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i
Dr. H. Breitenstein,
21 Jahre in Indien.
2. Thell: Java.
malayischen Familie.
21 Jahre in Indien.
Aus dem Tagebuche eines Militärarztes.
Zweiter Theil: Java.
Von
Dr. H. Breitenstein.
Mit 1 Titelbild und 29 AbblldvB«:eB.
Leipzig.
Th. Grieben^ Verlag (L. Fernau)*
1900.
Druck Ton H. Klöppel, Qemrode (Harz).
Vorwort.
Der erste Tlieil dieses Werkes „Borneo" hat sehr viele Freunde ge-
funden; nur von wenigen wurde es getadelt, einige haben es geprie-
sen, und von sehr vielen wurde es gelobt.
^Theuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen,
Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll.''
Der Tadel galt hauptsächlich der Form^ und ieh bemühte mieh im
Geiste dieser goldenen Worte Schillers, dem zweiten Theile eine gefällige
Form zu geben. Ich wählte bessere Abbildungen und mied so viel als
möglich die Hollandismen im Satzbau.
Die zahlreichen Freunde des ersten Theiles bitte ich inständigst, mit
gleicher Nachsicht und gleichem Wohlwollen auch an die Leetüre des
zweiten Theiles heranzutreten. Ich stand ja vor einer schwierigen Auf-
gabe. Die Arbeit wuchs mir mit jedem Tage unter den Händen; die
Fülle des Interessanten, das ich erlebt, gesehen und beobachtet habe,
musste ich in den engen Rahmen eines Buches zwängen. Ich war von
dem Wunsche geleitet, nur das Interessanteste zu bringen. Möge ich bei
der Wahl, die ich deshalb zu treffen genöthigt war, auch glücklich ge-
wesen sein!
Vor einigen Monaten erhielt ich von dem Kriegsministerium der Ver-
einigten Staaten von Amerika zu Puerto -Rico das Ansuchen, das Wich-
tigste über die Organisation des ärztlichen Dienstes für die Eingeborenen
auf Java mitzutheilen. So ehrend dieses Ansuchen für mich persönlich
war, so erfreulich war mir dieser Brief von einem andern allgemeinem
Gesichtspunkte aus. Er war mir Bürgschaft, dass Amerika den Bewoh-
nern seiner neuen Colonien das Schicksal der Rothhäute ersparen wolle.
Es will ihnen die Wohlthaten der Civilisation geben und erholt sieh
VI Vorwort.
dazu Rath bei den erfahrenen Holländern. Diesen ist es ja gelangen, ans
den halbwilden Urbewohnem Javas friedliche und gesittete Bürger zu
schaffen. Heilig ist auf Java das Eigenthum; das Gesetz schützt
den kleinen Mann; in hundert Jahren ist die Bevölkerung von
3 auf 23 Millionen gewachsen; das Land ernährt seine Kin-
der, und der Reichthum seines Bodens lockt tausende Jünger
Mercurs aus dem fernen Europa in seine schönen Gefilde;
Eintracht herrscht unter seinen Fürsten, und Friede und Le-
benslust kennt der Bauer.
Slamat tänah Djawa!
Heil dir, du liebliches Java!
Karlsbad, im April 1900. Dr. H. Breitenstein.
Inhaltsverzeichniss.
I. Gapitel.
2. CapHel
8«ito
Vorwort V
Gomgenda X
Meine erste Seereise — Meeresleuchten — Seekrankheit —
Amor auf dem Schiffe — Gepäcktag — Serenade auf dem
Schiffe — Deckpassagiere — Die „tausend Inseln** — An-
kunft im alten Batavia — „Mutter** Spandermann — Indische
Hotels 1
Weltevreden — Empfang beim Armee-Commandanten — Ein
Gorso auf dem Waterlooplatze — Gigerl und Modedame in
Weltevreden — Der grosste Platz der Welt (?) — Malayisches
Winken — Ein Handkuss — Ein Abenteuer auf hoher See —
Dos-k-dos |Und Deeleman <— Altstadt — Kunst und Wissen-
schaft in Indien — Wissenschaftliche Vereine in Batavia —
Indische Hausirer — Jagd auf Bhinocerossc — Indische
Masseuse 14
3. Capitel. Häufige Transferirungen — Die Vorstadt Simpang — Die ersten
eingeborenen Patienten — Ein Danaergeschenk — Die „Stadt**
Surabaya — Das Mittagsschläfchen — Eine Nonna — Eine
Abendunterhaltung — Die Beri-Beri- Krankheit — Indische
Militärärzte — Die Insel Bavean und Madura — Besidenties
Madora und Surabaya 33
Beise nach Bantam — Malayischer Kutschen — Max Havelaar
— Fieberepidemie in der Provinz Bantam — Krankenwärter
mit einem Taggeld von 20 fl. (!) — Eine Stute ab Beitpferd
— Der Königstiger — Javanische Pferde — Elend während
einer Fieberepidemie — Auf dem Kreuzwege — Heiden auf
Java — Begegnung mit einem Königstiger — Behandlung der
Fussgeschwüre durch die Eingeborenen — Drohende Hungers-
noth in Bantam — Aussterben der Büffel — Dreimal in Le-
bensgefahr — Ein ungefährlicher Spaziergang im Regön . . 66
Fleischspeisen auf Java — Deng-deng — VergiftungsfiUle —
Bediente — Malaria — Geographie von Bantam 89
Nach Buiteniorg — Der Berg Salak — Das Schloss des Gou-
verneur-General — Ein weltberühmter botanischer Garten —
4. CapHel.
9. Capitel.
e. Capitel
Yin Inhaltsveraeichniss.
SaiU-
Batu-tulis = beichriebener Stein — Ein gefahrlicher Kutscher
— Die Preanger-Provin« — Warme Quellen — Sanatorien —
Indische Gewürze — Ein reicher Beamter — Das Tanzen (Tan-
dak) der Javanen — Wl^ang orang = Theater — Wftjang
tjina = Chinesisches Theater — Wfigang Kulit = Schatten-
bilder — Spiele der Javanen — Eine Theeplantage — Bam-
bus-Wunden — Eine langweilige, aber einträgliche Garnison
— Einfluss der ,, reinen Bergluft'' — Europäische Gemüse auf
Java — Ein javanischer Fürst verheiratet mit einer europäischen
Dame — Malayische Gedichte (Panton) — Mischrassen — Ein
ausgestorbener Krater 99<
7. Capitel. .Museum und botanischer Garten in Batavia — Beise nach
Ngawie — Sandhose — „Kykdag" einer Auction — Auction
— Venduaccepte — Geographie der Provinz Madiun — Vier
Chefs — Stockschläge in der Armee — Lepra auf den Inseln
des indischen Archipels — Prophylaxis der Lepra — Eine
Sylvestemacht auf Java — Eine unangenehme Fahrt — Ein
Neujahrstag in Solo — Eine Deputation am Hofe zu Djocja
— Die Stadt Solo — Der Aufschwung der Insel Java — Das
Militärspital in Ngawie — Ein Spital ohne Apotheker — Cho-
leraphobie — Meine Conduiteliste — Cholera in Indien —
ilntstehungsursaohe der Cholera in Indien — Prophylaxis der
Cholera in Indien — Reisfelder 137*
8. Gapitol. Die Schiefertafel („Leitje*') — Die Wege der Fama — Lese-
gesellschafb — Ein humoristischer Landesgerichtsrath — Ab-
reise von Ngawie — Ambarawa — Nepotismus in der Armee
— In drei Tagen zweimal transferirt — Vorschuss auf den
Gehalt — Die Provinz Bagel^en — Essbare Vogelnester —
In Tjilatjap — Polizeisoldaten — Beamte — Sehenswürdig-
keiten von IJila^ap — Officiere in Civilkleidung — Eingeborene
Beamte — Gehalt eines Kegimentsarztes — An Malaria er-
krankt — Djocja — Der Tempel Bramb&nan — Die „Tausend
Tempel" — Wieder nach Ngawie — Spitalbehandlung der
Officiere — Reibereien in kleinen Städten — Die Provinz
Surakarta — Der Kaffeebanm — Ein Roman auf dem Vulcane
„Lawu** 206.
9. Ctpitel . Die Provinz Kedü — Der Berg Tidar — In Magelang — Auf
demPäsar (= Markt) — Javanische Schönheitsmittel — Haustoi-
lette der europäischen Damen — Mein „Haus" — Empfang^-
abende — Magclang — Opiumrauchen — Die Chinesen auf
Java — Die gerichtliche Medicin der Chinesen — Ein zu
grosses Militärspital — Die Königin von Siam in Magelang —
Ein Oberstabsarzt „gestellt" — Nachtheile der Pavillons aus
Bambus — Organisation des Rechts wesens — Zum Theater-
director gewählt — Die Journalistik Indiens 273^
Inhaltsverzeichniss. IX.
I
8«ite
iO. CapKel. Der Bum Budur — fiiagelang während des Elrieges mit Lom-
bok — Soldatenfreande — Die Religionen auf Java —
Schulen für die Javanen — Die Dysenterie — Leberabscesse
— Eine Expedition in den Tropen — Nochmals von Dienst-
boten — „Der Garten von Java" 324
-SehlMt. Abreise von Magelang — Semärang — „Schuttery" — Die
chinesische Behandlung der Diphtheritis — Das ewige Feuer
— Salatiga — Abschied von Semärang 364
•AlllHUif . Die Ansiedelungen der Europäer auf der Insel Java . . . 377
^aoh- md Nanen-Reglster 395
Corrigenda.
Seite 69, 7. Zeile von unten: für Daendel
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Fasagrahan
Nordwest
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„ Laban.
Nationaltugend.
s. Jacob.*
welcher.
Beschwerden.
Bemelot.
Ngawie.
Pesanggrfthan.
Nord, West.
Bageleen.
Veth. •
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ff
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176,
Vett
Armauer, Hansen lies: Armauer Hansen,
der burgerlyken civil lies : de burgerlyke civiel.
Stipendien lies: Subsidien.
Sonntag lies: Samstag. .
Brandy, Soda, • „ Brandy-Soda.
Garebek lies: G&rebeg (so hoissen die drei
grossen Festtage, welche den 12. Mulud, den 30. Puwftsa und den
10. Bes&r gefeiert werden).
Note: Der Buchstabe & des mittleren und östlichen Javas wird un-
gefähr wie das deutsche o ausgesprochen.
ff
177, 10.5
Seile
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L oben : für Gundiks
lies:
Gundiks = Beiweiber.
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187. 16.
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unten: „ Semelink
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Semmelink.
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199, Note :
„ Aehren lies:
Reis noch
in der Hülse.
ff
200, 10.
ff
ff
unten: „ dJBJong
lies:
Djagong.
ff
202, 18.
ff
ff
„ „ Djioruk
ff
I^erug.
ff
202, 18.
ff
ff
ff ff Laiyksat
ff
Langsat.
ff
213, 16.
ff
ff
oben: „ Marbabu
ff
Merbabu.
ff
215, 16.
>>
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unten: „ Zaunspfahl
»1
Zaunpfahl.
)*
215, 4
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oben: „ Bavean
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Baven.
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218, 3.
»
1»
„ „ Rechenkamer
»»
Rekenkamer.
ff
219, 11.
ff
ff
unten: „ Prairiebrände
ff
grosse Lauffeuer selten.
ff
221, 19.
ff
ff
oben: „ Fagel^n
ff
Fagel^en.
ff
225, 3.
ff
ff
unten: ,, Officiersclub
ff
Club.
ff
226, 3.
ff
ff
y, „ Insel Nussa
ff
Nussa ( — Lisel).
Gorrigenda. XI
Seite 226, 8. Zeile von oben: lies: Along Along lies: Alang Alang.
„ 230, 6. „ „ „ „ Tragen Givilkleider „ Tragen von Civüklei-
dern.
„ 263, 10. ^ „ n n Landgericht „ Landesgericht.
„ 264, 8. ,, „ unten: „ Alan Alan „ Alang älang.
„ 265, 3. „ „ n n Cäsarinen-Grotten ; Cäsarinen, Grotten.
„ 265. Note. Gegenwärtigist neben der europäischen Zeitrechnung auch noch
die arabische, und in Mitteljava manchmal auch die mohameda-
nisch-javanischo (= Saka) Zeitrechnung in Gebrauch. Die letztere
beginnt am 8. Juli 1638 mit dem Jahre 1555.
„ 278, 19. Zeile von oben: für p&ssar lies: päsar.
„ 293, 9. „ „ „ „ sni vergleichen „ verglichen.
„ 305, 19. „ „ n n Java-Chinese ^ Halbchinese.
„ 310, 10. „ „ n n keinen Arm „ nicht den Arm.
„ 322, 17. „ „ unten: „ Sabbathisten „ Sabbatarier,
n 324, 3. „ „ unten: „ Fesanggrahan „ Pesanggr&han.
„ 327. Ein interessanter Aberglaube ist die Sage von dem Wehrtieger =^
Matjan gadungan.
Verzeichniss der Abbildungen.
S«ito
des
Textet
Umschlagbild: Ein Regent = der höchste eingeborene Beamte.
Titelbild: Häusliche Idylle einer malayischen Familie.
Fig. 1: Ein malayisches Mädchen mit dem silbernen Feigenblatt ... 17
„ 2: Zwei sundanesische Frauen bei der Bearbeitung der Cacaofrüchte 84
„ 3: Die Hauptstrasse im chinesischen Viertel zu Buitenzorg .... 101
„ '4: Der Palast des Gouverneur-General in Buitenzorg (Südseite) . . 104
„ 5: Ein Kampong (= Dorf) bei Buitenzorg 110
„ 6: Zwei sundanesische Prinzessinnen mit 2 Bedajas 115
„ 7: Ein Wäjang Kulit (Schattenbilder) mit der Gamelang und Regisseur
hinter dem Schirm 120
„ 8: Eine malayische öffentliche Tänzerin 120
„ 9: Eine malayische Njai (= Haushälterin) in einfacher Haustoilette . 138
„ 10: Eine sundanesische Frau in ihrer Haustoilette 136
„ 11: Sundanesische Fruchtehändlerin 136
„ 12: Das Wohnhaus eines reichen Chinesen in Batavia 138
„ 18: Ein javanischer Häuptling mit seiner Frau in Ghdakleidnng . . . 169
„ 14: Reichsinsignien, getragen von den Serimpis zu Djoqja (nach
Dr. Gronemann) 168
16: Eine Gompagnie der „Legionen** des Sultans von Djocja . . . 176
16: Eine Häpgebrücke aus Bambus bei Bandjar im Serajothal . . . 241
„ 17: Der Tempel bei Prambänan 249
„ 18: Eine Scene aus einem Wftjang orang am Hofe zu Djocja (nach
Dr. Gronemann) 265
„ 19: Tempel bei Mendüt (Provinz Kedü) 274
„ 20: Ein malayisches Mädchen mit Sirihdose und Spucknapf aus Messing 282
„ 2^: In Sarong und Kabaya 283
y, 22: Am Ziehbrunnen 284
„ 28: Mein „Haus" 284
„ 24: Gh*undriss des Militär-Spitals zu Magelang 306
„ 26 : Buddha-Statue im Innern des Tempels bei Mendut 326
„ 26: Ein Feld aus dem grossen Fries in den Biauem des Buru Budur 326
27: Totalansicht des Buru Budur 327
28: Ein Javane bei der Hausarbeit 366
29: Ein Ghurduhäuschen := Eine Polizeiwachstube 366
n
n
n
»
n
Legenda.
J = Javanisch.
M = Malayisoh.
S = Sundanesisch.
1. CapiteL
Meine erste Seereise — Meeresleuchten — Seekrankheit —
Amor anf dem Schiffe — Oepäcktag — Serenade auf dem
Schiffe — Deckpassagiere — Die ,9taiisend Inseln^^ — Ankunft
Im alten Batavla — 9,Mutter^^ Spandermann ~ Indische Hotels.
A m 27. September 1876 schifte ich mich als Oberarzt der holländisch-
-^^ indischen Armee in Rotterdam ein. Gegenüber dem Yachtclub,
in welchem sich heute das kleine^ aber interessante coloniale Museum
))efindet lag die »Friesland«, ^) welche mir, der echten Ijandratte, die
vorher noch niemals das Meer gesehen hatte, durch ihre Grösse und
als »Ostindienfahi-er« gewaltig imponirte. Vor der Abfahrt wollte ein
lietrunkener Matrose nicht zu Schiff; als aber die Dampfpfeife ihren
schrillen Ton pfiff, eilte er auf die Brücke, welche den Dampfer mit
dem Lande verband. Aus hundert Kehlen der an Bord befindlichen
Soldaten drang ein lautes Hurrah iy die Lüfte, das letzte Tau fiel,
und mit ihm fielen alle Hoffiiungen, welche mich bis nuil an Europa
geknüpft: hatten.
Eine gemischtei'e Gesellschaft als diejenige auf einem grossen
Dampfer findet man am Continent gewiss selten oder niemals bei-
sammen. Ein Oberlieutenant mit seiner jungen Frau »(einer Berli-
nerin), 2 Ungarn, 1 Oesterreicher, 10 echte und ebensoviel unechte Ma-
layimien, Holländer, Franzosen, Engländer, 100 Soldaten aus aller Herren
lÄndem, ein Mädchen mit chinesischem Typus, ein hoher Beamter,
dessen Frau eine echte Dajakerin (aus Bomeo) war, waren die einzelnen
Steine des kaleidoskopischen, ethuQgraphischen Bildes auf der »Fries-
land« ; und als ich mich den andern Tag an einen der Ofliciere mit der
* ^) Zwei Jahre später ist dieses Schiff an der spanischen Küste mit Mann
und Maus anterget^angen; wie mir ein jetziger. Patient, der Eigenthümer des
Rotterdamer Lloyd, erzählte, war es auf einen Felsen aufgefahren und wurde in
jTvei Stücke zerrissen.
Breitenstein, 21 Jahre in Indien n. 1
Meeresleuchten. Seekrankheit.
Bitte um eine Ordonnanz wandte, itug er mich: »Was wollen Sie?
Einen Holländer, Franzosen, Italiener, Deutschen, Türken, Afrikaner
oder Aegypter?«
Um 9'/2 Uhr Abends verliessen wir die Mündung der Maas und
kamen in die Nordsee; das SchiflF schaukelte so, dass wir mit ausge-
spreizten Pilssen stehen mussten, und beim Grehen schwankte ich wie
ein Trunkener: die Stösse des Schiffes fühlte ich manchmal wie einen
directen Stoss auf den Magen, und das Schreckbild der Seekrankheit
stand, vorläufig nur in der Phantasie, in seiner ganzen Grösse vor mir;
ich flüchtete in die Cajüte und warf mich in die Arme Morpheus, mu
am andern Morgen frisch und munter aufioistehen und mit gesundem
Appetit das Frühstück, bestehend aus Eiern, Fleisch, Butterbrot und
Kaffee, zu mir zu nelmrien. Zum ereten Mal sah ich das Meeresleuchten,
jenen hellblauen, glänzenden Kiystall, der, mnsäumt von einem klaren,
sill)enien und kreideweissen Saume, in einer Länge von vielleicht
2()00 — 3000 Metern dem Hintertheile des Schiffes sich anschloss.
Bald erhob sich jedoch ein Wind, graue Wolken zogen inmier
sclineller und schneller vom Horizont zum Zenith, geschäftig eilten die
Äfatrosen auf dem Deck hin und her; im Raimie brachten die Kellner
alles Zerbrechliche in Sicherheit Das Schiff »rollte« von rechts
nach links, dann »stampfte« es wiedenun. indem das Voi-dertheil von
einer Welle erhoben und dann wieder in die Tiefe des Wellenthals ge-
zogen wurde; dann stampfte und rollte es wieder zu gleicher Zeit,
und schwankend vom Steuer zum Backbord erhob es seinen Kopf über
den nächsten Wellenberg, um sich im nächsten Moment, getrieben
vom Stunu und Dampf, in das Wellentlial zu stürzen. Ich selbst
sMss mit den übrigen Beisegefährten im Speisesalon und hörte theil-
nahmslos das Grespi-äch über das Entstehen der Seekrankheit an: dass
dies SchaukeTn eine Blutleere im Gtehim erzeuge, wodurch das Erbrechen
entstehe; dass, wie ein Anderer behauptete, das Zerren des Magens
dm*ch die darin befindlichen rollenden Speisereste die Nerven reize
und dadurch im Gehini Kleinmuth und trostlose Stimmung erzeuge,
und es daher unrichtig sei, den Magen gefüllt zu erhalten, mid
viel besser, ihn durch ein Gläschen Cognac zu beruhigen; ein Dritter
wiedenun verwarf den Alcohol, weil er die Nennen noch mehr reize,
als es ohnehin schon durch das Stampfen und Rollen des Schiffes
■
geschehe; ein Vierter rieth mir, bei den ersten Erscheuiungen der
Seekrankheit zu Bett zu gehen und das Kopfyolster wegzuwerfen,
weil bei der horizontalen Lage das Blut in reichlichem Maasse das
Die Seekrankheit.
Gehirn durchströmen und die Anäniie (Blutarmuth) beseitigen könne.
Meine Theilnahmslosigkeit steigerte sich während und nach diesem
Gk«pmche noch mehr; »Sie werden ja fürchterlich blass!« rief mir
die Berlinerin zu; zugleich fühlte ich einen kalten Seh weiss auf der
Stim, der Magen zog sich krampfhaft zusammen — der Schnitt eines
Messers konnte nicht schmerzhafter sein — , ich eilte zur Thür und
bi^achte dem Neptun mein erstes Opfer; ich stieg hinauf aufe Zwischen-
deck, setzte mich in der Nähe der Maschine auf einen Stuhl und
stante willenlos über den Bord des Schiffes in die graue, schwarze,
schäumende See und fluchte dem Schicksal, welches mich unter
fremde Menschen in die weite fremde Welt warf, die theilnahmslos
mit dem Fremdling den Kampf ums Dasein tlieilt, da^ tönte es plötz-
lich wie hinmilische Musik aus dem Munde der Berlinerin zu meinen
Ohren: »Bitte, nehmen Sie doch ein Glas Wasser.« Keine barm-
herzige Schwester hat jemals einen innigeren Dank erhalten, als diese
junge Frau, welche mit dem Glas AVasser in der Hand das erste herz-
liche und theilnahmsvolle Wort in dieser kleiumüthigen und gedrückten
Stimmung zu mir sprach. Als ich in den Salon zurückkam, stünnten die
Bathschläge der erfahrenen E^isenden in Unzahl auf mich ein: der
Eine rieth mir ein Stück Zwieback in Brandy, der Andere in Cognac
getaucht zu nehmen, der Dritte empfahl mir ein Gläschen Advocaat
(d. i. Brandy, Eier und Zucker), ein Anderer bot mir ein Gläschen
Portwein an u. s. w. Der Wille aller dieser hilfsbereiten Menschen
war gut; aber mit dem ersten Opfer stellte sich Neptunus nicht zu-
frieden, und jede Wiederholung war um so schmerzhafter", je leerer der
Magen war, so dass ich unwillkürlich, und ohne den wohlgemeinten
llath meiner Reisegenossen abzuwarten, Speisen zu mir nalun, um diesen
Theil der Seekranklieit weniger schmerzhaft zu machen.
Ich liatte zwar geimg Leidensgenossen, aber ich dachte nicht ein-
mal daran, Beobachtungen an ihnen zu machen, z. B. über den Zu-
stand des Herzens, des Pidses, der Athnmng, des Urinirens u. s. w.,
denn ich war zu krank, zu indolent, zu gleichgiltig und zu apathisch,
um für irgend etwas Interesse zu baten. Frauen, Männer, Knaben
und Mädchen — nur nicht Säuglinge, sind zeitweilig das Opfer der
Seekrankheit Weil Säuglinge davon befreit sind und Erwachsene auch
bei intensivem Schaukeln dieselben Ki'ankheitserscheiimngen zeigen,
kann die Seekrankheit mit mehr oder weniger Recht unter die acuten
Pqrchosen, wie der Schwindel oder lUiusch, gerechnet werden, und zwar
ab »Folge von mangelndeip Orientinmgsvermögen im Räume« (Eich-
1*
Behandlung der Seekrankbeit.
hörst). Dieses würde auch die Thatsache erklären, dass selbst vom
Wetter und Stumi abgehärtete Seeleute hm und wieder seekrank wer-
den und andrerseits zarte Frauen davon verschont bleiben.
Die Berlinerin, meine barmherzige Schwester, blieb während des
Sturmes, den wir damals hatten, von der Seekrankheit verschont imd
während der ganzen Reise, die damals 42 Tage dauerte, war sie keinen
einzigen Tag unwohl, und wie sie mir nach Jalu^n später erzählte, hatte
sie vielleicht zehn grosse oder kleine Seereisen gemacht, ohne auch nur
einen einzigen Augenblick von diesem unheimlichen Gaste heimgesucht
zu werden. Andrerseits habe ich Damen gekannt, welche in der Furcht
seekrank zu werden, beim Anfang der Seereise sich niederlegten und
die ganze Reise hindurch das Bett nicht verliessen. Aber auch dieses
blieb ohne Erfolg; bei ruhiger See erfreuten sie sich einer ziemlichen
Gesundheit, um jedoch bei einigennaassen hohem Wellenschlag um so
mehr dem tückischen Neptunus opfern zu müssen.
Das Abhärtungssystem hat die besten Erfolge; mit jeder weiteren
Seefahrt war ich weniger diesen Unbilden ausgesetzt, und auf meiner
letzten Seereise schmeckte mir (bis auf ehien einzigen Tag) immer
die Cigarrc. Jede medicamentöse Behandlung dieser Krankheit hat
bis jetzt im Stich gelassen. Morphium, Cocain, Antipyrin und Phena-
cetin sind ebenso unwirksam als Chloral u. s. w. Die von dieser
Krankheit Heimgesuchten befinden sich am besten in der Mitte des
Schiffes, und zwar womöglich zu Bett Zur Erleichterung des Vomirens
müssen sie die Appetitlosigkeit überwinden und etwas zu sich nehmen,
und wäre es nur ein Stückchen Biscuit eine Limonade oder ein Gläs-
dien Advocaat Das einzige wirksame Mittel bleibt — das feste Land.
Gegenwärtig wird diesem Factor Rechnung getragen. Wäln^jid a^ff
meiner ersten Seercise, von Rotterdam bis Port Said, das Schiff in
keinem Hafen landete, und wir von Aden bis Padang (Sumatra) nichts
als Himmel und Wasser sahen, ist die jetzige Reise auch diesl)ezüglich
viel günstiger. Der atlantische Ocean wird nur ausnalimsweise zur
Reise von und nach Holland benutzt; man schifll sich in G^nua oder
Marseille ein oder verlässt in einer dieser Hafenstädte das Schiff.
Auf meiner letzten Reise von Samarang (Java) nach Europa benutzte
ich einen Dampfer der Messageries maritimes und machte in Batavia,
Singapore, Colombo, Djibuti, Port Said und Marseille Halt so dass wir
niemals länger als 6 Tage ununterbrochen auf dem Schiffe blieben, und
jedes Mai beim Landen in einem Hafen die unglücklichen seekranken
Schiffsgenossen Zeit hatten, sich voUkommen von ihren Leiden zu
Von London bis Oporto.
eAolen. Leider giebt es einzelne Fälle, in welchen nicht einmal diese
radicale Cur einen Erfolg hat Im Jahre 1883 fuhr ich öfters mit
einer kleinen Dampfbarcasse längs der Ostküste Sumatraa, und sehr
oft geschah es, dass ich noch auf dem Lande schwindlig war und es
Standen lang blieb; dies ist jedoch eine Ausnahme. Die Regel ist,
dass beim Einlaufen in den Hafen die Seekrankheit ein Ende nimmt,
und dass ein kurzer Aufenthalt auf dem Lande hinreichend ist, dem
Seekranken vollkommene Euphorie (Wohlbefinden) zu bringen.
Den 29. September erreichten wir Southampton und fiihren sofort
nach London, um am 30. Abends um 9 Uhr mis wieder einzu-
»chiffen. Es war das erste Mal, dass ich dieses moderne Babylon
gesehen habe; der Auiienthalt dauerte nur 1^/2 Tag, so dass ich nur
einen oberflächlichen und zugleich ungünstigen Eindruck von diesem
Labyrinth von Strassen erhielt
Der Morgen des 1. October war heiter und hell; ich befand mich
.wohL ich wagte es sogar, eine Cigarre anzuzünden; doch schon um
8 Uhr umwölkte sich der Himmel, ,ein starker Wind schaukelte das
Schiflf; im Schifbraum war die Luft drückend schwül, mid so setzte
ich mich mit meinem gut geschlossenen Wintenx)ck im Zwischendeck
in der Nähe der Maschine nieder und ergab mich wieder dem
ganzen Trübsinn, die Heimath verlassen zu haben, um einer ungewissen,
unruhigen und gefahrdrohenden Zulomft entgegenzugehen. Wenn
auch der Rücken durch die Nähe des Dampfkessels erwärmt ward, so
firätelte es mich dochj mid ängstlich prüfte ich meinen Puls, ob er die
Nähe des Fiebers, des Typhus oder ähnlicher Unbilden schon verrathe.
So ging es bis zum 4. October, als in der Nähe Oportos Jupiter pluvius
uns verliess und heller Soinienschein alle Passagiere auf das Oberdeck
rief, welches mit einem Zelte uns vor Sonnenschein und vor Regen
hinreichenden Schutz gewährte. An diesem Tage war es das ei-ste Mal,
dass ich in vollen Zügen den Reiz einer Seereise genoss. Während
ich früher mich vergebens bemühte, die ganze Zeit des Diners mid
Soupers am Tisch zu bleiben und in der Regel schon nach dem zweiten
Gange hinauf aufe Deck eilen musste, um nicht in dem Speisesälen die
stürmischen und schmerzhaften Bewegungen menies Magens zu demon-
striren, koimte ich mich an diesem Tage ungehuidert dem vollen Ge-
nuas der Tafelfreuden hingeben; dem bunten Leben und Treiben einer
Schiffijgesellschatt konnte ich mich ungestört Avidmen mid mit voller
Brust in den Chor der Ofliciere einstimmen, welche mit Vorliebe deutsche
StudeiitenUeder sangen. Auch Amor, der kleine Schalk, schlüpfte hin
6 Amor auf dem Schiffe.
luid wieder zwischen die jungen Damen und Herreu, ohne dass es ihm
jedoch gelungen wäre, ein festes und dauerndes Band zwischen zwei
jungen Leuten zu knüpfen. Er hatte zwar tüchtige Bundesgenosse»,
einige junge Frauen,, welche bekanntlich die eifrigsten Ehevermittler
sind; aber diesmal, d. L auf dieser Seereise, hatte Amor nicht einen
einzigen Erfolg au&uweisen. Es war z. B. auf dem Schiffe das Fräu-
lein X., welches zu ihrem Schwager, einem bekaimten Arzte auf Java,
reiste. Bald hatten die jungen Frauen herausgefimden, dass ich sobald
als möglich heiraten müsste, weil ein lediger Arzt in Indien niemals
eine Privatpraxis erlangen köjme, mid weil das Leben eines unver-
heirateten Mannes in Indien »ein Hundeleben« sei und Fiüulein X.
alle Tugenden in sich vereinige, welche jemals ein weibUches Greschöpf
gehabt habe u. s. w. Damit begnügten sich jedoch diese eifrigen Heirats-
vermittler nicht. So viel als möglich musste ich dieser jungen Dame
Gresellschaft leisten, und als auch dadurch mein Herz verschlossen blieb
und die Eiskruste nicht aufthauen wollte, erzählten sie mir, welche
Bewunderung diese junge Dame memem Stande, meinem Geiste mid
allem bot, was mir gehörte. Ich will nur noch kurz raittheilen, dass
auf der Rhede von Batavia alle Passagiere sich gegenseitig Glück
wünschten, die grosse Seereise glücklich überstanden zu haben, und dass
mir bei dieser Gelegenheit Fräulein X. mit spottendem Tone eme
glückliche Zukunft ^Is alter Junggeselle wünschte.
Am 5. October passirten wir Cap St. Vincent; spanischer Himmel
wölbte sich über ims, die Sonne sandte heisse Strahlen auf uns, das
Meer war glatt, und ruhig glitt der Dampfer über dessen sanfte
Wellen. Zu unserer Linken ragen hohe Felsen bis in die Wolken
und eine grosse Festung zwischen den Bäumen hervor. In demselben
Augenblicke gehen auf unsenn Schiff einzelne Flaggen in die Höhe, ein
Wachihaus am Ufer antwortet in gleicher Weise, und eine halbe Stunde
später weiss der Botterdamer Lloyd, dass sein Dampfer »Friesland«
Cap St Vincent glücklich passirt habe und »alles wohl an Bord« sei.
Hier hatten wir den ersten Bagagetag, d. h. zum ersten Male
durften wir im Schiffsräume nach unseren Koffern sehen, um etwa
notliwendig gewordene Ergänzung unserer Wäsche vornehmen zu
können; die französische Schiffifahrtsgesellschaft ist in dieser Hinsicht
freigebiger; ein Theil des Schiffsraumes war für das grosse Gepäck
der Beisenden reservirt, und jeden Tag konnte man zu seinen Koflfeni
gelangen; diese waren nämlich auf Schrägen schön geordnet, und immer-
während stand ein Matrose bereit unsere Koffer aus der Unzahl der
Gepäcktag. Serenade auf dem Schiffe.
übrigen herauszusuchen; auf den holländischen Dampfern kann dieses
nur jede Woche einmal geschehen. Als ich zum ersten Male meine
Koffer revidirte, erschrak ich über die Verheerung, welche das See-
wasser angerichtet hatte. Beim Beinigen des Schiffes war das See-
Wasser in diese Bäume und in die Koffer geclrungen; eine Dame
weinte und schluchzte, als sie sah, dass in den Seidenkleidern, welche in
einem grossen Korbe sich befanden, das Wasser grosse schmutzig-gelbe
Flecke ziurückgelassen hatte; späterhin, d. h. bei meiner späteren See-
reise, waren die Koffer, welche Bücher, Kleider und Instrumente
enüiielten, mit Zinkblech inwendig bekleidet und nur die Wäsche blieb
unbeschützt; der Koffer wird ja durch solche Bekleidung zu schwer
mid erfordert bei den Fahrten auf der Eisenbahn oder beim Transport
durch Kuh zu hohe Fracht
Der Mond schuf an diesem Tage auf den Wogen 'des Meeres so
herrliche Krystalle, so silberglänzende Streifen zogen hinter dem Schiffe
zum fernen Horizont, dass ich stillvergnügt in die plätschernden Wellen
imd träumend nach dem bestirnten Himmel blickte. Da erklangen
heimathliche Klänge aus kräftigen Kehlen zu meinen Ohren: ^Z\x
Mantua in Banden der »treue Hofer war«; ich entriss mich dem
Zauber der Nymphen, welche mir aus der Tiefe des Meeres so man-
(^hes süsse Wort des Trostes mid der Hoffnung zugeflüstert hatten
— die Seekrankheit war ja vorüber — und ich eilte auf das Vor-
derdeck. Da waren deutsche und holländische Soldaten, welche deutsche
VolksUeder sangen, während abwechselnd ihre französischen mid bel-
gischen Kameraden ihr »Adieu ma belle France« mit ihrem »Allons,
enfants de la patrie« dem Zephyrwinde anvertrauten, welcher sie der
Heimath bringen mid dort berichten sollte, dass sie auch in weiter
Feme treue Söhne ihres Vaterlandes bleiben würden. Wie viele von
ihnen weilen heute noch miter den Lebenden? Wie viele von meinen
Beisegenossen der 1. Klasse schlummern schon unter den Palmen ihren
ewigen Schlaf, mid wie wenigen war das Schicksal ebenso günstig als
mir, ebenso hold als mir, nach 23 Jahren jenen eine Thräne der Er-
mnerung weihen zu kömien?
Unterdessen erhob sich am westlichen Horizont ein Wolke mid
stieg immer höher und höhei, bis sie als ein dichter Schleiei* den Mond
verhüllte und das silberweisse Glänzen und Leuchten des »Saug-
wassers« erlöschen imd in das dunkelblau (coeruleus) der anderen
Wellen übergehen Hess.
8 Deckpassagiere.
Der Gesang der Soldaten verstuninite, ein lauter Applaus der Um-
stehenden belohnte sie für diese Serenade auf höher See, und wir
stiegen hinab in das Zwischendeck, um unsere jCajüten au&usucheu.
Bei den Reisen mit Segelschiffen galt es als eine Empfehlung für
den Segler, eine »milchgebende Kuh und einen diplomirten Doctor«
an Bord zu haben, und der holländische Volkswitz veränderte es in
einen »milchgebenden Doctor und diplomirte Kuh«. Auf der »Fries-
land« ei-freuten wiü uns -des Besitzes von drei milchgebenden Kühen
und von fünf diplomirten Aerzten; der Schi£&arzt war ein CSolIege vom
alten Schlage, dem die moderne Untersuchungsmethode noch nicht
geläufig war, und der daher seinen eisten Patienten mit Lungen-
entzündung für einen rheumatisch Erkrankten erklärte; der Patient
starb, und weinend folgte der Arzt dem Leichenzuge und klagte mir sein
Leid, dass es in seiner langen Praxis der erste Fall sei, dass er auf
hoher See einen Patienten verloren habe, der nur an Rheumatismus
der Brustmuskehi gelitten hätte.
Interessanter und viel romantischer wai* das Vorderdeck, welches für
die Passagiere der 2. mid 3. Klasse und füi* das Sclilachtrieh bestinunt
war. Im Zwischendeck befanden sich drei grosse Milchkühe, ein
Dutzend Schweine, zwei Dutzend Gänse, die Rettungsboote waren mit
Fleisch von Rindern, Kälbern und Hammehi gefüllt, und eine grosse
Zahl Hühner und Enten füllten die langen Käfige auf beiden Seiten
des Zwischendeckes; heute haben die grossen Indienfiahrer grosse
Kühlräume für alle Sorten von Fleisch, Gemüse u. s. w. und führen
lebendes Vieh nm- so weit mit, als die Bequemlichkeit der Deck-
passagiere danmter nicht leidet; damals jedoch bargen sich zwischen
den tiestgebundenen Rinder» und den Gänseställen die Soldaten; dort
hatte ein Schuhmacher seinen Dreifiiss aufgestellt hier übte ein
französischer Koiporal sein altes Metier und rasirte gegen eine Ent-
schädigung nicht nur seine Kameraden, sondern auch die Passagiere
der 1. Klasse; malayische Bediente und javanische Babu's, welche zur
Begleitung und Aufsicht europäischer Kinder nach Eiux)pa gegangen
waren luid auf der Rückreise nach der Heimath dieselben Dienste
leisteten, suchten mit VorUebe den vorderen Theil des Schiffes auf, uni
vielleicht einen oder den anderen der Unterofificiere oder der Soldaten
in's Joch der Ehe zu spannen, und nm* zu oft hörten wir die klagenden,
schmelzenden Töne eines malayischen Liebesliedes, welches den Orang-
Baru an die braune, plattnasige Schöne fesseln sollte.
Von Port Said bis Batavia; die „tausend Inseln*'. 9
Am 6. October kamen wir iii das mittelländische Meer, und am
13. October 2 Uhr Nachts fuhren wh* in den Hafen von Port Said.
Die ganze Fahrt durch dieses grosse Wasserb^ken war vom schönsten
Wetter begünstigt gewesen. Schwacher WeUenschlag, manchmal kaum
fühlbares Schaukeln des Schiffes, hellblauer Himmel über unserem
Haupte und sanfte Temperatur bei Tage wechselten mit kühlen Abenden;
und wenn der Himmel mit seinen MilUonen Sternen in seiner ganzen
Pracht über uns sich wölbte, wenn die MondesstraHlen in den Fluthen
sich spiegelten, das Schiff ruhig über die See glitt, und fimkensprühende
Wellen, mit hellblauem, krystaJlgleichem Schweife, bis an den Hori-
zont rollten, dann war alles Weh und Leid vergessen, mid in der
Wahl zwischen Schiff mid Schienenweg — giebt es keine WahL
Deimoch begrüssten wir den schönen Leuchtthurm von Damiette
als den Vorboten von Port Said; wir sollten ja bald wieder festen Bo-
den imter unsere Füsse bekommen.
Ich bin viermal in Port Said gewesen, und jedesmal ergötzte ich
mich an dem bunten Bilde des Orientes, imd es kostet mich Mühe, jene
Blätter meines Tagebuches zu überschlagen, welche sich mit meinem
damaligen Aufenthalte ui Port Said und IsmaiUa, mit Kairo und Alexan-
drien, welche ich im Jahre 1884 besuchte, und mit Suez, Djibuti imd
Aden beschäftigen, denn alle bieten in ihrer Art dem Europäer viel
Interessantes und Sehenswerthes.
Indien ist ja aber das Ziel meiner Arbeit
Am 6. November liefen wir in den Hafen von Padang (West-
küste von Sumatra) ein. nachdem wir lange vierzehn Tage nur Wasser
und Himmel gesehen hatten, ftihren durch die Sundastrasse und liessen
die Insel Krakatau zu unserer Linken, die nichts anderes als ein dicht-
bewaldeter Vulcan von einigen hmidert Fuss Höhe war, der 160 Jahre
sich ruhig verhalten hatte, bis er im Jahre 1883 durch seinen Aus-
bruch die Westküste Javas und die Südküste Sumatras so schwer heim-
suchte, dass mehr als 2000U Menschen ihr Leben einbüssten.
Am 8. November, Nachmittags um 5^/2 Uhr, also nach einer
Reise von 42 Tagen fuhren wir diu-ch die »tausend Inseln«») in den
Hafen des alten Batavia ein. Von diesen zahlreichen Insebi führen
viele den Namen hoUäiidischer Städte, als: Leiden, Amsterdam, Hooni,
Enkhuizen, Edam, Alkmaar, Rotterdam, Schiedam, Haarlem, Monniken-
') Sic haben eine Grösse von 8.5«s Quadrat-Meüen, während Java 2281.4s,
Quadrat-Meilen gross ist.
10 Ankunft im „alten Batavia^.
dam u. s. w., welche die Eingeborenen nicht acceptirt haben, und von
welchen diese noch immer die ursprüngliche Benennung gebrauchen. So-
heisst Leiden Pulu njamuk (Mosquitos-Insel), Amsterdam = P. ontong
djawa gegenüber dem gleichnamigen Vorgebirge (Javas Glücks-Insel)^
Hoorn = P. ajer = Wasserinsel, Rotterdam heisst P. öbi besar =
Insel der grossen Ejiollen u- s. w.
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als der Anker im Hafen
in die Tiefe des Meeres fiel Es war jedoch nicht zu erwarten, dasa
vor Einbruch der Nacht alle Passagiere und ihr Gepäck ausgeschiffi
sein konnten; der Capitän beschloss also, nur die Briefe an den Wall
zu senden und den Passagieren die Walil zu lassen, nm* mit ihrem
Handgepäck das Schiff zu verlassen und am andern Morgen das grosse
Grepäck abholen zu lassen, oder noch diese eine Nacht seine Gäste zu
bleiben und den andern Morgen mit dem grossen und kleinen Gepäck
nach Batavia zu fahren. Ich entscldoss mich zu Ersterem; eine kleine
Dampfbarcasse nahm die Postsäcke auf mid gestattete mir und eini-
gen ßeisegenossen. die Fahrt durch den Caiud noch diesen Abend
anzutreten.
Eine grosse Fläche lag vor uns; zu unserer Rechten waren Sümpfe,,
in welchen mein Reisegenosse, Baron Holzschuh, ein Krokodil zu sehen
glaubte. Dieser Mann, mit dem icli acht Jahre später wieder die Reise
nach Europa machte, war s. Z. der Begleiter unserer Landsmäimin
Ida Pfeifer und hatte mir so manche interessante Details über da*
Leben dieser muthigen IVau mitgetheilt Der Hafen-Canal hat seit
Vollendung des neuen Hafens Tanjong Piiok seine frühere Bedeutung
verloren. Ijaugsam fuhren wir durch diesen schmalen Canal, auf wel-
chem bequem zwei Nachen nebeneinander fahren konnten, bis wir an
den »kleinen Boom<< = die Douane kamen. Die Zollbeamten begnüg-
ten sich mit meiner Mittheilung, dass ich keinen Revolver oder euie
andei'e Schusswaffe zu verzollen hatte, mid weiter ging die Reise. Unter-
dessen hatten die malayischen Langfinger meinen Militärmantel annec-
tirt Ich habe zwar späterhin oft Jahre lang kein Bedürfiiiss nach
demselben gefühlt aber im ersten Augenblicke dieser Entdeckung gab
ich natüriich meinem Aerger durch die auf dem Schiffe üblichen Schelt-
worte: »malayisches Diebsgesindel« u. s. w. Ausdiiick. Hier standen
auch zalilfeiche Wagen mit euiem oder zwei Pferden, um uns in die
Stadt zu bringen. Es waren alte, schmutzige, von Europäern abge-
dankte Equipagen, welche je von zwei kleinen alten und schmutzigen
Pferden gezogen wurden. Lange überlegten es sich diese zwei Pferde,
Die Fiaker von fiatavia. ^Mutter" Spandermann. H
welche nicht höher als 115 Centimeter waren, ob sie überhaupt ver-
pflichtet wären, den grossen Wagen mit den zwei Insassen zu ziehen. Der
Kutscher, mit seinem farbigen Hemd, ohne Schuhe und Strümpfe, aber
mit einem Strohhut auf dem Kopfe, der die Form einer kleinen Futter-
schwinge hatte, schnalzte mit der Zunge, stiess einen undefinirbaren Laut
aus, sprang vom Bock, schwang die Peitsche über ihre Rücken, die
kleinen Pferdchen bUeben aber ruhig stehen und drehten manchmal
ihren Kopf nach uns, offenbar mit der Frage auf den Jjippen, was wir
demi von ihnen wollten.
Als aber endlich zwei Kameraden des Kutschers zu Hilfe eilten,
(L h. je ein Pferd bei der Stange fassten und zogen, und ein Dritter
hinten den Wagen vorwärts stiess, da endlich erwachte in ihnen das
Bewusstsein ihrer Pflicht; sie zogen an, und im rasenden Galopp ging es
vorwärts, wobei der Kutscher ihnen mit der langen Peitsche eine f ürchter-
liijhe Züchtigung gab. Wir waren im alten Batavia, zu welcher Stadt
im Jahre 1614 vom General-Gouverneur Pietcr Both der erste Grund-
stein mit dem Namen »Fort Nassau« gelegt wurde; es ist eine alte
Stadt mit ein- bis zweistöckigen Häusern xmd zahlreichen Canälen,
welche heute nur mehr die diversen Comptoirs und Bureaux der Euro-
\mer enthält, während ihre Wohnungen und Detailgeschäfte in dem süd-
lich gelegenen Weltevreden sich befinden; dreiviertel Stunden fahr ich
durch die mit Gas erleuchteten Strassen; ein herrlicher Duft erfüllte
die Luft, mit Wohlbehagen sog ich sie in grossen Zügen ein, und um
7^/2* Uhr kamen wir in das Hotel »Java«, wo mis »Mutter Spander-
mann c leutselig empfing und sofort zur Table d'hote führte. Diese
gute Frau führte mit Becht den Namen »Mutter«, denn mit mütter-
licher Fürsorge nahm sie sich jedes »Orang baru« (Neuling) an und
führte ihn in die Geheimnisse des täglichen Lebens in Java ein mid
sparte niemals ihre Ermahnungen, wenn man z. B. des Vormittags eine
Frucht ass oder zu fiüh sein Schiflsbad nahm. Es hat auch lange
gedauert, bis nach ihrem Tode das Hotel unter der Leitmig der Brü-
der Garreau sein altes Renomme wieder erhielt
Nach dem Nachtmalil machte ich eine kleine Spazierfahrt durch
die Stadt mid kehrte zurück, um mein Bett aufzusuchen. Das Zimmer
war sehr primitiv eingerichtet, wie im AUgemeinen in Indien die
Hotels sehr wenig Sorgfalt auf die Möbel verwenden. Mein Zimmer
liatte kein Fenster, sondern über der Thür nur ein gi'osses Luftloch
mit eisernen Stäben; der Boden bestand aus Ziegehi, auf welchen vor
<lem Bette eine kleine Matte lag, ein einfacher Kasten, ein Waschtisch
t
X2 Indische Hötelt. Die erste Nacht in Batavia.
önd ein kleiner viereckiger Tisch, auf welchem ich den Inhalt meiner
Tasche deponirte, standen in dem Zinmier; an den weissen Wänden
hingen nebstdem zwei alte, vom Wetter gebräunte und vom Alter
gelb gewordene Kupferstiche, mid zur Beleuchtung diente — eine
kleine Oellampe, welche die ganze Nacht brannte. Der Total-
eindruck war der einer Zelle eines Gefängnisses, weil es nebst den
ordinären Möbeln durch Mangel an Raum sich auszeichnete. Die erste
Nacht, welche ich auf Java verbrachte, war «geradezu unangenehm.
Ein Gekko hatte sich über der Thüre am Luftloche niedergelassen;
beinahe jede halbe Stunde ertönte sein lautes Gek — ko, Gekko 6 — 7 mal
hintereinander, und klang in das laute Brummen einer zerspningenen
Basssaite aus, Grillen und Frösche accompagnirten den Grekko, und
onglücklicher Weise hatte ich das Mosquitonetz nicht gut geschlossen,
als ich mich zu Bette legte. Das Summen und Bruimnen der Mos-
quitos nahm kein Ende, und hin und n^ieder tönte dazwischen das Heulf n
eines Gladakkers, jener herrenlosen Hunde, welche Abends in die Hotels
kommen, um Abfälle der Tafel zu suchen. Bei dem matten Scheiji
des mit Oel gefüllten Lämpchens sah ich zahlreiche Eidechsen auf den
Mauern auf die Mosquitos mid Larongs Jagd machen, hin und wieder
steckte der Grekko seinen grossen Kopf in's Zimmer hinein, als ob er
mit seinen schönen schwarzen Augen den Fremdling erforschen wollte;
dazu kam eine fürchterliche Transpiration; die Nacht war wann und
die Luft in meinem Zimmer von der feuchten Mauer dmnpf imd be-
engend, und bald lag ich gebadet in meinem Seh weisse. Endlich stieg
ich aus dem Bette und ging hinaus in die schmale Veranda; hier
stand neben der Thür ein ordinäres Tischchen und ein grosser Lehn-
stuhl, von dessen beiden Seiten »Füsse« hinaus und nach vorn ge-
schoben werden konnten; obwohl auf dem Tischchen eine Lampfe stand,
machte ich doch keinen Gebrauch von derselben; der ti-opische Hinunel
und Volhnond erleuchteten hinreichend den kleinen Hofraum vor mir, und
zum ersten Male ergötzte ich mich — nicht an der Pi-acht des süd-
lichen Kreuzes und der so herrlich scheinenden Venus — an nichts
dachte i<;h, nichts sah ich, nichts fühlte ich — ich ergötzte mich am
»Klinuuschiessen«. Ein wohlthuendes Grefühl ist es, die Füsse nicht
herabhängen, sondern auf den Füssen des Lehnstuhles ungefähr 10 bis
15 cm über dem Niveau des Beckens ruhen zu lassen. Spiegel erklärt
das wohlthuende Gefühl dieser Lage dadurch, dass die Füsse »/a Meter
der Erdelecüicität, welche miterm Aequator enie sehr hohe Spannung
hätte, entrückt seien. Ich halte jedoch diese Erklärung für eine gesuchte
Die erste Nacht in Batavia. • y^
und möchte auf Grund so mancher Beobachtungen und Erfalirungea
die Ursache in mir selbst suchen; das Blut der Venen geht nämlich
in der horizontalen Lage leichter zum Herzen zurück, und das der
Arterien leichter zur Peripherie des Körpers, weil das Gewicht der
doppelten Blutsäule ausfällt; denn auch in Europa ist die horizontale
Lage eine angenehmere^ al§ das Stehen oder Sitzen.
Ein sanftes ZephjTwehen liess den Schweiss des Körpers ver-
dsimpfen. und so sass ich in dem tiefen Lehnstuhle, entrückt allen
bösen Gedanken, und die Mosquitos umschwirrten mich und brummten
und summten unerbittlich ihr leises Lied in meine Ohren; glücklicher
Weise verschonten sie mich mit ihren Stichen, und als ich mir eine
Manilla-Cigarre anzündete, blies ich mit den Bauchwolkeu diese lästigen
Gäste von mir weg. Endlich forderte die Natur ihr B;echt; die Augen
wurden schwer, es firöstelte mich, und schUesslich entscliloss ich mich
wieder, zu Bett zu gehe». Schon glaubte ich einschlafen zu könneor
als ein Angstgefühl sich meiner bemächtigte, ein kalter Angstschweiss
auf meine Stime trat und mich aus dem Bette jagte; ich eilte zur kleinen
Nachtlanipe, sah meine Nägel blau, und Krämpfe der Därme erpressten
mir den Angstschrei: die Cholera. Doch auch dieses Gespenst meiner
erregten Phantasie ging vorüber, imd ein gesunder Schlaf beendigte die
erste Nacht meines Aufenthaltes in Indien.
2. GapiteL
Weltevreden — Empfan^r beim Armee-Commandanteii — Ein
Corso auf dem Waterlooplatze — (ligerl nnd Modedame in
Weltevreden — Der grOsste Platz der Welt ({) — Malayisehes
Winken — Ein Handkuss — Ein Abenteuer auf hoher See —
Dos ä dos und Deeleman — Altstadt — Kunst und Wissen-
sehaft in Indien — Wissensehaftliehe Vereine in Bataria —
Indische Hansirer — Jagd auf Rhinocerosse — Indische
Masseuse.
1 11 Indien steht nuui um sc^clis Uhr mif,« rief mir »Mutter Spander-
^ mamis ins Zinnner, > Schlafiiüitze, stellen Sie auf, es ist schon
sieben I'hr. . Ich öttnete die Thüre, und eine frische, reine und duft-
reiclie liurt erfüllte das Ziunner. Ein sonderbarer Anblick bot sich
mir dar; auf beiden Seiten des Hofraumes befand sich eine Reihe von
Zimmern, und zwischen je zwei l^hüi-en stand ein Tischchen mit einem
Arm- und ei item Schaukelstuhh», auf denen die Gäste in ihrer Haus-
toilette sassen; zwischen je zwei Pfälden der Galerie war ein Stinck ge-
spannt, auf welchem die Leibwäsche zum Trocknen hing, selbst die ge-
heimsten Toilettestücke der Damen waren hier ausgestellt. Der Be-
diente brachte mir ungefragt eine Schale Kattee, welcher ziemlich schlecht
war und doch ein angenehmes Gefühl der Wanne im Mage;i verur-
s[iclite. Die meisten Heii'en gingen in ilu*er Haustoilette \) und mit
der CigaiTo im Munde auf und ab. Wie ich später hörte und sali,
ist dieses eine allgemeine Gewohnheit als vorbei-eitende Ma^issregel,
um »den Schlaf kamerdden weg zu bringen«. Zwischen 7*^2 bis
8 Uhr gingen die HeiTen angekleidet und die Damen in ihrer Haus-
toilette (Sarong und Kabaya) zur Pi-ühstückstüfel; ich wurde niu* ge-
fragt., ob ich beim Frühstück Thee oder wieder Kaffee gebrauchen
') „Nachtliose" (Hose aus buntem Kattun) und Kabava (weisses Jicibchon).
Weite vreden. 15
wollte; neben meinem Teller standen zwei halbweich gekochte Eier,
^er Bediente brachte mir hintereinander Butterbrot, Beefeteak, Cer-
TelatiÄTirst und Käse, und ich folgte dem guten (?) Beispiele meines
Nachbarn, von allen diesen Speisen ein bis zwei Stücke zu nehmen;
der Magen ist ja ein elastischer Strumpf, er nahm ohne Widerstreben
Alles Dargebotene an. Zu meiner Bechten sass der Herr X., wel-
cher zum Schluss noch .euien halben Teller Nassi Koreng nahm, d. h. Reis
gemischt mit klein geschnittenem Fleisch, Zwiebehi und Lombok.») Ich
bekam einen gewaltigen Respect vor diesem Mamie — es war ein
Creole, d. h. ein Indier von europäischen Eltern geboren — , als er
beifügte, dass dieses Frühstück keine Mahlzeit zu nennen sei und nm* ge-
wissenuaassen den Magen für die Hauptmahlzeit vorbereiten müsse, welche
er um 12\'3 Uhr einnehme; in Indien, fügte er hinzu, müsse (??) man
sich ki'äftig nähren, um den Einfluss der erschlaffenden Wärme zu
neutralisiren, und wenn er, was übrigens selten geschehe, Magenbe-
Rcliwei*den l)ekäme, lasse er sich einige Pisangs (Bananen) in dem Oel
von Djanikblättern 2) backen; er könne mir dieses Laxans aus eigener
Erfahnui^ wännstens empfehlen, weil das Wunderöl dadurch seinen
unangenelunen Geschmack und Geruch verUere.
Xach dem Fiiilistück ging ich in mein Zimmer mit der Absicht,
die Eindiiicke des ei-sten Tages aufeuschreiben. Mutter Spandermann
jedoch erlaul>te es nicht: »Jetzt ziehen Sie Ilu-e Uniform mit der Feld-
binde an. nehmen eine Equip^ige. fahren zmn Sanitätschef und melden
sich, wie es sich für jeden Officier geziemt; die Equipage, welche ich
Urnen flehen werde, l)ehaJten Sie bis zur »Reisbifel«, mid dann werden
Sie Ihr Mitta^schläfchen halten. Dies thun alle Leute »in de Oost«,
und Sie müssen es auch thun, sonst liegen Sie binnen Jahresfrist unter
<lem Klapi)erbaiune (Palme) begraben.« Dieser kategorisch ausge-
sprochenen Marschordre wagte ich natüriich nicht zu widereprechen.
Ich stieg also in den sofort herbeigerufenen Wagen, welcher mn nichts
besser als das Vehikel war, welches mich den vorigen Abend aus der
alten Stadt in's Hotel gebracht hatte.
Zunächst kam ich auf die »Sluisbrücke« mid sah zu meiner
Rechten die alte Citadelle »Prinz Frederik«, welche jetzt nur zmu
ilaga/ine Wnutzt wird, und kam sodann zu dem Bureau des Landes-
>) Capsicum aniiuum.
*) Ricinus communis oder K. rugosus oder R. ruber oder R. spectabiJis,
w**Icho alle zu der Klasse der Euphorbiaceen gehören. Die Chinesen Javas be-
ri'iteu ihr häufig gebrauchtes Laxans aus Ricinus ruber.
X6 Weltevreden. Empfang beim Armee-Commandanten.
.€!ommandirendeD,^) zu dem Reichs- Aiznei-Magaziii, zu der katholischen
Kirche und hatte zu meiner Linken den Waterlooplatz mit der unver-
meidlichen Waterloosäide, und zu meiner Rechten das Bureau des
PIatz-Gk)mmandanten. Hier revidirte der Adjutant meine MarschOTdre
und stelltie mich seinem Chef vor. Von hier aus ging es weiter längs
einiger hübscher Häuser in alt-griechischem Stile, welche von Stabs-
officieren bewohnt waren, in den Spitalweg, in welchem sich das Arsenal,
das grosse Mihtärhospital, das Seminar für die Doctor-djawa-Schule,
einige OfiScierswohnungen und das »hohe Haus« für den Sanitätschef
befinden, welcher den Rang eines Colonels^) bekleidet Im Militär-
hospital stellte ich mich dem Landessanitätschef der 1. Militär- Abtheilung
und im »hohen Hause« dem Sanitätschef vor, welcher mir versprach,
in einigen Tagen mir meinen ersten Standplatz mittheilen zu lassen.
Wie der Empfang bei allen diesen Herren gewesen sei, berichten meine
Reisebriefe mit keinem einzigen Wort; desto ausfültflicher jedoch ist
die Sdiilderung der. Vorstellung beim Armee-jCommandanten. In der
Herzogs- Allee (Hertogslaan), welche die zwei grossen Plätze, Waterloo-
und Königsplatz, verbindet steht sein Bureau und sein »Haus«. —
Im Stile unterscheidet es sich von den üblichen Wohnungen der
.OfflSüdere nicht im mindesten; es ist nm* grösser und hat im Innern
grosse Empfangssäle. Am 11. November bekam ich vom Platz-
C!ömmandanten.Befehl, den andern Tag in »Marsch tenue« um 9 Uhr
in seinem Bureau mich einzufinden, um dem ^Armee-Commandanten
vorgestellt zu werden; natürlich wurde nur den Neulingen diese Ehre
zu Theil; die anderen Qfiiciere, welche von ihrem Urlaub in Europa
zurückgekehrt waren, nahmen an diesem Empfang nicht Theil.
Die »Vorgalerie« war eine schmucklose Säulenhalle, welche, wie
mir erzahlt wurde, nur bei grossen Emp&ngsabenden von den zahl-
neichen Gästen benutzt wurde, um »fiische Luft zu schöpfen«, wenn die
Temperatur im grossen Empfangssaal zu warm wurde; wir wurden in
einen kleinen Saal geführt und nach Rang und nach der Polgereihe
der Liste, welche der Platzcommandantf dem Adjutanten von 2. E.^
überreichen sollte, aufgestellt Da wir eine Viertelstunde warten muss-
ten, hatte ich Zeit genug, um das Empfangszimmer etwas genauer zu
besichtigen. Eine glatte weisse Wand, grosse Spiegel, einige »Wiener«
*) Java wird mtlitärisch in drei Abtheilungen eingetheilt, welche in Welte-
.vreden, Samarang und Surabaja ihren Sitz haben.
') Nur Dr. Wasklewitz hatte als Sanitätschef den Kang eines General».
^) Nur der General-Gouverneur und der Armee-Commandant sind Excellenzen.
Fig. 2. Zwei RUDduieaüclie Fraueu bei der Bp&rbeituDg der Cacaofrüobt«.
Fig. 1. Eiu mulayischca Mädchen in Keiner
Hsustoilelte. (Dieses sUbcnii; Feigenblatt wird
Kegenwärti]^ nur selten van den Moloyen auf
Java, aber häufig auf de ti übrii;eu Inseln getragen.)
18 Ein Corso auf dem Waterlooplatze.
(Thonet'sche) Stühle und Divans und ein polirter Tisch in der Mitte
— das war alles.
■
Seit diesen 23 Jahi-eu hat die europäische Mode die alte Ein-
fachheit der indischen Wohnung verdrängt; gepolsterte Möbel, schwere
Tapeten, Phaiitasiestühle und schwere Vorhänge herrs-chen in den
Privatwohnungen der reichen Euix)päer ebenso wie in Holland. Ich
habe seitdem das Innere dieses Hauses nicht mehr gesehen; ich weiss also
nicht, ob auch der Aiinee-Coinmandant für sein kleines Empfangs-
zimmer sich dieser Mode unterworfen hat. Damals jedoch imponirte es
mir durch seine Einfachheit und noch mehr durch seine kalte, düstere,
saubere Ausstattiuig; ebenso kalt und gemessen war die Begrüssung durch
den Armee-Commandanten van Xeve. Nachdem ich auf diese Weise
mich meiner »dienstlichen c Verpflichtiuigen entledigt hatte, fuhr ich in
der Stadt herum, um einen Totaleindnick von ihr zu bekonnnen.
Zunächst fiihr ich zmück zum Waterlooplatz mit der Waterloo-
säule und dem Monumente von J. P. Koen (oe = u), welchem (als
viertem General-Gouverneur) die Gründmig Batavias ») unrichtiger Weise
zugeschrieben wird. Es ist ein gi'osser viereckiger Platz, welcher von
drei Seiten mit Häusern umgeben ist; hier werden die Militär-Pai-aden
abgehalten, und die Stabsmusik hält hier jeden Sonntag Nachmittag
ein Concert im Freien. Diese Conceiie waren damals das Rendez-vous
der Haute volee, der jeunesse doree und aller Babu's mit ihren Schutz-
befohlenen Kindern. Ich hatte späterhin oft Gelegenheit, solchen
Älilitäi'-Conc^^rten imter freiem Himmel beiwolmen zu kömien. Es ist
ein buntes Gewimmel und könnte, auf eine Bühne gebracht, ein schönes,
farbenreiches Ballet darstellen. Zunächst erscheinen die diversen Babu's
mit europäischen, javanischen, chinesischen und malayischen (Fig. 1-*)
Kindern; sie selbst haben eine lange, bunte Kabaya, einen bunten Sarong,
der mit einem gelben oder blauen, seidenen Bande oder einem siU)emen
oder vergoldeten Gürtel über den Hüften befestigt ist; sie sind braiui
in allen Schattirungen, hal)en dunkelschwarzes Haar, welches in einen
Knoten am Scheitel geknüpft ist, mit einer langen, silbernen Nadel
darin, das Ohrläppchen hat ein IjocIi, beinahe so gross wie ein Zehn-
Hellerstück, die Augen sind schwarz, die Lippen hin und wieder von
dem Sirihsaft roth gefärbt, die Zähne sind schwara und abgefeilt, odt^r
nach europäischer Mode weiss. Die Büste ist voll und der Gang etwas
1) Vide Schulze, Führer auf Java S. 147.
^) In dieser Haustoilette sieht man die mahiyischen Mädchen nicht mehr
auf Java, sondern nur auf den übrigen Insehi auf der Strasse herumgehen.
Gigerl und Modedame in Weltevreden.*) 19
kokett die Filsse sind klein, wohlgeformt und ohne Bekleidiuig, und die
zierlichen, mit Ringen versehenen Hände schwingen wie das Pendel
einer Uhr auf" und ab.
'Die jungen Marssöhne gesellen sich selten zu • ihnen, es sei denn,
dass sie geradezu Heiratspläne haben; denn die Staffage der Küche durch
einen Soldaten ist nicht üblich. Der eingeborene Soldat leicht an
seiner Hautferbe und blossen Füssen erkennbar, denkt gar nichts mi da«
Flirten; er lauscht der Musik und steckt seine Cigarette an (aus
den Blättern der Nipahpalme koniscli zugedreht) und wirft hin und
wieder einen Blick jener Schönen zu, welche sein Hera erobert hat
ohne vorläufig seiner Umgebung auch nm* durch eine Miene den Sturm
seiner Gefühle zu verrathen. Der eiux)päische Soldat, der neben ihm
Stent, ist schon weniger schüchteni und zurückhaltend. Er wird seiner
Bewuudening* oder seinen Gefühlen gewiss Worte verleüien, wird sofort
^ich ihr nähern und sie vielleicht durch ein leises Lispehi jener zahl-
reichen -^Panton« verrathen, welche die Liebenden einander zuflüstern.
Bald erscheint djis halbeuropäische Gigerl, und die »Xonna«; in schönei-
wei&ser Hose und Rock, mit tadellos glänzenden Lackschuhen und
grossen Manschetten mit goldenen Knöpfen ist der »Sinju« sich seines
»Sieges bei den Fi-auen bewusst; er ist interessant, seine blendend weissen
Zähne, sein rabenschwarzes Haai* und seine glänzenden Augen, sein
eleganter Bau imd Wuchs lassen seine platte Nase mid hervor-
stehenden Jochbeine und Oberkiefer ganz vergessen, und als echter
Don Juan l)eginnt er sofort unter den anwesenden Nonnas die schönste
sich auszusuchen. Diese sind schön, elegant und geradezu verfiilirerisch.
Schlank gebaut, haben sie eine schöne Büste und glänzende Augen
und schwarze Haare, die kleinen zierlichen Füsse stecken in reich
verzierten chinesischen Pantoffeln mit goldenen Absätzen und mit feinen
Strümpfen. Ein golddurchwirkter seidener Sarong umschliesst ihre grossen
Hüften, eine elegante kurze weisse Kabaya mit Spitzen- besetzt verhüllt
nur theilweise ihre schöne Büste, und zahlreiche Ringe, Ohiringe imd
Haarnadeln zieren Kopf und Hände und ein dunkelblauer oder dunkel-
rother Sonnenschinn schützt sie vor d(»n Strahlen der scheidenden
*Sonne. — Zu Pferde (»rscheint l)ald ein junger Ijieutenant oder ein
reicher Chinese oder Araber; Equipagen auf Equipagen fähigen vor
mit europäischen, javanischen, chinesischen oder armenischen Damen,
*) Weltevreden ist die südliche Vorstadt von Batavia, welche ausschliesslich
von Europäern bowoluit wird. Oft wird der ganzen Stadt Batavia dieser Name
gegeben.
20 ^r grösste Platz der Welt. (?)
bleiben stehen, und bald umgiebt sie ein Schwärm junger Leute, und
sie flirten und flirten, bis Cupido seine Köcher erschöpft hat
Unteixlessen hat die »Stabsmusik« ihr Programm beendet, es ist
sechs Uhr geworden und der Schwärm ergiesst sich in die benach-
barten Strassen.
Auf dem Waterlooplatz fällt das ^> grosse Haus« (= gixwte huis)
auf, weil es ein Stock hoch ist und beinahe die ganze östliche Front
des Platzes einnimmt Es wurde Anfangs dieses Jahrhmiderts vom
Marschall Daendelserbautund vom Burggrafen du Bus deGhisignicK
vollendet Gregenwärtig beherbergt es den grössten Theil der Gt)uveme-
mentsbureaux: die Bechnungskammer, da» Kriegs-, Finanz- undCultus-
ministerium, die Läudeskasse, das Steueramt u. s. w. Die Loge und
da« Militär-Casino schliessen sich zu beiden Seiten diesem grossen, aber
nicht schönen Gebäude an; Officierswohnungen, die römische Kirche
raid die schon «oben erwähnten Gebäude begrenzen den stattlichen^
grossen Platz. Auf dem Kreuzwege, welcher auch zum Königsplatz
führt, steht das imansehnliche DenkmaP) für Bali.
Ich Hess daim den Kutscher den Weg zum Königsplatz nehmen,
den mir einige Beisegenossen als den grössten der Welt bezeichnet
hatten. Soweit meine Erfahnmg reicht, ist dies factisch der Fall; es
ist ein grosses, grasbedecktes Feld in Trapezform, dessen Schenkel jeder
ungefähr 1 J/2 km lang ist während die eine der Parallelen nur 1 km*
imd die zweite (die südliche) ebenfalls in 20 Minuten zu gehen ist
Ausjfer dem Vorzug, dass dieser Platz mehr als 1,000,000 Q Meter gross
ist, hat er gar keine schönen Eigenschaften; denn es ist nur eine grosse
Gnisfläche, welche an der Nordseite durch eine kleine Parkaidage
(gegenüber dem Palaste des Generalgouverneurs) und einen schönen
artesischen Brunnen unterbrochen wird. Bei meiner Bundfahrt konnte
ich nicht einmal unterscheiden, ol) an der gegenüberliegenden Seite"
ein Mann «der eine Frau gehe; die Gebäude, welche an und für sich
niediige Häuser ohne Stockwerk sind, werden ebensowenig deutlich
gesehen, so dass sell>st die Frage offen bleibt, ob die bedeutende Grösse
dieses Platzes ein Vorzug genannt werden könne. Nebstdem ist er
besondei-s arm an öffentlichen Gebäuden; die armenische Kirche, die
Willems-Kirche, eine kleine Eisenbahnstation luid auf der Westseite
die Museen mit dem :> Elefanten«, einem Geschenke des Königs von
') Zur Erinnerung an die Eroberung von Bali, einer Insel im Osten Javas.
Malayisches Winken. 21
Siam (aiis dem Jahre 1870), sind die einzigen Grebäude, welche von
dem gewöhnlichen altgriechischen Stile abweichen.
Ich beendete meine Rundfahrt; es war 1V\^ Uhi% und die Sonne
war mir schon lästig geworden; ich hatte nämlich die Kappe des
Mylord zurückgeschlagen, um eine freie Aussicht über alle Strassen
und Häuser gemessen zu kömien. Ohne es natüj'lich zu ahnen, be-
fand ich mich in der Nähe des Hotels und fiihr (auf der Nordseite
des Königsplatzes) in den Hofraum des Hotels bis vor die Thüre meines
Zimmei-s. Ich stieg aus, zog nicht niu* meine dunkle Uniform, sondern
auch meine Leibwäsche aus, welche von dem Schweiss geradezu durch-
tränkt wai\ und ti*at in Haustoilette, d. h. in Nachtliose und Kabaja,
in die Veranda. Mein Mylorrl stand noch vor der.Thür, und auf dem
Bocke sass der Kutscher mit unei'schütterlicher Ruhe und Grandezza,
ohne im Geringsten eine Ueberraschung ob meiner Toilette zu zeigen.
Mutter Spandermann machte dieser stmumen Pantomime zwischen uns
Beiden ein Ende durch den Befehl dass ich nach Tisoli zu Hause bleiben
und schlafen gehen müsse, und dass sie es niclit erlaube, dass ich in
der Hitze der Mittagssonne wieder spazieren fahren und mir das Fieber
auf den Leib holen wollte. Ganz bescheiden bemerkte ich, dass ich
dies auch gar nicht beabsichtige und durch einen Wink dem Kutscher
angedeutet habe, die Pferde in den Stall zu bringen. »Haben Sie ihm
ein Trinkgeld gegeben?« »Nein!« »Und wie haben Sie ihm den
Wink gegeben?« Ich wiederholte meine Handbewegung, ohne ihre
Frage zu verstellen. Noch mehr überrascht wai- ich, als sich diese dicke
Diune vor Lachen schüttelte und einmal um das andere Mal rief:
^Oraiig-Baru, Orang-Bai'u.« Endlich kiuu die Wellenbewegung dieser
Fleischmasse in Ruhe, und mit verständnissvollem Lächeln gegen den
Kutscher theilte sie mir mit, dass diese Handbewegung, und zwar mit
der Fläche nach unten, füi* den Malayen genide das Zeichen sei, näher
zu kommen oder zu bleiben, und zum Beweise dafür winkte sie in
gleicher Weise einem fenistehenden Bedienten, herbeizueilen.
Ich gab dem Kutscher '|4 Gulden Trinkgeld und hatte dafür eine
doppelte Lection bekommen und zwar: wie man den malayischen Be-
dienten winke, und dass das Trinkgeld als ein Symptom der Civilisation
auch nach Indien seinen AVeg gefunden habe.
Auch für die weitere Eintheilung des Tages sorgte Muttei' Spander-
niann: »Um 12i|a Uhr wiixl die Glocke füi* die Reistafel geläutet; Sie
kommen in weissen Kleidern zu Tisch; der Bediente, welcher Ihi-
Zimmer aufräumt, wird bei der Table d'hote hbiter Ihrem Sessel stehen
22 ^in fiandkuBS.
und Ihnen tille Schüsseln zui^ichen, welche Sie als Orang-Baru essen
dürfen und müssen; ich sage auch müssen, weil Sie sich an die
indische Küche gewöhnen müssen; wer weiss, wie lange es noch dauert«
dass Sie in einer grossen Stadt bleiben werden; sobald als mögUch
weixlen Sie auf die Aussenbesitzungen gesendet, und es bleibt dann die
I?Vage offen, ob Sie essen werden können, was Sie wünschen, oder ob
Sie alles essen werden müssen, weil Sie keine Wahl haben werden.
Doch ä propos; heute ist Empfangsabend l)eim Sanitätschef; um
6*]2 IThr ziehen Sie sich Frack und weisse Handschuhe an, nehmen
wiedeiiun einen »Wagen« und faluren nach Parapatan, wo der Sani-
tätschef Sie seiner Fi*au und allen übrigen Damen vorstellen winL
Machen Sie mir ja keine Schande, und mac^hen Sie jdlen jungen
Damen gut den Hof, sonst sind Sie verloivii; denn in die Conduit-
liste wird von Ihnen wie von jedem Oflicier aufgenommen, ob er sich
in feiner Gesellschaft gut l)ewegen köime.:^
^Ich bin aber der holländischen Sprache noch viel zu wenig mäch-
tig, um in Damengesellschaft mich >gut bewegen zu können«; ist es
vielleicht nicht besser, weiui ich deshalb zu Hause bleibe?«
»Nein, nein, Sie gehen heute dahin; ich habe jetzt keine Zeit,
weiter mit Ihnen darüber zu sprechen; Sie gehen! Adieu!«
Aber sie ging nicht, und auf einmal fing sie \vieder so zu lachen
an, dass ihre gi-osse Fleischmasse wieder in fürchterliche Wellenbewe-
gungen gerieth, und endlich höile ich sie brummen: .>Eui Mof, ein
Mof.«i) »Nun ja,«, rief ich, »ich bin ein Mof, was soll aber das Lachen
l)edeuten?<
»Hören Sie! Voriges Jalir wohnte bei mir Dr. X., der auch ein
Mof ist und dem ich befahl, zum Empfangsabend des Armee-Com-
mandanten zu gehen. Was deiiken Sie, was dieser Mof tliat, als er
l)ei dem grossen Empfange des Generals B. dessen Frau vorgestellt
wiu'de? Nein, ich sage es Ihnen nicht, ratlien Sie, so viel kann ich Ihnen
nur sagen, dass die Fächer idler Damen sofort vor die Augen gehal-
ten wm-den, und ein Kicheni und ein lüchehi wie ein kleiner Stmiu
durch den Said sich foi'ti)fianzte, bis endlich eine der Damen selbst
vom Sessel aufsprang, um in der Vorhalle ihrcr vom Lachen ei'schütteiten
Leber Luft zu machen. Sie errathen es nicht? Nun, so will ich es
Ihnen sagen: Er küsste Me\Touw B. die Hand! Das thut man bei
Euch in Motrica, aber nicht in Holland und nicht Ixm uns in Indien.
*) SpitÄWort für die Deutschen.
Ein Abenteuer auf hoher See. 23
Das darf inaii nidit in Gesellschaft tiiun, das darf maii nur im Gre-
hennen und verstohlen Üiun, wenn man allein ist das ist eine Liebes-
erklärung, nein, das ist keine Liebeserklärmig mehr, das ist schon der
erste Act des liebens selbst, der zweite Act ist das Küssen des Mundes.«
»Und der dritte Act?< fi-ug ich.
»Sie Schalk!« (ondeugd) rief sie und wackelte weiter.
Natürlich folgte ich als geliorsamer Orang-baru (NeuUng) allen
ihren Anweisungen und. da der Empfang der Familie des Sanitäts-
chefs und dei" übrigen »hohen« HeiTen und Damen auf mich einen
günstigen Eindruck gemacht hatte, schloss ich den zweiten Tag meines
Aufenthaltes in Indien befriedigt in den Armen von Morpheus.
Der diitte Tag braclite mir ein Abenteuer, dem ich damals mehr
Gewicht l)eilegte, jds ich es heute thun würde, indem mein Tagebuch
davon als von einer Ijebensgefahi* ei7,älilt, der ich mit j^rosser Noth
entronnen war.
Einer meiner Reisegenossen ging mit der » Friesland ^ nach Sura-
baya, von wo aus er das Endziel seiner Reise im Innern des Landes
erreichen sollte. Da ich durcli keine dienstlichen Angelegenheiten ver-
liindert wai\ wollte ich ihn aufs Schiff begleiten, um noch einmal —
und zwar zum letzten Male — die Stätte zu sehen, auf welcher ich
42 Tage lang mit Sehnsucht deji Tag erwartete, an welchem ich die
grosse Seereise überstanden hatte und eine neue CaiTiere anfangen sollte.
Nel>stdem konnte ich auch den nördlichen Theil der Neustadt und die
Altstadt besiclitigen, welche am Tage der Ankunft wegen vorgerückter
Abendstunde nur in flüchtigen Umrissen sich gezeigt hatten.
Vor dem Hotel lagen damals die Rails der Tramway, welche bis
zur Douane in der tUten Stadt führten . Heute ist es eine Dampf-
tramway mit ziemlich netten AVaggons; damals waren es aJtc» sclnnutzige
Kasten, welche von drei kleinen mageren Pferden gezogen wurden.
Mitleid nuisste jeder mit diesen drei > Katzen« haben, welche bei
»jeder Halt< die grösste Mülie hatten, diese gi-ossen gefüllten Kästen
in Bewegmig zu bringen.
Nel)en den Rails lag ein Trottoir, mid daran schloss sich das tiefe
Bett des Tjiligon, welcher stets ein (von Lehmeixle) gelb gefärbtes
Walser führt; der Stadttheil an seinem rechten Ufer heisst Noi-dwyk
(y -^ ei), während das Javiüiotel, das Hotel der Nederlanden, das
Justiz-Ministerium und das des I iniern, die Bureaux des Palastes des
(Tcnenü-Gouverneurs (dessen südliche Pi'ont bis auf den Königsplatz
reicht) und die :>Hannonie< (Civil-Casino) in Ryswyk hegen. Längs
24 ^s ^ ^^^ ^^^ Dceleman.
dieser Gebäude ging die Tnunway, welche durch die Vorstadt Molenrliet
nach der Altstadt führte. Bei der Douaue fand ich den Herrn L.,
welcher mit einigen Freunden auf mich waii;ete. lun gemeinsam in
einem Kahn auf dem »CanaU die Fahrt nach der Rhede anzutreten.
Der Herr Ij. war der malayischen Sprache mächtig genug, mn mit
dem Steuermann des Nachens den Preis von 3.50 fl. für die Hin- und
Rückreise zu l)edingen.
Sofort nach unserer Ankunft wurde der Anker aus der Tiefe
gezogen, die Damp^)feife gab das Signal zur Abreise, und ich verliess
die »Priesland«, die, wie schon envähnt im Jahre 1878 mit Mann
und Maus untergiflg.
Der Dampfer war kaum in Bewegung, als der Steuermann das
Nachens die Bezahlung des Preises von mir verlangte; ich zog arglos
meine Börse lieraus und wollte ihm die bedungenen 3.50 fl. bezahlen;
er aber schüttelte das Haupt und zeigte mir-che fünf Finger seiner Hand;
ich steckte niliig die Böi'se ein und wies gebieterisch mit der Hand nach
der Küste. Ebenso ruhig legten aber die Ruderer auf einen Wink des
Steuermanns die langen Ruder nieder. Es wai- ein kintischer Augenblick;
ich wusste damals noch nichts von den Mala} en als berüchtigten Seeräubeni,
welche sie früher waren; aber ich fühlte das Scliaukeln des Kahnes und
die Haifische haben sich auf der Rhede Batarias schon manchen in's
Wasser Gefallenen in die Tiefe gezogen. Wir waren von der Küste zu
weit entfernt, um von den Krokodilen aufgefi'essen zu werden; aber die
Küste und das >> WaehtschifF« waren so weit entfernt dass mein Hilferuf
nicht hätte gehört werden können. Endlich wies ich wieder, wie ein
gewaltiger Feldhen-, mit der Hand nach der Küste, der Steuermann
hob wieder seine fünf Pinger in die Höhe, und ich nickte bejahend mit
dem Kopfe. Nach einer Stunde fuhr ich bei der Douiine ein und
erzählte einem Beamten diesen Vorfall, während ich ihn ersuchte, eine
10 fL Note mir zu wechseln. Dieser rief den Steuermaim zu sich, hielt
ihm eine Strafrede, ei-suchte mich auf das Nachdnicklichste, nicht mehr
als den bedungenen Preis von 3.50 fl. zu bezahlen, und eine tüchtige
Ohrfeige machte dem Gespräche mit dem Steuermann ein Ende.
Darauf nahm ich mir ein Dos a dos, mn in der Altstadt oder,
wie sie in Batavia üblicher Weise genannt wiixl, in der xStad« eine
Rundfehi't zu machen; diese kleinen Wagen, eine verschlechterte Aus-
gabe der englischen Dogcart, sind für Batavia geradezu t^-pisch und
haben sich dort so eingebiUgert. dass sie selbst dureh die Deeleman's
Kar<; nicht verdrängt wurden. Beide werden in der Regel nur von einem
Altstadt. — Die Eonst io Indien. 26
Pferde gezogen und ruhen nur auf zwei Rädeni; während in der
«rsteren der Passagier mit dem Rücken gegen den Kutscher sitzt,
macht der Sitz im »Deeleman Kar« einen rechten Winkel zu dem
des Kutschers. Das Dos k dos ist ein offener Wagen, d. h. es hat
ein Zeltdach, welches bei Begen durch Vorhänge geschlossen werden
kann, während der »Deeleman« ein viereckiger Kasten ist In beiden
sitzt man jedoch so unbequem als möglich, und der :>Deeleman« hat
ausserdem noch eine niedrige Einsteigtreppe.
Die Rundfahrt durch die »Stad« bot wenig Neues, Interessantes
oder Sehenswerthes. Wenn nicht hin und wieder eine^ Palme oder ein
Pisangbaum uns an die Tropen weit erimierte. weini nicht »unsere
bramien Brüder« oder Chinesen durch die Sti'assen in grosser Zahl
ihre Arbeit besorgten, z. B. mit grossen, halbmondförmigen Stöcken
ihre Lasten trügen oder Eis zum Verkauf anböten, so würde man
glauben, eine alte, verfallene Hafenstadt Europas vor sich zu haben mit
zahlreichen Kanälen, welche mit Kähnen und Nachen bedeckt sind;
die schmuck- und prunklosen, meistens einstöckigen Häuser sind alle
in europäischem Stil gebaut und grössten Theils im Dienst des »Mercur«.
Wenn ich von dem Rathhaus mit den Bureaux des Residenten, der
Polizei, dem Standesamt u. s. w., von dem JiLstizpalast (venia sit dicto!),
von den grossen Magazmen, der Douane, dem meteorologischen Obser-
vatorium, dem Postamt, den Spitälern füi* Eingeborene und für
Chinesen und zwei europäischen Apotheken absehe, fiel mir nur die
ungeheure Zahl von Handelsfirmen') auf. Es war 12 Uhr geworden;
ich entliess das Dos a dos und fiihr mit der Eisenbahn von der Station
>Stadhuis« bis zu der Von Nowlwyk, in deren Nähe sich das Java-
Hotel befand.
Progranungemäss sass ich nach meinem Mittagsschläfchen (bis
4 IJLrj in der »Vorgtderie« bei einer Schale Thee und emem Glas
Eiswasser, las die Briefe und Zeitungen, welche zum ersten Male Nach-
richt aus der fernen Heimath brachten, als Mutter Spandennaim sich
einstellte, mn mir wieder einen Vorti-ag üljer xdas Leben in de Oost«
zu halten; sie wählte diesmal das Thema: Kunst Nachdem sie sich
erkundigt hatte, warum ich nicht den Abend vorher die »Comediec
l)e»ucht, und nm* mitleidvoll den Kopf geschüttelt hatte, als sie hörte,
diiss ich mich mehr für die Kiuist der Eingeborenen und der Chinesen
') Schulze briBgt ein vollständiges Verzeichniss aller Gesellschaflen, welche
in Beta via ihren Sitz oder ihre Vertreter haben.
26 Kunst und Wissensohaft in Indien.
als für die der Europäer intei*essire, weil mir diese voraussichtlich nichts
Neues bieten könnten, da überfiel mich plötzlich eine Eruption eines
ZomesanMles, den ich von der gutmüthigen alten Frau nicht er-
wartet hätte.
»Ja, ja, ich weiss schon, Sie sind auch so ein Totok, so ein grüner
Europäer, der alles besser weiss mid kaim, als wir Alle in ganz Indien.
Sie glauben, dass wir Hottentotten sind, dass hier alles schlecht und
dass alles in Indien onlinär sei. Sie sind auch so ein Weltverbesserer,
der in Europa kaum der Schulbank entwachsen ist nichts zum Pressen
hatte, und der kaum in Indien festen Fuss gefasst hat und schon uns
alten, erfahrenen Eingesessenen Ijectionen und weise Ijehi-en geben mll.
Haben Sie soeben da.s »Gel)et einer Jungfrau« auf dem Rano spielen
gehört? Ja? es hat Ihnen getallen! Das glaube ich auch. Wer hat
es gespielt? Sie, Orang-baru, Sie, Totok? Nicht walu\ nein ! Es war
meine Tochter Anna, welche. Gott sei Dank, noch niemals das Land
der Frösche, das kalte, neblige, Hache Holland gesehen hat. Wo hat
meine Tochter Anna so schön, so reizend, so gefühlvoll gelernt, das
»Grebet einer Jungfi-au« in das Herz eines jeden veretockten Cölibatäi-s
dringen zu lassen? Hier in Batayia hat sie es gelernt Sie ist d. h.
ich bui Mitglied der »Aurora«; sie geht zu jeder Aufführung des
»Apollo« und der »Eendracht«, und jeden Soimtag nehme ich einen
Wagen und fahre zum Concert der » Stabsmusik e auf dem Waterloo-
platz. Ist dieses vielleicht keine schöne Musik ? Haben Sie schon irgend-
wo aui* der ganzen Welt »an der schönen blauen Donau« reizender
und schöner spielen gehört, als hier unter der Leitung des bemhmten
Oapcllmeisters D.? So! Haben Sie hier von der europäischen Kunst
nichts Neues zu erwarten? Fi'agen Sie Ihren Nachbar, den Capitän der
»Friesland«, das ist ein sehr gebildeter und viel gereister Mann: er ist
gestern in »de Comedie« gewesen, fragen Sie ihn, ob in Wien, in ganz
Mofrica oder in Paris Aida ^) eine schönere Ausstattmig hatte, als gestern
unser Decorationsmaler Kingsbergen geboten hat? Jji, ich weiss es, dass
»man« in Holland uns für Schlaraifen hält, die nichts anderes thun.
als »Heistafelv^ essen, Genevre saufen, den ganzen Tag nn Faidenzer
sitzen und zwei- bis dreimal des Tages sich zu »simmen«. Glauben
Sie dieses auch heute nocli, obwohl Sie sehen, dass ich den ganzen Tag
auf den Beinen bin, und i'actisch nicht einmal Zeit habe, die illustrirte
Zeitung meiner »Tronnnel« anzusehen. Wenn Sie es in Mofiicii und
*) Factisch liessen die Decorationen dieser Oper nicht» zu wünschen übri«j,
wie ich mich einige Tage später überzeugte.
Wissenschaftliche Vereine in Batavia. 27
in Amsterdam dann so heiss haben, z. B. im Monat August, sehen
Sie, hier auf dem Thermometer sind 87 ^ Fahrenheit mid wissen Sie,
wohin jetzt meine Anna geht? Sie geht in die Tumschule! Ja, trotz '
dieser Wärme geht sie turnen; sehen Sie, mid in diesem ekelhaften
Lande der Frösche nennen sie uns faul, müssig und genusssüchtig.«
Endlich ktmi Ruhe in diesen Sturm, und es gelang mir, der alten Ma-
tn>ne zu versicheni, dass ich iimner mit Genuss nach den Klängen des
* Gebetes einer Jungfrau < gelauscht habe, und dass es mich freue, in
Batavia so viel Sinn und Liebe f üi* Kunst und Wissenschaft zu fin-
den. Das Wort » Wissenschaft v< entfesselte aufs Neue den Sü'om ihrer
Bei^dtsamkeit: »Noch keine 8000 Europäer zälilt Batavia, d. h. nicht
die Stadt Batavia, sondern die ganze Provinz Batavia hat noch keine
8000 Emx)päer, und darunter sind auch die Sinju und Nona begriffen,
welche -»inlandsch Blut« in sich haben und oft gai* nichts Europäisches m
und an sich haben, und wie viel wissenschaftliche Vereine finden Sie in
Batavia? Nennen Sie mir eine einzige Stadt in Mofiica oder in Holland,
welche kaiun 8000 Einwolmer zählt und einen »Verein für Kunst und
Wissenschaft«, ein königliches Institut für Sprachen, Land- und Völker-
kunde, und einen naturkundigen Verein, und die Gesellschaft für Industrie
und Landbau, imd einen ärztlichen Verein, und einen Verein der Juristen,
der Ingenieure, und ein Afrika-Coniite hat Dann haben wir die Mission
der christlich-mtbrrairten Kirche, den Verein für imiere und äussere
Mission, den Verein ziu* Befördemng und Verbreitung christlich-ma-
layisoher Leetüre. Wir haben auch zwei Ruderclubs, zwei Turnvereine,
einen Schiessclub; nun, sagen Sie mir einmal, Sie weiser Europäer,
welche Stadt in Europa, die noch keine 8000 Einwohner zahlt, hat
s<) viele Vereine für Kunst und Wissenschaft? Sie glauben vielleicht
gar nicht, dass Batavia so wenig'Eiu'opäer hat, weil es so gross ist; nun ja,
Batavia ist gross und hat seine 80,000 Einwolmer, darunter sind aber
20,(XX) Chinesen, imd ich weiss nicht wie viele Eingeborene; ich weiss
nur aus dem Regierungsahnanach, dass die Residentschaft Batavia
900,000 Einwohner hat mit 8000 Europäeni, 837,000 Javanen,
71,000 Cliinesen, 1200 Arabern und 500 »fremden Orientalen«; wie
viel davon auf die Stadt Batavia entfällt, kann ich Ihnen nicht sagen;')
^) Aus den MittheiloDgen des Ministeriums der Oolonien vom Jahre 1894
ist ersichtlich, dass die drei grössten Städte Javas: Batavia, Surahayaund Sama-
rang folgende Einwohnerzahl im Jahre 1892 hatten:
Earopier. Chinesen. Araber. Andere Orientalen. Eingeborene. Total.
Batavia 8618 27,279 2622 104 76,246 = 114,864
Samarang 3732 11,282 702 998 56,210 = 72,919
Surabaja 5918 9,160 1931 392 128,294 == 145,690
28 Indische Hausirer.
dass aber die Wyken (Stadttheile) der Europäer ho gross sind, trotzdem
nur wenige Europäer hier leben, hat seine guten Ursachen. Wie Sie
sehen, hat jedes Haus einen Garten, auch weiui er oft Icauni grösser
ist, als ein Waringinbaum für seine Luft^iu-zehi Platz nöthig hatc
Endlich hatte Mutter Spandermann ilu^n Sermon beendigt und
stolz wie eine Fregatte segelte sie weiter, befriedigt von dem Bewusst-
. sein, einem *Baar« die Wahrheit gesagt zu haben.
Unterdessen hatte sich öine Reihe von Hausirern auf der Erde
niedergelassen, und kaum hatte die Wirthin micli verljissen, als sie
alle auf mich einstürmten. Dieser Ueberfall übeiraschte mich nicht,
weil ich in Port Said von den Geldwechslern und EvSeltreibeni dasselbe
erfahren hatte; zwei Chinesen, ein Javane, ein Malaye und Klingalese
zeigten mir ihre Waaren und priesen mir . dieselben in malayischer
Sprache an. Der eine Chinese merkte jedoch bald, dass ich von dem
Kauderwelsch nichts verstünde und fing in französischer Sprache das
Loblied seiner Kabayen an, während der Khngalese englisch zu rade-
brechen anfing. Ich entschloss mich zu dem Kaufe von 6 Kabayen
und 6 Nachthosen, für welche der eine Chinese 60 fl. verlangte; ich
bot ihm 16 fl. und — erhielt sie. Bei einem zweiten Chinesen ging
es mir noch schlechter oder noch besser, wie man es eben nennen
will. Er bot mir zwei äg}'ptische Vasen, aus Elfenbein geschnitzt, an
und verlangte dafür 80 fl.; da ich sie nicht zu kaufen l)eabsichtigte
und von ihm befreit zu werden wünschte, bot ich dafür 80 bidji's
(= 10 Cts.-Stücke). Erst schwur er hoch und theuer, dass sie ihm
selbst 40 fl. kosteten, und fing an, seinen Kram einzupacken: schon
glaubte ich von ihm erlöst zu sein, als er die Holzschachtel nahm
und mir mit den Worten anbot: Ich habe heute noch kein Ge-
schäft gemacht; ich habe noch keine ^and voll Reis heute kaufen
können; ich weiss auch, dass Sie ein gi'osser Hen* sind, also nehmen
Sie sie um 8 fl.! — Natürlich stellte es sich nachträglich heraus, dass
die Vasen nicht aus Elfenbein, sondern aus getrocknetem und gepi-es^teni
präparirten Keis bestanden.
Interessant war die Bekanntschaft mit meinem Zimmeniachbai*.
Es war der Herr van S . ., welcher kurz nachher ein Buch üljer die
»Jagd auf Java« schrieb; er hatte auch den l^iiihmten RhinoceiX)SJäger
Auch die Provinz Batavia hat seit dieser Zeit stark zugenommen. Sie hatte
im Jahre 1892 1,160,967 Einwohner (darunter 11,701 Europäer, 80,395 Chinesen,
3081 Araber, 119 Orientalen und 1,055.661 Eingeborene) und hat einen Flächen-
inhalt von 122.154 Quadrat-Meilen.
Jagd auf Rhinocerosse. 29
Darling gekannt welcher vor ungefähr 43 Jahren auf Java lebte,
Hen* van S . . hat mir so manches interessante Jagdabenteuer
erzählt das al)er wenig Jägerlatein enthielt Da ich niemals ein
Khinoceixhj im Freien gesehen, noch weniger geschossen habe, will ich
Herrn van S . . für die Richtigkeit seiner "Mittheilungen verant-
wortlich sein lassen. Die Jagd auf Rhinocerosse sei gewiss sehr ge-
fährlich, wenn man, wie s. Z. der bekamite Jäger Philippo, schwer
j»ebaut ist imd sich auf sein Pferd nicht verlassen könne. Herr
. Philippo habe nämlich an einer Jagd auf Rhinoceix)sse sich betheiUgen
wollen. Zwötf Mann hoch zogen sie im Süden Javas, und zwar in
der PreangeiTegentschaft, in der Nähe der Küste auf ein grosses Alang-
Alang-Feld, in welchem sich nach Mittheilungen der benachbarten Kam-
l)ongbewohner ein Rhinoceros befände. Sie theilten sich in zwei Gruppen
von sechs Maim; die eine Gruppe blieb am Anfang des Feldes stehen.
Die andei-e Hälfte, bei welcher Philippo (wie alle anderen zu Pferde)
sich befand, ritt auf einem schmalen P&de an das entgegengesetzte
Ende des Feldes. Auf den kleinen Pferden gelang es ihnen leicht,
durch das Alang-Alang-Feld ihren Kameraden an jener Seite des
Feldes entgegenzureiten. Kaum wai'en sie jedoch ungefähr 50 Meter
in dsis Gebüsch eingednuigen, als sie eine schilfix)hrfreie Fläche sahen,
auf welcher ein Rhinoceros aus einer Pfütze Wasser trank. Das
plumpe Thier wurde dm'cli das Geräusch der Reiter aufinerksam^
luiterbracli seinen Morgentrank, drehte langsam den Kopf nach den
Friedensstörern und schaute sie gelassen, ruhig und neugierig an. Der
Herr Philippo hatte zwar sein Gewehi* mit seiner goldenen Spitzkugel
l)ei sich, womit er schon so manches Rhinoceros getödtet hatte; diesmal
wollte er sich jedoch streng an die Gebräuche der Eingeborenen halten
und als Erster mit dem grossen Messer (parang) die Wade des Unge-
heuers spalten. Er gab dem Pferde die Sporen, in wenigen Secmiden
wiu* er dem Waldriesen nahe, schon schwang er das Schwert zum
Schlage gegen dessen rechtes Hinterbein, als das Pferd mit der schweren
Last des Reitei*s zusammensank und den Reiter in die Pfütze warf.
SchwerfiUlig und langsam drehte sich das Rhinoceros nach der Seite
des Pferdes, ohne dem venmglückten Jäger auch nur ein Haar zu
krümmen. In demselben Augenblick kam jedoch ein zweiter Reiter
und schwang mit Erfolg sein Schwert gegen die Wade des Thieres;
*^ stürzte zusammen und wurde liierauf leicht die Beute der Jäger,
Philippo war mit dem Schrecken davongekommen. Man zog ihn aus
dem kleinen Sumpfe, wälirend das plumpe, schwerfälhge Thier sich
HO Rhinocerosse.
vergeblich anstrengte, aufzustehen und auf seine Feinde einzustürmen.
Unterdessen waren auch die übrigen Jiiger herbeigeeilt, und ein Schuss
in die Mitte der Stinie machte sofort dem Leben des Thiei-es ein
Ende.
Auch erzählte mir der Herr van S . ., dass die Kugeln aus den
Vorderladeni in der Regel die Haut des Rhinoceix>s nicht durchdringen
und zui' Scheibe abgeplattet herabfallen, dass das Thier jedoch zwei
schwache Punkte habe, den einen in der Mitte der Stime und den
zweiten unter dem Blatte über dem Herzen, und dass der HeiT Philippo
stets eine lange, goldene Patrone von 10 cm für die Jagd auf Rhino-
cerosse mitnehme, um dm'ch das gi-osse Gewicht der Kugel sicher eine
penetrirende Wunde zu erzielen. Da er ein geübtes Auge hatte
imd seines Schusses sicher war, habe er niemals die goldene Kugel
verloren; er habe sie immer in dem getödteten Thiere meder gefiinden.
weil sie nicht melu* im Stande war, zum zweiten Male die Haut des
Thieres zu durchbohren.
Mir ist nicht bekaimt, was mit der Haut und dem Skelette der
getödteten Waldriesen in Java geschieht. Ihr Hörn wii'd jedoch viel-
fach zu therapeutischen Diensten verwendet In die Höhle des Honis
wird Wasser gegossen und in der freien Luft eine ganze Nacht stehen
gelassen. Dieses Wasser wird bei ei'schöpfenden Krankheiten den
Patienten als Roboraus gegeben. Greschabt (Rasura cornu rhinocerotis)
wurde es in früherer Zeit von den europäischen Aerzteu als »schmerz-
stillende und stärkende« Arznei vorgeschrieben. Die Chhiesen wenden
es bei Blutbrechen an. Am häufigsten werden Scheiben des Honis,
welche in Essig aufbewahrt werden, gegen Schlangenbisse angewendet.
Auch die Milchzähne dieser Thiere spielen als Amulette gegen Fielx^
eine grosse Rolle im Arzneischatz der Javanen ; prophylaktisch verhüten
sie, auf der Brust getragen, das Entstehen des Fiebei's, und zu ther:«-
peutischen Zwecken wird der Rücken und die Brust der Patienten
damit gerieben, bis braune Striemen die Haut bedecken.
Während Hen* van S . . über die Jagd auf Rhinoc^ix)sse und
Bantengs (wilde Büffel) sprach, hatte sich eine malayische Frau mit
ihrem Grusse tabeh tuwan auf die Flur der Veranda der > Vor-
galerie« niedergelassen, ohne übrigens ein weiteres AVort zu sprechen.
Jedermann liebt es in Indien, gegenüber den »Neulingen« den Mentor
zu spielen, und so ging mein -Nachbar auf ein anderes Thema
in einer wohlgeordneten Rede über, als er meinen fragenden Blick
sich auf diese neue Erscheinung richten sah. »Das ist eine »tukang
Indische Masseuse. 31
pidjitc:. und zwar die beriilimtesU» von ganz Batavia,« l)elehi'te er
mich und fasst^e die kleine Hand dieser Frau und zeigte sie mir;
-pidjit«^^ heisst massiren, und das Wort tukang, welches Sie bei jedem
Handwerk und Gewerbe nennen hören werden, bezeichnet eben den
Handwerker; so heisst tukang perag (Silber) der Silberschmied,
tukang mendjähit (nähen) Schneider, tukang mendjahit buku der
Buchbinder, tukang snapang der Gewelu'macher und tukang obat der
Apotheker u. s. w. — tukang pidjit ist also ein Masseur oder eine
Masseuse. Diese kleine Hand überrascht Sie, das Werkzeug einer kräf-
tigen Masseuse zu sein; aber ich sage Ihnen, kein eui'opäischer Masseur,
imd hätte er die Hand eines Groliath, kaiui so kräftig als diese kleine
Hand massiren; sie massirt aber gar nicht mit der Hand, sondern nur
mit den Fingern, und darin liegt eben ihre Kmist mid ilu^ Kraft;
wenn ich Doctor wäre, ich würde die Muskeln der Finger einer sol-
chen Masseuse mitei-suchei», ich bin überaeugt, dass sie doppelt so stark
entwickelt sind, als die des gi'össten Emx)päers. Ihre Kunst besteht
in pidjit urut und krok.') Krok ist keine Kunst. Wenn Jemand
Muskelschmerzen hat oder im Fieber hegt, welches den Patienten
trotz aller inneren Arzneien* nicht verlassen will, nimmt die tukang
]>idiit eine Kupfermünze oder ein Stück von dem Home eines Rhino-
ceros und reibt damit grosse Striemen auf der Haut des Rückens
und der Brust Schwieriger ist schon das Urut Diese Frau — selten
thun es Männer — nimmt Cocos- oder Kaju-putih-Oel, bestreicht da-
mit ihre Hand und reibt dann die Muskeln mit grösserem oder klei-
nerem Druck. Pidjit jedoch — ist die Kmist aller Künste. Wenn
ich erschöpft von der Jagd nach Hause komme, oder wenn ich meine
zehn Stunden in der Zuckerfistbrik hin- und hergegangen bin, oder wenn
ich Stunden lang im Zuckerrohrfelde die erkrankten Halme heraus-
gesucht habe, dann bin ich Abends so müde, dass ich nicht in Schlaf
£üieti kann, bevor nicht die tukang pidjit mich »gepidjit« hat Ich
habe mich so daran gewöhnt, dass ich jeden Tag um zehn Uhr mich
dieser 0|)eration unterwerfen muss, will ich nicht Stunden lang auf den
Schlaf warten. Heute jedoch will ich bei meinem Freunde soupiren
und darnach ein paar Stunden l'hombre spielen; dies ist die Ursache,
dass diese Künstlerin schon jetzt um fünf Uhr mich unter die Hände
nehmen muss. Adieu.«
^) Das Tapotement (Hackung) und die Vibration (Erschütterung) der euro-
(»aiscben Masseure üben sie jedoch nicht.
32 Indische Masseuse.
Das :»pidjit« ist ein Kiieten aller Muskeln, welche zwischen die
Finger geiasst werden können, und ein Ma^siren der Hautmuskeln
und jener dünnen Muskeln, welche auf einer harten Unterlage ruhen,
wie z. B. auf der Stirn. So schmerzhail dieses Kneten und Beiben des
ganzen Körpers sein kann, ein so angenehmes Grefühl sind die Folgen
dieser Operation; unter den Erklärungen für das angenehme Geiühl
dieser Yolkssitte scheint jene die plausibelste zu sein, welche aimimmt.
dass mit dieser Operation die Ermüdungsproducte sofort in den Blut-
strom gebracht werden, und dass die Muskeln daher von einem Ballast
sofort und für jeden Fall früher befi^it werden, als es durch die Ruhe
allein mögUch wäre. Da das Schlusstableau jeder Massage dieser
Frauen eine fordrte passive Bewegung aller grossen und kleinen
Gelenke ist, so werden auch pathologische Zustände, so z. B. clu'onische
Entzündungen, rheumatische Schwellungen oder Ablagerungen der Gicht
günstig durch das »pidjit« dieser Frauen beeinflusst. Ob sie aber im
Stande seien, kleine imbedeutende Affectionen der Sehnen, Nerven und
Muskeln, welche der Dia^ose des geübten europäischen Massem*s sich
entziehen, und welche sie mit dem allgemeinen Ausdi-uck urat sala
= unrichtige Ader bezeichnen, factiscU mid richtig zu erkennen,
muss bezweifelt werden und fordert noch die Bestätigung auf wissen-
schafthcher Basis. Ebenso viel oder wenig muss bezweifelt werden,
ob die Kunst des »pidjit*: in der Hand der Dukuns so Hervorragendes
leiste, als im Allgemeinen angenommen wird. Zweitellos steht jedoch,
wie wir in Band I: 2>Bomeo<s sahen, ihre Geschicklichkeit lest, eine Frau
nach Beheben steril zu machen, und zwar temporär, um ihr zum er-
wünschten Zeitpunkt die Fruchtbarkeit wieder zuiückgeben zu könneiu
3. CapiteL
HSufige Transferirangen — Bie Vorstadt Slmpang — Die
ersten eingeborenen Patienten — Ein Banaergesclienk — Die
^»Stadt^ Sorabaya — Das HittagselilSfchen — Eine Nonna —
Eine Abendnnterlialtang — Bie Beri-Beri-Kranidieit — Indische
MUitirirzte — Bie Insel Barean und Madnra — Residenties
Madara und Snrabaya.
T\ie Transportveriiältnisse auf Java haben sich seit jener Zeit sehr
^^ zu ihrem Vortheile verändert. Seit dem Jahre 1891 hat einer-
seits die indische Dampfechifl&hrts-Gesellschaft mit ihren hohen Preisen
der billigen Packetfiahrt-Gesellschaft weichen müssen. (Die Reise von
Batavia nach Samarang kostete damals z. B. 60 fl., nach Surabaya
90 fl. und nach Telekbetong auf der Südspitze Sumatras bei einer
Dauer von nicht ganz zwanzig Stunden 70 fl. ! !) Andererseits hat seit
dieser Zeit das Eisenbahnnetz die grössten Städte dieser Insel unter-
einander verbunden.
Ihre Haupthnie geht von Batavia in einem rechten Winkel nach
Maos, einer Station vor Tjilatjap, dem einzigen Hafen von Bedeutung
auf der Südküste Javas. Von hier geht sie in einem grossen Bogen
wieder nach der Nordküste (nach Surabaya).
Ebenso wenig als es zweckmässig wäre, hier aller Dampfichiff-
£aJirt8-Gresellschaften zu erwähnen, durch welche Java mit der übri-
gen Welt in Verbindung steht, oder die Routen anzuführen, mit wel-
chen die seit dem 1. Januar 1891 ins Leben getretene »Packetvaartr
maatschappij« im Archipel selbst die zahlreichen grossen und kleinen
Inseln untereinander verbindet — ebenso him^ichend ist ein Blick auf
die Karte von Java, um diese HaupÜinie der Eisenbahn zu übersehen.
Nur muss ich noch erwähnen, dass auf Java Staatsbahnen und Privat-
bahnen mit verschiedener Spurweite existiren, und dass die Vertheidi-
gojig Javas viel zu wünschen übrig lassen wird, so lange Truppen,
welche von Surabaya oder Batavia kommen, in Solo umsteigen müssen,
JBreitenBtelD, 21 Jahre in Indien IL 3
34 Häufige Transferirangen.
weil die Privatbahn Samarang-FUrstenländer schmalspurig ist während
die Staatsbahneii normale Spmweite haben.
Meine Abreise von Batayia nach Surabaja hätte am 20. No-
vember stattfinden sollen; sie musste jedoch aufgeschoben werden,
weil auf dem Dampfer, der an diesem Tage nach Surabaja ging,
alle »Hütten« besetzt waren. Ungefähr 60,000 (!!) »Gouvernements-
passagiere« wurden damals mit der indischen Dampfschiffiahrts- Ge-
sellschaft jährlich von einem Theiie des Archipels zum andern transpor-
tirt. Die Transferirungen erfolgten damals nämlich äusserst oft. So
wurde z. B. einer meiner Bekannten, ein Lieutenant der Infanterie,
im Jahre 1877 von Batavia nach Surabaja transferirt, wofür an
Transportkosten (ohne Diäten) 90 fl. bezahlt wurden; zwei Monate
später ging er nach Menado, welche Reise 330 ä. kostete ; dort blieb
er drei Monate, um nach Atjeh transferirt zu werden, wofür die
Dampfschiffifahrts - Gesellschaft 720 fl. in Rechnung brachte. Mit
Diäten kostete dieser Ofßcier dem »Lande« in diesem einen Jahre
mehr als 1400 fl.!! Mit der Transferirung der Militärärzte ging es
s. Z. in gleicher Weise verschwenderisch zu; durchschnittlich war
ija (!) des Standes auf der Reise begriflfen oder aus anderen Ur-
sachen nicht activ, und nur wenige haben bei ihrer Pensionirung im
Durchschnitt ein Jahr in einem Garnisonsort gewohnt. Ich selbst
habe durch zufällige Umstände in meinen 21 Dienstjahren, inbe-
griffen drei Jahre Urlaub in Europa, nur in 21 Garnisonplätzen
Dienst gethan.
Jeden fünften Tag ging ein Dampfer von Batavia nach Samarang
und Surabaja, und es blieb mir also nichts weiter übrig, als noch
fünf Tage in Weltevreden procul negotiis zuzubringen; für diese
Verzögerung wurde ich reichlich durch die Gesellschaft entschädigt,
welche ich auf dem Dampfer »Prinz Alexander« fand, als ich endlich
am 25. November Batavia verlassen konnte. Der Schiffs-Capitän,
ein gebildeter Mann, war der deutscheu Sprache mächtig, und zeigte
mir das Leben in den Tropen in einem anderen Lichte, als ich es
bis jetzt gesehen hatte. Nebstdem befand sich an Bord ein franzö-
sischer Seeofficier S., welcher sich in Surabaya vor Jahren als
Commissionär einer grossen französischen Weinfirma angesiedelt
hatte und mir in der Wahl eines Hotels u. s. w. so manche nütz-
liche Winke geben konnte ; nebstdem hatte er viele Jahre in Tonking
geweilt und verglich bei unseren Gesprächen gern das Leben
Javas mit dem in den französischen Colonien. Wenn ich mir auch
Die Vorstadt Simpang. 35
späterhin sagen musste, dass dieser Herr S. oft einseitig, und zwar
zum Nachtheile der holländischen Colonien, viele Einrichtungen des
socialen Lebens in Java beurtheilte, so war der Verkehr mit ihm,
den ich in Surabaya weiter unterhielt, dennoch für mich sehr an-
regend; denn seine Mittheilungen über das Leben in den franzö-
sischen Colonien gaben mir einen Maassstab zur Beurtheilung des
Erlebten und des Gesehenen in den holländischen Colonien.
Am 29. November kam ich in Surabaya an und bezog in der Vor-
stadt Simpang das Hotel Wynveldt, welches ob seiner »Rysttafel« be-
rühmt war und den Vortheil hatte, in der Nähe des grossen Militär-
spitales zu sein, welchem ich voraussichtlich zugetheilt werden sollte.
Für 90 fl. bekam ich in diesem Hotel die ganze Verpflegung
{natürlich ohne Getränke), und 15 fl. bezahlte ich für den Wagen,
der mich (zugleich mit meinem Nachbar, einem Apotheker) um
8 ühr nach dem Spitale bringen, um lV\i Uhr von dort abholen
und Nachmittags um 43|i Uhr wieder dahin führen sollte. Die
Abendvisite dauerte nicht lange; es war jedoch Usus geworden, nach
der Visite in der Nähe des Thores mit den Collegen an die »Klets-
tafel« (= Plaudertisch) sich zu setzen und ein Glas Eiswasser zu
trinken; unterdessen näherte sich die Sonne dem Horizonte. Ein
sanfter Seewind zog durch die Strassen, und zu Fuss ging jeder nach
Hause, und zwar meistens mit dem Hut in der Hand. Aus allen
Häusern strömten die Spaziergänger, um sich in der frischen Abend-
luft von der Hitze des Tages zu erholen; offene Equipagen zogen
durch die Strassen mit Damen (ohne Hüte), um dulce et jucunde
durch die alte Stadt bis an. ^^Modderlust« einerseits oder über
Simpang eine Rundfahrt um die südlichen Vorstädte Surabayas
zu macheu; eine Spazierfahrt in einem offenen Wagen, sei es in
einem Mylord oder in einer Victoria, ist um diese Zeit geradezu
ein Genuss. Ein kühler Luftstrom mindert die Wärme, welche von
dem trockenen Boden aus in dem Luftkreise sich ausbreitet, und da-
rum findet mau in Surabaya, sowie in ganz Indien nur wenige euro-
päische Familien, welche sich den Luxus einer eigenen Equipage
nicht gönnen würden. Dieser Luxus ist allerdings, wie wir später
sehen werden, nicht gross.
Simpang ist die reizende Vorstadt von Surabaya, mit Häusern
derjenigen Europäer, welche nicht in der alten Stadt wohnen müssen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die alte Stadt von Sura-
baya ebenso wie die alte Stadt von Batavia und Samarang nur
36 Simpang.
mehr die Bureaux der Handelsleate enthalten werde, dass Simpang
die eigentliche Stadt Surabaya werden und sich bis Wanakrama^
welches heute acht Kilometer weit vom Stadthaus der alten
Stadt entfernt liegt, ausstrecken werde. Ein schöner Park ist das
Entree dieser Vorstadt. Zwischen Blumenbeeten mit Hibiscus- und
Nerpenthessorten und kleinen Anlagen von Cicadeen und Fächer-
palmen ziehen sich schöne Wege mit Götzenbildern aus den Ruinen
des alten Reiches Madjapahit. Kleine Teiche mit Fischen, Volieren
mit Vögeln, hohe Bäume mit Orchideen behängt, entzücken das
Auge und leiten zuletzt zu dem Palaste des Residenten. Ein grosses
Götzenbild steht vor seinem Thore, Djaka Dölög genannt, welchem
in früheren 2ieiten von unfruchtbaren Frauen geopfert wurde, um
Nachkommenschaft zu erhalten. Es ist ein garstiges Denkmal der
alten Hindnschen Kunst und Religion. Neu -Surabaya hat schöne
Strassen und Alleen von Tamarinden, Acacien und Waringinbäumen,
hinter welchen mit zahlreichen Cocos- und Arangpalmen sowie Pisang-
stauden einzelne Kampongs (Dörfer) der Eingeborenen sich bergen.
Wenn auch die Häuser der Europäer nur die Villenform haben und
sich nicht hoch über den Boden erheben, so ist ein Spaziergang des
Abends durch diese Strassen wirklich ein G-enuss, weil alle Häuser
weisse Mauern und weisse Säulen haben, von welchen die zahlreichen
Lampen ein Meer von Licht auf die etwas schwach beleuchteten Strassen
strömen lassen. Von den grösseren Gebäuden verdienen das Ca-
sino, die Loge und das grössere Militärspital erwähnt zu werden.
Dieses ist ein grosses einstöckiges Gebäude mit zahlreichen Sälen
für + 400 Kranke in der Form eines nach der Hauptstrasse offenen
Quadrates (n). Der Hof zwischen diesen drei Gebäuden hat zwei
grosse schöne Waringinbäume. Hinter der quervorlaufenden Front
fliesst der Goldfluss, an dessen Ufer der Pavillon der Officiere, und
in einer beträchtlichen Entfernung ein Pavillon für Infectionskrank-
heiten stehen. Zugleich schliessen sich daran die Mauern der be-
nachbarten Landes-Irrenanstalt.
Wie überrascht war ich, als mir nach den üblichen Vorstellungen
beim Landes-Commandirenden und Platz-Commandanten der Lan-
des-Sanitätschef mittheilte, dass ich, als lediger Mann im Hotel
wohnend, gewiss sofort meinen Dienst antreten könne, und dass er
mir die Abtheilung der eingeborenen »internen Kranken« zuwei-
sen werde. Unbekannt mit den herrschenden Bestimmungen sollte
ich sofort eine Abtheilung des Spitals leiten, und unbekannt mit
Die ersten eingeboreneD Patienten. 37
der malayischeu Sprache sollte ich 80 bis 100 eingeborene Sol-
daten behandeln. Ich erlaubte mir gegenüber dem Oberstabsarzt
L., welcher in coUegialer Weise und in liebenswürdigem Tone mit
mir sprach, den Zweifel auszusprechen, dass ich wohl einem solchen
Wirkungskreise mich vorläufig nicht gewachsen fühlte; doch der
Sanitätschef schnitt mir jede Motivirung dieses Zweifels an meine
diesbezügliche Fähigkeit mit den Worten ab: ^Wie im Mittelalter
die Feldherren einen alten Feldwebel zur Seite hatten, der sie in die
Geheimnisse der Verwaltung einweihen sollte, so bekommen Sie einen
Ziekenvader = Krankenoberwärter, der Sie nicht nur iu die G-eheim-
nisse des Dienstes einweihen, sondern Ihnen auch vorläufig ein Dol-
metsch für die eingeborenen Soldaten sein wird. Vorläufig, d. h. Sie
müssen sich sofort bemühen, der malayischen Sprache so weit mäch-
tig zu werden, dass Sie die wichtigsten Fragen an die eingeborenen
Patienten selbst stellen können, und ich hoffe, nach vierzehn Tagen
auf Ihre Abtheilung zu kommen, um mich persönlich davon über-
zeugen zu können. Ich bitte Sie also, morgen früh um acht Uhr
im Saale Nr. 6 zu erscheinen, wo Ihnen Dr. X. alle Patienten über-
geben, d. h. alles mittheilen wird, was er aus verschiedenen Ur-
sachen nicht in der )> Kranken liste« aufgenommen hat. Ich kann
Ihnen jetzt sofort anrathen, diese :> Krankenlisten« nicht zu vemach«
lässigen; es ist nicht hinreichend, die Recepte in diese niederzu-
schreiben, welche dann in der Apotheke verabfolgt werden, sondern
auch die Anamnese und der ganze Verlauf der Krankheit muss in
diesen Listen beschrieben werden; jeder Patient besitzt eine solche
Liste, welche ein vollständiges Bild seiner Krankheit enthalten muss,
weil es nur zu oft geschieht, dass der behandelnde Arzt krank wird,
und sein Vertreter ohne diese Notizen keine richtige Einsicht in
seine Krankheit haben kann.« Verlockend war die Voraussicht nicht,
ein paar Wochen unter der Leitung eines Krankenwärters zu stehen,
welcher den Hang eines Feldwebels bekleidete. Ich beschloss also,
diesem etwas eigenthümUchen Verhältnisse so bald als möglich ein
Ende zu machen, und fuhr sofort nach der Stadt, um mir zu kaufen :
Ein ^»Recueil« der gesetzlichen Bestimmungen für die Militär-Spi-
täler Indiens und eine Grammatik der malayischen Sprache. Als
Dr. X. den nächsten Tag mir ^den Saal 6<: mit 30 Patienten und
den »Saal 7« mit 40 Patienten übergab, liess er die in den letzten
24 Stunden eingelangten Patienten uubesprochen, und mit gewisser
Selbstbefriedigung besprach ich nach Uebergabe des Dienstes von
38 Siii Danaergeschenk.
Seiten meines Vorgängers, mit den neuen Patienten ihre Krankheiten;
prapa iama sakit? == wie lange bist Du krank? sakit apa? = was
fehlt Dir? sukkah makan nassi? = hast Du Appetit, oder wörtlich
übersetzt: Hast Du Lust Reis zu essen? ging mir so flott von den
Lippen, als ob ich ein geborener Malaye wäre. Ebenso zuversicht-
lich dictirte ich dem Ejrankenwärter die »Diät« für diese Patienten
mit den vorschriftsmässigen Abkürzungen: Portie, >l2 Portie, ^j* Portie,
Diät und i|a D. Wenn mir aber einer der Patienten auf meine
Fragen eine etwas weifläufige Antwort gab oder Wünsche in Betreff
des vorgeschriebenen Speisezettels äusserte, verstand ich natürlich
kein einziges Wort und musste nolens volens die Hülfe der Kran-
kenwärter in Anspruch nehmen. Als nach vierzehn Tagen der
Spitalschef zugleich mit dem Landessanitätschef auf meiner Abthei-
lung erschienen und als stille Zuschauer eine Stunde lang der Be-
handlung der Patienten folgten, zu gleicher Zeit jedoch hin und wie-
der einen Blick unter die Kopfpolster warfen, ob darunter kein
Tabak, Cigarren u. s. w. verborgen . seien, und darnach die Aborte
und die Baderäume der Abtheilung und die Kästen mit der Wäsche
inspicirten, merkte ich aus einzelnen aufgefangenen Worten die Zu-
friedenheit meiner Chefs, und beim Weggehen stellte mir der Lan-
des-Sanitätschef die Prognose, dass ich sehr bald die Fähigkeiten zu
einem »Eerstaan wezenden Officier van Gezondheid« zu Muarah-Teweh
werde erlangen können, welcher in einigen Monaten einen neuen Titularis
werde erhalten müssen. Nach Ablauf des Dienstes begab ich mich
in die »Conferentiekamer«, wo die übrigen Aerzte vor Erscheinen des
Spitalschefs gemüthlich die Tagesfragen besprachen. Stolz auf die Be-
lobung meines Chefs theilte ich meinen CoUegen mit, dass ich für
den Posten eines rangältesten Militärarztes zu Muaräh-Teweh de-
signirt sei. Statt Bewunderung oder Eifersucht sah ich zu meiner
IJeberraschung auf allen Lippen nur ein spöttisches Lächeln.
»Ja, ja, dieses ist eine hohe Stellung, welche Ihnen in Aussicht
gestellt wurde; ich muss Ihnen aber auch mittheilen, dass Sie nicht
nur der rangälteste Militärarzt, sondern auch der Bangjüngste in
Muarah-Teweh sein werden, d. h. der einzige Arzt in einem Stück
Lande, das so gross als ganz Holland ist; Sie werden aber auch
in einem Hause wohnen, welches das einzige in diesem Bezirke ist^
und Ihre ganze Gesellschaft wird aus zwei Officieren bestehen,
welche in demselben Hause wie Sie wohnen werden. Sie kommen
in ein Land — . es liegt im Herzen Borneos — , »hinter welchem
Ein Danaergeschenk. 39
überhaupt kein Land mehr ist«,i) und da Sie mit den Soldaten nicht
verkehren dürfen, so können Sie mit den Orang-Utangs oder anderen
Affen verkehren^ und unter den Kopfjägern, den Dajakern in den
benachbarten Kampongs, werden Sie vielleicht einen finden, der
Malayisch spricht; aber es wird rathsam sein, auch diesem einzigen
gebildeten Dajaker nicht zu viel Vertrauen zu schenken, weil Sie
sonst Gefahr laufen, Ihren einzigen Kopf eines Tages auf den
Pfählen seines Kampongs hoch in den Lüften baumeln zu
sehen.« »Dafür haben Sie,« fügte ein zweiter College ebenfalls in
spöttischem Tone hinzu, »das erfreuliche Bewusstsein, ein Protegö
des Sanitätschefs zu sein; als solcher können Sie einer :» schönen«
Garnison zugetheilt werden, zu welchen z. B. Batavia und Surabaja
gehören, d. h. Städte, in welchen das gesellschaftliche Leben sich
wenig von dem einer grossen Stadt in Europa unterscheidet; Sie
können aber auch eine »gute« Gamisonstadt erhalten, d. h. in einen
Ort versetzt werden, in welchem Sie eine grosse Privatpraxis er-
langen können; in Djocja z. B. kann man leicht 5 — 600 fl. monat-
lich bei seinem Gehalt verdienen ; in Banda (Molukken) selbst 1000 fl.
So viel werden Sie natürlich in Muarah-Teweh nicht verdienen; Sie
können aber auch nichts ausgeben. Die Dajaker haben noch keine
Oper, Tingel-Tangel, und nebstdera sorgt die Begierung auch für
die Kost der Officiere, weil ausser dem Lieferanten, welcher für die
Verpflegung der Truppen sorgen muss, kein Kaufmann und kein
Geschäft sich dort befindet, von welchem Sie etwas kaufen könnten.
Da Sie im Fort selbst wohnen müssen, so brauchen Sie kein
Quartiergeld zu bezahlen; und weil die Wohnung nur aus einem
Zimmer mit Bambuswänden besteht, also nicht den Anforderungen
einer Officierswohnung entspricht, bekommen Sie das Qnartiergeld,
70 fl. pro Monat, ausbezahlt. Was die Kost betrifft, erhalten Sie
diese natürlich nicht aus der Menage der Soldaten, sondern in
Natura, d. h. die Zubereitung der »Vivres« können Sie sich selbst
besorgen. Sie erhalten eine »europäische« und zwei »eingeborene«
Rationen; Sie bekommen z. B. täglich 0*5 + 2x0*6 = 1-7 Kilo
Reis. Butter, Oel, Pfeffer, Rindfleisch, Petroleum, Salz, Thee
und Kaffee werden Ihnen in solcher Menge verabfolgt, als ein
europäischer und zwei eingeborene Soldaten täglich für ihren Lebens-
unterhalt nöthig haben. Sie sehen also, dass die holländische Re-
gierung sehr freigebig ist; Sie erhalten für das »süsse Nichtsthun«
*) Holländische Phrase.
40 I>ie nStadt** Surabaya.
Ihren Monatsgehalt von 225 fl. und 30 fl. für zwei Pferde Fonrage
und 70 fl. Quartiergeld und 50 fl. für die Armenpraxis und gänzliche
Verpflegung. Sie werden nämlich nicht viel zu thun haben, weil die
Garnison nur aus einer Compagnie Soldaten (incl. ungefähr 25
Frauen und einiger Kinder) besteht.«
Nach diesen Mittheilungen konnte ich nicht viel Erfreuliches
für die nächste Zukunft erwarten, und arg enttäuscht verliess ich
um ll^la Uhr das Spital. Da der Apotheker, welcher mit mir den
Wagen benutzen sollte, >^die Wacht hatte«, d. h. 24 Stunden im
Spitale bleiben musste, konnte ich den Wagen zu einer Rundfahrt
in der »Stadt« benutzen (natürlich gegen Beibezahlung von 2 fl.).
Ein ungefähr zwei Kilometer langer Weg trennt die Vorstadt
Simpang von »der Stadt«, welche im Jahre 1743 an die Compagnie
abgetreten und zum Sitz des Grouvemeurs von Javas Osten wurde,
nachdem schon zwei Mal (1677 und 1679) diese Stadt von den
Holländern erobert worden war.
Schon bei dem Officiers-Club »Concordia«, welchen ich sofort
beim Eintritt in die Stadt zu meiner rechten Hand sah, zeigt sich
dem Beobachter ein ganz anderes Bild, als dies in Batavia der
Fall ist. Es ist eine holländische Stadt aus dem Anfange dieses
Jahrhunderts mit kleinen, niedrigen Häusern, welche ohne Garten die
Wege begrenzen und in grösserer oder kleinerer Anzahl zu einem
Gebäudecomplex vereinigt sind; schmale Wege, Stege, Gassen und
Strassen wechseln mit Grachten (Wassercanälen), und nur die Dreh-
und Aufzugbrücken fehlen, um das Bild einer alten, schmutzigen
Kieinstadt in Holland zu vervollständigen. Der Goldfluss (Kali
Mas) theilt die Stadt in eine östliche und westliche Hälfte, und die
»rothe Brücke« verbindet den europäischen mit dem chinesischen
(östlichen) Stadttheil. Gegenüber der Concordia liegt das Haus des
Regenten mit einem Schlossplatz; hier wird Sonntag Nachmittags
ein Militär-Concert gegeben, welches die jeunesse doree von Surabaya
zu einem Rendez-vous einlädt. Ein eigenthümliches Gebäude ist
die Moschee, welche eine hübsche Combination von griechischem,
maurischem und gothischem Styl zeigt. Im chinesischen Viertel
fielen mir die Tempel und die zahlreichen Geschäfte auf; daran
schloss sich der Kampong der Malayen mit einem grossen Markt-
platz, auf welchem lange, grosse, auf steinernen Pfeilern ruhende
Markthallen standen. Hierauf kam ich zu den »Mooren, Bengalesen
und Arabern«; schmutzige, enge Strassen, schmutzige, kleine Ge-
Die „Stadt". 41
Schäfte; wie auf einem alten Tandelmarkt, und noch schmutziger
waren die weissen Kleider und Turbane der arabischen Bewohner.
Im Osten und Norden dieser Kampongs der »fremden Orien-
talen« sind die Eingeborenen, und zwar nach bestimmten Hand-
werken geordnet; in dem einen Kampong sah ich nur Töpfer, in
einem zweiten nur Klempner, in einem andern wohnten nur Kamm-
macher, Mattenflechter u. s. w. In dem Kampong Ampel sah ich eine
alte Moschee und das Grab von Raden Eachmat, dem ersten
Su8uhunan>) von Ngampel, welcher hier 1467 >) starb.
Denselben Weg, d. h. über die »rothe Brücke«, fuhr ich zu-
rück, um mich in dem europäischen Viertel ein wenig umzusehen.
Wie in einem Bienenkorb wimmelt es in den Strassen von Hausirem
mit Waaren aus Elfenbein, Perlmutter, Schildkröten, Hom, Bein,
Gold, Silber u. s. w., welche den Neuangekommenen auf Schritt
und Tritt verfolgen. Equipage auf Equipage durchkreuzten die
Stadt, und auch hier war ich verwundert über die grosse Zahl alter
und schmutziger Wagen, welche unter dem Namen »Kossongc
(=r leerer) langsam durch die Strassen fahren, um einen Passagier
(50 Cts. für eine Tour) zu finden. Es ist ein auffallender Unter-
schied zwischen den beiden Städten Batavia und Surabaya, welcher
in vieler Hinsicht an jenen zwischen Haag und Amsterdam er-
innert Surabaya ist grösser und hat mehr Einwohner als seine
Schwesterstadt im Westen.^) Batavia ist durch den Sitz der Re-
gierung eine Beamtenstadt; Beamte und Officiere sind die ton-
angebenden Kreise. Surabaya ist eine Handelsstadt stricte dictu
und hat schon seit vielen Jahrzehnten einen ausgesprochenen euro-
päischen Mittelstand, es ist darum gemüthlicher ; man fühlt sich
heimischer und läuft nicht Gefahr, in dem ersten besten Euro-
päer, welchen man im Club kennen lernt, einem Beamten oder Offi-
eier zu begegnen, welcher ängstlich die Geheimnisse seines Depar-
tements bewahren und jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, um
nichts von jenen staatsgefährlichen Geheimnissen entschlüpfen zu lassen,
w^elche den andern Tag durch die Tagespresse orbi et urbi verkündigt
>) Susuhunan :— Seiner Heiligkeit ist der Titel des Kaisers von Solo.
*) Seine Mutter stammte von Cambodga, und sein Vater war ein Araber,
drr ihn in einem Alter von 20 Jahren zu seinem Bruder in Madjopaliit sandte;
er wurde hier der zweite Apostel des Islam in Java. Der erste war Manlans
Malik Ibrahim, welcher am 8. April 14t 9 zu G risse starb.
») Vide Note Seite 27.
42 Die „Stadt".
werden. Surabaja ist aber nicht allein eine bürgerliche Handelsstadt^
sondern auch eine Fabrikstadt, und zahlreiche grosse Fabriken und
noch mehr die zahlreichen kleinen europäischen, javanischen und
chinesischen Werkstätten machen sie zu einem Emporium der In-
dustrie und des Handels nicht allein der Insel Java, sondern auch
des ganzen indischen Archipels. Von den zahlreichen grossen Un-
ternehmungen dieser Stadt will ich keine einzige ausführlich be-
schreiben, weil ich als Laie in der Technik nur Unvollkommenes
mittheilen könnte; wie ich aber von Fachleuten hörte, sind einige
von ihnen, wie z. B. das Marine - Etablissement, die Artillerie
Constructie Winkel und die pyrotechnische Werkstätte, die vielen
Privat-Fabriken für Dampfkessel u. s. w., geradezu mustergiltige
Fabriken, welche in jeder Hinsicht allen Anforderungen der mo-
dernen Technik Genüge leisten.
Leider hat Surabaja Mangel an gutem Trinkwasser, und es ist
bis jetzt noch nicht gelungen, artesisches Wasser zu erhalten, ob-
wohl die Provinz in ihrem südlichen Theile stattliche und hohe
Berge besitzt, z. B. den Ardjuno, 3363 Meter hoch, den Berg Pe-
nanggungan (1650), Welirang (3150), Andjomora (2270) u. s. w.y
und im Westen die Hügelländer von Tuban (400), von Lamongan,
Kendeng und Modokasri zahlreiche Quellen besitzen. Demzufolge
entstehen beinahe jedes Jahr grössere oder kleinere Cholera-Epi-
demien, welche meistens in der Citadelle ^Prinz Hendrik« ihren
Ausgangspunkt nehmen. Sie besteht bereits 60 Jahre, ist von
der Mündung des Goldflusses 1800 Meter entfernt und war der Mit-
telpunkt einer Vertheidigungslinie von ungefähr zwei Kilometern mit
17 Bastionen u. s. w. Sie ist ein starkes Fort, welches bequem
1500 Mann fassen kann, aber — sie muss aus obigen Gründen un-
benutzt stehen bleiben und kann nur als Magazin der Armee noch
einige Dienste leisten.
Sollte es der modernen Technik nicht gelingen, aus den grossen
Wassermassen, welche der nahe Javasee und die Flüsse der Provinz
Surabaja, Porong, Brantas (mit den Aesten: Goldfluss, Pluss
Porong und Perigien) und Solo (mit den Mündungsarmen Fluss
Ngawen und Miring), Aujer, Pepeh u. s. w. in sich bergen, brauch-
bares und gesundes Trinkwasser zu schaffen? Ich weiss, dass
alle modernen Filtrir- Apparate der grossen europäischen Städte noch
weit von diesem Ziele entfernt sind, weil das Delta-Land, auf wel-
chem diese Stadt liegt, einen grossen Beichthum an faulenden Stoffen
Das Mittagschläfchen. 43
birgt; aber in der Wärme haben wir ja ein ausgezeichnetes Mittel,
diese radical zu zerstören. Wenn auch viele Europäer das filtrirte
Wasser V4 ^^^ Va Stunde bei einer Temperatur von 100 — 120«C,
kochen, so bleibt doch die grosse Menge der Eingeborenen, der Chi-
nesen und der Orientalen blind für die Gefahren eines ungesunden
Wassers; für diese muss die Regierung etwas thun. Eine Stadt von
ungefähr 150,000 Seelen muss ein Trinkwasser haben, welches allea
Anforderungen der Hygiene entspricht.
Um 1 Uhr hatte ich meine Rundfahrt durch die Stadt been-
digt und erquickte mich an der ^»Rysttafel«, welche mit Recht den
Ruf verdiente, dessen sie sich erfreute; sie bot nicht nur eine
grosse Wahl der Speisen, ^ sondern auch jede einzelne Schüssel
war mit Sorgfalt bereitet. Eine Flasche Bier trank ich dazu, in*
dem ich in ein Glas ein grosses Stück Eis gab und das ßier da-
rauf goss. Wahre Bierfreunde trinken es unverdünnt durch das
Wasser des schmelzenden Eises; aber jeder Versuch, reines Bier
(von einer Temperatur von 22 — 25 ® C.) zu trinken, verleidete mir
gänzlich diesen Genuss. Gegenwärtig wird jedoch das Bier in den
Clubs und in manchen Hotels in Eiskübeln frappirt, so dass maa
den erfrischenden Geschmack des kühlen Bieres erhält, ohne gleich-
zeitig durch Wasser des schmelzenden Eises seinen Alcoholgehalt zu
verdünnen. Nach Tisch ging ich zu Bett und befahl dem Bedien-
ten, mich um 4 Uhr aufzuwecken, weil ich um 5 Uhr wieder im
Spitale sein musste. Um 4 Uhr wurde ich wach, aber ich fühlte
mich müde und schwach; in Schweiss gebadet, wechselte ich zu-
nächst die Kabaya und das Flanellhemd, in welchem ich geschlafen
hatte, schwankte wie ein Betrunkener zur Thür, öffnete sie und fiel
in der Veranda auf den Lehnstuhl nieder, als ob ich einen Marsch
von zehn Kilometern gemacht hätte. Unterdessen hatte mir der Be-
diente eine Schale Thee, eine Flasche Apollinariswasser und ein
Glas mit einem Stück Eis gebracht. Der lauwarme Thee und da-
nach das kalte Apollinariswasser belebten sofort meine schlaffen
Lebensgeister, ich nahm mein Schiffsbad, 3) zog mir europäische £[lei-
der an und fuhr nach dem Spitale. Ich hatte einen Zuwachs von
sechs Patienten, von welchen zwei an Beri-Beri, drei an Malaria
und einer an Dysenterie litten. Da ich wusste, dass um 5^/a Uhr den
Patienten das Abendessen gebracht werden sollte und den Neu-
>) Vido I. Band: Borneo, Seite 68.
*) t* >f » >f 123.
44 Eine Nonna.
aogekommenaiL vom »Doctor der Wacht« bereits Medicinen yoiige-
■chiieben worden waren, begnügte ich mich damit, für diese sieben
Patienten die >Diät« für den folgenden Tag dem »Ziekenvader« mit-
aatheilen,0 giQg zu einzelnen Patienten, welche mich besonders in-
teresairten, oder welche irgend ein Ansuchen an mich richten woll-
ten, verliess, nur theilweise befriedigt^ die Krankensäle und setzte
Blich zu den übrigen Colinen, welche bereits an der »Kletstafel«
sassen und mich, jeder in seiner Weise, über meinen Beruf als
Oberarzt der indischen Armee zu belehren suchten.
Da mir riele, wenn nicht alle ihre Mittheilungen fremd und oft
sogar unglaublich erschienen, weil ich nicht wusste, wie viele der-
selben Scherz oder Ernst waren, so steigerte sich noch mehr das
Gefühl des Unbefriedigtseins in mir, und als um 6 Uhr die CoUegea
aufstanden, um das Spital zu verlassen, blieb ich beim »Doctor der
Wacht« zurück, um von ihm das Thatsächliche der Neckereien zu
erfediren. Zu meiner grössten Ueberraschung entsprach alles der
Wirklichkeit, und nur der Ton der Erzählungen war ein scherz-
hafter gewesen; auch hatte ich späterhin oft genug G-elegenheit,
mich von der Richtigkeit dieser Mittheilungen zu überzeugen. Die
Sonne war untergegangen, und bevor ich das Hotel erreicht hatte,
war es finster geworden, und ein Javane lief vor mir, um die
Petroleumlampen') anzuzünden. Das Hotel stand an der grossen
Heeresstrasse, welche nach G^dong und Sidoardjo führte. Hier
standen nur an einer Seite einige europäische Häuser, darunter das
des Landes-Commandanten Colonel R., welcher das grosse Vor-
recht hatte, neun Töchter zu besitzen. Ich verliess das Hotel mit
der Absicht, auf dieser wenig besuchten Strasse mich ganz dem
Genüsse des Alleinseins zu ergeben und den ersten Tag meiner
neuen Carri^re einer Kritik zu unterwerfen, und arglos näherte ich
mich dem Hause des Colonels R. Da traf ein silberheUes Lachen
meine Ohren, und ein Paar feurige, schwarze Augen suchten mit
neugierigen Blicken den Fremdling zu erforschen, der sich aus dem
Getümmel der Stadt in die Ruhe der unbewohnten Poststrasse ge-
flüchtet hatte. Es war eine reizende Nonna — ihre Grossmuttar
war eine Javanin gewesen — welche sich an meiner Verlegenheit
*) Den ersten Tag erhält jeder Patient nur Reis in Milch gekocht.
') Gegenwärtig wird diese Stadt natürlich durch Gas beleuchtet. Batavia
hat seit 38 Jahren, Surabaya seit 20 Jahren und Samarang seit 1898 eine
Oasfabrik.
Eine Abendimierhaltung. 45
ergötzte, indem ich nämlich zögernd einen Grass stammelte, nachdem
ich bereite einen Schritt weit sie passirt hatte. Sie war noch »an-
gekleidet«:, d. h. noch in indischer Haustoilette; der seidene Sarong
omschloss die breiten Hüften, die reich gamirte Kabaya bedeckte die
schön geformte Büste nur zum Theil, weil durch die Spitzen des obe-
ren Theiles die lichtbraune Haut dnrchschimmeite; das schwarze Btaar
war nach hinten in einen dicken Knoten (Kond^) gebunden ; bei ihrem
schalkhaften Lächeln zeigte sie ein elfenbeinernes Gebiss von tadel-
losen Zähnen, und über den schwarzen Augen wölbten sich ein Paar
grosse, dichte Augenbrauen. Die Flamme einer Laterne umsäumte
dieses schöne Bild mit einem goldenen Saume, und während ich, er-
füllt Ton dieser reizenden Erscheinung, weiter schritt, kicherte Jemand
hinter mir und zog mich zurück; es war der kleine Schalk Cupido.
Noch eine halbe Stunde folgte ich der langen Poststrasse, nach-
dem schon lange kein europäisches Haus zu sehen war und die
kleinen Petroleumlämpchen der Eingeborenen nur schwach das Linere
ihrer kleinen Häuschen und die Strasse beleuchteten. Ich kehrte um,
ging in's Hotel und fand — eine Einladung zu einer Hausunterhaltung
bei dem Landes-Commandanten. Um 8 Uhr ging ich zur Table
d'höte, welche uns ein :» europäisches Mahl« bot, d. h. Suppe, Rind-
fleisch, Gemüse, Braten, Mehlspeise, Kaffee, Obst und Käse, und um
9 Uhr stand ich, in Frack, schwarzer Hose und weissen Handschuhen
gekleidet, Tor dem Eingange des Hotels, um zunächst die Theil-
nehmer an diesem Feste passiren zu sehen. Equipagen auf Equi-
pagen mit europäischen Damen und Herren in Uniform und Frack
fahren bei mir vorbei; einzelne Dos ä dos (nur mit einem Pferde
bespannt) mit jungen Officieren und Beamten kamen in langsamem
Schritt vorgefahren. Auf dem Bocke einer Victoria sass ein Polizei-
mann mit dem goldenen Regenschirm (Pajöng) und brachte den
Residenten der Provinz. Hinter ihm folgte ein Mylord, in welchem
der Regent, der eingeborene Häuptling, sich befand; auch er hatte
neben dem Kutscher einen Polizeimann, der einen weiss und gold
gefärbten Pajöng aufrecht trug. Ein Chinese in Mandarintracht
folgte mit seiner Frau, welche einen schwer seidenen Sarong und
Kabaya trug, und endlich wagte ich es, den ersten Schritt in die
^indische Gesellschaft« zu thun. Ein schöner Anblick bot sich
mir beim Eintritt in die Thüre der manneshohen Mauer dar, welche
das Haus und den kleinen Garten des Colonels R. von der Strasse
trennte. Auf der Treppe, welche zur Säulenhalle des Hauses führte,
46 ^i'io Abenduoterhaltang.
fassen die Polizisten der hohen Beamten wie Marmorsäulen und
hielten den Pajöng aufrecht vor sich. Die Säulenhalle war weiss,
und die Flammen strahlten in doppelter Helle ihr Licht über den
Garten; in dieser Halle und dem Saale, welchem sich erstere an-
schloss, strömten die Menschen auf und ab; sehr viele Uniformen
und sehr wenige Fracks oder Salonröcke, während die Damen in
europäischer Salon- oder Balltoilette an Beichthum und Eleganz,
aber weniger an »Mode« ihre Schwestern in Europa, übertrafen.
Sofort erschien der Hausherr in seiner wenig kleidsamen Uniform,
stellte mich seiner Frau und den zwei Damen vor, welche neben
dieser sassen, und führte mich dann in einen Nebensaal, wo die
Jugend versammelt war. Das Brummen und Summen der eifrig
flirtenden Jugend übertönte seine Stentorstimme, als er den i^jüngsten
Aesculapius von Surabaya« vorstellte, und er verliess mich sofort,
um seinen Hausherrnpflichten auch anderwärts gerecht zu werden.
»Sie sind also der grosse Philosoph, welcher vor drei Stunden
bei unserem Hause, gewiss in weltbewegende Gedanken vertieft, vorbei-
ging und mich um 6 Uhr, sage um 6 Uhr, noch in Sarong und
Kabaya gekleidet sah.« Mit diesen Worten trat eine reizende Brünette
von ungefähr 19 Jahren mir entgegen. Ich wusste nicht, dass es un-
schicklich sei, wenn junge Damen um 6 Uhr noch in Haustoilette
sind, ich fand kein holländisches Wort und ich faud auch keine
deutsche Antwort, als sie mit schalkhaftem Blick diese Frage an mich
richtete, und pries das Geschick, welches mir in diesem Augenblicke
den Bedienten mit einer grossen Platte sandte. Schalen mit Kaffee-
extract und mit Thee, eine grosse Kanne Milch und eine Zucker-
dose mit pulverisirtem Zucker hielt er mir unter die Nase und frug
mich in malayischer Sprache, welchen Trank ich vorziehe. Fräulein
Marie wiederholte seine Fragen in holländischer Sprache, und end-
lich gelang es mir, den Gesellschaftston zu finden und in einem
Kauderwelsch, welches weder Deutsch noch Holländisch war, unter-
hielt ich mich lebhaft mit dieser Schönsten der Schönen. Kaum
hatte ich den Kaffee ausgetrunken, als ein zweiter Bedienter kam
und drei Sorten von Liqueuren mir anbot. Wieder war es meine
reizende Nachbarin, welche die fürchterlich entstellten Namen der
Liqueure mir übersetzte, und eben wollte ich zu einem Gläschen
Yanilleliqueur greifen, als aus dem Hintergrunde des grossen Saales
die lauten Klänge einer Polonaise erschallten. Wie von einem
electrischen Funken erschüttert sprangen alle jungen Damen und
Eine Abenduuterhaltung. 47
Herren von ihren Sesseln auf und gingen Arm in Arm in den
grossen Saal. Sehr gern wäre ich mit meiner Schönen in dem
kleinen Saal geblieben^ um noch lange, sehr lange mit ihr zu plau-
dern, aber ein fragender, selbst vorwurfsvoller Blick erinnerte mich
an meine Pflicht, ich gab ihr den Arm und folgte dem Zuge ihres
Armes, der mich hinter den Assistent-Kesidenten brachte, welcher
die Frau des Kegenten führte. Wie ich später wiederholt sah,
folgen bei allen Festlichkeiten die Gäste einer bestimmten, nach
Kang und Würde geordneten Reihe. Der Hausherr eröffnet mit
der angesehensten Dame den Eeigen, ihm folgte deren Mann mit
der Hausfrau u. s. w. Erst die dei minorum gen^um schliessen die
Keihen, ohne sich an den Bang der Tänzer zu halten. Zweimal
hatte die grosse Colonne den Saal nach dem Tacte der Musik durch-
schritten, als sie plötzlich einen Walzer anstimmte; einige der alten
Herren und Damen traten aus; alle Uebrigen — nur ich nicht —
stürzten sich in den Strudel der walzenden Paare. Wiederum sah
mich »meine Dame« mit fragenden und vorwurfsvollen Blicken an,
als ich sie bat, auf einer nahen Causeuse Platz zu nehmen und
unser unterbrochenes Gespräch fortzusetzen. Zum ersten Male in
meinem Leben bedauerte ich es, niemals tanzen gelernt zu haben,
und bevor ich noch diesem elenden Gefühl Worte verleihen konnte,
näherte sich ein Lieutenant der Infanterie, welcher diese Scene
beobachtet hatte, und bat um den Walzer.
