heimisches Gewächs übertragen war,
wenn auch hier von „willen squille" gesprochen und der Ausdruck
cyteloze vermieden wird. Jedenfalls haben die Apotheker niemals
die Bellis perennis L. (Sprenger), noch die Schlüsselblume, Primula
veris oder auch officinalis (Zingerle) darunter verstehen können. Aus
ihren deutschen Synonymen geht hervor, dass sie für Hermodattelen
die Scilla maritima, aber auch den Wurzelstock des Allium Victoriaiis
L. (Heilhaupt, Allermannsharnisch) 3) nahmen. Wenn „Droestock" =
dröge Stock, einen trocknen Wurzelstock bedeuten soll, so kann das
ofticinell gebrauchte Colchicum variegatum L. darunter verstanden sein.
Unter den heutigen Droguen aus dem Oriente hält man meist Iris
tuberosa L. dafür4). Die Ärzte und Apotheker kannten also die
*) Auch der amerikanische Truthahn erhielt den mhd. Namen pute, denn
schon 1491 '93 kommt der letztere im Hühnerhofe des Ahtes von Chemnitz neben
Hühnern und Gänsen vor. Fedor Bech in Germania 27 (15) S. 177. Vermuthlich
ist das Perlhuhn gemeint, Meleagris numidica, von dem der Kölner Pilger (s. u.)
S. ^0 sagt: die honre van India haint lyf as kranen, sy sint neet so ho ind haint
rode heuft, vedern as eyn sperwer, wan sy sich muyst.
2) Ein ganz neues Beispiel hörte ich von einer Büdnersfrau eine Stunde von
hier. Sie hatte die moderne, von den Gärtnern Diclytra genannte Dielytra im
Garten und antwortete auf meine Frage nach dem Namen: Ach, wi nömen de
„Dickklöten" (testicula grandia!). 1798 meldet Theoph. Niemann den aus der
Trüffel verdrehten Kartoffelnamen aus Mecklenburg als Pantoffeln.
s)Allequedel6ck ist ein Wort. Der Name heisst schwerlich „Lauch
für alles Übel" (quad), hat sich der Bedeutung aber angelehnt. „Heilhaubit" ist
alter Name für Allium Victorialis, ebenso „huntlouh"; bei Graff 3, 895. 870. 872
sind aber beide den „ermodactili" und diese den „Zitlosa" gleichgesetzt. Ermo-
dactilia, citlosa: Germania 14 (26), 402. Iris vel Iris illiria vel ireos: swertella ib.
40S, 11. Vielleicht soll „Eresirica" (Iris syrica): swertella ib. 408, 6 (als Iris tu-
berosa) dazu gehören. Vergl. Germ. 21 (33), 304 M1 ermodactilis, hailhopfe und
305 »*• Hermodactilus, Zitlose. (Tirol. 15. Jahrh.)
4) Martius, Pharmakognosie des Pflanzenreichs. Erlangen 1832, 42 giebt
unter Radix Hermodactyli an, dass die Drogue Hermodactyli, Hermodacteln, Hermo-
dattel, arab. Khamyreh, aus Ägypten und Kleinasien stamme, und der weisse Wurzel-
46
Stammpflanze ihrer Hermodatteln oder Cytelosen nicht; Heyd, Ge-
schichte des Levantehandels im MA. nennt keine von beiden. Hier
ist Aufschluss über Herkunft des Namens nicht zu finden, aber es ist
offenbar, dass Hermodatteln und Cytelosen fremde Namen für fremde
Droguen, „Krüde", sind. Mielck hat darauf schon folgerichtig ge-
schlossen. Völlig sicher ist danach, dass Colchicum auctumnale L.,
die s. g. Herbstzeitlose, die Pflanze nicht sein kann. Vielleicht aber
verstand das von Sprengeil angezogene Arzneibuch von 1483 schon
diese Giftpflanze unter seinen wild wachsenden Squillen („de alleyne
wasset").
Aus dem romanischen Süden kam selbstverständlich auch der
Name wie das Symbol der Blume in der Marienverehrung, ähnlich
wie Name und Symbol der Rose, Lilie, Lilium convallium l) ; die
Hölzer palma, cedrus, oliva; die als Blume gedeutete platanus, die
Nelke; ferner eine Reihe Gewürzpflanzen2). Den spätlateinischen oder
romanischen Namen „cytalosa" brachte die Anm. zu V. 277 des Rosen-
kranzes der Marie3), die Herkunft aus dem Italienischen bezeugt
auch der gezischte Anlaut des V. 277, den der Niederdeutsche durch
cz wiedergab, und ebenso das häufige c, welches sich in das deutsche
„zit" schwerlich jemals verloren hätte. Ich habe deshalb auf citella
(zitella) osa, „stolzes Mägdlein" geschlossen4).
Da die Apotheker und Ärzte die Wurzelstöcke der vom Süden
kommenden, Cyteloze genannten Drogue kannten, so lässt sich nicht
annehmen, dass an den Orten ausserhalb der deutschen Zunge, wo
die Blume Cyteloze wirklich wuchs, diese nicht einen gleich oder
ähnlich gestaltenen Wurzelstock gehabt haben sollte. Sie muss ein
stock der Iris tuberosa L., des knolligen Schwertel, sei. Doch werde von anderen
als Stammpflanze Colchicum illyricum, Colchicum variegatum oder tessulatum an-
genommen, was nach dem Aussehen des Wurzelstocks auch möglich sei. W. L.
Petermann, Das Pflanzenreich, S. 159 f. leitet Radix Hermodactyli von Iris tu-
berosa L. her und bildet sie ab: Taf. A. 40 Fig. 244. S. 168 nennt er aber auch
Colchicum variegatum L. als Stammpflanze dieser radix.
1) Sie stehen z. B. alle, mit Ausnahme der Gewürze, mit Namen, nur die
Nelke ohne Namen, auf dem gestickten Kelchtuch von Schöningen, Kr. Randow,
aus dem 15. Jahrh. Balt. Stud. 1885. 35 S. 360—73. Keine der Blumen, mit
Ausnahme der Nelke, die ich neben der Rose eben so deutlich in Breviarien fand,
ist erkennbar; die Stickerinnen kannten sie nicht, nicht einmal Lilium convallium,
das doch jetzt als volkstümlicher Name „Lilienkonfalgen" für das „Maiglöckchen"
in Pommern, Mecklenburg und Holstein gilt und der Pflanze den Linne*'schen Namen
Convallaria majalis verschaffte. In der Stickerei sind dafür Blumen eingesetzt,
ähnlich wie Engel Gabriel sie als Lilienstengel bei der Verkündigung oder Joseph
in der Raphaelischen Hochzeit Mariae führt.
2) So in „Marien Rosenkranz" Jahrb. VI, 100—113. Vergl. VII, 13 und die
dort angezogenen altern Ausgaben des Anseimus (Schade, Geistl. Ged. v. Nieder-
rhein; A. Lübben, Anhang zum Zeno), Walther, St. Anselmi Frage 1890 V. 10.
3) Jahrb. VI, S. 108. Korr.-Bl. VI, 95.
*) Veneroni-Castelli, Dittion. Imper. (1743). 201. 876. 545. Wenn daher K
Hamann, Mitt. a. d. Breviloquus Benthemianus (15. Jahrh.) Hamb. Progr. der Real-
schule 1879 Nr. 613 S. 20. zu „Citella est sella asini, vel macula in libro, vel
parva puella" zusetzt: „zu lesen ist clitella" etc., so ist das jedenfalls für die
letzte Bedeutung irrig.
47 I
I
Zwiebel- oder Knollen-Gewächs gewesen sein; ferner lässt sich ver- I
muten, dass sie, schon der Marienverehrung wegen, in Klostergärten \
allmählich nach Norden verbreitet wurde, wie von so vielen andern, I
selbst heute völlig eingebürgerten und ausgewilderten Pflanzen (z. B.
dem Kalmus) bekannt ist.
Diese einer Zwiebel entspriessende Blume war gelb. Das war
so weit bekannt, dass sie von Konrad von Würzburg für eine der 6
heraldischen Farben benutzt werden konnte:
man siht durch grünes gras üf gan
gelwe zitelosen;
bi den röten rösen
glenzent viol bla;
durch die swarzen dorne lachet
wiziu bluot vil mancvalt:
die sechs varwe treit der walt1).
Meine frühere Meinung, dass vielleicht Iris persica L. dahinter
stecken möge, war also irrig; denn diese ist blau. Inzwischen haben
wir von dem bald nach 1350 schreibenden niederdeutschen Kölner
Pilger2) ein um so dankbarer aufzunehmendes Zeugnis für die Pflanze,
als er im Orient vergleichen konnte und genau und unzweifelhaft sein
Urteil abgiebt. Er sagt (S. 85): „Safferain den plantzent die lüde in
Arragonien3) as man ie dat tdlouch, ind weist auch nirgent nie, ind is
iceyst gantze velt voll, ind eyn houft mit eynre blomen, geschaft so grois
as eyne zydelose1), ind sy is wys ind bla, ind ey eyn bloim hau dry
lange vcsen in deme hertzen, ind dat is safferayn, wan dat syne zeyt
w, ind dan hrengent die lade Hörnen ind nement dar uys safferainby\
Der Safran, crocus sativus L., der über Meer gepflanzt wird,
dass ganze Felder voll stehen, wie um Köln das Ullauch, die Garten-
') S. auch hei G. A. Seyler, Geschichte der Heraldik. Heft 3. S. 125. (in
Siebmacher's Grossem und Allg. Wappenbuch). Vielleicht ist deshalb auch „flos
rampi" auf dem Kelchtuch von Schulungen (s. S. 46 Anm. 1) gelb gestickt.
*) Herausgg. von Röhricht und Meisuer 1886. ZDPhil. 19, 1 S. 1—86.
Vergl. S. 16 as man hie in der sterveden die joeden sloich. Ähnlich S. 22. Der
schwarze Tod brach in Köln am 18. December 1349 aus.
s) Da der Pilger nur von „ubermer" redet, so ist „Arragonien" verderbt.
Jedenfalls hat er den Safran selber bauen sehen. Da er von seiner Anwesenheit
n Armenien und Masenderan (Tabris) selbst erzählt, so mag er auch weiter nach
(ran hineingekommen sein; vermutlich ist daher Arachosia zu lesen. Nach De
.'andolle (Urspr. der Kulturpflanzen. Übers. V. Goeze. Leipz. 1884) wird in Persien,
\leinayien und Kaschmir wesentlich Safran gebaut, aber weder in Ägypten noch in
Vrabien. Wäre an Arachosia nicht zu denken, so steckt ein ähnlich klingender
L*ndschaftsname aus Klein-Armenien oder Kappadocien darin.
4) R. und M. erklären natürlich „zeitlose (Colchicum autumnale)".
5) Die Blüte von Crocus sativus uud die Gewinnung der Würze erklären
i. und M. falsch; sie deuten die „dry lange vesen in deme hertzen" als „Fasern
Staubfaden)" „mitten innen". Diese Fesen (stigmata croci) sind nicht die Staub-
teiltet, sondern die 3 hochgelben Narben, die richtig „im Herzen der Blume" auf
lern Fruchtknoten stehen. Der Pilger hat sehr genau zugesehen. Nach Petermann
. c. S. 160 geben die Narben von 203 920 Blüten erst i;2 kg Safran. Die gelbe
farbe unseres crocus vernus hat aber noch 1795 verleitet, in ihm den Safran und
1 den getrockneten Blüten den Farbstoff zu sehen. Neue Monatsschr. von und
lr Meckl. 4°. 1795. St. 2 S. 93.
48
zwiebel, Zipolle (Allium cepa L.), blüht blau und weiss; es ist das
vermutlich als Gegensatz gegen die gelbe Zydelose, vielleicht auch
gegen die allbekannte Farbe des im MA. überall gebrauchten Safran-
Gewürzes hervorgehoben, welches nach ihr (nicht nach der Blüte)
seinen arabischen Namen Sahafaran und spanisch (~ arabisch) Azafran,
von Assfar = gelb, erhielt. Umgekehrt bildeten die Griechen aus
ihrem Namen der Pflanze, von der verwandte, schlechtere Arten in
Griechenland und Italien wachsen, xpoxo;, das Adj. xpoxosi; = gelb.
das die Römer (croceus) und das Mittelalter (croceus = gilvus in
Konrad's v. Mure, Clipearius) übernahmen.
Die „ Zydelose u des 14. Jahrh. als Blume ist demnach unsere
bekannte Frühlingsblume, der gelbe Krokus, Crocus luteus Link.,
der aus dem Südosten allmählich nach dem deutschen Nordwesten
und dann Nordosten heraufkam. Schon Lexer erklärte im Mnd.
Taschen-Wb. 1881 den Crocus, allerdings neben Narcissus, für die
Zitelöse; später hat er sich durch Zingerle beirren lassen und die
Primula veris eingesetzt.
Der Crocus hat einen zwiebelartigen Wurzelstock; dass er selb-t
je officinell gewesen, ist vielleicht zu bezweifeln; aber der ganz ähnliche
und verwandte von Gladiolus paluster L. hat sich in die oben ge-
nannte Hermodatteln - Sippe doch eingedrängt als Radix victorialis
rotundi.
Dass man den bekannt klingenden und mhd. an zit und los ge-
mahnenden Namen bald umdeutete und nun als „zeitlos" fasste, dann
für die neue Deutung unter den bekannten Pflanzen einen Begriff
suchte, ist allzu natürlich, um auffallen zu können. Hatte man aber
erst die Erklärung „Unzeitig" herausgetiftelt, so war es ebenso na-
türlich, die auffallenderen, vor allen andern blühenden Gewächse mit
dem Namen zu benennen, zunächst gelbe und Zwiebelgewächse, dann
auch beliebige andere. Das Mittelniederdeutsche, das fast alle seine
Bluinennamen aus dem Mhd., seltener unmittelbar aus dem Latein
bezog, suchte sich diese dann Sprachlich zurecht zu legen. Daher die
vielfach verdrehten Bildungen. Es sind einschliesslich des Colchicum
auctumnale, das unten noch zu besprechen ist, bei Pritzel und
Jessen1) 10 Pflanzen, welche auf die eine oder andere — oft recht
verdrehte — Weise ihre Namen von der Zitelöse herleiten; die bei
Weitem meisten Ortsnachweise gehören der Schweiz an; die auch in
niedersächsischer Gegend vorkommenden werde ich mit nd. bezeichnen
Es sind: Anemone nemorosa L., Bellis perennis2), Crocus vernus L,
*) Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Hannover. Cohen. 1882. 1^4
2) Nur die gefüllte rote Zuchtvarietät heisst im Göttingischen Marien- (oder!
vielmehr Marjen-) blaume; die wilde nur Göseblaume. Übrigens ist mhd. zitlose.;
hermodactylus, marrubium, citomus, Bellis silvestris als gleich angegeben. X*M
kann nicht B. perennis sein, die nicht im Walde wächst. Vermutlich sind es AH
jetzt Piatanthera bifolia Rchb. und PI. montana Rchb. fil. genannten Orchideen
bei Theophil. Niemann, Prodromus Idiotici Meckl. (1798, 28 S. 8°): Orandt = Orcti^
bifolia L; Orant, Dorant, Durant. Tourant ist auch ein bös wandernder Pflanzenname
49
(blau), Galanthus nivalis (St. Gallen: „echte Zeitlose"!), Globu\aria
vulgaris L. (blau), Leucoium vernuui L. nd. *), Narcissus Pseudonaraissus
L. nd., über den, mit Narcissus poeticus L., noch weiter zu reden
sein wird, Tussilago Farfaro L., Primula veris L., letztere beide nur
in der Schweiz und mit grossen Verdrehungen (Zitterröslin — Zetter-
lose, Zitterlose, Zitterrösli) ; jetzt auch Tierlösken = Nymphaea alba L.
(S. Mielck im Korr.-Bl. 14, 1 S. 11.) Wie kam aber die fremde
Narcisse zu ihrem anscheinend deutschen Namen? Das ostfriesische
witte, gäle sisscn oder ssissen (ten Doornkaat Koolman 3, S. 188;
Pritzel und Jessen sagen: Schisse, Sisse und Zisse) ist einfach das vorn
verschnittene lateinische Wort; dasselbe gilt vom Meckl. Atzisch bei
Theoph. Niemann. Dieses Wort ist zugleich der Zuruf an Kinder beim
Anriechen an eine Blume. Ganz ähnlich durch Verdrehung istMarizisli
im Berner Lande neben dem fortgebildeten Marzisenrösli entstanden,
vielleicht hat diese Bildung dann zu den St. Galler auf „März" zurück-
fuhrenden Namen Anlass gegeben. Auf niederdeutschem Gebiete wurden
die „Hissen" zu Zitzen: gäle Zitzen Schlesw.-Holstein; gel Zitzen, witt
Zitzen 1798 in Rostock und Ribnitz, jetzt nur noch auf dem Lande. In
Holstei n schliesst sich daran unmittelbar Z i 1 1 e 1 r ö s c h e n, welches gerades-
weges in das Zeitlosen-Gebiet hinüberfuhrt: Tirlisken, Tierlo de, Tier-
lose, Tieloo, Tieloot und endlich Tietlose selber, alle im Weser-
gebiete. Hieran schliessen sich die Göttinger Namen mit ihrer An-
lehnung an Tit, Titte. Nur das älteste Vorkommen in Nathan. Chytraei
nomenclator (437 der Lemgower Ausg.) passt nicht ganz in die Reihe:
^Narcissus, Narcissenröselin, Hörniugsblomen, Tydtlosen"; aber mit
seinen nIlörningsblomen" verrät der geborne Pfälzer sich selber, es
sind die „Hornungsblumen" aus des Tabernaemontanus Kraeuterbuch,
und die „Tydtlose" aus des Dasypodius Dict. Latino-Germ., einer der
Strassburger Ausgaben von 1535 — 37. Sogar den Narcissus coeruleus,
wahrscheinlich die blaue Globularia, will er als „blauwe hörnings-
blaume* nach Rostock versetzen.
Sehen wir uns nun zum Schlüsse die deutschen Namen des
Colchicum auctumnale L., das heute fast allein noch in den
Büchern die Bezeichnung der Zitelose erhalten hat, bei Pritzel und
*) Die bei Schanibach, Götting. - Grubenhagen. Idiot. S. 230 angegebenen
Namen kommen allerdings vor, es wurde aber meist „Austerklöckschen" gesagt; ich
horte in den 20er und 30er Jahren die erste Silbe auch nie lang: tid, sondern
kurz: titt, genau wie titt m., mamma, womit wir Jungen es auch ohne Weiteres
zusammenbrachten, während das dim. loaeseken (loaeseken Sitten) für „sehr loseu,
auch „lotterig" gebraucht wurde. Mit -löte weiss ich in dieser Verbindung nichts
anzufangen. Für die gelbe Narcisse habe ich auch nur „Austerblaume" gehört.
I>ass Leucoium vernum, welches dort überall in den Bergen wild wächst, auch volks-
mä<sig einen Fremdnaineu annehmen konnte, entspricht nur dem nördlicheren
Lilienkonfaljen für das auch wild wachsende Maiglöckchen. Nebenbei gesagt hat
Schambach S. 231 die Bezeichnung „titte" f. als „nur von Tieren" gebraucht ange-
geben, während die Ha. „bi de titten krigen", ja selbst Reime, die als obscön hier
nicht genannt werden sollen, das Gegenteil bezeugen. Das masc. titt, pl. titte, hat
Schambach überhaupt nicht, es ist aber die üblichste Bezeichnung (titt geven,
t. hebben, t. suckeln). „Tis" wurde nur von hochdeutsch Angehauchten gebraucht.
Niederdeutsches Jahrbuch. XV. A
50
Jessen an, so fallen die meisten als alt oder aus altern Quellen an-
gegebenen, jener Verwechselung anheim, vor welcher oben Sprengells
Citat warnte: sie gehören der alten Drogue Zitelose und dem Allium
Victoriaiis. n Herbstzeitlose u ist danach überhaupt kein im Volke
steckender Name, nur aus St. Gallen wird ein „ Herbstziglose u und
anscheinend ebendaher ein „Herczelose", aus Bern ein einfaches .Zit-
lose" gemeldet. Der Name ist ein dem Frühlings-Crocus gegenüber
gefertigter Schulbotanikname, den nun die Lehrbücher und der Unter-
richt verkehrt in's Volk tragen. Demselben Gegensatze dienten schon
früh die Bezeichnungen: Waldzeitlose in Bocks Kräuterbuch von 153n
(wenn das überall Colchicum sein soll, das nicht im Walde wächst;.
Wiesensafran bei Cordus, wilder Safran bei Ncmnich, endlich Wiesen-
zeitlose im Elsass, hinübergetragen durch den Pfalzer Chytraeu*
in seinem Nomenciator: „Hermodactylus, Wischen-Tydelosc, Hervest-
blomen" (letzteres aus Cordus). Als mittelniederdeutsche Namen
stehen bei Pritzel etc.: ermodatten, kobenkrüt, kelberkrüt und kawe-
nerawt. Das letzte weiss ich nicht zu deuten, selbst wenn ,,awt~ -=
obiz ist, kobenkrüt und kelberkrüt fehlen im Mndd. Wb., doch i<t
ersteres voraussichtlich eine Verlesung für kobebenkrut, das bekannte
Kubeben-Gewürz, und gehört dann nicht hierher: sollte letzteres —
kelbervöt oder kalvesvot sein, so wäre es einer der vielen Namen für
das durch die Klöster weitverbreitete Arum maculatum. Ermodatten
erklärt Mndd. Wb. I, 724 freilich mit Colchicum auctumnale, die an-
gezogene Stelle des Goth. Arznb. „affrodillenpulver edder ermodatteir
weist aber auf die fremde Zwiebel; auch die Asphodelos wird von der
südlichen Zitelose nicht geschieden sein. Dann besässen wir überhaupt
keinen mndd. Namen für unser Colchicum.
Was die neueren ndd. Benennungen betrifft, so ist der angebliche
Bremer Name „nackende Jungfern" nicht niederdeutsch; die Pflanze
wächst dort gar nicht; der Name ist aus Büchern übernommen, er
soll in Thüringen vorkommen; ob er es wirklich thue, bleibt fraglich.
Auch die „nackte Hure" gehört Niederdeutschland nicht an. Über
das Vorkommen der Pflanze in Westfalen und deren dann mutmass-
liche Bezeichnung weiss ich nichts. Im Göttingen-Grubenhagensehen,
wo jene in den schwergründigen, lehnlichten Leinewiesen zahlreich al<
grosse Plage wächst, heisst sie nur „Haneklöaten" (die im Herh>t
erscheinende und rasch schwindende Blume, auch Hahneklöatenblaume l \ i
und „Klappern", fast nur als pl. tant. Letzteres sind zunächst die bei
der Reife der Samen klappernden Fruchttaschen, aber auch das grüne
Kraut und selbst die Blumen. „Klappern trecken", das Ausziehen der
Pflanzen vor der Samenreife, damit sie nicht in's Heu geraten, i^t
eine sehr unbeliebte Arbeit.
*) Schambach S. 73. „Klappern" fehlt bei ihm, auch in Sprenger's Narb-
trägen Jahrb. VIII.
ROSTOCK. K. E. H. Krause. I
51
Diele, dele, dale.
Die Veranlassung zu nachstehender Untersuchung gab Kirch-
hoffs Bemerkung über das sächsische Bauernhaus (s. Kirchhoffs Schul-
geographie 6. Aufl. S. 217, Anm. 3): „Uraltes Bauernhaus, noch jetzt
manchmal aus blossem Fachwerk gebaut, mit hohem Strohdach (unter
dem das Getreide lagert); die Stallungen r. und 1. neben der Diele
(eigentlich 'Deele' d. h. der Flur, in welche man durch die Thorfahrt
eintritt), dahinter der offene Herd und die Wohnräume der Familie. a
Diele lautet ahd. dil, dili, dilo, tille; mhd. dil, dile, dille. In
Schwaben dill n., in Baiern dillcn f., in der Schweiz diel, ditt^ tili und
diele, dilli. Gr. Wtb. II, 1099.
Die Bedeutung im Ahd. und Mhd. ist 'planca'. Für das Nhd.
führt Gr. Wtb. folgende Bedeutungen auf:
1. Brett, Bohle, assis.
2. Der bretterue Fussboden eines Zimmers, der Estrich.
3. Die Zimmerdecke, im südlichen Deutschland gleichbedeutend mit Bühne.
4. Schlafkammer über der Wohustuhe ; auch der obere Boden des Hauses.
5. Brett zu besonderem Gebrauch eingerichtet. Bücherbrett (Lessing).
6. Wand, Bretterwand.
7. Die Hausflur, der Vorhof (Hülty, Tieck).
8. Der festgestampfte Lehmboden einer Scheune, die Scheundiele, Scheun-
tenne (Brockes; Moser: die Deele Dreschplatz im Hause).
9. In der Lausitz hcisst Diele im Ackerbau der feste Erdboden unter der
Dammerde (Adelung).
Grimm meint: „Es hat den Anschein, als ob verwandte, aber
ursprünglich doch geschiedene Formen unter einander gemischt seien.
Merkenswerth ist es, dass im Ags. und Altnord, thil n. und thilia f.
auseinander gehalten und im Niederd. dcle = 'Brett' und dale 'Fuss-
boden' unterschieden werden. Wir müssen wrol ein verlorenes starkes
Verbum dille, dal, dullen mit der Bedeutung 'befestigen, durch Grund-
lage sichern' annehmen."
Im Niederd. stelle ich zunächst die Benennungen für Diele 'Brett,
Bohle' zusammen.
Auf dem Harze, um Blankenburg, um Helmstedt dele mit
langem e, gesprochen wie franz. e in allee.
Um Göttingen dcle; Schambach giebt dele an.
Im Solling dlole.
Im Westfälischen didle. Woeste, wcstf. Wtb. 52a.
Im Ilamburgischen dehle (per y). Richey, Idioticon Ham-
burgense 379.
Im Ditmarschen d(fl (spr. dill). Quickborn p. 285.
Im Niederländischen deel.
Im Ostfriesischen dälen, PL J. ten Doornkaat Koolman, Ostfr.
Wtb. I S. 275.
52
Die nd. Benennungen für Hausflur, Dreschtenne lauten:
Auf dem nd. Harze dsle; S wie franz. e in mere.
In und um Fallersleben d$e; 9 = ä. Die deutschen Mundarten
V S. 53.
In und um Schöppenstedt däle.
Nördlich von Goslar im Ort Haringen, also im engrischen
Gebiete, d&le.
In den Fürstentümern Göttingen-Grubenhagen dele; e = a.
Schambach, Idioticon S. 42a.
Im Altmärkischen da/, schhndiLl. Danneil, W7tb. der alt-
märkischen Mundart S. 31.
Im Westfälischen dqle; 9 = 8. Woeste, westf. Wtb. S. 43*».
Im Ostfriesischen döskdU = Dreschtenne, dSJ = Hausflur.
J. ten Doornkaat Koolman, ostfr. Wtb. I S. 275.
Im Hamburgischen dehle = oftener Kaum vorn im Hause.
Itichey, S. 35.
Im Lippischen doli = Hausflur, Tenne, meist von festge-
stampftem Lehm; davon dellig \ dällig = nicht locker,
z. B. delliges Brot. Man verhochdeutscht in Rissen und
Bauanschlägen hier zu Lande: deel oder dehl, Diele. Die
deutsch. Mundarten VI S. 5G.
Im Niederländischen dcel.
Im Niederländischen, Ostfriesischen, Hamburgischen, d. h. im
nördlichen und nordwestlichen Teile des nd. Sprachgebietes, scheint
man die Bezeichnungen für Brett und Dreschtenne in der Aussprache
nicht auseinander zu halten, wohl aber im südlichen Teile des Ost-
fälischen und Engrischen. Hier wird der Name für Dreschtenne oder
Hausflur mit einem tiefen II, der Name für Brett mit langem e oder
ia gesprochen. Engrisches ia entspricht seinem lautlichen Werte nach
dem ostfälischen e, beide geben mhd. i wieder, d. h. didle und drle
entsprechen genau mhd. rfi7, nhd. diele 'Brett' oder was aus Brettern
gemacht ist.
Von Bedeutung ist, dass sowohl im Engrischen neben diSle ein
rfeZ*, als auch im Ostfälischen neben dele ein dUe besteht. Es geht
nicht wohl an, diese Formen als bedeutungslose Varianten anzusehen.
Im Ostfälischen, insbesondere um Blankenburg a. IL, entspricht a.
soweit ich den Dialekt durchforscht habe, niemals mhd. i, sondern
immer durch Umlaut oder Brechung einem urspr. a-Laute. Demnach
bin ich der Ansicht, dass dele und d\de zwei verschiedene Worte sind.
In diesem Sinne äusserte sich schon Woeste, westf. Wtb. s. v. deie:
„Wahrscheinlich ist e aus a gebrochen, wie in tfeZ, womit es zusam-
menhangen wird: d$le, der niedrigste Teil des Bauernhauses, weshalb
auch ihre Thür die nvndor heisst. Dass dieses Wort nicht mit mhd.
dil, nhd. diele eins sein kann, ist klar, da wir Diele, dülc von Dehle.
dele unterscheiden." Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch
dale im Br. Wtb. Ist das sächsische Bauernhaus mit der charakteri-
stischen Flur oder d£le etwas specifisch sächsisches, so wird der Name
53
dafür auch echt sächsisch sein und da fehlen, wo auch der Gegenstand
fehlt. Deshalb wundere ich mich nicht, dass z. B. im Ostthüringischen,
in Stiege auf dem Harze und in Kelbra in der goldenen Aue, für
Dreschtenne und Hausflur der Name Diele nicht vorhanden ist; das
erstere heisst Tenne, das letztere Flur. Und doch liegt Stiege nur
eine halbe Stunde von dem niederd. Hasselfelde entfernt. Diele in
der Bedeutung Dreschtenne, Hausflur wird besonders in Norddcutschland
gebraucht (s. Th. Heinsius, Wtb. der deutschen Sprache I S. 760),
hier ist nd. dehle, resp. tffifc, und Diele fälschlicherweise fiir dasselbe
Wort gehalten und daher dehle (dUc) durch Diele wiedergegeben.
Brockes war Hamburger Ratsherr, Hölty stammte aus Mariensee im
Hannoverschen, Moser aus Osnabrück. „Die Bedeutungen 'Hausflur,
Dreschtenne' im heutigen Nhd. wurden aus dem Niederd. aufgenommen"
(Weigand, Wtb. I S. 371), während Kluge, Ktym. Wtb. p. 50: „rohd.
bretterner Fussboden (ndd. noch 'Hausflur') u sich von der richtigen
Ansicht wieder entfernt. Korrekt würde es sein, Diele nur in seiner
eigentlichen Bedeutung zu gebrauchen, für 'Hausflur, Dreschtenne' aber
entweder diese Worte oder allenfalls das nd. Wort, vielleicht in der
Gestalt 'Dehle', anzuwenden.
BLANKENBURG a. H. Ed. Damköhler.
Plattdeutsehe Sprüehwörter und
Redensarten aus Hinterpommern *).
1. Jenn Gaud' seggt: Wenn ik iwends utem Kräng' nä Hus
kam 4 segg' 'Gunäwend', dat aewrig' seggt min Ollsch (W\).
2. Fi ack; fi, dat is ack; nimm nich, dat is ack (Cz.). So
sagt man, um kleine Kinder vom Anfassen schmutziger ßaehen abzuhalten.
3. Dei Anblick was nich schlecht, saed1 Adam ä kikd' (kek)
Ewe ungre Rock (W.).
*) Die hier mitgeteilten plattdeutschen Sprüehwörter und Redensarten aus
Hinterpommern sind ein Nachtrag zu meiner ersten Sammlung „Plattdeutsches aus
Hinterpommern", die als Beilage zum diesjährigen Osterprogramm des Gnesener
Gymnasiums veröffentlicht wurde. Sie waren, da sie grösstenteils mehr oder minder
anfttössig sind, aus einer Programmarbeit auszuscheiden, aber wegen ihrer Wich-
tigkeit für die Feststellung der hiuteqwmmerschen Sprache durften sie nicht zurück-
gehalten werden und erscheinen deshalb hier als „dritte Sammlung" meines Platt-
deutschen aus Hinterpommern. Die in Klammern beigefügten Ortschaften sind fol-
gende: Carzin (Cz.), Gr. Gänsen (G.), Culsow (Cl.), Zezenow (Z.) im Kreise Stolp;
Beigard, Schönehr und Freist im Kreise Lauenburg (L.); Wusseken (W.) im
Kreise Bütow.
54
4. Ik war di wat angers daune (Cz.). Umschreibung für das
grobe ik war di wat schite.
5. Fein Arbeit daune d. i. huren (W.).
6. Wer ne grote Noarscli het, mutt uk wide Bickse hebbe (W.'j.
7. Wi mutte wat upgäne läte, aber nich de Noarsch (\Y.).
upgäne 1) drauf gehen, 2) aiif gehen.
8. Lät di de Sinn inne Noarsch sehine, denn kriggst du wat
Warms int Lif (W.).
9. Dei kann ne Rung' im Moarsch tebraeke (W.). Er ist ein
grober Kerl; auch dem kann ma u. s. w.
10. Hei wart em noch enne Oarsch krupe (L.). Der Schmeichler.
11. Ut, seggt Knuth, de Schiffel im Noarsch, de Stael steckt
ut (W.). Neckreim auf den Bauer Knuth in Kl. Massowüz. Ein
anderer Beim auf die dortigen Bauern lautet: Hauss was de Gaus,
Heyer laecV Eier, Knuth satt se ut, Trabandt was de Gant, Hass
plickd' Gras.
12. Dem geht uk de Oarsch mit Grundis (Cz.). Er ist in sehr
grosser Angst.
13. Einem de Noarsch beseine (Cz.), um ihn durchzuprügeln;
ebenso: de Puckel beseine. Anders de Blanke wise, als Zeichen höchster
Verachtung, s. meine Volkssagen S. 74.
14. Em jaekt de Noarsch d. h. er will Prügel (Cz.). Dagegen:
Dem Maeke jaekt de N. nä de Bengels, sie läuft den Betigels nach.
Eine Mutter sagte zu ihren Kindern, die bei grosser Kälte Schlitten
fahren wollten: Juch jaekt woll de Noarsch V Nu will ji all wedder
uppe Schlaede gäne ä verfreire.
15. De Wind jeggt woll Sandbarg' top, aber kein dicke Oarsch-
lecher (W.). Plötzig: Wind drifft woll Sandbäge top, äba keine dicke Buk.
16. De Ogen sind noch wit vom Noarsch (W.).
17. Hei het ne Buk as he drachtig Lewark (W.).
18. Hei het sone Buk as a drachtig' Saeg' (L.). In CL von
einem grossen Bauch: du best uk ne sehen' ull Mig'.
19. Du best woll Knäken im Buk? (G.). Einer, der sich nicht
bücken mag.
20. De Bur is he Bur ä blifft he Bur; steckt ma em de Finger
int Mul, denn bitt hei, steckt ma 'n em inne Noarsch, denn schitt
hei. De Bur is he Bur ä blifft he Bur (W.).
21. Schit de Wand entlang, denn denkt de Bur, dat is malt (W.).
22. Wenn de Bur dichtig Klit' inpackt het, kann hei ne daege
Furz pisse (W.).
23. Wer de Bein gaut mit Hoar bewusse het, dem hebbe de
Imme gaut Oart (W.).
24. Dei Maekes bisse, krige de Biss' (W.). Sie laufen nach
Herrengesellschaft.
25. Dat is so blank as eie Judeei (Z.).
26. Wat geht dem Bück dat Lamm an! (W.).
55
27. Ma wiss, ja woll het de Bück ne Bidel (Cz.). Zusatz zu
einer bejahenden Antwort auf eine beliebige Frage.
28. Hochtit im Plummegoare, de Brut dei het de Kranz ver-
loare (Cz.).
29. Dat bringt de rik Brut k de versäpen Schwigermutter mit
sik (W.). Dass der Schwiegersohn immer gut leben kann.
30. Kam ik äweuds späd' ne Hus, deht min Ollsche brumme,
naena ik denn de Vigelin k spael är eine Krumme (W.).
31. De Biekse vull hewwe, in grosser Angst sein (Cz.).
32. Wenn 't nich bottre schall, bottert 't nich, o wenn ma
di Hose aftreckt o rinne schitt (Cl.). Siehe meine Sagen S. 171.
33. Koppke, Feitkes, alles warm, Hindrport äpen, denn brukst
du nich tum Dokter lopen (L.).
34. Dat is gräd so (groff) as mit de Schiffel inne Dreck (W.).
35. Hei dreigt (wingt) sik as de Furz im Schnuppdauk (W.).
36. Du kriggst Dresch, dat du anne Helft naug hest (W.).
Auch: Du misd' Dresch hebbe, dat du de P&pe begehrst.
37. Dat is noch wit intwei, saed' jennt Maeke k kek sik twischen
de Bein (W.).
38. Ik erjetzd' mi doaran as de Jud' am Gnatz (W.). An der
Arbeit; Gnatz = Krätze.
39. De erschte naegen (nämlich Seidel) sind de schlimmste (W.).
40. Hei is so ful, dat hei nich dat Mul uprite mag (Cz.).
41. Dei het dat hibsch Fell uk väre Oarsch kraege (W.). Ein
Mädchen, das Geld hat, aber hässlich ist.
42. Wer kein Fisch ett, schitt uk kein Gr&de (W.).
43. Lät ein fleige, seggt Seefildt o gaff de Katt ne Puss väre
Noas (Cl.).
44. Ne besäpen Fru is he Engel im Bedd (W.).
45. Hei geht up de Fri (Cz.). So sagt man scherzhaft, wenn
jetnand sein Schnupftuch aus der Tasche hängen lässt.
46. Dei Jung' will frige k is noch nich hingerre Ohre bedregt
(W.). So sagt man, wenn ein zu junger Mensch heiraten will.
47. So is dat, wenn ma verfrigt is ä het kein Fru (W.).
48. Dat is fruchtboar, seggt Krepel, stelld' sik anne Strom
un pessd' ent Wäter (L.).
49. Int Fossise perre d. i. in Menschenkot treten (Cz.).
50. Di het woll de Gant de Taene utfist? (Cz.). So sagt man
zu Kindern, wenn sie Zähne verloren haben.
51. Di hebbe de wille Geis' up de Brak schaete, k de Gant het
di ni Hus tottert (W.). In Cz.: Di hewwe de wille Geis' uppe Brak
utschaete, u de Gant het di int Derp tottert. — So sagt man von
unehelichen Kindern; auch andere, die gern wissen wollest, wie sie auf
die Welt gekommen sind, erhalten diese Antwort. Man sagt auch: Di
het de Kauh ungerm Kumm utkratzt (Cz.).
52. Dat gifft Kloppfleisch k Ballerklit' d. i. Prügel (Vf.).
56
53. Du best ne Dreck tautägaewen, seggt de Oberferschter,
dat Taugaewen is min Sach (W.). I
54. Hei geht as de Katt inne Weihdäg' (Vf.). '
55. Gä mi utem Licht, ore siss sett di ne Spegel inne Noas (CI.l
56. Du gehst, as wenn du ne Pähl im Moas hest (CL).
57. Hei (der Hund) geht so af, as wenn hei Fier ungreiu '
Schwanz het (Cz.). Wie Simsons Füchse. Wird auch sonst gesagt.
58. Hei geht, as wenn em de Oarschbacke verkleimt sind (Cz. .
59. Immer gemütlich, wenn uk bi Muddre im Bedd (L.).
60. Je arger Hauer, desto mehr Glück (W.).
61. Ach Gott, wo grot is die Tiergoare! (CL).
62. Wat de leiw' Gott doch alles laewe lett! Dat sull hei doch
glik afschlachte (W.). Diejenigen, die sich über Vermögen hinaus putzen.
63. 0 Gott, wat bist du färe Gott! nimmst mi de Kuh ä lett<t
mi de Fru (W.).
64. Du mi gram, ik di gram, dat Herr & Fru mischt markt*
kann (W.). So das äussere Verhalten zweier Liebenden, die in derselben
Wirtschaft dienen.
65. Wo vael hest du? Acht u elwen, so vael as de H&s' kaetelt
(Cz.). Antwort auf die neugierige Frage.
66. De junge Hahns traede am dollste (L.).
67. Dat hilt so schwoar as bi 'm Bück dat Lammen (WY).
68. All hott helpt, seggt de Meisk ä pisst inne Strom (Wa
Auch de Migg'; Cl.: seggt 't Miske (Mäuschen); Z.: pisst inne Strand.
Statt all bott hört man auch all wat.
69. Eige Hemd um Tun, eige uppe Kaldun (W.). Von arnun
Putzsüchtigen gesagt.
70. Hei het he Stick vonne Haunerf.tz upfraete (W.). Da*
sagt man von solchen, die das Maid nicht halten können.
71. Schit uppe Hund, de Tel jeggt uk (W., Cz. u. ö.). So
tröstet man sich bei Verlusten.
72. Inne wille Jagd sinne (.W.). Binne sind se inne wille Jap)
— sagt man zu jemand, der in ein Haus gelten will, in dem grade eihc
Frau entbunden wird.
73. Dat is a schee ull Juckhult (Cl.). Ein lüsternes Frauen-
zimmer.
74. Pe a pe muss man die Jumfer schnüren (W.), d. i. peu a
peu, nach und ivxch mit der Arbeit zum Ziele kommen.
75. Ma rupp up de Muddr, wenn se jung is; wenn se olt k
brummt se (L.). Was du heute thun kannst, verschiebe nicht auf morgen.
76. Von di misd' ma Junge ligge I&te (W.). Damit das Ge-
schlecht der Faulen nicht ausstirbt.
77. Dat is so kult, dat einem de Oarsch tauklappt (Cz.).
78. Nimm de Katt vär de Knei, sihst du nich, siht sei (WY).
79. Lick de Katt im Moas, denn hest du de Kater täm
Schwäger (W.). Wird dem zugerufen, der ein Gebot nicht annehmen tcäl
57
80. Du kennst mein Herz noch lange nich. Giff a halw' Pund
(= 1I2 L. Schnaps) un du warst dat kenne lehre (L.).
81. Du bist e Kirl, wo e Kopp upsitt o de Hund Naes' o
Ohre anschitt (Cl.).
82. Du bist söe Kirl, wenn du uppem Messhupe stehst, käst
du dem Hähne inne Oas kike (Cl.).
83. Du bist söge Kerl as Huppke sige Sack, schäd' dat du
nich so bammelst (W.).
84. Du bist he Kronkerl bat anne Oarsch, Aber doar fängt de
Schitkerl an (W.).
85. Du bist so 'n Kerl as 'n Oarschvigelin == crepitus ventris (L.).
8G. Dat is so kloar as Judeeer bi 'ni Mäneschin (W.). So sagt
man, wenn jemand trotz aller Erklärung nichts hegreift.
87. Dat klingt, seggt de Scheper o sehet in di Tunn (Cl.).
88. De klauke Heiner legge uk in di Nettel o verbrenne sik
de Noas (Cl.).
89. Hei het son' Knaewele, as wenn hei de ulle Saeg' im
llingerschte weilt het (W.).
00. Dat kimmt nä as dat Zdnowsch Beier (W.).
91. ülik noch eis kimnist mi her, glik noch mal naem ik di
vär, seggt Hosefildt o lickt de Pogg e Noas (Cl.).
92. Dat 's glik e anget Kurn, seggt di Möller o bet inne Mus'-
irummel (oder Musdreck; Cl.). L.: Dat is a Korn, seggt de Möller
un bet enne Mus'frommel.
93. Ach du kriggst em goarnichin! (W.). So heisst es} wenn
eine schwere Arbeit nicht recht fortgehen will.
94. De Kauh het bullt, nu Melk ä Botter naug (W.). So ent-
schuldigt man sich, wenn keine Milch und Butter im Hause ist.
95. Kik, wo de Keih danze! (L.). Vo?i ausgelassenen, lustigen Leuten.
96. L4t me, lät! Sei läte alle (L.).
97. Hei lett di, as de Kreh de Stubbe (Cz.).
98. Wat helpt dat verzägde Laewen! Ut dem verz&gde Noarsch
kimmt keige irehlig1 Furz (W.).
99. Wat dat fär e lustig Laewen is, wenn de Kauhstall dicht
bi 'm Pirdstall is! (Cz.).
100. Dat is dat Letzt (de Neigv), saed' de Düwel o sehet dat
Hart ut (Cl.).
101. De Mann un de Fru sind de beste Lud', äwer se mutte
im Bedd sinn (L.).
102. Wo twei ligge gäne, steht de dridd' up (W.).
103. Di wart de Kuckuk wat in de Hansche mäke (L.). So
sagt man, wenn jemand zu der Zeit, wo der Kuckuk schon ruft, noch
Handschuhe trägt.
104. Oppem Danz valeirt manch Maeke de Kranz (L.).
105. Wat is doch de Min seh, wenn em näkt is! (W.). So sagte
ein Mädchen beim Flohjagen; andere, die es hörten, verbreiteten das
Wort weiter, um sie damit zu foppen.
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106. Menschen wollt ihr sein? Innen Himmel wollt ihr rein?
Aber der Hund soll euch was te e en ten! (Neu-Sanskow bei Polzin).
107. Dat is kein dow' Naet, seggt Granzow ä hedd in veier
Joahre fif Kinger (W.).
108. Wenn dat in einem Joahr vael Naet gifft, gifft dat uk
vael Haure (W.)
109. Dat passt gräd' as Klotze de Mitz: sei hedde se em vull-
mäkt ä sedde se em up, dat em de Dreck aewert Gesicht leip (V.).
110. Dem Kreiger up de Schwell pisse d. h. nur bis an dit
Thür kommen (W.).
111. Wer kann inine Früe dat Pissen verbeide? Mutter, pi<%
ä wenn 't fif Däler kost (W.). Ein Jahrmarktsscherz.
112. Dat platscht, as wenn de Kauh int Wäter schitt (Cz.h
113. Min Put' is noch nich ruch! (L.). Diese Worte gebraucht
man, um jemandem durch die Blume zu verstehen zu geben, dass vr
noch zu dumm oder jung ist, um mitzureden.
114. Eige Puthoar treckt mehr as tigen Perd' (W.).
115. Di is woll he Furz in de Quär käme? (W.).
116. Dat rikt, as wenn de Jud' Knufflok ett (L.).
117. Rundung, seggt Schlottog (L.).
118. Ik bin nich sauber up de kleine Tuffle, wenn dei grote
all sünd (Z.).
119. Eige M&l schädt keine Jumfer nich (W.).
120. Dat schitt so vael as dat draent (W.). Da ist alles
Beden vergebens.
121. Schit, seggt Klatt ä heil dem Wiw' dat Stippel undre
Oarsch, ä doarbi sehet sei em doch noch uppe Dume (W.).
122. Rae rae, ra ra, ne Schaet leit hei, weg was hei (W.).
123. Du sasst hebbe, wat Schreder kreg: von naegen Derper
de Dinnschit, aber tophäle musst du em di (W.).
124. Wenn ik di so im Noarsch hedd as im Mäge, denn sehet'
ik di drei Hiser hoch (Z.).
125. Hei mügd' em de Ogen utkratze un dei Löcher vull-
schite (Z.).
126. Wer dat Glück hewwe sali, beschitt sik im Schläp (Z.).
127. Wer mit dei Kelwer pleigt, dem beschite sei dei Büss (Z.).
128. Wer mi bekikt un mi belacht, dem ik beschit' un goar
nich acht (Z.).
129. Du kannst raede as en Dokter un schite as en Ap-
teiker (Z.).
130. Wer licht schite kann, brukt nich dricke (Z.).
131. Klaukraeden un inschiten kost kein Gild (Z.).
132. Freu di näkt, denn schittst du di nich int Hemd (Z.).
133. Ne Pris' Tobback is baeter as wenn eim de Hund wat
schitt (Z.).
134. Mit Schick kriggt ma nem Wiw' ne Tunneboddem inne
Oarsch (W.). Wenn man ihn verbrennt und ihr die Asche eingieU.
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135. Mit de RaucT väre Oarseh ä he Stick dreg1 Brot in de
Hand, denn wart hei naug schl&pe (W.).
136. Schmeck du, eis du wisst, seggt jenn Gaur o fratt uppe
Schwinsdarnie los, wil hei 't Schwin mit Baukweitgritt o Rosine futtert
herr (Cl.).
137. De Schulte verklage d. i. seine Notdurft verrichten (Cz.).
138. Dat schwappt, seggt de Kester o sehet in di Asch (Cl.).
139. Ostre ä Pingste tä seinen krige (W.). Das geschieht, wenn
Mädchen so fallen, dass ihnen die Bäche über dem Kopf zusammenschlagen.
140. Hei siht ut as ein utschaeten Arft (CL).
141. Das is so, as wenn de Hauer utein Danz geht (W.). Sich
eilig verziehen.
142. Mi is so, as wenn ik e Rind upfraete heww (L.). Wenn
jemand den Kater hat.
143. Zuletzt, meine Brüder, seid stark! seggt Kieker ä trumft
imniertau (W.).
144. Hei steht, as wenn de Kauh schite will (Cz.).
145. Farre stäne (Cz.). Wenn ein Kind abends hinausgeht, um
ein Bedürfnis zu befriedigen, und eine andre Person muss es begleiten,
um ihm den Grauel zu verjagen, so heisst es von dieser: Hei steht Farre.
146. Et stinkt nä Melk (L.).
147. Sei staent up de junge Knäken (Taene, W.). Vom Stöhnen
der Frauen während der Schwangerschaft.
148. Ja, wenn min Tant ne Nille hedd', denn wer 't mige
Uiikel (W.).
149. Schmuck ä rik schitt de Diwel nich täglik (W.). In Z.:
M'hitt keie Hund tauglik.
150. Hei is so doarhinger, as de Diwel hingerre JudeseP (W.).
151. Wat de Diwel kaekelt, will de Kutt verkepe! (W.). So
soll der Hahn zur Henne gesagt haben, als sie sich über das schwere
Eierlegen beJdagte. Nach andern: Dat verzieht sik.
152. Schwigennutter is Düwels Unnerfutter (Z.).
153. Dei Lud' hewwe vörre Raegen son' Angst as dei Diiwel
vörm Wihwäter (Z.).
154. Wat dei Düwel för Eier leggt un kann sei nich besitte! (Z.).
155. Hält dei Düwel dei Preister, denn lät hei ok dei Köster
hale (Z.).
156. Du kannst tum Diwel un sine Grotmuddr gäne (L.). Du
kannst dich wenden, wohin du sonst willst.
157. Im Bedd a Ingel, senst a Diwel (L.). Ein böses Weib.
158. De Diwel kettle (Cl.). So bezeichnet man scherzhaft das
Klappern des Hofmeisters, wodurch er die Tagelöhner zum Scharwerk ruft.
159. Doa.schlä Gott de Diwel dot! (Cz.). Blosser Ausruf des
Staunens, der Überraschung, wie auch: Doar kann eie lang bi däl-
<chläne!
160. Di sali de Diwel häle! Di sali doch glik dis' u jenn
lulle! (Cz.). Fluchformeln.
60 |
161. Wer de Do cht er hewwe will, hüll dat mittr Muddr; mittr
Mudder nich so sehr, mittr Dochter noch vael mehr (L.).
162. Was zu toll ist, das ist zu toll, saer jenn Freister, a^
em di Wust uppe Schufkär (Schiebkarre) brecht wurt, aber schiebt 's
man doch herein (CL).
163. Du bist he Duller uppe wille Berc (Eber), lettst em noch
ut, wenn du em all im Sack best (W.). So sagt man von jetnand, der
mit seinen Leistungen prahlt, hinterher aber doch nichts ausrichtet.
Häufiger jedoch wird der erste Teil des Sprüchwortes auf junge Mädchen
angewendet, die den Männern nachlaufen.
164. Tonne voll! seggt Kuschel (L.).
165. Heraus mit dem Unreinen! Baeter inne wide Wilt as im
enge Buk, saed' Wedd ä leit ne grote Schaet (W.).
166. Dat is täm Vricktkrigen (Verrücktwerden)! seggt de
Jud' (W.).
167. Hei steht undr sinem Wachtmeister (L.). Er ist ton
seiner Frau abhängig.
168. Wer nich wägt, dei nich winnt; wer nich hauert, kriggt
keie Kind (W.).
169. Dei lett sik ok as Waschlappe bruke (L.). Erlässt sich
edles gefallen.
170. Dat Wif ä de Seiss verborgt ma nich gern (W.).
171. Rinn mutt hei, ä wenn wi beid' sulle weine (W.). Fertig
muss die Arbeit werden.
172. Di sali dat Wetter häle! Doa sali doch glik dat Wetter
rinschläne! (Cz.). Di schaddat (= schall dat) Wind un Waere häle!
(Bublitz). Fluchformeln.
173. 0 du Schlucht un Waere! (PL). Wetter nich eis (CzJ.
Ausrufe.
174. Dei weit sinen Hund tau leiden, dat hei nich dei Strang
beschitt (Z.).
175. Grotet Wort un wide Bickse (L.). So sagt man, wenn
jemand gross redet, aber dabei doch Furcht hat
176. Hei betaemt sik nich dat Schwärt hingerm Nägel (Cz.i.
Er gönnt sich nichts.
177. He Taenke bedit (= bedeutet) he Saenke (W.). Zahn-
schmerzen bei Frauen während der Schwangerschaft.
ROGASEN. O. Knoop.
61
Der Heliand und die
niederländischen Volksdialekte.
Vortrag,
gehalten am 27. Mai 1890 auf der Jahresversammlung
in Osnabrück.
Im Jahre 1868 kam Windisch in seiner Schrift „Der Heliand
und seine Quellen u zu dem Ergebnis, dass der Dichter die zur Zeit
Ludwigs des Frommen geläufigen Kommentare zur Bibel benutzt
habe: zu Matthaeus Hraban, zu Johannes Alcuin, zu Lucas und Markus
Beda. Namentlich aus Hraban seien Stellen verwendet, die dessen
persönliches Eigentum wären.
Da Hraban's Kommentar nicht vor 822 geschrieben sei, so
müsse der Heliand nach diesem Jahre gedichtet sein. Seit dieser
Zeit gilt es unter den Germanisten als feststehend, dass das Gedicht
wischen 822 und 840, dem Todesjahre König Ludwigs, entstanden
>ei. Als Ort der Entstehung nimmt man dann wohl die Abtei Werden an.
Und doch stehen die Schlüsse von Windisch und Grein gar nicht
;o fest. Mit Recht machte Zarncke (in einer Recension der Schrift
ron Grein „Die Quellen des Heliand" Lit. Centralbl. 1869 Sp. 209—11)
larauf aufmerksam, dass wrir doch nur einen geringen Teil der zahl-
eichen „Catenen" kennen, die zu jener Zeit existiert haben, dass
liese Commentatoren oft wörtlich von einander abgeschrieben haben,
lass viele Beweisstellen wörtlich ebenso wie bei Hraban, Alcuin und
Beda schon bei den alten Kirchenvätern Hieronymus, Gregorius und
Augustinus ständen1).
Aber auch aus andern schwerer wiegenden Gründen ist die An-
lahme, dass der Heliand nach 800 in oder an der Grenze von Sachsen
eitstanden sei, unmöglich. Der Heliand kann nur unter einem und
ur einen deutschen Stamm gedichtet sein, der lange in Verbindung
nit dem Christentum und der romanischen Kultur gestanden hatte.
Sechstem wies auf einer unserer Jahresversammlungen darauf hin,
lass der Heliand als eine echte Kunstschöpfung nicht am Eingange
iner literarischen Epoche stehen könne, sondern eher den Abschluss
l) H. Rückert in seinem Heliand S. 234 sagt: „Die echt pfäftische Er-
indung, dass des Pilatus Weib auf Antrieb des Satans für Jesus bittet, ist von
rre gor dem Grossen erdacht." Pfaffisch? Wem sein Heil so wichtig war, wie den
lten Christen, der musste zittern, dass die an Pilatus ergangene Warnung die
öl 1 ige Erlösung hindern möchte. Sollte dieser Gedanke erst dem Gregor gekommen
einV Er kam gewiss schon den angehenden Christen der Kaiserzeit, wenn ihnen
as Leiden des Herrn zum ersten Male erzählt wurde. Oder sollten sie anders
edacht haben, als Paulus im Ebräerbriefe 2, 9, Petrus im I. Briefe 2, 21, Johannes
n L Briefe 1, 7 oder der alttestamentliche Joseph Genesis 50, 20?
62
einer solchen bilde1) und Behagel hat richtig bemerkt, dass die vom
Dichter mit sichtbarer Meisterschaft gehandhabte Alliteration nur füi
bekannte Stoffe geschaffen sei, aus denen nur die wichtigsten Moment»-
hervorgehoben zu werden brauchten.
Dann aber ist es doch eine seltsame Auffassung der Zustand?
in Sachsen, welche der 30jährige Krieg Karls hervorgebracht hatt»*.
zu glauben, dass um 830 in diesem oder für dieses Land ein christ-
liches Epos im nationalen Stile hätte gedichtet werden können. Karl
hatte Sachsen, nachdem er es nur durch die Hülfe der Elbslaven
besiegt und dem moralischen Untergange nahe gebracht hatte, der
römischen Kirche übergeben, weil er nichts damit anzufangen ver-
mochte. „Karel let se ane heren dat sc Godde horsam weren und»
eren bischoppen unde geven eren tegeden. Dat stont lange tit* —
sagt die Sachsenchronik. Die Kirche hat dann ja dem sächsisch .■«
Volke die Existenz gerettet. Aber zunächst muss es doch eine plumpe
Zwangsanstalt gewesen sein. Höchstens eine Anzahl vornehmer Fa-
milien können sich in der zweiten und dritten Generation innerlich
mit den neuen Zuständen befreundet haben.
Das neue christliche Niederdeutschland kann keine etwa im Sinnt1
der angelsächsischen aus eignem Geiste quillende Dichtung und Li-
teratur hervorgebracht haben. Die Sprache der kleineren altsächsisrl:
genannten Denkmäler ist allerdings in Sachsen gesprochen, aber nicht
vom sächsischen Volke, sondern von fränkischen und südfriesischeh
Klerikern, Edelleuten und Kolonisten oder doch von solchen Sachsen.
die unter Franken und Südfriesen deutsch zu schreiben und zu reden
gelernt hatten. Man braucht sich doch nur an die Eine Thatsaehi
zu erinnern, dass es 400 Jahre gedauert hat, ehe man es gewair*
hat, die niederdeutsche Landessprache zu schöner Darstellung zu ver-
wenden. Um 830 mögen immerhin Werdener oder Münsterische Geist-
liche darauf bedacht gewesen sein, sich ein Gedicht wie den Ileliaial
für ihren Nachwuchs zu verschaffen, aber undenkbar ist, dass mar
damals in Sachsen, wo die Erde noch rauchte vom Blute Hnndert-
tausender, wo der Fremdgeborene am Altar und auf der Gerichtsstand
den ersten Platz einnahm, ein so edles und auf ein friedliches edle*
Volk abzielendes Werk dichten konnte.
Eine ganz verschiedene Ansicht von der Entstehung des Heliaml
spricht der kürzlich verstorbene Erlanger Theologe August Ebranl
in seiner Schrift „Die Iroschottische Missionskirche" aus. Ebrard i-t
ja wohl bei uns der beste Kenner jenes iroschottischen und nonl-
angelsächsischen Christenvolkes, welches uns Deutschen vom f>. — >.
Jahrhundert eine Menge von Glaubensboten gesandt hat. Er be-
zeichnet (S. 389) den Heliand als ein Denkmal der vorwinfriedischen
iroschottisch-angelsächsischen Missionsthätigkeit, welche um das Jahr
700 von Chur in der Schweiz bis über Utrecht hinaus reichte. Kr
sei unabhängig von dei* römischen Evangelienharmonie. Es finde >i**!s
*) Ndd. Jahrb. X, 141 und 142.
63
nichts von Heiligenverehrung, keine Anrufung um die Fürbitte der
Maria. Die Benennung „Mutter Gottes" sei vermieden. Keine Prie-
sterschaft werde erwähnt. Die Kirche werde als Gottes Familie
(khiski) bezeichnet, ganz der Anschauung der iroschottischen Coenobial-
verfassung entsprechend, wo die Kirche ein brüderlicher Verein von
Coenobialgemeinden, Missionsdörfern und Coenobien war, deren jedes
aus „famüiis* bestand. Bei der Einsetzung des Abendmahls heisse
es ^Hebbeat thit min tegihugdion, helag büithi", ein Ausdruck, den
kein Römisch-Katholischer jener Zeit gebraucht haben, würde *).
Dann wäre also der Heliand in den Niederlanden entstanden.
Und zwar nicht nördlicher als das Südufer des Flevo (der Zuiderzee),
nicht viel östlicher als Deventer, denn dort ungefähr müssen die
Grenzen der Missionen gelegen haben.
Die Sprache des Heliand weist nun wirklich in diese östlichen
Striche der heutigen Niederlande.
Auszugehen ist von den jetzigen Dialekten, welche die einzige
sichere Grundlage abgeben. Auch ein Grimm hat seine historische
Grammatik nur aus der Anschauung dessen, was jetzt Niederdeutsch,
Oberdeutsch, Friesisch und Nordisch ist, schreiben können. Unsicher
wird diese Grundlage nur dann, wenn eine Gegend ihre Sprache zu
Gunsten einer benachbarten oder eines Konventionsdialektes aufgegeben
hat. Die meisten Fälle der Art lassen sich für die Zeit nach dem
7. — 8. Jahrhundert in Deutschland historisch nachweisen.
Von der Weser kommend treffen wir westwärts zwei Dialekte in
Westfalen, einen östlichen in den Bergen von den Quellen der Ruhr
bis einige Stunden hier von Osnabrück und einen westlichen zwischen
Dortmund, Münster und Osnabrück. Der Westrand des Rgbez. Münster
gehört im Wesentlichen zu den sogenannten Sächsisch-Niederländischen
Mundarten, welche in den Prov. Drenthe, Overijssel und Ostgelderland,
d. h. in der Grafschaft Zutphen, um Deventer und auf der Veluwe
gesprochen werden.
Einige Kennzeichen derselben gegenüber den sogenannten frän-
kischen Mundarten weiter westlich sind: das -ed im Plural des
Praesens: wi lopd, tvi hebd; das 6 = altem 6 in dat boote, ropen;
das e = westgermanisch io in IPf = lieb, flögen = fliegen; das
Fehlen der Partikel ge- im Particip (lopen, elopen st. gelopen); die strenge
Beibehaltung des Endungs-n (nichtsächsisch geve = gegeben, lese
') Ebrard hat diese Ansicht bis zuletzt beibehalten. Denn er schrieb im
Juni 1887: „Es ist noch immer meine feste Überzeugung, dass der Heliand ein
Produkt der alten iroschottischen Missionskirche aus dem Ende des 7. oder Anfang
des 8. Jahrhunderts ist Wo nun der Heliand ursprünglich gedichtet worden
— ob in Flandern oder östlich vom Rhein — darüber wird sich freilich kaum ganz
sicheres entscheiden lassen; wenigstens reicht meine Kenntnis der altniederdeutschen
Dialekte nicht so weit, dass ich eine bestimmte Vermuthung wagen möchte. Nur
das ist mir gewiss, dass, wo immer auf dem Gebiete der alten iroschottischen
Missions- und Kirchenthätigkeit das Gedicht entstanden sein mochte, dasselbe iu
der Zeit Willibrords weiter verbreitet wurde, so weit sein Sprachidiom irgend
verstandlich blieb."
64
= lesen, nege = neun). Die Erhaltung von altem i und ü (schrhm
hüs). Der Umlaut von au, 6 und ü, wie im Deutschen (reute,
beume, ndl. voeten, boomen).
Alle weiter westlich und südlich gelegenen Mundarten pflegt mau
mit ganz verfehltem Ausdrucke als „fränkisch" zu bezeichnen, während
doch nach den ja allerdings spärlichen historischen Nachrichten in
jenen Landschaften Südfriesen, Warner, Thüringer und Flamen
wohnten, die später den Franken unterthänig wurden.
An die sächsischen Mundarten schliessen sich im Süden zunächst
die Mundarten um Zevenaar, Nimwegen und in der Betuwe an, welche
einen Übergang einerseits zum Niederfränkischen der Rheinprovinz,
andrerseits zum Braban tischen bilden. Gegen Westen stösst üV
Sächsische auf Mundarten, die dem modernen Holländischen ziemlich
nahe stehen. Es ist aber zu vermuten, dass in Westutrecht und Süd-
holland einst ganz anders gesprochen wurde, Mundarten, von den^L
z. B. der Dialekt von Huizen an der Südküste der Zuiderzee noch
Spuren enthält1).
Der Heliand ist uns bekanntlich in 2 Hs., der Münchener und
der Cottonischen, nebst dem Prager Bruchstück einer dritten erhalten.
Die Cottonische ist zweifellos eine Umschreibung ins Niederfränkisehc
Auch solche Züge derselben, die von den Grammatikern als Schreib-
fehler bezeichnet werden, sind ganz gewöhnliche Erscheinungen in den
Geldrischen, Brabantischen und Südholländischen Mundarten2): die
Abstossung des auslautenden n, das ie statt e in Met — befiehl.
Met = heiss, nigien (im Monacensis); die Vokal einschiebung in
aram, waram, soraga, die unrichtige Vor Schiebung und Auslassung
des anlautenden h. Von allen niederländischen und belgischen
Provinzen steht jetzt nur in Friesland, dem grössten Teil von Drenthe.
Twenthe, Gelderland und Utrecht die richtige Aussprache des anlau-
tenden h fest3).
Der (/Ottonischen gegenüber ist die Münchener Hs. im Vokalisniih
sächsisch. Und zwar ergiebt sich, dass sie in wesentlichen Punkten
nicht den westfälischen, sondern den niederländisch-sächsischen
Mundarten, z. T. auch den den Übergang zum Holländischen bil-
denden Mundarten von Westoverijssel und Westgelderland gleich steht.
Wäre sie in Westfalen geschrieben, so müsste z. B. die westfälische
Aussprache von gotisch au als au durch ä gekennzeichnet sein, wie
das die Freckenhorster Heberolle so genau thut. Ganz Niederlaml
dagegen, abgesehen von Südbrabant und Friesland, spricht: boom.
Iwood, groot. Andrerseits ist das urgermanische eu, welches in
allen germanischen Zungen dieselbe Entwickelung über ie zu I ge-
nommen hat, im Heliand io, seltener ia, ie (eo). Sachsen aber, ein-
schliesslich von Drenthe, Twenthe und Ostgelderland, hat e, ei, ai:
1) Vgl. Winkler, Dialektikon I, 384 und II, 21, 101 f.
2) Schmeller, Wörterbuch 185 f.
8) Vgl. Herrig's Archiv 78, 305.
65
def, lef. Ihm schliesst sich eine vielleicht sugambrische Enklave um
Diilken — Limburg — Luxemburg — Eupen an *). Aus io kann das spätere
ndd. e nimmer entstanden sein. Der Schreiber des Monacensis muss
also westlich von Deventer geschrieben haben. Ebenso liegt die
Sache mit dem o des Heliand in dol, fd, githdon, onsta. Sachsen
hat später in diesen Wörtern immer u gesprochen, während in den
Niederlanden o herrscht.
Der Heliand hat thea half, thea nuon = die None, lat =
spät. Dies ist gar nicht westsächsisch, aber Westgeldern, Brabant
und Holland stossen das e der Endung gern ab. Vereinzelt hat er
das alte gotisch-friesische e in jer = Jahr bewahrt. Dies erinnert
daran, dass die jetzige Volkssprache im einst friesischen Nordholland
ganz analog das ee in vereinzelten Fällen wie street, deen, f regen
bewahrt, ja dass auf Wieringen und Texel und in Hindelopen gerade
nur jeer = Jahr und heer = Haar aus dem Friesischen beibehalten sind.
Indessen für die Lokalsprache des Originals ist daraus nichts
sicheres gewonnen, denn der Abschreiber könnte, wenn das auch un-
wahrscheinlich ist, den ganzen Vokalismus des Verfassers über den
Haufen gestossen haben.
W enden wir uns deshalb dem festeren Gerippe, den Kon-
sonanten, zu.
Sachsen und Niederländer einerseits unterscheidet, nachweislich
seit dem 12. Jh., die Aussprache achter, scliacht, lichten, lucht, stichten,
suchten von allen übrigen Germanen, auch von den Friesen. Es ist
nicht recht wahrscheinlich, dass sich der Wandel von einem alten ft
zu cht in dem weiten Gebiete zwischen Scheide und Elbe erst im
9. — 12. Jh. sollte vollzogen haben. Es muss eine viel ältere Eigen-
tümlichkeit dieser Stämme sein, die ja so viele Spuren gemeinsamer
alter Sitten und Einrichtungen aufweisen. Der Heliand hat nur ft:
after, kraft, luft. Dem niederfränkischen Schreiber des Cottonianus
entschlüpft ein heimisches craht. Dies ft hat von den Gebieten, um
die es sich aus andern Gründen nur handeln kann, allein das friesische
Holland und Utrecht besessen. Im nordholländischen Westfriesland
sowie auf der Insel Urk steht es noch jetzt. Reste wie affer statt
achter in Soest bei Utrecht und zoft in Sliedrecht und Nordbrabant
bilden Fingerzeige.
Aber es giebt charakteristische Formen und W7örter im Heliand,
die kein Abschreiber hineingetragen haben kann.
Ich möchte nicht den Dual unk, ink heranziehen, welcher sich
im südlichsten Teile Sachsens von Neheim durch das Sauerland bis
Werden gehalten hat. Denn die Form ist im übrigen Sachsen wohl
später von dem alles vereinfachenden Norden her ausgemerzt.
Das Wichtigste ist der Plural des Praesens auf -adh. Er
*) Dass der Laut e, ei = westgerm. io (eu) im Gebiete von Köln, Berleburg,
Siegen, Marburg, Limburg, Höchst, St. Goarshausen, um Hersfeld, in der Fuldischen
Rhön und in der Wetterau über Sachsen hiuausgreift, ist nicht unbekannt.
HiedeTdenteches Jahrbuch. XY. 5
herrscht nur bei Sachsen und Friesen und zwar ausschliesslich. Gegen
Westen geht er bis Uddel auf der Veluwe und etwa der Mitte zwischen
Zutphen und Arnheim. Aber da die Utrechter und Holländer einst
Südfriesen genannt wurden, so werden sie ihn auch wohl besessen haben.
Im Heliand ist die Partikel gi- vor Participien, Substantiven
und Adjektiven ebenso beliebt wie in den jetzigen fränkisch-nieder-
ländischen Mundarten, und es ist nicht daran zu denken, dass ein
Abschreiber sie vorgesetzt hätte. Andrerseits kann sie in Sachsen
und Friesland nie recht heimisch gewesen sein. Sie ist auch im
Mittelniederdeutsche von aussen hineingetragen. In den sächsischen
Niederlanden steht sie nie, wohl aber das weitverbreitete e-, z. B.
dat hestu eloggen = das hast du gelogen, welches bis Utrecht reicht1 .
In Substantiven wie gerak, gctuug ist sie freilich dort gebräuchlich.
Sowie wir die Sächsische Grenze überschreiten, finden wir in der
Betuwe, um Nimwegen, in Brabant und Limburg stets ge-.
Das kann doch auch nicht Zufall sein, dass im Heliand grade
dieselben Participien fundan und human vorkommen, die im modernen
Westflämischen neben nur zwei anderen: leden und hoord ohne gr
erscheinen2).
Ganz besonders wichtig sind die ausschliesslich stehenden Heliand-
formen: konsta = konnte, gionsta = gönnte, afonsta = missgönnte.
Auch in der Glossae Lipsianae: begrgunsta, in der Beichte: begomta.
Mittelniederländisch steht kondr und konste, koste. In Sachsen
einschliesslich von Twenthe und Drenthe steht nur honde, könne, nie
konste. Der östlichste Punkt, wo es jetzt, offenbar aus dem Rhein-
fränkischen versprengt, bisweilen vorkommt, ist die Südhälfte der
Grafschaft Zutphen und die Gegend um Deventer. Die Friesen
sprechen koede, koe (oe ist deutsches u). Dagegen steht in West-
gelderland, in Utrecht, Südholland, in ganz Brabant, ganz Flandern,
Zeeland und Limburg: he kost, kos, begost. In Rheinpreussen vol
Emmerich bis Eupen ebenfalls.
Eine Anzahl von Wörtern des Heliand können wir dem Nie
derdeutschen gegenüber als besonderen Besitz des niederländischen
Sprachgebietes bezeichnen. Dass man freilich bei der Anwendung der
jetzigen Wortgeographie auf so weit zurückliegende Zeiten sehr vor-
sichtig sein muss, ist klar und in dieser Beziehung ist das Wort
heban = Himmel lehrreich. Grimm hat es einmal als besondere-
Kennzeichen sächsischer Sprache hingestellt. Und in der That ist c-
jetzt genau auf Sachsen und seine Ostseekolonien beschränkt. Schon
der Ostfriese, der sein Niederdeutsch vor 400 Jahren als eine vor-
nehmere Sprache für das Friesische eintauschte, hat es gar nicht
*) Die gewöhnliche Erklärung dieses e- geht dahin, dass es aus ge- entstanden
sei. Es ist doch wohl eine ganz andere Partikel, deren Entstehung uns un*
hekannt ist.
a) Wie mir Herr Dr. Walther sagt, stossen auch mnd. Schriften grade in
diesen beiden Participien das ge- ab.
67
und der Jeverländer lächelt über den Oldenburger Geestbauern mit
seinem „haben".
Und doch muss es der zweifellos niederrheinische Schreiber des
Cottonianus für gut verständlich gehalten haben. Sonst hätte er dafür
leicht überall „himilu einsetzen können.
Hat er doch das in ganz Niederland und Sachsen jetzt ge-
bräuchliche butan = ausser zu Gunsten von neuan ausgemerzt, weil
ihm ersteres zu vulgär vorkam. Man erinnere sich, dass hewen jetzt
bei uns fast nur noch in der sinnlichen Bedeutung „ Wolkenhimmel Ä,
„Horizont* gebraucht wird, ganz im Gegensatze zum Englischen.
Es ist klar, dass wenn einmal in religiöser Beziehung „Himmel" ge-
brauchlich wurde, hcven einer kirchlich gesinnten Bevölkerung leicht
ganz abhanden kommen konnte. Es ist bei den niederländischen
Sachsen ganz verschwunden, während es der klevische Theutonista
noch nennt.
Niederländische Wörter des Heliand sind läri = leer, segina =
Fischnetz, swerhan = abwischen (jetzt ndl. „ umherstreifen a), thritn,
die Enge. Mndl. bei Oudeinans dremmen = in die Enge treiben. —
swiri = Schwager. Noch heute in Zeeland eweer. — tcurgü heisst der
Strick, mit dem sich Judas erhängt. In der Betuwe: würget1). — sän
= alsbald, das englische soon, lebt in Westflandern: &oo man als =
sobald als (de Bo 1416). — liomon = die Lichtstrahlen lebt in Zeeland
und Limburg als liemen = brennender Docht, Flachsspäne zum
Brennen; weerlcmsch heisst in Zeeland „blitzend". — smal im Sinne von
gering, arm, z. B. „thiu smale thiodu = das arme Volk ist auch
gut niederländisch.
Vor allem aber nig-fn oder wie der Monacensis mehrmals hat
nigiean = kein. Da es mit gutnono und guldin alliteriert, so ist es
genau das niederländische „geen" und ist aus nih-ains entstanden.
geen geht jetzt genau bis an die deutsche Grenze. Die Sachsen und
Friesen dagegen haben durchweg neen, nin gesprochen, welches
seinerseits nur auf „ni-ainsa zurückgehen kann.
Niederländische Wörter, die auch in überijsselschen Teilen des
Bistums Utrecht, nie aber in Westfalen und Niedersachsen vorkommen,
sind: that feluin, der Trug. Jetzt in Overijssel und Limburg „de feke",
„dat feken" = die Scheinhecke aus Baumzweigen2), slak = feige,
matt. Jetzt in Groningen und Drenthe. manon = vorwärts treiben.
Jetzt in Overijssel mennen = die Pferde antreiben, lenken, bodal =
Haus und Hof. In der niederländischen Volkssprache: hoel = Besitz,
Bauerstelle, füs = bereit. In Overijssel und Groningen jetzt vuuste
= sehr, ecid = Essig, noch mit Bewahrung des alten k. In
Overijssel noch heute „aek".
Einige reichen eben nach Westfalen herein, kommen aber sonst
in Niederdeutschland nicht vor: bitengi = nah verbunden, drückend.
l) w ü r g e 1 kommt auch um Neuenhaus — Bentheim vor (Mitt. von Herrn Staehle).
*) Vgl. Overy88 Almanak 1836 und Schuermans, Idiotikon.
5*
68
In Overijssel und Utrecht: beteune, betuune = beengt. Münsteriseli
betengen = bedrängen, de tenge = die Kniffe1), tomig, frei, erlitt
Im Nordosten der Niederlande in der Bedeutung „ohne Arbeit",
„müssig", in Nordwestfalen = still, ruhig, so dass z. B. %%en untönng
hus" ein Haus ist, in dem es spukt.
tögo = Zweig. In Overijssel, Drenthe, Groningen und bis Os-
nabrück toog und twoog, sonst nirgends.
bregdan, flechten. Ndl. breien. Münsterisch, aus dem Niederlän-
dischen herübergenommen, „breiden".
Einmal (V. 3892) fliesst das friesisch-fränkische geth ein. Jesus
sagt zu dem Weibe: Ne ik thi geth ni deriu neowiht = so werde
ich dir auch nichts zu Leide thun. Es ist das englische yet> we&t-
fries. yette = überdies, noch, und identisch mit dem in der Rhein-
provinz und Limburg so beliebten get = etwas. Es mag nur aus
der Gegend von Barmen hie und da nach Südwestfalen versprengt sein.
liohtfat = Leuchter mutet ganz friso-sächsich an. Man sagt in
jenen Grenzgegenden heute allgemein „dat schienvat", fries. skienfet.
greatan, weinen, kommt als graaie nur noch auf der Insel
Texel vor2).
Ein wichtiges Wort, im Mittelniederländischen und Nieder-
deutschen fehlend, sebo — das Gemüt, erhielt sich im nordholländischen
Friesland in der Wendung: hij is om eeep = er ist ohne Bewusstsein
und in der Betuwe wie ja auch im Deutschen: hij ister een van de
eeuve kwijt — er hat nicht alle fünf Sinne3).
femea, Frau. Dies merkwürdige Wort, ags. faenine, hat sich
auch nur im Friesischen gehalten. Es ist kein germanisches Wort,
sondern lateinisch femina. Man unterschätzt gewöhnlich die Aus-
dehnung römischen Wesens in jenen Gegenden4).
Aber der Heliand enthält auch einige spezifisch hochdeutsch-
fränkische Wörter, von denen gar nicht anzunehmen ist, dass sie
in ganz Niederland und Sachsen ausgestorben sein könnten. So
finistar = Finsternis, hose = Hohn, naco = Nachen.
Dies erinnert daran, dass beide Texte in deutlichen Spuren
zeigen, wie die Tradition deutscher Schreibweise, in der sie stehen,
von Süden her kommt.
Beide Handschriften haben druknida = tocknete, drökno =
trocken. Dies ist genau nach dem althochdeutschen truechinatu trurhano
gebildet, während ganz Niederland und auch wohl Aachen, Köln.
Düsseldorf nur dröge, driige kennen.
Ferner das häufige fon statt fan, welches doch weit herauf ins
oberdeutsche Gebiet gehört, und das viermalige güih (Schindler S. ISöi
statt gilik.
*) Vgl. Köne zum Heliand S. 542.
») Wink ler, Dialektikern II, 528.
8) Vgl. Bouman, de Volkstaal in N.-Holland S. 74; Onze Volkstaal IL 115:
Ndd. Korrespondenzblatt XIV, 37.
*) Vgl. Haibert sma's Lexicon 957; Siebs, Z. Gesch. d. engl. -fries. Sprache 2fr>4.
Acht hochdeutsch ist das h in hiopon, Hagebutten, abd. hiufo.
Überall in Niederdeutschland lautet das Wort wiepe, wepe, aber gleich
bei Kassel eben über der fränkischen Grenze: hiefe. In Zeeland mit
vorgeschlagenem m, n de miepen, niepen1).
clustar, Verschluss und Jdustar-bendx = Fesseln von claustrum.
(In Limburg ist Jdocster = Vorhängeschloss.) hohhurnid = hochgehörnt,
kurni = Korn könnte brabantisch- luxemburgische Verlautung sein,
jedenfalls ist das u ganz unsächsisch und unfriesisch.
Wenn wir uns das Missionswesen, wie es von der Zeit ab, wo
die Gothen Ultilas Bibelübersetzung benutzten, fast ohne Unterbrechung
bestanden hat, vergegenwärtigen, so werden wir sagen müssen, dass
diese christliche Sprache der ersten Missionskirchen doch ihre Ge-
schichte haben musste. Als die irisch-anglischen Missionare in Ale-
mannien, Baiern, Franken und Thüringen einwanderten, werden sie
sich da nicht etwaige ältere heilige Schriften in deutscher Sprache
zu verschaffen gesucht haben? Die Ulfilashandschrift ist doch gewiss
in die Gegenden, wo sie gefunden ist, gebracht, um sie beim Über-
tragen zu benutzen. Musste diese Missionskirche, die sich von der
Schweiz bis Friesland erstreckte, nicht allmählich ein eigenes deutsches
Schriftthum erhalten? Die Kirche um Utrecht war aber die späteste
Frucht dieser Missionsbewegung. Es dürften sich also in die christ-
liche friso-sächsische Sprache, wie sie im 7. — 8. Jahrhundert südlich
und östlich der Zuiderzee galt, nicht bloss angelsächsische, sondern
auch hochdeutsche Elemente gemischt haben. Diese Sprache hat
sich dann auch nach Karl dem Grossen in den sächsischen und
niederländischen Klöstern und an den Bischofssitzen und Edel-
höfen noch längere Zeit, immer dein Orte angepasst, fortge-
pflanzt, bis gelegentlich der Eroberung der W'endeulande von
Flandern bis zur Elbe im 12. Jh. ganz andere Volkskräfte
flüssig gemacht wurden und nun so zu sagen in neuer Zunge
redeten.
Zu weit östlich dürfen wir den Heliand schon deswegen nicht
legen, weil er in so lebendiger Anschauung der See ge-
dichtet ist.
Bei Matthaeus 5, 13 „dass man das Salz hinauswerfe und lasse
es die Leute zertreten" denkt der Dichter an Seesalz, sei es aus
Meerwasser oder aus Seetorf bereitet2). „Is iino so them saite the
man bi sewes stade wido tewirpit", das die Leute an „greote" zertreten.
Der Schauplatz des Fischauslesens (V. 2634) wird ans weite
Meer gelegt. Die guten sucht man am Meeresrande aus, die andern
lasst man „an grund faran, an wtdan wäg".
Das auf Sand gebaute Haus steht, wo es der Wrestwind und
*) Schmeller übersetzt es durch „tribidus" (ein Dorn), Heine durch „Dorn-
strauch". Das Wort bedeutet in den deutschen Mundarten nur „rosa canina".
Vgl. Pritzel und Jessen S. 339.
') Vgl. Zeitschrift für Schleswig-Holsteinsche Geschichte X, 52.
70
der Strom der Fluten mit Seewellen zerschlägt1). Ob wohl jemand,
der in Werden oder Münster die Stelle des Evangeliums überdachte,
dieses Bild vor Augen trat?
Umgekehrt kostet es dem Dichter Mühe, die Vorstellung richtiger
Berge zu erwecken.
In der Scene auf dem Tabor steigen sie „an höhan tval2)^ sten
endi berg*. Man merkt das hülflose Suchen nach Ausdrücken.
Jesus wird (V. 2682) von Nazareth auf den sten-hcim geführt,
wo sie ihn von dem walle herunter zu werfen gedenken, und die
Stadt auf dem Berge liegt auf hoher holm-klibu.
Das Wort holm kommt jetzt in den Niederlanden nur noch in
der Bedeutung „morastige Stelle" vor (De Bo). Bei Kilian heisst es
noch: kleiner Berg, kleiner Hügel, auch „Flusseiland*. Seine eigent-
liche Heimat hat es in zahllosen Ortsnamen mit noch verstandener
Bedeutung auf der cimbrischen Halbinsel und in Skandinavien. Ver-
einzelt auch in Westfalen, wie der Holmberg bei Steinheim, der Holm
bei Rinteln, der Wegholm bei Petershagen. Die alte Bedeutung des
Wortes kann in Deutschland nur die holsteinsche gewesen sein: ein
in ein Gewässer oder eine Niederung vorspringender Hügel, auch wohl
ein hochragendes Eiland in einem See. Das war die einzige Bergart,
die dem Dichter des Heliand und seinem friso - sächsischen Publikum
geläufig war!!
Das Christentum und zwar ein lateinisches war in der Gemein-
schaft, fiir die der Heliand bestimmt war, lange eingebürgert, wie
das schon Rückert ausgeführt hat8). Sonst könnte der Dichter nicht
so arglos von fern, Hölle, nön, None, pina, Pein, seginon, segnen,
ork, Krug, von röhfat, wihroh und gar von diät (Dank, aus öblata) reden.
Die palma, der Palmzweig, scheint die Sitte vorauszusetzen, dass
am Palmsonntage Zweige umhergetragen wurden, die man „palmas*
nannte, skola^ Schaar, ist gewiss nicht deutsch, sondern von den
Mönchsschulen hergenommen.
Ich glaube: In soweit hat Ebrard Recht: der Heliand ist in der
Zeit entstanden, wo das Karlingische Usurpatorenhaus seine Hand
noch nicht auf die an den Grenzen der Franken wohnenden christiani-
sierten Stämme gelegt hatte. Aber er fällt doch wohl in die Zeit
nach 700, wo Willibrord sich bereits auf das Drängen Pipins in Rom
hatte zum Bischof konsekrieren lassen.
Dies möchte man aus der Art schliessen, wie er Ev. Matthaeus
16, 18 behandelt: Er sagt dort nicht: Du bist Petrus und auf diesem
Felsen will ich meine Gemeinde bauen, sondern:
hetan sculun thi firio bam
„scte" Peter: obar themu stene scal man minan seli wirkean
(V. 3068).
2) Vgl. Paul, Grundriss der Germanischen Philologie II, 209.
■) Ein Wall ist so wenig ein Berg, als ein bilühi ein „Wunderzeichen0.
8) Rückert, Heliand S. XVIII.
71
Die britischen Missionare werden geschildert als in Schaffelle
gekleidet1). In der Stelle: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten,
die in Schafskleidern zu euch kommen, u lässt der Dichter die doch so
anschaulichen Schafskleider bei Seite und sagt: (V. 1737): Sie kommen
in solchen Lügengewanden zu euch, in lichten Schmuckgewändern,
doch haben sie falschen Sinn.
Schindler giebt eine Abbildung der merkwürdigen Initiale des
Cottonianus, welche Sievers in seiner Ausgabe gar nicht einmal er-
wähnt hat. Dies sogenannte Schlangenornament, in welchem märchen-
hafte Drachen sich zu vielverschürzten Knoten zu vereinigen scheinen,
tritt in Deutschland zuerst in fränkisch-alamannischen Gräbern auf
und reicht bis in die christliche Periode. Fast alle irischen Mi-
niaturen, die in St. Gallen und an andern Orten Deutschlands von
irischen Mönchen ausgeführt wurden, zeigen dasselbe2).
Das steht auch fest, dass keine Mission vor 770 Boden in Alt-
sachsen gewonnen hatte. Wir hören nur von vergeblichen Versuchen
dazu, wie wenn der h. Suitbert sich von den Brukterern im Herzogtum
Berg nach Kaiserswerth zurückziehen muss oder die beiden Ewalde
unweit des Rheines erschlagen werden. Man hat auf die Nachricht
hingewiesen, dass König Dagobert im 7. Jh. die villa Soest im
Bruktererlande dem Kölner Erzbischofe Kunibert schenkt. Aber es
giebt 3 Orte des Namens in Westdeutschland, einen bei Utrecht, einen
in Westfalen und einen unweit von Barmen. Hier ist gewiss der Hof
„auf dem Soest" bei Voerde-Schwelm gemeint8).
') Vgl. O. Fischer, Bonifatius S. 67.
%) Paul, Grundriss IIb, 288.
3) Dazu bemerkte Professor Nordhoff-Münster, indem er auf seinen Aufsatz
im Historischen Jahrbuch von 1890 S. 290 — 97 verwies: „Es sei ganz zweifellos,
dass die christliche Religion lange vor Bonifatius von Köln aus in Sachsen Ver-
breitung gefunden habe. Denn 1) könne der genannte Ort nur die Stadt Soest in
Westfalen sein, firzbischof Anno IL schreibe 1074 : tradidi fratribus (s. Cuiiiberti)
quinqtie libras solvendas de areis vel de curticulis Sucacie, quod eam sanctus
(unibertus sancto Petro acquisivit. Vgl. Lacomblet, Urkundenbuch f. d. Gesch.
des Niederrheins (1840) I Nr. 218. Eine Urkunde des 10. Jh. in Lacomblet's Archiv
1H57 II, 58, 63 benenne die Zuwendungen Cuniberts an das Armenhaus ad s. lupum
in Köln und darunter: De Swelmc uni tantum fatri XII modios siliglinis etc. De
Miniden; ubi unus frater erit, XII modios siliginis. 2) habe bereits der h. Martin
von Tours den Sachsen seine Missionsthätigkeit zugewendet. In Martin von
Bracara's Schrift „De correctione rusticorum" (hrg. von Ca spar i Christiania
1883) heisse es von Martin:
Immanes variasque pio sub foedere Christi
Adsiscis gcntes: Alamannus, Saxo, Toringus,
Pannonius, Rugus, Sclavus, Nara, Sarmata, Datus
Ostrogotus, Francus, Burgundio, Dacus, Alauus
Te duce nosse Deum gaudent.
3) sei ein Strich im östlichen Sachsen, wo unter andern frühchristlichen Anzeichen
Reihengräber mit Fundstücken aus dem 6. — 7. Jahrhundert auftauchten, nur des-
wegen dem Erzbistum Mainz belassen, weil er bereits ganz oder teilweise von dort
aus christianisiert gewesen sei. (Vgl. Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands II,
400; Rein ecke, Die Einführung des Christentums im Harzgau, Osterwiek 1888
72
Um in Sachsen Fuss zu fassen, hätte es für die freien Missionen
nur Einen Weg gegeben, den, welchen der h. Lebuin vor 770 auch
wirklich, aber zu spät, einschlug, die Missionare hätten sich in öffent-
licher Landesversammlung das Recht erwerben müssen, in der säch-
sischen Republik Niederlassungen zu gründen. Aber das war schwierig
zu erlangen, denn einmal war Sachsen, welches von den Stürmen der
sogenannten Völkerwanderung verschont geblieben war, damals kul-
tivierter als Süddeutschland und die Niederlande und dann fiel nirgends
die heimische Religion so völlig mit dem heimischen Rechtestaat zu-
sammen als hier. So musste sich denn das Geschick erfüllen und
die Erdverwüstung, das mudspell1), kam über das germanische Land
der Mitte, welches 800 Jahre früher dem Norden seine Freiheit ge-
rettet hatte.
Wohl ist das niederdeutsche Volk, als ihm später im Bunde mit
denselben Franken die Eroberung und Besiedelung der Wendenländer
gelungen war, zu einem Zeitalter neuer Macht und Ehre gelangt und
hat dann auch eine eigne Literatur hervorgebracht. Aber ein Riss
war doch von jener Zeit geblieben. Als die Auflösung dessen, was
das Mittelalter geschaffen, eintrat, war keine Fähigkeit vorhanden.
S. 19; Müller, Die Reihengräber zu Rosdorf bei Göttingen, Hannover lö7ä
S. 67-70.)u
Was Punkt 1 betrifft, so bleibt es zweifelhaft, ob die alte Überlieferung
nicht doch auf den Hof Soest bei Schwelm geht. König Dagobert (oder wohl
Siegbert) schenkte an Kunibert die ,.villa Soest im Bruktererlande" (Binterira,
Die Erzdiözese Köln I S. 44 und Rettberg, Kirchengeschichte I, 537 und II, 420).
Dass die Gaue Angeron, worin die Stadt Soest liegt, und Westfalon auch den
Namen „Boretra" führten, scheint allerdings bezeugt. Aber im Capitulare Saxon.
an. 797 § 11 werden die Boratrini Saxones den Septentrionales im Süderlandc
entgegengesetzt. Gewiss wird der Erzbischof Anno geglaubt haben, dass sich die
alte Nachricht auf die Stadt Soest beziehe. Aber Schwelm liegt unmittelbar an
der fränkischen Grenze. Im Kirchspiel Schwelm liegen Höfe mit dem Namen
Mennenöde und zwischen Hagen und Vorde b. Schwelm liegt der Hof „Auf dem
Soest". Miniden könnte auch Menükinna bei Werden sein.
Die Nachricht bei Martin von Bracara hat etwa den Werth, wie wenn ein
spätlatcinischer Dichter einen Feldherrn wegen seiner Siege über Cherusker und
Sigambrer preist.
Was Punkt 3 angeht, so ist freilich nicht zu bezweifeln, dass Thüringen um
730 ein halb christliches Land war und dass also in den angrenzenden Teilen
Sachsens vorübergehend Christen gelebt haben. Die Verteilung der sächsischen
Landschaften unter die einzelnen Bistümer macht den Eindruck, als sei sie unter
Einwirkung der Karolinger grade in der Absicht vorgenommen, Zusammen-
gehöriges auseinander zu reissen. Als solch ein in das sächsische Volk getrie-
bener Keil erscheint der nördlichste Teil des Bistums Mainz. Namentlich aber ist die
homophyle und gleichsprachige Bevölkerung, welche vom Sauerlande über Soest,
Paderborn, Detmold bis an das Wiehengebirge westlich von Minden wohnt, ab-
sichtlich unter die Bistümer Köln, Paderborn, Minden und Osnabrück verteilt.
Die Gräberfunde beweisen doch zunächst nur, dass Christen an den Fund-
stellen begraben sind, nicht dass sie dort dauernd gelebt haben.
Zum Schluss wies Nordhoff noch darauf hin, dass der Heliand in einer Burs
geschrieben sein müsse.
') Diese sehr ansprechende Deutung des Wortes giebt Kögel in Paul?
German. Philologie II» S. 212.
73
sich einmütig einen Platz in der neuen Welt zu erobern. „De ziel
van een volk is zijn taal" sagt der Niederländer. Heute reden wir
in den Städten Sachsens eine Sprache, die von der sächsischen ver-
schiedener ist, als das Polnische vom Russischen oder das Tschechische
vom Serbischen.
SEGEBERG. H. Jellinghaus.
Ein Liebesbrief aus dem
16. Jahrhundert.
An einer Stelle, wo man dergleichen nicht gerade zu finden er-
wartet, in Gesandtschaftsakten des sechszehnten Jahrhunderts, ent-
deckte ich vor einiger Zeit einen in ühiffern geschriebenen Brief, der
sich bei näherer Betrachtung — die Übersetzung lag glücklicher
Weise daneben — als ein leibhaftiger Liebesbrief erwies und aus
mehr als einem Grunde mein Interesse in Anspruch nahm. Nicht
als ob es sich um besonders hochstehende oder berühmte Persönlich-
keiten gehandelt hätte, er, der Schreiber des Briefes, war ein un-
bekannter, bürgerlicher Amtsschreiber zu Seesen am Harz, sie, die
Adressatin, ein nicht einmal mit Namen genanntes, adliges Fräulein
zu Trendelburg in Hessen. Aber in diesem Briefe, der in nieder-
deutscher Mundart verfasst war, geben sich eine starke und doch
zarte, aller Ungunst der äusseren Verhältnisse trotzende Neigung,
ein inniges, treuherziges Gottvertrauen kund, die in ihrer schlichten,
kunstlosen Ausdrucksweise seltsam ans Herz greifen. Doch der Leser
mag selbst urtheilen! Ehe ich ihm aber den Brief selber vorlege,
muss ich ihm in kurzem berichten, wie derselbe in jene Gesandtschafts-
akten gekommen ist.
An einem Maitage des Jahres 1582, in der Woche vor Exaudi,
herrschte im Reinhartswalde, nicht weit von Kassel, ein reges Leben.
Forstleute des Landgrafen Wilhelm von Hessen durchstreiften den
Wald, um nach Wilddieben zu fahnden, die den besonderen Zorn des
Fürsten und seiner Diener errregt hatten. Denn nicht zufrieden damit,
das landgräfliche Wild wegzuschiessen, hatten sie übermüthig den
landgräflichen Bediensteten, falls diese sie in ihrem Gewerbe stören
würden, gleichfalls mit ihren Kugeln gedroht. Eine geraume Zeit
schien die Jagd erfolglos zu bleiben, da gewahrte man hinter einem
Baume einen Mann, der sich ängstlich zu verbergen suchte und eben
dadurch einen im hohen Grade verdächtigen Eindruck machte. Als
man ihn zur Rede stellte, was er an diesem Orte zu suchen habe,
74
gab er die Auskunft, er sei beauftragt, nach Trendelburg einen Briet
zu bringen, wisse aber nicht, von wem und an wen derselbe sei. Auf
näheres Befragen gab er endlich zu, dass ihm der Brief von dem
Amtsschreiber zu Seesen, Johann Schoppc, übergeben worden sei und
er damit sich nach der Brücke zu Trendelburg begeben und daselbst
warten solle. Die landgräflichen Diener begleiteten den verdächtigen
Fremden nach dem angegebenen Orte und versteckten sich in der
Nähe, es erschien aber niemand, um den Brief abzuholen. Aus
letzterem, der keine Aufschrift trug und in Chiffern geschrieben war,
Hess sich über Inhalt und Adressaten nichts ersehen, so blieb ihnen,
da die Sache doch einmal höchst zweifelhaft erschien, nichts übrig,
als Mann und Brief an ihren Herrn, den Landgrafen, einzuliefern.
Dieser fand denn auch bald heraus, dass der Brief in 23 verschiedeneu
Charakteren geschrieben sei, die Aurlösung derselben wollte ihm indes
nicht gelingen. Der Bote meinte, es habe mit dem Briefe nichts Ge-
fährliches auf sich, derselbe sei, wie er glaube, ein simpler Liebe*-
brief und an Eine vom Adel bei Trendelburg gerichtet. Der Land-
graf aber, keineswegs sicher, ob nicht dennoch etwas Bedenkliches
und Gefährliches hinter diesem geheimnisvollen Schriftstücke sich berge,
kam auf den Gedanken, den Landesherrn des gedachten Amtsschreibers,
den Herzog Julius von Braunschweig -Wolfenbüttel, um Aufklärung
anzugehen. Er Hess daher durch einen Gesandten, welcher gerade
damals mit verschiedenen Aufträgen von seiner Seite an den Herzog
ging, denselben ersuchen, er möge den Aratsschreiber kommen und
sich von ihm eine Übersetzung des fraglichen Schriftstückes, sowie
einen Schlüssel zu den darin enthaltenen Chiffern geben lassen, damit
man sehen könne, ob die Sache wirklich so harmlos sei, er solle aber
kein grosses Wesen davon machen, um nicht möglicher Weise eine
adlige Familie dadurch zu compromittieren.
Der Herzog that nach dem Wunsche des Landgrafen, Hess den
Amtsschreiber zitieren und befahl ihm, den Brief zu entziffern. E*
mochte den armen Menschen hart ankommen, das, was der Natur der
Sache nach nur für eine Person bestimmt war, den Augen Fremder
zu offenbaren, aber was halfs, er musste gehorchen. Er machte sieh
also an die Arbeit, und als das Resultat seiner Bemühungen empfing
der Herzog nachstehenden Brief, den er sich beeilte, dem Landgrafen
zu übersenden.
Ehelike Leve undt hartlike Truwe in rechter warer Bestendicheit mit
Wunschunge viler gelücklicher undt gesunder Dag tovore, min harte alder
leveste Wifeken '), da es Ju an Lifes Gesundtheit ock sonst in allem wolgiuge,
') So im Original, in der Übertragung ist statt dessen der unverfänglichere
Ausdruck Harteken gewählt.
Anmerkung: Der obige Brief ist nach dem chiffrierten Exemplar mitgeteilt,
da die dabeiliegende Übertragung sich vielfache Wilkürlichkeiten gestattet hat.
Einmal nämlich suchte der Amtsschreiber in derselbcu, wohl mit Rücksicht auf den
Hof, seine Sprache dem Hochdeutschen möglichst anzunähern, und dann sehen wir
ihn bemüht, einzelne Ausdrücke, welche auf die Natur des Verhältnisses ein gar
75
were mi eine uberutte grote Fruwde to erfaren. Ik wil jo nicht hopen, dat ick
änderst ut Juwem Breve befinden werde, dar behode mi de getruwe Got vor,
mine Persone, min Harteken, schole gi in gudera Wol(stan)de dise Tit von der
Gnade Godes wissen. Deselbe frome Got wolde hinfnrter sine Gnade geben, dat
wi jo nicht änderst eine von den andere(n) hören. Min harte alderleveste getrnweste
Honeken, mit wat bedrofeden Harten ick lestmals den Wech von Minden reit,
dat könne gi nicht gelofen, ick was so bekümmert, dat ick den Dag negen Mite
Weges reit, mi duchte, wen de Elopper den Weg vormocht hette, ick wolde
sin bet hir gehende, eher ick wolde gessen oder drunken hebben, den mi vor-
langede ganz na kenem Dinge, den nur alleine na Ja, ach wat is it ein feine
Dinch, immer bisamende wesen, den Scheiden, dat doit wehe. Sonst kam ick
gar wol undt one allen Schaden oder Far wedder to Hns. It weit ok kein
Hinsehe, wohr ick gewesen. De Bode wüste selber nicht, wat he darvon segen
scholde, ik mackede eme wis, ick durfte nicht openbar in de Stat und vorbot
ime gleichwol, he scholde nicht änderst berichten, wegen he darum gefraget,
den dat he were to Hameln mit mi gewesen, darsulfest hedde ick minen Fed-
dern kegen mi bescheiden, dat also dusser Orter kein Seggendt darvon, Got lob,
ist. Wen es bi Ju ock also were, wi ick hoffe, muchte ick gern wünschen.
Ick wil ock nicht twifelen, gi werden mi alle de Gelegenheit toschrifen.
Weiter, min harte alderleveste , vertruwete Wifeken1), so weit ick in dusser
Orter kene nie Tidunge to schrifen, den dat ick up den Dindtag, wird sin der
negentehende Dag Junii, to Wolffenbuttel mine Rechung doen werde und bin
bedacht, wie ick ock albereit ins Werch gestalt, dat ick wil ferner anhalten
umme Dinst in dat Stift von Minden oder hernacher in de Graveschop Hoia,
dat were jo ein wenich neher undt kont biswilen up der Wesser up oder dal
to Ju bi Nachttit komen ; wat ick dat erhalde, sollen Ju wol verstendiget werden.
Ach min Honeken, wie gern mack ick bi Ju wesen ! Ach, dat leve Harteken !
wen ick daran gedenke, wi is den minem Harte so rechte wehe. Ja, ick
mack wol seggen , dat de Bisamenkumpst de Lewe rechte wol erwecket undt
durch alle Gleder dringet, man achtet es wol nicht so grot, wen man bi-
einander is, afer wen dat Scheden herandertrit, so folet men recht aldererst,
wat de Bisamenkunft dot. Ach, wat helfe ick so fil dusent Mal an de Worde
gedacht, undt wi wir uns mit einander vorbunden. Min Herteken, were ick
dusse Stunde bi Ju an glegen Ortern, ick wolde Jnwes Lifes so rechte wol
plegen, wat is it doch ein ufel Werch, dat de nicht können noch mögen
bi einander sin, de doch so gerne sodanes deden undt to fiele Malen
mit Lüsten undt begerliken Harten wünschen. Ach, dat ick muchte de Tit
erleven, dat wi in ein ehelich Levendt miteinander treten, so erst solde
minem Harten wol wesen, undt dat it so bald geschege, dewele wi noch
de Jugendt helfen undt uns der Weldt ein Titlanch to gebrucken hedden, nun
wäret es jo fil to lange uud gehet darüber unse beste Tit hin. Ach, du ge-
truwer Got! Ist dein gnediger Wile, so foge es immer darhin, damit wi jo
nicht mugen von dusser Welt scheiden in dussem elenden Levende, sonder in
zu helles Licht zu werfen geeignet waren, durch andere, weniger verfängliche zu
ersetzen. Man scheint aber bei Hofe doch hinter seine Schliche gekommen zu
sein, wenigstens findet sich die Bemerkung, dass die Übertragung Mängel aufweise,
welche man durch Vergleichung mit dem Originale zu verbessern gesucht habe.
Die in Hannover befindliche Übertragung ist, wie eine Vergleichung mit einer daselbst
vorhandenen Eingabe des Amtsschreibers erkennen lässt, nicht von dessen eigener
Hand geschrieben, was ja auch erklärlich ist, da das Original an deii Landgrafen
geschickt wurde und man der Curiosität wegen eine Abschrift zurückbehielt.
*) In der Übertragung steht dafür leveste Honeken.
76
einem sollichen Stande, de imme gefellich, das hei ff e uns der getruwe Got.
Mein harte alderleveste Honeken, ick wolde Ju lestmals von einer Altfruwen
gesecht helfen, de rechte wol nehen kan, darto gar ein feine Wif von Lit
undt Levende, gar geschicket, ock vorschweigetf, dat mi dachte, wo fere men
desulfen unvermerchet konde darhen handelen, it scholde uns drechlick sin.
Sie is itsunde to Hildessem bi orer Mutter undt wer hibevorn bi Dideriche
von Mandelschlo; wi der furm Jar gefangen wart, bat se mi, ick wolde se
etwan an eine vom Adell vorschrifen , darup ick der Tit nicht wüste to ant-
worden, sonder sechte, se scholde mi wedder anspreken laten, so wolde ick mi
weider erclaren. Oft ich nun wol lest sodanes mit Ju reden wolde, so wete
gi, dat wi do mer to donde, als wi Tit hedden, derhaifen es vorhieven. Wen
Ju nu duchte rat, sie etwan kegen Michaelisdag, dat gi se denne hedde bet to
Minden bescheiden undt sulfen mit or geredet, so konde jo nemandt etwas
merken, gi konden ock wol kegen ander seggen, de von Steinbarge hedde se
an Ju na Minden vorscbrefen, darmit men doch Botschop desto foglicker mit
einander helfen konde; wen den gleich de Boden bisweilen up dat Hus komen,
de frageden na der Maget und were desto weniger Fare darbi. Ick erkenue
se für ein vortruwete Persone, undt wen Ju duchte, scholde gi se vorerst ein
halb Jar utmerchen, darmit men dat Vortruwendt heffen kont. Min harte alder-
leveste, de Botschop is jo unser beste Trost undt is uns so (rechte daran
glegen. Derhalben denke ich es so) *) ofte, umrae wi es muchte am alderbesten
gemaket, dat it uns jo nicht tom Schaden gerathe. Dewele wi ock lest nenen
Afscheit genomen, welcher under uns Termin na dusser Botschop solte ansetten.
dat mi warlich seder oft geruwet, nach dem male de Bode tor Drendelborch
weder umme geit, nun sol dut mine Bidde sin, wen ick in Juwen Breve keine
ander Dage Tit finde, dat gi willen up den Dag Jakobi, wirdt sin der fif undt
twintigeste Dag Julii, oder up den Dag Laurentii, wirt sin der tehende Dag Augusti.
den Morgen umme negen Siegen Juwe Botschop an aussen sulfen Ort up de Brügge
gewisse senden mit dem Worteken, dat Ju Bode möge einen Widenstruch, der 1ms
uppe sitte, in der rechten handt heffe. Befinde ick afer, dat in Juwem Breve ander
Termine sindt vormeldet, densulsen will ick uasetten und schöllet dusse den nicht
gelden. Doch dat Ju Bode mege dut Worteken bruken, darmit de Bode nicht
unrecht andrepe. Min harte alderleveste Honeken, gi willen der Hemmede,
Snuptucher undt des ( Arm) 2) bandes ingertechtig sin undt latet mi den (sam-
meten)8) Hot dar oder to Minden sulfen make, als he wesen schal; dat gefeit
mi fil lefer, den gi vorspreken mi lest mine Kleder, se weren nicht dogede
maket, derhaifen stelle ick it Ju darmit heim. Min hogeste Trost negst Got,
kan es leider dusser Tit nicht vorschulden, afer dusser Tit mit Getmweheit, ock
hernach undt den, wen Got de Tit gift, Juwes Lives Pleger to sin nach alle niinem
hogesten Vormogen, den, Herre Got, ick mus in minem Harten bekennen, wat fil
Gute undt Truwe mich von Ju wedderfaren. Ach, min einiges Fleisch undt Blodt * >
ick schrife up mine Vorplichtuug, getruwe to sin, dat is min hogeste Eidt. Nun,
min harte alderleveste uterweites Wifeken4), ick wil Ju dem gnadenreichen Gode
to langer, ganzer Gesundheit befeien in der trostliken Hoffnung, dat ick kegen
dussen Michaiis wedderümme bi Ju wil ankörnen, den da verlangede mi wol (dusse
Stunde na)5); wen idt sonst konde one Gefar schein, gi werde mi wol de
Glegenheit to schrifen, wen Ju duchte, undt konde eher schein, ick wU mines
*) Im chiffrierten Texte ausgelassen.
3) Fehlt in der Übertragung.
8) In der Übertragung Harteken.
*) In der Übertragung Leveken.
5) Fehlt in der Übertragung.
11
Lifes Juwendthalfen to wagen nicht schonen. Wen ick nicht in mines Hern
Dienste were, wurde gi mi ock in äussern Juwem Brewe, den ick, gonde Got,
weddernuime von dnssem Bode entfangen werde, am Ende nndt Orter bescheiden,
dein wil ick, so immer mugelich, nakomen, den ick weit wol, dat Ja werde
von Harten seher vorlangen undt jamern. Min fromes Honeken und fortruwetet
Wifeken1), gedenket Ja miner immerdar in Frude undt Truwricbeit, dat wil
ick ock don. Got, Got befolen, ach Here Got, hilf uns ut dussem Levende,
und dat wi jo mögen balde tosamende komen, bist Got, du kanst it so balde
maken.
.Tu harte alderleveste (Man) 8) wil ick sin nndt blifen (bet an
den Dot.)3)
Der Landgraf mag gut gelächelt haben, als er inne ward, wie
sein Verdacht, als ob hinter dem Briefe sich irgend ein hochgefähr-
licher Anschlag verberge, in dieser Weise Lügen gestraft wurde. In
heiterster Laune richtete er an den Herzog Julius folgendes Schreiben :
Wilhelm von Hessen an Herzog Julius von
Braunschweig 1682, Juli 21.
Was dann nun den mitt Zieffern geschriebenen Brie ff betrifft, da wir
gewiss gewust, das es anders nichts als Buhlscbafftt angetroffen, wolten wir
den armen, jnngen Tropfen, welcher ardentibus teils Cupidinis so hartt ge-
schossen, bey E. L. nitt haben angeben. Bitten derowegen freundlich, £. L.
wolten uns zu freundlichem Gefallen nihil sererhis jegen ihnen statuiren in
Betrachtung, das sie vor Zeyten in seinem Alter auch schöne Lentt lieb ge-
uabett. Sondern dieweill sie ans seinem Brieffe sehen, das ehr selbst ein
Absehe w hatt, dermassen in der Unehe zu leben und Qott bittet, dass er ihm
herrausser helfen wolle, E. L. wollen nit sein strenger Richter, sondern beyd
seines leibs und Seelen Arztt sein undtt etwo mitt ihrer Cammer Megd oder
sonst einem redlichen Medlein versorgen. So wird ehr erst entfinden , was
vor ein differentz zwischen ehelicher und solcher Liebe sei undtt solch berie-
fe ium hoch halten undtt mitt allen Treuwen umb E. L. desto mehr in aller
Underthenigkeit zu verdienen sich befleissen, dieweil sie ihn aus dem Cr
chaldaeorum geholffen haben.
Sonstett halten wir darvon, das man dit Sach umb beyderseitts ehrlicher
Freundschafft willen soviel möglich supprimiere, damitt nit ettwo daraus Mordtt
uund Jammer entsteht.
Ein ärgerer Possen konnte dem armen Jungen kaum gespielt
werden, als es mit diesem Vorschlage geschah. Sichtlich hatte die
treue Liebe desselben und sein sehnsüchtiges Verlangen, endlich in
geordnete Zustände zu kommen, den Landgrafen gerührt, aber ein
Bürgerlicher und Eine vom Adel, das ging nicht, mochte das Ver-
hältnis auch noch so weit gediehen sein. Auf die Geliebte seines
Herzens sollte er Verzicht thun und sich an irgend einem hübschen
Kammerkätzchen schadlos halten.
Was der Amtsschreiber auf solches Ansinnen erwidert, darüber
*) In der Übertragung steht uterwaltes Harteken.
2) Fehlt.
8) Fehlt.
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fand ich leider nichts berichtet. Der Phantasie des Lesers bleibe es
überlassen, sich auszumalen, wie er demselben in Treue widerstanden
und durch diese Standhaftigkeit und etwa die Fürsprache der Herzogin
Hedwig, Herzog Julius' Ehegemahl, die Vereinigung mit der Heiss-
geliebten dennoch erreicht habe. Hoffen wir, dass ihnen diese Ver-
einigung zu einer Zeit gelungen ist, da sie „noch der Jugend hatten
und sich der Welt eine Zeitlang zu gebrauchen" in der Lage waren.
DÜSSELDORF. W. Ribbeck.
Zu Pseudo-Gerhard von Minden.
Fab. XXm, 31 f.:
Darna begunde an tornen dagen
De kontiink dtn sulven lowen jagen .
Was heisst an tornen dagen? Die Stelle ist bereits von verschiedenen Seiten
erörtert worden, obne dass bisher eine wirklich befriedigende Erklärung vorge-
schlagen wäre. Das mndd. Wb. IV, 580 b führt torn als Adjectiv zweifelnd an
nnd belegt es nur dnrch obige Stelle. Im A. f. d. A. V, 243 erklärt Strauch da*
Wort torn für dunkel. Seine Vermutung, dass in an tornen das hd. untorn,
nd. undorn stecken könne, ist abzuweisen, richtig dagegen erkannte er, dass es
sich nm eine Zeitbestimmung handle. Ebensowenig einleuchtend ist Sprenger*
Vorschlag (Progr. Northeim. 1879 S. ö), nemlich entweder tornen als Contraction
von tovernen zu fassen oder zu lesen darna begunde an tovernen dagen.
Geleitet von der Annahme, dass in tornen wahrscheinlich eine Verderbnis
vorliege für ein ähnliches, eine Zeitbestimmung enthaltendes Adjectivum, da^
wir etwa zu erwarten haben 'bald darauf oder 'wenige Tage nachher', ergab
sich mir als die nächstliegende Besserung corten. Man würde anstatt an besser
na setzen und demzufolge lesen :
Darna begunde na körten dagen
De konnink den sulven lowen jagen .
für diese Vermutung spricht Fab. XVI, 27—28
Darna sint na unmennigen dagen
Begunde des landes here jagen .
Kort in der Bedeutung von Wenig bei Zeitangaben belegt das Mndd. Wb. II, 541 a.
20 ff. binnen corten jaren. etc. Im MHD. Wb. I, 917 a, 22 ff finden sich Be-
lege für bi, in, xe, kurzen tagen. Vgl. auch Karlmeinet 4, 40. Hölscher, Lieder
S. 61, 10.
CAMBRIDGE. Karl Breul.
w
Zum Sündenfall.
Sprenger hat bereits im Nd. Jahrbuch XIV, S. 148 ff. eine An-
zahl Stellen im Sündenfall behandelt, und zwar ganz in dem Sinne,
wie ich sie zu behandeln gedachte. Bei einigen bin ich jedoch ab-
weichender Ansicht, andere sind unbesprochen geblieben.
V. 169. Alles dinges will ek wol erwerven,
Nei?i dink kan me vor my sparen.
Sprenger liest: Alles dinges bi?i ek wol vorvaren. ' Jedes Dinges bin ich
kundig.' Wenn dies richtig wäre, so würden die V. 165 — 170, die inhaltlich
zusammen gehören, nichts anderes besagen als die V. 171 — 175, deren Qedanke
ist : vor my en kan nein dink verborgen wesen. Wenn hier Gottes Allwissenheit
hervorgehoben wird, so soll meines Erachtens in V. 169/70 Gottes Allmacht betont
werden, dazu passt aber Sprengers Verbesserung nicht.
204. Och wan se it alle recht vorstoiden,
Wu lefliken my se broiden.
Zunächst ist hinter vorstoiden ein Komma zu setzen. Weder Schönemanns
Erklärung 'hüten' noch die des mnd. Wtb. 'mit Brod versehen' noch die Spren-
gers 'behüten' treffen das richtige, broiden steht mit Umlaut für broden^= brüten,
erwärmen, hegen und pflegen, fovere. Ich übersetze: 'Ach wenn sie es alle
recht wüssten, mit welcher Liebe wir sie hegen.' broiden \%t keineswegs zu
streichen.