»Sehr gerne,« sagte meine Dame mit gehässigem Nachdruck,
und sofort verschwand das schöne Paar in der Menge der Walzenden.
»Dieser Oberarzt bleibt nicht lange in Surabaja,« brummte ein alter
Herr en passant, und als ich mich fragend umblickte, was dieser
Orakelspruch bedeute, setzte er fort, als ob er einen Monolog hielt,
und ohne mich anzusehen: »Männer, welche nicht tanzen können,
gehören nicht in den Salon, auf den Aussenbesitzungen unter den
Wilden ist ihre Heimath.« Unterdessen sah ich den Hausherrn bei
den alten Herren und Damen hin und her eilen, um sie zu einer
Partie Whist, L'hombre oder Quadrille einzutheilen, und wieder
zogen einige Paare Arm in Arm, jedoch mit gelassenen und ge-
messenen Schritten in die hintere Veranda und in ein paar kleine Säle,
wo die Spieltische mit Karten und Marken sie erwarteten. Auch mich
frag der Colonel, an welchem Spiel ich mich betheiligen wolle, da er
sehe, dass ich nicht tanzlustig sei. Als ich ibm wieder bekennen
musste, dass mir das Whistspiel nur dem Namen nach bekannt sei, und
48 Eine Abendunterhaltung.
dass ich tob den beiden anderen Spielen nicht einmal die Namen
kenne, frng er mich erstaunt, wo ich denn meine Erziehung gehabt
habe, dass ich weder tanzen, noch Karten spielen könne, und liess
mich stehen. Der zweite Theil der Polonaise war endlich zu Ende,
und die tanzende Jugend yersammelte sich wieder im kleinen Saal^,
um zu lachen und zu scherzen und zu flirten. Bediente erschienen
und präsentirten Bothwein, Rheinwein, Eiswasser, Mineralwasser
und Brandy-Grog; ich selbst wählte ein Q-las Mineralwasser und trat
in den kleinen Saal, um wenigstens einen Blick »meiner Dame« zu
eriiaschen; sie sah midi jedoch nicht, und als ich mich ihr näherte,
um eines der yielberühmten Ballgespräche mit ihr anzufangen, wandte
sie sich zu ihrem Tänzer mit der Frage, ob der Walzer oder die
Polka den höchsten Oenuss ihm biete. Ich war in Ungnade ge-
£Edlen. Ich verliess diesen kleinen Saal und ging hinaus in die
Vorhalle, in welcher Alle sassen, welche nicht tanzen konnten und
wollten, und welche aus verschiedenen Ursachen auch nicht an dem
Kartenspiele theilnahmen. Gern hätte ich mich mit dem Regenten
oder mit dem »Major der Chinesen« in ein Gespräch eingelassen,
aber schon beim Vorstellen sah ich, dass sie der holländischen und
natürlich noch weniger der deutschen Sprache mächtig waren. Beide
sprachen wie ihre Frauen die malayische Sprache, die allgemeine
Umgangssprache zwischen Europäern und Eingeborenen, aber mein
Wissen und Können dieser Sprache reichte noch nicht weiter, als bis zu
den einzelnen Fragen um das körperliche Befinden, und so sah ich
mich gezwungen, andere Gesellschaft aufzusuchen. Endlich wurde
es zwölf Uhr, und wieder erschienen Bediente, diesmal jedoch mit
grossen Schüsseln, gefüllt mit Brötchen, gefüllt mit Schinken oder
Wurst oder Pat6 de foie gras, während ein zweiter Bedienter auf
der Platte kleine Teller, Messer und Kaffeeservietten anbot. Die
Tanz-Pause war eingetreten. Der Berg mit belegten Brötchen wurde
inmier kleiner und kleiner, und der Bediente erschien nun wieder
mit den diversen Getränken. Ich nahm wieder ein Glas Apollinaris-
wasser, als plötzlich aus dem Zimmer der tanzlustigen Jugend:
»Bier her, Bier her, oder ich fall um, juchhe!« zu meinen Ohren
drang; ich sprang von meinem Stuhle auf, und mit tiefgehaltenem
Tenor fuhr ich an der Thüre fort: ;i>Soll das Bier im Keller liegen,
und ich nur ein Wasser kriegen« und — das Eis war gebrochen.
Von allen Seiten stürmten die Schönen auf mich ein, noch ein anderes
deutsches Studentenlied zu singen, und nach diesem musste ich ein
r
Die Beri-Beri-Krankheit 49
diittes singen, bis endlich die Accorde eines Lancier die jungen
Damen und Herren in den Tanzsaal riefen. Der Mohr hatte seine
Schuldigkeit gethan — ich konnte wieder gehen.
Um 2 Uhr empfahl sich der Besident und seine Erau dem Gktst-
geber; ihnen folgten alle Uebrigen, welche nicht tanzten; auch ich
nalmi Abschied, und als ich auch »meiner Dame«, der jüngsten
Tochter des Hauses, meinen Dank für den herrlichen Abend aus-
sprechen wollte, rief sie mir scherzend zu: :&Nein, den Dank begehre
ich nicht; ein junger Mann, der nicht tanzt, kann sich nicht amüsiren.
Adieu.« Einen Hut>) hatte ich nicht, ein kühler Nachtwind trocknete
die triefende Stime, und mit wechselnden Gefühlen ging ich zu
Bett, unbefriedigt von meinem ersten Thuu im Spitale und unbe-
friedigt Ton meinem ersten Thun und Lassen im indischen Salon.
Der Dienst im Spital gefiel mir mit jedem Tage besser. Wenn
der erste Tag das Gefühl des »Unbefriedigtseins« im hohen Grade
in mir wach gerufen hatte, so lagen die Ursachen dafür nicht in
mir, sondern in den herrschenden Verhältnissen. Ich stand 80
Patienten gegenüber, von denen ich absolut nichts wusste; wenn
auch mein Vorgänger in der »Ejraukenliste« die Diagnose ihrer
Krankheit aufgenommen hatte, so war mir damit nur wenig ge-
holfen; 49 von ihnen litten an Malaria, 20 an Beri-Beri, 3 an
Dysenterie, und die übrigen 8 hatten Lungenentzündung und andere
mir geläufige Krankheitsbilder. Von der Beri-Beri-Krankheit hatte
ich in Europa nicht einmal den Namen, geschweige denn das totale
Krankheitsbild, den Verlauf und die Ursache gekannt. Unter meinen
20 Fällen dieser Krankheit befanden sich alle möglichen Formen
und Stadien der Erkrankung, und vergebens war alle Mühe, aus
ihnen nur ein einheitliches Bild dieser Krankheit zu bilden. Hier
lag ein Mann unter den schwersten Symptomen der Herzbeutel-
wassersucht, und dort stand ein Mann, bei diem ausser einem Puls von
100 Schlägen in der Minute kein anderes Symptom gefunden wurde;
der Eine hatte geschwollene Füsse und eine bleiche, krankhafte Haut-
farbe, und der Andere war »bis auf das Skelet« abgemagert. Beim
Dritten hatte Dr. C. notirt, dass sein Puls in der Buhe 120 mal
und nach einiger Bewegung 200 mal in der Minute schlage, und
^) Seit dieser Zeit bat die Mode den Männeni und den Damen den Ge-
brauch des Hutes auch nach Sonnenuntergang aufgedrungen.
Breitenitttin, 21 Jabre in Indien U. ^
50 I>i^ Beri-Beri-Krankheit.
bei einem Vierten war angegeben^ dass er bis über die Mitte des
Oberschenkels anästhetisch =: unempfindlich sei. Nicht viel besser
ging es mir mit den Malariapatienten; als den Typus der Malaria
kannte ich nur das Wechselfieber mit scharf abgegrenztem Hitze-
und Kältestadinm, und von meinen 49 Malariapatienten zeigte kaum
ein einziger dieses Bild. Wenn ich an diesem Tage aus den Notizen
der Krankheitsliste und aus den objectiven Befunden obiger 49 Malaria-
patienten, unabhängig von dem weiteren Verlaufe der Krankheit,
die Diagnose hätte stellen müssen, wäre das Wort Malaria kaum in
10 Fällen ausgesprochen worden. Der Eine zeigte ausgesprochene
Lungenyerschleimung, der Zweite litt an Diarrhöe; ein Dritter hätte
mich an Typhus und ein Anderer an Hirnhautentzündung (Meningitis)
denken lassen; ein Sergeant hatte alle Erscheinungen des Mumps
(Parotitis) und der letzte Malariapatient hatte selbst das ausge-
sprochene Bild der Cholera! In diesem Labyrinth der Erscheinungen
der Malariakrankheit halfen mir theilweise meine Bücher auf den
richtigen Weg; über die Beri-Beri jedoch musste ich mich von den
älteren Collegen informiren lassen. Leider waren ihre Informationen
nur nach einer Richtung hin befriedigend. Wassersucht, verbunden mit
geringer Lähmung (Parese) der Beine und erhöhter Arbeit des Herzens,
veranlasste die Diagnose der häufigsten Form der Beri-Beri. Ge-
ringe Lähmung und hochgradige Abmagerung der Extremitäten gab
die Diagnose: Beri-Beri kring = trockene Beri-Beri.
Seit dieser Zeit hat, wie wir im III. Bande mittheilen werden,
die Frage dieser verheerenden Krankheit vielfach die indische Re-
gierung und die Gelehrten der medicinischen Welt beschäftigt; aber
für den denkenden Arzt war es damals geradezu eine beschämende
Arbeit, Patienten gegenüber zu stehen, von welchen man beinahe
gar nichts wusste. Welche Bedeutung diese Krankheit für die
indische Armee hat, will ich an dieser Stelle nur andeuten, und
zwar durch Abdruck der Ziffern, welche die Verbreitung dieser
Krankheit in der Armee vom Jahre 1893 — 1897 demoustriren :
Stand der
Beri-Beri- i
in Beri-Beri
super-
Armee
Patienten
gestorben
arbitrirt
Malaria
1893
34,186
6170 — 18«o
218
573
13,332 — 39 <>[o
1894
37,532
4908 — 13 «
231
796
11,631-31*0
1895
38,568
5652 — 14 »
276
516
14,706 — 38%
1896
42,782
5780 — 13 »io
151
726
14,639 = 34 »
1897
42,080
2211— 5%
92
442
17,534 — 41
Indische Militärarzte. 51
Ich folgte also, was die Behandlung dieser unglücklichen Patienten
betraf, dem Beispiele meiner Collegen und nahm die einzelnen Sym-
ptome zur Basis meiner Becepte; wir können ja leider bei den meisten
Krankheiten, von welchen wir unter dem Scepter der Bacteriologie
alles zu wissen glauben, auch nicht viel mehr thun. Auf diese
Weise habe ich mein ärztliches Gewissen damals beschwichtigt und
schon nach einigen Wochen mich ebenso sicher oder ebenso unsicher
wie die übrigen Collegen gegenüber den Beri-Beri-Patienten gefühlt.
Glücklicher Weise hatte ich noch andere Patienten, wie z. B.
chirurgische, syphilitische und venerische Fälle oder andere mir geläufige
Krankheitsformen, wie z. B. Herzfehler, Lungenkrankheiten u. s. w.
in Behandlung und dadurch auch hinreichendes Material, um das
Selbstvertrauen in meine ärztliche Kunst nicht allzu stark er-
schüttert zu sehen. Damals folgte nämlich der Sanitätschef dem
Principe, dem jungen Arzte alle möglichen Krankheitsformen in
Behandlung zu geben, um eine vielseitige Ausübung seiner ärztlichen
Kunst zu ermöglichen. Der Militärarzt in Indien hat ja nur zu
oft Gelegenheit, ohne Hülfe eines Collegen oder eines Consiliarius,
alle Zweige der ärztlichen Kunst ausüben zu müssen. Jeder wird für
kürzere oder längere Zeit in die Aussenbesitzungen gesendet, wo er
oft in einem Gebiete, das so gross wie eine holländische Provinz ist,
der einzige Arzt ist, und bei den mangelhaften Verkehrswegen erst
nach vielen Tagen oder Wochen einen Collegen in's Consilium er-
langen könnte. Der indische Militärarzt muss also vielseitig entwickelt
sein und selbständig in allen Fächern der Medicin auftreten können.
Zu diesem Zwecke erhielten damals die jungen Aerzte nicht Ab-
theilungen, welche mit bestimmten Krankheitsformen belegt waren,
sondern Krankensäle, welche, analog der Truppenformation, Euro-
päer, Eingeborene, ünterofficiere und Officiere^) enthielten.
Von den Sitten und Gebräuchen der Eingeborenen bekam ich
in den ersten Monaten meines Aufenthaltes in Indien kein richtiges
oder besser gesagt gar kein Bild. Eine grosse Kluft trennt sie von
den Europäern; ich selbst sprach keinen andern Eingeborenen als
*) In den „ Sälen ^ der Untorofficicre und Officiere befanden sich nur euro-
päische Patienten. Aus disciplinären Gründen werden nämlich die eingeborenen
Unterofficiere gemeinsam mit den eingeborenen „Minderen" verpflegt, und die
eingeborenen Officiere sind in der regulären Armee schon seit vielen Jahr-
zehnten auf das Aussterbeetat gesetzt. Vor drei Jahren lebte noch der letzte
«eingeborene Officier'^ pensionirt als hochbetagter Greis in Magelang (Java).
52 Indische Militfträrzte.
meinen Bedienten und wechselte mit den Patienten meiner Abthei-
Inng kein Wort, das nicht uneriässlich für die Behandlnng war. So geht
es allen Officiereu, vielen Beamten und allen übrigen enropäischen
Bewohnern Javas. Eine Ausnahme machen hiervon einige junge
Leute, welche mit einer eingeborenen Frau im Concubinat leben; da
aber eine solche Njai = Haushälterin aus der Hefe des Volkes ge-
nommen wird, ist ihr Bildungsgrad ein sehr niedriger, und sie wäre ge-
wiss die unreinste Quelle, aus der man sein Wissen in der malayischen
oder javanischen Ethnographie schöpfen könnte. Auch sind einzelne
und dann meistens halbeuropäische Familien in jeder Stadt, welche
mit den eingeborenen Häuptlingen gesellschaftlich verkehren; diese
sind allerdings dann gut auf der Höhe der malayischen oder java-
nischen Sitten und Grebräuche. Die übrigen Europäer aber haben
nur ein oberflächliches Wissen von den Gewohnheiten ihrer Stadt-
genossen und beurtheilen die Eingeborenen nur nach dem äusseren
Schein und dem oberflächlichen Wellenschlag des täglichen Lebens
auf der Strasse und auf dem Marktplatz. Mir ging es schon da-
rum in Surabaya nicht besser, weil mein ärztlicher Beruf ganz an-
dere Arbeiten als das Studium der Sitten der Eingeborenen mir zur
Pflicht machte. Ich musste die hoUändische und malayische Sprache
mir aneignen, musste dem Studium der Tropenkrankheiten und Tropen -
hygiene mich widmen, und musste mich zunächst in das Leben und
in die Gebräuche der Holländer einleben. Erst in späteren Jahren
beschäftigte ich mich auch mit der »Land- und Völkerkunde« der
Lisel, auf der ich lebte.
Ende Februar las ich in dem »Locomotief«, dass Dr. F. von
Muarah-Teweh (im Innern der Insel Bomeo) nach Batavia berufen
wurde, um dort sein Examen für den Rang eines Regimentsarztes
abzulegen. Seitdem sind leider diese Prüfungen abgeschafft, welche
für Indien geradezu ein Bedürfhiss sind ; die jungen Aerzte, welche
oft viele Jahre in den »Aussenbesitzungen« stationirt sind, haben dort
ein geringes Material. Es fehlt ihnen der Sporn zu wissenschaft-
lichen Arbeiten, und sie vergessen daher den grössten Theil
ihrer auf der Universität erworbenen theoretischen und praktischen
Wissenschaften. Wenn sie jedoch nach einer gewissen Anzahl von
Jahren sich wieder einem Examen unterwerfen müssen, dann sind
sie gezwungen, sich auf der Höhe der Wissenschaft zu halten. Im
Jahre 1882 wurde die Verpflichtung zu dieser Prüfung für alle
Doctoren abgeschafft, welche nach dem neuen holländischen Regle-
Indische Militära,rzte. 53
ment den Titel Arts = Arzt erworben katten, d. h. Doctores uni-
versae medicinae geworden waren. Aber auch diese sind nur
Menschen und werden ohne Sporn zu weiteren wissenschaftlichen
Arbeiten leicht der Schablone verfallen. In. der österreichischen
Armee bestehen Prüfungen für den Rang des Stabsarztes; die Gau-
didaten müssen den Beweis liefern^ dass sie in der Militärhygiene
wie in der Organisation der Armee u. s. w. ebenso bewandert sind,
als in jenen Fächern, welche die Physicatsprüfung fordert; sie müssen
Terrainkarten lesen und die Ausrüstung der Feldspitäler anordnen
können u. s. w. Wenn sich also eine so grosse Armee 'Sicherheit ver-
schafft, dass mit dem goldenen Kragen ihrer Aerzte auch ein grösseres
Quantum von Wissen verbunden sei, als der subalterne Militärarzt in
der Regel besitzt, so kann oder vielmehr muss auch die indische
Armee bei den herrschenden Verhältnissen Maassregeln treffen, dass
ihre Aerzte, welche in der Regel gut vorgebildet die Schule verlassen
haben, auch weiterhin auf der Höhe der Wissenschaft sich erhalten
und über jenes Quantum von Wissen verfügen können, welches
der jeweilige Rang erfordert. (Vide 1. Theil: Bomeo, Seite 34.)
Mit dieser Zeitung in der Tasche begab ich mich zu dem
Hospitalchef, der gerade an diesem Tage seinen Jour hatte ; es war
7 Uhr, als ich in seinem Hause erschien; einige Officiere und Bürger
waren schon anwesend, und sofort nach der Begrüssung der Haus-
frau und meines Chefs wurde mir von allen Seiten zu meiner be-
vorstehenden Transferirung G-lück gewünscht. Das »Surabayische
fiandelsblattc hatte nämlich nicht nur die Berufung des Dr. F. von
Muarah-Teweh mitgetheilt, sondern auch die Vermuthung geäussert^
dass ich wahrscheinlich sein Nachfolger in jenem von der mensch-
lichen Civilisation hundert Meilen entfernten Fort wei:den würde.
Mein Chef, welcher natürlich darüber am besten informirt war, ent-
hielt sich jeder Aeusserung, weil meine Transferirung ihm noch nicht
officiell mitgetheilt war, glaubte jedoch einige Worte des Trostes mir
sagen zu müssen, falls sich diese Vermuthung bewahrheiten sollte.
>Ach, Sie sind ja ledig, für Sie ist also eine Transferirung eine
unbedeutende Sache, und Muarah-Teweh wird für Sie eine Vorschule
des Bivouaclebens sein, wenn Sie späterhin nach Atjeh geschickt
werden sollten.« Diese Worte waren gerade nicht sehr ermuthi-
gend, und als ich ihn um 8 Uhr verliess, wollte mir der Wider-
spruch dieser tröstenden Worte und der Glückwünsche der übrigen
Officiere nicht recht einleuchten. Am nächsten Tag erhielt der
54 ^i^ Insel Bavean und Hadura.
Landes-SaDit&tschef vom Landes-Commandirenden den officiellen Be-
scheid, dass ich nach Bandjermasing, der Hauptstadt des Südost*
liehen Bomeos, transferirt sei und mit dem Dampfer, welcher Ende
März dahingehe, »meiner Bestimmung folgen« sollte. Nach vier-
monatlichem Aufenthalte auf Java verliess ich diese Insel, welche
ich erst 3*/a Jahre später, und zwar im October 1880, wieder sehen
sollte.
Die ^^Residentie« (= Provinz) Surabaya ist stark bevölkert
(ungefähr 20,000 Seelen auf die QMeile), und obschon beinahe
alle Kassen des indischen Archipels in der Hauptstadt und ihrer
Umgebung vertreten sind, stammt die gross te Zahl von der Insel
Madura, welche seit vielen Jahrhunderten den ganzen Osten der
Insel Java mit ihren Bewohnern überschwemmt.
Die benachbarte Insel Bavean, welche administrativ zur »Re-
sidentie« Surabaya gehört, erfreute sich niemals eines solchen Ueber-
schusses an Menschen, dass eine Emigration nach dem Festlande (?)
= tanah Java stattfinden konnte; sie ist ja nur 3,6 QMeilen gross
und hat ungefähr 40,000 Seelen; ihre Hauptstadt Sangkapura mit
einem Assistent-Residenten und einem eingeborenen Häuptling bietet
nichts Sehenswerthes; desto grösser ist die Zahl der Naturschön-
heiten, und es ist mir unverständlich, dass beinahe niemals die Euro-
päer von Surabaya sich die Mühe nehmen, sie zu besichtigen; in
13 Stunden kann sie ja per Dampfschiff erreicht werden. Die Berge
Tinggi und Racija sind zwar nicht hoch (600 Meter), aber sie geben
ein herrliches Panorama über die ganze Insel. Ein Bergsee, unter-
irdische Gänge, ein Wasserfall (des Tapa-Flusses), eine üppige Flora,
das interessante Bild wahrer Seemänner, reich verzierte Wohnungen
der Eingeborenen u. s. w. belohnen in reichem Maasse den Touristen,
welcher in zwei Tagen diese kleine Insel durchforschen und be-
sichtigen kann.
Die Heimath der Maduresen, die Insel Madura, ist 81,i7e
fn Meilen gross und wurde im Jahre 1892 von 509 Europäern, 4338
Chinesen, 1595 Arabern, 139 Orientalen und 1,523,639 Eingeborenen
bewohnt; sie soll noch vor 700 Jahren mit der Insel Java ver-
bunden gewesen sein. In einem Kahn kann man in einer Stunde
von Surabaya aus diese Insel erreichen, und dennoch hatte ich nie-
mals die Gelegenheit, sie zu betreten. Da ich nur jene Provinzen
(Rensidenties) von Java ausführlich zu beschreiben beabsichtige^
Residentie Madnra und Surabaya. 56
welche ich aus Autopsie kenne, muss ich den wissbegierigen Jieser
diesbezüglich auf Veth's Java und andere Quellen verweisen ; da
ich aber im m. Bande von den »Barisans« von Madura sprechen
will, so muss ich jetzt schon mittheilen, dass dies Hülfstruppen der
indischen Armee sind, welche die Fürsten dieser Insel auf Ersuchen
der indischen Begierung in Zeit der Noth einberufen müssen ; sie sind
1319 Mann mit 34 (eingeborenen) Officieren stark, erhalten jedoch
Ton der indischen Regierung europäische Instructoren. Es sind
tüchtige Soldaten, welche zu wiederholten Malen vortreffliche Dienste
der indischen Begierung geleistet haben.
Minder zahlreich als die Maduresen sind in der Provinz Su-
rabaya die Malayen (vide Titelbild). Diese bewohnen die Küsten
aller Inseln, und ihre Sprache ist die allgemeine Verkehrssprache
geworden (Vide Band I, Seite 35). Im Ganzen hat diese Provinz
2,088,303 Einwohner J) bei einer Grösse von 104,463 Q Meilen;
darunter befanden sich 7546 Europäer, 18,451 Chinesen, 2853
Araber, 504 »andere Orientalen« und 2,058,949 Eingeborene.
Wie viel von letzteren Javanen stricte dictu sind, ist nicht bekannt.
Unter Javanen versteht man eben auf Java nur die Bewohner
des mittleren Java, welche sich streng abscheiden von jenen des
Westens, welche Sundanesen heissen, und den Maduresen, welche
den Osten Javas bewohnen. Der Unterschied in der Sprache, in der
Literatur (und theilweise in der Kleidung) ist so gross, dass, wie
wir später sehen werden, eine strenge Scheidung dieser vier Stämme
gerechtfertigt ist. Wie viel Javanen, Maduresen, und wie viel
Malayen in dieser Provinz leben, ist eben nicht bekannt; zu oben
erwähnten zwei Millionen Eingeborenen gehören auch noch die
zahlreichen Makassaren von Celebes und eine kleine Anzahl von
Bomeonesen, welche jedoch mit mehr oder weniger Becht zu den
Malayen gerechnet werden. Unter fremden Orientalen (»vreemde
oosterlingen«), deren in dieser Provinz 504 vorkommen, versteht
man in erster Eeihe die Handelsleute, welche von Vorder-Indien
nach Java kommen und sich dort ansiedeln; andere rechnen auch
die Armenier und alle Bewohner dazu, welche von den benach-
harten Inseln Sumatra, Borneo und Molukken abstammen.
Die Küste der Provinz Surabaya ist sumpfig und sandig im
östlichen Theil, während von Grisse aus gegen den Nordwesten der
>) Im Jahre 1893.
56' Hendeatie Suxabaya.
Küste der Boden trocken und sandig ist;^) an diese schliessen »ch
nach dem Süden ein Kalkhügelland und ein weites frachtbares
Gebirge an. Jodiumquellen, eine Guwa-Üpas, d. h. eine Stickstoff
enthaltende Höhle (auf dem Dersono), zwei eigMithümUche Moor-
hügel, aus welchen geruchlose Gase aufsteigen, Sandsteinhügel, aua
welchen Tortre£Biche Wasserfdtrirapparate gewonnen werden (bei
Orifls^), Salpetergmben, Höhlen mit essbaren Vogelnestern und
Petroleum (seit dem Jahre 1863 befinden sich fünf kleine Petroleum-
Unternehmungen in dieser Provinz), sind die wenigen erwähnens-
werthen Producte dieser Berge. Seit dem Jahre 1899 weht ein
liberaler G^ist in der Gesetzgebung des indischen Bergbaues; die
engherzige Auffassung von dem ausschliesslichen Rechte des Staates
auf alles, was unter der Oberfläche des Bodens yerborgen liegt, war
geradezu ein Hemmschuh für eine gedeihliche Entwicklung der
Bej^baU'Industrie; das neue Gesetz ^j befreit den Unternehmungs-
geist Ton den Fesseln, auch die Schätze des Bodens in Indien zu
heben, welche sehr wahrscheinlich auf allen Inseln des ganzen in-
dischen Archipels sich befinden und bis nun von dem Drachen des
gewinnsüchtigen und eifersüchtigen Fiscus streng verborgen gehal-
ten wurden.
Wie zahlreich sind im Gegensatz zu diesen wenigen Bergbau-
Unternehmungen, auf der Oberfläche dieser fruchtbaren Berge, die
Plantagen und Fabriken dieser Provinz, welche von der Regierung
jeglicher Hülfe und Stütze sich erfreuen! Ich war im Jahre 1897
in Modjokerto, der zweitgrössten Stadt dieser Provinz; 3) hier ist der
Sitz des »Vereins der Surabayischen Zuckerfabrikanten ^. Der Fluss
Brantas hat hier eine grössere Breite als der Rhein in seinem
Unterlauf, und dennoch ist zu IrrigationszM'ecken eine Schleuse ge-
baut (welche ein Kunstwerk des modernen Wasserbaues genannt
werden muss), um nach Bedürfniss einen beliebig grossen Theil oder
selbst beinahe 3/4 der ganzen Wassermasse in die seitlichen Canäle
') Im Westen ist die Küste gebirgig ; an diesen Tlieil schliesst sich die Bbene
▼on Grisse ; im Süden derselben folgen die Gebirgszüge von Lamongan, Kendeng und
Modjokasri; die grosse Ebene von Djombang geht im Süden in einen mächtigen
Gebirgs stock über, welcher sich mit zahlreichen Bergriesen über die östliche
Grenze bis tief in die Provinz Passuruan erstreckt.
*) Gesetz (Wet) vom 23. Mai 1899 (Staatsblad No. 124).
^) In den acht Districten dieser Provinz sind nur die Städte Surabaya,
Griss^, Modjokerto, Djombang und Sidoardjo von Bedeutung.
Residentie Surabaya. 57
abzuleiten, ohne dass die Schifffahrt auf dem Flusse selbst nur einen
Augenblick gestört würde. In diesem Bezirke findet man die
Ruinen der alten, einstens so mächtigen Stadt Modjopahit, aus deren
Ruinen viele Zuckerfabriken der Umgebung gebaut sind. Sieben
Zuckerplantagen mit G-ouvemements-Gontract findet man in diesem
Districte, zwei in dem Districte Djombang, elf in dem Districte
Sidoardjo; sieben »Erbpachtländer « giebt es im Districte Mo^jokerto,
in welchen Kaffee (in einem China« und im neunten Liberia-Kaffee)
producirt wird; nebstdem giebt es zahlreiche Plantagen, welche mit
fireiwilligen Contracten der Eingeborenen arbeiten; deren giebt -es
im Districte Modjokerto fünf, Yon denen die eine in Ngembeh nur
Tabak pflanzt; in dem Districte Djombang bestehen acht und in dem
Districte Sidoardjo vier Plantagen. Auch hat diese Provinz noch
32 Privatgüter, welche Reis, Zucker, Indigo, Kaffee und Tabak pro-
dudren.
Die Provinz Surabaya ist eine blühende, reiche Provinz, und
ihre gleichnamige Hauptstadt ist die grösste Handelsstadt des In-
guschen Archipels und erfreut sich einer reichen Industrie.
4. Capitel.
Reise nach Bantam — Malayischer Kutscher — Max Hayelaar
— Fieberepidemfe in der Prorinz Bantam — Krankenwirter
mit einem Taggeld von 30 fl. (!) — Eine Stute als Reitpferd
— Der ESnigstiger — Jaranische Pferde — Elend wShrend
einer Fieberepidemie — Auf dem Kreuzwege — Heiden auf
Jaya — Begegnung mit einem KOnigstiger — Behandlung der
Fussgeschwflre durch die Eingeborenen — Drohende Hungers-
noth in Bantam — Aussterben der Bfilfel — Dreimal in
Lebensgefahr — Ein ungefihrlicher Spaziergang im Regen.
Tm October 1880 betrat ich zum zweiten Male den Boden Javas.
^ Aus der Einsiedelei im jungfräulichen Bomeo kam ich bei-
nahe unvermittelt ins volle Leben einer G-rossstadt, und zwar zunächst
für zwei Tage nach Surabaya; dann musste ich mich mit einem Local-
dampfer der indischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft längs der Nord-»
küste via Samarang nach Batavia begeben, wohin ich transferirt wor-
den war. Schon im März desselben Jahres sollte ich den »Gar-
nisonsdienst« in Weltevreden, jener Vorstadt Batavias äbemehmen,
welche der Sitz der Behörden und der eigentliche Wohnort der
Europäer ist. Dr. G. aber, welcher angewiesen wurde, mich in
Buntok abzulösen, weigerte sich, dahin zu gehen, und nahm lieber
den Abschied aus dem Militärdienste, als Jahre lang auf Bomeo
leben zu müssen, :»hinter welchem überhaupt kein Land mehr sei«,
und welches ausser dem Beiz eines jungfräulichen Bodens gar nichts
biete, was des Menschen — Herz erfreue. Durch diese Verzöge-
nmg musste ich nicht nur ein halbes Jahr länger auf dieser Insel
bleiben, sondern fand auch bei meiner Ankunft in Batavia den Gar-
nisonsdienst von einem anderen Collegen besetzt, während ich dem
grossen Militär-Spital vorläufig zugetheilt wurde, um in kürzester Zeit
Reise nach Bantam. 59
wieder die Stätten der europäischen Givilisation verlassen zu müssen
und lange fünf Monate im Süden Javas im Dienste des Civil-De-
partements der Bevölkerung von Labak in ihrer Noth und ihrem
Elend Hülfe zu bringen.
Ich werde noch Gelegenheit haben, über Weltevreden und Sa-
marang einiges mitzutheilen, imd ich eile, obzwar die chronologische
Reihe der Ereignisse unterbrochen werden muss, zu jenem Theil meiner
ärztlichen Praxis auf Java, welche mich mitten in das Reich der
Tiger, aber auch mitten in das Leben der sundanesischen Bauern
brachte, die durch Malaria, Hungersnoth, Viehpest und Missernte auszu-
sterben drohten, wenn nicht die Regierung in energischer Weise und
mit fürstlicher Freigebigkeit dem Elend ein Ende gemacht hätte.
Am 11. December 1880 wurde ich von der indischen Regierung in
den Dienst der Civilbehörden der Provinz i) Bantam gestellt.
• Einige Tage später zog ich dahin, und zwar in einem kleinen
zweiräderigeu javanischen Wagen, welcher mit drei kleinen javani-
schen Pferden bespannt war. Bequem sass ich in diesem Vehikel
nicht; es war ein Wagen, der vielleicht in seiner Länge und Breite
kaum einen Meter mass, so dass ich mich vorsichtig im Hinter-
grunde des Wagens an die schmale Lehne drücken musste, um mit
meinen Knieen nicht gegen den Sitzplatz des Kutschers reiben za
müssen; nebstdem war es so wenig tief, dass die Kniee ungefähr
die Höhe der Brust erreichten; aber wie der Sturmwind flogen wir
über den ebenen Weg, der zunächst nach Tangerang führt, wo ein
Franzose noch heute jährlich tausend und tausend Strohhüte flechten
und nach Frankreich ausführen lässt.
Der Weg ist der westliche Theil jener grossen Heerstrasse,
welche im Anfange dieses Jahrhunderts unter der autokraten Re-
gierung des Gouverneur-Generals Daendel über ganz Java in Ro-^
bottarbeit gebaut wurde.
An der Grenze der beiden Provinzen Batavia und Bantam lagen
die beiden Reisunternehmungen Tjikandi-udig und Tjikandi-ilir; die
eine gehört einem Amerikaner, während der Eigenthümer von Tji««.
kandi-ilir ein pensionirter Hauptmann und mit einer deutschen Dame
verheiratet war. Nur so lange das Umwechseln der Pferde mich
>) Java wird nämlich in 22 Residenties = Provinzen eingetheilt, welche, von
Westen nach Osten gezählt, folgende Namen führen : Bantam, Batavia, Krawang,
Cheribon, Preanger, Banjimias, Tegal, Pekalongan, Samarang, Japara, Kedu,
Bagelen, Sorakarta, Ejokjakarta, Bembang, Madiun, Kediri, Surabaya, Madura
(Inflel), Pasuruan, Probolingo und Besoki.
80 Malajijflßher Kutscher.
aafhielt, weilte ich b^ diesem Landheirn, um dann meine Beise
Aach Serang^i) der Hauptstadt der Provinz Bantam^ fortzusetzen, ffier
«Bgekommen, stellte ich mich zunächst dem Besidenten, d. h. d^n
Statthalter der Provinz vor, um seine Befehle über meine Tbätig-
keit zu yerDeluaen. Er war ein liebenswürdiger alter Herr, und es
flohmeichelte nicht wenig meiner Eitelkeit, als schon den andern Tag
mir der Resident einen officiellen Qegenbesuch machte. Ich wohnte
im Hotel, und der Resident kam in seiner Equipage bei mir Tor-
gefahren, während der Bediente mit dem Pajong stolz als der Banner-
träger des höchsten Mannes der Provinz neben dem Kutscher sass.
Der Kutscher war geradezu eine Caricatur eines Menschen zu nennen
und glich nicht wenig den Affen, welche bei Circusvorstellungen die
Heiterkeit der Zuschauer erregen. Er war blossfüssig, hatte über
seine kurze Hose den Toro an, den wir am besten mit einem weiten
bunten Hemd vergleichen, und auf dem Kopfe waren die langen
Haare in ein buntes Kopftuch gewickelt, auf welchem ein glänzen-
der Cylinder schief nach hinten aufsteigend die Oaricatur vollendete.
Die Affenähnlichkeit fiel darum auf, weil sie, der Kutscher und
der Bediente, der Wichtigkeit ihrer Stellung bewusst, immer einen
unverwüstlichen Ernst in ihren Zügen zeigen und niemals ein Läch^
•der eine andere Gemüthsbewegung durch ihre Züge verrathen lassen.
Auch der Bediente war blossfüssig, er hatte aber eine lange Hose
und einen Frack mit kurzen Schössen und ein Kopftuch an. Die
Kleider waren dunkelblau mit hochgelben Streifen — er gehörte näm-
lich der Polizei au — weswegen diese Leute Kanarienvögel genannt
werden. Der Pajong war ein gewöhnlich grosser chinesischer Sonnen-
schirm von goldgelber Farbe; wie wir später sehen werden, ist mit
dem Range eines jeden europäischen oder eingeborenen Beamten
der Gebrauch eines Pajong von bestimmter Farbe verbunden. Mit
grosser Behendigkeit sprang der Bediente vom Bock des Wagens
und geleitete den Residenten mit dem geöffneten Pajong bis an den
Eingang der Veranda, worauf er ihn schloss und sich auf den Boden
mit gekreuzten Füssen niedersetzte. Nur eine Viertelstunde blieb
der Resident bei mir, um dann die anderen Visiten fortzusetzen. Am
andern Morgen kam Dr. J. an, welcher als Inspector von dem »burger-
lyk geneeskundige Dienst« beauftragt war, die Oberleitung des
aussergewöhnlichen ärztlichen Dienstes zu übernehmen und uns drei
') Serang ist eine kleine Stadt, sie hatte im Jahre 1892 nur 5700 Ein-
wohner (mit 179 Europäern and 446 Chinesen u. s. w.).
^Max Havelaar''. 6t
jungen Aerzten die Standplätze u. s. w. anzuweisen. In Serang selbst
befand sich nämlich auch ein Landes-Samtätsebef in der Person des
Regimentsarztes X., welcher nicht nur für die dortigen 100 Mann,
sondern auch für die Ciyübevölkerung den ärztlichen Dienst mit
Hülfe seines Oberarztes, Vieharztes und einigen Doctor-djavas Ter*
sehen sollte. Da diesem Regimentsarzte die Oabe der Initiatire
durchaus fehlte, sah sich die Regierung genöthigt, einen anderen
Arzt mit der Leitung des civilärztlichen Dienstes zu betrauen und
wählte dazu den genannten erfahrenen Civilarzt, der mit Hülfe dreier
junger Aerzte die schwer heimgesuchte Bevölkerung von Bantam vor
dem gewissen Aussterben zu retten suchen sollte.
Mir wurde der Bezirk Lebak angewiesen. Das Wort Lebak
wird wohl niemals ausgesprochen werden, ohne dabei an den grossen
Dichter Douwes Dekker zu denken, welcher in Lebak den Grund
zu seinem späteren Ruhme gelegt hat. Da dieser Dichter und sein
Hauptveerk :»Max Havelaar« in Deutschland viel zu wenig bekannt
sind und beinahe gar nicht gewürdigt werden, obwohl bei dem Er-
scheinen dieses Tendenzromanes »ein Beben« durch ganz Holland
ging, so glaube ich einige Worte über ihn verlieren zu müssen.
Wie »Onkel Toms Hütte« nicht nur das ganze Elend des ameri-
kanischen Sclavenlebens dem verblüfften Europa enthüllte, sondern
auch eine gründliche Reform dieses Krebsschadens veranlasste, so
zeigte Douwes Dekker in seinem »Max Havelaar« die ganze Hin-
fälligkeit der holländischen Colonialpolitik bis zum Jahre 1860,
welche in der Weisheit des alten Principes: »divide etimpera« und
>Wer nicht stark ist, muss gescheit (»slim«) sein«^) gipfelte, und
brach ihre Fesseln in so radicaler Weise, dass Java heute eine
blühende und glückliche Oolonie geworden ist. Die Reformen,
welche dieser Dichter für das schöne )>Lisulinde« forderte, deutete
er in seiner Ansprache an die Häuptlinge seines Districtes an, und
da diese Rede ein Meisterstück der holländischen Literatur ist, so
will ich sie hier wörtlich übersetzt mittheilen:
»Herr Rhaden Adhipatti, Regent von Bantam Kidul und Da,
Rhaden Dhemang, die Ihr die Häupter seid der Districte in diesem
Bezirke, und Du, Rhaden Djaksa, der Du das Recht zu Deinem
Amte hast, und auch Du, Rhaden Kliwon, der Du den Befehl führst
über die Hauptstadt, und Ihr, Rhaden Mantries, und Ihr Alle, welche
Ihr Häuptlinge seid im Bezirke Bantam Kidul, seid gegrüsst.
^) Holländisches Sprichwort.
62 »Max Ha^elaar"".
Ich sage Euch, dass mein Herz von Freude erfüllt ist, da ich
Sndi Ider verdaminelt sehe, lauschend nach den Worten meines Mundes.
Ich weiss,, daas es unter Euch viele giebt, welche durch grosses
Wissen und Herzensgute hervorragen; ich hoffe, dass ich mein Wissen
durch das Eure vermehren werde; denn mein Wissen ist nicht so
gross, als ich es zu besitzen wünschte. Ich schätze die Herzens-
gute; aber oft fühle ich es, dass in meinem Herzen Fehler sind^
welche die Bravheit überwuchern und ihr Wachsthum hemmen . . .
Ihr alle wisst ja, wie der grosse Baum den kleinen verdrängt und
tödtet. Darum werde ich Jenen unter Euch folgen, welche in Tugend
hervorragen, um besser zu werden als ich bin.
Ich grüsse Euch!
Als der Gouverneur-General mir befahl, zu Euch zu gehen,
am Assistent - Resident dieser Bezirke zu sein, war mein Herz
erfreut. Es kann Euch bekannt sein, dass ich niemals vorher
Bantam Kidul betreten habe. Ich liess mir also Schriften geben,
welche über Euren Bezirk schrieben, und ich habe gesehen, dass
viel Gutes in Bantam Eadul gefunden wird. Euer Volk besitzt
Reisfelder in den Thälem, und es stehen Reisfelder auf den Bergen ;
Ihr wünscht friedfertig zu leben, und Ihr habt kein Verlangen nach
Ländern, welche von Andern bewohnt werden. Ja, ich weiss, dass
viel Gutes in Bantam Kidul gefunden wird.
Aber nicht darum allein war mein Herz erfreut; denn auch in
anderen Theilen des Landes würde ich viel Gutes gefunden haben.
Aber ich sah, dass Eure Bevölkerung arm ist, und darüber
war ich erfreut in der Tiefe meines Herzens.
Denn ich weiss, dass Allah den Armen liebt, und dass er Reich-
Ihum dem giebt, den er versuchen will. Aber zu den Armen sendet
er, der sein Wort spricht, auf dass sie sich in ihrem Elend erheben.
Giebt er nicht den Regen, wo der Halm verdorrt, und einen
Thautropfen in den Blumenkelch, der Durst hat?
und ist es nicht schön, gesendet zu werden, um die Müden zu
suchen, welche nach der Arbeit zurückblieben und niederfallen
auf dem Wege, weil ihre Kniee zu schwach waren, um nach dem
Orte des Lohnes zu* ziehen? Sollte ich nicht erfreut sein, die
Hand reichen zu können dem, der in die Grube gefallen, und einen
Stab zu geben dem, der den Berg besteigt! Sollte nicht mein Herz
sich freuen, dass es auserkoren unter vielen ist, um aus Klagen ein
Gebet, und Dank aus Jammer zu machen!
„Max Havelaar^. QQ
Jsiy ich bin sehr erfireut, berufen zu sein nach Bantam Kidul!
Ich habe zu der Frau gesagt, welche meine Sorgen theilt und
mein G-Iück vergrössert: freue dich, denn ich sehe, dass Allah Segen
auf das Haupt unseres Kindes giebt. Er hat mich hierher gesendet,
wo nicht alle Arbeit beendigt ist, und er hielt mich würdig hier zu
sein Yor der Zeit der Ernte. Denn es ist keine Freude, Padie
(Beishalm) zu schneiden; aber Freude schafft es, Beis zu schneiden,
den man gepflanzt hat; und die Seele des Menschen wächst nicht
mit dem Lohne, sondern mit dem Lohne, den die Arbeit erworben.
Und ich sagte zu ihr: Allah hat uns einen Sohn gegeben, der
einstens sagen wird: »Wisset, dass ich sein Sohn bin,« und dann
werden Menschen sein, die ihn mit Liebe grüssen, die Hand auf
sein Haupt legen und sagen werden: »Setze dich an unseren Tisch,
bewohne unser Haus, nimm von allem, was wir haben, denn wir
haben deinen Vater gekannt!«
Häupter von Lebak! Viel ist zu thun in Eurem Lande! Sagt
mir, ist der Bauer nicht arm? Beift Euer Reis nicht oft für Jenen,
der ihn nicht gepflanzt hat? Sind nicht viele Ungerechtigkeiten in
Eurem Lande? Ist nicht die Zahl Eurer Kinder klein?
Ist nicht Scham in Eurer Seele, wenn die Bewohner von Ban-
dong, das hier im Osten Eures Landes liegt, zu Euch kommen und
fragen: Wo sind die Dörfer und wo sind Eure Landesleute? Und
warum hören wir die Gamelang nicht, die mit kupfernem Munde
Freude verkündet, und warum hören wir nicht Eure Töchter den
Heis stampfen?
Thut es nicht wehe, von hier zur Südküste zu reisen und Berge
zu sehen, welche kein Wasser tragen auf ihren Flanken, oder Flächen
zu sehen, wo nie ein Büffel den Pflug zog?
Ja, ja, ich sage Euch, dass Eure und meine Seele darüber tief
betrübt sind, und darum seien wir Allah dankbar, dass er uns die
Macht gab, um hier zu wirken und zu schaffen.
Denn wir haben hier Acker für Viele, und nur Wenige leben
hier, and nicht der Regen ist's, der hier mangelt, denn die Gipfel
der Berge saugen die Wolken des Himmels zur Erde, und nicht
überall sind es Felsen, welche den Wurzeln keinen Raum gönnen,
denn auf vielen Stellen ist der Grund weich und fruchtbar und mflb
nach dem Saatkorn, das er uns im gebogenen Halm zurückgeben
will. Es ist kein Krieg, der den Reis zertritt, wenn er noch grün
ist, und es ist keine Pest, welche die Schaufel ruhen lässt. Auch
64 »S^«^ Hsvelaar".
giebt es keine Sonnenstrahlen^ welche heisser sind als es nöthig
ist, das Kam reifen zu lassen, welches £uch und Eure Kinder nähren
rnnss, und es ist keine Wassersnoth, welche Euch jammern lässt:
Zeig mir das Feld, wo ich gesäet habe.
Wo Allah Wasserströme sendet, welche die Felder mitnehmen,
— wo er den Ghnnd hart* wie dürren Stein macht, — wo er die
Sonne glühen lässt zum Verderben ... wo er Krieg sendet, der
das Feld zerstört ... wo er mit Seuchen schlägt, welche die Hände
erschlaffen lassen, oder mit Dürre, welche die Aehren tödtet . . .
da, Häuptlinge von Lebak, beugen wir in Demuth unser Haupt und
sagen: Sein Wille geschehe.
Nicht so ist es in Bantam Kidul!
Ich wurde hierher gesendet, um Euer Freund zu sein, um Euer
aller Bruder zu sein. Würdet Ihr Euren jungen Bruder nicht warnen,
wenn Ihr auf seinen Wegen einen Tiger sehen würdet?
Häupter Von Lebak, wir haben oft gefehlt, und unser Land ist
am, weil wir so viel gesündigt.
Denn in Tjikandi, in Bolang, in Krawang und in Batavia sind
Viele, die, geboren in unserem Lande, unser Land verlassen haben.
Warum suchen sie Arbeit fem von der Stätte, wo sie ihre Eltern
bomben? Warum fliehen sie das Dorf, wo sie die Beschneidung
erhielten? Warum lieben sie mehr die Kühle des Baumes, der dort
wächst, als den Schatten unserer Haine?
Und dort im Nordwesten der See sind Viele, welche unsere
Kinder sein müssten, die jedoch Lebak verlassen haben, um zu
schwärmen in fremden Ländern mit Messer, Dolch und Schiessgewehr.
Ich frage Euch, Häuptlinge von Bantam Kidul, warum sind so
Viele weggegangen, um nicht begraben zu werden dort, wo sie ge-
boren wurden? Warum fragt der Baum, wo der Mann sei, den er
als Kind zu seinen Füssen spielen sah?«
Hier machte der Assistent-Resident eine Pause und rief seinen
kleinen Sohn Max zu sich, welcher um die Pendoppo ^ herum lief
und auf diesen Augenblick wartete, unter den Häuptlingen sich be-
wegen zu dürfen.
Wuchtige Keulensehläge waren diese Worte ihres neuen Chefs
auf das Haupt aller anwesenden Beamten; besonders Shaden Wiro
Kusumo, welcher der Schwiegersohn des Begenten war, schauderte
zusammen, als er in den Worten des Assistent-Residenten die Be-
1) = Offene Säulenhalle.
„Max Havelaar". g5
weise* sah^ dass der neuemannte Bezirkshauptmann alles bis in die
kleinsten Details kannte; das er seinen Untergebenen gegenüber ver-
schuldet hatte. Glücklicherweise brachte der kleine Max in diesem
Moment der Verlegenheit eine angenehme Störung. Der Djaksa
(Richter) fasste den Kopf des kleinen Max und zeigte seinem Nach-
bar den zweifachen Haarwirbel auf dem Scheitel, der, wie er später
Havelaar mittheilte, die Bestimmung haben soUte, eine Königskrone
zu tragen. Max Havelaar jedoch liess sein Söhnlein hinausführen
und sprach weiter:
2> Häuptlinge von Lebak! Wir stehen alle im Dienste des Königs
von Holland. Er aber, der gerecht ist und will, dass wir unsere
Pflicht thun, ist weit von hier. Dreissig mal Tausend mal Tausend,
ja, noch viel mehr Menschen müssen seinen Befehlen gehorchen; er
aber kann nicht bei Jedem sein, der ihm ünterthan ist.
Der grosse Herr (Tuwan Besar) in Buitenzorg ist gerecht und
will, dass jeder seine Pflicht thue. So mächtig dieser auch ist,
weil er herrscht über Alle, welche in den Städten und Dörfern Amt
und Würde haben, und weil er gebietet über die Macht des Heeres
und der Flotte, so wenig kann er sehen, wo Unrecht geübt wird;
denn das Unrecht fliehet ihn.
Aber auch der Resident zu Serang, welcher Herr der Provinz
Bantam ist, wo fünfmalhunderttausend Menschen wohnen, will, dass
in seinem Reiche Recht geschehe, und dass Gerechtigkeit herrsche
in dem Lande, das ihm gehorcht. Doch wo Unrecht ist, da wohnt
er weit entfernt, und wer Böses thut, verbirgt sich vor seinem Ant-
litz, weil er Strafe fürchtet.
Und der Herr Adhipatti, welcher Regent von Süd-Bantom ist,
will, dass jeder lebe, der das Gute übt, und dass keine Schande
komme über das Land, das seine Regentschaft ist.
Und ich, der ich gestern Gott den Allmächtigen zum Zeugen
anrief, dass ich gerecht und gut sein werde, dass ich Recht ohne
Furcht imd ohne Hass üben werde, dass ich ein »guter Assistent-
Resident« sein werde . . . auch ich wünsche zu thun, was meine
Pflicht ist.
Häupter von Lebak! Dies wünschen ja wir alle!
Sollten jedoch unter uns Einige sein, welche ihre Pflicht ver-
gessen aus Gewinnsucht, welche das Recht für Geld verkaufen oder
dem Armen den Büffel oder die Früchte dem Hungrigen rauben . . .
wer wird sie bestrafen?
Bre it«nttein, 21 Jahre in Indien n. ^
86 „Max Havelaar^.
Falls einer von Euch dies wüsste, er würde es yerhindern; der
Regent würde ja nicht dulden, da>8s solches in seiner Regentschaft
geschehe, und auch ich werde es yerhindern; aber — wenn weder
Ihr, noch der Adhipatti, noch ich davon etwas wissen ...
Häupter von Lebak! Wer wird dann in Bantam Kidul Recht
sprechen? !
Höret, ich will es Euch sagen, wie dann Gerechtigkeit geübt
werden wird. Kommen wird der Tag, dass unsere Frauen und
Kinder an unseren Särgen weinen werden, und dass, die da vorbei-*
gehen, sagen werden: Ein Mensch ist gestorben; und der da in die
Dörfer gehen wird, bringt Nachricht von dem Tode, und sein ^irth
fragt dann: Wer war der Mann, der gestorben ist? Und man
wird sagen:
Er war gut und gerecht; er sprach Recht und verstiess den
Kläger nicht von seiner Thür! Er hörte Jeden geduldig an, der
zu ihm kam, und gab ihm zurück, was ihm entnommen war; und wer
den Pflug nicht ziehen konnte durch die Erde, weil der Büffel aus
dem Stall gestohlen war, dem half er den Büffel suchen; und wo
die Tochter aus dem Hause der Mutter geraubt war, suchte er den
Dieb und brachte die Tochter zurück; und wo man gearbeitet hatte,
hielt er den Lohn nicht zurück; und er raubte die Früchte nicht
dem, der sie gepflanzt hatte; er kleidete sich nicht mit dem Rocke,
der Andere decken musste, und nährte sich nicht mit der Speise
des Armen.
Dann wird man sagen: Allah ist gross, Allah hat ihn zu sich
genommen. Sein Wille geschehe: Ein guter Mensch ist gestorben.
Uttd wiederum geht ein Wanderer zu Einem in 's Haus und
firagt: Was ist das, dass die G-amelang schweigt und der Gresang
der Mädchen? Und wiederum wird man sagen: Ein Manu ist ge- •
sterben.
Und der da wandert in den Dörfern, sitzt bei seinem Gast^
herm, und um sie her die Söhne und Töchter des Hauses, und er
wird sprechen:
Es starb ein Mann, der versprach gerecht zu sein, und er ver-
kaufte das Recht an Jeden, der ihm Geld gab. Er düngte seinen
Acker mit dem Schweisse der Arbeiter, die er abgerufen hat von
dem Acker der Arbeit. Er verweigerte dem Arbeiter seinen Lohn
und nährte sich mit der Speise der Armen. Er ist reich gewordeh
durch die Armuth der Anderen. Er hatte Gk)ld, Silber und Edel-
„Max Havelaar". Q^
^Steine in Menge, doch der Bauer, welcher in seiner Nachbarschaft
wohnte, konnte den Hunger seines Kindes nicht stillen. Er lächelte
wie der Glückliche, aber man hörte das Knirschen der Zähne von
dem Kläger, der sein Recht suchte. In seinem Gesicht strahlte die
Zufriedenheit, aber leer war die Brust der Mutter, welche säugte.
Dann werden die Bewohner der Dörfer rufen: Allah ist gross;
wir fluchen Niemandem!
Häupter Ton Lebak! Einmal sterben wir Alle!
Was wird in den Dörfern gesprochen werden, wo wir herrschten?
Und was von den Wanderern, welche unser Begräbniss sehen werden?
Was werden wir antworten, wenn nach unserem Tode die Stimme
zu unserer Seele spricht und fragt: Warum ist Ellagen und Weinen
auf den Feldern, und warum verbergen sich die jungen Männer?
Wer nahm die Ernte aus den Scheuern und wer aus den Ställen
die Büfifel, welche pflügen sollten? Was hast Du gethan mit dem
Bruder, den ich Dir anvertraute? Warum ist der Arme traurig,
und warum flucht er der Fruchtbarkeit seiner Frau?«
Hier machte Havelaar eiue kleine Pause und schloss folgender-
maassen :
>Ich wünschte sehr mit Euch in gutem Einverständniss zu
leben, und darum bitte ich Euch, in mir Euern Freund zu sehen.
Wer gefehlt hat, kann auf ein leichtes Urtheil meinerseits rechnen,
denn, da auch ich so manchmal fehle, so werde ich nicht streng
sein, wenigstens nicht in den gewöhnHchen Fehlem und Nach-
lässigkeiten im Dienste. Nur wo Nachlässigkeit zur zweiten Natur
wird, dort werde ich entgegentreten. Ueber Fehler grober Art, wie
Unterdrücken und Aussaugen der Menschen — spreche ich nicht.
So was wird nicht vorkommen; nicht wahr, mein Herr Adhipatti?«
»O nein, mein Herr Assistent-Resident, so was wird in Lebak
nicht vorkommen.«
»Nun, meine Herren Häupter von Bantam Kidul, lasst uns
erfreut sein, dass unser Bezirk so vernachlässigt und so arm ist.
Wir haben ein schönes Ziel. Wenn Allah uns am Leben erhält,
' werden wir sorgen, dass Wohlfahrt in's Land komme. Der Boden
ist fruchtbar und die Bevölkerung ist gehorsam. Wenn ein Jeder
in dem Genuss der Frucht seiner Arbeit gelassen wird, besteht kein
Zweifel, dass in kurzer Zeit die Bevölkerung zunehmen wird, so-
wohl an Seelenzahl, als an Besitz und Bildung; denn diese gehen
meistens Hand in Hand. Ich bitte Euch nochmals, in mir einen
5*
68 Fieberepidemie in der Provinz Bantam.
Freund zu sehen, der Euch helfen wird, wo er kann, besonders wo'
unrecht bekämpft werden muss. Mit diesem empfehle ich auch
mich Eurer Mithülfe.
Die erhaltenen Rapporte über Landbau, Viehzucht, Polizei und
Aechtspfiege werde ich mit meinen Anmerkungen versehen ehestens
zunickschicken.
Häupter von Lebak. Ich habe gesprochen. Ihr könnt zu-
rückkehren, ein Jeder nach seiner Wohnung. Seid nochmals gegrüsst.«-
Diese Rede, welche Douwes DekkerO im Januar 1856 in
Rankas Betong in der Versammlung der EUiuptlinge Lebaks hielt,
war einerseits der Anfang seines physischen und seelischen Iieidens,
andererseits der Trompetenstoss, welcher Holland aus seiner Lethargie
riss und den Javanen — Menschenrechte gab, gerade wie das Buch
»Onkel Toms Hütte <: die Kette der amerikanischen Sklaven ge->
brechen hat.
Aber auch im Jahre 1881 war das Elend gross in Bantam,
und wieder war es die Schuld der höchsten Beamten, dass das Elend
eine so grosse Ausbreitung genommen hat. Wie vor 25 Jahren der
Resident von Bantam dem Streben des Assistent-Residenten Douwes
Dekker, den Erpressungen und Räubereien der Häuptlinge von
Lebak ein Ende zu machen, keine Stütze verleihen wollte und konnte,
weil er selbst (der Resident) bis auf das Eingreifen dieses neuen
Assistent-Residenten die Regierung über diese traurigen Zustände
in Unwissenheit liess, so hat im Jahre 1881 der Resident X.
geschwiegen, als schon hunderte imd tausende von Menschen der
Malaria zum Opfer gefallen, und tausende von Büffeln der Viehpest
erlegen waren. Erst als Dr. A eine Inspectionsreise nach Lebak
unternahm und einen ausführlichen Rapport darüber an die Regie-
rung einreichte, erst dann erfuhr die Regierung das Elend, welches
in Bantam herrschte, und die Gefahren, welche der Provinz Bantam
drohten. Rasche und energische Hülfe that Noth. Zur Ehre der
') Eduard Douwes Dckkcr, geb. am 2. März 1820 in Amsterdam, schrieb
mit dem Pseudonym Multatuli oben erwähnten Tendenzroman Max Havelaar,
Minnebrieven, indrukken van den dag, Ideen, Over vryen arbeid, Duizend cd
eenige hoofdstukken over speciaÜ teilen, Millionenstudien und ein Drama —
Vorstenschool — , das noch heute zu den beliebtesten Stücken des Repertoire
gehört. Er starb am 19. Februar 1887.
Krankenwärter mit einem Taggeld von 20 fl. (!)' 69
indischen Regierung muss ich jedoch mittheUen, düss »der grosse
Moment ein grosses Geschlecht fand«. Ja, noch mehr; die Begie-
mng that des Guten zu viel. Sie schickte nicht nur vier Aerzte
dahin, sondern miethete eine Reihe von Krankenwärtern mit einem
Gehalt von 20 fl. per Tag!!! Diese sollten die Anweisungen der
Aerzte ausführen, sowohl was die Behandlung der TJuglücklichen als
auch die Verpflegung derselben betraf; für die vom Hungertyphus
heimgesuchten Bewohner Bantams wurden auf mein Ersuchen Eier,
Büchsen mit condensirter Milch, Dendeng (getrocknetes Fleisch) und
lebendes Schlachtvieh mir gesendet, welches die Krankenwärter zu-
gleich mit den hunderttausenden Ghininpillen yertheilen sollten.
Mir wurde also, wie erwähnt, der Süden der Provinz angewie«
sen, mit Hülfe von vier Krankenwärtern von Kampong zu Kampong
zu ziehen, die Zahl der Kranken aufzunehmen, die Art der Erkran-
kung zu diagnosticiren imd bei jedem Patienten die Behandlungs*
weise dem Krankenwärter mitzutheilen, welche ohne Zwang, jedoch
mit Ueberredung für das Einnehmen der Medicamente soigen imd
dort, wo Mangel an Speise und Trank es forderte, die erhaltenen
Lebensmittel vertheilen sollten.
Serang ist eine Provinzialhauptstadt von untergeordneter Be-
deutung. Von den Gebäuden mögen höchstens die Häuser des Re-
sidenten und des Regenten durch ihre Grösse die Aufmerksamkeit
der Touristen erregen, während Bantam-lama (das alte Bantam), die
alte Sultanstadt, seit 1808 verlassen, grosse und schöne Denkmäler der
alten Baukunst und der alten Grösse dieses Reiches aufzuweisen hat
Besonders die (renovirte) Sultansmoschee mit den Gräbern der Ban-
tamschen Sultane und das Mausoleum des Pangeran Hassa-Udin
verdienen die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher. Sie liegt
an dem Meerbusen von Bantam und kann daher bequem zur See
mit einem Dampfer der indischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft er*
reicht werden. Uebrigens ist die alte Sultanstadt mit Serang durch
einen guten Landweg verbunden und mit einem gewöhnlichen Reise-
wagen leicht in ein paar Stunden zu erreichen.
Leider musste ich so bald als möglich meiner Bestimmung fol-
gen, so dass ich nicht in der Lage war, die Ruinen des mächtigen
Reiches Bantam besichtigen zu können.
Ich konnte zwar bequem bis in die Nähe meines neuen Stand-
70 Bine Stute als Reitpferd.
platzes (TjUeles) und selbst bis an die Südküste mit einem Dos-k-doei^
gelangen, aber der Besuch der umliegenden Dörfer konnte nur
zu Pferde geschehen; ich ergriff daher mit Vergnügen das Aner-
bieten des Thierarztes zu Serang, eines seiner unbenutzten Pferde
zu kaufen. Vor meiner Reise nach Indien hatte ich ja in dem
Haag 21 Beitlectiouen genommen^ und hoffte daher, Ton. meiner
erworbenen Reitkunst in jeder Hinsicht Gebrauch machen zu können.
Bei den Unterhaudlungen um den Preis desselben glaubte ich ein
spöttisches Lächeln um die Lippen meines Bedienten schweben
zu sehen; ich interpellirte ihn darüber auch, aber mit der grössten
Buhe antwortete er mir: »Tidah, Tuwan lupa = nein, mein Herr
täuscht sich.« Auch späterhin glaubte ich dieses spöttische Lächeln
im Gesicht des Eingeborenen zu sehen und schrieb es einer Unbe-
holfenheit meinerseits zu. Auf unangenehme Weise soUte ich je-
doch die Ursache dieses Lächelns erfahren. Hoch (?) zu Boss ritt
ich eines Tages von Tjileles nach Gunung Kentjana, als eine Truppe
unbewachter Pferde mir nicht nur folgte, sondern auch den Bücken
meines Pferdes attaquirte; meine Peitsche schaffte mir auch eine
Zeit lang Buhe, bis ich endlich vom Pferde stieg und einem yor-
übergehenden Bauer darüber Vorwürfe machte, dass seine Pferde
ohne Aufsicht herumliefen und andere Menschen belästigten.
»Ingi Dero!« antwortete dieser = »ja, Euer Wohlgeboren, aber
Niemand reitet auf einem Weibchen!« Dies ist thatsächlich in In-
dien der Fall, auch in der ganzen Armee werden nur Hengste zum
Beiten gebraucht, während die Weibchen nur vor den Wagen ge-
spannt werden.
Während mein Pferd mit meinem Bedienten später folgen sollte,,
miethete ich ein Dos-ä-dos und fuhr zunächst nach Pandaglang,.
das am Fusse des Vulcans Karang liegt und dann immer (schon von
Serang aus) in der Bichtung gegen die Südküste nach Bangkas
Betong, der Hauptstadt des Bezirkes Lebak. Der Assistent-Be-
sident und der Begent waren in jeder Hinsicht tüchtige Beamte und
liebenswürdige Menschen. Nur wenige Stunden verweilte ich in
ihrer angenehmen Gesellschaft und gab dem Dos-ä-dos den Abschiede
Wenn auch die Strasse bis zum Fusse des Gunung (Berges) Kent-
jana per Wagen befahren werden konnte, so wählte ich doch das
Beitpferd zur Beise dahin, um eine bessere Aussicht zu haben.
Während Bantam im vorigen Jahrhundert hunderte von Zucker-
fabriken zählte und die Gouvernements - Kaffeecultur (besonders
Der Königstiger. 71
Hn. Pandeglang) blühte, zog ich während meiner ganzen Reise Ton
Serang bis Tjileles und später bis Malimping, bei welchem man
schon das Bauschen und die Brandung der See hört, durch schwach-
bebaute Landstriche. Nur selten sah ich ein Reisfeld in Blüthe
stehen; beinahe überall starrte mir das todte, schmutziggelbe, brach-
liegende Reisfeld entgegen und zeigte mir das drohende Gespenst
der Hungersnoth.
Tjileles lag links zur Seite des Weges nach Gunung Ken^ana.
Eün kurzer Pfad führte mich bis zur Thüre eines Geheges. Jetzt
erst sah ich, dass ich am Eingange eines kleinen Kampongs stand,
der von einem dichten Gehege von grossen Fruchtbäumen umgeben
war, deren Zwischenräume von einem undurchdringlichen Netze von
dpmentragenden Schlingpflanzen als Bambu dun u. s. w. erfüllt
waren. Wie ich später auf meinen Streifzü^eu durch Lebak sah,
jliatten alle Kampongs ein solches Gehege mit einer kleinen Thür,
welche in der Nacht geschlossen wurde.
Dass der Königstiger feige sei, ahnte ich nicht, als ich den
Kampong betrat und mir meine Wohnung angewiesen wurde. Im
Hause des Dorf häuptlings sollte ich die vordere Veranda zur Wohn-
stätte angewiesen erhalten; sie sollte mein Schlaf-, Studier-, Speise-
und Empfangszimmer sein. Das östliche Ende war von drei Seiten
mit Bambuswänden umgeben, und die vierte Seite hatte einen Vor-
hang, hinter welchem mein Bett stand. Der Königstiger ist feige,
aber dass er so feige sei, um sich durch eine so schwache Schutz-
mauer von einem nächtlichen Ueberfall abhalten zu lassen, hätte
ich nicht geglaubt. Keine 15 Meter weit stand mein Schlafzimmer
von dem Gehege entfernt, welches mich vor einem unerwünschten
Besuche eines Königstigers schützen sollte. Wenn die Regierung
für jeden unschädlich gemachten Tiger 100 fl. bezahlt (einen Preis,
der für einen Kampongbewohner geradezu ein fürstliches Kapital
ist), welchen Schaden müssen diese Katzen anrichten, wie schwer
müssen sie zu fangen oder zu tödten sein, und wie zahlreich müssen
sie hier hausen, dass die Regierung hier 100 fl. bezahlt, während
sie in anderen Theilen Javas, wo allerdings nicht der Königstiger,
sondern nur der Matjan tutol am häufigsten gefunden wird, nur
32 fl. bezahlt.
Der Eingeborene ist Fatalist; aber auch der Europäer muss es
werden, da er ja in Indien im Innern des Landes täglich das Damo-
klesschwert, nicht täglich, sondern immer und immer über seinem
72 Javanische Pferde.
Haupte schweben fühlt. Es war nicht die angenehmste Nacht meines'
Lebens, welche ich an jenem ersten Tage in dieser offenen Veranda
▼erbrachte. Jedoch kein Rhinoceros, kein wilder Büffel, kein
Tiger und keine Schlange hatten meinen Schlaf gestört.
Die javanischen Pferde sind klein aber ausdauernd; sie sind
häufig nicht höher als 1,10 Meter ;^) in früheren Jahrzehnten haben
die Pferde aus der Preanger-Begentschaft einen hohen und statt-
lichen Wuchs gehabt; die Basse degenerirte jedoch mit jedem Tage,
weil sie kaum erwachsen zum Lastentragen herangezogen wurde.
Die Begierung sah diese Gefahr imd griff zu dem so häufig ange-
priesenen Mittel, zu den Wettrennen, um durch das »Spiel« oder
vielmehr durch das »Wetten« die Eingeborenen zu veranlassen, mehr
Sorgfalt auf die Zucht der Pferde zu verwenden. Es wurden zu
Buitenzorg schon vor zwanzig Jahren Wettrennen gehalten; vor
zehn Jahren wurden dieselben auch in Magelang, der Hauptstadt
der Provinz Kedu (Mitten-Java), eingeführt, weil auch die »Keduer-
Pferde« mit jedem Jahre schwächer und kleiner wurden; aber hier
wie dort blieben die geträumten Bassenverbesserungen aus. Nebst-
dem kam die Begierung durch diese Wettrennen in ein arges
Dilemma. Einerseits verbietet sie die Hahnengefechte und das
Wetten bei denselben, weil es bekanntermaassen die Eingeborenen
demoralisirt; andererseits hält sie Wettrennen der Pferde und unter-
stützt sie mit hohen Beträgen. In Magelang steuerte die Begierung
selbst 1000 fl. jedesmal bei, um z. B. auch dem kleinen Mann es
möglich zu machen, einige Tage mit seinem Pferde fern von seinem
Kampong leben zu können.
Der Besident von Kedu hat das Sterile dieser Methode bald
eingesehen und die Wettrennen abgeschafft; aber auch in der
Preanger-Begentschaft hat man andere Mittel gesucht und gefunden,
um wieder eine gute Pferderasse zu erhalten ; es wurden Deckhengste
eingeführt, und zwar von einem der eingeborenen Fürsten, welcher
damit ein gutes Geschäft machte.
Nach Schulzens Führer auf Java (Leipzig, Th. Grieben's Ver-
lag 1890) hatte im Jahre 1887 die Insel Java 2,360,600 Büffel,
^) Im Durchschnitt haben die javanischen Pferde, wenn wir von den impor-
Urten australischen absehen, eine Höhe von 1,20 Meter.
Javanische Pferde. 73
1,973,750 Binder und 701,500 Pferde. Die meisten der eingeführten
Pferde stammen von den Sandelholz-Inseln Sumba, Sumbawa, Botti,
Sawa und Timor (welche im Osten der Insel Java liegen), yon
Makassar (Celebes) und Ton Australien.
Ich selbst hatte während meines Aufenthaltes auf Jara zwei
Pferde von Kedu, zwei von Sumba, ein Preanger und zwei Makas-
saren im Besitz. Die schönsten der auf Java vorkommenden Pferde
sind die Battaken aus dem Innern Sumatras; sie kommen jedoch
nur in geringer Zahl vor; nach ihnen kommen die Sandelwood-Pferde
Ton Sumba, welche einen eleganten Bau besitzen, aber sehr nerrös
sind. Nebstdem sind sie im hohen Grade eigensinnig. Eines Tages
fuhr ich in M . . . mit zwei Sandelwood-Pferden zu meinen Patienten,
als es ihnen plötzlich einfiel, striken zu wollen. J'y suis, j'y reste
mochten sie gedacht haben; sie blieben stehen, und weder die
Peitsche noch Zureden brachten sie von Ort und Stelle; endlich
wollte der Kutscher eine brennende Fackel holen, um sie unter den
Schweif zu halten. Dies gestattete ich ebenso wenig, als ich jemals
die drastischen Mittel erlaubte, welche die Eingeborenen bei der Dressur
der Pferde gebrauchen ; an der Kette wird ein Lederlappen mit zahl-
reichen kleinen Nägeln angebracht, welche dem Pferde das nach aussen
Drängen abgewöhnen sollen. Die Deichsel des Wagens bekömmt ein
gleiches mit Nägeln ausgerüstetes Lederstückchen, um das gegen
einander Drängen der Pferde unmöglich zu machen u. s. w. Ohne alle
scharfen und spitzen Instrumente gelang mir jedesmal die Dressur
meiner Pferde, und zwar mit dem kräftigsten Factor der Dressur:
mit Geduld. Einige Jahre später bekam ich ein Paar Keduer um
110 fl.; sie waren für eine Equipage noch nicht abgerichtet und
hatten vorher nur als Saumthiere im Gebirge Kaffee getragen.
Zuerst liess ich sie vor einen Grobak (Lastwagen) spannen, welcher
gewöhnlich von einem Büffel gezogen wird. Diesen Dienst versahen
sie gerne, weil der Kutscher sie beim Zaum führte und späterhin
nur mit der Stimme leitete; als sie aber, zum ersten Male vor die
Equipage gespannt, eine viel leichtere Last als früher zu ziehen
hatten, stürmten sie ausgelassen vorwärts und hätten beinahe Wagen
ond Kutscher gegen einen Baum geschleudert. Die schwache aber
sichere Hand des Kutschers hielt sie jedoch fest; jetzt begann ein
anderes Spiel; sie begannen sich auf die Hinterbeine aufzustellen
und fielen mit den Vorderbeinen über die Stränge hinaus. Wüthend
wollte der Kutscher mit dem hinteren Theil der Peitsche sie für
74 JftYaniscfae Pferde.
Eigensian bestrafen; ich erlaubte es jedoch nicht; das ganze
Arsenal der gransamsten javanischen Abiichtungsmittel brachte er
nach und nach zum Vorschein; ich erlaubte nur, von Fall zu Fall
einen Strick zwischen den beiden »Stangen« oder einen Bambus-
stock festzubinden, wenn sie entweder aus einander oder gegen
einander drängen wollten. Endlich gelang es mir, aus ihnen gut dressirte
Pferde zu machen, welche fünf Jahre bei mir schweren Dienst ver-
sahen, bis auf einen Tag niemals krank waren und bei meiner Ab-
reise noch 175 fl. erzielten, obzwar sie schon nicht mehr »zeichneten«.
Ich kann nicht umhin, auch diesen Krankheitsfall zu erwähnen,
weil er mir den Beweis brachte, dass der Eingeborene nicht nur
»Gefühk für seinen Herrn, sondern auch für das ihm anvertraute
Thier hat.
Es war in Magelang, wo ich jeden Nachmittag um 6 Uhr einen
Spaziergang machte. Eines Tages überfiel mich auf meinem Spazier-
gange ein heftiger Sturzregen, wie er auch in den Tropen nicht tag*
lieh vorkommt. Ich konnte mich flüchten, und zwar in die Woh-
nung eines mir bekannten Hauptmanns. Wie erwähnt, der Begen
goss in fürchterlichen Strömen vom Himmel, als ich plötzlich meinen
Kutscher vor der Veranda stehen sah; überrascht frug ich ihn, was
er von mir wolle. »Das eine Pferd ist krank, und ich suchte Sie,
also, tuwan = mein Herr, denn ich weiss ja, dass Sie jedesmal in
dieser Strasse Ihren Spaziergang machen.« Der Capitän konnte
nicht weniger als ich seinem Erstaunen Worte verleihen, dass ein
Eingeborener in einem solchen Wetter 1 ^/a Kilometer weit von Hslus
zu Haus seinen Herrn suchen geht, weil das Pferd unwohl gewor-
den war! (Es hatte Retentio nrinae.) Ein europäischer Kutscher
hätte dieses nicht gethan!
Eine gerne und viel gebrauchte Rasse sind die von Makassar
(von Celebes). Sie sind nicht hoch (höchstens 1,25 Meter), aber
ausdauernd und kräftig. In dem letzten Jahrzehnt wurden vielfach
australische Pferde unter dem Namen Sydney er in Java eingeführt;
es sind hoch und kräftig aber nicht elegant gebaute Pferde und
laufen nicht schnell; sie haben bis jetzt nur als Luxuspferde bei
den Reichen Eingang gefunden. Was ein europäisches Pferd leisten
kann, weiss ich nicht aus eigener Erfahrung, meine »Keduer Pferde«
jedoch, welche ich fünf Jahre lang in Magelang hatte, wurden täg-
lich gebraucht: wenigstens zweimal des Tages hatten sie mich ins Spital,
welches IVa Kilometer von meinem Hause entfernt war, zu bringen^
Elend während einer Fieberepidemie. 7^
Tön dort zu holen und unterwegB meine Privatpatienten zu hesucheki;
häufig jedoch wurde ich ins chinesische Viertel gerufen, welches jeor
seits des Weges nach dem Spital lag; dadurch kam es, dass ich oft
zehn bis zwölf Kilometer im Tag zurücklegte; so haben also mdu^
Pferde fünf Jahre lang täglich ohne Ausnahnie im Durchschnitt
zehn Kilometer zurückgelegt, obwohl sie nur 1,20 Meter hoch watepa
und einen grossen Mylord zu ziehen hatten. Ihr Futter war tägr
Hch für beide 120 Kilo Gras und 3 — 4 Küo Reis. , >
. Im Jahre 1873 wurde ich von der ungarischen Regierung als
Cholera-Arzt in den Karpathen angestellt, und ich sah damals das
schaurige Bild eines Landes, welches von der stärksten Cholera-
epidemie heimgesucht war, welche jemals in Europa gewüthet hat
Aber grässlicher und ekelhafter war das Bild der durch Malaria und
Hungertyphus und Viehpest heimgesuchten Provinz Bantam. Dort
(in Ungarn) lagen einzelne Kranke, welche auf ihreni Marsche von
der Cholera ergriffen wurden, auf dem Wege cyanotisch sich krüm-
mend und windend unter den Krämpfen des Bauches. Zahlreich waren
die Opfer, aber kurz war ihr. Leiden, in wenigen Stunden hatte der To^
ihren Schmerzen ein Ende gemacht. Die unglücklichen Bantamer
jedoch litten Wochen und Monate, die Kräfte erschöpften sich, sie
magerten zum Skelet ab ; durch die mangelnde Hautpflege, vielleicht
auch durch die Dyskrasie des BJutes entstanden kleine Eiterbläschen
(impetiginöser Hautausschlag), welche durch Kratzen und durch ihre
eigenthümliche Wundbehandlung zu grossen Geschwüren sich ent-
wickelten, die oft mehr als die Hälfte der Oberfläche des Körpers
angegriffen hatten; solche von Noth und Elend, vom Hunger und
Fieber erschöpften, abgemagerte, schmutzige, mit grossen Ge-
schwüren und Eczemen bedeckte Skelete in hunderten und tausen-
den täglich sehen und behandeln zu müssen — war ein ekelerregen-
der Anblick, während die unglücklichen Opfer der CholerarEpidemie
nur kurze Zeit unsere Theilnahme und Mitgefühl erregten. —
Es war ein Missgriff der indischen Regierung, den Kranken*
Wärtern ein so hohes Taggeld (20 fl.) zu geben; dadurch wagten es
gerade jene Männer nicht, um diese Stelle sich zu bewerben, welche^
76 . Krankenwärter mit einem Taggeld von 20 fl.
irie z. B. abgedankte Militär-KrankeDwUrter und ähnliche Schick-
salsgenossen, die dazu am meisten geeigneten Personen waren. Meine
ersten drei Eo-ankenwärter waren ein pensionirter Hauptmann der
Infanterie, ein pensionirter Intendant (mit dem Bange eines Haupt-
manns) und ein abgesetzter Notar. Von diesen drei »hohen Herren«
erfasste nur der erste richtig seinen Beruf; ging in die entlegensten
KampongS; besuchte alle Patienten, gab nach seinem ürtheil Chi-
ninpillen, wenn er Zweifel hegte, rief er mich zu den Patienten, und
yertheilte die erhaltenen Lebensmittel unter die dürftigsten und ärm-
sten der Armen. Der Zweite jedoch, der pensionirte Intendant,
blieb auf seinem Standplatz, liess die Häuptlinge der benachbarten
Kampongs zu sich kommen und gab diesen auf Grund ihrer Be-
richte die etwa nöthige Menge an Chininpillen und Lebensmitteln,
sein Standplatz war in M . . . ., und wie überrascht war ich, als
ich eines Tages seinen Bezirk inspicirte und von allen Patienten,
die ich untersuchte und frug, zu hören bekam, dass der tuwan (Herr)
nicht in das Dorf käme; noch mehr war ich überrascht, als dieser
gute Mann mir auf meine diesbezügliche Frage das stolze Wort zur
Antwort gab: »Ich kann doch als pensionirter Intendant nicht in
die Kampongs gehen und den Kulis Essen ins Haus bringen!!«
Obwohl es ihm gelang, gegenüber dem Dr. J., meinem Chef, meine
diesbezügliche Mittheilung zu entkräften durch Hinweis auf eine nicht
existirende Intrigue, so verschwand er bald danach vom Schauplatze,
weil die Begierung bald das Taggeld auf 5 fl. herabsetzte und dann
Männer erhielt, welche für diesen Dienst die geeigneten Personen
waren. Was die Intrigue betrifft, welche in der Phantasie dieses
Mannes existirte, war sie nur eine faule Ausrede; für den admini-
strativen Theil der ganzen Hülfsaction wurde nämlich ein Controlor
angestellt, welcher der Bruder der geschiedenen Frau dieses Kranken-
wärters war. Dieser Controlor wohnte bei mir, also sei meine
Anklage eine Intrigue gegen ihn gewesen. Mein Chef hatte aber
bald Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass ich nichts als Thatsachen
mitgetheilt hatte, welche sein weiteres Verbleiben in dieser Dienst-
sphäre unmöglich machten. Der dritte meiner Krankenwärter war
ein pensionirter Notar, welcher zwar genug Pflichtgefühl besass,
um sich in richtiger Weise seiner Mission zu entledigen, aber seine
Kräfte waren zu schwach, denn bald nach seiner Ankunft ergriff
ihn die Malaria, so dass er, vom Fieber erschöpft, nach Batavia
Auf dem Kreuzwege. 77
zuröckkehren musste, woUtt und sollte er nicht selbst das Opfer
des Fiebers werden.
In einem seiner Fieberanfälle um 1 Uhr Nachmittags liess er
mich holen; zwischen Tjileles und seinem Standplatze befand sich
ein kleiner Wald, und ich musste darum genau berechnen, ob ich vor
Sonnenuntergang zu Hause sein konnte; am helllichten Tage hatte
ja kurz vorher auf dieser Strasse ein Tiger eine Frau gepackt und
war mit ihr davongeeilt. Die Entfernung war ungefähr eine Stunde ;
der Polizist, welcher mich auf meinen Streifzügen stets begleitete,
war auch der Ansicht, dass wir vor Einbruch der Dämmerung in
TjUeles zurück sein konnten, und so zögerte ich keinen Augenblick,
Hülfe zu bringen. Sein Kampong Tjiboga (?) lag ungefähr 500 Meter
jenseits des grossen Weges. Ich beeilte mich mit meiner Ordination
und stieg wieder zu Pferde. Als ich jedoch wieder auf dem grossen
Wege war, sah ich, dass ich keine Cigarren hatte, liess den
Polizisten warten, ritt im Galopp zurück, erhielt, ohne vom Pferde
abzusteigen, die Cigarren und eilte wieder im Galopp auf den
grossen Weg, um den Polizisten einzuholen. Wohin ich blickte,
nirgends eine menschliche Seele, und nirgends war er zu sehen;
ich zog weiter und kam endlich auch in den Wald, der den
Weg kreuzte. Noch immer war kein Polizist zu sehen, auch
als ich auf einen Kreuzweg stiess, ohne dass ich wusste, welcher
Weg mich nach Hause führe. Rathlos stand ich da und rief Oppas,')
Oppas, aber Niemand antwortete mir. Im Dickicht des Waldes war
die Sonne nicht mehr zu sehen, und die Dämmerung trat ein (welche
auf Java nicht länger als eine Viertelstunde dauert). 3) Bathlos
stand ich da und blickte fragend nach allen Seiten, um einen Aus^
weg aus diesem Labyrinth zu finden; endlich unterwarf ich mich
dem Fatum, liess die Zügel des Pferdes fallen und befahl Gott meine
Seele. Der Gaul kannte den Weg, er »roch den Stall« und brachte
mich auf die richtige Strasse.
Einmal sollte ich doch einem Tiger begegnen, ohne dass ich
ihn jedoch auch gesehen hätte.
Am 24. Januar schrieb mir der Controlor v. d. P., welcher
in Malimping in der Nähe der Südküste Javas wohnte, dass sein
Söhnchen durch eine Wunde am Fusse heftiges Fieber bekommen
habe, und ersuchte mich, sofort zu ihm zu kommen. Es war 10 ühr
') Oppas (M.) = Oppasser (H.) = Aufseher.
«) Tjileles liegt 6 <> 30 ' 8. Br.
76 Heiden aof Java.
Vonnittags^ als ich den Brief erhielt. 4ch bestieg mein Pferd und
zog zunächst nach Gunung Kentjana (276 Meter ^) hoch gelegen),
irelches 10 Paal = 15,06 Kilometer von meiner Wohnung entfernt
war. Hier gab mir der Wedono ^) auf Rechnung des Herrn t. d P.
ein Mittagsmahl (de rysttafel), und unterdessen machten seine Be-
dienten aus ein paar Bambusstöcken und einem indischen Lehnstuhl
eine Tragbahre. G«gen 3 Uhr erschien .eine Truppe Kulis mit
einem Mandur (== Aufseher), und abwechselnd trugen mich Tier Kulis
auf ihren Schultern. '
Noch kaum eine halbe Stunde hinter Gunung Kentjana zeigte
mir der Mandur den Berg Bongkok (925 Meter ^) hoch), an dessen
Fusse die Baduwies einige Kampongs bewohnten.
Wenn wir von ungefähr 3000 eingeborenen Christen s) absehen,
ist das Gross der Eingeborenen auf Java dem mohamedanischen
Glauben zugethan.
Im Jahre 1382 hatten sich die Araber Malik Ibrahim, Sideh
Mohammad und Said! Rakidin in der Nähe des Goldflusses (Kali
s= Fluss, Mas = Gold) bei Tandes (dem heutigen Griss^) in der
Nähe Surabajas als Kaufleute niedergelassen und als Missionare für
die mohamedanische Beligion eifirig Propaganda, und zwar mit grossem
Erfolg, gemacht. Die ersten Fortschritte erzielten sie an der Küste
bis Damak, Ton hier aus begann die gewaltthätige Unterwerfung der
Eingeborenen, besonders, nachdem im Jahre 1483 das grosse mäch-
tige Reich von Modjopahit von ihnen erobert worden war und der
grösste Theil seiner Bewohner den mohamedanischen Glauben an-
genommen hatte. Seit dieser Zeit hat nach und nach der Islamismus
sich über ganz Java bis auf zwei Golonien ausgebreitet, welche noch
heute abgeschieden von den übrigen Kampongs, die eine im Westen
und die andere im Osten Jayas, sich befinden.
Da ich niemals im Tengergebirge, welches sich auf der Grenze
der beiden Provinzen Pasaruan und Probolingo befindet, geweilt
habe, ich also keinen Anlass haben werde, mich mit dieser Gegend
zu beschäftigen, so will ich hier auch einiges über die »Heiden« im
östlichen Java mittheilen. Wie gesagt, sie leben im Tengergebirge
(2724 Meter hoch), und alle ihre Wohnungen haben die Thüren
^) Diese Ziffern sind die absolute Höhe,
s) = Beamtentitel.
') Der Jahresbericht des Ministeriums der Golonien vom Jahre 18i)4 spricht
Ton 2789 eyangelischen und 436 römisch-katholischen Eingeborenen auf Java.
Begegnung mit einem Königstiger. 79
gegenüber dem Valcane Bit>mo (2290 Meter). Sie sind die Nach-
kommen der Flüchtlinge des Reiches von Madjopahit, welche unter
Anführung von Kiai Dadop putti sich dahin zurückgezogen hatten,
um ihrem Glauben treu bleiben zu können und nicht der Beschnei-
dung sich unterwerfen zu müssen. Ihre Zahl beläuft sich heute auf
3 — 4000 friedsame Bürger, welche zurückgezogen von der übrigen
Bevölkerung von den Erträgnissen des Bodens leben, gute unter-
thanen sind und jährlich im Sandmeer dem »Gunung Bromo<c ihre
Opfer bringen.
Der Mandur wollte mir eben auch etwas Näheres über das Le-
ben dieser Heiden von Lebak mittheilen, als die Träger der Trag-
bahre sich plötzlich auf den Boden setzten ; ich fiel zwar nicht vom
Sessel, aber ein gehöriger Stoss schüttelte mir die Eingeweide gut
durch, und überrascht frug ich den Mandur, was dieses bedeute.
Gleichzeitig zeigten alle Kulis mit der Hand nach der rechten Seite
des Weges und riefen: Dia (= Er), Dia, Dia. Es war ein Tiger,
der unsem Weg gekreuzt hatte. Leider hatte ich es nicht gesehen,
80 dass ich auch diesmal, wie überhaupt niemals einen Königstiger
im Freien gesehen habe. Ich habe zwar späterhin zwei kleine
Tiger von einem Assistent-Residenten 2um Geschenk erhalten; es
waren jedoch keine Königstiger, sondern zwei matjan tutul = Panther.
Bald hatten sich die Kulis von ihrem Schrecken erholt, hoben mich
wieder in die Höhe und weiter ging es in ruhigen gemessenen
Schritten über Berg und Thal. Die Sonne ging unter, die'Finster-
niss trat ein, und die Kulis zündeten ihre Eackeln an. Diese öbors
sind bei einer Wanderung im Gebirge Bantams unentbehrlich, weil
sie dem Tiger Furcht einjagen ; natürlich erreicht eine einzelne Fackel
niemals ihr Ziel, aber in grossen Mengen imponiren sie doch dem
Tiger, der geradezu feige genannt werden muss. Es war eine thea-
tralisch-romantische Expedition, die ich damals unternahm. Dazu
kam noch, dass ein eigenthümliches Hinderniss unseren Zug er-
schwerte.
Zur Bekämpfung der Viehpest, welche gleichzeitig das unglück-
liche Bantam heimgesucht hatte, hatte die Regierung einen Cordon
um die pestfreien und inficirten Gegenden gezogen, so dass die
Büffel von der einen Region in die andere nicht gelangen konnten.
Dieser Cordon bestand aus einem Gehege von Bambus, welches
von Truppen bewacht wurde.
80 Behandlung der Fussgeschwure durch die Eingeborenen.
Gerade auf dem Wege nach Malimping stiessen diese zwei Ge-
hege zusammen und waren nur durch die Strasse von einandw ge-
trennt; wenn also auch durch Fackeln der Weg beleuchtet war, so
geschah es doch oft genug bei den zahlreichen Ejümmungen des
Weges, dass die Träger vorsichtig zwischen den beiden Gehegen
layiren mussten, um mich nicht zu FaU zu bringen.
Wenn wir nämlich von der grossen breiten Strasse absehen,
welche, ¥rie schon erwähnt, im Anfange dieses Jahrhunderts durch
schwere Bobottdienste angelegt wurde, sind alle übrigen Landwege
Javas nur eine Vergrösserung und Verbreiterung der früher bestan-
denen Pfade. Die Eingeborenen gehen immer hinter einander und haben
also kein Bedürfiodss für breite Strassen; zum Transport der Lasten
werden besonders im Gebirge Saumpferde gebraucht. So hat also
hl früheren Zeiten nur der Pfad oder eine schmale Strasse, welche
für einen Grobak (Lastwagen der Eingeborenen auf zwei Bädern,
der von einem oder zwei Büffeln gezogen wird) hinreichend Baum
bietet, die Verlnndung der einzelnen Kampongs besorgt.
Endlich um acht ühr Abends kam ich in Malimping an und
iuDtd bei dem Söhnchen des Herrn v. d. P . . ein Erysipel auf dem
rechten Unterschenkel in Folge eines vernachlässigten Fussgeschwüres.
Ob da nicht wieder die Babu (das Dienstmädchen) die Behand-
tungsweise der Eiageborenen der Frau des Controlors aufgedrungen
hat, weiss ich nicht; wahrscheinlich war dies der Fall, denn diese
Dame war in Indien geboren und darum geneigt, der Behandlungs-
weise der Dukun einen hohen Werth beizulegen. Die Bewohner
Bantams behandeln die Geschwüre auf gewiss einfache Weise. Eine
(meistens alte, sdmiutzige) Kupfermünze wird glatt geschlagen, mit
feinen Löchern siebartig versehen und mit einer Schnur auf dem
Geschwüre befestigt. Nicht allein europäische Laien, sondern auch
Aerzte habe ich ein Loblied auf diese Therapie der Geschwüre
singen höre/iü Die Kupfermünze oxydire und cauterisire durch das
entstandene Kupferoxyd die Granulationen der Geschwüre!! Unserem
kleinen Patienten war es dadurch übel ergangen; durch die Oeff-
nungen in der kupfernen Platte ist zwar der Eiter abgeflossen, aber
nicht immer geschah dies; pathogene Bacterien fanden durch diese
kleinen Löcher ihren Weg und Zutritt zum Geschwüre, und ein
Erysipel = Bothlauf entstand, welches nicht allein das Bein, son-
dern auch das Leben des kleinen Mannes bedrohte. Es gelang mir^
beides unserm Patienten zu erhalten.
/
Fig. 6. Zwei BundaiipBische FrinEeBsinneii mit zwei BedajsK
(adelige Tänzerinnen ■).
') Der Photograph hat in richtiger Aufianiung dpr javaniBchen Etiqiifttr
bei der Aufnahme die Prinzessin nen stehen und die B«d^wi und die Hiinikanteii
Ritxen iBRBpn. Nicht nur bei ofiiciellen FcBtlichkeiti'n, nondirn aucli im nlllÄg-
liehen Leben setJtt sich der , kleine Mann" sofort, auf den Boden, wenn er mit
einem hohen eingeborenen oder pnropäiBchen Beamten, und wäre ob nur für
wenige Secunden. zu thun hat; j« selbst auf der Strasac wird im Innern des
Landes der „kleine Mann", selbst wenn er ed Pferde int, sofort absteigen und
sich auf den Boden setzen, sobald ein Höherer sich nähert. In den Städten
wird diese Ehrenbezeigung nur im Amte, aber nicht auf der Strasse, und auch
nur den allerhöchBten Würdenträgem erwiesen. Selbst der Tilel „Kanjeiig tuwan"
beistt wörtlich übersetzt: Uer Herr (tuwan), welcher steht.
Heiden auf Java. gl
Nachdem ich die uöthigen ärztlichen Vorschriften gegeben hatte,
gingen wir zum Nachtmahle. In der ^ Achtergalerie« sassen wir und
hatten vor uns den Garten, über welchen ein sanfter Südwind von
der nahen Küste strich und uns den Duft der Kaffeeblüthe und der
Orangen, gemengt mit dem Stallgeruche der Beitpferde, in die Veranda
brachte. Das Zirpen des Heimchen (djangkrig M.), der Gi^lle (andjing
tanah M.), der Singcicaden mengte sich mit dem Qua-Qua der Frösche,
imd hin und wieder dröhnte die Brandung der nahen See und das
Brüllen der wilden Büffel dazwischen; vereinzelt hörten wir die
Klagelaute des Wau Wau (Hylobates leuciscus) oder das Bellen der
halbwilden Hunde und das Schnattern unruhiger Gänse. Der ster-
nenreiche Himmel strahlte in seiner Pracht und wetteiferte mit den
tausenden und tausenden Leuchtkäfern, welche über dem nahen
Sawahfeld in hochgehenden Wellen auf und ab schwebten. '^
Das Nachtmahl gab mir Zeit und Gelegenheit, iilich bei dem
Controleur über das Leben und Treiben der Baduwies zu erkun-
digen, weil mir die Mittheilungen des Mandur nicht zuverlässig
waren. Dieser hatte von ihnen als Orang Kapir gesprochen, was
offenbar eine Verdrehung des arabischen Kafir war. Ob es nun
ein Schimpfwort bedeuten sollte, oder ob damit diese Menschen
für Heiden erklärt wurden, war mir nicht deutlich. :»Ja, das
sind Heiden, € erwiderte Herr v. d. P., :» eigentlich kümmern sie
mich gar nicht, obwohl sie in meinem Bezirk wohnen, denn sie er-
kennen nur in dem Regenten von Pandeglang ihren Herrn, aber
glücklicherweise sind es friedliebende Menschen, welche sich niemals
etwas zu Schulden kommen lassen, so dass meine Amtsthätigkeit in
diesen Kampongs eine sehr beschränkte ist.«
)>Ist es wahr, dass die Portugiesen die An Siedlung dieser Baduwies
im District Lebak veranlassten?« »Ja und nein. Im Jahre 1521
kamen zwei javanische Fürsten Aling-Aling und Kakaling nach Ma-
lakka und baten die Portugiesen un^ Hülfe gegen die Mohame-
daner von Bantam; diese wurde ihnen gewährt, wofür die Portu-
giesen eine Factorij errichteten, aber Tatelehan vertrieb diese beiden
Fürsten und die Portugiesen. Die Hindus verliessen den Norden
der Provinz, zogen nach Gunung Kentjana, wo sie sich noch heute
befinden.^
:»Ist es wahr, dass nur 60 in einem Kampong wohnen dürfen,
und wenn die Zahl überschritten wird, muss der 61. sich anderswp
ansiedeln?«
BreIt«niteiB, 21 Jahre in Indien IL 6
82 Heiden auf Java.
»Auch das ist nur theilweise richtig; in TjiObeo, Tji^)kanekes
und Tjii)samodor leben 60 Personen, wahrscheinlich eine Sorte
Heilige, ganz abgeschieden von der Aussenwelt. Sobald ein Frem-
der ihre Wohnung betreten hat, suchen sie ein neues Heim. Da-
mm darf auch Niemand ohne meine Bewilligung dahin gehen. Sie
heissen Djelma dalem, im Gegensätze zu den Djelma luwar, welche
Handelsleute sind und sich in jeder Hinsicht mit den Eingeborenen
yerbinden. (Das Wort dalem heisst inwendig (M.), und das Wort
luwar äussere.)
In jedem EAmpong führen drei Männer einen besonderen Titel,
und zwar G-iran pohon, welcher wahrscheinlich der Häuptling und
höchste Priester ist, und zugleich mit dem Pangasuh kokolot für
Jeden unsichtbar bleibt, während der Giran serat der Minister des
Aeusseren ist und ab solcher die Gemeinde nach aussen vertritt.«
»Wie riel Djelmas existiren in Ihrem Bezirke, und kommen
auch einige auf den benachbarten Inseln Pulu Tjindjil und P. Keiupa
vor?« »Das erstere kann ich weniger bestimmt als das zweite be-
antworten. Sie wohnen nur in den drei genannten Kampongs und
kein Einziger auf diesen beiden Inseln. Da ich nur von den Mit-
theilungen des Giran serat die Stärke ihrer Mitglieder kenne — un-
gefähr 2000 alles in allem — , so kann ich nur annähernd diese
Ziffer angeben, obwohl ich keine Ursache habe, diese Angabe zu be-
zweifeln.«
Am andern Morgen borgte mir Herr v. d. P. ein Reitpferd,
und begleitet von einem Oppas kehrte ich auf demselben Wege zu-
rück, auf dem ich gekommen war, und erreichte noch denselben
Abend meine Wohnung in Tjileles. Beinahe den ganzen Tag war
ich auf dem Pferde gesessen, die Tropensonne hatte mich nicht ge-
schont, und so begnügte ich mich, einen kleinen Imbiss zu nehmen
und dann sofort schlafen zu gehen.
Es mochte ungefähr zehn Uhr gewesen sein, als der Häuptling
mich aus dem Schlafe weckte mit dem Kufe: tuwan Regent ada =
Der Herr Regent ist angekommen.
Der Anlass dazu war folgender: Zu meinen Obliegenheiten ge-
hörte auch der Rapport, den ich alle zehn Tage über meine Lei-
stungen und Beobachtungen einreichen ipusste. In einem derselben
*) Tji ist die Verkürzung von Tjai = "Wasser (S.).
Drohende Hongersnoth in Bantam. 33
erwähnte ich auch^ dass ich auf allen meinen Wanderungen nur
unbebautes Land sah, dass ich nur selten einem Büffel begegnete/
und dass Hungersnoth die unrermeidliche Folge sein müsse; der
grösste Theil der Bevölkerung sei ja von der Fieber-Epidemie er-
griffen, könne also das Feld nicht bebauen. Die Büffel seien ent-
weder der Yiehpest erlegen oder dem tödlichen Blei der »Com-
mittirten«, welche auf Avis des Thierarztes X. alle Büffel todt-
schiessen mussten, welche sich im Bannkreise von einem Paal
= 1^/a Kilometer von einem erkrankten Büffel befanden!! Ich
musste also mein Videant consules, ne quid detrimenti capiat res
publica der Regierung zurufen.
Ich stand rasch auf, kleidete mich an und empfing den Regenten,
der mich interpellirte, wie so ioh das graue Gespenst derHungers-
noih entrollen konnte und durfte, da ich doch nicht wu«ste, wie
gross der Vorrath an Reis sei, welcher von der vorjährigen Ernte
aufgespeichert läge.
Der Eingeborene ist immer ruhig und höflich, noch mehr aber
ein Regent, welcher in seiner Würde zu kurz kommen würde, wenn
er nicht in gemessenen höflichen Worten seine Ansichten aus-
spräche. Dies that auch der Regent von Lebak, als er mich über
die Gefahren einer Hungersnoth interpellirte. Nachdem er mir
mitgetheilt hatte, dass der Zweck seiner Reise sei, von Kampong
zu Kampong zu gehen, um persönlich die Menge des Yorrathes an
Reis zu constatiren, lud er mich zu einer Partie Whist ein.
Es wurde ungefähr zwei Uhr Nachts, bis ich mich wieder
den Armen Morpheus anvertrauen konnte; ich sehlief am andern
Morgen um neun Uhr noch den Schlaf des Gerechten, als wiederum
eine Visite angekündigt wurde. Es war einer der Männer, welche
bei der Viehpest-Commission angestellt waien, um, wie oben schon er-
wähnt wurde, nicht nur jeden kranken Büffel zu er^chiessen, sondern
auch jedes gesunde Thier, welches in der Nähe bis auf einen Paal
= 1,5 Kilometer von einem kranken Büffel gelebt hatte. Ich muss
gestehen, dass dieses Gutachten des Thierarztes X. eine radicale
Cor zur Bekämpfung dieser Epidemie vorschrieb; aber es wurde
mit dem Bade auch das Kind ausgegossen, und der ganze Vieh-
stand dieser unglücklichen Provinz war in seiner Existenz bedroht.
Einstimmig erhob auch die indische Presse einen lauten Pro-
test gegen diese unpraktische und gefährliche Procedur.
Zu meiüer Ueberraschung war mein neuer Besuch ein alter
6*
84 AusBterben der Büffel.
Bekannter, ein Pole, den ich firüher in Batavia gesprochen hatte.
Der Herr D . . ., welcher gegenwärtig ein gut situirter B^ispflanzer
bei Batavia ist, theilte mir so manches über das Gebaliren dieser
»Committirten« mit, das geradezu haarsträubend war. Auf seinen
Inspectionsreisen hat der Thierarzt in der ganzen' Provinz jeden
»Committirtenc belobt, der den Beweis bringen konnte, gesunde
Büffel erschossen zu haben. Ob es gerade ein Paal war, in dem sich
ein kranker Büffel befunden hatte, oder ob es zwei oder drei Elilo-
meter waren, kümmerte so manchen dieser Herren nicht. Sobald
sie einen Büffel krank sahen, tödteten sie nicht nur diesen, sondern
zogen in ihrem Rayon durch alle Kampongs und schössen alle Büffel
nieder; natürlich- musste die Begierung jeden erschossenen Büffel
bezahlen. In wenigen Tagen war d^r erhaltene Preis aus den Hän-
den des armen Bauern verschwunden, und jetzt stand er ohne Büffel
da, geschwächt durch das Fieber konnte er in persona das Feld
nicht bebauen — und der Herr Regeni bezweifelte, dass Hungers-
noth dem unglücklichen Lebak bevorstehe ! Wie sein Gegenbericht
abgefasst war, weiss ich nicht, aber bald nachher wurde ich nach
Tjicandi versetzt.
Während der Regent in jede Scheuer kroch, um den Vorrath
an Reis zu constatiren, ging ich wie gewöhnlich zu den armen Krau-
ken, gab ihnen Chininpillen, Chinawein, Carbolwasser, und wo Mangel
an Lebensmitteln bestand, gab ich Milch, welche aus der conden-
sirten schweizerischen Milch mit gekochtem Wasser bereitet wurde,
oder Enteneier und Dengdeng an Reconvalescenten. An demselben
Tage liess ich einen Büffel schlachten und liess das Fleisch an die
Unglücklichen vertheUen. Das Bild einer sundanesischen Frau (Fig. 2)
schwebt mir noch heute vor Augen, welche zwar die Malaria überstanden
hatte, aber wegen Mangels an Nahrung dem Hungertode nahe war.
Ich flösste ihr zunächst ein wenig Chinawein ein und liess bei meinem
Gastgeber eine Hühnersuppe kochen; ich hatte die Genugthuung,
sie am Leben zu erhalten. Während bei meiner ersten Visite diese
arme Frau einen fadenförmigen Puls und eine kaum wahrnehmbare
Stimme hatte, mit schwachen Bewegungen des Armes Fliegen wegfing,
welche gar nicht bestanden, und schon das unregelmässige Athmen
hatte, welches nach Cheyne-Stokes den Namen führt u. s.« w.,
kam sie noch vor meiner Abreise aus Lebak zu mir, setzte sich zu
meinen Füssen nieder, wollte mir die Schuhe küssen und sprach
Dreimal in Lebensgefahr. §5
einen langen Segenswunsch aus, der von »Tnwan Allah« ein langes
Leben und alles Gute erflehen sollte.
Am andern Morgen kam Dr. J., um gemeinsam mit mir die
Gegend zu durchreisen und sich persönUch von dem Gange des
Dienstes zu überzeugen. Wie vorher bestimmt wurde, sollten der
Begent, der Assistent-Resident und in jedem Unterbezirk der be-
treflfende Wedono sich daran betheüigen. Wir alle waren zu Pferde,
jeder you uns hatte einen Bedienten ebenfalls zu Pferde mit sich,
' nebstdem schloss sich uns (freiwillig) Herr D ... an, so dass eine
ganze Cayalcade sich in Bewegung setzte, Zunächst ging es nach
Gunung Eentjana, wo wir eine Stunde ausruhten. Die Pferde muss-
ten zum weiteren Ritt gewechselt werden, dafür hatte der Wedono
gesorgt; es wurden andere Pferde gebracht und je nach dem Range
des Reiters das betreffende Pferd mit dem dazu gehörigen Sattel
gegeben. Ich war der Niedrigste im Range (Herr D . . . behielt
sein Pferd, welches kräftig genug war, um nochmals 10 — 15 Paal
zu laufen), ich bekam abo das schlechteste Pferd und den schlech-
testen Sattel. Hinter Gunung Kentjana fiel der Weg steil ab, bis
wir zu dem Flusse Tji-Liman (?) kamen, über den eine Brücke
I ohne Geländer führte; sie bestand nur aus mehreren aufeinander-
liegenden Bambus-Matten. Der ganze Zug flog über die Brücke,
mein Pferd jedoch blieb plötzlich stehen und »steigerte«, d. h. be-
' gann, sich auf die Hinterbeine zu stellen. Es gelang mir jedoch,
im Sattel zu bleiben und mit einem kräftigen Hieb der Peitsche
das Pferd wieder auf die Vorderbeine zu bringen; in demselben
Augenblick glitt es aber mit den Hint^rfüssen aus imd kam mit
denselben über den Rand der Brücke. Instinctmässig warf ich mich
sofort auf den Hals des Pferdes, welches die drohende Gefahr merkte
und mit starkem Rucke die Hinterfüsse wieder auf die Brücke
brachte. Der Fluss hatte niedrigen Wasserstand, war vielleicht zehn
Meter tief, und ich wäre jämmerlich zu Grunde gegangen, wenn es
dem Pferde nicht gelungen wäre, auf die Brücke seine Hinterfüsse
zurückzubringen.
Noch zweimal brachte mich diese Expedition in Lebensge-
fahr. Ueber Berg und Thal führte uns der Weg nach Tjil^°8*^P-
Während ich mit einem oder dem andern Herrn im Gespräche
war, nahm wiederholt mein Pferd einen Anlauf xmd flog wie
toll unter dem schallenden Gelächter meiner Reisegenossen der
Truppe voraus. Es war ein jnir unbekanntes Pferd, und diese An-
86 Dmmal in Leb^nsgefkhr.
fälle von Wuth zum Gkdopp machten mich zuletzt ängstlich; aber
das Lachen der übrigen Herren beruhigte mich einigermaassen.
Wiederum setzte sich ganz unerwartet mein Gaul in gestreckten Galopp^
und zwar in einem Augenblick, wo nur ein schmaler Pfad auf den
Berg führte; zu meiner Rechten war eine steile Wand, und zu
meiner Linken ein vielleicht 100 Meter tiefer Abgrund. Ein Schwin-
del erfasste mich schon, es drehten sich mir schon die Bäume vor den
Augen, und angstvoll drückte ich die Weichen des P^rdes, als hinter
' mir plötzlich Herr D. erschien und mit dem Kopfe seines Pferdes
den Hintertheil meines Pferdes gegen die steile Wand drückte.
»Ja, ich bin ein guter Reiter,« rief er mir zu, und verwundert
blickte ich ihn an, was dieser Ausruf zu bedeuten hätte. Jetzt ge-
stand er mir, dass er jedesmal mit seiner Peitsche mein Pferd
zwischen den Hinterbeinen gekitzelt hätte, und dass dieses die Ur-
sache des Galoppirens meines alten Gaules gewesen sei! »Sehen
Sie sich diesen Abgrund an,« autw ortete ich und — drehte ihm d^n
Rücken.
In Tjilangap blieben wir nicht lange und kehrten denselben Tag
zurück. Auf dem Bei^e Gunung Kentjana verliess uds der Assi-
stent-Resident und der Regent, und ich und Dr. J. wollten weiter
ziehen. Mein eigenes Pferd war unterdessen von einem Kuli nach
Tjileles zurückgebracht worden, und ich bekam einen Gaul, der,,
wie mir der Eigenthümer mittheilte, die Gewohnheit hatte, beim An-
ziehen der Zügel zu galoppiren; nebstdem trug das Geschirr eine
Stange, welche mit stumpfen Stacheln versehen war. (Diese Stange
wird von den Eingeborenen * gebraucht, um wilden und unbändigen
Pferden das Galoppiren abzugewöhnen.) Wir mussten bergab reiten,
der Berg war aber nicht so steU, dass wir absteigen mussten. Drohende
Gewitterwolken zogen sich über unsero Häuptern zusammen, und
im Gespräche, ob wir vor dem Unwetter noch Tjileles erreichen
konnten, vergass ich die weisen Lehren, welche mir der Eigen-
thümer des Pferdes gegeben hatte, und unwillkürlich, wir ritten ja
bergab, zog ich die Zügel an; die Stacheln der Stange stiessen in
die Mundwinkel meines Pferdes, und wie ein Spielball flog ich aus
dem Sattel. Dr. J. überzeugte sich nur für einen Augenblick, dass
ich mir nichts gebrochen hatte, und verliess mich, um, wenn mög-
lich, vor Eintritt des Sturmes eine trockene Stätte zu erreichen»
Ich aber hatte am linken Knie eine so schmerzhafte Contusion er-
litten, dass ich nicht mehr das Pferd besteigen konnte. Ich erhob
Dreimal in Lebensgefahr. 87
VEdch Tom Boden, fasste den Gaul beim Zügel und hinkte weiter.
Ein Blitzstrahl durchzuckte den Horizont und kündigte einen heftigen
Sturm an; nirgends eine Hütte, nirgends eine lebende Seele, nichts
als Urwald zu beiden Seiten des Weges, und vor und hinter mir die
sckmale Strasse. So hinkte ich weiter, während der Begen in
schweren Strömen sich über mich ergoss, der Blitz alle fünf Minuten
das graue Panorama erhellte und der Donner im dreifachen Echo
Ton einem Berge zum andern rollte. Ich zog hinkend weiter, weil
ich 14 Kilometer zurücklegen musste, um nicht bei Einbruch der
Einstemiss in Gottes freier Natur übernachten zu müssen. Ich fand
zwar ein Wächter-Häuschen (Garduhäuschen), welches eine Baleh-
baleh, d. h. eine aus Bottang geflochtene Bank hatte, mit einem
ausgehöhlten Baumstamm, auf welchen mit einer Keule geschlagen
wird, um das Dorfsignal zu geben; aber kein Wächter war darin;
die Bank war zwar überdeckt mit einem Dache von Atap, es waren
aber so grosse Oeffnungen darin, dass ich darunter auch nicht vor
dem strömenden Hegen geschützt war; ich hinkte also weiter. End-
lich erreichte ich Tjileles und meine Wohnung; sofort befreite ich
mich von den Kleidern und von der Wäsche, welche so nass waren,
ak ob sie aus dem Troge einer Wäscherin gekommen wären.
Während ich wie der selige Don Quijote mit dem Zügel
meine Rosinante am Arme unter dem strömenden Regen meines
Weges hinkte, hatte ich alle Gefahren vor den Augen, welche ein
solcher Marsch im Regen im Gefolge haben sollte und könnte.
Vor 18 Jahren spielten die Bacterien noch keine so grosse
Rolle in der Aetiologie aller Krankheiten, und zahlreich waren die
Leiden und Schmerzen, welche der )> Erkältung« zugeschrieben wurden.
Ein solcher Marsch in einem heftigen Regenwetter, welcher einige
Stunden dauerte, musste nach den damaligen Ansichten ein Fieber,
einen Rheumatismus, ja selbst :> heftige Affectionen vom Centralnerven-
system« (Dr. van der Burg) zur Folge haben. Nichts von allem
diesen geschah mit mir. Es ist eine bekannte Erscheinung, bei
heftigem Regenwetter eingeborene Knaben und Mädchen, selbst. halb
europäische und rein europäische Kinder von 4— ö Jahren, in
Adams Toilette in den Pfützen herumlaufen und spielen zu sehen;
selbst eine Deukalionsfiuth schrickt keinen Eingeborenen ab, sei es
Mann oder sei es Frau, in's Bad zu gehen, auch wenn er z. B.
viele Meter weit zum Fluss hinabsteigen muss, ja noch mehr. In
der Regel gebraucht der Eingeborene kein Handtuch, trocknet sich
gg Ein ungefiihrlicher Spaziergang im Regen.
nicht nach dem Bade ab, sondern läset einfach den Sarong, in dem
er das Bad genommen hat, fallen, zieht einen trockenen an und
überlässt es den Sonnenstrahlen, das Trocknen des Körpers sofort
zu veranlassen. Es ist andererseits kein Zweifel, dass der Europäer
eine andere Constitution als 'der Eingeborene hat. Aber es ist im
Auge zu behalten, dass in den Tropen die Temperaturunterschiede
zwischen der Körpertemperatur und der des Regens nicht so gross
als in Europa sind, dass die des Regens selbst viel höher ist und
derselbe viel schneller als in den gemässigten Zonen verdunstet.
Wenn auch durch das Bad und durch den Regen, welcher sich
unter den Kleidern ansammelt, die Poren sich schliessen, weil durch
die Verdampfung des Wassers Kälte erzeugt wird und diese die
peripheren Blutgefässe sich retrahiren lässt, so dauert dieser Process
nur kurze Zeit. Sobald die Verdampfung abgelaufen ist, erweitem
sich wieder die peripheren Blutgefässe, und eine wohlthuende Wärme
durchströmt die Haut. Wenn auch die »Erkältungstheorien« bis
jetzt noch zu wenig erforscht und begründet sind, so wenig selbst,
dass man sie noch nicht in den Rumpelkasten der veralteten Theo-
rien verweisen kann, so bleibt es immerhin unerklärt, wie z. B. die
Bacillen der Lungenentzündung unter oben angeführten Verhält-
nissen in den menschlichen Organismus eindringen sollten; eine solche
Sündfluth kann unmöglich diese Mikroorganismen in die Luft schwe-
ben lassen. Man müsste nur annehmen, dass diese Krankheits-
erreger schon vorher in den Organismus eingedrungen waren und
durch die Contraction der peripheren Blutgefässe mit der unter-
drückten Transpiration den Körper nicht verlassen könnten.
Ich will mich jedoch in solche Theorien nicht weiter einlassen
und mich auf die Mittheilüng der Thatsache beschränken, dass in
den Tropen ein Spaziergang im Regen, und selbst in dem stärksten
Regen, bei gesunden Menschen ein nicht unangenehmes Empfinden
erzeugt; ich will jedoch betonen, dass ich nur von gesunden Menschen
spreche und nicht von Patienten, welche durch Fieber oder durch
Dannerkrankung u. s. w. erschöpft und darum weniger widerstands-
fähig sind.
5. CapiteL
Fleischspeisen auf Jara — Deng-den^ — YergiftaBgsfllle
Bediente — Malaria — C^eographie ron Bantam.
Decuniär war mein Aufenthalt in diesem unwirthlichen^ unglück-
^ liehen Bantam günstig zu nennen; denn neben meinem fixen
Gehalt bekam ich 6 fl. Diäten und Meilen-Gelder für mich und für
meinen Bedienten. Es bleibt aber inunerhin ein niagerer Trost, zu
hören, das »Geld yersüsse die Arbeit«. Dieses erinnert mich an
die Erzählung, dass Friedrich der Grosse eines Tages in später
Abendstunde einen Courier empfing und dem Intendanten befahl,
dem hungrigen Courier etwas zu essen zu geben. Am andern Tage
erkundigte sich der König nach dem Abendessen des Couriers. Als
dieser dem König mittheilte, dass er vom Intendanten einen Thaler
erhalten habe, liess er denselben kommen und steckte ihm einen
silbernen Thaler in den Mund mit den Worten: >» Jetzt esse Er
einmal.«
Auch ich hatte wenig von dem Bewusstsein, während meines
Aufenthaltes unter diesen unglücklichen Menschen einige hundert
Gulden mehr fils gewöhnlich zu verdienen; ich bekam zwar täglich
meinen Reis mit diversen Saucen und einigen Gemüsen und ge-
trocknetes Fleisch und Huhn; ich musste es mir aber von Serang,
d. i. ungefähr 60 Kilometer, von einem Kuli bringen lassen. Keine
frische Milch, keine Erdäpfel zu haben, war ich schon längst ge-
wöhnt; aber schwer vermisste ich täglich das Brot beim Kaffee und —
die Zeitung; aber schliesslich war ich zwanzig Jahre jünger als heute,
und in einem Alter, in dem die Elasticität des Körpers mit der des
Geistes gleichen Schritt hält, und in dem man sich leicht und
bequem in veränderte Lebensbedingungen schickt. Während
90 Fleifichspeisen auf Java.
meines fünfmonatlichen Anfenthaltes in Bantam habe ich kein ein-
ziges Mal frisches Bindfleisch bekommen. Wurde für die Bevölke-
rang hin und wieder ein Büffel geschlachtet, so machte ich aus
naheliegenden Gründen davon keinen Gebrauch. Die Eingeborenen
essen es gerne, obzwar das Fleisch einen süsslichen Geschmack hat,
der nicht Jedermann befiriedigt. (:^ Weisse« Karbouwen, welche
nicht wei^ sondern ^gelblich weiss sind, werden aber niemals auf
die Schlachtbank gebracht.) Kalbfleisch wird überhaupt in Indien
aus mir nicht bekannten Gründen nicht auf den Markt gebracht.
Aber Schafe, Hirsche, Ziegen, Kidangs (Cervus muntjac), Kantschils
(Moschus javanicus), ein Sorte Hasen (Lepus nigricollus), Kanin-
chen (Lepus cuniculus), Schweine, Wildschweine, Pferde, Hunde^
Kalongs (Pteropus edulis) kommen hin und wieder auf den
Tisch. Selbstverständlich waren alle diese mehr oder weniger an-
genehmen Fleischspeisen aus den verschiedensten Ursachen für mich
in dieser unglücklichen Provinz unerreichbar. Ich war also auf Fleisch
aus Conserven angewiesen. Schinken blieb natürlich hors coucours;
für mich allein einen Schinken kommen zu lassen, um davon einen
oder zwei Tage zu essen und das andere wegwerfen zu müssen, war
zu kostspielig; er kostete ja in Batavia 8 — 12 fl., und in Tjileles
hatte er mich sicher 14 fl. gekostet. (Der Kuli, welcher höchstens
>/s Pikol = 31^4 Kilo trug, bekam ja für jeden zurückgelegten Paal
= 1,5 Kilometer 5 Cts.) Würste zu gemessen, hatte ich von jeher
in Indien abgelehnt; die Würste in Conserven, von denen ich na*
türlich jetzt spreche, kommen aus Europa und liegen oft Monate
lang bei einem Importeur in den grossen Städten, und deren Pro-
venienz ist nicht immer sicher. Sehr häufig werden. Saucis de Bou-
logne in den Hotels auf den Tisch gebracht, obschon vor einigen
Jahren ein Fabrikant dieser Würstchen schwer bestraft wurde, weil
er zur Fabrikation seiner Würstchen das Fleisch kranker Thiere
verwendet hatte. Uebrigens haben alle Fleischsorten in Conserven
denselben unangenehmen Geschmack von ausgekochtem Fleisch, und
deren täglicher Gebrauch ist geradezu unmöglich. Nebstdem fehlen
in keiner Haushaltung Büchsen mit Sardinen in Oel, Sardellen,
pati^ de foie gras, worin die Gänseleber oft nur die Grösse einer
Haselnuss hat, und alle möglichen Sorten von Geflügel, als: Fasanen,
Lerchen u. s. w. Wenn man sich die Augen zubindet, kann man
beim Essen dieser Vögel aus Conserven keinen Unterschied finden;
sie haben alle denselben Geschmack.
Deng-deng. — Yergifbiuigsfalle. 91
Ich hatte also in Tjileles während meines Aufenthaltes von fünf
Monaten keine grosse Abwechselung auf meinem Tische. G-lück-
licherweise ist das Deng-deng eine so schmackhafte Fleisch^Cou-
serve, dass ich sie jeder Heeresyerwaltung für den Ejieg em«
pfehlen würde. Es werden nämlich dünne Scheiben von Fleisch
(Bind, Hirsehe u. s. w.) von Fett und Sehnen befreit und aul^
beiden Seiten mit Salz, Pfeffer, Tamarinde und langkwas gut einge-
rieben und dann den versengenden Sonnenstrahlen zum Trocknen
übergeben. Es hält sich Monate lang, ohne an seinem angenehmen
Geschmack das Geringste zu verlieren. Dieses Deng-deng liess ich
mir bei jedem Transport von Lebensmitteln kommen und hatte dar
durch eine kleine Abwechselung mit dem Huhne, welches mir zu-
guterletzt auch widerstand. Meistens wurde das Deng-deng von
meiner Hausfrau in Cocosöl oder in Butter gebacken; aber auch
einfach über dem Feuer, z. B. auf einer B.oste, gebraten, behält es
seinen guten Geschmack.
Als Getränke hatte ich für mich einen kleinen Vorrath von
rothem Wein unfl für meine etwaigen Besucher eine Flasche des
unentbehrlichen Genevre mit Bitterextract im Hause. Auf meinen
Wanderungen trank ich stets Klappermilch (tjai duwegan S.). Dies
lehrte mich Herr v. d. P. mit Hinweis auf die in Multatuli mitge-
theilten Vergiftungsfälle. Ein Beamter, der zwischen dem Dilemma*
steht, die Autorität der eingeborenen Fürsten nicht nur zu hand-
haben, sondern auch durch die Autorität dieser Fürsten zu regieren^
andererseits aber gerade die Bevölkerung vor den Erpressungen die-
ser Fürsten zu beschützen, der kann oft in die Lage kommen, den
Einen oder den Andern fürchten zu müssen; darum trank Herr
V. d. P. auf seinen Lispectionsreisen nichts anderes als die Klapper-
milch aus den Cocosnüsseu, welche in seiner Gegenwart vom Baume
herabgeholt und von seinem »Oppas« geöffnet wurden. Ich selbst
hegte diese Furcht nicht, schon darum, weil ich überzeugt war, dass
die häufigen Vergiftungsfälle in Indien zu den Sagen gehören.
In N . . sprach ich einen Pflanzer, der die Javanen nicht anders
als das :»Vieh von Labuan« nannte. Er erzählte mir, dass er eines
Tages auf dem Sawahfelde mit einem Kuli inspiciren ging, als ihn
ein heftiger Kegen überfiel, ohne dass er einen Pajong (Regenschirm)
bei sich hatte,*- »und denken Sie sich, wie brutal so ein Kuli sein
kann,« fügte er hinzu, »dieser Kuli nahm ein Pisangblatt und be-
deckte damit seinen Kopf! Sie begreifen, dass ich ihm eine OI)r-
92 Bediente.
feige gab, dass ihm Hören und Sehen verging und er nimmemiehr
einen Regenschirm gebrauchen wird, wenn sein Herr ohne einen
solchen im Regen gehen mussü« Wenn solche Menschen sich ihres
Lebens nicht sicher fühlen und, ich möchte fast sagen, überall einen
Mord wittern, ist es verständlich, aber nicht richtig. Eine ganze
^iMythologie besteht auf Java über die Vergiftung aus Eifersucht und
aus Rachsucht; sobald ein Europäer an einer chronischen Erkrankung
des Darmes, der Lungen u. s. w. leidet, wird die geschwätzige Nach-
barin bald eine eingeborene Frau gefunden haben, welche früher
seine Haushälterin war, oder einen Bedienten, dem er früher eine
Ohrfeige gegeben habe, und welche ihm Gift, und zwar »Pflanzen-
gifte, welche natürlich bei der Section nicht gefunden werden
könnende, eingegeben hätten.
Diese Sucht, Vergiftungsfälle als tägliche Erscheinungen hin-
zustellen, entspringt in der Regel dem schlechten Gewissen, die ein-
geborenen Bedienten nicht menschlich zu behandeln; der Javane
oder Malaye findet es selbstverständlich, dass er bestraft wird,
selbst durch einen Schlag, wenn er sich ein Vergehen hatte zu
Schulden kommen lassen; es können aber besonders Damen nicht
nur in Indien, sondern in der ganzen Welt oft eine solche Un-
geschicklichkeit zeigen, mit den Dienstboten umzugehen, dass es
oft unglaublich erscheint, dass sich überhaupt noch Dienstboten
bei ihnen anmelden. Von Indien kann ich geradezu behaupten,
dass immer die Frau (oder der Herr) die Schuld tragen, wenn sie
keine guten Bedienten erhalten können oder jeden Augenblick neue
Bediente suchen müssen. Der indische Dienstbote ist bescheiden
in seinen Ansprüchen f er begnügt sich oft mit einem »Zimmer im
Garten«:, wo sein Kamerad in Europa nicht einmal eine Stunde
sich aufhalten würde; wenn er nicht geradezu provocirt wird, ver-
gisst er niemals den Abstand zwischen »Herr und Knecht«; er ist
gelassen und still, weil er niemals Alcoholica gebraucht und die
Höflichkeit (besonders bei den Javanen) eine Naturaltugend ist.
Es ist Regel, dass der Bediente oder der Dienstbote sich mit 3 fl.
pro Monat für die Kost begnügt, wenn auch sein Gehalt 10 — 15 fl.
beträgt. Wenn man seinen Bedienten nicht schimpft und nicht
schlägt, so erhält man immer gute Bediente, welche gewiss Jahre
lang in demselben Dienste bleiben ; ich habe die Frau* eines Collegen
gekannt, welche oft fünf bis sechs Befehle auf einmal gab, und wenn
d^n einer oder der andere vergessen wurde, mit den heftigsten
Bediente. 93
Scheltworten den Bedienten empfing. Ein guter Bedienter lässt sich
nicht schimpfen, und bei einem schlechten hilft es nicht. Ihr Mann
überhäufte seinen Kutscher mit den heftigsten Vorwürfen und
Schimpfworten auf der Strasse, weil ein Lederriemen an seinem Wagen
gebrochen war. Diese sonst so guten und braven Menschen konoten
keine 14 Tage einen Dienstboten halten, während diese bei mir vier^
bis fünf Jahre lang blieben. Eine andere Dame wiederum zog
nicht nur den Werth eines jeden zerbrochenen Tellers von dem Ge«
halt des Dienstboten ab, sondern berechnete jede Viertelstimde,
welche er zu spät »in's Haus« kam,, mit 2 — 5 Gent!! Es ist
unglaublich, dass diese Dame immer und immer , ihre Klagelieder
anstimmte ȟhei die indischen Dienstboten, welche schlechter seien
als das Vieh in Europa;' denn sie lügen und sie stehlen wie die
Haben«. Die Lüge ist das Lieblingskind der Tyrannei, und der
Javane war bis vor kurzer Zeit ein Spielball in den Händen seiner
Fürsten; es ist also wahr, dass sie oft schon aus Höflichkeit lügen;
dennoch — wollen wir sie darum nicht so strenge verurtheilen wie
jene Dame, weil die Wahrheitsliebe der europäischen Dienstboten
auch nicht gar so hoch steht, und weil im täglichen Verkehr dieser
Fehler sich selten fühlbar macht. Die zahlreichsten Fälle sind
ja jene, bei welchen der Dienstbote den Preis von irgend einem
zerbrochenen Glase oder einer Schale ersetzen muss. Mit dem
ernstesten Gesicht in der Welt wird ein Bedienter in einem solchen ♦
Falle die Antwort geben: Sie irren sich, Herr, ich habe es nicht
gethan; und wenn man vielleicht aufgeregt rufen wird: Wer denn?
dann wird er, wenn möglich, mit noch ruhigerem und bescheidenerem
Tone antworten: »tuwan sadja« = der Herr^selbst. Da er doch
bezahlen muss, nun, so macht es ihm Vergnügen, seinen Herrn in
Harnisch zu jagen und im Garten bei seinen Kameraden diese
Gomödie zu besprechen. Wenn er dies nicht zu fürchten hat, d. h.
wenn er nicht alles und jedes bezahlen muss, was er zufällig zer*
bricht, dann wird auch seine Wahrheitsliebe ebenso gross sein als
die eines Europäers. Was das :» Stehlen« betrifiß;, so ist dies einfach
nicht wahr; der malayische Bediente ist ehrlich und viel ehrlicher
als sein europäischer College. Er wird bei sehr sparsamen Damen
vielleicht ein bischen Zucker, Thee oder Kaffee naschen, vielleicht
wird er bei Sorglosigkeit seines Herrn hin und wieder eine Flasche
Petroleum verkaufen — aber welch' europäischer Bedienter würde
dies nicht thun, wenn keine Controle geübt werden würde. Ich
94 Malaria.
.■KB ^M^^a I^MM ^ ^^^ II ^ II
babe einen Adrocaten in Surabaja gekannt, der seine Einnahmen
HBgezählt und ohne Controle seinem Bedienten übergab, wenn er
Bach Hause kam, und der Bediente musste das Geld in die Kasse
einsperren und die täglichen Bedürfnisse damit bestreiten. Ja, wenn
ein Mann so nonchalant sein kann und yielleicht zu faul ist, um
nicht einmal in persona das G-eld in die Kasse einzusperren —
verdiente es dieser Mann nicht, dass er endlich eines Tages be-
merkte, dass ihm 1400 H. fehlten! Nun, ich will das Capitel »Be-
diente« nicht schliessen, ohne die Versicherung Jedermann zu geben,
dass eine bescheidene Controle hinreichend ist, um jeden Bedienten
als ehrlichen Mann Jahre lang halten zu können.
Das Fieber, diese Geissei der Tropen, hatte in seinem epi-
demischen Auftreten die Bewohner Bantams sehr schwer heimgesucht.
Die Sümpfe sind die Stätte der Malaria — dies bezweifelt Nie-
mand — ihre aufsteigenden Miasmen verpesten die Luft und bringen
Menschen und Thieren den tödtlichen Keim — auch dieses be-
zweifelt Niemand. Wie diese in den menschlichen Organismus ge-
langen, hat bis auf die jüngste Zeit Niemand bezweifelt; die Luft
führt das fieberbringende Gift in den Organismus. .Aber Prof. Koch
hat während seines zweijährigen Aufenthaltes in Englisch-Lidien ein
« anderes ätiologisches Moment gefunden: die Mosquitos. Pulvirenti
will den Nachweis bringen, »dass die Krankheit (die Malaria) allent-
balben dort entstehen kann, wo organische Materien in Fäulniss
gerathen«. «
Meine Erfahrungen bestätigen die Beobachtungen Pulvirenti's
in vollem Maasse, während die des Prof. Koch wahrscheinlich auf
einem post hoc etiam propter hoc beruhen.
Wo Mosquitos sind, dort sind Sümpfe, und dort kommen Ma-
lariafälle vor; aber es giebt auch in den Tropen Landstriche, welche
frei von Mosquitos sind und doch vom Fieber heimgesucht werden.
Grassi konnte in allen jenen Gegenden, wo Malaria vorkommt, eine
eigenartige grosse Mückenspecies nachweisen. Bei der Untersuchung
dieser Insecten, nachdem sie das Blut von Malariakranken gesogen
hatten, fand er die Gegenwart von geisseltragenden Elementen im
Thierleibe.i) Ohne geradezu des Köhlerglaubens mich schuldig zu
W. M. W. Nr. 47, 1898.
M&larift. 96
machen, glaube ich gerne, dass Prof. Koch's Beobachtungen richtig
seien — sie sind ja im Ganzen und Grossen dieselben als die von
Orassi, wie wir sahen — aber ich glaube nicht, dass es die ein-
zige Ursache sei, und dass Luft und Wasser gleichfalls eine grosse
KoUe spielen in der Aetiologie der Malaria.
Auch im Gebirge entstehen ja oft verheerende Fieber -Epi-
demien, ohne dass Mosquitos oder andere Insecten die Vermittler
derselben sind. Um nur ein Beispiel Ton hundert anderen zu bringen:
in den Achtziger Jahren wurde in Magelang ein neues Campament
gebaut, d. h. Casemen mit OfGicierswohnungen, und zahlreiche Fie-
berfälle kamen unter den Arbeitern vor. Ueberall und ohne Aus-
nahme tritt in Java eine Fieberepidemie auf, sobald der Boden
aufgelockert wird, und dieses stimmt auch mit der Behauptung von
Puivirenti, dass die Malaria dort entstehen kann, wo organische
Materien in Fäulniss gerathen — Magelang hat keine Mosquitos.
Auf Bomeo, wo ich an der Grenze des Diluviums sass, hat-
ten wir keine Mosquitos, zu gewissen Zeiten aber heftige Fieber-
fälle, ja noch mehr. Die indische Regierung sorgt für eine zweck-
mässige Irrigation des Landes, um dem Reisbau in allen Theilen
des Landes eine ergiebige Ernte zu ermöglichen, und wo der Boden
zu diesem Zwecke aufgewühlt wird, entsteht eine Fieberepidemie,
ohne dass damit eine Einwanderung von Mosquitos stattfände. Ueber-
all giebt es auf Java Plätze und Gegenden, welche eine Zeitlang
ob ihrer »Gesundheit« berühmt sind, um nach einigen Jahren wieder
von Fieberepidemien heimgesucht zu werden. Wenn auch in vielen
Fällen dafür eine Ursache gefunden wird, z. B. das Anlegen von
neuen Beisfeldem oder ausgedehnten Bauten, so fehlen uns dafür
oft genug nachweisbare Ursachen — Mosquitos waren im Gebirge
nicht eingewandert. — Es könnten vielleicht (nach Grassi) andere
Lisecten die Vermittler sein; aber welche? Die Hunde haben in
Lidien Flöhe, aber nicht die Menschen; Wanzen kommen nur in
Spitalern und Gefängnissen vor. Auch Fliegen findet man; sie
stechen aber nicht, und es muss erst der Nachweis gebracht wer-
den, dass eine intacte Haut den Zutritt der Mikroorganismen ge-
stattet, abgesehen davon, dass a priori diese Annahme beinahe un-
möglich ist.
Professor Koch weilt momentan (December 1899) in Batavia,
um die Entstehungsursachen der Malaria zu studiren. Das Ueber-
96 Malaria. — Geographie von Bantam.
tragen , des Giftes (der Plasmodien) dieser Krankheit durch Mob-
quitos scheint, nach den spärlichen Berichtßn zu nrtheilen, welche
mir darüber bis jetzt zugänglich waren, die Hauptfrage tu sein,
welche diesen Bacteriologen bei seinen Untersuchungen beschäftigt.
Ich will gerne jurare in verba magistri und das Besultat seiner Ar-
beiten selbst kritiklos annehmen, weil er der Meister auf diesem Q-e-
biete ist. Aber trotzdem muss ich wiederholen, was ich im ersten
Bande, Seite 20 behauptet habe, dass auch das Wasser ein Ver-
mittler der Malaria ist, und dass die indische Regierung eine grosse
Unterlassungssiinde begehen ?nirde, wenn sie in der Sorge, das Land
Ton den xerheerenden Verwüstungen der Malaria zu befreien, sich
auf die Vernichtung des schädlichen Einflusses der Mosquitos ^) be-
schränken würde.
Die Provinz Bantam ist schwach bevölkert. Nach der letzten
Volkszahlung von 1893 hatte sie nicht mehr als 638,567 Einwohner
bei einer Grösse von 140,664 Q Meilen, d. h. 4520 auf die geogr.
QMeile. Darunter befanden sich 275 Europäer, 1657 Chinesen,
36 Araber, 32 Orientalen und 636,567 Eingeborene (worunter die
zahlreichen eingewanderten Javaner, Sumatraner, Malayen und Be-
wohner von West-Bomeo, der Insel Banda u. s. w. inbegriffen
sind).
Zahlreiche Gebirgszüge durchziehen das Land, und nur die
Nordküste ist flach; nur die Vulcane Karang (1600 Meter hoch)
und Pulusari (1200 Meter), der Trachytkegel Pajung (133 Möter)
und die Berge Endut (120 Meter) und Tukung (700 Meter) sind
aus der grossen Zahl der Bei^e dieser Provinz erwähnenswerth.^)
Grosse Ströme oder Flüsse besitzt Bantam ganz und gar nicht;
nur wenige Meilen weit in's Innere des Landes sind der Tjikandi
und der Pontangfluss befahrbar; die kleinen Flüsse Pandan, Tjima-
nok, Tji-Panimbang und Tji-ßarenoh sind kaum nennenswerthe Ver-
^) Es ist bereits gelungeo, durch mijjcroskopische Schwämme die Heu-
schrecken in grossen Massen sterben zu lassen. Yielleicht wird sich ein Mittel
finden lassen, um auch diese Landplage (die Mosquitos) Indiens durch Vei^if-
tung mit solchen niedrigen Pflanzen epidemisch zu Grunde gehen zu lassen.
*) Die Kohlenlager von Bodjong Manick und von Bodjong Mangku sind
kaum dem Namen nach bekannt. Ein gleiches Schicksal haben die Bittersalz-
Quellen, Schlamm wellen, warme Quellen und Jodium haltende Wasser dieser
Provinz.
Geographie von EaDtam. 97
kehrswege des übrigenB sehr unbedeutenden Handels mit den Natur-«
producten des Landes.')
Eine grosse Zahl Inseln liegt in der Nähe der nördlichen,
westlichen und südlichen Küste dieser Provinz (die Ostgrenze formt
die Provinz Preanger); die vdchtigsten darunter sind in der Sunda-
strasse die Insel Krakatau und im indischen Ocean die Prinzen*
Inseln (= Pulu Panaitan). Im Jahre 1883 (27. [?] August) erfolgte
eine so heftige und mächtige Eruption des seit Jahrhunderten
ruhenden Vulcanes auf der Insel Krakatau, dass die ganze West-
küste Bantams mit der Hafenstadt Anjer und die Südküste von
Sumatra fürchterlich heimgesucht wurden ; beinahe 20,000 Menschen
fielen ihr zum Opfer. Als ich zum letzten Male (im Jahre 1897)
die Sundastrasse passirte, zeigte die Insel Krakatau nur das un-
schuldige und liebliche Bild eines kleinen, dicht bewachsenen Hügels
von vielleicht 80 Meter Höhe, und nichts verrieth mehr die unge-
heure Verwüstung und Verheerung, welche vor 14 Jahren dieser
kleine Berg oder diese kleine Insel über das unglückliche Land
Bantam gebracht hatte. Auch die Insel Panaitan, auf welcher
schönes Bauholz gefunden wurde, verlor im Jahre 1883 alle ihre
Bewohner theils durch die glühende Lavamasse, theils durch den
Hunger. Eine solche ungeheure Bimssteinmasse hatte die ganze
Sundastrasse bedeckt, dass nur unter den grössten Anstrengungen
der indischen Regier^g die Schifffahrt -Verbindung mit der Provinz
Lampong (Süden von Sumatra) am 29. August wieder eröffnet
werden konnte. Die Insel Panaitan jedoch verlor alle Einwohner,
weil die Feuermassen alle Lebensvorräthe — pflanzlicher und
thierischer Herkunft — verbrannt hatten, und erst nach vielen
Wochen ein Verkehr mit dem festen Lande ermöglicht wurde.
Heute ist diese Insel wieder gut bevölkert, weil sich dahin alle Be-
wohner des südlichen Bantams flüchten, welche durch die Tiger in
ihrem Leben sich bedroht sehen.»)
Keine Provinz Javas hat im Laufe dieses Jahrhunderts von
allen möglichen Unbilden so viel als diese Provinz gelitten. Fieber-
Epidemien, Viehpest, Hungersnoth, Ausbruch der Vulcane, Ueber-
schwemmungen, und nicht am wenigsten Krieg haben in den letzten
Vide Fassnote 2, Seite 96.
s) Für die Richtigkeit dieser Nachrichten über die Insel Panaitan will ich
nicht einstehen, weil sie nur den Mittheüungen eines Häuptlings von Lebak
entnommen sind.
Breitenitein, 21 Jahre in Indien II. «
gg Geographie von Baatam.
Jahrzehnten zu wiederholten Malen diese unglückliche Provinz heim-
gesucht. Wie wir im letzten Capitel sehen werden, war der Sultan
von Bantam ein mächtiger Despot. Der Letzte, Namens Mo-
hammed Tsafiu 'd-din, regierte vom Jahre 1815 — 1832 und wurde
wegen Theilnahme an Seeraub von der indischen Regierung abge-
setzt und nach Surabaja verbannt. Natürlich erhoben sich darauf
zahlreiche Prätendenten, und nur zu häufig musste Gewalt diese
Aufstände unterdrücken. Die bedeutendsten darunter waren die von
den Jahren 1834, 1836, 1839, 1850 und 1888. Seit dieser Zeit
ist der willkürliche Despotismus der einheimischen Fürsten gebrochen,
und nur einzehie fanatische — meistens arabische — Priester nähren
die schwache Gluth der Unzufriedenheit unter entthronten kleinen
Despoten. Die holländische Regierung steht hier vor einer schönen
Aufgabe: Eine durch zahlreiche Unglücksfälle in Verfall gerathene
Provinz zur alten Wohlfahrt zu erheben. Wenn früher Bantam
durch seine Ausfuhr von Pfeffer, Reis, Indigo, Kaffee u. s. w.
blühte, so kann es ja durch eine weise Regierung seine frühere Blüthe
wieder erreichen. Zucker, Gatechu, Thee, Ghinabaum, Muskatbäume
u. s. w., kurz, alle Producte der Tropenwelt finden in Bantam einen
üppigen Boden, und in der Tiefe der Gebirge sind noch viele Schätze
verborgen, welche von unternehmenden Männern gehoben werden
können.
6. Oapitel.*)
Nach Buitenzorg — Der Bei^ Salak — Dm Sehloss des
Oonremeur-O^eneral — Ein weltberflhinter botaniselier €larteii
— Batu-tuUs = beschriebener Stein — Ein gefihrlieher
Kutscher — Die Preanger-Prorinz — Warme Quellen — Sana-
torien — Indische C^ewBrze — Ein reicher Beamter — Das
Tanzen (Tandak) der Jaranen — Wi^ang orang = Theater —
W^Jang IJina = chinesisches Theater — Wftjang Kulit =
Schattenbilder — Spiele der Jaranen — Eine Theeplantage —
Bambus -Wunden — Eine langweilige aber einträgliche
Ctamison — Einfluss der ^reinen Bergluft^ — EuropSische
Oemllse auf Jaya — Ein Jayanischer Fflrst rerheiratet mit
einer europäischen Dame — Malayische Gedichte (Panton) —
Mischrassen — Ein ausgestorbener Krater.
A m 19. August 1888 yerliess ich Atjeh (Nordküste von Sumatra),
-^^ kam am 23. in Padang an und erfuhr dort, dass ich in »Ngawie«
eingetheilt sei, dass ich also von dem )>heissen Atjeh« in die »Hölle
Javas« versetzt wurde. Wir beide jedoch, ich und meine Frau, hatten
das Bedürfniss, uns »eine kalte Nase zu holen«, i) d. h. durch die
kühle und frische Luft im Gebirge unsern durch die Wärme er-
schlafften Organismus ein wenig aufzufrischen, und ich beschloss
also, bevor ich nach meinem neuen Standplatze abging, einen 14tägi-
gen Urlaub anzusuchen. Da ich zwei volle Jahre den beschwer-
lichen Dienst in Atjeh ununterbrochen versehen hatte, und zwar,
trotzdem die Beri-Beri mich heimgesucht hatte, ohne auch nur
einen einzigen Tag mich krank gemeldet zu haben, wurde mir dieser
>) Indisch'hoüäDdisches Sprichwort.
*) In der Provinz Preanger bin ich im Jahre 1881 in Garnison gelegen
und habe sie einige Male als Tourist durchreist. Um Wiederholungen zu ver-
meiden, muss ich die chronologische Reihe meiner Erlebnisse unterbrechen und
7*
100 Nach Bnitenzorg.
Urlaub bewilligt, und ich unternahm eine Reise in die viel ge-
priesene und yiel gerühmte Provinz Preanger. Zunächst ging die
Heise per Eisenbahn nach Buitenzorg (= ohne Sorge = bogor M.).
Da ich im Jahre 1881 in dieser Residenzstadt des Gouverneur-
General in Garnison lag, so war mir die Stadt gut bekannt, und
ich konnte meiner Frau sofort alle Sehenswürdigkeiten beschreiben
und zeigen. Zunächst muss ich jedem Touristen anrathen, mit
der Regenzeit zu rechnen. So viel wie in Buitenzorg, regnet es in
ganz Indien nicht. Zwischen 4 und 5 Uhr Nachmittags beginnt während
des ganzen Jahres beinahe täglich ein intensiver Tropenregen, und die
beiden Monsune unterscheiden sich nur dadurch, dass es zur Regenzeit
oft auch Vormittags regnet, während im Ostmonsun den ganzen Vor-
mittag und oft bis zur ersten Abendstunde schönes Wetter ist. Der
August ist der trockenste Monat mit 273 Mm., während im Januar
534 Mm. Regen fällt. Unter 44 Plätzen im indischen Archipel, in
welchen die täglich gefallene Regenmenge gemessen wird, hat diese
Stadt den ersten Rang, und zwar 5208 Mm.,^) während die niedrigste
nur mit wenigen Worten meine Wanderungen vom Jahre 1881 bis 1888 andeuten:
Vier Monate blieb ich in der Provinz Bantam. Nachdem ich hierauf elf Monate
in Buitenzorg, der Besidenz des Unterkönigs (= Gouverneur- General) gedient
hatte, begann abermals das Wanderleben. Im Jahre 1882 war ich in Welte-
vreden und in Telok Betong (Süden von Sumatra) in Garnison, musste im Sep-
tember wiederum nach Weltevreden transferirt werden, um mich einer Prüfung
für den Rang eines Regimentsarztes zu unterwerfen. Nachdem ich diese mit
Erfolg abgelegt hatte, wurde ich nach Batu-Djadjur geschickt, wo die grosse
Schiessstätte der Artillerie sich befand. Ende März 1883 kehrte ich nach Ba-
tavia zurück und bekam nach zwei Monaten den Auftrag, das zehnte Bataillon
nach Atjeh zu begleiten. Kaum drei Wochen später wurde ich nach „Polonia*'
in der heutigen Provinz „Ostküste von Sumatra*' transferirt, wo ich an der
äussersten Grenze des holländischen Gebietes wieder zehn Monate lang in dem
Fort Seruway, abseits von der menschlichen Givilisation, mit zwei Officieren
lebte. Die Einöde dieses Festungslebens machte sich um so fühlbarer, als ich
schwer krank wurde und meine Abberufung sich verzögerte. Im März 1884
verliess ich endlich diese einsame und verlassene Gegend, und nach sechswöchent-
lichem Aufenthalte in dem Spitale zu Weltevreden bekam ich einen zweijähri-
gen Urlaub nach Europa. Am 19. Juni 1886 kehrte ich nach Indien zurück
und wurde bei meiner Ankunft in Batavia angewiesen, nach Atjeh (Nord-Sumatra)
zu gehen, wo die Eingeborenen einen Guerillakrieg gegen die HoUänder führten.
Hier blieb ich (mit meiner Frau, welche ich im Mai 1886 in Rotterdam gehei-
ratet hatte) volle zwei Jahre, um hierauf die Insel Java bis zum Jahre 1897
nicht mehr verlassen zu müssen.
>) Berechnet nach einem Durchschnitt von 10 Jahren.
Buitenzorg. IQl
(in ProboliDgo) nur 1213 Mm. per Jahr aufzuweisen hat. Wenn
also das Kegenwasser in Buitenzorg während eines Jahres nicht ab*
laufen könnte, würde es eine Wassersäule von mehr als 6 Metern
bilden und somit eine wahre Sündfluth darstellen. Dies ist in
Buitenzorg nicht zu befürchten; es ist hinreichender Abfall der
Wege vorhanden, und ausserdem ist der Boden so weich, dass
schon wenige Minuten nach dem stärksten Begengusse ein Spazier-
gang mögUch ist.
Wenn ich auch während meines Aufenthaltes in dieser Gar-
nisonsstadt (im Jahre 1881) von den drei Hotels: Chemin de fer,
Bellevue und Buitenzorg immer das erstere benutzt hatte, weil es
«in grosses, schönes Hotel war, dessen Küche mit Recht gerühmt
wurde, ging ich diesmal doch iu's Hotel Bellevue, welches mitten in
der Stadt liegt und seinen Besuchern von der hinteren Veranda aus
ein prachtvolles Panorama des Berges Salak bietet.
Von der Station führt eine breite Strasse links nach dem Palaste
des Gouverneur-General mit dem botanischen Garten, und bei diesem
vorbei rechts nach dem chinesischen Quartier und links nach dem
»Campameut«. Neben dem Palaste befindet sich ein kleiner Platz
mit dem Postgebäude und im Hintergrunde das genannte Hotel. Es
war 6 Uhr Abends, als wir ankamen, der Begen hatte aufgehört,
und nachdem wir ein erfrischendes Bad genommen und Kleider und
Wäsche gewechselt hatten, machten wir zunächst einen Spaziergang.
Beim Postgebäude vorbei kamen wir auf die grosse Strasse, welche
in das chinesische Quartier und nach Garut führt, von wo ein
kleiner Weg rechts ab nach Batu-tulis geht (6 Kilometer). Im
scharfen Bogen krümmt sich der Weg in die Hauptstrasse des chi-
nesischen Kleinhandels. (Fig. 3.) An der rechten Ecke steht das
»Spuckhausc, welches ich im Jahre 1881 bewohnt hatte. Es war ein
grosses Haus, welches früher ein Clubgebäude gewesen war und viele
Jahre lang unbenutzt stand, weil — jeder frühere Bewohner darin
gestorben war. Ihm gegenüber war der südliche Eingang zum welt-
berühmten botanischen Garten und zum Palast des Gouverneur-Ge-
neral.
Der kundige und brave Hortulanus S. Binnendyk war seit-
dem gestorben; jedoch Professor Treub, ein Pllanzenphysiologe von
europäischer Berühmtheit, schaltete und waltete noch immer mit
demselben Eifer und Tüchtigkeit, mit welcher er die Botaniker der
102 Boitenxorg.
ganzen Welt auf dieses Kleinod des Gartenbaues aufinerksam ge-
macht hat. Es ist jetzt mit einem physiologischen Laboratorium ver-
bunden, wohin jährlich europäische Pflanzenphysiologen aus allen
Theilen der Welt ziehen, um ihren Forschungen und Studien unter
Leitung und Mithülfe des Prof. Treub obzuliegen. Im Jahre 1819
Ton dem damaligen Director des Departements »für Landbau^
Kunst und Wissenschaft«, dem Prof. Reinwardt, errichtet, um ganz
praktische Zwecke zu verfolgen, und zwar den Nutzen der grossen
imd üppigen Flora der inländischen Colonien zu erforschen, trat
dieses Ziel bald in den Hintergrund, und die Botaniker Hass-
karl, Teysmann und Treub schufen einen botanischen Grarten,
welcher seines Gleichen in der ganzen Welt nicht findet. Er wurde
nicht nur der Sammelplatz aller tropischen Gewächse, welche
systematisch gepflanzt sind und dennoch den strengsten Anforderungen
der Aesthetik Rechnung tragen, sondern auch aller subtropischen
Gewächse und zahlreicher Bäume des kalten E^imas. Es wurden
nämlich yor 30 Jahren fünf Berge als Adnexe dieses Gartens er-
wählt, welche mit europäischen Gewächsen bepflanzt wurden, um
ein ganzes Bild der Weltflora bieten zu können. Diese Berggärten
heissen: ^TjiOPanas (1050 Meter hoch), Tji») Bodas (1290 Meter),
TjiO Berem (1460 Meter), Kandang Badak (2370 Meter) und der
Berg Pangerango (3020 Meter).
Wie gewöhnlich des Morgens fanden wir am andern Tage
den Salak wolkenfrei. Unsere 2iimmer mündeten in die hintere
Veranda, und die kühle Morgenluft entlockte uns, die wir dieser
Temperatur zwei Jahre lang entwöhnt waren, ein leichtes Frösteln;
nachdem wir uns durch Unterkleider gegen diese kühle, feuchte
Luft geschützt hatten, gaben wir uns bei einer Schale heissem
Kaffee ganz dem Genüsse dieses wunderschönen Panoramas hin*
An seinem JPuss sieht man das tief gefurchte Thal von dem Tji
Dani = Danifluss, mit einer hölzernen Brücke. • Das braune Wasser
ist von allen Seiten von grünen Laubwänden eingeschlossen; vor
uns eine kleine Landzunge, wo Hütten der Eingeborenen im Gre-
büsch verborgen sind; zu unserer Rechten ein Hügel mit einer
Gruppe von Palmen gekrönt, und links eine B^ihe von mächtigen
Cocospalmen. Der Hintergrund wird eingenommen von der unge-
1) Genannt nach dem gleichnamigen Flusse, welcher auf diesem Berge ent-
springt oder wenigstens in seiner Nähe fiiesst.
Der Berg Salak. 103
heturen Masse des dreiköpfigen, bis in die Tiefe seines Inneren zer-
klüfteten Salak, dessen Abhänge, seit seine Glnth erloschen ist, in
schöner Abwechslung mit Wald und Gartenanlagen geschmückt sind.*
Neben der höchsten Spitze, dem Elephantenberg,^) zeigt sich im
Westen der eigentliche Salak und der Berg Tji Apus im Osten;
thatsächlich gehören diese drei höchsten Punkte zu einem Berg-
rücken, welcher nichts anderes als der alte Kraterrand eines Vulcanes
ist. Der Krater läuft gegen Norden hin in einer tiefen Schlucht
aus, welche durch das Flüsschen Tji Apus dem angesammelten
Wasser einen Ausweg schafft. Brausend und schäumend bahnt sich
sein Wasser über Felsenblöcke einen Weg nach der Ebene und ver-
einigt sich bei Tjampea mit dem Danifluss. Reisfelder und Kaffee-
gärten bedecken bis zu einer Höhe von 1000 Metern den tief ge-
legenen Abhang, während die üppigste Vegetation von Palmen und
anderen stolzen Bäumen von hier aus bis zur höchsten Spitze sich
erhebt. Links vom Salak sieht man in einiger Entfernung den
schlanken Kegel des Pangerango sich in die Lüfte erheben. Er
ist die höchste Spitze 3) des Gebirges Gedöh, welcher Name jedoch
im engeren Sinne jener weniger hohen, kahlen Felsenwand gegeben
wird, die eine leicht« Bauchwolke zum Himmel sendet, und im
Hintergrunde das liebliche Panorama schliesst.^)
Um i/a8 Uhr nahmen wir unser Schiffsbad, um 8 Uhr unser
copiöses Frühstück und um 9 Uhr gingen wir, um zunächst den
botanischen Garten und das Aeussere des Palastes ^) zu besichtigen.
Ich wählte zum Eintritte das südliche Thor, und eine schöne, breite
Strasse mit einer Allee von Kastanienbäumen, an denen zahlreiche
Orchideen in allen Farben und Grössen prangten, führte uns zur
Südseite des Palastes. Prof. Treub war nicht anwesend, und so
musste ich darauf verzichten, das Trockenhaus, das Glashaus und
andere Schuppen, welche sich bei diesem Eingange befinden, be-
sichtigen zu können. Auch die Wohnungen des Directors und
Hortulanus befinden sich hier an der Südwestseite des Gartens.
Diese Allee ist ungefähr einen Ealometer lang und hat an ihrem
nördlichen Ende einen schönen Teich mit Victoria regia und Lotus-
Der Qunnng Gadjah = der Elephantenberg ist 2225 Meter hoch.
*) 3622 Meter hoch.
») Nach Veth IH, 84.
^) Buitenzorg ist nämlich seit dem Jahre 1746 die Residenz des Gouverneur-
General von Holländisch-Indien.
104 ^M SohloBB des Oouyenieur-General.
-%-
blumen, und in seiner Mitte eine kleine Insel, welche dicht mit
Pandaneae, Palmen u. s. w. bepflanzt ist. Die Front des Schlosses
(Fig. 4) ist ein schönes Rondean mit zahlreichen Säulen; hier be-
finden sich auch diejpimmer der Adjutanten und der Intendanten.
Im Jahre 1881 hatte ich zwei Mal Gelegenheit, das Innere des
Schlosses zu sehen. Das erste Mal war es ein gewöhnlicher
Empfaugsabeud, bei welchem der General-Gouverneur, umgeben Yon
seinen Adjutanten, Gerde hielt. Der Empfangssaal ist gross und schön;
in den kleinen Sälen hängen die Porträts aller Gouverneur-Generäle,
welche bis jetzt in Indien im Namen des holländischen Königs
regiert hatten. Das zweite Mal gab folgender Anlass dem Gouver-
neur-General Jacobs Gelegenheit mich in Privataudienz zii empfangen.
Im Jahre 1880 herrschte im Süden der Provinz Bantam eine schwere
Malaria-Epidemie, und ich wurde, wie früher erzählt wurde, mit
noch drei anderen Aerzten dahin gesendet, dieser armen Bevölke-
rung Hülfe zu leisten. Nachdem unsere Mission vollbracht war,
sollte eine regelmässige Hülfe durch Zusendung von entsprechenden
Medicamenteu u. s. w. stattfinden.
Die Regierung fand sich hierbei im Widerspruch mit dem Sani-
tätschef, und zwar was die Frage betrifft, ob die Eingeborenen über-
haupt andere Arzneien als das Chinin, welches damals noch sehr
theuer^) war, einnehmen würden. Vom Intendanten wurde »Seine
Excellenz«: auf mich aufmerksam gemacht, welcher in dieser Streit-
frage aus Erfahrung gewiss einiges mittheilen könnte. Eines Tages
erhielt ich also die Mittheilung, dass Seine Excellenz mich nach der
Visite im Spitale zu sprechen wünsche, und dass ich zu diesem
Zwecke ohne Veränderung meiner täglichen Toilette im Palast mich
einfinden sollte. Um 11 Uhr kam ich in das Schloss und fand die
drei Adjutanten bei der Thombretafel. Der Marinelieutenant C.
meldete mich an, und sofort befand ich mich im Arbeitszimmer
Seiner Excellenz. Es war ein hohes, jedoch nicht besonders grosses
Zimmer, einfach möblirt, und der grosse Bücherschrank beherrschte
den Totaleindruck. Der Empfang war ein sehr liebenswürdiger, und
wenn mich meine Erinnerung darin nicht trügt, bekam ich selbst
beim Kommen und Weggehen einen Händedruck. Meine Erfahrung
über oben erwähnte Streitfrage ist seit dieser Zeit dieselbe geblieben.
*) Im Jahre 1876 zahlte die indische Regierang für ein Küo Chinin 279 fl.,
in letzter Zeit fiel es bis auf 39 fl.
Das Schlofls des QouTemeur-GeneraL 105
Der Kampongbewohner wird bei jeder Erkrankung mit seinen ein«
heimischen Kräutern beginnen, bei langdauemder erfolgloser Be-
handlung wird er das Chinin, Santonin oder das Bicinusöl der Euro-
päer sich zu YerschafiPen bemühen, aber ander^/europäische Arzneien
wird er nur unter dem Hochdruck eines europäischen Arztes oder
▼ielleicht eines Doctor-djawas ^) nehmen.
Die anderen inneren Jääumlichkeiten des Palastes habe ich
niemals besichtigen können. Wenn ein Gouverneur-Oene;ral seinen
Posten verlässt, werden seine Möbel unter den Hammer gebracht,
und bei dieser Gelegenheit strömen die kauflustigen Menschen durch
das ganze Haus. Während meines Aufenthaltes in Buitenzorg hatfe
dieser Wechsel des Unter-Königs nicht stattgefunden ; zu einem Diner
wurde ich niemals eingeladen, ich kenne also von diesem Hause nur
den Empfangssaal und das Arbeitszimmer. In diesem Palaste be-
finden sich auch die höchsten Aemter der Kegierung, obzwar der
eigentliche Sitz der Begierung Weltevreden ist. Der streng cen-
tralistischen Begierungsform Indiens entsprechend, ruhen alle Ent-
scheidungen in letzter Instanz in der Hand des Gouverneur-Gene-
ral, und er besitzt darum ein grosses und zahlreiches Bureau-
personal, welches unter dem Namen »Allgemeines Secretariat« that-
sächlich die Spindel ist, um die sich alles dreht. Es besteht aus
einem General-Secretär mit zwei Gouvernements-Secretären, zwei
Beferendaren, einem ArchiTai, einem Expediteur, sechs »Haupt-
commis«: und 22 »Commis<i: und anderen Beamten für specielle
Dienste, z. B. für die Statistik und für die Bedäction des >Staats-
blattes«.^)
An der Ostfront des Palastes liegt ein Blumengarten mit einem
schönen Vogelhause, welches für den Privatgebrauch des Gouver-
neur-General und seiner Familie abgeschlossen ist. In einem
Teiche steht ein kleiner Tempel mit den Gebeinen der im Jahre
1813 verstorbenen Frau des Lieutenant -Gouverneurs von Java,
Th. Stamford Baffles, und auf der Westseite des Teiches und
des angrenzenden Weges ist der Begräbnissplatz der jetzigen Be-
wohner des Palastes. Auch befindet sich in diesem Garten das
Denkmal des Hortulanus Teysman, welcher zur Zeit meines Aufent-
haltes in Buitenzorg (1881) noch lebte, kurz darauf starb und einen
') Vide I. Theil, Seite 167.
*) Vide L. F. Schulze, Führer auf Java.
106 Bin weltberühmter botanischer Garten.
bedeutenden Antheil an der jetzigen Bedeutung dieses botanischen
Oartens hatte. Die systematische Anordnung nach Familien und
Unterfamilien der Tropenflora war in erster Reihe im Auge behalten;
schon dadurch allein ist es ein reizendes Bild. Hier ist eine Gruppe
Yon Palmen aus allen Ländern des Tropengiirtels ; was für einen
prachtvollen Anblick giebt uns die Allee von Fächerpalmen! Dort
ist eine zierliche Gruppe von allen bekannten Sorten des Bambus-
rohres; über dem Teiche mit der Lotusblume und der Victoria regia
neigen mächtige Waringinbäume (Ficus religiosa) ihre Wipfel, und
wie ein Wald in den Lüften schweben ihre Luftwurzeln über die
Fläche des Wassers. Hier sind Alleen, deren Bäume ein grünes
lebendes Dach mit ihrem Laube bilden, das kein Sonnenstrahl durch-
dringen kann, und dort sind mächtige Waldriesen, zwischen denen
sich Lianen nach allen Seiten kreuzen und uns das Bild eines Ur-
waldes Yorzaubem. Leider bin ich kein Botaniker und muss es mir
versagen, von den 300 Pflanzenfamilien mit ihren 2500 Geschlech-
tern und mit ihren 10,000 Arten auch nur die wichtigsten Vertreter
anzuführen, und muss mich auf die wenigen Andeutungen beschrän-
ken, um jedem Botanicus zuzurufen: Gehe hin und sieh selbst!
Der grosse Weg, welcher auch befahren werden darf, führte
uns auf der Westseite des Palastes vorbei zum nördlichen Haupt*
thor und durch dieses in die grosse, schöne Strasse, welche an dem
neuen Gampament, Militärspitale, dem Officiers-Glub und dem Hause
des Assistent-Residenten vorbei nach Tjilawar führt; am Ende der
Stadt steht ein Obelisk, und an diesem vorbei führt östiich ein Weg
nach Tanah Säreal, wo jährlich bedeutende Wettrennen abgehalten
werden.
Der Erfolg der Wettrennen war, abgesehen von Festlichkeiten
und dem damit verbundenen Zuströmen der Fremden, wie überall
auch in Buitenzorg kein nennenswerther. Die Preangerpferde, welche
früher eine grosse Basse, d h. über 1,5 Meter hoch waren, wegen
ihres schlanken und kräftigen Baues sehr gerne zu Luxuspferden
gebraucht wurden, haben durch die Wettrennen nicht gewonnen.
Der Regierung wurde erst durch einen der Häuptlinge der rich-
tige Weg gezeigt, diesen Pferden ihre frühere Bedeutung wieder
zu geben. Es wurden in letzter Zeit drei Deckhengste angekauft,
welche auf Kosten der Begierung von Bezirk zu Bezirk gesendet
werden, während der früher erwähnte Häuptiing die Verbesserung
der Basse sich theuer bezahlen Hess.
Bnhenzorg. 107
Den Rennplatz verliessen wir bald^ weil er eben wie jeder
andere nichts Sehenswürdiges bot; andererseits weckte er so manc&e
Rückerinnerang ans dem Jahre 1881, welche in jeder Hinsicht sehr
angenehm war. In Bnitenzorg habe ich das glücklichste Jahr
meines Lebens gehabt. Ich »diente« angenehm; ich hatte eine
starke Privatpraxis (unter den Chinesen); ich wohnte in einem
grossen und schönen Hause und hatte einen kleinen, aber sehr an-
genehmen Kreis von Bekannten. Das Klima der Stadt ist sehr
gesund und angenehm. Wenn auch bei einer Höhe von 267
Metern die Durchschnitts - Temperatur niedriger als in Batayia
war, so hatten wir in Buitenzorg oft genug des Mittags 30 <* C;
aber der in den Nachmittagsstunden fallende Regen erfrischte und
reinigte die Temperatur, so dass man um 6 Uhr mit frischen Kräften
seinen Spaziergang machen konnte, und die Nächte waren immer
so viel abgekühlt, dass ein erquickender Schlaf neue Kräfte brachte.
Wenn, wie es auf den Strandplätzen so häufig geschieht, auf die
warmen Tage keine kühlen Nächte folgen, so ist der Aufenthalt
hinter dem Mosquitonetze mehr eine Qual als eine Erholung. Man
transpirirt so stark, dass die Bettwäsche nass wird, man ist ge*
zwungen, die Leibwäsche zu wechseln, und wenn man endlich in
später Nachtstunde oder in früher Morgenstunde in den Schlaf fällt,
so ist er nicht erquickend; müde und matt steht man auf und er-
frischt sich durch ein Schiffsbad die Glieder, um gegen 8 Uhr wieder
die starke Transpiration sich erneuern zu sehen. In Buitenzorg
waren die kühlen Nächte Regel. Leider bot dieser Ort aber sehr
wenig geistige Genüsse. Selbst den Club konnte ich wenig besuchen,
weil die angestrengte Praxis mir dazu keine Zeit liess.
Von dem Obelisk kehrten wir auf demselben Wege zurück und
verliessen den Garten bei dem Thore an der Westseite, wo sich
auch eine Wache befand. Diese Wachen werden in Robotdienst
von den Eingeborenen abgehalten und bestehen aus zwei Mann, welche
in einer steiuernen Hütte sitzen ; sie halten eine Gabel in der Hand,
um im gegebenen Falle den Verbrecher beim Halse damit fangen
zu können, und an der Hütte hängt ein grosser ausgehöhlter Baum-
stamm, auf den mit einem Knüttel geschlagen wird, entweder um die
Stunde des Tages anzuzeigen oder Hülfe herbeizurufen. Jeden
Passanten muss sie bei Nacht mit Werda! anrufen. Dieser Wache
gegenüber läuft die Stationsstrasse mit dem Clubgebäude zur Rechten
und einigen europäischen Wohnhäusern und dem grossen Hotel
108 Batu-tulis = beschriebener Stein.
Ohemin de fer zur Linken. Von diesem aus geiit eine Strasse neben
dem Gefängniss und der europäischen Schule nach Empang, dem
Badeplatz Sukaradja und dem Landgute von Tjiomas, dessen Eigen-
thümer eine lange Zeit allen Warnungen der Regierung zum Trotze
seinen Tyrannengelüsten gegenüber der Bevölkerung nicht entsagen
wollte. Von der Eisenbahnstation geht ein Weg nach Norden zu
dem Stadttheile Tjikomoh^ in welchem die neue Landesirrenanstalt
steht, welche allen modernen Ansprüchen au ein solches Gebäude
entspricht.
lieber Empang nahmen wir den Weg ins Hotel zurück, stolz
darauf, »in der Oost« einen so grossen Spaziergang zurückgelegt zu
haben. Meine Frau nahm ein Schiffsbad (siram) und ging in in-
discher Toilette i) zur Reistafel; nach derselben gingen wir zu Bett,
nahmen unsern Thee, um 4 Uhr wieder ein Bad, und um \^25 Uhr
fuhren wir mit einem Wagen nach Batu-tulis == beschriebener Stein.
In dem chinesischen Viertel führt neben dem chinesischen Tempel
rechts ein schmaler Weg, der nur von einem Wagen bequem be-
fahren werden kann und yier Kilometer lang ist, zu einem wunder-
schönen Panorama. In früheren Zeiten stand ein Gesuudheits-Eta-
bliBsement für militärische Reconvalescenten au diesem Orte. Ich
selbst war im Jahre 1881 diesem Ssugetheilt; ich wohnte in Buiten-
zorg und fuhr täglich mit meinem Dos-k-dos oder mit meiner
Victoria dahin. Das Dos-a-dos war mit einem wilden und feurigen
Sandelwoodpferd bespannt, welches nur mit Mühe zu einem ruhigen
Trabschritt angehalten werden konnte. Eines Tages fuhr ich nach
Buitenzorg zurück, und vor mir fuhr der Spitalschef in ruhigem und
gelassenem Schritt seiner makassarischen Pferde ; meinem Pferde war
es zu langweilig, so langsam und ruhig traben zu sollen, und es ging
zum Galopp über. Ich rief dem Kutscher meines Chefs zu, so viel
als möglich den Wagen zur Seite zu lenken, weil ich mein Pferd
vom Galopp nicht abbringen könne; mein Eisenschimmel folgte sei-
nem Willen, und so flogen wir neben dem Coupe des Chefs vor-
bei, die Gläser klirrten, die Schutzreifen beider Wagen brachen,
und ein kräftiger Fluch begleitete den Kutscher, der sich in seiner
majestätischen (?) Ruhe nicht stören liess und nicht um einen Finger
breit von seiner vorgeschriebenen Route abwich. Bald gelang es
*) Die schon oft erwähnten Sarong und Kabaya der europäischen Damen
sind dieselben, welclie die kleinere Prinzessin auf Fig. 6 trägt; mir sind sie
etwas reichlicher mit Spitzen besetzt.
Batu-tuÜB. — Ein gefahrlicher Kutscher. 109
mir, den Uebereifer meines Pferdes zu zügeln, und ich fuhr zunächst
in die Wohnung des Chefs, um seine Ankunft abzuwarten. Seine
Frau war eine hochgebildete feine Dame, welche der deutschen
Sprache sehr gut mächtig war, und als ich ihr den Zweck meiner
Morgenvisite mittheilte und hinzufügte, dass ich nicht wisse, ob ich
bei meinem Chef mich über seinen Kutscher beklagen solle, dass er
so eigensinnig war, nicht ausweichen zu wollen, oder ob ich mich
entschuldigen müsse, weil ich ihren Kutscher beschimpft und die
Fenster des Coupes zerbrochen hatte, nahm sie das Air eines
strengen Richters an, der zunächst eine genaue Untersuchung der
Affaire halten müsse, und befahl mir im strengen Tone zu warten,
bis das corpus delicti, der Wagen, der zweite Angeklagte und der
Kläger, ihr Mann, erschienen seien. Es dauerte kaum eine Viertel*
stunde, und der Wagen meines Chefs fuhr vor. Wir gingen zur
Treppe, und auf die Frage der Hausfrau, warum die Fenster des
Coupes zerbrochen seien, antwortete der Kutscher in seiner uner-
schütterlichen Kühe: »Der Herr Doctor wollte vorfahren, aber ich
kann doch nicht gestatten, oder sogar dazu behülflich sein, dass
Jemand an seinem Vorgesetzten vorbeifahre!« Als wir alle Drei
gegenüber diesen Argumenten in ein schallendes Gelächter aus«
brachen, sah uns der Kutscher verwundert an, weil wir diese primi-
tivste Höflichkeit nicht verstehen wollten, und als ich ihn hierauf
frug, was er gethan hätte, wenn er dabei vom Bocke gefallen, oder
mein leichter Wagen von dem Coup^ seines Herrn zerschmettert
und ich und mein Bedienter den Kopf zerbrochen hätten, fügte er mit
der grössten Buhe hinzu: >Tuwan Allah Kassih = Gottbescheert es.«
Das Militär-Beconvalescentenhaus zu Batu-tulis, in welchem ich
ein Jahr lang thätig gewesen war, bestand aus zwei Reihen Baracken
aus Bambus, welche bei meinem letzten Besuche bereits abgetragen
waren. Ihm gegenüber stand der »gläserne Palast«, welcher ein ein-
stockiges Gebäude aus Steinen war, und dessen erster Stock eine glä-
serne Veranda hatte. Diese war einem der behandelnden Aerzte zur
Wohnung angewiesen, während im Parterre der »Administrator«
wohnte. Das Spital war abgetragen, und der »gläserne Palast« wurde
nur von einem Wächter bewohnt. Noch einmal, und zwar zum letzten
Male, entzückte ich mich an dem herrlichen Panorama, welches der
südwestliche Theil der Veranda mir bot. Schäumend und brausend
wälzt sich das Wasser des Daniflusses zwischen zahlreichen erratischen
Blöcken und kleinen Steinen; Kinder spielen und springen lebens-
110 I^iö Preanger-Provinz.
firoh in diesem seichten Wasser, über welches sich eine zierliche
Brücke, nur aus Bambus yerfertigt, zu dem Fusse des Salak zieht.
Zahlreiche kleine Häuser und Fruchtgärten bedecken den Abhang
des Berges, und ein riesiger Waringinbaum breitet seine doppelt ge-
färbte Krone über lachende Fluren. Das Schnauben der Loco-
motive, welche tief unter mis nach Buitenzorg dampfte, störte uns
in der Betrachtung dieses schönen Panoramas, welches lieblicher und
milder ist als jenes, welches der Salakberg den Bewohnern des
Hotels Bellevue in Buitenzorg bietet.
Den ersten »beschriebenen Stein« fanden wir zwischen zwei
Bambushütten; es war ein Stein, auf welchem die Abdrücke zweier
Füsse sich befanden, und zwar die des Badja Mantri, welcher
auf diesem Steine so lange gestanden hatte, um nachzudenken,
welche Bedeutung die vor ihm liegenden beschriebenen Steine
hätten, bis seine Füsse in dem Stein sich abgedrückt hatten. Die
übrigen Steine werden von den Alterthumsforschern als sprechende
Ruinen des alten Reiches Padjadjaran vielfach beurtheilt und ge-
deutet, und von den Eingeborenen einem mohamedanischen Hei-
ligen, dem Kean Ansantang, zugeschrieben; leider war die Zeit
zu kurz, um mich mit diesen Steinen näher zu beschäftigen.
Die Sonne näherte sich als eine grosse feurige Scheibe dem Hori-
zonte, immer schneller und schneller sank sie hinter die wald-
reichen Gipfel des nahen Hügellandes, und als der letzte Sonnen-
strahl über unsere Köpfe hinweg auf den Abhängen des Salak sich
zu einem feurigen Fächer verbreitete, mahnte er uns zur Bückreise
nach Buitenzorg (Fig. 5); denn die Dämmerung dauerte auch hier^)
nur ungefähr eine Viertelstunde, und der Weg war mit zahlreichen
Steinen bedeckt.
Wir kehrten also nach Buitenzorg zurück, um am folgenden
Morgen die Reise in die »Preangerprovinz« fortzusetzen. Die Nord-
grenze dieser Provinz zieht über die G-ipfel zahlreicher Bergriesen
(HaUmun 1921 Meter hoch, Salak 2215 Meter, Gedeh 3022 Meter,
Sanggabuwana 1298 Meter, Tankubanprahu 2075 Meter, Bukittimpul
2208 Meter und andere hohe Berge), welche an der Ostgrenze in
einen spitzen Bogen übergehen und eine zweite Gebirgskette for-
men, welche beinahe parallel zu der ersten läuft und bei Bandong
eine grosse und einige kleine Hochebenen einschliesst. Diese
Provinz erinnert in vieler Hinsicht an die Alpenländer Europas.
>) Batu-tulis liegt nämlich 6° 35' S. B.
Die Preanger-Provinz. Hl
Sie ist zwar die grösste Provinz Javas (37 l,ooi. O Meilen), aber
auch am wenigsten bevölkert (2,000,033 Einwohner») mit 5391»)
auf die Q] Meile). Sie hat ein herrliches, geradezu südeuropäisches
Klima, hat unzählbare warme Quellen, eine unerschöpfliche Quelle
von Naturproducten (zahlreich sind die Plantagen für Thee, China,
Tabak, Kaffee, Gacao, Vanille, Muscatnuss u. s. w.); aber von
der Gewinnung von Mineralien ist nirgends die Bede; sollte denn
nirgends z. B. Gold gefunden werden, da doch so manche Ruine
<einen grossen Goldreichthum in den ältesten Zeiten vermuthen
lässt. Eine engherzige und kurzsichtige Gesetzgebung im Berg-
bauwesen hat bisher die indische Hegierung im Allgemeinen ge-
zeigt; seit Mai des Jahres 1897 ist sie diesbezüglich liberaler ge*'
worden. In Semarang, oder vielmehr in der Provinz Semarang,
wurden reiche Quellen von Petroleum in Betrieb gesetzt, und das
Leuchtöl der »Dordrechtischen Gesellschaft« hat in China und
Japan einen grossen Theil des russischen und amerikanischen
Petroleums verdrängt. Auch in Celebes wurden Goldminen dem
Handel eröffnet; vielleicht bemächtigt sich der Handel auch des
Bodens der Provinz Preanger und lässt durch fleissige Untersuchungen
des Bodens der Berge neue Quellen der Wohlfahrt eröffiien. Kohlen
befinden sich im Westen Javas; Gold wurde in der Provinz Krawang
gefunden; Zinn auf einigen kleinen Inseln in der Nähe der Rhede
von Samarang; Jodium enthalten unzählbare Quellen; Schwefel
kommt in ungeheurer Masse vor, Marmor im Süden der Provinz
Madiun. Petrefacten, Basalt, Porphyr, Granit, Kaolin, Kalk, Kohle,
Eisen, Späth u. s. w. kommen auf Java vor, ohne dass, wenn wir vom
Petroleum und von einigen heissen Mineralquellen absehen, auch
nur eine einzige Gesellschaft sich gefunden hätte, um diese ver-
borgenen Schätze Javas resp. der Provinz Preanger zu heben.
Einen ungeheuren 'Reichthum an warmen, heissen, kalten, an
indifferenten, an Salz-, Stahl-, Schwefel- und Jodiumquellen hat
Java, und die meisten von ihnen sind unbenutzt und unbekannt.
Die Provinz Preanger allein hat 1 Bittersalzbrunnen (bei Kandang
Wesi), 1 Mofette auf dem nördlichen Abhang des Telaga Bodas,
1 Moorwelle auf dem Salak, 1 wannen Brunnen am Ged^h, 3 warme
Brunnen am Mandalawangi, 2 in Sukabumi, 2 bei Dadap, 1 auf dem
^) Nämlich: 1699 Europäer, 4166 Chinesen, 109 Araber, 11 Orientalen und
1,994,049 Eingeborene.
') Die Provinz Bagelen hat ungefähr 20,000 Seelen pro Quadrat-Meile.
112 Wanne Qaellen. — Sanatorien.
Berge Breng Breng, 1 bei dem Flüsschen Tji Madja, 1 Bittersalz-
bninnen bei Batur, 1 warme Quelle am Berge Patua, 1 heisse und
1 warme bei Pengalengan, 1 auf dem Tangkuban Prahu, 2 bei
Lembang, 1 am Berge Guntur, 1 auf dem Papandajang, 1 im District
Wanakarta. 1 bei Tassikmalaya, 1 im District Karang, 1 bei Tjiwalini,
1 bei Tjibalang; also diese eine Provinz allein hat 26 warme Quellen,
wovon 2 Karlsbad eine bedeutende Concurrenz machen könnten,
wenn — .
Das Ziel meiner Reise war Sindanglaya, ein mit Recht viel
gq>riesener Luftcurort Javas. Zunächst kamen wir (um 10 Uhr
Vormittags) nach Sukabumi, welches ebenfalls ein Reconvalescenten-^
Spital für Soldaten besitzt; es liegt 602 Meter hoch, hat ein mil-
des, leicht warmes Klima und ist besonders geeignet für Recon-
valescenten nach Erkrankungen der Lungen und nach allen Krank-
heiten, welche von Diarrhöe begleitet sind. Nebstdem befanden sich
zwei Pavillons für »Patienten erster Klasse <?c, in welche natürlich
auch Bürger aufgenommen wurden. Es ist nämlich Eigenthum eines
Arztes gewesen, der für seine militärischen Patienten einen gewissen
Betrag berechnete, im Uebrigen -war es in jeder Hinsicht ein Privat-
Sanatorium. Ich selbst bezog es für eine Nacht, und ich und meine
Frau hatten eine angenehme Gesellschaft und eine gute Küche für
diesen einen Tag.
Was mich jedoch unangenehm berührte, war der wissenschaft-
liche Indifferentismus, der damals in dieser Anstalt herrschte; ein
so grosses Material wurde wissenschaftlich nicht verwerthet, und was
nicht direct mit der Behandlung der Patienten in Verbindung war^
wurde ignorirt. Wie viele noch offene Fragen mit Bezug auf das
Leben in den Tropen könnten in einem solchen Sanatorium ihre
Lösung finden? Ich will nur auf die besonders praktische und wich-
tige Frage der Magensäure hinweisen. Fast in keiner Familie fehlt
das Fläschchen Salzsäure (und Ricinusöl) und wird bei allen mög-
lichen Formen der gestörten Magenfunction gebraucht. Ich kann
mir zwar ganz gut vorstellen, dass diese ungeheuren Massen Speise,
welche bei der Reistafel () dem Magen zugeführt werden, keine ge-
nügende Menge Salzsäure für die regelmässige Verdauung vorfinden,
und dass darum eine Nachhülfe mit künstlicher Salzsäure sehr oft
nöthig ist. Auch ist es auffallend, dass den Aerzten so wenig
>) Vide I. Theil, Seite 68.
nu iriftlftyisi'he üffoiitliclii- Täiizcriii mit Ui'i'
eines TApfiig Biilmknii.')
') Nur sehr boKcii wird der Tmiriat oiiie mnlnjisphc Stranspntänüerin
in iihi;rer Toiletto Hfhpn. In ili^r Rcjfol ist üer oKpro TIipü d<T BrusI, Hals und
\Hi'k<'ii uniii-üeckt. wi'il lior Sarnnn iIhs ciii7i£i' 'Ipwand isl, wcIclifK aie bis
luibr d)P AclinHn trä}rl und in dur Taille niil i'incm silhenien (lüiipl seliliesst,
IpIi kann nicht uraliin, nn dieser Stelti' einigüs flhcr dip malayisclie Auf-
fassiMi}; dm Tanzpx mittutheilen.
■So pine .Slrnsapn tanze rin gehört zur Hefe des Volkes und ist eine Prustilnee
ülriclp dictu; eine niiolllndi^ Frau meidpt dpu Taiiü. Dip Rpdajas und Scrinipia
üIh-u ihre Kunst imiuer i>liiic Männer aus. Der euniyäisehp Einfluns hat in
diese AuffaHniing dür Eesehloeht liehen Moral nur eine Bresche Beschnsspn.
Wo die Frau eines Fürtitpn in der europaisehen Gesellsehaft erscheint, nimmt
sie an der Polonaise Theil; im Uebrigen isl jede Berührung des Mannes in
Gegenwart Anderer von Mann und Frau ah unsittlich verpönt.
Indische Gewürze. 1|3
Magengeschwüre zur Behandlung kommen, und dass so selten Hyper-
acidität des Magens, d. hi zu grosser Säuregehalt des Magens
von ihnen diagnosticirt werde; aber dies sind nur aprioristische
Grundlagen für die Annahme, dass in den Tropen, im Gegensatz zu
den Ländern mit einem gemässigten Klima, die Hypacidität des
Magens, d. h. eine zu geringe Entwicklung der Magensäure, eine häufige^
ja selbst regelmässig vorkommende Krankheit sein sollte. Pfeffer,
Senf, Lombok (spanischer Pfeffer = Paprika), Pet^ (Parkia Afri-
cana), Assem (Tamarinda Indica), Vanille, Tjenke (Caryophyllum
aromaticum), Päla(Myristica fragrans), Ketümbar(Coriandrum sativum),
K4pol (Ammonium cardamomum), Kelor (Morynga pterygosperma),
Künir (Curcuma), Kajumanis (Cinnamomum aromaticum), Sintok
(C. Sintok), Kerry, welches aus Santen (Fleisch der Cocosnuss),
Curcuma, Wurzeln von Ingwer, Langkwas (Alpinia galanga), Zwiebeln,
Paprika, Djinten (Anisodrilus carnosus), Kentjur (Kaempheria ga-
langa), Ketümbar Sere (Graminea), Lada (Pfeffer) und anderen Pflan-
zen besteht, sind eine stattliche Aeihe von Gewürzen, welche die
Rysttafel sehr schmackhaft machen und den Magen zu erhöhter Ar-
beit reizen. Ob nun darum allein der Magen keine hinreichende
Menge ^on Magensäure producirt, also eine relative Hypacidität be-
sitze, oder ob im Allgemeinen die Function des Magens in den
Tropen eine träge sei und gerade darum zur erhöhten Thätigkeit
durch diese Gewürze angeregt werden müsse, ist eine der vielen
physiologischen Fragen, welche in den Tropen selbst entschieden
werden müssen, und für deren Lösung gerade solche Sanatorien,
welche über grosses Menschenmaterial verfügen, die geeignetsten
Orte wären.
Auch Sindanglaya, wohin ich mich am andern Tag um 10 Uhr
per Eisenbahn begab, wurde damals wissenschaftlich nicht ausge-
nutzt; der leitende Arzt war ein Psychiater, welcher, wenn ich mich
nicht irre, jetzt Professor dieses Faches in Holland ist; aber für die
vielen hundert offenen Fragen der Biologie in den Tropen ist in
den Sanatorien Javas bis jetzt gar nichts gethan worden. Das
bacteriologische Laboratorium in Weltevreden ist die einzige
Stätte, welche sich über die Grenzen des täglichen praktischen
Bedürfnisses hinaus mit wissenschaftlichen medicinischen Fragen
beschäftigt.
Die weitere Eisenbahnfehrt bot wiederum schöne Panoramen und
stellenweise Meisterstücke der modernen Eisenbahn-Baukunst. Den Berg
Breit enitein, 21 Jahre in Indien n. B
214 Sin reicher Beamter.
Kantjaua (1240 Meter hoch) umzogen wir iii einem grossen Bogen, bis
wir in Tjandjur die Hochebene gleichen Namens (459 Meter hoch) er-
reicht hatten. Hier veriiessen wir die Eisenbahn, wn mit einem Dos-
ä-dos nach Sindanglaya zu faliren.
Tjandjur war bis zum Jahre 1864 die Hauptstadt der Provinz Preanger,
und seit dieser Zeit ist der fiegent dieses Bezirks in jeder Hinsicht ein
Bivale von seinem CoUegen in Bandong. Wenn ich auch auf dieser Heise
Bandong, die Hauptstadt der Provinz Bantam, nicht besuchte, sondern von
Tjandjur direct nach Sindanglaya fiihr, so glaube ich doch aus verschie-
denen Ursachen hier einige Worte über diese schöne Stadt Javas ver-
lieren zu müssen. Im Jahi*e 1882 wurde ich nämlich jener Commission
zugetheilt. welche in Batu-Djadjar, der Artillerie-Schiessstätte auf der
Hochebene von Bandong, von Krupp erhaltene Kanonen untersuchen
und einschiessen sollte.
Hier blieb ich von Mitte December 1882 bis Ende März 1883
und hatte oft Gelegenheit, die nahe gelegene Hauptstadt der Provinz auf-
zusuchen. Von Batu-Djadjar gingen zwei Strassen auf die grosse
Landstrasse; die westliche endete bei der Halte Padalarang, bei welcher
gewöhnhch die von Batavia kommenden Reisenden ausstiegen; die zweite
führte zur Halte Tjimahi, wo seit dem Jahre 1896 ein grosses railitä-
risdies, stabiles Lager») sich befindet In l^/g Stunden konnten wir
Bandong bequem erreichen. Die Stadt liegt zum grössten Theile zu
beiden Seiten der grossen Poststrasse und macht einen freundlichen
Eindruck. Der Regent hat einen schönen Palast, dessen Empfangssaal
geradezu verschwenderisch ausgestattet ist Weim er auch viel von seiner
früheren Grösse und Reichthum verloren hat so ist er dennoch der
reichste Beamte von Java; er bezieht einen (lehalt von 20,000 fl.
pro Jahr, und für jeden Kkol-) Kaffee, der aus seinem Bezirk abge-
liefert wird, einen halben Gulden Prämie, welche jedoch 40,000 fl. nicht
überschreiten darf 60,000 fl. ist ein schönes Einkimnnen für einen
eingeborenen Fürsten, Von dem Vater des gegenwärtigen Regenten
ist es bekannt, dass er nicht nm* einen grossen Aufwand fühi-te. son-
dern auch gegen seine europäischen Gäste in freigebiger imd luxmnöser
Weise die Gastfreundschaft übte. Er bezog allerdings neben seinem
*) Die drei „militärischen Abtheilungen" haben im Innern der Insel ihre
GoncoDtrationspunkte der Truppen: die erste hat l^imahi. die zweite hat Ma-
gelang in der Provinz Kedü und die dritte hat Malang in der Provinz Pasaruan
zum Centrum ihrer Truppenmacht.
«) = 62V, Kilo.
Ein reicher Beamter. 115
Gehalt von 20,000 fl. noch eine Personaiziüage von 24,000 fl. und er-
hielt für jeden exportirten Pikol Kaffee eine Prämie von 1 fl. (bis zu einem
Betrage von 80,000 fl.). (Dieser hohe Gehalt ist nämlich eine Entschä-
digung für den Verlust an diversen Steuern, welche der Fürst von Ban-
dong bis zu seiner Anerkennung der holländischen Souveränität in dieser
Provinz erhoben hatte.) Der alte Regent war ein grosser Freund von
einem wohlgefüllten Stall mit arabischen, persischen und birmanesischen
Pferden; er hielt Pferdewettrennen und Treibjagden in grossem Maass-
sta))e. Bei seinen häushchen Festen Hess er die fürstlichen Tänzerinnen
(Bedajas) auftreten (Fig. 6), Turniere halten und grosse Marionetten in
europäischer Kieidmig den europäischen Tanz persifliren. Auch hatte
er eine kleine Zahl von Hadjis, welche bei festlichen Gelegenheiten das
Gedebus zeigten, indem sie unter Anrufen des Propheten und des
Scheikh Abdul Kadir Djilani und mit wilden Tänzen eiserne Spitzen
in die Brust stachen. Man muss bei den eingeborenen Eiscamotenren
nicht so leicht mit dem Worte Schwindel bei der Hand sein. Ich sah
damals im Club einen Klingalesen, welcher einen Knäuel Zwini ver-
schluckte, in der Magengegend mit einem Messer die Haut ritzte und
aus der Wunde vielleicht hundert Meter Zwirn herauszog!
Den gegenwärtigen Regenten von Bandong sprach ich das erste
Mal in Batu Djadjar; er war von dem Präsidenten der Commissiou
eingeladen worden, das Telephon zu besichtigen und zu gebrauchen,
welches ihm damals (im Jahre 1882) noch unbekannt und zu dem
Zwecke der Controle der erzielten Treffer auf der Schiessstätte in
Gebrauch war. Er kam nur mit einem kleinen Gefolge; sein Stell-
vertreter, der Patti, wurde auf die entfernte Station bei der ersten
Scheibe geschickt und dann wurden sie mit einander verbunden.
Als der Regent durch das Telephon die Stimme seines Patti erkannte,
sprang er im strengsten Sinne des Wortes vor Ueberraschung wie
ein Nan* hei-uni und rief heran sakäli (Wunder über Wunder), apa
plntar orang 'blanda (wie weise sind die Holländer!). Da wir, abge-
sehen von einem giossen Pa>illon (mit doppelten Bambuswänden) für
die Officiei-Hwohnungeu und einem als Caseme, noch einen gemeinsamen
Si^eisesaal hatten, der aus den Contributionen der einzelnen Commissionen,
welche jälirlich hier eintrafen, mit vollkommenem Service für zwölf
Personen eingerichtet war, wollten wir den Regenten vor seinem Ab-
schied zur '>Rysttafel« einladen; er nahm es nicht au, lud uns aber
für den folgenden Sonntag zu seinem Herrenabend ein.
Zwei Officiere — ich selbst war damals noch ledig — hatten zwar
8*
11g Das Tanzen (Tandak) der Javanen.
ihre Frauen bei sich; sie bekamen aber den erwünschten Urlaub»
und 80 gingen wir drei Tage später nach Bandong, zwei zu Pferde
und die übrigen zwei in einem ICähar sewa, d. h. einem kleinen
zweirädrigen Wagen, welcher die Unbequemlichkeit im Sitzen und im
Einsteigen bis zum Maximum zeigt Im Hotel Homan nahmen wir
unser Nachtmahl, und um 9 Uhr fanden wir uns bei dem Regenten
ein. Es wai- ein schöner, reich mit Gold verzierter Emp&ngssaal, oder
vielmehr Empfangshalle (Pendoppo M.). Kaum hatten wir den Haus-
herrn begrüsst, und zwar unter sanften, einschmeichelnden Tönen der
Gamelang, kam ein Bedienter mit einer grossen Platte, auf welcher echt
chinesische Schalen mit EjdTee-Extract standen, und Jeder nahm sich von
dem Zucker und von der Milch nach Belieben. Plötzlich erhob die
Gamelang einen gewaltigen Spectakel, der Regent eilte von uns zu
dem Eintritt seines Pendoppo, um den Residenten zu begrüssen,
dessen Ankunft eben durch diesen Tusch angekündigt wurde. Der
Bediente des Residenten war mit dem goldenen Pajong erschienen
und setzte sich auf der Treppe nieder mit hoch aufgerichtetem, jedoch
geschlossenem Pajong, und wir alle näherten uns dem Vertreter der
Regierung und wurden ebenso freundlich als leutselig von ihm be-
grüsst. Auf ein Zeichen des Residenten erschien auch sofort die ei*ste
Tänzerin, welche eine gewöhnliche Ronggeng war, d. h. eine öffentliche
Tänzerin, welche zu diesem Zwecke von dem Hausherrn gemiethet
wurde. Die Gamelang erhob nun ihre sanfte, liebliche Weise, und die
Ronggeng begann ihren Tanz (?). Sie war nur mit einem Sarong l>e-
kleidet, welcher mit einem silbernen Gürtel in der Taille geschlossen
war, wälirend der obere Theil die volle Büste nur theilweise deckte:
sie hatte keine Schuhe und keine Strümpfe und zeigte einen schönen,,
wohlgeformten, braunen Fuss; auch die Arme, Schultern und Hals-
waren unbedeckt; jedoch hübsche Armbänder zierten den Vorderarm^
in den Ohren waren dicke, mit Diamanten besetzte Stäbe, und in
dem üppigen, i^echschwarzen, glänzenden und zu einem Ktioten (Konde)
gebundenen Haar steckten zahlreiche grosse, mit Edelsteinen l)esetzte
Haarnadeln. Die Stime war theilweise mit Boreh gelb und die Augen-
wimpern schwarz gefärbt Sie begann mit kreisdiender Stimme ein
lied, verschämt lifechelnd brachte sie den Salindang') vor den Mund,
und, ohne viel von der Stelle zu weichen, drehte sie sich langsam
^) == eine Schärpe, welche von der rechten Schulter zur linken Seite ge-
zogen wird.
Das Tanzen (Tandak) der Javanen. 117
im Kreise und streckte bald den einen« bald den andern Arm ein
wenig in die Höhe, wobei die Hand und alle Finger überstreckt waren,
d. h. das Handgelenk einen Winkel von weniger als 90 <^ und die
Finger von mehr als 180<^ bildeten. Was sie sang, verstand ich nicht
und ebensowenig die übrigen Europäer. Aber auch die anwesenden
eingeborenen Häuptlinge erriethen wahrscheinlich den Inhalt der Lie-
der mehr als sie ihn verstanden; wenn ich mich nämhch nicht irre, saug
sie nicht in sundanesischer Sprache, sondern wie die Songgengs im
eigentUchen Java, in altjavanischer (Elawi) Sprache. Bald bethei-
hgten sich auch Männer an diesem Tanze. Den Beigen eröffnete der
fiegent in höchsteigener Person, indem er ebenfalls einen SaUndang
nahm, einen Kyksdalder (=.2.50 fl.) in die dazu bestimmte Kasse
warf mid nun den Bewegungen der Bidaja folgte; es lag seinen
drehenden Bewegungen etwas Caricatm* zu Grunde, ohne dass ich mir
sagen konnte, was persiflirt werden sollte. Hierauf wurde die Schärpe
auch einigen eiux)päischen Herren angeboten, welche in gleicher Weise
1 oder 2,50 fi. in die Kasse warfen und sich Mühe gaben, nach
den Begehl der Kunst zu »tandaken«. Wenn auch die Tänzerin nur
wenige und sehr kleine Schritte machte, also gewissermaassen trippelte,
und nur im Affect in grossen und beschleunigten Schritten im Kreise
herumUef, so bheb doch der »Tandak«^ der Herren (welche dann Beksos
genannt werden) immer eine scherzhafte Caricatur der Tänzerin; be-
sonders die steife Haltung der Arme und Hände wollte den Märuiem
nicht gehngen; auch gelang es ihnen niemals, das vei*schämte und ver-
legene Lächeln der Tänzerin zu imitiren, wenn ein besonders starker
Tabak im Liede — welcher in der Begel die Heroenzeit Javas be-
singt und stark erotischen Beigeschmack hat — die Tänzerin veran-
lasste, eine keusche, verlegene Jungirau darzustellen. Diese Scene
wurde schon darum mit lautem ironischen Lachen der Eingeborenen
begleitet, weil die Bonggengs als zweites Geschäft die Prostitution üben.
Jeder angesehene Fürst hält sich jedoch seine Privat-Tänzerin,
welche, wie z. B. an den Höfen von Solo und Djocja, von hoher Ab-
kunft und bei ihren Tänzen reich mit Gfold und Edelsteinen geschmückt
sind. Da nur die schönsten Mädchen dazu erwählt werden, ist damit
die Wahrscheinlichkeit verbunden, entweder ein Beiweib des Sultans
oder die Frau eines Prinzen oder eines anderen angesehenen Fürsten
.zu werden.
Während des »Taudaken« wurde den europäischen Gästen Bhein-
wein, rother Wein, ein Brandy- oder Whisky-Grog offeriit, und so man-
118 W&jang orang = Theater.
eher der anwesenden eingeborenen Häuptlinge verBchmähte es nichts
anstatt des ihm angebotenen Thees mit Backwaaren von dem Apolli-
naris- Wasser mit »ein wenig Cognac«, nur »um den Greschmack zu
verbessern«, ebenso häufig als seine eurQ|)äischen CoUegen Grebrauch zu
machen. So ein Herrenabend bei einem eingeborenen Fürsten —
die keusche Diana würde bei einer Beschreibung desselben ihr Ant-
litz verhüllen — giebt den anwesenden Bonggengs eine führende
Rolle, und nachdem der Resident gegen 12 Uhr sich empfohlen
hatte, ging auch ich in's Hotel. Meine philiströse Anwandlung be-
dauerte ich am andern Tage lebhaft, weil mir mitgetheilt wurde, dass
der Regent von Bandong auch ein Wajang orang hatte spielen lassen.
Ich habe jedoch späterhin, mid zwar in Magelang, ein malayische»
Theater (Wajang orang) wiederholt besucht, und ich muss gestehen:
seine Kunst steht hoch. Auf dem Schlossplatz stand ein grosses Zelt,
in dessen Hintergründe die erhöhte Bühne auf kleinen Pfeilern
ruhte. Die Coulissen waren ofifenbar europäischen Ursprungs und
blieben für alle Stücke dieselben. Der Hintergrund war eine Thüre
mit einem Vorhang, und ein zweiter trennte die Bühne vom Zu-
schauerramn. In den Coulissen sass ein Mann und spielte die Rebab
(Violine). Auch eine Versenkung fehlte nicht. Die Schauspieler waren
halbeuropäischen Ursprungs, sprachen jedoch während des Spielens nui*
die malayische Sprache imd stellten Scenen aus der Heroenzeit Javas
dar. Ich wai* dieser Sprache so weit mächtig, dass ich dem Gang der
Handlung folgen konnte, wenn mir auch manches lied nicht in allen
seinen Theilen verständlich war. Wahre dramatische Scenen spielten
sich ab, als z. B. der Awamuko (Teufel) dem Batoro 6uru (dem
Lehrer des Heroen) zu Füssen fiel, ihm die Schuhe küsste und in weh-
müthigem liede um Vergebung bat während aus den Coulissen sanfte,
schmeichelnde und liebliche Töne der Rebab sein Flehen begleiteten,
oder als z. B. der Fischer den Göttern seine Noth klagte, dass ihn
Arimuko (ein Fürst der Unterwelt) mit seinem Hasse verfolge mid ihn
sein Netz immer leer aus den Tiefen des Meeres herau&idien lasse.
Stets waren es Scenen und Lieder, welche von hoher dramatischer Wir-
kung waren und die Zuschauer mit Wehmuth und Lust erfüllten. Zum
letzten Male will er sein Glück probiren und wirft das Netz hinaus in
die Fluthen (hinter die Coulissen), ungeduldig schreitet er auf und ab mid
zweifelt und hoffi, dass Amankau (= Arimuko) ihn nicht weiter mit
seinem Hasse verfolge; endlich wagt er es, das Netz zu heben; es ist
schwer, hoffnungsvoll zieht er immer stärker und stärker, er stützt
W^ang tjina = chinesisoheB Theater. It9
seinen Fnss gegen einen Felsen, beugt sich zurück^ das Gesicht wird
roth, die Muskeln der Arme schweUen an, und endlich bringt er das
Netz auf das Land; statt der viel erhofilen Fische ist jedoch eine
schwere Kiste darin. Das Mienenspiel bei dieser Enttäuschung war ein
Meisterstück der Pantomime. Plötzlich erhebt sich der Deckel der
Kiste und Amankau (Arimuko) springt heraus; er hat eine Teuielsmaske
und tritt dem armen Fischer mit drohenden Worten entgegen.
Ich muss aber auch bekennen, dass ihre Auffassung von »würde-
vollem« Auftreten uns Europäern fremd erscheint, und dass ihre Engel
oder Huris einen geradezu komischen Eindruck machten; sie erschienen
in weissen Kleideni von europäischer Mode und hatten eine hellfarbige
Schärpe um die Taille. Da sie nebstdem keine Mieder hatten, und
die weissen europäischen Kleider offenbai' nicht nach MaaKs bestellt
waren, so waren diese Engel alles, nur nicht eine engelhafte Er-
scheinung, wenigstens nach europäischer Vorstellmig.
Auch ein Wäjaiig tjina habe ich gesehen und natürlich sehr
häufig den Wäjang Kulit besucht
Ein chinesisches Tlieater (Wäjang tjinaj sah ich im Jahre 1881
während meines Aufenthaltes in Buitenzorg. Die Bühne unterschied
sich wesentlich von der eines javanischen Wäjang orang. Sie hatte
keinen Vorhang und keine Coulissen; jeder der Schauspieler kam aus
einer und derselben Thüre im Hintergrunde auf die Bühne, neben
welcher ein Chinese mit einem grossen Gong saßs. Ein paai* Kisten
standen zur Seite, welche, wie mir ein Chinese erklärte, die Mauer und
das Dach eines Nachbarhauses improvisiren sollten. Den Mangel jeder
Decoration ersetzten die besonders reichen und kostbaren Costüme der
Schauspieler; sie waren von Seide und strotzten von Gold. Auch die
weibUchen Bollen wurden damals von Mannen) gegeben. Die Handlung
war arm und dehnte sich endlos. Auf die Europäer machte Verschiedenes
einen befremdenden Eindruck, nicht allein, weil wir die Sprache nicht
verstanden, sondern auch weil die Pantomime der Chinesen uns ganz
unverständlich war. Offenbar lag sehr viel in den Bewegungen des
Körpers, wie es die lärmende und rauschende Musik der Gong an-
deutete; freilich wussten wir nicht, was es bedeutete. Jeder gesprochene
Satz bekam am Ende das Lärmen der Gong; ja selbst jede Bewegung
erhielt ein solches stürmisches Finale.
Am häufigsten sieht man jedoch die Wäjang Kulit d. h. ein
Marionettentheater mit Figuren aus Leder (Kulit), deren Schatten auf
eine weisse Fläche geworfen werden. Ein Rahmen aus reich ge-
120 WäjaDg Kulit = Schattenbilder.
schnitztem und verziertem Holze, Grewaiig genannt, ist mit weisser
Leinwand überzogen; auf der einen Seite sind eine grosse Lampe, der
Regisseur und zwei Stämme von Pisang; in diesen stecken die ledernen
Figuren, welche von der Hand des Regisseurs längs des weissen
Schirms bewegt werden. Zxvc Seite desselben sitzt die Musik, bestehend
aus der Rebäb (Violine), Bambusglockenspiel (Angklong), flöte (Su-
ling), Holzciavier, welches mit einem Klöppel gespielt wird, Metall-
clavier, ähnlich dem Spielzeug unserer Kinder, mehreren Becken (Grongs),
Pauken, Tambourins u. s. w. (Fig. 7.) Der Regisseur (Dalang) brachte
— es war eben&lls in Buitenzorg im Jahre 1881, dass ich con amoi'e
die erste Wäjang Kulit beobachten komite und mir die nöthigen Er-
klänuigen zu Theil wm'den — erst euien Berg zur Ansicht Hierauf
nahm er aus einer Kiste die pittoresken Figuren, welche auf einem
Stäbchen befestigt waren; sie sind aus dem Leder der indischen Büffel
geschnitten und reich mit Farben und Gold verziert; sie haben immer
die bekannte Form der indischen Pupjien und sehr dünne, magere
Arme. Er steckte die reichlicher verzierten, die Götter mid Fürsten,
in den einen Bambusstamm mid die Plebs in den zweiten. Unter-
dessen spielte die Gamelang ihre Ouvertüre. Mit einem Schlag auf
die Kiste eröffnete der Regisseur die Vorstellung, die Musik schweigt,
der Berg wird weggenommen, und halb singend, halb erzählend bringt
er zunächst die Einleitung. Er beschreibt das Land, in welchem das
Drama spielt, und erzählt das ganze Vorleben; im richtigen AugenbUck,
d. h. wo das eigentliche Drama beginnt, nimmt er mit beiden Händen
die Helden des Stückes von den Bambusstämmen, und ohne bedeutende,
aber doch deutliche Stimmenveränderung führt er den Dialog der
Marionetten.
Der Wäjang gohl^k, welcher aus Holz verfertigte, massive und
mit Kleidern behängte Figuren haben soll, ist mir aus Autopsie unbe-
kannt; ebenso wenig hatte ich Gelegenheit, einen Topeng zu sehen,
welches eine Pantomime von maskirten Männern und Frauen sein soll
Einen Topeng Babakan sali ich jedoch in Majelang von Haus zu
Haus ziehen, um auf Verlangen eine Vorstellung zu geben. Ein Mann,
welcher auf dem Rücken eines gemalten Pterdes aus Papier sass, eine
Ronggeng und eine kleine Capelle. bestehend aus einer Gamelang,
einer Gong (Becken) und einer Flöte, war das ganze Personal. (Fig. 8.)
Die Ronggeng sang einige Pantons mit kreischender Stimme, auf
welche der Ritter des papienien Pferdes manchmal Wechselgesänge
folgen Uess.
Spiele der Javanen. — Eine Theeplantage. 121
Noch will ich erwähnen, dafis ich weder ein Tigergefecht noch ein
Turnier zu sehen Gelegenheit hatte. Das Hahnengefecht aber, bei
dem den kämpfenden Hähnen scharfe Messerchen an den Sporen
befestigt werden« habe ich wiederholt gesehen, obzwar die holländische
Regierung sie verbietet und sich alle Mühe giebt, dieses leidenschaftliche
Spiel auszurotten. Auch Grillen (djankriks) und Wachtehi (burung puju)
werden zu Wettkämpfen gebraucht Auch das »Drachenfliegen« ist
ein beliebtes Spiel ei-wachsener Javanen.
Lieutenant P . . wai* mein Eeisegenosse nach Bandong. Da zwei
Tage lang das Schiessen ausgesetzt wm^e, gab uns der Präsident der
Conmiission. welcher den nächsten Tag nach Batu Djadjar zurückkehrte,
noch einen Tag Urlaub, den wir dsizu benutzten, den Onkel des Lieute-
nants P . . zu besuchen, welcher noi*döstlich von Bandong die grosse
Ttieeplantage Djati Nangos (?) administrirte. Die Besitzerin war dar
mals (1882) ein junges Mädchen, eine Waise, welche in Europa ihre
Erziehung genoss. Der Administrator, der pensionirte Besident X^
wohnte in einem hübschen Landhause in der Nähe von Sumedang.
Einen besonders interessanten Empfang hatten wir, als wir durch das
Gehege dieser Plantage fuhren. Rehe sprangen über den Weg und
bUeben in einer Entfenimig von wenigen Metern stehen, um uns mit
ihi'en grossen schönen Augen zu fragen^ wer wir seien und was wir
hier zu thmi hätten. Im Hintergrunde sahen wir selbst einige hundert
zu einem Rudel vereinigt Der Hen* X. empfing uns in liebens-
würdiger Weise, und da es gerade vier Uhr war, d. h. die Zeit zum
Theetrinken, setzte er uns sofort eine Schale seines Eigenbaues vor.
Wie war er jedoch entrüstet, als ich gewohnheitsgemäss ihn lun ein
wenig Milch füi* meinen Thee ersuchte; ja er naimte mich sogar einen
Barbar, der tiel^ ja sehr tief unter einem Chinesen stehe. Nur ein Barbar
sei im Stande, das herrliche Aroma des Theeblattes durch Zucker, Rum
oder Milch zu zei-stören! Interessant waren seine Mittheilungen über
die Einfuhr der ersten Theestauden und der raschen Entwicklung, welche
diese Pflanze im Laufe von wenigen Jahrzehnten auf Java genommen habe.
Denn erst vor sechzig Jahren ging ein Amsterdamer Namens Jacobson
nach China, um dort die Bearbeitung des Thees kemien zu lernen, nachdem
schon der Gründer des botanischen Gartens zu Buitenzorg, Pro£ Rein-
hardt, mit gutem Eriblg den Thee auf dieser Insel gepflanzt hatte. In
einem dickleibigen Buche beschrieb Jacobson die Theecultur, ent-
sprechend dem damaligen Stande der Wissenschailen, und seine prak«
122 -Bind Theeplaotage.
tischen Winke wurden Allgemeingut der javanischen Theepflanzer,
welche jährlich eine ungeheure Menge produciren und exportiren.^^
Leider geschieht dies häufig unter chinesischer Marke, d. h. mit chine-
sischen Au&chriften und in chinesischer Verpackungsweise. Der Thee
ist aber so gut, dass er unter keiner felschen Flagge zu Markte zu
fahren braucht
Der Anblick eines- Theefeldes ist in keiner Hinsicht rühmenswerth;
es sind niedrige Sträucher, welche in kleinen Abständen (+ 1-2 Meter
Entfernung), und zwar in gerader Linie gebaut sind. Zweimal des
Jahres werden die Blätter gepflückt; die zarten Blätter geben die feinste
Theesorte, und wenn der Baiun zu alt ist, so werden die Blätter zu
hart um in den Handel kommen zu können. Die guten Sorten Thee
werden nur von jmigen Bäumen, und die feinsten Sorten von den
jüngsten Blättern dieser Sträucher bereitet Die Farbe der in den
Handel kommenden Thees ist nur von der weiteren Bereitungsweise ab-
hängig. Ursprünglich hat der Theebaum nur grüne Blätter. Werden
sie nur an der Sonne getrocknet so behalten sie ihre ursprüugUche
Farbe; werden sie aber sofort nach dem Pflücken in Säcken oder Lein-
wandcyhndem über ebiem Kohlenfeuer getrocknet, so werden sie schwarz.
Während sie in der Dörrpfanne sich befinden, werden sie von Frauen
besser zusammengerollt^ als es durch den einfiichen Trocknmigsprooess
geschieht, und je mehr Blätter mit den Fingeni gerollt sind, desto*
hoher ist der Preis.
Mit diesen spärUchen Mittheilungen musste ich mich b^nügen^
weil ich und mein Beisegenosse bereits den nächsten Tag diese Plan*
tagen wieder verlassen mussten. In Batu Djadjar sollte das Schiessen
wieder beginnen, und dies darf nach den gesetzlichen Bestimmungen
niemals ohne gleichzeitige Anwesenheit eines Arztes stattfinden. Ich
sah also weder das Pflücken der Blätter, noch das Bösten d^'selben —
nicht einmal die Dörrschuppen, das Sortiren des Thees, seine Ver*
Packung u. s. w.
Mein Aufenthalt auf der Heide von Batu Djadjar war der unan-
genehmste, weil langweilig, in meiner ganzen indischen Carri^re. Es
waren im Granzen 40 Mann, welche sich damals an den Arbeiten
der Commission betheiligten und in den günstigsten hygienischen Ver-
In den Jahren 1889—1893 wurden 3,492,000, 3,210,000, 2,673,000,
3,671,000 und 2,712,000 kg Thee exportirt.
Bambus- Wanden. |23
hältnissen befanden. Vor ihrer Abreise wurden sie ärztlich untersucht
und kamen in ein herrhches Klima. Wir hatten in der Morgenstunde
zwischen 6 mid 7 Uhr oft nicht mehr als 17 ^C, und sofort nach Sonnen-
Untergang sank die Temperatur so tief, dass ich em-opäische Kleider an-
ziehen musste. wenn ich mit den übrigen Officieren im Gartenhäuscheu
die Zeit des Nachtmahles abwarten wollte. Wenn man um 2 Uhr Nach-
mittags 31 — 32 C. im Schatten hat und die Wärme des Abends aui
22 — 20 ® C. sinkt, so empfindet man diesen Unterschied der Tempe-
ratur geradezu als Kalte. Auch bei meiner Beise nach Europa im
Jahre 1897 hatte ich hn rothen Meere durch die Kälte (? !) Last, ob-
zwar das Thermometer 16" C. zeigte.
Die Soldaten hätten sich also einer ausgezeichneten Gesundheit
erfreut, wenn sie nicht den Unbilden — der Liebe zum Opfer geÜEÜlen
wären. »)
Aber auch diese Kranklieiten beschäftigten mich kaum eine Stunde
täglich. Das Schiessen selbst forderte kein einziges Opfer. Keine
Kanone war gesprungen und keine Kartätsche hatte Unheil augestiftet
Rothe Fahnen verkündeten den Bewohnern der benachbarten Kampongs
die Stunde des Anfanges und des Endes des Schiessens; sie blieben
also um diese Zeit ausser Schussweite und ausserhalb des verbotenen
Terrains. Ich blieb jedoch nicht gänzlich von chirurgischen Arbeiten
verschont. Ein Kanonier schnitt sich eines Tages mit einem Bambus
in den Goldfinger der Unken Hand. Mit Recht werden von den in-
dischen Aerzten ^Bambuswunden« sehr gefürchtet Sie veranlassen
sehr häufig gefährliche Folgekrankheiten, weil ein Stück Bambus nicht
so scharf ist, um eine gequetschte Wmide zu vermeiden und weil —
nicht, wie man gewöhnlich annimmt die Ränder mit kleinen Haaren
bedeckt sind — sondern weil sich auf ihrer rauhen Oberfläche stets
eine Unzahl schädlicher Bacterien befinden. Dieser Kanonier hatte sich
an der Schiessstätte, wie gesagt, mit einem scharfen Stück eines Bam-
busrohres geschnitten; sofort wurde ich telephonisch davon benachrich«
tigt, und sofort konnte ich die Schnittwunde, welche ziemUch glatte
Ränder hatte, antiseptisch behandeln mid nähen. Nach 36 Stunden
zeigtmi die Wundränder eine verdächtige Rötfae und Spaimung. Beim
Oeffiien der Wundnähte flössen einige Tropfen Eiter aus; seine Tem-
peratur stieg auf 39 <^, imd bis zum folgenden Morgen war die Eite*
rung bis zum Handgelenk fortgeschritten (progrediente Phlegmone); ab
») Vide Band I, Seite 199.
]24 Eiae langweilige aber einträgliche Garnison.
nadi abennals 12 Stunden sich am Vorderarme rothe Streifen zeigten,
der heftige Schmerz und die hohe Temperatur unverändert blieben,
zögerte ich keinen Augenblick mehr, radical einzuschreiten. Ich ent-
fernte die Quelle der Eiterung, und das Leben, der Arm und die Hand
waren gerettet
Hatte ich als Arzt sehr wenig Beschäftigmig, so gab das gesell-
schaftliche und das tägUche Leben noch weniger Zerstreuung. Wir
waren im Ganzen vier Offidere, zwei derselben waren verheiratet und
hatten ihre Frauen und Kinder bei sich. Wenn des Vormittags die
Männer auf der Schiessstätte sich befanden, sass die Frau des Bitt-
meisters X. in dem rechten Flügel des Ofhcier-Pavillons mit ihrem Söhn-
cfaen von vier Jahren in ihrem Zimmer, im linken Flügel beschäftigte
sich Frau Y. mit ihrem acht Monate alten Kindchen, mid in der Mitte
desselben sass ich bei meinen Büchern und las mid las, bis ich dessen
müde, meinen kleinen Siamang (Hylobates syndactylus *) von meinem
Bedienten abnahm (an dessen Unterschenkel er stets hing) und vor
meinem Zimmer herumlaufen liess. Dieser kleine schelmische AÜe
hielt sich an keine Stunde des Emp&nges oder der Visite, sondern lief
dann sofort in das Zimmer des Rittmeisters X. imd war dem kleinen
Wilhelm ein stets willkommener Spielkamerad. Diese zwei neckten
idch, balgten sich im Hofraum oft Stunden lang herum, und der ärgste
Hypochonder hätte sich an dem Spiel dieser zwei guten Freunde er-
götzen müssen. Ich aber sass wieder in meinem Zimmer mid las wie-
der und las wieder. Gegen die Mittagsstunde kamen die Männer nach
Hause. Die verheirateten Officiere widmeten sich ihren Vaterpttichten,
und ich sass noch inuner beim Lesen; denn der dritte Officier, welcher
meben meinem Zimmer seine Schla&tätte aufgeschlagen hatte, ging nach
Ablauf seines Dienstes ein Bad nehmen, speisen und sein Mittags-
schläfchen halten. Gegen 4^9 Uhr brach endlich der Zauberbaim die
Langeweile. Lieutenant P. kam in seiner indischen Haustoilette bei
mir seinen Thee trinken, und nachdem wir um 5^2 Uhr unser Bad
genommen und uns angekleidet hatten, gingen wir spazieren. Wir Beide
nahmen den Weg nach rechts, Bittmeister X. mit seiner Frau mid
seinem Sohne nach links, und Lieutenant Y. erging sich mit seiner
Frau, welche ihr erstes Töchterdien auf einer kleinen Matratze trug,
auf einem dritten Wege in der erfrischenden kühlen Abendluft. Um 7 Uhr,
also zur officiellen Visitenzeit, trafen wir ims in dem Gartenhäuschen,
') Seine Heim^th ist Sumatra.
Eine langweilige aber eintragliche GamiaoD. 125
welches vor der Hauptfront des Officier-Pavillons stand, und besprachen
den Inhalt der Zeitungen, welche unterdessen angekommen waren« Um
8 Uhr ging Jeder nach seinem Zimmer, um das Nachtmahl zu nehmen,
und blieb bis zum nächsten Morgen für Jedermann unsichtbar. Inner-
halb der vier Monate, welche wir auf dieser Hochebene zubrachten,
kam nur zweimal eine Veränderung in dieses einförmige und lang-
weilige Leben. Einmal kam, wie schon erwähnt wurde, der Regent von
Bandong, um das Telephon zu sehen, von dem er Unglaubliches ge-
hört hatte, und das zweite Mal besuchte mis der Commandant der in-
dischen Armee. General Bouwmeester gehörte dem Corps der Artillerie
an und interessirte sich für die neuen » Bergkanonen €, welche bei Krupp
in Essen gegossen waren. Das erhaltene erste Exemplar zeigte einen sehr
grossen Fehler; der Schwerpunkt der Kanone fiel nicht mit dem der
Afiuite in eine Linie; die Folge davon war, dass beim Abfeuern die
ganze Kanone, wenn sie geremmt wurde, nicht nur sich au&tellte, son-
dern sogar einen Purzelbaum schlug. Der General kam mit dem Chrf
der Artillerie und mit dem Commandanten der Berg- Artillerie zu uns,
um sich persönlich davon zu überzeugen und die Vorschläge des Ritt-
meisters X. zur Verbesserung dieses Fehlers zu besprechen. ») Wir hatten
also einige Tage grosse Gesellschaft und gemeinsame Tafel (ohne die
lieiden Damen). Bei dieser Gelegenheit brachte, wie ich späterhin vom
Lieutenant P. erftihr, der Vorsitzende der Commission eine Geldfrage
zur Debatte, welche den drei Oflicieren der Artillerie, aber nicht meiner
Person zu Gute kommen sollte.
In Batu Djadjar werden nämhch jährlich die Schiessübungen der
Artillerie gehalten, und die Officiere, welche daran theilnehmen, be-
kommen reglementär 1,50 bis 2 fi. Tagegeld; für unseren Fall könne
dieses Gresetz nicht in Anwendung gebracht werden, weil wir als
9 Commission« mit einem speciellen Auftrage dahin gesendet worden
seien; als solche hätten wir Anspruch auf ein Tagegeld von 6 fi
Diese Angelegenheit hatte Rittmeister X. dem Armee-Commandanten
zur Unterstützung vorgelegt, und zwar nur im Interesse der drei
Artillerie-Officiere. Der General Bouwmeester stimmte der ausge-
sprochenen Ansicht bei und versprach, die betreffende »Reclamation«
zu unterstützen, obwohl er fürchtete, dass bei dem herrschenden System,
so viel als möglich der Sparsamkeit zu huldigen, die Aussichten auf
einen günstigen Erfolg nicht sehr gross seien. Als ich von dieser
') Sc: Die Affuite nämlich zu verlängern.
126 Bin® langweilige aber einträgliche Garnison.
Affaire erfuhr, ärgerte ich mich darüber, dass der Vorsitzende in seinem
Memorandum meiner mit keinem Worte gedacht hatte^ und machte
ihm auch darüber in passender Weise Vorwürfe. Rittmeister X. meinte
jedoch, dass er den »Doctor« ausser Betracht gelassen habe, weil dessen
Arbeit in beiden Fällen dieselbe sei. Ende März war unsere Arbeit
abgelaufen, und ich musste mich wegen eines Gelenkleidens wieder in das
Spital zu Weltevreden aufiiehmen lassen. Einen Schreiber des Hospital-
chefe ersuchte ich, die »Declaratie« meiner Reise und meines Aufent-
haltes in Batu Djadjar anzufertigen, und theilte ihm die diesbezügliche
Debatte mit dem Rittmeister X. mit. Er warf einen Blick in meine
Marschordre, w^elche dieser Rechnung beigelegt werden musste, und
rief: »Hen- Doctor, Sie bekommen 6 fl. pro Tag, also 720 ti. für die
vier Monate, welche Sie in Batu Djadjar zugebracht haben; das Wort
Commission steht ja darin.« So geschah es auch. Der Zufall wollte
es, dass ich an demselben Tage, an dem ich die Anweisung von 720 fi.
an die Steuerkasse zu Batavia erhielt, dem Rittmeister X. begegnete.
Seine Reclamation hatte keinen Erfolg gehabt, und als er meine An-
weisung in der Höhe von 720 fl. erblickte, rief er wüthend aus: »Die
Militärärzte sind ja die Schoosshunde der Regierung«, und Hess mich
stehen.
Ende März 1883 verliess ich Batu Djadjar, und ich habe seit
dieser Zeit die Provinz Preanger nur als flüchtiger Toiu*ist besucht, sei
es, dass ich mit der Eisenbahn von oder nach Batavia fuhr, sei es —
um auf den Ausgangspimkt dieses Capitels zurückzukommen — dass
ich eine Erholungsreise in die Gebirge dieser Provinz machte. Auf
dieser Reise (im September des Jahres 1888) kam ich per Eisenbahn
nur bis Tjandjur.') Bei dieser Station macht die grosse Heeresstrasse,
welche bei Batu Tulis sich in zwei Arme theilt, in einem grossen Bogen
das Ende eines grossen Kreises, und auf ihrem östlichen Halbkreise
setzten wir unsere Reise mit einem Dos-ä-dos fort Der Weg führte
über den Berg Patjet (1122 Meter hoch), während wir den Berg Beser
^) Leider hatte ich keine Gelegenheit, die grossen und bedeutenden China-
Anpflanzungen der Preangerprovinz zu sehen. Seit Junghuhn (vor ÖO Jahren)
auf dem Abhänge des Tankuban Frahu die erste „Kinacultur"' anlegte, hat diese
unter seinem Nachfolger Berelot Moens in Java einen grossen Aufschwung
genommen; ja noch mehr: Selbst die Gewinnung des Alkaloid (Chinin) wird seit
ungeföhr fünf Jahren auf Java fabrikmässig betrieben. In den Jahren 1889 — 1893
wurden 2,257,000, 2,820,000, 3,090,000, 2,330,000 und 2,710,000 Kilo Chinarinde
exportirt.
Einfluss der „reinen Bergloft". 127
(1390 Meter hoch) mit seinen dicht bewaldeten Abhängen in allen
Nuancen des Grüns zu unserer Rechten liegen sahen; an den Hügel-
Gärten Tjipodas und Tjipanas (mit ihren wannen Quellen) zogen wir
vorbei, und gegen fünf IThr Abends erreichten wir das Ziel unserer
Beise, den Luflxiurort Sindang-Lajk (1082 Meter hoch). Zwölf Tage
blieben wir hier und erfrischten unsere durch die Wärme des Nordens
Sumatras erschlafften Gheder. Des Morgens hatten wir 10® C, und
erst um elf Uhr wagte ich es, in dem grossen Bassin, welches diut^h
eine grosse Pantjoran reines Bergwasser erhielt ein Bad zu nehmen;
in einem dicken Strahl stürzte das Wasser von zwei Meter Hohe
herab und war so kalt, dass ich keinen Augenblick diese Douche auf
mich fallen lassen konnte. Dieses Bad nahm ich mehr, mn dem all-
gemeinen Gebrauch und der Gewohnheit zu folgen, als einem Be-
dürfiiisse zu entsprechen. Bei einer Temperatiu* von 10® C. schmtzt
man ja nicht, wenn man keine anstrengenden Arbeiten verrichtet
Dieses hat wieder einen sehr günstigen Einfluss auf die Abscheidung
der Nieren, und da der schwächende Einfluss der hohen Temperatur
auf alle Muskeln sich ersti*eckt und im Gebirge also fehlt, so ist auch
die Blase kräftiger, der Puls wu'd stäi-ker mid voller, die Athmung ge-
schieht in tieferen Zügen, die BewegUchkeit aller Gelenke ist leichten
der Dm'st wird weniger lästig, der Appetit erhöht, mit einem Worte:
Jjebenslust tritt an die Stelle der häufig künstlich gepflegten energielosen,
manchmal selbst apathischen Lebensweise in den Tropen. Auch wir ge-
nossen in vollen Zügen die frische, kühle, reine Bergluft und machten des
Vormittags von 9 — 12 Uhi* Spaziergänge, ohne zu ermüden und ohne
von der Tropensonne belästigt zu werden. Dass trotz dieser scheinbar
bedeutenden Vorzüge diese Luftcurorte nicht regelmässig von allen
Europäern und den reichen Eingeborenen benutzt werden, so wie z. B.
die Bewohner der grossen Städte Europas jedes Jahr ihren Sommer-
aufenthalt im Gebirge nehmen, hat vielfache Ursachen. Die wichtigste
derselben ist folgende: für die Dauer ist der Aufenthalt im Gebirge
in der Begel nicht angenehm und — langweilig. Wenn der Reiz der
Neuheit vorüber ist, machen sich eben die Schattenseiten des G^birgs-
lebens nur zu sehr fühlbar. In erster Reihe machen die grosse Feuch-
tigkeit der Luft (oft 900 ^/oo) und die zahlreichen Regenfälle den
Aufenthalt im Gebirge sehr unangenehm; die Schulte sind jeden Morgen
beschimmelt die Bettwäsche ist feucht und kühl, und wenn man sich
zur Ruhe begiebt, bekommt man davon oft ein leichtes Frösteln. Die
Häuser müssen aus Holz gebaut sein, sonst ist das mitersto Viertel
128 Earopäische Gemüse auf Java.
der Mauern mit braunen Flecken und grünem Schimmel bedeckt, und
erst gegen neun Uhr wird der Aufenthalt in einem solchen Gebäude
eitträglich, d. h. wenn (in der trockenen Zeit) die Sonne, nicht be-
hindert durch eine grössere oder kleinere Wolkenschicht, durch ihre
belebenden und erwärmenden Strahlen die kühle und feuchte, oft nach
Schimmel riechende Luft aus den steinenien Häusern verdrängt hat
Menschen mit Affectionen der Lungen und des Darmes befinden sich
im Gebirge nicht wohl und eilen daher, wemi sie wegen Malaria Er-
holung ihres geschwächten Oi^nismus im Gebirge gesucht hatten, so-
bald als mögUdi in minder hoch gelegene Orte, welche, wie z. B.
Djoqa, minder kalt sind und durch ihr »gleichmässig warmes Klima«c
den geschwächten Lungen und Däiinen zuträglicher und auch ange-
nehmer sind.
In Sindanglaya bestand, wie in Sukabumi, das Sanatorium aus
zwei räumlich von einander geschiedenen Theilen; der Pavillon für die
Patienten 1. Classe bestand aus einem grossen hölzernen Gebäude und
einigen kleineren für ganze Familien. Ein zweiter grosser Pavillon
diente zur Schla&tätte für Soldaten (3. Classe), und ein kleinerer war
für Unterofficiere (2. Qasse) eingerichtet, welche je ein kleines Zimmer-
chen erhielten. In allen Gebäuden wurde Table d'hote gehalten, wie
überhaupt in allen Hotels Indiens beinahe niemals >) ä la carte gegessen
wird. Die vorgesetzten Speisen waren gut bereitet und unterschieden
sich nur wenig von den üblichen Menüs in Europa; schon damals
wurden nämlich im Gebirge zahlreiche europäische Grünzeuge mit
Erfolg gepflanzt und seit Vollendung der Eisenbahn im Jahre 1892
werden auch alle Städte der Küste reichlich mit Erdbeeren, Kraut,
Salat, Rüben, rothen Rüben, Endivien, Schwarzwurzeln, Pfirsichen,
Petersilie, Sellerie 2) und Erdäpfeln versehen. Die Preise derselben
sind nicht besonders hoch. Im Jahre 1881 befand ich mich in Mittel-
Java (in Njawi) in Garnison; diese kleine Stadt war 9 km von der
nächsten Eisenbahnstation entfernt In der Nähe, und zwar auf dem
Berge Tosari in der Provinz Pasaruan lebte ein deutscher Gärtner,
welcher sich mit dem Anbau der europäischen Grünzeuge beschäf-
tigte. Nach dem üblichen Gebrauch abonnirte ich mich bei ihm auf
eine regelmässige Zusendung von europäischem Gemüse. Ich erhielt
') In der alten Stadt Batavia bcstebt ein ,,K&ifeebaus^, in welchem k la caHa
Bervirt wird.
*) Spinat, Bohnen. Gurken, kleine Sorten von Erbsen findet man überall.
Fig. 9. Ein
Europäische Gemüse auf Java. X29
jede Woche einen g^xxa&n Korb, ^rdcher jedodi für zwei Personen
zu viel enthielt; idh theilte den Inhalt also mit einem liecrteiittit,
und Jeder von uns bezahlte pro Monat 4 iL 80 Ct = 8 Mark« In
einer anderen Garnison kam regelmässig jede Woche einmal ein Haa-
sirer mit Erdbeeren zu uns und verlangte für ein Körbchen mit 7ö Stück
25 Cents = 42 Pf. Ihr Geschmack war derselbe als' der in EurofMi;
sie hatten die Grösse von der europäischen Walderdbeere. Auch aUe
übrigen angeführten Grünzeuge unterschieden sich gar nicht von jenen,
welche in Eurc^a gepflanzt werden; nur die Pfirsichen sind w^iiger saft-
reich und die Weintrauben sind ungeniessbar. In Griss^ (bei Sura-
baya) habe ich sie zum ersten wid zum letzten Male in Indien im
Jahre 1877 wachsen gesehen. Hin und wieder bek<Hnmt man Wem-
trauben zu kaufen; sie stammen von Australien, haben eine dicke Schale
und ihr Geschmack ist nicht angenehm. Auch Aepfel werden von die-
sem Welttheil auf Java importirt, ohne jedoch einem europäischen Apfel
an Saft imd Schmackhaftigkeit nahe zu kommen. Seit einigen Jaluien
besitzen die neuen Schiffe Kühlräume, wie z. B. der vor zwei Monaten
in Rotterdam erbaute Dampfer. Vielleicht wird es diesem möglich sein,
Aepfel und Birnen nach Indien zu bringen, obschon für den Importr
artikel »europäische fVüchtec in Indien gar kein Bedürfiiiss besteht.
Diese könnten höchstens den Beweis bringen, was manchmal noch be-
zweifelt wird, dass die indischen Früchte in jeder Hinsicht hoch über
den in Europa gepflanzten stehen.
Unser Nadibar im Hotel war Mr. A., ein Advocaat dessen Mutter
und Vater keine Vollbluteuropäer waren; die Mutter Beider war eine
javanische Frau gewesen; er gehörte also zu der Rasse Sinju, sowie
jede Frau, welche, sei es auch im zweiten oder dritten Geschlecht,
das Blut eines Eingeborenen in sich hat, Nonna genannt wird, während
seit kurzer 2ieit der Name Creole für die Europäer gebraucht wird,
welche in Indien von europäischen Eltern geboren werden. Ich muss
betonen, dass beinahe immer nur von einem europäischen Vater und
von einer eingeborenen Mutter die Sinjus und Nonna abstammen, und
dass der umgekehrte Fall, dass nämlich ein Eingeborener eine euro-
päische Frau geheiratet hätte, zu selten vorkommt, um ihre Kinder in
eine bestimmte Classe oder unter einen gemeinsamen Namen zu dassi-
fidren. Wahrscheinlich Vürden sie officiell zu den Eingeborenen ge-
rechnet werden. Der einzige mir bekannte Fall einer solchen Ehe
blieb kinderlos. Er war der Sohn eines angesehenen Fürsten von Djocja
und ging als Knabe mit einem Pastor nach Europa. Hier genoss er
B7«it«n»t«iii, 21 Jftlm in Indkn II. 9
130 ^^^ javanischer Fürst verheiratet mit einer europäisohen Dame.
in der Familie dieses protestantischen Predigers eine sorgfältige Elr-
ziehung und wurde Ingeniem*. Schon frühzeitig erwachte in ihm die
Neigung zu der Tochter seines Pflegevaters, welche mehr als Schwester-
Uche Grefühle für ihn hegte. Ich will den Inhalt des Somanes, in
welchem Ismangong und seine Frau die Heldenrollen spielen, ganz
ausser Betracht lassen und mich nur an das Thatsächliche halten, wel-
ches ich von meinem Freunde Ismangong erfahren habe, fir fühlte
für die Tochter des Pastors van Steeden eine innige und aufrichtige
Liebe und — war Mohamedaner; diese war in gleicher Liebe ihm zuge-
than und war — Protestantin. Weder Ismangong noch seine Braut
wollten ihrem Glauben untreu werden; ihm drohte der Fluch seiner
kaiserlichen Familie, ihr machten die diversen Tanten und Nichten die
Hölle heiss und zeigten die Schreckensbilder der Polygamie in f ürchter-
hchen Farben. Die Liebe siegte aber über alle Bedenken, und als glück-
liches Ehepaar zogen sie nach Java. lu Batavia bewarb er sich als
Ingenieur vom Fach um eine Anstellmig in Staatsdiensten. Beamter
zu werden, ist ja für die Söhne aller HäupÜinge das Endziel aller
Wünsche, und gerne dienen sie viele Jahre lang als Magang = Volontär
in den diversen Bureaux, lun endlich Schreiber mit einem monatlichen
Gehalt von 30 fl. und zum Tragen eines Pajongs berechtigt zu wer-
den. Mein Freund Ismangong konnte, als Verwandter der kaiserUchen
Familie von Djocja, immöglich Privat-Ingenieur werden, und als Ab-
trünniger angewiesen auf den Erwerb durch sein technisches Wissen
bat er um eine Stellung beim Ministerimn der öffentlichen Bauten.
Dieses Gesuch kam der indischen Regierung jedoch sehr ungelegen.
Ein Javane sollte mit europäischen CoUegen gleichberechtigt die Stufen-
leiter der hohen Beamten besteigen, um nacli zwei oder drei Jahr-
zehnten an die Spitze des technischen Departements gestellt werden zu
müssen!! Damit wären ja zu viel luconvenienzen verbunden gewesen!
Sie ernannte ihn also zum Adjmict-Inspecteur für die Unterrichts-An-
stalten der Eingeborenen. (Volksschulen, Ij(?lu*er-Seminar imd Bürger-
schulen für die Söhne von Häuptlingeu.) In dieser Eigenschaft lernte
ich ihn im Jahre 1892 in Mti^elang kennen. Seine Frau war ein
Jahr nach ihrer Ankunft in Java an Lungen tuberculose gestorben, mid
die böse Welt behauptete, sie sei vergütet worden. Ismangong war
ein gebildeter Mann und tnig ganz das Ge[)räge eines javanischen
Fürsten; gelassen mid gemessen im Gespräche und in seinen Bewe-
gungen imponirte er durch sein allgemeines Wissen, dm'ch seine Be-
scheidenheit und durch sein liebenswürdiges mid höfliches Benehmen.
Seine Zwitterstellung als Mohamedaner und >. europäischer Beamter«
Malayische Gedichte (Panton). 131
gab nach seinem Tode unerwartete Schwierigkeiten. Sollte er als
Mohamedaner nach islamitischem Situs begraben werden^ oder sollte
sein Grab auf dem Friedhofe der Europäer sich befinden?
Nach dem Tode seiner ersten Frau hatte er eine Prinzessin von
Djoqa geheh^atet, welche mit dem Regenten von Magelang verwandt war.
Dieser veranlasste den Residenten^ ein mohamedanisches Begräbniss an-
zuordnen. Als jedoch das Testament eröffiiet wurde, in welchem der
Bruder seiner eraten Frau zum Testamentsvollstrecker ernannt wurde,
ordnete dieser ein europäisches Begräbniss auf dem Kirchhofe der Euro-
päer an, und der Resident musste seinen gegentheihgeu Erlass ziuück-
ziehen. Ismangong war ein Ehrenmaim, der mit Tact und würde-
vollem Auftreten die Schwierigkeiten seiner Zwitterstellung überwand.
Requiescat in pace.
Leider hatten wir in Sindanglaya auch eine Nachbarin, welche
quasi als Pendant zu dieser gesetzUchen Ehe einer europäischen Frau
mit einem Eingeborenen den Beweis brachte, dass Gott Amor keine
Standes- und Iceine Rassenunterschiede kenne.
Den Abend vor unserer Abreise sass ich lun 12 Uhi* Nachts in
der Veranda des Hotels. Alle übrigen Gäste hatten sich in ihre
Zimmer zurückgezogen, die Lampen waren gelöscht, und in majestätische
Ruhe war alles gehüllt Da klang plötzUch eine scharfe und nicht
angenehme Stimme aus dem Hintergrunde eines kleinen Pavillons in
der bekannten sentimentalen Arie der indischen Pantons:
Djerok whangie, Blimbing Djapara,
Djangan nangis muka lyang kentara.
(Duftende Citrone, Blimbing von Japara,
Weine nicht — Deine Züge würden entstellt)
Es war eine unglücklich Liebende, welche ihr Leid den Lüften
klagte, denn die zweite Zeile hätte im anderen Falle von dem Manne
gesungen werden müssen. Obwohl der Mond beinahe mit Tageshelle
den Giulen beleuchtete, sah ich keine sterbliche Seele in dem Garten-
häuschen, aus welchem die Stinmie deuüich zu meinen Ohren drang:
Burung Kakatuwah
Terbäng di djand^Ua
(Der Vogel Kakadu
Fliegt gegen das Fenster)
sprach sie hierauf mit ängstlicher Stimme, und die Silbe della Hess sie
in einem gedehnten Seu&er ausklingen, und noch immer folgte keine
Antwort; mit wehmüthiger St^nmie endigte sie endlich den Panton:
9*
132 Malayigche Gedichte (Panton).
Nonna suda tawa,
Gigi tingal duwa.
(Die Jungfrau, sie ist alt,
Es blieben ihr der Zähne (nur) zweL)
Zu gleicher Zeit näherte sich zu, meiner Bechten ein Mann in
Spitalkleidem; es war ein eingeborener Soldat und nur mit einem blauen
Sarong bekleidet
Tanam melatti di tanah miering,
Di sCnie bau — di sftna bau
(Pflasee die Melatti auf den Abhang (des Beides),
Dahin dringt der Duft, dorthin dringt der Duft)
sang dieser Soldat so laut, dass sofort mit fröhlicher Stimme aus dem
Strauche die Antwort erfolgte:
Ini tnwan, topi jang miering,
Di stni man — di säna mau.
• (Jener Herr, sein Hut sitzt schief,
Dahin will er — dorthin will er.)
Unser Leander antwortete mit fester Stimme:
« l}m mäna dätangja tschinta
(Woher kommt die Liebe)
und eine ausgelassene frohe Stimme antwortete:
Den m&ta turun di h&ti.
(Aus dem Aug steigt sie zum Herzen [wörtlich: Leber]. ^)
Jetzt sah ich in dem Gartenhäuschen von der Bank die (restalt
der Frau Hauptmann X. sich erheben und ihrem Geliebten entgegen-
eilen, und während sie ihren schönen blanken Arm um den braunen,
nackten Hals des Marssohnes schlang, flüsterte sie in neckischem Tone:
lym mana datang — ja linta
(Woher kommt der Blutegel)
und siegesbewusst antwortete er mit der (^egenfrage:
Deri mana datang — ja tschinta
und während sie lispelte:
Deri sawah turun di Kali
(Von dem Reisfelde steigt er zum Flusse hinab)
brunmite er zwei Mal:
Deri mäta turun die hati.
^) Die Malayen sehen nicht im Herzen, sondern in der Leber den Sitz der
Gefahle, z. B. sakit hau = kranken heisst wörtlich übersetzt Leber — krank
u. 8. w.
•
Mischrassen. 133
Diese pflichtvergessene Frau hatte ihren Mann verlassen, als seine
Ordonnanz, ein eingeborener Soldat zur Erholung seiner durch Fieber
geschwächten Gesundheit nach Sindanglaja gesendet wurde. Ein ano-
nymer Brief verständigte einige Tage später den Hauptmann von dem
Asyl seiner Frau und von der Gresellschaft, in welcher sie die nächt-
lichen Stunden verbrachte. Da sie bei ihrer Flucht nicht nur den
Rest seines Grehaltes mitgenommen, sondern auch die Compagnie-Ka^se
beraubt hatte, welche er ersetzen musste, erstattete er die Anzeige
gegen Beide. Unser braimer Leander konnte seine Unschuld an dem
Diebstahl seiner GreUebten beweisen; er Wieb straflos imd behielt —
seine Greliebte; sie zog zu ihm in die Casemeü
Wie ich schon andeutete, sind dieses sehr vereinzelte Falle mid
bestätigen die Begel, dass die, em'opäische Frau für den Javanen zu
hoch steht, um seine Frau oder seine Greliebte zu werden. Umgekehrt
sieht man häufig europäische Beamte mit eingeborenen Frauen eine Ehe
schliessen, nachdem die malayische, chinesische oder javanische Frau als
Njai (= Haushälterin) (Rg. 9) ihrem Hen'n ein oder mehrei-e Kinder
geschenkt hat Der Officier darf, so lange er im Dienste ist, »die Mutter
seiner Kinder« nicht heiraten; aber es giebt zahlreiche pensioÜrte Offi-
ciere, welche mit dem Dienstrocke auch diese Art von Standesehre ab-
legen und ihren Kindern durch eine Heirat mit ihrer Mutter officiell
und gesetzUch den eigenen Namen geben. Diese Sinjus und Nonnas
tragen den Stempel ihrer Abstammung stets in ihrem Angesicht; die 6e-
sellschafl; tolerirt sie aber, sobald sie eine hinreichende Bildung erworben
haben; weim sie jedoch, was vor 20 Jahren noch häufig geschah, kaum
\ese^ oder schreiben konnten und nm* mangelhaft der holländischen
Sprache mächtig waren, dann allerdings müssen sehr günstige Verhältnisse
herrschen, um ihnen den Salon der Europäer zu öffiien. In den
letzten Jahren ist jedoch ihr Bildungsniveau bedeutend gestiegen, und
sie bekleiden oft die höchsten Stellen im Staate; nur bleiben sie manch-
mal mit Recht eine reichliche Quelle von unterdrücktem mitleidigen
Lächeln und tolerantem Ertragen einiger Eigenthümlichkeiten; so z. B^
verwechseln sie gern das g mit dem h. Eine solche halbeuropäische
Hauptmamisfi*au rief mir eines Tages zu: »Sehen Sie, Herr Doctor,
hier kommt mein Hans«; nirgends sah ich einen grossen oder kleinen
Hans; aber ehie dicke fette Gans kam angewackelt
Noch komischer war folgender lapsus linguae. In grosser Gesell-
schaft wmde von der grossen Summe Geldes gesprochen, welche der
langjährige Guerillakrieg in Atjeh gekostet hatte, und plötzlich rief eine
\ 34 Mischrassen .
Nonna mit lauter Stimme: »Mein Qoit, wo sind die Helden Atjehs
geblieben?« Sie wollte 6eld(en) sagen, und ein schallendes Gelächter
brachte diese Dame so in Verlegenheit^ dass sie entrüstet den Saal ver-
liess. Ein Officier hatte das Unglück, im Tanzsaale auf die Schleppe
einer Nonna zu treten und bat um Pardon. Diese Dame drehte sich
aber entrüstet gegen diesen Schlemihl und sprach das seither geflügelte
Wort: »Was, Gott verdamm, erst Sie reissen mein Bock in Stücke
und dann Sie rufen Gk)tt verdamm, Sie Kurang adjar (M. = Lümmel).«
Diese Typen der indischen Gesellschaft sterben aus; wenigstens in den
besseren Ständen werden nur ausnahmsweise Frauen gefunden, welche
der holländischen Sprache nicht vollkommen mächtig sind.
Auf der Insel Java^) hat nämlich das Unterrichtswesen einen
solchen Aufechwung in den letzten dreissig Jahren genommen, dass
nur selten Jemand für die Dauer seine Kinder den Besuch einer Schule
entbehren lassen muss, und wenn man solchen ungebildeten Frauen oder
Männern in deft niederen Ständen begegnet, sind diese meistens von
abgelegenen Inseln abstammend, wo sich nicht überall öffentliche Schu-
len befinden, und die Eltern waren pecuniär nicht in der Lage, durch
eine Geii^emante u. s. w. ihren Kindern einen Ersatz für den Mangel
einer Schule bieten zu können.
Die Stellung der half-cast ist im Staate vollkommen
gleichberechtigt mit der der Vollblut-Europäer, und gesell-
schaftlich ist sie nur von der Individualität des Einzelnen
abhängig.
Ein Herr de L. in Batavia war dreimal verheiratet und hatte
nebstdem zwei »Vorkinder« von einer fiüheren Haushälterin. Seine
Frauen waren eine Europäerin, eine Nonna und eine Chinesin, d. li.
eine Frau, welche die Tochter eines Chinesen xmd einer malayischen
Frau war. Von jeder dieser Frauen hatte er Enden und diese ver-
trugen sich nicht nur untereinander sehr gut, sondern hatten auch die
zwei »Vorkinder« in ihren Freundschaftskreis aufgenommen. Die Kin-
der gaben ein gutes und deutliches Mosaikbild der Ethnographie Javas.
Herr de L. war — ein Jude. 3)
Im Jahre 1890 hatte Java 97 europäische Volksschulen (mit 8600 Schü-
lern), 3 Realschulen (burgers cholen) für Knaben, 1 für Mädchen, 1 Bürger-Abend-
schule und 18 Privatschulen.
') Im ganzen indischen Archipel befindet sich kein jüdischer Tempel und
keine jüdische. Cultusgemeinde, obwohl zahlreiche Juden im Handel, in der Armee
und im Corps der Beamten ge&nden werden.
Mischrassen. 135
Ich kann diese kleinen Skizzen über die Mischrassen aui' Java
nicht beendigen, ohne auch deren geistige Eigenschaften mit einigen
Worten beschrieben zu haben. <) Gewöhnlich wird behauptet dass die
Sinjus und Nonnas nur die Fehler, aber nicht die guten Eigenschaften
beider Bässen in sich vereinigen. Dies ist ganz unrichtig. Wenn ich
nur von zwei meiner Bekannten, welche mir momentan vor Augen
schweben, den Charakter unter das Secirmesser der Kritik bringe, so
zeigt sich diese Behauptung in ihrer ganzen Nacktheit Der Eine ist
ein Sinju und war im Jahre 1891 Assistent-Besident zu T. — Er
war ein intelligenter Mann, ein eifriger Beamter und jeder Zoll ein
Ehrenmann. Die Zweite war eine Nonna und die Frau eines Stabs-
arztes in S. Sie war eine liebenswürdige, gebildete Dame und eine
liebevoUe solide Gattin, und immer führte ich sie als Beweis an, dass
die Nonnas gerade wie ihre europäischen Schwestern der Bildung des
Geistes und Herzens zugänglich sind und in gleicher Weise Sinn für
das Gute und Schöne haben.
Der Aufenthalt in Sindanglaya bot keine andere Zerstreuung, als
den Spaziergang und während des Begens die Leetüre und dAi Verkehr
mit den übrigen Giisten des Hotels. Wenn ich den Mr. A. oben
(Seite 129) als unsem Nachbai- specieU anführte und seine Abstam-
mung von halbeuropäischen Eltern zum Ausgangspunkt einiger Bemer-
kungen über die Sinjus und Nonnas machte, so hat dies zwei Ursachen.
Sein Vater war ein hoher Beamter, mid ich hatte im Jalu^ 1882 so
viel Gastfreundschaft von ihm und seiner Frau genossen, dass ich noch
heute dafür eine dankbare Erinnenuig bewahre. Ich verkehrte also
viel mit diesem Nachbar. Nebstdem hatte er* so viel dichterischen
Schwung in seiner Sprache und bestieg so oft den Pegasus, da^ meine
Frau, welche damals erst zwei Jahre in Indien war und noch wenige
halbeuropäische Männer von grösserer Bildung kennen gelernt hatte,
ihre Verwunderung über seine poetische Begabung mir gegenüber äusserte.
Es lag in seinen Gedichten, welche wir von ihm erhielten, eine Poesie
und eine Gluih der Leidenschaft, welche wir in den Tropen, denen be-
kanjitermaassen die Musen nicht besondei's freundschaftlich gesinnt sind,
niclit erwartet hätten. Seit einigen Jahren ruht er seinen ewigen Schlaf
unter den Palmen, welche er so schön, wie kein Anderer, besungen und
gepriesen hat
>) Vide I. Band, Seite 146.
{1^6 Ein ausgestorbcDer Krater.
m
Der vierzehntägige Uriaub war beendigt und die Pflicht rief mich
nadi Batavia zurück. Ich wählte die kürzere Route, obw(^ sie nur
mit dem Dos-ä-dos, und noch dazu über den 1482 Meter hcdien
PuntjaJk ziuückgeiegt werden konnte; vnr mussten selbst von zwei
Büffdn unsem kleinen Wagen auf die Spitze des Berges zi^en lassen;
aber ein herrliches Panorama entzückte unsere Augen. Hier ruhte
unser Bhck auf den stolzen Gipfehi des Salak, Pängerango und Gedeh,
zu unserer Rechten hatten wir den Berg Lemo (1862 Meter hodi),
dort fiel er auf Abhänge, welche mit Sawahfeldern bedeckt waren und
in ihrem sanften Grün einen schönen Contrast zu dem dunkelgrünen
Walde formten. In der Nähe der Grenze beider Provinzen lag ein
B^rgsee, Telaga Warna = Farbensee. welcher mit so warmen Worten
▼on dem Kutscher gepriesen wurde, dass wir ausstiegen und den einen
Kik>meter langen Pfad durchschritten, um dieses Naturwunder be-
sichtigwi zu kömien. Zwei sundanesische Frauen (Fig. 10 u. 11) waren
unsere Pührerinnen, Wir wurden reichlich für diesen kleinen Marsch
zu Fuss belohnt Es war ein ausgebrannter Vulcan, in dem das
Begenwasser zu einem See sich angesammelt hatte, *) der in seiner
majestätischen Ruhe eine verborgene und verschollene Welt in sich
schloss. Die Trachitwände dieses Kessels sind mit Farrenbäumen,
Waringhibäumen und wilden Bananen bedeckt und der Schatten dieser
dunkelgrünen Bäume spiegelt sich in der Fluth und spielt mit dem
braunen und grauen Licht des Bodens in einem bunten Farbenkreis,
welchen die kleinen Fischchen durch ihren unruhigen Marsch in dem
süssen, krystallhellen Wasser immer weiter und weiter ziehen. Nicht
das Z^Nitscheni eines bunt gefärbten Vogels, nicht das Zirpen einer
Grille, nichts störte die Ruhe dieses alten, ausgestorbenen Vulcans, und
beklommen und ängstlich blickte meine Frau hinauf' zu dem Rande
des Kraters, lun nur irgend einen Sonnenstmhl zu erhaschen ode^*
irgend ein lebendes Wesen zu erblicken. Wir Beide waren in dieses
Sonderbare, Düstere, Lautlose tief versunken, als plötzlich die ^imme
des Kutschers uns dem Zauber dieses grossen Grabes in der herrlichen
Tropenvegetation entriss mit der Mahnung, unsere Reise -fortzusetzen.
Von nmi an ging es inmier bergab, bis wir Gadok (487 Meter)
erreicliten, wo wir den Kreis der Heeresstrasse schlössen; 1 km. big
dieser Luftcurort von der Heeresstrasse entfernt, welche, Batu-tulis zm*
linken Hand passirend, uns \^ieder nach Buitenzorg brachte.
*) Hier soll der Fluss Tji-Liwong entspringen.
7. CapiteL
Xiiseaiii und botanischer €larten in Bataria — Reise naeh
JT^awle — Sandhose — ..Kykdag^ einer Anetion — Auetion
— Yenduaccepte — Geograpliie der Prorinz Madion — Vier
Chefs — StoeksehlSge in der Armee — Lepra auf den Inseln
•des indischen Archipels — Prophylaxis der Lepra — Eine
"SylTester-Nacht auf Jara — Eine nnangenehme Fahrt —« Ein
Ke^Jahrstag in Solo — Eine Deputation am Hofe za BJocJa
— Die Stadt Solo — Der Aufschwung der. Insel Jara — Das
SilitSr-Spital in Ngawle — Ein Spital ohne Apotheker —
Choleraphohie — Meine Condniteliste — Cholera in Indien —
Entstehnngsnrsache der Cholera in Indien — Cholera — Pro-
phylaxis der Cholera in Indien — Reisfelder.
\ m andern Morgen fiihi* ich mit dem Zuge 6 Uhr 55 Min. nach
-^^ Weltevreden und m*eldete mich noch denselben Vormittag beim
Platz-Commandanten, welcher mich (und meine Fi'au) bei der »indischen
Damp&chiffiahrts-Gesellsehaft« zm* Reise nach Samarang einschreiben
liess, von wo aus ich per Eisenbahn meine Reise nach Ngawie fortsetzen
sollte. Noch drei Tage konnte ich in Batavia bleiben, mid ich benutzte
diese Zeit; lun meine Frau den botanischen GarteH und. die Museen
sehen zu. lassen, welche in Batavia zu wenig gewürdigte Sehens-
würdigkeiten sind. Das »Batavische Museum« steht auf der West-
front des Königsplatzes mid wird von dem Vereine »Tot nut vaii't
algemeen« = zum allgemeinen Nutzen, verwaltet; es ist ein ein&ches
schmuck- und prunkloses Gebäude ohne Stockwerke und hat vor seiliem
Haupteingange einen bronzenen Elephanten auf einem steinernen
Piedestal.^ Es besteht aus drei Abtheilungen: der ethnographischen,
archäologischen und numismatischen Sanmilmig. Da es mich zu weit
*) Ein Geschenk des Königs von Slam, welcher im Jahre 1870 Batavia zum
ersten Male besacht hat.
138 Museum und botanischer Garten von Batavia.
führen würde, diese Sammlungen zu beschreiben, so will ich nur be-
merken, dass die Classification der beiden ersten Abtheilungen viel zu
wünschen übrig lässt, während die numismatische Sammlung manche
Lücken aufweist, andererseits aber viele seltene Stücke hat^ welche
vielleicht ünica sind; z. B. das leinwandene Greld von der Insel
Buton bei Celebes aus dem 17. Jahrhundert Der zoologisch-bota-
nische G^urten bot, bis auf einige Schlangen, Vögel und Säugethiere,
kaum etwas Sehenswerthes, und auch diese sind in so geringer Anzsüil
vorhanden, dass man eigentlich von diesem stolzen Namen absehen
sollte. Da jeden Sonntag regelmässig in den Vormittagsstunden, mid
auch an anderen Abenden hin und wieder Concerte in diesem Garten
gegeben werden, imd Schaukeln u. s. w. für die Kinder sich dort be-
finden, so tritt die Sammlung der Pflanzen imd Thiere in den Hinter-
grundy wird auch so ziemlich vernachlässigt, und dieser Garten ist alsa
ein schöner ünterhaltungsort der batavischen Jugend und beau monde.
Nebstdem kauften wir in den G^chäften (Toko M.) von Ryswyt.
Noordwyk, Molenvlit, Tanah-Bang und Passar-Baru (im chinesischen
Viertel) (Fig. 12) alle petits riens für unsere Wohnimg in Ngawie, weiL
wie wir hörten, in dieser Gamisonstadt sich nur ein einziger Toko befand:
Am 20. September konnte ich Weltevreden mit dem Dampfer
verlassen, und am andern Tag Abends kamen wir in Samarang an.
Beglementär war ich nur verpflichtet, am andern Morgen mit dem
Zuge um 8 Uhr sofort meine Reise nach meinem angewiesenen
Gamisonsort fortzusetzen; mein militärisch^ Gewissen forderte mich
jedoch auf, mich persönlich dem Landes-Sanitätschef und dem Lan-
des-Commandanten der »zweiten Militär- Abtheilung« vorzustellen, und
ich beschloss also, zu diesem Zwecke in dieser Stadt einen Tag
zu bleiben; ich wohnte im Hotel Pavillon und erfiihr zu spät, dass in
diesem Hotel den Tag vorher ein Passagier der Cholera erlegen war.
Ofienbar unter dem Eindruck dieser Kunde erwachte in der zweiten
Nacht meine Frau mit allen Erscheinungen dieser Krankheit ohne
dass im weiteren Verlaute mehr als eine heftige Cholerine daraus
wurde. Es gelang mir, mit einer grossen Dosis Laudanum alle Sym-
ptome in kürzester Zeit zu bekämpfen, so dass meine Frau mit Ungeduld
die Morgenstunden erwartete, um so bald als möglich dieses Hotel und
die Stadt verlassen zu können. Um 8 Uhr 31 Minuten reisten wir ab.
Eine drückende Hitze herrschte in den Waggons, welche gar nicht
dem E^lima der Tropenwelt Rechnmig trugen, sondern, wie die böse
Welt erzählte, in Europa zurückgestellte und von den holländischen
Reise nach Ngawie. 139
Eisenbahnen nicht angenommene Waggons waren. Bei Kedong Djatti
zweigt sich die Bahn in zwei Aeste, der eine geht nach Wilhehn I^
welches damals die stärkste Festung Javas war und heute noch nicht
mit dem benachbarten Magelaug, der grössten MUitär-Colonie Javas,
durch eine Eisenbahn verbunden ist und der zweite Ast ging nach
Solo, der Hauptstadt des Kaiserthums Surokarta. Hier beginnt' die
Stäatsbahn, welche nach Surabaja führt und eine grössere Spurweite
ais die Linie von Samarang — Wilhelm I. hat Ich musste also über-
steigen, nebstdem hatte ich noch Zeit im Stations-G^bäude meine
»Beistafel« zu nehmen, und kam gegen 2 Uhr nach Paron, welches
die letzte »Halte« vor Ngawie ist Dunkel sind die Wege der Eisen-
bahn-Politik. Fächerartig läuft der Lawuberg (3254 Meter hoch) mit
seinen Abhängen gegen die kleine Hochebene aus, in welcher Ngawie
liegt; eine schöne breite Heeresstrasse läuft in ihr und mit ihi* in einem
grossen Bogen von Solo nach Madiun, und doch verlässt die Schiene
schon im ersten Viertel der Ebene (bei Sragen) das flache Land, um
in grossen Krümmungen das Gebirge zu durchkreuzen und erst zwei
Halten vor der Hauptstadt der Provinz Madiun (bei Purwodadi) in die
Ebene zurückzukehren. Die Zuckerfabriken dieser Provinzen und die
grosse Holzhandlung der benachbarten Provinz Bembang hätten einen
gleichmässig vertlieilten Vortheil von dieser Eisenbahn haben können, ohne
das» Ngawie 10 Kilometer von der Eisenbahn entfernt bleiben musste.
Uel)errascht') stand ich nämlich bei der kleinen Halte Paron, als
ich vor mir eine grosse Ebene sah, ein grosser Beisewagen mich, meine
Frau und meinen Bedienten aufnahm und von Bindern gezogene Fracht-
wagen meine Koffer und Kisten nach Ngawie bringen sollten.
Ngawie besitzt nicht niu* eine Strafanstalt für unverbesserliche
Soldaten, sondern auch eine Pulverfabrik. Wie viel Transportkosten
jährlich mit den Bedürfnissen von zwei so grossen Etablissements
verbmiden sind, wird wohl die indische Regienmg bis auf einen
Kreuzer wissen; dass sie aber dessenungeachtet Ngawie nicht in das
Netz der Eisenbahnen einbezogen hat lässt mich annehmen, dass sie
die Existenzfäliigkeit der einen Anstalt überhaupt in Zweifel zieht
Ngawie soll eine Besserungsanstalt für widerspenstige Soldaten sein und
liatte bis zum Jahre 1888 nur acht (!!) Soldaten der Armee zurück-
gegeben. Entweder ist das Princip derselben ein verfehltes, oder die
Ueberrascht war ich, weil ich bei meiner ADkunft nicht wusste, dass
Ngawie mit seinen zwei grossen Militär-Etablissements 10 km weit von der
nächsten Eisenbahnstation entfernt lag.
140 ^^^ Sandhose. — Ngawie.
Anwendung des Reglements ist eine tactlose, oder es ist beides der
Fall. Ich bin zweimal in Ngawie, im Ganzen ungefähr zwei Jahre,
gewesen und habe während dieser 2ieit drei Commaudanten gehabt;
ich kann daher eine Ansicht über dieses Institut haben und dari' sie
darum vielleicht mehr als mancher Andere auch aussprechen.
Die brennenden Sonnenstrahlen standen während der ganzen Reise
über tmsem Häuptern, und die ausstrahlende Wärme des Bodens liess
ims in der Feme die Luft wie die Wellen einer sanftbewegten Meeres-
fläche erzittern sehen. Es war ein neun Kilometer lauger ebener Weg
vor uns, auf dem zu beiden Seiten nur junge Bämne standen. Plötz-
lich erhob sich, ich möchte beinahe sagen unvermittelt, ein Sturmwind,
und wir sahen bei vollkommen heiterem Himmel einige tausend Meter
vor uns entfernt eine ungeheure Staubwolke von Westen nach Osten
unsere Wege kreuzen imd sofort darauf sich zu einer compacten Masse,
zu einer Sandhose concentriren. Zwei ungeheure Sandkegel standen mit
ihren Spitzen aufeinandergestellt Die Basis des einen bog sich auf der
Strasse immer mehr und m^ nach Osten, während die Basis des
zweiten Kegels hundert Meter hoch über dem Boden dem Hügelland
in der Provinz Bembang zueilte. Wie ich später hörte, waren niu*
einige Bäume dieser Windsbraut zum Opfer ge£etllen.
Nach li/s Stunden gelangten wir nach Ngawie, pa^irten zuerst
das Gefängniss imd kamen dann auf den Schlossplatz (Alang-älang),
dessen Nordfront von der Wohnung des Regenten und einer euro-
päischen Schule eingenommen wurde. In der Mitte stand ein grosser
Waringinbaum als Wahrzeichen der höchsten Würde, welche der Re«-
gent in diesem Districte führte. Auf der Ostseite dieser grossen Gras-
fläche stand das Haus des Assistent-Residenten mit der holländischen
flagge und daneben das Postamt Hier schloss die Stadt Ngawie
stricte dictu. An der Westseite begann eine lange Strasse, welche
nur von Chinesen bewohnt war, und nach der letzten Krümmung dieses
Weges sah man im Hintergründe das Fort mit seinen Adnexen: zu-
nächst ein Pulvermagazin zur Rechten und zwei Officiers- Wohnungen
zur Linken, weiterhin die Cantine und dahinter verborgen von
Wällen und umgeben von einem Wassercanal das Fort selbst Die
Pulverfebrik lag ausserhalb der Stadt, im Westen des grossen Gras-
feldes. Da mein Vor^nger ohne Frau war und nebst seinen Dienst-
pflichten auch die häuslichen Angelegenheiten zu besorgen hatte, konn-
ten wir bei ihm nicht logiren, sondern mussten in das Pasagrahan ziehen,
welches von einem Schreiber des Assistent-Residenten gegen eine staat-
„Kykdag" = „ßeschautag" einer Auction. 141
liehe Subvention von 50 fl. pro Monat für die durchreisenden Beamten,
Officiere und Reisenden schlecht und recht gehalten wurde. Es war
ein Haus aus Bretterwänden, welche spärUch mit Eilk bedeckt waren.
Tn dem Zimmer, welches mir und meiner Frau angewiesen wurde, hing
zu meiner Ueberraschung ein Thermometer, es zeigte 100 *^ F. = 37 ° C.
Wir eilten in das Badezimmer, um uns, so viel es möglich war, durdb
ein Schi&bad (Siram M.) zu erfrischen, und setzten uns in der »Vor*
gaierie« nieder, um durch eine Schale Thee und ein Glas durch Eis
abgekühltes Mineralwasser unsem Durst zu löschen. Ungefähr ö^s Ulu*
waren wir wieder angekleidet und zogen nun . aus, um den Ort kennen
zu lernen. Wir nahmen zunächst unsern Weg durch das chinesisdie
Viertel. Ist an und für sich beinahe in ganz Indien das Stadtviertel der
Chinesen ob seines Schmutzet und üblen Geruches berüchtigt, so fan-
den wir hier noch dazu das abscheuliche Bild einiger Leprösen, welche
in der Strasse bettelten und ihre iaulenden Gheder nur mangelhaft mit
schmutzigen Lappen bedeckt hatten. Nach der letzten Krünunung des
Weges passirten wir das neu errichtete Spital für Prostitu^ imd un*
gefahr 200 Schritte davon entfernt das Haus des rangältesten MiUtär-
arztes, welches von meinem Vorgänger bewohnt wurde. Es war ein
steinernes Gebäude im altgriechischen Stile, hatte vor der Vorderfront
einen kleinen und an der Ostseite einen grösseren Garten mit zahl-
reichen Fnichtbäumen. Ein geschäftiges und reges Treiben herrschte
im Hause selbst imd in dem umgebenden Gurten. Nach landesübUchw
Weise sollte ja nun von >/27 — 8 Uhr »Beschautag« sein, d. h. es sollte
die ganze Einrichtung, welche am nächsten Tage unter den Hammer
kommen sollte, von den Damen mit ihren Männern besichtigt werden,
während bei der Auction selbst nur die Männer als Käufer auftreten
können. Zu diesem Zwecke wurden alle Möbel polirt, ihre schad-
haften Stellen mit Farbe angestrichen, alle Lampen gefüllt und ange-
zündet, zerbrochene Stühle geleimt, gefärbt und polirt, alte Bücher
werden auf dem Bücherschrank in Packeten geordnet, alte Wäsche
mit schönen blauen oder rothen Bändchen zusammengebunden, das
Küchengeschirr mit Sand fein abgerieben und in der Hintergalerie unter
dem Tische aufgestellt die Pferde und Kühe wurden schön gewaschen
und jeder Riss in der Farbe des Wagens verkittet und neu laddrt
Wir kamen also meinem CoUegen gewissermaassen ungelegen.
Er schlug uns jedoch vor, ohne sein Geleite die Bäumlichkeiten zu be-
sichtigen, welche unser zukünftiges Heim werden würden, und ruhig
die Wahl unter den Möbeln zu treffen, welche den andern Tag bei der
142 Auction.
»Vondutie« (Auction) gekauft werden sollten. Wir konnten nebstdem
das Angenehme mit dem Nützlichen vereinigen. Um 7 Uhr sollten die
kauflustigen Bewohner Ngawies sich einfinden, und bis zu dieser Stunde
konnte ich in Ruhe und Müsse mit meiner Frau die Wahl der Möbel
getroffen haben und danach mit allen Notabein dieser Provinzstadt Be-
kanntschaft machen. Unterdessen fuhr Dr. X. mit einer gemietheten
Equipage durch die Stadt, um seine letzten Abschiedsvisiten zu machen.
Ueberall gönnte er sich kaum Zeit, um sich zu setzen, versicherte, dass
er von seiner Transferirung nach Surabaja eingenommen sei, dass ihm
die Vorbereitungen zur Auction so viel Scheerereien gemacht hätten,
weil seine Frau zufällig nach Batavia zu ihren Eltern abgereist,
und dass dieses die Ursache sei, dass er keinen Abschiedsempfang halten
könne und darum jetzt definitiv Abschied nehme; so eilte er weiter zu
Jedem, dem er »anständiger Weise <c einen Besuch machen konnte;
denn nur auf diese Weise konnte er hoffen, dass auch die »kleinen«:
Menschei^ zu der Auction seiner Einrichtung kommen würden und mit
der Zahl der Käuier auch die £[auflust sich erhöhe. Die strenge Scheide-
wand zwischen Europäern einerseits und Chinesen, Arabern und Ein-
geborenen andererseits fällt durch das Zauberwort »Vendutie«. Schon
am Abend vor der Auction kommen Alt und Jung, Mann und FraiL,
Araber, Chinesen, Europäer, 6eneral und Soldat in das Haus eines
Jeden, ob Schreiber oder Besident ob gemeiner Soldat oder Oberst^
sie alle durchziehen das Haus, um die hell erleuchteten Räume zu
durchschnüffeln, zu bekritteln und — von ihren Frauen Aufträge für
dieses oder jenes Bild, für diesen oder jenen Blumentopf, oder für ein
Bügeleisen zu erhalten. An diesem »Beschauabend« kommt aber auch
Freund und Feind. Endlich wird es 8 Uhr; der Schauplatz wird
leer, die Bedienten löschen die Lampen aus und der Hausherr ist bei
einem seiner Freunde zum Abendessen eingeladen, weil in seineni
ganzen Haus kein Plätzchen fi^i ist, auf das er einen Teller oder
Glas niedersetzen könnte; auf allen Tischen und Kisten liegen die
Gläser, Teller, alte Hosen, Nippsachen, verrostete Revolver, alte Bücher,
geflickte Schuhe u. s. w. Endlich bricht der grosse Tag an. Um
8*/2 Uhr sitzt der Ausrufer mit einem grossen Becken vor dem
Hause und ruft mit lauten Schlägen die Kauflustigen herbei. Im Foit
sind alle Dienste beendigt, um den Officieren und Soldaten Gelegenheit
zu geben, »zur Vendutie des ,Eerstaanwezenden OflSciers van Grezondheid'
zu gehen«, d. h. wenn der Platz-Conunandant mit dem Cheärzt gut
befi:«undet war; im anderen Falle sind gerade wichtige Commissionen
Auction. 143
an Tagesordre, so dass^ die Officiere u. s. w. erst um 12 Uhr dahin
gehen können. Ich habe 7 Jahre später es sogar erlebt, dass an dem
Tage der Auction meiner Einrichtung grosser militärischer Maj^ch an-
gekündigt wurde, und die Officiere und Soldaten erst um 3 Uhr nach
Hause kamen. Noch vortheilhafter ist es, den Assistent-Residenten zum
Freunde zu haben; denn er kann ja alle Beamten seines Bezirices gerade
an diesem Tage zur »Conferenz« nach der Hauptstadt des Bezirkes ein-
laden und mit ihnen zur Auction gehen. Im andern Falle schickt er
gerade an diesem Tage alle Beamten seiner Bureaux zu wichtigen Unter-
suchungen in die abgelegenen Dörfer oder giebt ihnen sofort zu behandehide
Sachen; so viel wie mögUch werden jedoch die civilen und miUtärischen
Häupter des Ortes persönhch auf der Auction erscheinen, ja vielleicht
selbst mn ein paar Ghilden eine Elleinigkeit kaufen, um den Schein zu
bewahren, dass die schöne Harmonie zwischen diesen beiden Mächten
nicht gestört, sei.
EndUch ist es 9*/a Uhr geworden und die Schlacht beginnt mit
den grossen Möbehi, Kästen, Betten u. s. w.. auf welche in der Begel
nur der Nachfolger und andere Neuangekonunene reflectiren; die
Zahl dieser europäischen Käufer ist natürlich klein, und es ist mit
Becht zu fürchten, dass das Ertiägniss derselben nicht gross sein
wird; aber die eingeborenen Beamten, Häuptlinge, und besonders
die Chinesen, sind die Hauptmacht welche bald mit ihren Reserve-
truppen, den persönlichen Freunden des Besitzers, und dem Schnaps,
dem Bier und dem Grog heranrücken, mn ein glänzendes Resultat zu
ermöglichen. Wehe dem Neuling, welcher zum ersten Male auf diese
Weise seinen Bedarf an Möbeln, Gläsern, Geschirr u. s. w. decken will
und muss, ohne diese Intriguen zu kennen. In der Begel kennt er
den factisdien Ladenpreis dieser Sachen nicht; wenn jedoch wie ein
Salvenfeuer von ungeübten Becruten von allen Seiten satu rupia =
ein Gulden gerufen wird, dieses Salvenfeuer Minuten lang anhält, dann
lässt er sich mitreissen und ruft immer und immer »ein Gulden«; das
Baketenfeuer beginnt zu erschlaffen, und es folgt jetzt klein Geschütz:
sa tdngah = 1/2 Gulden, imd endlich bleibt er in diesem edlen Wett-
streit Sieger imd hat einen alten, wmmstichigen Kasten um einen
Preis erstanden, für welchen er sicher einen schönen neuen Kasten bei
einem chinesischen Möbelhändler hätte kaufen können. Die grossen
Möbel wie Kästen, Tische, Stühle imd Wandgemälde finden in der
Begel immer einen Käufer, weil der Comfort bis in das kleinste Dorf
schon gedrungen ist, und man kann — wenigstens auf Java — bei
144 Auctiün.
jedem Häuptling einen Schaukelstahi, einen jK>lirten Tisch mit oder
dune* Tischtuch, eine Petiolramilampe, oder selbst ein eisernes Bett mit
Mosquitanetz, oder sogar das Porträt des deutsdien Ejuseis finden.
Mit dem »Aufjagen« der Preise für die gross^i Stiidce haben die
Freunde des Besitzers ihre Angabe noch nicht geföst; sie haben ja
untereinander einen Beservefonds von 50 — 100 fl. angelegt, um etwaige
Verhiste zu dedken, d h. sollte ein Kasten oder Tisch u. s. w. ihnen
zugeschlagen ivorden sein, weil sidi der »Baar« = zu klug für sie
erwies, ohne dass Einer oder der Andere dafür Bedürfiiiss hätte, wird
er nochmals hcitirt und der Unterschied des Prd^es wird durch den
Beservefonds ausgeliehen.
Die Hauptschlacht der Freunde wird nämlich beim Tische ge-
führt, welcher mit den petits riens, mit den Nip^sachen, Büchern,
Photographien, Lnxusgläaem u. s. w. beladen ist ESs ist unterdessen
11 1/3 Uhr geworden, die Zeit für das »Bitterchen« ist herangerückt,
die Luft im Zimmer ist hei« und schwül geworden, und die Gläser mit
Bier, Bitterchmi, Brandy-Soda und Whisky-Soda ringen in Sdiaaren
heran (natüriioh traf Kosten des 6«igebigen Hausherm).
Dicht gedrängt stehen Euroßäer, Chinesen und Eingeborene um
den Tisch, und mit Mühe drängt sich der Ahrufer und der Schreiber
durch die Menschenmassen, um einen Platz bei demselben zu finden.
"Det Notar selbst steht in der Nahe, um zur rechten Zeit in strittigen
lUUen sein entscheidendes Wort geben zu kömien. Ist die Zahl der
IVeunde gross, dann wird die Auction in diesem Sinne zu einem ge-
mtithBdsen, häusUdien, aber auch lebhaften Feste. Von allen Seiten
werden die liereits rerkauften Stuhle von den Käufern oder von ihren
Bedienten herbeigeschaflEt, und mit dem Glas Bier oder Brandy-Soda
vor sich, beginnt das Bieten mit erneuter Kraft. Ein halber, ein
viertel Gulden ertönt es in allen Tonarten von allen Seiten, dort steht
ein Maon und winkt dem Abrufer jedesmal zu, hier wieder einer, der
nur einen Finger an die Nase fuhrt, um ihm zu zeigen, dass er noch
einen viertel Gulden mehr biete, und endlich fällt der Ruf: Zum
dritten Male 8 fl. f ür die E^araffe für Herrn X. Nun ruft d&c
Herr Y.: mir gehört die Elaraffe, denn ich habe 8 fl. dafür ge-
boten. Das ist nicht wahr, ruft ein Dritter dazwischen, bevc»* der Aus-
rufer das »dritte Mal« aussprach, habe ich noch einen viertel Gulden
geboten, sie gehört mir für 8^4 Gulden. Der Notar erscheint, erklärt
den Elauf für ungültig, und noch einmal beginnt der Kampf. Durch
den Wettstreit eriiitzt, steigt der Preis diesmal bis auf 15 Gulden, für
Fig. 10. Eine Biwdanc Bische Frau in ihrer Hsustoilette.
Auction. 145
welchen Preis sie dem Herrn X, zufällt (der natürlich zu Hause von
seiner Frau die heftigsten Vorwürfe bekommt, für einen solchen ^^Schmam«
15 fl. geboten zu haben). Der Stein ist jedoch jetzt im Bollen, und
Niemand hiUt ihn auf. Der Vorrath an ;> Kleinigkeiten« droht sich zu
erschöpfen. Es ist 1 Uhr geworden, wid wenigstens noch eine halbe
Stunde wollen die Freunde :»dem gemüthlichen Beisammensein« kein
Ende machen; erst werden also die Maschen Brandy geöffiiet und jedes
Gläschen unter den Hammer gebracht, bevor es ausgetrunken werden
darf, und wenn diese geleert sind, werden die i'estirenden Gläser zwei^
mal, dreimal, selbst viermal verkauft, bis endlich das Küchengeräthe
an die Reihe gekommen und die »Vendutie« abgelaufen ist
Die Glücksgüter sind auf der Erde ungleichmässig vertheilt, und
auch das Erträgniss der Auctionen varürt sehr — je nachdem man
in der Gunst des Publicmns steht Nur ausnahmsweise erfreut sich
ein Lieutenant oder ein Schullehrer einer solchen Popularität oder
eines solchen grossen Kreises von Freunden, dsss die Auction nahezu
die Kosten der Anschauung deckt, oder dass er selbst beim Verkauf
seiner Einrichtung noch einen kleinen Betrag gewinnt Die höchsten
Beamten und Officiere einer Provinz (Residentschaft), welche durch
ihre Stellung einen grossen Einfluss auf die Lieferanten der Armee
und die verschiedenen Aemter haben, sind die vom Glücke begünstigtsten.
Der Durchschnittspreis der ;>Vendutie« der Residenten kann gewiss
auf 15 — 20,000 fl. gerechnet werden, wenn wir die Einrichtung seines
Hauses auf ungefahi* 10,000 fl. anschlagen; ja noch mehr; ich be-
zweifle es, ob jemals ein Resident an dem Einkau&preis seiner Ein-
richtung auch nur einen einzigen Gulden verloren, selbst wenn er zehn
Jahre lang von seinen Möbeln u. s. w. Gebrauch gemacht hat Der
Chinese kann sich selbst den ehrlichsten Contract ohne Bestechung
nicht vorstellen. Kommt nun ein neuer Resident ins Amt, der durch
die Unbescholtenheit seines Charakters bekannt ist, will der Chinese
ihm zeigen, was er zu erwarten habe, wenn er ihm bei der Ueber-
nahme einer Lieferung keine Schwierigkeiten in den Weg legt; er be-
ginnt bei der Auction des abtretenden Residenten sofort, sagen wir
100 fl. für den ersten Blumentopf mit lauter Stimme zu bieten, oder
2000 fl. für dessen Reitpferd, jedoch nicht um es nach Hause bringen,
sondern in dem Stall ^^irrthümUcherweise« stehen zu lassen. In der
Regel versteht der neue Resident diese Art der Bestechung und schickt
sofort das »vergessene« Pferd dem £[äuier zu; der Chinese jedoch hat
seine Captatio benevolentiae gezeigt und ist zufiieden. Aber auch der
BreitentteiB, 21 Jahre in Indien ü. 10
146 Venduaccepte.
europäische Pflanzer will sich um die Grünst des neuen Residenten
bewerben^ behält sich jedoch Tor, erst am Ende seiner Herrschaft seine
Dankbarkeit für das entgegenkommende oder vielleicht behülfliche Be-
nehmen des Residenten mit klingender Münze zu bezeigen. Hat der
Resident während seiner Amtsthätigkeit die von so arger Fiscalität
zeugenden Gesetze mit Tact und Billigkeit ausgeführt so zeigen sich
auch die Zucker- oder Indigopflanzer beim Scheiden des Residenten
erkenntlich und trinken während der »Vendutie« auf das Wohl des
abreisenden Residenten Champagner, welchen sie selbst mitgebracht
haben und glasweise unter den Hammer bringen; 10 — 100 fl. werden
für das erste Glas Champagner geboten, imd zuletzt werden auch die
Gläser mit 1 — 1(X) fl. bezahlt aus welchen auf die Gesundheit des
scheidenden Residenten getrunken wurde. Nur ein Missbrauch dieser
Einrichtung ist mir bekannt Die zahlreichen eingeborenen Beamten
werden moralisch gezwungen, bei jeder Auction eines Controleura,
Assistent-Residenten und Residenten zu erscheinen und zu kaufen; da
der Grehalt derselben niemals ausreicht, ihre Bedür&isse zu decken,
weil Jeder von ihnen ein grosses Gefolge hat, das von dessen Erträg-
nissen lebt, so verfallen sie in Schulden und suchen sich auf andere
Weise dafür zu entschädigen, und zwar auf Kosten des kleinen Mannes,
wie wir noch sehen werden. Im Uebrigen entspricht dieses Auctionsamt
einem tiefgefühlten Bedürfiiisse:
Wenn auch in den letzten Jahren die Eisenbahn den Norden der
Insel Java mit dem Süden, und den Osten mit dem Westen verbindet,
so ist das Netz doch noch nicht hinreichend entwickelt Die Trans-
portkosten durch Kulis oder Lastwagen sind sehr gross; es ist daher
der abreisende Beamte, Officier, Lehrer u. s. w. gezwungen, seine Ein-
richtung zu verkaufen. Er findet in dem Vendu-Departement, wel-
ches dem Finanzministerium untergeordnet ist, eine ausgiebige Hülfe.
Mit Hülfe eines Commissionäi-s oder eines Freundes meldet er bei dem
damit betrauten Beamten seine Auction an, und das Erträgniss wird
ihm in der Form eines Acceptes, welches nach vier Monaten fälUg ist,
ausbezahlt; wenn ich mich nicht irre, muss der Verkäufer 2 ®/o des
Erträgnisses für die Auction bezahlen. Der Eingang des Erträgnisses
ist ihm so sicher (der Staat übernimmt ja die Bezahlung), dass er in
der Regel die Auction nicht einmal abwartet, sondern abreist und das
*) Von den übrigen Inseln des indischen Ai'cliipels hat nur Sumatra Eisezi-
bahnen und zwar je eine auf der Nordwest- und Ostküste.
Geographie der Provinz Madiun. 147
Yenduaccept sich nachfichicken lässt Dieses iivird von allen Priyat-
banken gerne discontirt Andererseits hat Jedermann, ob er eine
Frau und zahlreiche Kinder hat oder ledig ist bei der Ankunft aus
Europa oder einem anderen Orte nicht immer disponibles Geld, um
sich einrichten zu können; wenn er auch vielleicht bei jedem Möbel-
macher (NB. wenn einer vorhanden ist was im Innern der Insel
nicht immer der Fall ist) auf Credit die ganze Einrichtung seines
Hauses bekommen könnte, so convenirt ihm oft dieses nicht; er kauft
also das momentan Nothwendige »auf der nächsten Vendutie«, kann
den Betrag 3 — 4 Monate später bezahlen und bezahlt dafür 6^/o des
Betrages und 1 ^/oo für den Armenfonds.
Stilgerecht ist eine solche Wohimng allerdings nicht eingerichtet;
jene Glücklichen, welche Stil in ihrer Wohnung und in ihrem Hause
entwickeln wollen, scheuen nicht die grossen Kosten einer neuen Ein-
richtung; wer aber billig und schnell unter Dach kommen will, der
kauft »auf Vendutie« alte Möbel und Verzierungen und verkauft sie
wieder bei der nächsten Transferirung.
SelbstverständUch machen auch der Handel und die Schiffiahrts-
gesellschaftien häufig von dem Auctionsamt Gebrauch.
In den ersten Monaten meines Aufenthaltes in Kgawie hatte ich
einen Assistenzarzt, dem ich den Dienst in der Apotheke, in der Ca-
senie und im Frauenspitale anvertraute. Den Officieren Hess ich die
Wahl, ob sie im ErkrankungsMle ihrer Angehörigen mich oder den
Assistenzarzt um Hülfe ersuchen wollten, und dennoch war ich von fiüh
bis abends und oft bis spät in die Nacht mit Arbeiten überladen; ich
führte nämhch mit allen meinen Vorgesetzten Krieg, und das Geschütz
waren — Briefe.
Wenn ich den Dienst im Spitale beendigt hatte, zog ich mich in
mein Bureau zurück, um anfangs durch das Studiiun des Archivs
die Auffassung der herrschenden Verhältnisse von Seiten meiner Vor-
gänglsr mid fiiihereu Chefe kennen zu lernen und späterhin, um auf
schriftlichem Wege die von mir nöthig erachteten Vorschläge ausein-
ander zu setzen.
Als Rangältester war ich der »Eerstaanwezende Officier van Ge-
2ondheid« und als solcher der verantwortUche Chef für die Abtheilung
Ngawie und theilweise auch für die Provinz Madiim.
Diese Provinz ist nicht gross, sie hat lOB^gas Quadrat-Meilen mit
148 Vier Chefs.
1,070,074 Einwohnern,») worunter 1276 Europäer und 3904 Chinesen.
Auf die Q Meile kommen also 10,109 Einwohner oder auf den [~|b»
ungefähr 236 Seelen. (Der dicht bevölkerte Staat Belgien hat 200 Ein-
wohner auf den [^km.) Madiun hat also eine ziemlich starke Bevöl-
kerung. (Die Provinz Bagelen hat sogar 20.000 Einwohner pro QMeile
oder 365 auf den Qkm.)
Von den wenigen Flüssen dieser Provinz ist hier nur der Bengawan
erwähnenswerth, der bei Ngawie an der Grenze der Provinz Bembang
mit dem Madiunfluss sich vereinigt und unter dem Namen Solofluss
bei Surabaya sich in den Javasee ergiesst Zahlreiche Berge und grosse
Gebirgsstöcke durchziehen diese Provinz. Die höchsten Berge sind der
Berg Lawu (3254 Meter), der Berg Willis (2551 Meter) und der Berg
Manjutan (1554 Meter). Zahlreiche warme Quellen entspringen dem
vidcanischen Boden Javas. Schon ungefähr 400 Beschreibungen sind
bekannt von den in Indien vorkommenden warmen Quellen; so hat
auch die Provinz Madiun in der Nahe des Berges Willis Brunnen von
Kohlensäure, neben dem Bergsee Nebel (715 Meter hoch) alcalische
Säuerlinge, und hinter Ngawie selbst fand ich die warme Quelle Sendäng,*)
welche in fiüherer Zeit zum Baden gebraucht wurde. Sie ist näm-
lich von einer ungefähr drei Meter hohen steinernen Mauer umgeben,,
so dass ich auf einer Leiter hinuntersteigen musste, um sie benutzen
zu kömien. Die in der Nahe sich befindenden Eingeborenen konnten:
mir keine Auskunft über das Alter dieser Mauer angeben und wussten
ntu" mitzutheilen, dass tempo dulu, dulu, d. h. in längstvergangeneu
Zeiten ein Badeplatz hier bestanden habe.
Auch Erdöl wird im Bette des Soloflusses gefiinden.
Meine Vorgesetzten waren folgende:
1. Der Platz-Commandant, der in allen militärischen Fragen, selbst
wenn sie das rein Technische des Militärarztes streifen, berech-
tigt und verpflichtet ist, dem ihm zugetheilten MiUtärarzt die Di-
rective zu geben. Die Grenzen, wie weit ein solcher Laie geheui
soll und darf, lassen sich natürhch durch kein Gesetz scharf be-
zeichnen, und ich habe es erfahren, wie unerträglich, lästig und
selbst sehr unangenehm ein Haudegen werden kami, wemi er als
^) Nach dem statistischen Bericht des Ministeriums der Colonien (1894).
^) Bei dem Dorfe Gang4ngan.
Vier Chefs. 149
Platz-Commandant überhaupt keine Grenzen seiner Machtvoll-
kommenheit kennen wiU.
2. Der Landes-Sanitätschef, der in Samarang seinen Sitz hatte, war
de &cto und de jure mein Che£ Er hatte nicht allein den tech-
nischen Theil meiner Arbeit zu beurtheilen (trotz der örtlichen
Entfernung), sondern er musste auch die Mittheilungen des Platz-
Oommandos über mein Benehmen als Mann und Officier zur Zu-
sammenstellung der Qualificationsliste benutzen. Wenn er auch
als Chef dem Reglement zufolge das Interesse seiner Unter-
geordneten beherzigen musste, hat er es doch nie gethan, weil
er als mein persönhcher Feind geradezu jede Objectivität mir
gegenüber verlor, und selbst jede Gelegenheit suchte, sein Müth-
chen an mir zu kühlen, wozu ihm das militärische Disciplinar-
gesetz reichlich Handhabe bot.
3. Der Resident (Statthalter) der Provinz Madiun. Jeder MiUtär-
arzt geniesst je nach seinem Bange für »civile« Dienste eine mo-
natliche Zulage von 50 — 100 fl. und verpflichtet sich stillschwei-
gend dadurch, die Armenpraxis zu üben (dazu gehören auch die
europäischen Beamten, welche weniger als 150 fl. monatlichen
Gehalt haben), die gerichtlichen Fälle zu begutachten, die Ge-
fangenen zu behandehi und die Prostituös zu untersuchen u. s. w.,
kurz gesagt, den Dienst eines Polizei-, Armen- und Bezirksarztes
zu thun; NB. wemi ein Civilarzt nicht anwesend oder aus irgend
einer Ursache nicht dazu geeignet ist. Durch diese Dienst-
leistungen tritt der Militärarzt in ein dienstliches Yerhälttiiss auch
' zum Residenten, ohne jedoch in der Regel mehi', als durch die
Arbeit nöthig ist, belästigt zu werden. Ich hatte in Ngawie oft;,
selbst sehr ofl; für diese Zulage von 50 fl. monathch, Arbeiten
zu leisten, welche in gar keinem Verhältnisse zu dieser Bezahlung
standen (an anderen Orten aber, wie z. B. in Batavia oder Sa-
marang, erhält man diese Zulage, ohne auch nur etwas dafür
leisten zu müssen), und der Assistent-Resident hat als Vertreter
des Residenten in der Regel für das Verhältnis« des Militärarztes
zu diesem ein richtiges Verständniss. Die Ausnahmen blei-
ben nicht aus, wo die zwei Mächte des Staates sich nicht ver-
tragen, und überall entstehen Streitigkeiten, und immer wird die
Harmonie des Ortes gestört, wenn der Platz-Commandant im
Range nicht viel niedriger ist, als der Vertreter der Regierung.
Diese Rangstreitigkeiten ziehen sich wie ein rother Faden durch die
150 Stockschläge in dw Armee.
Chronica scandalosa der Gramisonsplätze, und der Militärarzt
muss durch seine Stellung nur zu oft das vermittelnde und ver-
bindende Element in diesem Kriege werden.
4. Der Inspector des »bürgerhch ärztlichen Dienstes«, welcher im
Range eines Oberstabsarztes der Adviseur des Sanitätschefe in
allen hygienischen Fragen der Colonien ist und die Impfung durch
das grosse Corps der eingeborenen Vaccinateure leitet Als »Eerst-
anwezend Officier van Gtezondheid« zu Ngawie war ich verpflich-
tet, die Vaccinateure der Abtheilung Ngawie zu controliren, ihre
Rapporte entgegenzunehmen und auf dienstlichem Wege diese
meinem vierten Chef einzusenden.
Am 24. März 1889 wurde mein Assistenzarzt von Ngawie abbe-
rufen, und ich musste nun auch den »Gamisondienst« und die Arbeiten
in der Apotheke auf mich nehmen. Als »Ganiisonsdoctor« musste ich
auch auf dem Executionsplatze anwesend sein, weim ein Insasse Stock-
schläge bekam. Widrige Scenen habe ich damals gesehen, aber das-
maassvolle, ruhige und humane Auftreten der zwei ersten Platz-Com-
mandanten gab mir keinen Anlass, mit dem herrschenden Princip der
Stockschläge mich zu beschäftigen. Der Geist des Gesetzes, Soldaten,,
welche durch kein DiscipUnar-Verfehren zur Zucht und Ordnung her-
angezogen werden konnten, vielleicht durch die Schläge zu brauchbaren
Mitgliedern der Armee zu machen, wurde in tactvoller Weise gehand-
habt Erst als der Major X. eintraf, welcher 1^/2 Jahre später dahin
versetzt wurde, war meine und die Ruhe aller übrigen Ofiiciere dahin.