267. Van der wegen lide gy mine klage»
Statt mine ist neine zu lesen, wie das folgende sunder deutlich anzeigt.
359. Des meine ik, de si hir medef
De sinen munt nu uppen dedey
Dussen danken my to berovende,
Derjennen de my plegen to lovende.
In V. 360 möchte ich up en dede lesen. V. 361 ist dussen danken (hdsch.
denken) kaum zu halten, sollte nicht dussen dank zu lesen sein? en könnte
aus V. 360 herübergenommen sein. Am Ende v. V. 361 ist das Komma zu
streichen.
502 lese ich:
Minen stol wil ek my nemen,
Bi gode setten, dat mach my lernen.
509. War en werstu ersten scon unde klar !
Stat war lese ich wat: 'Was warst du vorher nicht schön und klar*.
Nach V. 542 scheint etwas zu fehlen, wie der Reim andeutet, vielleicht
nur ein einziger Vers, der etwa so gelautet haben wird: men se heft om nicht
genoiget.
HO
665. De scult en is nu nicht allene.
Statt nu ist wohl myn zu lesen.
670. Unde wy hadden edle, grole ere.
In der Hds. fehlt wy , es ist wegzulassen, s. Seelmann z. Gerhard v.
Minden S. 166/67. Ebenso ist ik V. 1323, he V. 2233 zu streichen.
691 ist zu interpungieren :
Heddet juwe gude wille nicht gewest,
Qy hedden mit my dat erlike nest
Verscheten,
695. Dar umme mote wy scaden unde vromen,
To hope stan an einem hope.
Sind scaden und vromen Infinitive oder Substantive? Fasst man sie als
Inf., so lässt sich stan nicht gut konstruieren; sie als Snbst. von stan abhängig
zu machen, wie ähnlich erentur stan gesagt wird, erscheint unzulässig. Unwill-
kürlich wird man an die formelhafte Wendung erinnert: it si schade efte vrome.
(R. V. 923), die ich hier in etwas veränderter Gestalt wiederzufinden glaube.
Ich setze daher hinter wy ein Komma.
738 ff. lese ich folgendermassen :
De sint nu so vormeten unde steil,
Dat se mit iuk nu neinen deil
Mögen hebben edder krigen.
In 739 scheint hebben aus V. 740 irrtümlich herübergenommen zu sein.
785 scheint gelesen werden zu müssen :
Uppe dat iuk vorder kundich werde (: erde)
De underscedinge unser seippinge,
809 lies Dem sin gelik statt de sin gelik.
824. Icht dat flesk en soden wolde,
Dat der sele wat anne scolde.
In anne scheint ein Fehler zu stecken, ich möchte statt dessen anden
lesen = 'schmerzen'. Vergl. mnd. Wtb. VI p. 16, ande -■= 'Kränkung1 ; mhd. andt
= 'schmerzlich1 und mich andet = 'mich kränkt, schmerzt'. Mhd. Wtb. I 34 und
35. Gr. Wtb. I, s. v. ahnden: lasset euch mein red nicht anden. Fastn. 337.7
bedeutet 'nicht leid sein, nicht verdriessen'. Sollte anne vielleicht = anne und
dieses die assimilierte volkstümliche Form für anden sein?
885. Ek wil dy aller vruchte macht geven,
De de sint in äussern paradise ;
Aver allevie van äussern rise
Scaltu nicht breken edder eten ;
Deistu daty so scaltu wetten :
In welker stunde du dal bedenkest,
Des ewigen dodes du denne stervest.
Über bedervest in V. 890 finde ich nirgends etwas. Dass es nicht von
bederven 'bedürfen, nötig haben1 herkommen kann, scheint unzweifelhaft. Dat
in 890 ist das Verbot, von dem Baume zu essen ; bederven wird im Sinne von
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uerderven = 'zu Grunde richten, verletzen* gebraucht sein. Vergl. V. 3649 : In
welker stunde werde gebroken Juwe bot in dem paradise. Das mnd. Wtb. kennt
nur bederven 'berauben, plündern'. Vergl. Gr. Wtb. s. v. bederben.
982 ist das Fragezeichen durch einen Punkt zu ersetzen.
984. Wente he hefl en on hir umme vorboden,
Ete gy hir van, so werde gy gelik den goden.
In V. 984 ist entweder en zu streichen oder es ist für iu verschrieben.
990. Ach, dusse appel is so sote!
Adam, dat is alto hote.
Hir uinnie so nüm unde smeeke,
Uppe dattu nicht menest, dat ik dy gecke.
Schönemann erklärt to hote sin 'zur Vorsicht dienen', das mnd. Wtb. ?iöt
als 'heiss'. Letzteres ist offenbar verfehlt. Das erstere könnte vielleicht einen
Sinn geben, wenn man übersetzt: Adam, das dient alles zur Vorsicht (sei. damit
wir nicht davon essen sollen, vergl. V. 984). Da hier aber von der Süssigkeit
des Apfels die Rede ist und Eva dieselbe so rühmt, dass sie fürchtet, ihr Mann
konnte meinen, sie wolle ihn zum Narren haben, so vermute ich, dass zu lesen
ist, dat is alse hotte = 'Das ist (schmeckt) wie (süsse) Milch'. S. mnd. Wtb. s. v.
hotte, sapa, hotte, smant, vlod. Vergl. heutige Wendungen wie: dat sclimeckt
w7 ßot.
1157 ff. sind zu interpungieren:
We ein dink to vorne bedeckte,
Wu it na körnen möcfäe,
So hedde it wol na gebleven,
Dar umme wy sint also vordreven.
1171. Wy hauwen hen in godes namen.
Statt liauwen schreibt Spr. tliauwen 'eilen'. Adam sagt 1163: Wir wollen
ein Handwerk beginnen, ich will hacken, du sollst spinnen. Eva erwiedert:
Lieber Adam, ich will stets bei dir bleiben, es gehe uns wie es gehe. Unser
eins verlässt den andern nicht. Wir fangen an in Gottes Namen. Noch heute
wird fienhauen in dieser Bedeutung gebraucht.
1339. Ach leve vader, mek is nicht lede.
Ik bin beret nacht unde dach,
Unde don umme dy, wat ik vormach.
Hier steht don für ik do, ebenso V. 3345 ik bewenen.
1420. Dat ik den rechten weg möge keinen.
Das hdsch. dar statt dat ist beizubehalten.
1449 ist statt in stunden besser in den stunden zu lesen.
1456. Hör seth wat dat kleine kind mende,
Dat dar uppe detns bome sat unde wende,
De da vordroget stot.
Statt vordroget .hat die Hds. vor droge und dies ist das richtige. Der
Baum ist nicht vertrocknet, er sieht nur aus wie trocken.
1497 und 1498 möchte ich folgendermassen lesen:
Se ok, dattu nicht en vorgetest,
Wan du on leggest in dat graf:
Niederdeutsche« Jahrbuch. XV. 6
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1546. Dat ander dat ik mene,
Hetet geon unde en is nicht kleine,
Unde vlut in ethiopien,
Nar de smarten luden hen.
Statt nar hat die Hds. dar, das wohl für dar verschrieben ist
1551. Unde lopt in laut van asia.
Statt in laut ist wohl in dat land zu lesen.
1628. Wu wy möge wegen werden verlost ist wegen zu streichen.
1665. Ik bidde, dat gy nicht to endecken,
Ik en mote minen vader sulven strecken.
Spr. will lesen: ik bidde, dat gy nicht to en decken. Dies ist nicht
richtig, es muss vielmehr en aus V. 1666 in V. 1665 gesetzt werden: ik bidde.
dat gy en nicht to endecken.
1785. Statt Boven dattu bist also bereit
Unde betauest uns dine Barmher ti^lxeit.
lese ich Boben dat bistu also bereit.
1796 ff. lese ich: Ik mene, dat he si angekomen,
De rechte girige dwas,
In dem water war up en as.
ankörnen up fehlt im mnd. Wtb.
1811. Ek wü mine arme hen utstrecken,
De duven hir wedder in hen trecken.
Statt in hen ist wohl Jien intrecken zu lesen.
1822 lies: De duve kumpt nu mit einem gronen twige.
2098. Unde hope dat my des nement vorkere
ist dat, welches in der Hds. fehlt, zu streichen.
2437 lies : Or kint dat sterf in einer nacht,
Dat lieft se an min bedde gebracht.
2752 ff. müssen folgendermaßen interpungiert werden:
Irluchtede forste, bedenket juwe gesie,
De gy so befliken liebben geladen,
Vordert se unde helpet on draden,
Ik merke, se hebbm bedreplik werf.
Wente dar an licht dig unde rorderf
Nicht einerleie allene,
Sünder aller werlt gemeine.
eiiierleie = eines (einzigen Menschen) allein, abh. von dig rorderf. Dar
an, d. i. an der baldigen Hilfe.
2787. Wy hopen, he wüte nicht loten
Baden, wat dem mynscldiken sleclüe möge baten.
Es kann nicht heissen: 'er wolle raten lassen', da er (der König) selbst
Rat erteilt, sondern 'er wolle nicht unterlassen zu raten1, taten mit dem Inf.
in dieser Bedeutung fehlt im mnd. Wtb.
83
2801. Frunde, nu sint wy hir gesamet
Und hebbet hir eines dages beramet,
Dat gy wisheit mögen beten
Unde alle tit dat beste vorkeren.
Statt beren in V. 2803 ist wohl leren zu lesen, vergl. V. 2806.
2988. Dut jammer! dat kindelin &in.
Statt dut jammer, wofür Spr. mit jammer vermutet, Hesse sich vielleicht
dut scJial vor war einsetzen.
3114. Oristus de schal werden geborn
To Betlehem, alse ik hebbe gelwrn.
Das Ptc. geJiorn ist auffällig. Wenn es sicher wäre, dass der Reim im Sün-
den fall stets richtige Formen hüte, so hätten wir hier ein Beispiel, dass es
auch ein st. v. Iioren gab, wie ich es ans dem hentigen Iinperf. hör in der
Kattenstedter Mundart folgern zu können meinte, s. Germania XXXIII, p. 437 ff.
3520 ff. sind folgendermaßen zn ändern:
Du machst wandelen mine seliemende,
De ik liebbe geleden twar
Van ruben in dem tempel, dar
Wy stunden to dem fesldage.
Here, vor war ik vorder sage:
3654. Her Vader, warwordieh schulte gy wesen,
Unde tatet den mynsclien nicht genesen,
Dat lie so vramede bede genete.
Spr. übersetzt V. 3656 : 'so dass er den Vorteil von so befremdlicher Bitte
hat.1 rrcmrede bede ist aber keine 'befremdliche Bitte1, sondern eine 'fremde, die
Bitte eines anderen1. V. 3615 ff. erbietet sich Michael dem David zu dienen,
er bittet für ihn bei Gott, und Gott gewährt die Bitte des David um Michaels
willen, V. 3629:
Michahel, du scalt des wesen mechtich,
Nu du mede biddest also.
3709 ff. sind folgendermassen zu interpungieren :
Wente dat ik hebbe gesproken,
Dat schal bliven unvorbroken
Michahele und davite.
Des will ik hebben neine wite.
3829. Am sit wilkomen, min lern trat,
Joachim, gy selten my lange ut.
Über die Bedeutung von utsetten habe ich nichts finden können. V. 3507
ff. wird berichtet, dass Joachim voll Verdruss Über den ihm gewordenen Hohn
von seiner Frau Abschied nimmt und wieder zu seinen Schafen geht. Erst jetzt
kehrt er wieder zu ihr zurück, utsetten ist daher 'sich nicht bekümmern um
etwas, vernachlässigen1, hier wohl zugleich mit Bezug auf den Geschlechtsverkehr.
3868. Ik weil, dine gotliken kraft
Alle dink van nichte ließ up gebracht,
Unde dat Jie van fliehte ließ geformeret.
In gotliker wisheit he dat regereL
6*
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in V. 3870 ist statt des Punktes ein Koroma zu setzen. Statt dine in
V. 3868 ist sine zu lesen, David redet mit Michael, vergl. V. 3874.
Zum Wörterbuche bemerke ich noch: Ebenso wenig wie broiden sind
houde und moxul zu streichen. Dass hier ein Schreibfehler vorliege, ist leicht
gesagt aber nicht erwiesen, und an sich schon unwahrscheinlich. Im Korrespon-
denzblatt f. nd. Sprachf. IX, p. 91 habe ich schon die Vermutung ausgesprochen,
dass ou for 6 stände, wie heute maud für möd auch in der Gegend um Ein-
beck, also in der Heimat des Dichters des Sündenfalles gesprochen wird. Dass dieses
ou schon in so früher Zeit vorhanden war, unterliegt für mich keinem Zweifel
Hierüber verweise ich auf meinen Aufsatz über die Sprache der Urkunden von
Ilsenburg und Halberstadt, der in der Germania erscheint. Die Formen moud
und houde gehören dem Volksmunde an, gerade so wie keie, freue, ioh für juk
V. 3937. Aus iok ist das heutige jök entstanden. Der Sündenfall bietet manches
Mundartliche, worauf bis jetzt noch wenig hingewiesen ist, der Dichter hat
offenbar Rücksicht auf das Publikum genommen.
BLANKENBURG a. IL Ed. Damköhler.
Zu Johann Laurembergs Scherz-
gedichten.
Trotz der Verdienste, welche sich nach Lappenbergs Ausgabe E.
Müller und Fr. Latendorf, W. Braune und zuletzt Gering um die Er-
klärung der Scherzgedichte erworben haben, scheint noch manche Stelle
nicht genügend erklärt zu sein. Nachdem neuerdings die gleichzeitige
dänische Übersetzung durch Dr. J. Paludan (Kjobenhavn, Thieles Bog-
trykkeri) herausgegeben worden ist, wurde die Möglichkeit geboten,
sie bequem mit dem Original zu vergleichen. Wie zu erwarten, er-
gab die Vergleichung sowohl direkt manchen Beitrag zur Erklärung,
wie sie anderseits zu erneuerter Betrachtung mancher Stelle anregte.
Was sich mir bei dieser Arbeit ergeben, teile ich hierunter mit.
Zum ersten Scherzgedicht.
V. 19. in einem Becher, Druckfehler für einen; dän. : udi eti anden Bagger,
82. Den Namen des Schosshundes: SwaenJce mit dem ostfriesischen
Frauennamen Swaneke, der auch in den Formen Swan, Sivane, Swarüce, Swantjt
vorkommt, zusammenzustellen, scheint mir nicht passend, ich stelle ihn vielmehr
zum mnd. adj. swank, leicht, hurtig, beweglich, swanke als adj. und adv. er-
scheint noch heute im Westphälischen ; vergl. Woeste S. 264, swank 'elastisch
auch bei Schambach. In Quedlinburg fand sich der Familienname Schwenkt*
einer aus Holstein stammenden Familie. Die Originalausgabe hat ein Sw. st.
min Sw. was auch in den folgenden Ausgaben bis 1670 (bei Braune) wiederge-
geben ist. Nachdem neuerdings ein als Demonstrativpronomen nachgewiesen ist.
85
braucheil wir an der Richtigkeit desselben nicht zu zweifeln. Die dän. Über-
setzung hat: Fy det haffvcr Bijncke giori.
159. lüsken speter. Die dän. Übersetzung hat, entsprechend Dedekinds
Läuseknikker : Luuseknceker.
161. Snappenfötel. Auch ich halte diese Lesart für die richtige, erkläre
es aber nicht als scherzhaftes compositum sondern als Zusammensetzung aus den
Subst. snap und thtel (s. Braunes Bern.). Zu ersterem vergleiche ich dän. Snavs
'ünflath'. Die Übers, hat hlat.
166. Pinekepanck findet sich noch hier als Familienname eines Schmiedes.
168. Dat du dem Duvcl bist gelopen ut der bleke.
Dass wirklich 'Bleiche1 gemeint ist, geht aus V. 453 und 485 der Schau-
spiele des Herzogs Heinrich Jul. von Braunschweig hervor, wo von einem Mohren
und einem Köhler gesagt wird: Ohy sihet ut, als wann ghy dem duifel wert
ath der bleike entlopen. Die dän. Übersetzung hat: At du fra IMflveds lld
er kommen ud for sande.
203. Dat geit so rundt herbm, geliek als in den Schrencken
Wen nichtes nies mehr de Ehrgitz kan erdencken.
Fangt he van vbren an: glyk als ein welig Peert,
Dat in den widen Kreis sich kunstlik tummeln lehrt
Braune erklärt im Glossar: Schranck m. ? I, 203 (mnd. schrank n.)
Schranke, Gitter, Verschluss, hier wohl von einer umhegten Beitbahn.' Da das
Gleichnis vom Pferde in der Reitbahn in den vorhergehenden Versen ausgeführt
wird, so halte ich diese Erklärung nicht für stichhaltig. Der dänische Über-
setzer gibt den Vers folgendennassen wieder:
Det gaar saa rundt omkring, som glas paa lystig Baencke 'Som Glas
(Skaaler ved et Gilde)1 erklärt der Herausgeber. Der Däne hat also Schrencken
= mnd. schrangen, später auch in der Form schranken 'Tische oder Bänke,
um etwas zum öffentlichen Verkauf darauf zu legen/ gefasst. Ich glaube, dass
er als pl. von schrank in der Bedeutung: vergitterter Raum im Wirtshause zu
fassen ist, wie sie noch jetzt entsprechend dem süddeutschen 'Herrenstüble', in
Norddeutschland sich finden. Der Übersetzer hätte also den Sinn der Stelle richtig
gefasst.
203. mit solken leckerbeten. Das auffällige mit wird bestätigt durch die
dänische Übersetzung: ved saadan lsecker Bidsken.
849. Pekelmütz. Man denkt bei diesem Worte zunächst an das hochd.
Pielcelhaube (s. Weigand II, 349), das auch im mnd. als pekelhuve (Seh. L. III,
314) sich findet, und wirklich hat der dän. Übersetzer es auch so verstanden;
er setzt dafür {Pickelhu\ Schon Braune (s. Glossar seiner Ausg. S. 106) hat
jedoch mit Recht von dieser Erklärung abgesehen. Wenn er aber den ersten
Teil als mnd. pekel f. = „Salzbrühe zum Einmachen des Fleisches" fasst, so
spricht gegen diese Erklärung schon der Umstand, dass sich im nd. Pefc&eZ-Mütze
belegen lässt. Auf das Vorkommen desselben wurde ich zuerst aufmerksam durch
»ine Bemerkung in Schmeller-Frommanns bair. Wörterbuche, I, 202. Das von
hm citierte Dönekenbok ist, wie mir Dr. Ernst Jeep freundlich nachweist, eine
Sammlung niederdeutscher Schwanke, zusammengestellt von Karl Friedr. Arend
Scheller, Hamburg 1829 (vergl. Goedeke, Grdriss III, 2. Abth. 1881, S. 771).
Die Stelle lautet:
Wat is dat? „To R . . . m im förstendöm H . . . d let de parner in
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der kinderlere de tein bode na der rege hersäggen, an kwam darby an enen
lütjen, de hadde sine hände fölt over de mütse, de tohopeknäperd was. Do de
junge avhalven kek, so fatete de pape ön up de hände an frög: Wat is dat?
— De jange vorferde sik igteswat, an stötterde: „Og, og! dat is mynen fader
syn dips, ek kon minen pekkel nig finden!" Der ebendort gefundene Verweis
auf Firmenich, (Germaniens Völkerstimmen) I, 176, 58, wo aus dem Braun-
schweigischen angeführt wird : „ Toog fam Koppe den Pekkelu veranlasste mich,
dort nachzuforschen, ob das Wort noch erhalten ist. Meine Anfragen führten zu
keinem Ergebnis; das Wort scheint nicht mehr zu leben. Dagegen kennt noch
die Groningensche Mundart (vgl. Molema, Wörterbuch d. Gr. Mundart. Wörter-
bücher des Vereins f. nd. Spr. III, 313) den Pelcel in dieser Bedeutung. Was
die Erklärung des Wortes anbelangt, so weiss ich nicht, wie Schmeller dazu
kommt, den niederdeutschen Pekkel (Pekel) als lederne Haube zu erklären;
aus den von ihm citierten Stellen geht sie jedenfalls nicht hervor. Natürlicher
als an Pekel 'Salzbrühe1 zu denken, schien es mir früher den ersten Teil ans
Peck, 'Pech1 (mnd. pek. Sch.-L. III, 313) zp erklären (wo denn el die bekannte
mnd. Bildungssilbe wäre), um so mehr, da man noch jetzt von pekigen (klebrig-
schmutzigen) Kleidungsstücken spricht. Da derselbe aber jetzt als selbständiges
Wort nachgewiesen ist, so sehe ich von dieser Erklärung ab. Noch erwähnen
will ich, dass Stürenburg (Ostfr. Wb. S. 176) das ostfriesische Pikkkappc svon
der spitzigen, pikförmigen Gestalt oder von einem Pech- oder pechähnlich glän-
zenden Anstrich" erklären will.
383. Hed ick dal nicht gedahn, ick Jtedd oftnwhh gebregen
Hurllputxen, ock wol offt must kamen vhr den Degen.
Hurrlputzm, welches im Niederd. sonst nicht belegt ist, will Braune
durch Schelte erklären. Gemeint ist wohl Wortstreit, der zum Duell führt. Der
dän. Übers, gibt die Verse wieder:
Haffd' jeg det icke giort, da haffd' jeg maat om springe
For Nseffve Pust, ja tjt vel m0det for en Klinge;
Zum zweiten Scherzgedicht.
125. Damit de idt en nicht wolden to glhven,
De kondcti idt sfilven sehn, fhlüen und prbven.
Braune vermutet, dass to Druckfehler für so sei und übersetzt: 'Die es
nicht so schon glauben wollten1. Das to wird jedoch geschützt durch Ver-
gleichung von J. Strickers Düdeschem Schlömer V. 1145 Dat scJial men juw flu»
glhven so; vgl. auch mnd. to-lovcn% zuglauben, zutrauen (Mnd. Wb. IV, 572).
171. Du deist schyr alse uns vorteUde Leenke Bökeln . .
Wenn Dedekind bemerkt: „Lene Beukeln ist ein Weibes Nähme auf
Kopenhagensch gebräuchliches Deutsch" , so ist dies offenbar eine leere Ver-
mutung, denn die dänische Übersetzung hat nur: Du beer dig saadan ad, som
Leene siger mig. Bökel ist übrigens ein in Quedlinburg vorkommender Per-
sonenname.
219. bedden. Auch ich kann nicht umhin, mit Müller diese „willkürlich
combinirte Infinitivform für einen Druckfehler der Originalausgabe zu erklären.
Auf Bedde lässt auch die dän. Übersetzung V. 215 schliessen: Fraier Vict sig
hos hende lagde ?iced.
273. Ick weet idt s&lvest wol, dat sick dat nicht beb^hret.
87
So ausser dem Orig. auch Braunes a und [i Von den Herausgebern ist
aber bcbbhret nach den späteren Ausgaben in gebühret geändert worden. Ich
glaube mit Unrecht! Lauremb. lag wohl zunächst die dänische Redensart det
her sig „es gebührt sich, gehört sich" im Sinne, (vgl. die dän. Übers. V. 265).
Aus dän. sig b&r bildet er nun ein Compositum sich bebhhren, ebenso, wie er
aus dän. locke ein Compos. belocken bildet; vgl. zu V. 751.
348. beskemen, 'täuschen, betrügen.1 Die Übersetzung hat (V. 340)
bedrage.
395. Einsmalt ward he gewahr dat Volck in groter mengen,
De segen tho wo nun wold einen Deeff uphengen
segen tho 'strömten dahin', vgl. mhd. zuo-sigen 'gleichsam strömend sich
bewegen von grossen Volksmengen' Lexer II, 917, Mhd. Wb. II', 266 a. Die
Übersetzung hat:
Som band en gang bleef wat at Folck i stsere msnge
Leb hen at vilde see hvor mand en Tyff skuld1 hange.
397. schbn lanck Haar, gehl als ein Avenlock,
Den eigentümlichen Vergleich hat der dän. Übersetzer (V. 389) geändert:
deiligt Haar, guult som en Jomfru Lock. Der Vergleich ist wohl scherzhaft
gemeint. Der Dichter will eigentlich sagen: 'schwarz wie ein Ofenloch'.
405. hyr kann dem Zusammenhange nach nur = 'heuer, in diesem Jahre1
sein; vgl. mnd. hure.
603. De Neierschen und k&sclie Wascherinnen.
Aus kusche Wascherinnen hat die Bremer Ausgabe von 1700 (durch
Braune mit i bez.) Kussenwascherinnen gemacht, und diese Lesart wird von
Müller im Zerbster Programm 1870, S. 27, für das echte gehalten. Das kusche
der Originalausgabe wird auch durch die Übersetzung (V. 593) geschützt: De
Semmersker saa kyskf oc Vaskerqvinder saa. Sollte der Verfasser demnach
nicht geschrieben haben : De Neierschen so kusche und Wäscherinnen . . .?
719. Ein deel verändert is, und heffl Quarteer genaivmen
In ein lank Nunnen Kleed der Adelichen Dahmen.
Die Orig.-ausg. hat den Druckfehler de Adelicken. Der dän. Übers, hat
aber die Verse richtig verstanden; vgl. 709.
En Deel forandret er oc monn' Qvarteer bekomme
I Nunne Kapper lang blandt Fruentimmer fromme.
fromme wohl dem Reim zu Liebe.
725. Speckhbkers, Klernpencrs
Fohrlüde, Timmerknecht, Scholappers Hudelers . .
Die dän. Übersetzung (V. 715) hat:
Spackhbcker, Sudeler
Vognmcend oc Timmerkncect, Scoelappcr, Hudeler. . .
Der unreine Reim Kletnpeners: Hudelers ist auffällig, auch ist Klempener
in älterer Zeit auf niederdeutschem Gebiete nicht bekannt. Da Sudeler, das
auch von Paludan falsch erklärt wird (Suder, Sndrer : Skomager), kein dänisches
Wort ist, so halte ich Klempners für einen Setzerfehler und glaube dass
Lauremberg geschrieben hat: Sudelers d. i. 'Garkoche1.
88
751. Wen eine Courtisan sick taten had belocken,
Edr was gar ungestalt van eren Landsmans pocken
Diese Verse sind bisher nicht verstanden, belochen erklärt Lübben im
Mnd. Wb. durch 'verlocken', was aber nicht in den Znsammenhang passt. Die
dän. Übersetzung (741 f.) gibt die Verse folgendennassen wieder:
Naar nogen Courtisan sig hafde ladet locke
Eller forderffvet vaar, af deris Landsmand Pocke,
lokke en Pigge heisst 'ein Mädchen beschlafen' und diese Bedeutung ergibt
sich auch für das von Lauremberg vielleicht neu gebildete belocken. Den fol-
genden Vers hat auch der dän. Übersetzer nicht verstanden. Zwar hat es ihm
fern gelegen, bei Pocke an 'französische Pocken, Syphilis1 zu denken, wie der
Herausgeber will, er scheint vielmehr darin einen Personennamen gesehen zu
haben, es ist ihm aber wunderbarer Weise entgangen, dass wir hier ein be-
kanntes dänisches Wort vor uns haben, nemlich „Pog en, Junge, kleines Kind
männlichen Geschlechts a. Wenn der Dichter dieses Wort in sein Niederdeutsch
übernahm, so hat ihn dabei wohl der Umstand mitbestimmt, dass in dieser Mund-
art schon ein ähnliches Wort in gleicher Bedeutung, nemlich pök, (vgl. Scham-
bach nd. W.) vorhanden war. Dän. g verwandelt Lauremberg regelmässig in
ck, vergl. z. B. Huck III, 144 = dän. hug. — Der Sinn der Stelle ist nach
diesen Erklärungen deutlich.
785. Thom Schlepe konde gy vam Sammil ßrdern mehr,
Und schmiten in dat Oeg tlurm minsten ein qvarieer:
Ock schriven, item noch ein halft Loht geh Side, . . .
Die Übersetzung hat V. 775 ff.:
Fü Struden kandst du oc äff Fl&yfot fordre mecr
Oc vel tu din pro fit beholde et Qvarteer,
Oc scriffve: Item nock et halfft Lod Silke guule . . .
Diese Interpunktion gibt der Stelle erst die rechte Klarheit und ist auch
im niederd. Text einzuführen.
790. ein stüffken Rynschen Wyn,
Von dem dar noch nicht is de Frantxmann tho gestegen
Dedekind hat den V. 791 falsch übersetzt, der dän. Übersetzer hat ihn
ausgelassen. Braune vermuthet, dass es heisse : solchen Wein, den die Franzosen
nicht (im Kriege) geraubt haben. Könnte es nicht auch heissen: Wein von der
Sorte, dessen Geburtsort die Franzosen uns noch nicht entrissen haben?
Zum dritten Scherzgedicht.
96. Ein jeder de idt (sc. die Kleidertracht) It&rt, kant tichtlyk
underscheiden
Müller S. 27 (vergl. Braunes Bern.) bemerkt richtig, dass man dem Zu-
sammenhange nach de idt sMt erwartet. Dass jedoch hört vom Verfasser selbst
geschrieben und durch einen Gedankensprung von der Sprache zur Kleidung zu
erklären ist, beweist auch der Wortlaut der dän. Übersetzung:
En hver som saadant Hqt kand lsetlig kiende
232. en idt wehre des Hern sifi wille,
Wolde he den solten Dbrsch howen in stocken
Und den Stockfisch mit den Negeln placken.
89
Heisst das: den Stockfisch mit seinen Nägeln zerreisseu? Wenigstens der
iän. Übersetzer (V. 230 ff.) fasst es so:
Om det nu icke vaar imod deti Henris ville,
Hand da den Saite Torsk viW hugge udi stycke,
Oc med sin Nagle smaa os srnuct den Stockfisck plycke
vergl. Plückefincken I, 391 mit Braunes Anm.
265. praten. Dan. Übers. V. 267 Prate.
278. vaten = 'nehmen'; mhd. vaxxen. Dan. Übers. (V. 280) faae.
332. Mit einem Spamchen Beed. Beed 'Rohr' hat der Däne mit Red'
„Rede" vgl. V. 359 verwechselt; Oc Fogden hastelig med Spanske Ord monn'
jabe oc sagd\
378. De de Frantzbsclie Sjyrack had hhpich ingenahmen.
hnpidi entspricht nicht dem nhd. häufig. Es bedeutet ^massenhaft, haufen-
weis'. Auch von einem Gefässe mit Flüssigkeit, das zum Überlaufen voll ist,
sagt man, es sei ein Haufen drauf. Die dän. Übers, hat ; I hvilcken ald Franixesk
i klumper Tal vaar kroben.
409. Wen men nicht mit fremder Salse bi hogen Luden
Wolde sine discours bestrbwen und bekrbden
Aus dem Zusammenhange geht hervor, dass Salse nicht = frz. sauce,
Brühe, Tunke sein kann, sondern dass es hier allgemein 'Würze' bedeutet, wobei
in zerriebene Kräuter zu denken ist. Der dän. Übersetzer fasst es = Salz.
Om mand hos hgye Folck ey brugte fremmed' Salt
Oc Puddret sin discurs der med, heldst naar det gialt?
475. He moet erst hebben de Handt int vat,
Wen upgedragen weil gammelmat.
Zuerst beim Mahle aus der gemeinsamen Schüssel zu schöpfen war ein
Vorrecht der ältesten, welche die meiste Ehre genossen. Darauf bezieht sich
ein Spruch, welcher mir als Kind vom Vater eingeschärft wurde. : Sei nicht der
erste in der Schüssel, sondern warte, bis die ältesten angefangen haben. Der
tlän. Übersetzer hat abweichend: Hand skal oc skare for (aufschneiden) udaff
kt stoere Fad, eine Redensart, die wohl unserem 'mit dem grossen Messer auf-
schneiden1 entspricht. S. z. IV, 81.
Zum vierten Scherzgedieht.
37. SpitzhU 'Schlaukopf, Betrüger; vergl. Johann Strickers dtideschen
Schlömer V. 1666: En spitxhU is de bUe din. Spitxköjrpe werden die Be-
wohner des Dorfes Ditfurt bei Quedlinburg genannt. Auch Spitzbube hängt
wohl damit zusammen.
81. Wol gebruken kan dat grole Messer. 'Mit dem grossen Messer
aufschneiden' noch jetzt gebräuchlich für pralerische Heden führen. Vgl. auch:
Weinholds deutsche Frauen im Ma. II \ S. 4; Schindler, Bair. Wb. I2, 1670;
Lexer, Mhd. Hdwb. I, 2131.
103. her mgns geliken. Vor etwa dreissig Jahren hörte ich eine Frau
aus dem kleinen Handwerkerstande, deren Tochter sich bei einem Handwerks-
meister als Magd vermietet hatte, sagen: Eck hebbet minen Mäken enauch
'eseggt, se sulle seck nich bi eres geliken- vermeiden.
90
129. Wille gy idt lesen, und flilig befrachten,
So schule gy bekennen und erachten,
Dat Ajwllo mit den Musen alle negen,
Idt hebben ent fangen in eren Bregen:
Und dat idt is uth Oi/rrha geflaten,
Als ick idt hebbe willen in de Fedder vaten.
Cijrrha haben die deutschen Herausgeber unerklärt gelassen. Paludan
(z. V, 131) bemerkt: Cirrha, den gamle Havnestad til Delphi (?) Er hat un-
zweifelhaft das richtige getroffen Cirrha ist dem Apollo geweiht und da*
Adj. cirrhaeus bezeichnet alles dem Apollo gehörige. S. die lat. Wörterbücher.
152 de Hut vidi schütten (schelten) ist noch jetzt gebräuchlich.
177. Der Heer sampt der Magd de weren so alyem. alvern hier uu-
zweifelhaft nhd. Bedentung: albern, einfältig. Der dän. Übersetzer ändert: Ikn
Herre sampt hans Fohk de meente vist med alffber d. h. 'glaubten im Enurt"
183. ey scharn! Als skarn bezeichnet dän. alles, was nichts taugt. Die
Übersetzung hat: det er Skarn, was Paludan erklärt: det duer ikke, det er
noget Snak.
233. Juwe w&rde sind alto kakelbunt.
Die Übers. V. 235 hat Slig Snack er mig forborget, For megel blinkt
og der tu for h&y oc kroget
367. Mit dissen würden narn de Man syn affscheet,
Und van my weg up de Post tho vote reet.
Die Redensart hat denselben Sinn wie V. 141 up de Apostel peerde riden.
Die dän. Übers. V. 361 f. abweichend.:
Med diese sarame Ord den Mand syn Affsked tog,
Oc paa Apostels Vogn fra mig sin Vey hendrog.
423. Ich halte die Herausgeber nicht für berechtigt, die Lesart aller
alten Ausgg. Aristachn in Aristarchn zu ändern ; auch die dän. Übers. (V. 424
hat Aristachy.
425. Ehr de grawe Katte konde ttve Eyer leggen.
Dän. (V. 427.) Ja f&r end Kalten graa et Paar Eg künde ligge. Palu-
dan bemüht sich vergebens, den Sinn dieser Redensart zu erklären, Sie ver-
gleicht sich mit ähnlichen hochdeutschen, wie: Danach wird weder Hund norh
Katxe kr ahn in H. v Kleists Prinz v. Homburg und J. Nettelbecks Selbst-
biographie.
429. uth geflickt. Wie Braune (i. Glossar unter hicken) richtig bemerkt,
heisst ,hicken ndd. nur 'picken' eigentlich von Vögeln mit dem Schnabel hacken.
Diese Erklärung wird bestätigt durch die dän. Übers., welche (V. 421) hat:
konsklig tidprickeL
459. mit sUker Zier. Zier ist kein niedd. Wort, und es ist mir wahr-
scheinlicher, dass Lauremberg es aus dem dän. (Zip-, vgl. auch Übers. V. 463 :-,
als aus dem hochd. genommen hat. Dann ist aber auch die Lesart von Azjs
sulken nicht anzuzweifeln, weil L. das Wort entsprechend dem Dänischen als
Hascul. behandeln konnte. Der dän. Übersetzer hat diese Partie wörtlich dem
Originale entnommen.
91
546. lepsche Sprak; V. 569 lappisch Sprack, beides wohl unserem
, läppisch a entsprechend.
673. Dir drincket aus dem Beck. Beck haben die Ausgaben Aaß, was
die späteren Ausgaben in Becher ändern. Die dän. Übers, hat V. 675 Beck.
Sollte Lauremberg diese entstellte Form von Becher gesetzt haben, vielleicht um
einen komischen Anklang an das niederd. bek „Bach" zu erzielen?
Zum Beschluß.
31. Kein redlich' Man em dat kan bvel dhden uth,
Wen he in llochtydmael dem Brudgam und der Bruet
In Ehren und mit Wunsch de gsundfieit Schale bringt.
Schale wird niederd. nur Ton flachen Gefässen gebraucht, nicht vom Becher.
Der Ausdruck ist nach dem dän. Trinkgruss Skaal! Gesundheit! gebildet. In
der dän. Übersetzung heisst es:
Ey nogen erlig Mand det ilde legger ud
At hand in Bryllups Kost den Brudgom med sin Brud,
I Aeren og med Ynsk en Sundheds Skaal ret gierer,
95. Wat einem gelehrden Man geworden is so stier,
Dat wert in groter Meng gebruekt vor Makeltuer,
Dar Marren allerhands ein halff Fund Speck in packet,
Und vor de Wescherin ein klumken Seep in packet,
Edr windX darin Taback . . .
allerhands wird in Braunes Glossar = mnd. altohandes 'sofort, sogleich'
erklärt. Diese Bedeutung passt nicht in den Zusammenhang. Nach ihm ist
Marren offenbar eine Krämerin, welche mit allerlei Waare handelt. Ich erkläre
mir das Wort daher als vom Dichter erfundenen Personennamen, gebildet von
dem adv. allerhand. Wir sagen noch: „Er handelt mit allerhand. u Dass das
Wort mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben ist, kann nicht auffallen, vgl.
z. B. IV, 556 older Mbme st. Oldermbme. Der dän. Übersetzer hat nur Maren
wie II, V. 17 Lerne, wo Lappenberg Leenke Bökeln hat.
NORTHEIM. R. Sprenger.
Zum Düdesehen Sehlömer.
In der schönen Ausgabe von Johannes Stricker1s Drama De
düdesche Sehlömer, mit welcher uns Johannes Bolte beschenkt hat, ist
trotz der schönen und eingehenden Bemerkungen des Herausgebers
noch manches unerklärt geblieben. Ich will versuchen, einiges zur
Krklärung beizutragen und zugleich einige offenbar verderbte Stellen
zu heilen.
Der Sehlömer antwortet auf die Frage des Vetters, warum er seine Frau
nicht mitgebracht habe:
734. Den hhyup late men tho Huss,
Wenn men begert tho ghan im süss.
92
De hxxyup muss dein Zusammenhange nach eine Bezeichnung der spar-
samen Frau sein, häguj) = Sparsamer Mensch' belegt B. Wossidlo in seintr
Programmabhandlung: Imperativische Wortbildungen im Niederdeutschen. Wares
1890, S. 6. In Quedlinburg heisst es : hiflup het wat, frätup schilt de Hund toxi
1013. entlieh Lüde sind tüchtige Leute. Im Mnd. M. fehlt diese Be-
deutung des Adjectivs, doch vgl. Lexer I, 551.
1032 ff. Würd dar auer ock de gantz World quadt,
Vnd my dbden und verdbmen,
So kann ick doch dith nicht rbmen.
Da im Mnd. Wb. romen = mhd. ruomen, meinen 'rühmen' und rumen =
mhd. rumen 'räumen1 scharf gesondert sind, so muss bemerkt werden, dass dith
romen hier unzweifelhaft mhd. e% rumen 'den Platz räumen' ist. Der Prediger
will nicht, ohne seine Bnssrede gehalten zu haben, sich entfernen. Übrigen*
ist romen (nomen) = mhd. rumen sicher auch im Sündenfall 1926 belegt, wo
Schönemanns Erklärung der Woestes, welcher es mit ags. hreani 'Wehklage"
zusammen bringt, vorzuziehen ist.
i
1072. Die Redensart sik an enem riven 'sich mit jemand in Streit ein-
lassen1 ist zwar noch gebräuchlich. Da aber der Artikel riven im Mnd. Wb.
sehr mager ausgefallen ist, war doch etwa auf die bekannte Stelle im jüngeren
Hildebrandsliede zu verweisen:
!
wer sich an alte Kessel reibt, der enphahet gerne Bahm (Buss).
1459. Der Hüter handwehr ist durch die Übersetzung „der Bitier
Grenze" nicht erklärt. Büter sind auch nicht Bitter, die im Stücke immer Biddcr
genannt werden, sondern Beiter. Es sind wohl die reisigen Knechte im Dienste einer
Stadt gemeint. Landwehren waren in Niederdeutschland Warten oder Thünne, und
bei Hannover, wie auch sonst erhalten. Der Sinn der Stelle ist nicht ganz
klar, doch wird wohl ein obseöner Scherz darin verborgen sein.
1721. ingebruwen Beer ist billiges, im Hause selbst gebrautes Bier
„ Hausbier".
1951. Du schalt noch rochen mit uns tern,
Und mit ern Knaken werpen Bern.
Es dürfte bemerkenswert sein, dass diese von Bolte mit zahlreichen
Stellen belegte Bedensart auch in mündlicher Überlieferung sich noch bis in
unsere Zeit erhalten hat. Vor schon zwanzig Jahren hörte ich in meiner Vater-
stadt Quedlinburg einen alten Herrn, einen wohlhabenden Gerbermeister, der
sich noch gern des Plattdeutschen bediente, zu meinem etwas jüngeren Grossvater
im Scherze äussern: „Na Franz, met dinen Knöken schmit ek noch Beeren äf."
Er hat aber viel früher „int Gras biten* müssen.
2303. Das dem Herausgeber unklare All uth dem Busch erkläre ich
durch „alle aus der Gesellschaft % fasse also Busch als Entstellung aus Bus*.
V. 771 werden die Genossen des Schlömers de mild Buss genannt; 3528 de
wilde Geselscliop.
2664. Ick bidde, Dodt, ßue so lang}
Dat ick Baden hebbe by dy.
Der hochdeutsche Übersetzer hat diese Stelle völlig missverstanden, wenn
er Baden hebbe by dy übersetzt; „Boten schicke zu dir.a Es kann nur heissen.
93
Ich bite dich, Tod, warte so lange
Bis ich Boten von dir erhalten habe.
Von den Boten des Todes handelt ein altes Märchen, welches die Gebrüder
rimm in den Kinder- und Hansmärchen nach Kirchhoffs Wendunmut als Nr.
77 wiedergegeben haben. Wie W. Grimm in den Anmerkungen (Kinder und
ausmärchen, 3. Bd. 3. Aufl. 1856) S. 249 nachweist, war dasselbe schon im
3. Jahrhundert bekannt.
3329 f.
Dodt.
Nu ys ydt tydt, du rnüst daran
Du scholdest ehr hebbe Boeth gd&n
Wenn wir Y. 4289 und 4624 vergleichen, so scheint es unzweifelhaft,
iss auch hier zu lesen ist: du in 5 st darvan 'du musst von hinnen, musst sterben1,
e Redensart scheint fast formelhaft gebraucht zu sein. Eine alte Haus-
schrift vom Jahre 1566 in hiesiger Stadt ermahnt den Leser:
Drinck und eth | Goddes nicht vorget | Bewar dine Erhe. | Dick wirt
zht merhe | Dan umme und an | Darmith | davan. Vgl. Korrespbl. XI, S. 83.
Dass V. 3599 entstellt ist, hat schon der Herausgeber gesehen, doch trifft
n Besserungsversuch nicht das richtige. Soviel scheint mir festzustehen, dass
un aus dum (vergl. 766 und 5380) entstellt ist. Ich möchte, nachdem ich
iter strack einen Punkt gesetzt habe, folgendermassen schreiben:
Ehr he ein Pater noster sprack,
Heffstn syk duen wol supen sehen.
'Bevor er ein Paternoster sprach, hast du ihn sich wohl voll saufen sehen*,
lehnungen, wie en an heffst sind in unserem Stücke häufig.
Zu der 3783 ff. geschilderten Bedrückung der Bauern durfte darauf hin-
wiesen werden, dass diese Verhältnisse z. B. in Meklenburg noch bis in die
teste Zeit bestanden haben. Besonders der Gebrauch, dass man den leibeigenen
lern nur innerhalb des Gutsbezirks zu heiraten erlaubte, war ein harter
ang. Solche Verhältnisse waren es, auf die Beuter seine tragische Geschichte
ein Hüsung" aufgebaut hat.
3895. Über die Vorstellung von Tod und Teufel als Jäger, die mit ihren
zen (Stricken) den Menschen zu fangen suchen, ist besonders das von Barack
Einsgegebene satirische Gedicht „des Teufels Netz" zu vergleichen.
4236. Noch jetzt sagt man, wenn einem Essen und Trinken nicht
necken will „Et blifft mi baven dem Herten (auch: vor de Bost) stän.a
4282. Dass die gebräuchliche Redensart „etwas auf der Goldwage (d. h.
* genau) abwägen, schon hier erscheint, ist bemerkenswert.
Die Verse 4707 f. sind in dem Drucke offenbar in Unordnung geraten.
wird zu schreiben sein:
Dat unschuldige Gades Lam, dat droech
Der Werldt Sund und woch.
'Das unschuldige Gottes Lamm, welches der Welt Sünde und Weh trug."
icoch, auch wech ist eigentlich Interjection ; diese können aber auch sub-
tiviscn gebraucht werden. Vgl. Minnes Frtthl. 140,24: diu mir mit fröiden
benomen min alt owe.
94
4915. Erfrhiw dy, leve Seele myn,
Nicht myn, sunder des Heren syn
Der dy mit synem dfaren Blodt
Erlöset hofft, frhuw dy in Godt.
fyn in V. 4916 gibt keinen Sinn. Ich glaube jedoch, dass nicht thjv
sondern fyn zn lesen ist. Vgl. V. 5090, wo Christas spricht : Ick wil jutc all
erquicken fyn und Epilog 5.
Wo disse Schlötner am Ende syn
Sick heffl tho Godt bekeret fyn.
5009. De Herr wert kamen kamende.
Die am Rande angeführte Stelle Habaknk 2, 3 lautet: He wert geicysslin;
kamen. Schon Bolte vermutet, dass die Stelle verderbt sei, trifft aber mit seinem
Besserungsversuch meines Erachtens nicht das richtige. Sollte Stricker nicht
geschrieben haben wie folgt?
De Herr wert, amen, kamende.
Die Verwendung des Gebetsschlusses im Sinne der lutherischen Auslegnne
hat im Munde des Priesters nichts befremdliches.
5463. Ich glaube, dass lanftmodt st. lanVmodt nicht Striker zuzuschreiben
ist, sondern dem, wie schon das Druckfehlerverzeichnis der Originalausgabe
beweist, keineswegs sorgfältigen Setzer derselben.
NORTHEIM. R. Sprenger.
Zeugnisse für die frühere Verbreitung
der nordfriesisehen Sprache.
Bekanntlich war im Mittelalter das ganze Marschland zwischen
Widau und Eider nebst der angrenzenden Vorgeest nordfriesisch. Wie
weit heute die nordfriesische Sprache durch die dänische und besonder;
durch die plattdeutsche zurückgedrängt worden ist, zeigen die Angaben
der Sprachgrenze bei Petersen, Wanderungen durch die Herzogtümer
Schleswig, Holstein und Lauenburg, III (Kiel 1839), S. 456 f.; Clement.
Das wahre Verhältnis der süderjütischen Nat. u. Sprache (Hamburg
1849), S. 53 f.; Winkler, Algemeen nederduitsch en friesch dialecticon.
I, S. 71; Siebs, Zur Geschichte des Englisch-Friesischen, I, S. 2>
Da das Nordfriesische heute immer mehr an Boden verliert, ist e*
von Wichtigkeit, die verstreuten Zeugnisse für die ehemalige Aus-
breitung dieser Sprache, sowie die Zeugnisse für die Sprachgrenze
in diesem Jahrhundert zusammenzustellen.
95
Ich verzichte darauf, diejenigen Stellen anzuführen, an welchen
die politische, nicht die sprachliche Zugehörigkeit zum Friesischen von
irgend einem Orte angegeben wird. Hervorheben will ich nur, dass
Mildenburg der am weitesten gegen die sächsische Sprachgrenze vor-
geschobene Posten war. Vgl. z. B. Chron. Sialandiae, bei Langebek
II, 634 „in Frisia juxta Mildenburgh"; Laurentii Stralii Ann. III, 305:
^Milburgum apud Frisios." Die ganze Ausdehnung des nordfriesischen
Gebietes giebt Matthias Boetius, De cataclysmo Norstrandico, Slesvici
MDCXXIII, S. 59 wie folgt an: Die Friesen „sui juris fecere, Eidero-
stadiam, Norstrandiam, Fohram, Siltam, Ameram insulas Atque
aut exstruxere, aut paulatim occupaverunt in extrema continentis
margine Bredstadiam vicum, Hadstadium, Schobyllum, Mil-
stadium, Rademessum, Randerumum, pagosque alios, littori conterminos*.
Es folgen nun die Zeugnisse für die Sprache selbst. Ich bitte
hierzu die ausgezeichnete, mit bewundernswerter Sorgfalt ausgearbeitete
Karte von Geerz „Historische Karte von den Nordfriesischen Inseln
etc., redigiert für die Zeit von 1643 bis 1648* zur Hand zu nehmen.
I. Wiedingharde.
1. 1750. „Im Tunderischen und andern Gegenden, wo die
iresische Sprache gilt." Schlesswig- Holsteinische Anzeigen Auf das
Jahr MDCCL.
2. 1788. „Die Einwohner in den Tonderschen Marschen
sind, dem Hauptstamme nach, Friesen, und diese unterscheiden sich
noch von den Dänen und Deutschen, die unter ihnen sind, eben so,
wie in dem Bredstedtischen. Ihre Sprache ist auch noch die Friesische,
aber mehr schon mit dem Dänischen vermischt. Dänisch und Deutsch
sind die Sprachen des Gottesdienstes und der Gerichte. In der Stadt
Tondern spricht das gemeine Volk ein Gemisch von Friesischem,
Dänischen und Deutschen, was ein Deutscher gar nicht und ein Däne
nur mit Mühe versteht.4 Tetens, Reisen in die Marschländer an der
Nordsee, I, Leipzig 1788, S. 132. — Offenbar ist mit der Mischsprache
in Tondern das Westjütische gemeint.
3. 1790 heisst es von Tondern: „Man redet jetzt nicht mehr
friesisch, sondern Deutsch und noch mehr Dänisch untereinander. a
Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte IV. Jahrgang, Band I, S. 132.
— Die Stadt Tondern ist nie nordfriesisch gewesen. Soweit dort
nordfriesisch gesprochen wurde und wird, handelt es sich um einge-
wanderte Nordfriesen.
4. 181 1. Im Kirchspiel Aventoft „wird mehr dänisch ge-
redet" nach dem Bericht des General-Superintendent Adler vom 1. März
1811. Allen, Geschichte der dänischen Sprache im Herzogthum
Schleswig oder Südjütland, II, Kiel 1858, S. 76.
5. 1833. „Nach den von mir auf meiner Reise gemachten
Bemerkungen wird in dem westlichen Theil vom Amte Tondern
bis an die Soholmsbrücke, Klintum, Klixbüll hinauf nach Aven-
toft im Osten und bis an die Vidau im Norden friesisch ge-
sprochen. u Gudrae, Schleswig-Holstein, I, Kiel 1833, S. 83.
6. 1839. „Das Friesische hat die Alleinherrschaft als Volks-
sprache bis an die Kirchspiele Rodenes, Neukirchen, Aventoft.
wo auch das Dänische sich schon als Sprache des täglichen Lebens,
in ersteren resp. nach und neben, in letzterem vor dem Friesischen
geltend macht, und Uberg, in welchem jene nur Dänisch. u Petersen.
Wanderungen durch die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauen-
burg, III, Kiel 1839, S. 456.
7. 1839. „Die Aventofter Gemeinde ist hinsichtlich der Volks-
sprache theils Dänisch, theils Friesisch. u Petersen, III, S. 450.
8. 1840. „Friesisch sind die Tonderschen Marschharden; doch
"wird in Widingharde im Kirchspiel Neukirchen schon viel DänisrL
gesprochen, obgleich der Stamm der Einwohner friesisch ist, und in
Aventoft ist das Friesische gänzlich vom Dänischen verdrängt/
Jensen, Versuch einer kirchlichen Statistik des Herzogthums Schleswig
I, Flensburg 1840, S. 20.
9. 1841. Kirchspiel Rodenäs. „Die Bewohner des Kirch-
spiels sind Friesen; doch wird hier auch schon dänisch gehört."
Jensen II, S. 537.
10. 1841. Kirchspiel Neukirchen. „Kirchen- und Schul-
sprache deutsch, die Sprache des täglichen Lebens friesisch, dort wird
auch schon viel dänisch gehört." Jensen, II, S. 539.
11. 1841. Kirchspiel Aventoft. „Kirchen- und Schulsprack
ist die deutsche; doch sind die Gemeinemitglieder der deutschen Sprache
meistens nicht mächtig, sondern es wird durchgängig dänisch ge-
sprochen. Das Friesische hat sich verloren. u Jensen, H, S. 543.
12. 1846. Aventoft. „Obgleich die Gemeinde friesischen Ur-
sprungs ist, so ist dennoch gegenwärtig die dänische Sprache die all-
gemeine Umgangssprache. u Bericht des Predigers 1846. Allen a. a. 0.
II, S. 378.
13. 1846. Kirchspiel Neukirchen. „Die Volkssprache ist
hier die dänische und friesische; von den hiernach der letzten Volks-
zählung vorhandenen circa 850 Einwohnern sprechen ohngefähr 1 *
dänisch und ohngefähr ö/e friesisch. u Allen, II, S. 379. Nach Allen
a. a. O. stellt sich das Verhältnis nach eingezogenen genauen Angaben
so: „Das Kirchspiel zählt 157 Familien, deren keine ausschliesslich
deutsche Umgangssprache hat; 7 Familien reden deutsch und dänisch.
3 deutsch und friesisch; 8 Familien rein friesisch; von den übrigen
139 Familien haben 52 ausschliesslich dänische Familiensprache, in
87 dagegen reden die Eltern unter einander dänisch und mit den
Kindern friesisch. u
14. 1846. Im Kirchspiel Rodenäs sprechen 467 friesisch.
29 deutsch und 27 dänisch. „Die mehrsten Friesen verstehen und
sprechen auch dänische Sprache. u Allen, II, S. 379 f. Nach Allen
97
a. a. 0. sprechen aber 23 Familien ausschliesslich dänisch, 4 deutsch,
4 deutsch und dänisch, 4 dänisch und friesisch, die übrigen nur friesisch.
15. 1846. Kirchspiel Klangsbüll. „Die Volkssprache ist
durchgängig die friesische. Selbst in den Häusern, wo der Mann
oder die Frau aus einem dänischredenden Districte gebürtig ist, wird
in der Regel friesisch gesprochen. Jedoch wird auch in diesen Häusern
die plattdänische Sprache gesprochen, wie sie in der Gegend von
Ilüjcr und Tondern gangbar ist, welche die Friesen hiesigen Kirch-
spiels alle verstehen und sprechen. u Allen, II, S. 380. Nach Allen
a. a. 0. aber sind 11 Familien mit ausschliesslich dänischer Umgangs-
sprache, 1 mit dänischer und friesischer, 1 mit deutscher, die übrigen
friesisch; überhaupt nur 57 Familien im ganzen Kirchspiel.
16. 1849. „In Rodenes und Neukirchen in der Widing-
harde hat das Dänische bisher ziemlich viel Eingang gefunden. a
Clement, Das wahre Verhältnis der süderjüt. Nat. u. Sprache, Ham-
burg 1849, S. 54.
IL Karrharde.
17. 1752. „An etlichen Orten in Karharde wird
friesisch geredet.0 Büsching, Kurzgefasste Staats-Beschreibung der
Herzogthümer Holstein und Schleswig, Hamburg 1752, S. 104.
18. 1791. Kirchspiel Enge. „Unter sich reden die Ein-
wohner noch das alte Friesisch, ausgenommen in Holzacker, wo
die dänische Sprache geredet wird." Schlesw.-Holst. Provinzialberichte
V, 2, S. 12. — Vgl. 26 und 29 gegen 25 und 37.
19. In Stadum wurde zu Ende des 18. Jahrhunderts noch aus-
schliesslich friesisch gesprochen, im Anfang des 19. Jahrhunderts
schon ein Gemisch von dänisch und friesisch. Die Belegstelle habe
ich übersehen mir zu notieren.
20. 1811. „Die Karrharde, Amts Tondern, ist mit Ausnahme der
beiden friesischen Kirchspiele Enge und Stedesand ganz dänisch.*
ßericht des General-Superintendent Adler vom 1. März 1811. Allen,
II, S. 76. — Die Kirchspiele Enge und Stedesand werden in einem
Berichte desselben vom 22. Mai 1811 (Allen, II, S. 78) friesisch genannt.
21. 1824 wird in Okcn's Isis I noch eine Sprachprobe von dem
Kirchspiel Fresenhagen gegeben, wo das Nordfriesischc heute aus-
gestorben zu sein scheint.
22. 1824. „ Karrharde, mit 10 Kirchspielen, wovon aber jetzt
nur 2, Enge und Stedesand, wo so zu sagen durchgehends Friesisch,
und 2, Leck und Kliksbiill, wo bloss in einigen Dorfschaften Friesisch
gesprochen wird." Outzen, Glossarium der fries. Sprache, Kopen-
hagen 1837, S. XXVIII.
23. 1833. „Voor veertig jaren sprak men tc Stadum nog
friesch; thans is daar alles deensch en duitsch," sagt Winkler 1873,
Algem. nederd. en friesch Dial. I, S. 72.
24. 1839. „Im Kirchspiele Leck ist, sowie in den ihm be-
Niederdevtachet Jahrbuch. XV. 7
nachbarten Parochien Humtrup, Braderup und Klixbiill, die
Kirch- und Schulsprache gegenwärtig ohne Ausnahme Deutsch, ein
Jargon des Dänischen Volkssprache. u Petersen, III, S. 30 1.
25. 1839. „In Holzacker sind Friesisch und Dänisch, neben
und durch einander, und zwar in solchem Verhältnisse, dass keines
davon vor dem anderen die dortige Dorfsprache zu nennen sein dürfte,
gebräuchlich. u Petersen, III, S. 457.
26. 1840. „Im Tonderschen sind in Karr-Harde friesisch die
Kirchspiele Enge (jedoch mit Ausnahme des Dorfes Holzacker)
und S t e d e s a n d, so wie ein Theil des Kirchspiels Leck (K 1 i n t u m
und Schnatebüll), während in Leck selbst wegen des Verkehrs
Dänisch, Deutsch und Friesisch gangbar sind." Jensen, I, S. 20.
27. 1841. Kirchspiel Karlum. „Der Schulunterricht ist
deutsch, wiewohl die Kinder alle dänisch sprechen. u Jensen, II, S. 4SO.
28. 1841. „Friesisch wird namentlich gesprochen in Schnate-
büll und Klintum; dänisch in den Dörfern Stadum, Achtem p.
Sandacker, Sprakebüli und auf den einzelnen Stellen, wo das
Deutsche den Kindern meistens ganz unbekannt, bis sie zur Schule
kommen. Im Kirchdorfe [Leck] versteht und spricht man wegen de^
Verkehrs deutsch, dänisch und friesisch. Kirchen- und Schulsprache
hochdeutsch. u Jensen, II, S. 489.
29. 1841. Kirchspiel Enge. „Holzacker und Knor-
burg sind dänisch, S oho Im dänisch und friesisch gemischt, die
übrigen Ortschaften des Kirchspiels friesisch. a Jensen, II, 494.
30. 1841. Kirchspiel Klixbüll. „Kirchen- und Schulsprache
deutsch. Volkssprache meist dänisch. u Jensen, II, 482.
31. 1841. Kirchspiel Walsbüll. „Volkssprache meistens
dänisch. u Jensen, III, S. 912.
32. 1840. Klixbüll. „Im täglichen Leben wird meistens
plattdänisch gesprochen. a Amtlicher Bericht vom Jahre 1840. Alleu,
II, S. 370.
33. 1840. Karlum. „Die überwiegende Zahl der Einwohner
spricht im täglichen Leben den für die hiesige Gegend üblichen Jargon
der dänischen Sprache; ein Theil, etwa 10 Seelen, bedienen sich aber
häufig der deutschen, und etwa 8 der friesischen Sprache. a Amtlicher
Bericht. Allen, II, S. 370.
34. 1840. Kirchspiel Leck. „Die Kirchen- und Schul-
sprache ist ganz deutsch, die tägliche Volkssprache ist aber hier
gemischt, theils deutsch, dänisch und friesisch a) im Lecker
Schuldistrict ist die tägliche Volkssprache grösstenteils deutsch ;
b) im Achteruper Schuldistrict ist die tägliche Volkssprache dänisch:
c) auf dem L ü t j c n h o r n e r f e 1 d c ist die Volkssprache dänisch ; d )
im Clintumer und Schnatcbüller Schuldistrict ist die tägliche
Volkssprache ganz friesisch und deutsch; e) im Stadumer Schul-
distrikt ist die tägliche Volkssprache theils dänisch , theils friesisch ;
f) in Sandacker und Sprakebül ist die tägliche Volkssprache
dänisch.* Amtlicher Bericht. Allen, II, 376 f.
35. 1846. Enge wird von dem Prediger friesisch genannt.
Allen, II, S. 378.
36. 1846. Stedesand. Die Volkssprache ist ursprünglich
unzweifelhaft rein friesisch gewesen, doch nunmehr, durch Zunahme
deutscher Angesessenen, wie auch durch Einwirken naher Kirchspiele,
wo die Volkssprache vornehmlich dänisch ist — die Umgangssprache
auch hier eine zwiefache und zum Theil gemischte geworden. a Allen,
II, S. 378. Allen fugt hinzu: „Nach neuerdings eingezogenen Berichten
ist das Kirchspiel Stedesand jedoch als friesisch zu betrachten,
indem alle Familien daselbst friesisch reden, acht ausgenommen,
welche theils deutsch, theils dänisch sprechen. u
37. 1840. „Zu Oster-Schnatebüll und Klintum in der
Karrharde im Kirchspiel Leck, zu Hol zacker und Soholm in der-
selben Hardc im Kirchspiel Enge hat das Dänische bisher
ziemlich viel Eingang gefunden. u Clement, a. a. 0., S. 54.
38. 1873. „Dat in de dorpen . . . . Wals bull de friesche
taal nog de volsktaal was, is nog niet zoo lang geleden." Winkler,
Allein, nederd. en friesch Dial. I, S. 72.
III. Norder- und Siidergoesharde.
39. Die Kirchdörfer Joldelund und Fi öl fuhrt Heimreich
noch als rein friesisch auf.
40. 1788. „Von Husum an hört man schon friesisch sprechen,
was hier die Sprache des gemeinen Volks ist. Doch versteht auch
joder Plattdeutsch, und der Gottesdienst wird in hochdeutscher Sprache
gehalten. u Die friesische ,, Sprache ist von Hattstedt an,
bis hinauf nach Jütland, in den landfesten Marschen eine
noch lebende Sprache, obgleich nicht mehr in der alten Reinheit. a
Tetens, Reisen in die Marschländer an der Nordsee, I, Leipzig 1788,
S. 108.
41. 1811. „In Dreisdorf, Joldelund und Viöl wird
dänisch und deutsch geredet, und zwar in Joldelund mehr dänisch
als deutsch. u Bericht des General-Superintendent Adler vom 1. März
1811. Allen, II, S. 76.
42. 1811. „Von den 9 Kirchspielen des Amts Bredstedt
ist die Volkssprache in 7 friesisch, sehr mit dänisch untermischt,
in allen Dörfern der beiden Kirchspiele Viöl und Joldelund
aber ganz jedoch etwas verdorbenes dänisch; ebenfalls sind die 2
Kirchspiele Olderup und Schwcsing im Amte Husum ganz
dänisch, ungeachtet seit mehr als hundert Jahren Gottes-
dienst, Schulunterricht, gerichtliche Bescheide und alle öffentliche
Angelegenheiten den Eingesessenen dieser 4 Kirchspiele deutsch ge-
geben worden sind, wovon auch diese Stunde die Mannspersohnen
7*
100
wenig, die Frauenspersohnen aber zum Theil gar nichts verstehen."
Ferner dass „die genannten 7 Kirchspiele im Amte Bredstedt friesisch
sprechen, so wie die Kirchspiele Schobüll und Hattstedt im
Amte Husum. u Stark dänisch gefärbter Bericht des Amtmann«»
Levetzow vom 1. Februar 1811. Allen II, S. 73 f.
43. 1817. Das Kirchspiel Jodelund ist Jetzt meist
dänisch, alle können dänisch, und die wenigsten, fast nur alte, friesisch"
Outzen, Über die dänische Sprache im Schleswigschen, 1819.
44. 1833. „Nach den von mir auf meiner Reise gemachten
Bemerkungen wird in dem nördlichen Theil des Amtes Husum,
nämlich in Hattstedt und Schobüll, fast überall im Amte
Bredstedt, mit Ausnahme von Viöl und Joldelund
friesisch gesprochen Das Dänische ist die allgemeine Familien-
sprache nicht nur in den nördlichen Ämtern des Herzogthums Schles-
wig . . . sondern . . . auch ... in den mittleren, ... ja selbst in
den südlichen Ämtern und Districten von Husum bis an da*
Kirchspiel Schwesing vorherrschend*. Gudme, Schleswig-Hol-
stein, I, Kiel 1833, S. 83 f.
45. 1839. „Das Kirchspiel Viöl ist der Volkssprache nach
Dänisch-Deutsch, das Kirchspiel Joldelund, . . . darin fast total
Dänisch". Petersen, III, S. 457.
46. 1 839. „In den Dörfern Högel, Goldelund sind Friesisch
und Dänisch, neben und durcheinander, und zwar in solchem Ver-
hältnisse, dass keines davon vor dem anderen dortige Dorfssprache
zu nennen sein dürfte, gebräuchlich. u Petersen, III, S. 457.
47. 1839. „Das Kirchspiel Drclsdorf* soll nach einer
Sprachkarte „sowohl Deutsch als Friesisch a sein. Aber als Volks-
sprache ist „nur Friesisch sesshaft." Petersen, III, S. 456.
48. „Das Dorf Dörpum im Kirchspiel Bordelum* soll nach
einer Sprachkarte „sowohl Deutsch als Dänisch u sein. Aber aK
Volkssprache ist „nur Friesisch sesshaft. In Dörpum haben sich
freilich einige Dänen, wie wohl ebenfalls Deutsche, angesiedelt, oh
indessen im Dorfe auch Hausstände, in welchen selbiger Muttersprache
mehr als das Friesische gebräuchlich, so ist doch von Dörpum, das*
dort Friesisch, Dänisch und Deutsch nicht in aufs Allgemeine gehender,
war in ähnlicher Beziehung wie es zu behaupten, dass in Hamburg
Deutsch, Englisch, Dänisch und Französisch gesprochen werde, zu
sagen. u Petersen, III, S. 450.
49. 1840. Auf dem Festlande ist Schobüll bei Husum das
südlichste Kirchspiel, wo man das Friesische noch hört, so wie in dem
angrenzenden Hattstedt. In der Landschaft Bredstedt ist mit Aus-
nahme der beiden östlichen Kirchspiele Viöl und Joldelund
das Friesische die herrschende Volkssprache; doch ist das Plattdeutsche
nicht unbekannt und man hört es namentlich im Flecken Bredstedt
und den anstossenden Kögen. u Jensen, I, S. 19 f.
101
50. 1841. Kirchspiel Schwesing. „Die Sprache war
vorhin meistens dänisch; dies hat sich- aber verloren und ist dem
Plattdeutschen fast ganz gewichen. u Jensen, II, S. 608.
51. 1841. Kirchspiel Joldelund. „In Joldelund sind
wenige, die deutsch sprechen können und die Kinder können nichts
als Dänisch, wenn sie zur Schule kommen. u Jensen, I, S. 22. — „In
(xoldelund versteht man auch zum Theil friesisch. u Jensen, II,
S. 749.
52. 1 846. Joldelund. Neben plattdeutsch und dänisch wird
„auch das Friesische in vielen Familien gebraucht, namentlich im
Dorfe Goldelund". Allen, II, S. 385.
53. 1849. „Zu Lütjenholm im Kirchspiel Brecklum hat
das Dänische bisher ziemlich viel Eingang gefunden, das Deutsche
aber in den Kirchspielen Hattstett, Drelsdorp und Breck-
lum, in welchen Strecken die friesische Sprache auch mit vielen
plattdeutschen Ausdrücken vermischt ist.* Clement, a. a. 0., S. 54.
54. 1858. Im Flecken Bredstedt — deutsche Sprachinsel
— ist nach Allen, II, S. 383 plattdeutsch die herrschende Sprache
geworden.
55. 1873. „Dat in de dorpen Schwesing, Viöl, Schaff-
lund de friesche taal nog de volkstaal was, is nog niet zoo lang ge-
leden". Winkler, Algem. nederd. en friesch Dial., I, S. 72.
IV. Nordstrand, Pelworm und Sfidfall.
56. 1565. „Völcker, so sich der fresischen Sprache gebrauchen
als Strand 22 Karspein". Petrejus, Eine kurze Be-
schreibung des Ländleins Nordstrand. Camerer, Vermischte historisch-
politische Nachrichten, II, Flensburg und Leipzig 1762, S. 734.
57. 1637. Morsum, Hamm und L i t h haben denselben
Dialekt geredet wie die Lunder Bürger, ein Dialekt, welcher von
dem nordstrandischen verschieden gewesen. Peter Sax's Beschreibung
von Nordstrand. — Morsum, Hamm, Lith, Lundenberg und Simonsberg
machten ehedem die Lundbulling- oder Lundenberg-Harde aus. Ver-
mutlich sprach man hier eine Eiderstedische Mundart.
58. 1752. „Auf den Inseln Pelworm und allen
kleinen Halligen wird friesisch geredet". Büsching a. a. 0., S. 104.
59. 1824. „Nordstrand, wo die friesische Sprache bis jetzt,
noch fast wie auch auf Pellworm, vorherrschend ist." Outzen,
Glossarium der fries. Sprache, Kopenhagen 1837, S. XXX.
60. 1833. »Auf Nordstrand wird auch von einzelnen
Personen flämisch gesprochen". Gudnie, Schleswig-Holstein, I, Kiel
1833, S. 83.
61. 1840. Das Friesische hat sich verloren von Pellworm
102
und Nordstrand*. Jensen, I, S. 19. Das Friesische ist dem Deutschen
gewichen „auf Nordstrand und Pellworm". Daselbst, S. 21.
62. 1841. Pellworm. „Der Stamm der Einwohner ist frie-
sisch, aber seit der Wiederhedeichung [1635] sehr mit fremden Ein-
wanderern vermischt*. Jensen, II, S. 669.
63. 1858. Pelworm und Nordstrand sind nach Allen. II.
S. 383 plattdeutsch.
64. Wiewohl Pelworm heute rein plattdeutsch ist, haben sicli
die letzten Reste des Nordfriesischen noch bis auf die Gegenwart er-
halten. 1888 lebte in Wrixum auf Föhr eine ganz alte Pelwormerin.
welche noch das Nordfriesisch in ihrer Jugendzeit gehört und noch
nicht vergessen hat; leider war dieselbe zur Zeit meines Aufenthalte
auf Föhr verreist. Doch habe ich auf Amrum einen jetzt 55 Jahre
alten Pelwormer, Peter Winter, kennen gelernt, dessen Aussagen un-
bedingt zuverlässig sind. Dieser wusste sich noch zu erinnern, das>
Ketel Ketelsen, der 1846 oder 1847 gestorben und wenigstens gegen
70 Jahre alt gewesen ist, mit seiner Haushälterin friesisch, altes Pel-
wormer friesisch gesprochen habe; er wohnte nicht weit von der
Neuen Kirche. Ferner hat Peter Winter's Grossmutter, die 1886 im
Alter von 94 Jahren gestorben ist, noch Pelwormer friesisch gesprochen.
65. Nach der Aussage von Peter Winter haben 1825 noch 2."»
Familien auf Südfall gewohnt, und es wurde dort noch friesisch ge-
sprochen.
V. Eideroted.
66. 1565. „Völcker, so sich der fresischen Sprache gebrauchen
als Eiderstädt 18 . . Karspel". Petrejus, Eine
kurze Beschreibung des Ländleins Nordstrand. Camerer, Vermischte
hist.-polit. Nachrichten, II, Flensburg und Leipzig 1762, S. 734.
67. 1610. „Incolae lingua peculiari et genuina praeter Saxonicam
utuntur, eademque cum reliquis Frisiis orientalibus et Occidentalibus
communi: unde liquet ex ijs ortos esse, siquidem hoc praeter linguaiu
communem, morum, vestitus et aedificiorum similitudo, item propria
nomina, utriusque sexus satis testantur". Jacob Sax, Kurtze und
Förmliche Beschreibung Dess löblichen Eyderstedschen Landes, Ham-
burg 1610.
68. 1652. „Es wohnen zu dieser Zeit keine von adel in dem
Lande, sondern lauter Haussleute, davon die meiste, vornehmste der
Friesischen Nation, wiewohl sie durchgehends zum wenigsten im
Ostertheil Niedersächsich reden". Danckwerth, Newe Landesbeschrei-
bung der zwey Herzogthümer Schleswich vnd Holstein, 1652, S. 14'J.
69. 1752. „In Eiderstädt wird friesisch geredet".
Büsching, Kurzgefasste Staats-Beschreibung der Herzogthümer Holstein
und Schleswig, Hamburg 1752, S. 104. — Wohl aus älteren Büchern
entnommen.
70. 1758. „Die friesische Sprache wird in Eyderstedt nicht
103
mehr geredet, sondern durchgängig Plattdeutsch a. Den Beleg habe
ich mir leider rieht notiert.
71. 1788. „Die jetzigen Eyderstedter sind ein vermischtes Volk.
Der alte Stamm ist friesisch, aber es sind so viele fremde Reiser aus
Holland und sonst ihm eingepfropft, dass jener nicht mehr kenntlich
ist. Die friesische Sprache ist ganz aus dem Land weg, aber die
Landessprache, welche im Ganzen das gewöhnliche Niedersächsische
ist, hat doch manches eigene in den Wörtern und in der Verbindung,
und ist von der jenseits der Eyder in Dithmarschen eben so ver-
schieden, als die Menschen selbst hier und dort es sind." Tetens,
Reisen in die Marschländer an der Nordsee, I, Leipzig 1788, S. 97.
72. 1809. „Die Landschaften Eyderstedt und Stapelholm
werden auch von Friesen bewohnt, allein ihre Sprache ist bis jetzt
völlig abgestorben*. Adelung- Vater, Mithridates, Berlin 1809, S. 243.
73. 1840. Das Friesische ist dem Deutschen gewichen, „in ganz
Eiderstedt, in Simonsberg". Jensen, I, S. 21. — 1841. Die friesische
Sprache „ist aber nun gänzlich schon seit einigen Menschenaltern
verschwunden und der plattdeutschen gewichen. Jensen II, S. 770.
Noch heute reisen die Eiderstedter nach -Deutschland".
79*
VI. Biisum.
Der Name Büsum trägt mit seinem nordfries. ü für ü noch
heute das Merkmal seiner Herkunft. Ein sicheres Zeugnis für das
einstige Vorhandensein der nordfriesischen Sprache haben wir sonst
nicht. Jedenfalls ist sie hier am frühsten der plattdeutschen ge-
wichen, seit die Sturmfluten diese ehemalige Insel von Eidersted
völlig getrennt haben und sie politisch zu Dithmarschen gehörte.
Es mögen hier zwei immerhin gewichtige Zeugnisse folgen:
1605. Ubbo Emmius, Rerum Frisicarum historiae decas prima,
Arnhemii 1605, zählt die friesischen Inseln auf, mit dem Westen be-
ginnend. Nach Borkum und Just folgt S. 72: „Exiguo tantum freto
ab eo sejuneta, quondam vero contigua, insula Busa nomine.
Postremo Hilgerlandia proeul littore."
Neocorus sagt von Büsum 1, 165 (ed. Dahlmann) „welche stedeshen
de olden Gewanheit unde Seden am lengesten beholden". S. 223:
„It leth sich ansehen, als elfte it gar ein ander Art Volkes si*. S.
213: „It is stedes dit Carspel ene besundere Insul gewesen,
darumme ock de andere Ditmersche se alletidt, wo noch itz geringer
geholden hebben*. S. 223 : „Wo se denn vele Worder vorkorten unde
thobreken undö noch mehr vor Oldinges thobraken hebben".
Die Insel Büsum bildete ehemals sicher einen Teil des viel-
umstrittenen Mejer'schen Süderstrand, des südlichsten Teiles des alten
Nordfriesland. Landfest ist sie erst in neuerer Zeit geworden. Bei
der Annahme, dass Büsum einst friesisch war, erklären sich auch
die einander widersprechenden Nachrichten über die Nationalität der
104
Dithmarschen. Das Marschland ist liier von der Geest aus kolonisiert
worden von den sächsischen Dithmarschen. Im nördlichen Teile der
Marsch trafen sie auf Nordfriesen und assimilierten sie sich, soweit
diese geographisch von ihren Stammesgenossen getrennt waren ; die
Dithmarschen sind also eine „gens commixta Saxonum et Frisonum*.
Hinsichtlich der zahlreichen Spuren nordfriesischer Sprache in der
Dithmarscher Mundart vgl. besonders Neocorus I, 60; Outzen, Kieler
Blätter 1819, II, 1, S. 105 und in Carstens' und Falck's Staats-
bürgert. Magazin II, 1822, S. 758—773; III, 1823, S. 99—118 und
441 — 469; Tamm, Ztschr. der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-
Lauenburgische Geschichte VI, 1876, S. 1—93 und 233; Walther
Ndd. Jahrb. II, S. 134 — 144. Die mehrfachen Belege für das Friesen-
tum der Dithmarschen (Scholiast zu Adam von Bremen, Ubbo Emmius.
Petrejus) sind belanglos; doch konnte eine solche Meinung nur auf-
kommen, wenn erhebliche nordfriesische Elemente zu Dithmarschen
gehörten.
HALLE a. S. Otto Bremer.
Pelwormer Nordfriesiseh.
Ich möchte die wenigen Sätze, welche die einzigen Zeugen des
ausgestorbenen Pelwormer Nordfriesisch sind , der Vergessenheit
entreissen.
Überliefert ist uns die Umschrift der sogenannten Kupfernei!
Taufe zu Büsum, welche 1452 von Cord Widerich aus der alten Pel-
wormer Kirche geraubt worden ist. Die Worte sind abgedruckt Kieler
Blätter, V, 1818, S. 212 Anm.:
Disse Hirten1) Dope, de have toi thön ewigen Ohntoncken*) möge
lete, Da*) shötten össe Berrne in Jcressent warde.
Einer Übersetzung bedarf es nicht..
Die Worte, welche nach Peter Winters Aussage (s. oben S. 102)
die Haushälterin zu Ketel Ketelsen gesagt hat, sind*):
Vel foi oh nox en büshi möor hevi? (Will Vater auch noch ein
Butterbrod mehr haben?)
Er antwortete:
Nän, Margret, ih wat e möw hevi. (Nein, Margret, ich mag
nicht mehr haben.)
Dahlmann in seiner Ausgabe von Neocorus Chronik des Landes Dithmarschen
I, S. 213 Anm. bietet folgende Varianten, die auf einer Aufzeichnung Viethcns aus
dessen ungedruckten Nachlasse beruhen: *) hirren. *) Ohnthoucken. 5) da.
*) Die Rechtschreibung nach Ndd. Jahrb. XIII, S. 2.
105
Von seiner Grossmutter entsinnt sich Peter Winter noch der
folgenden Worte:
blid n bledr Ü6 d sop (Fettaugen auf der Suppe).
Ferner: Ja, foi, du Jcönst man e{ sini. Der is n beVji fun <m
lum an dn bet'ji fan &n tütr. NU fask foi fasle! (Ja, Vater, du kannst
nur nicht sehen. Da ist ein bischen von einem Lamm und ein bischen
von einem Tüter (Vogelart). Nun tische Vater Fische, d. h. nun
tische nur hinein!)
Endlich ist noch das Wort hevar = Hafer bezeugt durch eine
Sage, welche Peter Winter in seiner Jugend noch die ganz alten
einander hat erzählen hören : Über die Hever führte von Pelworm oder
Südfall nach Eidersted in alten Zeiten ein Steig (Bollenbruggi 1370
bezeugt); einem Mann, der darüber ging, tiel sein Sack Hafer in's
Wasser, weshalb er jammernd ausrief: „0 mein Hewer!*; daher habe
der Strom den Namen Hever erhalten.
Von der alten Nordstrander Mundart ist uns nur der 1661 ge-
dichtete „Miren-Söngh* und „Een-Söngh" erhalten in Heimreich's
Ernewerter Nordfresischen Chronick, Schlesswig MDCLXIIX (wieder
abgedruckt in der Ausgabe von Falck, I, Tondern 1819, S. 27 — 30;
( Pratjc,) Altes und Neues aus den Herzogthümern Bremen und Verden
V, Stade 1772, S. 312—314; De Haan Hetteina, Frieske, Hilgelaoimer
en Noardfrieske Ryinkes, Dockum 1841, S. 192 — 194: der „Een-Söngh"
auch bei Firmenich III, S. 452).
HALLE a. S. Otto Bremer.
Mittelniederdeutsches Arzneibuch .
In 1884 kocht ik op eene boekverkooping hier ter stede een
klein handschrift, dat door mij aan de Universiteitsbibliotheek te Ut-
recht werd afgestaan.
Dit hs., perkament, 16°, geschreven in het einde der 14 e of in den
aanvang der 15° eeuw, bevat 124 bladen, waarvan 99 van eene hand
en 22 van andere handen, tusschen deze beide is de 100 e bladzyde
onbeschreven. Aan het cind staan op blz. 123 een fragment over
de alrune, op blz. 124 Ä en b coupletten eener Vogclsprake van eene
band von de 16° eeuw in dit Jaarboek IX, 171 uitgegeven, door F. Dui-
tenrust Hettema. Het hs. is vroeger in bezit van M. Cluverus geweest:
Hunc libellum mihi dono dedit Martinus Cluverus a° 1607. Ver-
106
moedelyk zyn deze woorden geschreven door J. Morsus: Ex libris
Joachimi Morsi a° 1607. Deze Joachim Morsus is in 1593 te Ham-
burg geboren en studeerde te Rostock tegelyk met Joa. Cluverus, cei
zoon of bloedverwant van Martinus Cluverus.
De inhoud komt op sommige punten o\ereen met het Arzenei-
buch Nr. 980 uit Gotha, door K. Regel in uittreksel uitgegeveL
(Jahrb. I. 5), minder met Codex Wolfenb. 23, 3 en met de beide Arzenei-
bücher door F. Pfeiffer medegedeeld in Sitz.-Ber. d. Wiener Ac.
1861, 110.
De ruimte laat niet toe eene zaak- en taalkundige inleiding
te geven. Wellicht veroorlooft de tijd mij om later op de laatste terug
te komen.
De opschriften zyn met roode letters geschreven. Op de bladzijd?
bevinden zieh tot blz. 100 veertien regeis, daarna dertien op blz. lOo4
en 115* die van andere band zyn dan de overige na blz. 1Ö0, welkt
alle 14 regeis hebben.
(lb) ^yde minsche is gemaket van ver stucken: van der erde
unde van der lucht, van vure unde van watere. Van den ver stucken i>
de minsche maket. De ver stucke tredet vort up achte stucke:
Erde und lucht, wint unde water, vleysch unde blot. Got hevet un>
lif unde sele ghegeven.
Van der erde hebbe we de mach des vleysches. Van der lucht
hebbe we de lust des lives. Van dorne watere hebbe we de minscheyt de>
levendes. Van (2* ) deme vure is de nature des minschen unde dat blot.
De levere licht an der vorderen siden unde dar af komet de hettr.
So welich man pleget to latende und de van heter nature is unde
sin latent vorgad, dar van besteyt em de hette der tercianen.
So welich man de suke hevet, de scal sie hoden vor harder
spise. Rintvleysch scal he vermiden, allerhande droge vleysch unde
dat sere solten is. He scal eygere unde boteren (2b) vormiden, he
scal sie hoden vor bade, he scal vormiden win unde dicke ber. He
hode sie vor desser drierhande sake, so mach got helpen dat he van
desser suke geneset. Brekt he dat, dat he sie nicht en hodet vor
desse dre dinck, so mot he des dodes wesen.
(rechen de hette.
De suke van der hette der leveren de sprecht also: de is en
der urinen brunrot De urine hevet enen svarten manen. Is he
boven open, so is (3*) dar hopene to deme live. Is he besloten, su
scal men den man bewaren, want dar is nen lif ane. So wanne dit
de mester secht, so scal he ene berichten an so danegher spise, de
eme recht unde nutte si.
En ander böte. He scal ene laten eten grone sulten van svinen-
voteken, warme mandelenmoseken is eme got. io he dat dicker et,
io et eme beter is, unde nen brot. Dünne havergrutte sere soden
107
sind eme och got. Wultu den man (3b) sunt raaken van der suke,
so scoltu nemen aurinen und wermodensat unde droge rosen. Deser
stucke allike vele dar scolttu to don leverblomen. Du scult nemen
enen nigen gropen, dar nicht innekomen si; dar scalmen it in don
mit eneme beker wateres. Dat scal also langhe seden, dat de twe
del vorsoden sin. So wan it so sere gesoden si, so sculttu den
gropen wosen wol half mit water (4*) so scult tu it so lange seden
laten, also men Tische seden scal. So sculttu it sigen dor enen
sconen cloc an eynen anderen gropen. Dat scolttu eme geven dre
morgen nüchteren unde dre avende, so wan he nicht mer nuttegen
en wil. Na deme dranke en scal he nicht mehr nutten. He scal sie
hoden vor groteme drancke. En wel he dit nicht holden also eme
gheboden is, so en kan ene nen man helpen, so scolttu siner afstan.
En andere böte. (4 b) Hevet de minsche de suke van der hette
langhe gedragen, so is eme sin levere blek. So scal men nemen hertes-
tunghen so vele so eyn half verdinc wegen mach. Lacriscien also
vele. Kosen eyn lot wicht. Fiolen also vele. Casrafistula also vele.
Lacriscien sap also vele. Ysopen en half verdinc wicht. Holpe also
vele. Anys also vel klene gepulveret. Dragant eyn half lot wicht.
Eyne nacht scal men it weken laten so wasset it grot. Desser (5 a)
crude sint teyne ; de scalmen to samene don an enen nigen gropen de
unghenuttet si; de scal so grot wesen dat men dar up möge geten
vor beker wateres. Dit scal me(n) to samene seden also langhe dat
et wol half vorsoden si. So scal men it over mit verschen watere
up vullen unde late wol eynen beker vorseden. Dat scal men wringen
au enen sconen scapen, de wol geschuret si, unde laten it wol mellicwarm
bliven. Darna sculttu nemen eyne halve (5 b) marc (van totere hand: punt.)
sukeres; unde dat witte van twen eygeren. Dit scaittu slan to samene in
eyner scotelen unde scult it to samene don to dem syrope unde laten
denne seden; dattu it nicht rorest, so geit de vorgifnisse an dut
witte van deme eyge, so lutteret sie de syrop. So sculttu it sighen
dor eynen reynen doc. Dat sculttu deme minschen geven weder de
suke des morgenes, des middaghes unde des avendes, also langhe
so he den syrop hevet. He scal ok ene (6 a) nutghen des nachtes
de wile dat de man licht. So scal he sine nette tho middernacht
van eme laten. De anderen scal he laten an eyn orgenal unde wisen
se alle dage sineme meystere. So wanne du de netten besust unde
is se goldvare, so beteret sie de man, so sculttu ene wol bewaren
unde scult ene alledage besen, unde scolt ene behoden dat he nicht
undercolt ne werde. So wanne du den minschen besust, is he der
suke genesen, so is sin net(6b)te lutter unde clar unde goltvare. So
sculttu it nemen uppe de hant unde scolen it sere, dat it scume.
äinkit denne de scume al to hant to gründe, so is de man alles
Hughes nesen. So sculttu deme minschen vorbeden allerleye dinc,
le eme böse sint: du scult die behoden dattu nicht alto vro badest,
aride vor allerhande ungeuer spise unde vor ungeueme drancke ;
holst du desse dinck so blifsttu eyn sund man, unde holsttu des
108
nicht (7*) so is din levent kranc; so volst tu weder an ene suke, der
di nummcr ne man helpon kan.
En ander. Es dat also dat he nicht gheholden hevet dat em<-
sin mester geboden hadde, hevet he to hete badet unde drinkt h^
denne an der hette so wert eine sin nature vorstoret. So wanne du
den man besust und du dat glas in de hant nimst, is sin nette dustei
duncker so is de nature gemenghet mit der nette so en is dar neu
helpe ane. So scult(tu) den man laten bewaren.
(7b) En ander. Hevest tu die vorgrepen an harder spise, >o
sculttu die betyt besen laten. Is sin nette rodelachtich gele unde
sculnet se unde holt sin scumen so mochtu eme helpen. So sculttn
erae gheven eyne wetnisse dre morgene nüchteren unde dre avende
so wan he nicht mer nuttegen wil. So wanne du eme dat hevest
ghegheven, so sculttu eme gheven des verden daghes eynen dranc.
Den dranc scal man eine matliken gheven dat eme sin maghe suveret
werde. Du scult ene dar (8 a) vore bewaren dat he nicht drinke er
eme sin lif reyne suveret si. So scult tu nemen win unde den doder
van eneme eyge unde scult en supent maken vet mit smolte, dat scult
tu eme gheven mit verschen witten brode unde laten ene rowen.
Des anderen dages so scult tu sine netten besen in deme glase. Du
scult dat glas umme swenghen dat it scume. Is de nette clar und
smilt de scume so is he der suke ghenesen.
Dunkt di dat sie de scume en clene untholde, (8b) so sculttu
ene laten rowen twe dage unde gif eme denne dessulven dranke>
matliken unde nicht also vele so du des ersten dedest, unde höh
ene wol mit vetter verschen spise.
Dus inaken en oximel.
Nim venicoles wortelen unde petercilien wortelen like velt.
levestockes wortelen also vele, mercwortelen also vele, adiewortelei
half also vele, hollenderes wortelen eyn clene, rediewortelen, swer-
delen wortelen. Desser ver stucke like vele. Achte stukke sculttu
scarven unde denne (!) B) clene stoten an eneme moscre, unde du it
denne an eynen nigen gropen de umbenuttet si. Dre bekere gode>
etekes dat scalmen (am rande do darop) denne laten seden also langhe
dat dat dridde del vorsoden si; so scultu it wringhen dor eynen doc
an enen sconen scapen; do darto enen bekere honeges, den sculttu
wringen dor eynen doc. So scolt du it seden laten an deme scapeiL
also it rechte begunt to seden, so scoltu it afuemen unde scult den
scumen mit ener vedderen afnehmen; (üb) nim it denne af unde
scumet echter also langhe dat it nicht mer en scume. So scolttu
nemen en mescet unde scult dat lemmelen mit eyn luttek boteren
bestriken unde scult des oximelles eynen dropen uppe dat mescet
unde scult dat mescet umme keren; hanghet de drope dar an, so is;
it got; hanget he dar nicht an, so scalmen it bat seden also langhe
went it sine cracht hevet. So welcken minschen du it gifst, so scultu
nemen reyne water gesoden (10 a) eynen lepel vul, dar scult tu to
109
don twe lepel vnl oximelles unde gheven eme dat drincken also hir
vore ghescreven steyt, dre raorghene unde dre avende.
Dit is en dranck, den de minsche drinken scal.
Nim esclaurinor. dat krud sprekt to dudhe scodet: de wortele
scult tu winnen laten unde scult de scone scellen unde nemen de
rinden ane pedic, unde droghen de. Du scult nemen wiswort unde
scellen de wortelen unde droghen de drierhande to samene allike (10b)
vele, unde pulveren dat to samene ieghen eyn half punt, dar sculttu to
don alloe paditum ene halve marc wicht, dat scult du pulveren. Du scult
de drigerhande pulver to samene pulveren, an deme verden dage so scult
tu din oximel warm maken; unde scult des pulveres dar in don ene halve
walnutscellen vol; unde gif eme dat drincken; unde lat ene eyn luttik
sukeres nasluken; jo he denne mer sie roret unde wanderet io it eme
beter is; (11 a) so wert eme dat lif gande, unde sin maghe suveret sie
schone. Dit oximel also hir screven steyt. Sowelik minsche de
bekumeret si van deme watere, is it wit, so scultu eme it an deme
negenden dage geven des morgenes nüchteren unde des avendes so
wan he nicht mer nuttegen wil. An deme negeden dage so scult tu
en bad maken von allerhande groneme krude dattu vinst. Dit scolt
tu an eneme ketelc seden unde scult de hodene warm maken. Du
scult den (llb) ketel darin setten mit deme krude, unde scult ene
baden laten ane water. Dat sulve oximel sculttu eme geven warm
eyne walnutscelle vul mit deme pulvere, unde sluk dar na eyn clene
sukeres unde ga denne to hant to bedde, unde bedekke die warm
unde beware die denne wol. Dat water gheit di denne sere nedene
dore. Du scolt nemen roghenmel unde make eynen koken unghesolten.
Du scult den backen laten unde scolt en eme vor dat herte leghen
(12 ») so he it mach wärmest doghen. So wan eme dat water utgeyt,
so is eme sin herte kranc, so ne volet he nene kracht. Van deme
warmen brode so versehet eme sin herte unde gift eme kracht des
levendes. Du scolt eyn olt hon rede gesoden han, unde scolt it stoten
an eneme mosere mit sineme egene sode unde scolt it wringhen
dor cnen dok an den sulven gropen; du scolt dar to don win unde
smolt unde laten it vorwellen, unde gheven eme dat nüchteren
mit verscheme wit(12b)ten brode. Du scolt eme vorbeden groven
dranc unde oversolte spise. Rintvlcysch unde allerhande droge vlcsch,
gronc swinenvleysch mot he wol eten mit petercilien soden. Junghe
lionre sal he eten, wit brot scal he eten. Goden win scal he drinken.
God wetenber eder haverber. Gradene spise scal he vormiden, aller-
hande vissche. Du scult molken unde' lok unde anetvochele unde
gense vormiden. Holst du dat dat di din mester vorboden hevet,
so wert roke diner; lest du dat, so bistu des dodes.
(13*) Wnltu weten sine varwen de dat witte water hevet.
De hevet wit bleke varwen unde sine ben sint eme grot geswllen,
sin lif is eme grot swllen. So wanne du den minschen besust so
sculttu nemen dat glas uppe de hant, is syn nette klar also eyn
110
brunne, so is it vander muten; is se gele, so is it van der water-
gallen, so mochst du eme wol helpen mit soghedaneme dranke al>-
hirvor bescreven steyt, unde behode en vor groteme drancke, dey>t
tu dit, so wert diner rat.
En ander böte. (13 b) Wltu deme minschen helpen van der suke,
de ene is angewassen, so scolt tu nemen seblades wortelen unde laten
de seden mit wine. En hevet he des wines nicht, so sede he se mit
olden bere. Jo he dat dicker deyt, io eme dat water er vorgeyt.
En ander. Dhu scult nemen nacht unde dach, de hebbet gele
blomen unde blawe, unne seden se mit wine oder mit olden bere.
Jo he dat dicker deit, io it eme er vorgeyt.
Van den de sich vorvat an dranke.
(14 a) So wan en minsche an groteme arbeyde is, so is eme
sin herte more ; so wel he denne drinken, so sint eme alle sine äderen
open; drinckt he an der hette, so geyt eme de dranck twischen vel
unde vleysch. So besteyt ene eyn vrost. Na deme vroste eyn hotte.
Svetet he an der hette unde let he eme an tyt raden, so machmen
eme helpen, so volt he an de quartamen; is dat he nicht en svetet.
unde let eme nicht betiden helpen, so mot he des dodes wesen.
En ander. (14b) So wanne du den minschen besust in deine
glase, is sin nette gele rodelachtich , boven de mane brun rot unde
open, so scult du die siner underwinden, unde scult denne demr
manne helpen.
En ander. Nim hollenderen holt, (Randglosse: dat is elhorn) unde
clove dat kleyne unde late it droge werden, unde nim denne ew
voghe bodene ; du scolt de bodene nat maken unde scult up der erdt
en vur maken van hollenderen holte. Du scult de bodene stulpei.
over dat vur, unde laten de bodene dor het (15 •) werden. So scult
tu de bodene wol snelliken umme wenden unde scult se warm bedecken
dat de hette nicht ut ne möge. Du scult enen stoleken dar it
setten unde den man wol snelliken darin bringhen.
Nim lorberen unde bevergeylen unde snit dat an cynen groper:
mit olden bere; dat scult du an deme bade drincken. So wanne da
dat gedrunken heuest so scult du sitten an dorne bade dat tu vaste
svetest. So wanne du also langhe svetest, dat tu nicht mer en mugst.
so sculttu (15 b) die an enen wllen dockleyd beslan unde wol wan«
bedecken unde rowen die; also langhe sculttu baden unde den dram
drinken wante du van der suke genesest. Hode die vor groteme
drancke, hevesttu de suke to langhe vorgan, so scalmen dat proven
an der netten. So wanne du dat glas an dine hant nimst, is sin
nette gele unde duster unde is de mane ganz bovene so is ho de>
dodes, so sculttu siner mit vogen reden afstan unde scult eme godeu
trost geven, unne scult die1) si(lGa)ner nicht unden winden, unde sla
siner af.
l) Bandgl.: met roode inkt, half afgesneden: so wem .... ofte van badhe
111
Van deine roden watere.
So welic ininsche de de hette heuet unde in der hette sere
drinkt, so vlut eme de kolde dranc an sine leveren unde so wasset
eme en blase vul der vorgifnisse van der vulicheit, so svellet eme sin
lovcre unde sin lif grot; al sin etent unde al sin drinckent gift eme
dat water binnen an sineme liue; sine lede sint eme slang unde sin
antlat; so wanne de man also ver kumt, so is dar nen helpe ane.
Also du dat (16 b) glas besust, heuet it bovene eynen svarten rinck
so en scultes du die nicht underwinden.
Van der ro spLse.
De ro spise gheten heuet unde eme an sineme maghen licht,
ie scal nemen encianen, unde scal se eten, beydet he to langhe, so
helpt it eme nicht; heuet he it so langhe ghedragen, so mot he sie
besen laten. So wanne he sine spise nuttechet unde nicht vordowen
mach, dat mot an deme croppe des maghen lighen, unde werden to
slime. So wanne du denne sin glas (17 a) besust, so scumet it sere,
jnde smelt de scume nicht, so is eine got to helpende.
Dhu scult ene weken mit oximelle dre morghene nüchteren unde
Ire avende, so wan he nicht mer nutteghen mach, so scal he it
nutten mit warmen watere, also hir vorscreven is, eynen lepel vul
ffateres unde tvc oximelles. Des Verden daghes scolttu störet (geven)
ilso grot also eyn iung henen ey. Du scult dat seden mit watere
in eneme luttiken gropen. Du scult ene so langhe seden dat it
lalf insoden si, so do (17 b) darto dre lepel vul honighes
mde scult it denne seden sere unde wol scumen; geyt it denne
lp an ene scotelen unde gif eme dat drincken nüchteren unde
lar na sucker; do eme denne eyn corsten brodes de roste mit
iolte; lat ene denne voste wanderen bet he mode si; so lat
>ne denne to bedde bringhen unde warm bedecken. So wan he
lenne wedergeuen lieft, so scalmen eme maken dünne havergrutte,
et mit smolte, unde lat ene dat eten mit witten brode, unde hold
18*) ene denne mit sachter spise, so wert siner suke rat.
So scult tu ene over besen; is sin nette clar, so is he nesen.
>cumet se nochten eyn luttic, so scolt du eme des pulveres gheven van
ler esela ene halve walnutscelle vul in deme oximelle wermet, dat scult
u eme geven drincken unde lat ene denne sere wanderen so geyt
nie dat nedene dore, so wert he alles dinghes gansc. Is de minsche
Jso kranc dattu eme nicht en dorst storit geven, so gif eme eseln-
Irunck also hir vor screv(18b)en is; so wert de man alles dinghes
unt. Unde bese ene alle morgene, provesttu dat dat eme noch
ieht wol holpen si, so gif eme drankes mer. He scal vormiden loc
nde erwiten, rintvleysch gensevleysch, enede, unde allerhande vische,
Uerhande melic, sunderlik kernemelic; vatich ber is eme gut unde
rone svinenvleysch ; he scal kusliken mit siner spise leuen.
112
Wan deine maghen vorkoldet is.
De miusche deme sin maghe is vorkoldet, de vorlet sine sprn
(19 a) unde gift weder sinen drank, deme is sin lif slauc. So wannr
du ene besust in deme glase, is sin nette dar, (also en born) scuinet
se sere so is cme sin maghen vorkoldet. He scal nemen enghever.
galigan, pardiscorne, zeduar, lorberen, der vif stucke like vele ; und»
stot dat to pulvere; he scal nehmen eyn quarter wines, unde scal
dat pulver darinne seden, dat scal he drinken des morgenes undi
des auendes, so wan he nicht mer nutteghen will, unde sluken witton
enghever dicke. Du scolt nemen (19 b) rosen unde lesen se an ene:.
linenen budel unde lat de an etike seden, unde scal eme dat legheii
uppe den maghen so he it betest dogen mach. Du scult eine gever.
eyn lactuarium dat het: ingibe conditum, io na etende eyn got
morsel. So sculttu ene besen, is sin nette goldvar, so is he nesen.
He scal sie hoden vor older spise, bradene spise unde rintvleyseb.
Du scult dicke baden, na deme bade sculttu drincken nige vatich her.
(20 a) Van deme grawen stene sandich unde lemich.
So welich man de den sten heuet unde du ene besust, so is sh.
nette nedene in deme glase slimech van deme grawen stene. Is it
eyn rot sten, so licht also en rot sant uppo der grünt. Is it en lemit-h
sten so licht it also lemstucke an der grünt; desser twigerhaim»
sten mochttu wol boten, [onder aan den rand van andere band: dt-
grauuen stenes moch du nich boten.]
Wult tu eme der twigerhande sten helpen, so nim petercilien sat.
unde lubbestoc sat, mercsat, wit hofkomensat, netelensat, unde ani>.
Nim wegebredensat, saxifricansat, caliande(20b)res sat, unde pendeh.
Nim der teyn stucke allike vele, dat sculttu pulveren so du clentv.
muchst; du scult nemen creuetes steyn unde hertes hörn, den sculttn
bernen unde nim desser likevele ieghen teyn stucke unde pulvere it nk
klene; nim attramentes also vele unde pulvere ene clene; datscalmen t»-
semenc pulveren. Du scult dar to don en punt suckeres unde sculf
dat to samene temperen unde gif eme dat mitten; io he it dicker
deyt, io it eme (21 a) beter is. Des morgens so wan he it aller er>t
nuttechet so sculttu nemen fumester unde scult dat pulveren. S.*
sculttu nemen win unde seden dat pulver an deme wine. So wan
he heuet nuttet dat erste pulver, so scal he des fumester eynni
goden toghe drinken; deyt he dat vlitelken so wert he der suke 1<»-.
He scal vormiden nige ber unde gerstenber, gest unde cygersupent.
allcrhande droge unde soltc spise. Senep unde etik is eine (21h
böse, alle versehe spise is eme gut. Jo he mer petercilien et, i«»
it eme beter is. Deisttu dit to rechte, so mach di got helpen dar
tu der suke los werst. Holt die kusliken vor unghevogen dranc.
Van deme sweren in deme live.
So welich minsche deme eyn svere wasset in sineme live, dat
kumt van deme vresme: so licht he an groter uncracht. So wan de
IIB
ene besust in deme glase, is sin nette blek, unde hevet se bovene
eynen roden manen, is he (22*) open unde gele sprenkelachtich so
muchst tu eme helpen. Is de mane besloten so en sculttu die nicht
underwinden, so scal he sie vorevenen mit unseme heren gode. Mochst
tu eme helpen also hir vor screven steyt, so scult tu nemen embren-
wortelen, naderwortelen, zenneuer, bevergeylen, walraven, de vif stucke
like vele, de scult tu stoten. Du scult sucker dar mede stoten, unde
dat eme gheven. Du scult nemen de wortelen unde waschen se scone
unde scult se stoten unde seden an sconen (22 b) borne, dat gif eme
drincken, na deme lactuarium, dat benimt di dat svel. Du en scult
nicht baden, unde scult die nicht vortornen; tornestu die, so brekt
dat svel, so bistu des dodes. Peper sculttu vormiden ; versch swinen-
vleys, junghe honre sintti gut; visch, erweten, loc, rintvleysch,
droge vleisch, soltvleys, beten unde rove, gense, enede, note unde
plumen, berin unde honich unde sote appelle, grof brot scult tu vor-
miden; holst tu dit bot, so mach di got helpen (23*) dattu diner
suke nesest; deyst du des nicht, so bistu des dodes. Alsodaner
spise also hir screven steyt, de scult tu vorbeden alle den seken, der
du die underwinst.
Dit is van der muten böte.
So welikeme minschen sin mute swellet, den scult tu besen sine
urinen: is de nette clar unde sin varwe blek, so sculttu spreken:
dosse wedaghe licht ju an der luchteren siden, unde dat it eme to
deme herten stigt, let he eme des avendes nicht. Den so (23 b) wan
he sinen adme tut, so geyt eme de steke bi deme rueghe (c van latere
hand) up to den sculderen. So scultu nemen lortha (gl. : dat is loreberen
olye) unde scult die bi deme vure mede smeren van deme rueghe al de
siden, want an de ribbe. Nim huslok unde stot dat an eneme mosere,
nim gersten mel unde mak eynen koken, leghe denne dit up enen doc,
bestriket mit eteke, unde lat eme binden des avendes up sine siden.
Du scult nemen wegebreden, sede de mit olden bere, dat scult tu
rles morgenes sere drincken, to (24 a) midden daghe unde des avendes,
so wan du nicht mer nutten wlt ; des dridden dages so scult tu an der
bant laten bi deme luttiken vinghere de miltaderen; du scult en
sleyne laten, so wert di din milte slanck unde sacht.
Weder dat vever.
So welich man de dat vever hevet, unde du ene besust, is sin
nette dicke rot also garnloge, so is it dat vever. Nim aurinen unde
sede dhe mit olden bere, unde drincken dat dre morghene nüchteren
mde dre (24 b) avende so wan he nicht mer nutten wil. (glosse van
mdere hand: he scal oc eten ordeme, drinke comen sat.)
Oft« en minsche to broken si an deme live, de sich vorboret hevet.
So scult tu eme bi deme ersten gheven honich, so scult du
lernen berenworth unde helpe, de tve seul tu seden an olden bere.
So scult tu nemen in saluen unde scult dar to don in ene
Niederdeutsches Jahrbuch. XV. 3
114
scotelen. Also it smolten is, so scult tu it nüchteren drinken un»i
des avendes so wan du to bedde geyst. Du scult die sere sniere:.
mit dyalte. Des scult tu so langhe plegen, dat tu sunt werdest.
(25») So we hevet den vorstal.
De scal nemen scliir soltes eynen stekinen enes halven vinghen -
lang unde smal; he scal den minschen wol baden an watere; al-«»
du ene ut nimst, so scult tu ene wol warm bedecken laten um:.
scult eme den sten nedene . in dat lif laten steken, so smeltet «lö-
sten, unde dat lif wert eine sere gande unde wert sunt.
So we en sunt lif hebben wil.
De scal kusche sines lives wesen. Is he van deme levende, dat
he nicht sere arbeydet, he scal sie hoden vor overate. Deyt (25b
he des nicht, he mot amborstieh wesen, he mot overgigtieh wesrn.
He scal dicke laten; eme wert de drope tvisschen vel unde vleysch:
he scal sie hoden dat he kusliken leve mit vrowen. Is he sines livr-
unkusche, so erkortet he sin levent drietich iar. So we des tingi -
overmate pleget, de vorlust sine ogene ; sin bragen dat vorsvindet eme.
sine äderen unde sine senen vorstervet eme. So welich man over
nicht dos unberen mach, de si matelich an dessen dinghen.
So we bekümmeret si an siner lnnghen unde sere hostet.
(2Ga) De- scal nemen lacricien de scone si seaven unde hert«1-
tunghen, helpe, affresia, unde sucker like vele. Du scult d.it sodtn
mit watere sere unde wringhen it dor eynen doc. Gif eme dat dt>
avendes unde des morghenes drincken unde lat eme en luttik an der
lunghen äderen, so neset he der suke.
En ander. Hevet he den vlote van deme hovede, so wer:
besinnet sin levere, sin lunghe, sin borst. Is die din suke corteliken
anghecomen, so is di gut to helpende mit desseme drierhande lactu-
arium: diapendium, diadragantum (26b) unde penic. Desser drier-
hande lactuarium scult tu nutteghen.
En ander. Du scult nemen des ghemalenes senepes tve lepel
vul dar scult tu to don enen lepel vul wateres; du scult nemen
bertram pulveret, also vele also op eneme pennighe liggen mach.
dat scalmen dar to don ; unde scal dat nemen an den munt nüchteren
unde scal dat langhe dar inne holden. So scal he dat ut dem laten.
Dat scal he io des morgens don, so tucht it eme den slim uter borst.
so scal he den sirop nuttegen alle morgene, unde alle avende. Du
scult (27a) die hoden vor nüchteren drancke.
En ander. Nim salvien unde polleygen like vele unde pulvere
dat, sofleran also vele. So welikerhande moseken ofte vleysch (hs. ghe»
nuttechet, dar scal he iummer des pulveres to don, dat gift eme sine
varwen, unde gift eme gode lucht to deme herten dat eme siner snko
alles dinghes wert bat.
115
Van deme vresseme.
So welikeme manne van deme vresme eyn bladdere uplopt an
deme arme, oft an deme bene, oft an sineme antlate, de scal sie des
hoden, (27 b) dat he se nicht breke, tobrekt he se, so is he des dodes,
want dat herte erlutteret sie.
En ander böte. Nim enes eyges doder unde knede ene mit sulte ;
dar scult tu en plaster af maken unde scult it eme up de bladeren
leggen so wert eme bat.
Van der adheren.
So welich minsche de sie an der äderen Jet, de scal sie dre
daghe hoden, dat he sie beware vor grotem drancke. He hode sie
des ersten daghes dat he nicht en slape ; an der tit mach he slapen
dat eme sin ädere untsprinkt. So mot (28 a) he overgiftich werden
(doorgeschrapt is: des dodes wesen) des eme nummer nen minsche helpen
mach, de wile dat he levet. He scal sie hoden vor torn, en deyt he des
nicht, so wert eme de kellende gicht, de eme alle sine lede dovende maket.
Du scult allen luden vorbeden dat se nicht de hovet äderen laten, latet se
de hovet äderen, so werdet se dovendich an deme hovede. He mach an der
tit laten dat he sinen sin vorlust, des eme nummer mer neyn mester
helpen \nach ane got alleyne.
Van der sucht.
So welich minsche, de an (28 b) ener sucht licht; so wanne du
ene besust in deme glase, is sin nette rot, dar bi scult tu sen dat
he de sucht hevet.
Du scult eme vorbeden dat eme böse is, unde scult eme segghen
dat eme gut is. Du scult ene nicht arcedien; men scal eme nicht
drincken gheven mer dünne ber; nie scal eme nodegen to deme
etende. So wan he bekeret an deme svete, so scult tu eme dat vor-
beden dat he nicht to vro en bade. Du scult eme beden dat he sie
warme decke so wan he svetet. En dec(29a)ket he sie nicht warme
dat he vullen svete, so mot he de kolden gicht untfan; badet he to
vro, so is he des dodes ; tornet he sie so volt he weder an ene andere
suke; vor desser drigerhande stucke scult du die bewaren.
Van deme hughe („huke* glosse van andere hand).
So welich minsche deme sin huch hanghet an deme halse, de
scal solt bernen, unde nemen dat het up en spon, unde scal eme
dar mede up scroyen, so he it hetest dogen mach.
Drupt eme de huch, so wasset eme tve spülen van der borst
an den (29 b) hals ; wltu eme sachten dat sin levent werde vorlenghet
so scult tu eme gheven redik nuttegen mit eteke nüchteren; dar na
scultu eme gheven eten sucker unde lacricien, dat is eme gut. Jo
doch vorevene he sie mit unseme heren gode.
Weder de bladeren an deme halse.
Swellet di de bladdere an deme halse, so scultu nemen win
8*
116
unde scult den het gloyen an eneme gropen, unde scult ene an deme
halse holden, unde scult ene nicht in sluken. Du scult ene up uodt
(30 a) dale laten gan in deme halse. Jo du dat dicker deyst, io it
beter is.
Van deme hörende.
So welikeme minschen de sucht vor de oren is ghevallen dat
he nicht hören kan, de scal nemen de vasen van der walnut, unde
scal de tostoten unde wringhen dat sap an eyn becken unde [van
latere hand darup sal he stülpen en ander becken unde] scal it graten
an scapes mes dre dage; dat drope he deme minschen in de oren
des avendes so wan he slapen wil gan.
Van deme hoveteere.
Deme sin hovet we deyt, unde sin ogen swellet, de neme rüden
(30 b) unde huslok, levestockes wortelen, venecoles wortelen. De ver
stucke like vele, dar to do dat witte van deme eye, unde stote dit
an eneme mosere, unde wringhet dor enen doc an ene scotelen.
Nim heden van vlasse unde legge de darin, make en plaster darvan
umde leghe it uppe dat vorhovet, unde up de dunninghe; svetct
eme de oghen so legge eme dat uppe de oghen so wert eme bat.
Van der adheren.
So we an der äderen let unde se eme svellet : de scal den svelen
nicht vordriven; vordrivet he en, (31a) so is he des dodes. He nerae
daren wortelen, unde scal se seden unde stoten se mit oldeme swere,
unde striken dat up enen doc, unde werme dat to deme vure, unde
bestrike dat svel mit popelionen, unde sla dat plaster dar umme
alle warm unde lat it den lighen, wante des morgenes. Dit do he
so langhe, want eme bat werde.
Van der serinen.
So welich minsche de dhe serinen hevet an sineme antlate deme
volt it al stucken ut unde stinkt also en as, de neme svart glas unde
stot it an eneme mosere, unde sichte dat dor enen (31b) klenen doc.
Nim bomolie unde menghe dat pulver van deme glase mit deme
olie dat it evendicke werde, unde bestrike dat sere darmede, unde
bint it al darup also langhe want it hei werde.
Weder den harworm en böte.
* So welich minsche de den harworm hevet, de scal nemen gersten
stro unde bernen dar to oselen unde maken dar van löge dar mede
wasche he dat sere, so geyt de worm al ut; he scal nemen bom
olie unde olt smer unde hart (32 b) like vele unde smolten dat to
samene, unde wringhen it dor enen doc unde spanes gron^ unde
pulvere dat klene, unde menghe dat to samene, unde salven dar
mede al so langhe, want it hei werde.
en gude böte. Junk elren lof scultu bernen to pulvere, so wor
en ser is dat nen salve helen kan, dar do it an de wnden.
117
Tvige des daghes wasche it mit ekeneme lo, unde droghe it
eme; strik dat pulver vere dar in, so langhe want it hei werde.
(32 b) Weder dhe varenden.
So weme de varende utbreket, de neme wintworpe unde winne
der so vele so he mach, berne se an eneme nighen gropen to pulvere
unde ghevet deme minschen vif morgene nüchteren io to dren malen also
uppe dren penninghen leghen mach ; darmede wert he der suke los.
Sint se eme utgebroken dat se siget, so scal he nemen meghede
blomen, de berne he to pulvere an eneme erdene gropene, unde scave
eme dat (33 a) pulvere in dat sere unde waschet eme des avendes unde
des morgenes mit eken lo ; dat do he so langhe wante eme hei werde.
So weme de vote utvallet an stucken.
So welckeme minschen deme sine vote under al utvallet van
stucken, de scal nemen queden unde . scal de an klenen pen-
ninghen sniden unde maken dat het uppe deme vure unde legget
denne uppe dat sere so du it hetest doghen moghest, dat do also
wente eme it al hei werde.
(33 b) So we hat en seren vingher.
De scal nemen smerlen unde scult de tospliten, leghen eme
up den vingher, unde waschen eme mit goder löge; do dat so
langhe want it eme hei werde.
En ovchen bothe.
Nim ouscellen unde berne de tu pulvere. Nim dat svarte albe-
dille af den ouscellen unde tostot it an eneme mosere unde sichte it
clor enen klenen dok. Du scult nemen glasscumen unde pulvere it
clene, half so vele so des anderen is. Du scult nemen (34 B) kamferes
so grot; dat do eme des avendes in de ougen, so wan he slapent
geyt; dat do he so langhe wente eme de hut af ga.
En salve.