Ist es schon an mid für sich ein Anachronismus, Soldaten, welche
keine Verbrecher sind, durch Stockschläge zur Reinlichkeit oder zur
Zucht und Ordnung zwingen zu wollen, und ist diese ganze Anstalt
geradezu ein Schandfleck der indischen Armee, so erniedrigte dieser
Conmfiandant durch seinen Uebereifer die Ofiiciere zu einer rohen, herz-
losen Soldateska, seine Unterofi&ciere zu Henkersknechten imd die Sol-
daten zu Sciaven. Die Scenen, welchen ich damals beigewohnt habe,,
widern mich noch heute an. Wenn dieser Major durch die geübte Feder
seines Vaters in Nr. 208 des »Javabode« vom Jahre 1891 eine Lanze
für die »Stockschläge« in der Armee einlegen liess, um das Armee-
Commando in der durch mich angeregten Polemik für sich zu gewinnen,,
so ist ihm dies gelimgen; er avancirte und mir wurde die Carri^re
abgeschnitten; ich aber habe nicht den Fluch von hmiderten Soldaten,,
und gewiss nicht viel weniger Officieren auf mich geladen. Im Nor-
den der Stadt Ngawie, ungefähr ^a km entfernt von der Mündung
Stockschläge in der Armee. 151
des Madiunflusses in den Solofluss, liegt das Fort »General van den
BoBch«. Zugbrücken, Wälle und Gräben, steinerne Casemen und
Kasematten sind dieselben, wie sie alle Forts aus jener Zeit haben,
in welchen die Egonen kaum 1 — 2 km Schussweite hatten. Auf
der Südseite führte ein grosser Gang in den ersten Hof, in welchem
sich die Wohnung und das Bureau des Platz-Commandanten und einiger
Officiere befanden. Der Platz-Adjutant hatte sein Bureau in einem
Zimmer, welches in diesem Gange auf der rechten Seite lag; in diesem
Zimmer hielt der Plaüs-Commandant täglich den Bapport bei welcher
Gelegenheit ihm auch alle Soldaten vorgeführt wurden, welche im
Laufe der letzten 24 Stmiden sich etwas hatten zu Schulden kommen
lassen. Nach den für diese Anstalt bestehenden gesetzlichen Bestim-
mungen, welche auch in daa neue Reglement von 1891 aufgenommen
sind, existiren für diese, mit Recht will ich sie so nennen, Unglückhchen
nur zwei Strafen: Cachot und zehn oder zwanzig Stockschläge. Natür-
lich bleibt es dem Tacte und dem Ermessen des Commandanten über-
lassen, waiui und ob überhaupt eine dieser beiden Strafen angewendet
werden soll. Als der genannte Major X. daß Bedürihiss empfand^
sein System von seinem Vater (natürUch anonym) m einer Zeitung
vertlieidigen zu lassen, waren in einem einzigen Monat 10^ jo, sage
siebzig Procent!') des I. Standes mit zwanzig Stockschlägen bestraft
worden. Wie weit dieser Major unseligen Andenkens die Abschreckungs-
theorie des Strafens getrieben hat, werden folgende zwei Beispiele am
besten illustriren:
Eines Tages stand ich mit dem einzigen Ofificier, welchem das
Thun und Lassen unseres Commandanten sympathisch war, in der
Nähe des Platzbm-eau, als der Rapport einrücken musste. In strammer
Haltung und im Paradeschritt eines preussischen Grenadiers zog der
Zug ein Mmm hoch an uns vorbei, mid zwar mit einer Schwenkung
nach rechts. Einer der Sträflinge drehte jedoch bei dieser Gelegenheit
reglementswidrig auch seinen Kopf nach i-echts. »Dafür giebt's wiederum
zwanzig Schläge!« rief frohlockend dieser einzige Bewunderer unseres
allzu strengen Commandanten, obwohl er als Fachmann wissen musste,
dass in der Regel niu* links geschwenkt wird, wobei der Kopf rechts
gedreht werden muss.
Noch charakteristischer ist folgender Fall, welcher gleichzeitig der
*) Sein Vorgänger im Jahre 1889 hatte niemals mehr als 15% <1<^ Sträf-
linge im Spitale.
152 Siockflchläge in der Armee.
Anlass zu einer grossen Polemik zwischen Major X. und mir und
die erste Ursache meines Sturzes wurde.
Ein Zug von Sträflingen war zum Rapport angetreten. Plötzlich
bemerkte der Commandant, class einer derselben nicht gerade vor sich
hinblickte; er rief dem Schuldigen das Commando »lihat trus« (=
Geradeaus schaun) zu, und als dieser, eingeschüchtert durch den
strengen Blick des Majors, im folgenden Augenblick wieder den Kopf
ein wenig zur Seite drehte, legte ihm der Commandant sofort die
Strafe von 20 Stockschlägen auf. lieblicher Weise wurde der Delin-
quent zu mir gebracht, lun untersuchen zu lassen, ob kein Hindemiss
für die Ausführung der Strafe vorliege.
Als Maassstab zur Beurtheilung dieser Frage hatte ich (und auch
mein Vorgänger), abgesehen von acuten Krankheiten oder schlechtem
Allgemeinbefinden u. s. w., den Zustand der Hinterbacken angenommen.
Dieser Delinquent hatte kurz vorher dieselbe Strafe erhalten, und
die Wunden waren noch nicht geheilt Ich avisirte also: »Zeitlich un-
geeignet« Wenige Minuten danach stand der (Kommandant vor mir
und machte mir die heftigsten Vorwürfe, da er unter diesen Verhält-
nissen unmöglich Zucht und Ordnmig unter den Insassen erhalten
könne, dass ich Schuld daran sei, weim eine indLsciplinirte Bande im
Fort hausen werde. Diesen Sturm der Entrüstmig, gespickt mit Hy-
perbebi und Uebertreibungen^ liess ich, wie üblich ]m solchen Grelegen-
heiten, ruhig über mich ergehen, weil er ja nur die Vorrede zu der
Mittheilung des Thatsächlichen sein sollte. Endlich konnte ich zu
Worte kommen. Ich theilte dem Commandanten mit dass ich gar
keine Ahnung hätte, um was es sich handle, und daiTim auch mich
gar keiner Schuld bewusst fühlte.
»Nur wenn die Strafe dem Verbrechen auf dem Fusse folgt nur
dann, Herr Regiments- Arzt kann sie helfen.«
Da ich in diesem Augenblicke noch nicht wusste, was der Delin-
quent begangen hatte, mid natürlich an ein factisches Verbrechen denken
musste, so erinnerte ich den Herrn Major X. daran, dass dies niemals
und nirgends in Friedenszeiten geschehe, und dass stets der Bestrafung
die Untersuchmig, die Verhandlung und die Vertheidigung vorangehen.
Natürlich war ich sehr überrascht als ich das Vergehen dieses unglück-
lichen Soldaten ertuhr; die militärische Disciplin hielt mich zurück,
seine Auflassung dieses Vergehens in gebührender Weise zu classiii-
ciren, iph gab mir jedoch Mühe, den Vorfall in einem günstigeren Lichte
darzustellen. Der Herr Major X. war ein grosser, schöner Mann und
Stockschläge in der Armee. 153
hatte ein imposantes Auftreten. Selbst die Officiere bekamen das
Gruseln, wenn sie in Dienstsachen zu dem Platz-Commandanten ge-
rufen wurden, mn wieviel mehr musste es mit so einem armen einge-
borenen Delinquenten der Fall sein, welcher vor ihm stand und bei-
nahe mit Sicherheit wusste, dass ihm eine schwere Züchtigung bevor-
-stehe; er wurde also nervös und unruhig und auf diese Weise das
Opfer seiner erregten Nerven.
Anfangs fühlte sich Major X. geschmeichelt^ zu hören, dass er in so
hohem Maasse den Soldaten und Officieren imponire, aber bald sah er
i^ mir wieder den Untergeordneten, der niemals eine andere oder sogar
bessere Auffassung oder Ansicht als er haben durfte, und verlangte
selbst von mir, dass ich überhaupt niemals einen Delinquenten unge-
eignet für die Strafe erklären imd nur zum Scheiue das Stethoskop
auf die Bnist desselben setzen sollte!! Nun war es meine Sache, Ent-
rüstung zu zeigen.
»HeiT Major, Sie verlangen etwas von mir, das gewiss mich in
Ihren Augen herabsetzen würde. Unsere Sträflinge sind ja keine Mör-
•der oder Räuber, es sind ja meistens nur Schlemihls, welchen es trotz
ein- bis zweijähriger Recrutenzeit nicht gelungen ist, brauchbare Soldaten
.zu werden, es sind eingeborene Soldaten, welche noch nicht gelernt
haben, das Gewehi* sauber zu putzen oder die metallenen Knöpfe glän-
zend zu erhalten. Das Aergste, was einer dieser Unglücklichen ange-
stellt hat, war, dass er sich trotz aller Ermahnungen imd Strafen den
verführerischen Blicken seiner braunen Geliebten bis in die späte
Nachtstunde ausserhalb der Casenie ohne Erlaubniss seines Com-
pagnie-Commandanten hingab, oder da&s er im Würfelspiel nicht nur
sein Baargeld, sondern auch seine zweite Hose verlor. Aber selbst,
wenn es Räuber und Mörder wären, wäre es meine Pflicht, ihnen meine
ärztliche Hülfe zu leisten, oder in casu zu verhindern, dass ihnen die
Stockschläge unheilbares Leiden oder sogar den Tod bringen ; selbst das
Gesetz verpflichtet mich, bei der StrafroUziehung gegenwäiüg zu sein
und die Fortsetzimg der Schläge zu verbieten, wenn ich sie gefährlich
Sir den Delinquenten erachte. Ich habe selbst bis jetzt nm* meine
Pflicht als Arzt und als Officier gethau, wenn ich einen Delinquenten
nicht bestrafen Hess, so lange die Wunde der ftaiheren Züchtigung nicht
geheilt war.
»Ich will Urnen aber behülflich sein, ganz unbeschränkt nach
Hirem Ermessen handeln zu können. Schicken Sie mir nicht die De-
linquenten zur Untersuchung, Sie wissen, dass ich keinen Assistenzarzt
164 Stockschlage.
habe tmd mit A]ntq)flichten überhäuft bin, ich habe auch keinen Apo
theker und muss also den Dienst für drei Officiere verrichten; idi ver*
gpreche Ihnen, niemals und nirgends mich zu bekümmern, ob ein De-
linquent tägUch oder einmal im Jahre geprügelt wird. Wenn Sie aber^
Herr Major, diese mir zur Untersuchung schicken, dann thue ich es
gewissenhaft^ und ich kann daher Ihren Vorschlag nicht acceptiren,
nur »pura pura« (:= zum Schein) zu untersuchen und Jedermami ge-
eignet fiir die Prügelstrafe zu erklären.«
Die Mittheilung meiner Erlebnisse ist nicht Selbstzweck, sondern
hat das Ziel, ein Bild von Land mid Leuten der Inseln des indischen
Archipels zu geben, und darum will ich mich mit dieser Affaire im
Weiteren nur kurz £assen. Major X. berichtete darüber an den
Landes-Commandanten in Samarang und liess durch einen Artikel in
dem »Javabode« vom 8. September 1891 seinen Vater für die Prügel-
strafe in der Armee eine Lanze brechen; ich selbst beschränkte mich
auf die Vertheidigung meines Standpunktes gegenüber dem Landes-
Sanitätschef, leider ohne Erfolg. Dieser Mami (de mortuis nil nisi
bene) hatte niemals das Interesse seiner Untergeordneten vertreten, und
war auch in dieser Affaire nur das Echo des Major X.
Ueber die Prügelstrafe in der indischen Armee selbst, für welche
der pensionirte Oberst-Iieutenant X. in so warmen Worten eintrat,
dass er die Absicht deuüich verrieth, meine )i> falsche Humanität gegen
den Auswurf der Armee« der Heeresleitung ad oculos zu demonstriren^
und seinem Sohne im Kampfe gegen mich Hül&truppen zu senden,
muss ich auf Grund meiner Erfahrungen unbedingt den Stab brechen.
Die indische Armee besteht aus zwei ausgesprochenen Elementen:
Europäern und Nicht-Europäern (von welchen die ambonesischen Soldaten
auch Christen sind und darum auch alcohoUsche Getränke gebrauchen,
sie sind aber dennoch sehr nüchtern und müssen nur sehr selten wegen
Missbrauchs des Alcohol gesü'aft werden). Im Allgemeinen stellt die
Prügelstrafe dieselben Fragen an uns als die Todesstrafe, und zwar
die der Abschreckungstheorie, der Besserung und der Repression. Die
Abschreckungstheorie ist ungerecht und erreicht, wie die Erfährung^
lehrt, ihr Ziel nicht; zur Zeit, als die härtesten und grausamsten Strafen
für Mord und Diebstahl u. s. w. angewendet wiu-den, waren auch die
gemeinsten Verbreclien an der Tagesordnung. Das Unrecht ist auch
zweifellos, wenn Jemand für sein Vergehen härter bestraft werden soll^
als er es verdient, nur um zu verhindern, dass ein Anderer dasselbe
Verbrechen begehe.
Stockschläge. 15ft
Die Besserongstheorie zerfällt natürlich gegenüber der Todesstrafe
in ein Nichts. Aber auch die Prügelstrafe hat selten Jemanden g^
bessert; bis zum Jahre 1891 waren nur acht Mann, sage acht Maoni!
gebessert der Armee von Ngawie zurückgegeben worden.
Die Repressionstheorie hat gar kein Recht zu bestehen, wenigstens
der Prügelstrafe gegenüber. Wie schon erwähnt, besteht die indische
Armee aus Europäern*) und Eingeborenen; die grösste Zahl der eurc^
päischen unbotmässigen Soldaten war ein Opfer des Alcohols oder eines
radisüchtigen gemeinen Feldwebels, welcher, unbeschadet der Folge»,
immer und immer über seinen Nebenbuhler Klagen bei seinem Com-
pagnie-Commandanten führte. Was ein solcher Mann im Stande sei,
habe ich selbst, weim auch mit minder tragischem Ausgange, erfahren;
Im Jahre 1887 wurde ich nach einem kleinen Fort an der Grenze
des feindlichen Landes in Sumatra versetzt Jedes Schriftstück, welches
ich von dort aus an den Landes-Sanitätschef einreichte, wurde mir als
fehlerhaft oder schlecht geschrieben zurückgeschickt Eines Tages kam
ich nach der Hauptstadt und ein College theilte mii* mit, dass der
Sanitätschef sein Befremden ausgedrückt habe, von mir, dem ältesten
Arzte, mid nur von mir allein mangelhafte und schauderhaft ge*
schriebene Rapporte zu erhalten. Es stellte sich heraus, dass der
Schreiber des Chefs von jedem Arzte, der nach einem Fort gesendet
wurde, 5 fl. erhielt, und darum die erhaltenen Rapporte, auch wenn
sie irgend einen Fehler hatten, dem Chef nicht vorlegte. Ich jedoch
hatte mir die Gunst dieses Feldwebels aus leicht begreiflichen Ursachen
nicht erkauft, und darum wurde jeder weggelassene Bleistrich, jede
krumme Linie von diesem Manne roth angestrichen dem Chef unter
die Augen gebracht Wäre ich kein Ofl&cier, sondeni ein Soldat ge*
wesen, so wäre ich im Laufe von 1 — 2 Jahren sicher »reif für Ngawiec
geworden.
Ich verstehe es, dass man die strengsten Maassregeln gegenüber
dem Missbrauch des Alcohols nimmt, d. h. präventive Maassregeln
Hchaift; aber den Säufer durch Stockschläge von seiner Trunksucht zn
befreien — ist dumm und schlecht Dumm ist es, weil es niemals
gelingt und schlecht ist es, weil Hunderte von Officieren mit einem
^) Vor dem Jahre 1891 bestanden zwei Strafanstalten für die Taugenichtse
der Armee. Die Europäer wurden nach Klatten (Provinz Surakata) geschickt,
wo das Fort Engelenburg (nomen — omen??) sie beherbergte; seit acht Jahres
jedoch werden in Ngawie beide Rassen aufgenommen, weil Klatten als Stra^
detachement aufgehoben wurde.
156 Stocksohläge.
Bausch nach Hause konunen können, ohne Prügel dafür zu erhalten,
und weil Hunderte, vielleicht Tausende von Soldaten gut angeheitert
täglich in die Caseme gelangen und ungestraft bleiben, weil es ihnen
gelang, den Feldwebel der Wache zum Freund sich zu erhalten.
Bei den eingeborenen Soldaten ist die »Malpropertät« die häufigste,
und das Verkaufen von Equipementsstücken die vereinzelte Ursache,
dass sie als unbotmässig und als unverbesserliche Sujets nach Ngawie
geschickt werden. Wenn Sonnabends um 9 Uhr der Compagnie-Com-
mandant über die Kleidung und Waffen der Mannschaft Inspection
hält, ist er ganz und gar von dem guten Willen des Feldwebels ab-
hängig, um viel oder wenig Unziemlichkeiten zu finden. Dieser hat
die Pflicht, vor Ankunft des Hauptmanns dafür zu sorgen, dass alles
nach den Begeln der Vorschriften ausgepackt sei; sieht der humane
Feldwebel nun bei einem Soldaten, dass sich irgend wo ein kleiner
Fleck befindet, so lässt er sofort vom Eigenthümer den kleinen Fleck
abputzen oder er schweigt wenn es schon zu spät ist und überlässt es
dem Zufalle, dass der inspicirende Hauptmann es sehe »oder übersehe.
Hat jedoch der betreffende Recrut aus gewissen naheUegenden Ursachen
sich die Gunst eines inhumanen Feldwebels verscherzt, wird letzterer
sogar den inspicirenden Hauptmann darauf aufinerksam ihacheu. Ohne
die diesbezüglichen Witze der Fliegenden Blätter hier zu wiederholen,
ist es naheliegend, dass ein solcher Unglücklicher in kürzester Zeit
»reif für Ngawie c wird.
Wenn der Feldwebel nicht nur für das reglementäi^ Anordnen
der Kleider u. s. w. bei der Inspection verantwortlich gemacht würde,
sondern auch für die tadellose Reinheit derselben, so würde die Zahl
der »unbotmässigen<3c eingeborenen Soldaten auf ein Viertel sinken,
ja noch mehr: Ngawie wäre in seiner Existenz bedroht Die Zahl der-
jenigen Soldaten, welche einzelne Kleidungsstücke verkaufen, um Greld
für die Liebe und das Würfelspiel zu bekommen, ist gegenüber der
Zahl der »Unreinen« klein, und darum schliesse ich gern diesen Ab-
schnitt mit dem Rufe: »Weg mit der Prügelstrafe aus der indischen
Armee!«»)
*) In der deutschen und österreichischen Armee ist sie schon seit Jahr-
Behnten abgeschafft, und doch wurden im Jahre 1870 in Frankreich, und im
Jahre 1878 in Bosnien glänzende Siege erfochten. Ich muss noch bemerken,
dass erst seit dem Jahre 189 L auch die Insassen der Militär- Gefangnisse nach
Abbüssen ihrer Strafzeit fdr 1 oder 2 Jahre nach Ngawie gesendet werden
können.
Lepra auf den Inseln des indischen Archipels. * J57
Hinter dem Fort führte ein krummer Weg zmn Officiers-Cüub*
gebäude, welches auf der Landzunge zwischen dem Solo- und dem
Madiunäusse lag. Das jenseitige Ufer gehörte bereits zur Provhiz Bern*
bang und war zugleich der Exercierplatz für Feldübungen der Bewachimg»-
truppe und jener Sträflinge, welche drei Monate lang &ei von Strafen
geblieben wai'en. Auf dem Wege nach Bembang und noch in der
nächsten Nahe des Ufers lagen drei kleine Hütten. Eines Tages machte
ich meinen Spaziergang mit Hülfe der dort befindlichen f^übre ins Ge^
biet der benachbarten Provinz und gelangte zu diesen Hütten; sie be*
standen nur aus Bambusmatten und hatten kein einziges Möbelstück.
Vor jeder Hütte sass ein — Leprakranker. Ich liess mich mit ihnen in
ein Grespräch ein, und zwar nur über ihre momentane Lebensweise;
denn über die Dauer ihrer Erkrankung, über die Entstehungsweise,
über Heredität und über den Verlauf der Krankheit ist von diesen
Menschen überhaupt nichts Bestimmtes zu erfahren. Wie lange die
Lepra im indischen Archipel sei, lässt sich nicht einmal annähernd
sagen. Nach Hirsch lässt sich in Indien die Lepra bis auf das
7. Jahrhundert vor Christo verfolgen; nach dem 54. Buche der Gre»
schichte der liang-Dynastie (502 — 556) und dem 324. Buche der Ming*
Dynastie, und übereinstimmend mit der javanischen Sagenwelt (Babads)
hat Prabu Djaja Baja im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung
eine grosse Colonie von Hindus nach Java gebracht, welche die dort
befindlichen Urbewohner verdrängt haben. Da von diesen selbst ganz
und gar keine Ueberlieferungen bestehen, und eine Vergleichung mit
den auf anderen Inseln im Urzustände jetzt noch lebenden Einge*
borenen nur ein hypothetisches Ergebniss haben kann, so ist und bleibt
die Frage der Lepra bei den Urbewohnem Javas unerledigt Da sich
ein grosser Menschenstrom von Hindostan vom Jahre 78 p. Ch. an
über alle Insebi des indischen Archipels, und somit auch über Java
einige Jahrhunderte hindurch ergoss, die Lepra schon seit vielen Jahr-
hmiderten« in Hindostan bekannt war und die Hygiene dieser Zeit ge*
wiss der Ausbreitung der Lepra mehr förderUch als hinderUch war, so
kann mit gewisser Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass mit
dem Strome der Auswanderer auch die Lepra nach Java gekommen ist^)
') Im Westen Javas führte im 16. Jahrhundert Sjeikh Nuru'd-dün Ibrabim
ibn Manlana Israil, volgens „Vett Java^ den Islam ein. Auf dem Hügel Djati
bei Chenbon baute er sich ein Haus und — heilte eine lepröse Frau. Es ist
also die Mittheilung van Dr. T. Broes van Dort, dass die Hindus und Chinesea
die Lepra in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingeführt hätten, für jeden
Fall noch einer Kritik zu unterziehen.
T58 Lepra-
Ich besass einen Raksassa (Tempelwächter), jetzt im Besitze des
ethnographischen Museums zu Berlin, welcher bei dem Untergang der
Hindu-Dynastie auf Bali (im Jahre 1894) in der Residenz des Fürsten
gefonden wurde. Er hatte über den ganzen Körper vertheilt zahlreiche
scharf begrenzte Flecken, welche meiner Ansicht nach sehr gut für die
der maculösen Lepra angesehen werden können. Da die Raksassas
im Allgemeinen der Heroenzeit der Hindus angehören, so könnte,
wenn die Deutung der Flecken richtig ist damit gewiss ein sehr altes
Document für die Zeit der Lepra gegeben sein; vielleicht eben so alt
als Engel Bey von Aegypten spricht; nach Engel Bey soll nänüich
sehon 4260 vor Christus in einem Papyrus von Lepra gesprochen werden.
Wenn in Europa gegenwärtig kein einziger Staat besteht in dem
sich nicht einzehie f^le oder kleinere oder grössere Herde von
Lepra befinden, so ist dieses doch bei den Inseln des indischen
Ardiipels der Fall, und zwar in jenen Theilen, in welchen die Urbe-
wohner sich so ziemlich rein in der Rasse bis zum heutigen Tage er-
halten haben, wie z. B. die Alfiiren oder die Dajaker im Innern
Bomeos. In Muarah Teweh, welches im Herzen Bomeos liegt, habe
ich während meines dreijährigen Aufenthaltes 'keinen einzigen Fall von
Lepra gesehen. In den statistischen Ausweisen der Armee konmien
sehr wenig Leprafälle vor; ich besitze die vom Jahre 1847, in wel-
chen kein einziger Fall angegeben wird, und vom Jahre J893 bis 1897
waren je 2, 2, 5, 2 und 2 Soldaten an Lepra erkrankt Nach
Dr. van der Burg wurden vom Jahre 1882 bis 1885 12 europäische
und 8 eingeborene Soldaten wegen Lepra in die MiUtärspitäler auf-
genommen. Dr. Broes van Dort aus Rotterdam hat mit Hülfe der
efficiellen Bescheide für die Lepra - Conferenz im Jahre 1897 eine
hübsche Arbeit über die Verbreitung der Lepra auf den Insehi des
indischen Archipels geschrieben. Nach dieser hat der Westen von Java
im Jahre 1896 (?) nur 42 Leprafälle, in Mittel-Java sehr wenig Falle,
wenn wir absehen von dem Sanatorium zu Pelantungan, wo, sich unge-
fähr 30 bis 32 Lepröse gewöhnlich befinden ; vom Osten Javas wd
jedoch von 1817 Leprösen und von der Insel Madura von 886 dieser
Patienten gesprochen. Auf der Insel Bali ist die Zahl der Lepra-
kranken unbekannt, sie werden zur Isolirung gezwungen, und ihre Lei-
chen werden verbrannt Von der Insel Lombok ist diesbezüglich nichts
bekannt Was die Westküste der Insel Sumatra betriflft, so ist die
Zahl dieser Kranken dort nicht gross; am* stärksten kommen sie im
Innern des Landes unter den Batakem vor, welche einen bis zwei Fälle
Lepra. 169
auf tausend Seelen aufweisen. Im südlichen Theile dieser Insel mit
imgefähr 128,000 Einwohnern sollen nur 22 Leprakranke vorgekommen
sein, und zwar unter den Chinesen; man isolirt sie, giebt ihnen aber
keine Nahrung, so dass sie bald sterben. Die Ostküste Sumatras hat,
nach Dr. Broes van Dort, bei einer Bevölkerung voh 300,000 Seelen
1000 Leprafälle. In Deli, der reichsten Provinz Sumatras, befanden
sich in diesem Jahre 184 Lepra-Patienten, worunter 170 Chinesen.
Auch in der Provinz Riouw sind es beinahe ausschliesslich chinesische
KuHs, welche an Lepra leiden. Von den Inseln Bomeo »und Banka
ist die Zahl der Leprakranken nicht bekannt Auf der Insel Biliton
mit 40,000 Einwohnern soll diese Krankheit im Jahre 1886 von einem
Buginesen eingeschleppt worden sein. Von der Insel Oelebes theilt
Dr. Broes van Dort 87 Fälle mit (von 26,863 Einwohnern), glaubt
aber, dass diese Zahl zu niedrig gegriffen sei, weil die Eingeborenoi
die nervöse Form der Lepra nicht kennen, und darum nur die tuberösen
und ulcerösen Formen mittheilen. In den Molukken ist die Zahl der
Leprösen auch nicht gross; in Banda musste im Jahre 1872 die Le-
proserie wegen Mangels an Kranken geschlossen werden. In Bandar
neira jedoch ist in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kranken
von 2 auf 20, und in Saparua von 49 auf 63 gestiegen. Auf der
Insel Amboina mit 30,000 Einwohnern hat der Hauptplatz 308 Leprar
kranke, darunter 11 Europäer. Auf der Insel Morano &nden sich im
Jahre 1864 8 verheiratete Leprosen mit 21 Kindern, ohne dass
eines davon an dieser Krankheit litt Auf der Insel Temate
befinden sich imgefähr 450 Falle, welche nach der Ansicht von Ya-
lentyn von Batavia eingeschleppt worden sein sollen.
Wenn auch diese Ziffern nach vielen Richtungen hin bezweifelt
werden können, so steht doch das Eine fest, dass in der Gegenwart
auf den Inseln des indischen Archipels die Lepra nicht verheerend auf-
tritt) aber immerhin noch zahlreicher vorkommt als in Europa.
Die Mittheilungen der Leprakranken beschränkten sich auf die
Unterstützung, welche ihnen von der mohamedanischen Kirchenkasse
zu Ngawie geboten wurde, und auf die Eintheilung ihres täglichen
Lebens. Im Ganzen waren sechs Patienten; sie erhielten monatlich
8 fl. aus der Armenkasse der Messigit; zwei von ihnen waren an die
Scholle gebunden, weil sie sich durch den Verlust von einigen Zehen
nicht bewegen konnten; die andern vier fiihren täglich mit der Fähre
nach Ngawie, wo sie sich meistens im chinesischen Viertel aufhielten
und bettelten. Ihr Erscheinen erregte nur bei den europäischen Passanten
160 Lepra.
"Widerwillen; sorglos verkehrten die eingeborenen und chinesischen Be-
wohner dieses Viertels mit ihnen« obwohl ihre schwürigeu Extremitäten
nur mangelhaft mit alten und schmutzigen Lappen bedeckt waren;
offenbar glauben eben die Eingeborenen von Ngawie nicht an eine
Uebertragung der Lepra h distance. Ich für meine Person habe s. Z.^
ab die Aerzte um ihre diesbezügliche Ansicht von der Begieruiig ge-
fragt wurden, mich nur bedingungsweise für die Contagiosität der Lepra
ausgesprochen, und zwar in »nicht höherem Grade als die Syphilis«.
Das bis jetzt trotz der Untersuchungen von 6. Armauer, Hansen,,
Neisser u. s. w., noch nicht genau bekannte Gift der Lepra müsse
eine Porte-d'entr6e bei einem dazu disponirten Individuum finden, um
sich entwid^ehi zu können. Wer zur Aufiiahme dieses Giftes die
»Disposition« habe, ist unbekannt Das Gift selbst ist nur theilweise
oder gar nicht durch den Bacillus von Hansen constatiii. Rein-
culturen dieser Bacterien sind bis jetzt ebenso wenig ge-
lungen als Impfungen (ich will die Gründe unbesprochen lassen^
warum Kaposi nach seinen Mittheilungen auf der Lepra-Conferenz im
Jahre 1897 bei zwei Fällen von Lepra keine Bacillen geftmden
hat; es ist aber keinesfalls erlaubt, wie es damals geschah, zu er-
klären, dass dies eben keine Leprafalle gewesen sein sollten, und
Kaposi einen lapsus diagnosidis begangen hätte). Ohne Reinculturen
ist aber eine Impfung des Lepragift»s überhaupt niemals bewiesen; aber
noch mehr Zweifel muss sich in Betreff der Contagiosität der Lepra
aufilrängen, wenn man liest dass Dr. Danielsen, Prof. Profeta imd
Dr. Bargilli ohne Erfolg mit allen möglichen Stoffen der Lepra*
kranken Impfungen auf sich und andere Menschen vornahmen. Da
aber alle Bacteriologen und Dermatologen, wenn auch nicht immer^
80 doch in der grossen Zahl der Falle den Bacillus von Hansen bei
Leprakranken finden, so ist es selbstverständlich, dass dieser Bacillus
vorläufig als Krankheitserreger der Lepra angesehen wird; dass aber
tief greifende prophylaktische Maassregeln auf Grund dieser Bacterien
getroffen werden, ist ebenso selbstverständlich — verfrüht
Auch die Frage der Heredität ist bis heute noch nicht erledigt
und wird auch nicht so bald erledigt werden können, weil die Incu-
bationszeit der Lepra sich üb<er Monate, wenn nicht über Jahre erstreckt
und immer der Einwurf gerechtfertigt sein wird, dass bei einer so
langen Incubationszeit vielfach Gelegenheit zur extrauterinären Acquisition
dw Lepra gegeben war, und darum hat der Ausspruch Virchow's, die
Lepra sei nicht hereditär, weil niemals ein lepröses Kind geboren
. 11. SuDdanesiBcbe Früchtebäodlemi. '
Prophylaxis der Lepra. Ißl
wurde, nur bedingungsweise raison d'etre» Leider hat der Altmeister
der deutschen Medicin bei der erwähnten Lepra-Conferenz in seiner
andererseits gewiss erschöpfenden und interessanten Rede zur Frage der
Ansteckungsfähigkeit der Lepra nicht Stellung genommen. Er sagte
im Anfang: i^Wenn man z. B. im Augenblick vorzugsweise geneigt ist,
die Lepra zu den Infections-Krankheiten zu rechnen, so ist damit
noch nicht ausgemacht, dass man sie auch unter die ansteckenden
Krankheiten stellen müsse,« und fügt später hinzu: »Für strenge An-
forderungen (sc für ein Contagium) fehlen also noch immer wichtige
Bindeglieder,« und »dennoch hat der Gedanke, dass der Aussatz eine
contagiöse Krankheit sei, so schnell viele Gebiete erobert, dass sowohl
die theoretische als die praktische Lehre auf ihm aufgebaut worden
ist« — Leider steht nicht einmal fest, durch welches Intermedium die
LeprarBacillen in den menschlichen Organismus gelangen. Der hol-
ländisch-indische Arzt Dr. Geill glaubte in den Fusswimden die porte-
d'entr6e für die Lepra geiunden zu haben, während Georg Sticker
durch die Nase diese Bacterien in den menschlichen Köiper eindringen
liess. Mit Bücksicht auf die Verhältnisse Javas und jener der übrigen
Inseln würde also von der indischen Begierung folgender Standpunkt
einzunehmen sein:
1. Die Lepra ist nicht mehr und nicht weniger übertragbar als* die
Syphilis.
2. So wie gegen die Syphilis prophylaktische Maassregeln von dem
* Staate und von der Gemeinde getroffen werden, müssten die-
selben auch gegen die Leprakranken geschehen.
3. Da die Leprösen im l^erminalstadium emährungsunfähig und be-
sonders hülfsbedürftig sind, muss die staatliche Hülfe zur Linde-
rung der Noth. einschreiten.
4. Da es durch die Erfahrung und durch die G^chichte erwiesen
ist, dass die Zahl der Leprösen in einer für das Wohl des
Staates bedrohlichen Weise zunehmen kann, müssen prophylak-
tische Maassregeln getroffen werden.
Dementsprechend müssten:
1. Alle »Doctoren djawas« und alle »Vaccinateure«, sowie alle
eingeborenen Beamten eine in der Landessprache verüässte Be-
lehrung über die Gefahren der Lepra (Kedäl M.) erhalten und
so viel als möglich unter der Bevölkerung verbreiten.
2. Die eingeborenen Beamten müssten unter thatsächlicher Con-
Breiteniteixij 21 Jahre in Indien n. 11
102 Prophylaxis der Lepra.
trole der europäiBdien Beamten eine genMie Statntik der Lep«»-
kranken anlegeiL .
3. In allen Orten, wo sidi Leprakranke aufkalten« muas für die
armen Maischen Gelegenheit zur laoUrung gegieben werden, wad
zwar in einer Hütte ans Bambus, in welcher sich für jedea
Patienten auch eine Ptitsche befindet Für jeden Kranken, der siok
dahin begiebt, müssen täglich Va ^<> Beis, 10 Gramm Salz und
50 Gramm deng-deng (gebrodbietes Fleisch) verabfolgt werden.
An den Kosten der Ekrichhing solche Leproserien und der Ver-
pfl^img der Kranken haben sich die Armenkassen aller Be-
ligions-Genossenschaften zu betheiligen U0d bei etwaigem Manco
der Staat die nöthigen Stipendien zu leisten.
4. Wo ein euroj^uscher Arzt oder ein Doctor djawa sich in der
■ Nähe aufhält, müsste er verpflichtet sein, eine geregelte Behaad-
lung dieser Unglücklidien aiif sich zu nehmen; in anderen litten
müsste, je nadi den herrschenden Verkehrsmitteln, ein Arzt aus
der nächstgelegenen Stadt ein- oder zweimal im Monat dieae
Leproserien a;u&uchen und die nöthigen Verhaltungsmaassregeln
u. 8. w. für die folgenden zwei oder vier Wochen vcn-schreiben.
5. Für die Desinfection nicht nur dieser Leproserien, sondern auch die
Wohnungen aller jener, welche in der Familie bleiben und das
traurige Ende ausserhalb dieser Anstalten abwarten wollen, müss-
ten dieselben Maassregeln getroffen werden, wie für Cholera,
Blattern u. s. w.
6. Die Auinahme in eine Leproserie sei tacultativ, d. h. fi^eiwilUg
für jeden bemittelten Eingeborenen, . und obligatorisch für jeden
bedürftigen.
7. Der »Inspecteur van der burgerlykeii civilgeiieeskundige Dienst«
werde mit der Ausführung und Oontrole alier Maassregeln be-
traut
Das Leben in der Grossstadt liat unt<^r undei'eni auch diesen
Vortheil, dass man sich den kleinen Kreis wählen kann, mit und in
dem man einen regen Verkehr pflegen will; aber auch in einer kleinen
Stadt kann man angenehm leben, wenn man nicht zu grosse Ansprüche
an das Leben stellt Weil man das rauschende mid lebhafte Treiben
einer grossen Stadt entbehrt, der Geist weder durch die Kirnst noch
durch die Wissenschaft Anregung und Befriedigung tindet, so ist man
gezwungen, im Verkehr mit seinen Schicksalsgenossen ein Surrogat für
^ Eitio Sylvester-Nacht auf Java. 133
diese gdstigen Genüsse zu suchen, und niu- zu oft gelingt es, einen
gemüthlichen und freundschaftlichen Bekanntenkreis zu erw^ben, der
selbst Freundschaftsbande ermöglicht In solchen Verhältnissen rerkehrten
wir in Ngawie. Klein war die Zahl der europäischen Bewohner; ein
Assistent-Resident, ein Oontrolor, ein Landesgerichtsrath, ein Notar,
drei Lehrer und eine Lehrerin, ein Förster und acht Offidere waren
Ae europäischen Bewohner, mit welchen wir verkehren konnten. Der
Regent und sein Stellvertreter (Patti) waren die einzigen Eingeborenen,
welche hin und wieder uns besuchten, und nur selten gab der Regent
in seinem Paläste (?) (Kabupatten) ein Fest obwohl er doch den nicht
unansehnlichen Gtehalt von 12,000 ä.^) jährlich bezog. Trotzdem hatten
wir einen hübschen Club und kamen beinahe jeden Abend voop dem
Nachtmahle dort zusammen, um bei einem Glase Bier, Portwein, Mi-
neralwasser oder Genevre ein Stünddien zu verplaudern. Jeden Somi-
tag Abend war nach dem Nachtmahl (von 9 TJhr ab) Spielabend,
an welchem sich manchmal auch die Damen betheiUgten. Ein Leier-
kästen sorgte für die Musik, und in aussergewöhnlichen fallen wurde
4uich von Jung und Alt bei den etwas üisch gestimmten Klängen
dieses veralteten Instruments getanzt Dies geschah auch am 31. De-
cember 1888, der ersten Neujahrsnacht, welche meine Frau auf Java
zugebracht hatte. Die Pferde, welche ich imterdessen gekauft hatte,
waren etwas eigensinnig und zugleich wild und feurig. Ich wagte es
nicht, mit ihnen nach dem Clubgebäude zu fahren, welches ungefähr
zwei Kilometer von meinem Hause entfernt lag, und wir gingen zu
Fuss. Es yfiur eine schöne Nacht, und aJä wir um 9^/4 ühr Abends
dort anlangten, waren bereits alle Notabein des Ortes versammelt.
Das gewöhnliche Programm solcher »geseUiger Abende« wurde ab-
gespielt; auf Kosten des Clubs wurde liqueur und Kaffee präsentirt.
Die Herren setzten sich zur L'hombre-TafeL während die Damen am
liebsten Whifit spielten, und zwar Whist »met de Klets« = mit Plauschen (!),
weil natürlich bei diesem Spiel Ruhe die erste Pflicht ist Obwohl
Auch einige )ZuckerlordR« der Umgebung, welche gewöhnt sind, um
hohen Prei« zu spielen, anwesend waren, blieb dennoch der Preis ein
bescheidener. Tm Ij'hombre war das »Capital« = 5 fl., und auch die
Damen spielten das Hundert um denselben Preis. Im Durchschnitt
>) Dieser Regent hatte für sich, seine Familie und sein Gefolge, wie er
mir erzählte, täglich 1 Pikul — 62^/| Kilo! Reis nöthig. Dies erklärt hinrei-
chend die allgemein bekannte Thatsachc, dass diese Herren oft trotz il)rcs hohen
Gelialtes noch Schulden machen mQssen.
11*
Ig4 ^üie Sylvester-Nacbt auf Java. ^
verliert oder gewinnt man bei diesem Tarif 2 — 3 fl. pro Abend, was
gewiss nicht die Kasse eines Beamten oder Officiers stark in Anspruch
nimmt Um 12 Uhr erhob sich Jedermann mit dem Glas Bheinwein,
Brandy, Soda oder Bordeauxwein und stimmte in das Hurrah ein,
welches der Assistent-Besident nach einem kleinen Toaste auf ein
glüddiches Neujahr ausgebracht hatte. Das neue Jahr musste mit Tanz
beginnen; die Damen beendigten den letzten »Robber« und gingen in
den Tanzsaal. Ce qu'une fenune veut, dieu le veut; die Herren mussten
eben&lls nolens volens die Karte zur Seite legen, um wenigstens eine
anständige Polonaise zu Stande zu bringen. Streng nach Rang und
Anciennität geordnet marschirten die Paare durch den Saal; der Militär-
Commandant führte die Frau des Assistent^Residenten, während dieser
die »Commandeuse« am Arm hatte. Der Regent bot meiner Frau, als
der ältesten Hauptmannsfraiu das Geleite, und in langsamen, gemessenen
Schritten durchzog der kleine Zug zweimal den Saal; eine neue Rolle
wurde in den Leierkasten eingelegt, und ein Walzer eröffiiete den
Reigen der Tänze; in diesem Augenblick verschwanden nicht nur der
Regent von dem Schauplatz, sondern auch alle Herren, welche entweder
mehr Freude am Eiirtenspiel als an dem der Terpsichore hatten, oder
im Allgemeinen »de Oost« als viel zu warm für dieses Vergnügen hielten.
Die wenigen Herren, welche tapfer genug waren, um in dem Tanzsaal
zu bleiben, wurden reichlich für ihren Muth belohnt; sie konnten nicht
nur nach Herzenslust mit den Fräulein und mit den jungen verheirateten
Damen tanzen, sondern mussten, wollten sie nicht demonstrativ
werden, auch die alten Damen zum Tanze einladen, welche ihren
Enkeln versprochen hatten, vom Balle einige »Kwe-Kw^« mitzubringen.
Aber auch die übrigen Herren, welche sich zur Spieltafel geflüchtet
hatten, ereilte dasselbe Schicksal. Als nämlich die Klänge des ersten
Lanciers erschollen, war Leiden in Noth ; vier mal vier Männer waren
zu vier Figuren nöthig, und nur elf befanden sich im Saal. Die zwei
Mächte der Stadt, die »Commandeuse« und die Frau des Assistent-
Residenten, erschienen in der Veranda der Spieler imd forderten kate-
gorisch Abhülfe dieser peinlichen Situation. Ganz bescheiden erlaubte
ich mir die Bemerkxmg, dass für Ngawie doch drei, ja selbst zwei
Figuren hinreichend wären, und dass ich es »mit meinem Gewissen
nicht vereinigen könne, einem solchen Laster, als der Hochmuth sei,
vier Figuren herbeizuschaffen, Vorschub zu leisten; nichts half mir, ich
musste :» Lanciers tanzen«.
Endlich war ich auch dieser gesellschaßlichen Pflicht entledigt und
Eine Sylvester-Nacht auf Java. Ig5
hatte eine halbe Stunde wieder ruhig mit der »Spadille, Manille, Basta,
Ponte« mich beschäftigen können, als der Ruf: ^»Eine Quadrille« durch
den Saal schallte. Angstvoll bUckte ich nach der Thüre des Tanz-
saals und sah zu meinem Schrecken wiederum diese beiden ehrwürdigen
Damen erscheinen, und hinter ihnen stand meine Frau mit einem
höhnisch-spöttischen Lächeln um ihre Lippen. Ich hatte noch nie-
mals mit meiner Frau getanzt, und an diesem Abend mit einer frem-
den Dame an einem Lanciers mich betheiUgt also — eine Verschwörung.
Meine Ahnung betrog mich nicht Linea recta segelten diese beiden
ehrwürdigen Matronen auf mich zu und theilten mir mit, dass meine
Frau zu der nächsten Quadrille keinen Cavaüer hätte, und dass ich
also höflichst, aber auch mit dem nöthigen Nachdruck eingeladen werde,
für eine halbe Stunde mich dem Spielteufel zu entziehen und meine
eigene Frau »nicht sitzen zu lassen«. Der erste und einzige Lanciers,
welchen ich diesen Abend getanzt hatte, sass mir noch in den Gliedern.
Ich wusste, wie toll und wild die letzten Touren der Quadrille in Indien
von den angesehensten und ältesten Männern getanzt werden. Ich be-
schloss also, den Angriff dieser zwei Fregatten mit groben Greschützen
zurückzuschlagen und erklärte einfach, dass ich solchen liebenswürdigen
Einladungen kein Gehör geben dürfe, weil ich mir bewusst sei, dass
meine Frau das Haupt einer Verschwörung sei, nämhch mich unter
den Pantoffel zu bekommen. Ich blieb bei meinem Entschluss, diesen
Abend und überhaupt nimmermehr zu tanzen, und blieb bei der Thüre
stehen, um mich wenigstens passiv an diesem Hexentanz zu betheiligen.
Die ersten drei Touren waren gelassen und ruhig, als aber die »chaine«
gebildet wurde, kam etwas Aufregung unter die Tänzer, und bei der
letzten Tour war ein Springen und Laufen und Jagen und ein »Hessen«,
wie auf einer Kirmess in HoUand. Endlich fielen Alle, Jung und
Alt, Mann und Frau, erschöpft in die Stühle. Auf diese Quadrille
folgten wieder Rmidtänze, und endlich um 3 Uhr Morgens verhess
ich mit meiner Frau das Clubgebäude, während die meisten Anderen
den Sonnenaufgang bei Tanz und Spiel erwarteten. Ich hatte nämlich
von dem Leibarzte des E^aisers von Solo eine Einladung erhalten,
am 1. Januar dahin zu kommen, um dem interessanten EmpjEangs-
abend des Residenten^ beiwohnen zu können. Der Kaiser sei näm-
lich verpflichtet, zweimal des Jahres im Gidaaufisuge ausserhalb des
Kratons zu erscheinen: am 1. Januar und bei dem Garebek-
feste. Er würde dafür sorgen, dass auch ich eine Einladung zu
diesem Feste bekäme, an welchem sich alle Eiu:x)päer der Stadt und
1^ Eine anangeDeluae F«brt
der Proyinz und alle Häuptlinge der Eingeborenen und der €9iineseii
jedefimal betheiligen.
Der Zug, weldier um 6'/« Uhr des Morgens von Madiun abging»
kam um 7^4 Uhr nach Paron, wir muasten also um 6 Uhr von zu Hau»
abreisen. Wir benutzten diese wenigen Stunden zunädist, um uns
der durch den Schweiss durchnässten Kleider zu entledigen, und
ruhten bis 5 Uhr hn Bette aus. Zur festgesetzten Zeit erschien der
Mylord mit meinen zwei feurigen Sandelwoodpferden^ welche offenbar
überrascht waren, in so früher Morgenstunde den warmen Stall ver-
lassen zu müssen. Wie der Wind flogen sie durch die Strassen der
Stadt und durch die lange, schattenlose Allee, welche nach Paron
führt Schon äusserte ich meine Unzufriedenheit, so früh das Haus
vwlaasen zu haben, als bei Paal ^) 4 die Pferde plötzlich stehen blieben..
weil, wie ich später hörte, ein todter Tiger seitwärts im Gebüsche lag,<^
und: »J'y suis, j'y reste« mögen sie gedacht haben, denn weder Drohung
noch die Peitsche, weder gute Worte noch Ziehen an den Zügeln,,
nichts vermochte sie von ihrem Entschluss abzubringen, bei Paal 4 zu
bleiben. Endlich stiegen wir Beide und die Babu aus dem Wagen,
um so lange den Rest des Weges zu Fuss zurückzulegen, bis es dem
Kutscher gelingen sollte, den Streik meiner Pferde zu beendigen. Wir
kamen bis zum Paal 5, ohne von unserem Mylord ßtwas zu hören oder
zu sehen; noch l^a Kilometer (= 1 Paal) weit lag die Station, als
aus weiter Feme die Damp4>feife erscholl. Der Zug hatte Gen^g,
die letzte Station vor Paron, verlassen. Im raschen Sdiritt eilten ich
und meine Frau vorwärts, ohne zu bemerken, dass die Babu, welche
unser Handgepäck trug, mit echt indischer Indolenz zurückgeblieben
war. Aber audi meiner IVau wurde es zuletzt unmöglich, im Sturm-
schritt die letzten 100 Schritte zurückzulegen. Ich wusste, dass bei
der Station Dos-ä-dos zur Verfügung waren, im Galopp durcheUte
ich die letzte Krümmung des Weges und kam mit dem Train gleich-
zeitig im Stationsgebäude an. Sofort liess ich meine Frau durch ßinen
Dos-ärdos holen und ersuchte den Stationschei« den Train zwei Mi-
nuten auf meine Frau warten zu lassen und mir die Babu und mein
Gepäck mit dem Zuge von 11 Uhr nachsenden zu wollen. Nach drei
1 Paal = 1006,948 Meter.
*) Die Unglücksfalle durch reissende Thiere scheinen in HoUändisch-Indien
nicht zahlreich zu sein, wenigstens spricht der Jahresbericht von 1893 nur von
43 durch Tiger, 39 durch Krokodile und 38 durch Schlangen veranlassten To-
desfallen.
Ein Neujahntftg in Solo. 167
Btundai kam^i wir in Solo an und erhielten nach der Rysttafid die
Nttchtwisdie iFon mnerer liebenswüidigen Hausfrau geborgt, inn unser
IfittagiBSchläfchen halten zu können, welches nach d^i gemachten
Strapazen für uns geradezu ein Bedürfiiiss war. Leider konnte die
Sieeta nicht lange dauern, weil bemts um 5 Uhr die europäischen
Giste vom Residenten erwartet wurden.
Nachdem wir aufgestanden und die Koffer mit den Kleidern und
der Wäsche thatsäcUich mit dem Mittagstrain angelangt waren« nahm^i
wir unsem Thee, gingen uns ankleiden und begaben uns mit der Haus-
frau ins anhegende Haus des Residenten. Auf dem Wege dahin er-
zäUte sie uns, dass die Eingeborenen schon um 6 Uhr früh ihre
GMückwünsche dem Residttiten dargebracht hatten und dafür kleine
Geschenke in Geld oder Kladem erhielten, und dass bis 10 Uhr alle,
und zwar in Begleitung von Musik, ihre Aufwartung gemadit hatten,
wekhe durch ihre SteUung sich dazu verpflichtet hielten : die Musikanten
von der Leibwache des Susuhunan, die Polizeiagenten, die Musikanten
des Prinzen Mangku Negara, die Führer der Elephanten u. s. w. Als
Nachbarn des Residenten hatten sie das Vorrecht, den ganzen Morgen
die Musik zu hören, welche am besten mit den Worten des deutsdien
Diditers charaktensirt werde: »So ein Lied, das Stein erweichen^
Menschen rasend machen kann«. Gtegen 10 Uhr verminderte mch
dieses Lärmen der Musik, und es erschienen alle europäischen Beamten,
Offidere, der Prinz Mangku Negara, der Reichsverweser und die ange-
sefamsten Häuptlinge, um persönlich dem Residenten ihre Glückwünsche
zum Jahreswechsel auszuq>rechen.
Unterdessen hatten wir die )»yorgalene« dieses Beamten erreicht
und erfreuten uns an einem bunten Bilde, welches sich vor dem Hause
unsem Augen darbot Eiine grosse Allee vbn Tamarindenbäumea
zog sich in grosser und starker Krümmung gegen den Kraton; zwischen
je zwei Bäumen be&nd sich ein Flaggenstock, und in regelmässiger
Entfernung sassen die Tumenggnngs \) oder Bupatis,^) welche nicht dem
Kraton selbst zugetheilt waren. Jeder von ihnen hatte sein zahlreiches
Gefolge mit Lanzen und kleinen Fahnen bei sich, und die Farbe der
Röckchen verrieth den HäuptUng, dem es angehörte. Jeder Bupati
hatte neben sich seine Gamelang; auch in der Pendqppo, welche vor
dem Hause des Residenten stand, be&nd sich eine solche und eine
europäische Musikbande. Die »Vorgalerie« schloss sich an eine grosse
*) "Würdenträger der Eingoborenen.
Igg Ein Neiiyahrstag in Solo.
Halle, in deren Hintergründe zwei Thronsessel auf einem Podium
standen, und zwar in gleicher Höhe, und senkrecht darauf zwei Reihen
schöne europäische Stühle. Gegen 5\/s Uhr erschienen zwei Häuptlinge
mit einem glänzenden Hut auf dem Kopfe (vide Fig. 13), welcher die
Form eines umgekehrten Blumentopfes hatte, und theilten dem Residenten
mit, dass der Susuhunan, Paku Buwana, Senapati ing-ngalaga, NgabduV-
rahman, Sajidin, Panata-gama = Seine Heiligkeit, der Nagel der Welt,
der höchste Commandant des Ejrieges, der Diener der Barmherzigkeit,
der Herr der Religion und der Leiter des Gottesdienstes angezogen
und bereit sei, ihn zu empfangen. Langsam und in demselben ge-
messenen Schritt, wie sie gekommen waren, kehrten' sie nach dem
Eraton zurück. Nach einer Weile bestiegen der Resident und der
Assistent-Resident eine offene Equipage, um den Susuhunan zu holen. >)
Das Zeichen ihrer Würde, der goldene Sonnenschirm für den Resi-
denten wid der halb goldene, halb weisse für den Assistent-Residenten,
wurde ihnen über den Kopf gehalten, und so gelangten sie in den
Kraton. wo der Resident dem Susuhunan und der Assistent^Resident
dem Kronprinzen den Arm giebt und zu dem Wagen des Fürsten ge-
leiten. Es ist eine schöne, gläserne Equipage, von 8 Pferden ge-
zogen, welche Sammt - Decken, Federbüsche tragen und von einem
Pikeur geführt werden; die Equipage des Kronprinzen wird nur von'
6 Pferden gezogen. Oer Zug wird eröfihet von 20 Hofbedienten zu
Pferde; hinter ihnen folgt eine Truppe mit Wasser, Holzkohle und
Reis, welche ebenfalls mit einem goldenen Sonnenschirme beschützt
werden, die europäische Leibwache des Kaisers, dann die javanische
Leibwache, Hofdamen mit blossen Schultern mit den Reichsinsignien
(Fig. 14): Ein Vogel (Peksi groeda), ein Hahn (Sawung gaüng), Arda
wolika (ein Vogel mit "einem Kopf, der halb an einen Menschen, halb
an eine Schlange erinnert), zwei Elephanten (gadjah), ein Kidang (Reh)
und eine Gans, welche alle aus massivem Gold verfertigt waren.
Hinter diesen folgen zwei Herolde, die Equipage des Kaisers, des
Kronprinzen und die übrigen Häuptlinge zu Pferde und einige Hundert
zu Fuss. Sobald die Equipage des Kaisers den Kraton veriässt,
dröhnen vom Fort die Salutschüsse der Kanonen, die Gamelangs er-
tönen in gemessenen, ruhigen Tönen, und die Häuptlinge mit ihrem
Gefolge, an welchen der Zug langsam, ruhig, und ich möchte sagen
*) Seit ungefähr zwei Jahren holt der Resident den Sultan nicht ab, sondern
erwartet ihn in seinem Hause.
Ein Nenjahrstag in Solo. 169
lautlos vorbeizieht, neigen ihren Kopf zur Erde und erheben ihre Hände
zur Stime (Sembah); dasselbe thun die Häuptlinge (welche auf dem
Boden mit gekreuzten Füssen sitzen), wenn der Kaiser die Avenue des
Besidentenhauses erreicht hat und den Wagen verlässt Majestätisdif
oder besser gesagt ruhig und langsam schreitet der Kaiser am Arm
des Besidenten und der Kronprinz am Arm des Assistent-Residenten
durch den Saal zum Throne, der Teppich wird hinter ihnen sofi)rt
aufgerollt, um nicht durch plebejische Füsse entweiht zu werden, und
vor dem Thronsessel lassen sich die beiden Grössen von den einge-
ladenen Eim)päem begrüssen. Die Gamelang wird in die Nahe des
Thrones gebracht, der Kaiser imd der Resident setzen sich gleichzeitig
nieder, links von ihnen der Kronprinz und einige angesehene Pangerans,
während rechts die europäischen Gäste sich niedersetzen und einen ge-
nügend grossen Raum offen halten für die Serimpis (Bayaderen). Die
angesehensten HäupÜinge (Pangerans), welche in dem Zuge sich be-
fiEuklen, haben unterdessen in Galatenue (Fig. 13) ihre Equipage ver-
lassen oder sind vom Pferde gestiegen und erscheinen nun am Eingange
des Saales, um dem Kaiser und dem Residenten ihre Huldigung zu
bringen. Dieses geschieht kriechend, d. L in hockender Stellung
schob Jeder abwechselnd das rechte und linke Bein vor, wobei er sich
mit den ausgestreckten Händen auf den Boden stützte und in ruhigen
und gemessenen Bewegimgen mit dem einen Beiinß den Sarong zurück-
schleuderte, gerade wie eine Dame der Schleppe ihres Kleides jeden
AugenbUck ihren Platz anweist In gemessener Entfernung bleibt er
stehen oder vielmehr sitzen, neigt sein Haupt bis zum Boden, erhebt
den Körper wiederum und führt die geMteten Hände zur Stime
(Sembah). Der ICaiser selbst aber sitzt unbewegUch wie eine Statue,
und ein wohl berechnetes Zwinkern mit den Augenlidern verkündet
jedem Häuptlinge, in welchem Grade seine Huldigung in den Augen
seines Herrn Gnade gefunden habe. Ein für den Neuling gewiss hoch-
interessantes Ballet, das wahrscheinlich beim zweiten Male, aber sidier
beim dritten Male die Zuschauer ermüden, ja selbst langweilen muss!
Dasselbe gilt von dem nun folgenden Tanze der Serimpis. Vier ^)
junge Mädchen erscheinen mit ebenso viel Hofdamen, welche unab-
lässig mit dem Ordnen der Toilette ihrer Schutzbefohlenen beschäftigt
waren. Diese Mädchen sind die Töchter von hohen Fürsten und werden
später die Nebenfrauen des Kaisers; sie haben einen Sarong, der, wie
') Und nicht nenn, wie es Veth iu seinem „Java^ erzählt, was übrigens
der Name Serimpi schon andeutet.
170 Bi^ Ne«j«brfUg in Solo.
kik hörte, ein nur für Bie bestiiimites Desan hat Das Gleicht» der
entblöfiBte Hals und Anne sind mit einer gelben Salbe (B(Hreh) be-
strichen, und die Grenze der Kopfhaare wird durch schwarze Earbe
nach unten verrückt, ebenso wie der Kronprinz die Augenbrauen durch
einen dicken, schwarzen Strich gegen die Mitte der Stime vergrönert
erscheinen Hess. Das Haar der Tänzerinnen hatte zahlreiche mit Diar
manten und anderen Edelsteinen geschmückte Haarnadeln, und an
dem 'HsisQ hingen drei goldene Halbmonde. Um die Taille be&nd
sidi ein Schleier, welchen sie bei den Tänzen zur Unterstützung der
Anmuth in ihren Bewegungen zieriich zu gebrauchen wussten.
Was den Tanz dieser hübschen Mädchen betriffl;, so mag er nach
eurofMoscher AufEftssung kaum so genannt werden; sie verliessen nie
ihren Ratz, sondern drehten sich abwechselnd unter den sanften, weh-
müthigen Klängen der Gamelang an Ort und Stelle; heim Auftreten
und beim Verlassen des Tanzsaales machten sie ihre Sembahs.
Das ruhige und würdevolle Drehen wurde von steifen Bewe-
gungen d^ Hände und Füsse begleitet; dabei wurden diese hyperexten-
dirt, so dass z. B. die Finger und der Ellenbogen in ihren Gelenken
oft einem Bogen von 190^ entsprachen.
Wenn auch der Anüang mir gewiss ein gewisses ethnographisches
Interesse abgewinnen musste, so vmrde doch die Monotonie des Tanzes
sdion darum ermüdeüd und langweilig, weil er beinahe zwei Stun-
den (!!) dauerte, und auch die Gamelang nur wenig Abwechslung in
ihren sentimentalen, rührenden Weisen brachte. Uebrigens fehlte mir
und audi den übrigen Europäern jedes Verständniss für diesen Tanz.
Die Tandakmädchen (öffentliche Tänzerinnen) (Fig. 8), welche man
tä^di auf der Strasse solche Tänze aufführen sieht, sind weniger lang-
weilig; erstens singen sie dabei Heldenlieder (leider mit kreischender
Stimme), und zweitens verlassen sie doch theilweise den Platz, auf dem
sie stehen. Die Bewegungen dieser Tandakmädchen soUen eine cynisdie
oder erotische Basis haben, und manchmal glaubte ich es auch in
ihren Bewegungen zu entdecken. Dem Tanze der Serimpis jedoch
fehlt nach meiner Ansicht diese Basis; hier sind diese seltsamen Be-
wegungen des Körpers und Verdrehungen der Hände und Füsse Seibet-
zweck.
Endlich nahm dieser Tanz sein Ende, die europäische Militär-
musik stimmte eine Polonaise an, der* Besident gab dem Kaiser, der
Assistent-Resident dem Kronprinzen den Arm, ihnen schlössen sich der
Platz-Commandant mit der Frau des Residenten und die übrigen Hono-
Ein Nei^ahrstag in Solo. 171
latioreii an und machten zweimal die Bimde durdh den TanzsaaL
lieblicher Weise war der Schluas der Polonaise für die europäiacbe
Gesellachaft ein Rundtanz, während der Kaiser ins Nebenzimmer zur
Whisttafel ging, an welcher die angesehensten und reichsten Laift-
heiren theilnahmen. Der Kaiser muss nämlich gewinnen, die bSae
Welt erzählt auch, dass die Farmer untereinandw ein Syndicat sdiUesaen
und einen Fonds gestiftet haben, um auf Kosten aller Landherren den
Verlust der Spieler zu decken. >) Ein Souper, welches die indische
Regierung bezahlt, ist der Schluss des Neujahrsfestes. Für 12 Ufar
war es bestimmt, aber seine Kaiserliche Hoheit hatte anders beschlossen.
Der Resident kam schon um 11^2 Uhr in den Spielsalon, um quasi
den Kaiser an die Zeit des Soupers zu erinnern; der Kaiser liess sich
jedoch nicht stören. EndUch schlug es 12 Uhr und der Resident gab
ihm' einen deutlichen Wink, indem er sich an den Eingang des ^el-
saJons stellte, von wo er ihn per Arm an die Ta&l führen sollte.
Länger als zehn Minuten, vielleicht eine Viertelstunde hess er den
Residenten wie einen Bedienten vor der Thüre stehen, bis er endlidi
sich herabliess, dem Spiel ein Ende zu machen und den gewonnenen
Preis seiner Whistkunst (?) einzustreichen. Unterdessen hatte sich der
Kronprinz im Tanzsaale aufgehalten und, wenn auch nicht dem
Tanze, so doch in echt europäischer Weise den Freuden des Festes
gehuldigt; namentlich im Flirten mit den europäischen Damea
leistete er geradezu Erstaunliches, obwohl er durch die Zeichnung ▼(«
grossen Augenbrauen mehr oder weniger zur Caricatur eines Menschen
geworden war. Die anderen »Reichsgrössen« verfielen nicht so stalle
diesem Uebelstand, weil sie bis auf das Kopftuch die Uniform ihres
Ranges trugen, in dem sie der Armee k la suite zugetheilt waren; der
Kronprinz jedoch trug nur einen kurzen Sarong über die Lenden, und
im Uebrigen beinahe ganz europäische Kleider.
Unterdessen hatte ich oder vielmehr meine Frau dem Ceremonien-
nieister viel Scherereien verursacht. Die vorige Nacht hatte meine Frau
nur drei Stunden geschlafen, der forcirte Marsch zu Fuss zum Bahnhof
hatte sie stark mitgenommen, und da sie aus Mangel an anderen
Kleidern und Wäsche bis 2 Uhr in denselben Kleidern bleiben musste,
so brachte ihr das Mittagschläfchen keine hinreichende Erholung. Die
Schwäche überwältigte sie, und ich ging also zu einem der beide»
') Weil der Kaiser selbst bis zum frühen Morgen spielen würde, um seines
etwaigen Verlust wieder surückgewinnen zu können.
172 ^^ Neujafarstag in Solo.
Ceremonienmeister und theilte ihm mit, dass wir zu unserem Bedauern
wegen UnwohlseinB meiner Frau nicht an der Hoftafel theUnehmen
könnten. Zu meiner grössten Ueberraachung gab er nm* die kurze
^twort: »Unmöghch€ und eilte weg, um seine weiteren Anordnungen
zu treffen. Als aber das Unwohlsein meiner Frau zunahm, entfernte
ich mich unbemerkt brachte sie nach ELause, und da ich die Ursache
des Unwohlseins in der grossen Ermüdung sah, ging ich beruhigt in
den Tanzsaal zurück, theilte es dem zweiten Ceremonieimieister mit und
bat ihn um Aufklärung des Wortes »Unmöglich« von Seiten seines
AmtscoÜegen.
»Ich kann jetzt endlich icei Athem schöpfen,« gab er mir zur
Antwort^ »und Ihnen das non possumus meines CoUegen erkläxen. Sie
sehen hier zwei grosse Tische, welche in der Form eines "Y" ange-
ordnet sind; an dem horizontalen Tische sitzt der Kaiser, hat zu seiner
Rechten den Platz-Oommandanten, zu seiner Linken den Residenten
und an diesen schliessen sich nach Rang und Würden die übrigen
europäischen Gäste an. An dem senkrechten Tische sitzen nur ein-
geborene Fürsten, deren Anzahl so ziemUch feststehend ist; da nebst-
dem ihr Rang nach Jahrhunderte alten Yorschriftien (hadat) geregelt
ist, so ergiebt sich, wenn ich es so nennen kann, das Arrangement der
Sitzplätze von selbst, um so mehr, da diese Fürsten ihre Frauen nicht
mitbringen. Die Zahl der europäischen Graste ist aber nicht nur
yariabel im Quantum, sondern auch in der Qualität; bei jeder Hoftafel
muss daher aufe Neue die Sitzordnung der Gäste geregelt werden.
Zufällig sind Sie mit Ihrer Frau die jüngsten imd niedrigsten im
Range, welche noch an diesem Tische Platz nehmen können; die übrigen
europäischen Gäste erhielten einen zweiten Tisch, an welchem sie sich
nach Belieben niederlassen können, weil der Rangunterschied derselben
nicht mehr gross ist Was würde geschehen sein, wenn mein College
Ihre Absagung angenommen hätte? Der Platz hätte durch einen
Andern eingenommen werden müssen, aber durch wen? Sie wissen,
dass wir mit dem Platz-Adjutanten die Rangverhältnisse zwischen den
Officieren und Civilbeamten u. s. w. regeln; wir haben uns also ge-
einigt, auf Sie im Range die Civil-Ingenieure folgen zu lassen. Wir
haben deren zwei, welcher von Beiden hätte an der Hofl;afel sitzen
sollen? Jedes Jahr bekommen wir Reclamationen über das Arrange-
ment der Sitzplätze für die Europäer, und heuer sind wir dem glückUch
entronnen, nur dadurch, dass wir Ihre Absage nicht annahmen. Der
Sitz blieb leer — und häbis perkära.« (M. die Sache ist erledigt)
Eine Deputation am Hofe zu Djocja. 173
Welche Speisen die eingeborenen Fürsten erhielten, habe ich leider
nicht gesehen, und ebenso habe ich vergessen, ob auch der Kaiser sich
an den offidellen Toasten betheiligte; nur erinnere ich mich noch, dass
das erste Glas auf die Gresundheit des Königs von Holland getrunken
wurde, imd dass das letzte mit den Worten: Salämat tänah Djawa!
(Heil dem Lande Java!) den tibUchen Schluss der Hoftafel brachte.
Der Kaiser und alle Gäste erhoben sich, der Resident gab ihm den
Arm^ dasselbe that der Assistent-Kesident mit dem Kronprinzen, und
unter den stürmischen Klängen der Gamelang verliess der »Susuhunan«
das Besidenzgebäude. Auch ich ging nach Hause, und zwar mit dem
Bewusstsein, in Europa ein schöneres Banket und einen schöneren
Festzug, aber kein interessanteres Tableau als an dem vergangenen
Tage jemals gesehen zu haben.
Im grellen Gegensatze zu der lauten und stürmischen Aufregung,
welche die Festzüge in Europa charakterisiren, stand die Buhe und
Gelassenheit in allen Bewegungen der Theilnehmer, und wenn nicht
die Gamelangs und die verschiedenen Musikchöre Abwechslimg in die
Monotonie gebracht hätten, wäre Langeweile der Grundton des ganzen
Schauspieles gewesen. Ich habe zwei Jahre später Gelegenheit gehabt,
eine solche klang- und sanglose Auffahrt bei Hof in Djocjokerto mitr
zumachen, wo sich der zweite selbständige Fürst von Java befindet
Er führt denselben Titel wie der Kaiser von Solo: Sultan, Hamangku
Buwana, Senapati ing-ngalaga, NgabduV-rahman, Sajidin Panatagama,
Kalifahillah YILjO nur dass anstatt Susuhunan = Heiligkeit Sultan,
imd für Paku = Nagel Hamangku = Herrscher der Welt genommen
wird; auch in anderer Hinsicht ist der Unterschied zwischen dem Hof-
ceremoniell zu Solo und, dem zu Djocja sehr klein.
Am 23. November 1890 war der König von Holland gestorben,
und sofort verständigten der Telegraph und die Post den ganzen
indischen Archipel von dieser Trauermär. Nebstdem sollte noch ein
eigenhändiges Schreiben, direct an den Sultan von Djoqa (und natür-
hch auch an den Susuhunan = Kaiser von Solo) von Holland aus
gerichtet, den officiellen Bericht bringen, dass König Wilhelm III. ge*
storben sei und seine Frau, »Konigin Begentes« Emma, im Namen der
unmündigen Königin Wilhelmina die Begierung über Holland und seine
Colonien »im Osten von dem Cap der guten Hoffiiung« auf sich ge-
nommen habe. Dieser Brief kam nach Djocja zur Zeit (Anfangs Ja*
Seit dem 22. Deccmber 1877 auf dem Throne.
174 ^üie Deputation am Hofe zu D)ocja.
noar 1891)^ ab ich mich dort zu meiner Erholung von dem in Tjilatjap
aoquirirten Malariafieber aufhielt und eines Tages zu dem Besidenten
lom Nachtmahle eingeladen wurde. Gleichzeitig be&nd sich hier
der berühmte hcdländische Gelehrte Snouck Hurgronje als zweiter
Gast, welcher bei dem Besidenten wohnte. Dieser Mann ist, wenn
nicht in Europa, so doch in Holland der beste Kenner der mohame-
dänischen Rechte und der Gesetze, ist der arabischen Sprache voll-
kommen mächtig, und ihm war es auch gelungen, verkleidet als ara-
bischer Pilger nach Mekka zu kommen und an Ort und Stelle die Gre-
brauche des Islam in Mekka zu studiren; er war mit seinen reichen
ErÜAhrungen der holländischen Begierung ein verlässlicher Bathgeber
in allen Angelegenheiten, des Islam, unter anderem besprachen
die beiden Männer das Ceremoniell, welches bei der officiellen Mit-
theilung von dem Tode des Königs gehandhabt werden sollte. Als ich
hörte, dass es nur aus einer kleinen Deputation bestehen sollte, ^-
suchte ich den Residenten, ein Mitglied derselben sein zu dürfen. Er
verwies mich an den Platz-Conunandanten, der natürlich nichts da-
gegen einzuwenden hatte, und so kam ich zu der seltenen Gelegenheit
in den Kraton bis in die Gemächer der Sultanin gelangen zu können.
Unter Kraton versteht man keinen Palast nach europäischer Nomen-
elatur, sondern einen Complex von Gebäuden, welche mit einer Mauer
umgeben sind und von jener zahlreichen Menschenmasse bewohnt wer-
den, die direct oder indirect zum Gefolge des Herrschers gehört Der
Kraton zu Djocja wird von ungefähr 15,000 Menschen bewohnt ist von
einer Mauer umgeben, welche 1200 Meter lang und 700 Meter breit
und 3Va Meter hoch ist
An dem festgesetzten Tage gegen 11 Uhr erschienen zwei Gala-
Equipagen, in der ersten nahm nur ein Schreiber des Besidenten Platz,
welcher ein Polster in den Händen hielt darauf lag in einem Couvert
aus gelber Seide der officielle Brief der »Konigin-Regentes« mit der
Nachricht von. dem Tode S. M. des Königs von Holland; im zweiten
Wagen sass der Resident mit dem Platz-Commandanten, und in den
folgenden Wagen sassen der officielle Dolmetsch der javanischen Sprache,
ein Controlor, der Platz-Adjutant <ünd meine Wenigkeit
Längs dem Fort Rustenburg, ^) in welchem sich ein halbes Ba-
1) Diesos Fort wurde im Jähre 1760 gleichzeitig mit dem Kraton gebaut.
Nach der herrschenden Anschauung darf ein Kraton nicht länger als ein (ja-
Tanisches) Jahrhundert bestehen ; die holländische Regierung gab aber in diesem
I Jahrhundert zu einem Neubau nicht die Zustimmunof.
Eine Deputation am Hofe zu Djooja. 17Ö
taillon In&nterie, eine halbe ONnpagnie ArtiUerie, das Militäropital,
die Magazine und der grösste Theil der Offiderswohnungen befinden,
und dem europäischen Clubgebäude kamen wir zunächst auf den Schloes-
platz mit seinen zwei riesigen Waringinbäumeo, wohin sidi in früherer
Zeit j^ie unglücklichen (in weisse Kleider gehüllt) flüchteten, weldie
dem Sultan ebi Bittgesuch überreichen wollten. Auch soll hier stets
ein Tigerkäfig gestanden haben, in welchem jener Tiger ge&ngen ge-
halten wurde, welcher bei der Thronbesteigung eines Sultans mit einem
Büffel '(Karbouw) in Gegenwart des Hofes, der Beamten und des Volkes
den Kampf aufiiehmen musste. Da d^ Tiger in der Regel durch yiel-
tägiges Hungern geschwädit war, und die Homer des Büffels spitz ge-
schliffen wurden, erlag immer d^ Tiger, und der Büffel ging immer
als Sieger aus dem Kampfe hervor. An der Westseite des Schloss-
platzes lag eine Moschee (mistigit) von einem Wassergraben (ohne
Brücke) umgeben, so dass Jeder gezwungen war, entsprechend den Yor-
schriften des Islams, seine Füsse zu waschen, bevor er das Heiligthum betrat
Vor der Bansal witana, d. i. dem Zugang zu dem eigentlichen
Eraton, wdches ein G^g zwischen den zwei grossen (][ebäuden für den
Crerichtshof war, stieg Alles aus, der Kronprinz erschien und gab dem
Residenten den Arm, neben ihm ging der Platz-Gommandant, tmd der
goldene Schirm (Pajong) des Residenten liess den Kopf des Obersten
unbeschützt Der offene Raum zwischen diesem Thor und dem nächsten,
Bradjanala^) genannt^ war mit Sc^daten, »den Legionen« des Kaisers,
ausgefüllt Sofort werden wir uns mit diesen eingehender beschäftigen
müsseh. weil sie geradezu eine typische und originelle Erscheinung auf
dem Hofe der beiden Kaiser zu Solo und Djocja bilden. Vor diesem
Thore hielt ein europäischer Soldat Wache und gab jede Stunde durch
einen Glockenschlag die Stunde des Tages an. Hier be&nden sich
auch zwei Pendoppo = offene Hallen, in welchen Gesandte, der Reichs-
verweser oder andere angesehene Personen warten müssen, um nach
erhaltener Zustimmung zur Audienz vorgelassen zu werden. Wir ge-
langten durch das dritte Thor, »Sri Menganti«, welches uns zu den
Wohnhäusern des Sultans selbst brachte, und vor dem Bangsal Kent-
jana = dem goldenen Pendoppo kam der E^aiser der Deputation entgegen.
Auch in der Nahe dieses* Saales standen Soldaten; man muss
sich vollkommen dem Eindrucke des Hofceremoniells hingeben, wenn
^) Der Setzer hat bei allen Wörtern mit k nur a genommen; dessen Schuld
ist es also, daas auch dieses Wort hier geschrieben ist, als ob es aus West-
Java stammen würde.
176 ^^i^® Doputation am Hofe zu Djocja.
man nicht beim Anblick dieser Helden ein lautes Lachen erschallen
lassen wilL Die Leonen des Sultans sind 3 — 4000 Mann stark und
in zahlreiche Compagnien eingetheilt mit ihren eigenen Officieren, eigenen
Umformen, Fahnen; jede hat zwei Tambours und zwei Pfeifer. Die
eine Compagnie, welche am meisten meine Aufinerksamkeit fesselte,
hatte einen Officier mit einem gelben fVack, grünen Hosen, grossen,
schwarzen Kanonenstiefeln, einem dreieckigen Hut mit einem grossen
Blumenstrauss, einem grossen, breiten Säbel in der Hand und einer
grossen, grünen Brille auf der Nase. Die Soldaten, welche um ihn
standen, hatten ungefähr dieselbe Uniform, waren jedoch mit einer
Lanze bewaflhet und hatten keine Brille, welche übrigens bei allen
übrigen Offideren offenbar als Zeichen ihrer Würd^ auf der Nase sass.
Die anderen Compagnien zeigten bedeutende und pittoreske Unter-
sdiiede; sie waren mit Krissen (Dolchen) oder Schwertern und Schild,
mit Lanzen oder Gewehr bewaffiiet; sie hatt»n einen Sarong oder kurze
oder lange Hosen an; dreieckige Hüte oder spitz zulaufende Mützen
oder Helme aus den diversen Jahrhunderten; der Frack war gelb, roth,
blau oder schwai^; sie trugen weisse Strümpfe mit Lackschuhen oder
waren blossfüssig; kurz und gut die^ Uniformen der letzten 300 Jahre
hatten ihre Vertreter in den Legionen der beiden Kaiser von Java
(Fig. 15).
Als Pendoppo hatte dieser Saal keine Wände, und doch sind die
Säulen, welche das Dach tragen, und dieses selbst sofern es den
Plaf<md dieser Halle bildet, als alt-javanische Holzschnitzereien von
grossem historischen und architektonischen Werth. Zur Seite steigt
das Dach schief nach oben, und seine Balken haben ihre natürliche
Farbe, welche durch das hohe Alter dunkel und düster wurde. Diese
Balken jedoch sowie die der Caissons des mittleren Theiles, welcher
mattblau und roth ist, sind mit zahlreichen Arabesken, Blumen und
Thieren in Groldfarbe bedeckt; da aber das Gold dieser Verzierungen
auch nicht mehr neu und also nur mattglänzend war, so machte dieser
Saal einen düsteren Eindruck. Die Einrichtung bestand nur aus zwei
Thronsesseln und acht gepolsterten' Stühlen, und der Boden bestand
aus Marmor.
Nachdem der Resident dem £[aiser den Brief überreicht hatte,
Hess dieser den Beichsverweser den Brief öffiien und vorlesen; da-
nach gingen wir uns setzen und Bheinwein trinken, welcher in schö-
nen Gläsern herumgereicht wurde.
Aber einen noch selteneren Empfang sollte ich bei dieser Ge--
Die Stadt Solo. 177
legßnheit mitmachen. Die Deputation wmrde auch von der Sultanin
emp&ngen.
Hinter der erwähnten Pendoppo befindet sich eine lange, offene
Halle, an welche sich rechts die Gedong kuning, das gelbe Haus, die
Wpl^i]ang des Sultans und die Dalem oder Prabajasa, die Wohnung
de^ Sultanin anschlössen. Links von der Halle be£Eiiiden sich die
Ställe für die Pferde tmd Hunde, obwohl die letzteren nach don moha-
medanischen Anschauungen haram = unnein sind.
In dem eigentlichen Palaste der ersten Sultanin empfing uns also
des Sultans Favoritin; seine anderen Frauen und GuDdiks hatten Jiinter
der Prabajasa ihre Wohnungen, welche den Harem oder Kaputr^n
bilden und von keinem männlichen Wesen betreten werden dürfen.
Ajbior auch in die eigentliche Wohnung des Sultans, in das gelbe Haus,
mag niemals ein Mann ohne directe Einladung kommen, und natürUch
noph weniger in den Palast der Sultanin. Alle Bedienung geschieht
in beiden Palästen nur diutih Frauen. Die Veranda, in welcher der
Empfang der Deputation stattfand, war schlecht beleuchtet Als wir
eintraten, erhob sich von einem sehr langen Divan, der die ganze
liLnge der Mauer einnahm, die Sultanin, und der Resident stellte uns
vor. Hierauf setzten sich die vier Grössen auf den Divan; und wir
Uebrigen, dii minorum gentium, konnten stehen bleiben.
Den £[raton zu Solo will ich nicht beschreiben, weil ich nur wie-
deriiolen müsste, was ich in obigen 2^ilen von dem Palaste in Djocja
mitgetheilt habe, und weU ich dabei die Mittheilungen und Beschrei-
bungen Anderer benutzen müsste. Nach dem Feste beim Besidenten
fuhr ich den nächsten Tag um 10 Uhr mit der Eisenbahn wieder nach
Ngawie zurück, ohne von der Stadt mehr als den Thiergarten, das
Fort Vastenburg, das Besidenzgebäude und den schönen Palast des
Prinzen Mangku-Negoro gesehen zu haben. Die Stadt &atte mehr als
100,000 Einwohner!) und machte auf midi keinen günstigen Eindruck.
Vielleicht waren es die zahlreichen Spuren der jährlichen üeber-
schwemmungen, welche der Stadt geradezu ein schmutziges und un-
appetitliches Aussehen geben. Sie hegt nämlich an der Mündung des
') Darunter waren nach dem officiellen Ausweise vom Jahre 1892 1139
Europäer, 4167 Chinesen, 88 Araber, 241 „andere Orientalen'' und 96,296 Ein-
geborene.
Breitenitein, 21 Jahre in Indien ü. 12
178 ^f Aufschwung der Insel Java.
kleinen Flusses Pep^ ^) in den Bengawan (= Solo), welcher der grösste
Fluss Javas ist und in seinem oberen Laufe aus zahlreidien kleinen
Bergströmen besteht Die Stadt hat aber eine grosse und schöne Zu-
kunfty weil seit ungefähr sieben Jahren die Eisenbahn, welche Batavia
mit Surabaja verbindet^ den Fremdenverkehr sehr erleichtert und den
Strom der Touristen nach diesen zwei höchst interessanten Kaiser-
reichen «(Djocokarta und Surokarta = Solo) l^nkt Die Provinz ist
reich an Buinen aus der Hiaduzeit und hat zahlreiche Naturschön-
heiten (zahlreiche warme Quellen, Mofetten und auf dem Berge Lawu
eine kleine Bergkluft mit zwei Teichen, aus welchen giftige Gase [Kohlen-
stofif!] aufsteigen, Schwalbennesterhöhlen u. s. w.). Vielleicht am in-
teressantesten ist und bleibt die Anwesenheit eines orientalischen Fürsten
mit seinem ganzen Ho&taate, welcher am G^mgelbande des Residenten
geht und bemüssigt wird, seinen despotischen Gelüsten nur noch im
Festhalten äusserer Formen zu genügen. Hatte nämlich die indische
Begierung grosse Schwierigkeiten, die depossedirten Fürstei anderer Pro-
vinzen Javas, welche sie als »Begenten« in das Corps der Beamten
aufiiahm, von ihren despotischen Gewohnheiten zu befreien, so stand
sie gegenüber den beiden Fürsten von Solo und Diocja. welche äusser-
lich ihre Selbständigkeit behielten, geradezu vor einem Augiasställe. Ich
bewundere die Greschicklichkeit und Ausdauer der holländischen Re-
gierung, welcher es gelang, zwei diametral entgegengesetzte Regierungs-
principien in ihr Programm au&unehmen und dieses erfolgreich durch-
zuführen. Diese sind: Die einheimischen Fürsten der unterworfenen
Stämme an die Spitze der Verwaltung als Beamte zu stellen, um die
dynastischen Grefühle der grossen Menge des Volkes zu schonen, imd
andererseits den kleinen Mann vor den despotischen Gelüsten dieser Be-
amten zu beschützen.
Der beste Beweis nicht nur für die Richtigkeit dieser Principien,
sondern auch für den bedeutenden EMolg derselben ist der ungeheure
Aufschwung, den Java im 19. Jahrhundert genommen hat^ und der
sich in dem Wachsen der Bevölkerung und in der menschenwürdigen
Existenz des javanischen Bauers am deutlichsten zeigt Java hatte
im An£Euige dieses Jahrhunderts ungefähr 3,000;000 Seelen, und heute
beinahe 23 Millionen« Selbst bis in die abgelegensten Kampongs ist'
die kleine Petroleumlampe gedrungen, und beinahe jeder Dorfhäuptling
') Entspringt auf dem Bergsattel z^vischen den beiden Bergriesen Merapi
und Merbabu.
Dm MiUtilr-Spital in Ngmwie.
179
hat seinen runden Tisch mit einem bunten Tischtuch, einen Schaukel-
stuhl und seine Hängelampe^
Die Provinz Surakarta (= Solo) hat bei einer Grrösse von 112,oo6
Q] Meilen 1,176,833 Einwohner, also ungefähr 10,000 auf die Quadrat-
Meile, obwohl der Süden der Provinz von Kalkbergen durchzogen wird
und nur spärlich bewohnt ist
Um '/al2 Uhr kam ich wieder in Paron an, und der nädiste Tag
(3. Januar 1889) sah mich wieder dem tägUchen Leben in *äieser
kleinen Stadt und dem anstrengenden Dienste im Fort zurückge-
geben.
In dem Fort sellftt be£EUid sich das Spital von der 6.^) Bang-
klasse. Links von dem nördlichen Eingange des Forts be&nd sich
das einstöckige Gebäude, welches im Parterre das Bureau des Yer-
waltungsbeamten, die Apotheke mit dem Sprechzimmer des »Eerst^
anwezendeu Officiers van G^zondheid«, und im ersten Stock die Säle
für die Kranken enthielt Diese waren durch eine Brücke mit einem
zweiten Gebäude verbunden. Das Dach des Spitales war flach und
konnte eventuell zum Spaziergange von Beconvalescenten verwendet
werden. Der Eingang zum Spitale selbst war eine Treppe mit einer
eisernen Thüre, welche zu einem Corridor führte. Die Säle, welche
für die Sträflinge bestimmt waren,' hatten eigene Thüren aus schweren
eisernen Stäben, und die Fenster, welche auf den Hofraum sahen,
eiserne Gitter. Die Säle für die Soldaten des Bewachungs-Detache-
ments hatten Thüren und Fenster ohne Gitter. Die Einrichtung des
Spitales bestand aus eisernen Betten mit Strohsäcken für die Patienten
D. h.: 2680 Europäer, 8068 Chinesen, 83 Araber, 241 Orientalen und
1,165,771 Eingeborene.
^ Die indische Armee hat zwei Sorten von Spitälern, solche mit selb-
ständiger Verwaltung, welche Spitäler heissen, undMarodenzimmer (=: Ziekenzaal),
welche von dem Platz-Oommandanten verwaltet werden. Die Spitäler werden
in 6 Klassen und die Marodenzimmer in 4 Klassen, je nach dem durchschnitt-
lichen Patientenstande, oingotheüt.
Das Spital 1. Kl. entspricht einem Krankenstande von 650 Mann 4. Kl.
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n
n
» 60
n
'n
18*
180 £in Spitftl ohne Apotheker.
der 3. und #. Klasse, und mit Mati^atzen mit Kapok ^) gefüllt für die
Unterofficiere und Offidere und für jene Patienten der 3. und 4. Klasse»
für welche eine harte Unterlage gefährlich werden konnte, wie z. B.
bei Erkrankungen des Rückenmarks, bei Typhus u. s. w., bei welchen
leicht Brand durch Druck entstehen kann.
Der Stand der E[rankenwärter war entsprechend der 6. Bang-
klasse : 1 Sergeant (Ziekenvader), 2 Corporate (Bediende), 4 europäische
Wärter (Oppassers), 4 eingeborene Soldaten (Handlanger), 1 Bürger
und 10 Sträflinge.
Von diesen Krankenwärtern mussten einer für die Apotheke, ein
Koch und ein Unter-Koch bestimmt und ein »Handlanger« als Kutscher
für den Leichenwagen angewiesen werden. Nebstdem wurden ein Sträf-
ling der Apotheke und vier der Küche zugptheilt Der Kranken-
wärter, welcher in der Apotheke die Dienste eines Gehilfen leistete,,
war schon seit Jahren in Ngawie und hatte sich eine bedeutende
Fertigkeit im Verfertigen der Becepte u. s. w. angeeignet; das Segle-
m
ment verbietet, einen solchen Mann derartige Dienste verrichten zu
lassen, und gestattet nur, demselben die niedrigsten Dienste eines
Apothekergehilfen anzuvertrauen, z. B. Papier schneiden, die Pillen-
masse zu kneten, Pulver zu stampfen u. s. w. Es war möglich, diesem
Gresetze zu entsprechen, so lange ich einen Assistenzarzt hatte; dieser
musste die Recepte des Spitals und der Bürger verfertigen, und so
brauchte ich wirklich den Gehilfen nur die kleinen, von dem Gresetze
erlaubten Handarbeiten leisten zu lassen.
Als aber dieser mir abgenonmien wurde, stand ich vor einem
schwierigen Fall; ich hatte ein Spital mit 40 — 50 Patienten; ich musste
die Armen-, Civil- und Grerichtspraxis ausüben und gewiss auch die
erste Hülfe bei den besser situirten Europäern, Chinesen und Ein-
geborenen leisten, wenn sie den weiteren Verlauf auch dem nächsten Ovil-
Arzte (in Madiun) hätten anvertrauen wollen ; ich musste das Grefangniss
täglich besuchen, und, so lange ich keinen Doctor djawa zur Assistenz
hatte (auch dieser fehlte mir einige Monate), auch die Behandlung der
Prostitufe auf mich nehmen, und doch bekam ich einen officiellen
Verweis, als es in Samarang bekannt wurde, dass ich die Recepte von
diesem nicht diplomirten Apotheker anfertigen Uessü
Dieses ist in Indien ein sehr beliebtes und gern angewandtes
Mittel gewisser Officiere, um den Untergebenen aus leicht motivir-^
= Pflanzendune vom Wollbanme (Eriodendron anfractaosnm Dec).
Gholeraphobie. Igl
baren Gründen die nöthige Assistenz abzunehmen, und dßiin auf diese
Weise glücklich im Suchen nach Fehlem u. s. w. sein zu können.
So oft ich nämlich nach Samarang schrieb, man möge mir einen
Assistenzarzt senden, bekam ich entweder keine Antwort oder ich wurde
auf den Mangel an Aerzten verwiesen, und dass ich mich so gut als
möglich ohne Assistenz durchschlagen müsse.
Ich hatte einen Oberarzt, welcher also Anfangs October 1888
per Telegramm nach Samarang transferirt wurde, wo durch das epi-
demische Auftreten der Cholera eine Vermehrung der Militärärzte
nöthig wurde.
Es war 3 Uhr Nachmittag, als ich in meinem Mittagschläfchen
von diesem Oberarzte gestört wurde; mit einem Telegramm in der Hand
klagte er mir sein Leid, sofort nach Samarang gehen zu müssen, wo
die Cholera in fürchterlicher Weise herrsche und so zahlreiche Schlachi-
opfer fordere. Bald sah ich, dass die Furcht vor 4f Cholera ihn
mehr beherrsche, als es sich für einen Arzt geziemt, und mehr, als es
für einen Arzt in den Tropen zweckmässig ist wo (besonders in Java)
die Cholera endemisch ist und oft zu starker Epidemie exacerbirt
Ich trachtete ihm also die Schwierigkeiten vor Augen zu hal-
ten, wenn er sich nicht seiner Cholerafurcht widersetze, und machte
ihn aufinerksam, dass »der Arzt vor ansteckenden Krankheiten ebenso
wenig als der Soldat vor der feindlichen Kugele sich zurückziehen
dürfe. {Indlich bekannte er, dass die Furcht vor der Cholera ihn ver-
anlasse, mich zu bitten, telegraphisch seine Transferirung zurückziehen
zu lassen, weil die Choleraphobie, die Furcht vor der Cholera, eben
schon eine Infection durch Choleragift sei. Da jedoch in Ngawie selbst
die Cholera nicht herrschte, so war seine Furcht vor der Cholera ge-
wiss nur psychischen Ursprungs, und ich machte ihn darauf aufinerk-
sam, dass ich zufälligerweise aus eigener ErfEdirung über das Wesen
der Choleraphobie, welche gewissermaassen eine nervöse Form dieser
Ejunkheit im leichtesten Grade darstellt^ einen richtigen EinbUck habe.
Ich selbst hatte nämlich im Jahre 1873 daran gelitten. In
Wien herrschte in diesem Jahre die Cholera, ohne viel Opfer zu
fordern. Nur 60 oder 90 Todesfälle waren vorgekonmien, trotz-
dem die Weltausstellimg Hunderttausende von Menschen dahin ge-
lockt hatte. Es war an einem warmen Augusttage, als ich in der
Donau ein Bad nehmen wollte und auf der Treppe von einem be-
ängstigenden Grefühle ergriffen wurde; ich stieg nicht in's Wasser, son-
dern kleidete mich an. Dabei hatte ich keinen anderen Gredanken, als
182 Gholeraphobie.
den, an der Cholera erkrankt zu sein; ich bekam Zwicken und Kneipen
in dem Bauch und eilte sofort nach der Stadt» um in einer Apotheke
zehn Tropfen Laudanum zu nehmen. Die Angst in der Magengrube
(Fräoordialangst) nahm zu, ich bekam Diarrhöe, und in fürchterlicher
Aufregung rannte ich in meine Wohnung, ohne durch die angewen-
deten Hausmittel beruhigt zu werden. Die Nacht brach herein, und ich
sehnte mich nach dem Schlafe; aber in dem AugenbUcke, als ich ein-
schlafen sollte, wurden die Schmerzen im Bauche so arg, dass ich aus
dem Bette sprang mit dem Gedanken: »Jetzt er&sst mich wirklich die
Cholera.« Endlich gegen 4 Uhr schlief ich ein. Dieser Zustand dauerte
vier Wochen lang und nichts half dagegen, bis ich endlich einen Ent-
schluss der Verzweiflung £Eisste: aut — aut, und ich meldete mich für
Ungarn an — als Choleraarzt Während dieser vier Wochen durflie ich
das Wort Cholera weder 'hören noch lesen, oder ich bekam die ganze
Reihe der nerrösen Aufregungen mit oder ohne Diarrhöe; ganze vier
Wochen lang kam ich nicht vor 4 — 5 Uhr in den Schlaf weil mich
jedesmal beim Einschlafen das Schreckensgespenst der Ch<]^era aus dem
Schlafe riss.
Weiterhin erzählte ich ihm, dass ich diesen Anfällen von Cholera-
fiircht auch in Ungarn, wo damals eine f ürchterUche Epidemie geherrscht
hatte, begegnet sei. Bei meiner Ankunft in Eperies wurden mir
einige Dörfer in den Karpathen zum Platze meiner Thäügkeit ange-
wiesen, und einer der Beamten begleitete mich, um mich dort zu in-
stalliren. Zu meinem Standplatz wollte er die Wohnung eines Försters
wählen, der mitten im Gebirge wohnte und gewiss gern mir Graste
freundschaft bieten würde. Als wir dahin kamen und dieser junge
Mann alle diesbezüglichen Winke meines Reisebegleiters nicht verstehen
wollte, frug ihn dieser zuletzt direct, ob er mich nicht in sein Haus
aufiiehmen wollte. »O ja, sehr gern,« erwiderte er, »wenn mir der
Herr Doctor verspricht niemals das Wort Cholera in meinem
Hause auszusprechen.« Der Mann also, der in den E^arpathen
allein wohnte, weder Teufel noch Bären noch Wölfe fürchtete, wurde
schon durch das Wort »Cholera« in Angst versetzt Natürlich er-
klärte ich hierauf meinen festen Entschluss, irgendwo anders eine Woh-
nung zu suchen.
Das sind zwei ausgesprochene Fälle von Choleraphobie, weil beide
in einer von der Cholera inficirten Gegend auftraten, während mein
Assistenzarzt keine anderen Symptome als die der Furcht zeigte. Ich
wies im weiteren Verlaufe auch auf die geringe Gefahr der Ansteckung
Gholeraphobie. 183
f
von Seiten eines Arztes bin, weil er so wenig in directen Contact nut
den EnÜeeHmgen der Patienten komme. Als in Ungarn im Jahre
1873 in einigen Dörfern die CholeraJkranken yon ihren gesunden An-
gehörigen verlassen vnu*den, und dadurch ohne Pflege und ohne Be-
handlung blieben, legte sich ein Arzt, dessen Name mir leider entfallen
ist, ins Bett zu einem sterbenden Cholerakranken; dieser Arzt blieb
am Leben. Wenn auch drei Krankenwärter in Batavia starben, welche
Cholerakranke verpflegt hatten, so sei darum der Arzt doch nicht mehr
bedroht^ als alle anderen Menschen, welche in demselben Orte wohnen,
weil er nur selten oder niemals von den Entleerungen der E[ranken
beschmutzt werde, und wenn dies zufaUig geschehe, er sich auch so-
fort reinigen und desinficiren könne. Ja noch, mehr: wie viel Aerzte
hätten in persona bei Cholerakranken die Tanninklystiere gegeben, ohne
darum ihre Htilfeleistung mit dem Leben zu bezahlen. Wie oft hätte
ich selbst, trotz meiner Cholerafiircht, den fürchterhch nervösen Er-
scheinungen, welche mit Diarrhöe gepaart 'gingen, den Cholerapatienten
Morphium subcutan eingespritzt (das allerdings nicht resorbirt wurde),
ich predigte tauben Ohren. Zuletzt erklärte mein Assistenzarzt — er
sei krank, er leide an einem Darmkatarrh! —
»So,« erwiderte ich hierauf, »Sie sind krank; in der brennenden
Sonnenhitze von vielleicht 37^ kommen Sie zu mir, und Sie sind so
krank, dass Sie Ihrer Transferirung. nicht folgen können?! Nebstdem
sind Sie^ gestern Abend bis in die späte. Nachtstunde im Club gewesen,
und Sie haben heute Vormittag nicht nur Ihren Dienst im Fort gethan,
sondern sind auch in die Stadt zu Ihren Privatpatienten gefahren ... *
Doch wenn Sie sagen, dass Sie krank seien, muss ich es Ihnen glauben.
Gehen Sie nach Hause, ich komme um 5 Uhr zu Ihnen, um Sie zu
untersuchen, und ich bitte Sie, wenn möglich, mich auch Ihren Stuhl
sehen zu lassen.«
Als ich um die angegebene Stunde kam, erklärte er mir, seiner
Transferirung Folge zu geben.
Vier Tage später kam er zurück, und ein Brief des Landes-
Sanität8che& machte mir die heftigsten Vorwürfe über meine inhumane
Handlungsweise, einen Mann den OefEibren der Cholerainfection auszu-
setzen, der an einem Katarrh des Dünn-, Dick- und Mastdarms leide.
Ich vertheidigte mich, nach meiner Ansicht, mit vollkommenem Erfolg;
me überrascht war ich jedoch, am Ende des Jahres in meiner Conduite-
liste zu lesen: Nicht hinreichend selbständig, hat sich ober-
flächlich gezeigt in der Erfüllung seiner Pflicht als Chefarzt
184 Meine Gondniteliste.
gegenüber seinem Assistenzarzt Sein militärisches Be-
nehmen ist tadelnswerth; verrichtet seine Dienstpflichten
mit Eifer, doch nicht immer in passender Weise; er verdient
also keine Beförderung!!
Ich reichte meine Yertheidigung an den Armee-Commandatlton
ein, indem ich die einÜEiche Thatsache mittheilte mit der Bemerkung,
dass der Soldat ins Feuer und der Arzt zu ansteckenden Krankheiten
gehen müsse, und dass ich so überzeugt sei, nach Recht und Gfewissen
gehandelt zu haben, dass ich bei Wiederholung dieses Falles wieder
in gleicher Weise zu Werke gehen würde.
Während bis Ende März alle Conduite-Listen bei dem Armee-
Commandanten eingelangt sein müssen, nachdem der Platz-Commandant,
der Landes-Sanitätschef, der Landes-Commandant und der Sanitätschef
ihre etwaigen Zusätze und Anmerkungen hinzugefügt hatten, befremdete
es mich, im April noch keine Antwort auf diese Yertheidigung er-
halten zu haben. Bis Ende März müssen, nämlich die Condutte-Listen
mit den etwaigen Yertheidigungsschriften aus dem ganzen Archipel
eingegangen sein. Yon Java selbst gelangen diese »Papiere« schon in
den ersten Wochen des Monats Januar nach Batavia und werden
sofort erledigt, d. h. entweder im Kriegs-Departement deponirt oder es
werden in strittigen Fallen zur weiteren Behandlung die Erhebungen
gepflegt
Aber Anfangs Juli hatte ich noch keine Antwort; endly^h hiess
es, dass der Landes-Commandirende, General von KL, kommen sollte,
über die Garnison von Ngawie Inspection zu halten.
In üblicher Weise wurde den Officieren und Mannschaften der
Tag und die Stunde angegeben, an welchen sie ihre etwaigen Ansuchen
dem Landes-Commandirenden vorbringen konhten. Es war für mich
eine schwere Arbeit, zu sorgen, dass sich das Spital und die Apotheke
mit ihren Magazinen in reglementärer Ordnung befanden, und dass alle
Rapporte bei der Hand waren, welche dem General beim Erscheinen
im Spitale vorgelegt werden sollten. An den Inspectionen der Casemeu
und Officierswohnungen musste ich theilnehmen, um etwaige von mir
angegebene hygienische Uebelstände zu demonstriren oder von anderer
Seite eingebrachte hygienische Fragen zu begutachten, und ich hatte
keinen Assistenten, um den Dienst in der Apotheke, im Gefähgniäse,
im Frauenspitale und in der Gvilbevölkerung von ihm verrichten lassen
zu können. Im Drange der Gescimfte vei^ass ich also, auch mich
anzugeben und den Greneral um Mittheilung über den Stand meitiet
Meine Gondniteliste. 185
Yörtheidigungsschrift zu bitten. Jedoch an dem Bevolyerschiessen der
Offidere betheiligte ich mich; ich sollte als letzter an die Reihe kommen
imd unterhielt mich unterdessen mit dem Adjutanten des Generals,
einem alten Bekannten aus der Zeit meines Aufenthaltes in Sumatra,
und frug ihn, ob ihm nichts bekannt sei, welche Erledigung bis jetzt,
d. h. nach 6 Monaten Zeit, meine »Affaire« genommen hätte. Er.
glaubte, mir eine ausweichende Antwort geben zu müssen, welche mich
annehmen hess, dass mein Recurs ungünstig erledigt worden sei; dies
erregte mich so mächtig, dass ich, aufgerufen, an den Schiessstand zu
treten, den Revolver bei dem Laufe in die Hand nahm; ein schallendes
Gelächter weckte mich aus meiner Verlegenheit, doch ich schoss so gut,
dass die Ehre des ärztlichen Standes als Schütze gerettet wurde. Drei
Tage später erhielt ich von dem Landes-Sanitätschef die Mittheilung,
dass der Armee-Commandant
». . . . mit Rücksicht auf die günstige Conduitebeurtheilung, welche
»de Ofßcier van Gf«zondheid«, Breitenstein, bis jetzt hatte, die in
Colonne I mitgetheilte unrichtige Behandlung von Sachen i) als einen
vereinzelten Irrthum in gutem Glauben angesehen habe« und dass
»Seine Excellenz auf Grund dieses wünscht, die im Jahre 1887
gefällte Beurtheilung vorläufig aufrecht gehalten zu sehen . . .«
Diese Mittheilung des Sanitätsche& war datirt vom 3. Juni 1889,
wurde einen Monat später auf TJrgenz des Landes-Commandirenden
mir eingesendet und trug auch die Spuren der Fälschung; Juni war
verändert in Juli!!
Es geschieht selten, da^s eine Conduitebeurtheilung von dem Armee-
Commandanten gänzlich zu Gunsten der Reclamanten abgeändert wird,
und wenn es geschieht, ist es ein Pyrrhussieg; denn seine Vorgesetzten
sehen dann mit Recht eine Niederlage, welche sie in ihrer Existenz,
d. h. in ihrer eigenen Beförderung bedroht und — nehmen Rache.
Dieser Bescheid des Sanitätschefe zeigt das militärische Leben in
einem eigenthümlichen Lichte, und es drängt sich die Frage auf, ob die-
sem ein richtiger Standpunkt zu Grunde liege.
Das Vergehen, welches so stark war, dass ich »nicht würdig« und
»nicht geeignet« war, befördert zu werden, wurde vom Armee-Com-
mandanten als bestehend angenommen, und nur im Gnadenacte wurde
mir die Strafe für dies Vergehen (??) erlassen, weil ich »in gutem
^) d. h. die Affaire der Transferirung des Assistenzarztes.
186 Meine CondniteUBie.
Glauben geirrt hätte«, d. h. mit anderen Worten, dajsB der Landee-
Sanitätschef nicht unrichtig mich beurtheilt hätte. Das Princip,
welches dieser Aeusserung zu Grunde liegt, ist die Wahrung
der Autorität des Chefs gegenüber seinen untergeordneten.
Wenn wir von üebertreibungen absehen, ist dieses Princip im mili-
ISrischen Leben ein richtiges und gesundes, es wird auch mit Becht
bei allen Disdplinaruntersuchungen angewendet; in strittigen £^en wird
dem Höheren mehr geglaubt als dem Untergebenen; wird damit ein
Missbrauch getrieben, so hat jeder Soldat das Becht, auch wegen einer
auf dem Disdplinarwege aufgelegten Strafe zu reclamiren und die Ent-
scheidung eines Kriegsgerichts anzurufen, welches jedoch als Jury das
objective Beweisverfahren übt Es ist auch dafür gesorgt, dass dieser
Schritt nicht leichtsinnig untemonmien werde. Entscheidet das Kriegs-
gericht (Krygsraad) zu Ungunsten des Reclamanten, so wird nicht nur
die primäre Strafe ins Strafregister aufgenommen (die Strafe selbst niuss
ja nach dem Beglement ^bgebüsst sein, bevor er an das Kriegsgericht
i^pelliren kann, nebstdem muss der Beclamant die ganze Zeit hin-
durch Casemenarrest halten), sondern er wird jedenfalls noch einmal
gestraft, weil er durch seine leichtsinnige Beclamation bewiesen hat, nicht
die seinem Chef schuldige Ehrfurcht zu besitzen. Officiere müssen
nebstdem alle Kosten tragen, welche etwaigenfalls damit verbunden
waren.
Das Princip ist, ich wiederhole es, ein richtiges, aber die Ausfüh-
rung desselben lässt vieles zu wünschen übrig. Ich habe in dieser
»Afbire« correct gehandelt, ich habe mit Ueberleguug gehandelt; ein
praktischer BUck leitete meinen Eutschluss, den Assistenzarzt ärztlich
untersuchen zu wollen, da er sich »krank« meldete. Er fürchtete diese
Untersuchung; wenn mir von Samarang geschrieben wurde, er habe
ein Leiden des Dünn-, Dick- und Mastdarmes gehabt, so konnte ich nichts
anderes darauf antworten, als: Bis zur Stunde der Abreise lebte er als
ein gesunder Mensch, der sich nicht einmal in der Freude des Lebens
beschränkte. Bei seiner Zurückkunft nach vier! Tagen lebte er wie-
der wie jeder andere gesunde Mensch; Furcht war also die Ursache
seines Leidens. Darf es also geschehen, dass die Rachsucht seines
Che& jenen unglücklichen Glücklichen verfolgt, der in seinem Becurse
an die höchste militärische Autorität rehabiUtirt wird? Sollte in sol-
chen Fällen nicht sofort tiie Pensionirung des Chefe erfolgen, welcher
sich von seinen persönlichen Gefühlen der Antipathie hinreissen lässt,
Cholera in Indieo. Ig7
um aus unbegründeten, bei den Haaren herbeigezogenen Ursachen
einem jungen Manne, die Carri^ abzuschneiden und die ganze Zu-
kunft zu zerstören!
Die Cholera beschränkte sich im Jahre 1888 auf Samarang und
Umgebung und kam nicht nach Ngawie. Ich hatte zwar vier Fälle,
sie kamen jedoch in yielwöchentlichen Pausen vor und nur bei Säufern.
Alle vier Patienten waren Gehülfen des Koches und bekamen für die
AbHeferung der Abfalle der Küche an den chinesischen Schweine-
händler von ihm tägUch eine Flasche Sagueer^) oder Arac. Solche
vereinzelten Fälle sind in Indien häufig, weil d\ß Cholera dgrt eben
endemisch ist und es wahrscheinlich auch immer gewesen ist, wenn
auch Semelink behauptet, dass vor dem Jahre 1817 die Cholera in
Indien unbekannt gewesen sei. Die Beweise, welche dieser indische
Oberstabsarzt in seinem Buche dafür bringt, giilnden sich grösstentheils
auf philologische Untersuchungen, auf welches Gebiet ich ihm nicht
folgen kann. Mittheilimgen bacteriologischer Art siud natürlich in die-
sem sonst fleissig bearbeiteten Buche nicht enthalten, und in der Zahl
der Todesfälle einen Unterschied zu machen zwischen asiatischer Cholera
und Cholera nostras hat doch gar keine wissenschaftliche Basis. Wenn
also Oberstabsarzt Semelink auf philologische Gründe basirt be-
hauptet, dass vor dem Jahre 1817 auch in Indien die epidemische
Cholera asiatica nicht vorgekommen sei, imd dass die Beschreibungen
solcher Fälle an Malaria oder Vergiftungen mit Datura oder Arsenik
u. s. w. erinnern, so kann dieser Behauptung nicht widersprochen wer-
den; aber jeder unbe&ngene Leser wird z. B. im folgenden Satze, wel-
cher auf einem Steine eines alten Tempels sich befand und einem
■
Schüler Buddha's zugeschrieben wurde, in erster Beihe an Cholera und
nicht an Malaria denken. Dieser Satz lautet:^) :»Die bla^n Lippen,
das abgemagerte Gresicht, die hohlen Augen, der eingezogene Bauch,
die zusammengezogenen und gekrümmten Extremitäten, wie wenn sie
dem Feuer ausgesetzt gewesen wären, charakterisiren die Cholera, welch^
durch die boshaften Beschwörungen der Priester niedersteigt, um die
braven Menschen zu verderben. Der dicke Athem bleibt an dem Ge-
sichte des Kriegers hängen, seine Finger, sind in verschiedener Weise
>) Sagueer oder tuwak wird aus dem Safte der BlüUienkolbe der Areng-
palme (SagaeruB saccharifer) gewonnen.
>) Nach van der Burg 11, Seite 169.
Igg Cholera in IndiezL
8^ü8ainmengez(^giBii und verdreht, er stirbt in Eiümpfen, als Schlacht-
opfer der Cholera von Siwa.«
Vielleicht wird ein Bacteriolog sich finden, der z. B. in den
Gräbern verstorbener Hindus Cholerabacillen finden wird; denn ohne
diesen Befund wird die Behauptung Semelink's, dass die Cholera vor
dem Jahre 1817 auch in Indien nicht voi^ekonunen sei, auf wissensdiaft-
Ucher Basis nicht widerlegt werden können; wenn aber im Jahre 1768
auf der Küste von Coromandel 60,000 Menschen einer E[rankheit efr-
legen sind, welche die der Cholera eigenen Symptome hatte, ist es
schwer, darin eine Malaria-Epidemie zu sehen, weil es gewiss' noch
niemals vorgekommen« dass die plötzUchen Todesfälle, veranlasst durch
die Malaria und bekannt unter dem Namen Febris perniciosa, in so
grosser Zahl vorkommen, als es in dem Charakter der Cholera-
Epidemien gelegen ist
Es drängt sich uns eine andere Frage au^ welche der Bactertologe
momentan vielleicht als steril zurückweisen wird; aber in Zukunft wird
man auch unsere Ansicht reiflich in Erwägung ziehen müssen.
Vor dem Jahre 1885 war Atjeh (im Norden Sumatras) die Heim-
stätte zahlreicher und heimtückischer Malariafonnen; in diesem Jahre
brach eine fürchterliche Epidemie von Beri-beri aus, welche z. B. das
Hülfs-Bataillon der Maduresen in drei Monaten Zeit decimirte!
Ich habe zu wiederholten Malen Malariaformen gesehen, die schwer
von Lungenentzündung oder Typhus zu unterscheiden waren, ja noch
mehr, ich habe, ich möchte fast sagen, eine ganze lange Entwicklungs-
reihe von typischer Malaria bis zu ausgesprochenem Bauchtyphus ge-
sehen.
In beiden Fällen musste ich diese Krankheiten »Bruder und
Schwester« nennen, d. h. verwandte Krankheitsformen auf miasma-
tischer Basis.
Sollten also auch nicht Cholera und Malaria miasmatische Krank-
heiten sein, welche wie Bruder und Schwester mit einander verwandt sind?
Wenn ich das Bild der wenigen Fälle von Febris perniciosa cholerica
vor Augen halte, welche ich zu beobachten Gelegenheit hatte, und es
vergleiche mit jenen der Cholerakrankheit, dann werde ich vielleicht
mit dem deutschen Bilde, sie gleichen wie ein Ei dem andern, deut-
licher meine Ansicht ausdrücken ab mit dem holländischen »Bruder
und Schwester«; aber mit beiden Bildern will ich die Verwandtschaft
dieser beiden Krankheiten aussprechen und die Polymorphie der Bac-
Cholera in Indien. ]g9
terien als Krankheitserreger nur andeuten. Für die Systemi^tik sind die
Worte: Plasmodien und Cholerabadllus gewiss von hohem Werthe; in
der Praxis wird uns das Wort Miasmen in der Lehre der Malaria
be^m Dienst leisten und in der Aetiologie der Cholera den Weg zu
einer richtigen Prophylaxis zeigen.
Im Jahre 1817 hat also die Cholera ihre erste grosse Weltreise
allgetreten; sie dauerte sieben Jahre lang und hatte zu ihrer Ausbrei-
tung auf den Inseln des indischen Archipels drei Jahre nöthig. In-
teressantes hierüber theilt der »MiUtär-Krankenrapport über Java und
Madura« 1847 mit, und darum wird vielleicht ein Auszug von den
Miitheilungen des Sanitätschefe Dr. W. Bosch aus dieser Zeit nicht
unerwünschte Beiträge zur Greschiohte der Verbreitung der Cholera
geben:
»Schon im vorigen Jahrhundert trat die Cholera bald sporadisch^
bald epidemisch auf; immer aber verschwand sie bald, ohne viele Opfer
zu heischen. Doch im Jahre 1817 trat sie als heftige Epidemie in
Hindostan auf und raubte Hunderttausenden das Leben. Zuerst brach
sie in der Umgebung von Calcutta aus und erreichte bald die Stadt,
wo jede Woche 200 Menschen oder ^/ooo der Bevölkerung daran «
starben, ohne dass man die Ursache oder den ersten Keim der Ent-
wicklung entdecken konnte. Von dort pflanzte sie sich nach China
fort und wüthete in den Hauptstädten Peking und Canton; weiterhin
zog sie im Jahre 1818 nach Madras und nach der Südküste von
Coromandel und erreichte am Ende dieses Jahres Ceylon. Weiter be-
suchte sie die Westküste von Vorderindien, den Grolf von Persien,
Cochinchina, Manila, Pulu (Insel) Pinang, Singapore, Malacca und im
Jahre 1820 Mauritius und den Gk)lf von Siam.«
»Obwohl der Gouverneur von Pulu Pinang und der Prof Rein-
wardt diese Ejrankheit auf das bestimmteste für nicht ansteckend
erklärt hatten, glaubte doch unsere Begierung die Ansteckungsfähigkeit
für zweifelhaft halten zu müssen, und es wurde vorsichtshalber ver-
ordnet, dass von den Schi£fen, welche aus oben genannten Gregenden
kamen, Niemand ans Land gehen sollte, bevor eine ärztiüche Commission
untersucht hatte, ob sich keine verdächtigen Kranken oder Becon-
valescenten an Bord befanden. Auch sollten die Residenten in Ueber-
einstimmung mit den Aerzten jene Maassregeln festsetzen, welche die
localen Verhältnisse erfordern sollten. Zugleich wurde der Bericht des
Grouvemeurs von Malacca in den batavischen Zeitungen pubUcirtc
190 Cholera in Indien.
»In einem Briefe vom 19. Januar 1820 berichtete der Besident
von Batavia an die Regierung, dass die Brik Fanny, weld^e von
Mauritius angekommen war, die Nachricht gebracht hatte, dass dort
die Cholera ausgebrodien war und in drei Wochen 3000 Menschen
dahingerafft hatte, dass dieses Schiff Quarantaine halten musste, weldie
Maassregel gebiUigt wurde, ebenso als die Isolirung der Schiffe, welche
die Strasse yon Sunda passirten. Bald zeigte es sich, dass alle Yor-
sichtsmaassregeln vergebens genommen waren. In der N^dit vom 22.
auf den 23. April 1821 ^ brach die Cholera in Mittel-Java, und zwar
in Samarang aus, ohne dass eine strenge Untersuchung constatiren
konnte, von wo sie gekommen war und aus welcher UiBache sie sich
entwickelt hatte . . .<
•
»Die Schiffe, welche auf der Rhede von Samarang lagen, wurden
genau untersucht; aber es meldete der Militärarzt Bakker,') dass
auf keinem der Schiffe eine Spur der Krankheit zu finden war, so
dass ihr Entstehen auch hier ein Bäthsel btieb. Aber sicher ist es,
dass sie nicht über See eingebracht wurde, und dass zu Land kein
Verkehr mit irgend einem der inficirten Orte beständig) • Unterdessen
kamen auch einige Cholerafälle in Demak vor, welches im Osten von
Samarang hegt . . .«
Von 786 Javanen findet man in dem Staatsarchiv einen sehr
genauen Rapport, welcher von einem eingeborenen Häuptling ver&sst
war. Aus diesem ist ersichtlich, dass gestorben waren
am 22. April 3 Menschen
23.
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6
24.
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(NB. Abends Regen)
>) Ist wakraoheinlioh ein DrackfeMer nnd soll 1820 heissen; denn schon im
Jahre 1818 hatte sich die Cholera anf Java geseigt.
*) Anch er fiel später als Opfer der Cholera.
?? der Uebersetaer.
Cholera Id Indien.
191
Es starben binnen 1 Stande 51 Mens(dien
2 Stunden 46
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Die weiteren Mittheilungen des Saniiätschefe Dr. Bosch will ich
unerwähnt lassen, weil sie nur der Spiegel der damaligen Bathlosigkeit
sind, was die Aetiologie dieser Krankheit betrifiL
Wenn ich auch den statistischen Angaben aus dieser Zeit absolut
keinen Werth beilege, und auch die Mittheilungen über die angeblich
unternommenen »genauen« Untersuchungen geradezu bezweifle, so glaube
ich doch, natiirhch ohne weiteren Commentar, die mir zugängUchen
ZiflSam über die Cholera auf den Inseln des indischen Archipels mit-
theilen zu sollen.
Von 1821 bis 1832 starben in der Armee an Cholera 659, 118,
200, 158, 147, 256, 183, 281, 330, 261, 115, 30 (das erste Halb-
jahr) = 2638, und 8487 war^n erkranld;.
Dr. W. Bosch theilt weiter mit, dass vom Jahre 1832 an die
Bapporte über die Cholera schweigen, so dass »man annehmen muss,
dass die eigenÜiche Cholera nicht mehr vorgekommen ist«, und dennoch
— sind unter der Statistik der in der Armee behandelten Krankheiten
von der ersten Hälfte des Jahres 1847 24 Patienten mit 5 Todesfällen
angegeben. Da dieser Summirrapport über »das ei'ste halbe Jahr
1847« erst in 1850 erschien, so lässt äich dieser Widerspruch nicht
anders erklären, als dass die sporadischen Fälle ausser Betracht
blieben.
Wenn wir die weiteren Jahre, deren Berichte mir zug^gUch sind^
betrachten, so sehen wir, dass die Cholera in Indien endemisch ist
192 Cholera in Indien.
Vom Jahre 18ö2 bis 1885 starben an Cholera in Jaya (uhd
Madnra) 3122 europäische, 189 afrikanische und 1138 eingeborene
Soldaten.»)
Vom Jahre 1891 bis 1895 kamen 185, 91^ 41, 1, 1, zusammen
319 Todesfälle an Cholera vor, während im Jahre 1896 137 und im
Jahre 1897 229 Bürger dieser Seuche erlagen.
Die Ziffern des Jahres 1891 bis 1895 sollten beweisen können,
dass die Cholera auf den Inseln des indischen Archipels nicht ende-
misch sei, sondern wie in Europa hin und wieder verschwindet imd
dann wieder entsteht und in der Form einer Epidemie Hunderte und
Tansende hinwegraSt Das Gregentheil ist richtig. Gerade die That-
sache, dass in den Jahren 1894 und 1895 nur vereinzelte Falle in der
Armee vorkamen und sich nicht ausbreiteten, gerade dies ist das
Charakteristische einer endemischen Krankheit
Warum jedoch solche vereinzelte Fälle manchmal und glück-
]icher¥7ei8e nicht . iimner zu grossen Epidemien die Anläufe werd^, da-
für fehlt uns jedeis Yerständniss. Dies ist ja nicht allein mit der Cholera
der Fall; es kommen ja in Europa isolirte Fälle von Pockai, Diph-
theritis, Lungenentzündung, Dysenterie, Typhus und Scharlach vor, und
in Indien geschieht dasselbe mit der Malaria^ während im anderen
Jahre diese Infections- K rankheiten epidemisch auftreten und sich rasch
über grosse Strecken verbreiten. Will man sich mit der Erklärung
begnügen, dass in dem einen Falle sich weiter keine dazu dispo-
nirten Menschen &nden, in dem zweiten Falle sich jedoch zahlreich
solche Individuen einstellten — auch recht: »Wo Begriffe fehlen, da
stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein«; ich jedoch — bezweifle
noch immer die Bichtigkeit der herrschenden Infectionstheorie, obwohl
der Commabacillus in den Def acationen der meisten Cholerakrankeii
gefunden wird.
Im Jahre 1882 obducirter ich mit einem CoUegen (Dr. van Th . . .)
in Batavia einen Soldaten, welcher ins Spital gebracht worden war.
Wie üblich, machte der damit betraute Soldat die Section, und nur
einige kleine Handgriffe, wie z. B. das Oeffiien der Herzhöhlen, nahmen
wir vor. Wir machten die Diagnose: Cholera, und Dr. van Th . . .
Van der Burg II, Seite 196.
') Im Jahre 1879 starb kein einziger Soldat, and im Jahre 1880 nar zwei
an Cholera.
Fig. 18. Bin javanischer Häuptling mit seiner Fnn in Oalakleidong.')
') Wenn ich auch bei diesem Fest« zahbeiche Häuptlinge goBehen habe,
velcbe in obiger Toilette ihre ÄuFmirtuDg dem Kaiaer von Solo und dem Resi-
denten machten, so war es von den Frauen nur eine Braut, welche ich in obiger
Oalakloidung in Tjilatjap eu bewundem (?) Gelegenheit hatte. Beide, firautigam
und Braut, hatten den oberen Thoil der Brust, Hals, Nacken und das Gesicht
mit Boreh (einer gelben Farbe) bestrichen. Die Kopfbedeckung dieser Häuptlinge
war schwarz oder durchscheinend weiss. Noch muss ich bemerken, dass der
Dolch (Kris) nicht nur hei der üalakleidung, sondern za jeder Zeit auf der
Strasse von den wohlhabenden Javanen, und zwar am Rücken von rechts nach
links getragen wird.
Enteteiiangsiinaohe der Cholera in Indien. 193
b^:am — einen CholeraanfSEdl,^) während ich nur eine Exacerbation
meines alten Nervenleidens erlitt Ich bekam heftigen Stuhlgang und
Beklemmung in der Herzgrube (Pracordialangst), ich wurde au%eregt
und gejagt^ und wiederum raubte mir die Furcht vor der Cholera bei-
nahe die ganze Nacht den Schlaf! Diese Erkrankung des Dr. van
Th . . ., sowie die vier oben erwähnten Fälle der Krankenmirter, welche
der Cholera erlagen, nachdem vier Tage hintereinander je ein Patient
von der Rhede von Batavia ins Spital geschickt wurde, sind wohl genug
Beweise, dass Cholera von Person auf Person übertragen werden
könne, dass sie also eine Infectionskrankheit stricte dictu sei.
Auf welchem Wege geschieht die Infection durch den Commar
bacillus? Grossi, Cattam und Tizzoni haben auf Fliegen diese
Bacterien gefunden; auch auf den Mosquitos Indiens sollen sie ge-
funden worden sein. Für jeden Fall ist diese Quelle der Infection
eine ganz geringe, weil auf den Küsten zur Zeit der Cholera-Epidemie
Tausende und Tausende 10 — 20 Mal und zwar jeden Abend ge-
stochen werden, ohne die Cholera zu bekommen, und andererseits diese
Krankheit in Gebirgsgegenden eine verheerende Verbreitung genom-
men hat, ohne dass Mosquitos oder Fliegen vorgekommen wären.
Virchow fand in dem Magen von Choleraleichen noch in Ver-
dauung begriffene Speisereste, wenn die Elrankheit nur 1 — 2 Stunden
gedauert hatte; der saure Magensaft der Thiere vernichtet die Comma-
badllen, und darum gelingt es nur ausnahmsweise, Thiere durch
Fütterung von Beinculturen dieser Bacterien an Cholera erkranken zu
lassen, und man muss zu diesem Zwecke erst die Säure des Magens
abstumpfen. Es müssen also mit den Speisen selbst in den von
Virchow angegebenen Fällen die Bacillen eingeführt worden sein, und
thatsächlich ist zu allen Zeiten die Nahrung als Vehikel des Cholera-
giftes angesehen worden; so z. B. sah Tytler den Gebrauch von ver-
dorbenem Reis als die Ursache des Entstehens der Cholera an; noch
heute werden unreife Früchte, und von einigen Aerzten sogar auch
solche, welche ganz reif sind, als die Keimträger der Cholera ange-
sehen. Als im October 1896 in Atjeh sieben Fälle von Cholera vor-
kamen, wurde auf Vorschlag des Landes-Sanitätschefe der Verkauf von
allen Früchten auf dem Markte verboten. Auf allen Speisen können
zufällig Commabacillen vorkommen. Warum werden dann nicht alle
Speisen verboten?
I) Ohne ihm sam Opfer ra fallen.
Breitenittin, 21 Jahre in Indien II. 13
194 Eatstehnogsarsiiche der Cholera in ladien.
Natürlich musste man auch an das Trinkwasser als Vehikel des
CSioleragiftes denken^ und das Nutzwasser des Bades und der Küdie
u. 8. w. können in grösserer oder kleinerer Anzahl die Cholerabacterien
enthalten.
Wenn wir absehen von den wenigen Städten in Indien, in welchen
artesisches Wasser gebraucht wird, ist ja die Quelle des Trinkwasseis
und des N^utzwassei's selten eine reine. Nach von Pettenkofer und
Anderen sind der alluviale Boden und die tertiäre Formation ausser-
gewöhnUch günstig zur Entwicklung des Commabacillus; die ganze
Nordküste Javas ist ja angespültes Land; das Grundwasser derselben
ist überfüllt von faulenden Stoffen, und der Lehmboden ist ein schlechter
Filter. Darum ist Surabaja mit Becht eine ungesunde Stadt zu
nennen.
Wenn wir absehen von den Pantjorans im Grebirge, welche reines
Quellwasser führen, so ist das Wasser, welches der »kleine Mann«^
gebraucht, beinahe eine Beincultur von allen mögUchen Bacterien und
somit auch des Ciommabacillus. Er gebraucht das Wasser der Sümpfe
und der Strassenriolen zum Mischen mit der Milch, zum Trinken, zum
Kochen seines Beises, zum Baden, zum Mundspülen, zum Waschen
seines Greschirrs und zum Besprengen des Gemüses und der Früchte,
welche er auf den Markt bringt, um ihnen ein frisches Aussehen zu
geben.
Aber auch die Entleerungen der Menschen und Thiere befördern
die Verbreitung einer Cholera-Epidemie. In der Begel befinden sich
die Aborte im Garten neben dem Badezimmer, und die Abfiihr beider
mündet in eine Senkgrube, welche die verdünnten Fäces dem Bodea
mittheilt und das Grundwasser verpestet
Dass die Cholera endemisch in Indien sei, lässt sich kaum be-
streiten, ohne dass wir die undeutliche Definition dieses Kunstaus-
druckes, welche im Jahre 1876 von der indischen Begierung den Be-
amten zur Richtschnur gegeben wurde, zur Basis dieser Behauptung
nehmen.
Sie lautet folgendermaassen: ... »zu erklären, dass eine Krank-
heit dann epidemisch genannt werden müsse, wenn sie den Stand
aller Krankheiten, wie er in gewöhnlichen Verhältnissen sich zeigt,
überschreitet, dass aber eine Krankheit dann endemisch zu nennen sei,
weim sie sich zwar beschränkt auf den Ort, wo sie entsteht, aber
gleichzeitig eine grosse Zahl Menschen angreift«
Cholera. 195
Ich habe in Indien nur eine einzige Choleraleiche seciren sehen;
ich kann daher darüber nichts mittheilen, ob unter dem Einflüsse des
Tropenklimas die Befunde der Choleraleichen andere als in Europa
seien. Was die Symptome dieser Krankheit betrifft, so will ich sie unbe-
sprochen lassen, weil sie dieselben wie in den gemässigten Zonen sind.
Ob mehr Europäer oder mehr Eingeborene der Cholera zum Opfer
fallen, ist deutlich aus den Müitär-Krankenrapporten ersichtlich. Ich
habe ror mir die Bapporte von den Jahren 1878 bis 1886 und 1891
bis 1895, also über 13 Jahre, und während jeder Epidemie erlagen
bedeutend mehr Europäer als Eingeborene dieser Seuche; auch die
Zahl dör sporadischen Falle spricht zu Gunsten der Eingeborenen«^)
Europäer. Eingeborene. Europäer. Eingeborene.
1878
38
19
1891
190
89
1879
5
4
1892
91
34
1880
7
2
1893
40
23
1881
410
160
1894
2
1882
262
72
1896
1
1883
326
128
1884
80
15
1885
69
35
Die Behandlung der Cholera richtet sich in Indien nach den
jeweilig herrschenden Ansichten in Europa. So hat z. B. Dr. J. Grone-
mann, gewesener Leibarzt des Kaisers von Djoqa, mit sehr viel Eifer
auf Grund der herrschenden Lehre der Bacteriologie die Creoline em-
pfohlen. Sein grosser Sanguimsmus über den Werth dieses Heilmittels
hat nicht nur die indische Fresse, sondern auch die von Holland er-
griffen, und als im Jahre 1897 die Cholera wieder in Surabaya
epidemisch auftrat, wurde eine Commission dahin geschickt, welche unter
persönlicher Leitung dieses alten Mannes die Creoline einer wissen-
schaftlichen Untersuchung und Probe bei Cholerakranken unterziehen
sollte. Als endlich nach vielen Schreibereien diese Commission zu-
sammengestellt und mit Dr. Gronemann in Surabaya angekommen
war, wurden die Choleraf alle mit jedem Tage weniger, so dass sie wegen
Mangels an Material unverrichteter Sache nach H^use gehen mussten.
Dr. Gronemann ist kein Charlatan — ich kenne ihn persönlich —
sondern ein therapeutischer Optimist; in »de Locomotief« Tom 6. No-
Ich mu88 bemerkeni dass die Zahl der enropftiBchen und eingeborenon
Soldaten für beide Rassen ca. 16,000 Mann gewesen ist.
18*
196 Cholera.
vember 1896 empfsdil er den Gebrauch (gereinigter) fVüchte zur
Oholerazeit, und schliesst mit folgenden Worten:
»Nun noch folgende nicht unwichtige Mittheilung: Ein sehr be-
kannter und renommirter Doctor-djawa wurde nach einem abseits ge-
legenen Ort gesendet, wo in wenigen Tagen 40 Eingeborene an C!holera
(oder an einer der Cholera ähnlichen Krankheit) krank gew(»tlen und
(Alle) gestorben waren. Er &iid dort 10 neue — nach den Symptomen
zu urtheilen — an echter Cholera erkrankte Javanen. Eine bacteriologische
Untersuchung, welche allein ausmachen konnte, ob die £[rankheit wirk-
lidi die asiatische Cholera oder die Cholera nostras war, konnte nicht ge-
halten werden. Aber beide Krankheitsformen, welche miteinander nahe
verwandt sind und unter derselben Erscheinung zum Tode führen, wer-
den durch Commabacillen verursacht, welche in den Darmcanal ein-
dringen, dort fortwuchem, untereinander sich nur wenig unterscheiden,
und auf gleiche Weise schnell und sicher durch Creoline getödtet wer-
den.«
»Der Doctor-djawa« gab Allen Creoline nach meiner Methode,
welche seit mehr denn sieben Jahren von ihm angewandt wird. Von
diesen 10 Patienten starben noch 4, und 6 von ihnen blieben am
Leben.«
»Bjerauf liess er alle Kampongbewohner dieselbe Medicin als Pro-
phylacticum gebrauchen, indem er ihnen weissmachte, dass es Wasser
von Rum sei, welches die Teufel austreiben konnte, welche diese Krank-
heit verursachten und . . . kein einziger wurde wieder von der Krank-
heit ergriffen.« »Practica est multiplex.«
Ob seitdem diese Therapie der Cholera in die grosse Menge der
indischen Bevölkerung gedrungen sei, ist mir nicht bekannt; aber bis
nim wurde beim Ausbruch einer Cholera-Epidemie von der Regierung
bis in die kleinsten und abgelegensten Dörfer der »Choleratrank von
Bleeker« in hunderten und tausenden von Maschen geschickt, w^ die
Eingeborenen diese »Obat sakit parut« sehr gern nahmen.
Rp. Olei cajeputi p. U.
Olei menthae piperit p. III.
Oxyd, aethyl. c. alcoh. p. XXX.
Vini opii aromatici p. XV.
M. D. S. Cholera-Essenz;
davon 2 Esslöffel auf 1 Weinflasche (= 750 Gramm) filtrirtes Wasser
und davon jede ^/^ oder ^/a Stunde 1 Esslöffel zu nehmen.
Plrophylazis der Cholera in Indien. 197
Die Prophylaxis der Cholera fällt mit der gegen die Malaria
zusammen, weil beide nicht nur theoretisch in die Klasse der mias-
matischen Krankheiten gehören, sondern auch &ctisch gleichzeitig vor-
kommen. Da auch die dritte Geissei der Tropen, die Beri-Beri, eine
rein miasmatische Krankheit ist^ so müssen alle prophylaktischen Maass-
regeln des Staates gegen das Entstehen und Ausbreiten der einen
Krankheit auch den übrigen miasmatischen Krankheiten (worunter wir
auch in den Tropen den Typhus und die Dysenterie rechnen) zu Statten
kommen. Um also nicht in Wiederholungen zu verfallen, wird in dem
weiteren Capitel, welches die übrigen Krankheiten besprechen wird, die
staatliche Prophylaxis derselben nur angedeutet werden.
Dieselbe erstreckt sich natürlich auf alle bekannten Quellen der
Miasmen und muss — Erreichbares anstreben, denn, wer das Höchste
anstrebt, wird das Hohe erreichen.
Dazu gehören: Sümpfe, Beisfelder, Irrigation, Wasser, Abfuhr
von FäcaUen und Abattoirs.
Sümipfe kommen nicht allein auf der Küste, sondern auch im
Gebirge vor, wo sie vulcanischen Ursprungs sind; darum sind auch
nicht alle Berg-Garnisonen frei von Malaria-Epidemien. Ein sprechendes
Beispiel hierfür ist z. B. die Stadt Ambarawa mit dem Fort Willem I.
Ausgedehnte Sümpfe (rawah) kommen auf Java in grosser Anzahl vor;
der berüchtigtste ist im Süden Javas bei Tjilatjap, wo ich im Jahre
1890 in Garnison lag und von der Malaria stark heimgesucht wurde.
Dazu kommen die zahlreichen nassen Reisfelder (sawah), welche wie
ein Mosaikbild die ganze Oberfläche Javas mit Farbennuancen vom
Hellgelb bis zum Dunkelgrün bedecken.
Das Austrocknen der Sümpfe und die Beseitigung der nassen
Beisfelder wäre sicher eine radicale Maassregel; aber — beide sind
unausführbar. Im Jahre 1747 musste in Nordbrabant bei Steinbergen
ein solches Unternehmen unterbrochen und das Land wieder unter
Wasser gesetzt werden, weil die damit entstandene Exacerbation der
Malaria-Epidemie Tausende hinweggeraift hatte. Wie viel Opfer haben
der Bau des Hafens Tandjong Priok bei Batavia mid von Tjilatjap
gekostet, weil die Arbeit in Sümpfen stattfinden musste. Die Sümpfe
auf Java sind zu gross, um vorläufig nur daran denken zu lassen, sie
gleichzeitig und in kurzer Zeit trocken legen zu lassen. So viel Geld
imd so viel Menschenleben würde dieses kosten, dass »de remedie erger
dan de kwaal« = das Heilmittel ärger als die Calamität wäre. Wir
haben ja noch andere Mittel, um den schädlichen Einfluss der Sümpfe
198 Prophylazifl der Ghol<Hra in Indien.
zu beseitigen oder wenigstens zu verkleinem. Wir können sie sehr
leicht zu Seen verändern, welche inuner mit einer hohen Wasserschicht
bedeckt sind. An Wasser ist wahiiiaftig auf den Inseln des indischen
Archipels kein Mangel; so z. B. hatte Tjilatjap im October 1889 einen
Begenfedl von 1111 mm, und der geringste Wassei&ll war im Januar,
in welchem Monat 9 Regentage mit 152 mm sich einstellten; im
ganzen Jahre waren mehr als 4 Meter Regen gefallen.^) Das Ein-
dämmen dieser zahlreichen Sümpfe und Umwandeln derselben zu Seen
erfordern keine grossen Summen Geldes und gewiss nur wenig Menschen-
leben, so dass diese radicale Cur ins Reich des MögUchen und Erreich-
baren versetzt werden kann.
Ein palliatives Mittel ist die theilweise Drainage der Sümpfe in
der Nähe von Dörfern und Städten durch Graben von Riolen um
jedes Haus, welche, zweckmässig untereinander verbunden, nicht nur
das Regenwasser, sondern auch das Grundwasser in grössere Canäle
leiten und einem Flusse zuführen würden. Soyka sagt nämlich:
Es lassen sich die Beziehungen der Malaria zum Boden in folgenden
Factoren zusammenÜGissen: 1. in der physikalischen und geographischen
Beschaffenheit des Bodens, 2. in der Durchfeuchtung desselben, und
3. in dem Gehalte an organischen Stoffen. Den ersten Factor »die
physikalische und geographische Beschaffenheit des Bodens« müssen
wir natürlich bei so grossen Strecken, wie sie auf Java vorkommen^
ausser Betracht lassen; wir können vielleicht den Gtuten eines Hauses
oder seinen Untergrund oder vielleicht den Boden eines ganzen Dorfes
in seiner Beschaffenheit verändern, z. B. mit Sand oder einem Gemenge
von Kalk und Sand oder mit dem sogenannten Concrete pavement
gegen das Eindringen von Luft, Wärme und Feuchtigkeit schützen;
aber unmöglich kann von einer Regierung verlangt werden, dieses
auf Strecken von Millionen von Hectaren anzuwenden.
Auch die Durchfeuchtung solcher ausgestreckter grosser Län-
dereien radical zu beseitigen, ist zu theuer; sie kann vermindert wer-
den durch gute Canalisirung der Städte oder durch Anbau von
Pflanzen, welche dem Boden viel Wasser entziehen, wie Eucalyptus,.
Sonnenblumen, Acacia tomentosa u. s. w.
Wenn aber durch Erdbeben oder durch vulcanische Ausbrüche
^) Im Durchschnitt von 19 Jahren fielen jährlich in Buitenzorg 4868 mm,,
in Magelang 2978 mm, in Ijila^ap 8755 mm, in Ngawie 2126 mm Regen.
Reisfelder. 199
solche tief liegende Eirdschichten aufgewühlt und auf der Oberfläche
aufgeworfen werden, welche mit irgend einer Waaserquelle in Ver-
bindung standen oder noch stehen, dann sind in der Begel diese neu
entstandenen Sümpfe oder Hützen von so relativ unbedeutender Aus-
dehnung, dass der Staat einschreiten kann, um das Entstehen einer
neuen Quelle für miasmatische Krankheiten zu verhüten, sei es durch
die Anlage eines Dammes, welcher den neuen Sumpf zu einem Teiche
oder See umwandelt, oder durch Drainage oder andere Wasserwege,
welche den Sumpf entwässern. Die nassen Beisfelder (sawah), welche
eben&lls eine reiche Quelle von miasmatischen Krankheiten sind, wer-
den von der Bevölkerung lieber als die trockenen angelegt, weil das
Erträgniss derselben reichlicher als die der Ladang (trockenen Beis-
felder) ist und verdienen darum an dieser Stelle einige Worte der Be-
sprechung.
Der Reis ist die Volksnahrung des ganzen Archipels und somit
auch Javas, und da nebstdem der Reisbau einen nicht unbeträchtlichen
Einfluss auf die Glesundheit Javas (sowie der übrigen Inseln) nimmt,
so glaube ich hier einiges über die Oultur, Eintheilung u. s. w. des-
selben anführen zu müssen, wenn es auch etwas seitwärts von der Frage
der Prophylaxis der Cholera liegt
Ungefähr 80 Sorten des Reises soll es geben; darunter sind die
bekanntesten Kelän (Oryza glutinosa), Oryza sativa (Päddi),i) Päddi rawa
(Oryza montana), Päddi tipar (Oryza praecox).
Nach der Farbe des gestampften Reises spricht man von weissem,
rothem und schwarzem Reis. Beinahe ausschliesslich wird der weisse
Reis von den besser situirten Eingeborenen und Europäern gegessen;
der rothe ist viel billiger und wird am häufigsten in den Gefängnissen
verabfolgt, obzwar der weisse und nicht der rothe Reis nach den
letzten Untersuchungen das Entstehen der Beri-beri veranlassen soll (??);
der bras itam (der schwarze Reis) wird nur im NothMle vom Men-
schen gegessen, weil er einen unangenehmen adstringirenden Ge-
schmack hat
Im ersten Theile Seite 70 habe ich bereits von dem hohen
Nährwerthe des Reises gesprochen und auch seine Bedeutung
als Yolksnahrung der Eingeborenen hervorgehoben. Ich kann also
') Die Aehren allein heissen in der malayischen Sprache gaba; der ge-
droschene Yon den Hülsen befreite Reis wird bras, und der gekochte wird nassi
genannt
200 Reisfelder.
sofort auf die Verhältnisse hinweisen, wodurch die nassen fieisfelder
zu einer reichlichen Quelle der Malaria und anderer miasmatischer
Ejrankheiten werden.
Es ist ein kleines Feld, welches von dem benachbarten durch
einen schmalen Wall (galengan) getrennt ist. Die Felder liegen ent-
weder in der Ebene oder auf den Abhängen der Berge, auf wel-
chen sie dann wie breite Stufen den Berg bedecken. In beiden
Fällen ist in sinnreicher und kunstvoller Weise gesorgt, dass die
Bewässerung der einzelnen Reisfelder zu jeder Zeit und nach Be-
lieben stattfinden könne. Zu diesem Zweck wird einfach ein Loch
in den G-alengan gebohrt, und wenn der Zufluss nicht mehr er-
wünscht ist, wird es wieder yerstopft.i) Das Feld hat eine verschie-
den hohe Schicht Humus, welche durch ihren Beichthum an orga-
nischen Stoffen durch die herrschende hohe Temperatur und die
Feuchtigkeit geradezu eine Reincultur für zahlreiche Mikroorganis-
men und besonders für Miasmen ist.
Die Aussaat geschieht nur in einem kleinen Theil des Feldes,
welches zu diesem Zwecke unter Wasser gesetzt wird. Hat der Beis
eine Höhe von 40 bis 50 Centimeter erreicht, wird der übrige Theil
unter Wasser gesetzt, und wenn die Erdschicht genug weich gewor-
den ist, werden die jungen Sprössiinge in gemessener Entfernung in
den Grund gesetzt, und das Feld bleibt mit einer niederen Wasser-
schicht bedeckt. Sobald der Beis reif ist, wird das Wasser abge-
lassen und der Schnitt findet auf dem .ausgetrockneten Felde statt.
Dies geschieht dreimal in zwei Jahren, und dann bleibt das Feld
brach liegen, oder wird, was häufiger geschieht, ein »zweites G-e-
wächs« gepflanzt, wie z. B. Leguminosen, indische Knollenfrüchte
oder djajong (Mais). Zum Zwecke des neuen Reisbaues wird das
Feld wieder unter Wasser gesetzt und mit dem Büffel gepflügt.
In Italien und Frankreich, in den englischen wie in den fran-
zösischen Colonien wurde vielfach diese Frage ventilirt, d. h. ob
der Bau der nassen Reisfelder Gefahren für die Yolksgesundheit
bringe, oder ob diese Gefahren nur auf theoretischer Basis entstan-
den seien und auf derselben Grundlage von Geschlecht zu Geschlecht
irrthümlicheni'eise sich überliefern.
Mit mehr oder weniger Recht kann für Java der Einwand ge-
macht werden, dass auf dieser Insel trotz der Anwesenheit der
L) Natürlich ist dies die QueUe vieler Streitigkeiten der jeweiligen Besitzer.
Reisfelder. 201
SawaMelder die Bevölkerung in diesem Jahrhundert so bedeutend
zugenommen habe, dass überhaupt keine Volkskrankheit von Be-
deutung auf Java herrschen könne.
Die Mortalität allein kann aber hierin nicht das entscheidende
Wort sprechen. Die Morbidität und das Allgemeinbefinden sind
ja auch Factoren, die in dieser Frage mitzusprechen haben.
In Tjilatjap, der ärgsten Fieberhöhle Yon Java, wohnte eine
europäische Familie im Jahre 1891 seit 27 Jahren, eine zweite
Familie seit 12 Jahren u. s. w., ohne durch die dort herrschende
Malaria zu leiden, auch wenn diese zu der heftigsten Epidemie
exacerbirte, der Tausende imd abermal Tausende erlagen; diese
zwei Familien haben ebenso wie Tausend andere der Eingeborenen
eine gewisse Immunität erworben, die ja, folgert Prof. Koch, regel-
mässig mit dem Ueberstehen einer Infection verbunden sein soll.
Wenn man also behaupten will, dass der Sawahbau nicht
schädlich sei, weil die Bevölkerung trotz desselben mit jedem Jahre
wachse, so müsste man auch behaupten, dass die Sümpfe unge-
fährlich seien, und dass die Malaria eine imschädliche Krankheit
sei, weil trotz derselben die Bevölkerung an Zahl zunehme; ja noch
mehr; die grossen Sümpfe bei Tjilatjap werden von dem Kinder-
meer begrenzt, welches, wie ich mich persönlich überzeugt habe,
seinen Namen mit Becht verdient: Eine Unzahl von Eandem um-
schwärmte uns, als ich und eine Gesellschaft den Kampong auf-
suchte, welcher sich auf zwei Meter hohen Pf ählen über der Sumpf-
fläche des Dorfes erhob.
Entscheidend für die Schädlichkeiten der Sawahfelder ist allein
die Frage: Kommen in der Nähe derselben zahlreiche Fieberfälle
vor, welche aufhören, wenn die Sawahfelder aufgelassen werden?
Dies ist thatsächlich der Fall, und seit dem Jahre 1875*) wurde
die Richtigkeit dieser Thatsache und Schlussforderung in zahlreichen
Fällen nachgewiesen. Die Sawahfelder sind also eine reichliche
Quelle für die Malaria; sie müssen also entweder abgeschafft oder
unschädlich gemacht werden.
Nach dem ganz richtigen Principe der Holländer, die Einge-
borenen so viel als möglich in ihren Sitten und G-ebräuchen zu
In diesem Jahre wurde nämlich diese Frage mit Bezug auf das Fort
Willem I erörtert, welches im Gebirge zwischen zahlreichen Sawahfeldem lag
und vom Fieber stark heimgesucht wurde.
202 BeiBfelder.
lassen, könnte das Abschaffen der Sawahfelder nnr eine Frage der
Zeit sein, d. h. man könnte durch Belehrungen und durch andere
Mittel der üeberredung die Jayanen von der Schädlichkeit der
Sawahfelder überzeugen, und es würde bei dem Conserratismus
der Javanen der Regierung zunächst gelingen müssen, den Vor-
theilen des Baues trockener Baisfelder Anerkennung zu verschaffen
und erst die folgende G^eneration ihn in die Praxis einführen zu
lassen.