Nim persikstene, nim holwort like vele. Nim bladelosen, unde
dat witte van tven eygen, do darto en lepel vul soltes unde enen
lepel vul honiges, koperokes so vele so en doder van eneme eyge;
so wanne du dat pulvere hevest, so wringhet dor enen sconen
dok an en beken, graf it in (34 b) vuchtigh scapes mes, do dar
win to unde menghe dat to samene unde bestulpet mit eneme
anderen beckene, unde bewerket mit deme scapes messe. Lat it stan
dre dage. Nim it des driddes sachte up, make dat andere becken
seone, unde lüttere dat clareste darin ; gravet over weder in den mes
unde lat it stan dre dage. Nim it sachte up unde lüttere it denne
in en koper vat, drope eme dat in de ougen also langhe also it eme
Sorbeten (35*) hevet, so dwa he de öghen mit kolden borne. Do
rlen darna rosenwater in de öghen unde rowe die denne. Desse
salve is weder de vinnen göt, weder den trän, weder dat vli, weder
den liedorn, weder allerhande ouchser is se göt.
118
En oughen böte.
De ein mal uppe deme oughen hevet, de neme radehelen, muh
binde se umme den hals.
En ander. De de bladeren an deme oughe hevet, de neme
honich unde sofferan, (35b) unde do dat inde oughen.
En ander. Nim hasenbraghen unde homelenhonich, so wemt
de bran tut, deme scalme se albedelle utten unde scal eme dat an-
striken so en wasset eme nen bran mer.
Weder de kolden gicht en böte.
So we de kolden gicht hevet, de scal in deme meyghe nemei
espen lof, unde scal dat seden, unde scal dar mede an ener bodene
boden. He scal nemen hedernetelen unde billenkrut like vele, solt* -
half also vele, dat scalme to semene stoten; also he in dem bade
sit, so scal he sie (36a) sere inede wriven unde smeren. Na deme
bade scal he sie bewinden an eneme wllen clede unde rowen den.
Weder de doden gicht.
Nim enen beker vul soltes, tve beker vul wateres, de scult tu
seden al (l. an) rinvleyse ; smere die dar mede neghen daghe, alle daghe
drie ; an deme negheden daghe so lat di warlosen bernen brande. De
wile de suke nighe is, so machme di dus helpen; wert se overjarkb.
so en mach di nen minsche helpen.
De de gicht an der äderen hevet.
(36b) De de gicht an der äderen hevet, de gyiht van leden to
leden, dat het de vlegende gycht. De scal an crueewis laten an der
äderen, an der worderen haut unde an deme luchteren vote; an der
luchteren hant unde an deme worderen vote tuschen den luttiken
vingheren unde den luttiken ten.
Van der kellenden gicht en böte.
So we de hevet, deme kellet sin march unde sine knoken, de
neme betonien, blionien, marcedonien, sancamedia like vele unde sede
de an wine sere, unde drinke (37a) dat nüchteren. Jo du dat dickere
dringest (k overgeschreven), io it di beter is. He neme billenworteleiu
dranwortelen unde brade de unde stot it mit oldem svinen smere.
dar smere he sie mede.
Van der suke der vrowen.
En vrowe de er blomen hevet, de scal sie behoden vor manne,
want it is en engerstlich sake. So welich vrucht an der tit getelet
wert, deme wert en suke, der eme nummer nen rat wert. Se scal
sik holden sachte mit vetter spise. Se scal sie holden kuslik^n unde
reynliken. (37b) Se hode sie vor torn unde vor wedermode dat i>
ereme live helpelik. Vorsorget se sie de wile dat se de blomen hevet,
unde wert se vortornet, so vorstoppet se de äderen. So wan en
de äderen bestoppet sint, so svelt ere de moder an der vorderen siden.
119
so is se blik an der varwen, ergat grote wedaghe to deme herten.
AI so me dat glas besut: Is de nette wit unde dat dar witte dinck
inne vletet, so sprech er also to: vrowe, iu is de moder böse, gbi
en hebbet iuwer clenode nicht so gbi (38a) van rechte hebben scolden;
de suke is iu van wedermode anghekomen, unde licht iu an der luch-
teren siden (dat) dat git mitter hant volen mögen. De wile dat gy
nüchteren sint, so hebbe gy dult also it na deme midde daghe is so
svaret iu dat lif so stowet it to deme herten dat iu des dunkt dat
gy dat lif gicht beholden mögen. Wltu der vrowen helpen, so scaltu
nemen bevergeylen unde lorberen like vele, do dar to lovengele tuie
also vele; dat scaltu seden an wine, (38b) unde geven er dat drincken,
des morgenes nüchteren unde des avendes so wanne (gy) se nicht mer
nütteghen wil. Eyn lactuarium, dat het tersramagna, dat scal se eten,
na deine lactuarium scal se de äderen laten an den voten. Deystu
dat, so komet de de blomen rechte weder, unde werst en sunt vrowe.
Ein ander. So welich vrowe de suke to langhe hat ghedraghen,
de is gele unde svellet. De scal nemen vilspane van yseren unde
binden dat an eynen dok, se(39a)den se an eteke, unde laten it drogen,
unde stoten it denne to pulvere. Nim venecolsat, peterciliensat,
gartkomen sat, anis, like vele, pulvere dat clene. Nim wegebrede,
droge de unde pulvere de clene, menghe dat to deine yseren pulvere
wol unde bindet an enen dok, unde sedet an der warve ; lat it denne
drogen unde pulvere it echter cleyne; sichte it dor ene seve, unde
gif dat der vrowen nuttechen, de dat langhe hat ghedragen; dat
scal se drie nütten an dünnen (39 b) grütten also vele also up eneme
penninghe drie möge legghen, des middendaghes unde des avendes
over also vele so wan se nicht mer nuttechen wil. Eyn pulver, het
diorenticum, dat scal se na deme etende up en klene wittes brodes.
Jo se dat dichkere deyt, io it er beter is ; dat sachtet ere suke, unde
verstet eren levent. Se beholt it over an eren dot.
Ein ander. So welich vrowe enes kindes gheneset, er der rechten
tit unde vorsumet (40*) wert an er krangheyt dat se dat echtere nicht
en hat, de neme akeleyen sat unde ok de blade, naderwort, bever-
geylen, lorberen, des scalmen nemen like vele, unde seden it mit olden
bere; dat scal se sere drincken, so wert ere der suke bat. Deyt
se des nitht so wert se des dodes. So wan de meyster dat glas
besut, is de nette witgele unde wolmet se, so mochstu ere helpen
also hir vor screven is; vletet an der netten svarte stucke also van
eneme sveren de gevulet si, so is de vrowe (40b) binnen swllen unde
moder is er vorvulet; so underwint dich erer nicht, unde sprech er
lengeste levent dat sint tvelf wekene.
En ander. So welich vrowe vorvroren is an deme kindelbedde,
dat se sere hevet gedruncken kolden dranck, so svellet grot ere
vote unde ere beine. De scal nemen erwiten stro, bonenstro, wicken-
stro, unde seden dat in eneme ketele, unde blusine mit stro, de bodene
dat se wram werde unde setten den ketel darin, unde (41a) laten de
120
vrowen dar inne baden. Nacht unde dach scalmen seden an ben?
unde geven ere dat in deme bade drincken. Se scal lumiken seden
mit gronen svinen smoke, unde eten dat mit verschen witten brodc
in der bodene; io se dit dickere deyt, io er bat wert.
En ander. So welliker vrowen de äderen bestoppet sint, dat **•
nene vrucht untfan mach. De scal nemen sindowen unde seden de
an wine, unde drincken de, so wint se vrucht.
(41b) En ander. So welliker vrowen de hevemoder klemmet
umme dat herte, de scal nemen bockeshorn unde bernen dat, undt-
laten er den rok gan an de nese, so wert er to hant bat.
En ander. So welker vrowen dat herte wateret unde kranc is
de neme muschaten unde muschaten blomen, unde nuttechen de, de
maket ere en vro herte.
Dit is van der quartanien.
So weme de quartanie besteyt, de late an den vorderen arme
in der medianen, (42a) enen lepel vul, so wan se eme besteyt aller
serest. So wan se ene over besteyt, so scal he an deme lütteren arme
laten. To deme dridden male so wan se ene echter besteyt, so late
he an deme ersten arme dre lepel vul, so is dar hopene an dat emc
got helpe. He hode sie wol also hir vore gescreven is, he scal sie
hoden dat he ieninghe spigedranc neme, nimt he den, so is he
des dodes.
Weder dat water en böte.
Nim nat sant ut (42b) deme watere, unde grawe keselinghe unde
graf de uter erde, nim sunderclot uter smede unde make den steyn
unde sunderclot gloghendich, make enen herd van nateme sande in
der bodene unde leghe de gloghende steyne unde sunderclot up dat
sant, unde decke se over mit nateme sande; dar bade denne minschen
inne de dat water hevet. Swetet he an deme ersten bade, so scal
he des bades neghen daghe pleghen; so scaltu hebben nacht unde
dach unde seden (43a) de mit olden bere unde drincken dat in deme bade.
Dhe open is twischen velle unde vleysche.
De neme heyden unde sprochwiden, negenkratht mit der wiglen
like vele; de sede dat an eneme ketele sere, sette it an ene bodene.
Du scult rede hebben salsmer, nim also vele geghen ene halve walnut
scelle vul; do dat an warm ber, unde gif eme dat drinken. Du
scult nemen suchte lodeken wortelen unde stot to deme oldensmere,
unde (43b) wrif die dar sere mede in der hette. So wan du ut kunst
(l. kumst), so scaltu die beslan an eneme wollen dok dat tu sere mögest
sweten. Also du vif daghe hevest gebadet so scultu des susten daghe>
laten an der äderen bi dem luttiken vinghere. Des verden daghes na
deme dage also he hevet ghelaten, so scal he baden also hir von;
screven is unde drinken den ersten dranck unde smere sich mit deme
smere. Na den vif baden scal he an crueewis laten. Des (44a) wis«-
he so langhe wante he de ver äderen an crueewis late unde tvintiel.
121
bade bade, unde den drank drincke unde smere sich also hir vore
sereven is.
Van der leveren.
De nicht sweten en mach unde de vordere side ser is, de neme
clene poppelen, nortman, warmoden like vele unde sede dat in enemc
ketele, unde sette den ketel an ene bodene unde bade dar inne.
Nim dat crut al entelen ut deme ketele, unde do it ut dat it kole
leghet up de vorderen siden so wert eme rat. (44b)
Dit is de underscheydicheit der glase.
Der manne nette: Is he sunt, de is blanck unde glotvare. Is
it ener vrowen nette: is se sunt, so is se witghele. Is it ener
iunevrowen nette: is se sunt, so is se blanck unde clar, dar vlotet
witte dink inne.
Van der hette.
De minsche de de hette hevet, sin nette is rot also ein blot,
is it dat vever, so is brunrot. Is it de quartanie so is se al svart.
Svellet eme de cop vander blasen, so vlotet an der nette svarte stucke,
(4.ja) also etter unde blot. Is se darby rodelachte, so is he des dodes.
Van der natnre.
So weme de nature vordroghet is dat he nicht en mach mit
vrowen hebben to donde, de is mager unde bleck ; de scal nemen
lorberen, engever, unde peper like vele unde pulvere dat, unde nutten
it mit coppenbernen. So wert eme sin nature weder unde sin vrucht.
So welich nette is blawe so de heven, de minsche is tobroken unde
is in binnen vorvulet, unde is des dodes.
Van deme dode.
(45b) So weme de nature mit der netten is gemenghet: de nette
is dicke unde wlomich, de is des dodes. So wanne sin nette goltvar
is unde bovene enen svarten manen hevet unde besloten is, de is
des dodes. So wan sin nette rot is, unde bovene ene hut (van latcre
hand hevet) de is des dodes.
Das scolta maken dyoreticum.
Nim en punt anises unde en punt venekoles sades, en punt
lacricien, ene half marc wicht petercilien sades, levestockes sades also
vele, merc sades (46a) also vele, wit gartcomen also vele, dat pulvere
clene unde sichte it dor enen denen budel; do dar to en punt rodes
sukeres unde tempere it tvischen den henden mit deine anderen crude.
Dit het dyorenticum ; dit dowet wol unde gift güde lucht to deme
liovede, güde sachticheit to der borst; it vordrivet den sten.
En ander. Sena dudya sumat like vele, pulvere dat clene. De
nicht dowen mach, deme scalme dit seaven uppe weke (46b) grutte,
up andere weke spise, unde eten it, dat dowet eme sin lif naturliken,
he hode sich vor harder spise.
122
Weder den blotgank.
So we den blotganck hevet, de neme weghebrede mit wortelen
albedelle unde stoten de unde wringhen de dor enen dock, unde wriven
den blotsten mit deine sape in ener scotelen also langhe wante it
al rot werde. Gif eme dat drinken die morgene nüchteren. Helpt j
eme dat nitht, so nim svines mes unde towrif(47*)den an bere, unde
gif eme dat dre morgene nüchteren.
En ander. Nim ceghen melc unde havergorte, do dat in en
vat, unde lat dat stan ene nacht ; des morgenes do he de melic af
unde wringe de gorte üp de melic dor enen doc, unde wellen dat tu
vüre, unde eten dat warm unde drincken dar nicht up.
En ander. So wor ein minsche blot unde dat nicht untstan en
wil, de neme ein plaster unde lege dat vor dat vorhovet, unde uninie
de dunninghe (47b) unde neme svines mes, unde do den mes mit
vure an en scervelen, unde lat den rok an de wnden gan up in
de nese.
So we ene flstelen an der wangen hevet nnde wangen grot is unde si^et
De neme driakel krut, unde stote dat an eneme mosere unde
binde eme dat up de wangen.
-f- Job •+- trayson -f- conobia -f- zatraga -+- zorabantin -f- Job -+-
Scrif dit in blye unde scrif des minschen namen dar in, unde
bind eme umme den hals. Dat (48a) bedvinghet alle worme.
So weme en orworm in dat ore is gecropen.
De neme mancrut, unde binde ene hantvul des krudes vor dat
ore, unde kloppe up ein bret vor deme anderen oren also langhe
want de worm utga.
So weme en adhere ofte en slange gesteket.
Men neme driakel unde gheve eme der en clene nutten mit
watere unde bestrike deme dat svel darmede. De nicht en hevet des,
de neme hesline so(48b)merloten unde hete de an deme nese, unde
neme roden in de tanghen unde holt it up dat svel.
En gut böte.
Pallium. Criscium. Confame. -f- signale -+• signe -+- signikade.
Scrif dit an kese, unde gif deme minschen eten den de worm steken lievet.
Von den wunden.
So welich wnde inwort geblot hevet, de neme stenblomcn, unde
seden de an wine oft an goden bere unde drincken se al nüchteren
unde des avendes ene goden dranck unde leghe (49*) sie up de wunden.
Stic enen goden weken nicht verne an de wunden wan dat tu de wnden
open beholdest. Nim benedietam, nim rot wntkrut, unde radehelen.
Nim fenekel like vele, stot it, unde male it dor ene senepmolen mit
wine eder mit gode bere; gif eme enen goden toghe drincken de^
avendes unde des morghenes. So wanne du de wnden mit enem*-
doke reyneghet hevest, so scultu eme den dranck gheven.
123
En ander. (49b) Is de wunde ghehowen, so scoltu se toneghen
unde steken ene weken in de wnden van speeke unde leghen dar enen
plaster up. Lat dat Hghen wante an den dridden dach ; des dridden
daghes so scoltu se upbinden unde suveren se reyne unde. do nene
salven an de wnden, mer bestric de weken mit der salven unde leghe
de weken in de wnden, unde leghe dat plaster alder up, dat do
twighe des daghes; bade den man nicht wan an den Verden dach.
Is he sere gewndet, so en bade ene nicht (50*) want an deme
negende dage.
En ander. Is eme dat hovet ghewndet datmen eme dat braghen
sut. Is it en ghehowen wnde : nim scindal unde leghe eme negest
deme braghene unde leghe eme dar an bovene en eyplaster, behode
dat du nen eyplaster neghest deme braghen leghest, beware dat eme
de wnde nicht nat werde.
En ander. Is eme dat hovet toslaghen dat it eme binnen to-
broken is unde de hut doch ganz is, so taste wor it eme to(50b)broken
si unde lose eme de hut up, unde nim dat beniken ut. Leghe dar up
scindal unde en eyplaster, dar in bovene holt de wnden io reyne,
unde leghe eme reyne heden dar in, io tvige des dages.
So vveme de senen untwi chehonwen sin.
De neye de senen behendeliken to samene, unde leghe de wnden
alle vul wntsalven unde binden it denne (mit deme additio in margine)
eyplaster. Is it eme an der hant eder an deme vote, so wan he
badet, so scal he de wnden (51a) dicke nat maken unde holde se reyne.
En ander. De wnde de dar svellet unde nicht en etteret: Nim
salvien, nim olt spek unde hacke dat vul cleyne, unde smere de
weken unde leghe se in de wnden; nette en plaster van heden in
eteke, nette enen linen doc in etike unde sla dar up.
En ander. Gift dat nie vleys sie hoch up uter wnden. So nim
koperot ghelutteret, hart unde buckes talch ; desser dre stucke like
vele, smelte dat unde stek dar(51b)in enen klenen linen doc; lat
dat seden unde rechte dat ut, lat dat kolon, snid dar af, also bret
also dat vleys is, unde leghe up dat.
En ander. Dar en ben untwei is ghebroken: Nim dat witte
van eygeren unde sla it sere, unde nette dar enen groten linenen doc
inne unde leghe den vilt in de schenen unde leghe den vot (toevoeging :
in den scot) uppe de dekene, unde vorenene eme den broke, unde
sla dat plaster umme dat ben; sla den vilt dar umme. So wanne
(52*) du de borst hevest ghebadet, nim dan dat erste plaster up enen
dok unde leghet uppe de borst. So wanne du dat hevest ghedan dre
avende unde dre morghene dat du dan provest dat dat svel utwil.
Nim cypollen unde brat de unde leghe dar up so du it hetest mögest
dogen unde bewaret denne mit deme ersten plaster. Dit is weder
allerhande svel gut.
124
Weder dit Mot.
Min vrowe sunte Maria scot ene roden in dhe iordanen; de rode
untstunt; also de rode unt(52b)stunt also untsta du blot mi undt
iummermer an godes namen, amen.
Weder dat swellen in deine halse.
Nim dat witte hör van ener gans, tempere it mit bere; de en
svel an deme halse hevet, deme gif it drincken. dat silve do dat
witte hundes hör mit bere.
Dns make ene pillen.
Esela, aloe paditum, like vele; stot de twe; nim honichsem
unde en clene bertrammes, knede dat tosamen, make dar pillen (53'J
van. Nim rebarbarum en lot wich scommen, aloe paditum, esclaminor
like vele unde pulvere it clene. Rosen also vele, sukeres also vele.
Dit stot besunderen, do it an enen sconen scapen, do darto en clene
honiges, lat it seden, dat it even 'dicke werde, nim bertrammes eii
half lot wicht ; stot it to pulvere unde tempere dat dar mede. So
wan it hart ghesoden is, so leghet up enen sten, so wan it kolt k
so make de hant vet mit smolte, unde make de pillen (53b) dat se
werden also walesce erwiten; gif dat deme minschen deme de borst
unde deme dat hovet bestoppet is. He scal sluken oblaten des ersten
morgenes nüchteren dre, des avendes vive, des anderen daghes sevene.
des avendes negende, des dridden dages elvene.
En ander. Nim maior, esclaminor like vele; stot de; knede it
mit honighe unde do it an ene bussen ; make dar af pillen. De dat
blot hevet hat, unde gheswllen is, (54a) de scal nemen galigan, witten
en gheven aloe paditum der drier like vele ; stot de : knede it mit
honighe unde do it an ene bussen, unde make dar af pillen.
En ander. Nim mirram unde masticum unde wirok der twier
also vele also der mirren ; smelte se langhe, dat he swrart werde
unde smelte de dre danne to samene; lat it kolen; to desseme
menge honich dat it even dicke werde. So welich vrowe erer blomen
nicht en hevet de nutte dit an deme bade mit wine (54b) ofte mit bere.
En ander. Nim kristianen, nim lacricien, stot de to samene;
sut dat an wine oder an goden bere. De ene böse borst hevet de
scal it drincken. Nim seblomenwortelen , snit se an penninghe,
droghe se unde pulvere se klene. De ene wykgallen hevet up deme
hovede, de hele mit deme pulvere ; gif drincken an wine over an bere
in deme bade weder dat water.
En ander. Nim hollenderes wortelen unde wasche de scone.
scaf de rinden af (55a) unde tostot de an eneme mosere klene;
wringhet dor enen doc an en becken; lat it suren dre daghe; lat
dat dünne afgan unde beholt dat dicke, nim engevere, aloe paditum.
esclaminor, like vele, pulvere it clene. Nim en luttik suckeres unde
menghe to samene mit deme ersten sape, lat it seden dat it dicke
125
verde; do it an ene bussen trade make dar pillen af, dit dot den
minschen sachte dowenke, de kranc is.
En ander. Nim buckestalch, nim hertes(55b)talch, nim hertes
muten, nim hertes blases in der vrucht. Nim hertes talch umme de
neren, nim hertes mutes, nim dat march in den wacscinkelen, stot
dat to samene, do dat in de blasen to der necten, henghe it up, lat
dat drogen. Also it droghet si, so nim buckes talch, smelte it to
samene, unde wringhet dor enen doc; nim bevergeylen unde klufloc,
stot dat wol klene unde menghet alto samene, do it an ene bussen,
berne eme achter up deme stertbene dre brande, nedene deme (56a)
kne enen, to deme anderen kne enen, unde smeret dicke mit desser
salve; so werstu gesunt van der gycht. Nim neghenkrachtes blade
unde sede de unde bade den gychteghen dar inne. Nim ene ut, unde
lat ene sveten an eneme wllen klede. Darna nim de w,o,rtelen, snit
de an penninghen, do de an vatich ber ; lat dat stan under d§r erden ;
gif deme gychteghen dat drincken so wert he sunt.
We(der) dat water.
Nim peterciliensat, mercsat, venekeles sat, (56b) levestockes sat,
hertes tunghen, do dat in enen budel. Nim enen nighen erdinen
gropen, unde do dar water in; sudh tve gropen up enen halven
gropen; gif deme drincken de de watersucht hevet; hebbe ene bodene
rede, do darin glogendhe sunderclote, lat eme dar inne stan also
langhe dat hi alle mode si. Nim en wllenclet leghe umme ene unde
bringhe ene to bedde, lat ene sveten aldus do neghen daghe so wert
he sunt.
Weder dat bncovel.
Nim rosen, reghen water; do dat (57*) an enen nighen gropen
lat dat dridde del darin seden, nim weten mel, also du mit dren
vingheren upnemen mocht, make daraf en dünne mos, gif eme dat
eten des morghenes, to midden daghes, des avendes, de dat buc
ovel hevet.
Weder den snnven.
Nim rosen unde wirok, reghenwater an enen nighen erdenen
gropen; sud dat dridde del unde nim dat in den munt; holt dat in
deme halse langhe wile; holt din antlat over den gropen; (57b) lat
de hetten an den hals gan also langhe want du svetest.
En ander. Nim rosen unde droge de, stot de unde witten
wirok, stot dat tosamene. Nim honighsem unde make dat even dicke,
lat dat stan achte daghe. Make dar ut kloteken also bonen; lat
dat droghe werden; nim ene bonen, sluke de also du slapen geyst,
holt in deme munde (sie).
Van deme vlote der brnst.
Nim haverstro unde berne dat to aschen; nim wermoden, wrif
de under den henden ; nim re(58*)ghenwater, make dar loghe af, deme
de den vlote hevet up de borst van deme hovede. Hir make eme sin
126
liovet nat mede, alle warm bewinde he sin hovet unde bringhe ene
to bedde.
Weder dat muntser van der sncht.
Nim allune deme de munt to dicke is van der sucht, do dat
eme tvischen de tenen unde de wanghen unde lat ene slapen.
Weder de killende gicht.
Nim rüden salvien der like vele, nim beneriscen, do dat an em-i.
enghen (58b) gropen; gut dar win up; also dat inghesoden si, st
wose it, unde Tat it sere seden; grave dat under de erden dre daghe:
gif dat drincken deme de de herten kellenden gicht hevet.
Weder de kolden gycht (hs. gytht).
Nim elhorn unde droghe den, berne den to aschen ; make dar
loghe af; nim olt svinen smer; smelte dat. Nim smolt, loghe likt
vele, do dat in enen erdenen gropen, de nighe si; begravet under der
erden neghen daghe, dat is got gichtsalve.
Nim reyneuanen, savenbom, lor(59*)berenlof, desser like vele.
Nim svines smolt dat unesolten si; sud dat to samene; wringhe doi
enen doc in kolt water, do dat in ene bussen. De de kolde gicht
hevet den smere dar mede, nicht bi deme vure.
En ander. Nim petercilien sat, mercsat, stcnbrekensat, der
drier like vele. Stot dat. Nim also vele suckeres, menghe dat to-
samene, do dit in enen nighen gropen erdenen gropen (sie!), begravo
dat in der erden neghen daghe. Do it in ene bussen, gif «deine dr
den sten hevet des morgenes vro; lat ene langhe vasten.
Weder dat water.
Nim dach unde nacht, bivot der twiger like vele; droghe dat
in deme ovene; berne dat to aschen; nim witten win, gut den dar
up unde make dar af loghe; gif dat deme drincken, de dat water hevet
En ander böte. Nim muschaten, negeliken, muschatenblomen,
galigan, enghever, seduar, peper, paradiscorn, cynamonium, cardo-
momem, anis, der ieweliker en satin, stot dat krude ; gut dar blanckci
(60*) win up; bewere den gropen wol; lat ene stan dre daghe. IV
dat water hevet, ofte enen kolden maghen, deine gif dat drincken iu
deme bade.
En gut böte den vrowen.
Nim bivot, petercilien wortelen (Randgl.: nenoc wort.), nachte-
scaden, popelen, marrobium, reynevanen, hoppen; sud dat an enenic
ketele, sette den ketel in ene bodene under enen stol, de en gat
hevet, lat de vrowen dar up sitten, de ere tit nich en hevet, dat so
alle het werde, leghe des krudes up ere lenden unde uppe de macht
(60b) tvischen de bene, sud wormeden in olden bere, gif ere dat
drincken, er se slapen ga.
So weme de mage vorkoldet.
Nim en half stoveken wines, ene hant vul salvien, sud dat hak'
unde gif eme des avendes supen dat dridde del, an deme bewint eme
sin hovet warm; bedecke eme wol; gif eme des anderen nachtes
also vele, des dridden nachtes also vele.
En ander weder dat spient.
Nim grof roghen brot, roste dat over deme vure, leghet in
etile, nim dat ut al wram, lege (61*) eme dat uppe den maghen,
also dat kolt si, so leghe en ander wram dar up.
En böte weder dat blot.
De neme beren de uppe deme adicke wasset also se ripe sint,
stot se, wringhet dor enen doch. Nim weten mele, make dar oblaten
ut, lat sc droghen, gif se eme vochliken, de dat blot hevet.
Weder de quartanien.
Nim en punt bom olyes, do dat in enen yseren scapen, nim en
satin wittes wirokes, en satin roder myuren, en satin walrades, komen
(61b) was hart der drier scal klene wesen; stot dat krude. Also dat
sud, so do dat pulvere dar in vochliken; also dat erwellet si, so
nim it af; lat it kolen, do it in ene bussen. De de quartanien hevet,
den smere dar mede.
Weder den vorstal.
Nim poppelen, weten cleyen ; sud dat to samene, do dar en klene
soltes to ; make it vet mit svinen smolte ; hebbe ene pipen, make de
vet an buten. De den vorstal hebbe deme stot de pipen an dat lif
achtere; gut eme dat sodene in dat lif dor de pipen ((52*) unde leghe
ene wile; sette dar enen stol de en gat hebbe, so geyt he to stole.
Is it in deme wintere, so nim watich vif soltir, dat brink eme in dat
lif also dat andere.
Weder de borst.
Nim enen reyger, broge ene, snit ene nicht up; nim ebarbarum
en lot, en lot fiolen, en lot lacricien, stot de krude, do dar to enen
verdink suckeres. De ene böse borst hevet, deme gif dat eten.
Weder dat bucovel.
Sud bonen ; gut dat water af, do dat in en vat ; leghe dar up
en wllen laken. De ghene de dat (62b) bucovel hevet, de sette sie
blot dar up. Nim myrren unde rosen, stot se, so wilikeme minschen
ofte perde wornie eten. Do dat pulvere dar in.
To deme hoveteere.
Emigranea is en hovetsvere, also de böse materia up recket to
dorne hovede, so begript se dat hovet half; des sealmen aldus boten.
Du scult laten de hovet äderen. So nim aloe, rosen water unde etik,
inenghe dat to samene. De salve vordrift emigranea.
Weder de onchen.
En wis arste plinius saget uns dat men scal maken (63*) ene
dure oughen salven, van der de oughen clar werden, dat men des
lichten daghes de sternc in deme hemele sen mach.
1»
En oghenser hetet scimo. Wltut it boten, so mm enes haneL
gallen unde enes hasen unde enes ales. Menghe se mit lüttere::
warmen watere, honich do darto, unde menghe it an en kopper vat.
unde also du slapen geyst, so bestric dine oghen. Rüden scolta
pulveren, honich do darto. So scoltu dat sigen unde dine oghen 0>3fc
mede bestriken.
En böte weder den braut.
Weder den brant van vure eder van watere ghebrant: Nim
bonin unde sud de also langhe, dat du de oversten hut afdrucken
moghest. Nim dat mel dar an binnen ut unde nim meyghesche bot-
teren unde lüttere de an watere van deme solte. Nim der beyder
like vele unde bestric den brant des daghes drie unde beware dat
mit eneme vetten doke van der lütteren botteren.
Weder den swellen.
Dyascorides (64*) eyn mester de saghet wo men des svelen helper
scole. Du scolt nemen duvenmist unde gersten mele unde tempert'
it wol mit etike, unde leghe dar (l. dat) plaster over den svelen, so unt-
svillet he.
Weder den stinkende adhmen.
So deme minschen de munt stincket. Is he junc, so nenie he
enen dranc des someres. Is he olt, so neme he ene des winteres.
Kumt he nicht van den tenen, so is de minsche all ersvoren; ene
dorstet sere, so sint eme de lippen dünne. Du scolt nemen (04b)
merswam, unde scolt den sere seden an deme watere, unde bede eme
den buc darmede unde mit heteme brode, want sie de buc erledighet.
So nim denne havermele, unde sud dat in deme sape der wegheb rede:
dat scal he vaste nutteghen des morgenes vro seven daghe, so wert
eme bat.
Weder de naderen steke.
Nim eyn krut dat het dragantea. de scolt tu seden an etike unde
gifdrincken; alsodradehe dat drincket, so veret de vorgifnisse van eme.
(65*) Weder dat blöt.
So wan du vornimst dat de minsche sere blot, so sende dine
boden hen to watere. Vorbede den boden dat he nicht en spreke
under weghen. So he dat water svighende brinet so scoltu it sighen
dor din hemede an en ander water, unde sprich desse wort: In
nomine patris et filii et spiritus saneti. Nomen, caro, carice, con-
forma, ismahelite. Dat scoltu dre stunde don unde gif deme boden
to drinckende. Is ghene dar nicht, de dar blot, it besteyt.
Wltu vorsuken ofte de seke ghe(65b)nesen moghe ofte nicht,
so nim wives spon, de en deghen kint hebbe, unde nim des seken
harn, unde menghe de to samene ; vletet se under eyn ander to samene.
so neset de seke wol; scedet sie dat spon van der netten so en neset
he nicht, dat is vorsocht.
IM
WHu proven ift en iuuekvrowe maget si oder niclii
Nim epich unde berne den to pulvere unde holt ere vor de nesen,
ie saghet of se maghet si; in is des nicht, so beseychet se sich.
Wltn proven ofte ein wif enen sone drage (66Ä) oder ene iunkvrowe.
Nim epich mit wortelen unde leghet er up dat hovet dat ses
nicht en wete, nomet si erst enen man, so wert it eyn sone, nomet
*e eyn wif, so wert it ein dochter.
Weder dat vule vleysch op den wnden.
So wem dat vleysch vulet eder droghet of der wnden, de scal
nemen lern ut eneme Qvene de wol brant si, unde tempere den mit
ptike unde leghe dar up; also dat vleysch gronen beghinnet so werp
dat plaster af unde leghe eyn ander dar up, do dat also langhe bet
des doden vleysches nicht en si.
(66b) Weder dat blot.
Willestu dat blot bestillen, so nim swines mist, dat gras ete,
tinde werme den vaste unde leghe dar up; it ersteyt altohant.
Van der mnsehaten.
Muschate is het unde droghe se maket göt den bösen adme,
se stcrken den maghen, se stoppet dat lif, se vordrift de bösen
winde van der leveren, se is gut weder den ioken, weder den rüden
weder der leveren sericheyt.
Muschaten blomen is het unde droghe, se sterket de leveren
unde de muten unde den maghen unde vordrift ere vulnisse.
(67*) Negheleken sint het unde droghe, se sterket den maghen,
de leveren unde alle de dinck, de an deme minschen sint. De spise
dowet se, unde maket sachte roringhe.
Cobeben sint gut, se maket bliden möt, .se gift göde lucht
deme munde unde deme maghen, se stoppet dat weke lif, se helpet
to allen dinghen, de an deme minschen sint, se breket ok den sten.
Cardemomen sterket den maghen, se dowet de spise, se be-
(G7b) wäret dat weder ghevent de se menghet mit rosen watere unde
drincket dat. (Randgl.: gedrunken beweret se dat weder gheuent dat
de minsche heuet van deme bösen fleema). Se droget de bösen vueh-
tigheit des halses, der borst unde der lunghen.
Galigan is het unde droge, he reyneghet den maghen van den
hosen fleema, he dowet wol de spise, he vordrift de losen winden
unde den kolre.
Lacriscie is ghetemperet; se en is weder het noch kolt, se
is gut weder den husten (Randgl.: Ofte men se sedet mit watere,
mit ysopen, mit hertestungen, mit dragante, unde drinket dat water
des morgenes unde des avendes. Se maket oc wuchtich unde reine
den hals, de borst, unde de wege van der lungen . . . vorder afge-
sneden) unde maket reyne de borst, den hals unde de lunghen.
Niederdeutschem Jahrbuch. XV. Q
130
Anis is het unde droge; he vordrift de grouen vuchtic(68*)heit
des minschen unde losen winde (op den rand: et men se.) ; he is gut der
bösen Ieveren unde der muten. Den vrowen oket he de melic. lte
blomen der vrowen, de netten unde de svet brinkt he gande. De?
minschen lust erwecket he, he vordrift de bösen vuchticheit de den
vrowen vletet van deme live to der moder. (Rgl: he maket dat weke
lif hart et men sin pulver.) Deme sin hovet we deyt van denn
snuven de scal sinen roke untvan, dar men ene brant uppe den koler.
stot unde mit rosen olie menghet; unde an de oren ghedroft, dat
helet sere (G8b) de van valle ofte de van slaghen ser sint eder van valle.
Comene is get unde droghe; he vordrift de bösen winde de<
maghen; he brinkt de netten gande; he is gut der colden Ieveren
mit gersten mele gemenghet unde mit oylye; he is gut weder de
even, de dat bindet up dat lif. In eteke soden unde up dat lif ghe-
bunden (op den rand: is gut wedder den swellen. Mit eteke unde mit
watere ghetruncken is gut weder den bösen atme, he vordrift de bösen
vuctecheyt de in der vrowen moder is) is gut weder den wormstefce
mit wine druncken. Cleyne stot unde an nese pustet vordrift dat
blot (69*) der nese. Mit wine druncken is he gut weder der roden
colre. He sterket wol den magen unde dat herte. He vordrift de
bösen vuchticheit de van deme hovede to der borst unde to dein»1
maghen vleytet.
Van petercilie.
Pctercilie is het unde droghe. Galienus spricht: so we hevet
bladderen, sveren ofte sere hut, de scal de stoten unde leghen dar
up, dat is gut; ere sap ghedruncken brincht de nette gande unde
blomen. Se vordrift de bösen winde des minschen. Se is gut den
watersuchteghen luden. Se is gut der bösen neren unde der ((>9bi
Ieveren. Se vordrift de serecheit der blasen. Ere sat is gut gettou
weder den sten.
Van deme engevere.
Enghever is het unde droghe. He is to maneghen .dinghen gut.
nutteren getten, ofte sloken. He is gut den luden, de vinnen hebbet
in den oghen, de den kowet unde stricht up de lede. He maket ock
weck dat harde vleysch in deme gropen.
Ceduare is gut ghegetten. Nutteren is he gut den luden, de
dar hebbet an deme maghen ro eder harde spise. Na etende (70*;
is he gut de niges hebbet getten ro eder harde spise, unde versus:
Ceduar ante datum morbum curat inveteratum.
Post eibum sumptum facit ut bene digerat illum.
Lactonica is het unde droghe. He is gut mit wine unde mit
honighe druncken weder dat water. En plaster dar van ghemaket
is gut den oghen, de slaghen ofte gestot sint. Dat sap is ock gut
an de oghen droft, deme de oghen ser sint. Soden an watere unde
ghedruncken vordrift den trän van den (70b) oghen. He is gut den
verschen wunden unde den brokene hovede, de se stot unde bin<
131
tlar up. De netten brinckt se gande mit honighe menghet, unde ghe-
tlruncken vordrift se den hosten. Dat lif maket se sachte. Ere
wortele pulveret unde ghedruncken helpet den luden, de binnen to-
spleten sint. Mit wine druncken is se gut vorgifnisse.
Macer (hs. t) de viribus herbarum dicit quod y poeras in multis medicaminibus
utebatur porro. Unde (71») dicit: Illius suecum solum dedit ille bibendum
Kgrotis qui# reiciunt spumantqvc cruorem. Rcddit feeundas mansum persepe
pucllas. Cum vino porrum datur hiis quos leserit anguis. Quodlibet autem
animal fundens letale venenura. Nee minus hiis prodest si vulneribus superaddes.
Si velud enplastrum porrum cum melle subactum. Commixtus porri suecus lacti
muliebri Et bibitus tussim fertur sedare vetustam. In vieiis variis pulmonis
subvenit idem. Auris compescit cum capre feile dolorem. Eius jungatur sueco
pars tercia (71b) mcllis. Et sie perfna] narcs surdas fundendo vel aures. Inmensum
poteris capitis sedare dolorem. Cum vino bibat hunc, lumborum quem dolor angit.
Dicunt nil tali melius prodesse dolori. Fracturas solidat cito duriciasque relaxat.
Appositum vulnusque recens semper cito claudit. Si crudum fuerit sumptum levat
ebrietatem. —
Van der wegebrede.
De weghebrede is kolt (hs. klot) unde droghe; dor dat droghet se
vulc wnden, unde maket se reyne. Se vordrift dat flecht unde (van
Inf ere hand: stot men se unde leget se dar up se helet oc) de brande
bhidderen. Se is gut weder (72a) den blotganck. Se is gut den
luden de de hebbet emorrodias, dat sint de äderen de somelichen (hs.
lithen) tospleten sint in deine hemelichen weghe. Se is gut den vrowen
de der blomen to vele hebbet. Er wortele an watere soden unde de
nmnt mede ghewaschen, is gut weder dat tenen ser. Ere sap is gut
weder de bladderen des mundes (op den rand: of men dat deit in
den munt) also Galienus spricht.
Van der holwort.
Holwort is twierhande. De ene is senewalt, unde de andere
lanch. De lang is gut weder den roden colre unde reyneget manighe
vulnisse. (72b) Se nrnket och reyne de tenen unde de äderen, de
wanghen sterket se. Diascordes spricht en dranc van der langhen
holwort ghedruncken mit wine is gut weder allerhande vorgifnisse;
mit peper unde mit myrten druncken weder der vrowen suke de be-
stoppet sin unde weder alle unwledicheit. En toge mit wine druncken
is ^üt weder dat bueovel dat van den bösen winden comet, se is gut
weder den bösen adme, weder den colen gischen, weder der milte
hurdicheit unde och weder dat (73a) colde ovel. Se is gut mit watere
druncken weder dat vallende ovel unde den ram.
Fumus terre is warm unde droghe; ghedruncken sterket he
den maghen. He maket güde lust to etende ; de netten brinche gande.
He is gut der bösen leveren. Sin sap is gut druncken der hut weder
den ioke unde weder der roden colre. He maket och reyne blot, he
reyneghet de lichamen vele.
Van der rosen.
De rose is colt unde droghe. Se is gut geroken den luden de
de hette hebbe van der leveren oft van deme (73b) maghen. Se is
9*
132
gut weder den heten colre unde weder dat vorbrande blot, unde weder !
de heten sucht. Mit wine soden unde dat hovet mede gedwagen vor«
drift se allerhande sericheit de van der hetten comet. De munt dar
mede waschen (mit deme rosen watere) reyneget de bösen kene-
backen van den wormen. Mit water druncken is se gut weder dat
bucovel. Dat rosen water ghedruncken colet dat lif unde den maghen.
Van der rüde.
Rüde is het unde droghe. Se vordrift dat grone flecma, de bösen
wm unde dat starke (74*) hosten. Se vordrift spolworme ut deme
maghen. Mit moraten sape unde mit honighe menghet unde ock salve
darvan ghemaket, dat maket duster oghen clar. Se is gut ghetten
(nüchterne weder den scemen der ogen unde) weder den worsteke
unde weder vorgifnisse.
Yan der salvien.
Salvie is het unde droghe. Se is gut der leveren, der lunghen,
der borst, de ere blade et. Se maket och sachte weder ghevent; ere
wortele stot unde mit boteren soden unde wrunghen dor enen doc,
das is gut en salve de dat drincket an warmen bere (deme menschen
de dat binnen to broken efte tospleten is.)
(74b) Fiole is colt unde vuchtich, se vordrift den bösen colre van
deme maghen, se helpet der bösen borst, roken helpet se deme bösen hovede
dat van hette we deyt. Mit wetene mele menghet unde up de bösen
bladderen leghet, helet se. Sirop van violen druncken vuchtighet
dat lif. It vordrift den heten hosten unde dat hete van der lunghen,
van der leveren unde van dem live. In de nesen pustet und en
prustent dar van gemaket, dat maket sachten slap. Sucker mit fiolen
menghet, (75*) dat het zucker fiolat, dat is gut getten der borst, der
leveren, der lunghen.
Wermede is het unde droghe, se vordrift och den slim van deme
munde des maghen, der leveren unde der äderen, de van der leveren
dat blot ghevet deme live; se maket gude lust to etende (se is gut
den luden de en kranc herte hebbet gestot unde an wine gedrunken,
se maket oc de lüde vro.) mit zucker druncken, he maket och reyne
alle dinc des minschen (de hir vore bescreven sint) unde .vordrift och
den roden colre.
Afrude is het unde droghe. Der vrowen moder openet se (ere)
mit mirren menghet und en pessarium dar van ghemaket dat brinct
(75b) der vrowen blomen gande; it droghet och de moder unde breckt
de sweren der vrowen. To pulveret unde mit gersten (mele) menghet
breckt se den harden sten (unde sweren) (vnderaan van totere hand:
in wine soden unde drunken) unde helpt weder de colden pissen, se
dodet de spolworme oft man se drinckt an olden bere. Ere asche mit
olden olye menghet maket har wassende dat af ghewallen is, dweyt
man dat hovet dar mede mit der loghe; ere sap is gut weder dat
colde oft de minschen sie dar mede bestrickt.
Pors is colt unde droghe, he vordrift (76*) de hette van deme
hovede, pulveret droghet he de vule sweren ; gebrant to pulveren unde
133
mit rosen watere menghet, unde dat hovet mede bestreken, bestoppet
dat blot der nesen. Sin sap is gut tegen den hosten nochten scadet
he nicht der lunghen, der borst, he sterket den maghen und alle
dinch de an de minschen sin, de netten brinct he gande, de seren
wunden, de weken lede sterket he. (onderaan: sin sap in den oren
droft vordrift dhe bösen vochticheyt in den oren.)
Celeya.
Celeya is ein crud dat wasset opper heyde dat is lic der hertis-
tunghen unde is doch nummer an den (76b) bladen. De brinckt de netten
gande gedruncken mit wermeden sape, vordrift de bösen winde van
der leveren van der muten; mit etike druncken is se gut weder de
gelen sucht. Se bricht och den sweren op der muten, se is gut weder
den wormsteke ; druncken is se gut der borst, der blasen, der lunghen
unde den wunden.
Alant is warm unde vuchtich, he is gut to der borst, to der
lunghen, he reyneghet se van der groven vuchticheyt. En lactuarium
darvan gemaket dat is gut weder den olden (77*) hosten unde weder
den bösen adme unde weder dem uppeblasenen buc. He is gut weder
den wormsteke doch scadet he deme hovede vele gedruncken.
De slen sint gut. Colt sint se unde droghe. Van den spricht dyascor-
des, eyn heydenesch meyster: De slen sint gut to sweren unde to swelen,
oft man den sten ut nimt unde stot se (onderaan: unde to den wilden
vure.), to den bladderen an dem munde, to den iokenden oghen,
den bacdarm unde der vrowen hemelicheyt, de utgescoten is, de drift
se weder in, oft man ere sap drinckt an wine och gift man se
(77b) drincken den blotsuchtighen luden.
Mastix is het unde droghe. He vordrift de vuchticheyt des
maghen, he maket lust to eten de den swel unde alle boscheit des
maghen, der leveren unde des lives mit rosen watere menghet unde
de maghe butene mede bestreken dat sterket ene unde maket ene
reyne. Dyascordes ein meyster spricht: mastix mit colden watere
drunken sterket sere den maghen unde vordrift sine boscheit, mit
warmen watere helpt he nicht. Johannes Damascenus spricht: Mastix
is gilt den luden de langhe hostet hebbet. Galyenus spricht: Mastix
is (78*) gut den luden mit den bösen kenebacken dat man se dar
mede wasche wente dat helet de clove unde vordrift de unreynicheit.
Aloe paditum dat is het unde droghe. It reynighet den magen,
dat hovet unde de lede, it brincht gande dat böse flecma van den
liven, it gift güde lucht den bedempeden leveren, it vordrift de gelen
sucht. Nicht vele unde nicht dicke scalmen it geven want is scedelic
deme maghen (78b) unde dem ingeweyde. Dor dat scalmen dar to
don mastix ofte dragant na siner temperinge. Wasch it nicht mit
watere; wltu it geven to drancke, so wrif it en clene.
Avrine is tvigerhande, grot unde clene; de sint beyde het unde
droghe. Galyenus saget, de wortele der groten aurinen hevet
tvigerhande smac, dor dat hevet se tvigerhande macht. Se is scarp
134
und ein clcne sote. Mit erer scarpichcit brincht se der vrowen hloint -.
gande und och dat dode kynt, mit erer bitterheit is se gut wcu*-:
den bösen adme. Se (79a) vordrift den olden hosten. Se is gut d*-:.
wnden unde to dem blotganghe. Se sterket de lüde. Ere sat und»
wortele de hebbet allene maclit. De wortele der minneren aurinrii
de is gut gedruncken mit bere dor den colden unde de groven vuch-
ticheit des minschen to der colden sucht is se gut. Ere sap mm
honighe menghet vordrift den scemen van den oghen.
(Twee reg eis ledig)
Deme gif drincken den worm, de des nachtes scinet in den.«:
somere.
Wil de vrowe vele melich haven.
(79b) De neme fenecol unde sede den an wine eder an melik»
unde drincke den nüchteren so wert ere noch.
Wil se dat der melich vorga.
Se stote crevete unde leghe de uppe de titten, so vorgheyt eiv
de melic vil drade.
Weder de blodende wnde.
Du scolt nemen en eyges scellen unde leghe de in starcken etiv
want se also wec werde als en ey in der henen, nim de scellen umlr
leghe se an de sunnen, wrant se droghe werde dat se to sture; an
welike wunden du dat stof deyst, dar untsteyt dat blot.
(80a) Weder den sten.
De den sten en binnen hevet, de neme dat blot, de hasen uihUi
de hut de an der siden is, also scalmen se bernen. Mit warmen waUi
scal he dat drincken nüchteren. Wltu dat bevinden, nim eynen stiw
unde des pulveres en lepel vul, in warm water scoltu dat don n
togeyt de sten. I
Weder den sten.
Nim buckes blot unde droghe dat in der sunnen, want it hart
werde, so nim unde tempere it mit witten wine unde gif it warm eine
drincken des morgenes unde des avendes, so müt de sten tobrekrn
(80b) dat is vorsocht. So de sten tobreckt, so scal he petereilie-
nuttechen, sone wasset de sten nicht mer.
Swe nicht wol pissen en mach.
Sve nicht wol pissen macht, de scal stoten comen unde leglu:
sapheram an win unde do dar in dat pulvere, dat scal he drinekt-r
des avendes unde des morgenes unde ete comensat unde petercilien sat.
So we nicht to stole gan en mach.
Sveme dat lif bestoppet is, de scal eten erwiten mit specki*
soden. Popelen unde wegebreden, petercilien mit smolte soden i<
eme gut. Elhbrn, naderwort ghe(81a)sneden unde scaven, dar scalin* u
des avendes up geten sote melic, unde wringen dat dor enen <!■ <
unde drincken dat des avendes unde des morgenes.
135
Weder den scitten.
Deme dat lif to sere geyt, de nerae negen medeke in der erde
unde berne de to pulvere, unde sprecke de wile liegen pater noster
unde make negen koken van weteme mele unde bestrike de mit bot-
teren unde scede dat pulvere dar up, unde et dre koken des mor-
genes, dre des avendes, dre to middaghe, dre an den namen des
vaderes, des (81b) sones, des heylighen geystes. Drint eme dat lif
darna, so neme he water unde do dar in weten mele unde make dar
wit mose af, dat scal he eten mit witteme warmen brode; rintvlesch
mit bonen soden is och gut.
Van deme swele.
Uultu en swel weken an den antlate oft an deme live, so stot
lilien wortelen unde van popelen, van gersten mele, van honighe unde
legghe dat plaster up dat swel. Swanne dat kolt si, so legghe darup
en ander warm plaster; yo he dat dicker deyt, yo it eme er heplt
(sie) unde helet.
(82a) Van der langen.
So we becummert is an siner lunghen unde sere hustet, so wert
beslimet sin levere, de scal seden an watere lacricien, hertistungen,
yöopen, dragant, dar scal he in don zucker unde drincken dat des
avendes unde des morgenes, dar na scal he laten de lunghen äderen,
den is eme gut.
De ädere de under der tunghen leget, deme is gut ghelaten
deme dat tenenvleesch swllen is unde vor tenen ser unde vor muntser.
De ädere de dar leghet tvisschen deme lutteken vingher an der
vorderen hant, de is gut (82b) gelaten weder de leveren unde weder
dat vaste lif. De sulve ädere ander luchteren hant is gut gelaten
weder de muten.
De ädere de dar leghet binnen deme vorderen bene tojeghen
dat anclef unde binnen deme luchteren is gut ghelaten vor drade
wedaghe unde vor altovele blödes unde vor de quartanien.
De ädere de buten oppe deme luchteren bene leghet toieghen
dat anclef is gut laten vor binnenswel unde vor wedaghe ander
wostenie unde vor lenden wedaghe.
(83a) Vor swel unde vor blot an den oghen nim dat crut dat
under deme kole wasset und dat witte van eneme eyge, unde stote
dat to hope unde leghe dat up de oughen.
Deme de oughen ioket unde dat blot dar to volt unde dat enem
manne de oghen schir werden: man scal nemen dat wos van der
rüden unde honich unde dat witte van dem eyge unde wringhe dat
dor enen doc unde late dat an dat öghe.
Vor de bladdere an dem oghen: nim atrimentum unde honich
unde aloe unde (83b) dat witte van dem eyge, unde nim heden, unde
make en plaster darvan (onderaan: unde leghe up de oghen unde)
wringhe dat wos dar up.
Vor scemen vor den oghen: nim Witten zuchker unde werpen darin.
136 j
Tränet enen minschen de oghen de neme wiroch unde berat
den ander enen beckene to pulvere unde nim dat pulver unde du
dat in de öghen.
Vor wedaghe an den oren: nim zucker unde win unde lat dat
an de oren.
Wert enen minschen en bladdere dar dat vresme to volt. So
nim en hon unde plocke dat under deme buc alle (84a) blot undt
sette it denne up de bladderen, sterft dat hon, so nim en ander al
want it vorgheyt.
Blot enem manne de nese, de ne man stille kan. So nim ene-D
gropen mit etike unde henghe eme sin macht dar in al want it eme
vorgheyt.
Vor vul vleisch an den wnden: nim droghe vleysch van euer
scinken binnen unde bint dat dar up tvige des daghes al want it vorgevt.
Nim en dachtelen sten unde scaf dar af an ber unde gif euer
vrowen drincken de des kindes nicht (84b) ghenesen kan; den sten
scal en kusche minsche bi sie hebben.
Deyt enen minschen dat hovet we van slaghen oft van valle. de
neme wermeden und seden de an etike unde bint de warm dar it de
we deyt.
Wert en man wndet de alto sere blot, de neme bernende netelen
sat unde berne dat to pulvere unde werpe dat an de wnden so unt-
steyt dat blot. Blot enen minschen de nese al to sere so do he
dat sulve.
Deyt enen minschen de lunghe oft ander yngeweyde, yngedome,
we an (85a) sinen live, de neme wermoden unde werpe ene kannen
alle vul unde ghete dar win up also vele dat de kanne vul werde,
unde lat dar inne ligghen ver daghe of vive bestoppet, unde werpe
denne wech de wermeden unde drincke den win nutteren want it
eme vorgha.
Vor vule wunden: nim grone svinen smer unde smelte dat, unde
nim dat smolt unde blanken win unde weten mele unde make dar
dick gorte van unde leghe al so warm vor de wunden.
Quivis homo debet sollicite custo(85b)dire quattuor tempora aniii. Ter
enim est tempus calidum et humidum et tali modo temperatum ut aeri simile et
excitatur in eo sanguis et proficit in nomine quod est equalis complexioni, seilicet
intemperate, seilicet ut sunt pulli gallinarum et ova. lactuce egrestes. et lat
caprinum. Nulluni eciam tempus melius est nee utilius ad minutionem et perfkir
in eo usus veneris et usus balnei et sudoris. et universa purgatoria et potatioiie*
8pecierum ad dygerendum. Sequitur postea tempus hestivum et calidum in quo
excitatur colera rubea et oportet in eo cavere (86») ab omni eo quodeumque
fuerit calide et sicce complexionis quo quidem caveatur colera rubea. caveatur
ab estu nimio et potu et a nimia saturitate. ne extinguatur calor naturalis e:
comedatur tantum quod frigidum et humidum fuerit ut sunt carnes vituli cum
aceto et eucrobricem et pulli saginarum ex farina ordeacea et ex fruetu quiequid
acuti sapori8 ut mala olerea et mala granata et suecus vicum et verius (l. venu*)
parce exerceatur, et caveatur ab omni minutione nisi necessitas coegerit et motu*
corporis et balnea exerceantur. — (86b) Sequitur autumpnus quod est tempus
frigidum et siecum in quo colera nigra consurgit. sive melancolica. et oportet
ut in eo observetur ex eibis quiequid fuerit calidum et humidum et bone com-
137
plexionis ut sunt pulli et agni, uve quoque dulces. et vimim vetus atque subtile,
atque abstiueatur ab omni quod coleram nigram generat et motus corporis absque
usu veneris. magis sie quam in estate. et balnea quoque. eciam si necesse
fuerit purgatoria exerceantur. Post hec sequitur tempus frigidum et (87a) humi-
dum in quo usus bibendi debet mutari ad medicinas calidas et eibos calidos ut
sunt pulli columbarum arenna. caro assature et universa pulmenta calida. Ileus
quoque et nuces et vinum optimum rubeum et similiter sumantur electuaria
calida, abstineatur a mioutione sanguinis et a solutione ventris nisi magna neces-
sitas ista requirat. et oportet calefacere aerem nee impedit in hoc tempore usus
veneris nee motus corporis nee babundancia eibi ex (87b) eo quod digestio üt
valida in hoc tempore. In Maii fine lux tercia quarta ve quinta. Queque sibi
prodest minui de quolibet arcu et pro des t homini per totura quemlibet annum,
lumina ne perdat nee febres senciat ullas.
In Januario de optimo vino bibe calicem jejunus. Sanguinem non minuas.
pocionem non sumas ad ventris solutionem. asso balneo utere sepe. Mane comede
sed non nimium quia nimia comestio et superflua febres generat.
In Februario sanguinem minue, potionem aeeipe, omnia que- (88a) vis comede
praeter aveam et betam. caput tuum et cerebrum a frigore custodi. cervisiam
bonam in balneo bibe. linde versus : Potio sumatur in pollice sie minuatur. Balnea
fac assa vinum bibe non ope cassa.
In Martio lavare sepius in balneo et purga dentes tuos fricando sale. noli
minuere sanguinem sed provoca vomitum propter cottidianas febres. fac cocturas
])ropter paralisim. Coctidie comede de pulvere rute, salive, fenicoli, apii, zin-
ziberis, cardemonie, petrocilini unde versus: Balnea fac assa et (88b) dulcia siut
tibi cassa Pullegium pota minua despice vota.
In Aprili debes minuere sanguinem in mediana propter pulmonem et toracem.
non comedas crudas carnes radices propter scabiem et pruritum, recentes carues
comede non nimium fumigatas quia carnes fumigate sincopum morbum generant.
Unde versus : Potio sumatur, radix tibi nulla bibatur. Pota bitonicam pipinellam
scindito venam.
In Magio est quibusdam infirmus. quibus sane languide. Si tu vis sanus
tieri absintium bibe cerifolium (89*) comede et omni tempore salviam et rutam
sume. bitoniam et agrimoniam. lubisticum et fenicolum in potione aeeipe. Unde
versus: Non aliud edas caput epaticum tibi cedas. Cum millefolio prodest agri-
monia poto.
In Junio aquam fontanam bibe jejunus propter pulmonem et toracem.
jejunus bibe novam cervisiam sed medonem noli bibere. lactucam sume et in
cena comede. butirum sanum est nisi in solo augusto propter oculos. Ceduare
betonicam, agrimoniam in refectione sume. Unde versus : Potus aque (89b) frigide
coleram fugat hanc bibe mane. Combibe sambucae flores jejunus ut uve.
In Julio si vis sanus fieri custodi te a nimia dormitione ab asso balneo.
a minutione sanguinis, a piseibus palustribus, a caulibus, a solutione, a calidis
eibis. potio tua sit gamandrea, ruta, salvia. anetum. apium.
Augustus est quibusdam periculosus. a frigore te custodi. frigidis eibis
utere. noli sepe balneari. a palustribus piseibus te custodi et similiter a caulibus.
agrimoniam bibe et pollegium et plantaginem. Si hec non custodieris eris infirmus.
(90») In Septembri aliquas buccellas lacte infusas comede jejunus et omnes
fruetus maturos praeter pira nisi cum potu. potio tua sit coeta agrimonia, grana
mistica et si volueris sanguinem minue.
In Octobri omnia tarn volatilia quam quadrupedia sana sunt excepto solo
cancro qui leditur a marino serpente. Racemis utere. Mustum bibe cum asso
ansere. Sed uti te oportet speciebus ut stomachum tuum diligenter custodias
ne intus aliquid de febribus misceatur quod postea (90b) totum corpus corrumpat
Potio tua sit tibi ceduare, galigan, cinamomum, cobeben.
In Novembri non utaris multum venere. Non calido balneo quia balnea
et veneris officium faciunt virum debil itari et mulier em fieri ydropicam. Si opus
est subeutaneum sanguinem minue sed studiose debes mel sumere et medonem
bibe. Potio tua sit tibi zinziber, cynamomum, cobeben.
138
In Decembri custodi a frigorc cerebrum tuum ut per totum annum sis sauu«
a capitis dolore. Minue cyphonicam (91a). balneare quantum vis. porrum c:
ziuziber cum pane comede. si hec et prescripta feceris medico non indigebis. —
Kumt de nyeiares dach an den sonendach, so wert de meye
vuchtich; de somer und owest werdet windich, kornes wert noch unde
wines, vrucht in den garden openbaret sich; de iungen lüde stervet.
de stride werdet lef, so horthme nye mere van vorsten oft van koningen.
Kumt he an den manedach de winter wert mene unde de somer
raatech (91b) unde de vlode gad vele. So heft me vruchtinge vor de
seken, de scentliken lüde steruet. So strit me gerne, vostnisse der
herue werdet thobroken, den olden quenen wert wenendes noch, vele
manslacht wert dar, de konige vorgath; van den wapene wert vele dodes.
Kumt he an den dinghesdach, so wert de winter grot ende vele
vlode gad, de meye wert vuchtich, de oust wert droge. Cornes wert
klene, de wif stervet, de gogedot de wert weldich, de scepe breketb,
(92ft) vele honeges wert er, vele brandes, vele suke; de vrucht in den
garden de vorweit, olyes wert noch, grot bedrofnis wert in deme mere.
Kumt he an den midweken, so wert vullicheit des komes unde
wines noch, klen apel, de lüde moget sie neren, kopenscat wert gut.
de man stervet, de winter wert warm, van yseren wert scade, olyes
wert klene, oust wert tomate, de meye vuchtich, den luden wert
losinghe, de bestoppet sin in deme live, hunger wert over alle lant.
Nie mere hört me.
(92b) Kumt he an den donresdach, so wert vullicheit des kornes,
luttigöth holtes, vele appele wasset, klene honeges werter, de
winter wert sacht, de meye wert windich, de oust wert gut, de
hanene vorgath, vele reghent, vele vlode komet, olyes wert noch, scade
wert den luden vele.
Kumt he an den vriedach, so wert de winter temperet tomate:
de somer wert böse, en droge oust, nen vullenkomen körn, ochser
wert, de kindere stervet, stride werter vele vor de koninghe, erth-
bevinge (93a) wert ichteswor. Pelegrinadhse der koninghe und der
weidigen wert danne. Vele olyes, scap unde ymnen vorderveth; grot
rucht wert under den heren.
Kumt he an den sunnavent, de winter wert windich. Grot
hervest en bitter somer. Vlode scolen gan. En droge owest. Luttich
gut kornes, fruchtsam körn, kindere stervet. Mit manigher hande suke
werdet de lüde begrepen. Olde lüde stervet. Vele howes wert overinate.
So wan de mane prime is, so (93b) suket lange. Swe de*
anderen dages bevolt, de mach sunt weerden. Swe des dridden
dages bevolt, de suket starke unde langhe. Des verden daghes we
den bevolt, de mot sterven unde des viften dages oc. Swe des susten
daghes bevolt, de suket lichteliken; des sevendes daghes bevolt, s»»
mach de seke mit arcedien sunt werden. Des achten dages so suket
me nicht lange. Des negeden dages so wert me drade sunt. De>
tegheden daghes wert me sunt sunder scadhen. Des elften (94*i
daghes so steyt me up van der suke. Des tvelften daghes so stervet
139
he. Des dorteghenden daghes so wert he gemoget. Des verteghenden
dages so wandelet he sie. Des viftegheden daghes so suket he want
to tercien tith. Des sustegeden daghes och also. Des seventegheden
dages so traghet sie de suke. Des achttegeden dages so wert me
langsme sunt. Des neghentegheden daghes so suket me lange. Des
twintesghen dages so steyt me drade up van der suke. (94b) Des
enentwingesten dages och also. Des twenetwingesten dages so steyt
he up. Des dreentwintgesten dages suket he lange. Des veren-
twintgesten dages stervet he snel. Swe des viftwintgesten dages in
ene suke bevolt, levet he dre daghe darna, so wert he sunt. Des
susentwingesten dages, so stervet he snel. Des seventwingesten so
levet he. Des achten twintichges dages so wert he drade sterket.
Des negentwintgesten dages so wert he sunt. Des tortighen dages
nio t he sterven.
(95a) Do de mane prime was, do wart adam maket. Wat du
den deyst, dat is gut. Des anderen dages wart eua maket; alle wervet
sin gut. Des dridden dages wart kain geboren; do nicht. Des verden
duges wart abel geboren, wat du deyst, dat is gut. Des viften dages
is schedelic begunnen enes dinghes. Des susten dages seth de kindere
to der scole, so dyet se. Des seueden dages wart abel slagen, do,
wat du wlt. Des achten dages wart niatusalus boren, so wTander me.
Des negenden (95b) dages wat me deyt, dat is niwTeder gut noch böse.
Des teyndes daghes wart noe boren, wat me deyt, dat is gut. Des
elften dages so sege sat, dat wert gut. Des tvelften dages wart
c-anaan boren, do nicht. Des dorteynden dages mach me win planten.
Des verteynden dages wart Noe boren, so do, wat du wlt. Des vif-
teynden dages do nicht. Des susteynden dages mach me ossen temen.
Des seventeynden dages is svar allerley dinch donde. Des achteynden
dages do, w7at do wlt. Des (9Ga) negenteynden dages do nicht. Des
twingesten dages -wart Joseph boren, de dach is allen luden gut.
De ene twintichste dach is och gut. De twe unde twintichste dach is
swar allen luden unde böse. Des dre unde twintichsten dages wat
du deyst, dat is gut. Des verentwintichsten dages do nicht, unde
des vif unde twintichsten dages do och nicht. Des sussentwintichsten
dages begunne nene grotes dinges. Des seventwintichsten dages do,
wat du wlt. Des achtentwintichsten dages wat (96b) du deyst, dat is
och gut. Des negentwintichsten dages dodedhe herodes de kindere,
do den nicht. Des drothegen daghes wart Samuel boren, wat du den
deyst, dat wint enen goden ende.
Quia omues verissime praescientie perfecta scieutia comprehensi soli deo
siugulariter constituta neminem contra dicere puto. Quapropter et hiis qui ex
tota mente atque eum humiliter qui huius argumenti scientiam dedit Quia omnis
sapientia ad nomen deo est sicut tholomeo et pytagore fecit (07a) qui astrono-
miam huius argumenti paginam omnibus per latinas litteras subscriptas eodem
deo
uumero seu inferius continetur reete et fidcliter numeraverit perfecte mq inquirit
inveniet et perfeetam scientiam collaudet quid ita facito. Sume duo nomina non
appositiva sed propria si de pugna vel de coniugatis seu de egris aut de itcr
140
agentibus aut undecumque iuvestigare volucris. ex utriusque nomine per tinamquan
litteram fac numerationcm sicut in praesenti ostcudam et divide ipsum numerus
per novem de egris et contentione (97b) et de iungatis per septem divide er
quicquid et remanserit quere in pagina argumenti et invenies quis prius moriatm
vel vivat vincat vel vincatur. Etenimhoc argumentum talis sensus quod litten?
per latinas quae equalem habent numcrationem sicut praedictum est, per hoc
enim argumentum alexander pergens ad multa praesciens plurimos vicit. Sizniliter
et egit pythagoras. Tu vero numera nomen stelle et nomen egri cuius die eger
decubuerit. si vicerit nomen egri vivet, si nomen stelle, morietur proeul dubk.
De egris et contencione (98») per nomen divide. De coniugatis per septem, Naia
hoc est exemplum. De contentione hectoris et patroeli (hs. patrochi). De con-
iugatis theodius et gamma. De fratribus leo et alexander; De pugna cranus
et cneas. unum et unum minor vincit, unum et duo qui habet duo vincit, unum
et tria qui habet tria vincit unum et quatuor qui habet quatuor vincit unum et
quinque qui habet unum vincit unum et sex qui habet sex vincit unum qui habet
et septem unum vincit unum et octo qui babet octo vincit. unum et novem qui
habet unum vincit. (98b) Duo et duo maior vincit. Duo et tria qui habet tria
vincit. Duo et quatuor qui habet duo vincit. Duo et quinque qui habet quinque
vincit. Duo et sex qui habet duo vincit. Duo et septem qui habet septem vincit.
Duo et octo qui habet duo vincit. Duo et novem qui habet novem vincit. Tria
et tria minor vincit. Tria et quatuor qui habet quatuor vincit. Tria et quiuque
qui habet tria vincit. Tria et sex qui habet sex vincit. Tria et septem qui
habet tria vincit. Tria et octo qui habet octo vincit. Tria et novem qui habet
tria vincit. Quatuor (99») et quatuor maior vincit. Quatuor et quinque qui habet
quinque vincit. Quatuor et sex qui habet quatuor vincit. Quatuor et septem
qui habet septem vincit. Quatuor et octo qui habet quatuor vincit. Quatuor
et novem qui habet novem vincit. Quinque et quinque minor vincit. Quinque
et sex qui habet sex vincit. Quinque et septem qui habet quinque vincit
Quinque et octo qui habet octo vincit. Quinque et novem qui habet quinque
vincit. Sex et sex maior vincit. Sex et septem qui habet septem vincit. Sex
et octo (99b) qui habet sex vincit. Sex et novem qui habet novem vincit. Septem
et septem minor vincit. Septem et octo qui habet octo vincit. Septem et novem
qui habet septem vincit. Octo et octo maior vincit. Octo et novem qui habet
octo vincit. Novem et novem minor vincit. Potestate vel etate.
vii
Sol.
bVJ
,viii
z • if:|
Qui scripsit scripta sua dextra sit benedieta. (Een ledig blad volgt.)
(100a) Sofferan is heit unde droge, he vordrift des rnageu
wallinge, unde des hovedes serecheit, efte men den sofferan etet mit
der spise; he maket oc sachten slap. So weme de mage vorkoklet
is, de sal sofferan leggen an win ene nacht, unde drinken den win
mit deme sofferane dre morgene nochterne.
Witte minte is heit unde droge, se sterket den inagen, undt«
gevet gude lust to etende. Se verdrift de unreinecheit des magen.
(100b) Ere sap is gut, drunken, weder den kolden hosten unde
weder den gischen. Se dodet de langen worme des magen, de se
etet mit sodener petercilien. Se brenget de drogen melc gande stot
mense unde leget se uppe der vrowen brüste. Ere sap mit honige
menget, unde in de oren droft, vordrift de serecheit de van koldecheit
unde van winden darin komen is, unde sachtet dat hovet ser. En
[ iiii ii i iiii i Uli -f.!
[. Luna. Mars. Mercurius. Jupiter. Venus. Saturnus. |T.,
ai«j
c"*. d1. eiy. f*». g*. hx. i*. ky. 1"«.
m"
o"J. pxmj. q*". p*. sTj. t". v"". xl.
y*
141
plaster mit solte dar van maltet, dat he(101a)let de wunden, de en
dovendich hunt hevet beten, ere sap in supende drunken is gut den
vrowen de der kindere nicht nesen mögen an erer not.
Isope is heit, unde droge. Mit vigen, mit rüden unde mit honege
soden unde drunken is gut der bösen lungen, unde weder den bösen
athme, weder den hosten, weder den \lote, de van deine hovede
to der borst geit. Se dodet de spolworme. Ere sap mit honege
drunken vordrift de bösen vuchtecheit des lives. (101b) Ere crut mit
drogen vigen geten maket scone hut. Mit eteke soden unde den muAt
mede wasschen vordrift dat teneser.
Levestok is heyt unde droge, he dowet wol de spise. He ope-
net de bedempeden leveren. He vordrift de colden vuchtecheit des
magen, den wint unde de sericheit des lives tobreket he. Der vrowen
blomen brenget he gande. Sine wortelen in watere soden unde dat
antlat dar mede dwagen (p. 100 en 101 van andere hand dan p. 102,).
(102a) Werne de derme in de macht gath.
De sede in wine polleyen, porloch, benwelle unde do dar in salven
dat sal he dringen des morgenes unde des avendes; he sal och seden
an wine swavel, clufloch unde solt unde binden dat up de macht,
also he dat hetest doge möge; dat is eme got.
Werne dat lif sere dnn is.
De scal stoten vencoles wortelen, merch wortelen unde dringet
dat mit wine. He scal och nemen gerstenmele unde lin unde de
wortelen van der lijlien (102b); sede dat to samene mit wTatere; do
dar to sap van wegebreden; bin dat to samene up dat lif, so werst
tu sunt.
Pil efte en dorn in deme vlesche steket.
Swemc en pil efte en dorn in deme live steket, de nemo unde
stote rores wortelen, unde do dar to honich, unde stric dat up ene
doc, unde lieh den doc up de wnden, dar de pil inne is so get he
ut. Dat selve dot oc clever mit der wortelen gestot unde honige dat
unde yseren hart verbena gestot unde dar (103a) up geleget.
Welic vrowe der blomen nicht en hevet.
De sede in alden bere sevenbom, sinegrone, bivot, poppelen,
materne, petercilien, veneeol, allike vele; alle desse crude mit der
wortelen. Dat sal se dringen dre avende unde dre morgene vor der
Lit dat de blome plach comen. Ofte he sede an wine polleyen,
mrine, batonien, unde dringe dat wlach dre avende unde dre morgene,
ifte se stote muchwort, lubistoch, sevenbom, dar na sal se dar up-
^eten blangen win, (103b) unde dringen den in deme bade so wert
liere rat.
So welich vrowe der blomen to vele.
De neme verberan unde delem van des groperes ovene, unde
pulveren den clene; dat do se in ere hemelicheit, so wert here bat.
142
En ander. Eyn vrowe scal sich uppe swinmes setten, dat nu-ii
mestet, also warm; so vorgeidet er al to hant.
Welich vrowe en dot kint.
So welker vrowen der dat kint in dorne live gestorven is: iL
scal to saraene stoten rüden (104a) unde bivot, veneeol, efte ank
unde menget dat mit wine, unde laten se dat drinken so geneset v
dar van drade.
En ander. De drinke satuream mit warmen watere, so wir!
se van der bort gelost.
To der siden.
To deme siden ovelc: drinc rolikensap mit wine, dat hclpet aiif
tvivel. Deme de milte to grot is, de drinke stedeliken satuream mit
warmen watere, so wert he gesunt.
Deme de nese gerne blodet: de drinke (104b) merc sap; dat is
eme gut.
Van der pissen.
De nicht pissen mac, de neme ene sogen blasen unde gete A-
nette ut, de dar innc is, unde do dat in wlach water, unde bint *•
vaste to, unde hengen se in warm water, unde laten se seden en
luttich. Dar na goto he dat water ut der blasen, unde drinken dat.
so geneset he.
Van deme hoved.
Deme dat hovet we dot, unde hottet: de dwa dat vorliowt
dicke mit colden watere, darna neme he fiolen water, unde (IUVi
huslokes sap unde steke dar in enen linenen doc unde bestrikc
dat vorehovet dar mede; dat is eme gut.
To deme hovede.
Deme dat hovet wo dot van colde: de neme polleyen unde lor-
beren. Dat scal he lange seden an watere unde laten den vor adem
ut deme gropen gan to deme hovede, also lange wente he sweti*:
unde inakc en plaster dar van up dat hovet dat sachtet.
Weder den hugen.
To dorne hugen: nim billen (105b) wortelen, unde make de t«»
pulvere unde legen dat mit eneme lepele up den hugen, dat helpet
eme wol. De drovich is de drinke stedes merc sap, dat maket ene vro
To deme spolworm.
So we den spolworm hevet : de sede aurinen mit wine und drim-
dat efte berne herteshorn to pulvere, unde drinc dat an wine; oft»*
he sede dat lof van eme peisikes bome an wine unde drinc dat.
So weme de tene we dot
(Waarschynlyh zyn hier binden uitgevallen; het volgende van deseif de
hand as blz. 100 e. v.)
(10Ga) vram, unde sut ene sere, unde drinch dat sot vaste. Nim erut
dat in deme meye wasset, dat hovet kl o ne (voor en na e zyn httn<
14*
uügekrabd) witte blomen unde sin wortele in der erden de is ghescapen
also crevetes roghen; wan de mcy vorgat, so vorgat de wortelen; dat
crut solt tu seden mit der wortelen unde drinket vaste, et de wortelen
oc, dat dodet de varen an deme live. Dit is en ander.
En ander. Nim de braden van deme perde, berne se to pulvere.
Scade dat pulvere in weke eygere, et sc morghene (106b) nuctheren
an dorne namen ihesu cristi.
Wan der hutser.
Mennich minsche de is vol an deme antlate unde knorrech unde
de hut ser unde liket deme ovele unde en is doch nicht; de scal
nemen gersten molt, bruwe dar af her dat dicke si, dat it wol gheren
moglie. Also it alder sereste gheret, so henget over dat vur, wirp
dat in agrimonien, lat it seden, ghetet an ene bodene, also vele dat
du de hette wol doghen mocht. Nim heder nethelen unde solt, eyn
luttel (107a) sures deghes, wrif alle dinen lichamen sere mede unde
swete also du ith lengeste doghen moch. Wanne du dat denne nicht
lenger doghen unde macht, so wasche die mit deme berc dat in der
bodene is. Wanne du utgast, besla die an eneme wllennc kleyde, unde
drinch enen ghoden thoge 'alandes wortelen de an wine ofte an bore
soden si. Ga oppe din bedde unde swete also du ghedoghen macht
unde rouwe die wol. Wanne du up stan wlt, so salve die wol
mit der salven, (107b) de make aldus : nim de wortelen van der smalen
slitten lodeken, de is ghele ; wasche se reygne ; make heden nat in starkem
eteke, wrincht de wortelen dar in unde rake se an de heten hameren,
get dar etech op unde lat se lange seden in der ameren unde in deine
eteke, so nim witte asschen de van deme holte stuft, make se nat
mit der nutteren speken. Nim swevel stot ene clene, sichtet dor enen
dicken doch rames also dat yewelkes si en verdinch wich. (108ft)
Do dar to olt sraer also vele dat it wol moghe inne seden, stot it
altosamene clene unde du it an enen scapen, holdit over dat vur
dat it to samene sede, so werp dat to dre penninewart quiesilveres,
do an ene bussen, hir mede salve dich na deme bade, so helit di
din hut unde wert slicht, unde gut, dat is verliken war.
Thegen de antlates wlecke.
Teghen de bulen unde de wlle unde vlecken des antlates. Nim
ossengallen, do dar to circollen; des avendes wan du slapen (108b)
geist stric op din antlat, make aldus dat du mede afwasschet. Nim
venekoles crut, set an watere, also it ghesoden is unde beginnet colen,
so werp dar in en luttel wetener clien, sette dat up unde late it stan,
legge dar over enen dünnen duc; dat nate dat uppe deme doke si
darmede wasche die alle morgene, so werstu ghesunt.
Theghen de spruten des antlates.
To den spruten unde to den bulen unde to den vinnen, to den
suren van deme antlate to delghende. Nim fenugrecum, unde gersten,
(!()!)*) stot dat sere unde do dar water to unde dwa die wor du
144
wlt. Nim dat witte van deme eye sunder doder wringet dor enen
doc unde do da to gersten mele fenugrecum, honnich, so make ene
sahen darmede bestrich die din antlat.
Van den bladeren.
Sweme de biedere in deine antlate uplopet unde werdet de
roven, de sede saluien, beueritzen, hintberen unde drinc de; if dat wive^
( hs. wines) name is, de salve de roven mit der witten salven, unde wasschi'
se af des morgenes mit colt gothen; (109b) dat de assche si van
haverstro ghebrant. Dit moghen oc de man don ofte se bedorven.
Weder den buebete.
Pulver peper, eppes sat, fenicolis sat unde trinkes tvene leffele
in warmen watere.
Weder de herte sweren.
Stampe rutam mit etteke unde mit honeghe, unde mit gerstene
mele, unde leghe dat dar overe, unde drinch der braraberen sap.
Weder de ghelen sucht.
Drinch kumin mit wine in deme blade.
Weder de warten.
Des hundes mes to aschen ghebrant unde gestot (110*) mit der
assche, loghen darvan gemaket unde dar mede ghewasschen vor-
delghet de warten.
Weder dat hovet sweren.
Sut eyn warmoseken van smerwortelen, unde beten; menge dar
to olie unde coriandrum; et dat warmos, unde dat sot sup darmede:
it roret unde nemet den hovet sweren.
Weder dat witte in den oghen.
Pulvere twe del berterames unde eyn del ingivers, unde nutte dat
atter etende ghescaden up dat brot.
Deme de oghen ioken.
Der seide centauriam in virnen wine, (110b) unde drope darin.
Weder de geicht.
Nim weghebreden sat, salvicn unde musschatenblomen, pulvere
dat to hope, inde it dat uppe witten brode alle tid, unde beveritze
helpt oc darto gegetben.
Weder de vinnen in den oghen.
Nim olde speeswarden unde scaf dar af dat vettc also eyn
walnut, stot dar to copperrot unde rüden, menghe dat to hope, do
dar in en clenc wan du slapen geist.
Wan de mane prime is, so is he al den dach got. De andere
dach de inde is nicht gut. De drudde dach de (llla) is in der
drudden stunde gut. De verde dach de is vro got. De vifte de is
US
nicht gut. De süste is unnutte. De sevede de is gut. De attede
rle is vro gut. De neghede is nicht gut. De tengde dac is gut. De
elfte dac de is nicht gut. De tvelfthe is gut. De druttenghede de
is nene tit gut. De vertengde de is gut. De viftengde is nicht gut.
De sestengde de is unnutte. De seventengde de is alle den dach
sjut. De achtengende de is nicht gut. De negentengende de is betere.
De tvinthegheste (lllb) de is gut. De enundetvintegeste dach
:le is vro got. De tveundetvintegeste de is in der sevenden
stunde gut. De dreundetvintegheste de is in der elften stunde gut.
De verundetvintegheste de is gut. De vifundetvintegheste de is
dicht gut. De ses unde tvintegheste de is gut. De sovede unde
tvintegheste .... (uitgekrabd) de is . . . . (uitgekrabd!) gut. De att
indetvintegheste de is nicht gut. De neghede unde tvinthegeste de
is nicht gut. De dortegeste de is unnutte.
Deine de luse den inaghen eten. (van andere hand.)
Gif im den reynvanen in deme Meyn nutteren drinken, dat is war.
(112a) In allen manen.
In allen manen scal men groten wäre nemen der dage, de dar
ictent dies egiptyaci, de vorworpenen dage. Wente de hedenen lüde
?ren touer, unde ere vorgiffnisse to semene temperden, wente se denne
Risten den duvel weidiger, den to ener anderen tyt. So ne scal men
tlen nin blot laten noch drenken nemen noch werken beginnen. Disse
läge holdet, alse se hir bescreven stat, dat is di nutte. In iewelikeme
iare sint ene unde(112b) dertich dage scedelich, also de mestere van
paris geprovet hebbet in den planeten. So wat en mensche beginnet
in den dagen, dat get eme ovele. Januarius de hevet der dage sesse,
[len ersten, den (onderaan: anderen, den) viften, den sevenden, den
achten, den viftenden. Februarius hevet er dre, den Besten, den
sevenden, den negenden. Martius hevet vere, den viftenden, den ses-
tenden, den seventenden, den achtenden. Aprilis hevet dre, den sesten,
len sevenden, den viftenden. (113a) Maius hevet dre, den sevenden,
len viftenden, den seventenden. Junius hevet enen, den sevenden.
Julius hevet tve, den viftenden, den seventenden. Augustus hevet tve,
len negentenden, den tvintegesten. September hevet tve, den ses-
tenden, den achtenden. October hevet enen, den sesten. November
hevet tve, den sestenden, den seventenden. December hevet er dre,
len sesten, den sevenden, den viftenden. In dissen (113b) dagen scal
sie en mensche bewaren, dat he nen blut late in deme achten dage
les Aprilis, efte des ersten in Decembri, de stervet binnen vertich
dagen. We des sevendes efte des achten dages des Aprilis blot let,
:le wirt blint. We up den lesten dach in Martio efte des viften
iages b . lot (een letter uitgekrabd) latet, deme wirt in deme iare dat
2olde ovel in dissen dagen. Beware die wol, dat rade ic die.
Weder dat horent.
So weme dat blot vor den (114a^) oren is, dat he nicht hören
mach, de sal ene witte gans wullen mit eme witten ale unde mit twen
Kiederdeutaohet Jahrbuch. XV. \{)
146
queden. De gans sal he laten braden, also lange bet se alle gare
werde. Under dhe gans salmen setten enen scapen unde ontfan dat
smolt. Dat salmen don in de doven oren des avendes; des morgens
salmen dat utwisken mit bomwullen. Efte me sal nemen emeten eyere.
vrowen melch, porrolokis sap unde (114b) segengallen. Fuchtigeth
desse ding, sal men to semene stoten unde mengen, unde dropen in
de oren; ofte me sal enen sipolen boven afsniden unde maken se
binnen hol, dar sal men in don win unde bom oley, unde setten de
uppe hete aschen, dat se wech werde, so scal men de fesen afscellen
unde towriven an ene scotelen unde wringen dat dor enen doch an
enen gropen skervel; dat salmen des avendes warm don in de oren,
unde drogen se des morgenes mit bomwllen. (115*)
(Hier ontbreken Maden.)
unde bint dat to. Nim linsat unde sut dat sere mit borne unde
wrinc dat dor enen duch; nette den duch dar inne, unde sla dat
umme dat ben; dot dit vif dage, enes des dages. Hevet sie dat ben
ut gegeven, make enen knust van linenen doke unde bint dat mit
den scenen, unde dwinc dat ben (gl. den) to samene, na vif dagen
bint ene twige des dages mit salven unde mit sweden. Jo he dickere
badet, io it eme betere is. Sut be-(115b) wellen (lees bevenellen) in
alden bere unde gif eme alle dage drinken.
Van der salven.
Nim alt smer unde smelte dat unde lüttere dat van deme solte
unde do dar hart to, unde nim wincrud, fenekel, benedietam, ribwort
unde reliken. Dat stot to samene an eme morsere unde do it to
deme smolte unde to deme harte . . unde (uitgehrabd) latet so
lange seden wente it al groue werde, unde wrineget dor enen sconen
dok, unde latet colden, unde do it an ene bussen.
(116a) En ander. Nim dat lof, van deme wepdorne unde stot
dat mit reyneme swinensmolte ; der blade twie also vele so des
smoltes ; do in ene bussen, unde latet roten. Na pinkesten lüttere it.
Nim nachtscaden, crueewort, hunswarf, iunc lof van sproewiden,
lindenlof, bladelosen, levestok, venekol, huslok allike vele, stot dat.
Nim svines smoltes al also vele also des (doorgeschrapt: smoltes) crudej*
is. Nim wirokes ene halve marc, de so.ir si. Smelte (116b) dit to samene
unde do it to deme ersten crude. Nim dat erste crut unde dat smalt.
lat dat tosmelten an ener pannen; set it af unde lat it melcwarm
bliven; do denne desse crude to samene an ene pannen unde sedet
so lange, wante it grone werde unde wringe it denne dor enen dok
an ene bussen. Dit is gut weder dat vressem, weder de dovende gickt.
weder de wunden de sie missescapen hevet.
Oichtsalve.
Nim salvien, rüden, sevenbom (117*),. der drier like vele, unde
stot dat clene. Nim olde boteren unde smelte de, unde scume de,
unde lüttere sc van deme solte. Menget mit der boteren, unde set it
14?
also lange, wente it grone werde. Wringet dor enen sconen dok in
ene bussen.
Plaste r8alve.
Nim olde boteren, lüttere de reine, do dar to en del dyalten
unde hartes unde sede dat to samene unde wringet dor enen dok.
So wanne it clar is, so scal tu it sere slan mit ener scenen (117b)
unde do it an ene bussen.
Sweden.
Nim bücken talch, unde vifte del wasses, unde hart. Smelte dat
to semene, wringet dor enen dok, unde ce de sweden dar dore.
Dyalte.
Nim fenugrecum, weket an wine enen dach, unde ene nacht, to-
stot it denne an eneme morsere. Nim dranwortelen unde siechte
lodiken wortelen like vele, unde sede de wec unde scelle de scone.
Stot it an eneme morsere, unde dat fenegrecum dar to, unde tempere
dat to semene. (118ft) Nim aide verssche boteren, smelte de, lutter
se van deme solte, do (op den rand: dat) dar in unde set it sere, unde
wringet dor enen dok an en becken unde lat it koylen, do dar to bom-
olye, unde sla it to gadere, do it dan an ene bussen. Dit is dyalte
unde is gut weder de gicht. It helet de senen, unde vordrift dat swel.
Dit is agrippa.
Nim billenkrut, nim hedernetelen like vele, unde grensinch also
vele, nim boteren, unde lüttere de; stot it to samene mit harte,
fll8b) unde set it, wringet dor enen dok an enen becken, lat it kolen.
Nim de salven van deme drose. Nim den gersten olie, tempere de
salven darmede, dat so hart blive. Dit is gut weder de leveren unde
de lungen.
Bensalve.
Nim bomolie, unde bliwit, menge dat to semene, dat it even
dicke werde. Dit is gut voor benser.
Weder aide woriue (op den rand: wrif).
Orprement, temperet mit bomolie (van latere hand: unde strich
dat in de stede dar de worm is) it vordrift aller(119a)hande worme.
Weder den bnebete.
De den bucbete hevet, de neme rot minium unde wrive dat
mit wine, unde drinc dat negen dage nüchteren.
Weder de inoter.
Set hoppen an eneme nyen gropen, siget dor enen dok unde set
bivot dar inne; so welc vrowe er blomen nicht ne hevet, unde swellet,
se drinke dat in deme bade. So scal se seden an watere lumeken
nortmanen. Nim nacht unde (119b) dach unde weermoden, batonien,
sprocwiden, scorflodeken, negenkraft, dar bade de vrowen ane, dar
na scal se slapen gan up en bedde, unde late sich warme bedecken;
10*
14*
io se dat dickere dot, io it er betere is. Dit is (gl. dat) gut weder
dat water, weder de gelen sucht, weder dat swel der vrowen.
Weder dat water.
Nim varn unde grone bonen an scoden, grone erwitte an scoJcl
grone wicken, unde hoppen. Set dat unde bade dar ane unde gif eo.-
en oximel (120ft) also hir vore screven stet. An deme viften dage eil
eme dat pulver, also hir vore gescreven stet
Dit is en vuUenkomen sirop.
Nim hertestungen enen halven verdinc, copillam, polipodinin.
lacricien, kristianen, kastifistulam, dragantum, rosen, fiolen, helpe.
sudistelen, lungewort, lacricien sap, desser allike vele; dat dar wor-
telen hevet, dat scal men stoten. Anis en lot, venecoles sat, akeleyen
blomen, peterciliensat, desser vere allike vele (120b); dat pulvere unde
bindet lose an enen reinen dok, unde sedet an eneme nyen gropen.
So wanne dat water goltvare si, so nim it up, lutteret denne in enen
reinen scapen, unde nim en half punt suckeres unde temperet mit
witteme van eyeren, unde set it so lange, wente it lutter werde, unde
lat it gan dor enen doc in en vat. Dit is gut weder den raagen.
weder de hette, weder de leveren, weder de lungen, unde weder aller-
hande (121a) ovel.
Ingibe[r] conditut.
Nim de wortelen van orendula; wassche se scone van deme sande.
nim petercilien wortelen, venecoles wortelen, der drie allike vele, snit
se an denen stucken unde lat se drogen, pulvere dat clene. Sichtet
dor enen harbudel, unde engever, dat verde del also vele, pulvere
den clene. Menge disse pulvere to semene, roden sucker twies so vele
so des pulveres is. Do dit an enen scapen. Do dar enen (12 lb) lepd
vol wateres to unde lat it to semene seden, dat it dicke werde, unde
roret wol, unde do it den an ene bussen. Dit is gut weder de borst
unde bettenden magen.
In salve.
Nim aide boteren de reyne si, nim III saluen wortelen unde sede
dat to semene, lüttere dat dor enen dok in enen bussen, gif eme dat
drinken, mit warmen bere.
Weder de borst.
Nim bomvarens wortelen, nim smerwortelen, nim dranwortelen.
disser drier (122a) like vele. Set de unde stot de mit oldeme smere:
sut lumeken, unde bade de borst dar mede. so wanne . . . Hierby aa*
den rund: les die . . . to deme . . . gestenbl ... De laatste Idters sij*
afgesneden. Na du voorschrifi dat niet voltooid is, vclgt weder deselfde
Aawd, die het begin schreef.
Wedder der vrowen suke.
So wanne der vrowen blomen is enstant. So sal se eten dar na
negen dage porloc mit petercilien soden. Se sal oc eten des morgene-
149
unde des avendes en electuarium, dat heten is: trifara magna. Se
sal oc seden an wine afruden, agrimonien, balonien unde sindowen;
in den win sal se en pulver don dat heten (122b) is: syceleos. Den win
>al se drinken swan se gethen hevet. Trifaram magnam, dat is er
50 t, also meyster ypocras spricht.
Swelich vrowe des kindes nicht nesen mach: der sal men seden
Diwot ofte isernehart in wine ofte in bere, dat sal se drinken. Men
>ai er hoc dat crude binden tieghen de moder op den navel so neset
>e. Men sal oc de crude to hant van er nemen swanne se des kindes
jhenesen is. Men sal scriven in enen bref : -+- Elisabeth genuit precus-
»orem (sie), Sancta maria genuit salvatorem. Sive masculus sive femina,
>ic veni foras. Christus te Yocat. Oves saneti dei intercedite pro me. -f-
UTRECHT. J. H. Galtee.
Noch einmal das Hundekorn.
Vortrag
in der Jahresversammlung des Vereins für niederdeutsche
Sprachforschung zu Osnabrück am 28. Mai 1890.
Eine neue Erörterung des vielbesprochenen „Hundekorn" bietet
due doppelte Schwierigkeit. Denn der Gegenstand ist einerseits von
len gewiegtesten Forschern mit reichen archivalischen und sprachlichen
Mitteln behandelt und besprochen und hat durch den Richterspruch
les K. preussischen Obertribunals gewissennassen seinen Abschluss
gefunden. Andererseits ist, wenn freilich auch die Wissenschaft nicht
tn Aussprüche der Gerichte gebunden sein kann, die Schwierigkeit
dner Kritik darin begründet, dass sie nur wenig neue materielle
•unde heranzuziehen vermag.
Unter dem Namen Hundekorn wurden zunächst in Neuvor-
>ommern (Schwedisch Pommern) vom Mittelalter her Abgaben von
Jauerhöfen an die fürstliche Kammer, aber auch an andere Grund-
lerrn gezahlt, der Regel nach in Getreide, meist den drei Arten
loggen, Hafer, und Gerste, seltener als Ablösung in Geld1). Nach
ler Aufhebung der Jagd-Dienste und -Gebühren in Preussen durch
las Gesetz vom 2. März 1850 2) wurde nun die Leistung dieses „Hunde-
;orns* wiederholt geweigert, die Weigerung auch gerichtlich als zu
lecht bestehend anerkannt, da schon der deutsche Name der Abgabe,
') So schon Haltaus Glossarium.
*) Preuss. Gesetzsamml. 1850 S. 77 ff.
150
wie auch der lateinische der Urkunden: annona canina, frumentüL
canum etc., sie als eine Jagdpflicht bezeichne. Ja der Gesetzentwurf
selbst hatte „Hundekorn, Hundehafer, Hundebrot" als aufzuhebt.
genannt, und diese Namen waren später im Gesetz nur ausgelassen
um nicht anderen Jagdabgaben durch diese Nennung zu präjudiziell
Die Universität Greifswald aber, welche aus dem städtische
Dorfe Hinrichshagen das Hundekorn bezog, weigerte den richterlich» i
Erklärungen die Anerkennung und verlangte die Abgabe nach *i
vor; sie forderte über deren Natur nacheinander vom königlich* ;.
Staats-Archivar Dr. Klempin in Stettin 1873 und 1874 und vmiu
damaligen Grossherzogl. Archivrat Dr. Wigger in Schwerin IST»
Gutachten ein und erstritt damit 1878 die Beibehaltung des Besitze-.
Diese Gutachten sind ausgezeichnete archivalische Forschungen voll
reichster historischer und germanistischer Belehrung, was freilirU
nicht einschliesst, dass man mit den Schlussfolgerungen einverstandei
sein müsse. Die drei sind vereinigt mit einer Einleitung und einen.
Anhange „Zur Etymologie des Wortes Hundekorn" versehen vom
Appell.-Ger.-Präsidenten Dr. Kühne herausgegeben1). Klempin häh
sich nun vorzugsweise an die Deutung der Archivakten; Wigger geht
ausserdem auf Etymologie ein, und ihm folgte auf ähnlichem Weir
Kühne. Ihnen hat sich nachher im Allgemeinen Frommann2) an-
geschlossen. Klempin leugnet nun gradezu, dass die annona canum
eine Jagdabgabe sei; er beschränkte sich aber in seinen Untersuchungen
auf Neuvorpommern und meint, der Name „Hundekorn" sei als Tpara
pro toto* erst von Herzog Wartislav nach 1411 aus Brandenburg im
Herzogtum Wolgast „diesseits der Swine* gebracht. Er glaubt er-
weisen zu können, dass die Leistung nichts sei als die alte Hoheit >-
abgäbe an die Herrschaft, Pacht oder Bede oder beides zusammen,
Dass gelegentlich (und grade in dem strittigen Dorfe) Hundekoni
neben Bede und denstghelt (doch das alte pactum, die Pacht!) b^
zahlt wird, hebt er nie hervor, zieht auch aus dem „pars pro toto-
keine weiteren Schlüsse. Dass es keine Abfindung für Jagddienste
irgend welcher Art gewesen sein könne, will er daraus schliessen, da>^
diese Leistung auf deutschen Hagendörfern laste, und aus deren
enormer Höhe z. B. im Dorfe Saal. Nun giebt es aber höchst ver-
schiedene Jagdleistungen: Ausser der Futterlieferung an die fürstliche::
Hundeställe kommt die Hunde-Aufzucht und -Eigenfütterung, ilasi
Hundelager und das Jagdlager (Ablager), das so ungeheuer drückend
im Herzogtum Lauenburg war, und endlich ein Abkauf des auf dem
Dorfgrunde ruhenden Jagdrechts zur Schonung von Acker und \Yei<k
in Frage.
Klempin, welcher weiss, dass die „Ablager der späteren Zeit"
J) Baltische Studien 29. (Stettin. 1879) S. 311—455. Dann gesondert er!
schienen „Das Hundekorn" etc. von Dr. Kühne in Greifswald. Stettin. Danncn-
berg. IV, 145 S. Vergl. Jahresber. der Geschichtswissens. 1879 II, 174 f.
*) 40. Jahresbericht der Rügisch-Pomm. Abth. der Gcscllsch. für Ponur.
Gesch. u. Altert. 1877—79 S. 76.
151
abgelöst sind, und dass die „Fütterung fürstlicher Jagdhunde" nur
den Frei- und Lehnschulzen und Müllern obgelegen habe und einfach
durch NichtÜbung erloschen sei1), behauptet also direkt, dass Hunde-
korn keine Jagdabgabe sei, sondern dass in ihr das alte „Pacht-
und Bedekorn" stecke, und denkt sich, dass der Name daher habe
kommen können, dass aus bestimmten Dörfern die Pacht- und Bede-
korn-Lieferungen direkt für die Erhaltung der Jägerei und die Hunde-
ställe bestimmt wurden. An den Abkauf von Jagdausübung hat er
gar nicht gedacht Dass aber gerade um Saal herum in den grossen
Wäldern am Bodden viel fürstliche Jagden stattfanden, ist schon aus
dem bekannten Vatermorde im mecklenburgischen Fürstenhause bei
einer dortigen Jagd ersichtlich.
Ganz unerwiesen ist aber, was (S. 338) von der „annona canum,
Hundekorn" als einer einfachen Übersteurung im 14. Jahrh. gesagt
wird, etwa wie bremische Junker im vorigen und noch in diesem
Jahrh. in der selig verflossenen Meierzeit ihren Bauern ein „ Stiefel-
geld a auflegten. Dass so nahe an der pommerschen Grenze Herzog
Heinrich II. von Mecklenburg (der s. g. Löwe) dieses „Supererogatum"
direkt unter dem Namen „Hundekorn* in seinem Testamente 1329
(nicht 1319) aufgehoben habe, und gleich jenseits der Recknitz der
Name eine andere Bedeutung gehabt haben sollte, ist ohne Beweis
nicht anzunehmen. Und den hat Klempin nicht erbracht. Die etwas
dunkele Angabe Ernsts v. Kirchberg, um 1400, enthält freilich —
wie Wigger 1. c. richtig nachweist — einen Irrtum:
daz man daz hundekorn nümmer me
solde geeyschin recht als ee
ubir syne lant und syn herschaft.
Des bevalch her by der sele craft.
Syn nachkommen solden syn nemen nicht
um synre sele heyles pflicht.*)
Denn es handelt sich um Einnahmen der Geistlichen, die Heinrich für
sich hatte einfordern lassen. Indessen zeigt der Name doch, dass um
1400 die Abgabe am mecklenburgischen Hofe bekannt war. Mar-
schalcus Thurius hatte herausgelesen3), dass Heinrich sie nur dem
1) Im Strelitzischen, wo Klempin die Verpflichtung anführt, existierte sie noch
in diesem Jahrhundert, vielleicht noch. Sie war auf bestimmte Landstücke gelegt,
die „Hundeacker" hiessen. Der Name ist noch bekannt. Mit dem von Kl. bei dem
Ablager erwähnten „Hundedezem" (S. 340), der in Altenburg vorkommt, mag es
anders stehen. Auch in Westfalen kommt Koppelhaver mit der Bezeichnung
vor: quod est indebita pensio ex canibus venaticis superducta ut ajunt.
Korr.-Bl. 13, 3 S. 43; aus Cod. tradit. Westph. Münster. II S. 165.
2) Westfalen, Mon. Ined. IV S. 824 unten. Cap. CLXIX. Eine andere
Stelle sagt: „daz hundekorn er in erliesz".
8) Ann. Herul. V Cap. 4 bei Westphalen 1. c. I, S. 298, wo erklärt ist:
„Hundekorn, woraus das Brodt, welches die Griechen Mistyle heissen, gebacken
wurde.1' — {/.iotiXt) oder (/.igtuXt) hiess aber das als „Schüsselbrot" bekannte,
zum Auffüllen von Saucen (daher auch = Löffel) oder auch zum Abputzen der Hände
beim Essen mit den Fingern dienende Grobbrot, mit dem schon der Sultan von
Kairo (Kölner Pilger in ZDPh. 19, 1, (1886) S. 77) die Licblingshunde bei Tisch
152
Kloster Doberan erlassen habe, d. h. dessen Bauern, die gewiss nicht
darum (wie Klempin meinte) dem Kloster so viel weniger hatten za
zinsen brauchen, als der Fürst von ihnen einforderte. Es schein:
danach Klempin eine teilweis richtige Darlegung, dass nicht AI le-
im 15. oder 16. Jahrhundert genannte Hundekorn Jagdabgabe sei.
sondern manche andere Leistung unter diesen Namen später einbe-
zogen worden, irrig auf alles Hundekorn verallgemeinert, und dann,
weil die alte Herrenpacht und ebenso das Hundekorn aus drei Frueht-
arten bestand, irrig geschlossen zu haben, alle aus drei Fruchtartci.
bestehende Abgabe, also auch das Hundekorn, sei jene Pacht oder
Bede. Kühne's Citat, dass die Stadt Anklam (S. 455) 1348 eine
Summe „Korngeld" an das Kloster Stolp zu leisten übernahm, „die
man 1773 mit Unrecht Hundgeld nenne", wäre dann auf solche
Namenserweiterung neuerer Zeit zu deuten. Wenn Kühne dann aber
sogar den Jagthabern, Forsthabern, der gegeben wurde in recogni-
tionem et symbolum jurisdictionis saltualis seu venatoriae, ähnlich
auffassen will, so bezieht sich doch der eine allerdings wohl auf das
Holz- oder Markenrecht, der andere aber sicher auf die Jagd.
Nun kommt aber Hundekorn viel früher und in viel weiterem
Gebiete vor, als Klempin annimmt. Bereits Wigger1) wies nach, dass
der Name für dieselbe Abgabe schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts
in Neuvorpommern vorkomme, also nicht erst durch Wertislav au*
Brandenburg mitgebracht sein könne. In Brandenburg, sagt Wigger.
kommt überhaupt nur 2 mal nachweislich der Name Hundekorn vor.
wohl aber im Magdeburgischen und seit dem Beginn des 14. Jahrh.
in Werle, der Landschaft und Herrschaft Slavia in Mecklenburg, die
sich mit dem späteren Herzogtum Mecklenburg-Güstrow deckt2), und
noch heute in der ständischen Verfassung als „Wendischer Kreis* fort-
lebt. Mit ungeheurer Belesenheit und Umsicht weist er dann das
Vorkommen der Abgabe, stets in den drei Fruchtarten, vom Beginn
des 14. Jahrh. her in Werle nach; sie ist so konstant, dass wohl mit
Recht hier jede vorkommende Dreifrucht-Abgabe für Hundekorn an-
gesprochen werden kann. W. schliesst sich nun Klempin an und erklärt
Hundekorn für die Herbstbede in Naturalabgabe, daher komme sie
neben den Geldabgaben stets besonders vor. Ihre Höhe, die zur
grösstdenkbaren Hundehaltung in keinem Verhältnis stehe, spreche
entschieden gegen eine Leistung für Jagdzwecke. Günther, Herr zu
Werle, Domherr zu Magdeburg, werde von dort den Namen mit nach
Werle gebracht haben, von dort werde er nach Pommern gekommen
sein. Dabei bleibt die überaus wunderbare Erscheinung völlig un-
aufgeklärt, wie und warum damals für eine längst bekannte und
geübte Abgabe ein Name eingeführt sein sollte, den man auf Hund
beziehen musste, und auch, wie die lateinischen Namen lehren, regel-
fütterte. Schiller-Lübbeu 4, 127. — Danach hat denn Weigand (Grimm PW. IV,
2, 1920) irrig erklärt: „Hundebrod, wie es für Hunde gut genug ist."
1) Balt. Stud. 1. c. S. 359 ff.
2) Zumeist das alte Cireipania.
153
massig bezog, der also gehässige Irrtümer zu erzeugen geeignet war.
Die Ausrede: der Name habe etwas anderes ursprünglich bedeutet,
sei aber als veraltet fälschlich aufgefasst und übersetzt, kann durchaus
nicht gelten, so lange nicht nachgewiesen wird:
Warum denn solch ein irreführender Name für
eine bekannte unzweifelhafte Sache eingeführt sei.
Bis dahin muss frumentum canum, annona canina, Hundekorn „Korn
für Hunde* bleiben, in welcher Schattierung der Bedeutung es auch
sein mag, ebenso wie in Westfalen rossekoren (avena equina que
rossekoren dicitur1)) nur eine Haferabgabe für Pferde sein kann.
Nach Preuss*) wurde auch im Lippischen Hundekorn in den
drei Kornarten geliefert, und er hat wegen der Höhe der Abgaben
dieselben Bedenken wie Klempin und Wigger. Aber gerade Lippe
war stark mit Jagd belastet; dort kamen neben den Saupackern
(roden), auch die Hetzleute (roethisser) urkundlich vor, die ebenfalls
erhalten werden sollten. Auch dass in Magdeburg das Hundekorn
der Unterthanen des Klosters Leitzkau dem Schirmvogt ad expensas
judiciarias mit überwiesen wird8), darf nicht irren, denn der Schirm-
vogt konnte auch die Jagd üben.
Wenn dann aber W. Seelmann aus der Provinz Sachsen in
der Versammlung in Stettin4) aus dem 15. Jahrhundert die urkundliche
Angabe nachwies, dass ein Wispel Korn „geheten Hundekorn* von
8 Hufen gezahlt wurde, damit man den Hof zu Aderstedt „mit
hunden effte myt jacht nicht schullen besweren", so ist hier
wenigstens der Hund, canis, wirklich vorhanden und man kann nur
zweifelhaft sein, wie weit man das Wort „Jagd* ausdehnen darf.
Durch „mit Hunden* ist Hunde-Fütterung und -Haltung in jeder Aus-
dehnung sicher verboten, auch die Lieferung von Atzung.
Durch „myt jacht* ist das Aufbieten der Bauern zum Treiben,
Hetzen, Wildtodtschlagen (so bei Rostock noch im 16. Jahrh.) und
Wildfahren, das Jägerquartier und die Jägeratzung ebenso sicher be-
troffen. Ob auch das Jagen über das Hoffeld, also die Ausübung der
Jagd selbst? Ist letzteres die Absicht gewesen, dann kann auch die
Höhe der pommerschen und Werleschen Abgaben nicht mehr auffallen;
es war gewissermassen eine Ablösung des ganzen Jagdrechts.
Nach dieser rein sachlichen, noch nicht sprachlichen, Erwägung
ist das Urteil der niederen Gerichtsinstanzen in dem Greifswalder
Prozesse durchaus erklärlich und folgerichtig. Bei dieser Jagdablösung
wäre es auch erklärlich, dass die Hundekorn- Abgabe grade in den
deutschen und Hagen-Dörfern vorkommt ; schwerlich hätten die Slaven
ablösen können oder dürfen. Für diese bringt aber Fuchs doch den
slavischen Namen Psare bei5) und erklärt sie als Abgabe „zur Ab-
1) Korr.-Bl. 13, S. 43. Meckl. U.-B. XV Nr. 9019 nennt ein Hundehaus mit
2) Korr.-Bl. 12, S. 10 f. [einem ganzen Hofe zu Güstrow.
3) Balt. J5tud. 1. c. S. 357.
*) Korr.-Bl. 12, S. 11—13.
5) Fuchs, Der Untergang des Bauernstandes und das Aufkommen der Guts-
154
lösung der Last des Erhaltens der fürstlichen Jagdhunde*. Dami:
wäre denn Gadebusch und v. Bilow, sowie Schiller und Lübben wiedtr
zu Ehren gebracht1).
Wigger hat nach bestem Wissen und Geschick plaidiert wie obei
angegeben; er hatte sich sachlich, wenn auch irrig, konstruiert, da>s
von Jagdabgabe im „ Hundekorn u keine Rede sein könne, sondern da>*
es der Teil der alten Naturalgrundsteuer sei, welche die Fürsten für
den Bedarf ihres Haus- und Hofhalts beibehalten und nicht in Gel»i
ablösen lassen wollten. Für diesen Beweis hat er nicht bemerkt, da^
er den Werler Vertrag über gemeinsame Regierung von 1341 /472i
höchst willkürlich und gezwungen konstruierte und deutete, und auch
gelegentlich eine schwer zu beweisende Behauptung wagte, wie z. B..
dass man Gerste nicht als Hundefutter verwandt habe8). Aber ab-
gesehen davon, dass man um 1350 am Sultanshofe zu Kairo die
Hunde nur mit Gerstenbrot fütterte4) und ebenso 1588/89 urkundlich
in Rostock 13 Scheffel und ein andermal 2 Drömt (24 Scheffel) Gerstr
für die Jagdhunde gegeben werden (s. u.), konnte doch in eine Jagd-
abfindung, die zur Ernährung des Hofes dienen sollte, recht gut Gerste
zu der massenhaften Bierbereitung, nicht bloss für die Jägerei, mit
aufgenommen werden. Wigger hat auch das Seltsame der Annahme
eines unerklärlichen Namens für die Kornrente lebhaft genug em-
pfunden; er suchte deshalb eine andere Erklärung und meinte, Hund
sei nur aus Missverständnis mit canis übersetzt; es stecke das alte
Ackermass „hunta, bei Miraeus (und danach bei Duconge) „hondus"
darin5). Ob es möglicher sei, dass jene Abgabe in Werle und Pommern
nachträglich nach einem in diesen Landen unerhörten Ackermasst'
benannt wäre, darüber hat er sich nicht ausgesprochen. Kühne hat
denn auch die Möglichkeit dieser Ableitung mit vollem Rechte abge-
wiesen6). Es ist nirgend in älteren Zeiten eine Grundabgabe nacl
Ackerstücken bemessen, wie sie einer heutigen Spatenkultur zukommen.
Ein Hunt ist nur Ve eines allerdings etwas verschieden grossen Marsch-
morgens, ein wenig grösser als das göttingische „Vorling*7). Es i*t
herrschaften. Nach archiv. Quellen a. Neu Vorpommern und Rügen (Abh. a. <L
Staatswissensch. Seminar zu Strassburg VI.) 1888, S. 7. S. Jahresber. d. Geschicht«-
wiss. 1888 II, 232 Nr. 333. Wigger erklärt diese Psare als polnisch-schlesischt-
Verpflichtung der Slaven, fürstliche Hundewärter und Hunde bei sich aufzunehmi-m
(Hundeführer, Jäger und Bieberfänger. Balt. Stud. 1. c. S. 351).
l) Balt. Stud. 1. c. S. 313.
s) Balt. Stud. S. 361. Meckl. Urk.-B. 1 Nr. 6169. Zu der niedersächsischei.
Übersetzung einer Warenteilen Urk. (S. 365):.. annona canum „iahrfrucht" ist zu
bemerken, dass alle Warcn'schcn Urkunden-Übersetzungen, die mir vor Aup-n
kamen, sehr schlecht und unzuverlässig gemacht sind. Hier ist jiur annona über-
setzt, canum aber ausgelassen.
3) Das. S. 399.
*) Kölner Pilger 1. c. (s. S. 151 Anm. 3).
a) Balt. Stud. 1. c. S. 346 f.
•) Das. S. 423 ff. Die Besprechung des Ackermasses: S. 439—454.
7) Der Kalenbergcr Morgen (120 M-Ruten kalenb. oder hannoversch) hatn
2 Vorling, der Kedinger Marschmorgen, einschliesslich der Gräben, ist = 4 KalenK
Morgen, also 8 Vorling; der Altländer Marschmorgen ohne die Gräben ist = 31 •
155
aber weder Vorlingskorn oder -Geld, noch Huntkorn oder -Geld da,
wo das Ackennass gilt, je bekannt geworden. Zu Kühnes Bemerkungen
über das Hunt ist zu beachten, dass er das Wort irrig aus dem
Friesischen herleiten will. Es steht aber weder bei Doornkaat Koolman,
noch Stürenburg, noch Molema, und so fallt Kühne auf das altfriesische
hunt = Knittel und bringt zur Vergleichung A einen „Block Landes"
herbei, der nie Mass war; er hätte dann auch Ort, Kil, Kilort, Winkel,
Gehre herbeiziehen können, die sämtlich sinnliche Ackerbezeichnungen
sind. Er hat jedoch in bekannter Weise irrig Holländer und Friesen
verwechselt. Das Mass ist holländisch, nicht friesisch, und findet sich
daher ausser in Holland nur in den holländischen Marschkolonieen
an Weser und Elbe in den Holler-Ländem (Hollandrinis), wo irgend
eine Form des alten Holländer Morgens, die Hollerhufe und die Holler-
Rutc zu 14 Fuss üblich ist oder einmal war1).
Kühne suchte nun in derselben Verlegenheit wie Wigger nach
einer anderen Ableitung für Hundekorn und glaubte sie im altdeutschen
hunno (hunt, hunne, hun, honne) gefunden zu haben8), dem alten
fränkischen ceutenarius oder vicarius, entsprechend etwa dem späteren
bremisch-verdischen Gografen als Ämtsunterbedienten. Der hunno
führt uns an den Niederrhein, und es wird von ihm freilich keine
Korn-, aber doch eine Weineinnahme (vinum hunicum) angegeben8).
Im 12. Jahrhundert seien starke Einwanderungen vom Niederrhein
und Holland unter Erzbischof Wichmann in's Magdeburgische gezogen,
die möchten den Ausdruck huntkorn als Richterabgabe wohl mit-
gebracht haben. Da es dort einen hunnen nicht gab, so sei schliesslich
die Namenserklärung vergessen und nun statt annona judiciaria annona
canina übersetzt. Auch nach Pommern hätten gleich die ersten
Kolonisten den Namen vom Rheine her gebracht. Die Cisterzienser
Abtei Rosengarten oder Neuenkamp, Tochter von Kamp bei Geldern,
sei hier die Vermittlerin gewesen. Eigentümlicher Weise soll auch
hier dasselbe Vergessen und dasselbe Missverständnis dann auch zu
annona canum geführt haben. Recht seltsam und wenig wahrscheinlich!
Die Annahmen von Wigger und Kühne haben denn auch die
Kritik von A. Lübben herausgefordert, der durchaus das Zwingende
vermisst, da in Pommern (und Werle) weder ein hunne, noch in den
Kalcnb. Morgen, also 7 Vorling. Übrigens ist in den Marschen nie nach Vorlingen
gerechnet. Das Balt. Stud. S. 448 genannte „Hoedt" als */• holländ. Morgen ist
gerechnet zu 100 Ruten Länge bei 1 R. Breite, also auch 50 X 2 oder 25 X 4,
und der holländ. Morgen hält dann C00 M-R"ten. Die daselbst S. 443, Anm. 216
von Kühne gesuchte hannoversche Bekanntmachung (Grimm [Weigand] D. Wtb. 4,
II S. 119 v. „Hund") stand im „Stader Regierungsbl." und ist seiner Zeit von mir
an Jac. Grimm eingesandt. Weigand schreibt „Hund" statt „Hunt". Ein „Morgen-
korn" kenne ich nur aus Lippischen Städten und Münster. In Osnabrück wurde
bemerkt, dass es auch im dortigen Stadtarchiv vorkomme.
') S. Lübben im Jahrb. V. f. niederdeutsche Sprachforschung IV S. 110.
Kber die Form hoet, höt = hunt s. noch Korr.-Bl. 6, 78; XII, 1, S. 11.
*) Balt. Stud. 1. c. S. 427 ff.
s) Übrigens kommt vinum hunicum, Heunenwein, als schlechter Wein vor.
Lacomblet, Arch. f. d. Gesch. d. Niederrheins, I S. 233 ff.
156
Gebieten, wo es einen Hunnen gab, ein Hunnekorn vorkam. Dazu i>:
noch zu betonen, dass auch ein Hunnekorn, eine annona canina nicht
sofort nach der Kolonisation, sondern erst ein Jahrhundert später
auftritt1)!
Es ist daher nicht darum wegzukommen, im Hundekorn mu^
der Hund, canis, wiedergefunden werden, und dann steckt irgend eine
Jagdablösung oder Jagdleistung darin. Das wird bestärkt durch zwei
von Lübben angeführte Stellen aus Westfalen2); nach der einen müssen
die Hörigen des Hauses zu Steinfort Hundegeld zahlen; nach der
andern verspricht der Bischof von Münster nicht mit Jagd zu be-
schweren (venatione gravare). Die Stellen erklären sich gegenseitig
und zeigen eine Jagdablösung.
Die Erinnerung an diese Bedeutung des Namens selbst hat sich
denn auch recht spät noch erhalten: noch 1714 musste bei Anwesen-
heit Karls XII. in Pommern den „zur Fällung des Wildes vor die
königliche Tafel gebrauchten Heydebedienten von jedem Müller in
Königl. Amtern monathlich ein Scheffel Hunde-Korn gereicht"
werden8). Es war deutlich eine ausserordentliche Abgabe an das
Jagdpersonal. Im Rostocker Stadtarchive liegen Akten von 1588;S!>,
wonach eine Anzahl Bürgermeister und Ratsherren (1595 waren es
ihrer 12) für sich auf eigne Kosten eine Privatjagd in der Rostocker
Heide auf Stadtgebiet einrichten und den Jürgen Brandt als ihren
Jägermeister und Wildschützen annehmen4). Derselbe erhält ein
Deputat für sich und seinen Jungen, Lieferung für Geschirr und
Futter für 2 Pferde und Korn zur Ernährung einer Koppel Jagdhunde
und eines Stricks Winde. Letzteres sind gewöhnlich 3, wie viel
erstere ist nicht festzustellen. 1595 sollten 24 Hunde angeschafft
werden, fraglos eine ganze Anzahl von Koppeln. In Hannover bildeten
2 — 3 Saupacker eine vom sog. Hundejungen zu führende Koppel.
In den sehr lückenhaften Registern nennt der Ratssekretär die
Zahlung für den Bedarf der Hunde vom November 1588 bis 11. April
1589 geradezu „Hundekorn". Man hatte anfangs anscheinend nur
2 — 3 Jagdhunde und 3 Winde; geliefert wurden dafür nach Buchung
in dem einen Register 13 Scheffel Gerste und 25 Scheffel Roggen.
Nach einem Bericht des Jägermeisters vom 24. Mai 1588 hatte er
bis dahin 2 Drömt 10 Schepel 50 „Matle* oder „Matte* Gerste er-
halten „den Jagetlmnden davon zu etten gegeben u und 2 Drömt und
1 Scheffel Roggen „for drei Winde*. Das Korn wurde zu Brot ver-
backen, ein Abrechnungsbuch des Bäckers Franz Ploch liegt noch
bei den Akten. Hiermit ist Wiggers Beweisführung durch die Gerste
völlig beseitigt und die alte und auch unsere Voraussetzung, dass
„Hundekorn" wesentlich für Hundehaltung und Jagdzwecke bestimmt
war, jedenfalls ernstlich bestärkt worden. Nachträglich sei bemerkt,
") Jahrb. des Ver. f. niederd. Sprachforschung IV (1878) S. 106—116.
2) Xiesert, Münster. Urk. 6, S. 135 und 7, S. 169.
3) Balt. Stud. ib. S. 400.
*) Acta betr. die Ausübung des Jagdrechts etc. III Vol.
157
dass für die General- Versammlung des Gesamtvereins der deutschen
Geschichts- und Altertums -Vereine zu Schwerin i. M. vom 7. — 10.
September 1890 als Frage 9 aufgestellt war, ob nicht die Abgabe
Chunowe (Meckl. U.-B. I Nr. 182) das Hundekorn sei. Bei der Ver-
handlung kam nichts heraus. Die Urkunde von 1208 gehört in das
Bistum Ratzeburg und die Grafschaft Schwerin.
ROSTOCK. K. E. H. Krause.
Karl Straekerjan.
Es gebührt sich wohl, dass auch das Jahrbuch an Karl Strackerjan,
Direktor der Oberrealschule in Oldenburg, dessen Tod bereits im
Korrespondenzblatte mitgetheilt worden ist, in freundlichem Gedenken
erinnere. Denn er war nicht nur ein treuer Genosse unseres Vereins,
sondern auch ein unermüdlicher Forscher auf dem Gebiete der Sprach-
kunde, und manch' schöner Fund im Grossen wie im Kleinen wird
seinem Scharfblick und der Folgerichtigkeit seiner Schlüsse verdankt.
Da er ausserdem vielen Lesern des Jahrbuchs in seiner echten und
klaren Biederkeit eine liebe persönliche Erinnerung sein wird, so mag
es in jeder Weise gut sein, ihm hier an der ihm so lieben Stelle ein
Denkzeichen zu errichten.
Karl Diedrich August Strackerjan, Sohn des Amtmanns Chri-
stian Friedrich Strackerjan und dessen zweiter Frau Sophie geb.
Brünings, Tochter des Hofraths Brünings in Varel, wurde am 10. August
1819 in Jever geboren, besuchte die dortige Provinzialschule und nach
der Versetzung des Vaters nach Oldenburg 1833 das Gymnasium
daselbst. Am 21. März 1834 konfirmirt, machte er im März 1837
sein Abiturienten-Examen und trat dann zur Ableistung seiner etwaigen
späteren Dienstpflicht am 1. Mai auf sechs Wochen in die Reserve
ein. Den 14. Oktober 1837 ging er nach Jena, um Theologie zu
studiren; er schloss sich hier der Burschenschaft an, deren Principien
und Bestrebungen er sein ganzes Leben hindurch getreu geblieben ist,
und fand in ihr viele Freunde, von denen Ludwig Häusser ganz be-
sonders zu nennen ist. Strackerjan genoss die jugendselige Studenten-
zeit in Jena mit ganzem Herzen, und auch im Alter noch schweiften
ihm gern die Gedanken hinüber in die liebliche Musenstadt an der
Saale, die er noch manches Mal wieder besucht hat, zuletzt im Sommer
1887, um sich am Lutherfestspiele Devrients zu erbauen.
Im Herbst 1839 ging er nach Berlin, wo er im August 1840
seine Studien beendete. Nachdem er in Oldenburg sein Tentamen
gemacht hatte, ging er 1841 als Hauslehrer der Kinder des Amt-
manns Lauw nach Rastede und verlobte sich hier 1843 mit Wilhelmine
Helene Lauw, der ältesten Tochter des Hauses. 1844 ging er auf
Anordnung des Grossherzoglichen Konsistoriums nach Jever, um die
158
Tertia der dortigen Provinzialschule zu verwalten, und erhielt bald
darauf die Stelle des vierten Lehrers dort. 1845 machte er sein
zweites Examen, ward 1846 definitiv angestellt und verheirathete sich
in demselben Jahre. 1851 rückte er in die Stelle des zur Disposition
gestellten dritten Lehrers, des Dr. Böckel, auf.
Wie sein Vater grosse und vielseitige litterarische Thätigkeit.
besonders in der Erforschung der Oldenburger Geschichte, entfaltet
hatte*), so ging auch Karl Strackerjan früh und frisch an's Werk,
durch das gedruckte Wort auf einen grossen Leserkreis zu wirken
und seine gesunden, von wahrer Vaterlandsliebe durchdrungenen An-
schauungen zu verbreiten.
Ausser fleissiger Mitwirkung an den von seinem Vater teilweise
gegründeten und lange geleiteten „ Oldenburger Mitteilungen Ä, „ Olden-
burger Blättern", der „Oldenburger Zeitung" u. a. betheiligte sich
Strackerjan in den Jahren 1848 und 1849 auch als Korrespondent
der „Weserzeitung", der „Deutschen Reichszeitung" u. s. w. am politischen
Kämpfen und Ringen jener heissen Tage und übernahm 1848 die
Redaktion der „Jeverländischen Nachrichten", in welcher Thätigkeit
er manchen Strauss zu bestehen hatte, da nicht wenige Leute im
Jeverland ihn als den „vorzüglichsten Vertreter der damals sogenannten
Reaktion" ansahen. Er hielt aber auf dem Posten aus, bis der Kampf
beendet war, und er, „durch keinen Gegner verdrängt", die Waffen
niederlegen konnte. Mit dem Jahre 1853 übernahm er die Redaktion
des noch heute im Oldenburger Lande und darüber hinaus wohl-
bekannten Volkskalenders „Der Gesellschafter", die sein rühriger
Vater von 1840 bis 1848, seinem Todesjahre, geführt hatte.
K. Strackerjan ward damals auch Mitarbeiter an der von
Dr. Frommann in Nürnberg herausgegebenen Monatsschrift „Die
deutschen Mundarten" und schrieb für die Jeverschen Schulprogramiue
einige wichtige Abhandlungen. Eine dieser Arbeiten „Zur Lehre von
der Congruenz im Lateinischen" (1856) erwarb ihm von dem Rektor
Breier in Lübeck den Antrag, sich um eine Stelle am dortigen Gym-
nasium zu bewerben, doch gab Strackerjan demselben keine Folge.
Am 3. Dezember 1857 traf ihn das schwere Leid, seine Gattin
durch den Tod zu verlieren. Dies beugte ihn tief nieder und ver-
düsterte ihm auch die 300jährige Jubiläumsfeier der Universität Jena,
zu der ihn sein Schwiegervater, um ihn aufzuheitern, geführt hatte.
Erst seine Vermählung mit der Tochter des Ratsherrn Schröder,
Mathilde, (1859) gab ihm frischen Lebensmuth wieder. Im Frühjahr
1864 als Rektor der höheren Bürgerschule in Oldenburg dorthin be-
rufen, wirkte er rege und erfolgreich auf dem neuen Gebiete und
errang nach manchem nicht leichten Kampf „seiner Schule", wie er
dieselbe zu nennen liebte, die Erhebung zur Oberrealschule.
*) Von den Werken Ch. Fr. Strackerjans nennen wir hier nur „Beiträge zur
Geschiente der Stadt Jever 1836", „Beiträge zur Geschichte des Grossherzogtunis
Oldenburg 1837", „Geschichte der Buchdruckerei im Herzogtum Oldenburg 1840",
„Oldenburgs Fest- und Jubelbuch 1839" und das bis jetzt noch ungedruckte, vor-
treffliche „Oldenburger Gelehrtenlexikon".
159
Ihm verdankt die Schule zum grossen Teil auch, dass sie
schon 1872 aus engen und wunderlichen Räumen in ein neues schönes
Prachtgebäude an der Herbartstrasse übersiedelte, und auch das
Herbartdenkmal in den Anlagen vor dem Schulgebäude verdankt
seinen Platz dem Eifer Strackerjans, der den Blick des Denkmal-
komites auf diese Stelle lenkte. Die Gründung und Einweihung dieses
Denkmals brachte ihn in Beziehungen zu Männern wie Simson und
Lazarus u. a., und deren Glückwunschtelegramme zu seinem Dienstjubi-
läum (1889) gaben dem Tage besonders festlichen und von ihm dank-
barlichst genossenen Glanz.
Zu Ostern des Jahres, in welchem er das ihm durch langjährige
Beziehungen trauliche und liebe Jever verliess, erschien im dortigen
Schulprogramme seine in der altdeutschen Forschung epochemachende
Abhandlung: „Die jeverländischen Personennamen u. Strackerjan gab
darin Kunde und zwar die erste Kunde von seiner für die weitere
Entwickelung der germanistischen Namensforschung höchst wichtigen
Entdeckung, dass alle altdeutschen Namen aus zwei Stämmen zusammen-
gesetzt sind, und Strackerjan hat zuerst das Princip der Kosenamen
„rund und nett ausgesprochen u (vergl. A. Fick, Die griechischen
Personennamen. Göttingen 1874). Das ihm leider von weniger
Kundigen zuweilen bestrittene Verdienst dieser wichtigen Entdeckung
giebt dem bescheidenen Manne, der es verschmähte, um seine An-
erkennung zu streiten, einen Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen
Forschung, und es ist wissenschaftliche Pflicht, besonders jetzt daran
zu erinnern.
Der Wissenschaft der Sprachforschung blieb Strackerjan immer
eifrig ergeben, doch konnte er zu weiteren umfangreichen Arbeiten
auf diesem Felde, das er besonders in der Etymologie zu bebauen
liebte, nicht die Zeit erübrigen. Denn das Emporringen seiner Schule
machte ihm nicht allein viele Freude, sondern auch viele Arbeit.
1867 wurde er ausserdem in die Schulkommission des Norddeutschen
Bundes berufen und gehörte auch wiederholentlich, zuletzt 1879/80,
der Reichsschulkommission an, in der seine Stimme gern gehört wurde
und er manche für ihn selbst und das Oldenburger Schulwesen wert-
volle Beziehungen anknüpfte. Er wurde im Juni 1866 als Direktor nach
Schwerin berufen, lehnte jedoch den Ruf ab, da er zum Direktor der
unter ihm emporgeblühten Realschule in Oldenburg ernannt wurde.
Mit den Leitern der für die Entwickelung des deutschen Schulwesens
ringenden Bewegung blieb er aber immer in innigster Beziehung und
hat stets unentwegt zur Schulreform im besten Sinne sein redlich
Teil beigetragen. War doch Anregen und Fördern einer guten Sache
ihm stets ein Ding, für welches er mit Begeisterung einzutreten pflegte.
Hier sei z. B. an die „Dichterabende", die er mit einer Erinnerungs-
feier für Ludwig Uhland einleitete, in Dankbarkeit erinnert. Er
wählte zu denselben immer Gedichte eines besonders hervorragenden
Dichters oder einer „Schule" oder der Dichter eines Landes aus und
liess sie vor einer grossen Anzahl geladener Gäste von seinen Schülern
in der Aula vortragen. Er selbst leitete diese anregenden Abende
160
stets mit einem litteraturhistorischen Vorwort ein und hat in den
Jahren 1872 — 1889 vierundzwanzig solcher Abende veranstaltet. Seine
Einleitungen sind fast alle in den Osterprogrammen der Oberrealschule
erschienen und würden gesammelt ein hübsches Buch geben.
Dankbar werden seiner die Schüler gedenken, die er auf der
sich immer erfolgreicher gestaltenden Schule mit mildem Ernste
erzog und bildete, sowie die Lehrer, die er im Einverständnis
mit den städtischen Behörden für seine Schule auswählte und denen
er die Freudigkeit am Berufe nie irgendwie getrübt hat. Er lies>
Schülern und Lehrern gern Spielraum zu freier Entwicklung ihrer
Thätigkeit, und alle hingen an ihm mit gleicher Verehrung.
Am politischen und kommunalen Leben nahm er gleichfalls
regen Anteil, und auch ihm war es beschieden, die meisten seiner
Jugendideale in leuchtender Herrlichkeit verwirklicht zu sehen. Mit
jugendfrischem Enthusiasmus begrüsste er die Neugestaltung des
deutschen Kaiserreiches; mit treuer Liebe hing er an dem Oldenburger
Lande, dessen Herrscherhause er innig ergeben war, und freute sich
mit kindlich reinem Gemüte, wie dies aus seinen guten Augen leuch-
tete, an allem Guten, Wahren und Schönen, was das Leben bieten
kann. So stand er in blühendem Alter, von Kindern und Enkeln
umgeben, ragend wie ein mächtiger Baum; da trat ihn vor zwei
Jahren plötzlich Krankheit an, der er zu erliegen drohte, und der
Tod einer geliebten Tochter, Frau Sophie Treitschke in Erfurt, traf
sein Herz schwer. Er hob sich freilich wieder empor, nahm seine
Thätigkeit frisch wieder auf und konnte noch im April 1889 sein
25jähriges Jubiläum als Direktor seiner Schule im Kreise seiner
Kollegen und Schüler feiern, aber die alte Spannkraft war dahin, der
Faden löste sich allmählich ab, und es ging zu Ende: er starb am
19. November 1889.
In seinen letzten Bestimmungen hatte sich Karl Strackerjans
schlichter Sinn alle Blumen- und Kranzspenden für seinen Sarg ver-
beten, aber in herzlichem Gedenken legt dankbare Erinnerung an den
treuen deutschen Mann einen vollen Eichenkranz auf sein Grab auf
dem Gertrudenkirchhof zu Oldenburg. Ehre seinem Andenken!
OLDENBURG. Reinhard Mosen.
Nachtrag und Berichtigung.
Nach Mitteilung der Herren Yolkmann & Jerosch in Rostock ist der oben
S. 37, 2. genannte Druck des Dithmarschm Liedes (für 5 L. St.J und das unter
3. angeführte Loszbach (für 20 L, St.) an das British Museum in London verkauft
Jahrg. XIV S. 19 Z. 2 v. u. lies 'Nordosten' anstatt 'Südosten'.
Drucke des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung,
i.
IUf«*lnicfl4'rfli*tit*«*hi* Ins! iuM'IHs|»irli
1
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II.
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Wörterbüclier des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung,
k\<M-l<*rlHi«-h tlt-r *\ «••>! I.ilisi Ikii YIiiihIhi'«
-Band 1" \
HitteliiitMlrnliMitsHirs Hundt* <»rl«»rli<i4*li
I tbben. S
< hrisii»iili Wallher.
12
lVoordeithnrli der f*r<iiiiiigM€»]iC' loiknlaal
Forschungen,
Herausgegeben vom Verein für niederdeutsche Sprachforschun
und I,:
Die Sm'Hlrr Tlinitfari.
Bind IL:
VolltfttnHrvhen mit« Pomuicrii und Hüu« n
l.ilni.
I (Im rslilit über die nietlcrläiidiftrtirn tolLsdint
■IttlforttoBtJielie AlIHliralioiieii.
Zui» 4.< sriii< hl i> der lU'tstsflint * ol Usst um im* Xor
itHclilaiKls sind r-<" im Alter«
Hilttdalfi uui.
Norden.
Diedr. Soli;
Jahrbuch
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
thrgang 1890.
XVI.
j-4-i-
NORDEN im.I LEIPZIG.
Ausarbeitungen, deren Abdruck im Niederdeutschen Jahrbnehe
gewünscht wird, sind dem Mitgliede des Redactionsausschusses Dr.
W. Seelmann, Berlin SW, Lichterfdderstrasse 30 zuzusenden. Die
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des Vereins Dr. W. H. MielcJc in Hamburg oder durch Anmeldung
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in Norden (Ostfriesland) gemacht wird.
Bis auf weiteres können die Mitglieder von demselben auch das
'Wörterbuch der Ostfriesischen Sprache von J. ten Doornkaat Koobnan'
(3 Bände gr. 8° kartonirt) für 15 Mark (Ladenpreis 44 Mark) post-
frei beziehen.
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gewünscht wird, sind mit dem Vermerk lZur Besprechung9 oder dgl.
dem Verleger oder einem der beiden anderen genannten Herren
zuzusenden.
Jahrbuch
des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Jahrgang 1890.
XVI.
NORDEN ort LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1891.
Druck von Diedr. Soltau in Norden.
Inhalt.
Seite
Hermen Botes Boek van veleme rade. Von Herrn. Brandes 1
Jacobs von Ratingen Lied auf das Breslauer Hostienmirakel von 1453. Von
Ed\var»d Schröder 41
Zum Kedentiner Spiel. Von C. Walt her 44
Die Bohne und die Vietzebohne. Von K. E. H. Krause 53
Tannhäuserlied und Maria tzart. Von AI fr. Puls . . 05
Braunschweigische Fündlinge. Von Ludw. Hänselmann 69
VIII. Sanct Annen Preis 09
IX. Marienieich 70
X. Ave maris Stella verdeutscht . .... ... 71
XI. llitmen de assensione domini 73
XII. Weiss und grün 74
XIII. Weltspruch 74
XIV. Judeneid 75
XV. Heilzauber 76
XVI. 'Wo soll ich mich hin keren' etc. niederdeutsch 77
XVII. Schampernolleken 80
Eine merkwürdige alte Fälschung. Von Ludw. Hansel mann . . . . 80
Über die Sprache der Wedemer Urkunde. Von C. Walt her 93
In Drunten varen, na Drunten gliden. Von C. Walt her 107
Joh. Leonh. Frisch als Sammler märkischer Idiotismen. Von L. H. Fischer 109
Eulenspiegels Grabstein. Von EdwardSchrüder 110
Lübecker Schulvokabular v. J. 1511. Von II. Jellinghaus 111
Bemerkungen und Besserungen zum Sündenfall. Von Rob. Sprenger ., . 11 6
Zur Kritik und Erklärung des Theophilus. Von Rob. Sprenger . . . 128
Zu Gerhard von Minden. Von Ed. Damköhler 139
Ein lat.-niederdeutsches Tractat aus Bursfelde. Von Edward Schröder 145
Salzwedcl und die übrigen Ortsnamen auf -wedel. Von Joh. Luther . . 150
Anzeige: Van Helten, Altostfriesische Grammatik. Von 0. Bremer . . . 161
Hermen Botes Boek van velenie rade.
Das Boek van veleme rade, eine allegorische Dichtung mit stark
hervortretender lehrhafter Tendenz, besteht aus zwei Teilen, deren
jeder fünf Kapitel umfasst. Der erste Teil enthält Vorschriften,
welche derjenige beobachten muss, der ein brauchbares Rad herstellen
will. Der Ratgeber vertritt die Ansicht, dass durch die tadellose Be-
schaffenheit des Mtthlen- und Kammrades der geregelte Gang der
Mühle vornehmlich bedingt wird, und dass eine Winde, ein Wagen,
ein Pflug nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sich der Wagner zu
den Rädern eines dauerhaften, der Art der Verwendung angemessenen
Materials bedient hat. Unter den fünf Rädern, zu deren Anfertigung
Weisung erteilt wird, sind der Papst, der Kaiser, die Fürsten, die
Städte und der Bauer zu verstehen. Ebensowenig wie sich das Pflug-
rad zum Wagenrade schickt, taugt der Bauer nach des Dichters Mei-
nung zum Städter oder dieser zum Fürsten. Jeder soll zu seinem
Teile dazu beitragen, dass die seinem Stande gestellten Aufgaben ge-
löst werden, es soll sich aber niemand um Dinge kümmern, die ausser-
halb des diesem vorbehaltenen Wirkungskreises liegen. Der zweite
Teil befasst sich mit fünf Menschenklassen, die bestrebt sind, der
Thätigkeit der geistlichen und weltlichen Gewalten, der Bürger und
Bauern, auf welcher die Wohlfahrt des Staates beruht, Abbruch zu
thun. Die erste Klasse bilden die Frauen, die zweite die unerfahrenen
Katgeber, die dritte die Schwarzkünstler, die vierte die Thoren, wozu
die Trinker, die Verschwender und die Zänker zählen, die fünfte die
Betrüger und Diebe. Wie die Träger der staatlichen Ordnung er-
scheinen auch die ihr feindlichen Elemente unter dem Bilde von
Rädern. Das Treibrad, das Spulrad, das Glücksrad, das Sporenrad
und das gebrochene Rad sind die von dem Dichter gewählten Ver-
treter.
Das Werk besitzt eine seinem Umfange entsprechende Einleitung.
Der Verfasser wrendet sich darin mit der eindringlichen Mahnung au
die Regierenden, allen Anreizungen des Neides und Hasses zu wider-
stehen. Von machtvoller Wirkung sind besonders die Verse, in denen
er Gott anfleht, jene Gewalthaber zu vernichten, die den eigenen Vor-
teil höher schätzen als die Zufriedenheit ihrer Unterthanen. In üblicher
Niederdeutsches Jahrbnoh XVI. 1
Weise verwahrt er sich am Ausgange dieses Kapitels gegen die Unter-
stellung, er habe mit seinem Tadel nicht gewisse Erscheinungen des?
Volkslebens sondern bestimmte Persönlichkeiten treffen wollen. Die
in den Anfang des 7. Kapitels gestellte Vorrede zum zweiten Teile ist
bedeutend kürzer gehalten als die Haupteinleitung. Der Dichter be-
schränkt sich hier darauf, die Gegenstände einzeln namhaft zu machen.
die in der zweiten Hälfte des Werkes behandelt werden.
Dass das dichterische Geschick des Autors kein gewöhnliche*
ist, verrät sich schon in der Wahl des Gewandes, in das er seine
Ideen hüllt. Es ist nicht das aufgeputzte leichte Mäntelchen vou
Citaten aus der Bibel und altklassischen Schriftstellern sondern
ein einfaches schmuckloses Kleid, ftlr das die Spruchpoesie das
Muster geliefert hat. Auch das muss uns als Zeugnis für seine
Begabung gelten, dass er es verstanden hat, den Ton dieser echt
volkstümlichen Dichtungsart in grossen Partien seines Werkes fest-
zuhalten, ohne zu irgendwie nennenswerten Entlehnungen aas der
Fülle des Vorhandenen greifen zu müssen. Er ist durchaus selb-
ständig. Selbst die Anklänge an ein Motiv des geistlichen Liedes,
die im 2. und 3. Kapitel hervortreten, können dieses Urteil nicht be-
einflussen, denn eine wörtliche Berührung zwischen dem Boek van
veleme rade und der geistlichen Dichtung von der Mühle1) findet
nicht statt und die einzige Ähnlichkeit in der Verwendung der Idee
des Mtihlenbaues besteht darin, dass beide den Mühlstrom in die Alle-
gorie ziehen. Die mittelniederdeutsche Litteratur hat nur wenige
Denkmäler aufzuweisen, die unserer Dichtung an glücklicher Erfindung
') Vom MUhlenliede sind, seitdem ich dasselbe im Nd. Jahrb. 9, 49 ff. be-
sprochen, drei weitere handschriftliche nd. Fassungen gedruckt. Aus dem um 150«
geschriebenen Werdener Liederbuch hat Jostes das Lied im Nd. Jahrb. 14, S3 f .
mitgeteilt (Jo). Die von Edw. Schröder ebd. 15, l ff. herausgegebene Ebstorfer
Liederhandschrift, die um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts entstanden ist
enthält ein Fragment desselben (&). Eine Angabe über das Alter fehlt bei dem
Abdruck nach einer Abschrift einer Revaler Handschrift, den Hofmeister seiner in
dem von ihm bearbeiteten 3. Teile von Wiechmanns Meklenburgs altniedersachs.
Litteratur S. 228 ff. publicierten Untersuchung Über das Lied beigegeben hat (R).
Jo schliesst sich an J an, mit dem es die Umstellung der Str. 7 und 8 sowie den
Ausdruck middernacht in Str. 13 gemein hat S und B gehören nur Gruppe
U Q N W, wie sich aus der in ihnen vorliegenden Folge der Str. 11—15 erriebL
Die von Hofmeister allein auf Grund der Str. 8 angenommene Wechselwirkung
zwischen dem Liede und den MQhlenbildern ist möglich, aber nicht sicher, solange
nicht ältere Fassangen, denen Str. 8 abgeht, vorliegen. Bis dahin muss sie um »o
mehr bezweifelt werden, als gerade die älteste bildliche Darstellung, die zu Trib-
sees, die aus dem 14. oder aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts stammt, die vier
Ströme zeigt. Die Str. 11—15 mögen später eingeschoben sein, da einzelne von
ihnen in manchen Texten fehlen und sie den Teil der Dichtung bilden, in dem die
stärksten Abweichungen stattfinden. Dem Egbert Hartem sucht Hofmeister einen
Anteil an dem Liede in der Weise zu retten, dass er ihm die Veranlassung des
ersten Druckes, des Rostock er, zuschreibt. Nun, dieser Anteil ist, selbst wenn er
zuverlässig nachgewiesen werden sollte, unbedeutend genug, da wir jetzt in £
einen älteren Vertreter der Redaktion besitzen, der U angehört. Wertvoller ist der
von Hofmeister gelieferte Nachweis, dass die im MUhlenliede behandelte Idee sich
aller Wahrscheinlichkeit nach bis in das vierte christliche Jahrhundert zurück-
verfolgen lässt.
und gelungener Behandlung eines eigenartigen Grundgedankens gleich-
kommen.
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass der Verfasser in städtischen
Kreisen zu suchen ist. Gleich in einem der ersten Kapitel tritt er
uns als Verfechter des Interesses der Städte entgegen. Mit Nach-
druck und unter Hinweis auf die zu erwartenden Gegendienste erinnert
er den Kaiser an seine Pflicht, die freien Reichsstädte gegen die Ver-
gewaltigung durch die Fürsten zu schützen. Dem fünften Kapitel
aber, welches ausschliesslich den Städten gewidmet ist, hat er einen
Umfang gegeben, der den der übrigen Kapitel mit alleiniger Ausnahme
des letzten beträchtlich überragt. Es ist bisher unbeachtet geblieben,
dass er sich akrostichisch nennt. Wenn man die Anfangsbuchstaben
des zweiten bis elften Kapitels zusammenstellt, so erhält man den
Namen HERMEN BOTE.
Hermen Bote ist keine unbekannte Persönlichkeit. Ein Bild
seines bewegten Lebens hat Hänsebnann mit ebenso sorgfältiger wie
geschickter Benutzung der vorhandenen Quellen in der Einleitung zu
seiner Ausgabe des Schichtbuches entworfen1). Wir entnehmen dieser
Darstellung, dass der Braunschweiger Zollschreiber, der sich durch
sein rechtschaffenes geschäftliches Gebahren den Haas zahlreicher
unlauterer Elemente der Bürgerschaft zugezogen hatte, in dem Auf-
ruhr von 1488 zum ersten Mal sein Amt verlor und wegen eines Spott-
gedichts auf die ans Ruder gelangte Partei, welches er in Gemeinschaft
mit dem Gerichtsschreiber Antonius Brandenhagen verfasst hatte, mit
Hausarrest belegt wurde. Den Inhalt des Liedes, das untergegangen
zu sein scheint, kennen wir aus Andeutungen, die sich im Schicht-
spiel2), im Schichtbuch3) und in der Chronik des Andreas Schoppius4)
finden. Es geisselte unter dem Bilde der Teilung einer Katze die
von den Gilden bei dem Aufstande verfolgten eigennützigen Motive.
Ueber weitere poetische Versuche Botes schweigen die Quellen. Das
Boek van veleme rade liefert uns den einzigen und deshalb um so
wertvolleren Beweis, dass er sein Talent nicht ungenutzt verkümmern
Hess. Auch Fragen des Tages zu behandeln hat er sich ungeachtet
der üblen Erfahrungen, die er gemacht, nicht abhalten lassen. Das
zeigt das bis zum Jahre 1514 reichende Schichtbuch. Freilich war
er vorsichtig genug, sich nicht offen zu der Verfasserschaft dieses
Werkes zu bekennen, das geeignet war, die Parteileidenschaften von
neuem gegen ihn zu entflammen. Hänselmann hat sich besonders um
die Verfasserfrage bemüht. Doch fehlte der von ihm zusammen-
gefügten Kette von Beweisstücken noch immer das Schlussglied, und
dieses liefert das Boek van veleme rade.
Die Absichten und die Voraussetzungen des Dichters und des
Chronisten sind dieselben. Wie beide sich in dem Streben begegnen,
Hohen und Niedern zu zeigen, dass sie auf verderblichen Wegen
dahi nschreiten, so werden sie nicht müde, zu wiederholen, dass aller
») Chroniken der deutschen Städte 16, 271 ff. — a) V. 838 ff. — s) Chroniken
der deutschen Städte 16, 372 f. — «) v. LÜienoron, Hist. Volkslieder 2, 215.
Zwiespalt in der Welt aus Haas und Neid geboren wird. Die Ein-
leitung des Schichtbuches, die fast ausschliesslich von den Ursachen
der Zwietracht handelt, ist nichts als eine Paraphrase der Abschnitte
I, 21 ff. und V, 146 ff. der Dichtung. Man beachte, dass der zu Macht
und Einfluss gelangende grosse Haufe hier wie dort mit den Säuen
verglichen wird, denen man Perlen vorwirft, und dass diese Parallele
im Schichtbuch noch dreimal wiederkehrt1), was auf eine gewisse
Vorliebe des Verfassers ftlr dieselbe schliessen lässt. Die Verse, die
die Einleitung der Chronik beschliessen, stehen im Boek van veleine
rade VIII, 27—28 u. V, 193—194. Obwohl der Spruch vom alten Hasse:
Olt hat, egene nuth, jungh rad
de vordervct mennige stad.
weit verbreitet ist2), so braucht doch die Annahme, der Chronist habe
für den Ausgang eine andere direkte Vorlage besessen als das Boek
van veleme rade, schon deshalb nicht erörtert zu werden, weil die
Verse:
Eyn luttingk states
unde eyn weynich hates
dat bearoch den armen Pilates.
sich sonst nicht nachweisen lassen. Diese Beziehungen zwischen einem
Teile des Schichtbuches und Botes Dichtung erweisen sich als höchst
bedeutsam, wenn mau sie mit der Thatsache in Verbindung bringt,
dass die älteste Fassung des Schichtbuches in der Handschrift des
Dichters auf uns gekommen ist. Denn will man nicht annehmen, dass
dieser das Werk eines Dritten kopierte, der Partien aus seinem Boek
van veleme rade teils paraphrasiert, teils ausgeschrieben hatte, so
muss man zugeben, dass er selbst der Verfasser des Schichtbuches
ist. Auch die Möglichkeit, dass Bote ein fremdes Werk mit Zuhilfe-
nahme seiner eigenen Dichtung umarbeitete, bleibt beiseite, da das
Schichtbuch durchaus den Eindruck eines einheitlichen und geschlosse-
nen Ganzen macht. Der der Dichtung und der Chronik gemeinsame
Grundgedanke ist mit äusserster Konsequenz festgehalten, die allego-
rischen Ausführungen aber, die fremden Bestandteilen am meisten
ähnlich sehen, begegnen ebenso im Innern wie im Eingang der ein-
zelnen Kapitel.
Botes Beziehungen zum Schichtbuch werden noch durch einen
anderen Umstand bezeugt. Zwischen Titel und Text, also genau an
derselben Stelle, an der im Schichtbuch das merkwürdig verzeichnete
Bild eines Mannes in Botentracht angebracht ist, das Hänselmann als
redendes Bild erkannte, hat das Boek van veleme rade einen fast
seitengrossen Holzschnitt, der einen Mann mit unverhältnismässig
grossem Kopfe darstellt. Da die über dem Bilde stehenden Verse
und die Nebenschrift keinen Zweifel darüber lassen, dass der Dichter
es als sein eigenes angesehen wissen will, so liegt die Verwandtschaft
zwischen dem Holzschnitt und dem farbigen Botenbilde der Chronik
l) Chroniken der deutschen Städte 16, 311, 1; 312, 18 und 312, 26. — ') Vgl.
Die jüngere Glosse zum Reinke de vos III, 12, 34^.
zu Tage. Ans dem Wortgehatz und dem Satzbau der Denkmäler
Schlüsse zu ziehen, vermeide ich, weil es sich nicht um zwei gleich-
artige, sondern um ein poetisches und ein Prosadenkmal handelt.
Eine einzige hierher gehörige Beobachtung erwähne ich nur ganz bei-
läufig. Sie betrifft das Wort licktvol, das in beiden Denkmälern an
einzelnen Stellen auffallend häufig erscheint. Auch die Orthographie
muss unberücksichtigt bleiben, da nur das Schichtbuch handschriftlich
überliefert ist und sich hinsichtlich des Druckes der Dichtung nicht
feststellen lässt, wie weit der Einfluss des Setzers reicht. Eigentüm-
lichkeiten wie die Gleichmässigkeit in der Verwendung des gh und
in der Bezeichnung der Vokallänge durch nachgesetztes e können sehr
wohl der Thätigkeit des letzteren beigemessen werden.
Wie das Schichtbuch ist auch das zweite Stück der Handschrift,
das Wappenbuch, von Bote verfasst. Den Beweis liefert der folgende
Abschnitt über die Hansestädte (Chron. der deutschen Städte 16, 478,
10 ff.): So volghen hirna de erbaren stede, geheten de hengstede . over
dersulften stede is vele van dem henghe vollen, so is der och noch vele,
de dussen hengk noch vaste holden umme wolstandes teilten. So sunt
se doch hir tosamede tohope gesät, so se in olden tiden liebben sich
tosamede geholden, eyn by der anderen stad, to donde alse eyn van der
anderen tvolde gerne nenien. Och gy erliken stede, de henge de ja ufh
der keden entvallen sin, henget ju juck tvedder tosamede: gy maked wol
eyn vaste keden wedder myt densulven, de noch tosamede sin, unde
kriget de anderen lede wedder, alse gii besten kunnen, der Boek van
veleme rade V, 79 ff. umschreibt.
Von dem alten Drucke der Dichtung Botes hat sich nur 6m Exem-
plar erhalten, welches die gräfl. Bibliothek zu Wernigerode besitzt.
Es ist ein seltsamer Zufall, dass es gerade an dem Orte aufbewahrt
wird, von dem die Familie des Dichters ausgegangen zu sein scheint !).
Vor der Versuchung, ihn durch den verwandtschaftlichen Zusammen-
hang der Braunschweiger und der Wernigeroder Träger des Namens
Bote zu erklären, werden wir durch die am Schluss etwas verwischte
Notiz auf Bl. 31b: Ex Auet. Lüb. d. 12 Apr. 171 * bewahrt, aus der klar
hervorgeht, dass es nicht ein Mitglied der Wernigeroder Familie Bote
gewesen ist, das das Buch an die gräfl. Bibliothek abgegeben hat.
Das dünne Bändchen trägt die Bezeichnung PI 2637. Es besteht aus
sechs Bogen, von denen die ersten vier je sechs Blätter, der fünfte und
sechste je vier Blätter zählen. Die Signaturen laufen von ai) bis aüj
und von 93 bis gü; das letzte Blatt ist unbedruckt. Mit Ausnahme
des ersten wird jedes der elf Kapitel des Buches durch einen Holz-
schnitt illustriert; dazu tritt ein elfter, der auf der Rückseite des Titel-
blattes (Bl. lb) angebracht ist. Die Illustrationen der Bll. lb, 12b, 16b
und 27b weisen jene bekannten, Unebenheiten des Erdbodens dar-
stellenden Omegastriche auf, die man am häufigsten auf bildlichen
Darstellungen findet, mit denen aus der Officin des Matt h. Brand is
hervorgegangene Druckwerke ausgestattet sind. Wenn nun auch die
') Schichtbuch Anni. 39,
übrigen sieben Holzschnitte dieses charakteristischen Merkmate ent-
behren, so gleichen sie doch der kleineren Gruppe in der Art der Aus-
führung so sehr, dass man annehmen muss, dass die Herstellung- des
gesamten Bilderschmucks des Werkes 6iner Hand anvertraut ge-
wesen ist.
Der Formenschneider, der die Illustrationen zu dem Boek van
veleme rade geliefert hat, hat Anteil an mehr als einer der bedeutenderen
Hervorbringungen der nd. Litteratur des ausgehenden 15. Jahrhunderts.
Das Dunkel, das lange auf seiner Persönlichkeit ruhte, hat sich schon
stark gelichtet, denn nachdem die Spuren seiner Kunstübung auch in
einem der in Dänemark entstandenen Brandisschen Presserzeugnisse
nachgewiesen sind1)* unterliegt es wohl kaum noch einem Zweifel, daas
er mit dem Mohnkopfdrucker identisch ist. Von Werken, die in
seiner eigenen Druckerei hergestellt sind, hat er mit Holzschnitten
versehen:
1. Canuti expositiones (Ribe, 1504),
2. die Evangelia (Lübeck, 1492) 9),
3. den Reynke (Lübeck, 1498),
4. das Narrenschyp (Lübeck, 1497),
5. Henselyns boek (o. 0. und J.).
Als Drucker des zuerst genannten Buches bezeichnet er sich namentlich,
die nächsten beiden Werke tragen seine Druckermarke. Den Gründen,
die bisher geltend gemacht sind, um ihm das Narrenschyp zuzusprechen,
lässt sich ein weiterer hinzufügen, der jeden Einwand ausschlieft.
Einzelne Drucke des Matth. Brandis haben über dem Titel eine Krone,
so die Evangelia, der Salter to dude von 1493, Sunte Birgitten open-
baringe von 1496, der Dodendantz, der Speygel der leyen und das
Boek van der navolginghe Jhesu cristi aus demselben Jahr und der
Reynke. Wir dürfen demnach kein Bedenken tragen, die Krone des
Titelblattes unter die Kennzeichen der aus der Brandisschen Officin
hervorgegangenen Druckwerke einzureihen. Da nun das Titelblatt der
älteren nd. Bearbeitung der Dichtung Seb. Brants die Krone aufweist
so ist Matth. Brandis unfraglich als derjenige zu betrachten, der den
Druck derselben besorgt hat. Auch der Henselyn besitzt in dem Toten-
kopfe, der sich auf dem Schlussblatt findet, ein Merkmal, das, obwohl
es in zahlreichen Drucken des Mohnkopfdruckers erscheint, doch nir-
gends ausdrücklich als Kennzeichen derselben aufgeführt ist. Der
Totenkopf ist im Salter, in den vier Drucken des Jahres 1490, im
Reynke und im Dodendantz von 1520 angebracht. Wenn er im Hen-
selyn auch nicht wie sonst als Beigabe der Wappen des Matth. Brandis
vorkommt, so stützt sein Vorhandensein die von Wiechmann3) zu Gunsten
des Mohnkopfdruckers geltend gemachten Gründe doch erheblich.
Aus der kleinen Zahl von Schriften, von denen wir annehmen
müssen, dass Matth. Brandis sie sowohl illustriert als gedruckt hat.
dürfen wir aber keineswegs auf seine Gesamtthätigkeit als Holz-
*) V^l. Seelmann, Ccntralblatt fiir Bibliothekswesen 1, 23. — a) Das Breslau«
Exemplar ißt von Pietsch im Nd. Korrespondenzblatt 1 1 , 2—8 beschrieben,
8) Serapeum 23, 177—185,
Schneider, ja nicht einmal auf seine künstlerische Wirksamkeit
schliessen, soweit sie sich auf Produkte seiner eigenen Druckerei er-
streckt hat. Fehlt doch noch jede nähere Angabe über die bildlichen
Darstellungen im Salter, im Totentanz von 1489 und in den Drucken
aus dem Jahre 1496! Noch viel weniger wissen wir über das Schaffen
des Meisters, insofern es fremden Druckereien zu gute gekommen ist.
Nur eine sorgfältige Untersuchung der Illustrationen aller in Lübeck
in den letzten Jahrzehnten des 15. und in den ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts gedruckten Bücher kann uns in dieser Beziehung
Klarheit verschaffen. Eine solche Arbeit ist mit besonderen Schwierig-
keiten verknüpft, nicht nur wegen der Zerstreutheit des Materials,
sondern auch weil die Omegastriche das einzige Mittel zur Erkennung
des Formenschneiders bleiben. Man muss sich besonders, sobald es
sich um verschiedene Werke handelt, davor hüten, aus der besseren
oder geringeren Beschaffenheit der Holzschnitte Schlüsse zu ziehen,
denn das Vermögen des Künstlers zeigt sich selbst in den Illustrationen
ein und desselben Buches auf sehr verschiedener Höhe. Ein Blick in
das Narrenschyp genügt, um dies zu erkennen. Die Doppelbilder auf
den B1L 150* und 176a, die die Omegastriche aufweisen, unterscheiden
sich durch Feinheit und Sauberkeit der Zeichnung von den übrigen
Holzschnitten mit den charakteristischen Strichlagen so bedeutend, dass
man, wäre nicht der Urheber so deutlich bezeugt, schwerlich geneigt
sein würde, in ihnen Arbeiten desselben Künstlers zu erkennen.
Dass Matth. Brandis als Formenschneider geschäftliche Beziehungen
zu anderen Lübecker Druckern unterhalten hat, ergiebt sich aus den
von Prien l) und Hofmeister2) gemachten Beobachtungen. Beide haben
Spuren seiner Thätigkeit in Drucken des Steffan Arndes aufgefunden.
Steht von den beiden Holzstöcken, die er diesem für das Ditmarschen-
gedicht überlassen hat, auch fest, dass er sie schon für das Narren-
schyp gebraucht hat, so ist doch keineswegs fraglich, dass er ihm auch
solche geliefert hat, die von ihm vorher nicht verwandt waren. Die
Holzschnitte der Bibel von 1494, die die Omegastriche in allen den
Fällen aufweisen, in denen nicht das Innere eines Hauses dargestellt
ist, sind eigens für diesen Druck hergestellt. Hinsichtlich des Passionais
fehlen leider die entsprechenden Angaben. Der geschäftliche Verkehr
beider Drucker hat mit dem Fortgange des Matth. Brandis von Lübeck
aufgehört. Wäre nun der Formenschneider, der sich durch die Omega-
striche zu erkennen giebt, nicht mit Matth. Brandis identisch, wie Hof-
meister annimmt, so wäre nicht zu verstehen, weshalb sich Steffan
Arndes, nachdem Brandis Lübeck verlassen hatte, seiner Dienste nicht
noch weiter bedient haben sollte. Holzschnitte mit den Omegastrichen
sind aber in Arndesschen Drucken, die nach 1504 fallen, nicht nach-
gewiesen.
Auch das Boek van veleme rade ist mit Typen des Steffan
Arndes gedruckt. Von den Initialen desselben kommen EHMNR
schon in der Bibel von 1494 vor, jenem Drucke, der so merkwürdig
») Nd. Jahrb. 10, 91 f. — *) Mekleiibnrgs altniedersächswehe Litteratur 8, 10«.
8
buntscheckig aussieht, weil manche seiner Initialen in zwei, ja in noch
mehr verschiedenen Formen auftreten. Die Drucklegung ist wohl in
den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts erfolgt, doch noch vor 1504.
Aus welchem Grunde Kinderling, Gesch. S. 380 f. den Druck in das
Jahr 1509 setzt, weiss ich nicht.
Unreine Reime finden sich in der Dichtung in ganz geringer An-
zahl. Wenn I, 47 herten und parthen reimen, so ist zu berücksichtigen,
dass der Dichter zwischen e und a in der Nachbarschaft: von r be-
ständig wechselt. I, 67 stehen teil und snel im Reime (vgl. V, 31 trd :
mel); I, 75 clene und meyne; II, 89 dämmen und kamen; V, 71 dobbelt
und hovelt; VI, 103 konen und vorghunnen; XI, 109 cristentcarlde und
parle. Selbst e : en ist selten; die Bindung erscheint IV, 67; V, 83 und
VI, 89.
Abkürzungen habe ich aufgelöst. Der Druck verwendet den Strich
ftlr m und n und ein Häkchen flir er, einmal ftlr or (in vorgaen V, 163»;
für unde setzt er nicht selten rn. XI, 92 steht ihüs. i und j, u und
v habe ich nach heutigem Gebrauche geschieden, die Personennamen
mit grossem Anfangsbuchstaben versehen, getrennte Silben eines Wortes
vereinigt.
[Bl. 1 »] Tan veleme rade byn ik oyn boek
Unde segge uns van der werlde loep.
[Bl. 1 fc] Hoert, hoert, ick schal juw vorteilen,
Dat ick vorvaren hebbe van velen ghesellen!
Ick byn eyn van den vrommeden gnesten;
Rore ik dy, vorghiff id mi unde keret tome besten.
[Holzschnitt: Ein Mann, der in der erhobenen Rechten eine Rolle hält; links von
dem Kopfe desselben: wal up myt, rechts davon: v roden.]
I.
tB1, 2 al J§ß2|Elp got, wy begheren dyne gnade,
1P Dat sy avent, morghen, vro effte spade.
Sture du den wolt unde ghewalt,
Dede dyne arme creature avervalt
5. Mit homode unde mit unrechte!
Leve here, laet vorswinden de quaden siechte,
Dar hoen, laster unde schände
AfF komen mochte in de lande!
Wente wo boze, wo valsch unde quaet
10. Mank den luden is nyt unde haet!
Dat wet nemant unde recht vorsteit
Wen de jenne, de mit eynem ummegeit;
De hefft dar synne unde merke by,
Wer eyn truwe effte valsch van herten sy.
15. De almeehtighe got uns dat vorbut,
Nyt unde hat; gij weldighen, merket dut!
9
Wente dorch hat unde hovart
De duvel uth dem hemmele vorstot wart,
Darto unse erste vader Adam
20. Van homode uth deme paradise quam.
Nyt unde hat de maket alle twidracht
Unde benimpt den weldighen ere walt unde macht.
Hirumme weset voersichtich overal,
De land unde lüde regeren scal!
25. Gy seet wol, wo nu de werld staet:
Me pinst nicht gudes men alle quaet.
De jennen, dede eyner ghemeynte scholen voerwesen,
Beghinnen nu alto seer in eren sak to lesen,
Nicht achten se der undersaten staet;
[B1.2^]30. Darumme de werld nu so kumpt in alle quaet.
Geystlik unde alle de werldlike acht
Beghert unde is des werves macht.
Splith to dy unde rith,
Dat esschet nu de tith.
35. Me sprikt nu: *ik wilt dy in der hant wol seen,
Wultu mit der proven effte rechte hennetheen.
Ifft ik scal vele doen, math bringet mede.'
So secht me nu unde is der werlde sede.
Dyt is jo jeghen godes ghebot.
40. Vordelghe desse tirannen, du almechtighe gotl
Dyt is quade unde boze voersichticheit.
De al up Vordruck der undersaten gheit.
Sus maket manck den luden leve unde vrede!
Alzo sprikt des hochgreven voerrede.
45. Eyn iewelk de vorsta wol myn ghedicht.
Wes myn munt hirinne vorswicht,
Dat vorblifft van dumheit mynes herten.
Nemet dat to synnen van viff parthen!
Wente viffleye rede in der werlde synt.
50. Der bruken aller moder kynt,
Unde viff rade sik dar mank drenghen,
Dar me guet unde quaet kan mede vormenghen«
Hirumme, gy redere, up guet holt schole gy jw vorstaen,
Wen gy eyn guet rat willen tohope slaen.
55. Tobrockehk holt vint me dorch alle lant.
Wor eyn appelrys u]) eynen kolstrunck wert gheplant,
De boem werde hoch effte syt,
De appel smecket na deme stammen alletyt.
[Bl. 3»] Sure wortelen de dreghen sure vrucht,
60. De gude arth thuet gude tueht.
Gy woltmanne, wen gy to holte varen,
Dat beste holt schole gy uthclaren.
Doet nicht alze eyn untruwe knecht
Unde ladet up beide, krum unde recht 1
10
65. laset dat gy seen eynen schonen gronen boem staen,
Dar eyn quaet telghe waeset an,
De darane vorsoren nnde vordorren wil,
Den houwet äff tohant unde gans snel,
Uppe dat de gantze boem dar nicht äff vorsore,
70. Unde latet den vulen in drecke unde in more!
Dat wil ik nu hir laten by blyven
Unde wil vorder van dessen viff raden scryven.
Dat wil ik mit deme hoghesten rade anheven.
Eyn iewelik de vorsta dat even,
75. He sy arm, rike, groet elfte clene,
Wo ik myn ghedichte meyne.
Me scal neen dinck int qnadeste bednden;
Wol isset nn eyne sede manck luden.
Wen eyn man hir wolde up nucken,
80. Unde wolde sik dyt to hone tucken,
Des kan ik unbelerde knecht nicht keren.
Eyn iewelk de mach hiruth leren,
Wo hoch he sik up sine herschop vorlate.
Eyn iewelk de holde sik na syneme State,
85. De pawes baven de papen,
De keyser baven vorsten unde knapen,
De vorsten baven rede unde stede,
[Bl. 3«>] gyn iewelik na sineme trede.
So dusse viff rade in ereme grade staen,
90. Dar mach eyn iewelk na to rade gaen
Unde mach daruth proven syn beste.
Wy sint hir up erden vrommede gheste.-
IL
Dat molenrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein Rad. Hinter demselben steht der Papst mit der
dreiteiligen Krone auf dem Haupte, den Krenzstab in der Rechten haltend.
Rechts und links vom Papste Kardinäle und Bischöfe.]
[Bl. 4»] H^^Ere got, giff dyner gnaden schyn,
Ww ^a* ^e 8e^8*^"5:e ach* mo*e *n dogeden syn.
..t-j ßecht. g0 gcoie gy dyt vorstaen,
Gy molemesters, wen gy to rade gaen
5. Unde willet darup sinnen unde proven,
Wat gudes rades gy to der molen behoven.
Se scal hebben twe rade unde nicht meer,
Dat is de gheystlike unde de werldlike eer.
Wen de pawes unde de keyser overeyn staen
10. Unde in eyner wellen na dem cirkel ummegaen,
So steit dat gans wol in der cristenheit,
Dar grote gnade unde vrede van besteit.
Gy kardenale, weset cloek unde wyß,
Unde du hoghe mester van RodyfM
11
15. Vindet de wise «ade den vunt
Unde maket der molen eynen vasten grünt!
De Tyber scal wesen de stroem
Unde de hoghe stat Rome de gruntloze boem.
Dat molenrad scal gans eckervast holt wesen,
20. Darto schole gy molemesters dat beste uthlesen.
Seet to, dat to dem rade nicht käme qnaet broekelik holt!
Wente dem rade vaken wedderspoet anvolt,
Dar de hillighe kerke vaken wert mede beswaret,
Darvan de cristenlove ovel varet,
25. Unde wedder godes recht syn loff unde eere
Mit bozem rade wert vorkrencket Beere.
Den schal dat vuer ewichliken plaghen!
Nene gnde molenwelle kan wol dat rad draghen.
Deme pawes unde keyser ghebort van plicht
30. Walsch unde dudesch van ghehicht. [BUb]
Van god synt gy darto uthvorwelt,
Nicht mit walt daran ghestelt.
Gy weldighen, maket de twe rade in eynheit,
Dar geystlik unde werldlik recht anesteit!
35. Dat waterrat schal wesen de geystlike acht.
Seet to, dat dar neen quaet werde toghebracht!
Dat kan der vloet nicht liden.
Allerleye holt schole gy miden.
Wente de beke dat is de hillighe scrifft,
40. De dyt molenrat ummedrifft.
Theet up dat schuttebret, schuwet nemande nicht,
Strenge in der preddighe, sachtmodich in der bicht!
De gruntboem schal wesen eyn vast pael,
Wol doerwracht mit vseren unde stael.
45. Se in dyn rath, eyn knecht aller knechte 1
Synt de beiden cirkelbaghen ok rechte,
De in dynem rade ummeheergaenV
Weü se ok rechte wol staen?
Hebbe gode leff unde den even mynschen dyn,
50. Dat scholen de twe cirkelbaghen syn.
Unde eyn vrunt der hillighen kerken
AI na sunte Peters werken,
Wes deme wrevel unde stolt,
De synen geystliken staet nicht holt!
55. Du syest kardenal, bisscop effte prelate,
Sus schole gy nagaen al na juwem State.
Weset al like uprichtich unde recht,
Hebbet got leff unde dat mynschlike siecht,
[Bl. 5*] Holdet vrede, leve, eyndracht na godes both,
60. Dat nene loßheit under der geistlicheit sy behot!
Doet juwen schapen, alze gy begheren to nemen,
So dorve gy juw vor godes richte nicht scheinen 1
12
Got wil richten beide guet unde quaet.
Wat achtet he juwen groten staet,
65. Dar gy juw so groet an vorheven!
Gy prelaten scholden dencken, dat gy mit gode mochten leven.
Gy achten nu meer de werldliken ere
Wen godes both unde syne hillighen lere.
Dach unde nacht schole gy hirup dencken,
70. De den cristenloven wolde krencken,
Dar unlove unde ketterye mochte van bestaen.
So wil juw got in syn rike entfaen
So hartliken als dat holt van eken
Unde dat kruce Cristi, dat hillighe teken,
75. Dat dorch de wellen an dat rat gheit,
Dar got aneleit vor de cristenheit.
Darmede schole gy slaen unde striden .
Unde so alle quaet mede vordriven unde myden.
Vorstaet juw wol up de olden unde nyen ee,
80. Dat dar jo neen mißlove inne schee!
Weset mesters in der hillighen scrifft!
Wen denne dat water dyt rat ummedrifft,
Wowol dyt rat denne ummegheit,
Unde vuste beth de steen sinen loep deit!
85. 0 hilligheste vader, vorsta even des rades math
Unde see wol to in dyn molenrath,
Dat id jo ummegha na der rechten schiven,
[Bl. 5i>] Dat dar droch unde loßheit moghe affblivenl
Unde gy molmesters, gy scholet so dämmen,
90. Dat de vloet moghe wol tohope kamen,
Beide van den jungen unde van den olden,
Unde scholden eyn concilium holden.
So kreghe gy wol de vorvarenheit unde lere,
Wer ok feyl in dem cristenloven were.
95. Wente twedracht, unhorsam unde ban
Dar werden de kerken woste van.
De cristenlove wert darmede gheschent,
Darto vorhardet unde vorblent.
Wor missewaet dat harnsch kricht
100. Dar wert alle ungelucke angherictit;
Darover vorlust borgher unde de arme buer
Unde werden ghejaghet uth erem schuer.
In den kerken dar wasset loeff unde gras,
Sodder dat de Sprengel wart eyn blas;
105. Darvan synt ghesehendet kerken unde kluse,
Darto de armen sekenhuse.
O du pape, su an dussen overval!
Wer me so de hillighen kerke wigen schal?
Dar vlucht de krezem mit deme wigwater uth.
110. O sture, sture, se is jo godes bruthl
IS
Vorbede den platten den yseren hoet,
Wente id jo nicht wesen moet!
Sette up de krönen des bischoppes ghewaet,
So als gy vor deme altare staet!
115. Geystliken staet, geystlik wark,
Unde dat so geholden strenge unde stark,
[Bl. 6»] Geystlike cledere unde geystliken raet,
Unde begaen gude werke unde gude daet,
Eyn iewelk geystlik persone dyt vorsta!
120. 6a gy wol voer, de leyen volghen wol na!
Worto gy sint uthvorwelet
Unde mit weme gy jw hebben ghesellet,
Gy sint baven alle State goldes ghewert.
Wente gy sint so hoch ghelert,
125. Dat gy gode laden uth der hoghesten stede,
Dar wy bedencken unse salicheit mede,
Unde sacreren hirnedden in dat broet.
0 pape, dyne ghave unde gnade is groet.
Dencke, wer du ok des werdich bist,
130. Dat du sealt benedyen dynen.heren Jhesum Crist.
Bespeghele dy an dusseme molennade.
Wo hoch dat du bist in dinem grade!
III.
[Bl. ßb] Dat kamrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein Rad. Hinter demselben steht der Kaiser mit der
Krone auf dem Haupte, den Reichsapfel in der Linken, das Schwert in der Rechten
haltend. Rechts und links vom Kaiser die Kurfürsten.]
^yn iewelk de merke myn ghedicht,
Dat sik dar nemant unrechte in berieht!
Mit guder hulpe is guet wat to laden.
Wor id wol wil, dar is guet to raden,
5. Dat sy lant unde lüde, dorp unde stad.
[Bl. 7»] Wes upgherichtet, du hochghebarne kronde rad!
Dat kamrat mote wy ok to der molen han.
Gy eddelen koerforsten, dencket hiran,
Wen dat romesche rike vorstorven were,
10. Gy ertzbisschoppe Kollen, Mentz unde Trere!
De hochwerdighe konninck, to Bemen ghenant,
De paltzgreve unde hertighe to Sasserlaut
Unde de hochghebaren marchgreve to Brandenborch,
De synt alle erluchtet mit dogheden dorch.
15. Slaet dat kamrad tohope vast unde dicht,
Unde dat id hebbe nenerleye ghebrek nicht,
Van hoghem State, eddel ghebaren
Unde van ecken, haghedorn utherkarenl
De cirkel scal vast ecken droghe holt wesen
20. Unde de kemme vast haghedorn uthghelesen,
14
Dat id vorwaret sy vor eynen harden stoet,
Wente gyn anvechtent is tomale groet,
Dat id moghe heyl in sik sulven blyven,
Wente dat moet den oversten steen ummedryven.
25. So is desseme kamrade wol ghelick
De erluchtigheste hochwerdigheste keyser rick.
Wen sik de mit deme waterrade voreent
Unde se alle beide der hillighen kerken deent,
0 wo wol denne de overste steen gheit
30. Unde in der cristenheit denne wol steit!
Dyt kamrad scal wesen haghedornen holt.
So scal wesen van arabischem golt
Unde van eddelen stenen des keysers kröne fyn,
Dat sine doghet do der gantzen werlde schyn
35. Na des groten keyser Karies aert, [Bl.7b
De mit sinen dogheden mennich lant hefft bekaert,
Dat syne eere, syn loff in der cristenheit
Wart ghesecht, ghedelt wyd unde breit.
Gy koervorsten, wen gy so to rade gaen
40. Unde sus eyn kamrad tohope slaen
In eyndrachticheit, in vrede, in leve,
Nicht mit twen tunghen, mit winckelen, oghen scheve:
Is he in dyssen dogheden ghelick,
So is he eyn recht keyser deme romeschen rick.
45. Gy koervorsten, mit den romeren schole gy wesen een,
Wille gy anders dat kamrad verdich seen,
Unde gheven gode, dat gode behoert,
Unde gheven aem keyser, wat deme keysere boert.
Juwe loff unde eere kumpt to weerde,
50. Wen gy strenghe richten mit juwem swerde.
Dat velich sy de keyservrige strate,
Dat themet der keyserliken majestate.
Ghevet juwen rikessteden walt unde macht,
Dat se nicht werden vordrucket effte voracht!
55. Dat hoert to der keyserliken majestaet:
Du scalt stören ere unghelucke unde quaet.
Se heten des keyserrikes stede,
So behort dy, keyser, se to bescharmende in vrede,
Dat en nene vorsten doen unghevoech:
00. So deystu dynem keyserliken majestate noech.
So konen se dy mit macht ghedenen.
Höre den raet, de dy mit truwen menen!
Hebbe eyn vurich herte, waerafftighe bicht,
[Bl. 8»] Unde dat dynes rikes recht nicht werde vornicht
05. Dorch affgunst, ghiffte unde ghave,
O du eddele kamrat, laet dat dar ave!
In des pawes macht unde des keysers walt
Yaken wol wat bozes rades entwisschen valt,
15
Dar de cristenheit mede vofdrucket wärt.
70. So steit de salicheit des rikes recht in twepart.
Gy korvorsten, wieset cloek unde vornufft,
Dat dyt kamrat nicht käme in sodane clufft!
Latet den cirkel wesen rund recht
Unde volghet dem knechte aller knecht
75. Unde beghaet mit em alle gude werke,
So is des rikes recht mechtich mit aller Sterke.
So wert de romesche koninck hoch gheacht.
0 du kamrad, wes so tohope ghewracht,
Dat de overste steen wol ummegha
80. Unde dat de mole dar nicht van besta!
Hirumme vornufft, bekentenisse unde redelieheit,
Weset stede unde vast in arbeit!
So moghe gy korvorsten groet loen cntfaen,
Dat disse twe rade in eyner wellen like recht ummegaen.
85. Wente desse twe rade maken de salicheit,
Wen disse mole in vruntliker leve ummegheit.
Seet, woervan hebbe gy adel unde syrheit uth, .
Herschop, manschop, lande, stede unde guethV
Holdet dyt eddele kamrad by weerden unde eren,
90. So blyve gy ok sulves vorsten unde heren.
Du kamrad, holt dy ok sulves by weerden!
Du alderhogheste hir up eerden,
[Bl. 8b] In deme vaerliken State, dar du inne bist.
Holt vor oghen dynen heren Jhesum Crist!
95. Du bist eyn man alze eyn ander man,
Wan dat dy got der eere ghan. *
Holt keyserliken staet, do keyserlike daet!
Deystu so, dyner zele der wert wol raet.
Sprek guden raet mit waerheit doreh dynen inunt
100. Uth dynes gantzen herten grünt
Unde bespegele dy an dessem kamrade,
Wo hoch, wo eddel dat du bist in dyuem grade!
IV.
[BL 9*] Dat windelrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein Rad. Hinter demselben steht der König mit der
Krone auf dein Haupte, das Scepter in der Linken haltend. Rechts und links vom
König je zwei Fürsten. Eine Scheidewand trennt die Personen von dem Rade und
verdeckt ihre Unterkörper.]
Echt eddel is gheboren mennich man,
_ De den eddeldoem holt unde kan
^ Unde sik in eren, in dogeden darna boghet.
Eynen eddelen man maket sipe doghet.
5. Gy konninge, vorsten, graven hochgeboren,
[Bl. 9»>] Ghedeneket an juwe olderen hir bevoren,
Wo eerliken, wo werdighen dat de olden
16
Hebben dyt windelrad gheholden
Unde hebbent ghebuwet mit alle eren werken,
10. Stede, borghe, klostere unde kerken!v
Hirnmme is juw dyt windelrad anghearvet,
Dat juw eere, adel unde salicheit vorwarvet,
De sik anders hirane priset
Unde an dussem windelrade bewiset,
15. Dat de kerke unde klostere so werden bevestet,
Dat dar neen roeff edder ketterye inne nestet,
Unde stede unde borghe so werden bemuret,
Dat de truwe ackerman werde beschuret.
Dyt windelrad is hochdraven, trach, voet vor voet,
20. Dat me dat ummeschuven unde treden moet.
Neen perth, noch water, noch wind,
Noch vrouwe, noch maghet, noch kind,
De dut windelrad kone handelen unde wenden,
Sunder starker mannes vote unde mit eren henden.
25. Dat synt de mechtighesten vorsten unde heren,
Dede land unde lüde scholen regeren in eren.
Wen de heren unde vorsten nicht enwillet,
Wo schal denne unfrede werden ghestillet?
Warliken de holdet nicht synen koninkliken staet,
30. De dar de eere unde warheit vorsmaet.
Eyn koninck het eyn koninck van konheit,
Darumme em de name so bysteit.
Bus schal eyn koninck de konheit haen,
Dat he moghe in konheit mit eren rechte lik upstaen;
35. In konheit scal he hebben de warheit unde lere, [Bl. 10*
Dat he sy eyn rechtverdich kone here.
Roverye, deverye scal he mit konheit richten
Unde sodane quaet gans vorrichten.
So hoert dyt der koninckliken majestaet:
40. Eere to holdende unde straffende dat quaet
Na des groten keyser Kaerles art,
Dem eyn swert uth deme hemmele ghebrocht wart.
He hefft ghebuwet kerken, klostere unde de laut bekert
Maket juw desses namen ok ghewert!
45. Buwet dut windelrad van holte vast,
Wente dat moet upwinden sware last,
Unde dat dem rade neen boze holt enwerde!
Spilbomen, wepdornen wasset syde by der erde,
Dat endocht to dessem rade nicht,
50. Wente dat tobrikt alto licht.
Gy eddelen koninge, merket dussen syn!
Wy seent: allerleye vrucht der wert myn
In water, in holte, in velden, weide.
De werld is nu in jamers leide.
55. Mynschen unde vee vorgeit, vorstervet.
17
We ig de sake, dat id sus vordervet?
Dat kumpt van bozes rades anbeghin,
Dede alletijt schaden unde jamer bringet in.
(}y koninge, dencket over de vorgangen dinge,
60. Dat teyn plaghen koninck Pharao avergingen,
Darna eyne grote pestilencie in korter tijt.
Dat vorwrachte al koninck David,
So me noch in der werlde wol suet,
|BL ioh] Dat dorch sunde mennighe plaghe schuet.
65. Gy hochgheboren, seet, dat gy so regeren,
Dat gy dyt windelrat mit eren moghen stofferen,
Juw sulves erst unde juwe lant unde lüde.
Guet holt schole gy to dusseme rade huden,
Warafftich holt darto doet,
70. Rechte schyr clufftich dat ok wesen moet.
Gy hartighen, weset in herten reyne unde fry,
Othmodich, strytbaer, eyn truwe herte darby!
Eyn harte hefft eyn lanck levent up erden;
Dyt is waer, ok lerent uns de ghelerden;
75. Id is dat erste, dat dar levet, unde lest stervet.
Eyn hartighe wen he syne land unde stede vordervet,
So mach he nicht eyn hartighe van gudem herten heten.
Eyn guet herte scal nene bedeckede loOheit van sik gheten.
Alzo he beghert sulven lange unde wol to leven,
80. So scal he ok leve, truwe sinem lande unde steden gheven;
Ok scal he se maetliken plucken unde scheren,
Dat sik syne stede moghen voden unde neren.
Deyt nu eyn hartighe nicht dusse daet,
De moet- hebben eyn herte in loOheit quaet.
85. Eyn herte mit dem lichamme wol steit,
Wen dat herte unde de licham in eyn gheit.
Sus is de mynsche wol formeret,
Wen dat eyne lith baven dat andere nicht regeret.
Eyn guet hartighe scal so mit den synen leven,
90. Dat he vor godes richte moghe rede gheven;
Sus hete gy hartighen up dusser erden.
Gy scholen richten rechte mit juwen swerden.
[Bl. 11*] Nemet vor recht nene ghifft unde ghavel
Dat is uneerlik unde nicht to juwem lave.
95. Juwe stat scal bevestet unde bemuret staen,
De stat, dar gy den namen van haen.
Eynes hartighen stat, dar he den namen van haet,
Schal stedes beschämen unde bevesten den raet.
So hefft syne stat, syne ghuede, syne tucht
100. Ok an desser stat troest unde tovlucht.
Gy eddelen hartighen, dencket hiran!
Juwe stede synt juw in eeren unde dogheden underdaen.
Eyn dorp dat is eyn dorp,
Niederdeutsch« Jahrbuch XVI. ' o
18
Dat is ringe up alze eyn wintworp,
105. Eyne stat is eynes hartighen staet
Unde is eynes vorsten herte unde raet.
De hochgreve sprekt: gy eddelen liartighen, deneket liiran!
Hijr were vele meer to seggende van.
Wor ok eyn eddel hartighe synen steden deit quaet,
110. Dar he den namen unde eer van hefft unde staet,
He mach nicht wesen eyn eddel hartighe effte here,
De dar nicht achtet dat gude unde de ere.
Gy greven, gy riddere, gy fryen alle,
Helpet, dat dyt windelrad nicht vorvalle!
115. Eyn grave het eyn bemaket vast,
Eyn dinck vor quader averlast.
Wert eyn grave deep ghegraven,
Merket, wat namen dat gy haven.
Gy sint ghemaket graven overal,
120. Dat alle dinck gelick beschuren schal:
Den hillighen cristenloven
[Bl. 11*»] Unde de dat meyne guet willen beroven.
De grave schal alletijt
Hoch wesen, deep unde wijt:
125. Deep van dogheden, hochghebaren van eddelheit,
Unde syn loff schal wesen wyd unde breit;
Unde bringhen neen wormstockelich holt,
Dat dar sy trunt unde senevolt,
To desseme windelrade,
130. Unde nicht bulderafftich in synem trade.
Wente dat rad is trach, swaer unde gheit dranghe.
Weset satich unde listich in synem ummeganghe!
Der vorsten torne schole gy stillen
Unde nicht vulborden in deme bozen willen.
135. Seet, gy eddelen graven, doet gy alzo:
Bringhet neen quaet holt hirto,
Weset mit gantzen truwen hirna,
Dat dyt windelrad wol ummegha!
Gy vrighebaren unde gy ridder,
140. Weset by den vorsten gude vorbidder
Unde helpet mit gantzen truwen
Dyt windelrad bevesten unde buwen,
Dat eyn iewelk mit deme rechten cirkel strike,
Unde nemet dat stricholt unde maket den schepel like!
145. Gude ridderschop is werdich ghestalt.
Van plicht boertjjuw dat, junck unde alt,
Dat eyn iewelk guet holt hirin bringe,
Dat unstrafflik sy allerdinge,
In dyt windelrat, dat schir clufftich sy,
150. Waerafftich unde recht unde menlick darby.
[Bl. 12»] Eyn iewelk den rechten wech na holte drave
19
Unde spare den wolt nicht durch gifft effte ghave
Unde houwe nicht umme nenerleyewijs
Noch bastrode, swepstocke, bessemrijs,
155. Hunder guet holt, dat schir clufftich is,
Wol gheteret, grauw unde wis,
Wol tohope voghet unde ineynander dicht ghewerket!
Gude ridderschop, dat merket,
Wo gy voren scholen juwen staet
160. Unde wat holt es gy bringen scholen in der vorsten raet!
Gy guden maus, juwe name het goet;
Ja, aat is waer, wen gy wol doet.
Worinne is juw de guetheit,
Wen juw ere unde doghet nicht bysteit?
165. Up guet holt schole gy wesen bekant,
Dat dar is lick recht guet holt, menlick der hant.
Eerliken juw bewiset in heldeskrafft,
Der hillighen kerken vrede schafft!
Kerken unde klostere vorwostet nicht,
170. Juwe olderen hebben se ghesticht!
Synt gy up densulven stam gheplant,
Eres adels eyn guet man ghenant,
So synt gy juwes namen werdich,
Unde so steit dyt windelrad seer verdich.
175. Gy koninge, vorsten, graven, riddere, knechte,
Alle de ghebaren synt van eddelem siechte,
Dyt windelrad nemet wol to syn,
Wat eyn iewelk vor holt schal bringen daryn!
Latet den koepman velich wancken up der Straten
180. Unde bescharmet juwe undersaten, [BL 12»«)
tippe dat dat swert nicht ensnyde to ewigher plaghe
Dorch juwe liff unde zele to deme junghesten daghe!
Bespeghelt juw in dessem windelrade,
Wo eddel dat gy synt in juwem grade!
Dat waghenrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein Rad. Hinter demselben stehen fiinf Vertreter der
Hansastädte.]
'*** 13^ äft^^ *ruwen 8Chole gy merken al,
aBlM Wo me eyn guet rad formeren scal.
^^^ Dat waghenrad moet hebben vifleye holt.
Van rechte scolde de velghe wesen golt,
5. De speke sulveren, de nave van kopper fyn,
Unde de bant scholde van blye syn.
Dat maket desses waghenrades eddelheit,
We dyt rechte anders vorsteit.
2*
20
Dat is nicht gelick eyneme graven buer,
10. Wol dat dyt rad scal holt gyn van natuer.
Wol viffleye holt ig darto dat begte,
Gheprovet wol, gunder egte.
Wyg gyn, gyn wyg, dat clufft nicht licht.
We dat wol doerboret mit voergicht
15. linde mit clocheit wol kau raken,
De kan wol eyn guet waghenrad maken.
Gy rademakerg, hijr moghe gy up ginnen,
Wan gy deg willen beghinnen
linde willen maken eyn guet waghenrad.
20. Wen gy darup ginnen, go merket dat,
Dat dar neen loeg holt werde to brocht,
Wente allerleye holt dar nicht to endocht.
De nave van vagtem holte uthghelegen
Unde darto schal ge ghegenget wegen
25. In der gloet; dat gchal de truwe leve gyn
Gode unde dem even myngchen dyn,
Mit affgunst nicht vormenget.
Welk rademaker dat go betenget
fBl. I8b] Unde up godane holt de limpe weth,
30. Dat ig geer deg radeg gheneth.
Welk rademaker dat betengen wel
Unde eyn guet waghenrad wil maken gnel,
De gchal to den gpeken soken uth
Droghe eken holt rechte unde guet.
35. Haggelen unde vuren late he mit ghemake,
Unde weddergpönich holt mit wintbrake
To dyggem rade nicht endocht.
Wert weddergpönich holt hirin ghebrocht,
Dat waghenrad dat in allenthalven voelt.
40. Wedderwarrich, eghenkoppich alle ungelucke woelt,
Dar hefft mennich guet rad vor weken.
Recht eken, eken recht ig guet to den gpeken.
Gy rademakerg, doet dat holt darto
Unde maket de gpeken like hoch go
45. Unde hebbet dar den rechten cerkel by,
Dat de eyne nicht hogher wan de andere gy!
Dat ge in erem grade like hoch gtaet,
Dat gtoret weddergtalt unde quaet.
De velghen gcholen wegen al,
50. Dar eyn guet waghenrad van wegen gchal:
Nicht anderg wan recht boken.
Gy rademakerg, dat gchole gy goken,
Dat go gtripich ig van rechter aert.
Och wat de velghen an dem rade wol vaert!
55. Widen, egpen, dannen, barken unde linden,
Dat wil gik to neuen velghen vindeu.
21
Gy rademakers, hirvoer weset:
[Bl. 14«] Recht boken holt, boken recht uthleset!
Neen holt to den velghen beter is.
(50. So wert dat eyn guet waghenrad, dat is wis.
Wente id moet liden mennighen wedderstoet,
Hirumme is des wol grote noet,
Dat me dar holt todo hard unde vast,
Wente dat dreghen moet so sware last.
65. Uppe dat id kone den wedderstoet herden,
Dyt waghenrad schal ok ghedubbelt werden
Mit holtheynen hagheboken.
Gy rademakers, dar schole gy juw na cloken,
We dar hagheboken nympt in syne munth,
70. Wol doerwracht in synes herten grunth.
Och *wo wol is dat rad denne dobbelt
Unde wol ghefiret unde hovelt!
Des rades bant wil ik, dat he esschen sy,
Wente godevruchtich, gotlik, bequeme darby,
75. Dat me des mynschen bloet kone lesschen,
Hirumme is nutte de band van esschen.
Welk rademaker dyt holt nicht enachtet.
He nummermeer neen guet waghenrad wrachtet.
Seet, dyt waghenrad ik so ghelike
80. Den eerliken steden arm unde rike,
Tovoren den eerliken hensesteden.
Hadde gy gheholden juwen olden trede,
Gy heten henckstede
Na olden guden zeden.
85. Dat henghe is al tobraken.
Wo scal me doch in dyt henghe wadder raken!
[Bl. Üb] i)e noet hefft juw tohope wracht,
Och dat wert nu nicht gheaeht.
Schal me noch int leste juwe bedig seen,
90, Noet unde wedderstal moet juw wedder tohope theen.
Merket, wor de mede ummeghaet,
De juw alle daghe wat niges vor de neze slaet!
Se pinsen juw alle quaet, unde ere ghewin,
Dyt is alle ere upsate unde sin.
95. Ok moet ik de warheit gheen,
Me mach dat hören unde seen.
Me ghifft juw nu eynen thonamen,
Des gy juw mochten schämen.
Were manck juw truwe unde leve,
100. Numment juw eynen thonamen gheve.
Dat dar nene truwe unde leve manck juw is.
De sake höret hir aldorghen wis.
Eyn iewelk rapct men in synen sack,
Dyt maket juw alle den quack.
22
105. Ok slit eyu iewelk syne tijt,
Sus kumpt manck juw hat unde nijt,
Daruth werde gy vaneynander ghejaghet,
Dat me nu nicht meer na juw envraghet.
Gy eerliken hensestede,
110. Nicht al werde gy bedacht hirmede.
Me wet wol, we dar guet doet.
Hebbet men eynen guden moet
Unde holdet den bant unde dat henghe byeen
Unde latet juw nicht vaneynander theen,
115. Unde eyn iewelik by sik jo tovoren,
[Bl. 15»] Wente vele hebben juw den doet ghesworen,
Wan se des hedden mate, macht unde walt;
Unde licqnol nicht na erem willen valt,
Unde synt des vor den luden nicht bekant.
120. Dat sloghe mennich gherne mit der hant,
Unde kan des licquol nicht bekamen.
Dat is guet, dat guet raet wert voernamen.
Gy waghenrade, draghet overeen like,
Hebbet gode vor oghen van hemmelrike,
125. Hebbet eyndracht, vruntschop. leve unde vrede,
Weset wijs unde kloek unde hebbet gude rede,
Holdet stedes nprichtighen raet,
Holdet ok strenge menlike daet,
Latet juw in rechtverdighen saken nicht betheen,
130. So werde gy vor uprichtighe manne angheseen.
Eere unde rechte deme vallet by,
Unde dat eyn iewelk ok sulves eerlik unde recht sy.
Weset vornemelick, eken recht unde wrare saghe,
Erbaer so alle juwe daghe.
135. Welke stad ere waghenrad zo maket,
In neenem weghe dat rad swaket.
An lyve unde an zele dat vramet,
Unde dat ghemeyne guet unde alle doghet darvan kämet.
Gy waghenrade, weset des bericht,
140. Stadet neen plochrad an den waghen nicht!
Wanner dat me dat vorsuet,
Dat me van dessen waghenraden eyn uththuet
Unde stickt dar eyn plochrad wedder an,
So wert de waghen unlike ghan.
145. Wo ovel unde scheve ghinge de waghen denne! [Bl« I5b]
Weset voersichtich, gy bemuerden menne,
Bewaret so juwen raet unde ghericht,
Settet de parlen vor de soghen nicht,
Settet warafftighe manne to juwen vogheden,
150. Dede synt uprichtich in guden dogheden,
Dat en neene ghiricheit bysta,
Wente de hungherghe luß bith na!
23
David, godes truwe knecht,
He in synen scrifften zo warliken secht,
155. Dat he nee rechtverdighen sach in der noet,
Dat he effte syn säet bad dat broet.
Gy voghede der ßtede,
Merket dysse rede mede:
Wen gy den armen ere blotghelt afftheen,
100. Wo vroliken wil juw got in synem richte ansecn!
Mit list der ghirieheit de armen gy clouwet,
Hirna so vare gy in Abrahams schoet, dar Pilatus unde Judas
rouwet,
Juwe kinder moten vorswinden ok vorgaen,
Hebbe ik anders recht Davite vorstaen.
1(35. Dat blotghelt moet quaetliken varen.
Van gode synt juwe kindere dar nicht to ghebaren,
Men van juwem reehtverdighen wolghewunnen goede
Moghen se holden staet in ghuder hoede,
Unde nicht van deme armen blotghelde,
170. Dat gy nu na juw theen alze quade helde.
6y sint desses waghenrades nicht gheweert,
Men dat plochrad scholde me juw henghen vor den steert.
Wente des honnighes soticheit is vordraten,
[Bl. i«*] Wen des altovele wert ghenaten.
175. Hirumme, gy eerliken steede alle,
Bewaret juw vor quadem anvalle,
Weset eyndraohtich, so is vast juwe rad!
P2yndrachticheit is eyne vaste mure umme de stad.
Weset in rade, in richte een
180. Unde latet juwer eyn van dem anderen nicht theen!
Hebbet juw undereynander leflf, vrede darby,
Dat eyn deme anderen nicht to hochdravende sy!
Wen de veer rade an deme waghen
Like hoch, like swaer overeyn draghen,
185. So lichtvorighen de waghen denne vortgheit.
Unde de raed nicht swack ensteit.
Holdet, gy eerliken stede, dat by weerde,
De lere, de got synen apostelen leerde:
Hebbet juw leff uth juwes herten grund
190. Unde hebbet ok eynen warafftighen mund!
Na State juw nicht endringhet,
Wente id vaken hat ynbringhet!
En luttik hates, en wenicli states
Bedroch gans seer den armen Pilates.
195. Bespeghelt juw in dysseme wagUenrade.
Wo hoch dat gy staen in juwem grade!
24
VI.
[HL 16b] Dat Plochrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein Rad; hinter demselben stehen fllnf Bauern, von ilenei
einer sich auf eine Hacke stützt, ein anderer einen Spaten trägt]
^Ddel is eyn, meynt mennich man,
De den eddeldoem noch nee ghewan.
Wan he meynt, dat ene de adeldom voret,
De bueraert ene aenne allenthalven roret.
5. Hiran so dencke, du unwetten buersman,
[Bl. 17*] Nym du neen adeldoem an,
Went de ploch is dyn rad!
De is nicht in hogher grad.
Dat krupt by der erde in den acker,
10. Dat is trach unde nicht wacker.
Merket, wat holtes me darto scal haven
To speken, to velghen unde to naven:
Stickdorne, vuelbomen, bramberenkruet.
Holderen, siedornen, dat is darto nicht guet.
15. Gy eyntvoldighen vramen simpelen buer,
Eyn iewelk de kenne syne eghen natuer,
Syne doghet unde syne eddelicheit,
Unde mit welken dingen dat he ummegheit,
Unde hebbe liir synne unde witte by,
20. Wat holtes to deme plochrade nutte sy:
Vuelbomen de velghe, wepeldorne de tfave,
Abelen holt de speken, dat id syde drave.
0 du buer, wes dyssem plochrade ghelick,
Ghiff dyne rechten plicht gode unde dem keyserriek,
25. Holt du herenbot, bekenne dyn lantrecht,
Wes des gudes eyn ackerknecht,
Unde to tiden des nicht enspare
Unde mit dem ploghe to velde vare!
Wes godevruchtich in dorppe, in steden!
30. Du plochrad enscalt nicht hoghe treden.
Wen eyn plochrad an eynen waghen queme,
Dat were noch pert, noch knecht, noch swepreme,
De den waghen wol konde dryven.
Du plochrad, van dem waghen scaltu blyven,
35. Du bist dar nicht nutte unde bequeme to. [Bl. 17*>]
Du plochrad, do du denne so:
Bliff an der ploch, dat is dyn evene mathe.
Eyn iewelk holde sik na synem State!
To syd, ok to hoch, beide nicht endocht.
40. Wan eyn iewelk synen grad ghesocht,
Den he mit eeren mach bestaen,
So mach he in eeren syn hovet upslaen.
Wol dat dysse viff rade, dat vinde gy wis,
25
Nicht in eynes anderen stede bequeme is,
45. Mit peke is boze wat to schryven,
Dat plochrad kan de molen nicht ummedryven,
Dat molenrad kan in den acker nicht raden,
Den buren is dat latyn vorbaden,
Doch scholen dysse viff rade syn vorenet,
50. Eyn iewelk in synen graet, dar he to denet,
Ghelick hulpelik dorch dat meyne guth
Dat rad in der ploch unde dar nicht uth.
Gy weldighen, gy scholet dat staden nicht,
Dat unvornufft schal Sitten in ghericht.
55. Wente de deit nenen vramen,
De unvornufft unde unwetenheit let kamen
To grade, dar dat sik nicht enboert.
Nicht gudes wert dar ghespoert.
De geystliken unde werldliken kamen darvan to nichte,
00. Woer unwetenheit unde unvornufft holt dat richte.
Unde syd rad in hoghem grade werd,
Dar is de cristenheit seer mede beswerd,
Unde dat meyne guet vorrichtet wart.
[Bl. 18»] Syd rad, wyd rad maket alle twepart
05. 0 plochrad, du lopest syde, dyne forme is cleen;
Woer du in deme waghen werst gheseen,
Dar is de wulff in deme rore,
Unde dar is de borghemester eyn dore.
Eyn iewelk holde sik na sinen werden,
70. De kyvet schal nesten by der erden,
De valke up den bomen, de adebar up hoghen husen,
Ratten unde vlegen mit den musen.
Dyt wete wy unde moghent alle daghe Seen:
Swyn, esel unde rvnd discanteret nicht overeen.
75. Vrouwe dy, schuffkaer, plochghelick is dyn rad,
Hogher en is nicht dyn grad.
Eyn hoch rad kan me dorch depe gründe dryven,
Dar eyn syd rad moet inne besteken blyven.
Du plochrad, nym dynes arbeides waer
80. Uppe den dorpen, in den steden, hir unde daer,
To arbeide, dar du bist to vorplicht,
Unde stick dy an den waghen nicht!
Dat waghenrad gheit dy seer enbaven,
Du werst van em utheschaven.
85. Blyff unverworren, dat is myn raet,
Wente dat vette beholt alletijt den oversten graet.
Rade darto baven allen dingen,
Dat du konst gode eyne zele bringen,
Unde dy vor allem quade behoeden,
90. Unde kanst wiff, kindere unde dyne deenste voden
Unde dyn hues unde hoff wol vorstaen
Unde mit dynem arbeide rechte vortghaen.
[Bl. 18»»] Plochrad, so deyst du recht.
Wes dyner oversten knecht!
95. Rade nicht baven dynen heren,
Wen se dy vorbeden mit eren!
Se scholen umme dynen willen waken dach unde nacht
Unde beholden dy by weerden unde by macht.
Dat rade ik dy, du unwetende buer,
100. Jaghe den graven slymmen ezel to sehuer!
Arbeiden schaltu unde waken,
Dat dy de hals moghe knacken;
Unde laet den raden, dede raden konen
Du schalt deine des nicht vorghunnen,
105. De wol radet unde guet raet kan bedryven;
So machstu by dynem arbeide blyven,
Dat sy slachten, smeden, gheten, sticken, neghen.
Backen, brouwen, houwen, sniden unde dreghen.
Dat sy, wat id vor eyn ammet sy,
110. Dar rade he over unde blyve darby.
Unde bespeghele dy an dessem plochrade,
Wo syd, wo hoch du bist in dynem grade!
VII.
[Bl 19«] DÄt dryffrad.
[Holzschnitt: Im Vordergründe liegt auf einem kastenartigen Gestelle ein Rad.
Dahinter stehen sechs Frauen, von denen drei Kronen tragen.]
^kEnerleyewijs dat nutte wart,
miM> ^ar unlucke, hat unde twipart
L> Van saket unde kan äff kamen.
Dat scal to nenem guden rade werden ghenamen.
5. Wente in der warlde sint noch viff rade tor stunt,
[Bl. \w\ De twipart mank den viff raden maken kunt,
De gy hiraa hören nomen moghen,
Dat se mank dyssen voerscreven raden nicht endoghen:
Dat is eyn dryffrad, eyn wiffrad,
10. Eyn spolrad, eyn koelrad,
Eyn luckerad, eyn pluckerad,
Eyn sparenrad, eyn dorenrad,
Eyn broken rad, eyn bedocken rad.
Dysse viff rade schal me nicht hören,
15. Wente se mennighen guden raet vorstoren;
Dar weddewen unde weysen, boven unde bovynnen
Äff werden, unde nicht gudes beghynnen.
Dat erste dat is eyn dryffrad,
Dat is beideileye guet unde quad.
20. Dyt rad moet me mit der hant ummetheen,
Unde lopt na der forme als eyn senpmolensteen
27
Unde.is van blye, saturnusmetal
linde hefft in sik sulves eynen swaren val
Unde is licquol weker nature in sik,
25. Heit, kolt als eyn oghenblick.
Eynes wyves raet is weick unde swaer,
Dat vinde gy in er openbaer.
Wede eer hemeliken raet openbaert,
Vorwaer, dat is nicht wol vorwaert.
30. Wol dat id er sulves is entjeghen,
Se is weick van natuer unde unvorsweghen.
Se is ok so swaer, se kan nicht draghen,
Dat moghe gy van er hören saghen.
Isset dat we se worumme vraghet
35. Unde van grund mit er raetslaghet,
[Bl. 2ü«] igget dat se in dem ersten worde nicht sacht,
Up dat andere schal nicht werden gheacht.
Wente so snelradich synt se alletijt,
Unde up dat leste so is id jo eyn beschijt.
40. Me vraghe eyn wiff overluet:
De erste raet is gans guet,
De andere raet docht ichtes,
De drudde raet docht nichtesnichtes.
Se is zo stump unde unwijs,
45. Dat se nicht wet, wat recht elfte krum is.
Alletijt dencket se up ere smucke unde nye fanssune,
Under dach unde nacht helft se .lxxvij. lune. .
We dar wiste des wives lune, des hazen legher.
De queme wol by vele dinges negher.
50. Ere dancken synt zo ringhe gheent
Als eyn oghenblick unde eyne hant ummewent.
Wente gy seen wol to allen stunden,
Dat de wive in dedinghen nicht werden vunden,
Ok so tughen neene wive nicht;
55. Hirumme doghen se noch in rade unde in rieht.
Wan eyn wiff schal raden unde regheren
Unde over rade unde richte remurmereren
Unde de wumpel is baven dem sweerde,
Dar hefft dat eyn selzeen gheveerde.
60. Wo dar de geystliken unde warldliken varen,
Dat wil ik nu nicht openbaren.
Wiffoder schijtfoder, dat ander ik swighe.
Se docht noch to stride noch to krighe,
Noch to daghe noch to paghen,
(55. Wente se synt van lichtvorighen saghen. IB1. 2o»>]
Nicht dat me dat seggen wolde,
Dat me nenes vramen wives raet hören scholde.
Neen, dat heth eyn bedryveren raet,
De vele doghet an sik haet
28
70. Dat weten de wol, de darup hanteren
Unde de eddelen stene uppepolleren.
Eyn vraem wiff, de bedryveren is,
Des de huOweert hefft nenen mys.
Dat se kan hues unde hoff wol vorstaen
75. Unde ere ghedeenste in vrede unde in leve haen
Unde ere kindere polleren ciaer unde fyn,
Desse vrouwe mach wol van gudem rade syn,
Unde dat se to sik rape unde nicht uthencleyt,
Wo wol dat denne in deme huse steit!
80. Van rechte mach sik dat wol boren,
Dat me sodanen wyves raet scal hören.
De na der vodinge sy unde to doende gude werke,
Dat me se darinne lave unde Sterke,
Nicht in rade, in richte unde rechte;
85. Darto synt se dumme knechte.
Eyn vraem wiff der eere unde doghet tolet
Vorware se wol eyn pollererrad het.
Se scal sik smucken, polleren up ere alderbest
To eeren ereme manne, gode erst unde lest,
90. Dat he sik darinne moghe vrouwen
Unde lust unde vrolicheit darinne beschouwen,
Dat he vorghete nyt, hat unde quade daet
Unde vorhale sik unde bedencke guden raet.
[Bl. 2i»| Wente eyn wiff dat heth eyne vrouwe,
95. Dat heth ok wol eyne unrouwe.
Dar eyn man in twivelmoet van valt;
Daraff kumpt overval unde walt
Unde dat meyne guet in twepart,
Unde godes deenst vorhindert wart.
100. Hiran so dencket. gy wyve,
Dat eyn iewelk hir aveblyve!
8eet na der vodinghe unde swighet stille
Unde radet over wocken, warven unde spüle!
Gy sint to dyssen viff raden nicht vorplicht,
105. Dat maket: id is juwes warkes nicht.
Bespeghelt juw an dessem driffrade,
Wo hoch dat gy staen in juwem grade!
VIII.
[BL2ib] Dat Spolrad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein auf einer Bank stehendes Wellrad. Zwei unter der
Bank sitzende Knaben spielen mit einem Balle. Hinter der Bank stehen vier Männer.
Einer von diesen führt zwei Hunde an einer Leine und ist im Begriff, in ein Hörn
zu blasen, der zweite hält einen Falken auf der linken Hand, der dritte schneidet
mit einem Messer in einen kurzen Stab, der vierte wendet dem Beschauer den
Rücken zu.]
29
&Aven dat hovet schal neen lithmate
j^J Sik vorhoghen na des hovedes State.
^^ Wente na dem donre sleit de haghel;
Beter dem hovede gheniget wen dem saget.
5. Wo schal me in der stede denne doen,
|B1. 22»] Dar dat ey wiser is wan dat hoen?
De willen vele klokes rades seggen
Unde kont wedder kakelen effte eyer leggen.
0 du inghetaghen kynt,
10. Du bist dar buten als eyn rynt.
Gy eddelen heren unde vorsten, vorsmaet
Dyt dulle dumme slymme spoelrad!
Dat enhefft nicht synen vullenkamen voch.
Dat spolrad docht nicht in der ploch
15. Noch inyn in eynem starken waghen;
Nummer kan dat de swaren last draghen.
Dat docht wedder to der molen effte to der winden,
Dar wilt sik jo tovoren nicht to vinden.
Dat docht nicht men to spolen unde to spinnen,
20. Alle de lichtvorich arbeit beghinnen.
Dyt spoelrad is van eyner breder krumme,
Dat thuet eyn kint myt der hant umme
Lichtvorighen, ok wol ane wee.
Seet to, dat hir nicht van beschee-
25. Twidracht, hat unde nyth,
Krych, ordel unde stryt.
Wente olt had, kindesraet
Vorstoret lande, lüde unde maket quaet.
Kyndesraet, lichtvorich syn,
30. Dar lopt men ydel vul tornes yn.
Se synt vul speles, vul boverye,
Dat se raden, dat is quackelye.
Guet unde quaet se nicht enkent,
Alle ere raet de is unbewent.
35. Junck raet en is neues vorsten staet, ]B1. 22'»]
Neen guet anbeghin effte ende haert.
Wor dat kint red baven den vader,
Dar kumpt men kiff van unde hader;
Wor de knecht red baven den heren,
40. Dar schal sik dat gansse volk vorkeren.
0 du spolrad, eyn koelrad,
Wo eleweren is doch dyn ghelad!
Alle dat du rest, dat gheit dy koele äff,
Du bist in rade, in richte eyn quaet staff,
45. Ghelick eyner bastroden vor eyne murenstutte.
Du spolrad, du bist nerne to nutte.
In beerbencken kan me groetspreken.
Mit swerden unde mesten wil ino denne de heize affsteken.
30
0 gy rechten dummen knapen,
50. De juw eyn laken ummewarmede unde lede juw slapen.
Me suet nu wol, wo lande unde stede toruggeghaen,
Dar me sodane vint in richte unde rade staen.
Dar land unde lüde dyen unde vordarff averlyd,
Se enachten noch ordel noch stryd.
55. Se synt heit vort hovet, stede juch unde wach
Unde dencken nicht, wat darna kamen mach.
Hirumme scal me jo de olden
In eeren unde in rade beholden.
Me kan en wol entlopen, nicht entraden.
60. Hirumme schal me neen older vorsmaden.
Darby so merket unde provet dat:
Dar bellet neen olt hunt, he vorneme wat.
De olden grawen koppe in eren majestaten
[Bl. 23*] jn ra^e? jn richte nicht ovel laten.
65. Dunckelguet unde de ghelen krusen haer
De bringen eynen vaken up dat quade jaer.
De olden bedencken mennighe list,
Dar de jungen nicht up enghist.
Wan de jungen van den olden guden raet leert,
70. Up ere older se gudes rades werden weert.
Seet, gy jungen, weset des bericht
Unde vorsmaet de olden grawTen koppe nicht!
Vorhoghet juw nicht baven se,
Eyn junck man sik nicht vorthe!
75. Vorthee dy nicht, dat is myn raet!
Vortaghenheit maket mennich quaet.
Schal eyn wat wezen effte syn,
Dat kumpt wol mit der sonnen schyn.
Kyndesraet unbeleert
80. Mit der rode vor den steert,
Der momen titte in de munt,
Such wol, zo werstu ghesunt
An eere, an ghude, ok an lyve!
Du spolrad, hir ave zo blyve
85. Van dyssen viff raden, dat sy spade effte vro,
Du bist dar alto wit umme de munth to!
Bespeghele dy an dyssem spolrade,
Wo hoch dat du bist in dyneme grade!
IX.
[Bl. 23b] Dat Luckerad.
S Holzschnitt: In der Mitte ein Rad, welches durch den Teufel gedreht wird. Eine
>erson liegt unter dem Bade, eine zweite wird durch die Bewegung desselben nach
oben geführt, während eine dritte hinabsinkt. Oben auf dem Rade sitzt eine Ge-
stalt mit einer Krone auf dem Haupte, ein Scepter in der Rechten haltend. Im
Hintergrunde vier Männer, von denen zwei in einer Unterhaltung begriffen scheinen]
^ Vermoet unde ghewalt,
Dat me den armen buren overvalt,
Dat kumpt van quadem rade in der heren have;
Vorware, ik dat nicht enlave.
5. Dat luckerat steit mank dessen viff raden ovel,
|H1. 24 a] Dat hefft noch speke noch nave noch dovel,
Dat is neen holt, ok neen metal,
Van eghener upsate unde toval.
Dat de duvel maket unde hevet an:
10. In der erde eynen kreiO unde eynen plan,
Dar se leren de swartenkunst unde de part.
Dar de warld ynne bedraghen wart.
Dat luckerad is des duvels raet,
Dat got unde alle syne hillighen haet.
15. Wat schole wy denne hir up erden?
Wy konen des rades nicht ghebettert werden.
Wente oldinges de swartekunst
Brachte in der cristenheit groet affgunst
Vormiddelst des duvels raet unde daet.
20. Dyt mach wol heten dat ungeluckerad
Deme jennen, deme dat slumpt
Unde dat ungelucke up den nacken kumpt.
We dyt luckerad vor eynen tuchtmester kricht,
De mach wol seggen: here, behovestu myner nicht?
25. De mynsche, de syne kunst up dyssem rade leert
Unde dat volk darmede vorkeert,
Dat is dat ungelucke, liff unde zele.
Eyn iewelk na synem dele,
Der glisener unde der swartenkunster,
30. Der rodenridder unde der affgunster,
Tojegher mit plenghen unde menghen,
Unde de lüde mit valscheit tohope henghen,
De quaden raetghever, luch unde druch
Unde ghiff up, segge valsch tuch,
35. Dar se sik by heren unde vorsten mede bewalden, [Bl. 24'»]
De konen kunst uth kunsten spalden.
Unde alle quaet se in der warlde maket,
Dat mennich arm mynsche gheit naket
Unde synt vorbrent unde vorherdet
40. Unde uth dem lande vordreven werdet.
0 gy eddelen rede, dat kruce vor juw slaet
Unde segent juw vor dyt quade luckerad!
Mit der swartenkunst se zo behende sunth;
Vormiddelst dem duvele, de se anschunth,
45. Konen se maken nige funde, boze upsate,
Twidracht, roven, schinden de strate
Unde groet mysghelove in der cristenheit.
Dar ketterye, boverye van upsteit.
32
Dyt boze luckerad kan vele quades anrichten.
50. Wente dat wil eynen anderen vornichten,
Dat sulves nicht endocht,
Quaden raet, quade lere socht.
Dyt luckerad heth eyn pluckerad,
Dat vordrucket alle, de wol stad.
55. Wan dyt luckerad dat hefft anherdet,
Dat de lande vorwostet werdet,
So is syn rad wol ghelucket
Unde hefft synen sack al vul gheplucket
Unde achtet des nicht eyn haer,
60. Dat syne heren krighen eyn quaet jaer.
Dar vraghen se na nicht eynen witten.
So blifft malk in den sorghen besitten.
We wat hefft, de mach denne wat braden!
[Bl. 25»] 0 here got, wol synt de in deme schaden!
65. Dat doet de heren unde ere armen lüde.
0 luckerad, du quade krude,
Woer du betenghest to wassen,
Dar voret me dat stro in den zadelbassen.
Dar eyn here unde syn rad
70. Twe schelke by sik had,
Wil de here alze de twe,
So wert der schelke wol dre.
Hirumme steit dat to raden,
Dat gy dyt luckerad vorsmaden.
75. Wente id maket nummer guet effte vramen,
Men uneer unde schände moet darvan kamen.
Se hebben des nenen schaden effte mys,
Eyn iewelk do, wo malkem even is.
Me late se bespeghelen an dyssem luckerade,
80. Wo hoch dat se staen in erem grade!
[Bl. 25 b] j)ftt Sparenrad.
[Holzschnitt : In der Mitte ein sternförmiges Bad. Hinter demselben steht ein Mann.
umgeben von fünf anderen Männern, die Narrenkappen trafen. Einer der Narren
bläst auf einer Flöte und schlägt zugleich auf eine kleine Pauke.]
|?We doren der is meer wen een.
Woer se in eynem laghe werden gheseen,
Dar wert der stapeldoren wol meer.
Se maken van vramen luden eyn nluntspeer
5. Mit loghen unde unnutten saghen
[Bl. 26»] Up den Straten, in den beerlaghen
Unde sticken de pile sunder stock
Unde scheten malkem eyne gheren in den rock,
Dem eynen to kort, deine anderen to lanck,
10. Unde wetten aller erse upghanck,
Unde ere de Bteit alletijt wide open;
Noch laten se nummende voeroverlopen.
Den is dyt sparenrad wol even.
Wan eyn stapeldore wil wat anheven,
15. So stammert he unde grind unde lacht,
Eer he den spot uth deme munde sacht.
He schelt eynen anderen trach, sulven is he unlust,
Dat sparenrad stickt unde vret de rust.
Dat sparenrad is eyn dorenrad,
20. Dat ses scharpe taggen an sik haet,
Alze sesleye doren in der warlde sunth,
Dede scharpliken doren kunth,
Als: schalkdoren, walkdoren unde alffdoren,
Halffdoren, vuldoren unde duldoren.
25. Dat synt ses dorenrad,
Dede manck dyssen viff raden nicht wol enstad:
Dulkop, stormclocke, dulbreghen,
Severmuel, hottensnavel, ringhevorweghen.
Eyn vuldore, den me nummer uth dem kroghe hefft mis
30. Unde stedes vul unde nummer nochteren is,
Dat is eyn recht vuldruncken dore.
Deine slapert de oghen unde sipet de ore,
He suet unde höret nicht.
[Bl. 26^] \yat; doeht de in rade unde in richtV
35. Nouwe dat he syn beer vorwaert.
De sit in dem rade als eyn zeverbaert.
Schalkdoren de willen neen dinck vorstaen,
Se latet nene schalcheit vor sik overghaen,
De make, dat me van en nicht gudes sacht.
40. De sit in dem rade unde grynt unde lacht.
Is he eyn dore, eyn dore he blifft;
We vor eynen doren sit, he dorenraet ghifft.
Alffdoren dat synt kalffdoren,
De hebben docken an den oren
45. Unde lopen mit der bunghen in dem lande.
Scholden de in rade sitten, dat were schände.
Doren, de sulves walken,
De vallen seiden van deme balken.
Ere seer dat heilt to sunder raven.
50. De donre sleit nenen swinekaven.
De hebben nicht ere witte unde synne,
Dar is jo neen guet raet ynne.
Dyt is eyn duldore, deme dat slumpt,
De by groet gelt unde guet kumpt
55. Unde dat denne nicht wol vorwaert.
Vorware, dat is eyn duldore van aert!
Dul unde dum is des syn,
Niederdeutsches Jahrbuch XVI. 3
u
De red uthwart unde red nicht yn.
He hefft nenen vrede mit kinderen, mit wive,
GO. He heflFt nenen vrede mit synem eghen lyve.
Wo schal de raden unde richten over eynen man.
De sik sulven nicht wol raden kanV
[Bl. 27»] Gy heren, hodet juw vor dysse ses doren,
Blyvet mit den unbeworen!
05. Eyn dorenrad unbeworen rad.
Der doren heflFt me nene bad.
Me schal en noch heten effte vorbeden.
Me late se in erem zade seden,
Volet se nicht, wor en dat licht barnet,
70. Wan se ere eghen schade warnet.
Seet, gy eddelen rede, to allen tiden
Schole gy dyt sparenrad miden
Mit dyssen ses dorentacken,
Wente se synt vul quader placken.
75. Guet raet wert darvan gheschendet,
Heren unde vorsten darvan vorblendet.
Rede unde stede darvan vornichtet
Wor sik de here sulves up doren richtet,
Dar heflFt syn hoffghesynde nene schult;
80. Vele laster unde schände daruth bult
Is eyn here eyn dore unde dul,
So is der doren eyn gans land vul.
Wo wol dat dryerleye doren synt,
De druncken man, eyn dore unde dat kynt,
85. Dysse seggen de warheit gherne.
Wente dat swigent is erer wiOheit verne.
Dat maket dat se des nicht better vorstaen,
Darumme scholen se in nener heren rade ghaen.
Dat is eyn boze unde eyn quaet ghelaet,
90. Dat doren synt in der vorsten raet.
Latet doren doren syn
[Bl. 27»»] Unde ghevet den eyne dorenkappe fyn
Unde latet se by juw herspringhen!
Se synt juw bereit in allen dingen.
95. Latet se sik bespeghelen an dyssein sparenrade.
Wo hoch dat de doren staen in erem grade!
XL
Bat Braken rad.
[Holzschnitt: In der Mitte ein zerbrochenes Rad. Zwei Männer und eine Frau, die
dahinter stehen, blicken auf dasselbe hin. Rechts bedroht ein Mann einen anderen.
der am Boden liegt, mit einem Dolche; links ist ein Dieb beschäftigt, die Tasche
eines Mannes zu durchsuchen, von dem man nur die Riickenhälfte sieht]
35
[Hl. ->v»| ^f^Venture unde grote vaer
yffij Moet de staen al openbacr.
De sik sammelt mit quader selsehop.
Uat ghelt huet unde remen, hals unde kop.
5. Hirumme rade ik juw overal,
Dat sik alleman bewaren scal
Vor dysseme braken scheven rade,
Dat inalk nicht käme to bade.
He sy ok van synnen hart elfte week,
10. Van quader selschop wert eyn gherne hovetseek.
Wat eyn man vor arbeit deit
Unde mit weme he ummegheit,
Dat plecht em gherne antohanghen.
Wede mit eynem kodrecke wil wrangheu,
15. De bezolet gherne de knovel.
Och de varet tomale ovel,
Dede hefft tobraken rade an synem waghen.
Spenne he darvoer . xxiiij . paghen,
De seholden em den waghen uth dem drecke nicht theen.
20. Eyn iewelk de mach sik wol voerseen,
Dat he sy ane sunde unde sunder placken.
So kan em dat rad nicht knacken.
Welk man de eyn tobraken rad
An syneme waghen had,
25. De varet in angeste unde in noet;
Syn herte is in sorghen groet.
Gans lichte is de man vorveert,
De in syner Schede hefft eyn tobraken sweert.
|M. 2«'>] Ik rade, dat he dat late stecken,
80. Wil he anders syne eghen schände bedecken.
Eyn braken rad/ eyn bedocken rad,
Dat ducket unde swighet in quader ghelad.
Hodet juw vor dem ore an der kruken!
De deve liggen unde duken
35. In dorppen, in steden; wor malk lyt,
De schuldighe de schoddert alletyt. %
Dat braken rad vaken wol toknickt
Van eynem stote, eer dat entwebrickt.
Eyn scheff rad, eynes deves rad, eyn leves rad,
40. Dat bringet mort, noet, had unde alle quad.
Eyn tobraken rad dat is eyn boze schyn,
Dar ghude rade tosamende syn.
Wan eyn braken rad nicht vast en is;
Dat hefft eyn teken, dat is wis.
45. Dat is eyn loze speke unde eyn toghebant
Unde is scheff umme synen rant,
Dat is toknicket unde eyn stucke affghesprunghen,
Dat sineer is dorch de nave ghedrunghen.
3*
bat rad denne zo slit unde glid,
50. Dat knickt unde knackt, wan dat vorttrid.
Eyn deeff de echoddert nicht sunder sake,
Wente em sit reide eyn ore an dem kake.
Kan he mit deme anderen nicht voerboten.
So moet he dat beteren mit dem halze unde mit den voten.
55. Seet, gy rede, dysse lozen speken an,
Woer se manck vramen luden stan,
|B1. "Mi*] War de ok guet raet konen van sik gheven,
De sus sulvcs in quadem rade leven.
0 du tobraken rad, bistu denne vast,
GO. Wan du eyne loze speken an dy hast?
Devesraet, wor du bist,
He mit syner arghen list
Den eynen unde den anderen to sik thuet,
Dat en altomale neen guet sehnet,
65. Wente bovynnendaet unde devesraet
Mennighen to dem galghen ghebrocht haet.
Eyn deeff unde eyne bovynne, so wy lesen,
Dat eyne wil by deme anderen wesen,
Stelen unde leghen
70. Unde eren besten vrunt bedreghen.
Devesraet, we darna deit,
Em dat over synen hals gheit.
0 wee, du boze scheve tobraken rad!
Du mynsche guet, dat vorsmad,
75. He sy warldlik, he sy geystlik,
He sy suverlick, he sy eyslick,
Arm effte rick, hoch effte syd!
Wente dat braken rad bringet alletid
Quade bekoringe, twipart, nene vrunde,
80. Deverye, alle laster unde sunde.
Hebbet, gy geistliken, hir synne unde witte by,
Dat juwe rad nicht tobraken sy!
Is dat rad tobraken an der molen,
Dat plecht sik sere in dem drecke to zolen,
85. Als id leider vaken unde vele sehnet, [Bl. 29 h]
Dat me juwe rad tobraken suet.
Dat is den leyen eyn boze ghelaet,
Wan se sik argheren an juwer daet.
Juw boert so in guder geystlicheit to leven,
90. Dat gy aller warlde eyn guet exempel gheven.
So schole gy den geystliken staet alle vorstaen,
Unde Jhesus wil juw in synem richte wol entfaen.
Du doerluchtighe groetmechtigheste hochghebaren
Forste unde here, to eynem keyser utherkaren,
95. Sta du vaste up vasten knaken,
Dat dyn kainrad nicht sy tobraken!
37
Wan dat kamrad tobraken were,
Weren ok der kamrade vere,
De overste steen unde dat dreff,
100. Dat were dem rade vele to streff.
Dat braken rad in synem ghelate
Themet nicht der keyserliken majestate.
Holt eerlike keyserlikc daet,
Straffe ok alletijt dat quaet,
105. Wes othmodieh unde nicht hoverdich,
So bistu dynes keyserliken State* gans werdich,
So mach an dy nicht kamen dyt tobraken rad
Unde gheist lick uth dynen keyserliken päd.
De eere aller cristenwarlde
110. Moet an dy schynen als dat golt unde de parle.
Wultu anders dyt braken rad myden,
So mostu in der eere alle dinck like recht uthsnyden.
|B1. so»] Gy konninge, vorsten, graven unde heren,
Holdet juwen staet by eren,
115. Unde dat juwe windelrad nicht tobreke,
Dat sik dar neen braken rad in steke!
Wor dat windelrad ersten eyn tobraken rad kricht,
Dat buwet me nu unde nummermeer nicht;
Wan dat to daghe vorvalt, vorgheit,
120. Wen sik eyn vorste der eere entsleit.
Unde wat me gheven scholde den armen
Unde de hillighen kerke mede beschämen,
Dat wert nu unnutlik vorteert.
0 du tobraken rad, du bist unweert,
125. Dat du schalt ghebraken in der winde syn,
Als id nu leider is oghenschyn.
Unde wor de heren nicht achten dat,
Baven ere ee to vorende eyn braken rad,
Unde sik in erem ghesinde nicht erkent,
130. Dat dar worde van gheschent
Mennighe vrame vrouwe unde maghet,
Dar wert wol eyn gans land umme gheplaghet.
Gy vorsten, doet alletijt vorstlike daet,
Straffet in juwen landen de myssedaet,
135. Seet to, dat juwe rad nicht enbreke,
Dat got over juw de wrake nicht wreke!
Gy eerliken stede, weldich unde keyserfry,
Seet to, dat juwe waghenrad nicht tobraken sy!
Maket dat eyndrachtich, vast unde dicht,
140. So steit juw neen naghel to na nicht.
[Bl. 30 1>] De lozen speken de latet dar van,
Wente dat rad nenen lozen liden kan!
Latet deve unde bovynnen uth juwem rade
Unde ghevet en malk eyn byteken uppe gnade!
38
145. Wor sik eyn tobraken rad an den waghen stickt.
De gantze waghen dar wol van entweybriekt.
Tobraken rade an den waghen,
De konen nene sware last draghen.
Wor de borghemester de eere nicht leff haet
150. Unde de kemerers in quade em naghaet.
De raetheren dobbelt unde drincket
Unde de stadknechte denne so nahincket,
Dar lopen de borgher in deme suse,
Unde dar gheit de duvel to radhuse.
155. Seet to, gy eerliken rede in den steden,
Latet juw dat braken rad nicht undertreden!
Weset eerlick, uprichtich in juwen saken,
So mach juwe rad nicht breken etfte knaken.
Seet to, gy bure unde alle hußweerde,
1(50. Ok alle mynschen up dysser eerde,
Eyn iewelk na synem stad,
Dat ok nicht tobraken sy juwe plochrad
An eere, an zele unde an lyve,
Dat eyn iewelk ane sunde blyve,
165. Unde dat eyn dat tobraken rad nicht enstade,
Dat id nicht kome to synem ploehrade.
Kumpt eyn tobraken rad daran,
Syn plochwerk wil toruggcghan.
[Bl. 31»] Dat mennich hus unde hoff vorteret,
170. Wan he sik to dyssem braken rade keret.
Bovynnendaet unde deveshande
Bringhet mennighen to laster unde to schände;
Dar is neen warafftich munth.
Unde in deme harten is neen grünt.
175. Jo me dat tobraken rad meer bind unde kyle upstiekt.
Jo dat serer entweybriekt.
Jo me dat meer roghet, jo dat serer krozet.
Wede eynen deeff van deme galghen lozet
Unde syn ghelt an bovynnen leit,
180. Dat is altomale vorlaren arbeit.
Eyn iewelk hebbe synne unde merke:
Dyt braken rad is eyn orsprunck aller quaden werke.
Dat sy, wat dat vor eyn rad is,
Dat sy even effte unwis,
185. Hoch, syd, swaer effte licht,
Is dat rad tobraken, dat docht nicht.
Wanner dat me alle ummeher socht
Unde uth allen winckelen tohope bracht,
So vind me der tobraken rade meyst under dem galghen.
190. Hirumme late me de deve unde unsalghen
Bespeghelen in dyssem tobraken rade,
Wo weerdich dat se staen in erem grade!
Nu love ik des unde menet,
Dat dysse lezer wol hefft eynen drunek vordenet;
195. Is dat neen clareet effte wyn,
Dat moet wol guet beer syn.
(Bl. 3ib] £yn iewe]t de drincke, wat he hat,
Unde wünsche deme hochgreven ok wat.
Dyt ghedicht hefft hir eynen ende.
200. Got uns syne gnade sende,
Uat wy doreh synen hillighen namen
Salich moghen werden allentsamen!
Anmerkungen.