Wenn jedoch, was mir nicht bekannt ist, das Erträgniss der Sa-
wahfelder um so viel das der Ladangs überragen sollte, dass dadurch
das Interesse des Volkes leiden sollte, dann kann man sich mit pallia-
tiyen Mitteln behelfen. Die Regierung kann ja verbieten, dass in
einem Umkreise von 250 Metern, welcher die öffentlichen G-ebäude
und eventuell die Wohnstätte der Europäer und selbst die Kam-
pongs umfiehen würde, kein nasses Beisfeld angelegt wird; es ist
zwar richtig, dass ein Streifen Land von 250 Meter Breite und
vielleicht von 1 bis 2 Kilometer Länge ein respectables Vermögen
repräsentirt; aber mit diesem Vorschlag ist ja noch nicht gesagt,
dass dieser Streifen darum auch unbebaut bleiben müsse; im Gegen-
iheile, er müsste mit Garten- Anlagen versehen, mit Fruchtbäumen
als: Djioruk, Mangistan, Advocaat, Duku, Lanjksat, Kanaris, Tama-
rinda, Durian, Nangka u. s. w. bepflanzt werden, um das üeber-
streichen der Miasmen zu verhüten.
Die Wasserbesorgung bleibt für Indien immer eine schwie-
rige Frage, weil selbst artesische Brunnen nicht immer tadelfreies
Wasser liefern; sie wird weiter unten ausführlicher besprochen
werden.
Die Abfuhr der Fäcalien ist in Java sowie auf allen Inseln
des indischen Archipels noch sehr primitiv. Als das Ideal derselben
gilt strömendes Wasser, über welchem sich der Abort befindet.
Ein grosser wasserreicher Strom erfüllt vielleicht (? ?) diesbezüglich
alle Anforderungen der modernen Hygiene. Solche kommen jedoch
wenig auf Java vor und können übrigens nur einer kleinen Anzahl
von Wohnungen hierin gute Dienste leisten; in der Regel durch-
ziehen Riolen die Stadt, welche zu wenig Wasser haben, um in
ausgiebiger Weise die deponirten Fäces in den benachbarten Strom
zu bringen. Sehr häufig besitzen die Häuser Senkgruben, welche
alle Jahr einmal geleert werden. Natürlich durchdringt der flüssige
Prophylaxis der Cholera in Indien. 203
Inhalt den Boden und erreicht oft genug den Brunnen. In den
grossen Anstalten, Spitalern, Casemen und Gefängnissen ist das
Tonnensystem in Gebrauch; täglich werden von Sträflingen die yollen
Tonnen in den nahen Fluss (stromabwärts) entleert und gereinigt
Die Eingeborenen gebrauchen für ihre Bedürfnisse am liebsten den
Eluss, auch wenn er selbst 2 — 300 Meter vom Hause entfernt ist;
im andern Falle haben sie im Garten eine Senkgrube, welche mit
Brettern gedeckt ist.
In den iDeckel ist eine Oeffnung geschnitten, so dass *der Ein-
geborene seine Kunst im Hocken (Djongkok M.) auch bei dieser
Gelegenheit üben kann. Selbst wenn er als Bedienter bei seinem
Herrn oder in einem Hotel einen Sitzplatz findet, wird er nur da-
rauf hockend oder stehend davon Gebrauch machen. Aus hygieni-
schen und Beinlichkeits-Gründen wäre dieses Jedermann zu em-
pfehlen, obwohl damit andere Unannehmlichkeiten verbunden wären.
Es ist aber nicht Jedermanns Sache, hockend einige Minuten auf
einem Brette stehen zu können oder zu wollen.
Die Abfuhr der Fäcalien spielt in der Ausbreitung gewisser
epidemischer Krankheiten, wie z. B. der Cholera, des Typhus, der
Dysenterie u. s. w. eine grosse B.olle. Ich würde jedoch die Grenzen
dieses Buches zu weit überschreiten, wenn ich die Mittel besprechen
wollte, welche Java von dem schädlichen Einfluss dieser mangel«-
haften Canalisirung der Städte befreien können.
Von den auf Seite 197 angeführten Factoren, welche in der
Aetiologie der Cholera eine Bolle spielen, werden die Abattoirs
in Java am meisten stiefmütterlich behandelt. Das Thier wird in
einer Schoppe aus Bambus geschlachtet, das Blut wird von dem
chinesischen und europäischen Schlächter in grossen Töpfen aufge-
fangen und in der Küche verwendet, während der Eingeboreue es
in die Biolen abfliessen lässt. Die andern Abfälle werden in die
nächste Senkgrube geworfen. Die Haut der Binder und die Homer
werden zu Industriezwecken verwendet, und Niemand kümmert sich
darum, ob die übrigen Abfälle durch das Faulen in der freien Luft,
in oder ausserhalb der Senkgruben die Luft verpesten oder in der
trockenen Zeit austrocknen, oder ob sie von den »Gladakkers« =
herrenlosen Hunden des nächsten Kampongs verzehrt werden.
Die individuelle Prophylaxis der Cholera richtet sich in Java
nach den jeweiligen in Europa herrschenden Ansichten; bald wird
204 Prophylazit der Cholera in Indien.
Salzsäure, bald Brandy in das Trinkwasser gegeben, bald wird nur
gekochtes, bald gar kein Trinkwasser getrunken, bald werden gar
keine Früchte und bald nar saure Früchte gegessen — auch gegen
diese endemische £jrankheit Javas erwartet man Ton Europa nicht
nur die Mittel der Behandlung, sondern auch die der Prophy-
8. Capitel.
Die Schiefertafel (^LeUje^) — Die Wege der Fama — Lese-
gesellseliaft — Ein humoristischer Landesgerichtsrath — Ab*
reise Ton Ngairie — Ambarawa — Nepotismus in der Armee
— In drei Tagen zweimal transferirt — Yorschuss auf den
€^ehalt — Die ProTinz Bagel6en — Essbare Togelnester — In
l^ilaljap — Polizeisoldaten — Beamte — Sehenswfirdigkeiten
Yon Tjila^ap — Offleiere in Ciyilkleidung — Eingeborene
Beamte — behalt eines Begimentsarztes — An Malaria er-
krankt — DJocJa — Der Tempel Prambinan — Die ^Tausend
Tempel^ — Wieder nach Ngawie — Spitolbehandlung der
Offleiere — Beibereien in kleinen StSdten — Die Proyinz
Surakarte — Der Kaffeebaum — Ein Boman auf dem Yul-
cane ^^Lawu^.
A m 10. Januar 1890 wurde meine Transferirung nach Willem I
-^^ beschlossen. Wie gewöhnlich erfuhr ich dies zunächst aus
den telegraphischen Nachrichten in der »Locomotief«, der besten,
täglich erscheinenden Zeitung von Indien. Ahnungslos sass ich
Nachmittags um vier Uhr beim Thee, als mich ein »Leitje« =
»Schiefertafel« des Platz-Commandanten dayon verständigte. Es
wird nämlich in Indien zum geselligen schriftlichen Verkehr kein
Papier, sondern das »Leitje« gebraucht, welches aus einer doppel-
ten Schiefertafel besteht Auf die eine schreibt man seine kurze
Mittheilung, und auf die zweite kann der Empfänger sofort die
Antwort schreiben, weil sich der Griffel im hölzernen Bahmen be-
findet. Dies ist eine sehr einfache und praktische Correspondenz,
welche voraussetzt, dass der Ueberbringer, der Bediente oder die
Babu (Zofe), es nicht lesen können, und dass kein indiscreter Nach-
bar sie auffängt Leider ist oft weder das Eine noch das Andere
der Fall, und werden PriTatgeheimnisse bekannt, ohne dass der Ver-
räther eines solchen Geheimnisses geahnt wird.
206 ^^ '^oge d«r Fun».
Ein solcher Fall trug sich auf Atjeh im Jahre 188 . za. Der
GouTemeur der Proyinz, General v. T . . .^ beschloss eines Tages,
am anderen Morgen eine grosse Expedition gegen die Atschinesen
ausrücken zu lassen, und besprach diese Angelegenheit mit den vier
anwesenden Bataillons-Commandanten. Diese Expedition musste ge-
heim gehalten werden, weil der Feind überfallen werden sollte. Am
andern Morgen wurde um drei Uhr Alarm geblasen, und die vier
Bataillons*Conunandanten waren nach einer Viertelstunde an der
Spitze ihrer Truppen. Da trat plötzlich ein Hauptmann zu dem
Oberst-Lieutenant B. und frug ihn, wie spät er hoffe in Y. zu sein.
»Wieso wissen Sie es, dass wir nach T. marschiren?« »O, dies
habe ich gestern im Club gehörte »Was? Sie haben es gestern
Abend im Club gehört, und wir vier Bataillons-Coifimandanten haben
dem General y. Th . . das Wort gegeben, die Expedition geheim
EU halten! Gehen Sie sofort zum General, ihm dieses zu melden;
denn wenn Sie es schon gestern im Club gehört haben, dann wissen
es auch schon die Atschinesen, und unsere Arbeit ist umsonst; ,der
Vogel ist sicher geflogen^«*) Der General war entrüstet, als er von
diesem Vorfall Rapport erhielt, liess die Truppen in die Caserne
zurückgehen und befahl dem Oberst-Lieutenant B., eine strenge und
genaue Untersuchung zu halten, von wem der Verrath ausgegangen
sei. Alle Officiere, welche den Abend vorher im Club gewesen
waren, wurden vernommen, und endlich fand man die Quelle des
Verraths — bei dem Oberst-Lieutenant B., welcher seinem Adju*
tauten ein »Leitje« mit dem Befehle geschickt hatte, ihn den fol-
genden Morgen um 3 Uhr von der Wohnung abzuholen.
Abends um 7 Uhr kamen alle Officiere und bekannte Bürger
zu mir, um mir zu meiner Transferirung zu »felicitiren«. Die Veranda
meines Hauses hatte zwei ovale Tische, um welche Schaukelstühle
und gewöhnliche Stühle standen; diese waren chinesisches Fabrikat
und aus Djattiholz (Tectonia grandis) verfertigt. An der Mauer
hingen zwei Oleographien nach Defregger, und dazwischen befanden
sich einige kleine Etageren für Blumentöpfe. Diese Etageren waren
von einem Javanen aus dem schweren und harten Djattiholz ge-
schnitten; sie verriethen ebenso viel Kunstsinn als Geschmack und
hätten jedem europäischen Holzkünstler Kuhm und viel Geld ein-
getragen; sie stellten zwei schnäbelnde Tauben dar, welche ein Brett-
') Holländisches Sprichwort.
Lesegesellschaft. 207
chen auf dem Rücken trugen. Der Künstler war damals schon ein
alter Mann, so dass er leider nur noch kurze Zeit für seine Kunst
leben konnte.
Kein einziger der Besucher dachte daran, mir und meiner Frau
etwas anderes als den Glückwunsch auszusprechen, endlich von diesem
»Neste« befreit zu werden. Es ist wahr, dass Ngawie eine hohe
mittlere Temperatur hatte; aber es hatte damals »ein gesundes
Klima«. Es ist wahr, dass die Zahl der Europäer sehr klein war;
die Garnison hatte 1 Major, 2 Capitäns und 4 bis 6 Lieutenants;
Yon den Bürgern konnten mit uns auch nur 8 Familien verkehren,
so dass der gesellschaftliche Verkehr sich auf 16 Familien be-
schränken musste; solche kleinen Garnisonen haben aber den Vor-
theil, dass ein gemüthlicher und geselliger Verkehr leicht zu Stande
kommt.
Eine grosse Stadt bietet eine grosse Auswahl im Kreise der
Bekannten, es giebt in Batayia, Samarang u. s. w. zahlreiche Musik-
vereine, es besteht eine Theatergesellschaft von Dilettanten, oder es
kommen hin imd wieder Opern- und Operettengesellschaften aus
Europa und führen in mittelmässiger Qualität die letzten Novitäten (?)
in einem dazu bestimmten Gebäude auf, es giebt wissenschaftliche
Vereine, Museen, welche dem Amateur Sehenswerthes in Hülle und
Fülle bieten. In den zahlreichen Geschäften können die Damen,
wenn auch oft nur um hohe Preise, der Mode ihre unvermeidlichen
Opfer bringen. Die grossen Entfernungen bieten nicht nur zahl-
reiche Spazierwege, sondern zwingen auch, eine Equipage zu halten,
um damit auch täglich ausfahren zu können und sich den thatsächlich
hohen Genuss zu gönnen, sich um ö Uhr beim Scheiden der Sonne
an dem sanften Zephyrwinde zu erfirischen, der dem in der Equipage
Sitzenden die Schweisstropfen trocknet.
Ngawie war dagegen eine kleine Garnison und hatte nur eine
kleine Auswahl der gesellschaftsfähigen Menschen, während der Ort
selbst nichts, gar nichts zur Abwechslung in dem täglichen monotonen
Leben bot; die Menschen schliessen sich also mehr an und — manch-
mal entwickelt sich ein Freundschaftsverhältniss, das einen Ersatz
für alle Vorzüge der Grossstadt bietet. Für jeden Fall jedoch wird
man gezwungen, in »der Familie das Glück zu suchen«. Für die
2ierstreuung wird durch die »Büchsen« gesorgt. Wo nur zehn Euro-
päer wohnen, wird eine »Lesegesellschaft« errichtet, welche einen »Di-
rector« wählt. Durch einen monatlichen Beitrag von 4 bis 5 fl. wird
208 Leaegesellschaft.
von den 10 bis 15 Mitgliedern eine hinreichende Summe zusammen-
gebracht, um auf die bedeutendsten und bekanntesten europäischen
Wochenschriften in der holländischen, deutschen, französischen und
englischen Sprache zu abonniren; man wird in jeder Lesegesellschaft
ebenso gut die »Fliegenden Blätter« als die französische »L'JQlu-
Btration« oder den englischen »Punch« finden. Die bedeutendsten
Romane kommen sofort in die Hände des indischen Publieums, und
nur wenn der »Director« der Lesegesellschaft die Wahl der Bücher
dem Buchhändler überlässt, konmien Bücher An die Büchsen«,
welche für ein ganz anderes Publicum bestimmt sind, als für das in
Iiidien, welches gewöhnt ist, die besten und neuesten Bücher zu lesen,
auch wenn sie so theuer sind, dass der Einzelne sich bedenken würde,
sie zu kaufen. Die Wahl der Bücher und Wochenschriften wird
darum in der Regel den Mitgliedern überlassen; zu diesem Zwecke
wird in dem Monat September an diese eine Liste aller möglichen
Wochenschriften gesendet, und Jeder giebt an, von welcher er mi
neues Abonnement wünscht Der »Director« entscheidet hierauf
im Verhältnisse zum Stande der Casse, was für das nächste Jahr
bestellt werden müsse. Dieser hat aber noch eine zweite und eine
^tte Quelle der Eännahmen. Zunächst haben viele Lesegesell-
Schäften »Nachlesers«, d. h. Menschen, welche aus verschiedenen
Ursachen sich begnügen, die Wochenschriften und Romane zu lesen,
nachdem sie aUe Mitglieder ausgelesen haben. Der Eine thut es,
weil er als Nachleser nur 2 oder Vj^ fl. monatlich zu bezahlen hat;
ein Zweiter kann änfach nicht Mitglied werden, weil eine gewisse
Zahl Mitglieder nicht überschritten werden darf. Um auf dem
Laufenden der Ehreignisse in Europa zu bleiben, wünscht natürlich
jedes Mitglied bei Ankunft der Wochenschriften und Bücher sofort
wenigstens von zwei oder drei derselben das Exemplar zu erhalten.
Der Director sorgt also dafür, dass jede Woche Jeder der Mit-
glieder in seiner »Trommel« eine oder zwei Nummern der zuletzt
erschienenen Zeitschriften erhält; diese »Trommeln« circulicen
dann jede Woche einmal, und wenn 15 Mitglieder sind, bekommt
jedes Mitglied die meisten Zeitschriften, wenn sie schon 15 Wo*
chen alt sind; das ist natürlich selbst für Indien, wo man ge-
wöhnt ist, erst in 4 bis 5 Wochen einen Brief aus Europa zu
erhalten, eine veraltete Leetüre. Darum wird eine gewisse Anzahl
der Mitglieder nicht überschritten, und jeder Candidat wird so lange
»Nachleser«, bis er zum Mitgliede avanciren kann. Dann giebt es
Ein hnmorifltischer LandesgerichtBraÜi. 209
Pflanzer oder Beamte oder selbst Officiere, welche sich allein auf
abgelegenen Plätzen befinden und wegen grosser Entfernung nicht
jede Woche eine »Trommel« erhalten können; sobald eine Transport-
gelegenheit besteht, schickt ihm der Director der Lesegesellschaft
alle von den Mitgliedern gelesenen Bücher und Zeitschriften, welche
er seinerseits wieder zurückschicken muss.
Da für jede Beschädigung eines Buches oder einer Wochen-
schrift Strafe bezahlt werden muss, so sind dieselben, trotzdem sie
während 15 Wochen durch die Hände Ton 15 Familien gegangen
sind, dennoch in einem so guten Zustande, dass sie mit oder ohne
kleine Beparaturen wieder auf Auction gebracht werden können.
Der Director halt nämlich am Ende des Jahres eine Versammlung
der Milglieder ab, um Bericht über den Stand der Casse und
über die Wahl der Bücher für das nächste Jahr zu erstatten, eine
Wahl des Directors und Cassirers Yorzimehmen, und zum Schlüsse
wird bei einem Glas Bier oder einem Gläschen Genevre eine Auction
der ausgelesenen Bücher und Zeitschriften gehalten. Der Ertrag
fliesst in die Casse der Lesegesellschaft, und die »Illustrationen«
wandern in die Kinderstube, um von den Kindern ausgeschnitten zu
werden, oder in die Zinmier kleiner eingeborener Häuptlinge oder
europäischer Beamten, oder werden von den Käufern an die Biblio-
thek des nächsten Spitales oder der nächsten Militär-Cantine ver-
schenkt.
Diese »Lesegesellschaftien« sind also für Indien geradezu ein
bedeutender Factor der Yolkserziehung, und Alt und Jung und Beich
und Arm lesen in Indien viel mehr, als es ihre Standesgenossen in
Europa thun.
Für mich und meine Frau war also der erste Aufenthalt in
Ngawie keinesfalls bedauemswerth gewesen, und den Glückwünschen
unserer Bekannten konnten wir das Bedauern entgegensetzen, Ngawie
verlassen zu müssen, wo wir »gemüthliche und gesellige« Tage ver-
bracht und gute und brave Menschen zu Freunden erworben hatten.
unter den Anwesenden befand sich auch der Landesgerichts-
rath Mr. X . . ., welcher sich stets eines besonders guten Humors
erfireute, und in dessen Gesellschaft die Langeweile sich niemals ein-
stellte. Plötzlich erhob er sich von seinem Sessel und verlangte mit
feierlicher und ernster Miene, das Wort an den scheidenden Kame-
raden richten zu können; in seiner Eigenschaft als »Präsident van
den Landraad« müssten ihm alle Geheinmisse der Bewohner Ngawies
Breit«nttein, 91 Jahn in Indien IL 14
210 Bu^ humoristischer Inuidesgerichtfrath.
bekannt seiO; und dank dieser Wissenschaft sei ihm zu Ohren ge*
kommen, dass ein grosses Fass ungarischen Weines seit * vierzehn
Tagen in meiner Speisekammer ruhe und nur warte, von seinem
köstlichen Inhalte befreit, d. h. in Flaschen abgezogen zu werden.
»Wenn unser Aesculapius,« fuhr er fort, »Ngawie Terlasst, dann
dürfe dieses Fass, gefüllt mit feurigem Ungar- Wein, diesen Gto*-
nisonplatz nicht verlassen, es müsse in Ngawie bleiben, wo es durch
seinen vierzehntägigen Aufenthalt Bürgerrecht erhalten habe und ge-
wissermaassen Eigenthum der Stadt geworden sei. Wenn die an-
wesenden Officiere und Bürger das fluchwürdige Vorhaben des
Hausherrn, den Wein nach Willem I mitnehmen zu wollen, ebenso
entrüstet verurtheilen und verdammen würden, wie er es thue, dann
sei er überzeugt, dass eine solche Fahnenflucht nicht werde statt-
finden können. Er schlage also vor, das Haus des Dr. Bieitenstein
nicht zu verlassen, sondern aus der Cantine die Korkmaschine holen
zu lassen und sofort mit vereinten Kräften . ans Werk zu gehen,
d. h. mit dem Abzapfen des Fasses Wein zu beginnen, c Mit lautem
Hurrah wurde dieser Vorschlag von Allen angenommen — bis auf
meine Frau.
Mit stummem, flehendem Bück sah sie bald mich, bald den Frie-
densstörer an, der ihr auf diese Weise plötzlich zehn Graste zum
Abendessen auf den Hals schaffen wollte. Herr X . . . verstand
diesen stummen, jedoch vielsagenden Bück und fuhr in seiner Rede
fort: »Meine Herren und Damen; blicken Sie jetzt in das Antlitz
unserer hochverehrten Hausfrau; ist in diesen edlen Zügen nur ein
kleines Winkelchen Platz für das schädlichste aller Laster, für den
G^iz? Ich weiss es durch meine Spione, welche alle Geheimnisse von
Ngawie verrathen, dass in der Speisekammer dieser Dame herrliche
Conserven aufgespeichert liegen, und doch erbleicht sie bei dem
Gedanken, uns bewirthen zu müssen; aus Geiz, nein,- dieser edlen
Seele sind alle Laster fremd, also auch das des Geizes. Aber meine
Herren und Damen, mein scharfes Auge durchblickt nicht nur die
Mauern der Speisekammer, sondern auch die des Herzens unserer
Hausfrau. Dort, in der Speisekammer, sehe ich nämlich Büchsen
mit Erbsen, Spargel, geräuchertem Lachs, Sardinen, condensirter
Milch, Krebsen, amerikanischen Früchten, Erbsensuppe, Kalbsbries
und geräucherten Heringen; hier in der Tiefe des Herzens sehe ich die
Sorge der Ohnmacht, eine so ansehnliche Schaar hungriger und
durstiger Gäste in würdiger Weise nach alter indischer Gastfreund-
Abreise von Ngawie. 211
schiaft bewirthen zu können. Meine Heiren und Damen! erleichtem
■wir aber auch die Sorge und Mühe unserer Gastfirau; es ist beinahe
8 Uhr; auf Jeden von uns wartet zu Hause eine Schüssel Suppe,
«in Stück Beefsteak mit Erdäpfehi u. s. w.; lassen wir Boten nach
allen Bichtungen der schönen und grossen Stadt Ngawie geflügelten
Fusses eilen, dass uns unser Abendessen hierher gesendet werde,
und dem improvisirten Picknick folge dann die schöne und süsse
Arbeit des Abzapfens.« So geschah es. um 9 Uhr begann das im-
provisirte Souper, und um 10 Uhr die Arbeit. Die Bedienten, welche
diese Arbeit schon firüher einige Male gethan hatten, wurden sus-
pendirt, an ihre Stelle traten die Gäste. Der Eine sass am Fuss-
schemel, um die Flaschen zu füllen, der Zweite nahm sie ihm aus
4er Hand, ein Dritter brachte sie nach der Korkmaschine, ein
Lieutenant tauchte sie in das flüssig gemachte Dammar (= Harz)
u. s. w. Natürlich hatte Jeder sein Glas und benutzte jeden freien
Augenblick, mit ihm zum Krahn zu gehen imd sich »frisch vom
Zapfen« den Labetrunk zu holen. Im Hause selbst spielte bald
meine Frau, bald eine der geladenen Damen am Piano fröhliche
Studentenlieder, und um 12 Uhr waren 450 Flaschen gefüllt und
gelackt in der Speisekammer. Als das Fass leer war, wurde es Ton
Tier Herren auf die Schulter genommen und unter den Klängen des
Trauermarsches von Chopin rund um das Haus getragen und im
Oarten begraben.
Am andern Morgen bekam der Platz-Commandant die ofücielle
Mittheilung von meiner Transferirung. Dr. X . . . sollte mich ab-
lösen, und nach Uebergabe des »Dienstes in seinem ganzen Um-
fange« sollte ich nach Ambarawa gehen und mich unter die Be-
fehle des »Eerstanwezenden OfElciers van Gezondheid« von Wülem I
stellen. Da zu erwarten war, dass mein Nachfolger noch vierzehn
Tage auf sich werde warten lassen, hatte ich genug Zeit, alle yor-
bereitenden Maassregeln für die Auction meiner Einrichtung treffen
zu können. Ich konnte mit Sicherheit auf keinen günstigen Erfolg
meiner Auction rechnen, und besprach also mit dem Auctionator für
diesen Fall, meine Einrichtungsstücke nicht ä tout prix zu verkaufen.
Für jedes einzelne Stück »limitirte« ich den niedrigsten Preis und
besprach zu gleicher Zeit mit dem Stationschef die Miethe eines hal-
ben Waggons für meine Möbel und Koffer und eines Wagens für
meine Equipage und für meine beiden Pferde. Endlich kam mein
Nachfolger Dr. X., dem ich den Dienst sofort übergab, und ich be-
14»
212 Abreise von Ngawie.
kaxa dann vier Tage frei^ nm meine »persönliclien Angelegenheiten
regeln zu könnenc. Herr ▼. d. V . . . bot mir für die letzten Tage
meines Aufenthaltes in Ngawie in liebenswürdiger Weise Gastfreund-
schaft in seinem Hause an und gab den Abend vor meiner Abreise
mir zu Ehren ein Abschiedsfest. Am 24. Februar war die Auction,
welche mich insofern befriedigte, als die grossen Stücke, wie Pianino,
Kasten, Equipage und Pferde zwar keinen Abnehmer gefunden hatten,
die kleineren Gegenstände aber, als Nippessachen, Service u. s. w.
doch noch um 817,40 fl. verkauft wurden. Nach der Auction lies»
ich das Pianino und die übrigen Möbelstücke mit den Kisten auf drei
Frachtwagen, welche mit Ochsen bespannt waren, laden und sie in
der Nacht um 3 Uhr von Ngawie wegfahren. Als ich am andern
Tage, den 25. Januar, um 7 ühr nach Paron kam, war alles bereits
in den Waggon geladen, und ich verliess Ngawie nach einem Aufent-
halte von 16 Monaten in einer angenehmen Stimmung. Die Verdriess-
lichkeiten, welche ich im Dienste erfahren hatte, traten in den Hin-
tergrund vor den vielen Beweisen der Freundschaft und Sympathie,,
deren ich mich erfreuen konnte. Für den Transport meiner Möbel, für
mich, meine Frau und zwei Bediente bezahlte ich 210 fl. 97 Ct.^)
Die Reise ging mit der Eisenbahn zunächst nach Solo auf der
Staatsbahn; hier musste ich umsteigen, weil die Privatbahn Sama-
rang — ^Fürstenländer schmalspurig ist, und musste das Gtepäck mit
meinen Pferden zurücklassen; der Kutscher erhielt den Befehl, bei
den Pferden zu bleiben und das üeberladen derselben auf die
andere Linie zu leiten. Eine halbe Stunde später setzte ich meine
Reise fort bis Kedong-Djati, wo eine Zweigbahn mich nach Amba-
rawa mit dem Fort Willem I brachte. Hier kam ich um 6 Uhr
Abends an und fand zu meiner üeberraschung Dr. K., meinen
Landsmann und Studiengenossen, welcher bereits im Jahre 1874
nach Lidien gegangen war, als meinen künftigen Chef vor.
Obwohl ich mich nur zwei Tage und drei Nächte in Ambarawa
aufhielt, weil, wie wir sofort sehen werden, ich schon am 28., also
drei (! !) Tage später nach Tjilatjap transferirt wurde, so glaube ich
doch einiges über diesen Ort und seine Festung Willem I mittheilen
zu müssen.
Ambarawa und das genannte Fort liegen 476 Meter hoch auf
dem Fusse des üngarang (2048 Meter absoluter Höhe) und grenzen
1) Ein holländischer Gulden ist ungeföhr so viel als 2 = Kronen ö. W^
= 1 Mark 60 Pf.
Ambarawa. 213
im Süden an den grossen Sumpf (SAwa Penlng), welcher, wie der
ganze Thalkessel von Ambarawa, einem Yulcanischen Einstürze sein
Entstehen verdankte; das von dem umgebenden Berge strömende
Wasser ergiesst sich in den Sumpf, um weiter als Fluss Tuntang,
mit dem Fluss Demak vereint, der Javasee zuzuströmen. Ich hatte
späterhin oft Gelegenheit, von Magelang aus per Wagen nach
Ambarawa zu fahren, und immer war ich entzückt von dem schönen
Panorama, welches sich um das Thal von Ambarawa nach allen Sei-
ten ausbreitete; zahlreiche Dessas (Dörfer) umgeben den Rand des
Sumpfes und die anliegenden Berghügel, die Sawahfelder in aller
ihrer Farbenpracht, vom sanften Grün des jungen Beises bis zum
Dunkelgelb des alten Beisstrohes. Zahlreiche Gemüsefelder und
Fruchtbäume umsäumen die Peripherie des Sumpfes, welcher durch
passende Ableitung des Wassers theilweise urbar gemacht war. Im
Süden erheben der Telamaja (1883 Meter hoch) und der Marbabu
{3116 Meter hoch) stolz ihre Häupter, und bei reiner Abendluft
sieht man im Hintergrunde aus dem Merapi (2866 Meter hoch) den
Bauch zum Himmel steigen.
AmbarawA selbst besteht aus den vier Ortschaften Pandjang,
Ambarawa, Losari imd Kupang, während das Fort Willem I Vj^ EjIo-
meter im Süden dieser Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes liegt.
Nebst den Eingeborenen befinden sich dort einige hundert Chinesen,
«inige Araber, Mooren und Bengalesen. Auf dem Berge üngarang
befindet sich ein Sanatorium, vielleicht in dem schönsten Theile
Javas gelegen. Veth giebt seiner Bewunderung über dieses schöne
Panorama mit folgenden Worten Ausdruck:
»Dieser Bergrücken (sc. Kendil), welcher nicht mehr als Vjz km
Luftlinie von Ambarawa entfernt ist und sich 300 — 360 Meter über
das Thal erhebt, bietet eine Aussicht, welche unter die schönsten
gerechnet werden kann, die Java zu gemessen giebt. Das reich
bevölkerte Ambarawa, das Lager und die Festung sieht man zu
seinen Füssen liegen, und wenn man dahinter den Blick über das
Thal schweifen lässt, sieht man dieses wie ein Schachbrett in
Fächer vertheilt. Hier wird ein Feld von Karbouwen für die neue
Ernte gepflügt, dort prangt ein anderes im lichten Grün der jungen
Beishalme; hier ist ein drittes in das dunkle Kleid von altem Beis
gehüllt, und ein viertes ist gelb gefärbt von den Aehren, welche
unter der Last der Beife ihr Haupt neigen. Kleine Wälder von
Fruchtbäumen, welche die zu Dörfern vereinigten Wohnungen der
214 Ambarawft.
Eingeborenen Yerbergen, liegen wie Inseln zerstreut dazwischen.
Blickt man weiter hinein in den Thalkessel, dann sieht man ein
grosses, weites, graues Feld, neben grossen Wasserpfützen, welches
weder Acker noch Haine führt. Es ist der Sumpf, welcher durch
seine todte Kahlheit ebenso sehr absticht bei der weniger reich be-
Tölkerten imd bebauten G-egend, welche sich an der anderen Seite
ausbreitet, als bei jener, welche sie you Ambarawa scheidet. Aber
was besonders dieses Panorama so ergreifend macht, das sind die
grossen Bergprofile, welche jenseits den Thalkessel begrenzen: Im
Vordergrund der Kelir, Wiragama und Telamaja, und fem im Süden
der breite Scheitel des stolzen Merbabu.€
Das Fort selbst wurde im Jahre 1833 you dem General
Yan den Bosch als Mittelpunkt der Vertheidigung Yon JaYa hier
angelegt, weil sich hier der grosse Weg Yom Norden nach dem
Süden in zwei Arme theilt und somit Yon den Kanonen des Forts
bestrichen werden kann, und weil das Terrain CYentuell unter Wasser
gesetzt werden kann. Nun, die Vertheidigungsf ähigkeit dieser zwei
Strassen durch das Fort Willem I wird heutzutage you Niemandem
mehr anerkannt, und ein europäischer Feind würde mit zwei Mörsern
und zwei G^birgskanonen, welche sich auf dem Telamaja oder Kelir
befinden würden, bald das Feuer aus dem Fort zum Schweigen bringen.
Die Vertheidigung JaYas gegen einen europäischen Feind ist
schon seit Jahrzehnten die ununterbrochene Sorge der Regierung, und
die stets wechselnden Armee-Commandanten brachten zwar auch
stets neue Ansichten, aber das Endresultat ist gleich Null; denn
das Anlegen you starken Centren in den drei Militär-Abtheilungen
Yon JaYa im Innern des Landes, Yon wo aus im gegebenen Falle
di& Truppen nach allen Richtungen der Windrose dirigirt werden
können, ist alles, was bis jetzt geschehen ist. Der heuer ernannte
G-eneral-Gk)UYemeur Yon Indien ist ein Militär, und zwar der G-eneral
Rozeboom, welcher, wie mitgetheilt wird, in Holland durch seine
Arbeiten auf dem Gebiete der Festungsbauten eine Autorität ist;
wenn auch während seiner Regierungszeit, ^) welche für fünf Jahre
festgestellt ist und Yerlängert werden kann, der Wechsel des Armee-
Commandanten Yielleicht derselbe wie früher sein wird, so kann
diese Lebensfrage in Indien ernstlich in Angriff genommen werden.
Im Laufe der letzten Jahre hat das Armee-Gommando sich nur
* Die General-Gouvemeore werden immer auf fünf Jahre ernannt.
Nepotismus in der Armee. 215
mit der »Beorganisation« der Armee i) beschäftigt und die Bolle eines
Despoten sich angeeignet, wobei natürlich ein Missbrauch dieser
absoluten G-ewalt nicht ausgeschlossen blieb. Der neue General-Gou-
verneur kann also die Frage der Vertheidigung Javas selbst in die
Hand nehmen und hin und wieder den Herrschergelüsten des Armee-
Commandanten mit seiner Autorität entgegentreten; unter. den frü-
heren Armee-Commandanten war es bekannt, dass sie keine andere
Sorge hatten und kannten, als missliebige Personen zu entfernen
und ihren Freunden ein schnelles Avancement zu besorgen, unter
dem passenden Verwände: Junge Kräfte und junges Blut in die
höheren Bangstofen zu bringen. Natürlich trat die Begierung in
Holland dieser Verschwendung entgegen, welche oft ein bitteres un-
recht gegen die davon Betroffenen involvirte. Aber sie fanden einen
Ausweg; was die Oberregierung in Holland officiell verweigerte, er-
reichten sie durch »hinausekehi«. Dazu sollte manchmal das ärztliche
Corps Handlangerdienste leisten. Ich sass beinahe fünf Jahre in der
Superarbitrirungs-Commission und hatte als ältester (nach dem Chef)
das Beferat auszuarbeiten. Dessen kann ich mich jedoch rühmen: ich
habe mich immer objectiv gehalten, und wenn auch z. B. in den Zu-
schriften des Armee-Commandanten mitgetheilt wurde, »dass natür-
lich unter solchen Verhältnissen nicht zu erwarten sei, dass Haupt-
mann X. in Zukunft gesund bleiben werde« u. s. w., und wenn auch
der Chef der Commission diesen Wink mit dem Zaunspfahl verstehen
wollte, so liess ich mich dadurch in meinem Beferat nicht beirren.
Da ich auf dieses Widerliche Bild nicht mehr zurückkommen werde, -
so will ich an dieser Stelle den Nepotismus in der indischen
Armee skizziren, ohne jedoch in Details zu verfallen. Der Begi-
mentsarzt X. ist verwandt und befreundet mit dem Armee-Comman-
danten und möchte gern schnell Stabsarzt werden, ohne solche ausser-
gewöhnlichen Leistungen aufi^eisen zu können, welche ein ausser-
tourliches Avancement >) rechtfertigen könnten. Capitän Y. möchte
gern sobald als möglich den Dienst als Major verlassen, um mit ein^r
Pension von 2800 fl. in patria in der Kraft seines Lebens noch
eine Civilstellung annehmen zu können. Die Vordermänner stehen
ihnen im Wege, es wird also das Leid direct oder indirect dem
hohen Freund und Gönner geklagt. Dieser spricht natürlich gegen-
d. h. mit der Pensionirung der sogenannten „alten Herren *'.
') AusseTtourliche Beförderungen sind in der indischen Armee sehr seltene
Ausnahmen.
216 Nepotismu« in der Annee.
über den Chefs dieser Vordermänner das Bedauern aus, dass seine
gute Absicht in Holland aus falschen Sparsamkeitsrücksichten nicht
gewürdigt wurde, und dass also altersschwache i) Männer ohne
Energie den goldenen Kragen bekämen. Dieser versteht den Wink
und beginnt zu > suchen c.
»Wer einen Hund schlagen will, findet immer einen Stocke,
xmd ich sah oft die unwürdigsten Mittel anwenden, um ein solches
Hindemiss aus dem Wege zu räumen. Nepotismus und Protection
kommen leider überall vor; aber in einer kleinen Armee machen
sie sich mehr als in einer grossen fühlbar und kommen schneller
zum Bewusstsein aller Officiere; es entwickelt sich dadurch auch ein
Servilismus, der geradezu lahmend auf den ganzen Dienst wirken
muss. Es ist zu hoffen, dass das Princip der strengen Anciennität,
welche das G-esetz vorschreibt, nicht wieder auf so schändliche
Weise umgangen wird, als es unter den früheren Armee-Comman-
danten geschah. Doch genug von diesen Uebelständen in der in-
dischen Armee.
Die Vertheidigung Javas gegen einen europäischen Feind resp.
Amerika ist also die Hauptsorge des neuen General-G-ouvemeurs ;
so wenig es mir möglich ist, mich mit dieser Sache zu beschäftigen,
so glaube ich auf einen Factor hinweisen zu müssen, der früher als
Ajdoma galt, heute aber gewiss an Bedeutung verloren hat. Dieses
Axioma lautet: Die beste Vertheidigung Javas ist — sein Klima;
ein europäischer Feind, der auf Java landet, würde schon in den
ersten Tagen ^/s seiner Bemannung durch Fieber, Dysenterie oder
Cholera verlieren. Dieses war wahr, hat aber heute seine Bichtig-
keit verloren; die Lehren der Hygiene sind Gfemeingut geworden,
und die Verluste einer fremden Macht würden nicht viel grösser sein
als die der indischen Armee. Sie würde, um nur ein Beispiel an-
zuführen, für gutes Trinkwasser sorgen, und die Morbidität der
Truppen würde ebenso klein bleiben wie sich die Mortalität nur um
geringes steigern würde.
Das Fort Willem I wird gewiss in dem zukünftigen Ver-
theidigungsplane eine untergeordnete Bolle spielen, z. B. als Depot
für Kriegsmaterial, wie das benachbarte Banju-Biru, welches jetzt
die Hauptstation für die Feld- und Berg-Artillerie ist
Bei meiner Aiukunft wurde mir eine Wohnung ausserhalb des
Forts angewiesen, und zwar im sogenannten »Campement«; d.h. die
*) NB. Männer von 45 (!!) Jahren.
In drei Tagen zweimal traoflferirt 217
Bureaux und die Wohnungen der Officiere, wel^e im Fort selbst
keinen Platz hatten, befanden sich yor der ersten Zugbrücke, und
zwar in der Nähe des grossen Postweges, welcher bei Samarang
beginnt und bei Bavean sich in zwei Arme theilt. An der Ecke
des »Campementsc befand sich das »Windhausc, welches mir zu-
gewiesen wurde, und ich ersuchte »die Genie«, solche Veränderungen
des Hauses Torzunehmen, dass es von dem Zuge nicht belästigt
würde. Durch Abschliessen einiger Fenster sollte dies geschehen,
und so yerliess ich am 28. das Hotel, um meine neue Wohnung
zu beziehen; meine Möbel, Kisten und Koffer waren am 27. Abends
angekommen, und ich hatte drei Lastwagen gemiethet, welche sie vom
Bahnhofe direct ins Haus bringen sollten. Alles war in gutem
«Zustande angekommen; meine zwei Sandelwood-Pferde begrüssten
mich mit lautem Wiehern, und so zog ich an der Spitze der kleinen
Karawane zum »Windhause«. Als ich mich diesem näherte, sah
ich zu meinem Schrecken Dr. K., mit einem Telegramm in der
Hand, mit meiner Frau sprechen, welche laut schluchzend und
weinend mir entgegen lief: »Wieder transfenrt, und zwar nach Tji-
latjap, dem grössten Fieberherde von Java, wo sich nicht einmal Sol-
daten befinden, von wo die Garnison yerlegt werden musste, weil
das Fieber, die Malaria sie mordete, wo selbst die Vertheidigungs-
kanonen der Küste yerlassen werden mussten, dahin müssen wir
gehen.« Dr. K. konnte nichts anderes thun als ich, und zwar
mit den Schultern zucken und sagen: es muss sein. Verblüfft
sahen mich die Führer der Frachtwagen an, als ich ihnen zurief:
»Kombäli« (= zurück); ebenfalls die Schultern zuckend, Hessen sie
die Ochsen umkehren und die Lasten wieder zum Bahnhofe bringen.
Glücklicherweise war der Zug schon um 6 Uhr Morgens nach Solo
abgegangen; sonst hätte ich noch denselben Tag abreisen müssen,
mit oder ohne Reisegepäck, denn es war eine Eildepesche, und als
ich den andern Tag Abends in Tjilatjap ankam und sofort in die
Wohnung des Aegimentsarztes W . . . eilte, in der Voraussetzung,
ihn schwer krank oder yielleicht schon sterbend zu finden, war er
nicht zu Hausei! Als ich ihn endlich in der Infirmerie fand, kam
er mir mit den Worten entgegen: »Was kommen Sie hier thun?!l«
Nach Erhalt des Telegranmies ging ich nach Haus, beruhigte
meine Frau so yiel ich konnte und ging, mich beim Platz-Comman-
danten abzumelden. Unterwegs fiel mir aber ein, dass so eine Reise
nach Tjilatjap wieder Geld und zwar sehr yiel Geld kosten würde.
218 YonohiMs auf den Gehalt.
Bei seiner Transferinmg muss nämlich der Officier alles selbst be-
zahlen und reicht später seine »Declaration« ein, welche jedoch
niemald sofort beglichen, sondern der »Bechenkammer« zur Beyision
vorgelegt wird. Der Of&cier kann jedoch 80 <^/o Vorschass anf den
Betrag seiner eingereichten Rechnung erhalten. Für die Beise von
Ngawie nach Ambarawa hatte ich meine »Declaration« noch nicht
eingereicht, von dem E2rtrage meiner Auction hatte ich noch keinen
Wechsel erhalten; ich war also court d'argent für meine Reise nach
Tjilatjap, welche gewiss 300 fl. kosten würde. Ich ging also znm
»Bezahlmeisterc der Garnison nnd ersuchte ihn um einen Vorschuss
auf meinen Gehalt. Der Zahlmeister, der niemals um einen Witz
oder um ein scherzhaftes Wort yerlegen war, richtete sich bei meinem
Ansuchen stolz auf, sah mich mit drohenden Blicken an und rief ent-
rüstet aus: »Was! ein reicher Doctor, der nicht einmal Kinder hat,
verlangt Vorschuss auf seinen Gehalt! Das ist reiner Wucher! Sie
wollen noch mehr Geld in die Sparbank bringen; Sie wollen noch
immer 2iinsen auf Zinsen auf Ihr Vermögen häufed ! Das ist Schande !<
»Ja, das ist Schande,« erwiderte ich in demselben Tone der
Entrüstung; »aber wessen? Da werde ich aus der Mitte Javas
nach dem Norden der Insel transferirt, und drei Tage später wieder
vom Norden nach dem Süden; der Regierung kostet dieses 219 fl.
imd mich über 300 fl. ! Will also die Regierung durch uns Of&ciere
die Unkosten der Eisenbahnen decken ! Nehmen Sie jetzt an, dass
ich 6 bis 8 Kinder hätte, wie viel würde ich dann verlieren? Finden
Sie es also ein Unrecht, dass die Regierung dafür eine kleine Ent-
schädigung bietet? Ich bekomme nach Recht und Gesetz, weil ich
verheiratet bin, von vier Monaten, im anderen Falle von drei Monaten
Gehalt einen Vorschuss, den ich nach drei Monaten in Raten von
1/4 meines G^altes abzuzahlen anfangen muss; die 1700 fl., welche
ich jetzt von Ihnen erhalte, tragen im günstigsten Falle 65 fl.^
Interessen (zu 4<^/o gerechnet). Ist dieser Betrag nicht so klein,
dass es eine Schande ist, darüber ein Wort zu verlieren? Setzen
Sie jedoch den Fall, dass ich 6 oder 8 Kinder hätte; würde es für
mich nicht geradezu ein Unglück sein, in drei Tagen zweimal trans-
ferirt zu werden? Ich würde den Verlust nicht verschmerzen können
und Schulden machen müssen.«
Diese häufigen Transferirungen sind auch die Schuld, dass sehr
viele Officiere erst im Range vom Major aus ihren Schulden gegen-
über der Regierung herausgekommen sind, da sie ihre alte Schuld^
ToraoliusB auf den Gehalt. 219
welche in 19 Monaten und von ledigen Officieren in 15 Monaten
abbezahlt sein mnss, noch nicht getilgt hatten, wieder transferirt wur-
den und dabei zunächst die alte Schuld abtragen mussten.
In früheren Jahren gab die Begierung jedem Arzte, und wenn
ich mich nicht irre, jedem Officier, der darum das Ansuchen stellte,
auch für den Ankauf von zwei Reitpferden 400 fl. Vorschuss, welcher
Betrag (ebenfalls rentelos) in 20 Monaten abgezahlt sein musste.
Da sich nach und nach der Missbrauch eingestellt, dass von den
dazu berechtigten Officieren dieser Vorschuss genommen wurde,
ohne dass sie sich factisch zwei Pferde kauften, wie z. B. in Gami»
sonen, wo sie sie nicht gebrauchen konnten, so hat die Begierung
im Jahre 1888 damit ein Ende gemacht, indem sie diesen Vorschuss
nur für den Fall bewilligte, als der Kauf der Pferde factisch ge-
schah; zu diesem Zwecke wurde in allen Garnisonen eine Gontrol-
liste der Officiers-Pferde angelegt.
Nachdem ich meinen Vorschuss erhalten hatte, ging ich zunächst
nach dem Bahnhof, um zu sehen, ob mein Gepäck und besonders,
ob meine Pferde wieder ohne Schaden in den Waggon gebracht
worden waren. Da diese feurigen Temperamentes waren, gab ich
ihnen auf die Heise keinen Reis mit, sondern befahl dem Kutscher,
welcher sie begleitete, jeden Tag 2 Pikol frisches Gras zu kaufen
= 126 Kilo, wofür ich ihn 20 Ct. verrechnen Hess. Es war ja die
Begenzeit, und in diesem Monat kann man einen Pikol Gras selbst
um 6 Ct. = 6 £jreuzer = 10 Pfennige bekommen; in der trockenen
Zeit steigt der Preis oft bis auf 15 — 20 Cts., weil es dann offc
weit her, z. B. von den Ufern eines Flusses oder aus schattigen
Wäldern geholt werden muss. Ganz trocken ist das Gras in Java
allerdings niemals, weil der Feuchtigkeitsgehalt der Luft immer ein
hoher ist, und dies ist auch die Ursache, dass Präriebrände in Indien
niemals vorkommen. Am andern Morgen, den 28. Januar, ging ich
also um 6 Uhr früh wieder auf die Beise, um 1 Uhr kam ich in
Djocja an, wo mich der Besident erwartete, dessen Frau eine Schul-
kameradin meiner Frau war, und lud mich ein, eine Nacht bei ihm
zu logiren. Ich nahm es nicht an, weil mich das Eiltelegramm des
Landes-Sanitätschefs das Aergste für den Gesundheitszustand des
dortigen Arztes befürchten liess. Es war glühend heiss, das Thermo*
meter zeigte im Schatten 35® C; in der Bestauration des Bahn-
hofes hatten wir ein ziemlich gutes Beefsteak mit Erdäpfeln ge*
gössen und eine Flasche Bheinwein geleert, so dass wir gerade nicht
220 ^^ TrormE Bagel^en.
leichten Muthes wieder die Reise fortsetzten. Bei dieser hohen
Wärme ist in Indien das Fahren auf der Eisenbahn ja unerträglich.
Ich hoffte eine Erleichterung zu finden, wenn ich für mich und meine
Frau Karten I. Classe nehmen würde, um dadurch ein Ooup^ für
uns Beide allein erhalten und mich des Bockes und der Schuhe ent-
ledigen zu können; aber wer kann unsem Schreck schildern, als un-
mittelbar vor Abgang des Zuges ein Herr sich zu uns gesellte, der,
wie er mir später erzählte, dieselbe Absicht gehegt hatte. Dieser
braye Mann ist seitdem gestorben. Ich kann also heute ruhig ge-
stehen, dass wir Beide alle Flüche und Qualen der Hölle auf
seinen Kopf erwünschten, natürlich nur im Flüsterton. Endlich
um 6 1/4 Uhr Abends kamen wir in Tjilatjap an, und mein Vor-
gänger — erfreute sich der besten Gesundheit!!
Bei meiner Transferirung von Ambarawa hatte ich die Pro-
▼inzen Samarang, Surakarta, Djocjacorta, Bagelden und Banjumas
durchzogen. Die ersten drei und die letzte Provinz werden uns
weiterhin noch viel beschäftigen, und darum will ich an dieser Stelle
nur mit wenigen Zeilen der Provinz Bagel^en gedenken, weil ich einer-
seits sie nur per Eisenbahn durcheilt habe und sie andererseits nicht
viel Sehens- und Mittheilenswerthes enthält.
Vor dem grossen Kriege von Java in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts war Bagel^en (und Banjumas) ein Theil des westlichen
Mantjai)-negara,3) und seine Fürsten waren Vasallen des Sultans
Ton Solo. EBer in Bagel^en, welches jetzt nicht nur die dichtbe-
Tölkertste Landschaft von Java, sondern vielleicht von der ganzen
Erde ist [es wohnen ja mehr als 20,000 Menschen auf einer Quadrat-
meile,>) und es besitzt bei einer Q-rösse von 62,o7 n Meilen einen
Ort (Purworedjo) mit 20,000 Seelen, 202 Kampongs mit 1000—5000,
679 Dessas mit 5—1000, 1327 mit 200—600, und 442 Dörfer bis
200 Seelen], wüthete früher der Despotismus seiner Fürsten mit
allen seinen Qualen xmd Leiden für den kleinen Mann, und man
Abgelegen.
*) = (J.) Landschaft.
*) Bei einer Grösse von 62io7 Quadratmeilen zählte es im Jahre 189S
1035 Europäer, 8439 Chinesen, 66 Orientalen und 1,348,204 Eingeborene =
1362,738.
Die FroTinz Bagel^n. — Essbare Vogelnester. 221
muss oft die lebhafte Phantasie bewundern, mit welcher diese kleinen
Despoten Steuern zu erfinden wussten. Es wurde eine Steuer für
wohlgefüllte Waden erhoben, die Einäugigen mussten Steuern für
die Blinden bezahlen, bei jeder Klage wegen Diebstahls musste ein
gewisser Betrag erlegt werden, für die Wachthütten auf den B^is-
feldem, welche nicht gebaut wurden, für das Wiegen des Beises,
welcher als Zehnt eingeliefert werden musste, war ein Zoll festge-
setzt, obzwar der Beis niemals gewogen wurde, für das 2iählen der
Beisfelder, was niemals geschah, für das Becht, den Tanzmädchen
zuschauen zu können, ob man es ausübte oder nicht, wurde eine
Steuer erhoben, kurz, unter 34 (! !) yerschiedenen Namen wurde der
kleine Mann in seinem Erträgniss des Bodens gekürzt. Im Jahre
1830 kam es endlich unter die directe Verwaltung der hollän-
dischen Begierung; sofort yrurden 24 dieser diversen Steuern ab«
geschafft, und die üppige Tropenflora im Verein mit der humanen
europäiBchen Begierung schufen aus den öden, unbebauten, brach-
liegenden Feldem eine reich beTÖlkerte und reich bebaute Provinz
mit einer glücklichen und zufriedenen Bevölkerung.
Der Name dieser Provinz stammt aus dem allgavanischen Pagelön
= penis und von der linggasäule, welche sich bei Purworedjo, und
zwar bei dem Dorfe Bagel^en befindet und noch heutzutage von der
Bevölkerung angebetet wird, üeberhaupt findet man ja in Süd-Java
viele Spuren des Siva-Dienstes.
Eine andere Sehenswürdigkeit ist der ausgehöhlte Felsen Karang
bölang, welcher sich 181 Meter hoch über die See an der Südküste
erhebt und sich wie ein Dom über die Fläche des Meeres wölbt,
als Heimath von Tausenden und abermal Tausenden von Schwalben,
deren essbare Nester unter dem Namen sarong burung ein starker
und verbreiteter Handelsartikel geworden sind. Im Jahre 1871
wurde das Erträgniss dieser Höhle auf 25 Jahre für den Betrag von
37,100 fl. pro Jahr verpachtet. Nach Friedmann sollen jährlich
500,000 Stück gewonnen werden, i)
Die Hauptstadt Purworedjo mit dem Gamisonplatz Kedong
Kebo und mit dem Gunung Wangi (8 Kilom. entfernt) = Berg des
herrlichen Duftes, >) die Grotte vom Berge Lawaug und Tebasan
Im Jahre 1894 imrden von ganz lodien für 202,900 fl. = + 360,000 Mark
Vogelnester exportirt
') Hier soll R&d^n Djambu zum ersten Male in der Provinz Bagel^en
den Islam gepredigt haben.
222 In Ijilmlgap.
mit den zahlreichen Ueberreaten des Siva-Dienstes, die Umgebung
Ton Kabumen mit ihren warmen Quellen^ Gombong mit seiner Ca-
dettenschule und der Grotte Bagadana mit schönen Stalaktiten so-
wie zahlreiche Alterthümer kann ich nur andeuten^ aber nicht
beschreiben, weil ich niemals Gelegenheit hatte, aus Autopsie sie
kennen zu lernen.
Die Provinz Banjumas, in welcher Tjilatjap liegt, habe ich
nach vielen Richtungen hin durchzogen, und zwar entweder in dienst-
lichen Angelegenheiten oder zu meinem Vei^ügen. Am häufigsten
kam ich nach Babakan, wo sich längs des Meeresstrandes die
Schiessstätte der Artillerie der zwei militärischen Abtheilungen Javas
befindet. Nach der Hauptstadt Banjumas kam ich im Ganzen nur
viermal. Das erste Mal hatte den Zweck, mich dem Residenten
(Statthalter) der Provinz vorzustellen, weil dieser in civilen Ange-
legenheiten gewissermaassen mein Chef war.
Nachdem ich zu meiner üeberraschung meinen Vorgänger nicht
nur beim besten Befinden getroffen, sondern auch von ihm ver-
nommen hatte, dass er schon seit einigen Wochen einer relativ
günstigen Gesundheit sich erfireue, ging ich nach Hause ins Hotel,
um ein erfrischendes Bad zu nehmen und hierauf trockene Leib-
wäsche anzuziehen. Das Hotel wurde von Frau X . . . geleitet,
während ihr Mann gleichzeitig Schiffshändler und Kaufmann war;
er hatte im Hotel einen Laden, in dem man einfach Alles zu
kaufen bekam; es war ein »Töko«, wie sie überall in Indien ge-
funden werden. Abgesehen von einigen Modistengeschäften in den
grossen Städten, wie Batavia u. s. w., kennt der Detailhandel in
Indien keine Specialitäten. In einem Töko findet man Papier,
Bücher, Gewehre, Oonserven, Leinwand, Schuhe, Hüte, Lampen,
Gläser, Porzellanwaaren, Petroleum, Käse, Butter, Thee, Kaffee u. s.w.
Natürlich hatte sich wie ein Lauffeuer die Nachricht verbreitet,
dass ein neuer Arzt angekommen sei, und Jeder beeilte sich, diesen
zu Gesicht zu bekonmien. Jeder hatte also diesen Abend in diesem
Töko etwas zu kaufen; der Eine eine Kiste Oigarren, der Andere
eine Schachtel Maschinenzwim und der Dritte bestellte eine Kiste
Apollinaris -Wasser u. s. w.
Die Wirthin, eine schöne und stattliche Nonna,^) sass unter-
>) Halbeuropäerin.
Polizeifloldaten. 223
dessen bei uns in der Veranda und theilte uns yon Jedem, der in
den Kaufladen trat, alles Wissenswerthe mit; unglaublich schienen
mir die Mittheilungen über den Herrn D . . .: »37 Jahre befindet er
sich schon in Tjüatjap und ist nur gesund, wenn er hier ist; jedes
Jahr geht er auf die Beise, und kaum hat er Tjilatjap hinter sich,
so beginnt er sich unwohl zu fühlen und bekommt das Fieber.
Dasselbe ist der Fall mit dem Herrn K . . ., der schon 17 Jahre
hier wohnt und, wie Sie soeben sahen, sich eines sehr gesunden
Aussehens erfreut; er hat eine schöne Tochter, welche hier geboren
ist, und ebenso wie die zwei Töchter des Herrn D . . . nur hin und
wieder ein paar Tage lang Fieber haben; sie nehmen 20 Chinin-
pillen und bleiben dann wieder für viele Monate toi^ den Fieber-
anfällen yerschont.« Dies waren sehr ermuthigende Worte, besonders
für meine Frau, welche sich früher in den G-edanken eingelebt hatte,
niemals dieses »verwünschte Fiebemest« bewohnen zu müssen, weil im
Jahre 1887 die Garnison aus Gesundheitsrücksichten eingezogen
worden war. Die Begierung schickt jedoch seit dieser Zeit inuper
einen Militärarzt dahin, weil sich kein Civilarzt bis jetzt dort ange-
siedelt hat. Die Zahl der Europäer in Tjilatjap und seiner Um-
gebung und die der Chinesen ist nämlich zu klein, um einen Civil-
arzt zu veranlassen, für ein Erträgniss, das kaum die Bedürfoisse
des täglichen Lebens decken würde, Leben und Gesundheit aufs
Spiel zu setzen. Die Garnison war zwar aufgehoben, aber die
zahlreichen militären Gebäude bestanden noch; auch die Küsten-
Batterien, welche den Eingang in den Canal beherrschten, waren
noch nicht entfernt und bedurften einiger Soldaten zur Bewachung;
diese wenigen Soldaten standen unter dem Befehl eines Ober-
lieutenants »der Genie«. Uebrigens vertraten 80 Mann Prad-
jurits die bawafiEhete Macht; das sind nach europäischen Begriffen
Polizeisoldaten, welche den Yerwaltungsbeamten zur Seite stehen
und in erster Beihe den Bewachungsdienst in den Gefängnissen und
den Transport der Sträflinge zu besorgen haben. Ihre militärische
Ausbildung erhalten sie von einem europäischen OfQcierstellvertreter,
und im llebrigen unterstehen sie in allem und jedem dem Assistent-
Residenten. Nur findet über ihre militärische Ausbildung eine
jährliche Lispection von Seiten des jeweiligen Adjutanten des Landes-
Commandirenden statt. Dies ist natürlich eine im Princip ganz
verfehlte Organisation, wenn der Assistent-Resident es nicht gelernt
hat, ein Conunando über 80 Mann zu führen. Ich will zwar zu-
224 PoliseuoldAten.
gebellt dass, wenn in ernstlichen Fällen der Beamte die Hülfe des
Militärs anniflby wie es z. B. bei einer Henterei afirikanischer Ma-
trosen im Hafen geschah^ dieses höchstens ein Beweis für ge-
ringes Yertränen zn dem Muthe dieser Polizeisoldaten sei; aber es
ist geschehen, dass der Instnicteur von Dorf zu Dorf gehen und
jeden einzelnen Mann anfsnchen und überreden musste, sich recht-
zeitig anf dem Platz der Inspection einzofinden, und dass dem-
ungeachtet der Inspectenr zor angesagten Stunde nicht die ganze
Mannschaft anwesend fand, sondern Alle einzeln wie rerirrte Schafe
erschienen.
Wenn diese Polizeisoldaten in Casemen wohnten und ihren
InstmctenreiP auch in jeder Hinsicht, also auch in disciplinaren Ver-
gehen untergeordnet wären, d. h. mit anderen und wenigen Wor-
ten, wenn sie G^nsdarmen wären, wie sie in zahlreichen euro-
päischen Staaten bestehen, dann würden sie nicht nur bessere
Dienste leisten, sondern auch einem dringenden Bedürfnisse ent-
sprechen. Der antimilitärische Geist der Holländer macht sich auch
in dieser Hinsicht in unangenehmer und fühlbarer Weise geltend.
Der Assistent-Besident X . . ., der damals in Tjilatjap residirte, war
gewiss ein Ehrenmann, er war als Beamter gewiss, so weit ich
urtheilen kann, seinen Aufgaben voUkonmiien gewachsen und lebte
nur für seinen Dienst; und doch waren die Pradjurits damals eine
Oaricatur von dem, was sie sein sollten; sie machten von der
Zwitterstellung ihres Instructeurs Missbrauch, und dieser selbst —
war. froh, jeder Verantwortlichkeit enthoben zu sein. Wenn jedoch
der Instructeur auch das Becht des Strafens hätte, und wenn sie
in Oasernen wohnten, welche ebenfalls ein militärisches Begle-
ment hätten, und wenn alle Befehle des Beamten durch die Hände
des Instructeurs gingen, dann hätte auch Indien ein« Corps von
Gknsdarmen, welches nach vielen Seiten hin erspriessliche Dienste
leisten könnte; denn die Polizisten der grossen Städte und des
flachen Landes sind nichts anderes als personliche Bediente des
Beamten und erfreuen sich gar keines Ansehens und gar keiner
Autorität. — Die Uniform der Pradjurits ist die des Militärs aus
den siebziger Jahren; dunkelblaue Kleider aus Serge mit einem
Kopftuche unter dem Käppi; dieses ist nach der Weise der Javanen
um den Kopf geschlungeix. Die Bewaffnung ist dieselbe wie die
der Armee; sie haben Hinterlader und Bajonette.
In TJUa^ap. 225
Am andern Morgen stellte ich iftich dem Assistent-Besidentei)
vor und liess den Platz-Commandanten wissen, dass ich angekonmien
sei, um den Dienst von Herrn Dr. W. zu übernehmen. Beide Herren
waren nämKch niedriger im Range als ich, und nach den gesetz-
lichen Bestimmungen ist es hinreichend, dass in einem solchen Falle
der höhere Offider schriftlich davon Nachricht giebt. Weil der
Dienst eines Oberarztes reglementär ganz derselbe wie der eines Be-
gimentsarztes ist, so geschieht es sehr häufig, dass in kleinen Gar-
nisonen der Platz-Commandant niedriger im Bange oder Anciennität
ist, als der zugetheilte Militärarzt. Aus einer falsch angebrachten
Gemüthlichkeit lassen die Militärärzte in der Begel diesen Ban^-
unterschied aus den Augen und halten sich z. B. mehr an die herr-
schende bürgerliche Gewohnheit, dass der zuletzt Angekommene bei
den anwesenden Officieren sich zuerst Yorstelle u. s. w. Dies ist die
Hauptursache, dass die Officiere der >bewa£fheten Corps« sich so oft
über das antimilitärische Benehmen der Militärärzte lustig und da-
von manchmal Missbrauch machen. Es entstehen dadurch unan-
genehme Streitigkeiten, worunter auch der Gang des Dienstes leiden
muss.
Der Platz-Commandant konnte nicht zu mir kommen, weil eit
am lieber litt und an diesem Tage sich zur Abreise von Tjilatjap
rastete. Ich ging also zu ihm hin und besprach noch einige Fragen
über die Abreise meines Vorgängers und über sein Haus, wel-
ches mir zur Miethe angeboten wurde. Dieses lag nämlich in jenem
Theile der Stadt, in welchem sich die Casemen und Wohnungen der
Of&ciere befanden, und welches wegen des dort herrschenden MaTaria-
Fiebers von der Garnison verlassen werden musste. Das Flüsschen
(Kali) Osso trennte diese beiden üblicherweise so scharf auseinan-
der gehaltenen Theile Tjilatjaps und zog hinter dem Hause des
Lt. G. vorbei. Im Westen dieses Flüsschens lag, wenn ich mich
dieses Ausdruckes bedienen darf, das bürgerliche Tjilatjap. Einen
überraschend schönen Anblick bietet die Stadt, wenn man des Mor-
gens früh aus dem Hotel tritt und sich der Wohnung des Assistent-
Besidenten nähert; vor uns zieht in gerader Linie eine vielleicht
mehr als I1/2 Kilometer lange Strasse, begrenzt von hohen, mäch-
tigen Kanariebäumen (canarie communis). Zur rechten Hand schliesst
das Haus des Officiersclubs mit der Insel Nussa !^ambangan im
Hintergrunde diese schöne Allee ab; im Osten derselben liegt das
Bureau imd das Wohnhaus des Assistent-Besidenten mit wunder«
Breit entt «in, 21 Jahr« in Indien n. 16
226 ^^ TJÜAtjap.
schönen Blumenbeeten im G-arten, und zur Seite desselben eiöffiiet
sich die AusScht über die schmale Wasserstrasse mit den wildroman-
tischen Ufern der genannten Inseln im Süden. Das Bauschen der
Brandung an der jenseitigen Küste erschüttert die Luft um so
imposanter, als die schäumenden und strömenden Wogen nicht ge«
sehen werden. Zur Linken zieht diese schöne Allee in beinahe
geometrisch gerader Linie nach Norden und zeigt uns im Hinter-
grunde den Palast des Regenten mit seinem grossen Along-*along
(Schlossplatz). Auf der linken Seite führt eine kleine Strasse zum
Bahnhof und eine zweite zum neuen Hafen, welcher in der Mün-
dung des Flusses Donan liegt. Es ist ein Meisterstück des mo-
dernen Hafenbaues.
Die Schiffe liegen mit ihrem Bord an dem Bande der Quais,
und die Waaren, welche in einem Waggon der Eisenbahn ankommen,
können von diesem direct durch einen Dampfkrahn in das Schiff
geladen werden. Ich sage: können; denn es geschieht leider nicht.
Dieser Hafen wurde ursprünglich angelegt, um die Producte des
Landes, wie Kaffee, Zucker, Thee, Indigo u. s. w. aus Mittel-
Java bequem und billig nach der See transportiren zu können; es
wurde aber die Rechnung ohne den Wirth gemacht.' Zahlreiche
Zuckerfabriken, Kaffeepflanzer u. s. w. arbeiten nicht mit eigenem
Gteld und haben grosse Vorschüsse von den diversen Banken,
welche sich in Samarang (Nordküste) befinden. Diese Stadt hat
jedoch keinen modernen Hafen; die Schiffe liegen vielleicht eine
Stunde weit von der Küste entfernt. Der Transport der Waaren
und*der Personen von der Küste auf die Rhode geschieht durch
Dampf barcassen, welche direct oder indirect im Besitze dieser Banken
sind. Diese geben also keine Vorschüsse, wenn nicht der Schuldner
sich verpflichtet, seine Producte auf der Nordküste (in Samarang) ein^
schiffen zu lassen. Dadurch wird natürlich das Erträgniss der Trans-
portgesellschaften in seiner alten Höhe erhalten und — der schöne
Hafen Tjilatjap wird wenig benutzt. Dazu konmit noch ein zweiter
Uebelstand. Im Jahre 1890 sollte der letzte Theil der Eisenbahn
gebaut werden, welcher die Nordküste zwischen Batavia via Tjilatjap
und Surabaya mit der Südküste verbinden sollte; die Ministerien des
Krieges, des Innern und der öffentlichen Bauten stritten sich über
den Punkt, bei welchem der letzte Theil, welcher von Bandong
kam, sich anschliessen sollte; die Wahl fiel auf Maos, zwei
Stationen nördlich von Tjilatjap. Die beiden Züge von Batavia
Sehenswürdigkeiten von Tjilatjsp. 227
iind Surabaya treffen hier in Maos Abends um 6^3 Uhr ein
lind fahren in der Nacht nicht weiter. Die Begiterung hat also
in Maos ein grosses Hotel gebaut und dessen Verwaltung u. s. w.
einem Pächter übergeben; die Passagiere yerbringen den Abend so
gut es geht mit Spazierengehen rund um das Hotel und setzen am
.andern Tage die Beise fort. Zu einem Ausflug nach Tjilatjap
ist keine Gelegenheit gegeben, und dieser schöne Hafen mit
seiner reizenden Lage, mit den wundervollen Höhlen auf Nussa-
Kambanjan bleibt Torschollen und imbeachtet von der grossen Menge
der Reisenden, welche eine E.eise von Batavia nach ourabaya lieber
in einem Waggon zurücklegen, als sich vielleicht drei oder vier Tage
lang auf einem Schiffe den Unbilden der Seekrankheit auszusetzen.
Wenn sich in Tjilatjap ein unternehmender Mann fände, die
Sehenswürdigkeiten und Schätze der Umgebung dieser Stadt dem
grossen Strome der Beisenden zu eröffnen, welche täglich um 6^/a Uhr
in Maos ankommen, würde es nicht geschehen, dass täglich Hunderte
von Beisenden an Naturschönheiten vorbeiziehen, welche in Europa
jährlich Tausende und Tausende von Touristen dahin locken würden,
und die Stadt würde sich zu einem Emporium der Südküste Javas
^erheben. Die Tropfsteinhöhle der Insel Nussa-Kambangan und das
Pfahldorf der Kindersee wird das Ziel des einen Tages, und die
wildromantische Scenerie von Karang Belang der Endpunkt eines
izweiten Ausfluges sein. (Leider ist das Beisen in Lidien theuer;
•eine Fahrt nach der Hauptstadt Banjumas kam auf 20 fl. zu
stehen, wozu noch die Unkosten des Hotellebens gerechnet werden
müssen.) Die ganze Provinz ist übrigens reich an Sehenswürdig-
keiten. Das Dienggebirge (2045 Meter hoch) mit seinen ausge-
brannten «Vulcanen, mit seinen Solfataren (von Segarawedi), mit
seiner Mofette (das Todtenthal Pakaraman^) entzücken das Herz
eines jeden Touristen, und wenn wir ihre Beschreibung in dem
Meisterwerke des Prof. Veth lesen, können wir nur bedauern, dass
•dies Wunderspiel der Natur jenseits der grossen Heereswege liegt,
^) Hier wächst auch der Ilpasbaum (Antiaris toxicarica), dessen Wurzehi
•einen giftigen Saft enthalten, welcher früher zum Vergiften der Pfeile ange-
wendet wurde. Selbst seine Ausdünstungen wurden für giftig gehalten; wenn
sich dieser Baum in der Nähe einer Mofette befindet, kann leicht dieser Irrthum
«entstehen.
16*
228 Sehenswürdigkeiten von Ijilatjap.
welche mit Eisenbahnen die grossen Städte Javas untereinander
verbinden.
Das militärische Tjilatjap lag im Osten des Flüsschens Osso
und war mit einer steinernen Bracke mit dem »Seestrand« verbun-
den, welcher von hier ans längs des Officierclnbs nach der Mün-
dung des Flusses Denan sich mehr als 1 ^/s Kilometer weit erstreckte.
Kam man über die Brücke, so hatte man zu seiner Rechten das grosse
Lagerhaus, in welchem der Gouvernementskaffee aufgespeichert und
von Zeit zu Zeit an den Agenten der »Handelsmaatschappq« abge*
liefert wurde, weiterhin die Casemen und vis-ä-vis das Militär-
spital und die Wohnungen der Officiere.
Das Militärspital war seit dem Verlassen der Garnison zu einem
Marodensaal degradirt worden und bestand hauptsächlich (gegenüber
dem Eingänge) aus einer Apotheke, einem Bureau für den »Eerst-
aanwezenden Officier van G^zondheid« und einem Zimmer für
kranke Soldaten oder Pradjurits. Bald zeigte sich jedoch die
Unzulänglichkeit eines Marodensaales. Es wurde nämlich, wie
schon erwähnt, der letzte Theil des Eisenbahnweges gebaut, welcher
in einem grossen Bogen die zwei Städte der Nordküste, Batavia und
Surabaya» mit dem Süden der Insel verbinden sollte. 2iahlreich
waren die Fälle, dass Arbeiter verunglückten und mir zur Behand-
lung gebracht wurden. Dies geschah auch von Seiten der Schiffe,,
welche das Material für den Bau der Eisenbahn u. s. w. in den Hafen
brachten. In einen Marodensaal dürfen keine bürgerlichen Kranken
aufgenommen werden. Die ersten Fälle brachten mich also in Ver-
legenheit, aus welcher mir jedoch der Assistent-B.esident half; es
waren arme Kulis; ich nahm sie in dem »Ziekenzaal« auf, und auf
Befehl dieses Magistrates kamen sie in den Bestand des Spitals für
Prostitues, welches einen halben Kilometer davon entfernt war.
Sträflinge brachten ihnen die Kost, welche ihnen auf B^chnung
dieses Spitals verabfolgt wurde, während die Krankenwäsche, Medi-
camente u. s. w. aus dem Bestände des Marodensaales geliefert wur-
den. Die Medicin konnte ich de jure verabfolgen. Ich musste
eo ipso jeden Monat eine Rechnung für (an die arme Bevölkerung)
abgelieferte Medicamente einreichen, welche dann mit dem Departe-
ment des Innern verrechnet wurde; im Uebrigen besprach ich diese
Sache mit dem Platz-Commandanten, welcher im Interesse der Mensch-
lichkeit keinen Einwand machte, um so weniger, als ich ver-
Officiere in Giyilkleiduiig. 229
sprach, die Erhöhung des »Ziekenzaales« zu einem Spitale zu yer-
anlassen, in welches, de jure, civile Patienten aufgenommen werden
Jcönnen.
Grössere Schwierigkeiten bereitete mir jedoch die Aufnahme
zahlungsfähiger Bürger; diese mussten für ihre Verpflegung selbst
sorgen, und mir erübrigte nur die ärztliche Hülfe. Als mir jedoch
eines Tages vom Agenten der Schififahrtsgesellschaft Nederland ein
KuK geschickt wurde, dem im Schiffsraum das Schienbein zertrüm-
mert worden war, konnte und woUte ich die Verköstigung dieses Patienten
nicht auf mich nehmen und vertraute sie dem »Mandur« des Spitals
für Prostitues an, welcher den Betrag hierfür bei mir jede Woche
•eincassirte. Sobald als mö^ch leitete ich also die nöthigen Schritte
ein, um aus dein Marodensaal ein Spital 6. Classe machen zu dürfen,
uDd am 30. September kam der Bescheid von der Begierung zu-
rück, welcher dieses erlaubte und gleichzeitig die Vermehrung des
Dienstpersonals in Aussicht stellte. Denselben Abend aber kam
auch der Landes-Commandirende an, um Inspection zu halten. Ich
und der Platz-Commandant erwarteten ihn in Qalatenue an der
Station. Einige Stunden später kam der Tagesbefehl, »der General
wünschte, dass wir in unserer »Tenue« blieben, als ob Seine
Hochwohlgeboren nicht anwesend wäre«, und der Platz-Commandant
fügte bei: also gewöhnliche Tenue. Als Chef des Maroden-
zimmers wäre ich für die Beinlichkeit nur dieses einen Saales
yerantwortUch gewesen; als Chef des Spitals jedoch musste ich
für die Beinlichkeit des ganzen, alten, halbverfallenen Gebäude-
Complexes sorgen. Ich hatte aber noch nicht das nöthige Dienst-
personal. Um jedoch wenigstens den gröbsten Schmutz des alten,
verlassenen, öden Spitakaumes wegschaffen zu lassen, verschaffte
ich mir vier Kulis und liess sie um 6 Uhr früh unter Aufsicht eines
Krankenwärters die Wege fegen u. s. w. Zur grösseren Sicherheit
jedoch ging ich um 6 Uhr dahin und sorgte, dass unter meiner
persönlichen Aufsicht so viel als möglich gereinigt werde. Im
Eifer meiner Arbeit vergass ich die Zeit, und als es 8 Uhr schlug
— stand der General mit dem Adjutanten und dem Platz-Com-
mandanten vor der Thür, und ich war noch in Bürgerkleidung (!).
Dafür bekam ich in die Conduiteliste: Militärisches Benehmen
tadelnswerth und zeigt Mangel an Diensteifer, weil das Spital
bei der Inspection des Landes - Commandirenden Spuren von
230 Officiere in Civilkleidoog.
mangelhafter Aufsicht trug und er in CÜTilkleidung war, obwohl
die Inspection angesagt war!!
Auch wurde ich dafür »unwürdig und ungeeignet« erklärt^
einen höheren Bang zu bekleiden. Ja, wenn man einen Hund
schlagen will, findet man immer einen Stock.
Das Beglement :»über das Tragen Civilkleider von Officieren«
gestattet den Officieren der Genie, den Militärärzten, den Zahl-
meistern, sowie auch den Officieren des Stabes und allen Arten,
welche nicht unmittelbar loit den Truppen in Beziehung stehen, bef
ihren täglichen Arbeiten von der Ciyilkleidung Gebrauch zu machen..
Diese Erlaubniss erstreckt sich jedoch nicht auf Inspection, es sei,,
dass das Gegentheil speciell erlaubt wurde. Ob ich in dem ge-
gebenen Falle im Eifer des Dienstes die gesetzlichen Bestim-
mungen vergessen und dagegen gesündigt hatte, will ich unerörtert
lassen. Aber vielfach wurde die Zweckmässigkeit dieser gesetzlichen
Bestimmung in Frage gestellt, ja noch mehr, man trachtete diese
Begünstigung (?) der Aerzte in den letzten Jahren direct oder in-
direct zu beschränken. Man glaubte nämlich, dass dem Militärarzt
durch die Uniform ein gewisses Prestige gegeben werde, we]chea
unerlässlich für seine oft schwierige Stellung sei. Dies ist nur
theoretisch wahr und richtig. Factisch hängt dieses ganz und allein
von der Individualität des Militärarztes ab, und zwar schon darum,
weil höchstens »in den ersten Wochen der Dienstzeit die Uniform
einem Becruten imponirt; weiterhin gewiss nicht mehr; ich kenne
einen Fall, dass einem Begimentsarzte das Wort Charlatan von
einem Patienten zugerufen wurde, trotzdem er in Uniform war.
TCin anderer Einwand ist juridischer Natur. Die Disciplin mus»
leiden, wenn dem Soldaten bei Uebertretung der Subordination die
Ausrede gelassen wird, er hätte nicht gewusst, dass der Betreffende
ein Officier sei, weil er nicht in Uniform war. Wenn es eine Aus-
rede ist, kann ja das Ejiegsgericht in seinem Urtheil diesem Bech-
nung tragen. Auch der Truppenofficier geht in seinen dienstfreien
Stunden in Civükleidung. Es ist nur zu oft geschehen, dass Soldaten
Officiere in Civilkleidung beleidigten. Da es leicht .nachzuweisen
war, dass der Uebelthäter diesen Officier als Officier gekannt hat,,
so wurde diese Ausrede nicht weiter berücksichtigt.
In der Begel wird dasselbe bei dem Militärarzte der Fall
sein. Der Delinquent ist in den meisten Fällen in Behandlung:
Officiere in Ginlkleidimg. 231
dieses Militärarztes gewesen und kennt ihn. Die mala fides ist also
bewiesen, und das Ejiegsgericht ist in seinem Urtheile nicht einge-
schränkt. In den Tropen ist es warm, und man trauspirirt sehr
stark; der Uniformrock ist also geradezu hinderlich. Ich sah oft
junge Militärärzte, welche aus leicht begreiflicher Ursache gern die
Uniform tragen, im Eifer ihres Dienstes den Uniformrock ausziehen,
wenn er sie in einem gegebenen Augenblicke hinderte, und man sah
dann ein vom Schweisse durchtränktes Hemd, welcher Anblick gewiss
ebenso unästhetisch als unangenehm war. Die Bewegung in der Civil-
kleidung, und besonders im Jaquet, ist freier und auch bequemer, weil
der Arzt in einem solchen genug Taschen hat, um die unentbehr-
lichen Instrumente, als : Stethoskop, Hammer und Pravazische Spritze
und auch seine Gigarrentasche, Sacktuch und event. das Receptbuch,
dtets bei der Hand zu haben. Es war also bis vor wenigen Jahren
Usus, dass die Militärärzte in weisser Hose und schwarzem Jacket
ihren Dienst verrichteten. Mit den Fortschritten der Bacteriologie
begann vor ungefähr drei Jahren ein Sturm gegen den Gebrauch
des schwarzen Rockes, als den Träger aller pathogenen Bacterien
und als den Vermittler aller ansteckenden Krankheiten. Ob dies,
in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, richtig sei oder nicht,
will ich dahin gestellt sein lassen; aber Thatsache ist, dass in
allen Operationszimmem und in allen Abtheilungen für ansteckende
Ejrankheiten Kittel zur Verfügung des Arztes stehen, so dass
eine solche G-efahr nicht zu bestehen braucht. Itoi Jahre 1894
wurde eine neue Uniform in der Armee eingeführt, und den Offi-
cieren für die :&kleinen Dienste« weisser Uniformrock, Hose und
Helmhut gegeben ; den Militärärzten wurde durch sanften Druck an-
heim gestellt, von der gesetzlichen Begünstigung, den Spitaldienst in
Civilkleidem versehen zu können, keinen Gebrauch zu machen, weil
mit der Einführung der weissen Uniform jede Ursache dazu ge-
nommen sei, ja noch -mehr, die weissen Kleider seien für den Mi-
litärarzt geradezu die angezeigte und einzige praktische Kleidung,
weil sie gewaschen werden könne. Dies ist gewiss unrichtig imd
falsch; denn zahlreich sind die Gefahren, welche den weissen Böcken
eines Arztes drohen. Beim Ausspritzen der Ohren, beim Tou-
chiren der Kehle, beim Beinigen eines Auges u. s. w. kommen
Flecken von Lapis, Jodtinctur u. s. w. in den Bock. Der Kranken-
kittel oder die grosse Schürze sollen ihn vor diesen Schädigungen
seines Bockes schützen, und dennoch — hatte ich z. B. keine ein-
232 Officiere in Civilkleidiiog.
adge weisse Hose, welche i^icht schon nach wenigen Wochen Ton
Jodtinctur,. Tinte u. s. w. gezeichnet war. Dieselbe Gefahr droht dem
Bock. Reinlichkeit und tadellose Kleider sind aber unTermeidlich
mit der Idee Uniform verbunden, und wenn ich auch manchen Offi-
cier kannte, der nach drei Tagen ebenso nette und sauber weisse
Hosen hatte, als ich nach drei Stunden, so sah ich selten einen
Arzt ohne Flecken auf seiner weissen Hose. Nebstdem geschieht es
häufig; daas die Menschen unter den weissen E^leidem kein Flanell-
leibchen und keine Unterhosen tragen. Greradezu widerlich ist der
Anblick eines solchen Rockes, welcher durch den Schweiss gezeichnet
ist, und geradezu gefährlich kann eine solche E^eidung werden, wenn
ein . kalter Wind die durchnässten Eleider auf dem Körper zum
raschen Verdunsten bringt.
Das gesellschaftliche Leben in Tjilatjap beschränkte sich auf
den Verkehr mit einigen Beamten, dem Platz-Commandanten und
einigen Handelsleuten. Zu den ersteren gehörten der Assistent-
Resident und der Chef-Ingenieur der EisenbaJm.
Der Assistent-Resident C . . . war ein Halbeuropäer. Da er
seinen Beruf mit voller G-ewissenhafidgkeit erfüllte und oft Anlass
nahm, mit mir darüber zu sprechen, bekam ich einen Einblick in
den Wirkungskreis der Verwaltungsbeamten. Ich finde die Stellung
eines solchen geradezu ideal; er ist ein Patriarch stricte dictu.
Patriarchalisch ist ja überhaupt die indische Regierung, und der
Resident der Provinz Banjumas ist gewissermaassen der Ober-
patriarch über die 1,213,792 >) Einwohner, welche diese Provinz zahlt;
wenn ich mir jedoch eine Vei^ieichung mit der militärischen Organi-
sation erlauben darf, so ist der Resident der Bataillons-Commandant
und der Assistent-Resident der Commandant der Oompagnie. Dieser
letztere ist also mehr im Contact mit dem kleinen Mann; er lernt
die Leiden und Freuden seiner Unterthanen aus erster Quelle
kennen, und das Wohl und Wehe der ganzen Bevölkerung findet
in ihm einen Beschützer, wenn er seine Stellung richtig erfasst.
Nominell steht der kleine Mann unter der Herrschaft des einge-
borenen Fürsten, welcher Beamter der holländischen Regierung ist.
^) Die Provinz Banjamas ist 10t,oi8 Quadrat-Meilen gross und zählt 989
Europäer, 5033 Chinesen, 7 Araber, 123 Orientalen und 1,207.690 Eingeborene.
i
I
.8
Eingeborene Beamte. 233
Dieses weiss er und fühlt es täglich. Es ist ihm aber auch bekannt^
•dass jener »der jüngere Bruder ist«, dem der europäische Beamte
als älterer und erfahrener Bruder in allen Verwaltungs-Angelegen-
heiten rathend zur Seite stehen muss. Der Tact, mit welchem
der Assistent-Besident dieses Princip in Anwendung bringt, ermög-
licht ihm, ein Wohlthäter seines Bezirkes zu sein, denn in jedem
der eingeborenen Fürsten sitzt noch immer der alte Tjrrann, der
den »kleinen Mann« als recht- und schutzloses Wesen betrachtet.
Trotzdem sieht dieser in dem Begenten den angestammten recht-
massigen Herrscher, dessen Antlitz er nicht einmal würdig ist zu
sehen, und nur sehr selten wird er es wagen, sich über ihn zu be-
klagen. Dieses Gefühl der Anhänglichkeit an den angestammten
Herrn wird natürlich genährt von den Fürsten, trotzdem sie Beamte
mit sehr hohem Grehalt sind, und von der Geistlichkeit. Diese
sehen sich als Verkünder des reinen Gottesglaubens im Gegensatz
zu den Kafirs, und sind also per se die Bundesgenossen der Häupt-
linge. Von der Autorität der eingeborenen Fürsten gegenüber dem
Gros der Beyölkerung zieht Holland den grössten Nutzen; es ist
dadurch im Stande, mit einer Armee ron imgefähr 15,000 euro-
päischen Soldaten nicht nur die 26,000,000 Seelen Javas, sondern
auch den ganzen indischen Archipel zu beherrschen. Dies ist der
punctum saliens der indischen Begierungsweisheit, die Autorität der
Fürsten nicht zu untergraben, und andererseits den kleinen Mann
gegen die Willkür und Despotismus seiner Häuptlinge zu beschützen;
dazu gehört Tact und zwar sehr yiel Tact von Seiten des Assistent-
Besidenten. Dass im Ganzen und Grossen die Mehrzahl dieser
Beamten diese Boutine besitzt, und dass das Begierungsprincip
«in richtiges sei, dafür spricht der Erfolg. Indien ist in diesem
J^Jirhundert ein blühender Staat geworden, und die Sicherheit der
Person ist — grösser als in Europa.
Wie viel jedoch ohne Wissen und Willen der Begierung gegen
das Begierungsprincip der europäischen Beamten gesündigt wird,
lässt sich schwer beurtheüen; viel ist es nicht, weil vom »Beamten
zur Verfügung« bis zum Besidenten Jeder seine Spione hat; aber
es kommt manchmal vor, dass die Politik des Strausses die Bicht-
schnür eines Beamten ist, weil er sich dadurch viel Arbeit und
»£lusah«>) erspart. Wenn z. B. der Besident in einen Bezirk zum
>) r^ Schwierigkeiten.
234 Eingeborene Beamte.
Besuche kommt und einige Tage bei dem Regenten wohnt, der unge-
fähr 12,000 Oülden jährlichen Gehalt hat, so wird dieser Häuptling
die Hühner für seinen Gast von dem kleinen Mann ohne Bezahlung
verlangen, weil doch auch dieser »hoch erfreut über die Ehre des
hohen Besuches sein müsse«, und wenn der Gemüsegarten des
»Wedono« >) vom Unkraut gereinigt werden muss, so müssen die
Bewohner der umliegenden Dörfer dieses thun, weil sonst der
Assistent über die Unreinlichkeit des Dorfes unzufrieden wäre.
Wenn der Regent eine Scheuer für seinen reifen Reis bauen will,
die vielleicht 10 fl. kosten würde, könne er unmöglich das Aner-
bieten (?) der Dorfbewohner zurückweisen, welche ihm damit eine Auf-
merksamkeit oder Ueberraschung bereiten wollen, und wenn hundert
Kuüs seinen Acker bepflügen wollen, weü sie gerade an diesem
Tage keine andere Arbeit hätten, warum sollte er es nicht an-
nehmen statt sie müssig herumgehen und vielleicht Diebstahl oder
Mord verüben zu lassen!? (Solche Herrschergelüste haben in früheren
Jahren auch die europäischen Beamten gehabt; die Journalistik
deckte jedoch diese Uebelstände schonungslos auf, und sie ver-
schwanden nach und nach.) Wo solche Erpressungen stattfinden^
kennt sie in den meisten Fällen der Controlor oder der Assistent-
Resident; aber sie wollen sie oft nicht sehen, weil sie nicht immer
— der Stütze der Regierung resp. des Residenten sicher sind. Wenn
nämlich die Regierung nicht freie Verfügung über eine genügende
Truppenmacht hat und fürchten muss, ein energisches Auftreten
nicht mit einer' oder zwei Compagnien Soldaten unterstützen zu
können, dann wiU sie von kleinen Missbräuchen der Amtsgewalt
von Seiten eines einheimischen Fürsten nichts wissen, und wenn der
Assistent-Resident einen solchen Wink nicht verstehen will, so wird
er einfach transferirt, und der schuldige Regent bekommt einen
fürchterlichen Verweis. Die Transferirung des Beamten jedoch ist
für den Nachfolger des Assistent-Residenten ein deutlicher Befehl,
durch die Finger zu s^hen, und für den Regenten der deutlichste
Beweis, in seinem Thun und Lassen von den ewigen Rathschlägen
seines :&älteren Bruders« sich nicht beirren zu lassen. Zu groben
despotischen Ausschreitungen der Fürsten« kommt es gegen*
wärtig auf Java nicht mehr, und bei kleinen Tyrannengelüsten
schliesst die indische Regierung so lange die Augen, bis sie die
^) Der Häuptling des Bezirkes mit einem monatlichen Gewalt von 100 — 200 ß.
Gehalt eines Begimentsarztes. 236
Macht hat, energisch gegen sie auftreten zu können. Leider ist sie
diesbezüglich vom Abgeordnetenhaus in Holland abhängig, und be-
Tor der Schuster und Schneider in dieser »Kammer« das nöthige
Geld zur Errichtung einiger neuen Bataillone Soldaten bewilligt,
muss die Noth sehr hoch gestiegen sein. Wenn auch nämlich der
General-GouTemeur (mit einem jährlichen Q^halt von 120,000 fl«
und neuer Einrichtung des Palastes in Buitenzorg) als Vertreter des
Königs von Holland gegenüber den eingeborenen Fürsten das Becht
über Krieg und Frieden hat und zugleich Oberbefehlshaber der
Armee und der Marine ist, so untersteht er doch der Oberaufsicht
des Ministers der Colonien, und dieser ist wiederum der Majorität
des Abgeordnetenhauses für dessen ganzes Thun und Lassen in den
Colonien verantwortlich; dieses Verhältniss veranlasste also die in
Lidien landläufige Phrase: Ueber das Schicksal von Millionen Javanen
entscheidet der Greisler (Kruidenier) in Holland.
Der erwähnte Oberingenieur, welcher den Bau der Eisenbahn
zwischen Tjilatjap und Bandong leitete, ist seit dieser Zeit gestor*
ben; er war ein tüchtiger Ingenieur, ein Ehrenmann imd hat mich
zu grossem Danke verpflichtet. Er hat mir nämlich in liebenswür-
diger Weise staatliche Anerkennung, und zwar in klingender Münze
verschafft. Die Einkünfte eines Begimentsarztes sind in Lidien
nicht schlecht; aber ich hatte durch die Erkrankung meiner Frau
ausserordentliche Ausgaben, und somit waren ausserordentliche
EiBnahmen mehr als erwünscht. Der Normal-Monatsgehalt eines ,
Begimentsarztes ist nämhch 400 fl. ; nach 8 jähriger ununterbrochener
Dienstzeit bekommt er die erste Zulage von 25 fl. monatlich, nach
12jäbriger Dienstzeit weitere 50 fl. und nach 4 Jahren wieder 25 fl.
Erhöhung; nebstdem bezieht er als Zulagen monatlich: 30 fl. für
Pferdefourage, 50 fl. für civile Dienste und freie Wohnung oder
60 bis 100 fl. Quartiergeld, je nachdem er sich in einer grösseren oder
kleineren Garnison befindet. Für einen ledigen Begimentsarzt, der
standesgemäss leben will, ist dieser Gehalt mehr als hinreichend;
denn er kann gewiss jeden Monat wenigstens 100 bis 200 fl. ersparen.
Ein verheirateter Begimentsarzt kann, wenn er auch zwei bis drei
Kinder hat, ohne Sorgen davon leben, und selbst bei einer grösseren
Zahl von Kindern braucht er keine Schulden zu machen, wenn
er einen bescheidenen Haushalt führt, d. h. keine Equipage hält,
wenig Conserven gebraucht, kerne feinen Weine trinkt und eventuell
236 Gehalt eines Begimentsarztes.
die SQeider seiner Frau aus Europa kommen lässt. Wohnt er in
einem Orte, wo kein zweiter Arzt ist, dann wird allerdings in den
meisten Fällen eine Equipage nöthig sein. Die Unkosten einer sol-
chen sind jedoch nicht hoch, vielleicht 20 bis 30 fl. pro Monat, und
werden natürlich durch die Privatpraids reichlich aufgewogen.
Auch ich hatte eine kleine Priyatprazis in Tjilatjap, obwohl mein
Vorgänger sich dieser Gunst des Schicksals nicht erfreuen konnte.
Ich schreibe dies der Thatsache zu, dass ich die Bestimmungen der
Armenpraxis nicht engherzig au£Fasste. Wie schon früher erwähnt,
haben die Armen und die europäischen Beamten mit einem Ge-
halte unter 150 fl. pro Monat Recht auf freie ärztliche Behandlung
und Medicamente. Nach einer Bücksprache mit dem Assistent-Re-
sidenten war es mir ganz überlassen, diese gesetzlichen Bestimmun-
gen so weit als möglich auszudehnen, und thatsächlich fand dies-
bezüglich niemals eine Controle statt. Am Ende eines jeden Mo-
nats reichte ich die Rechnung für Medicamente ein, welche für das
Frauenhospital und »die arme Beyölkerung« abgeliefert wurde, und
diese ging zur »Regulirung« den dienstlichen Weg yom Kriegs-De-
partement zu dem des Innern. Für die Praxis aurea galten äho-
üche Bestimmungen. Ich musste am Ende eines jeden Monats eine
Liste der Arzneien und etwaiger Instrumente -anfertigen, welche ich
an Privatpersonen verabfolgt hatte, und der Betrag dafür, nach dem
officiellen Preis-Courant berechnet, wurde um 20 ®/o erhöht von dem
Zahlmeister der Garnison bei dem nächsten Monatsgehalt einge-
setzt. Im Grossen und Ganzen ist dies ein Vorgang, der eii^r-
seits an die Rechtlichkeit des Arztes appellirt, andererseits die Non-
chalance desselben unberücksichtigt lässt. Häufig geschieht es, dass
der Arzt am Ende des Monats pour acquit de conscience aus dem
Gedächtnisse zwei Listen anfertigt, wie es ihm eben einfällt; zu einer
regelmässigen Buchführung hat er weder die Zeit noch die Müsse,
und vielleicht auch nicht die Geschicklichkeit; je kleiner die Liste
ist, die er anlegt, desto besser; denn die Verrechnung von 10 Gramm
Soda z. B., von dem das Kilo 17 Cts. kostet, oder von 0'15 Gramm
Morphium ist eine langweilige Arbeit. Nebstdem werden diese Rech-
nungen in Batavia controlirt, und wenn nur V« Ot. unrichtig ist,
kommt die Rechnung zurück, und bei Wiederholung derselben schwebt
das Damoklesschwert der »oberflächlichen und nachlässigen Admini-
stration« über dem Haupte des Schuldigen. Ich kann nur auf diese
ungesunden Verhältnisse hinweisen, ohne etwas Besseres dafür mit-
An Malaria erkrankt. * 237
theilen zu können; vielleicht ist Jemand anders diesbezüglich glück-
licher.
Aber auch auf die Behandlung der Patienten wandte ich daa
Reglement der Armenpraxis im weitesten Sinne an.
Alle Arbeiter^ Tagschreiber und Aufseher der Eisenbahnwerke
behandelte ich gratis^ obschon sie keine Armen und keine Beamten
waren. Sie waren keine »Armen«, weil sie durch einen Erwerb
die Bedürfhisse des Lebens deckten, und sie waren keine Beamten,
weil sie nur per Tag angenommen und auch jeden Tag entlassen
werden konnten. Dies war das Hauptmotiv für mich, diese ephe*
meren Existenzen gratis zu behandeln. Der Oberingenieur 0. scheint
jedoch anders darüber gedacht zu haben, denn im Juli bekam
ich unerwartet den Erlass der Regierung, dass mir für die Be*
handlung des Personals, welches beim Bau der Eisenbahnlii^ie
l^atjap^Bandong beschäftigt war, eine monatliche Zuli^e von
100 fl. gegeben werde, und einen Monat später kam ein zweiter
Erlass, dass diese Zulage begonnen habe von dem Tage meiner
Ankunft in Tjilatjapü Diese Freigebigkeit ist geradezu aufEallend
gewesen, weil die indische Regierung gegenüber ihren Beamten und
Officieren schon seit ungefähr zehn Jahren die Sparsamkeit in recht
unangenehmer Weise anwendet, so z. B. giebt sie dem neueintreten«
den Apotheker keine Zulage für Pferdefourage, die Zahl der Be«*
amten wird verkleinert u. s. w.
Niemand wandelt ungestraft unter den Palmen, und Jedermann
bekommt in Tjilatjap sein Fieber. In früheren Zeiten war dieser
Ort selbst ein bevorzugter Verbannungsplatz der Fürsten von Solo
und Djocja. Missliebige Fürsten wurden von diesen beiden Potentaten
am liebsten nach Tjilatjap in Verbannung gesendet, weil sie ohne
Dolch und ohne Gift am schnellsten und am sichersten für ewige
Zeiten von dort verschwanden. Heute ist es damit nicht so arg
bestellt. Der Regent z. B. war ein kräftiger, junger Mann, der
während meines einjährigen Aufenthaltes mich nur einmal con-
sultirte imd nur dreimal Antipyrin gegen seine Fieberanfälle holen
liess.
Ich selbst glaubte von jeher immun gegen Malaria zu sein, nach*
dem ich 1877 eine schwere Krankheit durchgemacht hatte, welche
mir zwei Tage lang das Bewusstsein geraubt hatte. Nach dieser Zeit
238 ^^ Malaria erkrankt.
kabe ich beinahe jedes Jahr nur einmal einen Fieberanfall Yon 38 bis
400 init Schiittelfrost gehabt, der ohne Medicamente verschwand und
nicht wieder zurückkam. Was jedesmal dieser isolirte Fieberanfall
bedeutete, weiss ich heute ebenso wenig als damals. Ich hielt mich
also gegen das GKft der Malaria gefeit und lebte unbesorgt in
Tjilatjap.
Ich hatte schon die Durchschnittsdauer aller früheren Collegen
tiberschritten und war schon sieben Monate in Tjilatjap, ohne einen
Fieberanfall bekommen zu ]^aben; ich war gewöhnt, wie ich soeben
erwähnt habc; jedes Jahr einmal, und gewöhnlich unter dem SchiffiBbade,
einen Schüttelfrost zu bekommen mit einer Achsel«Temperatur von
ongefär 39 ^^ C; auch diese ephemeren Erscheinungen hatten sich
noch nicht eingestellt; ich fühlte mich jedoch nicht wohl; ich verlor
den Appetit, vertrug aber das Essen ganz gut; ich wurde leicht
müde, ich musste wiederholt und selbst in Gesellschaft gähnen, oft
überfiel mich ein Frösteln, ohne dass die Körpertemperatur 37 <^ C.
überstieg; die Cigarre schmeckte mir wie immer, aber gegen 11 Uhr
bekam ich Brechreiz, welcher ausserordentlich schmerzhaft war.
Der Magen war nämlich leer, seine peristaltischen Bewegungen
konnten also keinen Inhalt zu Tage bringen; ich hatte dabei das
Gefühl, als ob ein Dutzend Basirmesser durch die Magenwände
schnitten. Mir fehlte für diese Erscheinungen das richtige Ver-
ständniss; wenn ich auch an eine chronische Malariavergiftung dachte,
so schloss ich sie dennoch aus, weil ich sie für unmöglich hielt,
ohne dass eine acute Attaque vorausgegangen wäre. Ich schrieb also
alles dem »S^lima« zu. Aber nur zu bald sollte ich erfahren, dass
es eben auch eine primäre »chronische Malaria« gebe, und dass
ich ein Opfer derselben sei.
Eines Tages erhielt ich von dem Assistent-Besidenten die offi-
cielle Einladung, mit ihm das Gefängniss zu inspiciren, um etwaige
hygienische Mängel zu constatiren, und zwar sollte dies um 8 Uhr früh
stattfinden. Ich hatte meine erste Wohnung im Osten des Flüsschens
Osso verlassen, weil sie sich in einem öden, verlassenen Viertel be-
fand, und ein Haus an der grossen, schönen Strasse bezogen, wel-
ches die Wohnung des Begenten mit dem Hause des Officiersclubs
verband. Der Assistent-Besident kam, um mich mit seiner Equipage
abzuholen, und nach Ablauf der Inspection ersuchte ich ihn, en passant
bei imd mit mir das Frühstück einzunehmen. Bei dieser Gelegenheit
stellte sich ganz unvermittelt und so unerwartet Erbrechen ein, dass
An Malaria erkrankt. 239
die Eruption längs der rechten Seite meines Gastes ihren Weg
nahm und ihn beschmutzte. Hierauf hatte ich 40 ^ C. Körpertem-
peratur und zum ersten Male das ausgesprochene Bild eines acuten
Malariafiebers.
Jetzt fireilich hatte ich den Beweis, dass es eine primäre chronische
Malaria gäbe.
Meine Frau hat jedoch viel später als ich das Entröe de
campagne bezahlt; während ich Ende des Jahres 1877^ also nach
einem Aufenthalte von 13 Monaten, in den Tropen die erste nicht
unbedeutende Erkrankung mitgemacht hatte, blieb meine Frau vier
Jahre lang vollkommen gesund; ja noch mehr; während sie vor ihrer
Abreise von Holland 56 Kilo wog, kam sie nach halbjähriger An-
wesenheit auf das stattliche Gewicht von 73 Kilo und behielt seit-
dem immer circa 70 Kilo ; bis auf eine kleine Attaque von Masern
blieb sie auch vollkommen gesuud. Ich schrieb diese rasche und
grosse Gewichtsztmahme dem bequemen Leben in Indien zu. In
Holland bewohnt jede Familie ein ganzes Haus mit zwei, oft dr6i
Stockwerken. Indien hat bis auf nur wenige Ausnahmen nur
Wohnhäuser ohne Stockwerke. Da nebstdem in Holland, besonders
in grossen Städten, der Baugrund theuer ist, so werden die Häuser
hoch, und zwar auf kleiner Basis gebaut. Die Wohnräume vertheilen
sich also auf zwei oder drei Stockwerke, und die Hausfrau muss
gewiss zehn bis zwanzig Mal des Tages die Treppen auf- und ab-
steigen. Dabei sind diese Stiegen oft unglaublich steil. Das Treppen-
steigen erfordert aber noch mehr Anstrengung der Muskulatur und
des Herzens als das Bergsteigen, es ist also eine bedeutende Arbeit,
welche auf Kosten des Gesammtorganismus geleistet werden muss.
Diese Consumption des Köfperfettes kennen die Frauen in Indien
nicht, und darum ist es verständlich, wie Prof. Geer nachwies, dass
die mitüere Lebensdauer der holländischen Damen in Indien grosser
als in Holland ist. Ich möchte aber bezweifeln, ob diese Sparung
der Ej*äf(;e vor allem die Ursache ist, dass die Frauen seltener an
Fieber erkranken als die Männer. Diese Thatsache ist zwar nicht
allgemein anerkannt; aber wenn ich mein Kranken- Journal zu Bathe
ziehe, muss meine JBhfahrung dieselbe Thatsache cönstatiren; nebst-
dem ist a priori das Gegentheil nur schwer zu verstehen und zu
erklären. In allen Ständen der Gesellschaft setzt sich ja der Mann
den Schädlichkeiten des Tropenklimas mehr und viel häufiger aus
als die Frau, imd ob wir nun nach Prof. Koch die Mosquitos be-
240 An Malaria erkrankt.
f
schuldigen, die Träger des Malariagiftes zu sein, oder ob wir Abs
Trinkwass^, nnd besonders die eingeathmete Luft die Malaria-
plasknodien in unseren Korper einführen lassen, immer ist der Mann
durch seine Beschäftigung und durch seine Lebensweise mehr als
die !EVau deu Gefahren der Ii^ection exponirt.
Auch meine Frau blieb, wie oben angedeutet wurde, Tom Fieber
nicht Verschont. Sie hatte aber keinen Frostanfall im Anfange der
Krankheit, • wie es beim schulgerechten Fall geschieht, sondern wurde
kurzathmig, bekam Hustenreiz und wurde mttde; sie fühlte sdch
wie geschlagen, wurde blass im Gesicht, bekam Kopfschmerzen, der
Puls erreichte die Zahl 120, die Kespiration stieg auf 30 bis 40,' die
TlHaperatur auf 39 <^, und manchmal stellte sich Diarrhöe ein.
[Auch Dr. van der Burgi) theilt mit, dass in HoMndisch-Indien
der Fieberanfall sehr oft ohne Käitestadium verlaufe.] Wenn der
Puls kräftig war, gab ich in diesem Stadium 1 Gramm Antipyrin,
und war er minder voll, liess ich das Antipyrin mit einem Gläschen
Cognac oder Portwein nehmen. Nach wenigen Stunden war die
Temperatur auf 37*8 oder 38^ gesunken, und es trat ein gewisses
Wohlbefinden ein, welches die Patientin veranlasste, das Bett zu
verlassen. Dies dauerte einige Tage hindurch, und manchmal trat
mit dem Sinken der Temperatur eine starke Transpiration ein. Erst
als Aach dem Fieberanfalle die Körpertemperatur auf 36*6 ^ gefallen
war, wusste idi aus Erfahrung bei vielen hundert anderen Patienten^
dass der Anfall des Malariafiebers sein Ende erreicht hatte. Vier
Monatö dauerte das fieberfreie Intervall meiner Frau. Anfangs
Deoember kam der B.esident mit seiner Frau von Banjumas, um
petsSnlich mit den europäischen Familien Tjilatjaps Bekanntschaft
zu machen. Es folgten natürlich Feste auf Feste zu Ehren der
h<dien Gäste; besonders interessant war der Ausflug nach den Tropf-
steinhöhlen der Insel Kambangan und nach den Pfahlbauten in
der Kindersee. Am 6. December war ein Ball im Casino, an
dem auch meine Frau theilnahm. Aber schon nach dem ersten
Tanze bekam sie einen so heftigen Frostanfall, dass wir den Ball*
saal verlassen mussten. Im TJebrigen war der Zustand meiner Frau
deriselbe als vor vier Monaten, und zwar die *am häufigsten vor-
kommende Form von Malaria. Nur wurde diesmal die Dauer be-
deutend abgekürzt; die Frau des Residenten O. hatte beim Abschied
aus dem Ballisaale ihre Gastfreundschaft angeboten, für den Fall^
n. Theil. Seite 73.
An Malaria erkrankt. 241
als meine Frau Tjilatjap sollte verlassen müssen. Diese Dame
kannte nns erst wenige Tage, und dennoch folgte sie der Begung
ihres guten Herzens, welche ihre Basse charakterisirt, meiner Frau
für unbestimmt lange Zeit G-astfreundschaft anzubieten, »weil ihr
Hans im Gebirge lag und gewiss eine sehr geeignete Stätte war,
einen Malariapatienten von dem Fieber zu befreien«.
Frau Resident O. war nämlich eine Halbeuropäerin, welche, wie
allgemein behauptet wird, die Tugenden und Fehler der beiden
Kassen, der Europäer und der Malayen, in sich vereinigen. 6e¥ris8e
Europäer, welche in der Beschränktheit ihrer Ekfahrungen sich
gerne auf die Präponderanz ihrer Basse stützen, um mit Gering-
schätzung von den indischen Nonnas und Sinjus zu sprechen,
könnten und müssten noch vieles ^) von jenen Halbeuropäem lernen,
welche ich z. B. in Tjilatjap kennen gelernt habe, um ihnen an
Herzensgüte gleich zu kommen.
Nachdem das Fieber meiner Frau zwei Tage angehalten hatte,
entschloss ich mich, von der angebotenen Gastfreundschaft der
Frau O. Gebrauch zu machen und brachte die Patientin nach Ban-
jumas. Zu diesem Zwecke ersuchte ich den Stationschef zu Maos,
einen Wagen nach Banjumas für mich zu miethen, welchen der
Hotelier L. zu diesem Zwecke in dieser Station bereit hielt; es
war ein alter Landauer, welcher mit vier javanischen Pferden be-
spannt war. Das Gteschirr war alt und schmutzig, aber mit Windes-
schnelle flogen die kleinen Pferde über den Weg, ob es bergab oder
bergauf ging. Mit bewunderungsvrürdiger Sicherheit leitete der
Kutscher die Pferde. Als wir uns bei Glambongdem Serajothal(Fig. 16)
näherten, lag zu unserer Linken ein hundert Meter tiefer Abgrund,
der Weg krümmte sich beinahe zu einem Winkel von 90^^, mit
unerschütterlicher Buhe trieb der javanische Kutscher die Pferde
über den Bergrücken, während wir uns krampfhaft an die Wände
des Wagens fest hielten, weil wir fürchteten, aus dem Wagen in die
Tiefe des Abhanges geschleudert zu werden. Endlich erreichten wir die
Hauptstadt der Provinz, welche sich über eine ungeheure Fläche
ausbreitet. Oft sind tausend Meter zwischen zwei Häusern, so dass
Jeder eine Equipage halten muss, um nur mit seinem Nachbar ver-
kehren zu können. Die einzige Sehenswürdigkeit ist das Haus des
Besidenten, obwohl es sich in seiner Bauart gar nicht von allen
>) Vide I. Band, Seit6 145.
Brttii«Bii«|]i, 21 Jahr« Ib ladton n. 16
242 •A.n &talaria erlmakt.
übrigen Häaseni unterschied; es war im alt-griechischen Stile ge^
baut mit Torderer und hinterer Säulenhalle. Zu seiner Rechten be-
fand sich der Pavillon für die G-äste^ welcher auch meiner Frau ange-
wiesen wurde. Es waren fünf Gastzimmer, von denen eins meine
Frau bezog. Die Babu schlief vor dem fiette auf dem Boden, und
vor dem Pavillon stand die ganze Nacht die Polizeiwache.
Bewunderungswürdig war der feine Tact, mit welchem Frau
O. ihre Rechte und Pflichten als Gastgeberin gegenüber ihren Gästen
erfüllte; unter dem Verwände, im Allgemeinen meine diätetische Be-
handlung der Malariakranken hören zu wollen, suchte sie alle Ge-
wohnheiten und Lieblingsspeisen meiner Frau zu erfahren, und, was
noch mehr Tact verrieth, sie beschäftigte sich mit meiner Frau nach
meiner Abreise gerade so viel, dass diese sich weder langweilte,
noch durch das »zu viel« belästigt fühlte.
Die Flucht aus dem Malariaherde und der Aufenthalt in Ban-
jumas ermöglichten eine schnelle Heilung meiner Frau. Schon nach
zehn Tagen konnte sie ihre Gastgeberin verlassen und hatte bis
zu dem heutigen Tage keine Attaque von dem Malariafieber mehr,
weil sie, wie ich behaupte, seit dieser Zeit immer gekochtes Wasser
getrunken hat oder weil sie, wie Prof. Koch behauptete, immun
geworden war, trotzdem sie noch Jahre lang in Städten wohnte,
in welchen die Mosquitos geradezu Orgien feierten. Auf mich
setzten sich diese Thierchen nur so selten, dass ich glaubt«, gegen
Mosquitostiche immun zu sein ; überall, wo ich es thun konnte, schlief
ich mit offenem Mosquitonetze und — bekam einen zweiten An-
fall von acuter Malaria, so dass ich endlich um ärztliche Hülfe
resp. um Ablösung von Tjilatjap ersuchen musste. Am 19. Januar
1891 kam Dr. X. mich untersuchen, und am 20. Januar sass
ich um 6 ühr Morgens in der Eisenbahn, um in Djocja von
dem Fieber befreit zu werden, ich hatte kaum die zweite Station
Ejroja erreicht, als ich die Wohlthat der Flucht aus einem Fieber-
herde kennen lernte und fühlte. Ein herrliches Wohlbefinden be-
mächtigte sich meiner, obzwar die Gegend zwischen Maos und Kroja
noch nicht sumpffrei ist, und das Fieber verliess mich wie mit
einem Zauberschlage.
Dr. X., welcher nach Tjilatjap kam, hat mir, ohne es zu
wissen und auch nur zu ahnen, einige bittere Stunden der Angst
und Furcht bereitet. Im Jahre 1888 verliess ich nämlich Sumatra
mit dem geheimen Auftrage, auf meiner Reise in A. zu landen,
An Malaria erkrankt. 243
WO Dr. X. in Gramison lag. Obschon es feste Regel war^ dass
aus dieser Garnison die Officiere nach drei Monaten abgelöst
worden, weil sie noch ärger als Tjilatjap von der Malaria heimge-
sacht war, so hatte Dr. X. schon nach vierzehntägigem Aufenthalt
um Transferirung ersucht mit der Mittheilung, dass er Ton der
Malaria bereits seit acht Tagen inficirt sei. Ich sollte' also Dr. X.
untersuchen und je nach dem Befunde ihn eyacuüren und einen
anderen jungen Oberarzt, welcher mir mitgegeben wurde, den Dienst
übernehmen oder im anderen Falle den zweiten Oberarzt mit dem
nächsten Schiffe nach der Hauptstadt zurückkehren lassen. Dr. X.
klagte mir sein Leid, dass er jeden Tag das Fieber bekomme
und zwar in den Morgenstunden. Ich nahm die Temperatur auf
und fand 37*2 ^; ich untersuchte seine Milz und Leber, sie waren
nicht yergrössert; ich sah mich also zur Erklärung gezwungen, dass
keine dringende Ursache vorhanden sei, ihn sofort zu evacuiren,
und befahl also dem mitgekommenen Oberarzt B.. mit dem nächsten
Schiffe nach K. zurückzukehren. 2^/2 Jahre später kam nun der-
selbe Dr. X. nach Tjilatjap mit demselben Auftrag, d. h. mir ärzt-
liche Hülfe zu leisten, mich, wenn es nöthig sein sollte, zu evacuiren
und den Dienst in diesem verrufenen Orte zu übernehmen, oder aber
mich weiter in Tjilatjap verbleiben zu lassen. Zu seiner Ehre sei
es jedoch gesagt, dass er sofort meine Evacuation beschloss und
den Dienst übernahm; am folgenden Morgen verliess ich diesen
stärksten Malariaherd von ganz Java nach einem Aufenthalt von
einem Jahre.
In Djocjai) wiederholten sich weder bei nur noch bei meiner
Frau die FieberanfäUe; es besitzt ein herrliches Klima und wird
mit Hecht von den Aerzten als Luftcurort für Malariapatienten ge-
priesen; es liegt 113 Meter hoch und ist lange nicht so feucht als
-z. B. das in der Nähe gelegene Magelang; dadurch transpirirt man
besser, die Transpiration verdampft schneller und besser; man er-
müdet nicht so leicht; weil nebstdem die Luft - Temperatur
niedriger ist, so geht auch die Secretion der Nieren leichter von
Statten; gerne und sogar mit Vorliebe machte ich vor der »Ryst-
tafel« um die Mittagsstunde einen Spaziergang, was z. B. in Batavia
oder Samarang geradezu undenkbar ist. Ich wohnte nämlich im
Ist die Verkürzung des Namens Jogjakarta, ebenso wie Solo im täglichea
Leben für Surakarta gebrancfat wird.
16*
Djoqjft.
Hotel TugUy welches sich in der Nähe des Bahnhofes befindet; von
hier aus ging links eine grosse und breite Strasse, nur von Chinesen
bewohnt^ zu dem Platze, auf welchem sich einerseits das Fort,
andererseits das Residenzgebäude und im Hintergrunde der Kraton
befanden. Nur zu häufig wird man bei seinem Spaziergange durch die
Stadt an die herrschende Begierungsform erinnert. In kleineren
Provinzialhauptsfädten, wie z. B. Madiun oder Banjumas, sieht man
hin und wieder hinter dem Besidenten den »Kanarienvogel« mit
dem goldenen Pajong (Sonnenschirm) oder hinter dem Klienten
einen Pajong tragen, welcher halb weiss und halb grün mit ver-
goldeten Streifen und Spitze ist; in Djocja jedoch wird der Pajong,
der für jeden der hundert Würdenträger seine bestimmten Farben
hat, sogar über die Schale Früchte gehalten, welche z. B. der
Kronprinz dem Conunandanten der Leibgarde zum Geschenke
schickt; natürlich ist auch die Grösse des Gefolges bei jeder Qte-
legenheit nach den strengen Gesetzen der Etiquette berechnet;
in diesem Falle begleiteten fünf Mann den Bedienten, welcher
die Früchte trug.
Das Sultanat Djocja besitzt nämlich wie das Elaiserthum von
Surakarta eine dreifache Regierung, und da sie einander so ziemlich
ähnlich sind, wird die Beschreibung einer der beiden hinreichen,
um ein Bild beider Staaten geben zu können. Beide haben nur
den Schein der Selbständigkeit, auch wenn sie den Eingeborenen
gegenüber kein Mittel unbenutzt lassen, ihre ganze Macht und Herr-
lichkeit zur Schau zu tragen; so z. B. geschah es bei einem öffent-
lichen Empfange, bei welchem der Kaiser von Solo und der Resident
auf gleichen Thronsesseln sassen, dass unter die Füsse des Thron-
sessels des Kaisers kleine Stückchen Holz geschoben wurden, wo-
durch 'dieser höher als der europäische Beamte sass. Beide Reiche
haben zusammen nicht mehr als 169 Q Meilen und doch noch vier
Fürsten, d. h. zwei Kaiser mit je einem unabhängigen Prinzen, und
führen alle vier einen fürstlichen Hof halt. Wie wenig sie regierende
Fürsten stricte dictu sind, möge Folgendes illustriren: Die Reichs-
Verweser der beiden Staaten werden vom Gouverneur-General ernannt
und beziehen von dem holländischen Staat ihren Gehalt. Die Thron-
folge wird nur mit Wissen und Zustimmung der holländischen Regie-
rung festgestellt. Die Regierung über die Europäer und »firemdea
Orientalen«, als Araber, Chinesen u. s. w. geschieht durch den Resi-
denten. Dieser hat die Aufsicht über die Polizei, Rechtspflege,.
Djocja- 245
Steuern der ganzen Provinz. Die Wälder und Vogelnester sowie das
Opinmmonopol gehören dem holländischen Staate. Das Land
darf nnr unter jenen Bedingungen an Europäer verpachtet werden,
welche das Departement des Innern für ganz Indien festgestellt
hat. Das Strafrecht ist das für ganz Indien giltige. Die unab-
hängigen Prinzen sind nebstdem Officiere der indischen Armee h la
suite. Der Prinz Mangku Negara Sohir^) von Solo ist einOolonel
und erhielt früher einen Gehalt von 36,720 Gulden jährlich und
Ö3y000 Gulden Subvention für den Unterhalt seiner Truppen, während
Prinz Paku*Alam von Djocja als Lieutenantcolonel im Ganzen nur
51,000 fl. erhielt. — Die Leibgarden beider Kaiser stehen unter einem
europäischen OfGcier und gehören ebenfalls zur indischen Armee. Der
Susuhunan von Solo erhält als Entschädigung für den Abstand der
oben angedeuteten Hoheitsrechte und Staatseinkünfte eine Apanage
von 805,318 fl., und der Sultan von Djocja 471,600 fl. Das sind
freilich hohe Summen, welche die holländische Begierung für die
Souveränität über diesen kleinen Theil von Java bezahlt. Den
holländischen Chauvinisten sind diese zwei Scheinpotentaten mit ihren
zwei Gegenfürsten ein Dom im Auge, weil sie die letzten Antipoden
ihrer unbeschränkten Herrschaft über Java sind. Es sei ein Ana-
chronismus, am Ende des 19. Jahrhunderts solche Despoten mit
rein mittelalterlicher Regierungsform der europäischen Civilisation
entgegentreten zu sehen. Das sind natürlich Phrasen. Ein unga-
rischer Stuhlrichter erlaubt sich, wenn nicht mehr, so doch gewiss
ebenso viel Willkür gegen die Bürger seines Stuhlrichteramts, als der
Kaiser von Djocja. Es ist ja eine Scheinregierung, und den For-
derungen der modernen Rechtspflege, der Sicherheit von Personen
und Eigenthum wird durch die europäischen Beamten Rechnung
getragen. Es ist eine Geldfrage und nichts anderes. Holland aber
hat sich zur Bezahlung dieser Summe verpflichtet, und so lange
diese Potentaten ihren Verpflichtungen nachkommen, kann und darf
es der Erfüllung seiner Pflichten sich nicht entziehen. Ja noch
mehr, der ganze Hofhalt dieser beiden Fürsten, die öffentlichen
Staatsfeste (gärebegs), das prunkvolle Auftreten in der Oeffentlich-
keit ist einerseits ein unschuldiges Vergnügen dieser kleinen Poten-
taten, und andererseits erhöht dies die Machtstellung der holländi-
schen Begierung nicht nur den Eingeborenen, sondern auch Holland
und vielleicht ganz Europa gegenüber.
*) Sein Titel ist: Pangeran, Adipatti Ario Prabu Prang Wedono.
246 Djocja.
Was die politische Seite dieser Frage betrifit, so sind ja die
Gegenfürsten in beiden Reichen eine ausgezeichnete Erfindung
der holländischen Principien: Divide et impera. Die ganze Ver-
gangenheit, die ganze Geschichte des grossen Reiches Matarams
sind ja Bürgschaft genug, dass die letzten Glieder dieses mächtigen
Fürstenhauses niemals vereint gegen Holland auftreten werden; ja
noch mehr, wenn die Eifersucht der zahlreichen Fürsten unterein-
ander nicht immer und immer ein gemeinsames Auftreten gegen
Holland unmöglich gemacht hätte, würde niemals eine europäische
Macht dort festen Fuss gefasst haben. Die Deutschen in Afrika,
die Franzosen in Tonking, die Engländer in Indien u. s. w. hätten
überhaupt keine Golonien gründen können, wenn die Eingeborenen
mit vereinten Kräften den Eroberem entgegengetreten wären. Nicht
die Macht der europäischen Civilisation und nicht die Ueberlegen-
heit der europäischen, Waffen haben Europas Colonien im fernen
Osten gegründet, es war die Uneinigkeit der Eingeborenen und ihrer
Fürsten, welche eine Ansiedlung der Eroberer ermöglicht hat.
Wenn also jemals einer der beiden Kaiser die Abhängigkeit
von HoUand lästig finden sollte, lauert schon sein Gegenfürst auf
die Nachfolge in der Herrschaft, welche ihm durch die Hülfe Hol-
lands sicher zu Theil werden würde. Sollte einer dieser soge-
nannten unabhängigen >) Fürsten jedoch mit seinem Confrater ge*
meinsame Sache gegen Holland machen wollen, so würde er
unbedingt den Kürzeren ziehen, denn er ist der Stossballen
zwischen dem Souverän und seinem VasaUen, und er ist sich
dessen bewusst.
Die Stadt Djocja mit 58,267 Einwohnern (worunter 1826 Euro-
päer und 3478 Chinesen sind) hat aber noch aus anderen Ursachen
ein eigenthümliches Gepräge. Die Beamten und Offidere spielen dort
keine dominirende Bolle, sie sind ja häufigen Transferirungen
unterworfen. Tonangebend sind in Djocja die »Landherren«,
weil sie, wenn auch nicht in der Stadt selbst ihre Fabriken
und Wohnungen haben, doch ihre freie Zeit im Club oder bei
Freunden in der Stadt zubringen. Wenn auch die ^»fetten Jahre«
schon vorüber sind, in denen der Zucker mit 16 fl. per Pikol be-
zahlt wurde, und sie sich begnügen müssen, wenn sie 8 fi. dafür
^) Sie sind von dem Sultan, aber nicht von Holland unabhängig.
Djocja. 247
.bakommen, so ist z. B. das Spiel um hohe Preise im Glab an der
Tagesordnung. Ein Pikol KafFee für »das Capitaal« beim l'hombre
war selbst eine lange Zeit ein gewöhnlicLer Preis. Nebstdem pflan-
zen die Europäer Indigo. Diese drei Producte werden nach Europa
exportirt Für den einheimischen Markt werden Keis, Tabak, Mais,
Pfeffer und Kapok gepflanzt >) An der Südküste befinden sich die
Höhlen für die essbaren Nester der Schwalbe (hirundo esculenta)
und 8 Eälometer von Pleret entfernt liegt der alte Kirchhof von
Imagiri, bewachsen mitNelken ^) undMesuenbäumen, zu dem 360Stnfen
emporführen. Ein kleiner Teich, zwei Yorhöfe mit Mauern, und
mit den Gräbern zahlreicher Fürsten (Pängörans) und zweier Frauen
des Sultans Agung, mit grossen Martavanen (Töpfen) mit heiligem
Reinigungswasser für die Füsse umgeben das letzte Grab, welches
mit Zimmt- und Nelkenbäumen beschattet ist. Hier soll Sultan
Agung selbst den ewigen Schlaf ruhen.
Am Seestrand liegt eine schöne Grotte, welche in der ganzen
Geschichte des Mataramschen Reiches eine grosse Rolle gespielt
hat und noch heute spielt; denn noch Tor einigen Jahren flüchtete der
Kronprinz von Djocja nach der Grotte der Ratu Lara Kidul —
dies ist nämlich ihr Name — , um sich hier mit Fasten und
Beten zum Kampfe igegen die Kafirs vorzubereiten. Die Regierung
schickte einfach eine Schwadron Cavallerie dahin und störte ihn so
sanft als möglich in seinen- ascetischen Betrachtungen. Da ich sie
selbst nicht gesehen habe, wiU ich die von Yeth gegebenen Be-
schreibungen folgen lassen, obwohl er niemals auf Java gewesen ist
und sie also auch nicht aus Autopsie kennt.
2>Die Grotte ist schief, unregelmässig gezackt, lö ' lang, 7 * breit
und nirgends mehr als 10 ' hoch. Aber von ihrem Gewölbe hängen
zahlreiche blau-weisse, aus concentrischen Schichten geformte Sta-
laktiten in der Form von Eiskegeln, Orgelpfeifen oder kleinen Py-
Die Provinz hat 16 Zuckerplan tagen, 4 Indigo- und. Zuckerplantagen,
27 Indigoplantagen, 1 Kaffeeplantage, 2 Tabakplantagen, 1 Tabak- und Kaffee-
plantage und 1 Tabak- und Indigoplantage, ist 66,472 Quadrat-Meilen gross und
zahlt zu seinen Einwohnern 2128 Europäer, 4110 Chinesen, 86 Araber, 144 Orien-
talen und 787,774 Eingeborene. (Im Jahre 1892.)
^) Caryophillus aromaticus wird von den Chinesen unter dem Namen Tin
sjong als Aphrodisiacum gebraucht, und auch die Liebestranke der Javanen be-
stehen aus bumbu tschinke (Nelken), Rapatholz (Cleghomia . cymosa) und aus
Matjaän (Nuces Qnerci infectoiiae).
248 n Klima schiessen'^.
famiden herab. Die Wände der Gtrotte haben die Form von Sänlen,«
^reiche duroh tiefe Furchen Ton einander getrennt sind; von ihren
Spitzen und Zähnen am Gewölbe tröpfelt immerwährend das Wasser,
80 dass ein natürliches Tropf- und Regenbad entsteht, welchem sie
den Namen Karang tr^täs = Tropf höhle verdankt. Das kalk-
haltende Wasser sammelt sich in kleinen Bächen und fiiesst sanft
murmelnd nach aussen. An dem Eingang der Grotte wachsen
Farmkräuter und Moose, welche von unten incrustirtsind, so dass
sie oben noch wachsen und grün sind, während sie auf der Basis
zu einer Steinmasse verkalkt sind.«
Das Dolce far niente der Italiener hat sein Pendant in dem
»Klima sehiessen« in Indien, in dem »Stündchen der Dämmerung«
der Holländer und in dem procul negotiis der Römer. Entrückt
allen Sorgen des täglichen Lebens giebt man sich der vollkommenen
Ausspannung des Gastes hin, ohne zu denken, ohne zu träumen
und nur zu fühlen, und zwar dem G^nuss der Kühle der frühen
Morgenstunde oder dem sanften Zephyrwehen einer kühlen Abendluft.
Dies ist das »Klima schiessen« der Indier. — Besonders in Djocja
war es ein herrliches Gefühl, nach dem Abendessen, welches im
^otel um 9 Uhr beendigt war, in der »Vorgalerie« in einem
Schaukelstuhle zu sitssen und — nichts zu denken, nicht zu tiäumeu
und sich ganz dem Genuss der Tropennacht hinzugeben. Die
Temperatur war in der Regel ungefähr 20 <> C, der Himmel unbe-
deckt; die Oriongruppe, das südliche Kreuz und die Venus strahlten
in schillerndem Lichte, und nur selten wurde die Ruhe durch einen
vorbeifahrenden Wagen gestört. Des Morgens ist ein »Klima
schiessen« weniger angenehm. Zum richtigen »Klima schiessen«
gehört ja die indische Haustoilette, Nachthose, Kabaya (Leibchen)
und Pantoffeln, welche den Körper nirgends beengen; dazu ist es aber
in Djocja zu kühl; man muss sich Bewegung machen, um die kühle
Morgenluft von 17 <^ C. angenehm zu finden, oder man muss sich
»kleiden«. In Djocja sind allerdings die Etiquettenregeln hinsicht-
lich der Toilette nicht strenge; die Stadt ist ja durch und durch
»indisch«, d. h. die Mehrzahl der Europäer ist entweder in Indien
geboren oder ist von gemischter Rasse. Wenn sich auch die
Männer so ziemlich der europäischen Mode anschliessen, so entziehen
sich doch die »indischen Damen« so viel als möglich dem Scepter
der Mode Europas und bleiben so viel als möglich, d. h. oft Tage,
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Der Tempel Pruabinan. 249
Wochen, wenn nicht Monate lang in der indischen Toilette: Sarong,
£[abaya, Kutang^) und Pantoffeln. Sie huldigen dabei ebenso viel
der Eitelkeit als auch der Bequemlichkeit. Man sieht also in
Djocja nach 6 Uht firüh die meisten Europäer, nachdem sie ihre Schale
warmen Kaffee zu sich genommen haben, in indischer Toilette in
den Strassen spazieren gehen und zwischen 7 oder 7^/a Uhr nach
fiause zum Frühstück eilen; um 8 Uhr beginnt das Business.
Für mich waren in Djocja auch die Stunden des Vormittags
dem Nichtsthun geweiht; wenn man jedoch Jahre lang an
intensive Arbeit gewöhnt war, dann ist der Müssiggang ein bis zwei
Tage lang sehr angenehm, den dritten und vierten Tag redet man
sich ein, dass das Nichtsthun angenehm sei, aber am Ende der
ersten Woche tritt das Schreckgespenst der Langenweile in. dem
Hintergrunde des täglichen Lebens auf. Den ganzen Tag zu lesen
ist ja auch ermüdend, wenn man gesund »am Herzen und der Seele
ist«. Bekannte oder Freunde kann man ja auch nicht aufsuchen,
weil sie in ihrem Berufe thätig sind; in dem Club erscheinen erst
um IV 1^ bis 12 Uhr die Mitglieder; ich besuchte ihn aber nicht
gern, weil ich nicht gewöhnt war, etwas zu trinken, ich langweilte
mich also in der ersten Hälfte des Tages. Die zweite Hälfte ging
jedoch viel rascher vorbei; um 1 Uhr ging ich zur »Rysttafel« und
nach dieser zu Bett; um 4 Uhr stand ich auf, nahm. meinen Thee
und ein Glas Eiswasser, las die unterdessen angelangten Briefe und
medicinischen Zeitungen, ging um 5 Uhr ins Schiffsbad und warf mich
danach in europäische Kleidung. Der Zustand meiner vergrösserten
Leber und Milz erlaubte zwar nicht grosse Spaziergänge; eine Stunde
lang hielt ich es in der^Regel aus, und um 7 Uhr konnte ich meine
Bekannten aufsuchen, nachdem ich vorher um die Erlaubniss ge-
beten hatte, )>mit meiner Frau meine Aufwartung machen zu
können«. Um 8 Uhr ging ich nach Hause, nahm das Abendessen,
und punkt 11 Uhr begab ich mich zu Bette.
Schon nach der ersten Woche liessen die Schmerzen in der
Leber bedeutend nach, so dass ich mich zu grösseren Ausflügen
entschliessen konnte. Die Provinz Djocja ist ja sehr reich an alten
Tempeln, besonders in der Nähe der Ghrenze der Provinz Sura-
karta, und die bedeutendsten sind die von Prambänan (Fig. 17).
Eines Tages entschloss ich mich also, mit meiner Frau und
einer Ingenieursfamilie dahin zu gehen; um 7 Uhr 10 Min.
«) Vide I. Theil, Seite 75.
250 ^cr Tempel von Prambanan.
und 12 Uhr 21 Min. geht die Eisenbahn von Djocja nach Sami-
rang, und nm 9 Uhr 43 Min. nach Solo. Beide Züge konnte ich
benutzen, weil sie beide in der Station Prambanan anhalten; für die
Rückfahrt konnte ich die Züge benutzen, welche von Samarang (yia
Solo) nm 11 Uhr 46 Min. und 3 Uhr 34 Min. oder von Solo allein
um 6 Uhr 5 Min. ankommen.
Auf Wunsch unserer Reisegenossen fuhren wir mit dem Zuge
um 12 Uhr 21 Min. Leider trugen die Waggons den Anforderungen
des Tropenklimas in keiner Weise Rechnung; ja noch mehr; vielfach
wird sogar behauptet, dass sie aus zurückgestellten und untauglichen
Waggons Hollands bestanden. Die zweite Classe hatte zwar hölzerne
Bänke mit Sitzflächen aus Rohr; sie sollten aber auch Fauteuils
haben, weil man in Indien noch leichter als in Europa durch eine
vielstündige Fahrt ermüdet; für VentilatioD ist beinahe gar nicht ge-
sorgt, und noch weniger für Gränge an den Längsseiten. (Für
Speisesalonwagen ist bis jetzt noch kein Bedürfniss.)
Glücklicherweise dauerte die Fahrt nicht länger als ungefähr
eine Stunde. Die »Halte« Prambanan liegt an der Grenze Sura-
kartas. Dort mussten wir noch beinahe eine Viertelstunde zu Fuss
zurückgehen, bis wir nach einer kurzen £jrümmung des Weges
plötzlich den schönsten Tempel von ganz Java vor uns sahen. Der
Buru Budur ist grösser, ist colossaler, ist vielleicht zehn bis zwanzig
Mal so gross als dieser; schöner in den Detailarbeiten ist gewiss der
von Prambanan. Ich kann leider nur eine Beschreibung des
Aeusseren aus Autopsie geben, weil mir damals das Treppensteigen
zu viel Schmerzen verursachte und es mir unmöglich war, das
Linere zu besichtigen. Li der Mitte des Tempels war nämlich eine
grosse Oeffi[iung nach Osten, und dahin führte eine steinerne Treppe
ohne Geländer; die einzelnen Treppen waren vielleicht 40 cm hoch,
und sofort nach meinem ersten Versuch, hinauf zu kommen, musste
ich wegen intensiver Schmerzen in der Leber zurückkehren. Doch
ich sah genug, um die Baukunst der alten Hindu bewundern zu
köimen und das Bedauern meiner Frau . gegenüber zu äussern, dass
ganz Europa von diesen wunderschönen Resten alter Sculpturen bei-
nahe gar keine Ahnung hat. >) Selbst die holländischen Officiere und
Beamten durchziehen gleichgiltig den ganzen Archipel, ohne sich
hier, wäre es auch nur für einen Tag, aufzuhalten, und nur wenn
>) Abgesehen von einigen Fachgelehrten.
D^e „Tausend Tempel**. 251
sie., der Dienst zwingt, in Djocja, Solo oder Magelang einige
Monate oder Jahre zu bleiben, dann nehmen sie sich die Mühe,
diese Stätte des alten Hindudienstes an&osuchen! Ich habe (im
Jahre 1884) bei Kairo eine Pyramide und eine Sphinx gesehen,
und unbefiriedigt zog ich weiter, weil das Massive und das Grosse
dieser zwei Denkmäler alter Baukunst eben auf mich keinen Ein-
druck machten. In Prambänan jedoch stand ich entzückt Tor einer
Schatzkammer der Bildhauerkunst. Der Tempel selbst war vielleicht 20
bis 25 Meter hoch, und seine. Länge und Breite schätzte ich auf unge-
fähr 20 Meter. Die Basis hatte übrigens die Form eines russischen
Kreuzes mit der Längsfront nach Osten; im Süden schloss sich ein
zweiter noch mehr verfallener Tempel (tjandi J.) an. An dem
ersteren konnte man noch die ursprüngliche Form vermuthen; sie
war die eines Kegels; der zweite jedoch war eine. Ruine, welche
w^dirscheinlich mehr durch den Vandalismus der Mohamedaner als
durch den Zahn der Zeit gelitten hat und heute eine formlose
Menge zahlreicher und unzählbarer gemeisselter Steine ist. Ueberall
zerstreut und offenbar durch die Sorgfalt der jetzigen Regierung
gegen die Tempel angelehnt liegen wunderschöne Reliefs und Haut-
reliefs; es sind die bekannten Figuren der indischen Bildhauer; aber
feiner ausgearbeitet, und jedes einzelne Stück verräth den Meister.
Einige Stücke, welche sich rechts von dem Eingange an die Grund-
mauer frei lehnten, würde ein Thorwaldsen nicht besser geliefert
haben, und diese Schatzkammer der indischen Bildhauerkunst ist
hier unbewacht und unbeschützt dem Sturm des Wetters und der
Zeit ausgesetzt!! Das Innere desselben habe ich ebensowenig ge-
sehen als die »Tausend Tempel«, welche ungefähr 1 Kilometer
hinter Prambänan liegen; ich lasse also, — natürlich nur auszugs-
weise — Veth's Beschreibung hier folgen: ^)
:»Wenn man sich von Djocja nach Solo begiebt, kommt mau
zunächst an den Tjandi (Tempel) Kalason oder Tj. Kali Bening,^)
vrelcher einer der schönsten und besten bearbeiteten Tempel von ganz
Java und ein wenig rechts vom grossen Wege abseits gelegen ist
Er wurde gebaut in der Form eines griechischen Ejreuzes mit her-
vorspringenden Ecken und hatte, vier Räume. Das Ganze ruhte
auf einem Fussstück, welches in schönster Abwechselung von glatten
' * Vide Veth, Java II, Seite 91 ff.
' ' *) Kali Bening ist ein häufig vorkommendet Name für kleine Bäche =
klarem Flüsschen. . i • ..
252 ^i« „TMuend Tempel'
Leisten und Bändern mit Blumen und Vasen umzogen war. Da-
rauf erhoben sich die Wände mit Wunderschön Terzierten Thtiren,
welche von Fächern mit flachen Nischen flankirt waren. In jeder der-
selben stand ein beinahe lebensgrosses Bild mit dem Gürtel der Brah-
manen um die Lenden, und zwar als Hautrelief. Die Eingänge lagen
nach den Tier Himmelsrichtungen und hatten über dem oberen Bande
eine nackte Frau, welche mit den Füssen eingeschlagen auf dem
Boden sass. Man kam auf Treppen dahin, welche jetzt durch Weg-
nahme der Steine beinahe ganz verschwunden sind. Ein wunder-
schönes Pilaster und Kronarbeit umfasste die Eingänge, und diese
waren wiederum nur ein Theil eines zweiten Pilasters, welches sich
bis an die Kronleiste der ganzen Gebäude erhob. Glatte Leisten
zogen hier auf zwei colossalen Elephantenköpfen mit hoch erhobenem
Rüssel herab, welche sich auf jeder Seite des Einganges befanden.
Sie trugen eine Krone, welche aus kleinen Tempeln mit Pflastern
und pyramidenförmigen Dächern bestand, und diese waren wieder
bis zur Spitze mit Figuren bedeckt, welche in der verschiedensten
Weise die Demuth und Ergebenheit anzeigten. Zwischen der Krone
und den Leisten über dem Eingange war das gewöhnliche Monster,
von den Javanen Banaspati genannt, breit, ohne Unterkiefer, mit frei
hängenden Haaren und fürchterlich hervorstehenden Augen. Darüber
zog sich um das ganze Gebäude eine massive Elronleiste, welche
von einer ganzen Reihe Figuren getragen wurde, welche wiederum
die Hände über dem Kopf, die Küiee und den Nacken gebogen
hielten.« lieber den letzten Theil des Daches kann man nichts Be-
stimmtes mittheflen, weil es abgefallen und mit Wucherpllanzen aus-
gefüllt war; wie auch Fig. 17 zeigt, hatte es Pyramidenform, welche
die meisten dieser Tempel charakterisirt.
»Drei Nischen sind noch deutlich zu sehen, und man hat da-
rin Buddhabilder entdeckt, welche auf dem Lotusthrone sassen. Der
Eingang gegen Osten war am schönsten verziert, und hier war auch
der grösste SaaU Vor diesem Zimmer war eine Halle, 3 Meter breit
und 5 Meter lang, mit drei Nischen für Figuren und mit einem ver-
schwenderischen Reichthum an Laub und anderen architektonischen
Verzierungen. Von hier aus kam man in den Hauptsalon von quadra-
tischer Form, ungefähr 12 — 13 Schritte breit und lang, und gewiss
20 Meter hoch; eine der Wände ist von einem Piedestal eingenom-
men, worauf wahrscheinlich der Gott sass, dem der Tempel geweiht
war. Von diesem ist jetzt keine^ Spur mehr zu finden. Die drei
Die „TMisend Tempel''. 253
anderen viel kleineren Zimmer waren in gleicher Weise eingerichtet,
hatten aber keine Vestibüle. Auch aus diesen sind die Glottesbilder
Terschwnnden. Die Länge und Breite von dem Gebäude betrug
20 Meter, und die Höhe wird wohl zur Zeit, als das Dach com*
plet war, 23 Meter betragen haben.«
Von den zahlreichen Ruinen, welche in den »Fiirstenländem«
gefunden wurden, habe ich, wie erwähnt, nur den Tempel Ton Pram-
bänan gesehen. Leider warmes mir nicht gegönnt, auch die »tau-
send «c Tempel zu sehen, und ich muss mich daher begnügen, ihrer
mit einigen Worten aus dem Werke Veth's Erwähnung zu thun.
Bei Kalasan findet man grosse Ruinen von dem »Palast von Pram-
bänan«; l>/2 Kilometer weiter ist die Tjandi »Loro Djongrang«;
ebenso weit ist die Tjandi Söwu und die Tjandi Lumbung. Die
»tausend Tempel« = Tjandi S^wu ist eine Gruppe von 254 Tem-
peln, welche wahrscheinlich sowohl dem Dienst Siwah als des Buddha
geweiht waren. Es fällt mir die Wahl schwer, aus den Beschrei-
bungen das Interessanteste mitzutheilen, und ich yerlasse dies Thema
momentan um so lieber, fds ich später Gelegenheit hatte, den Riesen-
tempel Buru Budur und deji von Mendut in der Provinz Kedu zu
sehen, welche beide ich sowohl vom ästhetischen als vom historischen
Standpunkte aus werde beschreiben müssen.
Die alten Hindu müssen ein Volk von Bildhauern gewesen
sein. Wenn ich die ungeheure Zahl der Bilder berechnen wollte,
welche diese tausend Tempel besitzen, ich käme zu Ziffern, welche
kein Land in Europa aufweisen kann; ich muss es auch wieder-
holen, ich sah in den Ruinen, welche bei. dem grossen Tempel zu
Prambdnan zerstreut längs der Mauer lagen, einzelne Reliefs, welche
an Reinheit der Formen beinahe mit denen einer Broncefigur wett-
eiferten. Eins verstehe ich nicht, die ganze civilisirte Welt schwärmt
von den Pyramiden Aegyptens, und niemand spricht von dieser
reichen Schatzkammer von Sculptur und Architektur, welche Java
in seiner Mitte birgt.
Das Fieber hatte sich seit meinem Aufenthalte in Djocja nicht
wieder eingestellt, der Magen begann wieder regelmässig zu fimctio-
niren, der Appetit kam zurück, die schnelle und leichte Ermüdung
wich, und nur ein zeitweiliger Schmerz in der Leber und hin und
wieder in der rechten Schulter erinnerten mich an die überstandene
254 Wieder nach Ng^awie.
Halaria-InfectioD. Regimentsarzt X. besuchte mich einige Male in der
Woche, und eines Tages entdeckte er — eine Geschwulst im Py-
lorus! ^) Die häufigsten Geschwülste an dieser Steile sind der Krebs.
Bo niederschmetternd diese Diagnose für mich auch war, so wenig
dachte ich an ihre Richtigkeit, ohne es aber wissenschaftlich be-
gründen zu können.
Vielleicht hielt mich das Bewusstsein aufrecht, dass sich bei
einem Carcinom des Magens unmöglich das allgemeine Befinden so
bessern könnte, wie es bei mir der Fall war. Ich hatte leider dies-
bezüglich schon einige Erfahrung, solche schweren Diagnosen der
Collegen mit gewisser Vorsicht aufzunehmen. Im Jahre 1883 litt
ich an einem Blasenkatarrh und liess mich im Militärspital zu
Batavia aufnehmen.
Nach vierwöchentlicher Behandlung bekam ich »wegen Morbus
Brightii«^) Urlaub nach Europa. Ich hatte im Jahre 1884 kein
Nierenleiden und ich habe es glücklicherweise heute noch nicht.
Ich hatte im Jahre 1891 keinen Pyloruskrebs und ich habe ihn heute,
nach acht Jahren, glücklicherweise auch noch nicht.
Am häufigsten werden die Officiere, welche an Malaria
gelitten hatten, auf ärztliches Zeugniss des Garnisondoctors in
ein »kühles oder Berg -Klima« tränsferirt; für Aerzte gab es
in der zweiten »Militär - Abtheilung« hinreichende Garnisonen,
welche diesen Bedingungen entsprachen: Salatiga, wo die Ca-
yallerie ihren Stab hatte. Magelang, wo 2 bis 4 Bataillone lagen,
Willem I und Djocjakarta, welches für alle Militärärzte ge-
radezu ein Eldorado war. Ein herrliches Klima, Gelegenheit zu
einer Privatpraxis von 800 — 1000 fl. pro Monat, leichter und ange-
nehmer Dienst, eigenthümlich interessanter Verkehr mit den Fürsten
der Provinz und mit den Landherren, die günstige Lage an einer
Eisenbahn, waren Vorzüge, welche selten vereint in einer Stadt in
Indien gefunden werden. Ich war jedoch kein Fieberpatient, ich
hatte einen Pyloruskrebs (??); über meine weitere Zukunft musste
also die Superarbitrirungs-Commission in Samarang entscheiden. Am
7. Februar ging ich also nach Samarang und liess mich, freiwillig
gezwungen, in das Militär-Spital aufnehmen. Es besteht nämlich keine
^) Der Pförtner, das ist der Schliessmoskel, welcher den Magen von dem
daranliegenden Zwölffingerdarm abschliesst.
*) Diese Niereherkrankung sollte Ursache meiner Pensionirung werden. ' •
Wieder nach Ngawie. 255
YerpflichtuDg für einen Ofificier^ sich im Spitale behandeln zu lassen;
mit verschiedenen Phrasen zwingt man jedoch jene Officiere dazu,
welche man maassregeln will. Bei mir war Folgendes der Fall:
In Ngawie war der Schwager des Sanitätschefs in Garnison, welcher
> wegen G-esondheitsrücksichten« nach Europa gehen wollte; er er-
schien mit mir gleichzeitig »Tor der Commission«. Er bekam sein
diesbezügliches Gesundheitszeugniss und wollte sofort seine Reise
antreten, worauf er gerechnet hatte. Ich selbst war zur Disposition,
also sollte und musste ich wiederum nach Ngawie; dafür musste
jedoch eine Ursache gefunden werden, weil ich Reconvalescent nach
Malaria war und als solcher ein »kaltes resp. Berg-Klima hätte er-
halten sollen«. Diese Ursache konnte nur gefunden werden, wenn ich im
Spitale selbst beobachtet werden konnte. Es wurde mir also nahe gelegt,
wie zweckmässig für mich eine Behandlung und Beobachtung im
Spitale wäre, weil die Differentialdiagnose zwischen Lebertumor und
Magenkrebs auf sichere Basis gestellt werden müsse.