Bl. 1 b V. 3 In eyn van den vrommeden ghesten liegt vielleicht ein versteckter
Hinweis auf den Namen des Dichters.
I, 13 synne unde merke hebben 'verstehen, wissen'. Ebenso XI, 181. — Die ver-
wandte Formel: merke unde sin nemen bietet Stephans Sch&chbuch V. 242.
16 Die der Mundart Botes entsprechende Form dut ist als Reimwort unan-
getastet geblieben. Im Innern der Verse hat der Drucker häufig die ihm eigenen
Formen desse, dissef dyt eingesetzt.
35 ff. 'An der Gabe, die du mir bietest, werde ich erkennen, ob du Pfründen
oder Privilegien erlangen willst. Wenn ich viel thun soll, so bringt ein der Grösse
meiner Anstrengung entsprechendes Geschenk.'
44 So bezeichnet sich der Dichter auch IV, 107 und XI, 19S. Welche Funk-
tionen der hochgreve zu versehen hatte, lässt sich nicht sicher angeben. An den
gogreven, den Vorsitzenden im godinge, mit dem das Mnd. Wb. den lioehgreven
identificiert, ist hier wohl nicht zu denken.
55 tobrockelik 'rissig, fehlerhaft7.
62 itthclaren 'bestimmen, auswählen'.
II, 19 eckervast 'kernig, fest wie Eichenholz'.
37 der vloet, kaum Druckfehler, da IX, 21) f. der gliscner, der swartenkutwter,
der rodenridder und der affgumter steht.
40 Druck: molcnrat.
53 'ZUrne dem und tritt dem rücksichtslos entgegen1. Das adj. stolt passt
nicht recht in den Zusammenhang. Der Dichter scheint es gebraucht zu haben,
weil ihm die Verbindung icrevel unde stolt (vgl. Böse Frauen \ , 4.H) geläufig war.
III, 37 f. Die auch bei anderen mnd. Dichtern wahrnehmbare Vorliebe für
asvndetische Nebeneinanderstellnng von Synonymen (vgl. Gerhard von Minden fab.
L&XXVII anm.) tritt bei Bote besonders stark hervor.
42 mit winckelen 'mit Ränken, Kniffen'.
71 vornufft; zn vergleichen ist: sulven is he unlust X, 17.
IV, 19 hochdraven 'langsam, gemessen'. In der Bedeutung 'stolz, hochmütig'
ist Jiochdravendc V, 1S2 gebraucht. — voet vor voet ist im Schichtb. mehrfach in
der Bedeutung 'der Reihe nach' belegt.
V, 53 stripich ' streificht '. Belege aus mnd. Zeit sind selten; im Mnd. Wb.
und im Handwb. fehlt das Wort. Nach Schambach S. 215 steht es in einem mnd.
Loccumer Wb. Ob darunter der auf der Bibliothek des Klosters Loccum befind-
liche Vocabularius ex quo von 1467 zu verstehen ist, weiss ich nicht.
68 sik cloken na 'sich in Eile umthun nach'.
71 Druck: id.
S5 Aus der Darstellung des dem Schichtbuche angehängten Wappenbuches
erhellt, dass der Dichter die Hansestädte mit den Gliedern einer Kette vergleicht.
Er spricht dort die Hoffnung aus, dass die Glieder, die verloren gegangen sind,
durch festen Zusammenschluss der übrigen dem Bunde wiedergewonnen werden. —
Dat henghe; sonst fem. Im Wappenbuche ist das masc. hengk gebraucht. Vgl.
Einl. S. 5.
40
98 Druck: mochteu.
104 quack m. 'unnützes Gerede'; nicht weiter belegt. Das Wort gebort m
auackclie und zu quackelen ' schwatzen '. Das westf . kwack bezeichnet das Schnattern
der Ente, das Schwatzen der Elster, das Quaken des Frosches etc.; vgl. Woestc
S. 151. Nl. kwak 'Geschichte, Erzählung'.
113 byeenholden 'zusammenhalten'.
152 Sprichwörtlich: De hungrige lue* bit scharp (Mnd. Wörterb. 2, 750b). Du*
hungerde lus betrifft auch einer aer in der Krypte der Domkirche S. Laurentii zu
Lund angebrachten Reimsprüche. Vgl. Nd. Jährt). 9, 127.
155 Ps. 37, 25. Häufig ist der nachstehende sich an diese Stelle anlehnende
Spruch: \y0i Gade in rechtem geloven vortruwet,
Nicht up sunde und laster buwet,
Den leth Godt nyhe entlick in noth
Noch syn Saedt soken dat brodt
Vgl. Jtingere Glosse zum Keinke I, 10, 24.
170 quade helde, ironisch wie mehrmals in Groningens Scbichtspiel. So v. 444 ff.:
Se wolden dar nicht van wetten,
Dat se plegen on to kretten
Myt worden unde valschem gelde,
Eyn deel der dumkoynen helde,
Darto bedreven unghevouch.
Des se om deden alghenSch.,
ferner V. 793, V. 1183, V. 1465.
173 is vordraten 'verursacht Ekel, Ueberdruss' wie Des dodes danz V. 2fi5.
VI, 36 Druck : deme. — Druck : behoede.
VII, 10 koelrad vri. VIII, 41 ff.
11 pluckerad vgl. IX, 53 ff.
12 Ich habe den Vers im Anschluss an X, 19 eingeschaltet. Aus V. 5—7 ui.«l
V. 14 ergiebt sich, dass er in Botes Manuscript gestanden haben rauss.
13 eyn bedocken rad vgl. XI, 31 ff. bedocken 'nachgiebig; sich biegend, abrr
nicht brechend'.
16 Druck: weysyn.
31 unvorswcqhcn 'nicht verschwiegen'.
43 Im Schichtbuche 893, 3 verstärkt Bote nichtesnicMes noch durch plat; «.«•
scholde plat niehtssnichtes geven.
46 fanssune (franz. fafon) ' Formen, Moden'. LUbben belegt das Fremdwon
aus einem Lüb. Testam. von 1455.
57 remurmereren vgl. Diefenbach Nov. gloss. S. 316: remurmumrt iri/ftr rr»l#
62 Wiffoder schntfoder (im Druck: sch\jffoder\ vgl. jedoch V. 3S f.:
Wente so snelradich synt se aüetijt,
Unde up dat teste so %s id jo eyn beschijt)
erscheint als toyffor, schythfor im Henselin 13, 21. for ist demnach aus foder *FiuUr'
contrahiert und nicht, wie Walther annimmt, die neben vore bestehende apokopkm-
Form.
74 Dat 'wofern'; ebenso 78.
78 unde nicht uthencleyt 'und nicht herauskratzt, d. h. verschwendet*.
85 Druck: Darzo.
VIII, 9 f. Vgl. Jüngere Glosse zum Reinke I, 35, 58. — V. 27 f. VgL etoml
III, 12,343.
21 Druck: eyn2.
37 ff. Die Verse erinnern an die Priamcl bei Keller, Alte gute Schwankt
Nr. 33 : Secht wu der sun vor dem vater geet.
42 eleweren 'albern'. Vgl. Lauremberg IV, 177: De Heer sampt der Af»*
de weren so alvern (s. Sprenger im Jahrb. 15, 90). Im Mnd. Wb. nicht belegt.
53 Druck: dye.
55 hext vort hovet 'eifrig'. — juch sin 'betriebsam, thätig sein'.
IX, 30 rodenridder 'Hunderitter'; wold auch im Sinne von Gaukler w*
kattenridder.
41
35 sik bewalden 'sich Ansehen verschaffen'.
'61 nickt eynen Witten (= nicht eyn haer 59) 'garnichts'.
65 doet = dodei. Lübben Gr. S. 81 erklärt die synkopierte Form für unge-
bräuchlich. Das o ist auch hier lang wie in dem einzigen Beispiel, das Lübben
anführt.
68 zadelbassen?
X, 4 numtepeer 'Gegenstand des Staunens'.
28 hottensnavel 'Grünschnabel'.
80 buU 'entsteht'.
86 Druck: Wente dat is wer wifsheit vcrne. Hinter dat habe ich das durch
den Zusammenhang geforderte Subst. svrigent eingefügt.
XI, 32 quader, wohl Druckfehler für quadem; sonst erscheint ghelad, ghelaet
nur als Neutr. (VIII, 42; X, 89; XL 87 und 101). — Wie qwader an dieser Stelle
mag dynem keyserliken majestate III, 60 {der keyserliken majestate III, 52 und 55;
XI, 102) anzusehen sein, wenngleich hier eine Einwirkung des Masc. stät nicht aus-
geschlossen ist (z. B. dynes keyserliken «totes XL 106).
Berlin. Herman Brandes.
Jacobs von Ratingen
Lied auf das Breslauer Hostienmirakel von 1453.
In unserm Jahrbuch Bd. XIV S. 86 f. hat Jostes aus dem neuauf-
gefundenen Werdener Liederbuehe auch ein Gedicht zum Abdruck
gebracht, das sich in der gefühlvollen und poesiereichen lyrischen Um-
gebung dort etwas seltsam ausnimmt: ein bäukelsängerisches Lied auf das
Breslauer Hostienmirakel vom Jahre 1453, als dessen Verfasser sich am
Schluss Jacob von Ratingen nennt. Der Herausgeber stellte alsbald
fest, dass das gleiche Gedicht, aber ohne den Namen des Dichters
und der localen Beziehung entkleidet, aus Hoffmanns von Fallersleben
Hs. B (Horae belgicae X 235, Nr. 118) längst bekannt sei. Aber auch
der Werdener Text hat bereits mit cler Abstreifung präciser Angaben
begonnen, denn die Jahreszahl 1453, welche Jostes erst aus Grtinhagens
Geschichte Schlesiens I 282 ermittelte, bietet in einer jenem Lieder-
buch fehlenden Strophe eine dritte Fassung des Gedichtes, welche ich
unten vollständig abdrucken lasse (Str. 18). Sie bringt auch sonst
allerhand zur Textbesserung, ohne freilich alle Verderbnisse der Über-
lieferung zu beseitigen. Entnommen ist sie der Marburger Handschrift
54, auf deren Zusammensetzung ich im nächsten Jahrbuche bei der Mit-
teilung eines lateinisch-niederd. Tractats näher eingehen werde; das
Lied ist hier auf Bl. 190b — 192 a mit Absetzung der Strophen, aber in
nnabgesetzten Zeilen von der Hand eines klösterlichen Schreibers auf-
gezeichnet, der sich auf dem vorausgehenden Bl. 189 b als Hildebrandus
Herdegess. [ianus, d.i. von Hardegsenl mit der Jahreszahl 1461 nennt:
die Handschrift ist also nur wenige Jahre jünger als das Vorkommnis,
welches dem Gedicht zu Grunde liegt.
Literarhistorisches Interesse besitzt das Stück hauptsächlich durch
die sonst kaum belegte Vermischung des niedem Spielmannstones mit
42
dem Stile des geistlichen Liedes: es bleibt ein Bänkelsang, weun er
auch einen Geistlichen zum Verfasser haben mag.
[190 b] 1. In den tyden van den jaren, grod wnnder schul gi merken
do god alle dingk vulbrocht,
van Judas wart he vorraden,
den valschen joden vorkofft.
van dode is he up ghestanden,
he voer to der ewicheit:
allen joden to eyner schände,
to tröste der cristenheit
2. Wat hefft he uns [gelaten
dat he uns] tom lesten gaff?
dat schat is boven mate,
des neyn tunge vulspreken mach:
dat hilge sacramente,
godes licham unde syn blot,
dat he uns tom lesten schenkede,
do he an dem cruce stoet
3. De valschen joden algemeyne,
se wolden des geloven nicht,
dat me in der hostien cleyne
godes licham consecrerde
al twisschen des presters henden,
dar de cristenlove anne stat.
god mote alle joden sehenden
over alle de werlt ghebreit.
4. Mit rechte wil ik se straffen,
me schal se alle vorslan,
over de joden rope ik wapen:
grot mort hebben se ghedan.
dat hilge sacramente
hebben se Judas broder af gekofft
al in der quatertemper
vor sinte Michelis dach.
5. De joden mid oren frowen,
se hadden eynen valschen rad:
se wolden de warheit schowen,
ifft dat were vlevsch unde blot.
Judas broder wart eyn bode gesant,
de kuster van der kerken,
wu sere wart he vorschaut!
6. De klocke scholde*elven uren slan
al in [der sulven nacht
[191 »] de kuster quam to den joden] gan
syn wyff he mid sik brachte:
lgy joden al gemeyne,
wat is nu juwe begher?'
de overste sprack alleyne:
' och kuster, kum du her!'
7. De overste van dem hope
gingk bi den cnster stan:
'ochwoldestu uns de hostien vorkopen.
de de cristenheit ghedragen han
al in der golden monstrancien,
de de prester sulven droch,
der wolde wy dir nicht danken,
wy geven dy geldes genoch'.
8. De kuster mid synem wyve
se enbereden sik nicht längk:
'och moste od vorborgen bliven,
unsen god den scholde gi han
wat wil gi dar vor geven? [nacht,
ik bringe juk on vor halver midder-
dat kostede uns unse levent,
wert od vor de heren gebracht.'
9. 'Wy willent al vorswigen',
spreken de joden algemeyn,
'drittich gülden machstu krigen
al vor de hostien cleyn\
de kuster mid synem wyve,
se weren dar gar fro,
dat se de gülden scholden krigen.
se gingen der kerken to.
1, 6. 8 Die Hs. schreibt meist -he*, was ich aber als -heit geben zu dürfen
glaubte; -heit steht z. B. 7, 4.
2, 1 Der Schreiber sprang, nachdem er bereits g geschrieben hatte, von uns
auf uns ab.
6, 2. 3 Das eingeklammerte am untern Blattrande abgeschnitten, sodass nur
noch to den joden lesbar geblieben ist.
48
10. Se gingen den yennen halcn,
den Pylatus leit an eyn cruce slan,
se hebben so eynen deyf ghestolen
den oversten von dem tron.
de kaster mid synen vulen henden
he groyp dat schone cristal an,
he nam den koningk der engelen,
[191 b] he droch on mid sik van dan.
11. Do se den licham nnses heren
brachten,
dar de joden weren by eyn,
se schympeden unde lacheden,
se bespotteden al mid eyn.
se bespigenden den licham nnses heren,
se deden ome smaheit grot.
o de van hoger ere
bewisede mirakel grot.
1 2. Eyn tafel wart dar vor ghebracht,
dar gingen se alle bi stau,
godes licham wart dar up gelacht,
dat hilge sacrament so schon,
se woldent van bynnen schauwen,
efft od were fleisch unde blot,
se begundent an stucken hauwen,
owe der bittern no®t!
13. Oat blot kam dar her gevleten
over al de tafelen breyt,
nt godes licham geten,
dar od hüte dage noch uppe steyt.
de joden worden vorschrecket,
on wart so bange van mod:
wo god an dem cruce wart gherecket,
so lach he in synem blöd.
14. De w echter np der innren
de worden des jamers gcwar,
an eyner körten uren
kam dar mennich schone schar:
processien, cruce unde vanen,
dat volk dreyf jamer grot:
'o du werdige godes licham,
wn listu in dynem blöde rot!'
15. Qrod volk kam her gedrungen,
beyde frowen unde man,
de prester konde nicht gesingen
[id schreide allet dat dar kam,
[192»] se velen up de knye] nedder
gar crucewyss up de erden:
'o du werdige godes licham,
wu listu tohauwen mid swerdenf
16. De prester unde de kleriken,
dat volk dreiff jamer grod,
se drogen de taffeien to der kerken
mid dem duren baren blöde.
nu höret gi man unde gi frowen,
wor dut mirakel is gescheyn:
in der stad to breslaw,
dar dut mirakel steit
17. De joden worden ghegreppen,
sestich unde hundert worden ghcbrant,
de kuster moste sek sulven hangen,
also Judas wart geschant.
he reyp mid luder stempne:
'nummer wert my eyn vreyde kunt,
des mot ik ewich bernen
al in der helle grünt'.
18. Me schreiff dusent ver hundert jar
vor sinthe Michahelis dach,
dree unde veftich al openbar,
do gode de smahet geschach
gi cristenlude algemeyne,
gi schullen des ganczen 'geloven han,
dat me in der hostien cleyne
godes licham kunne entfan.
10, 6. 7 Am untern Blattrandc z. Tl. weggeschnitten, doch kann die Lesung
als gesichelt gelten.
12, 3 Geschrieben scheint gelecht, ursprünglich stand da gedä.
15, 4. 5 Mit dem untern Blattrande abgeschnitten; nur kam ist noch lesbar.
16, 2 ursprünglich jamers vel.
18, 5 gi aus dy.
44
19. Dut leyt heft Jocob von Rotingen gemacht,
von joden kumpt nummer gud,
wen blixem nnde donnerslach
unde rassen spot so grot,
myswa8 in allen landen,
dar de joden entholden sint,
over Marien spreken se schände
nnde up ore leve kint.
19 4 rassen spot ist ebenso unsinnig wie bei Joftes ramspoit; ist bei dem
ersten Worte an rote, rate 'Fäulnis' zu denken?
Marburg i. H. Edward Schröder.
Zum Redentiner Spiel.
Das Osterdrama von Redentin (Dorf bei Wismar in Meklenburg)
aus dem Jahre 1464 ist bekanntlich zuerst von F. J. Mone in den
'Schauspielen des Mittelalters', Karlsruhe 1846, Bd. II nach einer Karls-
ruher Handschrift veröffentlicht worden. Die Vortrefflichkeit dieses
Stückes hat manche Philologen veranlasst, sich mit seiner Erklärung
zu beschäftigen. Zunächst gab Ludwig Ettm tiller es mit Einleitung
und Erläuterungen heraus als 'Dat spil van der upstandinge', Quedlin-
burg und Leipzig 1851. Unter dem Titel 'Das Meklenburger Oster-
spiel', Bremen 1874, hat es Albert Freybe ins Hochdeutsche tiber-
tragen und mit ausführlichem Commentar versehen. Schon vor ihm
hatte sich Karl Schröder um dieses Literaturdenkmal höchst ver-
dient gemacht, indem er in der Germania, Jahrg. XIV (Wien 1809),
S. 181 ff. unter anderm den niederdeutschen Ursprung desselben gegen
Mone, welcher einen niederrheinischen Urtext angenommen hatte, ver-
theidigte, viele Lesungen Mone's aus der Handschrift berichtigte und
eine Anzahl schwieriger Stellen erklärte. In der Interpretation und
Emendatiori des Textes sind ihm dann gefolgt Friedrich Drosihn in
der Zeitschrift für Deutsche Philologie, Bd. IV (Halle 1873), S. 400 ff.,
zu welchem Aufsatze auch Julius Zacher einige gute Deutungen bei-
steuerte, und Friedrich Woeste in derselben Zeitschr., Bd. VIII (1877)
S. 106 ff. Trotz aller dieser verdienstvollen Leistungen sind doch noch
einige Schwierigkeiten unbesprochen geblieben, auch kann ich einzelnen
gegebenen Deutungen nicht beistimmen; daher will ich im folgenden
versuchen, ob ich zur Erläuterung solcher Stellen etwas beitragen
kann. Ich citiere und zähle die Zeilen nach Mone, obschon dieser
nach Z. 218 zwei Zeilen (s. Schröder) ausgelassen hat.
Z. SO wat mach uns fchaden dat scheint noch zur Rede des primus mües zu
gehören. Vgl. Schröder a. a. 0. S. 193.
45
Z. 172 f. prahlt der Ritter von sich und seinem Schwerte Klynghe:
tros dat myner iemant beyde,
ik wolde em dat ben beseten,
he fcholde en jar an der hafen quelen.
Ettinüller ändert befehden und haffen: 'ich wollte ihm das Bein beschälen, von der
Haut entblü88en, er sollte ein Jahr lang an dem Kniebug Schmerz fühlen'. Schrö-
der findet in befeien das mhd. 8&r 'wund' siren 'verletzen', macht aber darauf auf-
merksam, dass die meklenburgische Mundart heute besalen. verfalen in der Bedeu-
tung von 'Übel zurichten' sage und vergleicht schwäbisch [auch norddtsch.-hd.] ver-
fehlen 'tüchtig durchprügeln'. Freybe verwendet dieses 'versohlen' in seiner
Uebersetzung und fasst hafe mit Ettmtiller als Kniebug auf. Gewiss darf man un-
gefähr eine Drohung erwarten wie : „ich wollte ihm so das Bein verletzen, dass er
ein Jahr lang am Kniegelenk leiden sollte." Aber das steht nicht da. Ich gebe zu,
dass der Dichter das hat sagen wollen, meine aber, dass er wortspielend die ernst-
hafte Bedrohung ins Lächerliche hat verkehren wollen. Statt be füren, vorferen sagt
er befeien. Dies Verb entspricht genau dem mhd. befelwen (beschmutzen, besudeln)
vom Adjectiv fal flect. falwes, aha. falo, ags. falu, ndl. zaluw, 'dunkelfarbig, trübe,
schmutzig'; denn das w ist nach einem mndd. Lautgesetz weggefallen. Nun ist
allerdings dies Adiectiv weder im Alt- noch Mittelniederdeutschen nachweisbar; es
muss aber vorhanden gewesen sein, da sich eine mnd. Glosse falig fuscus fwart-
brün, welche abgeleitete Form dem ags. falowig gleichsteht, findet, und da nndd.
Dialecte (siehe z. B. Richey's Idioticon Hamburg, und Schütze's Holstein. Idioticon)
faal, freilich mit derselben Begriffsentwickelung wie im engl, faüow als 'blass,
gleich, fahl' kennen. Mit der hafe kann nur die Hose oder der Beinling gemeint
sein. Die Hechse heisst mndd. heffe oder hefne, nndd. heffe. Die lautliche Ver-
schiedenheit von heffe und hafet resp. hofe scheint fast zu stark für ein Wortspiel ;
möglich ist jedoch, dass im Mndd., wie im Mhd. hahfe neben hehfe, eine Neben-
form haffe vorhanden gewesen ist1). Der Sinn der Stelle würde demnach sein:
„ich wollte ihm so das Sein besudeln, dass er ein Jahr lang an seiner Hose kranken
sollte".
Vielleicht wird jedoch der, welcher dieser Auffassung der Stelle beipflichtet,
da sie zu der sonstigen komischen Schilderung der bramarbasierenden Ritter im
Stücke stimmt, doch wegen des nur hier erscheinenden befeien Bedenken tragen
und etwa lieber vermuten, es sei befalen und quälen zu lesen: befolen, das wegen
des kurzen o in offener Silbe zu befalen werden könnte, sei ja das bekannte mndd.
Wort für 'besudeln' und quälen, das schwache Verb, habe ja dieselbe Bedeutung
wie das starke quelen. Bei der Beschaffenheit der Handschrift, wie sie aus meh-
reren Stellen des Stückes erhellt, scheint freilich die Möglichkeit nicht geleugnet
werden zu dürfen, dass eine erneute genaue Prüfung diese Lesungen ergäbe. Doch
wahrscheinlich ist das nicht. Denn einmal sind befalen und befiren lautlich so sehr
verschieden, dass das Wortspiel, welches in dieser Stelle zu liegen scheint, weg-
fiele. Zum andern lautet das erstere Wort nndd. befölen, und der Umlaut wird
schon im Mittelalter bestanden haben, wenigstens habe ich bereits im 15. Jh. diese
Form in einer Handschrift gefunden. Wenn das Mndd. Wörterbuch befalen aus
dem J. 1546 belegt, so ist zu bemerken, dass die a und o des 16. Jhs. sich zu-
weilen sehr ähnlich sehen. Auch meine ich ferner bemerkt zu haben, dass, wäh-
rend das kurze o in offener Silbe im 15. und 16. Jh. wohl als ä aufgefasst und a
geschrieben wird, doch dieses nicht geschieht mit dem o, welches nach den Laut-
gesetzen, nach Ausweis sorgfältigerer Handschriften und Drucke und nach dem
Zeugnis der neueren Dialekte Umlaut erlitten hatte. Hier schrieb man nach wie
vor o, was für den vorhandenen Umlaut spricht. Ein befölen und selbst ein befolen
hätte aber, um die Anwendung auf unsern Fall zu machen, nicht mit quälen reimen
können. Endlich lässt sich auch denken, dass der Dichter durch ein seltenes oder
veraltetes befeien die Hörer über die harmlose Bedeutung der Drohung nicht so-
*) Das dän. hafe, isl. häfin, schwed. hos wage ich nicht heranzuziehen. [Belegt
ist hasse 'Hesse' in einem mitteldeutschen Texte der Sachs. Weltchronik s. Deutsche
Chroniken Bd. 2 (1877) S. 87, 44].
46
fleich ins klare kommen lassen wollte, um den des Scherzes dann innewerdenden
ie Lust zu erhöhen.
450 ff. de zelen veler lüde
l'yn an groteme fchaUe,
fe fynghen unde vrowen ftk alle,
l'e lehnen al averlut,
dat fe fcholen drade ut.
fo* [1. fe*] hebben vornamen enen glans
unde hebben eynes monke dans.
Ettmtiller ändert:
fe lubben fornomen inen glans,
unde hevet inen monekes dans,
„und heben einen Mönchstanz an, d. h. gebärden sich toll. Den Mönchen war be-
kanntlich das Tanzen verboten; wenn sie aber einmal das Verbot übertraten, so
mochten sie dann auch recht ausgelassen tanzen/ Diese Erklärung befriedigt nicht.
Minder Gewicht will ich darauf legen, dass die regelmässige mndd. Form monik
monek, später monnik monnek ist, wie auch hier 1301 monnik und nicht monk.
Nirgends aber findet sich, dass man einen tollen, ausgelassenen Tanz mit dem
Tanzen, der Mönche verglichen hätte, von deren Tanzen überall nichts verlautet
Wenn im Manuscript das n von monke nicht ausgeschrieben ist, so darf man wohl
vermuten, dass der Strich über dem o, den Mone fUr n nahm, ein Haken sein soll.
die'Abbreviatur für r. Mohrentänze waren eine beliebte Unterhaltung im Ausgange
des Mittelalters. Das älteste Zeugnis freilich, welches ich beibringen kann, ist
erstvom'J. 1517 und findet sich im Vocabulorum reruni promptariuni des Anhalters
Baldaffar Trochus, welches in jenem Jahre zu Leipzig gedruckt ward: saUatto
mauria, maurica, morntanz; saUare maurum, der moritzken tantz springen (Diefen-
bach, Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis, Francof. ad M. ISST,
p. 509). Cornelius Kilianus Dufflaeus hat im Etymologicum Teutonicae Linguae,
ed. 3, Antverpiae 1599, p. 824 : mooriske, moorifken dans, maurica, pyrricha, chiro-
nica faltatio, vulgo morisca, gal. dance de morisque, ital danfa dette morefche, angl.
morice daunce. Es ist aber wohl nicht zu bezweifeln, dass dieser Tanz, welcher
sicher einen aufgeregten und gesticulatorischen Charakter hatte, älter als das
1 6. Jh. ist. Nach den angeführten Belegen möchte ich muthmassen, dass im Verse
456 morke (morskenl) zu lesen ist. Die Stelle scheint überhaupt verderbt zu sein.
D&as^eynes nicht richtig sein kann, hat Ettmüller eingesehen, aber enen genügt
allein nicht. Es müsste es oder des davor zu ergänzen sein: „sie haben einen
Glanz7gesehen und haben des (deshalb) ein Gebahren, wie Mohrentänzer."
581 ff. Jesus ergreift in der Hölle den Lucifer und sagt:
Lucifer, du bofe gaß,
du fcliolt bliven an desfen keden va/t
du fcholt hir ne geft mer malen wefen,
myne leven fcholen vor dy wol genefen.
Der Vers 583 hat den Interpreten viel zu schaffen gemacht. E. : du fchaü hir neget
mit malen wefen, „du sollst hier mit Ringen, Banden (ndl. malie, f. Ring von
Eisendraht, franz. maiUe, engl, mail) geneiget, niedergebeugt sein". Aber ein ndd.
male ist unerweislich. Frey be : „du sollst keinen Geist (ags. gaest auch hoino, vir)
mehr quälen hier." Abgesehen davon, dass F. den ndd. Satz bedeutend und will-
kürlich geändert haben muss, um zu dieser Uebersetzung zu gelangen, spricht schon
gegen seine Auffassung, dass, wie im Stück selbst nachher gezeigt wird, Seelen
nach wie vor in der Hölle gepeinigt werden. Dr. will lesen: du schalt hxr negtft
met malen wefen, „du sollst hiernächst mit Wundenmalen sein; mit, den fünf Wanden
Christi entsprechenden, Malzeichen soll Lucifer gezeichnet werden." Wie mislongen
diese Deutung ist, liegt auf der Hand, so dass ich kein Wort mit einer Wider-
legung zu verlieren brauche. Woeste ändert nicht: „der passende Sinn, den diese
Stelle enthalten kann, ist: Du sollst nach diesem nur (mer) gefangen sitzen/' Malm
fasst er als Participium malende von einem construierten und undenkbaren Verb
malen, am Mal sitzen, weil im Kriegsspiele der Knaben mal den Ort bezeichnet, wo
der gefangene Feind verwahrt wird. Diese Erklärung scheint mir gleichfalls keiner
47
ernsthaften Widerlegung zu bedürfen. W. scheint mir nnr darin recht zu haben,
dass er den Sinn fasste als: „Du sollst in Zukunft nur oder stets hier an diesem
Orte sein," was mit anderen Worten schon der vorhergehende Vers ausdrückt.
Diese Auffassung wird durch das Stück in seinem Verlaufe bestätigt: Der
oberste der Teufel darf hinfort nicht mehr, wie vorher, selbst auf die Erde und
die Menschenseelen verführen; er muss seine Diener senden. Die Verderbnis
scheint hauptsächlich in malen zu stecken. Ich glaube, dass moten 'müssen' zu
lesen ist. Vielleicht steht auch so in der offenbar flüchtig geschriebenen Hand-
schrift. Mit dieser Lesung ist aber der Stelle noch nicht geholfen, du fcholt hir
negest mir (mehr, länger) moten wefen, eine solche ironische Umschreibung des
Urteils einer ewigen Bannung kann der Dichter unmöglich Jesus in den Muna ge-
legt haben; sie wäre nicht viel besser, als wenn wir die Mone'schc Lesung ver-
stehen wollten: du fcholt hir negest mirmalen (mehrmals, öfter) wefen. Es lässt
sich jedoch leicht bessern, wenn wir annehmen, der Schreiber habe aus Versehen
das hir an eine falsche Stelle gebracht oder von zweien hir das eine ausgelassen:
du fcholt nigest mer (allein) hir moten wefen, oder: du fcholt hirnigest mer hir
moten wefen. Jedoch' auch so scheint die Verderbnis noch nicht völlig geheilt zu
sein; denn negest 'nächst* im Sinne von „in Zukunft, fürderhin, für immer" ist auf-
fällig und wird schwerlich zu belegen sein. Da die Schriftzüge des Manuscripts
derartig sind, dass Mone 291 de als du lesen konnte und 263 (nach Ettmüllers An-
gabe) netclde als nuwolde, so dürfen wir vielleicht hier statt ne umgekehrt ein nu
vermuten. Ich möchte weiter fast glauben, dass entweder in der Karlsruher Hand-
schrift oder doch in der Urschrift jti oder yu statt gest stehe oder gestanden habe,
und glaube dabei nicht befürchten zu müssen, dass ein Kenner mittelalterlicher
Handschriften dies für unmöglich erklären wird. Die so gefundene Lesart giebt
den besten Sinn und fasst aas Verdammungsurteil, gerade wie in dem vorher-
gehenden Vers, in kurze prägnante Worte : du schott hir nu jummer moten wefen ,
„Du sollst hier nun immer bleiben müssen."
628. 768. dorf: es ist gewiss derf zu lesen; denn dies ist die sprachrichtige
Form, und e und o sind in Handschriften des 15. Jhs. schwer zu unterscheiden.
651 ff. wan fchen jw is de fucht mede,
dat gy jw nycht fcheppen vrede:
ik heobe io dicke hört unt is ok recht,
dat de elrene here bedwynget den ekenen knecht.
Diese Verse scheinen mir von Ettmüller und Freybe misverstanden zu sein.
E. ändert: war is jü selten de fucht mede? „womit hat euch die Schwachheit be-
fallen?" Und Fr. übersetzt: „Was für 'ne Sucht euch doch anficht, dass ihr könnt
Frieden finden nicht?" Er meint (S. 249), Puk verspotte seinen Coltegen Satanas,
und betrachtet den Täufer Johannes als den elrenen heren. Puk aber greift nur
den Lucifer an und tadelt ihn, den hiren, weil er nicht durchgreife und Friede
d. h. Gehorsam schaffe, indem er den Teufeln in der Bezwingung des knechtes Jo-
hannes beistehe. Er könne das als Herr ja leicht, wan fchon (so ist statt fchen zu
lesen) d. h. wenn gleich er dazu geneigt sei, still zu sitzen, so habe er es doch
leicht seinen Willen, nemlich den Johannes in der Hölle zu behalten, durchzusetzen,
denn dem ellernen d. h. schwachen Herrn stehe gegenüber dem ikenen d. h. starken
trotzigen Knecht die Autorität zu Gebote und Hülfe. Allein Lucifer giebt, wie
seine Antwort zeigt, kleinmüthig nach, denn er sagt: deffe fchar was myt unrechte
wunnen, alzo is fe uns wedder untrunnen.
• 978 ff. ladet dar nu anders vor,
dat wy wedder kamen in ufes heren dor.
Die Versuche E.'s und Fr. 's, ladet zu deuten, sind mislungen; nicht minder Dr.'s
Aenderung lavet. Als vor ca. fünfzehn Jahren die Hamburg. Section des Nieder-
deutschen Sprachvereins das Redcntiner Spiel las, conjicierte der jetzige Archivar
in Rostock, Dr. K. Koppmann, rodet, ohne Zweifel eine angesichts der nachlässig
und schlecht geschriebenen Handschrift palaeographisch nicht zu beanstandende und
nach der Bedeutung in den Zusammenhang trefflich passende Besserung.
48
1122 ff. Die hier folgenden Geschäftsbezeichnungen sind fast alle bereits
durch Ettmüller richtig gedeutet, und, wo er geirrt hat, haben Drosihn, Woeste
und Lttbben im Mnda. WB. die Bedeutung klar gestellt. Den beiden Letzteren
schliesse ich mich betreffs der Erklärung von puler an. Bei fieper und wler war
Ettmüller ungewiss: {,den Schläfer und den Faulen?" Da er /ISper schreibt so
hatte er ohne sein Wissen schon fiir Schläfer entschieden. Für Schläfer und Fan-
lenzer ist auch Woeste. Er hat seine Meinung nicht begründet; aber wahrscheinlich
ist ihm für 'Schlaf er' ausschlaggebend gewesen, dass in dieser Aufzählung da, wo
zwei Epitheta zusammen gestellt werden, die beiden durchweg keinen Gegensatz.
sondern eine Aehnlichkeit der Beschäftigung bezeichnen. Drosihn fasst es gleich
flependriver, ein Fuhrmann, der auf einer Schleife (fiepe), einer Art Schlitten, den
Kaufleuten die Waaren zuführt; s. Brem. WB. IV, 823. Für vuler, „was sicher
wenigstens nicht den Faulen bedeuten kann", möchte er büler lesen. Freybe billigt
Drosihn's Erläuterung von fieper, nimmt dagegen vuler für einen Unsauberen. Zu-
nächst ist Drosihn's Ansicht vuler könne nicht den Faulenzer bedeuten, zurückzu-
weisen. Es giebt im Mndd. eine Anzahl von aus Adjectiven gebildeten Substan-
tiven auf -er, z. B. unholder, unnütter, unfchemeler^ (vroderf), vromer. Lübben hat
bereits im Mndd. WB. unter vrome auf diese Bildungen hingewiesen. Dass sie
nicht wie ein nach hd. Weise stark flectierendes Adjectiv aufzufassen sind, geht
daraus hervor, dass sie auch nach dem bestimmten Artikel und in der Flexion das
Suffix bewahren und im Plural auf -ere ausgehen. Vuler, das nur hier begegnet,
kann auch vom Verb vulen abgeleitet sein und sowohl 'Faulpelz' wie auch
'Schmutzfink' bedeuten. Ich glaube, hier das Erstere; und zwar aus folgender Er-
wägung. Lucifer zählt lauter Gesohäftsbezeichnungen auf; selbst puler, verdorbener
Handwerksmeister fällt noch ziemlich in dieses Gebiet, wenngleich ein bestimmter
Beruf nicht gemeint ist. Auch sleper, das ich wie Drosihn fasse (vgl. Bremisches
Jahrbuch II, 230), bezeichnet einen Erwerbszweig. Nun scheint dem Verfasser aber
das Reimwort zu puler Schwierigkeit gemacht zu haben. Da wird ihn dann der
ähnliche Klang von fieper und fUper, Schläfer, sowie dass er mit puler .bereits
mehr eine menschliche Eigenschaft bezeichnet hatte als ein eigentliches Gewerbe,
bewogen haben, den Faulpelz in die Aufzählung zu bringen. In fieper steckt also
wohl, wenn man es so nennen will, ein Wortspiel. Die Bedeutung 'Faulenzer7 wird
für vuler auch durch nndd. fulert bestätigt; vergL bei Schottet, Teutsche Haubt
Sprache S. 1116 das Sprichwort: Faulert muss zerrissen gehn.
1138. haveman. Die richtige Erklärung dieses Wortes hat K. E.H. Krause
in der Germania XVI, 9? gegeben. Für ' colonus ' scheint (s. Mndd. WB.) die Form
Jiofman üblich gewesen zu sein, für den 'decuriensis, armiger, aulicus' dagegen
hoveman.
1351. hebte dat ey, dar de kenne myt deme pelfe af lep sagt, nach Schröders
Berichtigung, Lucifer dem Noytor, als der ihm den Bäcker mit den Worten bringt:
hir is de feie, de ik grep. Z. 1351 ist ungebührlich lang. Damm lesen E. und Fr.
mit deme velfe weg und theilen den Vers noch dem Noytor zu: nimm das stinkende
Ei. nemlicn die Seele. Schwerlich. Der Vers, von Lucifer gesprochen, wird Bezug
mit deme velfe weg und theilen den Vers noch dem Noytor zu: nimm das stinkende
Ei. nemlicn die Seele. Schwerlich. Der Vers, von Lucifer gesprochen, wird Bezug
nehmen auf das braden ey, um welches Z. 1 329 Astrot als Lohn der Teufel bittet.
Myt dem pelfe stempelt die Henne zur Laus, das Ei wäre die Nisse. Die Laus
heisst wegen ihrer Farbe auch Mttllerfloh. Vielleicht hat der weissbestäubte Bäcker,
den Noytor bringt, diese Fassung des Dankes veranlasst. Sonst gäbe: hebbe dat
ey dar de henne af leep auch schon guten Sinn: „ein faules Ei".
1 375 ff. werpet den becker an de heue
unae fettet ene an den gloendeghen aven,
dar ßt lie warmer wen an deme ftaven.
Ettmüller und Freybe verstehen unter dem ftaven die Badstube. Das kann nicht
richtig sein. Mit der hatte der Bäcker nicht mehr zu thun gehabt, als jeder Andere.
Es ist die neben oder über dem Ofen befindliche Backstube.
1408 f. ach, were ik mynfche, alzo'ik vore.
wat ik to deme fchowerke nicht enlcore.
Drosihn will my ergänzen in Z. 1400: „was ich zu dem Schuhwerke mich nicht be-
49
stimmte!" Der Sinn ist richtig gefasst, aber die grammatische Construction ist mis-
verstanden. kefen to heisst „sich für etwas entscheiden, etwas wählen"; s. Lexer
Mlid. Wb. Woeste verkehrt: „Was ich zu der Schusterei nicht wählen würde! d. h.
ich weiss nun, was ich als Schuster nicht thun würde!" Wat ist 'traun', as. hwatl
1412. werp ene an de loboddem. So steht nach Mone da, der aber wunder-
licherweise den loboden in den Text setzt, dann aber noch verwunderlicher Z. 1413
unverändert lässt: de gy left vul pekes foden. Schröder will boddem retten, denn
„boddem, mhd. bodem ist richtige Form". Ja, aber für „Boden, Grund". Solchen kann
man jedoch nicht vollsieden und jedenfalls wäre dann den zu schreiben in beiden
Zeilen. Ettmilller hat in gleicher Vorstellung: an dene löbodeni, „an den Boden,
wo man die Gerberlohe zubereitet und aufbewahrt und das Leder gerbt." Freybe
liest auch an den loboden, erklärt aber richtig: „lohboden, Gefäss, Bottich, Wanne
(mhd. bodene, boden, bodet botte, butte), worin das Leder durch Lohe gar gemacht
wird; jetzt Lokal.11 «ur vermengt er nach dem Vorgänge des Mndd. Wörterbuches
und Grimm'B im Deutschen Wörterbuche (unter ' Bütte') zwei fanz verschiedene
Wörter: bodene, auch boddene, oder mit Verkürzung boden, bode ist — mhd. büttene,
hatten, bütte, ags. byden, nndd. bödden, bö(d)e, und andererseits butte = mhd. butze,
ags. butte, bytte, nndd. butte. Die beiden Ausdrücke bedeuten ziemlich dasselbe,
werden auch bisweilen verwechselt, allein im ganzen ist bodene ein Fass, eine Kufe,
ein Bottich, das grössere Gefäss, butte eine Bütte, eine Balje, das kleinere. Bodene
ist speciel ein technischer Ausdruck für die Badekufe, die Brauerkufe, den Mühl-
steinkasten und, wie wir hier sehen, für die Gerberkufe. Das Wort ist Femininum,
und demnach steht ganz recht in der Handschrift beidemal de. Wenn wirklich die
Handschrift loboddem hat, so ist das Confusion, vielleicht aber hat sie loboddene.
Der Dichter muss lobodden oder loboden geschrieben haben, reimend auf foden (mit
kurzem o).
1442 f. myt der heten natelen neghede ik dat want,
dat de nad jo drade uprant.
Ettro. bessert updrant, „dass die Nath immer sogleich aufsprang, drinden drückt
eigentlich schwellen, aufschwellen aus." Dros. billigt diese Aenderung, denn uprant
sei sinnlos. E.'s Erklärung hält er aber mit Recht für unbegreiflich. Aufschwellen
und aufspringen ist eben nicht dasselbe. Was er aber herausliest, ist noch un-
begreiflicher: „vielmehr kommt es von updrennen, was hier intr. steht, aufgehen,
dissui. Mhd. ist trin?ien, stv. intr., fortgehen, auseinandergehen, dazu gehört als
factitiv: trenne, schwv. trans., trenne, scheide. Im Nd. ist beides in einander ge-
flossen und das schw. v. wird als trans. und intrans. gebraucht, wie noch mundart-
lich z. B. in Neu-Stettin." Es scheint Dr. gar keine Bedenken gemacht zu haben,
dass es dann updrande heissen müsste, was nicht reimen könnte zu want. Dazu
sind trinnen imd trennen hd. Wörter. Es giebt kein ndd. drinnen und dre?inen.
Gegen Ettmüller ist zu bemerken, dass das Ndd. ein drinten, nicht drinden hat;
doch würde das Praeteritum updrarit lauten und hier reimen. Woeste, der diese
Bedenken geltend macht, fragt mit Hecht, warum man ändern solle. „Uprant kann
Praeteritum eines st. V. uprinden sein." Seiner weiteren Auseinandersetzung kann
ich nicht beipflichten, weil Rinde und zurinden, verharschen, und ein angesetztes
starkes intrans. rindan 'umgeben, bedecken ■ nicht eines Stammes und einer Bedeu-
tung mit jenem uprinden zu sein scheinen. Das stv. rinden in uprinden wird das-
selbe Wort sein, wie anord. hrinda, ags. hrindan, 'stossen'. Ableitungen sind die
schwachen Verben ags. hrendan, rendan, engl, to rend, afries. renda, 'zerreissen,
zerbrechen'. Das Particip des engl. Verbs lautet rent, das des afries. erent, rent,
Hausgeräth
auch versucht, die Ausdrücke rende und rantfehiven der Goslarer Berggesetze
§ 1 62 (Leibniz, Scriptor. Rer. Brunsvic. III, 547. Vaterland. Archiv des hist. Vereins
für Niedersachsen 1841 S. 322) mit Hülfe dieses Wortstammes zu erklären.
1450 ff. werpet ene (den fchroder) an der helle grünt,
dar fchal he ligghen fo en hunt
N lederden tsohes Jahrbuch XVI. 4
50
und an der ewighen kette braghen;
he heft fo meneghen man bedraghen.
Ettmüller ändert broaen (ibedrogen) „und an der ewigen Hitze prahlen, gross than'
Dr. hält brägen für das Brem. broien, mhd. brüejen, ags. brövan. brühen, hier intr.
gebrtibt werden, braten. W. nieint, bis die Bedeutung von bragen und bragrr
(Bruns Beiträge 3, 346) belegt werden könne, genüge vielleicht folgendes: hd. brägei.
brägeln setzen ein bragen voraus, dessen Sinn, „schmoren, braten", hier passv
brager bedeute dann „fc&hmorer, Brater*'. Mir stehen die Beiträge von Bruns nicht
zu Gebote, so dass ich über die daselbst vorkommenden Wörter bragen und bragrr
nicht urtheilen kann. Gegen £. und W. ist einzuwenden, dass brogen und brägd*
oberdeutsche, höchstens auch noch md. Wörter sind, hingegen im Ndd. nichts ihnen
Verwandtes nachzuweisen ist. Dr.'s Erklärung verdient keine Erwägung, weil sie
im Widerspruch mit einem Lautgesetze steht. Wider alle drei Deutungen ist zu
sagen, dass sie jede nur einen allgemeinen Sinn ergeben, während doch Lucifer die
Straf bestimmungen der einzelnen Handwerker je nach deren Geschäft und Geschäfts-
sünden variiert, bragen kann meines Erachtens daher nur das mndd. bragm 'kal-
fatern, die Risse der Schiffe mit Hede und heissem Pech verstopfen' sein, mit
Uebertragung des Ausdruckes auf das Flicken oder Stopfen der durch die Schuld
des Schneiders gerissenen Kleidungsstücke.
1476 f. waters nam ik gar ghenuch,
des waters cleyne was myn ghevoch.
E. : „an Wasser hatte ich keinen Mangel." Fr. : „an Wasser mir nimmer ein Mangel
war.-' Die Worte besagen aber: „ich brauchte wenig Wasser", also gerade das
Gegentheil von dem. was im vorhergehenden Satze gesagt ward. Im Urtext muss
ein anderes Wort für water gestanden haben, wahrscheinlich eins, welches gleich-
falls mit w begann und auch sonst ähnlich dem waters aussah; ich vermuthe icete*,
Genetiv von wöte 'Weizen'. Der Krüger spricht erst nachher vom Verkauf und
Verzapfen der Getränke, hier dagegen vom Biermachen. Der Ausdruck vele bm
maken kann sich recht gut auf die nachträgliche Verdünnung des Biers beziehen:
dann müsste 1477 nach Koppmann's Conjectur beres statt waters gelesen werden.
Der Krüger ist aber wohl zugleich als Brauer zu denken und 6er maken als ' Bier
brauen' zu nehmen. Die damaligen Biere waren bekanntlich zum grossen Theil
Weizenbiere. Wete für weten mott hat nichts bedenkliches.
1482 ff. wen %k woneber mat,
ik wene, dat ik des ne vorqat,
de kavent maße mede anßxghen.
E.: „Das woneber finde ich nirgends erklärt; hätte man wonnebir oder icunneber ru
lesen, so könnte das Frühlines- oder Erntebier ausdrücken. Es ist ein starkes,
f ehaltvolles Bier damit gemeint, da ihm der kovent. das Nachbier, gewöhnliche
'ischbier, entgegengesetzt wird." Dros. trennt wone her und liest wonne = tcanrtr
' ehedem'. Aber dagegen muss gesagt werden, dass mndd. wonne für wanne nicht
vorkommt. W. trifft es richtig, wie Mone, wenn er urtheilt: „man erwartet ein
Attribut des Bieres im Gegensatz zu kavent": er findet daher eine Aendernng in
waneber oder fconebßr gerathen und verweist wegen des ersteren Wortes auf westf.
wdn, gross, schön, kräftig. Fr. bezweifelt, dass Drosihn's wonne = wanne möglich
sei, „auch wäre wen ik wanne ber mat pleonastisch. Dav. Franck (Meklenb. 1, 5tf.
57) erzählt uns, dass zur Erntezeit Wodelbier gereicht sei. Es wird hier dem-
nach wodeber statt woneber zu lesen sein. Selbst das Wode- oder Wodelbier, das
Schnitterbier, hat der Krüger gefälscht." Er wird die Ausübung seines Betrages
nicht auf die kurze Zeit des Wodelbieres beschränkt haben, wozu ihm, wenn er
nach der Darstellung des Schauspiels ein städtischer Wirth war, überhaupt alle
Gelegenheit gefehlt haben wird. Das Woeste'sche wdn ist kein meklenbnr^iscbes
Wort; und wonneb&r ist eine sehr unwahrscheinliche Bildung. Zu leugnen ist ledoch
nicht, dass die Lesarten von E., W. und Fr. palaeographisch nicht viele Bedenken
haben. Ist anders zu lesen, so würde mir Koppmann's Lesung wene für richtiges
weme, jemand, im Dativ am besten gefallen. Steht aber wirklich wone da, so ist
es wohl das Adjectiv, sonst auch gewone mhd. getcone, mndd. ghexcone, mndl. troo«,
gewöhnlich: das gewöhnliche Bier, das Bier im eigentlichen Sinne des Wortes im
Gegensatz zum Nachbier.
51
1494 ff. myne(n) leven knechte, wefeftj rede
unde ghevet derne krogere has mede;
fettet ene bi de heten hupen
unde ghevet em drynken mit der fchupen.
E. findet hier wieder haffe, ahd. hahfat Knjcbug: „hasmidc (=~Miethe) mag entweder
Schläge an das Knie oder Durchschneidung der Flechsen am Knie bezeichnen, eine
bekannte Strafe im Mittelalter." Man würde haffemede erwarten; aber die Wort-
bildung ist unglaublich und passt durchaus nicht zum folgenden. Sehr.: „mede ist
Miethe, Lohn. Für has schlage ich vor hast, mndl. haest, adv. schnell, hastig; also:
gebt dein Krüger schnell seinen Lohn." Dros. vermutet halspmete, Schläge an den
Hals, ins Genick. Das steht nicht da, aber es passt vor allem auch nicht in den
Zusammenhang der Rede. W. tadelt füglich auch den höchst unreinen Reim.
Ueberdies, fährt er fort, empfehle sich miete (Lohn, iron. Strafe) als das Allgemeine,
dem die besondere Angabe folge. Man könnte has ans haße (Soest F. 687) verderbt
denken und übersetzen: gebt dem Krüger rasch Lohn! Wahrscheinlich bedeute
aber Msmede gewaltsamen, schrecklichen Lohn. W. vergleicht haisswerk bei Schüren
C-bron. 276, dass die verbitterten und schrecklichen Kämpfe der Soester Fehde be-
zeichnen und aus haistwerk entstanden sein müsse und dessen erster Bestandtheü
dem goth. haifsts und ags. heest entspreche, auch in der ursprünglichen Bedeutung,
während das gewöhnliche mndd. hast nur noch eine gemilderte des Eilens habe.
W. rügt richtig an Schröders Conjectur, dass man nicht hast, sondern haste als
Adverb erwarten müsste. Seine eigene Erklärung dünkt mich in mehrfacher Be-
ziehung unwahrscheinlich: einmal die Lesart haisswerk1) bei Schüren, da wir nicht
wissen, ob der Herausgeber Tross richtig gelesen hat, auch nicht, ob der Nieder-
rheinländer nicht einem hd. Ausdruck Eingang in seine Sprache verstattet hat.
Dann ist auch haiss eine bedenkliche Entstellung von hast. Ferner ist noch nicht
ohne weitere Zeugnisse anzunehmen, dass ein ndrhein. Wort auch in Meklenburg
galt. Und endlich ist die sonst nicht belegte Bewahrung der alten Bedeutung höchst
fraglich.
Lübben hat im Mndd. WB. has als Entstellung von hars 'Harz' und mede
als besonderes Wort genommen; er versteht also wohl: gebt ihm, theilt ihm Harz
mit, gebt ihm Harz ein. Die Besserung ist leicht und einsichtsvoll. Lübben selbst
giebt sie nicht als eine Textbesserung, er hält has für einen frühen Beleg des
nndd. hass = mndd. hars. Nun heisst Harz allerdings mndd. gemeiniglich hart
selten hars; aber die Form ist doch nicht unerhört und entspricht dem mndl. und
und (neben harz) mhd. hars. Ich möchte von Lübben abweichend glauben, dass,
wie oft. entweder das ein r ausdrückende Zeichen, der Haken, über dem Vocal
vom Schreiber vergessen oder, weil zu schwach gerathen, erloschen ist. Weiter
halte ich mede 'mit' für überflüssig, kenne auch kein medegeven für mittheilen,
geben, harsmede wird e i n Wort sein. Es fragt sich, ob mede Lohn oder Meth ist.
Will man reinen Reim auf rSde, dann ist das Erstere anzunehmen. Allein ' Harz-
loh n' giebt keinen guten Sinn. Wenn mide vom Dichter gemeint ist, würde ich
lieber annehmen, dass has statt hals verschrieben wäre; denn halsmcde würde gut
zum Handwerk des Krügers und ebenso zu den folgenden Versen passen: wie er
sich versündigt hat an dem, was er seinen Gästen für ihre Gurgel verkaufte, so
wird er auch ähnlich gestraft. Denselben passenden Sinn würde aber auch 'Harz-
nieth' ergeben, Meth, der aus heissem Harz besteht; ja, wohl noch einen passen-
deren, und darum ziehe ich harsmede vor. Der unreine Reim hat nichts bedenk-
liebes. Wenngleich im Schauspiele S und e nicht reimen, so kommen doch ein paar
Ausnahmen vor. Gar nicht rechnen will ich Sr und er wegen des Einflusses des
nachfolgenden Consonanten; es finden sich auch ziemlieh viel Beispiele dieses
Reimes, z.B. speren:keren 229. hören : untberen 898. höre : vere 1108. 1210. kören:
heueren 1950. *Aber beweisend für die Freiheit des Dichters, i und e zu reimen,
sind: wartöken : ßeken 729, weghen : andreghen 1517 und gar ik ben (bin): fchin
1688, ähnlich wie not : got 45.
') [In dem erhaltenen Autograph des Verfassers steht haifwerck geschrieben,
s. Clevische Chronik des Gert van der Schuren, herausgegeben von R. Schölten
(1884) S. 150. üeber hove-, havewerk vgl. das Mnd. Wb.]
4*
52
Noch bemerke ich zu kupe und fchupe. dass £. und Fr. nicht ganz klar über
diese Wörter gewesen zu sein scheinen. Wir haben im Ndd. zwei Wörter, welche
in der Bedeutung dem mhd. kuofe, nhd. Kufe entsprechen : köpe, as. cöpa, und kupe.
Dies letztere, von dem küper 'Küfer' abgeleitet ist, steht dem ndl. kuip gleich.
Man gebraucht diese beiden Ausdrucke nicht beliebig für einander, sondern jedes
hat sein besonderes Gebiet der Verwendung. Flüssigkeiten, z. B. Bier und Wasser,
werden in Kopen gefasst; Fleisch aber wird in Küpen ffepekelt und aufbewahrt
Ebenso sind schöpe und fchüppe verschieden. Mit der Schope wird Bier und der
flüssig gemachte Kalk geschöpft, mit der Schuppe schaufelt oder wirft man Erde.
Korn, Feuerung. Hier sind natürlich mit kilpe und fchupe, beide ohne Umlaut, das
Gefäss und die Schöpfkelle für Flüssigkeiten gemeint, und die Schreibung u soll
das ü oder ou ausdrücken, welches sich aus dem alten o entwickelt hat
1507 ff. Evdj du büß myn deve kumpan!
Wane! fo motestu nummer neten.
my dünkt, du konst de spolen fcheten.
E. und Sehr, lassen den Lucifer den ersten Vers zum Belsebuc sprechen und ihn
sich dann mit dem zweiten an den Weber wenden. Ich meine, dass auch Z. 1508
noch an Belsebuc gerichtet ist Mit dem folgenden Verse verbunden, gibt 150*
keinen Sinn. „Ei, so musst du nimmer geniessen, mich dünkt du kannst die Spule
schiessen": was soll da der erste Satz bedeuten? Die Worte beziehen sich offen-
bar auf den Vers 1503 der Rede ßelsebuc's: tpru vort tprul Die Erklärung dieses
Verses von Zacher ist ohne Zweifel richtig. Auf solche unwillkürliche Aensserung
seines allzuhastigen Knechtes antwortet Lucifer: „Pfui! so musst du niemals niesen!*4
Da niesen aber ndd. nifen heisst und nicht nöten, so ist, wenigstens für diese
Stelle, Entlehnung aus einem md., wahrscheinlich mrhein., Original anzunehmen, in
dem niesen, wofür auch ni essen vorkommt, und schieszen einen im 14. und
15. Jahrh. ganz erträglichen Reim ergeben würden.
1582 f. hadde ik buckynck edder al,
den luden ik ere ghelt af hdl.
E. ändert hol in ßal und Fr. übersetzt „abstahl". Das that der Höker aber auch
mit den übrigen Betrügereien, die er nennt, ghelt ist nicht geld, das Geld, sondern
gelt, die Milch der Fische. Nach Nemnich, Polyglotten-Lexicon der Naturgeschichte,
Lief. III (Bd. II) Sp. 289 war das Wrort einst auch im Ndl. vorhanden: lactes, holl.
hom, milt, gelt. Die Milch der Bücklinge gilt bekanntlich als Delicatesse und als
Hausmedicin gegen Halserkältung. Wie es um die Aale beschaffen ist, deren Fort-
pflanzung lange im Dunkeln lag, mögen die Naturforscher entscheiden; wir haben
es hier nur mit der Meinung des Schriftstellers und seiner Zeit zu thun. hdl (wahr-
scheinlich wird hael dastehen) ist Praeterit vom st. V. helen hehlen, verheimlichen,
hier: heimlich stehlen und den Kunden vorenthalten, um durch den Sonderverkauf
ausserdem zu profitieren.
1665. ik lape alzo en bakaven.
Lapen ist ' schlürfen'; vgl. 650. Es ist jape zu lesen.
1768 wird eyneme ghevughe statt ghenughe zu lesen sein; denn genöge ist
feminin.
1805. dat leße fchap fehlt jo in den ßa\
sagt Lucifer vom Satanas, welcher den erfolgreich Widerstand leistenden Pfaffen in
die Hölle bringen will. E. und Fr. ändern beße: „auch der Klügste begeht zu-
weilen, mal eine Dummheit". Jo heisst aber „immer, jedesmal". Und Satanas ist
der letzte der mit Seelenbeute heimkehrenden Teufel. Es ist daher nichts zu
emendieren, höchstens im vorhergehenden Verse (hir umme fet nu averal) fet ttu
in fecht me; Freybe: „Darum sagt man überall." Allein nöthig ist Such das nicht
Lucifer spricht zu den Umstehenden : Da seht ihr es alle mal wieder, wie recht das
Sprichwort sagt.
1846 ff. ja ja, bist unde vlok,
den bynt to hope an enen dok;
wen au ene wedder up byndeß,
fo fe, wat du dar ynne vindeß.
53
E. und Fr. quälen sich mit Mone's falscher Lesung ab. Es ist vi8t, crepitus ventris,
zu lesen und im nächsten Verse wohl de statt den.
1875. ik hadde wol an en muschel ghekropen.
Statt muschel ist musehol, n., zu lesen: Mauseloch.
1892. dar moftu alzo en pwyn vtUen.
Es ist wulen = wolen (ikolen l kühlen '), wölen 'wühlen' zu verstehen.
1904 f. deffe arme stumper is beäraghen,
he mot varen an den molenpaghen.
Molenpaghe ist der Esel. Satanas, der vom Priester in dai wilde brök oder an den
wilden wolt gebannt wird, ist damit, wie wir etwa sagen würden, auf den Esel ge-
kommen. Dieselbe Bedeutung hat molenpaghe 1979 f.:
werstu ok fo fwar alzo en molenfak
unde lhaddeß ok gheßaken den gantzen molenpaghen.
Hamburg. C. Walther.
Die Bohne und die Vietzebohne.
•
Wo in letzter Zeit über die Bohne sprachlich geredet ist, wurde
fast durchgehends auf die botanische Stellung dor Pflanze keine Rück-
sicht genommen, und abgesehen von der vielfachen Uebertragung des
Namens auf andern Samen J) fast nie beachtet, dass seit dem 16. Jahr-
hundert sich allmählich eine fast vollständige Verschiebung gegenüber
dem Mittelalter geltend machte, welche schliesslich sogar die Etymo-
logie zu beeinflussen anfing und auch in die Erklärung der alten
Klassiker sich einschlich.
Wenn wir heute im Gespräch von Bohnen reden, und selbst wo
wissenschaftlich darüber geschrieben wird, schwebt dem Sprechenden
oder Schreibenden fast stets die Gartenbohne, sei es die niedrige
Kriech-(ndd. Krup-)bohne oder die kletternde, an Stangen rankende vor,
der Phaseolus vulgaris L., und die alte ächte Bohne, Vicia Faba L.
wird dabei übersehen. Campe, selbst Grimm im D. Wb., auch ten
Doornkaat Koolman I, S. 202 f. scheinen sogar vorauszusetzen, dass
der Gartenbohne zuerst der Name zukomme und dann auf die „Sau-",
Pferde- oder Grossebohne übertragen sei.
Nun steht jetzt aber fest, dass der Phaseolus der heutigen Bo-
tanik nicht der der Alten: Dioscorides, Columella und Plinius, ist, son-
dern aus Amerika stammt2), die niedrige Strauch-, Kriech- oder Krup-
') Vgl. J. H. Campe, Würterb. d. D. Spr. I, S. 590 v. Bohnenbaum; Grimm,
D. Wb. 1, S. 226 (Bohnenbaum); Heyne, D. Wb. I, S. 466 f. Ferner noch Kaffee-
bohne, Cacaobohne etc. Wilhelm von Boldensele erzählt im Iter ad terram sanctam
S. 322 (Ztschr. des historischen Vereins fllr Niedersachsen 1852), dass die camelarii
ihren Kamelen in der Wüste fabas siccas in kleinen Portionen geben. Er meint
Dattelkerne.
f) In Schübler und v. Martens, Flora von Würtemberg, Tübingen 18S4,
8. 471 wird Phaseolus vulgaris, die Stangenbohne, noch als aus Ostindien stammend
54
bohne, Ph. vulg. nanus, sogar aus Peru und Chile3). Sie kann daher
trotz der Schnelligkeit mit der damals sich fremde auffallende oder
nützliche Pflanzen verbreiteten4), erst im dritten Viertel des 16. Jahr-
hunderts weiter bekannt geworden sein, die kletternde (brasilianische?!
vielleicht etwas früher. Nach R. A. Philippi in Santiago5) führte die
Krupbohne, die jetzt in Chile frejol, früher frijol, frisol mit einem
Fremdwort genannt wird, dort früher den einheimischen Namen dvgul
und in Peru den dort heimischen purutu oder purrutu; er hält frejol
für angeglichen an phaseolus (die Fisolen) nach Chaos Diceionare
encyclopedico (1853) soll es aber (nach* F. M. a. a. 0.) ein amerika-
nisches Wort sein, das Dr. Reiss auf Westindien oder das südliche
Nordamerika zurückführt. Die Stangenbohne (Ph. vulg.), sagt Philippi.
sei in Peru und Chile nicht zu Hause; doch führt, nach De Candolle.
Rochebrune auch den Phaseolus multiflorus Willd., unsere Feuerbohne
oder türkische Bohne, wahrscheinlich in der dickschaligen weissen
Abart der Mandel- oder Schminkbohne, aus den Gräbern von Aneon
bei Lima an, und beim Nürnberger Ratsphysikus Camerarius werden
a. a. 0. S. 124 Phaseoli Africani oder Brasiliani genannt. Wittmaek
hält die Krupbohne für zuerst um die Mitte des 10. Jahrhunderts ein-
gebürgert; Camerarhis kannte sie 1580 noch nicht; denn von seinen
phaseoli pumiliones albi et nigri sagt er, sie würden um Nürnberg
wegen der Kälte häufig nicht reif; und S. 161 sagt er ausdrücklich:
angegeben, der alte Tabernaemontanus aber weiss noch, dass sie, die „türkische
oder welsche" Bohne aus Amerika sei. Vergl. jetzt die entscheidenden Unter-
suchungen von L. Wittmaek in Verhandl. des Bot. Vereins der Prov. Brandenburg,
XXI. Sitz.-Ber. S. 176; derselbe: „Unsere jetzige Kenntnis vorgeschichtlicher Samen,
im Berichte der deutschen Botan. G eselisch. IV, 1886, S. XXXI— XXXV. F. M. im
Globus 50, No. 5 S. 72— 74. — Humboldt 1887, Nr. 1 S.26; Wittmaek, Die Heimat
der Bohnen und Kürbisse, in: Berichte der Deutschen Bot. Ges. 6. (1888), S. 374—
380. Der phasiolus oder phaselus der Alten, den Cato und Varro noch nicht kennen,
der aber bei Columella und Palladius als Feldfrucht (also nicht als St&ngenf nicht)
aii8gesiiet wird, muss erbsenähnlich gewachsen sein, denn während die als Dünger
und Viehfntter massenhaft gebaute weisse Lupine 10 modios als Aussaat für den
jugerus forderte, sind von Erbsen und phaselus nur 4, von der bei weitem wich-
tigeren Faba aber nach dem von Columella citierten Treinellius 6, nach Columella
selbst nur 4 modii nötig (Colum. 2, 20. Pallad. XI, 1}. Was der phaseolus ursprüng-
lich gewesen sei, hat Fr. Körnicke, Zur Geschichte der Gartenbohne, in: Ver-
handl. des Naturhist. Vereins des preuss. Rheinlandes und Westfalens (1885. Vergl.
Globus a. a. O. S. 78) nachgewiesen, wenn er auch dem Columella irrtümlich die
(plinianischc) Nachricht zuschreibt, dass der phaselus „mit den grünen Schoten"
gegessen sei. Dass man später in den Südländern auch eine Stangenfrucht phaseo-
lus hatte, ist ebenfalls sicher. Körnicke führt beide auf Vigna sinensis Endl. zurück.
Die ältere Strauchform als Dolichos melanophthalmos DC.. die Stangenform als
Dolichos sinensis L. Beide sind für Untersuchungen deutscher Pflanzen ohne Wert,
da sie unser Klima nicht ertragen; aber der Name phaselos hat sich hier früh auf
erbsenartiges Gemüse, dann auf die amerikanische Bohne verschoben. Vergleiche
F. Hock, Nährpflanzen Mitteleuropas. 1890 (FF. z. D. Landes- u. Volkskunde V, 1).
8) Globus, 51 (1887) Nr. 10, S. 157 f.
*) So die Sonnenblume, Helianthus annuus, schon 1580 in den Gärten als
Chrysanthemum Peruvianum verbreitet. S. Joachim Camerarius, Hortus medicus et
philosophicus S. 60. Viel rascher noch der Tabak.
B) Globus a. a. O.
55
Smilax hortensis (& i. der Dolichos), phasioli vulgo, und in Nathan
Chytraeus Nomenciator Latino-saxon. (1590) heissen sie gegenüber der
faba, Bon, S. 422 und 441 : phaseolus (phasioli) „welsche Bonen" als
neu eingeführte. Dagegen kennt derselbe Chytraeus schon früher die
Stangenbohne, „ad palam eductos lupulorum more pliaselos", deren
Wuchs er also mit dem Hopfen vergleicht. Sie müssen aber damals
noch sehr selten gewesen sein, denn er sendet seinem Gevatter Schöne-
mann (Caloander) eine Portion grüner Schoten mit einem Kochrecept
in lateinischen Versen«).
Als Resultat ergiebt sich aus dem Vorhergehenden: „Bone" im
Mittelalter und bis zum dritten Viertel des 1(5. Jahrhunderts ist stets
und ständig nur unsere „Grosse-", „Sau-" oder „Pferde- Bohne", die
Faba der Alten, Vicia Faba L., in ihren beiden Abarten, der breit-
früchtigen („grossen") und der kleinfrüchtigen, die auch als Feld- und
„Taubenbohne" vorkommt.
Alles was bis ca. 1570 von der „Bone", „Frö Böne" Walthers von
der Vogelweide, Gutes oder SchleMes in Brauch und Lied ohne weitere
Bezeichnung gesagt wird, bezieht sich auf die Faba, ndd. böne, im
Göttingensehen 6dwe7), in Vorpommern baune*).
Sie hat bekanntlich einen festen, aufragenden, sich selbst halten-
den Stamm und rankt nie; mag man nun bona mit Fick aus babna,
baubna, bauna herleiten9), so ist sicherlich nach der Natur der Pflanze
Adelbert Bezzenbergers10) Anlehnung an „beben", griech. yißofiai,
irrig, weil „in diesem Falle die Ranken (!) von Bedeutung für die
Benennung der Pflanze gewesen wären". Ihn hat die Amerikanerin
irre geführt.
Frau Bohne aber reicht in die ägyptische, trojanische, griechische
Vorzeit zurück M), in Italien war sie die bei weitem wichtigste aller
Hülsenfrüchte, auf deren Anbau man, wie Columella und Plinius deut-
lich verraten, die grösste Sorgfalt verwandte. In Spanien isst man
noch die halb oder fast reifen Bohnen, in Salz gestippt, roh tagsüber
6) N. Chytraei poemata. Rostoch. 1579 fol. 151.
Si tarnen has, siliquae detractis undiquo fibris,
Cultellus transversa secet, jurique recenti
Et pingui, pipere affuco, simul incoquat, Mos
Dehcias dices, lauto non vile palato.
Noch in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts kamen die „türkischen" oder
„Mandelbohnen", phaseolus multiflorns Lamk.. so auf den Gesindetisch. Von den
herrschaftlichen Mahlzeiten waren sie schon durch feinere Gartenvarietäten des Ph.
vulg. verdrängt. S. Krause „Wann ist die Bohne, phaseolus L., in Mecklenburg
eingeführt" Arch. d. Ver. d. Freunde d. Naturgesch. in Mecklenb. 84 (1880/81).
7) Schanibach S. 16.
*) Dähnert, Plattdeutsches Wörterb. nach der Pommerschen und Rügenschen
Mundart. S. 49 v. Bone.
•) Grimm setzt goth. baunodor bäum, Kluge, Aufl. 4 S. 86 bauna, 0. Schrader,
Sprachvergl. und Urgeschichte 2. Aufl. setzt als Urform bagna.
10) Höpfer u. Zacher, Ztschr. f. d. Phü. V, 229.
>') Die Belege s. bei Wittmack a. a. 0. (1886) und Alph. de Candolle, Der
Ursprung der Kulturpflanzen. Uebers. von Edm. Goeze (1884) S. 397 ff.
56
oder zum Nachtisch12). Auch in Deutschland kommt sie vorgeschicht-
lich und frlthgeschichtlich vor, ttber die Angaben des Plinius in Be-
treff der friesischen Inseln soll weiter unten gesprochen werden; über
die Funde in den schweizerischen Pfahlbauten berichtet, nach Heer.
De Candolle a. a. 0. Man fand die Faba im Burgwalle von Priment IZ\
und im Gräberfelde von Mttschen, Kreis Kottbus, Provinz Branden-
burg14). Alle diese alten Funde lieferten die kleinere Vicia Faba
minor, die Feldbohne, franz. Feverotte, nur dass die alte Frucht (Faba
celtica nana Heer.) noch etwas kleiner, vielleicht durch Zusammen-
Schrumpfung war15). In älteste geschichtliche Zeiten Niederdeutsch-
lands führt die ebenso kleine Vicia Faba aus der Fahrstedter Wurt
bei Marne, die in (50 verkohlten Samen sich bei einer Durchgrabung
in dem ältesten Ziegelbrocken -Estrich fand16) und immerhin in die
allerfrüheste Zeit der Besiedelung der Dithmarser Marsch vom hohen
Lande der Geest aus gehören kann. Die grössere Form der Faba, die
wir essen, ist erst später gärtnerisch entstanden oder doch später ein-
geführt. Es ist deshalb auch recht gut möglich, dass zu Plinius Zeit
auf den friesischen Inseln schon Bohnen gezogen sind, obwohl er da*
gerade nicht sagt, und jedenfalls dieses „Tacitus" nicht berichtet,
wie bei Angabe des heutigen vorzüglichen Gedeihens der Vicia Faba
in den Dünenthälern Spiekeroogs angegeben wurde1").
Doch sind diese Bohnen im späteren Mittelalter in Niedersachsen
wenig häufig, vielleicht mehr als Gartenfrucht gebaut. In „Tideriei
Langen Saxonia" (15. Jahrb.)1*), die aber wahrscheinlich von Heinrich
Rosla (Ende des 13., Anfang des 14. Jahrh.) herstammt19), wird als in
Sachsen gebaut angegeben: triticum, silhjo, ordea (plur.), pisa (sing,
fem.), avena und dann zugesetzt: Stint ibi nonnullis fabae, niehuci
que citrulli^).
Sie kommt daher auch in Zehnt- und Abgabenregistern im nörd-
lichen Deutschland, obwohl man sie überall kannte, nie oder fast nie
**) Auch von Syrien sagt der kölnische Pilger (Ztschr. f. d. Phil. 19, S. iüm:
„Van XIII Dages (h. 3 Könige) bis vastavent do wassen da rosen ind bonen ind
alsulchen kruvt.
13) Ascherson, in Ztschr. f. Ethnol. etc. 1875, S. 154, danach R. Behla, Dir
vorgeschichtlichen Rundwälle S. 20. Ge. Buschan, Zur Kulturgeschichte dt-r
Hülsenfrüchte. Ausland 1891, Nr. 15.
u) Jahrb. der K. Preuss. Kunstsammlungen VIII Nr. 3. Reichsanzeiger Nr. 17*
(2. Aug.) S. 4.
") De Candotte a.a.O.
lfl) R. Hart mann, Ueber die alten Dithmarscher Wurten und ihren Packwerk
bau, Marne. 1883. Mit 1 Taf. 38 8. 8°. S. 8.
17) L. H(aepke?) in der Weserzeitung 1886, Nr. 14234 Morgenausg. (7. Augren
S. 1. Er lässt Tacitus von den ostfriesischen Inseln sagen, was Plinius von den
Nordseeinseln mitteilte.
») Meibom I, p. 802.
VDB.
,9) Krause in ADB. 29, 239.
■o) melones citrulli sind eine Art Melonen. Citrnlli schon bei den Römern als
dem. von citrium, Gurke oder Melone, früher für Kürbis gehalten, ehe Wittmack
nachwies, dass auch diese aus Amerika stammen. Eine auffallende Verschiebung
in der Lttneburger Heide aus dem 15. Jahrhundert: „Citrulli Wicken41 brachte Wal-
ther im Jahrb. I, S. 16.
57
vor; freilich auch die Erbse recht selten. In den Hebungen des
H. Geist-Hospitals in Lübeck im 15. Jahrhundert, das sich auch über
meckenburgische und pommersche Güter erstreckt21), erscheinen beide
nicht, in den mecklenburgischen, pommersehen, bremischen und ost-
friesischen Urkundenbüchern habe ich sie nicht gefunden, auch nicht
in der Agrargeschichtlichen Darstellung Ostholsteins und Lübecks von
Schmidt22). Erbsen kommen in Rostock 1275 im Handel vor23),
Höhnen finde ich nur in der Hamburger Zollrolle von 1254 — 12(52 M),
wo der Wispel mit 18 Pfennig besteuert ist, und im Inventar des
Schlosses Vörde (Bremervörde) von 1547, wo „in der Koken" „20
tonnen Bonen und Erweten" registriert sind25).
Abgesehen von Südhannover und Braunschweig sind diese letz-
teren Gebiete auch jetzt noch die, wo vorzugsweise die schweren
Hoden liebende Bohne gebaut wird. Während z. B. von Woldegk
(Mecklcnburg-Strelitz) gemeldet wird, dass sie erst seit etwa 187(5 in
grösseren Schlägen gebaut werde26), nennt Schütze2"») sie 1800 ein
,Xieblingsgemüseu in Holstein, und sagt, dass eigene Fuhrleute in der
Bohnenzeit durch Hamburg mit dem Rufe „Bonenflu to Wagen" durch-
fahren, um die leeren Hülsen (Schale, „Sluu, in Bremen Bossen28)) als
Schweinefutter oder zum Dung abzuholen. In der Marsch „Alten
Landes" links der Elbe zwischen Harburg und Stade sind noch heute
das von den Knechten verlangte, bei den Rippen stehende Abendessen
reife, trockene Grosse Bohnen in Milch gekocht. Auf den Elbsänden
gedeiht die Pflanze vorzüglich und erreicht die Höhe eines Reiters zu
Pferde. Diese Marschbohnen werden, im Handel als „Jeverländer"
bezeichnet, jetzt viel als Saatgut ins Oberland verführt. In Ostfries-
land, wo die gekochte Bohne vor allem als Pferdefutter dient20), zeigt
der Gebrauch des Mehles und Brotes, das früher als Nahrung des
niedern Volkes, dann als Armenhaus-Brot30) verwandt wurde, ebenso
>l) Lübeck. U.-B. VIII Heft 9. 10.
n) G. H. Schmidt, Zur Agrargeschichte Lübecks und Ostholsteins. Studien etc.
Zürich. Orell, Füssli & Co. 1S87. X und 171 S. Vergl. Jahrcsber. d. Geschichtswiss.
X, IL S. 136 Nr. 110.
w) Mecklenburg. U. B. 2, S. 525 Nr. 1374. 1418 kosteten in Rostock 1 Drömt
(= 12 Scheffel) Erbsen 6 M., gleich dem Preise von 50 Stockfischen oder 2 Tonnen
Kuhfleisch.
") Hamb. U.-B. I, Nr. 668, S. 548. Daraus Riedel, Nov. Cod. dipl. Brandenb.
Abt. II, B. I, S. 8».
») Krause im Archiv des Stader Ver. f. Gesch. etc. 2 (1864), S. 150 f.
M) Archiv d. Ver. d. Freunde d. Naturgesch. in Meckl. 39. 1886 S. 49.
") Holsteinisches Idiolikon I, S. 129. Er sagt auch, dass in Holstein, nament-
lich in Altona, und in Hamburg von den Gastwirten ein Pikenik filr die ersten
jungen fd. h. grünen) grossen Bohnen filr Gäste unter dem Namen „B&nenmdUied"
angerichtet werde.
*8) Versuch eines Bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs. I, S. 117. In Lüne-
burg hiess 1488 die Hülse der Bohnen und Erbsen „schode eße })oley eseanea".
Lüncb. Manuscr. d. Univ.-Bibl. Göttingen Nr. 82 (Heinricus Hildensem).
M) Stürenburg, Ostfriesisches Wörterb. S. 21 v. Bonenstöter. ten Doornkaat
Koolman I, S. 203 (bonenstöter).
*») ten Doornkaat Koolman a. a. O. „böticnbröd". — Uebrigens wurden in
meiner Jugend in Teurungszeiten auch in meinem elterlichen Hause in Northeim
58
wie das alte Wortspiel „de bönakker up gän"*1) den alten, eingebür-
gerten Bau der Pflanze an. In Westfalen ist sie ein seit alters her
beliebtes Gericht; schon in den Epist. obscuror. viror. (I S. 84 der Lon-
doner Ausg. von 1742) empfiehlt Herbord Mistlader gegen Durchfall
„fabas coctas aspersas cum papavere" als westfälisches Gerieht. Im
Elbinger Vocab. kommen Bohnen neben Erbsen, Linsen und Wicken vor.
Danach habön wir uns noch mit Plinius' Angaben abzufinden, mit
dessen Worten grosser Unfug getrieben zu werden pflegt. Zu diesem
Zwecke ist zunächst hervorzuheben, dass wie wir „Bohne" auf andere
Früchte und ähnlich aussehende Dinge, selbst auf die Gewehrkugel
als „blaue Bohne" tibertragen, dasselbe schon die Römer, mit ihrem
xvaftos auch die Griechen, thaten. Die Römer nannten die bittern
Früchte der ägyptischen Wasserlilie (Nelumbium), deren Wurzel (nicht
Frucht!) gegessen wurde, fabae, die nicht essbare Frucht einer in
Mauretanien (Algier, Marokko) wildwachsenden Leguminose „silvestris
faba"32), ja sogar die einzelnen Kügelchen des Ziegenmistes heissen
bei Plinius33) fabae, wie bei uns die Kinder von „schäpskrinten" oder
„schäpslorbeeren" oder „rofsäppeln" reden. Moritz Heyne im D. Wb.
Bd. 1 (1890) S. 467 kennt auch „Bohnen der Ziegen und Schafe".
Nun sagt Plinius31): Vom Promontorium Cimbrorum an bis zur
Scheide seien 23 Inseln durch die Waffen der Römer bekannt ge-
worden, „earum nobilissiniae: Burchana, Fabaria nostris dicta, a
frugis similitiidine sponte provcnientis; item Glessaria a succino mili-
tiae appellata, a barbaris Austrania, praeter quae Actania. Die Be-
deutsamkeit der Burchana, des alten noch nicht zerrissenen und von
Bant noch nicht getrennten Borkum ftir die Römer wird uns von
Strabo erklärt: Es war von Germanicus durch Absperrung und Sturm
erobert, daher war diese Insel eine nobilissima geworden; welche Insel
Glesaria (Bernsteinland) nach dem deutschen Worte Glesum (Bern-
stein)35) vom Heere (militiae) benannt wurde, während sie in der hei-
mischen Sprache Austrania (Ostinsel?) hiess, ist ebenso wenig sicher,
wie die Bedeutung der Actania. Von der Burchana aber sagen, die
Worte des Plinius: Fabaria von den Unsern benannt nach der Ähn-
lichkeit der dort wildwachsenden Frucht, natürlich mit der
Faba! Anders kann die Stelle nicht gedeutet werden. Von einem
Wildwachsen der Faba dort ist nicht die Rede. Und ganz dasselbe
bei Göttingen „Pferdebohnen" zwischen dem Roggen mit vermählen. Plinius fordert
diese Zuthat zum Brotmehl.
31) ten Doornkaat-K. a. a. 0. „Die Flacht ergreifen, ins Zuchthaus kommen",
indem der böne, faba, das Masc. bona, der Gebannte, der Mörder, untergeschoben wird.
81 ») Ztschr. Ethnol. 22 (1890), V, Verhandl. S. 185.
M) Plinius Natur, hist. 18, 30. am Schlüsse.
38 ) Das. 19, 60: in fabis capnni fimi singulis.
34 ) Das. 4. 27 am Schlüsse. Strabo VII, 1 berichtet von Borkum : wv iotl xai
7] BovQxavlq, rjv ix noXioQxiaq eile. Jac. Grimm, Gesch. der D. Spr. II, 594 liest
BvQzavlc, und möchte das Wort (II, 681) durch byrgene = sepulcra deuten.
**) Tac. Germ. 45. Glesum Germanis succinum. Ueber das häufige Vorkommen
von Bernstein auf den ostfriesischen Inseln berichtete Haepke im Bremer Naturw.
Verein. S. Weserztg. 1884 Nr. 13371 Jforg.-Ausg. S. 3.
59
meldet Plinius 18, 30 im vorletzten Absatz: nach Erledigung der Be-
schreibung der Faba (er meint augenscheinlioh durchweg die kleinere),
geht er zu den ähnlichen wilden Leguminosen über: „nafcitur et fponte
plerisque in locis, sicut septemtrionalis Oceani insulis, quas ob id nostri
Fabarias appellant; item in Mauretania sylvestris passim sed praedura
et quae percoqui non possitu. Das letztere ist die oben genannte
mauretanische Pflanze, dann kommt unmittelbar die ägyptische Ne-
lumbium-Seerose des Nil. Hier lernen wir, dass die Dttneninseln der
Nordsee von den Römern insgesammt Fabariae genannt wurden. Da
Plinius selbst jene Seeküsten besuchte38), som hat er ohne Zweifel die
Pflanze mit eigenen Augen gesehen, deren Ähnlichkeit mit der Faba
er meldet. Es kann nur Pisum maritimum L. sein, wie schon Buchenau
in der Beschreibung der Inselflora annimmt; sie wächst noch heute in
Menge auf offener nicht bewaldeter Dttne, die mauretanische da-
gegen im Busch (silvestris). Verglichen hat sie der römische Soldat
mit der ihm bekannten und zu seiner Kost (als Zuthat zum Brot) ge-
hörenden kleinen Faba, wegen der ähnlichen Farbe der sonst mehr
erbsengleichen Samen; vielleicht auch, weil er sie gelegentlich mit
als Faba verwandte; denn dieses Pisum ist essbar; auf den Dünen
von Warnemünde werden wenigstens die jungen Schoten von den
Jungen genascht wie Erbsenschoten.
Vom Wildwachsen der Vicia Faba an der deutschen Küste ist
danach keine Rede, noch weniger ist der Name Fabaria aus dem
Deutschen abzuleiten und als Baunonia zu fassen oder richtiger in
Baunonia zu übersetzen :,r), und noch weniger ist der von Borkum erst
im Mittelalter abgerissene Theil, die Insel Bant,..de Banthe38), als „die
bohnenförmige", zu deuten39); denn von einer Ähnlichkeit einer Insel
mit der Bohne redet Plinius überall nicht. Wollte man sich gegen
die klaren Worte in unnötigen Konjecturen verlieren, so würde die
Landkarte eher auf einen Vergleich der Inseln mit jenen fabae caprini
fimi singulae führen können.
Während die germanischen Stämme die Erbsen, wie der Name
(von ervum, ervilia, nach Andern von Orobus) lehrt, von den Römern
erhielten, wobei sie auf das alte pisum den Erven-Namen tibertrugen40),
ist die Bohne, wie gleichfalls der Name bezeugt, nicht erst über Italien
zu ihnen gekommen. E. Förstemann, Deutsche Ortsnamen S. 141 kennt
die Bohne schon vor 1100 in Ortsnamen; er zählt 8 „Banamatha" auf.
Vgl. auch dessen (Orts-)Namenbuch. Auch die Nordgermanen hatten sie in
altnordischer Zeit, wie aus der einheimischen Benennung und auch wohl
aus der Verwendung beim Julfest erhellt; denn der von A. Tille41)
M) Plinius a. a. 0. 16, I.
37) Kluge, Etym. Wörterb. * S. 36.
») Jac. Grimm, Gesch. d. D. Spr. II, 594 erklärt „Bant" (unter Vorbehalt) als
„Weidegrund".
30) Theod. Siebs, Zur Gesch. der englisch-friesischen Sprache I (1889) S. 275.
Jellinghaus in Zts. f. d. Phil. 28, 375 f., hält diese Deutung ftir ansprechend, aber
bezweifelt sie doch.
*°) J. Grimm, Gesch. d. D. Spr. 1, 64 f.
*') „Nordische Weihnachten", Weserztg. 1899 Nr. 15460 Morgenausg.
60
angeführte Weihnaehtsbrauch der Umrandung der Julgrütze mit Boh-
nen, viel mehr noch die Bohnenschtissel, aus welcher jeder - Hof-
bewohner am Schlüsse des Festessens am Juiabend eine gekochte
Bohne essen muss, scheint auf hohes Alter hinzuweisen. Spielt hier
die heilige Frucht eine Rolle beim Beginn der Zwölften, so thut sie
es anderwärts am Schlüsse dieser heiligen Zeit (heil. 3 Könige, Epi-
phanias) im Bohnenfest, Bohnenkuchen und Bohnenkönig12). Wie weit
dahin, vielleicht als eine Art Satyrspiel, die „Bohnenlieder" gehören,
weiss ich nicht; Kluge S. 36 nennt sie priapeia, Heyne S. 467 erklärt
das Bohnenlied als „lockere Dinge"43). Einen Zusammenhang der
„Bohne" mit dem Geschlechtsleben erkennt das Volk noch heute an.
In Lüneburg hörte ich vor Jahren in einem Gespräch über allzureichen
Kindersegen die Worte: „Aber es sind doch meine Bohnen!" — In
Lübeck wurde neben den Würfeln ein Bohnenspiel verboten.
Die poetisch viel verwertete „Bohnenblüte" gilt auch nur von
der Faba; an warmem, stillem Juniabend liegt ihr feiner Duft fast
berückend über der Landschaft, ein Zauber für verliebte Paare.
Über die vielen der Bohne gewidmeten Redeweisen geben die
Wörterbücher Aufschluss, hier soll nur zu dem bekannten „nicht eine
Bohne" der Vers 3579 aus Reinke Vos „dat is wol eyner bonen tverd"
angeführt werden, um aus der Lippstädter Reimchronik der Soester
Fehde44) den gleichbedeutenden V. 2783 daran zu reihen: „dat sei crc
viande nicht achteden ene wichen". Unklar bleibt der westfälische
Name „tecke" (Osnabr. tiäkenbaune), der durch das ebenso undeutbare
„Wibbelbone" erklärt werden soll45). Durch die Zusammenstellung
von Same und lecken ist klar, dass. eine Faba oder eine Erbse ge-
meint ist. Für das erstere ist die Ähnlichkeit mit der vollgesogenen
Zecke nur für die F. minor passend. Die „Faba sylvestris" Apnliens
nennt Camerarius selbst (S. 59) einen Aracus. Damit verlassen wir
die zum Aschenbrödel gewordene Bohne48), von der Plinius (18, 3U)
sagt: tnter legumina maximus honos fabae.
Nun kommt die Frage, wie die amerikanische Frucht, weicht*
heute den botanischen Namen phaseolus trägt, ihre deutschen Volks-
namen erhalten habe. Es sind deren, abgesehen von Bohne und
allerlei Zusammensetzungen, zwei: Faselen (Fisolen) etc., die auf
den phaseolus der Alten zurückführen und Fiz-(Viets-)Bohne mit
4a) J. Grimm, Gesch. d. D. Spr. I, 10S. Vorher ist das Bohnenfest des Apollo
(flvaveyia) und der Bohnenmonat (flvavs\piwv)t auch der baskische Bohnenmonat
(baguilla, der Juni) besprochen. Myth. 579. Das keltisch -gälische Bealtuin-Fest
scheint verschieden zu sein. Wie weit die „Valentine" als Bohnenkönigin hierher
gehört, ist mir unsicher. Der Name weist auf den Valentinstag (14. Febr., in Oestr.,
Kärnthen etc. Valentinus episc. Passav. 7. Jan. (also gleich nach h. 3 Könige).
*a) Walther v. d. Vogelweide 17, 25. Vergl. die Wörterblicher. Zuletzt: Sand-
voss im Korr.-Bl. 13 Nr. 3 S. 47.
") Chron. d. D. Städte 21, S. 263.
4ft) "•"
Mnd. Wörterb. 4, 515. Merkwürdiger Weise heisst Vicia Faba auch in
Oestreich Teckel-Bohne. Pritzel und Jessen, Die deutschen Volksnamen der
Pflanzen I, 437.
46) Campe, D. WB. 2, 41 nennt sie gar Feigbohne (s. u.), Sau- oder Puf bohne.
61
kurzem oder auch langem ?', auch Fitzebohne, ebenfalls bald mit
kurzem bald mit langem /.
Der erste Name kommt in Niederdeutschland nicht vor. Wir sahen
schon, dass der Phaseolus des Columella und Plinius in Deutschland
nicht wachsen kann, wenn auch Apothekergärten seine Zucht versuchten.
Vielleicht sah den Letzteren Alb. Magnus47), der durch die Beschreib-
ung,dass der Strauch-Phaseolus (columnaris sicut faba) jeden Samen am
Nabel mit einem schwarzen Flecken bezeichnet habe, auf das bündigste
den Dolichos melanophtalmus (Smilax hortensis bei Camerarius S. 1G1)
kund giebt. Auch der ägyptische Phaseolus, eine Stangenfrucht, welche
Camerarius vergeblich zu ziehen versucht zu haben scheint45») und auf
Tafel XXXIX vorzüglich abbildet, ist augenscheinlich der Dolichos
sinensis. Der Name wnrde im MA. adf die Erbse tiberträgen; Lexer
giebt freilich fasöl, phasol, hone, aber Dieffenbach bietet für die Erbse:
fasilien, vocab. opt: Fasol; und 1517 das Lex. trilingue: Fässlen**).
Auch Frank, Weltbuch (217b);>») meint sicher die Erbse, wenn er
,,Keiss, Honig, Bonen und Fassolen" zusammenstellt. Ebenso brauchen
die Kräuterbücher des 16. ja noch 17. Jahrhunderts den Namen; so
Hock 1530 (als Tragus von 1552) Faseln, Tabernaemontanus (Müller
von Bergzabern, also elsässisch) von 1588 an: Faselnerbsen, dazu ge-
hört die Fisul, Fistel des Berner Oberlandes. Camerarius aber braucht
1588 schon den Namen Pisum51) und führt an, dass Bock die rothe
(rotblühende, P. arvensis) und die grosse italienische Erbse Phaseolus
nenne, was er nicht gdt heisst. Seine „Pisa nigra, fabis aliquantum
cognata" werden die bohnenartig schmeckenden dicken Kapuziner-
erbsen sein. Ausserdem giebt es weichhttlsige Erbsen, die mit den
Hülsen gegessen werden und nach dem (mir nicht bekannten) Lobe-
liusS2), aus „Vilda Lituaniae oppido" eingeführt sein sollen. Merk-
würdiger Weise wiederholen das Joh. Bauhin (1598 etc.) und die Aus-
gabe von Tabernaemontanus von 1687 dahin „neu Geschlecht erst-
lich(!) aus der Littau von Vilna gebracht. Vermutlich ist sie wegen
der essbaren Schoten, nach Plinias, für den römischen phaseolus ge-
halten. — Dieser irrige Erbsenname ging nun nach dem Bekannt-
werden der amerikanischen Gartenbohnen unmittelbar auf die letzteren
über, namentlich in Süddeutschland: Phaseolen, dann Faschöleu,
") De Vegetabil. ed. Jessen >S. 515. De Candolle's Zweifel, ob da die heutige
Buschbohne gemeint sei (a. a. 0. 8. 42t»), ist dadurch hinfällig.
") a a. 0. S. 124 (1588). Dagegen ist der von ihm aufgeführte Phaseolus
iudicus, die rote sog. Guineabohne, die zu Kinderhalsbändern und mit Kauriuiuscheln
zum Bekleben von Kästchen gebraucht wird, Überall keine Hülsenfrucht, sondern
wird vom ursprünglich ostindischen, aber schon im 16. Jahrhundert in Brasilien
vorkommenden Abras piecatorius L. geliefert. Camerarius sagt selbst, sie kommen
unter den Namen Ginge und Abrus zu uns. Vergl. Potoniß, Naturw. Monatsschrift,
IV,. 207. VI, 78 f.
") S. Pritzel und Jessen 1, 290.
*>) Bei Grimm, D. WB. 3, 1340 v. Fasole.
B') a.a.O. S. 119. 120.
M) Pena et Lobelius, Stirpinm adversaria nova perfacilis vestigatio. 1570.
Lobelius, Plantamm seu stirpinm historia. 1576.
62
Fasölchen, Fassolen, auch wohl Fastelchen, Fisolen, Fisel, Fischölen53:.
Auch das D. Wörterb. (3, 1340) bezeugt „Fisole" aus Oestreich. Auch
Schmeller-Frommann54) nennen Fisolen (mit kurzem «'), Zwergffisolen
und Fasolen. Ebenso hiessen sie im Französischen bis zum Ende des
17. Jahrhunderts Fazeole, Faseole oder auch Febve peinte (bunte Bohne)
oder Febve. de. haricotbb)
Der zweite Name: Fitzebohne gehört Niederdeutachland an
Auch er stammt ursprünglich von den Römern und hat nichts mit
dem St. Vitus zu thun, obwohl das Bremer Wörterb. I, 399 meint:
„Vietsbohnen, türkische Bohnen, weil sie spät im Frühjahr bis Vititag
(15. Juni) noch können gepflanzet werden"; und Kluge: „Veitsbohne-
ganz im Gegenteil, „weil sie um den Tag des heiligen Veit zu blühen
beginnt". Das ist die Bohnenblüte der Faba! Die beiden Erklärungen
zeigen die Unsicherheit der nach Deutung Suchenden. Das Bremer
Wb. setzt sogar a. a. 0. noch hinzu: „unrichtig nennet man sie Vieks-
bohnen", und doch ist dies gerade der ältere Ausdruck. Das MA.
nannte den römischen Lupinus (L. albus L.), den Cato, Varro, Colu-
mella und Plinius als gebaut zum Gründünger und als Ochsenfutter5*)
beschreiben, ahd. figbona (geschrieben aber meist — was hier wohl
zu bemerken — rig~, rieh- und riekbona), mhd. (nach den synonym,
apoth.) Ficbone, oder rik- und rykbona, auch ivicbon; mnd. fyckboin;
das Mnd. Wb. 5, 20 sagt rikbone; ebenso das Mnd. Handwb. 2, 476.
Die Gartenbücher des 16. Jahrhunderts machen daraus Feigbolme
(Bock, Fuchs 1542, Cordus 1534), und so hat dies letztere Wort, das
im Volke nicht lebt, sich in den Wörterbüchern bis heute fortgepflanzt,
so noch bei Campe 2, 41: Feigbohne, Lupinus und 2, 78 Fiekbohne,
und in Grimms D. Wb. 3, 1443. Ich glaube noch bezweifeln zu dürfen,
ob das i im ahd., mhd. und mnd. nach den alten Schreibweisen wirk-
lich i ist; die Dehnung durch ck im mnd. tritt nämlich bei i nicht
ein, wie schon die sicher alten Wörter wicken (zaubern) und ficken
(coire) (ficke, Tasche) erweisen. Unser Wort wird weder mit fieus
noch ßk zusammenhängen, sondern ist auf das Lateinische vicia zurück-
zuführen, das ebenso irrig übertragen wurde, wie oben vom phaseolus
und der Erbse gezeigt ist. Dass die Feldwicke (Vicia sativa L.) deren
bittere Frucht nicht einmal die Hühner fressen, im MA. zur Vieh-
M) Pritzel und Jessen 1, 271 (Suhl, Schlesien, Ostpreussen, Oesterreich (Kärn-
then, Schwaben), Berner Oberland, Graubünden). Uebrigens wurde auch „Erbse"
direkt auf den Phaseolus L. übertragen in der Schweiz (Bern, St Gallen; als Drag-
oder Dreherbs, Winderbs auf die windende Stangenbohne, Bodenerbs auf die Kriech-
bohne und Rosserbs auf Phaseolus multiflorus Lamk.). An der Elbmündnng wird
die ganz kleine Zuckerbohne mit fast rundem Samen in Hamburg, Holstein und im
Iieg.-Bez. Stade „türkische Arften", auch hd. „türkische Erbse" genannt
M) Bayerisches Wb. * I, 763.
M) De Candolle, übersetzt von Goeze, a. a. 0. S. 431, Globus 50, Nr. 5 S. 74.
Seit ca. 1600 heisst sie haricot mit dem Namen eines Hammelgullasch oder Irish
Stew, nach Diez entstanden aus aliquot.
M) Die Frucht, gekocht oder maceriert. — Die ziemlich breiten Früchte dienten
als Spielmarken (Plaut. Poen. 3, 2, 20; Horat. Ep. 1, 7, 23. Es wurde nur Lupinus
albus L. gebaut, L. luteus L. war noch unbekannt.
63
fütterung angebaut Bei. ist bei dem damaligen Wirtschaftswesen un-
denkbar; dass man gewöhnliche Feldkräuter so benannt habe, ist nach
damaliger Sitte, ja selbst nach der Weise des heutigen Landvolkes,
noch weniger anzunehmen. Die heutigen Bezeichnungen sind fast
sämmtlich sehr neu, wie ihre Zusammensetzungen beweisen. Was ahd.
unter media verstanden sei, ist daher schwer anzugeben, vermuthlich
war es auch der Lupinus; sicher wohl nicht Vicia sativa, wie Pritzel
und Jessen (S. 438) annehmen. Denn diese ist sehr spät in unseren
Landbau gekommen. Schambach nennt nur die Zusammensetzung
„Wickenfutteru (S. 297), die erst aus unserem Jahrhundert stammt,
Mischkorn (ohne Wicken!) hiess im vorigen Jahrhundert im Göttingen-
sehen oret, oft, auch wohl, wie noch heute, Rauhfutter. Die in der
Antwerpener Zollrolle vom 30. April 1409 vorkommenden Vitsen (Lttb.
Urk.-B. 5, S. 246) werden zwar daselbst durch Wicken erklärt (S. 838),
sind aber vermutlich Linsen.
Da in Tirol die Vicia Cracca L., die Vogelwicke, jetzt ,,Figgen"
heisst (Pritzel und Jessen, 436) und nach Schindler- Frommann I, 689
im Salzburger Gebirge Ficken (mit kurzein ?*), der Lupinus dagegen
im Wechsel von k und g bei Chytraeus5") bald „Vyck-" bald ,.Fyg-
bone", in Dieffenbach's Gloss. und im bairisch-tirolischen Glossar des
15. Jahrhunderts „wikbone" und ebendaselbst5*): vicia, Wike; ebenfalls
bei Campe 4, S. 697 die Lupinus- Arten, ja sogar der Abrus precatorius
L. ,, Wicke" (freilich ohne Ortsangabe) genannt werden: so wird der
Schluss gerechtfertigt sein, dass aus der lateinischen vicia sich die
deutschen Benennungen in zwei getrennten Reihen mit anlautendem
r — f und mit tc entwickelt haben, und dass in beiden Reihen der
A'-Laut bald anormal bald normal als ch, g und k erscheint.
Auf niederdeutschem Boden verfällt der Name nun dem Zetacis-
mus. Die erste Spur treffen wir in der schon genannten Antwerpener
Zollrolle von 1409 5Ü), deren „vitsen" unfraglieh auf das lateinische
vicia zurückgehen. Ganz besonders aber setzte sich der *(7^-Laut
fest, seit sich der Name an die neu eingeführte Gartenbohne geheftet
hat. Schon am Ende des MA. findet sich „Vitlibone, lupinus; ritbone
niarsilnmu im Mnd. Wb. V, 263 und im Mnd. Handwörter-B. 2, 482.
Das wechselnde th und t scheint auf langes und kurzes i zu deuten.
Dann begegnet uns auf westfälischem Gebiete noch „Fikrsbone" für
phaseolus vulgaris L., im Osnabrtickischen lautet derselbe Name Yikus-
bohncuw\ in Bremen und den Wesergegenden "') noch im vorigen Jahr-
hundert Vieksbohne. Schon am Ende des vorigen Jahrhunderts lief
B7) Nomenciator 1590 a. a. 0. 8. 422 und 441.
M) Germania 33 (21), Heft 3, S. 403. Das. S. 811 Z. 666.
M) Lüb. Urk.-B. 5, Nr. 245, S. 246 : „terwen (d. i. Weizen) oft roggen, geraten,
evenen (d. i. avena, Hafer), erweten, boenen, vitsen unde allen anderen eoerne."
Das Mnd. Wörterb. V, 8. 263, u. vitbone, citiert aus dieser Stelle so seltsam wie
fälschlich das Wort „vitzenbone" unter Angabe der Urk.-Nr. 354 statt 245.
■") Pritzel u.Jessen I, 271.
Sl) Brem. Wörterb. 1, 399; nicht an der Elbsoite des Reg.-Bez. Stade. Die
grosse Hamburger Samenfirma Ernst & Spreckelsen braucht ihn nicht
64
daneben die Form Vietsbohne**), die im südlichen Hannover anscheinend
noch früher so herrschend wurde, dass neben ihr kein anderer Namt
als die den Wuchs angebenden „Stangen- und Krupbohne", sieh erhalten
konnte. Nun erst war die Möglichkeit geboten den St. Veit volks-
etymologisch heranzuziehen 6:l). Damit beginnt das Bremer Wb., danu
spricht Adelung im D. Wb. von einer Veitsbohne, die er für Lupine
hält, darauf kommt Campe 4, 358, der „im gemeinen Lebenu Veits-
bohne für die Gartenbohne gesagt werden lässt und durch den Zusatz:
„ndd. Vithsbohne" andeutet, dass er den ersteren Namen nur verdul-
metscht hat. Endlich folgt Kluge. Der Name ist durchweg herr-
schend von Westfalen bis Bremen und zur Unterweser, dann durch
das Lüneburgische hin in ganz Südhannover (Kaienberg, Gtfttingen,
Grubenhagen) und Braunschweig bis ins Eichsfeld hinein, jedenfalls
im Nieder-Eiehsfeld84). In Northeim und Göttingen brauchte man den
Namen für die rankende, wie für die Buschpflanze; ndd. hiess sie dort
Fitzebanc, viersilbig mit kurzein «, oder Fizebänr, ebenfalls viersilbig
mit langem i\ in diesem Falle die zwei ersten Silben genau, wie mau
das Vice in Vicekönig (bis 1837) sprach; sehr einzeln kam „Fviz*-
baneu vor, augenscheinlich so „missingsch" wie im damaligen dortigeii
Hochdeutsch Trepfe, liatze etc. vorkam. Schambach hat das überall
gebrauchte Wort ebenso wenig in die lexikalische Reihe aufgenommen
wie Sprenger in seine Nachträge65). Aber im D. Wörterb. bringt
") Vietabohnen bei Mielck im Korr.-Bl. 11, Nr. 4 S. 56, Z. 3 scheint auch nach
Osnabrück zu gehören. Doch passt das zugehörige Rätsel (wegen des Tippel) mehr
zur Vicia Faba.
M) St Vit! Tag (15. Juni), früher eines der wichtigsten Daten, da er mit dna
1 5. Jahrhund, und bis zum Gregorianischen Kalender als der längste Tag im Jabrr
galt. Es mögen hier die Hauptzeiten aus M. Luthers Betbüchlein von 15-12 folgen
1 5. Juni St. Veit der hat den längsten Tag,
13. Dezbr. Lucey, die längste Nacht venna<?.
12. März St Gregor und das Creutze macht
u. 14. Sept. Den Tag so lang gleich als die Nacht
23. Novbr. S. Giemen uns den Winter bringt,
22. Febr. S. Peters Stuhl den Lcntz herdringt
25. Mai Den Sommer bringt S. Urban,
24. Aug. Der Herbst fängt mit Bartolmei an.
Das dazu gehörende Kalendar setzt aber den längsten Tag auf den 14. Juni und
den kürzesten auf den M.Dezember, die Tag- und Nachtgleiche auf den 12. März
und 1 2. September. „Das Creutze" ist Kreuzerhöhung, Giemen St. Clemens, St Peters
Stuhl Cathedra Petri. Eine Bedeutung des h. Veit für die neuere Zeit, kenne k-h
nur aus dem Holsteinischen Spmche bei Schütze 4, 309: Vit — Settet den llaber
hoog un sied.
*) Pritzel u. Jessen 1, 271.
•») Im Jahrb. VIII. Nur unter kröleke sagt Schambach S. 1 1 3 „eine ausgehillsv
Vitsbohne"; gemeint ist die ausgeleerte Hülse, denn das Aushülsen hiess „iito-
krüllcn; und S. 114 unter Krüpbäne „eine Art niedriger Vitsbohne" Er scheint
dem Worte nicht getraut zu haben. — Der preussische Provinzialname der Garten-
bohne „schabbel", den 0. Hein in Zeitschr. f. Ethnol. 22, V. Verhandlungen S. Im;
mit poln. szabla (Säbel) zusammenstellt, bedeutet nnfräglich zunächst die breit -
schotige Gartenbohne, die wir Schwertbohne nennen, ähnlich wie wir eine Säbel-
erbse haben.
65
J. Grimm die Göttinger hochdeutsche Form, die er sicher vor 1837
selbst dort hörte: „Fitzebohne"**).
Rostock. K. E. H. Krause.
Tannhauserlied und Maria tzart
Die nachfolgende, bisher unbekannte Ueberlieferung zweier Lieder
steht auf der Rückseite eines Flugblattes über Himmelserscheinungen,
das im Januar 1520 zu Wien gedruckt 'wurde. Die Bruchstücke dieses
Flugblattes sind, nach einer Notiz von J. L. de Bouck (vom April 1854),
im Jahre 1851 auf der Hamburger Stadtbibliothek in einer alten Bücher-
decke gefunden.
Auf der Vorderseite des Blattes steht zu lesen:
Na Christ unses heren ahebort mccccc und xx yaer in Januario synt sulichje
(e)r8chynynge wo hyr navolget to Wyen in Osteryck / in deme nygen erweiten
romeschefn) (k)oninck lande van menmghen gheseen worden.
§ Des vj daghes in Januario eyu vorverlyck grot Cirkel mit regenpaghen
farwen umme de sonne tweysschen ij unde iij vren na myddaghe.
§ Am iiij daghe Januarij tweysschen i und vj na myddaahe / ys eyn sulktr
swart baute van der sonnen swerck auer sunthe Steffans chor utnghan by na anto-
heven by dre hundert strede lank.
§ In Januario den iij dach eyn weynich na v wen vmme deme mane eyn
8ulcjker circkel mit gutten lichten regenpagen farwen. [Figuren : Sonne, Stephans-
dom, Mond.]
Am vij dage in Januario des morgens fro halff na der sonnen vpganck synjt
sulcher iij sonnen gheseen worden mit sampt den vorkörten regenpaaen darup /
unde synt de sonnen am ersten root ghewesen mit deme schyne aojch oalde darna
lichter gheworden / unde alzo van vpganck beth to deme unjerganck gheschynen
unde beth ij etlycker beth iij wen gJieseen na myddajch. Id seghen etlyke war-
hafftige personen dat se sulche iii sonnen scheyn an v dage in Januario des morges
gheseen nebben.
§ In Januario den vj dach tweusschen vij und viii wen up de nacht ys
umme den maen duffe figure eyn langhe wyl gheseen worden / Oek des ghelyken
eyn weynich duncker \ unde oek by na ij stunde spader d(e) negeste nacht darna.
fd seghen etlyke warhafftige personen se hebben den suluen morgen by na vmme
iij vren vormyddage den maen oek alzo gheseen doch ys dat crutze rot farwe ghe-
wesen. [Figuren] als die naturlyken geister Aristotelis Seneca der grote Albertus.
Ich lasse nun den Text der Lieder genau in der Schreibweise und
Anordnung des Originals folgen.
I.
Ein leet ran deme Danhußer.
1. Aver wyl ick heuen an / van eynem Danhuser (syn)gen. Unde wat he
wunders hefflt gedan / mit V(enus) der duuelynne.
M) 3, 1695 „Fitzebohne, phaseolus vulgaris, Ostreich, fisole." Sollte er „Fitze"
und „fisole" haben zusammenbringen wollen?
Niederdeutsches Jahrbuch XVL 5 .
2. Danhuser was ein rydder gudt / (he) wold(e wn)nd(er s)ch(ou)wen. He
toch to venns in den berch (to an) der(n) schonen frouwen.
3. Do eyn jaer al vmme quam / syn sunde begunden eme to leiden. Venus
eddele fruwe tzart / jck wyl (we)dder van jw scheiden.
4. Her Danhußer wy hebben jw leeff / daran so schöle gy dencken. Gy
hebben uns eynen eyd gesworen / gy schölen van uns nicht wenken.
5. Fronwe Venns des hebbe jck nicht ghedan / dat wil jk wedderspreken
Unde spreke dat jmant meer wen gy / jck wolde dat an em wreken.
6. Her Danhuser wo rede gy nn also / gy schölen mit unß bliuen. Ick
gene jw miner spelnoten eyne / tho eyneme steden wyne.
7. Neme ick denne nn ein ander wyff / wen jck drege jnn minem synne.
So moste jnn der hellen grnndt / mine sele ewichliken bernen.
8. Gy seggen my vele van der hellen grünt / gy hebben der nicht be-
fanden. Gedenket an minen roden mnndt / de lachet to allen stunden.
9. Wat helpet mi jw roder mnndt. he js mi ghar vnm(ere) Genet orloff
edle frnwe tzart / dörch aller juncfrowen (ere).
10. Danhußer gy wilt orloff han / wy wilt jw neinen ghenen. Blinet hyr
by uns ein ridder gndt / nnde fristhet jw junge lenen.
11. Myn lenent js my worden kranck / ick mach nicht lenger bliuen. Na
bicht vnde rouwe steit myn boger / vnde jn böte myn lenent vordriuen.
12. Danhuser wo rede gy nn also / synt gy ock kloek van synnen. So gha
wy jn en kemerlin / gy schölen doch nicht van nennen.
13. Gy segget my vele van dem kemerlin / vt juwem falschen synne. Ick
seet an juwen ogen wol / gy synt eyne duveline.
14. Danhuser wo rede gy nu also / wil gy jo mit uns scheiden. Scholde
gy lenger hyr by uns syn / gy mösthen des dicke entgelden.
15. Fronwe venus des sijt bericht / jck wyll nicht lengher blynen. Help
my maria du reine maghet / van dessen bösen wynen.
16. Danhuser gy wylt orloff han / nemet orloff van dem grysen. Wor g>
jn den landen varen / vnse loff dat schöle gy
17. prisen. § He scheide wedder vt dem berge / mit lene vnde ok mit leide.
Help maria moder du reine maget / van dy lat my nicht scheiden.
18. Nu wil jk hen to Rome gan / got möte desser reise wolden. Thom
geistliken vader vnde pawes urban / de mijn seel mach beholden.
19. Ach pawes geistlike vader myn / jck klage ju mine sunde / Der jck
myn dage vele hebbe gedan / so jck dy nn will vorknnden.
20. Ick bin gewest ein heel gantz jaer / jn sunden mit Venns der fron wen.
Dat bichte jck nu hyr openbaer / wente alle sunde my sere ronwen.
21. De Pawes hadde ein dörren staff / den stötte he in de erden. So wen
de staff nu gröne wert / schölen dyne sund vorgeuen werden.
22. Danhuser scheide sick nth der stat / mit leide unde ock mit rnwe.
Maria moder du reine maget / help my dorch all dine truwe.
23. Verflöket syn de leidigen papen. de my tor helle schriuen. Se wyllen
gade eine sele nhemen / de woll beholden mochte bliuen.
24. Do he quam al vor den berch / he sach sick wide (v)mme. God gesegen
dy Sonne vnde Maen / dar t(o mine leven) frund(e).
25. Danhuser« ginck w(edder in den berch /he wart gar wol) entfangen.
Seg (get nu Danhuser ein ridder gudt / wo hefll it jw gegangen.
67
Bisher waren vom Tannhäuserliede nur zwei nd. Relationen bekannt.1)
Diese sind veröffentlicht von Leyser (Jahresbericht der deutschen Ge-
sellschaft in Leipzig auf 1837. S. 37 ff.) und Uhland (Alte hoch- und
niederdeutsche Volkslieder. 1844. 1. 2. 765 ff). In beiden folgen noch
4 Strophen. Da nun unser fliegendes Blatt am unteren Rande nicht
unerheblich beschädigt ist, so ist anzunehmen, dass es ursprünglich
auch die 4 folgenden Strophen, also im Ganzen 29 aufwies. Das Lied
bei Uhland ist nach einem fl. Bl. d. J. 1550 abgedruckt, die Leysersche
Relation stammt nach Scheller (Bttcherkunde der sassisch-niederdeutschen
Sprache u. s. w. 1826. S. 479) aus dem Jahre 1581, demnach böte unser
Druck die älteste bis jetzt bekannte nd. Relation des Tannhäuserliedes.
IL
Dat leet Maria tzart.
1. Maria tzart/ van edler art/ eyn roße an alle dorne. Du heffst mit
macht / hyr wädder bracht / dat vor lang was vorlaren. Dorch Adams
val/ so dy lieft wol/ sunt Gabriel vorspraken/ help dat nicht werde
geraken / myn sund unde schult / vorwarff my huld / went / nen trosth
is/ wor du nicht byst/ barmherticheit vor warnen/ am lesten endt/ ick
bydde nicht wendt/ van my jn mynem Sternen.
2. Maria myldt/ du heffst ghestylt/ der oltfeder vorlangen. De jaer und
dage/ jn we und klage/ de vorhelle held gefangen. Tho aller tydt/
schrieden se stridt / al dörch des hemmeis porten / torydt jn allen orden.
Dat he affqueem/ de en henem I eer sware pyn/ dat all dorch dyn/
kusch juncfroulick gebere/ js affgestelt/ dar vmme dy telt/ de werlt
en krön der ere.
3. Maria rein du byst allein/ der sunder trost vp erden. Dar vmme dy
hadt/ de ewyge radt/ eyn moder lathen werden. Des högesten heyl/
dörch dat ordeil / am jungesthen dage werdt richten / holt my jnn dynen
plichten. 0 werde frucht / all myn to flucht / hebbe jck to dy / amme
crutz bist my myt sunt Johan gegeuen. Dat du ock myn / moder schalt
syn/ fryste hyr unde dar myn leuen.
4. Maria klar/ du byst vorwar/ myt groter smart ghegangen. Do dine
frucht/ gantz mit untucht/ unschuldich wart gefangen. Vmme myn
myssedath / vorwarff my gnad tho betren hyr myn leuen / went jck byn
vmme geuen. Myt swarer pyn / und dat dorch myn / sundt unde schuldt /
jck hebbe vörduldt/ am lyue und allen enden. 0 werde roeß myn
kranckheit löefW dyn gnade nicht van my wende.
5. Maria tzart vormeret wart / in dy grot leit mit smertten. Do dyn kynt
doeth/ eyn spere mit noed/ dörstack syn sachte herthe. Syn blödes
saflt / krenkede dyn krafft / van leyde woldest sencken / Johan deden se
wenken. He quam all dar/ nam dyner war/ do dy dat swert/ dyn
herte vorserdt / dar van symeon saget. 0 junckfrow werde / lucht und
erde/ den doet dynes kyndes beklaget.
J) Vgl. Grässe, Der Tannhäuser und ewige Jude. Dresden 18G1*. S. 20 ff. und
Jellinghaus, Pauls Gnmdris d. germ. Phil. II, 428 u. 429, Anm. 5.
5*
68
6. Maria schon du högeste Ion / wen jck van hyr modt scheiden. So knm
tho my / des bydde jck dy / dat my doch nicht vorleyden. De valscke
Satan, went ick nicht kan/ er dnnelsche lyst erkennen; noch mot jck
jo van hennen. Vmme wärp my ock/ mantel vnde rock/ wenner d\n
kynt / richtet my swynt / so wyß eme dyne brüste, spreck o Jesn gyff
my doch nn/ dessen snnder ewych frysten.
7. Maria gud wen jn nnmod / de vader van mi wende. So bydde ick dar
dyn sone klar / wyse vöthe vnde hende. den mach nicht seer / de vader
meer / wedder my ein ordel spreken / ock mach syck jo nicht wreken.
Godt hylge gheist de erat bewyst/ söt gnedicheit/ den ja bereyt/
drenoldychlyke gnde. Alßo wart my / salichkeit dörch dy / vor snnde
my behöde.
8. Maria fyn/ dyn klare schyn/ vorlachtet den högesten trone. Do dy
myt eren / van twelff stern / ward vp gesettet eyn kröne. Dreuoldycheit
hefflt dy ghekleit myt hogher gnade vmme geuen/ maria fryste niyn
lenen / so mennichen dach / jck bychten mach / o juncfrow söte / help
dat jck böte myn snnde vor mynem ende. Wen myn herte brickt / myn
sychte vorschrickt / so gyff myner seel dyn hende.
9. Maria frow/ help dat ick schow/ dyn kyndt vor mynem ende. Schick
myner seel/ sunt Michael/ dat he se vor behende. Int hemmelryck
dar alle gelyek/ de engel frölyck syngen/ ör stemme helle klingen.
Hyllich hyllich / dn byst hillich. 0 starker Godt / van sabaoth / regerest
geweldickliken. Se heflt eyn end / al myn elend / vnd frow my ewich-
liken.
10. Maria klar/ dn byst vorwar/ fygnrliken bednden. Dat fluß gedeon/
bystn frow schon / van gade krech macht to stryden. Bedndest vort
da byst de port/ de ewich blifft geslaten/ van dy is nth geflaten/ dat
ewych word / beslaten gard / getekendt borne / klar so de sonne / fignrert
vor langen jaren/ van my nicht wendt/ dyn truw am end/ so ick
schall varen.
11. (Maria) mei(d) / (a)n alles leid i(n) dy synt (n)een (gebr)eck(en) . . .
Das folgende ist durch die Beschädigung des unteren Randes dos
Flugblattes fortgefallen. Eine nd. Fassung des Liedes war Ph. Wacker-
nagel unbekannt (vgl. Deutsches Kirchenlied II, 803 ff.). Erat später
haben ndd. Texte desselben Jostes im ndd. Jahrbuche XIV, S. 67 und
Edw. Schröder ebd. XV, S. 8 mitgeteilt.
Im Sommer 1887 fand ich im Museum für nordische Altertümer
zu Kopenhagen eine hd. Version unseres Liedes, die ebenfalls bis jetzt
unbekannt gewesen ist. Im Zimmer Nr. 13 befindet sich unter Nr. 229 e
ein fliegendes Blatt mit diesem Liede. Das Lied trägt folgende
Unterschrift:
Item alle die dis leyt syngen oder leffen mit andockt dB seMgd hat der
bifchob von Zeitz gegebben XL tag ablas (vgl. ndd. Jahrb. XV, S. 10).
Flensburg. Alfred Puls.
Braunschweigische Fündlinge.
(vgl. Jahrb. III, 70; VI, 135.)
Till. Sanct Annen Preis.
Diefes Stück und ebenfo IX, XIV, XV, XVI, XVII finden fich in einem vor-
wiegend lateinifche Druckfchriften grammatifchen Inhalte vom Ende des 15. und
aus dem Anfange des 16. Jahrh. umfaffenden Mifchbande in 4° der Stadtbibliothek
zu Braunfchweig, auf unbedruckten Blättern oder über die leeren Räume und Bänder
einiger Titel und Texte eingetragen. Allem Anfcheine nach von einer Hand, und
zwar der nämlichen, die einen der Titel mit der Auffchrift verfehen hat: Duth bock
hebbe ick leff: we my dat flthylt dat is ein deff : dat fy here edder knecht de galghe
ys yo fyn recht: Nicolaus Betzendorp eft pofl'effor huius. Auf die Rück feite des
letzten Druckes und die anfchliefsende Innenfeite des Pergamentmantels hat derfelbe
Kortizins-Rück/lände zu Oldedorp Betzendorppe, Owdorppe, Kakelitze und Stenwech
Betzendorppe verzeichnet und unter dergleichen Einträgen an letzterer Stelle ver-
merkt: Item dat halve kofterlonn hebbe ick vordeneth tippe paflchen a° xj°.
Anna, eyn eddele ftam du bifth,
Darvan de twych wafßen fcholde,
Darvan.de frucht gebaren ys,
De uns alle erloßen fcholde
Dorch goddes pyn,
Darin wy fyn
Dorch Adamß fände gevallen.
Erhöre uns ftede
In unfern ghebede;
Help, hylghe moder funthe Anna, fulff drudde1) uns allen.
Anna, dorch dyne hertlijke klaghe
Hefftu uns vele vroude bracht
Unfruchtbar fcholdeftu draghen
Marien, uth Oades kracht
Ane funde gheborn.
In fynen torn
Laeth uns, moder, nicht vallen.
Erhöre uns ftede
In unfern ghebede;
Help, hylghe moder funthe Anna, fulff drudde uns allen.
Anna, eyne eddele ghebererynne,
Eyne moder aller gnaden,
Vorwerff uns, du werdige trofterynne,
Dat wy nicht werden averladen
Myth Gades hath.
Vulbringhe uns dat
») Mit Jefus und Maria,
70
Altyd na dynem ghevallen.
Hirnmme Oo bydden wy dyck
Stede ewiohlijk.
Help, hyllighe moder funthe Anna, fnlff drndde uns uth allen.
Alexander de fofte pawes hefft gegheven allen criftghelovyghen mynfchen,
de duth naghefcreven bedt fpreken dremal na eynander vor deme beide
funthe Annen, x dufenf yar vorghevinghe doetlijker fände unde xx dnfenth
yar vorghevinghe daghelijker fnnde. Dat he alfo confirmereth nnde be-
ftedighet hefft to Rome am pafchedaghe, do men fcreff MCCCCxciiij.
Ghegrntet fiftu, Maria vnl gnaden, de here ys mith dy. dyne gnade fy
myth my. Du bift ghebenedyeth baven alle vrouwesnamen. Unde benedyeth
fy funthe Anna, dyne alderhylghefte moder, darvan uthghegaen ys ane be-
vleckinge nnde fnnde dyn yunckfronwelijke lycham, darvan ghebaren ys
Jhefus Chriftus. AMEN.
Verficnlns.
Ora pro nobis, beata Anna, mater Maria,
Ut mnndemnr ab omnibus malis in hac vita.
AMEN.
IX. Marienieich.
Aus Nicolaus Betzetidorps Mifclibande: vgl. bei VIII.
Ghegrotet fiftu, Maria vul1) reyne,
Wente dn bift eyne konighinne alleyne
Aver der enghele fchar.
Wente da bift eyne lichte morghenfterne
Unde des hilghen gheyftes eyne lncerne
AI in deme hemmel klar.
Wente nth dick is entfpraten
Eyne doghentlike frucht.
Maria, vor fnnden ans beware,
Wente fe findt fo fware.
0 Maria dn vnl1) reyne,
De chriftenheyt ghemeyne
Beware,
Unde vordriff de olden fnnde,2)
Mit des hilghen gheiftes hulde
Uns beware.
Eonningk David fath fick gar erenthryke,
Eyn ghnlden fath draghet he fo doghentliken,
Alfo hnde nnde aver mennigh jare.
Jfayas nns van ore faghet,
Wu fe is eyne juncfrowe unde reyne maghet,
Unde dat is feker unde wäre.
Wenne aller propheten tunghe3)
Se nicht füllen laven magh,
71
Wente fe is den olden alfe den junghen
Saß in den jungheften dagh.
0 Maria dn vuli) reyne
De chriftenheyt ghemeyne
Beware,
Unde vordriff de olden fnnde.
Mit des Highen gheiftes hulde
Uns beware.
Du fuckerfmack, du baHTemvat ful reyne,
Du reyne lylienftam,
Eyne kröne van elpenbeine,4)
Eyn rofellyn wolgethan.
Eya du fchynende gholdt, baven alle dine ghute,
Behude uns, her, vor der bitteren ghlute,
Alle vor der duvel fchar.
An unßem ende
Do uns dine6) hulpe fchyn,
Den hilghen enghel uns tho fchicke fende,
Dath wy nicht kamen in pyn.
0 Maria du ful reyne,
De chriftenheyt ghemeyne
Beware,
Unde vordriff de olden funde,2)
Mit des hilghen gheiftes hulde
Uns beware.
Hf. *) wul. ") fchulde? 8) alle propheten tunghen. *) elpenbeene. 6) diner?
X. Ave maris Hella verdeutscht
Auf der leeren Rückfeite eines augenfcheinlich fehon in alter Zeit ausge-
fchnittenen Blattes einer theologifclien Hf. der Länge nach in durchlaufenden Zeilen.
Von dem hier nach Kehrein, Lot. Sequenzen des Mittelalters etc. Mainz 1873, Nr. 254
vottftändig beigefetzten lat. Texte find im Orig. den einzelnen Sequenzen nur je die
erften zwei Worte vorangeßeüt. — Der lieber fetzung liegt augenfcheinlich nicht un-
mittelbar das lat. Original, fondern eine hochd. Uebertragung zu Grunde, von der [ic
in Lauten und Worten foviel beibehalten hat, dafs eine wunderliche Mifchfprache
eniftanden iß.
Aveprectnra Ich grote dich gerne
maris fteüa, meres Iterne,
in lucem gentium den heyden luchteftu fo ferne,
Maria divinitus orta. du gotlige derne.
Euge dei porta, Eya godes porte,
qua non aperta, dyn floz ny rorte.
veritatis lumen, Eyn gotlik licht der warheyt,
ipfum folem juftitiv Jhefum Chrift van Nazareth,
72
indutum carne
ducis in orbem*
Virgo, decus mundi,
regina celi,
prceclara ut fol,
pulchra lunaris ut fulgor,
agnosce omties •
te diligentes.
Te plenam fide
virgarn almce ftirj)is Jeffe
nafcituram priores
deßderaverant
patres et prophetas.
Te, lignum vite, fancto
rorante pneutnate
parituram divini floris
amygdalam
ßgnavit Gabriel.
Tuagnum, regem,
terra dominatorem
Moabitici
de petra deferti
ad montetn filiai Sion
traduxi/li.
Tuque furentcm
Leviathan ferpentem
tortuofumque et vectem
collidens
damnofo crimine mundum
exemißi.
Hinc gentium
nos religuia:
tuce fub cuUu memoria,
miruth in modum
quem es enixa,
propitiationis agnum
regnantetn coelo aeternaliter
devocamus ad aram
mactandum myfterialiter.
Hinc manna verum
Israelitis veris,
veri Abrahae filiis,
admirantibus quondam,
Moyß quod typus figurabat,
jam nunc
an mensliger formen
trogeft en vorborgen.
Mayt, der werlde eyn zirde,
du bift in der wyrde
uz ir weit eyn zunne,
des manen fchyn eyn wnnne.
fund mache van fmertzen
de dich liep han van hertzen.
Trofteryn gute,
van Yefle eyn wunfchelrote,
Anna dyn moter dich berte,
dyn kint unß ernerte,
de propheten des gherten.
Gabriel fnelle
to dir kam, du godes celle,
de botfchop her dy brachte,
dy god vorbedachte:
des ful wy ummer trachten.
Den koningk un daz lam,
der von Moab gewaldich kam,
haift bracht reyne.
van dem wollten fteyne
up den berch Syon gevoge
du en trogeft.
Des argen flangen lift,
der unfs trot in fo korter vrift,
hallt beftricket Itark,
beregelt in der helle fark.
AI de werlt van oren funden
haift entbunden.
Van dir han wir, moter, funderlich,
daz wy operen daz opper ift wunderlich.
Das gotlige lam
heylfam van dir kam,
du zarte juncfrauwe reyne,
kufch vruchtbar alleyne.
Bift gnaden rieh,
helff unfs endelich,
daz wy motzen godes brachen ewichlich.
De waren Abrahams kint,
de uterwelet fint,
de dar feen den fchyn,
der da was fo phyn,
der von Moyfes antlate lachte
alO de finden duchte.
73
abducto velo
datur perfpici.
Ora virgo,
nos iüo parte coüi dignos effici.
Fac fontem dulcem,
quem in deferto
petra prcemonftravit,
deguftare cum ßncera fide,
renesque conßringi
lotos in mari,
anguem csneum
in cruce fpeculari.
Fac igni fancto
patrisque verbo,
quod rubus ut flamma
tu portafti,
virgo maier facta,
pecuali pelle
discincto8 pede,
mundis labiis
cordeque propinquare.
Audi nos,
natu te filius nihil negans
honorat.
Salva nos, Jefu,
pro quibus virgo mater te orat.
Da fontem boni
vifere,
da purce mentis octdos intelligere,
Quo hauftce fapientice
faporem vitte
valeat mens inteUigere,
Chrißianismi fidem
operibus redimere
beatoque fine ex huius incolatu,
fceculi auctor,
ad te transire.
Daz fchach in fignre
gotliger natnre.
Helff unfs, keyferin,
daz wy moten hymmelbrodes werdich fin.
Giff, dat wy mutzen
god alfo grozen,
den borne zu fuczen,
de dar van dem (Heyn uzgevlotzen.
An kufcheit unfs fterke,
daz merwijs werke
des cruces jamercheit den Hangen
fich vor dy hangen.
Hilff unfs zum vure
edell, du ture,
das du famphte trüge.
Als der bufch du wereft fo gevoge,
daz diz nicht en fchate
fo god benagte.
Munt hertze an reynicheit,
de funde
was dir unkunde.
Muter mayt,
hör unfs. Din kint dir nicht vorfait
des du mutift.
Mach unfs Fund, Jhefu,
fo jo din leve muter gar gud is.
Den born lath unfs fchauwen
gotligen vlutz,
de ewicheit mit des herten ogen.
Des lebendes fmak fo zotze,
de geift mit gnaden ummerme
fin gebrughen mote.
De werk mit den Worten
de fluzen unfs up de porten
zu den hymmels orten.
Na duffem elende unfs zy bekant
mit frauden des vader land.
XI.
Auf einem Zettelchen, das 1873 in der Höhlung eines Pfeilers der Kirche des
Klofters Marienberg bei Helmftedt gefunden wurde. Schrift des 14. oder 15. Jahrh.
Quintus ritmen1) de affenfione domini.
Lof fy dick, föne unde hilge geyft,
74
Wente gy an dem hymmel aldermeyft
Sint myt dem vader ewichliken
Unde nummer van *) ome wiken.3)
Du woldeft dorch unß mynfche werden:
Dy fy lof an hymmel unde an erden.
Hf. ») fo! *) wan. ») viken.
XU. Weifs und Grün.
Aus einem Handfchriftenbande der Minderbrüder zu Braunfchweig, jetzt in der
Stadtbibliotliek dafeWft. Offenbar ein unvollendeter Entwurf, der Schrift nach dem
14. JaJirh. angehörig. Vgl v. der Hagen Minnef. 3, 42*.
Dat wytte ys eyn gut ghewant,
Dat1) Got vant.
Got de wytten varve entfeng:
Herodes2) dede Gode en wyt clet an.
Alzo uns God bewyfet hat
En gut ghedank an wytter3) wat.
Ok haft ns God bewyfet me
An enem brode, wyt alzo fne:
Wen de prefter over dem alter fteyt,
Und God de wytte varve enfeyt,
So enfengkt4) he de mynfcheyt an eym*) brot.
Grone varwe was ere der acht,
Ere hemmel unde erde wart vullenbracht
Grone varwe, du byft bereyt,
Du fcalt fyn dat wapenkleyt.
Got wel fych an dych vorfliten
Unde der funde bende toryten
In fyner barmhertycheyt.6)
Du funder, wes bereyt
Unde dank em der gute
Unde der groten overvlute.7)
0 Maria, du edele futicheyt,8)
Du fcalt fyn dat wapenkleyt
Dat ys in der olden e gefchen,
Dat fych got let an gron fen,
An ene wolt, de was gron,
In der HP. l) De. ') undeutlich und unaewifs. ^ wytte. *) entfengk. 5)
eyn. •) barmhertych. 0 overvlate. 8) futineyt.
Xffl. Weltrpruch.
Aus einem Gerichtebuche der zweiten Hälfte des 16. JaJirh. im Stadtarchive zu
Braunfchweig. Die verwilderte Schreibung der Hf. vereinfacht.
Gy minfchenkinder up erden,
Holdet gericht und gerechticheyt in eren,
Trachtet juwer efchinge mit flyte na,
75
Dem gerechten juwe gemdte alletyt byfta.
Fruchtet giok nicht vor dem Satan np erden:
He kan unde mach juwer nicht mechtich werden.
Lydet gy icht wat nrnme der gerechticheyt,
Dat heft gick juwe got upgeleyt.
Dat krnze draget mit gedult to aller tyt,
Hopen in got maket aller vorfolginge unde lydens quyt.
Hopen in got up erden
Let nemant to fohanden werden.
We dem heren des van herten vortruwen kau,
De blift wol eyn unvordorven man.
XIV. Judeneid.
Am Nicolaus Betzendorps Mifchbande: f. bei VIII. Manche Anklänge an die
hier vorliegende Formel finden fich in einer andern, die Fr. Holtze, Das Strafver-
fahren gegen die märkifchen Juden im J. 1510 (Sehr, des V. für die Oefch. der St.
Berlin, Heft 21, Berlin 1884, S. 74 f.), am einem Gedenkbuche des Bathes zu Braun-
fchweig veröffentlicht hat Vgl. auch den Erfurter Judeneid in den Denkmälern
Deutfcher Poeße und Profa am dem 8.— 12. Jahrh., hrsg. von K. Müllenhof und
W. Scherer, 2. Amg., Berlin 1873, S. 247, und Scherers Anmerkungen dazu S. 625 ff.
Nota, wo eyn jodde tho rechte fweren fchal. unde duften eydt feal eyn
jodde doen uppe Moyfes bocken, unde de jodde feal ock nummer komen uth
fyner fchoien edder uth fyner fynagogen an jodden. De jodde fchal fynen
eydtftauweren gheven eyn punth pepers unde eyn par hoDen. De jodde feal
barvoth ftan up eyner tzeghenhudt unde feal fyne arme blodt hebben wente
uppe den ellenboghen, unde feal fyne handt gantz legghen up hern l) Moyfes
bock wente tho deme lede. Edder de jodde fchal fyck alfuß na differ na-
ghefchreven wyße bereyden tho fynem eyde.
Item wannere eyn jodde fweren feal, de feal hebben ane eynen ghrawen
rock, eyn hemmede unde twee hofen ane vorvothe, unde eyne blodighe hudt
an fyner rechteren handt gedrucket van lammes blöde, unde eynen fpitzen
hödt uppe. unde me ftavele ome den eydt alßo unde fegghe: Jodde, du
fprickeft dath uppe dyne ee unde uppe dyne jodefleheyt, dath düth fy dat
bück, dar du nu dyne handt uppe heft, der vyff bocke eyn hern ') Moyfes,
dar du dick tho rechte uppe entfchuldighen fchalt alles des me dick fchuldt
ghift: des dick dufße N. befchuldighet, dat du des unfchuldigh bifth, dat
dick ghodt alfo helpe, de dar ghefehapen heft hemmel unde erden, für, luft,
water, loff unde graß, dat dare nicht en was, unde ifth du unrecht fprekeft,
dat dick denne de ghodt fchende, dede Adame ghebeldet hath nha fynes
fulves beide unde Evam makede van fyner ribben eyn. unde ift du unrechte
fwereft, dat denne de ghodt dick fchende, dede Zodomam unde Ghomorram
vorbrande2) mith dem helfchen füre, unde ift du unrechte fwereft, dat dick
denne de erde vdrflinghe, de dare vorflangh Dathon unde Abiron. unde ift
du unrechte fwereft, dat dick denne de mafolfught befta, de dare Naamam
leydt und Jefy beftoet unde ift du unrechte fwereft, dath dick3) denne dyn
vleyfck nummer tho erden ghemenghet werde, unde ift du unrechte fwereft,
dat dick de ghodt fchende, dede wedder Moyfes fprack uthe eynem furighen
76
buflche. unde ift du unrechte fwerefth, dat dick denne de ghodt fchende, de
Moyfi de ee fchreff mit fynen vingheren an twene (tennenen taffeien, unde
ift du unrechte fwereft, dat dick denne de ghodt fchende, dede den konningk
Pharaonem flogh unde de de jodden avere dat meer drogh, unde vorede fe in
eyn landt, dar me melck unde honningh4) inne vanth. unde ift du unrechte
fwerefth, dat dick denne de ghodt fchende, de de jodden fpyfede in der
woftenye*) myth dem hemmelfchen brode xl jare. unde ift du unrechte
fwereft, dat dick de fchrift velle, de dare fchreven fteyt an*) den vyff bocken
Moyfi. unde ift du unrechte fwereft, dath dick3) denne de ghodt fchende
unde dick deme7) duvel ßende myth lyve unde myth ßele nu unde jummer-
mere. Amen. Hie imponat manum fuper libros Moyfi.
Keyfer Otto de fchuldt, de dick ghift dufte N. unde fyn vorfprake, de
feght du de N.8) unfchuldigh fyefth, dat du des nicht en hebbeft an dyner
kyften bef loten, nicht an dyner wanth behut, nicht an dyner erden begraven,
dat dick de ghodt alßo helpe, defulve ghodt, de dare leydt werden hemmel
unde erden, berghe unde dael, water unde lufthe, loff unde ghraß. alßo
helpe dick defulve ee, de dick anghekamen ys van dynem vader unde van
dyner modere, alfo helpen dick de viff Moyfes bocke unde de ee, dare in
ghefchreven ys: efth du unrecht hebbeft, dat du moteft vordorren alße de
berghe tho Gelboe, den David vorflokede, ßo mote uppe dick yo reghen
datfulve fwevel unde peck, dat dare regnende tho Zodoma unde Gomorra,
dare de ftede in de affghrundt funcken, fo moteftu werden tho eynem folth-
fteyne,9) alfe Lottes wiff10) wardt dare umme, dat ße fick umme11) fagh, fo
mote dick vorflinghen de erde, de dare vorflangk Dathan unde Abiron,
Oreb unde Thore, ßo mothe dick yo beftaen de malatzfche fucke, de dare
beftunt Naamach van Ziroch. Szo fwereftu by dere kraft, de Jofne der
funnen ghebodt, dat fe ftille ftunde, wente dat he fick wroke12) avere fyne
vyende tho Gabardt. unde dyne erde nummer kome mancket ander erde,
unde dat dyn wiff10) unde dyn geflechte unde dyne kindere nummer en
komen mancket Abrahammes kindere. unde dat dufte eydt, den du fwereft
hire vore, recht fy des N., alßo helpe dick Adonay Adonay etc.
In der Hf. l) her. ») vorbrante. ») digk. *) hönnlgh. ß) voftönye. «)
ahn. 7) den. 8) Die offenbare Verderbnifs dtefer Stelle weifs ich nicht zu beffern.
9) ftcynne. l0) viff. ") vmhe. ") vroke.
XV. Heilzanbor.
Aus Nicolaus Bdzendorps Mifchbande: f. bei VIII.
Notandum eft hie quia . . -1) ad equos.
Item wanne2) de perde de worme hebben, ßo binth ene dufße naghe-
fchreven worde umme den halß unde lath3) ße ßo langhe fytten, ßo langhe
ße de vore ghehath hebben. (+) Tranfon (+) Gonebron (+) Et fentes
(+) Et Jacob, (+) et Trayfon (+) Terelfnea (+) Solentes (+) Et fentes (+).4)
Item duth naghefchreven ys vore dene5) bete des dullen hundes unde
mach me in botter kleyven. Hoc contra fignum nullum ftat periculum.
+ Pax + max + ymax + Dens + Jhefus Maria Johannes Sancta Anna
flilff drudde H^
77
Pferdearznei.
Item wen eyn perdt hovetfegk ys, ßo nym: De groten ernten, dede
eyger hebben, fengk in eynen fagk efte budel,6) alD du meyft kanfth, nnde
feeth [Fe] mith vletendem7) water eyn ftunde langh nnde decke8) den toph
to. Tandem da equo bibere de fero ac mane . . .*) et tamdiu etc.
Hf. *) unleferliches Wart. •) whaflfl. ») vielleicht dath: eins von beiden ift
Correctur. 4) die acht Zauberworte in ebenfoviel Zeilen; das hier im Drucke mit
(+) wiedergegebene Zeichen /teilt (ich in der Hf. als durchkreuzter Kreis dar. 6)
denn. 6) buddel. ') vletende. 8) deke. •) ein Wort mit Tinte übergof/en.
XVI. 'Wo fol ich mich hin keren9 etc. niederdeutfeh.
Aus Nicolaus Betzendorps Mifchbande: f. bei VIII. Beigefügt find die Varianten
A) des nd. Textes der Niederdeutfchen Volkslieder, hrsg. vom Vereine für nd. Sprach-
forfchung, 1, Heft (hrsg. von W. H Mielck), Hamburg 1883, S. 90 f., Nr. 24, in
dem zu Grunde liegenden fog. Uhlantffchen nd. Liederb. (c. 1600?) Nr. 110;
B) des nl. in dem Antwerpener Liederbuche von 1544 (Een fchoon Hedekehs-Boeck.
Tantwerpen. By Jan Roulans. M. CCCCC. efi XLJJJJ.) hrsg. von Hoffmann
von FallersUben, Hannover 1855, S. 249 ff., Nr. XLVI: Een oudt liedeken;
C) des ftark gekürzten hochd. in Burkard Waldis' Verlorenem Sohn (De parabell
vam verlorn Szohn, gefpelet tho Ryga ynn Lyfflandt, Am xvij dage des Monte
February. M.D.xxvij. o. 0. u. Dr. 4°) hrsg. von G. Milchfack, Halle a. S. 1881,
S. 28 f., Z. 703 ff.;
D) des hochd. in ühlands Alten hoch- und niederdeutfchen Volksliedern, Stuttg. u.
Tüb., Abth. II, 1845, S. 581 ff., Nr. 213;
E) des hochd. in Franz M. Böhmes AUdeutfchem Liederbuch, Leipz. 1877, S. 430 ff.,
Nr. 358, wo S.431 bemerkt ift: Die mangelhaften Recenfionen mit anderer
Reihenfolge und Zulammenfetzung der Strophen hat Unland in eine gereinigte
Lesart zulammengefUgt und ift dabei der Quelle b (dem fog. Ambrafer Lieder-
buch: Lieder-Büchlein [Frankfurt a. M.] 1582, Nr. 77 und: Lieder-Büchlein. Frank-
furt am Mayn, M D LXXXIV. Nr. 97: Der Weltlich Schlemmer) und c (fl. Bl.
o. 0. u. J.) gefolgt. Zugleich ifts aber die Lesart der Bergkreyen, welcher Quelle
ich gefolgt bin.
Das VerhäUnifs des Beftandes und der Strophenanordnung diefer fünf Recen-
fionen zu dem der hier wiedergegebenen unferer Hf. veranfchaulicht nachgehendes
Schema.
Hf.u.B. ADE. C.
1
—
1 = 1
2
==z
2 = 3
3
4
^
41 — ° 13, 5-8.
5
=
5 —
6
=
10 ss 4
7
=
8 —
8
=
6 —
9
=
7 —
10
=
9 = 6
11
=
11 = 2
12
■— "~ —
78
1. Wor fchal ik mij hen keren
Ik armes broderlin?
Wes fchal ick mij erneren?
Myn gudt iß vel tö klein.
Alze ik eyn wefen han,
8zo moet ik balde darvan
Wat ik nu fchal vorteren,
Dat hebbe ik vore vordaen.
2. Ick bin tho fro geboren :
AI wor ik nu hen käme,
Myn ghelncke knmpt erften morgen.
Hedde ik eyn keyferdom,
Dartho den toi amme Ryn,
Unde were Venedye myn,
ld were doch alle vorlaren,
Id muth vorflometh fyn.
3. Szo en wyl ik doch nicht fparen
Unde wyl idt alle vorteren,
Unde wyl darnmme nicht forghen
Godt befchert my morgen mer
Wath hulpe ydt, dat ik fpare?
Vellichte vorlöre ik id gar;
Scholdet my eyn deff uthdragen,
Idt rnwede my wol eyn jar.
4. Ik wil ene lathen forgen,
Deme idt to herten gaet,
Myn gheldt wyl yk vorbraffen,
Vorflomen vro unde fpaet.
Ick nemo eyn evenbilde
By mennigen deerlin wyl de,
Idt fpringhet np groner beide:
Godt behode em fyn ghefilt.
5. Ik fee np groner heyden
Vel mennich blomelin ftaen,
Szc finth fo wol gekleydet:
Wat forge fcholde ik doch haen,
Wenne ik gudt averkame?
Ik byn noch vrifch unde junck;
Scholde my de nöth anlangen
Myn herte wüft nicht darum.
6. Dre worpel unde eyn kartlie
Dat is dat wapent myn
Soft hovefcher frowelin tzarte
Up jewelker fiden dre.
Kum her, du fchone wiff
Du vorvrowefth dat herte myn.
Lef, fcholde ik by dy flapen
So worde myn herte vro.
7. De voghel laeth ik forghen
Geghen deflen winter koldt,
Wyl my de werth nicht borghen,
Myn rok gheve ik em baldt
Den hoyken ok dartho.
Ick hebbe noch rafl; noch rouwe
Den aventh unde den morghen,
Beth ik idt alle vordoe.
8. Neen bether vroude up erden is
Wen eyn gudt levent haen.
My wert nicht mer tho defTer tidt
Wen flomen umme unde an.
Dartho eyn vriger möth,
Ik Uta nicht fer na gudt,
Alze mennich ryke borgher
Na groteme woker doeth.
9. He ghewinnet fin gudt mith flapen,
Darto mit groter noeth;
Wen he rouwe fchal haven,
Szo licht he, alze fy he doeth.
Szo bin ik vrifch unde junck,
Godt geve my vele der ftnndt;
Godt behode my junghen knapen,
Dat my neen unmoeth kumpth.
10. Her werth, fettet an de braden,
Dartho de honer junck,
Darup mach uns geraden
Eyn vrifcher koler drunck.
Drage her den kolden win,
Unde fchencke uns dapper in:
My ys eyne buthe gheraden,
De moeth vorflometh fyn.
11. Dath fwerth up myner fyden,
Ik make my drade darvan,
Unde hebbe ik nicht to ryden,
To vothe moeth ik gaen.
lkt wyl nicht fin alle ghelijk,
Ik byn nicht alle tidt ryke,
lk moeth de tidt vorbeyden,
Beth yk eyn ghelncke erflike.
12. De uns dyth ledeken nige
Ghefunghen haeth vorwar,
Dath heft ghedaen ein Homer vry,
Godt geve ome eyn vrolik jar.
AI in dem kolen wynn
He wolde yo vrolik fin.
Sin gheldt heft he vorbrafleth
- Mith hovefchen rronwelin fvu.
79
1, 1 = C 1, 3. 2. armes : dummes, tummes AE. 3 = C 1, 1. Wes : Wor, Wo
-4C, Wie DJS. 6. darvan : van daen B. 7. Wat : Dat B. nu fchal : nu foude B,
fchal hyr A, fall (foll) hewr CE, fol heut D. 8. vore : te voren B, vem 4, ferdt,
fert CE, femt D.
2, 2. Ya vor ick henne kam A All keer ic mi om ende om B, Vnd wo ich
ye hyn kumm C, Ja wo ich heut (liewr) . . . DE. 3. Myn ghelucke : Meyn glück
das C. kumpt : kunipt mir DE. 4. Hadde ick : AI had ick B. eyn : dat (das) ACDE.
5. amme : van den B. 6. Yenedye : Venedig ACDE, Venegien B. 7. Id were doch
alle : So weer ydt alles A, Szo wer es doch C, So wer es als DE. 8. muth : motte
AB, moft C, mtlft DE.
3, 1—4 /cM* C 5, wo dafür 4, 1—4 fleht. 1. So en : So ACDE. doch : dan B.
2. Ende wil dat ooc verteren B, Vnde efft ickt alles vorteer 4, Und ob ichs alls
verzer DE. 8. Unde wyl : Ic en wil B. 4. befchert : beforghes B. 5-8 = C 5,
5—8. 5. hulpe ydt : hilfts DE, helpt my B, hilft mich C. dat ick : das ichs C, dat
ick lange, daß ich lang ADE. 6. Billicx ick verloort te gar B. ick id gar : icks
alles ganr A. 7. Tfou mi een dief ontdragen B. Scholdet my : Solt mirs C. uth-
dragen : entragen C. 8. Idt ruwede : Das rewet (reuet) CDE. wol fehlt CDE.
4, 1-4 = ADE 4, 8. 4. 1. 2, C 5, 3. 4. 1. 2. 1. Vnd wil den forgen lathen A.
Und wil ein . . . DE, Wil eynen . . . C. 2. idt : dat B. 3. Ick wil myn gudt A, Ich
wil mein gut CDE. 4. Vorflomen : Hit fchlömen (Hemmen, fchlemmen) ACDE.
5 — 8 fehlt C 5, wo dafür 3, 5—8 folgt. 5. Ende ic ben even bly B. neme eyn :
neme my (nun mir) ein ADE. 6. By die menighe waer dat fi B. By : Von DE.
mannigem deerlin : veelen deertlin A. 7. Idt : Das DE. uph groner : opter B. 8.
God behoede zijn gefchil B. ghefilt : geueldt A.
5 fehlt C. 1. groner heyden : gheender heyden B, breyder heyde, breiter heide
ADE. 2. Veel mennich blomelin : Vil (Wil) manches blilmlein DE, Mennichte van
bloemen B. *3. Sze finth : De fint A, Das Ul DE. 4. forge : forghen B. doch : den
(denn) ADE, fehlt B. 5. Als mijn goet over quam B, Wenne ick : Wor ick A,
Wie ich DE. 6. noch : fo B. 7. de nöth anlangen : ein node anlangen ADE, die
doot bedwingen B. 8. Ic en truerde daer niet om B. wtlft nicht : weft nichts DE,
weth nichts A.
6 = 56, C 4, ADE 10. 1. Drie worpen in der caerten B. karte : karten CE.
2. dat wapen myn : myn wapen fry, meyn wapen vrey ACDE. 3. Ses huebfce
vroulijns hertzen B. hovefcher : hübfche Ä. 4. Up jewelker : Op elcke B, Vff yt-
licher C, An yder A, an ieklicher (jeglich) DE. 5. Kum : Ruck CD. du l'chone :
mein fchönes E, du fchoonftes B. 6. Ghi verblijt . . . B, Erfröuweft myn hert im
lyff A, Du frewft myrs hertz ym leyb C, Du erfrewft . . . D, ... mir mein . . . E.
7. Lief, mocht ic by v flapen B, Scnal ick htid by dy fchlapen A, Solt ich heint
bei dir fchlafen E. Vnd mocht ich bey . . . C, Wol in dem rofengarten D. 8. So
waer mijn herte My B, Myn herte dat wert my fry 4, Mein herz das wttrd mir
frei E, Das wer meyn czeyt vertreyb C\ Dem fcnlemmer fein zeit vertreib D.
T=*B7, ADE 8, fehlt C. 1. Ick lath de vogel forgen, Ich laO die . . . ADE.
2. Gegen deffen : Gen difem D, AI teghen defen B. In dilTem A. 3. my : vns (uns)
ADE. nicht : niet B, nit D. 4. Myn : Den A. 5. Den hoyken : Mijn hueckelijn B,
Dat (Das) wammes ADE. 6. Ick hebbe nicht : Ick hebbe neen A, Ic en heb noch
B, Ich hab weder DE. 7. Des avonts ende des morgens B, Den avendt als de
morgen A, Den abend als den morgen DE. 8. Bey de ict al B, Beth dat ick alles
A, Bis daß ichs rar DE.
8 = B 8, ADE 6, fehlt C. 1. Neen grttther fröuwde, Kein größer freud ADE,
Geen beter dinc B. is fehtt B. 2. Wanneer ic goet leuen hau Ja. 3. My — tydt :
En weet ic meer B. tidt : frift ADE. 4. Dann f luymen vroech ende fpae B. Wen :
Denn ADE. 5. eyn vriger : eenen vriien B, ein guden A, ein guter DE. 6. Ick
Uta : Ic en Ha B, Ick reyfe. Ich reiß (reis) ADE. nicht : nit D. 7. borgher : höger A.
9 = 59, ADE 7, feMt C. 1. He : De (Der) ADE. flapen : flauen B, fchaven,
fchaben ADE. 2. groter noeth : forghen groot B. 3. Wen ne rouwe : Wenn er ein
ru D. Wenn he lyn rouw, Wenn er fein rft AE, Wanneer fi ruft B. haven : haben
ADE. 4. So licht he : Leit er D. alze fy : als weer A, al waer B. 5. bin ick : bin
ick (ich) noch ADE. 6. geve : vorlehne, verleih ADE. 7. junghen knapen : ionge
knape B, yungen (jungen) knaben ADE. 8. unmoeth : homoet B. kunipth : en
coemt B, kam A, kum DE.
80
10 = 510, ADE 9, C 6. 1. Heer weert fteect aen het ghebraden B, Steck an
de fchwynebraden A, . . . die fweynen (fchweynen) braten CDE. 2. Darup : Daer
toe B. mach uns : wert my A, Ao mocbt C. geraden : beraden B. 3. koler : fryer.
freier ADE. 5. Nu fchenck vnfl tapffer eyn C. Drage her : Trag einher DE, Brengt
hier B. kolden : coelen, killen BDE, beften kölen A. 6. Vnd laß vnß frölich feyn C.
10. My : Vnß C. geraden : beraden B.
11 = ABDE 11, C 2. 1. Ick binde myn fchwerdt an de fyden A, Ich bind
myn fwerdt vff dy feiten (an dfeiten) CDE. 2. Ick : Vnde, Vnd, Und ACDE.
drade : haeft B, balde, bald ACDE. 3. Unde hebbe ick : En heb ick B, Hebbe ick
denn, Hab ich dann (denn) ACDE. 4. Tho vothe : Te voet fo B. 5. Ydt kau nicht
fyn alltydt gelyck A} Es ift nicht alltzydt gelich (nit allzeit gleich) CDE, alle fehlt
B. 6. Ic en Den ooc niet fo rijck B. alle tidt : allwege, alle wege, alweg ACDE,
7. Ick moth der tydt erwarden A, Ic moet den tiet verbeyden B, Ich muH der zeit
erbeiten D; . . . erwarten E, De czevt muß ich erwarten C. 8. Ende verwachten dat
goet arffelic B. Beth ick eyn : Beth dat ick dat, Bis das ich das ADE, Das mich
12 = B 12, fehlt ACDE. 1. nige : fchoone B. 3. flomer vry : fluymer B,
4. vrolik : goet B. 6. yo : altijt B. hovefcher frouwelin : fchone vrouwen B.
XVII. Sehampernolleken.
Aus Nicolaus Betzendorps MifcKbande: f. bei VIII.
Dar fcholde eyn efel den bergh upghan,
He wolde nicht lenck de fecke draghen.
Unße maghet het eynen bunten rock,
Dar under heft fe eynen fmedeblock.
We dar uppe fmeden fchal,
De moth hebben der hemere vele.
Heft he denne der hemere nicht,
Szo denet he up unfer maghet fmedeblock nicht.
We de wyl in unfern orden weßen,
De moth fick huD unde hoff vorteren.
Heft he denne huß unde haves nicht,
Szo deynth he in unOem orden nicht.
We de wyl in unßem orden weDen,
De moth fick hebben der penninghe vele.
Heft he denne der penninghe nicht,
Szo deynth he in unßem orden nicht.
Eine merkwürdige alte Fälschung*
Das Dorf Wedem sucht man auf den Karten des Landes Braan-
schweig vergebens: über seiner Stätte geht die Pflugschaar eines glück-
lichern Nachbardorfes, in das — wahrscheinlich unter den Drangsalen
des dreissigjährigen Krieges — der Rest seiner ehemaligen Insassen
oder deren Besitznachfolger zusammengerückt sind.
81
Ungefähr wird Beine Lage um 1350 durch eine Urkunde bestimmt,
mittels deren Graf Heinrich von Schiaden mit Einwilligung seiner
Kinder, Heinrichs und Ludgardis, einige Hufen zu „Wedhein" bei der
Burg Gebhardshagen (prope castrum Haghen) dem Aegidienkloster in
Braunschweig zu Eigen tibertrug — Hufen, die weiland Bertram vom
Damme daselbst von ihm zu Lehen getragen und letztwillig (wie man
aus dem Zusammenhange ergänzen muss) an das Kloster vergabt hatte.
Dass die Wedemer Feldmark an die von Heerte stiess, ergeben zu
grosser Wahrscheinlichkeit zwei fernere Urkunden, von denen hier aus-
führlicher die Rede sein soll.
Nehmen wir noch eine vierte hinzu, so ist alles beisammen, was
bis jetzt an urkundlichen Nachrichten über den Ort vorliegt. Eine
dieser Urkunden ist nun von ganz ungewöhnlichem Interesse. Zunächst
schon an und für sich, indem sie einen Ausschnitt alten Lebens in
einer für ihre Zeit überaus seltenen Fülle von Einzelzügen, ja fast in
epischer Breite, vor Augen stellt. Sodann auch, weil sie einige Fragen
hervorruft, deren Beantwortung, wenn sie nach Wunsch glückt, das
Bild noch um einen merkwürdigen Hintergrund vertiefen wird.
Mit der zweiten und dritten steht diese vierte Urkunde in engem
Zusammenhange, und zwar dergestalt, dass von jenen unsere Betrachtung
am passlichsten ihren Ausgang nimmt.
Im Jahre 1249 (ein Tagesdatum fehlt) gab Herzog Otto zu ver-
nehmen, dass er dem Kapitel zu St. Blasien in Braunschweig tausch-
weise gegen dessen Ort „Bocli" oder „Bocle", wie der Name an zweiter
Stelle lautet, seinen Patronat über die Kirchen in Honnenstede und
Wedem, frei von allem Vpgteirecht, tiberlassen, des weitern aber bei
dem päpstlichen Cardinallegaten in Deutschland, Herrn Petrus von
St. Georgii ad velum aureum, für das- Kapitel auch die Befugniss aus-
gewirkt habe, die Einkünfte beider Kirchen an sich zu ziehen, vor-
behaltlich jedoch eines auskömmlichen Theiles für die zur Verrichtung
des Gottesdienstes bestellten Vicare.
Als Patron der Kirche zu Wedem sehen wir aber das Kapitel
schon elf Jahr vor diesem handeln. 1238 nämlich setzte Herr Winand,
derzeit Decan, einen seiner Blutsfreunde, den Kleriker Bertram, da-
selbst zum Pfarrer ein. Damals allerdings auch noch in den unge-
schmälerten Genuss ihres Witthums, der Hebungen von neuntehalb vogt-
freien Hufen und ihren Pertinenzen an Höfen, Wurten, Wiesen und
Weiden auf den Feldmarken zu Wedem selbst und zu Kirchheerte,
Lesse und Engelnstedt; nur dass herkömmlicher Massen aus den Ge-
fällen einer dieser Hufen, der zu Lesse, das Lichtwerk beschafft
werden sollte, aus denen einer Wurt zu Wedem der Messwein.
Noch weiter in die Vergangenheit wird dann der Tausch, dessen
Herzog Otto 1249 gedenkt, durch unsere vierte, eben jene ungewöhn-
liche Urkunde gewiesen, die hier nun zunächst in Uebersetzung,1) mit
einigen zu leichterem Verständniss dienlichen Aenderungen des Wort-
') Der alte Text als Beilage S. 90—93.
Niederdeutsches Jahrbuch XVI
82
lautes, doch unverkürzt folgen mag. Protocollmässig berichtet darin
Herr Winand:
„Zu der Zeit, da dem Kapitel die Lehnwahre der Kirche zu Wedem
geworden war, luden unsere Herren den Pfarrer vor sich, damit er
ihnen von den Gülten des Gotteshauses Auskunft gebe. Und der, Herr
Heinrich, geheissen Crasuk, sprach also vor uns: All seine Tage hätte
er gehabt zu Wedem drei Hufen auf dem Felde und zwei Höfe im
Dorfi alles zehntfrei, nebst einer Wiese von neun Ruthen Breite; zu
Lesse eine Hufe und eine Wurt, ebenfalls vogtfrei, und all dieses Gut
gehörte zum Witthum der Kirche als Pfrttnde des Priesters. Eine Hufe
auf dem Felde zu Engelnstedt aber nebst einer Wurt daselbst wäre
zu Behuf des Lichtwerks, eine Wart zu Wedem für Wein angewiesen,
und fünf Morgen samt einer Wurt daselbst wären Opferland.
Darnach gab Herr Heinrich vor uns und mit unserm Wissen zwrei
Hufen zu Kirchheerte nebst den zwei Wurten und der Wiese daselbst
einem Bauern zur Bebauung, der hiess BorcUart Helleveger und war
sein Mag und von Hervord gebürtig, also dass der ihm alljährlich den
dritten Theil der Frucht, zwei Schweine, vier Hühner und zwei Schock
Eier geben sollte, so lange es ihnen beiden also anstünde. Und das
war zu der Zeit, da unsere Herren, das Kapitel, das Dorf Nordheerte
kauften.
Darnach ward dieser Pfarrmeier des Rathes, nach St. Jacob von
Compostella zu ziehen. Setzte also vor uns und mit unserm Wissen
und Willen einen Köter auf das Gut mit Namen Heinrich Kattenloper,
und hiess diesen, dem Priester allen vorbeschriebenen Zins leisten.
Stürbe er unterwegs, so sollte der Köter seine Pferde und all sein
übriges Gut Herrn Heinrich dem Pleban überantworten, damit dieser
seiner Seele pflege, worin er sich alles Guten zu ihm versähe, und
selbigem dann auch das Land mit jeglicher Nutzung, wie es ihm.
Heinrich Kattenloper, übergeben war, ledig und los wieder einräumen.
Nun starb wirklich zu St. Jacob dieser Meier Borchard Helleveger,
und da seine Kumpane wieder zu Lande kamen, so meldeten sie Herm
Heinrich, dass sein Meier todt wäre. Da nahm Herr Heinrich dessen
Pferde, Kühe, Schweine, Kälber, Hühner und allen Hausrath an sieh
ohne Widerspruch von Irgendwem, wobei wir gegenwärtig waren.
Da aber vorbenannter Heinrich Kattenloper auch das Gut ausge-
antwortet hatte, so schalten ihn seine Freunde, dass er es nicht be-
halten zu sothanem Zinse, wie sie von den Herren zu St. Blasien ihr
Gut zu Nordheerte hatten. Und traten mit ihm vor Herrn Lude^er
vom Hagen und baten für den Meier, dass er gegen eine Erkenntlich-
keit ihm hülfe, das Gut zu behalten um solchen Zins, wie sie dem
Kapitel in der Burg gäben, nämlich acht Schilling von der Hufe. Da
kam der Ritter und sandte nach dem Priester zu Wedem und bat bei
diesem für den Meier, wie jene an ihm begehrt hatten. Bat, schmei-
chelte und dräute. Der Pfarrer jedoch antwortete und sprach: er dürfte
seiner Kirchen Gut wohl mehren aber nicht mindern. Da erzürnte sich
der Ritter und rief seinen Knechten zu: Nehmet den Pfaffen bei seiueu
Händen und werfet ihn aufs Wasser: ist er denn also kampflustig, so
sinket er wohl auch nicht unter! Und die Knechte ergriffen den
Pfarrer bei Händen und Füssen, schwenkten ihn über dem Boden, als
wollten sie ihn ins Wasser werfen und riefen: 0 hui! (Doch Hessen sie
ihn nicht fahren und nach einer Weile wieder von ihm ab.)
Darauf ging der Priester weinend nach Haus und grämte sich über
die Schmach, so ihm geboten war. Nahm also St. Augustin vom Altar,
setzte ihn darunter und sprach: Herre Sankt Augustin, nimmermehr
will ich euch dienen noch euch wiederum auf den Altar setzen, sondern
hier sollt ihr liegen, bis meine Schmach gerochen ist.
Acht Tage darauf, an dem nämlichen Wochentage zur Vesperzeit,
schlug ein Donnerschlag den Ritter todt, da er zum Hagen in der
Kirehthttr stand, wie Manchem kund war und kund ist. Und andern
Tages, ehe Herr Ludeger begraben ward, kam Herr Heinrich der Pleban
von Wedem zu uns nach Braunschweig, gab unseren Herren seine
Kirche auf, ritt weiter nach Luclum und ward ein Gottesritter.
Darauf belehnten wir, Herr Winand, mit der Kirche zu Wedem
und all ihrem Gute unsern Oheim, Herrn Bertram, und der hatte das-
selbige manches Jahr unter seinem eigenen Pfluge, ohne dass Irgend-
wer gegen ihn einen Anspruch erhub. Da kam auf das Haus zu
Lichtenberg ein Voigt, der hiess Herr Dietrich Strauss vom Pfuhle.
Mit dem theidingten Heinrich Kattenloper und seine Freunde von neuem,
und Heinrich ergab sich ihm zu Eigen, damit er ihm zu dem Gute ver-
hülfe; gab auch dem Voigte zwei und Herrn Bertram, unserm Oheim,
ein Pfund Pfennige, und brachte es also dahin, dass ihm zwei Hufen
mit zwei Wurten und einer Wiese auf drei Jahre eingethan wurden,
um einen Jahreszins von zweiundzwanzig Schilling braunschweigischer
Pfennige und mit der Abrede: wollte Herr Bertram nach Verlauf dieser
drei Jahre das Gut um solchen Preis ferner nicht lassen, so sollte es
ihm ohne Widerspruch wieder eingeräumt werden.
Als unseren Herren dies zu wissen ward, sandten sie einen Boten
an Herrn Bertram und liessen ihn bitten, zu ihnen zu kommen vor das
Kapitel. Und da er vor sie kam, warfen sie ihm vor, dass er seiner
Kirche zu nahe gethan hätte: wirkte er derselben ihr Gut nicht wieder
los und ledig, so wollten sie einen Richter über ihn bringen und ihn
mit Banne verfolgen, bis er es thäte. Auf dieses bat Herr Bertram
unsere Herren, den«Fall beruhen zu lassen, bis die drei Jahre ver-
flossen wären; dann wollte er mit ihrer Förderniss das Gut wieder an
die Kirche bringen, frei und ledig wie er es vorgefunden hatte. Und
damit gaben sich für das Mal unsere Herren zufrieden.
Hernach, da die drei Jahre um waren, bat er unsere Herren ins-
gemein, mit ihm in die Burg zu gehen bei den Löwenstein zu dem
Ritter Herrn Dietrich Strauss und selbigem zuzureden, dass das Gut
wieder in seine, des Pfarrers, Hand käme. Dem thaten also unsere
Herren und baten Herrn Dietrich, seinen Willen dahin zu kehren, dass
der Kirche zu Wedem ihr Gut wieder würde. Der Ritter sprach: das
wolle er gern thun, sofern Herr Bertram dem Meier die drei Pfund
Pfennige wiedergäbe, die er vor Zeiten daran gewandt hatte (nämlich
zwei bei Herrn Dietrich und eins bei Herrn Bertram). Herr Bertram
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antwortete: was er nicht aufgenommen hätte, das wolle er nicht wieder-
geben. Unter dieser T heidung kam es letztens dahin, dass der Ritter
zu Bertram sprach: schwiege er nicht, so wollte er ihm eins in den
Hals geben! Worauf Herr Bertram: ttiäte das Herr Dietrich, so wollte
er ihm wieder in die Zähne flitzen, wie nie ein Ritter von einem
Pfaffen geflitzt wäre. Das Ende war, dass der Ritter sagte: nimmer
wollte er ein Wort dafür sprechen, dass das Gut wieder an die Kirche
käme, dem Meier würde denn sein Gut zuvor wieder. Und damit schied
man von einander.
Am andern Morgen aber fand man den Ritter todt auf seinem
Bette, und der Hals war ihm gebrochen."
So liess diese Vorgänge Herr Winand 1248 am Tage Kiliani auf-
zeichnen, und zwar zu Behuf Herrn Bertrams, dem, wie ausdrücklich
gesagt ist, der besiegelte Brief ausgehändigt wurde. Nehmen wir iu
gutem Glauben zunächst alles hin, wie es hier dargestellt wird, so
kann über den Zweck dieser Urkunde kein Zweifel obwalten. Durch
eine vom ersten Beginn der Verwicklung anhebende species facti sollte
sie jeder möglichen Verdunkelung des Thatbestandes vorbeugen, die
Rechtswidrigkeit der Ansprüche des unbescheidenen Meiers für alle
Zukunft ins rechte Licht stellen. Ausserdem aber galt es — und diese
Absicht überwog vielleicht noch jene andere — dem Nächstbetheiligten
ein authentisches Zeugniss der warnenden Exempel göttlichen Straf-
gerichts wider die beiden mächtigen Schützer und Förderer der Un-
gerechtigkeit zu dienlichem Vorhalt für Männiglich an die Hand in
geben.
Ohne besondere Schwierigkeit lassen die hier geschilderten Er-
eignisse sich mit den Nachrichten der sonst noch vorliegenden beiden
Urkunden in Einklang setzen. Chronologisch sowohl wie pragmatisch.
Mit der Erwerbung des Wedemer Patronats durch das Kapitel von
St. Blasien hebt Herr Winand seinen Bericht an. Sie veranlasst eine
Feststellung des Corpus bonorum der Kirche; darnach findet die erste
Vermeierung eines Theiles der Pfarrgüter zu Kirchheerte statt, und
zwar zur selben Zeit, ,,da die Herren von St. Blasien das Dorf Nord-
heerte kaufen." Hiervon freilich wissen wir vorläufig das Nähere auch
nicht; jedenfalls aber gehört dies alles und was demnächst bis zur
Resignation des damaligen Pfarrers, Herrn HeinrichfCrasucs, sich weiter
begeben, der Zeit vor 1238 an. Denn in diesem Jahre ward laut jener
andern Urkunde dessen Nachfolger, Herr Bertram, bestellt, und damit
setzt die zweite Reihe der erzählten Verwickelungen ein. Ist anzu-
nehmen, dass ihr Ausgang, das zweite Gottesgericht an dem Ritter
Dietrich Strauss, der Abfassung des Berichts nicht allzulange vorauf-
ging, so war der dreijährige Vermeierungscontract mit Heinrich Katteu-
loper um 1248 abgelaufen, wonach denn Herr Bertram die beiden Hufen
sieben Jahre lang, von 1238 bis 1245, selber bebaut hätte.
Diesen Vorgängen schliesst sich dann in einem leicht zu durch-
schauenden Zusammenhange jene Urkunde von 1249 an, worin Herzog
Otto bezeugt, dass er seinen Patronat über die Wedemer Kirche —
vor Zeiten, wie wir aus anderweitiger Kunde nunmehr ergänzend hinzu-
85
fügen dürfen — dem Kapitel übereignet und neuerdings auch deren
eilige Incorporation ausgewirkt hatte. Letzteres, die völlige Incorpo-
*ationr ist augenscheinlich die Hauptsache; nur ein beiläufiger Rück-
blick streift deren Vorstufe, den einfachen Patronat des Kapitels. Hier-
auf wird noch zurückzukommen sein; vorher ist erst eine Erscheinung
ins Auge zu fassen, die, abgesehen von diesem Zusammenhange, an
und für sich schon ihre sehr bemerkenswerthe Seite hat.
Zwischen jenem früheren und diesem neuen Stande der Dinge
fallen die Anfechtungen der beiden Pfarrer durch Heinrich Katten-
loper und dessen weltliche Gönner. Die Vorwürfe seiner Blutsfreunde,
als er das ihm eingethane Kirchenland zum ersten Male gutwillig
wieder auflässt, seine neue Bewerbung darum nach sieben Jahren, die
I^eichtigkeit endlich, mit der er sich seines Freienstandes entäussert,
nur um für seine Absicht den Beistand eines Mächtigen zu gewinnen,
alles dies sind deutliche Merkmale einer Wendung in den agrarischen
Verhältnissen, die auch socialpolitisch eine sehr verhängnissvolle Be-
deutung gewann.
Man weiss, welch ungezählte Schwärme von Bauern und Ritter-
bttrtigen in der zweiten Hälfte des zwölften und den ersten Decennien
des dreizehnten Jahrhunderts Sachsen wie das übrige West- und Mittel-
deutschland, ohne selbst zu veröden, zur Besiedelung der nördlichen
und östlichen Slavenländer hatte abgeben können. Jetzt, um die Mitte
des neuen Jahrhunderts, war auch dort Grund und Boden ziemlich auf-
geteilt, und begann allmählich nun dieser naturgemässe Abfluss der
heimischen Uebervölkerung ins Stocken zu gerathen, indess seine Ur-
sache, die unerschöpfliche Fruchtbarkeit eines jugendfrischen Volkes,
uneingeschränkt weiter wirkte. Für einen Theil des so von neuem
sieh ansammelnden Ueberschusses von Arbeitern und Zehrern wurde
liath durch das neue Wirtschaftsleben der Städte, deren rasches An-
wachsen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht zum wenigsten
eben von den Nothständen des platten Landes mit bedingt war. Immer-
hin jedoch nur für einen Theil: unvermeidlich war nichtsdestoweniger
auf den alten Erwerbsfeldern, unter allen Klassen der ländlichen Be-
völkerung, ein Schieben, Drängen und Stossen, das die hergebrachten
wirtschaftlichen Organisationen mehr und mehr auflöste, das Chaos
eines Kampfes Aller gegen Alle hereinführte und sehr allmählich erst in
neuen Rechts- und Wirthschaftsformen einen erträglichen Ausgleich fand.
Sozusagen symptomatisch exemplificiert und veranschaulicht sich
diese Sachlage in jenen Wedemer Händeln. An dem Bauer mit seiner
hartnäckigen Bewerbung um ein erledigtes Zinsgut, an den Rittern —
erst Ludeger vom Hagen, dann Dietrich Strauss — mit der scrupel-
losen Willigkeit, einem kleinen Profit zu liebe mit dem Bauer gemein-
same Sache zu machen, sich seines unrechtfertigen Begehrens mit mehr
oder minder sanfter Gewalt hülfreich anzunehmen. Was beide treibt,
ist der gleiche Nothdrang, vermöge dessen wir zu anderen Malen den
Ritter Übel mit dem Bauern umspringen, dann wieder den Bauern am
Stegreif des Ritters hangen sehen, wenn dieser den Kaufmann nieder-
wirft oder die armen Leute eines fremden Dorfes fehdemässig schätzt
86
und schindet. Denn in diesen und anderen Erscheinungen der Art —
Erscheinungen, die schliesslich allerdings in einen Zustand allgemeiner
Fried- und Rechtslosigkeit ausliefen, welcher allem Culturleben tödtlieh
zu werden drohte — nichts in ihnen als die Ausgeburt zuchtlosen
Frevelmuthes einer entarteten Kriegerkaste erkennen wollen, wäre
ebenso gedankenlos einseitig, wie wenn man etwa die socialistisehen
Strebungen unserer Tage nur als das Aufbäumen materialistischer Gott-
losigkeit zu erklären dächte. Brutale Instinkte kamen ohne Zweifel
damals wie heute ins Spiel, ja damals in solchem Masse, das« sie den
Dingen ihren augenfälligsten Stempel aufgedrückt und damit deren
sonstige Beschaffenheit und Bewandtniss bis zur Unkenntlichkeit ver-
wischt haben. Dringt man aber unter die Oberfläche ein, so kann
ebensowenig zweifelhaft bleiben, dass jener staatswidrige Unfug da-
mals ebenso wie der heutige Ansturm gegen die bestehenden gesell-
schaftlichen Ordnungen zu einem guten Theile doch auch als Zuckung
der natürlichen Nothwehr grosser Bevölkerungsklassen will verstanden
sein, die den Schwierigkeiten einer neuen Conjunctur rath- und htilflos
gegenüberstanden.
Diesmal nun, in dem Falle, von welchem unsere Urkunde berichtet,
gehen Bauer und Ritter über einen Dritten her, um den es einstweilen
noch besser bestellt ist als um sie. Denn die Pfarren sind durch
frühere Geschlechter, die sich die Sorge um das Heil ihrer Seelen noch
mehr konnten kosten lassen, reichlich, zum Theil selbst überflüssig aus-
gestattet. Jeder Erbtheilung oder Veräusserung entzogen, gewähren
die Pfarrpfrttnden ihren ehelosen Inhabern eine Wohlhäbigkeit, die den
Neid aller Bedrängten in der Runde zu erregen wohl geeignet ist. Von
dem armen Manne wird es füglich als ein Unrecht empfunden, wenn
ein PfafF wie der von Wedem ein entbehrliches Stück Pfarrland, das
er auf herkömmlich billige Zinsen vermeiert hatte, bei Gelegenheit
wieder . unter seinen Pflug zu ziehen und so ihm seine Nahrung, an
die er Jahre lang bereits seinen Schweiss gesetzt hat, zu entziehen
gemeint ist.
Und so leicht wird es dem Pfaffen nicht, seinen Willen zu erlangen.
Von Rechts wegen sollte alles Kirchengut seinen weltlichen Schinnvogt
haben. Schon von langer Zeit her jedoch ist die Vogtei als eine Hand-
habe vielfältiger Bedrückung und Ausbeutung stark in Misscredit ge-
rathen: soweit irgend möglich, haben die Kirchen sich ihr durch er-
langte Freibriefe oder im Wege der Ablösung entzogen, und vogtfirei
sind, alle oder doch grösstentheils, auch die Pertinenzen des Wedemer
Witthums. So steht hier nun der Pfarrer zunächst wehrlos dem Ueber-
lauf eines kleinen Gewalthabers gegenüber, den der abgethane Meier
für sein Anliegen zu gewinnen weiss.
Gott selber thut ein Einsehen mit Donner und Blitz, dergestalt,
dass der Nachfolger des misshandelten Pfarrers seine Pfründe ohne
Abbruch antreten und geruhlich sieben Jahre lang gemessen kann. Als
sich dann in einer schwachen Stunde auch er, und wiederum unter
mitwirkender Nöthigung eines Mächtigen, zu einer abermaligen Ver-
meierung bestimmen lässt und darüber in neue Händel derselben Art
87
wie sein Vorgänger verwickelt wird, treten seine Patrone zu St. Blasien
für ihn ein.
Nur mit Widerstreben haben diese gleich anfangs seine verfäng-
liche Einräumung hingehen lassen. Denn eventuell hat er die Pfründe
nicht nur zu seinem eigenen, sondern auch zum Schaden seines Nach-
folgers geschmälert, und das kann eben jeder von ihnen sein: ist doch
nach Versorgung mit einer Pfarre wie die von Wedem unter den
Kanonikern jederzeit starker Begehr. Der Ausgang rechtfertigt ihren
anfänglichen Einspruch; allein die Sache wieder in das rechte Geleis
zu bringen, sehen auch sie, trotz allem Recht, das Herrn Bertram zur
Seite steht, vor der Hand kein anderes Mittel als gütliche Zwischen-
sprache — eine Thatsache, die zu der Annahme nöthigt, dass Herr
Dietrich Strauss bei dem fürstlichen Schutzherrn des Stiftes über einen
Einfluss gebot, der den glimpflichsten Weg als den aussichts vollsten
empfahl. Und auch dieser führt nicht zum Ziel: wieder muss erst Gott
selber sich ins Mittel legen.
Damit gelangt unsere Urkunde zum Schluss; welche Wendung die
Sache zunächst nahm, wissen wir nicht. Aber mag der Meier oder der
Pfarrer seinen Willen behalten haben, jedenfalls war von diesen Vor-
gängen die Phase bedingt, welche nach Ausweis jener Urkunde Herzog
Ottos ein Jahr später eintrat: die völlige Incorporation der Pfarre durch
das Stift.
Was solche bedeutete und mit sich brachte, ist bekannt. „Bei der
Hypertrophie der Stifts- und Klostergeistlichkeit in den letzten Jahr-
hunderten wurden die alten selbständigen, gut dotierten Pfarren mehr
und mehr von dem alles verschlingenden Mönchswesen an sich gerissen.
Der Weg, auf welchem die Incorporationen der freien Pfarrkirchen
herbeigeführt wurden, ist ein ziemlich gleichmässiger in allen Theilen
Deutschlands . . ."; ihr ausgesprochener Zweck war, „die Einkünfte der
Stifter dadurch zu bessern und zu heben. Zuerst bemächtigte man sich
von dieser Seite der Patronate; dann ward mittels einer kanonischen
Fiction der Stiftsobere oder der Klosterabt als eigentlicher Pfarrer aller
incorporirten Kirchen angesehen, und auf diese Weise wurden ihm nicht
nur die Vortheile des Patrons, sondern auch die des Pfarrers zuge-
wendet, da er als seinen ausübenden Stellvertreter einen armen Geist-
lichen unter sehr elenden Bedingungen zum Seelsorger bestimmte, und
entweder von diesem einen enormen Pachtschilling bezog, oder aber
demselben ein kleines Jahrgehalt aussetzte, während er die grossen
Pfarreinkttnfte selbst genoss." So würdigt diese Strömung Ottokar
Lorenz (Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahr. II, S. 388).
Lassen wir die Frage hier beiseite, in welchem Maasse und* mit
welchem Erfolge das Kapitel von St. Blasien solchem Streben schon
vor diesem obgelegen hatte, und ebenso die andere Frage, ob die
Wedemer Pfründe dem Dekane allein und nicht vielmehr dem Kapitel
in seiner Gesammtheit zugelegt wurde, welch letzteres nach dem Wort-
laute der Urkunde — ut ipsum capitulum jam dictas ecclesias possit
in usus proprios libere detinere — die grössere Wahrscheinlichkeit für
sich haben dürfte. Hier handelt es sich in erster Linie darum, wiefern
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etwa jene Erfahrungen den Anstoss können gegeben und einen triftigen
Vorwand geliefert haben, die Einverleibung dieser Pfarre zu betreiben.
. So aber die Frage einmal gestellt, liegt unmittelbar auch die Ant-
wort zur Hand. Die Schwäche des in seiner verhältnissmässigen Selbst-
ständigkeit zunächst immer auf sich allein angewiesenen Pfarrers hat
eine Minderung der Pfründe verschuldet, die einerseits dem kanonischen
Rechte zuwider war, andererseits von dem Kapitel auch sonst, wie wir
sahen, nicht gleichgültig angesehen werden konnte. Ergab sich aus
letzterem Betracht zur Gentige ein Antrieb, auf bessere Sicherstellung
der möglichen Anwartschaft jedes einzelnen Kapituiaren bedacht zu
sein, so Hess jener erstere sich mit bestem Scheine verwenden, die
Fürsprache des Herzogs bei der massgebenden geistlichen Autorität zn
erlangen und bei dieser selbst guten Willen fttr eine Anordnung zu
machen, welche die Verfügung über das solchermassen gefährdete
Kirchengut aus der schwachen Hand eines Einzelnen in die einer an-
gesehenen Corporation legte.
Dergestalt fügen die vorliegenden Nachrichten sich ungezwungen
an einander, und demnach dürfte man sich fortan eines concreten Ein-
blickes mehr in das Spiel verborgener Fäden erfreuen, wenn nicht noch
gewisse Aeusserlichkeiten der Ueberlieferung im Wege ständen. Und
damit kommen wir auf eine andere, aber kürzer darzulegende Seite
unseres Fundes.
Herrn Winands Urkunde von 1248 ist in deutscher Sprache, einem
stark archaistisch gefärbten Mittelniederdeutsch abgefasst. Dergleichen
ist zu so früher Zeit sehr ungewöhnlich, immerhin jedoch nicht ganz
unerhört; und wäre selbst diese Urkunde die erste der Art, sonst aber
kein Grund, an ihrer Echtheit zu zweifeln, so könnte man seine doppelte
Freude daran haben. Sie trägt ein wohlerhaltenes Siegel aus rothem
Wachs mit der Umschrift: s. winandi üecani sancti blasii ix
brunkswik, das seiner Zeichnung und der Technik seines Schnittes
nach eines späteren Ursprunges nicht im mindesten verdächtig ist; und
mit demselben Typar ist das grüne Siegel an der Urkunde von 12:^
hergestellt, welche Herr Winand über die Verleihung der Pfarre an
Herrn Bertram ausgestellt hat. Hier wie dort dann noch eine tiber-
einstimmende Eigenheit: beide Siegel sind mit einer taschenförmigen
Umhüllung aus gemusterten Gewebstücken versehen, die augenschein-
lich aus alten Messgewändern geschnitten sind. Ja noch mehr: auch
die Schrift beider Urkunden ist unverkennbar die nämliche, beide sind
ohne Zweifel von der Hand eines und desselben Schreibers.
Allein gerade die Schrift stösst das Zeugniss aller übrigen Merk-
male ttber den Haufen. Sie kann nicht aus der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts herrühren, sondern ist mindestens fünfzig Jahr jünger ab
die Datirung glauben machen will. Das Zugeständniss lägst sich nicht
umgehen: was wir vorhin einstweilen als gleichzeitige Bezeugung von
Thatsachen und Zuständen des 13. Jahrhunderts hinnahmen, ist in der
vorliegenden Form erst in den ersten Decennien des 14. geschrieben.
Aber muss ihm darum aller Glaube versagt werden? Ich glaube
nicht
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Sehen wir ab von der anstandslosen Leichtigkeit, wie alle hier
überlieferten Einzelzüge sich in den allgemeinen Rahmen der Zeitver-
hältnisse einfügen — auch in ihrer concreten Bestimmtheit tragen sie
alle Merkmale der Echtheit und Glaubwürdigkeit an sich. Greifen wir
mir eins heraus. Die Namen der beiden Wedemer Pfarrherrn des 13.
Jahrhunderts hätten einem Stiftsangehörigen des 14. immerhin vielleicht
bequem noch zur Hand liegen mögen. Bei Namen aber nennt der Be-
richterstatter auch die betheiligten Bauern, Borchart Helleveger und
Heinrich Kattenloper, und von ersterem weiss er sogar Herkunft und
Geburtsort anzugeben. Das ist nicht die Art legendarischer Erdichtung;
zu neun unter zehn Malen wird man bei solcher die handelnden Per-
sonen ohne genauere Individualisirung, etwa mit einer Standesbezeich-
nung, allenfalls noch mit einem Taufnamen vorgeführt finden: „ein
Bauer mit Namen Borchart, ein anderer Bauer mit Namen Heinrich"
würde ihr in einem Falle wie dem vorliegenden aller Wahrscheinlich-
keit nach genügt haben. Und noch ein Zeichen dieser Art. Mit dem
ersten Gottesgerichte die Persönlichkeit eines Ludeger vom Hagen in
Verbindung zu setzen, konnte das Local, Wedem unter dem Gebhards-
hagen, immerhin vielleicht nahe legen. Wie aber wäre der Erzähler,
wenn ihm nicht eine feste Ueberlieferung vorgelegen hätte, beim zweiten
Male auf Herrn Dietrich Strauss vom Pfuhle verfallen, einen landfremden
Mann aus anhaltischem Adel, der als herzoglicher Vogt auf dem Hause
Lichtenberg eben nur durch diese Nachricht bezeugt, sonst aber in
gleichzeitigen Urkunden seiner Heimath allerdings mehrfach genannt
wird?
Das sind Erwägungen, die unwiderstehlich zu der Auskunft drängen:
in der vorliegenden Form kann die Urkunde allerdings erst im An-
fange des 14. Jahrhunderts ausgegangen sein; ihr Inhalt aber ist altern
und echten Ursprungs, aller Wahrscheinlichkeit nach lag er dem Schreiber
in einer wirklich von Herrn Winand von St. Blasien ausgestellten, muth-
masslich lateinischen Urkunde vor, die er ins Deutsche übertrug.
Drängt sich dann die Frage auf, aus welchem Anlass und zu
welchem Zwecke diese Urkunde dergestalt nochmals ausgefertigt und,
Boweit der Schreiber vermochte, durch Anhängung eines Abdrucks von
Herrn Winands echtem Typar, mit dem Scheine der Authenticität aus-
gestattet wurde, so wird darauf vor der Hand nur mit einem Ignoramus
zu antworten sein. Man mag annehmen, dass neue Anfechtungen des
Verfügungsrechtes der Herren von St. Blasien über ihren Landbesitz zu
Wedem oder anderswo die Auffrischung der alten Strafexempel rath-
gam machten. Auf Glaubwürdigkeit aber wird diese Vermuthung natür-
lich erst dann Anspruch erheben können, wenn solcher Anlass etwa
durch einen anderweitigen Fund hinlänglich bezeugt ist.
Und eine Frage bliebe auch dann noch zu erledigen. Wir hörten,
dass gleichzeitig mit der Urkunde vom Jahre 1248 auch die andere,
angeblich zehn Jahre ältere, über Herrn Bertrams Einsetzung in die
Pfarre zu Wedem geschrieben ist. Zweierlei ist möglich: entweder hat
es mit dieser die nämliche Bewandtniss wie mit jener, und ist also
90
auch sie nur die Erneuerung einer echten Urkunde; oder aber sie ist
eine eigentliche Fälschung schlechthin. Doch einerlei, für welche dieser
Möglichkeiten man sich entscheidet: hält man fest an jener Voraus-
setzung, welche die Erneuerung des Berichtes von 1248 zu erklären
geeignet wäre, so Hesse sich weiter denken, dass die der Urkunde von
1238 eingeflochtene Specification der Wedemer Pfarrgüter dienen sollte,
einen von Seiten des Kapitels behaupteten, von dessen muthmasslichem
Widersacher etwa angefochtenen Besitzstand zu erweisen. Völlig un-
gesichert aber ist bis auf weiteres auch diese Hypothese.
Und damit, falls nicht etwa ein versteckter Fingerzeig übersehen
ist, stehen wir für diesmal am Ende unserer Betrachtung.
Beilage.
Herr Winand, Dekan zu St. Blasien in Braunschweig, berichtet
Über die Wedemer Pfarrhändel 1248 Juli 8. (Orig. im Landes-Haupt-
archive zu Wolfenbüttel.)
We her Winant van dher gnade godes deken tho sunte Blasius
tho Brunsw. be kennet in desseme breue, dhe beseghelet is mit
vnseme ingheseghele, vnde bethughet, dat her Henrich ghe heten
Crasuc, en pleban dher kerken tho Wedem, dho dhe lenware
5 dhesser kerken vnseme capitele ghe worden was, vnde van vnsen
herren ghe laden wart, dhat he se berichte vmme dhe ghulde dher
kerken, dho bekande he vor vns vnde sprac: dhat he alle sine
daghe hedde ghe hat dre houe oppe deme velde tho Wedem
theghet vri, vnde tuene houe in deme dorpe tho Wedem och theghet
10 vri, vii ene wisghe neghen rode breth, verdehalue houe vppe deme
velde tho Herethe, vn ene wische vfi dre worde in deme dorpe
tho Herethe vri van aller hande voghedige vii ledich vn los van
alleme deneste, vfl ene houe vii ene wort tho Lesse voehet vri.
dit ghut horde tho dher wedemen dher kerken to Wedem, tho
15 des presteres prouende. ene hove oppe dheme velde tho Engele-
mestede mit ener wort dhe horde tho dheme luchte dher kerken
tho Wedem, bi deme dorpe tho Wedem ene wort de horde tho
wine, vfl vif morchene, de horden tho dheme opper lande, dridde-
half morchen gheuen thegheden vn driddeljalf were1) theghet vri.
20 vii och horde en wort tho der opper scop, dhe weren theghet vri.
Vfl we spreket, dat her Henrich dhe pleban van Wedem dede thue
houe tho Kerecherete mit tven worden vfl mit ener wische5) vor
vns vfl mit vnser wischop eneme bure tho buwende, de het Bor-
chart Helleveghere, de was sin mach vn was bordich van Her-
25 uerde, dhat he eme scolde gheuen den dridden del, tvey swin.
ver honre vfl tvey scoc eygere also lange also eth en beyden
euene queme. An dher thit koften dhat dorp tho Northerete vnse
heren. Dar na wart tho rade desse meyger Borchart des herren
van Wedem, dhat he toch tho sunte Jacobe, vn satte enen kotere,
30 dhe het Henric Kattenlopere, oppe dhat ghut vor vns vfi mit vnser
•1
wiscop, dhat he scolde don vn gheuen dhene tins dhe hir vore
be screven is be scedeleken, dheme prestere van Wedem. storue
he och vnder wechen, so scolde he sine perde vn alle sin ghut
antworden hern Henrich deme plebane tho Wedem, dat he siner
35 sele pleghe, also %he sich gudes tho eme vorseghe, vn dat lant
scolde he antworden iedich vii los weder deme prestere tho Wedem
mit alier hander slachter nuth, also eth eme ghe antwordet was.
Dhesse vore be screuene meyger Borchart Helleveghere starf tho
sunte Jacobe tho Kumpestelle. vü dho3) sine kumpane tho lande
40 weder quemen, dho segheden se heren Henrighe deme plebane tho
Wedem, dhat sin meyger dhot were. Do nam he tho sich sine
perde, sine koy, sine swin, sine kaluere vfi honere vii alle sin in
ghedome snnder allerhande weder sprake dhes meygeres Henrikes
Kattenloperes. Nu spreke we, dhat dat deme prestere tho Wedem
45 wart weder antwordet, dhat ghut sunder aller hande wedersprake
in sine were, dhar we thighenwordich weren. Do dhesse vore4)
be screuene meyger Henrich Kattenlopere dhit gud hadde van sek
ghe antwordet, dho sculden ene sine vrunt dhar vmme dhat he
eth nich be holden hadde tho alsodaneme tinse also se ere ghut
50 hadden tho Northerethe. vnde traden mit eme vor heren Ludeghere
vandeme Haghen vfl beden ene vor dene meyger, dhat he eme
hulpe dorch siner ghaue willen, dhat he dhat guth behelde tho
also daneme tinse also se5) gheven deme capitele in dher borch,
achte Schillinge van dher houe. Do quam de riddere vn sande
55 na dheme prestere tho Wedem, vn bat, dat he dheme manne Hen-
rike Kattenlopere lethe dhat ghut tho alsodaneme tinse also dhe
van Northerethe banden, dhe hove tho achthe scillingen. De
riddere bat, he listekede vn drowede. de prester antworde dheme
riddere vn sprac: he moste sine kerken wol beteren, he ne mosthe
60 se nichte ercheren. De riddere tornde sich vn sprac tho sinen
knechthen: Nemet6) dhene papen bi henden vn bi sinen vothen,
werpet ene oppe dhat wather. he is also cricherne, he ne valt
dhar nicht dor. De knechthe nemen dhen prester bi henden vü
bi sinen vothen vn sueyden1) ene bouen dher erde, also se ene
05 wolden oppe dhat water werpen, vü repen: 0 huy! dohc8) en
worpen se ene nich oppe dhat water. Dhesse prester ghincht
weder tho hus wenende vn moyde sich vmme dhe smaheyt dhe
eme wasche boden,9) vii satte sunte Augustine vndher dhen alter
vfl sprak: Herre, sunte Augustin, number mer wiilich10) ghi dhenest
70 dhon noch weder oppe dhen alter setten, sunder hir scol ghi lighen
also langhe bent mi min smaheyt werde ghe wroken. In deme
suluen daghe vort over achthe daghe sloch eyn dorner slach doth
dhene riddere in dher kerch dhore thome Haghen tho dher vespere,
also mengheme witlich was11) vn noch witlich is. Dhes anderen
75 dhaghes er dhesse riddere, her Ludhegher be grauen worde, quam
her Henrich dhe pleban van Wedem tho vns tho Brunsw. vn ghaf
sine kerken vsen herren op vii reth tho Lukenem vii wart goddes-
riddere. Dho lende we dhe kerken tho Wedem vseme ome heren
92
Bertrame mit alle dhesseme ghude ledich vn los van alier hande
80 voghedige. dhat buwede he manich jar mit sineme ploghe sunder
aller hande ansprake. Do quam tho Lechtenberche eyn voghet,
dhe het her Tyderich Struz van dheme Pole, mit dheme deghende
dhe12) Henrich Kattenlopere vn sine vrunt, vn ghaf sich eme tho
echene, oppe dhat13) he eme hulpe bi dhat ghut vn ghaf deme14)
85 voghede tuey punt vn heren Bertramme vseme ome en punt, dhat
he eme lethe dhe tve houe mit tven worden vn mit ener wisghe
tho dren jaren, alle jares tho gheuende tve vil twinthech scillinghe
brunswikescher pennighe, alsus bescedeiiken: wanne dhe dre jar
vmme quemen, vn ne weide he eme dhat ghut vmme dessen tins
90 nicht vort mer laten, so scolde dhesse vor be screuene meyger
dheme prestere dhat ghut weder antworden ledich vil los in sine
were sunder aller hande weder sprake. Do dhit vnsen herren tho
wetene wart, dho sanden15) se vseme ome heren Bertramme enen
boden vil lethen ene bidden, dhat he tho en queme vor dhat
95 capitel. Dho he vor se quam, dho ghauen se eme scult, dhat he
sine kerken ergheret hedde: tiene brochte ,6) dhat ghut weder inde
kerken ledich vil los, se weiden enen richthere op ene be holden
vn weiden eme volchen mit banne also lange bent he dhat weder
dede. Des bath he vsen herren ghe menliken,11) dhat se lethen
100 dhat bestan also langhe bent dhe dre jar vmme quemen, so weide
he mit erer vordernisse dhat ghut wedher in sine kerken bringen
vri vii ledich, also eth eme were gheantwordet vn he eth ghe
vunden hedde. Do dhesse dre jar vmme quemen, dho bath he vse
herren ghe menliken, dhat se weiden mit eme ghan inde borch
105 bi dhen louwensten tho deme riddere heren Thideriche Struze vil
weiden ene berichthen, dhat dhat ghut weder an sine were queme.
Dho ginghen vse herren menliken mit eme in dhe borch tho deme
riddere heren Thideriche Struze vil beden ene, dhat he sinen willen
dhar tho kerde, dhat dher kerken tho Wedem weder worde ere
110 ghut ledich vii los. De riddere sprac: he weide dhat gherne dhon
also be scedeliken, dhat he deme vore be screuenen meygere weder
gheve dre punt. Her Bertram antworde dhar tho vii sprac: des
he nicht hedde op ghe nomen, des ne weide he nicht weder gheuen.
In dhesseme deghedinghe vel also vele, dhat dhe riddere sprac
115 tho vseme ome hern Bertramme: he ne sueghe, he weide ene in
sinen hals slan. Her Bertram dhe antworde eme vii sprac: dhedhe
he dhat, he weide ene weder vlicken in sine thenen, dhat nu
nen riddere van eneme papen also vlickeret18) worde. Dhesse
riddere sprac dho: he ne weide dhar nummer wort tho spreken.
120 dhat dhat ghuth wedher queme tho dher kerken, dheme meygere
worde sin ghut weder gheuen. Hir scededen se sich mede. Des
morchenes vant men dhene riddere doth10) oppe sineme bedde
vnde was sin hals entvey. Tho ener open baren be thughinge
aller dhesser dinge dhe we hebbet ghe hört vn ghe sen vii vor
125 vns sint ghe scenw) hebbe we dhessen bref beseghelet'21) mit
vnseme ingheseghele vseme ome hern Bertramme. Dhesse bref
is ghe gheuen na goddes bort tvelfhvnderet jar an dheme achthe
vii vertheghesten jare in sunte Kylianes daghe.
') Im Orig. weren *) Abgebroclien wis- che. 3) dho am Rande. «) vore am
Bande. 5) Vor se durchstrichen dhe van Northerethe. 6) nein et am Rande. 7)
Bei der fast unterschiedslosen Gleichförmigkeit des n und u erscheint zweifelliaft, ob
sneyden oder sueyden zu lesen sei ; nach genauer Vergleichung einer grösseren Zahl
der entscheidenden zwei BucJistaben im Orig. entscheide ich mich für letztere Lesung.
8) Vor dohc durchstriclien dh. 9) Lies was geboden. I0) Lies wil ik. n) was
übergeschrieben. 1%) Lies deghedinghedhe. ,s) oppe dhat vor tho echene, aber
durch Zeichen an den richtigen Platz gewiesen. l*) Vor deme durchstrichen eme.
u) Im Orig. sande. 16) Lies brochte. ") Nach ghe uienliken, womit eine Zeile
ausläuft, auf der nächsten wiederholt vsen herren ghemenliken. w) Im Orig. vlick'et.
,9) Im Orig. doch. *°) Im Orig. ghe sen. 2I) beseghelet am untern Rande unter
der letzten Zeile (bref steht in der vorletzten) nachgetragen.
Braunschweig. Ludwig Hänselmann.
Ueber die Sprache der Wedemer Urkunde.
Die vorstehend zum Abdruck gebrachte Wedemer Urkunde bietet
in der That, wie Professor Hänselmann bemerkt, ein interessantes Bild
von Mischung älterer und jüngerer Sprachformen. Man hat den Ein-
druck, als sei sie zu einer Zeit abgefasst, zu welcher ein veraltender
Zustand der Sprache noch nicht überwunden gewesen, eine neuere Ent-
wicklung noch nicht ganz zum Abschluss gekommen war und die
Orthographie nicht minder schwankte, als die Laute. Die Unregel-
mässigkeit wird noch dadurch gesteigert, dass der Schreiber theils
nachlässig schrieb, theils flüchtiger oder stark dialektischer Aussprache
einen Einfluss auf seine Schreibung gestattete. Zu solchen Fehlern
des Schreibers rechne ich z. B. dohc statt doch 65, doch st. doth 122
deghende dhe st. deghedinghede 82, ghincht st. ghinch 66 und um-
gekehrt wieder nich 49. 66 (neben nicht 63. 90. 113, nichte 60), broche
(tulit) st. brochte 96, wo zugleich das o statt des ursprünglichen a
oder e (aus noch älterem d oder e) bemerkenswerth ist, dorner flach
st. donre-, donerflach 72, fe hanaen st. fe hadden 57, fände fe st.
fanden fe 93, Nom. ghi st. Dat. Acc. ghtk 69. Manche solcher Versehen
finden sich auch sonst bei mittelalterlichen Schreibern, wie z. B. die
Anfügung eines t und die Weglassung desselben, wo es stehen sollte:
nich st. nicht ist nicht selten, Roprech liest man in der Bremer Hand-
schrift der Sächsischen Weltchronik (Das Zeitbuch des Eyke v. Repgow,
hrsg. v. Massmann S. 282), Ybrech (Imbertus) in Detmar's Lübischer
Chronik, hrsg. v. K. Koppmann I, 258, 12. Ein t wird zugesetzt in
macht (potest); Hänselmann, Urkundenbuch der Stadt Braunschweig I
S. 13 § 56. Dieselbe Bremer Hdschr. hat in der md. poetischen Vor-
rede tomirfclach S. 2 Z. 31, und Entstellungen wenigstens in durne,
94
toren, dorren kommen im Mhd. vor. Se hänfen für fe hadden erlaubt
sich auch der Schreiber des Stindenfalles (hrsg. v. Schönemann)
Z. 1450.
Wichtiger für unsere Urkunde und charakteristischer ist, dass
Doppelformen desselben Wortes erscheinen, die mehr oder minder beide
eine Berechtigung haben und zum Theil sich 90 unterscheiden, dass
sie einen älteren und einen jüngeren Sprachzustand darstellen, oder
dass die eine gemein -mndd., die andere dagegen speciel Braun-
schweigisch ist. So wird anfänglich einmal das ältere tippe 10 ge-
setzt, später nur oppe und op. Mehrfach wird fich (fe, fibi) 35. 41.
67. 121 gebraucht, ein einziges Mal fek 47; und weiter ist bei diesem
Worte bemerkenswerth, dass, während es 35. 60. 67. 83. 121 nach
altdeutscher Weise Accusativ ist, es daneben schon in tlto sich 41 und
van fek 47 als Dativ gebraucht wird. Das Personalpronomen ice (nos)
hat im Dat., Acc. uns 7. 23. 30. 76. 125, im Possessiv unse 3. 5. 5.
23. 27. 30. 92. 126, dagegen use 77. 78. 85. 93. 99. 103. 107. 115.
126. Manich steht 80, aber mit Umlaut mengheme 74. — Das Prae-
teritum von willen (velle) heisst anfänglich wolde 65, dann von 89
an bis zum Schluss mehr als zehnmal alterthtimlicher weide. Der
Indicativ des Praeteritums von hebben (habere) ist hadde 47, hingegen
der Conjunctiv hedde 8. 96. 103. 113, aber auch, wie es scheint,
hadde liadden 49. 50. Diejenigen starken Verben der a-Classe
mit einfachem Consonantauslaut des Stammes, welche im Praesens
das a zu i oder e schwächen, haben im Plural des Praeteritums
im Indicativ bald ä bald e: traden 50, ghaven 95, aber quernen 40.
103, weren 46, beden 51. 108, nenien 63; gheven 53 wird Conjunctiv
sein, wie denn dieser Modus bei allen solchen Verben, an vielen Stellen
der Urkunde, immer e zeigt. Jene Indicativform mit e wird bekannt-
lich im späteren Mittelalter bevorzugt und ist in den meisten neueren
Dialekten die herrschende geworden, ja sogar in einigen auch für den
Singular. — Für 'nunquam' begegnet neben der organischen Form
nummer 119 auch die später im Mndd. nicht seltene unorganische
number 69, während umgekehrt das ursprüngliche irib stets als mm
erscheint, z. B. in umme 6 und öfter. — Die Negationspartikel hat
meistens die alte Form ne, so 59. 62 u. s. w., aber einmal schon die
jüngere en 65.
Jüngeren Sprachzustand verräth die Urkunde weiter ausser in
den Lauten auch sonst. So wird bidden nach der späteren mndd.
Weise sowohl mit dem Acc. 94. 103. 108, als mit dem Dat. 99 construiert
Die Dativconstruction lässt sich logisch sehr wohl verstehen und
rechtfertigen, aber das altsächsische biddean regierte stets den Accu-
sativ. — Für die Construction der Praeposition bi mit dem Accusativ,
wenn ein örtliches Ziel gemeint ist, bietet das Mndd. Wb. nur Belege
aus jüngeren Schriftstellern, haben wir hier in: oppe dhat he eme hulpe
bi dhat ghut 84 ein frühes Beispiel. Uebrigens kennt ja bereits das
As. bi mit dieser Construction, freilich nur bei verbis loquendi in der
Bedeutung „von, über". — Ein im späteren Mittelalter nicht ungewöhn-
licher Sprachfehler ist, laden (invitare) stark wie laden (onerare) zu
95
beugen, was im Nhd. faßt zur Kegel geworden ist; auch der Schreiber
der Urkunde gebraucht schon so gheladen statt gheladet 6. — Die
Cardinalzahl 'zwei' unterscheidet im Asächs. nach den drei Ge-
schlechtern twena oder twene, twä oder twö, und twe. Das Ndd. hat
früher als das Hd. sich für den alleinigen Gebrauch einer Form ent-
schieden. Unsere Urkunde offenbart nun bereits Uebergang in die
einfachere neue Weise, aber in eigenthttmlicher Verwirrung. Man liest
tuene hove 9, was zuerst denken lässt, es seien Höfe, Bauerhöfe ge-
meint; allein ene hove 13 und van der hove 54, dhe liave 57 beweisen,
dass von Hufen die Rede ist. Es ist also die Masculinform zu einem
femininen Substantiv gesetzt. Später aber wird eine wohl aus twene
verkürzte Form sowohl für das Masculin wie für das Feminin ver-
wendet: tve fcillinghe 87, thue hove 21, tve hove 86, während das
Neutrum tvey (aus dem as. Genet. tueio geleitet? s. Kögel in den „Bei-
trägen" von Paul u. Braune IX, 542) heisst: tvey fwin 25, fcoc 26, punt 85,
und ebenso entvey, entzwei 123. Bei der dritten Zahl scheidet das As.
zwischen einer persönlichen und einer sächlichen Form: threa oder
thria thrie, und thriu oder thrü. In unserm Denkmal erscheint nur
eine Form dre, bei den Femininen hove 8 und worde (areae) 11, und
bei den Neutren jar (anni) 88. 100. 103 und ptint (talenta) 112. Natür-
lich müsste die Masculinform, die nicht vorkommt, gleichfalls dre lauten.
Auch hier zeigt sich die Sprache der Urkunde merkwürdig jung, da
doch sonst drin oder dru fürs Neutrum wenigstens im 14. Jahrhundert
nicht ungewöhnlich ist. Bei beiden Zahlen, zwei und drei, ist das
Ndd. später gleichmässig verfahren: es hat die masculine Form zu
alleinigem Gebrauch (twene in der verkürzten Form) gewählt, während
das Hd. für die erstere das Neutrum, für die andere das Masculin
vorgezogen hat. Tvelf 127 ist auch schon moderne Form; die ältere
Sprache des 13. Jahrhunderts sagte tveief oder tvelif. — Einen vom
Hd. abweichenden Gang hat das Ndd. ferner eingeschlagen in der Be-
handlung des Wortes Herr, dominus. Während das Hd. in diesem
ursprünglichen Comparativ von her (hehr) die Doppelconsonanz belässt
und den Vocal verkürzt, bewahrt das Ndd. den langen Vocal und
opfert darum das eine r. Die vorliegende Urkunde steht nun auf
der Wende vom alten herre zum neueren here: beide Schreibungen
herre und here kommen ziemlieh gleich häufig neben einander vor
und so oft, dass ich darauf verzichte zu citieren. Als Titel vor Namen
wird, wie ja mndd. und mhd. üblich war, vom Schreiber die verkürzte
Form her gebraucht und dann oft nicht heren oder herren flectiert,
sondern hern.
Die Urkunde bietet einige Wörter in einer Gestalt, welche durchaus
eher für das 14. als das 13. Jahrhundert spricht: fulve (ipse} 72
statt filve felve, punte (fanctus) 1 u. öfter für finte fente oder (ante,
beholden 49. 97 statt behalden, und Goddes (Dei) 77. 127 neben Godes
1. Dahin möchte ich besonders auch den Plural tlienen (dentes) 117
rechnen. Die as., durchs Mittelalter nicht ausgestorbene und noch in
nndd. Dialekten erhaltene, Form des Wortes ist tand und zwar ist es
masculin und geht nach der starken a-Declination. In einigen Dia-
lekten fiel dag d ab und das Wort ging in die /-Deelinationselasse
über, ganz wie im späteren Hd. Andere mndd. Mundarten blieben
aber dabei nicht stehen, sondern sie flectierten, wenigstens den Plural
auch schwach fanden, tanen, tenen. Ja, zu dem letztgenannten Plural
ist später ein starker Singular tene nachweisbar, der auch als Feminin
gebraucht wird, s. Kegel, Das mndd. Gothaer Arzneibuch, Programm.
Gotha 1872, S. 7, Anm.. Die Sprache unserer Handschrift ist wenig-
stens schon zum Plural tenen fortgeschritten und dieser Fortschritt
setzt eine längere Entwickelungszeit voraus. Das früheste bekannte
Auftreten des Plurals tenen ist in der Berliner Handschrift der Sachs.
Weltchronik, S. 155,4, welche der Herausgeber Prof. Weiland in das
Ende des 13. oder den Anfang des 14. Jahrhunderts setzt; an derselben
Stelle hat die noch ins 13. Jahrhundert und zwar, da sie nach Wei-
land eine Originalhandschrift ist, um die Mitte desselben fallende
Gothaer Handschrift tanden, während die, vielleicht in Hamburg (wo
man doch früh, wie noch jetzt, die Form ten(e) insc., bevorzugte) vor
1281 geschriebene, Bremer Handschrift tanen liest. — Auf dasselbe
Resultat, dass nemlich unsere Urkunde wohl nicht dem 13. Jahrhundert,
keineswegs aber dem J. 1248 angehört, führt die Erwägung des Aus-
druckes mit aller hander flacht er nuth 37. Die Entstellung mit aller
flaehter nut aus m. a. flachte mit, „mit Nutzung aller Art", belegt das
Mndd. Wb. zuerst aus dem J. 1343, den Pleonasmus m. a. hande flachte
nut aus dem J. 1330; in unserer Formel ist nicht bloss flachte, sondern
auch hande entstellt, sicher ein Beweis gegen die Abfassung der Ur-
kunde zu so früher Zeit, wie sie selbst behauptet.
Alterthümlich ist die Schreibung (fe) fueyden 64, he fucgJie (tacereti
115, tuene tve tven (22. 86) tuey tvey tvelf (127); daneben bricht aber
in ftvin 25. 42 und UvinthecJi 87 schon die Orthographie des 14. Jahr-
hunderts hervor. Auch Louuenften 105 trägt jüngeres Gepräge; eine
Handschrift des 13. Jahrhunderts hätte Lewen- oder doch Loicensten
erwarten lassen, wie auch hier drowede (minatus est) 58 statt späterem
drotuvede steht. — In Betreff des Gebrauches von y huldigt die Urkunde
noch nicht dem übermässigen Verbrauch dieses Buchstabens, wie er
im Laufe des 14. Jahrhunderts sich entwickelte und mit Fug allgemein
ward, da man bei der allmählich flüchtiger werdenden Schrift, welche
die Striche des i, m, n und u fast ganz gleich erscheinen liess, um
der Deutlichkeit halben das y, besonders in der Nachbarschaft von
m, n und u, jn verständiger Weise vor dem i bevorzugte. Hier in
unserem Sprachdenkmale herrscht noch fast uneingeschränkt das i da,
wo es nicht auf einen anderen Vocal folgt; nur gegen das Ende machen
Tyderich 82 und Kylian 128 eine Ausnahme. Sonst hat nicht nur
das kurze i, sondern auch das lange und das auslautende i sich be-
hauptet, z. B. wird vif (quinque), thit (tempus), hir (hie), fwin (porciw),
min (meusV fin (suus), /ine, Augustin, Augustine, teine (vino), cricherne
(bellicofus), voghedige (advocatia), rri (über), In (apud), ghi (vos), wi
(mihi) geschrieben. Anders steht es, falls ein Vocal vorhergeht: dann
findet man nur y gebraucht, so in huyl 65, koy (vaccae) 42, moyde fkh
(indignatus est) 67, sueyden (vibrarunt) 64, eyyere (ova) 26, meyger
97
(villicns) 28 u. öfter, tvey (duo) 25. 26. 85, entrey (fractus) 123, srna-
heyt (contumelia) 67, 71, beyde (ambo) 26 und eyn (unus) 72. 81.
In den ersten sechs Wörtern ist der /-Laut, der durch y ausgedrückt
wird, altorganisch; und nur bei cygcre und meygere die Entwicklung
des Jot, geschrieben g, naeli dem ey ist bemerkenswerth als jüngere
Spracherscheinung; die übrigen aber zeigen im Gegensatze zu as. tue,
-hed, bedhea, en die im Mndd., und zwar bereits im 13. Jahrhundert, ge-
wöhnlichen Formen. Im übrigen steht die Urkunde, was das e = ei
betrifft, noch ganz auf altsächsischem Standpunkte: der Artikel lautet,
mit alleiniger Ausnahme der beiden angeführten Fälle, stets en, en- 4.
10. 16. 23. 29 u. s. w.; ene wird nicht in der Schreibung von ene (eum)
06 u. sonst unterschieden. Ebenso heisst es nen (nullus) 118, Henrich
3 u. öfter, ghemenliken (generaliter) 99. 104 und menlikcn 107 lende we
(conccssimus) 78, bescedeliken (discrete, distincte) 32. 88. 111, wenen
(flere) 67. Das as. tuentich (viginti) ist, durch tiventich hindurch, schon
zu tivinthech 87 geworden.
Auffallend schwankt der Schreiber der Urkunde in der Behand-
lung der as. th und d = mndd. d, des g, des k und des sk. Hier tritt
uns ganz besonders deutlich der Charakter der Sprache und der Ortho-
graphie als solcher entgegen, welche einen früheren Zustand noch
nicht ganz überwunden haben und noch zu keiner festen Regel ge-
langt sind.
Der lautliche Unterschied zwischen dem alten th, beziehungsweise
dh, und zwischen dem alten d existiert offenbar für unsern Schreiber
nicht mehr. Die zwei einzigen Beispiele eines richtigen th sind Thi-
derich 105. 108, woneben sich aber auch Tyderich 82 findet: der Name
ist sicher mit dem Laut t gesprochen worden. Die sonstigen zahl-
reichen th stehen alle falsch für t und im Auslaut, z. B. doth (mortuus)
72. 122, reth (equitavit) 77, auch für urspr. d. Es findet sich sogar aclUJie
(octo) 54, knechthe (servi) 63, rnofthe (debuit) 59, thue (duo) 21. Den Laut
hatte man aufgegeben, das Zeichen konnte man noch nicht los werden; da
Laut th zu d geworden war und so geschrieben ward, so verwendete
man das altgewohnte Zeichen für den Laut t — Die alte Spirans th
ist nicht plötzlich in den Laut d übergegangen, sondern erst durch
die Erweichung der Tennis zur Media dh, welcher Laut gewiss bereits
im Altsächsischen für den bestimmten Artikel, das mit der Dental-
spirans anlautende Demonstrativpronomen und die abgeleiteten Pro-
nominaladverbien, vielleicht auch schon für das inlautende th
gegolten hatte. Dass diese Aussprache später alle th ergriffen hat,
wird bewiesen durch die Schreibung dh mancher Sprachdenkmäler des
13. und des beginnenden 14. Jahrhunderts für jedes th; und nur so
lässt sich verstehen, dass im Mndd. anlautendes th nicht, wie in
der Regel im Skandinavischen, zu t, sondern zu d geworden ist. Dies
dh ist unserm Schreiber noch nicht ganz abhanden gekommen. Er
hat es noch manchmal, z. B. in dher 1, dhe 2, dho 4, dhesse 75, dhit
92, dhar 46, alle öfter neben den jüngeren Formen mit d, ferner in
dhencst (servitium) 69 neben denest 13, in Ludhegher 75 neben Ludegher
Niederdeutsahe» Jahrbuch XVI. 7
50, und in wedher (rursus) 101. 120 neben gewöhnlichem weder. Dass
er aber nicht mehr dh, sondern d sprach, erhellt aus seiner mehrmaligen
Verwendung des dh für ursprüngliches und im Laut unverändert ge-
bliebenes d, so: dhot (mortuus) 41, undher (sub) 68, dhon (facere) 70.
110, dhedlie (fecit) 116 neben dede 21, dJwre (janua) 73, dhaghes (diei)
75. — Bemerkenswerth ist, dass der Name des Dorfes Wedern, stets
mit d geschrieben wird. Mag derselbe aus Widuhdm (Waldheim) ent-
standen sein, oder 'Widern, Witthum, dos' (dos ecclesiae, parochiaV)
bedeuten, in beiden Fällen sollte man die Schreibung (Wedhem oder
Weihern, resp. Wedhem) mit h erwarten, wie denn die Urkunde vom
J. 1350 (s. oben S. 81) noch Wedhem hat.
Das asächs. g muss eine palatale, dem ; ähnliche oder gleiche
Aussprache gehabt haben, sicher vor e und i, wahrscheinlich überhaupt
im Anlaut, da es im Heliand mit j alliteriert, und im Inlaut, ausser
etwa nach n; dagegen scheint es im Auslaut ähnlich wie ch gesprochen
zu sein. Vgl. Moritz Heyne, As. und andfränk. Grammatik, 1873, § 14,1.
Diese Aussprache wie Jot hat sich gehalten in der Mark Brandenburg,
mehr oder minder, z. B. für einzelne Wörter und für das Praefix ge-,
auch in anderen Dialekten. Mit der Entstehung der mndd. Schrift-
sprache kam nun aber eine gutturale Aussprache des g auf, ähnlich
wie ein weiches ch, nach der Art des Holländischen g, eine Aussprache,
welche gleichfalls im Westfälischen und sonst in einigen Gegenden
bewahrt geblieben ist. Diesen Laut drückte man in der mndd. Schrift
gemeiniglich durch das Zeichen gh aus, im Auslaut dagegen stand
ch. Es hat aber eine Periode des Ueberganges gegeben, wo man auch
im In- und selbst im Anlaut ch schrieb. Das frühste Vorkommen dürften
wir vielleicht in: en hoche man (vir praemagnificus) der Gothaer Hand-
schrift der Sachs. Weltchronik (Ausgabe von Weiland S. 265, 4) er-
kennen. Die jüngsten Belege vom Jahre 1349, sind wohl die von
K. Koppmann im Ndd. Jahrbuche III (1877) S. 7 aus Meklenburgischen
Urkunden mitgetheilten, in denen hauptsächlich das Praefix ge- durch
che- gegeben wird. In unserer Urkunde ist gh die Regel, seltener
steht noch g. Daneben kommen aber auch einige ch vor, im Anlaute
nur in wasche boden d. i. was gheboden (oblätum, adhibitum erat) 68.
öfter im Inlaute: under wechen (in.itinere) 33, ecken (proprius) 84,
cricherne (bellicosus) 62, volchen (sequi) 98, morclien (jugerum) 18. 19.
crclmcn (deteriorare) 60 neben ergheren 96, Lechtenberche 81, des
morclienes (mane) 122.
Ganz eigentümlich verfährt der Schreiber bisweilen mit dem *.
Im ganzen steht dieser Buchstabe bei ihm fest, im Auslaut wird er
nach älterer Weise durch c ausgedrückt, z. B. Crasuc 4, sprac (dixit)
7, fcoc (sexaginta) 26. Wenn er meist Henrich, z. B. 3. 21. 34, neben
Hcnric 30, Henrikes 43, Henrike 56, ferner Tyderich 82, willich (volol
69, witlich (notus) 74. 74 schreibt, so lässt sich das erklären. Denn
diese Schreibung findet sich auch sonst grade in den älteren mndd.
Sprachdenkmälern, während später k üblich ist. Das ch erscheint hier
auslautend in minder betonten Ableitungs- oder ursprünglichen Com-
positionssilben und kann daher sehr gut früh an die* Stelle des ge-
99
wichtigeren k getreten sein und in den Dialekten, wenngleich das
erst im 16. oder 17. Jahrhundert wieder hervorbricht, sich gehalten
haben. Wie wäre anders zu erklären, dass in neueren Mundarten, wie
z. B. im Ditmarschen, das -lik als -li erscheint, ganz wie im Englischen.
Diese ch- Formen erscheinen, wie gesagt, auch sonst im 13. und 14.
Jahrh. Unsere Urkunde geht aber weiter. Sie schreibt auch inlautend
Henriglie 40 und gar Thideriche 105. 108. Ausserdem begegnet noch
och (etiain) 9. 20. 33, sich (se, Tibi) und neben korken 59. 77. 78. 96.
97 und Kerecherete 22, was wohl Kcrec-Hercte zu lesen ist, kerchdJwre
73, was merkwürdig zu dem neueren messingischen kerch (ecclesia)
stimmt. Und da ist zu bemerken, dass nicht bloss in Ableitungssilben
auslautendes ch im 13. u. Anfang des 14. Jahrh. nicht so gar selten ist.
Formen, wie ich, fprach, wercli, Bochholt u. a. kommen damals auch
sonst oft vor, während sie von 1350 an in der Prosa fast unerhört
sind. Wenn man aber in Erwägung zieht, dass dieses ch der späteren
Poesie, was die Reime beweisen, nicht fremd ist, so lässt sich ein Ein-
fluss der Sprache des 12. und 13. Jahrhunderts, die sich vornehmlich
poetisch und zwar nach mhd. oder md. Vorbildern manifestierte, nicht
verkennen. Möglicherweise sprach der Schreiber in allen Fällen k, aber
die Orthographie der Poesie des 13. Jahrhunderts hielt ihn in ihrem
Banne. Sich ist dazu vielleicht aus einem anderen Dialekte erborgt;
denn die as. Literaturdenkmäler kennen, gleich den ags. und afries.,
dies reflexive Pronomen nicht mehr.
Bei fast allen deutschen Völkern — von den skandinavischen
sehe ich hier ab — zeigt sich die Entwickelung von fc fk zum fch
oder, wie die Engländer schreiben, sh. Den Uebergang von jenem
zu diesem vermittelt 8% d. h. die nicht zu einem Laute verschmolzene
Aussprache des s und ch, wie wir sie jetzt noch aus dem Holländischen
und Westfälischen und anderen ndd. Mundarten kennen. Zunächst
erfuhr fc diese Entwickelung vor oder neben den hellen und weichen
Vocalen e und i. Im Mndd. ist sie überhaupt in jeder Lage des sc
Kegel geworden, scheint aber nie gänzlich über die getrennte Aus-
sprache des s und ch hinausgekommen zu sein. Anders wäre es gar
nicht zu erklären, wie um 1500 die Schreibung sor statt des vorher
üblichen sehr und noch später sk im Auslaut allgemein wird. Der
Hergang kann nur so gewesen sein, dass man, nachdem die einlaut-
liche Aussprache für seh mehr und mehr durchgedrungen war, das
Zeichen seh für jene beiden Lagen, in welchen sich der alte Laut
erhielt, nicht mehr anwendbar erfunden und durch sc und sk ersetzt
hat. Die Entwickelung von s% zu seh oder sh wird nicht in allen
Landschaften gleichzeitig vor sich gegangen sein, wie ja in einigen
noch heute die alte Aussprache bewahrt geblieben ist; vermuthllch
ist die im späteren Mittelalter nicht seltene Schreibung ffch im Inlaute
statt fch, welche z. B. schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts in der
Lübeker Rathshandschrift der Detmar'schen Chronik hier und da sich
zeigt, stets ein Zeichen davon, dass zweilautige und einlautige Aus-
sprache im Idiom des Schreibers für den Inlaut neben einander be-
standen. Unsere Urkunde steht nun auf ,dein Uebergange aus dem
100
ältesten Zustand (sc) in den mittleren ($x\ Regel ist noch sc, selbst
vor e und /: bescreven 32, fcolde (debuit) 36, scol ghi (debetis) 70, scov
26, opperscop (offertorinm) 20, sctdt (noxia) 95, sculden (reprehenderunt)
48, bescedeleken 32, scededen (discesserunt) 121, scillinge (solidi) 57. 87.
daneben aber einmal auch schon Schillinge 54. Inlautend ist dagegen
seh bereits das gewöhnliche: wische (pratum) 11. 22, daneben die
Schreibung wisghe 10. 86, Brunsivikescher 88; selbst das Compositum
wiscop (aus wit-scop 'cognitio') 31 wird dieser Inlautsregel unterworfen
in wischop 23.
Was den Wortschatz der Urkunde anbelangt, so treten in der-
selben, so gering ihr Umfang ist, einige interessante und zum Theil
bisher unbekannte Ausdrücke auf. Dat inghedonie (supellex) 43 ist
auch sonst bekannt genug; hier scheint es speciel das zur Landwirt-
schaft gehörige Geräthe zu bedeuten. — Ebenso ist rollen in dem
Sinne von „vorfallen, sich ereignen, passieren" nicht selten; hier in
dheffeme deghedinghe vel alfo vele, dhat etc. 114. — Wort hebhen mit
Genetiv, soviel als „zugestehen, sich dazu bekennen", ist aus dem
Mndd. Wb. bekannt, wo aus den Lübischen Chroniken (Chronik des
Franciscaner Lesemeisters Detmar, mit Ergänzungen aus andern Chro-
niken, herausgegeben von Grautoff II, 108) fe wolden des neen wort
hebbvn beigebracht ist. Ein zweites Beispiel findet sich in Joseph
Gedicht von den sieben Todsünden (in fortlaufenden Auszügen und
Inhaltsangaben bekannt gemacht von Babucke; S. 27 Z. 3890): 0 du
wokenere, du varlike man! Deve, rover morden taten dar ran, Wente
de dre ftat tomale grot eventure; Sunder du fytteft in den drogeti by
dein rure Unde heft diner kunft nene word (Plural). In ähnlicher Be-
deutung „zugeben" erscheint hier eine, meines Wissens noch unbelegte
Redensart: he ne weide dluir numnier wort tho fpreken, dhat dhat
ghttth wedher qneme tho dher kerkm, etc. 119. — Eine besonders inter-
essante Wortform ist dat lucht (lumen) 16 statt des üblichen licht oder
lecht. Um 1300 darf lucht nicht als Entstellung aus licht oder lecht
gelten, sondern wie diese aus liocht oder leoht entstanden sind, mus*
jenes auf ein nicht überliefertes as. liucht zurückgeführt werden. Diese
Nebenform ist auch sonst einige Male bezeugt. Der 1473 geschriebene
Dialogus .Gregorii der Oldenburger Bibliothek hat beide Formen {do
de lampen funder lucht hengen, norden fe entf enget mit dem lecht t\ s.
Mndd. Wb.) neben einander. In den Braunschweigischen Chroniken
(herausgegeben von Hänselmann II, 16) findet sich: dat goddeshus bc-
ieren unde klocken geten unde luchte don, H. „Lichtwerk liefern", eig.
Lichter, Kerzen liefern. Ebendas. S. 400, 22 zu der Stelle: darunmu
nicht werdich, dat one noch fine felfchop water, vur, noch erde eddtr
lucht liden fchoMe, lesen wir die Randnote von einer Hand des 16. Jahr-
hunderts: tvater, ruir und lecht wert den entlopenen vorreders vorfecht.
wo freilich das vierte Element als Licht misverstanden ist, aber er-
wünschtes Zeugnis für die damals in Braunschweig gebräuchliche
Nebenform lucht = lecht abgelegt wird. De feal glieven rer pund to
lachte heisst es im Bürgerbuch von Stadt hagen, herausgegeben von
Ermisch, § 24 (auch von G. v. Buchwald herausgegeben in der Zeiteehr.
101
für Schleswig-Holstein-Lauenb. Gesch. X, 126). Während im Hanse-
recess vom 18. Juni 1364 die Ledraborger Handschrift (Hanserecesse
herausgegeben von Koppmann I, S. 287) warende tvente lichtmiffen hat,
schreibt die Kopenhagener Abschrift (Sartorius, Urkundl. Gesch. des
Ursprungs der Hanse, II, S. 551) luchtmiffen. Dem as. liohtfat, mhd.
Ucchtvaz, entspricht das mndd. lachtevat, md. luchtevaz,. Das mndd.
htchterböm wird kein Leuchter-, sondern kann nur ein Lichterbaum
sein, was die Braunschweigische Nebenform luchtebom bestätigt. Im
Braunschweigischen Dialekte bestehen auch noch beide Formen neben
neben einander. In der Zeitschrift „Muddersprake", herausgegeben
von Th. Reiche in Braunschweig, steht htcht z. B. II, 47. IV, 49 und •
zwar für Sonnenlicht, Helle; dagegen licht II, 1, PI. lichter für Kerze,
Kerzenlicht. Die Form lucht hat sich auch in anderen Mundarten
neben lecht oder licht bis heute erhalten, wie das Brem. Niedersächs.
Wb. III, 30, Schambach im Wb. von Göttingen u. Grubenhagen, Woeste
im Westfäl., ten Doornkaat Koolman im Ostfries. Wb. und Bierwirth,
Die Vocale der Mundart von Meinersen § 214 bezeugen. Im Ham-
burgischen (Richey's Idioticon Hamb.) und Holsteinischen (Schütze's
Holst. Idiot. III, 32) hat man auch ein Adjectiv lacht in gewissen Aus-
drücken bewahrt, wie denn gleichfalls in nndl. Mundarten (nach van
Dale, Nieuw Woordenboek der Nederlandsche Taal) lucht statt licht
(hell) gesagt wird.
Opperfcop 20 ist bereits von Lübben im Supplement des Mndd.
Wb. einmal belegt. Das Bremische Wb. VI, 219 -weist offerschap aus
einer Urkunde von Bederkesa (im Herzogthum Bremen) nach und er-
klärt es wohl richtig als Präbende, nemlich des das Messamt verwal-
tenden Priesters. Das pp in opper (Opfer) ist dem Ober-Engerschen
und dem Ostfälischen Dialekte eigen statt des von den übrigen Mund-
arten bevorzugten off er. Das Wort opperland 18, d. h. das Land dessen
Ertrag eben zur opperfcop dient, scheint bisher noch nicht nachgewieen
zu sein. — Crichcme (bellicosus, pertinax) 62 ist bereits im Mndd. Wb.
und von Strauch im Glossar zur Sächsischen Weltchronik (herausgeg.
von Weiland) verzeichnet. Es gehört nach seiner Bildung zu den im
Ndd. beliebten Adjectiven auf -erne. Da ich beabsichtige, diese Wort-
bildungen einmal im Zusammenhange zu behandeln, gehe ich hier
nicht weiter darauf ein.