Ich liess meine Frau bei einer bekannten Ofiiciersfamilie
Gastfreundschaft gemessen, ging ins Spital, und schon nach drei
Tagen war die Diarrhöe constatirt, welche es dringend, nöthig
machte, dass ich wieder nach Ngawie versetzt wurde. Die Com-
mission constatirte, dass ich keinen Magenkrebs, sondern eine Leber-
vergrösserung hätte, und diese dürfe, wenn sie mit Diarrhöe gepaart
ginge, nur in einem )^ warmen Klima« behandelt werden. Ich theUte
tiem behandelnden Arzte mit, dass ich seit dem Jahre 1886 stets
in den heissesten Garnisonen gelebt hatte, welche ganz Indien
kenne, 2 Jahre in Atschin, l^s JsJar in Ngawie und 1 Jahr in
Tjilatjap, dass ich geradezu Bedürfniss hätte, meinen durch das
Malariafieber erschöpften Organismus in einem Bergklima Erholung
zu gönnen, dass der kurze Aufenthalt in Djocja dies bewiesen hätte,
aber Roma locuta est. Ich wurde wieder nach Ngawie versetzt.
Für Officiere, welche keine Frau haben, oder für die Be-
handlung gewisser Krankheiten, welche z. B. eine Operation
nöthig machen, ist die Spitalsbehandlung in Indien aus vielfachen
Ursachen der häuslichen Pflege vorzuziehen; denn die Ver-
pflegungsgebühren für einen Ofiicier sind nicht hoch; er bezahlt
als Lieutenant 2,50 fl., als Hauptmann 3 fl. und als Stabsofficier
5 fl. pro Tag und erhält eine in jeder Hinsicht reichliche Tafel mit
Getränken (Wein, Mineralwasser u. s. w.) und ein grosses Zinmier.
Natürlich ist es conditio sine qua non, dass der Spitalschef auch für
256 Spitalbehandlung der Ofüciere.
Abwechselung in dem Menn sorgt. Wenn in Berlin eine Koch-
schale als Postulat für Aerzte erklärt wird, wie viel nöthiger sind
gastronomische Stadien für einen Militärarzt in Indien. In meiner
ganzen zwanzigjährigen Laufbahn sah ich nur einen einzigen Chef*
arzt um die Küche des Spitals in gleicher Weise wie um afle
anderen Zweige seines Dienstkreises besorgt.
Für verheiratete Officiere wird in Indien die Au&ahme in ein
Spital nur bei grösseren Operationen eine Nothwendigkeit, und da-
rum verpflichten die geseteUchen Bestimmungen keinen Ofiicier, ins
Spital gehen zu müssen. Muss die Superarbitrirungs-Commission
^ine Entscheidung über einen Urlaub nach Europa^ über Penaioni-
Tung u. s. w. tre£Feny so ist der bisherige Modus agendi nicht immer
•zweckmässig. Der betreffende Candidat wird von dem »Garnison«
doctor« behandelt und beobachtet; dieser erstattet einen ausführ-
lichen schriftlichen Bericht über seine Beobachtungen, macht seine
Vorschläge, verfasst eine zweckentsprechende Ejrankengeschichte, und
auf Grund dieser Berichte entscheidet der Präsident der Commissiou,
ob und wann sich der Candidat der Commission vorstellen solL
Sie untersuchen den Patienten auf Grund der erhaltenen Mit-
theilungen und sind in der Begel in der Lage, ein Urtheil über
die Vorschläge des Garnisondoctors aussprechen zu können. In
einzelnen Fallen, ist aber eine längere Observation des Candi-
daten nöthig und wünschenswerth. Ich erinnere mich folgen-
den Falles aus der Zeit, als ich Mitglied der Superarbitrirungs*
commission in S. war. OberstUeutenant X. war in Ungnade beim
Armeecommandanten verfallen, ohne dass dieser gesetzliche Gründe
hatte, den missliebigen Officier dem Gouverneur - Gteneral ') zur
Pensionirung vorzuschlagen. Da er seit längerer Zeit ein Magenleiden
hatte, welches ihn oft an seinem Dienste verhinderte, erging also an
den Landescommandanten der Befehl, ihn durch eine ärztliche Com-
mission untersuchen zu lassen. Mir war bekannt, dass sein Leiden
in einem Magengeschwür bestanden hatte; zur Zeit seiner »Affairec
befand er sich vollkommen wohl, d. h. objectiv liess sich nichts
nachweisen. Zwei objective Symptome hätten uns vielleicht in den
Stand gesetzt, eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose zu stellen imd zwar
der Gehalt an Magensäure und der Appetit; die erste Frage erregte
>) Nur die Generäle werden von dem König in Holland ernannt und ver-
abschiedet.
Spitalbehandlung der Officierc. 257
zweierlei bedeutende Bedenken; der Arzt darf ja nicht zum Zwecke
einer Diagnose, einen sonst gesunden Menschen mehrere Male, sei
es durch Medicamente, sei es durch die Magensonde^ zum Erbrechen
zwingen. Nebstdem ist die chemische Untersuchung allein nicht
im Stande, mit Sicherheit eine Magenerkrankung auszuschliessen
oder zu constatiren. Bequemer war natürlich die zweite Frage, die
des Appetites dieses Patienten (?). Mit Zustimmung des Präsidenten
nahm ich es auf mich, ihn bei seinen Mahlzeiten zu beobachten,,
und theilte ihm zu diesem Zwecke mit, dass wir nur ein Mittel
hätten, ihn für gesund zu erklären, und zwar wenn wir in der Lage
wären, in unserm Attest unsere Ansichten motiviren zu können.
Natürlich fügte ich hinzu, dass wir seinen Mittheilungen yoUkommen
Qlauben schenkten, dass aber das Armee-Commando von uns ein
objectiy^s find motivirtes Urtheil über den Zustand seines Magens
erwarte. Oberstlieutenant X. verstand mich sofort und lud mich ein,
Zeuge seines guten Appetites zu sein. Er ass seine ganze »Reis-
tafel« und brachte den andern Tag den Beweis, dass diese auch
ganz verdaut war. Es giebt also zahlreiche Fälle, welche die
Commission veranlassen, den Candidaten eine längere Zeit hindurch
zu beobachten, bevor sie ihr endgiltiges Urtheil aussprechen kann,
und darum sollte die gesetzliche Verpflichtung bestehen, dass alle
Officiere, über welche die Superarbitrirungs-Commission ein Urtheil
aussprechen muss^ sich — und wäre es nur für einen Tag — ins
Spital aufnehmen lassen müssen. Mir sind ja Falle bekannt, dass
Officiere, welche die Controle der Commission fürchten mussten,
dem Sirenengesang der Phrasen, es wäre in ihrem eigenen Interesse,
wenn sie sich zur Observation ins Spital begeben würden, u. s. w.
nicht Folge leisteten, ja selbst brutal ihre Weigerung mit den Worten
motivirten, sie hätten keinen Beruf, die Arbeit der ärztlichen Com-
mission zu erleichtem, und — vollen Erfolg ihrer Pläne hatten.
Mir wurde also wiederum die Garnison Ngawie angewiesen.
Die »Hölle Javas« eignete sich aber gar nicht dazu, nüch von
meiner Vergrösserung der Leber zu befreien; die Schmerzen blieben,
und zwei Monate später (18. April) ersuchte ich wieder, durch eine
Commission nach einem :» kalten Klima« transferirt zu werden; es
wurde mir ebenso wenig als drei Monate später die Gelegenheit ge-
boten, durch einen längeren Aufenthalt in einem Bergklima von
meinem Leberleiden befreit zu werden, und eine hochgradige Hypo-
dMHidrie bemächtigte sich meiner, welche am 18. September den
BreUanitein, 21 J»bre in Indien n. 17
258 Spitalbehandlung der Officiere.
Höhepunkt erreichte. An diesem Tage wurde mir .ein Knabe
gebracht, weicher von einem tollen Hunde gebissen war und sich
beim Fallen auf die Erde an der Stirn verletzt hatte; ich liess den
zufällig anwesenden Doctor-djawa die Wunde reinigen, und da die
Wunde auf der Stirn glatte Ränder hatte, beabsichtigte ich, sie zu
nähen. Beim Einfädeln stach ich mich in die Finger. Die ge-
bissene Wunde hatte ich nicht einmal berührt; dennoch — er-
wachte ich in der darauf folgenden Nacht mit dem Angstgefühl der
Lyssa!! Ich hatte Schlundkrämpfe, Speichelfluss und eine fürchter-
liche Aufregung, verbunden mit dem Gefühle, Lyssa zu haben!
Wenn ich mir auch das Lächerliche und Unwissenschaftliche des
Gedankens, inficirt zu sein, vor Augen hielt, weil ich gar nicht in
Contact mit der gebissenen Wunde gewesen war, und weil die Lyssa
doch wenigstens 5 — 6 Wochen Zeit zur Entwicklung nötfüg hat (In-
cubations-Zeit), so blieb doch diese fürchterliche Aufregung Tage
lang bestehen, und erst nach Jahresfrist kam etwas Ruhe in mein
Nervenleben. Ich war ein Neurastheniker geworden, und diese un-
billige Behandlung, wegen eines Leberleidens in ein »warmes Klima«
versetzt zu werden, weil zufälliger Weise eine solche Stelle offen
war, war natürlich Oel ins Feuer gegossen. Gleichzeitig hatte ich
Schwierigkeiten mit dem Platz-Commandanten, welche ich früher
erzählt habe, und welche mir so viele Schreibereien verursachten, dass
ich bei meinen anderen vielseitigen Arbeiten oft vor 2 bis 3 Uhr
nicht schlafen gehen konnte; meine Nerven hielten diesen Choc
nicht aus. Auch ein Mann mit gesunden Nerven wäre ihm erlegen,
und so wurde der Ausbruch einer acuten Hypochondrie der
Vorläufer eines Jahre langen Nervenleidens. Major X. ging mit
Urlaub nach Batavia und scheint dort über meinen Zustand per-
sönlich Bericht erstattet zu haben, denn kurz darauf wurde ich nach
Magelang transferirt, welches in der Provinz Kedu auf einer Höhe
von 384 Metern liegt.
Ich hielt also wieder Auction von der Einrichtung meines
Hauses, welche mir 1200 fl. einbrachte, und zog diesmal nur mit
einigen Kisten beladen nach Magelang. Es hatte sich nämlich bis
auf meine Equipage für alle Möbelstücke und auch für meine zwei
Pferde ein Käufer gefunden. Der Assistent-Resident und der Platz-
Commandant hatten uns für die letzten Tage unseres Aufenthaltes
Bcibereien in kleinen Städten. 259
Oastfreundschaft angeboten. Ich konnte es nicht annehmen, weil
der Oberlehrer der europäischen Schule, Herr X., sobald meine
Transferirung bekannt geworden war, sofort zu uns gekommen war
und als selbstverständlich die Hoffnung und den Wunsch aussprach,
dass wir auch diesmal vor unserer Abreise seine Gäste seien. Er
und seine Frau waren ehrenwerthe Menschen, welche von dem
früheren Assis tent^Besidenten boycottirt waren.
Zur Illustration des Lebens in den kleinen Städten Indiens
glaube ich den weiteren Verlauf dieses Boycotts mittheilen zu
sollen.
Als ich zum zweiten Male nach Ngawie kam, folgte ich meiner
Gewohnheit, mich allen kleinlichen und engherzigen Streitigkeiten
fem zu halten, und da diese Familie während meines ersten Aufent-
haltes nicht nur meine Patienten waren, sondern geradezu liebens-
würdige Gastfreundschaft an uns geübt hatten, war es nur selbstyer-
stÄndlich, dass ich und meine Frau den alten Verkehr mit ihnen wieder
aufnahmen, obschon »das ganze Fort«, d. h. alle Officiere dem Boy-
cott durch die Frau des Assistent-Residenten sich angeschlossen hatten.
Diese für diese braven Menschen unangenehmen Verhältnisse än-
derten sich sofort, als wir sie in den Kreis unserer Bekannten ein-
zogen und so unzweideutige Beweise unserer Sympathie gaben. Mau
muss so etwas gesehen oder mitgemacht haben, um zu verstehen,
dass ich an dieser Stelle davon spreche. Für den gesellschaft-
lichen Verkehr bot dieser kleine Platz nichts, absolut nichts als den
Officiersclub, in welchem auch die Bürger Mitglieder waren. In
dem Club geschah auch nichts anderes als Kartenspielen und Tan-
zen bei den EQängen eines alten, verdorbenen Leierkastens. Wenn
nun, was immer an einem Sonnabend geschah, ein ^^geselliger Abend«
im Club stattfand, bemühte sich Niemand der Anwesenden mit dieser
Familie; sie sassen allein. Aber die rächende Nemesis brachte ihr
bald die grösste Satisfaction. Die Frau des Assistent-Besidenteu,
welche den Bannfluch über diese braven Menschen ausgesprochen
hatte, war eine energische Dame und ertrug keinen Widerspruch.
Kurz nach unserer Ankunft mussten auch ich und meine Frau
den freundschaftlichen Verkehr mit ihr und ihrem Manne leider
einstellen. Eines Tages erhielt ich nämlich das Ansuchen, ihrer
Tochter ärztliche Hülfe zu bringen. Ich kam dahin, und bei der
Treppe empfing mich diese Dame mit der fertigen Diagnose und
mit der nöthigen Behandlungsweise. Sie theilte mir nämlich mit,
IT
260 Reibereien in kleinen Städten.
dase ihre Tochter Dysenterie hätte und darum eines Abgusses
von Simaruba bedürfe. Ihre autokratische Sprechweise war mir
schon bekannt, und darum fragte ich sie mit officiellem Lächeln
auf den Lippen, ob sie sich nicht vielleicht in- der Diagnose irre
und ein unschuldiges Hämorrhoidal-Leiden vorläge, und ob keine
andere Arznei vorgeschrieben werden dürfe, weil gerade bei der
Dysenterie Simaruba erst in einem späteren Zeitpunkte gegeben
werden dürfe. (Patientin, ein hübsches Madchen von zehn
Jahren, stand daneben und hatte gar keine Spur von Dysenterie.)
Aber für einen Gedankenaustausch war sie nicht zugänglich.
In gereiztem Tone antwortete sie: 2>Wenn Sie mir die Simaruba
nicht geben wollen, lasse ich sie mir von Madiun kommen. <
Die Sache wäre damit erledigt gewesen. Aber ihr Mann glaubte
jetzt, mich seine Macht als Assistent-Resident fühlen zu lassen.
Kurz vorher hatte ich ihn ersucht, frischen Vacdnestoff für die
Bevölkerung kommen zu lassen. Zwei Tage nach meinem Be-
suche bei seiner Frau erhielt ich einen offidellen Brief mit der
Nachricht, dass der Vaccinestoff angekommen sei und ich den nach*
sten Mittwoch in der »Kabupaten«, d. h. in der Veranda des Re-
genten einimpfen solle. Ich schrieb zurück, dass ich in meiner
Stellung nach Staatsblad Nr. 68 vom Jahre 1827 keine Befehle von
ihm annehmen könne noch dürfe, und dass ich nächsten Montag
im Fort die Frauen und Kinder der Soldaten impfen werde. Er
wiederum verbot mir, den Vaccinestoff für »meine Militär-Familien«
zu gebrauchen, worauf ich telegraphisch den Residenten von Madiun
um firlaubniss ersuchte, den Vaccinestoff für die »Soldatenkinder«
gebrauchen zu dürfen. Dieser Federkrieg zwischen uns Beiden ent-
fremdete uns natürlich so sehr, dass jeder freundschaftliche Verkehr
abgebrochen wurde.
Den Sonnabend derselben Woche war wieder gemüthlicher Abend
im Club. Damals spielte sich eine jener Scenen ab, welche so charak-
tejristisch und so typisch für das Leben in kleinen Orten sind, dass ich
sie trotz ihrer Unbedeutendheit mittheilen zu sollen glaube. Das
Clubgebäude bestand, wie wir oben sahen, aus einer grossen »Binnen-
gaierie«, welche nach europäischer Anschauung Tanzsalon genannt
werden kann, und der vorderen und hinteren Veranda. Das unent-
behrliche Möbelstück für jeden Club ist in Indien die »Kletstafel«,!)
^) Tratschtisch.
Reibereien in kleinen Städten. 261
dfts ist ein grosser runder Tisch^ mit einer Stütze für die Eüsse.
Wenn die Herren um 11 1/2 Vormittags und um 7 Uhr Abends in
den Club gehen und kein Billard spielen, vereinigen sie sich alle
an der »Kletstafel« und besprechen etwaige Ereignisse des Tages
oder die letzten europäischen Nachrichten, oder bearbeiten die grossen
und kleinen Fehler der Abwesenden zu einer chronica scandalosa.
Die hintere Veranda des Clubgebäudes zu Ngawie hatte zwei solche
Tische. Nach imd nach füllte sich die »achtergallery«, und
zuletzt erschien der Assistent-Besident mit seiner Frau. Liebens-
würdig grüssten sie nach allen Seiten und setzten sich an den
Tisch — an welchem wir nicht sassen. Jetzt kam die erste Ent-
täuschung. In der Begel eilen sofort alle jungen Mitglieder nach
ihnen, verbeugen sich und wechseln einen Handdruck. Die ver-
heirateten Mitglieder theilen sich immer und überall diesbezüglich
in drei wohl charakterisirte Gruppen. Die eine Gruppe hält an
dem Grundsatze fest, dass es im Club keinen Rangunterschied gäbe,
und wer zuletzt käme, habe die Pflicht, zu den Anwesenden zu
gehen und sie zu begrüssen. Die zweite Gruppe sind wahre Oppor-
tunisten; für diese ist die Machtstellung des Würdenträgers auch
im Club anerkannt. Man könne nicht wissen, wie man die )» grossen
Herren« nöthig hätte, imd sie selbst sind und bleiben »die mindere« und
eilen dahin, um sie zu begrüssen. Die dritte Gruppe ist wieder
sehr gewissenhaft in der Beurtheilung des Raagunterschiedes; sie
kennt allein einen Rangunterschied der Männer und nicht der Frauen,
sie selbst gehen also sofort zum Assistent-Resident und seiner Frau, um
sie* zu begrüssen, und erwarten dann, dass auch der Assistent-Resident
sofort zu ihrer Frau gehen werde, um »Aas CompUment abzustechen«.
Diesen Abend blieb jedoch alles auf seinem Platz — bis auf den
Platzcommandant, welcher ledig war und seinen neutralen Stand-
punkt nicht verleugnen wollte. Diese Earaftprobe der Frau O. war
also nicht gelungen, und eine zweite sollte die Machtstellung dieser
Dame rehabilitiren. Nach dem pousse-cafe vereinigen sich die ein-
zelnen Gruppen zu dem eigentlichen Zwecke der Zusammenkunft.
Einige der älteren Herren und Damen gehen an die Spieltische zu
einer Partie Whist, L'hombre oder quadrilliren; die Jugend sucht
und findet sich zum Flirten oder zum Tanzen — Andere gehen ins be-
nachbarte Zimmer zum Billard und Einige setzen sich zur »Ellets-
tafel« und gemessen bei einem Glase Grog, sei es ein Brandy-Soda
oder sei es ein Whisky-Soda — die herrliche Nachtluft. Das
262 Reibereien in kleinen Städten.
Tanzen ist aber in Indien kein bevorzugter Genuss der Jugend;
Grossväter und Grossmütter sieht man in Indien mit ebenso viel
Eifer der Kreuzpolka und dem Walzer huldigen, als sie es vor 30
und 40 Jahren gethan haben. Frau O. gab also bald das Zeichen
zum Anfang des Tanzes; aber o weh! der Leierkasten war ver-
dorben und gab nur ohrenzerreissende, schnarrende Töne; sofort
schickte auf Ersuchen der Frau O. der Platzcommandant einen Be-
dienten in das Fort und liess einen. Korporal komjnen, welcher
durch seine Virtuosität auf der Harmonika bekannt war. Mit lautem
Hurrah wurde seine Ankunft von der Frau des Assistenten begrüsst,
ohne dass jemand anders in diesen Freudenruf einstimmte. Das
war ein bedenkliches Symptom!? Aber noch Aergeres geschah. Die
Harmonika hatte schon die Hälfte der Polonaise gespielt, und noch
immer blieb alles auf seinen Sesseln. Der Major B. hatte pflicht-
gemäss die Frau O. ersucht, mit ihr die Polonaise eröffnen zu
dürfen — sie Beide standen aber allein; die zweite Kraftprobe
dieser Dame war verunglückt! Sie trachtete in liebenswürdiger
herablassender Weise durch persönliche Intervention wenigstens
die ledigen Herren zum Tanzen zu bewegen; jeder derselben
aber dankte unter irgend einem Vorwande, und sie begnügte sich
also mit einem Tanze mit dem Platzcommandanten. Die Familie X.
war also gerächt.
Solche kindische und kleinliche Beibereien giebt es in allen
kleinen Orten in Europa und in Asien und in Amerika, überall^
wo Menschen auf einem engen Baum beisammen wohnen, so dass
sich alle ihre Fehler bemerkbar und auch fühlbar machen; es ist
ja z. B. bekannt, dass dieselben Beibereien auf den grossen Dampfern
sich einstellen, auf welchen die Passagiere wochenlang beisammen
leben, und dass dieses noch häufiger auf jenen Seglern geschah, welche
zu ihrer Beise nach Batavia oft mehr als 100 Tage nöthig hatten*
Für den Nichtbetheiligten sind sie eine reichliche Quelle von Zer-
streuung; die davon Betroffenen verbittern sich aber dadurch daa
Leben und verfeinden sich oft für die ganze weitere Zukunft
Dieselbe Dame O. scheint in Madiun, wo ihr Mann früher stationirt
gewesen war, sich auch Feinde gemacht zu baben. An dem Tage
ihrer Ankunft in Ngawie bekam ich nämlich eine Correspondenzkarte,
welche mich zwar entrüstete ob der Gemeinheit, welche der Grund-
ton des kleinen Briefchens war, andererseits aber wirklich ein Unicum
anonymer Lästersucht darstellte. In der offenen Correspondenz-
Die Provinz Sarakarta. 263
karte wurde mir nämlich mitgetheilt, dass mir zwei Stück Käse
dieser Tage als Geschenk geschickt würden, dass der Absender be*
daure, keine bessern liefern zu können; der eine und zwar der
grössere sei nicht übel von Gestalt, aber wurmstichig im Innern;
der zweite sei in jeder Hinsicht hässlich, ekelhaft und ungeniessbar.
Arglos und ohne den tiefen Sinn dieser Worte zu ahnen, wollte ich
den nächsten Tag beim Assistent-Residenten O. diese zwei Käse holen
lassen ; vielleicht war ein Brief beigepackt, der mir eine Aufklärung
von einer Bestellung geben sollte, deren ich mich nicht erinnerte.
Zufällig kam der Präsident des Landgerichts >) denselben Abend zu
mir, und ich frug ihn, ob er den Schreiber der Correspondenz-
karte kenne, welcher mir zwei »Präsent-Käse«: schickt, ohne dass
ich sie bestellt hatte. Glücklicher Weise durchblickte der Rechts-
gelehrte sofort die Mystification , und niemals hat der seither
verstorbene Assistent-Resident O. etwas von dieser Correspondenz-
karte erfahren, und der Schreiber dieses anonymen Schmutz-
briefes hatte von seiner gemeinen Intrigue nicht den geringsten
Erfolg.
Ende October 1891 verliess ich also Ngawie und zwar wiederum
via Solo.
Zu wiederholten Malen habe ich Solo passirt und zwei mal für
einige Stunden mich dort aufgehalten, so dass ich aus eigener An-
schauung nur wenig über die Stadt selbst, aber mehr über die gleich-
namige Provinz Surakarta berichten kann. Sie ist die reichste Pro-
vinz der ganzen Insel Java und hat zahlreiche Plantagen und andere
Unternehmungen; nicht weniger als 23 Plantagen für Indigo, 13 für
Indigo und Tabak, 4 für Indigo, Tabak und Kaffee, 7 für Tabak;
17 für Zucker, 4 für Zucker und Indigo, 20 für Indigo und Kaffee,
87 für Kaffee, 1 für Kaffee und Tabak, 1 für Kaffee und Chinin
und 1 für Zucker und Kaffee, also 178 grosse Unternehmungen
hat diese »Residentie«, obwohl sie nur 112,906 flMeilen gross ist,
drei grosse Berge hat und zahlreiche kleine Gebirgsketten das Land
durchziehen. Im Süden der Hauptstadt ist eine grosse Ebene, welche
in einem grossen Bogen längs dem Solofluss bis weit in das Ge-
biet der Provinz Madiun sich hinzieht. Drei grosse Berge be-
grenzen die Provinz als drei mächtige hohe Grenzpfähle im Osten
') Die EiDgeboreDen werden für ihre Verbrechen vor eine Jury gebracht,
welche aus einigen Häuptlingen besteht, deren Vorsitzender ein europäischer
Hechtsgelehrter ist.
264 ^^® Provinz Surakarta.
und Westen, lieber die Spitze des Lfawuberges, welcher 3254 Meter
hoch ist, zieht ihre östliche Grenze zwischen Solo und Madiun, und
die beiden Bergriesen Merapi (2866 Meter hoch) und der Merbabu
(3116 Meter hoch) trennen sie von den Provinzen Kadu und Djocjo-
karta. Der grösste Fluss ist der Solofluss oder, wie er in dieser
Provinz genannt wird, der Bengawan-Muss, der auf dem Berge Merapi
entspringt und auch der grösste Fluss der ganzen Insel (Java) ist; er
ergiesst sich bei Surabaya in die Javasee und wird als billiger
Transportweg von den Unternehmungen in den Provinzen Surakarta,
Madiun, Rembang und Surabaya häufig benutzt. Auf dem Berge
Lawu. auf dessen Gipfel oder vielmehr in der Nähe desselben ich
als Arzt in einem modernen Romane den rettenden Engel gespielt
habe, sind neben zahlreichen Ruinen aus der Zeit der Hindus noch
zahlreiche Mofetten und andere warme Mineralbrunnen bekannt; au
seiner Westseite findet man z. B. bei dem Dorfe Djurang Djerok
zwei kleine Teiche, aus denen stets giftige Gase aufsteigen, und bei
den Dörfern Pablingan und Gamping grosse schwefelhaltige Quellen.
Die Hauptstadt Surakarta, häufiger Solo genannt, macht keinen
freundlichen Eindruck. Sie hat zwar einige Sehenswürdigkeiten und
trägt wie ihre Schwesterstadt Djocjokarta noch ausgesprochener das
Gepräge einer rein javanischen Fürstenstadt. Sie leidet aber, wie
ich schon früher erwähnt habe, so oft und so stark durch die
Ueberströmungen der Solo- und Pepöflüsse, an deren Vereinigungs-
punkt sie liegt, dass es noch lange dauern wird, bis sie den An-
forderungen einer reinen, schönen Stadt gerecht werden kann.
Entsprechend der politischen Eintheilung des Landes hat die
Hauptstadt eine vierfache Vertretung. Der Kaiser wohnt in seinem
Palast, Kxaton genannt; dieser ist gerade so wie der zu Djocja,
eine kleine Stadt mit Mauern und Gräben umgeben und hat seinen
»Dalem«:, d. i. die Wohnung des Fürsten, den Sitin^l, die grosse
Halle, wo sich der Fürst dem Volke zeigt, den Alang- Alang = Schloss-
platz und hunderte kleine Gebäude für das Gefolge. Das zweite statt-
liche Gebäude ist das Fort Vastenburg, dessen Kanonen den Kraton
bedrohen. Das dritte ist der Palast des Gegenfürsten Mangku Negoro
in europäischem Stile, welcher einen sehr schönen und grossen Em-
pfangssalon mit elektrischer Beleuchtung hat. Das vierte ist das
Gebäude des Residenten, welches bei Weitem nicht so schön ein-
gerichtet ist als das seines Collegen in Djocja. Dann folgen zahl-
Die Provinz SurakarU. 265
reiche Häuser für die Landherren der Provinz, eine protestantische
Kirche; der Club, Theatei^bäude, drei Hotels, wovon das eine
gegenüber dem Fort liegt und » Jungfemheim« genannt wird, weil die
meisten ledigen Lehrerinnen dort wohnen, der Thiergarten mit pinigen
exotischen Thieren u. s. w. Natürlich fehlen in Solo weder der
Hofhalt in allen seinen Abstufungen, wie echte Prinzen mit ihrem
Oefolge unter Aufsicht des Kronprinzen und unechte Prinzen unter
Gontrole eines zweiten Sohnes des Sunans, noch die gut abgegrenzte
Eintheilung des Adels, der Geistlichkeit und des :» kleinen Mannes«.
Auch wird in Solo so viel als möglich für feierliche Aufzüge, Gala-
vorstellungen und Empfangsabende, und zwar mit demselben Oere-
moniell als in Djocja gesorgt. Ebenso wenig fehlte der Wäjang
orang (Fig. 18).
Von den übrigen Städten dieser Provinz sind noch zu nennen:
Kartasura, welches früher die Hauptstadt des Sultanats war,i)
E[laten, in welchem bis vor einigen Jahren in dem Fort Engelen-
burg das Strafdetachement für europäische Taugenichtse bestand,
Bojolali, wo ein altes, verlassenes Fort steht, die Schlucht bei Suka-
bumi, Patuk Pakis an der Küste mit seinen Schwalbennester-
höhlen u. 8. w.
Auf dem Vulcane Lawu, welcher seit seinem letzten Ausbruch
am 1. Mai 1752 seine jetzige Form und Gestalt bewahrt hat, bin ich
zweimal gewesen, und jedesmal entzückte mich dieses Bild einer
wildromantischen Natur, wo mächtige erratische Blöcke, Trachit-
felsen, Lianen, Gäsarinen-Grotten, heisse Quellen, Mofetten, Ab-
gründe und kahle, steile Wände in die Wolken gehüllt zu meinen
Füssen lagen. Es war die Nordostseite, welche ich zu besteigen
^) Diese sollte nach der javanischen Tradition jede 100 Jahre verlegt wer-
den; da aber die hollandische Begiemng nicht geneigt war, anch ein neues Fort,
Residentenhaus, Post und Telegraphenamt u. s. w. zu schaffen, gelang es ihr, in
beiden Sultanstädten (Solo und Djocja) die Befolgnng dieses Gebranches in die-
sem Jahrhundert zu hintertreiben: In diesem Falle hätte weder die arabische,
noch die jetzt allgemein übliche mohamedanisch-javanische Zeitrechnung den Zeit-
punkt der Uebersiedlong angegeben, sondern man hätte 100 Jahre der „Saka'^
genommen, d. h. der alten javanischen Zeitrechnung, welche mit dem Jahre
78 V. Chr. als beginnt und genannt wird nach dem Fürsten Adji Saka von
Dcckau, welcher sie auf Java eingefiUirt hat; sie hatte rein Innare Monate und
hat sich am längsten auf der Insel Bali erhalten.
266 ^^ Kaffeebanm.
gezwungen wurde. In Djamus hatte Herr R. . . . eine Kaffeeplan-
tage; um dahin von Ngawie zu gelangen, musste ich viermal die
Reise- Vehikel yerändem.« Von Ngawie brachte mich meine Equipage
nach Paron, wo ich die Eisenbahn bis Walikukung benutzte; hier
erwartete mich ein Dos-k-dos, mit welchem ich bis Gidoro gelangte,
ungefähr 1000' hoch, wo Herr K. . . . eine reizende Plantage
Ton Kaffee, und wenn ich nicht irre, auch von Muscatbäumen hatte.
So ein gepflegter Kaffeegarten gewährt einen lieblichen, anmuthigen
Anblick; der Baum wird zwar nicht höher als 6 — 7 Meter (der Liberia-
Kaffeebaum, den ich in meinem Garten in Magelang hatte, erreicht
nicht einmal die Höhe von 4 Metern), auch hat er keine stattliche,
breite Krone, aber jede Baumreihe hat einen grossen Schatten-
Spender; man wählt dazu am häufigsten den Dadapbaum (Erythrina
indica), eine Papilionacee, welche grosse, scharlachrothe Blüthen
hat, deren Blätter und Binde von den Eingeborenen gegen Asthma
und Fieber und deren Holz als Decoctum gegen Hämaturie ge-
braucht wird. Die Bliithe des Kaffeebaumes ist schneeweiss, hat
ein herrliches Jasmin- Aroma und fällt schon nach 8 Tagen auf den
Boden, der dadurch eine herrlich duftende, schneeweisse Decke
bekommt. Nach einigen Monaten erscheinen die Früchte in grüner
Farbe, welche sehr bald kirschroth werden und die Grösse einer
halben Haselnuss haben. Zu dieser Zeit hat der Kaffeebaum einen
gefährlichen Feind in dem Paradoxurus Musanga. Die reifeu
Früchte sind seine Lieblingsspeise, den Kern jedoch verdaut er
nicht; er begnügt sich mit dem Fleische der Frucht, und die
überflüssigen Kaffeekömer -^ sind die theuerste und beste Kaffee-
sorte, NB. nachdem sie den Darm des Musangs verlassen haben. Mir
wurde ein solches Excrement eines Musangs gezeigt; es bestand aus
drei Kaffeekömem, welche mit einer schwarzen Masse untereinander
verklebt waren. Diese Kaffeekömer stehen in so hohem Ansehen^
dass sie als besondere Gunstbezeigung den Europäern zum Ge-
schenke angeboten werden. Wenn die Früchte kirschroth geworden
sind, werden sie gepflückt und auf Platten aus Rohr dem Fermen-
tiren überlassen. Hierauf werden sie getrocknet und gestampfL
Ihre Heimath ist Arabien, von wo sie schon im Jahre 1698
importirt wurden; doch erst in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts (seit 1723) nahm die Kaffeecultur einen bedeutenden
Aufschwung, seitdem die Regierung mit sanftem Druck die Ein-
Ein Iloman auf. dem Yulcane „Lawa*'. 267
geborenen zum Bau desselben zwang. ^ Das Erträgniss des Kaffee-
baumes ist sehr yariabel. Ich erhielt von meinem Baume stets
mehr als 1 Kilo Bohnen, und wie ich es damals auf dem Lawu
mittheilen hörte, ist nur alle drei bis vier Jahre eine reiche Ernte
zu erwarten.
Bei Herrn K. . . . konnte ich nicht langer bleiben, als die Zeit
der »Rysttafel« dauerte. Nach dieser konnte ich noch bis Ngrambe
von dem Dos-k-dos Gebrauch machen. Der Weg war gut und so
breit, dass selbst ein zweiter Wagen passiren konnte, ohne beson-
dere Vorsicht gebrauchen zu müssen. Hier wohnten einige Euro-
päer, und darunter auch die Frau X. Ihr Mann ersuchte mich,
sie zu untersuchen, weil sie schon seit vielen Jahren durch eine
Schwäche in den Füssen kaum das Bett, aber niemals das Zimmer
oder das Haus verlassen hätte.
Bei meiner Visite fand ich eine alte Dame, welche firischen
Geistes ihr Leiden mit bewunderungswürdigem Gleichmuth ertrug;
sie litt an Osteomalacie, d. i. einer Knochenerweichung, welche sie
nach der letzten Entbindung erhalten hatte. Es war das erste Mal
und leider auch das letzte Mal, dass ich sie damals sah. Einige
Wochen später wurde sie ermordet, und die leichtfüssige Fama be-
schuldigte sie des Selbstmordes! Mir wurden davon während eines
Festes beim Regenten in Ngawie die einzelnen Details mitgetheilt;
') Im Jahre 1893 bestand die „Kofficultor" der Regierung entre autre:
in der Provinz Bantam in 216 Dessas = Dörfer mit 12 262 Familien,
„ „ - Krawang „ 18 „ „ „ 1 446 „
r. « 14 826
n « 1"93 „
« •^— —""ö rt — 9) « n 36626 „
„13186
„ 16400
•, 6021 ,
Im Ganzen beschäftigten sich 320539 Familien in 3944 Dessas mit dem
Bau des Kaifees und lieferten ihn an die Regierung. Diese exportirte in dem-
selben Jahre 13444827 Kilo im Werthe von 12772586 fl., während der Ge-
sammtezport des Kaffees, d. h. incl. dem der Frivatuntemehmungen, 25861000
Kilo im Werthe von 24855980 fl. betrug. Im Quinquennium 1889—1893
wiu^en 41822000, 25169000*, 38758000, 41058000 und 25361000 Kilo aus
Indien exportirt.
»77 r,
Krawang
n
18
Preanger
n
618
Cheribon
»
147
Tegäl
n
154
»Samarang
r»
460
Surabaya
n
98
Kedü
j»
297
Banjumas
n
264
BageMen
n
85
n
268 ^ui Roman aaf dem Vvlcane |,Lawu^.
man fand sie im Bette mit durchschnittenem Hals unter einer Bett-
decke und nebstdem mit einem blutigen Messer im Aermel der
Kabaya?? Ich theilte dieses dem Assistent-Residenten X. mit und
erwartete, dass ich sofort mit einer gerichtlichen Commission snir
Untersuchung dahin gesendet würde; der Herr scheint aber so be-
stimmte Nachricht von ihrem Selbstmord erhalten zu haben, dass er
EU einem Einschreiten keinen Anlass fand. Mir freilich konnte es
nicht einleuchten, dass eine Frau, welche seit vielen Jahren mit
Knochenerweichung an das Bett gefesselt war, den Muth und die
physische Kraft haben sollte, sich selbst den Hals durchzuschneiden!?
Auch in der AfFaire, welche mich nach Djamus führte, hatt«
Herr X. eine ganz unrichtige Auffassung der Verhältnisse; es war
rielmehr seine Frau, welche auch den geschäftlichen Ideengang ihres
Mannes beeinflusste; er weilt nicht mehr unter den Lebenden, und
80 kann ich etwas ausführlicher in der Mittheilung dieser Affaire
sein, ohne fürchten zu müssen, jemandem direct oder indirect zu
schaden.
In Gendingan konnte ich schon einige sichere Nachrichten
über die junge Dame erhalten, deren Untersuchung von den
Eltern von mir verlangt wurde, weil ein Angestellter sie beschuldigte,
diese eine Tochter — sie hatten deren 7 — zu verwahrlosen und
unter dem Verwände, dass sie irrsinnig sei, ihrer Freiheit zu berauben !
Dieser Privatbeamte schickte mir später die Abschrift der ganzen
Correspondenz zwischen ihm und dem Vater dieses unglücklichen
Mädchens; ich besitze sie noch heute, und fast möchte ich glauben,
wenn ich sie wiederum lese, dass dieser bona fide gehandelt hat.
In allen Briefen betont er die Nothwendigkeit, die Patientin der
Einsiedelei auf dem Berge zu entreissen und sie der Gesellschaft
zurückzugeben. Aber falsch sind die Motive, die er den unglück-
lichen Eltern in der Behandlung ihrer Tochter unterschiebt. Die
Plantage gehörte in nomine der Frau, und ihr Mann sollte seine
eigene Tochter zu dem geistigen Tode verurtheilt haben, um als
gesetzlicher Vormund ihr Erbe zu werden. Diese Briefe wurden
dem Assistent-Residenten X. gesendet mit der officiellen Anklage,
dass der Herr X. seine majorenne Tochter der Freiheit beraube
und sie durch schlechte Behandlung dem Wahnsinn in die Arme
führen wolle ! ! Das Traurigste in dieser Affaire ist, dass dieser Be-
amte oder vielmehr seine Frau diesem Märchen Glauben schenkte,
Ein Roman auf dem Vtücane ^Lawn*'. 269
und als ich in dieser Sache als Genchtsai^t yemommen wurde,
mir die zweifeUose Richtigkeit mit dem nöthigcD Nachdruck vor-
geleiert wurde. £iii Vater, der sieben Töchter hat, sechs Ton
ihnen eine gute Erziehung in Europa angedeihen lässt und £ür jede
derselben mehr als 1000 fl. jährlich bezahlt, ein solcher Vater sollte
mit dem Wissen und Wülen seiner Frau eine solche Missethat be-
gehen!? Dieser Einwand blieb ohne Erfolg, und der Assistent-Be-
sident liess als 2>Hilfso£ficier der Justiz« dem Rechte seinen Lauf.
Der Herr X. wurde von der gegen ihn erhobenen Anklage verstän-
digt und beschloss nun, durch mich den Wahnsinn seiner Tochter
constatiren zu lassen und bat mich, zu ihm zu kommen. Ich firag
vorher jedoch bei ihm an, ob ich meine Frau mitnehmen könnte,
welche gern einmal eine Plantage im Hochgebii^ besuchen und
besichtigen möchte. Im August des Jahres 1889 begaben wir uns
also auf die Reise, die ich oben bereits angedeutet habe. In
Ngrambe mussten wir das Dos-a-dos verlassen, weil hinauf ins Ge-
birge kein Fahrweg bestand. Für mich stand ein kleines Pferd
und für meine Frau eine Sänfte zur Verfügung.
Es war ein Fusspfad, den das herabströmende Regenwasser in
den Berg gegraben hatte; erratische Blöcke, G-eröll und Sand wech-
selten mit Grasflächen, und sicheren Schrittes trug mich das kleine
javanische Pferd über alle Hindernisse. Die Begleitung meiner Frau
bestand aus 6 Kulis, von denen abwechselnd je vier die Sänfte
bald auf den Schultern, bald mit den Händen tragen, je nachdem
der Weg eben oder wellenförmig war. Bei jeder Pause erfreute
uns das herrliche Panorama hinter unserem Rücken. Bald erhob
sich das grosse Thal des Soloflusses in deutlichen Linien auf dem
Horizont, hinter welchem das Wellisgebirge seinen breiten Berg-
rücken uns zeigte, später sahen wir den Smeru und den Kelut am
östlichen Horizont auftauchen. Auf dem Berge Lawu selbst sahen
wir nur niedriges Gesträuch, eine sanft aufsteigende Hochfläche, be-
grenzt von kleinen Hügeln, welche bald Tjemarabäume, bald Acacien,
Gnaphalien und Vaccinia trugen.
Nach ungefähr zwei Stunden erreichten wir die Plantage Djamus
in einer Höhe von 1500 Metern. Tief unter uns lagen dichte,
schwarze Wolken, aus denen eine zweite Spitze des Lawu hoch
hervorragte und nur mit Mühe die Schlucht zwischen beiden erkennen
liess. Die dritte Spitze des Berges habe ich nicht zu Gesicht be-
kommen.
270 ^^ Roman auf dem Vulcane „Lawu'^.
Der Kaffee war gepflückt, fermentirt, getrocknet und gestampft,
und Frau X. sass mit eingeborenen Frauen, die Kömer zu assor-
tiren. Unsere Ankunft entriss natürlich die Familie ihrer taglichen
Beschäftigung, und bald sassen wir in der Veranda, eine Schale
warmen Thees zu trinken; es war kühl; vielleicht nicht mehr als
12^ C, und wir Beide kamen aus »der Hölle Javas«. Die Familie
kam unsem Wünschen entgegen, und wir zogen uns ins Haus zu-
rück, wo auch die Fenster gescl^ossen werden mussten, um uns von
dem unangenehmen Gefühl des Frösteins zu befreien. Bald waren
wir im Gespräche über die unglückliche Tochter, und es war das
alte Lied: Den Anfang und die Ursache des Wahnsinns zu con-
statiren, welchen der Laie gern unvermittelt dur6h plötzliche Erup-
tion, sei es durch Schreck u. s. w. entstehen lässt; das ganze trau-
tige Familienleben entrollte sich vor mir, das ein irrsinniges Mit-
glied bedingt, weil der Wahnsinn in seinen ersten Symptomen ver-
kannt wurde. Die Grenze zwischen psychischer Gesundheit und
psychischem Ejranksein kann ja von niemandem gezogen werden. End-
lich wurde mir mitgetheilt, dass die Patientin sich in ihrem Zimmer
im danebenstehenden Pavillon befinde. Ich ging dahin und sah
beim Fenster ein Wesen stehen, welches das traurige Bild des
Wahnsinns in allen seinen Zügen zeigt. Verwahrlost in ihrer Klei-
dung, mit wirren Haaren, starrte sie mich mit fragenden Blicken
an, und als ich ihr einen Gruss zurief, antwortete sie mir kurz, dass
sie einen verheirateten Liebhaber nicht haben wolle, warf die Pan-
toffeln nach mir und sprang aus dem Fenster der andern Seite und
verschwand im Gebüsche. Gegen das Abendessen gelang es mir,
sie in der Nähe zu sehen und zu sprechen. Sie kam in die Küche,
ihr Nachtmahl zu holen. Ich ging mit dem Vater dahin, und mit
dem charakteristischen Lächeln des Wahnsinns liess sie mich näher
kommen, ohne sich im Essen stören zu lassen. Der Schmutz hinter
den Ohren und die schmutzige Kabaya, sowie die schmutzigen Nägel,
begründeten meinen Vorschlag, die Unglüi^kliche in eine Anstalt
aufnehmen zu lassen, in welcher die geschulten Wärterinnen die
Geschicklichkeit, Tact und Muth haben, solche Patienten zur Rein-
lichkeit anzuhalten.
Natürlich kamen auch die Motive zur Sprache, welche den
Privat-Beamten X. veranlassten, den Anwalt dieser Unglücklichen
zu spielen. In seinen Briefen ist das Mitleiden mit seiner »Nichte«,
welche keinen Bruder habe« um ihr Recht zu vertheidigen, der ein-
Ein Roman auf dem Vulcane „Lawu". 271
zige Grundton^ und in allen Tonarten äusserte sich 'dieses Mit-
leiden. Her» X. aber fand ein egoistisches Motiv^ welches mir nicht
recht einleuchten wollte. Seine Tochter musste wiederholt auer der
Wohnung des Privat-Beamten X. geholt werden, welche sich am
FuBse des Berges befand; vielleicht hoffte dieser durch eiue Ehe
mit dieser Unglücklichen sich dann in den Besitz eines Thefles dieser
grossen Plantage zu setzen. Es waren im G-anzen 7 Töchter,
und im günstigsten Falle wäre ^/s Antheil nach dem Tode der
Mutter dem Manne dieser Irrsinnigen zugefallen; um einen solchen
Preis eine irrsinnige Frau zu erhalten — wäre eine schlechte
Speculation.
Diese Pflanzer waren so an die niedrige Temperatur ihres
Ortes gewöhnt, dass sie keine Oefen im Hause hatten. Die
Biologie liegt in allen Fragen darnieder, welche die »Gewohn-
heit« betreffen. Als ich im Jahre 1897 Ende April durch das
rothe Meer fuhr, war es so kalt, dass nicht allein ich — dann
könnte es individuellen Empfindungen zugeschrieben werden, sondern
alle Passagiere ihre Ueberzieher, Mäntel oder Plaids u. s. w. in
Gebrauch nehmen mussten, und das Thermometer zeigte 17^ C!
Es ist richtig, dass wir aus warmen Ländern kamen und dass wir
80 niedrige Temperatur nicht gewöhnt waren. — Welcher che-
mische Vorgang erklärt das )» Gewohntsein«? Was geschieht z. B.
im Bachen oder im Gehirn oder im Magen des jungen Mannes,
welcher nach der ersten Cigarre den heftigsten Gastricismus be-
kommt und nach ^/a Jahren anstandslos die schwerste Cigarre
raucht? U. A. w. g.
Wir sassen also den ganzen Abend bei geschlossenen Fen-
stern und Thüren, und für die Nacht holte die liebenswürdige Haus-
frau alle wollenen Decken herbei, um uns in ihrem Heim nicht eine
ganze Nacht »frieren« zu lassen. In einem schönen Gedichte hat
diese Dame den Berg Lawu besungen. Mit Bedauern verliessen
wir unsem Gastgeber am folgenden Tage, weil mich meine Berufs-
pflichten nach Ngawie riefen. Aber länger als eine Woche über
den Wolken nur die bewaldeten Gipfel eines Berges zu sehen —
NB. ohne Berufspflichten oder andere Arbeit zu haben — d. h. dort
zu logiren, das wäre doch zu viel verlangt.
Hierauf beantwortete ich alle Fragen des »Offlciers der Justiz«
über das Wesen der Krankheit dieser unglücklichen jungen Dame
und über die Symptome, welche mich bewogen hatten, in diesem
272 ^^ Romao auf dem Vulcane „Lawu*'.
Falle den Wahnsinn zn oonstatiren. Sie wurde entmündigt^ ihr Vater
zum Curator ernannt und der Assistent-Resident X .• wurde nach
Kudus transferirt.
Die westlichen Grenzpfahle der Provinz Surakarta, die Berge
Merapi und Merbabu mit ihrem Ausläufer Telomojo (1883 Meter
hoch) habe ich fünf Jahre lang beobachten können, und ich will
ihrer im folgenden Caintel erwähnen. Die :»Fürstenthümer Javas«
sind reiche Länder und hochinteressant wegen ihrer Veigangenheit
und zahlreichen Denkmäler aus der Zeit der Hindu-Herrschaft.
9. CapiteL
Die Provinz Kcdü — Der Berg Tidar — In Hagelang —
Auf dem Pftsar (= Xarl^t) — Jaraniselie ScliSnlieitsmittel —
Haastoilette der enropSisehen Damen — Mein ^Haus^ —
Empfangsabende — Magelang — Opiumrauehen — Die diine-
sen auf Java — Die geriehtliche Mediein der Chinesen —
Ein zn grosses MilitSrspital — Die KSnigin yon Slam in
Magelang — Ein Oberstabsarzt «^gestellt^ — Naehtheile der
Parillons ans Bambns — Organisation des Recbtswesens —
Zum Theaterdireetor gewShlt — Die Journalistik Indiens.
A uch die Provinz Kedü hat auf ihrer westlichen und östlichen
^^^ G-renze grosse und mächtige Grenzpfeiler, im Osten die bereits
erwähnten Merapi, Merbabu und Telomojo, während der Sumbing,
3336 Meter hoch, der Sindoro, 3124 Meter hoch, uod der Berg
Bisna, 2363 Meter hoch,, diese Provinz im Westen von der Provinz
Bagelen scheiden. Die Ausläufer dieser Berge durchziehen die ganze
Provinz, und selbst die Thäler des Progo- und des Elloflusses sind
zu schmal, um den gebirgigen Charakter dieser Provinz in hohem
Grade zu beeinflussen. (Nur von Magelang zieht nach Norden eine
10 Kilometer grosse Ebene.) Diese Provinz ist reich an Kunst-
denkmälem, unter denen der schönste, grösste und mächtigste Tem-
pel vielleicht der ganzen Welt der Buru-Budur ist. Obwohl der
grösste Theil des Landes Communalbesitz ist, die Provinz bei einer
Grösse von 37,o6 QJ Meilen ungefähr 800,000 Einwohner, somit mehr
als 20,000 Seelen auf die Q Meile zählt, so ist sie doch eine arme
Provinz. Vielleicht wird die Vollendung der Eisenbahn einen gün-
stigen Einfluss auf die Wohlfahrt des Landes nehmen ; erst vor zwei
Jahren wurde die Linie Djocja-Magelang gebaut, und es fehlt noch
Breitenitein, 11 Jalire in Indien n. lo
274 I>ö«^ Börgr Tidar.
die Linie Mageiang-Ambarawa, um die ganze ProTinz durch den
Schienenweg mit dem Norden Javas i) zu verbinden.
Im Jahre 1891 konnte ich mich bei meiner Transferirung von
Ngawie nach Magelang, der Hauptstadt dieser Provinz, nur bis Djocja
der Eisenbahn bedienen. Mein Mylord, welcher bei der Auction in
Ngawie keinen Käufer fand,' traf zu gleicher Zeit in Djocja ein;
ich miethete im Hotel Tugu nur vier Pferde (mit Kutscher und
Palfenir) um 12 fl. und konnte also in meiner bequemen Kutsche
die Reise fortsetzen. Die Reisewagen, welche man s. Z. in Djocja
und in Magelang zu dieser mehrstündigen Reise miethen konnte,
waren alte, hässliche Wagen und hatten eine lothrechte Rückenlehne,
so dass ich mich oft verwundert frug, woher sie denn diese un-
praktischen Reise Vehikel in so grosser Zahl auftreiben konnten.
Bei Salam verliess ich die Provinz Djocja, und sofort fühlte
ich den Einfluss der holländischen Regierung. Wenn es auch un-
unterbrochen bergauf ging, so war die Reise doch nicht unange-
nehm, weil sich der Weg sofort hinter der Grenze in sehr gutem
Zustande befand. In Muntilan wurden die Pferde gewechselt,
und noch immer stieg der Weg sanft mit zahlreichen Wellen an,
so dass wir von der Grenze, welche 331 Meter absolute Höhe hatte,
hier 355 Meter und in Magelang 384 Meter Höhe, im Ganzen
53 Meter gestiegen waren. Hinter Muntilan lag eine schöne, wenn
auch schmale Strasse, welche links ab zu dem schönen Tempel
Mendut (Fig. 19) und mittelst Fähre über den EUofiuss zum Buru-
Budur führte. Gegen 5^2 Uhr näherte ich mich der Stadt Mage-
lang, d. h. ich sah den Berg Tidar, welcher 504 Meter über dem
Meere und 120 Meter hoch sich über Magelang erhebt. Es ist der
päku = Nagel oder der pusar = Nabel (= der Mittelpunkt von
Java), durch dessen Spitze der Nagel getrieben wurde, mit dein
diese Insel auf der Erde befestigt wurde. Nichts allein auf mibh
machte dieser Hügel den Eindruck, dass auch er die Ruinen eines
grossen Tempels bedecke, sondern es wurde so oft diese Vermuthung
geäussert, dass Ausgrabungen stattfanden, »welche jedoch ein nega-
tives Resultat hatten. Der »Tidar« musste eben durch seine isolirte
Stellung zu solchen Vermuthungen Anlass geben; er steht nämlich
^) Vom strategischen Standpunkte aus ist diese Linie selbst unentbehrlich
zu nennen.
In Magelang. 275
ganz isolirt in der Ebene zwischen den beiden Bergriesen Merapi
und Sumbing. Auf den Berg Tidar folgte der europäische Kirch*
faof, für dessen Verschönerung ich späterhin als Präsident der :^Earch-
faofs-:Commission« zu sorgen hatte, hierauf der grosse Marktplatz,
das chinesische Quartier -mit der chinesischen Kirche, und am Ende
dieser Strasse lag der Schlossplatz (Alang-älang) mit der Moschee, *)
dem Palaste des Begenten, dem Of&ciersclub, der Schule für Häupt-
lings-Söhne, dem Postamt, einem Hot01 und der Volksschule für
Eingeborene.
Der »grosse Weg« führte mich auf der Ostseite des Schloss-
platzes in eine schöne Allee mit europäischen Wohnungen bis zum
Anfang des »Campement«, wo auf der einen Seite die Wohnung
des Commandanten und zur rechten Seite das Hotel Kedü standen.
Der Eigenthümer dieses Hotels war ein sehr braver Mann, ein
Deutscher von Geburt, der durch seinen jahrelangen Aufenthalt
unter den Holländern seine Muttersprache so verlernt hatte, dass
sein Kauderwelsch dem grössten Philologen ein Bäthsel blieb, weil
•er seinem deutschen und holländischen Wörterschatz noch englische
und malayische Wörter beifügte und nach Gutdünken die Wort-
und Satzbildung dieser vier Sprachen auf seine Bede anwandte.
Dies ist allerdings eine alltägliche Erscheinung, dass die Deutschen,
durch die Aehnlichkeit der beiden Sprachen, in den holländischen
Oolonien ihre Muttersprache verlernen und umgekehrt die Holländer
nach einem kurzen Aufenthalt in deutschen Ländern die holländische
Sprache geradezu misshandeln; aber niemand will es glauben, der
es nicht selbst erfahren hat. Vor vielen Jahren sprach ich in
Buitenzorg mit der Frau eines Collegen, welche in Preussen ihre
Wiege gehabt hatte, und erzählte ihr einige drastische Fälle von
solchem verdorbenen Deutsch unserer Landsleute ; darauf ant-
wortete sie mir mit einem Seufzer: Ach, wie kann man denn seine
Mutterz aal vergessen! Die Sprache heisst im Holländischen taal,
und da viele deutsche Worte mit Z in der holländischen Spräche mit T
^) Magelang beutet ein chinesisches, mohamedaniscfaes und katholisches
Gotteshaus, aber keine protestantische Kirche! Die „ambonesischen Soldaten"
hatten zwar eine kleine Kirche auf dem „grossen Weg^; für die übrigen Pro-
testanten hielt jedoch der „Domine'', welcher in Djocja seinen Standplatz hatte,
hin and wieder Gottesdienst, und zwar in einem alten, Verfallenen Tarnsaal
der Schale für Häuptlings-Söhne, in welchem auch ein Dilettantenverein seine
Bühne für die „Thalia" errichtete!!
18*
276 In Magelang.
beginnen, glaubte sie deutsch zu sprechen, wenn sie aus taal einfach
zaal machte. Diese Dame war erst ein Jahr in Indien. Der Grast-
wirih des Hotels Kedü war als gewesener Corporal und in seiner
jetzigen Stellung schon Jahrzehnte in Indien und hatte also ein Idiom
angenonmien, das ein mixtum compositum der vier Sprachen war,
welche er in seiner Eigenschaft als Wirth täglich am meisten ge-
brauchen musste. Er empfing mich auch mit den Worten: »Es
wird Sie freuen, dass Sie fafer geplatzt >) sind, und ich soll Ihnen
so viel als möglich helfen. «^ Ich hatte jedoch seine Hülfe nicht nöthig,
weil der Begimentsarzt, welcher mich in Ngawie ablöste, vor seiner
Abreise aus Magelang auf mein Ersuchen sein »Haus« für mich ge-
miethet hatte. Dadurch wurde es mir möglich, in kürzester Zeit das
Hotel yerlassen und mein eignes Heim beziehen zu können. Am folgen-
den Tage meldete ich mich zunächst beim Platzcommandanten, welcher
unweit vom Hotel sein Bureau hatte. Eine schöne breite Strasse führte
in das Campement; die linke (westliche) Seite war von zwei grossen
OfficierpayUlons eingenommen, und rechts von ihr lag ein grosses schönes-
Exercierfeld mit Casemen in der Form eines offenen Oblongums
I I im Hintergrunde. Neben dem Bureau dieses Officiers be-
fand sich auch das des Zahlmeisters, dem die Abrechnung mit
seinem Collegen in Ngawie überreicht wurde. Mein Chef in loco,
ein Stabsarzt, hatte sein Bureau im Spital, welches sich damals am
Fusse des Berges Tidar befand; ich nahm also eine Equipage, um
nicht den Weg von l^/a Kilometer zu Fuss zurücklegen zu müssen.
Ich nahm meine Frau mit, weil ich unterwegs diverse Einkäufe be-
sorgen wollte. Auf dem »grossen Wege« befanden sich nämlich
zwei europäische Greschäfte; das eine gehörte einem pensionirten
Hauptmann, der zu meiner üeberraschung im Geschäft von einem
der Anwesenden mit Herr General-Major angesprochen wurde. Er-
staunt blickte ich Beide an, und lächelnd gab mir der Kaufmann die
Erklärung dieser seltsamen Titulatur; er sei als pensionirter Haupt-
mann Mitglied des Officierclubs und bespreche natürlich jeden Abend
schon seit 15 Jahren an der »Kletstafel« das Avancement seiner
Zeitgenossen ; von jeher wurde er scherzweise mit jenem Titel ange-
sprochen, den seine Zeitgenossen erlangt hatten, und als einer der-
selben vor Kurzem General-Major geworden war, wurde auch »auf.
sein Avancement« getrunken und unter Toasten seine Ernennung
') Das hoUändieche plafttsen = anstellen.
In Magelang. 277
zum General-Major gefeiert. Von dem »grossen Wegec gelangten
wir auf den Schlossplatz, ohne uns mit der Besichtigung der Moschee
aufzuhalten, welche wir passiren mussten, um in die Mörderallee zu
gelangen. Dies war nämlich die Strasse, welche zum Spitale führte,
und die diesen Namen (mordenaars-laan) erhalten haben soll, weil täg-
lich die Militärärzte diesen Weg nahmen. Ein reizendes Panorama bot
sich unsem BUcken dar, welches den Namen »Garten von Javac
begründete und rechtfertigte. Links war die Strasse von einer Reihe
hoch liegender europäischer Häuser in altgriechischem Stile begrenzt;
rechts erhob sich im Hintergrunde der Berg Sumbing, und an seinem
Fusse spiegelte sich die Sonne in dem farbenreichen Bild alter und
junger Sawahfelder und zahlreicher Gemüsebeete. Die Mordenaars-
laan ging über in die grosse Strasse nach Salaman. Vor dem Tidar
bog jedoch der Weg in einem rechten Winkel noch zweimal, bevor
man das Spital erreichte. Dieses bestand aus Bambus-Baracken und
hatte nur zwei steinerne Gebäude; das eine für die Bureaux und
das andere war — ein Pulvermagazin ! ! Seit dem 2. November 1892
ist es verlassen und niedergerissen worden, so dass es nicht der
Mühe werth ist, einige Worte darüber zu verlieren. Nachdem ich
mich meinem Chef und den übrigen Officieren vorgestellt hatte (meine
Frau blieb im Wagen, um auf mich zu warten), fuhr ich zurück
und zwar längs dem Tidar, um von dort in das chinesische Quar-
tier zu kommen, wo sich die Möbelfabrikanten und zahlreiche Tokos
befanden.
Gegen das Ende dieser Strasse mässigte der Kutscher den
Schritt der Pferde, weil eine grosse Menschenmenge wie ein Bienen-
schwarm sich hin und her bewegte. Wir befanden uns gegenüber
dem Marktplatz, und es war )»hari Paing« d. h. Markttag, genannt
nach dem zweiten Tage der alten javanischen Woche, welche nur
fünf Tage zählte und zwar Legi, Paing, Pon, Wageh und Eüwon.^)
Wir waren im Lande des Indigo, >) denn die vorherrschende Farbe
der Frauenkleider war blau; nur die Haushälterinnen der Soldaten
und die europäischen Bewohner hatten eine weisse Kabaya mit
Spitzen besetzt, oder eine dunkle, blaue, rothe oder grüne aus
Sammet oder Seide. Die Sonnenschirme hatten dieselben grellen
^} Die ofdcielle Woche hat jetzt 7 Tage and zwar: Ahad oder Minggu (aus
dem portugiesischen Wort Domingo), Senen, Selassa, Rebü, Kemis, Djumahad
4ind Septu (portugiesisch).
^ Im Jahre 1893 wurde ans Indien um 2,224,522 fl. Indigo exportirt.
278 * J^^^ ^^^ Päsar.
Farben, und ich muss gestehen, dass das Auge dies nicht unangenehm
fand. Wie ein Bienenschwarm bewegte sich die Menschenmasse auf
und ab. Wir stiegen aus dem Wagen, um uns dieses G^woge naher
zu betrachten. Der Marktplatz bestand aus einfachen Hallen, welche
mit Schindeln aus gebackenem Lehm bedeckt waren. Früehte, Fische, ^)
Hühner, Enten, Eier, Gtewürze, Kiichengeräthe, Kalk, Alaun, Arsenik,.
Kämme aus Hom, Hacken und Messer, Zwirn und Nadeln ü. s. w.
lagen bunt durcheinander auf kleinen Bäle-bäle, «das sind Bänke
aus gespaltenem Bambus. Die Gerüche Arabiens waren hier schwach
vertreten, desto mehr aber ein fürchterlicher Gestank, der den
längeren Aufenthalt für eine europäische Nase geradezu unangenehm
machte. Die Ausdünstungen der Menschen, welche ihre Haare mit
ranzig gewordenem Oel gesalbt hatten, mischten sich mit dem pene-
tranten Gestank zahlreicher getrockneter Fischsorten (ikan kaju
= Stockfisch, ikan sepät = Trichopus trichopterus u. T. striatus),
dem trassi, Durianfrucht, Nangkafirucht, Djambu bldji und last not
least mit den Blumen des von den Dichtem gepriesenen Melatti-
baumes (Jasminium Samboc). Alles, was eine indische Schöne für
die Pflege ihres Körpers nöthig erachtet, bringt der Päsar; aber
auch alle Gewürze, welche das Krankenzimmer desinficiren sollen^
werden hier verkauft, wie dupa (Myrrha).. menjang (Benzoe), stanggie
(Mixtum compositun aus Rasse [Zibeth]), Kaju f;aru (das Holz von
ficus procera), Menjang merra (Bothe Benzoe), Kaju tjindana (San->
dalum album), Zucker u. s. w., Kanariharz (Canarium commune) u. s. w.
Die Babu (Zofe), welche uns begleitete, war auf dem Bocke
neben dem Kutscher zurückgeblieben. Um jedoch fachmännisch in
die Geheinmisse der javanischen Kosmetik eingeweiht werden zu
können, liess ich sie holen, und bei jedem Pulver, Salbe u. s. w.
gab sie uns die Gebrauchsanweisung. Zuerst zeigte sie uns die Be-
standtheile des x>Kramas<:, d. h. das Waschen des Kopfhaars: Der
Reishalm wird verbrannt und seine Kohle 24 Stunden lang im Wasser
aufgelöst und filtrirt. Diese Lauge heisst Merang und wird zum
Waschen der Haare gebraucht. Das überschüssige Aleali wird
mit Gitronenwasser (aus Citrus Limonellus) entfernt, in welchem
sich wohlriechende Blumen, als Melatti u. s. w. befanden; hierauf
wird wohlriechendes Cocosnussöl. tüchtig in die Haare eingerieben.
Dr. Bleeker spricht von 380 Sorten Fischen, welche in Indien gegesaen
■werden.
Javanische Schönheitsmittel. 279
•
Auf dem Toilettentiscfachen befindet sich ein Schalchen mit der*
fein gestampften Binde von Kapinango (Dysoxylum laxiflorum), mit
welchem sie nach dem Bade den Körper einschmieren, ein Fläsch^
chen Widjenöl (Sesamöl) und Kajaputiöl (Melaleuca leneadendron)
oder Zimmtöl oder eine grosse Flasche mit Cocosnussöl, in welchem
sich wohlriechende Blätter oder Blumen befinden. Mit diesen Oel-
Sorten wird der letzte Act der Körperpflege Torgenommen, Jetzt
zeigte sie uns aUe Odeurs, welche 'nicht nur mit dem Oel zum Säl-
ben des Körpers gebraucht, sondern auch zwischen die Kleider und
Wäsche gelegt oder verbrannt werden, um diese damit zu beräu-
chern; selbst unter die Kopfpolster des Bettes werden sie gelegt;
ich konnte mich aber niemals für diesen Gebrauch begeistern. Sie
riechen so stark, dass sie mir Kopfweh verursachten und ich mich
genöthigt sah, sie wegwerfen zu lassen. Dazu gehören die akar
wangi (Wurzel von Andropogon muricatus), die getrockneten, kleinen
Zweige von Pogostemon, die Blätter von Pandanus odoratissimus,
die Blüthen von Jasminum, von tandjong (Minusops Elengi), Ka-
nanga wangie (Uwaria odorata), akar tjampakka (Dianella montana),
Garuholz (ficus procera) und Lakkaholz (Myristica iners)^) u. s. w.
Das Bedak fehlt in keinem Haushalt; auch alle europäischen
Familien gebrauchen dieses Cosmeticum, welches nichts anderes als
das europäische poudre de riz ist. Auf dem Pasar kommt es je-
doch in der Form von kleinen, weissen Zeltchen in den Handel,
welche dann gestampft werden müssen. Sie werden dadurch wohl-
riechend gemacht, dass sie zwischen wohlriechenden Blättern oder
Blüthen aufgehoben werden. Hierauf zeigte sie uns die Bestand-
theile für die Bpreh, für das Schwarzfärben der Zähne, für das
Sirihkauen, für das Malen der Augenbrauen und das Bothfärben
der Nägel. Die Babu fühlte sich ausserordentlich geschmeichelt,
in so zahlreichen Fragen Bathgeberin sein zu können, und zeigte uns
auch einige »^amn«, welche ihr von den Verkäufern angepriesen
wurden. Meinem Princip getreu, die abergläubischen Ideen ^er Be-
dienten mir gegenüber nicht einmal äussern zu lassen, schnitt ich
ihre diesbezüglichen Mittheilungen mit dem Worte :»sudah« ab und
ging zu dem nächsten Krämer, welcher mit lauter Stimme rief:
»patjar kuku«. Es war der Saft von Lawsonia alba, welcher mit
^) Die wissenschaftlichen Namen sind dem Werke: Dr. van der Burg^
De geneesheer in Indien, I. Theil, entnommen. . i ^
280 Javamscho SchönheitBmittel.
Oel gemischt zum Rothf ärben der Nägel 'gebraucht wird. Wer sich
gut über die Bestandtheile der indischen Panaceen = djamu in-
formiren will, findet im lU. Theil des Buches von Dr. van der Burg
eine stattliche Reihe derselben genau beschrieben; sie entsprechen
ungefähr unsem Thees zur ßlutreinigung und werden von den er-
wachsenen ISingeborenen entweder täglich oder nur hin und wieder
genommen. Ich kann nicht umhiD, die Zusammenstellung eines soU
chen »djamu« nach van der Burg hier mitzutheilen: *
Djinten (Garum carqi).
Massooi (Cortex Cinnamonü Eaamis).
Sintok (Cort. Ginnamomi sintok).
Saparantu (Fructus Myrsinis avenis).
Ketümbar (Semina coriandri).
Fala (Nuces moschatae).
Mungsi (Semina anethi).
Tawas (Aluman crudum).
Tjabe wungu (Gapsicum bicolor).
Kamunkus (Piper cubebae).
Maridja (Rper nigrum).
Kedawoong (Parkia intermedia).
Tjenkä (Garyophili aromatici).
Djuruk nipis (Gotrus limonellus).
Ingu (Asa foetida).
Kaju manis tjina (Radix liquiritiae).
Kasoh angin (Saccharum spontaneum?).
Kajus manis djawa (Gortex Ginnamomi aromatici).
Kuntji (Radix kampheriae rotundae).
Rawang merah (Allium cepa).
Mata Kentjur (Radix kampheriae galangae).
Dann lampas (Folia Ocimi basilici).
Dann kasimbukan (Folia Paederiae foetidae).
IQabet (Golocasia antiquorum).
Kembang Kasumba (Flores Bixiae orellanae).
Djongrahap?
Natürlich wollte ich auch die Mittel kennen lernen, mit welchen
sie die Zähne schwarz färben; die weissen Zähne sind für den echten
Javanen so hässUch, dass er sie mit denen emes Hundes vergleicht,
welcher häram = unrein ist; die Zofe naimte mir zahlreiche Mittel,
welche zu diesem Zwecke gebraucht werden, flocht aber so häufig An-
Javanische Schönheitsmittel. 281
merkungen über das Sirihkäuen und über das Abschleifen der Zähne
ein, dass ich im Zweifel wai* und blieb, ob denn nicht die H^auptquelle
in dem Biossiegen der Pulpa der Zahne zu suchen sei. Wenn ich
auch manchmal die schwarzen Zähne sehr geni sah, so war doch im
Allgemeinen der Anblick eines solchen Mundes geradezu widerlich;
der verUebte Javane mag so einen Mund mit einem Granatapfel ver-
gleichen, den Europäer jedoch wideni die vom Sirih rothgefärbten
Lippen und^die entblössten Zähne bi hohem Maasse an. Ich glaube
auch, dass in erster Reihe das Sirihkauen die Zähne förbt; der Saft
von Tater (Solanum verbascifolium), von Eomerak (Scepasma buxifolia),
Cocosmilch, worin 8 Tage lang em Stück Eisen gelegen war, und zahl-
reiche andere Pflanzen sollen diese Procedtu* befördern; aber die Haupt-
sache bleibt nach meiner Ansicht das Sirihkauen. Der Vorgang desselben
ist folgender: Zwei oder drei Blätter der Schlingpflanze Chavica siriboa
werden mit nassem Kalk bestrichen, darauf werden em kleines Stück-
chen Pinangnuss,!) ein kleines Stückchen Catechu^) und ein wenig fein-
geschnittener Tabak gelegt und zu einem Kügelchen gefaltet in den
Mund genommen und stundenlang gekaut; der Speichel wird dadurch
rothbraun gefärbt Der Javane steht diesbezüglich hoch über dem
Perser; als im Jahre 1873 der Schah von Persien Gast des öster-
reichischen Kaisers war, spi^achen die Wiener Blätter von grossen
braunen Flecken, welche auf den Tapeten der Zimmer geftinden wur-
den; es war der braune Speichel welchen die Sirihkauer gern in kräf-
tigem Strahl ausspritzen. Der Javane hat dafür immer seinen grossen
Spucknapf (tampat luda) bei der Hand. Eines Tages brachte der
Regent zu Magelang seine junge Frau zu uns. Diese Contrevisite
war angekündigt, und ich und meine Frau erwarteten also um 7 Uhr
das jmige Ehepaar in der Veranda. Die Equipage fuhr vor. Es war
ein offener Mylord mit sechs Personen; auf dem Bocke sass neben dem
Kutscher ein Bedienter mit dem geschlossenen Pajong; im Wagen
Sassen zu Füssen des fürstUchen Paares zwei Babus; die eine hatte
die goldene Sirihschale und die andere die vergoldete Spudcschale in
den Händen. Sobald der Wagen stehen blieb, sprang der Bediente
vom Wagen herab und stellte sich rechts zur Seite der Treppe auf^
die zwei Babus setzten sich auf den Boden der Veranda und das junge
*) Vou Areca catcch.
'^) Eingetrockneter Saft der Blätter von Uncaria gambir oder zahlreichen
anderen tanninhaltigen Bäumen.
282 Japanische Schönheitemittel.
Ehepaar nabm neben uns Platz. Die. Dame machte jedoch weder von
dem Sirih, noch Ton dem Spncknapf Gebrauch, während der Regent
die angebotene ManiUacigarre anuahiiL
Solche Sirihdosen und Spudoiäpfe, welche aus getriebenem Kupfer
bestandefh, sah ich in grosser Zahl auf dem Päsar. Die letzteren wareu
beinahe 50 cm hoch und hatten ungefähr die Form unserer Papier-
körbe. (Fig.-20.) Die Sirihdosen waren kupferne Kistdieu mit einend
Deckel, auf welchem kleine kupferne Näpfe für die verscfiiedenen In-
gredienzien standen, und hatten nebstdem eine kleine Zange zum Zer-
schneiden der Rnaugnuss. Zuletzt zeigte uns die Babu eine schmutzig-
gelbe Wurzel,!) welche gegen Gelbsucht, bei Stuhlverstopfung, Blasen-
und Nierensteinen, bei Hämorrhoiden und bei Urethritis von den Ein-
geborenen in der Form eines Au%usses gegeben wird; nebstdem sei
sie der am häufigsten gebrauchte Pärbestoff füi* Salben, um den Ober-
leib und die Anne gelb zu salben. Bei festlichen Grelegenheiten. wie
z. B. am Hochzeitstage, erscheint nämlich der Mann ohne Bekleidung der
Brust und Arme und die Braut trägt nm- einen Sarong, welcher über
der Brust mit einem Gürtel befestigt ist Die unbedeckten Theile werden
mit Ourcuma gesalbt oder mit dem Safte von Pandamblättem^) eingerieben.
Diese Vorlesung der Babu hatte schon zu lange gedauert, um sich
noch länger die javaiiischen Cosmetica und Früchte u. s. w. erkläi^n zu
lassen, und wir fuhren weiter, bis wir migefähr in der Mitte der Strasse auf
die Geschäfte einiger chinesischer Möbelfabrikanten stiessen. Vor einem
derselben sass ein dicker, feister Chinese, nur mit einer schwarzen, dümien,
weiten Hose bekleidet; die grosse Fleischmasse füllte ganz den grossen
Faulenzer aus, weil er seine schuhlosen Fasse unter dem Leibe gekreuzt
hatte. Seine Opiumpfeife hielt er in der Hand, und der lange,
schwarze Zopf war tun den Kopf geschlungen. Als der Wagen anhielt
und wir ausstiegen, erhob sich zwar diese unförmliche, halb nackte
Eleischmasse aus seiner allzu bequemen Lage und starrte uns mit fira-
genden Blicken an. Gewöhnlich pflege ich mich nicht mit den guten
oder schlechten Sitten meiner Nebenmenschen zu bemühen. Ich war
jedoch in Uniform und fend es unschicklich, dass er seinen Zopf nicht
fallen liess, die Hausschuhe anzog und den nackten Oberleib bekleidete,
obwohl auch meine Frau sein Geschäft betrat Ich begnügte mich je-
doch, meinen Blick unverändert auf den um seinen Kopf geschlungenen
') Von Garcuma longa (eine Zingiberacea).
*') Die Blätter von Pandamus odoratissimus, von welchen auch das Rampeöl
(gegen Rheumatismus) gewonnen wird.
Haustoilett« der europäischen Damen. 283
Zopf zu richten, er verstand diesen Wink, liess den Zopf fallen und
holte sich eine Kabaya. Er stammte aus der Stadt Tsjang Tsjowfii
in der Provinz Fuki-en und war der malayischen Sprache nur sehr
mangelhaft mächtig. Mit Hülfe eines Nachbars, welcher schon lange
in Magelang lebte und sich schon ein kleines Vennögen erworben hatte
und daher mit Bäba titulirt wurde, gelang es uns, uns mit ihm zu ver-
ständigen. Der grösste Theil unserer Bedürfiiisse wurde aus seinem
Vorrath gedeckt Das Uebrige bestellten wir, und er versprach uns, es
in acht Tagen zu liefern. Die Möbel waren schön, solide und billiger,
als ich sie bei gleicher Qualität in Europa hätte kaufen können. Es
waren Kasten, Tische und Stuhle aus gutem und schwerem Djattihote
(Tectonia grandis), welches auch indisches Eichenholz genannt wird.
Damit war das Programm für diesen Tag erledigt Es war unter-
dessen 12 Uhr geworden, wir gingen nach Haus, ich zog CivilUei-
düng an und meine Frau die indische Toilette. Es ist nämlich in den
Hotels vom ganzen indischen Archipel Sitte, dass die Damen zum
Lunch, d. h. zur sogenannten »Rysttafel«, in der Haustoilette kommen,
während den Herren dieses untersagt ist Auch diese Sitte hat ihre
raison d'etre. Die Damen verwenden im Allgemeinen mehr Sorg<
auf die Toilette als die Herreu, und es wird gewiss keine Dame zur
Table d'hote gehen, ohne auch in der HaustoUette der Eitelkeit und
somit auch der Nettigkeit und der Beinlichkeit Rechnung zu tragen.
Von den Männern kami dies leider nicht immer gesagt werden; zum
Frühstuck geht Jedermann zwischen 7 — 9 Uhr in der Haustoilette' zur
Tafel; da sieht man oft Männer in einer Kabaya erscheinen, welche
das licht der Oeffentlichkeit scheuen sollte. Es geschieht selten, dass
Viele gleichzeitig ihr erstes Frühstück einnehmen, aber das zweite Früh-
stück, die Rysttafel, wird gemeinsam von aUen Gästen des Hotels um
12^2 — 1 Uhr genommen; es ist also besser, dass zur Table d'hote die
Herren »gekleidet«; kommen. Vielleicht wäre es schicklicher, wenn auch
die Damen in voller Toilette bei der Rysttafel erschienen. Sarong und
Kabaya kleidet die Damen (Fig. 21) sehr gut; aber es ist eine Haus^
toilette, und es ist gewiss schicklicher, dass man nicht in einer Haus«
toilette unter Menschen geht Die Engländer finden solches selbst
shocking, und weder bi Calcutta, noch in Singapore, noch in Ceylon
sah ich die Ladies anders als in Strassen- oder Salontoilette beim
zweiten Frühstück Erscheinen. Wer weiss, ob nicht nach abermals
20 Jahren auch diese Unsitte wegfidlen wird. Ich sah während meines
20jährigen Aufenthaltes die europäische Mode sich mit solcher Macht
284 Mein „Haas"".
in Indien einbürgern^ und nicht immer zum Vortheil, dass ich hofen
kann, dass sie auch die Haustoilette der Damen bmUs Haus und aufe
Zimmer beschränken wird.
Nach der »Bysttafel« nahm ich mein Mittagsschläfchen, darnach
meinen Thee und mein Bad, kleidete mich in Civilkleidung u^d
machte mit meiner Frau einen Spaziergang nach der Wohnung, welche
m«n Nachfolger in Ngawie für mich gemiethet hatte.
Auf der WestEront des Schlossplatzes zog eine schmale Gasse mit
starker Neigung hinab zu den Ufeni des Progoilusses.
Im ersten Drittel des Weges stand das Frauenspital, und ihm
vis-ärvis das Haus, welches Dr. B . . . vor mir bewohnt hatte. Eis
stand, wie beinahe alle Häuser in Indien, in einem G-arten, dessen
vorderer, der Strasse zugekehrter Theil nur Blumen, z. B. Bösen, Be-
seda, Heliotzx>p, Cactus theils in Töpfen, theils in den Boden gepflanzt,
während der hinter dem Hause gelegene Theil nur Fruchtbäume ent-
hielt Ich hatte einen Muscatbaum, zahlreiche Pisangbäume, einen £[affi9e-
bäum, einige Melonen-, Papaya- und Manggabäume, eine Beihe von
Ananassträuchem, eine kleine Plantage von Vanille, einige Pompehiuss-
bäume und einige Palmen. An der Westseite des Hauses stand ein
Pavillon für G^te, und daran grenzte die Kudang, ^) die Küche und die
Bedientenzimmer; daneben standen ein zweiter Pavillon für das Bade-
zimmer und für die Aborte. Hinter diesen stand der Stall für zwei
Pferde, an diesen grenzte ein Ziehbrunnen (Fig. 22) für mich und
meine Nachbarn, und an der Ostseite des Hauses stand die Wagen-
kammer mit einem Zimmer, welches der Kutscher bewohnte.
Das Hauptgebäude (Fig. 23) bestand aas \ier Zimmeni und zwei
Veranden, welche durch einen »Gang« zwischen je zwei Zimmern mitr
einander verbunden waren. Nebstdem hatte ich eine »Binnengalleiy«,
d. h. ein grosses Zimmer, welches hinter der vorderen Veranda
die ganze Breite des Hauses einnahm. Bei schlechtem Wetter, d. h.
wenn der Wind den Eegen in die Veranda trieb, diente sie als Em-
p&ngszimmer und wurde darnach auch eingerichtet Der Silberkasten
und das Pianino fanden nebst zahlreichen Phantasiestühlen und kleinen
Tischchen in diesem Baume Platz. Zum Schla&immer mit dem An-
kleidezimmer meiner Frau wählte ich die zwei Zimmer im östUchen
flügel des Hauses, während mein Bm^au und das Gastzimmer an
der Westseite des Hauses lagen. Die hintere Veranda diente als
Aufenthalt för meine Frau, wenn sie mit den häuslichen Angelegenheiten
*) = Vorrathskammer.
Mein „Haus". 285
beschäftigt war. Hier war auch daß Speisezimmer mit einem langen
Tisch, der durch eine Einlage selbst für zwölf Menschen Platz hatte.
Auch das Büffet und der Speisekasten sowie ein kleiner runder Tisch für
die Handarbeiten meiner Frau standen in diesem Zimmer. lEs war
eigentlich ein Salon, denn es hatte an allen vier Seiten Mauern
und war eine »geschlossene Hinter-Yeranda«. Da diese der Au&nt«
haltsort für die ganze Familie ist und die Temperatur in Magelang
des Abends oft bis auf 16 ^ C. sinkt, so ist es in einer offenen Veranda
zu kalt um in der Haustoilette das Nachtmahl einzunehmen und dann
noch 1 — 2 Stunden zu lesen. Darum besassen die meisten Häuser von
Magelang eine geschlossene »Achtergallery«, was beinahe niemals in
den Städten mit hoher Temperatur, me Batavia, Samarang u. s. w.
der Fall ist
Schon nach vier Tagen konnte ich meine Wohnung bezieh^n^
d. h. in meinem eigenen Hause essen und schlafen. Das Bett hatte
ich nämlich von Ngawie mitgenommen und überhaupt niemals unter
den Hammer bringen lassen, um eben so bald als mögUch in meine
Wohnung einziehen zu können. Es bestand aus schwarzen Stäben mit
kupfenien Verzierungen und konnte bequem zu zwei kleinen CoUis ge-
bunden werden. Die zwei Matratzen, zwei Kop^lster imd zwei Gulings
(= BoUpoIster) wurden eben&lls zu zwei CoUis in Matten eingerollt, und
so koimte ich überall sofort nach der Ankunft meine eigene ScMafetätte
haben, ohne fürchten zu müssen, dass in einem Orte >) kein neues Bett
zu kaufen war, oder dass erst nach langer Zeit eine Auction stattfin-
den würde, welche mir Qelegenheit bot, dieses unentbehrliche Möbel-
Ktück theuer zu erstehen. Glas- und Essservice konnte ich im chine-
sischen Viertel kaufen, Küchengeräthe verschaffte ich mir vom Fäsar,
und auf diese Weise gelang es mir, schon am fünften Tage nach meiner
Ankunft meinen regelmässigen Haushalt zu haben und meiner Frau
häusliche Thätigkeit zu verschaffen. - Nun traten auch die gesellschaft-
lichen Pflichten an uns; wir mussten alle EmpÜEUigsabende fi^quentiren
und so viel als mögUch Antrittsvisiten machen. Diese Empfangsabende
sind eine sehi* praktische Einrichtung und sollten sich nicht auf die
Spitzen der Behörden und Officiere beschränken.
Die Städte sind in Indien gross, weil Jeder ein Haus bewohnt,
das in der Regel von einem Garten umgeben ist Die Besuchszeit
ist 7 Uhr Abends, und um diese Zeit regnet es wenigstens in 100
Tagen des Jahres; es ist sehr unangenehm, wenn man Jemanden be-
') wie z. B. in Ngawie.
286 Empfangsabna'de.
suchen will, vielleicht wegen des Regens eine Equipage nimmt, und
man findet Niemanden zu Hause. Solche jours fixes fanden in Ifagplang
zahlreich statt; der Platzcommandant 4 Bataillonscommandanten und
ihre Adjutanten, der Resident, der Secretair, der Controlor, der Lan-
desgerichts-Präsident der Director der Schulen für Emuptlings^SöIve,
einige Oberlehrer und einige Hauptleute. Auch ich entschloss mich«
einen solchen zu halten, und theilte mit, dass ich »jeden Sonnabend zu
Hause sei<c. Die Empfangsabende dieser genannten Herren besuchte ich
mit jneiner Frau, ohne gleichzeitig die jüngeren Collegen zu vergessen,
welche aus Bescheidenheit keinen jom* fixe hielten. In Magelang war
es nicht nöthig, eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten, aber wehe!
wenn man dieses in einem kleinen Orte thäte und es wagen sollte,
erst den Oontrolor imd ^nn den Assistent-Re^sidenten oder erst den
Adjutant und dann den Platzcommandant zu besuchen; ich glaube
nicht, dass dies ungestraft geschehen würde. Diese »ersten« Visiten
thut man nicht unangemeldet, sondeni man theilt im Laufe des Vor-
mittags mit, »dass man wünscht, Herrn und Frau X. seine Aufwartung
zu machen, weim dies gelegen käme«. Etwas LangweiÜgeres als solche
Emp&ngsabende kann man sich kamn vor^Uen. Dazu kommt noch,
dass das Haus, oder vielmehr die Veranda, des Platzcommandanten in
Magelang sehr klein war und dass deshalb bei den Empfangsabendeu die
meisten Herren stehen mussten. Die Damen häuften sich in der einen
Ecke an und fanden bald Stoft zu einem Discurs; in der andern Ecke
stand ein runder Tisch, beladen mit Cigarren und Getränken, denen
die Herren tüchtig zusprachen, um sich hin und wieder in den Kreis
der Damen zu wagen und bei dieser oder jener ihre Anwesenheit
durch eine Verbeugung und ein paar Worte in Erinnerung zu bringen.
Die Jugend fand sehr bald einen Ausweg aus dieser steifen, lang-
weiligen und ceremoniösen Gesellschaft. Vor dem Hause spielte zwar
die Militärmusik ihre Salonstücke oder Arien aus verschiedenen be-
kannten Opern und Operetten; aber in der hinteren Veranda stand ein
Piano. Die Tochter des Hauses wechselte mit ihrer Mama einen stillen
Wink und darauf hin zogen die Mädchen und alle jungen Männer
durch die hellerleuchtete »Biimengalleiy<i: nach der hinteren Veranda.
Dort konnte die Jugend flirten und tanzen, bis die Mamas sie zur
Abreise abholten, d. h. bis der Resident aufgestanden war, sich bei dem
Gastgeber und der Hausfi^u empfohlen hatte und seine Frau am Arme
des Colonels zu ihrer Equipage gebracht worden war.
In dieser Hinsicht war der Resident viel günstiger situirt Er
Empfaugsabeqde. 287
hatte ein grosses Haus, welches früher dem »chinesischen Major«: ^ ge-
hört hatte, während das des Coionels das Bureau des Controlors ge-
wesen sein soll.
Wenn man der Nordseite des Schlossplatzes folgte, sah man neben
citm Clubgebäude das Schloss des Begenten und im Anschluss daran
die Pfarrei, welche mit einigen europäischen Wohnungen parallel mit
der Eisallee, in welcher mein Haus stand, gegen das Ufer des Progo-
flusses abfiel, ohne dieses jedodi zu erreichen. Sie endeten in jener
grossen Strasse, welche unter dem Namen die »kleine Tour« bei der
Eisfabrik, d. h. am Schlossplatze anfing, auf der grossen Heeresstrasse
den nördlichsten Punkt der Stadt erreichte, längs des Campements
zum Schlossplatze zurück den Weg durch das chinesische Viertel nahm
imd vor dem Berge Tidar und diux;h die Mörderallee bei der Eis&brik
endigte. Die grosse Tour ]iahm dieselbe Route, ging jedoch hinter dem
Tidar durch die Landstrasse nach Selaman durch die Mörderallee zu-
rück; für die erste hatte man ^ji und für die grosse Tour ^j^ Stunden
mit einer Equipage nöthig, welche in mässigein Schritt fuhr.
Das Besidentengebäude konnte man jedoch am bequemsten durch
die Besidentenallee erreichen, welche parallel mit der eben erwähnten
Strasse und mit der Eisallee lief; auch sie war an ihrem südhchen
Ende steil abfallend, und bei den Emp&ngsabenden des Residenten war dier
Auffahrt an dieser Stelle geradezu gefährhch; wenn auch von dem
nördlichen Theile der »grossen Tour« an diesem Kreuzungspunkte bei
solchen Gelegenheiten nur ausnahmsweise eine Equipage kam, so ge-
schah es desto häufiger von dem südhchen Theile her. Sie begegneten
jenen, welche aus der Besidentallee kamen und diux;h den steilen Fall
der Strasse nicht in Passschritt fahren konnten. In Galopp ging es
bei dem Pavillon für Gäste vorbei mid imi die Ecke der Strasse vor
die Hauptfront des Gebäudes mit der Aussicht auf dea Gurten, der
damals durch die Reichhaltigkeit der Rosensorten berühmt war; am
Ende desselben stand eii^ Gartenhäuschen, von welchem «aus man
eine wunderschöne Aussicht aul beide Ufer des Progoflusses hatte.
Den Eingang in das Haus bewachten zwei grosse Gtitzenbilder. Er
führte zu einer »Voorgalleiy«, welche gross genug war, um selbst
bei aussergewöhnlich besuchten Empfsingsabenden, wie z. B. bei der
Hochzeitsfeier der Tochter des Residenten, alle Anwesenden bequem
^) Die Häuptlinge der Chinesen fähren den Titel Lieutenant, Gapitän
und Major.
288 Empfangsabende.
sitzen zu lassen. Ja noch mehr; sehr oft liess der Resident bei »eineu
Empfangsabenden die Militärmusik im Garten spielen, womit die Ju-
gend nicht zufrieden war. Die »alten Herren« wurden nach der Pe-
ripherie d^s Saales gedrängt wo zwei grosse 2>Kletstafeln« standen, die
»Musik« postirte sich an dem seitlichen Eingang der Veranda; \md
Allen voran begann der Resident die Polonaise zu eröffiien. Die Ju-
gend hatte den Sieg über die »alten Herren« eirungen. Dem Bei-
spiele des Residenten folgte Alles, was kein Zipperlein hatte, und trotz
einer Temperatur von 25® C. bis 30^ C. wiwJ bis 8^2 Uhr getanzt
bis endUch der Colonel das Zeichen zum Aufbruch gab. Der Resi-
dent A. war ein braver und behülflicher Mensch; er war ein tüchtiger
Beamter. Der Colonel P. war auch ein braver und behülflicher Mensch;
audi er war ein tüchtiger Officier; in den Augen der weiblichen Jagend
stand dieser jedoch tief unter dem Residenten. Er war damals gewiss
schon 65 Jahre und tanzte mehr und besser als alle Lieutenants und
Gontrolors zusammen! Die weibUche Jugend bewahrt ihm gewiss heute
noch ein dankbares Andenken.
Alle meine Antrittsvisiten musste ich mit einem Miethwi^en machen^
weil ich zwar meine Equipage, aber noch keine Pferde hatte. Billig
war es, für einen solchen Abend einen Wagen zu miethen; denn man
zahlte nur 1,20 fl. = 2 Mark für die Stunde, oder abet, man Ueas
den Wagen nicht warten, sondern nur »bringen« und um 8^/a Uhr
holen, wofür nur 1 fl. verlangt wurde. Auf den grossen Plätzen, wie
Batavia, Samarang u. s. w., sind die Preise zwar nicht höher als 1,20 fl.
pro Stunde, aber die »Wagenvermiether« geben nur für 3 bis 4 Stun-
den einien »Wagen ab«, wofür sie sich 2,50 bis 4 fl. zahlen lassen.
Wegen der Unkosten brauchte ich mich also nicht zu beeilen, Pferde
anzuschaffen. Aber die gemietheten Wagen waren so alt, so schmutzig
und . so defeot, dass man glauben sollte, dass äich die Polizei gar nicht
damit beschäftige. Ich muss auch sagen, dass die öffentlidien MieUi-
wagen in Singapore und Ceylon viel netter, schöner und besser als in
ganz holländisch Indien sind.
Einen Pferdemarkt hatte Magelang nicht; eine Auction war vor-
aussichtUch vor einigen Wochen nicht zu erwarten, d. h. eine Auction,
auf welcher, »eiii Span« Pferde verkauft werden sollte. Ich besehloss
also, Pferde im £[ampong kaufen zu lassen. Bald erftdu* ich die Adresse
eines chinesischen Pferdeagenten, ich liess ihn zu mir kommen und
theUte ihm meine Wünsche mit Jeden Tag brachte er mir ein Paar
Pferde »zur Ansicht«, und endlich wählte ich ein Paar Kedupferde;
Magelang. 289
sie waren klein, 120 Centimeter hoch, schwarz, elegant und zierlich
gebaut, hatten keinen Fehler, wenigstens wie der Agent behauptete,
und ich konnte sie acht Tage lang probiren; er verlangte für sie 130 fl.,
sie waren vier Jahre alt, und er demonstrirte mir dies an der Form
der Schneidezahne. Ein Pferdekenner war ich nicht, ein Thierarzt lag
nicht in Garnison, weil wir weder Cavallerie noch Artillerie hatten.
Ich wandte mich also an einen Qffider, welcher sich seit vielen Jahren
ein Reitpferd hielt Dieser bestätigte mir die Angaben des Pferde-
händlers, dass meine Pferde nicht älter als vier Jahre sein könnten.
Der freie Band der Schneidezähne schleift sich nämlich im Laufe der
Jahre ab, und da diese Zähne conisch zur Wurzel ablaufen, so wird
der abgeschliffene Zahnrand eine wechselnde Form Tmd Ghrösse haben und
besonders deutlich die Schichten des Zahnes zeigen, welche blossgelegt
werden. Das geübte Auge kann daraus mit ziemlich grosser Wahrschein-
lichkeit das Alter des Pferdes bestimmen. Dieser Process hat aber
seine Grenze, welche ungefähr mit dem neunten Jahre abgeschlossen
ist Der Zahn schleift sich nicht mehr ab, und von dieser Zeit an
kann das Alter des Pferdes nicht mehr geschätzt werden; das Pferd
»zeichnet« nicht mehr. Ich behielt die Pferde acht Tage zur Probe
und Uess den Kutscher das letzte Wort sprechen^ ob ich sie behalten
sollte. Dass sie nicht blind oder lahm waren, konnte ich selbst be-
urtheilen ; ob sie aber Temperamentsfehler oder andere Untugenden be-
sässen, welche sie für den Gebrauch imgeeignet machen würden —
komite ich nicht beurtheilen. Bis jetzt waren sie nur Rckulpferde ge-
wesen, d. h. sie hatten nur Kaffee getragen. Man sieht oft C!olonnen
von 20 Pferden hintereinander gehen, welche je zwei Säcke Kaffee zu
beiden Seiten des Bückens tragen; ein solches Pferd muss zum Ziehen
eines Wagens erst dressirt werden. Zu diesem Zwecke borgte ich mir
einen Lastwagen, der gewöhnlich von einem Karbouw oder Binde ge-
zogen wurde. Diese erste Probe gelang ausgezeichnet, ruhig und ge-
lassen zog jedes Pferd den Lastwagen (Grobak)^). Jetzt sollte es sich
zeigen, ob sie auch den guten Willen hätten, zusammen und gleich-
zeitig ihre Dienste zu leisten. Dazu hatten sie jedoch gar keine Lust
Mit gespreizten Beinen standen sie still, trotzdem die Peitsche nicht
geschont wurde. Natürlich wollte mein Kutscher die landesüblichen
grausamen Mittel, wie die Flamme u. s. w., anwenden, um ihren Eigen-
sinn zu brechen. Ich gestattete aber weder dieses noch andere heroische
») Vide Seite 73.
Brelt«Bit6in, 21 Jfthx« in Indi«B IL 19
290 Opiumniachen.
Mittel; er durfte uicht einmal mit dem PeitBchenstiel schlagen. Am
andern Morgen bekamen sie nichts zu fressen und wurden wieder vor
den Orobak gespannt; ihr Starrsinn blieb derselbe. Ich liess aber das
G^pann umkehren, so dass sie den Stall und das Futter sehen konn-
ten; sie zogen den Wagen an, und als sie bei dem Stall angelangt
waren, bekamen sie einen kleinen Theil des Futters und mussten wie-
der hinaus auf die Strasse. Dies Mittel hal^ und nach zwei Tagen
gingen sie mit dem Grobak, wohin ich wollte. Ich hatte jedoch zu
früh gejubelt Als ich sie vor meinen Mylord lege artis spannte,
der sich bequem und leicht ziehen Uess, da begann ihr Starrsinn eine
neue Form anzunehmen. Sie bäumten sich mid drohten den Wagen um-
zuwerfen, und zuletzt verwirrten sie sich mit den Strängen. Die Hunger-
cur musste wieder beginnen, und endlich wurde aus ihnen ein tüchtiges
Paar Dienstpferde, welches mir fünf Jahre lang vortreffliche Dienste
leistete, obwohl mein Wagen geradezu ein schwerer zu nennen war.
Die Spitalpraxis brachte die erste Zeit wenig oder vielmehr gar
nichts Interessantes. Das Spital selbst bestand aus Bambus-Baracken
und wurde ein Jahr später verlassen; auch darüber lässt sich nichts
Interessantes mittheilen. In die Privatpraxis konnte ich nur langsam
kommen, weil sechs Militär-Aerzte hier waren und das europäische
Publicum zu klein war, um einem einzigen Civil -Arzte hinreichend Be-
schäftigung zu bieten, wieviel weniger noch, einem neu angekommenen
siebenten Militär -Arzte Material zuzuführen. Die chinesische Bevölkerung
jedoch war nicht nur viel grösser, sondern liebte es auch, häufig den Arzt
zu wechseln. Auf diese Weise bekam ich bald genug Chinesen in Behand-
lung; einer der ersten chinesischen Patienten war ein gewisser Kau-Sui
King, welcher von Temanggong kam, mit der Mittheilung, dass er Opio-
phag sei, tägUch 2 fl. für Opium ausgebe und neben Impotenz an habitueller
Verstopfung leide; er habe nur alle acht Tage Stuhlgang, er ersuche
mich also um ein G^egengift, d. h. um eine Arznei^ welche ihn von
der üblen Gewohnheit des Opiumrauchens abbringen könnte. Ich
habe später einen zweiten ahnhchen Fall zur Beobachtung und in
Behandlung bekommen, in welchem der Patient jedoch durch den Miss-
brauch des Opiums in hohem Maaase heruntergekommen war;>) er
war mager, hatte eine fisdile Gesichtsfarbe und htt an einem hoch-
gradigen Emphysem; eine Blutdiairhöe hatte ihn so erschöpft, dass
>) Das chinesische Gewicht, in welchem das Opium verkauft wird, ist der
taU = 38*6007 Gramm; 1 tau = 10 tji = 100 hun = 1000 li; ein li = 88-6
Milligramm.
Opiamraachen. 291
-er dem Tode nahe war; der Puls war fadenförmig, der Herzschlag
schwach zu hören — und doch gelang es mir noch, ihn dem früh-
zeitigen Tode zu entreissen; ich muss sofort bemerken, dass die 6e&hren
des massigen Opiumgebrauches für Leib und Seele im Allge-
meinen zu hoch angeschlagen werden tmd nicht viel grösser als die des
Alcohols sind. Ich habe vielleicht in 500 chinesischen FamiUen
(während meines 20jährigen Aufenthaltes in Indien) gewiss 1000 Pa-
tienten behandelt, ich habe zahlreiche Morphiophagen (leider waren ge-
rade Aerzte diese unglüddichen Opfer ihrer körperlichen Leiden) unter
-den Europäern gesehen und ich kann mir daher ein ürtheil in dieser
Sache erlauben: Der massige Gebrauch des Opiums schadet ebenso
wenig als der des Alcohols, und der Missbrauch desselben ist ebenso
pemiciös als der der Spiritualien. Im Jahre 1887 behandelte ich einen
Oollegen, welcher bis zur tägUchen Dosis von 1 g Morphium gestiegen
war; der Bauch war von Stichen der Injectionsspritze so bedeckt, dass
•er die Spritze nicht mehr gebrauchen konnte imd das Morphium in
Form von Pillen nahm; erst im Jahre 1899, also zwölf Jahre später,
starb er. Aber auch unter den zahlreichen chinesischen Patienten fiemd
ich nur vereinzelte Opfer dieses Genussmittels; oben erwähnter Kau-
8m King hatte bereits ein Jahr lang täglich um 2 fl. Opium gebraucht,
und nur rekitiv wenig hatte dieses ungeheure Quantum von Ophmi seine
Körperkraft untergraben ; ebenso wenig als ich den massigen Gebrauch
•des Alcohols auf Grund meiner Beobachtungen und ErGsduimgen ver-
urtheilen kann, ebenso wenig möchte ich einen Stein auf den massigen Gre-
brauch des Opiums werfen, um so weniger, als die Europäer, welche
sich dem ergeben, in der Regel unglückliche Patienten sind, welchen
schmerzhaftes Leiden das Leben zur Last macht Aber wie der Miss-
brauch des Alcohols den Menschen zum Thiere erniedrigt, ebenso sehr
untergräbt der Missbrauch des Opiums Leib und Seele des Menschen.
Allerdings muss ich auch noch mehr vor dem massigen Gebrauch des Opiums
•ah dem des Alcohols meine warnende Stimme ertieben; der massige Ge-
brauch des Opiums führt beinahe sicher, oder wenigstens viel leichter
-zum Missbrauch, als dieses der Alcohol thut Wer in der Lage ist,
und wem es die Geldmittel erlauben, wird sicher dem Morphium oder
dem Opium zum Opfer fiEÜlen, wenn er einmal ange&ngen hat, zur
Morphiumspritze zu greifen, um Erleichterung von seinen körperlichen
Leiden zu finden, und darum rufe ich jedem Arzte zu: gieb keinem Pa-
tienten die Spritze in die Hand! Principiis obsta!
Der Opiumhandel ist in Indien in den Händen des Staates;
19»
292 Opiummuchen.
dieses Monopol hat natürlich die widerlichsten und garstigsten Schmuggel^
scenen zur Folge, an weldien sich nicht nur Chinesen, sondern leider
zu oft auch Europäer^) betfaettigen, und gerne stimme ich in den hef-
tigen Tadel ein, welcher gegen den Schmuggel des »Höllensaftes« er»
hoben wird; ich würde aber auch und gerade wegen dieser widerlidien
Schmuggelscenen mit so vielen Andern auch gegen den massigen
Gebrauch des Opiums meine Stimme erheben und ubeiiiaupt em-
pfehlen, wie es s. Z. im Westen Javas in der Preangerprovinz der
fyi war, die Einfuhr von Opium im Allgemeinen zu verUeten; aber
hat eine Begierung das Becht und die Pflicht dem Volke ein Genuss-
mittel mit Gewalt zu entziehen, das wie der Alcohol nur durch den
Missbrauch schädhch wird? Ich weiss es nichts)
Das Opium ist bekanntlich der getrocknete Saft ein^ Mohnkiq>6el
aus der Familie der Papaveraceen; als solcher kommt er unter dem
malayischen Namen Madat (= ampiun J.) in den Handel Er wird
nun in warmem Wasser aufgelöst, filtrirt, abgedampft und heisst dann
tjandu. Dieses präpanrte Opium wird mit Zucker und feingesdmittenem
Tabak oder anderen aromatischen Blättern gemischt und geraudit oder
getrunken (mit Kaffee) oder gekaut (mit Tabak). Die Pfeifen, au&
welchen das Opium geraucht wird, bestehen aus einem mehr oder
weniger verzierten Bambuastock, an dessen Ende sidi eine kleine Oeff-
nung befindet, mit oder ohne Pfeifenkopf
Den momentanen Einfluss des Opiumraucbens kann ich aus eigener
Erfahrung nicht beurtheilen; ich konnte mich niemals entschliessen,
diesen (^nuss einmal zu probiren; wenn ich die Chinesen, welche ich
darüber interviewte, gut verstanden habe — es geischah in malayischer
Sprache — , so ist der Opiumrausch gewissermaassen dem Nirwana der
Indier zu vergleichen, welcher mit wenigen Warten charakterisirt wird:
Absolute Buhe, Glückseligkeit, beruhend auf dem Wegfall des
Gefühls der Existenz, also ein potenzirtes »Elimaschieesen«.
Die Javanen rauchen (ngesis) auch Opium; ich sprach bis jetzt
nur von den chinesischen Opiumrauchem, weil ich in diesem Capitel
mich vorherrschend mit diesem Volke beschäftigen will, welches Jahr-
hunderte lang, vielleicht 1000 Jahre lang an der Spitze der Civili-
^) Bei einer grosaeQ europäischen Firma in Surabaya wurden vor wenigen
Jahren einige Kisten Wein confiscirt, welche anstatt Traubensaft Opium ent-
hielten.
') Im Jahre 1893 wurden von Privatleuten um 3,867,4iB0 fl. uBd von der
Kegierung um 1,541,020 fl. Opium eingeführt.
Die Chinesen muf Java. 293
sation stand und wie die Juden noch heute gleich einer ehernen , Säule
aus den Ruinen der Völker des Alterthums hoch über mehr als die
Hälfte der Menschen hervorragt; schon zur Zeit Abrahafn's^ Ri^nses'
und Ljrcurgus' blühte ein chinesisches Reich; »seitdem sind die Aegypter,
Griechenland und Rom untergegangen. Die Civilisation der altei^
Hindus, Chaldäer, Assyrier und Pereer ist verschwunden von dem
Platz ihrer Entstehung; nur das chinesisdie Volk lebt fort, und unsere
hochgerühmte Bildung von einem kleinen Theil Europas ist mit seiner
Civilisation zu vergleichen, als von gestern, d)
»Fan Tsjhi frug, was Humanität sei; der Meister sprach: Alle
Menschen heben; er frug, was Wissenschaft sei; der Meister sprach:
Alle Menschen kennen.«
Diese Worte des Confiicius^) sind Perlen der Weisheit und
stammen aus einer Zeit als in Nord-Europa kaum Spuren einer
menschlichen Gvilisation zu finden waren und im Westen die Bewohner
noch in den Urwäldern ohne Staatsorganisation als Wilde hausten.
Heute fi^ihch zeigt das chinesische Volk nur das Bild einer alten,
versteinerten und verknödierten Masse, welche den Fortschritt des fernen
Westens nicht begreifen kann und nur mit Gewalt gezwungen der euro-
päischen Gvihsation die Thore öfihen wird, ob zu seinem Wohl oder
ob zu seinem Wehe, ist nicht zu entscheiden.
Dimana gula, disana semüt, wo Zucker, dort Ameisen, sagt der
Chinese in Java und charakterisirt damit die Macht des Groldes, und
nur das goldene Kalb betet der heutige Chinese an, wenn auch sein
Gottesdienst in erster Reihe ein reiner Ahnencultus ist; es ist aber
unrichtig, zu behaupten, dass dieses Volk baar aller hohen Ideen und
Gefühle sei, dass nur die nackte Glewalt sie beherrschen könne. AUes,
was das Menschenherz erregt, ist dem Chinesen nicht fiiemd. Ich
wurde in Atschin selbst zu einem Selbstmörder gerufen! Die Noth
aber hatte ihn nicht dazu getrieben.
Das chinesische Jahr hat 12 Monate zu 29 und 30 Tagen, der
Rest wird zu einem 13. Schaltznonat vereinigt; sie kennen auch eine
Eintheilung des Jahres in 24 halbe Monate nach dem jeweiligen Stande
der Sonne im Thierkreise; die Namen derselben entsprechen den je-
weiUgen meteorologischen Verhältnissen, sie heissen: An&ng des Früh-
Vide: Jährliche Feste und Gebrauche der Emoychineeeii von J. J. M.
de Groot.
*) = Kon-fu-tse lebte von 550—478 vor Chriiti Geburt.
294 ^ic Chinesen auf Java.
lingB (5. Februar), Begenwasser (19. Februar), Wiedergeburt der In-
Beeten (5. März), Frühlings Tag- und Nachtgleiche (20. März), Beine
Luft (5. April), Begen über das Korn (20. April), AnÜEmg des Som-
mers (5. Mai) u. 8. w.
Die Schrift ist eine Hieroglyphenschrift, oder besser gesagt, ist
dies ursprünglich gewesen und bis zum heutigen Tage geblieben; da-
rum können sich die Chinesen durch die Schrift immer verständigen^
auch wenn ihre Dialekte so stark abweichen, wie z. B. das Elnglische und
das Deutsche J) Allgemein ist bekannt, dass sie kein Alphabet haben und
jedes Wort durch ein bestimmtes Zeichen ausgedrückt wird; es ist Sache
des Studiums, eine grössere oder kleinere Zahl von Wörtern lesen und
schreiben zu können. Ich besitze z. B. ein Bild, welches eine Seene
aus dem Kriege mit den Franzosen bei Tonkin darsteUt; rings um die
etwas primitiv ausgeführte Zeichnung sind zahlreidie Sprüche, deren:
Bedeutung mir kein einziger meiner chinesischen Patienten in Magelang
mittheilen konnte. Endlich wandte ich mich auf Anrathen eines be-
freundeten Chinesen an den Major-tschina, der ein grosser (jlelehrter
seL Seinen Mittheilungen über die Bedeutung musste ich um so eher
Glauben schenken, weil sie thatsächlich controlirt werden konnten; diese^
waren die Namen der Städte, des Flusses, an welchem der Kampf statt-
gefunden hatte, und die Jahreszahlen.
In Magelang be£and sich der chinesische Tempel auf dem Schloss-
platz, und zwar am Eingange der Hauptstrasse des chinesischen Quartiere
— in allen Städten dürfen sie nämlich nur in bestinmiten, in der Begel
scharf abgegrenzten Stadttheilen wohnen. — Welcher Secte dieser
Tempel angehörte, und ob die Chinesen dieser Stadt, welche grössten-
theils von Amoy herstammen, Bekenner des Buddhismus, Taoismus^
oder des Confticionismus sind, ist mir nicht bekannt; auch muss ich
mich enthalten, mich in eine Besprechung dieser drei Secten zu ver-
tiefen, weil ich darin, ich möchte sagen, gar nicht versirt bin; aber
ich kann es nicht unterlassen, eines ihrer Feste zu erwähnen, welcheB
überall mit grossem Pomp gefeiert wird, und welches ich jedes Jahr
in Magelang zu beobachten Grelegenheit hatte, weil meine Wohnung ia
der Nähe des Schlossplatzes und des chinesischen Quartiers lag.
Es ist das Tsäp gow me»9 Fest = (dem Fest) der fün&ehnteft
') Die wenigen Canton-Chinesen, Hok-Lo- und Hokka-Chinesen, welche auf
Java vorkommen, können sich mit den Emoy-Ghinesen nur durch die Schrift
verstandigen. Nach de Groot sprechen sie selbst ganz andere Sprachen al&
die vom Drachenfluss.
Die Chinesen auf Java. 295
Nacht geweiht der Yerehnrng des Herrn der drei Welten = siong goan,
oder wie es von den Europäeni auch genannt wird: Das Latemenfest
Was die Medicin der Chinesen auf Java betrifift, kann ich nur
mittheilen, dass wir in Magelang einen chinesischen Doctor und eine
chinesische Apotheke hatten. Bis vor Kurzem hatte ich zwei PiUen
in meinem Besitz, welche zeigten, dass sie in der Technik der Arznei-
bereitung so ziemhch hoch stehen. Es waren zwei Hohlkugeln aus
Wachs, welche im Innern je eine grosse Pille enthielten, und in chi-
nesisdber Schrift die Krankheit mittheilten, für welche sie bestimmt
waren; mit sakit angin übersetzte es mein Gewährsmann, d. h. für
Erkältungen. Die Pille selbst hatte etwa die Grösse von drei unserer
Chininpillen und war mit «Zinnober bestreut; überhaupt spielt das
Quecksilber bei den Chinesen eine grosse Bolle in ihrer auf der rohe-
sten Empirie basirten Behandlung der Krankheiten. Die grosse Menge
des chinesischen Volkes macht noch häufig von den Zauberern Gebrauch,
welche bei den gebildeten und höheren Ständen geradezu verachtet
sind. Der Zauberer steht gesellschaftUch in Baim imd Acht, und für
jeden Fall ausserhalb der vier anständigen Kasten: Gelehrte, Land-
bauer, Arbeiter und Handelsleute. Es würde mich zu weit führen,
solche Fälle zu beschreiben, d. h. den Zauberapparat, wie, wann und
durch wen er bei :& Besessenen« oder bei langdauemden chronischen Er-
krankungen angewendet wird; dass aber auch die medicinische Wissen-
schaft als solche noch stark in den Windeln hege und vielleicht nicht
einmal den Ehrennamen der Wissenschaft verdiene, wird aus dem kleinen
Au&atz ersichtUch, den ich vor zwei Jahren über die gerichtliche Me-
dicin bei den Chinesen in der »W. M. W.« veröffentüchte. Da ich
aus verschiedenen Ursachen dieses Thema nicht ausführUch besprechen
kann und will, so werde ich mich begnügen, diesen Au&atz hier wörÜich
zu reproduciren, weil er meiner Ansicht nach den gegenwärtigen Stand
der medicinischen Wissenschaft in China selbst hinreichend andeutet und
charakterisirt In Java haben ja, wie wir sofort sehen werden, die
Chinesen ihre heimatUiche medicinische Wissenschaft grösstentheils ver-
lassen, und der chinesische Doctor sowie ihre Apotheke werden nur
von jenen Chinesen in Anspruch genommen, welche den herrschenden
Sitten und Gebräuchen Javas sich noch nicht angepasst haben.
296 ^io gerichtliche Mcdicin der Chinesen.
Die geriehtliche Hedlein bei den Cliinesen.
Die gerichtliche Medicin war, seitdem unter Karl V. im Jahre 1553
als Constitutio criminalis Carolinensis das erste Buch über dieses Fach
erschienen war, zu jeder Zeit und überall der Spiegel der herrschenden
medicinischen, juridischen, philosophischen und selbst der religiösen An-
schauungen. Wenn ich also im Anschlüsse an die zwei Au&ätze des
Herrn Dr. Karl v. Scherzer i) einen kleinen Auszug aus einem Buche
über gerichtliche Medicin bei den Chinesen bringe und einige Be-
obachtungen hinzufüge, welche ich bei der Behandlung meiner chinesi-
schen Patienten auf Java gemacht habe, so wird dadurch vielleicht ein
Streiflicht geworfen auf die Anschauungen der Chinesen, welche trotz
der grossen Literatur über ihre Sitten und Gebräuche den Bewohnern
Europas so gut wie unbekannt sind.
•
Bei dem Lesen dieses Buches, welches vor mehr als 30 Jahren
von dem chinesischen Dolmetsch C. F. M. de Grijs in den Mit-
theilungen der »Bataviaasch Genootschap van Künsten en Weten-
schappen« erschien, und von welchem ich mir einen Separatabdnick
besorgen liess, ging es mh: wie ein Mühlrad im Kopf herum. Denn
nur wenige seiner Theorien sind dem europäisch geschulten Arzte ver-
ständlich, und ich kann ruhig sagen: Auf keiner einzigen Zeile dieses
118 Seiten starken Büchleins ist etwas zu finden, woraus der europä-
ische Gerichtsarzt neue Belehrung schöpfen könnte.
Da die letzte Vorrede zu der »Sammlung von ausgewischtem
Umwehte«, geschrieben von Li-koan-lan den 27. August 1796,
also schon hundert Jahre alt ist und ich nicht in der Lage war, den
Herrn de Grijs zu interpelliren, ob seine Uebersetzung die eines noch
jetzt in China gebrauchten Lehrbuches sei, wandte ich mich an den
Professor de Groot, welcher in Leyden an der Akademie für indische
Beamte die chinesische Sprache docirt, mit der Bitte, mir seine An-
sichten darüber mitzutheilen, und in liebenswürdiger Weise beantwortete
er diese Frage dahin, dass »China sich niemals viel verändert hat und
sich niemals verändert«, dass also dieses Büchlein »ein ausgezeichnetes
Hül&mittel sei, um die chinesischen Anschauungen socialer, juridischer
und medicinischer Natur kennen zu lernen«.
In China erschien die erste gerichtliche Medicin unter dem Namen
»G^ammelte Auszüge von ausgewischtem Unrecht« zur Zeit der Re-
gierung des Kaisers Jun-yu in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
Siehe Nr. 1196Ü und 11941 der „Neuen Freien Presse^
Die gerichtliche Medicin der Chinesen. 297
(1241 — 1255), also 300 Jahre früher als oben erwähnte Constitutio
criminahs Carolinensis, und erlebte seit dieser Zeit mehrere verbesserte
und vergrösserte Auflagen.
In der mir vorliegenden Auflage war es geradezu unmöglich, eine
wissenschaftliche Grundlage der gerichtlichen Medicin zu entdecken, und ich
verstehe es, wenn mir Professor de Groot schrieb, dass die chinesischen
Aerzte sich allerlei Büchlein bedienen, welche auf keiner wissenschaft-
Uchen Basis beruhen, sondern nur auf philosophischen Speculationen
und auf einiger Empirie. Ich selbst habe gewiss mehr als tausend
chinesische Patienten behandelt, und in vielen Fällen war mein ärzt-
licher Bath erst dann eingeholt worden, nachdem der chinesische
Doctor ohne Erfolg die Patienten behandelt hatte. Es war mir jedoch
niemals gelungen, ein deutUehes und einheitUches Bild ihrer Therapie
zu bekommen. Nach der Lectüre dieses Büchleins jedoch und nach
dem Lesen des Briefes von Professor de Groot wurde es mir deutlich,
dass dies eben unmöglich war. Ich kann also in den folgenden Zeilen
nur eine Blumenlese bringen aus diesem Buche, und es dem Leser über-
lassen, sich darüber ein Urtheil zu bilden.
Die Obduction wird nicht von den Gerichtsärzten selbst vorge-
nommen, sondern von Beamten der niedersten Rangclassen, weldie so
wenig Vertrauen bei den Gerichtsärzten gemessen, dass £äst durch die
ganze »Thanathologie« wie ein rother Faden die Warnung vor dem
Unfug dieser Leute läuft
»Es geschieht, dass Schreiber oder Todtenbeschauer an die nächsten
Nachbarn vorher Nachricht geben, wenn eine Obduction soll gehalten
werden und sie lassen entfliehen, und nur entfernte Nachbarn oder alte
Leute, Frauen und Eonder, jünger als 16 Jahre, ge&ngen nehmen.c
Seite 10.
Auf Seite 19 wird nach einer weitschweifigen Vorrede das Suchen
nach Wunden folgendermaassen beschrieben:
»Beim Untersuchen einer Leiche, bei welcher die Wimden noch
nicht deutUch zu sehen sind, gebraucht man Essig und das r^du (d. i.
was bei der Weinbereitung im Fasse zurückbleibt) und legt es auf die
Wunden im Freien, und hält ein fiisch geöltes Tuch oder einen durch-
sichtigen Sonnenschirm über die Leiche. Will man die Stelle besehen,
wo die Wunde ist, so hält man den Sonnenschirm gegen die Sonne
imd schaut dann nach der Wunde, welche hierauf sichtbar wird. Bei
bewölktem Himmel muss man ein Holzkohlenfeuer machen und dann
auf gleidie Weise nach den Wunden schauen. Wenn auf diese Weise
1
1
I
298 ^® gericlitliche Medicin der Chinesen.
die Wunden noch nicht zn sehen sind, dann nimmt man weisse Zwetschken,,
welche man fein zerreibt und auf die verwundete SteUe legt, und lässt
es darauf liegen« u. s. w.
Auf Seite 24: »Wenn während der heissen Monate an den Oeff-
nungen des Körpers noch keine Würmer zu sehen sind, und diese zu-
erst an den Schläfen, dem Atlas, auf den Rippen und auf dem Bauche
zum Vorschein kommen, dann ist sicher auf dieser Stelle eine Wunde.«
Auf Seite 26: »Die Todtenbeschauer thun auf Ersuchen ander»*^
Leute oft Rubia mangista in den Essig imd reiben damit die ver-
wundete Stelle ein. Auf diese Weise werden die Wunden unsichtbar..
Es giebt Bösewichte, welche Leichen kaufen, sie verwunden und andere
Leute fälschlich des Mordes beschuldigen . . . ., sie bestechen die
Todtenbeschauer, um mit Eisenvitriol, Gallnüssen, Sapanholz die nebligen,
blaurothen Wunden nachzumachen, während die Todtenbeschauer die
Wunden an die Beamten dictireu.«
Wenn vor einigen Jahren der deutsche Kaiser die europäischen
Mächte vor einer mongolischen Invasion warnte, dann verrieth er ebie
richtige Auffassung der chinesischen Zustände, der chinesischen Aus-
dauer und der chinesischen Zähigkeit Ja, noch mehr, ich zweifle keinen
Augenblick, dass in den künftigen Jahrhunderten die mongolische Rasse
Europa überschwemmen werde. Java ist diesbezüglich eine Demon-
stration ad oculos; beinahe der ganze Kleinhandel und beinahe der
ganze Grossgrundbesitz ist heute schon in den Händen der Chinesen.
Von den Ursachen und Verhältnissen, welche diese Thalsachen ermög-
lichten, will ich nur die Zähigkeit der Chinesen, so weit sie auch auf
unser Thema Bezug hat, näher besprechen. Diese ist gross. In ihrem
Leben spotten sie geradezu allen Regeln der Hygiene, und doch ver-
mehren sie sich wie — Kaninchen. Eine junge schöne Frau hatte
z. B. einen so schweren Blutverlust erlitten, dass sie wie ein Wachs-
bild beinahe pulslos zu Bette lag, als meine ärztliche Hülfe eingeholt
wurde. Keine wie immer geartete manueUe Hülfeleistung wurde von
Seite der*Familie erlaubt.
Der Tod schien mir nach dieser heftigen Hämorrhagie post aber*
tum unvermeidlich, und doch erholte sie sich nur durch eine medica-
mentöse Behandlung so vollkonmien, dass sie nach Jahresfrist einem:
5 Kilo schweren Knaben das Leben gab. (Ich muss bemerken, dass
auf Java beinahe niemals echte chinesische Frauen gesehen werden,
sondern solche, die einem eheUchen oder uneheUchen Verhältnisse mit
einer javanischen Frau entstammen.) Wenn ich absehe von einigen
Bie gerichtliche Medicin der Chinesen. 299
sehr reichen Chinesen, welche bereits in zweiter Generation auf Java
leben und sich den Luxus eines europäischen Haushaltes erlauben, so
sah ich bei allen anderen fürchterliche ünreinlichkeit und Schmutz.
Das Schlafidmmer z. B. war bei 90 pCt der von mir besuchten chine-
sischen Familien nicht länger als das Bett und vielleicht nur um einen
halben Meter breiter; die Bettwäsche und das Moskitonetz hatten
durch Alter und Schmutz eine unkennbare Farbe; auf dem Boden
dieses Zimmerchens, welches weder eine hölzerne, noch eine steinerne
Bedeckung hatte, wurden die Sputa mid der Inhalt des Magens de-
ponirt, ohne an eine sofortige Entfernung zu denken. Und doch
standen noch in diesem kleinen Räume ein kleiner Altar mid die
G^ldtruhe, worin sich oft Tausende Gulden befanden. Der Chinese
ist übermässig im Essen und in der Liebe, mid doch wimmelt es im
chinesischen Viertel von zahUosen Kindern. Magenkatarrhe, Leber-
krankheiten. Fettsucht Erschöpftmg durch den Missbrauch des Opium«
rauchens kamen mir ebenso oft zur Behandlung wie die Tropenfieber,
und doch sieht man zahlreiche chinesische Greise. Ihre Zähigkeit muas
man also bewundem.
In dem vorliegenden Büchlein über gerichtliche Medicin um&sst
die Lehre der Vergiftungen 14 Blattseiten, von welchen ich natürlidi
nur einige Zeilen mittheilen kann.
Auf Seite 81 z. B.: »Es kommen nicht wenige Todesfälle vor,
welche dadurch bedingt smd, dass irrthümlicher Weise solche Speisen
gegessen werden, deren Charakter miteinander in Streit ist; so mag
man z. B. frischen Wein nicht gebrauchen mit Honig oder den
Flussfisch »Tung« mit Russ, welcher aus dem Eiamin ge&llen ist^
da dies alles bald den Tod zur Folge haben und den Zweifel errege
würde, ob nicht eine Vergiftmig vorliege, was ein grosser Irrthura
sein würde.«
Auf Seite 82: :»Bei einer Todtenbeschauung von einem Vergifteten
nehme man eine silberne Exploitivnadel, welche in einem Aufguss von
Mimosa saponaria^) gewaschen wurde, steckt sie in den Mund der
Leiche und stopft den Mund mit Papier zu. Wenn man nach einiger
Zeit die Nadel wieder herauszieht, so ist sie blauschwarz und bleibt es
^) Die Uebersetzung der chinesischen Namen für Pflanzen, Thiere und
Mineralien hatte für den Herrn de Grijs manche Schwierigkeiten; da er drei-
zehn wisBenschaftliche Werke darüber zu Rathe zog, so verdient sie das vollst«
Vertrauen.
300 Die gerichtliche Medicia der Chinesen.
auch, wenn man sie mit demselben Abguss wiederutn wäscht Wenn
jedoch keine Yeiigiftung geschehen ist, bleibt die Nadel silberweiss.«
Etwas praktischer ist folgendes Experiment
Seite 83: »Man nehme etwas gekochten Beis, stopfe ihn in den
Mund und in die Kehle der Leiche, bedecke den Mund 24 Stunden
lang mit Papier, nehme dann den Reis aus dem Munde und gebe ihn
einem Huhn zu essen. Stirbt das Huhn, dann lag eine Vergiftung
vor.«
Von dem stärksten Gift, welches ebenfalls durch die Nadelprobe
erkannt wird und der »Seide essende Wurm« in den Provinzen
Canton und Kwang-si Joh-sse-ku genannt wird (weil es wie eine Heu-
schrecke aussieht), wird auf den Seiten 84 und 85 ausführlich ge-
sprochen.
»Um dieses Gift zu bereiten, wurden hundert kriechende Thiere
und Insecten gefangen und in einen Topf gegeben. Nach einem Jahre
schaut man nach, und es ist nur ein Thier übrig gebUeben, welches die
andern aufgegessen hat Dieses Thier enthält erwähntes Gift und
kann sich wie Teufel imd Geister unsichtbar machen. Wenn es sich
einrollt, sieht es aus wie ein Ring. Es verzehrt alte Seidenstoffe, ge-
rade wie der Seidenwurm Maulbeerblätter. In Sze-tsuen, Ho-kwang,
Canton und Tokio giebt es böse Leute, welche diese Würmer in Speise
und Trank mengen, um die Menschen zu vergiften. Wer dies Gift
gebraucht, stirbt sofort, was den Würmern Freude schafit, den Beffltzer
der Würmer täglich reicher imd reicher macht Es ist sehr schwer,
von diesem Wurm abzukommen, da weder Feuer noch Wasser, weder
Schwert noch Messer über ihn etwas vermögen. Wenn jedoch der Be-
sitzer das doppelte Quantum von Gk>ld, Silber mid Seide nimmt den
Wurm hineinlegt und das Ganze an der Heeresstrasse weglegt dann
wird ein Vorbeigehender es aufiiehmen und der Wurm wird ihm folgen.
Wenn der Besitzer dies nicht thut kriecht der Wurm ihm in den
Bauch, fnsst Magen und Därme auf imd geht dann weg.«
Zum Schluss will ich nur noch jenen Theil des Capitels bringen,
in welchem die Blutprobe die Verwandtschaft streitender Parteien be-
weisen soll.
Seite 36: »Es ist noch eine Methode, um Blut zu untersuchen;
zwei Personen geben sich einen Stich und lassen Beide einen Tropfen
Blut in das Wasser fallen. Sind die Personen fiactisch Vater und
Kind, Mutter und Kind, oder Mann und Frau, daim fliesst das
Blut zusammen; besteht jedoch keine Verwandtschaft, dann gesdiieht
Die Chinesen auf Java. 301
dies nicht. Will ein Sohn oder eine Tochter das Skelet des Vaters
oder der Mutter agnosciren, dann befehlen die Beamten, dass der Sohn
oder die Tochter mit einer Nadel sich stechen und einen Tropfen Blut
auf das Skelet fallen lassen. Wenn dieses das Blut von einem der
Eltern ist, dringt das Blut in die Knochen, im anderen Falle nicht
Wenn jedoch die Knochen mit Salzwasser gewaschen sind, dann wird
das Blut nicht eindringen, wenn auch eine Verwandtschaft zwischen
den Beiden bestanden hat Das ist ein Kunstgriff, dessen sich schlechte
Leute bedienen, und man passe also gut auf.«
Ich zweifle, ob es einem Anderen gelingen wird, aus dieser Blumen-
lese oder aus dem ganzen Büchlein über die chinesische gerichtliche
Medicin, herausgegeben von dem Herrn Li-koan-lan im Jahre 1796,
eine einheitliche wissenschaftliche Basis heraus zu finden. Mir gelang
es nicht!
Jedem Arzte, welcher bei den Chinesen Javas eine grosse Praxis
erlangen will, möchte ich den Rath geben, sich mit der causalen Be-
handlung chronischer Ejrankheiten nicht viel einzulassen. Der Chinese
beurtheilt den Arzt nach dem momentanen Erfolg, und diesem ent-
spricht am meisten die symptomatische Behandlung; ja noch mehr;
wenn er auch in Java geboren und bis auf den Zopf beinahe ganz in
den Sitten und Grebräuchen der Europäer aufgegangen ist, in einer
holländischen Schule die holländische und firanzösische, und vieUeicht
auch die englische Sprache erlernt hat, und seine Schwester unter Lei-
timg einer europäischen Grouvemante selbst das E^lavierspiel sich an-
eignet, wird er in acuten Krankheiten zwar einen europäischen Ai^
zu Rathe ziehen und einige Tage dessen Behandlung sich unterwerfen.
Bei chronischen Krankheiten oder bei acuten Krankheiten (wie dem
Typhus z. B.), welche wochenlang dauern, wird er aber gewiss eine
Dukun kommen lassen, und entweder dem europäischen Arzte den
Abschied geben oder hinter dessen Rücken die javanische oder halb-
europäische HeilkünsÜerin zu Rathe ziehen, weil die Behandlungsweise
dieser Frauen seinen Anschauimgen näher steht, als die des euro-
päischen Arztes. Will man nicht, wie es einem meiner Collegen passirte,
die unangenehme Erfahrung machen, dass man am vierten oder fünften
Tage mit den Worten: Apa mau tuwan? = Was wünscht der Herr?
empfangen wird, dann stelle man so bald als möglich die Vertrauens-
frage; so bald es nöthig wiurde, dass ich nach dem vierten Tage kom-
men sollte, fing ich den Patienten oder einen sein^ Verwandten:
302 ^^^ Chinesen auf Java.
»Wünschen Sie, dass ich morgen wieder zu dem Patienten komme?«
imd in den meisten Etilen bekam ich zm* Antwort: »Wenn es dem
Patienten nicht besser geht, werde ich den Herrn Doctor davon ver-
ständigen.« Natürlich giebt es Fälle, in welchen eine solche Ver-
trauensfrage ganz überflüssig ist Ich behandelte z. B. das Eand eines
angesehenen chinesischen Kaufinanns, Lie Tiauw Poo war sein Name,
welches einen eitrigen Erguss in der linken Brusthöhle hatte; den
10. September 1895 winde ich zu dem kleinen, zweijährigen Patienten
gerufen, und zwei Tage später hatte ich durch eine Probepunction die
Bestätigung meiner Diagnose erhalten; ich theilte dem Vater mit,
dass Eiter niemals aufgesogen werde, dass eine Operation unvermeid-
lich sei, und dass es vielleicht 2 — 3 Wochen dauern köinie, bis der
kleine Patient geheilt sein würde. In diesem Falle stellte ich während
der ganzen Behandlungsdauer niemals die Vertrauensfrage; der Vater
sah ja ein, dass an&ngs täglich und später in grösserem Zeiträume
ein Verbandwechsel eintreten müsse; dennoch wundert es mich heute
noch, dass er es bis zum 3. October, also durch 24 Tage mit mir
ausgehalten hat; an diesem Tage war die Wunde bis auf die Haut
geschlossen. Vorsichts halber theilte ich mit, dass jetzt meine Hülfe
nicht mehr nöthig sei, weil bei dem Gebrauch der Jodoformsalbe auch
die Hautwunde sich schliessen werde, und erhielt zur Antwort: Baik
tuwan = gut, mein Herr!
Die gesellschafUiche Stellung der Chmesen ist stricte dictu eine
Zwischenstellung zwischen der herrschenden Basse, den Europäern, und
den Unterthanen, den Malayen, Javanen u. s. w.; wenn es auch viele
Europäer giebt, welche die Fräponderanz der weissen Rasse über die
gelbe so viel als möglich auch im alltäglichen Leben geltend machen
wdlen, so sind andererseits viele — welche mich an einen Hausirer
erinnern, dem ich im Jahre 1884 in Singapore begegnete. Einige
Europäer standen im Hotel de TEurope beisammen und besprachen
die einzelnen Beligionen in Indien; da nahm Einer von ihnen einen
Dollar aus der Tasche und rief mit Aplomb aus: Dieses ist meine
BeUgion! Ein durch Opiumschmuggel reich gewordener Chinese gab
zu Ehren der Hochzeit seiner Tochter ein grosses Pest; er lud alle
Europäer dazu ein, ob er sie persönlich kannte oder nur vom Hören-
sagen von ihrem Aufenhalt in Magelang etwas vnisste; es waren
nur Wenige, welche von dieser Einladung keinen Gebrauch mach-
ten. Bei diesem Feste wurden die feinsten Weine, Champagner
ad libitum geschenkt; die besten und theuersten Cigarren standea
Die Ghinesen auf Java. 303
h Discretion auf den Tischen^ und so mancher der Anwesenden soll
^ich die Taschen mit Cigarreu gefüllt und heimlich ganze Flaschen
den in der Nahe stehenden Bedienten zugesteckt haben!! Solche
dunklen Ehrenmänner sind die lautesten Schreier, wenn es gilt, einem
itfiständigen Chinesen auch anständig entgegenzukommen, und diese
problematischen Naturen sind es, welche von den Chinesen nur in dem
Terächtlichsten und beschimpfendsten Tone als ekelhaften schweinischen
Wucherern u. s. w. sprechen. Solche Europäer haben auch dem
Chinesen das oben erwähnte malayische Sprichwort »dimana gula, disana
semut« in den Mund gelegt, als er coram publice von diesem Misshrauch
der Gastfreundschaft Elrwähnung that
Eine Ehe zwischen einem Chinesen und einer europäischen Dame ist
meines Wissens nach auf Java noch nicht vorgekommen; umgekehrt halten
«ich viele europäische Männer oft chinesische Haushälterinnen und hei-
raten manchmal die Muttei: ihrer Kinder; ob die Regierung jemals die
Erlaubniss geben würde, dass ein Officier eine Chinesin heirate, ist sehr
zu bezweifeln.
Zu Aemteni und Würden werden sie nicht zugelassen; militärisdie
Dienste leisten sie keine, obwohl die Armee nur aus Freiwilligen be-
^ht; sie sind eben ein fremdes Element in dem Staate und werden
es bleiben, so lange — die herrschende Basse es für gut findet i)
Ihre sociale Stellung ist eine ausgebreitete. Wenn man auch
beinahe niemals chinesische Bediente in einem Hotel oder in einem
IVivathause findet, >) weil sie viel höheren Lohn als die Eingeborenen
verlangen, so findet man sie in allen Zweigen der Industrie und des
Handels. Sie sind Hausuer, Schneider, Schuhmacher; sie verfertigen
Wagen und Möbel; sie sind Kulis und Buchdrucker; in den grossen
Banken sieht man nur chinesische Kassirer; sie sind lichter von Plan-
tagen imd Bauunternehmer, und gewiss >/4 des Detailhandels ist in
ihren Händen. Leihhausbesitzer und Wucherer ist Jeder von ihnen in
grösserem oder kleinerem Maasse. Kaum hat der chinesische Emigrant
auf Java festen Fuss ge&sst, leistet er Kulidienste oder erhält von seinem
Tiftndsmann einen kleinen Yorrath an Zwirn, Knöpfen, Band und Na-
deln und hausirt damit im Innern des Landes. Kaum hat er 5 fi.
Sie leben, wie schon früher erwähnt, in «inem Ghetto und zahlen nebst
allen anderen üblichen Steuern 2 — 60 fl. Kopfsteuer je nach ihrer Stellung und
ihrem Vermögen.
') Ich spreche nur von Java; auf der Ostküste Sumatras folgen die Tabak-
pflanser dem englischen Gebrauche und halten auch chinesische Diener.
304 J^® CbiDesen auf Java.
erspart, so q>ielt er schon den Wucherer gegenüber den sorglosen Ein*
geborenen. Der Elrfolg ist immer derselbe, der Javane verannt und der
CShinese wird reich. Auch yon einem europäischen Wucherer kenne idi
die Genesis seines Beichthums, und sie giebt uns ein deutliches Bild über
das, Gebahren dieser Ehrenmenschen (?). Die Eran desselben sass an
jedem Markttage (haii paing) im Ghrten ihres Hauses, vor welchem
der Sl]x>m der MaHctbesucher vorbeizog. Die eine Erau brachte sechs
Hühner auf den Markt, die andere einen Sack Beis, eine dritte ein^i
Korb Früchte u. & w. Jede von ihnen hoffle von dem Erträgniss ihrer
Waare einiges für sich selbst zu kaufen; ungewiss, ob und wie spät
sie in den Besitz desselben kommen werde, fidgte sie gern dem
Sirenengesang der Babu dieser Dame, welche sich bereit zeigte, ihr
>'s fl, zu borgen, wofür sie denselben Tag 60 Ct zurückzahlen musste.
Hatte sie diesen Betrag nicht in baar, war diese Dame immer so
hobenawürdig (?), auch in Waaren sich bezahlen zu lassen, deren Preis
natürlich tief unter dem des Marktes stand. Im Laufe der Jahre
hatte diese Dame damit 75,000 fl. verdient!!! Es ist nicht zu viel ge-
sägt, dass jeder Chinese bei Gelegenheit ein Wucherer ist, und es ist
Sache der Begierung^ diesem Unwesen zu steuern. Auch als Kauf-
leute sind sie sehr unsolide; es ist aber die Sache des Groeshandels^
diesem Factor Bechnung zu tragen; die Creditverhältnisse sind im
Allgemeinen in Java sehr ungesund, und nur ein gemeinsames, ener-
gisches Zusammengehen der europäischen Grosshändler kann diesen
Auswüchsen des »leichten Credits« in Indien ein Ende machen.
IndividueU ist der Chinese auf Java, wenn wir von der Moral ab-
sehen, allen Anforderungen der Civilisation zugänglich; er ist fleissig
und spanam und nüchtern, er ist ein Freund des Prunkes und des
Aufwandes — wenn er die Mittel dazu besitzt; wenn er als Kuli
'/4 fl. pro Tag verdient, wird er sicher 5 Cent davon zur Seite legen^
und wenn er 5 fl. pro Tag erwirbt, wird er niemals das ganze Er-
trägniss seiner Arbeit verzehren; ist. er jedoch reich, wird er gewiss
niemals geizen, im Gegentheil, er liebt den Prunk und wird z. B. h&.
der Hochzeit seiner Tochter 1000 fl. allein für das Feuerwerk be-
zahlen.
Vieles von dem bis jetzt Erwähnten passt allerdings nicht in das
landläufige Bild eines Chinesen; auf Java ist eben dieses Volk aUes^
nur keine reine Rasse, weil es keine chinesischen Frauen stricte dictu
giebt Sie stammen nämhch aus der Provinz Amoy, wo das Aus-
wandern der Frauen verboten ist Auf anderen Inseln, z. B. auf
Die Chinesen auf Java. 305
Sumatra, sah ich einige echt chinesische Frauen, d. L von China ein-
gewanderte Frauen, welche noch die verkrüppelten Füsse hatten. In
Java jedoch sind es nur chinesisch-javanische Frauen, und als solche
pflanzen sie sich als eigene Basse fort Ihre Kinder heissen »chinesische
Kinder«; der Knabe bekonunt seinen Zopf und das (reiche) Mädchen
wird der Oeffentlichkeit entssogen; da sie in der Regel wieder unter-
einander heiraten, bleiben wohl einzelne Basseneigenthümlichkeiten be-
stehen; aber rein ist die Rasse nicht; es sei denn, dass man auch
wissenschaftlich von einer chinesisch-javanischen Rasse spricht Ihre
Hautfarbe ist lange nicht so dunkel, als die der Javanen; die Männer
haben den Zopf und das bartlose Qesicht; nur bei einigen sind die
enggeschlitzten Augen noch zu erkennen; die Frauen sind zierliche
Puppen; sie haben den eleganten Körperbau der javanischen Basse;
durch die helle Hautfarbe ist oft das zarte Roth der Wangen sehr
deutlich; sie sind schön gebaut, und viele von ihnen würden die Zierde
eines jeden Salons sein.
Vielfach wird behauptet, dass die Chinesen sich nicht in der
Fremde begraben liessen. Dieses hat wahrscheinlich für die echten
Chinesen seine Richtigkeit; der Java-Chinese wird auch in Java be-
graben. Ich erinnere mich nur eines vereinzelten Falles, dass von
Magelang während meines 5jälirigen Aufenthaltes eine Leiche nach China
transportirt wurde, die übrigen wurden auf dem chinesischen Ejrchhofe
begraben, welcher auf dem Wege nach Djocja lag. Wie überall, waren
die Grabkeller in einen Hügel eingegraben und hatten ein weisses ^
Rondeau; je nach dem Vermögen und Stand der Familie ist dieses
bald gross, bald klein. Der Sarg ist einfach und schmucklos; er be-
steht aus einem ausgehöhlten Baumstamme, und der Deckel ist dem-
selben Baumstamme entnommen. Zum Transport wird der darauf gut
passende Deckel ein&ch mit Pech verklebt und doch belästigt die Ver-
wesung der Leiche die Umgebung nicht
Am 1. November 1892 wurde das alte Spital verlassen und das
neue, welches sich im Norden des Campements be&nd, bezogen. Die
Uebersiedelung eines solchen Spitales mit ungefähr 500 Soldaten-Pa-
') Bei ihnen ist die Farbe der Trauer weiss. Weisse Vorhänge und weisse
Laternen vor dem Eingange des Hauses theilen mit, dass ein Todter im Hause
sei, und bei einem Leichenbegängnisse sind die trauernden Frauen in weisse
Kleider gehüllt.
Breitemtein, 21 Jahre in Indita ü. 20
306 Bu^ 'u grosses Müitänpital.
tienten ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden; es musste oder viel-
mehr soUte alles an einem Tage geschehen, weil sonst die Küche, die
Apotheke u. s. w. auf zwei Plätzen ihre Arbeiten gleichzeitig verrichten
mussten; vorher musste also festgestellt werden, wie viel Patienten zu
Fuss gehen konnten — die beiden Spitäler lagen ja beinahe 3 Kilo-
meter von einander entfernt — wie viel in einer Sänfte und wie viel
in einem Wagen transportirt werden sollten; es waren ja selbst einige
Schwerkranke, welche man im Bette beliess und welche in demselben
auf den Schultern von 4 Kulis getragen werden sollten. Da der
Spitalschef alles selbst besorgte, so war der Transport insoweit nicht
geregelt, als einige Aerzte im neuen Spital werklos auf die Ankunft der
Kranken warteten, während sich der Spitalschef übermüdete.
Das neue Spital (Fig. 24) hat eine ungeheure Ausdehnung, weil
das Pavillonsystem in übertriebener Weise angewendet wurde. Die
Luftlinie von Norden nach Süden beträgt 4ä0 Meter und von Osten
nach Westen 200 Meter. Wenn der »Doctor der Wachte ») reglemen-
tair in der Nacht zweimal die Runde macht, d. h. durch alle Kran-
kensäle und längs aller Betten geht, hat er jedes Mal 8/4 Stunden dazu
nöthig, und thatsächlich beträgt dann der zurückgelegte Weg jedesmal
3 Kilometer. Wie leicht geschieht es, dass bei einem Krankenstand
von 5 — 600 Mann der »Doctor der Wacht«, ich will sagen nur einmal
bei einem Patienten Hülfe leisten muss; also wenigstens 7 — 8 Kilometer
muss er jede Nacht zurücklegen, wenn er seinen Pflichten nachkommen
wilL Er muss nebstdem den darauf folgenden Vormittag nicht mir
seinen gewöhnlichen Saaldienst verrichten, sondern es erwarten ihn
noch andere Obb'egenheiteu. Er muss dreimal nach der Küche gehen,
um das Essen zu kosten, das eriaunkte Hospitalpersonal muss er ent-
weder in der Caseme oder |)ei sich im Wartezimmer behandeln und,
last not least, er muss den Beftmd beschreiben von etwaigen Verwun-
deten oder Todten, welche in den letzten 24 Stunden ins Spital ge-
bracht und von ihm behandelt oder operirt wurden. Die Runde des
»Doctors der Wacht« ist überflüssig; denn andere dazu mehr befugte
und geeignete Personen können ja dasselbe leisten« d. L durch die
Runde sich überzeugen, dass die Patienten in ihren Betten hegen mid
dass die Ej-ankenwärter nicht nur auf ihrem Posten sind, sondern
auch fitctisch wachen. Das sind nämlich die Krankenoberwärter mit
dem Bange eines Feldwebels, welche im Allgemeinen einen leichten
I') = Doctor du jour.
*
I
'S
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308
Eridaning Eum „GnmdriBS des MilitärlioflpiUls zu Magelang *^.
ErUirong: tum ^^finuidilss des Hilitlrspltols za Kagelang^«
I. Hauptgebäude.
1. Zimmer für die Verwundeten.
2. „ n n Operationen.
3. „ » n Instrumente.
4. BibUothek
5. Sitaungrtaal.
6. Bureau für den Chef.
7. Antichambre.
8. Bureau des Schreibers.
9. Wohnzimmer 1 für den Doctor
10. Schlafzimmer j du jour.
11. n ^ clen Apotheker du j our.
12. Tisanerie.
13. Magazin der Apotheke.
14. Laboratorium.
15. Arbeitszimmer des Apothekers.
16. Bureau des Apothekers.
17. Apotheke.
18. Oberkrankenwarter.
19. Feuerspritze.
20. Portier.
21. Hauptthor.
22. Bureau des Verwalters.
23. „ ff Schreibers.
24. Magazine.
26. Tr
26. „ 1 für die Uniformen und
27. „ j Effecten d. Patienten.