De riddere bat, he listekede unde drowede 58. Das Verb listeken
kann etwa * Listen anwenden' bedeuten und vom Substantiv list ab-
geleitet sein. Das Ndd. ist bekanntlich reich an solchen Verben mit
A-Ableitung, die theils aus Verben, theils aus Adjectiven, theils aus
Substantiven gebildet werden und gemeiniglich den Begriff des all-
mählichen oder theilweisen oder kleinlichen Thuns oder Werdens
haben. Besser als listekede würde ein lisek-ede passen 'er bat, er
schmeichelte und drohte'; vgl. d. Brem. Wb. unter lieskcn, für welches
Wort mit derselben Bedeutung „freundlich thun, liebkosen" im Münster;
land nach Jostes (zu Johannes Veghe 43, 26: leisich ' freundlich, schmeich-
lerisch') lesken gesagt wird. Erwägt man, dass die Wörter „leise, das
Geleise" und gotisches laisjan 'lehren' zu einer Wurzel lis zu gehören
102
scheinen, ans welcher auch „der Leisten, leisten, die List und die
Leiste (aus älterem liste)" abgeleitet werden (vgl A. Fick, Vergleichen-
des Wb. der Indogermanischen Sprachen; F. Kluge, Etymologisches
Wb.; J. Franck, Etymologisch Woordenboek; M. Heyne im Grimmschen
Wb.), so erscheint es möglich, dass auch ein dahin gehöriges listeken
(oder Mftekent) nicht von list (astutia) zu stammen braucht und viel-
leicht dieselbe Bedeutung wie lisken und lesken gehabt hat — Auf
den Befehl des Ritters, den Pfaffen auf das Wasser zu werfen, nahmen
die Knechte diesen bei seinen Händen und Füssen unde stieyden (64)
ene boven dher erde, als ob sie ihn aufs Wasser werfen wollten. Dies
1 Zeitwort kann dem Zusammenhange nach nur „schwenken" bedeuten,
wie es von Professor Hänselmann übersetzt ist. Derselbe hat anfäng-
lich geschwankt, ob sneyden oder ob sueyden zu lesen sei, aber sich
schliesslich nach genauerer Prüfung für die letztere Lesung entschieden;
und diese ist es, für welche auch philologische Gründe überwiegen.
Denn weder zu got. snivan, noch zu anord. fnüaf noch zu ags. fneoran.
fnovan, noch zu ahd. sniwan lässt sich ein sneyen lautlich steilen,
wenngleich die Bedeutung sich aus dem anord. snüa sehr wohl ent-
wickeln Hesse. Dagegen stimmen zu sueyen völlig in Form und Be-
deutung das nndd. swaien, sivaijen, swajen, sweien, das nndl. zxcaaien*
das engl, sivay. Es ist höchst interessant, dass wir das älteste Zeug-
niss für dies in der heutigen Nautik technische Wort einer binnen-
ländischen Urkunde verdanken. — Der zweite Ritter droht dem an-
deren Priester, er wolle ihn, wenn er nicht schwiege, in finen hals
flan 116. Das kann sowohl heissen „an seinen Hals", als auch ..auf
den Mund". Nach dem Zusammenhang ist wohl die letztere Bedeutung
anzunehmen. Der Priester antwortet: wenn er das thäte, so wolle er
ihn wieder rücken in fine thenen, dass nie ein Ritter von einem Pfaffen
also vlickeret worde 117 ff. Man könnte vergleichen mndd. vlecken,
nndd. flicken (s. Brem. Wb.), dän. flcekke, schwed. fläkka 'zerreissen,
zerschneiden, zerbrechen, spalten'. Dies Wort wird aber nicht das-
selbe sein mit dem vlicken der Urkunde: der Vocal scheint auf ur-
sprüngliches a zurückzuweisen; auch stimmt die Construction „etwas
vlecken" nicht zu Jemand (in seine Zähne) vlicken". Vlicken muss
„schlagen" bedeuten und mit „Fleck, flecken, flicken" zusammenhängen.
Mndd., mhd. und besonders md. vice, vlecke bedeuten ausser „Stück.
Lappen, Schmutz- oder Schandflecken" auch „Schlag, Hieb", und vlecken
„schlagen". Nndd. heisst enen flicken yeven „einen Schlag, eine Ohr-
feige etc. versetzen", und nach dem Grimmschen Deutschen und
Schmeller's Bayerischem Wb. ist ein kind auf den hintern flicken soviel
als ihm „die Ruthe geben". Bedeutet vlicken also „schlagen, hauend
was denn vlickeren? Vielleicht ist es Intensiv oder Frequentativ von
vlicken, etwa wie hd. schütteln, fchüttern zu schütten, löchern zu locJum,
oder es mag in ihm eine gleichfalls aus* vice entwickelte Bedeutung
„bunt machen, sprenkeln" (die Folge des „Flickens" der menschlichen
Haut) liegen, wofür das Englische beides fleck und flecker gebraucht.
Dreimal tritt in unserer Urkunde eine Partikel auf, welche nur
auf gewisse Dialekte und auf eine bestimmte Zeit beschränkt gewesen
108
zu sein scheint: bent 'bis'. Alfo langhe bent mi min fmdheyt werde
ghewroken 71; alfo lange bent he dhat weder dede 98; alfo langhe
bent dJie dre jar umnie quemen 100; wahrscheinlich dürfen wir in
diesen Stellen die frühesten Zeugnisse für diese Partikel erblicken.
Die übrigen mir bekannt gewordenen Belege (vergl. das Mndd. Wb.)
sind folgende: im Hoyer Urkundenbuch herausgegeben von v. Hoden-
berg alfo langhe bent, a. 1338, I No. 88 S. 59 und 62; bent alfo langhe
dat, in derselben Urkunde S. 60 (daneben van nu bette tho dem negheften
jnnkeften S. 60, bet alfo langhe dat S. 61);* alfo langhe bent, a. 1343, I
Nr. 108 S. 73; ferner in den praepositionellen Ausdrücken: bente in
deffe tyd, a. 1358, I Nr. 166 S. 110; bente tho dem neghesten daghe, a.
1362, I Nr. 184 S. 122; bente an doffen dach, a. 1398, I Nr. 337 S.207.
Ferner im Codex diplom. Benthem. herausgegeben von Jung: benth alfo
langhe dat, a. 1372, Nr. 100 S. 205. Dann in den Goslarer Statuten
des 14. Jahrhunderts herausgegeben von Göschen: bente uppe de tyd
dat, 24, 21. Endlich soll nach Strodtmann, Idioticon Osnabrugense,
S. 24 bent für „bis, so lange" in mittelalterlichen Osnabrticker Urkunden
vorkommen. Mir sind nur wenige Urkundenbücher zugänglich, auch
mag in den ausgezogenen mir ein oder mehr Beispiele entgangen sein.
Doch genügen schon die hier mitgetheilten zwölf zu einer Behandlung
des Wortes. Dasselbe erscheint theils als Conjunction (zweimal mit
dat, weil alfo langhe nach bent steht, statt wie sonst vorher) und in
allen Fällen mit folgendem Conjunctiv; theils und dann in der Form
bente adverbiel in praepositionellen Verbindungen vor in, to, an, uppe.
Die Zeit seines Vorkommens ist das 14. Jahrhundert, das Gebiet be-
greift Braunschweig, Goslar, Osnabrück, Hoya, Bentheim. Dass es das
gotische, nur Philemon 22 begegnende bijands (aya, zugleich aber auch)
sei, welches J. Grimm, Gramm. III, 127 und Uppström als Particip
eines unbelegbaren Verbums bijan fassen (nach Grimm: praeterire,
transire, progredi, also adverbialisch pariter, ulterius, praeterea; nach
Uppström: addere), das ist nicht wohl anzunehmen. Dass es für die
gleichbedeutigen bette, hente oder wente verlesen sei, ist durchaus un-
glaublich, da das bente und bent von mehreren bewährten Diploma-
tikern constatiert ist. So bleibt nichts übrig, als diese Partikel ebenso
zu erklären, wie die ähnlichen bet(te), Jient(e), tot(e), njhd. biz oder
bitze, hinze, unze, zuoze, nemlich aus Zusammensetzung. In dem b
steckt die Praeposition bi; -ent kann* auf die Praepositionen ant oder
and und unt oder und zurückgeführt werden, die beide im Asächs.
„bis" bedeuten. Sie kommen im Heliand mit nachfolgendem that als
Conjunctionen vor: „bis dass"; und die im 9. Jahrhundert bereits
meistens vollzogene Verschmelzung zu anthat, antat und untliat, untat
hat später zu der einsilbigen Form sich verkürzt. So versteht man,
dass bent ohne dat erscheint. Die Formel bent alfo langhe dat beruht
schon auf Erstarrung, man war sich des Ursprungs von bent aus einer
Composition mit that nicht mehr recht bewusst. Aus einer gleichen
Entartung kann die Bildung von bente erklärt werden, welche Prae-
position erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aufzukommen
scheint und in welcher die Endung aus der Praeposition te 'zu' stammt.
104
Wahrscheinlicher ist aber, dass nur der Zufall uns frühere Beispiele
der Praeposition bente vorenthalten hat und dass dieselbe nicht aus
biantat te, respective biuntat te, sondern aus bi ant te, respective bi
ant te entstanden ist. Es fragt sich, für welche der beiden Prae-
positionen ant oder ant die grössere Wahrscheinlichkeit spricht. Ich
glaube, für ant Aus biantat, biant te konnte nach den mndcL Laut-
gesetzen bentt, bente und dann bent, bente werden; biuntat, biunt te
würden wohl büntt, bunte und dann bunt, bunte oder bunt, bunte er-
geben haben. Ob man zur Zeit unserer Urkunde übrigens bent(e) oder
bent(e) sprach, ist aus derselben nicht zu ersehen, da sie lange und
kurze Vocale nicht unterscheidet.
Bemerkenswerth ist die Sonderung von dorch 52 als Präposition
und dor 63 als Adverb.
In der obigen Darlegung der Spracheigentümlichkeiten unserer
Urkunde habe ich bereits mehrmals auf die Unwahrscheinlichkeit hin-
gewiesen, dass sie wirklich dem Jahre 1248, wie sie vorgiebt, angehöre.
Meine Gründe waren allerdings nur aus dem im allgemeinen gleich-
massig verlaufenden Entwicklungsgänge der Sprache entnommen.
Im einzelnen weist dieser aber viele Mannigfaltigkeiten und grosse
Unregelmässigkeiten auf. Der eine Dialekt, ja der einzelne Schrift-
steller ist sehr conservativ, während ein anderer gleichzeitig mit der
alten Sprechweise völlig gebrochen hat, ein dritter beständig schwankt.
Diese Mundart, zeigt auf einem Lautgebiet alterthümliches Gepräge,
auf einem andern ein ganz modernes Gesicht. Umgekehrt ist jene
grade dort fortgeschritten und andererseits hier beharrlich. Die in
oder gar vor die Mitte des 13. Jahrhunderts fallende Gothaer Hand-
schrift der Sächsischen Weltchronik kennt z. B. kein altes th oder dh
mehr, während nördliche Sprachdenkmäler diesen Laut bis ins 14. Jahr-
hundert hinein noch kundgeben. Aehnlich steht es um das alte g und
das jüngere gh. Da kann zu. einer annähernd richtigen Zeitbestimmung
eines Sprachdenkmals allein eine vergleichende Betrachtung inner-
halb der vier Pfähle einer Mundart helfen. In unserem Falle, für
Braunschweig, liegt eine solche Aufgabe dem Untersucher günstig, da
wir aus dem 13. und dem Anfang des 14. Jahrhunderte eine Anzahl
genau datierter oder doch ziemlich genau bestimmbarer Sprachquellen
besitzen. Die von Weiland gewiss mit Recht um ungefähr 1300 ge-
setzte Handschrift der Braunschweigischen Reimchronik Hesse sich
trotz ihrer mitteldeutschen Sprache sehr gut zu einem Vergleich mit
der Wedemer Urkunde heranziehen; doch verzichte ich darauf theils
eben um ihres mischsprachlichen Charakters willen, theils weil es mir
augenblicklich an der Zeit mangelt, diese umfangreiche Chronik nach
Gebühr zu verwerthen. Ich beschränke mich auf zwei Fassungen des
Braunschweigischen Stadtrechtes, welche Hänselmann im ersten Bande
des Urkundenbuches der Stadt Braunschweig, 1872, No. VI S. 10 ff. und
Nr. XVI S. 21 ff. veröffentlicht hat, jene vom 10. Öctober 1265 datiert,
diese ohne Zweifel (s. a. a. 0.) aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahr-
hunderts; und auch bei diesem Vergleich werde ich bloss wenige ent-
scheidende Eigentümlichkeiten der Sprache und Orthographie aus-
105
wählen, da diese vollständig genügen, den vom Herausgeber der
Wedemer Urkunde aus anderen Gründen gefundenen jüngeren Ursprung
derselben zu bestätigen. Ich bezeichne das Stadtrecht von 12(55 mit
A, die jüngere Redaction mit B, die Wedemer Urkunde mit W.
A kennt kein y für *'; dagegen hat B yene § 6. 62, durchweg ey
für ei und ein paar Mal y für i: gylde 68, yfercn 61, tyden 59, dryes
58, ticye 18.
In A heisst das Personal- und das Possessivpronomen der ersten
Person Pluralig uns und unfe; in B herrscht das in Braunschweigischen
Schriften des folgenden Mittelalters durchstehende us und ufe.
A gebraucht die Negationspartikel in der ursprünglicheren Form
ne; B verwendet neben ne, z. B. 24. 39. 50, bereits oft m, z. B. 19.
24. 39. 50. 62.
Während A noch kein misbräuchliches th für t im Anlaut und
Inlaut setzt, sondern nur wenige im Auslaut, wie tuth (trahit) 24, ith
(id) 59, rth (ex) 23. 29. 33. 46. 50. 56 und perith (equus) 23. 24. 25
(flectiert perides 24, in W perde 33. 42), erscheint alte Dentalaspirata
als dh in A noch oft, zunächst sehr häufig für den Artikel, ferner an-
lautend: dhing (jus) 12. 38 (neben ding 12. 63), dkuve (furtum) 28, ver-
dhuvet 53. 61, dhenen (servire) 39. 45, dheniftman 17. 18, dhor (per) 47,
Mit (hoc) 66; auslautend: fenedh (synodus) 19; inlautend: edhe (jure-
jurando) 2, lemedhe (mutilatio) 6, vredhe (pax) 8. 64, rromedhe (alienus)
15, wicbildhe 23 (belede 15, bilde 16), dodhe (morti) 33. 35. nedher
(deorsum) 47 (neben neder), benedfwn (subter) 48. Ein abusives dh
habe ich nur in tidlien (temporibus) 66 bemerkt. — Hingegen zeigt B
schon thid (tempus) 13. 19, notthoch (stuprum) 64, und andererseits dh
nur in dhe 37, dliat 2. 4, edh 12, edhe 2, dodiie 31 (dode 33).
Während gh in A ziemlich selten auftritt, im Anlaute nur einmal
in gheven 16 und elfmal in dem Praefix ghe, inlautend ca. zwanzigmal,
ist in B gh ganz gewöhnlich, aber doch nicht ganz so sehr, wie in W.
In A wie in B steht sc im Anlaute fest. Im Inlaut und Auslaut
hat A biscop 39, kusclike (caste) 35, aber twifchen 56 und hamafch
43, während B nur seit: minfehe 39, twifclien 55, kuschlike 33 und
harne fch 49.
Während in B, wie in der Wedemer Urkunde und im späteren
Gemeinndd. das Verb 'debere' feal, fcolen lautet, zieht A das aus der
Poesie stammende fal, folen vor: auf ungefähr fünfzig Formen mit s
kommen bloss ein scal 32 und ein fcolen 54.
Das k ist in beiden Stadtrechten fester, als in der Urkunde. In-
lautend wird es nicht durch ch ersetzt; in A heisst es zwar zehnmal
swclich (quieunque) neben achtundzwanzig fwelic, aber flectiert be-
ständig fwelikes oder fivclekes etc. In B lautet auch die unflectierte
Form auf k aus, meist swelk neben einigen swelik. Oc (etiam) A 52,
B 22. 52 gegen och von W. Jedoch, wie in W: pich A 3. 9. 14. 27. 28.
55. 64, während B nur fik kennt; bemerkenswerth ist, dass nicht bloss
in B 26. 63, sondern auch schon in A 14. 28. 64 [ich oder fik für den
Dativ gebraucht wird. Umgekehrt schreibt A Jiruneswic, B Bruneswich.
106
A hat noch vrnbe (circa) 19 neben vmtne 15. 24; B nur vmme 13.
22. 45 nnd bekumeret (statt bekümmeret, aus älterem bekumberet Aim-
peditus') 66.
In A ist solt (salsus) 56 einziges Beispiel vom Uebergange des
alt und ald in olt und old\ sonst stets a in den betreffenden Wörtern.
B hat holden, gheivalt, falt und Iwlden, fakeivölde (oft) neben einander.
A giebt ipse durch felue 1, im übrigen stets durch filue; dagegen
B, wie W, beständig durch fulue.
In B und der Urkunde herrscht bereits die mittelniederdeutsche
Lautregel: kurz i und kurz u dürfen nicht in offener Silbe stehen,
sondern werden mit e und o vertauscht. Dagegen weist A neben
mede 16 (auch W 121 mede) noch tnide 21. 27. 41. 43 auf. Vom ge-
schlechtigen persönlichen Pronomen hat A den Dativ imc 5 sonst
zwanzigmal eme\ umgekehrt ere nur 14. 38, anders stets ire; aber
keinen Accusativ ine, sondern nur ene. Wider (rursus) begegnet 53.
weder ist schon die gebräuchliche Form.
Aliquis heisst in A man, doch auch schon tuen z. B. 19. 31, welche
Form in B herrscht mit einiger Einschränkung durch die noch ab-
geschliffenere Form nie. W hat men 122.
Von den Zahlwörtern führe ich an, dass die erste Cardinalzahl in
A regelmässig en lautet, flectiert und unflectiert, sogar Dativ eme (statt
enenie) 58; zweimaliges ein 11. 22 ist eine verschwindend kleine
Zahl gegen die Fülle der Beispiele mit e, wie denn überhaupt altes
ai in A als e erscheint. Was die Behandlung des ai im allgemeinen
betrifft, so stimmt B fast ganz zu A und Ausnahmen, wie gemeyne 65
und reyde 50, sind äusserst selten; aber dies gilt nicht für das Zahl-
wort oder den unbestimmten Artikel: nicht bloss eyn, sondern auch
eyne, eynes u. s. f. stehen in B häufig neben den alten Formen mit e.
Von der Zahl „zwei" bietet A nur ein Beispiel für das Masculin:
twene (nemlich dele) 4; es geht freilich dat dridde* del vorher, aber
aus dem Accus, den dritden del 61 ersieht man, dass das Substantiv
del sowohl als Msc. wie als Ntr. gebraucht ward, also darf ttcene als
Msc. verstanden werden und die alte Motionsregel besteht für A noch
zu Recht, B hat dhe twene del und twey del 37 neben einander, wo-
bei die jüngere Form twey (statt tivc) des Neutrums zu bemerken ist.
Bei „drei" scheidet A noch dre fpeleman 20 und drv fcerf 24; B hat
schon dre fcerf 22. — Während A noch twelef 10. 20 schreibt, bedient
sich B, wie W, bereits der contrahierten Form tivelf
Aus dieser Vergleichung geht hervor, dass die Sprache unserer
Urkunde jünger ist als A und älter als B, dass sie aber der Sprache
von B viel näher steht, als der von A, so dass auch hierdurch die
vom Herausgeber aus palaeographischen Gründen geschlossene Datie-
rung als richtig erwiesen wird.
Hamburg. C. Walther.
107
In Drunten varen, na Drunten gliden.
Das ungefähr um 1500 von einem unbekannten Braunschweiger ■)
verfasste gnomische Gedicht de Koker (herausgegeben von Hackmann,
Reineke de Vos, mit dem Koker. Wulffenbtittel 1711) kleidet eine
seiner aus Lebenserfahrung und Weltbeobachtung abstrahierten Sen-
tenzen in folgendes Distichon (S. 344 Z. 1238 f.):
We van beere halven fert in Drunten,
de knmpt in drunkenboldes fchoet.
Eine ähnliche Redensart bietet der Braunschweiger Reimar Gro-
ningen, welcher die durch Ludeke Holland seit 1488 in der Vaterstadt
erregten Unruhen in einem längeren Gedichte, Bat Schicht fpeel to
Brunswick, nach eigener Anschauung schildert (herausg. von L. Hänsel-
mann in den Chroniken der Deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahr-
hundert, Bd. XVI = Chroniken von Braunschweig, Bd. II, Leipzig 1880),
in dem seiner Dichtung angehängten Almanach 1491. Er zählt hier
die bestraften Aufruhrer auf und zwar in vier Classen, erstens die-
jenigen, welche auf verschieden bemessene Entfernung von der Stadt
verbannt wurden, zweitens die welche sich selbst durch Entweichung
straften, drittens die welche der Rath in der Stadt nicht leiden wollte
und endlich solche welche auf kürzere oder längere Zeit inleger d. h.
Hausarrest erhielten. Jeder Abtheilung werden einige Verse theils zur
Beschreibung der Strafe, theils mit nicht gerade bösartigem Hohn gewid-
met. Der Missethäter der dritten Art sind nur zwei: Hinrick Borchholte
und Otto fyn broder. Sie gehörten gleichfalls wie die zweite Classe zu den
Geflüchteten, standen aber in einem anderen Verhältnisse zum Rathe. Ihr
Vater Eier hatte 1446 wegen seiner Betheiligung am damaligen Aufstande
die Stadt auf 10 Meilen verschwören müssen. Mit ihm waren auch
die Söhne verwiesen worden. Deshalb hatten diese eine Fehde gegen
Braunschweig angefangen, waren aber durch den Markgrafen von
Brandenburg mit dem Rathe ausgesöhnt worden, so dass ihnen an-
fänglich je dreitägiger Aufenthalt in der Stadt, dann durch Vermitte-
lung ihrer Verwandten völlige Aufnahme gewährt worden war. 1491
fällte der Rath das Urtheil, er wollte ihrer entbehren, unde fo me de
luibben kan, fo fchullen fe de [tat vorfweren up 20 mile weges; siehe
a. a. 0. S. 266 und 230. 348. 387. 507. 511. Von diesen beiden Brüdern
sagt nun Groningen (S. 257):
Dufle wil de Radt in der Itadt nicht lyden:
dat maket, fe wilt na Drunten glyden.
hyrnmme moghen fe fik ummefeyn,
dat fe eynen anderen wech to wonen teyn.
Im Text steht drunten, nach S. 580, 663 u. 669 ist aber Drunten
zu lesen. Hänselmann, der eine sprichwörtliche Redensart vermuthet,
fasst Drunten als Ortsnamen: Drontheim. Zu derselben Ansicht bin ich
früher, ehe ich das Schichtspeel kannte, betreffs der Stelle im Koker
') Vielleicht Herman Bote, der Autor des Schichtboicks?
108
gekommen, und ich halte diese Auffassung noch jetzt fttr die allein
mögliche. Eigentümlich ist, dass diese offenbar identischen Redens-
arten nur aus Braunschweig bezeugt sind. Man möchte darum auf
einen Ort in der Nähe dieser Stadt rathen. Aber weder dort, noch
überhaupt in Deutschland lässt sich ein Ort dieses Namens nachweisen.
Die einzige Stadt, welche in Betracht kommen kann, ist die norwe-
gische Königs- und Erzbischofsstadt Throndhjem. Ihr deutscher Name1)
lautet in der älteren Zeit Dritntheym (Hanserecesse herausgegeben von
K. Koppmann III S. 295 a. 1372 und Lübecker Urkundenbuch heraus-
gegeben von C. Wehrmann IV S. 771 a. 1398) oder Drunthem (Hanse-
recesse herausgegeben von 6. v. d. Kopp IV S. 258 a. 1455 und Hanse-
recesse herausgegeben von D. Schäfer I S. 348 a. 1483). Aber schon
früh ward nach niederdeutschem Lautgesetze das anlautende h des
zweiten Wortes der Composition elidiert und erst Druntem (Drüntenu
Hanserecesse von Schäfer I S. 133, 11 a. 1479), dann gewöhnlich Drun-
ten gesagt (z. B. schon in den Lübecker Chroniken herausgegeben von
F. H. Grautoff II 121 a. 1449; andere Beispiele s. im Mnd. Wb.).
Es wird schwerlich anzunehmen sein, dass die Stadt Throndhjem
zu dieser Redensart durch irgend eine Eigentümlichkeit oder eine
Begebenheit, in der sie eine Rolle spielte, Anlass gegeben habe.
Wenn das der Fall gewesen wäre, so würde es sehr befremden müssen,
dass der Ausdruck nicht anderswo in Deutschland, als in einer Binnen-
stadt, und vor allem, dass er sich nicht in Skandinavien nachweisen
lässt. Es kann hier nur ein Wortspiel zu Gründe liegen, für welches
man den auch in den binnenländischen Hansestädten wohlbekannten
Namen der norwegischen Stadt verwendete. Es muss sich also darum
handeln, das ndd. Wort zu ermitteln, an dessen Stelle der mittelalter-
liche Witz den Stadtnamen gesetzt hat.
Im ganzen niederdeutschen Sprachschatze giebt es nur ein Wort-),
das in Betracht kommen kann: das starke Zeitwort drinten, ags. und.
unbelegt, as. thr intern, 'schwellen, tumere, turgere', von dem das Par-
tieip der Vergangenheit gedrunien oder drunten lautet und in den
mittelalterlichen Glossaren mit 'tumidus, turgidus' übersetzt wird. Für
die Erklärung der Stelle des Kokers reicht dieses Wort und seine
Bedeutung vollständig aus. Der Sinn der Verse ist dann: Wer um
des Bieres willen, d. h. bloss des Trinkgenusses halber, sich dick und
voll säuft, der wird bald ein Trunkenbold. Schwieriger steht es um
die Anwendung der Redeweise auf einen concreten Fall durch Gro-
ningen. Die Worte dat maket, fe teilt na Drunten gliden geben die
Ursache für den Beschluss des Rathes an, wenngleich das Praesens
ivüt (statt ivolden) verleiten könnte, darin eine Wirkung des Beschlusses
zu sehen. Aber dass von dem Wollen oder der Absicht der beiden
Meuterer gesprochen wird und dass die Folgen ihrer Verweisung erst
l) Anord. Thrdndhcimr; Adam v. Bremen IV, 32 latinisiert Trondemnis ; asächs
ist wohl Throndhem anzusetzen.
*) Das dänische drunte, drynte oder drönte^ das nndl. drentelen, der Vogel-
name Dronte u. a. scheinen mir nichts ftir den in Rede stehenden Ausdruck zu
ergeben.
109
in den folgenden Versen berührt werden, zeugt deutlieh dafür, dass
jene Worte zu verstehen sind: „der Grund, weshalb man sie nicht in
der Stadt dulden will, ist, weil sie nach Drunten gleiten wollen". Um
die Redensart hier zu erklären, sind wir auf die Nachrichten an-
gewiesen, welche das Schichtspiel und das Schichtbuch im zweiten
Bande der Braunschweiger Chroniken von den beiden Brüdern geben.
Dieselben bieten aber nichts dar, was ihnen beiden im Gegensatz zu
anderen Mitschuldigen eigentümlich gewesen wäre; man sehe die
Belege S. 126. 134 151. 162. 266. Den einzigen Anhalt haben wir in
ihrer ganz besonderen Stellung, dass sie trotz einstiger Begnadigung
doch wieder Aufruhr gestiftet hatten, wie Herman Bote im Schicht-
buche sagt (S. 387): int erfte mofte H. B. unde 0. fin broder uth der
ftad, na inholde eynes breves, den fe in vortiden vorteilt hadden, do
or vader de ftad vorfwor. Wie soll aber darauf jenes drunten passen?
Drinten hat an allen Stellen (es sind bis jetzt zehn nachweisbar),
wo es von Schriftstellern gebraucht wird, stets die sinnliche Bedeutung
des Schwellens, Anschwellens. Wenn man dem Particip oder besser
einem unbelegten vordrunten aber ausserdem eine übertragene, geistige
zusprechen dürfte, was mir gar nicht unwahrscheinlich dünkt, da
solche Begriffsentwickelung für die gleichbedeutigen rorbolgen und
npgeblafen, wie auch für das lat. tumidus vorliegt, dann liesse sich
der Ausdruck wohl verstehen: na Drunten gliden würde dann eine
Umschreibung für vordrunten werden, im Sinne von: sich verstocken,
trotzig oder halsstarrig werden, sein. So liesse sich auch vielleicht
sowohl das Praesens fe teilt wie die Wahl des Ausdruckes gliden
rechtfertigen.
Hamburg. C. Walther.
Joh. Leonh. Frisch
als Sammler märkischer Idiotismen.
Johann Leonhard Frisch, der bekannte Rector des Berlinischen
Gymnasiums zum grauen Kloster und Verfasser des 1741 erschienenen
deutsch -lateinischen Wörterbuches, hat sich auch mit dem Plane zu
einem Glossarium Marchicum getragen. Am 9. November 1709 schrieb
er an Leibniz: „Mein Glossarium Marchicum vermehrt sich auch
immerzu, da dann freylich viel vom plattdeutschen überhaupt mit ein-
läufft, aber auch einige Wörter bleiben, die sonst kein Niederdeutscher
versteht." Im nächsten Briefe (30. Januar 1710) kommt er mit folgen-
den Bemerkungen auf denselben Gegenstand zurück: „Unter den vo-
eabulis marchicis, die andere nicht leicht verstehen, sind e. g. diese:
piras: lumbricus, hlitte: papilio, KuJische: ein gefeuchtet Brod in Bier,
Kum: ein Trog, Stamplum: Stopftrog, myran: formicae, Dez: caput
110
(testa Ital.), Dereze: Stube, Duks: das feinste Mehl, Kiez: eine Fischer-
hütte, Dulte: eine gepichte hölzerne Kanne, Koboldschiessen: culbute
GalL, Keck: der Halss oder das Dicke unter dem Kinn, Kolter: das
Plugeissen, so über der Schaar ist (culter) &c.
Bei dem Wort Keck erinnere ich mich eines discurses, den Chur-
fürst Friedr. Wilhelm mit einigen Pommern gehalten: da er unter
andern zu ihnen sagte, er könnte den dialectum der Pommern wohl
verstehen, brachte ihm einer von den Käthen diese Wort zur Probe
für: „Si, wu de Gäre sitt und besabbelt den Keck mit de Bullegraren",
welches der Churfürst nicht verstund; sie heissen so viel: rSiehe, wie
das kleine Mägdlein sizet und begeiffert den Bart oder das Unter-Kinn
mit Heydelbeeren". Es laufen freylieh einige Wörter mit in das
Niedersächsische, einige ins Pommerische, haben aber alle, soviel ich
gesamlet, etwas besonders wegen der Etymologie oder anderer Um-
stände". Leider hat Frisch seine Sammlung nicht veröffentlicht; auch
in dem Briefwechsel mit Leibniz, soweit er auf der Königlichen Biblio-
thek zu Hannover aufbewahrt wird, geschieht dieses Planes nicht
wieder Erwähnung.
Berlin. L. H. Fischek.
Eulenspiegels Grabstein.
Die Marburger Bibliothek besitzt unter No. 80 ihrer kleinen Hand-
schriftensammlung ein Heft, das die Aufschrift führt: 'Ephemerides
Joannis Liihodii Medicinae Doctoris in privates usus consignatus\
Verwendet ist dazu ausser Schreibpapier auch der leere Raum einer
Druckschrift des Jahres 1546. Was ich über den Urheber dieser Auf-
zeichnungen weiss, entnehme ich lediglich dem Büchelchen selbst.
Joh. Lithodius war 1510 zu Beausens in den Ardennen geboren, hatte
seine Schulbildung in Lüttich empfangen und demnächst in Köln.
später aber in Wittenberg unter Melanchthon studiert, wo er 1545
Magister artiuin wurde. 1546 erhielt er die Leitung der Lateinschule
zu Wesel, fand aber offenbar am Schuldienst wenig Geschmack, denn
er gab die Stelle bald auf und widmete sich in Paris und Bologna
medicinischen Studien. 1553 in Bologna zum Doctor promoviert kehrte
er nach Deutschland zurück und liess sich 1554 als Leibarzt des Her-
zogs von Berg in Düsseldorf nieder, wo er 1556 eine erste, 1560 eine
zweite Ehe einging. Die letzten datierten Nachrichten, welche der
bunte Inhalt des Heftes bietet, gehören dem Jahre 1564 an: in das
Jahrzehnt 1554 — 1564 also wird auch die nachfolgende Notiz fallen,
die auf der letzten Seite steht:
In civitate Midiem imperii Lubecensis miliaria 4 supra Lubecam
sepultus Vlenspeigell in a'miterio, a cuius sepulchro eleuatur scuruni
111
ad templi murum sepositum et obmunitur cancellis ligneis, quoniam
quilibet ab illo lapide ob Vlnspeigell memoriam auffere partem seilet.
Erat in Jwc lapide insmlpta eins imago cum restitu sttdti, et a la-
tere capitis Vula cum spemlo. Hec rerba ibi leguntur:
Anno 1350 ys dyssen steen opgehauen
vnd Tile Vlenspeigel vnder begrauen.
Die Nachricht fällt etwa ein Menschenalter vor der ersten authen-
tischen Beschreibung des Grabmals, welche Lappenberg, Ulenspiegel
S. 326 aus der Reisebeschreibung des Michael Heberer von Bretten
(1592) beibringt, und sie geht, mag sie immerhin von Lithodius irgend-
woher abgeschrieben sein, zweifellos auf den Bericht eines Augen-
zeugen zurück. Das erat insculpta gegenüber dem eleuatur — obmuni-
tur kann zumal in Verbindung mit der Angabe, dass der Grabstein
eines schützenden Stakets bedürfe, nur so gedeutet werden, dass das
Reliefbild damals schon nicht mehr erkennbar war. Nun wissen wir
aus dem Berichte Merians (1614), dass der Stein 'voriger Zeit renovirt'
war, und diese Erneuerung muss vor dem Besuche Heberers statt-
gefunden haben, der das Bild gesehen hat. Dazu stimmt es, dass die
jüngeren Berichte von Heberer ab die Grabschrift als sechszeilig an-
geben, während Lithodius ebenso wie der Schluss des Volksbuches,
aber unabhängig von ihm, nur eine zweizeilige Inschrift kennt. Jene
vier Zeilen, welche dem Wanderer ein 'Memento1 zurufen, sind offen-
bar bei der Erneuerung des Grabsteins zugefügt worden; diese Er-
neuerung fällt in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, und die Notiz
des Lithodius ist nächst dem Volksbuch die einzige, die uns eine Be-
schreibung des alten Denkmals gibt.
Marburg i. H. Edward Schröder.
Lübecker Schulvokabular vom Jahre 1511.
[Bl. 1] Vocabula pro iuuenibus multum necessaria. Et primo de celo
et ipsum respicientibus Incipiunt foeliciter.
[Auf einem Titelbilde darunter Lehrer mit der Ruthe. Zu seinen Füssen sitzen Knaben.]
[Bl. 2] Dens got — deitas godheit — celum de hemniel — angelus
eyn engel — archangelus eyn artzeengel — apostolus eyn apostel —
propheta eyn profete — martyrus ein merteler — confessor eyn bych-
tiger — septistellium dat souen sternte — aquilo nordentvint — auster
sudenwint.
De elementis. aereum luchtich — gipsum sparkalk — carbo eyn
kale — flamma de löchene — fuligo roeth — nebula de dedee — fulgur
blixem — terremotus ertbeuinge — gehenna eyn affgrundt — ros
doutve — tiria eyn yfsfagel — caligo dunkerheit — fons eyn bome
+*
112
effte fsot — spuma schume — procella cyn bulghe — ripa eyn över —
fundus eyn dupe — vadum eyn vorth — viale eyn stech — silex eyn
keserlink — cespes eyn fzode off torff — sulcus eyn vare — orbita
eyn tvagentrade — fouea eyn knie — antruin eyn gath — pratum eyn
wissche — dieta eyn dachreyfse — passus eyn strede.
[BL 3] De ecclesia. crisma de kresem — pathena ein pane efte
pate — lichimus ein dacht in der kerfsen — pulpitum eyn puhnt —
stallum eyn gJiestölte — armarium eyn gartvekamer — cripta eyn
klufft — refectorium eyn reyenter — antiphonarium eyn antifener —
Capsula eyn schap — supplicium eyn rochel — almucium eyn almnfse
sed potius eyn beffe — porticus eyn lyckhties — coclea eyn tvindel-
steen — nola eyn schelle — baptillus ein knepel — tumba eyn sack.
De diebus festis et ferialibus. feria 3: dinxste dach, 4: m/rf-
wcken, 6: vrygdach, 7: sonauent — parasceue de stylle vrygdach —
pasca paschen.
De homine. caput eyn höuet — testa capitis en bregenpanne —
cirrus eyn top — Vertex eyn schetel — [Bl. 4] auricularis ein oren-
lepel — nar eyn nefsehol — saliva de spyge vth dem munde — guttur
de strate des halfses — arterea ein halfsstrate effte ader — gibbus
eyn höuel — dextera de rechter handt — sinistra de luchter handt —
cerebrum dat bregen — ren de nere — urina pysse — stercus dreck —
ventositas vpblasinge — clunis arfsbille — feinur eyn huffte efte dye —
coxa eyn dee efte de brade an den bene — pedica eyn been — talus
ein enkel an den vote — ratio redelicheit — anima rationalis ein rede-
like sele — anima intellictiva ein vornufftige fsele.
De nomonibns habitnum. subduetura eyn voder — nodile ein
knophol — fiinbria ein soetn effte gere — ruga ein krökel efte runtzel
effte volde — femorale eyn nedderkleet — [BL 5] bracalium eyn len-
dener — liga eyn nadelreme — caliga eyn hofse — scaca eyn stclte —
sotular eyn steffeel eft botschoe — calopes ein pathyne — calodarius
eyn leefst — crepida eyn patyn — solocium eyn galotze — marsubium
eyn bygordel — fibula eyn vorfpan — spinter eyn knöpedenatel —
bursinus ein boefsem — guerra strydt effte oerloge — alapa eyn wangen-
stach — colaphus eyn halfsslach — vindieta eyn wrake — thorax eyn
plathe — hasta geleuinge — phalanga eyn slachbom — pectus calibium
ein steten borst — machina ein blide efte slinger — funda eyn
slenger — postela eyn hyndergerede — Phalere sunt ornamenta equo-
rum — strigilis — ein scrape vel roskam.
De domo et eius partibus. cenaculum ein moeshues ofte aueni
etlienhucs — promptuarium eyn fpyfsekamer — horreum cyn schüne —
limen eyn sul efte dorpel — fenestra ein vinster — caminus eyn seht»-
steen — pavimentum eyn deele efte astrack — estuarium eyn dorntze —
cloaca eyn hemelicheit — cloacarius eyn racker.
De ntensilibus domus. manu tergerium ein hantdwele — mappa
idem — crusibulus eyn kröfs — premappe eyn bylegge of vordtcele —
capisterium ein molde — pixis en busse efte schedel — cribnum eyn
fzetee — mantica eyn teaetsaeck — Scobs mal efte ein höuel Unde
113
Bilia scoba leuat scobs seobis aspera tollit — pala eyn schiffet — olla
eyn grapen — lebes eyn degel — longale ein lengehake am wagen —
tedale eyn brantyser — craticula eyn klein roster — cratis eyn roste —
flabellum eyn weygher — fuscina eyn krauwel — manubrium eyn
hecht — lamella eyn lemelen efte klinge — dica eyn kertiestock — do-
liuin eyn küven efte vath — biota eyn stände — tristiga eyn volgher —
[Bl. 7] fundibile eyn sclwpe effe seuppe — cupa eyn koepe — lagena
eyn lechslen effte vlesche — lectica eyn vmmeganck effte gardyn — lu-
eerna eyn lucerne efte lucht.
De animalibns quadrupedibus. equa eyn perdemoder — spado
eyn geholt pert efte rune — capra eyn geyte efte tzege — aries eyn
back efte ein steer — hedus ein Koken efte ein tzege — glis eyn
ratthe — cattus ein katte — murilegus eyn kather — catulus eyn wol-
pcn — beltrina eyn yagebracke — culper ein bracke — melampus eyn
rekel — molosus ideni talpa eyn wintworp edder ein mulworm —
dama ein hamster off das — porcella en geltken — aper eyn euer-
stvyn — linx eyn lintworm.
De animalibu8 yolatilibus. aquila ein arne efte addeler — he-
rodius ein valke efte blaiv voet — gripho eyn gryp — [Bl. 8] strutio
eyn strufs — ciconia eyn adeber effte en storck — ibis idem — vultur
eyn gyre — gras eyn kroen — cignus eyn sivoen — gallina eyn henne
pullus ein hoen — anser eyn gante — aneta eyn antvogel — colnmbus
eyn düverink — bubo eyn schüffoet — alanda eyn lewerck — passer
eyn lüninck — seger eyn tzyfzeken — carduellus ein stegelytzke —
cardnelis ein reetvincke — parix eyn niefze — corvus eyn rauen —
pica eyn heyster — pigardus ein trappegans — mergus eyn düker —
eristula ein radelwyge — pardix ein raphoen — ornix ein berchon of
f elthon — monedula eyn kauke — graculus eyn hcghw — turdula eyn
stare effte spreen — onocrotulus (proprie) ein roer domp — canapeus
ein yrfzke efte häne prinke (so!) — petriscus nettelkonink.
De vermibus volatibilibus et non volatibilibus. apes eyn
ymme — vespa ein wespe off hörnte — vesparium ein nest der hörn-
ten — brucus ein keuer sprenkel — locusta eyn howsprinkel — scha-
rabens eyn weuel — papilio ein bottervagel — cocodrillus eyn lint-
worm — formica eyn myr of empte — tinea eyn mutte — .sanguissuga
eyn egel of yle — eymex eyn wantlues — rana eyn pogghe — bufo
eyn padde — terma ein made — grillus eyn hermelken — [BL 9] lens
eyn nyth.
De aquis et yariis piseibus. esox eyn las efte salm — sobius
stint — foca eyn zeehunt efte lafs — saxatilis eyn steenbyter — rus-
cupa eyn buckinck — spirlingus eyn spirlinck — rubecula eyn rodoghe
truca vel tarta ein vorne — polttgrannin dat rögen vth dem vissche —
squama eyn vlome — fluvius eyn vleeth — procella eyn balge des w. —
lacus eyn puel of graue — portus eyn öuer — phaselus eyn kaen —
remus ein roder efte reem — hamus eyn angel ofte eyn haem.
De baliieo et ad id pertineiitibus. fleubotonium eyn laetyszer
ventosa eyn laetkop.
Nlederdeattobet Jmhrbuoh XVI. 8
114
De arboribus et fructibus earumdem. ramus telghe — prinm
eyn krekenboem — persicus eyn persike — cottanus eyn quedenboem —
buxus eyn bufsbom Vnde: Nee buxus crescit hoc buxum crescere
nescit. — [Bl. 10] juniperus eyn machandelenboem — cornus eyn trepken-
borm — cornum eyn wepe — terebintus ein terpentinboem effte werek-
boetn — populus: Vnde populus est arbor, populus collectio gentis —
taxus eyn hulfsboem — fusarius eyn spyllenmaker — abies eyn danne —
pinus eyn kyn efte peebam — acinus eyn druff kerne effte stenken.
De yariis herbis siluestribus et radieibus. Ylua schelp of lues —
beta vel bleta bethe — apium merke herba quedam efte epicJikrud et
hee herba prohibet ebrietatem — jusquianus byllensaet — anetum
dille — anisum anyfs — saluia saluye vnde: cur monitur homo cum
saluia crescit in orto — raphanus redick — merica heyde Unde versus:
Nunc volumus bibere qu. chara merica mouet se. — Cucurbita körbis —
vaccineum eyn heydelbere efte bikbere — piretrum bertram — verbena
yfseren hart krut — absinthium worniete — allium knolock — serpillum
beestloek — plantago weghebre blade — porculata bärget.
De frumenti8 et seminibus frumentorum» [Bl. 11] zizania
vnkruet efte radel — sinapis sennepkemet efte mostart — carum gar-
denköme.
De apoteca et einsdem speciebus. mirtus ein galganboem —
tina ringetkrud, so geheten — macia corporum ingeweide — tiriaca
driakel — eiminum peperkömen — hylla eyn methworst effte braetworst
Vnde: In nogtra villa tigno guspenditur hylla. — pastanda eyn pasteydf
— euneus eyn wegge Vnde: Ut ego didici euneus confractio ligni Est
euneus panis euneus collectio gentis. — semella eyn semel — nebnla
vngesüret dunnebroet Vnde: Nolo tuas nebelas quas tu nebulo nebulas.
laganum eyn wygelbroet — lac melick — vitellum vel -lufl eyn döder
van dem eye — serum waddeke efte Jwy — crema säen effte roem —
balducta waddeke — coagulum rentzel off laff — omasum kaldune efte
sulte — Vnde versus: Noscibur ad nasum mulier que vendit omasum.
Omentum sulte efte bücken tallich — [Bl. 12] offa eyn molye efte eyn
soppe — ein greue Et est quod remanet in patella de carnibus frixis.
-=- ouarium ein eyerflade — villum beese wyn Vnde: Qui mihi dat
villum mala passio torqueat illum — arista ein aer das koren mnt
wasset — escanea ein sdiode of pole — siliqua seyge — fex bermen
effte heffen — arundo rooth.
De foro et eidem adiacentibiis« vicus eyn Jdene strafe efte
gasse — theatrum dantzhues ofte speelhues — macellum eyn vleschhues
efte schrangen — mediastinus eyn kaeck — cippus eyn vangenstock —
priueta eyn hemelicheyt — instita eyn kraem effte ein windeldoek.
De nominttras propriis dinersorum locorum maforum et
earundem plebibus. Gallea vel Gallica wallant — Italia idem —
Gallicus ein wale — Italiens, italus idem — Almanicus ein düdesch
man Et d'z quasi alitus magno videlicet eibo. — Anglicus ein engelsck-
man — Suecia swedenlant — [BL 13] renisare in drn ryne varen —
115
Westualus ein westuelinck — Frisia vel frigia vrieslant — Vngarus
eyn vngersman.
De nominibus locorum minernm. spacium ein bleJc veldes —
villa eyn stad proprie, vt parisius. Vnde: Parisius locus egregius mala
gens bona villa. Nam duo postilla nummo venduntur in illa. — mo-
lucrum eyn mölenspeel.
[Bl. 14] De Tiris et mulieribns ipsosque cernentibus. stupa
hede — fusnm vel fusa eyn spylle — festuca scheue — adulla eyn
knotihe effte knoep van vlasse — colifolium eyn wockenblath — pepu-
lum eyn windet off wimpel — pupa einpuppe Vnde: pupas fer tecum
gi tu vis ludere mecum. — trocus eyn küsel — basa eyn kote — glo-
bus eyn bofselkloet
De nominibus offlciorum mechanicorum. calopifex eynpatine-
maker — loricator eyn platensleger effte harnischmaker — funifex eyn
reper — sartor eyn Schröder efle snyder — sartrix eyn schrödersclie —
moniea ein schuf kare — naufreda eyn schyproeff — obstetrix eyn ba&e-
möme — nutrix eyn amme — auceps eyn vinken venger — histrio
eyn lodderboue — leccator vel mimus idem.
De diuersis intrumentis mechanleorum et offtciorum. tere-
brarium ein groet neuigiver — pala eyn schuffei — vomcr eyn ploch-
yfser — creditor ein de to borge deit
De nominibus dignitatum et offtciorum spiritualium. offi-
cium eyn ambaeht — plebania eyn wedeme — vitricus eyn steefvader
— bagutta eyn bagyne — heremita eyn eenfsedeeler.
De nominibus dignitatum et offlciorum secularlum. dux eyn
hertich [Bl. 17] exactor eyn beschälter — bedellus eyn bödel efle scarp-
Hehler — exeoriator eyn viller effte racker.
De dinersls nominibus virtutum et offlciorum. apostata eyn
aftreder efle vorloper van guden werken — hereticus eyn ketter — augur
eyn wicker efle töverer — [Bl. 181 ipoerita eyn glyfsener — sensualitas
synnicheyt — humilitas othmodieneyt — faeundia sprelicheit.
De eonsanguinitate et afflnltate. consobrina eyn säster dochter
— matertera eyn medder — amita eyn wefseke — vitricus eyn steff-
vader — soera ein swegersche mynes wyues moder — matruales wefs-
ken kinder.
De etatibns [Bl. 19] De partibns diei et noctis, spacium tem-
porum vnderlaet — ver de niey — estas de sanier — mensis maentit
of maent de harde man, de hörninck, mertemaen, nieymacn, de brock-
maen, de hoymaen, de aivstinaen, de heruestniaen, de wynmaen, de
winterniaen, de cristmaen. — humidus vueht — sanguineus ein de warm
unde vueht is — colericus ein de warm vnde dröghe is — Flegmaticus
eyn de kolt vnde nath is — Melancolicus eyn de kolt vnde dröge is.
De quinque sensibns et eorum obiectis. tactus dat völent —
sonorosus ludbaer — echo ein wedderlut — pilosus row.
De donis super natural ibus et sacramentis. sinodus dat ßenth.
116
De quibusdam pestibus et defectlbus hominum. febris ilat
holde — calor hefte — catarrus de snöue — appoplexia de vollende
sähe — podagra de padagel of ram — freneticus dar de efte afsinnieh
— agon seeltoghen vel eyn kamp.
De diuersis nominibus adjectivis et quibusdam substantiriA.
[Bl. 20] discretus tuchtich — amabilis lefftallich — prodigus sert
mylde — bestialis vnuornufftich — rapax neemhaftich — venerabilis
erlick.
De nominibus adiectivis qualitatem impertantibus. qualitas
wodamcheit — tepidus wlaek eff'te law — lubricus slybberhafftich —
vancidus garsterich — pendulus kamich — misticus geisttick — pro-
teruus moetwülich effte weddersettich — intrepidus vnuoruerUck —
scurrilis böuich — titubanB stanterich — blesus lispich — distemperatus
vnuetdich — fessus mcede van gJtande — lassus möde van arbeyde —
[Bl. 21] laxus dorchgengich efte ontbunden.
De nominibus adiectivis quantitatem importantibns. quantitas
groetheyt
De monetis et ponderibus. pondus eyn börde — grossus eyn
grosse — stufferus eyn stäuer — solidus eyn schillinck — obulus eyn
scherff — quadrans ein hellinck — ferto eyn veerdinck.
De mineris et metallis. es ertz effte klockspyfse — ferrum
yfser.
De munitionibus. propugnaoulum eyn berghvrede — phalanga
ein slach boem — indago eyn hagen — obex eyn grindel effte reghel.
De numeris et rerum dimentione ant diuisione. numeruö par
ein eitental — sosse, souen, teynf einen, twelue, drutteyne, druttieh.
achtentich [Bl. 21 unten und 22] De numero suprasignato per litteras
hos considera versus, [etc.]
Impressum Lübeck p. Steffanü arndes. Anno 1511. 4°.
(Im Auszuge nach dem Exemplar auf der Kgl. Bibliothek in Kopenhagen.) ")
Segeberg. H. Jellinghaus.
Bemerkungen und Besserungen zum Sündenfall.
Auf meine Bemerkungen zum Sündenfall Jahrb. XIV, 148 ff. hat
Ed. Damkühler Jahrb. XIV, 79 ff. einen Aufsatz folgen lassen, in dem
er teilweise zu Ergebnissen gekommen ist, die von den meinigen aln
weichen. Nachdem ich inzwischen das Stück wiederholt eingehend
gelesen, konnte ich mich den Aufstellungen D. keineswegs überall
') Die Letter 8 des Originals ist im Abdruck durch ö wiedergegeben, ebenso
u durch ü.
117
anschliessen, und habe auch noch eine Anzahl von Stellen gefunden,
die der Erklärung oder Verbesserung bedürfen. Wer mit solcher Arbeit
vertraut ist, wird keinem derer, die sich bisher mit der Kritik und
Erklärung des Sündenfalls beschäftigt haben, daraus einen Vorwurf
machen und wissen, dass man dabei nur langsam und schrittweise
zum Ziele kommt Auch ich habe mich, nachdem der folgende Auf-
satz vor dem Drucke Herrn Dr. Chr. Walther zur Beurteilung vor-
gelegen hatte, zu einer gründlichen Durcharbeitung desselben veran-
lasst gesehen. Ich spreche demselben für seine Mühe hiermit meinen
besten Dank aus. Wo ich seinen Bemerkungen etwas wörtlich ent-
nommen habe, habe ich dies gewissenhaft angegeben, aber auch da,
wo ich ihnen nicht unbedingt beitreten konnte, bin ich durch sie
mehrfach auf das richtige geführt.
V. 28 f. sind zu interpungieren:
Mynsche, marke rechte
My armen knechte:
Van gode wart alle quat gewroken.
Walther bemerkt mit Recht, dass das Komma hinter rechte zu streichen ist. Ich
verweise auf R. Vos 2489 merket mi ' höret mir zu'. Ich war erst geneigt knechte
für Accus, zu halten, wie sich solche Formen mit angehängtem unorganischem e
in der heutigen Mundart finden, doch schliesse ich mich jetzt der Meinung Walthers
an, dass es hier wie 1418 Dativ ist.
47 gedxdd hebten kann nicht heissen: sich in g. fassen (s. d. Wb.),«doch ver-
mag ich eine genügende Erklärung nicht zu geben.
63 Da 2084 und 2112 meninge (:koninge) steht, so ist vermutlich auch hier
meninge : eininge zu lesen, so dass also der Strich über dem i ausgefallen wäre.
106 de gescapen sint nach orem beide
Eine Änderung des hdsl. vre, des gen. plur. des pron. pers., ist unnötig.
169 f. Damköhler bezweifelt (Jahrb. XV, 79) meine Erklärung dieser Stelle im
Jahrb. XIV, 168, weil dann die V. 165—170 nichts anderes besagen würden als die
V. 171—175. Dies kann aber nicht auffallen, da hier zwei Bibelstellen ähnlichen
Inhalts deutsch glossiert werden. Durch V. 165—171 Jes. 11, 2: Et requiescet super
cum Spiritus Domini: Spiritus sapientiae et inteUcctus, Spiritus consilii et fortidu-
dinis, spiritus scientiae et pietatis. Es ist demnach hinter V. 171 ein Punkt zu
setzen. Die V. 172—175 erklären dagegen die an die Spitze gesetzte Stelle des
Colosserbriefes U, 3 in quo sunt omnes. thesauri sapientiae et scientiae absconditi.1)
Doch wird dem Verse mit leichterer Änderung aufzuhelfen und zu schreiben sein:
Alle dinge teil ek wol ervaren (: sparen)
ervaren 'investigare, explorare' belegt das Mnd. Wb. I, 733 aus dem Voc. Engeln.
188 f. interpungiere ich:
Ok unbeariplik sint dine wort,
de van dy, herc, werden gehört:
Sunder dat wy hebben an dinen gnaden
Möge wy ut dynen worden entrollen.
„Deine Worte sind unbegreiflich. Nur das was wir in deiner Gnade haben (was
du uns durch deine Gnade enthüllst), können wir aus deinen Worten enträtseln".
sunder ist Adverb. Die Präposition an steht nach mnd. Gebrauche, wo wir in er-
warten (s. Mnd. Wb. I, 77). Nach dat ist das Relativpronomen nach bekanntem,
besonders im Englischen ausgebildetem Gebrauche ausgelassen.
') Die Citate weichen hier, wie auch sonst im Gedichte (vgl. z. B. reconditi
statt absconditi), von dem jetzt gebräuchlichen Texte der Vulgata ab.
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194. Doch here, wes du hire under rindest,
Weit ik, du kunstichliken bewindest.
Statt hexe hat die Hs. lere, was offenbar verderbt ist. Doch hat Schöneinann mit
seiner Änderung nicht das richtige getroffen. Ich lese:
Doch fere wes du hire undervindest,
Wtit ik du kunstichliken bewindest.
Es ist vorher die Hoffnung ausgesprochen, dass Gott an den Engeln noch keinen
feil entdeckt hat. Dann heisst es weiter: „Doch ich weiss ia, was da etwa krank-
haftes hier entdeckst, dass du das künstlich [wie ein geschickter Arzt mit einem
Verbände] umwindest (und somit auch das anstössige verhüllst)." ser. sere n. 'eine
Verletzung am Körper, kleine Wunde, offene Stelle ist noch im Göttingen-Gruben-
hagenschen gebräuchlich, s. Schambach S. 190.
204. Och wan se it alle recht vorstoiden,
Wu lefliken wy se broiden!
Damköhler bemerkt mit Recht, dass broiden richtig überliefert ist Wenn er aber
broiden durch 'brüten' erklärt, so kann ich ihm darin nicht beistimmen, solange er
keine Stelle nachweist, in welcher diese übertragene Bedeutung sich findet. Da
neben brudeaam auch die Nebenform broideghen sich findet, so vermute ich auch
hier in broiden eine dialektische Nebenform von bruden 'brauten', lieber brauten
'minnen' s. D. Wb. II, 333. Auch lefliken passt sehr wohl zu broiden in dieser
Bedeutung, vgl. Exod. Diemer, 1 28, 2 mit lieplicher minne.
258. Die Besserung Jahrb. XIV, 148 ist, wie mir Herr Dr. Walther nachweist,
schon von Woeste in Ztschr. f. D. Phil. 6, 84 vorweg genommen.
259 lese ich: Wol deme, de sik dar to bogede,
Dat he mit uns wolde rauwen:
De mochte dine weldicheit schauwen.
De statt Do ist eine Vermutung Walthers.
578 lese ich: Quat sin sunde unde sunde vorgode nicht.
Ich halte sunde nach unde für Dittographie und lese:
Quat sin sunde unde vorgodm nicht
vorgoden ist im Mnd. Wb. zwar nur als trans. belegt, doch vergl. vorsnoden, das
sowohl 'schnöde werden1 als 'schnöde machen1 bedeutet
284. Su8 is de vrige willekor ein angest,
De de mennigen werken aller bangest
Statt werken ist werket zu lesen. „So ist die freie Willkür eine Angst, die da
manchen sehr bange macht."
Nach 296 setze ich einen Punkt statt des Kommas und lese dann:
Deme Jielpen use krefte to redeliken sinnen,
Dat he na sinem wiüekore
Alle tit dat beste kese vore.
Statt kese hat die Hs. kere, was aber nicht in den Zusammenhang passt kesm
1 prüfend betrachten'; vore l vorher (vor der Wahl) \ Vgl. sachlich 387: MaUc aa in
sxnem vrigen tnoet Unde prove over quat unde got, Wat in einen juwelken (Worte)
vorborgen si.
306. Na deme allen creaturen dut ein bat is.
ein vor bat ist von Schönemann eingesetzt nach V. 335; allein das Subst ist hier
wie 689, 817, 3087 u. ö. stets bäte geschrieben, wir haben also hier das Adv. [nhd.
bafs\ und ein ist zu streichen.
849 lese ich : Dar inne wart din lof vorvult
Dat de leven hilgen dek eren
Unde sik na guaem willen regeren.
Statt Dat hat die Hs. Dar, statt dek den, wofilr Schönemann ddn setzt Der Fehler
erklärt sich wohl dadurch, dass dem Schreiber die Form dek, welche in der vermut-
lichen Heimat des Dichters noch jetzt die herrschende ist (s. Schambach unter du),
nicht geläufig war. dar und dat werden oft verwechselt
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353 f. Laudamus te, benedicimus te,
De deit den unsannigen we.
Diese Verse sind in der Hs. dem Creator zugeteilt, während sie unzweifelhaft die
Anfangsstrofen des Dankliedes bilden, welches der Engelchor singt. Die Rede des
Creators beginnt erst V. 355. unsinnigen ist bis jetzt unerklärt geblieben; es ist
wohl aus unsinnigen entstellt.
359 lese ich: Des meine ik, de ensi hir mede,
De sinen munt nu uppen dede
Dusses dankes my to oerovende
Der j ernten de my plegen to lovende
„Ich glaube, dass niemand hier am Platze ist, der seinen Mund aufthun würde,
mich dieses Dankes derjenigen, die mein Lob verkünden, zu berauben. u uppen
ist Verbum.
375 äugest de gelerde ist = sunte augustinus 279.
389 Die Hs. hat:
Wat in einen iuwelken w>rborgen si
Es ist kein Grund mit Seh in vorborgen zu ändern; vgl. Wat behuddes 406.
464. Werne wat si umme ere, umtne stat
„Wem etwas an Ehre und hoher Stellung gelegen ist." vat statt wat ist nur
Druckfehler.
502 lese ich: Minen stol wil ek my nemen;
Bi gode Sitten dat mach my temen.
„Ich will meinen Thron einnehmen, denn es geziemt mir neben Gott zu sitzen."
562. Se henget, ut, dat se möge vinnen
Der kieinen vlegen unde wormelin,
Ein nette,
vinnen ist nicht etwa dialektische Form für vinden, sondern in winnen zu ändern.
631. Wy mögen gode nummer mer to bet;
Ich lese: Wy mögen to gode nummer mer bet;
„Wir vermögen nimmermehr zu Gott zu kommen."
650 lies: vor gode oder nemende.
654. Zu Jahrb. XIV, 148, bemerke ich, dass mul auf Lucifer geht, der als gif-
tige Schlange bezeichnet wird; vgl. die Glosse im Mnd. Wb. 3, 132: slange, mul,
bazeliscus. Es ist demnach zu lesen:
Dat wy alsodenen vorgiftigen mul
Toleten unde staden.
691 ff. ist durch eine blosse Änderung der Interpunktion nicht geholfen. Es
ist zu lesen: Heddet juwe gude wille nicht gewest,
Gy enhedden mit my dat erlike nest
Vorscheten, dar wy sint inne west
Unde tor aventur nummer mer inne komen.
Dar umme mote wy scaden unde vromen
To hope stan an einem hope.
Das Part, verscheten 'verloren' ist noch in der Mundart erhalten, vergl. Schambach
8. 276, der den Satz anführt: Wen Sei ösch nich helpet, sau sin we verscheten. stan
ist trans. 'Gefahr stehn, riskieren, die (guten oder bösen) Folgen ertragen', vergl,
Mnd. Wb. 4, 360. Zur Formel scade unde vromen vgl. 1750 Dat is min vrome unde
niht min schade. Es ist zu übersetzen: „Wenn es euer freier Wille nicht gewesen
wäre, so hättet ihr mit mir den herrlichen Aufenthaltsort nicht verloren, in dem
wir gewesen sind und wohin wir niemals wieder kommen. Darum müssen wir
Gutes und Übeles zusammen, an einer Schar befindlich ertragen."
708. Lucifero kan en weinich nicht scaden.
lies: Lucifer kan en weinich nicht saden. „L. kann ein wenig nicht sättigen, be-
friedigen." Dem herrschgierigen L. genügte es nicht der schönste und vornehmste
Engel zu sein, er strebte nach gleicher Herrschaft mit Gott, vgl. V. 502 ff.
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713 lese und interpungiere ich
Kumpan, wy willen wedder roven
Gode, wur wy kunnen unde mögen.
Stempen logen unde droaen
dem scalwc uns hir nu oet geloven.
Wen den jennen. de de uns vorscoven,
Or kunst en scal on hir nicht dien:
. Wy wilt on in deme wege lien.
scalwc 'sollen wir'. Über we abgeschw.. aus wi s, Schambach S. 289. „Dem sollen
wir uns hier nun noch mehr widmen." Über das Reflex, sik lovcn s. Mnd. W. II, 737.
727 lese ich: Isset nu het, it mach wol kolden.
Vgl. das Sprichwort: „Es wird nichts so heiss gegessen als es gekocht wird."
729 ist zu interpungieren :
Bekümmert iuk nicht alto serel
Ik bin it io Lucifer iuwe here.
Über ez vor dem Prädikat im Mhd. vgl. Lachmann zu Iwcin 2611. Die Bemerkung
gut auch für das Mnd.
748 Wente to vorne iuk gonde,
Dat ein iuwelk mochte unde konde
Na sinem vrigen wiUcore
Dat gude edder erge kernen vore.
kernen (Hs. kerne) wird im Mnd. Wb. mit Verweisung auf Grimms Wb. als Neben-
flir kiesen, küren erklärt, was Walther flir eine sprachliche Unmöglichkeit erklärt
Das Wort ist unzweifelhaft entstellt; ich vermute kesen 'prüfend betrachten ', Wal-
ther koren,
808 interpungiere ich:
Sin name scal heten adam.
De sin gelik nu mer up erden quam.
Damköhler schreibt: Dem sin gelik, es ist aber an der Richtigkeit der hdsl. Über-
lieferung nicht zu zweifeln.
824 lese ich: Icht dat flesk en soden wolde
Dar de sele wat anne scolde
„Wenn das Fleisch so etwas wollte, daran die Seele etwas verschuldete." anne
statt ane ist im Mnd. Wb. durch Lüb. Chron. 1, 464 belegt. Damköhler liest anden
1 schmerzen \ Diese Bedeutung hat aber das Wort im Mnd. nicht
S44 lese ich: Wat du, leve here, my wult
Don, wet ik, dat ok noch scult.
Statt my hat die Hs. myt, wofllr Schönemann mit my setzt.
885 Ek wil dy aller vruchtc macht geven
De de sint in äussern paradise;
Aver allem von äussern rise
ScaUu nicht breken edder eten;
Deistu dat, so scaltu wetten:
In welker stunde du dat bedervest,
Des ewigen dodes du denne stervest
Damköhler nimmt bederven in der Bedeutung 'zu Grunde richten, verletzen" und
bezieht es auf den Bruch des göttlichen Gebots. Es bezieht aber auf das Essen
der Frucht, entsprechend Genes. II, 16, 17 Praeccpitque ei dicens: Ex omni ligno
paradisi corneae: de ligno autein sdentiae boni et mali ne comedas: in quocumque
enim die comederis ex eo, morte morieris. bederben 'gebrauchen, benutzen' im
Passional her. von Köpke, 528, 6 nach minem tode nimm an dich disen roc alsam
ein erbe, habe in dir und bederbe, swie dir behage wol Weitere Stellen im Wb.
892 ist zu interpungieren:
Des dodes mach dy nemant wandelen
Wen te dik erst begunde to handelen.
„Von dem (ewigen) Tode kann dich niemand befreien als dein Schöpfer."
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903 interpangiere ich:
Ein ribbe ut diner siden
Breken dat machstu scauwen.
„Das Brechen einer Rippe aus deiner Seite das magst du sehen."
984 lese ich: Wente he heft en ok hir umtne vorboden:
Ete gy hir van, so werde gy gelik den goden.
Statt ok hat die Hs. on. Damköhler vermutet, dass en entweder zu streichen oder
durch tu zu ersetzen ist. Die leichtere Änderung empfiehlt sich schon deshalb,
weil ein neuer Grund angeführt wird, weshalb Gott den Menschen verboten hat
vom Baume der Erkenntnis zu essen.
990. Ach, dusse appel is so sote!
Adam, dat is aÜo hote.
Hir umme su nüm unde smecke,
Uppe dat du nicht menest, dat ik dy gecke.
Dass die Stelle verderbt überliefert ist, hat Damköhler Jahrbuch XV, S. 81 richtig
bemerKt. Er vermutet: dat is alse hotte „Das ist (schmeckt) wie (süsse) Milch.u
Diese Änderung empfiehlt sich aber schon deshalb nicht, weil dadurch der reine
Reim zerstört wird. Dass von der Süsse des Apfels die Re<}e ist, hat Damköhler
richtig gesehen, und dieser Sinn ist denn auch mit leichter Änderung herzustellen,
wenn wir schreiben:
Adam, dat is al£o note
„Adam, das ist so (süss) wie Nuss." Der Vergleich: so süss wie Nuss (ohne Ar-
tikel ist noch gebräuchlich. Schambach verzeichnet S. 146: sau soite as ne not
note ist also Singular; doch findet sich auch der Plural ohne Umlaut, allerdings nur
in der Bedeutimg Becher in Nussform Mnd. Wb. VI, 225.
1118. Nicht mer wan arme minschen twene.
Die Hs. hat richtig überliefert. Nicht mer armen minschen twene. mer ist = men,
wie Walther bemerkt, armen minschen halte ich für Gen. Plur. abhängig von twene.
1146. So heddet mögen lichte nicht gescein
Die IIs. hat heddes mach. Walther erklärt die hdsl. Lesart Überzeugend richtig:
„heddes; das es ist Genet., abhängig von nicht. Machlichte ist das bekannte Syno-
nym von vittichte."
1171. Wy hauwen hen in godes namen.
Damköhler will hen hauwen hier durch ' anfangen ' übersetzen. Nun sagt man zwar
auch nhd.: „Haue mal hin!" d. h. ursprünglich: 'Führe den ersten Hiob mit der
Axt'; aber schon aus der Grundbedeutung ergiebt sich, dass dieser Ausdruck hier
nicht in den Zusammenhang passt. Auch ich halte jetzt die Überlieferung für
richtig, glaube aber auch jetzt noch, dass Adam Eva auffordert in Gottes Namen
des Weges zu ziehen, hinhauen 'hingehen' findet sich bei H. Sachs, Band III, 1,
2S8 a, wo der Wirt verdrttsslich zu den armen Wandrern spricht : „Haut hin, sprecht
ihr seid hier gewesen" u. ö. Vgl. auch Schmeller, Bayer. Wb. a I, 1024,
1214. Warte, abel, dat ik hir erst upkloppe.
Wente dusse garve is my vorwar
So ver to dregende alto swar.
Zunächst ist statt Warte das hdsl. Wachte als der Mundart entsprechende Form
wiedereinzusetzen, upkloppen ist zu allgemein und nicht deutlich. Ich glaube da-
her, dass udkloppen zu setzen ist, noch jetzt tm Gött'-Grubenhagenschen der ge-
wöhnliche Ausdruck für „ausdreschen". Der Ausdruck wird auch ohne ein zu-
gefügtes Objekt (ebenso wie meien, daschen) gebraucht, ud statt ut ist auch in
den Göttinger Urkunden die gewöhnliche Schreibung. Sachlich vgl. Anegenge ed.
Hahn 19, 83: Abel was ein auot man. Uz allem stnem vihe er nam Daz aller beste
lamp Daz er Inder dar unaer vant. Jener (Cain) wirser geddhte Der da elter was:
Sine garbe er überdrasch.
1258. Uppe dy wart ik so ser verblint.
verblinden bedeutet erstens blind machen, zweitens blind werden. Hier heisst es:
(vom Zorne) blind gemacht.
122
1286 ändert Schönemann annötig die Wortstellung. Es ist mit der Hds. zu
lesen : Dar sik de werlde äff möge neren.
1306. Die Hs. hat draffstu statt darfstu, und diese der Mundart entsprechende
Form kann wohl dem Dichter gehören.
1323 lies mit der Hs. Unde byn statt Unde ik byn. Die Auslassung des per-
sönlichen Pronomens ist hier nicht auffällig.
1324. Wol dat ik my van older nu roste,
So lende ik jo gerne, wen ik moste.
Die Form lende, wofür er im Druckfehlerverzeichnis lende schreibt, scheint Schöne-
mann nicht verstanden zu haben. Auch im Mnd. Wb. II, 63H und III, 535 ist die
Stelle nicht richtig erklärt. Adam kann dem Zusammenhange nach nur den Wunsch
aussprechen, auch trotz der Beschwerden des Alters noch länger zu leben. Ich
schreibe deshalb: Wol dat ik van older nu roste,
So lende (= levede) ik jo gerne, wen ik moste.
„Obgleich ich vor Alter nun rostig werde,1) so lebte ich doch noch gerne, wenn
ich dürfte." Möglich, dass auch my zu behalten ist, da im Nd. die Reflexiva über-
haupt häufiger sind als im Hd.
1328 lies uppe (Hs. upper) rechte v. m.
1354. Die Hs. hat dy d. i dy (dyn) moder.
1373 ff. ist zu interpungieren :
He biddet, dat gy om willen don, wetten,
In rechter waren sekericheit
Van deme olie der barmherticheit.
don ist ' geben, reichen*; wetten ist 2. Pers. Plur. des Imperativs «= 'wisset!* (vgl.
Lübben, Mittelniederd. Gramm. S. 90).
1450 lies hadde statt hande.
1497. Damköhler schreibt nichte v. statt nicht en v. Walther bemerkt mit
Recht, dass nichte Instrumentalis ist „mit richten".
1526 lese ich: De sine gavd aevdt tware
So mennxch utespret
utespret ist nicht, wie von Schönemann und im Mnd. Wb. angenommen wird, Verb-
form, sondern Substant, synonym mit utsprutinge, germen.
1550. Dat derde het tigris, als ik vorsta,
Unde lopt in lant van asia.
Damköhler fügt dat vor lant ein. Der Ausfall des Artikels ist aber nicht wahr-
scheinlich; ich schreibe: Unde lopt en lant van asia und fasse lopen 'durchlaufen1,
wie mhd. loufen (g. Lexer). über den Accusativ bei Verben der Bewegung im
Mhd. s. Haupt z. Erec > V. 3106.
1578. klute 'Sack'. Das Wort ist noch im Gött.-Grubenh. so gebräuchlich,
Schambach verzeichnet nur den Plural. Woeste, Ztschr. f. D. Phil. 6, 84 erklärt es
4 Lappen \
1606 lese ich: Den (licham) geve ek nu up vor mine schult:
De mot nu varen (Hs. waren) wor du wult.
Vgl. in die Grube fahren = sterben; varen to (godes) gnaden, Sachsensp. II, 66, 2
und weitere Stellen im Mnd. Wb. V, 203.
1627. Nu en wet ik leider neinen trost
Wu wy möge wegen werden verlost
Damköhler streicht wegen. Ich vermute Entstellung aus weder, wieder; vgl. 2743
In watte made unde geverde de mynsche wedder vortoset werde. Den Schreiber be-
irrte vielleicht die ungewöhnlichere Schreibung mit einem d.
>) Vgl. die alte Devise: Hast ich, so rost* ich! und Spenser, The Shepherds'
Galendar, Tebruarv V. 54 f. I deem thy brain emperished be Through resty dd
that hath rotted thee.
123
1037 interpungiere ich jetzt:
Up dat ik den leven vader din
Ilelpe dragen sine bitteren pin:
Dat %8 iammerlik af gescheit
Des sihtes der folgen drefoUicheit.
Das Subst. af gescheit 'Absonderung, Trennung' fehlt im Mnd. Wb.
1665. Ik bidde, dat gy nicht to endecken,
Ik en mote mtnen vader sidven strecken
Ich halte Jahrb. XIV, 1 49 geschrieben : Ik biddet dat gy nicht to en decken. Dam-
köhler tadelt dies nnd meint, dass en aus V. 1066 in V. 1665 gesetzt werden muss.
Die Richtigkeit meiner Besserung beweist V. 1675 Decket on to\ vgl. auch V. H>8»
dat graf is ningest togcdecket. Gemeint ist das Bedecken des Leichnams mit Erde.
Die Interpunktion ist richtig; zur Construktion vergl. Gott. Urk. I. Nr. 176, 8 ff.:
de beckermestere hebten ghewiüekoret, dat sc in oyrme brodhus nicht schallen oyr
brod vortmer setten up de benke, se negheven wen höhten vordingk tovorn .... und
ebd. 168, 24 dat we unde use erven van desses vorben. dorpes weghen mit dessen
vorben. vorsten nenerhande wederkop öder losinge anghan enschuüet noch enteiltet,
desse vorben. 30 M enteerden en weder bered ane hinder unde wedersprake. Ich
übersetze: „Ich bitte, dass ihr ihn nicht begrabt, ohne dass ich meinen Vater vor-
her selbst strecke (ihm die im Todeskampfe gestreckten Glieder wieder gerade
strecke)." Walther, der sonst meiner Meinung zustimmt, bemerkt, dass man trotz
1675 todecken ohne Objekt sich denken könnte.
1780 lese und interpungiere ich:
Du lest uns up dem water sweven
Unde unse lifso leiflik vristest,
Och leve got, wan du mooI wistest,
Dat dut grote water scholde
Hir nedder komen also beide,
boven dattu bist also bereit
Unde bewiset uns dine barmherticheit.
wan fasse ich = weil; Walther will lieber want (wät) lesen. Auch unse statt uns
ist Conjektur Walthers, doch könnte das Pron. poss. auch schon wie in den jetzigen
Mundarten (vergl. uns Fader) das e eingebüsst haben. Boven (von D. unnütz in
Boben geändert) wird von Walther richtig durch: l gegen, wider' erklärt. Statt
bewiset 1787 schreibt Seh., durch den nhd. Sprachgebrauch verleitet, bewisest Die
hdsl. Lesart ist aber ganz richtig: barmherticheit ist Subjekt und bewisen ist 'unter-
weisen, belehren'.
1791. wer 'ob', ebenso 1803, in der heutigen Mundart wizr gesprochen.
Nach 1807 ist Punkt statt des Kommas zu setzen.
1607 ff. lese und inierpungiere ich:
Dusse duve kumpt wedder altohant.
Bi dem so wert mi dat bekant,
Dat se nergen konde resten
In bergen, dalen, bomen edder nesten.
Bi deme = dadurch. Statt bergen hat die Hs. bargen, dass aber diese Form nicht
dem Dichter gehört, beweist der Reim bergen : nergen 1804.
1824 lies: Ach god, wol uns der (Hs. unser) leven stunde.
Vgl. W. v. d. Vogelweide Wol mich der stunde deich si erkande.
1635 ff. interpungiere ich:
Ga nu wedder altohant,
Dat beide ek dy, hir an dat lant,
Du, din husfrauwe unde dine sone
Unde dar to or husfrauwen schone,
Dine have, vogel, degerde unde alle quek,
Dat in der arken was mit dek,
Unde attent, dat levent hat
In der arken, dar se stat.
124
have bezeichnet besonders die Haustiere, auch 1978 ist es in dieser Bedeutung
zu fassen.
1860 lies construgeren : öftereren.
1905. Unde höre, wat ik wille dik
Vgl. Flos 278 wat wyüe gy my 'was wollt ihr von mir?' Es ist mir zweifelhaft, ob
ein Vers ausgefallen ist, da reimlose Zeilen im Stücke mehrfach begegnen, ohne
dass der Znsammenhang eine Ergänzung verlangt.
1944. Leve sone, wy wilt uns kloiken.
Bequeme holt soiken
Unde gode dar neist sin opper geven
Zunächst könnte man unde vor bequeme ergänzen, doch ist für das 1 5. Jahrhundert
die Bindung eines vierhebigen mit einem äreihebigen Verse mit klingendem Aus-
gange nicht ausgeschlossen.
1946. Die Hs. hat: Unde gar dar neist sin opper geven.
Ich schreibe: Unde gan dar neist sunopper geven. Es ist zu übersetzen: „Lieber
Sohn, wir wollen uns beeilen, passendes Holz suchen und gehen, da in der Nahe
ein Sühnopfer zu., bringen." sunopper ist zwar im Mnd. Wb. nicht belegt, doch
vergl. sunebref. Über kloiken von Seh. hier und 8253 falsch durch „sich klug be-
nehmen" übersetzt, vgl. Mnd. Wb. u. d. W.
1987. Eh wil ute äussern dale
Mine schap driven aUomale
Upwor hen in de hoge.
upwor erklären Seh. und das Mnd. Wb. = upwort, upvoert 'aufwärts' ^ Es ist aber
zu lesen: Up worhen in de hoge. Up = aufwärts; worhen 'irgendwohin' (wofür im
Mnd. sonst wor gesagt wird) wird durch die heutige Mundart gesichert, in welcher
es wören lautet, s. Schambach S. 304.
2042 interpungiere ich:
Dar umme so schaUu wesen wiüich
Bloiten dine vote unde tein ut dine scho.
Die Infinitive sind von schaUu wesen wülich abhängig. „Du sollst willig sein deine
Füsse zu entblössen und deine Schuhe auszuziehen."
2126 setze ich einen Punkt statt des Kommas und lese dann:
Alle dat me vorder vint bescreven.
Dat umme körte willen is na gebleven.
„Alles das findet man vorher beschrieben, das (hier) der Kürze wegen aus-
gelassen ist."
2178. Edder ek wil dy eine lexien lesen,
De van gode nicht wesen schal
Schönemann fasst von gode = von Gott, da er sonst von göde schreiben würde ; es
ist aber = vom Guten.
2233. Unde he wil richten na rechtem deüe.
lve, welches in der Hs. nicht steht, ist zu streichen.
Nach 2304 fehlt ein Vers. Nach Ps. 29, 12 ist etwa folgendennassen zu er-
gänzen: s0 tope %0y j0i möge gnade schein,
Dat ne möge antein
Dat dar is dat kleit der vrolicheit.
2407. So dat dat levendige nu an en reip
Der Sinn ist klar: Das Kind erwachte nicht und konnte daher die Räuberin nicht
durch sein Schreien verraten. Ich vermute: mi an en reip 'mich nicht anschrie*.
Walther macht dazu die Bemerkung: „Kann anropen nicht heissen anfangen zu
schreien?" vgl. Grimm, Deutsch. Wörterbuch I, 289 und könnte nu nicht nü, nie,
sein? in derselben abgeschwächten Bedeutung wie oberd. nimmer. "
2431. Dusse vruwe unde ek, alse wy hir statt f
Bebben beide in einem hus umme gan,
125
ummegan = verkehren ist im Mnd. Wb. nicht belegt, in der heutigen Mundart ist
diese Bedeutung gebräuchlich, s. Scbambach.
2540. Ik meine, wy sein noch daüink wat,
Des der konniginne heft vorwundert,
Uns alle mede, teere user hundert.
heft vorwundert. Das Praeritum ist dem Zusammenhange nach unmöglich. Ich
lese: Ik meine, wy sein noch dcdlink wat,
Des de konniginne heft vor wunder,
Uns alle mede
„Ich meine, wir sehen noch heute etwas, das die Königin und uns alle wie ein
Wunder ergreift. v Zwei Constructionen, die im mhd. häufig sind, scheinen hier ge-
mischt: mich hat wunder und ich hdn ez vür wunder , s. Mhd. Wb. III, 813a. Vgl.
auch vor droge stan 1458 mit Damköhlers Bern. Jahrb. XV, S. 81.
2613 lese und interpungiere ich:
IJnae ik love juwe Hofgesinde
Deger, dsi ik hir bi juk vinde.
2619 ist de genne nicht in de jennen zu ändern.
2654 ff. ist die hdsl. Lesart mit folgender Interpunktion beizubehalten:
Wan my wes to donde stoide
Umme juk. gy wise her Salomon,
Dat wü ik alle tit gerne don
Unde geve uns beiden hir to deile
Dem teven gode ik uns beveile.
Statt geue der Hs. hat Seh. geven gesetzt, wodurch der Sinn entstellt wird, sik to
deile geven = 'sich zu eigen geben1. Dem leven gode steht anö xotvov, eine
Spracherscheinung, die nach M. Haupt, dessen reiche Sammlung z. Erek * 5414 zu
vergleichen ist, etwas volkstümliches hat. uns beiden statt des regelmässigen uns
beide wage ich nicht zu ändern, da die schwache Form auch noch in der Umgangs-
sprache erscheint.
2706. Soll nach Walther cord vinken ein Eigenname sein = Kurt Finke. Ich
glaube es nicht, obgleich 2724 cord als Vorname erscheint. Ich halte es für eine
scherzhafte Bezeichnung der Genossen, vergl. Knollfink e = Handwerksbursche. In
Bezug auf cord mag es dahin gestellt bleiben, ob es korde 'Strick' oder korde
'Messer1 ist An das esthnische Korde (s. Korrespondensblatt XI, 79) ist wohl
nicht zu denken.
2722. In deme naten kan ik doch wol tein.
Erinnert an das studentische Lied beim Commenttrinken: Zieh Schimmel, zieh! etc.
2729. Ik wil dy stusses wol vorplegen
Bei stuss fragt Seh., ob es etwa 'Stoss' sei, möchte aber doch schliesslich dusses
lesen. Im Mnd. Wb. ist das Wort nicht aufgenommen; Bd. VI, 273 findet sich «töte
= schenkvathe. Ich sehe in stuss das mhd. stutze, Trinkbecher, wovon noch unser
Stutzglas. Die Redensart einem eines vorplegen erklärt Walther 'für oder von
einem die Verpflichtung in Betreff eines Dinges übernehmen und erfüllen' hier die
Verpflichtung ordentlich nachzukommen'. — Ich halte stusses vorplegen für eine
Redensart wie drankes plegen 'trinken' Gerh. v. M. 3, 21 ; dy wäre dann Dat ethicus.
2756. Wente dar an licht dig unde vorderf
Nicht einerleie aüene,
Sunder aÜer worU gemeine.
Damköhler fasst einerleie als Gen. = eines (einzigen Menschen) allein, abhängig von
dig vorderf, es ist aber zu übersetzen : „Daran hegt nicht nur einerlei Rettung und
Verderben, sondern das der ganzen Welt* Man könnte versucht sein hinter einer-
leie eines einzuschieben (vgl. die Stelle a. d. Eccl. im Mnd. Wb. I, 641 dat sure der
penitencien kan nicht enerteye sin, wente de sunde sin ok nicht enerleye eynes min-
sehen), doch ist dies nicht nötig.
2801. Frunde, nu sint wy hir gesamet
Unde hebbet hir eines dages beramet,
126
Dat gy wisheit mögen beren
Unde alle tit dat beste vorkeren.
Statt beren in V. 2803 vermutet Damköhler leren; allein auch das zweite Reimwort
muss entstellt sein, da keine der Bedeutungen dieses Wortes in den Zusammen-
hang passt. Ich lese hören (hören): vorkoren (erwählen).
2948 lies: diebus novissimis.
Nach 295 t ist ein Komma zu setzen.
2988. Dut jamer! dat kindelin sin.
Dar van vorkortet schal w'&raen de pin.
Diese Stelle ist auch von Damkühler nicht überzeugend hergestellt Ich vermute
die Entstellung allein in Jammer und schreibe: Dut geandet dat kindelin sin, Dar
van vorkortet schal werden de pin. Über anden, andeuten, in Erinnerung bringen,
significare s. Mnd. Wb. I, 81 und VI, 16. dat kindelin sint sein (Gottes) Kind.
3034. God heft einen legalen upgesent
übersetzt V. 3032 legatum ad gentes misit. Lies udgesenL
30S7 ist zu trennen: up koren.
3114. Cristus de schal werden gebom
To betlehem, alse ik hebbe gehorn.
Damköhler will aus dieser Stelle ein statt v. hören folgern. Walther vermutet
einen Druckfehler statt gekorn und macht darauf aufmerksam, dass Schönemann im
Glossar diese Stelle unter küren (statt keisen) aufgenommen hat.
3172. Ik teil wonen unde wil rauwen
In diner middele unde wil körnen
Dy mitte unde to groden vromen.
S174 hat Schönemann unnötig to vor groten vromen eingesetzt, denn vromen ist
Nom. Sing, des Subst; für aroten gilt die Bemerkung im Mnd. Wb. I, 638: T Häufig
wird aber das Adj. so flectiert, dass es im Nom. und Acc. (Masc. wie Neutr.) auf
-en ausgeht/ Es wäre also eher der unbestimmte Artikel zu ergänzen, aber auch
dieser kann fehlen, vgl. Bremer Gesch. Q. 141 : it weygede so groten, starken storm.
V. 3172, 73 übersetzen Zach. 2, 10 Letare filia Lyon quia eoce venio et habitabo in
medio tui, nur dass die Worte dem Reime zuliebe umgesetzt sind. Nach körnen
ist also ein Komma zu setzen und das folgende als Apposition zu fassen. Für das
unverständliche mitte vermutet Walther ansprechend nutte. Die Synonyms Nutz
und Frommen werden ja wie heute, im Mnd. (vgl. to groter nut unde vromen Braun-
Schweiger Chr. 1, 152, 8) gern verbunden.
3186. Des himmets de schal werden mer
übersetzt das lat. firmabitur consilium in celo. Nun bezeichnet consilium auch eine
Genossenschaft von Menschen; ich glaube deshalb, dass au lesen ist: Des hunmek
det schal werden mir. „Das Volk des Himmels soll grösser werden.* Über Aus-
lassung des t s. z. 3415.
3258. Ysayas, wat sochstu sus to bi tiden?
Schönemann schreibt bi tiden. Das Mnd. Wb. I, 346 schreibt to bitiden 'zu nicht
gesetzlicher, aussergewöhnlicher Zeit'. Dagegen spricht aber Zusammenhang und
Versmass. Ich schreibe: Ysayas1 wat sochstu fus to bitiden f „Jesaias, was suchst
du so (durch deine Bitte) zu erreichen?* betiden ist Compos. von tiden Mnd. Wb.
IV, 540. Ein Reflexivum in dieser Bedeutung ist ebd. Bd. VI, 62 belegt
3284. Zu Jahrb. XIV, 151 bemerke ich noch, dass statt dar umme wohl dar
anne zu schreiben ist.
3289 ist zu lesen: Mit den duvelen in der hellen
He schal so iamerliken quellen.
Der Schreiber stellte die prosaische Wortfolge her.
3409. It is umme alsus allent dattu deist.
Im Mnd. Wb. V, 1 2 ist nur diese eine Stelle für umme edsus statt umme sus an-
geführt, doch ist auch hier umzustellen: It is al umme sus allent dattu deist al
127
ist = gänzlich; vgl. die ebd. citierte Stelle aus der Hamb. Chron. 22: wo wol de stede
ai na freden hebten gestan, is doch mit koning Cr. al ummesus gesceen.
3415 lies heft statt hef. Auslassung und Znsatz von t findet sich öfter, vgl.
zu 3186 und 2540.
3436 lies: To dem so stunde doch jennich rode.
„Fttr den bestünde doch eine Hilfe/ rade erklärt Walther =* gerade, mhd. geriete.
3645 lese ich: Nen, vader, gy schult also nicht reden.
Statt Nen hat die Hs. Le, wofür Schonemann Leve schreibt, was aber im Munde
der eifernden Justitia nicht passt. Vielleicht ist auch Ne die heutige abgeschwächte
Form einzusetzen.
3737. Dusse dot de schal dar noden, *
Den ewigen dot denne wedder doden.
noden ist hier = notwendig sein. Seh. erklärt die Stelle nicht und auch im Mnd.
Wb. ist ftir diese Bedeutung nur eine Stelle angeführt.
3747 ff. lese ich jetzt: Gabriel, nu werdet rede:
Segget annen, dot oh on beden
Ek wil twiden ore beden,
Dot se vaken an my deden.
„Gabriel, nun macht euch bereit. Saget Anna, dass ich auch ihnen beiden ihre
Bitten erfüllen will, die sie oft an mich thaten." beden V. 3748 ist sicher 'beiden',
da der Engel sowohl, wo er mit Anna, als wo er mit Joachim spricht, erwähnt, dass
er zu beiden gesandt ist, vgl. V. 3774, 3805.
3772 ist das Komma zu tilgen; vgl z. V. 729.
37S8. alle ist Instrumentalis 'gänzlich'; vgl. Lexer, Mhd. Hdwb. I, 37.
8817. Die Hs. liest richtig:
Timme den wüten dat wy sint
Unfruchtbar unde enhadden nein leint.
Timme den willen dat 'deshalb, weil'; s. Mnd. Wb. unter wiüe.
3S86 lias: Minen enget hebbe ik utgesant.
Nur Gabriel wird ja zu Joachim und Anna gesandt.
3986 ff. Wy bidden iuk alle, gy werden propheten,
Dat gy iuk nicht taten vordreten
ünde gan mit us tom tempel hin,
Dat wy marien bringen aar in
ünde offeren se gode aldar
An sinem hilgeri altar,
Wente gode is se doch to geneget.
to geneget könnte nur heissen 'zugeneigt'. Das passt aber nicht in den Zusammen-
hang, denn nicht darauf kommt es an, dass die dreijährige Maria Gott zugeneigt,
sondern dass sie Gott gelobt ist; vergl. 3789 So hebbe %k to vorne, leve hert, De
(rucht gelovet to diner ere In dinem hilgen tempel dar. Ich vermute: Wente gode
is se doch togelegaet „Denn Gott ist sie doch zugelegt d. h. zu seinem Dienste
bestimmt/ Ein ähnlicher Reim wie gelegget : eiget (eget) ist 3269 vigende : liggende.
Dass broiden nicht zu streichen ist, hat Damköhler richtig be-
merkt Ob aber auch Formen wie moud und houde dem Dichter
gehören, oder dem wahrscheinlich mit dem von Schönemann 1491 —
1508 als Altarist in Goslar nachgewiesenen Jobannes Bokenem iden-
tischen Schreiber, muss noch dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann
ich mich nicht entschliessen eine Form wie "bargen 1810, obgleich sie
der heutigen Mundart entspricht, ohne weiteres dem Dichter zuzu-
schreiben, wenn kurz vorher bergen {bergen : nergen 1804) im Reime
erscheint. Dass das Schauspiel auf dem Markte zu Eimbeck auf-
128 *
geführt und auch die Heimat des Dichterg dort oder in der Nähe zu
suchen ist, ist auch mir, schon wegen der im Stücks enthaltenen noch
jetzt im Göttingen - Grubenhagensehen gebräuchlichen eigentümlichen
Worte und Redensarten, höchst wahrscheinlich. Bedenken gegen diese
Annahme hat C. Walther im Niederd. Jahrb. I, S. 96 f. rege gemacht
Sicher wird die Frage nur entschieden werden können, wenn das aus
den Reimen sich ergebende Mundartliche mit dem in den Göttinger
und Eimbecker Urkunden vorliegenden Materiale genau verglichen
sein wird. Ich habe diese Arbeit begonnen, muss aber den Abschluss
wegen mangelnder Müsse verschieben.
Northeim. Robert Sprenger.
Zur Kritik und Erklärung des Theophilus.
Das Verhältniss der drei erhaltenen Recensionen des niederdeutschen Spiels
von Theophilus') richtig zu beurteilen ist deshalb schwierig, weil jede derselben
ihre eigentümlichen Zusätze enthält, von denen nicht in jedem Falle mit Sicherheit
entschieden werden kann, ob sie dem Originale oder dem Bearbeiter gehören.
Dazu kommen noch, freilich leichter zu erkennende Schreiberverse und zahlreiche
Schreibfehler. Ich kann der Behauptung von Karl Sass in seiner Leipziger Disser-
tation von 1879, dass die Helmstädter Recension die älteste und dem Original am
nächsten stehende sei, nicht unbedingt zustimmen. Soviel steht fest, dass dieselbe
sehr gute und beachtenswerte Lesarten enthält. Vgl. z. B.:
Trier. Hds. 653. Dat is my recht so ein wint.
Stockh. Hds. 353. Dat is my rechte also ein wint.
In beiden Hdss. wird dieser Vers dem Theophilus zugeteilt. Da derselbe aber
kaum anders übersetzt werden kann als es im Mnd. Wb. 5, 734 geschieht: Das ist
mir wie gar nichts , so widerspricht dies den folgenden Versen, welche zeigen, dass
es Theophilus sehr schwer wird, den Pakt zu unterzeichnen. In der Ilelnist Hds.
lautet der entsprechende V. 169 (D. 164; H. 166): Satanas sprak: 'id is my bereit
also wint.1 Es entspricht aber durchaus dem Zusammenhange, wenn Satan auf
Theophilus Aufforderung ihm Feder und Papier zu reichen, dieselben schnell
herbeiholt und spricht: „Das ist mir schnell wie der Wind bereit!" Was die von
J) Für diesen Aufsatz sind folgende Ausgaben benutzt:
1. Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel aus einer Trierer Handschrift des
XV. Jahrhunderts. Mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch von
Hoffmann von Fallersleben. Erster Druck. Hannover 1853.
2. Theophilus. Niederdeutsches Schauspiel in zwei Fortsetzungen aus einer
Stockholmer und einer Helmstädter Handschrift mit Anmerkungen von
Hoffmann von Fallersleben. Hannover 1854.
3. Theophilus der Faust des Mittelalters. Schauspiel aus dem vierzehnten Jahr-
hundert in Niederdeutscher Sprache erläutert und herausgegeben von
Ludwig Ettmüiler. Quedlinburg 1849.
sowie die Abdrucke der Helmstädter Hds. in: Bruns, Romantische und andere
Gedichte in Altplattdeutscher Sprache. Berlin und Stettin 1798. S. 296—330 und
der Stockholmer Hds. in: Dasent, Theophilus in Icelandic, Low German and other
tongues. London, William Pickering 1845. S. 33—65. Ferner die Leipziger Disser-
tation von Karl Sass über das Verhältniss der Recensionen des niederdeutschen
Spiels von Theophilus, Elmshorn, Groths Buchdr. 1879.
129
Sasa S. 25 ff. aufgeführten Stellen betrifft, welche beweisen sollen, dass auch in den
Teilen, welche nur in der Stockholmer und der Ilelmstädter Hds. erhalten sind, die
letztere die bessere Ueberlieferung bietet, so erlauben sie durchweg eine andere
Erklärung. Er führt an:
IL hds. 380 (E. 359; II. 364) wor du in der werlde varest,
up dat du von Bunden lotest.
St. hdschr. 607 wor du an der werlde varest efte geist,
up dat du dyne sunden leist.
Sass meint, dass efte geist Zusatz sei, ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass
der Schreiber von H. an der Form leist Anstoss nahm und deshalb änderte.
Mit dem Keim hat er es ja auch sonst nicht genau genommen. Ferner
II. 481 f. (E. 457 f.; H. 459 f.) Maria sprak: Theophile, dyn venne .
han dy gar luttich renne.
St. 705 f. Dyn weinent dat helpet kleine
Du hevest hyr gelegen unreine.
Auch hier ist kein Grund die Lesart von H. für die ältere zu halten, wenn wir
richtig verbessern: Theophile, dyn wenen Kan dy aar. luttich renen. Auch die
V. 11. 589—592 (Hf. 568—571) machen durchaus den Eindruck, als ob sie aus den
V. 8t. 813—18 zusammengezogen sind, zumal sich der Schreiber von H. auch sonst
starke Kürzungen erlaubt. Dagegen ist es nicht zu läugnen, dass wir es St 685—689
gegenüber IL 461—66 (Hf. 439—44) mit einer willkürlichen Aenderung der ersteren
Hds. zu thun haben, und die Lesarten von Hf. ut und buten dem wepe der von St.
ut deme vegevure vorzuziehen sind. Auch St. 898 — 901 halte ich gegenüber
IL 676—79 (Hf. 648-651) für die bessere Lesart. Dafür sprechen auch die vorher-
gehenden Verse:
St. 890. H. (Hf. 638).
Ik hebbe al de helle dorehvaren Sathanas sprak: lyrouwe ik sage iu wäre.
Mit aüe mynen scharen, Ik han alle de heue dorehvaren
Den bref konde wy nergene vinden, By minen besten synnen
We sochten ene in allen enden. Des breves kan ik nicht vinden.'
Der Bearbeiter nahm an dem unreinen Reime vinden: enden Anstoss und ersetzte
ihn durch sinden: vinden. Bi minen besten sinden 'vermittels meines besten Ge-
sindes'. Der Schreiber verstand dies nicht und setzte dafür bi minen besten sinnen
'bei meinem besten Verstände? ' Vgl. ferner:
St. 894. und H. 670 (IL 642).
Ik hebbe mynen meistere Lucifer gevraget, Ik han one gevraget sere
He heft my aldus gesaget, wynen heren lucifere.
Dat he des breves ny on sach: De heft also gesaghet.
Vor war ik dat seggen mach. des si sint so mennien jar bedaghet,
dat he des breves nicht en sach.
Vorwar ik dat spreken nach.
Hier ist sere in IL offenbar Flickwort und die Verse in der Form der Stockholmer
Hds. die ursprünglichen. Auch die Verse St. 887: O we dat mot ik don, Dar
bringet my ayne walt to, welche in IL fehlen, sind dem Zusammenhange nach
durchaus nötig. Satanas verschwindet mit denselben, um dann gleich darauf wieder«
zu erscheinen. Dass H. öfter durch Kürzungen den Zusammenhang stört, beweisen
folgende Verse:
St. 936. *H. hat dafür nur zwei Verse, die er
Here Lucifer, wat redestu dar to? dem Satanas zuteilt:
Wy sint des breves unvro. 702 (Hf. 674).
Lucifer dicit. Se is vrouwe unde wy syn knechte,
Se %s unse vrouwe, wy sint ere knechte, Wy en mögen nicht wedder se vechten.
Wy mögen nicht mit er vechten.
Hier hat St. offenbar das ächte erhalten. Es wäre nicht dem Zusammenhange
entsprechend, wenn Lucifer nicht zu Worte käme.
Ein recht lehrreiches Beispiel für das Verfahren des Schreibers von H. bieten
die Verse 639 ff. (Hf. 616) = St. 86Sff. In der Stockholm. Hds. spricht Satanas:
NIederdeuteohes Jahrbuoh XVI 9
130
Vrouwe van den reden ik nicht entceit.
He heft sik gemaket also breit
Mit syme breve;
Dat were to leide edder to leve,
We de vor em bede,
Dat he em unrecht dede.
Van den reden ich nicht entweit , d.h. Von solchen Verabredungen (dass du für
ihn bitten soltest) weiss ich nichts. Der Bearbeiter von H. hat dies, wie auch
Hoffmann, der breven für reden einsetzt, nicht verstanden. Er ändert folgender-
massen:
Sathanas sprak: 'vrouwe, des syd berichtf
Van sinem breve en weyt ek nicht.
He heft syk my myk
also sulves verpflicnt
mit syne8 sulves breve. U. s. w.
Wie wir sehen hat der Bearbeiter in seiner Verlegenheit hier die Verse 654 f.
(Hf. 630 f.) vorweggenommen. Dadurch ist aber das das folgende in Unordnung
geraten. Es kann unmöglich ursprünglich so gelautet haben, denn selbst wenn wir
die Aenderung Hoffmanns annehmen, erhalten wir einen Überschüssigen dritten Reim.
Ebenso verwirrt zeigt sich die U eberlief erung von H. 497 ff. (Hf. 475 ff.) gegen-
über St. 721 ff. Vgl.
H. Theophil sprak: lach du edele rose van St. Vil eddele rose van Jericho,
Jericho , Wo redestu nu also!
wo trostestu my armen also! Jo bistu vul aller gnaden.
Du bist jo der gna vul. Darumme hebbe ik dy geladen
De engete schone to di sprak, Jo mit dem sulven bede
goteliken dat gescach: Also de enget Gabriel dede:
Ave aracia ptena. Ave Maria gracia plena!
Woldestu dorch my aUeyne Woldestu nu attene
vorleysen dynen namen reyne, Dorch my vorlesen dynen werden namen?
des wolde ek Schemen vor dy. Des wolde ik my vor dy schämen.
Schliesslich vergleiche ich noch St. 926—929 und H. 694 f. (Hf. 666).
St. Here meister Lud f er, nu gif rat, H. Sathanas sprak: here
Wente unss waU nu vil Meine stat: Lucifer gif my rad.
Nene macht wy nu mer en hant Unse waÜ nu cleyne
Wy hebben enen quaden man bestan. macht hat.
Auch hier ist deutlich, wie H. die Vorlage gekürzt hat. Er strich zwei ihm un-
nötig scheinende Verse, setzte aber macht aus dem folgenden Verse in V. 695.
Die angeführten Stellen werden genügen, um zu beweisen, dass die Ueber-
lieferung von H. keineswegs in allen lallen die bessere ist, sondern oft durch die
von St. tibertroffen wird. Aber auch die Behauptung von Sachs, dass die Stock-
holmer und Trierer Rec. aus einer gemeinsamen Vorlage entstammen, erweist sich
nicht als stichhaltig, vielmehr weisen gemeinsame Fehler von H. und St auf eine
gemeinsame Quelle dieser beiden Hdss. Vgl.
H. 191 (Hf. 187). Du scholt neyn crce vor dy leggen (: plegen)
St. 376. Du schalt dy vor nen cruce leggen (: plegen)
Tr. 676. Du salst dy hoden vor cruces segen ( : plegen).
Hier gibt die Ueberlieferung von Tr.: 'Du sollst dich hüten, den Kreuzsegen zu
sprechen' allein den richtigen Sinn. Auch in folgender Stelle stimmen die Lesarten
von H. und St. näher zusammen als zu Tr.
St. 438. Dat he ene beholde bet an den dach
Dat he uns nutte (Hds. nycht) werden mach.
H. 252 (Hf. 245). dat he on holde an den dach
dat he uns nutte werden mach.
Tr. 777. De sal en halden went an den dach
Dat hei uns nutte werden mach.
131
Auch in folgenden Versen stehen H. und St. einander näher, während Tr. ihnen
gegenüber eine eigentümliche Stellang einnimmt:
H. 202 (Hf. 255). De besten spisen scaltu eten.
Dynes leyaes scaltu vorgheten.
St. 462. Du schalt de besten (spysen) eten
Unde to dyner tafelen setten.
Tr. 800. Nummerme en salstu rasten!
Dey riken salstu bidden to gasten n. s. w.
Aus dem gesagten wird zur Genüge hervorgehn, dass die Trierer Hds. für sich
steht, während in den Stellen, welche nur in IL und St. überliefert sind , in jedem
einzelnen Falle aus inneren Gründen zu entscheiden sein wird, welche Hds. die
Lesart der Vorlage am besten überliefert hat. Da jede Bearbeitung eigentümliche
Zusätze enthält, für deren Ausscheidung nicht immer genügende hdsl. Unterlage
vorhanden ist, so wird man auf eine lieconstraction des alten Spiels verzichten
und sich bei einer neuen Ausgabe darauf beschränken müssen, die handgreiflichsten
Interpolationen sowie die Scnreibfehler auf dem Wege der Conjekturalkritik zu
beseitigen, im übrigen aber die drei Bearbeitungen, deren jede ihren eigentümlichen
Wert bat, wieder abdrucken zu lassen. Zu dieser Arbeit, sowie zur Erklärung
einiger schwierigen Textstellen möchte ich mit den folgenden Bemerkungen einen
bescheidenen Beitrag liefern.
I. Zu Hoffmanns Ausgabe der Trierer Handschrift.
62. Me Got erklärt H. hier und 170 als Entstellung von myn got. Ich er-
kläre mir me als weitere Verkürzung der Beteuerungsformel summe (so mir Gott
helfe!). Dafür spricht auch die Formel 242 me got unde hilgen.
63. Solden wy leren aldus ein jar,
Denket wy dar anders by.
Die Hds. hat Denket myr. Ich lese: dunket my aar wunders by.
66. Heddik noch durer provenden drei. Hie Hds. hat durt was wohl aus der
verderbt ist.
69. hunthursliken. Dass das Wort entstellt ist, wird schon im Mnd. Wb. ver-
mutet. Sollte nicht schantirliken l schimpf lieh ' zu lesen sein?
71. Wy en willen uns noch anders weggen. Etwas unklar. 'Wenn wir uns
nicht anders regen, die Wahl betreiben?*
74. So endede der anderen provenden ein
Nowce des jares einen beker siein
H's Erklärung ist abzuweisen, da siein = slagen nicht vorkommt. St. stein ist clein
zu lesen und zu übersetzen: 'So würde der Wert einer der anderen Präbenden
des Jahres kaum den Preis eines kleinen Bechers (Wein) betragen.
8'». Keysen wy by tyden nicht einen herent
De uns mit umsieht helpe keren,
Wy soldes wol enware wem,
Dat sei uns ut aller genauen sern. '
Das nach H.'s Angabe in der Hds. fast erloschene umsieht gibt keinen Sinn. Ich
vermute, dass H. falsch gelesen hat und schreibe: De uns dat unrecht helpe keren
'der uns das Unrecht abzuwenden helfe.' Dass das hdsl. serden: werden richtig
ist, bemerkt schon Lübben im Mnd. Wb. :
105. vat = vesica, wie H. erklärt, ist nicht belegt: Frisch meint vut = eunna, '
vulva. Sollte nicht in dat gat (foramen podicis) zu lesen sein? Aehnliches derb-
komisches V. 85 u. 141.
126 ff. lese und interpungiere ich:
Gy mögen seagen wat gy wellen. j
An ik klage nyr mit mym gesellen.
Dat wy jo nicht verweiigen,
Ik wil dat sweren an dei heligeny
Want ik an ausser ganser rasten \
Ny visches oge en dorfte betasten. j
9*
„Ihr mögt sagen was Ihr wollt, so klage ich doch hier mit meinen Genossen. Dass
wir nicht zu üppig werden, will ich bei den Heiligen beschwören, denn ich bekam
in dieser ganzen Fasten keinen Fisch zu kosten."
183. Hei solde eins dages mer werteren
Dan wy künden tom eie brengen.
Solde hei darum dat sticht enthengen?
Hoffmanns Erklärung von tom eie ist nicht Überzeugend. Ich lese: to weie. b. = to
wege b. ' zustande bringen'. Vgl. Redent. Spiel 659 (Ettmüller) Wo heft he dat to
wege bracht? (Hds. tracht). enthenghen erkläre ich = ' einengen, schmälern.
287. Ich vergleiche die noch gebräuchliche Redensart 'die Vetternstrasse
reisen', was man thut, wenn man sich auf einer Reise so einrichtet, daas man stets
bei Verwandten anstatt im Wirtshaute einkehren kann.
265. krut undt win = 'Confect und Wein'; vgl. Mantels Jahrb. 1877 S. 83 ff.
269. lies: Ik en kan des stichtes nicht vörstan.
282. slote kann hier unmöglich Plural von slot — Schloss sein, sondern es
muss eine Personenbezeichnung darin stecken; villeicht de scoler, jungen Clericer?
Vielleicht steckt auch ein mundartlicher Ausdruck darin. Im Progr. v. Mühlheiui
am Rhein 1886, S. 1 lese ich: 'Die Banausier mit ihren Schloten.'
298 f. lese ich mit der Hds. :
Gy en sein dar to} samt godes graf:
Veldet my war, ik neimt ju af,
4 Wenn Ihr nicht darauf seht (mir dienstlich zu sein), beim heiligen Grabe! Messet
Ihr es woran fehlen, ich wllrde es Euch vergelten.7 Veldet = velde it Prät. Conj.
von velen (veilen). lieber afnemen vergelten s. Mnd. Wb. und Vilmars Idiotikon
u. abnehmen. Sass will die Verse, die er jedoch anders erklärt, dem Theophilus
zuweisen.
320 f. interpungiere ich: Komestu jummer weder herf
Du mochte» leiver svn over mer.
„Wenn du jemals wieder hierher kommst, soll es dir so ergehen, dass du wünschen
möchtest, lieber weit fort zu sein.
827 f. lese ich: Hyr en hört nicht to dan got gedtdt:
Dat ik nu börste als ein bone,
We geve my dar af wat to lonc?
„Hier nützt nichts als Geduld. Wenn ich nun ganz gebrochen (betrübt) wäre, wer
würde mir etwas dafür zum Lohne geben?" Das Gleichniss scheint daher ge-
nommen, dass die Schote der Bohne, wenn sie trocken geworden ist, oft von selbst
Elatzt. H. erklärt borsten durch vor Zorn zerbersten, platzen, toben als ob man
ersten will. Zorn ist hier aber gar nicht am Platze. Dass bersten in der Be-
deutung genau unserem brechen entspricht, beweist die Stelle aus Renners Brein.
Chron. 1, 116 de mühre (Möhre) burst entwei.
836. Gy berven lüde junk und alt,
Wat ye in matschop verink aalt,
Wat tuwer is beide arm unae ryke.
Hoffmann erklärt verinc = 'im vorigen Jahre.' Richtig auf die bekannte Münze ist
es schon im Mnd. Wb. 5, 238 gedeutet. Ich erkläre aber abweichend davon: „Alles
was je in einer Genossenschaft einen Heller wert erachtet wurde. Ich hörte öfter
im Scherze sagen. Du giltst 'nen Dreier und ich drei Pfennige!
350 f. lese ich: Wat den duvel sal de belevet,
De neyne kroden nicht en hevet
„Was. zum Teufel, soll der noch am Leben, der kein Geld hat." St des hdsl.
eune Jcroden setzt Hoffmann eyne graden 'eine Gräte'. Kröten — l Kleingeld' wird
aber noch jetzt gebraucht belevet ist Part, praet, wo gewöhnlich der Inf. Praes.
steht. Vgl 268 wat helpet dit gedan ? „was hilft es dies zu thun."
389 wird losen durch 'wahrsagen' erklärt, was aber nach H.'s eignem Ge-
ständniss kein niedd. Wort ist; es ist lesen zu schreiben. Der Zauberer liest seine
Beschwörungsformeln aus dem schwarzen Buche.
133
393. De qiiemen al hervor gensliken.
gemliken 'ganz und gar' passt nicht in den Zusammenhang. Ich lese: De quemen
al hervor sliken. Vgl. Llib. Dodend. 1662 he kumt sliken recht so ein def.
421. Ik hebbe genomen groten schaden . . den wil ek weder remmen in, soldik
darum des duvels syn. H.'s Erklärung ist bereits im Mnd. Wb. 2,374 zurück-
gewiesen, doch genügen auch die dort gegebenen Erklärungen nicht. Sollte nicht
die Stelle verderbt und zu lesen sein: den wil ek weder brengen in — ?
460 ff. Ok we sik mit dem duvel besteig
Dar an hei gern en snippen veit:
Hei scheidet nicht van eme sunder schaden.
H.'s Deutung wird schon im Mnd. Wb. IV, 276 bezweifelt Auch das erste hei kann
nur auf den gehen, welcher sich mit dem Teufel einlässt. Ich setze vermutungs-
weise: Dar an hei gern (leicht) en snoppen (catarhus, reuma) veit. vangen wird
noch von der Aufnahme eines Ansteckungsstoffes gebraucht. Vgl. auch: de lucht
van Gerh. v. Minden 98, 2.
485. St. Gein ist wohl Ken zu lesen.
442. üeber diesen Vers ist bereits das richtige im Mnd. Wb. unter serden
bemerkt.
503 lies: an ene Straten. »
Nach 574 ist eine stärkere Interpunktion, ein Punkt oder Semikolon zu setzen.
579 lies: It sy uns leif, it sy uns leit. Vgl. 784.
581. da hefst my eine lange reise benomen. Du hast mir den Erfolg einer
langen Reise zu nichte gemacht. Lesart d. a. Hds.: St. 252. II. 68.
686. boterwort 'Büsserwort', wie Hoffmann und 'heilendes Wort', Trostwort,
wie das Mnd. Wb. erklärt, ist sonst nicht belegt. Die Hds. hat übrigens buter
wort, und die Stockh. Hds. V. 388 zeigt, dass dies aus bitter wort entstellt ist.
718 ff. lese ich: Ik wil ok dat tobrengen wol,
Dat dy al deit vrochten sol.
al deit = alles Volk. Vgl. Heimst. Hds. 161 f. Ik wil dat vogheti (Hds. waahen)
wol dat me dy vrochten sol. Hf. erklärt vrochten hier = fruchten, nützen; es heisst
aber 'fürchten, verehren1.
720 f. ist vermutlich zu lesen:
Dat dy al de werlde werde bekant,
Dat love ik du in dyne hant.
bekant werden fasse ich als im Jurist. Sinne als 'sich abhängig bekennen von jemand;
s. Mnd. Wb. I, 208.
758. War wil ek hen? ik en werde wol tein.
Imme stocke brenget men einen wol gein.
H. übersetzt: „Wo will ich hin? Ich werde wohl nicht davon kommen: im Stocke
[GefängnissJ bringet man einen wohl dazu. (Wenn man gefangen ist, wie ich, so
uiuss man sich schon drein finden.)" Er fasst danach gein = geaen, es ist aber das
Verb^ gein, confiteri: „Im Stock bringt man einen wohl zum Geständniss. Auch
tein ist in der von H. angenommenen Bedeutung nicht belegt. Ich schreibe: ik en
werde wol in tein „Ich werde wohl keine Einwendungen machen". Auch V. 613
liest das Mnd. Wb. : (Du mit) bekennen unde gein openbar unde dar nicht in tein,
dat Th. des duvels si.
IL Zur Stockholmer Hds.
30. Wat des kores an my dot d. i. „Soviel der Wahl an mir ist". Ist vielleicht
stät zu lesen?
58. DU rede ik vor ju allen, schit! (: nicht). Der unreine Reim ist nicht
glaublich. Sollte nicht alle schickt 'für jeden Fall' zu lesen sein?
140 lese ich: In aller behendicheit han ik vornunst.
156 lies werüiker 'weltlicher '; 179 werüiken.
191. Hds.: Noch dar an dat yk hope. Ich lese: Nach eren, dat ik hope.
Vgl. Heimst. Hds. 13.
134
232 f. lese ich: Ik besicere dy by deme volle,
Den jy velen (' fielen ') alle.
244 ff. lese ich: By deme gode de lof unde gras
Unde alle dirüc gesenapen hat
Beide gut unde quat.