28. Schmutzwische.
29. Bureau des Magazinmeisters.
30. Magazin für Strohsäcke.
31. „ für Holz- u.Eisenffegen8tände.
32. Zimmer fElr die Wäsche | g*
38. Magazin für Spitalgegenstände 1
34. „ „ unbrauchbare ( ^
Gegenstände i ^
85. „ „ Matratzen und 1 ^
Polster j P^
IIa. Aborte und Badezimmer für das
Hospitalpersonal.
IIb. „ für neue Patienten,
m. Halle für Schwefelwasserstoff.
rVa. Abort b. Badezimmer f. d. Doctor
du jour.
V. Wagenremise.
VI. Tolletbaracke für 42 Patienten.
VII. Küche.
VIII. 2 Pavillons für 120 Patienten.
VlUa. Pavillon für Augenkranke mit Ope-
rationszimmer, Dunkelzimmer
und 40 Betten.
IX. Badezimmer und Aborte für Pa-
tienten der 3. u. 4. Classe.
X.
XI.
XII.
xin.
XIV.
XV.
xvi.
xvn.
xvni.
XIX.
XXI.
XXIL
xxni
xxrv.
XXV.
XXV I.
xxvn.
Officierspavillon.
Badezimmer und Aborte für
Ofiiciere.
Zimmer fftr OfiBciersbediente.
Pavillon für Damen.
Officiersküche.
Pavillon für 20 Unterofficiere.
idem.
Badezimmer und Aborte für
Unterofficiere.
Pavillon für Soldatenfrauen.
Badezimmer und Aborte
für Soldatenfrauen.
Pavillon flKr Prostituäs.
Badezimmer u. Aborte für diese.
Stra&btheilung imd 2 Zellen
für Irrsinnige.
Badezimmer u. Aborte für diese.
Leichenhaus m. Pferdestall^Wa-
genremise und Laboratorium.
Gebäude u. Ofen f. Desinfection.
Pavillon far Infectionskrank-
heiten.
1
Gasernen für die Krankenwärter.
X XVin . Wohnung d. Aspirantofiüciers.
XXIX. Abort, Badezimmer u. Küche
^^ desselben.
AXX . Oberkrankenwärter(Feldwebel).
X.XX T. Badezimmer U.Aborte für diese.
XXXn. Caseme für 57 europäische
(oppassers), 75 eingeborene
Krankenwärter(han«Sanger8),
13 Corporale u. ein Sergeant-
^^ Major.
XXX ITT. Nebengebäude.
a. Frauenhalle.
b. Badezimmer f. d. verheirateten Frauen.
c. „ für Frauen.
d. „ „ Europäer.
e. „ „ Eingeborene.
f. Aborte für Eingeborene.
g. „ „ Europäer.
. [ Aborte für Frauen.
k. Küche.
XXXIV. Arrestlocale und Loffis der 64
Sträflinge, welche dem Spital
für die groben Arbeiten za-
getheilt sind.
XXXV. Aborte der Sträflinge.
XXXVI. Wasserreservoir.
XXXVn. Ofen f. die Wannwasserleitung.
Ein zu grosses Militarspitftl. -309
Dienst haben; ein oder zwei Pavillons mit nngefäfar 50 Patienten
ist das Terrain ihrer Arbeit Sie müssen dafür soi^n^ dass die
»Handkmgers« (eingeborene Krankenwärter) und »Oppassers« (euro-
päische Krankenwärter) den >SaaI< rein halten, die Kranken jeden
dritten Tag mit neuer Leibwäsche verscn'gen; sie verfertigen die Diät-
listen nach den Mittheilungen des Arztes, sind beim Emp&ng der
Speisen in der Küche und bei der Vertheilung an die Patienten« und
halten den kleinen Vorrath von Wäsche in Evidenz, welche sich in
einem Elasten im Krankensaal befindet Wenn sie auch die ver-
antwortlichen Personen für alles sind, was der Arzt für die Patienten
vorschreibt, und für alles, was in Abwesenheit des Arztes »auf dem
Saale« geschieht, so ist diese Arbeit doch eine sehr beschränkte, und
es könnte ihnen ausschliesslich die »Runde« überlassen werden und
dem >Doctor der Wacht« höchstens die Controle dieser Unteroffidere
anvertraut werden.
Aber noch andere Inconvenienzen sind mit solchen ausgedehnten
miumlichkeiten verbimden. Der Krankenwärter ist auch »lieber &ul
als müde«, wie ein holländisches Sprichwort sagt und überlegt es sich,
einen Kilometer weit den »Dokter van de Wadit« zu holen. Ich selbst
habe es er&hren, als ich eines Tages »die Wacht« hatte, dass einer
meiner Patienten in der Nacht einen Blutsturz bekam, ohne dass mich
der Krankenwärter davon verständigte. Andererseits ist es wiederholt
vorgekommen, dass A^rzte dem Krankenwärter einen Vorwurf
machten, ihn umsonst im Schlafe gestört zu haben, weil sie dem Pa-
tienten doch nicht helfen konnten.
Das PaviUonsystem ist gewiss für jedes Spital das richtige System.
In Magelang ist es jedoch auf die Spitze getrieben worden — zum
Nachtheil der Patienten. Dieses Spital wird als eine Sehenswürdigkeit
von Magelang, ja selbst von ganz Indien gepriesen. Als im Jahre 1896
der König von Siam nach Java kam und den Tempel Buru Budur
au&uchte, wo er fünf Tage verbUeb, kam er auch nach Magelang, um
das berühmte Spital zu besichtigen. Es gefiel ihm in so hohem Maasse,
dass er versprach, auch die Königin dieses Gtebäude besichtigen zu
lassen. Am 2. Juli 1896 um 4 Uhr sollte Ihre Majestät nach Ma-
gelang kommen, beim Residenten absteigen und in Gesellschaft des
Platz-Commandanten und Residenten das Spital besichtigen. Wir Mi-
litärärzte bekamen natürlich den Auftrag, in Ghdatenue zu dieser unge-
wöhnlichen Stunde im Spitale »präsent« zu sein. Um S^s Uhr stand
ich mit dem Adjutanten und einigen Aerzten am Einj;ange des Spitals^
310 ^® Königin von Siam im Spitale.
als ein schmutziger^ alter Beisewagen vorfuhr und stehen blieb. Der
Flatz-Commandant und der Resident waren nicht zu sehen. Zu unserer
Ueberraschung stiegen aus dem Wagen' die Königin mit zwei Hof-
damen und dem Leibarzte Dr. Buyther, einem Belgier von Geburt
Der Spitalchef sass noch in seinem Bureau, ich eilte also rasch zum
Wagen und bot der Königin, und der Zahlmeister der ersten Hof-
dame den Arm. Die Königin nahm den Arm an, und ich führte sie ins
Gebäude, wobei wir zunächst die Apotheke passirten. Da erscholl in
deutscher Sprache mit lauter Stentorstimme der Ruf aus der Apotheke:
»Man giebt einer Königin keinen Arm.« Unterdessen kam der Spi-
talchef herbeigeeilt und bemühte sich vergebens, die goldenen Schnüre
an der Uniform zu befestigen. Die Königin, welche ein wenig der eng-
lischen Sprache mächtig war, ging aber so langsamen und gemessenen
Schrittes,^) dass der brave Stabsarzt V. endlich die Schnüre befestigen
konnte; er bot nun der Königin den Arm und ich der Hofdame. Beide,
die Königin und die Hofdame, waren in europäischer Kleidung, welche
aus einer ein&chen billigen Sommertoilette bestand; aber der Schmuck
in den Ohren war kostbar. Eine Stunde dauerte dieser Gang durdi das
Spital (unterdessen hatte ich Gelegenheit, mit meiner Equipage die
Spitzen der Behörden wissen zu lassen, dass die Königin sich nicht
ans Programm gehalten hatte und direct nach dem Spitale geübren
war), und in dieser ganzen Stunde konnte ich mit dieser Dame kein
einziges Wort sprechen, weil sie nur der siamesischen Sprache mächtig
war. Es war eine peinliche Situation, welche einen recht komischen
Beigeschmack hatte.
Gegen Ende des Rundgangs platzte endUch die Bombe. Ich
und die Hofdame ergingen uns in einem schallenden Gelächter, worauf
sich das vor uns gehende Paar fragend umdrehte. Was die Hofdame
der Königin antwortete, weiss ich nicht, weil es in siamesischer Sprache
geschah; ungehalten war sie nicht, denn sie sah mich lächelnd an, und
beim Einsteigen in den Wagen bekam ich von den beiden «Damen
einen Händedruck.
Schön ist die Lage des Spitals, mid schön sind seine Garten-
anlagen; am südUchsten Ende des Terrains liegt der 0£Scierspavillon;
es war ein 40 Meter langes Gebäude mit 10 Zmunem, einer gemein-
samen Vorder«Galerie und gemeinsamem »Tagverbleib«, d. h. einem Cor-
>) Dieser Schritt wird in Indien der „Besidentenschritt" genannt, weil iu
der Regel diese Beamten einen schnellen Schritt mit ihrer hohen Stellung nicht
vereinbar halten.
Ein zu grosses MiUtärspital. 311
ridor, in welchem die nicht bettlägerigen Patienten zusammenkamen
und durch Dominospiel u« s. w. mit ihren Leidensgenoesen verkehren
konnten. Eün seltsam schönes Panorama bot die Gralerie; von der
Heeresstrasse nach Bandongan trennte sie nur ein Gitter aus Stachel-
draht Nur zu oft sahen die jmigen Lieutenants junge Damen hier
ihren Spaziergang nach den Ufern des tiefer 'gelegenen Elloflusses
machen, imd ich weiss nicht, ob nicht der kleine Schalk Amor die
Schritte der jungen Schönen gerade dorthin leitete, wenn, was nur selten
geschah, einige Lieutenants sich dort befanden. Im Hintergrunde er-
hoben sich die stolzen Häupter des Merbabu und des stets rauchenden
Merapis, und als im Januar des Jahres 1894 dieser Vulcau seine
Feuermassen über den südöstlichen Abhang wälzen liess, hatten gerade
die Bewohner dieses Officierpavillons die schönste und beste Aussicht
auf dieses schaurige und romantische Bild.
Der Stacheldraht ist ein einfaches und billiges Mittel, um ein
grosses Terrain abzuscUiessen; aber von der praktischen Seite be-
trachtet, ist er nicht mehr werth, als der Eingang bei dem Hause eines
Eingeborenen. Das Häuschen desselben hat einen nur einige Meter brei-
ten Gkrten, welcher durch ein Gehege aus Bambus von der Strasse ge-
ti^nnt ist Der Eingang in das Gärtchen ist nicht frei, sondern durch
eine Scheidewand von 30 — 40 Centimeter Höhe behindert Jeder Menteh
und jedes Thier überschreitet dieses Hindemiss leicht und bequem. Ich
hielt dies für ein Symbol des Privateigenthiuns. Auf gleiche Weise
kann das Netz des Greheges, welches das ganze Spital umzog, nicht
viel mehr, als z. B. ein Pfahl mit der Au&chrift: »Spital« leisten.
Das Gehege ist 2 Meter hoch und hat Zwischenräume von 30 — 10 Cen-
timetem; die Stachehi des Drahtes verhindern zwar das Durchschlüpfen
des einzelnen Patienten, welcher gern eine Nacht befreit von der Zucht
und Disciplin des Spitals zubringen möchte. Wenn man jedoch ein Brett
darauf legt, oder wenn ein zweiter Maim die Drähte auseinander zerrt,
kann mau sehr leicht nach Belieben das Spital verlassen und unbe-
merkt zurückkommen. Thatsächlich ist die Flucht aus diesem Spitale
eine häufige Erscheinung gewesen. Warum keine Schildwachen gestellt
wurden, um dieses unmögÜch zu machen, mit der nöthigen Beleuch-
tung des Terrains, weiss ich nicht Ein »guter Soldat« ist nicht gern
im Spitale; er will seinen Dienst thirn, aber auch die Freiheit der
Bewegung ist ihm kostbar; wenn er eine Krankheit hat, bei wel-
cher »Leib und Seele gesund« sind, d. h. abgesehen von den örtlichen
Beschwerden sich nicht krank fühlt, dann meidet der »gute Soldat«
312 Bi^ >u groases Milit&rapital.
den Aufenthalt im Sptale und entzieht sich so lange als möglich dem
forschenden Auge des Arztes. Ich hatte selbst einen Füsilier mit einer
Blutgeschwulst (aneurysma) im Becken in Behandlung. Der ganze
linke Schenkel war durch die verhinderte Blutdrculation verdickt; er
hatte aber keine Schmerzen und fühlte sich gesund; zweimal flüchtete
er aus dem Spitale, weil ihn, wie ich glaubte, die zarten Bande der
Liebe und die starken Fesseln des Gtonevers hinauszogen.
Noch andere Gefidiren birgt ein solches offenes Gebäude. Der
Schmuggel ^) und Tauschhandel ') mit der Aussenwelt war zum Nachtheile
der Patienten und — des Spitalfonds in floribus. Der Officier wie der
Uiiterofficier sind als Patienten ebenso grosse Kinder als der gewöhn-
Uche Soldat Wie oft findet der Arzt Ursache, den Genever oder die
Cigarre zu verbieten? (Cigarren kann er im Spital kaufen. »Nach Ab-
lauf der Visite« erscheint die Frau eines »Ziekenvaders«, welche von
dem Spitalschef die Erlaubniss erhielt, sich eine kleine Bude zu halten.
Tinte, Federn, Bleistifte, Streichhölzer, Cigarren, Brie^apier und Couverts,
europäischen und javanischen Zucker und Tabak mag sie gegen fest-
st^ende Preise vwkaufen.)
In den späten Abendstunden erhält mit grosser Leichtigkeit der
Officier und Unterofficier alle gewünschten Getränke von seiner Hans-
hätterin oder von seinen Kameraden, und er braucht sich nur etwas
Mühe zu geben« um die hineingeschmuggelten Waaren vor den Augen
der inspidrenden Aerzte zu verbergen. Das Personal, d. h. die Kran-
kenwärter wagen es nicht, den Verräther zu spielen. Im Jahre 1881
lag ich im Spitale zu Weltevreden als Patient; ein Lieutenant war
mein Nachbar, dem der behandelnde Arzt erlaubt hatte, den Koflfer
in seinem Zimmer zu behalten. Dieser war jedoch mit Conserv^i ge-
füllt, obzwar der Patient an chronischer Dysenterie litt!! Die lästigsten
Patrone sind diesbezüglich die Unterofficiere. Der gemeine Soldat hat
vor dem »Ziekenvader« Furcht und Bespect; bei den (Meieren giebt
es nur wenige, welche sich nicht vor dem Krankenwärter geniren würden,
Speisen und Getränke hineinzuschmuggeln. Die Unterofficiere jedoch
glauben, es ihrer Stellung schuldig zu sein, sich so viel als möglich der
Disciplin, welche im Spitale ebenso nöthig ist, als in der Caseme, zu
entziehen. Ich war einige Jahre in Magelang mit der Behandlung der
»zweiten Abtheilung« betraut, und ich war gezwungen, die ganze Strenge
meiner Stellung gegenüber den Unterofficieren zur Gteltung zu bringen.
1) von Schnaps.
*) von Hühnern, Wein und Brot.
Fig. 25. BuddhB-Statiie im Innern des TempelB bei Mendüt.
Ein ObenUbsant ^.gestdUt«'. 313
Einmal kam ich dadmxsh in eine fürchterlich unangenehme Lage gegen-
über dem Hospitalsche^ dem Oberstabsarzt X.^ welchen ich ohne
mein Wissen und Willen dem Spott der Unterofficiere blossge-
stellt habe.
Der PayiUon der zweiten Abtheilung, d. h. der Unterofficiere, be-
stand aus zwei Theilen, und jeder derselben hatte zwei Säle, welche
durch den »Tagrerbleib« von einander getrennt waren. Eines Morgens
war ich in dem einen Saale mit der Untersuchung der Brust eines
Feldwebels besdhäftigt, als ich im nächsten Saale sprechen hörte; ich
wollte mich in der Auscultation nicht stören lassen und rief: »Ruhe
im andern Zimmer.« Als demungeachtet das Sprechen nicht aufhören
wollte, ging ich raschen Schrittes in den benachbarten Saal und rief:
»Wer wagt es zu sprechen, wenn ich »auf dem Saale« bin?« Es war
der Spitalschef. Ich entschuldigte mich bei ihm, dass ich von seiner
Anwesenheit nichts gewusst hätte; aber das unterdrückte lücheln der
Patienten und des Personals verrieth das Komische der Situation, dass
ein Oberstabsarzt von einem Begimentsarzte in dem heftigsten Tone
der Buhestörung beschuldigt wurde. Meine Entschuldigung hielt er
offenbar für eine Ausrede, weil ich gerade zwei Tage vorher seinem
lästigen Benehmen wissend und wollend entgegengetreten war. Er
hatte nämUch eine ganz fiälsche Aufihssung von der Verantwortlichkeit
eines Spitalschefe. Das Gesetz bestimmt entsprechend den herrschenden
Verhältnissen den Chef als die Person, welche das Spital nach Aussen
hin vertritt und auch die Verantwortung für alles auf sich nehmen
muss, was in dem Spitale geschieht, und im gegebenen Falle zum Ein-
schreiten der militärischen und civilen Behörden Anlass geben kann;
die Behandlung der einzelnen Aerzte kann und muss natürlich, wenn
sie sich in gewissen Grenzen bewegt, ihnen überiassen werden. Ober-
stabsarzt B. glaubte aber auch die »Leitung« der Jüngern Ober-
Aerzte nicht nur auf deren Diagnosestellung, Behandlungsweise und
Vorschreiben der Diät ausdehnen, sondern auch den älteren Begi-
mentsärzten gegenüber dasselbe thun zu müssen. Manche Ober- und
Begimentsarzte waren so verstandig (?), sich diesem zu unterwerfen,
und waren nichts mehr und nichts weniger als seine Beceptenschreiber.
Andere aber wollten ihm gegenüber ihre Selbständigkeit bewahren und
kamen dadurch in manche Conflicte, wobei sie den Kürzeren ziehen
mussten. Ich selbst war um ein Jahr älter als mein Chef und glaubte
ihn manchmal auf diesen unrichtigen Standpunkt aufinericsam machen
zu müssen, mit dem Hinweis, dass er sich selbst den Dienst erschwere,
314 Ein Oberstabsarzt „gesteUt"'.
mn 5 — 600 Patienten zu behandeln. Seine Eitelkeit behielt die Ober*
hand, und so gesdiah es, dass er während der Zeit der Visite »auf
alle Säle« ging, die Diagnose, die Behandlung und Diät aller Kranken
oontrolirte und seine Ansichten dem behandelnden Arzte mittheilte.
Eines Tages kam er auch »auf meinen Saal«, der 30 Meter lang war
und für 21 Patienten Betten enthielt Ich war am äussersten Ende des
»Saales«, als er bei der Thiu* erschien; in militärischem Schritt ging
ich ihm entgegen, er winkte mir jedoch mit der Hand ab und fügte
hinzu: :& Lassen Sie sich nicht stören.« Anstatt aber den Saal zu ver-
lassen, ging er zu den Patienten und begann seine Controle! Ich
konnte unmöglich etwas anderes sagen oder thun, als meine Arbeit
einzustellen und zu warten, bis der Oberstabsarzt am Ende des Saales
sein Gfespiüch beendigt hatte. Wiederum rief er mir zu: »Lassen Sie
sich nicht stören.« Es war ein Saal mit internen Kranken; beim
besten Willen konnte ich nicht auscultiren, wenn nicht die grösste Buhe
im Zimmer herrschte; ich hielt also wieder mit meiner Arbeit ein und
steUte mich wie ein preussischer Grenadier in ^»Position«. Endlich
yerliess er den Saal, ohne zu grüssen. (Zwei Tage später geschah
oben erwähnter Voriall in dem Unterofficierspavillon, und seit dieser
Zeit blieb ich wahrend der Visite von seiner Anwesenheit verschont)
Dieser Saal war die Hälfte der sogenannten ToUetbaracken, deren es
zwei gab, und zwar zu beiden Seiten der Küdie, welche in dem offenen
Baum gegenüber dem Eingange lag. Diese Baracken (No. VI, Fig. 24)
sind sehenswerthe Pavillons für ein Spital in den Tropen; sie stehen auf
kleinen, steinernen Pfeilern von ungefähr 40 cm Höhe und bestehen
aus zwei Sälen, welche durch »das Tagverbleib« von einander getrennt
sind. Dieses hat zu beiden Seiten je ein kleines Zinuner für die
Krankenwärter und einen Bergeplatz für gewisse Greräthe; im Hinter-
grunde befindet sich der Waschplatz mit zahlreichen Waschbedcen und
der Wasserleitung. Der Vortheil dieser Baracken besteht in ihrer be-
deutenden Höhe und dass die Wände aus einer doppelten Beihe von
Brettern mit einem Zwischenräume bestehen; unten imd oben sind Oeff-
nungen, durch welche die Luft hinaufziehen und durch die Dachven-
tilation nach Aussen strömen kann. Drei Fehler zeigten diese Säle.
Weil sie auf Pfählen standen, dröhnte es fürchterlich, wenn man mit
militärischem Schritt durch den Saal schritt Mein Vorschlag, diesem
dadurch abzuhelfen, dass man Laufl»ppiche legen sollte, wurde mit der
Motivirung zurückgewiesen, dass in Indien solche Laufleppiche die Brut-
nester zahlreicher Insecten werden würden. Die Hohlräume in der
Nachdieile der Pavillons aus Bambus. 315
Wand könnten die Brutstätte von Mäusen und Ratten werden, und
drittens lag die eine Fensterfront nach dem Westen frei, so dass die
Sonnenstrahlen in den Saal dringen konnten und thatsächlich die Exan*
ken stark belästigten. Aus :» ästhetischen Motiven« wurde mein Vor»
schlag, über den Fenstern kleine Marquisen anzubringen^ abgelehnt
Leider hatte das Spital nur zwei dieser übrigens sehr praktischen Pavillons.
Nebstdem befanden sich noch zu beiden Seiten der Küche je drei,
und parallel mit der Hauptfront des Gebäudes und hinter der Küche ein
neunter Pavillon. Vier von diesen Pavillons hatten mehr oder weniger
HolztheUe, während die drei letzten nur aus Bambus bestanden und nicht
einmal einen steinernen oder hölzernen Flur hatten; diese hiessen tem-
poräre Gebäude, die übrigen Pavillons, welche nur theilweise aus Bambus
bestandeh, trugen den stolzen Namen semipermanente, mid die Tollet^
baracken waren permanente Grebäude. So lange die Baracken aus Bam-
bus neu sind, sehen sie ganz hübsch aus, leisten aber in den Tropen
nicht immer gute Dienste. Durch die Lücken der Matten findet ein
steter Luftwechsel statt, und bei hoher Temperatur der Aussenluft herrscht
im Lmem eines solchen Gebäudes eine unerträgliche Hitze. Werden
sie alt, haben sie eine schmutzige, graue Farbe, Spinnen, Wespen mid
andere Insecten nisten in ihnen, Staub und Holzmehl bedecken die
Oberfläche, und jeder geringe Sturm oder Wmd schüttelt dieselben auf
die Bewohner. Im Jahre 1877 wohnte ich in einem solchen Fort^
welches bereits 15 Jahre stand. Jedesmal, wemi das Grebäude durch
einen etwas heftigen Wind erschüttert wurde, während ich mein Abend-
mahl verzehrte, musste ich den Pajong über den Suppenteller halten
lassen, um nicht ein unerwünschtes Gl«würz in meine Speise zu erhal-
ten. Solche Gebäude sollten also aus BeinUchkeitsursachen alle drei
bis vier Jahre ganz erneuert werden, was schon ihr Name temporär
erwarten lässt; aber leider hat kein Spitalschef den Muth, einen dies-
bezüglichen Vorschlag einzureichen, wie mir s. Z. ein Hauptmann »der
Genie« mittheilte. Kurz vor meiner Abreise kam ein Fall von Tetanus
vor, und dennoch wurden die Wände nicht sofort erneuert.
Auch die Abtheilung für Infectionskrankheiten (No.XXyiI,!Elg. 24X
welche im äussersten Norden des Terrains lag, hatte solche temporäre
Gebäude, und zwar mit einem Ciementflur. Es war ganz entsprechend
den Anforderungen der modernen Wissenschaft für ansteckende Krank*
heiten eingerichtet, d. h. es war ganz isolirt, hatte einen Desinfections-
ofen^ der im Grossen und Ganzen gut functionirte, obwohl er irrthüm-
licher Weise in Magelang nicht an seinem Platze war, aber die Ge-
316 Bio '^ grosses Militinpital.
bände wurden nicht erneuert^ wenn vereinzelte E^e von Cholera, Blat-
tern u. 8. w. vorkamen. Wenn auch die Kosten einer solchen Reno-
virung geradezu unbedeutend >) zu nennen sind, so wurde mein diesbe-
züglicher Vorschlag vom Spitalschef jedesmal zurückgewiesen mit der
Motivirung, dass er unmöglich wegen eines vereinzelten Cholera-
fidles einen solchen Vorschlag an die Regierung einreichen dürfe.
Die Hauptfix>nt des Getöudes, mit der Apotheke, Magazinen,
Bureaux für den Chef und den wachthabenden Doctor und Apotheker
und Operationszimmer, >) bestand aus Ziegeln. Dieses Spital ist also
eine Versuchs^ation der indischen Baukunst und kein archi-
tektonisches Ganzes oder Einheit und gewiss kein monumentales Gre-
bäude; es ist ein durcheinander geworfenes MosaikbUd aller Bau-
materialien, welche in den Tropen zum Bau von Gebäuden verwendet
werden können. »Die Genie« braucht auf dieses Glebäude nicht stolz
zu sein.
Die Wasserleitung war gut; in einer Entfernung von ungefähr
1000 Metern befand sich im Thale des Elloflusses eine Quelle mit
Gtobirgswasser; ein Pumpwerk trieb das Wasser in das Spital, wo es
in einem Wasserthurme als Reservoir aufgefiingen und danach mit
Ri^iren in das ganze Spital geleitet wurde.
Die Canalisirung war ebenfalls praktisch angelegt; ein grosses
Ableitungsrohr mündete in bedeutender Entfemtmg in das rechte Ufer
des Elloflusses. Die Aborte hatten das Tonnensystem, an ihrer hin-
teren Seite befiknd sich eine kleine Thür, und Sträflinge wechselten täg-
lich die grossen Tonnen aus dickem Eisen.
Die Beleuchtung war an&ngs so schlecht als möglich. Die Be-
leuchtung in den Sälen brauchte nicht stark zu sein, weil die Patien-
ten um 9 Uhr zu Bette gehen mussten, aber die langen Corridore
hatten wegen des wellenförmigen Terrains hin und wieder Treppen;
der erste Spitalschef Hess diese schwarz und weiss anstreichen und
darüber die »glimmenden Nägel« aufhängen. Die Petroleumlampen
waren zu klein, um die »Runde« hinreichend zu erleuchten, und ver-
dienten mit vollem Rechte den Namen »glimmende Nägel«. Um
diesem Uebelstande abzuhelfen, wurden endlich die Treppen entfernt,
und die langen Corridore bildeten dann eine sanft auf- und absteigende
Der Quadratmeter einer solchen Wand wird aaf dem Markt je nach der
Qualität des Materials am 20 — 50 Cent verkauft
«) sowie die Pavillons für Frauen und Sträflinge (No. XVIII bis XXIII.
Fig. 24).
Ein zu grosses MilitarspiUl. 317
tiberdeckte Strasse. Im »Tagverbleib« der einzelnen Pavillons und in
den Zimmern der kranken Officiere und der wachthabenden Aerzte und
Apotheker befanden sich grosse Stehlampen oder Hängelampen, welche
hinreichend licht gewährten.
An die »Wissenschaft« wurde beim Bau des Spitales sehr wenig
gedacht; ein Häuschen für »Schwefelwasserstoffentwickelung« befand
sich in der Nähe der Apotheke, wurde aber als Rumpelkammer be»
nutzt; in der Nähe der Abtheilung für Infectionskrankheiten be&nd
sich das Leichenhaus mit einem Cabinet^) für mikroskopische Unter-
suchungen; neben dem »Conferenzzimmer« befEUid sich ein Cabinet mit
der stolzen Au&chrift: Bibliothek, welches von mir zur Untersuchung
des Urins eingerichtet wurde; in einem Spitale für 4 — 600 Patienten
konnten keine chemischen Untersuchungen des Mageninhaltes, keine Blut-
untersuchungen, keine bacteriologischen Arbeiten gemacht werden; es
sei denn, man ersuchte einen der Apotheker darum, welcher in der
Begel mit der Heoeptur so viel zu thun hatte, dass eine specielle Aus-
bildung in diesen Fächern nicht erwartet werden konnte.
Wenn ich noch mittheile, dass die »Badekamm^n« audi hölzerne
Wannen für wanne und heisse Bäder ^) neben den üblichen Douchen
hatten, dann habe ich nichts vergessen aus dem mit grosser Raumver*
schwendung errichteten Militärspitale zu Magelang, welches als eine
Sehenswürdigkeit Javas gepriesen wird.
Die Harmonie zwischen den beiden Mächten des Staates war in
Magelang anfangs sehr gut Der Militär- und zugleich Platz-Commandant
war ein Ehrenmann, der durch die Ruhe seines Charakters und durch die
Humanität seines Denkens und Fühlens keinen Feind hatte; der Re-
sident A war, ich möchte sagen, aus demselben Stück Eisen geschmie-
det; beide Männer füllten mit grosser Grewissenhaftigkeit, aber auch
mit allem Tact und EhrUchkeit ihre Stellung aus und vermieden durch
rechtzeitiges Entgegenkommen jeden Conflict; niemals gab es Reibereien.
Aber unter den Gvilbeamten ist noch eine Kategorie, weldie durch die
undeutliche Competenzgrenze ihrer Stellung häufig zu Reibereien Anlass
1) welches aber wegen seiner (Ingünstigen Lage nicht in Gebrauch genom-
men wurde.
*) Neben dem Wassertburme stand der grosse Kessel, von welchem das
warme Wasser für die Bäder in einer zweiten Leitung durch das ganze Spital,
aber nicht für den Officierspavillon, geleitet wurde.
313 Organisation des Rechtsweaens.
giebt, und leider führt dieser Federkrieg oft genug auch zur Entfirem-
dung der beiden Würdenträger.
Die jüngste Reorganisation des Bechtswesens hat nämlich den
Gerichtsbeamten beinahe eine ganz unabhängige und, ich möchte fest sagen,
isolirte Stellung im indischen Staatswesen eingemumt Die ErSährung
muss erst den Beweis bringen, ob dieses Princip für die Colonien ein
richtiges sei; die administrativen Beamten konnten sich bis jetzt nur
schwer in die neuen Verhältnisse hineinfinden, obwohl ihnen ein grosser
Theil ihrer Arbeit und der Verantwortung ihrer vielseitigen Leistun-
gen abgenommen wurde. Die Gerichtsbeamten gewannen dadurch
so viel Freiheit in ihren Entschlüssen, dass sie vollständig unabhängig
und selbständig ihren Berufepflichten nachkommen konnten. In be-
schränkten Köpfen musste diese Freiheit der Stellung eine Begrifib-
Verwirrung mit der Freiheit der Person veranlassen, und so geschah
es, dass der Landesgerichtsrath X. zu Magelang neben seinen Beru^
pflichten die der Gontrole über den Bedeuten auf sich nahm und zwar
in der ausgesprochenen Ansicht, dass die Gerichtsbeamten in jedem
Staate die einzigen und höchsten Stützen und Leiter seien. In recht
komischer und drastischer Weise bekundete der Herr X. diese An-
schauung gegenüber einem Major der Infanterie, welcher wegen
seines universellen Wissens eine sehr geachtete Stellung überall, zu
jeder Zeit und in jeder Gresellschaft einnahm.
Diese beiden Männer besprachen das Thema, dass Niemand mit
seinem Stande zufiieden sei und dass Jedermami seine Kinder eine höhere
Stellung, als er selbst bekleide, anstreben lasse. Dabei entwickelte
Herr X. eine gesellschaftliche Leiter imd gab die vorletzte Stufe der-
selben dem Officier und die höchste und letzte Stufe dem Juristen.
Leider ist die Organisation des Rechtswesens Schuld an deii zahl-
reichen Reibereien der betreffenden Beamten. Während die Regie-
rungsform durch und durch centraUstisch ist, der Absolutismus im wei-
testen und ausgebreitetsten Sinne das Scepter über die Europäer führt
und den Eingeborenen nur sehr geringe Communalangelegenheiten in
eigener Verwalthng überlässt, so dass der Verwaltungsbeamte beinahe
im strengsten Sinne des Wortes der Patriarch . seines Verwaltungsbe-
zirkes ist, gab sie den G^richtsbeamten eine zu weit gehende autonome
Organisation, so dass dies Regierungsprincip in seinen Grundpfeilern
erschüttert wurde. Die Zulassung der Europäer und »firemden Orien-
talen« in N.-Indien, die Verbannung von Personen aus N.-Indien, die
Aufriebt über die Magistratsverordnung und über die Gefängnisse, die
Organisation des RechUwesens. 319
Gresttche um Errichtung von Actiengesellschaften oder Vereinen, die
Naturalisation^ die Aufriebt über die Presse, über Volksversammlungen,
die Waisen- und Nachlasskammer gehören in das Departement der
Verwaltungsbeamten, ^) die sich bei ihren Studien in Delft auch eine
hinreichende Fülle des juridischen Wissens diesbezüglich aneignen.
Das Polizeiwesen blieb in Händen der Verwaltungsbeamteu, und auch
die Zuweisung nach den Strafrichtem, welche so viel als möglich die
diesbezügliche Competenz an sich reissen wollen und dadurch eine un-
erschöpfliche Quelle von Streitigkeiten geschaffen haben.
Der Europäer erscheint nämlich nur vor einem Gerichtshof aus
Europäeni, deren drei auf Java bestehen, und zwar in Batavia, Sama-
rang und Surabaja, während zahlreiche Landesgerichte mit einem euro-
päischen Juristen als Präsideuten, einem europäischen Secretär und
einigen Häuptlingen mit dem Panghulu (mohamedanischen Priester) ab
Beisitzer über die Eingeborenen die Jurisdiction üben. Es würde midi
zu weit führen, das Bechtswesen auf Java ausführlich zu beschreiben,
und ich will daher zu dem Ausgangspunkte dieses Capitels zurückkehren.
Es herrschte in Magekuig ein gemüthlicher Ton unter der Herr-
schaft dieser zwei Würdentr^er; als der Colonel P. wegen kör-
perlicher Gebrechen, denen er leider bald danach erlag, in Pension
gehen musste. kam ein Misston in das gesellschaftliche Leben der
Besidenzstadt, und bald standen sich zwei feindliche Parteien gegen-
über, welcher zwar die Grenzen der Höflichkeit nicht überschritten, aber
einen gemüthlichen Verkehr derselben unmöglich machte. Lieutenant
X. war ein Günsthng des Besidenten, welcher ein Schulkamerad seines
Vaters gewesen war; seine Frau, eine Uebens würdige, schöne und gebil-
dete Dame, verkehrte daher gern im Hause des Besidenten, und als ihr
Mann in Conflict mit seinen Vorgesetzten kam, fianden sie beide im
Hause dieses hohen Beamten Trost und Stütze in ihren Leiden.
Lieutenant X. war mit seinem Kameraden Y. so befreundet, dass
sie gelobten, sich tolerant auf die gegenseitigen Fehler aufinerksam zu
machen und einander in Leid und Freud beizustehen. Doch bald darauf
bestand keiner von beiden die Feuerprobe ihrer Freundschaft; beide
standen bei demselben Bataillon und in derselben Compagnie. Beide
waren OberUeutenants; Lieutenant T. war aber im Bange um acht
Monate höher und um 6 Jahre älter als Lieutenant X. In Vertretung
des kranken Oompagnie-Commandanten führte eines Tages Lieutenant T.
1) und nicht in das der Justiz.
320 2^^™ Theaterdirector gewählt.
seine Cbmpagiiie auf das Exercierfeld bei dem Berge Tidar. In einer
Ruhepause blieb X. reglementswidrig nicht bei der Truppe stehen, son-
dern begab sich zu seinem Freunde Y. Dieser glaubte dieses rügen zu
nliissen und sdiickte seinen fVeund X« auf seinen Flatz. Lieutenant
X. beantwortete diese strenge Auffassung der Dienstvorschriften mit
linear brüsken Antwort, worauf sein Freund Y. die Sache an den
Bataillons-Commandanten rapportirte. Lieutenant X. bekam vier Tage
Arrest und forderte Lieutenant Y. zum Duell. Dieser weigerte sich^
das Duell anzunehmen, und theilte dieses wieder höheren Ortes mit;
in dem weiteren Verhalten in dieser Affaire zeigte sich Lieutenant X.
so unbotmässig, dass er sich die Sympathie seiner Freunde selbst unter
den Officieren verscherzte. Der Oolonel beschuldigte jedoch den Besi-
d^iten, ihn zu seinem indisciplinaren Vorgehen aufgereizt zu haben,
wofür er, ich zweifle keinen AugenbUck, keinen einzigen objectiven
Beweis haben konnte. Dies war die Veranlassung zu einem gespannten
Verhältnisse zwischen diesen beiden Würdenträgem, welche aber ihrer-
eeits bei öffentlichen Gelegenheiten den äusseren Sch^n des freund*
schafflichen Verkehrs bewahrten. Dazu gab es sehr oft Gelegen-
heit Die Soldaten hatten nämlich zwei Theatergesellschaften, weldie
in der Oantine oft Vorstellungen gaben, und ich selbst hatte unter den
Offici^^n und Bürgern die »Thalia« errichtet Im Jahre 1893 war
nämlich in Magelang ein Wettrennen, welches mit einer Ausst^ung
de? Industriepreducte der Provinz Kedu verbunden war. Nebstdem
hatten einige Herreu und Damen zu dieser Grelegenheit ein Lustspiel
einstudirt und für den zweiten Abend einen Tingel-Tangel eröffiiet Das
Lastspiel und das Cafi^ chantant wurde in der Vorgalerie des Resi-
denten gegeben, welcher zu diesem Zwecke die Couhssen aus der
Oantine entlehnt hatten Diese hatten solchen Anklang gefimdffli, dasa
nach Ablauf der Wettrennen einige Bürger und Offidere zur Gründung
eines Dilettantentheaters zusammentraten. Zum ersten Diiector wurde
nüeine Wenigkeit gewählt; jedes Mitglied sollte 1 fl. monatlich bezahlen^
und dafür sollten vier Vorstellungen im Jahre gegeben werden. Mit-
glieder fanden sich in hinreidiender Zahl; ausübende Mitrede* gab
es auch hinreichend; aber alles Andere fehlte. In erster Reihe machte
mir die Platzfrage sehr viel Sorge; endlich wurde ich auf die Tum*-
halle der Schule für die Häuptiingssöhne aufinerksam gemacht; obwohl
hier jeden zweiten Sonntag von dem »Domine« Grotteedienst gehalt^i
wurde, der zu diesem Zwecke von Djocja nach Magelang kam, wurde
mir vom Residenten dieser Saal gerne zu diesem Zwecke abgetreten.
J
Zum Theaterdirector gewählt. 321
Die zweite Frage galt der Beschafihng der Coulissen. Der Verein
hatte im Anfang keine hinreichenden Gleldmittel, um Coulissen malen
zu lassen. Ich miethete also für die erste Vorstellung, welche die
Feuerprobe der Existenzfähigkeit dieses Vereins geben sollte, die Cou-
lissen des Theaters aus der Cantine; als ich dessen sicher war, berief
ich die erste Vereammlung der mitwirkenden Mitglieder, und nach
langer Debatte über die Wahl des Stückes wurde für die erste Auf-
führung das echt holländische Drama »Janus Tulp«, und für die zweite
die holländische üebersetzung des deutschen Lustspieles »Der Störe-
fried« angenommen. Das Lesen und Einstudiren der Bollen brachte
der Jugend Magelangs gemüthUche und unterhaltende Abende, zu denen
sich natürlich ganz heimhch auch der kleine Schalk Amor hin und wieder
einstellte, bis endlich die Opfer seiner Intrigue am Traualtar einander
ewige Treue schworen. Zahlreich waren die Detailarbeiten und sehr
lästig für mich, weil ich in die Geheinmisse des Coulissenlebens gar nicht
eingeweiht war. ElndUch kam der grosse Tag der ersten Aufführung.
Um 9 Uhr Abends sollte sie stattfinden; ein schwerer Tropenregen
schaffte ganz unerwartet Hindemisse. Der Tumsaal stand mitten im
Hofi:^um zwischen den Pavillons für die Zöglinge der Anstalt; zwei
Zimmer wurden bereitwilligst von dem Director für diesen Abend der
:» Thalia« zur Verfügung gestellt. Hier sollten die Herren und Damen
sich schminken lassen und den Toilettenwechsel besorgen. Mit einem
Regenschirm konnten sie sich gegen den strömenden Regen schützen.
Wie sollten sie aber durch die entstandenen Pfiitzen trockenen Fusses
auf die Bühne gelangen? Zwei Stmiden vor dem An&ng nahm ich
also meine Equipage mid überfiel den Residenten in seinen 'häuslichen
Arbeiten. Er sollte und niusste als Mäcen den mit Lebensgefeüir (??)
bedrohten Schauspielerinnen helfen! Der brave Mann schaffte Hülfe.
Eine Bretterwand stand unbenutzt vor einem vollendeten Gebäude; eine
»Truppe« Sträflinge (25 Mann) erhielt den Befehl, sofort diese Wand
abzubrechen und nach dem Tumsaal zu bringen. Der Regen hatte
um 9 Uhr aufgehört, die entstandenen Pfützen wurden mit den Bret-
tern bedeckt, und ohne Lebensgefahr (?) konnten die Schauspielerinnen
und Schauspieler trockenen Fusses auf die Bühne gelangen. Der Er-
folg übertraf aUe Erwartungen, und stolz rühme ich mich noch heute
dieser That Janus Tulp^) ist ein echtes Volksstück mit einem kräf-
tigen Dialog und gesunder Tendenz. Ein Barbier wird durch ein Loos
') von dem bekannten Dichter Justus van Manrik,
BreiteotteiB, 21 Jahre in Indien II. 21
322 ^^® Journalistik Indiens.
Besitzer eines grossen Vermögens und Ph)tz in optima forma. Seine
Frau und seine Tochter jedoch bewahren ihre einÜEtchen Sitten und
kommen dadurch in C!onflict mit den hochfliegenden Plänen ihres Vaters.
Die Tochter ist die Heldin des Stückes und wurde von der Frau des
oben erwähnten Lieutenants T. mit solcher Wärme und Natürlichkeit
gespielt, dass kein Auge trocken blieb. Frau Y. hätte auf jeder Bühne
Europas eine Zierde sein können. Um IV ji Uhr war das Drama be-
endigt; zum Nachhausegehen hatte aber Niemand Lust Die Schau-
spieler beeilten sich, die Schminke abzuwaschen, und schon nach einer
Viertelstunde formten alle ausübenden MitgUeder miter dem Präsidium
des Residenten einen Au&ug. Die Militär -Musik, welche in den
Zwischenacten gespielt hatte, steUte sich an die Spitze, und unter den
fröhUchen Klängen eines Tararra-bum-Marsches zogen wir Alle in das
Clubgebäude. Die Lampen wurden angezihidet, die Musik nahm im
Tanzsaale Platz, und bis zur firühen Morgenstunde ^iirde nmi der Terpsi-
chore gehuldigt
Wemi ich nun des Croquetclubs erwähne, welcher manchmal
einige Wochen oder Monate lang bestand, dami habe ich alles mitge-
theilt was den Bewohnern Magelangs an Vergnügungen geboten wurde.
Wollte man also in die Monotonie des tägUchen Lebens Abwechse-
Imig bringen, dann musste man es in der Leetüre, in gesellschaftUchen
Zusammenkünften oder im Oenuss der schönen Natur und der zahl-
reichen ßuuien suchen, an welchen die Provinz Kedu aussei^wöhnlich
reich ist
Die tägliche Leetüre war die »Locomotief«, welche in Samarang
herausgegeben wurde, oder der » Javabode«, welcher in Batavia tägUch
erscheint; erstere kostete 40 und die Batavische Zeitmig 20 fl. pro Jahr.
Natürlich erscheinen auf Java auch noch andere Zeitungen, z. B. in
Surabaja, in Djocja ein in malayischer Sprache geschriebenes Tage-
blatt u. s. w., welche eine ausgezeichnete Controle der Regierung sind,
ja noch mehr; wenn auch in militärischen und Beamten-Speisen Jeder-
mann ein trauriges Stigma hat, welcher »in den Zeitungen schreibt«,
so findet dennoch die Fama regehnässig ihren Weg in die Redactions-
Stube, luid manche Unregelmässigkeit, Nachlässigkeit oder üebergrifF
der Bureaux wird rechtzeitig der Kritik der öffentUchen Meinung
überiiefert Auch ohne diese stete und ununterbrochene Controle der
Würdenträger hat die indische Presse geradezu einen bedeutenden Ein-
fluss und pädagogischen Werth, der nicht hinreichend gewürdigt wird.
Mit mehr oder weniger Unrecht wird das persönUche Verdienst der
Die Journalistik Indiens. 323
Bedacteure hierbei geschmälert^ nämlich durch die Behauptung, dass
der Scheere der Löwenantheil an diesem Verdienste gebühre; dies
ist wahrscheinlich richtig; aber die MUdthätigkeit hat auch oft andere
Quellen als das Verlangen, den Armen zu helfen; wer wird eine mild-
thätige Stiftung zurückweisen, weil die Eitelkeit an ihrer Wiege sass?
Ob nun der Bedacteur aus der Tiefe seines Geisteslebens schöpft oder
mit der Scheere bei seinen europäischen Collegen eine Anleihe macht,
kümmert den Leser gar nicht; Thatsache ist, dass die indischen Zei-
tungen sehr instructiy und oft unterhaltend sind. Das Verdienst ist
um so grösser, weil Indien keine Gremeindevertretmig^) hat, wodurch
viele locale Blätter in Europa Stoff zu täglichen, meterlangen Mit-
theilungen erlangen.
Nebstdem war ich MitgUed zweier Lesegesellschaften; die eine
hatte ihren Sitz in Magelang und bot ihren MitgUedem eine reiche
Auswahl in europäischen periodischen Zeitschriften; oft eriiielt ich
jeden Sonnabend 20 Niuumem, wie z. B. Fliegende Blätter, üeber
Land und Meer, De aarde en haar volken, London News, Journal
pour rire, Wiener Caricaturen u. s. w. Die zweite wurde von einem
Civil- Arzt in Samarang verwaltet und besorgte die Fachlectüre; deutsche,
holländische und französische medicinische Wochenschriftien wurden jede
Woche nach Magelang gesendet
>) Erst im Märe des Jahres 1899 wollte die Regierung einen An&ng mit
einer Gemeindevertretung machen; sie holte von den drei Residenten zu Ba-
tavia, Samarang und Surabaja Gutachten ein, um für die beabsichtigte Ein-
führung einer Gemeindeverwaltung „sofort Gemeindesteuern auszuschreiben für
die localen Bedürfuisse, z. B. für die Strassenbeleuchtung u. s. w.*^ Vorläufig
sollten die Ertragnisse dieser Steuern in die Staatskasse fliessen, um sie später,
wenn die Gemeindevertretungen zu Stande kommen sollten, diesen zu über^
geben. Darauf sagt die „Locomotief" vom 4. April: Es handelt sich also mehr
am eine neue Steuer, ab um eine neue Volksvertretung.
21*
10. CapiteL
Der Bora Budur — Hagelang; wUurend des Krieges mit Lom*
bok — Soldatenfi-eimde — Die Religionen auf Jara —
Schulen fflr die Jaranen — Die Dysenterie — Leberabseesse
— Eine Expedition in den Tropen — Nochmals ron Dienst-
«
boten — 99Der 6hirten ron Jaya^.
T^ie geseUschaftlichen Zusammenkünfte in Magelang waren in der
■^ Regel sehr amüsant; die erste, welche ich mitmachte, war ein
Picknick am Fasse des Buru Budur (= Bärä Budur = der unzählbare
Buddha?). Der Landesgerichtsrath T. hatte keine Kinder, ich hatte keine
und Dr. A. war kinderlos; wir sechs und die Familie des Dr. S. be-
schlossen eines Tages, eine gemeinsame »Reistafel« unter den Fahnen
zu halten und zwar am Fusse jenes 1000 Jahre alten Tempels, wel-
cher als ehrwürdige Ruine des alten Hindudienstes in seiner Grösse
und in seinem Reichthum an Bildarbeiten alle Pyramiden Aegyptena
und alle Ruinen des Alterthums hoch überragt
So schwer es fällt, da« religiöse Denken der Javanen in semen
Theilen zu erkemien, d. h. wie viel dem alt-polynesischen Glauben, wie
viel dem Bramadienste, wie viel dem Buddha-Glauben und wie wenig
dem Mohamedanismus angehört, so leicht haben sich die Gelehrten
geeinigt, den Buru Budur als dem Buddhadienste gewidmet anzu-
erkennen.
Wir nahmen an einem Sonntag zwei Reisewagen, in welchen
nicht nur wir zehn Personen Platz hatten, sondern noch zwei Bediente
mit dem nöthigen G^eschirr auf dem Bock sassen; am Ziele unserer
Reise war ja ein Passantenhaus, welches von einem ausgedienten Sol-
daten bewacht wurde; in diesem Pesanggrähan befanden sich nicht nur
Betten, sondern es bestand auch Glelegenheit, ein Mittagessen einzu-
nehmen; d. h. Reis, Früchte und Hühner konnten in den verschiedensten
Der Bora Budur. 325
Formen den Besuchern geboten werden; die Damen unserer Gresell-
Schaft Jiatten also nur für einige Speisen zu sorgen; denn auch einige
Flaschen Bier, ApoUinariswasser und Bothwein hielt er in Vorrath.
Schönes Wetter begleitete uns; wir nahmen den Weg durch
die Mörderallee, vorbei an dem Berge Tidar auf die grosse Strasse
nach Djocja; sie wird von den sie umgebenden Kampongs in gutem
Zustande erhalten; sobald die Begenzeit eintritt, wird der Schotter,
welcher in gewissen Abständen zu pyramidenförmigen Haufen längs des
Weges in Vorrath sich befindet, über die Strasse geworfen, und die
schweren Lastwagen drücken ihn in den Boden, welcher durch den
Begen weich geworden ist Ungefähr ein Kilometer vor Muntilan geht
eine schmale Strasse nach Westen und zwar an das Ufer des ESlo-
flusses. Kurz vor der Einmündung dieses Flusses in den Progofluss
sahen wir einen schönen Tempel, es war der Tjandi Mendüt (Fig. 19)
aus Trachitblöcken. Er hat acht Seiten und vier einspringende Ecken,
ist pyramidenförmig und hatte vielleicht eine Höhe von 25 Metern, i)
Er ist erst seit 60 Jahren ausgegraben. Auf der Westseite befindet
sich ein« Treppe und ein Eingang zu einer Halle von ungefähr
40 Q] Metern; die Mauer desselben bestand aus porösen Trachitsteinen
und war an&ngs cylinderförmig und ging in einer Höhe von ungefähr
vier Metern in die Form einer spitzen P^amide über; ich wusste nichl^
was ich zunächst bewundem sollte, die kunstvolle Weise, in welcher
dieser Saal gebaut war, oder die darin befindlichen Statuen. Jeder
Stein ruht nämlidi in der angegebenen Höhe so auf seiner Unterlage,
dass er diese um einige Centimeter überragt; ein weiterer Kitt oder
Verbindungsmittel der Steine war nicht zu sehen. Durch die Aus-
brüche des Merapis wurde dieser Tempel so erschüttert, dass der
Eingang zahlreiche Bisse zeigte, d. h. dass über dem Eingange die
Würfel-Steine grosse Lücken zeigten, welche den ängstlichen Glemüthem
der Damen selbst den Eintritt in die Halle verleideten. Im Hinter-»
gründe derselben sass Buddha mit herabhängenden Beinen und wie
zum Beten gefalteten Händen; er ist nackt, 4^9 Meter hoch, der
Gesichtsausdruck erinnert an eine sanfte, gutmüthige Frau (Fig. 25).
Zu beiden Seiten befinden sich zwei weibUche Figuren, 2^9 Meter
hoch, mit Bingen an den Armen und Knöcheln imd Tiaras. Sollte
es, wie Veth») vermuthet, eine ihrem Gotte dargebrachte Huldigung
z^'eier Halbheüigen sein?
1) Veth giebt die Höhe auf 60—70' an.
S) Veth, nJava^ Band H, Seite 85.
326 ^of Bum Budur.
Bald verliessen wir diesen Tempel und bestiegen wieder unsere
Wagen; aber schon nach einigen Minuten erreichten wir den Ello, auf
welchem sidi zwischen zwei grossen Rottangstricken eine Fäinie be&nd;
sie war gross genug, um die acht Pferde und die zwei Wagen au&u-
nehmen. Zunächst wurden diese an das jenseitige Ufer gebracht^ imd
dann bestiegen wir diese primitive Fahrgelegenheit Noch ungefähr
zehn Minuten fuhren wir, als wir plötzlich vor einem kleinen Hagel
standen, wo sich nach links der Weg wandte. Keine hundert Meter
weit lag der Tempel vor uns. Der erste Eindruck liess mich kalL
Als ich im Jahre 1884 mit Urlaub nach Europa ging, verliess ich
bei Ismailia das Schiff und fuhr mit der Eisenbahn nach Kairo, um
die Cheops-F^amide und die Sphinx zu sehen; auch* das Massenhafte
und das hohe Alter dieser Denkmaler einer untergegangenen Kunst-
zeit packten keine Faser meine Nerven. Ich glaubte damals überhaupt
keinen Sinn für architektonische Schönheit zu besitzen; als idi aber
zwei Monate später zum ersten Male das neue Rathhaus in Wien sah,.
da fJGusste mich der Zauber dieses gothischen Baues mit aller Madit
Ich trat also mehr mit Neugierde als mit Entzücken dem Buru>)
Budur näher und sah die hunderte Grappen und die tausende Figuren,,
welche sich an den Wänden dieses Tempels befinden. Diese Basr^efe
bringen Buddhas oder Verehrer des Buddha in allen möglidien und
unmöglichen Stellimgen, Scenen aus dem Leben von Fürst^, Biesen,.
Schlangenkönigen, Eseln, Geistern, Thier&beln. Leider fehlt uns d^*
Ariadnefaden, der tuis in diesem Labyrinth als Führer dient
Die Frau des Dr. A. hatte schon wiederholt diesen Tempel be*
sichtigt; sie nahm also die Pflichten einer Hausfirau auf sidi^ um mit
Hülfe des Tempelwächters und der mitgenommenen Bedienten für die
»Beistafel« zu sorgen. Wir Andern bestiegen zunächst die Haupttreiq)ey
welche von zwei grossen, steinernen Löwen bewacht vrurde und uns zur
Basis des Tempels brachte, welche die Form eines Quadrates von 151 Metern
Seitenlänge hatte. Die äusseren Grundmauern bestanden aus Trachit-
blocken, deren oberster Band eine l^oihe von Basreliefe einnahm (Fig. 26)^
welche. den Typus des ganzen Gebäudes charakterisiren. Auf einigen
Treppen stieg man auf die zweite Terrasse, auf welche wieder eine
^) Veth nennt ihn Bära und nicht Bura Budur; das javanische ä ist ein
Mittellaut zwischen a und o; etymologisch ist dies die richtigere Schreibweise
als mein Burn; in allen malayischen und javanischen Ausdrücken glaubte ich
aber aus naheliegenden Ursachen der phonetischen Schreibweise folgen zu sollen.
Ich hörte immer von Bum und niemals von B&r& sprechen.
Der Bora Budor. 327
Gralerie folgte, die auch eine Wand nach aussen hatte. Es sind im
Granzen zwölf Terrassen, und das Gebäude erlangt hierdurch die Höhe
von ungefähr 50 Metern über dem Fuss des Berges. Diese Terrassen
oder Galerien sind mit hundert Gruppen von BasreUe6 verziert^ in wel-
chen Buddha meistens der Mittelpunkt der verschiedensten Scenen ist
Zahlreich sind die Nischen, in welchen er sitzt, und ebenso zahlreich
sind die kleinen Kuppeln mit diesem Gh)tte.
Ein feenhafter Anbhck war es für mich späterhin, wenn ich Abends
dahm ging und der Mond den ganzen Tempel in seine silbernen Strah-
len hüllte. Es war ein Zauberschloss, aus welchem von aUen Seiten,
von allen Ecken mid Winkeln das sanfiie, ruhige Antlitz des Gottes
Buddha auf mis niederbUckte.
Auf der Spitze des Tempels stand die grösste Kuppel von 3,6 Meter
Höhe und 9,9 Meter Breite. Sie hatte eine Spitze von 9 Meter Höhe,
darin war ein rundes Zimmer, in welchem fiiiher wahrscheinlich das
grösste Buddhabild, das Allerheiligste, gestanden hat
Ich kann mich unmöglich in eine weitere Beschreibung dieses
Riesentempels einlassen; die Photographie desselben (Fig. 27) möge dem
freundlichen Leser einen schwachen Ersatz dafür bieten, und möge er mit
mir die hohe Kunst der Javanen bewundem, die vor tausend Jahren
geblüht und heute unter den fanatischen, kunstfeindlichen Bekennem
des Islams beinahe bis auf das Niveau der Naturvölker gesunken ist
Rhaden Saleh, dessen Mutter ich in Magelang behandelte, ist,
wenn auch ein bedeutender Maler, doch der einzige Künstler, welchen
Java in der Gegenwart aufweisen kann, natürlich, wenn wir von den
dort lebenden Europäern absehen.
Am 2. August des Jahres 1894 war eine andere grosse Gesellschaft
bei mir versammelt; es wurde 8^/« Uhr, und Alle waren in so fröhlicher
Laune, dass Niemand daran dachte, nach Hause zu gehen, und man
das holländische Volkslied anstimmte: »Wir gehen noch lange nicht
nach Haus«. Die Stunde des Nachtmahles war herangerückt, und eine
Lehrerin stellte den Antrag, ein Picknick zu improvisiren, dass Jeder
sein Nachtmahl in mein Haus bringen lasse, um auf diese Weise der
Hausfrau ihr Amt zu erleichtem. Mit lautem Hurrah wurde dieser
Vorschlag angenommen, und um 9i/a Uhr sollten wir zu Tisch gehen;
aber o weh! die zurückgebliebenen Gäste waren 13! Da die eine
Lehrerin au& Bestimmteste behauptete, unter solchen Verhältnissen nicht
328 Uagelmng wkhrend des Krieges mit Lombok.
ZU Tisch geheu zu wollen, liess ich meine Equipage anspannen und
fuhr in den Officiersclub^ der voraussichtlich noch nicht geschlossen sein
würde. Ich täuschte mich nicht Der erste Herr, welcher mir ent-
gegentrat, war Lieutenant d'A . . ., welchem ich die Schwierigkeit meiner
Lage auseinandersetzte und die Bitte vortrug, eine so verspätete Ein-
ladung anzunehmen; er fuhr mit mir nach Hause und — drei Wodien
später war er todt!
Es war nämhch der Krieg mit Lombok^) ausgebrochen und die
Truppen waren zum grössten Theil aus der Garnison von Magelaag
genommen. Lieutenant d'A . . . war eines der ersten Opfer, welche
der Leichtgläubigkeit des Truppen-Commandanten zum Opfer ge&Uen
waren.
Die Sässak hatten schon zu wiederholten Malen bei dem Resi-
denten von Bulel^ng (auf der Insel Bali) über den Despotismus ihres
Fürsten geklagt Alle Vorstellungen der holländischen Begierung, seinen
mohamedanischen Unterthanen, den Sässakem nämlich, einen erträg-
lichen Zustand zu gönnen, wie sie ihn bei ihren Glaubensgenossen auf
Java und Bali kannten, fanden unmer ein zustimmendes »Ja-Ja« ; aber
eine Veränderung brachte der Fürst weder in den politischen noch in den
socialen Verhältnissen der Sässak, und am 24. Juli 1893 liess er selbst
einen Controlor sechs Tage lang in Ampenan warten, um die Nach-
richt ihm zukommen zu lassen, dass er weder ihn, noch einen Brief
empfangen wolle. Endlich musste Holland sich zur That aufraffen und
organisirte 1894 eine Expedition, um unter dem Schulze von zwei Ba-
taillonen Soldaten den Fürsten von Lombok zu einer thatsächlichen
und radikalen Reorganisation seines Beiches zu zwingen. Unter dem
Commando des Generals Vetter, dem der Resident Dannenborgh als
Civil-Commissar und General van Ham als Stellvertreter zugetheilt
wurde, zogen zwei Bataillone, also ungefähr 1000 Mann, nach Lom-
bok (6. Juli 1894). Sie wurden aus der Garnison von Magelang ge-
nonmien. In gehobener Stimmung marschirten sie aus ihren Oasenien,
am Ende der Stadt erwartete sie eine Commission von Bullern, mit
dem Residenten A. an der Spitze. Die Soldaten erhielten Cigarren^
Lombok ist eine der kleinen Sundainseln, Ö436 Quadrat-Meter gross,
und hatte ungefähr 500,000 Einwohner, welche zum grasten Theil Mohamedaner
waren, während das Fürstenhaus mit seinem ganzen Anliange Anhänger des
Hinduglaubens geblieben waren. Sie liegt zwischen 115 <^ 45 ' und 116 ^^ 48 ' ö. L.
und zwischen dem 8. und 9. ^ s. Br. Der höchste Berg ist der Piek von Lom-
bok, .3800 Meter hoch, und zahlreiche kleine Flüsse durchziehen die Insel.
Magelang wfthrend des Krieges mit Lombok. 329
Bier und Gtenevie, und den Officieren sprach man bei einem Glase Cham-
pagner ein herzliches Lebewohl zu, ein dreimaliges Hurrah auf die
Oesundheit der Königin -Wittwe schloss diese eip:ieifende Scene, und
unter den Klängen eines Marsches zogen die Soldaten zu Fuss nach
Willem I. wo sie eben&Us festlich empfangen wurden. Am andern
Morgen gingen sie per Eisenbahn nach Samarang, wo sie sofort nadi
<ler Bhede marschirten, um sich zur Beise nach Lombok einzuschiffen.
Mehrere Bivouacs wurden errichtet: auf dem Landungsplatz Am-
penan, in der Hauptstadt Mataram und in der Fürstenstadt Tjakra
negara. Es geschah^ was zu erwarten war. Der Fürst erklärte sich
zu allem bereit, was die holländische Regierung zu Gunsten der »annen
Sässakerc verlangte; er trat in Unterhandlung mid verkehrte sehr ge-
müthlich und freundschaftlich mit den Führern der Expedition, liess sidi
selbst Arm in Arm mit dem Greneral Vetter photographiren und zog
die Verhandlungen so in die Länge — bis alles zur Vemichtmig der
holländischen Armee vorbereitet war.
Am 26. August, es war ein Sonntag, schickte der Conmiandant
der Marinetruppen ein Telegramm nach Batavia, dass ein bedeutendes
Gewehrfeuer auf Lombok gehört werde. Ein zweites Telegramm
meldete, dass ein Kahn mit der Nachricht von einem Massacre ange-
kommen war, und dass er sofort die Marine zu Hülfe schicken werde,
und am 27. August kam die Trauermär, dass in der Nacht vom
25. auf den 26. August ein Ueber&ll der Lomboker stattgefunden
habe, bei welchem beinahe die ganze Armee aufgerieben wurde. Das
7. Bataillon lagerte zwischen Mataram und Tjakra und bekam die
volle Ladung aus erster Hand. Ahnungslos lagen die holländischen
Soldaten zwischen den niedrigen Lehmmauem, als aus Hunderten von
Oeffiiungen von beiden Seiten ein mörderisches Feuer begann; auf
der Flucht durch Mataram war derselbe schaurige Höllenlärm, und
erst ausserhalb der Stadt konnten sich die Truppen zur kunstge-
mässen Vertheidigung vereinigen. Das 6. Bataillon verliess sofort
sein Bivouac und besetzte die leerstehende »Fun«, in welcher es sich
zwei lange Tage und drei Nächte ohne Wasser befand und nur von
den wenigen Speisen lebte, welche die Soldaten in ihren Beuteln
mitgenonmien hatten. Major B. war Bivouacs - Conmiandant Am
Abend des 25. August ging er allein, wie er mir später erzählte,
längs der Schildwachen spaziren und sah plötzUch einen Lomboker
vor sich stehen, welcher ihm mit geheinmissvoller Stimme zuflüsterte,
ihm zu folgen; er wolle den tuwan Major zu einem reizenden Mäd-
330 Magelsng während des Krieges mit Lombok.
eben bringen, welche alle Bewerbungen bis jetzt verBchmäht habe
und nur einem :» hohen« Manne ihre jungfräuUchen Reize opfern wolle.
Zwei Stunden später begann das Schiessen; Major B. Hess sofort die
zurückgebliebenen Truppen in Alarmstellung treten und pries das Gfe-
schick, dass er dem Sirenengesang dieses Venäthers nicht Gehör ge-
geben hatte. Ein Schrei der Entrüstung über die Sorglosigkeit und
Leichtgläubigkeit der Anführer übertönte den Jammer der zurückge-
bliebenen Frauen und Kinder der 0£Sciere und Soldaten in Magelang.
Als die lange liste der Verwundeten und Todten an der Mauer des^
Clubs angeschlagen wurde, da entlockte der Schmerz um den ge-
&llenen Freund mir und jedem anderen Menschenfreunde vieUeicht zu
scharfe, aber doch verdiente Verwünschungen und Flüche über den
Vertrauensdusel von Männern, welche sich, an die Spitze eines Feldzuge»
gerufen, wie kleine Kinder mit allen ihren Truppen in die Falle einea
schlauen mid verrätherischen Fürsten locken Hessen. Zwei Damen
fuhren sofort nach Surabaja, um dem Kriegsschauplatze näher zu
kommen und die Ankunft ihrer Männer abzuwarten; die übrigen bUeben
in Magelang und zählten die Stunden, bis sie die Detailberichte von
ihren Männern erhalten konnten. Die Frau des Capitäns K. war di&
Unglücklichste, der Name ihres Mannes stand mit dem eines Arzte»
und eines Lieutenants auf der liste der Vermissten. Der Gouvemeur-
Greneral van Wyk schickte sofort Ersatztruppen, zu denen von Mage-
lang das 2. Bataillon gehörte. Wiederum geleitete eine Commissioa
die Truppen bis an das Ende der Stadt, und wiederum leerte der Re-
sident A. ein Glas Champagner auf das Wohl der Truppen, welche
diesmal ihre durch den Verrath eines treulosen Fürsten gefallenen
Kameraden rächen sollten. Ich bedauere, nicht ein Maler gewesen zu
sein, um eine Scene zu zeichnen, welche mich damals mächtig er-
schütterte und so ergriff, dass ich trotz aller Mühe die Thränen nicht
unterdrücken konnte. Der Ausmarsch der Truppen aus den Casemeik
war begleitet von lautem Jubel und Trompetenschall, besonders die
Compagnie der Amboinesen gab durch laute Rufe ihrer Freude
Ausdruck, für Vaterland und Königin den Tod ihrer Kameraden
und ihrer Fremide rächen zu dürfen. Eine grosse Menschenmenge
umstand das Exercierfeld vor der Caseme, und in lauter Aufregung
rief die Menschenmasse ein Glückauf den braven Soldaten zu, welche
ihr Leben opfern gingen, um die erlittene Schmach auszulöschen —
und im Hbitergrunde sass auf der Treppe ihrer Wohnung die Frau
des Capitäns K., in thränenlosem dumpfen Schmerz versunken, brütend
Magelang während des Krieges mit Lombok. 331
über die QuaJen und Martern, mit welchen ein grausamer, verräthe-
rischer Feind ihren Mann in diesem Augenblicke foltern würde. Sie
war eine schöne, stattliche Dame und sass in ilirem Schmerze ge*
brochen auf der Treppe. Dort zog eine jubelnde Schaar kräftiger,
lebenslustiger Manner, begleitet von ihren Freunden, von Frau und
Kindern, und hier sass verlassen und einsam mit starrem, angstvollem
BUck wie eine Niobe eine unglückliche Frau, welche das Schrecklichste
für ihren in den Händen eines Eingeborenen befindlichen Mann
fürchtete.
Die braven Soldaten hielten ihr Wort: Mataram und die Fürsten-
stadt Tjakra negara wurden erobert, ihre Mauern niedergerissen und
die Schatzkammer nach Holland gebracht Der Fürst wurde nach Ba^
tavia verbamit, wo er auch nach kurzer Zeit starb.
Die zahlreichen Verwundeten, sowie die durch andere Krankheiten
erschöpften und invahden Soldaten wurden mit einem Dampfer der
indischen Damp&chiffiahrts- Gesellschaft zunächst nach Surabaja ge*
bracht Hier hatten sich natürlich ebenfedls Commissionen aus den Bür*
gern gebildet, um den Opfern des Krieges bei ihrer Ankunft Cigarren,
erfrischende Getränke, Brie^apier und Couverts u. s. w. zu geben, und
auch das Bothe E^reuz betheiligte sich mit Lust und Eifer an diesem
menschenliebenden Werke. Sobald es der Zustand der Patienten er-
laubte, wurden sie nach dem Gesundheits-Etablissement im Tenger*
gebirge evacuirt, wo sie sich in der Begel sehr bald von den überstan-
denen Miseren erholten. So dauerte es einige Wochen, selbst oft zwei
bis drei Monate, bis sie sich so weit erholt hatten, dass sie auf ihr
Verlangen wieder nach Lombok geschickt werden, oder aber nach Ma-
gelang zurückkehren konnten, wo Viele ihre »Frauen« und Kinder
wieder &nden. Es wurde nämlich, wie bei jedem Feldzuge, beim Ab-
marsch der Truppen nach Lombok nur 20 Soldaten pro Compagnie,
also ungefähr 12 o/o, gestattet, ihre Haushalterimien mitzunehmen. Wie
ich schon an anderer Stelle mittheilte, >) hat man kein Becht, von einem
anderen Standpunkte als von dem der geschlechtlichen Moral diese
Frauen zu verurtheilen. Wenn auch die Haushälteriimen der Officiere
ihre »Männer« manchmal in allem Thuu und Lassen, in ihrem Denken
und Fühlen auf das Niveau eines Eingeborenen bringen, so sind, wie
die Erfahrung lehrt, die Haushalterimien der Soldaten geradezu ein
nothwendiges Element der Disciplin. Die wenigsten Strafen haben SoU
>) Band I, Seite 216.
332 Soldatenfreunde.
daten, welche eine Haushälterin haben, und am wenigsten dem Alcohol
ergeben sind jene europäischen Soldaten, welche die »N]£u« (mit oder
ohne Kind) zwingt, von ihrem Solde einige Cents täglich zum ge-
meinsamen Haushalte abzutreten. Nebstdem giebt es ja viele » Sol-
datenfrauen c, welche mit den eingeborenen Soldaten gesetzlich veiiiei-
ratet sind.
Die zurückgebliebenen »Frauen« waren gewissermaassen versorgt;
sie konnten in der Caseme wohnen bleiben und erhielten pro Tag
>/s Kilo Beis und 3 (?) Decagramm Salz. Ein Lieutenant führte das
Commando über die Frauencompagnie, d. h. er überzeugte sich täglich
von ihrer Anwesenheit, bei welcher Gelegenheit sie militärmässig vor
ihrem Bette standen und die Frau eines Sergeanten über d^e Vorfälle der
letzten 24 Stunden rapportirte. Nebstdem nahm sich die Frau eines
Hauptmanns der Intendantur, welcher Verwalter des grossen Militärspita-
les war, der verlassenen Frauen und Kinder an; sie soi^, dass Ae Kin-
der regelmässig die Schule besuchten, dass sie von Zeit zu Zeit ihrem
Vater einen Brief schrieben, dass von dem errichteten »Lombokfonds«
die verwaisten Ejnder mit Kleidern und Wäsche unterstützt wurden,
dass die zurückgekommenen halbinvaliden Soldaten mit Bier, Wein,
Cigarreu u. s. w. bewirthet wurden und, last not least, dass die zurück-
gebliebenen Frauen sich nicht der officiellen Prostitution in die Arme
warfen. Unterstützt wurde sie in ihrem humanen Werke von einem
Missionare der Sabbathisten, welcher kurz vorher, von einigen hollän-
dischen Damen reichlich unterstützt, nach Indien gekommen war, um
die Moral der europäischen Soldaten auf ein höheres Niveau zu bringen,
als sie bis jetzt hatten. Die Basis seines Thuns und Lassens war, die
Macht des Alcohols und der eingeborenen Frau zu brechen. Zu die-
sem Zwecke errichtete er am nördlichen Ende der Stadt ein Club-
gebäude für die Soldaten, in welchem zahlreiche illustrirte Blätter auflagen
und Kaffee, Thee, Chocolade, Limonade u. s. w. für einen sehr massigen
Preis zu bekommen waren. Diese Concurrenz der militären Cantine
hatte Erfolg; es waren genug Soldaten, welche dem Alcohol in jed-
weder Form aus dem Wege gehen woUten; wenn man auch in der
Cantine Limonade, Syrup mid Mineralwasser erhielt, so war es doch
sehr schwer, und für willensschwache Individuen geradezu unmöglich,
dem Alcohol fem zu bleiben. (Sagte mir ja selbst ein deutscher Mi-
litärarzt, dass er sich dem allgemeinen Glebrauch des Genevre nicht
entziehen konnte, weil er damit den Schein auf sich genommen hätte^
den holländischen Collegen imd übrigen Clubgenossen den Gebrauch
Soldatenfreunde. 333
des Q«nevre als Untugend vorzuwerfen.) Es herrschte also in seinem
Club ein ruhiger und gelassener Ton, und dieser Theil seines Strebens
und Wirkens hatte gewiss die Sympathie jedes unbefangenen Beur-
theilers der herrschenden Verhältnisse.
Der zweite Punkt seines Frogrammes ist jedoch nicht frei von
Einwand. Die Ertödtung der fleischlichen Gelüste der ledigen Soldaten
hätte er nicht anstreben sollen; wenn der Herr van der St . . . seine
Anhänger veranlasst hätte, mit den Töchtern des Landes eine Ehe ein*
zugehen, so hätte er weder gegen die heiligen Gesetze der Natur, noch
gegen die christliche Religion gesündigt; er aber verkündigte nur die
Schändlichkeit des unehelichen Lebens mit den Eingeborenen.
Von der grossen TruppenzaM, welche in Magelang lag, also von
ungefähr 4000 Mann,i) hatten nur 13 diesen Theil des Programms an**
genonmien, und mein Berichterstatter selbst machte mir den Eindruck,
dass diese gewaltsame Unterdrückung des Gfeschlechtstriebes nur auf
Kosten der Gresundheit, d» h. gegen Tausch mit dem ekelhaften Laster
der Onanie erfolgt war. Ich muss aber bekennen, dsss der Herr van
der St . . . praktisch und tolerant genug war, Jedermann die Thore seines
Tempels zu öffiien, und die Zahl der Besucher war so gross, dass ge-
wiss sein Clubgebäude im Laufe der Zeit zu klein wurde. Ja noch
mehr; er nahm sich jener Kinder an, welche der Vereinigung der Sol*
daten mit den eingeborenen Frauen ihr Dasein verdankten, und soz^
mit seiner Schwester für ihre Erziehung und für ihren Unterricht,
wenn der Vater durch Krankheit oder durch den Tod seinen Pflichten
nicht gerecht werden konnte. Leider kam er dabei in Conflict mit den
Gresetzen des Unterrichts. Eine gewisse Zahl von £[indem darf nur von
einem diplomirten Lehrer Unterricht erhalten; er wurde also gezwungen,
alle seine Schutzbefohlenen die öffentliche Schule besuchen zu lassen,
da er nicht im Stande war, für sie einen diplomirten Lehrer anstellen zu
können. Jetzt machte sich wieder eine andere Schwierigkeit geltend. Er
war Sabbathist und hielt als solcher den Sonnabend und nicht den Sonn-
tag für den von Gott festgestellten Buhetag; demzufolge liess er alle seine
Zöglinge Sonnabends die Schule nicht besuchen. Da der Unterricht
in Indien confessionslos ist und unmögUcher Weise eine solche Stö-
rung des Unterrichtes gestattet werden konnte, musste er den Staats-
gesetzen sich fügen und seine Pfleglinge Sonnabends in die Schule gehen
^) Nebstdem hat diese Stadt 2187 chinesische, 108 arabische, 7 orienta-
lische, 18,984 eingeborene und 496 europäische Bewohner.
334 ^^^ Religionen auf Java.
lassen. Seine Arbeit war mir auch so sympathisch, dass ich im Sep-
tember des Jahres 1896 keinen AugenbUck zögerte, durch meine Unter-
schrift das segensreiche Unternehmen des Herrn v. d. St ... zu em-
pfehlen und die Stiftung eines Vereins zu veranlassen, der die ver-
lassenen Soldatenkinder und Soldatenfrauen zu nützlichen Gliedern des
Staates erziehen sollte. Dieser Verein sollte allen hülfebedürftigen Sol-
datenkindem ohne Unterschied der Religion zur Seite stehen und die
Erziehung eine christliche resp. protestantische sein.
Die herrschende Religion in Indien ist — der Indifferentismus.
Zahheiche Juden befinden sich in der indischen Armee, im
Corps der Beamten, im Handel und miter den Pflanzeni; es besteht
jedoch keine einzige jüdische Gremeinde, kein einziger jüdischer Tempel,
und es ist mir nicht bekannt, dass die rituellen Speisegesetze und die
schönen Familienfeste der Juden jemals in Indien gehalten wurden.
Die Protestanten sind am zahlreichsten vertreten; aber die
orthodoxen, »die feinen« Protestanten, sind eine kleine, sehi* kleine
Schaar. Die Regierung muss sich ja in religiösen Angelegenheiten
nicht nur wegen der Staatsgrundgesetze, sondern auch wegen der
Millionen Mohamedaner und Tausende von Heiden, über welche sie
herrscht, jeder religiösen Propaganda enthalten. Die Art und Weise,
wie sie sich gegen die Missionare der verschiedenen Religionen benimmt,
kann geradezu mustergiltig genannt werden; sie hindert nicht im ge-
ringsten Grade die Freiheit der Religionen und ihrer Missionaife; sie
tritt aber überall jedem Zelotismus entgegen und duldet nicht den ge-
ringsten Uebergriff, von welcher Seite er auch konmien möge. Die
Zahl der Protestanten ist, wie gesagt, sehr gross; wenn eine Regierung
keinen grossen Eifer in religiösen Angelegenheiten zeigt, so ist auch die
grosse Masse des Volkes indifferent, und vielleicht ist dieses eine der
Ursachen, dass sich trotz der grossen Zahl der Protestanten kein reges,
religiöses Leben in Indien offenbart Nur zu oft geschah es, dass
ein sterbender Kranker um die Ankunft eiiies »Domine« ersuchen
liess, was, wie wir sofort sehen werden, bei den »Katholiken c niemals
nöthig war, weil der »Pastor« täglich das Spital besuchte. Nur zu
oft konnte dem Verlangen eines sterbenden Protestanten nicht ent^
sprochen werden, weil der »Domine« sich in Djocja aufhielt und nur
alle 14 Tage einmal nach Magelang kam, um etwaige Taufen u. s. w.
vorzmiehmen. Uebrigens ist der »moderne Domine« ein unglückseliges
Mittelding zwischen Seelsorger und Geistlicher. Wissenschaft und
Glauben lassen sich theilweise vereinigen; der »moderne Domine« leug-
Die Religionen auf Java. 336
net dieses. Ich hörte einen solchen Domine an die Soldaten, ich
möchte sagen im Angesicht des Feindes, eine akademische Bede halten,
dass Jesus »ein braver Mann und nichts mehr als ein braver Mann
gewesen sei«; ich ärgerte mich über diesen Mami, der zu den Sol-
daten, welche jeden Augenblick des Ausmarsches gegen den Feind ge-
wärtig sein mussten, nichts anderes zu predigen wusste, als dass Jesus
ein braver Mensch gewesen sei. Ihm stand jedoch die Wissenschaft
höher als der Glaube, so dass er nicht einmal zu den Soldaten auf
dem Kriegsschauplatze etwas anderes als über den Werth der Wissen-
schaft zu sprechen wusste. Dieser Maim hatte seinen Beruf verfehlt
Darum ist der Indifferentismus der Protestanten >) in Indien gross.
An einigen hohen Feiertagen gehen sie in die Kirche, wenn eine
solche existirt, im Uft>rigen denken sie weder an Gott noch an die
Bibel
Die Katholiken sind an Zahl eine viel kleinere Gemeinde, aber
sie sind reger und unternehmender; in Magelang hatte »der Pastor«
ein eigenes Haus mid eine kleine Kirche; zahlreich sind diese über
ganz Java zerstreut Der Sitz des Bischöfe von Mauricastro ist Ba-
tavia mit einer schönen Pastone auf dem Waterlooplatze. Selbst in
Atschln ist eine »Pastorie«:, und der Pastor Verbaak dient dort schon
seit mehr als einem Jahrzehnt, geehrt und geachtet von Freund und
Feind.
Die Mohamedaner sind in Java in grosser Zahl unter den Sol-
daten vertreten; von ungefähr 17000 eingeborenen Soldaten sind nur
circa 1800 Christen, und zwar 12 Compagnien ambonesischer Soldaten
(aus den Molukken). In der civilen Bevölkerung Javas ist der Islam
die vorherrschende Religion; ungefähr 50000 Europäer und Halb-
europäer, 220000 Chinesen u. s. w. stehen circa 22 Millionen Moha-
medanem gegenüber, wovon circa 11000 Araber imd 50C0 Armenier
und Türken ihre Heimath ausserhalb Javas haben.
Auch unter den mohamedanlschen Soldaten ist die Basis ihrer
Beligion Indifferentismus mit einem starken Beigeschmack von Fata-
lismus. Tuwan Allah K!assih = Gott hat es gegeben, ist das Um
und Auf ihrer Lebensphilosophie. Ich habe niemals einen eingeborenen
Soldaten die vorgeschriebenen religiösen üebungen halten gesehen; bei
der Geburt eines Bandes, beim Tode seiner Frau oder bei der Hoch-
In der Provinz Pasunian ist eine grosse, protestantische Gemeinde von
Eingeborenen mit ICissionssohtde in Swaru und Kendal pajak.
336 ^^ Religionen auf Java.
zeit seiner Tochter giebt er ein Salämatan,^) dem ein »Hadji« präsidiren
und durch das Ableiern einiger arabischer Segenssprüche die nöthige
Weihe geben muss; natürlich unterwerfen sie sich der Beschneidang,
enthalten sich des Glenusses des Schweinefleisches und trinken manch-
mal Schnaps, Bier oder Wein, ohne aber Missbrauch davon zu machen;
d. L wenn bd gewissen Gelegenheiten ein »Freischnaps« gegeben
wird, finden sich immer einige eingeborene Soldaten, welche davon Gfe-
brauch machen.
Der Javane ist nur ausnahmsweise ein Zelote; mein Kutscher
z. B. war in jeder Hinsicht ein rechtgläubiger Mohamedaner, er ass
kein Sdiweinefleisch, er trank keinen Alcohol, selbst wenn er ihm als
Medicament von mir gegeben wurde. Aber das Gebot 3>Du sollst zu
Gott, dem Herrn, fönfinal des Tages beten« lAfolgte er nicht, denn
es kostet viel freie Zeit, dieser Vorschrift gerecht zu werden; er muss
sich vor dem Gebete reinigen, weil man sich nicht im unreinen Zu-
stande Gott nähern dürfe. Auch dieses Bad ist mit strengen Regeln
vwknüpfti, so dass man also, wie erwähnt, sehr viel freie Zeit, wie
z. B. ein Hadji, oder ein Hausirer haben muss, welcher durch die
Heuchelei seiner ausserordentlichen Frömmigkeit kauflustige Dorfbe-
wohner locken will. Sein Glaube ist ja nicht echt; er hat noch den
ganzen Aberglauben der alten Hindureligion, gerade wie die Mytho-
logie der alten Indier in allen ihren HeldenHedern und ihren W&-
jangs Kulit forüebt Aber die äusseren Ceremonien befolgt er gern,
so lange sie ihm nicht zu unbequem sind, z. B. er wird kein Huhn
von unbefugter Hand schlachten lassen, i^enn ein Mann bei der
Hand ist, der das für diese Operation angewiesene Grebet sagen
kann. Ist ein solcher Dorfpriester aber nicht bei der Hand, wird
er — das Huhn essen, auch wenn es nicht rituell geschlachtet wurde.
Dasselbe gilt von den Salämatans. Diese werden bei allen Phasen
des täglichen, gesellschaftlichen und Familienlebens gegeben, und es
eriiält «der Dor^riester (modin) die Einladung, um bei dem Fest-
mahle gegenwärtig zu sein, welches zu Ehren eines neugeborenen
Kindes, des Baues eines neuen Hauses, beim Anlegen eines neuen
Beisfeldes u. s. w. gegeben wird. Dieses Fest wird durch ein Gebet
des Hadjis eingeleitet, und treuherzig sagen die Anwesenden bei jeder
Pause ihr deuüidies und lautes Amin, amin, obwohl sie kein einziges
Wort von demselben verstanden haben; es ist ihnen auch gleichgiltig.
1) Vide I. Theil, Seite 220.
Die Religionen auf Java. 337
was der Priester bei dieser Grdegenheit vor sich hinbrammt, wenn
dieser nur in deutlicher und yemehmbarer Sprache den Anlass des
Festes mitgetheilt hat, -so dass Allah darüber keinen Augenblick den
. geringsten Zweifel hegen kann« Im Allgemeinen kümmert er sich auch
mehr um die bösen Geister als um Tuwan Allah (Grott den Herrn),
weil dieser gut und weise ihm nicht schadet, jene aber durch Geschenke
(Opfer) bestochen werden müssen, um ihn nicht zu verfolgen. Helfen
bei Krankheiten diese Opfer nicht, dann muss list gegen List gelHUUcht
werden. Ist z. B*. ein Kind krank und gelingt es der Dukun nicht, es
zu heilen, so macht sie eine Puppe z. B. ans einem Stück eines Pisang-
Stammes, welche mit alten Lappen umgeben wiid. Diese Figur wii^
eine Zeit lang vor dem Hause des kranken Kindes liegen gelassen und
hierauf begraben, um den bösen Geist glauben zu lassen, dass das
Kind seinen Leiden schon erlegen sei, so dass seine Bemühungen schon
überflüssig seien. Ein anderer, häufig angewendeter Streich ist folgen-
der: Der Vater geht nach dem Brunnen, wo das Kind nach seiner
Ansicht sich erkältet oder im Allgemeinen seine Erkrankung sich zu-
gezogen hat; an dieser Stelle zündet er Weihrauch an, um den > bösen
Geist« auf sich aufinerksam zu machen, öffiiet seinen Gürtel und lässt
das eine Ende ins Wasser fallen; ohne das andere Ende des Biemens
loszulassen, entfernt er sidi von diesem vom Teufel verhexten Orte
(angkon), und zwar in einer der Wohnung des kranken Kindes entgegen-
gesetzten Bichtung; der böse Gteist verliert dadurch die Spur des Kran-
ken und — dieser ist gerettet
Im Allgemeinen wird man nicht fehl gehen, wenn man die Q^elle
aller abergläubischen Gebräuche und Sitten in dem Hinduglauben der
Vorväter suchen wird; aber ein kleiner Theil derselben ist auch ein
Importartikel der Araber, und noch mehr der Hadjis. Diese Hadjis
sind ja keine Priester stricte dictn; es sind nur Mekkapilger, welche
auf ihrer Beise nach Mekka mit Mohamedanem der ganzen Welt
verkehrt hatten und durch den Contact mit gleich wenig geschulten
und gebildeten Männern im Austausch der gegenseitigen Anschau-
ungen in erster Reihe das Mystische und Transcendentale angenom-
men haben und erst in zweiter Reihe das Positive und Rationelle
des mohamedanischen Glaubens nach Hause mitnehmen. Dadurch
sind sie auch gefährhche Elemente der Javanen geworden; ob aber
die indische Regierung keinen Missgriff begangen hat, die Pilgerfiahrt
nach Mekka zu erleichtem, ist noch eine offene Frage. Je mehr
Hadjis nach Java kommen, desto kleiner soUte ihr Einfluss wer-
Bf«ittBiteiB, Sl Jahn in Indivu n. 22
338 ^® Religionen auf Java.
den; denn der Nimbus schwindet in demselben Verhältnisse, als die
Zahl der Würdenträger zunimmt; die Er&hrung scheint jedoch da-
mit nicht übereinzustimmen. Im Jahre 1888 war ein Aufetaad in
Bantam, der gerade durch den Einfluss der zahlreichen fladjis entstan-
den war, um das »verhasste Joch der Kafirs« abzuschütteln; die Wohl-
fehrt des Landes, die Sicherheit des Eigenthums und der Personen,
welche der Eingeborene unter der Regierung der Holländer geniesst,
vei^isst der Hadji, wenn er den Ptang sabib (den heiligen Krieg) pre-
digt; aber die grosse Menge der Javanen ist sich dieser Wohlthaten
bewusst Darum gelingt es niemals diesen unruhigen Friedensstö-
rern, ein grösseres Feld für ihre Hetzereien zu finden. Seit dem
grossen Javakrieg war niemals eine Provinz (Besidentie) oder auch nur
ein grosser Bezirk auf Java in Au&tand gegen die holländische Re-
gierung; immer waren es nur einzelne Kampongs, welchen die Hadjis
* einen solchen Hass gegen die Europäer einimpfen konnten, dass sie zu
den Waffen griffen. Leider scheint der türkische Consul das Treiben der
mohamedanischen Priester wenn auch nicht gerade zu ermuthigen, so
doch sicher auch nicht zu tadeln, obzwar die holländische Regierung
den Islamismus in jeder Hinsicht unterstützt und hoch hält Es sind
ja ungefähr 150Ü0 mohamedanische Religiousschulen auf Java mit
ungefähr 230000 Schülern; also 1 ^/o der Bevölkerung lernt in solchen
Schulen Schreiben (die arabisiäie Schrift), etwas Rechnen, einzelne Ca-
pitel aus dem Koran; nebstdem giebt es auch zahlreiche Priesterschulen,
in welchen die Liturgie, Dialektik und Moral des mohamedanischen
Glaubens ausführUch gelehrt weiden. «
Die Stellung dieser Priester ist in den Dörfern keine lucrative,
weil eben der Javane ausser bei fesüichen Gelegenheiten seinem
Seelsorger keine Geschenke giebt Der Priester muss also theUweise
selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen, und zwar durch Handel oder
Landbau. Am meisten wird der Puasa oder der Fastenmonat gehalten,
und am Ende desselben bringt wohl Jedermann seine Pitra dem Geist-
Uchen des Dorfes. In Magelang soUte im Jahre 1895 die Moschee
einen Neubau erhalten; der Kirchenrath fand es nicht rathsam, dafür
die eigene E^asse in Anspruch zu nehmen. Bald wurde es jedoch be-
kannt, dass Jedermann ein gottgefälliges Werk ^ausüben und sicher
einige Sprossen auf der Leiter zum Himmel erobern kömie, wenn er
sich an dem Bau betheiligte. Ich hatte damals eine Köchin, die
vielleicht 60 Jahre alt war. Wenn um 1 Uhr Nachmittags und um
8 Uhr Abends ihre Arbeit beendigt war, ging sie mit einem kleinen
Schulen für die Javanen. '339
Korbe hinab an die Ufer des Progoflusses, füllte ihn mit Steinen und
brachte sie auf den Bauplatz der Moschee und warf jedesmal einen
Duit (= ^/e Cent) in die grosse^ hölzerne Kiste, welche zu diesem
Zwecke als Opferstock am Eingang der Moschee stand; dasselbe thaten
meine übrigen Bedienten.
Das sind natürlich Ausnahmefälle, welche die Regel bestätigen,
dass auf Java die Hadjis in den Dörfern von den Liebesgaben ihrer
Schutzbefohlenen nicht leben können.
Ich muss noch bemerken, dass über ganz Java Volksschulen, ver-
breitet sind, welche sich wesentlich von jenen oben erwähnten unter-
scheiden, welche quasi reine Beligionsschulen sind. Die Kinder der
Häuptlinge besuchen oft die Volksschulen der Europäer (im Jahre 1887
waren nach :»Schulze's Führer auf Java« 256 Eingeborene unter 8500
Schülern aller Volksschulen), während für das Gros der Eingeborenen
sich zahlreiche Schulen befinden, in welchen Rechnen, Lesen und
Schreiben, etwas Naturkunde, Geographie und Geschichte von Ostindien,
Zeichnen und Singen gelehrt wenjen. Ich selbst habe zu wiederholten
Malen Bediente gehabt, welche schreiben und lesen konnten. Wie viel
Analphabeten Java in seiner Einwohnerzahl von ungefähr 25000000
besitzt, lässt sich nicht einnud annähernd angeben. Diese Zahl kann
nicht klein sein, weil erst die gegenwärtige Greneration unter dem Ein-
flüsse der neuen Schulen steht und bei deren Entstehen nicht sofort alle
Kinder daran iheihiahmen.
Nebstdem wird ein höherer Unterricht an die Söhne von Häupt-
lingen ertheilt, welche das Cadre der künftigen Beamten bilden sollen.
Leider muss auch von diesen Schulen gesagt werden, dass die indische
'Regierung im Unterrichtswesen, der Eingeborenen des Guten zu viel
gethan hat; es wird z. B. in den Schulen für eingeborene Leßrer viel
zu viel auf die naturwissenschaftlichen f^UJier verwendet — ich sah
ja im Seminarium zu Bandjermasing ein vollständig eingerichtetes
x^hemisches Laboratorium -^, und in der Schule für die Söhne von Häupt-
lingen in Magelang wird — Nationalökonomie docirtü Der dafür an-
gestellte Doctor der Eechte versicherte mir zwar, dass diese Schüler
der holländischen Sprache vollkommen mächtig seien; aber auf meinen
Einwand, €ass solche abstracte Theorien in dem Gehirn eines Javanen
noch keinen Platz hätten und von den 16 — 18jährigen Burschen unmög-
lich verdaut werden könnten, konnte er mir nur entgegnen, dass in seinen
Vorträgen mehr der pohtischen Organisation gedacht werde, obwohl er
ifür di€ 'Nationalökonomie angestellt worden sei.
22*
340 Schulen für die Javanen.
Der Vollstäiidigkeit halber musB ich aach die im ersten Bande:
Bomeo erwähnten Doctor-djawarSchulen für eingeborene Aerzte und die
Schule der ambonesischen Christen in Magelang anführen.
Heiden hat die Insel Java nur sehr wenige; im Osten Javaa
sind die Bewohner des Tenggergebirges, ungefähr 4000, und im Westen
auf dem Berge Kentjana ungefähr 2000 Seelen, welche dem Hindu-
glauben treu geblieben sind. In der Armee ist gegenwärtig die Zahl
derselben sehr klein, weil die africanischen Compagnien aul^ehoben
wur4on4 und die Mohren, welche kein Verlangen hatten, in ihre Heimath
zurückgesendet zu werden, siedelten sich in der Provinz Bagd^n an.
Nach der Eroberung von Tjäkranegära kehrten die Truppen den-
selben Weg zurück^ den sie bei ihrem Auszuge genommen hatten. Da»
Sdiiff brachte sie nach Samarang, dort bestiegen sie die Eisenbahn^
und 4 Stunden später kamen sie in WiUem I an, wo sie ebenso herzlich
als in Samarang begrüsst wurden. Am andern Tage gingen sie zu
Fuss bis nach Fringsurat, wo für durchgehende Truppen ein ständige»
Gebäude bestand. Da ein Marschtag 27 Kilometer beträgt und dieser
Ort von Magelang 25 Kilometer entfernt ist, so konnten sie zwischen 9 und
10 Uhr in ihrer Garnison anlangen. Auf dem grossen £xercierplats&
zwischen der Caseme ¥nurden aus Bambus Hallen gebaut, und Jung;
und Alt, Arm und Beidi war schon um 8 Uhr auf diesem Felde ver-
sammelt, um die wackeren und braven Soldaten zu begrüssen. Es war
schon 10 Uhr, als die ersten Töne der Militär-Musik an unsere Ohren
drangen, und lauter und immer lauter wurde der Jubel, als die Truppen
zwischen den Häusern der Officierpavillons erschienen. Es war ein
traurigdlr Anblick, und manches Herz erzitterte bei dem Gedanken^
wie viel Elend und Entbehrung diese jungen Männer gelitten haben
mussten, dass sie so schmutzig, so blass und so verfallen aussahen.
Dennoch hatte Niemand mit ihnen Erbarmen ; von Allen, die durch ihre
Stellung sich berechtigt hielten, eine Ansprache zu halten, wollte kein
Einziger seine schönen Worte der Menschheit vorenthalten, und so
mussten diese durch Krankheit und den Marsch von 25 Kilometern er-
müdeten und erschöpften Soldaten noch eine ganze Stunde lang in
»Habt Acht«-Stellung den gewiss gut gemeinten, aber auch recht un-
zeitgemäfisen Redestrom über sich ergehen lassen. Endlich hatte der
letzte Redner sein Hip-hip Hurrah donnernd ihnen zugerufen; das Com-
mando: Eingerückt, marsdil etscholl, und sie zogen in ihre Oaseme,.
Die Dysenterie. 341
WO eine Tafel für sie hergerichtet stand, und umgeben von ihren Frauen,
Kindern und Freunden Tergassen sie alles Leid, das sie erlitten, und
alle Entbehrungen, die sie erschöpft hatten. Die Beaction bUeb natür-
lich nicht aus. Am nächsten Tage kamen Viele ins Spital, und schon
am zweiten Tage war das Spital überfüllt Hatte die Erwartung, ihre
Garnison, ihre Freunde, Frau und Kind wiedersehen zu können, sie
während ihrer Reise »auf den Beinen ertialten«, so forderte nach .dem
Rausche der ersten Freude des Wiedersehens die Erschlafiimg der über-
spannten Nerven ihr Recht Die grösste Zahl bestand aus Eikran-
kungen des Darmes und Fieberpatienten, die Zahl der Dysenteriefälle
und der Leberabscesse überstieg alle, welche ich seit meinem Aufent-
halte in Bomeo (1877 — 80) beobachtet hatte. Im 7ahre 1880 herrschte
im Südosten dieser Insel eine heftige Dysenterie-Epidemie. Unter dem
Drucke der herrschenden Verhältnisse konnte ich nicht mehr thun, als
dem Häuptlinge des Districtes und den beiden dort weilenden Missio-
naren einige Rathschläge für die Behandlung der Patienten und betre&
der noihwendigen hygienischen Maassregeln zu geben. Ich konnte mir
weder über den Verlauf der Krankheit, noch über ihre Folgen ein Urtheil
bilden, ich konnte nichts über die Ursachen und die Entstehungsweise
er&hren; ich konnte aber aus den officiellen Mittheilungen einen Ueber-
blick über die geographische Verbreitung dieser Epidemie gewinnen.
Diesmal war ich unter günstigeren Bedingungen. Mir war Zeit, Ort und
das Wie des Entstehens bekannt Die meisten der Dysenterief Slle waren
Recidivisten von Lombok; aber ich bekam auch solche Kranke zur Be-
handlung, welche diesen Feldzug nicht mitgemacht hatten und nicht
eiiunal auf Lombok gewesen waren. Diese Fälle bUeben jedoch .glück-
licher Weise isolirt, und es entstand keine Epidemje, weil in Magelang
dazu alle Bedingungen fehlten. Nicht locale oder meteorologische Ver-
hältnisse habe ich dabei im Auge, denn »ohne Einfluss sind Elevation
und Figüration des Bodens, sowie geologische Formation und physi-
kalischer Charakter desselbenc i) auf das Entstehen der Dysenterie-
Epidemie. Ich kann mir auch keinen grösseren geologischen und topo-
graphischen Unterschied vorstellen, ab den der liuider, aus welchen Be-
obachtungen von Dysenteriefällen stanmien. In Island und Grönland,
in Africa,' in Europa, in America und in China und Japan kommen
Dysenteriefälle entweder vereinzelt oder in grossen Epidemien vor. Ich
«elbst sah den ersten Fall im Jahre 1873 in den Karpathen am Fusse
O^Scheube, Di» Krankheiten der warmen Lftnder.
342 ^^^ Dysenterie.
des Oletschers Tartara; sieben Jahre später befiwden sich die von mir
beobachteten Dysen|erirfälle im östlichen Bandgebirge Bomeos mit vor-
herrschender KaUdbrmaüon. Auf Lombok 1894 war der reinste Typus
des AlluYium, und in Magelang die schönste tertiäre Formation. Wir
müssen also dem Krankheitserreger der Dysenterie die Ubiquität stricte
dictu zuerkennen. Auch seine Lebensdauer ist eine f ürchteriich grosse.
Schon 2000 Jahre vor Christus wird dieser Krankheit in den indischen
Schriften Erwähnung gethan, und Herodot wie Hippokrates geben
schon eine ausführliche Beschreibung dieser Krankheit Dieser fürchter-
liche Feind der Menschheit hat also einen sehr alten Stammbaum; aber
auch ihn trifit das Schicksal alles Irdischen; :»er ist werth, dass er
zu Grunde geht«, und er verschwindet unter dem mächtigen Einfluss
der Hygiene. Bleeker erzählt in seinem Buche »Dysenteria tropica«,
dass von 31879 Europäern, welche zwischen den Jahren 1816 — 1832,
also innerhalb 17 Jahren, nach Indien gegangen waren, 24330 (!!) ge-
storben sind, und dass
im Jahre 1819 im Allgemeinen 1175 und an der Dysenterie 597 starben,.
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27890"
Die Zahlen der behandelten Dysenteriepatienten waren')
im Jahre 1819 5585 Soldaten
1820 5050
1821 6963 „
1822 5681
1820 „
»
1316
(Cholera) 1821 „
99
2260
1822 „
99
1363
1823 „
99
1326
Krieg |1824 „
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1412
g^. Celee\l825 „
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1869
1826 „
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Krieg
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1828 „
3213
4243
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J«T»
1829 „
1830 „ *
3492
2265
1831 „
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1548
472
W
801
99 •
572
99
505
97
423
»
512
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992
99
1199
9*
2126
»^
1632
»•
1019
»
629
ff
1
11479
Uebertrag 23279
>) Yide: „Militaire Summierziekenrapport 1847 **, herausgegeben auf Befehl
der DiederläDdisch-indischen Begierung. Batavia, Lange et Comp. 1860.
Die Dysenterie.
343
Uebertrag
23279
Soldaten
im Jabi« 1823
6063
»
1824
4393
»•
182b
5719
T)
•
1826
6414
»
1827
10985
»
1828
12980
»
m
1829
9818
»
1830
8939
»
1831
6490
V
•
95080
Es wurden also in diesen 13 Jahren 95080 europäische und ein-
geborene Soldaten an Dysenterie »inclusive Diarrhöen« behandelt, da-
von starben 11479, während im Ganzen 27890 mit dem Tode ab-
gingen; also 41 ^lo (!!) der Gestorbenen fielen in diesem Zeiträume der
Dysenterie und den Diarrhöen zum Opfer. Interessant ist es, dass
schon für diese Zeit Bleeker berichtet: »Die dysenterischen £[rank-
heiten haben sowohl an Extensität als an Intensität bedeutend abge-
nommen, so dass ihr Charakter und Behandlung viel günstiger gewor-
den ist« Die Abnahme der Dysenterie in der indischen Armee hält
gleichen Schritt mit der Entwicklung der Hygiene. Vom Zeiträume
1878—1885 berichtet Dr. van der Burg von 6324 Dysenteriefällen
mit 857 Todten, d. L also 107 im Jahre, und in den Jahren 1891
^ bis 1895 kamen nur 4, 6, 2, 5 und 8 Todesfälle der tropischen Dysen-
terie vor, '.und wenn wir billiger Weise auch die katarrhale Form
der Dysenterie nicht vergessen, welche in der Statistik der frühereu
.Jahre zu der tropischen Form gerechnet wurde, so ist dennoch der
Unterschied ein grosser. Jm Jahre 1895 wurden in der indischen
Armee von der tropischen Dysenterie 8 und von der katarrhalen
Dysenterie 41 Soldaten unter 750 Todten im Allgemeinen hingeraflft;
d. L 6V2 ®/o der Todten waren Opfer der Dysenterie, während vor
70 Jahren 41 ^jo daran gestorben waren. So sehr sich alle diese Ziffern
bestreiten lassen, steht doch diese Thatsache fest, dass die Dysenterie
in Indien bedeutend an In- und Extensität verloren hat, und nach
meiner Ansicht spielt die grössere Sorgfalt, welche dem Trinkwasser
gewidmet wird, darin die Hauptrolle.
Trotzdem die Bacteriologie bis jetzt eine hohe Entwicklung ge-
nommen hat, stehen wir in der Dysenteriefrage noch inmier einem
unsichtbaren und unbekannten Feinde gegenüber. Ob nun Amöben
344 ^i® Dysenterie.
(Amoeba coli Lösch) oder Bacterien (Bactmum coli commune) oder
Paromaecium coli oder Streptokokken die Krankheitserreger d^ Dy-
senterie seien, ist noch nicht entschieden (denn auch mechanische und
toxische Reizungen des Dickdarmes [z. B. Stuhlverstopftmgen, Queck-
silber u. s. w.] erzeugen ruhräbiliche Erkrankungen); und dennoch •
stehen wir in der Prophylaxis, nicht ohnmächtig der Dysenterie gegen-
über, wenn wir uns die Verhältnisse vor Augen halten, unter welchen
big jetzt diese Ejunkheitsform in ihrer verheerenden Macht Einbusse
erlitten hat Die individuelle Prophylaxis kann bei dieser Krankheit
mehr leisten, als der Staat helfen kann. Niemand fürchte sich vor dem
Glenuss der Früchte; denn sie treten der Stuhlverstopfong entgegen und
lassen im Darme eine solche Menge nicht pathogener Bacterien ent-
stehen, dass sie die der Dysenterie überwinden können; man trage den
jeweiligen Temperaturverhältnissen Rechnung. In den kalten Nächton
oder Morgenstunden trage Jedermann eine Leibbinde. Das Baden
möge nie mehr als ein Reinigungsmittel sein, d. h. nicht so lange
daueni, bis ein Frösteln den Eintritt der Erkältung verrätL Jede
Diarrhöe werde .sofort sorgfältig behandelt, und lässt sich vertnuthen,
dass eine Anhäufung von Koth die Ursache sei, nehme man Sofort
ein liqueuigias voll Ricinusöl. In der Wahl der Getränke sei Jeder-
mann vorsichtig; so wie für die Soldaten im Kriegsfiüle eine be-
stimmte Menge von Munition und Lebensmitteln mitgenommen wird,
muss auch für das Trinkwasser gesorgt werden; vor dem Ausmarsch
vberzeuge sich der Commandant, dass jeder Soldat in seiner Feldflasche *
Thee oder schwarzen Kaffee oder vollkommen reines Wasser mitge-
nommen habe. Im Bivouac müssen die grossen Kessel nach dem
Kochen der Speisen sorgfältig gereinigt werden, oder es müssen eigene
Kessel mitgenommen werden, in denen eine hinreichend 'grosse Menge
Wasser 1/4 — 1/9 Stunde lang in der Siedhitze gekocht wird; hat man
keine Gelegenheit, sich in der Nähe Eis zu verschaffen, so, werden sich
manche Maassregeln finden lassen, um auch in den Tropen bald die
Temperatur des abgekühlten Wassers so niedrig als möglich werden zu
lassen, z. B. die G^f ässe in den kühlen Grund zu senken. Das Ueber-
schütten in kleinere Grefässe für die einzelnen Unterabtheilungen der
Armee wird immer hinreichen« um dem gekochten Wasser so viel frische
Luft beizumischen als nöthig ist, ihm einen erfrischenden Geschmack zu
geben; ich trinke z. B. noch jetzt nur gekochtes Wasser und habe
durch dieses VerfEthren niemals den erfrischenden Geschmack desselben
entibehren müssen. Ich weiss, dass Hunger weh thut und dass der
f
Leberabtceaee. 346
Durst qoält; aber mir ist auch aus Er&hrung bekannt^ daas mit einem
geringen Maasse von Selbstbeherrsdiung der Durst einige Stunden er-
tragen werden kann. Der Soldat werde also mit dem nöthigen Nadi-
druck auf die Gtefiihren des Gebrauchs von ungekochtem Wasser auf
dem Kriegsterrain aufinerksam gemacht, und er wird es dann über sich
bringen, lieber einige Stunden Durst zu leiden, als sich der Grefi^ der
Cholera, Ruhr u. s. w. auszusetzen, üebrigens haben *wir ja in den
Tropen eine bis jetzt unbekannt gebliebene reichUche Quelle von
chemisch reinem Wasser: die Lianen. Bei der "Wahl eines Bivouacs
wird ja immer dafür gesorgt, dass es in der Nahe eines Flusses oder
Teiches angelegt, die Küche oberhalb und die Aborte und Badehäuser
unterhalb des strömenden Wassers errichtet werden. äoUte jedoch trotz
Aller Vorsichtsmaassregeln die Ruhr ausgebrochen sein, dann tritt die
Desinlection der Entleerungen mit der grössten Strenge und mit allen
möglichen Mitteln in ihre ^Rechte, .und wenn die Aborte nicht über
•einen grossen, starken Strom gebaut sind, dann ist es besser, Senk-
gruben zu errichten, in welche täglich eine 10 cm hohe Schicht von
Asche, Gyps, KsSk oder Sand geschüttet werden muss. Eine sorg-
fältig Desinfection dfir Entleerungen wird in der Regel hinreichend sein,
das Fortschreiten der Ruhrepidemie aufeuhalten, und es überflüssig
machen, zu dem gewiss nicht unbedenklichen Transferiren des Bivouacs
nach einer ruhrfreien Gegend übergehen zu müssen. Die Isolirung der
Kianken und die grösste Reinlichkeit dürfen natürUch in einem solchen
Falle nicht vergessen werden.
Wie den Fachleuten bekannt ist, giebt die Ruhr häufig Anlass
■ZOT Entstehung von Leberabscessen, indem das Gift der Ruhr ins Blut
-att4;enommen wird und auf dem Wege zur rechten Herzkammer in der
Leber deponirt wird. Vom Jahre 1876—1894, also während 18 Jah-
ren, war ich nicht in der Lage, in den Tropen Leberabscesse zu sehen,
und in den Jahren 1894 und 1895 bekam ich beinahe jeden Monat
•einen oder den andern Fall dieser Krankheit zur Beobachtung oder
zur Behandlung. Die grosse Zahl derselben hatte natürlich auch
zur Folge, dass so mancher interessante Fall vorkam, der auch den
Fachmann interessiren durfte. Bei einem Europäer z. B. stand ich Tage
lang im Zweifel, ob eine gewöhnliche Entzündung des Leberüberzuges
TOiiianden war, oder ob ein Leberabscess die Ursache seiner Schmer-
.?en sei; während des Gtespräches mit dem Patienten bekommt er plötz-
346 Leberftbecesse.
lieh und unvermittelt einen Hustenreiz, auf welchen die starken Brech»^
bewegungen folgten; er hustete den typischen Inhalt eines Leberabscesse»
ans, nach 14 Tagen yerh'ess er geheilt das Spital. Der Abscess hatte*
das 'Zwerchfell und die Lunge durchbohrt, mündete in einen grossen
Ast der Luftröhre, brach durch und — heilte. Bei einem zweiten
Patienten glaubte ich alle Symptome des Leberabscesses vor mir zui
haben, und trotz wiederholter Probepunction gelang es mir nicht, den
Sitz des Abscesses zu finden. Erst bei der 7. Probepunction mit einer
langen Hohlnadel stS^ ich auf den Eiterherd, ein Strom Eiter floss
aus, ich nahm einen Theil der Rippe weg, um freien Zugang zu dem
Abscesse zu finden, und ungefähr nach sechs Wochen verliess der
Patient geheilt das Spital. Der Jahresausweis von 1895 berichtet nur
von 38 Fällen von Leberabscessen (30 Europäer und 8 'Eingeborene),,
wovon 9 starben (7 Europäer und 2 Eingeborene). Diese Ziffer ent-
spricht nicht den thatsächlichen Verhältnissen, weil die Diagnosen für
jeden Monat festgestellt werden müssen, und der eine Chef nach drei
Tagen, der andere nach acht Tagen und ein dritter erst am Ende des-
Monats die Mittbeilung der Diagnosen verlangt.
Brachte d^ Krieg mit Lombok auch den zurückgebliebenen Offi-
eieren viel Abwechselung und viel Arbeit, so sollte das Jahr 1896 diesen
und also auch mir die Miseren des Kriegslebens nicht ersparen. In
Atschin hatte Tuku Umar seine Maske fallen lassen und sich feierlich
der Sultan-Partai angeschlossen. Ein neuer Feldzug musste wieder unter-
nommen werden, und das 6. Bataillon, welches unterdessen auf den com-
pleten Stand eines vollkommen kriegstüchtigen Feldbataillons ^) gebracht
worden war, sollte daran theilnehmen. Schon Anfangs April hatte sich
das Glerücht in Magelang verbreitet dass das 6. Bataillon wieder »nach
Atjeh gehen werde«; die Gesuche der jungen Lieutenants, diesem
Bataillon zugetheilt zu werden, kamen von allen Seiten nach Batavia..
Wir bekamen Befehl, die Soldaten strenge auf ihre Kriegstüchtigkeit ztr
untersuchen. Endlich wurde den eingetheilten Officieren of&dell mitge-
*) Die indische Armee zählt 18 FeldbaUillone mit je 4 CompagDien,
10 OarniBonsbatailJone, 5 GarniBOoscompagnienf 4 DepotbatailJone, 2 Recruten-
bataillone und 5 Subsistenten-Caden der Infanterie, 1 Regiment Cavallerie,
4 Batterien FeldartiJlerie, 4 idem Bergartillerie, 7 Compagnien Festungsartillerie-
und 8 Compagnien für die Aussenbesitzungen und 2 Compagnien Genietruppen^
1
Eine Expedition in den Tropen. 347
theilt, sich marschbereit zu halten, und erst als am 23. April der Befehl
kam, am 24. um 6 Uhr früh abzumarschiren, wurde ich telegrs^hisch
angewiesen, das 6. Bataillon nach Atjeh »zu bringen«. Ein gleiches
Schicksal hatten zwei Jahre friäier die Aerzte, welche nach Lombok
gehen sollten. Die Infanterieofficiere wussten Wochen lang vorher, dass
sie (mit dem 6. und 7. Bataillon) in den Krieg marschiren mussten;
die Aerzte bekamen erst 2 — 3 Tage vorher den Marschbefehl. >) Im
Mobilisirungsplane sind schon Wochen vorher die Zahl und die Namen
der Aerzte aufgenommen, welche den Feldzug mitmachen müssen; aber
die Landes-Sanitätschefs halten sich strenge an die »geheime Ordre«
und theilen die Namen der angewiesenen Aerzte nicht mit; die an-
deren Corpschefs fürchten sich nicht, ihren Officieren zur rechten Zeit
einen Wink zu geben. Ich hatte also kaum 24 Stunden Zeit, mich
marschbereit zu machen. Der Inhalt des Telegramms war nicht deutlidi
genug, um zu wissen, ob ich das 6. Bataillon nur auf der Beise be-
gleiten, oder ob ich auch weiterhin den Feldzug mitmachen sollte. Ich
musste also für alle Falle sorgen und mir verschaffen: Gamaschen, Be*
volver, dünne Matratze mit Mosquitonetz und Polster, eine Conunishose^
einen Hehnhut,^) Militärschuhe, Flanellhemden, Kerzen, Essbesteck, zwei
Meter Lackleinwand, Feldflasche mit Becheif ^wirn und Nadel und
Spennnadel und Scheere, Briefpapier, Bleistift und TaschentintenfasSi
Streichhölzer u. s. w. Dies alles nebst der üblichen Wäsche und den
Kleideni packte meine Frau in einen Koffer, während ich die dienst-
lichen Angelegenheiten besorgte. Mein Gärtner erklärte sich bereit^
gegen eine Erhöhung seines Lohnes um 5 fi. mit mir zu gehen, und
so zogen wir am 24. April von Magelang aus. Wieder begleitete eine
grosse Menschenmasse die Truppen, und am Ende der Stadt, bei dem
Club des Herrn van der Steur nahm eine (Kommission von Bürgern
von uns Abschied, mid bei einem Glas Champagner drückte der Re-
sident die üblichen Glückwünsche für un^r Wohl, für den Sieg unserer
Waffen im Kampfe gegen den treulosen und verrätherischen Tuku Umar^
für Vaterland und Königin in herzlichen Worten aus.
Unterdessen hatten die Soldaten Zeit und Gelegenheit, von diesem
ersten »Halt« den möglichst besten Grebrauch zu machen. In d&r Eile
und Aufregung des Abschiedes von Frau und Kind (auch diesmal
Bie Aerzte sind nämlich keinem Regiment oder Bataillon, sondern stets
einer Garnison zugetheilt.
') welcher damals noch nicht officiell zur Uniform gehörte.
348 Bi^^ Expedition in den Tropen.
durften nicht mehr als 20 Frauen per Compagnie mitgehen) war vieles
vergessen worden, was bei bedächtigem Thun gewiss nicht geschehen
wäre. Hier öffiiete der Eine den Schuh, dessen Zugriemen ihn druckte,
dort entfernte sich ein Anderer, um gewissen Bedürfiiissen Genüge zu
leisten, ein Dritter lüftete die zu straff gebmidene Cravatte, ein Anderer
lief zum Train, um ein Sacktuch aus dem Tornister zu holen, ohne ihn
natürlich aus der grossen Menge herausfinden zu können; ein Unter-
officier bat den Heirn van der Steur, seiner Frau und seinen Kindern
hülfreich zur Seite zu stehen u. s. w. Es war eben die sogenannte
»Pishalte«, welche bei dem Ausmarsch von Truppen die erste uner-
lässliche Pause bedingt Einige Qfficiere und Damen begleiteten uns
bis zum >Paal« 4. linksab be&nd sich • ein schmaler Weg, welcher
nach Kali ben^ng führte, welches ein sehr belebter Badeplatz für die
Bewohner von Magelang ist Eine Quelle mit fri/schem reinen Berg-
wasser entspringt an dem Fusse eines Hügek; ein Häuschen mit vier
Cabinetten bietet Gelegenheit zum Auskleiden, und da das Wasser auf
der einen Seite nicht tiefer ab Vl% Meter wird« ist hier eine will-
kommene Badegel^enheit für Damen und Kinder. An der andern
Seite des Häuschens hat der Bach eine grössere Tiefe und wird von
den Männern gebraucht, Irelche des Schwinmiens kundig sind. Nebst-
dem befindet sich dort ein europäischer Pächter, welcher auf Verlangen
Getränke und Speisen Uefert
Es war unterdessen 8^9 Uhr geworden, die Sonne begaim schon
lästig zu werden, und d^r Commandant der Truppen, Major X., gab
Befehl, die Cravatten und Böcke im oberen Theile zu öffiien.
Major X. war für mich ein unerwünschter Commandant; im
Jahre 1886 waren wir beide in Atschin und er bekleidete damals
den Bang eines Oberlieutenants, und ich war schon 4 Jahre Regiments-
arzt; ich duzte ihn also damals; seit dieser Zeit war er Major ge-
worden, und ich war noch immer Begimentsarzt, stand unter seinen
Befehlen, und als Zeichen seiner Herablassung sprach er jetzt gegen
mich mit jy und jou (= du), ohne dass es mir die DiscipUn erlaubt
hätte, ein Gleiches zu thun. So ein goldener Kragen vetändert in
hohem* Maasse den Mann. Ich hatte einen CoUegen, mit dem ich
Jahre lang im brieflichen Verkehre das »Duc gebrauchte; er wurde
Stabsarzt und . . . mit Wohlgefallen liess er sich mit Herr Stabsarzt
und »Sie« tituliren.
Ich hatte aUe Ursache, auf dem Marsche auf dem vom Reglement
vorgfl8r.hrifthenen Platze zu bleiben, d. h. ich blieb mit der Ambulanz
Eine Expedition in den Tropen. 349
9 - ■ - _ — --^ , I I I I I !■ I - -
am Schlüsse der Coloime, und hinter mir folgte der Train, welcher aus
den Of&dersdienem, den Lastwagen, den Kulis und den Soldaten^
frauen bestand. Um 10 Uhr kamen wir nach Sedjang, wo uns die
letzten Begleiter, einige QfiSciere zu Pferde nämlich, verliessen. Bis
dahin war die Strasse beinahe wie eine Spiegelfläche. Im Hintet*
gründe erhoben zu unserer Rechten der Telojo und der Merbabu, und
zu unserer Linken der Sumbing ihre stolzen Häupter. Hier erwartete
uns der Regent von Temunggung, um uns Glück auf! zu unserer Reise zu
wünschen. Die Truppen hielten ^4 Stunde Rast, weit wir einen steilen
Weg zu ersteigen hatten, und um 1 Uhr erreichten wir Medono, das
Endziel des ersten Tagemarsches. Wir hatten also 18 Paal = 27 Kilo-
meter zurückgelegt, ohne dass mehr als ein einziges Mal meine Hülfe
in Anspruch genomnden wurde. Ein Officier hatte mich um ein Stück-
chen Pflaster für eine Blase an der Ferse ei^ucht (Die Soldaten er-
halten keine Lappen, sondern Strümpfe.) Hier in Medono hatte der
»Quartiermacherc, Lieutenant-Kwartiermeester M. für uns gut gesorgt;
die Soldaten bergen das Bivouac in Prins Surat, und die Oi&ciere*
fanden bei dem Häuptlinge des Bezirkes nicht nur ein gutes Bett,
sondern auch ein gutes Essen.
Zunächst war es meine Pflicht, mich ddh Soldaten zur Verfügung
zu steUen, und ich ersuchte den Major X., das Signal »für den Doctor«
geben zu lassen; er sah mich an, als ob ich dem Irrenhause entsprungen
wäre; er besann sich jedoch nur einen Augenblick, liess »für den Doc-
tor« blasen und sah zu seinem Erstaunen eine stattliche Reihe von
Soldaten ankommen, welche meine Hülfe gegen diverse kleine Leiden
nöthig hatten. Die meisten unter ihnen klagten über Diarrhöe und
ersuchten mich um »einen Bauchtrank«. Ich hatte zu meiner Ver-
fügung zwei Verbandtaschen, eine Feldmedicinkiste und eine Feldyer-
bandkiste, nebstdem hatte ich eine grosse Büchse mit Medicin mitge-
nommen, welche nicht in der officiellen Liste der Medicamente für
den Feldgebrauch aufgenommen war, wie z. B. Antipyrin u. s. w.
Der »Bauchtrank« bestand aus 10 Tropfen der auf Seite 196 erwähnten
CSioleraessenz oder Laudanumtinctur, welche in dem Feldbecher mit
Wasser gegeben wurde; aber auch einige 0£ficiere ersuchten mich um
»ein beruhigendes Mittel für den Bauch«.
Die Ankunft der Truppen war natürlich vorher bekannt ge-
wesen, und eine grosse Schaar Klontongs (Hausirer) erwartete uns,
wodurch das Lagerleben einen romantischen Anstrich bekam. Sehr
350 ^^"® Expedition in don Tropon.
Viele eilten natürlich zunSchst nach dem Badehauae,, um durch Siram >)
den Körper zu erfirischen, Andere belagerten die Klontongs, welche er-
frischende Gretränke feilboten^ und Einige suchten einen passenden
Ratz, auf welchem sie das Leder für das Würfelspiel ausbreiten konn-
ten. Das Würfelspiel (mäin dadu) wird an besonderen Festtagen auch
in der Casenie gestattet und ist eine Concession an den Charakter der
eingeborenen Soldaten. Auf dem Marsche ist es eine ervninschte und
willkommene Zerstreuung in der Ruhepause, und es bleibt in der Hand
des Cömmandanten, sie bis zu jener Zeit zu gestatten, welche der Nacht-
ruhe gewidmet werden muss. Selbstverständh'ch betheiligte sich auch
mancher europäische Soldat an dem Spiel. Die Hausirer mit Früchten,
erfrischenden Getränken und Bäckereien machten den ganzen Nach-
mittag und den ganzen Abend ein glänzendes Greschäft; aber auch die
wandernde Garküche fehlte nicht und erfreute sich eines reichlichen
Absatzes. Wenn bei Manövern in Europa die Bevölkerung ersucht
wird, auf der Heeresstrasse für die durchziehenden Truppen Trinkwasser
-zur Verfügung zu stellen, so lässt sich wenig dagegen einwenden, ja
vielleicht ist dies sehr empfehlenswerth, weil in den nieisten (??) f^en
das Wasser rein und gut ist. In Indien wäre ein solches Ersuchen ge-
radezu gefährlich, weil in den seltensten Fällen ein gesundheitsschädUches
Wasser ausgeschlossen wäre. Ich muss es jedoch wiederholen, dass für
das Trinken der Soldaten ebenso viel Sorge als für das Essen getragen
werden sollte, und dass ebenso wenig die Besorgung des Trink-
wassers als die des Fleisches der Gunst des Zufalles über-
lassen werden sollte.
Gross war die Zahl der Getränke, welche den Soldaten von den
Hausirem männlichen und weibUchen Geschlechts zum E^auf angeboten
wurden. Hier sass eine Frau mit einem Bb,ufen alter Cocosnüsse,*)
deren harte Schale handbreit abgeschlagen war, so dass man das
weisse Fleisch derselben sehen konnte. Die Milch der Nuss, welche
Klapperwasser genannt wird, ist ein erfrischendes, kühlendes, süss-säuer-
Eches Getränk, welches jedoch bei Diarrhöe nicht genommen werden
darf Jede Nuss hat ungefähr zwei Gläser dieser bisweilen mit
weissen Flocken getrübten Flüssigkeit Dort stand ein Javane mit
Vide I. TheU, Seite 123.
•) Das weisse Fleisch der Cocosnuss giebt in der Küche eine sehr schmack-
hafte Zuspeise: das santen, aus welchem ein Brei, aber auch eine hj^rrliche Torte
bereitet wird. Durch Kochen und Verdampfen des santen wird das Cocosnosa-
•1 gewonnen, welches in Indien eine grössere Rolle als die Butter spielt.
Eide Expedition in den Tropen. 351
hinein Pack grosser Bambusstöcke. welche wie eine Schreibfeder zuge-
spitzt waren; die Namen^ welche er mit kreischender Stimme den
Passanten zurief, waren mir unbekannt; ich weiss also nicht, was fiir
ein Getränk er den durstigen Soldaten für einen Cent pro Glas an-
bot; vielleicht war es nur warmes Zuckerwasser, welches von den Ein-
geborenen gern getrunken wird. Auch Tjien tjau, Zuckerwasser mit
Agar-agar und den Körnern der Sulassifrucht (Ocimum gratissimum),
und Tjien tjau idju wurde verkauft, das ist eine Flüssigkeit von hell-
gniner Farbe, welche aus den Blättern des Cissampelos hirsuta gewonnen
wird. Hier stand eine wandernde Garküche: Auf einem Däpur stand
ein thönemer Topf mit warmem Zuckerwasser imd kleinen Stücken von
Agar-agar und kleingeschnittenen Blättern von Djeruk purut (Papeda
BrUmpUn). Selbst Oghio wurde verkauft, d. h. Zuckerwasser mit Agar
und Eiis, welches die Hausirer aus Magelang mitgebracht hatten; ein
Chinese rief mit lauter Stinmie St^h als Verkürzung für das herrliche
Sasat^, das sind kleine Stücke Schweinefleisch (bei den' mohamedanischen
Eingeborenen wird natürlich Rind-, Ziegen- oder Lammfleisch verwen-
det), welche in einer Kerrysauce gekocht und mit einem Stäbchen durch-
bohrt über dem Feuer geröstet werden.
Es würde mich zu weit führen, von allen Speisen und Gretränken,
welche hier feilgeboten wurden^ eine ausführliche Beschreibimg zu
bringen; ich muss mich begnügen, den Totaleindruck dieses roman-
tiischen Bildes anzudeuten. Um 6^4 Uhr brach so ziemlich unver-
mittelt die Finstemiss ein, und ein Meer von kleineu lilmpchen be-
deckte das bunte Lager. Um 7 Uhr kamen alle Officiere in die
Veranda des Bezirkshäuptlings zum Souper. Als rangältester Haupt-
mann sass ich neben dem Major X. und betheiligte mich an dem
lebhaften G^präche, welches so ziemlich zeitgemäss war. Ein junger
Bramarbas behauptete nämlich, dass derjenige ein schlechter Officier
sei, der nicht mit Freuden in den Krieg ziehe, und wäre es nur, um
. eine Gelegenheit zu finden, den militärischen Willemsorden 4. Classe
verdienen zu können. Major X. glaubte diesem in jeder Hinsicht bei-
stimmen zu müssen, und entrollte hierauf ein Bild seines G^müthslebens
von der Stunde an, in welcher er den Marschbefehl erhielt, bis auf
den jetzigen AugenbUck. Ganz rührend war die Schilderung von dem
Momente, in welchem er von seinem in Europa weilenden Sohne brief-
lich Abschied nahm und ihn ermahnte, faUs er im Kriege &llen sollte,
eine Stütze seiner Mutter und seiner Schwestern zu werden. Sie gab
mir aber auch Gelegenheit, dem jungen Bramarbas auf Grund meiner
352 ^^^ Expedition in den Tropen.
Er&hningen und Beobachtimgen das Unnatürliche setnes Ideengange»
auseinanderzusetzen. Im Anfange der Debatte hatte dieser junge
lieutenant ein Wörtchen fallen lassen, welches dem unter den jungen
Offideren landläufigen Glauben entsprach, dass der Militärarzt »eigent-
lich kein Officio sei«, weil er »nicht combattant« sei. Bei den alteren
Officieren fand er damit keine Zustimmung, tceil sie aus dem letzten
Kriege in Lombok nur zu gut wussten, dass der Militärarzt alle Mis^n
und alles Elend des Kriegslebens wie jeder and^« Offider mitgemacht
habe, und dass yoa dem Militärarzt oft mehr als von jedem Andern ge-
fordert werde; ich selbst hatte vor einigen Monaten Manöver mitgemacht^
und musste neunmal den Truppen nachlaufen, weil neunmal Kranke sich
gemeldet hatten, welchen ich Hülfe leisten musste; die Truppen blieben
nicht stehen, und ich musste oft 10 — lö Minuten lang in Laufechritt
nacheilen; dazu kam noch, dass ich nicht wie jeder »Combattant«
Monate oder Jahre lang vorher im Marschiren geübt und trainirt war.
Last not least fi-ug ich den jungen Marssohn, wozu denn mehr Muth
gehöre, im Kampfe mit dem Feinde den Säbel zu schwingen, den Re-
volver abzuschiessen und im* vollen Eifer und Feuer sein Leben zu
vertheidigen, oder wie ich es z. B. in Atjeh gethan hatte, unter dem
Feuer der Truppen ruhig und gelassen den Verwundeten die erste
Hülfe zu leisten und mit üeberlegung z. B. die Quelle der Blutung zu
suchen, wahrend die feindlichen Kugeln imi mich flogen und sausten»
Im weiteren Gtespräche betonte ich, dass nach meiner Ansicht jeder
nachdenkende Offider den Krieg verabscheuen könne und müsse. Der
Krieg sd ein nothw^idiges Uebel, und die Soldaten seien verpflichtet,,
in diesem schaurigen Spiele die erste Bolle zu spielen. Der Officier,.
welcher für dieses traurige Amt richtige Erkenntniss habe, sei ein
denkcoider Mensch, und wemi er den Ausmarsch zu dieser Arbeit mit
Wehmuth und Schmerz antrete, so sei er ein fühlender Offider, und
nicht, wie der junge Held glaube, ein schlechter Officier. In Betreff
der individuellen Seite charakterisirt die momentane Stimmung beim
Ausmarscbe das, Temperament des betreffenden Officiers. Dem Einen
winkt Ehre und Ruhm, dem Andern Krankheit,. Wunden und Tod;
der Eine ist darum weder ein Officier mit Leib und Seele, noch ist
der Andere darum ein schlechter Officier. Der Eine denkt an Frau
und Kind, und der Andere an — Nichts. Beide iliun ihre Pflicht^
vielleicht noch mehr als die Pflicht erfordert, und ich möchte auf zwei
Thatsachen hinweisen, dass die Sorge um Frau und Kiiid den Muth
nicht lähme, und dass- der sorglose Blick in die Zukunft nicht immer
Fig. S8. Ein Javsne bei der Hauurbeit, d. h. ohne den Erie (Dolcb), welchen
er in der Uefieiitlicbkeit immer trägt, nnd zwar un Rücken, wie e« Fig. 18 zeigt.
Eine Expedition in den Tropen. 353
den Muth erhöhe. Der Herr Y. möge nur das Verzeichniss der Ofii-
ciero nachsehen und nachrechnen, wie viel der Decorirten verheiratet
seien, und yrie viel von ihnen das Joch der Ehe noch nicht tragen;
er würde finden, dass die Sorge uni Frau und Kind das Pflichtgefühl
gewiss nicht einschränke, und zweitens möge er constatireu, ob mehr
verheiratete oder mehr ledige Officiere — mich heute um ein Medicar
ment zur Beruhigung des Bauches ersucht haben.
Nach der Tafel ersuchte uns Major X., bald zu Bett zu gehen,
weil der Aufbruch der Truppen um fünf Uhr stattfinden werde und
wir uns daher von dem letzten Marsche gut erholt haben müssteu.
Als ich darüber einen verwunderten und firagenden Blick auf ihn warf,
fügte der Major hinzu, dass es in den Tropen rathsam sei, die Truppen
wegen der herrschenden kühlen Temperatur in den ersten Morgenstun-
den marschiren zu lassen; ich war jedoch anderer Ansicht Während
die anderen Officiere uns verliessen, machte ich ihn aufinerksam, dass
der ganze Weg bis Ambarawa von unzähligen Sawahfeldem umgeben
sei, dass wir uns also in einem künsÜichen Sumpf befänden, und dass
gerade in den fiiihen Stunden des Morgens die bacterientödtenden
Strahlen der Sonne fehlten, dass also gerade durch den Marsch die
Soldaten den schädlichen Miasmen dieser Felder ausgesetzt seien;
hierzu komme noch, dass die meisten Soldaten nicht früher in den
Schlaf fallen würden, als sie seit Jahren gewöhnt seien; wenn um
fünf Uhr abmarschirt würde, müssten sie schon um vier Uhr au&tehen,
und könnten sich dann von den Strapazen des vorigen Tages nicht
erholt haben. Im Emstfeüle kennt man nur ein Ziel: den Sieg,
und die Gesetze der Hygiene müssten schweigen; aber in Friedens-
zeiten sei es geradezu Pflicht, so weit als möglich die Kräfl;e der Sol-
daten zu schonen, um jederzeit für den Ernstfall ungeschwächt die
Mannschaften ihrem Ziele entgegenführen zu köimen. Major X. gab
darauf keine Antwort — aber erst um 5 Uhr wurde B^veille geblasen,
und um 6 Uhr war Alles zum Abmarsch hereit
Medöno hat eine absolute Höhe von 598 Metern, und Pingit, die
Grenzstation zwischen den Provinzen Kedü und Samarang, ist 686 Meter
hoch. Diese 91 Meter müssten wir ersteigen, um dann in diesem Djambu-
Grebirge immer bergab bis Djambu (492 Meter) und 4 Kilometer weiter
bis Ambarawa (498 Meter) nur unbedeutende Erhöhungen des Bodens
überwinden zu müssen. Ich nahm also gerne den Vorschlag des
»Kwartiermeesters« an, ein Dos-ärdos zu miethen, xun dulce et jucunde
den letzten Theil miseres Marsches zurücklegen zu können. Das vor-
Breitenttein, 21 Jahre in Indien 11. 23
354 S^Q^ Expedition in Indien.
gespannte Pferd war jedoch öfters ganz anderer Ansicht und blieb
stehen oder drängte den Wagen nach rückwärts. Sofort kamen
aber einige Kulis vom Train und zwangen den Graul, anständig mit
ihnen Schritt zu halten. Auf der Spitze des Berges kam uns ein
deutscher Pflanzer entgegen und lud die Officiere ein, bei ihm Halt zu
machen und sich durdi ein Gläschen Champagner zum weiteren Marsch
zu stärken. Major X. glaubte jedoch dieser wohlgemeinten Einladung
kein Gehör geben zu sollen, und um circa 12 Uhr kamen wir in
Djambu an, wo uns eine Commission von Bürgern aus Ambaräwa be-
grüsste. Zu dieser gehörte der brave Dr. P., weldier mich sofort in
Beschlag nahm und zur »Beistafelc einlud. Er war in seiner Equipage
und wollte mich überreden, mit dieser in die Stadt zu fahren. Ich
blieb jedoch bei der Truppe, und dieser brave College war nun ge-
zwungen, mit mir 4 Kilometer zu Fuss zurückzulegen. Die Stadt war
zu unserem Empfiunge geschmückt, und Abends war in dem Club-
gebäude des Forts Willem I ein Festabend.
Am andern Morgen brachte uns die Eisenbahn nach Semärang, wo
wir sofort nach dem Hafen gingen.* Hier war der Resident mit zahlrei-
chen Damen und Herren anwesend, um uns bei einem Glase Champag-
ner Glück zu miserer Heise und zu unseren künftigen Heldenthaten zu
wünschen. Der Landes-Sanitätschef hatte natüriich (?) für mich kein
einziges herzliches Wort und beschäftigte sich nur mit den »gleich hoch
stehenden« Stabsofiicieren, und das Benehmen dieses Mannes mir
gegenüber sollte demonstrativ sein: Weil ich mit »meinem Comman-
danten« in Ngawie eine Meinungsdifferenz >) gehabt hatte, musste er, der
als mein Chef mein gutes Recht einer selbständigen Ansicht hätte ver-
theidigen sollen, urbi et orbi zeigen, dass ich auch ihm eine persona
ingrata geworden sei« Ob das Prestige des militärärztlichen Dienstes
dabei gewonnen hat??
Ich wurde angewiesen, midi auf jenem Schiff einzuschiffen, welches
die Cavallerie mit den Mauleseln überführen sollte. Ich konnte also
noch einige Stunden auf das Einschiffen der Pferde und Maulesel warten.
Endlich war das letzte dieser störrischen und widerspenstigen Thiere
an Bord, und ein lauter Pfiff der Damp^feife erinnerte mich und die
dienstfi^ien Officiere, das Schiff zu besteigen. In Atjeh angelangt, wurde
mir mitgetheilt, dass meine Transferirung eine zeitliche gewesen wäre,
und so kehrte ich mit dem nächsten Schiffe nach Java zurück und
1) Vide 7. Capitel
Kochmals von Dienatboten. 356
kam am 13. Mai, nach einer Abwesenheit von 20 Tagen, in Magelang
wieder an.
Zu Hause angekommen, erwartete mich ein kleiner häuslicher Krieg.
Mein Diener Ali hatte im Jahre 1894 einen Officier nach Lombok be-
gleitet und war bei dem Ueber£edle von Mataram in die Hände der
Feinde ge&Uen. Wenige Tage danach kam er zurück und wurde auf
Befehl des Ciommandanten sofort nach Java zurückgeschickt weil der
mehr oder weniger begründete Verdacht auf ihm ruhte, dass er von dem
Feinde zurückgeschickt worden sei, um Spionendienste zu leisten. Mir
wurde dieses von Niemandem erzahlt, als ich ihn in meinen Dienst
nahm. Mein früherer Bedienter, ein Javane (Fig. 28), mit dem poe-
tischen Namen Djojo, welcher fünf Jahre bei mir gedient hatte, er-
klärte mir nämlich eines Tages, er müsste mich verlassen, weil ihn sein
Dienst bei mir langweile. Gegen dieses Argument wusste oder wollte
ich nichts einwenden und gab ihm den Abschied. Es that mir leid,
ihn entlassen zu müssen, denn er war eine treue und ehrliche Seele.
Im Allgemeinen sind ja die malajrischen Bedienten die besten der
ganzen Welt, wenn man sie nicht schimpft oder schlägt Sie sind
ruhig und gelassen, betrinken sich niemals und werden nie den Ab-
stand zwischen sich und ihrem Herrn vergesseiL Wenn viel&ch über
die malayischen Bedienten geklagt wird, so geschieht es immer nur
von Menschen, welche überhaupt keinen Tact haben. YielfGU^h wird
auch behauptet, man müsste der malayisdien oder javanischen Sprache
vollkommen mächtig sein, um den Bedienten Bespect einzuflössen.
Dies ist nicht richtig. Ein solcher Bedienter kennt genau seine Po-
sition, und es entspricht dem Charakter, den Sitten und Gebräuchen
^iner Nation, den höheren Bang immer und überall zu respectiren;
schon die Sprache der Javanen documentirt dies au& deutUchste. Sie
unterscheidet sich je nach dem Bange ^) des Sprechenden in die Ngoko-
Sprache imd Kromo-Sprache. In dieser spricht der an Bang oder
Jahren Höhere gegen den Untergebenen, weldier seinerseits immer
nur in der Ngoko^)- Sprache gegen seinen Voi^esetzten antworten
darf; auch die reiche Literatur der Javanen unterscheidet diese zwei
1) In der malayischen Sprache heachrankt sich dieser Unterschied nur auf
<den Gebranch der Fürwörter; so wird z. B. das ri^ch" des höher Stehenden ako
und das ^ich*' des Untergebenen sig'a genannt
*) Sie hat sehr viele sanskritische, arabische, persische und holländische
Worter.
23*
366 Nochmals von DieoBiboten.
Sprachen, i) Wenn man der javanischen Sprache mächtig ist, muss
man also gegen seine Bedienten nur die Ngoko-Sprache gebrauchen,
sonst glaubt er, dass man ihn höhnen will; merkt er jedoch, dass sie nur
mangelhaft gesprochen wird, so wird er gewiss die grösste Toleranz zeigen.
Ich selbst hatte dieses bei meiner Ankunft in Java erfahren; ich ersuchte
meinen Bedienten um ein Streichhölzchen imd gebrauchte das malay-
ische Wort ajer = Wasser; ohne mich irgend den lapsus linguae fühlen
zu lassen, brachte er mir das gewünschte Streichhölzchen. Zwei Jahre
später kam der Sultan von Kutei (Osiküste von Bomeo) zu mir; ich
fragte ihn, wie es seinem »Weibe« gehe, indem ich das Wort param-
puwan gebrauchte; mit keiner Miene deutete er die Betise an, die in
diesem Worte lag. Später brachte er das Grespräch auf rätu = Königin,,
ich musste ihn fragen, was das Wort ratu bedeutete, und in den ge*
lassensten Worten antwortete er: Rätu heisst die Frau des Sultans oder
Königs. Ich entschuldigte mich wegen meines lapsus linguae, was er
jedoch als überflüssig zurückwies. Ein Pendant zu diesem Falle er>
ftihr ein junger Beamter, welcher zum ersten Male den Regenten seines
Bezirkes beim Empfange des Residenten sprach. Er sprach ihn mit
lu = »du« an;^) lächelnd wandte sich der Regent, welcher ein sehr
gebildeter Mann war, gegen den Residenten und sagte in correcter
und feiner holländischer Sprache: »Die jungen Herren machen in Delft ^)
bedeutende Fortschritte; vor einigen Jahren kam ein junger Beamter
zu mir imd sprach mich mit Kowe,^) und Herr X. spricht mich jetzt
mit lu an.«
So tief sitzt der Respect gegenüber dem Vorgesetzten in dem
Yolkscharakter der Javanen, dass es inmier dem Herrn zuzuschreiben
ist, wenn sein Bedienter sich eines unziemlichen Wortes oder einer un-
passenden Bewegung schuldig macht Natürlich giebt es auch unter
den malayischen Dienstboten mauvais sujets — gerade wie in Europa,
— aber es lässt sich nicht leugnen, dass gute und brave Dienstboten
sich immer bei jenen Herren melden, welche ihre Bedienten gut be-
handeln, d. h. bei etwaigen Nachlässigkeiten nicht schimpfen oder selbst
schlagen.
^) In der javanischen Sprache beschränkt sich dieser Unterschied nicht
auf die Fürwörter, sondern erstreckt sich auch auf zahlreiche Haupt- und Bei>
Wörter. Das Gewehr heisst z. B. in der hochjavanischen Sprache Sendjätä und
im Ngoko = bedil.
^ In Delft ist nämlich das Seminarinm für indische Beamte.
^) Köwe = „du" gegen einen Untergebenen; lu = „du" mit verächtlicher
Betonung.
Nochmals von Dienstboten. 357
Ich will gern noch einmal über die Dienstboten i) sprechen, weil
ich es geradezu für ein Unglück halte, wenn in einem Hause aller
14 Tage ein Wechsel der Bedienten stattfindet Es ist richtig, dass
der malayische Bediente streng auf die Arbeitstheilung hält, und dass
2. B. die Köchin nicht die Arbeit des Gärtners verrichten will. Dort
:aber, wo die Verhältnisse es nicht erlauben, mehrere Bediente zu halten,
verrichtet auch der malayische Dienstbote alles, was man von ihm for-
dert. Es ist wahr, dass der malayische Dienstbote naschhaft ist, aber
dagegen giebt es ja ein gutes flül&mittel; entweder sei man nicht zu
sparsam und gebe ihm ebenso gut Kaffee und Thee, als man es in
Europa thun muss, oder man schliesse es ab. Es ist wahr, dass der
malayische Dienstbote mit der Wahrheit auf gespanntem Fusse steht;
mit der grössten Ruhe wird er z. B. auf die Frage, wer dieses oder
jenes zerbrochen habe, zur Antwort geben: Sie, mein Herr! Lässt man
sich dim^h diese Unverfrorenheit zu einer leidenschaftlichen Antwort
hinreissen, wird er keine Antwort geben, sondern weggehen und, bei seinen
Kameraden angelangt seiner Freude Ausdruck verleihen, dem Herrn
einen solchen Streich gespielt zu haben. Zu dieser Gewohnheit gehört
auch das »indische Taubsein«; der betreffende Dienstbote sitzt in der
Nahe hockend und starrt in die blaue Luft, er wird gerufen, er giebt
keine Antwort Nur zu oft lässt sich die europäische Dame hinreissen
und eilt fluchend und schimpfend zu ihm hin und erhält die einfache
Antwort: »Ich habe es nicht gehört« Dies ist ein Symptom des Un-
willens, und dafür giebt es nur ein Heilmittel: Staute pede den Ab-
schied zu geben. Im Jahre 1883 war ich in einem abgelegenen Fod; in
«Sumatra in Garnison. Ich war sehr leidend und konnte mich in Folge
meines Bheumatismus manchmal kaum bewegen. Eines Tages rief ich
meinen Bedienten, der mich hören musste; er kam nicht; so schlecht
es ging, erhob ich mich von meinem Lehnstuhl und schleppte mich
nadi hinten, wo mein Bedienter hockte und mit einem wesenlosen
Ausdruck seinen Blick m dem unendlichen Weltenraum schweifen Hess.
Natürlich behauptete er, meinen Ruf nicht gehört zu haben. Ich Uess
ihn zum Fenster treten, sdiaute in sein Ohr und erklärte ein£EU)h: Ja,
dies ist richtig, du bist taub, einen tauben Bedienten kann ich nicht
gebrauchen, du kannst mich sofort veriassen. Das Fort lag an der
Gtenze des feindlichen Landes Aljeh, es war daher keine Möglichkeit,
«inen andern Dienstboten zu erhalten, und darum gab er mir kurz die
Vide Seite 92 ff.
358 Nochmals von Dienstboten.
Antwort: Baik tuwan =: gat, mein Herr! Als ich ihn aber kurz darauf
ins Spital schickte, einen »Handlanger« k(»nnien liess und diesen zu
meiner »Ordonnanz« ernannte, da hatte ich das Heft in den Händen;
er setzte sich zu meinen Foissen nieder, faltete die Hände, neigte den
Kopf und sprach sein minta ämpon = ich flehe um Verzeihung; eif
war seit dieser Zeit niemals mehr »indisch taub«. Nur die Buhe im-
ponirt den malayischen Dienstboten. Meine Frau kam mir oft mit
Klagen über die Nachlässigkeit u. s. w. meines Dienstboten, ich rieth
ihr in der Begel, Geduld zu haben und zu controliren und wiederum
zu controliren. Hatte dieses keinen Erfolg, so liess ich ihn zu mir
auf »das Bureau« kommen und theilte ihm mit, dass es mir unbe»
greiflich sei, dass meine Frau so oft Anlass zu Tadel über seine Ar-
beiten hätte, und machte ihn darauf aufinerksam, dass dies das Thun
und Lassen eines schlechten Bedienten sei. .
Glaubte ich jedoch Symptome von Unwillen zu sehen, da kannte
ich kein anderes Mittel als den Abschied. War es nöthig, so deutete
ich es an und drohte ihm damit, sobald er sich wieder Aehnliches zu
Schulden kommen liess, und führte meine Drohung im gegebenen Falle
immer aus. Dieses wussten meine Bedienten, und ich hatte nur sehr
selten Ursache, sie zu wechseln, obzwar Alle immer einen gewissen
Betrag des Lohnes in Yorschuss hätten. Sie erhielten nämUch 8 bia
15 fl. pro Monat Gehalt; 8 fl. erhielt der Grärtner und 15 fl. der
Kutscher, der »Hausbediente«, die Köchin und die Babu (Zofe) er-
hielten 10 fl. monatlichen Grehalt; nebstdem erhielt Jeder 3 fl. für die
Kost; die Ueberreste meiner Mahlzeiten vertheilte die Köchin nach
ihrem Beheben, und wenn zu dem Beste von Thee oder Kaffee auch
mandunal ein bischen Zucker »nach hinten« ging und meine Frau
darüber klagte, gab idi ihr den Rath, durch die Finger :;u sehen oder
den Zucker hinter Schloss und Riegel zu setzen. Dieser Gehalt war
in Magelang der landesübUche; ebenso üblich ist es, dass die Dienst-
boten immer von ihrem Herrn einen Yorschuss haben. Sofort beim
Eintritt ersuchen sie um einen Yorschuss von 1 — 3 Monaten; in ihrer
dienstfreien Zeit ist ja alles verpfändet worden, was sie besass^u Der
Kris =: Doldi der javanischen Bedienten, der Ohrschmuck (= anting-
anting) der Köchin, der schöne Sarong der Babu ruhen in der chinesisdien
Pfandleihanstalt und müssen ausgelöst werden, damit sie im Dienst des
Herrn anständig gekleidet gehen können. Späterhin giebt es zahl-
reiche Anlässe, um wieder und wieder einen Yorschuss zu verlangen.
Aber wie ich schon erwähnt habe, dieser Yorsdiuss war für mich nie-
Nochmals von Dienstboten. 359
mala ein Hindemiss, meinen Bedienten den Abschied zu geben, obwohl
es ihnen ganz gut bekannt war, dass damit nur eine civilgerichtliche
Forderung verbunden war, welche wahrscheinlich niemals hätte eingebracht
werden können« Wenn ich mich nidit irre, ist dies erst seit ungefähr
zwölf Jahren der Fall Vor dieser Zeit wurden diese Forderungen
strafgerichtlidi als Missbrauch des Vertrauens verfolgt mid bestraft, und
als die Begierung diese Maassregel als unbillig aufhob, erhoben die Han-
delsleute imd alle möglichen Parteien einen lauten Protest dagegen. Die
Regierung liess sich dadurch nicht beirren, auch den Eingeborenen diesen
Rechtsschutz zu gewähren und — es geht ganz gut Ich selbst habe
z. B. keinen Cent auf diese Weise verloren. Als ich im Jahre 1886
in Batavia vor meiner Reise nach Ngawie eine Babu aufiiahm, gab ich
ihr 15 iL Yorschuss. Sie kam aber nicht den Tag vor meiner Abreise
in den Dienst . Ich ging zu dem Schont = Revierinspector und theilte
ihm den Vorfall mit Der Hotelbediente, welcher mir diese Babu em-
pfohlen hatte, kannte ihren Namen und Wohnort, mid am folgenden
Tage hatte ich mein Geld zurück. Sie selbst erklärte, von ihrem Manne
keine Bewilligung zur Abreise erhalten zu haben. Andere ^ind vielleicht
weniger glücklich als ich gewesen und haben bei ihren Bedienten einige
Gulden verloreiL Ich muss es aber wiederholen, dass eine gute und
tactvoUe Behandlung der Bedienten auch in Java das einzige Mittel
sei, um von den kleinen Nadelstichen des Lebens verschont zu bleiben,
welche der ewige Wechsel der Dienstboten unvermeidlicher Weise mit
sich bringt
Der oben angedeutete häusliche Ejieg nahm folgenden Verlauf:
Sofort nach meiner Ankunft von Atjeh liess sich mein Kutscher durch
die Babu bei mir anmelden mit den Worten: »Minta bitjära sama
tuwan« = er wünsche den Herrn zu sprechen. Ich fürchtete im ersten
Augenblick, etwas von einer Krankheit oder anderem Unglück meiner
Pferde zu hören, aber wie überrascht war ich, als er mir einfsush mit-
theilte, dass sein Sohn ein Hühnerei vor meinem Hause eingegraben
gefimden habe. Mein Hühnerstall stand im hinteren Theile des Gar-
tens. In der Meinung, dass er das Eigenthumsrecht des Eies für sidi
resp. fih: seine Henne redamiren wolle, sagte ich ganz kurz, um
mich nicht wegen eines Eies, das in Magelang zwei Cent kostete, in
eine Debatte einzulassen, er möge es behalten. Zu meiner Ueber-
raschung sagte er nicht das übliche »trimah-kassih (= ich danke), son-
dern warf einen Blick der Verwunderung auf mich, schickte sich zum
Weggehen an und stotterte endlich die Worte heraus: »Vielleicht weiss
360 Nochmals voQ Dienstboten.
der Herr nicht, was dieses bedeutete Jetzt war es meine Sache, yer-
wundert zu sein. Ich bekannte diesbezüglich meine Unwissenheit und
erfuhr nun, dass Jemand mich behexen wolle; das Ei sei vor dem
Hause eingegraben worden mit der Zauberformel, dass das Faulen des
Eies auch den Bewohner des Hauses treffen möge; er wisse zwar nicht,
ob ich die Zielscheibe dieses Bannfluches sei; sehr gut könne auch
er einen Feind haben« der ihm dieses grosse Unglück wünsche, aber
er halte es für seine Pflicht, mir dieses mitzutheilen; das Ei sei noch
frisch, das Unheil könne also über mich noch keine Gewalt haben;
aber ich möge auf meiner Hut sein, weil nicht immer wie diesmal ein
günstiger Zufall das Faulen des Eies verhüten könne; sein Sohn habe
es zufällig gesehen, dass Ali, mein Bedienter, dieses Ei eingegraben hätte.
Mir war alles unverständlich, warum sollte Ali mich verhexen woUen,
und warum woUte mich der Kutscher vor dieser Verwünschung und
Bezauberung beschützen. Den Schlüssel zu diesem Räthsel gab mir
meine Frau, indem sie mir mittheilte, dass sie während meiner Ab-
wesenheit wiederholt Streitigkeiten zwischen den Bedienten bemerkt zu
haben glaube. Bei näherer Untersuchmig zeigte es sich, dass alle
übrigen Dienstboten Ali hassten, weil er ein »Spion der Feinde« ge-
wesen sei. Getreu meinem Principe, dem Aberglauben meiner Be-
dienten keinen Werth beizulegen, ohne ihn darum zu verspotten, liess
ich beide Bediente zu mir auf das Bureau kommen und theUte ihnen
mit, dass ich mich nicht in ihren Zwist mischen wolle, dass ich sie
aber eriimere, den Frieden in meinem Hause nicht weiter zu stören,
und dass sie Beide am Ende des Monats meinen Dienst verfassen
müssten. Der Kutscher war der grosse Intriguant; durch die nähere
Untersuchung kam heraus, dass nicht Ali das Ei vor dem Hause ein-
gegraben hatte, sondern dass es der Kutscher gethan hatte, und dass
er hierauf sein Söhnlein das Ei suchen und finden liess, und dass also
Ali nicht den Plan geschmiedet hatte, den bösen Zauber und Fluch
auf mein unschuldiges Haupt zu laden. Der Frieden hielt nicht an.
Ich sah selbst den Gärtner sich mit einem Kris auf den »Spion Ali«
stürzen, und nur durch meine persönliche Intervention ^oude ein Mord
verhindert Noch vor Ende dieses Monats verliess Ali meinen Dienst,
und der Frieden war im Hinterhause hergestellt
Magelang wird mit Recht der »Garten von Java« genannt, und
alle Beize der Tropenwelt sind dieser von fünf Bergriesen einge-
,Der Garten von Java**. 361
schloesenen Provinz verschwenderisch zu Theil geworden. Selbst ein
ewig brummenden ewig qualmender und rauchender Vulcan erhebt im
Osten sein stolzes Haupt und ist ein stolzer und eiiiabener Hinter-
;grund dieses reizenden Panoramas. Der Merapi ist von Wolken um-
hüllt^ und stets steigt eine grosse Bauchsäule zur Hinmielshöhe, aber
audi oft wälzt er grosse Feuermassen über seinen kahlen Scheitel Es ist
mir nicht bekannt wie oft dieses in früheren Jahrhunderten geschehen ist
Verheerend müssen seine Ausbrüche gewesen sein, wenn wir das Terrain
auf Abhängen und weit hinein in die drei Provinzen betrachten, über
welche sich ^in kahles Haupt erhebt Gewaltige erratische Blöcke be-
decken die Provinzen Kedü, Solo und Djocja. Auch der grosse Buru-
Budur soll nur aus Steinen erbaut sein, welche in früheren Jahrtausen-
den in den Tiefen des Merapi geweilt hatten. Im Januar des Jahres
1894 £a,nd die letzte *) Eruption statt; ein sanfter Zephyr wehte über
Magelang; der Himmel glänzte in seiner Stemenpracht; die majestär
itische Buhe der Tropennacht wurde nur durch das Quaken der Frösche
rund das Zirpen der Grillen gestört Ich ging mit einem Obersten über
•den Schlossplatz spazieren, als ein unwillkürlicher und zufälliger Blick
nach dem Osten des Horizontes eine ungeheure feurige Schlange tra^
welche sich von dem Gipfel des Merapi in der Bichtung nach Mun-
tilan, also halbwegs zwischen Djocja und unserer Stadt, hinabwälzte.
Gleichzeitig fiel ein feiner Aschenregen, der in wenigen Minuten unsere
Kleider mit einer äusserst feinen und dünnen Schicht bedeckte. Die
.Zeitungen hatten allerdings schon einige Tage voriier von einer er-
höhten Thätigkeit des Merapi gesprochen. Da jedoch bei Tage der
Anblick des Vulcans mit seiner variablen Bauchsäule keine bedeutende
Veränderung zeigte, so wurde dieser Notiz weiter keine Beachtung ge-
schenkt, und erst dieser unerwartete Anblick einer riesigen, feurigen
Schlange, welche sich in zahlreichen Krümmungen über seinen Abhang
mit unermüdlicher Dauer gegen den kleinen Yorberg wälzte, nöthigte
uns, immer und wieder den BUck auf ihn zu richten. Tage und
Wochen lang dauerte dieser Strom der feurigen Masse, und in dunklen
Nächten war die Bauchsäule von einem feurigen Kern erfüllt, welcher
jedoch nicht intensiv genug war, um auch das umhegende Terrain zu
beleuchten.
') Aus diesem Jahrhundert sind mir zehn Ausbrüche dieses Vulcans be-
ikannt, und zwar von den Jahren 1823, 1823, 1832, 1837, 1846, 1849, 1863,
1869, 1872 und 1894. Seit dem Jahre 1897 fehlt mir jede Nachricht über einen
•etwaigen Aasbruch des Merapi.
362 »J>^r Gtften Yon Java*'.
Die Beschreibungen^ welche der deutsche Gelehrte Junghuhn 1}
von diesem Vulcan bringt, haben, so weit sie die Spitze des Bei^e»
betreiFeni durch den Ausbruch im Jahre 1872 keinen Werth mehr; der
ganze Elruptionskegel ist verschwunden; er ist theüweise hinabgestörzt
und hat am Fusse des Berges so manches Dorf zerschmettert, oder er
ist in die Tiefen des Vulcans gestürzt, wo, laut Mittheilungen des-
Dr. Gronemann, der abgebröckelte Kraterrand auf einem grossen;
Felsen schwebend gehalten wird und der Zeit harrt, durdi einen hin-
reichend starken Layastrom mit hinausgeschleudert zu werden. Ejinige*
Ingenieure wollten sich von Djocja aus der Stätte des Feuerstrome^
nähern; sie gelangten nicht weiter als bis zur kleinen Bingmauer, welche-
sich einige hundert Meter am Fusse des Berges hinzieht Aus den
Spalten des Bodens drangen ihnen heisse Dämpfe entgegen^ und tiefer
und tiefer sanken die Füsse ihrer Pferde in die au^elagerte Aschen-
sdiicht, so dass ein weiteres Vordringen unmöglich wurde.
Sehr oft hatte ich Grelegenheit, dieses »Arcadien Javas« zu sehent
und zu bewundem; ich wurde nämlich einige Male zu dem Vater eines
meiner Patienten, Li Tiow Poo, welcher in Temanggoeng wohnte«
gerufen und ging eines Tages mit einem Agenten der Lebensversiche-
nmgs-Anstalt »New York« am 25. December 1894 nach Päraan. E»
fehlt mir an Worten, in würdiger Weise die schönen Landschaftsbilder
zu beschreiben, welche in langer Reihe vor meinen Augen vorbeizogen«,
und ich muss es einer fähigeren Feder überlassen; denn ich kann nur*
mit dürren und mageren Worten den kürzesten Weg beschreiben, wel-
chen ich nehmen musste, um in einem Tage auf dieser Boute hin und zu^
rück zu reisen« Bis Setjäng war der Weg eben; hier wechselte ich die
vier Pferde und verliess die grosse Heerstrasse, um linksab, d. h. westlich,
einem kleinen Wege zu folgen, der sich am Fusse des Sumbing über
Berg und Thal in zahlreichen Windungen hinschlängelt Bei Kräng-
gan ist eine grosse und schöne Brücke über den Progofluss, und mit
schaudererregender Greschvöndigkeit zogen die Pferde unsem schweren-
Beisewagen hinab in das Thal des Flusses; und mit genau berechneter
Sicherheit erreichten sie die Brücke. Reich bedeckt ist der Sumbing bia
zu einer Höhe von 900 — 1000 Metern mit Sawahfeldem, weiter sah ich
europäische Gemüse, Erdbeeren, Kraut, Tabak u. s. w. angepflanzt;,
der Gipfel des Berges ist jedoch kahl. Der dichte Urwald des Merapi
fehlt hier; der Raubbau hat diesen Berg, so me den Sindara, seineni
Dr. Franz Wilhelm Jnnghuhn wurde am 26. October 1812 in Alan»-
feld geboren und starb am 20. April 1864 in Lembang bei Bandong (Java).
„Der Garten von Java". 363
Nachbar, entwaldet, ohne rechtzeitig für einen Nachwuchs zu sorgen,
und beide Berge sind über der Höhe von 1250 Metern wasserarm;
kein Bächlein, kein Bergstrom stürzt sich in die Tiefe; nur das »Hirn»
melwasser« befeuchtet den firuchtbaren Boden dieser beiden ruhenden und
vielleicht ganz ausgestorbenen Yulcane. Auffallend waren nebstdem
zahlreiche Hügel, welche in den Sawahfeldem zerstreut lagen und mit
Gras bedeckt waren; es waren offenbar erratische Blöcke und zwar
von stattlicher Höhe (10 — 30 Meter!), in historischer 2ieit vielleicht
aus dem Sumbing herausgeschleudert; man sieht sogar in der Ejuter*
mauer eine Oeffiiung, aus welcher sie herstammen. Wie Junghuhn
erzählt, sind es nach der javanischen Sagenweit Reishauten, welche von
einem erzürnten Grotte in einen Stein verwandelt wurden.
In Temanggoeng bekamen wir neue Pferde; zwei Wege führen
von hier aus nach Päraan, dem Ziele unserer Reise; der eine zieht
in einem grossen Bogen (11 km lang) durch das Dorf Kedl, nach
welchem die ganze Provinz den Namen erhielt, und der andere (7^9 ^on
lang) führt direct am Fusse des Berges dahin. Der Kampong ist ein
langgestrecktes Dorf und beinahe ausschliesslidi von Chinesen bewohnt;
sie soUen sehr reich sein imd dieses besonders dem Bau des Tabaks
verdanken. Wir stiegen bei Lie Tiauw Piek ab, welcher ein mit
Reichthum und chinesischer Eleganz ausgestattetes Haus bewohnte.
Nachdem wir mit Bami,i) Kimlo^) und einer reichlichen Reistafel mit
Bier, Wein und Apollinariswasser unsem knurrenden Magen befrie-
digt hatten, kamen die fünf Candidaten für die Lebensversicherung
zur Untersuchung, und sdion drohte die Sojuie unter dem Horizonte
zu verschwinden, als wir unsere Rückreise antraten. Freilich hatten
misere Pferde gar keine Lust, Päraan zu verlassen; unter lautem
Schreien halfen die Chinesen den Wagen vorausschieben, um die Pferde
an ihre Pflicht zu erimiem, sie blieben ruhig stehen. Ein Euli fasst»
das eine Pferd bei der Stange und zog es vorwärts; als Antwort darauf
schlug das Pferd mit dem rechten Hinterfusse aus und brach die Stange,
an welcher die Zugriemen befestigt waren. Sofort wurde ein Stück
Bambus an der Axe befestigt, die Pferde gaben ihren Widerstand au£
und in brausendem G^opp verUesseu wir das Dor£ um 10 Vs Uhr
kamen wir in Magelang an, und unvergesslich bleibt mir diese Reise;
ein schöneres und lieblicheres Bild, als diese Reise mir bot habe ich
niemals gesehen.
Chinesische Speisen.
Schluss.
Abreise ton Magelang — Semirang — ^Sehiittery^ — Die
ehlneslsehe Behandlung der Diphtherltls — Das ewige Fener
— Salatlga — Abschied ron Semirang.
Tn Semärang, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, ^) schloss
-*- ich meine indische Carrifere.
Nach lOjähriger, ununterbrochener Dienstzeit hat der Ofiicier
und Beamte Anspruch auf einen einjährigen Urlaub nach Europa.
Er bekommt freie Heise bis nach Holland für sich und seine ganze
Familie und einen Urlaubsgehalt, der je nach dem Bange des Offi-
ciers zwischen 1350 und 8000 fl. pro Jahr variirt. Im Juli 1896 trat
für mich dieser Zeitpunkt ein, ohne dass ich aus verschiedenen Ur-
sachen davon Gebrauch machte. Ich wohnte ja in einer Ghamisonstadt,
welche ein italienisches Klima hatte; ich hatte einen kleinen, aber
angenehmen Ejreis von Bekannten und wohnte in einem steinernen
Hause, welches mir allen Comfort erlaubte. Zweitens sind die
Sommer- oder Herbstmonate keine erwünschte Zeit für eine Reise
nach Europa; ungeheure Wärme und heftige Stürme sind keine an-
genehmen Begleiter einer Seereise. Wer es kann, schiebt seine
Beise für die Monate März und April auf; thatsächlich habe ich
auf meiner Beise vom 12. April bis 13. Mai des folgenden Jahres
das schönste Wetter gehabt, welches man sich denken kann, nur
einen einzigen Tag war die See ein wenig unruhig. Wer wie ich
leicht seekrank wird, rechnet gewiss mit diesem Factor. Als ich
nach Semärang (am 17. August 1896) transferirt wurde, beschloss ich,
im Frühjahr 1897 von meinem rechtlichen Anspruch auf einen ein-
^) Diese Provinz ist 93,605 Quadrat-Meilen gross und zählte im Jahre 1893
6187 europäische, 19205 cliinesische, 7% arabische, 1077 orientalische und
1407752 eingeborene Bewohner.
Semärang. 365
jährigen Urlaub nach Europa Gebrauch za machen. Ich hielt also
wiederum Auction und gab dem Commissionär den Auftrag, bis auf
meinen Mylord und meine zwei Pferde, welche ich auch in Semär
rang würde gebrauchen können, alles, und zwar ä tout prix zu ver-
kaufen. Besonders mein Bücherkasten hatte einen bedenklichen
Umfang erhalten. Leider hatte ich versäumt, den Platzcommandan-
ten um seine Begünstigung zu bitten, und so geschah es, dass ge-
rade an diesem Tage grosse Feldübungen abgehalten wurden, die
Officiere erst um ein Uhr nach Hause kamen, und meine Auction
wegen Mangels an kauflustigen Officieren ein sehr geringes Ertrag«
niss hatte. 1000 ä. erzielte die ganze Einrichtung meines Hauses,
Glas und Essservice, alle Kleider und ein Kasten voll Bücher.
Wagen und Pferde verkaufte ich drei Monate später an einen
Collegen, der mir 375 fl. dafür bezahlte. In Semärang selbst
miethete ich kein Haus, sondern zog in das Pavillonhotel, in wel-
chem ich und meine Frau für 250 ü. monatlich ganze Verpflegung
und zwei Zimmer erhielten. Leider sollte ich die wenigen Monate
bis zu meiner Abreise noch viel Miseren zu erleiden haben. Zu-
nächst befiel mich eine heftige Furunculosis, welche in fünf Mo-
naten ungefähr 200 Furunkeln, natürlich verschiedener Grösse, und
zwar von der einer Erbse bis zu der einer Handfläche brachte,
und zweitens war ein solcher Mangel an Aerzten, dass ich trotz
meines so schmerzhaften Leidens ausserordentlich intensive Arbeit
auf mich nehmen musste, und der Sanitätschef mir selbst den Ur-
laub nach Europa verweigern wollte und bei der Eegierung den
Vorschlag einreichte, wegen herrschenden Maugels an Aerzten ihnen
den Anspruch auf einen Urlaub nach Europa zeitlich zu suspen-
diren. Der Gouverneur-General wies jedoch diese Zumuthung zu-
rück mit der Motivirung, dass der Sanitätschef rechtzeitig für neue
Aerzte hätte sorgen sollen, und dass es nicht anginge, in so leicht-
fertiger Weise einem Officier ein ihm zukommendes Recht zu ver-
kümmern.
Das Hotel, in welchem ich wohnte, lag au der letzten Krüm-
mung des »Bodjong'schen Weges«, einer schönen und breiten Strasse
von 1^/2 Kilometer Länge, und zwar gegenüber einem Garduhäus-
chen (Fig. 29); das andere Ende zierte das Haus des Residenten,
und daneben das des Landes-Commandirenden, welcher den Rang
eines General-Majors bekleidete.
Dieser »Bodjong'sche Weg« ist eine Zierde der Stadt, welche im
366 Sem6rang.
Uebrigen yieles zu wünschen lässt. Artesische Brunnen und Dampf-
tramway erinnern uns zwar an ihren Rang als dritte Stadt Javas,
aber sie ist arm an Sehenswürdigkeiten, sie hat nur sehr wenige
Plätze, kein einziges monumentales Gebäude, kein einziges Denk-
mal, keine Museen und nur ein unbedeutendes Theateigebäude, wel-
ches kaum diesen Namen yerdient, ein Clubgebäude, eine Freimaurer-
loge und Gotteshäuser für die katholische, protestantische und mo-
hamedanische Religion.
Doch ganz im Verborgenen bildet, den Meisten unbekannt, eine
Perle der modernen Baukunst, die Capelle des katholischen Frauen-
klosters eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Auf dem grossen
Wege nach dem Stationsgebäude, welches ebenfalls jedes archi-
tektonischen Schmuckes baar ist, steht die katholische Kirche zur
rechten Seite und ihr gegenüber das Kloster der Franziskanerinnen,
welche hier eine öffentliche Schule halten. Zur Seite der Schule
steht eine Capelle, im Spitzbogen gebaut, welche im Innern die
ganze Farbenpracht des maurischen Stiles aufgenommen hat. Es
ist ein überwältigender Reichthum der Farben, welcher die Augen
nicht beleidigt, sondern ergötzt.
Das Stadthaus ist ein einstöckiges Gebäude ohne Stil und ohne
Schmuck. Ihm gegenüber liegt das Militär-Spital mit einigen Pa-
Tillons, und an seiner Nordseite schliesst sich die Landes-Irren-
anstalt an. Das Spital ist zum grössten Theile aus steinernen Ge-
bäuden, und der Officierspavülon besitzt acht schöne, grosse Zim-
mer für acht Patienten. Ein kleiner Garten grenzt an diesen und
an den mittleren Pavillon, in dessen erstem Stock die Krankensäle für
Gefangene sich befanden. Das Ganze ist mit einem eisernen Gitter
umgeben und sieht nach dem grossen Platz, welcher von dem er-
wähnten Stadthause, der Moschee und der Wohnung des Regenten
begrenzt ist. EQer werden Sonntags um 5 Uhr Nachmittags von
der Militär-Oapelle oder von der der Landwehr Concerte gegeben,
zu welchen sich die beau monde von Semärang einstellt. Auf der
Strasse steht eine doppelte Reihe von Equipagen, und europäische,
chinesische und arabische Sonntagsreiter und zahlreiche Radfahrer
vervollständigen dieses schwache Bild eines Oorso. Die alte und
eigentliche Stadt wird von den angesehenen Europäern nicht be-
wohnt; diese haben ihre »Häuserc auf dem »Bodjong'schen Wegec,
im Pontjol und Pendrian, welche sich auf einer beinahe parallel
mit diesem gelegenen Strasse befinden. »Auf Pontjol« liegt auch
Sera^rang. 367
das alte, jetzt verlassene Fort »Prinz von Oranje«; und zwar mitten
im Sumpfe; von der Strasse aus wird es gar nicht gesehen, weil
Frucht- und andere Bäume es umgeben und sein Dach über die
Bäume nicht hervorragt. Die bombensichem Casematten bestehen
aus meterdicken Mauern, welche den G-eschützen vergangener Jahr-
zehnte Widerstand bieten konnten; jetzt befinden sich nur die Bureaux
der Intendantur und der Genie darin.
Von den Strassen der »Stadt«, welche jenseits des rechten Ufers
des Flusses Ngaran oder Semärang liegen, lässt sich leider gar nichts
Rühmenswerthes sagen; sie sind schmal, ohne Bäume^ haben selten
ein Trottoir, dafür aber offene, stinkende Canäle; ihre Häuser sind
im altholländischen Stile gebaut, ohne Garten, sie sind noch häss-
licher als die »alte Stadt von Batavia«. Nebstdem sind sie häufig
den Ueberstromungen ausgesetzt, so dass nur der eine Wunsch aus-
gesprochen werden kann, dass die »Stadt« bald verlassen werden
möge, und dass auf dem grossen Wege von Bandosari, welcher sich
an den »Bodjong'schen Weg« anschliesst, eine neue Stadt entstehen
möge.
Der Hafen ist ein primitiver Landungsplatz, ohne den beschei-
densten Ansprüchen der modernen Baukunde zu genügen. Auf
dem Ueberschwemmungscanal (Bandjir-Oanal) ruhen Hunderte von
Kähnen, welche den Verkehr mit der Bhede vermitteln, und wenn
wir noch die Tausende und Tausende Mosquitos erwähnen, welche
sich jeden Abend aus den umgebenden Sümpfen, Sawahfeldem und
Fischteichen erheben, um blutdürstig die Bewohner Semärangs zu über-
fallen, und der grossen Schwärme der niedlichen Reisvögel geden-
ken, welche den Bodjong'schen Weg beleben, dann ist alles Wissens-
und Sehenswerthe dieser Stadt mitgetheilt.
Im Spitale war mein Wirkungskreis derselbe wie in Magelang.
Ich hatte meinen »Saal« zur Behandlung europäischer Patienten
und war wiederum Mitglied der Superarbitrirungs-Commission. Diese
hatte sich auch mit bürgerlichen Angelegenheiten insofern zu be-
schäftigen, als jene Bürger, welche von den Stadtärzten ungeeignet
zum Dienst für die Bürger- und Feuerwehr erklärt wurden, von uns
superarbitrirt werden mussten. Diese Bürgerwehr befindet sich nur
in den fünf Städten Batavia, Semärang, Surabaja, Djocja und Solo
und hat die ganz richtige und gesunde Idee zur Basis, in Zeiten
der Gefahr und des Aufruhrs, bei Mangel an Militär bei der Hand-
habung der Ruhe und Ordnung in diesen Städten zu assistiren; sie
368 „Schuttery".
besteht also nur aus Europäern und Halb-Europäem, und der je*
weilige Resident dieser fünf Provinzen ist der Ober-Commandont der
Bürgerwehr (Schuttery), welcher im gegebenen Falle seine Truppen
unter das Commando des militärischen Platz-Commandanten stellea
kann. Dieses Prindp, dass in Zeiten der Gefahr und der Neth die
Bürger das Recht oder die Pflicht oder beides haben sollten, ihre
Stadt zu Tertheidigen und zu beschützen, wird aber nicht consequent
durchgeführt, und dadurch wird die »Schuttery« zu einem »Vetera-
nen-Verein« der kleinen Städte Deutschlands degradirt. Wenn es
Pflicht eines jeden Büigers ist, sein Vaterland oder seine Vater-
stadt zu Tertheidigen, warum sind davon »Haus- und andere Be-
diente und Gemeindearme« ausgeschlossen? Wenn es ein Recht
eines jeden Bürgers ist, sich in den Waffen üben zu dürfen,
wieder mit dem Zwecke, in Zeiten von Aufruhr und Grefahr
helfend und beschützend auftreten zu können, warum wird den
genannten Personen dieses Recht vorenthalten? Warum wird diese
Pflicht »hohen Beamten, Gerichtspersonen, Predigern, Apothekern^
pensioniiten Ofiideren, Eisenbahn- und Tramway-Beamten, Tele-
phon-, Post* und Telegraphen-Beamten u. s. w. u. s. w.« nicht auf-
erlegt? Die Kostenfrage spielt keine Rolle; denn die »Schutters« er-
halten vom Staate nur die Waffen und im Bedarfsfalle einen den
Soldaten entsprechenden Sold. Selbst die Uniform, welche nur für
den Officier etwas kostspielig ist, bezahlen sie aus eigenem Ver-
mögen; sie besteht aus weisser Hose und weissem Röckchen ohne
Schösse. Die Officiere haben dunkle Kleider aus Tuch oder Serge
und Epauletten und Fourag^res (Schulterquasten mit Schnüren) aus
Gold oder Silber. Die weissen Uniformen, aus russischer Leinwand
oder ähnlichen Stoffen yerfertigt, sind ganz hübsch und zweck-
mässig auf dem Exercierplatz und bei der Parade; sie haben aber
den Nachtheil, dass das scharfe lacht der Tropensonne zu stark
reflectirt wird. (Im abessynischen Ejiege litten die Augen der eng-
lischen Soldaten dadurch, und sie waren nebstdem eine grosse 2äel-
scheibe für den Feind.) Schon bei Manövern ist diese weisse Uniform
unpraktisch, weil der geringste Schmutzfleck deutlich sichtbar ist.
Im Kriege werden sie natürlich von den Soldaten und Ofßcieren zu
Hause gelassen, und für die »Schuttery« eine Ursache sein, sich an
einer offenen Feldschlacht nicht zu betheiligen.
Wenn dieses Corps nur zu oft die Zielscheibe schlechter Witze
Ton Seiten der Berufssoldaten und Officiere ist, so däss das Wort
„Schuttery". 369
»Schütter« als Prototyp eines indisciplinaren and angeschulten Sol-
daten in der Caseme heimisch ist, so ist die Organisation derselben
doch eine richtige. Die Disdplin ist in keiner Armee Selbstzweck,
sie ist nar Mittel za dem Zwecke, ein geordnetes Zasammenleben
Yon so yiel Handerten und Taasenden von Männern za ermöglichen,
and den Mann za einem fügsamen and tauglichen Theil dieses
grossen Mechanismus zu erziehen. Die »Schatter« sind aber nicht
casemirt; ein grosser Factor, eine strenge DiscipHn zu handhaben,
entfällt also. Die Abrichtung und Erziehung des Schutters kann also
bleiben, wie sie jetzt geübt wird. Aber die Pflicht zum Eintritt in
die »Schuttery« werde yerallgemeinert und das Ziel derselben möge
keinem »Soldatenspielerei« sein, sondern alle gesunden Männer zu
kräftigen Wehrmännern heranziehen, welche in der Zeit der Noth
sich und dem Staate vortreflfliche Dienste leisten könnten.
Ich muss noch erwähnen, dass die unvermeidlichen Ausgaben
der Verwaltung und der Musik aus dem Schutteryfonds gedeckt
werden, zu welchem die »Befreiten« ihre jährliche Contribution und
die »Gestraften« ihr Scherflein beitragen. Für die meisten disci-
plinaren Vergehen werden nämlich Ghld- und keine Freiheitsstrafen
auferlegt.
Die Superarbitrirungs-Commission hatte gegenüber diesen Herren
oft einen sehr schwierigen Standpunkt Einer derselben hatte z. B.
über einen Herzfehler geklagt, und der Stadtarzt glaubte ihn dafür
zu dem Dienste der »Schuttery« untauglich erklären zu müssen.
Der Dienst dieser Leute ist nicht anstrengend; sie haben nur ein-
mal in ißi Woche von 5 — 6 ühr zu ezercieren und sich in
einigen Wochen im Jahre an der Scheibe zu üben. Nun, Herzfehler
und Herzfehler können noch sehr differente Zustände sein. In
unserm Falle hatte der Recrut, ein junger Halbeuropäer von 19 Jahren,
ein leichtes Geräusch, wie es bei Anämie (Blutarmuth) vorzu-
kommen pflegt. Mir ist nicht bekannt, was die Superarbitrirungs-
Commission beschlossen hatte; dieses geschah im Jahre 1896, als
ich noch in Magelang sass. Der junge Mann bekam jedoch eines
Tages Lust, Soldat zu werden, er liess sich anwerben, bekam 300 fl.
Handgeld, und sofort meldete er sich krank, er könne wegen eines
Herzfehlers nicht exercierenl Dabei präsentirte er mir das Zeugniss
des Stadtarztes, welcher ihn selbst für den Dienst bei der »Schut-
tery« untauglich erklärt hatte. Ich untersuchte ihn genau und fand,
wie ich schon erwähnt habe, nur ein geringes anämisches Geräusch.
Breitenitein, Sl Jahn in IndlMi n. 24
370 ^i^ chinesische Behandlung der Diphtheriüs.
Entrüstet hielt ich ihm vor^ dass er auf diese Weise den Staat
um so viel hunderte Gulden beschwindelt habe. Dies Hess ihn
natürlich kalt. Ich theilte ihm nebstdem mit, dass sein Herz-
fehler Yon keiner Bedeutung sei, dass er ganz unbesorgt seine dienst-
lichen Obliegenheiten verrichten könne, und dass ich es für Unwillen
auffassen würde, wenn er sich jemals wieder wegen dieser fraglichen
Krankheit dem Dienst entziehen würde.
Durch ganze zwanzig Jahre hatte ich keinen Diphtheritisfall ge-
sehen. Wenn auch im Allgemeinen Erwachsene seltener als Ein-
der von dieser Elrankheit ergriffen werden — der vielfach erwähnte
Jahresbericht der indischen Armee vom Jahre 1895 weist keinen
einzigen Fall dieser Krankheit auf — , so muss ich es dennoclf für
einen besonderen Zufall halten, dass ich in diesem langen Zeiträume
keine einzige diphtheritische Erkrankung der Kehle zu G-esicht be-
kam. Der Zufall ist um so merkwürdiger, als in Indien diese Krankheit
factisch häufig vorkommt und gewissen chinesischen Ourpfuschern
eine grosse Berühmtheit verschafft hat. Selbst der Chef-Apotheker
der indischen Armee hatte vor einigen Jahren das Unglück, zwei
seiner Kinder von dieser tückischen Krankheit ergriffen zu sehen.
Auch er liess einen berühmten chinesischen Heilkünstler zu sich
konamen, und trotzdem verlor er seine Kinder. Es ist eine traurige
Erscheinung, welche ich im ersten Theile Seite 165 besprach, dass
die Therapie der europäischen Aerzte bis jetzt nicht nur wenig in
die tiefen Schichten der indischen Eingeborenen eingedrungen ist, son-
dern dass im Gegentheil die Behandlung vieler Krankheiten, wie sie
von den Malayen geübt wird, die Europäer und selbst europäische
Aerzte zu einem Hymnus veranlasst. Auch Dr. van der Burg
schreibt über die Behandlung der Diphtheritis im zweiten Theile
seines grossen Werkes, i) Seite 380: . . . Das Publicum setzt grosses
Vertrauen in die Behandlung von diphtheritischer Kehlentzündung
durch Chinesen, wodurch manchmal gute Resultate erzielt
werden. Auch diese chinesischen Heilkünstler huldigen dem Prin-
cipe aller Ourpfuscher: Die günstigen Erfolge mit allen Glocken
der Beclame urbi et orbi zu verkündigen; bei den übrigen Fällen
ist der Best — Schweigen.
Worauf sind denn die günstigen Erfolge der Chinesen basirt?
1. Auf die unrichtige Diagnose. Ich selbst habe im Jahre 1889 in
^) De geneesheer in Nederlandsch Indie.
Die chinesiBche Behandlung der Diphtheritis. 371
Ngawie eine Dame mit Erfolg behandelt, welche wegen ihrer »Diph-
theritis« (??) Yon Geneng zu mir gekommen war; sie hatte eine
Stomatitis crouposa, d. h. die ganze Mundhöhle war mit einem
weissen Beschlag bedeckt, welchen sie und ihre Familie für einen
diphtheritischen erklärten. Auch in Europa wird gegenwärtig die
Diphtheritis viel häufiger diagnosticirt, als es sein sollte. Die An-
wesenheit des Löff 1er 'sehen Diphtheritis - Bacillus ist die Basis
dieser Diagnose, und wenn die Serumtherapie so günstige Er-
folge aufzuweisen hat, ist zweifellos diese unrichtige Basis der
Diagnose Diphtheritis, wie auch Kassowitz und Andere mit Recht
bemerken, der Urheber dieser Erfolge, unschuldige Affectionen
der Mundhöhle, des Rachens und des Kehlkopfes werden also von
den chinesischen Curpfuschem als Diphtheritis behandelt, und der
günstige Verlauf dieser Krankheiten wird von ihnen als Heilung der
piphtheritis durch ihre Therapie ausgeschrieen. 2. Giebt es zahl-
reiche Diphtheritisfälle, ja selbst Epidemien dieser Krankheit, welche
durch ihre »Gutartigkeit« charakterisirt sind, d. h. bei jeder The-
rapie oft kaum 20 ^jo Todesfälle aufzuweisen haben. Dies gehört in
Indien zu der Regel; nur selten geht dort der Process yom Rachen
auf den Kehlkopf über und erfordert den Kehlkopfschnitt. Dies war
der Fall mit jenem Patienten, welcher von Dr. W. behandelt und
wegen drohender Erstickungsgefahr in das Spital geschickt wurde,
und welcher der einzige Fall yon Diphtheritis war, den ich in Indien
beobachten konnte.
•
•
Der Curiosität halber glaube ich die Behandlung der Chinesen hier
mittheüen zu sollen, wie sie Dr. van der Burg beschreibt. Auch
Dr. Vordermann hat s. Z. einige Recepte des chinesischen »Pul-
vers zum Einblasen« angegeben. Dr. van der Burg schreibt hier-
über Folgendes: »Es wird von den Chinesen besonders schwache
Nahrung und schwacher Luftwechsel verlangt; dann blasen sie ein
röthliches oder grünliches Pulver mit einem dünnen, hohlen Bam-
busröhrchen auf die ergriffenen Stellen der Kehle . . .« Die
chemische Untersuchung des am häufigsten gebrauchten Pulvers er-
gab nach van der Wiel folgendes Recept:
2 Theile SulphurA arsenici (tsee houang),
3 „ „ hydrargyri (tju s^),
^/s r> Sulphas cupri (tan-fan),
3 „ Borax (pang sha),
2 „ Kampfer (ping pien),
24*
372 ^^ chinesische Behandlung der Diphtheritis.
1 Theil Moschus (shie hiang),
3 n Ghloretom natrium (chö j6n),
3 „ Perlen (tjien tju),
3 n Bezoarstein 1) (nin hoang),
2 „ Bambussteine (tschou houang),
2 „ Badix salviae multiorhizae (tan seng),
2 „ Galle (?) (hiem täk),
i/i „ der Baumrinde von? (djie töh)^
3 n Excremente von Kakerlaken*) (tay-ka-toi) und
eingedampftem Urin yon Kindern (jin tchong pe),
dieses alles wird gemischt, pulverisirt und 2— 3 mal jede Stunde in
den Mund eingeblasen ! I
Auch die Diphtheritis fordert in Indien zur Zeit der Kentering s)
die meisten Opfer. In der BpCgenzeit Verhindern die grossen Wasser-
massen mechanisch die Entwickelung schädlicher Bacterien, in der
trockenen Jahreszeit versengen die heissen Strahlen der Tropensonne
die Keime aller zymotischen Krankheiten. In der üebergangszeit
dieser beiden Jahreszeiten (Kentering) sind die Tropen ein Biesen-
Brutkasten für alle Krankheitserreger, und ebenso sind unausge-
sprochene Monsune, die »trockene« Regenzeit (Westmonsun) und die
»nasse« trockene Zeit (Ostmonsun) für das einzelne dazu disponirte
Individuum die gefährlichste Zeit. Leider ging es auch mir während
des Aufenthaltes in Semärang schlecht. Wir hatten zur Zeit des
Westmonsuns viele. Ja selbst zahlreiche Tage, an welchen es nur wenige
Stunden, und noch dazu in kleinen Mengen regnete. Die Feuchtig-
keit, organische Stoffe und Wärme wai*en in hinreichendem Quan-
tum vorhanden, um ein üppiges Wuchern aller möglichen schädlichen
Bacterien zu veranlassen; ich bekam die Furunculosis. So schmerz-
haft die ersten Furunkeln waren, so wenig störten sie mich in meinen
täglichen Arbeiten. Das Spital war in der nächsten Nähe; wenn
ich auch unter Beschwerden den kurzen Weg dahin zurücklegte^
und auch die Behandlung von 50 — 60 Patienten immerhin mit
einiger Bewegung verbunden war, so überwand ich doch die
Schmerzen, weil einerseits damit keine Gefahr verbunden war, weil ich
^) Ein Gallenstein aus dem Bauche verschiedener Afifensorten; er spielte
früher unter dem Namen von Batu galiga auf Bomeo als Exportartikel eine
grosse BoUe.
') I^riplaneta orientalis (?) = Schabe.
») Vide I. Theil, Seite 53.
Das ewige Feuer. 373
andererseits zu Hause die Langeweile fürchtete, und weil ein solcher
Mangel an Aerzten herrschte, dass schon durch den Ausfall Eines
Arztes die Patienten des Spitals hätten leiden müssen, unterdessen
(Ende Februar) hatte ich mein Gesuch um einen einjährigen Urlaub
nach Europa eingereicht und hoffte, da ein solches Gtesuch gewöhnlich
drei Wochen zu seiner Erledigung nöthig hat, Mitte oder Ende März
abreisen zu können; sie erfolgte in dieser Frist nicht. Die Furunkeln
heilten zwar, es kamen aber jedoch immer neue hinzu; ich kam
herunter und endlich entschloss ich mich, den Dienst einzustellen, und
der Gamisonsdoctor gab mir ein ärztliches Zeugniss, dass ich wegen
aligemeiner Furunculosls einen Urlaub ins Gebirge dringend nöthig
hätte. Am 25. März 1897 ging ich mit der Eisenbahn nach Salatiga.
Leider habe ich dadurch das »ewige Feuere nicht gesehen, you dem
Veth eine ausführliche Beschreibung bringt und 5 km entfernt von
Gubuk gefunden werden soll. Aus Oefhungen in dem Boden strömt
ein brennbares Gas aus, welches, einmal entzündet, wie Einige be-
haupten, zwar durch Stampfen in der Umgebung, starkes Blasen
oder durch Wasser ausgelöscht werden kann, sich aber durch die
Berührung mit der Luft immer wieder entzündet. Li Kedong
Djatti, welches seinen Namen den dortigen grossen Wäldern ron
Djattibäumen (Tectonia grandis) entlehnt, mussten wir umsteigen,
um die Strecke nach Ambarawa zur weiteren Beise zu benutzen.
Nur einige Kilometer hinter dieser Station betraten wir bei Gaga
dalem eine Enclave von Solo, ^) und acht Ealometer weiter erreichten
wir Bringin, Ton welchem Salatiga auf einer schmalen Strasse zu
Pferde oder mit einem Dos-ä-dos in ungefähr einer Stunde zu er-
reichen wäre. So wie die meisten Touristen fuhr ich jedoch weiter bis
Tuntang, yon wo aus eine schöne breite Strasse über Salatiga nach
Solo und Djocja und an die Südküste führt. Der grosse Postweg
1) Auf dem Wege nach Salagatija passirten wir das Dorf Praguman mit
den Ruinen jenes Tempels, welcher das Grab des Hundes enthielt, von welchem
die „Kalangs^ abstammen sollen. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts waren
sie ein Nomadenvolk und wurden von dem damaligen Sultan von Mataram ge-
zwungen, sich anzusiedeln. Bei der Theilung des Beiches im Jahre 1755 er-
hielten beide Fürsten ungefähr SOGO Familien. Ein Theil dieser „Ealangs*' von
Solo wohnt gegenwärtig in der Provinz Samarang, welche eine grosse und mehrere
kleine Enclaven von Solo besitzt. Warum diese „Kalangs** noch gegenwärtig von
den übrigen Javanen so verachtet werden, dass die Sagenwelt sie bald von einem
männlichen, bald von einem weiblichen Hunde abstammen lässt, ist mir unbe-
kannt.
374 Sftlatigs.
Javasy welcher längs der Nordküste dieser Insel von Bataria nach
Surabaja zieht, giebt auch in Semäxang einen Zweig ab, welcher
sich nördlich Yon Ambarawa (bei Bayen) in zwei Aeste theilt.
Der eine umkreist die westlichen Abhänge def Grenzgebirge Mer-
babu, Merapi u. s. w., während der andere im Osten dieser Berge
nach dem Süden Jayas zieht. In Tuntang stand ein grosser Reise-
wagen, und gegen 7 Uhr Abends kamen wir in Salatiga an. Im
»Hotel Taman« fanden wir eine aufinerksame Wirthin, ein hübsches
Zimmer, eine grosse Veranda mit einer schönen Aussicht und freiem
Gebrauche des Bades »Kali taman«, und zwar für 8 fl. pro Tag.
Die Babu bekam von mir täglich 20 Ct., wofür sie sich das Essen
bezahlte, während eine gastfreundliche Collegin des Hotels ihr
eine Schlafstätte gratis anbot. Zur Beise hatte sie sich nämlich
nebst einem fiostchen aus 2iinkblech für ihre Schätze an Sarongs
u. 8. w. ein Kopfpolster mitgenommen, welches in einer Matte ein-
gerollt war; diese Matte .wurde das Schlaf lager unserer Babu.
Am andern Tag besuchte ich sofort das Bad Kali taman, welches
ungefähr einen Kilometer vom Hotel entfcput war; es bestand
aus einem grossen Bassin, in welches sich aus einer Höhe yon zwei
Metern ein mächtiger Strahl yon frischem, hellem imd kühlem Berg-
wasser stürzte. Ein Schwann Goldfische bewohnte das Bassin, und
als ich auf der ersten Stufe stand, kamen ein paar Hundert dieser
zierlichen Fischchen auf mich zugeschwommen. Es fiel mir auf, dass
die kleinen in Gold-* und Silberfarbe schimmernden Eische in der
ersten Beihe schwammen, und in der Peripherie die grossen mit
grauem, mattem Kleide es niemals wagten, sich uns zu nahem. Jetzt
wurde es mir deutlich, warum mir beim Eintritt der Wächter des
Bades ein grosses Blatt, gefüllt mit ^gekochtem rothen Reis, um
2^9 Cent' zum Kauf angeboten hatte. Die Fische waren gewöhnt,
yon den Badegästen gefüttert zu werden; späterhin yerschaffte es
mir yiel Vergnügen, die klugen Aeuglein yon Hunderten yon Fischen
und Fischchen auf mich gerichtet zu sehen, sie wurden so zutraulich,
dass sie sich bis an meine Füsse heranwagten.
Salatiga liegt 574 Meter hoch und erinnert in mancher Hin-
sicht an die Biyiera. Oft hatten wir es in den Morgenstunden nicht
wärmer als 12 <> und um 12 ühr nur 17 — 18 <> C. Wenn ich in
der Veranda des Hotels auf meinem »Faulenzerstuhl« sass und
meinen Blick über den grossen Schlossplatz warf, sah ich im Nord-
westen den Unarang und im Südwesten den Merbabu ihre stolzen
SaUrtaga. 376
Häupter erheben, zwischen welchen Ambarawa eingeschlossen ist, und
aus welchen sich die herabstürzenden Wassermassen durch eine Berg-
spalte in den Fluss Tuntang ergiessen. Schon seit 250 Jahren ist
Salatiga als Luftcurort beJcannt, und wenn die Vasallen zu dem
grossen Fürsten des Mataramischen Reiches von Semäxang zogen,
hielten sie ihren ersten Basttag in Unarang und den zweiten in
diesem lieblich reizenden Bergstädtchen, das nach den drei Tempeln
(Sel4 tiga), welche hier gestanden hatten und schon im vorigen
Jahrhimdert niedergerissen wurden, den Namen Salatiga behielt.
Zahlreiche Pensionäre wohnen hier wegen des italienischen Klimas
und wegen der Billigkeit seiner Lebensmittel. Der Besitzer des
Bades Kali taman ujid eines grossen Landgutes kam zu meiner
grossen üeberraschung vor zwei Jahren nach Karlsbad, und ihm
verdanke ich so manche Aufklärung über das politische Verhältniss
der Landherren Javas einerseits zu der indischen Begierung und
andererseits zu der ansässigen Bevölkerung. Nebstdem hat die
indische Cavallerie ihren Sitz in Salatiga; der Stab dieses Corps
liegt mit zwei Escadronen in dieser kleinen Stadt, welche vielleicht
500 europäische Seelen, 3000 (?) Javanen, 500 Chinesen und 50 (?)
Araber als Einwohner hat.
Leider war es mir durch meine Furunkeln unmöglich, grössere
Ausflüge zu machen, und weder das Gesundheits - Etablissement
Ungaran noch Fel4ntungan zu besichtigen. Das erstere ist wie Sala-
tiga ein Luftcurort (318 Meter hoch), während Felintungan grosse
und reiche jodhaltige Quellen besitzt, wo Lepra- und Syphilis-Fa-
tienten Heilung von ihren Grebrechen suchen, und sich seit 1844
eine Militär -Badeanstalt befindet. Noch mehr bedauere ich es,
dass mir die Gelegenheit genommen war, das viel gepriesene Dieng-
gebirge mit seinen Naturschönheiten und seinen zahlreichen Buinen
besuchen zu können. Ich sollte Salatiga, die Provinz Samarang und
die Lisel Java verlassen, ohne dieses Wunderland (das Dienggebirge)
auch nur gesehen zu haben.
Schon im September 1896 hatte ich für mich und meine Frau bei
der französischen Schiffiahrts-Gesellschaft »Passage besprochene, und
Ende März 1897 konnte ich auf die Anfirage dieser Gesellschaft, wann
ich doch meine Anweisung der Begierung für die Unkosten einreichen
würde, nur ausweichende Antworten geben, weil noch immer keine Er-
ledigung auf mein Urlaubsgesuch erfolgt war. Ja noch mehr; die
Zeitungen brachten, wie ich schon erwähnt habe, die Nachricht, dass
376 Abschied von Sem&rang.
der Sanitätschef das Ersuchen an die indische Regiening gerichtet
hatte, wegen grossen Mangels an Militärärzten diesen keinen Urlaub
nach Europa zu gewähren.
Endlich erhielt ich am 8. April die telegraphische Nachricht^'
dass mir der Urlaub ertheilt wurde, und da die Messagerie maritime
mir auf mein Ersuchen eine Cajüte auf >dem Emest Simon <, wel-
cher am 20. April von Singapore abgehen sollte, reserrirt hatte,
eilte ich sofort am folgenden Tage nach Sem&rang, wo es mir durch
das Entgegenkonunen aller Behörden ermöglicht wurde, am 12. April
mit dem Reael nach Batavia abreisen zu können.
Um 3 Uhr fuhr ich mit einem Wagen des Hotels zum Hafen.
Für den Preis von 2 fl. pro Kopf brachte mich und die übrigen
Passagiere eine Dampfbarcasse auf die Bhede, wo sich der kleine
Dampfer Reael auf den Wellen der etwas unruhigen See schaukelte. Um
4 Uhr wurde der Anker gelöst, und geschützt von der Decke des
Zeltes richtete ich zum letzten Male meine Blicke hinüber zu dem
vielköpfigen Merbabu. »Die Stadt mit ihrer baumreichen Umgebung
und den Bergprofilen im Hintergrund formen ein liebliches Pano-
rama. Im Südwesten erheben sich der Prahu, der Sindoro und der
Sumbing, und im Süden taucht der Telemaja auf, hinter welchem
der breite, vielköpfige Scheitel des Merbabu am Horizonte erscheint.
Zwischen dem Sumbing und Sindoro tritt der Unarang deutlich in
den Vordergrund. Seine malerische, trachitische und mit Trachit-
blöcken bedeckten Vorhügel erstrecken sich bis in die Nähe der
Stadt, und man kann von der Ehede aus ihre rohen Formen, ihre
breiten, abgerundeten Scheitel und ihre arme Vegetation mit unbe-
waffnetem Auge unterscheiden. Hinter diesen ungefähr 250 Meter
hohen Hügeln erhebt sich der Unarang mit sanft aufsteigenden Ab-
hängen, welche nach und nach in das Dunkelgrün seines dicht mit
jungfräulichen Wäldern bedeckten Scheitels übergehen.«
Lebe wohl, du schönes, liebliches Java! Lebe wohll Slamat
Tanah Djava!
Anhang.
Die Ansiedelangen der Europier auf der Insel JaraJ)
Wenn auch Marco Polo (aus Venedig) schon am Ende des
13. Jahrhunderts Sumatras Boden betreten hatte, so hat doch erst
im Jahre 1323 (?) ein Europäer, und zwar wiederum ein Italiener,
der Mönch Fra Odorica, zum ersten Male Java aus Autopsie kennen
gelernt. Was sein Landsmann Nicolo de Conti (1430 ?) von seinen
Erlebnissen in Java mittheilte, ist nicht der Mühe werth, geschicht-
lich beurtheilt zu werden, ebenso wenig haben die Mittheilungen von
LudoYico di Varthema aus Bologna (1505) irgend welchen histori-
schen Werth. Im Jahre 1512 schickte der Portugiese d'Albuquerque
den Mohamedaner Nakhoda Ismail mit einer Jonke nach den Mo-
lukken mit dem Auftrage, die östlichen Inseln zu untersuchen.
Im folgenden Jahre (1513) kehrte er mit einer Ladung yon Grewürzen
zurück, landete auf Java, wo bei Tuban sein Schiff strandete, worauf
Inam Lopez Aluim mit vier Schiffen die Staaten der Nordküste auf-
suchte. Acht Jahre später kam der Portugiese Antomode Brito mit
fünf Schiffen nach Java und Madura (wo seine Bemannung eine
kurze Zeit gefangen gehaltet wurde), und im Januar 1522 Enrique
Leme (nach Sunda), Garcia Enriquez und der Portugiese Magalhäes.
Im Jahre 1523 sah Java wiederholt portugiesische Schiffe, und zwar'
>) Die ältesten Berichte über Java-dwipa (^= Land, Sanskrit) finden wir bei
Ptulomaeus, und der Name Jara soll von der in Indien wild wachsenden Kern-
frucht Panicum abstammen. Von der ursprünglichen Bevölkerung dieser Insel
wird in den javanischen Chroniken (Babads) wenig, und von den alten Hindus
auf dem Gontingent nicht nur von diesen, sondern überhaupt von der Ansiedelung
auf Java keine Erwähnung gemacht; so wie die Babads mittheilen, hat schon
im Jahre 78 p. C. Prabu Djaja Baja eine grosse Colonie Hindus nach Java ge-
bracht. Von den Chinesen war Fa Hien der erste, welcher (im Jahre 414) auf
seiner Reise von Ceylon nach China Je-pho-thi = Java besucht hat. Die Araber
scheinen ^um ersten Male im Jahre 851 in Zabe^j = Jftva gewesen zu sein.
378 . ^i^ Ansiedelongen der Europäer auf Java.
in Gris^. Während Simäo de Soresa und Martin Correa einem
nächtlichen Anfall der Javanen durch rechtzeitige Warnung des
Manuel Botelho aus Surabaya entkamen, fiel Antonio de Pina, Bo-
telho selbst und Antonio Fessoa (1524) unter den verrätherischen
Anfällen der erbitterten Javanen. Die Portugiesen unterliessen es
hierauf einige Jahre lang, mit den yerrätherischen Javanen des
Ostens der Insel Handel zu treiben, und besuchten allein Fanamkan
(1526 unter Antonio de Brito und Joäo de Morene), und im Jahre
1528 (unter Don Garcia Enriquez), nachdem Francisco de Sä. (1526)
ebenfalls eine unglückliche Expedition nach »Sunda«') unternommen
hatte. 3)
Im Jahre 1536 kam der Spanier' Andres de Urdaneta nach
Panarukan, nachdem 1532 die Portugiesen dort ein Standbild mit
dem Wappen des Königs von Portugal und drei E^reuze errichtet
hatten. Dreizehn Jahre lang fehlen die Nachrichten über die Fahrten
der Portugiesen nach Java, und erst 1545 kam Femäo Mendez Pinto
nach Bantam, und mit 40 Mann seiner Flotte betheiligte er sich an
dem Zuge des Sultans von Bantam nach Demak (Januar 1546), um
gemeinschaftlich gegen den Sultan von Pasuruan ^u ziehen. Trotz
der colossalen Heeresmacht (Pinto spricht von 800000 Mann und
2700 grösseren und kleineren Schiffen) endigte £eser Ejrieg mit
einer fürchterlichen Niederlage, und die Portugiesen, welche sich
daran betheiligt hatten, setzten ihre beabsichtigte Reise nach China
fort. Auf der Bückreise erlitten sie an der Nordküste Javas Schiff-
bruch, Pinto wurde mit einigen seiner Matrosen als Sclave verkauft,
später jedoch freigelassen und nach den portugiesischen Schiffen
gesendet, welche in dem »Hafen von Sunda« lagen. Sir Francis
Drake kam auf seiner Weltumsegelung (1577 — 80) ebenfalls nach
Java. Die Holländer kamen zum ersten Mal am 23. Januar 1596
nach Java (Bantam) und schlössen unter Oomelis de Houtman
(1. Juli 1596) mit Pangeran Mangku bumi, dem Vormund des un-
mündigen Fürsten, einen Vertrag, demzufolge Prinz Moritz von
Nassau, zum grössten Aerger der anwesenden Portugiesen, in Ban-
tam freien Handel führen konnte, und es gelang diesen auch, die
Bantamer gegen die Holländer aufzuhetzen. De Houtman wurde
1) welches damals nicht nur sprachlich, sondern auch geographisch f&r
eine separate Insel gehalten wurde.
*) Einer der Schiffscapitäne gerieth in Gefangenschaft des Sultans van
Pasuruan.
Die Ansiedelungen der Europäer auf Java. 379
mit seinen Männern, welche am Strande ein Waarenlager errichtet
hatten, gefangen genommen, bald aber (2. October) freigelassen und
konnte unter denselben Bedingungen wie die Portugiesen und Chinesen
Handel treiben. Aber schon 3 Wochen später mussten sie wieder
mit Gewalt das Befolgen des Contractes erzwingen; die Flotte
zog dann längs der Nordküste bis Qris^; bei Sidaju wurde das
Schiff Amsterdam von feindlich gesinnten Javanen überrumpelt, und
am 6. December wurden sie bei Arisbaja, auf der Insel Madura, zu
einem Angriff auf einige Kähne der Javanen durch falschen Arg-
wohn gezwungen. Nachdem sie in Bayean das unbrauchbare Schiff
:»Amsterdam« verbrannt hatten, zogen sie nach der Insel Bau
(Januar 1597), und einen Monat später (27. Februar 1597) zogen
sie längs der Südküste Javas und Africas nach Holland zurück,
wozu sie ungefähr 5^3 Monate nöthig hatten. Im Jahre 1598 er-
schien wieder eine portugiesische Flotte, um die Niederländer, von
deren Abreise sie nichts wussten, von Java zu vertreiben; die Bau-
tamer fanden es jedoch zweckmässiger, sich diese ihre Freunde vom
Halse zu schaffen, überfielen ihre Schiffe, nahmen ihnen das von
anderen Schiffen^ geraubte Gut wieder ab und empfingen wieder mit
Freuden die Ankunft einer neuen holländischen Flotte (25. Novem-
ber 1598). Von den acht Schiffen, unter dem Commando von Jacob
van Neck, gingen vier voll beladen nach Holland zurück, und die
übrigen vier fuhren am 8. Januar 1599 nach Madura, wo es ihnen,
wie ihren Vorgängern, sehr schlecht erging. Fünfzig Mann fielen in
die Hände der Maduresen und mussten um hohes Lösegeld fireige-
kauft werden. Nach den Molukken setzten sie ihre Beise fort und
kamen am 9. August wieder nach Bantam zurück.
Glücklicher waren in demselben Jahre zwei andere holländische
Schiffe, welche allerdings acht Monate lang auf die Ernte des
Pfeffers warten mussten, aber unter Q-erard Leroy am 18. No-
vember 1599 voll geladen ihre Beise nach Europa antreten konn-
ten. Das Jahr 1600 sah mehrere holländische Flotten vor Bantam,
darunter die von Bieter Both, welcher für die Neue Brabant'sche
Gompagnie in Amsterdam eine Factory errichtete, während kurz
vorher Wilkens für die alte Gompagnie dasselbe gethau hatte. Als
im Jahre 1601 die Spanier i) unter Furtado de Mendo^a als Erben
^) Nach dem Erlöschen der unechten Burgundischen Linie fiel im Jahre 1580
Portugal an Spanien, um 60 Jahre später (1. December 1640) wieder selbstan^
dig zu werden.
380 ^^^ Assiedelungeu der Europäer auf Java.
der Portugiesen deren Colonien in Besitz nehmen wollten, befanden
sich in Bantam bereits vier Factoreien, und es gelang Wolphert
Haimensz (am 24. December 1601), die starke und weit überlegene
Flotte der Spanier zum Bückzug zu zwingen, auf der Bhede yon
Bantam fünf Schiffe mit Gewürzen und Pfeffer toII zu laden und
nach Europa zu senden, während der Admiral van Heemskerck in
Demak einen Theil se^er Bemannung verlor und in Djaratan ^) die
erste holländische Factory im Osten der Insel errichtete (1602).
Um diese Zeit errichteten auch die Engländer (December 1602)
eine Factory in Bantam (unt^r Capitän James Lancaster), und zwar
in demselben Jahre, als die ostindische Compagnie (20. März 1602)
den Grundstein zu der colonialen Besitzung Hollands gelegt hatte.
Schon 1603 (29. April) konnte Wybrand van Warwyck in Bantam und
Gris^ mitten in den Städten Bantam und Gris6 steinerne Ge-
bäude zur Errichtung der Factory erhalten, während dieses vor
dieser Zeit höchstens am Ufer des Meeres erlaubt gewesen war.
En mangeant vient l'appetit. Die Engländer kamen schon im nach-
sten Jahre (1604) mit zahlreichen Schiffen, und wenn auch anfangs
diese zwei Seemächte sich freundschaftlich veitrugen, blieb die
Bivalität nicht aus, und im Jahre 1605 kam es zwischen beiden
zu einem blutigen Gefecht. Auch mit Spanien machte sich die
grösste Bivalität geltend, so dass sich die Compagnie endlich zu einem
weitgreifenden Schritte entschloss. Am 30. Januar 1610 verliess
Pieter Both mit acht Schiffen Texel, kam 10 ^/s Monate später nach
Bantam (19. December), besuchte sofort Jakatra, ') wo er eine Fac-
tory errichtete, welche jedoch nach seiner Abreise ausgeplündert und
verbrannt wurde. Als er (October 1613 «) von seiner Reise nach
den Molukken zurückkam und diesen traurigen Zustand erfuhr, er-
nannte er Jan Pieterszoon Koen zum Director der beiden Facto-
reien Bantam und Jakatra. Dieser benutzte die Rivalität der beiden
Höfe von Bantam und Jakatra, um offensiv gegen Bantam und
die Engländer aufzutreten, welche ebenfalls in Jakatra, und zwar
am linken Ufer der Tji'I^iv^^? ^^^^ Factory errichtet hatten. Als
') In der Nähe des heutigen Surabaya.
') Das heutige Batavia.
') Im September war er nach Gris^ gekommen, wo seit 1602 eine nieder-
ländische Factory bestanden hatte und kurz vor seiner Ankunft von Seda Krapjak
zugleich mit den Städten Gris^ und Djaratan .verwüstet wurde, und stiftete
hierauf in Djapara eine Loge (Mai 1615).
Die Ansiedelungen der Europäer auf Java. 381
die Factoiy yon Djapara ausgeplündert und am folgenden Tage
selbst das Grebäude zu Jakatra überfallen wurde, entschloss sich
endlich Koen zu radicalen Schritten und begann am 22. October 1618
ein Fort in Jakatra zu bauen. Schon am 8. December 1618 er-
schien eine grosse Flotte der Engländer yor Bantam, bemächtigte
sich des reich beladenen Schiffes »De zwarte Leeuw« und zog dann
weiter nach Jakatra, wo sie Batterien aufvarfen. Diese wurden je-
doch schon am 23. von Koen angegriffen und zerstört. Zu einem
unentschiedenen Treffen kam es am 2. Januar 1619, worauf Koen
nach den Molukken eilte, um eine hinreichend starke Flotte zu erhalten,
und zugleich van den Broek beauftragte, das neue Fort zu yerstärken
und sich auf die Defensiye gegen die Engländer und Jayanen zu
beschränken. Dieser liess sich aber durch die Jayanen in die Falle
locken, und sein Vertreter im Fort, Pieter yan Baey, capitulirte yor
den Engländern und Jakatraem. In dieser Noth kam unerwartet
Hülfe yon — Bantam, welche den • Engländern und Jakatraem das
Becht absprach, sich mit den Holländern zu bemühen. Die darauf
entstandene Verhandlung zog sich in die Länge, bis im Mai (1619)
Koen mit 16 Schiffen yor Jakatra erschien, die Jayanen aus ihren
Bollwerken yertrieb und Batayia, welcher Name am 12. März
yan Baey dem ganzen Fort, d. h. den yier Bastions Holland, West-
Friesland, Zeeland und 6elderland, gegeben wurde, als den Mittel-
punkt des niederländischen Handels in Indien erklärte. Bantam
widersetzte sich noch einige Monate dieser definitiyen Ansiedelung
der Holländer in Batayia, ohne nicht einmal die Uebersiedelung
seiner eigenen Unterthanen (Chinesen und Bantamer) yerhindem zu
können. Mataram erklärte hierauf die Niederländer zu seinen »Un-
terthanen c und glaubte ihnen gegenüber dieselben despotischen Ge-
bräuche wie gegen die Eingeborenen üben zu können. 'Aber schon
1622 änderte der Fanembahan seine Politik und bat die Nieder-
länder um Hülfe, Bantam zu unterwerfen. Koen fürchtete, dass nach
Bantam Batayia an die Reihe kommen sollte, imd gab seiner Ge-
sandtschaft unter Dr. de Haan den Auftrag, diesbezüglich in Ma-
taram die nöthige Vorsicht zu üben. Durch die Eroberung yon
Sukadana auf Bomeo und yon der Insel Madura war der Fürst yon
Mataram Herr yon beinahe ganz Jaya geworden und yerlangte auch
yon dem Gesandten Vos,^) die Souzeränität Matarams anzuerkennen.
des Qouyemear-General de Carpentier, Nachfolgers yon Koen.
382 ^i® Ansiedelungen der Europäer auf Java.
Als im August 1626 eine Gesi^ndtschaft nach Mataram abging, wurde
sie in Karta nicht zugelassen, weil »die Geschenke zu unansehnlich
waren und die Regierung in ihrem Briefe den Susuhunan nicht hoch
genug betitelt und sich selbst nicht genug erniedrigt hatte <J)
Unterdessen hatten die Engländer mit den Niederländern 1619
einen Contract geschlossen, dem zufolge sie gemeinsam in Bantam
unter einem »Bath Yon Vertheidigung« die gegenseitigen Handels-
ifiteressen schützen sollten. Dieser Vertrag zwischen Hund und
Katze dauerte nur bis 1628, in welchem Jahre sie den Handel in
Bantam ganz allein in ihre Hände bekamen, um jedoch schon 1684
Tor der Energie Hollands weichen zu müssen.
Im Jahre 1627 kam Koen zum zweiten Male als Gouremear-
General nach Batavia, und hatte bald gegen einzelne Scharen you
Bantamem Batavia und sein Leben zu vertheidigen und auch einen
UeberfaU Yon Mataram (22. August 1628) zurückzuschlagen; ein
zweiter Ueberfall (September 1629) endigte ebenso glücklich für die
Niederländer, obzwar Koen selbst ein Opfer der Cholera wurde. Jacques
Specx wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Da die Regierung in
Holland immer und immer wieder die indische Regierung ermahnte,
mit Bantam und Mataram in Freundschaft zu leben, wurde der Regent
von Djapara als Vermittler zwischen der Compagnie und dem
Sultan Ageng (= der Grosse), welchen Titel er von einem ara-
bischen Scheik aus Mekka erhalten hatte, gewählt, und eine hollän-
dische Gesandtschaft, aus 25 Mann bestehend, brachte zahlreiche
Geschenke nach Djapara. Sie wurden jedoch mit ihren Geschenken
Ton dem Regenten selbst gefangen genommen. Da nebstdem Sultan
Ageng zahlreiche Räuberbanden nach Batavia sandte, so wollte
G.-G. Brouwer, der Nachfolger von Specx, die Macht des Sultans
auf indirecte Weise schwächen und schickte (1633) nach der Insel
Bali eine Gesandtschaift, um den Fürsten gegen seinen Erbfeind von
Mataram aufzuhetzen. Da dies nicht gelang, so entschlossen sie sich
zu dem erniedrigenden Vorgang (October 1634), eine Gesandtschaft
an den Sultan zu senden und einen jährlichen Tribut zu zahlen,
»weil die Niederländer auf seinem Lande sich angesiedelt hatten«. a)
Der Sultan stellte jedoch unerreichbare Forderungen und Antonie
») Veth, Seite 872.
») Veth, Seite 886.
Die Ansiedelungen der Europäer auf Java. 383
yan Diemen i) gab sich Mühe, wieder mit Bantam auf guten Fuss
zu gelangen, dessen Fürst ebenfalls aus Mekka eine heilige Fahne
und den Titel Abu'l, Mofachir Mohamed Abdul Kadir erhielt. Da-
durch stieg die Biyalität mit dem Sultan Ageng, und nachdem 1639
die Niederlander ein Schutz- und Trutzbündniss mit dem Sultan
Yon Bantam geschlossen hatten, entfaltete er die heilige Fahne zum
Kriege gegen alle Ungläubigen. Obwohl um diese Zeit (1641)
die Niederländer ihren alten Bivalen, den Portugiesen, auf welche
Sultan Ageng seine ganze Hoffnung gründete, mit ihrer Hülfe die
Niederländer von Java zu yertreiben, auf Malacca eine solche Nie-
derlage beibrachten, dass sie gezwungen waren, diese Colonien auf-
zugeben, so wurde ihre Lage doch nicht yerbessert, weil wieder die
Engländer auf dem Kriegsschauplatze erschienen (1642), indem die
Factory yon Bantam eine Gesandtschaft an den Fürsten yon Ma-
taram schickte, zu dem Zwecke, die Insel Banka zu erwerben. Einen
directen Angriff auf Batayia erlebte Sultan Ageng nicht mehr, und
nach 33jähriger Regierung (1645) starb er und wurde zu Imagiri
begraben, wo sein Ghrab noch heute yon den Jayanen als Heilig-
thum yerehrt wird.
Nach dessen Tode gelang es endlich dem G.-G. Cornelis yan
der Lijn mit dessen Nachfolger, Amangku-Rat, im Jahre 1647 Frie-
den zu schliessen.
Auch in Bantam war der alte Sultan 1661 gestorben, und sein
Enkel und Nachfolger, Sultan Ageng Tirtajasa, auch Abu'l Fath,
Abdu'l fattah genannt, nahm sofort nach seiner Thronbesteigung die
alte feindliche Haltung wieder an; nicht allein, dass er zahlreiche
Räuberbanden nach Batayia schickte, er griff selbst zwei Schiffe der
Compagnie an, kurz, alle Mittel des Guerillakrieges wendete er an,
so dass im Jahre 1656 die Vertreter der Compagnie sich flüchten
mussten. Die Engländer und Dänen unterstützten den Sultan
in seinem Widerstände gegen die Holländer; sie gingen zum An-
griffe über, obwohl eine englische Flotte aus Europa erschien, mit
einem Briefe der Nied. O. I. Compagnie, in welchem ein Bündniss
und Frieden mit den Engländern gefordert wurde. Die Nieder-
länder schlössen also mit Bantam Frieden (1664), ohne jedoch be-
deutende Vortheile damit zu erzielen. Auch in Mataram spielte die
^) G.-6. Brouwer wurde wegen des Misserfolges dieser Gesandtschaft
abberufen.
384 ^^ AnBiedelungen der Europäer auf Java.
Co]iq)agnie in dieser Zeit keine würdige Rolle. Obwohl Amangka
Bat wie ein javanischer Nero seinen Tyrannengellisten freie Zügel
schiessen liess, so huldigte die Compagnie ihm doch in auffallender
Weise, indem sie jedes Jahr eine Gesandtschaft an seinen Hof
schickte, welche ihm jedesmal die bedeutendste Erfindung Europas
als Geschenk brachte.
Unterdessen hatten die Makassaren yon den Molukken durch
ihre Baubzüge die ganze Nordküste Javas geplündert und 1671
in Bantam günstige Aufnahme gefunden, weil der Sultan hoffte, mit
ihrer Hülfe seine beiden Bivalen, den Fürsten von Mataram und die
Holländer, demüthigen zu können.
Capitän Holsteyn's unglücklicher Feldzug veranlasste die Com-
pagnie, den Major Poleman (1676) mit SOO Mann nach dem Osten Javas
zu schicken,, wohin sich die Makassaren zurückgezogen hatten, nach-
dem sie Bantam wegen Ermordung des Sohnes ihres Häuptlings
Kraeng Montemarano verlassen hatten. Poleman eroberte alle Boll-
werke der Makassaren, so dass sie sich ins Innere des Landes
flüchten mussten. Das Heer des Sultans von Mataram unter Com-
mando von Pangeran Adipati Anom war jedoch nicht im Stande,
trotzdem sie ungefähr 60000 Mann stark waren, die vereinigten
Maduresen und Makassaren aufzuhalten, die ganze Küste von Ost-
Java fiel wieder in die Hände der Maduresen, der Bundesgenossen
der Makassaren (bis auf das niederländische Fort Djapara). Der
Bath von Indien, Comelis Speelman, eilte dieser Factory zu Hülfe,
imd zwar mit 300 europäischen und 400 eingeborenen Soldaten, und
auf seinem Zuge verhandelte er mit dem Sultan von Mataram über
die Entschädigung, welche ihm für diese Hülfeleistung geleistet
werden sollte. Der Gesandte Couper brachte am 28. März 1677
ein solch trauriges Bild von den Zuständen in der Hauptstadt imd
besonders über die innere Zerfahrenheit und die Streitigkeiten der
vier Söhne des Sultans an Speelman, dass er beschloss, den Kampf mit
Truna Djaja, dem Anführer der Maduresen, aufzunehmen. Nach
einigen vergeblichen Versuchen, die Javanen für den Susuhunan zu
gewinnen, eroberte er das Fort des Truna Djaja und schlug seine
Truppen in die Flucht, ging dann selbst nach Madura, wo er nur
unter grossen Opfern Arisbaja eroberte, und wandte sich dann
wieder nach Java, um dem Sultan von Mataram ausgiebige Hülfe
gegen die aufständischen benachbarten Provinzen zu bringen. Ma-
taram erfahr dadurch nur mehr Schaden als Nutzen. Durch das
Die Aosiedelusgen der Europäer auf Java. 3g5
Bündniss mit den Holländern gingen Samarang, Kudu, Paü, Demak
zu Truna Dj^ja, dem Vertheidiger des heiligen Glaubens über, und
yon dem Sultan, als dem Freund der Kafirs, fielen selbst seine
nächsten Verwandten ab, so dass er flüchten musste, bis er endlich
bei seinem ältesten Sohne Pangeran Adipat Anom in Bageleen Asyl
und Hülfe fand. Truna Djaja hatte nämlich durch seinen Feldherrn
Mangku Inda die Hauptstadt Mataram erobert und sich den Harem,
die Pferde, Elephanten, Schatz -Kisten, die B.eichsinsignien und
die Kanone Satomi nach Kediri bringen lassen. Der Nachfolger
Amangku Bat II. hatte trotz der grossen Bedrängnisse von Seiten
seiner Vasallen keine anderen Sorgen als die Liebe, während Speel-
man sich alle Mühe gab, das Beich Mataram nicht untergehen zu
lassen, um in seinem Fürsten einen untergebenen Vasallen in Java zu
besitzen; nebstdem hatte er dem Sultan bereits 310000 Bealen
(1 B. = 2^3 fl*} vorgeschossen. Der Susuhunan verpflichtete sich also
(19. October 1677), alle Häfen der Nordküste, von Krawang ange-
fangen bis an den äussersten Osten, dafür der üompagnie als Pfand
zu geben, und erweiterte den factischen Besitz der Compagnie bis
an den Fluss Pamanukan im Osten und an den grossen indischen
Ocean im Süden. Nebstdem erhielt sie das alleinige Becht von
Einfahr der persischen Teppiche und Verkauf von allem Zucker in
den Ländern Djapara, Demak, Grobogan, Pati, Djewana und Kudus.
Im Jahre 1678 erhielt Speelman nebstdem das Gebiet der Stadt
Samarang und Umgebung. Leider wurde durch den Tod des Gouver-
neur-General Maessuyker (4. Januar 1678) Speelman von der
definitiven Ausführung seiner grossen Pläne abgehalten; er wurde
nämlich »zum Directeur-General von dem Handel« ernannt und
musste das Commando an den Hauptmann de St. Martin übergeben.
Antonie Hurdt, welcher auf seiner Bückreise von den Molukken
in Djapara gelandet war, um sich von dem politischen Zustande von
Mittel-Java zu überzeugen, wurde als Civil-Commissar mit de St. Mar-
tin als Militär-Commandant nach Ost-Java gesendet, um für das
Beich von Mataram zu kämpfen, weil Bantam erst dessen Unter-
gang und danach den von Batavia beschlossen hatte. Nach zahl-
reichen kleinen Gefechten und langen Märschen im Innern des Lan-
des, das den Europäern noch ganz unbekannt war, gelang es Hurdt,
wenn auch mit grossen Verlusten, Kediri zu erobern, die alte Königs-
krone von Ma4jopahit und die Beichsinsignien in die Hände zu be-
kommen und sie dem Fürsten auf den Kopf zu setzen. Die anderen
Br«itenit»in, 21 Jahn in Indien IL 26
386 ^^0 Ansiedelungen der Europäer auf Java.
feindlichen Truppen der Makassaren und Maduresen gaben den Hol*
ländem noch viel zu thun, bis endlich Truna Djoja (27. Decem-
ber 1679) gefangen genommen und von dem Sultan selbst gekrist^)
wurde. Die javanische Helena, Batu Blitar, um deren Besitz der
Sultan Yon Mataram alle seine Ejiegszüge unternommen hatte^ wurde
▼on dem Sultan von Bantam au ihn ausgeliefert, mit dem guten
Bath, ihren Liebhaber auf das Verächtliche seiner Stellung als
Freund der Kafirs immer und immer hinzuweisen. Dennoch fiel
schon 1680 Oheribon in die Macht der Gompagnie, und nach
einem Vertrag vom 4. Januar 1681 diese Provinz unter den-
selben Bedingungen wie Mataram unter die Suzeränität der Com-
pagnie. In Bantam hatte der Kronprinz auf Bath französischer
und englischer Freunde eine Pilgerfahrt nach Mekka (und nach
der Türkei) unternommen und wurde bei seiner ZurUckkunft als
Sultan Hadji von seinem Vater zum Mitregenten eingesetzt. Bald
trachtete er, seinen Vater zur Seite zu schieben, und zwar mit
Hülfe des Jacob de Boy, welcher ein desertirter Soldat und Brot-
bäcker der Compagnie gewesen war, und ihm rieth, die Hülfe der
Compagnie anzurufen, als ihn sein Vater Sultan Ageng bei Sura-
sowan belagerte. Bei Tangeran kam es zur entscheidenden Schlacht,
und in der ersten Aufwallung seiner Freude wollte Sultan Hadji alle
Freunde seines Vaters, die Engländer, Dänen, Franzosen und Por-
tugiesen, aus Bantam vertreiben. Der alte Sultan flüchtete sich nach
dem Süden der Provinz (Lebak) und ergab sich freiwillig (1683),
nachdem er sein Lustschloss Tirtajasa in der Nacht vom 28. zum
29. December 1682 in die Luft hatte fliegen lassen. Speelman starb
1684, und sein Nachfolger, der Gouverneur-General Camphuis, schloss
am 17. April 1684 mit Sultan Hadji einen Vertrag, demzufolge er
mit 600000 Byksdaalers seine Schuld an die Compagnie anerkannte
und dafür das alleinige Becht der Ausfuhr von Pfeffer und Einfuhr
von persischen Teppichen für Bantam und seine sumatranische Be-
sitzung an die Compagnie gab. Alle diese Contracte wurden natür-
lich so oft als möglich — gebrochen; selbst der Sultan von Mataram
trachtete in dem Aufstande des früheren Sträflings Suropatti das
Joch der Niederländer abzuschütteln. Dabei hatten diese viele
tausend Soldaten und so manche treffliche Führer, wie Tak, van
Vlieth u. s. w. verloren, aber zuletzt musste der Sultan (1689)
sich wieder unterwerfen; dabei wurde Cheribon nach europäischem
= mit dem Kris (= Dolch) erstochen wurde.
Die ADsiedelungen der Europäer auf Java. 387
Modell organisirt und die Preanger (1698) verpäichtet, gegen fest-
gesetzte Preise inländische Gewebe, Pfeffer, Indigo, Wachs, Vogel-
nester, Zimmt und Perlen zu liefern. »Alle Preanger-Menschen
seien Unterthanen der Compagnie und dürfen weder untereinander
kämpfen noch das Land sich abnehmen, es sei denn auf Befehl des
Oouvemeur-Greneral. c
Suropatti fuhr indessen fort, sowohl seinem westlichen Nachbar,
dem Sultan von Mataram, als seinem östlichen, dem Susuhunan tou
Balambangan, lästig zu fallen, und Beide wandten sich um Hülfe an
die Compagnie. Die Bitte des Sultans Ton Mataram, dessen Re-
sidenz seit den Tagen von Truna Djiga Kartasura war, musste un-
berücksichtigt bleiben, weil er nicht einmal seine alte Schuld bezahlt
hatte, welche auf 1 200000 Reals angewachsen war, und als Amangku
Rat starb, entstanden in seiner Familie so viel Streitigkeiten, dass
die Regierung factisch nicht wusste, wer der eigentliche Sultan war.
Pangeran Puger, der Bruder des alten Sultans, blieb mit Hülfe
der Compagnie Sieger, wofür er die ganze Provinz Preanger, Cheri-
bon und die östliche Hälfte von Madura zu einem Vasallenstaate
der N. Regierung erklärte (5. October 1706).
Bei Suropatti befand sich auch Sunan Mas, der firühere Kron-
prätendent von Mataram, und leitete den Widerstand gegen die Hol-
länder am Ende des Jahres 1706. Suropatti wurde in seinem eigenen
Lande angegriffen. Der Feldzug hatte nur den einen Erfolg, dass
Suropatti bei Banggil verwundet wurde und kurz darauf in Pasaruan
starb. Ln nächsten Jahre jedoch gelang es dem Commandanten
de Wilde, dem Reiche des Suropatti ein unrühmliches Ende zu be-
reiten und die Regenten von Madjakerto, Wirasaba, Kediri und Ma-
diun an Paku Buwana zu unterwerfen. Seine Söhne fanden jedoch
ein Asyl in Balambangan, von wo aus sie ihre Raubzüge fortsetzten,
bis im Jahre 1712 die Holländer dagegen energisch auftraten.
Ln Jahre 1709 sollte eine Conferenz aller Fürsten von Java
und Madura in Kartasura zusammenkommen, in welcher der Susu-
hunan mit dem Vertreter der Compagnie, dem Commandanten EjioI,
feststellen sollte, welche Landesproducte i) und zu welchem Preise
diese von jedem einzelnen Häuptling an die Compagnie jährlich ge-
liefert werden sollten; der Dipati von Surabaja — Djageng Rana —
^) Im Jahre 1696 wurden von Adriaan van Ommen, Commandeur von Ma-
labar, die ersten Kaffeebäumchen nach Java gesendet, und im Jahre 1712 kam
die erste Ladung Javakaffee, 894 Pfiind schwer, in Holland auf den Markt.
26*
3gg Die Ansiedelungen der Europäer auf Java.
wurde bei dieser Conferenz heimtückisch Tom Sultan unter Mit-
wiBsen von dem Commandanten Knol ermordet und sein Reich unter
zwei seiner drei Söhne getheilt, während der dritte Regent Ton La-
monga wurde. Auch sie verpflichteten sich zu dem verlangten Tribut
an die Compagnie und zur Anerkennung des Sultans von Mataram
als ihres Herrschers, aber — sofort nach ihrer Abreise verbanden
sie sich mit den Söhnen Suropattis. In einem der zahlreichen Kriege
der nächsten Jahre fand die Compagnie Anlass, in Kartasura, der
neuen Hauptstadt des Reiches von Mataram, eine starke Festung
zu bauen, und im Jahre 1723 erfolgte die Uebergabe der ange-
sehensten Häupter des Aufstandes, und der Krieg fand ein befirie-
digendes Ende.
Gleichzeitig wurde eine Revolution in Batavia selbst entdeckt
und deren Rädelsführer, Pieter Erberveid, mit 49 Theilnehmem auf
die grausamste Weise ermordet.
Von Bantam bekam die Compagnie im Jahre 1731 die Insel
Pandjang, welche vor dem Bantambusen lag.
Bald sollten die Sultanate Mataram und Bantam von dem Erdboden
verschwinden. Den Anlass zum Untergang des Reiches Mataram gab
der Aufruhr der Chinesen in Batavia, welcher beinahe mit gänz-
licher Vernichtung der chinesischen Bevölkerung in Batavia endete.
Während der Susuhunan dem Gesandten der Regierung alle
mögliche Hülfe versprach, gab der neuemannte Reichsverweser Nata
Kusumo den chinesischen Häuptlingen seines Reiches die Versiche-
rung, dass ihnen die Städte der Küste abgetreten und alle Handels-
vorrechte zugetheilt werden sollten, welche die Compagnie dem Reiche
Mataram abgerungen hatte — wenn sie die Holländer vertreiben
würden. Die Chinesen hatten an der Nordküste bedeutende Erobe-
rungen gemacht, selbst bis nach Surabaja, sodass der Susuhunan
von Kartasura endlich öffentlich ihre Partei ergriff und zunächst
die europäischen Soldaten seines Forts entweder ermorden liess oder
zum Uebertritt zum Islam zwang und als Sclaven verkaufte (20. Juli
1741). Der Regierung gelang es jedoch schon im November des-
selben Jahres, die Nordküste zurückzugewinnen, und Paku Buwana
— kroch zu Kreuze. Nebstdem wurde ein Gegensultan ernannt,
und zwar ein Enkel des nach Ceylon verbannten Sunan Mas; Mas
Garendi, mit seinem Königsnamen Sunan Kuning, konnte sich je-
doch nicht lange seines Thrones erfreuen; seine Anhänger, Chinesen
und Javaiien, wurden geschlagen, der Anführer der Chinesen, Tai-
Die Ansiedelungen der Europäer auf Jara. 389
Wan-Sui, flüchtete sich nach Bali^ und Sunan Kuning übergab sich
am 3. October 1743 in Surabaja den Beamten der Compagnie,
wurde nach Ceylon verbannt und Paku Buwana bestieg den Thron
wieder, was er jedoch mit Aufgabe seiner Selbständigkeit bezahlen
musste. unter anderm musste er in Zukunft die Wahl eines Beichs-
Verwesers und aller Regenten von der Zustimmung der Compagnie
abhängig sein lassen, und bei etwaigen strittigen Fragen musste
dem Befehl der Compagnie mehr als dem des Susuhunan gehorcht
werden.
Der damalige Gouverneur-General van Imhoff bereiste die Pre-
anger, gründete das heutige Buitenzorg, sorgte für Colonisation von
Tji Sounas und hinreichende Bebauung des Landes. Nach dem
Ende des Krieges besuchte er die Ostküste Javas, durchzog das
Innere Javas nach allen Bichtungen und erstattete einen ausfuhr-
liehen Bericht nach Holland, der leider niemals in die Oeffentlich-
keit gelangte.
Die zahlreichen Prätendenten in Mataram veranlassten den Sul-
tan Paku Buwana, am 11. December 1749 auf seinem Todtenbette
dem anwesenden Hohendorff das Reich feierlich zu übergeben und
der Compagnie die Wahl eines Thronfolgers zu überlassen.
Hohendorff ernannte den Kronprinzen zum Thronfolger, obzwar
sein Vater ihn eines Liebesverhältnisses mit einer seiner Gundiks be-
schuldigt hatte, und obwohl er augenleidend ') war. Natürlich blieb ein
Gegensultan nicht aus, und zwar in der Person seines Onkels Mangku
Bumi, welcher sich im Palaste zu Djocja krönen liess. In dem
darauf folgenden Erbfolgekriege kämpften die Holländer mit ab-
wechselndem Glücke, selbst dann noch, als wiederum die Maduresen
ihre gefürchteten Banden der Compagnie zu Hülfe sandten, und als
selbst die Streitmacht des Mangku Bumi durch Zwist mit seinem
Schwiegersohn Mas Said von Surabaja geschwächt wurde. Der neue
Gouverneur-General Mossel wählte zwischen Mas Said, welcher 2>ganz
Java«, und Mangku Bumi, welcher »halb Java« als Preis der Ver-
söhnung mit der Compagnie forderte, nicht lange. Er verhandelte
mit den bescheideneren Ansprüchen des Mangku Bumi und veran-
lasste (1755) den Susuhunan, sein Reich mit seinem Onkel zu theilen.
Beide wurden Lehnsfürsten der Compagnie und zugleich die Ahn-
') Nach mohamedanischer Anschauung muss der Sultan frei von körper-
lichen Gebrechen sein.
390 ^^ AnnedeluDgen der Europaer auf Java.
herren der noch heute bestehenden Kaiserreiche auf Jaya. Paka
Buwana III. behielt in Solo seine Besidenz, während Mangku Bund
Djocja oder nach der damaligeji Schreibweise Jogjakarta zur Re-
sidenz seines neuen Reiches machte. Auch sein Schwiegersohn Ma&
Said wurde in Ghiaden aufgenommen und erhielt von dem Susuhunan
Ton Solo im südlichen Gebirge ein kleines Beich als Lehn.
Da beinahe gleichzeitig auch in Bantam ein Erbfolgekrieg aus-
gebrochen war, und zwar nach dem Tode des Sultans Zeinu'l-Ariftn,.
und erst im Jahre 1752 endigte, hatte die Compagnie einen schwie-
rigen Standpunkt. Aber auch hier siegte ihr Princip: Divido et
impera. Denn der Kronprinz bestieg zwar als Sultan Abu'n Natsr-
Mohamed Araf Zeinu'l Asjekin den Thron seiner Voryäter, aber auch
nur als Lehnsfürst der Compagnie.
Der östliche Theil Yon Jaya war schon 1743 an die Compagnie
abgetreten und hatte allerdings in den zahlreichen Erbfolgekriegen
der Nachbarn yiel zu leiden; auch als die englische ostindische
Compagnie mit Hülfe der Balinesen und Chinesen in Balambangan
Opium einführen wollte, und ein Aufstand in diesem Vasallenstaat
yon Bali 1767 ausbrach, gelang es den Holländern, ihn bald zu
unterdrücken und selbst die letzten Nachkommen des gefürchteten
Suropatti zu tödten. Da diese Theile des Landes durch die zahl-
reichen Kriege erschöpft waren, yeranlasste die Compagnie eine
grosse Colonisation yon Madura aus und setzte Mas Alit als Begenten
ein, der als Balinese dem Hinduglauben ei^eben war.
Am Ende des yorigen Jahrhunderts machte sich eine bedenk-
liche Schwäche der Compagnie fühl- und bemerkbar, und es kostete
ihr z. B. schon grosse Anstrengung, bei dem Tode des Sultans
yon Djocja (1792) die Prinzen des Susuhunan yon Solo und
die Verwandten des Sultans selbst yon einem neuen Erbfolgekrieg
abzuhalten und den ältesten Sohn der Sultanin am 2. April als
Stdtan, und seineu Sohn Mangku Bund als Thronfolger zu ernennen.
Auch in Solo regelte yan Oyerstraten die Thronfolge. In Bantam
gelang es ihr auch 1778, die Suzeränität über Sukadana an der
Westküste Bomeos abgetreten und yon den Lampongs (Südküste
yon Sumatra) noch mehr Pfeffer zu erhalten, als yon Bantam selbst.
Aber mit jedem Jahre wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts die
eingelieferte Quantität kleiner. Während im Jahre 1724 die Com-
pagnie 19000 Bahars (= Ballen k 7 — 8 spanische Dollars) yon
Bantam und seinen Vasallenstaaten erhielt, war im Jahre 1796 dieses
Die AnsiedelaDgeti der Europäer auf Java. 39 1
Quantom auf 400 gesunken. Leider waren die ganz unrichtigen
Anschauungen der Handelspolitik von Seiten der europäischen Be-
amten mehr als der Unwillen der Bevölkerung daran Schuld. Die-
selben schlechten Erfolge mit dem Kaffee und der Cultur des Indigo
und des Zuckers waren die Folgen einer kurzsichtigen und egoisti-
schen Handelspolitik, bei welcher natürlich die Beamten der Com-
pagnie auch ihre Priyatkasse nicht vergassen. Dies zeigt uns deut-
lich die Provinz Cheribon, welche anfilnglich vier, im Jahre 1773
nur zwei Fürsten hatte und zwar Sultan Sepüh und Sultan Anom.
Die Kronstreitigkeiten haben wie alle übrigen Staaten von Indien
sehr bald ganz Cheribon zu einem Vasallenstaat der Compagnie
gemacht, in welchem der Resident — der Tyrann wurde, dem
Cheribon eine Goldgrube wurde. Nach Veth') lieferte sie jährlich:
1000 Kojang (= 1 Kojang = 1729 Kilo^) Reis, 500000 Pfund
Zucker, 20000 Pfd. Wolle, 6—8000 Pfd. Indigo, 14—18000 Pikols
Kaffee, Pfeffer, Zimmt, Cocosöl, Fisolen, Ba^t, 2000 Balken, 80000
grosse und 40000 kleine Dauben; der Hafenzoll betrug 16 — 20000
Kyksdaalers. Die Einkünfte des Residenten waren: 80 fl. monatlicher
Gehalt, 1500 Ryksdaalers (= 2'/a fl.) von dem chinesischen Fabri-
kanten der bleiernen Scheidemünzen (pitjis), 2000 Ryksdaalers von
den Pächtern der Pässe, 10000 Ryksdaalers aus den Holzlieferungen,
12000 von dem Opium, Salz und Metalleinfuhr, 8000 von dem Ex-
port des Zuckers, 7000 von dem Reis, 9000 von den übrigen Zöllen
des Hafens, von dem an die Compagnie gelieferten Kaffee 64000.
Solche Einkünfte eines einzigen Beamten waren ein Symptom des
unvermeidlichen Unterganges der Gesellschaft; denn sie waren nicht
vereinzelt und zeigten den niederen Beamten den Weg, sich auf
Kosten des kleinen Mannes zu bereichem. Die Einkünfte des Gou-
verneurs der Nordküste, der in Samarang seine Residenz hatte,
waren ja beinahe zweimal so gross, als die Einkünfte der Residenz
von Cheribon. Er hatte zwar nur einen Gehalt von 200 fl. pro Monat,
aber allein aus dem Handel mit Vogelnestern s) fielen in die Tasche
dieses Beamten 100000 fl.!! Die Inseln Madura und Bavean wie-
1) Veth, Seite 226.
^) Ein Kojang Reis in Batavia = 1667*555 Kilogramm.
yf n n n Samarang = 1729*316 „
„ „ „ „ Surabaya = 1852*839 „
3) Von Hirundo esculenta; als Aphrodisiaca sind sie noch heute bei den
Cliinesen ein beliebter Handelsartikel.
392 ^ie Ansiedelungen der Europäer auf Java.
derom waren für den GouTerneur der Nordostküste eine ausgiebige
Milchkuh, weil bei den yielfachen Thronstreitigkeiten die Ghinst
dieses Q-ouvemeurs endgiitig in die Waagschale fiel, und diese
Gunst theuer erkauft werden musste. Die Robotdienste und das Aus-
saugesystem der einheimischen Fürsten, welche noch heutzutage der
indischen Regierung sehr viele Sorge bereiten, wurden schon durch
van Overstraten vor 100 Jahren bekämpft, und Samarang, wo dies
dem Gouverneur besonders gelang, blühte in so hohem Maasse, dass
er selbst aus hygienischer Bücksicht der üebervölkerung entgegen-
treten musste, während die östlichsten Provinzen (bis Balambangan)
nicht nur ein Auswandern der Bevölkerung sahen, sondern auch zum
Aufstand gezwungen wurden. Auch »Batavia en Onderhoorighedenc
zeigte einen bedeutenden Niedergang, weil die Regierung den Land-
bau aller Naturproducte von einem falschen Standpunkte regelte.
Im Jahre 1710 hatten z. B. die »Ommelanden« 131 Zuckermühlen,
jede durfte nicht mehr als 300 Pikols bearbeiten. Als nach dem
Aufstaude der Chinesen noch 52 Mühlen anwesend waren, gebot
sie in der Furcht, dass zu viel Zucker fabricirt werde und der Preis
zu tief sinken würde, dass die Zahl von 70, und im Jahre 1750
die Zahl von 80 nicht überschritten werde. Im Jahre 1796^) waren
nur noch 40 in Thätigkeit.
Es würde das Ziel dieser kurzen Geschichte der europäischen
Ansiedelungen überschreiten, wenn ich ein Bild der Unterdrückungen
entrollen würde, welche der »kleine Manne durch seine Fürsten
mit Wissen und Willen der Beamten der Compagnie zu erleiden
hatte. Aber erinnern muss ich daran, weil der Verfall der Com-
pagnie darin seine Begründung hatte. Ja noch mehr; sie zahlte
ihren Beamten so kleine Gehälter, dass sie sich nach anderen Ein-
künften umsehen mussten. Es war also der Geiz der Compagnie
die Ursache ihres Falles.
Das Privilegium endigte 1774, wurde auf zwei Jahre verlängert
und dann wieder auf zwanzig Zahre, also bis zum Jahre 1796 er-
streckt. Die französische Revolution mit dem Ejiege gegen Eng-
land brachte eine englische Flotte nach Batavia, welche die Stadt
vom 23. August bis 12. November 1800 blockirte und die Waaren
der Compagnie auf der Insel Onrust in Brand steckte. Nebstdem
^) Im Jahre 1893 wurden um 71048*605 Gulden und im Quinquennium
1889—1893 315750000, 367785000, 463560000, 425367000 mid 507490000
Kilo Zucker exportirt.
Die Ansiedelungen der Bnropäer auf Javm. 393
wurden Ton der holländischen Regierung zahlreiche Commissionen
nach Jaya zur Untersuchung der herrschenden Verhältnisse geschickt,
und im Jahre 1800 nahm der Staat alle Colonien, welche sich nicht
in den Händen der Engländer befanden, in eigene Verwaltung.
Die Wogen der sturmbewegten Politik, welche im Anfange des
19. Jahrhunderts Europa in seinen Grundmauern zu erschüttern
drohten, brachen sich nicht an der Küste Javas. Schon im August
desselben Jahres mussten die »Schutters« von Batayia ihre Heimath
gegen 5 englische Kriegsschiffe yertheidigen, und im November 1806
wurde die ganze holländische Flotte, welche aus 8 Kriegs- und
20 Handelsschiffen bestand, von den Engländern erobert (nebstdem
war im Jahre 1802 ein Aufruhr in Cheribon [Nord-Java] unter-
drückt worden). Im Jahre 1808 hat der ebenso energische als
itutokrate General Daendels, kaum in Indien angekommen, den bei-
den Süzeränen Staaten Djocja und Solo die Ueberlegenheit der hol-
ländischen Regierung fühlen lassen und das Reich Bantam (am
22. November 1808) dem holländischen Reiche einverleibt, den alten
Sultan nach Surabaja verbannt, seinen Sohn als besoldeten Sultan
angestellt, die alte Königsstadt niederreissen lassen und Serang zur
Hauptstadt des Landes ernannt.
Als am 17. Februar 1811 die Einverleibung >) Hollands in den
französischen Staat in Batavia bekannt wurde, trat die französische
Republik als Gebieterin über Java und die übrigen Inseln des in-
dischen Archipels auf, ohne sich länger als sieben Monate dieses
Besitzes erfreuen zu können. Schon am 4. August 1811 landeten
12000 Engländer unter dem General Auchmuty in Batavia, der
französische General Jamsens wurde nach einigen unglücklichen
Schlachten zur Capitulation gezwungen und übergab am 17. Sep-
tember 1811 die Regierung in die Hände des Lieutenant-Gouverneurs
Sir Stamford Raffles, als des Vertreters der »englischen Compagnie«,
unter dem Protectorat der englischen Ejrone. Während dieses kurzen
Interregnums von fünf Jahren wurde auch nominell das Sultanat
von Bantam aufgehoben und zu einer gewöhnlichen Provinz (»Resi-
dentie«) von Java ernannt, dasselbe geschah mit dem Reiche Cheri-
bon. Auch eine Verschwörung im Reiche Surakarta, um die Eng-
länder von Java zu vertreiben, wurde entdeckt und unterdrückt
Am 19. August 1816 übernahm eine holländische Commission die
^) Sie hatte bereits am 9. Jali 1810 stattgefunden.
394 ^^ AnsiedelungeD der Europäer auf Java.
Regierung Javas aus den Händen John Fendall's, des Nachfolgers
Sir St. Raffles, und seit dieser Zeit weht die holländische Flagge
nicht nur auf Java, sondern auch auf den übrigen Inseln des in-
dischen Archipels, bis auf den heutigen Tag. Noch zahlreiche
Kämpfe musste Holland um den Besitz von Java führen (der grosse
Javakrieg dauerte vom Jahre 1825 — 1830). Noch zahlreiche Auf-
stände, meistens von fanatischen Priestern angezettelt, musste es unter-
drücken, bis es sich ungestört des Besitzes dieser herrlichen Insel
erfreuen konnte. Tausende und abermal Tausende europäischer Sol-
daten fielen in diesen Kämpfen durch das todbringende Blei oder
unter den Schwertern und Lanzen der Javanen. Soch eine köst-
liche Saat sprosste aus dem mit dem Blute dieser Europäer ge-
düngten Boden: Ruhe und Frieden unter den zahlreichen Fürsten
und Despoten dieser Insel und Sicherheit des Lebens und Eigen-
thums der Eingeborenen. Der Bauer erntet die Frucht seiner Ar-
beit, der europäische, chinesische und arabische Kaufioiann sendet
ungestört die Schätze des Landes nach allen Theilen der Erde,^)
und durch den Segen der europäischen Civilisation, unter der Lei-
tung der holländischen B.egierung, wurde Java, um das Wort des
Dichters Multatulli zu wiederholen, das Land, »welches sich wie
ein Gürtel aus Smaragd um den Gleicher schlingtc. Slamat tanah
Djawa!
1) Im Jahre 1893 betrug z. B. die Ausfuhr nach Amerika 24215-538 Gul-
den, nach Australien 5968*823 Gulden. Der Gesammtexport erreichte die Höh»
von 191361-780 Gulden.
Sach- und Namen-Register.
Abattoir 213
AbcndimterhaltuDgen 47
Abenteuer 24
Abfuhr der Fäcalien 202,
316
Abhärtung 4
Abschiedsvisite 142
Abschreckungstheorie 154
Abstammung vom Hunde
373
Acacien 36, 198, 269
Achteigallery 285
Adhipatti 61
Adjing tanah 81
Aepfel 129
Ahad 277
Aida-Oper 26
Akar ^ampakka 279
Akar wangi 279
Alaofir alang 140, 264
Alcalische Säuerlinge 148
AI caloid der Chinarinde 126
Alfuren 158
Aling-Aling 81
Alter der Pferde 289
Alpinia galanga 113
Altstadt von Batavia 24
„ „ Semärang 366
n „ Surabaya 35
Ambarawa 212
Ammonium cardamomum
113
Amor auf dem- Schiffe 5
Amoy 294
Ampenan 329
Ampiun 292
Analphabeten 339
Anciennität 216
Andjomoro (Berg) 42
Andropogon muricatus 279
Aneurysma 312
Angklong 120
Anisodrilus camosus 113
Anjer 97
„ fluss 42
Ankunft in Batavia 10
Antiaris toxicarica 227
Ansiedlung der Europäer
377 ff.
Anting-Anting 358
Antipyrin 4, 240
Aphrodisiacnm 247
Apotheker 180
Araber 27, 142
Arabien 266
Arak 187
Arcadien von Java 362
Arda wolika 168
Ardjuno (Berg) 42
Areca catechu 281
Areng-Palme 36, 187
Arimuko 118
Armenpraxis 40« 149, 180,
236
Arsenal 16
Artesisches Wasser 194, 366
Artillerie 846
„ -Schiessstätte 115
Arts 53
Assistent-Resident 143, 232
Atjeh 34
Atlantischer Ocean 4
Auction 141
Auctionsamt 147
Auction von Büchern 209
Audienz beim Unterkönig
104
Aufstände in Bantam 98
Ausbruch des Krakatau 97
y, „ Merapi 361
Ausgestorbener Krater 186
Aussenbesitzungen 52
Aussterben der Büffel 84
Australien 129
Arimuko 118
Babu 18, 278
Baduwies 78
Bagagetag 6
Bagel^en 59, 220
Bajaderen 169
Bakker (Dr.) 190
Bacterien 189
Bactericide Sonuenstrahlem
353
Bacteriologisches Labora-
torium 113
Baleh-Baleh 87, 278
BaU 20, 158, 328
Bambus-Glockenspiel 120
„ Häuser 315
„ Steine 372
„ Wunden 123
Bami 363
Banaspati 252
Banda 159
Bandong 114, 226
Bandongan 311
Bangsal Kentjana 175
Banjir-Canal 367
Banju-Biru 216
Ba^jumas 241
Bansal witana 175
Bantam 59
„ Kidul 61
„ lamah 69
Baracken aus Bambus 316
BargüU (Dr.) 160
Barmherzige Schwester 3
Basalt 111
Bataker (Pferde) 78, 158
Batavia 11, 59, 367
„ -Museum 137
Batoro Guru 118
Batu-Djadjar 114, 123
B.
Bäba 283
Babad 157
Babakan 222
galiga 878
Tulii ■
„ ^ Jis 108, 126, 136
Batur 112
Bauchtrank 349
Baven 217
Bouwmeester (General) 126
Beamte 232
Beamtengehalt 114
396
Sach- und Namen-Register.
Bed^ja 114
Bedak 279
„Bediende«' 180
Bedienten 92, 356
Begegnung mit einem Tiger
79
Behandlung der Eingebore-
nen 870
„ der Fussgeschwüre 80
„ „ Seekrankheit 4
Beksos 117
Bengawan-Fluss 148, 178,
264
Benzoe 278
Bergbau 66
„ Kanone 125
„ Klima 264
„ luft 127
• „ See Nebel 148
Ben-Ben 49, 188. 197
„ kring 60
Bemolot Moens 126
Beschautag 141
Beschriebener Stein 108
Beser (Berg) 126
Beeserungsanstalt 139
Besuki 69
Bezirksarzt 149
Bezoarstein 372
Bier 43
Binnendyk 101
Binnengallery 260, 284
Biologie in den Tropen 112,
271
Birnen 129
Bisna 278
Bischof von Mauricastro 336
BittersalequeUe 96, 111
Bleeker (Dr.) 196, 278, 342
Boc^ong 365
j, Manick 96
„ Bangku 96
Bohnen 128
Bojolali 266
Bongkok (Berg) 78
Borax 871
Boreh 116. 170, 279
Bosch, van den 214
y, W. (Dr.) 189
Botanischer Garten 106
Both, Pieter 11
Boycott 259
Brandjanala 176
Brandy 204, 261
Brantas (Fluss) 42, 66
Bras 199
Brcng-Breng (Berg) 112
Brille 176
Bringin 373
Broes van Dort (Dr.) 157,
159
Büchsen 208
Buddha 326
Büffel 72, 176
Buitenzorg 72, 101
Bukit Limbul (Berg) 110
Buleleng 328
Bumba Uchinkä 247
Bnpatti 167
Bura:, van der (Dr.) 87, 168,
187, 240, 279, 343, 370,
371
Büi^erschulen 134
„ kleidnng 229
„ wehr 367
Buru Budur 260, 326, 361
Burung 121
Bus de Ghisignies 20
c.
Oachot 161
Gäsarinen 266
Galcntta 189
Gampement 216, 275
Ganarie communis 226
Ganton 189
Gapellc 866
Garyophyllum 113
Gasino in Batavia 20, 23
„ „ Surabaya 86
Gatechu 281
Gattam 198
Gavallerie 846, 375
Geylon 189
Gervus Muntjac 90
Ghavica siriboa 281
Gh6 Jen 372
Gheribon 59
Gheyne-Stokes 84
Ghina 189
4 -anpflanzungen 126
„ -rinde 126
Ghinesische Behandlung der
Diphtheritis 370
„ Frauen 305
Ghinesisches Jahr 293
Ghinesische Givilisation 298
„ Selbstmörder 298
Schrift 294
Pillen 296
„ Gurpfuscher 870
Ghinesisches Gewicht 290
Ghinesische Möbelmacher
288
Ghinesisches Quartier in
Buitenzorg 101 1
Ghloralhydrat 4
Gholera 50, 188
„ bacillen 188, 193
„ essenz 196
„ phobie 181
„ trank von Bleeker
196
y, bei Säufern 187
„ in der Armee 196
Ghristen auf Java 78
Gicade 81
Gicadeen 86
Ginnamomum aromaticum
113
r, Sintok 118
Gissampolos hirsule 351
GitadeUe Prinz Frederik 115
„ „ Hendrik 42
GivUarzt 149
„ praxis 180
Gleghomia cymosa 247
Gocain 4
Gocosnussöl 279
Gocospalme 86
Golonisation der Europäer
377 ff.
„ „ Hindu 157
Gombattant 352
Gommabacillen 193
Gommission 125
Gommittirte 84
Goncordia 40
Goncrete pavement 198
Gonduite-Liste 21, 183, 229
„Gonferentiekamer'^ 38
Gonserven 90, 210
Gontrol-Liste der Pferde 2 19
Gordon 79
Goriandrum sativum 113
Goromandel 188
Gorso in Weltevreden 18
Greditverhältnisse 304
Greole 15, 129
Greoline 196
Groquetclub 322
Gurcuma 113
„ longa 282
D.
Dadap 111, 266
Dalang 120
Daen<&l8 (Marschall) 20, 59
Daiaker 158
Daiem 177, 264
Damak 78
Damar 211
Dämmerung auf Java 110
Sach- und Namen-Register.
397
Dampfschifffahrtsgesell-
schaft 31
„ tramway 366
Danaergeschenk 38
Danielsen (Dr.) 160
Dani-Fiuss 102
Dapur 351
Datura 187
Deckhengste 72, 106
„ passagier 8
„Declaratie" 126, 218
„Deeleman Kar^ 25
Deli 159
Demak (Fluss) 213
Deng-deng 69, 91
Departement des Cultas 20
„ der Finanzen 20
„ „ Justiz 23
„ des Krieges 20
Deputation 173
Dersono 56
Desinfection 162
Dessa = Dörfer
Dianella montana 279
Diät 38
Diäten 125
Dienggebirge 227, 376
Dienstboten 355
Diphtheritis 370
Bjagong 200
Djaka Dolog 36
Djambugebirge 353
Djamu 280
Djamus 266
DjaDgkrig 81, 121
Djarakblätter 15
Djati 157
„ holz 206, 373
„ Nangos 121
Djelma dalem 82
^ luwar 82
Djeruk purut 351
Djie töh 372
Dj inten 113
Djocja 59, 173, 219, 243,
367, 378
Djojo 355
Djombang 57
Djonkok 202
I^umahad 277
Djurang Djerok 264
Doktor djawa 161, 196, 340
„ der Wacht 306
„ universae medicinae
53
Dolmetsch der javanischen
Sprache 174
Domine 275
7)
r>
Donan (Fluss) 226
Dörrpfanne für Thee 122
Dos-k-Dos 25, 166
Douwes Dekker 61, 68
Drachenfliegen 121
„ fluss 294
Drainage 198
Dressur der Pferde 73
Duit 339
Dukun 31, 301
Dupa 278
Dysenterie 260, 341
Dysoxylum laxiflorum 278
E.
Ei 359
Eichhorst 3
Eigensinn der Pferde 78, 290
Einfluss der Bergluft 127
Eingeborene 142
„ Beamte 233
Eintheilung der Armee 346
Einwohnerzahl der Insel
Bavean 54
der Insel Java 178
Lombok 328
Madura 54
„ Prov. Bagel^en
220
„ „ Banjumas232
„ Bantam 96
„ Batavia 28
„ Djocjakarta
247
„ Eedu 273
„ Madiun 148
„ Preanger 111
„ Sem&rang364
„ Snrabaya 55
„ Surokartal79
des Eraton von Djocja
174
„ von Batavia 27
„ „ Djocja 286
„ „ Magelang 333
„ „ Purworedjo 220
„ „ Salatiga 375
yf „ Semärang 27
„ Serang w
„ Solo 177
„ „ Surabaya 27
Eisen 111
Eisenbahnen auf Java 33, 146
„ auf Sumatra 146
Electricität in den Tropen 12
Elend während einer Epi-
demie 74
n
n n
» n
«
n »
» n
n n
n »
n n
n »
» »
n n
» n
n V
n
n
Elephanten 137, 168
„ 'berg 103
Ellofluss 273
Emoy-Ghinesen
Empang 108
Empfang beim Armeecom*
mandant 16
Empfangsabende 286
„ Zimmer des Armee-
commandanten 16
Enclave von Solo 878
Endemische Krankheit 194
Endivien 128
Endut (Berg) 96
Engel Bey 158
Entstehungsursache der
Cholera 193
„ der Dysenterie 341
Eperies 182
Epidemische Krankheit 194
Erbpachtländer 57
Erbsen 128
Erdäpfel 90, 128
,„ beeren 128
n öl 148
Eriodendron anfractuosum
280
Erkältung 87
Emest Simon 376
Erratische Blöcke 265, 361
Erythrina indica 266
Escamoteur 115
Ethnographie 134
Eucalyptus 198
Ewiges Feuer 373
Expedition in den Tropen
347
Export im Allgemeinen 393
Export von Chinarinde 126
„ Indigo 277
„ „ Kaffee 267
„ „ Schwalben-
nestern 221
„ „ Thee 122
„ „ Zucker 392
F.
Fäcalien 202
Fächerpalme 36
Fälschung 185
Fan Tsjhi 293
Farbensee 136
Famkräuter 248
Fasanen 90
Fatalismus 335
Febris perniciosa 188
Feigenblatt aus Silber 17
398
Sach- und Namen-Register.
FeldbaUillon 346
Fermentiren des Kaffees 266
Feuchtigkeit der Luft 127
Feuerwehr 867
Ficus procera 278
Fieber 216
y, epidemie 68
„ herd 217
Fische 278
Fiscus 56
Flagge 6
Fleischsorten 90
Fliegen 193
Fliegende Blätter 280
Flöhe 95
Flöte 120
Fort Engelenburg 166, 265
„ General van den Bosch
161
^ Nassau 11
„ Ngawie 151
„ Prinz von Oraiyo 366
„ Rustenburg 174
„ Vastenburg 177, 264
„ WiUem I 139, 211
Freimanrerloge in Batavia
20
„ in Semftrang 366
^ „ Surabaya 36
Friedmann 221
Friesland (Dampfer) 1
Frösche 81
Früchte 129
Frühstück 15
Führer der Elephanten 167
Fürstenländer 263
Funmculosis 366, 372
Gt.
Gaba 199
Gabel der Polizei 107
Gadja 168
„ berg 103
Gadok 136
Gaga dalem 373
Galengan 200
Gambmg 264
Gamelang 120
Gangangan 148
Gans 168
Garebegfest 166, 245
Garnisonsdoctor 160, 266
Grarduhäuschen 87, 366
Garten von Java 277, 360
Garuholz 279
Gasbeleuchtung 44
Gastfreundschaft 212, 241
Gedebus 116
Ged6h (Berg) 103, 110
(^dong 44
„ Guning 177
Geer (Prof.) 289
Gefahr des Opiumrauchens
291
Gegenfürsten 246
Gehalt der Bedienten 358
„ „ Fürsten 246
„ des Gouvemeur^Ge-
neral 236
„ eines Oberarztes 40
y, „ Regenten 114
„ „ Regiroentsarztes
235
Geill (Dr.) 161
Gekkö 11
Gemeindevertretung 823
Gemüse 128
Genäschigkeit derDiener368
Gendingan 268
Geneng 166, 871
Genietruppen 846
Gensdarmen 224
Genua 4
Geographie der Insel Lom-
bok 328
„ der „Residentie** Ba-
gelten 220
„ f, ri Bantam 96
„ „ „ Banjümas
227
„ „ „ Madiun 147
„ „ „ Preanger
110
„ „ „ Surabaya
66
„ ^ „ Snrakarta
264
Gepäcktag 7
Gerichtsbeamte 318
Gerichtshöfe 319
Gerichtspraxis 180
Gewang 120
Gewürze 113
Gidoro 266
Gigerl von Batavia 19
Giran pohon 82
„ serät 82
Gladakker 203
Glambong 241
Glaspalast 109
Gnaphalien 269
Gold auf Java 111
„ fische 374
Gombong 222
Gong 1^
Gouvernements-Bureau 20
„ Passagier 34
Grachten 40
Granit 111
Gras 219
Grassi 94, 193
Grüle 81, 121
Griss^e 78, 129
Grijs, de 296
Grobak 73, 80, 289
Gb-onemann (Dr.) 195, 362-
Groot, de 293, 296
Grosses Haus 20
Grösster Platz der Welt 20
Grotten 221, 227, 247, 265
Grundwasser 194
Gubuk 373
Gulden, holländischer 212
Guling 286
Gundüc 177
Guntur (Berg) 112
Gunung Eentjana 70
„ Wangi 221
Gurken 128
H.
Haarlem (Insel) 9
Hackung 41
Hadat 172
Hadji 115, 336
Hafen von Tjilatjap 226
„ „ Semärang 226,
367
Hahn 168
Hahnenkämpfe 72, 121
Haifische 24
Halbeuropäer 241
Half-cast 134
Half-Chinesen 306
Halimun (Berg) 110
Homangku Buwana 183
Handkuss 21
„ langer 180, 309
Hansen Armauer (Dr.) 160
Hari Palng 277
Hari-Tag 277
Hasen 90
Hassa Udin 69
Hasskarl 102
Häuptlinge der Chinesen 287
Haus des Armee-Gomman-
danten 16
Haushälterinnen 62, 133
Bausirer 28, 41, 349
Haustoilette 14, 45, 248
„ der Damen 249, 283
„ Unterhaltung 46
8ach- and Namen-Register.
399
Havolftar, Max 61
Heiden auf Java 78, 340
Heilige Krieg 3B8
Heimchen 8
Hengste 70
Heredität der Lepra 160
Herudot 342
Herolde 168
Herzogs-Allee 16
Hibiscus 36
Hi^mtak 372
Hieroglyphen 2^
Hilfso£ficier der Justiz 269
Hindostan 167, 189
Hindudienst 251
Hinterlader 224
Hippokrates 342
Hirsch (Prof.) 167
Hirsche 90
Hirundo csculenta 247
Hochebene von Bandong 114
„ „ TjandjurlU
Hofceremoniell 173
Hofdamen 168
Höhe der javanischen Pferde
62
Hok-ho Chinesen 294
„ ka ^ 294
Hölle Javas 257
Höllensaft 292
Holzciavier 120
„ Schnitzereien 176
Hoorn (Insel) 9
Hotel Java 11
„ Jungfemheim 265
„ Kedu 276
„ Pavillon 365
„ Taman 374
„ Tugu 244, 274
„ Wynveldt 35
Hon 290
Hunde 177
Hungertyphus 69
„ in Bantam 82
Huri 119
Hüte 49
Hylobates leuciscus 81
„ syndactylus 124
Hypacidität des Magens 113
Hyperacidität „ „ 112
I.
Ideen 68
Ikan kaju 278
,, sep&t 278
Illustration 208
Imagiri 247
n
w
n
Impfungen der Lepra 160
Import von Opium 202
Incubation der Lepra 160
Indifferentismus 112, 335
Indigo 57, 247, 277
„Indisch Taubsein" 367
Indrukken van den dag 68
Ingwer 113
Insel Alkmaer 9
,, Amboina 159
,, Amsterdam 9
,, Bali 158, 328
„ Banka 159
„ Bavean 54
„ Biliton 159
„ Celebes 73, 159
y, Edam 9
„ Haarlem 9
„ Hoorn 9
„ Java 54
Kelupa 82
Eembangan 227
Krakatau 9, 97
Lombok 158, 328, 355
Madnra 54
Morano 159
Ngamuk 10
Ontong Djawa 10
Panattan 97
Pinang 189
Rotti 73
Sandclwood 73
Sawu 73
Sumatra 9, 158
Sombawa 73
Temate 159
„ Timor 73
„ Tjindjil 82
Inspection 184
Inspector 150
Irrenanstalt in Buitcnzorg
108
in Surabaya 36
in Semärang 366
Ismanggung 130
J.
Jacobson 121
Jagd auf Bhinocerosse 29
Janus Tulp 321
Japara 59
Jasminiom Sambok 278
Javabode 150, 322
Javane 55, 213
Javanische Holzschnitze-
reien 176
Pferde 72
n
«
»
Javanische Kunst 327
„ Sagenwelt 167
„ Schönheitsmittel 281
„ Sprache 355
Javasee 264
Jin tchong pe 372
Jodium 96, 111
Jodiumquelle 56
Journalistik 322
Juden 134, 334
Junghuhn 126, 362
Justus von Maurik 321
E.
Kabaya 14, 248, 283
Kabumen 222
Kabup&tten 163, 260
Kaempheria galanga 118
Kaffee 57, 266
Kaffeehaus 128
Kähar sewa 116
Kaiser von Solo 169, 244
Kaju garu 278
„ manis 113
putiöl 279
tjindana 278
Kakaling 82
Kakeriaken 372
Kalang 373
Kalason 251
Kalbfleisch 90
Kali = Fluss
Bening 251, 348
r>
n
l Mas 40, 78
„ Osso 225
„ taman 374
Kalk 111
Kalong 90
Kampfer 371
Kampong = Dorf
„ Ampel 41
KanaDga wangie 279
Kanarienb&ume 225
Kanarienharz 278
Kanarienvögel 60, 244
Kandang Badak 102
Wesi 111
Kanone von Krupp 114
Kantjana (Berg) 114, 340
Kantschil 90
Kaolin 111
Kapinango 278
Kapok 180, 247
Kapol 113
Kaputren 177
Karang 112
400
Sach- nnd Namen-Register.
Karang bolang 221
„ trötös 248
Karbouwen 90, 175
„ weisse 90
Kariasura 265
Kartenspiel 47, 247
Käse 263
Kassowits 871
Katholiken 385
Kean Ansantang 110
Kedal 161
Kedih 59
Kedong Djatti 139, 378
Kebo 221
Kedu 59. 274, 363
Kedner Pferde 72, 288
Kelan 199
Kelor 113
Kelat 269
Kemis 277
Kendeng 42
Kendil 213
Kentering 372
Kentjur 113
Ketumbar 113
„ Ser^ 113
Kiai Dadop 79
Kidang 90, 168
Kimerok 251
Kimlo 363
Kindersee 201, 227
Kirche, armenianische 20
„ chinesische 275
„ katholische 16, 275
„ protestantische 20
Kirchkasse 159
Kirchhof der Europäer 275
„ „ Chinesen 305
Klatten 155, 265
Klappermilch 91
Kletstafel 35, 260
Klima 111, 216, 238
Klimaschiessen 248
Klingalesen 115
Kliwon 277
Klontongs 349
Kloster der Franziskaner 366
Koch (Prof.) 94, 201, 239,
242
Koen, J. F. van 18
Koffer 7
„Koffiecultur" 267
Kohlen 96, 111
Kond^ 45, 116
Kon-fu-tse 298
König von Siam 137, 309
Königsplatz 16, 20
Königstiger 71
Kopgäger 39
Kopfsteine der Chinesen 303
Kossong 41
Kramas 278
Kranggan 362
Krankenliste 37
Krankens&le 51
Kraton zu Djocja 175, 244
„ „ Solo 264
Kraut 128
Krawang 59
Kriegsgericht 186
Kris 176, 358
Kroja 242
Krok 31
Krokodile 10, 24, 166
Kromo-Sprache 355
Krygsraad 186
Kudang 284
Kunst in Indien 25
Kupang 213
Kurang a4jar 137
Kutang 249
L.
Labäk 59, 61
Laboratorium 113
Lada 113
Ladang 199
Lakkaholz 279
Lamong^n 42
Lancior 165
Landbau 68
Landeskasse 20
Landes-Santtatschef 149
Landherren 246
Laternenfest 295
Laudanum 182
Lawsonia alba 279
Lawu(Ber^) 189,148,178,264
Lawang (Berg) 221
Lebensgefahr 85
Leber 132
„ abscesse 341
Legi 277
Legionen des Kaisers von
Solo 175
„ des Sultans von
Djocja 175
Leibwache 167, 244
Leistung der javanischen
Pferde 74
Leitje 205
Lembang 112, 362
Lemo (Berg) 136
Lepra 157, 375
y, in der Armee 158
Leproserien 162
Lerchen 90
Lesegesellschaft 207
Leuchtkäfer 81
L'hombre 168, 247
Li 290
Lianen 265, 345
liang Dynastie 157
Li koan-Ian 296
Locomotief 52, 205, 322
Löffler'scher Bacillus 371
Loge in Surabaja 36
Lombok 113, 355, 328
Loro Djongrang 253
Losari 213
Luftcurorte 243, 375
Lufifenhaftigkeit der Be-
dienten 357
Lumbung 253
H.
Madat 292
Madiun 59, 189, 147
Madjapahit 36, 57
Madras 189
Madura 54, 59
Maduresen 55, 188
Magang 130
Magelang 72, 114, 139, 258,
275, 305
Magensäure 112. 198
Mahomc daner 335
Mahomedanische Religions-
schulen 338
Main dädu 350
Mais 200
Major der Chinesen 48
Makassar 55
^ Pferde 73
Malacca 81 189
Malang 114
Malaria 94, 188, 237
„ chronische 235
Malaye 55, 60
Malayische Kinder 18
Malayisches Winken 21
Malik Ibrahim 78
Malimping 71, 77
Malpropertät 156
Mandalangi (Berg) 111
Mangel an Aerzten 365, 376
Mangko Negoro 177
Manjutan (l^rg) 148
Mautja-nogara 220
Maos 226, 241
Marine -Etablissement 42
Marionetten 114
„ theater 114
Marmor 111
Sach- und Namen-Register.
401
Marodencimmer 179, 228
Marschbefehl 387
Marscbtag 340
Marseille 4
Martavanen 247
Masern 239
Masseuse 31
Mataram 329, 365
Matjaan 247
Matjan tutul 79
Maulesel 364
Mauritius 190
Mausoleum 69
Max Havelaar 61
Medicin der Chinesen 295
Medono 349, 853
Meerbusen von Bantam 69
Meeresleuchten 2
Menado 34
Mendut 253, 274, 325
Menjang 278
„ merra 278
Menschenrechte der Javanen
68
Merang 278
Merapi (Berg) 213, 264, 361,
374
Merbabu (Berg) 213, 264,
374, 376
Messagerie maritime 4
Mesnenbäume 287
Meteorologisches Obser-
vatorium 25
Meuterei 224
Miethwagen 288
Milchsahn des Rhinoceros
30
Militär-Abtheilunffen 114
„ Aerzte 51, 125, 230
„ Hygiene 353
„ Spital zu Batavia 16
„ „ „ Magelang
306
„ „ Ngawie 179
„ „ „ Pel&ntungan
875
n „ „ Semirang
„ „ „ Surabaja 35
, „ T5ilayap 228
Millionenstudien 68
Mineralquellen 111
Ming-Dynastie 157
Minggu 277
Minnebrieven 68
Minusops Elengi 279
Miring-Fluss 42
Mischrassen 133
Mischehen 130
Missbrauch des Opiums 291
Missigit 175
Mission für christlich-refor-
mirte Kirche 27
Mittagsschläfchen 16, 43
Mittelstand 41
Modderlust 35
Modedame 19
Moderne Domine 834
Modin 336
Mocyokerto 56
Modokarsi 42
Mof 21
Mofette 111, 227, 264
Mofrica 26
Mohamad Tsaflnd-din 98
Mohren 340
Molenvliet 24, 138
Monikendam (Insel) 9
Monsum 372
Moorwellen 111
Moos 248
Morbidität 216
Mörderallee 277
Morphin 4
Moiphiophagen 291
Morynga pterygosperma
113
Moschus 90, 872
Mosqoitos 94, 193, 239, 242,
367
Moschee in Magolang 275
„ „ Surabaya 40
Muara Teweh 38, 158
Multatuli 68
Muntilan 274, 325
Musang 266
Museum 20, 137
Mutter Spandermann 11
Myristica fragrans 113
„ iners 279
Myrrhe 278
N.
Nachleser 208
Nächte in den Tropen 107
Nachthose 14
Nassi 199
y, Koreng 15
Nebel (See) 148
Nepentes 36
Nepotismus in der Armee
215
Neve, van (General) 18
New York 362
NgabduV-Rahmann 168,
173
Breite nttt in, Sl Jahre in Indien n.
Ngampel 41
Ngawen (Fluss) 42
Ngawie 140, 255
Ngesis 292
Ngoko-Sprache 356
Ngrämbe 267
Nu>wana 292
Niu-hoang 372
Njai 52, 138, 832
Nonna 19, 44, 129, 241
Noordwyk 23, 138
Nnces (^uerci infectoriae 287
0.
Obat sakit parut 196
Obors 79
Ocimum graüssimum 351
Officiere der Eingeborenen
Oghio 361
Opiumrauchen 290
„ monopol 245
Oppas 77
Opasser 309
Orang-baru 11, 23
„ Käpir 81
Orchideen 36
Ordonanz 358
Orientalen 27, 66, 244
Oryza 199
Osso (Fluss) 225
Osteomalacie 267
Ostmonsum 372
Over vryen arbeid 68
P.
Paal 166
Fablinffan 264
Packeliahrtgesellschaft 38
Padalarang 114
Padang 9
Paddi 199
Padja^jaran 110
Pagelöen 221
Paing 277
Pajong 45, 60, 116, 176, 841
P%jung (Beif) 96
Pakaraman 227
Paku Buwana 221
Pala 113
Palast aus Glas 109
„ des Unterköniffs 104
Panata-gama 168, 173
Pandan (Fluss) 96
Pandanus odoratiasimus 279,
282
26
402
Sach- uud Namen-Register.
Pandeglang 70
Pandjang 213
Pangasah kokolot 82
Pangeran 169, 247
Pangerango (Berg) 103
Pang 8ha 371
Panther 79
Panton 19, 120, 181
Papeda Rumplin 361
Paprica 113
P4raan 362
ParadoxuruB Musanga 266
Parkia Africana 113
ParoD 189, 166, 179, 212
Pasar 278
„ Baru 188
Pasaruan 59, 78. 114, 385
Pastor Verbaak 385
Pate de foie gras 90
Patjar kuka 279
Paljet (Berg) 126
Patti 115, 163
Patua (Berg) 112
Patuk Pakis 265
Pauken 120
Pavillonsystem 306
Pekalongan 59
Peking 189
Peksi gruda 168
PeUntungan 158, 375
Penanggungan 42
Pendoppo 116, 175
Pendrian 366
Pengalengan 112
Pepe-Pluss 42, 178, 264
Pengien-Fluss 42
Periplaneta orientalis 372
Perlen 372
Pesanggrähan 140
Pet^ 113
Petersilie 128
Petroleum 56, 111
„ lampe 178
Pfahlbauten 201, 227
Pfandleihanstalt 358
Pfeffer 113
Pfeifer 176
Pfeiffer, Ida 10
Pferde 72, 115, 288
„ -Fourage 40
Pfirsiche 128
Pflanzendune 180
Phenacetin 4
Philippe 29
Pidjet 31
Picknick 211
Piek von Lombok 328
Pikol 114
Pikolpferde 289
Pinangnuss 281
Pingit 353
Ping piän 871
Pisang 15
Pishalte 348
Plantage 56, 247 '
Plasmodien 189
Pleret 247
Pogostemon 279
Polisei 25, 68
„ arzt 149
,. Soldaten 223
Polonaise 47
Polygamie 130
Pon 277
Pontang (Fluss) 96
Pontjol 366
Porong (Fluss) 42
Porphyr 111
Porte d^Entree der Lepra
160
Portugiesen 81
Postamt 25
Prabajassa 177
Prabu Djaja Baja 157
Pradjurit 223
Präcor dialangst 182, 193
Praguman 378
Prahu (Bei^) 376
Prambänan 249
Prang sabib 338
Präsentkäse 263
Preanger 59
Preis des Chinin 104
Pringsurat 340, 349
Privatbahnen 33
guter 57
Praxis 236
Probolingo 59, 78
Pk'ogo (Fluss) 278, 362
Protestanten 334
Prophylaxis der Cholera 197
„ der Dysenterie 344
„ „ Lepra 161
Provinz vide Residentie
Prüfungen der Aerzte 52
Prügelstrafe 154
Pteropus edulis 90
Puasa 838
Pulu vide Insel
Pulverfabrik 139
Pulvirenti 94
Puntjak 136
Purworedjo 220
Pylorus 253
Pyrotechnische Werkstätte
42
I«
I»
Quartieigeld für Oberarzte
40
, , für Regimentsärzte 235
Quecksilber bei den Chi-
nesen 295
K.
R&den Djambu 221
„ Riu;hmat 41
Radja 54
„ Mantri 110
Raksassa 158
Randosari 367
Rangklasse der Spitäler 179
„ unterschiede 261
Bankas Betone 68
Rapatholz 247
Rasse 278
Rathhaus 25
Ratu Loro Eidul 247
Raubbau 362
Rawa 197
„ Pening 213
Rebab 118
Rebu 277
„Rekenkamer" 218
Reconvalescentenspital zu
BatuTulis 108
zu Sindanglaya 113
„ Sukabum 112
„ „ Unarang 375
Recueil 37
Regenmenge auf Java 100,
198
in Buitenzorg 198
„ Magelang 198
„ Ngawie 198
„ ISUatjap 198
Regierungsprincip 233
Reh 121, 168
Reibereien in kleinen
Städten 859
„ unter Beamten 317
Reichsverweser 167
Reinwardt (Prof.) 102, 121,
189
Reis 57, 199
„ falder 199
„ Vögel 867
Reise nach Europa 364
Religionen 334
Reorganisation der Armee
215
Resident 149
„ schritt 310
»>
»»
»»
})
Saeh- und Namen-Regiater.
403
}|
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»»
II
>»
ft
I»
»»
I»
j>
Residenüe Bageläen 148,
220, 267
Biu^iima8232,a67
Bantam 267
B&tavia
Djocjocarta 361
Kedu 59, 267,
278, 368
Madirni 147, 264
Pasaruan 335
Preanger 59, 267
Rembang 148,
157, 264
Sem&rang 261,
364
Sarokarta59, 155,
178, 263, 361
Rhaden Saloh 327
Biiinoceros 29
r, horn 30
BicinuBÖl 105, 112
Rinder 73
Rindfleisch 90
Riolen 202
Riouw 159
Rollen der Schiffe 2
Ronggens 116
Rothe Brücke 40
Rothfarben der Nägel 180
Rotterdam (Ineel) 9
Rozeboom 214
Rüben, rothe 128
Raderclub 27
Rnnde 306
Ruyther, Dr. 310
. s.
Sabbatarier 882
SagueruB sacchariferuB 187
Said Rakidin 78
Sajidin 168, 173
Salak (Berg) 103
Salam 274
Salaman 277
Salämatan 336
Salatiga 373
Salindang 116
Salinen 111
Salpetergruben 56
Salzsaure 112, 204
Sanatorien 112
Sandhose 140
Sanggabuwana (Berg) 110
Sangkapura 54
Sanitatschef 16
Santen 118, 350
Santonina 105
Sardellen 90
Sardinen 90
Sarg der Chinesen 305
Sarong 249, 283
„ burung 221
Sas&te 351
Sassak 328
Sauds de Boulogne 90
Säuglinge 3
Saugwasser 7
Säuregehalt des Magens 113
Sawa 195
Sawiuig galing 168
Scepasma buxifolia ^81
Schafe 90
Schattenspender 266
Scheikh Abdul Kadir 115
Scheinpotentaten 245
Scheube 341
Schiefertafel 205
Schiessclub 27
Schiffsbad 141
Schimmel 128
Schinken 90
Schlammwelle 96
Schlangen 166
Schlossplatz 140, 264
Schmuggeln von Opium 292
Schout 359
Schulen 16, 134
Schulze 25, 72, 339
Schuttery 368
„ fonds 369
Schwalbennesterhöhle 178,
221, 247, 265
Schwarzfarben der Zähne
281
Schwarzwurzel 128
Schwefel 111
Schweine 90
Section einer Choleraleiche
192
Se4j&ng 349
Seekrankheit 1
Seffaraweddi 227
Selassa 277
Sellerie 128
Sem&rang 59, 190, 364, 372
Semb&h 169
Semelink (Dr.) 187
Seminar 16
Senapati ing ngalaga 168,
173
Sendäng 148
Sen^n 277
Senf 113
Senkgruben 202
S^ptu 277
Serang 60, 69
Serenaide auf dem Schiffe 7
Serimpi 169
Sesamöl 279
Setjtog 362
Sewu 253
Siamang 124
Sideh Mohamad 78
Sidoan^o 44, 57
Simaruba 259
Sindaüg-laya 113, 127
Sindoro 278, 362, 376
Singapore 376
Singcicade 81
Sinju 19, 129, 241
Sintok 113
Siong goän 295
Siram 141
Sirihkauen 281
„ schale 281
Sitinggil 264
Sitz der Gefühle 130
Siwa 188, 221, 253
Sluisbrücke 15
Smeru 269
Snouk Hurgronje 147
Solanum verbascifolium 281
Soldatenfrauen 332
„ kinder 260
„• freunde 332
Solfatoren 227
Solo 139, 263, 367, 373
„ fluss 42, 148, 178, 264
Sonnenblumen 198
„ schirme 168, 277
Späth 111
Spaziergang im Regen 88
Spiegel 12
Spiele der Javanen
Spinat 128
Spital für Eingeborene 25
„ „ Chinesen 25
„ behandlang für Ofß-
ciere 257
» weg 16
SpukhauB 101
Spurweite der Eisenbahnen
33, 139
Sragen 139
Sri Menganti 175
Staatsbahnen 88
Stab der Cavallerie 375
Stabsmusik 18
Stacheldraht 311
Stachelstange 86
Stadthaus 25, 366
Stalaktiten 222, 247
Stamford Raffles 105
26»
404
Sftoh- and Namea-Beg^ier.
Stampfen des Schiffes 2
Stand der Armee 195
Stang^e 278
Starrsinn der Pferde 290
Statistik der Lepra 162
Steeden, van 130
Steinbergen 197
Steuer für Einäugige 221
„ „ Waden 221
Steueramt 20
Sticker (Dr.) 161
Stockfisch 278
Stockschläge 150
Stomatitis crouposa 371
StrafansuJt Ngawie 139
Sträflinge 180, 321
Strasse von Sunda 9
Strassenbeleuchtung 44
Streitigkeiten 360
Strohhüte 59
Sukabumi 111
Snlassifrucht 351
Suling 120
Sultan Ageng 247
Sultanat von Djocja 244
Sultanin von Djocja 177
Sumbing (Berg) 273, 862,
376
Sumedang 121
Sümpfe 197
Sundanesen 55, 59
„ frauen 136
Superarbitrirungscom-
mission 255
Surabaja 35, 195
Surakarta 59, 139, 263
Susuhunan 41, 167, 245
Sylvesternacht 163
SyphUis 375
T.
Tabak 57
TaU 290
Tamarindenbaum 113
Tambour 176
Tambourin 120
Tampat ludah 281
Tanah-bang 138
,, Sereal 106
Tandaken 160
„ mädchen 170
Tandes 78
Tandjong 279
Tanjong Priok 197
Tan-fan 371
Tangerang 59
Tankuban Prahu 110
Tan-seng 872
Tanzen 262
Tanzen der Javaneu 116
Tänzerinnen 114
Tapafluss 54
Tapotement 31
Tassik malaya 112
Tatelahan 81
Tater 281
Taubheit 857
Tauschhandel im Spital 312
Tausend Inseln 9
„ Tempel 251
Tay-Ka-Toi 372
Tebäsan 221
Tectonia grandis 206, 373
Telaga bodas 110
Warna 136
Telephon 115
Telok Betong 33
Telomojo (Berg) 213, 272,
386
Temanggung 290, 349, 362
Tempel 134, 249
Tengergebirge 78, 331
Teppiche 169
Teysman 102
Thalia 820
Theater 118
„ director 320
gesellschaft 320
Thee 121
„ plantagen 121
Thiergarten zu Solo 265
Tidar 275
T^er 71, 166
„ gefechte 121
Tinggi 54
Tin-sjong 247
Tizzoni 193
Tjtki Duwejan 91
Tjakra Negara 329, 840
Tjandi 251
TJandjur 114
Tjemarabaum 269
Tjenkö 113
Tii 290
Iji-apus (Ber^) 103
„ balang 112
„ barenoh 96
„ beo 82
„ berem 102
„ bodas 102, 127
„ dani 102
kandi 84, 96
ilir 59
„ udik 59
„ kan^kes 82
»I
)i
II
Tji-komoh 108
„ langap 85
„ laljap 33, 197, 217, 241
„ leles 70. 77
„ ligon 23
„ ma4jah 112
„ manok 96
„ omas 108
„ panas 102, 127
„ panimbang 96
„ samodor 82
„ walini 112
l^ien-tju 372
„ tjau 351
IJu-s^h 371
Todtenthal 227
Toko 138, 222
ToUetbaracken 314
Tonnensystem 316
Topeng 120
Toro 60
Totok 26
Toumiere 114, 121
Trachitstein 265, 361, 376
Tramway 23
Transferirung 34, 218
Trassi 278
Treppensteigen 239
Treub (Prof.) 101
Trichopus trichopteruB 278
Trinkgelder 21
„ wasser 194, 216, 240,
343
Trommel 26
Tropfsteinhöhle 227, 248
Tsäp gow mdng-Fest 294
Tschou houang 372
Tsee houang 371
Tuban 42
Tukang pidjit 31
Tukung (Berg) 96
Tuku Umar 346
Tumenggung 167
Tuntang 213, 373, 375
Turnschule 27
„ vereine 27
Tnwak 187
Tytler 193
u.
Ueberschwemmungs-Canal
367
Uncaria gambir 281
Ungarang 212, 874
Unglücksfälle durch Thiez«
166
Uniform der Militärärzte 231
Sach- und Namen*Begi8ter.
406
Uniform der Prac^urits 234
„ Schuttery 368
üpasbaum 227
Urat sola 82
Urlaub nach Buropa 364
Unit 31
Uyaria odorata 279
y.
y^cinateur 150, 161
Yacoinestoff 260
Valentyn 159
VaniUe 113
Vendutie 142
„ accept 147
VerbannungBort 287
Verbreitung des Islam 78
Vereine in Batavia 26, 27
Verein der surabayischen
Zuckerfabrikanten 56
Vemftungsfalle 96
Verhexen 360
Verpflegsgebuhren 255
Vertheidigungsschrift 186
Vertheid^ung yon Java 214
Veth 157, 213, 227, 247,
251, 853, 325, 373
Vetter 328
Vibration 31
Viehpest 68, 83
„ zucht 68
Violine 118
Virchow 160, 193
Vivres 39
Vogel 168
Vogelnester 56, 245
Volksschulen 134, 389
Vordermann (Dr.) 371
Vorkinder 134
Vorschuss 218, 358
Vorstenschool 68
Vulcan Bromo 79
S^arang 96
Lawu 270
Merapi 161
t»
91
I»
?»
I»
»♦
w.
Wachtel 121
Wachthäuschen 87, 107
Wageh 277
Wajang gohlek 120
Eulit 119
Orang 118, 265
tjina 119
WaUkukung 265
Wanakarta 112
Wanakrama 36
Waringinbaum 36, 140
Warme Quellen 96, 148,
222, 264
Wasser 194, 216
Waterlooplatz 16
„ säule 16
Wechsel der Dienstboten
359
Wedono 78
Wege der Fama 206
Weintrauben 129
Weisse Röcke 232
y, Uniform 368
Welirang 42
Wellisgebirge 269
Weltevreden 15, 113
Westmonsum 872
Wettrennen 72, 106, 320
Whisky 261
Whist 168
Wi4jen-Oel 279
Wiel, van der 371
Wiener Möbel 16
Willem I 139, 211
WUlisberg 148
Wildschweine 90
Winken der Malayen 21
Wirogomo 214
Wohnungen der Europaer
Wollbaum 180
Wucherer 304
Wunderoi 115 *
Würfelspiel 350
Würste 90
z.
Zahlmeister 218
Zähne der Pferde 289
„ „ Malayen 18, 281
Zauberer 295
Zibeth 278
Ziegen 90
Ziehbrunnen 284
Ziekenvader 306
Ziekenzaal 228
Zinkblech im Xoffer 7
Zinn 111
Zoologischer Garten in B*-
tavia 188
„ Garten in Solo 266
Zuckerfabriken 57
„ plantagen 57
Zulagen eines Militärärzte!
285
Zwiebeln 113
Inhaltsverzeichniss *)
des 1. Bandes »Borneo« yon Breitenstein, 21 Jahre in Indien.
I
Vorwort V
I. Capital. Rassen auf Bomeo: Olo-Ott, Dajaker u. s. w. — Heise von
Surabaya nach Bandjermasing — Insel Madura und Bawean
— DuBsonfluss — Mosquitos — Oedipussage auf Bomeo —
Danaus -Seen — Antassan — Rother Hund (eine Haut-
krankheit) 1
2. Capitel. Pesanggrähan = Passantenhaus — Ausflug nach der Affen-
insel — Aberglaube der Eingeborenen — Reise nach Teweh
— Ein chinesisches Schiff im Innern Bomeos — Trinkwasser
in Indien — Eis — Mineralwässer IS
3. Capitel. Amethysten- Verein — Alcohol — Gandruwo, eine Spukge-
schichte — Polypragmasie der jungen Aerzte — Verpflegung
in einem Fort — Unselbständigkeit der Militärärzte — Ma-
layische Sprache — Vergiftung mit Chloralhydrat und Arsenik
— Krankenwärter und Sträflinge — Amoklaufen — Erste
Praxis unter den Diyakem — Schwanzmenschen 24
4. Capitel. Pischschuppen-Krankheit — Tigerschlange — Schlangenbe-
schwörer — Gibbon — Kentering — Beri-Beri — Simulanten
beim Militär — Mohammedanisches Neigahr — Tochter von
Mangkosari — KopQagd — Pfeilgift — Genesungsfest —
Gesundes Essen — Früchte — Indische Haustoilette —
«
Wüthende Haushälterin — Dysenterie — Gewissenlose Be-
amte — Missionare 45
5. Capitel. Fort Buntok — Orang-Utang — Operationen — Prostituö bei
den Affen — Darwinisten — Indische Häuser — Möbelfabri-
kanten — Französische Mode — Gefahrliche Obstbäume —
Einrichtung der Häuser — Dajakische Häuser — Götzenbilder
— Tuwak oder Palm wein — Wittwen stand der Dajaker —
Opfern der Sclaven — Todtenfest 8S
6. Capitel. Ameisen und Termiten in den Wohnungen — Verderben der
Speisevorräthe — Milch-Ernährung der Säuglinge — Aborte
TJebok — Transpiration in den Tropen — Baden — Siram =
Schiffsbad — Antimilitärischer Geist der Holländer — Das
Ausmorden der Bemannung des Kriegsschiffes „Onrust", voA
den Dajakern erzählt IIS
*) Zur Orientirung in den bereits besprochenen Fragen der Tropenhygiene
dürfte eine Wiederholung dieses Inhaltsverzeichnisses vielen Lesern vielleicht
nicht unwillkommen sein. Der Verleger.