Mitischen unde ok erde schop.
Die von IL angenommenen Subst. minschop und erdeschop sind nicht weiter belegt.
272, 321. Das von H. angenommene lykop ist im Mnd. gar nicht belegt Das
hdsl. lyken kop 'billigen Handel' ist auch gar nicht zu bezweifeln.
312 lies mit der Hds.: Dat dy' nen man to tröste möge komen.
311. Ich setze Punkt nach 318 und schreibe: An himele noch an erden Dy
mach nein trost werden. Vgl. H. 131 f.
326 ist denest nicht in denestman zu ändern. Es ist = Dienste , Dienstbote.
Vgl. D. W. u. Dienst u. d. Mnd. Wb. Auch 387 ist es wohl in dieser Bedeutung
zu fassen.
353 z. d. V. s. oben. Ebenso z. 874, 376.
383 lese ich und interpungiere ich:
Nene almissen schaltu snyden,
Du en wult se in myn ere aeven:
De en wil ih dy nicht bescheren (Hds. bekeren)
„Du sollst kein Almosen austeilen (snyden eigentl. vom Schneiden des Brotes), da
wollest sie denn zu meiner Ehre geben. Die (solche) Almosen will ich dir nicht
abschneiden." bescheren 'berauben' R. V. 6650.
397 f. lese ich: O we dat sote wort
Dat is my ungerne ghehort!
414 hat die Hds. richtig: ghespraken. 428 ebenso ne st. ny.
462. f. ist vielleicht zu lesen:
Du schalt de besten etten
Vrunden to dyner tafelen setten.
„Du sollst die besten Mahlzeiten Freunden auf deiner Tafel vorsetzen." S. die
Bern. vorn.
494 lies: De scle kranket yan naturen.
514. St. mochtestu liest die Hds. mochtu d. i. machtu.
550. Dass das hdsl. zeghen in seden (sagten), nicht mit H. in deden zu ändern
ist, bemerkt schon Sass S. 243.
571 lies: He volgede ome altohant
Wyde seder (Hds. syde) dorch de laut.
575 f. lese ich : Er dede he unrecht genslike.
Xu lidet he den wec to dem hcmelrUce.
lidet 'gehet'. Hds. ladet.
579 lese ich: Hevestu to den sunden wesen plicht.
plicht = adj. (eigentl. Part, zu plichten) verpflichtet, verbunden.
6u8. Up dat du dyne sunde leist. Ein mnd. leiden 'beichten', weiches H.
annimmt, gibt es nicht. S. die Bern. vorn. Man könnte auch vermuten: Up dat
du neyne sunde deist.
644 f. lies: De ju here heft geladen.
Konde wy unse herte to eme stadenl
659. godes niht 'nicht von Gott', Die Einschiebung von wort ist unnötig.
683, 698. soverinne 'salvatrix' ist kein mud. Wort; es ist sonerinne (nihd.
suonerimic) zu lesen.
685. lies: den armen sunderen.
737 lies: Th., ligge an dyneme bede (Gebete) stille. Die Hds. hat bedde.
Auch in mhd. Hdss. finaen wir; an dem bette (st. bete) ligen.
135
747 ff. ist zu lesen: He heft gelegen, dat ik wol wet,
Dre (tage dat he nichtes en dref
Men toeitien unde gitten.
Vgl. H. 519 ff.
799 lies: Ik en mot (darf; Hds. weit) unde wil ok nicht gebeden sin.
809 lese ich: Deuke. leve tone, dorch mynen Witten
Dat ik dy vodeae mit myner spülen.
Vgl. dorch dynen willen 824.
821 lese ich mit der Hds. :
Do de» blinden sper so ghot
Dorch dyne vorderen syden stot.
H. hat gewiss Unrecht, wenn er ghut in gröt verändert; nicht darauf kommt es an,
dass der Speer gross, sondern, dass er gut, scharf ist. Von neueren Dichtern ge-
braucht besonders Unland gern das Adj. gut von Waffen: die guten Schwerter
(Jung Siegfried) ; der gute Speer (Roland Schildträger). VgL auch Nibel. (Bartsch)
402 Schilde guot.
888 f. lese ich: 0 we, ik mot dat don jo;
Dar bringet my dyne walt to.
jo {.also) am Ende des Verses 562.
912. Under syner fangen licht de bref.
He heft ene stolen also ein def.
Wil he ene nicht vinden,
So schole gy ene binden
Unde stan ene mit rungen:
De bref licht under syner tungen.
under siner tungen kann nicht heissen 'unter seiner Zunge'. Es ist wahrscheinlich
under siner dünge, dune, mhd. tunc bedeutet unterirdisches Gemach, Höhle, Gang
unter der Erde. Der helle tunc findet sich in K. v. WUrzburgs Gold. Schmiede 173
und in der Martina 88, 49; 99, 84. Vgl. auch z. Heimst. Hds. 686.
960. Theophile, ik teil du wecken
Unde wil dy van allen sunden trecken.
Es ist zu lesen: Th.} ik en wil dy wecken Unde wil dy van allen sunden recken.
Vgl. zu H. 722 (Hf. 692).
HI. Zur Helmstedter Hds.
10 ff. lauten nach dem Abdrucke bei Bruns:
My was neyman ghelike
an reden un ok an sinneti.
De hadde ik alle en bynnen,
• noch eren so ik hope.
Ghekoren wart ik to eynem biscope.
noch erklärt Br. durch 'genug', und auch Ettmttller und Hoffmann haben diese Er-
klärung angenommen. Es kann aber hier nur für nach stehen, das im Mnd. neben
tut erscheint. Nach eren erklärt Benecke im Wörterb. z. Hartmanns Iwein durch
'so dass man sich nicht zu schämen braucht'; vgl. auch Mnd. Wb. I, 443; Schmeller,
Bayer. Wörterbuch aI, 124.
Ich lese und interpundere :
My was neyman ghelike
An reden unde an synneni
De hadde ik alle enoynnen.
Nach eren, so ik hope,
Ghekoren wart ik to eynem biscope.
binnen hebben 'geistig erfasst haben' noch jetzt im Gött.-Grubenhag. gebräuchlich,
wenn auch von Schambach nicht aufgeführt.
60 ff. (E. u. Hf. 58) ist zu lesen:
S. 8prak: (Th., wat menestu hirmede
(Dat i8 jo der papen sede),
Dat du my so sere besweret hest
136
By dem gode de de lof unde gras
Unde alle dinge gescapen hat
Beyde got unde quat?
Die Besserung got unde quat ergibt sich aus der Stockh. Hds. V. 246; vgl. auch
z. 732. besweren 'ineantare' ist als sehw. v. im Mnd. Wb. nicht belegt; liegt eine
Verwechslung mit besweren, 'belasten' vor?
119 (E. u. Hf. 115) lies: Ek wil dy nilti vor leghen 'ich will dir nichts vor-
lügen \
131 (E. u. Hf. 127) lies: Unde nummer dy nen trost scuüc mer werden. Statt
dy nen hat die Hds. dyne (entstellt aus dy ne\ Vgl. Tr. Hds. 631 Dat nein trost
mer an dy en sy. Hf. schreibt dyner; E. ändert willkürlich.
145 ff. (E. u. Hf. 141) lese und interpungiere ich:
Theopkilus sprak: Du teilt my dar to driven,
Dat ek eynen bref scal schryven
Unde eyn Jiantfcste.
(Also du sprekest also de beste)
De my an myne zele geyt.
Dar to byn ek al bereut.
St. scal hat die Hds. late, welches die Hgg., obgleich er keinen Sinn gibt, bei-
behalten haben. Tr. Hds. 645 sal. St. 331 schal. Also du sprekest also de bexie
'Du sprichst so wie der Beste; du verstehst sehr gut zu reden.'.
161 (E. u. Hf. 157. St. des hdsl. waghen lese ich voghen 'fügen, passend ein-
richten' (Hf. maken).
186 (E. u. Hf. 183) lese und interpungiere ich:
Versähe ok aller dinge
De man in der kerken singe}
Spreken, denken unde lesen.
Vgl. Tr. 670 ff. ; St. 364 ff. abweichend. — Dass der Teufel denen, die mit ihm einen
Pakt machen, das Sprechen verbietet, geht schon aus dem alten Mährchen vom
Bärenhäuter hervor, worüber zu vergl. Br. Grimm, Kinder- u. Hausmärchen. 3. Bd.
Nr. 100.
203 ff. (E. 195; Hf. 199) ist zu lesen:
Theophil sprak: lDu hest my sware rede vorgeXeghet,
Also wie jo den mistrosteren pleget.
'Du hast mir schwere Bedingungen vorgelegt, wie man es immer den Verzweifelten
(die sich mit dem Teufel einlassen) zu thun pflegt. ' steare rede entspricht dem
bitter wort der Stockh. Hds. 388, in der Tr. Has. 686 in buter wort entstellt, was
von Hf. in boterwört (Btisserworte sie !) geändert wird. Vgl. auch Sass S. 42.
231 (E. 229; Hf. 227). •
Nu scaltu don wat ik dy hete.
Der folgende Reim bereit zeigt, dass heit zu lesen ist, welches als Präterit. zu
fassen ist. V. 233 ist schon von E. u. Hf. richtig als Schreibervers ausgeschieden.
260 f. Dit is eyn stucke sulver fin,
Dat heboe to der (Hds. des) koste dyn.
'Dies ist ein Stück feines Silber (ungemünztes Metall)? Hf. vermutet i. d. Anm. zu
253 offenbar falsch nach St. 459 : dit is ein gülden vingeryn. Vielleicht ist nach
Tr. 798 zu lesen: Dit is ein scutel ('Schüssel') sulverin:
De hebbe to der koste din.
277 — 79. Die ungereimten Verse passen allerdings wenig in den Zusammen-
hang, und ich stimme Ettmüller bei, der dieselben (s. Bern, nach 265) streicht,
308 (E. 291 ; H. 295) lies: O wy ir der leyden stunde.
315 (Hf. 299). God vorkne uns alle fvne syntie
Un aeven uns syne goiliken mynnet
Vreae und syne gnade to reden
Dat et anname mote wesen.
Auch hier halte ich die Ueberlieferung von H. für entstellt und verstümmelt Die
entsprechenden Verse der St. Hds. 545 ff. lauten:
137
God vorlene uns synen vrede
Unde dar to guden sede,
Syne gnade my to redende also,
t>at it gode annemc sy und wy des werden rro.
Ich glaube, dass die Vorlage von H. etwa folgendermasscn gelautet hat:
God vorlc?ie uns allen fyne sede
Unde geve uns synen gotliken vrede
Unde my syne gnade to reden,
Dat it anname mote wesen.
Zunächst kam dem Schreiber st. sede das nicht passende synne in die Feder, wozu
sich der Reim mynne von selbst einstellte, während aber zugleich das ursprüng-
liche Reimwort vrede erhalten blieb und in die nächste Zeile geriet
832 f. (E. 311; H. 316) lese ich:
Dat schach tohant darna;
Eyn islik sprak ein ave Marja.
Die Verse sind einfach berichtend und beziehen sich auf die Aufführung (vgl 324 ff.),
sie hätten also von den II gg. als Bühnenanweisung gedruckt werden müssen. Wie
hier spreke f. sprak, so ist V. 337 sprak f. spreket verschrieben.
341 (E. 320; Hf. 325) lese ich:
He sprak: volge my du
Alsus, salghe mhische, nu.
St. nu liest die Hds. fu. V. 342 beziehe ich auf den Zöllner, Hf. fasst es falsch
als Anrede an die Gemeinde; vgl. St. 568.
355 (E. 334; Hf. 339) hebbest ist Conj. und nicht zu ändern. Nach 3M fehlt
ein Vers, der von Hf. richtig nach St. 577 hergestellt ist Auch sunde st um
scheint richtig.
392 (E. 371; Hf. 376). Die Hds. liest richtig: Du bist ok alle tijd an sinen
henden; es ist ghescriven aus V. 390 zu ergänzen.
409. Das over meres ist von Hf. (393) in over mer geändert. E. (Amn. z. 387)
will nicht ändern. Man könnte auch overmeresch vermuten.
410 lies On st. Ome. E. (388) und n. (394) lesen En.
415 (E. 393; Hf. 409). Das überlieferte Gif, das Hf. zu erklären versucht, wird
aus Gy (Ihr) entstellt sein.
421 ff. (E. 397; Hf. 403) ist stark verderbt Ich stelle dieselben mit Zuhilfe-
nahme von St. 654 ff. etwa so her:
O wc, ik vil khken man,
Myne ogen latet my bister ganl
Dat ik bin so sere ghedovet unde dum,
Des is myn munt worden stum.
Ik bin atso eyn gok:
Myne oren sint my tcorden dof.
Des is my lange toren (vgl. St. 660)
Dat ik nicht kan godes wort hören.
Ik lian vorseilet eynen kop.
Des mot ik sin verloren ok
Unde de sele jo to voren.
It were beter, dat ik nicht were boren!
436 (E. 412; Hf. 418) ik vil armen ist nicht zu ändern.
449 (E. 426; Hf. 428) lese ich: To der wil ik mi spaden und erkläre sik
spaden = sik spodeti l sich eilig wohin begeben \
Die Verse 499 (E. 476; Hf. 478) sind, wie schon oben bemerkt, unrettbar ent-
stellt. V. 501 verrät sich deutlich als Flickvers.
519 ff. (E. 495; Hf. 498) lies:
De heft dre daghe leghen
Dat he nu heft entweqen (Hds. en&swcgen)
Nicht wen wenen unde aillen.
,Er hat drei Tage gelegen, so dass er an nichts als weinen und schreien gedacht
138
hat.' Zur Bedeutung von ent wegen vgl Gerh. v. Minden III, 20 Nichenes drankes
men doch entwoch.
524 ff. (£. 500; Hf. 503) lese ich:
Wente ik bin de rene.
De jo de sunder anschre :
Salva regitia misericordie.
anschre = Pract. ' anrief1. Das Verb anschrien ist im Mnd. Wb. nicht belegt, wohl
aber das Subst anschrei.
550 ff. (E. 526; Hf. 529) ist zu lesen:
Ik wil seyn, wu ik ome böte.
Siner groten Bunde swere.
„Ich will sehn, wie ich die grosse Last seiner Sünden von ihm nehme/'
558 (E. 534; Hf. 537) liest die Hds. richtig: Ome hedde dat sin vorqheven.
„Ihm wäre das (dass er sich von mir losgesagt hat; mit Beziehung auf V. 556)
vergeben worden."
560 (E. 536; Hf. 539) lese ich:
My deden we myne wunden,
Do he myner at&o vorsok
Unde der saligen vrucht de my gedroch.
„Mir thaten meine Wunden noch, da er sich von mir lossagte und von (dir) der
seligen Fracht, die mich gebar. Vgl. 176 (Hf. 173) und die im Mnd. Wb. V, 42S
angeführte Stelle aus dem Oldenburger Gebetbuch: Theophilus de dyner unde dyner
leven nwder vorseken hadde. Die Einschiebung von saligen aus St. 792 ist nötig, da
salige vrucht, der soliden vr. eine stehende Bezeichnung für Maria ist
586 ist das hdsl. ernerde (Hf. 565 ir nerde) nicht zu ändern.
Ebenso ist 595 dem (E. 571; Hf. 574 des) richtig; es bezieht sich auf spere,
nicht auf joden, grot ist in ghot zu ändern; s. z. St. 821.
599 ist do in jo zu ändern; E. (575) behält es; Hf. (578) schreibt ju.
605 (E. 581 ; Hf. 584) lies one; Hf. liest ene. Ebenso ist 636 van ome (E. 608
fan eme; H. 613 van hinne) nicht zu beanstanden. 65(1 ist von Hf. (626} de unnötig
eingesetzt; der Ausfall des Rel. pron. kann nicht auffallen. 651 ist veräomet schon
richtig von E. u. Hf. in vordovet gebessert
670 f. liest die Hds. richtig:
Ik han one gevraget sere
Mynen heren Lucifere.
Der doppelte Akkusativ ist bei vraaen nicht auffällig. E. (635) schreibt ume ene;
Hf. (642) ene, was er aber auf Lucifer zu beziehen scheint.
686 (E. 651; Hf. 658). He (der Brief) lit Lucifer under sinem jucke. Die
Herausgeber haben mit ihren Erklärungen und Aenderun^svorschlägen nicht das
richtige getroffen. Auch die Erklärung Woestes, welcher im Mnd. Wb. II, 407 jok
als Mauernische hinter Lucifers Hochsitze erklärt, ermangelt der Begründung. Auch
V. 700 (Hf. 692 [= St 984] steht de under di lit bearaven. Die Verse scheinen
rettungslos entstellt. Vielleicht änderte der Schreiber das düng der Vorlage in luck
'Loch* s. z. St. 912.
üeber 702—705 (E. 667; Hf. 674) s. die Vorbemerkung.
713. Das hdsl. vueren ändere ich in uneren (violare). E. (678) schreibt fören;
Hf. (685) vorveren.
716 ff. lese ich mit Vergleichung von St 956:
Maria sprak: lnu slap, Theophile,
Du heft dre dage unde tne
An grotem dwenge wesen:
Nu oistu aller sorge genesen.'
722 f. (E. 685; Hf. 692). Auch um diese Stelle haben sich die Hgg. vergeblich
bemüht Icn lese:
Naria sjyrak: * Theophile, ik wil di recken
Unde teil di nicht vorscreckefti.
recken ist reken 'wieder to reke, in Ordnung bringen'. Die Form mit ck ist, wenn
auch nur für das Adj. belegt im Mnd. WD. III. 455. Z. 2 von oben. Vgl. z. St.
llds. 962.
726. (£.689; Bf. 696) die Hds. liest richtig: mit sunderliken sahen 'auf ge-
heimnisvolle Weise'; vgl. R. V. 4874 dorch sunderlyke sakc.
Die Verse 732—742, welche von Hf. gestrichen sind, machen durchaus nicht
den Eindruck der Unächtheit; nur V. 732 verrät den Bearbeiter, der das Drama in
erzählende Form brachte. Er wird ursprünglich geschrieben haben:
Theophil 8prak in korter vrigt:
Ik love an dinen soncn den hilligen Krist,
Unde wil one nummer mer vortten
Unde de juncfrowen maget Marien,
De mi gnade wunnen hat.
Bat alle, got unde quat,
Konden 8prekenx de wenegen unde groten,
Se konden se mit love nummer mer boten,
Se en konden se nummer vul loven:
Se sin alles love» eriboven.
„Gesetzt, dass alle Geschöpfe, gute und böse, die kleinen und grossen, sprechen
könnten, so könnten sie sie mit Lob nicht befriedigen: sie sind über alles Lob er-
haben. Zur Formel got unde quat vgl. St. Hds. 246 und die Bern. z. V. 63.
746 (E. 707; Hf. 706) kann ich Ettmüllers und Hoffmanns Erklärung von
vorreden als 'verritten, in die Irre geritten' nicht billigen. Die St Hds. 980 hat un-
zweifelhaft das richtige: Ik hadde my vorredet al to screi Ich hatte mich zu sehr
durch Versprechen gebunden.
Northeim. ROBERT SPRENGER.
Zu Gerhard von Minden.
2, 21. De wulf sprak: Dat is schult genöch
van di, dat din drank mi geröch,
de mit di moste sin verdomet;
dut vUt drovet unde wlomet,
dat ik is drinken nicht en mach;
Diese Stelle ist zuletzt von Sprenger behandelt Germania XXXIV. 419. Derselbe
liest V. 22 gedröch statt geroch und fügt V. 24 hinter vlit ein he ein. Ferner hebt
er hervor, dass wlomen und droven nicht in intransitiver Bedeutung vorkämen. Letz-
teres ist jedenfalls richtig. Es scheint mir, dass die Schwierigkeiten dieser Stelle
bis auf geröch sich leicht beseitigen lassen, wenn man din drank in V. 22 als Sub-
jekt auch zu drovet unde wlomet, dut vlet als Objekt zu diesen Verben fasst und
hinter V. 23 das Semikolon tilgt. Das von Sprenger ergänzte he in V. 24 ist zu
streichen.
3, 100. Unde worden vast aldus gebunden
mit einem vaden, den se vunden,
daraf geneget was ein hot.
Gegen des Herausg. Konjektur bot ' Endchen ' für höt 'Hut' und meine Erklärung
von aeneget * genagt', Nd. Jahrb. XIII, 75, hat sich Sprenger a. a. O. ausgesprochen,
der not ' Hut ' Deibehalten will, weil das landschaftlich begrenzte bot sich im älteren
Niederdeutsch nicht belegen lässt. Dieser Grund ist nicht stichhaltig, ganz abge-
sehen davon, dass Sprenger selbst gelegentlich in ähnlicher Weise verfährt, d. h.
Formen ansetzt, die sich im Mnd. nicht belegen lassen. Ob bot nicht auch ander-
140
weitig vorkommt, bleibt noch zu untersuchen. In der Form bot scheint es sich in
Kattenstedt a. H. zu finden. Das abgesägte Stammende eines vom Winde um-
feworfenen Waldbaumes, an dem sich noch Erde und die abgerissenen Wurzeln
efinden, heisst hier waroöt. Was war- heisst, kann ich zwar nicht mit Bestimmt-
heit sagen, vermute aber, dass es für warp steht; tcarböt bedeutete dann Wurfende,
vergL warpschifele 'Wurfschaufel'. Aus Halberstadt ist mir der Familienname
Gerooth bekannt Auch in diesem Namen könnte both 'Ende' bedeuten. Dass bot
eine Neubildung sei, glaube ich nicht, sondern halte es für ein uraltes Wort, auch
wenn es sich für das Mnd. nur aus dem Laiendoctrinal belegen lässt Wie manches
alte Wort lebt im Volksmunde, das sich in der älteren Schriftsprache nicht findet. —
Was die gegen mich gerichtete Bemerkung betrifft, dass ich durch Seelmanns Kon-
jektur verleitet ein im Mnd. nicht belegbares nagen = gnagen, knagen 'nagen' an-
setze, was um so bedenklicher sei, als auch für das Nd. nagen der Umlaut uner-
wiesen sei, so scheint es mir mit dieser Begründung um nichts besser zu stehen,
obwohl dämm meine Erklärung noch nicht richtig zu sein braucht Warum die
Worte daraf geneget was ein Mt heissen müssen * womit ein Hut genäht gewesen
war', hat Sprenger nicht gesagt; dass höt 'Hut' und geneget 'genäht' heissen kann,
weiss ich sehr wohl, und der Herausgeber wird es auch gewusst haben. Dennoch
halte ich in diesem Zusammenhange Siese Bedeutung nicht für richtig. Was thut
es zur Sache, dass mit dem Faden ein Hut genäht war? Und warum gerade ein
Hut? Konnte es nicht auch eine Schürze sein? Der Zusatz ist nichtssagend. Noch
fragt es sich, ob daraf 'womit' heissen kann; eher 'woraus', indem es den Stoff
angicbt, von dem oder aus dem etwas gefertigt wird. Vergl. mnd. Wb. I 485 s. v.
daraf und V 684 s. v. werken, — Wenn für das hd. nagen der Umlaut unerweislich
ist, so ist damit für das Nd. nichts bewiesen. Der Umlaut im Nd. muss erst noch
untersucht werden; soviel steht jedenfalls fest, dass er im Nd. oft steht, wo er im
Hd. fehlt. Um Fallersleben findet er sich vielfach in Worten, die ihn um Blanken-
burg nicht haben. Wenn er aber im Nd. nicht einmal gleichmässig auftritt, so
kann das Hd. als Beweis für das Nd. nicht herangezogen werden. — Vielleicht ist
die Stelle ganz anders als bisher geschehen ist zu erklären.
6, 1 ff. Ein louwe wolde jagen varen; 15 De weder sprak der bute vro:
went het allene nicM bewaren lDo ik on sach, sat ik om to,
ne künde, do nam he darto dat was om to Karde torn;
den bok, den weder unde de ko do he sach mint krummen hörn,
5 unde treckede mit on in den wolt, do vlo he mi also sere,
dar he des icildes wiste entholt. 20 rechte als ik de duvel were'.
Den weder satte he in de stat, De bok sprak: lDo he enware wart,
dar men to bersende jo sat; dat so lank was mtn grawe hart
he satte enmidden up de warde unde mine hörne lank unde gröt,
10 den bok mit sinem langen bar de; mine ogen bernende unde röt,
bi den dik satte he de ko, 25 do moste he vlein dor de not,
dar io de harten lepen to. doch makede ik om einen stöt\
De louwe on üt dem dike brachte, De ko sprak: 'Ik dede ju geUk
na sinem rechte he do on wrachte. unde jagede on hir in den dik\
V. 1—12 berichten die Aufstellung oder Anstellung der Jäger. Auffällig ist sat
V. 8, welches 'sass' oder 'sich setzte' bedeutet. Man sitzt aber nicht, um zu jagen,
zu bersen. bersen, mit. bersare, altfr. berser, erst im 1 3. Jahrhundert aus dem Fran-
zösischen eingeführt steht, wie jagen, von Hunden und dem Wilde selbst: Wie die
Hinden, Reh und Hirsen Hin und her durch die Stauden pirsen. (H. Sachs.) Erst
später hat man in das Wort die Vorstellung von telis configere, oder mit der
Büchse zur Jagd auf Hochwild gehen gelegt. Gr. Wb. H, 40.
In den im mnd. Wb. angezogenen Beispielen hat bersen gleichfalls die Bedeu-
tung 'jagen', nicht 'birschen' im heutigen Sinne. Auf dem nd. Harze lautet heute
das Wort preschen. Fremdworte mit anlautendem b, zeigen fast ausnahmslos in der
Kattenstedter Mundart ein p. Die Bedeutung ist nicht 'birschen', sondern allgemein
'jagen' von Menschen und Tieren, gern vom Hochwild: de harsch presefa dn mek
vorbi. Wenn V. 8 sat richtig ist, so würde man bersen im Sinne von telis configere
nehmen müssen. Vielleicht ist aber statt dessen hdt^^hadde zu lesen: 'wo man zu
jagen pflegte'. S. meine Bern, zu B. V. 812 in der Germania XXXIII, p. S79. Zu
141
vergl. ist noch bei Schambach s. v. tlen die Wendung: d&n harre eh te liene 'den
mochte icli leiden.'
V. 9 hat die Hs. he satte an tnidden up de warde. an gehurt zu satte, an-
setten 'Platz anweisen, anstellen1 ist Ausdruck der Jägersprache. Störend ist V. 12
der Übergang von dem Plural dar jo de harten lepen to zu dem Singidar de louwe
on (den Hirsch) üt dem dike brachte, zumal wenn man auch des wildes in Vers i\
kollektiv nimmt In der Fabel ist sonst immer nur von einem bestimmten Hirsch
die Rede. Dies veranlasst mich zu der Vermutung, dass V. 12 zu lesen ist: dar
jo de harte lep hen to. Es ist wahrscheinlich, dass der Löwe auszog, nicht um
irgend einen Hirsch zu jagen, sondern einen bestimmten, dessen Standort (entholt)
und Wechsel (dar jo de Harte lep hen to) er genau kannte. Dann würde V. 6 des
wildes auch den bekannten Hirsch bezeichnen. Verschwiegen wird, dass der Hirsch
seinen Standort verlasst, bez. wer ihn hoch macht, und wo der Löwe sich anstellt.
V. 1 3 berichtet gleich, der Löwe habe den Hirsch aus dem Teiche gebracht. Wenn
er weiter keinen Anteil an der Jagd hat, dann dürfen Widder, Bock und Kuh
mit Recht ihr Verdienst hervorheben V. 16 — 2^. Aber V. 27 hat die Hs. do he
statt de ko, und die hds. Lesart scheint mir möglich, he wäre der Löwe, er spricht:
'Ich that gleiches wie ihr (Widder und Bock) und jagte ihn hier in den Teich'.
Es antworten ihm nur der Widder und der Bock (de weder sprak do mit dem bücke),
was erklärlich ist wenn auch vorher die Kuh nicht gesprochen hat.
V. 14 hat die Hs. to on. Vielleicht ist on to wrackte zu lesen. Das einfache
werken im Sinne von ' ausweiden, zerlegen' ist nicht belegt; towerken würde mhd.
zewirken entsprechen, Tristan 2793: wer sach ie hirz zewirken so. Der Löwe,
welcher die Jagd veranstaltet, den Hirsch vermutlich aus seinem Standorte hoch
gemacht und schliesslich aus dem Teiche geholt hat, hat das Recht der Teilung.
Sprengers Erklärung: he to om wrachte 'that er mit ihm1 scheint mir nicht das
richtige zu treffen, ebenso wenig die des hds. hude in V. 15. Mit Seelmann lese
ich bute. warde in V. 9 bedeutet * Warte'. Wie die Kuh an den Teich, der
Widder an den Birschgang, so wird der Bock nicht auf die 'Hut', sondern auf die
Warte gestellt.
7, 13. De wise man sprak dusse mere,
dat ik der sunnen wiüe were
6k wis, dat he wolde nemen
ein echte wif.
Spr. a. a. 0. vermutet dass zu schreiben ist 6k wes en ' und gab ihn (den Willen) zu
erkennen'. Diese Übersetzung ist unrichtig, 6k heisst nicht 'und'; man würde
wenigstens 6k wSs he en erwarten. Meine frühere Erklärung halte ich noch auf-
recht, wenn nicht etwa wisse statt wis en zu schreiben ist Die Bedeutung von
wis, wisse 'sicher, gewiss' war aus dem mnd. Wb. zu ersehen.
10, 00. dar hadden se over gut gemak. Es ist overgüt zu schreiben wie sonst
overgröt,
18, 11. Ein konnink wart on gr6t genöch,
wol sticht an art unde ane toch,
de here van enem berge slöch,
ein balke lank unde ungevöch,
he was to beiden enden stump.
Die Hs. hat V. 12 ast statt art. Es ist von einem Balken die Rede, der zwar lank
unde ungevöch, aber sticht ist, d. h. ane ast unde ane t6ch 'ohne Ast und ohne
Zweig'. t6ch ist nicht 'List', wie die Wortlese angiebt, sondern 'Zweig'. In dem
aus Gr. Weisth. 3, 184 angezogenen Beispiele lässt das mnd. Wb. diese Bedeutung
des Wortes noch zweifelhaft, doch wie ich glaube ohne Grund.
21, 37. de bände weren ome gedreven
unde mannich gr6t stach gegeven.
Die Redensart einen de benne dndrtben 'jemand in barscher Weise zur Eile an-
treiben' ist in Kattenstedt und Umgegend allgemein üblich.
27, 121 ff. interpungiere ich folgendermassen :
Se leiden alle sorge neder,
he trostede se, se trostede on weder
142
mit ddt unde 6k mit soter rede.
Wart da gebroken dusse vrede,
dar af vreschede ik ni klage
sint noch to hove noch to dage.
143 ff. interpungiere ich: De ridder or do dankede sere,
allein it (ihre Handlungsweise) harde unwiflich wert.
Up dat he doch etc.
159 ist hinter ruwen ein Komma statt Punktes zu setzen; beschütte in V. 157
wird Konjunktiv Iraperf. sein.
28, 19 lese ich: Se sprak: lGi leget; mit uneren
is it bescheren mit ener scheren
29, 22 vermute ich, dass es heissen lnuss: dar het he an
how meygen twene sine knapen.
30, 1 ff. interpungiere ich folgendennassen:
Ein sclione junk wif unde unstade,
mit logene unde mit valschem rade
brak af vil mangern manne gut.
31, 31 ist hinter rede ein Punkt zu setzen.
35, 6 ist hinden statt hinder zu lesen.
43, 24. He schal erst bidden vor de sele
dat it ome darna wol irga;
dat gut volget ome na
statt darna ist wohl daran zu schreiben.
45, 1 ff. möchte ich folgendermassen lesen:
Ein vos gink, do de mane scliein,
des nacktes up ein velt, dar ein
dep pöl bi sinem wege lach,
dar he des manen Schemen sach.
Darna om duckte an sinem geberef
dat it ein schdpkese weret
went he om duckte also geschapen.
49, 186. Do ome tobroken was sin schilt,
to gadere h€U it doch de vilt,
dat it ome hangende do blef.
De vedere, dar man mede scrif,
de was vorgeten in dem brede;
de meisten angest ome de dede.
(dat ore noch de duvele plege!)
de brachte on erst to acMerwege,
went de stak on do umme dat hol.
V. 190 ist vorgeten schwerlich richtig. Wie V. 194 zeigt, war die Feder nicht ver-
gessen. Statt vorgeten ist vorseten von vorsitten. cf. vorsetene rente 'restierende',
mnd. Wb. V, 44« oder --- beseten zu schreiben. Mnd. Wb. I, 269 beseten 'der einen
«^ Sitz hat'. V. 192 ist von Sprenger richtig erklärt.
51, 4. Dit mir quam over al de lant,
dat sere untvrochte7 dat darunder
vorborgen were ein merwunder.
Statt de lant V. 4 ist dat lant zu schreiben.
52, 28 ff. interpungiere ich folgendermassen:
Heb ik geddn
je gudes icht an miner joqet,
was an mi jenigerhande doget,
des mach ik klene nu geneten.
Do gi mi bi ju slapen Uten
143
38 ff. lese ich: mer older, dat ju tokomen
wol mach bi wane an körten jaren.
Nochten blive gi wol, de gi waren,
allein untgän si mi de macht.
Dar schotaen
54, 1 . Ein raven döt enen pawen vant.
Do dachte he darna tohant
mit sinne unde mit gudem willen,
dat he den pawen wolde viüen
unde wolde sin vlesch eten sän,
algader umme sinen rugge hdn
unde wolde mit den pawen gan
Statt algader V. 6 ist wohl de vederen zu lesen, Vergl. V. 13 und 14: He rofte al
sine vederen af Unde töch des pawen vederen an.
39. des bin ik vredelös
worden unde bin als ein gös,
de uppe den eigeren gevrös,
gevillet, blöt unde beroft.
Statt gevillet hat die Hs. gevullet, was in gewullet und nicht in gevillet zu ändern
sein dürfte, de gerne wutten 'den Gänsen die Federn nehmen', sek wullen 'sich in
die Haare fahren' sind heute ganz übliche Wendungen am Harz.
55, 7. De quamen al up enen dach,
dar ne an sinem denne lach,
dar dicke umme ein dorne was,
darbinnen blomen unde gras.
V. 9 war das hds. dat -van nicht in dar -ein zu ändern.
59, 64 ist das in der Hs. fehlende is zu streichen.
61, 58. To wolde trecken men begunde;
de hart de wart tohant gespört
unde one tohant so verne untvört
van groter snelheit siner bene,
Statt gespürt hat die Hs. gehört. Mit Recht verwirft Sprenger, Programm Northeim
JS79, Seite 9. das vom Herausg. gesetzte gespart Aber ebenso wenig ist Sprengers
Änderung gekört richtig, die er auch Fabel 47, 95 statt des hds. upgeboret vor-
? genommen hat. An beiden Stellen halte ich upgeboret und gebort für das richtige,
n der Waidmannssprache heisst es einen Hirsch 'hoch machen', aufjagen aus seinem
Aufenthaltsorte. Dem entspricht genau upboren. b und h sind mehrfach in der
11s. verschrieben, s. Vorbem. p. 165.
65, 103. unde nuttede dit orlof also
de wulf, dat he at al, dat om wart,
unde dede echt do na siner ort
düfröf, mort, schalkheit also gröt,
dat ne dorste ein sin genöt
meW bösheit dQn, dan ne do dede,
dat ome to lest do quam wol mede;
went do
V. 109 wird kaum heissen können 'was ihm zuletzt wohl bekam' (ironisch). Es ist
wohl vul für wol, vul mede 'voller Lohn' zu lesen. Die Erläuterung dieses Verses
folgt V. HO— 119.
71, 29. Wu dit dir erst sin dink anklive,
wu it sik üt der moder live
jo brikt, ik dat nu nicht en scrive,
up dat de rede de korter blive.
Dat is noch war. Der dere ein wilen
begunde sere des nacktes ilen
to velde unde vel in ene groven.
V. 33 hat die Hs. enwilen. V. 1—33 ist nur von dem Panther die Rede. Beson-
144
ders wird V. 4 und 5 hervorgehoben, dass er niemandem Leid zufüge, der ihm kein
Leid zufügt. Es wäre nun zu erwarten, dass auch in V. 33—72 von dem Panther
geredet werde, dazu passen aber die Worte der dere ein V. 33 nicht Das hds.
enwilen halte ich für nchtig und ändere der dere in dit dir.
74, 29. sürogede ist nicht 'boshaft blickend', wie in der Wortlese angegeben
wird, sondern 'triefäugig'. Vgl. V. 18: wo sine ogen van tränen vletet.
80, 4. De quamen, unde se alle geden,
dede icht van arzedie künden,
dat se wol rät darto vunden,
dat ome wol gehulpen worde
Statt geden V. 4 möchte ich seden 'sagten' lesen. Vergl. Fab. 49, 150 wo ich auch
vorgeten in vorseten änderte.
86, 61. De wert wolde one maken vro,
ein 8upent brachte he om do
van berensape unde van mele,
dat wart van sek sulven gele.
Vil klene was it ome to heit,
darumme he des nicht en beit,
he blis darin mit sinem munde,
icht he des icht gekolen künde.
Statt beit V. 66 lese ich leit 'Hess'. Obwohl ihm der Trank durchaus nicht (vü
klene) zu heiss war, unterliess er es deswegen nicht, ihn zu kühlen.
"9. leschen heisst hier nicht 'erlöschen', wie die Wortlese angiebt, sondern
'löschen, auslöschen' wie der Gegensatz entfengen deutlich anzeigt
89, 8 ist das Komma zu tilgen.
92, 98. Me plecht to wegende hir de sunde;
we de aldermeist hat geddn,
darnach möt weder sin wage slän.
Statt weder V. 100 ist neder zu lesen.
93, 67. oft he van dode ofte van live enen bür van older ort,
sin man nicht lenk en blive dede gut, wis, truwe nu ne wart,
unde mit eren tredet üt de mit des esels rochte
unde sin here des lowen hüt wolde aerne, icht he mochte,
tut enem esele an dat volk vorjagen unde vorvertn
unde maket enen ammechtman unde engestliken geberen.
Das Satzgefüge ist fehlerhaft. Von oft V. 66 hängen offenbar ab die Verba blire,
tredet üt, tut an und maket; auf bür V. 78 beziehen sich die beiden Relativsätze
V. 74 dede — wart und V. 75 de mochte — geberen. Richtig wird das Satzgefüge,
wenn hinter V. 69 ein Komma gesetzt, V. 70 unde, das aus V. 69 hierher geraten
sein kann, gestrichen wird, und mit sin der Nachsatz beginnt
103, 38 ff. lese ich: Do se sach der apen here,
do begunde he se beide laden
to siner hochtit, sunder schaden
dat se dat dinst segen.
des ome de apen vorplegen.
Blankenburg a. H. Ed. Damköhler.
145
Ein lateinisch-niederdeutscher Tractat aus Bürsfelde.
Die Marburger Universitätsbibliothek besitzt eine grössere Anzahl
von Handschriften aus dem Kloster Bursfelde, die ihr in westphälischer
Zeit aus Corvey zugekommen sind. Ein im Jahre 1803 von dem
nassau-oranisehen Bibliothekar Campill aufgenommenes Verzeichnis der
Corvcyer Manuseripte zeigt, dass wir nur einen Teil des alten Bestandes
erhalten haben; immerhin ist das hier vorhandene wichtiges Material
für den Forscher, der es es unternimmt, das geistige und religiöse
Leben in den Klöstern der Bursfelder Congregation und zunächst in
dem des Vorortes zu schildern, denn fast sämmtliche Manuseripte ge-
hören der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an, also der Blüthezeit
der Congregation.
Ein nur vorläufig genügendes Inhaltsverzeichnis unserer Bursfel-
dischen Codices hat C. F. Herrmann im Catalogus codd. mscr. qui in biblio-
theca Marburgensi asservantur latinorum (Marb. 1838) gegeben. Es fällt
auf den ersten Blick auf, wie gänzlich das Deutsche darin zurücktritt:
in der Pflege des heimischen Schrifttums hat man in Bursfelde dem be-
rühmten Vorbilde der Congregation von Windesheim offenbar nicht nach-
geeifert. Die einzige Handschrift, welche das Interesse des Germanisten
erregt, ist die bei Herrmann mit D 17 bezeichnete, in den neuen von
Dr. K. Boysen hergestellten Katalog als Ms. 54 aufgenommen. Sie
trägt aussen noch die alte Corveyische Nummer 12, und ihre Herkunft
aus Bursfelde wird zwar durch keinerlei alten Eigentumsvermerk oder
sonstige Eintragung verkündigt, wol aber durch andere Kriterien, wie
besonders das mit andern bursfeldischen Handschriften gleichartige
Inhaltsverzeichnis verbürgt.
Der dicke Holzledereinband umschliesst eine grössere Anzahl
Einzelhandschriften verschiedener Herkunft, aber des gleichen Klein-
oetavformats. Die neue Zählung ergibt für das ganze 429 Blätter, wo-
bei aber ein paar zum Einband der Papierhandschriften verwendete
Pergamentblätter mitgezählt sind. Das aus dem 15. Jahrh. stammende
und wahrscheinlich dem Einband gleichzeitige Inhaltsverzeichnis f ührt
14 verschiedene Bestandteile auf, ohne die kleineren Eintragungen
mitzuzählen.
Den Eingang bilden, mit auffallend schöner Handschrift beginnend,
Nr. 1 'Omelie [decem] Eusebii ad Monachos' (Bl. 4 — 4G); es folgt Nr. 2
ein 'Exercicium pulchrum cuiusdam regularis' (Bl. 49 — 59); Nr. 3 ein
'Tractatus incitans ad veram humilitatem' (Bl. 69 — 78); Nr. 4 'Tractatus
qualiter ob amorem Domini Jesu possint respui vicia' (Bl. 79 — 96), auf
den ich unten näher eingehe. Aus dem weitern Inhalt hebe ich noch
hervor: zunächst Nr. 7 'De imitatione Christi primus über' (Bl. 171 —
189). Der Schreiber dieses Teils nennt zum Schlüsse die Jahreszahl
1461, den Ort 4in Hallis', d. i. Halle a. S., und seinen Namen: Hildebrand
von Hardegsen: er hat auf den folgenden Blättern noch allerlei Ein-
tragungen hinterlassen, darunter Bl. 190b— 192a das oben S. 41 ff. ab-
gedruckte Gedicht des Jacob von Katingen, BL 194 den weitverbreiteten
Nlederdeutflchofl Jahrbuch XVI. \{)
146
Rhythmus Multi sunt presbyteri qui nesciunt quare Supra domum do-
mini gallus solet stare (Zeitschr. f. d. Alt. 15, 491), Bl. 193 einen kurzen
Abschnitt aus einer lateinischen Schrift des 'Franciscns Petrarcha;
die ich im Augenblicke nicht feststellen kann '). Schrieb dieser Hilde-
brand, der aus der nächsten Nähe von Bursfelde stammte, in Halle,
wo er zu dem gleich Bursfelde von Joh. Busch reformierten Moritz-
stifte2) Beziehungen hatte (s. Anm. 1), so mag in Halle auch die Hand-
schrift von Nr. 12 entstanden sein, die im Index als 'Tractatus triuni
luminarium' bezeichnet wird: der Schreiber beginnt Bl. 273* und geht
Bl. 288 b unten auf der Seite plötzlich aus dem Latein in mitteldeut-
sche Sprache über, in der er den Tractat Bl. 322 b zu Ende führt.
Dagegen ist der Schreiber von Nr.4 unbedingt ein Niederdeutscher,
und die Entstehung dieses Stückes darf recht wol in Bursfelde ge-
sucht werden, wo der Codex zusammengebunden wurde. Die Hand-
schrift ist mit der keines andern Schreibers des Sammelbandes iden-
tisch, das Papier ist ein anderes als das der nach Halle weisenden
Nrr. 7 und 12. Es waren ursprünglich zwei Lagen zu 12 Blättern
(Senionen), 4 leere Blätter sind herausgerissen, von dem Rest (BL 79
— 98) sind Bl. 79—96 beschrieben. Eine deutliche Schlussmarke ist
nicht vorhanden, doch hindert nichts, den letzten Satz Et sie eam ah
omni inquietudine huius miserie pie Überavit als wirklichen Schlussatz
zu nehmen. Ein Titel wurde über den Tractat noch nachträglich von
fremder Hand geschrieben, dann beim Zusammenbinden des Codex mit
roter Farbe überzogen, aber auf dem vorausgehenden Bl. 78 b in der
gleichen Form erneuert: 'Sequitur tractatus sive exercicium
pulchrum ad amorem domini Jesu: qualiter ob eins amorem
possint respui diversa vicia'.
Der mystisch -asketische Tractat knüpft an den Text Cant. 8. <>
an und bedient sich streckenweise der in der Mystik bis zum Über-
mass gebrauchten Lieblingsform des Gesprächs zwischen dem 'sponsus
Christus' und der 'sponsa Christi', der Seele. Er bietet nichts origi-
nelles als die eigentümliche Sprachmischung. Gab der mitteldeutsche,
vermutlich hallische Verfasser von Nr. 12 das Latein auf, noch ehe er
ein Drittel des Ganzen niedergeschrieben hatte, so geht dieser Schrei-
ber von Anfang an gern aus der reichen, oft durch Reime geschmückten
Rhetorik der Kirchensprache in den traulicheren Ton der heimischen
Mundart über: aber immer spärlicher werden diese niederdeutschen
Unterbrechungen, und auf den letzten 5 Blättern behält das Latein
durchaus die Oberhand.
Ich gebe im nachfolgenden reichlich das erste Dritteil des Trak-
tates im Wortlaut und füge dann die wenigen deutschen Sätze des
Restes mit ihrer unmittelbaren lateinischen Umgebung hinzu. Die Auf-
zeichnung ist sehr sorgfältig, speciell das fast tadellose Niederdeutsch
') Eine Beischrift besagt: 'lste tractatus jacet ad sanctum Mauridum in
Haitis cum rubeo corio coopertus.
*) Vgl. Geschichtsquellen der Provinz Sachsen Bd. IX (Lib. de ref. lnonasteri-
oruin) S. 461 ff.
147
Hisst die Annahme zu, das» wir es — in dieser Form — mit einer
ersten Niederschrift zu tun haben. Es wäre interessant, weitere Mit-
teilungen über ähnliche Mischhandscliriften des 15. Jahrhunderts zu
erhalten.
Im Abdruck habe ich nur die Scheidung zwischen u und v und
eine bescheidene Interpunction eingeführt.
(71)*) Pone me sicut signaculum super cor tuum, ut signaculum super braehium
tuum, quia fortis est ut mors dilectio. Ista sunt verba sponsi celestis, que Christus
primo dixit ad Mariam virginem et eins matrem dilectissimam. Et eadetn verba
nunc et semper dicit ad omnem animam devotam, et singulariter ad quamlibet
j>ersonam. 0 sponsa Christi, de du beclaghest dyne unstedychcyt unde dyner
danken unreynicheyt, wultu dy J) nach dynes brodegammes beheghelycheyt reynighen
unde ok bewaren ane suntlyke beswarlicheyt, so nym myt vlyte to synne de wort
de he dy myt groter begherynghe syner gotlyken leve heflft tho ghesecht. Watdu
denne denkest, sprekest eder werkest, dat wert yn der yeghenwordycheit der hyl-
ghen drevoldyeheyt (79 b) alle gherecht. 0 sponsa Christi , si tu vis sanari, si
cupis ab omni mala concupisceiicia liberan : audi sponsum tuum dilectissimum tam-
quam fnedicum expertissimum , tibi dulciter et amicabiliter loquentem et dicentem.
Pone me, scilicet Christum quem elegisti in sponsum, sicut signaculum, id est tarn-
quam sigillum, super cor tuum. Hoc est: habe semper in memoria tua, quanta ego
Christus sponsus tuus pro salute tua pertuli. Et pone me ut signaculum super
braehium tuum. Hoc est: opera tua que facis debes tu, sponsa mea, propter me
inchoare et per nie continuare et etiam in me finaliter terminare. Et hoc facere
potes, quia diligis me. Nam ex hiis duobus, quod tu ponis me super cor et braehium
tuum, tunc mea dilectio et Caritas intrat cor tuum, que non permittit te aliqua alia
diligwe (80») preter seu extra meum amoretn. Sic enim fortis est dilectio sponsi,
quod eius virtuti nichil resistit. Et hoc est quod sequitur in Cantici*: quia fortis
est ut mors dilectio. Nam sicut mors animam a corpore separat, ita Caritas divina
separat animam a rebus mundanis omnes vanas concupiscencias extinguendo et soll
deo inherendo. Wente de aller bequemeste wyse van dynem h erten tho slutende
alle unnutte begherlycheyt ys amor et dilectio sponsi tui Christi. Dat betughet
sanetus Augustinus, ubi dicit et hquitur ad sponsum celestem per modum exhorta~
tionis sive etiam orationis. 0 dulcis Christel 0 bone Jhesu, qui animam meam
tibi in sponsam elegisti, veni, rogo, in cor meuyn et fac me tuo amore et desiderio
deponere onus carnalium desideriorum et terrenarum coneupisceneiarum. Tribue
michi, ut in tuo ve (80 h)ro amore laudet te cor meum et lingua mea et omnia ossa
mea. Dilata menteni meam in tua dilectione et dissolve eam a vagis et inutilibus
cogitationibuSy quibus sum constrictus; ut omnia vana relinquam et ad te festinem,
tibi soli inheream, soli intendam. Et post pauca verba dicit iterum: o dulcis Christel
bone Jhesu! Caritas mea! deus meus! Acccnde me totum ign* tuo, amore tuo, desi-
derio tuo, dileccione tua, caritate Um, ioeunditate tua et exultatione, pietate et sua-
vitate tua, voluptate et concupiscencia tua, que saneta est et bona, que casta est et
mundo. Ut sie ego dulcedine amoris tui plenus et flamma caritatis ignitus diligam
te dominum meum dulcissimum et pulcherrimum ex toto cordc meo, ex tota anima
mea et ex totis viribus meis et omni intenciom mea cum cordis contricione et ktcri-
marum fönte, cum multa reveren (81 *)cia et tremore, habens te semper in corde et
>) Hs. de.
10*
148
ore hie et ubique; ita ut tibi solum in omnibus placere queram. 0 dulcismme!
queso te per illam saeratissimam effusionem preciosi sanguinis tui, quo sumus re-
dempti, ut repUas cor meum tuo amore, et confirma id in tua caritate, \d taceat in
me omnis tumultus carnis, conticescant omnes vane cogitaciones et false ymagines et
seduetorie revelaciones. Ecce quanta operatur Caritas sponsi! Vortmer merke dat:
Caritas sponsi celestis de vanghet unde byndet alle untemelyke danken unde vor-
karde leve sponse sue. Caritas sponsi voryaget unde vordrift alle unstedycheyt
der anblasinghe des bösen vyendes unde ok dynes eghen vlesches. Se ledet dy
alle beheghelycheyt unde begherynghe der werlde, wente de böse gheyst (81 b)
vrochtet nicht so sere an deme mynschen sieud caritatem. Dat bewyset ok sanc-
tus Augustinus et dicit: Amor sponsi ubi venerit, tunc ceteros in se omnes captirat
et traducit affectus, Anima quam vixitat amor, si dormitj suscitat eam. Si piger
est, movet eam et vulnerat cor eius, tenebras illuminat, clausa reseratt frigida in-
flammatj mentem asperam et irascibilem mitigat, vicia fugat, camales affectus com-
primit, mores emendat, spiritum innovat et reformat, omnes actus leves abhorret.
Idem dicit beatus Ambrosius in hiis verbis: Cum mens hominis incendio caritatis
estuaverit, tunc ab ea mox omnis maligni Spiritus caliditas et versuda discedit etc.
Item Rabanus dicit sie: Mchil est terribilius eunetis demonibus quam cum in dei
dileccione et eius desiderio estuamus. Nam hostis antiquus castitatem, abstinen-
(S2 »)ciam et ceteros virtutes, si sine caritate fueririt, non titnet. Solam vero cari-
tatem, quam erga deum habemus, et amorem humilem, quem l) nobis inter nos vi-
cissim inpendimus, pertimescit Spiritus malignus. Hoc eciam declarat in longum
beatus Gregorius in Moralibus. Hir uninie breviter scaltu achten unde merken de
macht unde craft der gotlyken leve : wente hestu de, so hestu alle ander doghede.
Hestu der nicht, heddestu denne alle ander doghede, de weren dy alle nicht hul-
pelyk tho der ewyghen salycheit. Dat secht sanetus Augustmus in hiis verbis:
Attende, quanta est Caritas. Que si desit, frustra habentur omnes cetere virtutes.
Si ipsa habetur, tunc omnes alie habentur. Adde caritatem, et omnia que facis pro-
ficiunt; detrahe caritatem: cetera que facis nichil tibi prosunt. Caritas est vita
virtutum, quam si abstuleris, cetere virtutes moriuntur. Ergo tene caritatem in
qua pendent omnia. Ergo tu sponsa Christi, (82 b) si vis a vanis et immundis
cogitacionibus esse secura, tunc audi vocem sponsi tui, quando dicit tibi: Pone me
sicut signaadum super cor tuum\ Wente wen de spiritus et seduetor malus dat
signaculum vor nemet, dar kan he nicht noch yennich unreynicheyt bliven. Sunder
vynden se rede eyn unreyne nest, dar setten1) se sek van stunden an yn unde
telen vnde besetten denne dat herte des mynschen myt velen mennichvolden un-
reynen unde unsteden danken. Dat ys ok eyn warteken, dat an deme herten de
leve godes nicht enys. Sic igitur sponsus tuus Christus super cor et brach ium
tuum jwnendus est, ut eius dileccioni cor et cogitacio, voluntas et cogitacio tua ei setn-
per serviant et laudem eius mtdtipliciter dicant. Ponendus est Christus super cor
ut sigillum, per quod a sea-etis cordis exeludantur qui non sunt amici, ut sunt rant
et (83«) male cogitaciones, et dyabollcae instigaciones. Istis inimicis exclusis a
corde tunc tua cogitacio debet firmari in Christo rege et sponso tuo. Dar umiiie
sprekt he dy tho sulves myt den worden: Pone me etc. Ac si diceret: 0 sponsa
mea, respice in me et pone me in passionem meam ad cor tuum. Ut quando reniunt
tibi vane et male cogitaciones michi iuxta mea preeepta displicentes et tibi seeun-
') Hs. que. a) setten in der Hs. doppelt geschrieben, einmal durchstrichen.
149
dum tua vota contrariantes, wultu denne nicht vulborden den unreynen danken,
so du my yn truwen hest ghelovet, tunc pone me super cor tuum; dat ys: nym
an dyne dechtnisse de swaren byttcren danken, de ek hadde an mynem herten, do
ek umme dynen wyllen swetede water unde blot. So enkan noch enmach dy neyn
unreyne danke vorwynnen, dat du dar anne ghevest vulbort, eder ok sokest lusty-
cheyt dynes vlesches. Wen du (83 b) soden vlyth deyst, so bewysestu dynen vlyth
umme myner leve wyllen an mynem lydende, unde dat ys myn begherynghe ghe-
enyghet an myner leve. Sic unitur dilcceio tua in caritate mea, unde wert eyn
leve. Wes du denne begherest, des wyl ek dy twyden. Synt dy de danken var-
lyk unde tho swarlyk tho dreghende, so wyl ek dy van stunt dar van losen. Isset
aver sake dat se dy schullen wcsen eyn purgatorium van ichteswelker unreynicheyt,
dat du sulves noch nicht erkennest, so vechte kreftlyken unde lat nicht af, wente
ek wyl alle tyd by dy wesen. Dar umme denke ok alle tid uppe myne hulpe,
unde wedervert dy swarlycheyt, dar du gherne werest van vorheven, de schaltn
duldychlyken dreghen umme myner leve wyllen unde denken alle tid, dat ek wol
see dyne nod unde dat ek over (84ft)dy vorhenghe umme dynes vordenstes wyllen.
Dar mede prove unde probere ek dynen wyllen, dyne begherynghe, dyne leve de
du hest to my. Ergo pone nie super cor tmun, quod facis, quando tu amaritudinem
et dolorem cordis mei, quem sustinui in sudacione aque et sanguinis, ponis ante
oculos cordis tut. Et si temptantur oculi tut aliqua curiositatej tunc attende oculos
mcos fuisse propter peccata tua velatos. Si temptantur aures vanihquio, considera,
quod ego contumeliosos sermones et terrores audivi. Si temptatur gustus tuus in
delcctacione eibi et potus7 perpende7 quod propter te eram feile eibatus et aceto po-
tatus. Si temptatur holofactus redolenciis pigmentorumy tunc attende faciem meam
sordidissimis sputis iUinitam et maculatam. Si manus tua ad illicita tangenda vel
caj)ienda monentury cogita manus meas in cruce penaliter tramfixas1). Si(84b) temp-
tatur cor tuum consideracionibus et eciam cogitacionibus mundanis et carnalibus,
tunc cogita cor meum lancea perforatum. Si pedes tui nituntur ambiUarc contra
decentia et tibi specialiter prohibita*), tunc revolve in mente tua pedes vneos cruci
affixos etc. 0 sponsa mea, dat ys: wur mede du myne leve kanst erwerven, dar
mede dankestu my aller goyde de ek dy hebbe bewyset. Dar mede kanstu dy
wapen weder al dyne vyende, dat dy noch danken noch wort unde ok neyne werk
moghen hynderlyk wesen nach dyner zele salycheyt. Quia istud est Signum et
verissimum signaculumj contra quod nullum stat neque stare potest pericidum.
Im weitern Verlauf finden sich noch die folgenden niederdeutschen
Sätze eingekapselt:
Aul* Bl. 85 b: Et tunc ego non permitto intrare cor tuum aliquid novum tibi.
Unde alzo werstu denne myt my gheenyghet, dat allent dat^weder dy ys, dat ys
'ok weder my. Unde so moghelyk ys dat ek my vorlate, so moghelik ys dat ek
dy vorlate. Hyr umme lydestu anvechtynghe van dynem vlesche, van anderen
luden, van den dar du by bist. Edder ok allerleyge ander mysha (86*)-ghynge
lath dy nicht vorschrekken, wente weneyr du lydest swarlycheyt unde vorvolghynghe
umme mynen wyllen edder an mynem denste, dat ys eyn openbar teken dar tho
dat yk denne byn an dynem herten. Quia huiusmodi perseeuciones et tribulaciones
sunt michi vere delicie et epule splendidissime.
') Hs. transfixü. a) prohibita Besserung am Rande für admissa des Textes.
150'
Auf Bl. bSa: 0 dulcissimc deus! Ek byn de dar umme du de swarlyken
mennichvolden pyne liest gheleden. Hir unimc bydde ek dy, leve here, lath my
myt dy de pyne dyner bytteren wunden dreghen. O bone Jhemi, veni igitur in
cor vieum et pone rulnus cordis tui ad cor mcum} ut sie sanguis tui nobilissitni
cordi8 purificet cor meum ab omni mala et (f. 88 b) vana cogitacione et iüuminetur
in Uta dileccione.
Auf Bl. 91»: Tota spes mea in morte äomini mci. Mors eius meritum meum,
salus mea, refiigium meum, rita mea et resurrexio meaf miseracio mca7 deus mens.
Hyr umme merke unde nym tho synne, dat neyn danke so swarlyk kan syn de
dy moghe schedelyk eder hynderlik wesen an dyner salycheyt, noch yennich sunde
so grod, du enwerdest dar van ghereynighet vormyddelst deme lydende Christi.
Wente dar mede heft he uns alle ghereyniget. Ift dy ok quemen danken, dat du
dechtest: wur vor schal ek beschauwen dat speyghel der hylghen drevoldycheyt etc.?
Wente sodene danken unde der ghelyk quemen saneto Augustino, unde de alle
vorwan he yn deme dat he sek ghaf ad vulnera Christi. So he sulves scrift in
hec verba: Si murmurat contra me insipiens cogitacio etc.
Auf Bl. 91 b: tyiia mors domini mei omnia mea 2)eccata vincit. Hir umme
wapen dyn herte myt dem hylghen lydende Christi, unde scrif1) an dyn herte de
hylghen vif wunden unde les dar anne de leve de he dy bewiset heft, unde syn
byttere lyden dat he umme dyner leve wyllen gheleden heft. Uppe dat du wordest
gheloset van alle deme dat dy mochte schedelyk eder hyndcrlyk wesen tho dyner
salycheyt. Deyst du also dynen vlyt, so kan noch enniach dy neyn danke schede-
(92»)lyk syn. Dat bewyset ok beatus Bemhardus in libro de consciencia yn
diwsen worden: Quo eiens tc sentis turpi[bu]s cogitacionibus et illicitis affici etc.
') scrif] Hs. scrift.
Marburg i. H. Edward Schröder.
Salzwedel und die übrigen Ortsnamen auf -wedel.*)
Die altmärkische Stadt Salzwedel ist von denjenigen Orten, deren
Name auf -tredei ausgeht, von jeher der bedeutendste gewesen, und
aus diesem Grunde haben sieh alle Versuche älterer Zeit, welche auf
eine Deutung des -wedel hinzielten, zunächst mit dem Namen Satetvedd
beschäftigt
Von den ausserordentlich zahlreichen diesbezüglichen Bemühungen
früherer Zeit gilt es besonders eine Erklärung herauszunehmen, die sieh
durch ihr hohes Alter, durch ihr hartnäckiges Fortbestehen und auch
durch eine anscheinend in den lokalen Verhältnissen liegende Begründung
auszeichnet. Es ist dies die Gleichstellung des Namens Salzwedel
*) Nach einem auf der Jahresversammlung des altmärkischen Geschichtsvereins
im Jahre 1590 gehaltenen Vortrage.
151
mit Salzquelle.1) Zwar ist der Boden in und bei Salzwedel zweifellos
salzhaltig. Durch ihre Flora besonders auffallige Stellen dieser Art
finden sich nördlich von der Stadt auf dem linken Ufer der Jeetze,
eines Flüsschens, das in gerader nördlicher Richtung weitergehend bei
Hitzacker unterhalb Wittenberge in die Elbe mündet, zwischen der
Stadt und einem sumpfigen Waldgelände, der Buchhorst; ebenso auf
dem rechten Ufer der Jeetze, westlich der Stadt, wo die Wiesen noch
heute den Namen Salzwiesen führen, dann hieran nach Norden
anschliessend jenseits des Bahndamms der Bremen -Leipziger Bahn
zwischen diesem und dem ebenfalls sumpfigen Waldgelände, dem
sogenannten Bürgerholz, und über dieses hinaus, etwa dreiviertel Meilen
von der Stadt entfernt, bei der ehemaligen Försterei Hoiersburg. Das
Wasser dieser Stelle ist es, welches bereits im 16. Jahrhundert durch
Thurneisser2) einer Analyse unterzogen wurde, aus deren heutzutage
selbst Fachleuten nicht mehr recht verständlichen Ergebnissen nur
soviel mit Gewissheit hervorgeht, dass sein Salzgehalt ausserordentlich
gering war. Gleichwol scheint in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts3) wirklich hier ein Versuch der Salzsiederei gemacht worden
zu sein; aber trotz wiederholter Untersuchung des Wassers führte diese
Siederei zu keinem nennenswerten Resultat. Endlich finden sich
tatsächlich mehrere Salzquellen, und zwar die bedeutendsten der
Gegend, südlich der Stadt, etwa eine Meile entfernt, in dem moorigen
Grund zwischen den Dörfern Dambeck und Altensalzwedel. Diese
wurden noch im Jahre 1842 4) chemisch untersucht; aber ihr Salzgehalt
war ebenfalls zu gering, als dass eine Ausbeutung sich irgendwie
würde gelohnt haben.5)
Dazu kommt, dass derartige salzhaltige Stellen weder in der
Altmark noch auch weiterhin in der Mark Brandenburg etwas auffälliges
*) Der Erste, welcher diese Behauptung aufstellte, war meines Wissens Leon-
hart Thurneisser zum Thurn in seiner Schrift Pison. Das erst Theil. Von Kalten /
Warmen Minerischen vnd Metallischen Wassern j sampt der vergleichunge der Plan-
tarem vnd Erdgewechsen 10. Bücher . . . 1572. Gedruckt zu Franckfurt an der Oder I
durch Johan Etchorn. bes. L. VII. C. 93. Das Buch wurde neu aufgelegt im Jahre
1612 u. d. Titel Zehen Bücher Von kalten j Warmen / Minerischen vnd Mettalischen
Wassern .... auffs new durchgesehen . . . vnd verbessert .... Durch Joannem Ru-
dolphum Saltzman Med. Doct. zu Strassburg. Strassburg . . . 1612. Auch Ftfrste-
mann, Die deutschen Ortsnamen. Nordhausen 1863. S. 68 sah sich noch veranlasst,
von dieser Deutung Notiz zu nehmen (s. u. S. 154).
*) a. a. 0. S. 384.
3) s. Joh. Christoph Bekmann, Histor. Beschreibung der Chur und Mark Branden-
burg, herausgegeben von Bernh. Ludw. Bekmann. 1. Berlin 1751. Sp. 611. — Phil.
Wim. Gercken, Fragmenta Marchica. Theil 2. Wolfenbtittel 1756. S. 1 56 f. — [IL
Ch. Steinhart] üeber die Altmark. Theil 2. Stendal 1802. S. 154. Steinhart giebt
das Jahr 1662 an. — A. W. Pohlmann, Gesch. der Stadt Salzwedel. Halle 1811. S. 2.
4) Hentschel im Wochenblatt des Kreises Salzwedel. Jahrg. 10, 1843. No. 39.
S. 325 f.
5) Alle im Vorstehenden gemachten Mitteilungen Über die noch heute sicht-
baren Salzstellen bei Salzwedel beruhen auf eigener Anschauung des Verfassers.
Man vgl. dazu Danneil im 15. Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vater-
ländische Geschichte und Industrie. Salzwedel 1865. S. 41.
152
sind. Nach P. Aschersong 6) im Jahre 1859 auf Grund der Flora
zusammengestellten Beobachtungen finden sich solche Stellen bei Mag-
deburg, Stendal, Salzwedel, Brandenburg, Nauen, Potsdam, Trebbin,
Treuenbrietzen, Luckau, Pasewalk und Naumburg am Bober. Schon
früher, im Jahre 1751, gab Bekmann7) eine diesbezügliche Zusammen-
stellung; er führte Salzquellen an bei Salzwedel, Osterburg, Selblang
bei Nauen, Belitz und bei Briesembrow in der Uckermark. Aber sie
sind sämmtlich unbedeutend. Zwar scheinen überall Versuche der Aus-
beutung gemacht zu sein, aber zu einiger Bedeutung ist nur die
Salinenanlage bei Belitz gelangt.8) Diese gedieh allerdings so weit
dass nach einer zur Förderung des Werkes schon im Jahre 1542
erlassenen Verordnung des Ohurftirsten Joachim II., im Jahre 1560 eine
neue Bestimmung erlassen wurde, nach welcher im Lande kein aus-
wärtiges, sondern das bei Belitz gesottene Salz solle verkauft wTerden.
Indessen auch dieses Unternehmen geriet, trotz der noch vom Chur-
fttrsten Georg in den Jahren 1572, 1577, 1579 und 1580 kundgegebenen
Fürsorge, ins Stocken.
Es geht auch nicht an, diesem Mineral für die Vergangenheit
Salzwedels eine derartig grössere Bedeutung beizumessen, dass der
Name Salzquelle sich daraus würde rechtfertigen lassen. Denn bei
der Wichtigkeit des Salzes im Haushalt der Menschen mtisste eine
solche Tatsache früher urkundlich bezeugt sein, als dies in Wirklichkeit
der Fall ist. Weiter jedoch wie bis in das 16. Jahrhundert9) reichen
meines Wissens die Nachrichten über die Salzquellen bei Salzwedel
nicht zurück. Wohl aber wird in einer Urkunde des Markgrafen
Johannes vom Jahre 149010) ausdrücklich von der Salzeinfuhr nach
Salzwedel durch Fremde und den von Alters her hieranhängenden
Abgaben gesprochen. Und schliesslich muss die seit Urzeiten bekannte
Bedeutung und Ergiebigkeit besonders der ltineburger Salzsiederei als
wesentliches Moment zur Beurteilung dieser Frage in Betracht gezogen
werden. Dass eine Beteiligung an den ltineburger Salzpfannen von
Salzwedel aus stattfand, geht aus den noch erhaltenen Urkunden des
13. und 14. Jahrhunderts zur Genüge hervor.11)
6) P. Ascherson in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft,
Bd. 11. S. 90-100.
7) Joh. Christoph Bekmann a. a. O. 1. Sp. 610 ff.
*) Hierüber und über das Folgende Bekmann a. a. O. 1. Sp. 613. — Auch
Thurneisser a. a. 0. S. 6 erwähnt Belitz.
9) Doch scheint es, als wenn die Theorie der Ableitung des Namens von den
Salzquellen schon vor Thurneisser unheilvoll gewirkt hat, da der aus Salzwedel
stammende Rector der Universität Frankfurt, A. G. Praetorius, im W.-S. 1558,59
einen Salzwedcler als Soltqwellensis in die Matrikel einträgt; s. die Frankfurter
Universitätsmatrikel (= Publikationen aus den kgl. preuss. Staatsarchiven Bd. 32).
Leipzig 1*87. Bd. 1. Sp. 152.
lü) Abgedruckt ex. orig. membr. bei Phil. Wilh. Gercken, Fragmenta Marchica.
Thcil 5. 1760. S. 73; ebenso im Codex diplomat. Brandenbnrgensis, herausgegeben
von Riedel A, XIV Nr. 509. — Vgl. hierzu noch Erich Liesegang, Zur Verfassungs-
geschichte von Magdeburg und Salzwcdel in den Forschungen z. brand. u. preuss.
Gesch. III. S. 57.
") s. z. B. die Urkunden bei Riedel A, Bd. XXV S. 178 Nr. XX (1289), Bd.
XXII S. 100 Nr. XXVIII (1292), Bd. XXV S. 180 Nr. XXIV (1296), Bd. XIV, S. 43
153
Fassen wir alles dies zusammen, den Reichtum der Mark an salz-
haltigen Stellen überhaupt, die Geringfügigkeit aller dieser Stellen und
auch derjenigen bei Salzwedel, von denen die etwas bedeutenderen
ausserdem noch reichlich weit von der Stadt entfernt liegen, und
demgegenüber das grosse Salzlager bei Lüneburg, so kann es einer
ruhigen Erwägung nicht zweifelhaft sein, dass eine Deutung des
Namens Salzwedel als Salzquelle auf Grund der örtlichen Verhältnisse
ausgeschlossen ist.
Damit fallen aber gleichzeitig alle Versuche, die mehr oder weniger
gewaltsam auf sprachlichem Wege eine gleiche Bedeutung erzielten,12)
in ihre Wesenlosigkeit zurück.
Was sonst an Deutungslust und Deutungsfähigkeit über den
Namen Salzwedel in früherer Zeit geleistet ist, kann, so erheiternd
es manchmal wirkt, hier füglich übergangen werden.
Von den wissenschaftlichen Sprachforschern, die sich mit der
Namenkunde beschäftigten, waren auch hier Förstemann und Pott die
ersten, welche dem Worte -wedel ihre Aufmerksamkeit zuteil werden
Hessen.
Pott 13) stellte, weil die Namen Marivedc und Marwedel, Schwane-
wede und Schwanewedel neben einander vorkämen, wedel mit wcde
zusammen, von denen er letzteres lieber als mit ahd. tvitu, engl, wood
verwandt betrachtete als etwa mit Weide, gleichgiltig ob man dieses
als Baum oder Anger auffasse. Doch wagte er, wie er sich selbst
ausdrückt, nicht zu entscheiden, ob wedel etwa ein Deminutiv von
wcde sei. Kr unterlässt hinzuzufügen, was nicht übersehen werden
darf, dass Marwede und Marwedel zwei verschiedene Orte sind,
beide zwar im Regierungsbezirk Lüneburg belegen, aber jenes im
Landkreis Celle, dieses im Kreis Dannenberg. Schwanewedel ist in
den heutigen Ortsverzeichnissen nicht zu finden; dagegen bietet die
Sonderkarte ,4) allerdings eine Sehwanewedeler Heide bei dem Ort
Schwancwedc. Inwieweit diese Bezeichnung berechtigt ist, lasse ich
dahingestellt. Dazu stelle ich noch Hollwedel im Regierungsbezirk
Hannover Kreis Syke und Hollwede im Regierungsbezirk Minden
(Prov. Westfalen) Kreis Ltibbeke. Borchwede wird im Urkundenbuch
von Hannover15) als das heutige Burgwedel bezeichnet, während
Nr. XLIX (1298), Bd. XVI S. 409 Nr. XXVII (1305), Bd. XXV S. 187 no. XXXVI
(1317). — Man vergl. hierzu die Notiz bei Riedel A, VI. S. 331, dass das Kloster
Dambeck [bei Salzwedel] nach und nach wie mehrere Klöster in der Altinark ver-
schiedene Schenkungen etc. aus der Saline zu Lüneburg erhalten habe und dass
hieraus die ganz grundlose Sage entstanden sei, das Kloster hätte diese Salz-
erhebungen aus Lüneburg erhalten, damit es keine Saline an der Salzquelle bei
Alten-Salzwedel in der Nähe des Klosters anlege.
1S) Am vernünftigsten noch Bekmann a. a. 0. II. Bd. 1753, V. Theil, I. Buch,
III. Kap., S. 5; er stellt wedel mit dem engl, well 'die Quelle' zusammen.
•8) A. F. Pott, Die Personennamen. Leipzig 1853. S. 507 f.
") A. Papen, Topographischer Atlas des Königreichs Hannover und Herzog-
thums Braunschweig. Hannover 1822—47.
15) Urkundenbuch der Stadt Hannover, herausgegeben von Grotefend und
Fiedeler. Theil 1. (= Urkundenbuch des histor. Vereins f. Niedersachsen Heft V.)
Hannover 1860. Nr. 253 (a. d. 1347) und 167 (1330—1352).
154
Borchwede im Hoyer Urkundenbuch ,6) als das heutige Borwede im
Kreis Heiligenloh Amt Ehrenburg, jetzt Regierungsbezirk Hannover
Kreis Syke, zur Landgemeinde Heiligenloh gehörig, gedeutet wird.
Ein Borgwedde findet sich als Teil der Landgemeinde Vorwalde im
Regierungsbezirk Osnabrück Kreis Wittlage.
Pott hatte schon das grosse Namenbuch von Förstemann,17) welches
im Jahre 1854 zu erscheinen begann, im Manuskript benutzt. Der
zweite Teil dieses Werkes, der erst im Jahre 1859 fertig vorlag,
enthielt die Ortsnamen. Auch Förstemann kam bezüglich der Ortsnamen
auf -wedel zu keinem entschiedenen Resultat. Er vermutete18) ein
ahd. widil, welches Sumpf oder Moor bezeichnet habe, da „die
einzigen alten auf dieses Wort ausgehenden Namen", Agrimeswtdil
und Afwülel Sttmpfe bezeichneten; auch Salzwedel liege in der Nähe
sumpfiger Waldungen. Er bezieht sich auch noch auf ein bei Gr. I,
777 zitirtes uidillo in der Bedeutung von mollis, „freilich auch in
der von hermaphroditus". Aber die Zusammenstellung war ihm
selbst so unsicher, dass er im Jahre 186319) sich zu dem Zusatz ver-
anlasst sah, dass andere dem Worte den Sinn von Quelle beilegten.
Mit grösserer Bestimmtheit erklärte Ltibben20) wedel als eine tauto-
logische Zusammensetzung aus wede-U. Aber wenn auch wirklich
Ortenamen, die ursprünglich auf 46 -loh ausgingen, heute nur einfaches
4 am Ende zeigen, wie Ltibben noch im Jahre 1880 im Mnd. Wb.11)
s. v. iv edel nach einer Mitteilung von Leverkus wiederholt, so bleibt
doch zu bedenken, dass erstens eine grosse Anzahl von Namen das
4oh, 4ah noch heute aufweisen, und dass andererseits die Ortsnamen
auf -wedel schon in ältester Überlieferung22) entweder auf 4e oder auf
blosses 4 ausgehen. Und wenn Ltibben tatsächlich zwei Forsten23),
nodtwedel bei Verden und heineivedel bei Gifhorn für die von ihm
angenommene Bedeutung von wedel = tvede, Wald, ins Feld führen
16) Hoyer Urkundenbuch, herausgegeben von W. v. Hodenberg, Hannover IS53.
b. das Ortsregister.
") E. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch. 2 Bde. Nordhausen 1856— 1 859.
Bd. 2*. 1872.
M) a. a. 0. Bd. 2. Sp. 1520, 2«. Sp. 1594.
,0) E. Förstemann, Die deutschen Ortsnamen. Nordhausen 1863. S. 68 f.
ao) Germanistische Studien. Supplement zur Germania. Herausgegeben von
K. Bartsch. Bd. 2. Wien 1875. S. 268.
ai) K. Schiller und A. Ltibben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Band 5.
Bremen 1880.
w) vergleiche die Belege flu* den Namen Salzwedel bei Riedel A. Bd. XIV
Saltwedele (Nr. III 1241, IV 1242, V 1247, XIII 1263, XVI 1268, XVII 1273),
Soltwedele (No. LI 129i>), Saltwedele und Soltwedele in der gleichen Urkunde (No.
XXIII 1281), Saltwedle (No. XX 1280), Saltwedele und Saltwedel in der gleichen
Urkunde (Nr. I 1233, XLVI 129", LIX 1305), Soltwedele Soltwedel SoÜwedeü (Nr.
LXXXV 1323), Saltwedel (Nr. XIV 1267, XVIII 1278, XXV 1282, XXXIII 12S7),
Saltuuedel (Nr. XXXV 1289), Soltwedel (Nr. LXXIV 1316) u. s. w., sämmtlich
Originalurkunden entnommen; ferner im Hoyer Urkundenbuch Holwedele (c. 13UO,
1302, c. 134u u.'s. w.), Halwedele (1441), Languedele (1262), Langwedele (1265), Lang-
wedel (1280, 1290, 1304 u. s. w.).
a8) Germanistische Studien a. a. 0. S. 265, und im Mittelniederdeutschen Wörter-
buch s. v. wedel.
155
konnte, so hätten ihn doch seine eigenen Zitate24) vadum, quod
dicitur Agrimeswidil aus Adam von Bremen und de borgerweide (to
Bremen) wente to dem water, so vor Wedle gelegen und de wedeil
genomedt wurde in seiner Meinung stutzig machen sollen.
Ein tatsächlicher Erfolg in dieser Frage wurde auf anderem
Wege erzielt. Den Anstoss dazu gab jenes Agrimeswidil, das schon
Förstemann"25) beigebracht hatte, und welches auch von Ltibben26)
zitirt war. Es findet sich erwähnt bei Adam von Bremen27) gelegentlich
seiner Schilderung des limes Saxoniae Karls des Grossen, jener viel-
genannten Befestigungslinie auf der Grenze der Sachsen und Slaven
zwischen Elbe und Ostsee in der heutigen Provinz Schleswig-Holstein.
Dort heisst es, -dass der limes mox in Agrimeshov, et recto ad vadum,
quod dicitur Agrimeswidil, ascendit. Ganz unzweideutig wird hier
-widil dem lateinischen vadum inhaltlich28) gleichgestellt. Es muss
befremden, dass diese Stelle nicht früher schon zu einer endgiltigen
Deutung der Ortsnamen auf -ivedvl herbeigezogen wurde.
Zwar hatte schon im Jahre 1869 v. Hammerstein -Loxten2»)
bei der Untersuchung der Ortsnamen im Bardengau bemerkt, dass
-wedel dem Förth in Namen auf -forde, -vörde (Fürth), wie dem
jetzigen Bar forde, gleichstehe, wozu er aus seinen Quellen als einzige
Belege Bodwedel bei Ebstorf und Schapivedvl bei Bodenteich anführte;
aber auf eine Erklärung seiner Behauptung Hess er sich nicht ein.
Erst im Jahre 1886 trat K. Jansen30) gelegentlich der Besprechung
des limes Saxoniae und mit besonderer Anlehnung an den Namen
Agrimeswidil mit einer ausführlichen Untersuchung über die Ortsnamen
auf -wedel im Schleswig -Holsteinischen hervor. Er kommt auf Grund
genauester Ortsforschung und reichlichen Materials zu. dem Resultat,31)
dass in jener Gegend „alle mit Wedel benannten Örtlichkeiten mit
verschwindenden Ausnahmen, d^e bei näherer Ortsbesichtigung wahr-
scheinlich auch als der Regel unterworfen erscheinen würden", „Punkte
an einem Wasserlauf, wo er von einer Strasse überschritten wird,"
seien. Dieses Resultat seiner örtlichen Forschungen sucht Jansen auf
etymologischem Wege zu sichern, indem er auf das in dänischen
Dorfhamen häufig vorkommende -vad verweist, welches unbestritten
mit vade ('waten') zusammenhänge, wie auch niedl. icadäe = 'Furt' sei.
Darauf fährt er fort:32) „und wenn (nach Kluge Etymol. Wb.) Wedel
(dialektisch auch Wadel) in der Bedeutung 'Büschel', mhd. wedel
u) Mittelniederdeutsches Wörterbuch s. v. wedel.
**) Im Altdeutschen Namenbuch a. a. 0.
w) Im Mittelniederdeutsches Wörterbuch a. a. 0.
27) Adami Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum Lib. II. I5b.
28) Über die etymologische Verwandtschaft mit dem lateinischen vadum
s. u. Anm. 35.
*9) v. Hammerstein-Loxten, Der Bardengan. Hannover 1869. S. 553.
**) K. Jansen, Bemerkungen zum „limes Saxoniae" von Beyer, in der Zeitschr.
der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte. Bd. 16. Kiel
1886. S. 853-372.
*') a. a. 0. S. 365.
a. a. 0. S. 365.
156
(wadel), ahd. wedil (ivadal) entstanden ist aus der Wurzel we 'wehen'
und dem Suffix -$lo, d. h. Werkzeug zum Wehen, so wird es nicht
undenkbar sein, dass aus dem Stamme wad und derselben Endung [!]
ein äusserlich gleichlautendes Wort geworden ist, das den Ort, wo
man waten konnte, bezeichnete".
So augenscheinlich der Zusammenhang des -wedel in Ortsnamen
mit dem Zeitwort waten, mit dem dän. vaad oder vad, dem niedL
waade oder ivadde ist, so wenig überzeugend ist der zweite Teil der
etymologischen Ausführungen Jansens. Es leuchtet nicht ein, warum
we-plo und wad-plo auf späterer Sprachstufe zwei äusserlich gleich-
lautende Wörter ergeben sollen. Die Doppelkonsonanz in letzterem
Falle kann nicht ohne weiteres verschwinden;, ausserdem aber würde
der Umlaut des a zu e und der vorkommende Übergang dieses e zu *33)
ohne jede Begründung bleiben.34)
Wir müssen vielmehr Wedel in der Bedeutung 'Büschel', vgl.
Fliegenwedel, und -wedel in den Ortsnamen streng von einander
scheiden. Beide haben nichts weiter gemeinsam als die heutige
Schreibung und Aussprache.
Eine, wie mir scheint, befriedigende Etymologie des -wedel in
Ortsnamen erhalten wir aber, wenn wir die germanische Wurzel wad*h)
mit dem Suffix -il- ableiten. Dieses Suffix erscheint zunächst36) als
nomina agentis bildend, dann aber auch37) zur Bildung von maskulinen
nomina instrumentalia zu meist primären Verben verwendet. Haben
nun Wörter wie Zügel, Stössel, Schlägel, Gürtel neben der Bedeutung
des Ziehenden, Stossenden, Schlagenden, Gürtenden auch unzweifelhaft
den Sinn des zum ziehen, stossen, schlagen, gürten benutzten Gegen-
standes, so können wir wedel als das zum waten (ndd. wadan), gehen
Benutzte erklären, d. h. eben als eine diese Tätigkeit ermöglichende
Gelegenheit.38) Waten aber heisst noth im mhd. nicht nur wie im
heutigen Sinne 'das Wasser durchschreiten', sondern 'gehen, schreiten'
überhaupt. Dieses Moment darf im vorliegenden Fall nicht übersehen
33) vgl. z. B. Ägrimeswidil und Afwidel bei Fürstemann, Altdeutsches Namen-
buch a. a. 0.
84) Zum Suffix -£h vgl. E. Sievers, Das Nominalsuffix tra im Germanischen in
Paul und Braunes Beiträgen Bd. 5 (1878) bes. S. 528 f.; ferner Fr. Kluge, Nominale
Stammbildungslehre der altgermanischen Dialecte. Halle 1886. § 97.
35) Urverwandtschaft mit lat. rädere und vadum wird durch Zurückfiihrung
von vadum auf das gleichbedeutende skt. qMh-d-m wahrscheinlich gemacht; vgl
besonders G. Curtius, Grundzüge der gricch. Etymologie5. Leipzig 1879. S. 473; dazu
Pott, Etymologische Forschungen * IV S. 909 ff.
M) Kluge, Nominale Stammbildungslehre § 18.
37) Kluge a. a. 0. § 90.
38) Ich möchte hierbei auf das mhd. s&del, ahd. 8'idal verweisen, welches sowol
Sitz int allgemeinen, als Wohnsitz im besonderen bedeutet, vgl. zu letzterem Anno
372 Troiöri vuorin in der werilte widin iiri after sedele. Gegen die vielfach an-
genommene Entlehnung dieses Wortes aus lat. sedile macht Pott. Etymol. Forsch.
31 IV. S. 707 geltend, dass man dann auch alle mit siedeln verwandten Ausdrücke,
wenn auch als auf deutschem Boden entstanden, so doch nicht als Gewächs aus
urdeutscher Wurzel betrachten dürfe. Zweifellos tragen sowol &<kl scdal wie lat,
sedile instrumentalen Charakter.
157
werden, da sonst auf den ersten Blick die Tatsache, dass Auch
Höhenrücken wie der Heinewedel**) mit -wedel zusammengesetzt sind,
befremden könnte. Aus -wad-il- erhalten wir unter Einwirkung des
Umlauts -wedil-, woraus bei der hellen Klangfarbe40) des e durch
vokalische Assimilation auch die altsächsischen Formen -widil -widel
genügend zu erklären sind.40*) Das Endungs-e, welches sich in den
Formen auf -wedele -wideleil) noch erhalten hat, ist der Rest der alten
Lokativendung.
Setzen wir diese etymologischen Ergebnisse für diejenigen Jansens
ein, so können wir seinem Endresultat, dass wir „sachlich und sprachlich
mit dem deutschen Ausdruck Agrimeswidil oder ivedel auf die lateinische
Bezeichnung vadium*'2) zurückkommen, unsere Zustimmung geben.43)
Suchen wir von diesen Ausführungen die Probe auf Salzwedel
zu machen.
Jansen hatte betont, dass in den von ihm beobachteten Fällen
fast alle Örtlichkeiten, deren Namen auf -wedel ausgehen, an Über-
gangsstellen gelegen seien. Dasselbe ist bei Salzwedel der Fall, und
zwar in ausserordentlich deutlicher Weise. Ein natürlicher Höhenzug
in der Richtung von Osten nach Westen, der noch heute im Westen
vor dem bockhorner Tor, im Osten vor dem Perver zu erkennen ist,
durchzieht bei Salzwedel die Jeetzeniederung. Weder nordwärts noch
südwärts findet sich auf weite Strecken ein derartig nahes Heran- und
Hinübertreten eines Höhenzuges über die sumpfige Niederung des Flusses.
Diese Schwierigkeiten des Geländes traten in früherer Zeit, vor der Ein-
deichung der Elbe, die erst im 12. Jahrhundert durch eingewanderte
Niederländer stattfand44), noch weit schärfer hervor, und mussten den
Landverkehr, der in einer Zeit, wo es noch keine Kunststrassen gab,
") Forstbezirk im Regierungsbezirk Lüneburg, Kreis Gifhorn. s. auch Lübben
an beiden Orten.
*°) K. Nerger, Grammatik des nieklenburg. Dialekts. Leipzig 1869. S. 17.
4oft) Ndd. wedel ist der Etymologie und Bedeutung nach genau das altnord.
vapillj 'a shallow water, esp. pfaces where fiords or straits can be passed on horse-
back7 Cleasbv-Vigfusson, An Icelandic-English dictionary. Oxforü 1874, — Dazu
vgl. Falk, Die nomina agentis der altnordischen Sprache in Paul u. Branncs Bei-
trägen Bd. 14 (1888). S. 39. — Zum Genus des nad. wedel müchte ich aus einer
Urkunde vom Jahre 1388 (Riedel A, XIV Nr. 252) anführen der Alden Stat czum
Zalezwedel, und ebenso czum Zalezwedel in der Ausfertigung für die Neustadt und
in der Datirung.
"} s. o. Anm. 22.
«) vgl. o. Anm. 35.
°) Es thut der Priorität Jansens in Bezug auf den Versuch, wedel als 'Furt'
zu deuten, keinen Eintrag, dass ich, zwar von demselben Ausgangspunkt, dem
Agrimeswidil bei Adam von Bremen, auf welches mich schon vor Jahren Dr. W. Seel-
uiann freundlichst aufmerksam gemacht hatte, ausgehend, aber doch auf anderem
Wege zu demselben Resultat gekommen bin. Meine Ansicht stand bei mir schon
fest, ehe ich Jansens Abhandlung zu Gesicht bekam.
**) Die Literatur hierüber ist ziemlich zahlreich. Eine Zusammenstellung der-
selben giebt neuerdings Th. Rudolph, Die niederländischen Kolonien der Altmark
im 1 2. Jahrhundert. Berlin 1889. Nach ihm erschien die Breslau er Dissertation von
Ed. 0. Schulze, Niederländische Siedelungen in den Marschen an der unteren Weser
und Elbe im 12. und 13. Jahrhundert. Hannover (1889).
158
naturgemäß aufs engste an die Bodengestaltung gebunden war,45) not-
wendig auf diese Linie lenken. Tatsächlich aber war der Landverkehr
in dieser Gegend weit mehr ausgebildet als der Verkehr zu Wasser,
wie die geringe Anzahl grösserer Handelsstädte an der Elbe beweist. 46)
Deshalb führte der alte Landweg von Bardowik- Lüneburg über Salz-
wedel nach Gardelegen und Magdeburg. Aus demselben Grande
führte auch die Wendenstrasse von Bardowik -Lüneburg aus über
Salzwedel in das Wendenland hinein. Und welch regen Verkehr
Salzwedel schon in allerältester Zeit mit Lüneburg gehabt haben mos*,
das beweist, abgesehen von Anderem, schon der Umstand, dass das
salzwedeler Stadtrecht auf der Grundlage des lttneburgischen aufgebaut
ist, während das im Jahre 1151 zur Stadt erhobene Stendal4*) das
seinige dem magdeburgischen Recht entlehnte. Wieder für die Regsam-
keit des Verkehrs über Salzwedel nach dem Wendenlande, wo die
Strasse über Arendsee nach Perleberg, dann weiter nach Pritzwalk
und Wittstock lief 4S), ist beweisend, dass das perleberger Recht das
salzwedelsche zur Grundlage hat.
Jansen hatte seine Untersuchungen auf die Ortsnamen rechts der
Elbe beschränkt... Wie auf diese und auf Salzwedel passt nun die Deutung
des -wcdel als Übergangsstelle oder Fürth auch für die übrigen Orts-
namen auf -wedel links der Elbe. Auch diese liegen, soweit die
Sonderkarte4/') erkennen lässt, fast alle an noch heute mehr oder weniger
deutlichen Übergangspunkten über Moor oder Flussniederungen.
Ich gebe hier ein Verzeichniss der mir bekannten Ortsnamen auf
-wedel links der Elbe ausser Salzwedel:
1. Regierungsbezirk Lüneburg:
Martcedcl, Kreis Dannenberg,
Bruchwedel, Kreis Ülzen,
Schaf wedel, do.
Blickwedel, Kreis Isenhagen,
Langwedel, do.
Lingwedel, do.
Wimeedel, do.
Bancedel, Kreis Gif hörn,
Steinwedel, Gr. u. KL, Kreis Burgdorf,
Burgwedel, Gr. u. Kl., do.
Lindwedel, Kreis Fallingbostel,
Flottwedel, do. zur Landgemeinde Bockel,
Langicedel, Kreis Soltau, zur Landgemeinde Heber.
4i) Vergl. z. B. J. N. v. Sadowski, Die Handelsstrassen der Griechen und Römer
durch das Flussgebiet der Oder, Weichsel, des Dniepr und Niemen an die Gestade
des Baltischen Meeres. Aus dem Polnischen von A. Kohn. Jena 1877. S. 9.
46) A. Penck, Das deutsche Reich (= Länderkunde des Erdteils Europa, hrsg.
v. A. Kirchhoff I, 1). Wien 1*87. S. 547. — Riedel A, XIV Nr. DXI DXII.
") Die Griindungsurkunde bei Riedel A, XV Nr. 8.
") Erich Liesegang in den Forschungen zur brandenb.-preussischen Geschichte
a.a.O. S. 51.
*9) Es wurde benutzt A. Papen, Topographischer Atlas des Königreichs Han-
nover und Herzogthums Braunschweig. Hannover 1822—47.
159
2. Regierungsbezirk Hannover:
Holhcedel, Gr. u. KI., Kreis Syke.
3. Regierungsbezirk Stade:
Langwedel, Kreis Verden,
Blecfocedel, Kreis Rotenburg i. Hann.,
Ru8chwcdel, Kreis »Stade,
Hohenwedel, Kreis Stade, zur Stadt Stade; dazu noch
Hochicedeltheil, Kr. Hadeln, zur Landgeni. Altenbruch. *°)
Das Gebiet, welches diese Orte, einschliesslich Salzwedel, einnehmen,
erstreckt sich von der Mündung der Jeetze in die Elbe, östlich
der Jeetzeniederung in südlicher Richtung aufwärts bis zur Aller,
*°) Ausgeschlossen sind aus diesem Verzeichniss :
1. alle Ortsnamen, welche Wedel,Wehdel w. ähnl. lauten. Zwar ist mit Sicherheit
anzunehmen, dass die Wiege des Gesclüechts der Familie vonWedel in dieser Gegend
zu suchen ist — (v. Wedel) Geschichte der Grafen von Wedel zu Gödens und Even-
burg in Ostfriesland. Hannover 1850. S. 7 f. wird hierfür das zwei Meilen unter-
halb Hamburg an dem Nordufer der Elbe gelegene Wedel geltend gemacht — , aber
um für unseren Zweck verwertbar zu sein, müsste in jedem Falle nachgewiesen
werden, dass ein solcher Zusammenhang, abgesehen von jenem ersten Falle, welchem
die Familie den Namen verdankt, nicht vorhanden ist. Hierhot rechne ich auch
Wedell im Regierungsbezirk Frankfurt a. 0. Kreis Königsberg N.M., Neu-Wedell
im Regierungsbezirk Frankfurt a. 0. Kreis Aniswalde — über die Zugehörigkeit
dieses letzteren zur Familie von Wedel s. Buchholz, Versuch einer Geschichte der
Churmark Brandenburg. I. I7H5. S. 41 — , Neu -Wedel im Regierungsbezirk Oppeln
Kreis Oppeln und Alten -Wedell im Regierungsbezirk Stettin Kreis Saatzig. Auch
der Name des Geschlechts schwankt zwischen den Formen Wedele Widele Wedel u. a.,
s. Urkundenbuch zur Geschichte des schlossgesessenen Geschlechts der Grafen und
Herren von Wedel. Bearbeitet und herausgegeben von Heinr. Fried. Paul v. Wedel.
Bd. I. Leipzig 1888.
2. Altensalzwedel im Regierungsbezirk Magdeburg Kreis Salzwedel. Es ist
dies jenes schon oben S. 151 genannte Dorf etwa eine Meile südlich der Stadt Salz-
wedel, in dessen mooriger Nachbarschaft sich jene oben erwähnten Salzquellen be-
finden. Es hat deshalb nicht an Meinungen gefehlt (s. Pohlmann a. a. 0. S. 4) , die
diesem Ort ein höheres Alter wie der Stadt Salzwedel zuerkannten, und sie für die
ursprüngliche Anlage hielten. Allen diesen Ansichten hat aber schon Danneil (im
1 5. Jahresbericht des altmärkischen Geschichtsvereins S. 39 ff.) ein für alle Mal ein
Ende gemacht, indem er einesteils auf das erst spät bezeugte Vorkommen des
Namens Altensalzwedel — er giebt ftir die erste Erwähnung das Jahr 1402 an —
hinwies, andererseits aber mit Recht betonte, dass das Dorf noch heute vom Volke
nur Ollen Solten genannt würde, und dass dieser Name, der eine genügende Er-
klärung in der salzigen Beschaffenheit des dortigen Bodens findet, als der ältere
anzusehen sei. Möglicherweise könnte man auch Beziehungen dieses Namens zur
Familie derer von Salztoedel annehmen, wie letzteres auch für den Flecken Langen-
mlzwedel bei Tangennünde geschehen ist (s. Steinhart a. a. 0. IL S. 205), der schon
im Anfange des 14. Jahrhunderts erwähnt wird (Riedel A, V Nr. 89 u. 91), den wir
aber ebenfalls aus der obigen Liste ausgeschlossen haben.
Ausserdem erwähne ich
3. Salztoedel, Vorwerk zum Rittergut Drosdowen im Regierungsbezirk Gum-
binnen Kreis Oletzko, dessen Ursprung mir imbekannt ist; und
4. Seywedel, Dorf in Oesterreich, Böhmen, Kr. Prag, Bez. Rakonitz, welches
in Ritter's Geographisch-statist. Lexikon*. Bd. 2. Leipzig 1874. S. 587 aufgeführt
wird, heisst in der siebenten Auflage desselben Werkes Bd. 2. Leipzig 1883. S. Gl 7
Seiwedl. Näheres darüber weiss ich nicht.
160
über diese hinaus und ihrem linken Ufer entlang abwärts bis zur
Weser, dann über diese hinüber in gleicher Richtung bis etwa
an die heutige oldenburgische Grenze, von wo es sich in breitem
Streifen, der in der Quere etwa von der Mündung der Hunte in die
Weser bis zur Mündung der Leine in die Aller reicht, nordöstlich nach
der Elbe zu wendet, wo sich dann das holsteinisch-schleswigsche Gebiet
der Ortsnamen auf -wedel anschliesst.
Es ist bemerkenswert und für die vorgeschlagene Bedeutung des
-wedel von Wichtigkeit, dass dieses Gebiet sich in einer grossen Ellipse
um die lüneburger Heide herumzieht, deren Gelände für derartige
Benennungen keine Gelegenheit bot. Es stimmt ferner zu der gegebenen
Erklärung, dass auch Höhenrücken, wie der Heine wedel, Forstbezirk
im Regierungsbezirk Lüneburg Kreis Gif hörn, sowie der Hohe Wedel
bei Stade — für Höhenbenennungen kann eine Einwirkung des Namens
der Familie von Wedel, s. o. S. 159, wohl als ausgeschlossen betrachtet
werden — in dieser Art benannt sind. Auch andere Forstbezirke*1)
wie Buchwedel im Regierungsbezirk Lüneburg Kreis Winsen und
Lint wedel nordöstlich von Bremen, bilden für die Auffassung des -wedel
als Übergangsstelle, als Furt kein Hindernisse1 a
Gehen wir von den so erreichten Resultaten noch einen Schritt
weiter, indem wir der Frage nach den Gründern dieser Orte und der
Gründungszeit des bedeutendsten unter ihnen, Salzwedel, näher zu treten
suöhen.
Das Gebiet, welches rechts der Elbe in der heutigen Provinz
Schleswig -Holstein, links der Elbe in der heutigen Provinz Hannover
und einer Ecke der Provinz Sachsen, von den Ortsnamen auf -wedel
bedeckt ist, stellt sich dar als derjenige Teil des grossen Sachsen-
gebietes, welches rechts der Elbe von den Transalbingiern, links von
Teilen der Engem und Ostfalen bewohnt wurde. Eine andere Völker-
schaft kann für unsere Frage nicht in Betracht kommen. Denn die
Sitze der Langobarden, wie v. Hammerstein -Loxten52) deren Grenzen
festgestellt hat, dehnten sich weder nördlich, noch westlich und südlich
so weit aus. Für die Ostgrenze derselben ist es allerdings nicht
unmöglich, dass dieselbe bis an die nördliche Jeetzeniederung heran-
gereicht hat, welche vor der Eindeichung der Elbe53) eine natürliche
Scheidung von den Nachbarn bot. Jenseits der Jeetzeniederung sassen
andere Völker, die noch vor dem Jahre 531 in das grosse Thüringer-
reich aufgegangen waren.54) In diesem Jahre aber bekriegte der frän-
6I) Notwedel bei Lübben in den Germanistischen Studien a. a. 0.
61 a) Es mag hinzugefügt werden, dass das dem nhd. 'Furt' entsprechende
alts. *ford als solches nicht belegt ist, sondern nur aus Ortsnamen, deren zweiten
Teil es bildet, erschlossen wird. Heriford aber, jetzt Herford, welches beispiels-
weise Kluge im Etym. Wb. 4 (1889). S. 99 anführt, liegt im Regierungsbezirk Minden,
jenseits der Weser, also ausserhalb des von den Ortsnamen auf -wedel eingenomme-
nen Gebietes. Es wäre interessant zu wissen, wie sich die Ortsnamen auf -fürt
örtlich und zeitlich zu denen auf -wedel verhalten.
M) a. a. 0. S. 16 ff. u. S. 49 f. M) s. o. S. 157.
54) vgl. hierzu besonders die Aufsätze von W. Seelmann im Jahrb. des Ver. f.
Niederd. Sprachforschung 1S8G.
161
kische König Theodorich mit Hilfe der Sachsen die Thüringer, wofür jene
als ausbedungenen Siegeslohn Nordthüringen erhielten, d. h. das Land
zwischen Elbe, Jeetze, Ocker, Harz und Unstrut. Obwol nun die
Sachsen auch im Besitz des Landes rechts der Jeetze waren, so finden
sich doch, mit alleiniger Ausnahme des zu beanstandenden55) Langen-
salzwedel bei Tangermünde, zwischen Jeetze und Elbe keine Orts-
namen auf -weüel mehr. Eine energische Besiedelung dieser Strecken
durch die siegreichen Sachsen hat also nicht mehr stattgefunden, denn
an Gelegenheit zu diesbezüglichen Namengebungen würde es auch hier
nicht gefehlt haben.
Mit diesem Ausblick müssen wir uns zunächst begnügen, da gerade
das in Frage stehende Gebiet und seine Bewohner für die deutsche
Altertumskunde immer noch eine Reihe ungelöster Rätsel birgt.
M) 8. Anm. 50. 2.
Berlin. Johannes Luther.
Anzeige.
W. L. van Helten, Altostfriesische Grammatik. Herausgegeben im
Auftrag des Friesch Genootschap voor Geschied-, Oudheid- en Taal-
kunde te Leeuwarden. Leeuwarden. Verlag von A. Meyer (Firma
IL Kuipers & J. G. Wester). 1890. XII, 255 S. 8°.
Endlich eine altfriesische Grammatik, die unmittelbar auf den Quellen
beruht! In diesen freudigen Ausruf wird ein jeder einstimmen, der das Be-
dürfnis nach einem zuverlässigen Nachschlagebuch empfunden hat. Das
Altfriesische ist bisher die einzige germanische Sprache gewesen, deren
Laut- und Flexionslehre seit J. Grimm nicht aufs neue aus den Quellen
heraus eingehend bearbeitet worden ist. Und grade hier war eine solche
Arbeit dringend nötig. Wiarda's Ausgaben, 'welche Rask und J. Grimm
vorlagen, sind philologisch unbrauchbar. 1840 hat uns v. Richthofe n eine
zuverlässige Ausgabe der wichtigsten altfriesischen Rechtsquellen und ein
vortreffliches Wörterbuch geschenkt. Auf dieser Grundlage ruht Heyne's
Darstellung in seiner kurzen Laut- und Flexionslehre der altgerm. Sprachen.
Allein dieselbe ist nur ein kurzer Abriss nach J. Grimm's Vorbild, keine
ausführliche grammatische Darstellung des gesammten afries. Sprachgutes;
sie ist für das Afries., was Grein's kleine ags. Grammatik für das Angel-
sächsische ist. Einen Rückschritt bedeuten die ganz unselbständigen Gram-
matiken von Hewett und Cummins. Die jüngste von Siebs in PauFs Grund-
riss fusst nur auf v. Richthofen's* Wörterbuch, nicht auf den Texten selbst
und entfernt sich weit von einer philologisch-historischen Darstellung nicht
nur dadurch, dass der Verfasser seine Darstellung mit unbewiesenen sprach-
geschichtlichen Theorien verquickt, sondern vor allem dadurch, dass das
>
162
Material zum Teil nicht zuverlässig ist und der Fassung der Regeln die
nötige Bestimmtheit mangelt. Von Bearbeitungen eines Teiles der afries.
Grammatik ist die einzig brauchbare Schrift bisher die Dissertation von
Günther über die Verba im Altostfriesischen gewesen. Denn in Siebs' Dar-
stellung des Vokalismus (Paul nnd Braune's Beitr. XI und zur Geschichte
der engl.-fries. Sprache) und der Palatale (1886 besonders ersch.) vermag
ich einen wissenschaftlichen Fortschritt nicht zu erkennen.
Unter 'diesen Umständen muss man es dem Verfasser des zu besprechen-
den Werkes Dank wissen, dass er eine quellenmftssige Bearbeitung der alt-
ostfries. Laut- und Formenlehre unternommen hat. Nächst dem Verfasser
gebührt unser Dank dem rührigen „Friesch Genootschap voor Geschied-,
Oudheid- en Taalkunde", in dessen Auftrag und mit dessen materieller Unter-
stützung das vorliegende Buch erschienen ist Freilich ist es sehr zu be-
dauern, dass nicht grössere Mittel zur Verfügung gestanden haben. Denn
auf Rechnung dieses Umstandes wird jedenfalls in erster Reihe die mangel-
hafte Ausstattung des Buches zu setzen sein, welche die Benutzung desselben
dermassen erschwert, dass auch derjenige Leser, welchem der Stoff ein wohl
vertrauter ist, sich nur mit äusserster Mühe zurecht finden kann. Doch
hätte hier Manches getan werden können: Es fehlen besondere Seitenüber-
schriften; die Kapitelüberschriften hätten numeriert und durch den Druck
verschiedenartig gekennzeichnet werden müssen; statt der unglückseligen,
dem Auge kaum bemerkbaren a, ß u. s. w., hätten mehr in's Auge fallende
Ziffern gewählt werden müssen; die Anmerkungen durften» nicht fortlaufend
in der Schriftgattung des Textes gedruckt werden; und bei dieser Unüber-
sichtlichkeit des Druckes fehlt noch ein Inhaltsverzeichnis! Man ist gradezu
gezwungen sich ein solches selbst anzufertigen, um das Buch zum Nach-
schlagen benutzen zu können. Ich gestehe, noch kein Buch gesehen zu
haben, dessen Brauchbarkeit in ähnlichem Masse durch die Art des Druckes
beeinträchtigt wird. Und grade diesem Buche hätte äussere Übersichtlich-
keit dringend Not getan. Denn die Darstellung selbst zeichnet sich nicht
durch Klarheit und Übersichtlichkeit aus. Der Verfasser erhebt sich nicht
zu einer zusammenfassenden Darstellung sondern giebt im wesentlichen nur
eine Materialsammlung von Fall zu Fall. Es wäre am zweckmäßigsten
gewesen, wenn der Verfasser sich in seiner Disposition möglichst eng an
Sievers' ags. Gramm, angeschlossen hätte. Zumal bei einer so wenig be-
kannten Sprache war eine Paralleldarstellung der Lautlehre geboten, also
einmal: Altostfries, e ist der Vertreter von 1. germ. e, 2. umgelauteten germ.
u u. s. w.; zum anderen: Germ, e ist vertreten 1. durch e, 2. durch e u. s. w.
Die letztere Anordnung hat der Verfasser beim Vokalismus, die erstere
beim Konsonantismus befolgt. Auf eine vergleichende Entwicklungsgeschichte
des Friesischen, ausgehend vom Anglofriesischen, hat der Verfasser ver-
zichtet und deshalb auch mit Recht verzichtet, weil seine Grammatik nur
die altostfriesische Sprache des 13. bis 15. Jahrhunderts behandelt und eine
solche Entwicklungsgeschichte nur mittels »des Urfriesischen fest begründet
werden kann, dessen Gewinnung wiederum die vergleichende Hinzuziehung
des Westfries, voraussetzen würde.
Ungeachtet des statistischen Charakters seiner Grammatik hat der Ver-
fasser es sich nicht versagt hier und da weiter gehende Probleme der ger-
163
manischen Lautgeschichte zur Sprache zu bringen, meines Erachtens mit
wenig Glück. Die verzweifelte Frage, wie die verhältnismässig selten vor-
kommenden ä neben e ans germ. ai zu erklären seien, beantwortet der Ver-
fasser (so schon Beitr. XIV, 282 ff.) dahin, dass ä die normale Entsprechung
sei und alle e, soweit lautorganische Entsprechung vorliegt, durch i-Umlaut
zu erklären seien. Zu diesem Zweck muss er für die Substantiv» wie ben,
üel, eth, sten den alten Lokativ Sing, zu Hülfe zu nehmen, dessen Stamm-
vokal auf sämtliche anderen Kasus übertragen sei. Dürfte diese Erklärung
wenig Glauben finden dürfte, so ist diejenige für die Praeterita wie grep,
tvet unmöglich, bei welohen der t-Umlaut aus der 3. Sing, hergeleitet wird,
liier hat zu keiner Zeit ein i im Auslaut bestanden; denn auslautendes idg..
e war schon in vorchristlicher Zeit abgefallen, ohne den Lautwandel des
unbetonten e zu i mitzumachen, folglich ohne Umlaut hervorrufen zu können
(vgl. Sievers, Ags. Gramm. § 131 im Gegensatz zu § 132). Ich bin viel-
mehr der Ansicht, dass germ. ai in offener Silbe zu e, in geschlossener zu
a (letzteres meist verkürzt) geworden ist; vgl. eth : aththa, kern : hamreke,
Uda : latte, reka : rächte. Die Nomina wie eth haben ihr e aus den ob-
liquen Kasus, die Feminina wie fräs neben fres ihr ä von dem alten
endungslosen Nom. und Dat. Sing. her. Auf die ferner liegende Erklärung
der anderen Ausnahmen gedenke ich an anderer Stelle zurückzukommen.
Es hat dem Buche nur zum Vorteil gereicht, dass der Verfasser sich
auf eine systematische Behandlung des Altostfries, beschränkt hat. Allein
öftere gelegentliche Berücksichtigung des Altwestfries, und des Neuostfries,
würde manches Problem klarer gestellt haben. Wo der Verfasser dies
getan hat (vergl. z. B. § 38), hat er es mit Glück getan. Die Sache liegt
ja beim Altfries, anders wie bei den übrigen altgerm. Sprachen, deren Gram-
matik durch Hinzuziehung neuerer Mundarten an Klarheit kaum gewinnen
würde. Das Altfries. ist aber so kümmerlich überliefert, dass hier die
jüngeren Mundarten vielfach den Tatbestand sehr wesentlich ergänzen. Vor
allem lässt sich die Aussprache des Altfries, nur erkennen, wenn man die
modernen Erscheinungen zu Hülfe zieht. Im Altfries, müssen bekanntlich
viele Buchstaben eine mehrfache Aussprache gehabt haben, weil die neueren
Mundarten etymologisch verschiedene Laute in der Aussprache trennen,
welche in der altfries. Schreibung zusammengefallen sind. Besonders sind
die alten Quantitätsverhältnisse nur auf diesem Wege mit Sicherheit zu ge-
winnen. In diesem Punkte ist es zu bedauern, dass der Verfasser manches,
was er klar erkannt hat, nicht folgerecht zum Ausdruck bringt. Er
beweist z. B. S. 27, dass afrs. iä, in zu lesen sei und schreibt doch stets
■in und iu, wiewohl richtig u'a. Noch richtiger sollte man |5, iü, iö schrei-
ben, ebenso wie der kurze, gebrochene Diphthong als iu wiederzugeben ist.
Ferner nimmt Verf. § 43 Dehnung vor vereinfachtem alten rr an, schreibt
aber ohne Grund immer stera u. dgl. Anderes ist dem Verf. entgangen, so
die sicher altostfries. Dehnung vor nd, mb, lä, Ir, rth, rd, rv, rn und die Kür-
zung vor st, sk, cht, ft, kt, pt, mr, nr.
Indessen, es ist hier nicht der Ort auf Einzelheiten näher einzugehen.
Dass bei einem Buche, welches einen bisher kaum beackerten Boden zum
ersten Male bearbeitet, im einzelnen öfter gefehlt und manches nicht er-
kannt ist, darf man billigerweise nicht anders erwarten. Alles, was man
16*
an dem' Buche aussetzen mag, wiegt federleicht gegenüber den grossen
Vorzügen desselben. Der Verf. hat uns die erste gründlich© altfries. Gram-
matik geschenkt, nnd das ist bei der Sprödigkeit des Stoffes eine wissen-
schaftliche Tat. Er hat eine Reihe von wichtigen Tatsachen znm ersten
Male klar gelegt — ich nenne nur die Kapitel über den u~, v- nnd ti-Um-
laut, über die Brechung, Dehnung und Kürzung und die Vokale der Mittel-
silben nnd Praefixe. Er hat eine Grammatik geschrieben, welche vollständig
und zuverlässig alles zusammenfasst, was unsere Texte bieten, nnd er giebt
durch die sorgfältige Sammlung der Belegstellen dem Leser selbst eine
Kontrole in die Hand. Die Forschung wird ja fortschreiten und manche
Kegel wird veralten, manche neu gefunden werden. Immer aber wird man
auf dieses Werk als das grundlegende zurückgreifen müssen. Möchte der
Verfasser uns auch eine gleich gründliche altwestfriesiache Grammatik
schenken!
Halle a. S. Otto Bremer.
i
In unserm Verlage sind erschienen:
Drucke des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
i.
Mlttelnlederdeatsehe Fastnachtspiele. Mit Einleitung und
Anmerkungen herausgegeben von W. Seelmaan. XL VII. und
86 S. Preis 2 Mk.
Inhalt: Böse Frauen. — Bauernbetrügerei. — N. Meroatoris Fastnachtspiel. — Zwie-
gespräch «wischen dem Lehen und dem Tode. — Der Schere Klot. — Röbeler Spiel.
— Das Glücksrad.
Dieser Neudruck mit Rem-oduetion der Original- Holzschnitte enthält eine
Sammlung alter volkstümlicher Lustspiele in mittelniederdeutscher Mundart.
Die ausführliche Einleitung, welche der Herausgeber beigefügt hat, bereichert die
Geschichte des deutschen Dramas um eine Reihe interessanter Thatsachen und
führt u. a. den Nachweis, dass dem Fastnachtspiele, wie man böse Frauen fromm
maclien kann, derselbe Stoff und dieselbe Quelle zu Grunde liegt, wie eitler eng-
liscJien, auch Slmkespeare, wie seine Zähmung der Widerspenstigen zeigt, be-
kannten Dichtung.
IL
Das niederdeutsche Reimbüchlein. Eine Spruchsammlung
des 16. Jahrh. Herausgegeben von W. Sftelmann. XXVIII. und
122 S. Preis 2 Mk.
Das um die Mitte des 16. Jahrh. gedruckte und .nur in einem einzigen
Exemplare erJwltene Reimbüchlein ist eine in ihrer Art einzig dastehende Antho*
logie gnomischer und lyrischer Poesie, die aus .%. T. jetzt verscliollenen Dich-
tungen, z. T. auch aus dem Volksiyiunde gesammelt ist.
III.
De düdesche Schlömer von Johannes Stricerius. 1584. Her-
ausgegeben von Joh. Bolte. *76 und 236 S. Preis 4 Mk.
Ein Neudruck des Schlömers, welcher neben dem verlorenen Sohne des
Burkard Waldis als das bedeutendste niederdeutsche Drama des 16. Jahrhunderts
bezeichnet werden muss, ist sclion oft als ein Bedürfnis empfunden worden.
Strwer entwirft darin in lebendigen Zügen ein getreues und anscliauliches Bild
von dem wüsten und schwelgerischen Leben des Adels in seiner Heintat Holstein.
Seiyiem Stücke liegt zu Grunde eine sclion zuvor in England, Holland, Frank-
reich und Deutschland dramatisch bearbeitete Fabel, die, wie Goedeke nachgewiesen
hat, aus einer budhistischen Parabel hervorgegangen, zuletzt zu einer Darstellung
der Bekehrung eines verstockten Sünders im Sinne der protestantischen Recht-
fertigungslehre geworden ist.
Heister Stephans Schaehbueh« Ein mittelniederdeutsches
Gedicht des 14. Jahrh. Teil I.: Text. Preis 2 Mk. 50 Pf.
Teil IL : Glossar, zusammengestellt von W. Schlüter. Preis 2 Mk.
Wörterbücher des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung.
Wörterbuch der Westfälischen Mundart von Fr. Woeste.
22 Bogen. Preis 8 Mk., in Halbfr.-Band 10 Mk.
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Herausgegeben vom Verein für niederdeutsche Sprachforschung.
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